Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Am heutigen Tage feiert der Abgeordnete Müller ({0}) seinen 60. Geburtstag. Ich spreche ihm die herzlichen Glückwünsche des Hauses aus.
({1})
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 10. Mai 1976 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1976 mit 14 Anlagen mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan liegt im Archiv zur Einsicht aus.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 5. Mai 1976 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden bereits verkündeten bzw. zur Verkündung anstehenden Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft an den Rat über die Verhandlungen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Malta im Hinblick auf den Abschluß eines Protokolls zur Festlegung bestimmter Vorschriften betreffend das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Malta und eines Finanz-Protokolls ({2})
Empfehlung für die Verordnung ({3}) des Rates über den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Demokratischen Volksrepublik Algerien
Empfehlung für einen Beschluß des Rates, mit dem die Kommission ermächtigt wird, Verhandlungen mit Algerien über den Abschluß eines Interimsabkommens zu eröffnen ({4})
Verordnung Nr. 476/76 des Rates vom 2. März 1976 zur Aufrechterhaltung der Genehmigungspflicht für die Einfuhr nach Italien von Rohrformstücken, Rohrverschlußstärken und Rohrverbindungsstücken aus Temperguß mit Ursprung in Taiwan ({5})
Verordnung Nr. 666/76 des Rates vom 25. März 1976 zum Abschluß des Abkommens über die verlängerte Anwendung der Bestimmungen betreffend die erste Stufe des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Malta ({6})
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 6. Mai 1976 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung ({7}) des Rates
mit Sondermaßnahmen insbesondere zur Festsetzung der Angebote von Olivenöl auf dem Weltmarkt
Sondermaßnahmen insbesondere zur Festsetzung der Angebote von Olivenöl auf dem griechischen Markt ({8})
Verordnung ({9}) des Rates
zur Änderung der Verordnungen ({10}) Nr. 2764/75 und 2766/75 hinsichtlich des Bezugszeitraums der Futtergetreidepreise zur Berechnung der Abschöpfungen und der Einschleusungspreise auf dem Schweinefleischsektor
zur Änderung der Verordnungen ({11}) Nr. 2773/75 und 2778'75 hinsichtlich des Bezugszeitraums der Futtergetreidepreise zur Berechnung der Abschöpfungen und der Einschleusungspreise für Eier und Geflügelfleisch ({12})
Verordnung des Rates über die Verpflichtung zum Ankauf von Magermilchpulver im Besitz der Interventionsstellen, das zur Verwendung in Futtermitteln bestimmt ist ({13})
Verordnung ({14}) Nr. 348/76 des Rates vom 17. Februar 1976 über die infolge der Versorgungsschwierigkeiten bei Kartoffeln zu treffenden Maßnahmen.
Meine Damen und Herren, wir setzen die Beratung des Haushalts fort. Es ist interfraktionell vereinbart worden, daß die gestern zurückgestellte Beratung über den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen heute im Anschluß an den Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - durchgeführt wird. Das heißt, wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Dann folgen der Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und der soeben erwähnte Geschäftsbereich.
Ich rufe nunmehr die Punkte II, III sowie Punkt I Nr. 18, 19 und 20 der Tagesordnung auf:
II. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes und des Gesetzes über das Branntweinmonopol
- Drucksache 7/4518 Bericht und Antrag des Finanzausschusses ({15})
- Drucksache 7/5096 - Berichterstatter:
Abgeordneter Bremer Abgeordneter Dr. Böhme ({16})
({17})
III. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes
- Drucksache 7/4428 Bericht und Antrag des Finanzausschusses ({18})
- Drucksache 7/ . 17034
Abgeordnete Frau Huber
Abgeordneter Dr. Becker ({0})
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I. Fortsetzung der Zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976 ({2})
- Drucksachen 7/4100, 7/4629
Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses ({3})
18. Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
- Drucksache 7/5038 Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
19. Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 7/5053 - Berichterstatter: Abgeordneter Blank
20. Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung - Drucksache 7/5057 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. von Bülow
Abgeordneter Dr. Dübber Abgeordneter Hoppe Abgeordneter Löffler
Es ist dazu eine verbundene Debatte vereinbart. Wünscht einer der Berichterstatter das Wort?
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Becker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit Drucksache 7/4428 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes eingebracht und schlägt eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte vor, was in drei Jahren eine Mehreinnahme von 37,5 Milliarden DM ergeben würde. Sie begründet diese Steuererhöhung u. a. damit, daß außergewöhnlich hohe Kredite aufgenommen werden mußten, weil durch Ausgaben für konjunkturell fördernde Maßnahmen und Steuermindereinnahmen die öffentlichen Haushalte stark belastet worden seien.
Der Finanzausschuß, als dessen Berichterstatter ich hier spreche, hat sich mit diesem Entwurf in fünf Sitzungen beschäftigt und ein Hearing mit 31 Verbänden durchgeführt. In dem Ihnen vorliegenden Bericht sind die Argumente der Verbände ausführlich dargelegt. Die Befragten lehnten die Erhöhung der Mehrwertsteuer durchgängig ab.
({0})
Als Berichterstatter will ich darauf im einzelnen nicht eingehen, obwohl ich das als Angehöriger der Opposition sehr gern tun würde.
Die Mehrheit des Ausschusses hat der Regierungsvorlage ohne grundlegende Änderungen zugestimmt, weil sie die Steuererhöhung in Übereinstimmung mit der Bundesregierung für die langfristige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, insbesondere des von der Rezession betroffenen Bundeshaushalts, als unentbehrlich ansieht und diesem Ziel trotz der Argumente bei der Anhörung Vorrang einräumt. Die Mehrheit glaubt, daß eine Steuererhöhung in diesem Umfang Vorsorge dafür treffen muß, daß es nach Überwindung der Rezession wieder möglich sein wird, die Kreditaufnahme nach dem Gebot der Verfassung in den Grenzen der investiven Ausgaben zu halten. Das schreibt bekanntlich Art. 115 des Grundgesetzes vor.
Nach Auffassung der Mehrheit hat die Anhörung keine neuen Aspekte für weitere Einsparungen bei den Ausgaben gebracht. Ein finanziell kaum ins Gewicht fallender Vorschlag des Ausschusses, den Prozentsatz für den Vorsteuerabzug bei der Landwirtschaft von 6 auf 7 v. H. heraufzusetzen, wurde bei Stimmenthaltung der Opposition angenommen.
Die Opposition stimmte gegen das Gesetz. Sie hat sich im wesentlichen den in der Anhörung vorgetragenen Bedenken angeschlossen und sieht einen Weg der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte allein in weiteren Einsparungen von Ausgaben im konsumtiven Bereich. Im übrigen sei bei der Einbringung des Gesetzes der Bundesregierung und der Koalition noch nicht bekannt gewesen, daß für das Jahr 1977 eine Erhöhung der geplanten Einnahmen durch erhöhte Steuereinnahmen einerseits und Einsparungen andererseits von 6,5 bis 8 Milliarden DM zu erwarten seien. Damit sei das wichtigste Argument der Koalition weitgehend hinfällig. Zudem treffe eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die zu einem Anstieg der Lebenshaltungskosten von 1,3 bis 1,7 v. H. führe, Bezieher niedriger Einkommen besonders hart und sei deswegen unsozial.
In Übereinstimmung mit Argumenten aus dem kleineren Einzelhandel und der mittleren Industrie bei dem Hearing vertrat die Opposition die Auffassung, in manchen Branchen würde die Steuer nicht überwälzbar sein, weil nachfragemächtige Abnehmer bestimmte Preisschwellen nicht überschreiten wollten und daher entsprechenden Druck auf ihre Lieferanten ausüben würden. In solchen Fällen verschlechtere die Steuererhöhung erneut das Klima für Investitionen, welche stark rückläufig seien, so daß im Jahre 1975 in der Industrie gegenüber 1970 nur noch rund die Hälfte investiert worden sei.
Meine Damen und Herren, im Namen des Ausschusses bitte ich um Annahme des Gesetzes in der Form der letzten Beschlüsse des Finanzausschusses.
({1})
Ich danke dem Berichterstatter. Wünscht noch jemand von den Berichterstattern das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode
Vizepräsident Frau Funcke
Dann eröffne ich die verbundene Beratung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Bülow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir kommen nach einer mehr oder weniger großen Nebeldiskussion der letzten Tage um ideologische Begriffe
({0})
zurück zum Bundeshaushalt und zu den harten Realitäten, denen wir alle uns gemeinsam zu stellen haben.
Die Bundesrepublik Deutschland bewegt sich zusammen mit den anderen westlichen Industrienationen heraus aus der zwei Jahre anhaltenden schwersten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren. Diese Krise war gekennzeichnet durch hohe Inflationsraten in allen Ländern, insbesondere seit der zweiten Hälfte der 60er Jahre, durch eine ungeheure Rohstoffverteuerung und nicht zuletzt durch eine alle früheren Vorstellungen über den Haufen werfende Verteuerung des Produktions- und Wirtschaftsfaktors Energie. Die Krise hat allein in den westlichen Industriestaaten eine Arbeitslosigkeit von mehr als 17 Millionen Menschen mit sich gebracht; die östliche Welt ist von der Krise in etwas verdeckterer, aber ebenso schmerzhafter Form erfaßt worden.
Die Bundesrepublik ist eine der größten Werkstätten dieser Welt. Sie liefert Waren und Dienstleistungen in alle Länder der Erde; jede vierte Mark, die in Deutschland eingenommen wird, muß im Export verdient werden. Diese Exportabhängigkeit macht sich in Krisen bemerkbar. Wenn Aufträge aus dem Ausland ausbleiben, bedeutet das bei uns Depression, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit.
Hinzu kommt, daß Deutschland mit Ausnahme der Kohle keine nennenswerte eigene Rohstoffbasis besitzt. All das, was in diesem Lande produziert wird, muß zunächst als Rohstoff eingeführt werden. Steigen auf dem Rohstoffsektor, wie es in den letzten Monaten und Jahren geschehen ist, die Preise um 100 bis 400 °/o, so bedeutet dies, daß diese Inflation auch auf die Bundesrepublik überschwappen muß und mußte.
Sieht man die international vorgegebenen Schwierigkeiten, so hat sich die Bundesrepublik Deutschland dank einer energischen Bekämpfung der Inflation, die später von einer ebenso energischen Konjunkturankurbelung mit insgesamt vier Konjunkturprogrammen abgelöst wurde, im internationalen Vergleich hervorragend gehalten. Die Menschen in Deutschland wissen inzwischen, daß die Inflationsrate dieses Jahres - wie die der vergangenen Jahre - weit unter denen in unseren Partnerländern der westlichen Welt gelegen hat. Mehrere Millionen von Menschen, die in diesem Sommer ins Ausland reisen, werden dies selbst beobachten können. Die Bundesrepublik ist in dieser Krise auch eines der ganz wenigen Länder gewesen, die keinerlei Schwierigkeiten hatten, die so drastisch verteuerten Rohstoffimporte zu bezahlen. Die Inflationsrate in der Bundesrepublik liegt im gewogenen Durchschnitt mindestens um 50 °/o niedriger als die unserer Handelspartner. Bei der Arbeitslosigkeit liegen wir in einem mittleren Feld. Die Arbeitslosenquote ist in Irland mit 12 °/o aller Erwerbstätigen am höchsten, gefolgt von Dänemark mit über 11 °/o, den USA mit über 8 °/o, Frankreich mit 4,9 °/o. Die Bundesrepublik hat derzeit eine Arbeitslosenquote von 4,7 °/o aufzuweisen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?
Aber gern, bitte sehr.
Herr Kollege von Bülow, haben Sie dabei vergessen, daß Sie 600 000 Gastarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen haben?
Dies ist sicher richtig. Das ist aber in anderen Ländern - z. B. in Frankreich - genauso der Fall und muß dort genauso in die Rechnung eingestellt werden wie bei uns.
Man sollte bei dieser Gelegenheit auch nicht verschweigen, daß die Bundesrepublik ein Land ist, das stärker als andere Partnerländer um sie herum die Fahne der Marktwirtschaft auch in Krisenzeiten hochgehalten hat. Es hat eben keine Milliardenspritze für die Automobilindustrie unseres Landes gegeben, als sie in Schwierigkeiten kam. Die Strukturanpassung der Industrie ist in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu den Partnern, mit denen wir Handel treiben, energischer vonangetrieben worden, so daß von daher auch für die Zukunft gute Chancen bestehen, im internationalen Konkurrenzkampf bestehen zu können.
Meine Damen und Herren, Bundeskanzler Helmut Schmidt hat persönlich einen entscheidenden Einfluß darauf genommen, daß sich nahezu alle Industriestaaten der westlichen Welt zu einer aufeinander abgestimmten Konjunkturankurbelung verstanden haben. Die Konjunkturbelebungsmaßnahmen, die allein in der Bundesrepublik Deutschland einen Umfang von ungefähr 35 Milliarden DM zusätzlicher staatlicher Anreize hatten, haben zweifellos einen wesentlichen Anteil an der Wiederbelebung der Konjunktur. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß Sie noch vor wenigen Wochen auf die sogenannten Winterhilfsprogramme dieser Bundesregierung hingewiesen haben. Ich möchte Sie weiterhin darauf verweisen, daß nahezu alle Sachverständigen - bis hin zur Bundesbank - anerkennen, daß diese Konjunkturankurbelungsprogramme einschließlich der damit verbundenen hohen staatlichen Defizite dazu geführt haben, daß sich die Bundesrepublik auf dem Pfad der Besserung bewegt. Nach Monaten der Bedrückung können wir wieder einigermaßen optimistisch in die Zukunft sehen.
Daß diese Krise gerade von der Bundesrepublik so gut überstanden worden ist, hängt mit vielen Faktoren zusammen. Dazu gehören - wie sollte es anders sein? - zunächst einmal eine gute Regie17036
rung, ein Regierungschef, der in den Problemen der Wirtschaftswelt, aber auch der internationalen wirtschaftlichen und finanziellen Verflechtungen zu Hause ist. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt in Bundeskanzler Helmut Schmidt über diesen gerade in Zeiten der Not unentbehrlichen Fachmann.
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Zum Überstehen einer derartigen Krise gehört verantwortungsbewußtes Handeln aller am wirtschaftlichen Leben beteiligten Gruppen. Auch dies ist in einem bemerkenswerten Maße zu verzeichnen. Trotz des Fehlens eines der letzten Tarifabschlüsse in der Tarifrunde 1976 muß den Gewerkschaften ein hohes Maß an Verantwortungsbewußtsein bescheinigt werden. Wir gehen davon aus, daß dies auch bei den noch ausstehenden Tarifabschlüssen zum Tragen kommen wird, und können nur dringend hoffen, daß in dem Bereich, der durch einseitige Entscheidungen der Unternehmen geregelt wird, nämlich im Bereich der Preise, ein ähnlich hohes Maß an Verantwortung im Laufe des Jahres festzustellen sein wird.
({1})
Meine Damen und Herren, wichtigster Faktor beim Überstehen derartiger Wirtschaftskrisen ist die Dichte des sozialen Netzes. Dieses soziale Netz, das den einzelnen gegen die Folgen von Konjunktureinbrüchen schützt, ist seit 1969 enger geknüpft worden. Ich erinnere an die Höhe des Arbeitslosengeldes, die Erhöhung der Zahlungen für Kurzarbeiter, die Sicherung des Lohnes gegen Konkursausfall, die Unverfallbarkeit der Betriebsrenten, die Dynamisierung der Kriegsopferrenten, die Einbeziehung der Landwirtschaft in das ganze Sozialsystem dieses Staates, den besseren Mieterschutz und anderes mehr. Auf all dies ist im Verlauf der Debatte bereits eingegangen worden.
Aber nehmen Sie nur ein weiteres Beispiel: die Vermögensbildung. Während 1969 noch das 312-DMGesetz galt, lag die Zahl der Arbeitnehmer, die Geld nach diesem Gesetz sparten, bei 5,7 Millionen. 1974 waren es bereits 16,3 Millionen Menschen bzw. 80 °/o aller Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Sie erhalten zur Zeit Leistungen nach dem heutigen 624-DM-Gesetz. Das heißt, seit 1970 ist geradezu ein Durchbruch mit dieser Form der Vermögensbildung geschaffen worden. Auch dies bedeutet mehr Sicherheit für die Menschen in der Bundesrepublik.
Diese Sicherheit sollte man nicht mit dem Stichwort der Gratifikation abtun. Gratifikation ist ein Almosen und kann zurückgenommen werden. Für uns ist wesentlich, daß dieser Staat zu diesen Leistungen steht und sie aufrechterhält.
({2})
- Bitte, dann müßte das Wort von der Gratifikation zurückgenommen werden, wenn diese Ihre
Meinung die gemeinsame Meinung aller Parteien in diesem Hause ist. Das wäre wünschenswert. Aber dann müßte das Wort der Gratifikation im sozialen Bereich zurückgenommen werden. Davon habe ich bisher nichts gehört.
Meine Damen und Herren, die Opposition sieht in dieser Haushaltsdebatte die Möglichkeit einer letzten großen parlamentarischen Generalabrechnung. Wenn die Opposition behauptet, wie sie es in den beiden vergangenen Tagen getan hat, die Freiheit sei in den letzten sieben Jahren, seit Bestehen der sozialliberalen Koalition, entscheidend beeinträchtigt worden,
({3})
so möge sie in dieser Haushaltsdebatte bitte den Beweis antreten. Es hat keinen einzigen Beweis gegeben. Es hat kein einziges Feld gegeben, auf dem sie angetreten wäre, um zu behaupten, daß Freiheit von dieser Regierung in irgendeiner Form eingeschnitten worden wäre.
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Wenn Sie die Jusos nicht hätten, würden Sie ganzen Debattenrunden nicht bestreiten können. Sie haben den Beweis für den Einschnitt der Freiheit nicht angetreten.
Alle Maßnahmen, die ich vorhin aufgeführt habe, dienten der Sicherheit des einzelnen gegen die Wechselfälle des Lebens und damit seiner Freiheit von wirtschaftlicher Not. Schritt für Schritt wurde diese Freiheit des Bürgers ausgebaut. Sie hätten Gelegenheit, in dieser Generalabrechnung zu sagen, wo Ihnen diese Politik zu weit gegangen ist und wo Sie die angebliche Unfreiheit zu beseitigen gedenken. Bis zum heutigen Tag haben Sie kein Feld gefunden, wo Sie diesen Beweis hätten antreten können.
Bevor ich auf die eigentlichen Finanzfragen zu sprechen komme, möchte ich noch einige wenige Punkte der Leistungsbilanz dieser Bundesregierung hervorkehren. Ich meine, es verdient Erwähnung, daß in diesem Land z. B. von 1969 bis zum heutigen Tag mehr als 2 300 km Autobahn erstellt worden sind. Wenn Sie ab 1967 rechnen, so dürften es 3 000 km sein. Zum Vergleich: In der Zeit von 1950 bis 1966 waren es - allerdings in einer anderen wirtschaftlichen Situation - 1 400 gegenüber diesen 3 000 km.
({5})
- Da würde ich vorsichtig sein; denn der Bund finanziert das Autobahnnetz. Wenn er sagt, daß er dafür kein Geld ausgibt, dann entsteht eben kein Kilometer Autobahn.
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Herr Mertes, natürlich wird die Autobahn von den Autobahnämtern der Länder geplant. Aber das Geld kommt vom Bund; er hat es zur Verfügung gestellt.
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- Diese Republik hat dieses Geld - natürlich vom
Steuerzahler - zur Verfügung gestellt.
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- Das bestreitet niemand. Die Frage ist nur, worauf Prioritäten gesetzt werden.
Man sollte sich in Erinnerung rufen, daß U-Bahn-und S-Bahn-Netze entstanden sind. Als Beispiel erinnere ich nur an das vorzügliche Netz des öffentlichen Personennahverkehrs in München, das mit Milliardengeldern des Bundes ausgebaut worden ist, auch des Landes Bayern.
Seit Inkrafttreten des Krankenhausfinanzierungsgesetzes ist die Zahl der Krankenbetten wesentlich erweitert, vor allem aber sind sie erneuert worden.
Wir haben in den vergangenen Jahren seit Inkrafttreten der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau jährlich etwa drei Universitäten mit Bundes- und Ländermitteln fertigstellen können.
In der regionalen Wirtschaftsförderung sind Hunderttausende neuer Arbeitsplätze entstanden und vorhandene abgesichert worden.
Berlin - auch das müßte in dieser Debatte einmal angeschnitten werden - hat eine uneingeschränkte und, wie ich meine, großzügige Förderung durch den Bund erfahren.
Das Zonenrandgebiet ist in erheblichem Umfang mit Infrastrukturmaßnahmen in seiner Lebensqualitat verbessert worden.
Die innere Sicherheit ist durch den Ausbau des Bundeskriminalamtes entscheidend vorangebracht worden.
Die äußere Sicherheit ist, wenigstens was die Bundesrepublik angeht, nicht vernachlässigt worden. Im Gegenteil, sie stand im Mittelpunkt auch der Politik dieser Bundesregierung.
Noch nie hat es in Deutschland, insgesamt gesehen, eine so gute Infrastruktur an öffentlichen Leistungen und Einrichtungen gegeben.
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Nun behauptet die Opposition in einem vielfältigen Chor, die Bundesrepublik habe sich mit ihrem Sozialsystem übernommen. Dies ist sicher nicht der Fall. Allerdings ist auf der anderen Seite auch gar nicht zu bezweifeln, daß wir vor Problemen stehen. Die zweijährige Weltwirtschaftskrise mit einer Stagnation, teilweise sogar Schrumpfung des Bruttosozialprodukts hat unmittelbare Folgen für das Finanzsystem, aber auch das Sozialsystem. In einer Wirtschaftskrise gehen die Steuereinnahmen zurück, der Umsatz sinkt, Überstunden fallen weg, es steigen die Ausgaben, weil z. B. die Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit für derartige Einbrüche in der Beschäftigung nicht voll ausreichen. Dies allein hat im vergangenen Jahr für den Bund Ausgaben in Höhe von 7,3 Milliarden DM notwendig gemacht. Hier sind auch die Konjunkturprogramme zu erwähnen, soweit sie nicht durch die Rücklagen bei der Bundesbank finanziert wurden. Wenn Sie immer von der
Finanzkrise sprechen, die diese Regierung verursacht habe, dann muß ich in Erinnerung rufen, daß wir bis zum Jahre 1973 Einnahmen auf die hohe Kante bei der Bundesbank gelegt haben, aus denen dann in den folgenden Jahren die Konjunkturprogramme finanziert werden können. Aber natürlich müssen die Investitionszulagen, die in den Jahren 1976 und 1977 anfallen, finanziert werden.
Nicht zu vergessen bei dieser Gesamtsituation ist die Steuerreform, die mit 10 Milliarden DM beim Bund Steuerausfall bzw. Mehrausgaben über das Kindergeld verursacht hat. Sie hat insgesamt eine Belastung der öffentlichen Finanzen in Höhe von 15 Milliarden DM bewirkt.
Nun behauptet die Opposition landauf, landab, es sei die sozialdemokratische Finanzpolitik, die zu einer derart hohen Kreditaufnahme im Jahre 1975/76 geführt habe. Da aber die Weltwirtschaftskrise der vergangenen zwei Jahre alle Länder betroffen hat, lohnt es sich, dort Umschau zu halten. Schauen Sie sich z. B. die Vereinigten Staaten von Nordamerika an! Dort erreicht das Haushaltsdefizit des Haushaltsjahres 1976/77 eine Größenordnung von 200 Milliarden DM. In Holland und Frankreich ebenso wie in Großbritannien liegen die Verhältnisse um keinen Deut anders. Meine Damen und Herren von der Opposition, es gibt ja einen weiteren Partner in der Runde der Staaten, die sich mit den Folgen der Rezession herumzuschlagen haben: selbst der Vatikanstaat steht vor den Schwierigkeiten, die Rezession überwinden zu müssen.
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- Sehen Sie, diese Gelassenheit „Warum auch nicht?" hätte ich mir in der Debatte über die öffentlichen Finanzen gewünscht.
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Denn dann wäre ja völlig klar, daß wir gemeinsam mit der ganzen westlichen Staatenwelt vor dieser Aufgabe einer Konsolidierung der Staatsfinanzen nach überwundener Krise stehen.
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- Haben Sie nie geleugnet? Gut, dann bin ich gespannt auf das, was Ihre Sprecher heute noch sagen werden.
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Die Regierung Schmidt hat mit großem Mut, wie ich meine, und Verantwortungsbewußtsein Kredite gerade in dieser Krise aufgenommen, um die Krise durchstehen zu können und Hunderttausende von Menschen in Lohn und Arbeit zu halten. Es blieb der Opposition vorbehalten, diese Konjunkturprogramme als Winterhilfswerke lächerlich zu machen. Heute wissen wir, daß sie wirken, und die Deutsche Bundesbank bestätigt dies in ihren letzten Berichten.
Nach durchgestandener Krise stellt sich nun der Finanzpolitik der folgenden Jahre die Aufgabe, die Auswirkungen dieser Krise auf das Einnahmesystem unseres Staates bruchlos zu überwinden und die Kreditaufnahme wieder auf eine angemessene Größenordnung zurückzuführen. Dies bedeutet für die nächsten Jahre - darüber darf überhaupt kein Zweifel herrschen - sparsamste Haushaltsführung. Die Bundesregierung selbst hat bereits entscheidende Schritte getan, um dieses Ziel zu erreichen, dieses Ziel, das für 1979 oder in den folgenden Jahren darin besteht, die Kreditaufnahme unter die Grenze des von Art. 115 GG gesetzten Limits zu drücken.
Drei Maßnahmen sind es gewesen, die von der Bundesregierung beschlossen und zum großen Teil auch durchgesetzt worden sind.
Sie hat zunächst eine drastische Kürzung in der mittelfristigen Finanzplanung vorgenommen, die 1976 zu Einsparungen von 5,1 Milliarden, 1977 zu Einsparungen von 6,6 Milliarden und 1978 von 11,4 Milliarden DM führen werden. Für die Bürger heißt das, daß viele Staatsleistungen nicht in dem an sich wünschenswerten Umfang werden steigen können. Das muß dem Bürger klar vor Augen gehalten werden.
Die Bundesregierung hat das Haushaltsstrukturgesetz vorgelegt, das vom Bundestag bereits verabschiedet worden ist. Auch das wird zu weiteren Einsparungen in der Größenordnung von 8 Milliarden DM 1976, 12,2 Milliarden DM 1977 und 11,5 Milliarden DM 1978 führen. Damit werden die Ausgabenzuwächse des Staates in den nächsten Jahren weit unter denen des Wachstums des nominalen Bruttosozialprodukts liegen. Es sind dies Jahre der Konsolidierung, die es nicht möglich machen, große Ausgabensteigerungen durchzusetzen.
Hinzu kommt, daß der Haushaltsausschuß im Laufe der Beratungen noch weitere Maßnahmen in bezug auf den vorliegenden Haushalt 1976 vorgenommen hat. Die Kreditaufnahme konnte von den ursprünglich vorgesehenen 38 Milliarden DM auf 32,8 Milliarden DM zurückgenommen werden. Das war auf Grund von Steuermehreinnahmen von 1,4 Milliarden DM und Ausgabekürzungen von 4 Milliarden DM möglich. Ich bin dankbar, daß ein so wesentlicher Beitrag zur Herabsetzung der Nettokreditaufnahme gelungen ist, muß jedoch darauf hinweisen, daß das nur durch Herabsetzung von Schätzansätzen, etwa bei der Bundesanstalt für Arbeit, und Heraufsetzung einer globalen Minderausgabe möglich war.
All das zusammen genommen reicht jedoch nicht aus. Hinzu kommen muß eine maßvolle Anhebung der Tabak- und Branntweinsteuer sowie der Mehrwertsteuer. Wir können die strukturelle Finanzierungslücke von etwa 10 Milliarden DM nicht in die nächsten Jahre fortschleppen; keine Regierung wird das tun können, es sei denn, sie verstößt gegen Art. 115 des Grundgesetzes.
Wir müssen auch sehen, daß gesamtwirtschaftlich eine Deckung des Finanzierungsbedarfs über Kredite der öffentlichen Hand am Kapitalmarkt unter Berücksichtigung dessen, was von den Privaten und von der Industrie auf uns zukommt, nicht möglich sein wird. Auch finanzwirtschaftlich ist es völlig klar, daß Kreditaufnahmen in der Größenordnung von 30 Milliarden DM in den nächsten Jahren nicht fortgeführt werden können, weil nach einer derartigen Kreditaufnahme selbstverständlich jedes Jahr Zins und Tilgung in der Größenordnung von etwa 10 bis 11 % zu Buche schlagen, und Zuwächse bei den Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 3 Milliarden DM jährlich können wir uns nicht leisten.
Es ist auch darauf hinzuweisen, daß diese Steuererhöhungen ein Beitrag zur Sanierung der Länderhaushalte sein werden. Dort ist ja dieselbe Situation anzutreffen.
Es kann nicht verschwiegen werden, daß diese Steuererhöhung die breite Masse der Bevölkerung trifft; gar kein Zweifel. Das kann aber auch nicht anders sein. Wenn Finanzierungsdefizite von derartigen Größenordnungen gedeckt werden müssen, kann man das nicht über die Erhöhung irgendwelcher Spitzensteuersätze erreichen. Wenn man das auf einzelne Privathaushalte umrechnet, so bedeutet diese Steuererhöhung, die zur Debatte steht, für einen Zwei-Personen-Rentnerhaushalt, daß zusätzlich 0,97 °/o seines verfügbaren Einkommens als Steuer abgezogen werden; bei einem Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt wird es ungefähr 1 % ausmachen. Das ist bitter, aber wir glauben, das dem Bürger zumuten zu müssen.
Zu dieser von der Bundesregierung eingeleiteten Politik der Konsolidierung der Staatsfinanzen gibt es keine Alternative. Eine Alternative ergäbe sich nur dann, wenn man bereit und willens wäre, wesentliche Leistungen der sozialen Absicherung rückgängig zu machen, d. h., man müßte in der Größenordnung von etwa 10 Milliarden DM Einsparungen vornehmen, etwa bei den Zuschüssen zur Rentenversicherung, oder man müßte die Einbeziehung der Landwirtschaft in das Sozialsystem rückgängig machen wollen, obwohl das allein überhaupt nicht ausreichen könnte, oder man müßte die Kriegsopferversorgung wieder entdynamisieren. Die sozialliberale Koalition will das gerade nicht. Sie sagt den Bürgern dann aber auch noch vor der Wahl klipp und klar, daß Leistungen ihren Preis haben und auch entsprechend finanziert werden müssen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie lehnen es bis zur Stunde ab, Ihre Konzeption zu enthüllen. Dabei waren Ihre Ankündigungen so vielversprechend. Damals, als die Regierung das Haushaltsstrukturgesetz einbrachte, haben Sie mannhafte Erklärungen abgegeben.
Herr Katzer hat z. B. angekündigt, daß die Union bei den bevorstehenden Beratungen über Sparmaßnahmen - das war noch beim Haushaltsstrukturgesetz zur Gesundung der öffentlichen Finanzen - selbst ein konkretes Sparprogramm in Milliardenhöhe vorlegen werde. Daß sie dabei vor unpopulären Maßnahmen nicht zurückschrecke, zeige die Streichung der von ihr selbst vorgeschlagenen Einführung eines Erziehungsgeldes in Höhe von 1,5 Milliarden DM sowie von Zuschüssen für die LandDr. von Bülow
wirtschaft. Wir haben gestern erlebt, daß genau das Gegenteil der Fall ist. Herr Müller-Hermann ist am 22. Oktober 1975 auch noch auf dieser optimistischen Welle geritten, indem er hoffte, die Opposition werde sich zu einem konkreten Alternativprogramm durchringen können. Er hat verkündet:
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht davon aus, daß die Sicherung der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, die Bewältigung des Problems der strukturellen Haushaltsdefizite maßvolle Tarifabschlüsse sowie steuerliche Investitionsanreize für ein umfassendes Wachstumskonzept unerläßlich ist. Insofern ist das von der Fraktion verabschiedete Steuerprogramm der Bestandteil eines größeren Gesamtkonzeptes. Im Zuge der Haushaltsberatungen wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion deutlich machen, wie ein solches Gesamtkonzept haushaltspolitisch abgesichert werden kann.
Wir haben bis heute noch nicht gehört, wie die Steuererhöhungen, die Ausgabenwünsche, die Verweigerung der Einsparungen, die dringend geboten sind, und die Mehrbelastungen zu einem Gesamtkonzept zusammengefügt werden können. Nach einer Meldung des „Kölner Stadt-Anzeigers" haben Herr Müller-Hermann, Herr Häfele und Herr Althammer ebenfalls Sparvorschläge in der Größenordnung von 6 bis 7 Milliarden DM angekündigt.
Dabei wollen Sie doch gleichzeitig den Verteidigungsetat erhöhen; so jedenfalls der „Schattenverteidigungsminister" Wörner in seinem ersten Auftritt vor der Presse. Sie haben den Antrag gestellt, den Landwirtschaftsetat zu erhöhen. Sie versprechen Steuerermäßigungen in der Größenordnung von insgesamt 32 Milliarden DM, davon allein über 7 Milliarden DM auf Grund der Fraktionsbeschlüsse vom Oktober 1975. Sie geben aber überhaupt keinen Hinweis darauf, in welcher Größenordnung Sie Kredite in diesem und in kommenden Jahren für vertretbar halten. Es gibt keine Äußerung dazu, was von Ihnen eigentlich als Ziel angesteuert wird. Alles bleibt im Nebel.
Dies alles, obwohl Sie aus der Beteiligung an Regierungen in den Ländern, etwa im Saarland oder in Bayern oder in Niedersachsen, genau wissen, wie es um die Finanzen dieser Länder steht. Wenn man sich anschaut, vor welcher Situation etwa der Finanzminister in Niedersachsen oder der im Saarland steht, kann man sich genau ausrechnen, wann er spätestens umfallen wird. Das wird nach dem 3. Oktober der Fall sein.
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Ich gehe davon aus: wie auch immer die künftige Regierung zusammengesetzt sein wird, sie wird im Januar des nächsten .Jahres ein entsprechendes Programm zur Steuererhöhung vorlegen. Viele von Ihnen, die etwas Nachdenklicheren, haben sich bei dieser Sachlage ein Schlupfloch offengehalten. Sie haben wie damals bei den Ostverträgen gesagt: „Jetzt nicht", oder: „So nicht". Aber wir werden ja sehen, wie sich die Länderfinanzminister verhalten werden, wenn im Dezember dieses Jahres oder im
Januar des nächsten Jahres entsprechende Maßnahmen anstehen.
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Die Koalition jedenfalls sagt ihren Wählern, was auf sie wartet. Die Opposition will dies erst nach der Bundestagswahl tun. Wir halten dies für einen unredlichen Umgang mit dem Wähler.
Meine Damen und Herren von der Opposition, es gibt auch keine Hoffnung auf Wunderwaffen. Auch das Argument mit den anziehenden Steuereinnahmen auf Grund einer wiedererwachenden Konjunktur, das Bild der wieder sprudelnden Quellen, zieht nicht. Die Bundesregierung hat für dieses und das nächste Jahr ein mittelfristiges Wachstum des nominalen Bruttosozialprodukts von 9,5 bis 10 °/o eingeplant und ihrer Einnahmeschätzung zugrunde gelegt. Erinnern Sie sich: noch vor wenigen Wochen haben Sie das für völlig unrealistisch gehalten, für weit überhöht erachtet. Dies alles ist Geschichte. Sie können immer nur darauf spekulieren, daß Vergessen beim Wähler einzieht. Selbst wenn das Jahr 1976 ein nominales Wachstum von über 10 °/o brächte, so würde dies erstens nicht zu entscheidenden Steuermehreinnahmen führen, um die Deckungslücke von 10 Milliarden DM zu schließen, und zweitens würde dies ein vorgezogenes Wachstum sein, das durch ein Abflachen der Kurve in den Jahren 1977/78 einen Ausgleich finden müßte.
Meine Damen und Herren, die Opposition, vor allen Dingen gestern Herr Dregger, malt das Schreckgebilde eines Staatsmolochs, der alle freien Aktivitäten und letzten Reserven auffrißt, an die Wand, und das sei von dieser Koalition zu verantworten. Es wird darauf hingewiesen - so ist die listige und demagogische Argumentation von Herrn Dregger , daß die Gebietskörperschaften - wohlgemerkt: nicht der Bund - ihr Personal in den letzten Jahren unglaublich vermehrt hätten und daß dies letztlich zu einer völligen Unbeweglichkeit des Staates ohne jeden finanziellen Spielraum führen werde. Auch dieser Staatsmoloch ist nichts anderes als ein Propagandainstrument in der Hand der Opposition.
({17})
Ich möchte die Bürger einmal einladen, einen Besuch auf Polizeistationen zu machen, bei Einrichtungen der Bundespost, in die Landratsämter hineinzuschauen, in die Finanzämter hineinzuschauen und sich zu fragen, ob ihnen da ein Staatsmoloch entgegentritt, ob da Größenordnungen von 30, 40 oder 50 °/o mehr Personal entgegentreten und die Freiheit des Bürgers am Ersticken ist.
({18})
Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist der Fall. Der Bund hat in den letzten Jahren eine außerordentlich sparsame Personalpolitik getrieben.
({19})
- Er hat eine außerordentlich sparsame Personalpolitik getrieben,
({20})
ganz im Gegensatz etwa zum Land Rheinland-Pfalz, wo die Staatskanzlei zu einer der entscheidenden Parteizentralen in diesem Lande gemacht wurde.
({21})
Wir haben in den Jahren 1969 bis 1976 zwar in einigen Bereichen mehr Personal im Haushalt ausgebracht, und, Herr Dregger, gerade in dem gestern von Ihnen bearbeiteten Etat der inneren Sicherheit ist dies zu 100 °/o mit der Zustimmung der Opposition geschehen. Wir haben etwa das Bundeskriminalamt personell aufgestockt. Eine Rückfrage bei Herrn Riedl, dem zuständigen Berichterstatter Ihrer Fraktion im Haushaltsausschuß, der das weiß, hätte dazu geführt, daß er Ihnen gesagt hätte: Jawohl, die 1300 Stellen des Bundeskriminalamtes haben wir mitbeschlossen.
({22})
- Damit will ich sagen, daß Sie sich beteiligt haben an der Schaffung dieses „Staatsmolochs", wenn Sie es überhaupt so nennen wollen, an der Ausweitung an den Stellen, wo wir sie für sinnvoll und richtig gehalten haben.
({23})
- Ich bin aber mit einem verwandt.
Das beim Bund beschäftigte Personal wird 1976 in etwa dem Personalstand des Jahres 1972 entsprechen und wird deshalb, auf die Jahre 1969 bis 1976 bezogen, um insgesamt 5 % gestiegen sein, und dies trotz einer Arbeitszeitverkürzung, die in vielen Länderhaushalten und vielen Gemeindehaushalten zu einer Ausweitung des Personalkörpers geführt hat. Trotz der geringfügigen Steigerung sind wichtige Aufgabenbereiche gleichzeitig verstärkt und ausgebaut worden. Ich sagte schon, das Bundeskriminalamt mit 1 300 Beschäftigten ist zur entscheidenden zentralen Kriminalitätsbekämpfungsorganisation der Bundesrepublik gemacht worden. Es ist nicht so, daß da nur ein bißchen Geld und ein bißchen Personal bewilligt worden wäre, sondern die Erfolge gerade in der Terrorbekämpfung, in der Kriminalitätsbekämpfung der letzten Monate und Jahre sind entscheidend auf dieses Koordinierungsinstrument Bundeskriminalamt und die personelle Verstärkung dieses Amtes zurückzuführen. Der Bundesgrenzschutz, einer der ganz dicken Brocken insgesamt ist das Bundespersonal um 8 000 Mann verstärkt worden -, ist um 2 300 Mann verstärkt worden, auch dies mit Zustimmung der Opposition. Für das Umweltbundesamt wurden 360 Beamte, Angestellte und Arbeiter bewilligt. Das heißt, der Bund hat bei neuen Aufgaben Personal zur Verfügung gestellt, er hat bei den alten traditionellen Aufgaben mit einer erheblichen Stelleneinsparung geantwortet. Allein in diesem und im kommenden Jahr werden
2 500 Stellen, deren Amtsinhaber ausscheiden, nicht neu besetzt werden.
Sie wollen uns mit dem Hinweis auf die Länder und Gemeinden schlagen und verschweigen die Situation beim Bund. Die entscheidende Ausweitung des Personals der sogenannten Gebietskörperschaften ist vor allem bei den Ländern zu verzeichnen gewesen, und zwar nicht - wie Herr Dregger meinte - in Bereichen, in denen die Bundesregierung und dieser Gesetzgeber durch eine zu komplizierte Gesetzgebung etwa mehr Beamte notwendig gemacht hätten. Sie ist vielmehr schlicht und einfach allein zu zwei Dritteln im Bildungsbereich geschehen. Da sind mehr Lehrer und mehr Hochschullehrer eingestellt worden. Zum Teil ist auch die Polizei verstärkt und das Personal für den Umweltschutz vermehrt worden. In den ganzen traditionellen Bereichen der Verwaltung, von denen nach Ihrer Ansicht der Bürger ständig sekkiert und geärgert wird, ist überhaupt keine Verstärkung durchgeführt worden. Angesichts dieser Schwerpunkte - Lehrer, Umweltschutz, Polizei - führt sich das Argument vom Moloch Staat selber ad absurdum. Das ist und bleibt ein billiges Propagandainstrument.
({24})
Ein weiterer Vorwurf, der hier gestern eine große Rolle gespielt hat, gilt der sogenannten Ausweitung des Staatsanteils. 1970, so wird gesagt, habe der Staatsanteil an der ganzen Wertschöpfung der Wirtschaft 37,3 °/o betragen; 1976 werde er bei 47 % - einige sprechen von 48 %, andere von 49 °/o -liegen. Auch die Diskussion über den Staatsanteil eignet sich natürlich vorzüglich zur Propaganda.
Dazu möchte ich Sie darauf hinweisen, daß der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium gerade davor warnt, die Staatsquote als Argument für oder gegen irgendeine Aktivität einzusetzen. Zunächst einmal unterliegt die Staatsquote konjunkturellen Schwankungen. Es ist doch völlig klar, daß in Zeiten einer Krise, wo die Konjunktur und die Staatseinnahmen nach unten gehen und das Wirtschaftswachstum gegen Null strebt oder sogar negativ wird, die durchgehaltene staatliche Aktivität prozentual einen höheren Umfang haben muß als in Zeiten der Hochkonjunktur. Das heißt: In Zeiten einer Krise steigt der sogenannte Staatsanteil; in Zeiten einer Hochkonjunktur fällt er. Wir sind fest davon überzeugt, daß man eine Krise nicht bewältigen kann, wenn man den Staatsanteil in der Krise nicht durchhält oder ihn nicht sogar prozentual verstärkt, und daß es deshalb richtig war, Kredite aufzunehmen, um diesen Staatsanteil voll durchzuhalten.
(von Bockelberg ({25})
Der Staatsanteil wird mit sich verstärkender Konjunktur wieder von dieser Höhe herunterkommen. - Konsum bedeutet auch Aufträge, verehrter Herr Kollege. Die Wirtschaft ginge schrecklichen Zeiten entgegen, wenn etwa keine Arbeitslosengelder ausgezahlt würden und diese Gelder nicht in den Wirtschaftskreislauf flössen. Dann läge die ganze KonDr. von Bülow
sumgüterbranche darnieder. Das würde die Krise enorm verstärken.
Wenn man vom Staatsanteil redet, muß man auf der einen Seite die Steuern, die eigentlichen Abgaben, die der Bürger an den Staat leistet, und auf der anderen Seite die sogenannten Sozialabgaben sehen. Der eigentliche Anteil, den der Staat zur Finanzierung seiner Aufgaben bekommt, beträgt im Jahr 1976 rund 23 %. Er liegt damit - darauf hat der Bundeskanzler gestern zu Recht hingewiesen exakt bei der Steuerquote des Jahres 1952. Das heißt: Was dem Bürger für die eigentliche Staatstätigkeit abgenommen wird, liegt, prozentual auf das Einkommen des Volkes bezogen, genau auf demselben Niveau wie im Jahr 1952.
({26})
Hier hat sich also keine wesentliche Veränderung abgespielt. Im Gegenteil, durch die Steuerreform haben wir eine Verminderung des Abgabenanteils von 24 0/o im Jahr 1969, als die sozialliberale Koalition die Regierung übernahm, auf 23 % im Jahre 1976 erreicht.
Schließlich muß man auch sehen, was mit diesem eigentlichen Staatsanteil geschieht. Wenn von den Steuereinnahmen des Bundes in Höhe von rund 125 Milliarden DM pro Jahr zum Beispiel 22 Milliarden DM wie in diesem Jahr an die Rentenversicherung gezahlt werden - im Jahr 1979 werden es etwa 30 Milliarden DM sein , damit diese Rentenversicherung den sogenannten Rentnerberg bewältigen kann, dann fließen 22 Milliarden DM des Bundes in Rentnerhaushalte hinein. Das heißt, bei dem einzelnen Rentner, der sich auf dem Markt ein Pfund Tomaten kauft, der Benzin an der Tankstelle tankt, um eine Besuchsfahrt zu seinen Enkeln zu machen, der seine Miete zahlt oder seine Ferienreise bucht, bei all dem sind Staatsgelder im Spiel.
ln der Öffentlichkeit kann man mit den statistischen Zahlen, z. B. mit der Staatsquote, den Eindruck erwecken, als wären die Gelder, die dieser Rentner mit unser aller Billigung ausgibt, Ausgaben des Staates selbst. In Wirklichkeit sind es Transferleistungen, sind es Übertragungen von einkommensstärkeren Schichten an einkommensschwächere Schichten.
({27})
Das gleiche Spiel kann man natürlich mit der Kriegsopferversorgung machen.
Der andere Teil der Staatsausgaben sind die sogenannten Sozialabgaben, die in der Tat beträchtlich gestiegen sind. Bei den Sozialabgaben ist es sicher nicht am Platze, irgendeiner Verharmlosung das Wort zu reden. Aber man sollte nicht verschweigen, daß die Leistungen gerade im sozialen Bereich in den letzten Jahren stark gestiegen sind. Sie müssen hier erst einmal antreten und sagen, wo Aufwendungen und Leistungen nicht im Gleichgewicht seien.
Eine Begrenzung der Kosten muß sicherlich im Bereich der Krankenversorgung angestrebt werden. Rezepte, die von heute auf morgen wirken, gibt es nicht. Da ist das Thema der Krankenhauskosten anzusprechen, ist die Frage nach der Verweildauer zu stellen, stellt sich die Frage nach den Kosten für pharmazeutische Produkte. Darüber hinaus ist die Frage nach den Arzthonoraren und danach, wieweit hier eine natürliche Kostenbegrenzung einbezogen werden kann, anzusprechen.
({28})
- lhr verehrter Herr Geissler, Sozialminister des Landes Rheinland-Pfalz, hat ja nur das dramatische Gemälde dargelegt. Das dramatische Gemälde kann jeder von uns malen.
({29})
Die Frage ist: Was geschieht? Was hat zu geschehen, ohne einen riesigen bürokratischen Aufwand aufzuziehen?
({30})
Sie wollen den Bürger nur verrückt machen, Sie wollen ihn ja nur verunsichern, damit er kein Vertrauen mehr in seine Zukunft hat. Das ist das Ziel, das Sie haben.
({31})
Wir sind gemeinsam aufgerufen, Konzeptionen vorzulegen, Alternativen vorzulegen. Ich sage nur, daß dies im Bereich der Gesundheitsvorsorge außerordentlich kompliziert und schwierig ist.
({32})
- Herr Haase, lassen Sie uns das vielleicht an anderer Stelle privat diskutieren, oder stellen Sie Zwischenfragen.
Es ist auch die Frage der Spezialisierung in der Medizin zur Diskussion zu stellen, ebenso wie die Frage, wo der technische Fortschritt in der Medizin an eine wie auch immer geartete, meist als inhuman empfundene Grenze der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stößt. Alle Parteien in diesem Parlament denken über Möglichkeiten einer Lösung nach. Es werden Einzelvorschläge angeboten; das umfassende Konzept fehlt. Es wird die Aufgabe der kommenden Jahre sein, hier Abhilfe zu schaffen. Ansätze dafür, Herr Haase, finden Sie bereits im Krankenhausfinanzierungsbericht. Dort ist eine Fülle von Einzeluntersuchungen in die Wege geleitet, die es uns ermöglichen werden, in den nächsten Jahren hier weitere Schritte zu unternehmen.
Meine Damen und Herren, schließlich sollte man sich auch internationale Vergleiche gerade im sozialen Bereich anschauen. Es steht fest, daß die Bundesrepublik unter fast allen etwa auf gleichem Niveau stehenden Staaten mit Abstand die umfassendste Absicherung ihrer Bevölkerung gegen die
Wechselfälle des Lebens hat. Das heißt, es ist ein sehr hohes Leistungsniveau vorgegeben. Bei einem solchen Leistungsniveau müssen aber auch die entsprechenden Ausgaben hierfür bereitgestellt werden. Ich verkenne hierbei nicht, daß es Grenzen gibt. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß es in den nächsten Jahren darum gehen muß, den bisherigen Stand der sozialen Leistungen zu halten. Gleichzeitig wird es keine wesentlichen Sprünge in der Erweiterung dieser sozialen Leistungen mehr geben.
Ein weiteres Schlagwort, das in der Diskussion um die öffentlichen Finanzen eine große Rolle spielt, ist die Unterscheidung der Staatsausgaben in Investitionen und in sogenannten Konsum. Auch das hat ja gestern in der Debatte wieder eine große Rolle gespielt.
({33})
Unter Investitionen versteht man die Errichtung von Gebäuden, den Bau von Straßen, den Bau von Hochschulen, die Errichtung von Klärwerken. Unter Konsum zählt man die Ausgaben für Personal, für Geschäftsbedarf, für die Erhaltung der Bausubstanz und dergleichen Dinge mehr.
Was das Phänomen der sogenannten fallenden Investitionsausgaben angeht, so beklagen Sie hier Jahr für Jahr erneut, daß die Quote der Investitionsausgaben fällt.
({34})
Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß diese Quote bereits seit 1961 kontinuierlich Jahr für Jahr fällt. Das heißt, die Zusammensetzung der Staatsausgaben verschiebt sich seit 1961 Jahr um Jahr von den Investitionen in Richtung auf den sogenannten Konsum.
({35})
- Richtig. Es gab lediglich eine kurze Unterbrechung durch die Konjunkturprogramme; darüber besteht gar kein Zweifel. Aber das Phänomen dieser Umschichtung von den Investitionsausgaben in die, wie ich sagen würde, Folgelasten ist seit 1961 zu betrachten.
({36})
Nach der mittelfristigen Finanzplanung dieser Bundesregierung werden die Investitionen 1976 22,5 Milliarden DM betragen und 1979 bei 23 Milliarden DM liegen, d. h., sie werden in etwa den Stand von 1976 behalten.
Nun gibt es einige kuriose Dinge bei der Begriffsbestimmung, was unter Investitionen fällt. Zum Beispiel zählen Investitionen im militärischen Bereich, die in diesem Jahr allein 12,1 Milliarden DM ausmachen, nicht zu den Investitionen im Sinne der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Wir können also Kasernen für die Bundeswehr bauen, sie werden auf der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als Konsumausgaben gebucht. Geben wir Geld für die gleichen Kasernen im Bereich der Bereitschaftspolizei oder des Bundesgrenzschutzes aus, so sind es Investitionen.
({37})
Das heißt, ein großer Teil der im Bundeshaushalt ausgewiesenen Investitionen werden nicht als solche gezählt. Herr Häfele, da die Verteidigungsausgaben neben der sozialen Absicherung eine der wesentlichen Ausgaben und Aufgaben des Bundes ausmachen, ist es bei der Beurteilung des Haushalts des Bundes natürlich von entscheidender Bedeutung, daß dieser Anteil an den Investitionen überhaupt nicht zählt.
({38})
Aber von diesen Ungereimtheiten abgesehen sollte jeder, der sich intensiv mit den Dingen beschäftigt über eine meines Erachtens unumkehrbare Entwicklung nachdenken. Wir haben in den letzten 25 Jahren mehr als 12 Millionen Menschen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland angesiedelt, die dort nicht geboren waren. Für diese Menschen sind Wohnungen und Kindergärten erstellt, Schulen unc Universitäten errichtet worden. Außerdem wurde der Nachholbedarf auf weiten Teilen der Infrastruktur, der durch die beiden Weltkriege nicht ausreichend gedeckt worden ist, ausgeglichen. Das Ergebnis ist, daß wir in den letzten Jahren die Infrastruktur durch öffentliche Investitionen wesentlich verbessert haben, daß aber jetzt in vielen Gemeinden in zahlreichen Ländern und letztlich auch im Bund die Jahre der Folgelasten kommen werden.
Wenn man ein neues Bundeskriminalamt baut - dies baut man nicht alle drei Jahre - und mit neuen Einrichtungen versieht, so zählt das zu den Investitionen. Wenn man dann aber die 1 300 Beamte anstellt, die dieses Bundeskriminalamt mit Leben erfüllen, zählt dies zum Konsum. Wenn man jährlich drei Hochschulen in der Größenordnung dei Bonner Universität baut, dann bedeutet dies Investitionen; wenn aber die Hochschullehrer, die Assistenten, die Bücher und die praktischen Lehrgeräte angeschafft werden, um diese Universität mit Leber zu erfüllen, zählt dies zum Konsum.
Herr Ab
geordneter von Bülow, - Dr. von Bülow ({0}) : Ja, ich bin sofort am Ende.
Wenn wir in den letzten Jahren über 3 000 km neue Autobahnen gebaut haben, so sind dies Investitionen. In der Folgezeit müssen diese 3 000 km unterhalten werden, es müssen die entsprechenden Straßenbaumeistereien zur Verfügung stehen, es müssen Schnee geräumt, Salz gestreut, Ausbesserungen vorgenommen und neue Straßendecken aufgezogen werden. Dies zählt unter Konsum.
Da die Bundesrepublik von den Kommunen über die Länder bis hin zum Bund in den letzten Jahren die Infrastruktur in großen Schritten und vorbildlicher Weise ausgebaut hat, ist es nicht vorstellbar daß in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ErweiDr. von Bülow
terungen dieser Infrastruktur in ähnlicher Größenordnung vorgenommen werden können. Es wird darauf ankommen, diese Infrastruktur mit Leben zu erfüllen, d. h., eine Phase der Folgekosten wird die Phase der Investitionsausgaben im staatlichen Bereich ablösen. Die Bundesbank hat dies in ihrem letzten Monatsbericht für die Kommunen sehr deutlich gesehen und ausgeführt, daß es sehr wohl darauf ankomme, ob zusätzliche Investitionen volkswirtschaftlich und gesamtwirtschaftlich angesichts der oft beachtlichen Folgekosten überhaupt sinnvoll sein könnten.
Ich komme zum Schluß. Für die Koalitionsfraktionen sind folgende Feststellungen wichtig.
Auch in Krisenzeiten muß sich ein Netz der sozialen Absicherung der Bevölkerung bewähren. Die Finanzierung dieses Netzes muß gesichert sein. Der Haushalt 1976 wird dieser Aufgabe voll gerecht. Nach durchstandener Krise muß es in den nächsten Jahren darum gehen, die staatlichen Finanzen zu konsolidieren. Der Haushalt 1976 macht damit einen Anfang. Die Regierung hat ihre, wie ich meine, mutigen und bei der Bevölkerung nicht immer Beifall findenden Vorschläge gemacht und zum Teil durchgesetzt. Die Deckung der von uns errechneten Lücke bleibt erhalten.
Die Vorschläge der Opposition sind außerordentlich ausweichend. Man kann 8 bis 10 Milliarden DM nicht dadurch einsparen, daß man Büroklammern, Telefonkosten und Formulare sparsamer verwaltet. Als Alternative bietet sich für die Opposition nur der Schnitt in das Netz der sozialen Absicherung an. Die Koalitionsfraktionen unterstützen daher - sie müssen es aus Einsicht in die Notwendigkeit - die heute zur Debatte stehenden Steuervorlagen der Regierung. Die Opposition scheint sich nach allen Ankündigungen auch in dieser Haushaltsdebatte, der letzten Gelegenheit, ihre Alternative vorzustellen, bedauerlicherweise darum herumzudrücken, der Bevölkerung ein eigenständiges finanzpolitisches Konzept darzulegen.
Die Leistungsbilanz der sozialliberalen Koalition ist beachtlich. Die Koalition stützt die Freiheit des Bürgers, indem sie ihn in seiner sozialen und gesellschaftlichen Stellung absichert. Insofern dient auch der Haushalt 1976 der Absicherung dieser Freiheit im Innern wie im Äußeren.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man versucht, eine erste Zwischenbilanz der beiden Tage der Haushaltsdebatte 1976 zu ziehen, wird man feststellen müssen, daß die Regierung bisher jeglicher Rechenschaftspflicht ausgewichen ist.
({0})
Weil sie sich offenbar selber darüber im klaren ist, daß sie keine Erfolge aufzuweisen hat, hat sie - angefangen beim Herrn Bundeskanzler in zwei größeren Ausführungen - sich in reine Polemik geflüchtet. Sie hat sogar versucht, durch fragwürdige Ausflüge in die katholische Soziallehre ganz andere Themen einzuführen als die, um die es eigentlich geht: hier Rechenschaft zu geben.
({1})
Was unser Kollege von Bülow soeben geboten hat, war auch sehr bezeichnend. Er ist einen Schritt weiter gegangen und hat z. B. im Bereich der Soziallasten wenigstens zugegeben, daß hier Probleme bestehen.
({2})
Als dann von uns die ganz bescheidene Frage kam, wie die Regierung diese Probleme lösen wolle, hat er sofort gesagt, dies sei Polemik, dies sei Panikmache. Ich glaube, eine solche Antwort, eine solche Reaktion zeigt eindeutig, daß diese Regierung schlicht und einfach ratlos vor diesen Problemen steht.
({3})
Die Bundesregierung hat damit eine große Chance verpaßt. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, unseren Staatsbürgern nüchtern und sachlich die wahre Lage darzulegen, und sie hätte sich darauf verlassen können, daß unsere Bürger eine solche ungeschminkte Darstellung würdigen und auch bereit sind, Dinge, die in Unordnung geraten sind, durch ein diszipliniertes Verhalten wieder in Ordnung bringen zu helfen. Das ist nicht geschehen. Man hat es in diesen Bereichen genauso wie in der Europapolitik, wie in der Ost-West-Auseinandersetzung vorgezogen, ein unwahres, geschminktes Gemälde darzubieten, an das niemand glaubt. Unsere Bürger kennen die wahre Situation sehr wohl.
({4})
Da nützen keine Jonglierkünste mit irgendwelchen Prozentzahlen oder ähnlichem.
Es geht in diesem Parlament darum - und deswegen sind wir ja Abgeordnete in diesem Bundestag , die Probleme anzusprechen und darzulegen, die den Bürger beschäftigen. Ich möchte das jetzt nur an fünf zentralen Beispielen ganz kurz tun.
Da ist zunächst die Situation des Sparers. Der Sparer muß nach wie vor feststellen, daß sich sein sauer verdienter Sparpfennig nicht vermehrt, sondern daß seine reale Kaufkraft sinkt.
({5})
Infolge dieser Situation gehen jährlich rund 40 Milliarden DM an Sparkapital verloren. Und da stellt sich nun der Kollege von Bülow hier hin und spricht von Vermögensbildung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({6})
Da hilft keine Vermögensbildung; hier muß der Verlust des Sparkapitals beseitigt werden.
({7})
Herr Abgeordneter Althammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blank?
Herr Präsident, ich möchte diese Ausführungen im Zusammenhang weiterführen.
Die zweite Position ist die Situation des Verbrauchers. Unsere Verbraucher stellen fest, daß die Teuerungswelle nach wie vor weitergeht und daß der Staat einen wesentlichen Anteil an der Fortführung dieser Teuerungswelle hat. Es ist in diesem Zusammenhang ganz interessant, welche Fehlleistungen da passieren. So hat z. B. Minister Gscheidle wegen der letzten Benzinpreiserhöhung bei ARAL eine flammende Anklage gegen die Profitgier der Unternehmer gerichtet. Er hat hier wieder einmal versäumt, seinen Pressereferenten zu befragen. Der hätte ihm sagen können, daß genau diese Bundesregierung über die VEBA für dieses Verhalten verantwortlich ist.
({0})
Nehmen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Situation unserer Arbeitnehmer allgemein. Die „Zeit" stellt am 19. März 1976 fest:
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik müssen die Arbeitnehmer in diesem Jahr einen Kaufkraftschwund ihrer Löhne hinnehmen.
({1})
Während der Regierungszeit der CDU/CSU war das Thema die gerechte Verteilung des Zuwachses des Bruttosozialprodukts.
({2})
Man hat sich über die Zuwachsrate und den Anteil der Arbeitnehmer unterhalten. Heute stellt man fest, daß es nicht einmal mehr möglich ist, den Besitzstand zu verteidigen, sondern daß der Anteil der Arbeitnehmer real zurückgeht.
({3})
Nehmen Sie die Situation der Arbeitslosen in unserem Lande, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Arbeitslosen hören heute, daß sie trotz eines sich zögernd abzeichnenden Aufschwungs mit einer weitergehenden strukturellen Dauerarbeitslosigkeit rechnen müssen. Ich möchte dazu einen Kronzeugen zitieren, den DGB-Vorsitzenden. Laut ,.Handelsblatt" hat er am 14. April 1976
({4})
folgendes erklärt:
In Heilbronn warnte der DGB-Vorsitzende Heinz Vetter nachdrücklich vor dem Eindruck, daß der Konjunkturaufschwung, der sich abzeichne, durchgreifende Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt oder gar Vollbeschäftigung bringen könnte. Die große Bedrohung, vor der die Gewerkschaft oft gewarnt hätte, bleibe bestehen: ein Sockel von Dauerarbeitslosigkeit, den auch ein Konjunkturaufschwung nicht beseitige. Leider müsse man den Eindruck haben, daß Bundeswirtschaftsminister Friderichs sich damit abgefunden habe. Jedenfalls ließen seine Modellrechnungen keinen anderen Schluß zu.
Daß die Situation unserer jugendlichen Arbeitslosen besonders prekär ist, können Sie in einer sehr gründlichen Darstellung des „Spiegel" in mehreren Teilen zu diesem Problem nachlesen.
Oder nehmen Sie die Situation unserer Steuerzahler. Unsere Steuerzahler müssen feststellen, daß sie trotz der exorbitant hohen Gesamtbelastungsquote jetzt wiederum mit Steuererhöhungen in Milliarden-Ausmaß - mehr als 10 Milliarden DM -durch die Steuererhöhungsvorlagen, die wir heute zu diskutieren haben, beglückt werden sollen.
Lassen Sie mich eine Anmerkung zu dem Streit um den öffentlichen Anteil am Bruttosozialprodukt machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dem Arbeitnehmer kann es im Ergebnis ziemlich gleichgültig sein, aus welchen Quoten sich die Abzüge zusammensetzen. Er stellt fest, was er brutto verdient und was netto davon übrigbleibt.
({5})
Herr Kollege ven Bülow, Ihre Entschuldigungen, die Sie hier vorgebracht haben, daß etwa die Konjunktursituation am Anwachsen des öffentlichen Anteils schuld sei, kann ich nun wirklich nicht anerkennen. Sie haben gesagt, daß der Anteil steigen würde, wenn wir eine verschlechterte Situation haben.
({6})
Seien Sie vorsichtig, Herr Blank. - Wenn Sie aber wissen, daß diese gleiche SPD im Langzeitprogramm schon vor Jahren als ihr Ziel erklärt hat, daß der öffentliche Anteil auf mindestens 45 % anwachsen solle, dann wäre es logisch - folgte man Herrn von Bülow -, anzunehmen, daß die SPD damit eine Verschlechterung unserer Konjunktur vorgeplant habe. Sie müssen sich schon einigen, was Sie wirklich wollen, und es ist bisher von niemanden bestritten worden, daß die SPD eben diesen höheren Staatsanteil will. Wir erklären, daß die CDU/CSU diesen exorbitant hohen Staatsanteil als skandalös ansieht und daß dies einer der Gründe ist, warum wir den Ausweg von Steuererhöhungen angesichts der gegenwärtigen Finanzmisere ablehnen.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird bei unserer Bevölkerung auch nicht der Trick ankommen, immer wieder auf die Situation in anderen
Ländern zu verweisen und sich dabei jeweils eine
Zahl herauszusuchen, die gerade besonders gut paßt.
({8})
Diese Bundesregierung wird daran gemessen, was sie aus der Situation gemacht hat, die sie in diesem Lande vorgefunden hat.
({9})
Und es ist ja eben nicht bestreitbar - denn sonst hätten wir jetzt keine Vorlage zur Erhöhung der Steuern um mehr als 10 Milliarden DM -, daß eines dieser Ergebnisse von sieben Jahren SPD- und FDP-Regierung darin besteht, daß wir leider eine Finanzmisere größten Ausmaßes, eine Zerrüttung der Staatsfinanzen haben.
Der Kollege von Bülow hat einen kurzen Rückblick über die vergangenen Jahre gegeben. Ich möchte das etwas ergänzen. Es ist hier schon wiederholt gesagt worden und ich unterstreiche es nochmals -: 1969 hat diese Regierung ein solides Unternehmen übernommen.
({10})
Diese Bundesregierung hat zu Anfang ihrer Tätigkeit zwei Kardinalfehler begangen. Erstens hat sie keine sofort nach Regierungsantritt wirksamen Maßnahmen gegen die sich abzeichnende Inflationswelle getroffen, und zweitens hat sie durch einen Versprechenskatalog sondergleichen eine Ausgabenflut geöffnet, die ihrerseits nun wiederum die Inflation angeheizt hat.
({11})
Das waren die zwei großen Fehlleistungen, aus denen sich dann eine Kettenreaktion ergeben hat, eine Kettenreaktion, die so aussah: Inflationsentwicklung, Schrumpfung unserer Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, Zerrütung der Staatsfinanzen und als letztes : Gefährdung unseres sozialen Sicherheitssystems.
({12})
Das ist die Kettenwirkung, die diese Regierung zu vertreten hat, und auch der gegenwärtige Bundeskanzler kann sich aus dieser Verantwortung nicht fortstehlen. Er hatte schon damals maßgebliche Regierungs- und Parteiämter inne, und er hat wiederholt erklärt, daß seine Regierung die Fortsetzung dessen sei,
({13})
was sich die vorige Regierung Brandt hier geleistet hat.
Wir haben weiter zu kritisieren, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen angesichts dieser Entwicklung zu spät und widersprüchlich gehandelt haben. Sie sind mit ihrer Inflationsbekämpfung immer Jahre im Hintertreffen gewesen; sie haben die Empfehlungen, die Anregungen und die Vorschläge, die die Opposition gemacht hat, in keiner Weise berücksichtigt. Die CDU/CSU hat gleich 1969 zwei zentrale Forderungen aufgestellt. Sie hat gesagt: Erstens muß ein binnenwirksames Inflationsbekämpfungsprogramm sofort durchgeführt
werden. Und sie hat durch ihren damaligen Fraktionsvorsitzenden Barzel erklärt: Bevor hier ein Ausgaben- und Versprechenskatalog aufgestellt wird, muß eine solide Finanzierung dieser Versprechungen sichergestellt sein.
({14})
Es ist also absolut richtig, wenn unser Fraktionsvorsitzender vorgestern festgestellt hat, daß dieses Land und unser Volk vieles an Negativem, an Rückschlägen nicht erlitten hätte, wenn man den Vorschlägen und den Warnungen der Opposition von Anfang an Gehör geschenkt hätte.
({15})
Ich möchte Ihnen nur ganz kurz darstellen, wie das im Bereich der Haushaltspolitik in konkreten Anträgen ausgesehen hat, weil Sie ja immer landauf, landab erklären, diese CDU/CSU habe ihrerseits keine Anträge gestellt, keine Alternativen geboten. Wir haben bereits 1970 Einsparungsvorschläge in Höhe von 2,35 Milliarden DM gemacht. Auch in den folgenden Jahren haben wir diese Linie durch viele Anträge im Haushaltsbereich fortgesetzt. Im Jahre 1973 waren es wieder 2,5 Milliarden DM, 1974 war es die gleiche Summe, und 1975 waren es 3,7 Milliarden DM, die wir durch Einzelanträge zur Einsparung vorgeschlagen haben. In diesem Jahr werden wir uns darüber zu unterhalten haben, was von seiten der Regierung aus den konkreten Vorschlägen, die wir auch jetzt wieder unterbreiten, gemacht wird. Wir haben leider keine sehr großen Hoffnungen, daß die Regierung wenigstens jetzt auf diese unsere Anregungen eingehen wird. Dieselbe Lage war dann in der Situation des Niedergangs und der Rezession gegeben. Bereits im August 1973 hat die CDU/CSU den ersten Vorschlag betreffend Steuerentlastungsmaßnahmen zur Wiederbelebung der Konjunktur gemacht. Im Dezember 1973 hat die CDU/CSU ein erstes Sofortprogramm zur Sicherung der Arbeitsplätze vorgelegt. Es ist interessant, daß Sie diese unsere Bemühungen und unsere Anregungen damals als Panikmache und als völlig verfehlt dargestellt haben, um dann, als die Situation schon so weit fortgeschritten war, daß gewaltige Schäden eingetreten waren, mit sechs Einzelprogrammen nachzuziehen. Sie haben es damit versäumt, rechtzeitig zu handeln, und zwar zu einem Zeitpunkt, als man die Dinge noch mit relativ geringen Mitteln hätte in den Griff bekommen können.
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist konkret der Vorwurf, den wir zu machen haben.
({17})
Die Ergebnisse dieser Finanzpolitik zeigen sich in einem katastrophalen Finanzierungsdefizit, das in den Haushaltsjahren 1974 bis 1976 zu verzeichnen ist. Im Jahre 1974 belief sich das Finanzdefizit bereits auf 10,3 Milliarden DM, 1975 ist es auf 42,9 Milliarden DM gestiegen, und auch 1976 werden wir ein Finanzdefizit von zwischen 35 und 40 Milliarden DM haben.
Herr Kollege Stücklen, ich komme jetzt auf den von Ihnen angesprochenen Punkt zu sprechen. Erinnern wir uns einmal daran, wie sich die SPD als Opposition damals 1965/66 aufgeführt hat, als sie einen Offenbarungseid der Regierung Erhard verlangte, weil - man höre und staune - ein Finanzierungsdefizit von 3 Milliarden DM zu verzeichnen war.
({18})
Man sollte wieder einmal nachlesen, welche Worte damals gebraucht wurden. „Offenbarungseid" war noch der mildeste Ausdruck. Wenn wir heute so verfahren würden, müßten wir die sofortige Verhaftung dieser Regierung wegen betrügerischen Bankrotts verlangen.
({19})
Herr Kollege Stücklen, dann wäre das erreicht, was der heutige Bundeskanzler damals gesagt hat, nämlich daß diese Leute ins Gefängnis gehören.
({20})
Ich will ja nun nicht die Debatte über die Todesstrafe eröffnen.
({21})
Wenn man aber schon wegen eines Defizits von 3 Milliarden DM ins Gefängnis kommen soll, möchte ich einmal fragen, was bei einem Defizit von 40 Milliarden DM geschehen soll.
({22})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ähnlich katastrophal ist die Staatsverschuldung, die die Bundesrepublik Deutschland heute zu verzeichnen hat. Auch dazu möchte ich ein paar nüchterne Zahlen nennen. 1952 belief sich die Staatsverschuldung der Bundesrepublik auf 7,7 Milliarden DM. Es kam dann die Phase des Wiederaufbaus. Das Bruttosozialprodukt wuchs stark an. Im Jahre 1966 betrug die Staatsverschuldung 32,4 Milliarden DM, 1973 - das war noch ein diskutables, ein erträgliches Jahr, weil man eine solide Finanzpolitik so schnell ja nicht kaputtmachen kann 53,8 Milliarden DM, aber 1974 waren es schon 69,8 Milliarden DM. 1975 - dies ist die Abschlußzahl - belief sich die Staatsverschuldung auf 107,6 Milliarden DM allein beim Bund. Die gesamte Staatsverschuldung beträgt über 300 Milliarden DM, d. h. 4 135 DM pro Kopf der Bevölkerung. Wir haben hier wirklich die deutschen Verhältnisse zu berücksichtigen und können nicht auf die USA verweisen, die ganz andere, weltweite Aufgaben haben.
({23})
Ich möchte Ihnen nur eine Auswirkung dieser ganz gewaltigen Staatsverschuldung vor Augen führen, nämlich die Zins- und Tilgungslast, die sich für den Bundeshaushalt aus dieser sich exorbitant verdoppelnden Staatsverschuldung in zwei Jahren
ergibt. Nach Auskunft der Bundesregierung beträgt im Jahre 1976 die Zins- und Tilgungslast 26,6 Milliarden DM. Nach der mittelfristigen Finanzplanung sind es bis 1979 bereits 37,5 Milliarden DM. Das bedeutet nach der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung eine höhere Schuldentilgungsund Zinslast, als der gesamte Verteidigungsetat des Jahres 1979 ausmacht, der nur mit 35,5 Milliarden DM ausgewiesen ist.
({24})
Nachdem sich die Bundesregierung, wenn sie gefragt wird, wie die Zukunftsaussichten aussehen sollen, ausschweigt oder nebulose Erklärungen abgibt - wie eben mein Kollege von Bülow -, glaube ich, ist es an der Zeit, daß wir uns mit den Fragen der Zukunftsentwicklung und mit der Frage beschäftigen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
Ich möchte zunächst einmal drei Voraussetzungen nennen, die erfüllt werden müssen, wenn wir ernsthaft an eine Sanierung der Staatsfinanzen herangehen wollen.
Die erste Voraussetzung ist, daß wir ein Wirtschaftswachstum auf Dauer erreichen. Ich lege die Betonung auf das Wort „Dauer". Warum? Weil sich auch hier ein ganz bezeichnender Konflikt mit der SPD zeigt. Die Sozialdemokraten sind immer nach der Taktik verfahren, daß sie, wenn sich eine irgendwie günstige Konjunktur gezeigt hat, mit der Fülle ihrer sozialistischen Experimente von der Investitionslenkung bis hin zum Klassenkampf gekommen sind.
({25})
Wenn sich dann die Folgen einer solchen Verhaltensweise gezeigt haben, dann hat man schnell versucht, unsere Wirtschaft wieder zu beruhigen. Man gibt ihr im Augenblick eine Atempause. Wir können aber sicher sein: Wenn sich eine Erholung abzeichnet, werden sich sofort wieder die Experten für die Belastbarkeitsgrenze unserer Wirtschaft zu Wort melden.
({26})
Diese Behandlung unserer Wirtschaft ist einfach unzulässig. Sie ist katastrophal. Sie schadet unserem Volk und der Einkommens- und Finanzsituation der Bürger im ganzen Land.
Deshalb ist es notwendig - das ist die erste Voraussetzung , daß Vertrauen auf Dauer geschaffen wird.
({27})
Dieses Vertrauen auf Dauer kann nur geschaffen werden, wenn unsere Wirtschaft von den Grundsätzen einer sozialen Marktwirtschaft als der unbestrittenen Grundkonzeption unserer Wirtschaft ausgehen kann.
({28})
Die zweite Voraussetzung, die gegeben sein muß, ist, daß sich nicht etwa jetzt ein neuer Inflationsschub bei uns im Land entwickelt. Hier gilt es, auch
von seiten der verantwortlichen Bundesregierung Vorbereitungen zu treffen und die notwendigen Instrumente und die erforderlichen Maßnahmen vorzusehen und einzuplanen, um einen solchen drohenden neuen Inflationsschub von vornherein abzufangen. Es wäre katastrophal, wenn es bei uns Politiker gäbe, die meinen, mit einem solchen Inflationsschub könne man finanzielle Probleme im sozialpolitischen Bereich oder anderswo bequem lösen. Wir erinnern an die katastrophalen Erfahrungen mit diesem Treibenlassen der Inflation in den letzten Jahren. - Das ist das zweite Erfordernis.
Die dritte Grundvoraussetzung ist, daß wieder das erreicht wird, was in den Regierungszeiten der CDU/CSU selbstverständlich war, nämlich eine gesunde Vollbeschäftigung auf Dauer. Diese Vollbeschäftigung hat nicht nur zur Konsequenz, daß sich die Menschen bei uns im Lande wieder sicher fühlen können und vor allem die Jugend Zukunftsaussichten sieht, sondern sie hat auch die finanzpolitische Folge, daß sich daraus für den Staatshaushalt zusätzliche Einnahmequellen nicht nur im Steuerbereich, sondern auch in anderen Bereichen ergeben.
Wenn diese Voraussetzungen geschaffen werden, dann muß es möglich sein, die Sanierung der Staatsfinanzen zu erreichen nach den Prinzipien der Haushaltsklarheit, der Haushaltswahrheit und der sparsamen Bewirtschaftung der dem Parlament anvertrauten Steuergelder, also nach den Prinzipien, die in den Zeiten von Fritz Schäffer, von Minister Etzel und von Finanzminister Franz Josef Strauß bei uns selbstverständlich waren.
({29})
Einige Anmerkungen zu den Möglichkeiten der Sanierung der Staatsfinanzen: Ich glaube, nach dem, was vorher gesagt worden ist, ist es keine Frage, daß eine Neuverschuldung zur Abdeckung des Haushaltsdefizits überhaupt nicht in Frage kommen kann. Wir haben im Bereich der Verschuldung eine solche Hypothek zu tragen, und wir werden alle Kräfte anzustrengen haben, um in den nächsten Jahren wenigstens das, was in den letzten zwei Jahren von dieser Regierung angerichtet worden ist, in einigermaßen erträglichen Grenzen zu halten.
({30}) Eine Neuverschuldung scheidet also aus.
Der zweite Diskussionspunkt ist die Frage von Steuererhöhungen. Darüber wird heute noch zu reden sein; ich möchte meinen Kollegen nicht vorgreifen. Ich möchte nur sagen, daß die CDU/CSU in dieser Situation das Mittel der Steuererhöhung als eine Möglichkeit zur Sanierung der Staatsfinanzen nicht akzeptieren kann.
({31})
Die Regierung von SPD und FDP ist 1969 mit dem Versprechen einer sofortigen gewaltigen Steuerentlastung angetreten, das sie dann nicht eingehalten hat. Die Regierung der SPD/FDP will sich jetzt mit einer Steuererhöhungsvorlage verabschieden. Wir von der CDU/CSU werden dafür sorgen, daß auch diese nicht eingehalten wird.
Es ist also über die dritte Möglichkeit zu diskutieren, nämlich die Möglichkeit, die Ausgabenflut der öffentlichen Hand zu senken.
Herr Abgeordneter Dr. Althammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?
Nein, Herr Präsident, ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang zu Ende führen.
Es ist also notwendig, die staatlichen Ausgaben einzuschränken. Das ist natürlich der entscheidende Komplex, der hier zur Diskussion steht. Immer wieder ist von uns darauf hingewiesen worden, daß für uns eine Reduzierung der investiven Ausgaben nicht in Frage kommt. Darum ist es albern, wenn immer wieder davon geredet wird, wir wollten keine Krankenhäuser, keine Schulen, keine Straßen mehr bauen und wie ähnlicher Unsinn lautet. Ganz im Gegenteil! Wir sind der Auffassung, daß der investive Anteil gerade in einer Zeit erhöht werden muß, wo wir noch neue Arbeitsplätze schaffen müssen.
Herr Kollege von Bülow, einfach die Zahlen zu nennen und zu sagen, die reinen Zahlen reduzieren sich ja nicht, reicht nicht aus. Sie müssen beim Prozentvergleich den Gesamthaushalt und den Bereich der investiven Ausgaben vergleichen. Dann stellen Sie fest, daß in den nächsten Jahren anteilmäßig die investiven Ausgaben ganz gewaltig zurückgehen. Das sehen wir als eine katastrophale Entwicklung an. Hier muß die Struktur des Haushaltes inhaltlich geändert werden.
Ich möchte noch zu einem zweiten Bereich etwas sagen, zum Sozialbudget. Das ist jetzt die neue Masche: Man sagt, die CDU/CSU will in den sozialen Besitzstand eingreifen, sie will soziale Demontage betreiben. Es ist merkwürdig: wenn diese Bundesregierung ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegt und dort Sozialleistungen kürzt, dann ist das die Beseitigung von Wildwuchs.
({0})
Wenn wir uns aber bloß Gedanken darüber machen, wie das soziale Netz konsolidiert werden könne, dann ist das ein Angriff auf den sozialen Besitzstand.
Weil jetzt wiederholt schon unser Parteivorsitzender Franz Josef Strauß in diesem Zusammenhang angesprochen worden ist - zunächst vom Bundeskanzler und gestern noch mal von Herrn Ertl -, möchte ich aus seinem wirklich nachlesenswerten Vortrag, den er am 7. April auf der Jahresversammlung des Instituts für Finanzen und Steuern gehalten hat, doch die entscheidenden Passagen zum Bereich des Sozialbudgets vorlesen, und ich bitte Sie, das auch zur Kenntnis zu nehmen. Franz Josef Strauß hat dort ausgeführt:
Es besteht kein Zweifel, daß die Leistungen auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Infrastruktur in Form eines gut ausgebauten Netzes der sozialen Sicherung, d. h. der Altersversorgung sowie der Absicherung gegen Krankheit, Unfall,
17048 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 242. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Mai 197G
Arbeitslosigkeit, unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sind.
Von dieser Prämisse aus kommt er dann zu den Überlegungen, was eventuell getan werden muß, um dieses soziale Sicherheitsnetz zu erhalten. Und auf die Frage an die Regierung, was sie angesichts dieser Situation eigentlich tun wolle, nur zu antworten, eine solche Frage sei Panikmache - diese Antwort richtet sich wohl selbst.
Als zweiter großer Ausgabenkomplex bleibt also der Bereich der Personalausgaben. Hier wäre es wirklich eine zentrale Aufgabe dieser Regierung gewesen, etwas Entscheidendes zu tun, um die gewaltige Ausweitung der Personalkosten aufzuhalten. Herr Kollege von Bülow, die Zahlen, die Sie genannt haben, sind im übrigen unzutreffend. Ich darf Sie da korrigieren. In der Zeit von 1969 bis 1975 haben sich die Personalkosten von 13 Milliarden DM auf 26 Milliarden DM verdoppelt.
({1})
Die Zahl der Beamtenstellen hat sich im Bereich des Bundes, wenn wir die Bundeswehr ausklammern, um 34 % erhöht, nämlich von 7 000 auf 9 200.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bülow?
Herr Präsident, ich möchte keine Zwischenfragen gestatten.
({0})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich habe mich während der Rede Ihres Bundeskanzlers auch zu Zwischenfragen gemeldet, und er hat es nicht für wert befunden, solche Zwischenfragen zuzulassen.
({1})
Wenn wir über die Personalkosten sprechen, müssen wir sicherlich davon ausgehen, daß der öffentliche Dienst von der allgemeinen Einkommensentwicklung nicht abgehängt werden kann. Es geht also darum, Verhältnisse zu schaffen, die es möglich machen, die anstehenden Aufgaben mit weniger Personal, als das bisher der Fall war, effektiver zu leisten. Das ist ein zentrales Problem der nächsten Jahre, das auch für die Bundesfinanzen von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dazu gehört z. B. die Gewissensfrage an den Gesetzgeber, ob er es weiter verantworten kann, mit einer Flut von Gesetzen und Verordnungen die Bürokratie immer mehr auszudehnen und auch neue Personalstellenvermehrungswünsche zu wecken.
Gerade zum Ende einer Legislaturperiode gibt es viele Leute, die eine Erfolgsbilanz aufmachen und sagen, in diesen vier Jahren seien soundso viele Gesetze verabschiedet worden. Ich glaube, wir sollten bei solchen Zahlen nicht so erfolgssicher sein. Wir sollten uns vielmehr kritisch fragen: Wo könnte
man vermeiden, daß zusätzliche Gesetze zusätzliche Kosten für den Steuerzahler verursachen?
({2})
Ein weiterer Komplex ist anzusprechen, nämlich die Frage: Ist es eigentlich notwendig, den öffentlichen Korridor weiter so auszubauen, wie das in den letzten Jahren geschehen ist? Müßte man sich nicht bemühen, eine gewisse Umkehr des Trends herbeizuführen? Müßte man nicht fragen, welche Aufgaben eigentlich von Privaten preisgünstiger und effektiver geleistet werden können, als das die öffentliche Bürokratie kann?
Es gibt auch eine Fülle von Sachausgaben in der Verwaltung, die ganz entscheidend eingeschränkt werden könnten. Die CDU/CSU hat für diesen Komplex allein für dieses Jahr Kürzungsvorschläge in zwölf Anträgen zusammengefaßt, die im ursprünglichen Entwurf des Berichtes zum Haushaltsgesetz enthalten waren. Ich habe zu meiner Verwunderung festgestellt, daß sie im ausgedruckten endgültigen Bericht plötzlich gestrichen waren. Ich möchte aber dem Parlament und der Öffentlichkeit diese Anträge nicht vorenthalten und darf sie daher kurz aufzählen. Es sind, wie gesagt, zwölf Anträge.
Erster Antrag: keine Stellenvermehrung, sondern bei neu auftretendem Personalbedarf Umsetzung des Personals von einer Position auf die andere.
Zweitens: Streichung nicht nur, wie die Koalition das will, von 2 500 Stellen, sondern von 4 500 Stellen. Der Herr Kollege Hoppe hat schon am ersten Tag der Haushaltsdebatte gesagt, das sei unmöglich. Wir können für unsere Forderung einen sehr prominenten Zeugen anrufen, nämlich den Bundesrechnungshof, der in einem Gutachten dargelegt hat, wie man zu solchen Stelleneinsparungen kommen kann. Es sind übrigens Stellen, die entweder nicht besetzt sind oder frei werden. Es würde also kein einziger öffentlicher Bediensteter entlassen werden.
Der Punkt 3 ist die Rückführung der Planungs-und Leitungsbüros auf den Personalstand von 1969. Wir sind der Meinung, daß hier Qualität und nicht Quantität maßgebend ist.
({3})
Der vierte Punkt ist die Rationalisierung und die Verbesserung der Personalorganisation entsprechend den Vorschlägen des Bundesrechnungshofs; auch dies eine sehr wichtige Materie, die nun wirklich einmal angepackt werden müßte.
Der nächste Punkt ist die Reduzierung der Sachausgaben der Verwaltung um 5 %, weil man nur so die Verwaltung dazu veranlassen kann, ernsthaft darüber nachzudenken, wie sie durch Rationalisierungsmaßnahmen den Kostenaufwand senken kann.
Der nächste Punkt - Ziffer 6 - ist die Zurückführung der Ausgaben für Propaganda der Regierung.
({4})
Vielleicht mag einer sagen, 150 Millionen DM oder die Einsparung von 58 Millionen DM, um die es dabei geht, seien kein für den Gesamthaushalt allzu hoher Betrag. Aber wir müssen in aller Deutlichkeit feststellen, daß es immer mehr zum Ärgernis wird, wie die Regierung in einer Zeit, wo man von allen Bereichen Einschränkungen verlangt, ihre Papierflut ausweitet.
({5})
Ich bin der Überzeugung, daß dies der Regierung gar nichts nützen wird, und gerade weil es ihr nichts nützt, muß man im Interesse des Staatsbürgers verlangen, daß diese Direktlieferungen von Bundesstellen an Parteizentralen endlich einmal unterbunden werden.
({6})
Der nächste Punkt, den wir angesprochen haben - das ist die Ziffer 7 -, ist eine Reduzierung der Ausgaben für Sachverständige und Gutachter. Ich glaube, man kann hier schon von einem Sachverständigenunwesen sprechen. Es wäre dringend geboten, daß dieser Komplex endlich einmal gründlich durchforstet wird. Dazu gehört auch die Vergabe von zahllosen Forschungsaufträgen an alle möglichen Institutionen,
({7})
ohne daß zunächst genau geprüft wird, ob überhaupt eine Sachkompetenz derjenigen gegeben ist, denen man hier hohe Zuwendungen macht. Zum zweiten hören wir nie eine Antwort auf die Frage, ob eigentlich eine Erfolgskontrolle und eine Zwischenbilanz dessen, was mit solchen Forschungsaufträgen erreicht und geleistet werden soll, vorliegen.
({8})
Die nächste Ziffer - Punkt 8 - ist zugegebenermaßen ein etwas prekärer Punkt. Es ist unsere Forderung, im Durchschnitt die Subventionsausgaben um 5 % zu reduzieren. Das wird man nicht schematisch machen können, sondern hier wird man Einzelprüfungen vornehmen müssen. Wir stellen fest, daß die Bundesregierung den Auftrag des Gesetzes nicht erfüllt hat, bei der Vorlage der Subventionsberichte auch Vorschläge zu machen, wie Subventionen reduziert werden können.
Der neunte Punkt ist das Problem, das auch wieder den Gesetzgeber angeht, nämlich Zurücknahme von kostenwirksamen Anträgen. Die Fraktion der CDU/CSU hat am 6. November 1974 beschlossen, daß sie keine kostenwirksamen Gesetze und Anträge mehr einbringen wird. Wir haben diesen Beschluß am 18. März 1975 erneuert, und wir haben die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen gebeten, zu prüfen, ob sie nicht mit uns gemeinsam zu einem Agreement kommen könnten, auch ihrerseits von solchen Anträgen und Gesetzesinitiativen abzusehen, natürlich immer mit der Einschränkung, daß es unabweisbare Notwendigkeiten gibt.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann wird hier wieder diese Leporello-Liste der
Ausgabeanträge der CDU/CSU aufgemacht; wahrscheinlich wird sie Herr Kirst wieder vortragen. Zuerst hieß es 32 Milliarden DM. Das hat auch Herr von Bülow gesagt. Frau Funcke spricht inzwischen schon von 40 Milliarden DM. Ich habe mir das einmal angesehen. Sie finden keine einzige Ziffer einer ausgedruckten Bundestagsdrucksache der CDU/CSU-Fraktion. Sie finden Vorschläge, die in der „Bild"-Zeitung und in anderen Zeitungen gemacht worden sind. Wenn Sie sich diese Vorschläge ansehen, stellen Sie auf den ersten Blick fest, daß es Alternativvorschläge zum gleichen Problem sind, nämlich zu der Frage, wie man durch steuerliche Entlastungen unsere Wirtschaft wieder ankurbeln kann.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie schon ein solches Unterfangen planen, dann sehen Sie doch einmal nach, wie die CDU/CSU das 1965 gemacht hat, als sie die damalige Opposition SPD unter Angabe der einzelnen Drucksachennummern des Parlaments auf die Ausgabenanträge hingewiesen hat, die von der SPD gestellt waren.
Eines möchte ich aber auch sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird sicher nicht möglich sein, daß die Regierung ungehemmt weitere ausgabenwirksame Maßnahmen beschließt oder ankündigt und der Opposition sagt, sie habe gefälligst zu schweigen und keine Anträge zu stellen, um hinterher der Opposition vorwerfen zu können, sie habe ja keine Alternativen und keine Initiativen entwickelt.
({10})
Zehntens haben wir das Problem angesprochen, die Einnahmen des Staates, insbesondere des Bundes durch zeitnahe und vollständige Steuereinhebungen zu erhöhen. Das sind Vorschläge, die von Steuerfachleuten gemacht worden sind und die sicherlich einmal näher geprüft werden sollten.
Der elfte Punkt enthält die Aufforderung, durch Vereinfachung von Gesetzen und durch Vereinfachung von Verwaltungsverfahren in diesem Bereich eine Einsparung zu erreichen. Als typisches Beispiel haben wir das Plakettenverfahren bei der Kfz-Steuer angesprochen.
Im zwölften Punkt, den ich auch schon behandelt habe, geht es um die Privatisierung von staatlichen Regiebetrieben und anderen staatlichen Einrichtungen, um in diesem Bereich eine Entlastung zu erreichen.
({11})
- Dazu gäbe es eine ganze Menge zu sagen. Wir hatten z. B. Vorschläge für einen Bereich, wo man diese Einrichtungen sofort mit dem Hinweis übernehmen wollte, man werde private Gewinne machen, weil man nach anderen Gesichtspunkten arbeite.
({12})
17050 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode
Die Koalition war aber nicht bereit, dieses Angebot anzunehmen.
Lassen Sie mich hier den letzten zentralen Vorschlag vortragen, den die CDU/CSU in diese Haushaltsberatung eingebracht hat. Ich meine unseren Antrag, durch ein sparsames Fahren des Haushalts, wie wir sagen, im Ablauf dieses Haushaltsjahres von einer Gesamtsumme von 164 Milliarden DM für den Bundeshaushalt 1976 bescheidene 4,8 Milliarden DM durch globale Minderausgaben einzusparen. Ich weiß nicht, ob wir heute die gleiche Debatte haben sollen, wie wir sie in den letzten drei Jahren gehabt haben, wo die Regierung, der Herr Finanzminister, immer erklärt hat, ein solcher Vorschlag sei völlig utopisch, das sei niemals erreichbar und durchführbar. Wenn zum Jahresende der gleiche Finanzminister genötigt war, die Abschlußbilanz des Haushaltes vorzulegen, hat sich gezeigt, daß in vergangenen Jahren exakt die Summen, die wir zur Einsparung vorgeschlagen hatten, nach der Schlußbilanz zu erübrigen gewesen wären. Im letzten Jahr war es noch viel krasser, da hat fast ein doppelt so hoher Betrag eingespart werden können, wie wir vorgeschlagen hatten.
({13})
Wenn wir diesen globalen Streichungsantrag stellen, dann deshalb, weil wir die Verwaltung damit anhalten wollen, bei jeder Einzelausgabe zu überlegen, ob sie notwendig ist und ob sie nicht mit geringeren Beträgen bedient werden kann Das ist der Sinn eines
solchen Antrags. Ich glaube, man sollte sich wenigstens einmal ernsthaft in der Regierung überlegen, ob dies angesichts all der Erfahrungen, die in der Vergangenheit zu machen waren, nicht ein realistischer Vorschlag ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellen fest, daß die Bundesregierung nach dem bisherigen Verlauf der Debatte keinen Ausblick darauf gegeben hat, wie die finanzpolitisch verfahrene Situation, die Zerrüttung der Staatsfinanzen bereinigt werden soll. Ich glaube, ein solches Verhalten der Bundesregierung richtet sich von selbst.
({14})
Wenn ein gesundes Unternehmen von einer Unternehmensführung und von einem Management heruntergewirtschaftet worden ist und wenn diesem Unternehmen die schwersten Nachteile drohen, dann sind die Konsequenzen im Wirtschaftsleben klar: Man entläßt diese Unternehmensleitung, man zieht dieses Mißmanagement zur Rechenschaft.
({15})
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat dieser Regierung 1969 ein gesundes Unternehmen hinterlassen.
({16})
Ich glaube, der Staatsbürger wird im Herbst dieses Jahres seinerseits die Konsequenzen aus dem Mißmanagement zu ziehen haben.
({17}) Eines jedenfalls darf ich hier für die CDU/CSU feststellen: Wenn die CDU/CSU Anträge und Programme für die weitere Entwicklung unseres Staatswesens und unserer Gesellschaft vorlegen wird, wird sie diese Programme nur mit einer soliden Finanzierung durchführen. Sie wird solche Programme im Rahmen der gegebenen finanziellen Möglichkeiten realisieren.
({18})
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
({0})
Ich darf zunächst feststellen, daß sowohl der Kollege von Bülow wie der Kollege Althammer dazu beigetragen haben, daß wir eine Debatte jenseits der Ideologien führen. Auch ich werde das tun. Wenn wir über Mark und Pfennig reden, dann sind das Themen, an denen Ideologien und Antiideologien und Gegenideologien gemeinsam abprallen und scheitern. Ich halte die Verbindung der Debatten zu den Einzelplänen des Finanzministers, der Bundesschuld und der Allgemeinen Finanzverwaltung und aus gegebenem Anlaß zu den drei Steuergesetzen für vernünftig und logisch, weil alles ineinander übergreift und sich aus der Analyse der Einzelpläne 32 und 60 die Notwendigkeit der Steuererhöhungen geradezu zwangsläufig ergibt. Das werde ich im einzelnen noch ausführen.
In dieser Debatte heute vormittag möchte ich mich im wesentlichen auf die reinen finanzpolitischen Probleme beschränken. Dabei sind gewisse Anknüpfungen und Überschneidungen hinsichtlich der Wirtschaft natürlich nicht vermeidbar, obwohl ich die Debatte von heute nachmittag in keiner Weise vorwegnehmen möchte.
Im übrigen, Herr Kollege Althammer, bin ich selbstverständlich bereit, Zwischenfragen von Ihnen entgegenzunehmen, obwohl Sie es betont abgelehnt haben, Zwischenfragen zuzulassen, und zur Begründung angegeben haben, auch der Bundeskanzler habe das nicht getan. Da ist, muß ich zu diesem Vergleich sagen, ein gewisser Unterschied, unabhängig von den Parteien.
({1})
Herr Althammer hat behauptet, die Regierung verweigere der Bevölkerung die Orientierung über die wahre Lage. Ich möchte dazu nur feststellen, daß die Regierung in den letzten Monaten, ja eigentlich auch in den letzten Jahren, unausgesetzt diese Orientierung gegeben hat, und zwar mit der absoluten Wahrheit. Wir haben unsere Bevölkerung niemals eingelullt, wie das vielleicht früher manchmal der Fall gewesen ist.
({2})
Herr Althammer hat fünf Probleme an den Anfang gestellt. Ich will darauf kurz eingehen. Auf andere
Bemerkungen von ihm will ich bei den Punkten 7u sprechen kommen, wo es bei mir in meine im übrigen vorgesehenen Ausführungen hineinpaßt.
Sie haben vom Sparer gesprochen, Herr Althammer. Es ist sicher richtig, daß in Ausfluß der gegenwärtigen allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung - wie lang das so ist, werden wir abwarten müssen - die Sparerzinsen eine fallende Tendenz haben. Gerade Ende März, Anfang April wurde ja wieder eine allgemeine Senkung durchgeführt. Wenn Sie das heute beklagen, muß ich darauf hinweisen, daß Sie genauso die Perioden der Hochzinspolitik beklagt haben. Ihre Tiraden über die damals notwendige Hochzinspolitik - die auf die Sparer positive Auswirkungen hatte - klingen uns allen noch in den Ohren. Ihnen ist es eben nie recht zu machen.
({3})
Gerade wenn es um den kleinen Sparer geht, muß man auch berücksichtigen, daß er hinsichtlich des Ertrags seiner Sparleistungen nicht nur den nackten Zins seiner Bank oder Sparkasse hat, sondern daß man auch die vom Staat in Milliardenhöhe insgesamt gezahlten Prämien - seien es Wohnungsbauprämien, Sparprämien oder Vermögensbildungsprämien - hinzurechnen muß. Wenn man das tut, stimmt der Hinweis auf den Verlust an Sparvermögen nicht mehr, mit dem Sie in demagogischer Weise zu argumentieren belieben.
Sie haben auch vom Verbraucher gesprochen, Herr Kollege Althammer. Haben Sie da eigentlich nicht festgestellt, daß wir gerade - vorgestern war es wohl - die Aprilzahlen über die Preissteigerungen bekommen haben und daß sie den niedrigsten Wert seit 1972 aufweisen? Das ist angesichts der weltwirtschaftlichen Zusammenhänge ein toller Erfolg.
({4})
- Natürlich, Herr Haase! Ich komme darauf noch zurück.
({5})
Von 7,8 oder so herunter auf 5,2, das ist eine Leistung angesichts der Prophezeiungen aus dem Jahr 1973, laut denen wir heute bei zweistelligen Ziffern angelangt sein müßten. Wenn diese Regierung nicht gehandelt hätte, wären wir ja auch dort.
({6})
Dann kommt wieder das Gerede von den administrierten Preisen oder wie auch immer Sie es heute formuliert haben, Herr Althammer. Seien Sie doch konsequent; ich teile mit Ihnen die Abneigung gegen das, was gewisse Leute sagen. Aber liefern Sie doch nicht durch solche Argumentationen denen wieder neue Argumente, die für Nulltarife eintreten. Denn das, was Sie hier fordern, nämlich daß die administrierten Preise, also die Preise von öffentlichen Unternehmen, nicht steigen dürfen, wenn ihre Kosten steigen, führt in der Konsequenz - das ist nur eine Frage der Zeit - zum Nulltarif. Das wollen
Sie nicht, das wollen wir nicht, das wollen wir alle nicht.
({7})
Sie sprachen von der Steigerung der Arbeitseinkommen. Sicher, die Arbeitseinkommen werden in diesem Jahr nicht hoch steigen. Aber das haben wir doch alle so für notwendig erachtet. Hier muß man eben auch einmal über die Zahlen des Jahres hinaussehen und -denken. Man muß es über einen mittelfristigen Raum von fünf oder sechs Jahren sehen. Ich will das hier nicht im einzelnen ausführen; das wird sicher heute nachmittag in der Wirtschaftsdebatte eine gewisse Rolle spielen.
Dann kommt wieder das Problem der Steuerlastquote und der Soziallastquote. Der Kollege Carstens hat ja am Dienstag zu 95 °/o, wenn ich es recht in Erinnerung habe, die Mitverantwortung - weil das alles attraktive Sachen waren - in der Sozialpolitik übernommen. Dann haben Sie natürlich auch zu 95 % die Mitverantwortung für die Steigerung der Soziallastquote. Man kann nicht immer nur die guten Seiten haben wollen und die bösen nicht.
({8})
- Sicher einesteils auch,
({9})
aber andererseits ganz entscheidend mit der Ausweitung der Sozialgesetzgebung. Die haben Sie zu 95 °/o für sich mit reklamiert. Das gestehen wir ja zu, das ist in den Protokollen nachzulesen, inwieweit Sie da wirklich zugestimmt haben.
Hier ist kritisiert worden, daß der Bundeskanzler oder jemand anders gesagt hat, die Steigerung des Staatsanteils hänge mit der Konjunkturentwicklung zusammen. Das ist absolut richtig. Dabei muß man korrekterweise als Staatsanteil die Steuerlastquote plus Kreditaufnahme rechnen; das ist ganz richtig. Wenn die Staatsausgaben absolut gleich bleiben und das Bruttosozialprodukt um 3 oder 4 % zurückgeht, wie wir es 1975 gehabt haben, ergibt sich - dazu brauchen Sie nicht einmal Mathematik' und auch keine Mengenlehre -, daß der Anteil der Staatsausgaben relativ steigt. Wie wenig Sie mit Mathematik und sonstigem umgehen können, darauf komme ich nachher in einem für Sie sicher sehr peinlichen Zusammenhang noch zurück.
({10})
Sie haben schließlich in Spekulation auf schlechtes Gedächtnis versucht, Ihr rühmlich-unrühmliches Inflationsentlastungsgesetz von 1973 nachträglich zu einem konjunkturpolitischen Instrument hochzustilisieren. Das war das Tollste von dem, was Sie heute geboten haben.
({11})
Meine Damen und Herren, ich möchte im Rahmen dieser finanzpolitischen Debatte zu einer, wenn
Sie so wollen, Bilanz der Finanzpolitik der Jahre 1970 bis 1976, für die diese Regierung und mit ihr diese Koalition die Verantwortung tragen, kommen. In diesen Jahren ist deutlicher als je zuvor die Wechselbeziehung zwischen Haushalts- und Finanzpolitik einerseits und Konjunktur- und Wirtschaftspolitik andererseits zum Ausdruck gekommen. Ich habe einmal in einer anderen Situation dieses Verhältnis folgendermaßen charakterisiert - die Eigenart der deutschen Sprache erlaubt es, dies in umgekehrter Form sozusagen doppelt zu charakterisieren -: Wenn Sie das Wort „Geisel" mit „Gefangener" gleichsetzen, dann war und ist die Haushaltspolitik die Geisel der konjunkturellen Entwicklung und der Konjunktur- und Wirtschaftspolitik. Wenn Sie dagegen das Wort „Geißel" nehmen, können Sie sagen, daß die Konjunkturpolitik die Geißel der Haushaltspolitik ist.
Der Zwang der konjunkturellen Zusammenhänge war sozusagen in diesen Jahren mehr als früher der ständige Begleiter der Haushalts- und Finanzpolitik auf wechselnden Bühnen. Dabei haben wir in den ersten Jahren - wir haben hier viele Redeschlachten dazu geschlagen - immer in einer etwas schiefen Schlachtordnung gekämpft, weil wir uns mit dem ständigen und durch Wiederholung nicht richtiger werdenden Vorwurf, der auch bei Ihnen, Herr Kollege Dr. Carstens, am Dienstag noch einmal anklang, auseinanderzusetzen hatten, daß die Haushaltspolitik der Regierung die Konjunktur in Zeiten der Hochkonjunktur und steigender Preisentwicklung weiter angetrieben hätte. Ich erinnere an das von mir geprägte Wort vom Zuwachsratenfetischismus, den wir hier immer betrieben haben. Das hat Ihr Kollege Strauß eigentlich immer viel besser erkannt. Er hat in einer Stunde der Wahrheit - so könnte man es beinahe nennen - unter diesem Aspekt erklärt, weil es ihm so paßte, Nachfrage sei eben Nachfrage. Ich halte dies, wie er es gesagt hat, nach wie vor für richtig, und das erledigt eigentlich diese Debatte.
Das Ergebnis dieser ersten Jahren waren - Herr Dr. von Bülow hat darauf hingewiesen - 10, 11 Milliarden DM Reserven, die aus konjunkturpolitischen Maßnahmen anfielen, wie Stabilitätszuschlag usw., davon etwa 7,5 Milliarden DM zugunsten des Bundes. Dies alles war uns in der umgekehrten konjunkturpolitischen Situation ganz nützlich. Das Ergebnis war eine, so kann man fast sagen, erschreckend hohe Selbstfinanzierungsquote des Staates; denn wir haben in den Jahren 1970 bis 1973 die Ausgaben des Bundes nur zu 2 % - das waren 8 Milliarden DM, auf vier Jahre verteilt - über Nettokredite finanziert. Das muß man sich einmal in Erinnerung rufen. Es war für die Steuerlastquote, um darauf noch einmal zurückzukommen, eine Tendenz zu verzeichnen, die man als rückläufig bis stabil bezeichnen kann. Ich will wegen der Zeit die einzelnen Zahlen seit 1969 nicht noch einmal verlesen. Aber das Versprechen der ersten Bundesregierung dieser Koalition, wir halten die Steuerlastquote, wir erhöhen sie nicht, ist mehr als gehalten worden.
({12})
Ab 1973 haben wir, beginnend mit der Wende in der Konjunkturentwicklung, auch eine Wende in der Finanzpolitik zu verzeichnen gehabt. Folgendes muß man sich immer wieder in Erinnerung zurückrufen. Kollege Dr. Carstens ist gerade weggegangen; aber er hat am Dienstag das, was ich hier - mir fällt dafür kein besserer Ausdruck ein - als Inflationsschuldlüge bezeichnet habe, wieder kultiviert. Diese wird durch ständige Wiederholungen nicht wahrer, sondern die Feststellung bleibt eine Unwahrheit, daß diese Regierung die Inflation nicht genug bekämpft oder sogar gefördert oder gewollt habe.
({13})
- Herr Haase, ich komme gleich zu Ihrer Frage; lassen Sie mich das zuerst noch begründen.
Wenn ich vom Wendepunkt 1973 sprach, so deswegen, weil dies der Augenblick war, zu dem es politisch möglich war, die außenwirtschaftliche Absicherung durchzuführen; denn bis dahin war es so, bildlich gesprochen - wenn Sie mir das, da ich von der Küste komme, gestatten -, daß das, was wir tagsüber an Dämmen aufrichteten, nachts durch die hereinströmenden Milliarden ausländischen Geldes, insbesondere einer Währung, wieder unterspült wurde. Das hätten wir schon 1969 oder 1970 tun können.
Wenn Herr Dr. Althammer vorhin von Unterlassungen und davon sprach, die CDU hätte das alles besser gemacht, so frage ich: haben Sie eigentlich das Wort Ihres Bundeskanzlers Kiesinger vergessen, solange er Kanzler sei, gebe es keine Aufwertung? Mit dieser Politik wäre alles nur noch schlimmer geworden. Obwohl es wirtschaftlich viel früher richtig gewesen wäre, konnten wir das politisch nicht früher machen, weil wir nicht allein auf einer Insel der Seligen leben, sondern in solchen entscheidenden, vitalen Fragen nur im Zusammenhang mit den anderen Mächten, mit unseren Partnern handeln können. Die Nation, die diese Währung insbesondere hat, ist - darin sind wir uns alle einig - der Garant unserer Sicherheit, und hier fließen sozusagen alle Politiken ineinander. Deshalb war diese Lösung erst möglich, als das dort akzeptiert wurde, und von da an konnte unsere Stabilitätspolitik erfolgreich sein.
Entschuldigen Sie, Herr Haase, aber ich wollte diesen Gedanken gern zu Ende führen.
Herr Kollege Kirst, ich habe aus Ihren Ausführungen entnommen, daß Sie die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase ({0}) gestatten.
Verehrter Herr Kollege Kirst, wenn das, was Herr Professor Carstens zur unterlassenen Inflationsbekämpfung ausgeführt hat, unzutreffend ist, wie Sie soeben erläuterten, warum sind dann während der Berichtszeit, über die Sie hier Auskunft geben, zwei Bundesfinanzminister dieser Regierung zurückgetreten? Würden Sie uns das mal auseinandersetzen.
Der Kollege Möller ist aus persönlichen Gründen zurückgetreten.
({0})
- Er wird das sicher gern bestätigen. Finanzminister sein, ist eine aufreibende Geschichte; Sie werden das nie erleben, Herr Haase.
({1})
Der Kollege Schiller ist zurückgetreten, weil er mit einer bestimmten Maßnahme nicht einverstanden war, und, wie sich später herausstellte, noch aus anderen Gründen, die mit Finanzpolitik nichts zu tun hatten.
({2})
Herr Haase, das war also eine wenig gelungene Hilfsaktion für die nicht zutreffende Argumentation Ihres Fraktionsvorsitzenden.
({3})
Nun haben wir nie einen Zweifel daran gelassen, daß Stabilitätspolitik ihren Preis hat und daß man sie, wie überhaupt keine Politik nach dem Motto, das für Sie, glaube ich, zumindest als Opposition, das Lebenselement ist, betreiben kann: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß! Ich will hier nur auf die finanzpolitischen Aspekte und Auswirkungen eingehen.
Dies hat zu den bekannten konjunkturpolitischen Entwicklungen geführt. Schon 1974 merkten wir, daß die Steuereinnahmen weniger wurden. Wir hatten in den Jahren 1970 und 1973 eine Kreditaufnahme von insgesamt 8 bis 9 Milliarden DM und dann allein im Jahre 1974 eine solche von 9 Milliarden DM. Dann kam das finanzpolitisch bittere Jahr 1975. Niemand wird bestreiten, daß es so war; aber man muß die wahren Ursachen erörtern.
Hier trafen zwei Dinge zusammen: die Steuerreform, schon angesprochen, mit 10 Milliarden DM Einnahmenausfall allein für den Bund und die Kulmination der weltwirtschaftlichen Entwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung bei uns: im Ergebnis -ich will die Zwischenstationen hier nicht aufführen
- ein Steuerrückgang allein des Bundes gegenüber der Schätzung bei der Aufstellung des Haushalts 1975 im Juni 1974 um 15 Milliarden DM plus Leistungen an die Bundesanstalt für Arbeit, die nicht vorgesehen waren, in Höhe von ungefähr 7 Milliarden DM. Das sind zusammen 32 Milliarden DM, etwas mehr als die tatsächliche Nettokreditaufnahme des Jahres 1975, soweit sie zur Finanzierung des Haushalts gebraucht wurde.
1976 werden wir 33 Milliarden DM brauchen. Davon hat der Finanzminister 9 Milliarden DM schon im Jahre 1975 bekommen. Es ist in diesem Hause wohl unbestritten, daß diese Aufnahme im Jahre 1975 finanzpolitisch richtig war, und es wohl ebenso unbestritten, daß auch die Anrechnung dieser Voraufnahme auf die Kreditermächtigung des Jahres 1976 finanzpolitisch richtig und konsequent ist. Ich möchte noch einmal davor warnen, zu meinen, diese 9 Milliarden DM symbolisierten, daß das Jahr 1975
um 9 Milliarden DM besser war. Ich denke, der Finanzminister stimmt mir zu, wenn ich sage: es war um 9 Milliarden DM weniger schlecht, als wir befürchtet haben. - Herr Haase, Sie lächeln so freudig über diese Passage von mir. Was die politische Verantwortung anlangt, so war die Steuerreform gemeinsam, und die Stabilität wollten wir ja wohl auch alle gemeinsam.
({4})
- Daß wir es können, haben wir bewiesen. Regierung und Koalition haben in der Situation des Jahres 1975 gleichermaßen zielstrebig gehandelt wie in der ersten Phase dieser sechs, sieben Jahre. Ich kann das hier nur sehr gerafft vortragen, um mit der Zeit auszukommen.
Wir haben dann im August/September ein umfassendes Programm zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte aufgestellt, das auf drei Säulen beruht: Sparen, Kredite und Steuern. Nun muß ich noch einmal - Herr Kollege Strauß ist im Moment nicht da, aber das schadet nichts - daran erinnern, daß wir damit eigentlich genau das tun, was der Kollege Strauß in einem Interview am 24. April 1975 in der „NRZ" gefordert hat. Die „NRZ" fragte, ob eine CDU/ CSU-Regierung die Steuern erhöhen würde. Strauß zählte drei Möglichkeiten zur Verbesserung der Staatsfinanzen auf: Erstens verminderte Leistungen des Staates; zweitens Steuererhöhungen; drittens Kreditbeschaffung. Strauß erklärte, daß man wohl eine Mixtur aus allen drei Bereichen anwenden müßte. So Prophet Strauß im April 1975.
Genau dies tut die Bundesregierung, tun die Koalitionsparteien mit ihrem Programm vom August 1975, wobei man sich im Detail über die Anteile der einzelnen Säulen streiten kann. Man kann sich auch darüber streiten, oh so oder so gespart werden soll. Aber das Prinzip selbst ist nicht bestreitbar, weil es, Herr Althammer, keine andere Lösung gibt. Wenn Herr Strauß und seine Freunde nun die konkrete Ausführung dieses Programms durch uns mit hemmungsloser Kritik bedenken dann entspricht dies eben dem Motto des Herrn Strauß, das da heißt: Ich habe immer recht, die Gegner nie, selbst dann nicht, wenn sie tun, was ich sage.
({5})
- Diese Schlußfolgerung muß man daraus ziehen.
({6})
Lassen Sie mich nun im einzelnen ein paar Bemerkungen zu diesen drei Säulen machen. Zunächst zum Sparen. Wir haben hier ein hartes, aber, wie wir meinen, ausgewogenes Sparprogramm mit dem Haushaltsstrukturgesetz als Kernpunkt beschlossen. Ich will das jetzt nicht im einzelnen wiederholen. Aber man muß auch die Grenzen des Sparens sehen.
Wenn man sich die Haushaltsstruktur ansieht - einiges ist hier punktuell schon angeführt worden -, wenn man sich diesen Haushalt von 164 Milliarden DM ansieht, dann stellt man fest, daß er im wesentlichen aus sieben großen Haushalten besteht: Arbeit und Sozialordnung: rund 40 Milliarden DM; Vertei17054
digung: 31 Milliarden DM; Verkehr: 19 bis 20 Milliarden DM, Jugend, Familie und Gesundheit: 15 Milliarden DM; Allgemeine Finanzverwaltung: 13, 14 Milliarden DM; Bundesschuld: 9, 10 Milliarden DM; Versorgung: 7 Milliarden DM. Allein diese sieben Haushalte repräsentieren etwa rund 80 % des Haushaltsvolumens. Die restlichen 20 % des Haushaltsvolumens werden von den anderen Haushalten abgedeckt.
Ich habe von der Opposition nicht gehört, daß sie an der sozialen Sicherung, soweit sie durch die Haushalte erfolgt, etwas ändern will. Ich habe nicht gehört, daß sie an der Verteidigung sparen will. Das können wir auch nicht, das wollen wir auch nicht. Es wird schwer sein, mit dem, was vorhanden ist, auszukommen. Im Verkehrshaushalt sind es die Problembereiche Bundesbahn, Autobahnbau. Hier erleben wir ständige Anfragen der Opposition, warum diese Strecke noch nicht fertiggestellt ist usw. Einen weiteren Bereich stellt das Kindergeld dar, das nebenbei den Hauptbestandteil des Einzelplans 15 ausmacht. Im Einzelplan 60 sind sechs, sieben Milliarden DM für Berlin ausgewiesen. Auch da kann und will niemand etwas ändern.
Ich sage das hier nur einmal stichwortartig, um deutlich zu machen, wie sehr zementiert dieser Haushalt ist und wie schnell sich die schönen Worte der Opposition vom Sparen an den harten Wirklichkeiten stoßen. Trotzdem sage ich - und ich sage es nicht nur so; das ist meine Meinung, und meine Fraktionskollegen wissen, daß das mein „Ceterum censeo" auch in internen Beratungen ist : Sparen bleibt Trumpf, und es wird auch Trumpf bleiben im 8. Deutschen Bundestag. Daran habe ich gar keinen Zweifel.
({7})
- Vielen Dank, Herr Haase! Aber wenn Sie als Opposition weiter so schlechte Anträge stellen, werden Sie eben nicht dafür sorgen.
Ich stehe unverändert auf dem Standpunkt, daß es der Grundsatz sein muß, keine - oder nur sehr begrenzt - ausgabewirksamen Gesetze zu beschließen. Ich räume hier freimütig ein, daß wir in den letzten Monaten einige Ausnahmen machen mußten, weil die Dinge, als das Haushaltsstrukturgesetz kam, schon so weit vorgetrieben worden waren: Strafvollzug, Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, Kriegsdienstverweigerung, öffentlicher Personennahverkehr, Fachhochschulen. Ich sage ganz offen: Als Haushaltspolitiker habe ich dem nur mit sehr, sehr schweren Bedenken zugestimmt. Aber ich füge diesen Bedenken die Anerkennung hinzu, daß in allen diesen Fällen die Fachpolitiker bereit gewesen sind, die Gesetze am Ende so zu verabschieden, daß die damit verbundenen Kosten wesentlich niedriger ausfallen werden, als es ursprünglich vorgesehen war. Das sollten wir als Haushaltspolitiker hier auch einmal anerkennend feststellen.
({8})
Aber die Mahnung der Haushaltspolitiker muß bleiben: Fachpolitiker aller Fraktionen dürfen in den kommenden Jahren nicht Politik machen, als wäre nichts geschehen. Daß das nicht die Devise sein darf, sollten alle in den Wahlkampf mitnehmen, um das Bewußtsein für die knappe Finanzdecke zu schärfen, mit der wir es auch in den kommenden Jahren zu tun haben werden.
({9})
Dieser Haushalt 1976 ist, meine Damen und Herren, ein Haushalt der absoluten Sparsamkeit.
({10})
- Und er enthält, Herr Schröder, keine Wahlgeschenke. Wir haben keinen Kuchenausschuß gehabt, allenfalls einen Bittere-Mandeln-Ausschuß.
({11})
Seine Zuwachsrate liegt weit unter der des nominellen Bruttosozialprodukts und wahrscheinlich - wann hat es das jemals gegeben? - erstmals sogar unter der Zuwachsrate des realen Bruttosozialprodukts.
({12})
Die Opposition - und daran haben auch die Ausführungen des Kollegen Althammer und alles, was sonst hier gesagt worden ist, soweit es überhaupt sachlich war, nichts geändert bleibt hier ohne Alternative. Herr Althammer, lassen Sie mich, damit die ganze Öffentlichkeit dies weiß, einmal sagen, wie sich die Opposition das Sparen vorstellt. Zwei klassische Beispiele - Sie selbst haben sie gebracht, nur unvollständig -: Sie haben - das stimmt bei Beginn der Haushaltsberatungen im Ausschuß beantragt, die Subventionen um 5 % zu senken. Da kam aber ein zweiter Satz: Einzelheiten legt die Regierung fest. Sie werden das nicht bestreiten.
({13})
Verehrter Herr Kollege Althammer, ein solches Armutszeugnis, einen solchen Offenbarungseid mangelnden politischen Vermögens habe ich lange nicht erlebt.
({14})
Dieser Antrag ist doch eine Mischung aus Opportunismus, Unfähigkeit und mangelndem Mut; er ist weiße Salbe zur Augenwischerei.
({15})
Wann hat sie das gemacht?
({16})
- Ich würde dafür die heutige Fraktion nicht verantwortlich machen.
({17})
Und, Herr Althammer, das sage ich Ihnen nun schon seit sechs Jahren - weil hier in jeder Debatte seit Anfang der 70er Jahre gefragt wird: was haben die „bösen" Sozialdemokraten in ihrer Oppositionszeit gemacht? -: Darüber kann man sicher streiten; das gebe ich zu. Nur ist das doch kein Freibrief dafür, solche Dummheiten von Ihrer Seite zu wiederholen.
({18})
Das stärkt zumindest nicht die Qualität Ihrer Opposition.
({19})
Und mit den Stellen, Herr Kollege Althammer, ist es ja nicht viel anders. Die Streichung von 4 600 Stellen haben Sie beantragt. Aber auch hier keine Spezifikation!
({20})
- Der Rechnungshof hat auch nur ganz global gesagt: 2 300 in den Schreibstuben usw., hat aber auch nicht die einzelnen Schreibstuben genannt. Das wollen wir doch einmal sehr deutlich sagen. Auch die Anträge des Rechnungshofes, die Sie dann hilfsweise übernommen haben, sind globale Anträge. Wir von der Koalition, eine kleine Gruppe von Koalitionsabgeordneten des Haushaltsausschusses, fünf, sechs Mann haben Stunden und Tage gesessen, bis wir die 1 559 Stellen zusammenhatten, und das war eine mühselige Arbeit. Aber es hat jedenfalls Erfolg gebracht. Vielleicht versuchen Sie einmal, das nachzumachen,
({21})
aber mit solchen globalen Anträgen werden Sie nichts.
Im übrigen: Das Ansteigen der Personalkosten, der Kosten für die Besoldung - ({22})
- Darf ich den Gedanken eben noch ausführen: Herr Althammer, Sie wissen, wie stark die strukturellen und die linearen Besoldungserhöhungen in den letzten Jahren gewesen sind, und Sie müssen doch zugeben, daß wir seit Jahren Überrollungshaushalte machen: keine Stellen neu, keine Hebungen; Ausnahmen nur in Sonderfällen - für die Sicherheit, für die Flugsicherheit, für das Kartellamt nach dem Kartellgesetz. Da gibt es eine Reihe von Fällen, in denen es zwangsläufig war. Aber sonst haben wir keine neuen Stellen bewilligt, sehr zum Leidwesen der Ressorts, die sie gerne gehabt hätten. Das räume ich ein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hösl?
Gern.
Herr Kollege Kirst, würden Sie denn der durch den Bundesfinanzminister Apel angekündigten Einsparung von 4 000 Stellen keine realistische Chance beimessen, oder war das nur eine politische Aussage, die irgendwelche wahlwerbende Funktion hatte?
({0})
Herr Hösl, die Bundesregierung hat die Streichung von 1 000 Stellen - diese kommen noch hinzu - vorgeschlagen. Von 4 000 Stellen ist mir nichts bekannt. Im Laufe der vergangenen Jahre sind aber bald - vielleicht verwechseln Sie das -4 000 Stellen zusammengekommen, die die Bundesregierung aus eigener Initiative eingespart hat.
({0})
Herr Althammer, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt einmal zuhörten. Sie haben etwas kritisiert, wofür ich die Verantwortung trage, nämlich daß im Bericht des Haushaltsausschusses ursprünglich Ihre Grundsätze zur Haushaltspolitik - wenn man großzügig ist, kann man auch von Anträgen sprechen - enthalten waren, später aber nicht mehr. Das Sekretariat des Haushaltsausschusses wird notfalls bestätigen, wie es war. Zunächst haben Ihre Grundsätze im Bericht gestanden. Dann habe ich als Berichterstatter - ich muß den Bericht ja unterschreiben - gesagt: Ich bin einverstanden, daß das so erscheint, dann aber bitte mit ausführlicher Wiedergabe der Begründung für die Ablehnung der Anträge durch die Koalitionsparteien. Wenn man die Ablehnung der Anträge so zusammenhanglos dargestellt hätte, ohne mit einigen Worten die Gründe für die Ablehnung anzuführen, hätte sich eine schiefe Optik ergeben. Als Berichterstatter bin ich zur Objektivität verpflichtet.
({1})
Es ist dann eine Art Kompromißlösung gefunden worden. Einzelne Punkte wurden zusammen mit den Gründen, warum wir nicht zugestimmt haben, erwähnt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu der zweiten Säule dieses Konsolidierungsprogramms kommen: Das sind die Kreditaufnahmen. Ich wiederhole noch einmal: 1970 bis 1973 machten sie 2 °/o des Haushaltsvolumens, d. h. 2 Pfennig von jeder Mark, die der Bund ausgab, aus. 1975 betrug der Anteil 19 Pfennig von jeder Mark, und 1976 werden es wahrscheinlich 20 Pfennig von jeder Mark sein. Das muß man wissen, wenn man in Zukunft Ansprüche an den Staat anmelden will.
Ich muß hier jetzt erst einmal ein anderes Thema anschneiden. Das ist etwas für Sie als Propagandafachmann, Herr Haase. Die notwendige Schuldenpolitik, deren Ursachen ich hier begründet habe, ist ein Paradebeispiel für die CDU-Demagogie. Wir ver17056
schweigen die Tatsachen nicht, aber die CDU verdreht sie bis zur Unkenntlichkeit.
({2}) Ich habe hier ein Flugblatt der CDU.
({3})
- Meinen Sie denn, daß Sie, wenn Sie es aus privater Tasche zahlen, lügen können, wie Sie wollen?
({4})
- Ich werde es Ihnen gleich beweisen, Herr Haase.
({5})
In diesem Flugblatt steht: „Mit der CDU zum Wiederaufschwung". Es heißt dort weiter:
1969: Die Linkskoalition übernimmt von der Union ein stabiles und sicheres Deutschland.
({6})
- Diesen Satz habe ich nicht gemeint. Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Unser Land hat keine Schulden.
So steht es hier: „Unser Land" - das kann ja nur die Bundesrepublik sein - „hat keine Schulden."
({7})
- Was heißt hier 14 Milliarden DM? Ich habe die Zahlen hier. 1969 betrugen die Schulden aller öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik insgesamt 116 Milliarden DM. Ist das nichts, Herr Haase? Davon entfielen u. a. auf den Bund 45,2, auf die Länder 25,7, die Gemeinden 36,6; hinzu kommen die Bundesbahn mit 14,0 und die Bundespost mit 16,5 Milliarden DM.
({8})
- Herr Kollege Haase, ich muß Sie wirklich fragen, woher Sie den Mut nehmen, danach zu fragen, ob das keine Unwahrheit sei.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase ({0}) ?
Bitte.
Verehrter Herr Kollege Kirst, Sie wissen doch genau, daß es sich hier nur um die Neuverschuldung handelt. Wollen Sie denn die CDU/CSU-Regierungen noch mit dem Londoner Schuldenabkommen,
({0})
mit den Altschulden des Reiches belasten? Hier geht es doch um die Neuverschuldung.
Natürlich ist das die Neuverschuldung seit 1949.
({0})
Wir wissen ja, wie Sie Schulden machen mußten, auch in den Jahren vor 1969. Aber jedenfalls steht hier: „Unser Land hat keine Schulden." Das ist eine Lüge. Dabei bleibe ich. Sie sollten sich Ihre Propaganda ein bißchen besser überlegen.
({1})
Ich komme auch noch darauf, daß Sie überhaupt nicht rechnen können; das muß Ihnen ja auch peinlich sein.
({2})
Dann heißt es so schön weiter: „Die Tatsachen sprechen für die Union".
({3})
Wenn ich dieses Flugblatt sehe, dann kann ich nur sagen: Ihre Unwahrheiten sprechen gegen Sie.
({4})
- Ich habe Ihnen doch gesagt: Sie können nicht rechnen.
({5})
Herr Haase, seien Sie doch einmal so nett, die Zahlen zu addieren.
({6})
- Ich gehe davon aus, daß die Verfasser des Flugblatts noch nicht von den Segnungen der Mengenlehre betroffen waren. Die sind sicher alt genug, um richtig rechnen gelernt zu haben. Unter dieser Rechnung, die ja eine infame Addition von Äpfeln, Birnen, Kirschen und was es sonst an Obst gibt,
({7})
ist, steht, daß 519,2 Milliarden DM herauskommen sollen. Wenn Sie das jedoch addieren, was Sie da hingeschrieben haben, was aber auch zum Teil wieder nicht stimmt, dann kommen nur 504,2 Milliarden DM heraus. Also rechnen können Sie auch nicht.
Sie sagen, die Wirtschaftsschrumpfung von 1975 koste 46 Milliarden DM. Unstreitig ist, daß ein Rückgang von 3,6 % vorhanden war. Aber das Bruttosozialprodukt 1974 betrug 1 000 Milliarden DM. 3,6 % davon sind eben 36 Milliarden DM. Sie sprechen immer von Schludrigkeit. Hier haben Sie bewiesen, wie schludrig Sie mit Ihrem Wahlmaterial umgehen.
({8})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bülow?
Herr Kirst, sind Sie mit mir der Hoffnung, daß diese Propagandaschriften der CDU, nachdem der Abgeordnete Wohlrabe für den Geschäftsbedarf der Bundestagsabgeordneten je einen Taschenrechner in den Haushalt hat einstellen wollen, in Zukunft solider ausfallen werden?
({0})
Nur dann, verehrter Herr Kollege von Bülow, wenn dahinter nicht böse Absicht oder absolutes Unvermögen steht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf auf das Thema zurückkommen. Hier muß einmal gesagt werden, Herr Haase, wie Sie jenseits sonstiger Vokabeln in diesem Land Wahlkampf machen.
({0})
Wir haben auch noch eine dritte Lesung; da wird noch einiges andere dazu zu sagen sein.
Ich meine trotzdem, wiederholen zu sollen: Staatsschulden sind an sich nichts Schlechtes, wenn sich der Staat für die Finanzierung von Investitionen, die für viele Generationen bestimmt sind, jedenfalls einen Teil der Mittel über Kredite holt.
({1})
- Selbstverständlich, Herr Becker. Dann ist das auch für den Bürger besser, dies teilweise über den Kapitalmarkt statt über Steuern zu machen. Darin sind wir uns sicher einig.
Wir stoßen bei der Verschuldung auf Grenzen. Ich will sie stichwortartig wiederholen. Einmal ist es das Grundgesetz. Ich nenne die Höhe der investiven Ausgaben und den Kapitalmarkt insgesamt. Nebenbei: Die Bundesbank ist mit uns fest der Auffassung, daß es mit der Finanzierung des Bundeshaushalts und der anderen öffentlichen Haushalte über den Kapitalmarkt in diesem Jahr keine Schwierigkeiten geben wird. Weiter nenne ich die Zinsbelastung; Herr Kollege von Bülow hat das schon angesprochen.
Weil wir diese Verschuldung abbauen müssen, kommen wir - und damit komme ich zwangsläufig zur dritten Säule - zu den Steuererhöhungen, zu denen Sie sich offenbar melden wollen, Herr Kollege Becker.
Sie gestatten also eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Kirst, sind Sie mit mir der Auffassung, daß der Kapitalmarkt nur deswegen die öffentlichen Schulden praktisch verkraftet, weil die private Wirtschaft kaum mehr investiert?
Man kann von „kaum mehr" nicht sprechen. Es war zwar weniger, als wir alle wollten, aber weil wir erwarten, daß es in Zukunft mehr sein wird, wollen wir ja die Voraussetzungen dafür
schaffen, und zwar durch Entlastung des Kapitalmarkts seitens des Bundes.
Damit sind wir bei den Steuererhöhungen. Sie werden im einzelnen nachher noch von den Finanzpolitikern behandelt. Lassen Sie mich hierzu nur weniges sagen.
Der Finanzplan, den die Regierung mit dem Haushalt 1976 aufstellen mußte, zwang zu der Entscheidung von damals. Die Regierung war in Übereinstimmung mit den Koalitionsparteien gut beraten, der Bevölkerung hier reinen Wein einzuschenken und jetzt die Entscheidung zu verlangen. An den Daten hat sich trotz der revidierten Steuerschätzung von Ende März grundsätzlich nichts geändert. Meine Damen und Herren, man muß nämlich wissen, daß der Finanzplan ja schon von dem jetzt kommenden Aufschwung in etwa dieser Größenordnung ausgeht.
({0})
Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, jetzt folgendes sagen. Ich bestreite überhaupt nicht Ihr gutes Recht, als Opposition wider bessere Einsicht zu diesen Steuererhöhungen hier im Parlament nein zu sagen. Darum geht es auch gar nicht. Was wir aber bestreiten - und ganz entschieden bestreiten -, das ist das Recht Ihrer Parteifreunde, im Bundesrat abermals ihre dortige Mehrheit zu dieser Frage zu mißbrauchen.
({1})
- Dies, Herr Haase, wird doch noch seltsamer, wenn man weiß, daß etwa 30 % bei der Mehrwertsteuer den Ländern zufließen. Gerade die CDU-regierten Länder sind doch diejenigen, die diese Steuereinkommen am nötigsten brauchen.
({2})
Wenn Sie mal in den Einzelplan 60 hineinsehen, finden Sie die sogenannten Ergänzungszuweisungen an die finanzschwachen Länder als Minusposten bei der Mehrwertsteuer. Das sind 888 Millionen, das ist fast 1 Milliarde. Die gehen ausschließlich an CDU-regierte Länder; das muß man wissen, und das macht doch die Dinge etwas seltsam. Ich kann hier nur sagen: wer vom Bund Geld nimmt und ständig Geld fordert - und dies tun die Länder, die CDU-Länder voran, die anderen allerdings auch; aber die stimmen dafür auch zu -, wer also vom Bund Geld nimmt, ihm aber die Steuern verweigert, befolgt eine doppelte finanzpolitische Moral, die wir hier nicht akzeptieren können.
({3})
1977 wird ja die Neuverteilung kommen, die Gesetze laufen aus. Dann werden eben alle Länder dafür zu büßen haben, wenn die CDU-Länder nicht bereit sind, dem Bund zu geben, was des Bundes
ist, damit er den Ländern geben kann, was sie brauchen.
Ich will noch ein Wort zu dem Antrag 7/5157 sagen. Herr Althammer, wir sind hier ja nur noch um 2,3 Milliarden auseinander. Denn wir erhöhen selbst die Minderausgabe um 500 Millionen, weil wir bei der Bemessung der 2 Milliarden das im Hinterkopf hatten, daß das kommen muß. Nur, Sie werden mit uns einverstanden sein: das konnten wir in der damaligen tarifpolitischen Situation im öffentlichen Dienst nicht öffentlich vollziehen. Aber wir meinen, daß im übrigen der Haushalt, auch was Schätzansätze anlangt, nun so knapp ist, daß größere Einsparungen als diese 2 1/2 Milliarden nicht möglich sind. Das können natürlich ein paar hundert Millionen mehr sein, sicher, unbenommen, aber nicht das Doppelte von dem. Da teile ich Ihre Auffassung nicht. Zumal ja diese 2 1/2 Milliarden nur der Saldo aus Einsparungen und noch nicht absehbaren Risiken sein werden, die ja auch immer eintreten. Wir können deshalb Ihrem Antrag in diesem Punkt auch nicht zustimmen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Die Finanzpolitik von 1970 bis 1976 war wechselvoll, weil sie wechselnden Bedingungen unterlag und gerecht werden mußte. Sie war kontinuierlich in ihrer Solidität.
({4})
Die FDP kann daher wie in den vergangenen Jahren den Einzelplänen 08, 32 und 60 zustimmen. Die Zustimmung der FDP zur Steuererhöhung erfolgt ausdrücklich mit der Zielsetzung der Umfinanzierung des jetzigen Staatsanteils am Bruttosozialprodukt, aber nicht seiner Ausweitung.
({5})
Das möchte ich hier mit aller Deutlichkeit sagen.
Regierung und Koalition haben, weil sie eben eine sozialliberale Koalition sind und nicht eine andere, unter schwierigsten Umständen bewiesen, daß sie mit Geld umgehen können.
({6})
Die finanzpolitische Alternative der Opposition - ich habe ein kleines Beispiel hier heute geben können - war: Demagogie, Angstmacherei und Unwahrheit. Wir bedauern das. Wir würden uns lieber sachlich mit Ihnen auseinandersetzen. Die CDU/ CSU hat ({7})
und ich füge hinzu: man kann das staatspolitisch bedauern, aber man darf es nicht verschweigen - die Reife zur Rückversetzung in den Regierungsstand noch nicht erreicht.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Apel.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute den letzten Haushaltsplan vor den Bundestagswahlen. Dieser Haushaltsplan ist, wie jeder Haushaltsplan, ein Dokument unserer politischen Absichten in diesem Jahre. Über den Finanzplan machen wir auch die sozialliberale Perspektive unserer Politik in den nächsten Jahren sichtbar.
Gleichzeitig ist dieser Haushaltsplan auch der letzte Baustein der Finanzpolitik nicht nur dieser Legislaturperiode, sondern der Finanzpolitik der sozialliberalen Koalition seit 1970. Wenn wir uns diese Periode seit 1970 anschauen, dann stellen wir fest, daß die Finanzpolitik in diesen sechs Jahren in einer Weise vor Herausforderungen gestellt worden ist, die es vorher noch nie gegeben hat.
In der ersten Phase ging es darum, die weltweit ausgebrochene Inflation so gut es ging von unserem Land fernzuhalten. In einer zweiten Phase ging es darum, die Weltrezession zu bekämpfen und mit unseren Partnern zu überwinden. In einer dritten Phase geht es schließlich darum, nun die Haushaltsdefizite abzubauen. Uns wird national wie international bescheinigt, daß die Finanzpolitik und die mit ihr verbundene Währungspolitik diese vielfäftigen Herausforderungen an unser Land, an unsere Politik bestanden hat;
({0})
denn noch niemals haben wir in dieser Breite und in dieser Konsequenz unser finanzpolitisches, unser währungspolitisches Instrumentarium eingesetzt, haben es in enger Koordination mit den Maßnahmen der deutschen Bundesbank wirksam gemacht und haben uns an den gesamtwirtschaftlichen Zielen orientiert.
Lassen Sie mich mit der Phase eins, mit der Bekämpfung der Weltinflation beginnen. Hier muß, glaube ich, mit einer Legende aufgeräumt werden - Herr Kollege Dr. von Bülow hat das bereits getan -, als hätten wir nämlich im Jahre 1969 von Ihnen ein heiles währungspolitisches Modell übernommen. Tatsache ist doch - das ist eben auch von Herrn Kirst angesprochen worden -, daß Sie sich aus Dogmatik, Unverstand, Uneinsichtigkeit dagegen gesperrt haben, rechtzeitig Währungsrelationen zu verändern, die das Überschwappen der weltweiten Inflation in unser Land verhindert hätten.
({1})
Hier tragen Sie ein hohes Maß an Schuld für spätere Probleme. Das Modell, das Sie uns, wie Herr Barzel meinte, störungsfrei und heil übergeben haben, war eben durch die Uneinsichtigkeit des Kanzlers Kiesinger und des Finanzministers Strauß schwer beschädigt.
({2})
In den folgenden Jahren haben wir durch die Anstrengung sozialdemokratischer Finanzminister immer wieder versucht, die Inflation, die in unser
Land hineinschwappen wollte, über Wechselkurskorrekturen von uns fernzuhalten. Wir haben immer wieder versucht zu vermeiden, daß es zu einem Auseinanderbrechen des Bretton-Woods-Systems, des Systems fester Wechselkurse, kommt. Aber am Ende, im März 1973, standen wir vor der Notwendigkeit, die Wechselkurse freizugeben. Seit dieser Zeit haben wir die nationale Bewegungsfreiheit, um die Inflation in unserem Lande erfolgreich zu bekämpfen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Fußnote machen. Diese Freigabe der Wechselkurse im März 1973 ist Gott sei Dank durch die Beschlüsse von Kingston auf der Insel Jamaika zu Beginn dieses Jahres insoweit korrigiert worden, als es dank der Arbeit der Finanzminister der wichtigsten Industrienationen, aber auch dank der Mithilfe der Regierungschefs bei der Konferenz in Rambouillet, möglich gewesen ist, zu einer neuen Weltwährungsordnung zu kommen.
Wir haben dann im Jahre 1973 mit all unserer Kraft die Inflationstendenzen, die in unser Land hineingeschwemmt waren, bekämpft und, soweit es ging, reduziert. Wir haben eine erfolgreiche Inflationsbekämpfung in der Marktwirtschaft praktiziert. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur an die Maßnahmen erinnern: an den Schuldendeckel, den wir Bund, Ländern und Gemeinden aufoktroyiert haben, an die Einführung einer Investitionssteuer, einer Stabilitätsabgabe, an die Aussetzung der degressiven Abschreibung und des § 7 b, die begleitende Aktion der Deutschen Bundesbank, die Stilllegung einer Stabilitätsanleihe und die Stillegung der Mittel der Rentenversicherung. Der Bund hat diese Aktionen im engeren Bereich der Fiskalpolitik, der Haushaltspolitik durch Stillegung von Steuereinnahmen begleitet. Bund und Länder haben bis 1973 11 Milliarden DM stillgelegt. Wir haben uns dieses Polster zugelegt, das uns gut angestanden hat, um dann die Konjunkturprogramme in den Jahren 1974 und 1975 zu finanzieren.
Aber ich möchte gerne diese ersten vier Jahre sozialliberaler Finanzpolitik auch noch einmal unter einem anderen Gesichtspunkt anleuchten, nämlich unter dem Gesichtspunkt, ob wir denn, wie uns immer aus Kreisen der Opposition entgegenklingt, über unsere Verhältnisse gelebt haben. Herr Kirsti hat soeben deutlich gemacht, daß wir unsere Ausgaben nur zu 2 °/o über Neuverschuldung in diesen vier Jahren gedeckt haben. In Zahlen sieht das so aus: Unsere Nettokreditaufnahme in vier Jahren betrug 9 Milliarden DM. Wir haben 6,1 Milliarden DM stillgelegt. Das heißt, in vier Jahren betrug unsere Neuverschuldung ganze 3 Milliarden DM.
Auch hier stimmt das Bild von der „heilen Welt", die nach den Worten von Herrn Barzel 1969 geherrscht haben soll, nicht. Ich will Ihnen die Zahlen vortragen, damit Sie, meine Damen und Herren, sift, selbst ein Bild machen können. Die Bundesschulden betrugen, gemessen am Bruttosozialprodukt - das ist ja wohl der richtige Maßstab -, im Jahre 1967 zur Zeit des Finanzministers Strauß 8,2 °/o, 1968 8,5 %, 1969 7,5 %, 1970 7,0 °/o, 1971 und 1972 jeweils 6,5 °/o und 1973 6,2 °/o. Das heißt, in diesen
ersten vier Jahren solider Finanzpolitik der sozialliberalen Koalition hat diese sozialliberale Koalition die Schulden, die unter einem Finanzminister Strauß gemacht werden mußten - ich werfe es ihm gar nicht vor; das war zur Bekämpfung der damaligen Rezession notwendig -, abgebaut. Dies ist die Wahrheit, und dies ist die „heile Welt", nicht die, welche Sie darstellen wollen.
({3})
Diese Zahlen machen aber noch ein Weiteres deutlich, nämlich daß das Gerede, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt, die Reformpolitik der Sozialliberalen sei über die Ufer geschwappt, weil man die finanziellen Möglichkeiten nicht gesehen habe, falsch ist. Tatsache ist, daß wir in dieser Zeit alles, was wir beschlossen haben - das meiste doch mit Ihrer Zustimmung -, haben finanzieren können, ohne in den Kredit ausweichen zu müssen.
Nun kommt allerdings die Phase zwei der Finanzpolitik, und das ist die Phase, die durch den Ölpreisschock, durch massive Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft, dadurch, daß viele Länder in Schwierigkeiten kamen, ihre Ölrechnung zu bezahlen, daß die Weltwirtschaft, im Jahre 1974 beginnend, aber insbesondere im Jahre 1975, in eine Rezession hineinlief, ausgelöst wurde. Hier habe ich in der Debatte Töne gehört, dieses sei national gemacht, diese Rezession sei eine hausgemachte. Ich werde Sie jetzt mit den Aussagen der Fachleute konfrontieren.
({4})
Die Bundesbank sagt in ihrem Jahresbericht 1975:
Den Ausschlag für die schwache Absatzentwicklung gab, daß die Nachfrage des Auslands nach deutschen Produkten im Zuge der weltweiten Wirtschaftsflaute stark zurückging.
Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute am 16. Oktober 1975:
Den Ausschlag für die Stärke des Abschwungs hatte der dramatische Rückgang der Auslandsnachfrage im Winterhalbjahr 1974/75 gegeben.
Ich habe hier eine ganze Reihe weiterer Zitate. Diese beiden Zitate beweisen bereits, woher auch im Bereich der Finanzpolitik die Probleme kommen.
Die Bundesregierung handelt sofort. 1974 werden drei öffentliche Investitionsprogramme mit einem Volumen von 4 Milliarden DM öffentliche Aufträge, dazu die Investitionszulage, die im Gegensatz zur Meinung der Opposition sehr wirksam war, in die Wege geleitet. Damit stellen wir uns gegen den aus der Weltrezession plötzlich über die deutsche Volkswirtschaft hereinbrechenden Abschwung.
Die eigentliche Bewährung kommt dann für den Haushalt 1975, denn das Defizit des Haushalts 1974 mit 9,5 Milliarden DM zeigt zwar bereits an, wie die Weltrezession in unsere Finanzpolitik hineinwirkt, aber das eigentliche Problem, die eigentliche Bewährungsprobe kommt im Haushalt 1975. Dieser Haushaltsplan, den wir inzwischen abgerechnet haben, der inzwischen zur Begutachtung
17060 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Bundesminister Dr. Apel
vorliegt, hatte vier schwere und teilweise widersprüchliche Aufgaben zu bewältigen. Er mußte die Expansion fördern, er mußte die Finanzierung des Erhalts des sozialen Netzes möglich machen, er mußte die internationale Solidarität der Bundesrepublik mit ihren Nachbarn möglich machen, und er mußte schließlich die Konsolidierung der Staatsfinanzen einleiten.
Lassen Sie mich mit den expansiven Maßnahmen beginnen. Zu diesen expansiven Maßnahmen gehört zweifelsohne die Steuerreform. Der große Erfolg der Steuerreform ist heute allgemein anerkannt. Das heißt nicht, meine Damen und Herren, daß nicht trotz der Tatsache, daß alle politisch relevanten Kräfte in diesem Hause der Steuerreform zugestimmt haben, in dieser Steuerreform Unebenheiten sind. Aber der politische Erfolg, der große Erfolg, das, was sich die Sozialliberalen vorgenommen hatten, hat sich durchgesetzt.
({5})
Wenn die typische Arbeitnehmerfamilie mit zwei Kindern bis zum Ende des Monats April, zum Ende des letzten Monats also, 1 700 DM mehr in der Tasche gehabt hat, 1 700 DM weniger an Steuern gezahlt hat oder mehr vom Staat zurückbekommen hat, dann ist dies ein Wort, dies ist nämlich ein Nettomonatslohn, der auf diese Art und Weise zurückgegeben wurde.
({6})
Im übrigen - und darüber ist genügend gesprochen worden - erklärt sich natürlich auch aus dieser Steuerreform, daß in der Tat die Steuerlastquote heute auf einem Niveau liegt - das haben Sie bereits gesagt, Herr Kollege von Bülow -, das dem des Jahres 1952 entspricht.
Ich möchte bei diesem Punkt die Debatte über die Staatsquote nicht allzusehr ausweiten. Hier ist von dem Kollegen Kirst und von dem Kollegen von Bülow fast alles gesagt worden. Eines muß ich aber hinzufügen: Der Steueranteil, insbesondere der Anteil des Bundes am Gesamtsteueraufkommen, war konstant. Wenn die Staatsquote gestiegen ist, dann liegt der Grund dafür im Bereich der Sozialaufwendungen. Hier muß ich dann die Frage stellen, wenn wir das kritisch debattieren wollen, ob es eigentlich so intelligent wäre ich bin der Meinung: nein -, den Bürgern einzureden, man könne die Krankenversicherungskosten wesentlich reduzieren, ohne den Bürgern zu sagen, daß dann für sie die Gefahr besteht, daß die Krankenversicherung schlechter wird, daß die Leistungen geringer werden und daß ihre Sicherung abnimmt. Auch dies gehört also zu dem Bild.
({7})
Das bedeutet nicht, daß hierüber nicht neu nachgedacht werden muß. Dazu wird sicher in der Debatte über andere Etats etwas gesagt werden. Hierher gehört diese Diskussion nur bedingt.
Eine weitere Bemerkung. Der Herr Kollege Althammer hat sich über das Absinken der Investitionsquote beklagt. Es stimmt: Die Investitionsquote beim Bund geht zurück. Sie bleibt in diesem Jahr konstant, und zwar auf Grund der Konjunkturprogramme, die mitzählen und mitwirken; und sie wird in den nächsten Jahren rückläufig sein. Der Herr Kollege von Bülow hat dargelegt, wie dies zu erklären ist und daß der, der Hochschulen baut, auch die dazu gehörenden Hochschullehrer wollen muß. Ich möchte Sie auf einen ganz anderen Aspekt aufmerksam machen. Beim Bund ist von 1974 auf 1976, wie sich die Zahlen heute darstellen, die Investitionsquote von 16,0 °/o Anteil der Investitionen an den Bundesausgaben auf 13,7 zurückgegangen. Das ist ein Rückgang um 2,3 Prozentpunkte. Bei den Ländern ist es ein Rückgang von 22,8 auf 21,0, also um 1,8 Prozentpunkte.
({8})
- Was das soll, Herr Kollege? Ich will deutlich machen: wenn wir uns in diesem Kreise strittig und kritisch darüber unterhalten, ob die Investitionsquote nicht höher sein müßte - es sind Anmerkungen gemacht worden, warum dies nur bedingt möglich ist -, sollten wir nicht so tun, als sei das von Ihnen kritisierte Absinken der Investitionsquote ein Problem des Bundes. Es ist ein Problem aller Gebietskörperschaften und in einem sehr viel stärkeren Maß ein Problem der Länder und der Gemeinden als des Bundes. Denn bei den Ländern und Gemeinden treten genau die gleichen Probleme auf: eine gewisse Sättigung des Investitionsbedarfs,
({9})
eine gewisse Notwendigkeit, die Nachfolgekosten über Personalausgaben und konsumtive Ausgaben nun erst einmal zu verdauen, und natürlich auch bei den Ländern unübersehbare finanzielle Schwierigkeiten.
Wir haben im übrigen nicht nur über die Steuerreform, sondern über ein neues Konjunkturprogramm in Höhe von 5 Milliarden DM im August 1975 die Konjunktur angeschoben. Wir können heute feststellen, daß die expansiven Maßnahmen der Bundesregierung über fünf Konjunkturprogramme und über die Steuerreform mehrere 10 Milliarden DM - ich schätze: rund 35 Milliarden DM - in Bewegung gesetzt haben und eine wesentliche Voraussetzung für den Aufschwung waren.
({10})
Zweitens. Wir haben mit Zuweisungen an die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 7,3 Milliarden DM allein im Jahre 1975 den Erhalt des sozialen Netzes möglich gemacht.
Drittens. Wir haben über die Europaanleihe, die die Bundesrepublik bis zu 44 % mitverbürgt, über Währungsbeistände, die die Bundesbank gibt über die Ölfazilität des Währungsfonds, die die Bundesbank zu einem hohen Maß aus deutschen Devisenreserven mitfinanziert, und über das Sicherhertsnetz der Organisation der europäischen westlichen Industrienationen - OECD genannt - einen wesentlichen Beitrag geleistet, um auch internetional die Konjunkturpolitik zu damit unserem Export Chancen zu gelBundesminister Dr. Apel
Viertens. Schließlich haben wir 1975 die Konsolidierung der Staatsfinanzen über das Haushaltsstrukturgesetz eingeleitet. Diese Operation war übrigens sehr schwierig. Denn Sie von der Opposition sind ja nur sehr begrenzt und erst nach großen Schwierigkeiten bereit gewesen, bei dieser Operation mitzumachen.
Ich möchte abschließend zu diesem Jahr 1975 einige Urteile von unabhängigen Sachverständigen über diese Konjunkturpolitik hier vortragen, damit deutlich wird, daß wir uns in unserem positiven Urteil über die Finanzpolitik des letzten Jahres auf einen breiten Konsensus der Experten abstützen können.
Der Sachverständigenrat meinte im August 1975:
Die Finanzpolitik war von vornherein darauf gerichtet, die Wirtschaft auf breiter Front zu stützen. Allein die Steuerreform zum 1. Januar 1975 entlastet die Privaten in diesem Jahr um mindestens 16 Milliarden DM. Um die in den Haushalten angelegten expansiven Impulse zu verstärken, beschloß die Bundesregierung noch vor Jahreswende ein zusätzliches Expansionsprogramm. Zudem waren Bund und Länder bestrebt, ihre Investitionsvorhaben für 1975 in die erste Jahreshälfte vorzuziehen. Angesichts der Größe des unvorhergesehenen und von außen bestimmten Nachfrageausfalls muß sogar gefragt werden,
- dies ist eine kritische Frage an unsere Adresse ob nicht frühzeitiger eine Aufstockung der staatlichen Ausgabenprogramme angezeigt gewesen wäre. Man muß jedoch sehen: Voll kompensieren kann und darf auch eine flexible Finanzpolitik die große Nachfragelücke nicht.
Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute schrieben am 16. Oktober 1975:
Mit den bisherigen Entscheidungen in der Finanzpolitik sind der konjunkturellen Entwicklung für 1976 Impulse gegeben worden, vor allem durch die Investitionszulage und das Konjunkturprogramm im August.
Schließlich ein letztes Zitat vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung - dies ist ein Zitat für 1976 -:
Die Finanzpolitik sollte ihre Bemühungen um den Abbau der Finanzierungsdefizite mit dem konjunkturellen Erholungsprozeß abstimmen. Der Staat muß also auf eine zu rasche Verringerung dieser Defizite verzichten, die den Aufschwung gefährden würde.
Meine Damen und Herren, hohes Lob spendet unserer Politik der Jahresbericht der unabhängigen Bundesbank. Die Bundesbank sagt in ihrem Jahresbericht auf Seite 22:
Dieser enorme expansive Swing im Bundeshaushalt hat sicherlich wesentlich dazu beigetragen, den Konjunkturabschwung zu bremsen und gegen die Mitte des Jahres 1975 die konjunkturelle Wende herbeizuführen.
Ein zweites Zitat:
Die Ausweitung des Staatsdefizits im Jahre 1975 entsprach der konjunkturellen Lage. Jedenfalls hätte eine geringere Erhöhung des Defizits die wirtschaftliche Erholung verzögert.
Ein letztes Zitat:
Die Entscheidung der Finanzpolitik, auf dem Tiefpunkt des Zyklus ein mittelfristiges finanzpolitisches Sanierungsprogramm mit Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen zu verkünden, war zwingend notwendig.
Was sagt zu all diesem, zu dieser Politik, zu dieser Anerkennung der Sachverständigen, der Forschungsinstitute, der Deutschen Bundesbank, die Opposition? Der CDU-Pressedienst sagte dazu am 22. Oktober 1975: „Steuergelder wurden ohne wesentlichen volkswirtschaftlichen Effekt verpulvert."
({11})
Herr Strauß nannte diese antizyklische Haushaltspolitik des Jahres 1975 am 5. November 1975 „hinausgeworfenes Geld". Herr Althammer nannte am 9. April 1976 diese Politik eine „Bilanz des Versagens". Herr Kohl darf in diesem Konzert auch nicht fehlen; er sprach von „unerträglicher Verschuldenspolitik".
Diese Ihre Feststellungen, meine Damen und Herren von der Opposition, stehen in krassem Gegensatz zur Meinung aller Experten in unserem Lande, vor allem in krassem Gegensatz zum eingetretenen Erfolg. Dies wollen wir einmal festhalten.
({12})
Insofern bleibt doch richtig, was der Bundeskanzler am ersten Tag dieser Debatte sagte. Er hat nämlich gesagt, er sei davon überzeugt, daß Sie sich in der Nähe einer Deflationspolitik bewegten, die nach Brüningschem Vorbild Arbeitslosigkeit eher erhöhhen als abbauen würde.
({13})
Es kann aber auch sein, meine Damen und Herren, daß hier nichts weiter als Unwissenheit am Werke ist. Denn Sie sollten wissen - darauf hat Herr Kollege von Bülow aufmerksam gemacht -, daß alle unsere Nachbarn eine entsprechende antizyklische Haushaltspolitik im Jahre 1975 zur Überwindung der weltweiten Rezession gemacht haben. Wollen Sie dieses eigentlich verkennen? Oder wollen Sie verkennen, daß dem Defizit des Bundes, im Jahre 1973 2,9 Milliarden DM, 1975 29 Milliarden DM, bei den Ländern entsprechend gestiegene Defizite gegenüberstehen, daß Ihre christdemokratisch regierten Bundesländer in gleichem Maße Haushaltsdefizite hinnehmen mußten und, wie ich hinzufüge, Gott sei Dank hingenommen haben?
Ich kann zu diesem Abschnitt nur sagen: Ihnen fehlt die Konzeption, Sie ersetzen diese Konzeption in Ermangelung einer Alternative durch destruktive Demagogik.
({14})
Mich verwundert im übrigen diese Haltung; denn wenn ich mir die Beschlußfassungen in diesem Hause zu den einzelnen Konjunkturprogrammen, zur Steuerreform, wesentliche Elemente der Ausgabenpolitik des Bundes, angucke, so ist festzustellen, daß Sie, wenn auch nach langem Wenn und Aber und Zögern, am Ende zugestimmt haben. Warum wollen Sie sich denn nicht dazu bekennen, daß wir diese Politik gemeinsam beschlossen und mit Erfolg durchgesetzt haben?
({15})
Wir sind jetzt in der dritten Phase unserer Finanzpolitik. Ich möchte dazu eine Vorbemerkung machen und das Defizit des Haushalts 1976, wie es sich jetzt nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses abzeichnet, analysieren. Dieses Defizit wird nach dem Vorschlag des Haushaltsausschusses 32,7 Milliarden DM betragen. In diesem Defizit sind enthalten: 17,5 Milliarden DM konjunkturbedingte Mindereinnahmen des Bundes auf Grund einer 18monatigen Weltrezession, 4,5 Milliarden DM Zahlungen an die Bundesanstalt für Arbeit und eine unzureichende Beteiligung der Länder an den Konsequenzen der Steuerreform in einer Größenordnung von mindestens 2,5 Milliarden DM. Das heißt, der Bund hätte ohne diese Entwicklung ein fiktives Defizit von 8 Milliarden DM.
Gerade wenn ich von 17,5 Milliarden DM konjunkturbedingter Mindereinnahmen spreche, könnte das den Schluß nahelegen, daß Einnahmeverbesserungen nicht notwendig sind; denn mit Anspringen der Konjunktur müßte sich dieses wieder ausgleichen. Ich muß vor diesem Fehlschuß warnen. Die Steuerschätzer haben uns auf Grund der Verbesserung der konjunkturellen Lage in diesem Jahr beim Bund 1,4 Milliarden DM mehr prognostiziert. Diesen Steuermehreinnahmen stehen allein für 1976 Mehrausgaben gegenüber: beim Personal rund 500 Millionen DM, für die Europäische Gemeinschaft einige hundert Millionen DM, noch nicht genau abschätzbar, für das Sofortprogramm Jugendarbeitslosigkeit 300 Millionen DM, für den von uns beschlossenen Verlustrücktrag 300 Millionen DM und für die Bekämpfung der Sturmflutschäden rund 200 Millionen DM. Wenn Sie diese Zahlen addieren, wird Ihnen deutlich, daß auf Grund des Aufschwungs eine Entlastung für den Bundeshaushalt 1977 nicht kommt.
Das Haushaltsdefizit ist nicht Konsequenz - dies habe ich dargestellt - eines Über-die-VerhältnisseLebens, das Haushaltsdefizit ist diese Konsequenz von 18 Monaten Weltrezession, und wir müssen dieses beim Bund, bei den Ländern und den Gemeinden abbauen.
Nun hat die Opposition sehr großspurig in den letzten Monaten vom Sparen geredet. Die Opposition hat uns vorgetragen, sie würde dafür sorgen, daß durch Kürzungen bei den Einnahmen das, was im Etat fehlt, auch ohne Mehrwertsteueranhebung hereinkommt.
({16})
- Durch Ausgabenkürzungen. Lassen Sie mich dazu einiges an Zitaten vortragen.
Der Vorsitzende der christdemokratischen Fraktion am 17. September 1975 im Deutschen Bundestag:
Wir
- das ist die Fraktion der CDU/CSU
haben jetzt den Beschluß gefaßt, sämtliche von uns eingebrachten finanzwirksamen Gesetzesinitiativen zurückzuziehen.
Beschluß der CDU/CSU-Fraktion am 21. Oktober 1975, also einen Monat später: Vorlage eines Sofortprogramms zur Reduzierung der Steuerlast für die Unternehmen; hier neben dem Verlustrücktrag, den wir gemacht haben, Verbesserung der degressiven Abschreibung und eine zeitlich begrenzte Wiedereinführung der Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Sonderausgaben. Ich rede jetzt nicht von Ihrem mittelfristigen Programm. Herr Müller-Hermann sagte am 21. Oktober 1975, dies würde 2 Milliarden DM kosten; nach unseren Rechnungen kostet es mindestens 3 Milliarden DM.
Herr Jenninger sagte am 6. Dezember 1975:
Die Opposition ist vor die Frage gestellt, wie sie mittelfristig eine Sanierung der Staatsfinanzen bewirken will. Hierzu werden wir im nächsten Jahr konkrete Vorschläge machen, wenn wir uns dem Wähler stellen.
Und schließlich sagte Herr Wörner - dieses
Zitat ist bereits hier eingeführt worden - am 12. Januar im Südwestfunk:
Der Sicherheitspolitik muß ein höherer Rang zugemessen werden, und daher haben wir uns zu der Aussage durchgerungen, daß die Verteidigungsausgaben jährlich eine reale, d. h. über die Preissteigerungsraten hinausgehende Steigegerung haben müssen.
Meine Damen und Herren, diesen sehr großspurigen Ankündigungen, im Laufe der Haushaltsdebatte - heute und in den nächsten Tagen ist ja die Stunde der Wahrheit - würden Sie Sparvorschäge in der Größenordnung von Milliarden machen, um Ihren Beitrag zur Debatte über die Konsolidierung der Staatsfinanzen zu leisten, sind leider keine Taten gefolgt.
({17})
Sie wollen die globale Minderausgabe, die sowieso ein sehr zweifelhaftes Instrument ist, noch einmal wesentlich erhöhen. Das bedeutet doch mit anderen Worten folgendes: Sie sagen „Reduzierung der Ausgaben", und die Regierung möge dann sagen, wo gespart werden soll. Sie können dann anschließend eben diese Regierung anprangern wegen ihrer Sparpolitik. Das ist keine solide Politik, das ist Ausweichen aus der Verantwortung, die Sie in diesem Hause mittragen.
({18})
Sie haben ferner vorgeschlagen, die Subventionen um 5 % zu kürzen. Herr Kirst hat dazu Bemerkungen gemacht. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, daß, als es um die Kürzung der Subventionen
in einem Wirtschaftsbereich ging, Sie es waren, die sich beim Haushaltsstrukturgesetz so lange quergelegt haben, bis eine Einsparung in Höhe von 1 Milliarde DM verhindert war.
({19})
- Sie haben anscheinend nur falsche Wirtschaftszweige. Das ist das Problem.
({20})
Eines kann ich nicht stehenlassen: die Behauptung, die Bundesregierung habe für den Abbau der Subventionen nichts getan. Von 1973 bis 1975 - dies können Sie im Subventionsbericht nachlesen - haben wir Subventionen, sowohl steuerliche Subventionen wie direkte Zuweisungen, um 3,5 Milliarden DM abgebaut. Von 1976 bis 1979 wird es einen weiteren Abbau, nicht zuletzt auf Grund des Haushaltsstrukturgesetzes, um 2,6 Milliarden DM geben. Die Zuwachsrate der Subventionen wird also stark abgeflacht und deutlich unter dem allgemeinen Haushaltszuwachs liegen.
Dann haben Sie - dies wurde ja auch von Herrn Althammer hier vorgetragen - einige Propagandaanträge zu Kürzungen gestellt, Kleinkram, über den zu reden sich eigentlich nicht lohnt, oder aber, was ich noch bedenklicher finde, Sie haben Anträge gestellt, die dem Bund überhaupt kein Geld bringen. Wenn Sie sich nämlich für eine andere Organisation der Kfz-Steuererfassung aussprechen - dafür bin ich sehr zu haben; auch mir mißfällt das gegenwärtige System; ich hoffe, daß sich die Bundesseite demnächst mit den Landesfinanzministern einigt -, wenn Sie dies als Kürzung anbringen, dann sollten Sie wissen, daß die Personalersparnis, die hier eintritt, bei den Landesfinanzverwaltungen und nicht beim Bund eintritt. Dies mag auch gut sein, aber kann nicht als Sanierungsvorschlag für den Bundeshaushalt hier vorgetragen werden. Es stimmt einfach nicht.
({21})
Schließlich wollen Sie Schätzansätze kürzen. Nun, dies kann man beliebig tun. Man kann beschließen, wir schätzen einmal 3 Milliarden DM weniger Ausgaben für das Kindergeld. Dann sieht das im Bundeshaushalt optisch zwar hervorragend aus, nur ist es reine Augenwischerei.
({22})
Wir haben die Sätze jetzt so angesetzt, daß sie stimmen
({23})
und daß das, was ausgegeben werden muß, auch tatsächlich im Haushalt steht.
({24})
Schätzansätze zu kürzen, hochverehrter Herr Althammer,
({25})
ist keine Politik, weil am Ende des Jahres geleistet werden muß.
({26})
Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn man dies alles gemacht hätte - Propagandaanträge, dies, das und jenes -, dann hätten wir - wir haben das einmal genau durchgerechnet - 100, 200, vielleicht 300 Millionen DM gespart. Und mit diesen geborenen Mäuslein, mit denen der CDU-Berg nun seit Monaten kreißt, wollen Sie einen Beitrag zur Spardebatte in unserem Lande leisten! Dies ist mehr als lachhaft.
({27})
Meine Damen und Herren, es mag sein, daß der Herr Kollege Strauß diese Lücke gespürt hat. Deswegen hat er ja auch auf der Tagung des Instituts Finanzen und Steuern am 7. April 1974 sehr breit über die Haushaltssanierung gesprochen. Ich habe mir diese Rede sehr genau angeschaut,
({28})
weil ich dachte, ich könnte vielleicht
({29}) aus dieser Rede Gewinn ziehen.
({30})
Aber, meine Damen und Herren, ich bin sehr enttäuscht worden.
({31})
Denn: Was steht denn drin? Gucken wir uns das einmal chronologisch an und ziehen wir dann am Ende eine Schlußfolgerung! Für die Bundesbahn, so Herr Kollege Strauß, sollten jährlich 3 bis 4 Milliarden DM mehr etatisiert werden. Die Umsatzsteuererhöhung ist zu verhindern. In einem Sofortprogramm - dies habe ich bereits dargestellt - sollen rund 3 Milliarden DM an Steuererleichterungen für die deutschen Unternehmen gegeben werden. Wenn ich dies zusammenrechne, dann sind es 14 Milliarden DM, die in einem ersten Ansatz von Herrn Strauß weggegeben werden sollen, die also eine Finanzierungslücke des Bundeshaushaltes aufreißen würden.
Und nun kommt Herr Strauß zu der Frage, wie er denn nun eigentlich das sowieso zu hohe Defizit - nach seiner Meinung zu hohe Defizit, und es ist hoch - und diese 14 Milliarden DM, die er nun noch zusätzlich weggeben will, decken will. Wenn man nun diese Rede weiterliest, dann stellt man fest, daß Herr Strauß zuerst an den öffentlichen Dienst denkt. Den öffentlichen Dienst will er abschmelzen. In dem öffentlichen Dienst - davon hat ja auch Herr Althammer geredet - soll weiter gekürzt werden.
Nun muß ich eine Vorbemerkung machen. Selbst, Herr Kollege Althammer, wenn Sie alle offenen Stellen, die in der Bundesverwaltung wegen Anpassung und Übergängen zwangsläufig vorhanden
17064 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 242. Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 13. Mai 1976
sind, herausstreichen würden, würden Sie null Mark sparen, weil nämlich auf diesen offenen Stellen niemand sitzt, der Geld erhält.
({32})
Aber unabhängig davon muß ich mich nun als Finanzminister vor die öffentlich Bediensteten in diesem Lande stellen und es zurückweisen,
({33})
daß die Opposition den öffentlichen Dienst immer wieder zum Prügelknaben der Finanznot machen will.
({34})
Denn Sie konzentrieren diese Debatte ununterbrochen auf diesen Punkt.
({35})
Im übrigen haben meine Kollegen Vorredner von der Koalition deutlich gemacht, daß der Bund an den Zuwachsraten der Personalentwicklung so gut wie überhaupt nicht beteiligt ist. Dies ist Ländersache. 75 °/o des Mehr an Personal sind Lehrer, Beamte im Gesundheitswesen und bei der Polizei. Und hier müssen Sie, wenn Sie über den öffentlichen Dienst lamentieren, an Ihre Länder und deren Bürger die Frage stellen, ob nicht dies im Interesse unserer Bürger geradezu notwendig ist. Sie können sich nicht - wie der Herr Dregger - an einem Tage hinstellen und über mangelnde innere Sicherheit lamentieren und am nächsten Tage genau diese mangelnde innere Sicherheit herstellen wollen, indem Sie Personalabbau in diesen Bereichen mitfordern.
({36})
Herr Strauß kommt dann zu einem zweiten Punkt. Er sagt, er wolle die Gesetzgebung vereinfachen, um damit Geld zu sparen. Nun, meine Damen und Herren, dies ist ein hehres Ziel, uns allen aufgegeben. Nur, es bringt im Haushaltsjahr 1977 sicherlich kaum eine einzige Mark.
({37})
Schließlich - das ist der dritte Punkt, und der ist ja nicht uninteressant - fragt Herr Strauß, ob nach der Steuerreform und nach dem Haushaltsstrukturgesetz die Sparförderung noch zeitgemäß sei,
({38})
- in diesem Ausmaß zeitgemäß sei. Gut, ich nehme dies gern zur Kenntnis. Nur, Herr Kollege Strauß, nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Selbst dann, wenn wir die Sparförderung heute auf Null schrieben - dies wollen Sie nicht; das nehme ich zur Kenntnis -, selbst wenn Sie sie reduzierten und -wie Sie eben durch einen Zwischenruf deutlich gemacht haben - nicht in diesem Ausmaß beibehalten wollten, würden Sie im Etatjahr 1977 wiederum nichts sparen. Sie als früherer Finanzminister sollten wissen, daß die Sparprämien erst am Ende des Sparzeitraums, also nach fünf oder sechs Jahren, ausgezahlt werden und erst dann den Etat belasten, so daß dies eine Maßnahme wäre - die ich dazu auch gesellschaftspolitisch für falsch halte -, die 1977 überhaupt keine Entlastung bringt. Dies sollten Sie und Herr Stoltenberg eigentlich wissen, und Sie sollten deswegen nicht solche Vorschläge machen.
({39})
Und dann kommen Sie, Herr Kollege Strauß, zum Sozialbereich. Herr Kollege Althammer hat gesagt, man solle doch nun endlich einmal zur Kenntnis nehmen, was der Herr Strauß wirklich gesagt hat. Ich habe das getan; hier sind die Seiten 20 bis 21 Ihrer Rede im Institut Finanzen und Steuern. Herr Kollege Althammer hat nur die erste Hälfte des Absatzes zitiert, weil die zweite Hälfte etwas peinlicher ist. Da steht nämlich:
Die explosionsartige Kostenentwicklung in diesem Bereich wirft jedoch die Frage auf,
- wirft die Frage auf! -ob die Belastbarkeitsgrenze unserer Volkswirtschaft mit kollektiven Soziallasten
- mit kollektiven Soziallasten! -nicht bereits erreicht, wenn nicht gar überschritten ist.
({40})
- Augenblick! Das heißt, Sie stellen das Netz der sozialen Sicherheit in Frage,
({41})
und der Herr Kollege Strauß stellt dann ja auch
({42})
die Bereiche zur Debatte, in denen die kollektiven Soziallasten - die kollektiven, meine Damen und Herren! - bereits das erträgliche Maß überschritten haben. Und woran denkt er da?
({43})
Er denkt an die flexible Altersgrenze bei der Rentenversicherung,
({44})
er denkt - das alles können Sie in dieser Rede nachlesen - an die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige,
({45})
er denkt an das Lohnfortzahlungsgesetz,
({46})
er denkt an das Gesetz über die Krankenversicherung für Landwirte,
({47})
er denkt an das Gesetz über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten,
({48})
er denkt an das Bundesausbildungsförderungsgesetz,
({49})
er denkt an das Dritte Vermögensbildungsgesetz
({50})
und schließlich an die Erweiterung der Förderungsmaßnahmen in der beruflichen Bildung.
({51})
Meine Damen und Herren, dies ist Ihr Ansatz!
({52})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Luda?
Herr Minister Apel, woran denken Sie, wenn Sie in diesem Zusammenhang von „Wildwuchs" sprechen?
Meine Damen und Herren, Wildwuchs ist eine klare Definition.
({0})
Natürlich müssen sozialpolitische Leistungen ununterbrochen überprüft werden.
({1})
- Ja, aber hier werden doch Gesetze, die Sie, meine Damen und Herren, mit beschlossen haben, massiv in Frage gestellt! Das ist Ihre Konzeption!
({2})
Hier muß ich nun wirklich die Frage stellen: Will die Opposition die soziale Demontage?
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage!
Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Wenn Sie sich hierüber erregen, werden Sie Herrn Kollegen Strauß fragen müssen, wo er die 14 Milliarden DM,
({0})
die er verschenken will, die er weggeben will, auf die er verzichten will, mit denen er Steuergeschenke machen will, herholen will, wenn nicht aus diesem Bereich.
({1})
Hier wird entweder den Wählern Sand in die Augen gestreut oder leeres Stroh gedroschen, oder Sie wollen eben doch die soziale Demontage. Dieses werden Sie klarzustellen haben.
({2})
Wir dagegen sagen den Wählern, was wir wollen, wie wir mit den Problemen fertig werden wollen.
({3})
Wir haben über das Haushaltsstrukturgesetz mehr als 12 Milliarden DM für den Bundeshaushalt 1977 eingespart.
({4})
Wir sagen den Bürgern, daß wir im Jahre 1977 Einnahmeverbesserungen bei der Tabak-, der Branntwein- und der Mehrwertsteuer brauchen.
({5})
- Darauf will ich gerade eingehen. Nun sagen Sie, ich hätte im Sommer 1974 etwas anderes gesagt. Das stimmt.
({6})
Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist der,
({7})
daß wir die Konsequenzen aus der weltweiten Rezession ziehen, daß wir vor den Wahlen ehrlich vor den Bürger hintreten und sagen, was wir wollen, während Sie Ihre Absichten verschleiern.
({8})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Luda?
Nein.
Meine Damen und Herren, hören wir uns doch einmal die Zitate der Opposition zum Thema Mehrwertsteuer genau an. Ich werde sie Ihnen jetzt vortragen. Dann werden wir sehen, welches Spiel hier gespielt wird. Herr Kollege Leicht sagte am 24. November 1975:
Wir sind gegen Steuererhöhungen zu diesem Zeitpunkt.
({0})
Herr Kollege Althammer am 3. Dezember 1975:
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt Steuererhöhungen in der gegenwärtigen Situation ab.
({1}) Herr Kollege Höcherl am 26. Januar 1976:
Auch für die CDU/CSU sind Steuererhöhungen kein Tabu. Aber nur als allerletzter Schritt kommen sie in Betracht, wenn weitere Einsparungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind.
({2}) - Einen Augenblick, ich sage dazu noch etwas.
Herr Kollege Strauß sagte im Südwestfunk auf die Frage, was er als Finanzminister tun würde: Erstens Kassensturz, Bilanz, und dann kommt die Stunde der Konsequenz.
({3})
Am dankbarsten müßten wir eigentlich dem Kollegen Leicht sein, der am 7. Mai 1976, also vor wenigen Tagen, in der „Wirtschaftswoche" gesagt hat:
Spätestens nach den Bundestagswahlen im Herbst wird daher dem Bürger gesagt werden müssen, wie die Finanzierungslücke letztlich geschlossen werden soll. Steuererhöhungen dürfen nur das letzte Mittel sein, um den Bundeshaushalt zu konsolidieren.
Damit ist die Katze bei all diesen Zitaten aus dem Sack gelassen: Bis zum 3. Oktober werden Sie die Mehrwertsteuer ablehnen; anschließend werden Sie, unabhängig vom Wahlausgang, Mehrwertsteueranhebungen mit beschließen. Dies ist die Wahrheit.
({4})
Damit wird klar, daß es nicht um die Frage geht: für oder gegen die Mehrwertsteuererhöhung. Es geht um die Ehrlichkeit vor den Wahlen bzw. um den Versuch, die Wähler für dumm zu verkaufen.
({5})
Meine Damen und Herren, unsere Wähler wissen,
({6})
daß wir nach der Überwindung der Rezession die hohen Haushaltsdefizite abbauen müssen. Wir wollen und werden dabei als sozialliberale Koalition die innere und die äußere Sicherheit nicht aufs Spiel setzen. Wir wollen nicht unsere soziale Sicherheit aufs Spiel setzen und zur sozialen Demontage greifen. Jede Steuererhöhung ist natürlich unpopulär. Sie darf nur letztes Mittel sein. Deswegen werden wir auch 1977 eisern sparen. Aber Sparen hat eben auch seine Grenzen.
Die Mehrwertsteueranhebung ist maßvoll. Sie verteilt die Last auf alle und ist nicht einseitig auf die Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen orientiert. Sie bringt monatlich 25 DM Belastung für die normale Arbeitnehmerfamilie. Damit bleiben die Vorteile der Steuerreform weitgehend erhalten.
Interessant ist, meine Damen und Herren, daß die CDU die Worte vom Finanzchaos in den letzten Monaten ad acta gelegt hat. Diese Worte waren und sind falsch.
Wir haben die Schulden, die der Bund machen mußte, in den letzten 16 Monaten kontinuierlich finanziert. Mit Befriedigung konnten wir feststellen, daß wir am Ende des Haushaltsjahres 1975 mit gut 9 Milliarden DM ein Polster zur Finanzierung des Haushalts 1976 übernehmen konnten. Heute haben wir 55 % des Bundeshaushalts 1976 finanziert, obwohl wir uns in den letzten vier Wochen am Kapitalmarkt bewußt zurückgehalten haben, um die Tendenz der Stabilisierung der Zinsen auf niedrigem Niveau nicht zu stören.
Wir haben durch unsere flexible und den Marktgegebenheiten angepaßte Schuldenpolitik den Kapitalmarkt nicht überstrapaziert. Wir haben die Zinsen senken können und die Konditionen verbessert.
({7})
Von hier gehen keine Preissteigerungstendenzen aus. Wir finanzieren unseren Haushalt solide.
Herr Kollege Becker, Sie haben mir ein Stichwort gegeben. Wir haben auch in den zurückliegenden Jahren eine sehr wirksame Politik zugunsten der Sparer gemacht.
({8})
- Vielleicht hören Sie hier zu, ehe Sie lachen. - Wir haben durch eine wirkungsvolle Zusammenarbeit der Verbände, hier insbesondere mit dem Verband der privaten Banken, eine Einlagensicherung geschaffen, die in der Welt einmalig ist. In unserem Land kann sich ein Fall Herstatt nicht wiederholen. Bei uns sind die Spareinlagen sicher.
({9})
Diese Einlagensicherung hat ihren ersten Bewährungsbeweis hinter sich gebracht. Im Fall der Pfalzkreditbank haben die Privatbanken 150 Millionen DM bereitgestellt, um die privaten Sparer zu entschädigen. Hier ist niemand zu Schaden gekommen.
({10})
Damit hat es einen Beweis gegeben, daß wir in der
Lage gewesen sind, endlich etwas zu erreichen, was
Sie in über 20 Jahren Ihrer Regierungstätigkeit nicht
erreicht haben: Spareinlagen in unserem Lande sicher zu machen.
({11})
Nun sagen Sie, meine Damen und Herren, es gebe in unserem Land ein Problem
({12})
der Entwertung der Sparvermögen. Lassen Sie mich dazu in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit einige Bemerkungen machen.
Seit vielen Jahren - dies kann nicht bestritten werden - haben die Zinssätze für Spareinlagen mit täglicher Kündigung, also für das normale Sparbuch, immer wieder unter den Preissteigerungsraten gelegen. Das ist nichts Anomales. Aber auf diesen Sparbüchern mit täglicher Kündigung wird ja normalerweise auch nur kurzfristig angespart; kurzfristiges Liquiditätsvorhalten. Bei all den anderen vielfältigen Sparformen - wir haben ja eine Vielfalt von Sparformen entwickelt, von Bundesschatzbriefen über die Sparkassenbriefe bis zu den Kommunalobligationen -, bei all diesen Anlageformen, die teilweise nur ein, zwei Jahre feste Bindung verlangen, ist nach Abzug der Preissteigerungsrate stets - und so auch heute - eine beachtliche positive Rendite für die Sparer eingetreten. Dies gilt auch nach der Zinssenkung, die im übrigen - 1967 haben wir das gemeinsam in der Großen Koalition beschlossen - nicht von Amts wegen verordnet, sondern von den Verbänden und den Sparkassen, den Banken und Genossenschaften selbst gemacht wird.
({13})
Im übrigen - und dies ist das Interessante - sind unsere Sparer viel renditebewußter geworden. Der Anteil dieser mittelfristigen Anlageformen - Bundesschatzbriefe, Sparkassenobligationen, Bankobligationen, Kommunalobligationen - hat sich in wenigen Jahren vervielfacht.
Hinzu kommt - das wird in der Debatte immer wieder vergessen - die Sparförderung. Die Sparförderung ist für die normalen Einkommensbezieher eine zusätzliche Rendite auf eingezahltes Sparkapital. 1970 haben wir 4,2 Milliarden DM Haushaltsbelastung für die Sparförderung gehabt, 1975 waren es 8,8 Milliarden DM. Ich bekenne mich zu dieser Sparförderung. In diesem Punkte unterscheide ich mich von Herrn Strauß und der Opposition.
({14})
Wer im übrigen auf der einen Seite mangelnde
Rendite bei den Sparern beklagt und auf der anderen Seite die Sparförderung in Frage stellt, sollte
mal mit seiner eigenen ökonomischen und politischen Logik zu Rate gehen.
({15})
Im übrigen haben wir - dies ist ein weiterer wichtiger Punkt in der Debatte - durch die Steuerreform die Zinserträge zu einem guten Teil steuerfrei gestellt.
({16})
Ledige Sparer haben heute Zinsen in Höhe von 400 DM steuerfrei und Verheiratete in Höhe von 800 DM. Das heißt, für den verheirateten Sparer ist der Zinsertrag von rund 20 000 DM Guthaben steuerfrei. Ist er Arbeitnehmer, kommen noch weitere Freibeträge hinzu, denn er hat 800 DM Nebeneinkommen steuerfrei; wenn er keine Nebeneinnahmen hat, kann er diesen Betrag wiederum für seine Zinseinnahmen verwenden, so daß ein Verheirateter normalerweise bis zu einer Größenordnung von 40 000 DM Guthaben keine Steuern auf seine Zinseinnahmen zahlt.
Gucken wir uns die Lage des Sparers international an! Gehen wir davon aus, daß der Sparer renditebewußter geworden ist, von dem täglich kündbaren Sparkonto weggegangen ist. Dann können wir feststellen, daß es nur noch in der Schweiz einen positiven, einen realen Zinssatz nach Abzug der Preissteigerungen gibt. Dies zeigt erneut die Leistungsfähigkeit dieses Landes, den Erfolg bei der Inflationsbekämpfung,
({17})
und es ist auch ein Grund und eine Erklärung dafür, weswegen in unserem Lande trotz Ihrer Unkenrufe, trotz Ihrer Verunsicherungen in diesem hohen Maße gespart wird, weil man in unsere Währung Vertrauen hat und Vertrauen haben kann.
({18})
Lassen Sie mich zusammenfassen: Unsere Währungspolitik ist im internationalen Verbund mit unseren Partnern erfolgreich gewesen. Unsere Währungspolitik hat wesentlich zum weltweiten Aufschwung beigetragen. Unsere Steuerreform war und ist ein bedeutender Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit. Sie hat im übrigen den konjunkturellen Aufschwung wesentlich beflügelt. Unsere Finanzpolitik hat sich in allen Phasen der konjunkturellen Entwicklung bewährt, in enger Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank. Sie hat wesentlich mitgeholfen, daß es uns so viel besser geht als unseren Nachbarn, und daß wir im weltweiten Aufschwung den anderen voraus sind. Unsere Sparerschutzpolitik hat die Risiken für die Spareinlagen endlich ausgeräumt, und sie sichert unseren Sparern mit etwas Anlage- und Renditebewußtsein reale Zinsen, den vollen Erhalt des Wertes des Ersparten. Auch das sucht seinesgleichen bei fast allen unseren Nachbarn.
Die Opposition hat dieser weltweit anerkannten Leistung nur Demagogie, Verleumdung, Panikmache entgegenzusetzen.
({19})
Doch das beeindruckt nicht. Mit Phrasen wird keine Politik gemacht und werden keine Wahlen entschieden.
({20})
In den Debatten der letzten Monate ist weder personell noch sachlich eine Alternative der Opposition sichtbar geworden. Wir werden auch in den nächsten Jahren die Finanz- und Währungspolitik der ruhigen Hand, die Ehrlichkeit auch vor Wahltagen,
({21})
der Aktivität und der Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes fortsetzen.
({22})
Als nächster hat der Herr Abgeordnete Strauß das Wort. Für ihn ist eine Redezeit von 60 Minuten angemeldet worden. Nach dieser Rede werden wir in die Mittagspause eintreten.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Rede des Herrn Bundesfinanzministers mußte man sich fragen, ob das Maß seiner Unkenntnis an Tatsachen, Zahlen und Zusammenhängen, die Gabe der Irreführung der Öffentlichkeit oder die Fähigkeit der Selbsttäuschung größer ist. Zusammen genommen liegt hier jedenfalls ein erschütterndes Defizit an Beurteilungsfähigkeit, an Objektivität und an Kenntnis der Zusammenhänge vor.
({0})
Das braucht einen auch nicht zu wundern.
Ich bin dem Herrn Bundeskanzler dankbar, daß er wenigstens jetzt gekommen ist. Es war auch nicht nötig, früher zu kommen.
({1})
Nach dem, was ich gestern gehört habe, muß ich allerdings sagen: Wie der Chef, so der Knecht, wie der Herr, so's Gescherr.
({2})
So billig wie heute sollte es sich ein Bundesfinanzminister nicht machen:
({3})
diese üble Mischung von Demagogik, Polemik,
({4})
Verdrehung der Tatsachen, Halbwahrheiten, Unwahrheiten und Einseitigkeiten.
({5})
In der von ihm zitierten Rede, die ich als einer der Redner im Laufe der Jahre vor dem Institut Finanzen und Steuern gehalten habe - vor dem auch andere Bundesfinanzminister, u. a. auch Kollege Apel, gesprochen haben -, habe ich in diesem Zusammenhang unter der Überschrift „Im Sozialbereich ist eine Konsolidierung unabweisbar" folgende Sätze gesagt:
Es besteht kein Zweifel, daß die Leistungen auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Infrastruktur in Form eines gut ausgebauten Netzes der sozialen Sicherungen, d. h. der Altersvorsorge, der Absicherung gegen Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sind.
({6})
- Selbstverständlich, das andere haben ja Sie gesagt. - Ich habe dann weiter gesagt:
Die explosionsartige Kostenentwicklung in diesem Bereich wirft jedoch die Frage auf, ob die Belastbarkeitsgrenze unserer Volkswirtschaft mit kollektiven Soziallasten nicht bereits erreicht, wenn nicht gar überschritten ist.
({7})
- Die Stunde der Wahrheit wird, wenn Sie an der Regierung bleiben, auch für Sie kommen. Wir sagen es nur heute, vor den Wahlen, weil wir ehrlicher sind.
({8})
Ich meine, es ist fast eine Zumutung,
({9})
sich mit jemandem auseinandersetzen zu müssen
({10})
- hier unterschätzen Sie mich, da ich kein Marxist bin, ganz gewaltig -,
({11})
der die Warnungen aller Forschungsinstitute, aller Sachverständigen, der Bundesbank,
({12})
aller einschlägigen Experten und dazu auch die Warnungen des Bundesverbandes der Rentenversicherungsträger einfach als Polemik, Demagogie, dummes Geschwätz, gehässige Angriffe gegen die
Bundesregierung, in dieser Mischung von Dummheit und Überheblichkeit, vom Tisch wischen will.
({13})
Ich hätte, wenn man sich schon darüber unterhält und wenn schon der Bundeskanzler lange Reden, zum Teil mit theologischer Würze, hält und der Herr Bundesfinanzminister sich selbst innerhalb von zehn Minuten siebzehnmal auf die Schulter klopft, wenigstens erwartet, daß er zu den Problemen der Konsolidierung der Staatsfinanzen im Grundsätzlichen, in der Struktur der Haushalte und ihrer Entwicklungen, und zwar auch der Länder-und Gemeindehaushalte, Stellung nehmen würde; denn die öffentlichen Haushalte bilden im Verbund eine Gesamtproblematik.
({14})
Man kann doch hier nicht einen finanzpolitischen Separatismus betreiben, wie Sie, Herr Apel, es getan haben, und sagen, die Reform der Kfz-Steuer mit der Möglichkeit der Einsparung von 3 000 bis 4 000 Beamten entlaste den Bund nicht, weil sie nur die Länder entlaste. So etwas an Engstirnigkeit und Borniertheit hat es bisher bei einem Finanzminister noch nicht gegeben.
({15})
Sie ringen doch dauernd, Herr Apel, mit den Ländern um den Ausgleich. Sie ringen um die Verteilung der Gemeinschaftssteuern. Auf dem Gebiet der Einkommensteuer liegt sie ja fest. Aber ich denke gerade an das Gebiet der Umsatzsteuer. Ich verstehe Ihre Sorgen. Ich habe die gleichen gehabt, als wir zum erstenmal den Anteil des Bundes und den Anteil der Länder festlegen mußten. Diese Sorge wird jeden Finanzminister begleiten. Es ist gut, daß wir Gemeinschaftssteuern haben, weil sie eine gemeinsame Verantwortung begründen, auch wenn es große Reibungsflächen und Schwierigkeiten gibt. Aber es ist doch völlig klar: Wenn der Bund den Ländern hilft, beträchtliche Einsparungen vorzunehmen, dann hat er auch mehr Legitimation und mehr Autorität, von den Ländern Entgegenkommen bei der Verteilung der Gemeinschaftssteuern oder bei der Verteilung der Dotationsauflagen zu verlangen.
Eines sagten Sie heute zum zweitenmal. Ich habe das letzte Mal schon den Kopf geschüttelt; heute sage ich etwas dazu. Wie können Sie denn als verantwortlicher, federführender Bundesfinanzminister, der Sie die Gesetzgebungskompetenz auch für die Kraftfahrzeugsteuer haben, sagen: Ich warte. bis sich die Länder geeinigt haben? Darauf können Sie unter Umständen sehr lange warten. Ich sage nicht, welche Länder schuld sind; ich weiß es auch gar nicht. Ich weiß nur eines: daß der Bundesminister der Finanzen und eine verantwortliche Bundesregierung die verdammte Pflicht und Schuldigkeit haben, bei der Reform dieser Steuer von ihrer Gesetzgebungskompetenz Gebrauch zu machen.
({16})
Sie tun so, als ob wir hier einen Staatenbund und
und nicht einen Bundesstaat hätten, als ob der
Bundesfinanzminister nur ein Amtmann sei, der die Beschlüse der Länder zu protokollieren habe.
({17})
Aber manchmal spielen Sie auch die Rolle, wie Sie heute hier wieder bewiesen haben.
Wenn ich - ich scheue den Text nicht - in der von Herrn Apel hier in demagogischer Weise falsch interpretierten Rede Zahlen über den Anstieg der gesamten Sozialleistungen genannt habe, dann heißt das nicht, daß wir diesen Anstieg etwa bedauerten oder bereuten oder daß wir die damit verbundenen Leistungen in ihrem Grundsatz, in ihrer Substanz und in ihrer weiteren Entwicklung abschaffen wollten. Es heißt aber, daß diese Leistungen heute auf Sand gebaut sind, wenn nicht unsere Wirtschaft wieder in Ordnung kommt und unsere öffentlichen Finanzen wieder konsolidiert werden.
({18})
Es geht auf die Dauer nicht an, daß diese Leistungen überproportional gegenüber anderen unentbehrlichen und unerläßlichen öffentlichen Ausgaben steigen. Ich werde Ihnen heute in meiner Rede auch noch sagen, warum, weil nämlich ein überproportionaler Anstieg in einem Sektor der öffentlichen Haushalte und der öffentlichen Finanzen zu einer Vernachlässigung anderer Gebiete führt. Wenn die anderen Gebiete die Investitionsfähigkeit der Wirtschaft und die öffentlichen Investitionen sind, die beide im Verbund miteinander stehen, werden Sie bald die traurige Bilanz ziehen müssen, daß die von Ihnen und von uns geschaffenen Sozialleistungen, die wir in den Grundsätzen, in der Substanz und im Wachstum erhalten wollen, nicht mehr beibehalten werden können. Das war der Sinn meiner Aussage, nichts anderes.
({19})
Ich habe in dem Zusammenhang für ein zum Teil sachkundiges, aber mit den Einzelheiten nicht in jedem Falle vertrautes Auditorium - es sitzen manche in unseren Reihen, die die Rede mit angehört haben; es waren auch Vertreter, hohe Beamte, der Bundesregierung da all die Gesetze beinahe alphabetisch aufgezählt, die insgesamt die Kostenbelastung verursachen. Daß es bei diesen Gesetzen auch Wildwuchs gibt, Herr Apel, haben Sie doch selbst gesagt, daß bei diesen Gesetzen da und dort Möglichkeiten der mißbräuchlichen Ausnutzung bestehen, wird doch von niemandem bestritten. Daß heute die Arbeitnehmer, die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen angesichts der Ausdehnung der kollektiven Sozialleistungen mit ihren ständig wachsenden Beiträgen die Leistungen auch für Bezieher höherer Einkommen finanzieren, also die Armen die Reichen finanzieren, kann ich nicht mehr sozial nennen. Wenn Sie das noch sozial nennen, ich nenne es höchstens sozialistisch.
({20})
Ich bitte Sie, diesen Stil doch abzulegen. Er steht einem Bundesfinanzminister ganz schlecht an. Bisher haben alle Vertreter dieses Amtes, die von allen
Parteien gestellt worden sind und da schließe ich
selbstverständlich die Kollegen Möller, Schiller und Helmut Schmidt ein , nicht in dieser hemmungslosen und diffamierenden und lügnerischen Weise von diesem Platz aus gesprochen, wie Sie es getan haben.
({21})
Herr Apel, Sie haben heute gesagt, es gebe eine Reihe von Ursachen. Das ist, wie immer, halb richtig und halb falsch. Der Verfall des Weltwährungssystems - stimmt -, die Ölpreisprobleme - stimmt -, dann die weltweite Rezession - bei allen dreien müßte man sagen, warum sie entstanden sind, aber dafür fehlt hier die Zeit - seien die einzigen Ursachen für die Schwierigkeiten, mit denen Sie armes verfolgtes Opfer zu kämpfen gehabt hätten, von der Opposition beschimpft, von der Öffentlichkeit nicht gebührend gewürdigt, von den eigenen Freunden nicht genug unterstützt, also kurzum ein Held ohne Fehl und Makel. Sie haben ausdrücklich verneint, daß das Wort, man habe über die eigenen Verhältnisse gelebt, berechtigt sei. Ihr Amtsvorgänger Möller war der Meinung, daß man über die Verhältnisse lebe. Ihr Amtsvorgänger Schiller war der Meinung, daß man über die Verhältnisse lebe. Ihr Amtsvorgänger Helmut Schmidt hat mehrmals in der bekannten liebenswürdigen Weise auch innerhalb der eigenen Reihen zum Ausdruck gebracht, daß man über die Verhältnisse lebe. Der Herr Bundeswirtschaftsminister, der heute nachmittag, weil die Probleme zusammenhängen, zu diesem Problem wird sprechen müssen, wird doch gar nicht umhin können zu sagen, daß national und international, intra muros et extra muros, die Überforderung der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften durch private Nachfrage und durch Staatskonsum für die von uns bedauerten, aber durchaus vermeidbaren Erscheinungen die Hauptursache gewesen ist und den Hauptbeitrag geleistet hat.
({22})
Ich möchte nicht lange zitieren, nur wenige Sätze, Frau Präsidentin. Im letzten Sachverständigenbericht, Drucksache 7/4326, vom November letzten Jahres ist von Fehlentwicklungen die Rede:
({23}) haben ihre Wurzeln in Fehlern und Versäumnissen der Vergangenheit - in überzogenen Ansprüchen und inflatorischem Handeln, aber auch in allzu langer Duldung von beidem -, ablesbar am beschleunigten Geldwertverfall in den vergangenen Jahren. Die Rückgewinnung von mehr Stabilität mußte zu Produktionseinschränkungen und zu Beschäftigungseinbußen führen, soweit und solange die in die Zukunft gerichteten Dispositionen auf einen Fortgang der Inflation gebaut waren.
({24})
Gilt denn das alles nicht? Ich bin nicht der Meinung, daß jede Zeile eines Sachverständigengutachtens eine Art biblischer Weisheit und Wahrheit darstellt. Aber das ist ja nur eine Stimme unter unzähligen
gleichlautenden Stimmen. Die Forschungsinstitute, zahlreiche einzelne Wirtschaftswissenschaftler, die Deutsche Bundesbank, Ihre sämtlichen Amtsvorgänger waren - wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen - dieser Meinung.
Und hier tritt der Herr Bundesfinanzminister auf
- beinahe hätte ich gesagt: kabarettreif - und sagt, er sei das Opfer finsterer Mächte, fremder Einflüsse, unheimlicher, nicht kontrollierbarer Gewalten geworden.
({25})
Aber von der eigentlichen Ursache, von der das ganze Übel ausgeht, spricht er nicht. Schon der Verfall des Weltwährungssystems ist doch nicht unvermeidbar gewesen. Ich bin nach wie vor ein Anhänger fester Wechselkurse, weil damit manches leichter wäre. Aber das geht unter diesen Umständen nicht; das sehe auch ich ein. Woher kommt denn der Verfall des Weltwährungssystems von Bretton Woods? Er kommt von der jahrelang betriebenen Schlamperei, Nachlässigkeit und Verletzung gegenüber den Geboten der Zahlungsbilanzdisziplin.
(
Aber doch nicht bei uns!)
- Der Weltwährungsverfall nicht, Herr Bundeskanzler!
({0})
- Menschenskind, Sie sollen doch nicht den Chor von Oberammergau darstellen! - Ich sage nur: Die jahrelang betriebene Sorglosigkeit, Schlamperei, Verletzung gegenüber den Geboten einer strengen Zahlungsbilanzdisziplin in fast allen Ländern - ({1})
- Ich habe ja gesagt: National und international. Die Überforderung der Leistungsfähigkeit ist auch in der Bundesrepublik erfolgt!
({2})
- Sonst hätten wir doch nicht die Inflation in diesem Ausmaß bekommen! Die Zahlungsbilanzdisziplin brauchte in der Bundesrepublik angesichts unserer Exportstärke kein Problem zu sein. Aber Sie werden doch nicht behaupten, daß die Qualität unseres Exports von dem Palais Schaumburg bestimmt wird. Sie kommt von der Qualität unserer Arbeitnehmer und unserer Unternehmer, die der Welt ein hervorragendes Beispiel gezeigt haben.
({3})
Ich habe diesen Satz aus der Feder des Herrn Bundeskanzlers gelesen:
Falls Herr Strauß im Oktober an die Regierung käme, was er gern möchte
- bei der Erbschaft ist das ein dubioses Unternehmen! und was ich verhindern will, - das ist Ihr gutes Recht! Strauß
dann würde er ein Land in vollstem ökonomischen Aufschwung übernehmen, den er nicht bewirkt hat, in einem Aufschwung, wie wir ihn in der Welt selten erleben in diesem Ausmaß.
({4})
Herr Bundeskanzler, Sie wissen, daß in der Pariser Presse jetzt über diesen Ihren Stil,
({5})
den Sie gegenüber dem Ausland und im Inland anwenden, und zu Ihren Beiträgen über die Entwicklung der europäischen Innenpolitik und ihrer gepflegten Behandlung einige liebenswürdige Kommentare erschienen sind.
({6})
In der größten französischen Massenzeitung, dem „France Soir", erschien am Dienstag ein auf das Doppelte der normalen Breite aufgeblähter Leitartikel auf Seite 1 mit der finsterste Erinnerungen auslösenden Überschrift „Le Feldwebel".
({7})
Darin finden sich
- so schreibt die „Badische Zeitung" Sätze, die noch kein Kanzler von Adenauer bis Brandt über sich hat ergehen lassen müssen. Er ist merkwürdig genug, eine Verurteilung des Gaullismus in Ausdrücken und mit einem Nachdruck zu hören, die einem Dr. Goebbels in seinem Walhalla heikel erschienen wären.
({8})
- Ja, so steht es halt drin, ob Sie den Kopf schütteln oder nicht. Mit Kopfschütteln bringen Sie das nicht weg, Herr Bundeskanzler!
({9}) Dann geht es weiter:
Herr Schmidt spricht, indem er uns verhöhnt, als Neureicher.
({10})
- Ah, wir sollen keine demokratischen ausländischen Zeitungen zitieren dürfen. Wollen Sie sogar diese Zensur einführen, damit die Wahrheit nicht wenigstens vom Ausland hereinkommen darf, wenn sie im Inland schon nicht mehr gern gehört wird?
({11})
Ich möchte das, was in seltenem Gleichklang die kommunistische Zeitung „Humanité zum gleichen Thema geschrieben hat, nicht bringen, weil ich solche Quellen grundsätzlich nicht gegen demokratische Politiker zitiere.
({12})
- Na, das ist mein Grundsatz! Ich wollte, Sie wären genauso.
Wir haben gestern eine Kostprobe davon bekommen, wie der Bundeskanzler so als Moralprediger, politischer Feldherr der Nation, Abkanzler, Zensor, Nachhilfelehrer in Sachen Wirtschaft - etwas vulgär dargestellt - sich hier empfohlen hat. Da die Bibel schon so sehr strapaziert worden ist, darf ich vielleicht auch sagen, welch eine Rolle mir bei der Beobachtung am Fernsehschirm einfiel - aber das Ganze natürlich als Karikatur dargestellt -: vox praedicantis in deserto, die Stimme des Predigers in der Wüste. Er empfiehlt allen, Buße zu tun, teilt den staunenden Zuhörern mit, daß er seit 27 Jahren mit Herrn Wehner ein Herz und eine Seele sei.
({13})
Das ist großartig. Ich gratuliere Ihnen, Herr Wehner, dazu; das war ein echter Sieg von Ihnen!
({14})
Es war aber doch schonungsvoll von ihm, daß er es an einem Tag sagte, als keine Zeitungen erschienen und das Fernsehen nicht übertrug.
Merken Sie denn nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie auch nicht den geringsten Anspruch und nicht die leiseste Legitimation haben, moralische Zensuren zu erteilen, daß die Predigerrolle ebenso lächerlich wie peinlich ist? Es gibt auch keine Wüste, in der Sie predigen können, höchstens den Irrgarten der von Ihnen zunächst mit- und dann voll verschuldeten Politik.
({15})
Ich möchte zu den ökonomischen Problemen zurückkehren. Man hat im Frühjahrsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute einiges gelesen, was - in der Auswahl verwendet - zu großen Siegesmeldungen geführt hat. Ich glaube, niemand von uns - ich habe das von dieser Stelle aus mehrmals gesagt - hat bestritten und kann bestreiten, daß sich eine Konjunkturentwicklung auch bei Verschlechterung der Gesamtlage immer noch in Zyklen vollzieht, in einem Auf und Ab. Nur: Die Basisdaten sind schlechter geworden, die Rahmenverfassung ist schlechter geworden, die Trendlinie ist schlechter geworden. Auf dieser Trendlinie selbst gibt es noch ein Auf und Ab.
Man sollte bei all diesen Sondermeldungen nicht übersehen, daß auch aus dem Frühjahrsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute folgende Punkte - wenn man das Gutachten nicht selektiv liest - mit voller Klarheit hervorgehen:
Der dauerhafte Aufschwung ist noch keineswegs sicher.
Die jüngsten Zahlen aus der Export- wie aus der Automobilindustrie sind jedenfalls ambivalent deutbar.
Die hohe Arbeitslosigkeit bleibt bestehen.
Die Investitionsneigung und -fähigkeit bleibt weiterhin viel zu schwach, obwohl die Reallöhne rückläufig sind.
Die Krise der Staatsfinanzen bleibt.
Die Geldpolitik steht noch vor ihrer eigentlichen stabilitätspolitischen Bewährungsprobe.
Danach stehen Sie vor der Aufgabe, frühere wirtschaftspolitische oder finanzpolitische Fehler -wenn man es zusammenfaßt: wirtschafts- und finanzpolitische Fehler - endlich einzusehen; denn wer sie nicht einsehen will, kann sie in Zukunft nicht vermeiden. Darüber hinaus sind die Prognosen für das Wachstum 1976 noch unsicher.
Das geht doch - in Kurzfassung gesagt - aus dem Gutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute hervor, von dem einzelne Teile über Gebühr Aufmerksamkeit gefunden haben, während die skeptischen Bemerkungen, wie ich sie eben in Kurzfassung geboten habe, so in der allgemeinen Halleluja-Stimmung und den entsprechenden Siegesmeldungen, die aus dem Bundespresseamt verbreitet worden sind, vorerst unter den Rost gefallen sind. Das kann man aber nur eine Zeitlang machen, denn man kann Zahlen nicht manipulieren.
({16})
Funktionäre kann man vielleicht manipulieren, aber Zahlen kann man nicht manipulieren.
({17})
Dem Bürger ist klargeworden, daß die neue Politik, die beinahe wie eine neue Heilslehre damals verkündet worden ist, auf allen Gebieten mehr oder minder versagt hat. Dem Bürger ist doch klargeworden, daß die Regierungen ab Herbst 1969 in allen wesentlichen Bereichen politisch gescheitert sind. Das Bewußtsein ihres Scheiterns war allerdings durch erhöhte Propagandaleistungen unter Ambulanzfunktion eines Teils der Massenmedien zeitweise noch nicht soweit fortgeschritten, wie es der Wirklichkeit entsprach. Bei uns war der umgekehrte Prozeß festzustellen.
Sie haben gemäß Ihrer eigenen Beteuerung die Schwerpunkte Ihrer Regierungstätigkeit doch folgendermaßen gesetzt: Bildungspolitik - darüber ist heute nicht zu reden -, Stabilitätspolitik, Vollbeschäftigungspolitik, Finanzpolitik, Europapolitik und sogenannte Entspannungspolitik. Zu diesen Bereichen, soweit sie den Einzelplan 08 betreffen, nun einige Bemerkungen.
Dabei gehen Sie bei Ihren steuerpolitischen Ausführungen, bei denen Sie Argumente so vertreten, wie andere sich die Füße vertreten, mit Zahlen so um- ({18})
- Das hat damit nichts zu tun. Ich sage nur: er geht mit Zahlen so um, wie andere sich die Füße vertreten. Ich habe nicht gewußt, daß man zum Vertreten der Füße Plattfüße braucht.
({19})
Zu den einschlägigen Themen der Steuerpolitik wird mein Kollege Häfele heute im Laufe der Debatte noch einige Ihrer eklatanten Halb- oder Unwahrheiten hier richtigstellen.
Lassen Sie mich zu der Frage der Inflation wenige Worte sagen; denn ursprünglich sollte an der Spitze
der politischen Ziele die Preisstabilität stehen. Sie war das Hauptwahlkampfthema des Jahres 1969, gerade auch und vor allem von seiten der SPD. Im Jahre 1969 stiegen die Preise um 1,9 %, wie im Durchschnitt der Jahre von 1949 bis 1969, den 20 Jahren, in denen wir für diese Bereiche verantwortlich waren. In der Regierungserklärung vom 27. Oktober 1969 versprach der erste SPD-Bundeskanzler Willy Brandt, die Preisentwicklung zu dämpfen. Es muß wie ein Witz klingen, wenn er bei einer Preisentwicklung von 1,9 % - das letzte Quartal lag schon darüber, der Jahresdurchschnitt ergab 1,9 % - in den Mittelpunkt stellt, er verspreche der deutschen Öffentlichkeit, die Preisentwicklung zu dämpfen! Bis zum Herbst 1973 gibt es überhaupt keine Ausrede: weder das Weltwährungssystem noch eine Ölkrise noch etwa eine weltweite Rezession. Das ist der hausgemachte Teil der Inflation, den ein ehrlicherer Amtsvorgänger, nämlich Herr Schiller, immer als den Home-made-Teil der Inflation bezeichnet hat. Genauso äußerten sich Bundesbankpräsident Klasen und unzählige andere. Es ist doch ein Witz, wenn man heute liest: „Wir werden die Preisentwicklung dämpfen", und in der gleichen Regierungszeit bei 7 "/o angekommen ist.
Er erweckte den Eindruck, auf die Dauer eine noch geringere Inflationsrate als die 1,9 % der Vorjahre herbeizuführen. Tatsächlich aber setzten die Regierungen Brandt und Schmidt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele auch das Mittel der Inflation ein oder nahmen es als unvermeidbar in Kauf. Sonst hätten sie nicht jahrelang unsere ständigen Mahnungen, Warnungen und Vorschläge mit einer Überheblichkeit und Rücksichtslosigkeit ohnegleichen zurückgewiesen. Es ist allmählich zu einem Stil der vollendeten Demagogie und der vollendeten Irreführung geworden, daß man der Öffentlichkeit gegenüber durch ständiges Wiederholen der Unwahrheit, durch ständige Wiederholung der Behauptung, die Opposition habe niemals gewarnt, niemals Vorschläge gemacht, niemals Alternativen geboten, diesen Eindruck erwecken will.
({20})
- Herr Dr. Ehrenberg, wenn Sie das hier wiederholen, beweisen Sie, falls Sie ein Fachmann sein wollen, daß Sie lügen!!
({21})
Heute hat der Kollege Dr. Althammer hier und wir haben in unzähligen Reden und Programmen gesagt, worauf es ankommt. Aber bei Ihnen habe ich mich längst damit abgefunden, daß der alte Satz von Curt Goetz gilt: Allen ist das Denken erlaubte aber manchen bleibt es erspart, und dazu gehören Sie!
({22})
Herr Abgeordneter Strauß, ich darf Sie freundlicherweise um eines bitten. Wenn Sie Worte wählen wie „lügen" oder „betrügen"
({0})
Präsident Frau Renger
- das war nicht klar zu verstehen -, dann bitte ich Sie, sich sehr zurückzuhalten. Sonst muß ich Sie zur Ordnung rufen.
Frau Präsidentin, das würde ich notfalls in Kauf nehmen;
({0})
aber bei uns sagt man: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es aus dem Wald heraus.
({1})
Ich weiß nicht, warum ein Zitat von Curt Goetz ich habe nicht Götz von Berlichingen, sondern Curt Goetz zitiert - solchen Unwillen erregt. Ich habe nur gesagt: Da steht bei einem der größten Humor-schriftsteller unserer Tage zu lesen, daß allen Menschen das Denken erlaubt ist, aber vielen es erspart bleibt, und daß ich Sie dazu rechne. Das ist doch mein gutes Recht.
Die einen wollten die Inflation als Mittel zur Umgestaltung der Gesellschaft, die anderen waren unfähig, diese Zielsetzung zu erkennen oder ihr Widerstand zu leisten. Erst als man auch im SPD/FDPLager zu begreifen begann, daß diese Politik der in Kauf genommenen und herbeigeführten Inflation in Bälde zu einer Regierungs- wie auch Staatskrise und damit zu einer todsicheren Wahlniederlage führen würde, erfolgte ein gewisser Kurswechsel. Aber es kann niemand bestreiten: man hat zu spät eingegriffen und teilweise zu falschen Mitteln gegriffen; denn die Überlastung der Geld- und Kreditpolitik mit den abenteuerlich gestiegenen Zinssätzen hat einen asozialen oder antisozialen Umverteilungsprozeß gegen den Mittelstand herbeigeführt, der in diesem Ausmaß in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik bis dahin noch unbekannt geblieben ist.
({2})
Damit ist doch auch die Fähigkeit und Bereitschaft der Wirtschaft, zu investieren, untergraben worden. Der jahrelange Verzicht auf jede Stabilitätspolitik - bis in das Jahr 1973 hinein - hat zu einer in die Millionen gehenden Arbeitslosigkeit, zu einer schweren Belastung unserer Wirtschaft und zu einer Gefährung unserer sozialen Sicherung und der öffentlichen Finanzen geführt.
Die verspäteten und, jedenfalls teilweise, falsch angelegten Dämpfungsmaßnahmen haben diese Entwicklung verschärft; denn man hat selbst dann noch gedämpft, als die Binnenkonjunktur bereits im starken Rückgang war. Beim Nachlassen der Auslandsnachfrage gegenüber den überhöhten Anforderungen der Vorjahre in Verbindung mit einem Rückgang der Binnennachfrage hat man doch die Rezession mit ihren verhängnisvollen Folgen geradezu bewußt - und wenn nicht bewußt, dann jedenfalls mit einer Fahrlässigkeit ohnegleichen - in das Land geholt.
Als Folge dieser Entwicklung blieben und bleiben nicht zuletzt Zehntausende von kleinen und mittleren Betrieben - Herr Carstens hat gestern schon darauf hingewiesen - auf der Strecke. Sie werden jetzt wahrscheinlich auch wieder sehr empört sein, wenn ich sage: Noch keine Regierung hat so viel gegen das Großkapital und gegen die Großunternehmen gewettert, aber so viel für das Großkapital getan.
({3})
Nicht daß die großen Unternehmungen nicht auch betroffen wären, daß sie nicht auch ihre Sorgen hätten! Man braucht ja nur ihre Geschäftsberichte zu lesen. Aber unsere Sorge gilt nicht den großen Unternehmen, die ihre Daseinsberechtigung haben und gegen die ich bestimmt nicht hetze, die aber infolge ihrer Rechtsform als Kapitalgesellschaften ihre Finanzierung auch in Krisenzeiten leichter meistern können als mittelständische und kleinere Unternehmungen.
({4})
Für die großen Unternehmen ist das doch wesentlich
leichter als für kleine und mittlere Unternehmungen.
Die im Ergebnis zugunsten des Großkapitals wirkende Politik hat die Regierung sicherlich nicht betrieben, um dem Großkapital Geschenke zu machen, sie hat aber damit Konzentrationsprozesse gefördert, da in mehr und mehr Fällen nur die Großbetriebe die Chance zum Überleben haben. Die Folge ist eine weitverbreitete Resignation in der kleinen und mittleren Unternehmerschaft, in den Unternehmen, die ein unersetzliches Element einer echten Marktwirtschaft sind, auch deshalb, weil sie keineswegs so leicht zu sozialisieren sind wie die großen.
({5})
Die Regierung weist darauf hin, daß die Inflationsrate auf 5 °/o und weniger gesunken sei und damit wesentlich niedriger liege als in vergleichbaren ausländischen Staaten. Das ist richtig. Die Bundesregierung schmückt sich hier aber mit fremden Federn. Herr Gillies schreibt in der „Welt" vom 14. April 1976:
Ein Pilot, der nur für Steigflüge zuständig sein will und die Verantwortung für vorherige Bruchlandungen ablehnt, verliert die Lizenz.
({6})
Geht es nach oben, hat die Regierung das gemacht, geht es nach unten, war es ein Komplott finsterer Mächte - von der Opposition über die Ärzte, den Vietnamkrieg und das Ausland bis zu den Unternehmern selbstverständlich, und was weiß ich sonst noch -, das den Abstieg herbeigeführt hat. Einerseits leugnet sie, an Inflation und Arbeitslosigkeit schuld zu sein - das sei die Schuld eben dieser Mächte und Kräfte, die sie auf der Jagd nach Sündenböcken immer wieder herausstellt -, andererseits aber will sie den geringfügigen Rückgang der Inflationsrate von 7 auf 5 % als ihr Verdienst in Anspruch nehmen. Sie hofft, mit der Oberflächlichkeit und Unredlichkeit ihrer Beweisführung die Wähler in Deutschland irreführen zu können, genauso wie das bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai letzten Jahres der Fall gewesen ist.
Wenn die Verhältnisse auf dem Gebiet der Stabilität bei uns besser sind als in vergleichbaren ausländischen Staaten, so ist das in erster Linie ein
Erfolg der ungeheuren Aufbauleistung durch Unternehmer und Arbeitnehmer in den ersten Nachkriegsjahrzehnten in der von der SPD zunächst abgelehnten und später immer wieder als „kapitalistisch" diffamierten Sozialen Marktwirtschaft, eine Folge der modernen technischen Ausrüstung unserer Wirtschaft und eine Folge der Ablehnung planwirtschaftlichen Denkens in unserer Wirtschaft seit 1948. Dies hat zusammen mit den verhängnisvollen psychologischen Wirkungen zweier großer Inflationen eine große Empfindlichkeit des deutschen Volkes gegenüber inflationären Prozessen herbeigeführt. Darin liegt, in Verbindung mit Können, Leistung und Fleiß, der Grund dafür, warum unsere Inflationsrate niedriger ist als die in vergleichbaren ausländischen Ländern, aber doch nicht in den Tugenden dieser Regierung.
({7})
Wie sich aber die Dinge zu verändern begannen, zeigt nicht nur die Verschlechterung der Finanzsituation in weiten Bereichen der Wirtschaft, sondern zeigt sich auch in einer beginnenden Veralterung unserer Maschinenausrüstung. Ich komme damit auf ein Kapitel zu sprechen, das eigentlich in den Bereich der Wirtschaftspolitik gehört, das aber doch im Zusammenhang mit der Finanz- und Steuerpolitik, mit der gesamten Abgabenpolitik, mit der gesamten finanziellen Entwicklung steht. Der Anteil der mehr als elf Jahre alten Anlagen am gesamten Anlagenvermögen der Wirtschaft - die normale technische Nutzungsdauer beläuft sich auf sechs bis sieben Jahre, bis dann die nächste Maschinengeneration kommt, die natürlich wesentlich mehr zu kosten pflegt als die vorangegangene und damit wiederum die Frage eines überhöhten Kapitalbedarfs aufwirft, und das in einer Lage, in der sich der Eigenkapitalanteil von Jahr zu Jahr verschlechtert hat; das sind eben nicht Tatsachen einer kapitalistischen Denkweise, sondern das sind völlig normale ökonomische Selbstverständlichkeiten, die man in einem normalen Parlament auch ruhig sagen kann ({8})
hat sich im letzten Jahrzehnt von 32 % auf 45 % erhöht.
({9})
Die industrielle Produktion des Jahres 1975 wurde
mit einem Anlagevermögen erbracht, das zu fast
50 % aus mehr als elf Jahre alten Anlagen besteht.
({10})
Da technische Neuerungen nur über die jüngsten Investitionen Eingang in die Produktionsprozesse finden, sind schon in mittlerer Sicht nachteilige Wirkungen auf den Produktionsfortschritt und damit auf die Gestaltung der Reallöhne und des Realeinkommens auf Grund der Überalterung des Anlagevermögens unvermeidbar.
({11})
Darüber sollten wir nicht nur vom Herrn Wirtschaftsminister oder vom Finanzminister, sondern auch
vom Bundeskanzler einmal etwas hören. Platonische Bekenntnisse wie „Die Wirtschaft muß wieder mehr Erträge erwirtschaften" oder „Der Gewinn darf nicht als Profit diffamiert werden" genügen nicht. Das war doch nur eine Erbauungsübung in den eigenen Reihen, aber nicht etwas, was etwa in der Öffentlichkeit von sich aus ein Selbstläufer wird.
Die allgemeine Freude über den Aufschwung, dessen Tiefe und Dauer wahlpropagandistisch überzeichnet wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit die eigentlichen Probleme unserer Wirtschaft nicht gelöst sind, schon deshalb nicht, weil jeder Aufschwung zu steigenden Preisen führt. Nicht daß wir ihn nicht wünschen - wir müssen diese unerwünschte Begleitwirkung in Kauf nehmen -, aber wenn er auf einem Sockel von 5 °/o beginnt statt auf einem Sockel von 1 °/o wie im Jahre 1967, dann ist doch zwangsläufig damit zu rechnen, daß mit dem Aufschwung auch die Inflationsrate - Gott sei es geklagt - wieder steigen wird und damit der alte, unheilvolle Kreislauf von neuem seinen Anfang nimmt. Das meinte ich vorhin, als ich sagte, daß auch in dieser Entwicklung die Konjunkturzyklen - selbstverständlich noch mit verschlechterten Grunddaten - weiterhin beibehalten bleiben.
Die Inflation gefährdet auch den sozialen Frieden. Herr Apel, wenn Sie mir vorwerfen, daß ich im Gegensatz zu Ihnen nicht für die Sparförderungen sei, dann disqualifizieren Sie sich damit selbst. Ich habe dem zweiten Kabinett Adenauer angehört und meine Stimme auch dafür abgegeben, daß damals Bundesfinanzminister Schäffer und später Bundesfinanzminister Etzel die Sparförderung eingeführt und daß wir diese Beträge bei den alljährlichen Haushaltsüberlegungen massiv aufgestockt haben. Wenn man aber jetzt im Laufe der letzten Jahre nicht zu Unrecht sogar darüber klagt, daß die Spartätigkeit zu hoch gewesen sei, und wenn man sieht, welche Beträge hier in die Sparförderung fließen, dann darf sich doch ein verantwortlicher Finanzminister, wenn ihm ein Redner der Opposition einen Teil Verantwortung abnimmt, in dieser Frage nicht so verhalten, daß er ihn deshalb noch in dieser üblen Weise diffamiert und denunziert, wie Sie es hier getan haben.
({12})
Ich wäre froh, Herr Bundesfinanzminister, wenn ein aus unseren Reihen kommender Nachfolger in der dann bestehenden Opposition einen öffentlichen Redner finden würde, der den Mut hätte, Tabus anzupacken und Probleme der Einsparung in der Öffentlichkeit anzusprechen, um damit Regierungsfunktion stellvertretend für die zu übernehmen, die die Verantwortung scheuen.
({13})
Für die Arbeitnehmer führt die Inflation ohne Zweifel zu Reallohneinbußen. Darauf haben auch die Forschungsinstitute im Frühjahrsgutachten hingewiesen. Der Druckerstreik zeigt doch, auf welch schwankendem Boden der soziale Friede auch bei uns steht.
({14})
Ganz gleich, welche Nebenabsichten mit diesem Streik eventuell verfolgt werden, welche gefährlichen politischen Entwicklungen sich andeuten, wäre auch hier ein Wort der Regierung angebracht, daß es in einem Land der Meinungsfreiheit nicht angeht, daß kritische Artikel über die Urheber des Streiks einfach mit Mitteln des Streiks dann nicht in der Öffentlichkeit erscheinen können.
({15})
Sie müssen der Presse das Recht zugestehen, ihre Meinung zu äußern. So habe ich es in der demokratisch verantwortlichen Presse gelesen.
({16})
Hier ist auch ohne jeden Zweifel die Frage der Pressefreiheit im Spiel. Wir haben ja auch Fälle erlebt, daß einzelne Druckereien nicht bestreikt und andere bestreikt worden sind. Die Auswahl war aber - um mich sehr höflich auszudrücken - nicht ganz paritätisch.
Eines steht aber fest: Die Belastung durch die Inflation einerseits, durch Steuern und Abgaben andererseits führt dazu, daß der volle Inflationsausgleich die Verfügungseinkommen der Arbeiter nicht mehr in gleicher Höhe gewährleistet. Außerdem müssen Sie damit rechnen, daß dieser Streik die kleineren und mittleren Betriebe in starker Weise beeinträchtigt und daß manche, wenn es so weitergeht, auf der Strecke bleiben werden. Ich habe hier nicht Sorge um die Großen, um den Herrn Springer und um ähnliche finanzgewaltige Verlage in der Bundesrepublik wie Bertelsmann und andere. Sorge haben wir um die Vielfalt der kleineren und mittleren Druckereien und der ihnen angeschlossenen Zeitungen.
({17})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
({0})
Bitte sehr!
Herr Kollege Dr. Strauß, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen und hier dann auch öffentlich bestätigen, daß die von Ihnen angesprochenen Drucker nur darum gebeten haben, daß auch ihre Meinung veröffentlicht wird und daß das vom Springer-Verlag abgelehnt worden ist? Sie haben sich also für mehr und nicht für weniger Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt eingesetzt.
({0})
Dann möchte ich nur darum bitten, daß, wenn jemand in der Presse angegriffen wird, er dann auch das Recht hat, an gleicher Stelle, in gleicher Länge und in gleichem Umfang zu Wort zu kommen.
({0})
- Herr Kollege, hören Sie zu. Die „Welt der Arbeit" verweigert der CSU und mir seit vielen Jahren das Recht, in ihr zu Wort zu kommen.
({1})
Einer Regierung, die früher jedem jedes versprochen hat, muß es natürlich unsagbar schwerfallen, die Bürger von der stabilitätspolitischen Notwendigkeit einer solchen Einkommensentwicklung zu überzeugen. Hier nützt eine sozialistische Philosophie des Neides einfach nichts. Sie zieht alle stabilitätspolitischen Appelle dieser Regierung in Zweifel. Der Bundeskanzler spricht zwar seit der Rezession immer wieder von der Notwendigkeit angemessener Erträge, wenn auch in verschiedenen Formulierungen. Er sagte unter anderem auch, man müsse die Erträge der Unternehmen begünstigen, aber nicht die Einkommen der Unternehmer. Das ist eine Frage, die tief in die Freiheit der Wirtschaftsordnung eingreift, über die im einzelnen zu reden hier aber die Zeit fehlt. Das soll, wie er sagt, eine Voraussetzung für die Überwindung der Arbeitslosigkeit usw. sein. Wer aber darin bei ihm eine endgültige Abkehr von der Philosophie des Neides sah, muß durch seine kürzlich erhobene Forderung nach einer weiteren Anhebung der Spitzensteuersätze in einem Interview mit der niederländischen Wochenzeitung „De Tijd" geschockt sein. Zur Begründung sagt er, daß es bei uns viele Menschen gibt, die viel zuviel verdienen, und er würde ganz gerne sehen, daß ihnen ein Teil davon über die Steuergesetzgebung weggenommen würde. So sagte der Bundeskanzler wörtlich. Wenn Sie damit manche überflüssigen Funktionäre, parteipolitische Beförderungsbeamte und einige Mitglieder Ihres Kabinettes meinen, dann möchte ich mich in dem Fall Ihrer Meinung anschließen.
({2})
Wenn Sie aber in der Situation in einer ausländischen Zeitung sagen, Sie würden gerne die Spitzensteuersätze erhöhen, die ja doch heute schon in Verbindung mit allen anderen Steuern zusammen eine Belastung von 70 % bis teilweise über 90 % ergeben,
({3})
- es gibt in Einzelfällen Belastungen über 100 %; aber das sind solche Ausnahmen, daß ich sie nicht zum Regelfall machen möchte -, dann ist das doch Gift für die psychologische Lage, denn die Krise ist nicht nur materiell, sondern auch psychologisch. Wenn der Regierungschef trotz gegenteiliger Beteuerungen in früheren Monaten jetzt wiederum diese Mentalität vertritt, so ist das kein Beitrag zum Aufschwung, sondern ein Beitrag zur Fortsetzung des Mißtrauens und der allgemeinen Rat17076
losigkeit und Unsicherheit. Hier sollten Sie Auskunft geben, Herr Bundeskanzler.
({4})
Es geht hier nicht um die Sache der Reichen. Wenn es richtig ist, daß die Erträge im Interesse einer hinreichenden Investitionssteigerung und einer dauerhaften Überwindung der Arbeitslosigkeit überproportional steigen müssen, ist es unverantwortlich, wenn der Bundeskanzler gerade jetzt wieder mit unheilvollen Verallgemeinerungen und Neidkomplexen dieses Problem angeht. Das ist kein Beitrag zum sozialen Frieden, sondern gibt doch nur den Systemüberwindern in Ihren eigenen Reihen immer wieder neue Munition. Dies zu überwinden, wird für Sie schwerer sein als für uns. Der Bundeskanzler ist danach keineswegs der weltanschauungsfreie Pragmatiker - als solchen läßt er sich gerne feiern -; auch er ist der Verbreiter sozialistischer Neidparolen und damit ein Vorkämpfer sozialistischer Gleichmacherei.
({5})
Ich habe über die Beispiele in einem anderen Lande, einem Lande, in dem es den demokratischen Sozialismus schon seit 40 Jahren gibt, bereits in meiner letzten Rede berichtet. Ich beschränke mich heute darauf, hierauf zu verweisen. Nur eine auf Leistung und Belohnung der Leistung gestützte und mit hoher Kapitalausstattung arbeitende Wirtschaft kann auf die Dauer unser soziales System gewährleisten. Nur Leistung und Belohnung der Leistung sowie gesicherte Kapitalausstattung - ich füge hinzu: bei immer größer werdendem Kapitalbedarf; betrachten Sie einmal die Kosten für die Errichtung eines Stahlwerkes vor zehn Jahren, vor fünf Jahren, vor drei Jahren und in diesem Jahre; die Kapitalkosten steigen in einem abenteuerlichen, in einem überproportionalen Ausmaß - garantieren wieder Vollbeschäftigung, weil nur davon die Investitionen finanziert werden können. Umgekehrt müssen die Investitionen die Vollbeschäftigung sicherstellen. Beides muß funktionieren, damit unser soziales Leistungssystem erhalten bleibt, das ja wir geschaffen haben und für das wir die soziale Garantie auch in unserer Wahlaussage gegeben haben.
({6})
Ich habe zu jenen irreführenden Behauptungen, ich hätte gesagt, wir stünden am Ende des Sozialstaats - es käme jetzt also ein anderer Staat -, schon vorgestern Stellung genommen. Wir haben die Grenzen des Sozial- und Bildungsstaates in manchen Bereichen erreicht und zum Teil überschritten.
({7})
Wir müssen jetzt unsere Wirtschaft wieder so in Ordnung bringen, daß dieses System den Grundsätzen nach, den Zielen nach, seinem Inhalt nach erhalten bleibt und sich weiterentwickeln kann, und zwar mit stabiler Währung und nicht bloß mit nominal gedrucktem Gelde. Darauf kommt es uns an, auf nichts anderes!
({8})
Zu Ihrer Sparförderungsthese möchte ich Ihnen hier folgendes sagen, Herr Apel. In 20 Jahren CDU/ CSU-Regierung betrugen die Verluste der Sparer durch inflationäre Entwicklung 46,8 Milliarden DM; in den sechseinhalb Jahren sozialliberaler Politik so soll Ihre Politik neuerdings ja genannt werden - betrugen sie 170 Milliarden DM. Das wäre anders, wenn Sie eine Politik der Stabilität betrieben hätten. Ihre Sparförderung umfaßt doch nur einen Teil dessen, was dem Sparer auf der anderen Seite durch Ihre inflationäre Politik aus der Tasche gezogen worden ist.
({9})
Ich habe in meiner letzten Rede über die Probleme des Arbeitsmarktes gesprochen. Wir wissen, daß es eine konjunkturelle, eine strukturelle und eine regionale Problematik gibt. Diese drei Probleme können doch nur gemeistert werden, wenn auf der Grundlage ausreichender Erträge, einer wiederhergestellten Investitionsfähigkeit und psychologischer Investitionsbereitschaft ein Klima der Ruhe, des Vertrauens, der Sicherheit und einer normalen Zukunftserwartung - statt der hektischen Landschaft, die auch Sie mit Ihrer Stop-and-go-Politik im Bereich der Wirtschaft und Finanzen herbeigeführt haben -wieder einkehrt. Einer der Hauptgründe für die Unruhen der letzten Jahre war doch jenes einmal „rein in die Kartoffeln" und dann wieder „raus aus den Kartoffeln". 1973 bestrafte man die Investitionen und rühmte dies als große Stabilitätspolitik; 1974 gab man Milliarden aus, um dieselben Unternehmer, die man vorher mit der Investitionsteuer bestraft hatte, wiederum zu Investitionen anzuhalten. Das ist doch keine Konjunkturpolitik der ruhigen Hand. Was verstehen Sie denn unter „ruhige Hand"? Das ist doch das Zittern eines Nervenkranken, einmal hin, einmal her.
({10})
Das ist doch nicht die Politik der ruhigen Hand. Konjunkturpolitik erfordert einen langen Atem. Konjunkturpolitik erfordert es, die Entwicklung von Anfang an unter Kontrolle zu halten, statt sie euphorisch davonjagen zu lassen, um ihr dann hinterdreinzulaufen und sie halb totzuschlagen und das Ganze als eine rationale Konjunkturpolitik auszugeben.
Das alles wird noch am schönsten, wenn von Ihnen, Herr Apel, heute wiederholt wird - aber Sie sind ja durch nichts abzuschrecken; das weiß ich -, wir trügen uns mit deflatorischen Absichten und nähmen dabei selbstverständlich das Mittel der gezielten Arbeitslosigkeit in Kauf. Das ist doch einfach - Frau Präsidentin, ich bedaure es sehr, aber ich muß es sagen - eine echte Lüge. Das ist nicht einmal mehr eine Unwahrheit.
({11})
Herr Abgeordneter Strauß, ich rüge Sie für das Wort „Lüge".
({0})
Präsident Frau Renger
- Herr Abgeordneter Wohlrabe, ich rüge Sie für das Wort „Lüge".
({1})
In diesem Hause sollte es über die Definition des Begriffes „Lüge" doch keinen Zweifel geben, weil wir noch nicht unter kasuistischer Bewußtseinsspaltung oder dialektischer Doppeldeutung leben. „Lüge" heißt, daß jemand in Kenntnis der Wahrheit bewußt das Gegenteil der Wahrheit sagt.
({0})
Eine Unwahrheit ist eine objektiv falsche Darstellung, die man subjektiv gutgläubig gibt. Das ist keine Lüge, sondern eine Unwahrheit.
({1})
- Wenn Sie das nicht wissen, Herr Gansel, dann ist das jungsozialistische Bildungspolitik. Ausgerechnet Sie mit Ihrem Parteifreund Matthiesen in SchleswigHolstein! Sie sind gerade der Richtige.
({2})
Aber wenn uns jemand unterstellt, daß wir deflatorische Politik befürworten und als Folge davon Arbeitslosigkeit herbeiführen wollen, dann ist das eine ungeheuerliche Behauptung. Es gibt nicht nur unzählige Reden, es gibt auch konkludente Handlungsweisen von 20 Jahre lang CDU/CSU-geführten Regierungen, die doch beweisen, daß wir genau das Gegenteil wollen und erreicht haben. Habe ich denn nicht von dieser Stelle aus - da rufe ich die Kollegen, die dabei waren, als Zeugen an - in den Jahren 1969, 1970, 1971 gesagt, daß dieser Verzicht auf Stabilitätspolitik, diese bewußte Inkaufnahme der Förderung der Inflation zur Arbeitslosigkeit führt und daß nur rechtzeitige Verhinderung der Übernachfrage - privat oder durch den Staat - die Vollbeschäftigung erhält; sonst kommt die Kostenlawine und damit eine Arbeitslosigkeit von 1 Million Menschen! Unzählige Male habe ich das gesagt.
({3})
Herr Apel, wie liegen die Dinge? Ich nehme jetzt einmal die Monate zusammen, um die Statistik nicht zu lang zu machen. Im Durchschnitt der Monate Januar bis April 1976 betrug die Arbeitslosigkeit in Schweden 1,8 °/o, in der Bundesrepublik 5,9 °/o, in Österreich 3,5 °/o, in Großbritannien 5,6 °/o, in den Niederlanden 5,8 %, in Frankreich 5,9 °/o, in Italien 5,9 °/o, in Kanada 8,0 °/o, in den USA 8,1 °/o, in Belgien 8,6 °/o, in Dänemark 12,6 °/o. Hier zeigt sich durchaus, daß es möglich ist, bei einer rechtzeitigen Stabilitätspolitik, einer Politik der wirklich ruhigen Hand, des Verzichts auf große Siegesmeldungen, auf euphorisch angekündigte Reformvorhaben eine so in glänzendem Zustand befindliche Wirtschaft und so ausgezeichnet ausgeglichene Staatsfinanzen, wie sie im Herbst 1969 bestanden haben, auch weiterhin in diesem Zustand zu halten. Der weltwirtschaftliche Rückschlag hätte bei uns höchstens zum Abbau der
Übernachfrage auf dem Arbeitsmarkt geführt, aber auf keinen Fall zu einer Arbeitslosigkeit. Sie mögen auf das Netz der sozialen Sicherungen hinweisen. Ja, das muß doch auch bezahlt werden. Nicht daß wir etwa den Leuten das Geld neiden. Aber wenn in einem Jahr für 1 Million Arbeitslose 10 Milliarden DM Unterstützung gezahlt werden müssen für Leute, die produktiv sein könnten, aber zur Unproduktivität verurteilt sind, wenn 7 Milliarden DM weniger an Steuern und Abgaben eingehen - wenn man die Arbeitgeberanteile einschließt, sind es noch einmal 3 Milliarden DM, insgesamt also über 10 Milliarden DM - und wenn man weiß, daß diese Menschen 20 Milliarden DM Sozialprodukt hätten erwirtschaften können, was heißt dann der Hinweis auf das Netz der sozialen Absicherung? Das ist sozialistische Verschwendung von Produktionsfaktoren, die Sie hier herbeigeführt haben!
({4})
Vor sieben Jahren hieß es: „Solidität wird die Richtschnur unserer Finanzpolitik sein." Und weiter: „Reformen und ein weiteres Steigen des Wohlstandes sind nur möglich bei wachsender Wirtschaft und gesunden Finanzen." Am 3. April 1973 sagte Finanzminister Schmidt: „Die Finanzen des Bundes sind in Ordnung, und die Bürger können sich darauf verlassen, daß dies so bleibt." Aber die Finanzlage wurde doch verspielt, als Finanzhüter Helmut Schmidt Ende 1973 auf einmal 4 1/2 Milliarden DM mehr in seiner Kasse hatte. Was ist das für eine Finanzpolitik?
({5})
Heute haben wir doch über das Thema geredet, Herr Apel. Heute haben Sie doch gesagt, daß wir mit unseren Kürzungsvorschlägen nur sozusagen leeren Wind gemacht hätten, daß wir nur Wasser gepeitscht hätten.
({6})
- Heißen Wind, können Sie auch haben. Heißen Wind gemacht und kaltes Wasser gepeitscht, klingt stilistisch besser. - Das beweist doch, daß die von unseren Vertretern im Haushaltsausschuß damals beantragten Kürzungen berechtigt waren, weil bei bestimmten gesetzlich gebundenen Ausgaben bewußt zu hohe Ansätze gewählt wurden,
({7})
damit man am Ende des Jahres eine Verfügungsmasse von 4 1/2 Milliarden Mark hatte, die unter Umgehung des Parlaments in der Weihnachtszeit in einer Nacht- und Nebelaktion ausgegeben worden sind.
({8})
Darüber läuft eine Verfassungsklage. Jetzt frage ich den Herrn Bundeskanzler und Sie, Herr Bundesfinanzminister: warum tun Sie denn alles, um die Entscheidung in Karlsruhe über den Wahltag hinauszuziehen?
({9}) Warum tun Sie denn alles dafür?
Genauso: zuerst kündigt man die Neuregelung der Diäten an und sagt: das Verfassungsgerichtsur17078
teil wird schnell vollzogen werden; die Diäten werden versteuert werden. Herr Bundeskanzler Schmidt, Sie haben doch ein Veto eingelegt; Sie wollen es doch nicht haben. Der Gesetzentwurf ist doch fertig; den können wir doch jetzt noch verabschieden!
({10})
Aber Sie scheuen die Verantwortung, die sich daraus ergibt, mit ihren vielfältigen komplexen Einzelproblemen.
({11})
- Wenn Sie mir die Unrichtigkeit des Vorwurfs im ersten Teil - der zweite Teil ist eine kleinere Angelegenheit - beweisen wollen, dann helfen Sie uns jetzt, daß das Urteil in Karlsruhe vor dem 3. Oktober ergeht!
({12})
Und: was heißt hier „solide Finanzpolitik"? Sie melden letztes Jahr einen Schuldenbedarf an, nehmen entsprechenden Kredit auf, stellen am Ende des Jahres fest, daß Sie 10 Milliarden DM zuviel Schulden aufgenommen haben, und weisen diese 10 Milliarden jetzt als erwirtschafteten Überschuß aus.
({13})
Diese 10 Milliarden müssen doch mit dem Geld der Steuerzahler verzinst werden. Das Gesetz der Solidität gilt für unsere Gesetzgebungsmaschine, für die Vorbereitung durch die Ministerien. Die Gesetze der Pünktlichkeit, der Präzision, der Zuverlässigkeit und der Solidität in unserer Finanzwirtschaft sind von oben her in gröblichster Weise mit Füßen getreten worden. Man kann sich um 1 oder 1/2 Milliarde DM täuschen, aber 10 Milliarden DM mehr Schulden aufnehmen, dafür die Zinsen zahlen und dann von Erübrigungen reden, die man erwirtschaftet hat - das ist doch genauso, wie wenn jemand, der sich ein Auto für 20 000 DM kauft, sagt: Jetzt habe ich 80 000 DM gespart, weil ich mir einen Mercedes gekauft habe und keinen Rolls Royce.
({14})
Dadurch habe ich 80 000 DM gespart. - Genau dieselbe Milchmädchenrechnung wagen Sie hier dem Parlament anzubieten.
Ich möchte hier in keine weiteren Einzelheiten mehr hineingehen. Aber nur - ({15})
- Oh, tue ich gerne! Keine Sorge! Danke schön! Aber zum Beispiel: halten Sie es für solide, wenn das Einkommensteuergesetz 1975 im September 1974 verkündet wird, bis zum Tag des Inkrafttretens siebenmal geändert werden muß und innerhalb von drei Tagen fünfmal geändert wird und die letzte Änderung am Tag vor dem Tag der ersten Anwendung erfolgt? Ist das noch die alte Qualität der Reichs- bzw. Bundesfinanzverwaltung, für die Deutschland bzw. die Bundesrepublik sprichwörtlich bekannt war?
({16})
Wenn ich heute Ihre finanzwirtschaftlichen Kernziele, die Sie, Herr Bundeskanzler, am 17. Mai 1974
verkündet haben, unter die Lupe nähme: Eine Steuer- und Kindergeldreform, die ein sozial gerechteres und einfacheres Einkommensteuerrecht bringen soll - das ist doch ein Witz. Die Ablehnung einer Mehrwertsteuererhöhung - Sie haben richtig gehört: Ablehnung einer Mehrwertsteuererhöhung - war ebenfalls finanzwirtschaftliches Kernziel. Kommen Sie jetzt ja nicht im September dieses Jahres daher und sagen, der Wirtschaftsaufschwung hätte Ihnen erlaubt, auf die Mehrwertsteuererhöhung zu verzichten, um damit einen zusätzlichen Wahlschlager zu haben! Jetzt gehen Sie den Weg, den wir für falsch halten, nur zu Ende, wenn Sie ihn für richtig halten sollten!
Weiteres Kernziel ist die Vorbereitung eines Gesetzes zur Vermögensbildung gewesen. Sogar der Ausschuß dafür ist aufgelöst worden, damit keiner mehr auf die Idee kommt, auf dem Gebiet überhaupt noch tätig zu werden.
({17})
Dann bleibt wenigstens noch - hoffentlich - die Körperschaftsteuerreform, falls sie nicht koalitionsinternen Kontroversen und Spannungen zum Opfer fällt.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern vom Staatsanteil gesprochen und gesagt: Der geht einmal rauf, und der geht einmal runter. Ich habe nicht die Fähigkeit, es wie Herr Wehner in so beglükkender Heiterkeit und so ausgeglichener schauspielerischer Form zu sagen: Der geht einmal rauf, und der geht einmal runter. Es ist natürlich richtig, daß der einmal rauf und einmal runter geht. Nur, die Basis und Trendlinie bewegen sich ständig nach oben. Ich fange mit dem Jahr 1966 an
({18})
und höre mit dem Jahr 1976 auf - ich nenne jetzt nicht immer jeweils die Jahreszahlen -: dann ist der Staatsanteil 36,8 °/o, 38,5 °/o - 1967, im Jahr der erhöhten Kreditaufnahme -, 1968 dann 37,6 °/o, 37,4 %, 37,3 °/o, 38,5 °/o, 38,1 °/o. Dann geht es aufwärts: 1973 40 °/o, 1974 43 °/o, 1975 47 °/o, 1976 zwischen 48 und 49 °/o Staatsanteil. Und da beginnen dann doch die Probleme.
Herr Bundesfinanzminister, ich bitte Sie herzlich: Ihre Darstellung der Schuldenlage ist doch in dem von Ihnen gewählten Maßstab irreführend. Erstens können Sie in die Finanzpolitik der ersten 20 Jahre der Bundesrepublik die Altschulden aus der Währungsumstellung nicht einbeziehen. Das ist doch ganz plumpe Bauernfängerei. Zum zweiten haben Sie mit Ihrer Darstellung im Jahre 1973 aufgehört. Das ist genau das Jahr, in dem Sie die letzten Reserven der Inflationskonjunktur verbraucht hatten. Warum bringen Sie die Jahre 1974, 1975, 1976 nicht? Warum sagen Sie denn nicht, daß Sie in den ersten drei Monaten dieses Jahres mehr Kredit aufgenommen haben, als wir in 20 Jahren insgesamt aufgenommen haben? Warum sagen Sie denn das nicht?
({19})
Wo lebt denn der Arbeitnehmer, dieses Fabelwesen, der, wie Sie sagten, auf Grund der allgemeinen Entwicklung und der Steuersenkung 1 700 DM
im Jahr mehr hat? Im Jahr 1975 auf 1976 ist folgende Entwicklung zugrunde zu legen: 1 000 DM auf 1 055 DM - also Bruttozulage 55 DM -; da bleiben einem Ledigen 21,55 DM, einem Verheirateten 22,93 DM. Wenn ich höher gehe, 1 500 DM auf 1 583 DM, bleiben einem Ledigen 31,67 DM, einem Verheirateten mit zwei Kindern 33,40 DM. Wenn ich von 2 000 DM auf 2 110 DM gehe - brutto 110 DM -, bleiben einem Ledigen 26,14 DM, einem Verheirateten 45,47 DM. 2 500 DM auf 2 638 DM - brutto 138 DM -: einem Ledigen bleiben 22,42 DM und einem Verheirateten mit zwei Kindern 50,71 DM.
({20})
Das ist doch das Problem um das es geht: daß im Jahre 1976 von jeder mehr verdienten Mark - ich sage nicht: von jeder verdienten Mark - im Durchschnitt aller Arbeitnehmer 59 Pfennige in die öffentlichen Kassen gehen.
({21})
Wenn ich einmal frage, wie man den Finanzbedarf der öffentlichen Kassen unter Kontrolle bringen kann, erhalte ich keine Antwort. Sie haben zwar gestern zugegeben, Herr Bundeskanzler, daß die Abgabenquote zur Rentenversicherung steigt. Sie haben für die Arbeitslosenversicherung in Aussicht gestellt, daß der Beitrag wieder niedriger werde. Nach der Darstellung der Bundesregierung besteht dafür allerdings bis 1979 überhaupt keine Chance, und von da an kann doch kein Mensch mehr eine Prognose geben. Und warum haben Sie denn die Krankenversicherung verschwiegen, ein Problem, um das die Bundesregierung seit sieben Jahren wie die Katze um den heißen Brei herumgeht? Sie kommen, wenn es so weitergeht, weder mit den 18 % in der Altersversorgung aus, noch bleibt es bei den 11 bis 12 % in der Krankenversicherung. Von den 3 % in der Arbeitslosenversicherung werden Sie lange nicht mehr herunterkommen; sonst muß der Bund höhere Zuschüsse zahlen. Die Guillotine des neuen Steuertarifs erfaßt die Arbeitnehmer und die Bezieher kleinerer Einkommen bei nominal steigenden Einkommen in Addition mit den übrigen Abgaben in einem Ausmaß, wie wir es dargestellt haben. Das sind die Probleme. Wie wollen Sie das ändern? Oder wollen Sie es nicht ändern? Dann sagen Sie es. Wir wollen es ändern. Aber dann muß man auch den Mut haben, es zu sagen.
({22})
Ich darf hier noch wenige Bemerkungen machen. Der Anteil des Eigenkapitals der deutschen Wirtschaft betrug im Jahre 1969 37,7 °/o bei etwa 1000 industriellen Aktiengesellschaften. Bei den anderen Rechtsformen ist er sehr schwer zu erfassen. 1974 lag er noch bei 32,4 %. Unter Ausklammerung der durch Liquidation und Konkurse zusätzlich entstandenen Eigenkapitalverluste entspricht das bei den etwa 1000 Industrieaktiengesellschaften einer Eigenkapitallücke von 16 bis 17 Milliarden DM.
Ich stehe hier nicht als Vertreter einer Schicht der Großgrundbesitzer oder der Industrie.
({23})
- Bei Ihnen gibt es viel mehr Barone als bei uns,
({24})
Leute, die aus sogenannten bürgerlichen Familien kommen. Der Typ der Arbeitersöhne ist bei Ihnen schon längst eine Rarität geworden.
({25})
Ich hätte das nicht gesagt, wenn man nicht immer den diffamierenden Vorwurf einstecken müßte, sobald man solche Zahlen nennt, man betreibe das Geschäft der Industrie. Was über die Großindustrie zu sagen war, habe ich Ihnen heute schon gesagt.
Solange diese Eigenkapitallücke durch einige Jahre guter Erträge nicht geschlossen wird, können Sie Ihre Vorstellungen - auch Sie, Herr Friderichs - von einer Zunahme der jährlichen Realinvestitionen von 8 bis 9 %, die Sie als Voraussetzung für ein reales Wachstum von 4 bis 5 % genannt haben, in den Wind schreiben. Solange diese Eigenkapitallücke nicht geschlossen wird, wird die Investitionstätigkeit nicht auf den Stand kommen, der die Erhaltung unseres sozialen Leistungssystems garantiert.
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende Ihrer Rede.
Sie sagten, Herr Apel, laut „Frankfurter Rundschau": „Wir haben bewußt und gewollt über die öffentliche, über die antizyklische Politik und die Zentralbankpolitik die Investitionsneigung zusammengedrückt." Das ist Ihre Äußerung, unter der Ihr Name steht. Wenn Sie die gesamtwirtschaftlichen Investitionen betrachten, stellen Sie fest, daß wir gegenüber der Normalentwicklung - Frau Präsidentin, ich bin gleich fertig - eine Investitionslücke nach den jeweiligen Preisen von rund 170 Milliarden DM seit dem Jahre 1971 haben. Bei normalem Fortgang der Investitionstätigkeit hätten, das Jahr 1976 eingeschlossen, 170 Milliarden DM mehr investiert werden müssen. Diese Probleme müssen von einer Bundesregierung angepackt werden, auch wenn das manchmal vor den irregeführten Massen Ihrer eigenen Wählerschichten nicht leicht möglich ist.
Eine Schlußbemerkung nicht wirtschaftlicher Art. Der Bundeskanzler beklagte gestern das hohe Maß an Konfrontation. Sie sind hier in bester Gesellschaft, Herr Bundeskanzler, nämlich in Ihrer eigenen. Auf die Frage: „Ist der Bundeskanzler als Regierungschef in der Lage, ein Signal zum Abbau der Konfrontation zu geben?" - diese Frage wurde ihm vor nicht allzulanger Zeit, am 11. Mai 1975, im „Interview der Woche" im Deutschlandfunk gestellt -, sagte er: „Die Antwort lautet nein. Er will es auch gar nicht;
({0})
denn ein erhebliches Maß von Konfrontation zwischen den verschiedenen politischen Problemen ist
für die Lebenserhaltung einer Demokratie unverzichtbar."
({1})
Ich stimme Ihnen zu, Herr Bundeskanzler. Dann dürfen Sie aber hier nicht als Prediger mit theologischen Sentenzen und moralischen Appellen auftreten und draußen genau das, was auch ich vertrete, in dieser Weise qualifizieren.
({2})
Jetzt ist Ihre Redezeit aber wirklich zu Ende, Herr Strauß.
({0}) Strauß ({1}): Ich schaffe es gleich.
({2})
- Ich schaffe es sofort.
Gestern sagte der Herr Bundeskanzler, er habe bei der Beerdigung eines hochgeschätzten Kollegen, des Kollegen von und zu Guttenberg gesagt, es gebe keine Feinde, nur Gegner in der Politik. Ja, dem stimme ich zu. Sie haben aber etwas vergessen, daß Sie in diesem Hause den Kollegen Guttenberg bei einer Debatte im Herbst 1959 in einer klassenkämpferischen gehässigen Weise angegriffen und gesagt haben: Wenn ich Sie so reden höre, Herr Baron, dann bedaure ich, daß wir keine Revolution hatten, die Leuten vom Schlage Ihresgleichen das politische Handwerk unmöglich machen würde. - So war sinngemäß Ihre Ausdrucksweise.
({3})
Und dann haben Sie -
Herr Abgeordneter Strauß, Sie müssen jetzt bitte das Rednerpult verlassen. Ich habe Sie mehrere Male aufmerksam gemacht.
({0})
Dann haben Sie am Grabe -
Herr Abgeordneter Strauß, Ihre Redezeit ist jetzt wirklich zu Ende.
({0})
Dann haben Sie am Grabe -
Herr Abgeordneter Strauß,
({0})
seien Sie so freundlich und beenden Sie Ihre Rede!
Ich darf den Gedankengang noch zu Ende bringen.
Dann haben Sie, Herr Bundeskanzler, am Grabe dieses Wort mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückgenommen und dabei auch im Namen des Kollegen Wehner gesprochen. Wenn Sie aber hier sagen, wie nobel Sie sich am Grabe verhalten hätten, dann müssen Sie auch sagen, wieso Sie Grund hatten, eine solche Entschuldigung am Grabe auszusprechen,
({0})
auch im Namen des Kollegen Wehner, denn als der todkranke Guttenberg hier eine Frage stellte, hat der Kollege Wehner an die Adresse des gefragten Staatssekretärs Frank gesagt: „Billigen Sie doch dem mildernde Umstände zu!"
({1})
Das ist der Stil, den wir in diesem Hause als den Wehner-Stil nicht mehr haben wollen,
({2})
und das ist der Grund, warum ich nicht etwa sage, man möge uns von der Regierung befreien, sondern sage, man möge uns von der Regierung erlösen.
({3})
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist unterbrochen bis 14.45 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Sie werden verstehen, daß ich angesichts der Tatsache, daß der Kollege Strauß im Augenblick noch nicht wieder hier sein kann, mich mit dem Teil meiner Ausführungen, die sich mit ihm auseinandersetzen wollen und sollen, jetzt noch zurückhalte. Ich denke und hoffe, daß er im Lauf der nächsten Minuten doch noch hier sein kann. Auch der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, dem ich zu seinen vorgestrigen Debattenbeiträgen ein paar Worte widmen möchte, kann noch nicht hier sein. Sonst hätte ich ihm - aber vielleicht können Sie ihm das dann mitteilen, Herr Rawe - zugerufen, er möge aufpassen: Hier steht schon wieder ein Sozialist am Rednerpult,
({0})
der nichts anderes vorhat, als für die Ausbreitung des Sozialismus in der Bundesrepublik Deutschland Tag und Nacht Sorge zu tragen.
Sagen Sie mal, wer soll diesen Unfug draußen eigentlich glauben?
({1})
Ich sehe richtig, wie die beiden Kollegen Schmidt
und Genscher als die Bannerträger des MarxismusDr. Graf Lambsdorff
Leninismus durch die deutschen Gaue ziehen und wie Herr Friderichs und die Wirtschaftspolitiker der FDP Tag und Nacht bemüht sind, die Marktwirtschaft zu demontieren. Diesen Unfug glaubt Ihnen niemand, Gott sei Dank!
({2})
Eines aber erreichen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition. Mit jeder solchen Rede - das hat Ihnen mein Parteivorsitzender Hans-Dietrich Genscher ja vorgestern gesagt - ziehen Sie Stützbalken in die sozialliberale Koalition ein. Das ist ein dankenswertes Unterfangen.
({3})
Sie können das auch anders formulieren. Die Firma Carstens, Strauß, Dregger und Co. klebt, leimt und kittet alles, was bei uns einmal rissig werden könnte.
({4})
Wir haben vorgestern von Herrn Dregger gehört, die CDU sei die liberale Partei. Das hören wir ja auch gelegentlich von Ihrem Generalsekretär, dem Professor Biedentandler.
({5})
- Entschuldigung für diesen Versprecher, Herr Rawe. In meinen Notizen steht selbstverständlich Professor Biedenkopf.
Ich nehme an, daß Sie sich versprochen haben.
Jawohl, Herr Präsident.
({0})
- Professor habe ich selbstverständlich auch gesagt.
({1})
- Nein. Das bin ich nicht. Und ich möchte einer
von den ganz schnell gebackenen Professoren gar nicht werden.
Das sagte ausgerechnet Herr Dregger, bei dem ich sagen muß, daß mir die deutsch-nationale Gang-und Tonart, die er angeschlagen hat, so zuwider ist - das sage ich in allem Ernst -, daß sie mir geradezu körperliches Unbehagen bereitet.
({2})
Die Darstellung, die ich gewählt habe, ist sehr zurückhaltend. Man kann das auch so formulieren, wie es Ihr früherer Parteifreund Bucerius vor zwei Wochen in der „Zeit" über die Äußerungen des Herrn Strauß zum Thema Soares und Portugal geschrieben hat: Es sei ihm zum Erbrechen, wenn er die Debattenbeiträge von Strauß lesen müsse.
({3})
Ich gebe zu, daß ich - aus persönlichem Hintergrund - vielleicht ein besonders geschärftes Ohr für deutsch-nationale Tonarten habe. Nur haben die, an die ich denke, damals nicht gewußt, vielleicht auch nicht sehen können, was sie damit anrichten. Wer heute noch so argumentiert, weiß, was damit bewirkt worden ist.
({4})
Die gleichen Methoden im Ansatz erlaubt sich auch Herr Strauß. 1m vorigen Jahr hat er bei der Einweihung eines Bankgebäudes in Düsseldorf eine Ansprache vor etwa 200 Vertretern der Banken und der Wirtschaft aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet mit den Worten eröffnet: Es befalle ihn eine gewisse Befangenheit wegen des geballten Sachverstandes; diese Befangenheit befalle ihn nicht, wenn er im Bundestag zu sprechen habe. Mit diesen billigen Witzen, meine Damen und Herren, zu Lasten dieses Parlaments kann man sich natürlich billigen Applaus holen.
({5})
Aber ich empfehle solchen Witzemachern, nicht so sehr - jedenfalls nicht ausschließlich - die Protokolle des Sächsischen Landtags zu studieren, sondern einmal in den Protokollen des Deutschen Reichstags nachzulesen, wie völkische und nationale Abgeordnete dazu beigetragen haben, das Parlament, dem sie selber angehörten, im Lande schlechtzumachen.
({6})
Herr Professor Carstens hat vorgestern - und ich fordere Sie gleich auf, dem wieder Beifall zu zollen - folgendes ausgeführt - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Dies sehe ich nun allerdings als die historische Schuld der FDP an, daß sie es durch ihr Bündnis mit der SPD ermöglicht, daß die linken, freiheitsfeindlichen sozialistischen Kräfte in dieser Partei ihr Terrain behaupten, ja daß sie es weiter ausdehnen können.
({7})
Wenn es überhaupt als Tatbestand an sich zu kritisieren ist, daß zwei demokratische Parteien dieses Parlaments miteinander koalieren - was ich entschieden bestreite -,
({8})
dann erlaube ich mir allerdings die Frage, ob wir oder Sie es waren, die dafür gesorgt haben, daß die Sozialdemokraten auf die Regierungsbank gekommen sind.
({9})
Ich glaube - das wird unser Koalitionspartner nicht gar so gern hören -, daß es in der Tat ein paar Randgruppen in der SPD gibt, die man so bezeichnen kann. Ich möchte allerdings hinzufügen, daß ich mir über die Problematik der Integration solcher Randgruppen und den daraus folgende Abgrenzungsschwierigkeiten durchaus im klaren bin. Solche Integrationsschwierigkeiten haben Sie genauso wie
jeder von uns. Das kann mann nicht einfach mit „Immer alle gleich rausschmeißen!" beantworten.
({10})
Wir fragen: Wie will eigentlich der Professor Carstens die Behauptung, daß das freiheitsfeindliche Terrain ausgebaut worden ist, auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik - insbesondere aber auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik - in diesem Lande beweisen, vor allen Dingen dann, wenn die Opposition, wie wir alle wissen, fast allen Vorschlägen und Maßnahmen zugestimmt hat? Wollen Sie das etwa beweisen mit der Mitbestimmung? Wollen Sie sich den Ausspruch vom Ermächtigungsgesetz zu eigen machen? Wollen Sie vielleicht behaupten, daß die Kartellnovelle freiheitsfeindliches Terrain freigelegt habe? Sind die Vorschläge zum Arzneimittelrecht - da hat Herr Carstens, wie mein Kollege Mischnick mit Recht dargetan hat, offensichtlich auf der Basis gründlichen und sorgfältigen häuslichen Unterrichts erhebliche Spezialkenntnisse bewiesen - vielleicht eine freiheitsfeindliche Lösung?
({11})
- Ich freue mich darüber, Prinz Wittgenstein; ist ja bestens und in Ordnung. Das ist auch unser Standpunkt. Wir sind alle für eine solche Regelung gewesen. Wenn jemand so belehrungsfähig ist, kann man nur wünschen, er wäre es auf anderen Gebieten auch.
({12})
Die Frage ist, ob denn etwa auf dem Gebiet der Energiepolitik freiheitsfeindliche Politik betrieben wurde oder - um Herrn Strauß zu beruhigen -etwa bei der Körperschaftsteuerreform, von der er schon wieder gemeint hat, sie könne nicht kommen. Er glaubt gar nicht, daß sie kommen könnte. Ich sage Ihnen: sie kommt, weil die Koalitionspartner in der Regierungserklärung des Jahres 1973 versprochen haben, die Körperschaftsteuer mit der Einführung des Anrechnungsverfahrens zu reformieren.
({13})
Herr Carstens, Sie sind jetzt da. Diese Behauptungen, eine zurückhaltende Formulierung, haben kurze Beine.
Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Carstens?
Würden Sie die Freundlichkeit haben, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich Ihre Ausführungen im Fernsehen verfolgt habe und hergekommen bin, um Sie persönlich anzuhören?
Ich war mir gar nicht darüber im klaren, welch prominente Fernsehzuschauer man bei diesen Gelegenheiten hat.
Im übrigen kann ich Ihnen nur sagen, daß wir, die Freien Demokraten, mit diesem Koalitionspartner marktwirtschaftliche Lösungen gefunden haben. Wenn es Ihnen in der Tat um Ihren Anspruch geht, Sie seien d i e liberale Partei, wenn es Ihnen in der Tat um mehr Liberalität geht, Herr Carstens, dann beweisen Sie dies bei § 218, beim Ehe- und Familienrecht, in der allgemeinen Rechtspolitik, in der Strafprozeßordnung und in vielen anderen Gebieten.
Herr Professor Carstens, Sie haben uns vorgestern weismachen wollen, daß Sie nunmehr auf dem Boden der angeblich durch Sie verbesserten - ich streite mich darum nicht; das Ergebnis ist mir wesentlich - Polenverträge Politik machen wollten und daß Sie diese Position bejahen. Ich habe den Eindruck, daß gestern untergegangen ist, was der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten berichtet hat, daß nämlich einer der frühen Befürworter der PolenVerträge aus Ihren Reihen, der Vorsitzende der Jungen Union, dreimal für einen vorderen Listenplatz in Baden-Württemberg kandidiert hat und dreimal durchgefallen ist. Dies ist die Rache des Herrn Filbinger für die Polen-Politik und die PolenHaltung des Herrn Wissmann gewesen.
({0})
Sie müssen uns erst einmal beweisen, daß hinter Ihrer Polen-Entscheidung ein Wandel Ihrer Überzeugung und nicht die opportunistische Überlegung steht, einheitlich abstimmen zu müssen, weil die Zustimmung anders ohnehin nicht zu verhindern war.
({1})
Für meine Freunde sage ich sehr eindeutig: wenn die elf Namen derer aus Ihrer Fraktion, die für die Verträge waren, einmal auch für die Mehrheit Ihrer Fraktion stehen sollten, ergeben sich vielleicht völlig neue Perspektiven. Statt dessen aber stimmt nun auch der Kanzlerkandidat der CDU/CSU in Ihre mißtönenden Freiheitsarien ein. So zu lesen in der „Bild"-Zeitung vom 20. April 1976.
({2})
- Herr Eigen, ich sehe Sie mit Interesse hier sitzen. Wir vergessen Ihnen Ihren Ausspruch „Die FDP wird eines Tages zerquetscht werden wie eine Laus" nicht.
({3})
Ich wiederhole meine Empfehlung: wechseln Sie den Beruf, werden Sie Kammerjäger!
({4})
Ich darf nun mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident - die Worte des Herrn Kohl aus der „Bild"-Zeitung vom 20. April 1976 zitieren:
Es geht jetzt um die Entscheidung im Grundsätzlichen. Wir müssen wieder lernen, was Freiheit ist, so wie damals nach dem Ende der NaziDr. Graf Lambsdorff
herrschaft: frei reden können, reisen, wohnen, einkaufen, alles selbstverständliche Dinge, aber für viele Millionen gar nicht so selbstverständlich. Der Sozialismus, in welcher Form auch immer, hat dies noch nirgendwo vermocht.
Es wird hier niemanden überraschen: ich bin kein Sozialist, ich bin auch kein demokratischer Sozialist, ich werde auch keiner, und mit der FDP findet Sozialismus nicht statt. Aber solche Schwarzweiß- oder besser Rotschwarzurteile sind nach meiner Überzeugung auch im Wahlkampf unzulässig. Will Herr Kohl etwa skandinavischen Sozialisten klarmachen, die seit 30, 40 Jahren an der Regierung sind - aus meiner Sicht gar nicht immer mit positivem Ergebnis -, daß man dort nicht frei reden, frei wohnen, frei reisen kann?
({5})
Noch einmal: ich bin auch kein schwedischer Sozialist, wir sind keine, und ich will auch keine schwedischen Modelle in der Bundesrepublik; aber ich gebe auch nicht zu Beginn eines Wahlkampfes meinen Verstand an der Garderobe ab!
({6})
Hier geht es doch darum: wer so argumentiert wie Sie, Herr Professor Carstens, wie Herr Dregger, Herr Strauß, Herr Filbinger, aber auch wie Professor Biedenkopf, der streitet nicht mehr um die besseren Argumente für den Wähler, sondern der bestreitet der liberalen Partei die Existenzberechtigung im politischen Leben dieses Landes.
({7})
In Saarbrücken und Hannover rollen Ihre Parteifreunde uns den roten Teppich aus, und hier sprechen Sie im Geiste des Hinauskatapultierens und des Mehrheitswahlrechts.
({8})
- Herr Professor Carstens, dies hat Herr Genscher schon so verstanden, und wir wissen sehr genau und sehr scharf zuzuhören. Wir haben die Erfahrungen in der Koalition mit Ihrer Partei gemacht, daß wir mehrfach an den Rand des politischen Exitus gedrängt wurden. Hier sind unsere Sinne ganz verdammt geschärft.
({9})
Wenn ich in meinem Wahlkreis, Herr Professor Carstens, -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wörner?
Selbstverständlich.
Bitte sehr, Herr Dr. Wörner!
Herr Kollege Graf Lambsdorff, als ein Augen- und Ohrenzeuge und Mitbeteiligter bei der Aufstellung der Bezirksliste des Landes- und Bezirksverbandes Nordwürttemberg darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß der Bundesvorsitzende der Jungen Union, übrigens ein persönlicher Freund von mir, Herr Wissmann, einen aussichtsreichen Direktwahlkreis der CDU im Lande Baden-Württemberg erhalten hat, und ob Ihnen bekannt ist, daß entgegen Ihrer Behauptung der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg bei dieser Aufstellung überhaupt nicht mitgewirkt hat, sondern daß das die Delegierten des Bezirksparteitags beschlossen haben, und ob Sie schließlich wissen, daß der ausschlaggebende Gesichtspunkt für eine Abstimmungsniederlage in der Kandidatur gegen andere - darunter eine Frau - darin zu sehen war, daß die meisten Delegierten Herrn Wissmann für fähig hielten, diesen Wahlkreis direkt zu erobern.
({0})
Herr Wörner, ich darf mich für diese Zwischenfrage bedanken und sie mit zwei Fragen beantworten.
Erste Frage: Warum um alles in der Welt hat Herr Wissmann, wenn er über einen aussichtsreichen Wahlkreis verfügt, dreimal versucht, einen sicheren Listenplatz zu bekommen?
({0})
Zweite Frage: Wollen Sie eigentlich im Ernst jemandem, der 25 Jahre lang Politik betreibt und damit auch das Aufstellen von Landeslisten kennt, weismachen, daß der Landesvorsitzende und Ministerpräsident dabei überhaupt keine Rolle spielt und keine Entscheidung trifft?
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Wörner, eine Frage können Sie stellen, aber nur eine Frage.
Herr Präsident, wenn das nicht von meinere Redezeit abgeht, gern.
Nein, nein.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Kollege Lambsdorff, darf ich Sie fragen, warum beispielsweise der Bundeskanzler und andere führende Politiker der SPD und auch der CDU, die absolut oder jedenfalls weitgehend sichere Wahlkreise haben, dennoch auf Landeslisten erscheinen und dafür kandidieren, wenn das so unmöglich ist.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für die Antwort des Redners.
Herr Kollege Wörner, ich bemühe mich, wie Sie wissen, alle Zwischenfragen erstens zuzulassen - ich habe noch nie eine nicht zugelassen - und zweitens zu beantworten, aber in diesem Falle kann ich wirklich nur auf das allgemeine Gelächter als Antwort verweisen.
({0})
Herr Professor Carstens, lassen Sie mich, bevor ich diesen Teil zu Ende bringe, folgendes sagen. Ich habe hier einen Brief in der Hand, der in meinem Wahlkreis verbreitet wird, einen Brief auf dem Briefbogen des Bundestages mit dem Bundesadler drauf, in dem zu Koalitionsfragen kritisch Stellung genommen - das ist das Recht eines jeden Mitgliedes dieses Hauses - und die Schlußfolgerung zu Papier gebracht wird, daß es sich bei einem solchen Bündnis nicht mehr um eine Regierung, sondern um ein Regime handle.
({1})
Den Ausdruck „Regime", Herr Professor Carstens, hat Herr Dregger gestern mit Recht für das SED-Regime gebraucht, und wir sprachen vom Francound Salazar-Regime. Aber es ist in hohem Maße unzulässig, daß ein Mitglied dieses Hauses von einer Regierung, die von der Mehrheit dieses Hauses gebildet wird, als einem „Regime" spricht. Sie haben die Gelegenheit - ich bitte Sie darum -, dies in Ordnung zu bringen.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Graf Lambsdorff, wollen Sie behaupten, daß ich diesen Brief geschrieben habe?
Um Himmels willen nein!
({0})
- Ich habe das selbstverständlich nicht gesagt. Es war ein Mitglied Ihrer Fraktion. Entschuldigung, ich wollte mich auf keinen Fall mißverständlich ausdrücken.
({1})
Der Brief steht zu Ihrer Verfügung.
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Mit dieser Argumentation und diesem Verhalten machen Sie der FDP ihre Koalitionsentscheidung in der Tat jeden Tag leichter.
({2})
- Ich brauche überhaupt keine Entschuldigung; ich brauche eine Begründung. Ich brauche eine Begründung für jede Entscheidung, auch nachher, Herr Rawe. Meistens pflegen wir uns die Begründung allerdings auszudenken, bevor wir etwas entscheiden. Das ist eine Reihenfolge, die ich auch Ihnen empfehle.
({3})
Der Herr Bundesfinanzminister a. D. Franz Josef Strauß hat seinen Rundum-Kahlschlag abgeliefert und erscheint nicht wieder. Wahrscheinlich hat er wieder eine Sondersitzung der CSU-Landesgruppe; die ist ja insgesamt nicht vertreten. Ich habe also wieder einmal das bedauerliche „Vergnügen", mich mit ihm in absentia auseinanderzusetzen. Herr Strauß hat es für richtig befunden, dem Bundeskanzler heute unter Zitierung des France Soir vorzuwerfen, er werde dort als Feldwebel bezeichnet. Im übrigen hat er eine sehr kritische Stellungnahme dieser französischen Zeitung verlesen.
Meine Damen und Herren, ich zitiere drei Pressestimmen. Die „Weltwoche", Zürich 1962:
Strauß hat die Spielregeln der Demokratie verletzt. Er hat einen unglaublich nachtragenden, rachsüchtigen Charakter.
({4})
Ich zitiere die „New York Herald Tribune" vom Mai 1963:
In der US-Regierung wird vermutet, Deutschland werde, sollten ihm Kernwaffen verweigert werden, wahrscheinlich in den Militarismus des Ersten, wenn nicht gar in den Nazismus des Zweiten Weltkrieges zurückfallen. Das ist der Schatten des Franz Josef Strauß und seiner bayerischen Anhänger. Deshalb ist es dringend nötig, etwas zu tun, um die Deutschen von der Rückkehr zu diesem Urbild abzuhalten.
({5})
Ich zitiere eine dritte und letzte ausländische Pressestimme, die Zeitschrift „Haaretz" aus Israel vom Mai 1963:
Seine Fähigkeiten werden durch Ehrgeiz, Taktlosigkeit und Ansätze von Herzlosigkeit begleitet.
({6})
Meine Damen und Herren, ich tue dies, weil ich mich gegen das Verfahren wende, einseitig negative Pressestimmen herauszusuchen, hier vorzutragen und so zu tun, als sei das die gesamte ausländische Meinung. Wir identifizieren uns keineswegs - jedenfalls nicht in vollem Umfang - mit dem, was ich zitiert habe. Aber wir wehren uns gegen diese Art der Darstellung und gegen diese Art der politischen Auseinandersetzung.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?
Herr Kollege Graf Lambsdorff, glauben Sie ernsthaft, daß der Bundeskanzler mit diesen Äußerungen über unsere Nachbarländer der deutschen Politik wirklich gedient hat?
Herr Rawe, über die Frage, ob dies der deutschen Politik heute und morgen dient, kann man lange debattieren.
({0})
- Sagen Sie doch einmal auf jede Frage ja oder nein, Herr Wohlrabe.
({1})
- Ich frage Sie, ob es richtig ist, daß Sie vor 14 Tagen aufgehört haben, Ihre Frau zu verprügeln. Nun sagen Sie einmal ja oder nein.
({2})
Herr Rawe, Sie können diese Frage kurzfristig durchaus mit Recht stellen. Ob dies aber langfristig im europäischen Interesse - das deutsche langfristige und europäische langfristige Interesse sind, für mich jedenfalls, deckungsgleich - nicht eine nützliche Kritik war, können wir, Sie und ich, heute noch nicht abschließend entscheiden.
({3})
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Strauß hat sich hier heute wieder in seiner bekannten und bewährten Rolle dargestellt. Er ist ein nachhaltiger Unterstützer, Freund und Förderer der sozialliberalen Koalition.
({4})
Wir wollen von ihm, um seine Worte aufzugreifen, auch keinesfalls „erlöst" werden. Er soll auch seine Piloten-Lizenz behalten; er soll weiter hier zu seinen Kamikaze-Flügen antreten.
({5})
Aber, meine Damen und Herren, der Kollege Strauß hat es für richtig befunden, Bundesfinanzminister Apel heute mit einem Ausdruck zu belegen, den ich nicht wiederholen will. Ich möchte dem nur ein Zitat aus einer allgemein bekannten Rede - ich will diesen schönen bayerischen Kurort nicht nennen - entgegenhalten. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:
Lieber eine weitere Inflationierung, weitere Steigerung der Arbeitslosigkeit, weitere Zerrüttung der Staatsfinanzen in Kauf nehmen, als das anzuwenden, was wir als Rezept für notwendig halten mit der Maßgabe, daß sie sagen: Seht, solange wir da sind, ist unser Leiden ja nicht gar so schlimm.
({6})
Dieses Zitat aus der Rede des Herrn Strauß, meine Damen und Herren, war ja eben das, was wir den „Weg über Trümmer zur Macht" genannt haben.
({7})
Weiter, meine Damen und Herren: Wenn hier jemand dem Bundesfinanzminister vorwirft, er habe bewußt die Unwahrheit gesagt, dann möchte ich zitieren, was Herr Strauß an dieser Stelle vor etwa zwei Stunden ausgeführt hat: „Die Bundesregierung", sagte er, „hat die Rezession bewußt oder fahrlässig übers Land gebracht." Meine Damen und Herren, „bewußt übers Land gebracht" bedeutet, daß wir uns hergestellt und bewußt für Arbeitslosigkeit, bewußt für Exportausfall, bewußt und gezielt für die Probleme gesorgt haben, die uns in den vergangenen Jahren beschäftigt haben.
({8})
- „Oder fahrlässig", das ist die einzige Einschränkung, meine Damen und Herren.
({9})
- Hochverehrter Herr Justizminister außer Diensten, so viel ist Ihnen doch wohl noch klar, daß der Vorwurf „bewußt oder fahrlässig" unter Juristen ganz klar beide Möglichkeiten offenläßt. Wenn Herr Strauß das Wort „bewußt" zurückzieht und das Wort „fahrlässig" stehenläßt, so bin ich einverstanden, mit ihm darüber zu reden. Aber der Vorwurf, wir hätten bewußt die Rezession gewollt, ist um kein Haar besser als der abstruse Vorwurf, Sie wollten bewußt die Arbeitslosigkeit.
({10})
Meine Damen und Herren, ich möchte mit einem bekannten französischen Außenminister sagen: So sehr ich dies kritisiere, es war kein Verbrechen; es war schlimmer: es war dumm, was Herr Strauß hier gesagt hat.
({11})
Seine nächste Formulierung war - das muß man wirklich zweimal hören -, der weltwirtschaftliche Rückschlag hätte bei richtiger Politik nur zum Abbau der Übernachfrage geführt. Meine Damen und Herren, wir haben einen schrumpfenden Welthandel in allen Ländern der westlichen Welt, nicht nur der westlichen Welt, sondern auch in den Staatshandelsländern ist es ja - lediglich verschleiert - genauso. Wir haben einen Exportrückgang um 10,5 % von 1974 auf 1975. Nun stellt sich jemand, der finanzpolitischer Sprecher einer Fraktion sein will, hin und sagt im Ernst, der weltwirtschaftliche Rückschlag hätte bei richtiger Politik nur zum Abbau der Übernachfrage geführt. - Herr Müller-Hermann, das glauben wir doch beide nicht.
Lassen Sie mich nun zu dem Hauptthema, das Herr Strauß heute angeschlagen hat, kommen, nämlich zum Thema Stabilität. Hier sei noch einmal festgehalten, was heute morgen schon gesagt wurde.
Die entscheidende Wende in der Stabilitätspolitik hat diese Bundesregierung im Mai 1973 vollzogen, als sie die Abkopplung von der Ankaufspflicht vom US-Dollar durchgesetzt hat.
({12})
Sie hat sie durchgesetzt - das ist die bedeutende außenpolitische Leistung gewesen -, ohne damit außenpolitischen Schaden bei unseren Partnern herbeizuführen.
({13})
Anders, ohne diese Abkopplung, war Geldmengenpolitik nicht möglich. Ohne monetäre Instrumente ist die Fiskalpolitik nicht imstande, die Inflation zu bekämpfen. Das wissen wir doch.
Wir haben niemals behauptet - ich habe das hier schon mehrfach vorgetragen -, daß diese Inflation etwa nur vom Ausland zu uns gekommen sei, daß nicht auch ein Teil Hausgemachtes darin läge. Meine Damen und Herren, diejenigen, die hier zugehört haben, Herr Müller-Hermann, Herr Sprung, wissen alle und haben es x-mal von mir gehört, daß ich das nie behauptet habe. Ich werde auch niemals so töricht sein zu glauben, wir hätten nicht auch Fehler gemacht, alle wie wir da sind. Aber es ist Selbstgerechtigkeit zu sagen: „Alles habt nur ihr falsch gemacht, wir sind weiß und unschuldig wie die Engel."
({14})
Herr Professor Carstens, Sie haben trotz vorhergehender Warnungen vorgestern wieder zur Wirtschaftspolitik gesprochen.
({15})
Sie haben, Herr Professor Carstens, wörtlich formuliert - das paßt genau in diesen Zusammenhang; ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Wir müssen immer wieder daran erinnern, daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen wir seit über einem Jahr stehen, die schwere Arbeitslosigkeit, die Rezession, die mangelnde Bereitschaft der Wirtschaft zu investieren, ihren Ursprung in der Inflationspolitik der Regierung von SPD und FDP in den Jahren 1969 bis 1973 haben.
({16})
- Danke, daß Sie es bestätigen. Genau dieselbe Tonlage hörten wir natürlich von Herrn Strauß. Herr Stoltenberg, der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, macht es intelligenter. Ich behaupte, ohne daß ich Ihnen damit hoffentlich zu nahe trete, auf diesem Gebiete hat er es auch relativ leicht, es intelligenter als diese beiden Konkurrenten zu machen.
({17})
Aber auch Herr Stoltenberg verschweigt, was er besser weiß. Er weiß nämlich ebenso wie Herr Strauß, daß die Verhinderung der Aufwertung in den Jahren 1968/69 eine der entscheidenden Voraussetzungen für Entwicklung, Fortbestand und Ausdehnung der Inflation gewesen ist.
Meine Damen und Herren, Herr Strauß hat es heute für richtig gehalten, aus dem Sachverständigengutachten des vorigen Jahres zu zitieren. Ich möchte das Zitat aufgreifen, das Professor Giersch kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit der Überschrift „Die Investitionsschwäche überwinden" gebracht hat. Das hat Herr Strauß natürlich nicht getan. Da heißt es - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Eine Mitverantwortung dafür fällt denen zu, die 1968 und danach die Aufwertung der D-Mark verhindert bzw. verzögert haben. Gesagt wurde es ihnen vom Sachverständigenrat.
Es heißt weiter:
Die Warnungen und Empfehlungen bleiben ungehört. Sie legen nahe, daß man die Fehlentwicklungen für heute nicht allein der Kleinen, sondern auch der Großen Koalition anzulasten hat.
Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich ein zweites Zitat anführen. Jürgen Eick schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Entwicklung beim Volkswagenwerk im Zusammenhang mit dem Bau eines Montagewerks:
Das war damals auch eine Folge des falschen Wechselkurses, der Unterbewertung der Mark. Alle diejenigen, die sich gegen die Aufwertung der D-Mark mit Händen und Füßen gesträubt haben, tragen die Mitverantwortung an dieser enormen Exportlastigkeit, an den daraus resultierenden Verzerrungen der Produktionsstruktur.
Dies ist nichts anderes als das, was ich Herrn Strauß vor einem Jahr gesagt habe. Die VW-Arbeiter in Emden, die arbeitslos geworden sind, dürfen sich zu einem guten Teil beim früheren Finanzminister Franz Josef Strauß dafür bedanken.
({18})
Damals war die Antwort von Herrn Strauß: Das ist die neue Lambsdorff-Legende. Herr Strauß, Sie können jetzt hinzufügen: Es ist auch die neue FAZ-Legende.
({19})
Herr Strauß, Sie sind hier heute zu meiner Überraschung noch einmal als ein Anhänger fester Wechselkurse aufgetreten. Freilich haben Sie hinzugefügt, sie seien im Augenblick nicht möglich. Glauben Sie ernsthaft, Herr Kollege Strauß, daß es in einem System freier Länder, die ihre Konjunktur-und Wirtschaftspolitik allein bestimmen, möglich sein wird, jemals wieder zu einem Zustand zurückzukommen, in dem Sie alle, völlig unabhängig von Wahlüberlegungen und ähnlichem, dazu veranlassen könnten, monetäre Disziplin zu halten, und in dem
diejenigen, die sich nicht daran halten, nicht durch die Auswirkungen der freien Wechselkurse bestraft werden müßten, um auf den Pfad der Tugend zurückzukehren?
({20})
- Dies ist doch nicht eine Frage von Somalia. Wir wissen doch ganz genau, in welchem Lande das Zusammenbrechen der Währungsdisziplin zu dem Zusammenbrechen von Bretton Woods geführt hat. Sie werden wohl nicht behaupten, daß das Somalia war, wobei ich mir übrigens Ihre Bewertung der Entwicklungsländer nicht zu eigen machen möchte.
({21})
Herr Strauß, im übrigen haben Sie hier formuliert, die Zahlungsbilanzdisziplin sei angesichts der Exportstärke kein Problem für die Bundesrepublik Deutschland.
({22})
- Auch „gewesen" ist nicht richtig. Sie ist immer ein Problem gewesen. Herr Strauß, die Exportlastigkeit der Bundesrepublik Deutschland - d. h. das große Plus in der Leistungsbilanz und damit in der Zahlungsbilanz - hat uns doch unerhörte Probleme im Verhältnis zu unserem Nachbarn gebracht, hat doch zu Ansprüchen gegen uns geführt,
({23})
hat doch dazu beigetragen, daß die D-Mark in einem Maße aufgewertet worden ist, das zu Folgen führte, die Sie mit zu vertreten haben.
({24})
- Nein, ich rede nicht vom Nachgang der Auslandsrückfrage, sondern ich rede davon, daß Zahlungsbilanzdisziplin nicht nur nach oben geht
- dies liegt Ihnen freilich nahe -, sondern daß sie natürlich genauso nach unten geht, daß Sie nach beiden Seiten hin eine ausgeglichene, ausgewogene Zahlungs- und Leistungsbilanz als Ziel der Wirtschaftspolitik brauchen. Sie können nicht schlichtweg an die Adresse unserer Nachbarn sagen: Wir sind exportstark, wir brauchen uns darum nicht zu kümmern. Wir sammeln die Guthaben. Das sind zwar eure Defizite, aber ihr müßt sehen, wie ihr damit fertig werdet.
({25})
Herr Strauß, ich will den Bundestag heute nicht noch einmal mit der Reihe von Fragen aufhalten, die ich Ihnen schon mehrfach gestellt habe, ohne daß Antworten darauf gekommen sind. Ich habe Sie schon häufig genug gefragt, ob Sie für die Steuererhöhungen der Jahre 1967 und 1968 verantwortlich gewesen sind, als Sie Bundesfinanzminister waren, ob die arbeitsrechtliche Lösung der Lohnfortzahlung in der Großen Koalition mit Ihrer Stimme verabschiedet worden ist, ob das Arbeitsförderungsgesetz, das zu meinem Erstaunen gestern hier noch verteidigt worden ist - trotz seiner von allen beklagten Auswirkungen, die wir durch das Haushaltsstrukturgesetz beseitigt haben -, mit
Ihrer oder ohne Ihre Verantwortung geschaffen worden ist. Glauben Sie eigentlich, daß im Jahre 1969 in der Form eine Zäsur eingetreten ist, daß Sie alles von sich schütteln, nach München gehen und sagen konnten: „Nach mir die Sintflut; ich kümmere mich um gar nichts mehr. Für das, was sich nachwirkend aus meinen Entscheidungen ergibt, lehne ich die Verantwortung ab!"? So einfach und so billig geht es nicht.
({26})
Ich will mich heute nur deshalb, weil es von Ihnen angesprochen worden ist, mit dem Thema der Stabilitätspolitik beschäftigen, weil die Stabilitätspolitik in den Bereich der Finanzen fällt und weil die internationalen Entscheidungen in diesem Ministerium ressortieren. Bundesregierung und Bundesbank haben mit großem Erfolg und konsequent einen Stabilitätskurs eingehalten, den wir mit diesen Ergebnissen für die Jahre 1975 und 1976 kaum erwartet hätten. Daß wir im April - Herr Kirst hat das heute morgen schon gesagt - mit einer Preissteigerungsrate von 5,2 % den niedrigsten Anstieg seit vier Jahren verzeichnen können, hat mich als positives Ergebnis überrascht. Herr Sprung, ich sage gleich dazu, wie ich es immer hier gesagt habe, daß auch 5,2 % Preissteigerungsrate auf die Dauer zu hoch sind und zu hoch bleiben. Wir sind dadurch nicht von der Verpflichtung entbunden, weiter Stabilitätspolitik zu betreiben. Denn: Stabilität ist nicht alles, aber ohne Stabilität ist alles nichts.
({27})
- Von wem, bitte?
({28})
- Danke. Herr Strauß sagt gelegentlich auch etwas, was man übernehmen kann, wie ich sehe.
({29})
Meine Damen und Herren, zu diesem Erfolg haben ganz wesentlich - ich meine, das sollte hier nach beinahe vier Jahren Regierungsarbeit zum Abschluß gesagt werden - das Stabilitätsbewußtsein und die Bereitschaft unserer Bevölkerung beigetragen, im Interesse der Stabilität Unbequemlichkeiten, ja, Opfer auf sich zu nehmen. Dafür sollten wir uns hier einmal bedanken.
({30})
Diesem Bedanken könnte sich sogar die Opposition anschließen.
({31})
Denn ohne diese Unterstützung, ohne diese Hilfe, ohne diesen Zuspruch hätte eine solche Politik nicht erfolgreich durchgeführt werden können.
Ich glaube auch, die Bevölkerung ist klüger als der Verfasser eines Aufsatzes, der gestern im Deutschlanduniondienst erschienen ist, der heute ja auch von Herrn Althammer der Sache nach eingeführt worden ist, und zwar in der Frage der Zinshöhe, der Verzinsung von Sparguthaben. Natürlich
möchten auch wir als Ziel der Stabilitätspolitik eines Tages wieder erreichen, daß der Zins oder gar der Realzins nicht nur der Ausgleich für Inflationsschäden ist, sondern wieder ein Preis für Konsumverzicht wird.
({32})
- Ich sage ja: Das möchten wir erreichen.
({33})
- Darüber werden wir uns noch zu unterhalten haben. Wir haben jedenfalls so viel erreicht, daß jedem Anleger in der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit gegeben ist, einen Zins über die Entwertungsrate hinaus zu erzielen, jedenfalls bei längerer Anlage.
({34})
- Das müssen Sie sich einmal ansehen. Das habe ich heute schon mit einem Ihrer Kollegen diskutiert, Herr Sprung. Sie kennen doch die Sparstatistik genauso, wie ich sie kenne. Jedenfalls steht sie Ihnen zur Verfügung.
({35})
Daß wir in den letzten Jahren erhebliche Umschichtungen, einen erheblichen Strukturwandel zu mehr mittelfristigen Spareinlagen erlebt haben, darüber besteht doch kein Zweifel. Daß im Rahmen der Ersparnisbildung die Zinsempfindlichkeit, die Reagibilität auf bessere Zinsen größer geworden ist - dankenswerterweise -, darüber besteht doch auch kein Zweifel.
Ich unterstütze voll, was der Präsident der Deutschen Bundesbank vor wenigen Tagen auf dem Sparkassentag in Düsseldorf gesagt hat - es ist aus bekannten Gründen nicht gedruckt worden -, auf dem er die Sparkassen aufgefordert hat, den Unterschied zwischen den Sparguthaben mit gesetzlicher Kündigungsfrist und den längerfristigen Anlagen - Sie sind dabeigewesen - doch möglichst größer zu gestalten, und zwar nicht indem man unter etwas wegnimmt, sondern indem man oben etwas hinaufpackt.
Nur müssen Sie doch eines sehen: Wer im gegenwärtigen Zeitpunkt nach höheren Zinsen ruft und gleichzeitig eine mittelstandsfreundliche Kreditpolitik verlangt, fordert natürlich das Ei des Kolumbus.
({36})
- Ich habe gesagt: im Augenblick. Daß wir mehr Stabilität brauchen und mehr Stabilität wollen und auf dem richtigen Weg zu mehr Stabilität sind, bestreitet bei uns niemand. Sie bestreiten das vielleicht, weil Sie Zahlen verleugnen wollen. Aber die Zahlen zeigen, daß wir auf dem Weg zu mehr Stabilität sind.
Es ist natürlich nicht nur das Verhalten der Bevölkerung gewesen, sondern auch - und das zu erwähnen ist wichtig - das Verhalten der Tarifpartner. Die Gewerkschaften haben sich in diesem Jahr in
den Lohnrunden ebenso wie ihre Partner vorbildlich verhalten. Es ist gut und richtig, ihnen das auch hier zu bestätigen. Das gilt für beide Seiten.
Das gilt auch für den Arbeitgeber im öffentlichen Dienst. Ich meine; es ist richtig, auch dem Bundesinnenminister einmal zu sagen, daß das Verhandlungsergebnis, das er im öffentlichen Dienst erzielt hat und das Wegweiser für Tarifverhandlungen in anderen Bereichen ist, häufig Marksteine setzt, von uns dankbar akzeptiert werden kann.
({37})
Das, was an 5,4 % in diesem Jahre im Schnitt vereinbart worden ist, ist richtig. Es ist für die Volkswirtschaft verträglich, es ist vertretbar, und es ist ein gutes Ergebnis. Ich hoffe sehr, daß gelegentliche Schlenker, wie sie jetzt in einem Teil der ChemieVerhandlungen vorkommen, wo die Indexierung von Löhnen verlangt wird, wirklich nur Schlenker bleiben.
Aber man muß auch einmal klarmachen, welche Bedeutung maßvolle Tarifabschlüsse für die Volkswirtschaft in Mark und Pfennig haben: 1 % Bruttolohnsumme mehr kostet die gewerbliche Wirtschaft im Jahr 4,5 Milliarden DM. Die gesamte, also nicht nur auf das Gewerbe beschränkte Vermögensteuer erbringt in einem Jahr nur 4,1 Milliarden DM. Hier muß man die Relationen sehen, um auch vernünftig abzuwägen, was es denn mit den vielbesprochenen Steuerentlastungen auf sich haben kann, selbst wenn wir es fiskalpolitisch ermöglichen könnten, was denn im Endeffekt dabei herauskommt, im Vergleich zu solchen maßvollen Abschlüssen.
({38})
Ich möchte mit aller Deutlichkeit betonen, daß wir der Überzeugung sind und dem Bundeswirtschaftsminister zustimmen: auch auf der Preisseite ist nunmehr Disziplin notwendig. Wenn jetzt gleich wieder der Zwischenruf „VW" oder „Aral" kommt, dann bitte ich Sie einmal, sich doch die Frage zu überlegen, ob die darin liegende Aufforderung, die man ja wohl nicht anders hören kann, mit Ihrer im Rahmen der Mitbestimmungsdiskussion so nachhaltig vertretenen Auffassung über die Unabhängigkeit und die Entscheidungsbefugnis von Vorständen und deren Erhaltung im Sinne des Aktiengesetzes in Übereinstimmung zu bringen ist.
({39})
Ich habe da meine Zweifel. Wir sind aber in dieser -
Bitte sehr!
Graf Lambsdorff, würden Sie mir nicht zugeben, daß ein Hinweis auf Aral oder VW nicht vielmehr so zu interpretieren ist, daß man nicht mit Steinen werfen sollte, nämlich auf andere Unternehmer, wenn man selber als Mehrheitsaktionär im Glaushaus sitzt?
({0})
Herr Schröder, die Kritik, die sich an alle richtet, ist selbstverständlich
gerechtfertigt. Sie richtet sich an die Vorstände von Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist, genauso wie an die, an denen der Bund nicht beteiligt ist. Es muß einer Bundesregierung erlaubt sein, volkswirtschaftliche Kritik zu üben, und sie ist sogar verpflichtet dazu. Aber sie muß sie alle einbeziehen, und da bin ich mit Ihnen einig. Aber dann müßten Sie hier die Zwischenrufe nicht nur auf VW und Aral beschränken. Das ist Ihr falscher Ansatz in dieser Diskussion.
({0})
In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die Nachschlagdiskussion von einigem Interesse. Wir haben schon bei der Diskussion zum Jahreswirtschaftsbericht gesagt: eine Öffnungsklausel wollen wir nicht, aber die Arbeitgeber müssen flexibel sein, wenn - und auf dieses Wenn kommt es an - die Preissteigerungsraten deutlich über denen liegen, die als Geschäftsgrundlage bei diesen Lohnabschlüssen zur Verfügung gestanden haben. Sie dürfen nicht Nachschläge fordern, wenn die Gewinne höher steigen. Denn das ist ja das Ziel dieser Politik, über bessere Gewinne zu mehr Investitionen zu kommen.
({1})
- Es geht noch weiter, Herr Sprung, keine Sorge!
- Deshalb war das, was die IG Druck in diesen Tagen getan hat, die nun heute zu meiner Freude, mit 6 % - mit einigen Nebenleistungen - abgeschlossen hat, wenig hilfreich.
Aber noch viel weniger hilfreich war das, was der Kanzlerkandidat der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union zum Thema Nachschläge in die Welt gesetzt hat. Herr Strauß hat sich vorhin darüber beklagt, die CSU dürfe in der „Welt der Arbeit" nicht zu Wort kommen. Das kann ich nicht beurteilen, ich bin da auch nicht Chefredakteur, ich habe da keine Dispositionsbefugnis.
({2})
Aber, Herr Strauß, Ihr Kanzlerkandidat ist zu Wort gekommen und ich fürchte, es wäre ihm beinahe lieber, er wäre es nicht. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:
Sollten sich die Preise so stark erhöhen, daß die Arbeitnehmer trotz Lohnerhöhungen weniger mit ihrem Geld kaufen können als bisher, werden neue tarifpolitische Überlegungen notwendig sein, um den sozialen Frieden zu erhalten.
({3})
Dies bedeutet: Herr Kohl hat überhaupt nicht gemerkt, daß schon die jetzigen Abschlüsse bedeuten
- und dies ist ja ein Opfer, das anerkannt werden muß -, daß die Arbeitnehmer, so formulierte er, trotz Lohnerhöhungen weniger mit ihrem Geld kaufen können als bisher. Das ist ihm gar nicht klargeworden.
({4})
- Das steht eindeutig so in der „Welt der Arbeit", Herr Schröder. Das können Sie sich dreimal durchlesen und dann werden Sie es mit Sicherheit verstehen.
({5})
Hier ist aus Solidarität und Vernunft ein Verlust an Realeinkommen hingenommen worden, - Solidarität doch wohl gegenüber den arbeitslosen Kollegen. Und da geht der Kanzlerkandidat der Partei, die unentwegt behauptet, die Koalition verletze das Gebot der Stabilität, hin und fordert in dieser Weise zu Nachschlägen auf!
Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder ({0}) ?
Bitte.
Graf Lambsdorff, gestehen Sie mir zu, daß die conditio, nämlich das „sollten", vom Kanzlerkandidaten der Union im Sinne einer Aufforderung zu Preisdisziplin an die Unternehmer zu verstehen ist
({0})
- ich wundere mich, daß ausgerechnet die Linke dabei schreit - und daß nur unter Nichteinhaltung dieser Bedingung eine entsprechende Überlegung, die man als Nachschlag bezeichnet, legitim ist?
({1})
Herr Abgeordneter Schröder ({0}), in diesem Hause wird nicht geschrien.
Herr Kollege Schröder, ich weiß aus Erfahrung zum Thema leitende Angestellte, daß Sie bei Rückzugs- und Nachhutgefechten eine meisterhafte Rolle spielen. Aber das hier überzeugt nicht.
({0})
Hören Sie sich doch bitte an, was der Vorsitzende der IG Chemie, die zur Zeit in schwierigen Tarifverhandlungen steht, zu dieser Äußerung sagt:
Herr Kohl würde das sicher anders sehen, wenn er Bundeskanzer wäre. Das ist doch Vorwahlkampf.
Das nenne ich in dieser Lage eine verantwortungsbewußte Haltung.
Ich stelle mit allem Ernst die Frage - und jemand, der sich so wie Herr Kohl äußert, muß sich das auch fragen lassen, vor allen Dingen wenn man an das Amt denkt, das er anstrebt -: Hat er eigentlich das Mindestmaß von Kenntnissen, das er braucht, um die angestrebte Position auszufüllen? Wirtschaftspolitisch hat er sie nicht.
({1})
- Nein, das ist eine erlaubte Frage: ob jemand,
der in einer schwierigen weltwirtschaftlichen Situation Bundeskanzler werden will, über das Mindestmaß an wirtschaftspolitischen Kenntnissen und Fähigkeiten verfügt. Das hat mit Oberlehrer überhaupt nichts zu tun.
({2})
- Ich bin sofort fertig, Herr Niegel. - Und ich frage mich, ob jemand über die notwendigen sozialpolitischen Kenntnisse verfügt, der eine Garantieerklärung abgibt, die Renten 1977 um rund 10 °/o zu erhöhen, ohne ein Wort über die Beitragsfrage zu sagen.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?
Ich möchte nur noch diese Bemerkung machen: Herr Professor Carstens, empfehlen Sie doch Ihrem Vorsitzenden Nachahmung Ihres Beispiels der Enthaltsamkeit auf diesen Gebieten.
({0})
Glauben Sie, Herr Kollege Lambsdorff, daß der Herr Bundeskanzler Schmidt seinerzeit als Wirtschafts- und Finanzminister die richtige volkswirtschaftliche Einstellung hatte, als er sagte: Lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit?
({0})
Herr Kollege Niegel, ich will gerne zugeben, daß Sie nicht alles behalten können. Ich habe vor eineinhalb Jahren - da kam die Antwort von Ihnen: trockene Bemerkung - schon gesagt: Ich habe mir diesen Spruch nie zu eigen gemacht. Ich halte ihn auch nicht für richtig. Diese Meinung vertrete ich auch heute noch.
({0})
- Herr Kunz, daß dieser Kanzler, den Sie kritisieren können, den auch ich gelegentlich kritisiere - gelegentlich sogar öffentlich -, wirtschaftspolitisch etwas versteht und wirtschaftspolitisch in der Welt ein akzeptierter Gesprächspartner ist, ist allerdings richtig, und das wird auch so bleiben. Da können Sie sagen, was Sie wollen.
({1})
Nein, der Opposition sind in dieser Diskussion die Felle davongeschwommen. Ich wiederhole es
noch einmal, Herr Strauß: Die schönen Tage von Sonthofen sind nun vorüber.
({2}) Der Aufschwung ist eben da.
({3})
- Ich bin gerade dabei, das zu belegen, Herr Kunz.
- Ich möchte jetzt nur noch einmal die Zitierweise von Herrn Strauß darstellen. Das bezieht sich auf das Gemeinschaftsgutachten der Forschungsinstitute, das sie vorhin angeführt und in dessen Zusammenhang Sie gesagt haben, darüber sei alles euphorisch berichtet worden, in Wirklichkeit würden darin doch viele Zweifel über die Konjunktur geäußert. Diese Fragen haben Sie dann auch fein säuberlich vorgetragen.
Herr Strauß, ich will mich, um dieser Zitierweise zu entgehen, darauf beschränken, aus dem Kapitel „Die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland" die fettgedruckten Zwischenüberschriften vorzutragen, und dann mag sich jeder ein Urteil darüber bilden, ob der Inhalt des Gutachtens von Ihnen oder von mir zutreffend wiedergegeben worden ist. Ich verlese mit Genehmigung des Herrn Präsidenten. Die Zwischenüberschriften lauten: „Kräftige Impulse von der Auslandsnachfrage", „Finanzpolitik - Anregungen bei verringertem Defizit", „Expansive Geldpolitik", „Noch kein zügiger Anstieg bei den Investitionsgüterbestellungen", „Konjunkturpolitische Maßnahmen fördern Baunachfrage", „Verzögerte Lohnabschlüsse bremsen Verbrauchanstieg", „Umschwung in den Lagerdispositionen", „Lebhafte Zunahme der Einfuhr", „Sozialprodukt fast wieder so hoch wie vor der Rezession", „Wende auf dem Arbeitsmarkt", „Preisauftrieb auf der Verbraucherstufe nochmals schwächer", „Weltweiter Aufschwung führt zu kräftigem Exportanstieg" usw. Dies, meine Damen und Herren, sind die Zwischenüberschriften des Gemeinschaftsgutachtens von fünf Forschungsinstituten der Bundesrepublik Deutschland. Aus diesen Zwischenüberschriften mag sich jeder seinen Reim machen und mag jeder den Gehalt ziehen, den auch dieses Gutachten hat und den Sie hier verfälscht vortragen wollten.
({4})
- Herr Strauß, Sie können durchaus sagen, dies sei die halbe Wahrheit, wenn Sie die Meinung der Gutachter wahrheitsgemäß, korrekt wiedergeben und Ihre eigene dagegen setzen. Aber dies tun sie nicht. Sie geben Ihre verfälschende Meinung als die der Gutachter aus. Das ist die unredliche Art, in der Sie mit uns diskutieren.
({5})
Nun hat Herr Strauß - und dies auch nicht zum erstenmal - erklärt, diese Koalition mache eine Politik für das Großkapital, der Mittelstand gerate dabei unter den Schlitten, und nur für die Großen werde Politik betrieben. Herr Kollege Strauß, darf ich Sie zunächst einmal an einen der entscheidenden
Schritte dieser Regierungskoalition erinnern, an einen Schritt, den Sie und Ihre Freunde jahrelang verhindert haben, nämlich an die Kartellnovelle mit der Mittelstandsempfehlung, mit der Kooperationserleichterung, mit dem Verbot der abgestimmten Verhaltensweisen und der Fusionskontrolle.
({6})
- Ich würde an Ihrer Stelle auch abwinken, wenn ich zehn Jahre lang gegenüber dem ganzen Vorhaben abgewinkt hätte und dann im letzten Augenblick hätte zustimmen müssen.
({7})
- Vielen Dank, Herr Niegel, für diese Zwischenfrage. Die Zahl an Konkursen bei uns war in der Tat zu hoch, und in einer Reihe von Fällen durchaus beklagenswert. Viele Unternehmen sind aber als typische Folge einer inflationär begünstigten Scheinblüte in Konkurs gegangen; das ist keine Frage.
({8})
Sie waren miserabel, leichtfertig finanziert. Ich wiederhole noch einmal, was ich hier auch schon gesagt habe: Wer sein Unternehmen nicht so finanziert, daß er mit einer Zeit restriktiver Geldpolitik, also hoher Zinsen und knappem Geld, rechnet, ist ein fahrlässig handelnder Unternehmer. Der wird aus dem Markt ausscheiden, und dem bleibt auch nichts anderes übrig, wobei ich noch einmal sage, Herr Sprung, um Ihrem Einwand zuvorzukommen, daß diesmal eine Reihe von Unternehmen betroffen
worden sind, die dieses Generalverdikt nicht verdienen. Wir begrüßen diese Entwicklung auch nicht.
({9})
Aber Sie müssen auch eines sehen: Der Konkurs und das Ausscheiden aus dem Markt gehören zu dieser Marktwirtschaft. Wer den Konkurs und das unternehmerische Risiko abschafft, der schafft auch die Marktwirtschaft ab, und das will doch hier wohl keiner.
({10})
Es kommt hinzu, meine Damen und Herren -lassen Sie mich das sagen, obwohl ich damit bei meinen eigenen Freunden und bei dem Koalitionspartner kein Wohlgefallen auslösen werde -: Wer die vielgerühmten Sozialgesetze immer wider zitiert, wer z. B. den Sozialplan gewollt hat, der muß in einer solchen Zeit sehen - wie er das würdigt, und welche Konsequenzen er zieht, ist eine ganz andere Frage -, daß der Sozialplan in vielen Fällen Vergleiche oder Zwangsvergleiche verhindert und zum Konkurs gezwungen hat, mit der Folge, daß die Arbeitsplätze, die man durch einen Vergleich vielleicht hätte flottmachen können, völlig verlorengegangen sind. Ich sage nicht: wir wollen von Sozialplänen weg. Ich möchte nicht mißverstanden werden. Aber diese Folge der Sozialgesetzgebung kann man nicht einfach unter den Tisch bügeln. Sie kommt in Zeiten wie den jetzigen hoch.
Wir haben für die Mittelstandspolitik mit Konjunkturprogrammen, Sonderprogrammen, mit der Erhöhung der Mittel der ERP-Programme alles Mögliche getan, was in unserer Macht stand. Aber wir wissen auch, daß konjunkturpolitische und geldpolitische Maßnahmen den Mittelstand schneller - ich will nicht sagen: härter - treffen. Herr Strauß, im Gegensatz zu Ihrer Zeit, den Jahren 1966, 1967, 1968, haben wir durch das Mittel des Bardepots versucht und auch weitgehend erreicht, die Großen vom Zufluß und von der Hereinnahme von Auslandsgeldern abzuschneiden und sie damit den gleichen geld- und kreditpolitischen Bedingungen zu unterwerfen, wie sie die mittleren Unternehmen auf sich nehmen mußten. Sie müssen uns nicht vorwerfen, daß sie schlechter behandelt worden sind. Die Diskrepanz war zu Ihrer Zeit ganz erheblich gräßer.
({11})
Wir haben ja auch gesehen, meine Damen und Herren, was im Gesetzentwurf zur Mittelstandsförderung von der Christlich-Demokratischen Union vorgelegt worden ist. Es ist eine Aneinanderreihung dessen, was vorhanden ist, mit dem Hinweis, die und die Maßnahmen sollen ergriffen werden, wenn es die Finanzlage zuläßt.
({12})
- Sicher ist das richtig, nur können Sie sich dann die Drucksache sparen. Im übrigen muß man Herrn Althammer sagen: dies war eine Drucksache, von der er heute morgen gesagt hat, es gebe sie nicht.
Wir sehen heute, daß auch in der mittleren Industrie wieder Vertrauen zurückgewonnen wird. Ich habe gerade die letzte Umfrage über die Lage in der Eisen, Blech und Metall verarbeitenden Industrie vom April 1976 auf den Tisch bekommen. 90 % der befragten Unternehmen bezeichnen die Situation im Geschäft als gut bis befriedigend und bezeichnen auch die Aussichten als gut bis befriedigend. Die Berichte von der Hannover-Messe haben wir wegen der ausgebliebenen Zeitungen nicht lesen können; sie hat aber zu Überschriften geführt wie: „Hannover-Messe: Erwartungen weit übertroffen". Die Aussteller sind hochzufrieden aus Hannover weggefahren.
Wer dies zur Kenntnis nimmt, der sollte, wie ich meine, mit einiger Aufmerksamkeit hören, was ein sicherlich kritischer Gesprächspartner der Bundesrepublik Deutschland vor einigen Tagen geäußert hat, nämlich der Kommissar der Europäischen Gemeinschaft, der Luxemburger Albert Borschette. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:
Für die Mehrheit ist die Bundesrepublik heute ein Staat, der wirtschaftlich und politisch stabil ist und in einer liberalen Welt als Beispiel dastehen kann. Und stabil ist die Bundesrepublik, weil ihre Bürger, vielleicht wegen ihrer Vergangenheit, eine positive Auffassung von ihrem Staat haben und bei allen Eigeninteressen auch das Allgemeinwohl im Auge haben, allen voran die deutschen Gewerkschaften.
Meine Damen und Herren, dieser Beurteilung haben wir nichts hinzuzufügen. Sie ist ein Spiegelbild vier17092
jähriger sozialliberaler Politik. Ich danke für Ihre
Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist nützlich, wenn sich das Hohe Haus nach dieser Rede des Grafen Lambsdorff wieder den Sachfragen zuwendet, die an sich heute zur Entscheidung anstehen.
({0})
Ich habe für meine Fraktion die Stellungnahme der
CDU/CSU zur Frage der Mehrwertsteuer abzugeben.
Die Mehrwertsteuererhöhung, wie sie die Koalition vorhat, ist das Kernstück des Finanzprogramms der Bundesregierung vom September letzten Jahres, um die zerrütteten öffentlichen Finanzen ab dem Jahre 1977 zu sanieren. Es handelt sich nicht um eine Erhöhung um 2 %, wie teilweise auch der Bundeskanzler gesagt hat, sondern um 18,8 % - um zwei Prozentpunkte, aber 18,8 %, wenn von 11 auf 13 Prozentpunkte erhöht wird.
Meine Damen und Herren, durch die Diskussion der letzten Monate ist die CDU/CSU in ihrer ablehnenden Haltung voll bestärkt worden. Wir sind davon überzeugt worden, vor allem auch durch das Anhörungsverfahren in der letzten Woche im Finanzausschuß, daß die Mehrwertsteuererhöhung nicht bloß wesentlich mehr Nachteile als Vorteile hat, sondern daß dies der grundsätzlich falsche Weg ist, mit dem die Regierungskoalition die zerrütteten öffentlichen Finanzen sanieren will.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Hauptgründe für das Nein zur Mehrwertsteuererhöhung kurz darlegen:
Erstens. Die Entlastungen durch die Steuerreform werden durch die Abgabenmehrbelastungen im nächsten Jahr mehr als rückgängig gemacht. Die Entlastungen durch die sogenannte Steuerreform belaufen sich nach den eigenen Angaben der Bundesregierung im Jahr 1977 auf 14 Milliarden DM.
Die Mehrbelastungen durch das Finanzprogramm der Bundesregierung belaufen sich - wiederum nach Angaben der Regierung selbst - im Jahr 1977 auf 17 Milliarden DM. Diese Summe ergibt sich wie folgt: Die Mehrwertsteuer soll 10,4 Milliarden DM mehr erbringen, die Tabaksteuer 1 Milliarde DM, die Branntweinsteuer 0,3 Milliarden. Die Anhebung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags wird im Jahr 1977 nach Angaben der Bundesregierung 4,6 Milliarden DM mehr erbringen; das ist nicht, wie Sie, Herr Finanzminister Apel, heute morgen ausgeführt haben, eine Sparmaßnahme, sondern das ist eine Mehrbelastung für Bürger und Wirtschaft, kann also nur unter den Mehrbelastungen für Bürger und Wirtschaft rubriziert werden.
({2})
Schließlich ist im sogenannten Haushaltsstrukturgesetz - ich will nur diesen einen Posten nehmen -eine Anhebung der Körperschaftsteuer um eine halbe Milliarde vorgenommen worden. Das ergibt eine Summe von 16,8 Milliarden DM.
Ergebnis: Mehrbelastung im Jahr 1977 für Bürger und Wirtschaft 17 Milliarden DM. Entlastung durch die Steuerreform dagegen nur 14 Milliarden DM.
Der gute Kern der Steuerreform war der überfällige Abbau der jahrelangen, heimlichen inflations-und progressionsbedingten Steuererhöhungen. Deshalb haben Sie, Herr Finanzminister Apel, heute morgen einen Fehler gemacht, darauf hinzuweisen, daß in den Jahren 1971, 1972 und 1973 der Haushalt nur wenig mit Schulden finanziert worden sei. Das waren keine echten Einnahmen, auf die Sie hätten setzen dürfen. Das waren inflationsbedingte Mehreinnahmen, die Sie zwar natürlich als Steuereinnahmen eingenommen haben, aber Steuereinnahmen, die Sie eigentlich nicht hätten kassieren dürfen, sondern rechtzeitig, wie wir es beantragt haben, dem Bürger hätten zurückgeben müssen.
({3})
Dieser verspätete Teilabbau wird jetzt durch diese Mehrbelastungen rückgängig gemacht. Das Rückgängigmachen trifft weithin dieselben Bürger: die breitesten Schichten der Arbeitnehmerschaft, unmittelbar oder mittelbar, die einen mehr und die anderen weniger. Besonders betroffen werden - das hat gerade das Hearing bewiesen - die sozial Schwächeren, z. B. die Kinderreichen.
Der Herr Bundesfinanzminister verniedlicht diesen Tatbestand. Er hat es heute morgen wieder getan. Er geht mit falschen Zahlen um und behauptet, daß die Steuerreform nach wie vor auch im nächsten Jahr Entlastung bringe. Er hat etwa im Fernsehen am 23. Januar 1976 nach der ersten Beratung - sozusagen in einer Nachbesserung der damaligen Debatte - einfach behauptet, die Rechnung, daß diese Steuerreform rückgängig gemacht würde, sei schlicht und ergreifend falsch.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat ihn im Wochenbericht vom 18. März 1976 widerlegt. Das Zeugnis dieses Instituts ist weiß Gott unverfänglich; es steht seit langem unter Leitung von Mitgliedern der SPD. In diesem Wochenbericht wird sogar behauptet, daß die bloßen Steuererhöhungen - also nicht einmal die sonstigen Erhöhungen von Abgaben, etwa des Arbeitslosenversicherungsbeitrags - schon im Jahr 1977 die Steuerreform voll rückgängig machten. Der Wochenbericht führt aus, daß verstärkt die Bezieher niedriger Einkommen dadurch betroffen würden.
Es bleibt also das Ergebnis, das kein Zahlenspiel des Finanzministers wegwischen kann: Mit der anderen Hand wird genommen, und zwar mit steigender Tendenz in den kommenden Jahren, was mit der einen am 1. Januar 1975 verspätet genug gegeben worden ist.
({4})
Das Urteil darüber hat der Bundesfinanzminister Apel selber im August 1975 gesprochen, als er wörtlich verkündete:
Es ist ausgeschlossen, daß wir zum Ausgleich für die Entlastung durch die Steuerreform andere Steuern, z. B. die Mehrwertsteuer, erhöhen. Für Sozialdemokraten wäre dies ein schlechter Witz - und schlechte Witze machen wir nicht. Wir denken nicht daran, den Bürgern mit der einen Hand etwas zu geben und mit der anderen zu nehmen. Das wäre nicht nur unsozial; das wäre unseriös.
({5})
Der Bundesfinanzminister steht damit treu in der Gefolgschaft von Bundeskanzler Helmut Schmidt, der vor etwa zwei Jahren in seiner Regierungserklärung am 17. Mai 1974 wörtlich versprochen hat:
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
Nun, meine Damen und Herren, machen Sie gleichsam aus Ihrer Not eine Tugend. Herr Bundesfinanzminister Apel verkündet im Lande, wie mutig die Regierung sei, wenn sie schon vor der Wahl dem Bürger sage, daß nach der Wahl eine Steuererhöhung auf ihn zukommt. Das klingt ganz gut. In Wirklichkeit, Herr Finanzminister Apel, wissen Sie ganz genau, warum Sie das erst nach der Wahl wirksam werden lassen: Die Bürger sollen erst nach der Wahl spüren, wie die Wirkung dieser Steuererhöhung tatsächlich ist, daß nämlich die Steuerreform damit rückgängig gemacht wird.
({6})
Zweitens. Wir lehnen die Mehrwertsteuererhöhung ab, weil durch sie die Preis-Lohn-Spirale auf gefährliche Weise verschärft wird. Rein rechnerisch ergibt die Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte eine Anhebung des Preisniveaus um etwa 1,4 bis 1,7 °/o, wenn man noch die besonderen Verbrauchsteuern dazunimmt, dann ohnehin. Aber auch im Hearing - wir haben noch nie ein solches Uni-sono-Hearing in unserem Finanzausschuß erlebt wie das Hearing zu der Frage der Mehrwertsteuererhöhung - hat sich einmütige Ablehnung durch alle Verbände gezeigt, wenngleich vielleicht mit verschiedenen Argumenten. Im Ergebnis wird die Mehrwertsteuererhöhung auf jeden Fall von allen für schädlich gehalten. Im Hearing ist deutlich geworden, daß man angesichts der Entwicklung der nächsten Monate leider sogar mit einer Steigerung von 2 °/o des Preisniveaus rechnen muß.
Wir haben in dieser labilen Lage ohnedies die Gefahr, daß die Lohn-Preis-Spirale wieder verstärkt in Gang kommt. Wir erleben zur Zeit ganz schwierige Lohntarifverhandlungen. Wir wissen, wie gerade auch das Argument der Abgabenbelastung bei diesen Tarifverhandlungen immer mehr eine Rolle spielt. So hat etwa die Industriegewerkschaft Druck ausdrücklich die Frage der Mehrwertsteuererhöhung als ein Argument für ihre Forderungen angeführt.
Das Ifo-Institut hat kürzlich ein Gutachten herausgegeben, nach dem von jeder zusätzlich verdienten Mark in diesem Jahr 1976 der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer nur noch 41 Pf auf die Hand bekommt. Wenn Sie eine zweiprozentige Preisniveausteigerung bis zum 1. Januar nächsten Jahres einrechnen, so bedeutet das, daß Sie 5 % brutto allein wegen der Mehrwertsteuer heraushandeln müssen, um netto diese 2 % bei den Lohntarifverhandlungen zu erhalten. Sonst machen Sie netto eine negative Bilanz. Wer von uns, meine Damen und Herren, hat die Hoffnung, daß diese Preissteigerungen - begründet durch die Mehrwertsteuererhöhung - bei den Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen, die wir jetzt und in Zukunft erleben werden, keine Rolle spielen werden, daß Sie das sozusagen freiwillig als einen zusätzlichen Staatsanteil akzeptieren würden, der bei den Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen keine Rolle spielen dürfte? Hat jemand hier im Hause diese Hoffnung? - Nein.
Es besteht die große Gefahr, daß die Preise dadurch gesteigert werden, daß infolgedessen die Löhne erhöht werden, daß infolgedessen die Kosten für die Unternehmungen in die Höhe getrieben werden, daß infolgedessen die Schwäche, die wir ohnedies im Investitionsbereich haben, noch mehr verstärkt wird, daß der Aufschwung nur strohfeuerhaft bleibt und nicht dauerhaft gesichert wird und daß zusätzlich die Arbeitsplätze gefährdet werden.
Zudem: Die Mehrwertsteuererhöhung erreicht nicht einmal das von Ihnen selbst proklamierte Ziel, nämlich dadurch die öffentlichen Deckungslücken auszufüllen. Das ist mit Sicherheit nur zum Teil so zu erreichen, wie es die Regierung behauptet. Das Hearing im Finanzausschuß hat ergeben, daß die Gemeinden sogar eine Minusbilanz machen. Sie werden eine Milliarde DM mehr Kosten haben, wobei Personalkostenerhöhungen nicht einmal einbezogen sind, sondern nur reine Sach- und Investitionsmehrkosten infolge Preissteigerungen. Die Gemeinden werden im Wege des Finanzausgleichs über die Länderhaushalte allenfalls 700 Millionen DM mehr erhalten. Sie werden sich also nach dieser Mehrwertsteuererhöhung um 300 Millionen DM schlechter stehen. Personalkostensteigerungen sind nicht einbezogen, obwohl das im Grunde - mindestens auf längere Sicht gesehen - als eine Utopie erscheint.
Die Schätzungen im einzelnen schwanken, was die Saldierung zwischen Preissteigerungen und Mehreinnahmen im einzelnen ausmacht. Die Bundesregierung räumt ein, daß etwa 20 % des von ihr angegebenen nominellen Betrags durch Preissteigerungen im öffentlichen Bereich wieder aufgezehrt werden. Das ist die Angabe der Bundesregierung. Dabei sind allerdings Sekundärwirkungen - etwa Personalkostensteigerungen - nicht gerechnet, eine sehr utopische Annahme. Dagegen gibt andere sehr seriöse Gutachten, nach denen die Preissteigerungen im öffentlichen Bereich mindestens bis zu 50 % und darüber hinaus - wenn man noch die Personalkostenentwicklung hinzunimmt - ausmachen werden, mit der Folge, daß über kurz oder lang nur ein Teil, vielleicht sogar weniger als die Hälfte, des nominel17094
len Mehrertrags wieder aufgezehrt wird durch Preissteigerungen im öffentlichen Bereich.
Es bleibt zusammenzufassen: Wirtschaftspolitisch ist diese Mehrwertsteuererhöhung in unserer labilen Lage Gift. Sie wiederholt die gleichen Fehler, die am Beginn der 70er Jahre durch Verniedlichung der Inflationsgefahr zu dieser wirtschaftspolitischen Fehlentwicklung und schließlich zur Arbeitslosigkeit geführt haben und überhaupt zu unserer desolaten Lage, in die wir geraten sind.
({7})
Drittens. Wir lehnen diese Mehrwertsteuerererhöhung ab, weil wir sie grundsätzlich für den falschen Weg halten, da der zu hohe Staatsanteil festgeschrieben wird, anstatt daß er - wenigstens in Schritten - wieder abgebaut würde. Nach dem seit ein paar Tagen vorliegenden Jahresbericht der Deutschen Bundesbank für das Jahr 1975 beläuft sich inzwischen der Staatsanteil auf 49 °/o; das ist die neueste Angabe der Deutschen Bundesbank. Das heißt, jede zweite Mark, die unser Volk erarbeitet, wird heute schon über irgendeine öffentliche Kasse wieder ausgegeben. 1969 waren dies noch 37 %; im Verlauf von sieben Jahren dieser Bundesregierung erfolgte eine Steigerung von 37 % auf 49 %.
Nun ist zugegeben, daß ein Teil davon konjunkturbedingt sein mag, aber die Verniedlichung durch Sie, Herr Finanzminister Apel, heute morgen und auch durch den Herrn Bundeskanzler gestern, daß das ganz überwiegend konjunkturbedingt sei, trifft einfach nicht zu, was eine einfache Rechnung schon nachweist. 1 °/o des Bruttosozialprodukts sind rund 10 Milliarden DM. Selbst wenn Sie jetzt annähmen, daß der Staatsanteil konjunkturbedingt um 3 % gestiegen wäre, dann hätten Sie den horrenden Betrag von 30 Milliarden DM. Aber die Differenz von 37 % zu 49 % beträgt 12 % mit der Folge, daß 120 Milliarden DM mehr allein im Jahre 1975 über öffentliche Kassen ausgegeben wurden anstatt über private Kassen, wie es der Fall gewesen wäre, wenn der Staatsanteil so geblieben wäre, wie er 1969 noch war. Es handelt sich also allenfalls zum geringsten Teil um eine konjunkturbedingte Steigerung; es handelt sich vielmehr um die eigentliche grundlegende Fehlentwicklung in unserer öffentlichen Finanzwirtschaft.
Da können Sie wie heute morgen mit Definitionen, was Investitionen im öffentlichen Bereich sind oder nicht, das Problem nicht meistern, Herr Apel. Die Definition der Investitionen im öffentlichen Bereich ist immer problematisch gewesen. Entscheidend ist, daß dieses - zugegebenermaßen teilweise konjunkturbedingte und richtige - Ansteigen des Staatsanteils nicht etwa überwiegend in neue, zusätzliche, konjunkturbedingte Investitionsprogramme gelaufen ist, sondern daß der Anteil der gesetzlich festgelegten, auch in Zukunft wiederkehrenden konsumtiven Ausgaben - vor allem der Personalkosten - immer mehr gestiegen ist und daß umgekehrt der investive Anteil im öffentlichen Gesamthaushalt in den letzten Jahren immer mehr auf erschreckende
Weise gesunken ist. Dies ist der eigentliche, tief eingefressene Strukturfehler unserer Finanzpolitik.
({8})
Das hat natürlich auch Auswirkungen auf unsere wirtschaftspolitische Situation. Der zu hohe und außerdem falsch zusammengesetzte Staatsanteil ist ein bedeutsamer Grund für das Erschlaffen der dynamischen Kräfte in der Wirtschaft und in der Gesellschaft in unserem Volk. Es ist ein Irrtum, zu meinen, je mehr über den Staat läuft, desto mehr Dynamik sei in der privaten Wirtschaft vorhanden. Genau umgekehrt ist die Rechnung, wobei das sicher in Wirklichkeit natürlich immer eine Frage des richtigen Maßes ist.
Nein, meine Damen und Herren, das Übel muß an der Wurzel gepackt werden; daran führt kein Weg vorbei. Wir haben in Deutschland nicht zuwenig Abgaben, sondern der Staat hat in den letzten Jahren zu viele und vor allem falsche Ausgaben gemacht.
({9})
Das Finanzprogramm der Bundesregierung ist weniger ein echtes Sparprogramm, sondern vor allem ein Abgabenerhöhungsprogramm.
({10})
Durch dieses Programm werden Bürger und Wirtschaft im nächsten Jahr um 17 Milliarden DM mehr belastet; die Einschränkung von gesetzlichen Ausgaben beläuft sich im nächsten Jahr auf rund 5 Milliarden DM. Das ist das wirkliche Zahlenverhältnis: gesetzliche Mehreinnahmen im nächsten Jahr 17 Milliarden DM, gesetzliche Minderausgaben nur 5 Milliarden DM. Man kann hier also nicht von einem Sparprogramm reden, sondern dies ist ganz überwiegend ein Abgabenerhöhungsprogramm.
({11})
Dies, meine Damen und Herren, ist eben der grundsätzlich falsche Weg, zu dem es von unserer Seite nur ein Nein gibt. Wir brauchen in Deutschland angesichts dieser Fehlentwicklung in Zukunft nicht mehr Staat, sondern weniger Staat.
({12})
Das Finanzprogramm der Bundesregierung setzt jahrelange Irrtümer der SPD fort. Das ist nicht eine zufällige Entwicklung. Das ist auch nicht überwiegend konjunkturbedingt, sondern echte sozialistische Strategie, wie sie im Langzeitprogramm der SPD schon grundgelegt wurde. Der Leiter der Kommission, welche das Langzeitprogramm der SPD ausgeheckt hat, war der heutige Bundeskanzler Helmut Schmidt. Helmut Schmidt hat beim Bundesparteitag der SPD 1971 in Bonn zu diesem Programm wörtlich gesagt:
Der öffentliche Anteil am Sozialprodukt muß wachsen, wenn das öffentliche Wohl wachsen soll.
Das ist seine Philosophie. Das ist die Philosophie jedes waschechten Sozialisten.
({13})
Er hat diese These als Bundeskanzler wiederholt und hat sie gestern wieder bestätigt.
Am 20. September 1974 hat er zum Problem des „öffentlichen Korridors" in diesem Hohen Hause ausgeführt:
Es braucht sich niemand zu täuschen, daß wir etwa das, was wir uns vorgenommen hatten, dann nicht wieder auf den Tisch legen und voranbringen würden. Das wäre ein Irrtum.
Er hat dann allerdings nach einer Pressemitteilung vom 23. Oktober 1975 einige Zeit später vor Unternehmern etwas Gegenteiliges gesagt. Er sagte, auf die Dauer wolle und könne man sich aber eine so hohe Staatsquote nicht leisten. - Wenn man das liest, kommt einem übrigens der bemerkenswerte Gedanke, daß die Neigung des Bundeskanzlers, je nach Publikum seine Meinung etwas anders zu gestalten, sehr ausgeprägt zu sein scheint.
({14})
Auf jeden Fall hat er gestern ausdrücklich betont, wie gut es sei, daß der Staatsanteil so hoch sei, und er müsse auch in Zukunft so hoch bleiben.
Ich habe mich manchmal - auch angesichts der Elogen von Bundesfinanzminister Apel heute morgen - gefragt, ob es nicht eigentlich das beste wäre, hundert Prozent dessen, was unser Volk erarbeitet, würde künftig über die Staatskassen laufen und vom Staat wieder umverteilt, damit der Staat nicht durch die freie Gesellschaft, die freie Wirtschaft und die freien Arbeitnehmer behindert wird. Das wäre das Perpetuum mobile eines klassischen Sozialisten in der Quintessenz.
({15})
Nein, meine Damen und Herren, wir sind hier viel zu weit gegangen.
Sie setzen diesen falschen Weg nicht bloß mit diesem Steuerprogramm fort, sondern auch mit Ihrer sonstigen Gesetzgebung. Sie machen mehr Staat in Ihrer derzeitigen Gesetzgebung. Was ist denn der Planungswertausgleich im Bundesbaugesetz anderes als mehr Bürokratie, mehr Abgaben, mehr öffentliches Personal, das erforderlich ist? Was ist die Berufsbildungsreform anderes als mehr Bürokratie, mehr öffentliche Kontrolle, mehr Finanzausgleich, mehr Lasten für die Wirtschaft draußen? Oder was ist die Datenschutzgesetzgebung, die Sie hier machen und die Tausende - manche reden von zehntausend - von öffentlich Bediensteten erforderlich macht, um das perfektionistische System, das Sie sich vorgestellt haben, in die Tat umzusetzen, anderes? Dies ist der grundlegend falsche Weg, und vor ihm kann dieser Staat nur bewahrt werden, wenn Ihnen die Mittel vorenthalten werden, damit Sie diesen Irrweg nicht fortsetzen können.
({16})
Unverständlich bleibt, wie die FDP bei einem so grundlegend falsch angelegten Programm mitmachen kann. Bundeswirtschaftsminister Friderichs hat am 23. Juli 1975 vor dem Bundesvorstand der FDP sehr zutreffende Ausführungen gemacht und
beklagt, wie hoch der Staatsanteil geworden sei. Man liest, was in der Wahlplattform der FDP alles stehe: daß der Staatsanteil nicht so hoch bleiben dürfe, daß er heruntergeführt werden müsse, daß wir an den Grenzen der Abgabenbelastung angelangt seien. Meine Damen und Herren, auch das ist ein Beitrag zu dem berühmten FDP-Kapitel - Graf Lambsdorff, auch Ihnen darf ich das empfehlen -: Worte und Taten.
({17})
Meine Damen und Herren, hier geht es ganz konkret - nicht ideologisch - um die Frage: Wollen wir in Deutschland künftig mehr Freiheit, oder wollen wir mehr Sozialismus?
({18})
Mehr Staat - darüber muß sich jeder im klaren sein - heißt immer mehr Gesetze, immer mehr Reglement, immer mehr Gängelung des Bürgers, immer mehr Bürokratie, immer mehr öffentliche Bedienstete, immer mehr Abgabenbelastung für die breitesten Schichten unseres Volkes.
({19})
Zuviel Staat heißt zugleich immer weniger Freiheitsspielraum für den Bürger, immer weniger Selbstverantwortung des Bürgers, immer weniger private Dynamik, immer weniger private Investitionen, immer weniger private Leistung und immer weniger schöpferische Kraft und Initiative. Das ist Ihr Fehlweg. Der muß verhindert werden, meine Damen und Herren.
({20})
In Schweden, meine Damen und Herren, findet zur Zeit eine herrliche Grundsatzdiskussion über diese Fragen statt. Der schwedische Steuerstaat ist inzwischen an einem Punkt angekommen, daß sich selbst die gläubigsten Sozialisten da droben von ihren ehemals verehrten Sozialdemokraten abwenden. Die berühmte Schriftstellerin Astrid Lindgren bringt zu diesem Thema, um das es hier im Grunde auch geht, folgenden staatsphilosophischen Beitrag. Sie sagt wörtlich:
Oh, du reine, blühende Sozialdemokratie meiner Jugend! Was haben sie dir angetan! ... Wie lange soll dein reiner Name dazu mißbraucht werden, eine machtbewußte, bürokratische, ungerechte „Bevormundungsgesellschaft" zu schützen?
Meine Damen und Herren, das ist das Thema. ({21})
Es ist erschreckend, festzustellen, daß dieser Bundeskanzler kein Gespür für das hat - er hat es gestern bewiesen -, was zur Zeit im Volk vorgeht und welche Fehlentwicklungen sich - nicht nur in unserem Staat, sondern leider auch in anderen Staaten - auf diesem Felde abzeichnen. Er spürt nicht, was hier auf uns zukommt. Die Kernfrage für die Bürger draußen ist doch: Was kann dieser Staat überhaupt noch leisten, oder was kann er eben nicht mehr leisten, weil er den Bürgern sonst noch das
letzte aus dem Geldbeutel herausholt? Das ist das Thema, meine Damen und Herren.
({22})
Nun, meine Damen und Herren, bringen Sie immer die Steuerlastquote, um das ganze Problem zu verniedlichen. Ich räume Ihnen ein, Herr Bundesfinanzminister Apel: Scheinbar haben Sie hier ein gutes Argument, wenn Sie die Steuerlastquote etwa des Jahres 1975 nehmen, die sich auf „nur" 23,3 % beläuft, auf jeden Fall auf weniger als ein Jahr vorher - eine Folge natürlich der sogenannten Steuerreform, des von uns jahrelang geforderten Teilabbaus der inflationsbedingten Steuererhöhungen. Aber wie ist es wirklich mit der Steuerlastquote, meine Damen und Herren? Wir hatten in den 60er Jahren in der Bundesrepublik durchweg - mit zwei Ausnahmen, auf die ich zu sprechen komme - eine Steuerlastquote, die sich etwas über 21, 22 oder wenig über 23 % bewegte. Die Ausnahmen sind die Jahre 1962 und 1969, in denen gerade 24 % erreicht wurden. Jeder Finanzpolitiker weiß, daß das Ausnahmejahre der Statistik waren; 1969 wegen der Gemeindefinanzreform. Die Gemeinden haben die Gewerbesteuer, die erst 1970 fällig wurde, hereingeholt und sie auf 1969 umgebucht, um nicht zu viel an Bund und Land abführen zu müssen. Das weiß jeder von uns.
Nach der Regierungsübernahme durch die SPD/ FDP 1969 stieg die Steuerlastquote ständig an, überschritt 1973 zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik mit 24,3 % die höchste Schwelle. Wenn sich trotz Steuerreform, trotz Wirtschaftskrise, trotz Verlust von zwei Millionen Arbeitsplätzen - wenn wir auch die Gastarbeiter dazu nehmen, die inzwischen weggegangen sind -, trotz erschreckenden Rückgangs der Ertragsteuern in den letzten Jahren die Steuerlastquote im Jahre 1975 auf 23,3 % beläuft, meine Damen und Herren, dann ist das kein Anlaß zur Beruhigung, sondern dann ist das - genau umgekehrt - Anlaß zur Sorge, weil wir alle schon heute wissen, daß eine Steigerung der Steuerlastquote in den nächsten Jahren programmiert ist, und zwar gerade auch wegen der Fehler der Steuerreform. Die Progressionswirkung der Steuerreform wird sich in den nächsten Jahren an den Bürgern unseres Volkes leider noch auf erschreckende Weise zeigen.
Meine Damen und Herren, die heimlichen Steuererhöhungen nehmen bei uns schon wieder zu. Nach Angaben der Regierung selbst, nach ihrer eigenen Steuerschätzung werden wir in diesem Jahre die höchste Lohnsteuerquote seit Bestehen der Bundesrepublik haben, trotz sogenannter Steuerreform und obwohl wir zwei Millionen weniger Arbeitsplätze besetzt haben. Sicher ist auf jeden Fall eines, meine Damen und Herren: Wer heute arbeitet, muß immer mehr Steuern bezahlen. Das Entscheidende ist, wie der einzelne Arbeitnehmer es spürt. Und das war noch nie so stark, wie es zur Zeit ist. Wenn in den Betrieben erst einmal die Vokabel umgeht - ich weiß nicht, haben Sie den Kontakt mit Ihren Leuten draußen in den Betrieben verloren? -, daß sich der, der arbeitet, der auf anständige Weise sein Geld verdienen will, wegen der Abgabenbelastungen immer mehr als der Dumme vorkommt, dann meine Damen und Herren, ist eine Grenze erreicht, die nicht mehr überschritten werden darf. Sonst werden Sie Ihr blaues Wunder erleben!
({23})
Angesichts der Zeit will ich auf die Zweifelhaftigkeit des Gradmessers Steuerlastquote nicht mehr eingehen. Jeder weiß, daß das, was unter „Steuerlastquote" läuft, sowieso ein problematischer Gradmesser ist. Auf der einen Seite hat das Kindergeld die Steuerlastquote künstlich erhöht - zugegeben -, auf der anderen Seite haben wir eine Investitionszulage in Höhe von 7 Milliarden DM, die gegen die Steuerschuld verrechnet wird. Das wieder führt zu einer Senkung der Steuerlastquote.
Neben den Steuern haben wir Sonderabgaben. Ich habe mir einmal vom Wissenschaftlichen Dienst in den letzten Tagen ein Gutachten machen lassen, das besagt, daß wir nicht weniger als 15 Sonderabgaben haben, wenn ich die neuen hinzunehme, die die Bundesregierung plant, also Berufsbildungsabgabe und Sonderabgabe für in Deutschland gewonnenes Erdöl und Erdgas; auch hier liest man dauernd etwas in der Zeitung. Die 15 Sonderabgaben, die nirgendwo in der Bilanz erscheinen, die nicht in der Steuerlastquote erscheinen, belaufen sich schon, wenn das alles zustande kommt - Kohlepfennig, Berufsbildungsabgabe - auf etwa 3 Milliarden DM. Wenn Sie dann noch die Investitionszulage dazunehmen, dann sind das 10 Milliarden DM. Dann haben Sie allein eine Steigerung der Steuerlastquote um einen Prozentpunkt. Dann sind Sie wieder bei der Rekordsteuerlastquote, die wir schon im Jahre 1973 einmal erreicht hatten. Aber die Steuerlastquote eignet sich - Herr Bundesfinanzminister Apel, das wissen Sie selbst auch - am allerwenigsten für den internationalen Vergleich, weil in jedem Steuersystem von der Steuerschuld verschieden abgezogen wird.
Viel besser eignet sich die Abgabenlastquote insgesamt zum Vergleich. Hier nähern wir uns zur Zeit in Deutschland den 40 °/o. Die Beiträge zur Krankenversicherung steigen laufend weiter. Sie haben die Arbeitslosenversicherungsbeiträge um 50 % - nicht um 1 °/o - angehoben. Die Beitragsbemessungsgrenzen werden laufend angehoben. Gerade die Fleißigen, die Tüchtigen, die Aufsteiger in der Facharbeiterschaft haben immer mehr das Gefühl, daß sie die Hauptleidtragenden dieser Abgabenentwicklung sind.
Besonders schlimm ist die sogenannte Grenzbelastung. Hier geht es um die Frage, was mir netto auf der Hand bleibt, wenn ich eine Mark mehr an Lohn oder Gehalt erhalte. Das Ifo-Institut hat in diesen Tagen durch ein neues Gutachten nachgewiesen, daß in diesem Jahr von einer Mark Mehrverdienst noch 41 Pf netto in der Hand des durchschnittlichen deutschen Arbeitnehmers bleiben. 1970 waren es noch 70 Pf. Das ist die Entwicklung in sechs Jahren, meine Damen und Herren. 1970 blieben noch 70 Pfennige - das alles sind Durchschnittszahlen -, jetzt in diesem Jahr bleiben trotz Steuerreform nur noch 41 Pf.
({24})
Eine steigende Tendenz für die nächsten Jahre ist dabei heute schon programmiert. Es handelt sich hier nicht um Spitzeneinkommen, sondern um den durchschnittlichen deutschen Arbeitnehmer. Wenn Sie auch nur einen Facharbeiter nehmen, der ein bißchen mehr als der Durchschnitt verdient, dann bleiben ihm von den berühmten 5,4 °/o, die er jetzt mehr an Lohn erhält, als Ledigen netto allenfalls noch 30 °/o. Bei einem Verheirateten ist das etwas mehr, aber auf jeden Fall nicht einmal die Hälfte dessen, was ausgehandelt wird. Vom Rest, von diesen 41 °/o, sind noch die indirekten Steuern, also etwa die Mehrwertsteuer und die Mineralölsteuer, und die sonstigen öffentlichen Abgaben zu bezahlen und sind vor allem die Preissteigerungen zu finanzieren. Das ist die Lage im Jahre 1976 in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Felde der Abgabenbelastung.
({25})
Wenn Sie brutto 5,4 °/o mehr Lohn erhalten, bekommen Sie netto durchschnittlich 2,2 % mehr. Die Inflationsquote beläuft sich auf etwa 5,5 %. Sie haben also einen Kaufkraftverlust von 3,3 %. Wenn Sie jetzt noch die 2 % geplanter Mehrwertsteuererhöhung hinzunehmen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, was in den nächsten Monaten bei den Tarifverhandlungen auf Sie zukommt.
Der Herr Bundeskanzler soll einmal mit den Arbeitnehmern dieses Thema besprechen. Bei ihnen soll er einmal über seine Staatsquote philosophieren. Wissen Sie, was ihm die Leute sagen würden? Sie würden sagen: Herr Bundeskanzler, mein Lohn ist heute zum großen Teil sozialisiert. Ich will keinen Sozialismus. Sozialismus heißt, daß mir der Staat 60 % anstatt höchstens 30 % wegnimmt. Das ist Sozialismus.
({26})
Der gleiche Arbeitnehmer wird ihm sagen: Zuerst spart ihr einmal, dann können wir uns mit euch unterhalten, aber euer überzeugendes Sparprogramm ist bis heute nicht geboren.
({27})
Sie müssen heute bei den Lohntarifverhandlungen 8 bis 12 % brutto mehr aushandeln, um auch nur den realen Bestand des letzten Jahres zu erhalten. Die Tarifpartner haben es immer schwerer, das wirtschaftspolitisch an sich Richtige zu tun, nämlich möglichst maßvoll abzuschließen, damit die Kosten nicht erhöht werden, damit die Investitionen wieder wachsen und Arbeitsplätze wieder entstehen. Es wird Ihnen durch diese verfehlte Abgabenpolitik immer schwerer gemacht.
Meine Damen und Herren, es ist ein Teufelskreis, der durchbrochen werden muß, der aber mit Sicherheit nicht durchbrochen wird, wenn wir diese Steuererhöhungen mitmachen würden. Deswegen müssen sie verhindert werden.
({28})
Die SPD/FDP-Koalition hat offensichtlich nicht mehr die Kraft, sich dem schweren Problem zu stellen, daß für die breitesten Schichten unserer arbeitenden Bürger die Grenzen der Abgabenbelastbarkeit
erreicht sind. Ich frage mich manchmal: Herr Bundeskanzler, Herr Finanzminister, haben Sie den Kontakt mit unserer arbeitenden Bevölkerung vollkommen verloren? Hier liegt der Grund, warum wir in Baden-Württemberg die Wahl gewonnen haben, nicht in dem, was Sie immer behaupten.
({29})
Deswegen, Herr Finanzminister Apel, sollten Sie es bleiben lassen, Wetten anzubieten, daß eine CDU/CSU-Regierung nach einem Wahlsieg die Mehrwertsteuer genauso anheben würde wie Sie. Das ist einfach nicht wahr. Sie übersehen völlig die Grundsätzlichkeit des Standpunkts, daß wir hier an einer Weichenstellung stehen, daß der Staatsanteil nicht wachsen darf, sondern in den nächsten Jahren schrittweise wieder auf ein gesundes Maß heruntergeführt werden muß.
({30})
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine falsche Meldung richtigstellen, die kürzlich leider durch die Presse gegangen ist. Es ging nicht darum, einen „Handel" - mit Entlastungen auf anderen Gebieten - zu machen. Lesen Sie es bitte genau nach. Es ging genau um das, was in dem Hearing voll und ganz bestätigt wurde, was auch schon die Bundesregierung gesagt hat, was Herr Troeger - Mitglied der SPD - im Gutachten zur Gemeindefinanzreform gesagt hat, was in dem Eberhard-Gutachten zur Steuerreform gesagt wurde, nämlich daß eine Steuerreform, die ihren Namen verdient und die natürlich auch die EG-Harmonisierung ins Auge fassen muß, an einer Mehrwertsteuererhöhung nicht vorbeikommt. Es geht darum, daß wir den Bewegungsraum für eine künftige Steuerreform erhalten müssen. Es geht nicht darum, daß man jetzt so einen „Handel" macht. Es ist genau umgekehrt.
({31})
- Dann glauben Sie es mir eben, Herr Böhme. Ich glaube Ihnen gelegentlich auch etwas. Dann können Sie mir auch einmal etwas glauben.
({32})
Wenn Sie heute zur Stopfung von Finanzlöchern die Mehrwertsteuer nehmen, landen Sie am Schluß auf EG-Ebene bei Steuersätzen von über 20 °/o. Genau dies muß verhindert werden. Das ist ein zusätzliches Argument gegen die Mehrwertsteuererhöhung.
({33})
Meine Damen und Herren, Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, und auch Ihr Versuch, Herr Finanzminister Apel, es zu drehen und zu wenden und uns demagogisch in eine von Ihnen gewünschte Ecke zu stellen, führt nicht daran vorbei: Es bleibt auf Jahre hinaus angesichts der von der Bundesregierung zerrütteten öffentlichen Finanzen nichts anderes übrig, als daß die öffentlichen Hände sparen und nochmals sparen.
({34})
Die CDU/CSU hat deutlich ihre Bereitschaft bekundet, bei einem Programm mitzuwirken, sofern es
solide ist und uns weiterhilft. Wir haben das nicht bloß mit Worten gesagt, sondern auch durch Taten bewiesen. Den Sparteil des Haushaltsstrukturgesetzes hat die CDU/CSU-Fraktion schließlich hier und im Bundesrat mit getragen. Die CDU/CSU hat sich völlig anders verhalten als die SPD im Jahre 1966. Wir haben diese unpopulären Maßnahmen hier im Haus mit getragen.
Darüber hinaus hat unser Kanzlerkandidat Helmut Kohl am 17. September letzten Jahres in diesem Hohen Hause ein umfassendes Angebot gemacht, daß er und die CDU/CSU die Regierung unterstützten, wenn sie mit einem Programm - auch mit einem unpopulären Programm - vorangehe. Das ist die Arbeitsteilung zwischen Regierung und Opposition, die ich meine.
Was geschah statt dessen?
({35})
- Sie sollten das etwas ernster behandeln, meine Damen und Herren. - Am gleichen Tag, als unser Kanzlerkandidat Helmut Kohl dieses Angebot machte, hat Bundeskanzler Schmidt Herrn Poullain, den Präsidenten der Sparerschutzgemeinschaft, hier abgekanzelt, weil er gegen sein eigenes Interesse Vorschläge in Richtung auf mehr Sparen gemacht hat. Anstatt den Wettbewerb in Richtung auf mehr Sparen in unserem Lande zu entfachen, werden in diesem Hohen Hause noch Vorwürfe gemacht, wenn man sich Gedanken über mehr Sparen macht.
({36})
Meine Damen und Herren, die Verantwortlichkeiten in dieser parlamentarischen Demokratie müssen klar bleiben. Die Regierung hat die Führungspflicht. Der Bundeskanzler hat im Herbst letzten Jahres eine ganz wesentliche Chance verpaßt, als er die ausgestreckte Hand der Opposition nicht annahm. In Wirklichkeit ist doch ganz klar, was Sie wollen. Das haben Sie doch heute morgen wieder bewiesen, als Sie versucht haben, Franz Josef Strauß hier der sozialen Demontage zu verdächtigen. Sie kitzeln uns und sagen: Sagt doch einmal, wo ihr sparen wollt!, und sobald einer von uns auch nur ein bißchen laut darüber nachdenkt, sagen Sie: Seht einmal, soziale Demontage!
({37})
Meine Damen und Herren, das sagt die gleiche Partei, die vor einem Jahr einen täuschenden Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen geführt hat. Heinz Kühn hat damals Inserate des Inhalts herausgegeben, daß Herr von Weizsäcker und Herr Strauß den Ausbau des Sozialstaates „stoppen" würden. Vier Monate später haben Sie im Haushaltsstrukturgesetz soziale Rechte nicht bloß gestoppt, sondern zurückgenommen, also soziale Demontage betrieben. Und uns werfen Sie soziale Demontage vor!
({38})
Bei einer solchen „Arbeitsteilung" machen wir nicht mit. Sie selbst verschieben die Sanierung der Deutschen Bundesbahn, Sie selbst verschieben die Sanierung der Unkosteninflation im Gesundheitswesen auf die Zeit nach der Wahl, und von der Opposition
verlangen Sie, daß sie jetzt hier mit konkreten Vorschlägen das tut, was die Regierung tun müßte. Nein, diese Arbeitsteilung geht nicht, meine Damen und Herren.
({39})
Jochen Steffen hat ja wiederholt recht. Er sagt vielfach das, was andere in der SPD denken. So hat er auch recht bekommen mit der Aussage über das „Ausprobieren der Belastbarkeit von Bürger und Wirtschaft". Er sprach nicht nur von Wirtschaft, sondern von „Bürger und Wirtschaft", das können Sie nachlesen. Jetzt hat er mit Recht gesagt, daß nach seinem historischen Verständnis oder nach dem Klassenkampfverständnis - was ja wohl das gleiche ist - die SPD jetzt an sich in die Opposition gehört; denn von den Reformideen seien nur noch - wie hat er gesagt? - „Worthülsen" geblieben. Jetzt gehe es um die „Reparaturkosten", die zu bezahlen sind. - Das verlangen Sie von uns als Opposition, und Sie selber wollen an die Dinge überhaupt nicht heran, meine Damen und Herren!
({40})
Nein, die CDU/CSU wird durch eine vernünftige Wirtschaftspolitik wieder die Grundlagen dafür schaffen, daß unser System sozialer Sicherheit gesund in die Zukunft gerettet werden kann. Die CDU/ CSU hat 1957 schließlich die dynamischen Renten in Deutschland geschaffen, als wir in diesem Haus allein die Mehrheit hatten. Jetzt ist der Tatbestand: Die Renten sind in Gefahr. Wir wollen dieses Rentensystem retten, meine Damen und Herren. Wenn Sie mit solchen sozialen Verdächtigungen den Wahlkampf führen werden, Herr Apel, dann werden Sie etwas erleben. Das wird auf Sie zurückfallen. Es ist nachweisbar, daß die Renten in Gefahr sind, und wir werden nachweisen, wer die Verantwortung dafür trägt.
({41})
Aus all diesen Gründen, meine Damen und Herren, gibt es zu dieser Erhöhung der Mehrwertsteuer nur ein Nein. Das ist zugleich ein Ja zur Wiedergesundung der finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in unserem Land.
Meine Damen und Herren, es ist in Deutschland allerhöchste Zeit für die Parole: Stoppt den Abgaben- und Steuerstaat jetzt!
({42})
Vizepräsident von Hassel: Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß der Ältestenrat in der Mittagspause den Versuch unternommen hat, dafür zu sorgen, daß die Tagesordnung heute ohne Nachtsitzung abgewickelt werden kann. Wir sind dabei davon überzeugt, daß das nur funktionieren wird, wenn wir uns an die Redezeit, die die Geschäftsordnung vorsieht, einigermaßen zu halten versuchen.
Im Ältestenrat gingen wir davon aus, daß dieser Tagesordnungspunkt, die verbundene Debatte, bis um 17 Uhr beendet sein könnte. Es liegen aber beVizepräsident von Hassel
reits fünf weitere Wortmeldungen vor. - Gerade kommt eine sechste. Es liegen also sechs weitere Wortmeldungen vor. Die Einhaltung der vom Ältestenrat überlegten Dauer der Sitzung kann nur erreicht werden, wenn wir unter allen Umständen den Versuch unternehmen, die Redezeit diszipliniert zu handhaben. Ich darf bitten, daß sich alle danach richten.
({43})
Das Wort hat nunmehr Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Niemand erhöht gern eine Steuer. Dies vorweg.
Die Finanzpolitiker aller Fraktionen beschließen natürlich mit viel größerer Freude Steuerentlastungen, Steuerreformen, z. B. Erhöhung vieler Freibeträge, Ausweitung der Proportionalzone, Kindergeld, soziale Korrekturen für die Alterseinkünfte, für Alleinstehende mit Kindern, für Behinderte. Das z. B. haben wir gemacht, lange bevor Sie Ihre „neue soziale Frage" entdeckt hatten. Das möchte ich einmal sagen.
({0})
Außerdem gab es natürlich auch noch das Carry-back und die Investitionszulage usw. Solche Entlastungen haben wir nun jahrelang beschlossen. Das darf nicht vergessen werden.
Nun soll die Mehrwertsteuer, wie bereits begründet, um zwei Punkte bzw. unten beim halben Satz um einen Punkt erhöht werden. Die dadurch erzielten Mehreinnahmen sollen dazu beitragen, die Kreditaufnahmen des Staates bis 1979 kontinuierlich zu senken, damit wir gemäß dem Verfassungsgebot in normalen Zeiten wieder eine Neuverschuldung haben, die der Investitionsquote entspricht, und damit der Kreditmarkt für die Wirtschaft stärker frei wird. Das hat mit Steuersystematik und Steuerreform nichts zu tun. Es geht allein um die simple Frage, ob der Staat, unser Staat, nächstes Jahr dieses Geld braucht. Der Finanzminister und unsere Haushaltspolitiker haben diese Frage bejaht.
Die Opposition macht es sich hingegen sehr einfach. Sie spricht von unverantwortlicher Inflationspolitik, die eingedämmt werden muß. Und Herr Carstens versuchte, diese Regierung mit der Bemerkung abzuqualifizieren, daß unsere sozialistische Finanzpolitik diesem Staat bedenkenlos immer mehr Aufgaben auferlegt und den Bürger dafür zahlen läßt.
Darauf muß man zwei Dinge sagen. Erstens. Die CDU/CSU das muß ich hier ganz deutlich wiederholen - hat keinerlei wirkliche, ernsthafte Sparvorschläge eingebracht. Es sind eine Fülle von kostenträchtigen Anträgen und Vorschlägen aus den Reihen der Opposition auf den Tisch gekommen. Hätten wir alle diese aufgegriffen, hätten wir noch über 30 Milliarden mehr ausgegeben.
({1})
Sie wollten uns immer an staatlichen Guttaten
übertreffen. Erst heute noch hat ja Herr Carstens
über 90 % aller sozialen Leistungen für die Opposition reklamiert und uns noch 5 % zugebilligt. Sehen Sie mal, mit welchem Recht haben Sie dann gegen diese Inflationspolitik hier operiert?
Sie haben für viele, viele Dinge hier Mehrausgaben verlangt, z. B. beim Carry-back. Und jetzt wieder mehr Vergünstigungen für Abschreibungen, dann die Wiedereinführung der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen als Sonderausgaben! Und natürlich sind Sie für die Körperschaftsteuerreform. Wir haben es gar nicht nötig, uns hier von Herrn Strauß verleumden zu lassen, wenn er den Betroffenen klarmachen will, die von uns versprochene Steuerentlastung käme nicht. Aber auf der anderen Seite muß ich auch deutlich sagen: dies ist kein Sparvorschlag. Es kostet über 1 Milliarde Steuerausfall und wird die Sparproblematik nur verschärfen, aber nicht erleichtern.
({2})
Die Opposition hat ganz vergessen oder will es nicht wahrhaben, obwohl sie allen diesen Maßnahmen im einzelnen zugestimmt hat, daß es dieser Staat war und noch ist, der in den letzten beiden, durch die weltwirtschaftliche Lage kritisch gewordenen Jahren mit seiner Haushalts- und Steuerpolitik dafür gesorgt hat, daß es nicht noch mehr Arbeitslose gab und noch weniger Nachfrage auf dem Markt. Die finanz- und geldpolitischen Anregungen durch vier Konjunkturprogramme, Steuersenkungen, spezielle Darlehensprogramme, auch solche für kleine und mittlere Unternehmen, mit einem Ausgabenvolumen von 35 Milliarden DM sowie die Geldpolitik der Bundesbank haben die Rezession zum Stillstand gebracht und den neuen Aufschwung eingeleitet. Dabei hat die starke Ausweitung des Haushaltsdefizits wesentlich zur positiven Konjunkturwende beigetragen. „Jedenfalls hätte eine geringere Erhöhung des Defizits die wirtschaftliche Erholung verzögert." Dies ist ein wörtliches Zitat von der Bundesbank, und das steht ganz im Gegensatz zu dem, was Herr Strauß heute hier vorgetragen hat.
({3})
Steuerentlastung und Konjunkturhilfen wurden durch das Haushaltsstrukturgesetz mit einem Bündel vertretbarer Sparmaßnahmen ergänzt. Selbstverständlich haben die Betroffenen hier Kritik geübt. Aber wir - ich nehme an, auch Sie von der Opposition haben unendlich viele Briefe auch sonst noch mit der Bitte bekommen, Hilfe zu gewähren, d. h. mehr Subventionen, mehr Steuererleichterung, und wir sind immer mehr aufgefordert worden, zu helfen, als zu sparen. Aus allen Wirtschaftsbereichen haben wir solche Briefe erhalten. Da haben Sie dann im einzelnen immer die Guttaten der Regierung und unserer Koalitionsgruppe noch übertreffen wollen. Deshalb ist es unredlich - das muß ich hier sagen -, wenn Sie für alles Verständnis zeigen, die Koalition in ihrer Güte in den Ausgaben übertreffen wollen, jetzt wieder bei der Berufsbildungsfinanzierung große Versprechungen machen und gleichzeitig in der Haushaltsdebatte die harte Sparlinie fahren, ohne Vorschläge, versteht sich. Sie setzen nur auf den Jubel jener, die hier ausschließlich die steuerliche Seite sehen.
Das bedeutet z. B. für den Rentnerhaushalt 12 DM Mehrbelastung im Monat nach der Mehrwertsteuererhöhung, für den normalen Arbeitnehmerhaushalt mit zwei Kindern 25 DM, für den Haushalt mit gehobenem Einkommen und zwei Kindern etwa 40 DM.
({4})
Bitte? Milchmädchenrechnung? Das will ich Ihnen gleich sagen: An dieser Steuererhöhung sind alle Gruppen beteiligt, und die Belastung ist also anders, als wenn es über eine Einkommensteuerlösung gegangen wäre; es trifft den Einkommensteuerzahler, den Lohnsteuerzahler längst nicht so, weil alle in die Belastung einbezogen sind. Deshalb ist das falsch, was hier von Herrn Häfele vorgetragen worden ist. Von einer Entlastung von 120 DM für einen mittleren Haushalt bleiben auch nach der Mehrwertsteuererhöhung immer noch rund 100 DM übrig. Auch haben Sie hier immer die Bruttozahlen vorgetragen und die Beträge nicht abgezogen, die die öffentliche Hand selber an Mehrwertsteuer zahlen muß.
Hier wird aber immer nur von der Mehrbelastung geredet. Sie haben nicht von dem geredet, was an Leistungen an den Bürger zurückfließt, z. B. für soziale Aufgaben, für Bildung, Sicherheit, für Verkehrsleistungen, billigeres Wohnen, Gesundheitswesen, Sparförderung usw. Das sind doch Ausgaben, die als Einkommen an den Bürger zurückfließen. Davon haben Sie wider besseres Wissen nicht gesprochen. Das muß lin dieser verwirrenden Diskussion um den Staatsanteil in der Rezession doch einmal deutlich gemacht werden.
Nun hat Herr Strauß heute morgen unserem Bundesfinanzminister Unkenntnis vorgeworfen. Ich möchte Herrn Strauß ein schlechtes Erinnerungsvermögen vorwerfen; denn wenn er das nicht hätte, würde er sicherlich den Vorwurf der Unkenntnis nicht erheben. Als es in diesem Hause noch die Große Koalition gab, hat Herr Strauß als Finanzminister in einer Haushaltsdebatte einmal sehr grundsätzliche Ausführungen gemacht. Mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich daraus zwei kurze Passagen zitieren. Erstens:
Die Vorstellungen, daß an einmal erreichten Ausgabevolumina in der heutigen Zeit ich rede gar nicht von der besonderen konjunkturellen Situation, in der wir uns befinden und die bald überwunden sein wird - noch Abstriche erzielt werden können, sind entweder Selbsttäuschung oder Irreführung der Öffentlichkeit.
Und dann:
Man soll nicht einfach über die Verschwendungssucht der öffentlichen Hand lamentieren und so tun, als ob öffentliche Investitionen zum größten Teil Luxus wären. Das weitere Wachsturn unserer Wirtschaft, ihr Vordringen in die Dimensionen der nächsten Generation und ihre Vorbereitung auf die Aufgaben des nächsten Jahrhunderts
- das hört sich doch großartig an erfordern heute eine staatliche Tätigkeit auf dem Gebiet der geistigen und materiellen Infrastruktur, die naturgemäß, sosehr wir es beklagen mögen, ständig steigende staatliche Aufwendungen erfordern, die von keiner privaten Seite, wie auch immer sie organisiert sein mag, dem Staat abgenommen werden können.
Was ist denn nun der Herr Strauß als Finanzminister gewesen? Ein waschechter Sozialist? Ist es wahr, was er gesagt hat, eine allgemeine Aussage, die auch heute noch gilt und auf die man sich vielleicht später doch mal gemeinsam einigen kann?
Nun sagen Sie nicht, daß Strauß hier von Investitionen redet, Herr Schröder. Wer Investitionen will, muß auch die Folgekosten tragen. Wenn Sie das jedoch nicht angreifen wollen, nicht die Investitionen, nicht die Folgekosten, nicht die sozialen Leistungen und nicht die Konjunkturmaßnahmen, denen Sie ja zugestimmt haben: Was eigentlich wollen Sie angreifen? Ich habe nicht gehört, daß Sie irgend etwas konkret auf die Hörner genommen hätten.
Herr Strauß hat sich auch vor gut einem Jahr, am 26. Februar 1975, im deutschen Fernsehen für eine Steuererhöhung ausgesprochen und ein paar Monate später, nämlich im Juni 1975, im Pressedienst der Opposition eine Mehrwertsteuererhöhung bejaht, falls der Mehrertrag richtig verwendet wird.
({5})
Darüber, wie dieser Mehrertrag verwendet wird, kann man sicherlich streiten. Wir glauben, in unserem Konzept die richtige Verwendung vorgesehen zu haben. Diese Aussage von Herrn Strauß liegt noch kein Jahr zurück und knüpft ganz folgerichtig
({6})
- ich möchte den Satz eben zu Ende führen - an das an, was Sie damals vor der Steuerreform zum Eberhard-Gutachten gesagt haben. Damals waren vier bis fünf Punkte Mehrwertsteuererhöhung in der Diskussion, und die sind von ihnen überhaupt nicht kritisiert worden. Und 1974 haben wir von Herrn Häfele, Herrn Burgbacher und von anderen schöne Äußerungen gehört, die auch nicht gegen die Anhebung der Mehrwertsteuer gerichtet waren. Das ist immer so eine Sache: Je nachdem, was gerade opportun ist, sind Ihre Äußerungen so oder so. Wir haben jedoch alle diese Zitate nicht vergessen.
({7})
Wir vergessen auch nicht, daß man jetzt wieder darauf zurückkommt, allerdings mit Zusätzen wie: wenn es richtig verwendet wird; jetzt nicht, so nicht; nach der Wahl muß man sagen ... Wir nehmen das zur Kenntnis und behalten es auch.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder ({8})?
Bitte sehr.
Frau Huber, da Sie Herrn Strauß so isoliert zitieren: Würden Sie freundlicherweise darauf aufmerksam machen, daß er in dem von Ihnen soeben erwähnten Fernsehinterview als Voraussetzung einer eventuellen Erhöhung der Mehrwertsteuer festgestellt hat, daß gleichzeitig die Gewerbesteuer wegfallen und die ertragsunabhängigen Steuern reduziert werden müßten?
Darauf komme ich in einem späteren Teil meiner Ausführungen noch zurück.
({0})
- Die Ausführungen von Herrn Strauß, die ich eben zitiert habe, sind sehr grundsätzlicher Art, nämlich über den wachsenden Staatsanteil, über seine Notwendigkeit. Genau diesen wachsenden Staatsanteil haben Sie eben unserem Bundeskanzler vorgeworfen, als sei das so eine Art sozialistische Masche, die von allen Bürgern beklagt werden müsse. Das war es doch, oder nicht?
({1})
Selbstverständlich ist die Mehrwertsteuererhöhung - das wird hier gar nicht geleugnet - eine Mehrbelastung. Bei der Anhörung des Finanzausschusses in der vorigen Woche ist das auch gesagt worden. Sie wird sich im Preisniveau dort niederschlagen, wo sie überwälzt werden kann und nicht den Gewinnen entnommen werden muß. Es kann sein, daß sie mit 1,3 oder 1,4 % in das Preisniveau eingeht.
({2})
- Ich sage nur: Unter der Voraussetzung, daß die Mehrwertsteuererhöhung kommt, wird das so sein.
({3})
- Da bin ich nicht so sicher, Herr Rawe, was Sie nach der Wahl sagen.
({4})
Ich fand es sehr bemerkenswert bei der Anhörung
- und dies möchte ich hier dem Plenum nicht vorenthalten -, daß ein Vertreter der Arbeitnehmerschaft, nämlich des DGB, ein gewisses Verständnis für die Anhebung der Mehrwertsteuer zeigte, wenn auch nicht für die geplante Höhe.
({5})
Er hat gesagt: Wir haben Verständnis für den Mehrbedarf des Staates, wir wünschen aber, daß die Steuer nur um 1 % angehoben wird; wir sind gegen 2 °/o.
({6})
Das sagen diejenigen, die die Mehrwertsteuer zahlen müssen. Diejenigen, auf die die Erhöhung überwälzt wird, haben das gesagt. Die Unternehmer waren voll dagegen - ({7})
- Sie müssen sich gerade auch als DGB-Funktionäre vor der Arbeitnehmerschaft verantworten, und das wissen sie ganz genau.
Die Unternehmer haben dagegen alle die Mehrwertsteuererhöhung abgelehnt, obwohl sie direkt oder indirekt aus der staatlichen Kreditpolitik in den letzten Jahren Nutzen gezogen haben, obwohl man ihnen dadurch über die Runden geholfen hat und viele Betriebe deshalb nicht kaputtgegangen sind, weil dem so war. Jeder in dem großen, vollbesetzten Raum hat genau gewußt, daß dies der Grund dafür war, daß wir relativ gut über die Runden gekommen sind.
Dieser Staat - das sage ich hier aus voller Überzeugung - ist ein guter Staat. Wie gern würden andere ihre Sorgen mit seinen Sorgen tauschen. Entgegen früheren Irrlehren hat er sich in der Konjunkturflaute nicht aufs Sparen verlegt, und er hat damit allen geholfen. Der Preis dafür ist nun die Konsolidierung in der wiederbelebten Konjunktur, d. h. ab 1977. Ich wünschte, man würde sich in manchen Zeiten einmal so laut und kräftig über Preiserhöhungen in der Wirtschaft unterhalten, wie dies in dem Hearing geschehen ist, z. B. über Autopreiserhöhungen. Aber dazu gibt es keine öffentliche Anhörung. Es ist ja auch kein öffentliches Geld, um das es hier geht. Dennoch sind solche Preisbeschlüsse von außerordentlichem öffentlichem Gewicht. Dieser Staat will keine Gewinne erzielen. Das ist der Unterschied: wir wollen keine Gewinne erzielen.
({8})
Das muß man dem Bürger in dieser Zeit klarmachen, in der der Staat angegriffen wird, weil er angeblich zuviel Einnahmen aus den Taschen der Bürger nimmt. Dieser Staat will das, was er einnimmt, im Dienste der Bürger wieder ausgeben.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Bismarck?
Natürlich!
Frau Kollegin, halten Sie Gewinn für etwas Böses?
Gewinn, den man erzielt, um ihn einigen wenigen, manchmal denjenigen, denen das Unternehmen gehört, zugute kommen zu lassen, ist etwas ganz anderes, als wenn der Staat Steuern einnimmt, damit die Bedürfnisse aller seiner Bürger befriedigt und dabei die Schwächsten zuerst berücksichtigt.
({0})
Ich glaube, das ist der Punkt, Herr von Bismarck, in dem wir uns unterscheiden.
Wer dem Bundesfinanzminister nicht glauben will, der möge doch einmal bei den selbständigen Ländern nachfragen, wie sie es denn mit den Krediten seit 1973 gehalten haben. Es gibt doch wohl keinen CDU-Finanzminister, der hier eine Alternative, nämlich die Sparalternative, vorführen könnte. Die Nettokreditaufnahme der Länder ist von 1973 bis 1975 auf fast das Siebenfache gestiegen. Deshalb tut sich die Opposition, finde ich, nicht so gut mit ihrer Argumentation. Es ist also eher ein Wortgefecht, ein Manöver, von dem Sie hoffen, daß die Mehrheit unserer Bevölkerung es nicht durchschaut.
Herr Minister Apel hat die Kfz-Steuererhöhung als eine mögliche Einnahmeverbesserung der Länder, nicht des Bundes, erwähnt. Tatsache ist, daß wir eine Kfz-Steuernovelle durchaus wünschen, es hat sehr viel Hin und Her auch über die technische Ausgestaltung mit den Ländern gegeben. Wir warten auf die Vorschläge der Länder zur Verbesserung der Kfz-Steuer. Aber ich glaube nicht, daß man den Worten von Herrn Strauß heute entnehmen kann, daß uns die Länder, wenn sie verbessert wird und die Länder Einsparungen erzielen, umgehend eine Erleichterung bei der Umsatzsteuer anbieten werden; denn hier haben wir einschlägige Erfahrungen bei der Kindergeldlösung über das Arbeitsamt. Dabei haben wir gesehen, wie es bei den Umsatzsteuerverhandlungen aussieht.
({1})
Ein weiteres Beispiel für diese unredlichen Wortgefechte ist z. B. aus dem Gutachten von Friedrich Vogel zu entnehmen. Danach sollen bis 1980 35 000 Stellen beim Bund und, man höre, bei den Gemeinden eingespart werden. Wenn diese alles privatisieren, was die Studie vorschlägt, einschließlich des Sozial- und Schulbereichs, dann könnten sie fast die Hälfte an Aufgaben abgeben und an Ausgaben sparen. Aber bringt das dem Bürger Vorteil? Muß er nicht dieselben Personalleistungen bezahlen, nur dann an private Firmen? Bringt es ihm eigentlich Vorteile? Wer beschließt das eigentlich? Nach unserer Verfassung jedenfalls nicht der Deutsche Bundestag.
So ist das auch mit den Sparforderungen, die sich an die Länder richten. Da sind zusätzlich 350 000 Stellen im Bildungsbereich entstanden, 72 000 Bedienstete gibt es mehr im Bereich der öffentlichen Sicherheit. Wenn man hier Sparappelle losläßt, so sind das doch fromme und sehr hübsche Wünsche, übrigens auch an die Adresse der CDU-regierten Länder.
Wie kommen Sie bloß auf die Idee, daß der Bund mit seinen Gesetzen die Personalvermehrungen verschuldet habe? Er hat doch bloß 12 °/o aller Stellen. Dies sind doch alles verbale Erklärungen und keine wirklichen Vorschläge.
({2})
- Ja, aber die Gemeinden sind doch nicht gezwungen, zusätzliche Einstellungen vorzunehmen.
({3})
- Ich habe ja gesagt, daß der Staat seine Aufgaben erfüllen soll. Sie können aber nicht den Personalbestand bei selbständigen Gebietskörperschaften beschneiden.
({4})
- Herr Schröder, was wir hier beschlossen haben, ist doch in 95 % aller Fälle von Ihnen mitbeschlossen worden. Ich kenne kein kostenträchtiges Gesetz von Bedeutung, das Sie hier nicht mitbeschlossen hätten. Das muß einmal gesagt werden.
({5})
- Ja, hier gab es immer nur Zustimmung und bei Carry-back und bei anderen Dingen z. B. immer die Forderung nach Verdoppelung. Es gab doch von Ihrer Seite keinen Vorschlag, dies oder das lieber nicht zu machen, weil es so viel kostet.
({6})
Wenn es um die Einzelheiten ging, waren Sie immer dafür.
Was haben Sie denn nun in dieser Woche an Sparvorschlägen eingebracht? Mehr als eine Verdoppelung der globalen Minderausgabe, und dann wurden hier noch ein Dutzend Punkte vorgetragen, die zusammen 150 Millionen DM ausmachen. Was ist die globale Minderausgabe? Das ist die Hoffnung auf Haushaltsreste, sonst gar nichts.
Ansonsten hegen Sie natürlich die Hoffnung auf unerwartet hohe Steuereinnahmen auf Grund des Konjunkturaufschwungs. Der Bund der Steuerzahler hat in seiner Eingabe vom 5. Mai an die Abgeordneten des Bundestages neue Zahlen vorgelegt. Danach sollen die überholten Steuerschätzungen „wachstumbedingt", so steht da, schon 1977 um 8 Milliarden DM, 1978 um 10 Milliarden DM und 1979 um 13 Milliarden DM wachsen. Dadurch könne man, wie es dort heißt, auf bis zu drei Viertel der Steuererhöhung verzichten. Der Rest soll nach Auffassung des Bundes der Steuerzahler durch Ausgabeneinschränkungen bei Personalausgaben, Bundesbahn, Bundespost, bei den Aufwendungen für die EG, aber auch beim Wohnungsbau, der Regionalförderung und Sparförderung eingespart werden. Sehen Sie, sonst sind wir mit unseren Prognosen immer miesgemacht worden, und bei den Steuerschätzungen hat man immer gesagt, die seien alle sehr vage, die letzten seien viel zu gut gewesen, und es sei großes Mißtrauen angebracht. Aber jetzt, wo es nützlich ist, werden die Steuerschätzungen von heute bis in das Jahr 1979 fortgeschrieben, und dann sagt man: Das ergibt 13 Milliarden DM, dafür könnt ihr auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichten. Wer garantiert denn eigentlich für diese Prognosen,
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 242. Sitzung. Bonn, Donnerstag, der 13. Mai 1976 17103
nachdem vorher immer alles so furchtbar unsicher war?
Die Opposition argumentiert ebenfalls, wie aus dem Ausschußbericht ersichtlich ist, mit nicht näher definierten Sparmöglichkeiten und höheren Steuereingängen. Ich hätte das nicht mehr erwähnt, aber Herr Strauß selbst hat im März laut „Bayernkurier" noch seine Rede von Sonthofen bestätigt: Wir sind am Anfang der Krise, und man darf sich hier um Gottes Willen vor der Wahl keine Änderung wünschen. Dies beleuchtet doch wie ein Schlaglicht die Diskussion.
Überhaupt gibt es hier viele merkwürdige Gegensätze. Herr Höcherl erklärt am 29. April gegenüber ddp, die Bundesregierung habe die Weltwirtschaftskrise mitverschuldet. Wenn aber im Ausland überhaupt etwas kritisiert worden ist, Herr Häfele, dann doch unsere zu geringe Inflationsrate. Sie aber kommen und sagen, wir machten eine Inflationspolitik, und wollen gerade das kritisieren. Das ist doch ein diametraler Gegensatz. Wie kann man denn so etwas behaupten?
Herr Strauß hat am Dienstag erklärt, wir hätten die private Nachfrage, also den Konsum, künstlich hochgejagt und dadurch die Arbeitslosigkeit gefördert. Meinte er vielleicht die Steuerreform? Ich kann nur sagen, daß die Stützung der Binnennachfrage auch durch die Steuerreform, die ja gerade die Nachfrage hier sehr verbessert hat, uns die Situation bei den Nachfrageschwierigkeiten, die wir hatten, erleichtert hat. Daran kann doch wohl kein Zweifel sein.
Die Arbeitnehmer werden darüber nachdenken, was der Satz über die private Nachfrage wirklich bedeutet. Sie leisten, wie hier gesagt worden ist, mit der Lohnsteuer wirklich einen bedeutenden Staatsbeitrag. Sie werden sicher ebenso wie ich auch nicht glauben, daß mit der Parole „Ende des Sozialstaats", bei der Herr Strauß nun unter vielen Verrenkungen schon zweimal sich selbst umzudeuten versucht hat, nur verhindert werden soll, daß die Armen die Reichen finanzieren. Ich will Ihnen sagen: Der Sozialstaat war niemals zum Vorteil der Reichen gedacht. Das wissen die Arbeitnehmer ganz genau.
({7})
Sie haben hier über das Sparen, über die Verluste, die die Sparer erleiden, usw. gesprochen. Dazu wurde schon eine Menge gesagt. Ich will Ihnen sagen: Bei dem Stabilitätskonzept, das hier von Herrn Strauß nur sehr verschwommen angedeutet worden ist, kann ich, was das Sparen betrifft, nur eine Befürchtung hegen: Wer hätte dann eigentlich noch gespart? Wieviel hätten dann die Arbeitnehmer sparen können? So muß man das doch auch einmal sehen.
({8})
Daß Sie nur die Verluste beklagen - die ja sehr relativiert werden, wenn man die Formen des Sparens unter die Lupe nimmt ist die eine Seite. Aber daß unsere Bürger so viel haben sparen können und daß sie so viel gespart haben, das war doch das Ergebnis der Politik, die gemacht worden ist.
Herr Barzel hat dann hier die Forderung der CDU/ CSU nach Steuersenkung für Unternehmer wiederholt, damit wir - so sagte er - „wieder in eine investive Landschaft kommen". Da nimmt es sich, muß ich schon sagen, wirklich rührend aus, wenn gleichzeitig Herr Blüm in der „Welt" den von der Koalition so unerhört geschröpften Arbeitnehmer zitiert und wenn wie schon erwähnt, Herr Kohl in der „Welt der Arbeit" und Herr Müller-Hermann hier neulich in der Debatte von den Einkommenseinbußen der Arbeitnehmer und von Lohneinbußen sprechen. Was soll denn nun eigentlich sein: Steuererleichterungen für Unternehmer? Steuererleichterungen für Arbeitnehmer? Steuererleichterungen für alle und jedermann? Und wie wird dann dieser Staat noch operieren? Wollen Sie dem Staat, den wir alle in dieser schwierigen Zeit so nötig hatten, nun überhaupt keine finanzielle Basis mehr zubilligen?
({9})
Und dann wird noch behauptet: Die Mehrwertsteuer frißt alles auf. Ich habe dazu schon ein Beispiel gebracht, will aber gern darauf zurückkommen. Ich habe gesagt: Bei den mittleren Einkommen bleiben von 120 DM Steuererleichterung 100 DM übrig, bei etwas höheren Einkommen bleiben von 150 DM 118 DM übrig. Die Rentner, die ja am wenigsten belastet sind, haben dadurch einen Ausgleich, daß sie bei schwachen Tarifabschlüssen relativ hohe Zuwachsraten haben. Übrigens haben Sie den Saldo nicht genannt, Herr Häfele, als Sie von 17 Milliarden sprachen. Dazu möchte ich sagen: Aus der Mehrwertsteuer kommen etwas über 10 Milliarden DM, netto aber nur 8,4 Milliarden ein, weil selbstverständlich auch die öffentliche Hand auf allen Ebenen Mehrwertsteuer zahlt.
({10})
- Ja, ja.
In Wirklichkeit kann es ja wohl nicht angehen, daß immer nur von Steuersenkungen gesprochen wird.
({11})
Herr Strauß hat vom Ende des Sozialstaats und von Gratifikationen gesprochen, die aufhören müßten. Er hat gesagt, die sozialistische Verschwendung habe das Geld dieses Staates verplempert. Andere aber versichern hier treu und bieder, daß das soziale Netz keine Löcher kriegen soll. Ich frage mich: Wie paßt das alles zusammen? Und da denke ich nochmals an Herrn Carstens, nach dem die CDU/CSU mehr als 90 % der Sozialleistungen bewirkt haben soll.
Um die Reihe der Gegenargumente vollzumachen, wird auch noch die Steuerharmonisierung in der EG erwähnt. Die Vertreter der Opposition sind - das zeigt sich hier - nicht an sich gegen eine Mehrwertsteuererhöhung. Aber sie wollen sie mit dem Wegfall der Gewerbesteuer koppeln. Das können wir wegen des fehlenden Ausgleichs im Moment sicher nicht machen. Aber selbst wenn die Mehrwehrt17104
steuer im Jahr 1977 auf 13 bzw. 6,5 % angehoben wird, wird die Bundesrepublik mit 13 bzw. 6,5 % noch einen sehr mäßigen Mehrwertsteuersatz in der europäischen. Tabelle haben.
({12})
- Es bleibt noch eine Menge Spielraum, wenn Sie bedenken, daß wir mit unserem Mehrwertsteuersatz außer Luxemburg am günstigsten liegen und weit übertroffen werden von Frankreich, Irland, Norwegen und Holland usw. Wir stehen auch dann noch sehr günstig in dieser Tabelle. Das, was Sie beabsichtigen, ist auch dann sicher immer noch möglich.
({13})
- Ich glaube nicht, daß wir sehr bald zu einer Harmonisierung kommen, Herr Schröder. Das wissen Sie ganz genau.
({14})
- Ja, den habe ich. Auch wenn Sie die Gesamttabelle sehen, stehen wir recht günstig da. Es ist a gar nicht so, wie hier vorgetragen wird.
Zuletzt wird dann noch gesagt, die Mehrwertsteuer sei unsozial, sie belaste die Haushalte der kleinen Verdiener stärker als die der großen. Das haben auch Sie hier gesagt, Herr Häfele. Diese angeblich starke Regressionswirkung ist früher stark betont worden.
({15})
- Aber Sie haben das doch auch zu Ihrer Meinung gemacht, oder nicht? - Nun zitiere ich; ich sage Ihnen nachher, wen. Da heißt es:
Nun gilt aber immer noch weitgehend die Formel: direkte Steuern - gerechte Steuern, indirekte Steuern - ungerechte, weil unsoziale Steuern. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung aber hat bereits nachgewiesen, daß diese Formel längst keine Gültigkeit mehr hat. Die Belastung mit Verbrauchsteuern nimmt mit zunehmendem Einkommen zumindest proportional, ja eher leicht progressiv zu. Dennoch wird an diesem ideologisch-politischen Vorurteil festgehalten. Für die Gestaltung des Steuersystems muß hier der Schluß gezogen werden: Der Anteil der Verbrauchsbesteuerung, also der indirekten Steuern, innerhalb des gesamten Systems muß zunehmen.
({16})
- Das steht hier nicht drin. Hier steht: Der Anteil der indirekten Steuern muß zunehmen. Das Zitat stammt von Herrn Dollinger, der dies auf der letzten Jahrestagung des BDI sagte. Ich habe heute im Handbuch nachgelesen - ich bin ja noch nicht so lange wie er im Bundestag -, daß Herr Dollinger auch einmal Vorsitzender des CDU/CSU-Arbeitskreises für Haushalt, Finanzen und Steuern war. Nun denken Sie mal!
({17})
- Das steht da nicht. Ich zitiere, was da steht.
({18})
Die CDU-Länder und das CSU-Land Bayern haben bereits deutlich signalisiert, daß die Mehrwertsteuervorlage im Bundesrat jetzt nicht durchgehen wird. Herr Leicht hat - das wurde heute schon erwähnt - als Vorsitzender des Haushaltsausschusses Steuererhöhungen als das letzte Mittel bezeichnet. Dies kann so sein. Aber Sie haben kein erstes, kein zweites, kein drittes und auch kein vorletztes Mittel hier genannt. Das muß ich hier deutlich sagen.
({19})
Wenn er gesagt hat, nach der Wahl müsse erklärt werden, wie denn nun konsolidiert werden soll, dann will ich den Schlußpunkt setzen: Wir machen das ein paar Monate vor der Wahl. Das ist redlich, und ich finde, damit können wir beim Bürger sicherlich viel besser bestehen. Man muß nämlich dem Bürger frühzeitig und rechtzeitig die Wahrheit sagen.
Wir stimmen durchaus Herrn Biedenkopf zu, wenn er sagt, es kommt nicht nur auf den Aufschwung an, sondern darauf, in welche Hände die Chancen gelangen, die dieser Aufschwung bietet.
({20}) Wir meinen, das gehört in unsere Hände.
Im Zusammenhang mit der Steuer müssen wir im Aufschwung auch die Chance nutzen, die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Ein verläßlicher Staat, der in Notzeiten hilft, muß auf die Einsicht seiner Bürger rechnen können, wenn er in besseren Zeiten seine im Interesse des Ganzen gemachten Schulden wieder abbauen muß. Wirkliche Verantwortung verbietet es, sich auf schöne Worte und unerfüllbare Versprechen zurückzuziehen. Maßstab für die Qualität eines Staates und seiner Führung ist es nicht, ob viel Populäres gesagt, sondern ob das Richtige getan wird.
Heute hat Herr Althammer gesagt: Die CDU/CSU hat ein gesundes Unternehmen hinterlassen. Was haben Sie wirklich hinterlassen? Eine Fülle von Problemen. Herr Althammer hat heute morgen auch gesagt, der Bundeskanzler könne sich seiner Verantwortung nunmehr nicht entziehen. Aber dies will er auch gar nicht, er will nämlich Bundeskanzler bleiben, und wir wollen das auch.
({21})
Ich nehme also an, daß die Mehrwertsteuererhöhung hier zwar verabschiedet, aber trotzdem in diesem Jahr nicht beschlossen werden wird. Aber wir haben mit dieser Maßnahme das unsrige getan, um die Basis für eine redliche und solide Finanzpolitik in der kommenden Legislaturperiode zu legen.
({22})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Häfele hat sich hier rhetorisch ungemein engagiert; aber trotz Lautstärke, lieber Herr Kollege, konnten Sie die Widersprüche nicht überdecken, die in Ihren und den Äußerungen Ihrer Fraktion nun schon den ganzen Tag zu spüren sind.
({0})
Drei Punkte gibt es hier. Wir haben eine Verschuldung, die auf Grund durchaus verständlicher Kreditaufnahme in den letzten Jahren sehr hoch ist und abgedeckt werden muß. Sie sagen: Da muß man sparen; aber Sie legen keine Vorschläge dafür vor. Und Sie sagen: Steuererhöhungen lehnen wir ab - jedenfalls zur Zeit. Da fällt auch dem einfachsten Rechner auf, daß diese Rechnung nicht aufgehen kann.
Ich habe hier die seltene Gelegenheit, eine Äußerung des Herrn Kollegen Strauß zu zitieren, die sich mit dem deckt, was wir meinen. Er sagte kürzlich: Der Abbau der Verschuldungsquote der öffentlichen Haushalte und die Tilgung der Neuverschuldung, soweit sie aus konjunkturpolitischen Gründen entstanden ist, gehören zu den Prioritäten, die es zu bewältigen gilt. Dem möchte ich voll und ganz zustimmen. Gerade diesem Bemühen um einen Ausgleich im Haushalt dient die heutige Erörterung der Probleme.
Sie sagen seitens der Opposition, es muß mehr eingespart werden. Herr Kollege Althammer hat heute sogar gesagt, die CDU/CSU würde das ganz besonders konstruktiv tun; sie hätte ja in den letzten Haushaltsberatungen Vorschläge für Einsparungen vorgelegt, und zwar - wenn ich mich recht erinnere - im Jahre 1971 in Höhe von 2,4 Milliarden DM, 1972 in ähnlicher Höhe und im Jahre 1973 gar in Höhe von 3 Milliarden DM. Dies ist aber nun einfach nicht wahr; der Kollege muß das geträumt haben, was ja vorkommen kann. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Anträge der Opposition zu den Etatberatungen in den jeweiligen Jahren durchzusehen. Entweder hat er Millionen und Milliarden verwechselt, oder es stimmt alles nicht.
({1})
- Herr Kollege Schröder, die endgültigen Abstimmungen werden hier im Plenum und nicht im Haushaltsausschuß durchgeführt, und wenn Sie etwas anderes haben wollen als die Regierung und die Koalition und es mit den Haushaltseinsparungen wirklich ehrlich meinen, müssen Sie die Abänderungsanträge hier auf den Tisch des Hauses legen. Das ist nicht geschehen.
({2})
Im Gegenteil, was Sie allenfalls vorgelegt haben, waren Anträge, die Mehrausgaben zum Inhalt gehabt hätten.
Darüber helfen auch nicht noch so schöne und in der Öffentlichkeit sicher gern beklatschte allgemeine
Floskeln hinweg. Nun ja, Herr Strauß hat vor kurzer Zeit in einer Rede beim Institut Finanzen und Steuern Vorschläge gemacht, die hören sich dann so an: Man muß die Sozialzuschüsse durchforsten, man muß die Ausgaben mit der Einnahmesituation in Übereinstimmung bringen, man muß neue Prioritäten setzen, man muß prüfen, ob man nicht öffentliche Ausgaben dadurch einsparen kann, daß man öffentliche Aufgaben privatisiert, die Möglichkeiten für Einsparungen müssen geprüft werden usw. Das ist sicher theoretisch alles ganz richtig, aber mit solchen Allgemeinplätzen kann man den Haushalt nicht ausgleichen, sondern man muß schon konkret sagen, wie und wo diese Einsparungen erfolgen sollen. Er sprach von Abschmelzung im öffentlichen Dienst. Wo, bitteschön soll das geschehen? Er sagt: Bei der Sparförderung kann man vielleicht sparen. Bitte, wo sind Ihre Vorschläge für eine Einschränkung der Sparförderung? Bisher haben wir nur gegenteilige Vorschläge gehört. Außerdem schlug er vor, Subventionen abzubauen. Mit solchen Äußerungen kann man draußen beim Institut Finanzen und Steuern, beim Bund der Steuerzahler oder auch sonstwo großen Applaus bekommen. Nur wenn Sie sagen wollen, wo die Mittel eingespart werden sollen,
({3})
werden Sie erleben - das weiß ich aus der Erfahrung eigener Reden in diesem Lande -, daß die Zustimmung zum Einsparen umschlägt und alle diejenigen, die geklatscht haben, nach der Versammlung noch ein besonderes Anliegen zur Vergünstigung und besseren Dotierung haben.
({4})
So ist das, und Sie wissen das. Weil Sie keinem wehtun wollen, bleiben Sie bei den allgemeinen Sparappellen, mit denen niemand etwas anfangen kann. Wo sind denn Ihre Alternativen? Sie haben sie nicht, und weil Sie sie nicht haben, sagen Sie einfach: Wir sind die Alternative. Dann brauchen Sie wenigstens nicht zu sagen, daß Sie keine Alternativen haben. So sieht es doch aus. Aber, meine Damen und Herren, der Wähler wird noch rechtzeitig merken, daß dies alles Sprechblasen sind und nicht mehr und daß dahinter der Wille zur Einsparung nicht vorhanden ist.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktion sind bereit, Vorschläge nicht nur vorzulegen - sie sind ja auf dem Tisch -, sondern auch durchzusetzen, und zwar auch dort, meine Damen und Herren, wo sie unpopulär sind. Wenn Sie aber nun diese Vorschläge nicht annehmen wollen, ist es Ihre Aufgabe, sie durch andere zu ersetzen. Nur das wäre seriös.
Ich glaube, daß unsere Bevölkerung lieber klare Vorschläge hat, bei denen sie weiß, worum es sich handelt, als in einen Nebel zu geraten, bei dem man hinterher nicht weiß, was daraus wird.
({5})
Denn Einsparungen anstelle von Steuererhöhungen,
wie Sie sie jetzt allgemein fordern, sind ja auch
nicht etwa so, daß sie - wie Sie immer glauben
machen wollen - keineswegs jemandem wehtun. Wo wollen oder wo könnten Sie denn große Summen sparen? Im investiven Bereich? Da haben wir heute von Herrn Strauß und von Herrn Althammer eine Lektion bekommen, daß die öffentlichen Investitionen sowieso zu niedrig sind. Einsparungen dort vornehmen heißt Minderung der Aufträge, z. B. im Hochbau, z. B. im Tiefbau, heißt Gefährdung von Arbeitsplätzen. Deswegen sagen Sie das nicht.
Sollen wir bei der Verkehrsbedienung einsparen? Sie sollen einmal erleben, wie dann überall - von der Opposition natürlich - sofort hochgegangen und protestiert wird. Wollen Sie Minderungen bei den Sozialleistungen? Dann wäre ich dankbar, wenn sich das, was der Herr Kollege Strauß heute über den Mißbrauch und die Überanspruchung gesagt hat, vielleicht auch sonst bei der CDU herumspricht. Denn im offiziellen Organ der CDU/CSU bin ich angegriffen worden, als ich einmal dasselbe gesagt hatte. Ich möchte morgen einmal die einschlägige Korrespondenz lesen, vielleicht äußert sich der Herr Kollege Franke in dieser Sache auch einmal gegenüber dem Kollegen Strauß und klärt ab, was man denn nun eigentlich dazu meint.
Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Huber hat eben schon deutlich gemacht, daß alles, was unseren Haushalt belastet, Entscheidungen dieses Hauses sind, an denen nicht nur die Opposition voll und ganz beteiligt war, sondern bei denen auch die Opposition nahezu überall noch weitergehende Anträge gestellt hat. Es gibt doch gerade im sozialen Bereich nicht eine einzige Reform, bei der nicht die Opposition weitergehende Anträge gestellt hätte; es gibt nicht eine einzige, bei der sie etwa Minderungen beantragt hätte. Das heißt: Sie stehen doch in der vollen Verantwortung für diese Dinge, und das gleiche gilt natürlich - darauf komme ich gleich noch - für die Steuerreform.
Und darüber hinaus machen Sie, anstatt Sparvorschläge vorzulegen, überall im Lande Versprechungen, die den Haushalt noch weiter belasten. Von den mehr als 30 Milliarden DM Steuervergünstigungen, die Sie überall versprechen, ist schon die Rede gewesen. Und sagen Sie nicht: das ist alles addiert, wo es alternativ gemeint war! Dies trifft nicht zu. Wenn Sie einmal nachrechnen - das fällt ja manchem schwer - und diese Liste aufaddieren, werden Sie sehr genau merken, daß dort, wo „alternativ" steht, natürlich nur einmal und nicht zweimal addiert worden ist.
Bitte schön, Herr Kollege!
Verehrte Frau Vizepräsidentin, finden Sie es nicht ein bißchen unredlich, wenn auf der einen Seite die konkreten Einsparungsvorschläge der Opposition in den Ausschüssen, insbesondere im Haushaltsausschuß, von Ihnen hier mit dem Argument, sie seien kein Beweisstück, zurückgewiesen werden und Sie auf der anderen Seite jeden Gedanken, den irgendein Repräsentant der Unionsparteien in irgendeiner Rede einmal geäußert hat, hier summarisch zusammenziehen und uns das Ganze als angebliche Ausgabenanträge vorhalten?
({0})
Nein, Herr Kollege, das finde ich nun überhaupt nicht merkwürdig. In diesen drei Tagen ist doch hier von diesem Pult aus nun so ziemlich alles diskutiert worden, was in irgendeiner Partei oder parteinachgeordneten Organisation einmal gesagt worden ist. Dies ist üblich, weil Sie, meine Damen und Herren, doch draußen in der Öffentlichkeit bei all Ihren Versprechungen den Eindruck erwecken, Sie würden das dann, wenn Sie die Mehrheiten hätten, realisieren. Mag sein, daß jeder für sich nur sein Anliegen meint. Der eine macht Vorschläge in der Mittelstandsvereinigung, der andere in einer Arbeitnehmerversammlung, der dritte beim BDI, der vierte auf dem Ärztetag. Jeder verspricht nur einen Teil, und jeder denkt bei sich: Natürlich meine ich nur dies. Aber das Ergebnis ist doch, daß Sie damit draußen eine ungemeine Erwartung erwecken, die Sie niemals erfüllen können. Dies allerdings halten wir für unredlich, Herr Kollege Schröder. Das ist in der Tat eine Irreführung. Nehmen Sie doch bitte schön diese Liste einmal vor und sagen Sie uns, was Sie aus der Liste wirklich wollen und was nicht. Sie können dann deutlich abhaken, was Sie nicht wollen. Wenn Sie das tun, bin ich bereit, an dieser Stelle zu sagen: Die Mehrausgaben, die dort versprochen werden, betragen nicht mehr 30 Milliarden DM, sondern vielleicht nur 18 1/2. Ich bin gern bereit dazu, aber bitte sagen Sie endlich, was Sie wirklich wollen und was nicht.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder ({1}).
Bitte schön.
Frau Funcke, wie bezeichnen Sie denn den Tatbestand, daß man vor einer Wahl konkret Steuersenkungen verspricht und nach einer Wahl das Gegenteil tut?
Dieses halte ich eben für falsch.
({0})
Deswegen möchte ich die Bevölkerung davor warnen, diese vielen Steuersenkungsvorschläge der CDU ernst zu nehmen,
({1})
weil es Vorbilder gibt. Ich würde sehr vorsichtig sein, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Ich komme noch auf das Jahr 1968. Da brauchen Sie gar keine Angst zu haben, daß nicht alles gesagt wird.
Nun haben sich auch Herr Carstens und Herr Kollege Häfele eingehend mit der Einkommensteuer
beschäftigt. Ich dachte dabei, Herr Carstens hätte dieses Gesetz möglicherweise abgelehnt, und habe deshalb noch einmal nachgesehen: Das hat er aber keineswegs getan. Warum reitet er denn nun eine wilde Attacke dagegen? Und auch Sie, Herr Kollege Häfele, haben beklagt, daß durch die wachsenden Lohnerhöhungen einige Leute - möglicherweise sogar recht viele - in die Progression geraten und damit mehr Steuern bezahlen müssen.
Meine Damen und Herren, war es denn nicht die CDU, die bei den Beratungen einen noch viel progressiveren Tarif haben wollte? Wir haben einen Tarif vorgelegt, der wenigstens die Verheirateten bis zu 36 000 DM Bruttoeinkommen noch nicht in die Progression hineinbringt,
({2})
so daß ein großer Teil der breiten Schichten unserer Bevölkerung die Progression heute noch nicht in dem Maße spürt. Bei Ihrem Tarif wären sie schon viel früher in die Progressionszone geraten.
({3})
Herr Kollege Dr. Häfele, ich spreche jetzt von dem Tarif, auf den Sie isoliert gekommen sind, weil Sie gesagt haben: Die Leute geraten so schnell in die Progression. Genau diesen Teil haben Sie angesprochen, und auf diesen Teil gehe ich ein. Die Lohnsteuerpflichtigen wären nach Ihren Vorschlägen schon viel früher und noch viel stärker in die Progression geraten.
Noch ein paar Worte zu den Steuererhöhungen. Meine Damen und Herren, niemand in diesem Hause entschließt sich leicht zu einer solchen Maßnahme, die in ihrer ganzen Breite die Bevölkerung angeht. Aber jede andere Maßnahme hätte gezielt einzelne getroffen und damit Arbeitsplätze unsicher gemacht oder einzelne Branchen und Bereiche gefährdet. Wir sind der Meinung, daß in einer Zeit, in der wir mit den Mitteln und Maßnahmen von Regierung und Koalition erreicht haben, daß die wirtschaftliche Rezession bei uns flacher verlief als in allen anderen Staaten, alle zu einem Beitrag in begrenzter Höhe bereit sein müssen; denn alle sind daran interessiert. Von daher scheinen uns die Steuererhöhungen vertretbar zu sein.
Ich habe in diesen Tagen - das werden Sie mir nicht verübeln - noch einmal nachgelesen, was sich abspielte, als wir schon einmal eine Rezession nicht dieses, aber doch beträchtlichen Ausmaßes gehabt haben und die damalige Regierung durchaus zu Recht, wenn auch im Volumen zu hoch, Kredite aufgenommen hat, um die Rezession abzuflachen. Da hat der Finanzminister dann kräftig zugelangt. Haben Sie denn wirklich vergessen, daß in der Zeit der Großen Koalition in noch nicht einmal drei Jahren der Finanzminister Franz Josef Strauß zehn Steuererhöhungen durchgesetzt hat? Ich will sie gern aufzählen: es war die Erhöhung der Sektsteuer und der Mineralölsteuer, es war die Einführung der Ergänzungsabgabe, die Anhebung von Tabak- und Branntweinsteuer, es war die Umsatzsteuer, die mit
10 °/o schon 2 Milliarden DM mehr brachte als die alte Umsatzsteuer, und dann ein halbes Jahr später eine Anhebung auf 11 °/o, es war die Einführung der Exportsteuer, es war die Beseitigung einer Reihe von Steuervorteilen und -vergünstigungen wie z. B. die Minderung der Kilometerpauschale und anderes, und es war zum guten Schluß die Lohnfortzahlung, die ja bekanntlich dem Arbeitnehmer nicht mehr gebracht hat, aber dem Finanzminister 1,1 Milliarden DM mehr Steuern in die Kasse. Das waren zehn Steuererhöhungen unter einem Finanzminister Franz Josef Strauß, und ich bitte doch alle, dies im Gedächtnis zu behalten. Ich kann mir nicht denken, daß die Fähigkeiten von ihm in diesem Punkt zurückgegangen sind. Er weiß sehr wohl, daß er, wenn er in die Lage kommen sollte, die Finanzen zu übernehmen, dann natürlich die Mehrwertsteuer anheben würde.
Meine Damen und Herren, ich habe auch noch nachgelesen, daß unter Franz Josef Strauß als Verantwortlichem für die Finanzen seinerzeit das Kabinett ernsthaft erwog, in das Umsatzsteuergesetz eine Ermächtigung an die jeweilige Regierung hereinzuschreiben, nach Bedarf den Satz zu erhöhen. Wir von der FDP haben das damals mit - zugegeben - einigen anderen Kollegen aus dem Hause - im Protest - zurückweisen können; aber es war Herr Strauß, der so etwas für ganz nützlich hielt, und es soll jeder genau wissen, was das bedeuten kann.
({4})
Er hat damals, wie Sie wissen, sehr deutlich in diesem Hause gesagt, daß die Einführung des neuen Steuersystems, nämlich die Umsatzsteuer, „nicht ein neues Haushaltssicherungsgesetz unter der Maske steuerlicher Reformen sei", und „das Gesetz würde seinen Sinn verlieren, wenn es zu einem Gesetz zur Schließung von Haushaltslücken würde". Dies war im April 1967, und knapp fünf Monate später hat er dann vorgeschlagen und durchgesetzt, daß die Mehrwertsteuer gleich um 1 % erhöht wurde - ein halbes Jahr nach der Einführung! Meine Damen und Herren, hier sollte man doch als heutige Opposition und damalige Regierungspartei sehr vorsichtig sein mit Argumenten, wie wir sie an dieser Stelle soeben gehört haben.
Wir beschließen die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht gern, aber wir tun es in der Verantwortung für einen geordneten Haushalt, und wir tun es in der Verantwortung, daß wir nicht heute ausgeben wollen, was unsere Kinder später dann mühsam wieder einbringen müssen. Wir wollen einen Haushalt mit möglichst wenig Krediten.
({5})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Friderichs.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich habe mich nur zu einem einzigen Punkt zu Wort gemeldet. Der Abgeordnete Häfele hat das Rednerpult verlassen mit der Bemerkung, er wolle keinen.
Steuer- und Abgabenstaat, und er hat die Staatsquote - sicherlich eine problematische Sache hier noch einmal bemüht. Ich habe nachgelesen, was der Abgeordnete Weizsäcker gestern gesagt hat, und ich stelle dabei fest, daß immer wieder die Staatsquote vorkommt und offensichtlich nunmehr zu einer Art Legendenbildung benutzt werden soll, um den Marsch in den Sozialismus zu begründen. Das paßt ja dann auch zu einem Teil der Formel, die im Wahlkampf zu verwenden man sich wohl überlegt.
Ich möchte nur eines verhindern: daß es dabei zu einer Legendenbildung kommt. Wenn man mit einem solchen Begriff wie „Staatsquote" umgeht und die Bürger glauben läßt, hier nehme der Staat wie ein Moloch immer mehr in Anspruch, muß man auch ein Wort dazu sagen, wie die Tatsachen sind. Denn man sollte, Herr Abgeordneter Häfele, wenn man Begriffe aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verwendet, sie sehr sorgfältig verwenden und auch die nötige Sachkenntnis haben.
({0})
Es ist immer so, daß Sie, wenn Sie die Staatsquote von konjunkturstarken mit der von konjunkturschwachen Jahren vergleichen, einen völlig aperiodischen und untypischen Verlauf bekommen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Die Staatsquote betrug 1962 35,7 % und 1967 - als Sie den Bundeskanzler stellten - 38,5 %. Sie sehen also ganz deutlich, wenn ich zwei Jahre mit unterschiedlicher Wirtschaftsintensität herausgreife, bekomme ich völlig andere Prozentergebnisse. Das ist doch ganz selbstverständlich. Deswegen verbietet es sich, mit solchen Zahlen angstmacherisch durch die Landschaft zu ziehen und so zu tun, als ob hier der Sozialismus ausgebrochen wäre.
({1})
Der Bundeskanzler hat sich gestern dazu geäußert, und ich möchte es noch etwas deutlicher machen. Wenn ich diese Staatsquote jetzt aufteile in die Ausgaben aller Gebietskörperschaften, also von Bund, Ländern und Gemeinden, auf der einen Seite und den Bereich der Sozialversicherungen auf der anderen Seite, wird es nämlich noch interessanter. Dann zeigt sich in der Tat, daß die Staatsquote im Bereich der Ausgaben der Gebietskörperschaften von 1973 über 1974 bis 1975 sprunghaft angestiegen ist. Warum, meine Damen und Herren? Ganz einfach deswegen, weil sich in den Staatsquoten dieser Jahre sämtliche von diesem Bundestag beschlossenen Konjunkturprogramme mit ihren überdimensionalen Ausgaben niederschlagen, Programme, meine Damen und Herren, denen Sie ausnahmslos zugestimmt haben. Und ich sage Ihnen: Wenn Sie jetzt diese Staatsquote bejammern und als Beweis für falsche Politik heranziehen, dann seien Sie konsequent und sagen, wir hätten die Konjunkturprogramme lieber unterlassen sollen. Das verträgt sich aber nicht mit dem, was sonst gesagt wird.
({2})
Das muß man doch ganz deutlich sehen. Je schwächer die Zunahme des Sozialprodukts bei gleichzeitiger bewußter Erhöhung der Ausgaben um konjunktursteuernder Elemente willen ist, desto höher wird die Staatsquote im Ausgabenbereich. Damit müssen wir doch leben. Dann seien Sie, Herr Häfele, aber auch ehrlich und sagen doch gleich dazu, daß sie 1976 schon wieder sinkt. Denn so ist es einfach.
({3})
Sie sinkt in diesem Jahr bereits wieder.
({4})
- Ich komme gleich darauf, was ich beklagt habe.
({5})
--- Nehmen Sie Ihren Zwischenruf ernst?
({6})
- Dann widersprechen Sie Herrn Häfele. Er hat nämlich gesagt, ich hätte es vor dem eigenen Parteivorstand gesagt. Da habe ich es auch gesagt; da hat er recht.
Lassen Sie mich zum zweiten Bereich kommen, nämlich zum Bereich der Sozialversicherung. Auch er ist gestiegen, und hier liegen strukturelle Probleme. Das bestreitet doch gar niemand! Wozu haben wir denn ein Haushaltsstrukturgesetz gemacht? Aber, meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns auch einmal nachsehen, warum in diesem Bereich der Sozialversicherungsausgaben der Anteil ebenfalls gestiegen ist. Nun müssen Sie sich einmal die genauen absoluten Zahlen nehmen, und dann bekommt man ja die relativen Zahlen sehr schnell zusammen.
Da kann ich Ihnen folgendes nachweisen. Erstens: Wenn Sie eine dynamische Rente einführen - und ich denke, deren rühmt sich das ganze Hohe Haus; alle Fraktionen wollen, daß wir sie in Deutschland haben -, ist es doch selbstverständlich, daß bei der Formel, wie wir sie haben - die Rente mit 3jähriger Verzögerung dem Arbeitseinkommen angepaßt wird. In dem Augenblick, in dem die Arbeitseinkommen schwach steigen - in der Rezession -, die Renten sich aber noch, unter Bezug auf die starken Lohnsteigerungen des vergangenen Jahres erhöhen, nämlich um 10 oder 11 °/o, nimmt auch die Ausgabenquote zu. Meine Damen und Herren, wenn Sie dies vermeiden wollen, müssen Sie konsequent sein und sagen: wir schaffen die Rentenformel ab. In der Tat, dann erreichen Sie, daß die Staatsquote insoweit nicht mehr aperiodische Ausschläge hat. Ich will das nur einmal erklären, weil ich es für unverantwortlich halte, daß man den Bürgern im Lande vorerzählt, Staatsquote sei Sozialismus, und zugleich hier die Gesetze mitbeschließt.
({7})
Oder haben Sie etwa gegen die Rentendynamisierung gestimmt? Mir ist das nicht bekannt.
Zweitens. Sie haben im Sommer 1972 - die
CDU/CSU, nicht die Koalitionsfraktionen - beantragt, die Rentenzahlungen um ein halbes Jahr vorzuziehen. Dieses halbe Jahr kostete die RentenBundesminister Dr. Friderichs
versicherung im folgenden Jahr 2,3 Milliarden DM. Dieser Mehrbetrag wächst auf 8 Milliarden DM an. Ich bewerte das jetzt überhaupt nicht. Nur ist doch selbstverständlich, daß dies in die Ausgabenquote hineingeht und damit die Staatsquote durch einen von Ihnen selbst initiierten Beschluß steigt. Ich bin in der Lage, Ihnen Punkt für Punkt nachzuweisen, daß die Steigerungsrate der Staatsquote in keinem einzigen Fall ohne Ihre Mitwirkung zustande gekommen ist.
({8})
Ich sage Ihnen: Bitte, kommen Sie herauf und beweisen Sie mir, wo die Staatsquote gestiegen ist, ohne daß Sie den entsprechenden Ausgabenbeschlüssen zugestimmt hätten. Das wollte ich hier einfach mal deutlich machen, weil ich es nicht hinnehme, daß man die Leute mit der falschen und betrügerischen Formel „Freiheit oder Sozialismus" - wobei man mit „Sozialismus" möglichst die Bundesregierung identifizieren möchte - irreführt und dann zum Beweis der Richtigkeit der Formel eine Staatsquote heranzieht, die man selber bewirkt hat. Das ist doch in Wahrheit die Lage.
({9})
Dann bekennen Sie sich hier doch wenigstens dazu!
({10})
Nächste Bemerkung. Die flexible Altersgrenze haben wir, wie ich meine, aus wohlerwogenen Gründen beschlossen, weil wir den Menschen vor dem 65. Lebensjahr die Freiheit einräumen wollten - ich betone: die Freiheit -, selber zu entscheiden, ob sie früher oder erst mit 65 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Wer hat dem hier eigentlich zugestimmt? Waren wir das wieder ganz allein? Ich glaube, die FDP hatte damals nicht die absolute Mehrheit; deswegen muß ja wohl irgend jemand mitgestimmt haben.
Von dieser Chance machen doch selbstverständlich in konjunkturschwachen Zeiten mehr Menschen Gebrauch, und zwar aus einem Solidaritätsgefühl heraus.
({11})
- Natürlich ist das erwünscht. Weil sie aber davon Gebrauch machen, steigen die Ausgaben in der Sozialversicherung, und die Staatsquote erhöht sich; das ist wieder ein Teil des prozentualen Anstiegs.
Weitere Bemerkung: Krankenhausbau. Meine Damen und Herren, wer baut die Krankenhäuser denn eigentlich? Baut die eigentlich der Bund? Ich denke, wir haben ein Krankenhausfinanzierungsgesetz. Ich bedaure das. Warum? Weil wir zahlen, und die Länder bestimmen, was mit dem Geld gemacht wird. Es ist ja nicht so wie bei der Gemeinschaftsaufgabe meines Hauses oder so wie bei dem Kollegen Ertl oder bei dem Kollegen Rohde, wo der Bund wenigstens mitbestimmt. Nein, das wird hier unmittelbar gemacht. Es ist doch wohl unbestritten, daß wir heute in einer Reihe von Gemeinden und Städten Krankenhäuser stehen haben, die nicht voll genutzt werden, weil sie überdimensioniert sind. Und dann wundern Sie sich, daß die Krankenhauskosten steigen. Sie gehen in die Sozialquote, d. h. in die Staatsquote ein. Das ist ein weiterer Grund für die Steigerung dieser Ausgaben.
Ich könnte die Reihe beliebig fortsetzen, meine Damen und Herren. Aber lassen Sie mich mit folgender Bemerkung abschließen:
Wer in einer rezessiven Konjunkturphase aktive Konjunkturpolitik betreiben will - dies schreibt uns das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz vor -, trägt in dieser Phase zu einer Erhöhung der Ausgaben der Gebietskörperschaften bei und steigert damit die Staatsquote, und zwar, wie ich meine, gewollt; nämlich, meine Damen und Herren, mit Ihrer und des Bundesrats Zustimmung.
Wenn die Rente dynamisiert und eine Vergleichsformel gewählt wird, wie wir sie gewählt haben, ergibt sich ein aperiodisches Verhalten. Es hat konjunkturpolitisch sogar Vorteile, weil dann nämlich die Steigerung in der schwachen Phase wiederum den Konsum anregen kann. Dann gibt es eine andere Entwicklung bei der Staatsquote. Daß das auch bei den Sozialversicherungen so ist, habe ich schon gesagt. Das hat alles nichts damit zu tun, daß wir insgesamt Sorge haben, die strukturellen Probleme dort zu lösen. Aber es verbietet sich ganz einfach, die Öffentlichkeit hier bewußt irrezuführen und so zu tun, als ob diese Regierung den Leuten das Geld aus der Tasche zöge, um mehr Sozialismus und mehr Staat zu machen,
({12})
obwohl Sie alles, was zur Steigerung der Staatsquote beigetragen hat, ausnahmlos mit Ihrer eigenen Zustimmung versehen haben.
({13})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, zu dem Komplex liegen insgesamt noch sechs Wortmeldungen vor. Ich darf alle Redner bitten, sich strikt an die maximale Redezeit von 15 Minuten zu halten. Jeder, der sie unterschreitet, wird die Zustimmung des Hauses finden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bremer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion lehnt die Erhöhung der Tabak- und der Branntweinsteuer ab. Sie läßt sich in dieser Haltung von einer Reihe von Gründen leiten. Die entscheidenden hat mein Kollege Dr. Häfele vorhin schon im Zusammenhang mit der Debatte um die Erhöhung der Mehrwertsteuer genannt. Dies ist nicht die Stunde und dies ist nicht die Lage, in der der Staat Steuererhöhungen beschließen darf. Es gibt nicht nur eine Steuermoral des Bürgers, es gibt auch eine Besteuerungsmoral des Staates,
({0})
die sich beim Erlaß von Steuergesetzen manifestiert.
Wenn der Staat feststellen muß - und das ist ja mittlerweile Allgemeingut in diesem Lande geworden -, daß er es mit einem strukturellen Ausgabenüberhang zu tun hat, also über seine Verhältnisse
lebt - entgegen den Protesten sei das noch einmal wiederholt -, dann darf er sein Heil nicht in einer Steuererhöhung suchen, sondern er muß sparen. Eine Steuererhöhung in dieser Lage verstößt gegen die Prinzipien der Besteuerungsmoral, denn damit wird der Bürger nicht nur für eine fehlerhafte Politik des Staates, hier der Bundesregierung, zur Kasse gebeten, sondern auch für ihr Unvermögen, den falschen Kurs zu berichtigen.
({1})
Nun ist mit einem gewissen Erfolg versucht worden, den Eindruck zu erwecken, als ob eine Erhöhung der Verbrauchsteuern auf Tabak und Spirituosen nicht an jenen Maßstäben zu messen seien, an denen andere indirekte und direkte Steuern gemessen werden. Es wird auf die Vorstellung spekuliert, die Besteuerung treffe ja ohnehin nur Luxusgüter, die überdies unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten auch einmal einen kräftigen Stoß, sprich: einen gewissen Verbrauchsrückgang, vertragen könnten. Erfreulicherweise haben diese Beweggründe im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren keine Bedeutung erlangt, zumal sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen damit zu Ihren eigenen Zielvorstellungen in Widerspruch gesetzt hätten. Sie wollen ja schließlich Mehreinnahmen erzielen.
Damit ist auch schon genau das Stichwort für einen weiteren Ablehnungsgrund der Opposition genannt worden. Wir haben begründbare Zweifel, ob die von der Regierung erwarteten Mehreinnahmen tatsächlich aufkommen werden. Die Regierung veranschlagt für die Tabaksteuer 1977 ein Mehr von 1 Milliarde, für die Branntweinsteuer 300 Millionen. Richtig ist, daß sie damit in Auswertung der Erfahrungen aus dem Verbraucherverhalten nach vorangegangenen entsprechenden Steuererhöhungen unter jenen Zahlen geblieben ist, die sich rein rechnerisch ergeben würden. Aber im Gegensatz zu den Erhöhungen der Tabaksteuer in den Jahren 1967 und 1972 - der Branntweinsteuer 1965 und 1971 - haben wir diesmal eine erheblich veränderte Markt-und Konjunkturlandschaft vor uns. Bei der Tabaksteuer registrieren wir erstmalig, ohne daß eine vorangehende Steuererhöhung das Verhalten des Verbrauchers beeinflußt haben könnte, für 1975 einen leichten Aufkommensrückgang von fast 1 %. Hier schlägt sich der stagnierende Konsum an Zigaretten nieder, auf den allein 971/2 % des gesamten Tabaksteueraufkommens von 8,9 Milliarden DM in 1975 zurückgehen. Ganz abgesehen von einem ohnehin langfristig stagnierenden Rauchtabakmarkt und einem kontinuierlich zurückgehenden Zigarrenabsatz. Im Gegensatz dazu trafen die vorangehenden Steuererhöhungen auf einen kräftig expandierenden Zigarettenmarkt. Die damaligen Steuererhöhungen ließen das Aufkommen nur um 2,3 und 0,8 % im ersten Jahr danach zurückgehen, um anschließend wieder sofort kräftig zu expandieren.
Unterschiedliche Voraussetzungen sind aber auch noch in einer anderen, psychologisch bedeutsamen Hinsicht gegeben. Auch dies sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt. Während die Zigarettenindustrie und der Automatenhandel, über den gut 60 °/o des Absatzes an Zigaretten in der Bundesrepublik laufen, den Steuererhöhungen der Vergangenheit durch Verminderung der Zigarettenzahl pro Schachtel und unter Beibehaltung des Automatenpreises von 2 DM Rechnung tragen konnte, wird nunmehr der Übergang zur 3-DM-Packung unumgänglich. Hier muß also mit einer zusätzlichen psychologischen Sperrwirkung gerechnet werden. Wir halten aus diesem Grunde den von der Bundesregierung in ihrer Schätzung eingebauten Verbrauchsrückgang von 5 % in 1977 für unrealistisch, weil zu niedrig.
Die Bedenken, daß der veranschlagte Zuwachs im Steueraufkommen bei weitem nicht erreicht wird, haben verstärktes Gewicht für den Spirituosenmarkt. Der Konsum an sogenannten harten Spirituosen stagniert, ja er dürfte 1975 sogar leicht rückläufig gewesen sein. Die Steuererhöhung betrifft zudem eine Warengattung, deren Kleinverkaufspreise nach den übereinstimmenden Bekundungen der betreffenden Industrie wie auch der Gewerkschaften und der Betriebsräte im Anhörungsverfahren vor dem Finanzausschuß weitgehend ausgereizt sind. Da ist also kein Raum mehr, um noch Steuererhöhungen aufzufangen.
In den unteren und mittleren Konsumlagen ist auf breiter Front mit einem Überschreiten des verkaufspsychologisch wichtigen Schwellenpreises von 10 DM je Flasche zu rechnen mit der Folge eines zusätzlichen Bremseffekts für den Absatz. Woher die Bundesregierung unter diesen Umständen ihren Optimismus bezieht, daß sich das bisher bei 3,3 Milliarden DM liegende Branntweinsteueraufkommen um weitere 300 Millionen DM im Jahre 1977 erhöhen werde, ist unerfindlich. Schon eine Zuwachserwartung in Höhe der Hälfte, also um 150 Millionen DM, erscheint nicht unbedenklich.
Wie sich denn überhaupt an dieser Stelle schon die Gretchen-Frage stellt, ob die beiden Steuern auf Tabak und Spirituosen nicht ausgereizt sind. Entsprechende Zweifel sind bereits jeweils nach den Steuererhöhungen der Vergangenheit angemeldet worden. Eine pauschale Antwort darauf wird sich nicht finden lassen. Stets werden die konjunkturelle Situation ebenso wie das Konsumverhalten in die Entscheidung einzubeziehen sein. Aber die zu diesem Zeitpunkt erkennbaren Indikatoren lassen es doch geboten erscheinen, die Bundesregierung und die Koalition an jene Erfahrungen zu erinnern, die sich weise Steuereinzieher seit alters her zu eigen gemacht haben, etwa an die des Kaisers Tiberius in einer Anordnung an seine Präfekten: Der gute Hirte soll das Vieh scheren, aber nicht schlachten; oder an die Weisheit eines Unbekannten aus dem Jahre 1618: Wenn die Hühner gar geschlachtet werden, legen sie nimmer Eier.
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Im Hinblick auf diesen nach Auffassung der CDU/ CSU zu erwartenden wesentlich geringeren fiskalischen Effekt der vorgesehenen Steuererhöhungen ist der Frage möglicher nachteiliger Auswirkungen um so größere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Unternehmer wie Gewerkschaften haben im AnhöBremer
rungsverfahren vor dem Finanzausschuß - wenn ich es richtig sehe, erstmals gemeinsam - in diesem Zusammenhang durchgreifende Einwände und Bedenken angemeldet. Im Vordergrund stand die immer wieder vorgetragene Warnung vor einem nachhaltigen Absatzeinbruch und einem dadurch ausgelösten nachhaltigen Arbeitsplatzverlust
({3})
mit der daraus wieder folgenden fast unlösbaren Schwierigkeit, für die freigesetzten Arbeitskräfte - vor allem im Hinblick auf den hohen weiblichen Anteil der Beschäftigten, die Spezialisierung und die regional schwerpunktmäßig verdichteten Wirtschaftszweige, um die es hier geht - entsprechende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden.
Im gleichen Maße gewichtig erscheint uns das Argument eines drohenden Verlustes mittelständischer Existenzen. Ohne den Konzentrationsprozeß auch in diesen Wirtschaftszweigen der Tabak-und Spirituosenhersteller verkennen zu wollen, wird niemand die auch heute noch gegebene mittelständische Struktur - etwa der Spirituosenbranche mit 964 Betrieben und 12 900 Beschäftigten im Jahre 1974 - wegdiskutieren wollen. Da alle Erfahrung die weitaus stärkere Gefährdung kleinerer Betriebe - durch zwangsläufige Preisanhebungen, die eine Steuererhöhung nun einmal bedeutet - belegt, kann es nicht im Sinne einer doch auch von der Bundesregierung gelegentlich beschworenen Mittelstandspolitik liegen, diesen Konzentrations- und Gefährdungsprozeß durch Steuererhöhungen noch zu verstärken. Die CDU/CSU kann sich jedenfalls zu einer derartigen Politik einer bewußten Inkaufnahme der Vernichtung von Arbeitsplätzen wie auch mittelständischer Existenzen nicht verstehen.
In die gleiche Richtung würde schließlich - in der bisherigen Diskussion weitgehend unbeachtet geblieben - auch die weitere Verschiebung der Preisrelation zwischen inländischen und ausländischen Waren der beiden Warengattungen Tabak-und Spirituosenerzeugnisse wirken. Das ohnehin bestehende Preisgefälle würde sich vergrößern. Schon bisher sind dem Fiskus allein im Bereich der Tabaksteuer durch illegale Einfuhren Einnahmen in Höhe von 500 bis 600 Millionen DM jährlich verlorengegangen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, daß sich dieser Anreiz zu derartigen Einfuhren zu Lasten der deutschen Hersteller noch verstärken würde. In diesem Teilbereich hätten wir zumindest konkrete Vorschläge für flankierende Maßnahmen erwartet; wir haben auf sie vergebens warten müssen.
Schließlich ist an dieser Stelle auch noch eine dringende Mahnung vorzubringen. Die SPD/FDP-Koalition geht mit einer Erhöhung der Branntweinsteuer - neben der Erhöhung der Tabaksteuer - zum zweiten Male nach 1969 den scheinbar leichten Weg des geringsten Widerstandes. Sie übersieht dabei offensichtlich die Gefahren, die sich aus einer immer weiter auseinanderdriftenden Entwicklung der steuerlichen Belastungswerte für Spirituosen einerseits und der übrigen Alkoholerzeugnisse wie Bier, Sekt und Wein andererseits ergeben können. Nicht nur, daß sich dadurch in diesen überwiegend mittelständisch gegliederten Wirtschaftsbereichen das gesamte Strukturgefüge durch einen verfälschenden Substitutionswettbewerb immer mehr zu verschieben droht; Regierung und Koalition scheinen auch die verfassungsrechtlichen Bedenken zu unterschätzen, die sich mit jeder weiteren einseitigen Erhöhung der Branntweinsteuer - es ist die vierte nach dem Kriege - einseitig immer mehr verstärken. Meine Damen und Herren, um es im Klartext zu sagen: Wir wollen nicht, daß wir eines Tages hier darüber diskutieren müssen, ob wir eine Steuer auch für den Wein einführen. Das gerade soll vermieden werden, das gerade ist mit ein Grund, wenn wir nein sagen.
Die Koalitionsfraktionen haben sich gegenüber den nicht zuletzt auch von den Gewerkschaften mit Nachdruck vorgetragenen Gesichtspunkten zu unserem Bedauern nur insoweit aufgeschlossen gezeigt, als sie den Plan zur Erhöhung der Tabaksteuer auf Zigarren gänzlich haben fallenlassen. Im Bereich der Besteuerung des Rauchtabaks haben sie leichten Korrekturen des Steuererhöhungssatzes nach unten zugestimmt. Aber sie sind damit sozusagen auf halbem Wege stehengeblieben. Ihr Haltepunkt wird ziemlich genau durch den mit der jeweiligen Korrektur der Regierungsvorlage verbundenen Steuerausfall markiert. Wo es um vergleichsweise geringfügige Schmälerungen der erwarteten Mehreinnahmen ging, wie bei der Tabaksteuer auf Zigarren, zum Teil bei der Tabaksteuer auf Rauchtabak, haben sie sich entschlossen, den eindrucksvollen Gegenvorstellungen zu folgen; wo es in ihren Augen teuer wurde, haben sie sich auf den Boden der Regierungsvorlage gestellt.
Eine politisch verantwortungsbewußte Abwägung des Für und Wider, der Vor- und Nachteile, muß jedoch nach den im Gesetzgebungsverfahren gewonnenen Erkenntnissen zur Verwerfung der Regierungsvorlage im ganzen führen. Die CDU/CSU nimmt nicht mehr und nicht weniger für sich in Anspruch als dies, die für sämtliche Bereiche des hier zur Entscheidung stehenden Steuererhöhungspaketes gleichgewichtigen Gegengründe auch gleichgewichtig zu bewerten.
({4})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Böhme ({5}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Koalition habe ich die Begründung für die Erhöhung der Tabaksteuer abzugeben. Ich bitte jedoch, vorab einige Bemerkungen machen zu dürfen, die sich auf das beziehen, was in der heutigen Debatte gesagt worden ist, zunächst zur Körperschaftsteuerreform.
Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanzausschuß wissen, daß wir nächste Woche im Finanzausschuß mit den Schlußabstimmungen über die Körperschaftsteuerreform beginnen wollen. Ich
Dr. Böhme ({0})
halte es angesichts dieser Situation für grotesk, nein, für einen schlechten Stil, hier wider besseres Wissen zu behaupten, die Körperschaftsteuerreform komme nicht, obwohl im Finanzausschuß entschieden worden ist, daß nächste Woche mit den Schlußabstimmungen begonnen wird. Freilich, die Körperschaftsteuer, das Grundgesetz, wenn man so will, der Unternehmensbesteuerung, muß gründlich beraten werden. Einer Reform muß eine gründliche Beratung vorangehen, eine Beratung, sehr verehrte Kollegen von der CDU/CSU, an der Sie sich überwiegend nicht beteiligt haben, sondern bei der Sie sich überwiegend wie stumme Diener verhalten haben.
Zweitens zum Thema Mehrwertsteuer. Herr Dr. Häfele, es ist fast tragikomisch, daß Sie heute als der Sprecher der Opposition gegen die Mehrwertsteuererhöhung aufgetreten sind, obwohl Sie eigentlich seit Jahren für die Erhöhung der Mehrwertsteuer eingetreten sind.
({1})
- Ja, im Zusammenhang mit einer Steuerreform. Aber Sie haben vor einer Stunde an diesem Pult auch gesagt, daß Sie genauso Steuerermäßigungen gefordert hätten. Irgendwann müssen Sie also Roß und Reiter nennen.
({2})
- Sie haben bereits Anfang 1974 in einem Aufsatz klar und deutlich gefordert, daß die Mehrwertsteuer erhöht wird.
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Also rufen Sie heute bitte nicht im Plenum des Deutschen Bundestages den Eindruck hervor, Sie hätten grundsätzliche Einwendungen gegen eine Mehrwertsteuererhöhung. Dies ist nicht wahr.
({4})
- Ja, ich habe den Aufsatz sehr genau nachgelesen.
Das können Sie nicht dementieren, das ist gedruckt.
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- Es ist ein ausgedruckter Aufsatz.
Sie haben auch unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Landtagswahl in Baden-Württemberg Ausführungen, und zwar am Schluß sehr emphatische, zum „Abgabenstaat" gemacht und erklärt, Ihre Losung sei: weniger Staat. Dazu ist unter dem Stichwort Staatsquote schon einiges gesagt worden. Aber auch hier möchte ich Sie bitten, einmal konkret zu werden, denn die Bevölkerung soll wissen, was sich eigentlich hinter diesem Begriff verbirgt. Es sind z. B. die sozialen Transferleistungen bei den Kriegsopfern, bei den Sozialrenten, bei BAFöG, bei Wohngeld, beim Berufsbildungsgesetz. Im badenwürttembergischen Landtagswahlkampf hat Herr
Dr. Filbinger landab, landauf eine Erhöhung des Wohngeldes gefordert.
({6})
Das wäre genau darauf hinausgelaufen, die Staatsquote auf diesem Gebiet zu erhöhen. So wird hier argumentiert, und so wird hier je nach Ort und Lage die Argumentation verdreht.
Ein anderes Beispiel ist der berühmte Subventionsbericht. Auch hier wird viel davon geredet, Subventionen abzubauen, konkret habe ich aber von Ihnen nie ein Wort gehört, wo man eine Subvention tatsächlich abbauen kann.
({7})
Es genügt also nicht, Herr Dr. Häfele, sich hier hinzustellen und ein Klagelied über die Staatsquote zu singen, aber dann, wenn es konkret wird, nichts zu unternehmen. Wenn es konkret wird, wird nichts vorgeschlagen. Man kann bei Ihnen sagen: Es kreißt der Berg, und er gebiert ein Mäuschen.
({8})
Nun zur Tabaksteuer, meine Damen und Herren. Auch der Gesetzentwurf zur Erhöhung der Tabaksteuer ist ein wesentliches Teilstück der Maßnahmen zur Konsolidierung des Haushalts des Jahres 1977 und der nachfolgenden Jahre. Die aus der Erhöhung der Tabaksteuer zu erwartenden Mehreinnahmen betragen jährlich rund eine Milliarde DM. Aber dieses erwünschte fiskalische Ergebnis ist nur ein Gesichtspunkt. Hinzu kommt, daß die Erhöhung der Tabaksteuer finanzpolitisch auch dazu beiträgt, die Aufgliederung des Steueraufkommens nach den Steuergruppen erträglicher und ausgeglichener zu gestalten. Ein Blick in die entsprechende Statistik des jährlichen Finanzberichts zeigt nämlich, daß der Anteil der sogenannten Verbrauchsteuern, wozu die Tabaksteuer gehört, am Gesamtsteueraufkommen rückläufig ist, während gleichzeitig die Steuern auf das Einkommen gestiegen sind.
Es war heute im Laufe der Debatte sehr oft von der Steuerlast die Rede. Darauf will ich jetzt nicht eingehen. Interessant ist vielmehr eine andere Tabelle, die sich mit der Gliederung des Steueraufkommens befaßt. Danach stellen wir fest, daß seit 1965 die Steuern auf das Einkommen und Vermögen gestiegen sind, während die Steuern auf die Einkommensverwendung, nämlich Steuern vom Umsatz, Kfz-Steuer, Mineralölsteuer, Zölle und die sonstigen Steuern vom Verbrauch gesunken sind. Bei den Verbrauchsteuern, also bei Tabak und Alkohol, ist der Anteil am Gesamtsteueraufkommen in Höhe von 8,9 % im Jahre 1965 bis zum Jahre 1976 auf 6,6 % gesunken. Dies hängt damit zusammen, daß die Besteuerungsgrundlage zu einem Teil nicht vom Geldwert abhängig ist, sondern die Steuer nach Maß, Zahl und Gewicht genommen wird, so daß da ein Degressionseffekt eingebaut ist. Ich glaube, es ist in diesem Zusammenhang wichtig, darauf hinzuweisen, daß hier auf die Dauer keine zu großen Veränderungen und Verschiebungen hingenommen werden dürfen, so daß eine maßvolle TabaksteuerDr. Böhme ({9})
erhöhung aus diesem allgemeinen finanzpolitischen Grund vertretbar, aber auch notwendig ist.
Meine Damen und Herren, das Mehraufkommen soll durch eine 18°/oige Erhöhung der Tabaksteuer erzielt werden. Die neuen Sätze sind im einzelnen im Bericht des Finanzausschusses ausgedruckt. Zur Klarstellung ist hier noch festzustellen, daß die Steuersätze heute, vor Steueranhebung, bei den einzelnen Erzeugnissen unterschiedlich hoch sind und daß diese unterschiedlich hohen Sätze um jeweils 18 % erhöht werden mit der Folge, daß die Steueranhebung bei den einzelnen Tabakprodukten der Höhe nach unterschiedliche Auswirkungen hat. So ergibt sich z. B. für das am stärksten belastete Produkt, nämlich die Zigarette, eine Erhöhung um rund 6,7 Prozentpunkte und für Pfeifentabak nur eine Erhöhung um 2,1 Punkte.
Die sich aus der Steueranhebung ergebenden Preiserhöhungen können sich nach diesen Zahlen in vernünftigen Grenzen halten, wobei in diesem Zusammenhang noch zu erwähnen ist, daß sich der Preisindex für Tabakerzeugnisse insgesamt in einem Zeitraum von zehn Jahren nur von 100 auf 132 Punkte erhöht hat, während die Preise im Einzelhandel insgesamt in der gleichen Zeit auf etwa 142 Punkte gestiegen sind. Der Übergang zu den neuen Preisen geschieht überdies nicht von einem Tag auf den andern, sondern während der im Gesetz vorgesehenen Übergangszeit von drei Monaten. Dadurch werden technische Schwierigkeiten vermieden. Etwa die Hälfte aller Zigaretten wird ja aus Automaten abgesetzt.
Außerdem darf nicht übersehen werden, daß Verbraucher- und Tabakwirtschaft keinesfalls über Gebühr belastet werden. Auch nach der Erhöhung der Tabaksteuer trägt der Raucher in der Bundesrepublik nicht in stärkerem Maß zum Staatshaushalt bei als der Raucher in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Tabakerzeugnisse sind auch nach der Steuererhöhung in unserem Land nicht höher, sondern teilweise sogar weniger belastet als durchschnittlich in den übrigen EG-Ländern.
Besondere Sorgfalt widmete der Ausschuß der Frage, ob die Tabaksteuererhöhung besondere Bereiche der Tabakwirtschaft beeinträchtigen und Arbeitsplätze gefährden könnte. Nach Anhörung der beteiligten Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften und des Verbraucherverbands schlägt der Finanzausschuß in Erwägung dieser Gründe vor, die Tabaksteuer für Zigarren nicht zu erhöhen und die Tabaksteuer für Rauchtabak in Angleichung an die Erhöhung der Zigarettensteuer etwas geringer anzuheben, als es der Regierungsentwurf vorsieht.
Die Nichterhöhung der Tabaksteuer für Zigarren berücksichtigt die seit Jahren schwierige Lage der kleinen und mittleren Zigarrenhersteller. Hinzu kommt, daß der Zigarrenabsatz in der Bundesrepublik seit Jahren rückläufig ist und daß das Steueraufkommen bei der Zigarre so gering und ebenfalls rückläufig ist, daß bei einer Erhöhung der Tabaksteuer auf die Zigarre mit einer Verbesserung des Aufkommens nicht gerechnet werden kann.
({10})
Die Gründe, die den Finanzausschuß veranlaßt haben, die Zigarren von der Tabaksteuererhöhung auszunehmen, sind bei Zigaretten und Rauchtabak nicht gegeben. Dies zeigt eine Analyse des Marktgeschehens nach den Steuererhöhungen in den Jahren 1967 und 1972. Weder die Absatzentwicklung noch die Arbeitsplätze sind durch die damalige Erhöhung beeinträchtigt worden. Einbußen beim mengenmäßigen Zigarettenabsatz waren jeweils nur von sehr kurzer Dauer, und der aus wirtschaftlicher Sicht ausschlaggebendere Umsatz nach Warenwert stieg bei Zigaretten und Rauchtabak zum Teil sogar erheblich höher als in den Jahren vor der Steueranhebung. Der Verband der Zigarettenindustrie hat daher gegen die Steuererhöhung keine Einwendungen erhoben. Die Vorschläge des Verbands der Rauchtabakindustrie konnten teilweise berticksichtigt werden.
Insgesamt liegt somit dem Deutschen Bundestag ein wirtschaftlich und fiskalisch ausgewogenes Gesetz vor. Um dessen Annahme bitte ich im Namen der Koalition.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Schinzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf im Namen der SPD-Fraktion die Begründung für die vorgesehene Branntweinsteuererhöhung geben.
Wir haben in dem Gesetzentwurf eine Erhöhung um 300 DM je Hektoliter vorgesehen. Diese Erhöhung ist Bestandteil des im September 1975 von der Bundesregierung vorgelegten Konsolidierungsprogramms für den Haushalt der Jahre 1977, 1978 und 1979. Sie soll im Jahr 1977 zu einer Mehreinnahme von 300 Millionen DM führen.
Es gibt wohl kaum eine wirtschaftliche Situation, in der der Steuerzahler selber um eine Steuererhöhung bittet. Deshalb hat sich die Opposition wohl den leichtesten Weg ausgesucht, als sie sich, die vordergründige Wählergunst im Auge, auf ein Nein zu den Steuererhöhungen festgelegt hat. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, täuschen Sie sich ruhig wieder im voreiligen Verbuchen von Wählerstimmen!
({0})
Denn die Tatsache, daß die Bundesregierung die Bevölkerung über die notwendigen unpopulären Maßnahmen vor der Wahl aufklärt, ist ein wesentlicher Beitrag zu mehr Ehrlichkeit und Offenheit im Gespräch mit dem Bürger und damit zu ein bißchen mehr Demokratie.
({1})
Ganz getreu der Straußschen Devise „Nur anklagen und warnen, aber keine konkreten Rezepte nennen" hat sich die Opposition demgegenüber ein weiteres Mal ins politische Abseits geflüchtet. Da hilft Ihnen, Herr Kollege Häfele, auch nicht die Ausrede, wir seien ja die Regierung und sollten doch sagen, was wir im Fall von Sparmaßnahmen, wie
Sie sie wünschen, machen würden. Denn Sie reden so oft und gern vom mündigen Bürger, und zweitens wollen Sie ja die Regierung übernehmen. Dann behandeln Sie doch den mündigen Bürger so, wie es sich gehört! Sagen Sie ihm doch, was Sie vorhaben, und lassen Sie ihn über das abstimmen, was Sie in Wahrheit wollen!
Die Fraktion der SPD jedenfalls stimmt dieser Steuererhöhung zu, weil es zu der vorgesehenen Einnahmeverbesserung durch diese Steuererhöhung zur Sicherung der Finanzierung des Bundeshaushalts im nächsten Jahr und auch in den folgenden Jahren und dabei auch insbesondere zur Bewahrung der gegen viele Widerstände aufgebauten sozialen Sicherungen keine politisch seriösen und damit auch glaubwürdigen Alternativen gibt.
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Der Steuersatz von dann 1950 DM je Hektoliter liegt im EG-Vergleich immer noch in der unteren Hälfte.
Die Erhöhung der Branntweinsteuer um auch
das zu sagen - verteuert den Alkohol in gewissen Grenzen, beim Eierlikör um 0,47 DM für die Einzelflasche, beim Korn um 0,76 DM und beim Whisky um etwas über 1 D-Mark, und zwar einschließlich der vorgesehenen Mehrwertsteueranhebung. Die betroffenen Wirtschaftskreise aber haben die Gelegenheit genutzt, um für den Verbraucher weit höhere Preissteigerungen anzukündigen. Sie haben behauptet, daß dies zu einem erheblichen Absatzrückgang und damit nicht zu den erwarteten Steuermehreinnahmen führen werde. Für die Beschäftigten bedeute dies darüber hinaus ein erhebliches Arbeitsplatzrisiko. Auch Ihr Fraktionssprecher, Herr Kollege Bremer, hat dies heute hier vorgetragen.
Diese Behauptungen, meine Damen und Herren, werden durch die Erfahrungen der letzten 13 Jahre nicht bestätigt. Vielmehr ist es so gewesen, daß auf Grund der Ankündigung von Steuererhöhungen zunächst Vorratskäufe durchgeführt wurden, die zu einem entsprechend geringeren Absatz in den folgenden Jahren führten. Wenn man sich trendbereinigt ansieht, was in der Vergangenheit gewesen ist, stellt man fest, daß der Pro-Kopf-Verbrauch durch Steuererhöhungen praktisch nicht beeinflußt worden ist. Allerdings: Nachdem ein gewisser Sättigungsgrad auch in der Bundesrepublik in gewissen Bereichen erreicht ist, zeigt sich, daß ganz andere Faktoren einen stärkeren Einfluß haben, nämlich z. B. die allgemeine Konjunkturlage - nicht zuletzt deswegen geht der Alkoholverbrauch zur Zeit etwas zurück -, die jeweilige Geschmacksmode oder auch ein viel stärkeres und besseres Verantwortungsbewußtsein der einzelnen Teilnehmer im Straßenverkehr.
Konjunkturpolitisch aber liegt diese von uns beabsichtigte Steuererhöhung durchaus richtig, da ja die im nächsten Jahr zu erwartenden rückläufigen Absatzerwartungen durch die ansteigende Konjunktur weitgehend wieder aufgefangen werden können. Ich stelle also fest: Zusätzliche Arbeitsplatzrisiken sind mit dieser Steuererhöhung nicht verbunden.
Um aber die Verhältnisse in diesem Industriezweig etwas zu beleuchten, nachdem der Kollege Bremer darauf hingewiesen hat, daß Betriebsräte und Arbeitgeber gemeinsam an uns herangetreten sind, gestatten Sie mir ein kurzes Zitat aus einem Schreiben der Betriebsräte. Dort heißt es:
Die Spirituosenindustrie ist größtenteils mittelständisch strukturiert. Es handelt sich fast ausschließlich um Unternehmen, die im Familienbesitz sind ... In den Wirkungsbereich der kommenden Mitbestimmungsgesetzgebung fällt unglücklicherweise kein Betrieb, und die Verwirklichung des 1972 verabschiedeten Betriebsverfassungsgesetzes ist noch eine Aufgabe für viele Jahre.
Meine Damen und Herren, ich sage: Diese Unternehmer sollten sich nicht nur dann an ihre Betriebsräte wenden, wenn es darum geht, die Absicht zu bekunden, mit dem Abbau von Arbeitsplätzen und der Betriebsstättenverlagerung ins Ausland zu drohen, sondern sie sollten zuallererst ihren Widerstand gegen die volle Verwirklichung des Betriebsverfassungsgesetzes in ihrem Unternehmen aufgeben und zu einer im Alltag vernünftigen Zusammenarbeit mit den Betriebsräten kommen. Auch dies ist ein Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen.
({3})
Es ist immerhin befremdlich, festzustellen, daß in dem Augenblick, da die Branntweinindustrie auf Grund einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs behutsam - das kann man wohl sagen - aus dem warmen Nest des Branntweinmonopols entlassen wird bzw. nach den marktwirtschaftlichen Gesetzen dem Wettbewerb ausgesetzt wird, laut über Betriebsstättenverlagerungen nachgedacht wird. Es gibt weitergehende Vorschläge. Die Branntweinindustrie ist sehr daran interessiert, eine europäische Alkoholmarktordnung zu erhalten. Dazu muß ich allerdings sagen: die Verbraucher haben allen Anlaß, gegenüber einer solchen Alkoholmarktordnung erhebliche Vorbehalte zu haben, da es nicht unser Ziel sein kann, neben dem Butterberg, dem Rindfleischberg und den vielen anderen kleinen Hügeln, die wir inzwischen in dem Bereich haben, auch noch über den Alkoholsee langsam in den mittlerweile schon vorhandenen Milchsee zu stolpern.
Ich bin sicher, das Thema Branntweinmonopol wird den 8. Deutschen Bundestag alsbald wieder beschäftigen, da die bestehenden strukturellen Probleme einer Antwort bedürfen. Nun haben die Verbände einige Änderungsvorschläge gemacht oder Alternativvorschläge unterbreitet. Da ist einerseits vorgeschlagen worden, die Biersteuer zu erhöhen, andererseits ist gesagt worden, wir sollen eine Weinsteuer erheben, und zwar zum Teil anstelle der beabsichtigten Branntweinsteuererhöhung. Wir konnten uns diesen Vorschlägen nicht anschließen, da dies erstens im Falle der Weinsteuer zu einer neuen Bagatellsteuer mit einem ganz erheblichen Verwaltungsaufwand geführt hätte und da wir zweitens bei der Biersteuer feststellen mußten, daß
dies ausschließlich eine Ländersteuer ist, die deswegen zu keiner Entlastung für den Bundeshaushalt geführt hätte.
Die SPD hat sich in der Vergangenheit bemüht und wird sich auch weiterhin bemühen, beim Bürger um Verständnis für diese notwendigen, unumgänglichen Steuererhöhungen zu werben. Ich bin sicher: wer bisher in Bayern seinen Obstler oder im Schwarzwald sein Kirschwasser getrunken hat, der wird dies auch weiter tun, und wer in Aachen seinen Wacholder getrunken hat, wird sich auch nicht davon abhalten lassen, dies weiterhin zu tun. Sollte es einen Absatzrückgang oder eine Stagnation im Alkoholverbrauch geben, so wird dies, abgesehen von dem erreichten Sättigungsgrad, den es im Augenblick wohl gibt, vor allen Dingen auf einen Abbau von Alkoholmißbrauch oder auf ein weiter verbessertes Verantwortungsbewußtsein der Verkehrsteilnehmer zurückzuführen sein. Beide Auswirkungen - das stelle ich ausdrücklich fest stehen zwar in keinem direkten ursächlichen Zusammenhang mit der Erhöhung der Branntweinsteuer, sind aber gesundheits- und verkehrspolitisch durchaus erwünscht.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem die Fragen der Steuern nunmehr in zwei Runden der Debatte behandelt worden sind, lassen Sie mich im Rahmen dieser verbundenen Debatte der Einzelpläne 08, 32 und 60 einen Beitrag zum Einzelplan 60 leisten. Ich meine hierbei insbesondere den Bereich der finanziellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, und ich meine auch einige wirtschaftliche Aspekte, die insbesondere den innerdeutschen und den Ost-West-Handel betreffen.
Um Mißverständnissen und falschen Unterstellungen vorzubeugen, möchte ich folgendes sagen. Auch die CDU/CSU widerspricht Zahlungen an die DDR nicht. Auch die CDU/CSU hat sich immer für den innerdeutschen Handel und den von ihr begründeten Swing - er ist in Zeiten einer CDU/CSU-Regierung begründet worden - eingesetzt.
({0})
Auch die CDU/CSU tritt für einen ausgewogenen Ost-West-Handel ein. Sie ist jedoch der Auffassung, daß Zahlungen an kommunistische Regierungen nur geleistet werden dürfen, wenn sie zweckgebunden und nicht überhöht sind,
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wenn der politische Erfolg in einem angemessenen Verhältnis dazu steht, wenn der Grundsatz gilt, Leistung und Gegenleistung müssen ausgewogen sein und einander bedingen.
({2})
Dagegen hat nach unserer Auffassung die sozialliberale Koalition fortwährend durch selbstgesetzten Terminzwang und mangelndes Durchsetzungsvermögen verstoßen.
Zunächst komme ich zu den Zahlungen und Vergünstigungen für die DDR, die im innerdeutschen Bereich bisher entstanden sind. Ich beziehe mich hierbei auf die Antwort des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, der sich dabei wohl auf die Zahlen des Bundesfinanzministers stützt, auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion vom 9. März 1976.
Die Gesamtschau, die der Öffentlichkeit vorgelegt wurde, enthält weitgehend unbekannte Ziffern. So flossen z. B. der DDR in den Jahren 1970 bis 1975 aus Haushaltsmitteln des Bundes, des Landes Berlin sowie der Bundespost und der Bundesbahn inklusive - und das ist wichtig; ich sage das für den Kollegen Höhmann, der sich gestern in einem Beitrag in seinem Pressedienst damit beschäftigt hat - der Zinsersparnis aus der Swing-Vereinbarung rund 4,3 Milliarden DM zu. Kostenvergünstigungen, die sich aus dem innerdeutschen Handel ergeben, sind in diese Ziffer von 4,3 Milliarden DM nicht eingerechnet.
({3})
Im einzelnen machen die Pauschalsumme gemäß Transitabkommen, Erstattung von Visagebühren, Straßenbenutzungsgebühren, Abnahme und Behandlung von Abwässern, Achskilometervergütung für Postzugsbeförderung im Berlin-Verkehr und viele andere kleine Positionen rund 2 Milliarden DM aus, die aus dem Bundeshaushalt und dem Haushalt des Landes Berlin sowie von der Bundesbahn und der Bundespost bezahlt werden. Für ähnliche Zwecke wurden im gleichen Zeitraum - ich glaube, das darf man hier nicht unterschlagen; es wird auch vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen dargelegt - Wirtschaft und Privatpersonen - hier sind auch die Einnahmen auf Grund des Mindestumtausches im Besuchsreiseverkehr eingerechnet - rund 1,4 Milliarden DM von den Behörden der DDR aus der Tasche gezogen. Trotz wiederholter Ankündigungen ist es der Bundesregierung nicht gelungen, diese international unüblichen Zwangsbeiträge und Zwangsgebühren zu beseitigen. Hinzu kommen von 1970 bis 1975 noch rund 650 Millionen DM Umsatzsteuermindereinnahmen bei Warenbezügen aus der DDR. Dieser Betrag stellt bereits den Saldo dar. Er ist also vermindert um die Mehreinnahmen aus der Besteuerung der Leistungen, die in die DDR gegangen sind.
Der Swing im innerdeutschen Handel ist ein besonderes Kapitel und hat in den letzten Jahren eine besondere Entwicklung genommen. Im Rahmen der im Dezember 1968 und im Dezember 1974 abgeschlossenen Abkommen, die bis Ende 1981 laufen, wurden Swing-Beiträge vereinbart. Sie sind identisch mit zinslosen Bundesbankkrediten und wurden von der DDR bisher mit insgesamt 3,2 Milliarden DM ausgenutzt. Legt man nur eine rund 10%ige Zinsersparnis zugrunde - und ich glaube, das kann
man machen -, so beträgt die effektive Leistung der Bundesrepublik Deutschland an die DDR auf Grund der Swing-Vereinbarungen in diesem Fünfjahreszeitraum rund 320 Millionen DM, die ebenfalls der von mir genannten Ziffer noch hinzuzufügen sind.
Als dieser von seiner Grundkonzeption her als Überziehungskredit von der CDU/CSU erdachte Swing eingeführt wurde, sollte er zum Ausgleich von Ungleichgewichten in der Handelsbilanz zwischen den beiden Staaten in Deutschland dienen und mal von der einen, mal von der anderen Seite ausgenutzt werden. Deshalb auch die Zinslosigkeit. Davon, meine Damen und Herren, ist heute nichts mehr zu vermerken. Vielmehr stellen wir fest, daß die DDR seit gut einem Jahrzehnt ständiger Schuldner der Bundesrepublik ist und daß wir ständiger Gläubiger sind, und das mit rapide wachsenden Beträgen.
Für die kommenden Jahre sind rund 850 Millionen DM veranschlagt. Auf Grund dieser Entwicklung - und das ist der neue Tatbestand - sah sich die Bundesbank offenbar nicht mehr in der Lage, die zinslose Kreditvergabe in einer solchen Höhe durch das Bundesbankgesetz zu decken. Sie hat daher von der Bundesregierung verlangt - und dies wurde ihr wohl auch zugesagt, den Swing wie einen normalen Kredit in den Bundeshaushalt einzustellen und den Zinsverlust abzudecken. Das heißt: wir sollen aus Steuermitteln die Kosten dieses Dauerkredits zahlen.
Damit aber - und dies ist die politisch wichtige Komponente - würde zum Ausdruck gebracht, daß es sich hier dann nicht mehr um einen Swing handelt und auch nicht um einen Verrechnungskredit, sondern um ein politisch motiviertes zinsloses Darlehen zur Unterstützung der DDR, ohne daß die Bundesregierung dafür von der DDR auch nur irgendeine wesentliche Gegenleistung erhalten hat.
({4})
Wir haben uns - ich darf das hier wiederholen, damit keine falschen Vorstellungen entstehen - immer für den Swing eingesetzt, meine Damen und Herren. Aber nicht für einen zinslosen Dauerkredit für die DDR und schon gar nicht für ein politisch motiviertes Darlehen. Und wenn dies so ist, dann muß die Bundesregierung dies auch in ihre vertraglichen Überlegungen und in die vertraglichen Entwicklungen mit der DDR einbeziehen. Das heißt: Dieses Geld kann nicht einfach mehr so hingegeben werden, wie es bis heute der Fall ist.
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Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Barleistungen, die wir kritisieren. Wir bemängeln die fehlende Zweckbindung vieler Barleistungen, die in die DDR geflossen sind. Diese Gelder stehen zum großen Teil zur freien Verfügung der DDR. Nur ein geringer Teil, z. B. bei Bahn und Post, geht auf das Unterkonto III bei der Deutschen Bundesbank, das zur Tilgung der DDR-Schulden dient. Alle anderen Gelder gehen dort nicht hin.
Beträchtliche Summen fließen ohne Zweckbindung der Außenhandelsbank der DDR, aber auch der gewerkschaftseigenen Bank für Gemeinwirtschaft zu. Die DDR hat damit einen freien Dispositionsfonds an harter West-Markt,
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und sie setzt ihn, da Sie keine Zweckbindung haben durchsetzen können und dies bisher auch nicht versucht haben, ein, wie sie es wünscht.
Der Bundeskanzler hat am Dienstag mittag - es ist wichtig, diese Sache noch einmal aufzunehmen, weil es darüber eine Kontroverse gegeben hat - gesagt - ich zitiere -:
Aber wir müssen uns auch gegen solch falsche Zeugnisse wie dasjenige von Professor Carstens wehren, wir würden der DDR ohne Zweckbestimmung Geld zahlen.
Stunden später schon, meine Damen und Herren, hat der innerdeutsche Minister Franke anläßlich einer Zwischenfrage zu den Zahlungen der Transitgebühren erklärt: „Die Mittel sind insofern nicht zweckgebunden." Ich frage nun - und das ist der Dissens -: Wer hat die Wahrheit gesagt? Wer redet hier falsch Zeugnis? Es war ja der Bundeskanzler, der der CDU/CSU, um dies hier noch einmal in die Debatte einzuführen, das Achte Gebot entgegengehalten hat: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Fest steht doch dies: Das falsche Zeugnis, meine Damen und Herren, hat der Bundeskanzler gesprochen.
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Der Vorsitzende unserer Fraktion, Professor Carstens, aber auch der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen haben die Wahrheit gesagt und die richtige Aussage gemacht. Denn wir - jeder draußen im Lande weiß das doch - leisten seit Antritt der sozialliberalen Koalition aus Bundesmitteln, aus Steuermitteln, aus dem Bundeshaushalt - seit 1970 in zwei Kleinen Anfragen auch offiziell von der Bundesregierung bestätigt - Milliardenbeträge ohne Zweckbestimmung.
({8})
Allein 1972 bis 1975 waren es, um nur die Transitgebühren zu nehmen, rund 1 Milliarde DM. Die Transitgebühren sind, wie wir wissen, in den Vereinbarungen vom Dezember 1975 erhöht worden. Wir zahlen nunmehr 400 Millionen DM jährlich - Vorkasse übrigens -, jeweils zum 31. März eines Jahres, nicht etwa am Ende eines Jahres oder gar in Raten. In den kommenden vier Jahren werden es insgesamt 1,6 Milliarden DM - ebenfalls ohne Zweckbindung, zur freien Verfügung der DDR - sein.
Der Herr Bundeskanzler hat uns eines falschen Zeugnisses bezichtigt. Er ist jetzt nicht da. Aber es wird ihm vielleicht gesagt werden.
({9})
Herr Apel kann es ihm berichten; denn seine Herren
im Finanzministerium haben das ja mit ausgehandelt. Vielleicht liest er es auch im Protokoll nach.
Wenn uns der Bundeskanzler eines falschen Zeugnisses bezichtigt, dann bitte ich ihn, einmal das Transitabkommen, den Art. 18, und insbesondere das „Bulletin" der Bundesregierung vom Dezember 1975 nachzulesen. Dort ist veröffentlicht worden, was seine Mitarbeiter in der Regierung vereinbart haben. Das Wort „Zweckbestimmung" steht dort nirgends. Vielmehr ist - ich darf dies hier zitieren
- in den Vereinbarungen folgender Absatz enthalten - ich zitiere -:
Ausgehend von der festgelegten Pauschalsumme von 400 Millionen DM pro Jahr als Durchschnitt der Jahresbeiträge für Gebühren und Abgaben der Jahre 1976 bis 1979 werden unter Berücksichtigung einer angenommenen Entwicklung des Transitverkehrs und der Beförderungstarife der Bundesrepublik Deutschland folgende Jahresbeiträge zugrunde gelegt: 1976: 360 Millionenn DM; 1977: 385 Millionen DM; 1978: 412 Millionen DM; 1979: 441 Millionen DM.
Das, meine Damen und Herren, sind Ziffern, bei denen wir eine Zweckbindung nirgends haben erkennen können.
({10})
- Das hat damit gar nichts zu tun, Herr Kollege Wehner. Die Frage war - ich habe dazu vorweg eine klare Begründung gegeben und unseren Grundsatz dargestellt -, ob wir es bei den vielen Leistungen, die wir an die DDR sonst noch erbringen
- ich erinnere nur an den nicht mehr vorhandenen Swing; denn die ursprüngliche Bedeutung ist ja nicht mehr vorhanden - hinnehmen sollten, daß der DDR ein derartig hoher Kredit an frei verfügbaren Mitteln auf Banken unserer Bundesrepublik Deutschland eingeräumt wird. Das ist der Punkt, gegen den wir uns wenden.
({11})
Herr Kollege Wehner, wahr ist doch auch - ich zitiere hier nur den Herrn Kollegen Dr. Hirsch, Innenminister von Nordrhein-Westfalen -, daß diese Gelder von der DDR in ganz einseitiger Weise verwandt werden. Sie werden doch nicht verwandt, um bei uns Schulden zu bezahlen. Sie werden verwandt, um für die DKP Zahlungen wahrzunehmen. Allein 30 Millionen DM waren es in NordrheinWestfalen. Die Ziffer ist veröffentlicht worden. Sie werden verwandt, um die Auslandspropaganda gegen die Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen. Sie werden verwandt, um die Botschaften der DDR zu bezahlen, denn mit Ostmark kann man in New York oder sonstwo nichts bezahlen. Sie werden auch für die subversive Tätigkeit in unserem Lande verwandt.
Wir, meine Damen und Herren, wenden uns nicht gegen die Zahlung als solche. Wir wenden uns gegen die fehlende Zweckbindung, denn wir wollen nicht, daß frei verfügbares deutsches Steuergeld von einer deutschen Bundesregierung zur freien Disposition der DDR gegeben wird.
({12})
Ich betone noch einmal folgendes. Die CDU/CSU war und ist jederzeit bereit, eine Politik mitzutragen, die den Menschen im geteilten Deutschland dient und die auch finanzielle Opfer bringt. Wir treten jedoch dafür ein, daß eine strikte Zweckbindung besteht, daß auf die Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung geachtet wird. Wir glauben, daß auch der deutsche Steuerzahler hinsichtlich der Beziehungen zur DDR wissen muß, wofür von der DDR die ihr übergebenen Steuergelder ausgegeben werden.
Ein letztes Beispiel wegen der Kürze der Zeit, auf das ich noch hinweisen möchte. Vor einigen Jahren hat sich der Bundesfinanzminister Schmidt, nunmehr der Bundeskanzler, seiner Vertragskunst mehrfach gerühmt. Es gibt bei uns seit dem April 1974 Transferabmachungen: eine Transferabmachung zur wechselseitigen Überweisung von Unterhaltszahlungen und eine zur wechselseitigen Abhebung von Sparguthaben. Bei den Guthaben für Unterhaltszahlungen hat sich keine Ausgewogenheit ergeben und wir haben in der Zwischenzeit 53 Millionen DM, die ich bisher überhaupt nicht genannt habe, zusätzlich an die DDR haben zahlen müssen. Bei der anderen Transferabmachung geht man vom Gleichheitsgrundsatz der Zahlungen aus. So mußte die Bundesbank die Antragsannahme stoppen.
Wir hätten uns gewünscht, daß die Bundesregierung gerade bei zwei gleichzeitig verhandelten Verträgen - ich nehme das nur als ein kleines Beispiel - wenigstens den Gleichheitsgrundsatz für beide durchgesetzt hätte. Mit etwas mehr Mühe, etwas längerem Atem und etwas mehr Durchsetzungswillen wäre mehr für die Menschen, die in unserem Lande davon betroffen sind, möglich und erreichbar gewesen.
({13})
Meine Damen und Herren, dies als kleines Beispiel für das, was man versäumt hat.
Ich wiederhole und fasse zusammen: Wir treten für Zahlungen an die DDR ein. Wir treten auch für den innerdeutschen Handel ein. Aber Leistung und Gegenleistung müssen ausgewogen sein. Nur Vorkasse machen wir nicht mit. Wir halten es für eine schlechte Sache, wenn die eine Seite nur gibt und die andere Seite nur kassiert. Deshalb haben wir der Erhöhung der Transitgebühren und der Zahlung dieser erhöhten Transitgebühren im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages nicht zugestimmt.
({14})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dübber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eben noch einmal den Herrn Bundesfinanzminister nach den Meinungsverschiedenheiten über den Swing gefragt, die es da angeblich zwischen Bundesregierung und Bundesbank geben soll. Er hat mir gesagt, dies sei nicht der Fall. Damit stellt sich also die Frage nach der Glaubwürdigkeit gleich in einem ganz anderen Zusammenhang. Ich meine, es kann zu dieser Stunde, zu der wir zu einem bestimmten Haushaltsplan kommen wollen, nicht unsere Aufgabe sein, uns im einzelnen über Zahlen aus einer Kleinen Anfrage und ihrer Beantwortung zu unterhalten.
Ich will auf die politischen Möglichkeiten in den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten abstellen, die sich auch finanziell niederschlagen, mit anderen Worten, ich will die politische Frage nach der Zweckbindung erörtern. Herr Wohlrabe sagte hier, wenn man länger verhandelt hätte, wenn man mehr Atem gehabt hätte, so hätte man auch mehr erreichen können. Das hört sich alles ganz schön an. Jenes „hätte man" ist aber immer vor dem Hintergrund der Frage zu sehen, wie lange die CDU/CSU Gelegenheit gehabt hätte, ihren langen Atem in Verhandlungen mit der DDR zu beweisen.
({0})
Nun, davon hat sie keinen Gebrauch gemacht. Sie sagt uns jetzt, daß wir dies zu tun haben.
({1})
- Herr Mertes, politische Leistungen sind sehr wohl erbracht worden. Stellen Sie sich heute an die Grenze oder fahren Sie im Transitverkehr nach Berlin. Dann merken Sie, was die politische Leistung ist. Das ist an manchen westlichen Grenzübergängen anders.
({2})
Die CDU/CSU hat die Transitpauschale im Haushaltsausschuß abgelehnt. Ich will in aller Nüchternheit sagen, was wäre, wenn die Mehrheit so gehandelt hätte, wie die Opposition es getan hat. Dies würde bedeuten - das kann man in aller Nüchternheit und ohne Übertreibung feststellen -, WestBerlin in den Status des kalten Krieges zurückzuversetzen.
({3})
Dann kassiert die DDR nämlich ihre 5 Mark wieder einzeln von jedem Kraftfahrer auf der Autobahn von Berlin nach Helmstedt.
({4})
- Herr Wohlrabe, ich würde Ihre Frage gern beantworten, aber ich bitte Sie, daran zu denken, daß
wir zum Schluß kommen wollten. - Schönen Dank!
Dann würde die DDR die 5 Mark also wieder einzeln auf der Straße von Berlin nach Helmstedt oder auf den anderen Transitstraßen kassieren. Das würde bedeuten, daß die Westberliner wieder in einem sehr umständlichen Verfahren an den Grenzübergängen Schlange stehen müßten. Sie müßten
erst an einen Bankschalter treten und müßten 5 Mark ({5}) in 5 Mark ({6}) umwechseln. Im Rahmen dieses bürokratischen Verfahrens müßten sie dann an einen anderen Schalter gehen und dort die Straßenbenutzungsgebühren einzahlen. So ist das ganze 20 Jahre gelaufen. In dieser Zeit sind auf diese Weise mehrere Milliarden von der DDR kassiert worden. Sie hat dieses Geld in alles mögliche gesteckt, sicher auch in uns sehr unangenehme Vorhaben. Sie hat dieses Geld nicht für den Ausbau der Straßen verwendet.
Es wäre also zu erwarten, daß die Wartezeiten für den einzelnen sich wieder um Stunden verlängern.
({7})
- Das ist kein Greuelmärchen, das würde die Folge sein. Die DDR würde gerne das Geld bekommen, das ihr rein rechnerisch zusteht, wenn man von dem gestiegenen Verkehrsaufkommen ausgeht. Wir zahlen dieses Geld auf der Grundlage des Transitabkommens, der darauf folgenden Vereinbarungen, der innerdeutschen Regelungen und der bundesinternen Regelungen jetzt im Bundeshaushalt. Ich kann der CDU/CSU nur dies sagen: Sie hätte in über einem Dutzend von Jahren Gelegenheit gehabt, den Westberlinern wenigstens diesen Betrag - darüber hätte sie gar nicht mit der DDR zu verhandeln brauchen - abzunehmen, indem sie ihn in den Bundeshaushalt übernommen hätte. Das hat sie aber nicht getan. Die einzelnen haben bezahlen müssen. Ihre Geschichte sieht, so gesehen, sehr fragwürdig aus.
Ich meine, wir haben keine Veranlassung - das sage ich besonders als Berliner Bundestagsabgeordneter -, daran zu zweifeln, daß die Bundesregierung ihr Äußerstes getan und versucht hat, die bestmögliche Regelung zu erzielen. Die Erhöhung der Transitpauschale ist sachlich gerechtfertigt.
Daß die Bundesregierung für Berlin eintritt und daß sie auch die Zahlungen übernimmt, die nötig sind, können Sie dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen entnehmen, nach dem unter anderem wegen der Steigerung der Personalkosten der Ansatz für Berlin um 80 Millionen DM erhöht werden soll, um Berlin die Leistungen aus der Tarifrunde abzunehmen. Dies ist eine praktische, eine wirksame Hilfe im geteilten Land. Das ist positive Hilfe und nicht Lippendienst und Phraseologie.
({8})
Ich weise darauf hin, daß der von der CDU/CSU zu Einzelplan 60 gestellte Antrag Drucksache 7/5157 bereits begründet ist. Der Antrag der Koalitionsfraktion Drucksache 7/5151 ist noch zu begründen. Ich erteile hierzu dem Herrn Abgeordneten von Bülow das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag liegt Ihnen vor. Es geht hier um die Mehrausgaben, die im Haushalt zusätzlich durch den Abschluß der Tarifrunde im öffentlichen Dienst einschließlich der BeDr. von Bülow
soldungsgesetzgebung anfallen. Es handelt sich um vom Bund zu leistende Zahlungen in Höhe von 420 Millionen DM und um den Betrag von 80 Millionen DM, die zur anteiligen Deckung der Personalausgaben im Lande Berlin an den Berliner Landeshaushalt abzuführen sind. Die Deckung für diesen insgesamt 500 Millionen DM ausmachenden Betrag wird durch eine Erhöhung der globalen Minderausgabe auf 2,5 Milliarden DM erbracht. Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pieroth.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf einen Punkt eingehen, den der Finanzminister sicherlich nicht aus Zeitmangel bei dem Versuch seiner Rechtfertigungsrede verschwiegen und nicht angesprochen hat. Es ist jetzt zwei Monate her seit der Debatte um den Jahreswirtschaftsbericht, daß von der Bundesregierung wieder einmal so schöne Worte zur Vermögenspolitik zu hören waren. Es waren Sätze zu hören wie „Wir werden weiterhin an diesem Thema arbeiten", „Wir werden etwas Vernünftiges vorlegen."
Ich kann hier nur feststellen: Wie seit der Regierungsübernahme von SPD und FDP ist auch in diesen beiden Monaten an Taten nichts geschehen. Der Grund: Die Bundesregierung ist in der Vermögenspolitik zerstritten. Friderichs redet von der betrieblichen, Apel muß sich für die überbetriebliche Vermögenspolitik engagieren - und das ist die traurige Wahrheit -, weite Teile der SPD wollen überhaupt keine individuelle Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital der deutschen Wirtschaft.
Erfreulich ist allerdings die Wandlungsfähigkeit der FDP. In Ihrer Wahlaussage haben Sie unsere Leitgedanken zur Vermögenspolitik, wie wir sie in unserem Antrag zur Beteiligung der Arbeitnehmer niedergelegt haben, nahezu Wort für Wort übernommen. Meine Damen und Herren von der FDP, ich darf hier festhalten: was wir schon seit langem gefordert haben, das schreiben Sie uns jetzt ab. Es sind dies: erstens die Erweiterung des Anlagekatalogs nach dem 624-DM-Gesetz, zweitens der Verzicht auf Gewerbesteuerpflicht für Lohneinkommen der Arbeitnehmer, drittens die Ausdehnung der Lohnsteuerfreiheit nach dem Gesetz über Belegschaftsaktien auf alle übrigen Beteiligungsformen. Das sind genau die wesentlichen Punkte I. 2, I. 4 und I. 5 unseres Antrags vorn 21. Mai letzten Jahres. Ich frage Sie, Graf Lambsdorff, warum Sie dieselben Punkte noch vor zwei Monaten als „nicht durchdacht" bezeichnet haben, wenn Sie sie uns jetzt kurz vor der Wahl schlicht abschreiben.
Herr Kollege Pieroth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff?
Aber sehr gern.
Herr Pieroth, darf ich Sie zunächst darauf aufmerksam machen, daß es sich bei dem von Ihnen zitierten Wahlprogramm um einen einen Entwurf handelt und daß Sie mit Ihrem Lob eventuell sogar noch Gefahr laufen, diejenigen, die diese Vorschläge gern durchsetzen möchten, damit zu gefährden. Darf ich Sie weiter darauf aufmerksam machen, Herr Pieroth - ({0}))
- Herr Kollege Althammer, die Fragestellung „ja" oder „nein" ist vielleicht Sache des Präsidenten, Wenn Sie das werden, können Sie das vielleicht auch tun.
Darf ich Sie, Herr Kollege Pieroth, darauf hinweisen, daß wir erstens keineswegs sämtliche Ihrer Vorschläge übernommen haben, daß wir zweitens über die Frage - ich bin da anderer Meinung als dieser Entwurf - die Befreiung von der Gewerbesteuerpflicht noch diskutieren, weil keine Abgrenzungsmöglichkeit gegeben ist und weil es auch keinen Vorschlag dieser Art in Ihrem Papier gibt, und darf ich Sie zu allerletzt darauf hinweisen, daß ich Ihnen schon damals gesagt habe, daß Ihre Vorschläge unordentlich und schlampig - entschuldigen Sie - ausgearbeitet sind und daß jeder Finanzierungsvorschlag in dieser Frage fehlt.
Herr Kollege, damit haben Sie aber sämtliche Zwischenfragen für die nächste Zeit konsumiert.
Ich darf festhalten, daß Sie die wesentlichen Punkte unseres Antrags dann nicht in die Wahlplattform, sondern in den Entwurf für eine Wahlplattform übernommen haben. Das sind die Punkte, die Sie schlampig und unordentlich genannt haben. Ich wünsche Ihnen, daß es Ihnen gelingt das, was im Entwurf zur Wahlaussage steht, auch in die Wahlplattform einzubeziehen; denn das ist die richtige Politik, um Arbeitnehmer an Vermögen heranzuführen.
Meine Damen und Herren, wenn man die vielen Versprechungen und Ankündigungen gehört und gelesen hat - einige zwanzigmal -, nicht nur so nebenbei und unverbindlich, sondern in offiziellen Verlautbarungen der Regierung, in allen Aussagen seit 1969, dann weiß man, was man von solchen neuesten Wahlversprechungen zu halten hat. Das sind bestenfalls Seifenblasen, Graf Lambsdorff, jetzt vor der Wahl schnell herausgepustet, um mit der Forderung nach Privateigentum guten Eindruck beim Wähler zu machen. Greift man dann danach, zerplatzen sie wie alle sozialistischen Seifenblasen, wenn Sie mit der Regierung ähnliches vorhaben. Übrigbleiben von solchen Eigentumsversprechungen günstigstenfalls, wenn Sie es mit der SPD machen, Inflation und ungünstigstenfalls Inflation plus SPD-Fonds mit Kollektiveigentum in Funktionärshand mit allen zerstörerischen Folgen für unsere marktwirtschaftliche Grundordnung.
({0})
Meine Damen und Herren, wer sich das politische Kräftefeld in der Eigentumspolitik ansieht, dem fällt
rasch auf: Diese Bundesregierung steht im Abseits; die Vermögenspolitik entwickelt sich immer mehr an ihr vorbei. Erstens hat der Sachverständigenrat ein Modell vorgelegt. Zweitens arbeiten die Tarifpartner in der Bauwirtschaft gemeinsam an Plänen, die Bauarbeiter als stille Teilhaber an den Unternehmen zu beteiligen. Drittens sagt der Präsident der Arbeitgeberverbände - ich darf zitieren -: „Wir glauben, in dein Augenblick, in dem die Vermögensbildung in die politische Diskussion wieder eingeführt wird, mit eigenen Vorstellungen dienen zu können." Viertens tut sich ja auch neuerdings in den Gewerkschaften einiges. Nach einer undementierten Meldung aus der „Zeit" vom 23. April empfahl DGB-Vorsitzender Vetter seinen Kollegen von den Industriegewerkschaften, sich auf tarifvertragliche Angebote der Arbeitgeber einzustellen. Sie sehen: alle Betroffenen, die Spitzenverbände der Wirtschaft, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Publizisten und Wissenschaftler, sie alle halten Vermögensbildungsmaßnahmen jetzt für notwendig; nur diese Bundesregierung tut nichts.
({1})
Die Union begrüßt grundsätzlich, daß die Tarifpartner jetzt verstärkt Überlegungen zur Vermögenspolitik diskutieren, um so mehr, als wir selber seit Jahren konkrete Vorschläge dazu erarbeitet und auch im Bundestag 1972 und im letzten Jahr eingebracht haben. Wir möchten die Tarifpartner draußen ausdrücklich ermuntern, sich auf die Vorteile des betrieblichen Weges zur Vermögensbildung zu besinnen und tarifvertragliche Vereinbarungen abzuschließen. Wir sehen es dabei nicht als Aufgabe der Politik an, sich in solche Vereinbarungen einzumischen. Aufgabe der Politik ist es aber, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, daß solche Vereinbarungen zum Nutzen aller Beteiligten abgeschlossen werden können.
({2})
Diese Voraussetzungen schafft der Antrag der Union. Er sieht im wesentlichen Regelungen in drei Bereichen vor:
1. den Abbau der steuergesetzlichen Hemmnisse und Beschränkungen,
2. allgemeine Rahmenregelungen, damit die Mobilität der Arbeitnehmer, die Liquidität der Unternehmen, die Mitspracherechte der Arbeitnehmer und, für die Zeit der Verfügungsbeschränkung, der Wert der Arbeitnehmerbeteiligung erhalten bleiben.
3. sollen Beteiligungen dieser Art nach dem Sparprämien- und dem 624-Mark-Gesetz gefördert werden.
Meine Damen und Herren, dieser Antrag steht im Rahmen unserer Vermögenspolitik, die sich in der gegenwärtig diskutierten Dimension an folgenden Grundsätzen orientieren soll:
1. Jeder Arbeitnehmer soll die Form seiner investiven Anlage, seine Vermögensbildung selbst frei wählen können.
({3}) Das heißt, ob er Darlehnsgeber, stiller Beteiligter, Kommanditist oder Aktionär werden will, ist seine höchstpersönliche Sache.
2. Wo Betriebsrat und Unternehmen sich darauf einigen, den Arbeitnehmern Beteiligungen am arbeitgebenden Unternehmen einzuräumen, soll dies durch Betriebsvereinbarung geschehen.
3. Die jeweilige Höhe des investiv anzulegenden Betrages und seine Aufbringung können durch Tarifvertrag festgelegt werden.
4. Nach unserem Verständnis von marktwirtschaftlich orientierter Vermögenspolitik ist es nicht Aufgabe des Staates, einem freien Bürger seine Vermögensanlage vorzuschreiben oder den Arbeitnehmern Einheitspapiere zu verordnen.
({4})
Meine Damen und Herren, für uns ist der Staat nicht die einzige und schon gar nicht die totale und erst recht nicht die beste Ordnung für das Zusammenleben der Menschen.
({5})
Diese Regelung in Kraft zu setzen, das ist unsere Aufgabe hier im Deutschen Bundestag, das ist das Feld, das von der Politik für die Tarifpartner, die Arbeitnehmer und die Unternehmer, abgesteckt werden muß. Bestellen müssen die dann ihr Feld natürlich selber; auf sie, die Tarifpartner, kommt es dann an, damit ein breiter Durchbruch zu einer investiven und nicht nur am Barlohn orientierten Einkommenspolitik erzielt wird.
Meine Damen und Herren, man kann gleich mehrere Vorteile einer solchen kombinierten Barlohn-und Vermögensbildungsstrategie aufzählen. Zum einen Vorteile für die Arbeitnehmer. Es gibt heute zum Glück schon viele tausend Arbeitnehmer, die jeweils mit etlichen tausend, in Ausnahmefällen mit einigen zehntausend Mark an ihren Unternehmen - als bloße Darlehnsgeber, als stille Teilhaber, als Kommanditisten, als Aktionäre - beteiligt sind, und die Union will, daß alle Arbeitnehmer auf diese Weise zu Teilhabern in der Wirtschaft werden können.
({6})
Fünftausend bis zehntausend Mark echte Vermögensbildung im Unternehmen, das kann in wenigen Jahren für viele Millionen Arbeitnehmer Realität sein, wenn wir in diesem Hause ab 4. Oktober eine Mehrheit haben werden.
({7})
Vorteile bringt diese Vermögensbildung aber auch für die Unternehmen. Ein Teil der Lohnerhöhungen fließt dann nicht mehr ab, sondern bleibt als zusätzliche Liquidität für die Unternehmen erhalten und erweitert somit die vielfach zu dünn gewordene Eigenkapitaldecke.
Vorteile hat schließlich unsere gesamte Volkswirtschaft durch die konjunkturpolitisch erwünschten und zur Zeit auch wieder notwendig werdenden stabilisierenden Effekte einer investiven Verwendung von Einkommenszuwächsen. Was im AufPieroth
schwung vom Arbeitnehmer nicht ausgegeben, sondern im Betrieb gespart, also investiert wird, treibt die Lebenshaltungskosten nicht weiter nach oben und macht somit die Preise stabiler.
Meine Damen und Herren, die Förderung betrieblicher Gewinn- und Kapitalbeteiligung ist heute also ein Gebot konjunkturpolitischer Vernunft, und sie kann bei der langfristigen Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums mithelfen. Durch ihre Vermögensbildung, durch ihre Beteiligung am Kapital ihrer Unternehmen tragen die Arbeitnehmer zur Finanzierung der Investitionen bei und sichern dadurch langfristig ihre eigenen Arbeitsplätze mit.
({8})
Eine solche Einheit von Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik war für die Union schon immer ganz selbstverständlich.
({9})
Daß eine solche Politik Vorteile für alle bringt, will aber in einige Köpfe nicht hinein. So sagt doch Herr Apel auf dem Steuerbeamtentag - ich darf zitieren -:
Man muß deutlich machen, - gemeint sind wir ob die Vermögensbildung verstärkt im Interesse der Arbeitnehmer oder vorrangig als Mittel zur Verbesserung der unternehmerischen Investitionskraft eingesetzt werden soll.
Was den Unternehmern nützt, schadet also den Arbeitnehmern. Das ist doch nichts anderes als die alte sozialistische Doktrin, die Herr Apel nicht zur Verdummung des mündigen Bürgers nachbeten sollte.
({10})
Teile der FDP möchten jetzt ganz gerne mit von der vermögenspolitischen Partie sein. Wir freuen uns ja darüber, daß sie jetzt unsere Vorstellungen übernehmen, und bestätigen ihnen sehr gern, daß das vernünftige und praktikable Vorstellungen sind.
({11})
Aber sie haben zu diesen richtigen Vorstellungen eben den falschen Koalitionspartner, und so bleibt es bei ihnen - wie so oft - auch in der Vermögenspolitik bei Halbheiten. Die erste Hälfte ist da: schöne Vorsätze. Davon hat nur der Bürger nichts. Die andere Hälfte aber, von der der Bürger erst wirklich etwas hätte, nämlich die politische Verwirklichung der Vermögensbildung, bleibt aus; die können sie in ihrer eigenen Partei schon nicht voll durchsetzen und in dieser Koalition schon gar nicht,
({12})
denn ihr Koalitionspartner darf ja nicht, und er
kann zum Teil nicht; das zeigen die krampfhaften
Versuche von Ihnen, Herr Minister Apel, in der
letzten vermögenspolitischen Debatte kleinliche technische Vorwände zusammenzusuchen, um sie hier gegen unseren Vermögensbildungsantrag aufzutischen. Viel war es nicht, was als Ergebnis angestrengten Nachdenkens hier vorgetragen wurde. Sie werden das merken, wenn ich Ihnen jetzt noch einige Hinweise zum Vorwandcharakter dieser angeblichen Einwände geben darf, die eigentlich in den Ausschuß und nicht ins Plenum gehört hätten.
Ihr zentraler Einwand war die sogenannte ungelöste Bewertungsfrage. Tagtäglich werden Bewertungen aus den verschiedensten Gründen vorgenommen, Hunderte tagtäglich auf der Grundlage der Bewertungsgrundsätze der Finanzverwaltung. Das funktioniert. Jetzt anzunehmen, daß Betriebsräte und Unternehmen einseitige Werte festlegen, wenn sie Arbeitnehmerbeteiligungen aushandeln, oder uns zu unterstellen, wir wollten die Finanzverwaltung an willkürliche Werte binden, ist schlicht falsch. Denn erstens sind die Bewertungsinteressen von Arbeitnehmern und Unternehmern gegenläufig, so daß man sich schon irgendwo in der Mitte treffen wird, und zweitens sind selbstverständlich Unternehmer und Betriebsräte an die Bewertungsrichtlinien der Finanzverwaltung gebunden, welche somit ordnungsgemäße Bewertungen jederzeit nachvollziehen kann. Die Bewertungsprobleme bei der betrieblichen Beteiligung sind also nicht neu, und sie sind lösbar. In der Regel liegen die Bewertungen der Unternehmen im ganzen vor. Daraus werden die erforderlichen Teilwerte dann abgeleitet.
Neuland ist das nicht. Neuland wollten Sie mit Ihrer überbetrieblichen Vermögensbildung im großen Einheitsfonds betreten. Eine Riesenbürokratie hätten Sie aufgebaut. Kein Wunder: wenn es etwas zu verwalten gibt und etwas bürokratisch organisiert werden soll, dann schlagen Sozialistenherzen leicht etwas schneller, und dann sind Höchstleistungen. möglich.
({13})
Aber es ist eine Sache, Werte festzusetzen für ein ganz bestimmtes, konkretes Unternehmen oder für Anteile von Partnern dieses Unternehmens, was täglich geschieht, und es ist eine andere Sache, die Zwangsbeteiligungen von, wie Sie es vorgesehen haben, 30 000 deutschen Unternehmen in einem Superfonds zusammenzufassen, den gemeinsamen Wert dieser Anteile von so grundverschiedenen Firmen wie Ruhrkohle und Springer-Konzern und Bundestagskantine und Daimler-Benz und vielen anderen mehr festzustellen, diesen Gesamtwert dann nach der Anzahl der berechtigten Arbeitnehmer auf regionale Anlagegesellschaften aufzuteilen und diesen Gesellschaften dann noch zuzumuten, jedem einzelnen der 25 Millionen Arbeitnehmer ein Zertifikat mit genauer Wertangabe auszustellen. So sollte das bei Ihnen funktionieren. Mit Ihren Plänen schaffen Sie halt Kollektiveigentum, und das kann man marktwirtschaftlich nicht bewerten; da haben Sie völlig recht.
Unsere Vermögensbildung schafft persönlich verfügbares Individualeigentum, dessen Wert durch Angebot und Nachfrage bei Beachtung objektiver Be17122
wertungsgrundsätze ermittelt wird. Verzichten Sie deshalb auf Ihre Vorstellungen, und dichten Sie uns nicht Ihre Schwierigkeiten an; denn Kollektiveigentum zweiter Klasse haben wir nie gewollt.
({14})
Hören Sie also auf mit solchen Mätzchen und Vorwänden; denn hier im Plenum kommt es nur auf eine politische Frage an: Wollen Sie die Stunde nutzen und die deutschen Arbeitnehmer auch zu Teilhabern an ihren Unternehmen machen, oder wollen Sie das nicht? Wenn Sie das wollen, dann reden Sie nicht nur schön, sondern tun Sie auch etwas. Stimmen Sie unserem Antrag zu, und verzichten Sie jetzt kurz vor der Wahl auf Ihre immer wiederkehrenden Versprechungen, die Ihnen doch keiner mehr glaubt.
({15})
Sie können natürlich für den nächsten Bundestag den Wählern das Blaue vom Himmel herunter versprechen, auch eine tolle Vermögenspolitik. Aber auf eines sollten Sie sich dann einrichten, und dafür werden wir sorgen: Am 3. Oktober werden Sie nicht an der Vermögenspolitik gemessen, die Sie für die nächsten vier Jahre versprechen; Sie werden an der Vermögenspolitik gemessen, die Sie bisher betrieben oder, besser gesagt, nicht betrieben haben.
({16})
Sie haben sieben Jahre Zeit gehabt. Sie haben diese Zeit vertan. Jetzt ist Ihre Zeit um. Diese sieben Jahre sind genug.
({17})
Die Vermögenspolitik, die schon längst an Ihnen vorbeigeht, wird in Zukunft erst recht ohne Sie gemacht werden.
({18})
Sie wird von der Partei gemacht werden, die sie als einzige zum Nutzen der deutschen Arbeitnehmer und Unternehmer auch bisher durchgesetzt hat: von der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union.
({19})
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 11. März dieses Jahres, also vor zwei Monaten, hat dieses Hohe Haus im Rahmen der Debatte des Jahreswirtschaftsberichts auch über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Vermögensbildung debattiert. Im Rahmen dieser Debatte habe ich Punkt für Punkt die Undurchführbarkeit, die Unsinnigkeit, die Unzweckmäßigkeit dieses Antrags dargelegt. Sie, Herr Kollege Pieroth hatten darauf nur eine Antwort, nämlich die, ich hätte lieber Steuerberater oder Buchhalter werden sollen, weil Sie zur Sache selbst nichts sagen konnten. Sie haben auch heute zur Sache selbst nichts gesagt. Sie haben Ihre falschen Argumente wiederholt. Wir führen nicht zweimal dieselbe Debatte, und deswegen bekommen Sie in der Sache von mir keine Antwort; Sie können sie im Protokoll nachlesen.
({0})
Meine
Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir treten in die Abstimmungen ein.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes und des Gesetzes über das Branntweinmonopol auf Drucksache 7/5096. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Keine Stimmenthaltungen. Das Gesetz ist in zweiter Beratung mit sehr großer Mehrheit angenommen worden.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht. den bitte ich, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Stimmenthaltungen. Das Gesetz ist in dritter Beratung mit sehr großer Mehrheit angenommen.
Wir müssen nun noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages abstimmen, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung in zweiter Beratung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes auf Drucksache 7/5149. Ich rufe Art. 1, 1 a, 1 b, 1 c, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. - Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich urn das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist mit sehr großer Mehrheit angenommen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Auch dieses Gesetz ist mit sehr großer Mehrheit in der dritten Beratung angenommen.
Ich lasse noch abstimmen über den Antrag des Ausschusses, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch und stelle somit Zustimmung fest.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 08, Geschäftsbereich
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
des Bundesministers der Finanzen, auf Drucksache 7/5038. Wer dem Einzelplan 08 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Der Einzelplan 08 ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 32, Bundesschuld, auf Drucksache 7/5053. Wer dem Einzelplan 32 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Keine. Damit ist der Einzelplan 32 mit gleicher Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr den Einzelplan 60 auf. Hierzu liegen ein Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 7/5151 und ein Antrag der Opposition auf Drucksache 7/5157 vor. Ich gehe davon aus, daß ich über die einzelnen Ziffern gemeinsam abstimmen lassen kann.
Wer dem Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 7/5151 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei drei Stimmenthaltungen ist der Antrag mit sehr großer Mehrheit angenommen.
Wer dem Antrag der Opposition auf Drucksache 7/5157 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 60. Wer dem Einzelplan 60 in der durch die Annahme des Änderungsantrags auf Drucksache 7/5151 geänderten Fassung in zweiter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Gegen die Stimmen der Opposition ist der Einzelplan 60 in zweiter Lesung gebilligt.
Damit sind die Punkte II und III erledigt und die aufgerufenen Einzelpläne verabschiedet.
Ich rufe nunmehr Ziffer 21 des Tagesordnungspunktes I auf:
Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
- Drucksache 7/5039 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Waigel dazu
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1976 ({0})
- Drucksache 7/4513 Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({1})
- Drucksache 7/5135 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Warnke Abgeordneter Haase ({2}) ({3})
Von den Berichterstattern hat sich der Herr Abgeordnete Dr. Waigel zu Wort gemeldet. Ich danke im übrigen den Berichterstattern, soweit sie keine Ergänzung des schriftlichen Berichts wünschen. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 09 ist geprägt von Gesamteinnahmen von 84 Millionen DM Gesamtausgaben von 2 679 Millionen DM und einer Verpflichtungsermächtigung von 2 660 Millionen DM. Das bedeutet eine Ermäßigung gegenüber dem Vorjahr um über 10 %. Die Ausgaben gehen in der Summe um 317 Millionen DM zurück. Die Verpflichtungsermächtigungen nehmen demgegenüber um rund 1,4 Milliarden DM zu. Das bedeutet gegenüber dem Soll von 1975 eine Ermäßigung von rund 304 Millionen DM, während der ursprünglich im Entwurf vorgesehene Betrag 2 687,1 Millionen DM betragen hatte. Auf Grund der Beratungen im Haushaltsausschuß hat sich die Abschlußsumme des Einzelplans um weitere rund 8 Millionen DM ermäßigt. Entscheidend in diesem Zusammenhang sind in erster Linie das Kapitel 09 02 und die entsprechenden wirtschaftspolitischen Programme.
Der wichtigste Rückgang hat sich im Energiebereich ergeben, wo nur noch 1,31 Milliarden DM gegenüber 1,692 Milliarden DM im Jahr 1975 vorgesehen sind. Das geht auf die Ermäßigung der Kohlehilfe zurück. Die entscheidende Änderung ist hier die Neuanlegung der Kohlereserve, die der Haushaltsausschuß auf Anregung der Bundesregierung beschlossen hat. Dazu wurde eine Umschichtung von 95 Millionen DM aus der Titelgruppe „Rohölbevorratung" in einen neuen Titel „Erstattung von Kosten der Steinkohlenbevorratung" vorgenommen. Das Stillegungstempo bei Zechen wurde verlangsamt. Auch das hat hier zu einer Reduzierung geführt.
Die entscheidende Frage war die Umschichtung aus der Mineralölbevorratung. Die Ausgaben für den Mineralölsektor ermäßigen sich dadurch gegenüber 1975 um rund 220 Millionen DM. Damit gehen die für die Rohölbevorratung verfügbaren Mittel von 366 Millionen auf rund 250 Millionen 1976 zurück. Das hat der Haushaltsausschuß allerdings schon 1975 dadurch gelöst, daß ein Globaltitel über 100 Millionen DM, der qualifiziert gesperrt war, für zusätzliche Rohölkäufe freigegeben wurde.
Zu erwähnen ist hier das Deminex-Programm, das Programm für Maßnahmen zur Sicherung der deutschen Energieversorgung, das aus Haushaltsgründen von 400 Millionen DM auf 295 Millionen DM reduziert werden mußte.
Im Industriebereich ist der größte Titel „Förderung der Luftfahrttechnik". Nach 274 Millionen DM im Jahre 1975 beträgt der Gesamtansatz 1976 rund 313 Millionen DM. Diese Erhöhung ist darauf zurückzuführen, daß ein zusätzlicher Bedarf für Absatzfinanzierung und Maßnahmen zur Sicherung der Produktion notwendig war.
Der Ausschuß hat hier mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die schwierige Absatzlage für die beiden großen Projekte Airbus und VFW 614 sich verbessert hat.
Zu erwähnen ist die Förderung der Berliner Industrie, die weiterhin stark gefördert wird. Der Ansatz wurde lediglich deswegen um 500 000 DM gekürzt, weil das Ist des Vorjahres nach Meinung der Mehrheit des Ausschusses dazu Anlaß gegeben hat.
Eine intensive Diskussion fand zum Bereich der Regionalförderung statt. Hier ist die Erhöhung um 50 Millionen DM darauf zurückzuführen, daß das VW-Anpassungsprogramm über 50 Millionen DM für besonders betroffene Gebiete zusätzlich zu den 294 Millionen DM veranschlagt wurde.
Ich darf hier vielleicht nur noch einen Punkt im besonderen erwähnen, die Gewerbeförderung und die Diskussion um die Mittelstandsansätze. Wie in jedem Jahr fand auch eine sehr ausführliche Diskussion im Ausschuß statt. Die Ausschußminderheit war der Meinung, daß eine stärkere Aufstockung in der Größenordnung von insgesamt 7 Millionen DM stattfinden sollte. Die Ausschußmehrheit war zuerst nur bereit, die Aufstockung in zwei Punkten durchzuführen. In einem zweiten Durchgang war es dann auch möglich, die Mittel für die Gewerbeförderung im Bereich des Handwerks um 1,5 Millionen DM zu erhöhen; dafür mußte der Ansatz bei der Luftfahrt um 1,5 Millionen DM ermäßigt werden.
Eine Steigerung ist registrierbar bei der Förderung des Ausländerreiseverkehrs um 0,5 Millionen DM auf 17 Millionen DM.
Herr Präsident, ich darf nun außerhalb der Berichterstattung einige Bemerkungen zum Einzelplan 09 machen.
Zunächst zum Thema der Notwendigkeit des Investitionswachstums, das heute bereits mehrfach angesprochen wurde. Es ist bekannt, daß das Bundeswirtschaftsministerium in einer Vorlage zur Konzertierten Aktion vom 25. November 1975 die Meinung vertreten hat, daß mittelfristig mindestens ein Investitionswachstum von 8 % notwendig sei, um wenigstens eine durchschnittliche Arbeitslosigkeit von 2,5 bis 3 % - das sind etwa 400 000 bis 500 000 Arbeitslose - zu erreichen. Damit stellt das Bundeswirtschaftsministerium in Einklang auch mit früheren Bemerkungen der Deutschen Bundesbank den unleugbaren Zusammenhang zwischen Investitionen, Wachstum und Vollbeschäftigung her.
({0})
Demgegenüber hat die Entwicklung der Investitionen, und zwar sowohl der volkswirtschaftlichen Bruttoanlageinvestitionen als auch der öffentlichen Investitionen, einen genau gegenteiligen Verlauf genommen und wird einen noch viel negativeren Verlauf bis zum Ende der mittelfristigen Finanzplanung im Jahre 1979 nehmen.
({1})
Es ist nicht so, Herr Kollege von Bülow, daß das eine unabänderliche Entwicklung sei, die bereits seit 1962 zu verzeichnen sei. Die Deutsche Bundesbank hat in einem bemerkenswerten Artikel bereits im Mai 1972 festgestellt, daß die öffentlichen Haushalte im inflatorischen Prozeß der letzten Jahre nicht zu den Gewinnern, sondern eindeutig zu den
Verlierern gehört haben. Damit wird eines deutlich: Die inflationäre Entwicklung der letzten Jahre hat diesen sinkenden Anteil der öffentlichen Investitionen an den Haushalten und am Bruttosozialprodukt herbeigeführt. Dies ist nicht eine Linie, die in der Entwicklung seit 1962 feststeht. Ich darf - mit Erlaubnis des Präsidenten - kurz zitieren, was die Deutsche Bundesbank dazu gesagt hat:
Die Gebietskörperschaften haben also in den vergangenen drei Jahren trotz der ungewöhnlich starken Expansion der Ausgaben ihre realen Sachinvestitionen erheblich weniger ausdehnen können als zu Beginn der 60er Jahre, weil der Preisanstieg, der freilich durch die Nachfrage der öffentlichen Haushalte mitverursacht wurde, einen großen Teil des Ausgabenzuwachses aufgezehrt hat.
Da ist der Grund und nicht ein unabwendbarer Fatalismus, wie er hier angesprochen wurde.
({2})
Ein Zweites muß gesagt werden. Die Entwicklung vollzieht sich nicht kontinuierlich, sondern wir stellen fest, daß etwa bis zu den Jahren 1969/70/71 ein Anteil dieser Investitionsausgaben des Bundes, in der Größenordnung von 17, 16, allenfalls 15 % zu verzeichnen ist, während wir ab 1971 und vor allen Dingen ab 1973/74 eine gewaltige Senkung zu verzeichnen haben und für 1979 der kaum glaublich niedrige Anteil von 11,8 % projiziert wird.
Gerade die Anlageninvestitionen sind als rückläufig zu verzeichnen. Sie sind in ihrer Jahresveränderungsrate rückläufig, und sie sind in ihren absoluten Zahlen rückläufig. Während im Jahre 1970 noch eine Steigerung von 23,9 % zu verzeichnen war, haben wir im Jahre 1974 ein Minus von 2,1 %, das sich auch im Jahre 1975 mit dieser bemerkenswert negativen Zahl fortgesetzt hat. Der Anteil der volkswirtschaftlichen Anlageninvestitionen am Bruttosozialprodukt sinkt in dieser Zeit ständig. Im Jahre 1970 sind es noch 26,4 %, im Jahre 1975 nur noch 21,1 %; auch das absolute Volumen ist stark rückläufig.
Nach einer Berechnung des Instituts der Deutschen Wirtschaft muß man davon ausgehen, daß in den Jahren 1970 bis 1975 jährlich 1,7 Milliarden DM auf diese Art und Weise ausgefallen sind, weil sich die Schere zuungunsten der Investitionen geöffnet hat. Der damit verbundene Nachfrageausfall für die inländische Investitionsgüterindustrie von 40 Milliarden DM entspricht nach Angaben des Instituts einem Arbeitsplatzverlust von knapp über einer Million. Das bedeutet jährlich etwa 200000 Arbeitslose oder Arbeitsplätze, und das ist jene gesamtwirtschaftliche Investitionslücke, wie sie sich aus der Scherenentwicklung zwischen einer Normalentwicklung, wie sie früher bei uns zu verzeichnen war, und einer Entwicklung, wie sie sich seit 1970/71 in besonderer Weise ergeben hat, gebildet hat.
({3})
Diese Lücke beläuft sich für den Zeitraum von 1971
bis 1975 auf insgesamt 110 Milliarden DM, eine
gigantische Zahl, die natürlich für Wachstum, für
Vollbeschäftigung eine ganz erhebliche Auswirkung gehabt hat und die letztlich der Grund für die schlechte Situation auf dem Arbeitsmarkt ist.
Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, daß zwei Dinge notwendig wären, um das zu verbessern: die Verbesserung der Ertragslage und eine Verstetigung der Konjunkturpolitik mit einem gleichmäßigen Auslastungsgrad der Industriekapazitäten. Dabei stellen wir fest, daß es dem Bundesminister für Wirtschaft innerhalb seiner Koalition offensichtlich nicht gelungen ist, dem von ihm als richtig erkannten Prinzip auch in konkreten Vorlagen zum Durchbruch zu verhelfen.
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellt in seinem Wochenbericht vom 18. März 1976 fest, daß der Anteil des Investitionsaufwands an den Gesamtausgaben des Bundes bis zum Ende der Planungsperiode auf 13 v. H. sinkt und damit den niedrigsten Wert seit 1950 erreicht. Das heißt also, der von der Koalition projizierte Anteil wird den niedrigsten Wert seit 1950 erreichen. Das ist kein normaler Vorgang. Wie Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, dann noch die Wachstumszahlen erreichen wollen, die notwendig sind, um die Wirtschaft zu beleben, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, ist uns nicht erklärlich. Darauf sind Sie uns eine Antwort schuldig.
({4})
Die öffentliche Investitionspolitik hat zwei Ziele. Die Deutsche Bundesbank hat das bereits im Jahre 1972 zum Ausdruck gebracht. Die öffentliche Investitionspolitik sollte eine überproportionale Steigerung gegenüber den anderen Ausgaben erfahren, und sie sollte antizyklisch wirken. Beides war in den letzten Jahren nicht der Fall und ist auch in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Für Investitionen stehen im Finanzplan des Bundes für das Jahr 1976 rund 22,5 Milliarden DM und für 1979 nicht mehr als 23 Milliarden DM zur Verfügung. Rechnet man den realen Rückgang ab, der durch den Kaufkraftschwund, die Inflation, entsteht, muß mit einem erheblichen Rückgang notwendiger Investitionen auch im öffentlichen Bereich gerechnet werden.
({5})
Noch ein Wort zum Einzelplan 09 und den in ihm vorgesehenen Investitionen. Auch hier ist die von mir skizzierte Tendenz erkennbar: Im Jahre 1976 noch 1,262 Milliarden DM, im Jahre 1979 nicht mehr als 1,259 Milliarden DM. Das bedeutet einen realen Rückgang. Rechnet man die Sonderprogramme ab, die in den Jahren 1975 und 1976 hinzukommen und im Einzelplan 60 veranschlagt sind, ist der Rückgang prozentual noch stärker.
Nun ein Wort zu den Ländern und Gemeinden, die heute mehrfach angesprochen wurden. Wir wissen doch genau, daß die Finanzspielräume bei den Ländern und Gemeinden noch enger sind als beim Bund. Daher ist die Situation dort in bezug auf die öffentlichen Investitionen noch bedrohlicher, vor allem weil die Personalausgaben auf Grund gesetzlicher Verpflichtung anwachsen, auch auf Grund von Gesetzen, die wir beschließen.
Die Sachinvestitionen der Städte werden sich im Jahre 1976 gegenüber dem Vorjahr voraussichtlich um 4,1 % verringern. Nach einer Mitteilung des Städtetages wird aus den laufenden Einnahmen keine einzige Mark zur Finanzierung von Investitionen übrigbleiben; die gemeindeeigene Investitionskraft wird praktisch auf Null zurückgehen. Auch das läßt sich aus dem April-Bericht der Deutschen Bundesbank herauslesen. Der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben der Gemeinden ist von 40 % im Jahre 1971 auf 32 °/o im Jahre 1975 zurückgegangen. Ich kann den Optimismus des Bundesfinanzministers und des Herrn Kollegen von Bülow nicht teilen, daß bei den Kommunen nicht mehr so viele Investitionen anstehen. Das Gegenteil ist der Fall. In einigen Bereichen steht sogar ein Investitionsschub an. Sie können aber die Investitionen wegen der Folgelasten nicht mehr leisten und weil die wirtschaftliche Betrachtungsweise in den Hintergrund getreten ist.
Lassen Sie mich, Herr Bundeswirtschaftsminister, eine letzte Bemerkung zu den Sonderprogrammen und ihrer Beurteilung machen. Im Jahresgutachten 1975 des Sachverständigenrates wird festgestellt, daß das, was die beiden Konjunkturprogramme 1974 an zusätzlichen öffentlichen Investitionsausgaben zur Konjunkturbelebung beisteuerten, durch konjunkturpolitisch unerwünschte Einsparungen im Vollzug der Normalhaushalte weitgehend neutralisiert worden sei. Das ist ein hartes Urteil über diese Programme, die mit großem Propagandaaufwand über die Bühne gegangen sind. Formal hatten wir also bei den Programmen eine Steigerung der Ausgaben, I dann aber den negativen Ausgleichseffekt durch die Einsparungen in den Normalhaushalten, weil die Länder teilweise die Eigenmittel nicht mehr aufgebracht haben. Diese Konjunkturprogramme waren nicht eingebettet in ein mittelfristiges Rahmenprogramm, das die notwendigen Rahmenbedingungen für ein gesamtwirtschaftliches Wachstum geschaffen hätte. Ausgabe- und Vorziehungsprogramme allein sind dazu nicht ausreichend.
Hier muß ich auch noch darauf hinweisen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß auch Sie in die Reihe der verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Niederlagen der Bundesregierung Eingang gefunden haben.
({6})
- Nein, das ist nicht Berichterstattung. Ich habe ausdrücklich angemeldet, daß ich noch zwei Punkte anspreche, und hatte bei Ihren Kollegen und bei Ihnen selbst, Herr Ehrenberg, dafür Verständnis gefunden. Wir haben uns heute alle gegenseitig so lange zugehört, daß ich Sie herzlich bitte, auch hier noch zwei Minuten Geduld zu haben. Ich höre dann auch Ihnen zu und hoffe, dabei auch etwas lernen zu können, obwohl ich dessen nicht so sicher bin.
({7})
Falls Sie, Herr Dr. Ehrenberg, das Verfassungsgerichtsurteil noch nicht gelesen haben, können Sie be17126
stimmt etwas dazu lernen. Mit Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts -
Herr Kollege, die 15 Minuten, die angemeldet waren, sind abgelaufen.
Ich komme sofort zum Ende. - Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß das Programm 1974 der verfassungsrechtlichen Grundlage entbehrte, daß es gegen Art. 104 a des Grundgesetzes verstößt, daß die Verfassungsrechte der Länder verletzt wurden, daß sich der Bund zu Unrecht direkt an die Gemeinden gewandt hat und daß der Bund zu Unrecht direkte Bescheide an die Gemeinden erlassen hat. Daraus folgt die Konsequenz, daß die Länder künftig, Herr Bundesminister, den notwendigen Freiheitsraum für eine orts- und sachnahe Wirtschaftspolitik haben müssen und dem Bund jene Detailplanung nicht zusteht, auf die er in allen Bereichen immer wieder Anspruch zu erheben versucht.
Hier ist noch zu sagen, daß auch die Übersichtlichkeit der Programme nicht mehr gegeben ist, daß die Programmfunktion des Haushalts durch ein Nebeneinander von Haushalt, von Sonderprogrammen, von Schattenhaushalten und ähnlichen Dingen nicht mehr gewährleistet ist.
Es wäre interessant, hier auch noch auf die Verstetigung der Konjunkturpolitik, insbesondere der regionalen Strukturpolitik, einzugehen. Genau das ist vernachlässigt worden. Man kann nicht auf der einen Seite kurzfristige Konjunkturprogramme machen und mittelfristig genau das wieder streichen, was in diesen Gebieten notwendig wäre. Die Rahmenbedingungen für die wirtschaftsschwachen Gebiete haben sich in den letzten Jahren entscheidend verschlechtert.
({0})
Meine Damen und Herren, allein diese wenigen Bemerkungen machen deutlich, daß der Einzelplan 09 der notwendigen Programmfunktion entbehrt und daß wir diesen Haushalt deswegen ablehnen müssen.
({1})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zum Verfahren. Im Hinblick darauf, daß Kolleginnen und Kollegen, die gleichzeitig Berichterstatter sind, die Möglichkeit haben, sich ein zweites Mal zu melden, sollten wir, in der derzeitigen Geschäftslage so verfahren, daß wir dem Berichterstatter von einem eindeutig abgegrenzten Zeitpunkt an die Möglichkeit geben, sich dann auch zur Sache zu äußern.
({0})
Das erleichtert die Geschäftslage des Hauses.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin zwar bereit, das, was der Präsident sagt, zu respektieren. Nur, wenn der Kollege Waigel vorher ankündigt, zwei Bemerkungen zu machen, so erwarte ich nicht einen kompletten Diskussionsbeitrag, mit dem dann die aus guten Gründen so gehandhabte Praxis, daß die stärkste Fraktion dieses Hauses die jeweilige Runde eröffnet, schlicht unterlaufen wird. Das halte ich für keine gute Praxis.
({0})
Meine Damen und Herren, die bisherigen Beiträge der Opposition zur Wirtschafts- und Finanzpolitik im Rahmen der Haushaltsberatungen, zu dem, was heute hier zu behandeln war, lassen sich am besten damit charakterisieren, daß man auf die Aussage des „Handelsblatts" zur Wahlplattform der CDU zurückgreift. Das „Handelsblatt" schrieb in seiner Ausgabe vom 5. Mai 1976: „Die CDU verzichtete darauf, konkret zu werden." Und sie gab dieser Überschrift dann noch den Untertitel: „Für die Wirtschaftspolitik bietet die voluminöse Plattform nur Gemeinplätze."
({1})
Meine Damen und Herren, was das „Handelsblatt", eine sicher nicht sozialdemokratischer Neigungen verdächtige Publikation, hier über Ihre Wahlplattform gesagt hat, gilt voll für das, was hier an Debattenbeiträgen geleistet worden ist.
Ungeachtet des Nebels, den Sie hier versuchen über die positive Konjunkturentwicklung zu verbreiten, ist inzwischen für jedermann erkennbar, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Jahr des Aufschwungs erlebt, daß die Produktivkräfte - ({2})
- Herr Höcherl, Sie können ja nachher versuchen, das zu widerlegen; nur konkreter bitte als die Herren Carstens, Strauß und Althammer, die vor Ihnen gesprochen haben. Bitte konkreter!
({3})
- Das Jahr des Abschieds, nicht des Abschwungs.
- Niemand, der bereit ist, Fakten anzuerkennen, wird bestreiten können, daß es der sozialliberalen Koalition gelungen ist, in einer Art Modell vorzuweisen, daß es auch in Zeiten weltwirtschaftlicher Schwierigkeiten mit einer koordinierten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik möglich ist, diese Schwierigkeiten zu überwinden, und daß es auch in einer solchen Zeit möglich ist, mehr Freiheit, mehr Chancengleichheit und mehr Gerechtigkeit durchzusetzen.
({4})
Die entscheidende Basis dieses Erfolgs - meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten das zur Kenntnis nehmen - ist das Ineinandergreifen von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in diesem Lande. Diesem Ineinandergreifen ist es gelungen, unsere Volkswirtschaft in den Stand zu setDr. Ehrenberg
zen, die Schwierigkeiten der tiefsten Weltrezession seit 1945 schneller, erfolgreicher und in besserer politischer und sozialer Stabilität zu überstehen als viele unserer Nachbarn.
({5})
Es ist sicher nicht angebracht, Sie am dritten Tag der Haushaltslesung spät abends mit der Fülle der Konjunkturdaten zu konfrontieren. Jedermann kann sie nachlesen. Sie sind überall erhältlich. Aber vielleicht ist ein kurzer Blick in die tatsächliche Konjunkturlandschaft erlaubt. Wer die Berichterstattung über die Hannover-Messe verfolgt hat, wo nicht mehr über Schwierigkeiten geklagt, sondern über Lieferengpässe gesprochen wurde, beispielsweise in der elektronischen Industrie, und wer heute ein Auto kauft und mit Lieferfristen bis in das Jahr 1977 hinein konfrontiert wird, der kann ja wohl den Konjunkturaufschwung nicht mehr leugnen, es sei denn, er nähme die Weisungen des Herrn Strauß aus Sonthofen immer noch ernst und glaubte - obgleich auch Herr Strauß schon, wenn auch schüchterne Konjunkturschwalben sieht -, es dürfte nicht eintreten, was nach dem Willen der CDU/CSU vor dem 3. Oktober nicht eintreten darf, nämlich ein anständiger, voll durchziehender Wirtschaftsaufschwung. Seien Sie unbesorgt, meine Herren, er tritt ein. Er hat schon angefangen.
Diese positive Einschätzung der Solidität und der Dauerhaftigkeit dieses Aufschwungs kommt auch in den sich ständig verbessernden Kursverhältnissen der Deutschen Mark zum Ausdruck. Die Verbesserungen, die die Deutsche Mark in den letzten Jahren an den Devisenmärkten erzielt hat, zeigen die tatsächliche Einschätzung der Wirtschaftskraft dieses Landes. Herr Strauß allerdings - wir haben es heute wieder gehört - trauert immer noch der Zeit fester Wechselkurse nach. Während er das tut, beklagt er gleichzeitig die Überalterung unserer Produktionsstrukturen. Er beklagt also, daß sich hinter dem Schutz fester und falscher Wechselkurse eine Vielzahl von Strukturen in diesem Lande erhalten haben, die den Bedingungen des Weltmarktes von morgen allerdings nicht mehr gewachsen sein werden. Wer das aber beklagt, der muß sich auch daran erinnern lassen, wer schuld daran ist. Die Schuld hat neben dem damaligen Bundeskanzler Kiesinger, der aber nur ausführendes Organ der Beschlüsse des Herrn Franz Josef Strauß war, eindeutig der, der die Aufwertung der Deutschen Mark so lange verhindert hat.
({6})
Das muß man doch einmal, gerade nach dem, was Herr Strauß zu festen oder flexiblen Wechselkursen gesagt hat, hier in Erinnerung rufen.
Graf Lambsdorff hat schon sehr eindeutig die einseitige Darstellung des Gemeinschaftsgutachtens der Konjunkturforschungsinstitute durch Herrn Strauß dargestellt und verdeutlicht, wie er einzelne Teile und die insgesamt positive Beurteilung der Konjunktur und der Konjunkturpolitik der Bundesregierung als nicht existent dargestellt hat.
({7})
- Da hat er recht gehabt? Im Sachverständigengutachten stand es aber nicht. Recht haben kann er nur in seiner Phantasie, aber nicht in der Realität. Für die Phantasie des Herrn Strauß allerdings ist niemand verantwortlich.
({8})
- Nein, wir stellen dar, was in dem Gutachten und in der Wirklichkeit vorhanden ist, Herr Jenninger. Lesen Sie es nach. Herr Lambsdorff hat Ihnen die Überschriften vorgelesen, und die Überschriften kennzeichnen treffend den Inhalt dieses Gutachtens. Auch im Geschäftsbereich der Bundesbank, einer doch auch von Ihnen, wie ich hoffe, in ihrer Unabhängigkeit geschätzten Institution, wird mit aller Deutlichkeit festgestellt, daß den Konjunkturanregungen von Bundesregierung und Bundesbank die Erfolge nicht versagt geblieben sind.
Lassen Sie mich Ihnen hier, nachdem Herr Strauß so merkwürdige Pariser Zitate gebracht hat, noch eine Stimme aus der europäischen Welt vortragen. EG-Kommissar Borschette aus Luxemburg hat vor kurzem in einem Interview im „EG-Magazin" folgendes gesagt - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Für die Mehrheit ist die Bundesrepublik heute ein Staat, der wirtschaftlich und politisch stabil ist und in einer liberalen Welt als Beispiel dastehen kann, und stabil ist die Bundesrepublik, weil ihre Bürger - vielleicht wegen ihrer Vergangenheit - eine positive Auffassung von ihrem Staat haben und bei allen Eigeninteressen auch das Allgemeinwohl im Auge haben, allen voran die deutschen Gewerkschaften.
Das ist aus jüngster Zeit das Urteil eines EG-Kommissars über die Situation in der Bundesrepublik und darüber, wie die Mehrheit der Bürger hier die Situation einschätzt.
Was haben wir demgegenüber von Ihnen heute an Einschätzungen gehört? Sie haben eine völlig andere, eine rabenschwarze Welt gezeichnet. Chaos und ähnliche Vokabeln waren unter den Worten, die hier gefallen sind, ja noch harmlos.
Lassen Sie mich auf einige besonders gravierende Punkte vor allen Dingen der so völlig unterschiedlichen Beurteilung der CDU/CSU-Wirtschafts- und -Finanzpolitiker aufmerksam machen, die die ganze Unsolidität dieser Argumentation zeigen. Herr Strauß sprach von einer Investitionslücke von 170 Milliarden DM von 1971 bis 1975. Wenige Tage vorher hatte Herr Stoltenberg, der ja immer noch als
schaftspolitischer Sprecher der CDU fungiert oder sich jedenfalls selber als solcher bezeichnen läßt, für den gleichen Zeitraum eine Investitionslücke von 110 Milliarden DM genannt. Dies ist ein bißchen viel als Differenz. Herr Strauß nennt 170 Milliarden und Herr Stoltenberg nennt 110 Milliarden für den gleichen Zeitraum. Der Unterschied in der Beurteilung macht 60 Milliarden aus. Das ist zuviel, um auch nur eine einzige dieser Angaben noch ernst nehmen zu können.
({9})
- Es ist sehr viel weniger. Diese dubiose Berechnung der Investitionslücke ist in dieser Form ökonomisch sowieso nicht haltbar. Wenn Sie zurückrechnen, was die Weltrezession an veränderten Strukturen gebracht hat, kommen Sie bestenfalls auf eine Größenordnung, die halb so groß ist wie die von Herrn Stoltenberg genannte, obwohl Herr Stoltenberg schon 60 Milliarden DM weniger rechnet als Herr Strauß, und die weit von dem entfernt ist, was Herr Strauß hier als Wahrheit verkündet.
Ein noch viel größeres Auseinanderklaffen zeigt sich bei den Angaben von Herrn Carstens und Herrn Häfele. Herr Häfele ist hier heute sehr breit auf ein einigermaßen solide gerechnetes Gutachten des IfoInstituts eingegangen. Er stellte fest, daß die Grenzbelastung bei Lohnerhöhungen des durchschnittlichen Arbeiters 41 % betrage. Am Dienstag hat Herr Carstens hier im Brustton der Überzeugung, ohne sich von den Warnungen meines Kollegen Lambsdorff, zu solchen Dingen lieber nicht zu sprechen, beeinflussen zu lassen, der Fernsehwelt verkündet, wir hätten eine marginale Belastung von 83 0/o bei einem Bauarbeiter, der 1 900 DM verdient. Das ist ein Unterschied von mehr als 100 % zwischen der Angabe des Herrn Häfele und der Angabe des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU. Herr Häfele, ich bitte Sie inständig, erteilen Sie Ihrem Fraktionsvorsitzenden Unterricht im kleinen Einmaleins, damit dem deutschen Volk von dieser prominenten Stelle in Zukunft nicht mehr solche Verdrehungen der Fakten geboten werden können.
({10})
Herr Abgeordneter Dr. Ehrenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Bitte sehr.
Herr Kollege, können Sie mir bestätigen, daß unser Fraktionsvorsitzender von der Grenzbelastung eines Bauarbeiters gesprochen hat, während Herr Kollege Häfele die durchschnittliche marginale Belastung aller Arbeitnehmer gemeint hat?
Das kann ich Ihnen bestätigen. Nur macht es keinen Unterschied.
({0})
- Aber ich bitte Sie! Verehrter Herr Pieroth, um eine marginale Belastung von 83 °/o bei einem Bauarbeiter zu finden, müßte es einen Bauarbeiter geben, der mehr als 250 000 DM im Jahr verdient. Den suchen Sie doch einmal!
({1})
- Ich liege nicht falsch, keine Angst! Was das Nachrechnen betrifft, Herr Häfele, so folgen Sie meiner
Empfehlung: Erteilen Sie Ihrem Fraktionsvorsitzenden Unterricht im kleinen Einmaleins.
({2}) - Nein, nein. Rechnen Sie nach!
Herr Strauß spricht davon - das sei hier als letztes genannt -, daß in unserem kollektiven System die Armen die Reichen finanzieren. Das Finanzierungssystem unserer Sozialversicherung ist nicht geändert worden. Herr Carstens hat hier behauptet, 90 % all dieser Sozialleistungen gingen auf die CDU zurück. Herr Strauß distanziert sich davon. Auch das sollte die Bevölkerung zur Kenntnis nehmen, wie groß hier die Unterschiede sind.
({3})
- Herr van Delden, ich könnte Ihnen hier jetzt eine sehr lange Liste all der Fehlbeurteilungen der tatsächlichen Entwicklung vorlesen, die Sie von der Opposition seit Sommer des vergangenen Jahres bis heute abgegeben haben. Ich will Ihnen und den Kollegen meiner Fraktion diese Liste am späten Abend ersparen.
Aber was ich Ihnen nicht ersparen kann, meine Damen und Herren von der Opposition, sind einige Bemerkungen zu Ihrer Wahlplattform, die inzwischen vorliegt, und zu all dem, was Sie hier heute, gestern und vorgestern zu dem Thema gesagt haben, das der Bundesminister für Wirtschaft bewußt und berechtigt eine betrügerische Formel genannt hat, nämlich zu der Scheinalternative „Freiheit oder Sozialismus".
({4})
- Es scheint Ihnen zum Hals herauszuhängen, daß man darauf eingeht. Ich kann das verstehen; denn Sie entlarven sich mit dieser Scheinalternative.
Sie entlarven sich ebenso, wenn Sie in Ihrer Wahlplattform beispielsweise über den Zustand der Bundesrepublik hier und jetzt, im Jahr 1976, folgendes feststellen:
Wirtschaftlicher Wohlstand und soziale Sicherheit werden leichtfertig aufs Spiel gesetzt. SPD und FDP haben gemeinsam die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft erschüttert.
({5})
Das Mißtrauen gegenüber dieser unsoliden Politik wächst von Tag zu Tag.
Weil dieses Mißtrauen nach Ihrer Feststellung wächst, darum investieren die Unternehmer, darum nehmen die Auftragsbestände zu, darum haben die Automobilwerke monatelange Lieferfristen. Alles aus lauter Mißtrauen gegenüber dieser Regierung!
({6})
Meine Damen und Herren, lächerlicher konnten Sie sich in dieser Beurteilung doch nicht machen.
Vor wenigen Tagen hat Herr Barzel in der „Quick" festgestellt und den schönen Satz geschrieben: „Aus den reichen Farben der Bundesrepublik wurde das sozialistische Grau Europas." - Wer offenen Auges und ohne farbenblind zu sein, durch
die Bundesrepublik und auch durch den größten Teil Europas fährt, wird kein Grau feststellen. sondern eine bunte Vielfalt,
({7})
es sei denn, Herr Pieroth, er nimmt Herrn Kohl ernst, der davon spricht, daß man in diesem Land erst wieder lernen müsse, frei zu reisen, frei einzukaufen und ähnliches. Eine größere Verleumdung, Verkennung und Verketzerung der tatsächlichen Zustände kann es wohl nicht geben.
In der Präambel Ihrer Wahlplattform heißt es weiter, daß wirtschaftlicher Wohlstand und soziale Sicherheit leichtfertig aufs Spiel gesetzt wurden. Jeder Rentner, dessen Renten in den letzten sieben Jahren mehr als verdoppelt worden sind, wird sich fragen, mit welch einer Partei er es überhaupt zu tun hat, die ihm dies einzureden versucht oder die versucht - auch das kommt nicht nur in Ihrer Wahlplattform zum Ausdruck, sondern kam hier durch alle Reden hervor -, sich so darzustellen, wie es in der Wahlplattform heißt, es gehe am 3. Oktober darum, entweder das Werk der 50er Jahre neu zu begründen und weiterzuführen - das wäre die Regierungspolitik der CDU - oder das Erreichte durch sozialistische Experimente noch mehr als bisher zu gefährden. Jetzt wissen wir es ganz genau. Dieser wirtschaftliche Wiederaufschwung, wie er hier in vollem Gange ist, war ein sozialistisches Experiment. Die Schwierigkeiten der Wirtschaft in Italien sind Ergebnis christlicher Politik - das wäre der Vergleich dazu, den Sie ja wohl hier zum Ausdruck bringen wollten. Oder: Die verabschiedete Mitbestimmungsregelung, jenes große Stück mehr Demokratie in Großunternehmen, ist ein sozialistisches Experiment. Darum haben Sie dem ja auch zugestimmt, nehme ich an, ganz zuletzt, um auf diesen Zug noch aufspringen zu können. Oder: Die Sicherung von Betriebsrenten für mehr als 10 Millionen Arbeitnehmer in diesem Land, damit sie nicht bei einem Verlust des Arbeitsplatzes auch die Betriebsrente verlieren, wie das bisher der Fall war, ist ein sozialistisches Experiment - Ihrer Darstellung nach. Eine sehr merkwürdige Darstellung!
Aber noch merkwürdiger ist das, was Sie dann insgesamt über die Bundesrepublik in Ihrer Wahlplattform feststellen. Ebenso merkwürdig und eine Verdrehung von Tatsachen war das, was Ihr Kollege, mein Kollege, unser Kollege Barzel vorgetragen hat, der im übrigen Ihnen mit seiner Rede in Anlage und Rhetorik ein Muster geliefert hat, wie die Rede eines Oppositionsfraktionsvorsitzenden zu sein hat.
({8})
- Nein, das sollten Sie Ihrem Fraktionsvorsitzenden berichten. Das ist viel notwendiger.
Er ist im übrigen dann auf den „Orientierungsrahmen '85" eingegangen und hat auch dort so etwas wie sozialistische Experimente vermutet. Damit das nicht im Raum stehenbleibt, will ich Ihnen den Text aus dem „Orientierungsrahmen '85" zur Wirtschaftspolitik und ihren Mitteln kurz zitieren. Es heißt dort:
Die Sozialdemokratische Partei bejaht den freien Markt, wo immer wirklich Wettbewerb herrscht. Wo aber Märkte unter die Vorherrschaft von einzelnen oder von Gruppen geraten, bedarf es vielfältiger Maßnahmen, um die Freiheit in der Wirtschaft zu erhalten. Mittel sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik ist daher marktwirtschaftliche Ordnung mit rigoroser gesetzlicher Regelung des Wettbewerbs und strikter Sozialbindung.
Das ist die verbindliche Aussage aus dem „Orientierungsrahmen 85" zu sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, nicht das, was Herr Barzel hier mit Halbsätzen dem Hause suggerieren wollte, was dort drin stehe. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das entsprechend zur Kenntnis nähmen.
Lassen Sie mich noch zwei Punkte aus Ihrer Wahlplattform hervorheben, damit die Bürger in diesem Lande wissen, worum es Ihnen bei dem geht, was Sie am 3. Oktober erreichen wollen.
Sie haben sich nicht gescheut, eine soziale Garantie auszusprechen. Es hat nicht einen einzigen Beitrag von Ihrer Seite in diesem Hause bis jetzt in diesen drei Tagen gegeben, in dem nicht Grundlagen dafür gelegt wurden, daß, wenn Sie an die Regierung kommen, diese soziale Garantie nicht eingehalten werden kann.
({9})
Denn alles das, was dazu notwendig ist, verweigern Sie der Regierung und halten es nicht für notwendig. Alles das, was Sie über Staatsquote und Staatsanteil gesagt haben - der Bundeswirtschaftsminister hat Ihnen ein Kolleg darüber gehalten, wie die Dinge tatsächlich sind -, widerspricht dem. Wenn Sie das, was in Ihrer Wahlplattform steht, ernst nehmen, haben Sie nicht das Recht, von einer sozialen Garantie zu sprechen, weil Sie sie von dem her, was Sie tun wollen, gar nicht einhalten können.
({10})
Ich möchte noch einmal einen hier nicht anwesenden, aber sehr oft von dieser Stelle aus Sprechenden zitieren, den Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, der in dem Artikel im „Manager-Magazin", wo er die Investitionslücke realistischer als Herr Strauß schätzt, wenn auch noch zu hoch, bei den Fehlern, die er der Bundesregierung anlastet, u. a. feststellt:
Zur erforderlichen Gesamtsanierung der öffentlichen Haushalte gehören umfassende Kürzungen, eine prinzipielle Neugewichtung der öffentlichen Aufgaben und Grundsatzentscheidungen für den Abbau der unerträglich hohen staatlichen Kreditaufnahme.
Das mit Ihrer Verweigerung der Mehrwertsteuererhöhung zusammengenommen - dann sagen Sie mir, womit Sie Ihre soziale Garantie finanzieren wollen!
({11})
Herr Abgeordneter Ehrenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?
Bitte schön.
Herr Ehrenberg, würden Sie dann bitte noch folgende Tatsache in Ihre Betrachtungen einbeziehen: daß heute nachmittag ein familienpolitisches Programm der Christlich-Demokratischen Union veröffentlicht worden ist, in dem - man höre und staune - für die Zukunft ein Erziehungsgeld gefordert wird und nach dem außerdem das Kindergeld für das zweite und folgende Kind drastisch erhöht werden soll? Das vor dem Hintergrund der hier diskutierten Lage.
Das bestätigt nur, daß bei der CDU die linke Hand nie weiß, was die rechte tut, und die Forderungen nie auf ihre finanzielle Solidität hin überprüft werden.
({0})
Wer das auf der einen Seite fordert und die Konsolidierung der Staatsfinanzen auf der anderen Seite ablehnt, kann weder finanz- noch wirtschafts- noch sozialpolitisch ernst genommen werden.
Herr Abgeordneter Dr. Ehrenberg, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Wex?
Wenn Sie mir noch etwas Redezeit zugestehen, ja.
Herr Kollege, würden Sie Ihren Kollegen, der natürlich nicht richtig informiert sein kann, darüber belehren, daß der Vorspann genau derselbe ist wie hier in der Haushaltsdebatte: daß zunächst einmal die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung wieder in Ordnung gebracht werden muß,
({0})
ehe man überhaupt an gesellschaftspolitische Vorhaben denken kann?
({1})
Frau Kollegin, herzlichen Dank für diesen Hinweis. Wenn Sie, die Sie diese Sache ja vertreten, das ernst nähmen, hätten Sie vorhin an dieses Pult gehen und für die Mehrwertsteuererhöhung eintreten müssen.
({0})
Denn wie sonst wollen Sie den Haushalt in Ordnung bringen? Mit den dubiosen Kürzungen unter Aufrechterhaltung der sozialen Garantie oder womit? So einfach kann man sich das nicht machen: mit einem Vorspann darauf hinweisen und gleichzeitig alles, was zur Konsolidierung nötig ist, ablehnen.
({1})
Herr Abgeordneter Ehrenberg, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Kollegin Wex? Wobei ich gleich hinzufügen möchte: Weitere Zwischenfragen werde ich im Interesse der Geschäftslage nicht mehr auf Ihre Redezeit anrechnen.
Dann ist das auch die letzte Zwischenfrage, die ich zulasse.
Herr Kollege, so hatte ich das auch gemeint.
Herr Ehrenberg, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Diskussion über die Frage der Mehrwertsteuererhöhung doch keine isolierte war, sondern daß unsere Grundsatzdiskussion immer darum gegangen ist, daß unsere Wirtschaft - was Sie ja inzwischen auch gelernt haben - endlich wieder Gewinne erwirtschaften kann, damit die Steuerkraft wieder größer wird und dadurch eine Sanierung der Staatsfinanzen - allein durch Einsparungen geht es ja nicht - möglich ist?
Verehrte Frau Kollegin, das erinnert mich an jenen Menschen - ich glaube, es war der Herr von Münchhausen -, der sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen konnte. So sieht Ihre Finanzpolitik aus, wenn Sie von der Erwartung sprechen und dann noch die Mehrwertsteuer, die eine überwälzbare Steuer ist, mit Gewinnen in Verbindung bringen. Entschuldigung, aber so unsolide kann man nicht mit Finanzen umgehen.
({0})
Gestatten Sie mir nach dieser Vielzahl von Zwischenfragen eine letzte Bemerkung zu Ihrem Programm. Nach dem, was Sie gesagt haben - und alle Ihre Zwischenfragen haben das nur bestätigt -, kann Ihre soziale Garantie mangels Bereitschaft zur Konsolidierung der Finanzen des Staates nicht ernst genommen werden.
Meine Damen und Herren von der Opposition - hören Sie gut zu, und lesen Sie Ihr Programm daraufhin bitte noch einmal durch -, auch die Art, wie Sie den Zustand dieses Staates, der nach seiner Verfassung ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat zu sein hat, darstellen, kann nicht ernst genommen werden. Es heißt in Ihrem Wahlprogramm:
Unser Volk soll wieder in einem Staat und für
eine Zukunft leben, die den Einsatz lohnen. ({1})
- Verehrter Herr Kollege, ich bin Ihnen für diesen Zuruf sehr dankbar. Dieses „wieder" muß man sich nämlich auf der Zunge zergehen lassen, um die Motive der Autoren, die diesen Satz geschrieben haben, richtig würdigen zu können.
({2})
Das „wieder" heißt nämlich nichts anderes, als daß
die CDU der Meinung ist: Zur Zeit - und zur Zeit
heißt bei Ihnen ja seit 1969, seit Sie nicht mehr regieren - lohnt es sich nicht, sich für diesen Staat einzusetzen. Das steht in diesem Satz.
({3})
- Darf ich Ihnen den Satz noch einmal vorlesen, wenn Sie das nicht glauben? Hier steht - ({4}) - In Ihrer Wahlplattform steht der Satz:
({5})
Unser Volk soll wieder in einem Staat und für
eine Zukunft leben, die den Einsatz lohnen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, zu Recht erwartet dieser Staat
({6})
- nein, vorhin war die letzte Zusatzfrage; der Präsident hat mir keine Anrechnung mehr gestattet - von den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, daß sie für diesen Staat eintreten. Wenn Sie in ein Wahlprogramm schreiben, daß es sich erst wieder lohnen müsse - d. h., zur Zeit lohne es sich nicht -, sich für diesen Staat einzusetzen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Wer sich zu Ihrem Programm bekennt, der erfüllt nicht die Aufnahmebedingungen für den öffentlichen Dienst bei dieser Aussage.
({7})
Das, glaube ich, muß man ernstnehmen, wenn Sie so etwas behaupten, es sei denn, Sie nehmen Ihre eigene Wahlplattform nicht ernst.
Meine Damen und Herren, auch nach Ihrer Reaktion hier kann man eigentlich nur sagen: Wenn es so weit kommen sollte - man weiß es ja noch nicht; es ist ja noch nicht endgültig verabschiedet; aber nach Pressemeldungen kann man es vermuten -, daß Sie Ihren Wahlkampf unter die Generalüberschrift „Aus Liebe zu Deutschland" stellen sollten, so kann man nur jedem Bürger in diesem Lande sagen: Aus Liebe zu Deutschland, aus Liebe zu diesem Land darf man der CDU dieses Land nicht überlassen, wenn sie bei dieser Haltung verbleibt.
({8})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete von Bismarck.
Ich weise darauf hin, daß ich - soweit die Redner jetzt Zwischenfragen zulassen - dies auf die Redezeit anrechne.
Herr Präsident! Meine Damen -und Herren! Herr Ehrenberg, Sie können den Bürgern in aller Ruhe überlassen, wen sie am 3. Oktober wählen. Sie werden sich wundern, wie klar die Bürger erkennen, was ihnen dient und was aus Liebe zu Deutschland gut ist.
({0})
Herr Ehrenberg, wir teilen Ihre Freude am Frühling. Die Frage ist nur - darüber müssen wir natürlich auch reden -, ob die Voraussetzungen, die bisher geschaffen wurden, derart sind, daß aus diesem Frühling rechtzeitig ein Sommer wird, der auch rechtzeitig eine Ernte einbringt.
({1})
Um diese Frage haben Sie sich vorgestern, gestern und auch heute gedrückt. Sie haben auch kein Wort über die Fehler, die gemacht wurden, gesagt. Das ist für die Zukunft immer eine sehr schlechte Prognose. Wenn jemand nichts tut, als sich zu loben und andere schuldig zu sprechen, ist die Hoffnung, daß er es in Zukunft besser macht, in der Regel klein.
Sie haben dann - Sie haben es sogar auf ein Wahlplakat gebracht, das Sie überall zeigen; ich aber warne davor - vom „deutschen Modell", „unserem Modell" gesprochen. Meine verehrten Damen und Herren, wenn wir Europa richtig einschätzen und die geschichtlichen Reste, die überall vorhanden sind, ernst nehmen, dann sollten wir mit solchen draußen arrogant wirkenden Worten sehr vorsichtig sein.
({2})
Nun zu dem Modell selbst. Herr Ehrenberg, Sie wissen, daß das Modell nicht von Ihnen erfunden, sondern gegen Ihre Partei durchgesetzt wurde. Sie haben 1969 - wenn ich ein Bild gebrauchen darf, damit es nicht zu langweilig ist - ein sehr gut gerittenes Pferd übernommen. Ihr Pech war, daß Ihr erster Bundeskanzler nicht reiten konnte. Er hat dann die Bereiter daran gehindert, zur rechten Zeit die richtigen Gangarten einzuschlagen. Darüber werde ich nachher ein Wort sagen. Jetzt haben wir einen Bundeskanzler, der reiten kann. Aber er reitet das Pferd auch nicht mit wirklicher Lust, sondern mit einer immer wieder zu spürenden Unlust, wie Sie an seinen Äußerungen über Inflation abgelesen haben.
({3})
Zur Investitionslücke, Herr Ehrenberg. Sie sollten doch eigentlich etwas Besseres tun, als nun die verschiedenen Berechnungsweisen zu kritisieren. Sie wissen, daß das möglich ist. Sie sollten einfach sagen, was die Wirkung dieser unterbliebenen Investitionen ist, nämlich die Arbeitslosigkeit. Sie wissen das ganz genau. Sie sollten sagen: „Das haben wir begriffen, und wir machen den Fehler nicht wieder." Aber ihn so darzustellen, als wäre es ein Rechenfehler der Opposition, ist doch eine Verharmlosung, die ein Mann Ihres Sachverstandes an dieser Stelle unterlassen sollte.
Und schließlich: Sie haben den Herrn Fraktionsvorsitzenden kritisiert. Ich lese Ihnen noch einmal
vor, was er gesagt hat, damit er nicht falsch zitiert wird. Ich darf zitieren, Herr Präsident:
Im ZDF hat vor einigen Tagen ein Baufacharbeiter seine Lohntüte vorgelegt und berichtet, daß ihm von 95 DM Lohnerhöhung, die er erhalten hatte, ganze 16 DM verblieben.
Dies ist eine Mitteilung eines Vorgangs, die überhaupt nicht kritisiert werden kann.
({4})
- Aber, verehrter Herr Ehrenberg, Sie werden doch wohl in der Lage sein, das zu interpretieren. Da brauchen Sie sich doch über die Mitteilung von Herrn Carstens nicht zu ärgern!
({5})
Nun zum Thema. Die Herren von der Regierung haben sich alle heute und gestern und vorgestern, wie ich meine, die Sache mit der Alternative „Freiheit oder Sozialismus" zu leicht gemacht. Zunächst einmal wissen Sie sehr genau, daß niemand die sozialen Demokraten damit meint, sondern die Kernfrage, die dahintersteht, ist doch: Was soll es eigentlich bedeuten, daß die sozialen Demokraten sich immer mehr mit dem Sozialismus schmücken, der ihnen so schlecht steht? Dies ist in der Tat die Schicksalsfrage Europas, und wir sollten darüber sehr subtil sprechen und nicht mit dem Vorwurf kommen, dies sei Heuchelei. Das ist notwendig, denn hier müssen sich die Geister scheiden. Zunächst äußerlich, meine verehrten Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion. In allen Handbüchern über Sozialismus und Kommunismus geht das munter durcheinander. Es ist doch nirgends wirklich unterschieden, und es ist für jedermann fast unmöglich, sich zurechtzufinden.
Lassen Sie mich Ihnen einmal aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 17. April zu diesem Thema einen Satz vorlesen, den ich mit Genehmigung des Präsidenten zitiere:
Nicht zufällig ist die früher übliche Selbstbeschreibung der SPD als „freiheitlicher Sozialismus" außer Gebrauch gekommen. Nicht unbemerkt blieb, wie der andere, einst synonym verstandene Ausdruck „demokratischer Sozialismus" ausgedehnt worden ist, Nebenbedeutungen erhalten hat,
({6}) - passen Sie bitte auf! die ihn brauchbar machten auch für Anhänger einer radikalen, direkten Demokratie nach dem Muster tyrannischer Volksversammlungen oder für Marxisten, die Gleichheit in einer klassenlosen Gesellschaft erzwingen wollen. Nicht jede linke radikale Position in der SPD ist illiberal, wie Erhard Eppler zeigt, aber ein marxistischer Sozialismus ist es sowohl in Begriffen wie in Taten. Ein wirklicher oder, wie die Münchner Linke sagt, ein konsequenter Sozialismus kommt
nicht ohne Zwang aus und verlangt nach den Mitteln des totalen Staates.
({7})
Sie sehen hieraus: dies ist keine Erfindung der Opposition, das ist ein Problem unserer Zeit. Ich meine, es ist keine Zumutung, wenn ich es einmal modellhaft sage: Hätten Sie nicht spätestens im Augenblick des Mauerbaues den völlig irreführenden Ausdruck „Sozialismus" von sich weisen sollen und damit Klarheit schaffen
({8})
und soziale Demokraten werden, was Sie in unseren Augen sind?
({9})
Sie verführen aber die Jugend dazu, durch den Mißbrauch dieses Wortes die Grenzen zwischen Kommunismus und Sozialismus ständig zu verwischen. Sie verführen sie dazu, mit den Kommunisten an der Basis immer neue Bündnisse einzugehen.
({10})
- Das ist kein Quatsch.
({11})
Sie dürfen sich nicht täuschen. Das ist eine todernste Sache.
({12})
Herr von Bismarck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schachtschabel?
Nein, ich möchte es nicht tun. Sie haben mir ja gesagt, daß meine Zeit dadurch verkürzt wird.
Sie nähren unten einen emotionellen Klassenkampf
({0})
mit der Gegenüberstellung: hier Arbeit, dort Kapital; hier Arbeiter, dort Unternehmer; hier Gute, dort Böse.
({1})
Sie fördern indirekt, aber nicht immer unbewußt die gefühlsmäßige und politische Diffamierung des Gewinns als Profit, als böse, weil angeblich nur im Interesse der Kapitalisten.
Meine verehrte, charmante Kollegin Antje Huber, hat das vorhin ja bezeugt. Sie sagt: Gewinn, den man erzielt, um ihn einigen wenigen, manchmal denjenigen, denen das Unternehmen gehört, irgendwie zugute kommen zu lassen, ist etwas ganz anderes, als wenn der Staat Steuern einnimmt. Sie sagt: Der will nämlich keine Gewinne erzielen; das ist der Unterschied: Wir wollen keine Gewinne erzielen. Hier kommt unbewußt zum Ausdruck, daß Gewinn bei Ihnen einen sehr niedrigen Rang hat.
Und dies ist natürlich die Folge einer vorausgehenden Unklarheit, die Sie mit dem Wort „Sozialismus" geschaffen haben und zu unserem und Ihrem Unglück weiter erhalten.
Ich weiß, daß Sie das nicht gerne hören, aber wir sind nun einmal im Wächteramt
({2})
und können es Ihnen nicht ersparen, daß Sie diese Sache endlich in Ordnung bringen. Und wir wissen ja sehr wohl, daß es unter Ihnen sehr viele gibt, die diese Frage genauso ernst nehmen wie wir.
Sehen Sie, ich lese im Orientierungsrahmen, Herr Ehrenberg, daß Sie sagen:
Eine Wirtschaftsordnung, die auf der einzelwirtschaftlichen Verfügung über die Produktionsmittel, auf der Marktkonkurrenz beruht, orientiert ihre Produktion nicht unmittelbar an den Bedürfnissen der Menschen nach bestimmten Gütern und Dienstleistungen, sondern prinzipiell an der gewinnbringenden Verwendung des eingesetzten Kapitals durch Befriedigung der vorhandenen kaufkräftigen Nachfrage.
({3})
Dies ist ein Irrtum. Hier wird so getan, als ob der Gewinn das Steuerrad wäre. Herr Ehrenberg, Sie wissen, daß das die Verwechslung von Steuerrad und Hydraulik ist. Der Gewinn zwingt - wie die Hydraulik den Damen das Lenken des Wagens erleichtert - den Unternehmer, auf die Marktsignale zu achten; sonst brauchte er das gar nicht. Ihre Darstellung ist die Darstellung marxistischer Spätüberlegungen und soll mit dazu dienen, den Gewinn in die Ecke zu bringen, daß man ihn eigentlich nicht haben darf. Die verschämten Äußerungen der letzten Zeit insbesondere aus dem sozialdemokratischen Lager, daß man den Gewinn nun doch wieder braucht, können hier einfach nicht überzeugen.
Wer dem Gewinn als dem Vater der Investitionen nicht traut, der ist genau auf dem Wege, den Sie geschildert haben, nämlich auf dem Wege, in Wirklichkeit die Arbeitslosigkeit zu programmieren. Die Arbeitslosigkeit ist doch die Folge der zu geringen Investitionen,
({4}) und genau das haben Sie hier vorgebracht.
({5})
Wer dem Markt als Einrichtung nicht traut, mißtraut im übrigen auch der Freiheit.
({6})
Sehen Sie, wenn man sich die Preissignale nicht als die eigentlichen Steuerleute vorstellen kann, muß man den Wunsch haben, durch Investitionskontrolle und schärfere Mittel in den Markt einzugreifen.
({7})
Und daß das nicht erfunden ist, daß das ständig von Ihren Freunden gesagt wird, können Sie aus einigen Zitaten ersehen. Herr Vetter, kein Geringer in unserem Staat, sagt:
Wir müssen radikal brechen mit den bislang unsere Wirtschaft und Gesellschaft beherrschenden Prinzipien des privaten Gewinns.
Und Herr Loderer fügt hinzu:
Die Marktwirtschaft ist mit ihrer Scheinrationalität nicht in der Lage, den öffentlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Sie räumt den partikularen Interessen Vorrang ein gegenüber dem allgemeinen Interesse. Wo aber die Gewinnmaximierung zum ökonomischen Leitbild und zum bestimmenden Faktor des Wirtschaftens erhoben wird, kommen die Gemeinschaftsaufgaben zu kurz, rangiert das Menschsein hinter den Profiterwartungen einer Minderheit. Wir wollen eine geplante Wirtschaft.
Herr Ehrenberg, um es noch deutlicher zu sagen: Herr Hensche, der eben im Druckerstreik eine Rolle gespielt hat, sagt in der Schrift „Mitbestimmung jetzt - keine halben Sachen" vom Frühjahr 1973:
Wir müssen feststellen, daß die Gesetze des Marktes, das Spiel von Angebot und Nachfrage in weiten Bereichen nicht mehr existieren.
({8})
Nur in den Gebetsmühlen der bezahlten Propheten der Marktwirtschaft, der Unternehmensverbände, der bürgerlichen Presse und mancher Professoren
- passen Sie auf, was jetzt kommt fristet sie noch ein Leben nach dem Tode. ({9})
Ich lese Ihnen das vor, damit Sie nicht meinen, die sozialistischen Töne seien etwa ausgestorben.
Ich meine, daß die Verwechslung dieser beiden Dinge, nämlich „soziale Demokraten" - ({10})
- Ja, der Sozialdemokrat kann auch gehen; der braucht das nicht zu wissen. Aber es gibt andere, denen Sie das sagen müßten, denn sie sind ja diejenigen, die diese Vermischung vornehmen.
({11})
Herr Hensche sagt in der „Zeit" der vorigen Woche:
Für mich sind drei Elemente wesentlich, erstens
eine Mitbestimmung nach dem Montan-Muster,
({12})
zweitens die Investitionslenkung mit verbindlichen Auflagen und Festlegungen und drittens eine volkswirtschaftliche Planung mit Sozialisierung der Schlüsselindustrien. 100 Konzerne genügen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie das nicht überzeugt, daß das sozialistische Konzept in Ihren Reihen eine Rolle spielt, dann weiß ich nicht, was Sie
mit der Wirklichkeit anfangen, die Sie ja ständig sehen.
({13})
Nun lassen Sie mich diese Zusammenhänge anwenden auf die Wirtschaftspolitik, die Sie gemacht haben. Ich erinnere Sie an das Frühjahr 1970. An der Wende vom Februar zum März waren diejenigen, die marktwirtschaftlich denken, sich bewußt, daß gebremst werden mußte. Sie waren sich dessen bewußt, daß das Stabilitätsgesetz anzuwenden war. Die Kernmannschaft der sozialistischen Gruppe in Ihrem Lager hat das damals verhindert.
({14})
Sie haben erst am 7. Juni angefangen. Sie haben die Bundesbank alleingelassen. Der Diskontsatz wurde von 6 auf 7,5 % erhöht.
({15})
Die Zinsen gingen nach oben, die Bremse wurde angezogen. Das war der erste Augenblick, in dem unsere Währung durch Einströmen von fremdem Geld in Gefahr gebracht wurde.
Sehen Sie, alle diese Entscheidungen, die Sie dann getroffen haben, haben den gleichen Mangel gehabt.
({16})
Als Sie sich endlich im Sommer 1973 entschlossen, zu bremsen, haben Sie wiederum aus Furcht vor der richtigen Lösung, nämlich eine allgemeine Dämpfung herbeizuführen, die Investitionsbremse betätigt und damit die Investitionen zurückgedrängt. Die Folgen dieser Handlungsweise sehen wir jetzt.
Herr Ehrenberg, was Sie vorhin verniedlicht haben, ist genau der Grund dafür, daß wir eine Arbeitslosigkeit haben, die wir „strukturell" nennen müssen und die wir wahrscheinlich so schnell, wie wir das alle wünschen, nicht beseitigen können. Ich möchte das deswegen in diesen Zusammenhang bringen, damit Sie sich darüber klar sind, daß die Kontroverse, die Sie im Augenblick unter sich austragen, und zwar an vielen Stellen und nicht nur in München, bei Ihnen konkrete Folgen gehabt hat und der eigentliche Grund dafür war, warum Sie trotz hohen Sachverstands in Ihren Reihen nicht handeln konnten, wie Sie hätten handeln sollen.
({17})
Ich will Ihnen zwei unverdächtige Zeugen dafür nennen. Als der Herr Möller zurücktrat, hat er sich genauso klar über die Situation geäußert wie der Herr Schiller.
({18})
Als Herr Schiller zurücktrat, sagte er: „Ich bin nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die nach außen den Eindruck erweckt, die Regierung lebe nach dem Motto ,Nach uns die Sintflut". Als Herr Möller zurücktrat, sagte er: „Worum es mir ging, ist die Hoffnung, daß mein Schritt dazu beitragen wird, eine
Haushaltsführung zu sichern, die auf den Pfeilern der Stabilität und Solidität ruht."
Meine Herren, die Zeit drängt mich, früher zum Ende zu kommen. Aber ich möchte doch festhalten: Das, was Sie in der Frage „Sozialismus oder Freiheit?" angeht und was Sie entscheiden müssen, ist, ob Sie Markt wollen oder Marx,
({19})
oben Markt und unten Marx, Markt hier und Marx an der Front des Wahlkampfs.
({20})
Alle diese bisherigen Erscheinungen, die wir haben, zeigen, daß Sie vor der Emotion, die unten erzeugt wird, Ihr Schiff im Winde fahrenlassen und nur hier das Gesicht der Marktwirtschaft zeigen.
({21})
Genau das ist der Punkt, um den es geht. Sie sollten es sich nicht zu leicht machen und nicht so tun, als wäre es eine Anklage an die sozialen Demokraten. Es ist eine Ermahnung an diejenigen, die Augen haben, zu sehen, daß in ihren Reihen die Gefahr besteht, den Sozialismus zu verharmlosen, Bündnisse einzugehen, wo Sie Europa gefährden, und die junge Mannschaft in dem Irrtum zu lassen, daß sie wählen könne zwischen Markt und Marx, ohne dabei Freiheit oder Unfreiheit zu wählen.
({22})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister Dr. Friderichs.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich hatte ursprünglich geglaubt, wir könnten hier eine vertiefte wirtschaftspolitische Debatte über den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums führen.
({0})
Der Berichterstatter hat die Probleme dieses Haushalts auch dankenswerterweise in die Debatte eingeführt; aber es scheint anders beabsichtigt zu sein. Ich kann feststellen: Wir haben soeben einen wirklich konservativen Redner gehört, was man daran sieht, daß er sich mit einem Thema beschäftigt hat, mit dem sich seine Vorfahren schon beschäftigt haben, nämlich mit den Sozialisten,
({1})
und nicht mit den Fragen der Wirtschaftspolitik.
({2})
Ich hatte ursprünglich die Absicht, den Versuch zu machen, unsere jetzige Lage noch einmal in einen größeren Zusammenhang zu rücken; aber lassen Sie mich das angesichts der fortgeschritteBundesminister Dr. Friderichs
nen Stunde bitte nur in Stichworten machen. Bei der jetzigen Lagebeurteilung, wohl auch einschließlich der Beurteilung des Ausblicks, hätte man einen Rückblick machen sollen; aber der Vormittag hat bereits im wesentlichen der Vergangenheitsbewältigung auch auf wirtschaftlichem Gebiet gedient. Ich nenne nur noch einmal die Stichworte, wie Weltwährungskrise, Welterdölkrise und Weltrezession, die einfach in diesem Zusammenhang zu sehen sind, einschließlich der daraus in der Bundesrepublik Deutschland gezogenen Konsequenzen.
Lassen Sie mich zu der Rede des Abgeordneten Dr. Strauß nur in einem Punkt sagen, daß ich nicht glaube, daß diese Auffassung zutrifft. Er sagte heute vormittag - ich zitiere wörtlich einen einzigen Satz -:
Bis zum Herbst 1973 gibt es überhaupt keine Ausrede: weder das Weltwährungssystem noch eine Ölkrise noch etwa eine weltweite Rezession.
Er meinte das für die ökonomische Entwicklung, insbesondere für die inflationären Erscheinungen in der westlichen Welt und bei uns. Ich bin in diesem Punkt schlicht und einfach anderer Meinung; denn nach meiner Auffassung war es genau bis zum Frühjahr 1973 nicht möglich, die erforderlichen stabilitätspolitischen Maßnahmen - ich betone „die erforderlichen", denn es waren welche möglich - hier einzuführen, und zwar ganz einfach deswegen, weil das System von Bretton Woods uns damals wegen einer Reihe von Ungleichgewichten eine Fülle von Problemen an der Währungsfront in das eigene Land hineingeschwappt hat, gegen die wir uns bei dem damaligen System fester Wechselkurse
({3})
nicht in der Form wehren konnten, wie es nötig gewesen wäre. Die Bundesbank und der Sachverständigenrat haben dann auch bestätigt, daß wir danach bei freien, schwankenden oder sich frei bildenden Kursen die erforderlichen stabilitätspolitischen Maßnahmen sehr wohl ergriffen hatten.
({4})
Nun kann man lange darüber diskutieren - auch das ist heute morgen angeklungen -: hat man rechtzeitig versucht gegenzusteuern, als die rezessiven Tendenzen sichtbar wurden? Man wird immer über den Zeitpunkt streiten können. Ich könnte mit einer Fülle von Zitaten aus den Oppositionsparteien auch beweisen, daß innerhalb der Oppositionsparteien permanent darüber gestritten wurde. Ich zitiere nur wenige. Herr Stoltenberg sagte am 2. Dezember 1973: Notwendig ist eine sofortige regionale Lockerung des Restriktionskurses. Er sagte am 3. Mai 1974 - derselbe Redner wohlgemerkt -, das verspätet eingeleitete Stabilitätsprogramm sei bereits im Dezember wieder außer Kraft gesetzt worden, ohne daß Wirkungen erkennbar geworden seien. Derselbe sagt also erst: zu früh gelockert, dann: zu spät gelockert. Ich könnte diese Äußerungen beliebig fortsetzen. Herr Biedenkopf sagte am 13. April 1974: Die Regierung hat im Dezember mit ihren Lockerungsbeschlüssen falsche Signale gesetzt. Heute morgen hat man uns vorgeworfen, wir hätten die Rezession im eigenen Lande durch eigenes Zutun verschärft, und hier wurden wir kritisiert, weil wir im Dezember die stabilitätspolitischen Entscheidungen des Frühjahrs korrigiert haben.
Ich gebe offen zu, daß wir in der Bundesregierung lange darüber diskutiert haben, ob wir es tun sollten oder nicht. Wir waren uns nämlich nicht ganz sicher, wie sich der Erdölschock auswirken würde; denn wir hatten kein statistisches Erfahrungsmaterial. Wir fürchteten aber, daß die Vervielfachung dieses wichtigen Preises dazu führen würde, daß weltweit ein Abschwung eintreten könne, und dann wollten wir allerdings unseren eigenen restriktiven Kurs sehr schnell auflockern, um wenigstens im Inland eine gewisse Gegenbewegung in Gang setzen zu können. Wir sind wegen der Maßnahmen, die ergriffen worden sind - ich denke an die ganzen Sonderprogramme etc. -, hier ja auch hinreichend kritisiert worden.
Lassen Sie mich vorab nur einen Punkt erwähnen. Der Herr Berichterstatter hat - nicht im Rahmen der Berichterstattung, aber danach - auch Kritik geübt oder jedenfalls kritisch angemerkt, daß das erste Sonderprogramm vom Frühjahr 1974 so, wie die Bundesregierung es ausgeführt habe, mit Art. 104 a GG nicht vereinbar sei und daß das Bundesverfassungsgericht auch entsprechend negativ, wenn Sie so wollen, über meine Tätigkeit entschieden habe. Lassen Sie mich dazu nur folgendes sagen. Das ist richtig: dieses Urteil ist ergangen. Wir hatten bis zu diesem Termin keinerlei Erfahrung in der Abwicklung von Konjunkturprogrammen, bei denen die Gemeinden unmittelbar Mitwirkende sein sollen. Dies hielt ich allerdings aus konjunkturpolitischen Gründen für erforderlich;
({5})
denn wir wußten, daß die Gemeinden diejenigen waren, die, jedenfalls mehr als der Bund und, wie sich nachträglich herausgestellt hat, auch mehr als die Länder durchführungsreife Projekte in den Schubladen hatten, die ausschließlich an der Finanzierung hingen, z. B. im Bereich Abwasser, Trinkwasserversorgung und auch Müllbeseitigung, um nur drei Umweltbereiche zu nennen. Wir sind daraufhin, nach Diskussionen im Konjunkturrat und in der Konferenz der Wirtschaftsminister der Länder, zu diesem Verfahren gekommen. Wir haben das Programm abgewickelt. Der Freistaat Bayern hat geklagt. Ich lege nur Wert auf die Feststellung, daß schon das zweite Konjunkturprogramm - ohne vorliegendes Urteil - im Einvernehmen so ausgestaltet worden ist, daß es mit Art. 104 a GG vereinbar war.
Ich persönlich bin gar nicht traurig, daß geklagt worden ist; denn dieses Urteil gibt uns jetzt eine sichere Basis bei eventuellen Programmen, bei denen Bund, Länder und Gemeinden - das ist ja das Problem - unmittelbar zusammenwirken. Denn wir werden auch in Zukunft, meine Damen und Herren, Konjunkturpolitik erfolgreich nur treiben kön17136
nen, die Konjunktur nur dann ankurbeln können, wenn wir auch die Kommunen in die Investitionsmaßnahmen einbeziehen.
({6})
Ich glaube, das war von der Sache her richtig. Daß wir dies verfassungsgemäß machen wollen, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Wichtig war, daß es schnell gewirkt hat.
({7})
- Da kommt der Zwischenruf: Über die Länder oder direkt? Seien wir doch ganz ehrlich: Je mehr Instanzen mit je mehr differenzierten Wünschen Sie darin haben, desto schwieriger ist die Anforderung an die Geschwindigkeit zu erfüllen. Wir werden diesen Preis unserem föderativen Staat zahlen; denn ich meine nach wie vor, daß der Föderalismus diesen Preis wert ist. Wenn ich die Situation in den Nachbarländern sehe, komme ich erst recht zu dieser Auffassung. Man muß aber sehen, daß es dann eben nicht immer einfach ist, elf Ländermeinungen und eine Bundesmeinung in Übereinstimmung zu bringen, insbesondere dann - wie beim letzten Programm -, wenn es Übereinstimmung zwischen den Gemeinden und dem Bund in der Sache gibt, die Länder aber eine andere Auffassung haben. Wir mußten es dann entsprechend machen.
Wir sind dann kritisiert worden wegen einer, wie ich meine, sehr entscheidenden Maßnahme: wegen der Investitionszulage. Sie erinnern sich an die Diskussionen in diesem Hohen Hause. Sie wissen, was uns alles vorgeworfen worden ist. Hier genügen wenige Bemerkungen. Der Abgeordnete Katzer sagte am 26. Juni 1975, die 7 Milliarden DM hätte man sich schenken können - so sagte er wörtlich -, und der Bundesvorstand der CDU sagte: Derartige Maßnahmen sind nur vertretbar, wenn sie auf strukturpolitisch bedingte Aufgaben begrenzt werden. Ich betone: begrenzt werden.
({8})
- Diese Frage wäre auch noch zu untersuchen. - Hätten wir die Konjunkturprogramme auf Strukturprogramme allein begrenzt, dann - das versichere ich Ihnen - stünden wir heute nicht da, wo wir stehen.
({9})
Daß wir eine strukturelle Komponente hineinnahmen, ist doch eine Selbstverständlichkeit. Daß wir im wesentlichen Bauinvestitionen gefördert haben, weil hier der Einbruch am tiefsten war, ist doch klar. Daß wir die Mittel regional nach der Arbeitslosenquote verteilt haben, ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit. Deswegen aber, meine Damen und Herren, sind wir am Ende kritisiert worden. Wir wurden in Baden-Württemberg von Herrn Filbinger landauf, landab kritisiert, weil wir als Bemessungsgrundlage die Zahl der Arbeitslosen genommen hatten und der Meinung waren, daß bei beschäftigungspolitischen Programmen dieser Zahl eine bestimmende oder mitbestimmende Rolle im Interesse der Menschen zukomme.
({10})
Aber gut, lassen wir den Streit, ob das richtig oder falsch war! Alle Maßnahmen - ich sage: alle - sind im Plenum und auch in der Öffentlichkeit kritisiert worden, allen Maßnahmen aber hat die Opposition am Ende zugestimmt. Man darf dann wohl auch fragen, wie wir heute dastehen.
Meine Damen und Herren, die neueste Schätzung, die zu Beginn dieser Woche im interministeriellen Arbeitskreis fertiggestellt worden ist, ergibt, daß wir die Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts zu korrigieren haben. Wir können nach den Schätzungen des interministeriellen Arbeitskreises in diesem Jahr mit einem realen Wachstum des Bruttosozialprodukts von gut 6 % in der Bundesrepublik Deutschland rechnen.
({11})
Nach dieser neuesten Schätzung, meine Damen und Herren, würden die Bruttoanlageinvestitionen der deutschen Wirtschaft um real 8 bis 9 °/o steigen.
({12})
Damit ist, meine Damen und Herren, genau das Ziel erreicht, das wir von der sozialliberalen Koalition vom ersten Konjunkturprogramm an als mittelfristiges Ziel angepeilt haben. Ich sage ganz klar: Das reicht mittelfristig noch nicht, weil wir das Niveau früherer Investitionsperioden noch nicht erreicht haben. Aber nun seien Sie doch bitte auch einmal - so darf ich es einmal sagen - so freundlich und geben zu: 8 bis 9 % Zunahme
({13})
der Bruttoanlageinvestitionen ist jedenfalls nicht der Beweis für ein totales Mißtrauen in die Stabilität der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich der Regierung.
({14})
Meine Damen und Herren, wenn ich mir die anderen Länder anschaue in ihrer Wachstumsrate, wenn ich sie mir anschaue in ihrer Preisrate, frage ich mich ohnehin: Wo leben wir denn eigentlich? Wenn man draußen ist und nach Hause kommt, stellt man das sehr schnell fest. Der Kollege Four-cade, in Nairobi getroffen, unterhielt sich mit mir darüber, nicht er allein. Es gibt doch praktisch kein wichtiges Industrieland der westlichen Welt, das nicht zugibt, daß die Vereinigten Staaten von Amerika und die Bundesrepublik Deutschland die Führungsrolle im konjunkturpolitischen Zug übernommen haben
({15})
- das ist doch einfach ein Faktum, meine Damen und Herren -, und dies, obwohl es kein Land gibt, das in einem so extremen Ausmaß vom Export abhängig ist wie wir. Fast ein Viertel unseres Sozialprodukts geht in die Welt. Wenn die Weltnachfrage nicht funktioniert, fehlt eben ein großes Nachfragevolumen - anders als in Amerika, wo ganze 6 bis 7 % ins Ausland gehen. Wir haben auch dies, meine Damen und Herren, überstanden. Ich finde, wir sollten gegenüber der internationalen Öffentlichkeit und insbeDeutscher Bundestag 7. Wahlperiode Bundesminister Dr. Friderichs
sondere gegenüber der Europäischen Gemeinschaft unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Wir sind das einzige Land gewesen, das mitten in der Rezession seine Importquote erhöht und damit einen Beitrag zur Beschäftigung und Stabilisierung in Europa geleistet hat.
({16})
Was soll hier die ganze Diskutiererei über Sozialismus! Das sind doch die Fakten!
({17})
Ich wünschte, es wäre in allen Ländern so wie in unserem, auch in dem Land, in dem Christdemokraten die Regierung stellen. Ich habe auch das Gefühl, daß die Auswanderungslust der deutschen Unternehmer nicht gerade zugenommen hat, im Gegenteil: Ich spüre, daß ausländische Investoren diese Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer inneren Stabilität - ich meine jetzt nicht nur die ökonomische - nach wie vor als eines der interessantesten Investitionsländer der Welt empfinden.
({18})
Wir sind offen für diese Entwicklung, und wir lassen sie bei uns investieren.
({19})
- Herr Abgeordneter aus meinem Wohnsitz Mainz, es steht Ihnen frei, zu bemerken: „trotz dieser Bundesregierung, nicht wegen". Ich verstehe, daß Ihnen diese Bundesregierung nicht gefällt, weil Sie sie selbst stellen wollen. Das ist natürlicher Wettbewerb. Versuchen Sie es doch am 3. Oktober. Sie haben es 1969 versucht, Sie haben es 1972 versucht
- warum denn nicht ein drittes Mal? Die Wähler werden das doch alles entscheiden.
Nur habe ich nicht den Mut, heute schon zu sagen, wie sie entscheiden werden. Ich wundere mich, daß manche das so genau wissen. Im Sommer 1972 haben es auch mache gewußt, wurden allerdings im November 1972 eines besseren belehrt. Jedenfalls macht mich eines stutzig, Herr Gerster, nämlich daß, nachdem Sie zwei Jahre lang die Wirtschaftspolitik in den Mittelpunkt Ihrer Attacken gegen die Regierung gerückt haben,
({20})
plötzlich Herr Biedenkopf sagt, das sei in der Wahlkampfzeit gar kein wichtiges Thema mehr.
({21})
- Das hat er gesagt, vor 14 Tagen etwa. - Natürlich ist es für Sie kein wichtiges Thema mehr. Warum? Weil Sie einfach anerkennen müssen, daß mittlerweile 6 % reales Wachstum, Zunahme der Investitionen, Rückgang der Arbeitslosigkeit und - was ich prophezeit habe - ein überproportionaler
Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen sind.
({22})
Wir sollten froh darüber sein. Und ich frage mich, ob Ihre permanente Kritik an den Zuständen in der Bundesrepublik den Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen, nutzt oder schadet. Das müssen Sie sich auch einmal selber überlegen.
({23})
Ich gebe zu, daß damit bei weitem nicht alle Probleme gelöst sind,
({24})
daß wir mittelfristig eine ganze Reihe von Strukturfragen vor uns haben; denn, meine Damen und Herren, das, was wir jetzt erlebt haben, ist eben nicht nur Konjunktur.
({25})
- Aber natürlich, wenn Sie ein Land haben, daß zu den Höchstlohnländern der Welt zählt und daß damit zu den Ländern mit dem höchsten Wohlstand der Welt zählt, dann ist es doch wohl eine Selbstverständlichkeit, daß Sie dann Strukturprobleme in lohnintensiven Bereichen mit der Fertigung einfacher Güter haben. Oder glauben Sie, das hänge davon ab, wer hier gerade an dieser Stelle steht, ob es ein Christlicher Demokrat, ein Sozialdemokrat oder ein Liberaler ist? Darauf kommt es doch gar nicht an. Das sind doch natürliche Entwicklungen im Weltprozeß und im Weltmarkt. Wir sind offen für diese Dinge.
({26})
Wenn ich in Nairobi gesagt habe, unser Angebot an die Entwicklungsländer müßte eine Integration dieser Länder in die Weltwirtschaft -- nicht eine neue Weltwirtschaftsordnung - sein und dies heißt eine Öffnung unserer Märkte für deren Produkte, dann bedeutet das permanenten Strukturwandel. Das weiß doch auch jeder Unternehmer. Sie richten sich auch darauf ein. Das sollte hier einmal deutlich gesagt werden.
({27})
-- Natürlich tun wir es, Herr Todenhöfer. Wir sehen uns ja, wie ich hoffe, in Kürze in Kenia wieder. Da können wir uns dann sehr gerne und sehr lange darüber unterhalten. Wir sind in Brüssel diejenigen - das nehme ich für mich in Anspruch -, die bei der Liberalisierungsdebatte über die Importe die führende Rolle gespielt und nicht gebremst haben. Das läßt sich doch wohl unter Beweis stellen.
({28})
Aber, verehrter Herr Todenhöfer, eins kann ich Ihnen sagen: Wenn ich die Anfragen aus Ihrer Fraktion zum Thema Importe sehe, dann sind sie alle miteinander in der Tendenz restriktiv. Das werden Sie mir auch zugeben müssen.
({29})
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck.
Herr Bundesminister, wir sind ja völlig mit Ihnen einig
({0})
- warten Sie es ab -, daß die Bundesrepublik Deutschland gar nicht flexibel genug sein kann. Aber spielt nicht dann doch die ganz erheblich gedrückte Investitionsbereitschaft seit dem zweiten Quartal 1970 bis in das letzte Jahr hinein eine entscheidende Rolle bei den Hemmungen, die wir uns selbst auferlegt haben?
Herr Abgeordneter von Bismarck, es ist unbestritten - das habe ich nie anders dargestellt -, daß da eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle spielt. Sie liegen zum Teil im verteilungspolitischen Bereich. Nicht zuletzt - ich möchte das hier nicht als alte Platte auflegen -, haben die festen Wechselkurse der 60er Jahre von dem Moment an, in dem sie den wahren Austauschrelationen nicht mehr entsprachen, falsche Wettbewerbssignale gesetzt. Für mich steht fest, daß wir bei freien Kursen in den 60er Jahren mit Sicherheit keine zwei oder zweieinhalb Millionen Gastarbeiter in dieses Land bekommen hätten. Wir hätten zum richtigen Zeitpunkt Produktionen dorthin verlagert, wo der Faktor Arbeit interessanter war als bei uns. Wir hätten uns das VW-Problem in Amerika viel leichter gemacht. Wir hätten die verteilungspolitischen Diskussionen im Inland anders gehabt, weil nämlich alle ihre tatsächliche Wettbewerbsfähigkeit vorher gesehen hätten, und zwar Unternehmen wie Tarifvertragsparteien. Das ist doch wohl unbestritten. Wenn Sie dann durch zu langes Festhalten an falschen Wechselkursrelationen falsche Signale setzen und damit der Gesamtheit der Bevölkerung eine nicht mehr vorhandene Wettbewerbsfähigkeit vortäuschen, dann darf man sich nicht wundern, wenn daraus im Innern falsche Konsequenzen gezogen werden. Dies ist geschehen. Ich will die Diskussion nicht noch einmal in Erinnerung rufen. Ich weiß, wie hart wir sie in der eigenen Partei und Fraktion geführt haben. Ich gebe das sehr gerne zu. Dann wurde sie öffentlich zwischen den damaligen Koalitionsparteien, zwischen den Sozialdemokraten und den Christlichen Demokraten, geführt. Lassen Sie mich gleich hinzufügen: Auch die deutsche Industrie, z. B. ihr Spitzenverband, hat in dieser Position nach meiner Meinung eine langfristig falsche egoistische Politik betrieben. Er wäre besser gefahren, wenn er sich volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten rechtzeitig eröffnet hätte. Wir hätten manche unserer Strukturprobleme erst gar nicht bekommen. Wir hätten uns die ganze Diskussion um die Gastarbeiter - Stopp oder Begrenzung der Hereinnahme oder gar das Rotationsproblem - erspart. Nach meiner Meinung hätten wir einen klassischen Beitrag zur Entwicklung der unterentwickelten Länder durch Investitionen geleistet. Das wäre auch menschlich ein sauberer Beitrag gewesen.
({0})
Dies hängt ja alles zusammen. Wir sollten hier gar
nichts beschönigen. Selbst in einem Wahljahr dies wäre gut - sind wir doch hoffentlich noch in der Lage, diese Fragen offen anzusprechen.
Lassen Sie mich noch ein Letztes sagen. Ich persönlich bin der Meinung - ich sage das als früherer Staatssekretär eines schwach strukturierten Landes , wir hätten uns auch einen Teil unserer regionalen Strukturprobleme vom Hals gehalten. Es ist doch an sich unsinnig, daß wir mit öffentlichen Mitteln permanent versuchen, in den schwach strukturierten Gebieten - in meinem Lande: Eifel, Hunsrück, Westerwald - eine aktive Sanierung durch Industrieansiedlung zu betreiben, aber es im gleichen Augenblick den Unternehmen in den Ballungsgebieten ermöglicht haben, zu relativ niedrigen Preisen den Faktor „Arbeit" von außen hereinzuholen.
({1})
Ein großer Teil der Zweigwerke wäre nach meiner Überzeugung schon in den 60er Jahren in andere Regionen gewandert, wenn wir den Förderanreiz -ob nun in der Form der Gemeinschaftsaufgabe oder nicht - mit einer anderen Beschäftigungspolitik kombiniert hätten und wenn es nicht zu all den Problemen, in München, Stuttgart, Frankfurt, Hamburg und dem Ruhrgebiet gekommen wäre, vor denen wir heute stehen.
({2})
Ich sage dies aus folgendem Grunde. Wenn die Erholung jetzt in einen Aufschwung einmündet, sehe ich schon die ersten Branchen kommen, die sagen: Gebt wieder die Grenze für die Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte frei. Wir sollten uns sehr überlegen, ob wir diesen gesellschaftspolitischen Irrtum, der ökonomisch nicht einmal das gebracht hat, was man sich davon versprochen hat, noch einmal wiederholen.
({3})
Ich sage Ihnen allerdings ganz offen, daß ich mich
- im Gegensatz zu dem, was im Wahlkampf von
Baden-Württemberg geschehen ist nicht hinstelle
und dafür plädiere weil es von einer Minderheit oder vielleicht von einer Mehrheit beklatscht wird -, den Menschen, die damals zur Erhöhung unseres Sozialprodukts beigetragen haben, jetzt zwangsweise den Stuhl vor die Tür setzen. Dies darf es allerdings auch nicht geben.
({4})
Wenn wir sie - gar mit Prämien - angelockt haben, dann haben wir ihnen gegenüber auch eine Verpflichtung. Es kann dann nicht heißen: Unsere Beschäftigungsprobleme lösen wir jetzt auf eurem Rücken, wohl wissend, daß für diese Menschen, wenn sie nach Hause kommen, ein Arbeitsplatz mit Sicherheit nicht zur Verfügung steht.
({5})
Mich hat - ich möchte es so hart sagen - der
Wahlkampf in Baden-Württemberg in diesem Punkt angewidert,
({6})
weil er eigentlich eine unglaubliche Verhöhnung dieser Menschen war.
({7})
- Der offizielle Vorschlag lautete, man solle jedem ausländischen Beschäftigten, der bereit sei, das Land zu verlassen, wenn ich mich recht entsinne, 8 000 DM in die Hand drücken. Wenn tatsächlich 1 Million gegangen wären - man kann das ja ausrechnen - ({8})
- Verehrter Herr Gerster, was heißt „freiwillig", wenn dem einzelnen gesagt wird: Erstens: Du bist von der Arbeitslosigkeit bedroht; zweitens: Wenn du jetzt freiwillig gehst, bekommst du 8 000 DM. - Das war doch die Methode.
({9})
Es ist eigentlich unglaublich, daß zugleich nicht offen gesagt wurde, daß beim Weggang von 1 Million Arbeitskräften 8 Milliarden DM hätten gezahlt werden müssen.
({10})
- Nein. Was mich gestört hat, war die wirklich unangenehme unterschwellige Tendenz, mit der dies in öffentlichen Kundgebungen betrieben worden ist. Diese Bewertung müssen Sie mir erlauben.
({11})
Wenn ich vorhin gesagt habe, daß wir nicht alle Probleme gelöst haben, so galt dies für den Aufschwung; es gilt auch für die nach meiner Meinung ganz entscheidende Frage, ob es uns gelingt, die Zunahme des Bruttosozialprodukts um meinethalben 6 % in diesem Jahr nicht von einer sich wieder erhöhenden Preissteigerungsrate begleiten zu lassen. Es ist wohl unbestritten, daß es auf Dauer hohen Beschäftigungsstand und kontinuierliches Wachstum nur bei Stabilität geben wird. Ich begrüße es ausdrücklich, daß die Deutsche Bundesbank das Ruder bis zur Stunde nicht herumgeworfen hat, daß sie aber gesagt hat: Das Mehr an Geld, das wir nicht wollen - was also über 8 % hinausgeht - und das in den letzten Wochen aus dem Ausland hereingeschwappt ist, saugen wir in zwei Mindestreserveerhöhungen ab. Ich halte das für richtig.
Meine Damen und Herren, das beweist aber auch - oder Sie müßten die Bundesbank kritisieren -, daß der Aufschwung begonnen hat. Denn wenn Sie die Bundesbank wegen ihres Verhaltens nicht kritisieren, dann gestehen Sie doch zu, daß es aufwärts geht. Sonst müßten Sie sie kritisieren.
({12})
Sie haben sie nicht kritisiert; also bestreiten Sie hier nicht, daß dieses Wachstum da ist.
Ich sage ganz offen: Es wird sehr schwierig werden - hier liegt meine wirkliche Sorge -, auch in einem Wahljahr zum richtigen Zeitpunkt die Überwälzungsspielräume so einzuengen, daß sich der Aufschwung selbst verstetigt, uns aber vermeidbare Überwälzungen von Preisen erspart bleiben. Das ist die Aufgabe der Zukunft. Wenn wir die Debatte über den Haushalt des Wirtschaftsministeriums führen, dann sollten wir doch vielleicht einmal über die Frage sprechen, welchen Beitrag wir leisten.
Die deutschen Tarifvertragsparteien - sprich: Gewerkschaften und Arbeitgeber - haben sich mit ihren bisherigen Abschlüssen konsequent an die Linien des Jahreswirtschaftsberichts gehalten. Der heutige Abschluß liegt etwas oberhalb der im Jahreswirtschaftsbericht festgelegten Linie. Ich bedaure, daß es in diesem Bereich eine von beiden Seiten nicht verhinderte, aber nach meiner Meinung vermeidbare Eskalation gegeben hat; ich nehme hier keinen aus.
Hoffentlich bleibt es hinsichtlich der übrigen Verteilungsbereiche, deren Abschlüsse wir hinter uns haben, bei dem Verabredeten. Das setzt voraus - das muß die deutsche Wirtschaft wissen , daß sie ihrerseits von den Preisspielräumen, die sie nun im Aufschwung hat, nicht das letzte nutzt. Neulich hat mir einer gesagt: Das ist aber doch nicht marktwirtschaftlich; ich muß doch in der Marktwirtschaft jeden Spielraum nutzen dürfen, der sich mir bietet. Darauf kann ich nur antworten: Dürfen - ja; aber dann nutzt auch die andere Seite jeden sich bietenden Spielraum aus.
({13})
Da sie es nicht getan hat, sollte es einen Solidarkonsens geben, damit es zu einer sauberen, ohne vermeidbare Inflationsschübe begleiteten Entwicklung kommt, die nach oben geht.
Meine Damen und Herren, dann bleiben noch genug Probleme. Warum? Weil wir natürlich bei unserer extremen Abhängigkeit von draußen noch Probleme von draußen bekommen werden. Die Preissteigerungsraten in den Nachbarländern - das ist das eigentliche Problem - beginnen sich nämlich dort schon wieder zu beschleunigen, obwohl der Aufschwung da noch nicht so stark ist wie bei uns. Das ist die Lage. Frankreich hat im letzten Monat schon wieder eine Monatsrate von 1 % gehabt. Ich will von Italien und Großbritannien gar nicht erst sprechen, wobei Großbritannien die Entwicklung wahrscheinlich wegen bestimmter Maßnahmen nach unten drücken kann.
Nun kann man die heutige deutsche Entwicklung bedauern und beweinen. Lassen Sie mich aber auch bezüglich der Struktur hier einmal hinter die Kulissen leuchten, so wie wir heute mittag über die Staatsquote gesprochen haben. Wir haben noch etwas über 5 % Preissteigerung. Ich hoffe - ich bin persönlich sogar ziemlich sicher -, daß wir spätestens Mitte des Jahres vorn eine 4 stehen haben. Ich betone: dies in einem Zeitraum, in dem die Zahl bei den meisten Nachbarn - nicht in der Schweiz - schon wieder zweistellig ist.
Nun lassen Sie mich einmal ein Wort dazu sagen, was hinter den jetzt 5 oder dann 4,8 % oder wieviel steht. Dahinter steht doch, daß schon jetzt - das ist für die Tarifpolitik wichtig - das Preisniveau der gewerblich hergestellten Konsumgüter nur noch um 4,3 % gestiegen ist. Da zeigt sich doch, was sich an Produktivität und an Vernunft niederschlägt. Auf der anderen Seite gibt es im April 1976 im Vergleich mit April 1975 einen Anstieg bei den Preisen für saisonabhängige Nahrungsmittel von 16,4 %. Ich rüge das jetzt gar nicht, weil dann sofort wieder die Grüne Front aufsteigt. Aber man muß doch wissen, daß sich unser Preisindex aus einer Reihe von marktwirtschaftlich gebildeten Preisen, die unter dem Durchschnitt liegen, und von administrierten Preisen - kommunale Gebühren usw. - und auch aus Preisen zusammensetzt, die in Brüssel für die gesamte Gemeinschaft verabredet werden. Der deutsche Landwirtschaftsminister steht doch ewig in einer irrsinnigen Situation; er soll ein einheitliches Preissystem verabreden, während auf der anderen Seite die Inflationsraten um 20 % kreisen, wir aber in der Lage sind, auf eine Rate zurückzukommen, die vorn eine 4 hat. Das sind Probleme, mit denen wir fertig werden müssen - so wie wir, wenn ich an die Zukunft denke, mit Sicherheit damit rechnen müssen, daß die Inanspruchnahme unseres Sozialprodukts von außen nicht sinkt, sondern wächst.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Integration Europas im Wahlkampf auf den Lippen tragen - und wir alle tun das, weil wir politisch wissen, daß wir sie haben müssen -,
({14})
dann müssen wir auch bereit sein, zu sagen: wer in Rom einen Vertrag unterschreibt, in dem drinsteht „Herstellung gleicher Lebensbedingungen in allen Ländern", der muß wissen, daß das reichste Land einen Beitrag leisten muß, damit die Lebensbedingungen in den anderen sich verbessern.
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Das ist ein Faktum. Es soll doch niemand glauben, daß das, was wir nach draußen geben, drinnen noch einmal verteilt werden kann. Da liegt ein dickes Problem.
Lassen Sie mich gerade aus der Diskussion in Nairobi mit einer Reihe von Kollegen etwas hinzufügen. In Wahrheit stehen wir doch vor folgender Situation. In den 60er Jahren hat die deutsche Wirtschaft einen ungeahnten Vorteil von der Integration Europas gehabt: Zölle weg, Mengenbeschränkungen weg. Ein gut Teil unseres Wachstums der 60er Jahre fand den Impuls aus einem einmaligen und für uns neuen großen Markt. Genau als wir den Vorteil hatten, haben wir die Zahlungen nicht geleistet. Da haben wir sie nämlich im Innern verbraucht, alle miteinander. Wir dürfen uns nicht wundern, daß uns jetzt in einem Zeitpunkt, in dem wir aus der Integration diesen Sprungvorteil nicht mehr haben, trotzdem die Rechnung präsentiert wird. Damit müssen wir leben. Ich will hinzufügen, daß ich davon überzeugt bin: Wie auch immer Nairobi ausgeht - ich sage: wie auch immer , es steht für mich fest, daß ein größerer Anteil des Zuwachses am Sozialprodukt auch für die Dritte und Vierte Welt zur Verfügung gestellt werden muß, ob wir wollen oder nicht. Die Frage kann doch nur sein: Nimmt man diesen Mechanismus oder jenen? Setzen wir es durch, daß der Weltmarkt frei bleibt von Reglementierungen, oder nicht? Nach der Eröffnungsrunde kann ich nur sagen: wir sind noch nicht ganz allein, aber fast! Denn hören Sie sich doch mal an, was unsere verehrten Nachbarn dort in öffentlichen Veranstaltungen sagen, zum Teil weil sie eine andere ordnungspolitische Vorstellung haben; bei anderen habe ich das Gefühl - ({16})
- Ich sage es denen, Herr Abgeordneter, die permanent sagen: Wir brauchen die Integration, wir brauchen ein einheitliches Wirtschafts- und Währungssystem; und glauben, dann könnten sie unsere Grundprinzipien alle in voller Reinheit erhalten: autonome Notenbank und all das, was wir haben. Das sind die Probleme, die vor uns stehen. Ich habe es nur deswegen einmal erwähnt, weil ich der Meinung bin, daß wir das alles nur durchstehen werden, wenn wir mit einer kräftigen, wachsenden und gesunden Wirtschaft hineingehen und mit gesunden, kräftigen Staatsfinanzen. Darüber ist ja vorhin gesprochen worden.
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Lassen Sie mich noch eine Zusatzbemerkung machen. Heute nachmittag wurde über die Staatsquote gesprochen. Ich habe versucht, nachzuweisen, warum sie gestiegen ist. Ich hoffe, es ist mir sogar gelungen, zu beweisen, daß Sie alle - ich kann nur sagen: wir alle - an diesem Anstieg munter beteiligt waren.
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- Weil es um die Frage des Glaubens geht und vielleicht die Opposition aus verständlichen Gründen sagt: Wenn das von der Regierung kommt, sind wir etwas vorsichtiger mit dem Begriff „Glauben", als wenn es von uns selber kommt. Erlauben Sie mir, daß ich nur noch einen kleinen Satz zitiere. Ein früherer Abgeordneter dieses Bundestages, der der CDU-Fraktion angehört hat, hat vor wenigen Wochen geschrieben:
Es ist das Glück der CDU, daß sich die Bürger dieser Verdienste erinnern.
Er meinte die Verdienste der CDU als Regierungspartei. Und er fährt fort - ein früherer Abgeordneter! -:
Denn als Opposition hat sie nichts geleistet,
außer höhere Staatsausgaben zu bewirken.
Ein Abgeordneter der CDU, wohlgemerkt, nicht etwa von uns! Er fährt fort:
Wir brechen unter der Rentenlast zusammen. Die CDU hat 1972 die jährliche Erhöhung der Renten um 1/2 Jahr vorgezogen.
Das koste soundso viel, Krankenversicherung soundso viel. Er führt alle Beschlüsse auf - alle! -, die
zur Steigerung der Staatsquote beigetragen haben. Er weist dort nach - ein früherer Abgeordneter Ihrer Fraktion! -, daß das alles entweder mitgemacht worden sei oder zum größten Teil, so meint er, sogar auf Ihr Betreiben zurückzuführen sei.
({19})
Letzte Bemerkung. Wenn Sie in Ihrem Wahlprogramm das kann man ja hineinschreiben - ein Erziehungsgeld verlangen,
({20})
dann werden Sie mir zugestehen, Herr von Bismarck, daß auch die Einführung eines Erziehungsgeldes die Staatsquote wahrscheinlich nicht herabsetzt, sondern auch noch einmal erhöht. Es ist nun einmal das Schicksal von Staatsausgaben, daß sie staatsquotenerhöhend wirken.
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Es hat doch keinen Zweck, wenn wir so einfach und so billig über die Dinge sprechen. Ich glaube, wir täten uns allen einen größeren Gefallen - lassen Sie mich das noch einmal zur Vergangenheit sagen -, wenn wir uns endlich bereit finden könnten, wenigstens auf dem ökonomischen Gebiet, wo die Zahlen nun einmal handhabbar sind, auch einmal etwas anzuerkennen.
Ich entsinne mich noch - ich habe die Zitate hier -, wie mir im Zusammenhang mit einem Jahreswirtschaftsbericht vorgeworfen worden ist: Es kommen zweistellige Preissteigerungsraten. Als wir 8 bis 9 % hineingeschrieben hatten, hat der Redner des heutigen Vormittags gesagt: Viel zu optimistisch; ihr werdet schon eine zweistellige Preissteigerungsrate hinkriegen. In jenem Jahr wurden es 7 %, und wir gehen jetzt auf eine Zahl zu, die vor dem Komma eine vier hat.
Das permanente Schlechtmachen ökonomischer Umstände - glauben Sie mir das - bleibt auch nicht ohne Wirkung; denn in unserem System plant nicht einer in Bonn, sondern in unserem System entscheiden 60 Millionen Menschen jeden Tag über die Frage, ob sie kaufen oder nicht kaufen, über die Frage, ob daraus Arbeitsplätze entstehen oder keine Arbeitsplätze entstehen, über die Frage unserer Geltung in der Welt.
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Wir sollten uns wirklich überlegen, ob wir nicht allen Anlaß hätten, wenigstens zu sagen: Wir sind wieder wer, wir stehen gut in der Welt da, wir können uns sehen lassen, macht ihr anderen es doch lieber einmal ein bißchen so wie wir. Dann würden wir uns wenigstens teilweise die Probleme ersparen, die von draußen auf uns zukommen.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst, bevor ich mich dem Herrn Bundeswirtschafts minister zuwende, mit dem wirtschaftspolitischen Kreuzritter der SPD-Fraktion, meinem verehrten Freund Dr. Ehrenberg, befassen, der die wirklichen Zusammenhänge natürlich viel, viel besser kennt, wie er das heute bewiesen hat. Er hat mir ja eine seiner Kreationen gewidmet. Ich habe das nachgelesen. Was würden Sie sagen, Herr Dr. Ehrenberg, wenn wir in der Regierung wären und mit diesen Tatsachen - eine Million Arbeitslose, eine leider noch große Zahl von Kurzarbeitern, die Konkurszahl - aufwarten würden? Da möchte ich Sie hören. Sie mußten eine Pflichtübung machen und eine Offizialverteidigung übernehmen.
Ich bestreite gar nicht, daß etwas in Bewegung ist. Ich sage Ihnen ganz offen: Im Interesse des Ganzen wäre es mir lieber, wenn diese Erholung Wirklichkeit wird. Der Herr Bundeswirtschaftsminister sagte Erholung; für Herrn Dr. Ehrenberg ist es schon ein Aufschwung, der bereits festgeschrieben ist. Nein, lassen Sie sich erst einmal Zeit. Hier folge ich lieber Ihrem Experten auf diesem Gebiet in der Bundesregierung.
Wir haben es ja einmal durchgespielt, und zwar an einem ganz kleinen Beispiel 1966: Wie sind Sie über uns hergezogen! Was würden Sie sagen, Herr Ehrenberg, wenn wir Ihnen eine derartige Bilanz vorlegen würden?
({0})
Wir wünschen Ihnen und uns gemeinsam, daß sich diese Dinge festigen
({1})
und aus sich selbst heraus tragen, weil wir das alle brauchen.
({2})
Noch ist es nicht so weit.
Sie sind jetzt seit sieben Jahren in der Regierungsverantwortung. Sie haben mit fünf Programmen 30 Milliarden DM ausgegeben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn dabei gar nichts herauskommen sollte, wäre das schlimm genug; denn Sie haben die 30 Milliarden DM noch gar nicht bezahlt. Da haben wir noch die Ehre, in späteren Jahren das gemeinsam zu finanzieren.
({3})
Herr Ehrenberg, ich war ganz überrascht: Sie haben etwas von einer Wahlplattform erzählt! Davon müssen Sie auf telepathischem Weg erfahren haben. Mir ist das noch nicht bekannt. Gleichwohl muß ich sagen, daß Sie sich um das Problem des Erziehungsgeldes überhaupt nicht kümmern. An dieses Problem der finanziellen Unterstützung der Mutter bei der Erziehung des Kindes in den ersten drei Lebensjahren denken Sie gar nicht. An die Lösung dieses Problems gehen Sie nicht heran, weil das nicht in Ihre Gleichmacherei paßt. So ist es doch.
({4})
Nun darf ich mich aber dem Herrn Bundeswirtschaftsminister Friderichs zuwenden. Ich bin versucht, Herr Dr. Friderichs, ein kleines wirtschaftspolitisches Psychogramm von Ihnen zu zeichnen. Ich kenne Sie ja schon ziemlich lange und erinnere mich mit Vergnügen an die Zeit, als Sie noch in reinem marktwirtschaftlichem Geiste aus der Handelskammer kommend als junger Abgeordneter in dieses Haus einzogen, noch nicht verdorben durch das Untermietverhältnis, das Sie zur Zeit mit der SPD unterhalten.
({5})
Ich muß sagen, Sie haben ein scharfes und gutes Florett gefochten. Wenn Sie diese Grundsätze von damals auf Ihre praktische politische Arbeit übertragen hätten, würde es uns allen etwas besser ergehen.
Dann haben Sie eine Lehrzeit durchgemacht, eine sehr gesunde Lehrzeit, auch eine strukturpolitische Lehrzeit, und dann kamen Sie wieder. Ich will die Einzelheiten Ihrer damaligen Berufung jetzt hier nicht vortragen. Sie wurden gekürt; das wissen Sie. Wir haben auch im Grunde gar nichts dagegen. Sie sind uns lieber als ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister.
({6})
Aber ich darf Sie vielleicht an Ihre erste Rede erinnern, die Sie im durchaus verständlichen und begreiflichen Selbstgefühl der neu erworbenen Würde zur Regierungserklärung gehalten haben. Es war nicht uninteressant, was Sie damals gesagt haben. Sie haben erklärt, wir stünden vor einem Aufschwung, also in einer Situation, die für den Kollegen Ehrenberg schon wieder existiert, für Sie aber erst bis zur Erholung gediehen ist. Ich lasse nur diese Vorsicht eingehen. Wir sind hier kein analytischer Verein und kein Proseminar, obwohl wir bei Ihren Ausführungen oft den Eindruck hatten, daß der neu Habilitierte uns seine Weisheiten vermittelte. Aber immerhin: dies ist kein analytisches Seminar, sondern wir haben hier operative Vorschläge zu machen. Wir haben damals, 1972, solche Vorschläge gemacht.
Jetzt gehe ich aber nicht so weit, Sie in Sippenhaft für alte Sünden Ihrer Vorgänger zu nehmen, die heute ganz hohe Würden innehaben. Wir haben hier auch eine interessante Entwicklung zu verzeichnen. An der Spitze steht ein Direktorium, ein diplomiertes, volkswirtschaftlich gebildetes Direktorium mit einem schweren Hamburger Einschlag. Aber auch aus der österreichischen Schule kommt jemand, nämlich Sie. Eigentlich dürfte wirtschaftspolitisch überhaupt nichts fehlen. Eine derartige Ausstattung, Bestückung hatten wir an der Spitze der Bundesregierung noch nicht. Kürzlich hat der Herr Bundeskanzler es für richtig gehalten, in der „Wirtschaftswoche" zu erklären, er habe zwar einen gewissen Respekt vor dem ersten Bundeskanzler, müsse ihm aber alle wirtschaftspolitischen Fähigkeiten absprechen. Er hatte immerhin so viele Fähigkeiten, daß er den richtigen Mann gesucht und auf ihn gehört hat, einen Mann, der 20 Jahre
lang eine blühende Wirtschaftspolitik treiben konnte.
({7})
Herr Dr. Friderichs, es war 1972 nicht verboten, die Entwicklung, die sich schon seit 1970 angebahnt hatte, zu erkennen. Sie meinten damals, es sei ein Aufschwung; in Wirklichkeit war die Temperatur des Wirtschaftsaggregates bereits ziemlich heiß. Sie hätten schon im Jahre 1970 erkennen können, daß man abschöpfen mußte und daß es dafür allerhöchste Zeit war. Hier in diesem Saale wurde bei der Aussprache zur Regierungserklärung ein für eine Opposition einmaliges konstruktives Angebot gemacht,
({8})
nämlich - Herr Dr. Barzel hat es getan - diese Maßnahmen gemeinsam mit Ihnen zu tragen.
({9})
Dann wären vielleicht die Folgen der Ölkrise und der Erhöhung der Rohstoffpreise, all diese Dinge, die von außen auf uns einstürmten und die wir auch nicht leugnen, nicht so schwerwiegend gewesen, wenn das damals geschehen wäre.
({10})
Nein, meine Damen und Herren, damals lagen die Dinge ganz anders. Man befand sich in einer Euphorie, wie sie jeder inflationäre Vorgang zunächst erzeugt, der sich draußen sehr angenehm auswirkt, weil die meisten ihn nicht sehen. Sie haben die Öffentlichkeit ja nicht aufgeklärt. Sie hätten sie aufklären müssen. Wir wollen ja hier von Ihnen die Wahrheit und nicht irgendwelche Verschönerungen und kosmetische Leistungen hören. Wenn Sie das damals rechtzeitig gemacht hätten und auf unsere Vorschläge eingegangen wären, hätten wir die Folgen nicht so verspürt. Das ist genauso wie bei einer Krankheit: Der verspätete Eingriff ist ein chirurgischer. Von der Homöopathie mußten Sie zur Allopathie greifen.
Warum hat man damals nichts unternommen? Das war ein herrliches Bühnenstück. Bei den außenpolitischen Absichten, für die Sie natürlich ein gutes Klima brauchten, und für die Wahl 1972, die Sie noch vor sich hatten, durfte man natürlich nicht zugreifen, durfte man nicht ernsthaft marktwirtschaftliche Politik treiben. Es durfte kein Schmerz verursacht werden, nein, das Klima mußte zephyr-mäßig sein, damit Sie das alles über die Bühne bringen konnten.
({11})
Nun sagen Sie, sehr einschneidend sei das Hereinströmen von 20 Milliarden an Devisen auf unseren Markt gewesen, und das hätten wir wegen „Bretton Woods" nicht bereinigen können. Es ist richtig, daß wir noch in der Pflicht dieser Vereinbarung waren. Sie ist aber später auch geändert worden. Ich meine, erhebliche Anstrengungen, ernsthafte Anstrengungen, die Sie gar nicht unternommen haben, hätten vielleicht dazu geführt, Remedur
zu schaffen. Sie haben es nicht gemacht, an der Spitze die drei diplomierten Volkswirte, Sie haben nichts unternommen. Auf einmal wurde dann das Ruder herumgerissen, nachdem wir eine Inflationsrate von 7 % hatten, aus der Inflationsrate in eine zunehmende Arbeitslosigkeit und dann mitten hinein in die Rezession gekommen sind. Das war doch der klassische Ablauf. Aber, Herr Friderichs, das lernt man doch in den ersten Semestern. Wir leben ja nicht mehr in der Zeit, als es keine Konjunkturtheorie gab. In den ersten Semestern lernt man das. Ich möchte sagen, das gehört bei den Volkswirten zum zweiten oder dritten Schein.
({12})
Ich brauche die Folgen auch im Interesse der fortgeschrittenen Zeit nicht aufzuzählen. Sie sind x-mal dargestellt worden, sie bewegen sich nach wie vor in Größenordnungen, die uns vor aller Augen nur peinlich sein können. Wenn eine Million Menschen, die arbeiten wollen, nicht arbeiten können, zur Volkswirtschaft nichts beitragen können und 10 Milliarden DM für ihre Alimentation beanspruchen, so sind das ernsthafte Vorgänge.
({13})
Meine Damen und Herren, die entscheidende Frage scheint mir aber eine ganz andere zu sein. Sie und viele andere geben Bekenntnisse zur Marktwirtschaft ab. Ich gestehe Ihnen durchaus zu, daß sie subjektiv durchaus zutreffend sind. Diese Bekenntnisse fließen Ihnen mit frommem Augenaufschlag elegant von den Lippen. Ich habe aber immer das Gefühl, Sie können sich nicht so richtig durchsetzen, weder in Ihrer eigenen Partei noch in der Regierung.
({14})
Da gibt es ein peinliches Defizit zwischen Worten, Verkündigungen und Taten. Auch Ihre eigene Fraktion ist ja marktwirtschaftlich nicht so einwandfrei. Wenn ich an die sehr verehrte Frau Kollegin Schuchardt, eine gesellschaftspolitische Amazone, denke,
({15})
kann ich mir vorstellen, daß Sie das gar nicht so leicht haben. Sehr geachtete Kollegen, deren marktwirtschaftliches Gewissen absolut rein ist, mußten einen Listenplatz einbüßen.
({16})
In der Regierung selbst ist Ihr Durchsetzungsvermögen auch sehr schwach, außerordentlich schwach ausgeprägt. Ich weiß nicht, ob es Ihnen im Streit dieser drei Volkswirte nicht gelingt, die Hamburger Schule zu überwinden und die alte österreichische Schule, die auf diesem Gebiet sehr solide ist, zur Anwendung zu bringen.
({17})
Noch ein ernstes Wort dazu: Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren insbesondere von der SPD, daß Sie sich vom Pfad der Tugend der Marktwirtschaft mehr und mehr abwenden. Natürlich wird das unter der Strategie von Herrn Wehner nicht gesagt. Nein, das geht genauso, wie damals
von ihm die Große Koalition gesteuert worden ist. Das war ein Meisterstück, ich gebe es Ihnen zu.
({18})
Beim Abweichen vom Pfad der Tugend der Marktwirtschaft geht man natürlich nicht grobkörnig vor,
({19})
da kommen Dinge, an die man vielleicht früher einmal gedacht hat, wie etwa Verstaatlichungen, nicht vor. Nein, da wird eine kleine Maßnahme an die andere gesetzt. Außerdem bedient man sich neuer Ausdrücke. Es war ja gestern in dieser - na ja - moralischen Veranstaltung
({20})
sehr viel vom demokratischen Sozialismus die Rede. Das ist natürlich keine Lautverschiebung und auch kein semantisches Glasperlenspiel. Zufälle, Herr Wehner, gibt es bei Ihnen nicht. Es ist so praktisch, schön langsam sich von dem ehrlichen, anständigen Namen „Sozialdemokraten" wegzubewegen. Ein neues Wort - und schon geht es auf. Das hört sich auch wunderbar an; ich bestreite das gar nicht. Es geht auch unter die Haut. Und dann kann man auf einmal über Jahre hinweg mit leichtfertiger Duldung der sogenannten Liberalen bei uns -
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp.
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Höcherl, sollten Sie uns nicht sehr dankbar sein, daß wir Sie Anfang 1974 daran gehindert haben, Investitionslenkung zu machen zugunsten der Radios, der Fernsehgeräte, der Waschmaschinen, der Kühlschränke und was Sie sonst noch alles begünstigen wollten?
Ich muß Ihnen das sagen: Der Konsumsektor ist der einzige, der überhaupt in Bewegung gekommen ist. Ob daraus wirklich eine nachhaltige Förderung und ein Übergreifen auf den Investitionssektor folgen wird, das wissen wir noch nicht.
({0})
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen jetzt einmal einige Maßnahmen aus dem Korb des demokratischen Sozialismus nennen, die gebündelt später wirklich einen neuen wirtschaftsordnungspolitischen Sachverhalt ergeben. Ich meine dabei nicht nur diejenigen Maßnahmen, die sie beschlossen haben, sondern auch diejenigen, von denen Sie dauernd reden und die Sie dauernd in Diskussion halten, Ihre Linken, bis recht weit hinein in die Mitte der Sozialdemokratie. Die Forderung nach Investitionskontrolle und die Steuerreform sind einwandfreie Bestandteile dieser Art. Ich denke an die Beseitigung der Abzugsfähigkeit der Vermögenssteuer. Und so geht es weiter. Hierzu gehören auch Eingriffe in den Eigentumsbegriff über das
Bodenrecht, das wir heute beschlossen haben. Deswegen konnte ich leider die sehr aggressive Rede von Herrn Ravens nicht hören.
({1})
- Ja, wir haben diese Mißgeburt über die Bühne gebracht.
({2})
Weiter: Erhöhung der Erbschaftssteuer, der Beschluß über das Dauerwohnrecht usw. Das sind in Wirklichkeit ernste Dinge.
Ich will Ihnen etwas sagen: Ich glaube, wir haben vor uns selber und vor der ganzen Welt den Beweis erbracht, daß wir mit unserer Methode - die Sie ja gar nicht haben wollten und die Sie im Godesberger Programm, wenn man es ganz genau liest, ja gar nicht übernommen haben - ({3})
- Das ist eine sehr umständliche Lektüre. Das bestreite ich nicht. Aber da steht schon etwas von demokratischem Sozialismus und all diesen Dingen. Das hört sich großartig an.
({4})
Ich unterstelle Ihnen ja keine Volksfrontideen. Ich unterstelle Ihnen all diese Dinge nicht. Aber ich unterstelle Ihnen, daß Sie immer mehr Staat, immer mehr Glück von Gnaden der SPD und der Bürokratie haben wollen. Das wollen Sie doch haben, damit Sie elegant dastehen. Man muß vor Ihnen antreten und sich dort die Gnaden und die Leistungen und so weiter abholen. Darauf läuft es doch hinaus: Die Macht an Sie zu binden.
({5})
Ich könnte noch eine ganze Reihe von ähnlichen Maßnahmen und Planungen aufführen, die dauernd von dem einen oder dem anderen von Ihnen, und zwar von maßgebender Seite, in Aussicht gestellt werden. Hier, Herr Bundeswirtschaftsminister Friderichs, hätten Sie eingreifen und Ihren Widerstand beweisen müssen. Das haben Sie nicht getan. Mitgegangen - mitgefangen. So ist doch die Lage!
({6})
Es ist ein schwacher Trost, wenn wir dann wieder eine Vorlesung von Ihnen bekommen, die ausgefeilt, sprachlich hervorragend und auch in der Theorie einwandfrei ist, der aber keine Taten folgen. Nein, keine Taten! Sie werden noch eine große Verantwortung vor der Geschichte haben, wenn Sie Ihre Aufgabe erfüllen wollen. Sie haben ja eine wunderbare Arbeitsteilung, genauso wie hier unsere Freunde von der SPD: Der eine macht den linken Flügel, der andere die Mitte, der andere bewegt sich etwas nach rechts.
({7})
Herr Friderichs zieht durch die Lande von Messe zu Messe - nichts dagegen einzuwenden! - und verkündet dort das Evangelium der reinen Marktwirtschaft. Und der Graf ebenso!
({8})
Meine Damen und Herren, dem liegen natürlich auch sehr praktische Überlegungen zugrunde. Dafür gibt es aber auch wieder andere aus Ihren Reihen, die keineswegs so denken. So teilt man sich auf. Getrennt schlagen - -({9})
- Ja, so!
({10})
Meine Damen und Herren, was mich jetzt mit großer Sorge erfüllt - ich gehöre diesem Hause 23 Jahre an: Sie haben ganz entscheidende Aufgaben nicht gelöst, offengelassen und in diesen ganzen Jahren nichts dazu beigetragen. Ich beginne mit der Staatsverschuldung. Ja, das ist eine einfache Sache, allein vom Bund in zwei Jahren 60 bis 70 Milliarden DM Schulden hinzulegen, dasselbe bei den Ländern aus den Folgekosten heraus, hohe Beträge bei Post und bei Bahn. In den nächsten Jahren sind die Fälligkeiten, die schon bis 17 Milliarden DM in einem einzigen Jahr ausmachen, kurz- und mittelfristiger Natur, kaum eine anständig konsolidierte Schuld.
Das ist das eine.
({11})
Wo sind denn Ihre Lösungen zur Verkehrsfrage? Herr Dr. Jobst wird darauf zurückkommen. Herr Gscheidle, Sie haben die Katze etwas aus dem Sack gelassen. Sie mußte sofort wieder in den Sack zurück.
({12}) Das paßt nicht zum 3. Oktober.
Über die Investitionen ist gesprochen worden. Unter den spitzenindustrialisierten Volkswirtschaften sind wir diejenigen mit der schlechtesten Investitionsquote in Ihrer Regierungszeit. So ist doch die Lage.
({13})
Dabei lasse ich mich gar nicht auf ein Zahlenspiel ein.
({14})
- Prozentsätze, aber keine absoluten Zahlen! Man kann das nicht. Das gelingt nur Ihnen, so, wie Sie das die ganzen Jahre hindurch gemacht haben: volkswirtschaftliche Vorausschau, mittelfristige Planungen. Keine einzige hat gestimmt!
({15})
Und das machen Sie bis zur zweiten und dritten Stelle ganz genau. Das ist schon eine sehr interessante Sache.
Jetzt frage ich Sie: Was haben Sie für den Mittelstand getan?
({16})
Sie haben vor allem nicht den Mut, die ganz einfache Weisheit, die gelegentlich auch der Bundeskanzler bei Unternehmensveranstaltungen von sich
gibt, nämlich daß die Ertragskraft der Betriebe zu stärken ist, in die Tat umzusetzen, damit Arbeitsplätze zustande kommen. Warum? - Weil Ihnen das Neidgefühl mehr wert ist als diese entscheidende Lösung. Diesen Durchbruch schaffen Sie nicht.
({17})
Sie wären ja gar nicht in die Lage gekommen. Wir haben doch eine sehr hohe Arbeistlosenquote im internationalen Vergleich. Herr Dr. Friderichs meint, wir seien aber sonst sehr stabil. Darf ich Sie darauf hinweisen, daß eine Rezession, wie wir sie haben, einen starken Einfluß auf die Preisentwicklung ausübt. Das sind doch die Gründe, aus denen gewisse Dinge nicht mehr möglich sind, auch was die Erhaltung der Ertragskraft angeht. Darauf sind Sie stolz, und daraus ziehen Sie internationale Vergleiche.
Meine verehrten Damen und Herren, das ist ein schwacher Trost, wenn andere noch schlechter abschneiden. Aber bei diesen Vergleichen rutscht Ihr Bundeskanzler außenpolitisch fortgesetzt aus, um das Wahlgefühl für den 3. Oktober zu pflegen. Er macht das bei internationalen Vergleichen auf Kosten unserer guten Beziehungen. Das ist doch die Wirklichkeit.
({18})
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß kommen. Ich möchte mich mit diesen wenigen Bemerkungen zu später Stunde von Ihnen verabschieden. Ich bin 23 Jahre in diesem Hause. Ich danke Ihnen allen - auch Ihnen von seiten der SPD - für die politische und menschliche Kameradschaft; aber ich darf noch einen Wunsch äußern. Wenn ich mir jetzt vom Ruhestand aus die Dinge ansehe, dann möchte ich eine besser besetzte Regierungsbank haben, und weil ja die Regierung kein Testfall sein darf und kein Versuchsklinikum, möchte ich eine marktwirtschaftlich orientierte und der inneren und äußeren Sicherheit wirklich ernsthaft verpflichtete Regierung.
({19})
Warten Sie, vielleicht lernen Sie noch! Der erste
Versuch mit sieben Jahren ist grauenvoll mißlungen.
({20})
Das Wort hat Herr Bundesminister Friderichs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Höcherl, ich habe mich nur zu einer Richtigstellung gemeldet. Ich bin nämlich kein diplomierter Volkswirt, sondern Kollege von Ihnen, also Jurist, und habe mir auch eigens einen Volkswirt zur Beratung ausgesucht und habe geglaubt, das klappe gut; aber Sie haben das trotzdem kritisiert.
Herr Kollege Höcherl, ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen dafür, daß Sie mit der Weisheit desjenigen, der diese Bühne verläßt, bei der Schilderung meines Lebensweges den Eintritt in eine sozialdemokratisch-liberale Regierung milder beschrieben haben, als Sie dies früher taten. Ich habe nämlich festgestellt, daß Sie zu früherer Zeit einmal formuliert haben, eine Koalition zwischen SPD und FDP wäre so, als wenn ein Weißer eine Negerin heiratet.
({0})
Da fand ich das, was Sie heute sagten, etwas milder.
Da ich gerade bei der Suche nach Zitaten war, habe ich noch eines gefunden - auf dieses komme ich aber nicht, weil Sie die Frau Kollegin Schuchardt als „gesellschaftspolitische Amazone" angesprochen haben. Sie haben in sehr früher Zeit - vielleicht damals schon sehr klug -, nämlich 1959, einmal gesagt: „Die eigentliche Politik wird nicht im Bundestagsplenum, sonden auf dem Sofa gemacht."
({1})
Und Sie haben, Herr Kollege Höcherl, diesem Satz hinzugefügt: „Auf dem Sofa wird man sich in der Regel schnell einig."
({2})
Da Sie sich selbst verabschiedet haben, möchte ich mir erlauben, nur zwei Sätze anzufügen, und zwar aus dem „Hamburger Abendblatt". Sie haben ja das Hamburger Übergewicht in der Regierung geschildert. Das „Hamburger Abendblatt" hat einmal über Sie geschrieben: „Ein wirklich seltener Anblick, einen Politiker so fest verankert zu sehen." Und der letzte Satz lautete: „Er ist Bayerns Rechtfertigung vor der übrigen Bundesrepublik."
({3})
Ich glaube, wir bedauern alle, daß diese Rechtfertigung jetzt entfällt.
({4})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Glotz-Martiny.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist für mich eine Ehre und eine Freude, auf diesen Kreuzritter bayerischer Liberalität als bayerische Abgeordnete antworten zu dürfen.
Wir haben es hier heute abend mit einer besonders blumenreichen Sprache zu tun. Herr von Bismarck hat besonders beredte Beispiele gefunden. Auch der „Kreuzritter", den Herrn Höcherl hier ein- geführt hat, fällt in diese Kategorie. Herr von Bismarck, gestatten Sie mir eine etwas freche Abwandlung Ihres Reiterbildes. Es gibt, wenn Sie über den Sozialismus reden, mit dem Sie sich offenbar nur im Rahmen der Wahrnehmungsbarrieren auseinandersetzen können, die die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" absteckt, offensichtlich Denkhindernisse, die Herrenreiter nicht so leicht überspringen können.
Ich möchte es heute bei meinem Beitrag eher mit der Freiheit halten, die gestern in der GrundwerteDiskussion hier behandelt worden ist, und ich meine, daß auch die Wirtschaftsdebatte hier Akzente liefert,
die aufgegriffen werden sollten. Denn das, was wir heute abhandeln, ist trotz aller sprachlichen Blumen und trotz der sehr klaren Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers dem Bürger letzten Endes nicht gut zu vermitteln, da er sich als Betroffener der Wirtschaftspolitik immer als Objekt empfindet. Mit diesem Objekt-Begriff bin ich bei dem, was gestern bei der Diskussion um Freiheit und Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft angesprochen worden ist.
Ich meine, dieser Bundesregierung ist es gelungen, beispielsweise bei der Regelung des § 218, beispielsweise bei der Mitbestimmung und der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, beispielsweise beim Ausbau des Netzwerkes sozialer Sicherungen und auch bei Verbraucherschutzgesetzen dafür zu sorgen, daß dieser Bürger zu mehr Freiheit und Selbstbestimmung findet und sich nicht so stark als Objekt in unserer Gesellschaft empfinden muß.
Angeblich steuert ja dieser Bürger als Verbraucher die Wirtschaft. Tatsächlich weiß er aber gar nichts von seinem Glück. Da erhöhen beispielsweise Automobilfirmen fast zur gleichen Zeit um fast die gleiche Quote ihre Preise, und was kann der einzelne Bürger tun? Da behaupten beispielsweise Waschmittelhersteller, Hausfrauen könnten ihr lädiertes Selbstbewußtsein damit aufbessern, daß sie ein bestimmtes Weichspülmittel benutzen; manche Frau hat vielleicht gar kein lädiertes Selbstbewußtsein, ärgert sich und fühlt sich für dumm verkauft, doch was kann sie tun? Da wird allerorten von einem riesigen Milchsee geredet, und mancher fände ein gutes, billiges Schulfrühstück vielleicht sinnvoller als die Umwandlung dieses edlen Nasses in Magermilchpulver zur Kälberfütterung. Doch was kann er dagegen tun? Da schließt jemand Verträge mit einem Reiseveranstalter ab und fällt damit herein, oder es kauft jemand Möbel auf Raten und fällt damit herein, oder ein Dritter leiht sich auf verheißungsvolle Kleinanzeigen hin Geld, und die Vertragsbedingungen bei Reklamationen sehen für den betroffenen Bürger zumeist nachteilig aus.
Meine Damen und Herren, all dies sind Punkte, bei denen wir deutlich machen müßten, daß hier Räume zur Selbstbestimmung für den einzelnen Bürger liegen, die wir noch nicht so genutzt haben, wie wir es vielleicht sollten.
Wir haben die freie Konsumwahl und werden sie verteidigen. Erfährt aber der Konsument sich selbst als frei? Herr von Weizsäcker hat gestern eine nach meiner Meinung bemerkenswerte Formulierung gebraucht; er hat nämlich als ein Kriterium für Freiheit den Übergang vom Almosen zum Rechtsanspruch bezeichnet. Ich meine, daß dieser Bundesregierung in dieser wirtschaftspolitischen Debatte dafür zu danken ist, daß sie den Stellenwert des Konsumentenschutzes aus der Sphäre des Almosenempfängers herausgerückt und damit ernstgemacht hat, den Verbraucherschutz als Rechtsanspruch des Individuums zu verankern.
({0})
Es gibt eine Fülle von Gesetzen, die dies belegen. Wir werden im nächsten Monat bei der Debatte um
den zweiten Verbraucherbericht der Bundesregierung Gelegenheit haben, darauf im einzelnen einzugehen. Ich will hier nur einmal auflisten, worum es im einzelnen geht: zunächst um die Kartellgesetznovelle, die auch für die Mittelstandspolitik, die Herr Höcherl hier angesprochen hat, eine große Rolle spielt, ein Ladenhüter der konservativen Regierungen, der erst in dieser Legislaturperiode schließlich verkauft worden ist; dann um das Lebensmittelgesetz, um das Arzneimittelgesetz, um das Abzahlungsgesetz und um die Novellierung der Bestimmungen hinsichtlich der Gerichtsstandsklausel, um bessere hygienische Gesetze, wie das Geflügelfleischhygienegesetz und das Fleischbeschaugesetz, um das Textilkennzeichnungsgesetz, das Meß- und Eichgesetz und um eine Fülle von Verordnungen, die den Rechtsanspruch der Verbraucherschaft verankern.
Der Ausbau von Verbraucherschutzorganisationen - Sie kennen sie alle - ist in diesem Zusammenhang ebenso hervorzuheben wie die Stellenvermehrung, wie sie beim Kartellamt infolge der Gesetzesnovellierung und beim Bundesgesundheitsamt infolge des neuen Arzneimittelgesetzes angelaufen ist.
Der Bürger als Konsument, meine Damen und Herren, hat derzeit keinen anderen Sachwalter als staatlich geförderte Institutionen. Zwar begreift sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund als Dachverband der Arbeitnehmerorganisationen als Verbrauchervertretung; sein Interesse in der Vergangenheit war aber im Grunde mehr auf die Einkommenserzielung als auf die Einkommens verwendung gerichtet. Gemeinsam werden Bundesregierung und Deutscher Gewerkschaftsbund, meine ich, in Zukunft ihre Anstrengungen verstärken, dem Bürger im Freizeit- und Konsumbereich zu mehr Freiheit zu verhelfen.
({1})
Gestern bei der Feier in der Parlamentarischen Gesellschaft wurde scherzhaft bemerkt, heute könne in der Debatte niemand bestehen, der nicht über ein Bibelzitat verfüge, weil wir ja gestern die moralischen Veranstaltungen hier absolviert haben, die Herr Höcherl zitiert hat. Ich will nicht hintanstehen und ein Bibelzitat bringen:
Unser Leben währet 70 Jahr, und wenn es hoch kommt, so sind es 80 Jahr. Und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin.
({2})
Im 90. Psalm oder auch bei Prediger Salomonis ist dieses zu finden. Ich meine, mit diesen alttestamentarischen Ansprüchen „Wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen", meine Damen und Herren, werden wir uns bei unseren Mitbürgern vermutlich nicht mehr voll verständlich machen können, weil diese Mitbürger zum Thema Lebensqualität auch etwas über Freude, Vergnügen und Genuß im Leben erfahren wollen.
In diesem Zusammenhang sind, so meine ich, neue Schutzbereiche entstanden, um die man sich kümmern muß: der Umweltschutz beispielsweise, der Naturschutz, der Gesundheitsschutz und auch der Verbraucherschutz. In diesem Zusammenhang sind Fragen neu aufgetaucht, wie sie mit der Gebrauchstauglichkeit von Waren, der Nutzungsdauer, der Umweltverträglichkeit, technischen Mindestqualitäten neben der Preiswürdigkeit Bedeutung gewonnen haben.
Schon sammeln sich infolge der Verteidigung dieser Schutzbereiche durch diese sozialliberale Bundesregierung die Betroffenen und nutzen ihre Macht zum Widerstand. So ist beispielsweise ein Zitat des Präsidenten des Zentralausschusses der Deutschen Werbewirtschaft in einem Artikel ganz bezeichnend, in dem es nämlich heißt, Verbraucherpolitik sei „ein klassisches Beispiel für das Hochputschen eines aktuellen gesellschaftspolitischen Themas". So spricht die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels auf der einen Seite vom Handel - versteht sich; sie ist Interessenvertretung des Handels - als dem „ehrlichen Makler, dem Mittler zwischen Industrie und Endverbraucher" und auf der anderen Seite vom „ideologisch ausgerichteten Verbraucherlager".
Ich meine, daß wir ernst machen müssen damit, deutlich zu sagen, daß Verbraucherschutz nicht allein ein Thema für Hausfrauenvereine - und von diesen betrieben - und für Rentner oder sozial schwache Bevölkerungsgruppen ist, sondern daß die Verbraucherpolitik ernst macht mit der wirtschaftstheoretischen Prämisse, daß es die Bedürfnisse der Konsumenten seien, die die Marktabläufe steuern.
Eine Politik, die keine Gegner bei jenen hat, die die bestehenden Gesellschafts- und Machtverhältnisse konservieren wollen, kann nicht auf dem richtigen Weg sein. Infolgedessen markieren die Widerstände, daß diese Bundesregierung mit dieser Politik auf dem richtigen Wege ist. Sie versucht nämlich, durch diese Gesetze und durch die Stärkung der Verbraucherorganisationen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Selbstverantwortung, von der Herr von Weizsäcker gestern so beredt gesprochen hat, des Konsumenten und der Konsumentenorganisationen demnächst einmal ohne staatliche Hilfe möglich wird.
Der Zweite Verbraucherbericht faßt diese Leistung der Bundesregierung zusammen und bestimmt die Ziele der kommenden Jahre präziser. Es geht um eine Verbesserung des Rechtsvollzugs. Wir haben keinen Mangel an Gesetzen, nur klappt es mit der Durchführung wegen der Länder und Kommunen, die sich hier beteiligen müssen, nicht immer so perfekt. Wir müssen die Wettbewerbsordnung noch eifriger beobachten und verteidigen und dafür sorgen, daß die Preisgestaltung für den Verbraucher durchsichtiger wird. Wir müssen die Verbraucherinformation durch eine Reihe von Maßnahmen verbessern. Wir müssen auch die staatliche Aufsicht über den Verbraucherschutz intensivieren.
Das hört sich natürlich so an - das war in der Debatte heute häufig zu hören, u. a. auch von Herrn Häfele -, als wollten wir auch in diesem Punkt
jetzt etwa mehr Staat schaffen, um die Freiheit des einzelnen einzuengen. Meine Damen und Herren, es geht hier aber um ein Problem der Freiheit für Individuen, die es dadurch herzustellen und zu sichern gilt, daß man die Freiheit der Verbände, die diese derzeit uneingeschränkt besitzen, einschränkt.
({3})
Diese Debatte werden wir im einzelnen beim Zweiten Verbraucherbericht in wenigen Wochen führen. Die Ziele des Ersten Verbraucherberichts, aus denen sich die Politik der Bundesregierung abgeleitet hat, und die sich in den rechtlich wie finanziell erhöhten Anstrengungen der letzten vier Jahre widerspiegeln, waren ja schon so gut, daß Frau Wex, die leider jetzt nicht mehr da ist, sie wortwörtlich als Programm der Union auf dem verbraucherpolitischen Feld abgeschrieben hat.
({4})
Ich hoffe, daß ich das Gebot weiblicher Solidarität, zu dem ich stehe, nicht verletze, wenn ich dies als einen ganz besonderen Beitrag zur „Neuen Sozialen Frage" apostrophiere. Plagiate sollte man hier vielleicht nicht zur Richtschnur werden lassen. Aber dieses Vorgehen ist insofern natürlich ganz interessant, weil man darauf gespannt sein darf, was nun die Opposition mit dem Zweiten Verbraucherbericht der Bundesregierung und den verbraucherpolitischen Leistungen dieser Bundesregierung im Felde der Wirtschaftspolitik künftig anfangen wird.
({5})
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr begehrt. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 08. Wer seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan ist damit angenommen.
Wir kommen damit zum ERP-Wirtschaftsplangesetz 1976. Ich rufe die §§ 1 bis 12, Einleitung und Überschrift auf. Wer in zweiter Lesung die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in dritter Beratung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr die Ziffer 13 und 14 des Punktes I auf:
Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
- Drucksachen 7/5042, 7/5085 - Berichterstatter:
Abgeordneter Müller ({0})
Vizepräsident Frau Funcke Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
- Drucksache 7/5043 -Berichterstatter: Abgeordneter Leicht
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen dann zu einer verbundenen Debatte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({1}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Verkehrshaushalt ist natürlich viel zu sagen.
({0})
Ich will mich aber bemühen, das kurz und prägnant zu tun.
Seit 1967 stehen Sozialdemokraten im Bund in der Verantwortung für die Verkehrspolitik.
({1})
In knapp zehn Jahren hat sozialdemokratische Verkehrspolitik die Lebensqualität aller Bürger in unserem Lande nachhaltig verbessert.
({2})
Das ist z. B. durch eine systematische Sicherung und einen schrittweisen Ausbau unserer Mobilität gelungen. Wir leben heute - verglichen mit den früheren Jahren - in einer mobilen Gesellschaft. Das ist auch für sie kein leeres Schlagwort. Das läßt sich mit Zahlen belegen. Nehmen wir z. B. das, was die individuelle Beweglichkeit kenn-. zeichnet, die Verkehrsleistungen oder Personenkilometer im Personenverkehr. 1967 wurden im Verkehr mit Pkws und Kombinationskraftwagen rund 264 Milliarden Personenkilometer zurückgelegt; 1975 sind es bereits 450 Milliarden Personenkilometer gewesen. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, daß jeder von uns häufiger in sein Auto gestiegen ist, weitere Reisen zurückgelegt hat und mehr Reiseziele besucht hat; oder man wählte ein öffentliches Verkehrsmittel, z. B. die Deutsche Bundesbahn oder den öffentlichen Personennahverkehr. Auch hier ist die Mobilität gestiegen, wenn auch nicht annähernd so stark wie beim Individualverkehr, denn hier war ja kein Nachholbedarf zu befriedigen. In diesem Bereich war ein Anstieg von 94 Milliarden Personenkilometern im Jahre 1967 auf rund 115 Milliarden Personenkilometer im Jahre 1975 zu verzeichnen.
({3})
- Herr Lagershausen, ich fahre mit der Bahn, Sie nicht.
Das sind die Ergebnisse einer verfehlten Verkehrspolitik, sagen Sie von der Opposition. Ich sage: Wir sind stolz darauf, daß Arbeitnehmern, Senioren, Hausfrauen und Jugendlichen soviel mehr Bewegungsspielraum
({4})
für die Fahrt zur Arbeit, für die Arbeitsplatzwahl, für den Einkauf, für die Freizeit und für den Schulweg zur Verfügung steht. Wir Sozialdemokraten haben jedenfalls - das werde ich an den Investitionszahlen im einzelnen noch demonstrieren - gewichtige Voraussetzungen hierfür geschaffen. Das kann uns keiner nehmen.
({5})
Dieses positive Bild zeigt sich auch beim Verkehrsfundament, der notwendigen Infrastruktur für unsere dynamische und anpassungsfähige Wirtschaft. Die von sozialdemokratischen Verkehrsministern eingeleiteten Prozeßsteuerungen - z. B. durch eine gezielte und im Detail aufeinander abgestimmte Investitionspolitik für die einzelnen Verkehrsträger - ermöglichen auch im binnenländischen Güterverkehr ungeahnte Steigerungen. Es war in diesem Bereich eine Steigerung von rund 177 Milliarden Tonnenkilometern im Jahre 1967 auf rund 250 Milliarden im Jahre 1975 zu verzeichnen. Sicherung und Ausbau unserer Verkehrswege haben - über die individuelle Mobilisierung hinaus - auch diese Leistung ermöglicht.
Die CDU/CSU-Opposition spricht vom Offenbarungseid in der Verkehrspolitik.
({6})
Im Haushaltsausschuß und im Verkehrsausschuß haben wir aber alles einmütig beschlossen. Sie hängen also mit drin, so oder so.
({7})
Die Grunddaten unserer Verkehrspolitik zeigen den mobilen Burger, eine moderne Verkehrswirtschaft, ein international beispielhaftes Wegenetz vor dem Hintergrund eines ausgewogenen und zukunftsorientierten Gesamtkonzepts, nämlich der Bundesverkehrswegeplanung. Unsere Verkehrspolitik zeigt nicht nur Sachverstand, sie zeigt Sachverstand mit sozialem Augenmaß.
({8})
Dem in früheren Jahren noch stark ausgeprägten Gruppenegoismus haben wir schrittweise ein Ende bereitet. Kein Bereich soll bevorzugt oder benachteiligt werden. Jeder Verkehrsträger erhält sein Gewicht vielmehr auf Grund seiner Kosten und seiner spezifischen Leistungen. Dies wird international als beispielgebend anerkannt.
Sozial ist vor allem unser ausdrückliches Engagement für den öffentlichen Verkehr, für die gemeinwirtschaftliche Aufgabenstellung im öffentlichen Personennahverkehr und für die Erhaltung der Schiene als Rückgrat unseres Verkehrssystems. Preisgünstiges Tarifangebot z. B. im Nah- und Flächenverkehr, bei den Bundesunternehmen Deutsche Bundesbahn Betriebs- und Beförderungspflicht sowie auf den Spitzenverkehr ausgerichtetes Wagen-und Platzangebot - das sind Sozialkriterien, die jedem Bürger zugute kommen und die wir mit
Müller ({9})
einem modernen ordnungs- und investitionspolitischen Instrumentarium nachhaltig unterstützen. Weiter: Hilfe für die strukturschwachen Räume, intensive Anstrengungen im Umweltschutz sowie gezielte Maßnahmen im Bereich der Verkehrssicherheit runden diese Sozialbilanz der Verkehrspolitik ab.
({10})
Von außerordentlicher volkswirtschaftlicher Bedeutung ist auch ein jährliches Volumen von durchschnittlich - jetzt passen Sie auf, meine Herren -13 Milliarden DM Verkehrsausgaben des Bundes seit 1967. Wenn wir diesen Durchschnittssatz von 1967 bis 1975 mit dem zur Diskussion stehenden Etatansatz von rund 19,7 Milliarden DM im Einzelplan 12 vergleichen, dann sind daraus die enorme Steigerungsfähigkeit und die finanz- und wirtschaftspolitische Bedeutung ersichtlich, die die Bundesregierung und die sozialliberale Koalition dem Verkehrsbereich beimessen. Sämtliche den Einzelplan 12 kennzeichnenden finanzpolitischen Entscheidungen sind darauf angelegt, möglichst günstige Voraussetzungen für den bereits angelaufenen stabilitätsgerechten Aufschwung zu schaffen,
({11})
z. B. durch Vermeiden von abrupten Schwankungen im Gesamtansatz des Einzelplans 12. Dieser Forderung entspricht auch ein Zuwachs von rund 3,7 % oder rund 700 Millionen DM im Jahr 1976. Dazu gehört auch die Stärkung der Investitionen innerhalbt der Gesamtsteigerung des Einzelplans 12. Von den 700 Millionen DM gehen allein 575 Millionen DM in die Investitionen. Das sind rund 82 % des Gesamtzuwachses von 1976.
Damit wurden und werden auch Hunderttausende von Arbeitsplätzen gesichert, ferner für Millionen Menschen Arbeitseinkommen geschaffen. Der Sozialproduktbeitrag der rund 2 Millionen in der Verkehrswirtschaft Beschäftigten betrug im Jahr 1975 rund 50 Milliarden DM und ist damit als sehr hoch zu bezeichnen.
Die Zahlen, die die Schwerpunkte bilden, werde ich Ihnen nicht mehr vortragen. Sie finden Sie in meinem Bericht.
Bei einem Rückblick und einem Vergleich der Investitionen in der Phase sozialdemokratischer Verkehrspolitik seit 1967 mit denen in der konservativen Phase seit 1950 wird dieses Bild besonderer Leistung und Kontinuität seit 1967 ganz deutlich.
({12})
Sozialdemokratische Verkehrsminister haben nämlich seit 1967 insgesamt 64 Milliarden DM allein für den Neu- und Ausbau unserer Verkehrswege investiert. Das sind rund 70 % aller Wegeneubauten seit 1950, d. h. 70 % von insgesamt rund 91,3 Milliarden DM.
Auf den Anteil der Verkehrsinvestitionen an den Gesamtinvestitionen umgerechnet heißt das: Während dieser Anteil in der Zeit von 1950 bis 1967 im Durchschnitt weit unter 30 °/o lag, konnte er für den Zeitraum ab 1967 von uns sofort auf durchschnittlich 40 °/o gesteigert werden. 1967 betrug dieser Anteil 39,1 °/o; 1976 beträgt er 41,7 °/o.
Im einzelnen zeigt die Investitionsbilanz, unterstützt durch flankierende Finanzhilfen, folgende Leistungen: Die Investitionen in den Bundesfernstraßenbau betrugen seit 1967 rund 47 Milliarden DM, und zwar einschließlich der Ersatzinvestitionen. Davon wurden mehr als 3 000 km Autobahnen und 1 300 km Bundesfernstraßen gebaut oder modernisiert. Der öffentliche Personennahverkehr wurde seit 1967 mit rund 30 Milliarden DM gefördert; das sind allgemeine Investitionshilfen für den öffentlichen Personennahverkehr einschließlich Finanzhilfen für den gemeinwirtschaftlichen Schienenpersonennahverkehr der Deutschen Bundesbahn.
({13})
Ferner nenne ich rund 1 300 km Streckenelektrifizierungen bei der Deutschen Bundesbahn. Die weiteren notwendigen Schritte für ein modernes und leistungsfähiges Fernverkehrsangebot auf der Schiene wurden eingeleitet. Bis 1979 werden wir rund 5,7 Milliarden DM allein in neue Schienenstrecken investieren.
({14})
Seit 1967 wurden 166 km neue Wasserstraßen im Bereich der Binnenschiffahrt gebaut. Ferner wurden rund 815 Millionen DM als Neubauhilfen für unsere Handelsflotte gegeben, die dadurch nach wie vor zu den modernsten in der Welt gehört.
Weiter erwähne ich den kontinuierlichen Ausbau der Flugsicherung. Tatsache ist, daß der Luftverkehr in unserem Lande in den vergangenen Jahren durch diese Anstrengungen erheblich sicherer geworden ist.
({15})
Schließlich können wir - das ist ein wichtiger Punkt der die investiven Leistungen flankierenden Maßnahmen - auf eine vorausschauende und konstruktive internationale Verkehrspolitik verweisen. Dadurch haben sozialdemokratische Verkehrsminister unsere Position als bedeutendes Handels-, Transit- und Reiseland in Europa und in der Welt gefestigt.
Letztlich: für sozialdemokratische Verkehrspolitik ist und bleibt die Sicherheit auf unseren Verkehrswegen höchstes Gebot. Trotz eines rasanten Anstiegs der Zahl der motorisierten Fahrzeuge von rund 15 Millionen in 1967 auf rund 23 Millionen in 1975 waren mehrere tausend tödliche Unfälle weniger zu verzeichnen, eine noch viel größere Zahl weniger Beeinträchtigungen von Gesundheit und Eigentum unserer Bürger Straßenverkehr. Der Appell sozialdemokratischer Verkehrsminister an den mündigen Bürger hatte also Erfolg. Das gleiche gilt für die 0,8-Promille-Regelung, für Tempo 100 auf Landstraßen, für das Verbot der Mitnahme von Kindern auf Vordersitzen, um nur einige unserer jüngsten Initiativen zu nennen.
({16})
Diese verkehrspolitische Leistungsbilanz ließe sich sowohl im investiven, als auch im ordnungs17150
Müller ({17})
politischen Bereich fortsetzen. Das würde aber den Blick auf einen meines Erachtens weiteren wichtigen und positiven Aspekt unserer Arbeit verstellen,
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage - Müller ({0}) ({1}) : - der die Verkehrspolitik
Herr Kollege!
- auch dieser sozialliberalen Regierung auszeichnet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Keine Zwischenfragen!
({0})
- Nein, nein. Ich möchte Ihnen ermöglichen, daß Sie bald nach Hause kommen.
({1})
Die Tatsache nämlich, daß jene - und jetzt hören Sie mal zu, meine Herren -,
({2})
die das moderne Deutschland in der Verkehrspolitik
geschaffen haben, auch am ehesten dazu befähigt
sind, das Geschaffene zu sichern und zu bewahren.
({3})
Diese Leistungsbilanz und das Bemühen um volkswirtschaftlich sinnvolle Entwicklungen im Verkehr werden von der Opposition - von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren ({4}) seit Monaten abqualifiziert.
({5})
- Wir werden ja gleich hören, was Ihr Kollege Schulte hier bringen wird. - Persönliche Angriffe gegen den Bundesverkehrsminister sind offenbar die einzigen Alternativen der CDU/CSU.
({6})
Wir sprechen an dieser Stelle dem Bundesverkehrsminister Kurt Gscheidle unser Vertrauen und unsere Anerkennung aus.
({7})
Die Bundestagsfraktion der SPD stimmt dem Verkehrshaushalt, dem Einzelplan 12, zu.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
- Sie müssen erstmal hierherkommen, Herr Lagershausen; dann können wir weiterreden. 3 1/2 Jahre hier und noch nie hier vorn gewesen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Schulte ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rede des Kollegen Müller ({0}) hat uns alle sehr beeindruckt.
({1})
Wer es noch nicht in der Zeitung gelesen hat, der weiß jetzt, daß wir eine mobile Gesellschaft sind. Auf das buchhalterische Valium, das er in seiner Rede geboten hat, werde ich zum Teil in meiner Rede eingehen. Was er aber nicht gesagt hat, das war das: daß immer mehr Bürger in unserem Land auf Grund der schlechten Verkehrspolitik der Bundesregierung merken, wie wichtig der Verkehr für ihre Lebensbedingungen, für die Wirtschaft und für die Arbeitsplätze ist.
({2})
Gemessen an der Bedeutung der Verkehrspolitik sollte der Verkehrsminister im Bundeskabinett deswegen ein Minister mit Durchsetzungsvermögen sein und nicht etwa nur eine Rand- oder Schattenfigur;
({3})
denn der Verkehrsminister hat die Verantwortung für den drittgrößten Etat des Bundeshaushalts, er ist als Arbeitgeber für Bahn und Post der größte Unternehmer Europas, und er bringt eines der brisantesten Risiken in den Bundeshaushalt ein.
Trotz dieser bedeutungsvollen Aufgaben ist nicht zu verkennen, daß sich die letzten Verkehrsminister Schritt für Schritt zu Rand- und Schattenfiguren im jeweiligen Bundeskabinett zurückentwickelt haben.
({4})
Was etwa das Durchsetzungsvermögen von Herrn Gscheidle anbetrifft, so hat sich das in einer Art und Weise bemerkbar gemacht, wie es die Opposition niemals zu hoffen gewagt hatte.
({5})
Seine spektakulärsten Kabinettspleiten waren seine Pläne für die Deutsche Bundesbahn und der 4-Minuten-Takt für die Telefonortsgespräche. Je weniger er im Kabinett zu bestellen hatte, desto mehr wurde in der Öffentlichkeit über ihn geredet. Die „Welt der Arbeit" hat seine Arbeit mit der griffigen Formel charakterisiert: Wo Arger ist, ist auch Gscheidle.
({6})
Die CDU/CSU hat mit einer ganzen Reihe von Initiativen konstruktive verkehrspolitische Arbeit geleistet. Sie hat auch die Verkehrspolitik der Bundesregierung oft und nachdrücklich kritisiert. Aber wir bilden uns bestimmt nicht ein, daß wir es allein
Schulte ({7})
geschafft hätten, diesem Verkehrsminister ein so
schlechtes Image anzuhängen, wie er es heute hat.
({8})
Willy Brandt und andere sollen sich, wie man in den Zeitungen so liest, ihre Gedanken über Gscheidle gemacht haben. Gscheidle - so Brandt - habe der SPD fast den letzten Stammwähler verjagt; aber Gott sei Dank sei der doch nicht abgesprungen, aber nur, weil er angegurtet war.
({9})
Minister Gscheidle und einige Mitglieder dieses Hauses scheinen das anders zu beurteilen. Herr Gscheidle führt sein schlechtes Image als Minister nur darauf zurück, daß seine Propagandisten ihn weit unter Wert verkauft hätten.
({10})
Er hat sie deshalb vor wenigen Wochen kurzerhand allesamt nach Gutsherrenart zum Teufel gejagt.
({11})
Herr Gscheidle hat recht; denn seine Verkehrspolitik setzt bei seinen Propagandisten in der Tat allerhöchste Qualifikation voraus. Es ist schon ein Supermann erforderlich, um seine Eisenbahnpläne und seine Telefonpläne als Verbesserung der Lebensqualität darzustellen. Die von ihm Gefeuerten waren offensichtlich nicht clever genug, den Taxifahrern und ihrer Kundschaft das Redeverbot verständlich zu machen.
({12})
Parteipolitisch erweist der Bundeskanzler der Opposition mit diesem Minister aber unbestreitbar einen Gefallen.
({13})
In der Sache sind dieser Minister und seine Politik jedoch ein großes Ärgernis. Das macht ein Blick auf die Leistungsbilanz deutlich, und das macht ein Vergleich zwischen dem, was versprochen wurde, und dem, was aus den Versprechungen nachher wurde, besonders klar.
Die Bundesregierung hat sich auf einen verkehrspolitischen Kurs begeben, bei dem unsere Zukunft, vor allem hinsichtlich der Investitionen, mehr und mehr verfrühstückt wird. Bis vor kurzem hat jede verkehrspolitische Rede mit einem Bekenntnis zur Gesellschaftspolitik angefangen. Jedes Defizit bekam den Heiligenschein der Gemeinwirtschaftlichkeit. Beim Fernstraßenplan, den wir erst in der letzten Woche verabschiedet haben, bekamen alle Beteiligten deutlich zu spüren, wie sehr wir bereits bei der Verteilung des nackten Mangels angekommen sind. Zwei von drei Dringlichkeitsstufen von Herrn Leber existieren gar nicht mehr. Die Dringlichkeitsstufe I wurde unterteilt in Dringlichkeitsstufe I a und I b. Die Realisierung des Ganzen soll 20 Jahre in Anspruch nehmen. Wenn man dem Bürger gesagt hätte, was hier tatsächlich passiert, wäre draußen ein I Sturm der Entrüstung losgegangen, so wie bei den Eisenbahnplänen. Aber offensichtlich hatte man doch nicht so schlechte Propagandisten.
({14})
Der eigentliche Leidtragende bei dieser gesunkenen Investitionsquote im Verkehrshaushalt des Bundes ist allerdings die Deutsche Bundesbahn. Sie muß heute mehr als 90 °/o ihrer Investitionen in die reine Erhaltung ihrer Anlagen stecken. Das schlechte Gewissen für diese katastrophale Entwicklung kommt in der SPD-Wahlplattform deutlich zum Ausdruck. Dort heißt es: „Wir werden die Investitionen für die Deutsche Bundesbahn aus dem Verkehrshaushalt bis 1979 verdreifachen." Das hört sich gut an, ist aber in Wirklichkeit ein blankes Täuschungsmanöver.
({15})
Dahinter steckt die Absicht, die Bahn in Zukunft ihre Defizite mehr und mehr mit gepumptem Geld finanzieren zu lassen. Es ist ja wohl ein merkwürdiges Finanzierungssystem: Investitionsmittel aus der Bundeskasse und die Verluste auf Pump.
({16})
Nicht viel anders sieht das Bild beim öffentlichen Personennahverkehr aus. In der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode wurden uns gewaltige Investitionsprogramme versprochen; ein 500-km-U-BahnProgramm, ein 10-Milliarden-Mark-S-Bahn-Programm wurden uns angekündigt. Meine Damen und Herren, wer weiß, daß i km U-Bahn mancherorts bereits 100 Millionen DM kostet, der kann sich vorstellen, daß hier die Gigantonomie, die Georg Leber für den Straßenbau geplant hatte, auch auf den öffentlichen Personennahverkehr übertragen wurde.
Die CDU/CSU hat rechtzeitig auf den drohenden Zusammenbruch dieser Politik hingewiesen. In eine 14-Punkte-Programm haben wir unsere Vorstellungen zum Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs dargelegt.
({17})
Für die Regierung hingegen war alles Gesellschaftspolitik. Öffentlicher Personennahverkehr, gepaart mit der damals bei vielen von der SPD zum Ausdruck kommenden Autofeindlichkeit, das ergab das geschlossene Weltbild, das jeden Juso glücklich machte.
({18})
Das böse Erwachen mußte auch beim öffentlichen Personennahverkehr so sicher kommen wie das Amen in der Kirche. Es mußten Staatssekretäre mit dem Auftrag durch die Lande reisen, Kilometer für Kilometer fest versprochener U- und S-Bahnen wieder einzusammeln. Helmut Schmidt meinte, dies sei Kontinuität durch Konzentration. In Wirklichkeit hatte man Sprüche geklopft und konnte sie nicht halten.
({19})
Schulte ({20})
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit zu dem verkehrspolitischen Bereich kommen, wo die Bundesregierung am eklatantesten versagt hat. Da verkündet die Regierung zu Anfang der Periode: „Die Bedeutung der Schiene wird wieder zunehmen." Aber kurz nach diesem Eisenbahnfrühling kam Helmut Schmidt und schrieb im Jahrbuch des Eisenbahnwesens 1974, 29 000 km Bahn seien viel zuviel; er könne sich vorstellen, das richtige seien 19 000 km. Kurt Gscheidle wollte es ihm besonders recht machen. Per Kabinettsbeschluß wurde auf seinen Antrag hin der Vorstand der Bahn aufgefordert, ein Streckennetz auszuarbeiten, das unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten optimal sei. Im Dezember 1975 wurde das Kabinett vorab informiert und war offensichtlich damit einverstanden. Im Januar 1976 kam der Bahnpräsident nach Bonn und hat dieses Modell zusammen mit Herrn Gscheidle der Öffentlichkeit vorgestellt. Dies war das letzte Mal, meine Damen und Herren, daß sich die beiden zusammen fotografieren ließen.
({21})
Die Empörung der Bevölkerung muß der Bundesregierung und der SPD-Fraktion den Atem verschlagen haben. Im „Kölner Stadt-Anzeiger" war ein Ausspruch von Herrn Wehner nachzulesen, diese Arbeit sei instinktlos gewesen. Der Kanzler beschimpfte plötzlich den Bahnvorstand, weil er ein Modell vorgelegt habe, das nicht einmal buchhalterisch richtig sei. Dabei lag dieses Modell verdächtig nahe an dem, was Helmut Schmidt gefordert hatte.
({22})
Aber nach all dieser Aufregung wurde plötzlich der Öffentlichkeit verkündet - dies wiederum nach einer Kabinettssitzung -, bis 1978 werde bei der Bahn überhaupt nichts passieren. Auf den Eisenbahnfrühling folgt also ein mehrjähriger Winterschlaf.
Die Verunsicherung der Eisenbahner war damit vollkommen. Die Kundschaft der Bahn fragt an, ob man denn garantieren könne, daß eine bestimmte Strecke aufrechterhalten bleibe, oder ob man sich jetzt schon umorientieren müsse. Niemand gibt darauf eine Antwort. Meine Damen und Herren, das Opfer dieser Entwicklung ist die Bahn selbst, und dies nur, weil die Bundesregierung wegen des Wahltermins plötzlich der Mut verlassen hat. Die Macher, meine Damen und Herren, sind inzwischen abgemeldet und sind in der Gefahr, daß sie selbst stillgelegt werden.
({23})
Nach zehn Jahren SPD-Verkehrspolitik - und die wurde ja von Herrn Kollegen Müller ({24}) vorher so gepriesen - soll nun plötzlich die CDU/ CSU die Schuld an der Misere der Bahn haben. Was aber klar auf dem Tisch liegt, das ist die wirtschaftliche Entwicklung der Bahn, und die sieht so aus: Seit 1970 haben sich die Schulden der Bahn verdoppelt, der Zuschußbedarf aus der Bundeskasse fast verdreifacht, das Defizit der Bahn mehr als verdreifacht, haben sich die mit Krediten finanzierten Verluste der Bahn fast verfünffacht. Dies alles ist
die Folge eines atemberaubenden Zickzackkurses der Eisenbahnpolitik der Bundesregierung.
({25})
- Herr Kollege Müller ({26}), jetzt hören Sie einmal zu: Während es jetzt Modelle gibt, ein Drittel aller Eisenbahner heimzuschicken, wurden unter Georg Leber und Herrn Lauritzen 40 000 Eisenbahner neu eingestellt. Während jetzt über den Abbau von Verkehren, und zwar im großen Stil, gesprochen wird, setzte Georg Leber auf die maximale Auslastung. Während die Bahn Anfang der 70er Jahre ihre Preise nicht erhöhen durfte, wird sie jetzt vom Verkehrsminister aufgefordert, bei den Preisen in die vollen zu gehen. Während 1973 ein Expansionsmodell die Bahn sanieren sollte, soll jetzt Amputation das Patentrezept sein.
({27})
Meine Damen und Herren, auch das gesündeste Unternehmen der Privatwirtschaft hätte solche Wechselbäder nicht überstanden. Die Verantwortung dafür trägt allein die Bundesregierung.
({28})
Meine Damen und Herren, wir haben auch in der Bundesbahnpolitik mit konkreten Initiativen und Alternativen eine konstruktive Arbeit geleistet. Statt nur in der Amputation das Heil zu suchen, haben wir die Möglichkeiten einer offensiven Bundesbahnpolitik in Form eines Gesamtpakets von möglichen Maßnahmen aufgezeigt. Unser Konzept ist es, die Bahn gerade dort zu stärken, wo sie bisher ihre arteigene Überlegenheit nicht ausspielen konnte. Dies soll durch ein Mehr an Flexibilität im Innern, im Verhältnis zu ihrer Kundschaft, im Verhältnis zu den anderen Verkehrsträgern geschehen. Unser Instrument für die Sanierung der Bahn ist nicht die Axt wie bei Ihnen, sondern der Bleistift.
({29})
Wir haben Wege aufgezeigt, wie man den Investitionsspielraum der Bahn erweitern kann. Wir haben eine Politik der optimalen, nicht der maximalen Auslastung gefordert, wie es Georg Leber versucht hat. Betreibt man eine Politik der maximalen Auslastung, dann ist das Politik nach Art der Eierfrau, die um einen Pfennig billiger verkauft, als sie einkauft, und dann sagt, wenn ich schon im Defizit bin, muß es halt die Masse machen.
({30})
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat durch ihre Arbeit viel dazu beigetragen, daß es in vielen Bereichen der Verkehrspolitik nicht noch schlimmer geworden ist. Wir konnten eine Reihe von Gesetzen so verbessern, daß wir zum Schluß zustimmten. Viele unserer Anregungen hingegen fanden keinen Eingang in die Politik dieser Bundesregierung. Wir haben alternative Konzepte vorgelegt, von der Flugsicherung bis zur Bundesbahn, vom öffentlichen PerSchulte ({31})
sonennahverkehr bis zur Marktordnungspolitik, von der Verkehrssicherheit bis zum Fahrschulwesen. Wenn wir heute die Verkehrspolitik der Bundesregierung und die Arbeit ihres Ministers zu durchleuchten haben, müssen wir feststellen, daß in dieser Legislaturperiode, gemessen an dem, was angekündigt wurde, die Verkehrspolitik weithin zu einem Trümmerhaufen geworden ist.
({32})
Wir werden deshalb den Verkehrshaushalt ablehnen. Der Verkehrsminister ist am verkehrten Platz. Das haben auch eigene Kollegen schon gesagt. Er hat sich zum Bruchpiloten des Kabinetts entwickelt. Auch in der Verkehrspolitik ist deshalb die Zeit für eine Wende gekommen.
({33})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe dem „Handelsblatt" vom 20. April entnommen, die Opposition werde in der Haushaltsdebatte eine Generalabrechnung mit der miserablen Verkehrspolitik der Bundesregierung vornehmen. Nun habe ich ja erst den einen Abrechner gehört. Nachher soll wohl der zweite kommen.
Nur glaube ich, Herr Kollege Dr. Schulte, Sie haben sich da etwas viel vorgenommen. Denn was Sie hier gebracht haben, war das Zeichnen eines Negativbildes des derzeitigen Bundesverkehrsministers in allgemeinen Redewendungen, ohne daß Sie in der Lage waren, Fehlleistungen in der Verkehrspolitik aufzuzeigen.
({0})
Über das Telefon, Herr Kollege Schulte, wird sicher nachher noch gesprochen. Aber auch da ist eine differenzierte Betrachtungsweise der Vorschläge möglich. Ich persönlich betrachte die Vorschläge eben doch etwas anders, als es Ihre Fraktion in der Masse tut.
Sie haben wieder von dem berühmten „Zickzackkurs" und der „verfehlten Verkehrspolitik" gesprochen.
({1})
Ich darf hier feststellen: Zumindest seit der Regierung Schmidt/Genscher gibt es keine Zickzack-Politik, sondern eine Zack-Politik.
({2})
Und diese Zack-Politik gedenken wir noch eine ganze Weile fortzusetzen. Sollten Sie jemals an die Regierung kommen - was ich nicht glaube -, dann können Sie vielleicht auf Zackzack gehen.
Das mag so sein. Denn so kommen Sie mir mit Ihren verbalen Angriffen vor: möglichst zackig; ob der Gehalt ausreicht, spielt keine Rolle.
({3})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, insbesondere die Verkehrspolitiker: Wann haben Sie denn überhaupt erst die Verkehrspolitik entdeckt? Denn an Zitaten der deutschen Presse nachweisbar war bis 1972 in diesem Bereich bei Ihnen Sendepause, totale Sendepause!
({4})
Da hat die Presse - und dieses Urteil hat uns nicht immer geschmeckt; es gibt da gelegentlich Differenzen - behauptet, die eigentliche Oppositionsrolle in der Verkehrspolitik spiele die FDP. Von Ihnen war ja nichts zu hören.
({5}) - Nachweisbar!
Herr Kollege Schulte, ich bemühe mich, gerecht zu bleiben:
({6})
Das hat sich geändert. Das gebe ich zu. Sie haben einige Aktivitäten entwickelt.
({7})
Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wenn diese Verkehrspolitik verfehlt ist, wo hat denn die Opposition ein anderes Konzept der Verkehrspolitik vorgelegt, das diesen Namen verdient? Denn sicher sind Sie wie wir Freien Demokraten der Meinung, daß sich die Verkehrswirtschaft im Rahmen der Marktwirtschaft abzuwickeln hat und daß wir keine dirigistischen Maßnahmen als Grundlage unserer Verkehrspolitik vorsehen wollen, es sei denn, daß wir in gewissen Brennpunkten und - auch da haben Sie ja bisher immer zugestimmt - in Ballungsräumen zu einer gewissen Verkehrslenkung kommen. Darin sind wir alle bisher d'accord gewesen.
Ich stelle fest, daß die deutsche Verkehrswirtschaft in der Lage ist, jedweden Transportbedarf in der Bundesrepublik zu erfüllen und ihm zu genügen. Das können Sie nicht in Abrede stellen. Sie mögen vielleicht sagen: Die Eisenbahn kann das nicht. Aber wo steht denn geschrieben, daß allein die Eisenbahn die Grundlage unseres Transportwesens ist? Sie haben das doch nie behauptet, glaube ich. Von daher verstehe ich Ihre überzogene Kritik an dem betriebswirtschaftlich optimalen Netz überhaupt nicht. Darauf werde ich nachher noch eingehen.
({8})
- Darauf komme ich noch. Ich habe die Zitate und die Zeitschriften hier vor mir liegen. Wir lesen ja gelegentlich auch noch, obwohl wir zeitlich sehr überlastet sind.
({9})
- Herr Kollege Stücklen, ich kann lesen, unbestritten. In meinem Beruf muß man lesen können. Wir beide haben ja wohl den gleichen Beruf oder einen ähnlichen.
({10})
Aber ob Sie immer zuhören können, weiß ich noch nicht. Ansonsten sind wir uns wohl einig, Herr Kollege Stücklen. Es wäre ja ganz schlimm, wenn wir uns nicht einmal über die Berufsbezeichnung unter den verschiedenen Fraktionen verständigen könnten.
({11})
Sie haben fast alle wichtigen Vorlagen mit uns getragen. Sie wurden einstimmig verabschiedet. Herr Kollege Schulte, Sie haben auch Änderungsvorschläge gemacht. Wir haben sie geprüft und akzeptiert, wenn wir sie für wertvoll hielten. Aber wir hatten ja wohl immer die Mehrheit, Herr Kollege Schulte; ohne uns lief wohl nichts, ohne die Freien Demokraten im besonderen noch viel weniger. Das müssen Sie doch wissen.
({12})
Ich sehe gerade Herrn Milz vor mir, der „ganz allein" die A 1 gebaut und durchgesetzt hat. Er bekommt demnächst ein Denkmal. Er hat das „ganz alleine" gemacht. Man braucht ja nur einen allein, um eine Mehrheit zu bekommen.
({13}) Aber wir wollen das nicht näher untersuchen.
({14})
- Herr Kollege Lemmrich, das wollen wir nicht näher untersuchen.
Sie haben der Güterkraftverkehrsnovelle zugestimmt, und Sie haben auch der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes zugestimmt, das leider durch Ihre Länder im Bundesrat - auch einige von uns waren dabei - nicht Gesetz geworden ist. Wir wollten das einstimmig haben. Das haben Sie mitgemacht. Sie haben vor wenigen Tagen auch mitgemacht die Änderung des Personenbeförderungsgesetzes und des Allgemeinen Eisenbahngesetzes. Das war eine Initiative der Regierung, nicht von Ihnen. Es waren ja alles Regierungsinitiativen; von Ihnen kam keine einzige Initiative. Sie haben auch das Fahrpersonalgesetz mitgemacht,
({15})
das Gesetz über das Fahrlehrerwesen, das Gesetz über den Transport gefährlicher Güter. Und vor einigen Tagen wurde der Bedarfsplan für den Bundesfernstraßenbau hier einstimmig verabschiedet.
Da haben Sie die Stirn, sich hier hinzustellen und zu sagen „eine völlig verfehlte Verkehrspolitik", wo Sie doch 90 O/0 der Vorhaben gesetzlicher Art in diesem Bereich mitgemacht haben!
({16})
Nun muß ich sagen: Sie waren mit dem Bedarfsplan für den Bundesfernstraßenbau nicht so ganz einverstanden. Herr Kollege Lemmrich hat etwas anderes gesagt als Sie; nicht daß der Mangel verteilt werden mußte, sondern er hat gesagt: Der Finanzrahmen ist knapp, sogar sehr knapp. Das bestreiten wir nicht, Herr Lemmrich. Allerdings frage ich Sie: Wir haben in der Bundesrepublik 460 000 km Straßen, davon 45 000 km Bundesstraßen und Autobahnen.
({17})
Nach diesem Bedarfsplan bauen wir weitere 5 100 km aus und neu. Herr Kollege Lemmrich, glauben Sie, daß wir in Deutschland nur Straßen bauen dürften? Ist nicht auch die Misere der Bundesbahn zumindest zum Teil darauf zurückzuführen - das behaupten ja auch Kritiker, die man ernst nehmen muß -, daß wir eben über ein so vorzügliches Straßennetz verfügen?
({18})
- Ich persönlich bin anderer Meinung. Ich bin auch weiterhin für Straßenbau, aber alles im Rahmen des finanziell Machbaren und in Übereinstimmung mit dem Notwendigen und Gewünschten. Es gibt eben Leute, beispielsweise Umweltschützer, die sehr große Bedenken dagegen haben, den ungezügelten Straßenbau der vergangenen Jahre so fortzuführen.
({19})
- Ich persönlich habe auch welche; ich habe einige geäußert. - Das haben Sie also mitgemacht.
Man kann doch nicht von einer schlechten Verkehrspolitik reden, wenn die Verkehrsbedürfnisse der deutschen Wirtschaft und unserer Menschen in ihrem Mobilitätswunsch voll erfüllt werden können,
({20})
sicherlich über verschiedene Verkehrsbänder: Schiene, Straße, Luft und Wasser.
({21})
Herr Kollege gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich komme mit der Zeit sonst nicht aus.
Herr Kollege Schulte, Sie haben Kritik am Bundesverkehrsminister geübt. Anderes blieb Ihnen eigentlich gar nicht mehr übrig, wie das von mir Gesagte sicherlich beweist. Das ist wohl nicht zu widerlegen; denn einstimmige Verabschiedungen sind im Protokoll ausgewiesene Tatsachen, die Sie nicht aus der Welt schaffen können.
({0})
Herr Schulte, zur Eisenbahn haben Sie gesagt: Dieser Zickzackkurs ist eine völlige verfehlte Politik. Da finde ich in Ihrer Erklärung - ({1})
- Herr Kollege Lemmrich, haben Sie unser Verkehrsprogramm schon einmal gelesen? Wir reden seit Jahr und Tag davon, daß sich die Eisenbahn geordnet aus der Fläche zurückzuziehen habe, weil sie dort mit dem Kraftfahrzeug nicht konkurrieren könne. Etwas anderes haben Sie von mir und der Fraktion der Freien Demokraten seit 1969 hier nicht gehört.
({2})
- Nein, das gibt es nicht.
Nun lese ich in der Verlautbarung des Herrn Kollegen Schulte - in seiner Rede ist er darauf zurückgekommen -, daß es beim Ausbau des Nahverkehrs vorn und hinten nicht reiche. Aber haben wir im Ausschuß nicht darüber nachgedacht, ob es in der Vergangenheit nicht falsch gewesen sei, den Ländern und Gemeinden soviel Geld für den Ausbau ihrer Nahverkehrseinrichtungen zur Verfügung zu stellen, in einer Höhe, die die Gemeinden verleitet, dieses Geld in teuren U-Bahn- und Stadtbahnbauten anzulegen? Das war bei uns allgemeine Überzeugung, und gerade Sie haben darauf hingewiesen, daß die Folgekosten bei dem ungehemmten Investitionsdrang nicht bedacht werden. Da kann doch das Geld nicht vorne und hinten fehlen, Herr Kollege Schulte,
({3})
und deshalb versuchen wir - das hat der Bundesverkehrsminister getan -, hier etwas kürzer zu treten. Aus diesen Maßnahmen spricht der Realitätssinn dieses Ministers.
({4})
- Herr Haase, das werden Sie nicht begreifen, Sie haben sich mit dem Problem noch nie beschäftigt, sondern vielleicht mit allen anderen, aber auch da wenig erfolgreich.
Ich lese von Herrn Schulte in der Stellungnahme zum Problem und zu der Vorlage des betriebswirtschaftlich optimalen Netzes der Bundesbahn: Eine Halbierung des Streckennetzes wird es nicht geben. Herr Schulte, wie hätten Sie es denn gerne? Soll ein Drittel weg oder das gesamte Netz? Oder befürworten Sie die Vorschläge des Herrn Kollegen Jobst, der nach mir spricht, oder die Ihres Kollegen Jahn ({5}), die er in seiner Stellungnahme aufführt? Das sagt sich schön. Wer will denn halbieren?
({6})
Bis jetzt hat niemand erklärt, daß er das Streckennetz halbieren will. Das Streckennetz muß lediglich verkürzt werden, nämlich dort, wo die Einrichtungen der Bahn von der Bevölkerung nicht mehr in Anspruch genommen werden.
Diese Entwicklung ist nicht Schuld irgendeines Ministers. Wir hatten 1968 11,7 Millionen Pkw, wir haben heute 19 Millionen Pkw. Diese fahren nicht ohne Menschen und stehen nicht leer herum, sondern darin sitzen die Menschen, die früher einmal mit der Bahn und mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln gefahren sind. Sie können sicherlich den Vorschlag machen: da werden wir einmal mit Gesetzgebungsmaßnahmen versuchen, den Trend zu ändern. Aber den Mut haben Sie auch nicht, sondern Sie sprechen von anderen Dingen.
Herr Kollege Schulte, Sie haben heute wiederholt: Ihre Initiative ist der Bleistift. Ich stelle mir so richtig vor, wie der Bleistift als Streckenstillegungsalternative anfängt zu wirken. Sie haben den Bleistift sicherlich gewählt, weil man die Striche schnell wieder wegradieren kann. Aber was hat die Bundesbahn bisher anders gemacht, als auch mit dem Bleistift zu arbeiten? Sie hat nämlich alles das schon getan, was Sie fordern: mehr Verkehr auf die Strecke, Rabattangebote. Sie hat ihre Verkaufs- und Propagandabeamten mit Sonderangeboten in die Landschaft geschickt. Sie gibt Rabatte. Was ist denn z. B. der Städtestückguttarif anders als das, was Sie wollen? Aber ich warne vor hochgeschraubten Erfolgserwartungen bei diesem Ansetzen des Bleistifts bei den Rabatten und bei der Mehrbelastung der Bundesbahn durch hervorragende Angebote. Wir wissen nämlich heute nur, daß dieser Städtestückguttarif mit 29 °/o Rabatt in einem eisenbahnspezifischen Verkehr von Knoten zu Knoten sicherlich keine nachweisbaren Mehreinnahmen gebracht hat. - Herr Kollege Sick, Sie nicken mir zu.
Eine weitere Maßnahme, auch eine Bleistift-Maßnahme, ist der Sondertarif für Güter der Nahrungs-und Genußmittelindustrie - bei einer Leistungsannahme durch die Bahn in Höhe von 15 000 t. Bei der Genehmigung dieses Tarifs haben wir nur sehr zögernd zugestimmt, weil wir fürchteten, daß die Rechnung bei diesem Abenteuer vielleicht auch nicht ganz aufgeht. Dann komt der Öltarif hinzu. Alles das sind diese Bleistift-Maßnahmen, die Sie vorschlagen, Herr Schulte. Nichts anderes haben Sie vorgeschlagen. Sie sagen: Die Bahn muß kaufmännisch denken. Und Herr Jobst wird nachher sagen: Da muß eben mehr auf die Bahn gebracht werden, ohne aber zu sagen, wie wir die Güter auf die Bahn bringen sollen, die alle bleiben müssen, damit die 29 000 km weiter in Betrieb gehalten werden.
({7})
Das klingt für die Eisenbahner verlockend, sehr verlockend, nur stimmt es nicht mit der Wirklichkeit überein.
Herr Kollege Jobst, wenn Sie nachher auf die Frage der Wettbewerbsverzerrungen eingehen sollten, kann ich Ihnen nur sagen: vorsichtig, vorsichtig! Wollen Sie den gewerblichen Güterverkehr steuerlich noch höher belasten, um Wettbewerbsverzerrungen abzubauen? Wollen Sie die Mineralölsteuer und die Kfz-Steuer noch mehr erhöhen, als es heute schon der Fall ist? Oder wollen Sie die Binnenschiffer die tatsächlichen Kosten zahlen lassen? Hier liegt doch das Problem, Herr Kollege Jobst. Dann hört es auf mit der Binnenschiffahrt in der Bundesrepublik. Aus! Darüber kann die Bundesbahn sich freuen, sicherlich. Aber Sie haben doch den Nord-Süd-Kanal nicht mit Ihrer Fraktion abgeOllesch
lehnt, der dazu beiträgt, daß es weitere Wettbewerbsverzerrungen zwischen der Bahn und anderen Verkehrsträgern gibt. Man muß doch mit dem Angebot von Rezepten sehr vorsichtig sein.
Herr Kollege Schulte, eine Halbierung wird es nicht geben.
Ich habe hier eine Zeitschrift.
({8})
Ich setze mich mit Ihren Vorwürfen über die angeblich verfehlte Verkehrspolitik auseinander.
({9})
In der Zeitschrift „Personenverkehr" lese ich, daß der Kollege Schulte bei den deutschen Autobusunternehmern gesprochen hat, die im Reiseverkehrsverband zusammengeschlossen sind. Dort hat er erklärt:
Daß es auf dem flachen Lande
- hören Sie gut zu, Herr Kollege Jahn und Herr Kollege Jobst sowieso keine Alternative zum Bus gibt, ist spätestens seit der vom Bundesminister für Verkehr herausgegebenen Studie über bestehende und künftige Nahverkehrstechniken unumstritten.
- Und weiter:
Die Zeit ist reif für eine verstärkte Hinwendung zum Omnibus.
({10})
Nun soll das ja alles wohl nicht so gewesen sein.
Der Landtagskollege Runtsch aus Hessen hat sich an einer Podiumsdiskussion beim Verband der hessischen Omnibusunternehmer beteiligt. Er hat zuerst etwas anderes gesagt; er hat Bezug genommen auf einen Professor,
({11})
der erklärt hat, daß es zum Auto und zum Omnibus keine Alternative gebe. Das hat der Professor gesagt. Nun, Herr Runtsch, Landtagsabgeordneter der CDU, hat doch sicher nicht als Herr Runtsch gesprochen. Es wäre doch schlimm, wenn Sie den Verbänden Leute anböten, die ihre private Meinung verkaufen und nicht die politische ihrer Fraktion oder Partei; obwohl ich das immer wieder feststelle. Das geht von den Sozialausschüssen bis zu den Eisenbahnern; je nachdem, wo man ist, spricht man entsprechend.
({12})
Der Herr Kollege Runtsch hat gesagt, deshalb sei es nicht zu verstehen, warum sich die Bundesbahn nicht ganz aus der Fläche zurückziehe, um sie dem privaten Omnibusbetrieb zu überlassen; denn für eine private, rational geführte Wirtschaft gebe es
einfach keinen Ersatz. Den letzten Halbsatz unterstreiche ich. Nur, meine Damen und Herren: Wenn Sie draußen diese Erklärung abgeben - gefärbt je nach Teilnehmerzahl -, dann stellen Sie sich bitte hier nicht hin und werfen dem Minister, der endlich ein reales Konzept hat, vor, er betreibe eine verfehlte Verkehrspolitik.
({13})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Jobst, was sagen Sie denn bitte zum Stückgut?
({14})
Haben Sie sich zum Stückgutmodell 400 erklärt, oder wollen Sie das Defizit von 1,5 Milliarden DM in diesem Bereich weiter tragen? Wir haben den Mut gehabt, zu sagen, die Eisenbahn solle sich vom Stückgut trennen, weil sie hier mit der Straße nicht konkurrieren könne, daß dies ein Weg sei, die Bahn vom hohen Defizit herunterzubringen. Das erklären Sie doch einmal draußen deutlich! Erklären Sie nicht: Es muß mehr Gut auf die Bahn, ohne zu sagen, mit welchen Gesetzesmaßnahmen Sie das machen wollen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nun zum Schluß kommen.
({15})
- Wissen Sie, ich mache das doch nicht alles ganz kostenlos, Ihnen Belehrungen zu erteilen, die Sie notwendig haben, damit Sie endlich einmal eine realistische, sachbezogene Verkehrspolitik machen.
({16})
Ich frage noch einmal: Wenn der Minister keine Konzeption hat, wenn seine Verkehrspolitik konzeptionslos ist, dann legen Sie Ihre Straßenkonzeption vor, dann legen Sie Ihre Bahnkonzeption vor; denn der Bleistift und die Aussage „Es wird nicht halbiert" oder „Es wird gar nichts verändert" - wie Herr Jobst oder Herr Jahn sagen werden - genügen eben nicht, um das Problem der geringeren Inanspruchnahme der Eisenbahnen als Transportmittel zu lösen. Das müssen Sie doch gleich dazusagen, wenn Sie dieses Lamento erheben. Soll denn die Bahn auf den Strecken, auf denen niemand mehr mit der Bahn fahren will, weiter fahren müssen? Wollen Sie es verantworten, schlicht und einfach den Verkehr dort einzustellen?
({17})
Herr Haase, da bedarf es nicht einmal eines Auffangkonzeptes, weil der deutsche Güterkraftverkehr, die Omnibusbetriebe, der öffentliche Personennahverkehr und die Bundesbahn selbst mit ihren Omnibussen in der Lage sind, dieses Wenige an Eisenbahnverkehr ohne besondere Auffangkonzepte aufzunehmen.
Das ist unbestritten. Das hat Wirtschaftsminister Jaumann auf einer Fachtagung des Güterverkehrs erklärt: er sei überzeugt, daß der deutsche Güterkraftverkehr in der Lage sei, alle gewünschten. Transportleistungen dort zu übernehmen, wo die Bahn aus Kostengründen nicht mehr fahren könne.
({18})
Meine Damen und Herren, ich habe Anlaß, dein Bundesverkehrsminister für meine Fraktion ausdrücklich für eine Politik zu danken, die sachbezogen ist, die realistisch ist und die nicht verschwommenen Idealvorstellungen oder Ideologien nachhängt.
({19})
Dies auszusprechen, meine Damen und Herren, ist mir ein ehrliches Bedürfnis.
({20})
Nun mag das Drumherum - und das konzediere ich Ihnen - sicherlich nicht immer zur vollen Zufriedenheit gelaufen sein. Vielleicht ist manches an der psychologischen Vorbereitung schief gelaufen. Ich erinnere nur an die Verordnung über den Taxenverkehr.
({21})
- Ja, sehr gut. Aber, meine Damen und Herren, der angezogene Teil, der von Ihnen so belacht wurde, stammt aus dem Jahre 1960. Wenn ich mich recht erinnere, war damals der Herr Bundesverkehrsminister Seebohm im Amt.
({22})
- Nein, wir Freien Demokraten waren bis 1961 in der Opposition. Wir haben mit nichts zu tun.
({23})
- Ja, meine Damen und Herren, was wollen Sie denn? Geben Sie es doch einmal zu: Die 8-PS-proTonne-Verordnung stammt aus dein Jahre 1969. Wir haben sie bekämpft. Damals hatten Sie die Große Koalition, an der wir nicht beteiligt waren.
({24})
Die umstrittene EWG-Sozialverordnung 543/69 kommt aus dem Jahre 1969, aus der Zeit Ihrer Großen Koalition. Wir haben sie - Herr Müller-Hermann, das werden Sie mir zugestehen müssen - ab 1969, als wir in die Regierung gingen und als ich Mitglied des Verkehrsausschusses wurde, von Anfang an bekämpft. Auch dies ist nachweisbar anhand von Unterlagen. Es spricht doch für die Güte dieses Ministers, daß er diese umstrittenen Verordnungen zunächst einmal außer Kraft gesetzt hat. Das war doch wohl auch Ihr Wunsch, und das müssen Sie ihm doch wohl konzedieren, daß er sich hier als weitaus sachkundiger und realistischer gezeigt hat als seine Vorgänger, auch als die Vorgänger, die Sie gestellt haben.
({25})
Nun, meine Damen und Herren, zur Bahn selbst. Wir Freien Demokraten haben die Vorlage des betriebswirtschaftlich optimalen Netzes begrüßt. Die Bundesbahn ist doch ein Unternehmen, das zum
einen der Allgemeinheit verpflichtet ist, aber auch nach kaufmännischen und wirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden muß. Diese Doppelstellung bildet eine Aufgabe, die nur sehr schwer zu lösen ist, wenn wir an die politischen Forderungen denken, die überall, hier und dort, erhoben werden. Aber man muß doch wissen, auf welchem Netz die Bahn, ohne daß wir die Defizite dort ausgleichen müssen, einigermaßen kostengünstig fahren kann. Auf diesem Netz, das dargestellt ist und das sicherlich korrigiert wird, weil die Zahlen überprüft werden müssen, sollten wir dieses Unternehmen durch Rationalisierung stärken. Das haben wir vor, das ist unser Wille. Dann bleibt einem doch - das kenne ich auch aus der Privatwirtschaft gar nicht anders - nichts anderes übrig, als festzustellen, wo man denn noch die Strecken aufrechterhalten muß, die nur defizitär betrieben werden können. Diese Feststellung ist eine Aufgabe, die dem Staatssekretärausschuß übertragen ist, der mit den - zum Teil auch von Ihnen geführten - Ländern feststellt, wo eine Strecke aus regional- oder strukturpolitischen Gründen unbedingt aufrechterhalten bleiben muß.
Nun können Sie am Timing, wie man heute sagt, am Zeitplan Kritik ansetzen. Es sieht ja auch so aus, daß es wegen der Bundestagswahl so sein könnte. Ich hoffe, daß es nicht so ist.
({26})
- Herr Müller-Hermann, das können Sie der Fraktion der Freien Demokraten doch wohl nicht vorwerfen. Wir stellen nicht alle Minister in dieser
Regierung - oder noch nicht alle, wie Sie wollen.
({27})
Aber an der Notwendigkeit dieser Operation, meine Damen und Herren, mogeln Sie sich doch nicht vorbei mit schillernden Erklärungen hier für die Kundigen, draußen für die, die im einzelnen nicht so im Bilde sind über das, was Sie ansonsten vernünftigerweise zu sagen gezwungen sind.
Ich darf abschließend bemerken, daß wir diesem Haushalt - einem der wichtigsten -, weil er ein ordentlich geführter Haushalt ist, in der zweiten Lesung zustimmen werden und daß wir Ihren Änderungsantrag, der der Ausfluß Ihres Ärgers über diesen vernünftig arbeitenden Minister ist, ablehnen werden. Ich darf Ihnen herzlich danken.
({28})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jobst.
({29})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe den Eindruck, daß Herr Kollege Ollesch und auch sein Vorredner, Herr Müller ({0}), bewußt versucht haben, aus der Debatte eine Heiterkeitsstunde zu machen.
({1})
Zunächst waren es Ostfriesenwitze, dann war es eine Zack-Zack-Rede. Wir sind für Erweiterungen immer sehr dankbar und auch dafür zu haben, aber ich meine, die Verkehrspolitik sieht leider Gottes ganz anders aus, als die beiden Herren sie dargestellt haben.
({2})
Herr Kollege Ollesch, Sie haben beklagt, mein Kollege Schulte habe den Verkehrsminister zu sehr angenommen. Nun, das, was der Herr Kollege Schulte heute über den Bundesverkehrsminister gesagt hat - er hat ja im wesentlichen nur zitiert -, ist doch nur ein leichtes Säuseln gegenüber dem, was die Genossen über den Bundesverkehrsminister gesagt haben und wie sie sich über ihn auslassen.
({3})
Was können wir denn dafür, wenn der Herr Brandt, sein Parteivorsitzender, Witze über ihn macht? Was können wir dafür, wenn sein Kanzler ihn abkanzelt? Und was können wir dafür, wenn sich seine Gewerkschaftsfreunde, wie es in der „Welt der Arbeit" geschehen ist, von ihm abwenden?
Sie, Herr Ollesch, haben ihm großen Dank gezollt. Nun, ich meine, daß die SPD über ihren Verkehrsminister ganz anders denkt. Ich habe z. B. heute morgen eine Zeitung in meinem Briefkasten vorgefunden, und da ist folgendes zu lesen:
Ich glaube nicht mehr an den tieferen Sinn von Sprichwörtern. Nehmen Sie z. B. den Satz „nomen est omen" ; sehr frei übersetzt: „An ihren Namen sollt ihr sie erkennen." Da gibt es nun einen Minister im Bonner Kabinett, dessen Name nach diesem Sprichwort zu den schönsten Hoffnungen Anlaß gab: Gscheidle. Jedoch, die schönen Hoffnungen ließ der Bürger bald fahren, sozusagen im Vierminutentakt, nachdem der Telefonbenutzer, ohnehin schon arg geschröpft, nach den Plänen des Ministers tanzen sollte. Doch nicht nur die Postkunden wurden jäh aus ihren Blütenträumen gerissen, auch die Bahnbenutzer trat man charmant vors Schienbein: 14 000 von 29 000 Schienenkilometern wollte die Bahn stilllegen, dazu wurden noch als besonderer Kundendienst saftige Tariferhöhungen in Aussicht gestellt ... Allenthalben öffentliche MaßhalteAppelle - und dann saftige Gebührenerhöhungen. Und das auf allen Ebenen, nicht nur im Verantwortungsbereich des unglücklichen Ministers Gscheidle.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, woraus ich eben zitiert habe, ist die SPD-Zeitung „Kess und Dott", herausgegeben von der SPD Bonn-Süd.
({4})
Wenn die SPD schon ihren Verkehrsminister als Unglück bezeichnet, dann glauben wir doch auch berechtigt zu sein, hier einige sachliche Kritik anbringen zu dürfen.
({5})
Es ist von Erfolgen in der Verkehrspolitik gesprochen worden. Wie sieht es denn nun aus?
Die Eisenbahner sind geschockt und verbittert. Die Wirtschaft und die Bevölkerung in den ländlichen Räumen ist verunsichert. Die Bahn soll zertrümmert werden: Ausverkauf der Hälfte des Netzes. 1974 hat
Wenn überzählige Kräfte in Deutschland aufkommen sollten, dann werden wir sie bei der Bahn und bei der Post unterbringen. Heute haben wir eine Million Arbeitslose. Die Bahn hat aber nicht nur keinen Kräftebedarf, sondern sie ist nicht ausgelastet und die Strecken sollen demontiert werden. Der Kanzler und sein Verkehrsminister haben den Mund zu voll genommen.
Genauso sieht es doch für die Autofahrer und für den Güterkraftverkehr aus. Beide sind doch in den letzten Jahren von dieser Regierung erheblich gemolken worden: mehrfache Erhöhungen der Mineralölsteuer, um insgesamt 12 Pfennig in den letzten Jahren, wenn Sie die Mehrwertsteuer hinzunehmen. Der Straßenbau ist erheblich rückläufig. Mit dem neuen Änderungsgesetz zum Straßenausbauplangesetz haben Sie doch den Offenbarungseid geleistet und bewiesen, daß der Leber-Plan gescheitert ist und nur eine Seifenblase war.
({0})
Wir haben einige Korrekturen mit durchgesetzt. Die fehlenden Straßen in ländlichen Räumen machen sich doch bemerkbar. In diesen Regionen haben wir doch heute die hohe Arbeitslosigkeit, weil die nötige Infrastruktur nicht vorhanden ist und weil jetzt noch die Verunsicherung dazukommt, daß die Bahn zurückgezogen werden soll. Mit dem neuen Änderungsgesetz zum Fernstraßenausbauplangesetz wollen Sie doch die früher gemachten Hoffnungen kaschieren, und Sie möchten jetzt die Bürger hinters Licht führen und alles vertuschen, was Sie früher einmal groß versprochen haben. Die großspurigen Versprechungen stehen im Gegensatz zu der traurigen Wirklichkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie schaut es denn beim öffentlichen Personennahverkehr aus? Auch hier überschwengliche Versprechungen! Mit einem unrealistischen Nahverkehrsprogramm wollte diese Regierung die Bürger von der Herrschaft des Autos befreien. Die Städte wurden zu großen Verschuldungen animiert. Auch hier ist Ernüchterung eingetreten. Zehn Jahre SPD-Verkehrspolitik haben zu dem Tiefstand in diesem Bereich geführt. Die Bundesbahn wurde heruntergewirtschaftet, der Straßenbau ist reduziert worden. Eine miserable Situation muß diese Regierung vorweisen.
({1})
Die Unsicherheit, die heute im verkehrspolitischen Bereich besteht, ist unerträglich.
({2})
Die Regierung tut jetzt so, als gehe sie dieser
Schrumpfungsplan, der über die Bundesbahn vorgelegt wurde, nichts an. Das ist kein Modell der Bahn
allein. Das ist der Plan der Bundesregierung, der nach ihren politischen Vorgaben erstellt wurde.
Herr Minister Gscheidle hat jetzt versucht, den Rückzug anzutreten. Darin wollte er erfolgreicher sein als in der eigenen Verkehrspolitik: Er ist zum Rückzugsminister geworden.
Jetzt wird immer gesagt - auch der Herr Minister wird es sagen -, daß nun ein Staatssekretärausschuß eingesetzt wird mit dem Ziel, das betriebswirtschaftliche Netz durch das volkswirtschaftliche zu ergänzen. Lassen wir uns nicht täuschen: Ausgangspunkt sind jene 15 945 km, die nach diesem Vorschlag bleiben sollen, und nicht irgendeine Zahl. Für die katastrophalen Folgen, die bei der Verwirklichung der Schrumpfungsplanungen eintreten, spielt es keine Rolle, ob noch 1 000 km oder einige 1 000 km hinzukommen. Mit der von Brandt und Lauritzen gepriesenen Eisenbahn der Zukunft, soll es vorbei sein. Sie soll zur Makulatur gelegt werden.
Sie wollen heute dem Bürger nicht die Wahrheit sagen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch in der Politik zahlt sich Ehrlichkeit aus. Sie müssen heute für Ihre Unehrlichkeit büßen.
({3})
1965, vor einer Bundestagswahl, hat der damalige Kanzlerkandidat an alle Eisenbahner geschrieben. Es war Herr Brandt. Ich darf zitieren:
Liebe Eisenbahner!
Wir sind der Meinung, daß wir es bei dem Defizit nicht mit einem Naturereignis zu tun haben. Die derzeitige Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben die Bundesbahn und ihre Beschäftigten im Stich gelassen, obwohl sie die Folgen kennen mußten.
Bei ganz anderen Verhältnissen, bei einem harmlosen Defizit und geringfügigen Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt damals dieses große Lamento! Heute, bei dieser verheerenden Situation, bei dem Tiefstand der Bahn wären wir berechtigt, ganz andere Töne anzuschlagen.
({4})
Die Verkehrspolitik Ihrer Regierung, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD und der FDP, ist von schweren Fehleinschätzungen gekennzeichnet. Wir stehen wirklich vor einem Scherbenhaufen verkehrspolitischer Hoffnungen und großspuriger Planungen. Das Schrumpfungsmodell dieser Regierung, durch das die Eisenbahner geschockt und verbittert und die Wirtschaft und die Bevölkerung der ländlichen Räume verunsichert wurden, ist nicht das Konzept der CDU/CSU.
({5})
Dieses Modell ist übrigens nur über den Daumen gepeilt und soll eine gewisse Augenwischerei bezwecken. Damit soll demonstriert werden, daß die Regierung handeln würde.
Ich sage Ihnen nur: Mit einem Kahlschlag, wie Sie ihn vorhaben, kann die Deutsche Bundesbahn nicht gesunden. Es ist nämlich ein Trugschluß, anzunehmen, daß mit einer Streckenstillegung eine adäquate Verringerung der Personalintensität und damit eine Verringerung des Defizits bei der Bahn herbeigeführt werden könnte. Die Deutsche Bundesbahn hat heute 29 000 km Strecke und rund 400 000 Beschäftigte. Auf einen Kilometer entfallen also jetzt 13 Beschäftigte. Nach diesem Schrumpfungsplan sollen 16 000 km übrig bleiben mit einem Personalstand von 260 000. Hier würden auf einen Kilometer 16 Beschäftigte entfallen - also eine Erhöhung der Personalintensität und keine Verringerung der Personalintensität.
Vizepräsident von Hassel: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wendt?
Ja, bitte, Herr Kollege.
Herr Dr. Jobst, könnten Sie uns denn erklären, wie Sie sich die Sanierung der Bundesbahn vorstellen?
Herr Kollege Wendt, Sie sind etwas zu früh daran. Ich komme sofort darauf.
Dieser Schrumpfungsplan würde zu einem verheerenden Nachteil für die ländlichen Gebiete und insbesondere für die peripheren Räume führen. Die Ballungsräume würden erneut gegenüber den ländlichen Bereichen bevorzugt werden. Ich habe gar nichts dagegen, wenn heute für den öffentlichen Personennahverkehr in den Ballungsräumen die öffentliche Hand und auch der Bund kräftig in die Tasche greifen und dafür Zuschußbeträge zur Verfügung stellen, wenn z. B. beim Münchener Verkehrsverbund täglich 1 Million DM zugeschossen werden muß. Aber wo bleibt dann die Gerechtigkeit? Wenn man dort das Geld hat, dann muß man doch auch für die ländlichen Bereiche das Geld haben, um dort die Eisenbahnen aufrechtzuerhalten und eine entsprechende Verkehrsinfrastruktur vorzuhalten.
({0})
Die in den ländlichen Gebieten aufzuwendenden Mittel für den Betrieb der Eisenbahnen stehen in keinem Verhältnis zu den Subventionen, die der Bund für den öffentlichen Nahverkehr in den Ballungsräumen leistet. Der mit einem radikalen Abbau der Strecken verbundene volkswirtschaftliche und soziale Schaden ist weit höher anzusetzen als jede betriebswirtschaftliche Ersparnis bei der Bahn, die eintreten würde. Das verkehrspolitische Abenteuer dieser Bundesregierung mit der Zertrümmerung der Bahn würde auf dem Rücken der schwach strukturierten Räume ausgetragen werden. Auch die Menschen in diesen Bereichen haben Anspruch auf gleichwertige Lebensbedingungen.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mahne?
Ja, bitte, Herr Mahne!
Herr Dr. Jobst, könnten Sie hier vielleicht einmal feststellen, daß 50 % des Streckennetzes 90 % des Verkehrs befördern, und würden Sie vielleicht, statt nur diese Widersprüche darzustellen, einmal sagen, in welcher Weise Sie die Bundesbahn sanieren wollen?
({0})
Sie sind heute so ungeduldig! Herr Mahne, zu Ihrer ersten Frage: Es ist richtig, daß auf den Hauptmagistralen der Hauptverkehr abgewickelt wird. Aber das ist auch eine Täuschung, die immer wieder vorgebracht wird: die Nebenbahnen verursachen ja bei weitem nicht den Kostenaufwand, den die Hauptbahnen haben.
({0})
Wenn dort nur 10 % oder 20 % des Verkehrs abgewickelt wird, dann haben Sie auch nur 10 % oder 20 % der Kosten.
({1}) So ist doch die Situation.
Das Modell und die Planung dieser Regierung widersprechen den Erfordernissen einer Raumordnungs- und einer vernünftigen Strukturpolitik. Ich darf Ihnen noch eines sagen. Das Ifo-Institut hat vor kurzem eine Umfrage bei den betroffenen Betrieben angestellt. Jeder zweite Betrieb in der Bundesrepublik - so hat das Ifo-Institut ermittelt - würde in seiner Existenz stark beeinträchtigt werden, wenn der Streckenstillegungsplan der Bundesbahn verwirklicht würde. So das Ifo-Institut mit entsprechenden Ausmalungen.
({2})
Wegen der Kürze der Zeit kann ich darauf leider nicht weiter eingehen.
Und noch etwas! Der Schrumpfungsplan muß ja finanziert werden. Die Bundesbahnführung hat gesagt, sie brauche dazu 63 Milliarden DM bis 1985. Wo wollen Sie denn das Geld hernehmen? Bis jetzt liegt keine Erklärung der Bundesregierung dazu vor. Daraus ergibt sich doch, daß auch von der finanziellen Seite her der Plan nicht real ist.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Dr. Jobst, würden Sie mir nicht bestätigen, daß die SPD in den Wahlkämpfen wiederholt mit dem Motto angetreten ist, die Lebensqualitäten auf dem Lande zu verbessern, und daß durch ihre Politik diese Lebensqualitäten langsam, aber zunehmend zerstört werden?
({0})
Herr Kollege Biehle, ich stimme dem voll zu, was Sie gesagt haben. Versprechungen und Wirklichkeit klaffen auseinander. Aber jetzt möchte ich, weil meine Zeit allmählich abläuft - Vizepräsident von Hasse!: Gestatten Sie eine letzte Zwischenfrage, eine Frage des Herrn Abgeordneten Immer?
Herr Kollege, würden Sie bestätigen, daß gerade im ländlichen Bereich sehr viele Firmen entlang der Strecke mit Mitteln des Bundes zwar Gleisanschlüsse erhalten haben, dann aber ihre eigenen Lkw-Parks aufgebaut haben, ihre attraktiven Fertigprodukte mit Lkws transportieren und nur noch das Verpackungsmaterial mit der Bundesbahn zu sich kommen lassen, d. h. damit überhaupt erst das Defizit der Bundesbahn im Güterverkehr herbeiführen und es somit unmöglich machen, im ländlichen Bereich diese Strecken auf Dauer aufrechtzuerhalten?
({0})
Herr Kollege, es mag sein, daß das in dem Bereich, wo Sie zu Hause sind, in einigen Fällen so ist. Ich kann Ihnen sagen, daß jedenfalls dort, wo ich herkomme, in Ostbayern, die Firmen froh sind, daß sie die Eisenbahn haben. Und sie benutzen auch die Eisenbahn, soweit es möglich ist.
({0})
Meine Damen und Herren, was ist zu tun? Die Deutsche Bundesbahn ist ein Patient; sie ist durch diese Verkehrspolitik zum Patienten gemacht warden. Aber sie ist kein hoffnungslos kranker. Was bei ihr notwendig ist, ist ein vielgliedriges Gesamtkonzept, nicht jedoch ein Kahlschlag, wie ihn die Regierung vorhat. Die Krise dieser Verkehrspolitik ist eine Krise der Investitionen. Der Deutschen Bundesbahn müssen die Mittel zugeführt werden - ohne Geld geht es nicht -, damit sie investieren und rationalisieren kann und damit die Verkehrspersonalintensität herabgesetzt werden kann.
Wir betrachten es weiterhin als notwendig, die Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, die sich gerade für die Bahn nachteilig auswirken. Herr Kollege Ollesch, das werden Sie nicht bestreiten können: Was ist denn mit der Regelung der Wegekostenfrage, deren Lösung auch Sie damals für notwendig gehalten haben? Heute ist diese Frage ausgeklammert. Der Staat hat meines Erachtens die Aufgabe, auf dem Gebiet des Verkehrs für einen fairen Wettbewerb zu sorgen.
Wir brauchen weiterhin eine bessere Auslastung der Bahn. Auch hierdurch kann die Bundesregierung dazu beitragen - nicht nur allein durch Preiserhöhungen -, daß bei der Bahn eine Einnahmesteigerung erfolgt. Die Bundesbahn muß in manchen Bereichen kaufmännischer handeln, als es derzeit geschieht. Vor allem müßten die Entscheidungen an der Front des Geschehens und nicht von den grünen Tischen aus gefällt werden.
Weiter betrachten wir es als notwendig, daß die gemeinwirtschaftlichen Lasten der Bahn in vollem Umfang und daß ihr endlich auch die Altschulden abgenommen werden.
({1})
Ich räume Ihnen ein: Es gibt kein Patentrezept zur kurzfristigen Lösung der Probleme bei der Bahn
({2})
Ein vielschichtiges Bündel von Maßnahmen ist erforderlich. Aber mit Ihrem Rezept, die Eisenbahn zu halbieren, einen Kahlschlag durchzuführen, sanieren Sie die Bahn nicht; damit schaffen Sie volkswirtschaftlichen Schaden, damit verbittern Sie nicht nur die Eisenbahner, sondern schädigen insbesondere die schwach strukturierten Gebiete in unserem Lande.
({3})
Wir sind der Meinung, daß wir auch in Zukunft eine intakte Bahn brauchen. Sie ist ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Verkehrswesens. Aber mit dieser Politik dieser Regierung darf es nicht so weitergehen. Mit ihr ist die Bahn in Mißkredit geraten. Dieser Zickzackkurs - Herr Kollege Ollesch, auch wenn Sie dieses Wort nicht so gerne hören - war die Ursache dafür, daß sich die Bahn heute in dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage befindet. Der Verkehrshaushalt kann auf Grund des Trümmerhaufens, den uns diese Regierung verkehrspolitisch bereitet hat, nicht unsere Zustimmung finden.
Was hat denn die SPD in der Verkehrspolitik für die Zukunft anzubieten? Bis jetzt haben wir nicht viel gehört. Herr Ollesch hat seinen Part geliefert. Ich bin gespannt, was der Herr Verkehrsminister dazu sagen wird. Das, was in der SPD-Wahlkampfplattform steht, ist wenig hilfreich. Das sind die alten Sprüche, die wir seit eh und je hören.
({4})
In der Verkehrspolitik genügen aber keine Sprüche mehr. Wir brauchen endlich einmal vernünftige Entscheidungen. Wir brauchen eine klare Politik. Sie haben bewiesen, daß Sie dazu nicht in der Lage sind.
({5})
Nach den mageren Jahren der Politik unseres Landes muß endlich eine Zeit kommen, in der wieder vernünftig gestaltet wird. Wir brauchen wieder fette Jahre in unserem Lande, Herr Kollege.
({6})
Vizepräsident von Hassel: Das galt nicht Ihnen, sondern der allgemeinen Unruhe im Hause. Ich glaube, wir tun uns allen gemeinsam einen Gefallen, wenn wir hier die Redner reden lassen
({7})
und unsere Verhandlungen in einer vernünftigen Atmosphäre weiterführen. Ich darf Sie bitten, nicht wieder in den vorgestrigen Abend zurückzuverfallen.
Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben noch zwei Minuten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war teilweise sehr erheiternd, was Sie mit Ihren Zwischenrufen geboten haben. Das zeigt doch, daß Sie sich getroffen fühlen und daß Sie dem nichts entgegensetzen können als Geschrei.
({0})
Wenn Ihre Partei in offiziellen Blättern Ihren Verkehrsminister auf Grund seiner Politik als „Unglück" bezeichnet, dann, glaube ich, ist das treffend charakterisiert, und dem brauchen wir gar nichts hinzuzufügen.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr, Herr Gscheidle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicherlich werden die einzelnen Redner dieses Tages und die Fraktionen Anlaß haben, das, was an diesem Tag gesagt wurde, hinterher aufzuarbeiten. Für einen Zuhörer ist es interessant, zu sehen, mit welch verteilten Rollen und unterschiedlichen Aussagen die Herren von der Opposition heute beispielsweise die Frage des Staatsanteils behandelt haben. Ich habe mir die Frage gestellt, was wohl an einem Gymnasium im Sozial kundeunterricht als Ergebnis herauskäme, wenn die Aufgabe gestellt würde, einmal die unterschiedlichen Auffassungen zu dieser Frage in der heutigen Debatte klarzumachen. Ich denke, selbst intelligente junge Menschen wären überfordert, wenn sie erkennen sollten, was eigentlich Ihre Auffassung über die richtige Größe des Staatsanteils ist.
({0})
- Ich habe den Eindruck, das stört sie.
Jetzt will ich Ihnen einmal etwas zur Frage der Verballhornung von Namen sagen. Seit meiner Schulzeit fiel es mir leicht, die Einfältigen von anderen dadurch zu unterscheiden, daß sie Witze über den Namen meiner Familie gemacht haben. Das gilt auch für diesen Bereich.
({1})
- Wenn Sie sich bei Ihrem guten Gedächtnis, das Sie für sich in Anspruch nehmen, Herr Stücklen, erinnern, wer in diesem Hause erstmals einen Witz über meinen Namen gemacht hat, dann wissen Sie, daß das Ihr verehrter Herr Vorsitzender war.
({2})
- Gott, schlechte Beispiele verderben die guten Sitten. Das gilt überall so.
Sie haben nun diese Verkehrsdebatte mehrmals als Generalabrechnung mit der Verkehrspolitik angekündigt. Ich weiß nicht, ob die Zuhörer - ich meine nicht Ihre Sprecher, sondern Ihre Zuhörer -den Eindruck gewonnen haben, das sei Ihren Kollegen gelungen.
({3})
Ich will Ihnen einmal meinen Eindruck von der Art vortragen, wie Sie das hier aufgezäumt haben. Ich habe den Eindruck: das war schlechtes Theater nach der Regie à la Sonthofen.
({4})
- Ja, warten Sie einmal ab! Sie werden noch ganz nachdenklich.
({5})
Die Rede zumindest des ersten Oppositionssprechers war ausgezeichnet geeignet, zu exemplifizieren, wie sozusagen ein Lehrling die Regie-Anweisungen des Meisters übernimmt.
({6})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, im Augenblick nicht; wenn ich den Gedanken zu Ende geführt habe, gern.
({0})
Sehen Sie, Herr Schulte, die Tatsache, daß Sie Ihren Meister nicht erreicht haben, gereicht Ihnen zur Ehre.
({1})
Aber Sie haben es eben nicht geschafft.
({2})
Im übrigen: Herr Dr. Jobst hat es noch einmal versucht; aber er hat es auch nicht geschafft.
({3})
Hier ist Ihr Meister unübertrefflich. ({4})
Sehen Sie, die Szene, die Sie hier inszeniert haben, war ganz einfach: Zunächst wird der Minister durch Unwahrheiten diffamiert, auf Sachargumente wird verzichtet, und Alternativen werden überhaupt nicht entwickelt. Jetzt will ich Ihnen einmal an Hand der Rede von Herrn Schulte nachweisen, wie dies im einzelnen abgelaufen ist.
({5})
- Aber natürlich! Bei dem Riesenanlauf, den Ihre Kollegen genommen haben, verehrter Herr Kollege, darf ich wohl wenigstens zu deren Versuch, eben durch einen größeren Anlauf die auf Mindesthöhe gestellte Latte der Qualifikation zu überspringen, auch noch etwas sagen.
({6})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie nunmehr eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hösl?
Ja, bitte schön.
Herr Minister, würden Sie zum wachsenden Defizit im ÖPNV ein Wort sagen
({0})
sowie zum Problem der völligen Einstellung der Verkehrsbedienung auf dem flachen Lande?
({1})
Würden Sie zu den Verkehrsproblemen etwas sagen, anstatt hier polemische Aussagen zu machen?
Natürlich komme ich auf Verkehrsprobleme. Ich spreche ja erst zwei Minuten. Zunächst versuche ich, auf die Einleitungen von beiden Rednern Ihrer Fraktion einzugehen. Das ist doch wohl mein gutes Recht.
Erst einmal zur Rede von Herrn Schulte und zu Ihrer ersten Behauptung, Herr Schulte, ich hätte den Pressechef nach Gutsherrenart zum Teufel gejagt. Ich weiß ja nicht, welche Vorstellungen Sie von Gutsherren haben und wo Sie diese gebildet haben, ich kann nur sagen, da gab es eine Aussprache mit dem verantwortlichen Mann auf dessen Wunsch, gar nicht auf Grund aktueller Fragen.
({0})
- Natürlich. Aber Ihnen fällt es immer schwer, Herr Haase, solange ich Sie kenne.
({1})
- Auf dessen Wunsch! Sehen Sie, Ihnen fällt es, solange ich Sie kenne, schwer, - ({2})
- Auf dessen schriftlichen Wunsch, aus keinem aktuellen Anlaß.
({3})
- Wenn Sie Politik auf Grund der Erkenntnisse des „Bayernkuriers" machen wollen, laufen Sie immer Gefahr, daß Sie sich nicht auf Grund von Tatsachen, sondern auf Grund von Unterstellungen äußern.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase?
Nein. Ich darf einmal generell sagen, ich habe auf Grund der Art Ihrer Zwischenrufe nicht den Eindruck, daß es Ihnen bei Ihrer Frage darum geht, in der Verkehrspolitik bald zu einer Darstellung der gegensätzlichen Positionen zu kommen. Ich möchte deshalb generell darauf verzichten, Ihnen eine Zwischenfrage zu gewähren.
({0})
Ich darf auf die Rede von Herrn Schulte zurückkommen, denn der hatte ja nun die Gelegenheit, seine Position ungestört zu entwickeln. Er hat, wenn ich das noch einmal sagen darf, das Stilmittel gewählt, zunächst den Minister durch Unterstellungen und Verdrehungen anzugreifen, und er hat dann versucht, die Position Ihrer Fraktion zu beschreiben, und es ist ihm dabei nicht gelungen, Alternativen zu entwickeln. Dies sind meine Behauptungen, und nun werde ich versuchen, Ihnen das zu beweisen.
({1})
Darüber könnte man reden, das müßten Sie allerdings erst definieren.
Noch einmal zu Ihrem ersten Vorwurf, Herr Schulte, mit dem Pressechef, und noch einmal, Herr Haase, ob Sie es glauben oder nicht: Auf dessen schriftlichen Wunsch kam ein Gespräch zustande. Das gibt es in jeder Firma, das gibt es in jedem Unternehmen, das gibt es in der Verwaltung. Das Gespräch hat einvernehmlich mit der Auflösung seines Vertrages geendet. Wegen dieser Pressekampagne, die, aus welchen Gründen auch immer, geführt wird, hat mich Herr Colditz schon zweimal gebeten, das Meine zu tun, damit dies klargestellt wird, weil er im Augenblick verständlicherweise unter dieser falschen Darstellung leidet.
({2})
- Herr Riedl, ich würde bei Ihnen zwar gern eine Ausnahme machen, würde es aber für etwas arrogant halten, eine Selektion zwischen Kollegen vorzunehmen, die man gut kennt und die man nicht gut kennt, also dem einen eine Antwort zu geben und dem anderen nicht. Ich bleibe dabei, ich lasse keine Zwischenfragen mehr zu.
({3})
Ihre zweite Behauptung war, es sei eine ganze Gruppe strafversetzt worden. Einige Herren von Ihnen sind ja des Beamtenrechts kundig und wissen, daß es so etwas nicht gibt. Jetzt sage ich Ihnen aber nachprüfbar: Was dort geschehen ist, ist in voller Übereinstimmung der Betroffenen mit Zustimmung des Personalrats geschehen. Nun stellen Sie sich einmal vor, so etwas wäre mit Zustimmung der Betroffenen und Zustimmung des Personalrats möglich. Und nun sage ich Ihnen noch etwas, worüber die
Herren des Haushaltsausschusses einmal nachdenken müßten.
({4})
Sehen Sie, es gibt eine biologische Weisheit, die besagt: Wenn jemand redet, kann er nicht hören. Wenn Sie weniger Zwischenrufe machten, könnten Sie besser hören.
({5})
Dann wäre Ihnen auch nicht entgangen, daß ich längst an dem Punkt war, Ihnen zu erklären, worauf Ihr Zwischenruf zielte.
({6})
- Nein, leider nicht.
({7}) - Hören Sie einmal einen Augenblick zu.
Ich sehe den Herrn Althammer hier, ein aufmerksamer Zuhörer bei einer sachlichen Debatte. Der Herr Althammer und Herren des Rechnungsprüfungsausschusses, soweit sie den Prüfungsbericht des Rechnungshofs kennen, werden mir bestätigen, daß es eine Bitte aller drei Institutionen ist, in cien einzelnen Ressorts die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zusammenzufassen, soweit sie getrennt ist. Ist das richtig? In dem Augenblick, als sich das aus diesem Zusammenhang löste, mußte in folgerichtiger Konsequenz diese Operation durchgeführt werden. Das bedeutet: Sämtliche Öffentlichkeitsarbeit, die in den Bereich der Verkehrssicherheitspolitik gehört, kommt in den Bereich zurück, wo sie früher angesiedelt war, nämlich in die Abteilung Straßenverkehr.
({8})
- Sehen Sie, ich gehe davon aus, daß Sie das Ihre beitragen, gegen alle Klarstellungen meinerseits diesen Verdacht in der Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten.
Aber da der Herr Schulte es für richtig hielt, in eine Grundsatzdebatte dies alles einzuführen, werde ich auf seine fünf Punkte der Unterstellungen und Verdrehungen eingehen, ob es Ihnen gefällt oder nicht gefällt.
({9})
Das zweite war: Der Verkehrsminister habe ein mangelndes Durchsetzungsvermögen; das zeige sich darin, wie er im Kabinett durchkomme. Aber Herr Dr. Schulte, Sie selbst haben in zwei Punkten unbewußt und Ihr Nachredner hat in drei weiteren Punkten bestätigt, daß das Bundeskabinett alle meine Vorlagen angenommen hat. Daran kann es doch keinen Zweifel geben. Ich sage Ihnen gern die Daten: Zielvorgaben an die Deutsche Bundesbahn im Dezember 1974; OPNV-Bericht im Mai 1975; Bericht zur Deutschen Bundesbahn im Dezember 1975.
In Ihrem dritten Beispiel behaupteten Sie, wir hätten mit gutem Geld der Steuerzahler schlechte Verkehrspolitik gemacht.
({10})
Nun, Herr Kollege Schulte, so schlecht kann sie nicht gewesen sein. Ich habe darauf gewartet, daß auch diejenigen Ihrer Kollegen klatschen, die sozusagen auf Flugblättern erklärt haben, das, was zukünftig an Straßen gebaut werde, sei ihre Leistung. Denen muß ich nun bestätigen: Sie haben sich fein zurückgehalten. Drei hatte ich im Auge.
Ich kann nur sagen: So schlecht kann doch die Verkehrspolitik nicht sein, wenn Ministerpräsidenten im Wahlkampf durch Broschüren erklären: „Wir haben in unserem Land soundsoviele Kilometer Fernstraßen und Autobahnen gebaut" „wir", das ist die jeweilige Landesregierung ({11})
- beispielsweise; ich könnte noch einen nennen - oder wenn Ihre Kollegen sozusagen in Flugblättern verbreiten, sie hätten erreicht, daß das und das gebaut worden sei. Ich bestätige, daß viele Kollegen in konkreten Fällen initiativ waren. Aber in keinem einzigen Fall könnte ich Ihnen bestätigen, daß auf Grund der Initiative eines einzelnen Abgeordneten eine Änderung eingetreten wäre.
Zum vierten Beispiel: Herr Kollege Schulte hat zu dem Thema, was die Alternativpolitik der Opposition gewesen sei, darauf hingewiesen, die Opposition habe beantragt, einen Folgekostenbericht über den ÖPNV vorzulegen. Herr Dr. Schulte, ich sagte Ihnen schon einmal im Verkehrsausschuß einiges dazu. Dabei darf ich anmerken, daß die Zusammenarbeit im Verkehrsausschuß sich für mich immer durch ein Höchstmaß an Sachlichkeit bei aller Klarstellung unterschiedlicher Auffassung ausgezeichnet hat. Ich bedaure, daß Sie annehmen, dieses Stilmittel, das sich dort bewährt hat, sei hier in der Debatte nicht geeignet. Es mag Gründe geben, dies zu verlassen, die mit dem heurigen Jahr in Verbindung stehen. Aber wenn Sie dies hier ausführen, dann wissen Sie, daß ich bereits im Verkehrsausschuß darauf hinweisen konnte, daß Ihre Fragestellung im Wortlaut mit einem Arbeitsbericht identisch ist, der im Verkehrsministerium auf Grund einer Erörterung dieser Probleme bereits zu Papier gegeben wurde. Ich befürchte, Ihr Informant war nicht ehrlich genug, Ihnen zu sagen, daß er Sie auf Grund eines im Verkehrsministerium erstellten Papiers informiert. Sie fragten nach den Dumping-Praktiken in Staatshandelsländern zu einem Zeitpunkt, als die Bundesregierung im Verkehrsausschuß bereits darüber berichtet hatte, welche Maßnahmen und welche Vergaben hinsichtlich Gutachten sie schon eingeleitet hatte.
Ich kann nur sagen: Auch die Information für Ihre nächste Behauptung, die Sie heute vorgetragen haben, nämlich Fehlleistungen und mangelnde Sachkompetenz am Beispiel der Haushaltsmanipulation bei der Deutschen Bundesbahn, stammt aus einer trüben Quelle. Ich kann Ihnen bestätigen: Es gibt in der Tat Überlegungen unterschiedlicher Art, und es gibt auch ein Papier in meinem Hause auf Referentenebene, das einen solchen
Schluß zulassen könnte. Aber dies ist eben kein Papier, das Sie als die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung identifizieren können.
({12})
Das ist das Problem, wenn man sich manchmal an falschen Quellen informieren will.
Sie haben hinsichtlich des Handelns der Bundesregierung auf Grund von Erkenntnissen einen Vorwurf erhoben, bezogen auf die Sanierung der Deutschen Bundesbahn. Sehen Sie, Sie erwarten auf Grund eines vorgelegten Berichts eine unmittelbare Entscheidung. Ich will mich hier nicht zu lange über frühere Praktiken verbreiten. Aber da der Herr Seebohm bei Ihnen einen ausgezeichneten Ruf genießt, möchte ich Sie auf folgendes hinweisen.
({13})
- Das unterstreicht meine Bitte. Bei Herrn Seebohm finden Sie in seinen Ausführungen 1960 und 1961 über das Notwendige zur Sanierung der Bundesbahn bezüglich der Änderung des Bahngesetzes, daß Herr Seebohm für den Zeitablauf von der Erkennung des Problems und der Vorlage eines Anstoßes ans Kabinett bis zum Kabinettsbeschluß und der Einbringung im Bundestag einen Zeitraum von 1958 bis 1961 brauchte.
({14})
- Es ist im Protokoll des Deutschen Bundestages vom Februar 1961 nachzulesen. Ich gebe Ihnen gern noch die Seitenzahl an.
Wir haben - dies ist richtig - den Vorstand der Deutschen Bundesbahn aufgefordert, aus seiner Sicht - bezogen auf die Bestimmungen des hier im Bundestag gemeinsam beschlossenen Eisenbahngesetzes - die Maßnahmen zu quantifizieren und im Zeitablauf darzustellen, die notwendig sind, damit die Deutsche Bundesbahn im Jahre 1985 sich im Rechnungs- und Betriebsergebnis sowie bezüglich des Zuschußbedarfs entsprechend den gesetzlichen Auflagen darstellt.
Vizepräsident von Hassel: Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Ich bedauere: grundsätzlich nein.
Dies hat bis zum Januar dieses Jahres gedauert. Im Januar dieses Jahres haben wir uns dann dazu geäußert. Sie versuchen allerdings in ständiger Übung zwei Dinge. Sie behaupten: Diese Regierung hat nur eine Vorstellung zur Sanierung der Bundesbahn, nämlich ein Schrumpfungsmodell. Ich habe der Opposition den Bericht des Vorstands der Deutschen Bundesbahn zur Verfügung gestellt. Wenn Sie diesen Bericht lesen und hier eine sachlich fundierte Diskussion führen, werden Sie erkennen, daß der Teil über die Streckenstillegung der geringste Teil ist und daß aus diesem Arbeitsbericht bereits
erkennbar ist, daß weder Bundesbahn noch Fachleute, die sich bislang dazu geäußert haben, noch die Bundesregierung der Meinung sind, daß man die Bundesbahn allein durch die Anpassung ihres Streckennetzes an die Nachfrage sanieren könnte. Es gibt vielmehr daneben einen großen Bereich von möglichen Rationalisierungsmaßnahmen.
Wenn Sie immer sagen, wir sollten handeln, muß ich Ihnen entgegenhalten: Im Bereich der Deutschen Bundesbahn wurden, beginnend im Herbst 1974, auf den Gebieten der Vorratshaltung, der Werkstättenkapazität und dergleichen mehr Rationalisierungen durchgeführt.
({0})
Das Ergebnis ist, daß in einem Jahr 17 000 durch Abgänge freiwerdende Arbeitsplätze nicht mehr besetzt wurden. Sie kennen die Zahlen; zumindest stehen sie Ihnen, wenn Sie wollen, zur Verfügung. Wenn Sie die Zahlen kennen, müssen Sie auch bestätigen, daß dieses Jahr das Jahr der größten Rationalisierungserfolge bei der Bundesbahn war.
({1})
Nun hat der Herr Kollege Ollesch zu einem anderen Beispiel schon Stellung genommen. Ich will zu der Frage der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen, da Sie das Beispiel gewählt haben, folgendes sagen. Dies wurde auf Wunsch der Länder eingeleitet. Im Anhörungsverfahren wurde von den Verbänden kein Widerspruch erhoben. Im Bundesrat gab es im ersten Durchgang keinen Widerspruch. Die von Ihnen beanstandeten Bestimmungen gehen nicht nur auf das Jahr 1960 zurück, sondern sogar auf das Jahr 1939. Ich bringe das hier noch einmal,
({2})
weil ich Ihnen folgendes sagen muß. Nun hören Sie einmal zu, das ist eine interessante Sache, das ist sogar für Sie wirklich interessant. Überrascht war ich, als sich zwei Polizeipräsidenten in der Bundesrepublik öffentlich gegen das Redeverbot in Taxen äußerten und ihre Bemerkungen dazu machten. Da wurde ich in höchstem Maße alarmiert. Denn wenn Polizeipräsidenten eine Verordnung, die seit 1939 besteht, nicht kennen, dann war für die Politiker in der Tat trotz aller Zustimmung, die diese Verordnung bislang hatte, höchste Alarmstufe gegeben, darüber nachzudenken, ob eine Verordnung überhaupt Sinn hat, die die Polizei, die mit dem Ziel ausgebildet ist, auf die Einhaltung von Verordnungen zu achten, nicht kennt. Deshalb haben wir diese Verordnung dann geändert.
Zu Ihrem Versuch, Herr Schulte, dies alles zusammenzubasteln, muß ich ein Sportbeispiel wählen. Sehen Sie, im Fußballsport gilt aus Fairneß: Nicht das Spiel, sondern der Ball wird getreten. Nun kommt es im Kampfsport hin und wieder vor Herr Stücklen weiß das -, daß im Gedränge ein Foul passiert. Wenn das in der Kampfphase war, wird das unter Sportlern entschuldigt. Nur kann man bei einer sozusagen beabsichtigten und vorbereiteten Rede, die man gestern schon lesen konnte, nicht mehr von einer Kampfszene sprechen, sondern das ist eine vorbereitete stilistische Art der Auseinandersetzung, und zwar nicht in der Absicht, den Ball, die Sache, zu bewegen, sondern den Spieler auszuschalten.
({3})
Herr Schulte, dies ist Ihnen auch nicht gelungen, weil ich persönlich inzwischen soviel von Ihnen gewohnt bin, daß ich leider - so muß ich sagen, ich bedauere das für mich - langsam ein dickes Fell bekomme. Das ist an und für sich keine wünschenswerte Eigenschaft. Nur tut es mir für die Bürger in unserem Land leid; denn diese Art, in der Sie hier bei der Verkehrspolitik Politik machen, - -({4})
- Ach, ich darf Ihnen in anderem Zusammenhang etwas sagen. Sehen Sie, hier warten noch so viele Kollegen darauf, daß wir unter dem Druck der Zeit auch ihre Einzelpläne abhandeln können. Es hat keinen Wert, wenn wir in dieser Debatte durch unendliches Zulassen von Zwischenfragen und durch entsprechende Antworten den Faden verlieren und dadurch die Kollegen noch über Mitternacht hinaus warten lassen, bis auch sie mit ihren Plänen an die Reihe kommen. Aus Kollegialität müssen Sie auch dafür einmal Verständnis haben.
({5})
- Gut. Angesichts einer in sich schlüssigen Verkehrskonzeption nehme ich Ihre Entstellungen, die Panikmache und die mit allen Mitteln betriebene Verunsicherung seitens Ihrer Sprecher als Person gelassen zur Kenntnis. Ich bedauere sie allerdings im Interesse der Bürger dieses Landes und der Eisenbahner einschließlich ihrer Familien; denn Ihre Art, die Dinge darzustellen, dient der Verunsicherung und nicht der Klärung von Problemen.
({6})
Die sozialliberale Koalition hat der CDU/CSU gegenüber einen großen Vorteil: wir können den leeren Thesen der Opposition zur Verkehrspolitik nicht nur eine Konzeption, sondern darauf aufbauend eine erfolgreiche Leistungsbilanz gegenüberstellen.
({7})
Der Bürger sieht und wird anerkennen, was wir geleistet haben; denn die Bilanz für ihn ist positiv. Das wird ganz deutlich, wenn ich im folgenden die wichtigsten Positionen dieser Erfolgsbilanz in einer kurzen Übersicht zusammenfasse.
({8})
Diese Verkehrspolitik ist insbesondere deshalb beispielhaft, weil es ihr gelungen ist, mit einem modernen Instrumentarium, mit fortschrittlichen Planungen und mit Hilfe umfassender Wegebauten die Voraussetzungen für zweierlei zu schaffen:
({9})
für ein unbestritten großes Maß an persönlicher Mobilität unserer Bürger und für ein gleichgewichtiges Gesamtverkehrssystem, ein unverzichtbares Element für das Gedeihen unserer Wirtschaft.
({10})
Ein hochentwickeltes Planungssystem verbindet nunmehr alle Investitionen für die Verkehrswege.
({11})
- Lesen Sie es doch nach! Sie werden erkennen, daß es ein Unterschied ist. Nur kann die gleiche Politik nicht unterschiedlich dargestellt werden. Insofern ist das, was er gesagt hat und was ich sage, das gleiche. Wenn Sie aber sagen, es seien die gleichen Worte, so irren Sie sich. - Es ist auch nach internationaler Beurteilung vorzüglich geeignet, Bedarfsplanung und Finanzen aufeinander abzustimmen. Und, meine Damen und Herren, es waren nicht konservative, sondern sozialliberale Regierungen und sozialdemokratische Verkehrsminister, unter deren Verantwortung rund 70 % aller Wegeneubauten seit 1950 geschaffen wurden.
({12})
Wenn Sie hier z. B. den Bundesfernstraßenbau nehmen: Der Gesamtaufwand des Bundes für diesen Bereich beträgt seit 1967 insgesamt rund 47 Milliarden DM.
({13})
Darin stecken reine Investitionen einschließlich Ersatzinvestitionen von rund 41 Milliarden DM.
({14})
- Passen Sie auf, was Sie gemacht haben und was wir gemacht haben! Rund 67 % aller Fernstraßenbauleistungen seit 1950 gehen auf unser Konto.
({15})
Mit diesen 67 % oder 47 Milliarden DM wurden mehr als 3 000 km Autobahn und 1 300 km Bundesstraßen gebaut und modernisiert.
({16})
Oder nehmen Sie den Bereich der Deutschen Bundesbahn!
({17})
- Sie können die Zahlen noch so drehen und wenden, Herr Lemmrich, an einem kommen auch Sie nicht vorbei:
({18})
Vergleichen wir die Investitionszuschüsse des Bundes, wiederum in der Phase von 1950 bis 1966 und von 1967 bis 1976, so stellen wir auch hier fest: Von den rund 12,5 Milliarden DM Investitionszuschüssen des Bundes für die Bahn seit 1950 verantworten sozialdemokratische Verkehrsminister seit 1967 allein 75 %, nämlich rund 9,4 Milliarden DM. Diese Rechnung, Herr Lemmrich, ist völlig korrekt.
Meine Damen und Herren, Sie können nicht nur auf die Bundeszuschüsse für die Streckenneu- und -ausbauten schauen, die übrigens auch erheblich im Ansteigen begriffen sind, Sie müssen fairerweise sämtliche Investitionszuschüsse für die Deutsche Bundesbahn zusammen betrachten, d. h. einschließlich der Zuschüsse für den öffentlichen Personennahverkehr der Deutschen Bundesbahn, der Konjunktur- und Sonderprogramme, der Tilgung für Kapitalaufstockung der Deutschen Bundesbahn und des kombinierten Verkehrs sowie der Gleisanschlüsse. Bei dieser Betrachtung wird einmal mehr deutlich: Das Problem Deutsche Bundesbahn überwinden Sie durch Ihr Schlagwort der Streckenstilllegung nicht, sondern eben nur mit einem breit angelegten Sanierungskonzept,
({19})
wie wir es mit den 13 Zielvorgaben, mit den darauf aufbauenden Beschlüssen der Bundesregierung,
({20})
mit dem gesamtwirtschaftlichen Bewertungsverfahren entwickelt haben. Tatsache auf Grund dessen - und dies sind ebenfalls positive Bilanzpunkte dieser Bundesregierung -: Moderne Management-Methoden finden Schritt für Schritt Eingang auf allen Ebenen dieses großen Unternehmens. Dazu gehören dezentrale Verantwortung, regionales Management sowie die Einführung von Resultatskontrollen im Rahmen einer erfolgsorientierten Kostenrechnung.
Bereits im Jahre 1975 war das Jahr des größten Rationalisierungserfolges. Dabei konnten durch natürlichen Abgang die von mir genannten Beschäftigtenzahlen freigesetzt werden. Diese Erfolge auf Grund unserer Politik werden leider durch die Rezessionserscheinungen des vergangenen Jahres das gebe ich zu - überschattet. Die Zahl ist unter diesem Bezugspunkt dennoch richtig. Wir bauen darauf, daß die Ergebnisse unserer Bemühungen in den folgenden Jahren noch sehr viel deutlicher sichtbar werden.
Dieses Konzept für den wichtigen öffentlichen Versorgungsbereich Schienenverkehr ist eingebettet
in unsere Bemühungen um die Reform der öffentlichen Verwaltung und des öffentlichen Dienstrechts insgesamt. Denn um die von uns getätigten großen öffentlichen Investitionen voll nutzen zu können, brauchen wir einen öffentlichen Dienst von hoher Qualifikation.
Lassen Sie mich das Bilanzbild unserer Verkehrspolitik mit den folgenden Positionen abrunden.
({21})
- Das kann Sie doch nicht stören; daran sind Sie doch gewöhnt.
({22})
Rund 30 Millionen DM haben wir seit 1967 dem öffentlichen Personennahverkehr zukommen lassen. Das sind sowohl allgemeine Investitionshilfen für den öffentlichen Personennahverkehr als auch Finanzhilfen für den Schienen-Personennahverkehr der Deutschen Bundesbahn.
({23})
- Herr Lemmrich, das wurde behandelt, als Sie sich mit Ihrem Nachbarn unterhalten haben. - Seit 1967 wurden rund 166 Kilometer neue Wasserstraßen gebaut, 815 Millionen DM gingen im gleichen Zeitraum als Neubauhilfen an unsere Handelsflotten, die dadurch nach wie vor zu den führenden Handelsflotten in der Welt gehören. Ebenso nachhaltig und kontinuierlich wurde die Flugsicherung in unserem Lande ausgebaut. Auch die Unfallbilanz der letzten Jahre zeigt einen positiven Entwicklungstrend ebenso wie die 0,8-Promille-Grenze, Tempo 100 auf den Landstraßen, Verbot der Mitnahme von Kindern auf Vordersitzen, um nur einige unserer jüngsten Aktivitäten zu nennen.
Auch zukünftig haben wir die Weichen richtig gestellt. Denn die Verkehrspolitik wird in den vor uns liegenden Jahren von drei prinzipiellen Forderungen geleitet werden.
Erstens. Das Verhältnis zwischen Staatskonsum und Staatsinvestitionen muß auch im Verkehrsbereich zugunsten der Investitionen verändert werden.
({24})
- Was wollen Sie denn nun eigentlich? Auf mehrmalige Zwischenrufe von Ihnen hin lege ich nun seit vier Minuten unser Konzept dar. Wenn Sie es noch drei Minuten aushalten,
({25})
haben Sie das schlüssige Konzept. Wenn Sie es dann auch noch ein paarmal lesen, kommen Sie davon ab, durch unwahre Behauptungen vorzutäuschen, Sie hätten eine Alternative.
({26})
Zweitens. Die Wirtschaftlichkeit der Leistungserstellung ist nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich unverzichtbar. Sie ist als wichtiger Beitrag zur Sicherung unseres Sozialstaates systematisch auszubauen.
Drittens. Bei nachhaltiger Unterstützung jener Bereiche, die gemeinwirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen haben, sind die Kosten der Verkehrsträger grundsätzlich an den Einnahmen zu orientieren.
Aus diesen drei beispielhaften Grundforderungen zur Sicherung des Erreichten leiten sich wichtige programmatische Einzelheiten unserer künftigen Verkehrspolitik ab, einer Verkehrspolitik, die von dem Willen der Verantwortlichen bestimmt ist, unerwünschte Entwicklungen zu unterbinden, unvermeidliche Entwicklungen frühzeitig in den Griff zu bekommen, vor allem aber wünschenswerte Entwicklungen zu erkennen, zu fördern und einzuleiten, einer Verkehrspolitik also, die durch leistungsfähigen Berufs-, Ausbildungs- und Freizeitverkehr den Arbeitnehmern dient, durch gute Verbindungen zu den Einkaufszentren den Verbrauchern, durch preisgünstige Leistungsangebote den Hausfrauen, den Senioren und den sozial Schwachen, durch ausgebaute und ausgelastete Transportwege dem Wirtschaftswachstum - ({27})
- Sie überraschen mich. Sie tun so, also ob ich jemals Ihre Sympathie gehabt hätte.
({28})
- Durch die Art Ihrer Zwischenrufe, sobald ich hier rede.
Dieser in sich schlüssigen Verkehrskonzeption setzt die Opposition heute in der Sprache des „Bayernkurier" und leider auch mit dem Sprachschatz einiger CDU-Politiker
({29})
in dieser Debatte außer Polemik, einigen Verdrehungen und Miesmachen unserer Argumente nichts entgegen.
({30})
Unsere Verkehrspolitik war, ist und bleibt erfolgreich und richtungweisend.
({31})
Sie könnte für die Bürger unseres Landes noch besser sein, gäbe es eine bessere Opposition,
({32})
nämlich eine Opposition, die auch im Verkehrsbereich im Rahmen eines geistigen Wettbewerbs ihre Rolle richtig wahrnimmt,
({33})
um die bestmöglichen Ideen zur Bewältigung der schwierigen Aufgaben durchzusetzen, aber auch eine Opposition, die ihre Rolle in den Dienst unserer Bürger stellt. Zu meinem Demokratieverständnis gehört auch, daß eine Opposition Schaden verhindert bzw. keinen Schaden verursacht. Aber gerade die CDU/CSU hat durch die Verdrehung von Tatsachen, durch die Behauptung von Unwahrheiten im Zusammenhang mit der allseits anerkannten Notwendigkeit, die Zuschußleistungen des Bundes für die Deutsche Bundesbahn zu reduzieren, Verunsicherungen nicht nur in die Eisenbahner und ihre Familien, sondern auch in die verladende Wirtschaft und deren Planungsgremien getragen.
({34})
Wir haben keine Sorge, daß es uns im Wahlkampf gelingen wird, die Mehrheit der Bürger dieses unseres Landes davon zu überzeugen, wer ihre Interessen richtig vertritt.
({35})
Es ist Ihr Problem, meine Damen und Herren, den Bürgern Ihres Landes ({36})
auch Ihres Landes - klarzumachen, wie Sie die Art Ihrer Politik im Verkehrsbereich mit Ihrem Anspruch „Aus Liebe zu unserem Land" in Übereinstimmung bringen wollen.
({37})
Vizepräsident von Hassel: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich wie folgt auf die Geschäftslage verweisen. Wir haben zu diesem Komplex - Verkehr und Post - noch insgesamt vier Wortmeldungen vorliegen.
({38})
Es sieht gegenwärtig so aus, als ob man interfraktionell bereit wäre, danach auf die Aussprache zu den noch anstehenden Einzelplänen zu verzichten und über diese sofort im Anschluß an die Abstimmung über den Einzelplan Verkehr und den Einzelplan Post abzustimmen.
Sie erleichtern uns allen, glaube ich, die Verhandlungen außerordentlich, wenn wir uns jetzt bemühen, dies so gut es geht in später Stunde in Ruhe fortzuführen. Ich wäre dankbar, wenn jeder zur Kenntnis nähme, daß ich gemäß Geschäftsordnung keine Redezeit von über 15 Minuten mehr zulasse, weil wir hier sonst bis spät nach Mitternacht tagen müßten.
({39})
Ich darf Sie bitten, davon auszugehen, daß wir uns so einzurichten haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemmrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Minister Gscheidle hat hier ein rosiges Bild der Verkehrspolitik gezeichnet, die im Grunde so trüb und so katastrophal ist, wie wir es noch nicht erlebt haben.
({0})
Der Herr Bundesminister hat hier Zahlen über den Fernstraßenbau vorgetragen, die aussagen sollen, was diese Koalition gemacht hat. Nun möchte ich einmal feststellen, Herr Minister, daß nach den Vorlagen, die diesem Hause vorliegen, Ihre Zahlen, nach denen von 1967 - als allerdings Herr Strauß das Geld zur Verfügung gestellt hatte bis 1975 über 3 000 Kilometer gebaut worden seien, nicht zutreffen. Nach dem Straßenbaubericht 1974
({1})
sind von 1967 bis 1975 genau 2 470 Kilometer gebaut worden,
({2})
von 1970 bis 1975 waren es 1 875, und von 1954, als der Autobahnbau in etwa begann, bis 1969 waren es 1 982 Kilometer.
Nur, Herr Minister, wir wollen doch auch feststellen, daß Sie nichts anderes tun als Gesetze vollziehen, die dieser Deutsche Bundestag in früheren Jahren beschlossen hat,
({3})
nämlich im Jahre 1953 das Bundesfernstraßengesetz, im Jahre 1955 das Verkehrsfinanzgesetz, 1957 das Gesetz über cien Ausbauplan für die Bundesfernstraßen, 1960 das Straßenbaufinanzierungsgesetz, durch das die Mineralölsteuer bis auf einen Sockelbetrag von 600 Millionen für den Fernstraßenbau zweckgebunden wurde, und 1963 das Gesetz über die Änderung der Abgaben auf Mineralöl, durch das der Mineralölzoll in die Mineralöl-Steuer eingerechnet wurde. Seither haben wir nach einer Übergangsphase eine 50%ige Zweckbindung der Mineralölsteuer. Ihren Freunden - Herrn Börner und anderen - war das damals nicht genug. Sie wollten die 100%ige Zweckbindung. Herr Brandt und der derzeitige Bundeskanzler Schmidt haben noch 1969 auf Fragen eindeutig erklärt, sie wollten die 100%ige Zweckbindung für den Straßenbau. Was ist übriggeblieben? Herr Minister, Sie haben es nicht verhindern können, daß die Zweckbindung des MineralLemmrich
ölsteueraufkommens, die die SPD über zehn Jahre gefordert hat, beseitigt worden ist. Sie haben zu vollziehen, was in diesen Gesetzen steht. Sie sind aber dabei, diese Gesetze auszuhöhlen.
({4})
Die Mineralölsteuer ist in der Zwischenzeit ja kräftig angestiegen. Sie liegt jetzt bei 44 Pfennig pro Liter, und die Mehrwertsteuer kommt noch hinzu, Allein 1972 und 1973 wurde die Mineralölsteuer um insgesamt 25% erhöht. Ich meine, daß Sie jedenfalls keinen Anlaß haben, hier besondere Erfolgsmeldungen von sich zu geben. Es ist leider feststellbar, daß der Fernstraßenbau abnehmende Tendenz hat und daß diese Regierung - 1967 war das anders - das Instrument des Straßenbaus zur Belebung der Konjunktur nicht nutzt.
({5})
In einer Abschwungphase gehen die Straßenbaumittel und -leistungen zurück. In den Jahren 1966 und 1967 ist der Fernstraßenbau gewissermaßen als eine der Antriebskräfte benutzt worden. Dadurch, daß man die Mittel für den Fernstraßenbau 1967 gegenüber 1966 um fast 1 Milliarde DM aufgestockt hat, ergab sich ein außerordentlich starker Ankurbelungseffekt. Dies wirkte sich in späteren Jahren in einer hohen Rate der Fertigstellung von Autobahnkilometern aus. 1974 sind die Zahlen dann wieder rückläufig. Herr Minister, es wäre doch zweckmäßiger, darüber zu sprechen, daß in den nächsten zehn Jahren 250 km Autobahn pro Jahr gebaut werden sollen, während es in den vergangenen fünf Jahren 346 km waren. Ich meine jedenfalls, daß Sie keinen Anlaß haben, das für sich in Anspruch zu nehmen, was an langfristiger moderner Politik im Bereich des Straßenbaus von den CDU/CSU-Regierungen - damals zusammen mit der FDP - in die Wirklichkeit umgesetzt worden ist. Daß Sie dies fortführen, erlegen Ihnen die Gesetze auf.
({6})
Der Herr Kollege Müller ({7}) sagte hier, der Bundesfernstraßenplan sei eine tolle Sache. Dieser Meinung sind wir auch. Ich frage mich allerdings, warum die Regierung ihn wieder zurückgezogen hat. Es gibt hier keine abgestimmte, koordinierte Investitionstätigkeit. Es lag ein Plan vor, den die Regierung zurückgezogen hat, weil er unzureichend gewesen ist.
Herr Minister, Sie haben hier auch über die Deutsche Bundesbahn gesprochen. Sie fragen uns immer, wo denn unsere Vorschläge seien. Eines möchte ich hier feststellen. Die Bahn ist durch diese Regierung in die katastrophalste Situation gekommen, in der sie je gewesen ist. Was die SPD eingebrockt hat, muß sie auch auslöffeln.
({8})
Seit 1970 ist praktisch nichts bei der Bahn passiert, weil man sich Illusionen hingegeben hat. Man hat gemeint, die Vollauslastung reiche aus.
({9})
Es gab keine Rationalisierung mehr. Die Investitionsquote war so niedrig wie kaum jemals zuvor. Sie sank auf 17,6 % im Jahre 1972 und auf 17,2 % im Jahre 1973 ab und betrug 18 % im Jahre 1974. In der Zeit, als wir eine Rationalisierung der Bahn durchführten, von der der Kollege Seibert sagt, sie sei eigentlich in einer vernünftigen und maßvollen Weise geschehen,
({10})
lagen die Investitionsquoten bei 31,9 % im Jahre 1962, 30 % im Jahre 1963 und ebenfalls 30 % im Jahre 1964. Sie sind dann im Abschwung abgesunken. Seither haben sie sich nicht wieder richtig erholt.
Nun, Herr Minister Gscheidle, Sie vertreten hier eine Regierung und eine Partei. Zehn Jahre ist die SPD für die Bahn verantwortlich. Die Probleme sind nicht einfacher, sie sind um vieles schwerer geworden. Wie hieß es damals im SPD-Flugblatt zur Bundestagswahl 1969: „Unter der CDU/CSU fuhr die Bundesbahn in das größte Defizit aller Zeiten." Damals hatten wir ein Defizit von 1,1 Milliarden DM. In diesem Jahr 1975 hat die Deutsche Bundesbahn einen Verlust von 4 453 Millionen DM. Etwas so Arges hat es noch nie gegeben.
Nun, Herr Minister, dann heißt es in dem SPD-Flugblatt welter: „Eine Schulden- und Zinsbereinigung werde das Defizit der Bundesbahn endlich unter Kontrolle bringen und weiter abbauen." Ich habe immer den Eindruck, da es der SPD schwerfällt, mit Zahlen richtig umzugehen: anstatt abzuziehen, zählen Sie dazu. Das Defizit ist nicht abgebaut worden, sondern das, was Sie abbauen wollten, haben Sie dazugezählt. Und dann sind Sie jetzt bei 4,4 Milliarden DM gelandet. Dann heißt es in dem Flugblatt weiter: „Ihr Verkehrsminister - das war damals Georg Leber - wird es nie wieder zulassen, daß dieser volkswirtschaftlich so wichtige Zweig noch einmal durch eine falsche Verkehrspolitik an den Rand des Ruins getrieben werde." Er steht am Rande des Ruins durch die von der SPD zu verantwortende Politik.
Nun versucht die Regierung, den Eindruck zu erwecken, die Investitionen, die so dringend bei der Bundesbahn notwendig sind, endlich zu erhöhen. - Was geschieht wirklich? Die Investitionsquote steigt auch bis 1979 kaum an, obwohl Sie mit einem Trick den Eindruck erwecken wollen, die Bundesbahn würde insgesamt mehr Geld erhalten. Sie bauen die Bundeszuwendungen, die sie bei den Investitionen ausweisen, bei der Finanzierung der Verluste wieder ab. 1974 wurde der Jahresfehlbetrag mit 2,2 Milliarden DM aus Bundesmitteln finanziert, die Bruttoinvestitionen mit 980 Millionen DM. 1976 wird der Fehlbetrag in Höhe von 3,6 Milliarden DM mit 1,2 Milliarden DM aus der Bundeskasse finanziert, und der Rest von 2,4 Milliarden DM mit Fremdmitteln, das heißt mit geliehenem Geld. Dafür werden 1976 1 597 Millionen DM für Investitionen ausgewiesen. Das ist doch üble Augenauswischerei. Das ist doch keine solide Politik.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD hat ja ein Programm für die nächste Regierungsperiode gemacht. Darin steht etwas über die Bundesbahn. Nur: einiges steht nicht drin, was wichtig ist. Ich möchte es daher ergänzen.
Erstens. Die jährlichen Fehlbeträge der Deutschen Bundesbahn werden bis 1980 nicht unter 3 Milliarden DM pro Jahr absinken.
Zweitens. Es muß damit gerechnet werden, daß nach der Wahl außergewöhnliche Anhebungen der Sozialtarife im Berufs- und Schülerverkehr zu erwarten sind.
({12})
Drittens. Die Investitionsquote steigt mäßig. 1976 wird sie 18 °/o, 1980 19,7 °/o betragen. Sie erreicht damit nicht einmal die Investitionsquote des Jahres 1965. Mit diesen beabsichtigten Investitionsquoten lassen sich die anstehenden Rationalisierungs- und Modernisierungsprobleme kaum lösen.
Viertens. Trotz der beabsichtigten Radikalkur des Netzes würden sich die erforderlichen, unabweisbaren Bundeszuwendungen nach den Ausführungen, die in dem Bundesbahnpapier stehen, auch 1985 auf 13,2 Milliarden DM belaufen.
Fünftens. Die Kreditverbindlichkeiten der Bahn, die Ende 1975 23,9 Milliarden DM betrugen, werden sich bis 1985 auf 70 Milliarden DM erhöhen, wenn keine Kapitaistrukturbereinigung kommt. Wie wollen Sie, Herr Minister, dieses dringliche Problem lösen? Darüber hätten Sie wohl einiges sagen müssen.
Die Sozialdemokraten sind jetzt im zehnten Jahr in diesem Ministerium. Jeder Minister, der das Ministerium übernahm, hat das Geschäft erst lernen müssen. Aus der Berufsbildungsdebatte wissen wir, daß Lehrlinge Geld kosten. Aber so teuere Lehrlinge wie die drei sozialdemokratischen Verkehrsminister hat unser Land noch nie gehabt.
({13})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Wrede.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß nach der Rede des Kollegen Lemmrich zugeben, daß ich um eine Enttäuschung reicher bin. Ich hatte nämlich angenommen, daß er sich zu Wort gemeldet hatte obwohl ja ursprünglich in der Vereinbarung zwischen den Fraktionen dies nicht vorgesehen war -, um dann wenigstens seinerseits die Zusage des Kollegen Dr. Jobst wahrzumachen, der auf zwei Zwischenfragen der Kollegen Wendt und Mahne gesagt hat: „Nun fragen Sie nicht so früh; ich komme ja gleich darauf zurück", nämlich auf die Frage, wie denn nun das verkehrspolitische Konzept der Opposition aussehe.
({0})
- Sie können mich nicht niederschreien, ich habe das Mikrophon. - Herr Dr. Jobst hat dann vor lauter Eifer ganz vergessen - wahrscheinlich hatte er sein Konzept nicht gelesen -, uns zu sagen, was denn nun die Opposition will.
Dann war ich natürlich sehr erstaunt, Herr Kollege Lemmrich, daß Sie sich bei Ihren Angriffen auf den Minister nun in einen völligen Gegensatz zu Ihren beiden Vorrednern, den verehrten Kollegen Schulte ({1}) und Dr. Jobst, begeben haben, denn diese haben ja in ihren Darlegungen behauptet, Herr Verkehrsminister Gscheidle habe eine schlechte Politik gemacht, er gehöre bestraft, er gehöre aus dem Amt entfernt usw. Nun stellt sich der Herr Kollege Lemmrich hierher und wirft dem Minister vor, daß er sich einer Verkehrspolitik rühme, die er doch gar nicht zu vertreten habe, denn diese basiere ja auf Gesetzen, die dieser Bundestag beschlossen habe, und deswegen solle er damit nicht so angeben. So ähnlich hat es der Kollege Lemmrich formuliert.
({2})
- Herr Kollege Lemmrich, wenn ich das einigermaßen logisch zusammenbekomme,
({3})
dann heißt das doch, daß die Sprecher der Opposition eine Verkehrspolitik kritisieren, von der Sie sagen, diese habe nicht der Verkehrsminister zu vertreten, sondern diese basiere auf Beschlüssen des Bundestages. Damit wollen Sie ja sagen: An diesen haben wir mitgewirkt und sogar eine Zeitlang aus der Position der Regierung heraus Vorlagen erarbeitet.
({4})
Meine Damen und Herren, ich möchte versuchen, die Debatte wieder in einen Zusammenhang zu bringen mit dem, was wir heute vormittag und heute nachmittag unter den Einzelplänen des Wirtschaftsministers und des Finanzministers behandelt haben, weil ich auch hier einen eklatanten Widerspruch in der Argumentation feststelle, obwohl ich doch annehmen darf, daß auch bei Ihnen die Verkehrspolitiker zu dem großen Arbeitskreisbereich der Wirtschaftspolitik gehören und eigentlich die Argumentation dort abgestimmt werden müßte. Heute nachmittag wurde wiederholt von Kollegen der Opposition die Sorge und der Vorwurf in die Debatte eingeführt, daß sich die Staatsquote immer mehr erhöhe und daß man das doch nicht so hinnehmen könne. Wenn ich nun Ihre Forderungen zur Verkehrspolitik dagegenhalte, dann laufen diese doch alle miteinander darauf hinaus, die Staatsquote zu erhöhen.
({5})
In diesem Falle ist es bei Ihnen wie in vielen anderen Fällen: Oft weiß die eine Seite nicht, was die andere sagt.
({6})
Ich darf, meine Damen und Herren, auf das Zentralproblem der Argumentation von Herrn Dr. Jobst und von Herrn Lemmrich zurückkommen: auf die Bundesbahn. Die schwierige Situation der Bundesbahn - dies habe ich von dieser Stelle schon einmal bei einer anderen Debatte gesagt - basiert doch im wesentlichen auf zwei Vorgängen. Der eine ist - ich sage das noch einmal - die Verkehrspolitik der 50er und 60er Jahre, sie war eindeutig auf die Straße ausgerichtet.
({7})
Ich füge gleich hinzu, bevor Sie laute Zwischenrufe machen, was ich damals gesagt habe: Dies sage ich ohne jeden Vorwurf. Das war wohl eine zwangsläufige Entwicklung. Aber daß diese Entwicklung zu Lasten der Eisenbahn ging, ist doch nicht zu bestreiten. Lesen Sie, wenn Sie mir schon nicht glauben, die Statistiken. Der Anteil der Eisenbahn an den Verkehrsleistungen sowohl beim Güter- als auch beim Personenverkehr ist seit 1950 kontinuierlich in Jahresraten von 1 1/2 % bis 2 % zurückgegangen, nicht erst in den Jahren der sozialliberalen Regierung.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte?
Ich tue es. Man möge mir aber nachher nicht den Vorwurf machen, ich hielte die Verhandlungen hier auf.
Herr Kollege Wrede, würden Sie einräumen, daß aus der SPD-Wahlkampfplattform der Vorwurf hervorgeht, wir hätten in unserer Zeit als Regierungspartei zu wenig Straßen gebaut?
Herr Kollege Schulte, ich dachte mir, daß Sie darauf kommen. Sie wollen daraus einen Widerspruch zu dem herleiten, was ich gesagt habe. Hier ist überhaupt kein Widerspruch. Dies heißt für mich ganz einfach, daß seit der Zeit der sozialliberalen Koalition die Verkehrspolitik insgesamt einen ganz anderen Rang hat, als das vorher der Fall war,
({0})
daß also Straßenbau, Bahn und öffentlicher Personennahverkehr in den Mittelpunkt der Verkehrspolitik gerückt sind.
Aber ich komme auf den anderen Faktor.
({1})
- Genau auf den komme ich jetzt, Herr Kollege. Sie stellen sich hier hin und sagen, seit 1970 sei das Defizit der Deutschen Bundesbahn von Jahr zu Jahr in diesen Größenordnungen gewachsen. Jeder von Ihnen, der sachkundig ist - manche, die so laut rufen, sind das ja sicher nicht, zumindest nicht in
der Verkehrspolitik -, weiß doch, daß der große Anteil der Personalkosten bei der Bundesbahn dieses steigende Defizit zur Folge hat. Jeder von Ihnen, der seit 1969 im Parlament ist, weiß ebenso, daß doch die Besoldungspolitik dieses Hauses - die hat ja nicht die Regierung zu vertreten; die hat dieser Deutsche Bundestag beschlossen, und zwar, wenn ich das recht sehe, immer einstimmig - die Ursache war. Weil gesagt wurde, der öffentliche Dienst habe gegenüber der privaten Wirtschaft einen Nachholbedarf, ist eine Besoldungspolitik betrieben worden, die nicht nur Besoldungserhöhungen in recht hohem Ausmaß, sondern auch, insbesondere bei den unteren Besoldungsgruppen - diese finden sich ja besonders bei der Bahn -, starke strukturelle Verbesserungen zur Folge hatte.
({2})
Wollen Sie nun sagen - meine Herren, auch diese Frage habe ich Ihnen schon einmal gestellt -, Sie wären der Auffassung, die Bundesbahner oder die Postbeamten - jetzt kann ich die Post ja dazunehmen - sollten von der allgemeinen Einkommensentwicklung ausgeschlossen bleiben? Da Sie dies nicht wollten und wir es auch nicht wollten, ist hier eine Besoldungspolitik, eine Einkommenspolitik, für den öffentlichen Dienst betrieben worden, die zwangsläufig bei dem hohen Personalkostenanteil der Bundesbahn zu diesen Folgen führen mußte. Sie können sich doch dann nicht hier herstellen und sagen, das sei das Ergebnis der Politik dieser Regierung.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Herr Kollege Wrede, würden Sie mir bitte bestätigen, daß unter den CDU/CSU-geführten Bundesregierungen über ein ausgewogenes und zielstrebiges Investitionsprogramm zugunsten der Bundesbahn, über die Elektrifizierung und Verdieselung, das höchste Ausmaß der Produktivitätssteigerung erreicht wurde, während unter den SPD-Verkehrsministern trotz zeitweiliger Überlastung der Bahn die Defizitsprünge ständig zugenommen haben?
Herr Kollege Müller-Hermann, es geht ja nun wirklich nicht, daß Sie, nachdem ich hier einige Minuten lang die Gründe für das Defizit erklärt habe, das nun auf diese Ebene abschieben wollen. Was Sie damit vorhaben, ist mir schon klar. Das können Sie aber doch nicht machen. Nachdem ich hier klar gesagt habe, das Defizit beruhe im wesentlichen auf der Personalkostenentwicklung auch bei der Bundesbahn, können Sie doch hier nicht andere Gesichtspunkte ins Gespräch bringen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich komme zu der sonderbaren Art der Argumentation der Opposition, die ja in ihrem Bundesbahnkonzept an den Anfang
gestellt hat, die klare Aufgabentrennung bei der Bundesbahn sei eine Voraussetzung für die Sanierung. Nun hat ja dieser Verkehrsminister so gehandelt. Er hat in seinen Zielvorgaben deutlich gemacht, wo die kaufmännische Verantwortung des Unternehmens liegt und wo die politische Verantwortung des Ministers liegt. Daraus macht dann die Opposition in der Diskussion den Vorwurf, der Minister wolle seine politische Verantwortung auf den Bahnvorstand abschieden, nachdem sie vorher genau eine solche klare Kompetenzabgrenzung verlangt hat.
Ein anderer Punkt. Es wird immer von den Stilllegungsplänen gesprochen. Die Kollegen von der Opposition - ich habe dies schon einmal gesagt - sprechen von dem Papier des Bahnvorstandes, von dem sogenannten betriebswirtschaftlich optimalen Netz, von Streckenstillegungsplänen der Bahn, manchmal auch von denen der Regierung, führen damit zu einer großen Verunsicherung der betroffenen Bevölkerung und stellen sich anschließend hierhin und beklagen diese Verunsicherung. Der Kollege Dr. Jobst spricht dann von den Gleisanschlüssen und von der Industrie, die verunsichert sei.
Ich darf Sie, meine Damen und Herren, auf etwas verweisen, das heute ein wenig untergegangen ist, was sowohl die Bundesregierung als auch die SPD-Bundestagsfraktion zum Ausdruck gebracht haben, beides Punkte, die Sie, Herr Dr. Jobst, sehr lautstark - nur, Lautstärke kann Argumente nicht ersetzen - hier angesprochen haben, nämlich zum einen die Frage der Arbeitsplätze bei der Eisenbahn. Es liegt die Erklärung auf dem Tisch: „Durch die Rationalisierungsmaßnahmen bei der Bundesbahn verliert kein Eisenbahner seine Beschäftigung bei der Deutschen Bundesbahn." Nehmen Sie das doch bitte einmal zur Kenntnis!
({1})
Zweiter Punkt. Bundesregierung und SPD-Fraktion haben gesagt: Gleisanschlüsse, die von der Wirtschaft genutzt werden, werden auch erhalten bleiben. Es liegt also bei der Wirtschaft selbst, ob sie ihre Schiene behält oder nicht. Auch dies sollten Sie zur Kenntnis nehmen, und Sie sollten nicht so tun,
({2})
als sei eine Halbierung des Streckennetzes der Bundesbahn von der Bundesregierung oder vom Vorstand der Deutschen Bundesbahn beschlossen.
Ich muß Ihnen sagen: Das, was Sie heute hier als „Generalabrechnung" geboten haben, war wenig. Ich kann dem Verkehrsminister und Ihnen allen sagen: Wir hätten wahrlich eine wenigstens in Sachfragen bessere Opposition verdient.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dollinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 13 trägt zwar den Titel: „Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen" ; er sagt aber kaum etwas aus über das größte deutsche Unternehmen im Bundesbesitz. Denn über den gesamten Haushaltsplan der Deutschen Bundespost entscheidet bekanntlich der Postverwaltungsrat. Trotzdem erscheint es mir notwendig, im Rahmen der Haushaltsdebatte einige Bemerkungen zur Deutschen Bundespost zu machen, zumal für ihre Leitung allein die Bundesregierung verantwortlich ist und somit Geschäftsentwicklung und Geschäftspolitik einiges über die Qualitäten dieser Regierung aussagen.
Allein die Tatsache, daß es seit 1969 vier Postminister der SPD gegeben hat, die die Post als Nebensache behandelten, ist bemerkenswert. Herr Leber, der erste von den vieren, sagte seinerzeit - so wurde berichtet -, er brauche nur eine halbe Stunde täglich für die Post. Herr Lauritz Lauritzen hatte gar keine Zeit, weil er sich ständig mit den Fluglotsen beschäftigen mußte. Herr Ehmke wollte dann das Nachtflugpostnetz abschaffen, die Laufzeit der Briefe verlängern und die Telefonnachfrage mit prohibitiven Gebühren bremsen, was ihm auch gelang. Zu allem Überfluß will nun Herr Bundesminister Gscheidle die Ortsgesprächszeit begrenzen.
Alle Minister betonten immer wieder, sie wollten der Post eine neue Verfassung geben und sie wirtschaftlich im Interesse der Postkunden führen. Was dabei herauskam, war folgendes. Die seit sechs Jahren beabsichtigte Umwandlung der Post hat sich als ein großer Irrtum der sozialliberalen Koalition, der typisch für ihre Reformeuphorie ist, herausgestellt. Denn man hatte nicht bedacht, daß eine Loslösung der Post aus der politischen Verantwortung verfassungsrechtlich nicht möglich ist.
Vizepräsident von Hassel: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Immer?
Bitte!
Herr Kollege Dollinger, würden Sie mir bestätigen, daß der Herr Innenminister Schwarz des Landes Rheinland-Pfalz im Postverwaltungsrat für den Vierminutentakt gestimmt hat?
Verzeihen Sie, ich bin noch nicht beim Vierminutenakt; zu dem werden Wir noch kommen.
({0})
- Er wird noch einmal berührt.
({1})
Auch die postalische Versorgung unserer Bevölkerung konnte nirgendwo wesentlich verbessert werden. Dafür wurde der Bundesbürger aber gleich dreimal zur Kasse gebeten, wobei die Preissteigerungen zwischen 30 °/o und 400 °/o lagen: Standardbriefe z. B. 67 °/o, Postkarten 100 °/o, PostanweisunDr. Dollinger
gen 400 %. Jetzt müssen die Postkunden jährlich über 7,2 Milliarden DM mehr an Postgebühren bezahlen.
Trotzdem hat die Post von 1970 bis 1974 einen rasanten Weg ins Defizit eingeschlagen, was zu Verlusten in Höhe von insgesamt 3,79 Milliarden DM führte. Gleichzeitig nahm aber auch die Verschuldung in erschreckendem Maße zu. Die SPD-Postminister brachten es fertig, die Schuldenlast der Deutschen Bundespost in Höhe von 16,6 Milliarden DM Ende 1969 - und dazu waren 20 Jahre der Wiederaufbauphase notwendig - innerhalb von nur sechs Jahren auf rund 41 Milliarden DM mehr als zu verdoppeln.
Neben der inflationären Entwicklung, für die die Bundesregierung die Verantwortung trägt, müssen insbesondere folgende Fehlentscheidungen in aller Deutlichkeit angesprochen werden. Herr Ehmke veranlaßte trotz Rückgang der Telefonnachfrage 1973 eine dritte drastische Gebührenerhöhung, bei der beispielsweise die Anschlußkosten für Telefone um 66 2/3 %, die Grundgebühr um 23 % und die Gesprächsgebühr um 9 % erhöht wurde. Während 1971 noch 1,1 Millionen neue Telefonanschlüsse installiert wurden, waren es 1975 nur noch rund 677 000. Erst dieser Rückschlag schreckte das Bundespostministerium auf. Den durch die prohibitive Gebührenpolitik verursachten Einbruch in die Telefonnachfrage versucht der jetzige Bundespostminister mit einer 22 Millionen kostenden Werbung und mit ca. 96 Millionen DM, wie ich sage, an Werbegeschenken, z. B. 50 freien Gesprächseinheiten innerhalb der ersten drei Monate, wieder wettzumachen.
Im Entwurf eines Regierungsprogramms der SPD für die Zeit von 1976 bis 1980 steht zu lesen: „Nächste Zukunftsaufgabe ist es, jedem privaten Haushalt ein Telefon zur Verfügung zu stellen." Das Steuer ist also offenbar um 180 Grad gedreht worden.
Ein anderes Beispiel sind die überhöhten Personaleinstellungen. So wurden - und das können Sie leicht in den Geschäftsberichten der Deutschen Bundespost nachlesen - 1974 gegenüber 1969 rund 50 000 Mitarbeiter mehr beschäftigt. Es waren 1969 rund 438 000 Beschäftigte im Jahresdurchschnitt, Teilzeitarbeitskräfte auf Vollzeitkräfte umgerechnet, 1974 dagegen 488 000. In der Bundesratsdrucksache 19/75 vom 8. Januar 1975 stellte man dann fest, daß bis 1979 mindestens 49 000 besetzte Dienstposten für Beamte eingespart werden müssen. Diese Entwicklung hatte die CDU/CSU dem Postminister seit langem prophezeit.
Ein weiteres Beispiel ist die widersinnige Entwicklung im Ausbildungswesen der Deutschen Bundespost. So wurden 1971 bis 1974, wie Sie wiederum leicht der Poststatistik entnehmen können, so viele Lehrlinge eingestellt, daß in den Jahren 1975 und 1976 die Einstellungsquote von 6 000 Fernmeldelehrlingen auf ca. 1 800 reduziert werden mußte, wozu in diesem Jahr dann noch 800 Einstellungen auf Grund des sogenannten Sonderprogramms der Bundesregierung kommen. Diese Fehlplanung ist noch gravierender, da die Post nicht einmal diese geringe Anzahl tatsächlich benötigt. Die Einstellung erfolgte nur deshalb, um nicht in ein noch schlechteres Licht gegenüber der Wirtschaft zu kommen, der man ständig vorwirft, sie würde zuwenig Lehrlinge einstellen.
({2})
In diesem Zusammenhang muß auch die Frage nach der Personalpolitik unter dem Aspekt der Parteibuchwirtschaft gestellt werden. Abgesehen von der zwangsweisen Zurruhesetzung von vier Abteilungsleitern, die der derzeitige Bundespostminister bereits zwei Tage vor seiner offiziellen Ernennung einleitete, trieb in jüngster Zeit die Parteibuchpolitik besondere Blüten. Von 22 Präsidentenstellen wurden in letzter Zeit sechs neu besetzt, und zwar ausschließlich von Sozialdemokraten.
({3})
Alle hatten sich als SPD-Angehörige im Bundespostministerium hervorgetan. Einer davon, der jetzige Präsident der Bundesdruckerei in Berlin, konnte es sich sogar kurz vorher noch leisten, DDR- und russische Sportler auf bundesdeutschen Briefmarken zu unterschieben.
Der Personalpolitik werden wir auch künftig besondere Aufmerksamkeit widmen. Denn wir wollen bei der Deutschen Bundespost keine SPD-Filzokratie.
Im übrigen müßte es dem Bundespostminister zu denken geben, daß bei der Personalratswahl im Bundespostministerium in diesen Tagen die Deutsche Postgewerkschaft - deren Vorsitzender der jetzige Minister ja lange war - eine beachtliche Wahlniederlage erlitten hat. Denn von den 950 diesmal abgegebenen gültigen Stimmen - bei der letzten Wahl waren es 893 - entfielen nur 338 auf die Deutsche Postgewerkschaft. Dies ist nicht nur ein beachtlicher Rückgang gegenüber den vorigen Wahlen, sondern es bedeutet auch rund 160 Stimmen weniger, als die Deutsche Postgewerkschaft an Mitgliedern im Postministerium hat. Während der Postverband sich von 173 auf 198 Stimmen verbessern konnte, nahmen die Stimmen für die Unabhängigen von 336 auf 414 zu. Dieser Erfolg der Unabhängigen und des Postverbands macht offenbar, daß man die Parteibuchwirtschaft und die Praktiken der Deutschen Postgewerkschaft satt hat.
({4})
Diese Entscheidung der Mitarbeiter im Bundespostministerium scheint mir aber auch ein deutlicher Beweis dafür zu sein, daß die Mehrzahl der Beschäftigten mit dem Verhalten und mit den Praktiken des Arbeitgebers nicht zufrieden ist. Hier eine Bemerkung zum Verhalten des Herrn Bundeskanzlers. Der Herr Bundeskanzler sprach am 17. April in der Personalversammlung des Bergedorfer Postamts. Es steht für mich außer Zweifel, daß dieser Auftritt sowohl gegen das Gebot der Nichtöffentlichkeit von Personalversammlungen - § 48 des Bundespersonalvertretungsgesetzes -, das Gebot der Friedenspflicht - §§ 51 und 66 - als auch gegen das Verbot der parteipolitischen Betätigung - § 51 - verstoßen hat. Es wäre interessant, zu wissen, was der Herr Bundesinnenminister dazu sagt.
Gestatten Sie mir nun ein Wort zum Postgewinn in Höhe von 312 Millionen DM im Jahr 1975 und zum voraussichtlichen Gewinn im laufenden Jahr. Diesen Gewinn will ich keineswegs unterschlagen; ich freue mich darüber. Ich frage mich aber: Wie ist dieser Gewinn zustande gekommen? Ganz zu schweigen von den enormen Gebührenerhöhungen, wurden Sachinvestitionen, die 1973 noch 8,25 Milliarden DM betragen hatten, um rund 1,4 Milliarden auf 6,84 Milliarden DM im Jahr 1975 gekürzt - und dies trotz Kosteninflation in einer Zeit, in der die Wirtschaft ständig aufgefordert wird, mehr zu investieren. Entsprechend geringer waren dadurch die Aufwendungen für Zins und Tilgung. Es fiel ferner die Ablieferung an den Bund ab 1975 fort, womit sich die Finanzhilfe des Bundes von nur 350 Millionen DM im Jahr 1969 auf rund zwei Milliarden DM im Jahr 1975 erhöhte. Auch damit wurde der lawinenartige Anstieg der Zinslast gemildert.
Der Abbau der Lehrlingsausbildung bzw. der Nachwuchskräfte um etwa ein Viertel - es waren zirka 10 000 Personen - brachte der Deutschen Bundespost Einsparungen von schätzungsweise etwa 200 Millionen DM. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß somit der Gewinn im Jahr 1975 zu einem guten Teil auch auf Kosten von jugendlichen Arbeitslosen und von Nachwuchskräften geht.
({5})
Und nun will der Postminister den Zeittakt testen. Dessen Einführung wäre eine neue Belastung der Telefonkunden und würde insbesondere die alten, kranken und behinderten Menschen sowie die Telefonseelsorge hart treffen. Ich befürchte, daß die plötzliche Verlängerung des Zeittakts von vier auf acht Minuten lediglich aus wahltaktischen Gründen erfolgte. Denn schon spricht man unter Hinweis auf bestimmte Ankündigungen davon, daß der Bundespostminister auf jeden Fall letztlich den Vier-Minuten-Takt, wenn nicht sogar den Drei-Minuten-Takt einführen wolle. Ich möchte noch einmal ausdrücklich feststellen: Die CDU/CSU bejaht die Schaffung von Nahverkehrsbereichen. Aber sie lehnt eine Zeitbegrenzung für Ortsgespräche ab. Die Fakten zeigen deutlich, meine Damen und Herren, daß die Deutsche Bundespost aus dem Takt geraten ist. Herr Bundespostminister, bei allem menschlichen Verständnis: Sie sind in Ihrem Amt glücklos.
Wir, die CDU/CSU, werden nach den Wahlen der Deutschen Bundespost die Aufmerksamkeit widmen, die notwendig ist, um dieses große Unternehmen in seiner Leistungsfähigkeit wieder zu stärken. Das bedeutet, die Dienste der Post müssen den Erfordernissen der Bürger und der Wirtschaft angepaßt werden. Rationalisierungsmöglichkeiten gilt es zu nutzen. Sparsamkeit muß oberstes Gebot sein. Die Mitarbeiter der Deutschen Bundespost müssen wieder Vertrauen in die Führung und in die Zukunft bekommen;
({6})
ihre Arbeitsplätze müssen wieder sicher werden. ({7})
Der Postkunde muß wissen, daß der Griff in seine Tasche nicht länger der Weisheit letzter Schluß sein wird.
({8})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Wuttke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir das, was der Kollege Dollinger hier vorgetragen hat, vergegenwärtige,
({0})
muß ich annehmen, daß bei ihm die Zeitzählung mit seinem Rücktritt aus dem Bundespostministerium stehengeblieben ist.
({1})
Was soll denn z. B. das Gerede über die vier Postminister der SPD? Herr Dollinger tadelt, daß sie zuwenig Zeit für die Post gehabt hätten. Nun, sie haben dann in der wenigen Zeit, die ihnen zur Verfügung stand,
({2})
mehr geleistet als Sie als Nur-Postminister. Ich frage mich: Was haben Sie, Herr Dollinger, bloß mit der vielen Zeit gemacht?
({3})
Das Postgutachten wurde im Auftrag Ihres Vorgängers im .Jahre 1965 erstellt.
({4})
Aber Herr Dollinger hat trotz der vielen Zeit nur darauf gesessen und keine Folgerungen daraus gezogen. Das mußte erst Gscheidle tun.
({5})
Das Bild, das Herr Kollege Dollinger hier zeigte, ist schlecht gemalt; es ist ein Zerrbild. Dr. Dollinger hat nicht zur Kenntnis genommen, daß neue Technologien und die Anforderungen aus dem Kundenkreis auch die Deutsche Bundespost zu investieren und zu automatisieren zwangen
({6})
und daß die Deutsche Bundespost eine sich abzeichnende Krise aus eigener Kraft überwunden hat, allerdings auch ohne Dr. Dollinger und ohne seine Rezepte und Konzepte, die er in der vergangenen Zeit immer wieder entwickelt und über alle möglichen Publikationsmittel in die breite Öffentlichkeit gebracht hat.
({7})
Deshalb sage ich: Was hier geboten wurde, ist ein alter Hut, der nur noch auf den Kopf meines Vorredners paßt. Es gibt nichts Neues, alles war nur Wiederholung. Das ist für mich Anlaß, nicht weiter auf Herrn Dr. Dollinger einzugehen, sondern die Deutsche Bundespost so zu schildern, wie sie wirklich ist. Das kann ich wegen des Zeitmangels leider nur ausschnittweise tun.
Der Voranschlag 1976 der Deutschen Bundespost schließt ebenso wie bereits die Erfolgsrechnung 1975 mit einem Gewinn ab. Dies ist ein Ergebnis, auf das alle Mitarbeiter mit Recht stolz sind, insbesondere deshalb, weil sie die Verbesserung der Finanzlage zum weitaus überwiegenden Teil herbeiführten. Die jahrelangen unablässigen Bemühungen von Bundespostminister Gscheidle, alle sinnvollen Rationalisierungsmöglichkeiten auszuschöpfen und auf allen Ebenen äußerst sparsam zu wirtschaften, haben die Voraussetzung hierfür geschaffen.
So wurde die Arbeitszeitverkürzung zum 10. Oktober 1974 trotz eines rechnerischen Mehrbedarfs von 23 000 Kräften ohne Personalvermehrung aufgefangen. Auch wird in diesem Jahr der Personalstand um rund 7 000 Kräfte vermindert werden.
Es braucht wohl nicht betont zu werden, daß derartige Operationen erhebliche Anstrengungen aller Beteiligten erfordern. Insbesondere ist großes Verständnis auf der Seite des betroffenen Personals Voraussetzung für einen Erfolg. Nur die aktive Mitarbeit des Personals sichert die volle positive Wirkung der Rationalisierung. Für den einzelnen haben die Rationalisierungsmaßnahmen sehr häufig spürbare persönliche Folgen, trotz des bei der Deutschen Bundespost vorbildlichen Rationalisierungsschutzes, den diese Bundesregierung trotz der Angriffe der Vertreter der Opposition, die nur zu deutlich die Haltung der CDU in Arbeitnehmerfragen charakterisiert, in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit allen bei der Deutschen Bundespost vertretenen Gewerkschaften geschaffen hat. Der Erfolg liegt auf der Hand. Unschwer ist zu errechnen, daß sich die Deutsche Bundespost ohne die personalwirtschaftlichen Maßnahmen bereits dieses Jahr wieder in der Verlustzone befände.
Unverständlicherweise wurden sogar personalsparende Maßnahmen Ziel öffentlicher Kritik, und zwar zum Teil derer, die vorher lauthals Personaleinsparungen im öffentlichen Dienst forderten. Das betrifft einerseits die Auflösung von vier Oberpostdirektionen mit einem Einsparungseffekt von 300 Arbeitsposten, andererseits die Zusammenfassung des Verwaltungsdienstes von bisher 670 auf künftig 326 Ämter.
Auch mit dem Aufbau eines neuen Personalbemessungssystems hat Bundesminister Gscheidle mit Beharrlichkeit eine für ihn sehr undankbare Aufgabe übernommen.
Bei all den Maßnahmen hat die Deutsche Bundespost niemals ihre sozialen Verpflichtungen vernachlässigt. Das beweist sie mit ihrem Beitrag zur Verminderung der Jugendarbeitslosigkeit.
({8})
Ohne einen Bedarf an Nachwuchskräften im Fernmeldehandwerk zu haben, stellte die Bundespost schon 1975 1 800 Auszubildende ein.
({9})
Es fehlte an vernünftiger Vorplanung. Vorhin sprach ich das Postgutachten an, das ist eine Vernachlässigung anderer Minister gewesen.
({10})
Diesselbe Zahl, 1 800 Auszubildende, wird 1976 eingestellt werden und dazu nochmals 800 auf Grund des Programms dieser Bundesregierung zur Behebung der Jugendarbeitslosigkeit.
({11})
Auch die Entwicklung der Ertragsseite hat einen erheblichen Anteil an der Gewinnerzielung. Die Erträge haben sich besser entwickelt als ursprünglich angenommen wurde. Selbstverständlich hat die Gebührenerhöhung von 1974 dazu beigetragen, daß die Deutsche Bundespost seit 1975 wieder schwarze Zahlen schreiben kann. Die Gebührenerhöhung allein hätte die Deutsche Bundespost jedoch nicht in die Gewinnzone gebracht, das Unternehmen wäre mit der Gebührenerhöhung allein in den roten Zahlen geblieben. Erst die Gebührenerhöhung plus Rationalisierung ergeben schwarze Zahlen für die Deutsche Bundespost.
Diese verbesserte wirtschaftliche Lage wirkt sich naturgemäß auch auf die Finanzierung des Kapitalbedarfs aus. Die Jahre 1969 bis 1974 waren geprägt von außerordentlich hohen Investitionen, hohen Wachstumsraten bei den Aufwendungen - ({12})
- Das wissen wir doch, dazu habe ich Stellung genommen.
({13})
Wenn Sie wegen der späten Zeit nicht folgen können, so habe ich Verständnis dafür, daß an Ihnen der Zahn der Zeit bereits genagt hat.
({14})
Der Fremdmittelbedarf war entsprechend hoch, er betrug durchschnittlich rund 6 Milliarden DM im Jahr.
Die hohen Investitionen waren eine Folge der 1969 übernommenen ellenlangen Warteliste mit rund 330 000 Antragstellern, die ungeduldig auf ein Telefon warteten.
({15})
- Herr Pfeffermann, Ihr lautstarkes Schreien hilft Ihnen nicht, die Fakten wegzuwischen. Sie sind schon immer ein Schreier gewesen und werden es auch bleiben.
({16})
Mit enormem Aufwand an Kapital und Personal ist es der Unternehmensleitung gelungen, die Warteliste fast völlig abzubauen
({17})
und die Engpässe im Fernsprechnetz zu beseitigen. Ich sage es noch einmal: Hier stehen die Fakten; Sie ertragen es nicht, daß man Fakten nennt, Sie operieren nur mit Emotionen.
({18})
Für derartige Investitionsanstrengungen war die Eigenkapitaldecke der Deutschen Bundespost viel zu knapp, so daß erhebliche Fremdmittel aufgenommen werden mußten, die einen fühlbaren Schuldendienst nach sich zogen. Gerade diese Tatsache haben die Vertreter der Opposition der Deutschen Bundespost immer wieder zum Vorwurf gemacht und dabei wohlweislich die Gründe verschwiegen, die in den Jahren vor 1969 zu suchen sind.
({19})
Jetzt aber haben es die Postler geschafft. - Sagen Sie jetzt „Jawohl"! Denn Leitung und Mitarbeiter der Deutschen Bundespost haben eine gegenüber den übrigen öffentlichen Händen gegenläufige Entwicklung herbeigeführt. Im Jahre 1976 wird die Deutsche Bundespost nur rund 4 Milliarden DM an Fremdmitteln aufnehmen müssen. Bei Berücksichtigung der im Jahre 1976 erfolgten Schuldentilgung wird das Schuldenvolumen in diesem Jahr nicht weiter erhöht. Dies ist zuallererst auch ein Erfolg des Bundespostministers.
({20})
Ich meine, das ist eine erfreuliche Entwicklung, die unseren Bürgern entgegen den gegenwärtig vorherrschenden und von bestimmter Seite sorgsam gehegten Denkklischees klarmacht, daß öffentliche Unternehmen nicht, gewissermaßen systembedingt, Defizite erwirtschaften müssen, sondern daß sie trotz der ihnen auferlegten Verpflichtung zur Wahrung gemeinwirtschaftlicher Gesichtspunkte auch eindeutige Beweise ihrer Leistungsfähigkeit liefern können.
Verantwortungsbewußte Unternehmenspolitik bedeutet maßvolle Nutzung der Marktchancen. Eine solche an den Unternehmen der Wirtschaft stets gerühmte und öffentlichen Unternehmen als Beispiel vorgehaltene Flexibilität als Konzeptlosigkeit anzuprangern, dürfte nur aus der Wahlkampfatmosphäre heraus zu erklären sein.
Schließlich wird der Deutschen Bundespost vorgeworfen, sie haben ihre Finanzlage nur dadurch verbessern können, daß sie mit die höchsten Gebühren der Welt fordere und insbesondere für das Telefon Prohibitivpreise verlange. Um diese Behauptung zu stützen, werden die verschiedenartigsten Berechnungen angestellt. Gemessen am objektiven Indikator des zeitlichen Arbeitsaufwandes eines Industriearbeiters, liegt die Deutsche Bundespost mit ihren Fernmeldegebühren jedoch erst an fünfter Stelle.
Es ist ein Verdienst des Bundespostministers, daß die Fernsprechhauptanschlüsse - ({21})
- In Ihren Augen hat er überhaupt keinen Verdienst; denn Ihre Leute werden ja als Idole herausgestellt.
({22})
Es ist ein Verdienst des Bundespostministers, daß die Zahl der Fernsprechhauptanschlüsse von 1969 bis 1976 geradezu verdoppelt wurde ({23})
eine Tatsache, die nicht nur verschwiegen wurde, wenn es parteipolitisch tunlich erschien, den Fremdkapitalanteil der Deutschen Bundespost in ein falsches Licht zu rücken, sondern auch dann, wenn die Bundesrepublik Deutschland mit 14 Telefonen auf 100 Einwohner von der Opposition als Fernsprechentwicklungsland dargestellt wird. Wenn dies, meine Damen und Herren von der Opposition, nach Ihrer Meinung für heute tatsächlich gilt, dann war die Bundesrepublik in den Zeiten der CSU-Postminister vergleichsweise noch bei den Buschtrommeln.
({24})
Wenn man von der Deutschen Bundespost fordert, sich bei ihren unternehmenspolitischen Entscheidungen unter Berücksichtigung des Globalausgleichs am Markt zu orientieren
({25})
- ich bin gleich fertig -, dann sind die Telefongebühren im Sinne des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage zweifelsfrei richtig. Der bisherige Erfolg des Bundespostministers und seiner 500 000 Mitarbeiter läßt hoffen, daß es entgegen allen pessimistischen Urteilen über die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors bei einem Zusammenwirken aller verantwortlichen Kräfte möglich ist, die Wirtschaftsführung des öffentlichen Unternehmens Deutsche Bundespost nicht nur mittelfristig, sondern auch langfristig
({26}) auf sichere Beine zu stellen.
({27})
Der Kollege Jobst sagte: In der Politik zahlt sich Ehrlichkeit aus. Es sei so; aber arme CDU/CSU!
({28})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dollinger hat hier heute abend, heute nacht
({0})
im Prinzip
({1})
lediglich die Wiederholung von immer wieder gehörten Angriffen und ständig erneuerter Kritik geboten, die schon aus den Kleinen Anfragen der OpHoffie
position aus den Jahren 1974 und 1975 zu hören war.
({2})
Herr Kollege Dollinger, Sie als der ehemalige Postminister weisen sich im Handbuch des Deutschen Bundestages als Diplomkaufmann aus. Aber leider muß man hier bedauernd feststellen, daß Studium und Praxis offenbar allzu lange zurückliegen, als daß Ihnen nunmehr jemand ernsthaft abnehmen könnte, daß Sie die finanzielle Situation der Deutschen Bundespost betriebswirtschaftlich fundiert noch darzustellen in der Lage sind.
({3})
Denn zu keinem anderen Ergebnis, meine Damen und Herren, kann man kommen, wenn man sich Ihres Generalangriffs, Herr Postminister a. D., erinnert, Ihres Generalangriffs - ({4}) : Man Hoffie,
wann hast Du denn einmal einen Betrieb
von innen gesehen!)
- Herr Pfeffermann, kommen Sie doch hier herauf und halten Sie hier einmal Ihre Jungfernrede! Dann können Sie zeigen, ob Sie mehr können, als nur dazwischen zu rufen.
({5})
Ich sagte: Zu diesem Schluß muß man kommen, wenn man sich einmal des Generalangriffs des Herrn Dollinger vom März vergangenen Jahres erinnert, als er bei der Einbringung von immerhin 89 Einzelfragen - übrigens nur einer inflationären Wiederholung der 58 Fragen aus dem Jahre 1974 - vor der Presse
({6})
- Herr Stücklen, vor der Presse - orakelt hat, die Opposition müsse davon ausgehen, daß bis 1978, also für die Jahre 1975, 1976 und 1977, ein Defizit zwischen 5 bis 6 Milliarden DM entstehen werde, die nächste Gebührenerhöhung bereits vorprogrammiert sei, die Post sich systematisch in die Verluste manövrieren werde.
In der gleichen Pressekonferenz haben Sie schließlich an den Minister die Frage gestellt, welche Möglichkeiten er denn sähe, um mit der, wie Sie sagten, katastrophalen Finanzlage bei der Post fertigzuwerden. Die Antwort, Herr Dr. Dollinger, kann heute gegeben werden: Der Jahresabschluß 1975 steht zwar noch aus, aber niemand zweifelt mehr daran, daß für 1975 ein Gewinn von mindestens 300 Millionen DM gesichert ist, daß für 1976 bei einem Haushaltsvolumen von fast 41 Milliarden DM sogar mit 400 Millionen DM gerechnet werden kann und daß auch für 1977 erneut gelingen wird, was Sie für alle drei Jahre in Abrede gestellt haben, nämlich in der Gewinnzone zu bleiben, und das, Herr Kollege Dollinger, auch ohne die von Ihnen wahltaktisch ja wohl heiß herbeigesehnte Gebührenerhöhung in diesen drei Jahren, die allerdings nicht stattfinden wird.
Wenn man weiterhin in Rechnung stellt, daß wir für das laufende Jahr nicht nur die 400 Millionen Gewinn erwarten, sondern auch noch eine beachtliche Rücklage bilden können, dann, Herr Kollege Dollinger, wird deutlich, wie sehr Sie mit Ihren Kassandrarufen auf dem Holzwege waren. Aber gleichzeitig wird auch unterstrichen, daß die Deutsche Bundespost - zugegebenermaßen mit großen Anstrengungen, aber auch durch einen vorbildlichen Kraftakt aller Mitarbeiter mit schwerwiegenden Kurskorrekturen und mit einschneidenden Spar- und Rationalisierungsmaßnahmen ({7})
unter sozialliberaler Regierungsverantwortung, insgesamt gesehen, eine Leistung erbracht hat, von der die Postminister der 50er und der 60er Jahre oft genug nur träumen konnten,
({8})
eine Leistung, für die wir dem Minister und den Angehörigen des größten Dienstleistungsbetriebs in Europa Dank schuldig sind.
({9})
- Herr Kollege Stücklen, ich bin Ihnen für den Zuruf dankbar, denn ich kann gleich feststellen, daß sich nämlich die Post unter Ihrer Verantwortung und unter der Verantwortung des Kollegen Dollinger in den Jahren 1952 und 1953, 1957 und 1958 und in der gesamten Zeit von 1961 bis 1965 in Verlustzonen befand.
({10})
Und für die Jahre, in denen unter Ihrer Verantwortung gelegentlich auch Gewinne gemacht wurden, darf nicht unberücksichtigt bleiben,
({11})
daß dies ja nur auf Grund besonderer Umstände möglich war.
({12})
- Ich will es Ihnen gleich erklären, Herr Stücklen. So erfolgte als Ergebnis der Rezession 1966/67 ein Zuwachs des Personalaufwandes um nur 3,2 Prozent, während nach dem Konjunkturaufschwung die Lohn- und Gehaltsquoten sprunghaft stiegen und das Gesamtergebnis erheblich belasteten.
Es muß aber hier auch einmal daran erinnert werden, was schon in Beantwortung der Kleinen Anfrage ausgeführt worden ist: Sie übersehen nämlich ständig, daß man Verluste bei der Post, die wir in diesem Jahre deutlich überwunden haben, immer nur in Relation zu den Erträgen sehen kann. Ein Beispiel: 1953 hatte die Post 220 Millionen DM Verlust, dagegen 1973, also 20 Jahre später, mit 457 Millionen einen fast doppelt so hohen Betrag. Aber die Erträge, meine Damen und Herren von der Opposition, erreichten 1953 nicht einmal 2,2 Milliarden, dafür 1973 mit 23 Milliarden DM mehr als das Zehnfache.
({13})
Der Anteil der Verluste am Gesamtertrag sank damit also von 7,6 auf 2 °/o, und allein dieses Beispiel zeigt,
({14})
wie schief Sie bei Ihren immer wieder vorgeführten Vergleichen von absoluten. Verlustzahlen liegen.
({15})
Es wäre auch zu einfach, Herr Kollege Dollinger, wenn man das positive Ergebnis der Post heute allein mit der Gebührenerhöhung von 1974 erklären wollte. Daß die Post heute wieder Schritt gefaßt hat, ist im wesentlichen auch das Ergebnis der Spar- und Rationalisierungsanstrengungen der Deutschen Bundespost,
({16})
und sie hat wieder Boden unter den Füßen, obwohl sich die Einkommen der Mitarbeiter in den sechs Jahren von 1969 bis 1974 mehr als verdoppelt haben
({17})
und durchschnittlich um 12,3 °/o jährlich gestiegen sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich wäre dankbar, wenn ich meine Zeit voll nutzen dürfte.
({0})
Wie entscheidend ({1})
- Herr Riedl, wenn es auf meine Zeit nicht angerechnet wird, bitte sehr! Darf ich davon ausgehen?
Bitte schön, Herr Kollege Riedl!
Herr Kollege Hoffie, wenn dies alles so ist, wie Sie es hier darstellen, können Sie uns bitte erklären, warum die Post in den letzten Jahren dreimal die Gebühren um insgesamt 7,2 Milliarden DM zum entscheidenden Nachteil der Postbenutzer erhöht hat?
({0})
Ich habe vorhin schon erklärt, daß der Erfolg der Deutschen Bundespost in den Jahren 1975 und 1976 - dies wird auch für 1977 gelten - nicht allein das Ergebnis - Herr Kollege Wuttke hat das vorhin schon deutlich zu machen versucht; wenn Sie hingehört hätten, wüßten Sie es - der Gebührenerhöhung gewesen ist,
({0})
die ja auch unter der Verantwortung Ihrer Minister jeweils stattgefunden hat,
({1})
sondern im wesentlichen auf die eingeleiteten Rationalisierungsmaßnahmen zurückzuführen ist, die tatsächlich gegriffen haben.
({2})
Dieses alles war möglich, obwohl die Aufwendungen für das Personal mit 55 °/o die größte Position in dem Unternehmen insgesamt darstellen und im Bereich des reinen Postwesens allein rund 70 °/o Prozent ausmachen.
Daraus ergibt sich aber auch, daß gründliche Rationalisierungsmaßnahmen zur Lösung der Probleme nicht ausreichen, sondern daß das Dienstleistungsangebot auch weiterhin mit dem Ziel überdacht werden muß, die Personalintensität zu reduzieren, und zwar schon deshalb, weil die bisher bestehenden Möglichkeiten des Unternehmens, Defizite des Postwesens mit Überschüssen aus dem Fernmeldewesen auszugleichen, langfristig erheblich geringer werden. Von entscheidender finanzwirtschaftlicher Bedeutung ist schließlich aber auch die Tatsache, daß der Bund im Jahre 1975 erstmals den vollen, an ihn zu zahlenden Betrag für die Aufstokkung des Eigenkapitals zur Verfügung stellt. Was dem Bundespostminister hier gelungen ist, hat jedenfalls kein Postminister, der sich zuvor darum bemüht hatte, geschafft.
({3})
Allein dies ist ein ganz wesentlicher Schritt zur Gesundung des Unternehmens. Die FDP wird diesen Weg der Gesundung der Deutschen Bundespost konsequent und konstruktiv weiterverfolgen.
Herr Kollege Dollinger, Sie und Ihre Kollegen von der Opposition wiederholen immer wieder den Vorwurf, die Post habe kein überzeugendes unternehmerisches Konzept. Hier kann in der Tat nur das wiederholt werden, was der Postminister auch immer wieder unterstreicht, wenn er von dem Konflikt spricht, der sich aus der Vorgabe konkurrierender Ziele ergibt. Es ist ja wohl unbestreitbar, daß das Prinzip der Eigenwirtschaftlichkeit von der Post ein unternehmerisches, ein kosten- und marktorientiertes Denken und Handeln erfordert. Sie soll als Instrument der Wirtschafts-, der Verkehrs- sowie der Finanz- und Sozialpolitik aber auch Daseinsvorsorge betreiben, die der Eigenwirtschaftlichkeit nur allzuoft widerspricht. Es gilt, zunächst gemeinsam Klarheit darüber zu schaffen, inwieweit der Post die politischen und teilweise nicht postspezifischen Lasten abgenommen werden können. Meine Damen und Herren, dieses ist kein neues Problem, denn um die Frage der Postverfassung und ihrer Reform bemühten sich - erfolglos -schon alle Bundesregierungen vor 1969.
Herr Kollege Dollinger, Sie haben hier die Postverfassung angesprochen. Dieses ist in der Tat kein Problem der sozialliberalen Koalition allein. Ich sagte bereits, alle Regierungen zuvor haben sich mit der Frage einer Reform der Postverfassung beHoffie
faßt, ohne zu konkreten Ergebnissen gekommen zu sein.
({4})
Auf Grund eines ausdrücklichen Auftrages des 4. Deutschen Bundestages wurde vor zwölf Jahren, Herr Dollinger, am 16. April 1974, von einer Sachverständigenkommission ein Gutachten erarbeitet, das in der Amtszeit des Postministers Stücklen vorgelegt wurde und in dem auch konkrete Empfehlungen ausgesprochen wurden, ohne daß damals Konsequenzen daraus gezogen wurden.
({5})
Meine Damen und Herren, die zunehmende Bedeutung der technischen Kommunikation für die Infrastruktur der Volkswirtschaft weist der Deutschen Bundespost eine Schlüsselfunktion für die Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft zu. Die FDP wird daher alle Maßnahmen unterstützen, die dazu beitragen können, das Dienstleistungsangebot der Deutschen Bundespost - wie jetzt bei der Einführung der Konferenzschaltung im Fernsprechverkehr
zu verbessern, zu erweitern und rationeller zu gestalten.
({6})
Herr Kollege Hoffie, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Berger?
Nein. Ich habe nur noch eine Minute zu reden. Ich möchte meine Gedanken jetzt zu Ende bringen.
Bei diesen Maßnahmen wird es stets ein Grundziel sein müssen, die Deutsche Bundespost zu einem markt- und nachfrageorientierten Verhalten zu führen und das hoheitliche Selbstverständnis abzubauen. Dabei ist unter Beachtung betriebswirtschaftlicher Grundsätze die Relation zwischen Kosten und Leistungen stetig zu verbessern. Nur dann, meine Damen und Herren, wird die Deutsche Bundespost auf die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und die technischen Herausforderungen der Zukunft vorbereitet sein.
({0})
Das Wort hat Herr Bundesminister Gscheidle.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe Verständnis für Ihren Unmut. Aber für den Fall, daß Sie durch Ihren Unmut verhindern wollen, daß ich auf die Angriffe von Herrn Dollinger eingehe, muß ich sagen: Dies wäre kein demokratisches Verfahren.
({0})
- Ja gut. Wenn Sie mich nicht unterbrechen, benötige ich nicht einmal acht Minuten,
({1})
um einige der Dinge zu erledigen, die Herr Dollinger vorgetragen hat.
({2})
- Nun unterbrechen Sie mich doch nicht. Es geht doch schnell. Wenn Sie ruhig sind, schaffe ich es vielleicht in fünf Minuten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Nein. Ich versuche, in fünf Minuten fertigzuwerden. Das geht nicht, wenn ich Fragen zulasse.
({0})
- Gut, sagen wir viereinhalb Minuten. Das ist für Sie aber eine große Disziplinierung, die Sie sich selbst auferlegen.
({1})
Herr Dollinger, zunächst gehe ich auf einige Punkte ein, die mir wichtig erscheinen.
Erstens zu den Preissteigerungen. Natürlich haben wir Mitte 1974 die Gebühren erhöht. Aber in langfristiger Betrachtung - Herr Dollinger, das können Sie nachprüfen - ist das Wachstum der Postgebühren unter dem des Dienstleistungsgewerbes geblieben. Ich sage Ihnen: Seit 1974 sind die Gebühren stabil. Und ich sage Ihnen: Sie werden 1976 stabil bleiben und werden aller Voraussicht nach auch 1977 stabil bleiben. Wenn Sie mir jetzt ein Dienstleistungsunternehmen in diesem Land oder in einem anderen nennen können, das für einen so langen Zeitraum seine Gebühren stabil gehalten hat, dann haben Sie ein Kunststück fertiggebracht.
({2})
Zweitens haben Sie auf die Personalkosten Bezug genommen. Die Personalkosten pro Verkehrseinheit sind seit Ihrem Weggang nicht gestiegen, sondern gefallen.
Drittens haben Sie sich zu der Nachwuchsplanung geäußert. Ihnen müßte noch in Erinnerung sein, daß Ihre Planungen auf Grund der von Ihnen geschaffenen Richtlinien bei der Zunahme von 50 000 mit 24 000 beteiligt sind. U. a. gab es, als wir das Geschäft von Ihnen übernahmen, die Schwierigkeit, die Personalbemessung und die Nachwuchsplanung in Ordnung zu bringen. Wir haben das in Ordnung gebracht.
Ganz überrascht bin ich nun über Ihre Bemerkungen zur Personalpolitik, Herr Kollege Dollinger.
Wenn Sie hier den Versuch unternehmen, uns Parteipolitik anzuhängen, dann darf ich Ihnen eine nachprüfbare Aussage machen. Unter Ihrer Amtszeit und der all Ihrer Vorgänger war es im Bundespostministerium in der Regel nicht möglich, als Sozialdemokrat über die Besoldungsgruppe A 15 hinauszukommen. Seit Sozialdemokraten die Verantwortung im Postministerium haben, wurden drei aktive Mitglieder der CDU/CSU Abteilungsleiter, wurden mehrere aktive Mitglieder der CDU/CSU Unterabteilungsleiter. Sie haben gesagt, wir hätten sechs Personen, die SPD-Mitglieder sind, zu Präsidenten gemacht. Das ist richtig. Wenn wir bei 22 Oberpostdirektionen die Parität erreichen wollten, dürften wir in den nächsten acht Jahren überhaupt niemanden mehr zum Präsidenten machen, der nicht SPD-Mitglied ist. Unsere Entscheidungen sind nicht auf das Parteibuch abgestellt.
({3})
Das müssen Sie erst einmal in Ordnung zu bringen versuchen.
Nächste Bemerkung. Sie sprachen von der Wahl des Personalrats und dem Zusammenhang mit dem jetzigen Postminister und seiner Mitgliedschaft bei der Postgewerkschaft. Herr Dollinger, was wollen Sie eigentlich damit aussagen? Jetzt sage ich Ihnen drei Daten - nachprüfbare -: die Postgewerkschaft hat im Postministerium verloren in der Listenwahl, richtig, nicht sehr hoch verloren, sie hat im Bundesgebiet dagegen gewonnen, im Verkehrsministerium sind die Verhältnisse genau umgekehrt. Was wollen Sie eigentlich mit dem Beispiel?
Bleiben Sie mal bei dem Pilotenbeispiel von Herrn Strauß: Wer sozusagen den Aufstieg für sich in Anspruch nimmt, muß auch den Abstieg hinnehmen; das gilt dann auch umgekehrt. Nur zu seinem Pilotenbeispiel! Er ist ja nicht da, Sie werden es ihm sagen können. Ob eine Maschine gut herunterkommt, ist nicht nur der Geschicklichkeit des Piloten zu verdanken, auch einige externe Einflüsse sind von großer Bedeutung. Aber lassen wir das mal weg.
Nur wenn dies Ihr Bezugspunkt war: was ist nun vorteilhaft, das Ministerium oder die Außenverwaltung, die Post oder das Verkehrsministerium? Da kommen Sie doch mit diesem Argument überhaupt nicht weiter.
Letzte Bemerkung zum Nandienst! Herr Dollinger, unter Ihrem Namen haben die Fachbeamten des Postministeriums ein Buch geschrieben „Post 2000". Ich vermute, Sie hatten bislang noch nicht Zeit, das Buch genau zu lesen.
({4})
Darf ich Ihnen empfehlen, den Abschnitt nachzulesen „Alles hängt an einem Draht" ! Dort ist die mutmaßliche Entwicklung des Kommunikationsnetzes dargestellt. Es ist eine Darstellung, die ich voll billige. Herr Dollinger, wenn Sie dies aufgenommen
haben, dann können Sie im Ernst nicht argumentieren, die CDU/CSU sei nunmehr dafür, den Nahbereich einzuführen, aber im Ortsnetz keinen Zeittakt einzuführen. Nehmen Sie doch Ihr eigenes Buch ernst.
Herr Bundesminister - Gscheidle, Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Nicht nur die internationalen Erfahrungen sprechen dagegen. Weder national noch international lassen die Entwicklungen im Fernmeldenetz und im Kommunikationsnetz es möglich erscheinen, die Kosten nicht auf die Zeit abzustellen. Es muß ja auch Gründe gegeben haben -
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von - Gscheidle, Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Entschuldigen Sie bitte, ich habe nur noch zwei Sätze. Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, daß dies eine abgesicherte Meinung aller Fachleute - einschließlich der im Postministerium - ist, die Sie alle befragen können.
Eine abschließende Bemerkung! Ich kann Ihnen nicht absprechen, daß Sie ideenreich waren als Postminister. Nur, Herr Dollinger, Sie waren ideenreich, doch tatenarm. Sie wollten auch erreichen, daß die Ablieferungen an den Bund der Bundespost wieder zugute kommen. Das haben Sie nicht geschafft. Sie mußten hinnehmen, daß Sie 300 Millionen Belastung im Jahr hatten. Wir haben geschafft - und darauf sind wir und die Post stolz -: die Post ist aus dem Haushalt herausgehalten, die Finanzen sind gesund, und wir werden unser Ziel erreichen: in jeden Haushalt ein Telefon.
({0})
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung. Zum Einzelplan 12 liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5169 vor. Ich gehe davon aus, daß er in der Aussprache begründet worden ist. Wir können darüber abstimmen. Wer dem Änderungsantrag die Zustimmung geben will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erst war die Mehrheit; der Einzelplan 12 ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 13. Wer die Zustimmung geben will, den bitte
Vizepräsident Frau Funcke
ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 13 ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
- Drucksache 7/5044 Berichterstatter:
Abgeordneter Hauser ({0}) Abgeordneter Haase ({1})
Abgeordneter Dr. Riedl ({2}) Einzelplan 35
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
- Drucksache 7/5055 - Berichterstatter: Abgeordneter Simon
Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Das Wort zur Aussprache wird nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 14 ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 35. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ebenfalls einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Ziffer 24 des Tagesordnungspunktes I auf:
Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
- Drucksache 7/5051 Berichterstatter: Abgeordneter Blank in Verbindung mit:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Forschung und Technologie ({3})
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Haenschke, Konrad, Schäfer ({4}), Dr. Ehrenberg, Junghans, Kern, Liedtke, Reuschenbach, Dr. Schäfer ({5}), Dr. Hirsch, Dr. Wendig, Kleinert, Dr.-Ing. Laermann, Dr. Graf Lambsdorff, Zywietz und der Fraktionen der SPD, FDP
betr. friedliche Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland
zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen
der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann,
Hoffie, Dr. Graf Lambsdorff, Frau Schuchardt, Kern, Wolfram ({6}), Flämig, Dr. Jens, Kaffka, Dr. Lohmar, Reuschenbach, Scheu, Schwedler, Stahl ({7}) und der Fraktionen der SPD, FDP
betr. rationelle und sparsame Energieverwendung
und zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Haenschke, Konrad, Schäfer ({8}), Dr. Ehrenberg, Junghans, Kern, Liedtke, Reuschenbach, Dr. Schäfer ({9}), Dr. Hirsch, Dr. Wendig, Kleinert, Dr.-Ing. Laermann, Dr. Graf Lambsdorff, Zywietz und der Fraktionen der SPD, FDP
betr. friedliche Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 7/4600, 7/4607, 7/4948 - Berichterstatter:
Abgeordneter Kern
Abgeordneter Lenzer
Abgeordneter Dr.-Ing. Laermann
Hierzu liegt uns ein Änderungsantrag auf Drucksache 7/5156 vor.
Ich darf zunächst fragen, ob die Berichterstatter das Wort wünschen? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort in der Aussprache begehrt? - Das ist auch nicht der Fall. Wird das Wort zur Begründung des Änderungsantrages begehrt? - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Dann stimmen wir zunächst über den Änderungsantrag auf Drucksache 7/5156 ab. - Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 30. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 30 ist angenommen.
Wir müssen jetzt noch über den Antrag des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 7/4948 abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen so beschlossen.
Ich rufe Ziffer 25 des Tagesordnungspunktes I auf: Einzelplan 31
Geschäftsbericht des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
- Drucksache 7/5052 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer
Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort in der Aussprache begehrt? - Das ist auch nicht der Fall.
Vizepräsident Frau Funcke
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 31. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 31 ist mit Mehrheit angenommen.
Damit sind wir am Ende des Programms, das wir für heute vorgenommen haben.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung auf heute, den 14. Mai 1976, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.