Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/12/1976

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführte Vorlage. - Das Haus ist einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen. Vereinbarungsgemäß rufe ich den Zusatzpunkt sofort auf: Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der Gewerbeordnung - Drucksache 7/5142 Berichterstatter: Abgeordneter Kleinert Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu dem Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der Gewerbeordnung hatte der Bundesrat den Vermittlungsausschuß wegen dreier Punkte angerufen. Zum einen sollte in § 64 Abs. 1 nach den Worten „nach Muster" „und im wesentlichen" eingefügt werden. Das sagt Ihnen vermutlich wenig. Es handelt sich darum, daß mit der Fassung des Bundestags in bescheidenem Umfang auch der Verkauf an Letztverbraucher ermöglicht werden sollte. Der Bundesrat meinte, mit seinem Änderungsvorschlag diese Möglichkeit weiter einschränken zu können. In den Beratungen des Vermittlungsausschusses war man der Ansicht, daß bereits die vom Bundestag vorgelegte Fassung in dem bisher üblichen Rahmen die sehr bescheidenen Verkäufe an Endverbraucher zulasse, nämlich wegen der Worte „überwiegend nach Muster", und daß deshalb eine Änderung der vom Bundestag beschlossenen Fassung nicht erforderlich sei. Dieses Anrufungsbegehren ist abgelehnt worden. Der zweite Punkt betraf das Verbot der Erhebung von Gebühren und Abgaben über die dem Veranstalter entstehenden Kosten hinaus auch bei sogenannten Spezial- oder Fachmessen. Es bestand Einigkeit darüber, daß in diesem Bereich der Spezialmärkte eine Anzahl von wichtigen und wünschenswerten Veranstaltungen unter Umständen wegen der geringen Umsätze und Besucherzahlen nicht mehr zustande kommen könnten, wenn man Gebühren über den engen vom Bundestag gesetzten Rahmen hinaus nicht erheben dürfte. Deshalb ist das Anrufungsbegehren aufgenommen und vom Vermittlungsausschuß - wie auf Drucksache 7/5142 vorliegend - auch entsprechend beschlossen worden. Der dritte Punkt betraf das eben in bezug auf die Spezialmärkte geschilderte Begehren im Hinblick auf die Volksfeste und Jahrmärkte. Hier hat die Diskussion ergeben, daß zusätzliche Belastungen in diesem Bereich zu Einschränkungen der Volksfeste und Jahrmärkte führen könnten und es deshalb bei der Bundestagsfassung bleiben sollte. Das Anrufungsbegehren wurde deshalb nicht aufgenommen. Ich erlaube mir die persönliche Anmerkung, daß hier offenbar die Einsicht geherrscht hat, daß in unserer ohnehin in vielen Bereichen sehr reglementierten Zeit Volksfeste und Jahrmärkte besonders förderungswürdig seien. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/5142 zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Wir fahren in der Beratung von Punkt I der Tagesordnung fort: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976 ({0}) - Drucksachen 7/4100, 7/4629 - Ich rufe nunmehr die Ziffern 8 bis 10 auf: Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern - Drucksache 7/5036 16930

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordneter Dr. Riedl ({0}) Abgeordneter Möller ({1}) Abgeordneter Dr. von Bülow Einzelplan 33 Versorgung - Drucksache 7/5054 Berichterstatter: Abgeordneter Möller ({2}) Einzelplan 36 Zivile Verteidigung - Drucksache 7/5056 Berichterstatter: Abgeordneter Möller ({3}) Der Ältestenrat hat eine verbundene Debatte vereinbart. Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Abgeordnete Liedtke.

Karl Liedtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001340, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer ersten Feststellung beginnen: Die Bundesrepublik Deutschland ist heute einer der freiheitlichsten, stabilsten und sichersten Staaten dieser Welt. Ich schließe eine zweite Feststellung an: Das innenpolitische Klima in diesem Land ist gut. Ein fremder Beobachter mag möglicherweise zu dem Schluß kommen: Das ist im Deutschen Bundestag nicht so. Eine der wesentlichen Ursachen dafür sehen wir darin, daß die Opposition nicht von dem unguten Versuch ablassen kann, Unzufriedenheit, Unsicherheit und Angst in dieses Land hineinzureden, ({0}) davon überzeugt, daß dies die einzige Chance ist, die Regierungsmacht zu erringen. ({1}) - Herr Marx, Sie werden sich noch ein bißchen mehr anhören müssen. ({2}) Ich gebe nur kund, was hier gestern in ausreichendem Maß registriert werden konnte. Diese ständig gleiche Tonart ist nicht einmal so sehr die originäre Erfindung von Sonthofen, ({3}) sondern sie ist gewissermaßen die Rückbesinnung auf Ihre eigene Geschichte. Ich erinnere mich sehr gut, daß in den 50er Jahren die Wahlslogans etwa so lauteten: „Die Lage war noch nie so ernst wie heute." Der Kommunismus wurde als Angriff auf die westlichen Freiheiten gezeichnet. Heute haben sie es ein bißchen moderiert, aber in der Ursache nicht verändert. Heute malen Sie einen Sozialismus, der sowohl ein bißchen Kommunismus wie ein bißchen Sozialdemokratie beinhalten soll, schicken ihn als so eine Art roten Dracula durch die Landschaft, und die schwarz-weiß-roten Unionsjäger sollen ihn bis zum 3. Oktober mit Fleiß erlegen. ({4}) So ungefähr soll sich das Bild dem Wähler in diesem Land wohl darstellen. ({5}) Es ist hochinteressant, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, nun auch die drei Grundbegriffe des demokratischen Sozialismus im Godesberger Programm - Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität - in Ihr Programm übernehmen und es gleichzeitig benutzen, um den demokratischen Sozialismus zu paraphieren. Man nennt das wohl im Biedenkopfschen Deutsch die neue Semantik der CDU/CSU. ({6}) Lassen Sie mich vier Bemerkungen zu dem Bereich des innenpolitischen Klimas machen. Erstens. Es gehört zum Sicherheitsgefühl des Bürgers in diesem Staat, daß das Vertrauen auf die Stabilität des Friedens in Europa und in der Welt möglich gemacht wird. Die Entspannungspolitik dieser Regierung hat dieses Vertrauen geschaffen und verstärkt. Das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für das Gefühl der Existenzsicherheit. Bisher haben wir von Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Opposition, keine Alternative dazu vernommen - es sei denn die Rückbesinnung auf die Position des Kalten Krieges. Zweitens. Das Gefühl der sozialen Sicherheit plus der sozialen Gerechtigkeit ist notwendig. Beide Komponenten müssen ein Klima des sozialen Wohlbefindens schaffen. Anders werden Sie in einem modernen Industriestaat nicht über innere Sicherheit sprechen können. Wir sind stolz, daß sich eines der besten sozialen Sicherheitsnetze der Welt in Krisenzeiten bewährt hat. ({7}) Ich warne Sie dringend, in Ihre Überlegungen die Formulierung der CSU-Spitze aufzunehmen, das alles seien Gratifikationen, die abzuschaffen seien. Ich warne Sie! ({8}) - Das böse Wort von den Gratifikationen des Staates im Sozialbereich an den Bürger ist von Herrn Strauß formuliert worden. ({9}) 1 Ebenso ist von der CDU-Spitze die Warnung vor dem „Abgleiten in den Wohlfahrtsstaat" formuliert worden. Ich warne davor. Herr Weizsäcker hat jüngst das Wort vom „Beglückungssozialismus" geprägt. ({10}) Wenn unter dem Strich dann das Ergebnis herauskommt, daß mit steigendem Wohlstand, den auch Sie versprechen, diese Leistungen abzubauen seien, sage ich Ihnen: Sie sind weit entfernt, den inneren Zusammenhang zwischen einem demokratischen Sozialismus und der gesicherten Freiheit in diesem Lande zu begreifen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter?

Karl Liedtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001340, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr!

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Liedtke, ist Ihnen bekannt, daß es in diesem Lande, gemessen an den Sozialhilfeleistungen, noch nie so viele arme Menschen wie in diesen Tagen gegeben hat? ({0}) Ich denke hier an einen Teil der über 2 Millionen Rentner und an die große Zahl kinderreicher Familien.

Karl Liedtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001340, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist Ihnen bekannt, daß vor Einführung des Kindergeldes durch die sozialliberale Koalition ({0}) Ansätze einer Familienpolitik in diesem Maße nicht bestanden haben? ({1}) Ist Ihnen bekannt, daß die Renten in diesem Lande ein Niveau erreicht haben, daß das aktive Arbeitseinkommen vieler Arbeitnehmer in anderen Staaten erreicht hat? ({2}) Ich unterstelle, daß Ihnen das bekannt ist. Lassen Sie mich eine dritte Bemerkung machen zur inneren Sicherheit in diesem Lande ({3}) Wer die Demokratie sichern will, darf sich nicht davor scheuen, sie auch in die Gesellschaft und damit in staatsfreie Räume hineinzutragen, der muß sich schon, wenn er das Wort Freiheit in den Mund nimmt, zum Betriebsverfassungsgesetz, zur Mitbestimmung bekennen. Der muß auch den Mut haben, wenn überholte Strukturen, wie die alleinige Verantwortung der Wirtschaft für die Bereitstellung von Berufsausbildungsplätzen nicht mehr funktionieren, neue Modelle in diese Gesellschaft einzuführen. Wer den Mut dazu nicht hat, wird die Zukunft von morgen nicht meistern können. ({4}) Lassen Sie mich zum engeren Bereich der inneren Sicherheit kommen, über den sonst gemeinhin und ausschließlich diskutiert wird. Wenn die Existenzsicherheit gegenüber einer Bedrohung von draußen, wenn der soziale Friede nicht in hohem Maße gesichert ist, gelingt es auch nicht, alle, die Gewalt in dieser Gesellschaft anwenden möchten, im Bewußtsein der Menschen ins Abseits zu stellen. Gewalt, wie sie sich auch immer artikuliert, muß sich in den Augen der Bevölkerung selbst ins Unrecht setzen. Dann, nur dann, aber dann wirklich, wird die staatliche Gewalt als einzig legitime Machtausübung von der Bevölkerung akzeptiert, ohne daß sie als Bedrohung und als Einschränkung der individuellen Rechte angesehen wird. ({5}) Der Terrorismus, wie wir ihn in den letzten zwei Jahren erlebt haben, ist offensichtlich darauf angelegt, die Staatsgewalt zu eskalieren. Wer in einem erbitterten Klima einer Entführung die Wiedereinführung der Todesstrafe in den Massenmedien laut überlegt, hüpft ganz exakt auf diese von den Extremisten gelegte Leimrute. ({6}) Wer in einem gekonnten, aber bösartigen Wortspiel Extremisten gegen radikale Menschen austauscht, vornehmlich junge Menschen, die auch mal ein deutliches Wort zu sagen belieben, und ihnen den Eintritt in den öffentlichen Dienst verwehren will, der spielt das Spiel, das diese Terroristen sich eigentlich wünschen. Meine Damen und Herren, wer für die Freiheit der Meinung und gegen jede Gewalt - auch gegen Sachen - eintritt ({7}) und gleichzeitig Plakate zerreißt, darf sich nicht wundern, wenn er die Nachdenklichen in diesem Staate nicht auf seiner Seite findet. ({8}) - Herr Marx, Sie geben meist mehr Worte aus, als Sie an Gedanken einnehmen. Das ist mir schon des öfteren aufgefallen. ({9}) - Hören Sie zu; ich kann Ihrem Mangel ein klein wenig abhelfen. ({10}) Meine Damen und Herren, ich wiederhole, was ich hier schon gesagt habe: Wir Sozialdemokraten bekennen uns zu einer wehrhaften Demokratie. Das heißt auch: Wer nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht, hat im öffentlichen Dienst nichts zu suchen. Diese Selbstverständlichkeit darf nicht dazu mißbraucht werden, das notwendige Maß an Liberalität zu beseitigen, Kritiklosigkeit oder Duckmäusertum mit Verfassungstreue gleichzusetzen. ({11}) Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen. Eine Demokratie wird gleichermaßen gefährdet durch die Extremisten und durch die Angepaßten. Das ist eine Erfahrung, die wir Sozialdemokraten in unserer Geschichte gemacht haben. Ich will diese Diskussion nicht wieder aufrollen, aber bei der Behandlung der Frage der Extremisten im öffentlichen Dienst ist die konsequente Rechtsstaatlichkeit die beste Richtschnur des Handelns. Deshalb halten wir an folgendem Grundsatz fest: Jeder Staatsbürger - und damit auch der Bewerber für ein öffentliches Amt - hat bis zum Beweis des Gegenteils grundsätzlich als verfassungstreu zu gelten ({12}) und Anspruch auf eine faire rechtsstaatliche Überprüfung seines Einzelfalles. ({13}) Dazu stehen wir in aller Deutlichkeit. Lassen Sie mich ein Wort zur Nationalstiftung sagen, die auch gestern hier wieder angesprochen wurde. Die Bund-Länder-Verhandlungen haben ein erfreuliches Maß an Fortschritt und Übereinstimmung erreicht. Die letzten Hürden sind in erreichbarer Nähe. Das sind die Finanzierung der Stiftung, die Stimmenverteilung im Stiftungsrat, die genaue Umschreibung des Stiftungszwecks und in diesem Zusammenhang der Sitz der Stiftung. ({14}) - Natürlich komme ich auf diesen Sitz zu sprechen. Berlin ist genannt. Niemand bezweifelt die Eignung Berlins. Wenn das Gesamtkonzept steht, wird auch die Absprache mit den Alliierten zu erfolgen haben. Meine Damen und Herren, die Welt ist, wie sie ist. ({15}) Name, Zweck und möglicher Standort dieser Stiftung lassen es angeraten sein, allen Anlaß zu nehmen, diese Stiftung zuerst rundum unter uns selbst auszumachen und auf einen Nenner zu bringen. Das gilt für alle Parteien, das gilt auch für alle Berufenen. Ich las dieser Tage, daß der Berliner Kulturrat, dem 25 Vereinigungen angehören, wieder mit einem anders gearteten Vorschlag kommt: Stiftungsrat nach Bonn, Kuratorium nach Berlin. Ich persönlich meine und möchte das hier verdeutlichen: Je mehr wir uns, bevor wir das fertig haben, in differenzierter Weise hier äußern, desto mehr reizen wir Unbefugte, mit uns über diese Nationalstiftung zu diskutieren. So halte ich es für unser wohlverstandenes Interesse, in voller Übereinstimmung der Parteien dieses Hauses das fertige Modell demnächst zu präsentieren. ({16}) Ich halte das für besser für Berlin und auch für die Entwicklung. ({17})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Berger ({0})?

Karl Liedtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001340, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön!

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wären Sie so liebenswürdig, dem Hohen Hause die Stellungnahme des Senates von Berlin zur Frage des Sitzes der Stiftung zu erläutern?

Karl Liedtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001340, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich. Die Stellungnahme ist Ihnen ebenso gut bekannt wie mir. Der Regierende Bürgermeister von Berlin sieht Berlin selbstverständlich für den geeignetsten Standort an. ({0}) Der Bundeskanzler hält es für möglich und denkbar, nicht nur Berlin, sondern auch andere Städte in Überlegungen über den Stiftungsstandort mit einzubeziehen. ({1}) - Aber meine Damen und Herren, das ist doch eine Aussprache untereinander. ({2}) Vorhandene erkennbare Differenzen sind in einer solchen Entwicklung ganz natürlich. Aber ich meine, wir sollten das erst bei uns, mit uns rund machen und damit ein Minimum an Anlaß geben, daß sich Ungebetene mit unseren Angelegenheiten beschäftigen. ({3}) - Ich möchte diesen Punkt damit abschließen. Ich las gestern oder vorgestern im Kommentar des Deutschen Bundestages „Übersicht", daß Herr Kohl

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Was halten Sie von einem Standort Berlin? Ford hat darauf geantwortet - wörtlich -: „Im Augenblick nichts." Ich erinnere mich an Herrn Abelein, der sich gestern mit Formulierungen an die Aussage herantastete, daß der Kanzler eigentlich schon, wenn auch nicht im Bewußtsein, in der Praxis auf der Linie Moskaus fahre. Meine Damen und Herren, das bringt uns allen gemeinsam im Augenblick nichts. ({0}) - Ich übertreibe nicht. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen, zu einem erfreulichen. Wir alle haben lesen können, daß im April dieses Jahres 3 623 Spätheimkehrer aus den Ostblockstaaten, vornehmlich aus Polen, in die Bundesrepublik gekommen sind. Hochgerechnet für das Jahr ergäbe das die Zahl von etwa 43 000. Seit 1958 ist diese Heimkehrerzahl auch nicht annähernd erreicht worden. Das höchste in diesem langen Zeitraum war gut die Hälfte, rund 25 000. Wir begrüßen es, daß die Regierung im März ein umfangreiches Programm zur möglichst leichten Eingliederung dieser Menschen in unserer Gesellschaft beschlossen hat. ({1}) - Was habe ich gesagt? ({2}) - Schönen Dank, Herr Oberlehrer. Habe ich „verschlossen" gesagt? Nein, „beschlossen" habe ich gesagt. ({3}) - Ich begrüße das. ({4}) - Er beweist sich damit selbst seine Aufmerksamkeit. - Wir sind froh darüber, meine Damen und Herren, daß eine lange Kette von Bemühungen, die in Moskau vor sechs Jahren begannen, nun für viele Menschen zu einem erfreulichen Abschluß gekommen ist. Wenn dieses Bemühen, mehr Menschen mehr Freiheit zu geben, unter demokratischem Sozialismus mit verstanden wird - und das tun wir -, sind wir stolz darauf, diese politische Grundhaltung zu vertreten. Ich möchte mit einem Zitat aus dem DeutschlandUnion-Dienst vom 4. Mai dieses Jahres schließen. Ich zitiere: Die zu erwartende Zahl der Aussiedlungswilligen im polnischen Machtbereich ist seit der Ratifizierung im Bundesrat am 12. März 1976 mit Sicherheit gewaltig im Ansteigen. Es werden sich zahlreiche Antragsteller um die Ausreisegenehmigung bemühen, die bis dahin nicht geglaubt hätten, überhaupt umsiedeln zu dürfen. Dem ist nichts hinzuzufügen. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Innenministerium, die Mutter zahlreicher Fachministerien, die inzwischen aus ihm ausgegliedert worden sind, ist nach wie vor für eine breite Palette wichtiger politischer Aufgaben zuständig. Schutz der Verfassung, Bekämpfung der Verbrechen und öffentlicher Dienst gehören zu den wichtigsten. Den öffentlichen Dienst zu kritisieren ist inzwischen zur Mode geworden. Soweit die Kritik an der Personalausweitung und am Kostenanstieg berechtigt ist - und sie ist berechtigt -, sollte sie sich allerdings nicht an die Adresse der Verwaltung, sondern an die der Politik richten. ({0}) Beamte vermehren sich nicht selbst, meine Damen und Herren, jedenfalls nicht als Beamte. ({1}) Für ihre Zahl sind Regierungen und Parlamentsmehrheiten bestimmend, vor allem in der Gesetzgebung. Wenn überflüssige oder nicht mehr notwendige Gesetzesvorschriften beschlossen oder nicht aufgehoben werden, wenn Gesetzesvorschriften unausgereift oder kompliziert sind und dadurch in der Praxis einen völlig unnötigen Personal- und Verwaltungsaufwand verursachen, sind dafür nicht Beamte, sondern Politiker verantwortlich. Die Gesetzgebung vor allem - weniger die Verwaltung - vergrößert die Verwaltung. ({2}) Die Zahl der in dieser Legislaturperiode verabschiedeten Bundesgesetze verspricht - nein, ich möchte sagen: droht - die bisherige Höchstzahl der ersten Legislaturperiode zu erreichen oder noch zu übertreffen. Von 1949 bis 1953 waren es, gerechtfertigt durch die Aufbauperiode, immerhin rund 550. Jedes Bundesgesetz hat Rechtsverordnungen, Ausführungsverordnungen, Verwaltungserlasse zur Folge, und nahezu jedes Gesetz, meine Damen und Herren, bedeutet mehr Personal. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, gern.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dregger, gehen Sie nicht mit mir davon aus, daß die weit überwiegende Zahl - ich habe den genauen Prozentsatz jetzt nicht im Kopf; es ist nur ein geringer Prozentsatz, für den etwas anderes zutrifft - dieser Gesetze, von denen Sie sprechen, von allen Parteien im Hause übereinstimmend verabschiedet worden ist, so daß Ihre Frage, die ich für berechtigt halte, nicht eine Frage in eine Richtung ist, sondern eine Frage an den Gesetzgeber schlechthin?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Ausführungen richten sich an den Gesetzgeber. Das, was der Gesetzgeber tut, liegt vor allem in der Verantwortung der Regierung und der Mehrheit. Das wollen Sie doch wohl nicht bestreiten. ({0}) - Hören Sie doch erst einmal zu.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachher. Von 1961 bis 1969 nahm die Zahl der zivilen öffentlichen Bediensteten in der Bundesrepublik Deutschland im Jahresdurchschnitt um 45 000 zu. Dies ist immerhin die Einwohnerzahl einer mittleren Stadt. Der SPD/FDP-Koalition, die nach eigener Aussage ab 1969 das moderne Deutschland schaffen wollte, genügte das natürlich nicht. Unter ihrer Herrschaft brachen alle Dämme. Der Zuwachs betrug nicht mehr 45 000; er betrug pro Jahr mehr als das Doppelte, nämlich 115 000. ({0}) Das bedeutet, in den Jahren der SPD/FDP-Koalition in Bonn wurde der öffentliche Dienst der Bundesrepublik Deutschland von Jahr zu Jahr um die Einwohnerzahl einer Großstadt ausgeweitet. ({1}) - Bitte schön, Herr von Bülow.

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dregger, wären Sie so freundlich, diesem Hause die auf den Bund bezogenen Zahlen mitzuteilen ({0}) und in Ihre Ausführungen einzubeziehen, in welchem Maße sich die Zahl der Lehrer in den Ländern erhöht hat, sowie die Schwerpunktbereiche mitzuteilen, in denen die Zahl der Beamten, Angestellten und Arbeiter ausgeweitet worden ist? ({1})

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich war dabei, zu erklären, daß die Ausweitung des Personalbestandes eine Folge der Gesetzgebung ist, und alle Gesetze, die wir hier im Bund beschließen, wirken sich nicht nur in der Bundesverwaltung, sondern auch in den Verwaltungen der Länder und der Gemeinden aus. ({0}) Ein Zweites kommt hinzu. Auch die Erhöhung der Zahl der Professoren und der Lehrer bedeutet nicht notwendigerweise, daß mehr geforscht, mehr gelehrt und mehr gelernt wird. Wenn Sie einmal die über 60 integrierten Gesamtschulen, die wir ohne Prüfung und ohne wissenschaftliche Begleitung inzwischen in Hessen haben, untersuchen, stellen Sie folgendes fest. Erstens. Der Ausbildungserfolg ist geringer, und der Personalaufwand ist größer. Das kann überhaupt nicht mehr bestritten werden. Zweitens. Wenn Sie sich einmal unsere integrierten Gesamthochschulen ansehen - bei uns ist ja alles integriert -, so stellen Sie fest, daß sie sich vor allem durch folgendes auszeichnen: Sie sind mit einer Unzahl von Beschlußgremien ausgestattet. In diesen Beschlußgremien sind teure Wissenschaftler - Professoren, Assistenten und Studenten - dabei, unaufhörlich Beschlüsse zu fassen, sie anzufechten und wieder aufzuheben. ({1}) Meine Damen und Herren, wir alle sind ja für Demokratie. Es ist aber nicht die erste Aufgabe der Universität, Politik zu spielen. Ihre Aufgabe ist vielmehr, zu forschen, zu lehren und zu lernen und dafür zu sorgen, daß die Zukunft des deutschen Volkes gesichert wird. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt nicht. Ich möchte in meinen Ausführungen gern fortfahren. Meine Damen und Herren, ich knüpfe an das an, was ich vorhin sagte. Ich hatte erwähnt, daß die Ausweitung des öffentlichen Dienstes in den vergangenen Jahren im Jahresdurchschnitt 115 000 Personen betragen hat. Dazu möchte ich sagen: Das geht nicht. Wir lehnen diese Ausweitung der Staatstätigkeit ab. Mehr Staat bedeutet nicht besseren Staat und auch nicht stärkeren Staat. Mehr Staat bedeutet mehr Kosten, mehr Steuern, mehr Abgaben und - wegen des überproportionalen Anstiegs der Personal- und sonstigen laufenden Ausgaben - weniger Investitionen und daher nicht mehr, sondern weniger Lebensqualität. ({0}) Wir lehnen diese Ausweitung des Personalbestandes ab und werden sie in der nächsten Legislaturperiode beenden. ({1}) Meine Damen und Herren, die Massenproduktion von Gesetzen, die auch gesetzestechnisch zum größten Teil miserabel waren, ist aber nicht die einzige Fehlleistung dieser Koalition. Die Regierung hat auch im Verwaltungsbereich der Verwaltung ein schlechtes Beispiel geboten. Aus 7 Parlamentarischen Staatssekretären im Jahre 1969 wurden 20. Die MitDr. Dregger arbeiter in den politischen Leitungsbüros und im Presseamt wurden um über 200 vermehrt. ({2}) Mehr Parlamentarische Staatssekretäre, mehr Leitungsbüros bedeuten aber nicht, daß die Arbeit der Ministerien rationalisiert worden und besser geworden wäre. ({3}) Sie ist komplizierter, undurchsichtiger und vor allem parteipolitischer geworden. ({4}) Wir haben schon 1974 beantragt, bei Gesetzentwürfen auch Angaben zum Arbeits- und Personalaufwand zu machen, die sie voraussichtlich verursachen. Der Bundesinnenminister hat diese Anregung nicht aufgegriffen, was man eigentlich hätte erwarten sollen. Die Koalitionsmehrheit hat sie inzwischen in den Ausschüssen abgelehnt. Warum? Was befürchten Sie eigentlich? Glauben Sie, daß dadurch das Tempo Ihrer Gesetzesproduktion gedrosselt würde? Und wennschon - das wäre doch kein Übel. ({5}) Wir brauchen nicht immer mehr und nicht immer schneller Gesetze, denen immer mehr und immer schneller Korrekturen nachgeschoben werden, sondern wir brauchen gründlichere, ausgereiftere Gesetze. Wir brauchen überhaupt in der Regierungsarbeit und in der Gesetzestätigkeit mehr Gründlichkeit, mehr Können und mehr Solidität. ({6}) Nur so können Gesetze entstehen, die draußen in den Verwaltungen mit einem möglichst geringen Verwaltungsaufwand durchgeführt werden können.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich freue mich darüber, daß meine Ausführungen die SPD so erregen. Ich bitte nur darum, daß, wenn eine Zwischenfrage gestellt wird, das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. - Bitte schön, Herr Kollege Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dregger, ich bitte um Verständnis, daß ich die Frage stellen muß: Wäre es nicht gut, wenn Sie Ihren Sachverstand bei der Beratung der Gesetze im Innenausschuß etwas öfter als in der Vergangenheit zur Verfügung stellen würden? ({0})

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schäfer, Sie müssen es schon meiner Beurteilung überlassen, ob ich es vorziehe, in Ihrem Ausschuß - in der Minderheit befindlich - von Ihnen überstimmt zu werden ({0}) oder das, was ich für richtig halte, draußen im Lande zu vertreten. ({1}) - Nachher, Herr von Bülow! Erst muß ein bißchen Ruhe eintreten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bülow nicht zu?

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zur Zeit nicht, Frau Präsidentin. Zurück zur Personalkostenentwicklung. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Sie findet ihre Erklärung nicht im Einkommensanstieg des einzelnen öffentlich Bediensteten, sondern in der Ausweitung der Aufgaben der Verwaltung und der damit verbundenen Personalvermehrung. Herr Kollege Börner, der Bundesgeschäftsführer der SPD, hat im vergangenen Sommer durch eine Studie, die mit seinem Namen verbunden ist, und durch einige öffentliche Erklärungen den gegenteiligen Eindruck zu erwecken versucht. Er sprach in diesem Zusammenhang von den „Privilegien im öffentlichen Dienst". Diese Formel, meine Damen und Herren, war und ist im Hinblick auf die Einkommensentwicklung falsch. ({0}) Nach den Zahlen, die der Bundesinnenminister nicht aus eigener Initiative - was eigentlich seine Schutzpflicht geboten hätte -, sondern auf Grund einer Anfrage der CDU/CSU-Fraktion vorgelegt hat, stieg der Durchschnittsaufwand je Beschäftigten im öffentlichen Dienst in zwölf Jahren ziemlich genau parallel zum allgemeinen Anstieg der Löhne und Gehälter in unserem Land, bei den Beamten etwas unterdurchschnittlich und bei den Arbeitern im öffentlichen Dienst etwas überdurchschnittlich. Ich wäre dankbar, wenn die falsche Formel des Herrn Börner endgültig aus dem Verkehr gezogen würde, da sie geeignet ist, die öffentliche Diskussion zu vergiften und von den eigentlichen Ursachen der Fehlentwicklung, die in der Regierungstätigkeit liegen, abzulenken. ({1}) Statt den öffentlichen Dienst mit unseriösen Beschuldigungen madig zu machen, wäre es angemessener, einmal anzuerkennen, daß er im internationalen Vergleich nach wie vor einen ausgezeichneten Ruf genießt, und das mit Recht. ({2}) Die alten deutschen Beamtentugenden, die keineswegs auf Preußen beschränkt waren, Beamtentugenden, um die uns die Welt beneidet - Treue, Unbestechlichkeit, Pünktlichkeit und Pflichterfüllung -, sind keineswegs erloschen. Es ist die Aufgabe der politischen Führung, sie lebendig zu erhalten und zu diesem Zweck vor allem zu verhindern, daß in unserem Bildungs- und Erziehungswesen sogenannte progressive Reformer mit ihren teilweise gemeingefährlichen Rahmenrichtlinien diese alten Tugenden zerstören. ({3}) Ein Wort zur Reform des öffentlichen Dienstrechts. Der Herr Bundesinnenminister hat auf diesem Gebiet zwar nichts zustande gebracht, aber dafür hat er ein Papier vorgelegt, das die dynamische Aufschrift „Aktionsprogramm" trägt. Von Aktion kann aber bei Herrn Maihofer nicht die Rede sein. ({4}) Es wurden, meine Damen und Herren, weder gesetzesreife noch sonst realisierbare Vorschläge angeboten. Gegenüber dem Bericht der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, der schon seit Mai 1973 vorliegt, bedeutet dieses sogenannte Aktionsprogramm einen Rückschritt. Statt aus dem Bericht Folgerungen zu ziehen und konkrete Durchführungsvorschläge zu machen, werden in diesem sogenannten Aktionsprogramm unbestrittene Prinzipien und vage Absichtserklärungen verkündet. Dieses Aktionsprogramm hat die Diskussion nicht weiter-, sondern in die Irre geführt. Warum? Wenn der Bundesinnenminister in einem offiziellen Regierungspapier z. B. das Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst als Reform verkündet, dann muß das den falschen Eindruck erwecken, das sei etwas völlig Neues und noch nie Dagewesenes. ({5}) Dabei liegt dieses Leistungsprinzip unserer gesamten Gesetzgebung zugrunde. Und dort, wo es in der Praxis beeinträchtigt ist, handelt es sich um Mißstände, die auszumerzen sind. Dazu sollte ein Aktionsprogramm aber mehr anbieten als allgemeine Bekenntnisse. ({6}) Zur Vereinheitlichung des öffentlichen Dienstrechts: Ich habe Verständnis dafür, daß wir in dieser Grundsatzfrage einer sogenannten großen Lösung nicht nähergekommen sind. Dazu sind die Gegensätze zwischen den Anhängern einer öffentlich-rechtlichen und den Anhängern einer teilweise arbeitsrechtlichen Lösung zu groß. Zur Grundsatzfrage möchte ich folgendes sagen. Wir von der CDU/CSU sind nicht bereit, die Grundsätze des Berufsbeamtentums in Frage stellen zu lassen, ({7}) nicht nur weil sie in der Verfassung verankert sind - die könnte in diesem Punkt geändert werden -, sondern weil die richtig sind. Der Staat braucht Diener, die sich Pflichten unterwerfen, die dem Beamtenrecht eigen sind, Pflichten, die ein normaler Arbeitnehmer in der Regel nicht zu übernehmen bereit ist, Pflichten - und auch das sei betont -, ohne die die Rechte der Beamten zu Privilegien entarten würden. Wir halten an beidem fest, an den Pflichten und an den Rechten der Beamten. ({8}) Um die Aufblähung der Verwaltung zu beenden - und das ist eine Aufgabe von allergrößtem Gewicht -, ist es nicht notwendig, das Berufsbeamtentum abzuschaffen. Dafür ist es notwendig, eine Politik zu beenden, die in den letzten Jahren allzu unbesonnen, allzu stümperhaft und allzu unsolide gewesen ist. ({9}) Wenn schon eine sogenannte große Lösung in den Fragen des Dienstrechts nicht durchsetzbar ist, dann ist es um so notwendiger, an der Verbesserung im einzelnen zu arbeiten. In den Vorlagen des Bundesinnenministers findet sich leider kein Ansatz, der in das Nebeneinander von Beamten und Angestellten schrittweise Ordnung bringen würde. Auch sonst hat es an der Kraft zu Entscheiden gefehlt. Einige Beispiele! Die Studienkommission hatte vorgeschlagen, alle Beförderungsstellen ausschreiben zu lassen - eine gute Sache, wie ich meine. Das würde Objektivität, Transparenz und Gerechtigkeit fördern ({10}) und dem Leistungsprinzip mehr Rechnung tragen als allgemeine Bekenntnisse. ({11}) Der Bundesminister des Innern hat dazu geschwiegen. Warum? ({12}) Es ist vorgeschlagen worden, in Zukunft die Beurteilung mehrerer Beschäftigter durch mehrere Vorgesetzte gleichzeitig stattfinden zu lassen. Die Regierung? - Sie schweigt. Der Vorschlag, bestimmte Spitzenpositionen nur auf Zeit zu besetzen, hat Gründe für und gegen sich. Die Studienkommission hat diesen Vorschlag angeführt. ({13}) Nach drei Jahren hätten wir erwarten können, daß die Regierung sich zu dieser Frage eine Meinung bildet und diese Meinung mitteilt. Die Regierung schweigt. ({14}) - Wir sind doch nicht die Regierung, wir werden es demnächst sein, Herr Schäfer, und dann kommen die Vorlagen. ({15}) Zur funktionsgerechten Besoldung sind uns zwar umfangreiche Modelle vorgelegt worden. Aber von dem einzigen Weg, der sich bald praktizieren ließe - der Funktionszuweisungsverordnung nach der Neufassung des Besoldungsgesetzes -, sieht und hört man nichts. Lassen Sie mich abschließend zum Bereich des öffentlichen Dienstes folgendes sagen. Die Vermehrung der Zahl der Staatsdiener zu beenden und ihre Leistung zu steigern ist die wichtigste Aufgabe der nächsten Legislaturperiode. Regierung und Gesetzgebung müssen dazu beitragen, indem sie überflüssige Vorschriften abschaffen, die verbleibenden vereinfachen und neue nur mit größter Zurückhaltung einführen. ({16}) Eine umfangreiche Berufsbildungsbürokratie, Planungswertausgleichsbürokratie und Investitionslenkungsbürokratie ist auch - allerdings nicht nur - aus diesem Grunde abzulehnen. ({17}) Ressort- und Verwaltungschefs haben darauf zu achten, daß es nicht nur zur Ausweitung des Personalbestandes kommt, wenn neue Aufgaben hinzutreten, sondern daß er auch überall dort vermindert wird, wo alte Aufgaben wegfallen. Eine 14jährige Verwaltungspraxis hat mir gezeigt, daß auch auf diesem Felde Reserven vorhanden sind, die aktiviert werden müssen. ({18}) Um das, was notwendig ist, zu bewirken, sind keine Aktionsprogramme à la Maihofer erforderlich, sondern Ubersicht, Entscheidungsfreude und Durchsetzungsvermögen. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode dieser Aufgabe unsere Aufmerksamkeit mit Nachdruck widmen. ({19}) Zweites Aufgabengebiet: Verbrechensbekämpfung. ({20}) Schon seit der Zeit des Bundesinnenministers Genscher - und sein Nachfolger folgt ihm hier aufs Wort - hören wir als Leistungsausweis der Regierung immer folgendes: Als wir das Bundeskriminalamt übernahmen, reichte es nicht aus; ({21}) wir haben Personal, Material und Geld bereitgestellt. Das ist Ihr „Leistungsausweis". ({22}) - Herr Schäfer, abgesehen davon, daß wir Geld und Personal gemeinsam bereitgestellt haben - niemand hat das abgelehnt -, ({23}) kann ich nur folgendes sagen. Noch schneller als die Mittelzuführung an das Bundeskriminalamt ist die Zahl der Verbrechen gestiegen. ({24}) - Nicht „ach", ich nenne Ihnen gleich die Zahlen. Worauf sind Sie unter diesen Umständen eigentlich stolz, Herr Maihofer? ({25}) Geld anzufordern und auszugeben, wo es notwendig ist, ist doch kein politisches Verdienst, dessen man sich rühmen könnte. ({26}) - Lieber Herr Schäfer, Sie müssen auch einmal zuhören. ({27}) Hören Sie doch auch einmal auf die „Welt der Arbeit" ; die lesen Sie doch wahrscheinlich wie ich. Schon vor Jahr und Tag hielt die „Welt der Arbeit" der Bundesregierung vor, die Argumentation mit den steigenden Aufwendungen für die Verbrechensbekämpfung unter der sozialliberalen Koalition sei Chuzpe; schließlich hätten die Bundesregierungen unter Adenauer keinen Anlaß zu solchen Ausgaben gehabt, weil die Kriminalität damals ungleich geringer gewesen sei. Ein überzeugendes Argument, finde ich. ({28}) Auch hier wäre es, Herr Innenminister, verdienstvoller gewesen, wenn Sie sich nicht auf Mittelzuführung und Selbstlob beschränkt, sondern den geistigen und politischen Hintergrund der Verbrechensentwicklung aufgezeigt hätten. ({29}) Schauen wir uns zunächst die Zahlen an, die Herrn Schäfer offenbar nicht bekannt sind. ({30}) Von 1964 bis 1974 nahm die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland um rund 6,5 % zu. Die Zahl der angezeigten Straftaten nahm im selben Zeitraum um rund 57% zu. Stärker nahmen Mord und Totschlag zu - um über 80% -, ({31}) Raubtaten - um über 160 % -, Diebstahl unter erschwerten Bedingungen - um 227 % - ({32}) - In der Bundesrepublik Deutschland. ({33}) - Meine Damen und Herren, haben Sie das gehört? Wir reden hier über Dinge, für die wir gar nicht zuständig sind, sagt uns ausgerechnet der Herr Schäfer; und der ist Professor. ({34}) Warum beantragen Sie denn nicht, die Abteilung „Innere Sicherheit" aus dem Bundesinnenministerium auszugliedern und abzuschaffen, wenn sie nicht zuständig ist? ({35}) Die Zahl der Rauschgiftdelikte stieg um 2 613 %. 1964 waren es 992, und 1974 waren es 26 909. ({36}) Das ist die Bilanz. Ist der Frieden denn nun sicherer geworden? Nach innen genauso wenig wie nach außen. Dazu kommt der Terror der Politgangster, auch eine zweifelhafte Errungenschaft der letzten Jahre: 11 Morde, rund 100 Mordversuche, 85 Sprengstoff- und Schußverletzte, 13 Geiselnahmen heißt es in dem mir vorliegenden Papier, das aber inzwischen schon überholt ist. Meine Damen und Herren, was will ich damit sagen? ({37}) Diese Zahlen belegen, daß Leistungsbilanzen, die sich nicht am Ergebnis, sondern am Aufwand ausrichten, einfach lächerlich sind. ({38}) Worin liegen die Ursachen der zunehmenden Kriminalität? Die von Herrn Maihofer angekündigte Ursachenforschung in Sachen Gewaltkriminalität ist ausgeblieben. Warum? Wäre etwa der Irrglaube der Sozialisten widerlegt worden, Verbrechensbekämpfung sei im Grunde eine Sache sozialer Reformen? So etwas Ähnliches war auch bei Herrn Liedtke soeben hörbar. Mit dieser Argumentation, meine Damen und Herren, sollten Sie recht vorsichtig sein, weil sonst auch unter diesem Aspekt Ihre Reformtätigkeit in den letzten Jahren eine schreckliche Widerlegung erführe. ({39}) Kurt Sontheimer, sicherlich kein Rechter, hat diesen unter Sozialisten offenbar unausrottbaren Aberglauben mit Recht kritisiert: Reformen, die die Lage verbessern - das war zugegebenermaßen in den letzten Jahren nur selten der Fall -, insbesondere im Bereich der sozialen Sicherheit, tragen ihren Wert in sich. Sie mit dem Schutz vor Verbrechen motivieren bedeutet nicht, die Verbrechen zu bekämpfen, sondern ihnen den Boden zu bereiten, weil diese Argumentation die Verbrecher mit dem Heiligenschein von Sozialreformern ausstattet. ({40}) Das haben wir im Zusammenhang mit dem Terrorismus in den letzten Jahren doch immer wieder erlebt, mit katastrophalen Folgen insbesondere für die akademische Jugend. Möglicherweise ist auch Ulrike Meinhof diesem Irrglauben zum Opfer gefallen. Was erklärt nun die Zunahme der Kriminalität? ({41}) Die Ursachen der Verbrechensentwicklung müssen tiefer erforscht werden. ({42}) Es gibt sicherlich viele; ich will nur einige nennen. ({43}) Erstens. Das Schwinden religiöser und ethischer Wertbindungen spielt sicherlich eine Rolle. Meine Damen und Herren, das ist zwar keine linke Vorstellung, aber dafür eine richtige. Zweitens. Ursächlich ist auch eine Schul- und Hochschulpolitik, die in einigen sozialistisch regierten Ländern, wie z. B. in Hessen, nicht darauf ausgerichtet war, junge Menschen zu Toleranz, Gemeinsinn, Pflichtgefühl gegenüber Heimat und Familie zu erziehen, ({44}) sondern zu Konfliktbereitschaft und zu Klassenkampf. ({45}) Dazu kommen die Verharmlosung und die Entschuldigung des Verbrechens: „Nicht der Täter ist schuld, die Gesellschaft ist schuld." ({46}) Wie enthemmend sich diese frei Haus gelieferte Entschuldigung auf potentielle Täter auswirken muß, liegt doch auf der Hand. ({47}) Oder: „Eigentum ist Diebstahl." Wenn diese marxistische These gepredigt und geglaubt wird, kann die Zahl der Diebstähle nicht zurückgehen. Dazu kommt die Verhöhnung des Staates und seiner Institutionen. Polizeibeamte werden als „Bullen" beschimpft, Richter als „Vertreter der Klassenjustiz", und mancher politisch Verantwortliche hat dazu geschwiegen. Dieses Gemisch aus bürgerlicher Libertinage und marxistischer Ideologie ist eine der entscheidenden Ursachen für die Zunahme der Kriminalität in unserem Lande. Davon bin ich überzeugt. ({48}) Verantwortlich dafür sind nicht die Justiz und Polizei, sondern Politiker, Publizisten, Pädagogen und auch Theologen, alle diejenigen, die diese Entwicklung gefördert oder toleriert, sich ihr jedenfalls nicht mit Entschiedenheit entgegengestemmt haben. ({49}) Dieser ideologischen Fehlentwicklung entgegenzuwirken, wäre die politische Aufgabe des Sicherheitsministers gewesen. ({50}) Ein Zweites ist nicht weniger wichtig: Der Innenminister sollte bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Polizeibeamten moralisch den Rücken stärken, und zwar nicht nur theoretisch, abstrakt auf Festakten, sondern praktisch, konkret, in Krisensituationen. Meine Damen und Herren, nicht nur politisch Verantwortliche, auch parteipolitisch weichgeklopfte Polizeipräsidenten haben in dieser Hinsicht versagt. Ein neues Beispiel: Ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin eine dpa-Meldung über die Vorgänge in Frankfurt, wo vorgestern abend 600 Politrabauken der Polizei in Frankfurt eine der schlimmsten Straßenschlachten geliefert haben. dpa berichtet folgendes: Der Frankfurter Polizeipräsident Knut Müller ({51}) hat am Montagabend in einer Bilanz nach der brutalen Auseinandersetzung mit Demonstranten zugegeben, daß die Polizei auf eine so gewaltsame Auseinandersetzung nicht vorbereitet gewesen sei. ({52}) Vor Journalisten sagte der Polizeipräsident, auf Grund der Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre sei die Polizei davon ausgegangen, daß sich mögliche Ausschreitungen gegen Objekte der Justiz, aber nicht in erster Linie gegen Polizeibeamte richten würden. ({53}) Die schweren Vorfälle hätten jedoch gezeigt, daß die Demonstranten nicht nur aus Trauer um Ulrike Meinhof auf die Straße gegangen seien, sondern um eine gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei zu suchen. Das hat den Herrn Müller überrascht, meine Damen und Herren, in Frankfurt, wo diese Aktionen seit den Osterunruhen des Jahres 1968 in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Wie naiv, zu glauben, daß diese Leute, die man doch nicht Demonstranten nennen kann - das sind Politrabauken -, ({54}) daß diese Politrabauken fein säuberlich zwischen Objekten der Justiz und den Objekten der Polizei Unterschiede machen würden! ({55}) Aber es kommt noch schlimmer. Ich fahre im Zitat fort: Müller wies darauf hin, daß sieben Beamte verletzt wurden, wobei zwei schwere Verbrennungen davontrugen. Der 24 Jahre alte Polizeiobermeister Jürgen Weber erlitt lebensgefährliche Verbrennungen, als ein Brandsatz in seinen Streifenwagen geschleudert wurde und er, so sein Dienstvorgesetzter, Hauptkommissar Horst Bräunig, wie eine lebende Fackel aus dem Wagen gezogen werden mußte. Dieses Ereignis, so meinte Knut Müller, Polizeipräsident, ({56}) sei vielleicht auch dafür ausschlaggebend gewesen, daß bei der anschließenden gewalttätigen Konfrontation die Beamten vielleicht nicht immer so handelten, wie es in ihren Dienstvorschriften steht. ({57}) Meine Damen und Herren, während einer seiner Beamten mit dem Tode ringt, ein anderer ebenfalls von den Brandsätzen der Linksextremisten schwer verletzt ist, zahllose Polizisten von ihren Einsätzen noch nicht zurückgekehrt sind, hält es dieser Polizeipräsident ({58}) für richtig, öffentlich und vorsorglich an seinen Beamten Kritik zu üben. ({59}) Warum vorsorglich, meine Damen und Herren? ({60}) Die Verantwortung trifft nicht allein den Herrn Müller. Vorsorglich deshalb, weil Polizeipräsidenten in Frankfurt mit ihrer Entlassung zu rechnen haben, ({61}) wenn sie sich in derartigen Konfliktsituationen wie es ihre Pflicht ist, auf die Seite ihrer Beamten stellen. ({62}) Auch hier die Tatsachen; ich sage nichts ohne Begründung. Der Amtsvorgänger des Herrn Müller, der Polizeipräsident Dr. Littmann, wurde gegen den ursprünglichen Widerstand des Magistrats mit diesem Vorwurf entlassen, weil der Bezirksparteitag der SPD das beschlossen hatte. Frankfurt ist eine sozialistisch regierte Stadt; noch ist Frankfurt eine sozialistisch regierte Stadt, aber nicht mehr lange! ({63}) Der Fall Littmann, aus dem jetzt der Fall Müller geworden ist, ist leider kein Einzelfall. Er ist die Folge des jahrelangen Versagens mancher für Recht und Ordnung, d. h. für den inneren Frieden politisch Verantwortlicher. Viele dieser Verantwortlichen haben jahrelang die übelsten Beschimpfungen der Polizeibeamten und der Richter hingenommen, die doch nichts anderes tun, als nach Recht und Verfas16940 sung die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger dieses Landes zu garantieren. ({64}) Mit den Richtern und Polizeibeamten wurden die Politiker beschimpft, die sich dieser skandalösen Entwicklung entgegengestellt haben. ({65}) Ich erinnere an die Juso-Erklärung, die unter Mitwirkung unseres Kollegen Gansel abgefaßt wurde, ({66}) in der es hieß, führende Politiker der Union - Sie kennen ihre Namen - seien „gefährlicher für die Demokratie als einige wildgewordene Kleinbürger vom Format der RAF" . ({67}) Es war der Kollege Wehner, der einem dieser Beschuldigten in der Bundestagsdebatte zur Verteidigung dieser skandalösen Juso-Erklärung entgegenhielt: „Sie, Herr Strauß, sind ein geistiger Terrorist!". ({68}) Ich meine, es ist jetzt genug Leid geschehen, und es sollte jetzt endgültig mit der Wegbereitung des Terrorismus in unserem Lande zu Ende sein. ({69}) Ich möchte formulieren, was wir erwarten. Wir erwarten erstens, daß sich in Konfliktfällen die politische Führung rückhaltlos vor die Polizei stellt, ({70}) was nicht ausschließt, daß, wenn die Auseinandersetzung zu Ende ist, wenn wirklich Übergriffe stattgefunden haben sollten, diese dann sorgfältig untersucht werden, wobei der Konfliktsituation Rechnung zu tragen ist; denn auch Polizeibeamte sind keine Roboter. ({71}) Wir erwarten ferner von der dafür zuständigen politischen Führung, daß sie einen Polizeipräsidenten zur Verantwortung zieht, der am Ende eines heißen Einsatztages seinen Polizeibeamten nicht dankt für ihren Mut, für ihre Tapferkeit und für ihren Einsatz, sondern sie mit der Kritik wegen angeblich nicht eingehaltener Dienstvorschriften empfängt. ({72}) Herr Bundesminister, verzichten Sie auf größere Ausführungen über die Millionen für das Bundeskriminalamt. Ich schlage Ihnen vor: Fahren Sie nach Frankfurt, helfen Sie dem hessischen Innenminister, der Ihrer Partei angehört, und nehmen Sie unsere Polizeibeamten in Frankfurt gegen ihren eigenen Polizeipräsidenten in Schutz, wenn es nötig ist. ({73}) Ich erkläre jedenfalls für die CDU/CSU: Wir danken der Polizei in unserem Lande, nicht nur der Frankfurter Polizei. ({74}) Wir solidarisieren uns mit ihr und werden sie auch in Konfliktsituationen nie im Stich und nie in der Isolierung lassen. ({75}) Meine Damen und Herren, ein Wort zum Bundesgrenzschutz. Er feiert in diesen Tagen seinen 25. Geburtstag. Das ist Veranlassung, auch den Grenzschutzbeamten für Einsatzbereitschaft, Leistung und Haltung zu danken. ({76}) Meine Fraktion hat dem Gesetzentwurf zur Strukturverbesserung mit großer Mehrheit zugestimmt, weil wir die Lage der Grenzschutzbeamten verbessern wollten - was dieses Gesetz ermöglicht. Unsere Bedenken richten sich gegen bestimmte Tendenzen, deren Durchsetzung dieser Gesetzentwurf erleichtert, aber keineswegs erzwingt. Wie sich der Bundesgrenzschutz entwickelt, hängt daher letztlich von der politischen Führung ab. ({77}) Unsere Position ist folgende: Der Bundesgrenzschutz ist eine Verbandspolizei. In anderen demokratischen Ländern ist diese der Armee unterstellt, in Frankreich zum Beispiel als Gendarmerie, in Italien als Karabinieri. In Deutschland ist es anders. Es sollte hier so bleiben. Denn der Bundesgrenzschutz hat keine militärische, sondern eine polizeiliche Aufgabe zu erfüllen, eine polizeiliche Aufgabe allerdings, die nicht nur im Einzeldienst, sondern auch im Verband zu erfüllen ist. Dieser Einsatz im Verband - ich bitte Sie, jetzt genau zuzuhören - erfordert die Beachtung von Prinzipien, die auch für den Verbandseinsatz der Armee gelten. Das sollte unvoreingenommen und vorurteilsfrei gesehen und beurteilt werden, d. h. ohne antimilitaristischen Komplex, der ja wie jeder Komplex eine geistige Verklemmung bedeutet. ({78}) Niemand kann ausschließen, daß es zu Grenzüberschreitungen nicht operativen Charakters kommt, in die wir die Armee nicht verwickelt sehen möchten, und niemand kann ausschließen, daß es zu organisierter Bandentätigkeit im Innern kommt. ({79}) Wer diese Möglichkeiten aus ideologischen Gründen aus seiner Vorstellung streicht und daher glaubt, den Bundesgrenzschutz geistig und waffenmäßig abrüsten zu können, ist ein politischer Narr, der unsere Sicherheit gefährdet. ({80}) Disziplin, Haltung und Ausrüstung des Grenzschutzes müssen seinem Charakter als Verbandspolizei und seinen besonderen Aufgaben entsprechen. Die in dem neuen Strukturgesetz vorgesehene Doppelausbildung zum Verbandsdienst und zum Einzeldienst stellt an den einzelnen Beamten und an den Verband ungewöhnliche Anforderungen. Der Wechsel von der einen Einsatzart zur andern bedeutet auch mentalitätsmäßig eine erhebliche Umstellung. Die Doppelaufgabe kann die Ausbildung so zeitraubend werden lassen, daß die Einsatzbereitschaft in nicht vertretbarer Weise darunter leidet. Wir legen Wert darauf, daß der Grenzschutz in dem jetzt beginnenden Abschnitt seiner Geschichte seinen Charakter nicht verliert, daß seiner Aufgabe als Verbandspolizei weiterhin Priorität eingeräumt bleibt und daß er nach Ausbildung, Ausrüstung und Haltung für jeden denkbaren Fall wie bisher gewappnet ist. Nun zur dritten, vornehmsten Aufgabe des Innenministers : zum Schutz der Verfassung. Das ist mehr als das, was dem Verfassungsschutz als Institution aufgetragen ist. In einem freiheitlichen Gemeinwesen ist Schutz der Verfassung schwieriger und zugleich wichtiger als in sozialistischen oder faschistischen Staaten; schwieriger, weil die Grund- und Freiheitsrechte des Menschen, die unser System auszeichnen, zugleich Einfallstor für jene sind, die sie abschaffen wollen; wichtiger, weil die besonderen Gründe für die Gefährdung unseres Systems, die gleichzeitig seine Qualität ausmachen, mehr erfordern als Macht, Justiz, Polizei und Administration. Schutz unserer Verfassung heißt auch und vor allem geistige und politische Führung. Vom derzeitigen Verfassungsminister ist sie in der Verfassungs- und Sicherheitspolitik nicht ausgegangen. Herr Maihofer hat es vorgezogen, von der sogenannten sozialliberalen Koalition als einem historischen Bündnis zu schwärmen. Er hat gemeint, daß die geistigen Kräfte, die ihm zugrunde lägen, im 19. Jahrhundert auf der gleichen Seite der Barrikade gestanden hätten und daß es nunmehr gelte, das liberale Bürgertum und die sozialistische Arbeiterschaft zusammenzuführen. Diese Sicht ist rückwärts gerichtet und voller Geschichtsklitterung. Sie übersieht die neue soziale und liberale Qualität, die in diesem Land in der Nachkriegszeit unter Führung der Unionsparteien geschaffen worden ist. ({81}) Herr Barzel hat gestern darüber gesprochen. Aber, was schlimmer ist, diese Sicht verdunkelt zugleich die Gefahr, die unserer freiheitlichen Demokratie heute droht. Es ist daher kein Wunder, daß dieser Minister und diese Koalition außerstande waren, diese Gefahren in das allgemeine Bewußtsein zu heben und ihnen in angemessener Weise zu begegnen. Was waren die Folgen? In der Amtszeit des derzeitigen Innenministers ist die Rechtseinheit von Bund und Ländern in der Freihaltung des öffentlichen Dienstes von Verfassungsfeinden vollends verloren gegangen. Warum, Herr Kollege Maihofer? Weil Ihre eigene Partei, die FDP, und die SPD die Grundlage verlassen haben, die nach dem Kriege die gemeinsame Grundlage aller demokratischen Parteien gewesen ist, ({82}) eine Grundlage, die es noch 1972 ermöglichte, daß der damalige Bundeskanzler Brandt mit den Ministerpräsidenten aller Länder eine Vereinbarung abschloß, die sicherzustellen hatte, daß die gleichen Vorschriften überall gleich angewandt werden. Das haben Sie, Herr Maihofer, nicht zu verhindern vermocht; ja, Sie haben selbst dazu beigetragen. Die Abwehrkraft unseres demokratischen Gemeinwesens ist dadurch erheblich geschwächt worden. Seinen Gegnern ist es dadurch erleichtert worden, in den öffentlichen Dienst, d. h. aber auch in das Erziehungswesen, in die Sicherheitsorgane, in die Schaltstellen unseres komplizierten und hochempfindlichen Gemeinwesens einzudringen. Die Folgen werden um so schwerwiegender sein, je länger der sich ständig beschleunigende Marsch durch die Institutionen andauert. Schon heute sind die Ergebnisse gerade im Bildungswesen, das für das Verfassungsverständnis der jungen Generation so entscheidend ist, erschreckend. An der Universität Bremen z. B. stimmten 1975 84 von 263 Hochschullehrern für die der KPD und dem KBW, also den sogenannten Chaoten, nahestehenden Listen, von den Anhängern der orthodoxen Kommunisten ganz zu schweigen. Unsicherheit, Unklarheit und Unentschlossenheit der für unseren Staat zur Zeit Verantwortlichen haben außerdem dazu geführt, daß Kommunisten in aller Welt, aber auch Gutgläubige im In- und Ausland dabei sind, die deutsche Demokratie, die freiheitlichste der Welt, der Gesinnungsschnüffelei und der Berufsverbote zu bezichtigen. Daß Kommunisten, Anhänger eines Systems, das den Archipel Gulag hervorgebracht hat, das überall dort, wo es herrscht, seinen Gegnern nicht nur die Berufsfreiheit, sondern jede Freiheit nimmt, ({83}) das tun können, ohne daß die Welt in Gelächter ausbricht, ist nur möglich, weil Angehörige der Regierungsparteien mit den Kommunisten in ihrer verlogenen Berufsverbotskampagne gemeinsame Sache gemacht haben. ({84}) Herr Maihofer, Sie haben das nicht gewollt, Sie haben das auch abgelehnt; aber ich meine, das reicht nicht, das entlastet Sie nicht. Sie waren zu schwach, dieser Kampagne in der eigenen Partei und Koalition und in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit überzeugend entgegenzuwirken. ({85}) Gesinnungsschnüffelei - das sei an die Adresse der in- und ausländischen Kritiker gesagt - lehnen wir ab. ({86}) Wir fürchten uns nicht vor Gesinnungen. Die Gesinnungen sind frei und müssen frei bleiben! ({87}) Wir lehnen es ab, Jugendsünden zum Ausschließungsgrund für den öffentlichen Dienst zu machen. ({88}) Jeder, der sich heute und in Zukunft zu den Grund- und Freiheitsrechten unserer Verfassung bekennt und willens ist, diesen demokratischen Staat gegen seine Gegner zu verteidigen, ist unter diesem Aspekt auch geeignet, sein Diener zu sein, unabhängig davon, was er früher einmal gedacht und gewollt hat. Das ist die Position der CDU/CSU. ({89}) Wer aber, objektiv feststellbar, diesen demokratischen Staat ablehnt, wer unsere freiheitliche Ordnung durch eine totalitäre ersetzen will und das durch die Mitgliedschaft in einer kommunistischen oder faschistischen Partei nicht nur dokumentiert, sondern auch noch betätigt, der ist ungeeignet, Beamter des Staates zu sein, den er zerstören will. ({90}) Das ist so klar, so einfach und vor allem so rechtsstaatlich, ({91}) daß es daran nichts zu deuteln gibt, Herr Schäfer. ({92}) Wenn die Koalition es ablehnt, dieses objektive Merkmal der Parteimitgliedschaft ({93}) zum Maßstab der Entscheidung machen ({94}) - Sie müssen besser zuhören, lieber Herr Schäfer; ich pflege sehr präzis zu sprechen, bin aber, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, gern bereit, es für Sie zu wiederholen -, dann wird die Absicht, unseren öffentlichen Dienst von Verfassungsfeinden freizuhalten, entweder zur Farce, oder es wird das heraufbeschworen, was Sie verhindern wollen, nämlich Gesinnungsschnüffelei, die wir ablehnen. ({95}) Meine Damen und Herren, wir werden, wenn die Wähler am 3. Oktober die Bundesratsmehrheit der Union durch eine Bundestagsmehrheit ergänzen, die Verteidigungsfähigkeit dieses Staates auch auf diesem Felde voll wiederherstellen. ({96}) Unser vornehmstes Ziel aber wird es sein, die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger, ihre Meinungs- und Koalitionsfreiheit, ihre Rede- und Pressefreiheit zu schützen. Denn die Freiheit des Menschen auch gegenüber dem Staat und den mächtigen gesellschaftlichen Gruppen ist das Qualitätsmerkmal unseres Systems, das es grundlegend von allen kommunistischen und faschistischen Systemen unterscheidet. ({97}) Ich sage deshalb noch einmal: Gesinnungen sind frei, Meinungen sind frei. Ich füge hinzu: Auch die Verfassung und die Verfassungspraxis sind weder der Kritik noch der Veränderbarkeit entzogen. Das gilt erst recht für den gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Zustand, der in gar keiner Weise von der Verfassung geschützt ist, sondern Änderungen offensteht, die von der Mehrheit gewollt werden. Wir werden jeden Versuch, die politische und gesellschaftliche Gestaltungsfreiheit zu überwinden - und das ist das Ziel der Kommunisten nach ihrem Sieg -, abwehren. ({98}) Keine Gestaltungsfreiheit kann es aber gegenüber dem von den Kommunisten und ihren Hilfstruppen angegriffenen Kernbestand unserer Verfassung geben, wie er vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der KPD im Jahre 1956 umrissen worden ist. ({99}) - Ich verstehe nicht, daß Sie jetzt von Spanien reden. Wir reden von Deutschland, denn dafür sind wir vor allem verantwortlich, meine Damen und Herren. ({100}) Der Kernbestand der Verfassung - ich hoffe, daß Sie alle dem zustimmen - muß der Änderung entzogen bleiben, weil seine Änderung künftige Änderungen ausschließen würde, weil mit seinem Wegfall die Freiheit wegfallen würde. Das ist unsere Position. ({101}) Meine Damen und Herren, neben der Intaktheit des öffentlichen Dienstes ist die Funktionsfähigkeit der freien Presse ein unverzichtbares Grundrecht. ({102}) Ich will mich zu Streik und Aussperrung in der Druckindustrie nicht äußern, soweit die Mittel des Arbeitskampfes im Rahmen der Verfassung und des Tarifrechts angewandt worden sind. Eines muß aber klar gesagt werden - und der Verfassungsminister hätte es mit Entschiedenheit tun müssen -: Streik zur Durchsetzung einer Zensur ist unzulässig und verfassungswidrig. ({103}) Die Gedanken sind frei, die Meinungen sind frei, die Presse ist frei. Wer in unseren Zeitungen weiße Flecken erzwingt, gefährdet die Freiheit in Deutschland. ({104}) Wir appellieren an die Gewerkschaften, deren Arbeit wir anerkennen, und an die gesamte deutsche Öffentlichkeit, auf diesem Felde den Anfängen in Solidarität gemeinsam zu wehren. ({105}) Meine Damen und Herren, es gibt andere Felder, auf denen wir ein klares Wort des VerfassungsminiDr. Dregger sters vermißt haben. Er hat es zugelassen, daß über Inter Nationes Landkarten an die deutschen Auslandsvertretungen verteilt wurden, die den Eindruck erwecken, Deutschland ende an der sogenannten Oder-Neiße-Linie und die innerdeutsche Grenze von Lübeck bis Hof sei eine normale Staatsgrenze. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in seinem Urteil zum innerdeutschen Grundvertrag vom 31. Juli 1973 ausgeführt - und für den Verfassungsminister ist das ein verbindlicher Auftrag -: Kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland darf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben, alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Zieles hinzuwirken - das schließt die Forderung ein, den Wiedervereinigungsanspruch im Innern wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten - und alles zu unterlassen, was die Wiedervereinigung vereiteln würde. In derselben Untätigkeit verharrte der Verfassungsminister, als der Kalender 1976 „Blick in die DDR" vom Gesamtdeutschen Institut speziell zur Verteilung an unseren Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen herausgegeben wurde. Dieser Kalender wird in keiner Weise dem Auftrag gerecht, den Willen zu einem einigen Deutschland in Freiheit wachzuhalten. ({106}) Das kann er nicht, weil er die Anormalität des geteilten und in seinem östlichen Teil unterdrückten Deutschland nicht als solche ins Bewußtsein ruft und damit in den Rang der Normalität erhebt. ({107}) Damit wird die Wirklichkeit des SED-Regimes verzeichnet, woran einzelne kritische Bemerkungen nichts ändern. Der für unsere Schulen und Bildungseinrichtungen bestimmte Kalender verschweigt die sowjetische Fremdherrschaft über Mitteldeutschland, den Zwangscharakter des SED-Staates, insbesondere an seinen Grenzen, die Unfreiheit des kommunistischen Lebens, die sich auch im äußeren Bild des Alltags der DDR zeigt, die Versuche der SED, der Bevölkerung Mitteldeutschlands ihren nationalen Charakter zu nehmen, um sie zum willfährigen Instrument sowjetischer Machtausübung zu machen. ({108}) Meine Damen und Herren, solchen Fehlleistungen sollte gerade der Verfassungsminister entgegentreten. Und er sollte es mit der moralischen Kraft tun, die sich aus der Legitimität des Auftrags unserer Verfassung ergibt. Wer heute für Deutschland eintritt, tritt für die Freiheit und die Menschenrechte ein. ({109}) Heute sind Freiheit, Menschenrechte und Deutschland voll zur Deckung gebracht. In der tragischen Geschichte unseres Volkes war es nicht immer so, und in Mitteldeutschland ist es auch heute nicht so. ({110}) - Das sind nicht große Worte, sondern das ist die Lebenswirklichkeit der Menschen drüben, die darunter leiden. ({111}) Das verpflichtet uns, nicht nur im nationalen, sondern auch im Menschheitsinteresse zu jeder Stunde für die Freiheit und Einheit ganz Deutschlands einzutreten. Die Unterschiede zwischen der personalen Freiheit hier und der personalen Unfreiheit drüben dürfen nicht verwischt werden. Der anormale Zustand sowjetischer Fremdherrschaft über einen Teil Deutschlands und sozialistischer Zwangsherrschaft der Kommunisten über die Mehrheit der Bevölkerung in der DDR darf nicht verwischt werden. ({112}) Meine Damen und Herren, wer dagegen angeht, ist kein kalter Krieger, sondern ein Demokrat, der für die Freiheit und die Menschenrechte eintritt. ({113}) Frau Präsidentin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir gestatten würden, meine Rede noch zu Ende zu bringen. Es ist so, meine Damen und Herren: Die große Alternative unseres Jahrhunderts, die große Alternative für Deutschland und für Europa ist die zwischen Freiheit und Sozialismus. ({114}) Nur ein politisch Blinder kann das ernsthaft bestreiten. ({115}) Die Zielsetzung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken - sie nennen sich „sozialistisch"; wollen Sie ihnen etwa diesen Namen streitig machen? - und die Zielsetzung ihrer Satelliten, zu denen das Regime der Sozialistischen Einheitspartei in der DDR gehört - auch sie nennt sich „sozialistisch" - ist auch im Zeitalter der Entspannung und der Koexistenz offensiv geblieben. Diese sozialistischen Kräfte wollen den Sozialismus ihrer Vorstellung in ganz Deutschland und in ganz Europa durchsetzen. Und es kann auch gar kein Zweifel daran sein, daß die kommunistischen Parteien in Westeuropa einschließlich der DKP dieses Ziel in gleicher Konsequenz verfolgen. Wir können doch diese Tatsache, die für unsere Freiheit eine tödliche Bedrohung darstellt, nicht einfach verschweigen. Wir müssen sie doch beim Namen nennen. Wir können sie doch nicht einfach deshalb verschweigen, weil Sie sonst in Interpretationsschwierigkeiten kommen, meine Damen und Herren von der SPD. ({116}) Keiner zwingt Sie, sich den sozialistischen Stiefel anzuziehen. Wenn Sie es tun, ist es doch Ihre eigene Sache. ({117}) Sie nennen sich demokratische Sozialisten. Was ist das? Doch sicherlich nicht das, was Professor Schäfer meinte. Herr Kollege Schäfer, ich nehme an, es war ein Lapsus linguae, als Sie gestern sagten: Wer für Freiheit ist, muß für Sozialismus sein. ({118}) Ich unterstelle, daß Sie das nicht so gemeint haben. ({119}) Inhaltlich bedeutet das, daß diese Vorstellung vielleicht volksdemokratisch ist, aber doch nicht demokratisch. ({120}) Wenn demokratischer Sozialismus dasselbe wie Sozialdemokratie ist, wie mir Herr Ehmke in einem Fernsehgespräch versichert hat, muß ich fragen, warum Sie denn nicht den stolzen Begriff „Sozialdemokratie", auf den nicht nur Sie, sondern unsere ganze deutsche Geschichte stolz sein können, in den Vordergrund stellen. Gerade dieser Begriff ist doch geeignet, die Trennungsgrenze zur sozialistischen Gesellschaftsordnung drüben ganz deutlich zu machen. Warum haben Sie es vorgezogen, in den letzten Jahren immer mehr den verschwommenen Begriff „demokratischer Sozialismus" in den Vordergrund treten zu lassen? ({121}) Meine Damen und Herren, wenn es Ihnen immer schwererfällt, die Unterschiede zwischen diesen Sozialismen deutlich zu machen - vor allem in Ihrer eigenen Parteijugend, ({122}) wie die zahlreichen sozialistischen Volksfrontbündnisse Ihrer Mitglieder mit Kommunisten, insbesondere an deutschen Hochschulen, zeigen -, mag das zunächst Ihr Problem sein. Wenn dies aber mit dem Bestreben einhergeht, den Terror des sozialistischen Zwangssystems in der DDR möglichst zu verschweigen und die aggressiven Ziele der Kommunisten hier und drüben zu verharmlosen, dann geht das nicht nur Sie, sondern auch uns etwas an. Dann geht es uns alle etwas an! ({123}) Die zunehmende Verschwommenheit Ihrer Position, die es vor zehn Jahren nicht gab, hat sich insbesondere bei Ihrer Parteijugend verheerend ausgewirkt. Heute sind es die Juso-Hochschulgruppen, die dem verfassungsfeindlichen Spartakusbund der DKP zu Mehrheiten in vielen Allgemeinen Studentenausschüssen verhelfen. Auf der Kölner VDSVersammlung wurde ganz deutlich, daß erst die Koalitionsbereitschaft der Juso-Hochschulgruppen und des Liberalen Hochschulbundes es ermöglichte, daß es Mehrheiten für diese Spartakisten gibt. Beide Studentenverbände, die den Regierungsparteien nahestehen, ziehen es vor, mit Kommunisten statt mit einem verfassungstreuen Studentenverband wie dem RCDS zu koalieren. Das ist doch die Wirklichkeit. ({124}) Wenn Bundeskanzler Schmidt nur den Amerikanern erklärt, er sei kein Sozialist, sondern Sozialdemokrat, dies hier in Deutschland aber nicht sagt - warum tut er das hier wohl nicht?; hier wäre es doch viel nötiger; in Amerika gibt es keinen großen Sozialismus -, dann ist es doch kein Wunder, wenn junge SPD-Leute der Meinung sind, wenn der Sozialismus und nicht die Demokratie die Hauptsache sei, müßten sie sich mit den anderen Sozialisten, mit den kommunistischen Sozialisten nämlich, und nicht etwa mit den Christdemokraten verbünden, um gemeinsam die Demokratie zu verteidigen. Das sind die Folgen dieser verschwommenen Position, und die müssen wir doch an das Licht bringen. ({125}) Der Parteivorsitzende der SPD, Herr Kollege Brandt, der heute leider fehlt, wird diese Kritik wieder in geübter Weise mit einem Griff in die große Geschichte der SPD zurückweisen. Er wird auf Schumacher und auf Wels hinweisen. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur eines sagen: Unsere Kritik gilt nicht den früheren SPD-Führungen, sondern der heutigen SPD-Führung. ({126}) - Nein, das ist nicht das Problem, lieber Herr Wehner. Das ist viel zu ernst, und dem müssen Sie sich stellen. So einfach ist das nicht. ({127}) Herr Wels hat noch 1933 gesagt: Kommunisten und Nationalsozialisten sind Brüder. Wenn ich mich an Ihre Reden im Sächsischen Landtag erinnere, Herr Wehner, dann finde ich das bestätigt. ({128}) Ich würde mich freuen, wenn heutige SPD-Führer eine so klare Aussage machen würden, wie Wels sie im Jahr 1933 gemacht hat. ({129}) Meine Damen und Herren, der russische Patriot, Freiheitskämpfer und Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn hat in seiner im britischen Rundfunk ausgestrahlten Ansprache zum Schluß folgendes wörtlich gesagt - Herr Wehner, hören Sie einmal zu, das ist sehr wichtig für Sie -: Wir, die unterdrückten Völker Rußlands, die unterdrückten Völker Osteuropas, beobachten mit Herzensangst die tragische Schwächung Europas. Wir bieten Ihnen die Erfahrung unserer Leiden. Wir wünschen, Sie machten sich diese Erfahrung zunutze, damit Sie nicht den gewaltigen Preis von Tod und Sklaverei zahlen müssen, den wir gezahlt haben. In dieser Lage Europas tragen wir Demokraten in Deutschland eine besondere Verantwortung wegen der Stärke unseres Landes auf bestimmten Gebieten und wegen der tragischen Geschichte unseres Volkes, das bereits einmal unter entgegengesetzten Vorzeichen ein solches System verwirklicht hat. Wir haben nicht das Recht, uns mit den Fehlern unserer Verbündeten zu entschuldigen. Gerade weil wir auf einigen Feldern stärker sind als sie, dürfen wir nicht auf ihre angeblichen Schwächen hinweisen. Wir können und müssen unsere Verbündeten aus der bitteren Erfahrung, die wir 1933 gemacht haben, warnen. Aber wir verhalten uns menschlich und politisch töricht, wenn wir von außen her angebliche innenpolitische Fehler unseren Verbündeten kritisieren. ({130}) Meine Damen und Herren, statt der Schulmeister Europas zu sein, sollten wir unsere Kraft ohne Kraftmeierei in den Dienst Europas stellen. Wir können Deutschland als einem Kernland Europas durch nichts einen besseren Dienst tun. Voraussetzung für diesen unseren Einsatz ist, daß unsere Demokratie selbst stark ist, geistig, moralisch, politisch, sozial und wirtschaftlich. Wir dürfen daher der kommunistischen Gefahr im eigenen Land keinen Raum geben, auch nicht durch Vernebelung ihrer Absichten und durch Verwischung der Unterschiede, auch nicht durch Duldung der Unterwanderung unserer Institutionen. Nur wer innerlich gesund ist, kann nach außen stark sein. Wir müssen stark sein, damit die Freiheit in Deutschland und Europa bleibt. ({131})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Trotz des zweifellos ernsten Gegenstandes hatte ich an sich die Absicht, die Sache etwas heiterer zu nehmen. Wenn Herr Dregger allerdings anfängt, sich z. B. auf Grund von Zwischenreden vom Manuskript zu lösen, bleibt einem jede Heiterkeit weg. Dann merkt man, wie mühsam hier trotz allem, was wir vom Manuskript her gehört haben, das zurückgehalten wurde, was noch weit über das Manuskript hinausgeht. Da ist kein Platz mehr für Heiterkeit. ({0}) Wir haben uns in den letzten Wochen daran gewöhnen müssen, daß Sie das angesichts Ihrer Bekenntnisse zur Demokratie geradezu abenteuerliche Wagnis unternehmen, den kommenden Wahlkampf mit der ungewöhnlich heuchlerischen, mit der für diese Demokratie ungewöhnlich verderblichen und selbstverständlich völlig falschen und unlogischen Alternative „Freiheit oder Sozialismus" zu bestreiten. Wir haben uns gefragt, woher Sie den Mut dazu nehmen. Aus der Tatsache, daß Herr Dregger hier reichlich mit dem Wort „Freiheit" um sich geworfen hat, und aus der Tatsache, daß Herr Dregger hier von Ihrer Fraktion zu diesem wichtigen Thema unserer inneren Sicherheit als Hauptredner heraufgeschickt worden ist, schließen wir, daß er in besonderem Maße als Symbolfigur für das gelten kann, was Sie unter Freiheit verstehen. ({1}) Wir halten das für eine ungewöhnlich wichtige Entscheidungshilfe, weniger für uns als für die Bürger, die am 3. Oktober wählen sollen, ({2}) die auf diese Weise wissen, was Sie unter Freiheit verstehen. Damit sind wir als Liberale auch schon sehr beruhigt. Von dieser Art Freiheit sind wir nicht tangiert. ({3}) Herr Dregger, Hunger und Durst kann man für eine gewisse Zeit durch stramme Haltung und markige Sprechweise ersetzen, aber nicht die mangelnde Konkretheit, nicht die mangelnden Sachkenntnisse und nicht die mangelnde Fähigkeit, auf irgendeinen Sachverhalt einzugehen, wenn man weit über eine Stunde anderen Leuten Schwammigkeit in ihren Auffassungen, Weichheit und Unklarheit in der Wahrnehmung ihres Ministeramtes und dergleichen Dinge vorwirft. Es ist von Ihnen überhaupt kein Faktum gekommen. ({4}) Was interessant war, das war die Art Ihres Vortrages. Sie steht in einer langen und großen Tradition seit Marc Antons berühmter Grabrede für Julius Cäsar. Neuere Beispiele aus der Zeit vor etwa 30 Jahren zu nennen, verbietet mir die Tatsache, daß wir nach wie vor entschlossen sind, den kommenden Wahlkampf etwas sachlicher zu führen als Sie. ({5}) Sie, Herr Dregger, haben zunächst einmal damit begonnen, bei zwei zweifellos sehr stimmstarken Bevölkerungsgruppen um Sympathie zu werben: Sie haben die Beamten angesprochen, und Sie haben dann insonderheit die Polizeibeamten innerhalb dieser Gruppe angesprochen. ({6}) Das ist als Versuch sehr zu verstehen, aber es dürfte Ihnen insofern mißlungen sein - und das meine ich mit der mangelnden Einsicht in die Tatsachen -, als gerade diese Bevölkerungsgruppen, die Beamten und unter ihnen die Polizeibeamten, ganz dicht an dem waren, was seit 1969 von der liberalsozialen Koalition und innerhalb dieser von dem verantwortlichen Bundesinnenminister für diese Bevölkerungsgruppen getan worden ist. In einer ganz klaren und anschaulichen Weise hat jeder einzelne Beamte sich davon überzeugen können, daß er einen Dienstherrn hatte, der in vollstem Umfange sich vor ihn gestellt hat, der dafür gesorgt hat, daß eine Fülle von Ungereimtheiten z. B. im Bereich der Besoldung und der Beförderung beseitigt worden sind, die auf uns aus den Jahren überkommen sind, in denen die CDU den Innenminister gestellt hat. Auch ist insgesamt die Stellung aller Beamten im Verhältnis zueinander gerechter geworden und in der Wertung gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen besser eingeordnet worden. ({7}) Da jeder einzelne Beamte das genau an seinen persönlichen Unterlagen und seinem persönlichen Schicksal in den letzten Jahren verfolgen konnte und mit Sicherheit auch verfolgt hat, halte ich es für einen untauglichen Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt, daß Sie hierhergehen und meinen, die Beamten würden das, was sie bei Hans-Dietrich Genscher und in Fortsetzung seiner Bemühungen bei Herrn Maihofer als Innenminister gehabt haben, etwa weggeben wollen für das, was Sie, Herr Dregger, in ebenso wolkigen wie unbestimmten Worten ihnen hier versprechen. ({8}) Das werden diese Beamten nicht tun. Sie haben uns hier gesagt, die Gesetzesvermehrung sei schuld an der Beamtenvermehrung. An dieser Gesetzesvermehrung ist die Fraktion der CDU/ CSU beteiligt. Beim Geldhergeben haben Sie die Mitverantwortung sofort willig an sich gerissen, beim Gesetzemachen wollten Sie sie heute, weil es Ihnen gerade so paßte, nicht mittragen. Fast alle Gesetze sind mit Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag oder schließlich mit Zustimmung des Bundesrates nach den Beratungen im Vermittlungsausschuß einmütig angenommen worden. ({9}) - Herr Vogel, haben Sie von mir schon mal gehört, daß Sie ewige Nein-Sager wären? ({10}) - Also, ich habe erstmal überhaupt keinen Genossen, sondern Koalitionsfreunde. ({11}) Außerdem habe ich noch Parteifreunde, die stehen mir übrigens näher. - Aber Sie haben das von mir noch nicht gehört. Ich kenne diese Verabschiedungsstatistik. Ich kenne einige wichtige Dinge, auf die ich, wenn Sie das gern hätten, noch einmal andeutungsweise zu sprechen kommen will, in denen Sie allerdings ganz andere Ansichten hatten als wir. ({12}) Das hat seinen Grund in unterschiedlichen Standpunkten. Aber all die Gesetze, die zu einem weiteren Ausbau unseres Sozialstaates geführt haben, all die Gesetze, die auch wesentlich zu einem weiteren Ausbau im Bereich der inneren Sicherheit führen sollten, sind von der CDU/CSU mit beschlossen worden, somit, Herr Dregger, auch die Ursache für die notwendige Vermehrung von Beamtenstellen. Da hilft es gar nichts, daß Sie sich hier aufbauen und ausgerechnet der Bundesregierung Vorwürfe machen, zumal der überwältigende Teil der Stellenvermehrung in den Länderbereich fällt und die Statistiken der SPD/FDP- und CDU/CSU-regierten Länder insofern kaum signifikante Unterschiede ausweisen. Was soll es also? Nach außen hin soll denjenigen, die sich damit nicht näher befaßt haben, der Eindruck suggeriert werden, hier werde schlecht gewirtschaftet und Sie würden das besser tun. In diesem Punkt schon mal mit Sicherheit Fehlanzeige. ({13}) Sie haben die ungewöhnlich eindrucksvolle Forderung erhoben, es sollten Stellen ausgeschrieben werden; eine der wenigen konkreten Forderungen zu dem Aktionsprogramm von Herrn Professor Maihofer. Diese Stellenausschreibung hätten Sie einmal in den langen Jahren bis 1969 einführen und durchhalten sollen, ohne Ansehen weniger des Parteials des Gesangbuches. Dann wäre die Koalition nicht in Verlegenheit gewesen, noch den einen oder anderen Beamten in Staatsstellen holen zu müssen, damit man jemanden im Hause hat, auf den man sich ({14}) in seiner eigenen Richtung einigermaßen stützen kann. Das gehört nun einmal dazu. ({15}) Ich streite das keinem CDU-Minister ab, ich nehme es aber logischerweise auch keinem Minister der sozialliberalen Koalition übel, wenn er sich in seinem engeren Bereich mit Männern oder Frauen seines Vertrauens umgibt. Wenn man die Sache aber in früheren Jahren überzogen hat, ist die logische Folge, daß so etwas zu Stellenvermehrungen führt. Nicht von einem bösartigen Sozial- oder Freien Demokraten, sondern von Konrad Adenauer stammt das Wort, seit wann denn Zufall im Bereich der Personalpflege mit „CV" geschrieben wird. Das darf man vielleicht einmal wieder in Erinnerung rufen. ({16}) Herr Stücklen hat sich vorhin besonders für die Ausschreibungsvorschläge von Herrn Dregger eingesetzt. Sie haben gesagt, dann könnten wir endlich nicht mehr mit dem Parteibuch usw. Ich hatte Ihnen vorhin schon über die Bänke etwas zugerufen. was bei Ihnen, weil es Plattdeutsch war, vielleicht nicht ganz richtig angekommen ist. Darf ich ausnahmsweise Plattdeutsch verwenden? Bei uns sagt man: Dat ick en Dösbüdel bin, dat argert mi nich; dat en Dösbüdel mi dat seggt, dat argert mi. ({17}) Das gilt in diesem Bereich in ganz besonderem Maße. ({18}) - Ich wiederhole es gerne auf hochdeutsch. Natürlich ist die Wiedergabe, wie bei all diesen Dingen, nur ungefähr möglich; sonst bräuchte man ja auch nicht das Idiom. Es heißt in etwa: Daß ich ein Döskopp bin, das ärgert mich nicht; daß ein Döskopp mir das sagt, das ärgert mich. ({19}) - Das ist das Problem beim Übersetzen. Das ist an dieser Stelle aber schon mehrfach behandelt worden. Das war mir bewußt. Ich habe das gleich einbezogen. ({20}) Wir kommen nun, Herr Dregger, zu dem Bereich der Verbrechensbekämpfung. Ihre Ausführungen gipfelten in der Feststellung - ich versuche ja nur, Ihnen darzulegen, wo es meiner Ansicht nach bei Ihnen an Konkretheit gefehlt hat, um nicht meinem eigenen Vorwurf zu unterliegen, ich wäre nun wiederum zu wenig konkret -, Herr Professor Maihofer hätte zwar Geld angefordert und das Geld dann ausgegeben; das wäre aber kein Kunststück. Wenn Sie das nun überhaupt als Vorwurf verstanden wissen wollten, hätten Sie doch sagen müssen, er habe es falsch ausgegeben, insbesondere sein Vorgänger im Amte, Herr Genscher, habe es falsch ausgegeben. Tatsache ist vielmehr, daß man überlegt hat: Was fehlt alles?, daß man dann einen Plan für den sorgfältigen und überlegten weiteren Ausbau insbesondere des Bundeskriminalamtes gemacht und daß man nach diesen Planungen die notwendigen finanziellen Mittel für die so - und zwar in Zusammenarbeit mit den zuständigen Fachleuten und nicht einfach irgendwie errechneten, benötigten, personellen und sachlichen Mittel - für letztere in besonderem Maße - angefordert hat. So ist das gelaufen. Die Folge ist, daß sich heute Kommissionen von Kriminalisten aus der ganzen Welt in Wiesbaden die Türklinke in die Hand geben, um sich dort zeigen zu lassen, wie eine der modernsten Kriminalpolizeizentralen der Welt eingerichtet ist und wie sie funktioniert. Dieser Strom von interessierten Fachleuten, die sich das gern einmal ansehen und nicht irgendwie räsonieren wollen, reißt nicht ab. Das ist, so meine ich, ein bemerkenswertes Qualitätssiegel an einer Behörde, in der vor sieben Jahren - das ist mir von Augenzeugen sehr plastisch geschildert worden - in den Gängen die Kisten mit wichtigen Karteien herumstanden, die gar nicht mehr bearbeitet werden konnten, weil dafür Raum und Personal fehlten, und die erst im Laufe der Zeit wieder der Bearbeitung zugeführt und dem regelmäßigen Zugriff nutzbar gemacht worden sind. Es mag sein, daß die Auswirkungen der Spannungen der 60er Jahre unsere Polizei erst zu Beginn der 70er Jahre belastet haben, also während der Amtsperioden dieser Regierung. Aber das ist noch lange kein Grund, ein wichtiges kriminalpolizeiliches Instrument, wie das Bundeskriminalamt, unter den Vorgängern unserer Innenminister so verkommen zu lassen, daß die Beamten lieber Däumchen gedreht haben, als den ohnehin aussichtslosen Versuch zu unternehmen, in diesem Durcheinander irgend etwas zu tun, was dann notwendigerweise rein zufällig hätte sein müssen. Sie wollten doch wohl nicht sagen, daß dieser Zustand des Bundeskriminalamts der seinerzeitigen Lage angemessen gewesen sei. Er war keiner Lage angemessen. ({21}) Insofern bin ich also schon in der Lage, Ihnen dazu einige konkretere Dinge vorzutragen. Früher sei die Kriminalität geringer gewesen; wahrscheinlich wegen Ihrer besonders klaren Auffassungen in den wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen. Zwischen dem klerikalsozialistischen und dem eher zum National-... - Nachwort geschenkt - neigenden Flügel besteht Ihre Klarheitsbreite. Und das hat die Kriminalität verhindert. Na, dann danke schön. ({22}) Ich glaube nicht, daß Sie ohne weiteres zur Verdeutlichung gerade Ihrer gesellschaftspolitischen Positionen in der Lage sind, daß Sie in der Lage sind, Ihren Wählern, den willigen Wählern, auch denen, die sich eher durch das äußere Bild gewinnen lassen, die besondere Position von Herrn Biedenkopf in der Spannungsbreite beispielsweise zwischen den Herren von Bismarck und Blüm zu verdeutlichen. Dazwischen liegt allerhand, und der arme Herr Biedenkopf muß, wenn er hier auf zweien reiten will, schon breite Beine haben. ({23}) „Verbrecher werden von dieser Koalition mit dem Heiligenschein von Sozialreformern umgeben." Dazu führt das dann. Sie sollten die Kriminalstatistik freundlicherweise einmal im einzelnen lesen. Die Quellen sind übrigens - das entspricht der Pflicht des Bundesinnenministers, seine Tätigkeit transparent zu machen - die Mitteilungen des Bundesministers des Innern zur inneren Sicherheit. So sieht das aus. Das können Sie sich einmal besorgen lassen. Darin steht all das, was Sie nicht gelesen haben. Dann sehen Sie nämlich, daß - dies ist im einzelnen untersucht worden - eine Reihe von Straftaten in den letzten Jahren in ihrer Bedeutung wesentlich zurückgegangen ist. Damit bin ich bei einem Punkt, Herr Vogel, über den wir uns allerdings im Gegensatz zu vielen anderen in den letzten Jahren sehr gestritten haben. Nehmen Sie z. B. einmal die Sparte betreffend ({24}) den Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Dann werden Sie in den letzten zwei Jahren einen dramatischen Rückgang bei all diesen Delikten finden, ({25}) und zwar - ich kenne schon Ihren Einwand - weil darin auch etliches enthalten ist, was gar nicht mehr bestraft wird, so daß das naturgemäß hier herausfallen muß. Warum sage ich Ihnen das? Ich sage das, weil Herr Dregger ja meint, wir sollten nicht durch zu viele Gesetze die Beamtenstellen vermehren, sondern durch gescheite Gesetze die Beamten besser zur Wirkung kommen lassen. Man kann an diesen Zahlen ablesen, daß wir das getan haben. Wir hetzen jetzt nämlich nicht mehr die Polizeibeamten und die Staatsanwälte hinter jedem angeblichen Porno her, sondern lassen sie sich mit den eigentlich sozialschädlichen Delikten befassen, auch wenn dann dem einen oder anderen der Lesestoff ausgehen sollte. ({26}) - Die Ereignisse sind zu meinem Bedauern selbst in meiner Heimatstadt - es handelt sich um einen Einzelfall - gar nicht so lange zurück. Wenn Sie Ihre Freunde so heißt das wohl bei Ihnen - von der CSU danach fragen, werden Sie feststellen, daß dies dort bis zum bitteren Ende betrieben worden ist. Die Beamten können sich jetzt nützlichen Tätigkeiten zuwenden, und das halten wir einen nützlichen Nebeneffekt einer ohnehin vernünftigen Reformgesetzgebung. In diesem Bereich der Gesetzgebung hat uns übrigens die CDU/CSU immer wieder verfolgt. Hier in diesem Hause haben wir zu diesem Thema seit November 1974 mindestens vier Debatten etwa mit dem Wunsche gehabt, z. B. die Strafprozeßordnung, aber auch das Strafgesetzbuch aufs neue zu ändern. Da liegt allerdings unsere konservative Komponente: Wenn etwas einmal liberal geregelt ist, dann wollen wir es auch so liberal belassen. Das ist eine durchaus konservative Verhaltensweise, ({27}) während bei Ihnen dann die so oft beklagte wilde Herumreformiererei ansetzt. Kaum daß einmal eine Änderung der StPO beschlossen ist, kommt von Ihnen, einerseits von der Bundestagsfraktion, andererseits vom Bundesrat, das nächste Bündel von Änderungswünschen, damit sich die ohnehin geplagten Richter nur ja nicht auf das neue Recht einrichten können, womit sie dann ihrer Aufgabe naturgemäß nicht gewachsen sind. ({28}) Lassen Sie sich da doch einmal von unserer gelassenen konservativen Haltung in diesen Fragen bestimmen, die darauf beruht, daß wir das, was liberal und rechtsstaatlich geregelt ist, auch so erhalten möchten. ({29}) Soviel zu diesem speziellen Bereich, zu dem die CDU/CSU wirklich nichts beigetragen hat. Zu den Demonstrationen habe ich schon des öfteren gesagt, weil es so anschaulich ist: Jeder Bürger, der in den Jahren 1965 bis 1969 immer öfter auf seinem Weg zur Arbeitsstätte oder zum Einkauf behindert worden ist, weiß in den meisten Städten dieser Republik, daß er seit einigen Jahren von sogenannten unfriedlich verlaufenden Demonstrationen überhaupt nicht mehr belästigt wird. Wir führen das auf unser ganz spezielles Verständnis von der richtigen Einstellung zu den Leuten zurück, die Sie Politrabauken genannt haben, die wir ohne zu zögern ebenfalls so oder auch anders nennen. Wer glaubt, diese Leute zusammenprügeln oder so zackig anfassen zu können, wie Sie sich das vorstellen, würde dadurch die Sympathiesantenszene dramatisch vergrößern. Wir haben die Sympathiesantenszene gerade mit Blick auf den harten Kern systematisch eingeengt. ({30}) So bedauerlich die Vorgänge der letzten Tage insbesondere in Frankfurt gewesen sind und sosehr wir natürlich selbstverständlich genauso wie Sie all denen danken, die dabei ihre Pflicht getan haben, insbesondere denen danken, die dabei schwere Verletzungen davongetragen haben, sosehr muß man aber doch an dieser Stelle weiterhin das große Ganze sehen. Man darf nicht nur Reizpunkte herausgreifen, und man muß auch sagen, daß in den drei oder vier Jahren davor ein derartiges Ereignis wie der Selbstmord von Frau Meinhof in fast allen größeren Städten dieser Republik zu Unruhen geführt hätten, an denen sich selten weniger als 1 000 Personen beteiligt hätten. Das ist größenordnungsmäßig überhaupt nicht zu bestreiten, wenn man die Dinge aufmerksam verfolgt hat. Das bedeutet, daß Sie absolut falsch liegen und durch harte Tatsachen widerlegt sind, wenn Sie glauben, dieser Regierung sagen zu können, sie hätte nicht nur nichts getan, sondern zu einer Verschlimmerung der Zustände beigetragen. Das Gegenteil ist offenkundig: ({31}) Weil sie etwas getan hat, und zwar in vernünftiger und gelassener Weise, haben sich die Dinge an einem so dramatischen Punkt wie dem, der am Sonntag gesetzt worden ist, in einem Rahmen gehalten, wie er zu Ihren Zeiten nicht denkbar gewesen wäre ({32}) und im akuten Fall unter einem Innenminister Dregger mit Sicherheit noch verschärft worden wäre. Das ist meine feste Überzeugung. ({33}) Das ist allerdings kein Faktum, sondern ein Eindruck, den ich aus Ihrem Auftreten und nach allen Erfahrungen, die im Laufe der letzten 30 Jahre in diesem Bereich von erfahrenen Kriminalisten gesammelt worden sind, gewinnen muß. Dann kommen Sie, um noch einmal zu Marc Anton zurückzukehren und um auch dies etwas anschaulicher zu machen, daher und argumentieren gegen den Polizeipräsidenten von Frankfurt, weil er, noch während seine Leute im Einsatz gewesen seien - dieser Zeitpunkt spielt unter Ihrem Blickwinkel überhaupt keine Rolle, denn die Polizisten werden mit Sicherheit das dpa-Interview zu der Zeit nicht zur Kenntnis haben nehmen können; das ist also ein unwichtiges Detail, das lediglich der Emotionalisierung dienen kann , erklärt habe, weil einer der Polizisten vor den Augen seiner Kameraden wie eine Fackel aus seinem Wagen habe herausgezogen werden müssen, hätten sich vielleicht einige der Beamten über die von den Regeln gebotene Haltung im konkreten Einsatzfall hinaus treiben lassen. Ich sehe das als eine rechtsstaatlichen Verhältnissen angemessene Form seitens des Polizeipräsidenten an, sich vor seine Beamten zu stellen, als nichts anderes. ({34}) Der Mann hat gleichzeitig gesagt: Vielleicht ist hier etwas nicht ganz so gelaufen, wie es laufen sollte. Es ist seine rechtsstaatliche Pflicht, darauf zu achten. Dann hat er sich mit der Entschuldigung und mit der Begründung aus dem konkreten Fall vor seine Leute gestellt. Wie sollte er das vernünftiger, rechtsstaatlicher gleich von Anfang an tun? Das ging gar nicht besser. Das war vernünftig. Ich sage Ihnen auch zu diesem Punkt: Die Herren von der Polizei werden das ganz genau wissen, die werden das auch in Frankfurt wissen. Die kennen ihre Vorgesetzten und ihre Verhaltensweisen. ({35}) Wir haben auch insofern keine Bedenken hinsichtlich des Wahltages. Sie haben sich da ein etwas falsches Feld ausgesucht. Ich könnte Ihnen Versammlungen und anzusprechende Personenkreise empfehlen, in denen Sie auf diese Art besser ankommen könnten. Aber Sie haben sich ja das Thema so gewählt, und Sie haben sich auch die anzusprechenden Kreise so ausgesucht. Der Mann hat also sehr richtig gehandelt. Dann haben Sie sich zu dem gesteigert, was Ihrer Ansicht nach - falls die Pressesituation es erlaubt -morgen in die Schlagzeilen kommen soll. Sie haben gesagt: Der Polizeipräsident wird abgesetzt, der sich nicht voll und ganz und bedingungslos so haben Sie gesagt --- vor seine Leute stellt. Das ist das Aha-Moment, wo jeder sagt: Das ist mal ein zackiger Mann! Was Sie leise als Ausweg für die „albernen Rechtsstaatler" noch so nachgesungen haben, wird nicht mehr gedruckt; das haben Sie nur vorsichtshalber gesagt. Da haben Sie nämlich gesagt: sofern sich herausstellen sollte, daß das so gewesen ist. Später haben Sie dann gesagt, Herr Maihofer solle doch einmal nach Frankfurt fahren, um seinem Innenminister und dessen Polizeipräsidenten beizustehen. ({36}) Das ist genau das gleiche System; jetzt kommt wieder Marc Anton, Herr Haase: sofern das als nötig erscheint. Dieser Duktus, dieser sogenannte DreggerDuktus, findet sich auch an anderen Stellen, auch da, wo Herr Dregger sagt: Für die Grundhaltung im Staat muß etwas getan werden, für die Einstellung zur Verfassung muß etwas getan werden; aber bei dieser sozialliberalen Koalition geschieht das nicht. Nachdem Herr Dregger das markig genug gesagt hatte, erklärte er jedoch: Herr Maihofer, Ihnen mache ich natürlich keinen Vorwurf; Sie haben das gar nicht gewollt. ({37}) - Das hat er an dieser Stelle gesagt. Das Protokoll wird es erweisen. Auch meine Notizen erweisen es. Die Vorwürfe gegen Herrn Maihofer kamen ganz zu Anfang; das war die Stelle mit dem Geld und dem Ausgeben. Das alles ist gar nicht so. Wer weiß, wie schwierig es sogar in diesem Hohen Haus ist, jemandem Geld abzugeben, selbst wenn es sich um größere Summen handelt, der weiß auch, daß einiges dazu gehört hat, die Ausgaben für unsere innere Sicherheit so zu verstärken, wie es notwendig ist. Zu dem Verfassungsteil mag ich, zumal da Herr Dregger inzwischen das Haus verlassen hat, ({38}) nicht Stellung nehmen. Diese Ausführungen über das Verfassungsverständnis waren weit ausschweifend und sehr verschwommen; all diese Eigenschaften, die Herr Dregger uns vorwirft, sind ihm da zu bescheinigen. Wir wollen Herrn Dregger dazu nur eines sagen. Der Versuch, zwischen Freiheit und Sozialismus, zwischen Ihrer Union und den beiden in diesem Haus vertretenen anderen Parteien einen Trennungsstrich zu ziehen, ist der überzeugendste Versuch, der bisher gegen diese - von Herrn Dregger mit Recht so genannte - freiheitlichste Demokratie oder zumindest eine der freiheitlichsten Demokratien der Welt von Ihrer Seite unternommen worden ist. ({39}) Glücklicherweise wird dieser Versuch - das hat gestern die Rede von Herrn Carstens gezeigt - in einer Weise vorgenommen, daß es Ihres vollen Einsatzes, Herr von Weizsäcker, bedürfen wird, in der Bevölkerung auch nur einen Teil der dadurch gesetzten negativen Momente wegzubekommen. Aber auch Ihr Einsatz wird nicht genügen, in der Bevölkerung den Eindruck hervorzurufen, die Freiheit habe ihre Verfechter auf Ihrer Seite und nicht vielmehr bei denen, die nach wie vor mit großer Besonnenheit, anständig im Ton und unter voller Einbeziehung der Union als einer der drei demokratischen Parteien dafür sorgen wollen, daß in diesem Land auch im Bereich des Innern sich die Verhältnisse weiter so, wie es in den letzten sieben Jahren geschehen ist, bessern. - Ich danke Ihnen. ({40})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern, Professor Dr. Maihofer.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Auseinandersetzungen am gestrigen Tag um die sogenannten Grundwerte - die ich zunächst aufnehmen möchte -, also um die jeweiligen obersten Ziele, an denen die demokratischen Par16950 teien dieses Hauses sich in ihrer Politik orientieren, hat zunächst erstaunliche, zumindest verbale Übereinstimmung ergeben. Von seiten der SPD wie der CDU/CSU wurden übereinstimmend die schon in ihren beiderseitigen Grundsatzprogrammen enthaltenen Bekenntnisse zu Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität als den drei obersten Grundwerten hier auch in die Debatte dieses Parlaments eingeführt. Näher besehen nichts anderes als zeitgemäße Umschreibungen jenes großen Dreiklangs der liberalen Postulate: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! - mit denen jene demokratischen Revolutionen in Amerika und Frankreich anheben, deren geistige Erben wir heute alle sind, die wir uns als Demokraten im Sinn der damit heraufgeführten freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie unserer westlichen Welt bekennen. Ob wir uns nun als liberale, als soziale oder als christliche oder als christlich-soziale Demokraten bezeichnen. Daß es sich bei diesen drei großen Forderungen nach einer gesellschaftlichen Ordnung und staatlichen Verfassung der Freiheit, aber auch der Gleichheit und der Brüderlichkeit nicht um drei nebeneinanderstehende und voneinander unabhängige Grundwerte, sondern um einen vom ersten und obersten Grundwert der Freiheit her bestimmten Gesamtzusammenhang handelt, dürfte heute ebenso Gemeingut aller demokratischen Parteien in unserem Lande sein. Für die es nicht einfach nur um Freiheit an sich geht, sondern auch um Gleichheit in Freiheit oder, wie sie beide sagen, um Gerechtigkeit in Freiheit - und eben nicht um zwangsweise Gleichmacherei -; und ebenso um Brüderlichkeit oder, wie sie beide sagen, um Solidarität in Freiheit - und eben nicht um eine erzwungene Brüderlichkeit nach dem Satz: Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag' ich dir den Schädel ein! -, wie gestern gerade der Bundeskanzler noch einmal eindrucksvoll unterstrichen hat. Was so die drei demokratischen Parteien, die sozialer, liberaler und christlicher Demokraten, in unserem Lande unterscheidet, ist, wie ich meine, einzig und allein der unterschiedliche Rang, den wir den einzelnen Grundwerten im Falle eines Widerstreits, eines Konflikts dieser Prinzipien geben, ebenso wie der verschiedenartigen Begründung der inhaltlichen Ausfüllung dieser Grundwerte, bald aus christlichen, bald aus humanistischen Traditionen. Daß wir liberalen, wir freien Demokraten hier in einem Widerstreit der Grundwerte kompromißlos vom unbedingten Vorrang der Freiheit ausgehen, die in keiner Gleichheit, etwa der Bildungs- und Berufschancen, aufgehoben ist, die von keiner noch so gut gemeinten Brüderlichkeit, also aktiver Solidarität in Fürsorge und Nächstenhilfe, verschlungen werden darf, sagt schon unser Name. Im Zweifel für die Freiheit heißt deshalb auch im Konflikt dieser Prinzipien unsere liberale Devise. Wie man bei dieser hier noch einmal erinnerten Ausgangslage gemeinsamer, wenn auch verschieden gewichteter und verschiedenartig ausgefüllter Grundwertüberzeugungen dazu gelangen kann, die von sozialen und liberalen Demokraten getragene Regierung und die von christlichen und christlichsozialen Demokraten getragene Opposition dem Wähler 1976 unter der politischen Alternative „Freiheit oder Sozialismus" vorzustellen, erscheint auch mir wirklich ein abenteuerliches Unterfangen, ({0}) das bei allen denkenden Menschen - darüber sollten Sie sich durch die scheinbare regionale Resonanz dieser Wahlmasche nicht täuschen lassen - auf die Urheber dieser schrecklichen Vereinfachung zurückfallen wird. ({1}) Damit kündigen Sie mutwillig und grundlos den unsere freiheitliche Demokratie über alle Interessenprioritäten und Weltanschauungsunterschiede hinaus tragenden Konsens der Demokraten auf. ({2}) Sie machen sich damit - ich sage es scharf und klar - einer Verketzerung und Verhetzung zwischen den demokratischen Parteien schuldig, mit Mitteln einer Demagogie, die zwischen Demokraten auch in närrischen Zeiten eines Wahlkampfes nicht erlaubt sind, ({3}) wie uns die erschreckenden Erfahrungen ein für allemal gelehrt haben sollten, die zum Untergang der ersten freiheitlichen Demokratie in unserem Lande geführt haben. ({4}) - Ich komme schon zu diesem Thema. ({5}) Statt dessen scheuen Sie noch nicht einmal davor zurück, die Volksfrontkampagne, mit der Sie die diese Regierung tragenden Parteien im Wahlkampf überziehen wollen, auch auf das Feld der inneren Sicherheit zu tragen, ({6}) wo doch die Bewahrung der Gemeinsamkeit, etwa bei der gemeinsamen Verteidigung der Demokratie gegen den Extremismus, eine besonders wichtige Sache ist oder jedenfalls wäre. ({7}) Ich kann es deshalb - nicht anders als gestern der Bundesaußenminister - nur als politische Brunnenvergiftung bezeichnen, ({8}) wenn der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Carstens, sich in seiner gestrigen Rede zu der Behauptung versteigt, daß SPD und auch FDP - ich zitiere wörtlich - „sich für die Übernahme von Kommunisten in den Staatsdienst einsetzen." ({9}) Das ist doch, wie Sie genau wissen, die schlichte Unwahrheit. ({10}) Das ist doch durch mich schon ein halbes dutzend Mal - auch in meiner Rede im Bundesrat - klar- und richtiggestellt worden. ({11}) - Aber reden Sie doch nicht! Das Ganze ist eine ungeheuerliche Verleumdung der sozialen und liberalen Demokraten in unserem Lande. ({12}) Alles werden Sie gebührend beantwortet bekommen. Wenn Sie nur einmal in Ruhe zuhören könnten! ({13}) Ich wiederhole: Es ist eine ungeheuerliche Verleumdung der sozialen und liberalen Demokraten in unserem Lande, ({14}) die ich nicht für eine zufällige Entgleisung von Herrn Carstens, sondern für eine zwischen CDU und CSU verabredete Hetzkampagne gegen die sozialliberale Koalition unter der Volksfrontmasche ansehen muß. ({15}) Daß es so ist, ({16}) bestätigt sich nicht nur in der unter gleichen Vorzeichen stehenden Rede des innenpolitischen Sprechers der CDU, Herrn Dregger, heute, sondern auch in den verleumderischen Angriffen, die auf dem letzten Wahlkongreß der CSU am 8. Mai 1976 unter dem Motto „1976 Deutschland vor der Entscheidung - Freiheit oder Sozialismus" von Herrn Stücklen vorgetragen worden sind. Da wird unter dem Thema „Sozialismus in Bonn - die Praxis seit 1969" genau so schlicht und einfach behauptet, daß - ich zitiere der oberste Hüter unserer Verfassung, Bundesinnenminister Maihofer, mit Einverständnis seines Kanzlers, seiner Regierung und der diese Regierung tragenden Parteien die von ihm selbst als verfassungsfeindlich eingestufte DKP in selbstmörderischer Weise begünstigt. Und er fährt fort: Maihofer und mit ihm die Bundesregierung wollen nach der verantwortungslosen Aufkündigung des sogenannten Radikalenerlasses den in den Staatsdienst drängenden DKP-Mitgliedern nicht etwa die Tür weisen, ({17}) wie es ihre verfassungsmäßige Pflicht wäre, sondern ihnen sage und schreibe einen „Vertrauensvorschuß" gewähren. ({18}) Das ist sage und schreibe eine einzige große Irreführung, die den wahren Sachstand geradezu auf den Kopf stellt. ({19}) Wie ist die wahre Lage? Der Grundsatz, daß Extremisten - gleich ob von rechts oder von links - im öffentlichen Dienst keinen Platz haben, ist unbezweifelbare, gemeinsame Grundüberzeugung aller Demokraten in unserem Lande. ({20}) Das können Sie in den Grundsatzerklärungen aller Parteien, nicht zuletzt auch in den Wiesbadener Beschlüssen der FDP von 1973, wortwörtlich nachzulesen. ({21}) - Das ist doch die reine Unwahrheit. ({22}) - Wenn Sie doch nur einmal zuhören könnten! Aber Sie können Ihre Vorurteile offenbar einer kritischen Diskussion nicht aussetzen. ({23}) - Ich komme gleich darauf, mein Gott. ({24}) Sie kommen auf Ihre Rechnung. Das werden Sie gleich sehen. „Der freiheitlich demokratische Rechtsstaat kann und darf sich nicht in die Hand seiner Zerstörer begeben", ({25}) hat dazu nun auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 22. Mai vergangenen Jahres mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit erklärt. In der Öffentlichkeit erstaunlich wenig bekannt ist indessen die Tatsache, daß dieser Grundsatz seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland geltendes Recht ist. Beamter, Richter und - seit Bestehen der Bundeswehr - Soldat darf nur werden, wer die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, ({26}) also erforderlichenfalls - denn darum handelt es sich -- den unabänderlichen und unverzichtbaren Kernbestand unserer freiheitlichen Verfassung, das, was wir freiheitlich demokratische Grundordnung nennen - in § 92 StGB in den einzelnen Prinzipien enumeriert -, kämperisch zu verteidigen. Keine der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien hat je auch nur im entferntesten daran gedacht, diesen Grundsatz des geltenden Rechts einzuschränken, auszuhöhlen oder gar umzustoßen. ({27}) Die Frage, um die es in den letzten Jahren sachlich allein ging und noch geht, lautet: Wie muß das Verfahren gestaltet sein, in dem darüber entschieden wird, ob jemand, der sich um Aufnahme in den öffentlichen Dienst bewirbt, diese Gewähr der Verfassungstreue bietet? Oder anders gewendet: Wie ist in rechtsstaatlich unangreifbarer Weise einerseits zu gewährleisten, daß keine Verfassungsfeinde in den öffentlichen Dienst eindringen, ohne daß andererseits von der Vielzahl der jährlichen Bewerber für den öffentlichen Dienst bei Gemeinden, Ländern und Bund jemand, der im übrigen alle Qualifikationen für den öffentlichen Dienst mitbringt, zu Unrecht aus politischen Motivationen von der erstrebten Berufswahl ausgeschlossen wird? Alle hierfür möglichen Lösungen lassen sich bei näherem Zusehen auf zwei Alternativen zurückführen: Zum einen auf die Möglichkeit, dabei auf pauschal feststellbare Merkmale abzuheben. Und hier bietet sich in der Tat die Mitgliedschaft eines Bewerbers in Parteien oder Organisationen, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, als das Nächstliegende an. ({28}) - Ich sage Ihnen gleich, warum: weil es im Widerspruch zum geltenden Recht steht, wie Sie gleich hören werden. ({29}) Die andere Alternative: Bei der Entscheidung über die Einstellung von Bewerbern wird jeweils, vom Einzelfall ausgehend, gefragt, ob der Betreffende nach allen bekanntgewordenen - wie es in unserem Gesetzentwurf heißt , „in der Person des Bewerbers liegenden Umständen" die Gewähr des Eintretens für die freiheitlich demokratische Grundordnung bietet oder ob begründete Zweifel an seiner Verfassungstreue bestehen. Nun, die erste Alternative vermag gerade den praktischen Politiker - das ist zuzugeben - auf den ersten Blick durchaus einzunehmen, wie etwa Herr Dregger jetzt wiederum sagt: Es spricht zunächst durchaus etwas dafür, sich zu überlegen, ob man nicht das objektive Merkmal der Parteimitgliedschaft zum Maßstab des Verfahrens macht. ({30}) So haben Sie sich eben gerade ausgedrückt. ({31}) Aber nein! ({32}) - Hören Sie doch zunächst einmal zu; ({33}) Sie kommen auf Ihre Kosten; ich sage es Ihnen nochmals. ({34}) Man hat hier also ein scheinbar objektives Kriterium, das vermeintlich saubere Entscheidungen gewährleistet und das Einstellungsverfahren insgesamt erleichtert und beschleunigt. Nun, selbst wenn nach einer derartigen Regelvermutung in vielleicht sogar 90% der zur Entscheidung stehenden Fälle auch das sachlich richtige Ergebnis getroffen würde, müssen jene übrigen 10% der Fälle ({35}) --- oder auch nur 5 °!o, wenn Sie wollen -, ({36}) in denen die Sicherheit des Rechtsstaates auf dem Rücken der Bewerber gewährleistet wird ({37}) dann schauen Sie sich die Gerichtsurteile der letzten Zeit an -, den rechtsstaatlich Denkenden jedenfalls beunruhigen. ({38}) Der Rechtsstaat gäbe sich selber preis, wenn er bereit wäre, solche auch nur gelegentlichen FehlentDeutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, cien 12. Mai 1976 16953 scheidungen bei einem solchen objektiven Automatismus einfach in Kauf zu nehmen, obwohl Verfahrensregelungen getroffen werden können, die größere Einzelfallgerechtigkeit verbürgen. ({39}) So hat sich denn auch das Bundesverfassungsgericht und nun würde ich Sie freundlichst bitten, wenigstens einen Augenblick nicht mir, sondern der Ausführung des Bundesverfassungsgerichts zuzuhören ({40}) in einem grundlegenden Beschluß zur Frage der Fernhaltung von Extremisten vom öffentlichen Dienst eindeutig und uneingeschränkt für die zweite Alternative ausgesprochen und ausgeführt, daß einem am Ende des Einstellungsverfahrens sich ergebenden Zweifel der Einstellungsbehörde, der Bewerber biete nicht die Gewähr der Verfassungstreue, ein - ich zitiere jetzt wörtlich - „prognostisches Urteil über die Persönlichkeit des Bewerbers" zugrunde liegen müsse, das nur den Einzelfall im Auge hat und sich jeweils - wiederum Zitat - auf „eine von Fall zu Fall wechselnde Vielzahl von Elementen und deren Bewertung" gründet. ({41}) Zu diesen Beurteilungselementen rechnet das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich - ich zitiere -,,Äußerungen, Teilnahme an Demonstrationen, politische Aktivitäten, Zugehörigkeit zu irgendwelchen Gruppen, Vereinigungen oder politischen Parteien", und zwar ohne jede Hervorhebung des Vorrangs oder gar Übergewichts eines dieser Elemente, auch nicht des Elements „Zugehörigkeit zu einer Partei". ({42}) Auch diese steht in einer Reihe und auf einer Ebene mit anderen - wie hier gesagt wird Tatsachen. Sie steht sogar am Ende der hierzu im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts enthaltenen Aufzählung. Darüber hinaus schränkt das Gericht den Entscheidungswert aller solcher Einzeltatsachen -darum handelt es sich - ausdrücklich ein, wenn es betont, daß es bei der Verfassungstreue um ein Gesamturteil über die Bewerberpersönlichkeit und - ich zitiere wiederum - „nicht lediglich um die Feststellung" solcher Einzelelemente gehe. Damit nicht genug: Das Bundesverfassungsgericht verdeutlicht dies in Hinsicht auf die Parteimitgliedschaften ausdrücklich nochmals in zwei weiteren Schritten. Es sagt - und auch diesen Schlüsselsatz will ich wörtlich zitieren -: Ein Stück des Verhaltens, das für die hier geforderte Beurteilung der Persönlichkeit des Bewerbers erheblich sein kann, kann auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, unabhängig davon, oh ihre Verfassungswidrigkeit durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt ist oder nicht. ({43}) Auch die Parteimitgliedschaft wird hier ausdrücklich als ein „Stück" des Verhaltens - aber nicht als das Ganze des Verhaltens - bezeichnet, das für die Persönlichkeitsbeurteilung erheblich sein kann, aber nicht sein muß. ({44}) - Sie sehen doch genau, wo ihre Argumentation hinzielt: Die Prozedur, ausschließlich jenes scheinbar objektive Kriterium der Parteimitgliedschaft und nichts sonst zu fixieren. ({45}) - Dann können Sie doch nicht so argumentieren, wie Sie es tun. Im Regelfall kommen zumindest der persönliche Eindruck hinzu, den die Einstellungsbehörde vom Bewerber im Einstellungsverfahren gewonnen hat, und vor allem --- hier liegt für das Bundesverfassungsgericht der Schwerpunkt des Prognoseurteils - das Bild, was sich die Verwaltung über den Anwärter während des Vorbereitungsdienstes bzw. in der Probezeit aus unmittelbarer Beobachtung gemacht hat. Auch das ist in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ja ausdrücklich ausgeführt. Nur auf die Gesamtbewertung dieser Gesamterkenntnis darf sich das prognostische Urteil gründen, ob der Bewerber die Gewähr der Verfassungstreue bieten wird oder nicht. Keinem einzelnen Beurteilungselement kann danach, auch nicht im Wege gesetzlicher Vermutungen, Beweislastregeln oder gar Beweislastvermutungen, wie gesagt wird, ein Vorrang oder Übergewicht. eingeräumt werden. Ich komme so zu folgendem Ergebnis. Die Rechtslage ist nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig. Sie geht bei jedem Bewerber, der ein Staatsbürger dieser unserer freiheitlichen Demokratie ist - damit komme ich auf Ihr Thema, Herr Stücklen, zu sprechen , von der Ausgangsvermutung seiner Verfassungstreue aus, ohne daß es dazu bestimmte Erklärungen oder Bekenntnisse bedürfte. Dies ist jener von Herrn Stücklen diffamierte, für jeden Liberalen allerdings selbstverständliche Vertrauensvorschuß, den jeder unbescholtene Bürger in unserem freiheitlichen Staat genießt. ({46}) - Lieber Herr Stücklen, diese vermutete Verfassungstreue eines Bürgers kann nun durch Zweifel erschüttert werden, die sich aus einer Gesamtwürdigung aller in der Person des Bewerbers liegenden Umstände ergeben,

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

- nein, ich möchte den Gedankengang zunächst zu Ende führen , darunter auch die Parteimitgliedschaft des Bewerbers als ein - so sagt das Verfassungsgericht Stück seines Verhaltens. Bleiben am Ende einer solchen Gesamtwürdigung begründete Zweifel daran bestehen, ob der Bewerber die Gewähr der Verfassungstreue bietet, so muß er nach geltendem Recht abgelehnt werden. Darüber sind sich alle hier im Hause doch völlig einig.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Bitte, Herr Stücklen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, würden Sie zur Kenntnis nehmen - nach Ihrer Zustimmung wage ich nicht zu fragen -, daß dann, wenn keine anderen erkennbaren Merkmale vorhanden sind, die Zugehörigkeit zur DKP einen ausreichenden Zweifel begründet erscheinen lassen müßte, um die Übernahme des Bewerbers in den öffentlichen Dienst abzulehnen, und glauben Sie nicht auch, Herr Bundesminister, daß allein eine Befragung des Bewerbers, ob er verfassungsfeindlich eingestellt sei - er wird eine solche Frage natürlich oder mit größter Wahrscheinlichkeit mit Nein beantworten-, zu dem gleichen Ergebnis führen würde wie die Frage des Herrn Ministers Ehmke an Guillaume, ob er ein Spion sei, worauf Guillaume geantwortet hat: nein? ({0})

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Herr Stücklen, dies sind doch überhaupt nicht die realen Probleme. ({0}) Das reale Problem ist zunächst einmal, festzustellen, ob jemand überhaupt Mitglied der Partei, etwa der DKP oder der KPD, ist oder nicht. Da gibt es ja gelegentlich völlig unterschiedliche und einander widersprechende Aussagen. ({1}) - Nehmen wir an, er ist es! Dann haben wir den Eindruck der persönlichen Anhörung, in dem sich auch diese Tatsache bestätigen wird, und dann haben wir die unmittelbaren Eindrücke des Vorbereitungsdienstes, in dem sich der Bewerber im Regelfall sogar über Jahre betätigt hat. ({2}) - Entschuldigen Sie, ich trage ja nur vor, was die Meinung des Bundesverfassungsgerichts ist. Nur aus der Gesamtwürdigung dieser verschiedenartigen Tatsachen können Sie zu einer Persönlichkeitsprognose kommen. Diese kann in ihrem Schwergewicht dann natürlich auf die Parteimitgliedschaft gegründet sein, aber unter einer Gesamtwürdigung auch aller anderen Tatsachen, ob der Bewerber die Gewähr bietet oder nicht. Allein darum geht es. Nun zur Parteimitgliedschaft. Wenn Sie sich ohne eine solche Gesamtwürdigung der Persönlichkeit bloß auf die Feststellung der Parteimitgliedschaft des Bewerbers stützen - ({3}) - Bitte, dann hören Sie, was Herr Dregger gesagt hat. Er hat gesagt, man möge die Parteimitgliedschaft zum objektiven Kriterium machen, das zum Maßstab des Verfahrens überhaupt gemacht werden soll. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Minister, erlauben Sie weitere Zwischenfragen? Jetzt sind noch zwei Kollegen am Mikrofon.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Nein, jetzt wirklich nicht mehr. Die Zwischenfrage des Herrn Stücklen betraf eine Auseinandersetzung zwischen uns. Aber jetzt möchte ich meinen Gedankengang zu Ende führen. ({0}) - Ich habe es gerade dargelegt: Das Gegenteil ist richtig. ({1}) Das alles heißt: die einfache Fortsetzung der Entscheidungspraxis ({2}) nach dem sogenannten Ministerpräsidentenbeschluß von 1972 und der darin enthaltenen Regelvermutung der Parteimitgliedschaft ist - ich sage das schlicht und einfach - mit der Verfassungsgerichtsentscheidung des vergangenen Jahres nicht mehr vereinbar. ({3}) - Nein, das ist die Wahrheit. Danach darf es keine Beweislastregeln geben, danach darf es keine Regelvermutung geben. Das ist dort doch im Beschluß ausdrücklich ausgeführt. ({4}) Nun komme ich auf Ihren Punkt. ({5}) - Das will ich gleich im Anschluß tun. ({6}) Ebenso führt dieses bisherige Vorgehen, wie gerade die leidigen Erfahrungen mit dem sogenannten Ministerpräsidentenbeschluß gezeigt haben - ({7}) - Lesen Sie dies einmal, wenn Sie es wissen wollen, gerichtsförmlich im letzten Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom vergangenen Monat betreffend das dortige Verfahren nach, dann wird Ihnen überdeutlich, was daran leidig ist. - Denn ein solches Vorgehen führt - das ist gerade unter Ihren Vorzeichen „Guillaume" und ähnlichem besonders bedenklich - statt zum geforderten prognostischen Gesamturteil über die Bewerberpersönlichkeit im Alltag leicht zur bloßen Formalentscheidung nach Karteilage. Dies wäre auch unter dem Gesichtspunkt ein verhängnisvolles Vorgehen, daß dabei nur allzu leicht vergessen würde, daß vielfach gerade die gefährlichsten Extremisten - da müßten Sie doch mit mir übereinstimmen - nicht über die Schiene der Parteimitgliedschaft in den öffentlichen Dienst drängen, sondern unter Verschweigung oder auch - und dies nicht zufällig - unter Vermeidung jeder Parteimitgliedschaft. Wenn Sie sich so auf dieses vermeintlich objektive Kriterium fixieren - ({8}) - Entschuldigen Sie, wenn Sie im Vordergrund fragen „Parteimitglied ja oder nein?", dann ist ja gerade die Gefahr, daß Sie die viel entscheidenderen Dinge übersehen. ({9}) - Das wird - ({10}) - Aber ja! ({11}) - Ich habe Ihnen ja klar gesagt: es geht hier nicht nur um gefährliche oder ungefährliche Kommunisten, sondern um gefährliche oder ungefährliche Extremisten handelt es sich. Das ist doch die Frage. ({12}) - Aber gerne. ({13})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Bitte, Herr Kollege.

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Maihofer, haben Sie schon mal was davon gehört, daß es der DKP gerade darauf ankommt, daß ihre Mitglieder offen, unter offenem Ausweis ihrer Mitgliedschaft, in den öffentlichen Dienst kommen, daß hier im Grunde genommen der Kern des Problemes liegt? ({0})

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Das ist nicht zu bestreiten. Nur gibt es nicht nur die DKP. Es gibt die KPD, es gibt eine Fülle von Hilfsund Tarnorganisationen. ({0}) Gerade die Fälle, die jetzt in den letzten Monaten streitig unsere höhere Gerichtsbarkeit beschäftigen, sind Fälle des SHB hier, sind Fälle der VDJ dort - ({1}) - Doch, lesen Sie einmal die Urteile nach! Das ist doch das eigentliche, das reale Problem. ({2}) Ich glaube, und ich kann es nicht anders verstehen, daß offensichtlich rein parteipolitische, wenn nicht gar wahltaktische Überlegungen bisher verhindert haben, daß eine gesetzgeberische Lösung auf der Grundlage unseres geltenden Rechts und der sie authentisch interpretierenden Verfassungsgerichtsentscheidung getroffen wird, ({3}) die diesen hier eben vorgetragenen Vorstellungen gerecht wird und eine wirklich bundeseinheitliche Regelung gewährleistet. ({4}) - Ach, das ist doch einfach Unsinn, was Sie hier sagen; ({5}) Sie wissen doch selber, daß Sie damit die Unwahrheit sagen. ({6}) Dadurch ist leider die bisherige Rechtsunsicherheit über das bundeseinheitlich zu beachtende rechtsstaatliche Verfahren, wie es im Gesetzentwurf der Bundesregierung in allen Einzelheiten vorgesehen ist, nicht beseitigt worden, und das bedauere ich. Denn über diese Grundsätze waren wir uns eigentlich einig - jedenfalls habe ich Sie immer so verstanden --: persönliche Anhörung, gerichtsverwertbare Tatsachen, Rechtsmittelbewehrung und einiges andere. ({7}) Die sozialliberale Koalition wird unbeirrt auch weiterhin für die hier erforderlichen rechtsstaatlichen Klarstellungen sorgen. ({8}) --- Sie werden sich wundern! ({9}) - Hochmut kommt vor dem Fall, lieber Herr Haase. ({10}) - Wissen Sie, die alten Griechen haben ein Wort in ihren Tragödien: „Hybris" heißt das, das sollten Sie sich merken! ({11}) Die Bundesregierung sieht sich in ihrer Haltung durch alle neuen höchstrichterlichen Urteile bestätigt - bis hin zum letzten Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom Ende letzten Monats, den ich eben schon erwähnt habe. ({12}) Für sie ist oberstes Gebot, daß auch und gerade bei der inneren Verteidigung unseres freiheitlichen Rechtsstaats gegen die Feinde der Freiheit mit einem Höchstmaß an Rechtsstaatlichkeit verfahren wird. Nur so verhindern wir, daß im Übereifer der Verteidigung der Freiheit diese Freiheit selbst in Frage gestellt wird ({13}) lesen Sie bitte dieses gerade erwähnte Urteil einmal nach, dann werden Sie sehen, wo es solchen Übereifer gibt ; anders ausgedrückt: daß auch hier die richtige Mitte zwischen der Freiheit des einzelnen und der Sicherheit für alle gewahrt wird, die der freiheitliche Rechtsstaat verbürgt. Und hier liegt nun in der Tat - um es abschließend noch einmal ins Grundsätzliche zu wenden und auch noch einmal auf Sie, Herr Dregger, in größerem Zusammenhang einzugehen ein möglicher Grundunterschied zwischen konservativen Demokraten christlicher oder christlich-sozialer Provenienz auf der einen Seite und liberalen und sozialen Demokraten auf der anderen Seite. ({14}) Wie halten es diese liberalen und sozialen Demokraten nach ihren Grundwertüberzeugungen mit dem Rechtsstaat? ({15}) Die Frage an den Rechtsstaat ist für sie nicht, ob er Freiheit oder Sicherheit zu gewährleisten hat, sondern wie er die größte mögliche Freiheit des einzelnen und zugleich die größte mögliche Sicherheit für alle zu gewährleisten vermag. ({16}) - Bis dahin müßten wir übereinstimmen. - Um den richtigen Austrag dieser im Menschen selbst angelegten Spannung zwischen Freiheit des einzelnen und Sicherheit für alle geht es in einem demokratische System, das sich inhaltlich als freiheitlicher Rechtsstaat begreift. Ist doch ein Mehr an Freiheit des einzelnen regelmäßig ein Weniger an Sicherheit aller und umgekehrt! ({17}) Denn wo mehr oder weniger große Freiheit ist - das können Sie schon täglich im Straßenverkehr beobachten -, besteht ebenso auch die mehr oder weniger große Möglichkeit des Mißbrauchs der Freiheit - auch die Möglichkeit des Mißbrauchs, die wir Verbrechen nennen. Ist Verbrechen doch nichts anderes als solcher Mißbrauch von Freiheit - auf Kosten und zu Lasten nicht einfach nur des Eingriffs in die Freiheit anderer, sondern der Verletzung auch sonstiger Güter: Leben und Gesundheit, Eigentum, Vermögen und vieles andere. Nun, so seltsam ist eben unsere Welt gebaut, daß absolute Freiheit nur um den Preis totaler Unsicherheit zu haben ist, so wie absolute Sicherheit nur um den Preis totaler Unfreiheit. Alle diese Extreme - Sicherheit hier, allein für sich; Freiheit dort, allein für sich --- sind ebenso irreal wie inhuman. Real und human ist darum nur ein auf das Recht gegründeter Staat, der sich die größte und gleiche Freiheit und Sicherheit aller zum Ziele setzt. Danach müssen in einem solchen freiheitlichen Rechtsstaat alle Entscheidungen und Maßnahmen in Legislative, Exekutive und Judikative darauf gerichtet sein, die jeweils richtige Mitte zwischen Freiheit des einzelnen und Sicherheit aller zu erkennen und einzuhalten. Die Gretchenfrage ist allerdings - nun bin ich nicht mehr sicher, ob wir auch hier noch gleicher Meinung sind, Herr Dregger -, welche Priorität wir in einem Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit dem einen oder anderen Grundwert zuerkennen. Die Antwort lautet -- da mögen sich die Geister zwischen konservativen Demokraten auf der einen und liberalen und sozialen Demokraten auf der anderen Seite scheiden -: Im Zweifel nicht für die Sicherheit, sondern im Zweifel für die Freiheit. ({18}) - Sie werden gleich sehen, daß die Sache so einfach nicht ist, wie Sie, Herr Dregger, sie sich machen. ({19}) -- Nein, ich möchte jetzt fortfahren. In dieser prinzipiellen Priorität der Freiheit liegt, worauf zu Recht immer wieder hingewiesen worden ist, der tiefere Grund dafür, daß sich unser Strafprozeßrecht im Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit hinsichtlich Schuld oder Unschuld des Angeklagten in dubio pro reo, für die Unschuld und damit für die Freiheit des Angeklagten, entscheidet. Die den rechtsstaatlichen Strafprozeß bestimmende Maxime in dubio pro reo wird darum in der Rechtswissenschaft als eine Emanation der grundsätzlichen Freiheitsvermutung und damit auch Ausgangsvermutung für den Menschen bezeichnet. Verallgemeinernd wird daraus gefolgert: Das Grundverhältnis zwischen Freiheit und freiheitsbeschränkendem Gesetz ist durch die Präponderanz, den Vorrang der Freiheit gekennzeichnet. Deshalb heißt im Konflikt zwischen Freiheitsverbürgung und Sicherheitsgewährung - da ist mir eben überhaupt nicht mehr klar, ob wir hier auch diesen Schritt noch einiggehen - die Antwort in einem freiheitlichen Rechtsstaat schlechthin und insgesamt: „In dubio pro libertate, im Zweifel für die Freiheit." ({20}) Ich sehe Sie den Kopf schütteln, und das erstaunt mich nicht, Herr Dregger. ({21}) - Doch, so schwierig ist sie. ({22}) Daraus aber folgt, daß sich auch die gesamte innere Verteidigung unseres freiheitlichen Rechtsstaats an dem doppelten Grundsatz orientieren muß: „So viel Freiheit, wie möglich", zugleich aber auch: „So viel Sicherheit, wie nötig." ({23}) - Natürlich ist das ein Gegensatz. ({24}) - Es ist ein Spannungsverhältnis, bei dem Sie sich im extremen Konflikt klar für die Priorität der einen oder anderen Seite entscheiden müssen. ({25}) - Aber nein! Das ist ein völliger Irrtum, Herr Gerster. Denn das heißt, daß die Freiheitsverbürgungen unserer Verfassung nur insoweit eingeschränkt werden dürfen, als die zwingende Notwendigkeit solcher gesetzlicher Einschränkungen zur Sicherheitsgewährung für alle anderen dargetan wird. ({26}) Anders ausgedrückt: Wer um der zwingenden Notwendigkeit der Sicherheit willen die Freiheit einschränken will, hat in einem freiheitlichen Rechtsstaat die klare Beweislast sowohl zweck- wie wertrationaler Argumentation. Das ist doch die wahre Lage. ({27}) Freiheitseinschränkungen um einer vermuteten Sicherheit auf Verdacht und Vorrat willen sind mit rechtsstaatlichen Grundsätzen völlig unvereinbar. ({28}) In eben in dieser Grundwertentscheidung „Im Zweifel für die Freiheit" liegt der tiefere Grund um Ihnen das ganz klar aus meiner Sicht zu sagen für viele der Kontroversen zwischen Regierung und Opposition, etwa für den Streit um Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit zugunsten eines erweiterten Demonstrationsstrafrechts; etwa für den Streit um Fremdbestimmung durch eine Gutachterstelle oder Selbstbestimmung durch die Mutter bei der Abtreibung; oder auch für den Streit um eine weitere oder engere Fassung des Zerrüttungsprinzips im Ehescheidungsrecht. Es ist überall derselbe Grundkonflikt, wo einige von Ihnen, die für mich eben konservative Demokraten sind, wirklich auf der anderen Seite der politischen Barrikade stehen, auch heute noch. ({29}) Herr Wörner, bitte.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Minister, Sie müssen sich entscheiden, ob Sie weitere Zusatzfragen zulassen oder nicht.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Diese ja, und dann ist Schluß. ({0})

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, fernab all dieser Schablonen - konservativ oder liberal - würde mich doch interessieren, welchen Stellenwert in Ihrer Güterabwägung zwischen Freiheit und Sicherheit die ganz konkrete historische Erfahrung deutscher Politik bei Ihnen einnimmt, die sich in der Weimarer Republik verdeutlicht hat, die nicht zuletzt daran zugrunde gegangen ist, daß es an der Entschlossenheit der Demokraten in der Bekämpfung jener Feinde der Freiheit fehlte, die die Freiheit nur deswegen beansprucht haben, um sie anschließend zu beseitigen. ({0})

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

So einfach war es schon deshalb nicht, ({0}) weil es nicht nur das Fehlen der Entschlossenheit, sondern vor allem das Fehlen der Einigkeit der liberalen, der sozialen und der christlichen Demokraten war, ({1}) die sich gerade im Kampf gegen die Extremisten in der Weimarer Zeit auseinandergestritten haben. Das ist doch die wahre Lage gewesen. ({2}) Daß Sie heute mit Ihrer demagogischen Polemik „Freiheit oder Sozialismus" genau auf diesem Wege landen, darum geht es mir in meinem gesamten Gesprächsbeitrag. ({3}) - Aber ja! Das ist meine Meinung, so klar und hart, wie ich das gesagt habe. Sie werden sich daran zurückerinnern. ({4}) Was Sie hier anrichten, können Sie überhaupt nicht verantworten. ({5}) Überall geht es hier darum - ich komme zum Ende - ({6}) - Ja, dazu komme ich. Überall geht es hier darum, ob man im Konflikt der Freiheit des einzelnen und der Sicherheit der anderen Prioritäten zuerkennt. Überall geht es zugleich darum, ob man sich im Konflikt zum Vorrang der Institution - etwa bei der Ehescheidung - vor der Person bekennt oder zum Vorrang der Person vor der Institution, ({7}) wozu wir liberale Demokraten uns schon in unserem Freiburger Programm ausdrücklich bekannt haben. ({8}) Wenn sich hier jemand in allen diesen Auseinandersetzungen zum Anwalt der Freiheit der Person gemacht hat, dann die Mitglieder dieser sozialliberalen Koalition in Regierung und Parlament. Das könnte ich Ihnen in vielen Einzelfällen solcher Streitfragen aus der Rechts- oder Innenpolitik der vergangenen Jahre seit 1969 vorführen. Eine Stunde lang könnte ich Ihnen das hier auseinanderblättern. ({9}) Von daher ist die angebliche Alternative „Freiheit oder Sozialismus" schlichte Volksverdummung. ({10}) Wenn hier schon Gefahren für die Freiheit beschworen werden sollen, dann sollte man einmal den sonntäglichen Bekenntnissen für die Freiheit von seiten der Konservativen die alltägliche Arbeit derselben Konservativen auf dem Felde der Innenpolitik und der Rechtspolitik - wir haben sie erlebt - im Parlament und seinen Ausschüssen gegenüberstellen. ({11}) - Sehr häufig, jedenfalls häufiger als Herr Dregger, wie ich meine. - Dann zeigt sich sehr schnell, wer hier für die Freiheit eintritt und wer nicht. ({12}) Die gesamte Rede von Herrn Dregger ({13}) war ein anschauliches Beispiel - für mich jedenfalls - für eine von einseitigem Sicherheitsdenken bestimmte Geisteshaltung. ({14}) Wenn es so eine wirkliche Gefahr für die Freiheit in unserem Staate gibt dann die, daß sich diese konservative Tendenz von Sicherheit und Ordnung, ({15}) diese konservative Gegenreformation, ({16}) für die nicht der Grundsatz gilt „Ordnung durch Reform", sondern „Ordnung statt Reform", in unserem Lande durchsetzt. ({17}) - Lesen sie die Reden von Herrn Dregger selber. ({18}) Und nun zu Ihrer Sache, Herr Marx. Sie werden dazu eine klare Antwort von mir hören. ({19}) Ein solcher Konservativismus ist zwar nicht, wie manche gesagt haben, ein Sicherheitsrisiko für unser Land, wohl aber ein Freiheitsrisiko. ({20}) Dies gilt jedenfalls bei Repräsentanten der Illiberalität innerhalb der CDU/CSU, deren geistige Haltung uns Herr Dregger so eindrucksvoll vorgeführt hat. ({21}) Unser Staat mit all der Aufgabenfülle und den Machtmitteln, die er heute hat und die diese sozialliberale Koalition tatkräftig ausgebaut hat, ist ein starker Staat mit der stärksten und besten um nur zwei Dinge herauszugreifen - Bundeskriminalpolizei im Bundeskriminalamt und der stärksten und besten Bundesvollzugspolizei im Bundesgrenzschutz, die wir jemals in unserem Land hatten. Um auf Herrn Dreggers polemische Attacke auf die Erfolge solchen Ausbaus mit einigen wenigen Zahlenbeispielen zu antworten: Die im ersten Quartal 1976 erfaßte Kriminalität nahm im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum, und zwar gerade entgegen Ihrer Behauptung, Herr Dregger, um 0,3% ab. ({22}) Die Tendenzänderung gegenüber den beiden Vorjahren, nämlich den Steigerungsraten 1973/74 - bei den Ländern liegt es noch unterschiedlicher, und zwar gerade auch in CDU/CSU-regierten Ländern ({23}) mit 7,1 % im Bundesdurchschnitt und 1974/75 mit 6,5 % im Bundesdurchschnitt, ist deutlich. Diese sich hier schon zeigende Abschwächung des Kriminalitätsanstiegs setzt sich vom zweiten Halbjahr 1974 mit 8,7 %, im ersten Halbjahr 1975 mit 7,7%, im zweiten Halbjahr 1975 mit 5,4 % und im ersten Quartal 1976 mit zuletzt minus 0,3 % fort. ({24}) Das ist die wahre, mir vom Bundeskriminalamt übermittelte Zusammenstellung der Quartalvergleiche der Vorjahre und dieses Jahres. ({25}) - Gleich komme ich darauf, Herr Haase! Bemerkenswert ist der Rückgang beim Diebstahl selbst unter erschwerenden Umständen um 4,9 v. H. für das erste Quartal 1976. Selbst beim Raub ist ein Rückgang um 5,2 °/o zu verzeichnen. Wenn Sie das noch mit anderen Zahlen fortgesetzt haben wollen: Zwar haben die Gewaltakte - Körperverletzung, Sachbeschädigung, Nötigung, Hausfriedensbruch - von 494 im Jahre 1973 eine Zunahme auf 752 im Jahre 1974 erfahren; ({26}) sie sind aber im Jahre 1975 auf 427 abgesunken, also noch unter den Stand von 1973. Wenn Sie ein letztes Zahlenbeispiel wollen, das ebenso mit allem, was Sie gesagt haben, Herr Dregger, in Widerspruch steht: Auch die Zahl der unfriedlichen gewalttätigen Demonstrationen, die im Jahre 1968 unter einem CDU-Innenminister bei 533 lag, hat 1975 - das ist unsere letzte Statistik - eine Absenkung auf 210, also auf weniger als die Hälfte, erfahren. ({27}) - Es gibt offenbar Leute wie Sie, Herr Gerster, die durch nichts, noch nicht einmal durch Fakten und Daten, in ihren vorgefaßten Urteilen beeindruckt werden können. Bei denen habe ich die Hoffnung aufgegeben, sie durch irgendeine argumentative Diskussion erreichen zu können. ({28}) Dieser starke Staat - damit will ich schließen - bleibt ein freiheitlicher Staat, bleibt der freiheitliche Staat, den unser Grundgesetz meint, nur, wenn er von rechtsstaatlichen Grundsätzen beherrscht, wenn er nach liberalen Prinzipien regiert wird. Dafür stehen und bürgen nicht Männer wie Sie, Herr Dregger, und Ihresgleichen; ({29}) mit Ihnen ist ein solcher Staat - ich sage es nochmals -- nicht zu machen, auch nicht in Zukunft. ({30}) Dafür stehen und bürgen die Liberalen und sozialen Demokraten dieser sozialliberalen Koalition auch in der Zukunft. ({31})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, wie fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete von Weizsäcker.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß wir über die Freiheit als das Leitthema dieser ganzen Debatte diskutieren, ist gut. Daß wir im Zusammenhang mit der Beurteilung des Ressorts des Verfassungsministers noch einmal ausführlicher auf die Grundwerte im allgemeinen und die Freiheit im besonderen gekommen sind, begrüße ich ebenfalls ganz ausdrücklich im Interesse der Klarstellung der Positionen vor allen unseren Wählern. Herr Maihofer, die Liberalen haben herkömmlicherweise, insbesondere im 19. Jahrhundert, ja eine ganz gute Tradition darin, sich gegen falsche Alternativen zur Wehr zu setzen. Die Liberalen haben Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen zum Beispiel einen ganz guten Beitrag dazu geleistet, daß man nicht in einer absoluten Weise Freiheit und Gleichheit gegeneinander ausspielen kann. Es ist schade, daß Sie nicht nur an diese Tradition nicht angeknüpft, sondern ihr geradezu ins Gesicht geschlagen haben, ({0}) indem Sie jetzt plötzlich hier so tun, als sei die Wahl für uns eine Alternativentscheidung zwischen Freiheit und Sicherheit. ({1}) Sie wissen doch ganz genau, daß die Vorbedingung der Freiheit die Bereitschaft ist, die Freiheit zu sichern. ({2}) Und Sie wissen doch ganz genau, daß das eigentliche Problem nicht darin besteht, hier nun verbaliter die Worte Freiheit und Sicherheit in die Luft zu schießen, sondern darin, sie konkret zu verwirklichen. ({3}) Statt auf die konkreten Sachverhalte einzugehen und sich der Analyse der Freiheitsgefährdungen zu stellen, haben Sie sich im wesentlichen mit etwas begnügt, was mein Kollege Dregger mit keinem Wort getan hat, nämlich moralischer Verurteilung und persönlicher Disqualifizierung. ({4}) Das Thema ist ernst und schwierig; wer wollte das leugnen. Die Freiheit erfordert von uns allen immer wieder von neuem eine ganz außerordentliche Anstrengung. Aber das schaffen wir doch nicht durch persönliche Diskriminierungen, wie sie gestern hier gelegentlich vorgekommen sind und wie Sie sie nun leider wiederholt haben. Ich möchte mit der ersten Frage fortfahren, wie es mit der Freiheit steht. Zunächst geht es darum: Wie ist es mit der Freiheit des demokratischen Wettbewerbs zwischen uns? Sie, meine Damen und Herren, insbesondere Sie, Herr Bundeskanzler, können ganz unbesorgt sein: Wir nehmen für uns keinerlei Monopol in Anspruch - weder für die Freiheit noch für einen anderen Grundwert. Ganz im Gegenteil! ({5}) Wir haben früher und klarer als irgendeine andere Partei erklärt, daß unser eigenes Menschenbild uns diese Art von Monopolanspruch ausdrücklich versagt. ({6}) Uns leitet die Erkenntnis, daß das, was wir denken und sagen können, begrenzt und dem Irrtum ausgesetzt ist, daß sich im Streit um die eigene Meinung niemand auf eine höhere Macht berufen kann, daß keiner über die absolute Wahrheit verfügt und daß es deswegen falsch und gefährlich und unfreiheitlich ist, die Standpunkte zu ideologisieren oder, anders gesagt, vom eigenen Programm das Heil der Welt zu erwarten. ({7}) Das, Herr Bundeskanzler, steht zum Beispiel auch in dem von Ihnen gestern mehrmals erwähnten Entwurf unseres Grundsatzprogramms gerade unter dem Rubrum „Christliches Verständnis vom Menschen". Nun bin ich Ihnen natürlich auch dankbar (

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Erlauben Sie einen Zwischenruf?) - Ja, gern! ({0}) - ich habe schon verstanden, Herr Bundeskanzler. Die demokratische Auseinandersetzung ist immer eine Auseinandersetzung unter allen Demokraten. ({1}) - Lieber Herr Bundeskanzler, Sie werden noch hören, daß ich mit dem, was ich hier sage, Sie und vielleicht auch ein bißchen den meine, der links von Ihnen sitzt. ({2}) Zunächst bin ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihrer Partei ganz dankbar dafür gewesen, daß Sie in den Orientierungsrahmen den schönen Satz über Irrtum, Schuld und Verzweiflung hineingeschrieben haben. Das ist ein deutlicher programmatischer Fortschritt bei Ihnen. Allerdings hatten Ihre Redner und Sie das gestern wohl ein bißchen vergessen. Jedenfalls kam da ein strahlendes Firmament Ihrer eigenen Freiheitstaten, ein wahrer Platzhagel von Vorwürfen in bezug auf unsere Schuld. Ich selber hatte am Ende das Gefühl, ich sollte mich davonschleichen, von Herrn Wehner als Pharisäer und von Ihnen als Schriftgelehrter entlarvt. ({3}) Herr Wehner hat hier gestern mit großer Pose erklärt: Wir, die Sozialdemokraten, beanspruchen nie ein Alleinvertretungsrecht. Was heißt es denn dann, wenn Ihr Parteivorsitzender in Tutzing im März dieses Jahres noch einmal gesagt hat: Sozialismus und Demokratie bedingen einander. Das heißt doch auf deutsch: das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Oder weiter klargemacht: wer nicht Sozialist ist, kann nicht Demokrat sein. ({4}) Oder was sagen Sie zu der Außerung Ihres „Programmvorsitzenden", ({5}) sozusagen meines Kollegen im engeren Sinne, des Herrn von Oertzen, daß Demokratie und Sozialismus gleichbedeutend sind. ({6}) Also sind alle zu einem unvollendeten Dasein verurteilt, die nicht Sozialisten sind. ({7}) Oder wie interpretieren Sie Ihr eigenes Grundsatzprogramm, das Godesberger Programm, in dem der schöne Satz steht: Darum ist die Hoffnung der Welt eine Ordnung, die auf den Grundwerten des demokratischen Sozialismus aufbaut? Es heißt: „ d i e Hoffnung der Welt", und wir Nicht-Sozialisten sind zur Hoffnungslosigkeit verdammt. ({8}) Das sind geistig-politische Absolutheitsansprüche, Herr Wehner, und diese stehen im Gegensatz zu dem, was Sie hier gestern angekündigt haben, ({9}) und davon müssen und werden Sie alle sich noch lossagen müssen. Der nächste Punkt ist damit angesprochen: die Grundwerte selbst. Ich freue mich natürlich, Herr Bundeskanzler, daß Sie gestern mit Ihren Äußerungen über die Grundwerte gewisse Korrekturen an der amtlichen Pressemitteilung Ihrer Partei vorgenommen haben, in der zu der Veröffentlichung unseres Entwurfes zunächst nur gesagt wurde, das sei eine absurde Abschrift von dem Alleineigentum der Arbeiterbewegung. Das stand darin, lesen Sie es bitte nach! Sie haben ausdrücklich begrüßt, daß hier eine breite Grundwertedebatte über Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit zustande gekommen sei. Das begrüße ich natürlich auch. Herr Bundeskanzler, Sie irren sich freilich ebenso wie Ihr Pressesprecher, wenn Sie meinen, wir hätten das von Ihnen abgeschrieben. Wir haben abgeschrieben aus unseren eigenen Programmen der Jahre 1945 bis 1949. ({10}) und aus den Texten der christlichen Soziallehre und Sozialethik. Das haben wir zusammengefaßt, das sind unsere Quellen. Ob Sie für Ihr um zehn Jahre jüngeres Godesberger Programm ähnliche Quellen benutzt haben oder nicht, möchte ich vollkommen offenlassen. Es wäre überhaupt keine Schande, wenn Sie dort abgeschrieben hätten. Was heißt überhaupt der Vorwurf des Abschreibens in bezug auf fundamentale Gedanken und Grundwerte? ({11}) - Na ja, das ist sehr gut, das höre ich gern. Grundwerte - so meinen wir - sind nur dann von Wert, wenn sie für alle Bürger gelten. Grundwerte dienen nicht der Politik einer Partei, sondern dem Gemeinwesen im Ganzen. Die Bindung an Grundwerte soll doch gerade parteipolitisches Handeln für gemeinsame Aufgaben und Überzeugungen der demokratischen Parteien im Staat öffnen. Aber da stehen wir schon wieder vor einer Barriere der sozialdemokratischen Partei; denn sie will nicht, daß wir über Grundwerte der Demokraten, sondern sie will, daß wir über Grundwerte des demokratischen Sozialismus diskutieren. Das müssen Sie klarstellen. Auch hier werden wir nicht eher ruhen, bis es gelungen ist, Ihnen klarzumachen, daß die breite Grundwertedebatte, die Sie so gelobt haben, nur dann einen Sinn hat, wenn sie dazu führt, daß wir uns über Grundwerte der Demokraten und nicht über Grundwerte des demokratischen Sozialismus unterhalten. ({12}) Nun haben natürlich diejenigen ganz recht, welche sagen: Worte genügen nicht, Konkretisierung der Bekenntnisse ist notwendig. Genau daraum geht es. Genau dies ist übrigens auch der Hauptinhalt des Programmentwurfs, den wir vorgelegt haben, und wir würden uns natürlich freuen, wenn das eine befruchtende Wirkung hätte. Das Godesberger Programm der SPD bekennt sich zwar nach einer sehr intensiven und schwierigen parteiinternen Debatte zu diesen drei Grundwerten, nur blieb es bei dem feierlichen Bekenntnis ohne irgendeine konkrete Inhaltsangabe. Ich will auf die lange Vorgeschichte nicht näher eingehen. Es ist ja auf Ihren eigenen Parteitagen oft genug gesagt worden, daß die Hineinnahme dieser drei Grundwerte einen theoretischen Programmkompromiß darstelle. Aber dann ist mit Recht in Ihren eigenen Reihen ein Versäumnis gerügt worden. Ich erinnere z. B. an den Hamburger Herrn Klose, der auf Ihrem vorletzten Parteitag, glaube ich, gesagt hat - ich zitiere ihn mit Erlaubnis des Präsidenten wörtlich -: Wir haben es versäumt, die Grundwerte des demokratischen Sozialismus und den darauf aufbauenden normativen Sozialismus-Begriff auszuformen und zu konkretisieren. Dann haben Sie sich Ihrem Orientierungsrahmen gewidmet. Sie, Herr Bundeskanzler, selber waren ja einmal Vorsitzender der Kommission. In der Vorbemerkung zu der endgültigen Fassung des Orientierungsrahmens steht nun, man habe im Jahre 1973 den Auftrag erteilt, den ersten Entwurf - Ihren Entwurf, Herr Bundeskanzler - zu überarbeiten. Und ich zitiere jetzt wörtlich: Im Mittelpunkt des Auftrages von Hannover steht die Aufgabe, auf der Grundlage des Godesberger Programms die Grundwerte des demokratischen Sozialismus zu präzisieren und zu konkretisieren. Das Ergebnis dieses Auftrages ist eine beinahe hundert Druckseiten lange Schrift mit einem Grundwertetext von genau einem Satz über die Gerechtig16962 keit, zwei Sätzen über die Freiheit und einer längeren Inanspruchnahme der Solidarität als eines der Arbeiterbewegung vorbehaltenen Begriffs. ({13}) Meine Damen und Herren, wenn Sie darüber hinaus zur Solidarität sagen, es gebe keine Solidarität zwischen reich und arm, zwischen mächtig und machtlos, zwischen wissend und unmündig, so zeigt das die Schwierigkeit, sich über diesen Begriff unter uns heute zu einigen. Natürlich spielt die Solidarität eine prägende Rolle in der Geschichte der Sozialdemokraten, für ihren eigenen Parteizusammenhalt und ihre Parteidisziplin. Das wissen wir alle sehr wohl. Ferner wissen wir auch sehr gut, daß der einzelne allein in der großen Gesellschaft oft außerstande ist, schutzwürdige Belange durchzusetzen. Bedeutsame Vereinigungen verdanken deshalb ihre Existenz dem solidarischen Zusammenschluß ihrer Mitglieder mit dem Ziel, die eigenen Interessen besser durchzusetzen. Aber da fängt der Unterschied an. Solidarität verlangt eben mehr als nur den Kampfruf der Gleichen gegen die anderen. Unsere Gesellschaft heute ist nicht zu kennzeichnen durch den Klassenkampf, sondern durch die Forderung und die Ermöglichung sozialer Partnerschaft. Die Wurzel der Solidarität weist auf die größte, auf die schwierigste Forderung im Zusammenleben der Menschen überhaupt hin, nämlich solidarisch zu sein mit dem Nächsten - gerade nicht, weil er gleich, sondern weil er ganz anders ist als ich selber. ({14}) Das ist schwer zu erfüllen. Niemand rühme sich, daß er das jeden Tag leisten könne. Aber es muß doch wenigstens als Forderung anerkannt werden. Die Solidarität als Brüderlichkeit, Herr Maihofer, die liberalen Grundsätze, auf die Sie sich berufen haben: natürlich! Aber Sie werden ja mit mir darin übereinstimmen, daß diese Grundsätze ihren Ursprung auch nicht in der Französischen Revolution, sondern davor in einer christlichen Tradition haben, die bei uns allen wirksam ist und um deren Verwirklichung wir auch alle miteinander ringen sollten. Anders gesagt: Gerade die Andersartigkeit des Nachbarn in seinem Interesse, in seinem Wissen, in seiner Machtsituation, gerade dieses alles gehört zum Solidaritätsbegriff. Wie wollen Sie denn mit Ihrem Solidaritäts-/Kampfbegriff, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, im Verhältnis zur dritten Welt bestehen, wo die Macht, das Wissen und all die Dinge so unterschiedlich sind und gerade deshalb die Forderung der Solidarität an uns alle mit Recht gestellt ist? ({15}) Ich möchte zum Grundwert der Gerechtigkeit nicht viel sagen. Wie gesagt, Sie haben in Ihrem Orientierungsrahmen so gut wie nichts darüber gesagt. Immerhin hat ein führender Mitarbeiter am Orientierungsrahmen - Herr Heidermann, Sie kennen ihn ja sicher - in einer veröffentlichten Publikation dankenswerterweise gesagt - ich zitiere ihn wörtlich -: De facto wurde der Gerechtigkeitsbegriff weitgehend im Sinne einer Forderung nach Gleichheit uminterpretiert. Nun möchte ich aber zum zentralen Begriff, nämlich zur Freiheit, kommen und hier noch einmal betonen: Wir wollen und werden niemandes Bekenntnis in Zweifel ziehen. Aber wir müssen uns um Konkretisierung bemühen, und wir müssen - genau, wie wir das selber müssen - auch eine amtierende Regierung vor die Frage stellen, welche Folgen ihre Politik - gewollt oder ungewollt - für die Freiheit des Bürgers denn hat. Zunächst noch einmal zum Monopol. Herr Dregger hat ja schon auf den Ausspruch von Herrn Schäfer gestern hingewiesen: Wer für Freiheit ist, muß für Sozialismus sein. Ich hätte das jetzt nicht noch einmal erwähnt, wenn Herr Schäfer, als Herr Dregger ihm Gelegenheit gegeben hat, das richtigzustellen, nicht so nachdrücklich und ständig mit dem Kopf genickt und gesagt hätte: In der Tat, wer für Freiheit ist, muß für Sozialismus sein. ({16}) Nein, meine Damen und Herren, Ihr Anspruch wird auch nicht dadurch erträglicher, daß es mit einem etwas jugendbewegten Herzen von Herrn Schäfer hier so vorgetragen wird. ({17}) Natürlich haben sich bedeutende Persönlichkeiten aller Parteien - selbstverständlich auch der sozialdemokratischen Partei - selber mit ihren Kräften für die Freiheit in die Schanze geschlagen. Das ist hier oft genug gesagt worden, und ich wiederhole es hier und anderwärts bei jeder Gelegenheit. Es gab Momente, in denen die Einigkeit darüber unter uns in diesem Hause größer war, als sie heute ist. Und das waren nicht die schlechtesten Momente in der Geschichte der deutschen Demokratie. Nur, das, was wir wollen, ist: Wir sollten weder vergessen, wie sich die demokratischen Kräfte gemeinsam gerade auf der Basis der Erfahrung der Unfreiheit zueinander gefunden haben, ({18}) noch sollten wir verkennen, daß wir in einer 30jährigen Politik, die wir hier miteinander erlebt und gestaltet haben, natürlich auch vor immer neuen Herausforderungen gerade dieser Freiheit stehen. So exklusiv und rein ist im übrigen die Geschichte keiner Partei im Verhältnis zur freiheitlichen Demokratie, auch nicht die der sozialdemokratischen Partei, wie Herr Wehner das gestern darstellte. Da sollte man sich lieber nicht so erregen, sondern erst einmal selber sozialdemokratische Texte nachlesen. ({19}) Ich darf Ihnen hier einige in Erinnerung bringen. Ein hochangesehener Sozialdemokrat, Paul Löbe, hat auf Ihrem Parteitag im Jahre 1927 gesagt, die SPD habe auf dem Marsch aus der kapitalistischen Demokratie zum sozialistischen Volksstaat in der demokratischen Republik einen Stützpunkt gewonnen, der verteidigt werden muß, weil der weitere Vormarsch sonst nicht möglich ist. Nur, wir wollen eben weder eine kapitalistische Demokratie noch einen sozialistischen Volksstaat, sondern die demokratische Republik. Und ein von mir hochgeachteter Sozialdemokrat aus der Weimarer Zeit - ich habe ihn selber nach dem Krieg noch etwas kennengelernt -, nämlich Gustav Radbruch, hat im Jahre 1930 gesagt, die Demokratie stelle die große, bereits verwirklichte, in jedem Augenblick neu zu verwirklichende Hälfte Ihres Programmes dar. Aber - und jetzt kommt es - Radbruch klagt, daß die SPD „die Demokratie nur als Leiter zum Sozialismus empfindet, die dann beiseite geschoben wird, sobald man den Sozialismus erstiegen hat". So äußert sich ein Sozialdemokrat über das Verhältnis von Sozialismus und Demokratie. ({20}) Die Freiheit ist in unserer modernen Massengesellschaft immer wieder in Gefahr. Sie ist in der Defensive gegen den technischen Zwang, in der Defensive gegen bürokratische Anonymität. Da muß sich jede Politik fragen lassen: Was trägt sie tatsächlich aus für die Freiheit? Nicht: Welche Absichten verkündigt sie? Sondern: Welche Taten vollbringt sie? Meine Damen und Herren, Freiheit als oberstes politisches Ziel vor immer neuen Herausforderungen, mit immer neuen Schwerpunkten, das ist es, was wir uns immer von neuem klarmachen müssen. Zunächst ging es - Herr Maihofer, da stimmen wir ja sicher völlig überein - um die Freiheit vor absoluter Herrschaft, um Freiheit also im Sinne der Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz, im Sinne der Grundlage der demokratischen Rechte. Aber dann genügte formale Rechtsgleichheit nicht; dann ging es um die Freiheit von Not, um die Freiheit von Abhängigkeit. Es war der Kampf um die Arbeitsbedingungen, um einen menschenwürdigen Lohn, um menschenwürdige Arbeitszeiten und um die humane Arbeitswelt, um eine menschenwürdige Wohnung und all dies. Und dann kam der Kampf um die Absicherung - Herr Maihofer, wieder ein Thema des Zusammenhangs von Freiheit und Sicherheit ({21}) der Lebensrisiken. Die soziale Sicherung schafft selbstverständlich, gerade weil sie ein Rechtsanspruch und nicht ein Almosen des Staates ist, Freiheit. Das ist die Grundlage dessen, wozu wir uns bekannt haben. ({22}) Deshalb sagen wir, daß der Rechtsstaat die Freiheit ermöglicht und der Sozialstaat die Freiheit verwirklicht. Und dann geht es weiter: Freiheit im Sinne von mehr können, mehr wissen, d. h. also Freiheit als die Forderung nach Chancengleichheit. Und dann schließlich die Freiheit von einem Rollenzwang. Ich will jetzt nicht auf die Ausuferungen der Emanzipationsdebatte eingehen, will aber natürlich einräumen, daß die Freiheit vom Rollenzwang unter den Menschen und unter den Gruppen ein wesentliches Kapitel in der Entfaltung der Freiheit darstellt. Aber das alles sind ja Fragen nach einer Befreiung v o n etwas. Nun kommt die Frage: Wie ist es mit der Freiheit z u etwas? Ist denn die Freiheit nur eine Gabe, eine Sammlung von Rechtsansprüchen, oder ist die Freiheit auch eine A u f gabe? Natürlich haben wir in der Bundesrepublik Deutschland in dem gemeinsamen Aufbau die Freiheit sehr wohl nicht nur als Gabe, sondern auch als Aufgabe begriffen, als eine Chance, die es zu nutzen gilt, wenn man sie nicht wieder verlieren soll, als die Aufgabe der Selbstverantwortung, als die Aufgabe der Aktivität des Menschen, die Mitverantwortung, das solidarische Zusammenwirken im Auf-b au. Deshalb gab es doch den Zulauf, das Verständnis bei der Bevölkerung zu den Zielen, die politisch gesetzt wurden, zu den Zielen der sozialen Partnerschaft, zu den Zielen der sozialen Marktwirtschaft. Der Wert der eigenen Arbeit wurde gesehen, die Leistung wurde respektiert. Es wurde erkannt, daß es sich lohnt, sich anzustrengen, und es wurde auch ein Aufstieg als gerecht empfunden, wenn er ehrlich erarbeitet wurde. Dieses sind die Elemente einer - wie ich meine - sehr gesunden Freiheit, die als Aufgabe verstanden wird. Aber nun fragen Sie einmal, Herr Maihofer, die empirischen Sozialforscher, wie es denn mit der Entwicklung der Haltung der Bevölkerung unter dem Einfluß einer sich allmählich verändernden Politik steht! Und da werden Sie - wenn diese Forscher die Fragen stellen: Wird denn die Freiheit immer noch als eine Aufgabe empfunden, oder wird die Freiheit nicht mehr und mehr eben nur noch als Forderung und Genuß verstanden? - feststellen: Hier ist ein Trend zu einer gefährlichen Entwicklung. ({23}) Wir wollen darüber nicht jammern, sondern wollen dieser Entwicklung abhelfen. Wir wollen auch die Schuld nicht einseitig zumessen. Da ist zunächst die Natur des Menschen selber mitbeteiligt. Wenn er gut versorgt ist, will er sich vielleicht nicht mehr so anstrengen, und einem höheren Grad von Information durch vieles Fernsehen steht ja auch ein Hang zur Passivität, die damit verbunden ist, gegenüber. Entscheidend bleibt doch immer die Politik selber. Womit ist denn die Koalition, mit der wir es heute noch zu tun haben, angetreten? Ihre Ziele waren: staatliche Tätigkeit vervielfachen, nicht die persönliche anregen, den öffentlichen Korridor erweitern, nicht die Selbsthilfe anregen. ({24}) Die meisten Reformziele haben Sie ja, wie inzwischen nicht mehr ernsthaft bestritten wird, verfehlt; aber eines haben Sie nicht verfehlt, nämlich die gigantische Vermehrung des Staatsanteils. ({25}) 1969 betrug der Staatsanteil einschließlich der Sozialabgaben 37 %. In ihrem ersten Entwurf eines Langzeitprogramms, der damals unter Vorsitz von Helmut Schmidt erarbeitet wurde, hat sich die Sozialdemokratische Partei 1971 oder 1972 noch etwas geniert, zu erklären, der Staatsanteil müsse bis 1985 auf 45% steigen. Die Wirklichkeit aber ist, daß Sie das Soll in einer stark abgekürzten Zeit übererfüllt haben. Sie haben nämlich bis zum Jahre 1975 nicht nur 45 %, sondern nahezu 48 % erreicht. Meine Damen und Herren, das ist der galoppierende Krebs der Bürokratie, von dem Ingmar Bergman gesprochen hat, um seine Emigration aus einem sozialdemokratischen Land zu begründen. ({26}) Die Freundschaft zu dem Ministerpräsidenten Olof Palme ist ihm dabei ja gänzlich unbenommen. Das Argument als solches hat er nun wirklich aus eigener Erfahrung und Kenntnis klarer und plastischer vor die Weltöffentlichkeit gestellt, als wir es könnten. Oder denken Sie an Großbritannien. Sie werden feststellen, daß das, wodurch diese ehrwürdige und bewährte Demokratie in den letzten Jahren vor allem bekanntgeworden ist, nämlich die englische Krankheit, ihre wesentliche Wurzel in der gigantischen Erhöhung des Staatsanteils hat. ({27}) Meine Damen und Herren, es gibt - jenseits dieser Zahlen und materiellen Probleme - weitere Beiträge, die auch nicht einen Weg in Richtung auf Selbstverantwortung, sondern mehr und mehr in Richtung auf Sozialisierung der Tätigkeiten der Menschen erkennen lassen. Ich denke an das Gesundheitswesen. In einer Theoriezeitschrift der SPD habe ich neulich folgenden Satz gelesen - ich zitiere -: Was wir als gesund und krank gegeneinander abgrenzen, ist gesellschaftsproduziert in jeder Hinsicht. Das heißt auf deutsch: Wenn ich krank bin, liegt das an der falschen Gesellschaft. ({28}) Selbstverständlich bestreitet kein vernünftiger Mensch, daß sich die Lebensbedingungen, unter denen ich zu leben habe, die Wohnverhältnisse, die Arbeitsbedingungen usw. auf die Gesundheit auswirken. Selbstverständlich müssen wir uns darum bemühen, daß die gesellschaftlichen Lebensbedingungen gesundheitsfördernd und nicht gesundheitsschädlich sind. Auf der anderen Seite können wir aber doch ebensowenig bestreiten, daß neben einem großen Fortschritt an medizinischen Erkenntnissen eben auch ein großes Fortschreiten von Krankheiten zu verzeichnen ist, die gerade mit unserer Lebensführung in den besseren Verhältnissen, die geschaffen worden sind, zusammenhängen. Meine Damen und Herren, wie sollen wir denn dieser Dinge Herr werden, wenn wir nicht in erster Linie an unsere Selbstverantwortung gemahnt werden, ({29}) wenn sich statt dessen eine ideologisierte Politik zu Wort meldet und dem Bürger Gesundheit durch Gesellschaft verspricht? Denken wir weiter an den Bereich der Familie. Wir alle wissen, daß die Anforderungen an die Familie immer größer geworden sind. Was wird denn aber getan, um jenen größeren Anforderungen oder auch den Schwierigkeiten, vor denen die Familie steht, von seiten der Regierungspolitik Rechnung zu tragen? ({30}) Ich erinnere an das, was Sozialdemokraten in den Entwurf betreffend das elterliche Sorgerecht hineingeschrieben haben. Dort steht, daß das „Kleinkind Objekt elterlicher Fremdbestimmung" sei. Ich erinnere weiter an den Gesundheitsbericht, den die Bundesregierung gerade an dieser Stelle ohne Widerspruch vorgelegt hat. Dort steht, daß die Erziehung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei und die Gesellschaft diese Aufgabe auf die Familien oder außerfamiliale Einrichtungen übertrage. Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Natürlich sind die Familien heute häufig unzureichend ausgestattet. Es gibt die unvollkommenen Familien oder natürlich auch die nicht ausreichend ausgebildeten Eltern. Aber was sollen wir denn tun, um dieses Mißstandes Herr zu werden? Sollen wir aus den Familien wirklich jene Gesellschaftsagenturen machen, von denen hier die Rede ist, oder sollen wir sie in den Stand setzen, ihre Aufgabe freiheitlich zu lösen? ({31}) Die Familie ist nun einmal der wichtigste Schutzhafen, der wichtigste Platz zur Erfahrung der Freiheit für den Heranwachsenden. Hier lernt er das Sprach- und Denkvermögen. Hier lernt er die persönliche Eigenständigkeit, die Voraussetzung für Selbstverantwortung. Hier lernt er Gemeinschaftsempfinden. Hier lernt er das Wertbewußtsein und das Verhalten in der Gesellschaft. Hier werden die entscheidenden Weichen für den späteren Weg und den Erfolg des freien Menschen gestellt. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Betrachtung der Freiheit zusammenfassen. Die Folgen einer Politik, von denen ich hier nur den Staatsanteil und die Gesundheit und die Familie als Beispiele genannt habe, bleiben beim Bürger selbstverständlich nicht aus. Er muß sich ja die Frage vor- legen: Was lohnt es denn, eine selbstverantwortliche Anstrengung zu machen, wenn der Staat dem Durchschnittsverdiener in unserem Land von jeder zusätzlich verdienten Mark 59 Pf wegnimmt, wenn der Staat das alles für sich in Anspruch nimmt? Wenn er außerdem noch seine großen Versprechungen und Leistungen anbietet, dann soll er auch die Verantwortung tragen; dann strenge ich mich als Bürger doch nicht mehr an, sondern dann beschränke ich mich darauf, die Freiheit als die Begründung meiner Ansprüche von der ersten bis zur letzten Lebensminute an diesen Staat zu verstehen. ({32}) Wie soll denn, wenn der Bürger nicht dazu angehalten wird, sich selbstverantwortlich für seine Gesundheit einzusetzen, und wenn nicht die Familie die primäre Verantwortung über die junge Generation hat, der Ruf nach einer Selbstverantwortung, verstanden werden, den Sie, Herr Bundeskanzler, gestern so nachdrücklich vorgebracht haben? Und wie, Herr Maihofer, entscheiden Sie sich dann mit Ihrem Satz „im Zweifel für die Freiheit"? Nein: „Wenn der Staat einem alles verspricht und alles nimmt, dann soll er auch alles machen." Nur sind die Folgen davon, meine Damen und Herren, die, daß der Bürger nicht freier, sondern mehr und mehr zur Nummer im Kollektiv wird. ({33}) Die Folgen davon sind nicht, daß er immer mehr Selbstverantwortung zu entfalten lernt, sondern daß er Glied in einem gigantischen Bevormundungsstaat wird. Dahinter steht das, was Sie, Herr Wehner, gestern das Gespenst des Sozialismus genannt haben. Leider nimmt dieses Gespenst immer klarere und häterere Konturen an. ({34}) Wenn wir uns darauf verständigen können, daß die entscheidende Aufgabe der Freiheit darin besteht, zur eigenen, selbstverantwortlichen Gestaltung des Bürgers beizutragen, Herr Bundeskanzler, dann ist das gut. Nur sind und bleiben es schöne Worte, die unter Ihrer Regierung zu Pflastersteinen für einen Bürger werden, dem diese Politik nicht gut bekommt. Denn er wird anfällig statt widerstandsfähig, er wird mißgünstig statt kooperativ, er wird passiv statt aktiv, er wird anspruchsbewußt statt solidarbewußt, er wird uniformiert statt selbstverantwortlich. ({35}) Seine eigenen Kräfte, dieses wichtigste Kapital für die Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit, diese eigenen Kräfte verkümmern dabei, statt daß sie entfaltet werden. Mit einem Wort: die Freiheit wird nicht als Aufgabe verstanden; sie nimmt nicht zu, sondern ab. Das ist es, Herr Maihofer, in meinem Verständnis, was den Kern der Gefahr für die Freiheit ausmacht, die von einer Politik ausgeht, die wir in dieser Haushaltsdebatte zu bewerten haben. ({36}) - Meine Damen und Herren, Sie bei der SPD wollen mehr Sozialismus verwirklichen, Sie wollen sogar den vollendeten Sozialismus, und das ist Ihr gutes Recht. Aber der Bürger hat ein Recht und einen Anspruch darauf, zu wissen, was aus der sozialistischen Politik denn für seine Freiheit wird. Wir wollen mehr Freiheit. ({37}) - Wir diskutieren schon über das richtige Thema hier. Das wird um so deutlicher, je aufgeregter Sie dazwischenrufen, Herr von Dohnanyi. ({38}) Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Es bedarf für diese Freiheit einer außerordentlichen Anstrengung aller Demokraten. Dazu gehört es auch, diese Diskussion bei dieser Haushaltsdebatte mit guten Nerven durchzustehen. Es ist wahr, es geht um die Freiheit. Es geht auch in der Wahl um die Freiheit. Der deutsche Bürger will und wird darüber, nämlich über die Freiheit, am 3. Oktober entscheiden. Wir sehen dieser Entscheidung mit wachsender Zuversicht entgegen. ({39})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Schäfer. ({0})

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen beiden Reden der Herren Kollegen Dregger und von Weizsäcker ({0}) halte ich es für notwendig, daß wir unsere gegenwärtigen - ({1}) - Was im Grundgesetz steht, und ich denke - ({2}) Ach, das ist ganz was Besonderes für Sie, daß man ins Grundgesetz mal sieht? ({3}) Darf ich Ihnen vorlesen, was in den Artikeln 1 und 2 steht? ({4}) Ich denke, daß das in diesem Hause ja wohl nicht umstritten sein sollte. Deshalb verstehe ich Ihre Zurufe nicht. ({5}) - Dann komme ich darauf zurück. Wenn Sie es im Kopf haben sollten, Herr Stark, dann komme ich gern darauf zurück. - Sie stören mich nicht dabei, das vorzutragen: ({6}) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. ({7}) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletztlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Ge16966 Dr. Schäfer ({8}) meinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. ({9}) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. - Also dieses Haus. Artikel 2 Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. ({10}) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. ({11}) Wenn man sich die Reden der beiden Herren vergegenwärtigt, könnte man meinen, daß in diesem Hause darüber gestritten werde, ob den Art. 1 und 2 des Grundgesetzes gemäß verfahren wird. In der Tat kann man darüber streiten, welche Maßnahmen, welche Mittel im Sinne unserer Verfassung am besten geeignet sind und am zuverlässigsten erscheinen, diesen Geboten gerecht zu werden. ({12}) Insofern stimme ich Herrn von Weizsäcker zu, wenn er am Anfang seiner Ausführungen von der Freiheit des demokratischen Wettbewerbs - so haben Sie es ja wohl genannt - sprach. Er ist ein Wesenselement der Demokratie, ({13}) aber auch - das muß gleich hinzugefügt werden, und darauf kommt es ganz entscheidend an - in dem Sinne, daß keiner den Anspruch erhebt, selbst die letzten, die unabänderlich besten Entscheidungen und Regelungen gefunden bzw. getroffen zu haben, ({14}) sondern jeder davon ausgeht, daß ein anderer sehr wohl anderer Auffassung sein kann. ({15}) Weil es so oft in verkürzter Weise falsch dargestellt wird - dabei will ich zunächst einmal nicht davon ausgehen, daß das in bösartiger Absicht erfolgt -, lese ich Ihnen aus dem Grundsatzprogramm der SPD die entsprechenden Stellen vor. Dort heißt es: Sozialismus wird nur durch die Demokratie verwirklicht, .. . Darin werden Sie mit mir übereinstimmen: „nur durch die Demokratie". ({16}) Die Sozialdemokratische Partei bekennt sich dazu, daß Sozialismus nur durch die Demokratie verwirklicht wird. Dann geht es weiter: ., die Demokratie durch den Sozialismus erfüllt. Aber nicht „nur" ! ({17}) Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß wir damit den Geboten des Grundgesetzes am besten gerecht werden. ({18}) Daher können wir es unmöglich hinnehmen, wenn sich Herr Dregger hier unter Verwendung eines sterilen, egozentrisch bezogenen Ordnungsbegriffs hinstellt und alle anderen Auffassungen geradezu als verfassungsgefährdend - ich will noch nicht einmal sagen: verfassungsfeindlich - abklassifiziert. ({19}) Das ist ein steriler Ordnungsbegriff, der mit unserer Verfassung nicht im Einklang steht. Herr Dregger, ich nehme gerne zur Kenntnis, daß Sie deutlich machen, daß Sie es so nicht gemeint haben. Aber dargestellt - lesen Sie es nach - haben Sie es in noch viel schlimmerer Weise, ({20}) nämlich in der - ({21}) - Meine Damen und Herren, Sie haben nachher so viel Gelegenheit, Ihre Meinung dazu zu sagen, daß Sir mir jetzt ruhig zuhören könnten. ({22}) - Was soll ich vorlesen? ({23}) - Die hat er mir bis jetzt nicht zur Verfügung gestellt; aber ich habe doch Ohren zu hören. ({24}) - Alles zu seiner Zeit. Alles auf einmal kann ich nicht. Ich lese sie nachher gerne, Herr Dregger. ({25}) Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer Debatte, in der man auf das, was vorher gesprochen wurde, eingeht. Ich gehe auf das, was Dr. Schäfer ({26}) vorher gesagt wurde, ein. Ich habe keine vorbereitete Rede, ich sage nicht irgend etwas, was ich mir aufgeschrieben habe, sondern ich nehme zu dem Stellung, was gesagt wurde. ({27}) - Herr Gerster, seien Sie jetzt still. ({28}) Lassen Sie mich das von mir erwähnte Problem an zwei Beispielen darstellen. Herr Ministerpräsident Filbinger zog z. B. im Landtagswahlkampf durch Baden-Württemberg, laut fordernd, endlich müsse wieder Sicherheit auf den Straßen herrschen, ({29}) damit jeder Bürger bei Nacht gefahrlos seines Weges gehen könne. ({30}) Einverstanden. Aber seit zehn Jahren ist Herr Filbinger Ministerpräsident und trägt in Baden-Württemberg politische Verantwortung. ({31}) Herr Dregger jedoch hat sich hier hingestellt und so getan, als ob diese Bundesregierung, als ob dieser Innenminister die Verantwortung für die innere Sicherheit im ganzen Bundesgebiet trügen. Aber er hat noch etwas viel Schlimmeres gemacht. Er hat von „Wegbereitern des Terrorismus" gesprochen. Herr Dregger, das überschreitet das Maß des Erträglichen. ({32}) Das ist schon hinterhältig, das ist infam. Das kann man gar nicht mehr anders sagen. Es ist infam, wenn Sie sich hier hinstellen und mit Biedermannsgesicht so tun, ({33}) als ob es eine politische Kraft - Sie sagen natürlich nicht, welche - gäbe, die Wegbereiter des Terrorismus sei. ({34}) Ich sage Ihnen - ich muß Ihnen das in die Erinnerung zurückrufen -: zwischen 1969 und 1976 ist in der Bundesrepublik einiges in Richtung auf größere innere Sicherheit und Befriedung geschehen. Es gibt nicht mehr solche Demonstrationen wie einst. ({35}) - Sehen Sie, meine Damen und Herren, das fehlt Ihnen, was ich Ihnen jetzt sage. Sie haben nicht das erforderliche Selbstbewußtsein, solche Dinge durchzustehen, die politische Auseinandersetzung durchzustehen und die notwendigen Maßnahmen zu treffen. ({36}) - Ich lasse mich nicht davon abbringen. Die politische Auseinandersetzung seit 1969 hat dazu geführt, daß die radikalen Parteien hier bedeutungslose Sekten geworden sind. ({37}) Das könen Sie doch nicht bestreiten. Das müßten Sie doch begrüßen. ({38}) Aber anscheinend paßt Ihnen das gar nicht. Sie sprachen von der Verbrechensbekämpfung. Einverstanden mit Ihrer Betrachtungsweise, folgen wir ihr, Herr Kollege Dregger! Es kommt nicht darauf an, wieviel Geld man ausgibt und wie viele Leute man einstellt, sondern ob man Erfolg hat. Dann seien Sie aber auch so ehrlich und schauen Sie die Statistiken an. Dann seien Sie bitte auch so ehrlich und unterschlagen Sie hier nicht die Zahlen, denn Sie haben sich vorbereitet. Unterschlagen Sie nicht die Zahlen und machen Sie nicht den Versuch - es ist schlimm daß Sie das tun -, ({39}) hier eine bestimmte Lage darzustellen und dem deutschen Volk dort Angst zu machen, wo Sie allen Anlaß haben, ihm das begründete Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. ({40}) Es gibt kaum einen Staat, der innenpolitisch so gefestigt und gesichert ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Das wissen Sie! ({41}) Daß Sie genau das Gegenteil darstellen, werfe ich Ihnen vor. Daß Sie es gezielt ({42}) auf den 3. Oktober tun, ist, meine ich, ganz offensichtlich. Ein Zweites. Sie wollen nicht die gemeinsame Abwehr von Verfassungsfeinden. ({43}) - Nein, das wollen Sie nicht. ({44}) Sie wollen die Konfrontation mit der sozialliberalen Koalition. ({45}) - Sonst hätten Sie sich, meine Damen und Herren, nicht so verhalten, wie Sie es bei der Beratung und Dr. Schäfer ({46}) Verabschiedung des Gesetzes über dienstrechtliche Vorschriften - ich nenne es so neutral - getan haben. (Erregte Zurufe des Abg. Pfeffermann ({47})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Pfeffermann, ich bitte freundlichst um die gebotene Zurückhaltung.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sonst hätten Sie sich hier und im Bundesrat bei der Abwehr von Verfassungsfeinden nicht so verhalten. Das Urteil des Verfassungsgerichts - Herr Minister Maihofer hat es korrekt dargestellt und Ihre Haltung sind miteinander nicht vereinbar. Wir respektieren den Spruch des Verfassungsgerichts, Sie respektieren ihn nicht. Das sollten Sie und auch die Herren Ministerpräsidenten der CDU/CSU sich wirklich einmal vergegenwärtigen, welchen gefährlichen Affront Sie damit begehen ({0}) und wie sehr Sie auf einem solchen Gebiet das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts in Zweifel ziehen. Das sollten Sie nicht tun. ({1}) - Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, wir verhalten uns verfassungsgemäß, Sie nicht! Das Gericht hat festgestellt, daß Sie es nicht tun. Ich habe früher schon einmal damals haben wir ebenfalls die Klingen gekreuzt, Herr Dregger - ausgeführt: Das, was Sie getan haben, war nichts anderes, als dafür zu sorgen, daß über junge Leute, die das erste Mal in der Politik eine Meinung vertreten - wir sind daran interessiert, daß sie das tun; sie ist hoffentlich nicht konformistisch -, ein Dossier angelegt wird. Das haben Sie all die Jahre hindurch getan. ({2}) Ich hoffe, daß dies, nachdem das Verfassungsgericht sagte, daß dies dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspreche, von Ihnen akzeptiert wird. ({3}) Ich habe vor kurzem in Kopenhagen eine Veranstaltung durchgeführt und habe den Standpunkt vertreten - und dort ist das schwer -: Wir schützen diesen Staat gegen Verfassungsfeinde, ({4}) und wir von der sozialliberalen Koalition schützen diesen Staat im Einklang mit der Verfassung und im Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dazu sollten Sie sich endlich bekennen, dahin sollten Sie endlich den Weg finden. Daß Sie das nicht tun, ist Ihnen heute vorzuwerfen. ({5}) Wenn ich die Verfassung lesen und dort von Freiheit lese und mir das vergegenwärtige, was Herr Dregger gesagt hat, dann kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß er immer nur an sich selbst gedacht hat, an sich und seinesgleichen, und daß er Freiheit danach beurteilt, als wenn überhaupt kein Staat da wäre. ({6}) Dann gibt es auch Freiheit, die Freiheit des Stärkeren, die Freiheit der Ellenbogen. Das kann doch nicht Ihre Meinung sein. ({7}) Es gefällt Ihnen vielleicht nicht, wenn ich Rosa Luxemburg zitiere, ({8}) was ich hier schon wiederholt getan habe: „Freiheit ist die Freiheit des Andersdenkenden, ({9}) Freiheit ist die Freiheit, die ich dem anderen zubillige." Daran orientiert sich das. ({10}) Sie tun das nicht, denn die Freiheit des Andersdenkenden ist ein Wesensmerkmal einer Demokratie. ({11}) Ohne die Freiheit des Andersdenken, ohne daß er sie selbständig entwickeln und entfalten kann, kann eine Demokratie nicht existieren. ({12}) - Sehen Sie, „das ist nicht die Frage", da haben Sie recht. ({13}) Deswegen bin ich so erschüttert, daß der Herr Dregger das so versteht. ({14}) Dr. Schäfer ({15}) - Vielen Dank! Das ist genau der Punkt: Sie sehen es egozentrisch. Wer Andersdenkender ist -- der Zwischenruf ist ganz richtig -, das bestimmen Sie. ({16}) Wer als Andersdenkender abzulehnen ist, das bestimmen Sie. Dabei haben Sie über andere überhaupt nicht zu bestimmen, welche Meinung die haben. ({17}) Wenn es um Bewerber für den öffentlichen Dienst geht, haben wir zu prüfen. Da haben wir eine saubere klare Haltung. Meine Damen und Herren, das ist die Fortsetzung, mit Dreggergerechten Mitteln, verbrämt, umbaut, umrankt mit Ausführungen des Herrn von Weizsäcker. Diese Doppelausgabe ist sehr interessant, aber es ist die gleiche Münze. Es ist die eine und die andere Seite. ({18}) Herr von Weizsäcker, Ihr Bemühen für Ihre Partei in Ehren, das ist Ihre Sache; aber machen Sie bitte nicht den Versuch, den Herrn Dregger damit in Schutz zu nehmen. Sie tun sich und Ihrer Partei keinen guten Dienst. ({19})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, wir unterbrechen die Sitzung des Deutschen Bundestages und treten in die Mittagspause ein. Wir beginnen wieder um 14 Uhr. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren fort mit der verbundenen Aussprache zu den Einzelplänen 06, 33 und 36. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riedl ({1}). ({2}) - Verzeihung, es ist mir gesagt worden, daß als nächster Redner Herr Dr. Riedl ({3}) spricht. Sollte das anders sein, darf ich fragen, ob sich die Fraktionen verständigt haben, anders zu verfahren. Herr Dr. Wendig, wenn Sie vorher sprechen wollen, bitte schön; Herr Dr. Riedl tritt so lange zurück. Sie waren bei mir als Redner bislang nicht gemeldet, Herr Kollege.

Dr. Friedrich Wendig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002477, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine Vorbemerkung allgemeiner Natur voraus: Die Art und Weise, in der gestern und auch heute Teile der Opposition diskutiert haben, hat mich in hohem Maße erschreckt. Ich meine dabei nicht, was die Form angeht, die Ausführungen des Kollegen Weizsäcker, wohl aber auch da zum Teil den Inhalt. Ich muß ein wenig auf das eingehen, was der Kollege Weizsäcker - er ist im Augenblick nicht im Raum - in seinen einleitenden Ausführungen zum Begriff „Freizeit" in unserem verfaßten Staat gesagt hat. Ich begrüße es mit ihm, daß wir hier an dieser Stelle so ausgiebig über die Freiheit diskutieren. Das ist gut so, das ist recht so, daran wird niemand etwas finden. Das, was der Herr Kollege Weizsäcker hier aufgebaut hat, waren Selbstverständlichkeiten in der allgemeinen Formulierung, die gar nicht bestritten sind. Man darf nicht den Eindruck erwecken, als bestünden in unserem Lande Fronten, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Das mag daran liegen, daß es in der Opposition zum Teil neu ist, darüber noch zu denken. Wir haben über diese Fragen schon sehr viel länger nachgedacht. ({0}) Natürlich ist für uns „Freiheit" nicht nur ein formaler Begriff; wir sind nicht im 19. Jahrhundert stehengeblieben. Natürlich ist Freiheit nicht nur ein Anspruch an den Staat, sondern auch eine Aufgabe. Natürlich müssen wir auch im einzelnen die Freiheit nach ihren Inhalten definieren. Natürlich wissen wir auch genau, daß es Bedrohungen der Freiheit gibt, möglicherweise von Mächten des Staates, aber auch von Mächten in der Gesellschaft. Das sind Dinge, über die wir alle sehr lange nachdenken. Herr Kollege Weizsäcker ist da nicht sehr konkret geworden. Das nehme ich ihm nicht übel, denn in dieser Allgemeinheit gibt es im großen und ganzen keinen Unterschied. Nur: Wenn er den Sprung macht und das Ganze dann unter die Überschrift „Freiheit und Sozialismus" stellt, dann verfälscht er gerade das, was er eingangs gesagt hat. Dann bringt er eine Polarität und eine Begriffsverwirrung in die Diskussion, die im Grunde genommen zu den von ihm genannten Zielen gar nicht paßt und die dort nicht hingehört. ({1}) Das muß ich ihm sagen. Auf die Diskussion von heute über die Freiheit will ich nicht näher eingehen, auch nicht darauf, inwieweit er innerhalb seiner Partei mit allen konform geht oder sich von einigen anderen abhebt. Das ist nicht meine Sache, das ist nicht mein Bier; darüber wird er sich selber in seiner Partei auseinandersetzen müssen. ({2}) Ich will das hier nur erwähnen. Aber, meine Damen und Herren, auch von der CDU, der Sprung, den Kollege Weizsäcker gemacht hat, läßt mir die Frage berechtigt erscheinen: Sind nicht bei Ihren Grundsatzpositionen, die Sie zur Freiheit entwickeln, eigentlich nur zwei Deutungen möglich - ich sage das ohne jede Diskriminierung -, von denen jede für sich einen im Grunde mit Sorge erfüllen müßte? Entweder, meine Damen und Herren, Sie glauben das, was Sie zur Freiheit bzw. zur Bedrohung der Freiheit in diesem Lande sagen; dann leiden Sie an einer tragischen Verkennung der politischen und geistigen Situation in Deutschland. ({3}) Oder aber Sie glauben das nicht so ganz. Dann wäre es eine schlichte Irreführung. Beides wäre, wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, im Parlament die von Ihnen gewünschte Mehrheit hätten, für uns schlicht eine Katastrophe. ({4}) Es kann auch nicht die Art verwundern, in der Sie beispielsweise - ich will auf einige schon am Vormittag genannte Punkte eingehen - Probleme der inneren Sicherheit behandelt wissen wollen. Aber diese Art der Darstellung ist nicht neu. Wir bemerken sie nicht erst heute. Sie ist schon seit langem die Regel, ja, beinahe schon ein System, das aber den hohen ethischen Werten von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit, die Sie für sich und uns alle aufstellen wollen, nicht gerecht wird. Wie sieht es denn in Wirklichkeit aus? Da verlaufen zwei - ich will es einmal so nennen -Schienen der Argumentation, die - etwas holzschnittartig dargestellt im einen oder andern Fall - nicht nur heute, sondern mit einer gewissen Regelmäßigkeit gebracht werden. Da ist zum einen - wir haben es nicht heute, wohl aber gestern gehört - das Grundargument, das Wahres, Halbwahres, Falsches, nicht in den Zusammenhang Gehörendes zu einem angeblich einheitlichen Block zusammenfaßt. Das beginnt bei den Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion, setzt sich mit gewissen Vorgängen in Afrika fort, bezieht gewisse Entwicklungen in westeuropäischen Staaten ein und endet bei uns mit tödlicher Sicherheit irgendwo bei den Radikalen im öffentlichen Dienst oder bei Rahmenrichtlinien in Schulen irgendeines Bundeslands. Sie wissen genauso wie wir, daß man auch dann, wenn man Einzelteile des Blocks ebenso oder ähnlich sieht, zu dem ganzen Block weder uneingeschränkt ja noch uneingeschränkt nein sagen kann. Aber das Ganze scheint für Sie doch ein Glied in der Kette Ihrer Argumentation zu sein, die zur Überschrift „Freiheit oder Sozialismus" führt. Sehen Sie eigentlich nicht, wie gefährlich es ist, wenn man innenpolitische, außenpolitische und - ich denke an das, was Herr Carstens gestern gesagt hat - militärstrategische Gesichtspunkte zu einem einheitlichen Block zusammenschmiedet, um ihn ungehemmt bei allen Gelegenheiten der innenpolitischen Argumentation zu verwenden? ({5}) - Doch! ({6}) Auf der zweiten Schiene - damit komme ich etwas aktueller zu dem, was heute gesagt wurde - werden Sachverhalte und Entwicklungen so zugespitzt dargestellt, daß die Schlußfolgerungen nicht mehr stimmen oder anders werden. Offenbar meinen Sie, dadurch ein griffiges Schlagwort oder - wie es Herr Kollege Schäfer genannt hat - ein Argument für eine Konfrontation in die Hand zu bekommen. Ich will nur kurz auf ein Beispiel eingehen, das heute morgen schon sehr lang strapaziert worden ist, nämlich das Problem der Extremisten im öffentlichen Dienst. Niemand in diesem Hause will aktive Gegner unserer verfassungsmäßigen Ordnung im öffentlichen Dienst; ({7}) das entspricht im übrigen auch unserer Rechtsordnung. Darüber besteht auch gar kein Streit. Streit besteht allerdings - Kundige wissen es - über das Verfahren, wie man solche Verfassungsfeinde ermittelt. Wenn Sie - wie es heute zum Teil der Fall war - nur meinten, die Vorschläge der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen reichten nicht aus, um das angestrebte Ziel zu erreichen, dann könnte man bei aller Meinungsverschiedenheit doch wenigstens in der Sache darüber einigermaßen vernünftig diskutieren. Aber das genügt Ihnen offenbar nicht. Deshalb wird - wie gestern vor allem von dem Herrn Kollegen Carstens - ein derartiger Eindruck erweckt, daß schließlich jeder im Lande annehmen muß, die Bundesregierung und die Vertreter der sozialliberalen Koalition wollten geradezu Extremisten im öffentlichen Dienst eingestellt wissen. Auch heute wurde wieder deutlich zu machen versucht, die Bundesregierung und die Koalitionsparteien verließen damit - so wird argumentiert - den Boden der verfassungsmäßigen Ordnung und der Freiheit - woraus Sie mit einiger Mühe schließlich die Feststellung ableiten, die CDU/CSU sei die einzige Verfassungspartei in diesem Land. In Wahrheit geht es nur um ein rechtsstaatliches Verfahren. Ich will die Debatte nicht aufwärmen. Denn wir sind uns sicher, daß wir für unsere Meinung die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und auch die inzwischen ergangenen Gerichtsurteile im Rücken haben. ({8}) - Ja! Diese Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Dabei wissen wir doch alle genau - der Herr Kollege Weizsäcker hat es genannt; man muß es nur konkretisieren -, daß es erstens für jede demokratische Kraft in diesem Land den verfassungskonformen Ausgleich zwischen Freiheit und innerer Sicherheit für den konkreten Fall zu finden gilt - da bin ich völlig der Meinung des Herrn Kollegen von Weizsäcker -, daß aber zweitens in unserem modernen demokratisch verfaßten Staatssystem eine absolute innere Sicherheit nicht erreichbar ist. Auch Sie wissen das, aber Sie tun zumindest nach draußen so, als ob Sie ein Geheimrezept in der Hand hätten, um doch noch alles andere wenden zu können. ({9}) Dabei malen Sie auch heute wieder ein Bild unserer innenpolitischen Verhältnisse sozusagen schwarz in schwarz, ein Bild, das der Wirklichkeit ganz und gar nicht entspricht. Auch dies ist ein geDr. Wendig fährliches Spiel, es ist nämlich das Spiel mit der Angst, das auf die Dauer noch nie gute Früchte getragen hat. ({10}) Allerdings steht eines fest: in dem sicher sehr schwierig zu lösenden Gegenspiel von Freiheit und innerer Sicherheit, von Bürgerrecht und Staatsräson haben Sie allzuoft auf seiten derer gestanden, die eher etwas weniger Freiheit in Kauf nehmen würden. Oder wollen Sie das bestreiten? Ich denke dabei gerade an gewisse Gesetzgebungsvorhaben im Bereich der Innen- und Rechtspolitik der vergangenen Jahre. Sie zeichnen von den wahren Verhältnissen der Bundesrepublik ein verzerrtes Bild, das einfach nicht stimmt. Die innere Sicherheit ist in unserem Lande zumindest - ich sage es einmal ganz vorsichtig - um keinen Deut geringer als in jedem anderen freiheitlich verfaßten Staat der westlichen Welt. Ich möchte sogar meinen, daß sie größer ist. Dabei müssen wir uns alle in voller Verantwortung darüber im klaren sein, daß es letzte Sicherheit nicht geben wird und immer wieder spektakuläre Fälle eines kriminellen Terrorismus möglich sind. Ich sage dies auch im Blick auf das, was in den letzten Tagen in unserem Lande, u. a. in Frankfurt, geschehen ist. Ich möchte meinen, daß auf der Grundlage unserer Gesetze und der exekutiven Maßnahmen Entwicklungen noch so in den Griff zu bekommen sind, wie Sie es auch nicht besser hätten tun können. ({11}) Herr Kollege Dregger hat heute den Vorwurf erhoben, die Polizei, die Exekutivorgane, beispielsweise im Lande Hessen, würden von ihren Vorgesetzten, vor allen Dingen von der politischen Führung, im Stich gelassen. Dazu darf ich - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - nur ganz kurz verlesen, was heute der Innenminister des Landes Hessen zu dieser Frage erklärt hat. Er sagte: Die Landesregierung hat nicht erst auf Grund der Ausschreitungen gehandelt. Bereits in den vergangenen Jahren sind alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet und getroffen worden. Ich erinnere an die Folgerungen aus den schweren Demonstrationen anläßlich der Häuserräumungen 1973 und der Fahrpreiserhöhung 1974. Damals ist die Polizei vorwiegend in Frankfurt durch ein Fünf-Millionen-Programm für jeden denkbaren Einsatz ausgerüstet worden. Die Landesregierung ist der Auffassung, daß die in Frankfurt eingesetzten Beamten nicht nur ihr Bestes taten, um der unvorhergesehenen Situation Herr zu werden, sondern auch künftig alles tun werden, um im Rahmen der geltenden Gesetze derartige Gewalttätigkeiten zu verhindern. Sie spricht allen Polizeibeamten Dank und Anerkennung aus. Damit komme ich auf das, was Herr Kollege Dregger heute morgen so ein wenig abfällig mit „nur Geld geben" abqualifiziert hat. Ich komme nämlich auf die administrativen Maßnahmen, die diese Bundesregierung, ihre Vorgänger, die Innenminister Genscher und Maihofer, unterstützt von den Fraktionen dieser Koalition, in den vergangenen Jahren im exekutiven Bereich geschaffen haben, z. B. durch den Ausbau des Bundeskriminalamts, das auch in Weltmaßstäben ein Vorbild gesetzt hat. Herr Maihofer hat längst aktive Kontakte mit den wichtigsten Nachbarstaaten in der richtigen Erkenntnis aufgenommen, daß nur eine größtmögliche internationale Kooperation bei der Bekämpfung des Terrorismus internationale und damit im Ergebnis auch nationale Sicherheit bieten wird. Halten wir uns doch bitte an die klaren Tatsachen, statt in den Wolken zu schweben! Da ist der Ausbau des Bundeskriminalamts, von dem ich soeben sprach, da ist das Gesetz über das Bundeskriminalamt von 1974, das erstmalig gewisse zentrale Kompetenzen des Bundeskriminalamts in der Bekämpfung bestimmter Kriminalitäten eröffnet hat. Ein Blick auf die leere Bundesratsbank bringt mir hier allerdings die Frage nahe - auch darüber muß man in einer Debatte über den Haushalt sprechen können -, ob nicht darüber hinaus noch umfassendere originäre Zuständigkeiten des Bundeskriminalamts bei der Bekämpfung des länderübergreifenden Terrorismus geschaffen werden sollten, auch wenn dies gewisse verfassungsrechtliche Probleme aufwirft; ich weiß das. Es ist sicher inzwischen eine relativ gut funktionierende Kooperation von Bund und Ländern in diesem Bereich vorhanden. Kann dies aber auf die Dauer wirklich ganz befriedigen? Dieser Gedanke gewinnt gerade dann stärkeres Gewicht, wenn man die Notwendigkeit anerkennt, im internationalen Bereich zu einer größeren Zusammenarbeit zu kommen. Der Bundesgrenzschutz befindet sich auf einem Höhepunkt seiner vielfältigen Entwicklung. Das vor einigen Wochen in diesem Hohen Hause verabschiedete Personalstrukturgesetz hat die Einsatzfähigkeit dieses Instruments als einer vielfältig zu verwendenden Polizei des Bundes weiter gestärkt und ausgeweitet. Herr Kollege Dregger, man sollte hier nicht irgendwie Tendenzen oder Meinungsbildungen, die vorhanden sein mögen, Vorschub leisten, indem man meint, der primäre Charakter des Bundesgrenzschutzes als einer Verbandspolizei sei hiermit in Frage gestellt. Er bleibt bestehen. Daß es daneben bestimmte Funktionen für den Einzeldienst gibt und geben muß, gerade im Hinblick auf die Verwendbarkeit der Beamten auch in den Ländern, war doch eines der tragenden Fundamente eines Vergleichs, den Bund und Länder für dieses Bundesgrenzschutzgesetz sozusagen geschlossen haben. Man sollte hier doch nicht wieder Zweifel in die Entwicklung hineinbringen. Von alle dem, meine Damen und Herren, muß man doch reden, wenn man über die Politik der inneren Sicherheit diskutiert. Das gibt dann zwar keinen ideologischen Höhenflug, wohl aber eine praktisch brauchbare und vor allem jederzeit überprüfbare Politik. Man tut den Bürgern in unserem Lande einen weit größeren Gefallen, wenn man hierauf hinweist, als wenn man Furcht, Angst, Schrek16972 ken oder auch nur Unsicherheit erweckt. Aber eine solche Darstellung verspricht Ihnen vielleicht einen zu geringen Effekt nach außen. Ein weiterer Bereich ist die Reform des öffentlichen Dienstrechts und der öffentlichen Verwaltung. Das ist seit langem ein weites Thema, das, sicher mit vielem Elan, auch von Ihnen hin und her diskutiert wird. Auch Herr Kollege Dregger ist darauf eingegangen. Ich sage hier „hin und her diskutiert", weil eigentlich nicht so ganz klar wird, was Sie im Endeffekt wirklich wollen: nur geringere Personalkosten, Stelleneinsparungen, die Sie nicht näher bezeichnen, eine beträchtiche Beschränkung bisheriger öffentlicher Funktionen oder Verstärkung der Effizienz des öffentlichen Dienstes? In vielem stecken sicher richtige Gedanken. Aber der Zusammenhang ist wichtig, das System, in dem das Ganze vonstatten gehen soll. Die Bundesregierung wird in der nächsten Woche ein Aktionsprogramm zur Dienstrechtsreform vorlegen. Sie, Herr Kollege Dregger, haben bemängelt, daß dies so spät geschieht. Ich halte es für gut und richtig, daß wir in einem gewissen zeitlichen Abstand zu den Vorschlägen der seinerzeit eingesetzten Studienkommission an die Konkretisierung bestimmter Vorstellungen herangehen. ({12}) - Jawohl, drei Jahre. Ich komme aber noch darauf. Eine Reform des öffentlichen Dienstes kann nur sehr behutsam im einzelnen durchgeführt werden, nicht um einzelne Gruppen zu schonen - was Sie ja auch nicht wollen -, sondern um die großen Zusammenhänge zu wahren, um die es geht. Ich darf mir erlauben, an einige Gedanken anzuknüpfen, die ich anläßlich der Beratung des Haushaltsstrukturgesetzes an dieser Stelle zum gleichen Thema vorgetragen habe. Die öffentliche Verwaltung ist schlechterdings nicht zu trennen von der Auffassung über die Aufgaben des modernen Staates, auch eines modernen Staates mit einer föderativen Struktur. Probleme der Verwaltungsreform wie der Verfassungsreform spielen daher ebenso eine Rolle wie beispielsweise die Frage nach der Privatisierung bestimmter bisher öffentlich wahrgenommener Aufgaben oder auch die Frage nach der optimalen Finanzverfassung in einem föderativ verfaßten Staatsgebilde. Hinzu kommt ein zweiter Gesichtspunkt, und auch den sollten Sie gelten lassen. So sehr sich natürlich auch der öffentliche Dienst wie alle öffentlichen Einrichtungen einer öffentlichen Kritik stellen muß - und er tut das ja auch -, so sehr muß die Durchführung konkreter Maßnahmen von emotionalen Elementen, die im letzten Jahr in der öffentlichen Diskussion leider eine große Rolle gespielt haben, freigehalten werden. Dessen ungeachtet - und deswegen begrüße ich auch den zeitlichen Abstand, Herr Kollege Dregger - hat die Bundesregierung und haben die Koalitionsfraktionen in den letzten Jahren wesentliche gesetzgeberische Voraussetzungen für die Durchführung der Dienstrechtsreform geschaffen. An diese Gesetze ist jetzt anzuknüpfen. Ich nenne hier die Fortentwicklung einer Vereinheitlichung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern durch das Zweite Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts vom vorigen Jahr. Ich nenne die Neuordnung des Personalvertretungsrechts, eine Ausdehnung der Möglichkeit zur Teilzeitbeschäftigung von Beamten und Richtern sowie ein Verfahren zur Vermeidung von Tarifkonflikten im öffentlichen Dienst. Die Voraussetzungen für eine Vereinheitlichung des Versorgungsrechts sind in der Ausschußberatung abgeschlossen. Die Beamtenversorgung wird in diesem Hohen Hause in den nächsten Wochen in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden. Gleiches gilt für die Fachhochschulausbildung für den gehobenen Dienst. Ich glaube, meine Damen und Herren, dies ist eine Bilanz, die sich durchaus sehen lassen kann. Ich bin gewiß, daß wir, auf dieser Grundlage aufbauend, in den nächsten Jahren die entscheidenden Schritte zu einer Dienstrechts- und Verwaltungsreform tun können, und dies in einer Atmosphäre, die dann hoffentlich nicht emotional aufgeladen ist. Ich denke als an einen ersten Schritt dabei vor allem an eine Verbesserung des Laufbahnrechts mit dem Ziel einer funktions- und leistungsgerechten Personalsteuerung. Ein letzter Komplex. Im Bereich der allgemeinen Bewilligungen will ich hier nur kurz die kulturellen und die bildungspolitischen Einrichtungen er- wähnen, die in einer kontinuierlichen Entwicklung - dies gemessen an der generellen Entwicklung des Haushalts - gefördert werden. Zu diesen Bereichen gehört auch der Komplex Deutsche Nationalstiftung, für den im Haushalt 1976 erstmalig im Ansatz 12,5 Millionen DM ausgebracht werden. Die Freien Demokraten begrüßen es sehr, daß hier ein altes national- und kulturpolitisches Anliegen zur Verwirklichung heranreift. Die Verhandlungen der Bundesregierung mit den Ländern sind in ein gewisses Stadium der Vervollkommnung geraten, das einen baldigen Abschluß erhoffen läßt. Leider ist etwas spektakulär die Sitzfrage in den Vordergrund gerückt. ({13}) - Bitte, warten Sie doch ab, Herr Schröder! - Ich sage dies hier nicht, weil ich irgendwelchen Entscheidungen ausweichen will, sondern weil ich meine, daß man hier ein Pferd von hinten aufzäumt. Um es aber vorab zu sagen und auf Ihr „leider" : Auch für mich besitzt Berlin als Sitz der Deutschen Nationalstiftung eine nicht zu verleugnende Präferenz. Genügt Ihnen das? Aber sinnvollerweise muß aller lautstarker Erörterung die Abstimmung mit den Berliner Schutzmächten vorangehen. ({14}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl ({15})?

Dr. Friedrich Wendig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002477, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wendig, wären Sie so liebenswürdig, diesem Hause mitzuteilen, warum Ihre Fraktion - nach der Auffassung der SPD-Fraktion will ich Sie gar nicht fragen - einen entsprechenden Antrag von uns im Haushaltsausschuß abgelehnt hat, daß als Sitz für die Deutsche Nationalstiftung Berlin in die Zweckbestimmung des Einzelplans 06 aufgenommen wird? ({0})

Dr. Friedrich Wendig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002477, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Genau. Ich war noch nicht am Ende. Ich wollte sagen, man hat es von hinten aufgezäumt. Ich habe Ihnen meine persönliche Meinung für die Präferenz gesagt, ({0}) und ich war gerade dabei, zu erklären, weswegen ich meine: von hinten aufgezäumt. Sinnvollerweise muß, wie gesagt, aller lautstarken Erörterung die Abstimmung mit den Berliner Schutzmächten vorangehen. Wenn ich richtig unterrichtet bin, hat Herr Ministerpräsident Kohl, der Vorsitzende der CDU und Kanzlerkandidat der Unionsparteien, nach einem Besuch in den Vereinigten Staaten kürzlich erklärt, einiges zu dieser Frage dort gehört zu haben. Vielleicht hätte man ihn veranlassen können oder kann man ihn veranlassen, sich hier präziser zu äußern. Aber ich gehe noch einen Schritt weiter. Bei einer vernünftigen Behandlung der Sache sollte diese Frage doch wohl am Ende der Erörterungen stehen. ({1}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sieglerschmidt?

Dr. Friedrich Wendig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002477, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wendig, in bezug auf die Intervention des Kollegen Riedl soeben möchte ich Sie fragen: Sind Sie nicht mit mir der Ansicht, daß die völlig verfrühte und sachlich unangebrachte Abstimmung über den Standort im Haushaltsausschuß die Frage des Standorts eher kompliziert und erschwert hat, als daß sie der Sache genützt hat? ({0})

Dr. Friedrich Wendig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002477, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Auffassung bin ich auch, allerdings. - Dies gilt um so mehr, als in einem Staat mit einer starken historisch begründeten Komponente der - ich nenne es einmal so - Kulturföderalismus die Breitenwirkung einer solchen Stiftung sicherlich nicht unbeeinflußt lassen wird. Ich will hier aber sicher nicht föderalistischer sein als die Kultusminister der Länder. Solange aber und das ist doch der entscheidende Punkt, meine Damen und Herren, der zweite neben den Schutzmächten - die Aufgaben der Stiftung, die Schwerpunkte der Förderung und anderes noch nicht hinreichend umschrieben wird, wird man doch noch erst die konkrete Abklärung abwarten müssen. Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Berger?

Dr. Friedrich Wendig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002477, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte hierzu jetzt keine Zwischenfragen mehr zulassen. ({0}) Es geht ja um das gleiche Problem. Vizepräsident von Hassel: Ich darf Sie außerdem darauf aufmerksam machen, verehrter Herr Kollege, daß ich auf Grund der Zusatzfragen zwei Minuten zugelegt habe. 20 Minuten waren gemeldet. Die haben Sie bereits überschritten. Ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Dr. Friedrich Wendig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002477, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin sofort am Ende. - Wir würden es gern sehen, wenn eine Deutsche Nationalstiftung mit einem fest umrissenen Aufgabenkreis als ein Instrument sehr bald in Erscheinung treten würde, das nicht nur Finanzmittel an die rechte Stelle gelangen läßt, sondern auch die stärkere Repräsentanz einer breiten, zeitgenössischen kulturellen Strömung in unserem Lande zum Ausdruck bringt. Das ist nicht nur mit starken Worten zu lösen, wie überhaupt dieses Problem wie alle anderen eher eine behutsame und sachliche Behandlung verdient. Aber offenbar werden bei Ihnen Behutsamkeit und Sachlichkeit immer mit Schwäche verwechselt. ({0}) Sachlichkeit und Behutsamkeit - und damit bin ich am Ende - in Beziehung zur realen Umwelt sind offenbar nicht überall Ihre starken Seiten. Sie stellen auch die historischen und politischen Bewegungen in unserem Lande schlicht auf den Kopf und erwecken Illusionen - nicht nur hier, sondern ich erinnere an das, was ich eingangs gesagt habe -, die Sie selbst niemals erfüllen können. Dies alles ist ein böses Spiel, was den Umgang mit der politischen Wirklichkeit angeht. Mit einer solchen Illusion kann man allenfalls für eine kurze Dauer Erfolg haben; ich glaube, nicht einmal dies. Die Geschichte zeigt aber immer wieder eines: Mit einer Politik der Illusionen wird auf die Dauer niemand glücklich, ({1}) diejenigen nicht, die eine solche Politik betreiben, aber auch die Völker nicht, die von einer solchen Politik einmal heimgesucht werden. ({2}) Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riedl ({3}).

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was der Herr Bundesinnenminister heute vormittag hier als Haushaltsrede geboten hat, war wohl das Schlechteste, das je ein Bundesinnenminister in einer Haushaltsdebatte vorgetragen hat. ({0}) Schon allein diese Rede verbietet es der Opposition, dem Einzelplan 06 zuzustimmen, ({1}) geschweige denn die negative Bilanz der vierjährigen Arbeit im Bundesinnenministerium unter Führung von Bundesminister Maihofer. Da war in Ihrer Rede, Herr Minister, kein Wort zu den in Ihrem Hause anhängigen vielfältigen, schwierigen Bereichen zu hören. Es war nicht die Rede von den wirklichen Problemen der inneren Sicherheit. Sie haben sich darauf beschränkt, Herrn Stücklen wegen seiner Münchner Rede zu beschimpfen. ({2}) - Herr Kollege Schäfer, jetzt muß ich Ihnen auch einmal etwas sagen. Sie tun mir in der ganzen Debatte ohnehin schon leid. Sie haben doch wieder einmal eine der typischen Rollen übernommen, die in Ihrer Fraktion nur einer wie Sie übernimmt. Sie sind mir gestern zu Beginn der zweiten Lesung wie ein - bei uns in Bayern sagt man so - Hochzeitslader ohne Zylinder vorgekommen. Wissen Sie was ein Hochzeitslader ist? Das ist ein Mann, der von der Unschuld des Brautpaares, sprich: SPD/FDP, nicht in vollem Maße überzeugt ist und den Hochzeitsgästen, sprich: den Wählern, trotzdem ein glückliches Paar vorgaukeln muß. So sind Sie mir gestern vorgekommen. ({3}) Herr Kollege Schäfer, ich hoffe - als Professor schätze ich Sie ja sehr; das wissen Sie -, ({4}) daß für den Rest meiner Ausführungen Ihr Bedürfnis an Zwischenrufen, das dann, wenn ich rede, besonders stark ist, gedeckt ist. Der häufigste Zwischenruf von Ihnen ist immer der: Wären Sie doch bei der Post geblieben! - Den Gefallen habe ich Ihnen aber nicht getan. ({5}) - Dann ginge es der Post wahrscheinlich besser. Der Kollege von der Post kommt heute noch dran; den werden wir noch besonders unter die Lupe nehmen. ({6}) Herr Minister, in ihrer Rede war kein Wort von den Problemen der Kulturförderung zu hören. Es war nichts zu hören von den Problemen des Sports und vom öffentlichen Dienst. Darüber hätte ich von ihnen auch gern ganz Konkretes gewußt. Der Kollege Wendig hat hier wie Ihr Parlamentarischer Staatssekretär geredet; er ist aber nur Abgeordneter dieses Hauses. ({7}) Er hat das gesagt, was Sie an sich hätten sagen müssen. Es war nicht die Rede von den wirklichen schwierigen, auch wirtschaftlich schwierigen Problemen des Umweltschutzes. Es war nicht die Rede von den großen Vernachlässigungen auf dem Gebiet der zivilen Verteidigung. Auch von den Vertriebenen-und Aussiedlerproblemen war nichts zu hören. ({8}) Ganz persönlich, Herr Minister - jetzt rede ich als Staatsbürger und gar nicht als Abgeordneter, wenn ich das darf, Herr Präsident -, ({9}) war ich erschüttert darüber, wie konfus der Herr Bundesinnenminister reagiert hat, als der Kollege Stücklen eine ganz klare und einfache Frage stellte. Wie reagieren Sie dann, Herr Minister, wenn auf Sie wirklich einmal ein großes und schwieriges Problem zukommt, wenn Sie bei solchen Fragen schon ins Schwimmen geraten? ({10}) - Herr Kollege Wehner, was meinen Sie, wie mich Ihre Zwischenrufe ehren! Bezeichnenderweise ist der Herr Bundeskanzler mit seiner Frau Staatssekretärin und mit dem Troß erst in den Plenarsaal gekommen, als der Herr Innenminister mit seiner Rede zu Ende war. Versäumt hat er allerdings nichts - das muß ich sagen ({11}) außer der Feststellung, daß auch dieser Minister keine Zierde seiner Bundesregierung ist und sein kann. ({12}) - Das ist auch kein Wunder. Das spricht wieder für den Bundeskanzler, Herr Kollege Haase. Der Kollege Liedtke hat heute vormittag in seiner Rede behauptet, die Opposition könne nicht davon ablassen, Unzufriedenheit und Angst in dieses Land zu bringen. Herr Kollege Liedtke, hier sehen Sie die Dinge völlig falsch. Dies ist Ihre Demagogie. Unzufriedenheit und Angst werden nicht von der CDU/ CSU in dieses Land gebracht, sondern von denen, die einen Mann wie Herrn Müller zum Polizeipräsidenten in Frankfurt machen, ({13}) von denen, die auf den Parteiveranstaltungen der Jusos die Entwaffnung der Polizei verlangen, von denen, die dulden, daß unsere Gerichte und unsere Justiz vor aller Öffentlichkeit lächerlich gemacht werden, und von denen, die nicht den Mut haben, Dr. Riedl ({14}) sich uneingeschränkt und frei vor unsere Polizei und die von ihr ergriffenen Maßnahmen zu stellen. ({15}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun aus dem Haushalt des Bundesinnenministers einige wenige Schwerpunkte herausgreifen und in dieser Haushaltsdebatte zu jenen Punkten Anmerkungen machen, die es aus unserer Sicht verdienen, haushaltsmäßig gewürdigt zu werden. Ich möchte zunächst noch einiges zur inneren Sicherheit anmerken, obwohl hierüber schon sehr viel gesagt worden ist. Es ist ausdrücklich festzustellen, daß bis auf die Ausnahme des Gesetzes über Radikale im öffentlichen Dienst - angesichts dessen, was der Herr Minister heute früh hierzu wieder geboten hat, ist unsere ablehnende Haltung nicht verwunderlich - alle Sicherheitsgesetze die Zustimmung der Opposition gefunden haben. Meine Damen und Herren von der Koalition, hier zieht Ihre Masche nicht, daß wir, die Opposition, uns in einer reinen Neinsagerposition befänden. Dazu gehören - ich will einige Beispiele nennen - das Bundeskriminalamtsgesetz, das Gesetz über den Grenzschutz von 1972, das Bundesgrenzschutz-Personalstrukturgesetz und das Verfassungsschutzänderungsgesetz. Wir haben auch alle materiellen Ausstattungen dieses Gesetzes immer mitgetragen. Aber auch eine noch so gute materielle Ausstattung dieser Gesetze ersetzt noch keine gute Sicherheitspolitik. Wie schwer sich diese Regierung bei der Bekämpfung von Verfassungsfeinden tut, haben wir heute früh in der Vorlesung von Professor Maihofer über die Radikalen im öffentlichen Dienst wieder einmal gehört. ({16}) Meine Damen und Herren und Herr Minister, was muß denn noch alles passieren, wenn Sie nicht mehr zur Kenntnis nehmen, daß vor einigen Tagen in der Beratenden Versammlung des Europarats in Straßburg drei französische Kommunisten den Antrag gestellt haben, man möge in der Beratenden Versammlung des Europarats über die Folgen des Radikalenerlasses in der Bundesrepublik Deutschland diskutieren? Herr Minister, sehen Sie denn nicht, wohin hier die Reise geht? Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber, so heißt bei uns in Bayern ein Sprichwort. Es trifft in diesem Fall ganz besonders im Hinblick auf Ihre naiven Feststellungen zur Gefahr der Radikalen im öffentlichen Dienst zu. ({17}) Bei der Debatte des Bundesrates über die Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst - jetzt komme ich auf die Geschichte zu sprechen, die im Zusammenhang mit der Rede von Herrn Stücklen steht - hat der Herr Bundesinnenminister betont ich darf zitieren -: Aus der Tatsache, daß einer bestimmten Vereinigung wie dem Sozialdemokratischen Hochschulbund oder der Vereinigung demokratischer Juristen auch Kommunisten angehören, kann nicht in jedem Fall gefolgert werden, daß die gesamte Organisation verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. In einem von Ihrem Hause der bayerischen Staatsregierung zugeleiteten Bericht nennt Ihr Ministerium klar und eindeutig die Vereinigung demokratischer Juristen eine - ich darf wieder zitieren - „von der Deutschen Kommunistischen Partei gegründete und maßgeblich beeinflußte kommunistische Hilfsorganisation, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht". Die Tatsache, daß eine Reihe bekannter Sozialdemokraten, beispielsweise der Vizepräsident der Bremer Universität, Herr Professor Stube, oder der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Frankfurt, Herr Heinz Düx, in besonderer Weise für die Volksfrontverfilzung bis hinein in die Vereinigung demokratischer Juristen stehen, hat Sie, Herr Minister, veranlaßt, vor der Öffentlichkeit und vor dem Bundesrat wieder Abstand von dem Verdikt Ihres Hauses, Ihres Ministeriums über diese Vereinigung demokratischer Juristen zu nehmen. ({18}) Ihr eigener Parlamentarischer Staatssekretär, Herr Schmude - ich weiß nicht, ob er hier ist -, hat Sie selber mit folgender Feststellung desavouiert: Wenn Sozialdemokraten zur gemeinsamen Aktivität mit Kommunisten bereit sind und diese aus dem Zusammenwirken objektiv den Nutzen ziehen, rechtfertigt das nicht den Vorwurf mangelnder Verfassungstreue. Herr Minister, daß Sie diese Ohrfeige Ihres Staatssekretärs nicht mit seiner Entlassung beantwortet haben, kann ich beim besten Willen nicht verstehen. ({19}) Meine Damen und Herren, diese Verharmlosung des Innenministers war es, die Herr Kollege Stücklen in seiner Münchener Rede klar und deutlich angesprochen hat. Und jetzt kommt der Punkt auf dem I. Der zuständige Referent des Innenministeriums, der diese Anfrage der bayerischen Staatsregierung über die Vereinigung demokratischer Juristen in eigener Verantwortung sachgerecht beantwortet hat, ist von Minister Maihofer strafversetzt worden und auf einen anderen Dienstposten gekommen. ({20}) Ein Verfassungsschutzminister, meine sehr verehrten Damen und Herren, der sich gegen den Rat seiner Fachleute im Zweifel für die Freiheit der Volksfront einsetzt, kann von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für seinen Haushalt keine Zustimmung finden. ({21}) Dr. Riedl ({22}) Es ist nur schade, daß wir hier keine ganztätige Debatte über den Bereich des Innenministeriums führen können. Sonst würde ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Beispiel auf Grund eines Interviews im ZDF vom 28. Mai 1975 nachweisen, welche qualifizierte Befähigung dieser Bundesinnenminister zur falschen Lagebeurteilung auf dem Gebiet des Extremismus hat. Ich könnte Ihnen nämlich nachweisen, daß er die tatsächlichen Verhältnisse an den Hochschulen völlig falsch einschätzt und davon ausgeht, als ob sich das alles wieder zum Guten wendet. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Und dann setzt sich dieser Minister auch noch dafür ein, daß die öffentlichen Zuschüsse für die Studentengruppen an unseren Universitäten gekürzt werden. Der einzige Leidtragende hiervon ist der RCDS, weil die finanziellen Hilfen für die kommunistischen Studentengruppen aus anderen Kanälen fließen und diesen Gruppen voll erhalten bleiben, meine Damen und Herren. ({23}) Auch der Bereich der Kultur gehört - selbst wenn man die Rede des Herrn Ministers gehört hat, wo dies völlig verschwiegen worden ist - zum Bundesinnenministerium. Man hat in der Öffentlichkeit immer den Eindruck, als ob Professor Maihofer hier eine besonders herausragende Erfolgsbilanz darstellen möchte. Auf diesem Gebiet kann man auch nur sagen: In den letzten vier Jahren Fehlmeldung! Auch von dem Herrn Bundeskanzler gab es gegenüber den Künstlerkreisen, wahrscheinlich inspiriert auch durch gewisse Mitglieder einer bestimmten Wählerinitiative, die immer mit Stolz angekündigte Vorabmeldung: „Wenn wir an die Regierung kommen, dann werden wir die wirtschaftliche und soziale Position der Künstler wirksam verbessern." Meine Damen und Herren, auf diesem Gebiet hat diese Regierung nicht nur nichts getan, sondern der Minister hat seine angekündigten Versprechungen überhaupt nicht gehalten und auch nicht halten können. ({24}) Was die Nationalstiftung betrifft, so ist hier heute schon einiges gesagt worden. Aber, Herr Kollege Wendig, ich verstehe überhaupt nicht, daß man sich nach CDU/CSU-Reisen nach Amerika oder bestimmten alliierten Positionen erkundigt. Ich muß Ihnen sagen, daß es für mich als deutschen Politiker nur eines gibt - das sage ich laut und deutlich, auch in Kenntnis der Widerstände von draußen -: die Deutsche Nationalstiftung muß nach Berlin und nicht nach Kassel, wie Sie und Ihre Freunde es haben wollen. ({25}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks?

Otto Fircks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Riedl, können Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß - meiner Erinnerung nach -, wenn Herr Kollege Wendig hier von der Aufzäumung vom falschen Ende gesprochen hat, der erste, der das getan hat, der ehemalige Bundeskanzler Brandt gewesen ist? Denn bereits bei seiner Ankündigung, daß seine Regierung die Nationalstiftung schaffen wolle, hat er diesem Hohen Hause und der deutschen Öffentlichkeit mitgeteilt, daß die Deutsche Nationalstiftung nach Berlin soll.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege von Fircks, ich kann das natürlich gerne bestätigen. Ob es aber etwas nützt, den Informationshorizont der Kollegen von der Koalition in dieser Frage zu erweitern, muß ich ernsthaft bezweifeln. ({0}) Die Position der Koalition zum Thema Deutsche Nationalstiftung ist im Grunde genommen so unwürdig, daß wir, wenn der Herr Bundeskanzler, wie wir hören, heute zum Innenetat etwas sagen wird, von ihm dazu noch ein ganz klares Wort hören möchten. ({1}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lattmann?

Dieter Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie bestätigen, daß alle Fraktionen dieses Hauses jetzt bei diesem Thema Gelegenheit haben, zu beweisen, ob es ihnen wirklich und in erster Linie um die Förderung der Kultur geht oder ob sie durch eine deutschlandpolitische Debatte ganz anderer Zielsetzung die Kulturförderung verhindern wollen?

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lattmann, auch dazu kriegen Sie von mir eine ganz klare Antwort. Uns geht es um beides. Uns geht es um eine wirksame Kulturförderung und uns geht es um Berlin. Wenn die Deutsche Nationalstiftung nach Berlin kommt, dann ist sie dort am besten aufgehoben und in der Lage, dort das Beste, das aus dieser Stiftung kommen kann, für uns alle, für Deutschland und für das deutsche Volk, herbeizuführen. ({0}) Nun einige Bemerkungen zur Sportförderung! Dieser Förderungsbereich erreicht mit insgesamt rund 228,8 Millionen DM einen Betrag, der es verdient hätte, daß der Minister hier auch einige Ausführungen macht. Oder, Herr Minister, reden Sie nur, wenn erfolgreiche Sportler von Olympischen Spielen zurückkommen? Dann sind Sie sehr flott und fix dabei, Empfänge zu organisieren. Aber hier im Deutschen Bundestag haben Sie heute nicht ein einziges Wort über den Sport verloren. Das sollten alle, die sich im Sport verantwortlich fühlen, Ihnen sogar übelnehmen. ({1}) Wir hätten Ihnen dann nämlich gerne eine Antwort auf eine Reihe von Fragen abverlangt, die mit Unterstützung von SPD und FDP in dieser Legislaturperiode negativ entschieden worden sind. So Dr. Riedl ({2}) hat meine Fraktion die Erstellung eines Bundessportplanes vorgeschlagen und Sie haben es abgelehnt -, um die Sportförderung transparenter zu machen, den Sport aus der Bittstellerrolle zu befreien. Auch ging es darum, die Arbeit der gemeinnützigen Turn- und Sportvereine durch eine zeit- und aufgabengerechte Beurteilung in der Steuergesetzgebung zu unterstützen. Statt dessen haben die Koalition und auch die Fachleute des Ministeriums wider besseres Wissen bei der Verabschiedung der Abgabenordnung eine Regelung durchgesetzt, die faktisch nicht eine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung des zur Zeit bestehenden unbefriedigenden Zustandes bedeutet. Hier haben die Herren des Ministeriums - des Finanzministeriums - sogar die zuständigen Ausschüsse mit falschen Unterlagen versorgt, - eine Entscheidung, die längst hätte berichtigt werden müssen. ({3}) - Es ist doch so. Die Arbeit der Deutschen Sporthilfe als des freiwilligen Sozialwerks des deutschen Sports langfristig und kontinuierlich unabhängig von staatlichen Zuschüssen durch die jährliche Herausgabe von Sportsondermarken abzusichern, haben Sie ebenfalls abgelehnt. Dieses unwürdige Hickhack um den Verkauf, um die Herausgabe der Sportbriefmarken in Berlin! Da erklärt der Berliner Senat auf eine Anfrage der CDU-Fraktion, es gebe keine alliierten Einwände gegen den Vertrieb derartiger Marken an Berliner Postschaltern. Nun muß ich aber mal hierzu zweierlei sagen. Erstens. Warum hat der Postminister auf eine bestimmte Auflage der Sportbriefmarken nicht einfach „Berlin" gedruckt? Dann wäre das Problem erledigt gewesen, wie bei allen anderen Berlin-Briefmarken auch. Und wenn er dies versäumt hat, warum hat er dann nicht wenigstens die Zusage gegeben, daß im nächsten Jahr in Berlin Sportsondermarken erscheinen? Hier wird doch mit falschen Kugeln gespielt. Da muß man die Realitäten nennen und die Wahrheit sagen und darf nicht so tun, als ob das auf Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Alliierten und dem Westberliner Senat zurückzuführen ist. Hier ziehen die Alliierten mit Sicherheit als Ausrede nicht. ({4}) Welche Bedeutung der Bundesinnenminister trotz aller gegenteiligen Beteuerungen dem Sport zu-mißt, zeigt allein schon die organisatorische Eingliederung des Sports in seinem Hause. Im Bundesinnenministerium gibt es keine eigene Sportabteilung, sondern der Sport ist mit der Medienpolitik, mit diesem ich sage das jetzt ironisch; damit das nicht falsch verstanden wird - konkreten Aufgabengebiet Medienpolitik zusammengelegt worden, wobei man nicht weiß, von welchem Gebiet auf welches andere die Unklarheiten überschwappen und überlappen. Herr Minister, wenn ich Innenminister wäre und immer solche Reden über den Sport gehalten hätte, wie Sie es gemacht haben, ({5}) dann hätte ich längst den Sport zu einer eigenen Abteilung gemacht. Warum Sie das nicht gemacht haben, ist mir unverständlich. Diese Entscheidung würde auch dem Ansehen des Sportes Rechnung tragen. Und noch ein Versprechen. Wissen Sie, die Opposition ist gar nicht so schlecht, wie Sie immer meinen. Wir hören viel, wir merken uns viel, wir wissen viel, und wir schreiben uns auch viel auf. Aufgeschrieben haben wir uns, daß Sie, als Sie Minister geworden sind, versprochen haben, den Goldenen Plan wiederzubeleben bzw. durch etwas anderes zu ersetzen. Herr Minister, davon ist nicht nur nicht die Rede, sondern dieses Thema haben Sie völlig vergessen. Der Sport, die Gemeinden und die Vereine, wartet sehnlichst darauf, daß auch dieses Wort von Ihnen eingelöst wird. ({6}) Dabei wird im Sport mit immer neuen Begriffen gearbeitet. Erst hatte man die Bundesleistungszentren. Mit dieser Konzeption ist man wegen der Unterhaltskosten nicht recht weitergekommen. Dann hat man die Landesleistungszentren geschaffen, dann die Stützpunkte. Wenn Sie irgend etwas bauen wollen - bei einem der drei Punkte findet das Innenministerium schon einen Aufhänger, um sagen zu können, das gehe nicht, weil die Voraussetzungen für das eine nicht gegeben seien. Und wenn Sie dann sagen, dann machen wir das andere, bekommen Sie ebenfalls zu hören, das gehe nicht, weil die Voraussetzungen für das dritte nicht gegeben seien. In dem magischen Dreieck Bundesleistungszentrum, Landesleistungszentrum und Stützpunkte findet das Innenministerium immer einen Ausweg, um Antragsteller negativ bescheiden zu können. Zum öffentlichen Dienstrecht hat der Kollege Dregger - ich bin selbst Beamter und habe das mit außerordentlicher Dankbarkeit festgestellt - ganz klare Ausführungen gemacht, die vom öffentlichen Dienst und den Berufsverbänden sicher mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen werden. ({7}) Ich möchte hier nur auf den Kostengesichtspunkt hinweisen, genauer: auf die Kosten, die die Studienkommission und die Projektgruppe verursacht haben. Sie wissen, daß mit Bildung der sozialliberalen Regierung eine „Studienkommission zur Reform des öffentlichen Dienstes" und eine „Projektgruppe für die Reform der Struktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung" geschaffen wurden. Das muß man ja alles zweimal lesen, so anspruchsvoll sind die Bezeichnungen. Die Studienkommission hat dem deutschen Steuerzahler zwischen 1971 und 1973 allein an Sachverständigengebühren - ohne Verwaltungskosten und ohne Beamtengehälter - 1,9 Millionen DM gekostet. Die Projektgruppe - beide haben wir ja im Haushaltsausschuß in Form eines Staatsbegräbnisses, auch unter gebührender Anteilnahme von SPD und FDP, aufgelöst ({8}) Dr. Riedl ({9}) hat den deutschen Steuerzahler von 1970 bis 1975 rund 9 Millionen DM gekostet. Das sind zusammen 10,9 Millionen DM. Wenn Sie das mit den Verwaltungskosten hochrechnen, können Sie sagen, daß über den Daumen gerechnet 20 Millionen DM zum Fenster hinausgeworfen wurden. Was wir als Ergebnis dessen vorgefunden haben, ist die vage Ankündigung des Kollegen Wendig - wie der Kollege Wendig dazu kommt, immer für die Bundesregierung zu sprechen, habe ich noch nicht ganz kapiert -, daß die Bundesregierung in der nächsten Woche ein Programm oder Grundsatzprogramm vorlegen wird. Und dann fragt der Kollege Wendig die Opposition nach konkreten Vorschlägen zum öffentlichen Dienstrecht. Hätten Sie uns von den 20 Millionen DM nur 5 % gegeben, damit wir die entsprechenden Professoren hätten beschäftigen können, Herr Kollege Wendig, ich darf Ihnen versichern, daß wir uns heute in dieser Stunde konkret mit den Vorschlägen der CDU/CSU hätten befassen können, Vorschlägen, die wir auch ohne eine einzige Mark zusätzlicher Kosten bereits im Innenausschuß und in unseren Gremien der Öffentlichkeit vorgelegt haben. ({10}) Auf dem Gebiet des Umweltschutzes - das konnte beim Kollegen Schäfer nicht ausbleiben - war von dem „blauen Himmel über der Ruhr" und den „sauberen Flüssen" die Rede. Herr Minister, beinnahe hätte ich gesagt: Hüpfen Sie doch einmal auf der Höhe des Bundeshauses in den Rhein. Wenn Sie ein nicht zu schlechter Schwimmer sind und nicht zuviel Wasser schlucken, sind Sie spätestens in Höhe der Adenauer-Brücke an den Giften im Rhein „kaputtgegangen". Reden Sie dann doch hier bitte nicht vom „blauen Himmel über der Ruhr" und den „sauberen Flüssen" ! Das, was die Koalition auf dem Gebiet des Umweltschutzes bisher gemacht hat, waren Ermächtigungsgesetze. Das Vollzugsdefizit bei den Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften ist eklatant ({11}) und wird auch vom Sachverständigenrat für Umweltfragen eindeutig beklagt. Daran ändern auch publizistisch noch so hervorragend aufgemachte Konferenzen wie die in Schloß Gymnich nichts. Die Fortschreibung des Umweltprogramms, die Sie im Innenausschuß bereits für 1975 zugesagt hatten, fehlt, und die Negativliste Ihrer Umweltbilanz läßt sich beliebig fortsetzen. Dabei wird seitens der SPD und FDP immer wieder verschwiegen, daß im Grunde genommen die erforderlichen Investitionen auf dem Gebiet der Luftreinhaltung, der Abfallwirtschaft und des Gewässerschutzes der verfehlten Wirtschafts- und Inflationspolitik zum Opfer gefallen sind. Meine Damen und Herren, auch hier wieder der Punkt auf dem I: das Umweltbundesamt in Berlin, eine an sich zunächst als zentrale Planungs- und Forschungseinrichtung konzipierte Behörde, die die umfassende Kompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Umweltschutzes haben sollte. Was in Wirklichkeit geschaffen worden ist - ich empfehle jedem, das entsprechende Gutachten des Bundesrechnungshofs zu lesen -, ist eine aufgeblähte Verwaltungsbürokratie, in der heute rund 400 Beschäftigte die Forschungsmittel verwalten, die früher im Ministerium verwaltet worden sind. Es handelt sich also um eine Verlagerung von Ausgabekompetenzen aus dem Ministerium in eine Behörde nach Berlin. Es versteht sich bei dieser Regierung ganz von selbst, daß der entsprechende Verwaltungsapparat im Ministerium nur unwesentlich verringert worden ist. Herr Minister, dieses Haus - das sage ich jetzt in allem Ernst ({12}) muß von Ihnen erwarten, daß Sie unverzüglich auf der Grundlage des Gutachtens des Bundesrechnungshofs eine generelle Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Umweltbundesamtes anordnen, um noch größeren Schaden, sprich: größere Verschwendung von Steuergeldern, verhindern zu helfen. ({13}) Ein besonders trübes Kapitel ist der Bereich der zivilen Verteidigung; deshalb ist es wohl auch verschwiegen worden. Man kann ihn wahrscheinlich als die Krönung der Negativbilanz des Innenministeriums ansehen, ({14}) weil hier ein Bereich in den Strudel gerät, der für die berechtigten Anliegen unseres Volkes von großer Bedeutung ist. Sie, der Bundesinnenminister, haben es hingenommen, daß Jahr für Jahr entscheidende Einbrüche in die Substanz der zivilen Verteidigung hingenommen werden mußten. Sie haben um die zivile Verteidigung nicht gekämpft, wobei wir von der Opposition im Grundsatz Verständnis dafür haben, daß, wenn überall gespart werden muß, das auch in diesem Bereich geschehen muß. Unverantwortlich ist aber, daß Sie im Rahmen ihrer sogenannten Maßnahmen zur Verbesserung der selbstverschuldeten Finanzmisere den Schutzraumbau völlig ausgesetzt haben. Damit treffen Sie den einzelnen Bürger, der ein Anrecht darauf hat - das ist auch eine Anerkennung seiner persönlichen Freiheit und seines Freiheitsspielraumes -, im Katastrophenfall eine Überlebenschance zu haben. Es ist einfach nicht mehr hinnehmbar, wie sich Jahr für Jahr die Ausgabenrelation zwischen ziviler und militärischer Verteidigung zum Nachteil der zivilen Verteidigung verschiebt. Es fragt sich, ob Sie sich überhaupt dessen bewußt sind, daß sinnvolle militärische Verteidigung nur möglich ist, wenn der Schutz der zivilen Bevölkerung sichergestellt ist. Sie sollten sich von Ihren Experten einmal über diese Probleme informieren lassen. Man hat den Eindruck, daß Sie, Herr Minister, sich der zivilen Verteidigung deshalb nicht mit Engagement, wie es Ihre Pflicht gewesen wäre, angenommen haben, weil es sich hier zugegebenermaßen um eine unpopuläre und öffentlich wenig wirksame Maßnahme handelt. Im Bereich des erweiterten Katastrophenschutzes vermehrt sich von Jahr zu Jahr das Ausrüstungsdefizit. Sie tun so gut wie gar nichts auf diesem Gebiet. Dr. Riedl ({15}) Ich darf damit zum Schluß kommen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat, wie Sie sich sicherlich erinnern können, in den ersten Jahren der SPD/FDPKoalition, weil es in den Grundsatzfragen dieses Haushalts keine wesentlichen Meinungsverschiedenheiten gegeben hat und eigentlich auch nicht geben sollte, den Haushalten des Bundesinnenministeriums zugestimmt. Dies hat sich gründlich geändert, wie mein Kollege Dr. Dregger, der Kollege von Weizsäcker und ich heute an einigen Beispielen darstellen konnten. Die Gemeinsamkeiten sind leider Gottes brüchig geworden, und in bestimmten Bereichen wie z. B. dem Bereich der Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst kann es zwischen dieser Regierung und dieser Opposition keine Gemeinsamkeit in der Grundauffassung geben. Das ist in diesen Stunden deutlich geworden. Das ist auch der Grund, meine Damen und Herren, warum die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Einzelplan 06 und den Einzelplan 36 ablehnt. ({16}) Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern, Herr Professor Dr. Maihofer. ({17})

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war doch etwas zu starker Tobak, Herr Riedl, was Sie hier zu den einzelnen Vorhaben meines Hauses vorgetragen haben, als daß ich das so ungerügt stehenlassen könnte. ({0}) - Sie werden gleich sehen, was ich damit meine. ({1}) Ich möchte nur zu sechs Punkten Stellung nehmen, wo Sie in der Tat die Wahrheit auf den Kopf gestellt haben. ({2}) - Sie können auch „unberichtigt" sagen; von mir aus ist nichts anderes als dies gemeint. Erstens. Was Sie zu der Kontroverse um die Vereinigung demokratischer Juristen sagen, ist das genaue Gegenteil der Wahrheit. Wir haben in allen Äußerungen, auch in meinen, ausnahmslos darauf hingewiesen, daß es einmal in solchen Volksfrontorganisationen wie der Vereinigung demokratischer Juristen - und das macht ja Ihre eigentliche ({3}) Gefährlichkeit aus - Mitglieder gibt, die extremistischen Organisationen angehören, aber auch Mitglieder gibt, die entweder überhaupt keiner politischen Organisation oder auch demokratischen Organisationen angehören, wie Sie das gerade von dem Vorsitzenden der Vereinigung demokratischer Juristen gesagt haben. Wir haben jedesmal klargestellt, daß darüber hinaus - und darauf haben wir immer gedrängt - für die Bundesebene wie für die Landesebene solcher Organisationen differenziert untersucht werden muß, ob und wo tatsächlich extremistische Aktivitäten entfaltet werden. Das sieht von Landesverband zu Landesverband vollkommen unterschiedlich aus. Es gilt, dies im Einzelfall zu würdigen. Wenn extremistische Aktivitäten festgestellt werden, muß das den treffen, der sich so betätigt, nicht aber als pauschales Verdikt die Organisation insgesamt. Nur darum geht es in der Sache. ({4}) Wenn Sie hier behaupten, daß in meinem Hause der Referent, der jenes Votum verfaßt hat, strafversetzt worden sei, so ist das genaue Gegenteil richtig. Dieser Referent ist inzwischen von der Abteilung ÖS II zum Grundsatzreferat Öffentliche Sicherheit ÖS I aufgestiegen und hat dort den sicherlich auch von Ihnen nicht als zweitrangig betrachteten Auftrag erhalten, den Verfassungsschutz durch Verfassungsaufklärung auf der Grundlage einer umfassenden empirischen Enquete über den Linksextremismus, die erstmals in meinem Hause veranstaltet wird, nun in Aktivitäten sowohl der politischen Bildung wie auch des aufklärenden Verfassungsschutzes selbst zu übersetzen. ({5}) Vizepräsident von Hassel: Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Riedl?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Ja, bitte!

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, können Sie bestätigen, daß dieser Beamte unmittelbar nach Abfassung dieses Schriftstücks, das an die bayerische Staatsregierung gegangen ist, versetzt wurde und daß das, was Sie hier dargestellt haben, in Fachkreisen als Hoch- oder Wegloben bezeichnet wird?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Das ist eine vollständige Verdrehung der Tatsachen. Dieser Beamte ist bei einem Revirement, bei dem beide Fachaufsichtsreferate neu besetzt worden sind und bei dem eine Reihe anderer Referate nicht nur neu besetzt und verstärkt wurden, sondern bei dem auch ein zusätzliches Referat im Rahmen der öffentlichen Sicherheit geschaffen wurde, im Zuge also eines erheblichen Ausbaus unserer Abteilung „Öffentliche Sicherheit" insgesamt umgesetzt worden, ({0}) und zwar auch nach persönlichen Gesprächen von mir mit diesem Beamten selbst und nach Erörterung der ihm hiermit zufallenden neuen gewichtigen Aufgabe und - so wurde mir jedenfalls erklärt - in vollem Einverständnis mit dem Beamten selbst. So ist die Wahrheit. ({1}) Zweitens. Das, was Sie zu den Hochschulen sagen, ist genauso das vollkommene Gegenteil der Wahrheit. Ich habe in jeder Erörterung des letzten und vorletzten Verfassungsberichts dargelegt - das läßt sich an Zahlen beweisen, und das ist eben keine naive Illusion -, daß der Anteil der linksextremistischen Organisationen sowohl im VDS als auch bei den einzelnen Mandatsträgern der verschiedenen Universitäten zurückgegangen ist. Das ist die reine Wahrheit. Drittens. Bei der Nationalstiftung ist es ebenso unwahr, wenn Sie hier behaupten, in unserem Hause seien keine entschiedenen Anstrengungen gemacht worden, diese Sache voranzubringen. Die Wahrheit ist, daß ich durch meine persönliche Teilnahme an der Kultusministerkonferenz des letzten Jahres den davor zum vollständigen Stillstand gekommenen Vorberatungen zu diesem Stiftungsgesetz, überhaupt wieder neuen Auftrieb gegeben habe. Heute ist es so, daß wir uns in zwei Grundsatzfragen noch nicht verständigt haben. Der erste Punkt betrifft die Parität in den Gremien der Stiftung zwischen Bund und Ländern. Da gibt es noch Kontroversen mit einzelnen Bundesländern. Der zweite Punkt bezieht sich auf die Finanzierung durch Bund und Länder. Diese in zwei Punkten nicht vorhandene Verständigung ist nicht Schuld des Bundes, sondern ausschließlich eine Folge der bisher noch nicht erreichten Klärungen zwischen Bund und Ländern. Dem hatten allein wir durch einen Ansatz im Haushalt und in der mittelfristigen Planung den nötigen Nachdruck gegeben. Das ist die wahre Lage. ({2}) - Sie wissen doch genau, daß wir immer gesagt haben: Bei Abschluß dieses in allen Grundsatzfragen verabredeten Stiftungsgeschäfts ({3}) werden wir zwischen Bund und Ländern auch die Sitzfrage entscheiden. Das ist den Ländern von mir schon auf jener Kultusministerkonferenz erklärt worden, und das ist die Gesprächsgrundlage für uns alle. Deshalb halte ich es für richtig, daß wir zunächst einmal das Stiftungsgeschäft in allen Einzelheiten verabreden und dann, nach Klärung der Sitzfrage auch auf Ministerpräsidentenebene, unverzüglich, ich hoffe noch in diesem Jahr, mit der Errichtung dieser Stiftung beginnen. ({4}) - Sie wissen doch ganz genau, daß diese Frage sich je anders darstellt, je nachdem, ob Berlin allein vorgesehen wird oder zusammen mit anderen Städten, je nachdem aber auch, wie diese Stiftung am Ende aussieht, ob sie wirklich eine paritätische Stiftung zwischen Bund und Ländern und eine Stiftung wird, die die Gemeinden, aber auch die Verbände verantwortlich mit einbezieht. ({5}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Berger, Herr Bundesminister?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Nein. Ich möchte jetzt wirklich zu Ende kommen. Das ist eine Replik zu Ausführungen von Herrn Riedl. Ich äußere mich zu seinen Punkten und nicht zu neuen Punkten. ({0}) Es handelt sich um eine Frage, die sich entscheiden läßt, wenn die Funktion der Stiftung nach ihrer Organisation verläßlich beurteilt werden kann. ({1}) Viertens. Zur Sportförderung: Auch hier stellen Sie, Herr Riedl, die Dinge auf den Kopf. ({2}) Gehen Sie doch mal durch die Fachverbände aller Sportarten! Offenbar haben Sie überhaupt keine Berührung damit. ({3}) Gehen Sie nicht nur in die Deutsche Sportkonferenz - deren Vorsitzender ich im Augenblick bin -, sondern geauso zum DSB und erkundigen Sie sich, ob wir eine wirksame Sportförderung, vor allem Leistungssportförderung, heute in diesem Land haben! Dann werden Ihnen alle das sagen, was sie mir auch in den Direktkontakten während der letzten Monate ins Gesicht gesagt haben, nämlich daß es noch nie eine so wirksame Förderung des Sports und auch des Leistungssports in diesem Land gegeben hat. ({4}) Die Erfolge lassen sich nicht nur an den Steigerungszahlen der Sportförderungsmittel ablesen, mehr noch an den Erfolgen bei der letzten Winterolympiade. Diese Erfolge sprechen für sich und widersprechen allem, was Sie wahrheitswidrig behaupten. ({5}) Sie fragen, warum keine Sportbriefmarke auf Dauer geschaffen wird. Das dürfen Sie doch nicht mir sagen! Ich habe mich öffentlich und in Briefen an alle Stellen, die es angeht, für die Dauereinrichtung der Sportbriefmarke eingesetzt. Das können Sie doch nicht auf mich abladen! Ich habe in diesem Jahr mit erheblichem persönlichen Einsatz jedenBundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer I falls mit durchgesetzt, daß es diese Sportbriefmarke für 1976 gibt. Das müssen Sie immerhin abnehmen. So können Sie hier nicht mit mir verfahren. Sie fragen, warum es nicht wieder einen Goldenen Plan gibt. Diese Frage müssen Sie an die Länder richten. Daß es keinen gibt, liegt doch nicht an uns. Wir würden gleich morgen einen solchen Goldenen Plan wieder auflegen. ({6}) - Nein, jetzt nicht; lassen Sie es bitte. Weil es den Goldenen Plan nicht gibt, haben wir - das wissen Sie ganz genau, und deshalb reden Sie wider besseres Wissen - in dieses Stützpunktsystem, ({7}) das wir ganz neu ausgebaut haben ({8}) - nein; ach reden Sie doch keinen Unsinn, Herr Gerster; von Sportförderung verstehen Sie nun wirklich überhaupt nichts! -, ({9}) nicht nur, wie bisher, alle Verbände, sondern auch die Vereine vor Ort, in denen wirklich Spitzenleistungen vollbracht werden, eingebracht, so daß wir heute das, was Sie ständig auf dem Papier fordern, nämlich ein Leistungssportprogramm, längst verwirklicht haben. Das lassen Sie sich gesagt sein! ({10}) Fünftens zum öffentlichen Dienstrecht. In der Tat ist es richtig, daß wir seit 1972 Vorschläge der von Ihnen nochmals in Erinnerung gebrachten Studienkommission auf dem Tisch haben. Sie wurden nicht verwirklicht, weil sich die Wirtschafts- und Haushaltslage in den Jahren danach grundlegend verändert hatte. Denn diese Vorschläge waren so konzipiert, daß sie bei ihrer Realisierung Milliardensteigerungen der Personalkosten in den öffentlichen Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden zur Folge gehabt hätten. Deshalb war es erforderlich - und das ist inzwischen geschehen, und zwar nicht irgendwie, sondern auf mein Betreiben seit einem Jahr -, all diese Vorschläge für all die schrittweisen Reformen, an die Herr Kollege Wendig schon erinnert hat, zu einem Aktionsprogramm sowohl zur Dienstrechtsreform wie zur Verwaltungsreform zusammenzufassen, mit den Ressorts abzustimmen und mit den Verbänden zu erörtern. Das liegt nun auf dem Tisch und kommt in der nächsten Woche im Kabinett zur Entscheidung. ({11}) - Davon kann keine Rede sein. Wenn ich nur an Wahlopportunitäten denken würde, lieber Herr Kollege, dann würde ich die Frage der Dienstrechtsreform für Wahlzeiten aufgeben. Gerade weil wir solchen Opportunitäten nicht erliegen, sondern die Dienstrechtsreform als eine langfristige Aufgabe ansehen, die unabhängig von Legislaturperioden betrieben werden muß, haben wir noch am Ende dieser Legislaturperiode alles in die Wege geleitet, damit wir die Reformvorhaben gesetzgeberischer und verwaltungsmäßiger Art schon in den nächsten Monaten in enger Verbindung mit den getroffenen Verbänden Punkt für Punkt und Schritt für Schritt festlegen können, so daß in der nächsten Legislaturperiode wirklich mit einer Dienstrechtsreform ernst gemacht werden kann, die die rechtlichen und tatsächlichen Arbeitsbedingungen der öffentlichen Bediensteten verbessert. Denn in der Tat ist richtig, was Herr Dregger heute morgen gesagt hat - das habe ich bei anderer Gelegenheit hier in diesem Hause schon genauso ausgedrückt -, daß unser öffentlicher Dienst nicht nur jeden Vergleich mit vergleichbaren Ländern um uns herum nicht scheuen muß, sondern daß er im Vergleich zu jedem dieser Länder heute in der Tat leistungsfähiger als andere dasteht. Daß er dennoch in vieler Hinsicht, sowohl was Leistungsfähigkeit als auch was das Kostensparen anlangt, noch verbessert werden kann, darüber sind sich doch alle Fachleute einig. Sechstens und vorletztens: Umweltschutz. Den Rat „Hüpfen Sie in den Rhein!" usw. würde ich zwar für den Bodensee gern befolgen, und ich habe ihn im letzten Sommer befolgt; denn dort können Sie einmal sehen, was diese verlästerte Bundesregierung in den letzten Jahren mit auf den Weg gebracht hat: ({12}) ein Bodensee- und Rhein-Sanierungsprogramm mit einem Einsatz von 150 Millionen DM Bundesmitteln, das heute die Verhältnisse des Bodensees, meiner eigenen Heimat, nach dem Urteil aller Fachleute von Grund auf verändert hat. ({13}) Wenn wir jetzt - auch darin bin ich nicht ganz unschuldig -, in Brüssel eine ENV 131 beschlossen haben, mit der endlich eine europäische Harmonisierung der Umweltschutznormen gerade beim Gewässerschutz durchgesetzt wird und wenn wir bei der letzten Rheinanliegerkonferenz in diesem Frühjahr - nicht zuletzt auf Grund meines Betreibens ({14}) endlich nach jahrelangen Verhandlungen ein Chemieabkommen der Rheinanliegerstaaten abgeschlossen haben, das die toxischen Belastungen des Rheins erheblich reduzieren wird, und wenn wir in den nächsten Wochen in Bern auch über ein Chlorid-Abkommen für den Rhein verhandeln, dann sehen Sie daran, daß Sie mit Ihren Anklagen gegen die Bundesregierung auf dem Holzweg sind. Noch keine Bundesregierung hat so vieles an Umwelt16982 schutzgesetzen auf den Weg gebracht wie die sozialliberale Koalition seit 1969. (Beifall bei der FDP und der SPD - Gerlach [Obernau] [CDU/CSU] : Was die Länder und die Gemeinden bezahlen! - Vogel ({15}) - Entschuldigen Sie, wenn jemand wie Herr Riedl diese „Eier" so bekleckert, dann darf man sie, wie ich finde, wenigstens wieder sauberputzen. ({16}) Sie behaupten, Herr Riedl, in Ihrem Bericht weiter, der Gewässerschutz sei der Konjunktur zum Opfer gefallen; so habe ich mir notiert. Die Wahrheit ist das genaue Gegenteil. ({17}) Im letzten Investitionsprogramm dieser Bundesregierung waren allein 500 Millionen DM - mit auf mein Betreiben, wie ich in aller Unbescheidenheit feststelle - für Kläranlageninvestitionen mit eingebracht, die heute verausgabt sind. Auch das wissen Sie doch. ({18}) Dazu kommt die Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz, die wir gegen den entschiedenen Widerstand der Opposition durchgesetzt haben. ({19}) Dazu kommt das Abwasserabgabengesetz, das wir - auch wenn es heute auf eine Teillösung zurückgeführt ist - ebenfalls nur gegen den entschiedenen Widerstand der Opposition in dieser Gestalt durchsetzen konnten. ({20}) - Aber ja! ({21}) Siebentens und letztens die Zivilverteidigung. ({22}) - Nun mal langsam! Ich könnte Ihnen die Zahlen aus der Zeit auf den Tisch legen, in der die CDU allein die Regierung gestellt hat, aus der Zeit der Großen Koalition usw. Sie würden darüber staunen, ({23}) daß die Verhältniszahlen zwischen ziviler und militärischer Verteidigung, ({24}) die nach allgemeiner Überzeugung angestrebt werden sollten, niemals auch nur in der geringsten Annäherung erreicht worden waren. ({25}) - Aber doch nicht 1 : 20, wie Sie ja wissen. ({26}) Daß in diesem Sparjahr gerade beim Schutzraumbau ganz empfindliche Abstriche gemacht worden sind, beklage ich mit Ihnen; das wissen Sie ganz genau. Aber daß wir uns gerade von unserem Hause her mit allem Nachdruck dafür eingesetzt haben, daß ein Teil dieser Streichungen, und zwar in diesem Haushalt, wieder rückgängig gemacht wird und daß mehr als 7 Millionen DM wieder für diese Zwecke eingebracht worden sind, das haben Sie - ich kann nur sagen: geflissentlich - verschwiegen. ({27}) So ist es insgesamt mit Ihrer negativen Bilanz; ich glaube, sie charakterisiert weniger den Adressaten als den Autor. ({28}) Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der allgemeinen Aussprache über die drei verbundenen Einzelpläne. Wir kommen zur Abstimmung. Ich darf Sie bitten, zunächst die Vorlage des Einzelplans 06 - Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern - zur Hand zu nehmen. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Ich rufe zur Abstimmung den Einzelplan 33 - Versorgung - auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einzelplan 33 ist einstimmig angenommen. Ich lasse über den Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung - abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Ich rufe den Einzelplan 07 auf: Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz - Drucksache 7/5037 - Berichterstatter: Abgeordneter Simon Ich darf dem Berichterstatter danken und fragen, ob er zur Ergänzung das Wort begehrt. - Bitte schön, Herr Kollege Simon.

Paul Heinrich Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nur wenige Bemerkungen zum Einzelplan 07 machen. Nach den abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuß sind für den Einzelplan 07 Gesamtausgaben in Höhe von 274,1 Millionen DM veranschlagt. Die Einnahmenseite ist mit 119,6 Millionen DM veranschlagt. Die Ausgabenseite beinhaltet eine Steigerung von 11 Millionen DM. Das sind gegenüber den Ausgaben für 1975 4,2% mehr. Trotz der äußerst begrenzten Dispositionsmöglichkeiten, die in einem solchen Personalhaushalt bleiben, konnten bei zahlreichen Positionen wieder Kürzungen erreicht werden. Der Geschäftsbereich umfaßt ja 5 000 Stellen. 90 % der Gesamtausgaben sind Personal- oder personalabhängige Sachausgaben. So wird im Haushalt 1976 erneut das Bild der bescheidenen, traditionell sparsamen Justiz deutlich. Bei einem Teil der Ausgaben mochte die Mehrheit des Ausschusses allerdings doch etwas zulegen, und zwar beim Titel 531 01 - Unterrichtung der Bevölkerung über Maßnahmen auf dem Gebiete des Rechtswesens. Die Regierung ist in ihrem Entwurf davon ausgegangen - auch die Mehrheit des Ausschusses geht davon aus -, daß - ausdrücklich für das Jahr 1976 begrenzt - zu den Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit eineinviertel Millionen DM zugelegt werden sollten, um einmalig in diesem Jahr - der Bevölkerung das neue Ehe- und Familienrecht in einer verständlicheren Sprache beizubringen, als es der Text eines Gesetzes möglich machen kann. ({0}) Hilfsweise stellte die Opposition damals, nachdem sie dieses ablehnte, doch den Antrag, man möge diese eineinviertel Millionen DM wenigstens kw stellen. Die Mehrheit des Ausschusses ist dem gefolgt. Auch der Minister hat seine Zustimmung gegeben. Leider hat aber die Opposition dann trotzdem gegen diesen Titel gestimmt. Ich meine, es ist notwendig, daß ein Gemeinwesen Anspruch auf verständliche und überschaubare Gesetze erhält. Ich darf an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1966 erinnern, in dem ausdrücklich bestätigt worden ist, daß zu den Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit alle Ausgaben gehören, die für die Darlegung und Erläuterung der Regierungspolitik, ihrer Maßnahmen und Vorhaben sowie der künftig zu lösenden Fragen notwendig sind. ({1}) Wenn man noch dazu berücksichtigt, Herr Kollege Vogel, daß ja nur 1,2% der gesamten Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit dieser Regierung auf den Justizetat entfallen, dann, glaube ich, dokumentiert sich auch hier wieder die Sparsamkeit der Justiz. Lassen Sie mich dann noch auf einige Schwerpunkte hinweisen. Im Haushalt des Ministeriums sind erneut Mittel veranschlagt, mit denen aktuelle Gesetzgebungsvorhaben und Reformaufgaben speziell gefördert werden. Auch hier hat der Ausschuß den Ansatz etwas gekürzt: von 1,6 Millionen DM auf 1,525 Millionen DM. Dieser Ansatz dient vor allem weiter vorbereitenden und begleitenden wissenschaftlichen Untersuchungen, insbesondere um Rechtstatsachen zu ermitteln und auszuwerten und die damit notwendigen Grundlagen für die Gesetzgebungsarbeit des Hauses zu schaffen. Dabei liegt das wesentliche Gewicht, soweit wir das im Haushaltsausschuß erkennen konnten, etwa bei folgenden Bereichen: Verbesserung des Verbraucherschutzes; Modernisierung und Verbesserung des Wirtschaftsstrafrechts zur wirksameren Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität; Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts und des Urhebervertragsrechts; Reform des Staatshaftungsrechts. Die Arbeiten am Aufbau des automatisierten juristischen Informationssystems werden zunächst im Rahmen eines Entwicklungssystems zügig fortgesetzt. Einbezogen sind die Bereiche Steuerrecht, Sozialrecht und neuerdings auch Teile des Zivilrechts. Seit kurzer Zeit steht dafür eine eigene Datenverarbeitungsanlage zur Verfügung, die, wie wir hörten, in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Fachressorts, nämlich dem BMF und dem BMA, sowie den obersten Bundesgerichten und den Justizverwaltungen der Länder intensiv genutzt wird. Der Aufbau des Bundeszentralregisters in Berlin wird zügig fortgesetzt. Ein paar Zahlen dazu. Der jetzige Stand: 3 400 000 erfaßte Personen. Der Endstand sollte etwa bei 6 Millionen Personen liegen. Zur Zeit erfaßte Eintragungen: 6 800 000. Der Endstand soll bei etwa 12 Millionen liegen. Täglich werden derzeit etwa 10 000 bis 12 000 Neueintragungen durchgeführt. Nach Fertigstellung des Registers werden täglich etwa 7 000 neue Eintragungen erfolgen. Heute schon kommen täglich 7 000 Anfragen an das Bundeszentralregister. Im Endausbauzustand werden es etwa 35 000 sein. Auch das Gewerbezentralregister ist fast in voller Tätigkeit. Dort hat man schon 500 000 erfaßte Personen. Täglich werden 500 Neueintragungen vorgenommen; täglich erreichen das Gewerbezentralregister 1 000 Anfragen. Im Haushalt des Deutschen Patentamts - ein Schwerpunkt dieses Justizhaushaltes - zeigt sich seit einigen Jahren, daß die Ausgaben für die Patentbehörden deren Gebühreneinnahmen weit übersteigen, und zwar mit sehr stark steigender Tendenz. Bereits bei der Haushaltsberatung 1975 hat der Haushaltsausschuß das Justizministerium gebeten, eine neue Gebührenordnung zu erarbeiten. Er drängt also seit langem auf einen Ausgleich beim Deutschen Patentamt zwischen den Einnahmen und den Ausgaben. Wie Sie wissen - besonders die Damen und Herren des Rechts- und Haushaltsausschusses , ist der Regierungsentwurf bereits in der parlamentarisichen Beratung. Der Rechtsausausschuß hat vor wenigen Tagen sein Votum dazu gegeben, so daß zu erwarten ist, daß dieser Gesetzentwurf in Bälde abschließend in zweiter und dritter Lesung behandelt werden kann. Nun noch eine Bemerkung zum Europäischen Patentamt in München. Die Bauarbeiten für das Dienst16984 gebäude in München sind im Gange. Dieses Gebäude soll im endgültigen Ausbau 1 500 europäische Bedienstete aufnehmen. Im übrigen sind die technischen und organisatorischen Vorbereitungen für diese erste große internationale Behörde, die die Bundesrepublik beherbergen wird, so weit vorangetrieben worden, daß die Eröffnung des Amtes und die Entgegennahme erster europäischer Patentanmeldungen gegen Ende 1977 möglich sein werden. Mittel für den deutschen Anteil an den Kosten der Vorlaufphase sind im Haushalt 1976 enthalten. Abschließend verbleibt mir nur, Ihnen, sehr verehrter Herr Minister Dr. Vogel, herzlich für die von Ihnen jederzeit gezeigte Bereitschaft zu danken, uns bei unserer Arbeit im Bereich dieses Etats Hilfestellung zu leisten. Ich möchte aber auch Ihrem Haushaltsreferenten und seinen Mitarbeitern herzlich danken. Wir haben jede von uns erbetene Zuarbeit schnell und in konsequenter und sachgerechter Weise erhalten. Als am Ende dieser Legislaturperiode aus dem Parlament ausscheidender Abgeordneter möchte ich ein persönliches Wort anfügen. Ich danke auch den Damen und Herren aus dem Sekretariat des Haushaltsausschusses herzlich für ihre jederzeit bereitwillig geleistete Hilfe, die wir von ihnen verlangten. Ich danke auch für die vielen Überstunden, die sie auf Grund unserer Tätigkeit leisten mußten. ({2}) Vizepräsident von Hassel: Herr Kollege, ich möchte Ihnen, der Sie ausscheiden, einen besonderen Dank dafür aussprechen, daß Sie diesen Bericht hier noch vorgelegt haben. Das ganze Haus hat Ihnen diesen Dank, wie ich glaube, soeben bekundet. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reformgesetze, die wir seit 1969 verwirklicht haben oder in den nächsten Monaten noch in das Bundesgesetzblatt bringen wollen, beruhen auf der gedanklichen Vorarbeit sozialdemokratischer Rechtspolitiker aus einer Zeit, bevor die SPD den Bundeskanzler stellte. Stellvertretend für alle sei hier der Name von Adolf Arndt genannt. Diese Vorarbeit ist die erste Grundlage unserer Reformen. Den gedanklichen Vorsprung aus der Zeit der 60er Jahre haben die Rechtspolitiker der CDU bis heute nicht aufgeholt, und von denen der CSU rede ich hier vorsichtshalber überhaupt nicht. ({0}) Es war leicht, Konsens über unsere Vorstellungen mit unserem Koalitionspartner FDP herzustellen, denn gerade in der Rechtspolitik besteht die sozialliberale Koalition in der parlamentarischen Arbeit nicht erst seit dem Jahre 1969. Das ist die zweite Grundlage unserer Reformen. Im Grunde konnte die Opposition die vielen Reformnotwendigkeiten nicht bestreiten. Diese Einsicht machte sich durch sachliche und hilfreiche Mitarbeit einiger Unionsabgeordneter in den Ausschüssen deutlich. Es waren nicht immer diejenigen, die die fernsehwirksamen Reden im Plenum des Bundestages halten durften. Im Bundestagsplenum und bei anderen öffentlichen Veranstaltungen hatte die Opposition folgenden Grobraster. Bei Gesetzen, die die CDU/CSU ablehnen wollte, wurde von der Opposition behauptet, sie würden hastig, ja, hektisch durchgepeitscht. ({1}) Gelegentlich entartete die nach draußen gerichtete Argumentation der Opposition ins Maßlose. Die Opposition behauptete, das Erste Eherechtsreformgesetz sei männerfeindlich, frauenfeindlich, kinderfeindlich, volksfeindlich - und das bei einem Gesetz, dem nach einigen im Vermittlungsausschuß vorgenommenen Schönheitsreparaturen mehr als die Hälfte der Oppositionsabgeordneten ihre Zustimmung gaben. Stimmte die CDU/CSU den Regierungsentwürfen zu - und das war zuallermeist der Fall -, dann hörte es sich ganz anders an. Dann wurde nicht behauptet, die Gesetze seien mit Hektik durchgepeitscht worden. Dann hieß es etwa: „Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Annahme als Kind erfüllte der Deutsche Bundestag zwar spät, aber immerhin noch in dieser Legislatur. periode eine langjährige Forderung der CDU/CSU-Fraktion." ({2}) Der Opposition fehlte es an jeder rechtspolitischen, Konzeption. Gelegentlich mußte sie sogar warten, bis die Leitlinien der Rechtspolitik aus Mainz oder München nach Bonn durchgegeben wurden. Manchmal hatte ich den Eindruck, sie wisse nicht recht, ob gerade Mainz oder München zuständig sei. Zwischendurch lehnte sie das eine oder andere Gesetz ab, ohne aber selber Änderungsanträge zu stellen, etwa nach dem Motto: Ich sage es meinem großen Bruder; der hat in Mainz eine Staatskanzlei; der besorgt es euch dann im Bundesrat. ({3}) In den letzten Jahren war erfreulicherweise auch bei Teilen der politischen Opposition von der Verwirklichung der Chancengleichheit als einer vom Staat zu bewältigenden Aufgabe die Rede. Es gibt freilich auch andere Stimmen; die machen in Baden-Württemberg und offensichtlich jetzt auch im Bund die demagogische Parole „Freiheit oder Sozialismus" zum Wahlkampfslogan. Das sind dieselben Leute, die uns weismachen wollen, daß Rechtsstaat und Sozialstaat Gegensätze seien und der Ruf nach Chancengleichheit nur als Vorwand diene, um Bürgerfreiheiten zu beschneiden. Nun sehen uns bekanntlich immer diejenigen auf dem Weg zu einem freiheitsfeindlichen Kollektivismus, die bereits alles haben, was sie zur Entfaltung ihrer persönlichen Freiheiten benötigen, und die deshalb für sich und großzügig auch für andere auf Schutz und Hilfe des Staates verzichten. Diese Leute reden von Freiheitsverlust und sehen das Recht verletzt, auch wenn es ganz schlicht um den überfälligen Abbau von Privilegien geht. Sie sprechen dort von Bevormundung des Bürgers, wo es sich nur darum handelt, ihm erst einmal die Möglichkeit zu geben, seine Freiheit im Alltag zu gebrauchen. Gewiß sind nicht alle gleich leistungsfähig und gleich begabt, aber der Grundsatz, daß alle von der gleichen Linie aus starten, sollte nicht nur im Sport gelten. Wir wollen jedem die Chance geben, das zu erreichen, was unsere Gesellschaft ihm heute schon gewähren kann. Hierfür bedurfte es insbesondere der Reform des Rechts. ({4}) Der Bürger interessiert sich heute mehr denn je für sein Recht, und zwar nicht nur für das Recht, das heute gilt, sondern auch dafür, wie es sein könnte und sollte. Er fordert mit Grund ein Recht, das nicht erhaben in den Sternen steht, sondern denen fühlbar Hilfe gewährt, die der Hilfe im Alltag bedürfen. Nur eine solche Rechtsordnung kann er als sein Recht akzeptieren. Daraus folgt die große Bedeutung der Rechtspolitik. Sie muß dem sozialen Rechtsstaat, dessen Verwirklichung das Grundgesetz von uns allen fordert, auch im Alltag formen und durchsetzen. Die CDU hat einen Kongreß über das Thema „Recht sichert Freiheit" abgehalten. ({5}) Dieser Kongreß ist im Zusammenhang mit den heute gehaltenen Reden der Herren Dregger und von Weizsäcker zu sehen. ({6}) Was da zur Freiheit gesagt wurde, darüber wollen wir einmal eine kleine, unvollständige Blütenlese halten. ({7}) Einerseits hielt der baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger den Vertretern „jedes Sozialismus, auch des sogenannten demokratischen", entgegen: Ihrer neuen Freiheit setzen wir unsere alte Freiheit entgegen. Die Zukunft der Freiheit . . . ist zugleich die Vergangenheit der Freiheit. Andererseits führte sein Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat Kohl aus: Für uns gibt . . . es . . . kein Primat der Vergangenheit. Wir sind keine Traditionalisten, die in der Zukunft keine anderen Möglichkeiten sehen als die Fortschreibung der Vergangenheit. Die Dynamik unseres Staates und unserer Gesellschaft läßt einen solchen Standpunkt gar nicht zu. Einerseits kritisierte Herr Kollege Friedrich Vogel „die Forderung nach gezieltem Einsatz der Rechtspolitik als Instrument der Gesellschaftsveränderung" und fuhr fort: Gerade weil wir um die Gestaltungsfunktion und die Gestaltungswirkung des Rechts wissen, leisten wir an diesem Punkt entschiedenen Widerstand. Andererseits sprach Herr von Weizsäcker heute morgen von der Freiheit als Gabe und Aufgabe der Selbstverantwortung und Mitverantwortung. ({8}) - Ich will Ihnen eines sagen: Das macht deutlich, daß bei Ihrer Semantik eine Weiterentwicklung, die Sie für notwendig ansehen, Weiterentwicklung der Gesellschaft ist, während eine Weiterentwicklung, die Sie für falsch halten, bei Ihnen Gesellschaftsveränderung ist, auch wenn beide das gleiche wollen. ({9}) - Da gestatten Sie mir, daß ich Herrn Kollegen Klein zitiere: Die soziale Demokratie oder der demokratische Sozialismus, deren Ziel es ist, die Spannung von Freiheit und Gleichheit . . . aufzuheben, geben die Freiheit, die wir meinen, preis. Darin steht mehr als in dem Satz, daß Sie den Sozialismus nicht wollen. Das zu sagen gestehe ich Ihnen doch jederzeit zu. Bloß wenn man einen Pachtanspruch erhebt, fängt es an, schwierig zu werden. Herr von Weizsäcker hat heute morgen viele Sätze über die Freiheit gesprochen, wo einem Freien Demokraten oder einem Sozialdemokraten die Zustimmung leichtfällt. Lesen Sie aber einmal im Protokoll seine drei letzten Sätze nach. Da hat er, der sicher ein Landgut pachten kann, versucht, die nicht pachtbare Freiheit für sich und seine Parteifreunde zu pachten. Da fängt es an, schwierig und problematisch zu werden. Da wird das, was in den letzten drei Sätzen steht, einfach falsch. Ich hoffe und bin sicher, daß die von ihm in den letzten drei Sätzen gemachte Voraussage des Wahlergebnisses von den Wählern eben nicht so honoriert wird, wie er es vorauszusagen beliebte. ({10}) Noch eines. Wenn Sie über Freiheit reden, warum suchen Sie dann nach neuen Formen? Bevor die CDU eine nächste Konferenz etwa über die neue Frage der Freiheit kreiert, sei ihr angeraten, auch zum Problem der Freiheit ein altes Wort, hier das des konservativen Lorenz von Stein zur Kenntnis zu nehmen. Es lautet: Die Freiheit ist eine wirkliche erst in dem, der die Bedingungen derselben, die materiellen und geistigen Güter, als die Voraussetzungen der Selbstbestimmung, besitzt. Ich hoffe, dazu können wir alle miteinander ja sagen. Packen wir das Problem unserer Rechtspolitik und der Freiheit von einer anderen Seite an! Herr Kol16986 lege Vogel warf auf dem rechtspolitischen Kongreß in Karlsruhe der Koalition und ihrer Rechtspolitik eine falsch verstandene Liberalität vor, der es in erster Linie um die „Freiheit wovon", um die angebliche Befreiung aus institutionellen Bindungen und Bevormundungen geht, weniger dagegen um die „Freiheit wozu". ({11}) In der Tat war für Sozialdemokraten und ihre Rechtspolitik seit 1969 bereits Maßstab, was für die CDU erst Wahlprogramm 1976 werden soll. Ich zitiere aus dem Entwurf: Wir wollen das Glück des Menschen, nicht die Zwangsbeglückung des Staates. Wer dem Menschen alle Verantwortung abnimmt, nimmt ihm auch die Freiheit. Für uns Sozialdemokraten ging es bei unserer Rechtspolitik in dieser Perspektive auch um die „Freiheit wovon". Freiheit bedeutet für uns auch frei sein von entwürdigenden Abhängigkeiten. So hatten beispielsweise SPD und FDP bei der Reform des § 218 in Beachtung der jetzt auch von der CDU beschworenen Selbstverantwortung des Menschen eine Lösung gesucht und in den durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gezogenen Grenzen auch gefunden, in der der Schutz des werdenden Lebens weniger durch eine Strafandrohung als durch Rat und Hilfe für die betroffenen Frauen gewährleistet wird. ({12}) Bei der Reform des Scheidungsrechts wurde durch den Übergang vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip die Ehe als personale Lebensgemeinschaft anerkannt, deren Eigenart und deren höchstpersönlicher Charakter es dem Staat verbieten, sie mit Zwangsmaßnahmen auch dann noch aufrechterhalten zu wollen, wenn eine wirkliche Ehe überhaupt nicht mehr besteht. Während die CDU von Frauenfeindlichkeit, Männerfeindlichkeit, Kinderfeindlichkeit und Volksfeindlichkeit des neuen Eherechts sprach, haben wir bei unserer Reform die Selbstverantwortlichkeit der Ehepartner ernst genommen. Sowohl bei der Wahl des Ehenamens als auch bei der Regelung der Aufgabenverteilung in der Ehe hat das neue Eherecht staatliche Bevormundung durch die Notwendigkeit eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens der Ehegatten ersetzt. Gleichzeitig zeigt es sich gerade bei der Reform des Eherechts, daß für uns Sozialdemokraten die freie Entfaltung der Persönlichkeit untrennbar mit sozialer Inpflichtnahme verbunden ist. Ich zitiere jetzt aus unserem Entwurf eines Regierungsprogramms: Nur eine Politik der Solidarität und der Gerechtigkeit bringt jedem Bürger wirkliche Freiheit. Soziale Sicherheit geht nicht auf Kosten der Freiheit, im Gegenteil, soziale Sicherheit schafft Freiheit für den Menschen. ({13}) So erwirbt durch die Regelung des Versorgungsausgleichs die Frau erstmals im Falle der Scheidung auch dann einen selbständigen Versorgungsanspruch, wenn sie ihre ganze Kraft dem Haushalt gewidmet hat und deshalb nicht berufstätig war. Eine Zielvorstellung, für die Frauen seit Jahrzehnten kämpfen, nämlich die Gleichbewertung der Arbeit im Haushalt und der Kindererziehung, ist damit in einem ersten Teilabschnitt verwirklicht worden. ({14}) Wir haben in der Rechtspolitik durch Ausbau des sozialen Rechtsstaats mehr Freiheit für den Bürger geschaffen. Ich erwähne nur die Reform des Mietrechts, deren Erfolg sich übrigens allein schon aus der sinkenden Zahl von Mietprozessen ablesen läßt. Die Freiheit des vertragstreuen Mieters von der Furcht, seine Wohnung zu verlieren, wurde vergrößert, und gleichzeitig wurden die berechtigten Belange der Hausbesitzer gewahrt. Ich nenne ferner die verschiedenen Verbesserungen des Verbraucherschutzes, auf die an anderer Stelle in dieser Debatte eingegangen wird. Genau wie die Gleichstellung des nichtehelichen mit den ehelichen Kindern bringt auch das neue Recht der Annahme als Kind mehr soziale Sicherheit und damit mehr Freiheit. Einem Kind, das sonst dazu verurteilt wäre, als Heimkind aufzuwachsen, wird so die Möglichkeit gegeben, in der Nestwärme eines gesunden Zuhause, in einer Familie tatsächlich und rechtlich gleich günstige Lebensverhältnisse vorzufinden wie andere Kinder. Dann hat es mehr Chancengleichheit, dann hat es Anspruch auf eine Erziehung und Bildung, auf Grund derer es seine Persönlichkeit und seine Anlagen freier entfalten kann. Dann hat es, kurz gesagt, mehr Freiheit. ({15}) Der gleiche Ausbau der Freiheit des Bürgers läßt sich bei unseren Reformen im Recht der Wirtschaft nachweisen, die die Stärkung und Sicherung des Wettbewerbs zum Ziel hatten, wobei der Reform des Kartellgesetzes besonderes Gewicht zukommt. Derselbe Gedanke leitete uns bei der gesetzlichen Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten. Diese Regelung brachte mehr Freiheit für die Journalisten, aber auch mehr Informationsfreiheit für uns alle. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten darüber nachdenken, ob es nicht symptomatisch war, daß Sie gerade diesem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung verweigert haben. Niemand sage, dieser Ausbau der Freiheit des Bürgers in der Mitverantwortung sei auf Gesetzentwürfe beschränkt, die im Bundesjustizministerium gefertigt wurden. Mehr Freiheit durch mehr Mitverantwortung im sozialen Rechtsstaat kennzeichnet z. B. auch die Reform des Betriebsverfassungsrechts und das Gesetz über die Mitbestimmung. Wer Wert darauf legt, möglichst im Rahmen der von der Geschäftsordnung vorgesehenen Redezeit zu bleiben, hat es schwer, allein bei der Aufzählung der wichtigsten Rechtsreformen Vollständigkeit zu erreichen. Wir können damit meine ich auch die Opposition - stolz sein auf die Verbesserungen im StrafDürr recht, mit denen wir neuen Formen der Kriminalität wie Luftpiraterie und Geiselnahme wirksam entgegengetreten sind. Ich erhoffe mir auch Konsens bei der Verabschiedung des Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, weil ich meine, wir alle sollten uns darüber einig sein, daß ein Mensch, der durch Subventions- oder Erstattungsbetrug der öffentlichen Hand widerrechtlich Gelder entzieht, die dann beim Bau von Schulen oder Kindergärten fehlen, weit sozialschädlicher handelt als ein kleiner Gauner, der meint, seinen Weihnachtsbaum im Wald stehlen oder ein mit dem Auto totgefahrenes Reh in den Kofferraum packen zu müssen. ({16}) Obwohl die CDU/CSU dem Vorschlag ihres Arbeitskreises „Innen- und Rechtspolitik", dem Strafvollzugsgesetz zuzustimmen, nicht gefolgt ist, appelliere ich an die Rechtspolitiker aller Fraktionen, es nicht dabei zu belassen, daß unser Strafvollzug nach mehr als hundertjährigem Bemühen auf eine bundeseinheitliche, dem Grundgesetz entsprechende Grundlage gestellt wurde und daß die Strafgefangenen in die Arbeitslosenversicherung einbezogen worden sind. Wir haben einen Schritt gemacht, der dazu führen soll, mehr Menschen von der schiefen Ebene des immer wieder rückfällig werdenden Straftäters herunterzuholen. Aber wir haben bei den Maßnahmen, die Geld kosten, einen Abstrich nach dem anderen machen müssen. Diese Abstriche sind von harten wirtschaftlichen Fakten erzwungen worden. In der Zeit des Aufschwungs sollten wir unsere guten Vorsätze bezüglich des Arbeitsentgelts und der Einbeziehung der Strafgefangenen in die Sozialversicherung ebensowenig vergessen wie den Ausbau der Sozialtherapie im Rahmen des Strafvollzugs. Wir haben auf diesem Gebiet noch ein großes Reformdefizit. Daran sollten Politiker aller Parteien in Bund und Ländern auch in Zeiten des Wahlkampfes denken. Wir sind allen gesellschaftlichen Kräften, den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, vielen Journalisten in Presse, Rundfunk und Fernsehen, sehr dankbar, wenn sie in der Öffentlichkeit für die an sich nicht populäre Notwendigkeit der Strafvollzugsreform werben und uns auf diese Weise helfen. ({17}) Die Rechtspolitik dieser Legislaturperiode kann sich sehen lassen. Dafür gebührt unser Dank den Bundesjustizministern Gerhard Jahn und Hans-Jochen Vogel und deren Mitarbeitern, ({18}) den Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten, Notaren und vielen anderen, denen wir beim Umsetzen neuer Gesetze in die Praxis einiges an Mühe zugemutet haben. Wir danken kurz vor Ende dieser Legislaturperiode auch allen aus Wissenschaft und Praxis, die unsere Rechtspolitik mit Kritik und Anregungen begleitet haben. Die Rechtspolitik in dieser Legislaturperiode war sehr erfolgreich. Das muß jeder, wenn auch vielleicht widerwillig, anerkennen, der sie sachlich würdigt. ({19}) Das wird selbst derjenige nicht wegdiskutieren können, der an diese Leistungsbilanz die seit gestern öfters gebrauchte wahlkampfdemagogische Elle anlegt. Ich hoffe sehr, daß Herr Kollege Lenz als der nachfolgende Redner dieser Versuchung nicht erliegt, auch wenn meine Hoffnung nicht so weit geht, daß ich erwarte, er werde dieser von Sozialdemokraten geleiteten Rechtspolitik das übrigens durchaus zutreffende Prädikat „volksfreundlich" verleihen. ({20}) Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz ({21}).

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß zum erstenmal seit 1971 aus Anlaß der Beratung des Justizhaushalts eine Debatte über die Rechtspolitik stattfinden kann. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu dem Bericht des Kollegen Simon machen, der über die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums der Justiz gesprochen hat. Nach unserer Auffassung, Herr Kollege Simon das ist eigentlich das einzige, was ich an Ihrem Vortrag auszusetzen habe --, ist es nicht Aufgabe des Bundesministeriums der Justiz, unverständliche Texte zu propagieren, sondern dafür zu sorgen, daß verständliche Texte angenommen werden. ({0}) Das Bundesministerium der Justiz ist federführend für die Rechtspolitik der Bundesregierung. Rechtspolitik ist ein Teil der Gesamtpolitik der Bundesregierung. Sie sollte deshalb ebenso wie die Gesamtpolitik der Sicherung der Zukunft unseres Staates und Volkes auf der Grundlage der Verfassung dienen. Die Rechtspolitik der derzeitigen Koalition ist dieser Grundforderung nicht gerecht geworden. Außerdem hat sich der Bundesminister der Justiz die Rechtspolitik von den Koalitionsfraktionen teilweise aus der Hand nehmen lassen. Zugegeben, Bundesjustizminister Vogel trat ein schweres Erbe an. Die rechtspolitische Landschaft hei seinem Amtsantritt glich eher einer Partitur für Jahns „Unvollendete", einer justizpolitischen Großbaustelle, um nicht zu sagen, einem Trümmerfeld. ({1}) Vieles war angefangen, nur weniges war vollendet, und dieses Wenige war zum Vorzeigen kaum geeignet, wie das mit so viel Elan betriebene Gesetz über die Reform der Amtsbezeichnungen der Richter zeigt. ({2}) Dr. Lenz ({3}) Der Justizminister mußte sich sogar vom Bundesverfassungsgericht sagen lassen, daß ein Teil dieses sonderbaren Reformwerkes verfassungswidrig sei. ({4}) Die Ursache für diesen Zustand der Rechtspolitik im Jahre 1974 war die Reformüberschwenglichkeit des Jahres 1969. Nichts ist kennzeichnender für die damalige Stimmung als das Kanzlerwort: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an." Dabei konnte unser Land im Jahre 1969 auf 20 Jahre erfolgreicher Rechtspolitik zurückblicken, ohne daß allerdings viel Aufhebens davon gemacht worden wäre. Lassen Sie mich deshalb die wichtigsten Ergebnisse noch einmal kurz zusammenfassen: Wiederherstellung der ab 1945 verlorengegangenen Rechtseinheit, konsequente Beseitigung nationalsozialistischer Rechtsvorschriften, sehr weitgehende Aufhebung des Besatzungsrechts, wirksamer Schutz der Grund- und Menschenrechte sowie der Verfassung, Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau und der nichtehelichen Kinder, ({5}) Beginn weitreichender Reformen auf dem Gebiet des Strafrechts und des Ordnungswidrigkeitenrechts, ({6}) rechtsstaatliche Normen und Fortentwicklung aller Zweige der Gerichtsbarkeit, verfassungsmäßige, zeitgerechte Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Richter, Rechtspfleger, Rechtsanwälte und Notare. Meine Damen und Herren, das war eine Bilanz, die für mehrere Generationen sozialdemokratischer Justizminister ausgereicht hätte. ({7}) 1969 wollte man dann beinahe alles auf einmal anpacken. Der Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit sollte reformiert und dreistufig gestaltet werden - was einen bekannten justizpolitischen Kommentator zu einem Artikel unter dem Titel „Drei Stufen ins Nichts" veranlaßte -, ein Rechtspflegeministerium sollte geschaffen werden, und dem Bundesjustizminister schwebte eine weitreichende Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen vor. ({8}) Das Erbrecht und das Kindschaftsrecht sollten neu gestaltet werden, das letztere mit der etwas merkwürdig anmutenden Begründung, das Kind müsse aus der elterlichen Fremdbestimmung befreit werden. ({9}) Ebenso sollte das Unternehmensrecht, nämlich das GmbH-Recht und das Recht der einzelkaufmännischen Unternehmen, neu gestaltet werden. Außerdem stand auf dem Reformprogramm des Bundesjustizministeriums das Amtsrecht der Staatsanwälte und das Richteramtsrecht. ({10}) Alle diese genannten Vorhaben, Herr Kollege Emmerlich, mußten abgeschrieben oder zurückgestellt werden. Man ist versucht, ein Wort Friedrichs des Großen abzuwandeln: „Wer alles reformieret, reformieret nichts." Die Konzentration auf das Mögliche und das politische Augenmaß für das Mögliche fehlten. So blieb Bundesjustizminister Vogel nichts anderes übrig, als das Reformprogramm drastisch zusammenzustreichen. Meine Damen und Herren, der zweite Fehler war die Konsequenz des ersten. Im Gegensatz zu Ihren öffentlichen Erklärungen bemühte sich die Bundesregierung nicht um eine loyale Zusammenarbeit mit den gesetzgebenden Körperschaften in Ihrer Gesamtheit einschließlich der Opposition, sondern sie versuchte, ihre Minimehrheit bis zum letzten Punkt auszureizen. Sie versuchte, den Bundesrat in eine Jasagemaschine zu verwandeln, und wenn er sich gegen diese Rolle sträubte und auf seinen Mitwirkungsrechten beharrte, versuchte die Koalition, ihn mit dem Vorwurf schachmatt zu setzen, er blockiere den Willen der demokratisch gewählten Mehrheit des Bundestages. ({11}) Die Kampagne gegen den Bundesrat stellt Demokratie und Verfassungsverständnis der Regierungskoalition und der sie tragenden Parteien ein besonders schlechtes Zeugnis aus, leider nicht das einzige. ({12}) Statt Mehrheiten über alle Parteien hinweg zu suchen, wie sie angekündigt hatte, betrachtete die Regierung das Recht als Hausgut der SPD bzw. der Koalition und nicht als Gemeingut des ganzen Volkes. Sie orientierte sich in erster Linie, ja, fast ausschließlich an den in ihrem eigenen Lager vorhandenen Vorstellungen, statt die Auffassung der Opposition mit in Betracht zu ziehen. Die Kontinuität der Rechtsentwicklung wurde teilweise gebrochen und die Kooperation mit Bundesrat und Opposition durch Konfrontation ersetzt. ({13}) Dies zeigte sich gleich bei einem der ersten wichtigen Gesetzgebungsvorhaben der Koalition, die in der Amtszeit der derzeitigen Koalition verabschiedet wurden, nämlich der fragwürdigen Reform der Straftaten wider die öffentliche Ordnung und wider die Staatsgewalt. An diesem Gesetz kann man eigentlich wie in einem Brennglas die Fehler der derzeitigen Rechtspolitik erkennen. Es wurde nicht an die Ergebnisse der 5. Wahlperiode angeknüpft, sondern um jeden Preis etwas Neues versucht. Man versuchte, den Bundesrat auszumanövrieren, in seinen Rechten zu beschneiden, wogegen sich damals der hessische Ministerpräsident protestierend wandte. Man setzte die Konzeption gegen alle Bedenken, von wem auch immer, durch. Die gleichzeitig erlassene Amnestie für Straßenkämpfer rundet das Bild ab. Das Ganze Dr. Lenz ({14}) ging im Schlagschatten der neuen Ostpolitik relativ unbemerkt über die Bühne. Die damals erprobte Taktik wird bis heute fortgesetzt. In politisch wichtigen Fragen werden an die Opposition im Bundestag keine Konzessionen gemacht. Falls man sich überhaupt dazu entschließt, welche zu machen, spart man sie sich bis zum Bundesrat auf, und auch dann macht man sie nur, wenn sonst die Verabschiedung des Gesetzes gefährdet ist. Zwei typische Fälle hierfür sind die Reform des Scheidungsrechts und des Abtreibungsparagraphen 218. Beim Scheidungsrecht kam es zu echten Kompromißverhandlungen, weil die Union ihren Sachanliegen mit dem Hinwies auf die nicht ausgeräumte Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes Nachdruck vergleihen konnte. Beim Abtreibungsparagraphen 218 war dies leider nicht möglich. Deswegen setzte die Koalition ihren politischen Willen durch, ohne in ernsthafte Kompromißverhandlungen überhaupt einzutreten - und dies, obwohl das neue Recht doch nicht nur für diese Wahlperiode und nicht nur für die Anhänger dieser Koalition, sondern für unser gesamtes Volk auf Dauer gelten soll. ({15}) Wir haben manchmal den Eindruck, als wäre Bundesjustizminister Vogel bereit, einen anderen Kurs zu steuern, aber er kann sich hier anscheinend sowenig durchsetzen wie in seiner Partei in München. ({16}) So wurde die Rechtspolitik gerade bei den im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehenden Fragen eher zu einem Schlachtfeld der Auseinandersetzungen statt zu einem Acker der Zusammenarbeit. Bei den weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehenden Fragen prägte gerade unter Justizminister Vogel, aber auch unter seinem Vorgänger, eine sachliche Zusammenarbeit den Stil der Beratungen. Es ist zu bedauern, daß sich diese Zusammenarbeit nicht bis in die wichtigen rechtspolitischen Grundfragen hinein erstreckte. Lassen Sie mich das an zwei Fällen beispielhaft darstellen. Die energische Bekämpfung von Verfassungsfeinden und von kriminellen Elementen ist nach Überzeugung der Union notwendig für die Sicherung unserer freiheitlichen Staatsordnung. Unser Volk würde es nicht verstehen, wenn unser Staat kriminellen Elementen nicht mit allem Nachdruck entgegentritt, und unser Volk würde es nicht verstehen, wenn sich unser Staat von verfassungsfeindlichen Elementen infiltrieren läßt. Wenn wir auf diesem Gebiet nicht erfolgreich sind, wird unser Volk das Vertrauen zu seinem Staat verlieren. Nach meiner Überzeugung hat die Bundesregierung weder in der letzten noch in dieser Wahlperiode auf diesem Gebiet die notwendige Energie gezeigt. Ich will nicht mehr auf die jahrelange Verschleppung unserer Gesetzesanträge zur Verschärfung des Haftrechts eingehen, die erst unter dem Eindruck der Bombenexplosionen der Baader-Meinhof-Bande verabschiedet werden konnten. Ich muß aber darauf hinweisen, daß die notwendigen Regelungen für den Ausschluß von Strafverteidigern eineinhalb Jahre verzögert wurden, obwohl der Bundesregierung dieses Problem sowohl als Rechtsproblem als auch als tatsächliches Problem seit langem bekannt war. ({17}) Ich muß weiter darauf hinweisen, daß es dem Herrn Bundesminister der Justiz nicht gelungen ist, für den Kabinettsbeschluß der Bundesregierung über die Überwachung des Verteidigerverkehrs die Unterstützung der Koalitionsfraktionen zu finden. ({18}) Sie haben das zwar vorgeschlagen, aber die Koalitionsfraktionen haben es fallengelassen. Sie haben sich dann vor dieses Haus gestellt und die kopierte Regelung ohne jegliche Verteidigerüberwachung als „ausreichend" bezeichnet. ({19}) - Als besser bezeichnet, jawohl, Herr Kollege Vogel. ({20}) - Zu diesem Ausschluß, Herr Kollege Arndt, werde ich auch noch kommen. Mittlerweile schlagen Sie uns selbst eine Überwachung des schriftlichen Verteidigerverkehrs vor. Außerdem sind Sie dann hingegangen, Herr Minister, und haben die beschlossenen Ausschlußvorschriften während eines schwebenden Verfahrens und ohne Not einschränkend und verunsichernd ausgelegt. Die Arbeit der Stammheimer und Karlsruher Richter haben Sie damit nicht gerade erleichtert. ({21}) Auch bei den noch ausstehenden Strafprozeßordnungsregelungen ist es der Bundesregierung, d. h. Ihnen, Herr Bundesjustizminister, noch nicht gelungen - vielleicht besteht noch Hoffnung -, alle Ihre Vorstellungen in den Koalitionsfraktionen durchzusetzen. Ich denke dabei z. B. an die Überwachung des schriftlichen Verteidigerverkehrs, der jetzt von Ihnen vorgeschlagen und von den Koalitionsfraktionen aber noch nicht gebilligt worden ist. ({22}) - Noch nicht, Herr Kollege. Dem ist überhaupt nicht zu widersprechen; denn noch haben wir es nicht verabschiedet. Wenn ich mich hier täuschen sollte, Herr Kollege, wird sich ja in kürzester Zeit die Gelegenheit ergeben, darüber in diesem Hause anhand der dann beschlossenen Texte zu reden, ({23}) obwohl dieser Vorschlag, Herr Minister Vogel, nach unserer Auffassung ohnedies nicht zureichend ist. Dr. Lenz ({24}) Meine Damen und Herren, manche in unserem Lande - jetzt wende ich mich an Herrn Bundesminister Maihofer - scheinen die Auffassung zu vertreten, Sicherheit und Freiheit seien Gegenstände und im Zweifel müsse man sich für die Freiheit entscheiden. ({25}) Für uns christliche Demokraten sind Sicherheit und Freiheit keine Gegensätze. Freiheit von Not und Freiheit von Furcht sind unabdingbare Voraussetzungen für Freiheit. Freiheit von Not ist ohne das, was wir innere und äußere Sicherheit nennen, nicht denkbar. Deshalb ist die Sicherung des Lebens, von Freiheit und Eigentum eine unverzichtbare Aufgabe des freiheitlichen Rechtsstaats. ({26}) - Leben, Freiheit und Eigentum hatte ich vorgelesen. ({27}) - Aber nicht für Notwehrhandlungen, Herr Kollege, gegen Handlungen, durch die meine Fraktion und ich persönlich verleumdet worden sind. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen. Wenn Sie glauben, Sie könnten hier eine Arbeitsverteilung einführen, bei der wir Amboß und Sie Hammer sind, werden Sie sich bei dieser Union getäuscht haben. ({28}) Deswegen war die Schaffung und Erhaltung eines leistungsfähigen Netzes der sozialen Sicherheit einschließlich seiner notwendigen Verankerung in einer leistungsfähigen Volkswirtschaft stets ein zentrales Anliegen unserer Politik. Ich habe zu meiner Freude gelesen, daß sich auch Sozialdemokraten nicht von der falschen Alternative „Freiheit oder Sicherheit" verleiten lassen. Freiheit und Sicherheit, so heißt es im neuen Regierungsprogramm, seien keine Gegensätze; sie bedingten einander. Vielleicht muß man diesen Punkt noch vor den nächsten Wahlen zum Gegenstand von Koalitionsverhandlungen machen, damit Sie, Herr Bundesminister Maihofer, das Bestehen auf sozialer Sicherheit von seiten ihrer sozialdemokratischen Koalitionspartner nicht als freiheitsbeschränkende Tendenz auslegen. ({29}) Nach unserem Verständnis gilt für das Verhältnis dieser Begriffe zueinander der Satz „Recht sichert die Freiheit". Der zweite Schwerpunkt liegt nach unserer Überzeugung auf dem Mangel an Respekt vor der Autorität des Rechts. Hierzu muß man sich freilich gegenüber der SPD differenziert äußern. Der frühere Hamburger Regierungschef Weichmann sagte: Unsere Gesellschaft muß auf der Respektierung des gesetzlichen Rechts wie auch des Vertragsrechts bestehen, solange es eben geltendes Recht ist. Aber die Koalitionspolitiker äußern sich anders. Für den früheren Bundeskanzler ist die Weltgeschichte eben kein Amtsgericht; ({30}) für den Kollegen Wehner ist der Rechtsstaat ein verknorpelter Begriff; und für den Kollegen Jahn war die Forderung nach Amnestie für Straßenkämpfer gerechtfertigt, weil der Kern ihres Anliegens begründet war. ({31}) Vor dem Hintergrund eines solchen Rechts- und Verfassungsverständnisses ist es erklärlich, daß man sich die Ostpolitik nicht von acht Richtern in Karlsruhe kaputtmachen lassen wollte und deshalb den Grundvertrag mit der DDR in Kraft setzte, ohne die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierüber abzuwarten. Es lohnt, noch einmal im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu lesen, was es selber von dieser Umgehung seiner Zuständigkeit hält. ({32}) - Es mag sein, Herr Kollege, daß Sie die Aussprüche des Bundesverfassungsgerichts für Träumerei halten. Wir halten sie für verbindliches Recht in unserem Land. Deswegen stehen wir auf dem Boden der Verfassung. Bei Ihnen ist das offenbar nur ein schöner Traum. ({33}) Bei der mißglückten Änderung des Abtreibungsparagraphen durch die sogenannte Fristenlösung setzte sich die Mehrheit des Hauses über die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesjustizministeriums hinweg und verabschiedete die Fristenregelung, die dann von Karlsruhe aufgehoben wurde.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Emmerlich?

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte den Gedanken erst zu Ende führen. - Auch die neue Regelung ist nach Auffassung mancher Beobachter nicht mehr vom Richterspruch aus Karlsruhe gedeckt. Bitte, Herr Kollege Emmerlich!

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lenz, betrachten Sie es als einen Beitrag zur Kooperation zwischen Koalition und Opposition im Bereich der Rechtspolitik, wenn Sie hier die Stirn haben, zu äußern, daß die Opposition auf dem Boden der VerDr. Emmerlich fassung stehe, während das bei der SPD offenbar nur ein Traum sei? ({0})

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Emmerlich, erkundigen Sie sich vielleicht bei dem Kollegen Müller-Emmert über die Genesis dieses Zwischenrufs; dann werden Sie meine Reaktion nicht nur verstehen, sondern voll billigen können. ({0}) - Im übrigen ist das Verhältnis der Koalition zur Verfassung gerade das Thema meines augenblicklichen Beitrags, Herr Kollege Emmerlich. Vielleicht ergibt sich daraus noch einiges mehr. Bei der Einführung der paritätischen Mitbestimmung hat die Regierung zunächst einen Gesetzentwurf vorgelegt, der nach Auffassung zahlreicher Sachverständiger verfassungswidrig war. ({1}) Das Bundesministerium der Justiz hat selber wegen eigener Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs Gutachten von Professoren angefordert, die dem Entwurf teilweise Verfassungswidrigkeit bescheinigt haben, und zwar zu einem Zeitpunkt, Herr Kollege Arndt, als der Entwurf noch gestoppt werden konnte. Aber erst unter dem Eindruck einer öffentlichen Anhörung hat die Koalition den Entwurf auf Eis gelegt, um dann nach einigen Geheimverhandlungen einen neuen Entwurf ratenweise vorzulegen, der den meisten vorgetragenen Bedenken Rechnung trug. Schließlich machte die Bundesregierung, nachdem sie das ganze Jahr 1972 ohne Haushaltsgesetz regiert hatte, um die Jahreswende 1972/73 eine Reihe von Ausgaben, für die es keine rechtliche Basis gab. Der Rechtsstreit darüber ist noch in Karlsruhe anhängig. Die Ausdehnung der eigenen Zuständigkeiten und die einschränkende Auslegung der oppositionellen Möglichkeiten kennzeichnen den Regierungsstil der vergangenen Jahre. Ein besonderer Dorn im Auge der Koalition sind die Vollmachten des Bundesrates, durch den die Länder nach der Verfassung an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mitwirken. Die verfassungsmäßige Ausübung seiner Rechte wird als Blockade des Mehrheitswillens dargestellt und damit dem Denken unserer Mitbürger in verfassungsrechtlichen Begriffen ein über den Tag hinausgehender Schaden zugefügt. ({2}) - Herr Kollege, die verfassungsmäßige Ausübung und auch Ihre Kritik haben die ganze Zeit stattgefunden. Infolgedessen kann sie sich nur gegen die verfassungsmäßige Ausübung gerichtet haben. ({3}) Der dritte Schwerpunkt - ({4}) - Herr Emmerlich, ich habe den Eindruck, Sie haben heute nach schlecht geschlafen; denn entweder verstehen Sie das nicht oder Sie wollen das nicht verstehen. ({5}) Der dritte Schwerpunkt unserer Kritik liegt auf dem Gebiet von Ehe und Familie. Die Sicherung der Zukunft von Ehe und Familie ist nach unserer Überzeugung weitgehend identisch mit der Sicherung der Zukunft unseres Volkes. Leider ist in den vergangenen Jahren wenig für, viel gegen die Sicherung von Ehe und Familie getan worden. ({6}) Der Familienbericht der Bundesregierung, den ich der Aufmerksamkeit des ganzen Hauses dringend ans Herz lege, gibt uns auch wenig Hoffnung, daß das in Zukunft anders werden wird. Man könnte eine ganze Rede mit aus diesem Bericht ausgewählten Zitaten bestreiten, um das merkwürdige Verhältnis der Verfasser dieses Berichtes zu Ehe und Familie zu kennzeichnen. ({7}) Auch die gegen unseren Willen durchgesetzte Abtreibungsregelung kann man mit dem besten Willen nicht als ein Gesetz zur Sicherung der Familie oder der Zukunft unseres Volkes ansehen. ({8}) Die jetzt beschlossene Reform des Ehe- und Familienrechts hätte in ihrer ursprünglichen Fassung ohne jeden Zweifel eine Erschütterung der Rechtsgrundlagen von Ehe und Familie bewirkt.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Lenz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin?

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön, gnädige Frau.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Herr Vorsitzender Dr. Lenz! Keine Sorge, ich will Sie nur fragen: meinen Sie nicht, daß Sie Ihre Ausführungen durch kleine Fehlinformationen wie z. B. diejenigen sehr entwerten, der Familienbericht sei von der Regierung und nicht von dieser unabhängigen Sachverständigenkommission erstellt worden? ({0})

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wenn Sie mir zugehört hätten, was aber einigen Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses heute offenbar außerordentlich schwerfällt, hätten Sie hören können, daß ich von den Verfassern des Berichts gesprochen habe. Daß das in den verschiedenen Teilen verschiedene sind, ist mir und auch Ihnen bekannt. Trotzdem sind die Verfasser des zweiten Teils des Berichts von den Verfassern des ersten Teils dort eingesetzt worden und hätten ihren Bericht als Drucksache des Deutschen Bundestages nicht ohne den Willen der Verfasser des ersten Teils nicht veröffentlichen können. Soviel zur Klarstellung. Ich bin Ihnen aber außerordentlich dankbar, daß Sie mir die Möglichkeit geben, das vor dem Hause noch ein bißchen auszubreiten.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Lenz, gestatten Sie eine zweite Frage der Frau Abgeordneten?

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, dann muß ich nachfragen, ob das von meiner Redezeit abgeht.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das bekommen Sie draufgelegt.

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich das draufgelegt bekomme, darf ich noch um einige Zwischenfragen bitten. -- Frau Kollegin Däubler-Gmelin!

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Lenz, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich Ihnen für diese Klarstellungen recht herzlich danke, und meinen Sie nicht, Ihnen sei Gelegenheit und auch geistige Gabe gegeben, sich von Anfang an klar und eindeutig auszudrücken?

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wenn ich von Regierung spreche, spreche ich von Regierung. Ich habe in dem Fall nicht von Regierung gesprochen. Aber ich habe Ihnen bereits versichert, daß ich Ihnen dankbar bin, daß Sie es möglich gemacht haben, dies alles hier auszubreiten; denn meine Zeit hätte dazu gar nicht ausgereicht. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Emmert?

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege!

Dr. Adolf Müller-Emmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001568, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lenz, würden Sie trotz der Antwort, die Sie soeben gegeben haben, unseren Kollegen gleichwohl noch einmal deutlicher machen, daß sich der Familienbericht, den Sie zitiert haben, in einen Bericht einer unabhängigen Sachverständigenkommission, der rund 190 Seiten ausmacht, und in eine Stellungnahme der Bundesregierung, die etwa 23 Seiten ausmacht, unterteilt? Wenn Sie das sagen würden, würden die Kollegen, die diesen Bericht vielleicht noch nicht gelesen haben, besser verstehen, um was es sich eigentlich handelt.

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Müller-Emmert, es ist mir nicht aufgefallen, daß sich die Bundesregierung auf den 23 Seiten von den übrigen 190 Seiten distanziert hätte. ({0}) Das erlaubt es vielleicht, die Entwurfsverfasser von Teil 1 und Teil 2 unter einem Sammelbegriff zu benennen. ({1}) - Ich hatte gesagt „Verfasser" oder „Autoren", Herr Kollege Emmerlich.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel ({0}) ?

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lenz, würden Sie mir zustimmen, daß es für die Diskussion sehr viel förderlicher wäre, wenn hier nicht in so merkwürdiger Weise über die Urheberschaft geredet würde, sondern wenn wir von den Kollegen dieser Koalition etwas über die Haltung zum Inhalt des Berichts hören würden? ({0})

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Vogel, ich gehe davon aus, daß bei dem Haushalt jenes Hauses, das für den Bericht in erster Linie verantwortlich zeichnet, noch ausreichend Gelegenheit besteht, einige der Argumente zu wiederholen, die im Dezember vergangenen Jahres hierzu vorgebracht worden sind. ({0}) - Wenn die Herren Zwischenfrager gestatten, komme ich gern zu dem, was ich sagen wollte, zurück. Meine Damen und Herren, ich möchte den Satz noch einmal von Anfang an sagen: ({1}) Die jetzt beschlossene Reform des Ehe- und Familienrechts hätte in ihrer ursprünglichen Form ohne jeden Zweifel eine Erschütterung der Rechtsgrundlagen von Ehe und Familie bewirkt. Es ist zum Glück gelungen, in einer Reihe von wichtigen Punkten diese Tendenzen abzubiegen und zu einem einvernehmlichen Ergebnis zu kommen. Leider kann man daraus nicht schließen, daß es sich um einen Wandel zu einer familienfreundlichen Tendenz in der Politik der Bundesregierung handelt. Diese AnDr. Lenz ({2}) derungen mußten wir der Koalition in äußerst schwierigen Verhandlungen abringen. Nach unserer Überzeugung muß - um ein Wort von Alfred Dregger aufzunehmen, das Sie sicherlich noch nicht kennen - die Familienpolitik neu gedacht werden. Der Fleckenteppich vereinzelter und immer spärlicher werdender Fördermaßnahmen muß wieder das Grundmuster des Ja von Staat und Gesellschaft zur Familie, vor allem auch zur kinderreichen Familie, erkennen lassen. Wer einmal nachliest, was in diesem Bericht zur kinderreichen Familie steht, und sieht, daß dort an den geistigen Kapazitäten der Kinder kinderreicher Familien gezweifelt wird, der kann allein schon aus dieser einen Stelle erkennen, daß hier offenbar mit einer Einstellung zu Werke gegangen worden ist, mit der wir von der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union nichts gemein haben. ({3}) Von einer solchen kopernikanischen Wende ({4}) -- muß ich das Wort übersetzen, Herr Kollege Emmerlich? - der Koalitionspolitik gegenüber Ehe und Familie kann leider keine Rede sein. Nach Auffassung der CDU/CSU gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß die Bundesregierung im kommenden Jahr eine entschlossene Politik der Sicherung unserer staatlichen Ordnung und der Zukunft unseres Volkes betreiben wird. Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir den Haushalt des Bundesministers der Justiz ablehnen. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Lenz, Sie haben es einleitend begrüßt, daß erstmals seit Februar 1971 Gelegenheit sei, eine umfassende Bilanz im rechtspolitischen Bereich zu ziehen. Ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll; denn Sie hätten in jedem Jahr Gelegenheit gehabt, anläßlich der Haushaltsberatungen auch für den Rechtsbereich das, was Sie für notwendig halten, ausführlich darzulegen. ({0}) Ich möchte Ihrer Kritik, die Sie hier ausgebreitet haben, keine Leistungsbilanz dieser Bundesregierung und dieser Koalition entgegensetzen. ({1}) Zum einen hat Herr Kollege Dürr hier bereits einiges gesagt. Zum anderen wird auch der Herr Bundesjustizminister hierzu sicherlich einiges ausführen. Mir erscheint es, Herr Kollege Dr. Lenz, viel notwendiger, nicht mit einer vorbereiteten Rede zu antworten, sondern aus der Stunde heraus nach den Notizen, die ich mir vorhin gemacht habe, einiges zu dem zu sagen, was Sie hier ausgeführt haben. Sie haben hier den Versuch unternommen, ({2}) insbesondere die Amtsperiode des ehemaligen Bundesjustizministers Jahn der Zeit von 1949 bis 1969 gegenüberzustellen, die nach Ihrer Wertung eine erfolgreiche Zeit war. Ich stimme Ihnen da zum Teil, Herr Kollege Dr. Lenz, durchaus zu, nur werden wir hier einige Differenzierungen anbringen müssen. Was Sie hier für die Zeit von 1949 bis 1969 ausgeführt haben, weist aus, daß wir es hier mit 20 Jahren zu tun haben, in denen es Aufgabe unserer Rechtspolitik sein mußte - nach der Zerstörung unseres Landes -, eine neue Ordnung aufzubauen und vieles an Recht wiederherzustellen, das diesen Namen auch tatsächlich verdient. Das war eine große und gewichtige Aufgabe, und wir Freien Demokraten würden die letzten sein, diese Verdienste nicht zu schätzen zu wissen. Nicht nur bei uns sind der Name von Thomas Dehler und seine Leistungen in diesem Zusammenhang unvergessen. ({3}) - Viele andere auch, Herr Kollege Arndt. - Man wird nicht übersehen können, daß gerade über dieser wichtigen Arbeit bis 1969 natürlich auch vieles liegengeblieben ist, das es in der darauffolgenden Zeit aufzuarbeiten galt. ({4}) Es sind ja, Herr Kollege, vor 1969 nicht nur Unterlassungen festzustellen. Vielmehr werden wir bei einer gewissenhaften Betrachtung nicht übersehen können, daß sich gerade in diesem Zeitraum für den Rechtsbereich ein Wandel der Auffassungen in der Bevölkerung vollzogen hat. Wir haben vom Recht sicherlich dieselbe Auffassung, wenn auch manchmal unterschiedliche Meinungen im Detail. Über das Recht sind wir derselben Auffassung. Aber mir scheint, wir haben häufig eine verschiedene Auffassung von dem, was Rechtspolitik sein und bewirken soll. Während Sie meinen, das geschriebene Recht allein bewirke das nachfolgende Verhalten der Bevölkerung und ihre Einstellung zu den Dingen, ({5}) sehen wir sehr wohl die sittliche Aufgabe des Rechts. Aber wir verkennen nicht, daß es häufig Aufgabe des Gesetzgebers in diesem Bereich sein muß - zwangsläufig -, hinterherhinkend das nachzuvollziehen, was sich gesellschaftlich im voraus längst vollzogen hat. ({6})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Engelhard, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Engelhard, können Sie mir einen christlich-demokratischen Redner oder Politiker nennen, der gesagt hat, daß das geschriebene Recht allein das Verhalten der Menschen bewirke?

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Dr. Lenz, ich pflege, wenn ich zitiere, gewissenhaft zu zitieren. Deswegen habe ich nicht erklärt, daß ein derartiger Ausspruch vorliegt. Aber das, was ich hier ausgeführt habe, wird bei allen Beratungen in wesentlichen Punkten deutlich: ({0}) daß Sie die Wirkung des Rechts etwas anders gewichten, als wir dies tun. ({1}) Nun lassen Sie mich weiterfahren und darauf hinweisen, daß Sie in der Gegenüberstellung der Zeit von 1949 bis 1969 mit der Zeit, in der Kollege Jahn Bundesjustizminister war, den in dieser Zeit erbrachten Leistungen ganz sicherlich Unrecht tun und das zu weit zurücksetzen. ({2}) Es sollte nicht vergessen werden, Herr Kollege, daß es durch die vorzeitige Auflösung des Bundestages 1972 und mit auch durch Ihre nachhaltige Tätigkeit nicht gerade einfach war, in dieser Zeit Entsprechendes durchzusetzen. ({3}) Nun haben Sie, Herr Kollege Dr. Lenz, über die Zusammenarbeit in der Rechtspolitik der Regierungsmehrheit und des Ministeriums mit dem Bundesrat einerseits und der Opposition andererseits einige Ausführungen gemacht. Ich glaube, es war doch für jeden Zeitungsleser draußen im Lande allzu durchsichtig, wenn Sie von der Ja-Sage-Maschine Bundesrat sprachen. Wir haben doch heute eine ganz andere Gewichtung: daß hier materiell von dem, was diese Bundestagsmehrheit beschlossen hat, vom Bundesrat her mit einem kleinen Aufhänger formaler Natur aus den Angeln gehoben werden soll, was immer nur geht. ({4}) Und auf einen groben Klotz gilt es, einen groben Keil zu setzen. Sie werden dieser Regierungskoalition nicht verübeln können, wenn sie nun auch mit den legalen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, alles unternimmt, um nun auch hier gegen den häufigen Boykott der Bundesratsmehrheit mit ihren Vorstellungen zum Zuge zu kommen. ({5}) Weiter, Herr Kollege: das Verhalten der Opposition. Lassen Sie es mich einmal so darstellen. Sie haben ja durchaus eingeräumt, daß in vielen Punkten sachliche Beratungen im Rechtsausschuß und auch im Unterausschuß für die Ehe- und Familienrechtsreform stattgefunden haben - durchaus. Warum waren diese Beratungen nicht in den politisch spektakuläreren Fragen möglich? ({6}) - Ich nenne hier § 218, Herr Kollege Erhard, und das Ehe- und Familienrecht. - Warum denn nicht? Ich meine, das ist doch letztlich auf Sie und Ihr Verhalten zurückzuführen. Denn wer in den Fragen, die draußen die Öffentlichkeit beschäftigen - ich wiederhole das, was ich bei der zweiten und dritten Lesung am 11. Dezember 1975 gesagt habe -, zu einem umfassenden Volkskrieg aufruft, wer sich an die Verleumdungen und Verdächtigungen anhängt, die draußen von allerlei Verbänden und Organisationen verbreitet worden sind und denen von Ihrer Seite von dieser Stelle aus nie widersprochen worden ist, der braucht sich doch nicht zu wundern, daß es hier schließlich zu einem Konfrontationskurs kommt, daß hier die sachlichen Beratungen abreißen. Wo wir uns als Rechtspolitiker bei diesen Beratungen noch zusammenfinden könnten, ist es nahezu unmöglich, eine sachliche Ebene zu finden, weil Sie als Rechtspolitiker nicht das Sagen haben, sondern unter dem Druck Ihrer Gesamtfraktion stehen, die die Dinge anders sieht, die das gar nicht so ernst nimmt, was Sie vielleicht - durchaus moderat und in aller Ruhe - überdacht haben und vertreten. ({7}) - Herr Kollege, ich möchte auf diese Frage nicht mehr eingehen, weil mir momentan die Zeit dazu fehlt. Ich glaube, es wäre für Sie eher peinlicher als für mich, wenn wir uns dieser Frage zuwendeten.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Engelhard, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Eyrich?

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte!

Dr. Heinz Eyrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000511, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Engelhard, würden Sie mir den Gefallen tun und den Vorsitzenden des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in diesem Hause um eine Stellungnahme dazu bitten, ob in diesem Ausschuß nicht eine sachliche und in einer guten Atmosphäre geführte Verhandlung stattgefunden hat, ({0}) und würden Sie darüber hinaus die Freundlichkeit haben - der Herr Kollege sprach von der Arbeit in den Ausschüssen -, auch einmal die Protokolle über die Beratungen über den § 218 in diesem Hause nachzulesen, um dann vorbehaltlos darüber zu urteilen, wer welche Feststellungen allein schon in diesem Hause getroffen hat? ({1})

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Dr. Eyrich, Ihre Frage bringt uns der Lösung des Rätsels nicht näher. ({0}) - Nein, und zwar ganz einfach deswegen, weil von meiner Seite gar nicht bestritten worden ist, daß sachliche Beratungen stattgefunden haben. Die sachlichen Beratungen haben ihre Grenze aber immer dort gefunden, wo der Versuch unternommen wurde, mit einer unschönen Begleitmusik draußen Fragen der Rechtspolitik in einer Weise zu Lasten beider Koalitionsparteien und dieser Bundesregierung auszuwerten, die wir nicht hinnehmen konnten. Wir mußten dann entsprechend reagieren. ({1}) - Herr Kollege, ich bitte Sie, jetzt von weiteren Fragen Abstand zu nehmen. Ich muß versuchen, in der mir zur Verfügung stehenden Zeit auch noch einige Ausführungen zu dem zu machen, was Herr Kollege Dr. Lenz gesagt hat.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Engelhard, ich werde auch Ihnen gegenüber großzügig sein und die Zeit zuschlagen, die durch Zwischenfragen verlorengeht.

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bedanke mich, Herr Präsident. Herr Dr. Lenz, es ist vielleicht ganz bezeichnend, daß Sie hier in Ihrer Rede von einer Amnestie für Straßenkämpfer gesprochen haben. Ich will dieses Problem jetzt nicht vertiefen, weil Sie aus der Kenntnis der Dinge heraus sehr wohl wissen, wie notwendig es war, eine Amnestie für viele zu erlassen, die von ihrer Anlage her ganz sicherlich nicht zu kriminellem Verhalten prädestiniert waren, sondern die in einer besonderen Situation straffällig wurden und durch die Amnestie aus dieser Situation herausgenommen werden sollten. Ich glaube, gerade heute, da wir uns mit einer ganz anderen Machart, mit Terroristen und einem ganz anderen Menschenschlag auseinanderzusetzen haben, kann uns nicht daran gelegen sein, Sympathisanten oder Teilsympathisanten in größerer Zahl zu schaffen und an die Seite solcher Leute zu drücken. ({0}) Ich glaube, wir verstehen uns in dieser Hinsicht sehr gut. Sie sagten nun aber - dieser Vorwurf, den ich Ihnen jetzt machen möchte, ist von einem unserer Kollegen heute schon erhoben worden, und Sie haben die Rechtfertigung für den Vorwurf voll bestätigt -, das sei im Schlagschatten der neuen Ostpolitik weitgehend unbemerkt geblieben. Auch hier findet sich wieder die Verknüpfung des Außenpolitischen mit dem Innenpolitischen. Wie anders soll man es verstehen, wenn dies ein Mann sagt, der sich auszudrücken weiß, als in der Weise, daß hier untergründig wieder der Vorwurf erhoben wird, diese Bundesregierung und diese Koalition machten den Versuch, auf der Grundlage einer völlig verfehlten, wenn nicht weit gefährlicheren Außen- und Ostpolitik auch im Innern Unsicherheit zu schaffen, ja, vielleicht sogar - sagen wir es auf deutsch - quasi der Begünstigung von Kriminellen Tür und Tor zu öffnen? Darum geht es doch, Herr Kollege. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Engelhard, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Engelhard, ist Ihnen bekannt, daß die zweite und dritte Lesung des von Ihnen angesprochenen Gesetzes hier an dem Tag stattgefunden hat, an dem der damalige Bundeskanzler Willy Brandt nach Erfurt fuhr, und ist Ihnen bekannt, daß das Gesetz im Bundesgesetzblatt an dem Tag veröffentlicht worden ist, an dem der damalige Ministerpräsident der DDR, Willi Stoph, nach Kassel kam, und würden Sie Ihren Vorwurf, den Sie eben erhoben haben, auch in Kenntnis dieser beiden Umstände aufrechterhalten? ({0})

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ein gewisses zeitliches Zusammentreffen von Ereignissen ist mir sehr wohl bekannt. Sie hätten, wenn Sie sich, wie Sie meinen, Mißdeutungen nicht aussetzen wollten, dies in einem Nebensatz anfügen können. Dann hätten Sie sich nicht vorhalten lassen müssen - ich erhalte nach wie vor aufrecht, was ich in dieser Hinsicht gesagt habe , daß Ihnen Mißdeutungen nicht unangenehm sind. ({0}) Lassen Sie mich noch einiges zu Ihren weiteren Ausführungen sagen. Sie haben hier ausgeführt, der derzeit amtierende Bundesjustizminister Dr. Vogel habe sich gegenüber den Koalitionsfraktionen vielfach nicht durchsetzen können. ({1}) Meistens lautet der Vorwurf ja umgekehrt. Den Koalitionsfraktionen wird meistens vorgeworfen, sie seien Vollstrecker willkürlicher Entscheidungen dieser Bundesregierung. Es ist interessant für mich, nun einmal den umgekehrten Vorwurf zu hören. Sollte es tatsächlich so gewesen sein, daß die Bundesregierung die Koalitionsfraktionen nicht mit jedem kleinen Wink sofort zum Springen gebracht hat - was sie übrigens nie beabsichtigt hat -, so wäre uns dies gar nicht so unangenehm, weil wir als Parlamentarier auch unser Selbstverständnis haben und doch unsere Rolle als Koalitionsfraktionen durchaus ernst nehmen. Gleichzeitig kommt uns im Konzert des Parlaments eine selbständige Rolle zu. Nun haben Sie noch einige Ausführungen zur Verteidigerüberwachung gemacht. Wir haben uns hier ja über Terroristenbekämpfung und Bekämpfung von Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst oft unterhalten. Ich möchte diese beiden Dinge gern getrennt wissen. Zum zweiten Punkt möchte ich hier nichts zum Etat des Innenministeriums sagen, weil er soeben Gegenstand der Aussprache war und mein Kollege Dr. Wendig dazu Ausführungen gemacht hat. Aber lassen Sie mich doch noch etwas zur Bekämpfung der Terroristen sagen. Es ist unsere Aufgabe, in einer Situation, je schwieriger sie ist und je mehr emotionalisiert sie ist, mit großer Ruhe und großer Vernunft abzuwägen, was das Richtige ist, und dann das Notwendige zu tun. Wenn Sie gesagt haben, Gesetzentwürfe Ihrer Fraktion seien eineinhalb Jahre verzögert worden, dann darf ich daran erinnern, daß es im wesentlichen Anregungen waren, tätig zu werden. Es ist immer leicht, zu sagen, die Bundesregierung möge etwas vorlegen. Aber es ist dann Aufgabe der Bundesregierung, darüber nachzudenken, was das Richtige ist. Herr Kollege, wir haben ja jetzt ein breites Spektrum von Entwürfen. Es läßt sich kaum noch eine Synopse mit den verschiedenen Formulierungen herstellen. Aus allen Richtungen schlagen die Entwürfe über uns zusammen. Je mehr das so ist, desto mehr ist es unsere Aufgabe nachzudenken. Ich glaube, daß sich gerade das, was an von uns geschaffenem Recht schon zur Anwendung gekommen ist - etwa der Ausschluß des Verteidigers aus dem Strafprozeß -, bisher bewährt und zu guten Ergebnissen geführt hat. Wir werden uns hier, Herr Kollege, ganz sicher in der Sache nicht einig werden, auch nicht bei dieser Aussprache. Aber ich will hier mit allem Nachdruck für meine politischen Freunde der Auffassung entgegentreten, als sei hier etwas verabsäumt worden, als habe man hier leichtfertig oder lässig gehandelt Wir sehen - Sie haben das dem Bundesinnenminister Professor Dr. Maihofer in den Mund gelegt Sicherheit und Freiheit auch nicht als Gegensätze an, sondern wir sehen immer nur, daß Sicherheit und Freiheit Kanten haben, die sich aneinander reiben können, ({2}) und daß bei vielen Punkten die Sache dahin entschieden werden muß, zugunsten wessen der Akzent gesetzt werden soll. Da habe ich in anderem Zusammenhang einmal Thomas Dehler zitiert. Wir sind mit ihm allerdings der Meinung, daß der beste Weg zur Freiheit immer wieder die Freiheit ist. Daran werden wir uns auch in Zukunft orientieren. Aber das heißt doch nicht, daß wir die Gesichtspunkte der Sicherheit in irgendeiner Weise geringachten würden. Nur halten wir hier weniger von einem großen verbalen Aufgalopp und einer großen Herumrederei, sondern wir tun besonnen und ruhig das, was notwendig ist. Wir halten wenig von großen Brandreden draußen in der Öffentlichkeit, die nur dazu dienen sollen, die Bevölkerung aufzuputschen. ({3}) Herr Kollege, Sie haben hier Ausführungen zur Mitbestimmung gemacht. Wissen Sie, bei dem allgemeien Tohuwabohu, das in Ihrer Fraktion gerade zu dieser Frage geherrscht hat, und nachdem Ihre Fraktion im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit ganzen drei Sprechern vertreten war, die die verschiedenen Flügel repräsentiert haben, würde ich mich hier etwas zurückhaltender geben. Ich meine, eines steht doch fest: daß die Existenz dieser Koalition in ihrer Gesamtarbeit nach einer sicherlich harten, aber gewissenhaften Überlegung dieses Ergebnis erzielt hat, dem Sie Ihre Zustimmung schließlich nicht versagen konnten. Dann haben Sie Ausführungen über Ehe und Familie gemacht, Herr Kollege Dr. Lenz. Wie ich vorher in Ihrem veröffentlichten Text gesehen habe, machen Sie Ausführungen dazu, daß die Strafbestimmungen zum Schutz von Ehe und Familie von dieser Regierungskoalition eingeschränkt worden seien. Sie geben auch ein Beispiel. Aber ich will Sie zunächst fragen: meinen Sie etwa den Ehebruch? Denn dann wären wir wieder bei dem Punkt, daß Sie die Wirkung des Rechts eben etwas anders sehen als wir und dabei die Schattenseiten bestehender oder ehemaliger Bestimmungen nicht so ganz zu erkennen vermögen und nicht sehen, daß Sie mit dem Straftatbestand des Ehebruchs der legalisierten Erpressung im Rahmen eines Ehescheidungsverfahrens Tür und Tor geöffnet haben und sonst nichts. Über die Pornographie haben wir uns ja sehr eingehend bei den Debatten unterhalten. Haben Sie denn nicht erkannt und nicht verfolgt, daß unter ein und demselben geltenden Recht im Laufe der Jahre Gerichte, die über jeden Zweifel erhaben waren - von ihrer personellen Besetzung her, wo man nicht sagen konnte: da sind mittlerweile die falschen Leute hereingekommen -, die Dinge schon vor der Reform völlig anders beurteilt haben. Das war doch auch der Anlaß für uns, hier das Problem der Pornographie anzupacken und die Vorschrift zu ändern und einen Schwerpunkt zu setzen. Daran halten wir fest, und das halten wir nach wie vor für richtig und notwendig, nämlich den Schwerpunkt beim Schutz der Jugend vor Pornographie zu setzen, aber ansonsten dem erwachsenen, dem mündigen Bürger hier volle Dispositionsfreiheit einzuräumen. ({4}) - Herr Kollege, Sie leiten zu dem über, was ich abschließend sagen wollte. Das betrifft das Thema des Ehe- und Familienrechts. Hier hat der Herr Kollege Dr. Lenz noch einmal einen großen Anlauf genommen. Er meinte, wenn das Gesetz in seiner ursprünglichen Fassung in Kraft getreten wäre, hätte dies eine Erschütterung der Rechtsgrundlage - so hieß es wohl - für den Bereich Ehe und Familie mit sich gebracht. Herr Kollege, hätten Sie doch die Position, auf die Sie schließlich zurückzugehen bereit waren, uns früher geschildert! Die Beratungen hätten zügiger stattfinden können. ({5}) Wir hätten uns über die „Volksfeindlichkeit" und über vieles andere nicht zu unterhalten brauchen, sondern wir wären uns sehr schnell einig gewesen. Herr Kollege Dr. Lenz, ich kann Ihnen hier den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie als ein Mann von besonderer Zurückhaltung und auch einer besonderen Form von Höflichkeit unter dem Eindruck dieses Raumes - ich kann es nicht glauben, daß es vielleicht der Genius loci ist - am 11. Dezember Ausführungen gemacht haben, die bei uns nur auf Kopfschütteln gestoßen sind, mit den heute mehrfach zitierten Begriffen männerfeindlich, frauenfeindlich, kinderfeindlich und volksfeindlich. Was war denn das anderes als die Proklamation des Volkskrieges, zugegebenermaßen mit legalen Mitteln, aber in der ganzen Breite der Bevölkerung gegen ein Gesetz, das von der Mehrheit einer großen Minderheit im Volke „aufgezwungen" wird. Dann die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß! Ich kann es Ihnen nicht ersparen, zu wiederholen, was ich damals bei der Verabschiedung des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses nur angedeutet habe. Sie sind doch auf Positionen zurückgegangen, von denen wir uns kaum hätten etwas träumen lassen. Da war erst von der Kalenderscheidung die Rede, von der Verstoßung nach islamitischen Vorstellungen und was immer. Dann haben Sie die Widerlegbarkeit fallenlassen wie eine heiße Kartoffel. Das muß in diesem Zusammenhang einmal festgehalten werden. ({6}) Derjenige, der sich heute an dem Erfolg der Sache den größten Beitrag beizumessen sucht, wie Sie es eben versucht haben, der wird sich sagen lassen müssen, daß dieser Beitrag ein bescheidener war. Wir haben gerade in diesem Bereich im wesentlichen das durchgesetzt, was wir gewünscht haben und was die große Mehrheit der Bevölkerung auch für das Richtige hält. ({7})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beginne mit einem Dank in zwei Richtungen. Zunächst ein Wort des Dankes an die Berichterstatter und an alle, die an der Vorberatung des Haushalts des Justizministeriums mitgewirkt haben. Ein besonderes Wort des Dankes richte ich an den Kollegen Simon, der jahrelang das Amt des Berichterstatters ausgeübt hat und heute in dieser Funktion zum letztenmal tätig war. ({0}) Ein zweites Wort des Dankes gilt zu Beginn meiner Ausführungen all denen, die in dieser Legislaturperiode, in welcher Eigenschaft und in welcher Funktion auch immer, an der Fortentwicklung und an der Anwendung unserer Rechtsordnung in unserem Volke beteiligt waren. Dies ist seit Gründung der Bundesrepublik die zweite Justizdebatte anläßlich einer Haushaltsberatung. Die erste Justizdebatte dieser Art hat 1951 stattgefunden. Manche der damals erörterten Fragen sind erst von der sozialliberalen Koalition nach 1969 gelöst bzw. in Angriff genommen worden. Ich nenne nur das Stichwort Strafvollzugsgesetz, das Stichwort Strafrechtsreform oder die Schaffung eines Europäischen Patentamts. Schon diese Tatsache, Herr Kollege Lenz, daß Dinge, die damals, 1951, auf die Tagesordnung der Rechtspolitik gesetzt wurden, erst nach 1969 gelöst werden konnten, erlauben Zweifel an Ihrer Behauptung, die Rechtspolitik der CDU/CSU-Regierungen habe vor 1969 alle Probleme gelöst und sozusagen eine tabula rasa hinterlassen. ({1}) - Ich freue mich, daß ich Ihnen dadurch Gelegenheit geboten habe, das ausdrücklich herauszustellen. Aus Ihrer Rede war das nicht zu entnehmen. ({2}) Die Bilanz der Rechtspolitik seit 1969 ist positiv. Sie ist positiv auf Grund der Arbeiten und Vorarbeiten - das möchte ich ausdrücklich unterstreichen -, die während der Amtszeit meiner Vorgänger, insbesondere auch während der Amtszeit meines unmittelbaren Amtsvorgängers, des Kollegen Jahn, geleistet worden sind. ({3}) Die Bilanz ist auch positiv für die jetzt zu Ende gehende Legislaturperiode. Die Kritik der Opposition vermag daran nichts zu ändern. Herr Kollege Lenz, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, es ist immer wieder ein faszinierendes und beeindruckendes Schauspiel, wie sich Kollegen der CDU/CSU, die in den Ausschüssen konkret und engagiert mitarbeiten, vor dem Plenum in das Konfrontationskonzept einordnen und das bekämpfen, was sie selbst mit auf den Weg gebracht haben. ({4}) Geradezu widersinnig sind auf diesem Hintergrund die Vorwürfe, die Gesetzgebung liefere das Recht einer bestimmten Ideologie aus, oder Verfassung und Staat, ja sogar die Freiheit, seien auf Grund dieser Gesetzgebung in Gefahr. Wenn das so ist: Warum haben Sie dann allen großen Reformwerken auf dem Gebiet der Rechtspolitik mit einer einzigen Ausnahme Ihre Zustimmung gegeben? Dabei kann es doch gar nicht entscheidend darauf ankommen, daß die Zustimmung in der dritten Lesung des Bundestages oder nach dem Vermittlungsvorschlag gegeben worden ist. ({5}) Sie glauben doch selber nicht, daß die von Ihnen erwirkten Detailänderungen die Vorlagen der Bundesregierung jeweils umgestülpt, aus schwarz weiß und aus einer angeblichen Gefahr für die Freiheit eine Garantie für die Freiheit gemacht haben. ({6}) Nehmen Sie z. B. das Eherecht und das Scheidungsrecht. Gut, es sei eingeräumt, Sie haben eine sachliche Erweiterung und eine zeitliche Erstrekkung der Härteklausel und die Abdingbarkeit des Versorgungsausgleichs durchgesetzt. Das sind sicherlich Änderungen von sachlichem Gewicht, wobei es übrigens eine Menge Leute gibt, die darin eher Änderungen zum Schlechteren als zum Besseren sehen. ({7}) Aber niemand kann doch behaupten - Sie, Herr Kollege Lenz, haben noch nicht einmal den Versuch dazu unternommen -, daß durch diese Änderungen die Richtung oder der Wesensgehalt der Ehe- und Familienrechtsreform geändert worden sei. ({8}) Mir bleibt unerfindlich, wie Sie, Herr Kollege Lenz, wegen dieser Änderungen von dem Urteil „volksfeindlich" zu dem Urteil „volksfreundlich" gelangen können. Wenn Sie mir nicht glauben, meine Herren von der Opposition, dann verweise ich auf einen unverdächtigen Zeugen, daß es so ist, wie ich es sage. Das bestätigt Ihnen übrigens das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, dessen Kritik gegenüber der Gesetz gewordenen, von Ihnen mitgetragenen Fassung um keine Spur milder ist als gegenüber der vom Bundestag in der dritten Lesung verabschiedeten Fassung. ({9}) Meine sehr verehrten Herren, was Sie hier betreiben, ist eine Doppelstrategie eigener Art. Durch Mitarbeit und Zustimmung wollen Sie der überwiegenden Mehrheit unseres Volkes Rechnung tragen, die mit guten Gründen auf Reformen, d. h. aber auf eine schrittweise Erneuerung der Gesellschaftsordnung, wartet, und durch ihre verbale Polemik hier im Plenum und durch Geisterbeschwörungen draußen in Versammlungen wollen Sie es dann auch noch der Minderheit recht machen, die jede Entwicklung und Erneuerung der Rechtsordnung ablehnt. ({10}) Das, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, ist intellektuell nicht redlich. Das ist ein Doppelvorgehen, das die Bürger bald durchschauen und an dem sich ernsthafte Rechtspolitiker nicht oder nur vorübergehend beteiligen sollten. Das gefährdet den Konsens, den Sie in Ihren Reden immer wieder angesprochen haben. Im übrigen ist es bei der Reform des § 218 im Grunde genau das gleiche. Sie tun so, als ob die Grenze zwischen dem Schutz und der Schutzlosigkeit des werdenden Lebens genau entlang der Grenze zwischen Ihrem letzten Entwurf und der Gesetz gewordenen Fassung verliefe. Das stimmt doch gar nicht. Im materiellen Recht haben sich die beiden Entwürfe bis auf, ich möchte sagen, Millimeter einander angenähert. Was geblieben ist, das ist im Verfahrensrecht ein Streit über die notwendige Qualifikation des Arztes und über die Zuständigkeit für die Beratung. Sie können doch nicht diejenigen, die dieses befürworten, zu Schützern des werdenden Lebens, und diejenigen, die dies ablehnen, pauschal zu Gegnern des werdenden Lebens stempeln. ({11}) Was im übrigen das Karlsruher Urteil angeht, so trete ich als Bundesjustizminister dafür ein und habe das bei jeder Gelegenheit getan, daß Urteile des Bundesverfassungsgerichts respektiert werden. Wir sind verpflichtet, sie für verbindlich zu halten. Wir sind nicht verpflichtet, sie in allen Argumenten und Ausführungen für richtig zu halten. ({12}) Es ist doch nicht wahr, daß erstmals seit 1969 Gesetze vom Bundesverfassungsgericht korrigiert worden sind. Während der Regierungszeit der CDU/CSU hat Karlsruhe in 100 Fällen von Ihnen vorgelegte Normen beanstandet, ({13}) in 85 Fällen förmliche Gesetze. Ich bitte Sie, Herr Kollege Lenz: lesen Sie einmal die deftigen Kritiken nach, die beispielsweise dem Urteil zum ersten Versuch, ein zweites deutsches Fernsehen auf die Beine zu bringen, seinerzeit aus dem Munde Ihrer Repräsentanten gefolgt sind. Übrigens, damit keine Legende entsteht: Es gibt selbstverständlich kein Gutachten in meinem Hause über die Verfassungswidrigkeit des ursprünglichen Mitbestimmungsentwurfes, und auch bei Scholz und bei Reiser steht das, was Sie behauptet haben, nicht. Die Wahrheit ist: Wir haben unsere Rechtsordnung in dieser Legislaturperiode genau wie in den drei Jahren vorher in wichtigen Abschnitten erneuert, weil das Grundgesetz uns das aufgetragen hat oder weil neue Herausforderungen neue Antworten erforderten. Das Grundgesetz ist für uns - hier, glaube ich, kann ich genauso für die Sozialdemokraten wie für die Freien Demokraten sprechen - nicht die Festschreibung, nicht die Versteinerung eines vorgefundenen Zustandes, sondern ein ständiger, ein immerwährender Handlungsauftrag. ({14}) Natürlich stellt sich dabei das Problem der Freiheit. Was der Kollege von Weizsäcker heute zum Problem der Freiheit gesagt hat, ist in vielen Punkten ernsthaft zu bedenken, und der Gesetzgeber wäre ein schlechter Gesetzgeber, der nicht bei jeder neuen Vorlage, bei jeder neuen Norm, die er setzt, dieses Problem der Freiheit bedenkt. Nur, die Argumente, die Herr von Weizsäcker heute morgen in diesem Hause vorgetragen hat, ähneln eben in ihrem inhaltlichen Kern in verzweifelter Weise den Argumenten, mit denen man vor vier Generationen der Schaffung der Sozialversicherung, vor drei Generationen der Einführung der 48-Stunden-Woche und der Koalitionsfreiheit und zu unseren Lebzeiten fast jedem Stück sozialem Fortschritt entgegengetreten ist. ({15}) Ich gebe zu, in einer sehr geistreichen, in einer philosophisch untermauerten Art und Weise wurde dies dargeboten, aber auf den Inhalt zurückgeführt sind es fast genau dieselben Argumente. ({16}) Übrigens sollten bei der paritätischen Mitbestimmung die Gegner einmal nachlesen, was noch im Oktober 1918 im Preußischen Herrenhaus an Argumenten gegen die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts vorgebracht wurde. ({17}) Es ist eine auffallende Übereinstimmung. Herr Kollege von Weizsäcker, es ist, ob Sie wollen oder nicht, ein Bogen, eine Kontinuität von der Kieler Rede Eugen Gerstenmaiers vor elf Jahren zu der Rede, die Sie heute vormittag in diesem Hause gehalten haben. ({18}) Ich darf Ihnen dazu noch ein Zitat geben, das Sie vielleicht in Ihre Sammlung der für diese Zwecke verwendbaren Zitate aufnehmen sollten. Mit Erlaubnis des Präsidenten verlese ich dieses Zitat: Die heutzutage stets verwickelter werdenden Verhältnisse zwingen die staatliche Autorität, häufiger in soziale, wirtschaftliche und kulturelle Angelegenheiten einzugreifen. Sie will damit geeignetere Voraussetzungen schaffen, daß die Staatsbürger und gesellschaftlichen Gruppen wirksamer in Freiheit das Wohl der Menschen in jeder Hinsicht verwirklichen können. In vielen Bereichen des heutigen Lebens muß darum nicht selten die Freiheit einzelner eingeschränkt werden, um die Freiheit vieler zu sichern. Jede Zurückweisung des heutigen Sozialstaats zugunsten übertriebener individueller Freiheit übersieht den langen und schwierigen geschichtlichen Weg, den wir zur Überwindung staatlicher Passivität in Abkehr von den utopischen Harmonieerwartungen des Laisser-faire, Laisser-aller gegangen sind. ({19}) Dieses Zitat, Herr Kollege von Weizsäcker, hat überdies für Ihre Zwecke noch den weiteren Vorteil, daß es nicht von Sozialdemokraten, von demokratischen Sozialisten, sondern von der Konferenz der deutschen Bischöfe aus dem Jahre 1969 stammt. ({20}) - Da machen Sie es sich mit diesem Zwischenruf etwas zu einfach. Ich bitte nachzuweisen und vorzutragen, wo Sozialdemokraten das Wort der Bischöfe nicht ernsthaft erwogen haben. ({21}) Ablehnung in den Konsequenzen ist keine Mißachtung, sonst wäre jede Abstimmung hier, bei der Sie gegen unsere Vorlagen stimmen, eine Mißachtung. Kein vernünftiger Mensch behauptet das. ({22}) Nein, Herr von Weizsäcker, auf diesem geschichtlichen Weg, von dem im Zitat die Rede ist, sind die Sozialdemokraten stets vorausgegangen. Sie und diejenigen, in deren Tradition Sie stehen, haben in aller Regel vor dem jeweils nächsten Schritt gewarnt, sich dann nach einiger Zeit zögernd diesem Schritt angeschlossen und schließlich das Ergebnis für sich in Anspruch genommen. ({23}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was ich über den Auftrag des Grundgesetzes sage, galt für das soziale Mietrecht. Nach 75 Jahren haben wir endlich auf diesem Gebiet eine Kette von Zeitgesetzen durch ein soziales Dauerrecht abgelöst. Wir haben ein Stück sozialen Friedens auf einem Lebensgebiet geschaffen, das jeden Menschen in diesem Volk als Mieter oder Vermieter angeht: ({24}) Mehr Freiheit für die Mieter ohne unzumutbare Einschränkung für die Vermieter, wobei wir nie vergessen sollten, daß es genügend Vermieter gibt, die gleichzeitig auch Mieter sind, und umgekehrt. Das gilt für das Strafvollzugsgesetz. Nach 100 Jahren wurde endlich eine Lösung gefunden, die aus den ungenügenden Ergebnissen des Strafvollzugs Konsequenzen zieht; eine Lösung, die doch auf der gemeinsamen Erkenntnis beruht, daß eine Rück17000 fallquote von fast 80 % ein deutliches Urteil über die herkömmliche Art des Strafvollzugs ausspricht. ({25}) Das gilt die Ehe- und Scheidungsrechtsreform. Wir haben endlich ein lebensnahes menschliches Recht. Das war übrigens auch, meine Damen und Herren von der Opposition, eine Korrektur der Fehlentscheidung des Jahres 1961, nämlich der Verschärfung des § 48 Abs. 2, die Sie als Fraktion speziell zu verantworten haben. ({26}) Diese Reform bringt mehr Gleichberechtigung. Es ist doch nicht wahr, daß sie die Institution schwächt. Für mich wird eine Institution gestärkt, die nicht auf dem Papier zum Hohn und Gespött aufrechterhalten wird, wenn sie in der Wahrheit des Lebens schon längst gescheitert ist. ({27}) Was wir gemeinsam mit Ihrem Beitrag geleistet haben, ist, daß wir nicht den Eindruck erwecken, Ehen könnten nicht scheitern, sondern daß wir für diese Lebenskrise staatliche Konfliktregelungen zur Verfügung stellen, die ein anständiges, faires und gerechtes Auseinandergehen ermöglichen, wobei ich übrigens der Wahrheit die Ehre gebend, sage, daß dies ein ausgezeichnetes Zitat unseres Kollegen Mikat ist. Das gilt auch für die Reform des § 218. Wir haben im Ernst nie über das Ob des Lebensschutzes gestritten, sondern über das Wie. Warum wollen wir denn zerreden, daß wir uns bei den Debatten in diesem Hause dabei nähergekommen sind? Am Schluß gab es vielleicht noch eine Nuance Streit, ob eher die Rigorosität oder eher die Effektivität des Lebensschutzes im Vordergrund steht. ({28}) Das gilt übrigens auch für das europäische Patentrecht und das Europäische Patentamt. Wir beklagen ein Stagnieren des Zusammenwachsens Europas. Um so höher ist der Erfolg zu veranschlagen, daß hier Spezialisten und Fachleute, daß die auf diesem Gebiet Engagierten ein europäisches Recht über die Europäische Gemeinschaft hinaus für 16 Länder Europas mit über 300 Millionen Einwohnern zustande gebracht haben. Ich behaupte: Das ist ein Markstein auf dem Weg zur Einigung Europas. Das gilt für viele andere Maßnahmen: Adoptionsreform, Herabsetzung des Volljährigkeitsalters, Opferentschädigung, Zeugnisverweigerungsrecht, Revisionsrecht - auch hier wurde eine Kette von Zeitgesetzen durch Dauerrecht abgelöst -, Entlastungsgesetz, Vereinfachungsnovelle usw. Zu fast allen Gesetzen - mit einer Ausnahme, nämlich bei § 218 - haben wir doch einen breiten Konsens erreicht, einen Konsens, den ich ausdrücklich bejahe und zu dem ich mich stets bekannt habe und auch hier bekenne. Daß dabei auf dem Weg zur Konsensbildung die Koalition ihre Mehrheit im Bundestag und die Opposition ihre Mehreit im Bundesrat zum Tragen gebracht hat, steht doch nicht im Widerspruch zum Grundgesetz. Das ist doch einfach eine politische Realität. ({29}) Freuen Sie sich nicht zu früh. Gegenstand der Debatte war ja nicht die Frage, ob etwas verfassungsrechtlich beanstandbar ist oder nicht. Die Debatte war - das verkennen Sie eine verfassungspolitische Debatte. ({30}) Es ist und bleibt die Frage erlaubt, ob verfassungspolitisch der Bundesrat seine Kompetenzen nicht überzieht, wenn er aus der Zustimmungsbedürftigkeit eines Nebenparagraphen das Recht zur politischen Einflußnahme auf das gesamte Gesetz herleitet. ({31}) Im übrigen stammt diese verfassungspolitische Kritik gar nicht von uns. Lesen Sie doch, welche Kritik etwa Konrad Adenauer an die Adresse des Bundesrats unter verfassungspolitischen Gesichtspunkten mit dieser Begründung gerichtet hat. ({32}) Im übrigen, Herr Kollege Lenz, wenn Sie die Mehrheit der Koalitionen in diesem Hause als „Mini-Mehrheit" bezeichnen - wie ich wohl richtig gehört habe -, als was würden Sie dann die Ein-Stimmen-Mehrheit bezeichnen, die im Bundesrat über Jahre hin die politischen Entscheidungen dieses Landes wesentlich geprägt hat? ({33}) Also dieses „Mini" sollten wir uns nicht vorhalten. Noch ein Wort zur Abwehr terroristischer Aktivitäten, die ebenfalls in den Bereich des Justizministeriums gehört. Was soll eigentlich der von einigen immer wieder grobschlächtig offen ausgesprochene und von anderen etwas vornehmer angedeutete Verdacht, die Bundesregierung habe auf diesem Gebiet ihre Pflicht versäumt? Ich stelle hier ausdrücklich fest: Die Bundesregierung und das Bundesjustizministerium haben getan, was notwendig war, was zweckmäßig war und was nach der Verfassung eines freiheitlichen Rechtsstaats zulässig war. ({34}) Was haben Sie denn an Tatsachen vorzubringen? Heute morgen ist, wenn ich nicht irre, im Beitrag eines Oppositionssprechers auf die Ereignisse in Frankfurt abgehoben worden. Der Polizeipräsident der Stadt Frankfurt hat mir heute noch ausdrücklich bestätigt, daß der Ablauf der Gewalttätigkeiten vorgestern in Frankfurt um kein Haar anders gewesen wäre, wenn ein Demonstrationsrecht Ihrer Fassung gegolten hätte. Die Gewalttaten in Frankfurt sind doch nicht eine Folge des Fehlens von Strafbestimmungen. Außerdem wehre ich mich dagegen, diese Vorgänge in Frankfurt überhaupt als Demonstration zu bezeichnen. ({35}) Sie sind es rechtlich nicht, weil sie verboten waren, ({36}) und sie sind es tatsächlich nicht. Es handelt sich hier - lassen Sie mich das ganz derb sagen - um Aufruhr und schweren Landfriedensbruch, bei dem schwere und schwerste Verbrechen begangen worden sind. ({37}) Das mit Demonstration in Zusammenhang zu bringen, ist fast eine Verniedlichung. Auf solche Vorgänge -- ich hoffe, wenigstens hier sind wir uns einig - gibt es nur eine einzige Antwort: Wer zu solchen Mitteln greift, muß in dieser Republik durch die volle Härte des bestehenden Gesetzes getroffen werden. Das jedenfalls ist die Auffassung dieser Bundesregierung, die ich hier vertrete. (Beifall bei der SPD und der FDP - Erhard ({38})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Eyrich?

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Ja, gern.

Dr. Heinz Eyrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000511, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß die Überführung und die Bestrafung nach bestehenden Gesetzen mit Sicherheit erleichtert worden wären, wenn den Mahnungen fast aller Polizeipräsidenten nachgegeben und im Vorfeld dieser Straftaten bessere Vorschriften geschaffen worden wären, die eine bessere Verfolgung dieser Täter ermöglicht hätten? ({0})

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Herr Kollege, auf diese Frage gebe ich Ihnen eine differenzierte Antwort. Für das, was wirklich die Bezeichnung „Demonstration" verdient, reichen die Gesetze in der Fassung nach dem Stand der letzten Änderung aus. Das wird inzwischen auch und gerade von den Polizeipräsidenten bestätigt. Das, was wir in München während der Olympiade am Karlstor hatten, und das, was sich in Frankfurt schon zweimal abgespielt hat, sind keine Demonstrationsstraftaten. Mit der Änderung dieser Bestimmungen erreichen Sie gar nichts; die Leute lassen sich dadurch gar nicht beeinflussen. Das sind schwere und schwerste Straftaten, gegen die wir keiner Ergänzung bedürfen, sondern das vorhandene Recht entschlossen anwenden müssen. Das ist das Ergebnis. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Eyrich?

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Gern.

Dr. Heinz Eyrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000511, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß es zwischen den von Ihnen angesprochenen zwei extremen Polen Zwischenstraftaten gibt, auf die das, was Sie eben gesagt haben, eben nicht anwendbar ist?

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Als einer, der selber solche Einsätze zu leiten hatte - wir hatten in München eine kommunale Polizei , kann ich Ihnen nur sagen, Herr Kollege, daß es für die Einsatzmaßnahmen der Polizei gar keinen Unterschied macht, ob es sich um Ordnungswidrigkeiten oder um Vergehen handelt. Kein Polizeipräsident setzt deswegen andere Mittel ein. Die abschreckende Wirkung - wenn Sie so wollen - geht doch nicht von den Strafen aus, die Sie auf Grund Ihrer Bestimmungen verhängen können, die abschreckende Wirkung geht davon aus, daß die wirklich gefährlichen Leute, wie etwa in Frankfurt, in Haft genommen und entsprechend zur Verantwortung gezogen werden. ({0}) Das Entscheidende bei einer solchen Veranstaltung ist nicht, viele, Tausende zu pönalisieren, sondern die hundert oder zweihundert - manchmal sind es auch nur zwanzig -, auf die es tatsächlich ankommt, müssen entschieden zur Rechenschaft gezogen werden. ({1}) Manche leiten den Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens gegenüber der Bundesregierung aus dem Verlauf und den Ergebnissen der Terroristenprozesse her. Ich darf Ihnen diese Ergebnisse einmal vor Augen stellen. 98 Personen sind von den deutschen Gerichten wegen terroristischer Aktivitäten rechtskräftig verurteilt, 47 Personen in erster Instanz; gegen 84 ist die Anklage erhoben, gegen weitere 260 laufen Ermittlungsverfahren, 33 befinden sich in Strafhaft, 95 befinden sich in Untersuchungshaft. Ich stelle fest, daß die Gerichte mit diesen Herausforderungen nach Überwindung einer gewissen Anfangsphase, weil das nicht nur für uns, sondern auch für die Gerichte neu war, in rechtsstaatlicher Weise fertig geworden sind, auch in den spektakulären Prozessen, über die so viel berichtet worden ist. Ich behaupte, der Verlauf der Prozesse - das gilt gerade auch für den Prozeß, der am häufigsten genannt worden ist -- hat die Sache der Terroristen geschwächt, hat die Zahl ihrer Sympathisanten vermindert, ja, dieses Vorgehen der Gerichte hat die Sympathisanten und die Terroristen in der Bundesrepublik an den Rand des öffentlichen Interesses ge- rückt. Ich bin nicht sicher, daß wir dieses Ergebnis feststellen könnten, wenn wir uns übereilt in Richtung mancher Verfahrensvorschläge bewegt hätten, die in der ersten Emotion sogar verständlich und durchaus diskutabel erschienen. ({2}) Ich meine - ohne Namen zu nennen -, wir haben Anlaß, den Richtern zu danken, die diese Prozesse in rechtsstaatlicher Weise - das Verfassungsgericht und die Europäische Menschenrechtskommission haben bisher jede Beschwerde zurückgewiesen - durchführen und damit die Überlegenheit dieses Rechtsstaates Tag für Tag demonstrieren. ({3}) Das Notwendige ist geschehen. Allerdings waren und sind Freiheit und Sicherheit für uns keine Gegensätze. Freiheit und Sicherheit bedingen einander; da bin ich auch und gerade mit dem Kollegen Maihofer völlig einig. Freiheit ohne Sicherheit endet über kurz oder lang im Chaos, Sicherheit ohne Freiheit endet genauso sicher in der totalen Diktatur. Für beide Entwicklungen gibt es in unserer Geschichte weiß Gott Lehrstücke. Auf dieser Grundlage bekennt sich die Bundesregierung zu einer wehrhaften Demokratie, auf dieser Grundlage tut die Justiz ihre Pflicht, auf dieser Grundlage haben wir gesetzliche Bestimmungen ergänzt und geändert. Herr Kollege Lenz, es ist doch nicht Schwäche, wenn dabei um die richtige Zuordnung von Freiheit und Sicherheit gerungen wird, wenn das nicht im Hauruckverfahren geht, sondern mit gegenseitiger Überzeugung und Argumentation. Für mich - so behaupte ich - ist es wieder ein Zeichen der Funktionsfähigkeit der verfassungsmäßigen Organe dieses Parlaments, daß diese Abwägung sorgfältig und auch unter Inanspruchnahme von Zeit erfolgt. Auch Sie, Herr Kollege Lenz, und die Herren der Opposition im Rechtsausschuß bewegen sich doch! Sie haben zunächst gegen den Kronzeugen Bedenken gehabt und haben ihn dann mit abgelehnt. Mit großem Interesse habe ich aus Ihren heutigen Ausführungen herausgehört, daß auch Sie jetzt - auch ich habe dazulernen müssen - eine Differenzierung zwischen der Überwachung des mündlichen und der des schriftlichen Verkehrs für diskutabel halten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie entscheiden über den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz. Sie stehen vor einer Alternative. Sie könnten den Haushalt eines Ministeriums ablehnen, dessen Vorlagen Sie zu 90 % zugestimmt und an dessen Haushaltspositionen Sie mit Ausnahme eines Betrages, der noch nicht einmal ein halbes Prozent des Haushalts ausmacht, nicht ein Wort der Kritik geäußert haben. Sie könnten diesem Haushalt aber auch zustimmen. Das wäre ein logisches Gebot der Vernunft, das den von Ihnen unterstrichenen und beschworenen Konsens in der Rechtspolitik augenfällig und sinnfällig machen würde. Das andere, die Ablehnung - ich muß das offen sagen -, erscheint mir als ein mehr parteipolitisches Vorgehen, als eine Art wahlpolitische Pflichtübung. ({4}) Ich habe Ihnen für Ihre Wahl zwischen diesen Alternativen keine Empfehlung zu geben. Wie Sie abstimmen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist Ihr Prüfstein, nicht unserer. Die Bundesregierung und das Bundesministerium der Justiz werden die rechtspolitische Arbeit in jedem Fall unbeirrt auf den von mir entwickelten Grundlagen fortsetzen. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über den Einzelplan des Bundesministers der Justiz wie auch vorhin schon die Debatte über den Einzelplan des Bundesministers des Innern läßt es mir angemessen und übrigens auch legitim erscheinen, noch einmal auf die Grundwerte zurückzukommen, auf denen unser Rechtsstaat, unsere Verfassung und, wie wir gestern und zum Teil auch heute miteinander debattiert haben, offenbar auch die politische Programmatik von mehr als einer der in diesem Hause vertretenen Parteien beruhen. Ich möchte zunächst auf eine Bemerkung zurückkommen, die Herr Kollege von Weizsäcker gemacht hat. Er sprach über die Quellen, aus denen er und seine Freunde bei der Formulierung ihres jetzigen Grundsatzprogramms geschöpft haben. Ich will das nicht bezweifeln. Sie, Herr von Weizsäcker, haben insbesondere auf eigene, zu Ihrer eigenen Partei gehörende Quellen hingewiesen. Diese Passage habe ich mit besonderer Aufmerksamkeit gehört. Wenn ich mich nicht verhört habe - das Protokoll stand mir noch nicht zur Verfügung -, haben Sie z. B. auf die Jahre 1945 bis 1949 hingewiesen und damit sicherlich auch das Ahlener Programm gemeint. ({0}) - Fünf verschiedene Quellen. Ich komme auf alle Quellen zu sprechen. Ich will mich eigentlich den anderen Quellen stärker zuwenden, aber auch das Ahlener Programm mit Interesse registrieren, weil es mir geeignet erscheint, ein anderes Mal und mit einem anderen Beispiel plausibel zu machen und darauf hinzuweisen, daß es unter den verschiedenen Personen, die öffentlich für die CDU und für die CSU sprechen, in vielen wichtigen Punkten eben doch keinen Zusammenhang, keine Übereinstimmung oder - dieses Wort wurde heute vielfach gebraucht - keinen Konsensus gibt. ({1}) Es ist ja noch nicht so lange her, daß der Vorsitzende der CSU in Wolfratshausen das Ahlener Programm wörtlich als eine Mumie bezeichnet hat. Aber das ist nur eine Nebenbemerkung, die ich nicht vertiefen will. Ich stimme mit Herrn von Weizsäcker in einem Punkt überein, in dem ich auch ansonsten im Rahmen seiner Ausführungen eher Anknüpfungspunkte geBundeskanzler Schmidt funden habe als bei den Ausführungen des Oppositionsführers oder des Landesvorsitzenden der CSU. Ich stimme mit Ihnen darin überein, Herr Kollege von Weizsäcker, daß keine Partei ein Monopol auf Freiheit hat, ({2}) und ich nehme an, daß Sie sagen wollten: auch nicht Ihre eigene. Sie haben sich damit sehr deutlich von denjenigen Ihrer Kollegen abgesetzt, die, wie es mir schien, hier durch den Gesamtzusammenhang ihrer Darlegungen einen Exklusivitäts-, einen Alleinvertretungsanspruch für Freiheit behauptet haben. Sie haben sich sodann ausführlich mit dem Grund- I wert der Solidarität beschäftigt sowie die Forderung nach und die Ermöglichung von sozialer Partnerschaft bekräftigt. ({3}) Wir würden das zwar etwas anders ausdrücken, aber im Grunde ähnlich empfinden. Und Sie haben insbesondere gesagt, es müsse nicht nur Solidarität mit den Gleichartigen verlangt werden; Solidarität als Gebot und als Forderung richte sich natürlich auch insbesondere darauf, daß sie gegenüber dem nicht Gleichartigen, gegenüber dem Andersartigen gelte. Ich für meine Person stimme Ihnen auch darin ausdrücklich zu. ({4}) Ich halte das im übrigen - wenn ich das noch einfügen darf - auch für das richtige christliche Verständnis des Wortes „Solidarität". Aber das war eine Bemerkung nebenher. Ich will Ihnen, Herr von Weizsäcker, dann nämlich auch die Schlußfolgerung anbieten, die sich aus diesem besonderen, von Ihnen hervorgehobenen Verständnis ergibt. Das heißt dann nämlich auch: Solidarität des Wohlhabenden, des Vermögenden, des Reichen mit demjenigen, der nicht wohlhabend ist, der nicht vermögend ist, der nicht reich ist, ({5}) oder aber, anders ausgedrückt: Solidarität des wirtschaftlich Stärkeren mit dem wirtschaftlich Schwächeren. ({6}) - Eben. Ich versuche herauszufinden, wie weit die Übereinstimmung reicht, und gegenwärtig kann ich noch keinen Anlaß für Zwischenrufe erkennen, meine Damen und Herren. ({7}) Dann würde ich aber auch bitten, mir gleichfalls zuzustimmen, wenn ich sage, daß solche Sachen wie Rehabilitation hinsichtlich ihrer gesetzlichen Fundierung und ihrer finanzwirtschaftlichen Alimentierung, daß solche Sachen wie das Schwerbehindertengesetz und all das, was dazugehört, nun allerdings auch aus Ihrem Verständnis des Solidaritätsprinzips fließen. Wenn dies richtig ist - und es gilt ja nicht nur für die beiden Beispiele, die ich eben herausgreife, Herr von Weizsäcker, sondern für viele, viele Beispiele der Gesetzgebung und des finanzwirtschaftlichen Handelns zugunsten der Schwächeren, die wir Ihnen aus den letzten Jahren vorführen könnten -, dann wird mir - und darauf komme ich nachher zu sprechen - Ihre kritische, in diesem Punkt nicht ganz fachmännische Beurteilung dessen, was Sie Staatsquote genannt haben, etwas suspekt. Denn Sie müssen sich doch darüber klar sein, daß die Staatsquote nicht, wie Herr Dregger glauben machen wollte, gestiegen ist, weil es nicht nur in seinem Lande und nicht nur im Nachbarland Baden-Württemberg und nicht nur im Lande Rheinland-Pfalz, sondern auch in allen Großstädten und im Bund mehr Beamte als früher gibt. Sie ist doch vielmehr gestiegen wegen der enorm gestiegenen Transferleistungen zugunsten der wirtschaftlich Schwachen, zugunsten der Behinderten, zugunsten der Arbeitslosen. ({8}) Aber ich komme auf Ihren Staatsquotenbegriff noch zurück und bleibe im Augenblick bei der von mir ernst genommenen, mehr philosophischen Darlegung von Herrn von Weizsäcker. Wenn das stimmt, wenn es Ihr Ernst ist - und ich zweifle bei Ihnen persönlich nicht an dem Ernst - mit Ihrer Auslegung des Wortes „Solidarität", dann müßten Sie doch eigentlich - ich verlange nicht, daß das im Bundestag und von dieser Tribüne und öffentlich geschieht - innerlich verzweifelt gegen diejenigen in Ihren eigenen Reihen ankämpfen, die Mitbestimmung des Arbeitnehmers als ein „Ermächtigungsgesetz zur Fremdbestimmung" charakterisieren. ({9}) Oder Kollegen wie Hans Katzer, den ich in den bald 23 Jahren meiner Zugehörigkeit zu diesem Hause in seiner sozialen Gesinnung immer sehr geschätzt habe, oder Norbert Blüm - um nur zwei Ihrer Kollegen zu nennen - müßten doch innerlich verzweifelt gegen solche Äußerungen wie die kämpfen, es sei eine der dümmsten Vorstellungen, die man haben kann, unbedingt den Arbeitnehmer am Produktionskapital beteiligen zu müssen. Und dies war nun der Originalton des Landesvorsitzenden der CSU. ({10}) Und nun zu Ihrer „Staatsquote": Ich habe dazu schon eine Bemerkung gemacht und wiederhole sie. Das, was Sie, verehrter Herr Kollege, als Staatsquote vorgeführt haben, hat die Gesamtheit der vom Staat, d. h. nicht nur vom Steuerzahler, sondern auch vom Staat als Kreditnehmer, geleisteten Sozialleistungen einfach mit vereinnahmt. Ich glaube nicht, daß Sie im Ernst das Ansteigen der Sozialleistungen wirklich beklagen wollen, und mache Sie hier auf eine irrtümliche Pauschalierung aufmerksam, die in Ihrer Argumentation vorkam. ({11}) - Dann dürften Sie sie nicht so pauschal abqualifiziert haben, wie Sie es taten. ({12}) Es kommt noch ein zweites hinzu: daß ja die Staatsquote, von der Sie sprachen, eben nur in diesen beiden Rezessionsjahren so hoch ist, was wir allerdings - ich habe das gestern hier ausführen dürfen - zum Zwecke der Bekämpfung der Rezession für dringend notwendig hielten. Wenn Sie sich mit diesem Thema etwas näher beschäftigten, würden Sie sehen, daß z. B. auch zur Zeit der Großen Koalition zur Bekämpfung der damaligen Rezession -- die nun in der Tat keine Weltrezession, sondern eine deutsche war; ich verzichte auf das Epitheton ornans, das eigentlich bei einer solchen Gelegenheit sonst immer aus Ihrem Munde geboten wird - in den Jahren wie 1967 die Staatsquote zwangsläufig hochging. Das muß ja doch auch der Fall sein, wenn der Staat Konjunkturprogramme macht, und wir haben damals in der Großen Koalition große Konjunkturprogramme ins Werk gesetzt. Selbstverständlich wirken die sich als Erhöhung der Staatsquote aus, die doch nichts anderes ist als eine Verhältniszahl für die Gesamtausgaben aller öffentlichen Hände, gemessen am Bruttosozialprodukt. Und wenn einerseits das Bruttosozialprodukt wegen Rezession schwindet und Sie andererseits zur Bekämpfung der Rezession Konjunkturprogramme machen, muß zwangsläufig der Anteil der Staatsausgaben am Gesamtsozialprodukt steigen, und ich sage: vorübergehend steigen. Er ist dann nachher wieder gesunken. Er ist ja auch in den ersten zwei Dritteln oder drei Vierteln der Gesetzgebungs- und Regierungszeit der sozialliberalen Koalition nicht kategorisch höher gewesen als 1968 oder 1969; er lag etwa gleich. Gegenwärtig ist er höher, aber er wird auch wieder fallen, z. B. in dem Maße, in dem Kurzarbeit zurückgeht. Im letzten Monat ist die Kurzarbeit in Deutschland um ein ganzes Drittel zurückgegangen - in einem einzigen Monat von 30 Tagen! In dem Maße zahlen Sie weniger Kurzarbeitergeld, und in dem Maße geht die Staatsquote zurück. Ich bitte, sich das doch einmal richtig vorzustellen, Herr Kollege von Weizsäcker. ({13}) Nun können Sie allerdings noch differenzieren. Sie haben ja ein Bild gebraucht, das so aussah, als ob die Staatsquote abgezogen werde, als ob die Gesamtheit der Abzüge vom Lohn und vom Gehalt dasselbe sei wie die Staatsquote. Das ist nicht richtig. Wir kennen den volkswirtschaftlichen Begriff der Steuerquote und den volkswirtschaftlichen Begriff der Sozialversicherungsbeitragsquote. Beides zusammen wird volkswirtschaftlich die Abgabenquote genannt. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die Steuerquote in Deutschland gegenwärtig, im Jahre 1976, niedriger ist als sie es 1974, 1973 und 1972 war. Sie ist heute sogar niedriger - jetzt werden Sie sich wundern, aber ich sage wirklich die Wahrheit - als 1952. ({14}) - Sie können sich auch andere Jahre aussuchen. Diese Rechnung hat keinen Pferdefuß. Die Steuerquote in Deutschland hat immer zwischen 22 und 24 % oszilliert. Gegenwärtig liegt sie etwa bei 23 %. Diese Höhe ist keineswegs exorbitant, sondern liegt im gewogenen Schnitt all dieser 25 Jahre, für die teils Sie, teils die Freien Demokraten, teils wir finanzwirtschaftliche Verantwortung getragen haben. Hier bietet sich kein Grund zum Angriff. Sie könnten wohl aber sagen, in bezug auf die Steuerquote fühlten Sie sich nunmehr zwar durchaus erleuchtet, aber bei den Sozialversicherungsabgaben sehe es anders aus. Ich muß Ihnen zugestehen, daß Sie in diesem Bereich eher das Recht hätten, solche Eindrücke zu erwecken, wie Sie sie hier dargestellt haben. Aber auch in diesem Bereich ist es nicht so, daß Sie Zahlen nennen können, die an die 40 oder 50% heranreichen oder gar über 50% hinausgehen, wie Sie sie hier genannt haben. Wahr ist, daß wir die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung Anfang dieses Jahres um ein halbes Prozent für den Arbeitnehmer ({15}) - von der Lohnsumme gerechnet - und um ein halbes Prozent für den Arbeitgeber angehoben haben. ({16}) Gleichwohl sind die Beiträge der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zur Arbeitslosenversicherung nicht so hoch, wie sie es in den 50er Jahren, als Sie die Regierung stellten, schon einmal gewesen sind. Der Beitrag belief sich schon einmal auf insgesamt 4 °/o. Jetzt liegt er bei 3%. Er wird auch wieder gesenkt und ermäßigt werden, und zwar in dem Ausmaße, in dem Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld nicht mehr in diesen großen Summen ausgezahlt werden müssen. Die Zahlungen gehen ja schon von Monat zu Monat zurück. ({17}) Eigentlich sollte man dergleichen beim Einzelplan Finanzen abhandeln. Herr von Weizsäcker hat es jetzt beim Einzelplan Inneres abgehandelt, und ich meine nicht, daß dies zu Unrecht geschah; denn er hat grundsätzlich zu den sittlichen Grundlagen unseres Staates gesprochen und hat dies als Beispiel herangezogen. Es muß dann auch erlaubt sein, sein Beispiel so zurechtzurücken, daß es nationalökonomisch richtig ist. ({18}) In demselben Zusammenhang, Herr von Weizsäcker, als Sie sagten, daß Sie die Freiheit durch eine zu stark aufgeblähte Staatsquote gefährdet sähen, haben Sie von der Freiheit gesprochen, die doch nicht nur Freiheit zum Genuß sein solle. Das ist so nicht zu beanstanden, jedenfalls nicht von mir. Ich würde es jedenfalls dann nicht beanstanden, wenn man, noch etwas schärfer auf den Staat hinzielend, sagte: Der Staat als Steuereinnehmer und als derjenige, der die Ausgaben einschließlich der Sozialleistungen zu verantworten hat, darf nicht dem Grundsatz der Freiheit zum Genuß huldigen. Eine solche Philosophie wäre unter manchen Aspekten zu kritisieren, übrigens auch unter dem Aspekt - ich sprach gestern schon davon; es ist leider niemand von Ihnen darauf eingegangen - eines der wichtigsten Prinzipien der katholischen Soziallehre, nämlich unter dem Aspekt des Subsidiaritätsprinzips. Lassen Sie mich nun ein zweitesmal zum Thema Subsidiaritätsprinzip jenes Beispiel vortragen, auf das bisher keiner von Ihnen geantwortet hat. ({19}) - Ich bin dabei, Ihnen klarzumachen, wie sehr ich es respektiere. Nach Ihrem Verständnis gehört es doch zum Solidaritätsprinzip. Aber ich frage diejenigen von Ihnen, die verlangen, daß der Staat in Zukunft einige hundert Millionen zusätzlich ausgibt, vielleicht zusätzlich 600 oder 700 Millionen DM jährlich - bei allem Lamento über die angeblich zu hohe Staatsquote -, um zusätzliche Lehrstellen zu finanzieren, eine Finanzlast, die seit Bestehen der Gewerbeordnung in Deutschland - das ist länger als Bismarcks Abgang aus der Reichspolitik -, jedenfalls bisher, ausschließlich Sache der Betriebe im Handwerk und in der Wirtschaft war, die dies bisher auch tragen konnten und weiterhin tragen können. ({20}) Ich sage dies als ein Beispiel an Ihre Adresse, an Sie persönlich, Herr von Weizsäcker, der ich Ihnen Ihre politische Philosophie, Ihre sittliche Grundlegung dessen, was Sie als Politiker wollen, durchaus abnehmen will, als ein weiteres Beispiel dafür, daß es bei Ihnen dann hapert, wenn aus Grundsätzen das Richtige, den Grundsätzen entsprechende konkrete Handeln abgeleitet werden soll. ({21}) Ich will Herrn von Weizsäcker durchaus nicht widersprechen, wenn er zu verstehen gibt - jedenfalls habe ich es so herausgehört, und ich würde dem zustimmen -, daß es unserer Gesellschaft guttun würde, dem gesellschaftlichen Ethos der Solidarität stärkere Geltung zu verschaffen; ich will nicht sagen: es wieder zu erwecken. Dem Ethos der Solidarität stärkere Geltung zu verschaffen, - da könnte man sich durchaus treffen. Ich meine Sie so verstanden zu haben. Es gibt ja in nicht sehr wenigen Lebensbereichen im Zuge der modernen Entwicklung - allerdings nicht der letzten sieben Jahre, wie es hier dargestellt wurde, sondern schon der allerersten Nachkriegsjahre; das ist verständlich genug - in Anlehneng, wenn man so will, an kapitalistische Denkweisen ein Aufzehren des alten Solidaritätsethos, ein Zunehmen von Ansprüchen in jeder Beziehung. Es mag auch Überanstrengungen dieses Ethos geben. Im Zuge des Wiederaufbaus und des Wiederaufschwungs der 50er Jahre nach dem Kriege, nach der Zerstörung hat sich ja in der Tat bei vielen - wir dürfen uns dabei nicht ausnehmen, die wir damals schon erwachsen waren - so etwas wie eine Wirtschaftswundermentalität herausgebildet, auch im Verbrauchen und im Genuß, auch im Anspruch auf Verbrauch und im Anspruch auf Genuß. Das ist wahr. Wenn Sie das gemeint haben sollten, kann ich Ihnen nicht widersprechen. Es ist wahr, daß viele seit den 50er Jahren in immer ausschließlicherer Weise auf eigene Interessen, auf Wahrnehmung eigener Interessen, auf größtmöglichen Ertrag mit geringstmöglichem Einsatz orientiert worden sind oder sich orientiert haben. Diese Art von Machtergreifung des praktischen Materialismus war nicht mehr in Übereinstimmung mit dem Ethos der Solidarität, zu dem Sie Ihre Mitmenschen und wir unsere und infolgedessen wir alle eigentlich gemeinsam aufrufen könnten, vielleicht sogar sollten. Wir haben dann mit der Zeit schrittweise den Sozialstaat ausgebaut, um jedenfalls denjenigen zu helfen, die bei dieser Tendenz zur Machtergreifung des praktischen Materialismus, des plattesten ökonomischen Materialismus, des Haben-Wollens - haben, haben, haben! -, weil nicht so stark bewehrt und nicht so stark mit Instrumenten ausgestattet, sonst unter den Schlitten gefahren worden wären. Ich begrüße es, daß Sie die Wiedergewinnung des Ethos der Solidarität so herausstellen, offenbar doch nicht nur plakativ, wenngleich auch nicht für alle Ihre Kollegen mitsprechend, aber doch sehr ernst gemeint. Es ist ja nicht so, daß wir mehr Solidarität mit den Schwachen, mehr Solidarität mit den Hilfsbedürftigen, mehr Solidarität mit den Behinderten, mehr Solidarität mit den Kriegsverletzten, mehr Solidarität mit den psychisch Kranken - und wie die Gruppen in unserer Gesellschaft alle heißen, um die es geht - dadurch praktisch verwirklichen, daß wir übereinstimmende Appelle an unsere Gesellschaft oder an unser Volk richten. Vielmehr wird es dazu notwendig sein - und das wird wohl von Ihnen auch nicht bezweifelt -, daß wir zu einem erheblichen Teil dort, wo der Appell an die individuelle Hilfe offenkundig nicht ausreicht, das eben subsidiär durch Gesetze und durch staatliche Finanzierung tun. Ich bitte Sie herzlich, irgendwann im Laufe der nächsten vierzehn Tage - die Haushaltsdebatte dauert ja noch sehr lange - klarzumachen, daß Sie bei Ihrer Staatsquotenargumentation dem, was ich eben dargestellt habe, jedenfalls nicht widersprechen wollten. Es könnte auch Sache eines christlichen Politikers sein, der sich mit voller Absicht so nennt, auch im Firmennamen seiner Partei so nennt, es könnte zu seiner Aufgabenstellung gehören, zu fragen, wieso, wieweit oder ob ausreichend die Kirchen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben inmitten unserer Ge17006 sellschaft zu dem beitragen, was ich Wiedergewinnung des Bewußtseins der sittlichen Notwendigkeit oder des Ethos der Solidarität genannt habe. Das muß nicht unbedingt vom Theologischen her begründet werden. Es kann aber sehr wohl und sehr gut christlich-theologisch begründet werden. Es kann auch sehr wohl sozialistisch begründet werden. Wenn man aus Solidarität gemeinsam die gleichen Ziele zugunsten der Schwachen und der Behinderten anstrebt, dann kann man es ja eigentlich auch gemeinsam tun. Man braucht dies ja nicht deswegen abzulehnen, weil man es im letzten Urgrund nicht gemeinsam begründet. Dabei zeigt sich in den letzten Tagen, daß sogar die Gründe und Werte, mit denen man es begründet, relativ nahe beieinanderliegen. ({22}) Ich könnte dann die Frage stellen - und die darf ich vielleicht mehr an den Kollegen Barzel stellen, der einem anderen Bekenntnis angehört als der Herr von Weizsäcker -: Wenn man dieses Prinzip der Solidarität so in den Vordergrund stellt, wie gestern geschehen, was ist denn dann eigentlich mit der Kraft der anderen Motive, Denkanstöße, Argumente, die aus der katholischen Soziallehre entsprungen sind und die in den letzten fünf, sechs, sieben Jahren der politischen Auseinandersetzung in diesen Hause vergessen zu sein scheinen? ({23}) Sind sie eigentlich in den Hintergrund gedrückt durch die in Ihren Reihen geführte, von mir mit Interesse verfolgte Debatte darüber, ob das Recht auf Mitbestimmung ein Naturrecht sei oder ob es dies nicht sei? ({24}) - Ich verstehe die Zwischenrufe nicht. Denn ich versuche doch zu helfen, wie eine Brücke geschlagen wird von abstrakt leicht zu benennenden sittlichen Grundwerten her zu praktischem, konkretem politischem Handeln hin. ({25}) Ich habe der Rede des Herrn Abgeordneten Dregger entnommen, daß unsere - er hat das sogar mit einem Superlativ verbunden - die freiheitlichste Demokratie sei. Nun wohl, das kann man verschieden ausdrücken; man kann auch einen solchen Superlativ gebrauchen. Ich stimme jedenfalls insoweit zu, Herr Dregger, daß das, was die äußere Freiheit der einzelnen Person, die rechtliche Freiheit angeht, durch unser Grundgesetz und durch die Einrichtungen unseres Staates in nahezu optimaler Weise gesichert ist, von den Grundrechten her, von den rechtsstaatlichen Gewährleistungen her und auch vom Sozialstaatsprinzip her. In die Grundwert-Debatte und in die Debatte über Solidarität und Gerechtigkeit gehört ja eigentlich der Hinweis darauf wie das in Art. 20 Abs. 1 unseres Grundgesetzes zum Verfassungsleitsatz erhoben ist, wo es heißt: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. ({26}) Einige verwenden vielfach die Formulierung „ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat", was auch kein Fehler ist, weil sich die Rechtsstaatsqualität zweifellos aus anderen Stellen unseres Grundgesetzes ergibt. Die äußere Freiheit der einzelnen Person ist, wenn man die deutsche Verfassungsgeschichte zurückverfolgt, sicherlich in erstaunlicher Weise nicht nur im Grundgesetz festgeschrieben, sondern von uns allen dann auch später verwirklicht worden. Aber wie ist es mit der inneren Freiheit der einzelnen Person? Z. B. ist die rechtliche Gleichstellung der Frauen durch das, was wir gerade in den letzten Jahren geschafft haben, wiederum ein erhebliches Stück vorangebracht worden; im Ehe- und Familienrecht z. B., im Namensrecht z. B., sogar auch hinsichtlich solcher scheinbar peripheren Fragen wie der Beurlaubung im Falle der Krankheit minderjähriger Kinder, die zu Hause sind. Aber jeder von uns weiß, wie weit wir in der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Wahrheit noch von der Gleichstellung von Frauen und Männern oder von Mädchen und Jungen entfernt sind, wenn es sich etwa in einer Familie um die Frage handelt, was aus den Kindern werden soll. Der Junge wird, wenn nicht auf die Hochschule, so doch jedenfalls in eine Lehre geschickt, und beim Mädchen wird unterstellt, daß es ja mal heirate und infolgedessen nichts zu lernen brauche. Das ist ja doch leider in vielen Fällen noch die Wirklichkeit. ({27}) - Aber dies ist doch keine parteipolitische Färbung. Das ist doch die Wirklichkeit, die Sie genauso beklagen müssen, wie ich sie beklage. ({28}) Ich sage doch mit diesen Beispielen nichts anderes - man kann noch viele andere Beispiele geben -, als daß die äußere Freiheit oder die äußere Gleichheit der einzelnen Person, wie sie durch das Gesetz hergestellt wird, in ihrer inneren Erfüllung für den einzelnen Menschen allerdings noch sehr weitgehend davon abhängt, wie sich andere verhalten, wie sich die Gesellschaft um uns herum verhält und wie wir uns als Gesetzgeber und als Staat verhalten, auch davon, wieweit wir aus dem Solidaritätsgebot und aus dem Prinzip sozialer Gerechtigkeit konkrete, für die einzelne Person in der Erweiterung ihres Freiheitsraums sich positiv auswirkende Konsequenzen ziehen. Ich denke, wir haben mit Erfolg versucht - z. B. anders als viele andere Gesetzgebungsmehrheiten vorher -, das ein erhebliches Stück voranzubringen, was die Frauen angeht. Ich kann das auch an anderen Beispielen zeigen. Kollege Barzel sprach gestern noch einmal vom § 218 des Strafgesetzbuches. Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie die Frage gestellt, wo das in unserem Programm eigentlich vorkomme. ({29}) - Sie waren es nicht; ich bitte um Entschuldigung. Ich will Ihnen nicht unrecht tun. Jemand hat diese Frage gestellt. Ich habe sie mir notiert. Ich habe den Sinn der Frage nicht verstanden. Ich wollte hier antworten, daß dieses Problem ja nun auf absehbare Zeit geregelt ist. Es gehört jetzt nicht mehr in Programme hinein, im Augenblick gewiß nicht. ({30})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel?

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Bitte sehr!

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Um den Tatbestand aufzuklären, Herr Bundeskanzler: Erinnern Sie sich, daß ich gestern kritisiert habe, daß in Ihrem Wahlprogramm, das am Montag veröffentlicht worden ist, hinten eine Passage enthalten ist, in der vom § 218 in dem Sinne die Rede ist, daß man ihn im Hinblick auf die Motive der anderen habe ändern müssen? Die Reichen könnten das eben im Ausland machen lassen. Dann habe ich Sie gefragt, ob Sie das etwa als Motiv für die Mahnung der Kirchen an das christliche Gewissen ansähen. Ich glaube, dies war eine ganz klare Passage. Ich habe Sie eigentlich jetzt so verstanden, daß Sie auf die katholische Soziallehre hinweisen wollten, um das, was in Ihrem Programm steht, etwas abzuschwächen. ({0})

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Nein, Herr Barzel. Ich bin nicht ganz sicher, aus welchem Papier Sie zitiert haben. Aber wenn es dort ausschließlich so stünde, wie Sie zitiert haben, würde ich Ihnen dieses als fehlerhaft und so nicht zu unterschreiben bestätigen wollen. ({0}) Es gibt gar keinen Zweifel, daß wir Sozialdemokraten - das gilt ganz gewiß ebenso für die Freie Demokratische Partei und für alle, die sich im Laufe der jahrelangen Debatte das Herz schwergemacht und miteinander gerungen haben -, daß wir alle den Schutz des werdenden Lebens in diesem Zusammenhang nicht außer acht gelassen haben - wenn es das war, was Sie meinten - und daß darüber hinaus die Änderung dieses Strafrechtsparagraphen sicherlich nicht, schon gar nicht überwiegend oder ausschließlich, nur mit der bisherigen Ungerechtigkeit begründet werden darf, die darin bestand, daß Wohlhabenden andere Möglichkeiten zur Verfügung standen als Armen. Aber daß dies letztere so war, Herr Barzel, und daß das auch ein tiefes Ärgernis war, das, nehme ich an, werden sie nicht bestreiten wollen. ({1}) Herr von Weizsäcker hat heute nachmittag von der Familie gesprochen. Die Familie ist, wie die Ehe, vom Grundgesetz dem besonderen Schutz des Staates anheimgegeben. Wir haben uns dazu nicht immer nur wieder bekannt, wenn es abgefragt wurde, wie heute von Herrn von Weizsäcker, sondern wir haben auch eine ganze Menge dafür getan. Ich kann mich an viele Beispiele erinnern, etwa daran, daß die althergebrachten Kinderfreibeträge, die auf der Lohnsteuerkarte eingetragen wurden, für die Eltern mit einem hohen Einkommen einen großen Vorteil für ihre Kinder bedeuteten und für die Scheuerfrau oder, wie man heute sagt, für die Raumpflegerin, zum Teil nur halbtags beschäftigt, und ihre Kinder überhaupt nichts brachten, weil sie gar nicht so viel verdiente, daß sie lohnsteuerpflichtig war. ({2}) Insofern meine ich in der Tat - das ist nun eine Konkretisierung des Verfassungsauftrags vom besonderen Schutz, den wir der Familie schulden -, daß die Einführung des bar und netto zu zahlenden gleichen Kindergeldes für das erste und zweite und dritte und vierte Kind unabhängig von der Situation des Elternhauses allerdings ein Schritt zur Verwirklichung eines Verfassungsgebots und darüber hinaus auch ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit war. Und er erfolgte aus der Gesinnung der Solidarität. Herrn von Weizsäcker muß ich nicht noch an die Reform des Ehe- und Familienrechts bis hin zu der Möglichkeit erinnern, daß die Ehefrau, wenn Sie es wünscht, auch noch der Eheschließung ihren Namen behält. Ich möchte noch auf einen Vorwurf eingehen dürfen, den Herr Barzel gestern erhoben hat. Sie haben einen Freund von mir zitiert, einen Mann, mit dem ich 25 Jahre lang persönlich eng befreundet war, übrigens auch Herbert Wehner. Wir haben uns über ein Vierteljahrhundert gekannt und haben in diesem Vierteljahrhundert viele, viele Abende gemeinsam philosophiert, über Politik gesprochen. Es war bisweilen auch der eine oder andere Ihrer Parteifreunde dabei. Ich spreche von Otto A. Friedrich. Sie haben gemeint, der in unserem Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre enthaltene Ausdruck „Modell Deutschland" sei eigentlich ein Plagiat, er sei eigentlich einem Vortrag von Otto A. Friedrich entnommen, dessen Abdruck in einer Broschüre Sie hier demonstriert haben. Sie irren sich, und ich bitte Sie herzlich, mir das zu glauben. In jenen Gesprächen mit Otto A. Friedrich haben wir diesen Gedanken gemeinsam entwickelt und haben gemeint - jetzt fülle ich ihn Ihnen gegenüber aus - ({3}) - Ich bitte Sie, wenn hier schon persönliche Verbindungen aufgezeigt werden und wenn Sie dann das nicht glauben wollen, dann lesen Sie bitte einmal nach, was ich vor fünf Wochen beim Tode Otto A. Friedrichs vor der Delegiertenversammlung der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber über diesen meinen Freund gesagt habe. Vielleicht wird Ihnen dann verständlich, daß ich an diesem Punkt zwar nicht empfindlich bin, aber doch bitte hier aus meinem eigenen Leben dazu sprechen möchte und daß dies nicht etwa hergesucht ist. ({4}) Otto A. Friedrich und ich und ein paar andere auch, die zu diesem Gesprächskreis gehörten, der regelmäßig in der Wohnung von Marion Gräfin Dönhoff in Hamburg zu tagen pflegte, waren uns in vielen Punkten einig, insbesondere in dem, daß das Zusammenwirken freier selbstverantwortlicher Gewerkschaften auf der einen mit ihrem Tarifvertragspartner auf der anderen Seite, so wie es bei uns in Deutschland in den letzten 25 Jahren mit ungeheurem Erfolg praktiziert worden ist, in der Tat etwas ist, das man als ein Modell bezeichnen könnte, wenn man an andere denkt, oder das man als ein Modell bezeichnen darf, wenn man daran denkt, wie es in der Zukunft weiter ausgestaltet werden muß. Wir haben auch viele Male über die Notwendigkeit der Beteiligung des Arbeitnehmers am zukünftig gebildeten Produktivvermögen gesprochen und darin übereingestimmt. Otto A. Friedrich hat öffentlich darüber mehr gesprochen als viele andere von uns, aber ich nehme für mich in Anspruch, darüber auch gesprochen zu haben. Ich bitte denjenigen, der dies nun wiederum als Klitterung empfindet, weil er es mir nicht zutraut, z. B. die Parteitagsprotokolle des Godesberger Programmparteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aus dem Jahre 1959 zu diesem Punkte anzusehen. Wenn ich unser Modell dessen, was Herr von Weizsäcker - oder war es Herr Barzel; es waren wohl beide - hier unter dem Stichwort „soziale Partnerschaft" angesprochen hat, vergleiche und das unter meinem gewerkschaftlichen Aspekt noch etwas stärker ausführen darf, so möchte ich Ihnen auf die Aufforderung hin, die einer hier ausgesprochen hat, wir sollten dem Klassenkampf entgegentreten, eines gerne sagen: Sicherlich wird ab und zu auch in Deutschland dieses Wort in den Mund genommen, sogar in den Mund genommen werden müssen, und sicherlich muß ab und zu auch in Deutschland das Mittel des Streiks im Arbeitskampf angewandt werden. Aber wenn Sie mit anderen Gesellschaften vergleichen, die darin weniger glücklich waren, dann werden Sie sehen, daß bei uns nicht jedes Jahr die Klassenkampfparolen und Spruchbänder hochgehalten werden, im übrigen aber für die Arbeitnehmer nicht genug herausgeholt worden ist. Sondern im Gegenteil: unsere Arbeitnehmer, ob es Angestellte sind oder Arbeiter oder Beamte, sind im realen Nettoeinkommen, oder in der realen Sicherung ihres Lebensabends - ob es sich um das Gesamtsystem, um das Netz unserer sozialen Sicherung handelt -, sie sind bei diesem Modell, das wir ausgebaut haben und das wir weiterhin vervollkommnen wollen, sehr viel besser gefahren als jene, die auf dem Marktplatz regelmäßig aufeinander eindreschen, die stärksten Vokabeln dabei benutzen, aber im realen Ergebnis ihres Sozialprodukts oder des Volkseinkommens pro Kopf oder ihres Reallohns pro Kopf im Laufe all dieser Jahre weit hinter dem zurückgeblieben sind, was die deutschen Gewerkschaften für die organisierte Arbeitnehmerschaft und für die gesamte Arbeitnehmerschaft erreicht haben. Die Deutschen Gewerkschaften haben eben immer gewußt, daß es keinen Sinn hat, die Kuh zu schlachten, die doch auch noch nächstes Jahr und übernächstes Jahr Milch geben soll. ({5}) Sicherlich waren manche Ihrer Freunde daran beteiligt, und ich will die Rolle der christlich-sozialen Kollegenschaft dabei nicht herabsetzen, aber es ist doch nicht so, daß hier zwei fulminante Sprecher der Christlich-Demokratischen Union nacheinander für die Union in Anspruch nehmen könnten, die Union hätte diese Art des sozialen Umgangs miteinander in Deutschland geschaffen. Dies ist nun wirklich nicht wahr. Das ist das Verdienst der Gewerkschaften und ihrer Partner. ({6}) Herr Barzel hat einen Satz aus dem Godesberger Grundsatzprogramm der Sozialdemokratie zunächst ganz korrekt zitiert. Er hat darauf verzichtet, an dieser Stelle, wie das sonst häufig üblich ist, noch das Wörtchen „nur" einzufügen. Ein paar Sätze später in seiner Rede kommt es leider allerdings doch, wie auch die Aussagen aus dem Orientierungsrahmen, die er zitierte, aus dem Kontext herausgelöst sind, in dem sie eigentlich hätten gelesen und verstanden werden sollen. Aber ich beschränke mich auf den Satz, auf den es Ihnen, Herr Barzel, ankam. Es steht im Godesberger Grundsatzprogramm der deutschen Sozialdemokratie „Sozialismus wird nur durch die Demokratie verwirklicht, Demokratie durch den Sozialismus erfüllt". Bei dem zweiten Satzteil fehlt das Wort „nur". Jener Absolutheitsanspruch, der uns Sozialdemokraten gestern in einigen Reden unterstellt wurde, findet sich hier nicht. Er findet keine Stütze in diesem seit 17 Jahren bestehenden Programm. ({7}) Wir haben das damals sehr wohl überlegt. Wir sind nicht der Meinung, daß nur w i r Demokraten seien; wir sind nicht der Meinung, daß nur w i r für die Freiheit eintreten. Wir wünschten uns, Sie wären derselben Meinung wie wir, daß es außer Ihnen auch noch andere Demokraten gibt, andere Menschen, die für Freiheit eintreten. ({8}) Es tut mir leid, daß ich eben Herrn Barzel angeschaut habe; es sah so aus. Ich meinte in Wirklichkeit den hinter ihm sitzenden Herrn Dregger. ({9}) Zurück zu den mehreren Quellen, von denen Herr Weizsäcker heute nachmittag gesprochen hat. Es gibt ja sicherlich keinen Zweifel zwischen uns, daß die Grundwerte Teil eines gemeinsamen geschichtlichen Erbes sind, das aus vielen Wurzeln herrührt, eines gemeinsamen geistigen politischen Fundaments, auf dem auch die Freie Demokratische Partei, auf dem alle demokratischen Parteien hier aufgebaut haben und in dem sie wurzeln. Eine gewisse Verwandtschaft mit der dreiteiligen Losung der FranzöDeutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12 Mai 1976 17009 sischen Revolution das wird Herrn Dregger erschrecken - ist nicht zu verkennen. Es ist andererseits gewiß ebensowenig eine gewisse Verwandtschaft etwa mit Formeln zu verkennen, wie sie in Deutschland zuerst und mit großer Eindringlichkeit von Ferdinand Lassalle vertreten worden sind, der der große Agitator des freien und gleichen Wahlrechts in Deutschland gewesen ist. ({10}) Es ist ebensowenig zu verkennen, daß hier eine unmittelbare Beziehung zum Naturrecht, zur katholischen Soziallehre und zur protestantischen Sozialethik gegeben ist. Ich denke, wir könnten gemeinsam erkennen, daß diese Grundwerte eben auch Grundwerte der politischen Ordnung in der Bundesrepublik sind, einer politischen Ordnung, deren innere Verhaftung mit der geistesgeschichtlichen Quelle des katholischen Naturrechts übrigens am deutlichsten im allerersten Artikel des Grundgesetzes abgelesen werden kann, in dem von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen die Rede ist. ({11}) Nachdem ich versucht habe, alle diese Gemeinsamkeiten, die es hier gibt, deutlich zu machen, liegt es mir um so mehr am Herzen, Ihnen auch zu sagen, daß ich nicht erkennen kann, daß wir in Deutschland von einem einzigen, für jedermann verbindlichen Menschenbild oder Weltbild ausgehen dürfen. ({12}) Als Lutheraner wundere ich mich sowieso über das einheitliche Menschenbild, das neuerdings mehrere Bekenntnisse jedenfalls in einem parteipolitischen Programm gemeinsam vorlegen können. ({13}) Aber das ist Ihre innere Angelegenheit, nicht meine. Mir liegt am Herzen zu sagen, daß es nach meinem Verfassungsverständnis in einem Staat, dem vom Grundgesetz weltanschauliche Neutralität aufgegeben ist und der sich zur weltanschaulichen Neutralität bekennt, ein für alle verbindliches christliches Menschenbild und ein für alle verbindliches christliches Weltbild nicht geben kann, ({14}) sondern das in diesem Staat jeder Mensch und auch jedermann im Bundestag und auch jede politische Partei und jeder einzelne in einer politischen Partei das Recht hat und daß das Grundgesetz jedem einzelnen von uns in Deutschland dieses Recht auch gibt , die letzten sittlichen Grundlagen seines eigenen politischen Handlungswillens aus seinem eigenen Gewissen und in seinem eigenen Gewissen zu bestimmen. ({15}) Dazu gehört allerdings ein kritischer Geist, um dieses Gewissen zu beflügeln, und es gehört - Herr Barzel und Herr von Weizsäcker - die Toleranz dazu, andere Menschen nach ihrem Gewissen ihre Politik machen zu lassen und ihnen den Willen zur Freiheit und zur Solidarität und zur Gerechtigkeit nicht abzusprechen oder madig zu machen. ({16}) Ich denke, insofern lag in der Nachmittagsdebatte bei dem Kollegen Dregger ein deutlich erkennbarer Mangel oder Verlust an Wirklichkeitsbewußtsein, an Realitätsbewußtsein vor. ({17}) Die Einteilung der Menschen oder der Kollegen oder der politischen Parteien in Freunde und Feinde halte ich in der Tat für eine ganz gefährliche Sache. ({18}) Da tritt an die Stelle der Wirklichkeit ein Weltbild, das entlang der Linie Gut oder Böse säuberlich geschnitten wird. ({19}) Ich komme darauf zurück. ({20}) Wie es im Evangelium berichtet wird, so stand es dem, der das Wort gesprochen hat, sicherlich zu, zu sagen: Wer nicht für mich ist, ist wider mich. Aber Ihnen steht es nicht zu, zu sagen: Wer nicht für mich ist, ist wider die Freiheit, Herr Dregger! ({21}) Ich hätte mich nicht so scharf ausgedrückt, wenn es gegen Schluß der Rede des Abgeordneten Dr. Dregger nicht eine Passage gegeben hätte, ({22}) die zwar zunächst nicht im Text enthalten war, die von ihm aber dann ex tempore eingefügt worden ist. Ich meine den im Laufe der Debatte heute nachmittag zum zweitenmal erfolgenden herabsetzenden Angriff auf meinen Kollegen und Freund Herbert Wehner. ({23}) - Sie werden mir erlauben, dazu etwas ausführlicher zu sprechen, Herr Kollege Dr. Dregger. ({24}) Ich kenne Herbert Wehner seit 27 Jahren, Sie, Herr Dregger, kennen ihn noch nicht ganz so lange, weil Sie erst relativ kurze Zeit hier sind. ({25}) Ich spreche jetzt einmal aus meiner 27jährigen Berührung und Freundschaft mit diesem Mann. Das enthält für die nächsten drei Minuten keine Polemik, und Sie brauchen sich nicht auf Zwischenrufe vorzubereiten. ({26}) Ich meine, es gibt viele hier in diesem Haus, auch außerhalb der Sozialdemokratischen Partei ich sehe in diese und in die dritte Richtung in diesem Haus -, die verstehen werden, wenn ich an dieser Stelle einmal auch öffentlich im Deutschen Bundestag sagen möchte, daß ich zu denen gehöre, die Herbert Wehner für seine schier gewaltige Leistung seit den Tagen, da Kurt Schumacher ihn für die Sozialdemokratische Partei in Pflicht nahm, Dank sagen möchte. ({27}) Der Kollege Wehner entspricht allerdings kaum dem landläufigen, sagen wir, dem uns durch das deutsche Bildungsbürgertum überlieferten Bild des Humanisten; das will ich einräumen. ({28}) Aber wer ihn durch drei Jahrzehnte erlebt hat, ob hier im Parlament, ob in der Arbeit in seiner Partei oder in seinem Wahlkreis in Hamburg-Harburg oder im Kreise seiner Freunde, in Betrieben und öffentlichen Versammlungen, der glaubt lange schon zu wissen - ich jedenfalls weiß dies -, was für ihn in der Politik immer das wichtigste war und was, wie ich glaube, bis zum allerletzten Tag seines öffentlichen Wirkens der eigentliche Antrieb seines Handelns bleiben wird, nämlich das Eintreten für die Vermenschlichung von Gesellschaft und Staat nach all dem, was er erlebt hatte. ({29}) Er hat eine ganze Menge erlebt. Es ist wahr: die Wunden sind nicht glatt vernarbt, und er redet auch nicht immer nur freundschaftlich und leise, sondern da gibt es Zornesausbrüche, da gibt es auch Eruptionen. ({30}) - Wissen Sie, die Schärfe von Zwischenrufe läßt manchmal die Schärfe der Antwort verblassen. ({31}) Nachdem nun in den letzten Tagen viele Male Adenauer zitiert worden ist, darf ich ihn in Anspruch nehmen. Er hat sich ja über Wehner öffentlich geäußert - nachlesbar für jeden von Ihnen. Ich denke, daß die Nachdenklichen unter Ihnen, die ihn wirklich beobachtet haben in den letzten Jahren, mir recht geben, wenn ich sage, daß es heutzutage nur noch wenige deutsche Politiker in diesem Parlament gibt, die die Höhen und Tiefen unserer jüngsten deutschen Geschichte so sehr in das eigene Bewußtsein aufgenommen und sich so sehr bemüht haben, die Konsequenzen daraus zu ziehen. ({32}) Ich gebe zu, daß er es nicht nur seinen Freunden, sondern auch seinen Kollegen und Gegnern nicht immer leicht macht, zu verstehen, was er meint und worum es ihm geht. Das räume ich gern ein. ({33}) - Man muß ein bißchen mehr von Menschen verstehen, als sich nur zu bemühen, zu verstehen, wann wohl die Chance da ist, den nächsten heimtückischen Zwischenruf anzubringen. Das muß ich Ihnen sagen. ({34}) Jeder von uns hier ist gekennzeichnet durch einen jeweis sehr vierschiedenartigen politischen Stil - Debattenstil, Zwischenruferstil, Antworterstil. Das mag so sein. Das gilt mit Sicherheit auch für den Kollegen Wehner. Aber mit derselben Sicherheit, mit der ich Ihnen zustimme, wenn Sie sagen: er ist nicht nur ein streitbarer Mann, sondern uns ist er manchmal zu streitbar, mit derselben Sicherheit sage ich: er ist ein unermüdlicher Diener unserer gemeinsamen Sache. Das sollten auch Sie respektieren. ({35}) Aber wenn Sie es nicht respektieren wollen, Herr Dregger, so ist das Ihr gutes Recht. Das will ich Ihnen nicht bestreiten. ({36}) Es ist auch Ihr gutes Recht, jedermann in Deutschland und auch meinem Freunde Wehner schwerwiegende politische Irrtümer in seiner Jugend vorzuwerfen. Das dürfen Sie. ({37}) Sie pervertieren damit zwar das christliche Menschenbild, von dem Sie ausgehen, ({38}) aber es ihr Ihr Recht, so zu handeln. Das kann man Ihnen nicht bestreiten. ({39}) Allerdings meine ich: Wenn Sie den jungen Wehner des Jahres 1933, wie Sie es heute nachmittag getan haben, in die Bruderschaft zum Nationalsozialismus gerückt haben, wenn Sie das in der Diktion und in dem Tonfall getan haben, der dabei zu hören war, dann erinnert mich, der ich damals ein Junge und später ein junger Soldat, ein Wehrpflichtiger war, das an Diktion und Töne, wie sie in jener Zeit aus den deutschen Lautsprechern kamen. ({40}) Aber vielleicht gibt es bei den Zwischenrufern jemanden, den ich mit der Bitte erreichen kann, - ({41})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Einen Augenblick, Herr Bundeskanzler. - Ich erteile Herrn Abgeordneten Stark einen Ordnungsruf. ({0})

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Vielleicht gibt es unter den Zwischenrufern jemanden, den ich mit meiner Bitte erreichen kann, einmal zu lesen, was ich, ausdrücklich im Namen meines Freundes Herbert Wehner mitsprechend, am Grabe unseres Kollegen von Guttenberg zum Thema Feind und zum Thema Gegner gesagt habe. Mir liegt daran, daß wir voneinander verstehen, daß wir zwar Gegner, aber eben doch keine Feinde sind, ({0}) und daß wir voneinander nicht in jenem Tone oder in jener Diktion sprechen, die einer benutzt hat, als er sagte, seine Partei werde das deutsche Volk von dieser Regierung befreien, als spräche er von einem vom Feinde besetzten Lande. ({1}) Wer so spricht - es war der Herr Abgeordnete Strauß -, muß sich nicht wundern, wenn er niemanden findet, der mit ihm koalieren kann. ({2}) Und ich nehme jetzt den Zwischenruf von vorhin hinsichtlich des Sicherheitsrisikos auf. Da nutzt dann auch das vermeintliche Alibi vom Sicherheitsrisiko nicht mehr und reicht nicht mehr aus. Denn es sind unterschiedliche Qualitäten, ob man den politischen Gegner zu einer besseren Politik herausfordert oder ob man ihn zum Feind stempelt, von dem das eigene Volk befreit werden müsse. ({3}) Es war dies eine direkte Anknüpfung an die Ausdrucksweise jener berüchtigten Sonthofener Rede. ({4}) Aber nicht nur der Abgeordnete Strauß, sondern viele Ihrer Sprecher, meine Damen und Herren von der Christlich-Demokratischen, Christlich-Sozialen Union, setzen darauf, daß es Angst gebe in Deutschland, nein, schlimmer noch: sie bemühen sich, Ängste und Sorgen zu schüren, die gar nicht vorhanden sind. ({5}) Und da darf ich Ihnen sagen - jedenfalls denjenigen, die das mit dem hohen „C" im Absender Ihrer Plakate und Schriften ernst meinen : Es ist nicht Aufgabe des Christen, Angst zu machen, es ist seine Aufgabe, Hoffnung zu machen. ({6}) Wenn ich das Wort „Hoffnung" hier ins Politische, in den politischen Sprachgebrauch übersetzen darf, ({7}) dann ist es unsere Aufgabe, Vertrauen zu schaffen und Vertrauen zu erhalten. Daß uns, den Freien Demokraten und den Sozialdemokraten, das Vertrauen erhalten bleibt und erneut gegeben wird, dessen bin ich nach dieser Debatte allerdings ziemlich gewiß. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Wallmann. ({0})

Dr. Walter Wallmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Bundeskanzler hat viele Stunden benötigt, um auf die Reden, die gestern Herr Dr. Barzel und heute am Vormittag Herr Dr. Dregger sowie Herr Dr. von Weizsäcker gehalten haben, zu antworten. ({0}) Er hat das sehr unzusammenhängend getan; ({1}) er hat mit der Staatsquote begonnen, und er hat mit persönlichen Diffamierungen von Angehörigen der Opposition geendet. ({2}) Er hat im Rahmen der Debatte über den Haushalt des Bundesjustizminister gesprochen; er hat aber kein Wort zu justizpolitischen Fragen gesagt. ({3}) Er hätte Gelegenheit gehabt, heute morgen zum Einzelhaushalt des Bundesinnenministers zu sprechen und damit unmittelbar auf Dr. Dregger und Dr. von Weizsäcker zu antworten. Er hat auch dies nicht getan. Offenbar war es nötig, sich gründlich schriftlich vorzubereiten, um den Versuch zu unternehmen, das schlechte Bild, das Regierung, SPD und FDP in dieser Debatte bis jetzt abgegeben haben, ein wenig zu verwischen. ({4}) Dies, Herr Bundeskanzler, ist Ihnen nicht gelungen, ({5}) obwohl heute über viele Stunden hinweg die Regierung, die dazu durch die Geschäftsordnung in der Lage ist, uns die Möglichkeit genommen hat, unsere Positionen zu markieren. Es war z. B. Herrn Dr. Eyrich nicht möglich, auf den Bundesjustizminister unmittelbar zu antworten. Herr Bundeskanzler, ich will zuvor sagen, daß Sie uns hier aufgerufen haben, miteinander im Bewußtsein der Solidarität, des Konsensus, der Gemeinsamkeit von Demokraten umzugehen. Sie haben in Ihrer Rede in keinem einzigen Punkt z. B. den Kollegen Dr. Dregger widerlegt. ({6}) Sie haben nicht ein Argument aufgenommen, Sie sind auf keine Analyse eingegangen. Dr. Barzel hat Ihnen gestern drei konkrete Fragen gestellt, nachdem Sie zuvor an Dr. Barzel Fragen gerichtet hatten. Dr. Barzel hat darauf geantwortet und hat Ihnen gesagt, Sie möchten doch bitte auf seine drei Fragen antworten. ({7}) Nicht einmal darauf zu antworten, Herr Bundeskanzler, sind Sie in der Lage gewesen. ({8}) Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen noch etwas anderes. Sie sind der Bundeskanzler dieser Bundesrepublik Deutschland ob geliebt oder nicht, ich respektiere das, meine Damen und Herren; mein Verfassungsverständnis ist in Ordnung. Aber ich finde es schlimm, wenn sich der Bundeskanzler hier hinstellt und ein Mitglied dieses Hauses, nämlich Dr. Dregger, wenn auch nicht expressis verbis, so doch unüberhörbar in die unmittelbare Nähe der Nazis rückt. Herr Bundeskanzler, das ist eine Ungeheuerlichkeit, und damit haben Sie der Sache der Demokratie keinen Dienst geleistet! ({9}) Und bitte unterlassen Sie es, immer wieder den Versuch zu unternehmen, uns, die christlichen Demokraten und die Christlich-Sozialen, nicht nur nach politischen Vorstellung und Selbstverständnis unterscheiden zu wollen - es gelingt Ihnen doch nicht -, sondern. auch eine Unterscheidung von Anständigen und Unanständigen zu treffen. Sie haben gesagt: Ihnen, Herr Dr. von Weizsäcker, Ihnen persönlich nehme ich ja die so haben Sie, glaube ich, formuliert sittliche Grundlegung ab. Was soll das denn eigentlich? Was würde es eigentlich bedeuten, wenn wir einem Regierungsmitglied sagten: Ihnen persönlich nehmen wir die Anständigkeit ab? Das kann doch nichts anderes heißen als: anderen nicht! Deswegen ist das, was Sie gesagt haben - verzeihen Sie, daß ich es in dieser Deutlichkeit sage -, von Anbeginn an, als Sie hier aufgetreten sind, nicht glaubhaft gewesen. So spricht kein Mann, der Gemeinsamkeit will! ({10}) Sie haben davon gesprochen, es gehe darum - in etwa wörtlich -, das Ethos der Solidarität wiederzugewinnen. Sie haben das an unsere Adresse gerichtet. Sie haben gesagt, es müsse mehr Solidarität mit Kranken, Schwachen und Behinderten geben. In Überschriften verständigen wir uns ohnehin ganz leicht. Ich frage Sie aber dies: Haben Sie eigentlich zur Kenntnis genommen, daß im Mittelpunkt des letzten Bundesparteitages der Christlich-Demokratischen Union die „neue soziale Frage" gestanden hat und daß wir uns tagelang über diese Themen miteinander unterhalten haben? ({11}) Sie sagten weiter, die Staatsquote sei ständig gewachsen, und zwar wegen der Weltrezession. Nein, Herr Bundeskanzler, sie ist wegen Ihres Regierungsprogramms gewachsen. Sie haben vorher angekündigt, daß Sie ein solches Anwachsen wollten. ({12}) Die Folge davon ist, daß die Investitionsquoten ständig gesunken sind. ({13}) Jetzt sagen Sie, die Subsidiarität müsse wieder her; Hilfe zur Selbsthilfe müsse wieder möglich werden. Herr Bundeskanzler, man denkt in diesem Zusammenhang an Arbeitslosigkeit, an Studienplatzmangel, an die jungen Menschen, die keine Arbeits- und Ausbildungsplätze finden. Die Wirklichkeit sieht also anders aus. Sie können mit solchen Generallinien, mit solchen Aussagen, wie Sie sie hier gemacht haben, nicht über die Probleme hinwegtäuschen. Sie tragen doch, wie Sie immer behaupten, die Verantwortung in dieser Bundesrepublik Deutschland. Sie sagen doch, Sie machten den Aufschwung möglich. Immer, wenn es abwärtsging, sollte dagegen die weltweite Rezession daran schuld sein. In diesem Zusammenhang haben Sie sogar über die Berufsbildung gesprochen. Meine Damen und Herren, die Wirtschaft erst über das Mögliche, über das Erträgliche hinaus zu belasten und dann anschließend von der Wirtschaft, nachdem sie sozusagen in das Loch gefallen war, unter dem Stichwort „Subsidiarität" zu verlangen, sich selbst wieder herauszuziehen, ist intellektuell unredlich, Herr Bundeskanzler. ({14}) Sie, Herr Bundeskanzler, haben dann gesagt, uns, den Abgeordneten der Union, gehe es darum, Angst und Sorgen zu schüren. Ich muß Ihnen ganz offen sagen, gerade angesichts der jüngsten schlimmen tragischen Ereignisse klingt das gegenüber den Opfern des Terrors wie blanker Hohn, wenn Sie wagen, uns so etwas entgegenzuhalten. ({15}) Warum haben Sie sich nicht mit dem auseinandergesetzt, was der Kollege Dr. Dregger hier nüchtern, präzis und klar vorgetragen hat? Es ist Ihr gutes Recht zu sagen: Diese Schlußfolgerung ist falsch, dort haben Sie sich geirrt, diese Sachverhaltsdarstellung entspricht nicht der Wahrheit. - Nicht ein einziges Mal haben Sie sich so geäußert. Sie haben es nicht einmal versucht. Daß es Ihnen unbequem ist, daß hier die Fehler und Versäumnisse dieser Regierung offengelegt werden und demgegenüber die Alternativen der Union entwickelt werden, verstehe ich ja, aber die Reaktion, die wir von Ihnen erfahren haben - ich sage es noch einmal: Stunden, zum Teil einen Tag, nachdem die Abgeordneten der Opposition hier geredet und Fragen an den Bundeskanzler gestellt haben -, ist mehr als untauglich gewesen. Natürlich, Sie befinden sich in der Defensive. Die Koalition ist getroffen. ({16}) Sie sind nicht in der Lage, auf sachliche Darlegungen eine sachliche Antwort zu finden. ({17}) Nun beklagt die Sozialdemokratie, an der Spitze ihr Bundeskanzler, den Verlust an Gemeinsamkeiten zwischen den Fraktionen. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, hat Herr Professor Schäfer gestern gesagt, die Union, CDU und CSU, wollten ja Konfrontation. Wir wollen uns gerne kritisch befragen, inwieweit wir vielleicht hier oder dort Formulierungen gebraucht haben, mit denen wir eine bestehende Situation in der Dimension vielleicht nicht ganz richtig, sondern verzerrt dargestellt haben. Aber, meine Damen und Herren von der SPD, sind Sie es nicht gewesen, die nach 1969 sofort damit angefangen haben, uns als demokratisch unzuverlässig zu diffamieren? Man denkt daran, meine Damen und Herren, daß die Gemeinsamkeiten in der Innen- wie in der Außenpolitik hier allzu schnell aufgekündigt worden sind. Als es um die neue Außenpolitik ging, sind Sie, Herr Wehner, es gewesen, der gesagt hat: Wir ,brauchen Sie nicht, wir wollen Sie nicht. - Das haben wir nicht vergessen, meine Damen und Herren. ({18}) Wir denken daran, meine Damen und Herren, in welcher Weise Sie zum Ausdruck gebracht haben, daß es mit der Demokratie nun erst wirklich losgehe. In Klammern: Bis dahin hat es soziale Ungerechtigkeit, keine Demokratie und dergleichen gegeben. Und dann wundern Sie sich, wenn wir Ihnen Antworten geben. Ihr Parteivorsitzender, der frühere Bundeskanzler Brandt - ausgerechnet er -, sagt von den Unionsparteien, sie stellten ein Sicherheitsrisiko dar. ({19}) - Nein, Herr Dr. Dregger ist Gott sei Dank kein Sicherheitsrisiko, sondern er steht dafür, daß dort, wo wir Verantwortung tragen, dieser Staat in Ordnung bleibt und die individuellen Freiheitsrechte gesichert bleiben. ({20}) Diese Selbstverherrlichung, die wir unter dem damaligen Kanzler Brandt erlebt haben, der scheinbar die Inkarnation des Guten schlechthin war, an dem Kritik sozusagen unzulässig geworden war, haben wir nicht vergessen. Als die Fraktion der CDU/CSU etwas getan hatte, dessen politische Opportunität man so oder anders beurteilen kann, aber dessen verfassungsrechtliche Zulässigkeit doch wohl nicht in Frage gestellt werden darf, nämlich hier ein konstruktives Mißtrauensvotum einzubringen, haben Sie die Version verbreitet, hier werde der kalte Staatsstreich geplant. ({21}) Sie, Herr Wehner, haben dafür gesorgt, daß Ihre Fraktion nicht das getan hat, was die selbstverständliche Pflicht von Demokraten, ganz besonders von Parlamentariern, ist, nämlich sich an der Abstimmung zu beteiligen. ({22}) Man fragt sich: Warum haben Sie das getan? ({23}) Ich denke daran, wie der Bundeskanzler Brandt zurückgetreten war. ({24}) Ich glaube, es war in Berlin, als er davon sprach, daß hinter ihm das anständige Deutschland stehe. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz offen: Sie sind von der Hybris der Macht befallen. Sie haben kein Augenmaß mehr. Sie sind es ja auch gewesen, die davon gesprochen haben, diese Koalition von SPD und FDP müsse bis in die 80er, ja, bis in die 90er Jahre hineinreichen. Der jetzige Bundesinnenminister ist es gewesen, der von einem historischen Nachvollzug der Situation von 1848 gesprochen hat. Bürgertum und Ar17014 beiterklasse müßten nun auf der richtigen Seite der Barrikaden stehen. Als ob wir auf der Seite der Unterdrücker, der Diktatoren oder was weiß ich, wären! ({25}) Meine Damen und Herren, Regierungen jedweder Art werden für eine Legislaturperiode gewählt. Es ist nicht gut, wenn man mit Selbstgerechtigkeit und Euphorie an die Sache herangeht. Wir werden z. B. den 3. Oktober abwarten, und wir werden sehen, wie die Würfel fallen. Aber des einen können Sie sicher sein: Wenn diese Art der Darstellung, wie sie hier eben insbesondere der Bundeskanzler gegeben hat, fortdauert, dann bin ich um den Ausgang dieser Wahl nicht besorgt, weil die Menschen ein Gefühl dafür haben. ({26}) In diesem Zusammenhang darf ich Sie, meine Damen und Herren, weil der Herr Bundeskanzler beklagt hat, daß die Unionsparteien mit Ihren Abgeordneten oder einem Teil davon nicht anständig umgingen, fragen, wo ein Dr. Barzel, wo ein Dr. von Weizsäcker, wo ein Dr. Dregger irgend jemanden persönlich diffamiert hat. Diesmal nicht, heute nicht, gestern nicht, in den vergangenen Monaten und Jahren nicht! ({27}) Sie haben sich hart mit Ihnen auseinandergesetzt, und Sie haben das Recht, hart darauf zu antworten. Ganz anders, meine Damen und Herren, ist das von seiten Ihrer Fraktion, insbesondere Ihres Fraktionsvorsitzenden, geschehen. Uns hat er doch ent-gegengeschleudert: „Sie feixen noch am Grab der zweiten Republik." Das waren wir, die „Nichtdemokraten", die „Antirepublikaner" ; oder wie wollen Sie es sonst verstehen? Uns hat er gesagt: Der Wind wird Ihnen, wenn er Ihnen jetzt im Rücken steht, noch in die Hose gehen. Er hat gesagt: „Sie, Herr Strauß, haben sich auch mit der Suada jetzt nicht davon befreien können, daß das, was Sie gegen die beiden Fraktionen ausgesprochen haben, bewußte verleumderische Hetze ist." Er hat gesagt: „Das ist alles, was Sie am Kampf gegen den Terrorismus interessiert, denn Sie sind selbst geistig Terrorist." Das haben Sie uns entgegengeschleudert. ({28}) Sie, Herr Fraktionsvorsitzender Wehner, haben in eben dieser Sitzung am 13. März des vergangenen Jahres nicht zum erstenmal den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU in der Ihnen eigenen Weise mit einem Begriff belegt: „Solche Herren wie der Papen-Verschnitt". Sie sind nicht dafür gerügt worden. Das erleben wir mehr als einmal von Ihnen, Herr Wehner. Dann wundern Sie sich, daß Ihnen die Antworten gegeben werden, die Sie haben müssen, damit das deutsche Volk weiß, daß wir uns jedenfalls von Ihnen nicht in Angst und Schrecken versetzen lassen. ({29}) Das haben Sie übrigens im Anschluß an eine Diskussion über eine Aussage gesagt, die die Jungsozialisten unter Mitwirkung von Herrn Gansel aus Schleswig-Holstein gemacht hatten. Darauf ist heute morgen schon Bezug genommen worden: Personen wie Dregger, Carstens, Strauß und Löwenthal aber sind die für die Demokratie weitaus gefährlicheren geistigen Terroristen. Nicht von einigen wildgewordenen Kleinbürgern vom Format der RAF droht die Hauptgefahr für Demokratie und Recht und Ordnung, sondern von jenen Reaktionären, die vieltausendfachen Mord und Terror, z. B. in Kiel, auf ihre Weise unterstützen, die mit dafür sorgen, daß Naziverbrecher von unserer Justiz weitgehend verschont bleiben, gegen Entspannung und Frieden hetzen. Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, ich frage Sie wirklich: Kann es Sie eigentlich wundern, wenn in einer solchen Weise gegen uns diffamiert und gehetzt wird, wenn von Ihrer Seite ständig der Versuch unternommen wird, die Abgeordneten von CDU und CSU in ihrer persönlichen Integrität zu treffen, kann es Sie eigentlich wundern, daß wir hart zurückzahlen und vielleicht sogar der eine oder andere in einem Augenblick der Aufwallung über das Ziel hinausschießt, - was aber in dieser Debatte nicht einmal der Fall gewesen ist. Aber Sie müssen sich auch ganz nüchtern und ganz schlicht fragen lassen, ob Sie nicht durch Ihr Verhalten in den vergangenen Jahren den Eindruck erweckt haben, daß Linksextremisten von Ihnen nicht jene Antwort erfahren, die sie von Demokraten erfahren müßten. ({30}) Heute vormittag hat Dr. Dregger davon gesprochen, daß bei den Osterunruhen 1968 der Polizeipräsident von Frankfurt, Dr. Littmann, der das uneingeschränkte Vertrauen seines Magistrats hatte, wegen eines Parteibeschlusses des Unterbezirks Frankfurt/Main von seiner Position abberufen wurde. ({31}) Das war die Verwirklichung des imperativen Mandats. Das heißt mit anderen Worten: staatliche Organe sind zum Erfüllungsgehilfen einer Partei gemacht worden. Und das ist wider das Gesetz. ({32}) Wir wissen von der Braunbuch-Affäre, wie das Legalitätsprinzip verletzt worden ist, offen, zynisch, und wir kennen die SDS-Affäre in Gießen, als ein sozialdemokratischer Staatssekretär aus seinem Amt scheiden mußte, weil er Gesetz und Verfassung zu erfüllen bereit war und nicht dem Befehl der Partei folgen wollte. ({33}) Meine Damen und Herren, was wundern Sie sich darüber? Der Bundeskanzler stellt sich hierhin und sagt, wir hätten die Aussage im Godesberger ProDr. Wallmann gramm falsch interpretiert, weil in dem einen Halbsatz „nur" stehe und in dem anderen Halbsatz nicht. Er führte hier aus, daß es dort heiße: Sozialismus wird nur durch die Demokratie verwirklicht und Demokratie durch den Sozialismus erfüllt. Das ist ein Absolutheits-, das ist ein Totalitätsanspruch. Sie können daran herumwischen und radieren, wie Sie wollen. Aus Anlaß des 100. Geburtstages von Otto Wels hat der Parteivorsitzende Brandt, wenn ich es recht in Erinnerung habe, nahezu wörtlich erklärt: Wir lassen uns in unserem Anspruch auf Führung dieses Landes von niemandem kränken. ({34}) Was heißt denn das? Sie, Herr Dr. Arndt, sind so liebenswürdig, das noch zu bestätigen. Das ist in der objektiven Konsequenz das Leugnen der Pluralität eines demokratischen Gemeinwesens, ({35}) d. h., wenn andere den Anspruch erheben, vom Wähler auch in die Regierungsverantwortung berufen zu werden, bedeutet das ein Kränken des Führungsanspruches der Sozialisten, der demokratischen Sozialisten, der Sozialdemokraten oder wie auch immer. ({36}) Sie haben damit erklärt, daß es eine Identität zwischen Demokratie und demokratischem Sozialismus gebe und daß alles nur ein Provisorium, ein Übergangsstadium in einer nur formal bestehenden Demokratie sei, wenn nicht Sie diese Demokratie mit Ihrem Sozialismus materiell ausfüllen. Das ist Ihre Aussage, und die werden wir nicht hinnehmen, weil sie gegen Buchstaben und gegen Geist unserer Verfassung ist, die wir verteidigen wollen. ({37}) Sie haben zugelassen, daß führende Sozialdemokraten immer wieder Aussagen gemacht haben, die wir nicht hinnehmen können, weil sie von einem falschen Verständnis der Verfassung, der Gesetze geprägt sind. Ich darf übrigens anmerken, Herr Bundesjustizminister Vogel: Mit dem, was Sie hier gesagt haben, sind wir ganz nachdrücklich einverstanden, etwa wenn Sie bemerkten, daß in Frankfurt/Main keine Demonstrationen stattgefunden haben, sondern - wie Sie sich ausdrückten - Aufruhr und schwerer Landfriedensbruch. Nur frage ich: Warum haben sie das in den zurückliegenden neun Jahren nicht ein einziges Mal auch so deutlich gesagt? ({38}) Warum haben Sie in der Sozialdemokratie verharmlost, verniedlicht, beschönigt? Ich habe an den Debatten teilgenommen, z. B. im Hessischen Landtag, als es um Staats- und Verfassungsverständnis ging und als uns von einem Regierungsmitglied entgegengeschleudert wurde: Wir stehen in der Tradition des Marxismus, und ich selbst bekenne mich dazu; das Legalitätsprinzip muß in einer bestimmten politischen Situation gegebenenfalls durch das Opportunitätsprinzip ersetzt werden. ({39}) Dagegen wehren wir uns. ({40}) - Herr Arndt, das ist eine so lächerliche Bemerkung, daß sie keine Antwort verdient. Dann paßt es eben in dieses Verhalten, wenn Herr Wassermann - immerhin einer der ranghöchsten Juristen in der Bundesrepublik Deutschland und Mitglied Ihrer Partei - sagt: „Terroristen demonstrieren nicht, sondern planen und begehen Anschläge." Meine Damen und Herren, das haben wir erlebt: wie alles beschönigt wurde, überschrieben wurde mit Titeln wie „Unruhige Jugend", „Es geht um mehr Freiheit". Nein, wir wollen das Gespräch, das äußerst kritische Gespräch auch mit denen, die für uns unbequem sind. Wir wollen junge Menschen nicht von der Ideologie des Marxismus ausschließen, im Gegenteil: Wir wollen, daß sie sich damit auseinandersetzen, wir wollen, daß sie Hegel, die idealistische Philosophie ganz klassischer Art und den Materialismus wirklich kennenlernen, kritikfähig sind und sich ihr eigenes Urteil bilden. Aber wir wollen eines nicht: daß Sie unter der Überschrift: „Dort in dieser Union, in CDU und CSU, gibt es ein deformiertes Staats- und Verfassungsverständnis, und wir, die Sozialisten, sind die einzigen, die nach programmatischer Aussage die Demokratie auszufüllen in der Lage sind", durch die Lande ziehen. Wir, diejenigen, die vor mir in der Union gearbeitet haben, haben diese Bundesrepublik Deutschland, zum Teil gegen Ihren leidenschaftlichen Widerstand, ({41}) im sozialen und wirtschaftlichen, im sicherheitspolitischen wie im außenpolitischen Bereich geschaffen und diesem Staate seine Quailtät gegeben. Wir wollen, daß diese Qualität auch in Zukunft andauert. ({42})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich glaube, der Beitrag des Kollegen Wallmann hat leider nicht wegwischen können, sondern sogar noch verdeutlicht, welcher Unterschied zwischen dem christlichen Anspruch, den Sie von der CDU/CSU als Partei erheben, und dem praktischen Handeln, das Sie als Partei vollziehen, besteht. ({0}) Als Freier Demokrat kann ich nur bedauern, daß es in Ihrer Partei - das, was Herr Wallmann hier vor17016 getragen hat, hat das deutlich gemacht- Menschen gibt, die Grundsätze verkünden, die sich am christlichen Verständnis ausrichten, die sogar behaupten, liberal zu sein, die sogar behaupten, Liberalität in diesem Lande durchsetzen zu wollen, daß aber Ihr praktisches Handeln weder christlichem Selbstverständnis noch liberalem Handeln entspricht. ({1}) Ganz im Gegenteil, es fehlt Ihnen an dem Nötigsten, um dies unter Beweis zu stellen. Herr Kollege Wallmann, Ihr Angriff auf Herrn Justizminister Vogel hat deutlich gemacht, daß Sie selbst einer solchen Persönlichkeit gegenüber nicht vom Rundumschlag abweichen können. Sie haben, Herr Kollege Wallmann, das Abstimmungsverhalten bei dem Mißtrauensantrag angeführt. Vorsicht, Vorsicht, wer im Glashaus sitzt! Was damals im Deutschen Bundestag durchgeführt wurde, war die Nachahmung einer Abstimmungshandlung, die der Hamburg-Block von CDU, FDP und DP im Hamburger Rathaus schon etliche Jahre vorher vorgeführt hatte. Ich glaube, der heutige und der gestrige Tag haben auch deutlich gemacht, daß Liberale nicht nur verkünden, daß sie Liberalität in der Politik und in der Bundesrepublik Deutschland durchsetzen und dafür eintreten wollen, sondern daß sie auch in der Praxis danach handeln und sich, wenn sie einmal vom Pfade der liberalen Tugend abgekommen sind, dazu bekennen, sich entschuldigen, Besserung versprechen und dies auch durchführen. Ich kann nur hoffen, daß die Christlich-Demokratische Union den morgigen Tag zum Anlaß nehmen wird, vor sich selbst und vor der deutschen Öffentlichkeit deutlich zu machen, daß hier heute einige Ausrutscher passiert sind, und daß die CDU zu dem Selbstverständnis zurückfindet, das dem Namen entspricht, den Sie führen. Ich meine, meine Damen und Herren, solange Sie das „C" im Namen führen, müssen Sie sich an dem Anspruch messen lassen, den Sie damit selbst gesetzt haben. Diesem Anspruch sind Sie heute beileibe nicht nachgekommen. ({2}) Ich möchte ein Letztes betonen. Ich kann mich nut freuen, daß die Lust, in der nationalsozialistischen Vergangenheit unserer Kollegen herumzurühren, nicht so groß ist wie bei manchen die Lust, die hier immer wieder - seit 18 Jahren erlebe ich das in diesem Hause - ausbricht, in der kommunistischen Vergangenheit, zu der sich ein Kollege in diesem Hause immer bekannt hat, die er nie geleugnet hat, herumzurühren. Denn wenn so viel Lust bestünde, in der nationalsozialistischen Vergangenheit anderer Kollegen herumzurühren, wie sie in dem anderen Fall besteht, hätten wir manchmal weiß Gott keine Zeit mehr, um uns mit den Problemen von heute und von morgen zu beschäftigen. ({3}) Meine Damen und Herren von der Christlich-Demokratischen Union, lassen Sie mich das eine noch hinzufügen: Sie schaden dem Ansehen des Christentums, wenn Sie weiter so handeln, wie einige heute gehandelt haben; denn wer mit solchen Absolutheitsparolen in die politische Arena zieht, wer versucht, die Diskussion auf „Freiheit oder Sozialismus" abzustellen und mit Sozialismus totale Unfreiheit meint, der handelt nicht christlich, weil er nicht bei der Wahrheit bleibt. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine der Wertungen, die der Herr Abgeordnete Wallmann hier über Äußerungen von mir in seiner Rede ausgesprochen hat, hat mich veranlaßt, ums Wort zu bitten. Die Wertung, um die es mir dabei geht, galt einer Äußerung von mir, gemacht in einer Debatte am 13. März des Jahres 1975 in der direkten Auseinandersetzung mit dem Vorsitzenden der Christlich-Sozialen Union, Herrn Franz Josef Strauß. An dem Tage, dem 13. März 1975, erschien in der Illustrierten „Quick", unterzeichnet mit dem Namenszug des von mir genannten Vorsitzenden der Christlich-Sozialen Union, folgender von mir hier wörtlich und in der Gänze zitierter Beitrag: In der SPD sympathisieren weite Teile mit den Thesen und Methoden der Anarchisten. ({0}) Die Stunde der Abrechnung mit der Regierung ist jetzt da. Sie hat Angst, wegen des Falles Lorenz mit Baader-Meinhof in Zusammenhang gebracht zu werden. Dabei ist das letztere für die Entführung von Lorenz ursächlich. Das waren die ungeheuerlichen vier Sätze, die mit der Unterschrift, dem Namenszug des Herrn Vorsitzenden der Christlich-Sozialen Union ({1}) an diesem Tage gegen die Sozialdemokratische Partei erhoben worden sind. Weil hier eine Wertung dessen gegeben worden ist, was ich am 13. hier dem besagten Vorsitzenden der Christlich-Sozialen Union entgegengeschleudert, wenn man das so will, und zuwider gesagt habe, wollte ich die Gelegenheit benutzt haben, deutlich zu machen: Meine wie immer zu bewertende Schärfe und Schroffheit galten z. B. in diesem Fall der Verteidigung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gegen ungeheuerliche Anwürfe und Behauptungen, ({2}) die hier auch zu mehr als nur zu einem Auffassungsstreit ausgesprochen worden sind. Der Redaktion jener Illustrierten erschien die Sache damals so wichtig, daß sie den Begleitsatz hinzufügte: Am Donnerstag letzter Woche war Strauß sehr zuversichtlich, dies der Regierung nachweisen zu können. Nämlich die ganz infamen vier Sätze mit ihrem Gift! - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Weizsäcker.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen, die Herr Bundeskanzler Schmidt in bezug auf die Grundwertedebatte gemacht hat, die uns ja nun seit zwei Tagen intensiv beschäftigt, was ich durchaus einen Fortschritt finde. Ich habe, Herr Bundeskanzler, wie Sie sich ja denken können und wohl auch unterstellt haben, gar nichts einzuwenden, wenn Sie von der Solidarität sprechen und dann sagen, es solle Gegenstand der solidarischen Haltung des Staates in seiner Politik sein, sich der Behinderten, der psychisch Kranken, der vielen anderen Gruppen anzunehmen, die nicht laute Sprachrohre großer Verbände zu ihrer Verfügung haben und deswegen um so mehr Aufmerksamkeit gerade auch von seiten der staatlichen Organe fordern. Nur: Von dem Problem, von dem ich beim Grundwert der Solidarität gesprochen habe, haben Sie Ihrerseits, wie ich finde, überhaupt nicht gesprochen. ({0}) Nicht im Verhältnis vom Staat zum Bürger oder zu einer Gruppe, sondern vor allem im Verhältnis von Mensch zu Mensch oder auch von Gruppe zu Gruppe ist es so schwer, sich zur Solidarität durchzuringen. Neben den Leistungen, die der Staat oder die Gemeinschaft vor allem den Randgruppen zukommen lassen muß, neben diesen Gemeinschaftsleistungen kommen wir eben nicht weiter ohne personale, ohne von den Nachbarschaften organisierte Dienste. Bei der Freiheit dreht es sich doch auch immer um die Frage: Wie motivieren wir denn die Menschen dazu, daß sie in diesem Bereich, wo sie vielleicht selber einmal auf die Hilfe angewiesen sind, wirklich etwas tun? Hier besteht die große Gefahr, daß durch eine Politik des Staates und des Gemeinwesens, die alle diese Leistungen ihrerseits für möglich erklärt und in Aussicht stellt, die Motivation entfällt. Die Motivation herzustellen, ist für alle von uns in der modernen Gesellschaft schwer; aber es ist eben durch das Verständnis des Staates und der Gesellschaft, wie Ihre Partei es vorbringt, noch mehr erschwert. Das, was Justizminister Vogel vorhin gesagt hat über das antiquierte Verständnis der Selbstverantwortung, hat natürlich in allererster Linie genau dem widersprochen, was der Herr Bundeskanzler Schmidt gestern selber gesagt hat ({1}) - hören Sie erst einmal zu, Herr Vogel -, als er nämlich sagte, das Entscheidende sei, die Selbstverantwortung zu erzeugen. Genau von dem Punkt spreche ich. Nun spreche ich weiter davon, Herr Bundeskanzler, daß von dieser Ihrer abstrakten Forderung, Selbstverantwortung zu erzeugen, zum Konkreten hin, daß von dem, was Sie hier vorhin zweimal gesagt haben und wofür Sie so großen Beifall bei Ihrer Fraktion geerntet haben, im sozialdemokratischen Regierungsprogramm und in seiner Wirklichkeit eben nicht die Rede ist. ({2}) Diese Brücke zur Selbstverantwortung hin lassen Sie völlig ungebaut. Statt dessen eröffnen Sie die Entlastung von Verantwortung. Wenn der Herr Vogel damit erneut gern kundtun möchte, daß wir es mit der sozialen Sicherung nicht so ernst nähmen, darf ich noch einmal darauf hinweisen: Nicht Sie waren es, sondern ich habe hier gesagt, daß der Übergang vom Almosen zum Rechtsanspruch in der sozialen Sicherung die eigentliche Grundlage der Freiheit sei. ({3}) Dann hören Sie doch endlich auf mit Ihren vorsätzlichen Uminterpretationen. ({4}) - Sind Sie in der Lage zuzuhören, oder nicht? Gerade deshalb, weil es so wichtig und so schwierig ist, den Menschen zur Selbstverantwortung zu motivieren, hätte es mich gefreut, Herr Bundeskanzler, wenn Sie dazu einen Beitrag geleistet hätten. Es hätte mich ebenfalls gefreut, wenn Sie, was Sie ja in Ihren ganzen Einlassungen immer wieder vermieden haben, etwas zum Programm und der Wirklichkeit in Ihrer eigenen Partei gesagt hätten. ({5}) Darauf sind Sie von unserem Fraktionsvorsitzenden und von allen unseren Sprechern angesprochen worden. Denn bei Ihnen ist ja von der Solidarität weder in dem Sinn die Rede, von dem ich hier spreche, noch in dem Sinn, von dem Sie gesprochen haben; sondern bei Ihnen ist die Solidarität der Kampfbegriff gegen die anderen. ({6}) Mit diesem Kampfbegriff ist, wie ich sehr wohl weiß, die Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert angetreten. Aber es genügt eben nicht, frühere Zustände immerfort in die Gegenwart hineinprojizieren und frühere Erfolge und frühere Solidaritäten revitalisieren zu wollen, um damit frühere Erfolge heute wiederholen zu können. In diesem Sinn sind Sie nicht auf der Höhe der Zeit, sondern eine alte Partei mit alten Verdiensten, aber nicht in der Lage, die Probleme von heute angemessen zu beantworten. ({7}) Und wenn Sie schon von den benachteiligten Gruppen sprechen - darauf lasse ich mich ja sehr gern ein; mein Kollege Wallmann hat schon darauf hingewiesen -, dann empfehle ich Ihnen, doch einmal mit einigen Ihrer Fraktionskollegen, zum Beispiel mit Herrn Ehrenberg - ich sehe ihn im Moment nicht -, ein ernstes Wort darüber zu sprechen. Herr Ehrenberg hat es für richtig gehalten, im Sinn der neuen Sozialen Frage, die wir an Hand der unvertretenen Randgruppen vorgetragen haben, davon zu sprechen, dies sei die alte Form von Konservativen und Faschisten zur Verleumdung der Gewerkschaften. Herr Bundeskanzler, da haben Sie ein gutes Betätigungsfeld, für eine Erweiterung der Solidarität in den Reihen der Sozialdemokratischen Partei zu sorgen, wenn Sie mit solchem Unsinn endlich mal energisch aufräumen. ({8}) Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zum Absolutheitsanspruch sagen. Dieser Punkt des Absolutheitsanspruchs wird uns in diesem Haus so lange beschäftigen, als Sie von Ihren eigenen Worten und Texten nicht abrücken, die dadurch nicht besser werden, daß Sie ständig versuchen, sie anders zu interpretieren, als sie für jeden vernünftig denkenden und deutsch sprechenden Bürger klingen. ({9}) Ich meine nicht diesen einen Satz, der vorn auf Seite 2 oder sonstwo steht, sondern das, was hinten steht: „Die Grundwerte des demokratischen Sozialismus sind die Hoffnung der Welt", und das, was Herr Brandt in Tutzingen gesagt hat - ich habe das heute vormittag schon alles zitiert -, das Gleichbedeuten von Demokratie und Sozialismus, den Ausschluß der andern von der Demokratie, wenn sie sich nicht dem Sozialismus verschreiben. ({10}) Anschließend haben Sie, Herr Bundeskanzler, den Fraktionsvorsitzenden Wehner in Schutz genommen. Das ist Ihr gutes Recht. Aber dazu möchte ich Ihnen doch sagen: Die Art und Weise, wie Sie dann Redlichkeit in Anspruch nehmen und Absolutheitsansprüche anderer verurteilen, und die Art und Weise, wie Sie dann über „angebliche Christen" sprechen, finde ich verschlungener und weniger offen, und ihr ist weniger leicht in demokratischer Auseinandersetzung zu begegnen als den in der Tat nicht besonders feinen Formen des Umgangs mit dem politischen Gegner, die der Herr Wehner zu praktizieren pflegt. ({11}) Es waren nämlich Sie, Herr Bundeskanzler, der sich mit christlichen Forderungen gegenüber der CDU/CSU in einem der letzten Landtagswahlkämpfe gemeldet hat. Da haben Sie nämlich zur Krönung dessen, was Sie an unsere Adresse sagten, erklärt, es sei doch klar, daß Ihre Partei, die SPD, der Bergpredigt erkennbar näherstehe als die Freunde der CDU und der CSU. ({12}) Bevor Sie nicht darüber nachdenken, daß Sie keine spezielle Nähe zur Bergpredigt für sich in Anspruch nehmen sollten, und bevor Sie nicht bereit sind, uns gegenüber in dieser Hinsicht eine Erklärung zu geben, sollten Sie anderen über das, was das christliche Menschenbild bedeutet, lieber keine Belehrung geben. Da sind mir die Zwischenrufe von Herrn Wehner immer noch tausendmal lieber. ({13})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur zwei oder drei Sätze. Eines der Mißverständnisse, die wir soeben gehört haben, kann ich nicht im Raum stehen lassen. Es heißt im Godesberger Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in dem Kapitel über die staatliche Ordnung - ich darf zitieren -: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands will in gleichberechtigtem Wettstreit mit den anderen demokratischen Parteien die Mehrheit des Volkes gewinnen. ({0}) - Ich bitte Sie, Herr Kollege, nicht uns den Absolutheitsanspruch zu unterstellen, den Sie für einige Ihrer Freunde nicht loswerden! ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07. Wer dem Einzelplan seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen. Zum Ablauf ist interfraktionell vereinbart, daß die Einzelpläne 12 und 13 heute abend nicht mehr aufgerufen und morgen irgendwo zwischengeschoben werden. Aber die übrigen für heute vorgesehenen Punkte werden noch aufgerufen. Es ist aber vereinbart worden, daß wir heute abend möglichst um 19.45 Uhr fertig werden wollen. Ich habe die Vorstellung, daß berechtigter Anlaß zu der Hoffnung besteht, daß jedenfalls bezüglich dieses Endpunktes eine interfraktionelle Solidarität in diesem Hause besteht. ({0}) Ich rufe nunmehr die Ziffer 12 des Punktes I der Tagesordnung auf: Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - Drucksache 7/5040 Berichterstatter: Abgeordneter Löffler Abgeordneter Peters ({1}) Hierzu liegt ein Abänderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor, und zwar auf einem Umdruck, der neu ausgedruckt ist. Ich bitte also zu beachten, daß es hier eine Neufassung gibt. Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache hat Herr Abgeordneter Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur vorgerückten Stunde lohnt es sich eigentlich gar nicht mehr, eine Debatte über den Einzelplan 10 anzufangen. Ich glaube auch, wir werden der Bedeutung des Einzelplans 10 des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht gerecht, wenn wir jetzt in wenigen Minuten den Versuch unternehmen würden, im Galoppverfahren durch die einzelnen Titelgruppen zu gehen. Ich unternehme diesen Versuch insbesondere deshalb nicht, weil die Frau Kollegin Berger mich so freundlich anlächelt, ich solle es möglichst kurz machen. Wir können das natürlich auch kurz machen, indem wir hier feststellen, daß in diesem Einzelplan noch einmal die vorzügliche Agrarpolitik in Zahlen niedergeschrieben wird, die Bundesminister Ertl im Rahmen der sozialliberalen Koalition für unsere Landwirte und für alle Menschen auf dem Lande geleistet hat. ({0}) Insbesondere kommt es darauf an, deutlich zu machen, daß wir einen Bereich der Agrarpolitik in den letzten Jahren besonders stark herausgearbeitet haben. Das ist jener Bereich der Agrarpolitik, den Herr Kollege Schröder ({1}), der dort erregt mit seinem Nachbarn diskutiert, durch Zuruf im vorigen Jahr als Almosen an die Landwirte abqualifiziert hat. Jetzt könnte man an dieser Stelle die Debatte über den Grundwertekatalog wiederaufnehmen. Aber ich will mir das jetzt ersparen. Die Union ist eine große Partei: Herr Schröder für die Emotionen von vorgestern, Herr von Weizsäcker für die „Synode". Insofern ist das also ohne weiteres erträglich. Ich kann jedenfalls für diesen Bereich nur feststellen, daß in diesem Jahr mehr als 2,8 Milliarden DM für die Agrarsozialpolitik ausgegeben werden und damit mehr als 50 % der Ausgaben im Einzelplan diesem Zweck dienen. ({2}) Wenn ich das mit den Almosen noch einmal angesprochen habe, wollte ich damit nur klarmachen, welcher geistige Hintergrund bei der Debatte um Freiheit oder Sozialismus vorhanden ist. Hinter dem Wort „Almosen" steckt nämlich ein Kampfbegriff, dahinter steckt auch eine Gesinnung, die nicht die eines Konservativen ist. Damit würde man einem echten Konservativen Unrecht tun. Dahinter steht vielmehr eine Geisteshaltung, nach der soziale Risikoabsicherung, die Freiheitsräume erweitert, als eine Armenhaus-Praktik dargestellt wird. Dagegen wenden wir uns. Uns ist Solidarität ein konkreter Begriff. Insbesondere soziale Solidarität empfinden wir nicht als ein Schlagwort, sondern im Sinne von Herrn Weizsäcker als einen verbindlichen Grundsatz, der unser Handeln konkret bestimmt. ({3}) In diesem Sinne haben wir unsere Agrarpolitik geleistet, und es ist nur zu hoffen, daß die Menschen das auch so verstehen und daß wir diese Politik weiterhin leisten können. Echte Alternativen gibt es von seiten der Oppostion sowieso nicht. Sie haben sich zwar ein Agrarprogramm gegeben, aber das Beste an diesem Agrarprogramm ist die Verzierung. Sie besteht aus den fremden Federn, die Sie sich von unseren Leistungen geborgt haben. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Schmitz ({0}).

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem Herr Löffler das Agrarprogramm der CDU hier zitiert hat, möchte ich ihm viel Erfolg wünschen bei seiner Veranstaltung, die er demnächst durchführt. Ich wünsche ihm nur, daß er sehr viele Bauern da hat. Ich fürchte allerdings, er wird niemanden da haben. ({0}) Herr Kollege Löffler hat soeben ein Wahlkampfgemälde vorgeführt, als sei die Agrarpolitik der SPD/FDP im Grunde genommen eine Landschaft, die in Ordnung sei. ({1}) Nun, Herr Kollege, als selbständiger Landwirt und als jemand, der ständig mit den Bauern umgeht, kann ich Ihnen sagen, daß ich weiß, daß die Landwirte auf solche Schalmeienklänge auf keinen Fall hereinfallen werden. Wer über den Tellerrand der Bundestagswahl hinausschaut, wird zugeben müssen, daß die Lage unserer Landwirtschaft sehr zwiespältig ist. Sicherlich hat sich die Einkommenssituation unserer bäuerlichen Betriebe im letzten Wirtschaftsjahr nach den vorangegangenen mageren Jahren etwas verbessert. Aber das ist in erster Linie nicht das Verdienst einer aktiven Agrarpolitik, sondern in entscheidendem Maße auf marktwirtschaftliche Entwicklungen zurückzuführen, ({2}) nicht zuletzt auf Verknappungserscheinungen auf dem Weltmarkt. Sicher freut sich niemand mehr als die Opposition, wenn es unseren Landwirten besser geht. Und bei allen dafür erforderlichen Maßnahmen hat ja der Landwirtschaftsminister auch unsere Unterstützung gefunden. Trotzdem hat es die Bundesregierung keineswegs erreicht, daß im Vergleich zu vergleichbaren gewerblichen Berufsgruppen hier eine Parität zustande gekommen ist. Zum Jubeln, lieber Kollege Löffler, besteht also überhaupt kein Anlaß. Jeder, der von der Sache etwas versteht, weiß, daß die Preise zyklisch wieder heruntergehen und daß sich die Nahrungsmittelpreise in der Vergangenheit mit Sicherheit als ein Stabilitätsfaktor erwiesen haben. Das können Sie in Ihrem eigenen Jahreswirtschaftsbericht nachlesen. ({3}) Schmitz ({4}) Wenn Sie hier nach der Methode verfahren wollen: Wählt SPD und es geht euch wirtschaftlich gut, ({5}) dann muß ich Ihnen sagen: So wichtig, wie die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise für die Bauern sind, so wichtig sind auch die wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen. ({6}) - Ich glaube, darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten; das ist eine Frage, die Sie sich selber beantworten können. In diesem Zusammenhang möchte ich nur an die von SPD und FDP gemeinsam beabsichtigte Reform des Bodenrechts erinnern, zu deren Leidtragenden auch unsere Landwirte gehören. Wenn wir von der Union diesen Vorstellungen, nicht zuletzt über den Bundesrat, nicht die wichtigsten Giftzähne gezogen hätten, hätte ich einmal sehen wollen, was daraus geworden wäre. Wo waren denn Herr Ertl und Herr Gallus, als es darum ging, hier die landwirtschaftsfreundliche Fahne hochzuhalten, die sie sonst hochhalten? ({7}) In diesen für unsere Gesellschaftspolitik elementaren Fragen, wo wir durchaus für vernünftige Reformen sind, haben die Liberalen als Korrektiv versagt. ({8}) Aber auch agrarpolitisch kommen auf die Landwirtschaft sehr schwierige Zeiten zu. In Europa steht die Bundesregierung praktisch vor einem Scherbenhaufen. ({9}) Man muß sich fragen, wie lange die gemeinsame Agrarpolitik, einst Integrationsmotor, auf diesen technischen Krücken überhaupt noch über die Runden geschleppt werden kann. Die verbalen europapolitischen Kraftakte, insbesondere des Bundeskanzlers, wie wir sie auch heute wieder erlebt haben, haben sich lediglich als Theaterdonner erwiesen. ({10}) Für unsere Landwirtschaft waren Sie ein Schlag ins Wasser. ({11}) - Professoren mögen zwar etwas von Recht verstehen, aber von Landwirtschaftspolitik verstehen Sie überhaupt nichts, Herr Schäfer. ({12}) Der jüngste schwere Rückschlag sind die von Italien ergriffenen Importrestriktionen durch die Einführung eines Bardepots. Wie die Erfahrungen aus dem Jahre 1974 gezeigt haben, kann dies zu starken Preis- und Einkommenseinbußen für die deutsche Landwirtschaft führen, insbesondere im südlichen Raum, weil dort die Ausfuhren von Fleisch und Molkereiprodukten nach Italien von existentieller Bedeutung sind. Wir fordern die Bundesregierung auf, auf jeden Fall sicherzustellen, daß der Wettbewerb im Export nach Italien nicht durch staatliche Währungs- und Zinsgarantien anderer Länder unterlaufen wird. ({13}) Dieses jüngste Beispiel zeigt, daß die europäische Wirtschafts- und Währungsunion in immer weitere Ferne gerückt ist. Deshalb ist es uns nach wie vor unverständlich, daß es die Bundesregierung unter der Verhandlungsführung von Minister Ertl zugelassen hat, daß der deutsche Grenzausgleich angesägt wurde. ({14}) - Ich bin gerne bereit, das einmal mit Ihnen zu probieren; dann werden wir feststellen, was Sie davon verstehen. Auch die Finanzierung der notwendigen Zukunftsaufgaben für unsere Landwirtschaft im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung birgt erhebliche Risiken in sich und ist keineswegs so gesichert, wie uns die Bundesregierung weismachen will. Es zeigt sich immer mehr, daß sich die Koalition in den Fallstrikken der von ihr zu verantwortenden desolaten Wirtschafts-, Finanz- und Agrarpolitik selber fängt, ({15}) so daß sie bald kaum noch Bewegungsspielraum besitzt. Es ist sozusagen ein Offenbarungseid auf Raten, von dem von Haushaltsberatung zu Haushaltsberatung ein immer größeres Stück herauskommt. Noch mehr als in den vergangenen Jahren ist der vorliegende Agrarhaushalt ein Werk von - lassen Sie es mich vorsichtig umschreiben; ich möchte hier niemandem zu nahe treten - von Bastlern, um nicht zu sagen: von Flickschustern, die noch einmal ungeschoren über die Wahlrunden kommen wollen und der Landwirtschaft sozusagen Potemkinsche Dörfer vorstellen. ({16}) Noch in der Haushaltsdebatte des vergangenen Jahres, also vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen, hat der Bundesernährungsminister Ertl die Kostenexplosion im Sozialbereich und ihre Folgewirkungen auf andere agrarpolitische Maßnahmen verniedlicht. Schon in diesem Jahr mußte die Koalition im Haushaltsausschuß 135 Millionen DM aus den wichtigen strukturpolitischen Aufgaben der Gemeinschaftsaufgabe abzweigen, weil Bundesminister Ertl und seine Experten die Ausgabenflut im Sozialbereich unterschätzt hatten. Auch wir sind für eine Verbesserung der sozialen Lage der Bauern und ihrer Familien. Die hohen Kosten der Sozialleistungen, vor allem zugunsten der älteren Menschen in der Landwirtschaft, können den Bauern nicht als Subvention angelastet werden, zumal die Landwirtschaft im Strukturwandel Millionen von Arbeitskräften an die gewerbliche Wirtschaft abgegeben und nicht zuletzt dadurch auch zur Schmitz ({17}) Steigerung des Wohlstandes beigetragen hat. Es ist daher nur ein Akt der sozialen Gerechtigkeit, wenn sie nicht mit dem hohen Risiko der alten Last alleingelassen wird. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß selbst nach Berechnungen der Bundesregierung, die sicherlich eher zu optimistisch als zu pessimistisch sind, die Ausgaben der landwirtschaftlichen Sozialpolitik im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung von rund 2,7 Milliarden DM im Jahre 1976 auf 3,6 Milliarden DM im Jahre 1979 ansteigen werden, andererseits der Gesamtplafond des Agraretats keineswegs entsprechend gesichert erhöht wird, so zeigt sich doch in erschreckendem Ausmaße der agrarpolitische Bewegungsspielraum. Wie Bundesminister Ertl angesichts der von mir schon im vergangenen Jahr aufgezeigten Entwicklung, daß das Landwirtschaftsministerium praktisch zum agrarpolitischen Sozialministerium degeneriert wird, damals behaupten konnte, er sei sogar stolz darauf, nur eine Art „grüner Sozialminister" zu sein, ist mir bis heute schleierhaft geblieben. So notwendig eine Verbesserung der sozialen Absicherung der Landwirtschaft auch ist, ebenso notwendig sind die Hilfen für die Zukunftsinvestitionen insbesondere im strukturpolitischen Bereich, der sonst zwangsläufig auf der Strecke bleibt. Ist die soziale Absicherung der alten Menschen in der Landwirtschaft unter gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten vor allem lediglich ein Akt der sozialen Gerechtigkeit, so haben die aktiv versicherten Landwirte, die ja im wesentlichen kostendekkende Beiträge aufzubringen haben, ebenso wie die übrigen Bundesbürger unter der Kostenexplosion im sozialpolitischen Bereich zu leiden, für welche diese Bundesregierung nach unserer Überzeugung ein gerüttelt Maß an Verantwortung trägt. Allein in den beiden vergangenen Jahren mußten die Beiträge zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung um rund 14 % heraufgesetzt werden. In den letzten vier Jahren sind die Beiträge zur Altershilfe insgesamt um 83 % gestiegen. ({18}) Infolge der 1974 gesunkenen Beitragszuschüsse des Bundes für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften müssen die Umlagebeträge 1976 um durchschnittlich 30 %, in Einzelfällen sogar wesentlich stärker erhöht werden. Solche Aderlässe können die bäuerlichen Betriebe, auf Dauer gesehen, nicht verkraften. Für viele von ihnen ist inzwischen die Grenze der sozialen Belastbarkeit erreicht. Vor diesem Hintergrund möchte ich erhebliche Zweifel daran anmelden, daß die von der Bundesregierung im Einzelplan 10 im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung für den sozialpolitischen Bereich als Zuschüsse angesetzten Mittel überhaupt ausreichen werden. Schon im laufenden Jahr müssen also aus der Gemeinschaftsaufgabe 135 Millionen DM herausgenommen werden. Dadurch müssen in einigen Bundesländern infolge vorhandener Verpflichtungsermächtigungen aus dem Vorjahr Kürzungen bis zu einem Drittel der Maßnahmen vorgenommen werden, wodurch sich bei einer Mischkalkulation ein Ausfall von Investitionsvolumen in der Größenordnung von etwa 600 bis 700 Millionen ergeben wird. In ländlichen Räumen führt dies dazu, daß es bei dem Zurückfahren der strukturpolitischen Mittel zu einem Einbruch kommen wird. Dies paßt - auch nach Aussagen der Bundesregierung selbst - überhaupt nicht in die konjunktur- und wirtschaftspolitische Landschaft. Die Kürzung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe würde alle Bemühungen um eine Stabilisierung der Wirtschaft in strukturschwachen Räumen, die Verbesserung der Lage der Landwirtschaft und die weitere Entwicklung der ländlichen Gemeinden außerordentlich beeinträchtigen. Ohnehin haben diese Gebiete besonders unter dem Pleiten- und Arbeitslosenrekord der derzeitigen Wirtschaftskrise zu leiden. In einigen ländlichen Kreisen ist die Arbeitslosigkeit mit über 10 % erschreckend hoch, und unter der Jugendarbeitslosigkeit hat vor allen Dingen die Jugend der ländlichen Räume zu leiden, weil dort durch die verfehlte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung Existenzen vernichtet wurden. ({19}) - Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Ihnen das lächerlich erscheint, gehen Sie doch einmal nach draußen; Herr Schmidt, Sie bewegen sich doch meistens im Bergbau, und dort ist doch in der Tat die Problematik sehr groß. Es gibt gar keinen Zweifel daran: Mit Ihrer verfehlten Politik während der letzten Jahre haben Sie in der Landwirtschaft das Vertrauen in einen organischen Strukturwandel, der eine wichtige Voraussetzungen für die Verbesserung der Lage unserer Landwirtschaft ist, untergraben. Das Vertrauenskapital, das dort vernichtet wurde, ist so leicht nicht wiederherzustellen. Viele junge Landwirte sehen heute kaum noch eine berufliche Alternative. Die Bundesregierung scheint sich weitgehend mit dem Schicksal von über einer Million Arbeitslosen abgefunden zu haben, zumal im jüngsten Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung die Wiedererreichung der früheren Vollbeschäftigung ernsthaft bezweifelt wird. Herr Minister Ertl, auch wenn man unterstellt, daß aus strukturpolitischen Hilfen bis zum Ende dieses Jahrzehnts keine weiteren Transfusionsleistungen für den Sozialsektor mehr gegeben werden müssen, so ist doch heute, spätestens aber 1979 und 1980 - wahrscheinlich schon früher - absehbar, daß Sie keine aktive Strukturpolitik mehr betreiben können. Deshalb stellen wir den Antrag auf Drucksache 7/5166 ({20}), die 135 Millionen wieder in die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" einzusetzen, damit der Strukturwandel im ländlichen Raum stabilisiert wird. ({21})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peters.

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schmitz, es wäre gut, wenn die Bauern diese Ausführungen hören oder lesen könnten. Das, was Sie hier in einer halben Stunde erzählt haben, nimmt Ihnen kein Bauer ab. ({0}) Das ist der Tatbestand. Die 135 Millionen DM, die wir aus der Agrarstruktur herausgenommen haben, weil wir dringende soziale Probleme lösen wollten, bewirken keine Kürzung im Bereich des Küstenschutzes, sondern nur eine Kürzung im Bereich der Agrarstruktur. Im Bereich der Agrarstruktur ergibt sich eine Kürzung von 1,2 Milliarden DM auf 1,070 Milliarden DM. Dies ist eine Kürzung von durchschnittlich 11%. Uns kann keiner weismachen, daß dadurch agrarstrukturelle Maßnahmen zum Erliegen kämen. Es findet bestenfalls eine Streckung der Maßnahmen statt. ({1}) - Nein, Herr Eigen, ich lasse diese Frage nicht zu, weil sie mir auf meine Redezeit angerechnet wird und wir um 19.45 Uhr Schluß machen sollen. ({2}) - Dann können Sie nicht zählen, Herr Bewerunge. Das mag ja sein. ({3}) Beim Küstenschutz ist es eindeutig so, daß in diesem Jahr 60 Millionen DM mehr für die Sturmflut aufgewandt werden, daß für die zukünftigen Jahre zur Vorziehung des Programms zusätzlich 45 Millionen DM aufgewandt werden und daß für das Hamburger Programm außerdem noch beachtliche Beträge aufgebracht werden. Das ist der Tatbestand. Die ganz einfache Frage lautet nun: Ist diese Kürzung von 135 Millionen DM für die Agrarstruktur tragbar, oder ist sie nicht tragbar? ({4}) - Sie ist tragbar, Herr Eigen. Ich verweise Sie auf das, was schon in der vorigen Agrardebatte hier dargelegt wurde und was auch auf dem Bauerntag in Schleswig-Holstein gesagt wurde. ({5}) Sie können das auch im „Flensburger Tageblatt" nachlesen. Dort wird ausgeführt, was Herr Stoltenberg damals im September 1975 auf dem Bauerntag gesagt hat: Andererseits sind wir leider gezwungen, bei den überbetrieblichen Maßnahmen - wie z. B. bei der Flurbereinigung - die Mittel zu strecken. Über Herrn Bockhop, Ihren Hauptredner von damals, der Ihnen ja auch nicht unbekannt ist, wird folgendes gesagt: Bockhop schlug insbesondere eine Überprüfung der Milliardensummen vor, die die Bundesrepublik für die Finanzierung des Gemeinsamen Marktes zahle. Anschließend heißt es, außerdem sei die Landwirtschaft bereit, sich auch mit einer Kürzung der Gemeinschaftsaufgaben des Bundes und der Länder abzufinden. Das ist ohne Widerspruch vor Ihrem Bauernverband in Rendsburg dargelegt worden. Das sind die Tatsachen. Sie haben also selber mit diesem Gedanken gespielt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eigen?

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu, weil sie ja auf meine Redezeit angerechnet wird. Frau Präsidentin, wenn sie nicht angerechnet wird, lasse ich die Frage zu.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Dann rechnen wir sie nicht an. Bitte schön, Herr Kollege.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Peters, ist Ihnen klar, daß man dann, wenn die Inflationsraten, die die Bundesregierung schließlich mit verursacht hat - ich sage: m i t verursacht; ich bin hier sehr vorsichtig -, dazu führen, daß bei gleichbleibenden Summen die Maßnahmen gekürzt werden müssen, dem einzelbetrieblichen Förderungsprogramm die Priorität einräumt und andere Maßnahmen - Flurbereinigung usw. - etwas strecken muß? Meinen Sie nicht auch, daß das eine realistische und vernünftige Politik ist, die überhaupt nichts mit der jetzigen Kürzung der Gemeinschaftsaufgabe zu tun hat?

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Eigen, ich habe Ihnen eben vorgelesen, was Herr Bockhop und Herr Stoltenberg gesagt haben. Beide haben gesagt, daß im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes auch die Gemeinschaftsaufgaben zur Kürzung herangezogen werden könnten. Dies haben Sie vorigesmal bestritten. Durch die Zitate habe ich Ihnen aber dokumentarisch belegt, daß sie es gesagt haben. Die Fotokopie des Textes gebe ich Ihnen, damit es völlig klar ist. ({0}) - Ich habe ja eben dargelegt - das haben Sie wohl nicht mitbekommen -, daß dafür 60 Millionen DM zusätzlich vom Bund zur Verfügung gestellt worden sind, daß für die nächsten Jahre zur Vorverlegung des Programms jährlich weitere 45 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden und daß für ein Hamburger Programm zusätzlich ebenfalls noch Geld zur Verfügung gestellt wird. Herr Eigen, das haben Sie wohl nicht mitbekommen. Nun, wir haben hier heute eine Bilanz von sieben Jahren Agrarpolitik der sozialliberalen Koalition, im besonderen von Minister Ertl. Diese Bilanz ist außerordentlich günstig. Die Landwirtschaft hat die Peters ({1}) Rezessionsjahre 1974/75 - das ist in der Landwirtschaft unbestritten, meine Damen und Herren - von allen Wirtschaftszweigen am besten überstanden. Die Einkommen sind in den letzten sieben Jahren, von 1969 bis 1976, jährlich um 11 % gestiegen. ({2}) - Vorher lag der Zuwachs unter 10 %, Herr Bewerunge. Das ist der entscheidende Punkt. Die Einkommensentwicklung ist jetzt, 1975 und zu Beginn 1976 - das sollten Sie als Kammerpräsident auch wissen -, weiterhin außerordentlich günstig, so daß wir, wenn wir die nächsten zwei Jahre dazurechnen, zu weit günstigeren Raten kommen. Wir erwarten, daß diese Agrarpolitik fortgesetzt, verstetigt werden kann und zur langfristigen Stabilisierung der günstigen Lage der Landwirtschaft führt. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Bundesminister Ertl.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf mit einer Bemerkung an Herrn Kollegen Schmitz beginnen. Es gibt noch ein Dokument über die finanzielle Dotierung der nationalen Agrarpolitik, nämlich die Finanzplanung, die die Bundesregierung der sozialliberalen Koalition 1969 übernommen hat. Für diese Finanzplanung zeichnete damals der Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß verantwortlich. Wenn Sie wollen, kann ich sie Ihnen zur Kenntnisnahme zuleiten, damit Sie wissen, was damals geplant war und was dann in der Realität durch diese Regierung gemacht wurde. ({0}) Nicht daß Sie glauben, wir hätten schon alles vergessen! ({1}) - Verehrter Herr Kollege, Sie müssen einmal nachlesen, wie die Inflationsraten seit der Währungsreform im Jahr 1948 unterschiedlich gewachsen sind; dann würden Sie Ihre Behauptung gar nicht mehr aufrechterhalten können, höchstens unter ganz anderen Aspekten. Aber bei Ihnen, Herr Eigen, ist es ja immer so: Sie glauben ja wirklich das, was Sie sagen; aber das ist meist nicht richtig. Ich will das hier nur sagen, damit man nicht zu falschen Vergleichen kommt. Ich möchte gleich etwas weiteres anmerken. Verehrter Herr Kollege Schmitz, ich glaube, diese Regierung kann sich getrost dem Urteil der deutschen Landwirtschaft stellen. ({2}) Ich merke das sogar aus Beiträgen, und zwar aus Beiträgen von politischen Freunden von Ihnen. Die sagen mir immer: Mit Deiner Politik sind wir sehr einverstanden. ({3}) - Nein, o nein. Verehrter Freund, ich habe Gott sei Dank auch Ohren zum Hören, und ich brauche nicht unbedingt schwarze Einflüsterer und züchte auch nicht schwarze Flöhe, sondern ich höre das, was sie mir sagen. Sie sagen: Du bist möglicherweise in der falschen Partei, in der falschen Koalition. ({4}) - Jawohl, das sagen die, landauf und landab. Aber weil Sie das eben bestätigt haben, will ich Ihnen sagen: Ich bin lieber in der falschen Partei und in der falschen Koalition und mache die richtige Politik, als in einer richtigen Partei zu sein und eine falsche Politik zu machen. Das ist meine Auffassung darüber. ({5})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Ja, ich freue mich. ({0})

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, könnten Sie auch in einer richtigen Partei eine richtige Politik machen? ({0})

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Herr Kollege Althammer, das beurteilen die Bauern anders. Die sind nämlich der Meinung, daß in der Zeit, wo Sie die Verantwortung gehabt haben, eine falsche Politik gemacht wurde. Das ist der Unterschied. Daher kommen Ihre eigenen politischen Freunde in diese Druckposition, wie sie mir immer wieder bestätigen. ({0}) - Aber eine gute Logik. Ich weiß, daß das bei Ihnen alles merkwürdig ist. Aber das beruht auf Gegenseitigkeit, Herr Reddemann, so wie ich das sehe. ({1}) - Das ist sehr gut. Die Bundesregierung hat in der Regierungserklärung gesagt, daß es ihr Ziel ist, daß sich die Landwirtschaft zu einem gleichrangigen Teil unserer modernen Volkswirtschaft entwicklen soll, der an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung teilnimmt. Später wurde diese umfassende gesellschaftspolitische Bedeutung einer modernen Agrar- und Ernährungspolitik durch die Aussage konkretisiert, daß Agrarpolitik in unserer Zeit Politik für die Menschen im ländlichen Raum ist. Ich glaube, daß diese Bundesregierung in der Bilanz von 1969 bis heute sagen kann, daß sie dadurch, daß das Reineinkommen je Familienarbeitskraft jährlich um 11 % angestiegen ist, dieses Versprechen erfüllt hat. Vergleichen Sie damit die jährliche Zuwachsrate beim gewerblichen Vergleichslohn, die im gleichen Zeitraum 10,6 % erreichte. Ich gebe zu, daß natürlich die Marktsituation zum Teil auch erheblich dazu beigetragen hat. Aber es hat auch unser Verhandlungsergebnis dazu beigetragen. Ich bin gern bereit, der Opposition vergleichsweise die Verhandlungsergebnisse auf dem Preissektor darzustellen, in der Zeit, als ein Verantwortlicher der CDU/CSU in Brüssel verhandelte, und in der Zeit, in der ich verhandelte.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eigen?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Ja, gerne.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, empfinden Sie es nicht auch als unrichtig, wenn man Prognosen für 1976 schon in eine Durchschnittszahl für sechs Jahre einbezieht?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Nein.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erinnern Sie sich bitte an die Aktuelle Stunde, die wir im September 1974 hier durchgeführt haben, in der Sie begründen mußten, warum Sie der Preiserhebung in Brüssel Ihre Zustimmung nicht geben konnten?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Ich weiß gar nicht, was Sie am Schluß fragten, Herr Eigen. Das müssen Sie mir mal erklären. ({0}) - Na, Herr Eigen, Sie sind ein Künstler der Verdrehung. Im übrigen ist in Brüssel noch nie etwas beschlossen worden, wo ich nicht zugestimmt habe, weil es Mehrheitsbeschlüsse in Brüssel nicht gibt, es gibt eben nur Einstimmigkeit. Das möchte ich doch hier einmal feststellen. Verdrehen Sie doch nicht immer alles. Ich halte das langsam für unseriös. Das muß ich ganz offen sagen. Das können sie möglicherweise machen, wenn ich nicht anwesend bin, weil ich dann nicht die Möglichkeit habe, Ihnen die wahre Darstellung zu geben. Aber in meinem Beisein das zu machen, finde ich unseriös. ({1}) Ich will Ihnen auch ein Letztes sagen, Herr Kollege Eigen, damit Sie sich ganz beruhigen. Sie können sich ja, da Sie gute Verbindungen zur Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein haben, die Ergebnisse der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein übergeben lassen. Es gibt auch andere Kammerpräsidenten, die ich hier nicht nennen will, die können Ihnen auch Ergebnisse zuleiten. Ich kann Ihnen hier nur sagen: die Schätzungen haben grosso modo immer gestimmt; ich habe das überprüfen lassen durch meine Mitarbeiter; mit einer einzigen Ausnahme, das war bei der Energiekrise. Weil darauf hingewiesen worden ist, möchte ich gern noch folgendes erwähnen. Wir haben einen vollen Aufwertungsausgleich für alle Währungsveränderungen herbeigeführt mit insgesamt 12 Milliarden DM durch den Aufwertungsausgleich bis zum Jahre 1981. Im Jahre 1971 hat die Bundesregierung das Grenzausgleichssystem als Stützelement in die gemeinsame Agrarpolitik eingeführt. Herr Kollege Schmitz ({2}), wer das noch bezweifelt, daß auf Grund unterschiedlicher Inflationsraten der Grenzausgleich flexibel gehandhabt worden ist, der versteht in der Tat nichts vom System des Währungsausgleichs. Es tut mir furchtbar leid, daß ich das hier einmal wirklich sagen muß. ({3}) Denn wenn Sie Ihre These hier glaubhaft vertreten, dann müssen Sie ehrlich sagen: wir wollen ein festes Instrument haben, aber nicht ein Währungsausgleichsinstrument. Oder Sie verlangen von diesem Bundesminister, daß er gegenüber anderen Partnern, die auch ökonomisch-sachliche Kenntnisse haben, unlauter argumentiert. Im übrigen darf ich folgendes hinzufügen. Diese Regierung hat - hauptsächlich deshalb, weil sie sich nicht bemüht hat, Wettbewerbsverhältnisse auszugleichen - es geschafft, im Agrarexport im Durchschnitt jährliche Steigerungsraten von 19 % zu schaffen, so daß wir am Ende heute sagen können, daß wir die 10-Milliarden-Grenze überschritten haben. ({4}) - Na, Herr Kollege Eigen, da unterhalten Sie sich einmal mit Ihnen sehr nahestehenden genossenschaftlichen Unternehmern in Schleswig-Holstein und sagen Sie, was der Grenzausgleich bedeutet für den Butterexport in England. Sie zwingen mich ja geradezu durch solche Behauptungen, meine eigene Verhandlungsposition zu schwächen. Aber ich kann die Unwahrheit auf die Dauer nicht vertragen. ({5}) - Sie eben, weil Sie gerade sagen ,,CMA" .Aber Sie verstehen anscheinend doch nichts vom innergemeinschaftlichen Handelsverkehr. Ich möchte auch darauf hinweisen - das gehört ebenfalls zu dieser Bilanz - daß wir in der Tat alle Versuche unternommen haben, die marktpolitische Position durch Fortentwicklung des Marktstrukturgesetzes zu stärken. Zu dieser Stärkung gehört auch die Fortentwicklung der Agrarpolitik. Damit komme ich zur Sozialpolitik in der Landwirtschaft. Ich glaube in der Tat, daß diese Bundesregierung beanspruchen kann, die Landwirtschaft weitgehend in das soziale System unseres RechtsBundesminister Ertl staates eingegliedert zu haben. Nun kommt immer wieder die Frage hoch, warum die Zahlen nicht stimmen. Herr Kollege Schmitz ({6}), ich muß mich auf die Selbstverwaltungskörperschaften verlassen; das wissen Sie doch. Ich kann doch nur die Zahlen verwerten, die mir die Selbstverwaltungskörperschaften geben. Wir haben das bewußt in die Hand der Selbstverwaltung des Berufsstandes gelegt. Sie können keinem Mitarbeiter meines Hauses einen Vorwurf machen. Wenn die Selbstverwaltungskörperschaft im September, Oktober sagt, es sei ein Defizit zu erwarten, können Sie doch nicht erwarten, daß die Bundesregierung das noch einplant, wenn der Haushalt bereits im September vom Kabinett verabschiedet worden ist. Ich habe das im übrigen im Haushaltsausschuß erläutert. Da haben Sie mir alle zugestimmt. Dennoch wird das hier wieder angeschnitten. Daher muß ich darauf eingehen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitz?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Gerne.

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Ertl, sind Sie zumindest bereit zu versprechen, daß Sie ihr Haus in Zukunft dazu anhalten, die neuen Daten des Sozialbudgets bei der Festsetzung des zukünftigen Finanzplans zu berücksichtigen?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Das ist doch im Gesetz verankert, Herr Schmitz ({0}). Nur, ich muß doch die Zahlen von denjenigen bekommen, die die Mittel vergeben. Das sind die Selbstverwaltungskörperschaften. Ich kann nur die Summen beantragen, die mir rechtzeitig von der Berufsgenossenschaft oder von der landwirtschaftlichen Krankenkasse gemeldet werden. Ich glaube sagen zu können, daß es ein wichtiger Schritt war, die gesetzliche Krankenversicherung, die Anpassung der Altersgelder - ich komme darauf noch zurück -, die Hilfen für Voll- und Halbwaisen sowie die Zusatzversorgung der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer einzuführen. ({1}) - Herr Kollege Kiechle, für Sie habe ich ein besonderes Bonbon mitgebracht. ({2}) Der Herr Kollege Strauß hat sich nämlich kürzlich in einem Vortrag besonders mit der landwirtschaftlichen Krankenkasse befaßt. Das können Sie nachlesen in der Veröffentlichung Nr. 158 des Instituts „Finanzen und Steuern". Der Herr Kollege Strauß hat in diesem Vortrag u. a. festgestellt: Die explosionsartige Kostenentwicklung in diesem Bereich wirft jedoch die Frage auf, ob die Belastbarkeitsgrenze unserer Volkswirtschaft mit kollektiven Soziallasten nicht bereits erreicht, wenn nicht gar überschritten ist. Er nennt u. a. auch - ich kann das ganz verlesen; das gehört wahrscheinlich zu dem Thema soziale Symmetrie, oder wie immer man das bezeichnet - die flexible Altersgrenze bei der Rentenversicherung, die Öffnung der Rentenversicherungen für Selbständige, Lohnfortzahlungsgesetz, Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte. Ich muß Sie fragen: Welche Vorstellungen haben Sie? Folgen Sie der Aufffassung des finanzpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion, daß hier Kosten entstehen, die nicht mehr tragbar sind? Wenn ja, muß die CDU/ CSU aber auch sagen, was sie auf diesem Sektor konkret tun will.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Gerne.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, da ich gerade den Aufsatz, den Sie zitiert haben, zur Hand habe, würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, daß vor dem von Ihnen zitierten Satz steht: Es besteht kein Zweifel, daß die Leistungen auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Infrastruktur in Form eines gut ausgebauten Netzes der sozialen Sicherung, d. h. der Altersvorsorge sowie der Absicherung gegen Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sind?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Das bestreite ich gar nicht. ({0}) Ich kann jedoch auch noch den Satz danach hinzufügen, damit wir auch tatsächlich richtig zitieren Herr Althammer, man darf nicht zu früh starten -: Angesichts der Fülle neuer kostenträchtiger Gesetze bzw. Gesetzesnovellierungen auf dem Gebiete der Sozialgesetzgebung in den letzten Jahren, wie z. B.... Dann folgt eine Aufzählung, deren ersten Punkte ich bereits genannt habe; ich habe bei der Krankenversicherung der Landwirte aufgehört. Um jedoch den Katalog vollständig zu zitieren, führe ich zusätzlich an: Gesetz über die Unfallversicherung der Schüler/Studenten, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Drittes Vermögensbildungsgesetz, Erweiterung der Förderungsmaßnahmen der beruflichen Bildung Angesichts der Fülle dieser Gesetze kann, so sagt Herr Strauß, die Kostenexplosion im Sozialbereich nicht verwundern. So ist das vollständig zitiert. ({1}) - Gut, wenn er recht hat, muß er allerdings auch hier und heute sagen, wie er sich das vorstellt; denn er nennt die Krankenversicherung der Landwirte. Dann muß er sagen, wie er die staatlichen Leistungen möglicherweise beschneiden will. Das möchte ich doch wirklich wissen. ({2}) Wir haben dieses System aufgebaut, und wir garantieren auch, daß es weiterhin aufrechterhalten wird. Wir haben auch dafür Sorge getragen, daß die Landwirte in die Kindergeldregelung einbezogen wurden. Ich gebe zu, das kostet 500 bis 600 Millionen DM. Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen - damit komme ich zum Schluß - zur Strukturpolitik machen, weil der Eindruck entstehen konnte, die Strukturpolitik sei wegen der weiter ausgebauten Sozialpolitik vernachlässigt worden, oder es könnte eine Situation eintreten, in der sie nicht konstruktiv fortgeführt werden könne. Ich darf sagen, Herr Kollege Schmitz ({3}) : Ich habe hier eine prozentuale Aufteilung der Mittel infolge der Umpoolung von 135 Millionen DM für die Länder. Der höchste prozentuale Anteil beträgt 12,7%, der niedrigste 5,6 °/o, im Schnitt sind es 10%. Aber lassen Sie mich einmal eine Bilanz dieser Strukturpolitik ziehen. Ich kann zunächst darauf hinweisen, daß allein schon durch die Tätigkeit in Brüssel über den Titel „Ausrichtung" 1 000 Vorhaben mit mehr als 1 Milliarde DM in der Bundesrepublik gefördert wurden. Nun lassen Sie mich die einzelbetriebliche Förderung skizzieren, und zwar zwischen 1970 und 1975. Die Zahl der einzelbetrieblichen Investitionen ({4}) in diesem Zeitraum betrug 108 116 - das sind jährlich 18 019 -, davon waren 92 919 Zinsverbilligungen, so daß ich sagen kann: jeder zehnte Betrieb ist in diesem Zeitraum, in diesen sechs Jahren, in der Bundesrepublik Deutschland gefördert worden. 127 000 Betriebe haben die Ausgleichszulage bekommen. ({5}) - Ja, das ist eine Zusammenstellung meines Hauses. Die Wohnhausförderung, die Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetriebe insgesamt betrifft, erhielten mehr als 124 000 Betriebe. ({6}) - Ja, das weiß ich; aber das liegt nicht in meiner Verantwortung. Ich kann nur sagen: auf Bundesebene erhielten in diesen sechs Jahren gut 124 000 Betriebe diese Förderung. Der land- und forstwirtschaftliche Wegebau machte 20 000 km aus. 63 000 km land- und forstwirtschaftliche Wege entstanden im Rahmen der Flurbereinigung. Die Flurbereinigungsfläche umfaßte 1,4 Millionen ha. Das sind etwas mehr als 10 % der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Lassen Sie mich noch einige Zahlen nennen, weil sie die Menschen im ländlichen Raum insgesamt berühren. 1,8 Millionen Menschen profitierten von Maßnahmen zur zentralen Wasserversorgung. Es wurden zentrale Abwasseranlagen, Kanal- und Kläranlagen, für rund 3,3 Millionen DM gefördert, 3 600 km Flußläufe ausgebaut und es sind insgesamt in dieser Zeit 250 km Deichanlagen gebaut worden. Wer da noch behaupten will, daß in diesem Zeitraum in der Tat nicht alles versucht worden sei, um für die Menschen auf dem Lande gleiche Daseinsbedingungen zu schaffen und den ländlichen Raum in seiner ganzen Struktur zu verbessern und zu entwickeln, und zwar für alle, auch für diejenigen, die dort Erholung suchen und ihre Freizeit verbringen, müßte mir, glaube ich, erst nachweisen, daß diese Zahlen nicht stimmen. Ich möchte hinzufügen: es wäre sehr ungerecht, wenn ich nicht noch zwei Sätze zur Situation der Verbraucher sagte. Wer die Preisentwicklung im Schnitt verfolgt, wird feststellen können, daß die Lebensmittelpreisentwicklung auf jeden Fall die Stabilitätsbemühungen der Bundesregierung eher gefördert als ihnen geschadet hat. Ich glaube, viel wichtiger ist, daß wir sagen können, daß sich heute der einzelne Arbeitnehmer wesentlich mehr für den Arbeitslohn einer Stunde kaufen kann als vor zehn Jahren, zum Teil das Doppelte, und das bei verbesserter Qualität und gewandeltem Konsum, den wir begrüßen. ({7}) - Ich stimme der AGV nicht immer zu; das können Sie aus meinen Pressemitteilungen ersehen. Ich glaube, mit gutem Grund sagen zu können, daß diese Bundesregierung nicht nur mit der Prämisse angetreten ist, den Menschen im ländlichen Raum gleiche Chancen einzuräumen, sondern daß sie auch einen Schritt dazu getan hat. Ich möchte allen danken, die daran mitgeholfen haben. Ich darf mich bei den Berichterstattern bedanken, und ich darf mich bei allen in diesem Parlament bedanken, die dieses Haus in seinem Bemühen, diese Aufgabe zu erfüllen, permanent unterstützt haben. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Ritz. ({0})

Dr. Burkhard Ritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001859, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es entspricht parlamentarischem Stil, daß man nach der Bilanz, die der Minister vorlegt - und er hat das über den Zeitraum von sieben Jahren getan -, als Opposition einige Anmerkungen dazu macht. Sie dürfen sicher sein, ich werde mich bemühen, dies so kurz wie möglich zu tun. ({0}) Herr Minister Ertl, Sie haben, wie Sie meinten, eine gute Bilanz vorzulegen. Sie müssen sich aber an diesem Tag hier im Plenum an den Ansprüchen messen lassen, mit denen Sie vor sieben Jahren in diese Arbeit gegangen sind. Sie haben das mit Blick auf die Einkommensentwicklung getan. Wir wollen auch gar nicht bestreiten, daß unter Einrechnung der sich verbessernden Lage im laufenden Jahr festgestellt werden kann, daß sich die Einkommen in der Landwirtschaft zum Glück nach langen Phasen der Stagnation und der realen Rückgänge wieder erholt haben. Eines will ich in dem Zusammenhang aber auch sagen, meine Damen und Herren: Durch eine weithin undifferenzierte Aussage über die sogenannte Prognose ist eine Diskussion in der Öffentlichkeit entstanden, die mit Sicherheit weder der tatsächlichen Lage noch der Interessenlage Ihres Hauses gerecht wird. ({1}) Lassen sie mich im Zusammenhang mit Ad-hocPrognosen und Vergleichen eines sagen, meine Damen und Herren - und darin sind wir uns doch sicher einig -: So positiv es zu werten ist, daß sich die Einkommenslage verbessert hat, wer eigentlich will ausschließen, daß z. B. auch bei nur kurzfristigem Anhalten der derzeitigen Frühjahrsdürre schon für die zweite Hälfte dieses Jahres alle Erwartungen über den Haufen geworfen werden? ({2}) - Ja, wunderbar! - Dies zeigt, wie gefährlich es ist, wenn man glaubt, auf Grund von Momentaufnahmen Erfolgsmeldungen erstatten zu können. Ich will auch noch etwas anderes sagen, Herr Minister: Sie haben zu Recht die Zyklen, die Ernteausfälle und viele Faktoren mehr angesprochen, die dabei eine Rolle spielen. Sie haben aber auch die Preisverbesserung durch die Entscheidung in Brüssel angesprochen und daß Sie immer zugestimmt hätten. Dies ist wahr, nur hat sich gegenüber 1969 eines entscheidend verändert: Während damals die Bundesregierung etwa gegenüber Frankreich unter dem Zwang stand, die Preise ständig höherziehen zu müssen, als es den Vorschlägen entsprach, sind Sie seit zwei Jahren in der Lage, herunterzudrücken, was die Kommission bei Preiserhöhungen vorschlägt und was die französische Regierung erwartet. Das muß dann auch mit aller Deutlichkeit gesagt werden. ({3}) Dies gilt nicht zuletzt vor allem für den Oktober 1974, als außerhalb des zeitlichen Rhythmus auf Grund der Preis-Kosten-Entwicklung zusätzliche Preisbeschlüsse anstanden. Meine Damen und Heren, ein Anspruch, den der Herr Minister 1969/70 angemeldet hat, lautete: Die europäische Agrarpolitik wird ausgebaut, durch eine Währungs- und Wirtschaftsunion abgesichert. Nun ist es sehr bezeichnend, daß der Minister dazu in seiner Bilanz gar nichts sagt, denn in der Tat, dieses Bild ist deprimierend, wenn Sie sich das über den Zeitraum von sieben Jahren anschauen. ({4}) Wie sah 1969 die Agrarpolitik aus? Sie war von einheitlichen, praktikablen, noch weithin überschaubaren Marktordnungen geprägt. Natürlich, es gab auch damals schon Wettbewerbsverzerrungen, aber sie hielten sich in Grenzen. ({5}) Es gab auch Kosten in der europäischen Agrarpolitik, nur waren sie in ihrer Höhe voll vertretbar. ({6}) - Ich lasse mir auch von Herrn Minister Franke keine „rote Karte" zeigen. ({7}) Glauben Sie mir, ich möchte mir das Fußballspiel mindestens genauso gerne ansehen wie Sie, lieber Herr Franke. Aber wir wollen dies hier ruhig erst abhandeln. Meine Damen und Herren, das war das Bild der damals von Herrn Ertl so ungeliebten europäischen Agrarpolitik. Wir müssen uns heute fragen: Was ist daraus in sieben Jahren geworden? Wir kommen zu dem Ergebnis: Die Marktordnungen sind komplizierter, unüberschaubarer geworden. Durch fehlerhafte Anwendung, durch politische Entscheidungen sind Probleme produziert worden - etwa im Bereich des Rindfleischmarktes, etwa im Bereich des Magermilchpulverbergs -, die damals auch nicht im Ansatz als Gefahren und Probleme erkennbar waren. ({8}) Es kommt etwas anderes hinzu. Wenn heute der Bundeskanzler sagt - ich zitiere nach dem „Guardian" vom April dieses Jahres -: „Die Agrarpolitik ist die teuerste und verschwenderischste Errungenschaft der EG", dann kann ich nur antworten: Wo eigentlich hat man überhaupt den Versuch gemacht, sichtbar zu machen, daß diese Agrarpolitik in sieben Jahren mit politischen Leistungen überfrachtet worden ist, die mit der Agrarpolitik im engeren Sinne überhaupt nichts mehr zu tun haben? Es waren auch Ihre zustimmenden Beschlüsse, Herr Minister, die zu dieser Situation geführt haben. Ich denke hier etwa an die Folgen der Beschlüsse zugunsten der Briten, was die Butterlieferungen aus dem Commonwealth anlangt; ich denke etwa an die Beschlüsse im Hinblick auf die Zustimmung zu Sonderprämienregelungen in Frankreich und anderen Ländern der Gemeinschaft. Das heißt, diese Erosion der europäischen Agrarpolitik ist von Ihnen voll mitzuverantworten. Sie können heute nicht sagen: „Das war gut, das habe ich mitgemacht" und dann von dem anderen gar nicht sprechen. ({9}) Nein, insgesamt zeichnet sich diese gemeinsame Agrarpolitik, diese gemeinschaftliche europäische Politik durch eine Erosion aus, von der wir leider nur sagen können, daß selbst Insider Sorgen äußern, ob es gelingt, überhaupt noch konkrete Fortschritte zu erzielen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Ritz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler? .Dr. Ritz ({0}) : Höchst ungern, Herr Kollege Löffler. Lassen Sie mich ein zweites sagen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie, wenn auch ungern, die Zwischenfrage?

Dr. Burkhard Ritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001859, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also dann, wenn es sein soll, ja.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Ritz, sind Sie auch bereit, dem Hause mitzuteilen, welche Partei an der Konzipierung der nach Ihrer Auffassung verfehlten Agrarpolitik in der Verantwortung dieser Republik mitgewirkt hat?

Dr. Burkhard Ritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001859, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Löffler, ich habe gerade dargestellt, wie die Ausgangslage 1969 im Hinblick auf die gemeinschaftliche europäische Agrarpolitik war. Damit können wir gut leben, und wir bekennen uns zu dieser Konzeption, die wir in den Jahren 1958/59 mit entwickelt haben. ({0}) Was hat es eigentlich an konkreten Fortschritten gegeben? Ich nenne das Stichwort Wirtschafts- und Währungsunion, von der Ertl 1969 sagte: Wir werden sie schaffen! - Ich kann nur sagen: Heute sind wir in der Situation, daß wir kaum noch wissen, ob sich einige Regierungen der Gemeinschaft überhaupt noch zu diesem Ziel bekennen, ob sie überhaupt noch eine Wirtschafts- und Währungsunion wollen. ({1}) - Ich weiß nicht, Herr Kollege Marquardt, ob die britische und die dänische Regierung wirklich noch am Ziel einer Wirtschafts- und Währungsunion festhalten. Auf Grund dessen, was ich lesen und hören konnte, habe ich diesbezüglich sehr, sehr große Zweifel. Meine Damen und Herren, ich sagte: Wettbewerbsverzerrungen gab es auch 1969. Nur, wie sieht die Lage denn heute aus? Außer dem riesengroßen Spektakulum des Herbstes 1974 durch den Paukenschlag des Bundeskabinetts hat es doch nichts gegeben. Ich hörte, erst vor weniger Wochen, d. h. nach eineinhalb Jahren, hat die eigene Regierung, die damals den Wettbewerbsdonner inszeniert hat, ihre eigenen Maßnahmen nach Brüssel gemeldet. Auch das gehört in eine Bilanz hinein, Herr Minister. Ich kann nur sagen: Diese Bilanz ist leider total negativ. Dies ist bedauerlich, wenn es um die künftigen Perspektiven der Agrarpolitik in Europa geht, letztlich auch dann, wenn es um die Perspektiven der Interessenlage der deutschen Landwirtschaft geht. Sie sprachen 1969/70 von der schweren Hypothek der Überschüsse, die Sie übernehmen müßten. Ich kann nur sagen: Ich wünschte, die Situation wäre heute vergleichbar mit der von 1969. Dann hätten Sie weniger Sorgen, und wir alle gemeinsam brauchten uns weniger Sorgen um die Zukunft zu machen. Wie aber war die Lage wirklich, und was haben Sie an Konzeptionen entwickelt? Es war 1973 der damalige Finanzminister Helmut Schmidt, der in Stuttgart von der Einführung des Verursacherprinzips sprach, d. h. daß die Länder, die die Überschüsse erzeugen, sie auch finanzieren sollen. Das endete dann in der Europaschelte des Kanzlers 1975. Sie waren derjenige, der 1973 sagte, er sei überzeugt, daß sich in diesem Jahrzehnt das Milchproblem von selber löse. Heute sind Sie derjenige, der ausweicht in die hilflose Formel von der Erzeugerbeteiligung. Meine Damen und Herren, das ist die Wirklichkeit, mit der wir uns in Europa auseinanderzusetzen haben, die leider eben nicht jene Perspektiven erwarten läßt, die Sie hier suggerieren wollten. Sie sagten damals, 1969/70: „Den auf dem Land lebenden Menschen ist eine gleichwertige Entwicklungschance wie der städtischen Bevölkerung zu bieten." Das ist in der Tat der unverzichtbare Rahmen für eine erfolgreiche Agrarpolitik und Agrarstrukturpolitik. Aber auch hier kann man nur fragen: In welcher Phase der Nachkriegszeit ist die Ungleichgewichtigkeit zwischen der Entwicklung städtischer Räume und der Entwicklung ländlicher Räume eigentlich größer gewesen zu Lasten der ländlichen Räume als in den letzten sieben Jahren, und zwar durch die Konjunkturpolitik dieser Regierung etwa in Auswirkung auf die mittelständische Wirtschaft, durch die Verkehrspolitik und durch das, was an Folgewirkungen der Gesamtpolitik hinzukommt? Lassen Sie mich auch etwas zur Agrarstrukturpolitik sagen, die Sie jetzt gelobt haben, wobei Sie einige Zahlen addiert haben. ({2}) - Ein, zwei Sätze! Seien Sie ganz friedlich! Sie waren es doch, Herr Ertl, der diese Strukturpolitik durch uniforme Leitbilder europäischer Strukturrichtlinien eingeengt hat, die uns in der notwendigen regionalen Anpassung nicht mehr die Beweglichkeit lassen, die wir brauchen, um den unterschiedlichen Strukturen tatsächlich Rechnung zu tragen. Lassen Sie mich zum Schluß kommen! ({3}) - Man muß auch mal dann zuhören können, wenn es einem zeitlich nicht mehr paßt. Ich habe während der langen Rede des Bundeskanzlers sehr häufig gewünscht, er möge schnell aufhören, damit auch ich noch früh genug zur Übertragung des Fußballspiels komme. Trotz mancher Fehlentwicklungen haben wir Sie vielfach gestützt, etwa gegen jene maßlose und haltlose Kritik des Bundeskanzlers und des Finanzministers und gegen die Thesen Ihres Parteifreunds, des Wirtschaftsministers Friderichs. Als es um den Grenzausgleich ging, und als er in einem Buch schrieb, dies sei die schlimmste Wettbewerbsverzerrung zugunsten der deutschen Landwirtschaft, da waren wir es, die Sie abgestützt haben. Auch das sollte in diesem Zusammenhang registriert werden. Nun, was bleibt? Die Bilanz ist eben nicht positiv. Ich bewerte sie so: Im Hinblick auf die soziale Fortentwicklung ist sie positiv, allerdings mit den Risiken ihrer längerfristigen Finanzierung. Sie ist plus minus Null im Hinblick auf die Einkommensentwicklung. Sie ist negativ im Hinblick auf die europäische Agrarpolitik und die gemeinschaftliche Strukturpolitik. Wir können den Landwirten nur dankbar sein, daß sie nach sieben Jahren europäischer Irrungen und Wirrungen nach wie vor an der Zukunft der Europäischen Gemeinschaft unverändert festhalten. ({4}) Wir können auch jenen, die durch Ihre Förderbestimmungen als nicht förderungswürdig von der offiziellen Agrarstrukturpolitik ausgeklammert wurden, nur dafür danken, daß sie sich dennoch ihren Behauptungswillen bewahrt haben. Ich bin sicher, dies werden sie auch in Zukunft tun. Nur brauchen sie dann auch eine neue Konzeption in einigen wichtigen Positionen der Agrarpolitik -- vor allem in der Europapolitik und in der Strukturpolitik. ({5})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.

Georg Gallus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000628, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich verzichte zugunsten des Fußballspiels. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Vielen Dank! - Damit gibt es zu diesem Einzelplan keine Wortmeldungen mehr. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5166 ({0}) auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen. Es liegen noch drei Einzelpläne ohne Debatte vor. Ich rufe auf: Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht - Drucksache 7/5046 Berichterstatter: Abgeordneter Picard Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Debatte wird nicht gewünscht. Wer dem Einzelplan 19 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen. Nun rufe ich nunmehr auf: Einzelplan 20 Bundesrechnungshof Drucksache 7/5047 Berichterstatter: Abgeordneter Blank Der Berichterstatter wünscht das Wort nicht. Auch das Wort zur Debatte wird nicht gewünscht. Ich bitte um ein Handzeichen, wer dem Einzelplan 20 zuzustimmen wünscht. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Ich rufe als letzten Einzelplan für heute auf den Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - Drucksache 7/5049 Berichterstatter: Abgeordneter Simpfendörfer Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Debatte wird nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 25. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan ist angenommen. Damit sind wir am Ende unserer heutigen Beratungen. Ich berufe das Haus auf morgen, 13. Mai 1976, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.