Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Präsident der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein hat am 28. Februar 1973 gemäß §§ 6 und 9 des Gesetzes über das Branntweinmonopol den
Geschäftsbericht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein sowie die Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1971/72 ({0})
vorgelegt. Bericht und Bilanz werden als Drucksache 7/302 verteilt.
Der Bundesminister der Finanzen hat am 9. März 1973 die Bekanntmachung von dem Generalsekretär des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens zugegangenen Antworten zur Empfehlung des Rates über gegenseitige Verwaltungshilfe gemäß § 46 Absatz 1 des Deutschen Auslieferungsgesetzes übersandt. Sie liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Haager Kaufrechtsübereinkommen vom 1. Juli 1964
- Drucksache 7/115 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 7/317 Berichterstatter: Abgeordnete
Frau Däubler-Gmelin Abgeordneter Thürk
({2})
Ich danke der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin und dem Herrn Abgeordneten Thürk für ihren Bericht.
Wir kommen in zweiter Beratung zu Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; einstimmig verabschiedet.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den internationalen Kauf beweglicher Sachen
- Drucksache 7/123 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 7/318 Berichterstatter: Abgeordnete
Frau Däubler-Gmelin Abgeordneter Thürk
({4})
Ich danke der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin und dem Herrn Abgeordneten Thürk für ihren Bericht.
Wir kommen in zweiter Beratung zu den Art. 1 bis 104, Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen damit zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen; es ist einstimmig beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einheitlichen Gesetzes über den Abschluß von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen
- Drucksache 7/124 1094
Vizepräsident Dr. Jaeger
Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({5})
Drucksache 7/319 Berichterstatter: Abgeordnete
Frau Däubler-Gmelin Abgeordneter Thürk
({6})
Ich danke der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin und dem Herrn Abgeordneten Thürk für ihren Bericht.
Wir kommen in zweiter Beratung zu den Art. 1 bis 16, Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Damit kommen wir zur
dritten Beratung.
Wird das Wort begehrt? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bergmannsprämien
- Drucksache 7/212 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 7/332 -
Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({8})
- Drucksache 7/327 Berichterstatter: Abgeordneter Russe ({9})
Ich danke den Abgeordneten Röhner und Russe für ihre Berichte und rufe in zweiter Beratung Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht begehrt.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird das Wort begehrt? - Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, wir gelangen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den muß ich bitten, sich wiederum zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig verabschiedet!
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21, Oktober 1971 zur Änderung des Zusatzabkommens vom 3. August 1959 zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen
- Drucksache 7/119 Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses
({10})
- Drucksache 7/361 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. SchmittVockenhausen
({11})
Ich danke dem Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen für seinen Bericht.
In zweiter Beratung rufe ich Art. 1, 2 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht begehrt.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir kommen noch zu dem Entschließungsantrag des Ausschusses. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 7/361 vor. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme nun zu Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über den Beruf des Diätassistenten
- Drucksache 7/116 Bericht und Antrag des Aussschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({12})
- Drucksache 7/362 Berichterstatter: Abgeordneter Zeitler ({13})
Ich danke dem Abgeordneten Zeitler für seinen Bericht und komme in zweiter Beratung zu den §§ i bis 11 sowie zu Einleitung und Überschrift. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Hammans!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle nur eine Bemerkung machen. Sie betrifft die dreijährige Ausbildung der Diätassistenten, die ich sehr begrüße. Ich möchte nur noch einmal beklagen, daß dieses Haus in der 6. Legislaturperiode beschlossen hat, für den so verantwortungsvollen Beruf der medizinisch-technischen Assistenten nur eine zweijährige Ausbildung zu fordern, während die Diätassistenten jetzt eine dreijährige Ausbildung erhalten werden. Meine Damen und Herren, hier stimmen die Relationen nicht. Ich möchte Sie herzlich bitten, demnächst unserem Antrag auf Einführung einer dreijährigen Ausbildung der medizinisch-technischen Assistenten zuzustimmen.
({0})
Wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, wir gelangen zur Schlußabstimmung. Wenn Sie dem Gesetz zustimmen wollen, darf ich Sie bitten, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Punkt 9 - zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Geflügelfleischhygienegesetzes - wird auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung an das Ende der Beratungen zurückgestellt.
Damit komme ich zu Punkt 10 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 22. Juli 1964 über die Ausarbeitung eines Europäischen Arzneibuches
- Drucksache 7/125 Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({0})
- Drucksache 7/336 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bardens ({1})
Ich danke dem Abgeordneten Dr. Bardens für seinen Bericht und komme in zweiter Beratung zu den Art. 1, 2, 3, 4, 5 sowie Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht begehrt.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den
bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen?
- Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes und des Arbeitsplatzschutzgesetzes
- Drucksache 7/129 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/373 -
Berichterstatter: Abgeordneter
b) Bericht und Antrag des Verteidigungsausschusses ({3})
- Drucksache 7/364 -Berichterstatter: Abgeordneter
Gerstl ({4})
({5})
Ich danke den Abgeordneten Dr. Althammer und Gerstl ({6}) für ihren Bericht.
Ich rufe in zweiter Beratung die Art. 1 bis 4
- Einleitung und Überschrift - in der Ausschußfassung auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache begehrt? - Das ist nicht der Fall.
Damit komme ich zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den darf ich bitten, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. - Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen; damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze
- Drucksache 7/63 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({7})
- Drucksache 7/359 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schmude
Abgeordneter
Dr. Hauser ({8}) ({9})
Ich danke den Abgeordneten Dr. Schmude und Dr. Hauser ({10}) für ihren Schriftlichen Bericht.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich komme zur zweiten Beratung und rufe die Art. 1 bis 7 - Einleitung und Überschrift - in der Ausschußfassung auf. Wird jetzt schon oder erst in der dritten Beratung das Wort gewünscht? - Das Wort wird jetzt noch nicht gewünscht.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf soll eine Gesetzeslücke ausfüllen, die die Rechtsprechung trotz mehrfacher Versuche nicht beseitigen konnte. Der § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der bisherigen Fassung sieht den Zwang zur notariellen Beurkundungsform nur vor, wenn in einer rechtsgeschäftlichen Erklärung über Grundstücke oder grundstücksähnliche Rechte die Verpflichtung zur Veräußerung eines solchen Rechts oder Grundstücks übernommen wird. Hingegen kann in einfacher Schriftform die Verpflichtung übernommen werden, ein Grundstück oder grundstücksähnliches Recht zu erwerben.
In letzter Zeit haben vor allem Wohnungsbaugesellschaften und Grundstückseigentümer diese Möglichkeit benutzt, um Erwerbsinteressenten in dieser einfachen Schriftform zu binden und dabei zum Teil erhebliche Abstandssummen für den Fall zu vereinbaren, daß ein Rücktritt erfolgt.
Der Grundstücksmangel - der uns auch in anderer Hinsicht zu gesetzgeberischen Initiativen veranlaßt - hat manchen Interessenten dazu gebracht, ohne allzu lange Bedenkzeit Bindungen einzugehen, deren Tragweite er nicht übersehen konnte und die ihm oft erhebliche Nachteile einbrachten.
Dies wird in Zukunft anders. Die vorgesehene Gesetzesänderung unterstellt auch Erwerbsverpflichtungen bei Grundstücksgeschäften in vollem Umfang dem Formzwang. Ohne Beurkundung durch einen Notar ist eine solche Erklärung in Zukunft einschließlich einer etwaigen Vereinbarung einer Abstandssumme nichtig. Diese Regelung dient dem Schutz des Grundstückskäufers. Der Notar hat als unparteiischer Betreuer der Beteiligten auch ihn über die Tragweite des Geschäfts zu belehren und dafür zu sorgen, daß der Käufer nicht infolge Ungewandtheit oder Unerfahrenheit benachteiligt wird.
Wie die Beispiele der bisherigen Praxis zeigen, wird dieser Schutz vor allem dem Schwächeren zugute kommen. Insofern fügt sich diese gesetzgeberische Initiative ein in den Bereich der rechtspolitischen Vorhaben, die den Schutz des Schwächeren, zumeist des Verbrauchers, bezwecken. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur den vorgesehenen Ausschluß der Gerichtsstandsvereinbarung nennen, das Rücktrittsrecht beim Abzahlungskauf und auch die
Überlegungen zur Verbesserung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Der soziale Rechtsstaat erweist seine Vorzüge nicht darin, daß er dem Stärkeren eine besondere freie Entfaltungsmöglichkeit bietet, sondern ist daran zu messen, welchen Schutz vor Benachteiligung und Übervorteilung er dem Schwächeren zuteil werden läßt. Zur Verbesserung dieses Schutzes ist der vorliegende Gesetzentwurf ein wirksamer Schritt, und weitere werden ihm folgen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauser ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser Gesetzesvorlage, die heute im Hohen Hause verabschiedet werden soll, wird eine Frage gelöst, die bereits seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs immer wieder erörtert wurde, nur war sie in all den Jahren nicht so brennend, daß man deswegen „die Klinke der Gesetzgebung in die Hand" nahm, um hier die etwas bildhafte Sprache des Juristentages des Jahres 1906 zu ,gebrauchen, auf dem damals das Für und Wider in recht eingehender Weise zur Debatte stand. Heute aber ist die Lösung dieses Problems überfällig, wie jüngst in einer Stellungnahme hierzu gesagt wurde.
Oftmals wurde diese Frage in den letzten Jahren auch in der Fragestunde des Deutschen Bundestages angesprochen, ein Zeichen dafür, daß eine Bereinigung dieser offenen Frage immer drängender wurde. Und so sind wir dankbar für die Initiative, die die Bayerische Staatsregierung ergriffen hat, um die Rechtsstellung dessen, der ein Grundstück, eine Eigentumswohnung, ein Eigenheim oder ein Erbbaurecht erwerben will, zu verbessern.
„Hauskauf mit Fußangeln", so beschrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Situation, der sich in den letzten Jahren immer häufiger Käufer von Eigenheimen gegenübersahen: Nachdem das junge Ehepaar die Baupläne gesehen hatte, so schilderte die FAZ, wurde ihm von dem Bauträger ein Formular zur Unterschrift vorgelegt. Das Ehepaar sah seinen Traum von den eigenen vier Wänden auf dem Reißbrett verwirklicht, es unterschieb die Erklärung, nachdem der Gesprächspartner seinerseits gesagt hatte, nur dann könne er das Objekt reservieren. Die Erklärung nahm sich harmlos aus. Die Eheleute verpflichteten sich darin zwar zum Kauf eines bestimmten Hauses, aber gerade das hatten sie ja gewollt. Ungeduldig wurden sie erst, als es allzu lange dauerte, bis mit den Bauarbeiten begonnen wurde. Als dann schließlich der richtige Kaufvertrag vor dem Notar unterzeichnet werden sollte und darin der ursprünglich genannte Kaufpreis beträchtlich gestiegen war, sah sich das Ehepaar überfordert; eis wollte von dem Kauf loskommen. Nun aber stellte sich heraus, daß die Eheleute mit ihrer ursprünglichen Verpflichtungserklärung auch einen Satz unterschrieben hatten, der sie zu einer hohen Vertragsstrafe verpflichtete, wenn sie vom
Dr. Hauser ({0})
Vertrag zurücktreten wollten. Die Erklärung, die ihnen das Kaufobjekt sichern sollte - so schloß die FAZ -, hielt sie mit einem Mal gefangen.
Dieses Beispiel ist kein Einzelfall. In Kaufanwärterverträgen, Ankaufsverpflichtungen - oder wie die Papiere sonst genannt werden - wurden die Interessenten immer, meist unbefristet lange, an ihre Erwerbsverpflichtung gebunden, obwohl weder die Bedingungen des späteren Kaufvertrages noch der Zeitpunkt der notariellen Beurkundung feststanden. Den Kaufinteressenten wurden Abzahlungen abverlangt, oder wenn sie von der Erwerbsverpflichtung loskommen wollten, sahen sie sich Vertragsstrafen, Bearbeitungsgebühren, oder wie das sonst auch hieß, ausgesetzt. So blieb ihnen meist nichts anderes übrig, als zähneknirschend den höheren Kaufpreis zu schlucken. Solche einseitigen Erwerbsverpflichtungen führten in der Praxis dazu, daß gerade ungewandte und in rechtlichen Fragen unerfahrene Beteiligte immer häufiger in wirtschaftliche Bedrängnis kamen.
Hier soll nun eine Änderung des § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuches Abhilfe schaffen. Hat man doch in dieser gesetzlichen Bestimmung, wie sie derzeit noch lautet, lediglich dem Veräußerer eines Grundstücks besonderen Schutz gewährt, indem man von ihm verlangte, zur Verbriefung des Verkaufs von Grund und Boden einen Vertrag vor dem Notar abzuschließen, der ihn dann über die Tragweite seines Geschäfts zu belehren und gleichzeitig darauf zu achten hat, daß er nicht benachteiligt wird. Die gleiche zwingende Vorschrift fehlt aber für den Erwerber, so daß eben durch eine vorausgehende privatschriftliche Ankaufsverpflichtung wohl dieser, nicht aber der künftige Verkäufer gebunden ist. Den Verkäufer wollte man mit dieser strengen Vorschrift vor übereilten Entschlüssen bewahren, man wollte ihn vor der Verschleuderung an „Güterschlächter" schützen, wie einmal Hedemann, der bekannte Rechtslehrer, gesagt hat.
Wenn auch zu Zeiten, als das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft trat, der Verkäuferschutz das sozial bedeutsame Anliegen gewesen sein mag und Vorverträge mit einer bloßen Erwerbsverpflichtung die seltene Ausnahme waren, so hat sich dieses Bild in den letzten Jahren entscheidend gewandelt. Nachdem der Erwerb von Grundstücken bald schon in unseren Tagen zu einem Massengeschäft geworden ist - die seitenlangen Immobilieninserate in Zeitungen und Zeitschriften mit den verlockendsten Angeboten sind Beweis genug dafür -, wurde von allerlei Wohnungsunternehmen die Mangellage auf dem Grundstücksmarkt dazu ausgenutzt, Grundstückserwerbsinteressenten durch privatschriftliche Erklärung einseitig und langfristig zu binden, weil eben das Gesetz hier eine Lücke hat und die Rechtsprechung in jahrzehntelanger Spruchpraxis mit Rücksicht auf den enggefaßten Wortlaut des Gesetzes diese Lücke nicht schloß.
Die beträchtliche Zahl von Fällen, in denen sich in den letzten Jahren die Gerichte mit Kaufanwärterverträgen zu befassen hatten, zeigt deutlich, daß es recht erhebliche Reibungen zwischen Veräußerern und Erwerbern gibt. Diese Schwierigkeiten werden auch in einer Vielzahl von Äußerungen im juristischen Schrifttum, vor allem seit 1969, deutlich. Seit der Entscheidung des Oberlandesgerichts in Stuttgart im Jahre 1969 wurde nämlich immer wieder die Frage diskutiert, ob Grundstückskaufanwärterverträge nicht doch schon nach gegenwärtig geltendem Recht einer Beurkundung bedürfen. Dieses Gericht kam nämlich zu der Überzeugung, daß man ein Grundstücksgeschäft nicht in eine formbedürftige Veränderungsverpflichtung und in eine formfreie Verpflichtung zum Erwerb aufspalten könne, sondern das gesamte Vertragswerk einer einheitlichen Betrachtung unterziehen müsse. Aus diesem Grunde bedürfe auch bereits die Erwerbsverpflichtung der notariellen Form. Das Oberlandesgericht Hamm ging sogar noch einen Schritt weiter. Es stellte den Käuferschutz ganz in den Vordergrund und sagte, deshalb dürfe es keine formfreie Erwerbsverpflichtung geben.
Der Bundesgerichtshof hat diesen Schritt nicht mitvollzogen, sondern sich auf einen anderen Standpunkt gestellt. Er verwies ausdrücklich auf den Wortlaut des § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach der Verkäuferschutz vorrangig sei und ein Käufer nur zusammen mit dem Verkäufer, nie aber allein, geschützt sei. So suchte der BGH nach einer Möglichkeit, dem Käufer zu helfen. Er prüfte deshalb, ob nicht der Vertrag tatsächlich noch eine Verpflichtung des Verkäufers zur Übertragung des Eigentums enthält. Davon ausgehend gelangt dann das Oberlandesgericht Stuttgart in einer neuesten Entscheidung vom Dezember des vergangenen Jahres zu dem Schluß, daß die Erwerbsverpflichtung beim Grundstückskauf „niemals im luftleeren Raum" stehe. Vielmehr müsse die Verpflichtung des Erwerbers notwendig auch an die entsprechenden Forderungen der Veräußererseite anknüpfen.
Schon dieser knappe Überblick zeigt jedoch, wie unsicher sich die Rechtsprechung diesem Problem gegenüber verhält. Darum ist ein klärendes Wort des Gesetzgebers am Platze, um so auch die Erwerbsverpflichtung über ein Grundstück der notariellen Beurkundung zu unterwerfen; ist doch der Erwerber eines Grundstücks nicht minder schutzbedürftig als der Verkäufer. Für die meisten Käufer hat der Erwerb von Grund und Boden langfristige Verpflichtungen im Gefolge, deren Tragweite nur schwer zu übersehen ist.
Wenn nun das Beurkundungserfordernis auch für reine Erwerbsverpflichtungen eingeführt wird, so soll gewährleistet werden, daß der Kaufwillige schon vor Eingehung einer Verpflichtung klar und umfassend über die damit verbundenen Risiken und finanziellen Lasten durch eine neutrale Instanz, durch den Notar nämlich, belehrt wird. Sicherlich kann der Gesetzgeber nicht völlig verhindern, daß wenig seriöse Praktiken, wie sie leider heute da und dort festzustellen sind, künftig unterbleiben. Aber die Einschaltung eines Notars bietet doch eine gewisse Gewähr dafür, daß der Käufer von unzumutbaren Bedingungen verschont wird.
Aber die neue Formstrenge wird auch die Grundstücksveräußerer bei Abfassung der zu beurkunden1098
Dr. Hauser ({1})
den Erwerbsverpflichtung dazu bringen, von einseitigen Klauseln, die nur für den Erwerbsinteressenten nachteilig sind, Abstand zu nehmen, laufen sie doch sonst Gefahr, daß der Notar entsprechend seinen Pflichten aus dem Beurkundungsgesetz - § 4 - seine Amtstätigkeit versagt, wie Dr. Löwe in der „Zeitschrift für Rechtspolitik" zu Recht erwartet. Ja, es ist auch damit zu rechnen, daß die reinen Kaufanwärterverträge nunmehr in der Praxis erheblich zurückgehen. Denn um Kosten zu sparen, werden sich die Beteiligten jetzt eher dazu entschließen, sofort ein bindendes Kaufangebot des Erwerbsinteressenten beurkunden zu lassen, das dann später vom Veräußerer angenommen werden kann. Bei einem derartigen Verfahren treten nämlich Kostenmehrbelastungen nicht ein.
Mit der vorliegenden Gesetzesänderung können wir einen weiteren Schritt nach vorne in dem Bemühen tun, den wirtschaftlich Schwächeren und Unerfahrenen besser abzusichern, worauf Herr Kollege Schmude soeben schon aufmerksam gemacht hat. Für den, der sich auf das etwas glatte Parkett des Immobilienmarktes begeben will, ist nun ein Fallstrick beseitigt, in dem sich bisher viele, vornehmlich kleine Leute leider verfangen haben. Wir dürfen, so glaube ich, auch Vertrauen haben, daß unsere Rechtsprechung allen Versuchen begegnen wird, einen strenger gefaßten § 313 durch Erfindung neuer Konstruktionen zu umgehen, waren doch unsere Gerichte bisher schon energisch Versuchen entgegengetreten, diesen § 313 in seiner derzeit gültigen Form zu umgehen.
Die vorliegende Gesetzesänderung darf aber nicht der Endpunkt sein im Bemühen, die Stellung des wirtschaftlich Schwächeren und rechtlich Unerfahrenen zu verbessern. Vielmehr sollten wir auch andere Gesetze unter diesem Blickwinkel abklopfen. Darauf hat Herr Kollege Schmude schon aufmerksam gemacht, wofür ich ihm gerne danke. Ich darf hier nur an den in der letzten Legislaturperiode bereits eingebrachten und wiederum neu vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung erinnern, mit dem vorprozessuale Gerichtsstandsvereinbarungen unter Nichtkaufleuten grundsätzlich ausgeschlossen werden sollen.
Mit dieser Vorlage, die nun hier zur Verabschiedung ansteht, wird wirklich, meine Damen und Herren, Rechtspolitik nach Augenmaß betrieben - um den Titel der jüngsten Veröffentlichung des Herrn Bundesjustizministers zu übernehmen - und nicht nur der Reformeifer von Ideologen praktiziert. Aus diesem Grunde empfehle ich auch im Namen meiner Fraktionsfreunde die unveränderte Annahme dieses Gesetzentwurfs, der mit dem ersten Juli dieses Jahres in Kraft treten soll.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich nach der vorausgegangenen Erklärung kurz fassen. Die Fraktion der FDP begrüßt die Neufassung des § 313 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Es ist sicherlich müßig, sich darüber zu unterhalten, was bisher die herrschende Meinung in Lehre und Rechtsprechung war, was sie künftig sein werde und ob es ohne Änderung des Gesetzes möglich sein werde, auch auf den, der sich zum Erwerb von Grundstücken, Wohnungseigentum oder Erbbaurechten verpflichtet, den Zwang zur notariellen Beurkundung Anwendung finden zu lassen. Es ist müßig, seit der BGH in seiner Entscheidung aus dem Dezember 1971 die entsprechende Anwendung abgelehnt hat.
Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß das Bürgerliche Gesetzbuch, weitgehend noch vom Prinzip eigenverantwortlicher Vertragsgestaltung und weitgehend auch von der Formfreiheit geprägt, es, als notwendig angesehen hat, die notarielle Beurkundung für den Veräußerer als eine Art Warnzeichen zwingend vorzuschreiben, erscheint es ganz sicherlich besonders notwendig, diesen Schutz auch auf den potentiellen Erwerber zu erstrecken. Er ist in der Regel bei dem Geschäft der wirtschaftlich Schwächere. Er ist auch gerade in Grundstücksdingen regelmäßig der weniger versierte und der weniger geschäftsgewandte Teil. Gerade bei Eigenheimen und bei Eigentumswohnungen bringt die vertragliche Festlegung für den Erwerber häufig ein finanzielles Totalengagement, das ihn zu sehr langfristigen Dispositionen zwingt.
Bei der Grundstückssituation gerade in Ballungsgebieten besteht zudem auf seiten der Erwerber die Tendenz, bei einem günstigen oder auch nur vermeintlich günstigen Objekt schnell zuzugreifen. Das führt in vielen Fällen dazu, daß der potentielle Käufer privatschriftlich festgenagelt wird und dann entweder gezwungen ist, später ein Objekt zu erwerben, obwohl ihm die Freude, es tatsächlich im Besitz zu haben, inzwischen durch bessere Einsicht bereits vergangen ist, oder aber bei Nichterfüllung der übernommenen Verpflichtungen Vertragsstrafen oder pauschalierte Schadenersatzbeträge an den Veräußerer zu bezahlen hat.
Es ist deswegen rechts- wie gesellschaftspolitisch dringend erforderlich, die hier beantragte Änderung des § 313 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorzunehmen. Es wäre sicherlich kurios, wenn wir uns in einer Zeit, da wir bestrebt sind, den Bürger als Verbraucher, also bei Tätigung der Geschäfte des täglichen Lebens, in besonderer Weise zu schützen, den Hinweis des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht zu eigen machten, das ja bereits damals durch den Beurkundungs-Zwang für den Veräußerer klarmachen wollte, daß Grund und Boden eben ein ganz besonderer Stoff sei und daß sein Verkauf und, wie wir meinen, in besonderer Weise sein Erwerb, wenn er unter ungünstigen Vertragsbedingungen, am falschen Ort und zum falschen Preis geschieht, besonders negative Auswirkungen haben kann. Wir begrüßen deswegen die Vorlage.
Abschließend weise ich darauf hin, daß die Anregung der Bundesnotarkammer, man möge einen besonderen Schutz dadurch sanktionieren, daß man die Beurkundung durch einen deutschen Notar vorEngelhard
schreibe, nicht aufgegriffen wurde. Es gibt sicherlich mannigfaltige Möglichkeiten, den Beurkundungszwang des BGB etwas zu unterlaufen. Man ist aber im Rechtsausschuß davon ausgegangen, daß es erstens sicherlich nicht der typische Fall ist, den Beurkundungsvorgang für ein inländisches Grundstück im Ausland vornehmen zu lassen, und daß es sich zweitens dabei um einen Personenkreis handeln wird, der regelmäßig nicht in der Weise geschäftsungewandt und damit schutzwürdig ist, daß man hier eine so weitgehende Änderung im Sinne des Beurkundungszwanges ausschließlich durch einen deutschen Notar in § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs hätte aufnehmen müssen.
({0})
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege
- Drucksache 7/324 Zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Schneider ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der CDU/CSU gebe ich zum Entwurf eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege - Drucksache 7/324 - folgende Erklärung ab.
Die Fraktion der CDU/CSU hat ihren Entwurf eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege, den sie schon im 6. Bundestag eingebracht hatte, erneut vorgelegt. Sie ließ sich dabei von der Überzeugung leiten, daß jetzt schnell und entschieden gehandelt werden muß. Tagtäglich werden neue raumwirksame Entscheidungen getroffen, die auch für den Naturschutz und für die Landschaftspflege von weitgehender Bedeutung sind. Es ist eine unbestreitbare und immer weniger bestrittene Tatsache: Naturschutz und Landschaftspflege sind Umweltschutzmaßnahmen eigener Art, denen wegen ihres augenfälligen Zusammenhangs mit dem Baugeschehen eine integrale Bedeutung für unser gesamtes Leben zukommt. Sie berühren das Lebensrecht und den Lebensraum jedes einzelnen Bürgers unmittelbar.
Wenn die Vitalsituation unserer bebauten und unbebauten Umwelt erhalten bleiben soll, muß den fortschreitenden Belastungen des Naturhaushalts sachgerecht und angemessen entgegengewirkt werden. Dabei muß zwischen den ökonomischen und ökologischen Interessen der Gesellschaft ein Ausgleich gefunden werden, der den biologischen Gütern unserer Umwelt, unserer Lebensgrundlage, einen tatsächlichen und rechtlichen Vorrang einräumt und
sie nachhaltig gegen alle Bedrohungen verteidigt. Das Recht auf eine gesunde Umwelt ist ein originäres Daseinsrecht eines jeden Menschen. Dieses Recht ist unverzichtbar und hat den Rang eines Naturrechts in der ursprünglichsten Bedeutung des Wortes.
In der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 wird hervorgehoben, daß „Lärm, Luft- und Wasserverschmutzung und Störungen des Naturhaushalts ... die Vorteile des wirtschaftlichen Wachstums in Frage" stellen. Niemand wird diese Erkenntnis bestreiten. Es kommt nur darauf an, auf diese Entwicklung nicht falsch zu reagieren. Zögerten wir und zögen wir falsche Schlüsse, verwandelten wir unsere Erde in einen Müllplaneten und wären für uns Naturschutz und Landschaftspflege nachrangige öffentliche, staatliche und auch gemeindliche, Aufgaben, dann erfüllte sich an uns im Hinblick auf den technischen Fortschritt das bekannte Wort Goethes: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage", und dann träfe Mephistos Anklage zu: „Weh dir, daß du ein Enkel bist! Vom Rechte, das mit uns geboren ist, von dem ist leider nie die Frage."
Wir brauchen nicht nur umweltfreundliche Produkte und neue Technologien, wir brauchen zunächst und zumeist das notwendige Gleichgewicht des Naturhaushalts. Dies kann nur hergestellt werden, wenn Maßnahmen der Raumordnung, der Landesentwicklung, der gemeindlichen Bauleitplanung sowie der örtlichen und überörtlichen Sonderinfrastrukturen aufeinander abgestimmt und mit dem Ziel, den Naturhaushalt so wenig wie unvermeidbar zu belasten, verwirklicht werden.
Wenn schon über diese Grunderkenntnisse sowohl politisch wie sachlich Übereinstimmung erzielt werden konnte, kann nicht hingenommen werden, daß wegen verfassungsrechtlicher Deuteleien - anders kann ich den Streit um die Rahmenkompetenz oder die konkurrierende Kompetenz des Bundes nicht nennen - eine moderne Gesetzgebung auch nur einen Tag länger hinausgezögert wird. Eine Verfassungsänderung, also die Übertragung der bisher bestehenden Rahmenkompetenz auf die konkurrierende Kompetenz des Bundes für Naturschutz und Landschaftspflege, erweist sich bei sorgfältiger Überprüfung und Unvoreingenommenheit als überflüssig und, wie zu beweisen wäre, sogar als schädlich. Gerade auf diesem Gebiet würde eine Verfassungsänderung vor allem wegen des engen Zusammenhangs mit der Landesentwicklung, aber auch mit anderen ursprünglichen Landesaufgaben die Verfassungsstruktur in einem Maße verändern, bei dem die Bestandsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG verletzt würde. Es wäre auch eine grobe Verketzerung, wollte man den Gegnern einer konkurrierenden Kompetenz für den Bund unterstellen, für sie sei das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege gegenüber dem sonstigen den Umweltschutz betreffenden Bundesrecht zweitrangig. Entsprechend dem föderalistischen Staatsaufbau bindet nämlich das Landesrecht mit der gleichen Wirkung wie Bundesrecht.
Es trifft auch nicht zu, daß dann, wenn der technische Umweltschutz bundesrechtlich geregelt ist, wegen des Sachzusammenhangs unbedingt auch die
Umweltgestaltung bundeseinheitlich geregelt werden müßte; denn bei letzterer kommt es viel stärker auf die besonderen landschaftlichen Eigenheiten an, die von Bundesland zu Bundesland erhebliche Unterschiede aufweisen. Die Auffassung etwa, daß der biologisch orientierte Umweltschutz und der technische Umweltschutz unbedingt eine einheitliche Organisation erfordern, scheint auch die Bundesregierung zu vertreten; sonst hätte sie nicht in ihrer eigenen Organisation beide Sachbereiche in drei verschiedenen Häusern ressortiert.
Die Bundesregierung will das Bund-Länder-Verhältnis im Rahmen unseres Grundgesetzes und an der Praxis orientiert weiterentwickeln. Diese Bestrebungen sollten gerade am Beispiel von Naturschutz und Landschaftspflege nicht zu einer weiteren Kompetenzverlagerung von den Ländern auf den Bund führen. Im Gegenteil! Hier läßt sich einmal exemplarisch nachweisen, daß eine verfassungsrechtliche Zentralisierung in der Sache, um die allein es gehen kann, noch lange keinen Fortschritt und vielfach sogar einen Rückschritt bedeuten kann. Im einzelnen ist auf folgendes hinzuweisen.
Der Bundesrat hat parallel zu den Beratungen im 6. Deutschen Bundestag zu Recht eine Vollkompetenz des Bundes abgelehnt, weil sich eine schematisierende, einheitliche Regelung durch den Bund im Vollzug als sachfremd erweisen müßte. Wer eine einheitliche Regelung fordert, die in gleicher Weise für die Nordseeküste wie für die Lüneburger Heide und die Bayerischen Alpen gelten soll, der setzt sich in Widerspruch zu den natürlichen Gegebenheiten und hemmt damit zwangsläufig alle Bemühungen, die Aufgaben der Landschaftspflege und des Naturschutzes entsprechend den regionalen und lokalen Verhältnissen zu lösen. Auch der Hinweis, daß einige Bundesgesetze im Interesse eines wirksameren Naturschutzes geändert werden müssen, ist kein Argument für eine Bundesvollkompetenz. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann der Bund bei der Regelung eines Sachbereichs, für den er die Vollkompetenz besitzt, auch Gesichtspunkte des Naturschutzes mit berücksichtigen, wenn dies im Interesse des Sachzusammenhangs erforderlich ist. Daher können die vom Bund erwünschten Änderungen durch eine Verbesserung der bestehenden Vorschriften geschehen, ohne daß deshalb eine Kompetenzverlagerung veranlaßt wäre.
Da heute im Naturschutz planerische und gestaltende Maßnahmen notwendig sind, diese Planung jedoch den Ländern gemäß den Richtlinien des Raumordnungsgesetzes, das ebenfalls ein Rahmengesetz ist, obliegt, sollte es auch beim Naturschutz bei der bisherigen Kompetenzverteilung bleiben, da der Bund sonst in Bälde auch die Vollkompetenz für die Planung beanspruchen würde und damit den Ländern kein eigener Gestaltungsraum mehr übrigbliebe.
Die immer wieder angesprochene Befürchtung mangelnder Zusammenarbeit erscheint hier wie auch bei anderen Gebieten nicht gerechtfertigt, zumal auf Anregung des Freistaates Bayern nunmehr auch eine Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz gegründet wurde, die sich bereits mit der Ausarbeitung eines einheitlichen Länderentwurfs befaßt. Nimmt man den Ländern die Möglichkeit, in der Rechtsetzung Eigenes zu gestalten, und macht sie zu reinen Vollzugsorganen des Bundes, so geht damit auch der Ansporn für solche wertvollen Initiativen verloren. Gerade der Umweltschutz sucht jedoch dringend neue Wege. Ein Naturschutzrahmengesetz ist durchaus in der Lage, die erwünschte Einheitlichkeit im Bundesgebiet zu gewährleisten. Ich darf dafür elf Begründungen geben.
1. Es kann einmal in verbindlicher Weise die Behörden des Bundes sowie die unter Aufsicht des Bundes stehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen zur Beachtung der Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege verpflichten.
2. Ein solches Gesetz kann parallel zum Raumordnungsgesetz Grundsätze für die Landschaftsplanung festlegen und solche insbesondere auch bei bundesrechtlich geregelten Fachplanungen, z. B. nach dem Bundesbaugesetz, dem Flurbereinigungsgesetz usw., vorsehen.
3. Es kann die Sicherung bestimmter Teile und Bestandteile der Natur dadurch einheitlich gewährleisten, daß die in Frage kommenden Schutzbegriffe genau definiert werden und damit für eine gleiche Handhabung gesorgt wird.
4. Es kann den Artenschutz dadurch verbessern, daß ein sogenannter Minimumstandard auf Bundesebene bestimmt und unter Schutz gestellt wird, ohne dabei besondere landesrechtliche Schutzmaßnahmen auszuschließen.
5. Es kann insbesondere landschaftspflegerische Maßnahmen auch dort vorsehen, wo solche Anordnungen im bundesrechtlich geregelten Verfahren ergehen sollen.
6. Es kann Grundsätze für das freie Zugangsrecht zur Natur aussprechen und dabei besonders die Sozialbindung des Eigentums betonen, auch wenn die einzelne Ausgestaltung des Zugangs dann den Ländern überlassen bleiben muß.
7. Es kann auf organisatorischem Gebiet die Beteiligung der Naturschutzbehörden durch Bundesbehörden verankern und die Gründung erwünschter Einrichtungen auf Bundesebene wie Forschungsanstalten, Beiräte gesetzlich fixieren.
8. Es kann aber auch den Bund zu Finanzhilfen oder sonstigen, vor allem steuerlichen Erleichterungen verpflichten.
9. Es kann schließlich für bestimmte schwerwiegende Verstöße gegen das Gesetz deren Ahndung als Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ausgestalten.
10. Es kann darüber hinaus in einer Zusammenfassung die Änderungen von bundesrechtlichen Vorschriften vornehmen, die im Interesse des Naturschutzes und der Landschaftspflege geboten sind und zu deren Änderungen der Bundesgesetzgeber kraft seiner jeweiligen Kompetenz ohnehin befugt wäre.
11. Unberührt bleibt in jedem Fall die Zuständigkeit des Bundes, auf internationaler Ebene auf dem
Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege tätig zu werden.
Ich fasse zusammen: Der in Drucksache 7/324 vorgelegte Gesetzentwurf der Opposition gewährleistet die angestrebten Ziele. Die Länder haben entweder schon Naturschutz- und Landschaftspflegegesetze erlassen oder sind eben dabei, das zu tun. Im übrigen sollte nicht vergessen werden, daß die Länder auch schon bisher, also nach dem Reichsnaturschutzgesetz vom 26. Juni 1935, das nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 1958 als Landesrecht fortgilt, Beachtliches und vielfach Vorbildliches auf diesem Felde geleistet haben.
Ich darf Herrn Bundesminister Ertl in landsmannschaftlicher Verbundenheit darauf hinweisen, daß im Freistaat Bayern beispielsweise nahezu 20 % des Staatsgebietes mehr oder weniger streng der Obhut des Naturschutzes unterstellt sind. Bayern hat derzeit 162 Naturschutzgebiete, 694 Landschaftsschutzgebiete, 11 Naturparke und einen Nationalpark. In Kürze sollen 127 Quadratkilometer Stadtwald als Naturwaldreservate ausgeschieden werden.
Heute geht es darum, modern gefaßte Vorschriften über die Erhaltung, Herstellung oder Entwicklung der dauerhaften Nutzungsfähigkeit der Naturgüter und über das Wirkungsgefüge eines leistungsfähigen Naturhaushalts gesetzlich neu zu schaffen. Der vorliegende Gesetzentwurf schafft Regelungen, die es ermöglichen, gefährliche Belastungen des Naturhaushalts aufzufangen. Er sieht Beschränkungen in den Fällen vor, in denen die Grenze der Belastbarkeit überschritten zu werden droht.
Mit dem Gesetz werden ausreichende Möglichkeiten zur Erholung in der freien Natur geschaffen. Die Vielfalt, Eigenheit und Schönheit der Natur und des Landschaftsbildes werden gewahrt. Es handelt sich um ein in jeder Hinsicht modernes und fortschrittliches Gesetz, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß den Grundeigentümern neue Bindungen im Sinne der Sozialpflichtigkeit auferlegt werden.
Landschaftspflege heißt auch Landschaftsplanung und steht in enger Verbindung zur Raumordnung, Landesplanung und gemeindlichen Bauleitplanung. Schon aus diesem unbestreitbaren Zusammenhang bedarf der vorgelegte Gesetzentwurf wie auch der dem Bundesrat zugeleitete Regierungsentwurf der Mitberatung durch den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Ich gehe davon aus, daß einer entsprechenden Ausschußüberweisung nichts mehr im Wege steht, zumal sich dieser Ausschuß gestern einstimmig für eine Mitberatung ausgesprochen hat.
Ich beantrage daher, den Entwurf eines Gesetzes über Naturschutz- und Landschaftspflege - Drucksache 7/324 - auch dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Mitberatung zu überweisen.
({0})
Der Antrag ist begründet.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege ist in der Sache zu begrüßen. Allerdings steht in der Einleitung der Satz, daß dieses Gesetz auf dem derzeitigen rechtlichen Verhältnis von Bund und Ländern basiere. Und Sie wissen alle, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung gleichzeitig ein Gesetz für Landschaftsschutz und Landschaftspflege sowie das Bundeswaldgesetz vorgelegt hat und daß sie damit die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes anstrebt. Ich glaube, auch die Worte des Herrn Kollegen Schneider dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß all die, die direkt mit diesen Fragen zu tun haben, insbesondere die Sachverständigen, aber auch alle Naturschutzverbände, heute den Standpunkt der Bundesregierung vertreten, daß in diesem Bereich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes einzuführen sei.
Ich glaube, hier könnte die Opposition einmal den Beweis dafür erbringen, daß sie dem Fortschritt gegenüber ein Ja sagt. Denn wohin kämen wir eigentlich, Herr Kollege Schneider, wenn wir den Unzulänglichkeiten im Bildungsbereich durch das vor einigen Jahren neugeschaffene Gesetz für die Gemeinschaftsaufgaben, die meines Erachtens zusätzlich Schwierigkeiten gebracht haben, jetzt noch in dem großen Bereich des Umweltschutzes die Unzulänglichkeit hinzugesellten, in zwölf verschiedene Länder auseinanderzufallen, wobei ich keineswegs das, was die Länder auf diesem Sektor bisher geleistet haben, in Frage stellen möchte. Aber andererseits verlieren ja die Länder durch die Bundeskompetenz nun keineswegs ihre Aufgaben im Bereich des Naturschutzes. Sie haben jedenfalls bei all den großen Maßnahmen, die hier anstehen, die Ausführung zu übernehmen.
Allerdings warne ich davor, hier den Weg zu gehen, den die CDU/CSU aufgezeigt hat, denn was soll es, wenn hier nun auf diesem Sektor, wo wir, was allein den Landschaftsschutz anbetrifft, Naturschutzgebiete und ähnliches anstreben, die Länder wiederum untereinander, miteinander verhandeln müßten? Angesichts der großen Mobilität der Menschen, die wir im Bundesgebiet haben, angesichts der Raumordnung und all dieser Dinge kann man doch eben, Herr Schneider, nicht davon sprechen, daß sich eine konkurrierende Gesetzgebung als schädlich erweisen müßte.
Sie wissen doch selbst, daß eine Lösung des Konflikts zwischen Beanspruchung und Erhaltung des Naturpotentials nur nach bundeseinheitlichen Kriterien erreicht werden kann. Bei unterschiedlichen Landesbestimmungen besteht die Gefahr, daß nicht standortgebundene Unternehmen ihren Standort in das Land verlagern, in dem der Gesetzgeber die geringsten Anforderungen an Naturschutz und Landschaftspflege stellt, und daß standortgebundene Unternehmen Wettbewerbsnachteile erleiden würden.
Schließlich - und ich glaube, das ist besonders zu beachten - ist eine bundesgesetzliche Regelung im Hinblick auf die notwendige Koordinierung des europäischen Naturschutzrechts und die Vertretung
der deutschen Naturschutzinteressen gegenüber den anderen Staaten erforderlich.
Und nun schauen wir doch einmal in die übrigen Bereiche hinein. Die gegenwärtige Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 75 Nr. 3 des Grundgesetzes läßt wirksame und von der Sache her gebotene einheitliche bundesrechtliche Regelungen für Naturschutz- und Landschaftspflege nicht zu. Das gilt gleichermaßen für unmittelbar dem Umweltschutz zuzurechnende Gebiete - z. B. Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung, Abfallbeseitigung - wie für Gebiete, die mit dem Umweltschutz eng verbunden sind; denken wir z. B. an Verteidigung, Schutz der Zivilbevölkerung, Bundesbahn, Luftverkehr, Bau und Unterhaltung von Landesstraßen für den Fernverkehr, Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Kernenergie; ich gehe weiter zur Hochsee- und Küstenfischerei, zum Küstenschutz, zum Grundstücksverkehr, zum Bodenrecht, Wohnungswesen, Siedlungs-
und Heimstättenrecht. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, das alles im Zusammenhang sehen, dann kann die Logik in dieser Gesetzgebung nur die sein, dem Bund das zu geben, was des Bundes ist. Dies möchte ich in diesem Zusammenhang meinen; denn Naturschutz und Landschaftspflege, die nach der heutigen Auffassung die Ordnung der natürlichen Umwelt zum Gegenstand haben, sind von den übrigen den Umweltschutz unmittelbar und mittelbar berührenden Sachgebieten nicht zu trennen. Die erforderliche umfassende Regelung des Umweltschutzes wäre somit erschwert, wenn der Bund für Naturschutz und Landschaftspflege lediglich Rahmenvorschriften, für die übrigen, den Umweltschutz unmittelbar oder mittelbar berührende Bereiche dagegen Vollregelungen erlassen könnte.
Weil wir als Freie Demokraten das alles so ernst nehmen, lehnen wir den Gesetzentwurf der CDU/ CSU ab und stehen zu dem, was die Bundesregierung vorgelegt hat.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Lemp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Schneider, der hier vorher für die CDU/CSU eine Erklärung abgegeben hat, hat, glaube ich, mehr als das getan, indem er mehr sagte, als in dem ganzen Gesetz drinsteht. Ich möchte mich hier für die Fraktion der SPD mit einer Kurzerklärung bescheiden.
Ich möchte eines vorwegnehmen. Die Bundesregierung hat bereits in der 6. Legislaturperiode ein Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege eingebracht. Dieses Gesetz konnte wegen der vorzeitigen Auflösung des Parlaments nicht beraten werden. Die Regierung hat es nun erneut eingebracht und im Bundesrat vorgelegt. Die CDU/CSU hat nunmehr einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem sie ihre hinsichtlich der verfassungsmäßigen Zuständigkeit von der Regierungsvorlage grundsätzlich abweichende Auffassung darlegt.
Ich habe namens und im Auftrag der SPD-Fraktion zum Gesetzentwurf Drucksache 7/324 folgende Erklärung abzugeben. Das Reichsnaturschutzgesetz von 1935 ist seit langem nicht mehr in der Art anzuwenden, wie es die heutige Zeit erfordert. Es ist überholungs- und erneuerungsbedürftig. Das ist unbestritten. Unbestritten ist auch, daß man von einer defensiven Haltung des Staates - ich denke dabei an den Pflanzenschutz, den Tierschutz usw. - zu einer Planung übergehen muß. Es ist weiterhin unstrittig, daß eine Reihe von Fragen im Interesse des Umweltschutzes bundeseinheitlich geregelt werden müssen; so sind z. B. die Landschaft und der Wald für die Bevölkerung offenzuhalten. Dies steht, Herr Schneider, sogar auch in der bayerischen Verfassung.
Schließlich steht fest, daß in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik verschiedene Anforderungen gestellt werden müssen. Es ist z. B. unnötig, für Niedersachsen den Schutz von Enzian, Edelweiß und Gamsböcken zu fordern. Darin sind wir uns einig, Herr Schneider. Der entscheidende Streitpunkt ist nun, ob der Bund die Vollkompetenz haben muß oder ob man mit Ausfüllung der Rahmenkompetenz, wie sie im Grundgesetz im Art. 75 Nr. 3 verankert ist, auskommt. Die Frage der Kompetenz ist, wie es scheint, schon fast zur Weltanschauung geworden. Die SPD - das muß ich hier in aller Offenheit sagen
- ist in dieser Hinsicht nicht gebunden. Voraussetzung ist allerdings, daß bestimmte Prinzipien im Gesetz bundeseinheitlich verankert werden.
({0})
- Sehr schön. Ich will Ihnen jetzt einiges dazu sagen, was wir mit den Prinzipien meinen.
Unter anderem kommt es meiner Fraktion besonders auf drei Schwerpunkte an. Diese sind: erstens die Verpflichtung zur Planung, zweitens das Betretungsrecht
({1})
und der Artenschutz und drittens das Verursachungsprinzip.
({2})
Hierzu ist aber zu sagen: grundsätzlich soll derjenige die Kosten tragen, der Natur und Landschaft belastet. Ob das in Ihrem Entwurf so diffizil steht, Kollege Schneider, wage ich im Moment nicht zu sagen; aber darüber können wir uns bei passender Gelegenheit noch unterhalten.
({3})
Die Probleme, um die es geht, sind allgemein bekannt. Unsere Landschaft schrumpft immer mehr. Für die Forderung, daß dieser Prozeß unter Umständen mit unbequemen Gesetzen durch den Staat gesteuert werden muß, um schwerwiegende Fehlentwicklungen zu vermeiden, braucht in der Öffentlichkeit und hier im politischen Raum nicht mehr geworben zu werden. Im Gegenteil: Ein großer Teil unserer Bevölkerung vertritt mit Recht die Meinung,
daß es für lenkende Vorschriften vielfach schon zu spät ist.
In der Tat kommt man nicht daran vorbei, Kollege Schneider, daß es frühere Bundesregierungen an Initiativen haben fehlen lassen. Hätten damalige Regierungen frühzeitig das Notwendige unternommen, so wären die Bundesländer vermutlich nicht dem Zwang ausgesetzt gewesen, Gesetzeslücken durch eigene Initiativen zu füllen.
Wir begrüßen es grundsätzlich, daß die Opposition durch ihre Vorlage die Bereitschaft bekundet hat, aktiv mitzuarbeiten. Es ist zu hoffen, daß die Beratungen zügig vorankommen und sich nicht in Nebensächlichkeiten zerfasern, was sehr oft der Fall ist. Ich glaube kaum, daß es einer Partei honoriert würde, wenn auch in dieser Legislaturperiode kein Bundesgesetz zustande käme; darüber sollten wir uns alle einig sein.
({4})
Zum Schluß für alle, die es angeht: Natur ist nicht produzierbar, aber von Menschen in kurzer Zeit zerstörbar.
({5})
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Antrag des Kollegen Schneider abzulehnen und es bei dem einstimmigen Beschluß des Ältestenrates zu belassen. Wenn man es für unbedingt erforderlich hält, gibt es ja die Möglichkeit, Kollege Schneider, über die Regelung des Ältestenrates den Raumordnungsausschuß gutachtlich zu hören. Ich beantrage also Ablehnung des Antrages des Kollegen Schneider.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um etwas zu dem Uberweisungsantrag zu sagen. Es ist ein seltsamer Vorgang, mit dem wir uns hier zu befassen haben. In allen Bundesländern ressortieren Raumordnung, Landesplanung, Naturschutz und Landschaftspflege in ein und demselben Hause. In der Bundesregierung ist durch eine Organisationsverteilung, für die ich sicherlich nicht verantwortlich bin, die mir aber auch nicht in vollem Umfang erklärbar ist, eine unterschiedliche Aufteilung vorgenommen worden. Daß aber der Ausschuß, der sich mit Raumordnung zu befassen hat, der darüber zu befinden hat, nach welchen Kriterien das Flächengebiet der Bundesrepublik Deutschland genutzt wird, daß dieser Fachausschuß nicht einmal mitberatender Ausschuß sein soll, wenn das Gesetz über Landschaftspflege und Naturschutz beraten wird, halte ich für einen krassen Irrsinn. Ich kann mich nicht deutlicher ausdrücken.
Ich bin daher der Meinung, es genügt überhaupt nicht, daß der Raumordnungsausschuß nach § 60 der Geschäftsordnung irgendein Sondervotum abgibt. Wenn er dieses Gesetz nicht mitberaten kann, erfährt es parlamentarisch eine äußerst mangelhafte Beratung. Das sollte nicht sein, weil diesem Gesetz
eine so eminente gesellschaftspolitische und allgemeinpolitische Bedeutung zukommt, daß es mir leid ist, über die Verfahrensfragen zur Behandlung dieses Gesetzes in diesem Hause länger zu streiten.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn der Vorsitzende eines Ausschusses die Bedeutung seines Ausschusses herausstellt.
({0})
Aber wir haben es im Ältestenrat in jeder Sitzung mit der Bedeutung von Ausschüssen und dem Petitum von Ausschüssen zu tun, wenn es um Mitberatung und Federführung geht. Wenn wir dem jeweils Rechnung tragen würden, hätten wir schon längst alle Ausschüsse hoffnungslos „zugestopft". Denn wir haben manchmal das Petitum vorgetragen bekommen, daß fünf bis sieben Ausschüsse mitberatend sein sollten.
Die Regierung hat hier - das kann man kritisieren - die Zuständigkeit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten übertragen. Nach einer Regelung, die im Ältestenrat bisher nicht strittig gewesen ist, soll die Federführung dem korrespondierenden Ausschuß zugeordnet werden, und wir haben uns darauf geeinigt, zwei andere Ausschüsse mitberatend einzusetzen - nach § 96 der Geschäftsordnung den Haushaltsausschuß und darüber hinaus den Innenausschuß -; allen anderen Ausschüssen ist die Möglichkeit gegeben, sich gutachtlich zu äußern. Ich bitte Sie, Herr Kollege Schneider, sich darüber im klaren zu sein, was Sie mit Ihrem Antrag präjudizieren: nämlich daß wir in Zukunft nicht mehr in der Lage sein würden, die Inflation der Anträge auf Einsetzung mitberatender Ausschüsse - fünf bis sieben Ausschüsse werden dann keine Seltenheit sein - abzubremsen; dann würde man ständig bestrebt sein, sich gegenseitig Gefallen zu erweisen.
Wir sollten auch den Kolleginnen und Kollegen, die nicht nur qua Ausschuß, sondern auch qua Arbeitskreise in den Fraktionen untereinander Kontakt haben, soviel Kommunikations- und Kooperationsfreundlichkeit zuzutrauen, daß im Rahmen einer gutachtlichen Äußerung oder auf dem „kurzen Dienstwege" innerhalb der Fraktion alles Wichtige und Erwähnenswerte mitgeteilt wird, wenn man schon den entsprechenden Sachverstand auf der einen Seite nicht für gegeben hält.
Ich bitte herzlich darum, bei dem zu bleiben, was im Ältestenrat aus wohlerwogenen Gründen einstimmig beschlossen worden ist.
({1})
Das Wort am Ende der Debatte hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gewünscht; ich erteile es ihm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst feststellen: Wenn es nach dem Willen der Bundesregierung gegangen wäre und wenn dieser Wille im Parlament tatkräftig unterstützt worden wäre, hätten wir auf Grund der Vorlage des Gesetzentwurfs in der letzten Legislaturperiode das Gesetz bereits verabschieden können.
({0})
Aber Mehrheiten waren damals eben wichtiger. - Der Spielraum betrug knapp ein Jahr, Herr Kollege Schneider, und die Sachmaterie war längst ausdiskutiert. Die Möglichkeit, das Gesetz zu verabschieden, war gegeben, aber man hat nicht gewollt.
({1})
Diese Regierung hat als erste Regierung überhaupt den Versuch gemacht, zu einem modernen Gesetz zu kommen. Sie ist aber an den Mehrheitsverhältnissen der letzten Legislaturperiode und an der geringen Kooperationsbereitschaft gescheitert.
({2})
- Doch, das stimmt. Die Bundesregierung ist sich ihrer hohen Verantwortung gegenüber dem Verfassungsauftrag bewußt und möchte die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, insbesondere die Rechts- und Wirtschaftseinheit, im ganzen Bundesgebiet gewährleisten. Sie strebt daher mit ihrem dem Bundesrat vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für den Bereich Naturschutz und Landschaftspflege an, um wirksame und von der Sache her gebotene einheitliche bundesrechtliche Regelungen für diesen Bereich schaffen zu können. Denn die gegenwärtige Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 75 Nr. 3 des Grundgesetzes läßt eine solche Regelung nicht zu. In diesem Punkte, meine sehr verehrten Damen und Herren - wir werden uns darüber in der Sache in den Ausschußberatungen noch lange unterhalten können -, befindet sich die Bundesregierung in Übereinstimmung mit allen Fachexperten, einschließlich der zuständigen öffentlichen Einrichtungen.
Erst jüngst fand eine Tagung aller Naturschutzbeauftragten der Länder statt. Sie haben sich einstimmig zur Bundeskompetenz bekannt. Das erwähne ich nur deshalb, weil dies für mich als den verantwortlichen Minister keine Kompetenz-, sondern eine Sachfrage ist. Ich handelte unverantwortlich, wenn ich nicht mit allem Nachdruck auf dieses sachliche Problem hinweise. Denn es handelt sich hier wirklich um ein zentrales Anliegen der Lebensverhältnisse in der Industriegesellschaft für das letzte Viertel dieses Jahrhunderts.
({3})
- Herr Kollege Schneider, ich kann nur noch einmal
sagen, daß ich in der Sache mit allen zuständigen
Verbänden und Fachleuten übereinstimme; das müßte doch auch der Opposition zu denken geben.
({4})
Ich verhehle nicht, daß ich dem Föderalismus einen hohen Rang und eine hohe Rechtsqualität einräume. Ich bestreite nicht, daß von den Ländern schon Erhebliches geleistet und auch mit einem Rahmengesetz geleistet werden könnte. Nur, die Rechtsgleichheit im Verhältnis zu allen übrigen Umweltfunktionen stellen Sie mit einem Rahmengesetz nicht her. Für einige Bereiche, ,die ich hier nennen will und die Sie in Ihrem Beitrag selbst angeführt haben, z. B. Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung, Abfallbeseitigung, außerdem für die Gebiete, die mit dem Umweltschutz eng verbunden sind, z. B. Luftverkehr, Fernstraßenbau, Energiewirtschaft, land- und forstwirtschaftliche Erzeugung, Wohnungs- und Siedlungswesen, für alle diese Bereiche steht dem Bund die Vollkompetenz zu. Nur in der Landschaftsplanung, wo es gerade darauf ankommt, für die Zukunft eine humane Umwelt zu gestalten, indem die Anforderungen an Nutzungen der Leistungsfähigkeit der Landschaft angepaßt werden, glauben Sie, könne man sich länderweise unterschiedlich verhalten. Sie wollen keine rechtsgleiche Situation für diese wichtige Frage der Landschaftspflege und der Landschaftsplanung beispielsweise im Verhältnis zum Bundesbaurecht und allen anderen bundesrechtlichen Normen herstellen.
({5})
Ich verstehe Sie wirklich nicht. Ich bin kein kompetenzhungriger Mensch. Hier geht es vielmehr darum, für dieses Jahrhundert und für kommende Zeiten eine von der Besiedlung und fortschreitenden Nutzung der Naturgüter her geradezu notwendige weitschauende legislative Lösung zu finden. Hierzu bietet ein Rahmengesetz natürlich nur beschränkte Möglichkeiten. Auch wenn hier mit Recht auf Leistungen der Vergangenheit, bestehende Naturparks und ähnliches mehr hingewiesen wurde, - -({6})
- Doch, das stimmt alles, nur hat davon der Bund sehr viel finanziert.
({7})
- Das kann ich Ihnen in Heller und Pfennig sagen.
({8})
- Ja, beim Zahlen ist der Bund immer dran, nur nicht beim Mitreden, da soll er nicht dabei sein.
({9})
Das aber, verehrter Kollege Schneider - jetzt sprechen wir von Landsmann zu Landsmann -, ist gar nicht bayerische Manier. In Bayern sagt man: Wer zahlt, schafft an.
({10})
Das ist bayerische Manier, nicht aber: Wer zahlt, darf nur noch höflich bitten. Ich gebe aber zu, es gibt auch noch andere, die das so machen.
Der zulässige Inhalt eines Rahmengesetzes ist begrenzt, verehrter Kollege Schneider. Das wissen Sie als Jurist viel besser als ich.
({11})
Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müssen Rahmenvorschriften als Ganzes durch den Landesgesetzgeber ausfüllungsfähig und ausfüllungsbedürftig sein. Selbst bei einer weiten Auslegung dieser Grundsätze hält es die Bundesregierung nicht für möglich, alle von ihr für erforderlich gehaltenen bundesgesetzlichen Regelungen wie z. B. die Ausnahmen zum allgemeinen Betretungsrecht von Wald und Flur zu treffen. Hier bedarf es eines Vollgesetzes.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einen Punkt hinweisen, der vom Kollegen Gallus erwähnt wurde, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Die Regelung internationaler Fragen ist doch ein zentrales Anliegen der gesamten Industriegesellschaft der westlichen und der östlichen Welt,
({12})
d. h. die internationale Zusammenarbeit ist einfach ein Gebot der Stunde. Wir haben z. B. die ersten grenzüberschreitenden Naturparke geschaffen,
({13})
den deutsch-belgischen Naturpark, den deutschluxemburgischen Naturpark.
({14})
Ende dieses Monats findet in Wien eine internationale Konferenz statt. Wir brauchen einfach eine gemeinsame Rechtsbasis, wenn wir Europa fortentwickeln wollen.
({15})
- Herr Kollege Schneider, Sie dürfen Ihre persönliche Interpretation nicht immer zur einzigen sachlichen Norm machen.
({16})
Das ist Ihre persönliche Auffassung, darüber kann man sehr wohl geteilter Meinung sein. Es gibt da nicht nur eine Rechtsauffassung. Es gibt z. B. die Rechtsauffassung von sehr kompetenten Verfassungsrechtlern, z. B. von Professor Stein. Der hat juristisch eine andere Meinung als Sie, auch bezüglich der internationalen Zusammenarbeit. Ich kann auf diesen Punkt nur noch einmal hinweisen. Auch die notwendige Zusammenarbeit in Europa und die Rechtsangleichung in der Welt erzwingen die Vollkompetenz des Bundes.
Mir geht es nicht um Emotionen, mir geht es auch nicht darum, daß der Bund über alles bestimmen müßte. Ich bin im Gegenteil sogar ein sehr großer Befürworter unseres föderativen Staates und einer
dezentralisierten Verwaltung. Aber es wäre unverantwortlich, wenn nicht auf diesen Sachzusammenhang hingewiesen würde. Ich sage Ihnen, selbst wenn es zum Rahmengesetz käme, Sie würden zwangsläufig im Laufe der nächsten zehn Jahre bei der Vollkompetenz landen, weil Sie diesem zentralen Anliegen einer humanen Umwelt im Rahmen der Siedlungsgestaltung mit einem Rahmengesetz nicht Rechnung tragen könnten.
({17})
Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Ausschußüberweisung. Es ist sicherlich unbestritten, daß der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten federführend ist. Es ist auch unbestritten, daß der Innenausschuß mitberatend und der Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO befaßt wird. Insoweit ist also ein einstimmiger Beschluß gegeben.
Dann kommt der Zusatzantrag des Abgeordneten Dr. Schneider, den Gesetzentwurf auch dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Herr Abgeordneter Leicht, hat mir brieflich mitgeteilt, daß der Entwurf eines Geflügelfleischhygienegesetzes, Punkt 9 der heutigen Tagesordnung, erst gestern abend in die Hände des Haushaltsausschusses gelangt ist, so daß er noch nicht die Möglichkeit hatte, die Beschlüsse des federführenden Ausschusses in einer heutigen Sitzung auf ihre Kostenwirksamkeit zu prüfen. Er bittet daher, diesen Punkt von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Unter diesen Umständen werden wir nicht anders können, als davon abzusehen, den Gesetzentwurf heute zu beraten.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hauser ({0}), Vogel ({1}), Dr. Lenz ({2}), Dr. Kliesing, Dr. Waffenschmidt, Dr. Frerichs, Kunz ({3}), Dr. Hammans, Köster und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
- Drucksache 7/226 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Rechtsausschuß ({4})
Auswärtiger Ausschuß
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
- Drucksache 7/365 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({5})
Auswärtiger Ausschuß
Das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs unter a) hat der Abgeordnete Hauser ({6}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf Drucksache 7/226, den zu begründen ich die Ehre habe, soll ein Problem lösen helfen, das sich aus der erfreulichen Vielfalt der diplomatischen Beziehungen, die die Bundesrepublik unterhält, ergibt und gewissermaßen als unerfreuliches Nebenprodukt resultiert. Die Bundesrepublik und vornehmlich die Bundeshauptstadt Bonn erfreuen sich der Anwesenheit einiger Tausend Diplomaten, deren Angehörigen, Botschaftsangestellten und ihres Hauspersonals. Diese Diplomaten sind bei uns gern gesehen. Ihre Turbane und Saris geben bunte Farbtupfer ins Bild der Bundeshauptstadt. Sie verleihen ihr ein wenig weltstädtischen Charakter, und die Diplomaten sind unverzichtbarer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens.
Aber auch Diplomaten sind Menschen, und Menschen unterhalten Rechtsbeziehungen, und Menschen unterläuft in diesen Rechtsbeziehungen mitunter auch ein Fehlverhalten. So kommt es denn, daß wie bei anderen Leuten auch zwischen Diplomaten und der Bevölkerung, insbesondere der Bundeshauptstadt, mitunter Schwierigkeiten und Streitigkeiten entstehen. Noblesse oblige, so heißt es, und für die große Mehrzahl der Diplomaten und ihrer Angehörigen gilt, daß sie sich im Rechtsverkehr absolut korrekt verhalten.
Die internationalen Gepflogenheiten verleihen dem Diplomaten einen besonderen Schutz sowohl strafrechtlicher als auch zivilrechtlicher Art. Im Jahre 1961 ist im Wiener Ubereinkommen der Umfang dieses Schutzes festgelegt und insbesondere der Personenkreis fixiert worden, der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Schutz genießt. Mit typisch deutscher Gründlichkeit sind wir nicht nur dem Wiener Übereinkommen beigetreten, sondern wir haben daneben auch noch das Gerichtsverfassungsgesetz. Darin haben wir den geschützten Personenkreis wesentlich weiter gezogen, als es unseren internationalen Verpflichtungen entsprach. Nach Ratifizierung des Wiener Übereinkommens ist bis heute auch die Regelung im Gerichtsverfassungsgesetz mit dem weiter gezogenen Personenkreis in Kraft geblieben.
Ich sprach davon, daß es Rechtsschwierigkeiten und Fehlverhalten auch bei Diplomaten gibt. Da gibt es Lebensmittelhändler, Schneider, Bäcker, Tankstellen und Autoreparaturwerkstätten, die auf ihr Geld für gelieferte Ware warten, da gibt es Mietstreitigkeiten, da gibt es bei freien Berufen, insbesondere bei Ärzten, Außenstände. Es ist durchaus nicht alles Gold, das in Diplomatenmund glänzt, bezahlt.
Es gibt aber auch Schwierigkeiten im Straßenverkehr, insbesondere im Bereich der Haftpflichtversicherung. Allein im Jahre 1972 hat es in der Bundeshauptstadt Bonn etwa 1000 Fälle gegeben, in denen Haftpflichtversicherungen von Diplomatenfahrzeugen nicht bezahlt waren. Bei der Zulassung der Kraftfahrzeuge der Diplomaten und des vorgenannten Personenkreises müssen zwar auch diese eine Deckungskarte vorlegen, daß das Fahrzeug ausreichend haftpflichtversichert ist. Wird jedoch die
Versicherungsprämie nicht bezahlt, kann die Behörde in diesen Fällen anders als beim normalen Bürger das Fahrzeug nicht einfach zwangsweise aus dem Verkehr ziehen, sondern sie muß über das Auswärtige Amt an die Botschaft mit der Bitte um Erledigung herantreten. Diese Bitte wird häufig genug vergeblich geäußert. Das führt dazu, daß in einer großen Anzahl von Fällen die einmonatige Nachfrist zur Deckung der Haftpflicht schließlich abgelaufen ist und daß sich Fahrzeuge, ohne haftpflichtversichert zu sein, im Verkehr befinden. Die Folge davon waren in zahlreichen Fällen nicht einbringbare Schadensersatzforderungen.
Die Empfehlung des Auswärtigen Amts in der Antwort 'auf eine Anfrage aus dem Jahre 1971, man möge im Rechtsverkehr mit Diplomaten Vorsicht walten lassen und sich eines Dolmetschers bedienen, gibt der Bevölkerung Steine für Brot, und auch die Möglichkeit, im Heimatland eines Diplomaten Klage zu erheben, hilft in der Praxis nicht weiter. Versuchen Sie doch einmal, in Timbuktu zu klagen! Sie werden sehen, was dabei herauskommt.
Es ist kein gewolltes und kein schutzwürdiges Vorrecht von Diplomaten und ihren Angehörigen, Schulden zu machen. Es ist daher auch keine Einschränkung der diplomatischen Bewegungsfreiheit, wenn wir nicht mehr in dieser Hinsicht tun, als zu tun wir international auf Grund des Wiener Übereinkommens verpflichtet sind.
Der Gesetzentwurf soll den geschützten Personenkreis auf das Maß zurückschrauben, das einzuhalten wir uns verpflichtet haben. In dieser Zielsetzung scheint erfreulicherweise Übereinstimmung zwischen den Fraktionen zu bestehen. Das ergibt sich aus dem von den Fraktionen der SPD und FDP mit gleicher Zielrichtung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 7/365.
In den Ausschußberatungen werden wir uns natürlich darüber zu unterhalten haben, welche Lösung die technisch beste ist. Das ist keine Frage des Glaubensbekenntnisses oder der Partei, sondern eine Frage der gemeinsamen Zielsetzung. Selbst wenn 'das Gesetz verabschiedet sein wird, werden etwa 50 % aller Fälle ungelöst bleiben. Ich möchte schon jetzt ankündigen, daß auch für diese Fälle eine Lösung gefunden werden muß. Wir können die diplomatische Immunität nicht abschaffen. Ich meine aber, daß, wenn die Förderung unserer internationalen Beziehungen materielle Opfer erfordert, diese Opfer nicht auf die Schultern des einzelnen Staatsbürgers abgewälzt werden dürfen. Das kann und darf nicht zu seinen Lasten gehen, sondern das muß dann zu Lasten der Allgemeinheit gehen. Wir werden uns also nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs darüber zu unterhalten haben, wie wir auch hier eine Lösung finden können, unter Umständen durch Einrichtung eines Fonds beim Auswärtigen Amt.
({0})
Das Wort zur Begründung von Punkt b hat der Abgeordnete Freiherr Ostman von der Leye.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen hat seinen Vorläufer in dem Gruppenantrag Bundestagsdrucksache VI/3587 vom 20. Juni 1972, dem der Bundestag zugestimmt hat.
Entgegen einer verbreiteten Meinung, der anscheinend auch der Herr Kollege Hauser ein wenig unterliegt, handelt es sich nicht nur um ein spezielles Bonner Problem; denn es gibt Rechtsgeschäfte und Haftpflichtfälle mit exterritorialen Personen nicht allein in Bonn. Aber ich möchte nicht, daß es hier einen Streit zwischen den beiden Lokalmatadoren gibt.
Vor allem muß aber nachdrücklich unterstrichen werden, daß dieser Gesetzentwurf keinem generellen Mißtrauen gegenüber Diplomaten und anderen durch das Gerichtsverfassungsgesetz bisher exemt gestellten Personen entspringt. Das wäre auch schon deswegen ganz unsinnig, weil unseren Auslandsvertretungen dann das gleiche Mißtrauen entgegengebracht würde und die internationalen Beziehungen unnötig Schaden litten. Der Gesetzentwurf zielt lediglich auf eine Angleichung des Gerichtsverfassungsgesetzes an das Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 und damit auf eine stärkere Differenzierung sowohl hinsichtlich des Personenkreises als auch hinsichtlich der Rechtsgeschäfte hin.
Dadurch soll ein besserer Interessenausgleich vor allem zwischen vertragschließenden Parteien im Zivilrecht ermöglicht werden. Die Folgen der menschlichen Unzulänglichkeit, von der Sie auch sprachen und die bekanntlich kein Mensch von sich weisen kann, brauchen dann nicht mehr in fast allen Fällen vom inländischen Vertragspartner allein getragen zu werden.
Herr Kollege Hauser schlägt als Methode zu dem, wie ich glaube, gleichen Ziel schlicht und ergreifend die Streichung der §§ 18 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes vor. Er stürzt damit die Gerichte in ein tiefes Loch, und zukünftige Examenskandidaten schickt er zudem in eine Stolperschneise, für die ihm selbst seine Freunde aus der Jungen Union bestimmt keinen Dank wissen werden.
Leider ergeben sich nach Ihrem Entwurf, Herr Kollege Hauser, aber auch viel ernsthaftere Probleme. Denn die Gerichte müßten dann zwischen den Staaten unterscheiden, die dem Wiener Übereinkommen beigetreten sind, und denen, die dies nicht getan haben. Für letztere wäre Art. 25 des Grundgesetzes in Verbindung mit den Gewohnheitsregeln des Völkerrechts die Rechtsgrundlage. Unter Umständen müßte in diesem Falle sogar eine Vorlage beim Bundesverfassungsgericht erfolgen. Mit anderen Worten, der Gruppenantrag der Kollegen aus der CDU/ CSU ist einfach nicht genügend überdacht. Er ist allzusehr mit der heißen Nadel genäht, aus welchen taktischen Gründen auch immer.
Die Neufassung des § 18 des Gerichtsverfassungsgesetzes, wie sie im Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vorgeschlagen wird, macht dagegen die Regelung des Wiener Übereinkommens zum unmittelbar anzuwendenden deutschen Recht, und zwar
für alle Staaten und alle dort benannten Personenkreise und Rechtsgeschäfte. Sie dient außerdem der größeren Rechtsklarheit.
Man könnte in den Ausschußberatungen noch einmal prüfen, ob die Bestimmungen des Wiener Übereinkommens, insbesondere in den Art. 31, 32, 37 und 38, nach Übertragung in die deutsche Rechtssprache einzeln im Gerichtsverfassungsgesetz aufgeführt werden sollten. Ein solches Verfahren würde zwar mehr Klarheit, aber auch eine erhebliche Aufblähung des Gerichtsverfassungsgesetzes mit sich bringen.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich bei der Regierung für die zugesagte und schon geleistete Hilfe und bin sicher, daß auf der Basis des Entwurfs der Koalitionsfraktionen ein befriedigendes Gesetz zustande kommen wird.
({0})
Meine Damen und Herren, die beiden Gesetzentwürfe sind begründet. Die Aussprache über die beiden Vorlagen wird verbunden. Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Kleinert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich will nur einige wenige Worte sagen. Die Fraktionen sind Herr Hauser hat dies dankenswerterweise auch betont - in der Zielsetzung der beiden Gesetzentwürfe einig. Es gibt einige rechtliche Probleme, die noch zú lösen sein werden. Darauf hat Freiherr Ostman von der Leye hingewiesen.
Ich meine jetzt nur noch eines hinzufügen zu sollen. Es geht hier nicht nur um eine Angelegenheit zum Wohle der Bürger von Bonn, Bad Godesberg, Beuel und den anderen Ortschaften, in denen auch wir dankenswerterweise Gastrecht genießen, sondern es handelt sich auch um eine symptomatische Angelegenheit.
Führen Sie sich z. B. einmal den Zeitablauf vor Augen. Das Wiener Ubereinkommen, auf das die Begründungen der Entwürfe Bezug nehmen - als Randbemerkung füge ich an, daß es im Entwurf der CDU/CSU schlicht „WÜD" heißt; das setzt natürlich ein erhebliches völkerrechtliches Bewußtsein breitester Bevölkerungskreise voraus -, stammt aus dem Jahre 1961. In typisch deutscher Gründlichkeit, von der Herr Hauser gesprochen hat, befassen wir uns seit 1961 damit. Wenn wir heute übereinstimmend in Anlehnung an dieses Übereinkommen von 1961 zu einer Änderung der bei uns etwas unglücklich gestalteten pauschalen Lösung kommen, so ist dafür, wie ich glaube, nicht zuletzt eine Entwicklung maßgebend, die sich seit 1969 in immer stärker werdendem Maße vollzogen hat. Ich meine die Entwicklung, sich von seiten der Bundesrepublik allen Staaten der Welt gegenüber völlig normal und entspannt zu verhalten und klarzustellen, daß diese Bundesrepublik nicht aus Komplexen heraus, die ursprünglich durchaus verständlich gewesen sein mögen, der Musterknabe der westlichen Welt sein will und deshalb auch in den Randgebie1108
ten, Tiber die wir heute hier zu sprechen haben, nicht allen anderen beflissen mehr Rechte einräumt, als sie von den anderen erhält. Sie will vielmehr ganz normal die gleichen Rechte wie alle anderen in Anspruch nehmen und dafür auch die gleichen Pflichten übernehmen.
Diese Entspanntheit, diese Normalisierung unseres nationalen Selbstverständnisses sind die Gründe, die es ermöglichen, daß wir heute in allen drei Fraktionen gleichermaßen dazu kommen, auch auf diesem Gebiet etwas zu tun, was vorher gewisse Verkrampfungen und gewisse Komplexe nicht zugelassen haben. Wir sind froh darüber, daß insbesondere die Entwicklung der letzten drei Jahre dieses ermöglicht hat. Wir werden uns auch bei der weiteren Beratung der Gesetzentwürfe dementsprechend verhalten.
({0})
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Auf Vorschlag des Altestenrates sollen die beiden Gesetzentwürfe dem Rechtsausschuß - federführend - und dem Auswärtigen Ausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe dann die Punkte 15, 17 und 18 der Tagesordnung auf:
15. Erste Beratung der von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines
a) Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung ({0})
b) Einführungsgesetzes zum Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung
- Drucksache 7/253 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung und Bereinigung des Rechts im Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen ({2})
- Drucksache 7/255 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({3}) Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 7/256 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({4})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Das Wort wird nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes
- Drucksache 7/308 Zur Begründung hat Frau Bundesminister Dr. Focke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt Ihnen heute den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialhilfegesetzes vor. Das Bundessozialhilfegesetz, das nunmehr seit über zehn Jahren in Kraft ist, hat sich nicht nur in der Praxis bewährt, sondern ist in den letzten Jahren in ihr auch ständig weiterentwickelt worden. Es gilt heute mit als das modernste Sozialhilfegesetz weit über die Grenzen Europas hinaus.
Die Bedeutung dieses Dritten Änderungsgesetzes ist nicht etwa nur mit einem Hinweis auf die Notwendigkeit einer weiteren Anpassung auch des Sozialhilfebereichs an die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung zu erledigen. Es geht hier um mehr, es geht darum, die Sozialhilfe als einen eigenständigen Bereich in unserem gegliederten Sozialleistungssystem im Blick auf das sozialstaatliche Verfassungsgebot und auf Grund von Notwendigkeiten, die in der Praxis der Sozialhilfe neu oder schärfer erkannt wurden, auszubauen und ausauszugestalten. Die Statistiken der letzten Jahre zeigen uns deutlich eine immer stärkere Verschiebung der Hilfen von der Hilfe zum Lebensunterhalt hin zu den Hilfen in besonderen Lebenslagen. Dieser Bereich wird in Zukunft den Schwerpunkt der gesamten Sozialhilfe ausmachen.
Einer dieser Bereiche ist die Hilfe für Behinderte. Mit diesem Änderungsgesetz werden gesetzliche Konsequenzen aus getroffenen politischen Entscheidungen gezogen. So hat der Bundestag bei der Verabschiedung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" klar zum Ausdruck gebracht, daß er weitere gesetzliche Initiativen zur Verbesserung der Leistungen an Behinderte für erforderlich hält. Auf diesem Wege sind Gesetze vorbereitet oder bereits von der Bundesregierung beschlossen worden.
In diesem Zusammenhang ist auch der vorliegende Gesetzentwurf zu sehen. Er sieht eine wesentliche Erweiterung des Personenkreises vor, dem das Gesetz einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe einräumt. Bisher waren noch einzelne Gruppen, vor allem die Organgeschädigten, ausgenommen, und das halten wir sachlich nicht für gerechtfertigt.
Eine weitere Frage ist natürlich die Entlastung der Eltern von den Kosten bestimmter Eingliederungsmaßnahmen. Nach geltendem Recht werden nur die Eltern behinderter Kinder, die im schulpflichBundesminister Frau Dr. Focke
tigen Alter stehen, von den Kosten bestimmter Eingliederungsmaßnahmen freigestellt. Diese Regelung soll nun auf die Eltern aller Behinderten ausgedehnt werden, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Damit wird vor allem auch der vorschulische Bereich abgedeckt.
Wir halten es ferner für dringend geboten, das Pflegegeld für Pflegebedürftige, insbesondere für Schwerstbehinderte, zu erhöhen und eine gewisse Gleichstellung mit den Blinden zu erreichen. Die Altersgrenze für die Gewährung von Pflegegeld, die zur Zeit beim dritten Lebensjahr liegt, soll auf das erste Lebensjahr herabgesetzt werden. Diesen Vorschlägen liegt vor allem die Erwartung zugrunde, daß die Pflege und die Betreuung in stärkerem Umfang als bisher durch Angehörige übernommen wird und Heimpflege im Interesse der Pflegebedürftigen so weit wie möglich umgangen werden kann.
Ein anderer Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfs betrifft die sozialen Randgruppen. Wir wollen im Gesetz die Voraussetzungen für eine optimale Koordinierung und Verstärkung insbesondere der Hilfen für die Personen schaffen, bei denen besondere soziale Schwierigkeiten der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft entgegenstehen. Wir denken dabei vor allem an die nicht Seßhaften, an die Obdachlosen, an die Strafentlassenen, aber zunehmend auch an die Drogen- und Rauschmittelabhängigen.
Die Bestimmungen über die Altenhilfe sollen den in den letzten Jahren gewonnenen neuen Erkenntnissen über Hilfen und notwendige Hilfen für die älteren Mitbürger Rechnung tragen. Dabei geht es insbesondere darum, solche Hilfen zu gewähren, die es den älteren Menschen erleichtern, so lange wie möglich ihre Selbständigkeit aufrechtzuerhalten, und ihnen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft so aktiv und ebenfalls so lange wie möglich erleichtern helfen.
Wir wollen - das ist ein weiterer Punkt - einem
dringenden Bedürfnis aus der fürsorgerischen Praxis Rechnung tragen und den Kreis der Verwandten, die zum Ersatz von Aufwendungen der Sozialhilfe herangezogen werden können, auf die engsten Angehörigen beschränken helfen, nachdem deutlich geworden ist, daß hier eine gewisse Hemmschwelle in der Inanspruchnahme von Sozialhilfe liegt.
Schließlich wollen wir bei einigen Hilfearten und bei den Einkommensfreigrenzen eine gewisse Dynamisierung der im Gesetz genannten Festbeträge erreichen, indem wir ihre laufende Anpassung an die Entwicklung der Regelsätze oder der Arbeitnehmereinkommen vorsehen.
Das sachliche Erfordernis dieser Leistungsverbesserungen ist allseits anerkannt. Auch der Bundesrat hat die vorgesehenen materiellen und personalen Verbesserungen für den Hilfesuchenden grundsätzlich begrüßt. Dabei enthält diese dritte Novelle sicher nicht alles, was wünschenswert wäre. Aber sie will wenigstens das regeln, was sozialpolitisch dringend notwendig ist.
Die Mehrkosten, die durch die vorgeschlagenen Leistungsverbesserungen entstehen werden, belasten auf Grund der bestehenden Aufgabenverteilung gewiß vor allem Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände als Träger der Sozialhilfe. Ich darf in diesem Zusammenhang aber daran erinnern, daß das Bundeskabinett diesen Gesetzentwurf bereits 1972 in zeitlichem Zusammenhang mit Beschlüssen, die eine wesentliche Verbesserung der Finanzausstattung der Länder und der Gemeinden in den Jahren 1972 und 1973 zur Folge hatten, verabschiedete. Der Gesamtzusammenhang von Belastung und Entlastung muß also auch heute noch beim gesetzlichen Nachvollzug dieses Teilstücks gesehen werden.
Im übrigen möchte ich auch darauf aufmerksam machen, daß auf Grund einiger bundesgesetzlicher Regelungen Sozialleistungen gewährt werden, die zu einer Entlastung der Sozialhilfe führen oder geführt haben. Ich beschränke mich darauf, als Beispiele das Bundesausbildungsförderungsgesetz oder im Rahmen der Rentenreform die Berechnung der Renten nach Mindesteinkommen oder auch das Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte zu nennen. Auch von dem in Aussicht genommenen Gesetz über die Angleichung von Leistungen auf dem Gebiet der Rehabilitation wird Gleiches erwartet werden können.
Meine Damen und Herren, ich wäre dankbar, wenn dieser Gesetzentwurf, der schon dem 6. Deutschen Bundestag zugeleitet worden war, zügig beraten und verabschiedet werden könnte, damit die Menschen, die auf die vorgesehene Hilfe warten und unserer Solidarität in besonderem Maße bedürfen, nicht mehr allzu lange warten müssen.
({0})
Das Haus hat die Begründung des Gesetzentwurfs entgegengenommen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen, Frau Minister Focke, versichern, daß wir von der Opposition den Gesetzentwurf zügig beraten werden; denn auch wir halten das Bundessozialhilfegesetz für einen wichtigen Teil im System unserer sozialen Sicherheit. Es gibt Hilfen zum Lebensunterhalt, es gibt Hilfen in besonderen Lebenslagen mit dem Ziel, allen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Die Besonderheit dieses Gesetzes liegt in seiner Nachrangigkeit. Das heißt, nur wer sich nicht selber helfen kann und von dritter Seite keine Hilfe erhält, wird Ansprüche nach dem Bundessozialhilfegesetz haben können. Es handelt sich hier also um das letzte Netz im System unserer sozialen Sicherheit.
Auch diese Leistungen müssen natürlich weiterentwickelt und den veränderten Verhältnissen angepaßt werden. Wir begrüßen besonders die Schwerpunkte dieser Vorlage. Wir halten es für richtig, daß nun auch die Vorsorgeuntersuchungen für diesen Personenkreis möglich sind. Auch die sogenannte Generalklausel, also eine allgemeine Formulierung anstatt einer Aufzählung von Behindertengruppen, halten wir für eine gute Lösung, da sonst
immer wieder neue Gruppen von Behinderten nicht unter das Gesetz fallen würden. Das wäre sozial ungerecht.
Den Schwerpunkt dieser Novelle, weitere Hilfen für die Behinderten, begrüßen wir. Die Regelungen des § 40 und des § 43 Abs. 2, wonach auch Kinder im vorschulpflichtigen Alter Ansprüche haben können, sind folgerichtig; denn wir wollen mit Eingliederungshilfen so früh wie möglich beginnen.
Auch die Verbesserungen im Pflegegeld sind zu begrüßen. Wir sind der Meinung, daß Pflegebedürftige tunlichst in der Familie verbleiben sollten, soweit das möglich ist. Wir sind dafür, eher das Pflegegeld zu erhöhen, als nachher die hohen Heimkosten bezahlen zu müssen.
Schließlich sind noch Verbesserungen der Altenhilfe zu begrüßen, ebenso die Tendenz, Anregungen aus der Praxis zu übernehmen, um das Gesetz flexibler zu machen.
Die Betroffenen werden diese Leistungsverbesserungen begrüßen. Aber ich darf auch, wie Frau Minister Focke das soeben getan hat, sagen, daß viele Probleme noch ungelöst sind. Deshalb möchte ich auch noch kurz einiges zum Finanzierungsproblem sagen. Es gibt noch ernste Probleme, die im Rahmen des Bundessozialhilferechts gelöst oder grundsätzlich angegangen werden müssen.
Ich denke da z. B. an die Bemühungen der Blinden für ein einheitliches Blindengeld. Die Länder haben Spezialgesetze erlassen, die unterschiedlich sind. Wir haben also unterschiedliche Rechtslagen. Das sollten wir vom Bund aus regeln.
Aber nicht nur die Blinden sind betroffen. Es gibt ähnliche Schwerstbehindertengruppen, die keine Leistungen erhalten, wie sie die Blinden seit Jahren erhalten können, z. B. die Querschnittgelähmten, zivilgeschädigte Ohnhänder oder Doppelbeinamputierte. Sie können diese Hilfen nicht erhalten, weil hier die Verhältnisse von der Tradition, von der geschichtlichen Entwicklung her eben so sind, wie sie sich uns heute darstellen.
Wir lösen uns nun in diesen Jahren vom Begriff der Kausalität und wenden uns der Finalität zu. Die Bundesregierung hat in ihrem Regierungsprogramm aufgenommen, daß alle Behinderten gleiche Startchancen erhalten sollen. Das bedeutet langfristig eine Umstellung unseres klassischen Systems der sozialen Sicherheit. Wir haben das Behindertenproblem in das allgemeine Sozialsystem eingebettet. Aber wenn wir von dem Kausalitätsprinzip loskommen wollen - das ist der Wille aller im Bundestag vertretenen Fraktionen -, müssen wir konsequenterweise einige Korrekturen anbringen.
Durch dieses Gesetz entstehen Kosten von 160 Millionen D-Mark. Weil wir auf diesem Sektor auch weiterkommen wollen, wollen wir dazu jetzt grundsätzlich noch einiges sagen. Die Städte und Gemeinden beklagen sich, daß wir jetzt wieder ein Gesetz beschließen, dessen Durchführung sie bezahlen müssen. Auch der Bundesrat hat trotz grundsätzlicher Anerkennung der Notwendigkeit dieser Vorschläge einige Kürzungsvorschläge gemacht.
Aber die Argumente insbesondere der Gemeinden, die das Gesetz nun realisieren müssen, sind es, die wir zu bedenken geben. Von daher gesehen könnten unter Umständen bestimmte Entwicklungen verhindert werden. So hat der Landkreistag in Baden-Württemberg schon vor zwei Jahren, als wir damals den Gesetzentwurf diskutiert haben, folgendes erklärt. Während die baden-württembergischen Landkreise 1963 im ersten vollen Jahr der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes noch 50 Millionen DM Umlage an die Wohlfahrtsverbände hätten abführen müssen, seien es im Jahre 1971 bereits 206 Millionen DM gewesen. Das sei eine Steigerung von 254 %, während die Deckungsmittel nur um 80 % zugenommen hätten. Das bedeute, daß in den Haushalten der Landkreise der Zuschußbedarf für das Sozialwesen einen immer breiteren Raum einnehme und die übrigen Aufgaben der Kreise - das Krankenhaus- und Schulwesen, den Straßenbau, die Erwachsenenbildung und den Umweltschutz - zur Stagnation oder gar zum Rückgang verdamme.
1971 würden, so wird weiter ausgeführt, von 100 DM im Haushaltsplan 43,93 DM für das Sozialwesen ausgegeben; für die Krankenhäuser könnten nur noch 15 statt früher 20 DM, für den Straßenbau nur noch 11 statt früher 18 DM etatisiert werden. Man fürchtet nun Zahlungsunfähigkeit, und das wäre gerade für die Personen bitter, die von diesem Gesetz tangiert worden sind.
Auch von der Bundeskonferenz der Arbeiterwohlfahrt, eines freien Trägers, wird auf diese finanzielle Ausstattung hingewiesen. Dort wird ausgeführt, ohne eine ausreichende breite Finanzierungsgrundlage könnten die Aufgaben der Sozialhilfe nicht so erfüllt werden, wie dies vom Gesetzgeber gefordert und vom Hilfesuchenden erwartet werde. Insbesondere bleibe kein Geld mehr für die Erstellung von Einrichtungen, in denen diese Hilfen gegeben werden sollten.
Meine Damen und Herren, man muß fragen: Was ist hier geschehen, was ist in diesem Bereich los? Man muß die kritische Frage stellen, warum trotz steigender Einkommen, trotz Vollbeschäftigung, trotz Rentendynamisierung besonders in den letzten drei Jahren ein solches explosionsartiges Ansteigen der Aufwendungen im Sozialhilfebereich festzustellen ist.
Herr Abgeordneter Burger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?
Gerne!
Kollege Burger, können Sie mir bestätigen, daß die Gemeinden durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz, das wir in der letzten Legislaturperiode verabschiedet haben, besonders stark entlastet worden sind?
Ich kann Ihnen leider Gottes nicht bestätigen, daß die Gemeinden entlastet worden seien, denn zwei Drittel der Aufwendungen
für das Krankenhausfinanzierungsgesetz müssen ja von den Ländern aufgebracht werden, die ihrerseits wieder im Finanzausgleich die Gemeinden beteiligen.
({0})
Bitte sehr!
Ist Ihnen nicht bekannt, Kollege Burger, daß die finanziellen Regelungen für dieses Gesetz in den Ländern sehr unterschiedlich sind und daß die finanziellen Unterstützungen in dem Land, in dem Sie wohl Ihren Wahlkreis haben, besonders mäßig ausgefallen sind - im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen?
Herr Kollege, ich muß Ihnen leider auch hier widersprechen. Wenn Sie die Begründung des Gesetzentwurfes und den Finanzierungsvorschlag aufmerksam lesen, werden Sie leicht feststellen, daß die Gemeinden die Hauptlast zu tragen haben. --- Bitte, Herr Kollege Dr. Hammans!
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Hammans.
Herr Kollege Burger, sind Sie bereit, mir zu bestätigen, daß manche Krankenhäuser es außerordentlich bedauern, daß sie nach diesem Krankenhausfinanzierungsgesetz keine Gewinne mehr machen dürfen?
Ich darf Ihnen das bestätigen, Herr Kollege Dr. Hammans.
Abschließend kann man sagen, das Krankenhausfinanzierungsgesetz bringt für die öffentliche Hand Belastungen; es bringt auch für die Gemeinden zusätzliche Belastungen.
Aber ich möchte durchaus auch in Richtung der Ausführungen der Frau Minister sagen, es gibt eine ganze Reihe von Gesetzen, die die Sozialhilfe und damit die Gemeinden entlastet haben. Es sind, wie Sie bereits erwähnten, das Wohngeldgesetz, das Ausbildungsförderungsgesetz und das Arbeitsförderungsgesetz. Trotz dieser Entlastungen steigen die Ausgaben für die Sozialhilfe explosionsartig an. Ich glaube, darüber sollten wir uns im Ausschuß sorgfältig unterhalten. Stimmt hier etwas nicht im System der sozialen Sicherheit? Zumindest gibt es für uns die Berechtigung, einmal darüber nachzudenken, ob nicht trotz der Dynamisierung der Renten viele Menschen durch die Maschen dieser gesetzlichen Regelungen bis zur Bundessozialhilfe durchfallen und ob das nicht verbessert werden könnte.
Ich möchte auch noch auf etwas anderes hinweisen. Wenn wir davon ausgehen, daß wir allen Behinderten gleiche Chancen in der Rehabilitation bieten wollen, dann bedeutet dies, daß für 40 bis 50 % der betroffenen Bevölkerung diese gleichwertigen Leistungen über das Bundessozialhilfegesetz angeboten werden müssen.
({0})
Das sind aber reine Versorgungsansprüche. Sie haben im Grund in diesem Gesetz keinen Platz, da es vom Prinzip der Nachrangigkeit ausgeht. Wir sollten uns deshalb langfristig überlegen, ob im Rahmen der Steuerreform, im Rahmen der Verteilung des Steueraufkommens nicht für die Behinderten ein Spezialgesetz geschaffen werden könnte, das ähnlich wie das Wohngeldgesetz, ähnlich wie das Ausbildungsförderungsgesetz von Bund und Ländern getragen wird und das eine gleichrangige Entwicklung auch für die Zivilbehinderten ermöglicht, die bisher nach dem Bundessozialhilfegesetz betreut werden. Über diese beiden Punkte sollten wir uns im Ausschuß unterhalten. Ich halte dies für dringend erforderlich. Wer eine Weiterentwicklung des Behindertenrechts wünscht und will, der muß auch diese Konsequenz sehen, und er muß sich auch überlegen, wie langfristig neue Wege beschritten werden können.
Wir begrüßen die Leistungsverbesserungen und werden den Gesetzentwurf zügig beraten. Weil wir die Fortentwicklung wünschen, werden wir auch in der Diskussion des Fachausschusses das Problem der Finanzierung ansprechen.
({1})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin davon überzeugt, daß Sie Verständnis dafür haben werden, daß in Abständen von vier Jahren etwas gründlicher und grundsätzlicher über diejenigen gesprochen wird, die leider mit Recht von sich behaupten können, sie wären die ,,Ärmsten der Armen".
Lassen Sie mich vorweg auf zwei Punkte eingehen, die der Herr Kollege Burger hier angesprochen hat.
Erstens. Es kann überhaupt kein Zweifel bestehen, daß durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz im Verhältnis zu dem, was vorher war, eine echte Entlastung der Gemeinden und Länder stattgefunden hat. Das darf man hier nicht verkleistern; sonst wäre das Krankenhausfinanzierungsgesetz Nonsens gewesen.
({0})
Zweitens. Diejenigen, die heute bewegt beklagen, daß die Eingliederungshilfe für Behinderte im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes eigentlich eine Aufgabe des Bundes, d. h. eine Versorgungsaufgabe des Bundes, sei, muß ich daran erinnern, daß das Bundessozialhilfegesetz im Jahre 1962 ein sehr fortschrittliches Gesetz abgelöst hat, nämlich das Körperbehindertenfürsorgegesetz, und zwar gegen den Widerstand der Fraktion, die ich hier vertrete, gegen den Widerstand der SPD-Bundestagsfraktion.
Wir haben damals gesagt, daß die Übernahme des Körperbehindertenfürsorgegesetzes in ein Bundessozialhilfegesetz nur zum Nachteil der Behinderten sein kann. Die historische Entwicklung auf diesem Gebiet hat uns gezeigt, daß es so ist. Aus diesem Bundessozialhilfegesetz mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Individualisierung ist eine Art Ideologie gemacht worden. Wir müssen versuchen, damit fertig zu werden. Das darf aber nicht so geschehen, daß man sagt: der Bund hat hier die Kosten zu zahlen, was aber auf dem Gebiet der Eingliederungshilfe für Behinderte geschieht, das bestimmen weiterhin die Kommunen und die Länder. So geht es ganz bestimmt nicht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burger?
Herr Kollege Glombig, sind Sie mit mir der Meinung, daß wir vom Kausalitätsprinzip zum Finalitätsprinzip kommen müssen, und sind Sie, wenn Sie diese Frage mit Ja beantworten können, nicht auch mit mir der Meinung, daß wir diese neue Entwicklung wieder in eine neue Konzeption kleiden müssen und daß wir nach vorn und nicht rückwärts schauen müssen?
Aber Herr Kollege Burger, die Überwindung des Kausalitätsprinzips „predige" ich seit 20 Jahren. Ich bin sehr froh, daß auch andere inzwischen begriffen haben, daß das notwendig ist. Die sozialliberale Bundesregierung hat daraus bereits in der vorigen Legislaturperiode die Konsequenzen gezogen und wird es auch in dieser Legislaturperiode tun. Wenn Sie uns bei der Verwirklichung dieses Gedankens unterstützen, dann sind wir Ihnen dafür sehr dankbar, Herr Kollege Burger. Aber die Frage der Kausalität oder der Finalität hat hier mit Fragen der Subsidiarität und der Individualisierung im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes unmittelbar nichts zu tun.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes und das von ihr damit zum Ausdruck gebrachte Bestreben, auch im Bereich der Sozialhilfe der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Rechnung zu tragen. Wir sind uns voll dessen bewußt, daß es in der Bundesrepublik Deutschland noch eine große Zahl von Menschen gibt, die abseits vom Wohlstand leben und sich aus ihrer sozialen Notlage aus eigener Kraft nicht befreien können. Wir wissen, daß diese Menschen der Hilfe der Allgemeinheit bedürfen, und wir sind entschlossen, meine Damen und Herren, ihnen diese Hilfe zu geben. Es ist daher für uns selbstverständlich, daß daraus die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen gezogen werden müssen.
Mit besonderer Genugtuung stelle ich fest, daß im Vordergrund der im Gesetzentwurf vorgesehenen Leistungsverbesserungen die Hilfen für Behinderte stehen. Das gilt sowohl für die Bestimmungen über
die Eingliederungshilfe als auch für die Bestimmungen über das Pflegegeld und schließlich für die Bestimmungen über die Erhöhung der Einkommensgrenzen als Voraussetzung für die Erlangung dieser Hilfen.
Aus dem Gesamtbereich der in dem Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zugunsten der Behinderten möchte ich insbesondere eine herausgreifen, und zwar deshalb, weil sie auf den Widerspruch des Bundesrates gestoßen ist. Ich meine den Vorschlag der Bundesregierung, allen Personen, die körperlich, geistig oder seelisch - Herr Kollege Burger, hier können wir nun beweisen, daß wir es mit der Überwindung des Kausalitätsprinzips ernst meinen - behindert sind, einen Rechtsanspruch auf die Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz zuzubilligen. Zwar haben - wie Frau Minister Focke bereits sagte - nach dem geltenden Recht mehrere Behindertengruppen diesen Rechtsanspruch, es ist aber nach meiner Überzeugung jetzt wirklich an der Zeit, die noch bestehenden Unterschiede in der Rechtsstellung der Behinderten innerhalb des Bundessozialhilfegesetzes erst einmal endgültig zu beseitigen und allen Behinderten diesen Rechtsanspruch zu geben.
Es muß nicht nur der hiergegen erhobene Widerspruch des Bundesrates, sondern viel mehr noch die hierzu gegebene Begründung verwundern. Sie beruht vor allein auf der Erwägung, der Vorschlag der Bundesregierung zur Erweiterung des Rechtsanspruches führe sowohl zu erheblichen Mehraufwendungen als auch zu einer Lastenverschiebung zwischen örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträgern, was nichts anderes heißt und nichts anderes heißen kann, meine Damen und Herren, als daß sich der Bundesrat dagegen ausgesprochen hat, daß die Kommunen zu Lasten der Länder entlastet werden. Ich bin der Überzeugung, daß man so eine sozial zwingend gebotene Regelung, nämlich die Gleichstellung aller Behinderten, nicht ablehnen darf und nicht ablehnen kann. Ich werde aber auf diese Frage noch im Zusammenhang mit der Finanzierung der Leistungen der Sozialhilfe besonders zurückkommen. Das hat ja hier bereits eine Rolle gespielt, und dazu möchte ich im Namen meiner Fraktion auch noch ein paar Worte sagen.
Auf der anderen Seite möchte ich allerdings den Vorschlag des Bundesrates mit Genugtuung erwähnen, auch denjenigen, die wegen der Schwere ihrer Behinderung der Heimpflege bedürfen, den Vorteil der höheren Einkommensgrenze zugute kommen zu lassen. Dieser Vorschlag, dem auch die Bundesregierung zugestimmt hat, wird von meiner Fraktion begrüßt. Er wird sich vor allem zugunsten der Eltern derjenigen behinderten Kinder auswirken, die wegen der Schwere ihrer Leiden an Maßnahmen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation nicht teilnehmen können. Wir alle wissen oder sollten wissen, daß es leider auch solche jungen Menschen in unserer Gesellschaft gibt, denen wir unsere Hilfe nicht versagen dürfen. Denn auch die Maßnahmen der sozialen und gesellschaftlichen Rehabilitation haben ihren Wert und ihre Bedeutung an sich, ohne daß man darauf „schielt": was bringt es denn eigentlich für die Volkswirtschaft?
In der allgemeinen Begründung des Gesetzentwurfs sind einige Schwerpunkte besonders hervorgehoben. Erlauben Sie mir, auf zwei dieser Schwerpunkte einzugehen.
Die Gefährdetenhilfe soll erheblich erweitert werden. Sie soll künftig allen Personen zugute kommen, die wegen besonderer, bei ihnen bestehender sozialer Schwierigkeiten am Leben in der Gemeinschaft nicht oder nicht voll teilnehmen können. Frau Minister Focke hat den hier vor allem in Betracht kommenden Kreis der Randgruppen unserer Gesellschaft, die ohne die Hilfe der Allgemeinheit mit dem Leben nicht fertig werden, schon kurz angesprochen. Für diese Menschen muß in der Tat ein erweitertes Angebot an Hilfen zur Verfügung stehen. Es besteht aller Anlaß, sich bei den kommenden Beratungen mit diesem Problem und den Lösungsvorschlägen im Gesetzentwurf sehr intensiv zu befassen.
Keinesfalls aber kann auch an dieser Stelle dem restriktiven Vorschlag des Bundesrats gefolgt werden, die vorgesehenen Bestimmungen zu streichen, weil der Kreis der Anspruchsberechtigten nicht abzusehen sei; so wird das von seiten des Bundesrates begründet.
Alle, die mit der Materie des Bundessozialhilfegesetzes vertraut sind, wissen, daß die Sozialhilfe in vielen Fällen mit Leistungen eingreifen muß, weil diejenigen, die nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts dem Hilfesuchenden zum Unterhalt verpflichtet sind, dieser Pflicht nicht oder nur unzureichend nachkommen. In diesen Fällen entsteht dann die leidige Frage, ob die Sozialhilfeträger sich ihrerseits wegen des Ersatzes ihrer Aufwendungen an die Unterhaltsverpflichteten halten sollen. Hier sieht der Gesetzentwurf begrüßenswerterweise vor, daß insbesondere im Verhältnis Großeltern - Enkel keine Heranziehung zum Ersatz der Kosten durch die Sozialhilfeträger mehr erfolgen darf und daß auch in sonstigen Härtefällen von einer Inanspruchnahme Unterhaltspflichtiger abgesehen werden soll. Es handelt sich hierbei ganz gewiß um einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung und Festigung des Zusammenhalts der Familie.
Lassen Sie mich folgendes ganz allgemein hervorheben. Bei Durchsicht der zahlreichen Änderungs- und Ergänzungsvorschläge festigt sich der Eindruck, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Geiste des sozialen Fortschritts und von einer aufrichtigen Sorge für diejenigen Menschen getragen ist, die wegen ihrer besonderen sozialen Lage auf die Hilfe der Allgemeinheit angewiesen sind. Dies kommt nicht nur in den sogenannten Schwerpunkten des Regierungsentwurfs zum Ausdruck, auf die Frau Minister Focke bereits hingewiesen hat, sondern auch in Bestimmungen von weniger herausragender Bedeutung. Ich darf als Beispiele hierfür nur die Verpflichtung erwähnen, das sogenannte „Schmerzensgeld" auf Leistungen des Bundessozialhilfegesetzes anrechnungsfrei zu lassen und dies ist wichtig genug - den Wegfall der Kostenersatzverpflichtung bei der Hilfe zum Lebensunterhalt.
Insgesamt gesehen betrachtet die SPD-Bundestagsfraktion den Regierungsentwurf als eine wertvolle und brauchbare Grundlage für die Beratungen im zuständigen Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. Gestatten Sie mir aber, daß ich für diese Beratungen noch auf folgende Schwerpunkte hinweise.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hatte im September vorigen Jahres darum gebeten, den Termin für die Vorlage des Berichts der Bundesregierung nach § 126 c des Bundessozialhilfegesetzes, der bereits im Oktober vorigen Jahres fällig war, auf den 1. Februar 1973 hinauszuschieben. Hierbei handelt es sich um einen Bericht über die Eingliederungshilfen für Behinderte, insbesondere über die Meldung von Behinderungen . - Das ist damit begründet worden, daß die erbetenen Stellungnahmen der Länder und der Verbände nun doch erheblich später als angenommen eingegangen sind. Die Mehrzahl dieser Stellungnahmen ist Ende des Jahres 1972 eingegangen; zum Teil stehen sie immer noch aus. Der Grund für diese Verzögerung ist ohne Zweifel darin zu sehen, daß die am 1. Oktober 1969 eingeführten Bestimmungen des 2. Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes erst kurze Zeit praktiziert werden. Aus diesen Gründen war der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit - wie wir uns haben darstellen lassen - leider nicht in der Lage, bis zum 1. Februar 1973 einen Bericht zu erstellen, der Anspruch auf Vollständigkeit hätte erheben können.
Wir sind überzeugt, daß der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit weiterhin bemüht sein wird, diesen Bericht so schnell wie möglich vorzulegen. Wir bitten ihn aber gleichzeitig mit Nachdruck, die Fristverlängerung für diesen Bericht bis zum 1. Juni 1973 nicht zu überschreiten, damit seine Ergebnisse bei der Beratung des Gesetzentwurfs mit berücksichtigt werden können. Es muß nach Vorlage des Berichts im Zusammenhang mit der Beratung dieses Gesetzentwurfes geprüft werden, ob die Früherfassung aller Behinderten nicht doch durch die Einführung einer gesetzlichen Meldepflicht sichergestellt werden sollte, um die rechtzeitige Einleitung der notwendigen Rehabilitationsmaßnahmen zu gewährleisten und um Grundlagen für die Planung und Finanzierung von Einrichtungen der Rehabilitation zu schaffen. Hier ist in der Vergangenheit viel versäumt und noch mehr verhindert worden. Der von der Bundesregierung dem Parlament vorzulegende Bericht zum Bundessozialhilfegesetz - das ist schon jetzt erkennbar - wird bestätigen, daß wir auf diesem Gebiet bisher keinen Schritt vorangekommen sind. Wir können es aber auf die Dauer nicht zulassen, daß, aus welchen Gründen auch immer, die Lösung dieses Problems weiter behindert wird. Ärzte und Krankenkassen haben hier eine besondere Verantwortung, der sie sich nicht länger entziehen können und nicht länger entziehen dürfen.
Das Pflegegeld für hilflose Personen soll von 150 auf 180 DM und für Schwerstbehinderte von 225 auf 360 DM monatlich erhöht werden. Die Altersgrenze für die Gewährung des Pflegegeldes soll vom 3. auf das 1. Lebensjahr herabgesetzt werden. Auch die Be1114
Stimmungen über die besondere Einkommensfreigrenze sollen verbessert werden. Es ist eine Erhöhung des Grundbetrages von 600 auf 700 DM und beim Pflegegeld für Schwerstbehinderte auf 1400 DM vorgesehen. Außerdem ist die Einbeziehung von Hilfeempfängern, die längere Zeit schwer krank sind, in die Bestimmungen über die besondere Einkommensfreigrenze vorgesehen. Das ist ein außerordentlicher sozialer Fortschritt. Wir möchten der Bundesregierung für diese Weiterentwicklung des Bundessozialhilfegesetzes besonderen Dank sagen.
Trotzdem, meine Damen und Herren, dieser begrüßenswerte Fortschritt wird uns nicht von der Verpflichtung entbinden, bei der weiteren Gesetzesberatung zu prüfen, ob das Pflegegeld für Schwerstbehinderte nicht höher festgesetzt werden muß im Hinblick auf die hohen Kosten, die mit der Pflege eines Schwerstbehinderten verbunden sind. Außerdem muß geprüft werden, ob nicht auch wie bei einigen anderen Hilfearten und den Einkommensgrenzen statt des vorgesehenen Festbetrages das Pflegegeld künftig nach einem bestimmten Modus dynamisiert werden sollte, weil wir sonst jedes Mal für die notwendige Erhöhung des Pflegegeldes auf eine Novellierung des Bundessozialhilfegesetzes angewiesen wären.
Lassen Sie mich zum Schluß, wie angekündigt, noch einmal kurz auf die Finanzierungsfragen der Sozialhilfe zurückkommen. In Übereinstimmung mit dem Grundgesetz sind die Aufwendungen für die Sozialhilfe von den zuständigen Stellen in den Ländern zu tragen. Auf den Bund entfällt nur ein geringer Prozentsatz der Kosten. Der Bundesrat hat die im Regierungsentwurf vorgesehenen materiellen Verbesserungen ausdrücklich begrüßt, zugleich aber seine Zustimmung zu diesem Gesetz nur für den Fall in Aussicht gestellt, daß im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens eine Übernahme von Kosten auf den Bund oder eine Verbesserung der Finanzausstattung der Länder sichergestellt wird.
Nun ist ganz gewiß nicht zu verkennen, daß die Aufwendungen der Sozialhilfe in den letzten Jahren vor allem wegen des Steigens der Lebenshaltungskosten und der großen Erhöhungen der Pflegesätze in den Heimen erheblich gestiegen sind. Diese Entwicklung kann aber nicht als Begründung dafür anerkannt werden, nunmehr vom Bund die zusätzliche Übernahme von Kosten der Sozialhilfe zu verlangen. Die Bundesregierung hat zu Recht auf die wesentliche Verbesserung der Finanzausstattung der Länder und Gemeinden im vorigen Jahr hingewiesen und die Meinung vertreten, daß die durch diese Novelle entstehenden Mehrkosten für die Länder und Gemeinden finanzwirtschaftlich tragbar sind. Überdies hat die Rücksicht auf die Finanzlage in den Haushalten der Länder und Gemeinden, wie in der Begründung zum Gesetzentwurf hervorgehoben wird, die Bundesregierung bereits veranlaßt, die Leistungsverbesserungen auf das sozialpolitisch unbedingt Notwendige zu beschränken. Ich meine, daß das ein bedenklicher Vorgang ist, wenn sich der Finanzstreit zwischen Bund und Ländern auf dem Rücken der unmittelbar Betroffenen abspielt.
Ich habe nichts dagegen, daß Leistungen der Sozialhilfe seitens des Bundes übernommen werden, aber dann durch vernünftige und eindeutige Regelungen, die nicht von heute auf morgen beschlossen werden können.
Schließlich sollten die Länder nicht vergessen, daß in Auswirkung von Sozialleistungsgesetzen des Bundes, wie gesagt, nicht unerhebliche Einsparungen bei den Sozialhilfeträgern eingetreten sind und noch eintreten werden. Ich erinnere zusätzlich hierbei an das Arbeitsförderungsgesetz, das den Sozialhilfeträgern die Kosten für die berufliche Rehabilitation der Behinderten abgenommen hat, ich erinnere weiter daran, daß die Einführung der Mindestrente durch die zweite Rentenreform erhebliche Einsparungen bei der Hilfe zum Lebensunterhalt für Rentner bringen wird, und ich erinnere nicht zuletzt daran, daß die Einbeziehung -
Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit leider schon abgelaufen ist.
Ich bin allerdings einmal unterbrochen worden, und ich hatte 20 Minuten angemeldet.
Herr Kollege, eine verlängerte Redezeit ist nicht angemeldet worden. Die Unterbrechung durch die Frage habe ich großzügig bemessen.
Gut, ich komme zum Schluß.
Ich wollte vorhin sagen, daß die Einbeziehung der medizinischen Rehabilitation für die behinderten Familienmitglieder der Versicherten in die Familienhilfe der gesetzlichen Krankenversicherung durch das von der Bundesregierung demnächst vorzulegende Rehabilitationsangleichungsgesetz ebenfalls erhebliche Einsparungen für die Sozialhilfeträger zur Folge haben wird. Ich habe in diesem Zusammenhang überhaupt kein Verständnis dafür - lassen Sie mich das hier mal sagen -, daß der Bundesrat notwendige Leistungsverbesserungen in der Sozialhilfe, die zu Lasten der Länder gehen, ablehnt, im gleichen Atemzug aber nicht davor zurückschreckt, über die weitgehenden Vorschläge der Bundesregierung hinaus für andere Personengruppen wie Rentner und Kriegsopfer Leistungsverbesserungen zu fordern, die allein zu Lasten des Bundeshaushalts oder zu Lasten der Haushalte von Versicherungsträgern gehen. Das ist eine doppelbödige politische Moral, die nicht, so meine ich jedenfalls, akzeptiert werden kann.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wie bei den beiSpitzmüller
den vorangegangenen Novellierungen zum Bundessozialhilfegesetz sind sich alle drei Fraktionen in diesem Hause darüber einig, daß Verbesserungen notwendig sind. Sie sind sich sogar darüber einig, daß die vorgeschlagenen Verbesserungen eigentlich noch weitergehend sein sollten, könnten oder müßten.
Der Deutsche Bundestag hat sich in der 5. Legislaturperiode in größerem Umfange mit dem Bundessozialhilfegesetz befaßt. Aber er stand unter Zeitdruck. Ich habe damals als Schlußsatz ausgeführt: „Was hier gegeben wird, ist wirklich an der untersten Grenze dessen, was gegeben werden muß." „Beifall auf allen Seiten" ist vermerkt.
In der Zwischenzeit sind vier Jahre vergangen. Deshalb glaube ich, daß die Bundesregierung gut daran getan hat, diese Novelle so schnell wie möglich dem Bundestag wieder zuzuleiten, damit wir die anstehenden Probleme eingehend erörtern können. Aber in diesem Gesetzentwurf wurde auch nach dem Grundsatz gehandelt, das Wünschenswerte mit dem Möglichen in Einklang zu bringen. Der Gesetzentwurf zeigt, daß von seiten der Bundesregierung
die Bereitschaft zu wesentlichen Fortentwicklungen
des Gesetzes vorhanden ist, aber dabei zweifellos auch die Lage der öffentlichen Haushalte in den Gebietskörperschaften beim Bund, bei den Ländern und bei den Gemeinden entsprechend mitberücksichtigt wurde.
Es ist nicht der Sinn der ersten Lesung, zu sehr auf die Details einzugehen. Aber bei den vorgesehenen Leistungsverbesserungen, im einzelnen handelt es sich doch um einen stattlichen Katalog, auf den Frau Minister Dr. Focke bereits ausführlich hingewiesen hat und in den der Kollege Glombig bei dieser seiner Herzensangelegenheit als Abgeordneter wieder sehr tief eingestiegen ist. Ich kann also hierauf verweisen.
Als Freie Demokraten können wir an den vorgesehenen Verbesserungen generell feststellen, wie ernst es der Bundesregierung ist, Behinderten und sozial Schwachen wieder eine Startchance in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zu geben oder, wo dies aus Gesundheits- oder Altersgründen nicht möglich ist, eine Verbesserung der Lebensverhältnisse zu gewähren. Dies gilt selbstverständlich auch bei den Maßnahmen, die künftig eine Gefährdung durch Milieuschäden vermeiden sollen. Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn die Länder und Gemeinden auch bereit sind, ihren finanziellen Anteil entsprechend zu übernehmen.
Die Stellungnahme des Bundesrates zu der Dynamisierung der Grundbeträge und die Forderung nach höheren Bundesanteilen ist nicht nur in der Sache bedauerlich. Sie zeugt auch von einem nicht gerade besonders guten politischen Stil. Ich erwähne dies insbesondere im Hinblick auf die Gesetzgebung, bei der die Länder traditionell höhere Leistungen des Bundes verlangen, wenn sie selbst nicht zur Kasse gebeten werden. Nach dem Vorschlag der Bundesregierung sollen die Grundbeträge nach den gleichen Maßstäben dynamisiert werden, wie es in der Rentenversicherung der Fall ist. Das heißt, die
Leistungserhöhung hat nicht nur die Funktion eines Ausgleichs für den Kaufkraftschwund, sondern darüber hinaus auch die Funktion, den Betroffenen im entsprechenden Rahmen an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilhaben zu lassen. Der Bundesrat schlägt vor, allenfalls eine Anlehnung an die Lebenshaltungskosten in Erwägung zu ziehen. Das bedeutet, daß das Einkommensniveau real festgeschrieben werden soll, jedenfalls bis zur nächsten gesetzlichen Regelung vermutlich wieder in vier Jahren. Dies verlangt der Bundesrat sogar für das Pflegegeld, also jenes Geld, das den Personen zugute kommt, die oft darauf verzichten, überhaupt noch erwerbstätig zu sein, um den Pflegebedürftigen Tag und Nacht zur Seite stehen zu können. Ich kann der Argumentation des Bundesrates mit dem besten Willen nicht mehr folgen und stehe hier vor einem Rätsel. Ja, es ist sogar so - ich sage das im Hinblick auf die Stellungnahme des Bundesrates -, daß er seine Zustimmung in etwa davon abhängig machen will, ob der Bund die ganze oder die zusätzliche Last direkt oder indirekt mehr oder weniger übernimmt.
Meine Damen und Herren, wenn man die Drucksach 7/308 zur Hand nimmt, die Stellungnahme des Bundesrates durchliest und dann einmal anstreicht, wo der Bundesrat Änderungen will, kann man als Sozialpolitiker eigentlich nur noch den Kopf schütteln und fragen: wo bleibt da die soziale Verantwortung des Bundesrates? Sehen Sie sich einmal die Ziffern 2, 3, 5, 6, 9, 10 oder 15 der vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen an!
Wir müssen sehr darauf achten - darin bin ich mit Herrn Kollegen Burger einig -, daß die Gemeinden nicht überfordert werden. Aber ich glaube, Herr Kollege Burger, wir sind uns auch in der Hoffnung einig, daß wir gemeinsam eine Fassung dieses Gesetzentwurfs finden, die die soziale und wirtschaftliche Integration vieler ermöglicht und eine Hilfestellung bietet, die sich nicht an der Festschreibung eines gegenwärtigen Zustandes orientiert, sondern Fortentwicklungen Raum gibt. Wir Freien Demokraten haben die Hoffnung, daß auch die Länder bereit sein werden, ihren bisherigen Standpunkt zum Dritten Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes zu überprüfen und zu korrigieren. Darüber hinaus halten wir die Beratung im Ausschuß für vordringlich, nachdem der 6. Deutsche Bundestag diese Fragen nicht abschließend regeln konnte.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geisenhofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Verbesserungen, wie Kollege Burger vorhin schon ausgeführt hat. Sie bedauert aber, daß ein Schwerpunkt, der sich in der Praxis der Sozialhilfe als eine besondere Härte erwiesen hat, in dem Entwurf nicht berücksichtigt worden ist.
Frau Bundesminister Focke, ich muß Ihnen mit Nachdruck folgendes sagen. Die in § 22 Abs. 3 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vorgesehene Änderung, der zufolge notwendig werdende Neufestsetzungen der Regelsätze zu dem Zeitpunkt vorzunehmen sind, „von dem an Rentenerhöhungen nach den Rentenanpassungsgesetzen auf die Leistungen nach diesem Gesetz anzurechnen sind", beseitigt diese Härte auf keinen Fall. Im Gegenteil, auch nach dem vorliegenden Gesetzentwurf werden alle Rentenbeträge, die den Bedarfssatz der Sozialhilfe nicht übersteigen, vereinnahmt. Die Kleinstrentner in der Sozialhilfe sind deswegen zutiefst verbittert.
Wie berechtigt diese Verbitterung ist, beweisen folgende Beispiele. Ein Sozialhilfeempfänger erhält mit Regelsatz, Mehrbedarfszuschlag und Wohnungszuschuß monatlich 350 DM Sozialhilfe zum laufenden Lebensunterhalt. Ein Rentner muß, um den gleichen Betrag zu erhalten, eine Monatsrente von 300 DM, auf die er in 25 Jahren harter Arbeit und Beitragszahlung einen Anspruch erworben hat, ohne jegliche Gegenleistung in die Sozialhilfe einbringen.
Der Unterschied besteht darin, daß der letztere für seine Vorsorgeleistung bestraft wird, während der erstere für seine Nichtvorsorge sogar belohnt wird. Da stimmt die Richtung nicht mehr, meine Damen und Herren. Die Leistung und der Leistungswille müssen auch in der Sozialhilfe honoriert werden.
Die CDU/CSU-Fraktion war bemüht, diese Härte schon in der 6. Legislaturperiode durch ihren diesbezüglichen Gesetzentwurf zu beseitigen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Jawohl.
Herr Kollege Geisenhofer, glauben Sie denn, daß der Freistaat Bayern bereit ist, diese Ihre zusätzliche Forderung auch zu finanzieren?
Herr Kollege Glombig, als bayerischer und Münchner CSU-Abgeordneter werde ich jedenfalls alles tun, damit unser Antrag auch von Bayern aus unterstützt wird.
Damit das Leistungsprinzip wenigstens zum Teil eine Anerkennung findet, sieht der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vor, einen Rentenfreibetrag von monatlich 80 bis 100 DM zu schaffen. Auch Insassen von Heimen und Anstalten sollen einen Rentenfreibetrag erhalten. Die CDU/CSU-Fraktion bedauert, daß dieser Gesetzentwurf, der den sozial schwächsten Schichten unseres Volkes helfen wollte, von der SPD-FDP-Koalition mit der Begründung abgelehnt wurde, daß dieses Problem nicht durch die Sozialhilfe, sondern durch die Rentenversicherung gelöst werden sollte. Tatsache ist aber, daß die Beseitigung dieser Härte über das jetzige System der Rentenversicherung einfach nicht möglich ist. Als neuer Beweis dafür dient das im September vorigen Jahres verabschiedete zweite große Rentenreformwerk. Die Renten wurden am 1. Juli um 9,5 % erhöht, und dank CDU/CSU wurden die Kleinstrenten derjenigen Rentner, die 25 Jahre und länger versicherungspflichtig tätig waren, ab 1. 1. 1973 um 100 DM und mehr erhöht. Aber wie wirkt sich diese Erhöhung nun in der Sozialhilfe aus? Während der Kleinstrentner außerhalb der Sozialhilfe die beachtliche Rentenerhöhung voll erhalten kann, bringt die gleiche Rentenerhöhung für Rentner, die Sozialhilfe beziehen müssen, - wegen der Anrechnungsbestimmung keinerlei Verbesserung. Wie ich vielen Protestschreiben entnehme, gehen immer größere Rentenbeträge, vor allem seit der Rentenreform 1972, in der Sozialhilfe unter. Was die eine Hand mit gutem Willen gibt, sehr gut gibt, nimmt die andere Hand wieder weg. Wenn es sich dabei um Beträge von 100 DM und mehr monatlich handelt, wird das zum Ärgernis.
Die CDU CSU-Fraktion wollte schon vor drei Jahren mit ihrem Gesetzentwurf vorausschauend diese Härte durch einen Rentenfreibetrag beseitigen, besser gesagt: gar nicht entstehen lassen. Leider haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD-FDPKoalition, diesen Antrag abgelehnt. Sie sind dadurch mitschuldig geworden an dieser bedauerlichen Entwicklung.
Ich kenne die Einwände, daß es außerhalb der Rentner auch noch Sozialhilfeempfänger gibt, die durch Lebensversicherung usw. private Vorsorge getroffen haben. Aber niemand hat so mühevoll Pflichtbeiträge und freiwillige Beiträge entrichtet und für sein Alter vorgesorgt wie die Kleinrentner. Die dürfen wir nicht bestrafen. Wir werden unseren Vorschlag wieder einbringen. Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD-FDP-Koalition, um Ihre Unterstützung im Ausschuß. Denken wir doch an die Ärmsten der Armen unseres Volkes!
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Geisenhofer, wir haben mit großer Aufmerksamkeit Ihrer Rede zugehört, und wir Freien Demokraten sind gerne bereit, den Grundsatz, den Sie hier vertreten haben, im Ausschuß zu erörtern und zu überprüfen, um festzustellen, inwieweit die CDU/CSU bereit ist, den Subsidiaritätsgedanken, den sie 1961 so hochgespielt hat, zu verlassen, und wohin wir dann rutschen, wenn wir anfangen, diesen Gedanken zu verlassen. Das muß man dann nämlich auch sehen. Man darf nicht nur das eine Problem sehen, das Sie hier behandelt haben, sondern muß den Problembereich in seiner generellen Tragweite sehen. Darüber werden wir uns im Ausschuß unterhalten. Sie brauchen nicht Angst zu haben, daß wir dieser Diskussion entfliehen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Aussprache in der ersten Beratung.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Nach Rücksprache mit den Fraktionen rufe ich nunmehr Punkt 43 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses ({0}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltjahr 1972 hier: Haushaltsgesetz 1972
Drucksachen 7/35, 7/306 - Berichterstatter: Abgeordneter Leicht
Ich frage zunächst den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Herr Berichterstatter wünscht nicht das Wort.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jenninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU habe ich zu dem Entschließungsantrag Drucksache 7/35 folgendes zu erklären: In Ziffer 1 des Antrages beanstandet die CDU/CSU, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen bei der Aufstellung und Beschlußfassung über den Bundeshaushalt 1972 dem Verfassungsgebot des Art. 110 GG und den einschlägigen Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung, nämlich den Geboten der Vollständigkeit, der Veranschlagungspflicht, dem Prinzip der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit und dem sogenannten Bruttoprinzip, nicht nachgekommen sind.
({0})
In einer Größenordnung von rund 6 Milliarden DM wurden Kreditaufnahmen zu Lasten des Bundes und die daraus zu leistenden Ausgaben im Haushaltsplan nicht ausgewiesen. Der Bundeshaushalt wird auf diese Weise, mit derartigen Methoden der Verschleierung mehr und mehr durchlöchert und ausgehöhlt. Er verliert seine Aussagekraft und spiegelt nur noch Teilbereiche der staatlichen Finanzierungsvorgänge wider.
Wenn sich die Bundesregierung beispielsweise dessen rühmt, den Bundeshaushalt 1972 mit einer Nettokreditaufnahme von nur noch rund 3 Milliarden DM abgeschlossen zu haben, so entspricht dies in Anbetracht des sogenannten Schattenhaushaltes in der Größenordnung von rund 6 Milliarden DM eben nicht der Wirklichkeit. Wir haben es also letzten Endes mit einer globalen Kreditaufnahme von 9 Milliarden DM zu tun, weil ja immer der gleiche Markt belastet wird und es gleichgültig ist,
ob er indirekt oder direkt in Anspruch genommen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es trifft zu - dies soll nicht verschwiegen werden -, daß auch frühere Bundesregierungen der CDU/CSU gelegentlich dieses Mittel der indirekten Finanzierung von Staatsausgaben angewendet haben, allerdings in sehr begrenztem Umfange und nicht in der Größenordnung von Milliarden DM. Was früher Ausnahme war, scheint zumindest im Falle des Haushalts 1972 zum System entwickelt worden zu sein.
Der Bundesrechnungshof hat dieses Verfahren immer wieder beanstandet. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen können sich auch nicht damit rechtfertigen, daß diese Methode in früheren Jahren wiederholt angewandt worden ist. Mit Wirkung vom 1. Januar 1970 ist nämlich inzwischen eine Haushaltsreform erfolgt, die ja gerade zum Ziel hatte, den Haushalt wieder transparenter zu machen und das entstandene Gestrüpp von Unklarheiten zu beseitigen. Ein Haushaltsplan besitzt nur dann auch einen ökonomischen Aussagewert, wenn er alle finanziellen Transaktionen des Bundes im addierten Zahlenwerk enthält. Wenn der Rund 7. B. Zahlungsverpflichtungen durch Hingabe diskontierbarer Papiere ablöst, wie das gegenüber der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in der Größenordnung von 1 Milliarde DM geschehen ist, so läuft dies - ähnlich wie im Falle der Krankenhausfinanzierung - auf eine verstärkte Inanspruchnahme des Geld- und Kapitalmarktes hinaus. Damit wird ein wichtiges ökonomisches Datum verfälscht. Dieser Betrag von 1 Milliarde DM findet sich im Haushaltsplan weder auf der Ausgabenseite in Kap. 11 13 noch ist er im Einzelplan 32 als Neuverschuldung ausgewiesen. Nicht nur die Sozialleistungen des Bundes werden verkürzt dargestellt, sondern auch die Haushaltssumme, aus der auf den Ausgabenzuwachs geschlossen wird, ist herabmanipuliert. Daran ändert auch die Ausbringung einer Kreditermächtigung im Haushaltsgesetz nichts.
Das gleiche Problem taucht auch bei den Krediten auf, die die sogenannte Offa auf Grund besonderer Ermächtigung zu Lasten des Bundes aufgenommen hat. Dadurch erscheinen die Bundesleistungen für den Bundesautobahnbau und für die Wasserstraßen 1972 um 600 Millionen DM geringer, als es der Wirklichkeit entspricht. Außerdem werden diese Kredite genauso wie die ausgewiesene Bundesschuld aus Haushaltsmitteln zurückgezahlt.
Meine Damen und Herren, die gesetzlich vorgeschriebene Transparenz dieser Vorgänge ist schließlich auch deswegen notwendig, weil sich sonst im Laufe der Jahre Erscheinungen ergeben, die zu großen Mißverständnissen Anlaß geben könnten. So wird beispielsweise der Zins- und Tilgungsdienst zur Krankenhausfinanzierung im Jahre 1982 weit über i Milliarde DM liegen, d. h. über den absoluten Betrag hinausgehen, der dann im Haushalt für diesen Zweck angesetzt wird.
Dem Ersuchen von Ziffer 2 des Antrags ist im Dezember 1972 durch eine Sonderzuweisung in Höhe von 1,1 Milliarde DM an die Deutsche Bundesbahn
zum Teil entsprochen worden. Das Anliegen, das hinter diesem Antrag steht bzw. stand, war die, wie wir meinen, unerträgliche und kostspielige Situation, in welche die Deutsche Bundesbahn durch ihre hohen Jahresfehlbeträge in den letzten Jahren geraten ist. Weil ihre Liquidität zu niedrig war, war sie gezwungen, diese durch teure kurzfristige Kredite zu sichern. Der Bund ist zwar nach dem Bundesbahngesetz nicht verpflichtet, die Liquiditätshilfe in einer bestimmten Höhe und zu einem bestimmten Zeitpunkt zu leisten; um aber der Deutschen Bundesbahn und damit letzten Endes eben auch dem Bundeshaushalt weitere zusätzliche Zinskosten zu ersparen, war bei der augenblicklichen Finanzlage der Deutschen Bundesbahn ein schnelles Handeln sinnvoll und erforderlich.
Ziffer 3 dieses Antrags hat sich durch Zeitablauf erledigt.
Ich möchte zusammenfassend sagen, daß wir, die CDU/CSU, die Hoffnung und die Forderung zum Ausdruck bringen, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen bei der Gestaltung der kommenden Haushalte die einschlägigen Verfassungs- und Haushaltsbestimmungen sorgfältig beachten und nicht dauernd Anlaß zu Beanstandungen bieten mögen. Wir stellen mit Genugtuung fest, daß die Bundesregierung im Haushaltsausschuß in Aussicht gestellt hat, daß sie sich bemühen wolle - sicherlich aus besserer Einsicht -, im Laufe der nächsten Jahre die sogenannten Schattenhaushalte abzubauen.
Wir stimmen der Empfehlung des Haushaltsausschusses, den Antrag formell als erledigt zu erklären, deswegen zu.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Haehser.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Schlußsatz, den Herr Kollege Jenninger gebraucht hat, hätte eigentlich an den Anfang gehört; denn er behandelt etwas, wovon der Haushaltsausschuß einstimmig der Meinung ist, es sei erledigt. In der Tat betrifft die Angelegenheit, die Herr Kollege Jenninger hier behandelt hat, einen Haushalt, den wir ordnungsgemäß verabschiedet haben.
({0})
Dies ist ein Nachkarten, das es in dieser Form bisher wohl noch nicht gegeben hat.
Aber lassen Sie mich noch etwas zur Methode sagen. Weil der Haushaltsausschuß, wie Sie der Drucksache 7/306 auf Seite 2 entnehmen können, der Meinung war, daß die Angelegenheit als erledigt zu betrachten sei, hat er heute morgen die informelle Beratung des Bundeshaushalts 1973 fortgesetzt. Diese informelle Beratung ist notwendig, damit wir, was sicher im Interesse des ganzen Bundestages liegt, vor der Sommerpause zur Verabschiedung des Haushalts 1973 gelangen.
Durch einen Zufall haben Herr Kollege Kirst und ich erfahren, daß entgegen einer Absprache im Altestenrat zu der erledigten Drucksache 7/306 bei Tagesordnungspunkt 43 hier noch einmal gesprochen werden soll.
({1})
Dies ist unfair. Ich stelle das fest und stelle auch fest, daß dem Haushaltsausschuß durch diese Methode heute morgen wertvolle Verhandlungszeit verlorengegangen ist.
Nun zur Sache. Herr Kollege Jenninger hat gewissermaßen mit einem Schlenker darauf hingewiesen, was das Kernstück des Berichts des Kollegen Leicht ist, daß nämlich der zuständige Bundesminister erklärt hat, man werde im Rahmen mehrerer Haushaltspläne die sogenannten Schattenhaushalte allmählich abbauen. Das sagt der Kollege Jenninger gewissermaßen so am Rande. Ich habe namens der sozialdemokratischen Fraktion hier in diesem Hause bei der Beratung des Haushalts 1972, aber auch schon früher erklärt, daß wir bereit sind, über den Abbau der sogenannten Schattenhaushalte mit uns reden zu lassen. Ich habe aber hinzugefügt, daß dann, wenn man an den Abbau geht, die Opposition nicht hergehen und hämisch von einer Erhöhung des Volumens reden darf. Das muß man dann sehr einvernehmlich machen.
({2})
- Das ist allerdings die Frage, Herr Kollege Wehner. - Das muß man sehr einvernehmlich machen, und dann gehen wir ran, vielleicht schon jetzt bei der Beratung des Haushaltsplans 1973.
Herr Kollege Dr. Jenninger, das, was Sie zum Krankenhausfinanzierungsgesetz gesagt haben, ist uns natürlich bekannt, wenngleich Sie sich um ein Jahr geirrt haben;
({3})
denn erst 1983 kommt der Punkt, wo der Schuldendienst den Kreditbedarf übersteigen würde. Nun halten Sie doch die Regierung und die auch dann noch hier in diesem Haus die Mehrheit habende Koalition nicht für so dumm, daß sie das auf sich zukommen läßt, ohne das vorher geändert zu haben! Halten Sie uns doch nicht für so dumm!
({4})
Nun zu den anderen Punkten, die angeschnitten worden sind, Öffa-Finanzierung von Straßenbau- und Wasserstraßenbauvorhaben. Ich habe Ihnen in diesem Hause die Seitenzahlen des Einzelplans 12 des Bundesministers für Verkehr vorgelesen, wo die Kreditaufnahme durch die Offa, die Tilgungsraten und die Zwecke der Kreditaufnahme dargelegt sind. Angesichts dieser Tatsache von Verschleierungen zu reden halte ich nicht für korrekt, Herr
Kollege Jenninger. Ich muß das hier ausdrücklich feststellen.
({5}) Lassen Sie mich ein letztes sagen.
({6})
- Zu den rechtlichen Dingen nehme ich in der Form Stellung, daß ich Ihnen noch einmal ausdrücklich bestätige: Wir wollen langsam ran an die sogenannten Schattenhaushalte. Mehr kann ich Ihnen aber nicht sagen. Sie lesen doch in dem Bericht des Kollegen Leicht: Der Haushaltsausschuß wird bei den Haushaltsberatungen 1973 dieses Thema erneut zum Gegenstand seiner Beratungen machen. Hätten Sie nicht durch Ihr unfaires Verhalten die Sitzung des Haushaltsausschusses heute morgen unterbrochen, wären wir vielleicht schon dabei, über diese Dinge zu reden. Das muß ich hier namens der Fraktion der SPD festhalten.
({7})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit wir im Haushaltsausschuß schnell wieder vernünftig arbeiten können, will ich mich auch ganz kurz fassen. Ich muß nur noch einmal feststellen: Das Verfahren, das hier gewählt worden ist - daran mögen Sie persönlich unbeteiligt sein, Herr Kollege Jenninger -,
({0})
ist der Gipfel der Unkollegialität. Sie werden von
Ihrer Fraktion hierhergeschickt, um zu diesem Punkt
- nebenbei: überflüssigerweise - zu reden. Wir von der SPD und FDP sitzen nichts ahnend drüben im Haushaltsausschuß. Wenn unser Apparat nicht so gut funktionierte, hätten Sie hier allein dazu reden können. Das wäre vielleicht auch nicht so schlimm gewesen.
({1})
Aber ich muß das als unkollegial betrachten, und ich hoffe, Kollege Jenninger, das war das erste und das letzte Mal, daß das passiert ist.
({2})
- Wunderbar, das war eine ausgezeichnete Charakterisierung dieses Verfahrens. Vielen Dank, Herr Kollege Wehner.
Außerdem, Herr Kollege Jenninger, ist diese Debatte in der Sache auch deshalb so überflüssig wie ein Kropf, weil wir das alles im April bei der ersten Lesung des Haushalts 1973 in mehreren Runden erneut in aller Ausführlichkeit behandeln werden. Ich kann es mir nur so erklären, daß die Opposition vom Haushalt 1972 einfach nicht Abschied nehmen kann,
({3})
zu dem sie offenbar eine besondere Affinität empfindet. Anders kann ich mir das nicht vorstellen.
({4})
- Eben.
Nun aber zur Sache selbst. Ihre Behauptungen, Herr Kollege Jenninger, diese Praxis sei verfassungswidrig, bringen Sie wie eine tibetanische Gebetsmühle immer wieder vor;
({5})
aber damit ist das nicht erwiesen.
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jenninger?
Bitte schön.
Herr Kollege Kirst, wenn wir wirklich nur die rechtliche Seite sehen, wollen Sie bestreiten, daß in Art. 110 des Grundgesetzes steht, alle Ausgaben und Einnahmen seien im Haushalt zu veranschlagen? Das bestreiten Sie permanent. Das ist verfassungswidrig.
({0})
Das ist nicht verfassungswidrig. Außerdem hat Herr Kollege Haehser ja schon in einigen Punkten im Detail nachgewiesen, wie das zu verstehen ist. Dann hätten Sie früher ja auch verfassungswidrig gehandelt. Das ist doch der Punkt.
({0})
- Nein. Sie ziehen sich dann aus der Schlinge, indem Sie sagen, die Rechtsgrundlagen hätten sich durch das Haushaltsgrundsätzegesetz, das am 1. Januar 1970 in Kraft getreten ist, geändert. Art. 110 des Grundgesetzes hat sich aber, insoweit Sie ihn zitieren, nicht geändert.
({1})
- Wir werden das noch einmal sehr genau nachprüfen. - Darauf kommt es an. Sie verquicken immer Dinge, die nichts miteinander zu tun haben.
Wir sind ja bereit, über 'die Frage der Abschaffung der Schattenhaushalte zu sprechen. Nur, ich möchte mit anderen Worten, aber auch sehr deutlich dazu folgendes bemerken. Das setzt nun einmal den Willen zur Objektivierung der Haushaltsdebatten bei Ihnen und bei anderen draußen im Lande voraus.
({2})
l 120
Das setzt voraus, daß man wegkommt von dem, was ich einmal als einen Zuwachsratenfetischismus bezeichnet habe.
({3})
Das müßte man aufgeben, damit man - wenn Sie so wollen - zu einer vernünftigen Bereinigung kommen könnte.
({4})
Wenn wir uns darüber einig sind, wird das in der Sache leichter zu machen sein.
Im übrigen zeigt der Bericht des Kollegen Leicht doch eigentlich folgendes. Alles, was Herr Kollege Leicht als Berichterstatter zur Begründung des Ausschußantrags, den Entschließungsantrag für erledigt zu erklären, angeführt hat, wäre selbstverständlich auch geschehen - das stand schon fest -, wenn dieser Entschließungsantrag nicht gestellt worden wäre;
({5})
um so besser können wir ihn jetzt für erledigt erklären.
({6})
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedauere es außerordentlich, daß die Art, wie der Antrag behandelt worden ist, nun dazu führt, daß auch ich noch genötigt bin, einige Worte der Klarstellung zu sagen.
Erstens. Meine sehr verehrten Kollegen, es entzieht sich meiner Kenntnis, wie der Ablauf im Altestenrat und die Vereinbarung zwischen den Geschäftsführern waren. Ich muß aber feststellen, auf unserer Seite ist gesagt worden, es solle im Plenum noch ganz kurz zu diesem Tagesordnungspunkt Stellung genommen werden. Das ist der Grund, warum wir das getan haben.
Zweitens. Es gibt auch einen sachlichen Grund dafür, daß diese Dinge hier noch einmal angesprochen worden sind; sachlich deshalb, weil allein aus der Erklärung, der Antrag sei erledigt, der Eindruck hätte entstehen können, als ob in der Sache selbst nichts mehr zu veranlassen ist. Aber inzwischen ist ja nun auch durch die Beiträge, insbesondere durch den von Herrn Kirst, klar geworden, daß die Sache selbst nicht erledigt ist, weil, wenn die Regierungsparteien noch daran festhalten, erst im Haushalt 1973 geprüft werden soll, inwieweit ein Einbau dieser außerhalb des ordentlichen Haushaltes laufenden Ausgaben und Kreditbeschaffung erfolgen soll.
Herr Abgeordneter Althammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kirst?
Ja, gerne.
Herr Kollege Althammer, würden Sie mir zustimmen, daß es, wenn Ihre Fraktion - wozu sicherlich sachlich jedes Recht gegeben ist - der Meinung ist, daß heute dazu geredet werden müsse, doch das richtige Verfahren gewesen wäre, mit den anderen Fraktionen Verbindung mit dem Ziel aufzunehmen, diesen Punkt auf die nächste Tagesordnung zu setzen? Denn es ist einfach unmöglich, darüber während der Sitzung des Haushaltsausschusses zu debattieren, ohne daß die anderen Mitglieder des Haushaltsausschusses das wissen.
({0})
Herr Kollege Kirst, ich kann zu diesem Punkt nur wiederholen: Bitte, klären Sie das mit den Leuten, die dafür zuständig sind, festzustellen, zu welchen Tagesordnungspunkten debattiert werden soll und zu welchen nicht.
({0})
Aber ich möchte noch ein Weiteres sagen. Es hat mich eigentlich sehr verwundert, daß Sie, Herr Kollege Kirst, jetzt plötzlich die Frage, ob sie etwas ändern wollen, davon abhängig machen, ob wir ein entsprechendes Wohlverhalten in bezug auf die Stellungnahme zu den Haushalten an den Tag legen.
({1})
Ich kann das nur so verstehen, daß Sie nun offenbar doch nicht mehr an dem festhalten wollen, was Sie in der zweiten und in der dritten Lesung des Haushalts angekündigt haben.
Ich darf als letztes sagen - das geht jetzt auf den Sprecher der SPD -: Ich stelle hier fest, daß das nicht der erste Fall ist, in dem nun versucht wird, durch Unterstellungen - so, als ob wir hier in unfairer Weise Dinge hätten behandeln wollen -- das Klima zu verschlechtern. Ich halte das für die Beratungen des Haushalts nicht für gut. Wie sehr die Opposition hier mitwirken will, sehen Sie auch daran - und das hat ja der Herr Kollege Haehser jetzt angeführt -, daß wir bereit waren und bereit sind, den Haushalt in sogenannten informellen Vorberatungen schon vor der ersten Lesung zu behandeln. Ich würde also sehr darum bitten, daß man dieses Klima einer guten und sachlichen Zusammenarbeit nicht durch solche Unterstellungen zerstört.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir außerordentlich leid, aber ich muß noch zwei Bemerkungen anschließen. Die eine: Ich habe mich noch einmal vergewissert; im Ältestenrat ist von der Absicht, zu diesem Punkt etwas zu sagen oder zu erklären, nicht die Rede gewesen.
({0})
Punkt 2: Kollege Althammer, ich habe von der Opposition kein Wohlverhalten verlangt - das haben wir gar nicht nötig -, sondern in diesem Punkte ein Mindestmaß an Objektivität. Das war damit gemeint.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Entschließungsantrag - Drucksache 7/35 für erledigt erklären
will, den bitte ich um sein Zeichen. Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 19 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Burger, Maucher, Härzschel, Frau Schroeder ({0}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Einführung von Krankenscheinheften für die versorgungsberechtigten Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen ({1})
Drucksache 7/230 Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Krankenkassen haben vor geraumer Zeit Krankenscheinhefte eingeführt, die sich inzwischen bewährt haben und sich großer Beliebtheit erfreuen. In der Mitteilung einer Krankenkasse an ihre Mitglieder konnte man bei Einführung dieser Krankenscheinhefte lesen: Mit diesem Krankenscheinheft haben Sie die Möglichkeit, hei notwendiger ärztlicher Behandlung den Krankenschein eigenverantwortlich auszustellen - eine Erleichterung, die Sie sicherlich begrüßen werden, denn sie erspart Ihnen Wege und damit Zeit.
Dies ist so, meine Damen und Herren, und diese große Erleichterung wollen wir nun auch den Kriegsopfern zugute kommen lassen, die als Zugeteilte den Krankenkassen zugewiesen sind. Auch sie, die Amputierten und die Schwerkriegsbeschädigten, sind sicherlich durch lange Wege und durch Zeitaufwand belastet.
Das Verfahren mit den Krankenscheinheften ist sicherlich gut. Die Krankenkassen können auf eine Verwaltungsvereinfachung hinweisen. Die Versicherten haben Zeit gespart und sind in der Lage, sehr rasch einen Arzt aufzusuchen. Schließlich sind auch die Ärzte über diese Regelung deshalb froh, weil sie oft von Patienten aufgesucht wurden, die keinen Krankenschein mitbrachten; sie hatten dann oft sehr viel Mühe, diesen Krankenschein beizubringen.
Es müssen vielleicht noch einige gesetzliche Vorbedingungen geschaffen werden, um auch für die
Kriegsopfer das Scheckheft einzuführen. Es könnte sich um das Problem der Rückforderung oder des Ersatzes erbrachter Leistungen handeln. Vielleicht spielt auch die Erklärung zur Ausstellung des Bundesbehandlungsscheins eine Rolle; schließlich könnten noch Probleme im Überweisungsverfahren stekken.
Ich glaube aber, daß wir bereits im Dritten Anpassungsgesetz einige textliche Änderungen vorgenommen haben, so daß bei dieser Erleichterung für die Kriegsopfer sicherlich keine größeren Schwierigkeiten entstehen könnten.
Wir bitten um Überweisung an den zuständigen Fachausschuß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen darf ich folgende kurze Erklärung abgeben. Es ist für uns selbstverständlich, daß im Bereich der sozialen Sicherung diejenigen Verfahren bei der Leistungsgewährung angewandt werden, die sowohl für die Betroffenen als auch für die Verwaltung möglichst arbeit- und kostensparend sind. Wenn wir daher diesem Antrag beitreten, dann geschieht das in dem Sinne, daß die Bundesregierung prüfen möge, ob der vorgeschlagene oder ein anderer Weg hier eine Verbesserung sowohl für die Kriegsopfer als auch für die Verwaltung bringt. Das ist auch wohl das Anliegen der Antragsteller. Wir wissen aber, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die entsprechenden Möglichkeiten und Schritte bereits eingeleitet hat und im Rahmen der nächsten Ausschußsitzungen hierüber berichten wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Überweisung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Walz, Pfeifer, Dr. Gölter und der Fraktion der CDU/CSU betr. Berufs-/Laufbahnreform
Drucksache 7/330
Uberweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({0}) Innenausschuß
Das Wort hat Abgeordnete Frau Dr. Walz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie zunächst auf einen Fehler in diesem Antrag aufmerksam machen. Es muß selbstverständlich heißen: Erstmals zum 31. März 1973. Ich bitte, das zu verbessern.
Ich darf Sie kurz an das Schicksal dieses Antrags in der 6. Legislaturperiode erinnern. Nachdem dieser Antrag zunächst im Bundestag als „verfehlt und voll blinden Eifers" abgeschmettert worden war, änderte sich die Stimmung im Ausschuß, als Minister Arendt am 27. August 1971 von der Dringlichkeit der angesprochenen Frage sprach und der Bildungsgesamtplan sein Anliegen als eine zentrale Entscheidung der Bildungsplanung bis zum Jahre 1975 bezeichnete.
Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft konnte sich nunmehr einstimmig auf die Ihnen jetzt vorliegende Fassung einigen. Die Ausschüsse für Arbeit und Sozialordnung, für Inneres, für Bildung und Wissenschaft sowie für Wirtschaft hatten sich ausführlich mit den Zielen dieses Antrages befaßt. Insbesondere scheint mir die Stellungnahme des seinerzeit federführenden Wirtschaftsausschusses von Bedeutung zu sein. Dieser Ausschuß hatte in seiner Sitzung am 4. März 1971 den Antrag letztmals auf der Tagesordnung stehen. Die SPD erklärte damals, sie sehe ebenfalls die Bedeutung und Wichtigkeit dieses Antrages ein, wolle aber zunächst den Bildungsgesamtplan abwarten. Aber, meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie die Ziele unseres Antrags tatsächlich für ein brennendes Problem halten, können Sie nicht mehr länger auf den Bildungsgesamtplan warten, da die Lösung des Problems, wie die Unruhe an Berufsschulen, an Schulen und an Universitäten zeigt, nunmehr längst überfällig ist.
Der vorliegende Antrag berücksichtigt Beschlüsse der Ausschüsse der 6. Wahlperiode ebenso wie die Stellungnahmen der dazu aufgeforderten Bundesministerien. Die damaligen Ausführungen der Bundesregierung waren leider nur beschwichtigend. Sie führten aus, daß das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der Bundesausschuß für Berufsbildung und das Institut für sozialwissenschaftliche Forschung mit den Fragen unseres ursprünglichen Antrags befaßt seien, weshalb eine weitere Verfolgung dieser Arbeit durch die Bundesregierung nicht erforderlich sei. Allerdings ist jedenfalls nach meinen Informationen, soweit ich aus den Ministerien etwa herausbekommen konnte, bis heute kein Arbeitsergebnis der genannten Gremien und Institute bekannt. Letztlich geht es darum aber auch nur am Rande; denn der Antrag soll die Bundesregierung zu handfesten politischen Taten auffordern.
Wie eminent wichtig konkrete Taten auf diesem Gebiet sind, zeigt .die alarmierende Entwicklung, die kürzlich aus Schweden und Finnland bekanntgeworden ist. Da die Bundesregierung zumindest im Bildungs- und speziell im Hochschulbereich auf dem Wege zu sein scheint, schwedische Entwicklungen - hier muß man auch sagen: schwedische Fehlentwicklungen - nachzuvollziehen, sollten wir die Zustände in Schweden sehr ernst nehmen.
Frau Kollegin Funcke vertrat bei der ersten Abschmetterung des Antrags damals im Plenum die Meinung, daß es überhaupt nicht auf den Bedarf, sondern nur auf die grundsätzlichen Bildungsforderungen des Menschen im Jahre 2000 ankomme. Kollege Raffert sekundierte ihr mit dem „blinden Eifer",
der überall nur schade, und der von uns geschürten Angst vor dem akademischen Proletariat.
Inzwischen erklärt allerdings die schwedische SPD-Regierung, man habe zwar möglichst vielen eine möglichst hohe Ausbildung zuteil werden lassen, - ({0})
- Ich würde die Palme-Regierung doch - ({1})
- Ich weiß nicht, als was Sie Herrn Palme dann bezeichnen würden; aber vielleicht steht er Ihnen nicht so nahe.
({2})
- Herr Wehner, ich rede über Bildungsreform, und davon verstehe ich ein bißchen. Und ich rede über Zustände in Schweden, und von denen verstehe ich auf diesem Sektor auch ein bißchen.
({3})
Ich darf jedenfalls noch sagen, daß die schwedische, noch von Olaf Palme geführte Minderheitsregierung nunmehr sagt, daß man zwar möglichst vielen eine möglichst hohe Ausbildung zuteil werden lasse, daß aber niemals von einem Recht auf eine dieser Ausbildung entsprechende Stelle gesprochen worden sei. Ich bitte Sie, diesen Satz besonders zu hören: aber niemals von dem Recht auf eine der Ausbildung entsprechende Stelle. Und jetzt hofft man ausgerechnet im Lande der weit vorangeschrittenen Gleichberechtigung, daß möglichst viele Studentinnen weggeheiratet werden, was natürlich in diesem Land ein besonderer Witz ist.
Die Gewerkschaft der schwedischen Akademiker SACO hat deshalb Ende Februar - ({4})
- Die Damen, die da geheiratet werden, die Schwedinnen, sind ja nette Leute. Gerade Schwedinnen sind besonders charmant, Herr Wehner; das werden Sie wissen, weil Sie lange dort gelebt haben.
({5})
- Das kann man nur hoffen.
({6})
- Herr Kollege Wehner, ich sprach von den Ausbildungsverhältnissen in Schweden und von den
Feststellungen, die die schwedische Akademikergewerkschaft SACO dazu trifft. Das sind ja sicherlich keine Parteifreunde von mir, sondern es dürften im großen und ganzen Parteifreunde von Ihnen sein, wenn Sie schon sagen, daß Ihnen die dortigen Sozialdemokraten nicht so nahestehen, was mir allerdings neu ist. Jedenfalls hat die Akademikergewerkschaft Alarm geschlagen und erklärt, von 90 000 Akademikern unter 35 Jahren seien 10% arbeitslos
({7})
- Sprechfehler habe ich eigentlich noch nicht, Herr Wehner, aber vielleicht kann ich sie von Ihnen lernen -, wobei sich die Zahl im letzten Jahr verdoppelt habe.
Ich finde das Beispiel Schweden deshalb so hilfreich, weil Schweden, wie gesagt, viele Erfahrungen gemacht hat, die wir noch vor uns haben. So hat die schwedische Schulreform, die allen Schülern mindestens die mittlere Reife als Abschluß beschert hat was Herr Leussink z. B. und die Bundesregierung hier ja auch wollten -, auch die Zahl der Gymnasialabsolventen und damit der Studenten auf etwa 30 % jedes Jahrgangs erhöht, genauer gesagt: von 1960 bis 1972 verdreifacht. Das liegt, wie ich ausdrücklich sagen möchte, nicht so sehr am System der integrierten Gesamtschule, sondern an der Leistungssenkung in Schweden und daran, daß weder die Primar- noch die Sekundarschule ein Sitzenbleiben kennt, was Bildungstheoretiker ja bei uns auch einführen wollen. Bildungsstatistiker haben jedenfalls in Schweden hochgerechnet, daß von den neuen 110 000 künftigen Studenten bis 1980 nur ein Drittel mit Arbeitsplätzen rechnen kann.
Schauen wir uns im eigenen Lande um, so verpflichtet uns die Hochschulsituation hier mit den sich rasch ausbreitenden Zulassungsbeschränkungen zu schnellem Handeln. Ein Staat wird unglaubwürdig, wenn er Abiturienten am Fließband produziert und in ihnen Bildungs- und Berufserwartungen weckt, die er nachher nicht erfüllen kann.
({8})
- Am Fließband einer Ausbildung, die so gestaltet ist, daß sie ihre Aufgaben auf Grund der Überfüllung der Ausbildungseinrichtungen nicht mehr erfüllen kann.
Angesichts des sich beunruhigend ausweitenden Numerus clausus muß es möglich sein, Alternativen, insbesondere zum Hochschulstudium - darum handelt es sich hier in diesem Antrag -, zu entwickeln.
({9})
Wir könnten natürlich jedem Studenten einen Studienplatz zur Verfügung stellen, wenn wir den Einsatz unserer gesamten finanziellen Mittel auf die Hochschulen konzentrierten. Aber das hätte dann zur Folge, daß wir hinsichtlich der Arbeitslosenzahl ähnliche „Erfolge" wie in Schweden zu verzeichnen hätten. Das würde für den einzelnen eine völlige Frustrierung bedeuten.
Was die Haushaltsmittel angeht, so müssen wir hier eine Umschichtung zugunsten der Bildung, insbesondere aber auch der Berufsbildung, vornehmen. Wenn Sie sich einmal die Zustände an den Hochschulen und Schulen ansehen, muß es - gerade auch nach Ihrem Zwischenruf, Herr Meinecke - erlaubt sein, darüber zu diskutieren und auf Abhilfe zu sinnen.
({10})
- Ja, Ihr Vorsitzender doch wohl ein wenig.
Kurz nach der erstmaligen Einbringung unseres Antrages vermuteten linke Studenten-Funktionäre hinter diesem Antrag gleich den zu früh in die Knochenmühle des leistungsorientierten Unternehmertums hineingezwungenen Kapitalistenknecht. Genau das haben wir damals gehört, Herr Meinecke, und das hören wir auch jetzt wieder von der südhessischen Jungsozialisten-Vorsitzenden hinsichtlich des „Hoechster Modells".
Wer in solchen Kategorien denkt, verwirkt den Anspruch darauf, ernst genommen zu werden. Wo der Staat finanziell und im Hinblick auf die Zahl der verfügbaren Arbeitsplätze an objektive Grenzen stößt, müssen Alternativen angeboten werden. Solche Alternativen haben zum Teil jetzt einige Großunternehmen mit der Ausbildung zum Wirtschaftsassistenten angeboten. Weiter noch geht das jüngst vorgestellte „Hoechster Modell", auf das sich die Kritik der südhessischen JungsozialistenVorsitzenden bezog, nach dem man in viereinhalb Jahren die Ausbildung zum staatlich anerkannten Industriekaufmann, zum Wirtschaftsassistenten, zum Volkswirt ({11}) und später auch zum Ingenieur ({12}) absolvieren kann, wobei die Ausbildung finanziert wird und der Arbeitsplatz gesichert ist, ohne daß - das muß ausdrücklich gesagt werden - eine Bleibeklausel vorgesehen ist.
In diesem Falle ist es wirklich einmal gerechtfertigt, zu sagen: „Hessen liegt vorn", auch wenn die Jungsozialisten hier widerum nicht zustimmen und darin wieder nur ein Unterlaufen der Demokratisierungsbestrebungen der Universitäten sehen.
Der Bund als Arbeitgeber - darauf kommt es uns hier im Bundestag an - sollte bei der Bundespost, der Bundesbahn, der Bundesbank und auch bei anderen Bundesunternehmen diesem Beispiel möglichst rasch folgen.
Es erscheint mir wichtig, diesen Antrag nicht isoliert zu sehen, sondern ihn in Bildungsreform und Bildungsplanung einzubauen. Planung muß bedrückend wirken, wenn die Studiengänge nicht endlich reformiert werden. Die Stagnation der Studienreform ist eine weitere Ursache der Unsicherheit der Schüler und der Studenten. Reform darf selbstverständlich nicht nur Straffung bedeuten, sondern sie muß die Anschlüsse an alle einzelnen Stationen des Bildungsganges neu regeln.
Falsch wäre es, eine „Einbahnstraße" von der Vorschule bis zum Staatsexamen mit nur einem einzigen Ausgang am Ende zu „bauen". Neuregelung der Aus- und Übergänge verlangt eine recht-
zeitige Differenzierung, Auslese und qualifizierende Abschlüsse am Ende jeder Stufe, von der Hauptschule über die Mittlere Reife bis zum Abitur, und außerdem attraktive Alternativen, die ohne den Ausbau des beruflichen Bildungswesens nicht entstehen können.
Dazu bedarf es aber auch der Unterrichtung der Eltern und Schüler über Berufschancen, Berufsrisiken und über Aufstiegsmöglichkeiten in allen Berufen, und nicht nur in den akademischen.
Das Abitur muß zu einem eigenständigen, berufsqualifizierenden Bildungsabschluß werden. Die Laufbahnordnungen des öffentlichen Dienstes müssen entsprechend geändert werden.
Leider wurde unser Antrag im Ausschuß etwas verwässert. Wir haben aber der Sache letztlich zugestimmt, um ihn überhaupt durchzubringen. Immerhin hat er in der vorliegenden Fassung noch Substanz genug, um die geschilderten Probleme wenigstens ansatzweise in den Griff zu bekommen und Lösungsmodelle in Gang zu setzen.
Die Folgerungen, die gemäß Buchstabe a) unseres Antrages aus den geforderten Untersuchungen der Bundesregierung zu ziehen sind, sollten dem Bund nicht allzu schwer fallen, zumal er über seine Kompetenz zur Regelung des Rechts der Wirtschaft gemäß Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes, wozu auch die berufliche Bildung gehört, direkte Eingriffs- und Wirkungsmöglichkeiten hat. Darüber hinaus haben wir es hier mit einem Stück der Bildungsreform zu tun, das große Auswirkungen hat, ohne den Staat viel zu kosten.
Nachdem die Wirtschaft nun begonnen hat, uns vorzumachen, wie man solche bildungspolitischen Probleme lösen könnte, sollten wir als Politiker die sich anbahnende Entwicklung von uns aus durchaus im Griff zu behalten suchen. Die Zeit drängt, da, wie einst Herr Leussink und wie später noch Herr von Dohnanyi zusagten, bis 1975 keinesfalls ein Abbau der Zulassungsbeschränkungen eingetreten ist, sondern genau das Gegenteil. Die Zustände an den Universitäten haben sich trotz steigernder Mittel verschlechtert, wozu natürlich auch die trabende Inflation das Ihre beigetragen hat. Die Unruhe an den Schulen und Hochschulen ist größer geworden, als sie war; denn es geht schließlich um die Berufsexistenz jedes einzelnen.
Meine Damen und Herren, es handelt sich um einen einstimmig formulierten Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft der letzten Legislaturperiode. Ich bitte Sie deshalb, diesem Antrag zuzustimmen und ihn an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen.
Ich danke Ihnen. Ich bedauere noch einmal den Druckfehler „1972" statt „1973", Herr Wehner. An diesem war aber nicht ich schuld.
({13})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Engholm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für außerordentlich bedauerlich, daß bei der CDU die Masche einreißt, bei jedem Stück Bildungspolitik, das -in diesem Hause diskutiert wird, die Gelegenheit zu benutzen, daraus eine antisozialdemokratische Pflichtübung zu machen.
({0})
Sie sind diesmal wiederum nach dem Motto verfahren: Ich schlage den Sack und meine den Esel. Sie haben die Schweden dazu benutzt
({1})
- und ich hoffe, daß die schwedischen Kollegen in der Botschaft dies auch aufmerksam verfolgt haben
- und haben die Sozialdemokraten gemeint.
Was Ihre Kenntnisse über Schweden betrifft, gnädige Frau,
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Walz?
Ich darf bitte noch diesen Satz zu Ende führen. - Was Ihre Kenntnisse über Schweden betrifft, so steht es mir nicht an, diese in Zweifel zu ziehen. Ich darf Sie nur darauf hinweisen, daß der schwedische Ministerpräsident nicht Olaf, sonder Olof heißt. Sollte auch dies ein Indiz für Ihre Kenntnisse über Schweden sein, dann kann es damit nicht allzu weit her sein.
({0})
Verehrter Herr Kollege, ich nehme nicht an, daß ich die Vornamen von Ministerpräsidenten so genau buchstabieren muß. Meine Frage geht aber auf etwas anderes: Wissen Sie nicht, daß uns im Zusammenhang mit der Bildungsreform ständig das schwedische Beispiel, insbesondere von der Staatssekretärin HammBrücher, als das entscheidende Beispiel, das entscheidende Vorbild für unsere Bildungspolitik genannt worden ist?
Ich habe nicht die Absicht, in Frage zu stellen, was Sie gesagt haben. Ich habe sogar die Absicht, hinzuzufügen, daß die Versuche, die in Schweden auf dem Wege zur Schul- und Hochschulreform, auch der Integration der beruflichen Bildung in das allgemeinbildende Schulwesen, seit urnd 30 Jahren betrieben worden sind, für uns viele Ansätze eines konkreten und konstruktiven Nachdenkens gebracht haben. Die Schweden haben Möglichkeiten geschaffen, an die wir anknüpfen können. Dies kann man allerdings nicht in der Form behandeln, wie Sie es eben in sehr abqualifizierender Weise getan haben.
({0})
Das zweite, das ich vorweg sagen wollte: Es entsteht ein bißchen der fatale Eindruck, daß Sie diesen Antrag als Vehikel benutzen, um Ihre etwas antiEngholm
quierten Bildungsvorstellungen hier noch einmal zum Tragen zu bringen. Ich muß darauf hinweisen, daß dieser Antrag, der von der Sache her von uns begrüßt wird und der inhaltlich richtig und gut ist, nicht dazu dienen darf, verfestigte Bildungsstrukturen, die ich kennzeichnen möchte mit dem elitären Charakter der höheren Bildung und dem sehr unterprivilegierten Charakter der beruflichen Bildung, zu erhalten. Deshalb will ich auch darauf verzichten, Ihnen noch mehr mit gleicher Münze heimzuzahlen; denn der Antrag, Frau Dr. Walz, ist besser als die Begründung, die Sie dem Parlament gegeben haben.
({1})
Die Probleme, die in dem Antrag enthalten sind, und die daraus resultierenden Aufgaben und Konsequenzen, sind der Bundesregierung und auch unserer Bundestagsfraktion seit langer Zeit bekannt. Die Bundesregierung hat im Bildungsbericht 1970 sehr deutlich darauf hingewiesen, daß sie es als ihre Aufgabe ansieht, Laufbahnstrukturen aufzulockern und sie differenzierteren Abschlußsystemen im Bildungsbereich anzupassen. Das kann man nachlesen. Deshalb ist in der Konsequenz dieser Aussage der Bundesregierung im Bildungsbericht 1970 auch eine Fülle von Arbeit an unterschiedliche Institutionen, Institute und Kommissionen verteilt worden. Ich darf darauf hinweisen, daß inzwischen drei Studien entweder vorhanden oder kurz vor dem Abschluß sind, Studien des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung in München. Ich darf darauf hinweisen, daß das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Erlangen sich seit langer Zeit bereits mit diesem Problem beschäftigt. Auch die Arbeiten des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung in Berlin liefern eine ganze Menge Material im Sinne Ihres Antrages. Von größtem Interesse allerdings - das vermuten wir - dürften die Arbeitsergebnisse der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechtes sein, die in der nächsten Woche beschlossen und einige Wochen darauf veröffentlicht werden.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit eine kleine historische Reminiszenz anfügen. Im Jahre 1963, im Juni genau, hat die SPD-Fraktion in diesem Hause einen Antrag auf Einsetzung einer Studienkommission für die Reform des Dienstrechtes eingebracht. Wir haben uns damals in diesem Hause - ich war noch nicht dabei, aber meine Kollegen - drei Jahre lang mit diesem Antrag beschäftigt, und im Jahre 1966 ist diese Studienkommission von der CDU/CSU mit außerordentlich fadenscheinigen Begründungen endgültig beerdigt worden.
({2})
Ich muß einfach sagen: hätten wir damals bei etwas mehr Weitsicht auf Ihrer Seite diese Studienkommission eingesetzt, wäre die Debatte über einen erheblichen Teil Ihres Antrages heute hier nicht mehr nötig.
({3})
Hinzu kommt - das lassen Sie mich bitte auch sagen -, daß die Sozialdemokraten sich seit längerer Zeit mit den Problemen der Interdependenz zwischen reformierten Bildungsgängen und Abschlüssen und der Änderung von Laufbahn- und Berufsstrukturen beschäftigen. Daß sie dies in ihrem Antrag heute noch einmal deutlich zum Ausdruck bringen, läßt uns hoffen, daß sie mit uns gemeinsam ein Stück Bildungsreform und Berufsreform vorantreiben. Wir hoffen darauf, daß dies nicht im Sinne der Bildungspolitik der CDU der Vergangenheit passiert.
Wir stimmen der Überweisung Ihres Antrages zu und freuen uns auf eine sehr rege Debatte.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Groß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, mit diesem Antrag werden diverse offene Türen eingerannt. Denn in diesem Hause scheint mir kein Streit darüber zu herrschen, daß hier einiges zu tun ist. Ich glaube, Frau Dr. Walz, Sie wissen genauso wie wir, daß auf diesem Gebiet nicht nur in der Bundesregierung, sondern auch in den Fraktionen schon bisher einiges bearbeitet worden ist. Insofern können wir alle dem zustimmen, daß hier weiter gearbeitet werden muß. Aber es ist notwendig, hierzu noch einige Bemerkungen zu machen.
Einmal wissen Sie wie wir, daß im Mai voraussichtlich das Ergebnis der hier schon erwähnten Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts vorgelegt werden wird. Wir werden an Hand dieses Berichtes - ich denke, die Bundesregierung wird dann auch ihre Vorschläge machen - in eine sehr intensive Diskussion kommen. Ich meine, es wäre schlecht - ich unterstelle, daß Sie das auch nicht wollen -, vorweg irgendwelche Einzellösungen für diesen nicht ganz unwichtigen Bereich zu bekommen. Im Grunde ist also auch hier wiederum festzustellen, daß Sie offene Türen einrennen.
Aber wir sollten uns vor einem Irrtum hüten. Selbst wenn wir die neuartigen Eingangsvoraussetzungen haben, die neuen Berufsbilder haben sollten, wird sich an dem bedauerlichen heutigen Zustand wahrscheinlich nicht so schrecklich viel ändern, wenn sich nicht in dieser Gesellschaft das Bewußtsein ändert, daß das Abitur und das akademische Studium der Weisheit letzter Schluß seien. Sofern manche es immer noch auf sich nehmen, jahrelang auf den Zugang zum Studium zu warten, statt andere durchaus vorhandene und gleich qualifizierende Ausbildungsgänge zu beschreiten, werden uns auch ein neues Berufsbild und ein neuer Abschluß nicht sehr viel helfen. Wir sollten hier die Möglichkeiten gesetzlicher Regelungen nicht überschätzen.
Nun findet sich allerdings in der Begründung ein Satz, über den einige Bemerkungen zu machen reizvoll wäre, nämlich der Satz, daß die Bildungsreform ohnehin viel zu langsam vorangehe.
({0})
Da ich davon ausgehe, daß die Antragsteller von der CDU damit nicht die Bildungsreform in den von ihnen regierten Ländern meinen
({1})
- so, Herr Kollege Wehner, wird es von der CDU gemeint sein -, denken Sie offenbar an die Bildungsreform, soweit sie den Bund angeht. Hier wäre die Frage zu stellen, ob die CDU/CSU-Fraktion mit diesem Satz sagen will, daß der Bund, der nicht zuletzt wegen des Widerstands der CDU/CSU nicht weitergekommen ist, eine andere Gangart, und zwar mit Unterstützung der CDU/CSU, einlegen sollte. Das ist doch die Frage.
({2})
Wenn jetzt Ihre Kultusminister und Ihre Ministerpräsidenten das Ihrige dazu tun und etwas unterstützen, was wir seit Jahr und Tag fordern, kommen wir in der Tat weiter. Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, die Bildungsreform komme ohnehin nur langsam voran, sich aber anderswo als Bremsklotz betätigen, scheint mir das eine Feststellung zu sein, die man so nicht stehenlassen kann.
({3})
Wir sollten diesen Satz, Frau Dr. Walz, so interpretieren, daß die CDU erfreulicherweise in einem Wandel begriffen ist. Wir werden dann in Zukunft Ihre Verhaltensweisen an diesem Satz zu messen haben. Sie dürfen sich nicht wundern, daß wir Ihnen, wenn es dann wiederum wie bei diversen anderen Gelegenheiten nicht weitergeht, diesen Satz vorhalten werden.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Der Altestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft - federführend - und dem Innenausschuß - mitberatend - zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier zwei Bemerkungen einfügen. Ich rechne damit, daß wir in etwa zehn Minuten mit der Fragestunde beginnen können.
Ein zweiter Punkt. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen - das gilt insbesondere für die neuen Kolleginnen und Kollegen -, daß sich diejenigen, die Zwischenfragen stellen wollen, an eines der Saalmikrophone begeben müssen. Das ist eine Vorschrift der Geschäftsordnung.
Ich rufe nunmehr die Punkte 21 bis 42 der heutigen Tagung auf:
21. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) über den Wahleinspruch des Karl I1g, Bellenberg, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/337 Berichterstatter: Abgeordneter Liedtke
22. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) über den Wahleinspruch des Otto Wannenmacher, Frankfurt a. M., gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/338 - Berichterstatter: Abgeordneter Liedtke
23. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) über den Wahleinspruch des Dietmar Fehr, Elmshorn, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/339 - Berichterstatter: Abgeordneter Liedtke
24. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3}) über den Wahleinspruch der Waltraud Straubinger, Marburg/Lahn, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/340 - Berichterstatter: Abgeordneter Liedtke
25. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4}) über den Wahleinspruch der Renate Pietschmann, München, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/341 - Berichterstatter: Abgeordneter Liedtke
26. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({5}) über den Wahleinspruch des Alois Bude, Westheim/Speyer, 1. Vorsitzender der Ostdeutschen Volkspartei ({6}) gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/342 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. de With
27. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({7}) über den Wahleinspruch des Karl Rietfort, Berlin, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/343 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. de With
28. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({8}) über den Wahleinspruch des Karlheinz Otte, Büsingen, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/344 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. de With
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
29. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({9}) über den Wahleinspruch des Manfred Arndt, Diez/Lahn, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/345 - Berichterstatter: Abgeordneter Thürk
30. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({10}) über den Wahleinspruch des Karl-Heinz Dieditz, Dortmund, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/346 - Berichterstatter: Abgeordneter Thürk
31. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({11}) über den Wahleinspruch des Ignaz Lutz, Stuttgart, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/347 -Berichterstatter: Abgeordneter Thürk
32. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({12}) über den Wahleinspruch des Aurel Buhmann, Freiburg, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/348 -Berichterstatter: Abgeordneter Thürk
33. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({13}) über den Wahleinspruch des Horst Jaeger, Wuppertal, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/349 - Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
34. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({14}) über den Wahleinspruch des Herbert Ruff, Stade, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/350 Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
35. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({15}) über den Wahleinspruch des Wilhelm Stöcke, Dorstadt, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/351 Berichterstatter: Abgeordneter Dürr 36. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({16}) über den Wahleinspruch der Elfriede Martens-Schüller, München, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/352 - Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
37. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({17}) über den Wahleinspruch der Gertrud Vulhop, Osnabrück, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/353 - Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
38. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({18}) über den Wahleinspruch des Josef Wenger, Saarbrücken, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/354 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Klein
({19})
39. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({20}) über den Wahleinspruch der H. Knüttenberg, Liederbach, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/355 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Klein
({21})
40. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({22}) über den Wahleinspruch des Bernhard Oelerink, Langenhagen, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/356 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Klein
({23})
41. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({24}) über den Wahleinspruch der Annegret Braumiller, Leonberg, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/357 Berichterstatter: Abgeordneter Mertes
({25})
42. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({26}) über den Wahleinspruch des Alfons Dörner, Mainz-Laubenheim, ge1128
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
gen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972
- Drucksache 7/358 Berichterstatter: Abgeordneter Mertes
({27})
Es handelt sich um die Beratung über einen Teil der eingelegten Wahleinsprüche. Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag sind 40 Einsprüche eingegangen. Nach Art. 41 des Grundgesetzes hat der Bundestag über diese Wahlanfechtungen zu befinden. Gegen die Entscheidung des Bundestages kann der jeweilige Einspruchsführer in Form der Beschwerde das Bundesverfassungsgericht anrufen.
Das Einspruchs- und Beschwerdeverfahren wird im Wahlprüfungsgesetz geregelt. Dieses eröffnet die Möglichkeit, im Falle der Unzulässigkeit wegen Fristversäumnisses oder des Fehlens der Geschäftsfähigkeit oder auch bei offensichtlicher Unbegründetheit den Einspruch ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen. Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts - auch dies sei hier noch zum besseren Verständnis erwähnt - ist schließlich dann eine Anfechtung nicht gerechtfertigt, wenn der begangene Verstoß keinen Einfluß auf das Wahlergebnis hat.
Nach diesen Grundsätzen empfiehlt der Wahlprüfungsausschuß, die Einsprüche in den vorgelegten 22 Fällen - Drucksachen 7/337 bis 7/358 - ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen. Der jeweils zugrunde gelegte Sachverhalt mit der rechtlichen Beurteilung ist aus den vorliegenden Drucksachen ersichtlich. Ich verweise auf Tatbestand und Entscheidungsgründe.
Der Wahlprüfungsausschuß legt deshalb schon heute einen Teil der Einsprüche zur Entscheidung vor, weil diese entscheidungsreif sind und es nicht zumutbar erschien, mit dem Votum des Bundestages hierzu zu warten, bis die restlichen Einsprüche behandelt werden können. Bei den noch ausstehenden Einsprüchen gilt es, Äußerungen und Stellungnahmen abzuwarten. Der Wahlprüfungsausschuß ist bemüht, auch diese Einsprüche so bald wie möglich abzuschließen.
Die Zahl der eingegangenen Wahleinsprüche ich sagte schon, daß es 40 seien - liegt übrigens
im Rahmen derjenigen der Wahlen zum 5. und 6.
Deutschen Bundestag. Damals waren es 39 bzw. 33.
Wir bitten, nach den Ihnen vorliegenden Anträgen zu verfahren.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich komme zur Abstimmung und nehme Ihr Einverständnis damit an, daß ich die Wahleinsprüche gemeinsam zur Abstimmung stelle. - Das ist der Fall. Der Ausschuß schlägt in allen Fällen vor, den Einspruch zurückzuweisen. Wer diesen Ausschußanträgen auf den Drucksachen 7/337 bis 7/358 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Ich rufe nunmehr den Punkt 44 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses ({0}) zu der Veräußerung der ehemaligen Dragoner-Kaserne in Karlsruhe an die Stadt Karlsruhe für Einrichtungen des Gemeindebedarfs
- Drucksachen 7/45, 7/314 - Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
Das Wort zu einer Ergänzung des Berichts wird nicht begehrt. - Das Wort wird auch zur Aussprache nicht begehrt.
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 45 der Tagesordnung auf:
Beratung der Ubersicht 1 des Rechtsausschusses ({1}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 7/316 Das Wort wird von den Berichterstattern nicht begehrt. - Auch zur Aussprache wird das Wort nicht gewünscht.
Wer dem Ausschußantrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 46 und 47 sowie den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr ({2}) zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Anderung der Richtlinie Nr. 65/269/EWG zur Vereinheitlichung gewisser Regeln betr. die Genehmigung für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
- Drucksachen 7/87, 7/322 Berichterstatter: Abgeordneter Schmitt ({3})
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr ({4}) zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über verstärkte KunststoffVizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
tanks für die Beförderung gefährlicher Stoffe auf der Straße
- Drucksachen VI/3036, 7/323 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Oetting
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft ({5}) über einen Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung des Rates über die Statistik des Außenhandels der Gemeinschaft und des Handels zwischen ihren Mitgliedstaaten
- Drucksachen 7/18, 7/335 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Ich frage zunächst, ob die Berichterstatter das Wort wünschen. - Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache begehrt? - Auch das ist nicht der Fall.
Ich gehe davon aus, daß das Haus einverstanden ist, daß der Einfachheit halber gemeinsam abgestimmt wird. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/322, 7/323 und 7/335. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich kann nunmehr aufrufen die
Fragestunde
- Drucksache 7/360 Wir setzen zunächst die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten fort. Zur Beantwortung der eingereichten Fragen steht Herr Bundesminister Ertl zur Verfügung.
Die erste Frage, die Frage 54, ist von Herrn Abgeordneten Dr. Hammans:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die landwirtschaftlichen Gebäude jener ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebe, die ihre landwirtschaftliche Nutzfläche zur Strukturverbesserung verpachtet oder verkauft haben, entweder einer anderen Nutzung oder einem erforderlichen Abbruch zuzuführen?
Herr Kollege Hammans, ich beantworte Ihre Frage wie folgt.
Der Bundesregierung sind die Probleme bekannt, die im Zusammenhang mit der Aufgabe landwirtschaftlicher Betriebe und der damit häufig verbundenen Notwendigkeit einer anderweitigen Nutzung der Wohn- und Wirtschaftsgebäude für die aufgebenden Landwirte entstehen. Sie wird im Rahmen der anstehenden Novellierung des Bundesbaugesetzes dafür Sorge tragen, daß die Bestimmungen über die Zulässigkeit von baulichen Vorhaben im Außenbereich um Vorschriften erweitert werden, die eine bessere Nutzung vorhandener landwirtschaftlicher Wohn- und Wirtschaftsgebäude ermöglichen.
Allerdings möchte ich darauf hinweisen, daß die Landwirte bei der strukturverbessernden Abgabe der landwirtschaftlichen Nutzfläche im allgemeinen
- dies wünschen wir aus Gründen der Besiedlung und auch aus Eigentums- und gesellschaftspolitischen Gründen - neben der Hofstelle den gesetzlich möglichen Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche behalten, um sich selbst die Möglichkeit des Wohnenbleibens auf dem Lande zu erhalten. Das gilt gleichermaßen für die Verpachtung und den Verkauf, wobei die Verpachtung die Regel ist. Ich glaube
- das sage ich jetzt aus der Erinnerung -, daß es sich bei der Landabgaberente in mehr als drei Vierteln aller Fälle um Verpachtungen handelt. Die Landwirte wandern also nicht vollends in die Ballungsgebiete ab, sondern sie nehmen dort gegebenenfalls nur einen Arbeitsplatz an. Diese Tendenz wird von uns, wie bereits erwähnt, für richtig gehalten, und insoweit werden wir auch alles tun, damit die aufgebenden Landwirte weiterhin diese Möglichkeit nutzen können.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir uns mit Nachdruck bemühen, die Wohnhäuser mit Hilfe von Bundesmitteln zu modernisieren und auszubauen. Wir können heute von dem Tatbestand ausgehen, daß zwischen 1961 und 1972 rund 330 000 Wohnhäuser mit Bundesmitteln gefördert wurden. Es handelt sich dabei um rund 250 000 Fälle der Modernisierung von Wohnhäusern im Zeitraum von 1969 bis 1971. Dafür sind Mittel in Höhe von rd. 300 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden. 1972 waren es nach unseren Schätzungen zirka 45 000 Fälle mit einem Förderungsvolumen von 67,7 Millionen DM. Insgesamt wurden zwischen 1961 und 1972 295 000 Fälle mit 367 Millionen DM gefördert. Hinzu kommen noch die Förderungsmaßnahmen über Darlehen und Zinsverbilligungen. Wir schätzen, daß ungefähr 35 000 landwirtschaftliche Betriebe zwischen 1961 und 1972 hiervon Gebrauch gemacht haben.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister Ertl, im Hinblick darauf, daß ja § 43 in der jetzigen Fassung seinerzeit gerade von der Landwirtschaft gefordert worden ist, ohne daß die Entwicklung übersehen werden konnte, möchte ich Sie fragen, wie Sie sich im einzelnen eine Änderung dieses Paragraphen im Hinblick auf die Nutzungsänderung vorstellen.
Herr Kollege, wir stehen diesbezüglich in Ressortbesprechungen. Ich möchte diesen Ressortbesprechungen durch eine persönliche Äußerung meinerseits zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgreifen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ist vorgesehen, Zuschüsse zu Abbruchkosten zu geben?
Das glaube ich nicht. Das wäre auch höchstens in Ausnahmefällen der richtige Weg. Ich habe betont, daß es uns vielmehr darauf ankommt, daß den Landwirten, die im Rahmen strukturverbessernder Maßnahmen einen beachtlichen Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche anderen Betrieben zur Verfügung stellen, für die ländliche Wohnstätte eine Fläche von bis zu einem Hektar erhalten bleibt. Ich glaube nicht, daß der Zuschuß für Abbruchmaßnahmen prinzipiell ein Zuschuß für eine in dem Sinne wichtige Förderungsmaßnahme wäre. Es könnte sich höchstens um eine Ausnahmeregelung handeln. Deshalb halte ich es auch nicht für notwendig, dafür eine globale Förderung vorzusehen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Ritz.
Herr Bundesminister, würden Sie solche Ausnahmen nicht in jenen Bereichen und Regionen als gegeben sehen, wo die enge Dorfbebauung und die Aufgabe von Betrieben unter Umständen doch einen Abbruch notwendig machen, weil der von Ihnen skizzierte und auch von mir anerkannte Beibehalt eines gewissen Hoflandes dann einfach nicht möglich ist?
Herr Kollege Ritz, soweit ich das jetzt übersehen kann und soweit es sich um Althofsanierungen handelt, werden solche Fälle im Rahmen der dafür geltenden Vorschriften gesondert gefördert. Ich bin im Augenblick nicht imstande, zu sagen, ob das ein generelles Problem ist, bin aber gern bereit, diese Frage prüfen zu lassen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Horstmeier.
Herr Bundesminister, sind Überlegungen angestellt worden, auch die Tatbestände mit einzubeziehen, wo landwirtschaftliche Gebäude zu Zuerwerbszwecken umgebaut werden sollen, um ein kombiniertes Einkommen zu erreichen?
Ich glaube, wir liegen hier in der Tendenz richtig, indem wir nämlich z. B. die Modernisierungsmaßnahmen ohne Rücksicht auf die Einkommensschwelle bei allen Betrieben anwenden, weil es ja vordringlich darum geht, das ländliche Wohnen insgesamt dem Wohnen im städtischen Bereich zivilisatorisch adäquat zu machen. Insoweit werden alle Betriebe im Wohnhausteil gleichrangig gefördert. Ich hätte echte Bedenken, wenn man Betriebe, die zu einer kombinierten Einkommensform übergehen oder übergehen müssen, beispielsweise
hinsichtlich der Betriebsgebäude besonders fördern würde. In der Regel haben sich solche Förderungen als Fehlinvestitionen herausgestellt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wann ist mit der Vorlage der von Ihnen angekündigten Novelle zu rechnen?
Das kann ich im Augenblick nicht präzise beantworten; das tut mir furchtbar leid. Wir prüfen diese Fragen sehr ernst und sehr gewissenhaft. Wie Sie wissen, bedarf das nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung einer Reihe von Vorarbeiten auf Referentenebene bis herauf zur Kabinettsreife. Ich bin im Augenblick nicht in der Lage, Ihnen einen präzisen Zeitpunkt zu nennen.
({0})
- Wir sind dabei, diese Dinge beschleunigt zu behandeln.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, da Sie, wie ich meine, zu Recht feststellen, daß diese Novellierung des Bundesbaugesetzes eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird, frage ich Sie: Sind Sie mit mir der Meinung, daß die genehmigenden Baubehörden gut daran täten, dieser notwendigen Novellierung im Rahmen ihrer Ermessensfreiheit schon insofern Rechnung zu tragen, als sie die Genehmigung des Ausbaus solcher landwirtschaftlichen Betriebe nicht einengend, sondern befürwortend behandeln, d. h. sich diesem Gedanken fördernd anschließen?
Herr Kollege, ich bin hier, wie ich beinahe sagen möchte, in einer Kompetenzzwickmühle; denn ich bin nicht federführend für das Bundesbaugesetz und möchte nicht sozusagen in einem anderen Garten grasen. Aber als Ihr Kollege und als ein Abgeordneter, der sich dieser Frage selbst lange Jahre gewidmet hat, kann ich Ihnen aus meiner Erfahrung sagen: Es gibt eine Verordnung zum Bundesbaugesetz, in der von einer Reihe von Ausnahmen im Außenbereich die Rede ist, soweit es sich um landwirtschaftliche Familienangehörige handelt. Nur muß ich Ihnen leider aus der Praxis wiederum bestätigen, daß dieser Ermessungsspielraum manchmal weiter und manchmal auch sehr eng genutzt wurde. Mir wäre es lieb, wenn die Verwaltungsarbeit - ich bemühe mich in meinem Hause darum und hoffe, daß es mir gelingt - so gemacht wird, daß sie den Menschen und nicht dem Paragraphen dient.
Ich rufe die nächste Frage auf, die Frage 55 des Herrn Abgeordneten von Alten-Nordheim:
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ist die Bundesregierung nunmehr bereit, in welcher Höhe und für welche Maßnahmen, direkte finanzielle Hilfen für die ungeheuren Sturmschäden, die durch die Naturkatastrophe vom November 1972 verursacht worden sind, zu gewähren, nachdem nicht nur Umfang und Auswirkungen der Schäden hinlänglich bekannt sind, sondern ihr auch mehr als genügend Zeit für Prüfung und Klärung verschiedener Sachprobleme zur Verfügung gestanden hat?
Herr Kollege von Alten, die Bundesregierung ist bereit, für die Beseitigung der Sturmschäden finanzielle Unterstützung zu leisten, obwohl ihre rechtliche Verpflichtung nach, dem Gemeinschaftsaufgabengesetz, so möchte ich sagen, nicht einwandfrei ist. Wenn überhaupt, hat die Bundesregierung nur die Pflicht zu subsidiärer Unterstützung. Nach den bisherigen Ermittlungen ist es mir durch Einsparungen bei anderen Titeln in meinem Einzelplan möglich, der Bundesregierung vorzuschlagen, 15 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Ich werde mich bemühen, soweit ich im Kabinett Unterstützung bekomme, von mir aus möglicherweise auch noch zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Mehr als 15 Millionen DM kann ich auf Grund von Einsparungen aus meinem Haushalt im Augenblick nicht bereitstellen.
Eine Zusatzfrage.
von Alten-Nordheim ({0}) : Herr Bundesminister, sind diese 15 Millionen DM zunächst nur für das Jahr 1973 gedacht, und haben Sie vor, eventuell für das Jahr 1974 weitere Hilfen zu geben?
Herr von Alten, ich glaube, diese Frage steht zur Zeit nicht zur Diskussion. Im Augenblick geht es darum, daß der Bund seine Bereitschaft zur subsidiären Hilfe neben den anderen Hilfsmaßnahmen unter Beweis stellt und es ermöglicht, einen Teil des anfallenden Holzes in von Niedersachsen entfernte Reviere zu transportieren, damit es dort verarbeitet werden kann. Die Bundesregierung hat sowohl eine Verringerung des Einschlags als auch einen partiellen Einfuhrstopp veranlaßt. Auf der anderen Seite haben wir Probleme mit der Beschickung der Sägewerke in von Niedersachsen entfernte Regionen und ihrer Auslastung. Ich bin deshalb nicht befugt, im Augenblick eine Zusage über das Haushaltsjahr 1973 hinaus zu machen. Ich glaube, das ist eine Frage, die man erst ermessen kann, wenn überprüft wird, ob und in welcher Form eine Hilfe darüber hinaus notwendig ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
von Alten-Nordheim ({0}) : Herr Bundesminister, ich entnehme Ihren Ausführungen, daß Sie bei diesen 15 Millionen DM an ein bestimmtes Vorhaben denken. Ihnen ist ja bekannt, daß für Aufräumung, Konservierung und Frachthilfen erheblich mehr Mittel zur Verfügung stehen müssen. Ist der Verwendungszweick dieser 15 Millionen DM auf eine dieser besonderen Teilaufgaben begrenzt, oder haben Sie vor, ihn nicht zu begrenzen?
Darüber werden wir uns mit der zuständigen Landesregierung zu unterhalten haben - denn die hat für diese Aufgaben die Federführung -, und wir werden uns mit der niedersächsischen Landesregierung abstimmen. Ich habe bei einem zufälligen Aufenthalt in Niedersachsen am Wochenanfang die Gelegenheit gehabt, mit dem Hubschrauber über weite Schadensgebiete zu fliegen, und habe festgestellt, daß es Gebiete gibt, wo sehr viel aufgeräumt ist, und Gebiete, wo noch nicht angefangen worden ist. Ich glaube, auch diesbezüglich muß man mit den regionalen Stellen versuchen, zu befriedigenden Lösungen zu kommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz.
Herr Bundesminister, müssen wir nach Ihrer Auskunft betreffend die 15 Millionen DM nunmehr davon ausgehen, daß sich der Finanzminister endgültig geweigert hat, zusätzliche Mittel im Einzelplan 10 zur Beseitigung der Sturmschäden für dieses Jahr bereitzustellen?
Das kann ich im Augenblick nicht beantworten. Ich werde eine Kabinettsvorlage machen, und ich kann dazu erst etwas sagen, nachdem das Kabinett beschlossen hat. Aber ich glaube, alle Fraktionen dieses Hohen Hauses verlangen vom Bund eine weitgehende Zurückhaltung bei Haushaltsausgaben. Zugegebenermaßen muß man Hilfsmaßnahmen bei Sturmschäden als außerordentliche Maßnahmen ansehen. Ich habe Ihnen auch gesagt, ich werde alle Anstrengungen machen, um möglicherweise zu einem besseren Ergebnis zu kommen. Aber ich bin nicht in der Lage, hier von mir aus eine verbindliche Zusage zu geben. Das wäre auch unkollegial gegenüber dem Herrn Finanzminister.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Bundesminister, wie vereinbaren Sie Ihre soeben gemachte Aussage, Sie wollten sich bemühen, mit 15 Millionen D-Mark zu einer befriedigenden Lösung zu kommen, mit der Tatsache, daß der zuständige Ausschuß dafür - nämlich für eine befriedigende Lösung - ungefähr das Drei- bis Vierfache an Mitteln errechnet hat?
Herr Kollege Kiechle, leider kann ich die Zusatzfrage nicht zulassen, weil der notwendige unmittelbare Zusammenhang mit der gestellten Frage des Herrn Kollegen von Alten-Nordheim nicht vorhanden ist.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten von Alten-Nordheim. auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die von ihr zunächst ergriffenen mehr flankierenden Sofortmaßnahmen durch wirksame finanzielle Hilfen unterstützt werden müssen, so wie diese u. a. von dem am meisten betroffenen Land Niedersachsen, den Verbänden, einer Reihe von Abgeordneten und schließlich auch in einer Resolution des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gefordert werden, um weitere unübersehbare Folgeschäden zu verhindern?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die von ihr bereits getroffenen Maßnahmen - ich habe schon darauf hingewiesen --, insbesondere die Einschlags- und Einfuhrbeschränkung, durch finanzielle Hilfen unterstützt werden müssen. Bei den beabsichtigten Finanzhilfen wird die Bundesregierung der Entschließung des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel Rechnung tragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
von Alten-Nordheim ({0}) : Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß diese bereits gewährten Soforthilfen illusorisch bleiben müssen, wenn die immer wieder geforderte finanzielle Unterstützung des Bundes nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen wird?
Herr Kollege von Alten-Nordheim, ich glaube, ich habe schon bei der vorhergehenden Frage darauf hingewiesen: Es gibt ein Gemeinschaftsaufgabengesetz - wenn ich mich nicht irre, stammt das aus der Zeit, in der die CDU/CSU auch in der Regierungsverantwortung stand -, und nach diesem Gesetz gibt es keine rechtliche Verpflichtung - so sagen es alle zuständigen rechtskundigen Mitarbeiter aller Häuser - des Bundes. Es gibt nur die freiwillige Verpflichtung, die er selbst übernommen hat.
Über diese Entscheidung kann sich ein dem Gesetz verpflichteter Bundesminister nicht hinwegsetzen. Er hat aber, glaube ich, bewiesen, indem er andere Titel gekürzt hat, daß er versuchen will, angesichts der Schwere der Sturmkatastrophe zu helfen. Es gibt kein Muß in dieser Frage, sondern es gibt die freiwillig übernommene Verpflichtung zur Hilfe.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
von Alten-Nordheim ({0}): Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß Hilfe dringend jetzt geboten ist, weil nicht nur privatwirtschaftliche Interessen betroffen sind, sondern weil mit dem Herannahen der warmen Jahreszeit und der Gefahr von Brandkatastrophen, Käferbefall usw. auch erhebliche volkswirtschaftliche Interessen auf dem Spiele stehen? Selbst der Herr Bundeskanzler hat sich dieser Frage angenommen
und diesem Problem eine besondere Bedeutung zugemessen. Können Sie in diesem Zusammenhang einen Termin nennen, wann die ersten Hilfen anlaufen?
Ich habe Ihnen gesagt, das wird nächste Woche im Kabinett behandelt. Ich hoffe, daß es dann sehr schnell geht.
Ansonsten kann ich zu Ihrer Frage nur sagen: ja.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Welche volkswirtschaftlichen Orientierungsdaten wird die Bundesregierung bei der Agrarpreisverhandlung im EG-Ministerrat im April 1973 in Brüssel berücksichtigen?
Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung hat sich im Agrarbericht 1973 die „Verbesserung des Agrarpreisniveaus durch gezielte Preisanhebungen unter Berücksichtigung der allgemeinen Einkommens- und Kostenentwicklung und im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse" zum Ziel gesetzt. Dabei sind die wichtigsten volkswirtschaftlichen Orientierungsdaten bereits angesprochen .
Im einzelnen wird die Bundesregierung berücksichtigten: erstens die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft und in der übrigen Wirtschaft, zweitens die allgemeine Preisentwicklung, insbesondere die Entwicklung der Preise für landwirtschaftliche Betriebsmittel, aber auch die Verbraucherpreise bei Nahrungsmitteln, drittens die Produktivitätsentwicklung in der Landwirtschaft und viertens die konjunkturelle Situation.
Neben diesen Orientierungsdaten wird vor allem die Lage auf den landwirtschaftlichen Märkten entscheidend die Preisfestsetzung für die einzelnen Produkte unabhängig von den Preisbeschlüssen, die in Brüssel zu fassen sind, mit bestimmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Sind Sie mit mir einer Meinung, Herr Minister, daß die gestern veröffentlichten Vorschläge der Kommission für die Preisveränderungen in einer Höhe von 2,76 %, verbunden mit einer entsprechenden Senkung des Grenzaus gleichs, keine Basis für die Verhandlungen des Ministerrats sind?
Die Bundesregierung hat in Brüssel mit Nachdruck erklärt, daß sie keinen Anlaß sieht, den Grenzausgleich - oder seinen möglichen Abbau - mit den anstehenden Preisverhandlungen zu koppeln. An dieser Haltung wird sich nichts ändern, und das ist auch rechtlich und von der Sache her nicht erforderlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Horstmeier.
Herr Minister, inwieweit sind die Grundsätze, die von der Kommission selbst damals für die Preisfindung aufgestellt worden sind - den Nachholbedarf zu berücksichtigen, die Kostenentwicklung zu sehen und auch die Lohn- und Einkommensverhältnisse mit einzubeziehen von der Kommission selbst und im Ministerrat bei der Preisfindung berücksichtigt worden?
Herr Kollege Horstmeier, diese Frage müßte ein Kollege im Europäischen Parlament an die Kommission stellen. Ich bin hier nicht befugt, in die Willens- und Meinungsbildung der Kommission einzugreifen. Selbst wenn es mir nicht ganz paßt: das steht mir von der Aufgabe her nicht zu.
Im Ministerrat ist darüber überhaupt noch nicht gesprochen worden, denn die Kommission hat, wie Sie wissen, dies gestern erst beschlossen. Soweit ich unterrichtet bin; will sie den Ministerrat am kommenden Montag informieren.
Ich rufe Frage 58 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Wie wird sich die Bundesregierung in der nächsten EWG-Ministerratssitzung verhalten in bezug auf den Vorschlag der EG-Kommission, für in einem liberalisierten Wettbewerb mit Drittländern empfindliche Be- und Verarbeitungserzeugnisse ein Mindestpreissystem anzuwenden, um auf diese Weise eine weitere Verschlechterung der Wettbewerbssituation der Obst- und Gemüsekonservenindustrie der Gemeinschaft zu verhindern?
Der EWG-Ministerrat hat in der Vergangenheit mehrere Vorschläge für eine Einfuhrregelung gegenüber dritten Ländern für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse behandelt, sich aber nicht einigen können. Die Kommission hat nunmehr ihren alten Vorschlag wieder aufgegriffen, der eine Liberalisierung der Drittlandseinfuhren und für eine begrenzte Anzahl besonders empfindlicher Erzeugnisse die Anwendung eines Systems von Mindestpreisen sowie die Schaffung einer Schutzklausel vorsieht. Gegenüber dem früheren Vorschlag hat die Kommission allerdings den Katalog der besonders empfindlichen Erzeugnisse insoweit abgeändert, als sie einige Zubereitungen - Konserven von Champignons, Aprikosen, Pflaumen und Erdbeeren - nicht mehr aufführt und andere - Konserven von Bohnen, Karotten, Mischgemüse und Fruchtsäfte von Zitrusfrüchten - zusätzlich aufgenommen hat.
Die Bundesregierung sieht sich bei dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht in der Lage, sich auf Einzelheiten festzulegen. Vor allem müssen die Vorschläge der Kommission unter Berücksichtigung der inzwischen im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen auf diesem Sektor gesammelten Erfahrungen noch eingehend geprüft werden. Die Bundesregierung versichert aber, um eine Regelung bemüht zu sein, die den Interessen der Erzeuger, der Verarbeiter und der Verbraucher gleichermaßen gerecht wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie mit mir einer Meinung, daß die bearbeiteten Erzeugnisse dieser neuralgischen Produkte mit in das Schutzsystem eingebaut werden müßten?
Das kann ich so uneingeschränkt nicht bejahen. Ich glaube vielmehr, das wird man sehr davon abhängig machen müssen, um welche bearbeiteten Erzeugnisse es sich handelt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, können Sie Äußerungen von Mitarbeitern der Kommission bestätigen, daß in den letzten Jahren immer die Vertreter gerade eines Landes - und hier wird die Bundesrepublik Deutschland genannt - eine rechtzeitige Verabschiedung einer solchen Schutzregelung verhindert haben?
Auch das kann ich nicht sagen, aber ich gebe gerne zu, daß das eine Frage ist, in der innerhalb des Ministerrates die Ansichten der Bundesrepublik und die anderer Partnerstaaten kontrovers sind. Es handelt sich hierbei um Probleme, bei denen die Interessen wesentlicher Drittländer mit berücksichtigt werden müssen. Dabei muß die Bundesregierung aufgrund ihrer gesamtwirtschaftlichen Situation und ihrer Interessen in Drittländern in gewissem Umfang mehr Rücksicht nehmen als manch anderer Partnerstaat und möglicherweise auch der eine oder andere Beamte in der Kommission.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Niegel auf:
Welchen Einfluß werden die kürzlichen und die jüngsten Währungsmaßnahmen der einzelnen Mitgliedsländer der EG auf die Festsetzung der neuen Agrarpreise in der EWG haben, und wird sich die Bundesregierung analog der Forderung von COPA für eine angemessene Erhöhung der Agrarpreise einsetzen?
Die Bundesregierung wird sich mit Nachdruck dafür einsetzen, die Währungsfragen nicht mit den Preisbeschlüssen verknüpft werden. Sie wird, wie im Agrarbericht bereits mitgeteilt worden ist, den Versuch machen, von sich aus für gezielte Agrarpreiserhöhungen einzutreten.
Eine Zusatzfrage.
Wie beurteilt die Bundesregierung dann die Forderung von COPA, die Erhöhungen von 7,5 % haben möchte?
Die Bundesregierung nimmt das zur Kenntnis und wird die Forderung prüfen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Will die Bundesregierung nicht in etwa versuchen, zumindest das als Rahmen zu setzen?
Herr Kollege Niegel, die Bundesregierung hat zuvor in einer Antwort auf die Frage des Kollegen Eigen sehr genau präzisiert, welche Orientierungsdaten sie für ihre eigenen Vorschläge setzt. Ich glaube nicht, daß die Bundesregierung Vorschläge des Berufsstandes ungeprüft übernehmen kann und übernehmen muß.
Meine Damen und Herren, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet. - Herr Minister, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Herrn Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ravens zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 113 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Sind der Bundesregierung durch Ostberliner Stellen konkrete Nachrichten darüber zugegangen, welche Gebiete der DDR zu Sperrzonen erklärt worden sind, in denen es keine journalistische Arbeitsmöglichkeit gibt?
Herr Kollege Reddemann, in den gestrigen Gesprächen ist auf unsere Anfrage durch die Vertreter der DDR klargestellt worden, daß es sich bei den Sperrzonen um Gebiete handelt, die in der DDR allgemein zur Sperrzone erklärt sind. Besondere Gebiete, die speziell für Journalisten gesperrt sein sollen, sind nach der Erklärung der DDR-Vertreter nicht vorgesehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist beabsichtigt, daß diese Zonen öffentlich bekanntgegeben werden oder daß zumindest die Journalisten, die in Ost-Berlin tätig sein werden, über diese Gebiete informiert werden, damit keine Schwierigkeiten bei der Ausübung ihrer Funktion entstehen können?
Herr Kollege Reddemann, Sie haben so viel Fragen zu den Rechtsverordnungen der DDR gestellt, daß ich annehme, Sie wissen, in der Rechtsverordnung steht, daß die Journalisten bei ihrer Akkreditierung auf ihre Rechte und Pflichten durch die zuständige Stelle hingewiesen werden. Dabei wird
ihnen sicher auch diese Mitteilung gemacht werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist das jetzt auch für die andere Seite verbindlich - obwohl ich natürlich weiß, wie wenig Sie für die andere Seite sprechen können -, daß diese Informationen bei der Akkreditierung gegeben werden, oder schließen Sie das nur aus Informationen, die nicht so konkret sind?
Ich 'schließe das in diesem Fall aus dem Text der Rechtsverordnung und aus dem Ablauf der gestrigen Gespräche.
Zu Ihrer Frage der Verbindlichkeit: die Bundesregierung geht davon aus, daß die Erklärung des Vertreters der DDR gestern, er gebe eine verbindliche Erklärung ab, auch bedeutet, daß diese Erklärung verbindlich ist.
Ich rufe die Frage 114 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Beeinträchtigung der Arbeit des Redaktionsteams der ARD-Sendereihe „Monitor" auf der Leipziger Buchmesse?
Herr Kollege Reddemann, die Bundesregierung zieht ihre Kenntnis über den Vorgang aus derselben Sendung, die von Ihnen angesprochen ist. Gemeint ist von Ihnen jedoch wohl die Sendung „Report" vom 12. März 1973 und nicht „Monitor". Bei dem in der Sendung „Report" geschilderten Vorgang muß es sich nach all unserem Wissen um einen Einzelfall handeln, aus dem die Bundesregierung keine allgemeine Bewertung herleiten möchte; denn ansonsten wurden die journalistischen Arbeitsmöglichkeiten in Leipzig von den Journalisten selbst fast ohne Ausnahme positiv bewertet.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem der Ostberliner Bevollmächtigte Meyer gestern in den Gesprächen darauf hingewiesen hat, daß die Journalisten, die in Ost-Berlin arbeiten werden, ähnlichen Bedingungen unterliegen wie diejenigen, die jetzt in Leipzig bei der Messe waren, möchte ich fragen, ob unter diesen Umständen, nämlich der Behinderung eines Kamerateams, vielleicht ähnliche Behinderungen jetzt Bestandteil der neuen Überlegungen der Ostberliner Regierung sein könnten.
Sie haben die Erklärung, die gestern abgegeben worden ist, sehr korrekt zitiert. Ich nehme an, daß
Sie aus dieser Erklärung gesehen haben, daß wir nicht von einer Behinderung, sondern von einer Verbesserung des Klimas ausgegangen sind.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können wir davon ausgehen, daß die andere Seite das gleiche gemeint hat wie das, was Sie hier sagen?
Davon gehe ich aus, Herr Kollege Reddemann. Im übrigen hat die Bundesregierung gerade in den letzten Tagen wohl hinreichend bewiesen, daß viele Verdächtigungen und Unterstellungen der vergangenen Wochen in der Öffentlichkeit nicht so gerechtfertigt waren und daß sie ihren Standpunkt vertreten hat.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 115 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Trifft es zu, daß die „erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Tätigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten und deren Korrespondenten in der Deutschen Demokratischen Republik" in Ost-Berlin akkreditierten Journalisten es verbietet, in einer anderen Zeitung oder Zeitschrift, in Rundfunk- oder Fernsehanstalten tätig zu sein, und sie sich ausschließlich in ihrer Arbeit auf jenes Publikationsorgan beschränken müssen, für das sie akkreditiert sind, und entspricht dies den Abreden zwischen Bundesminister Bahr und Staatssekretär Kohl?
Herr Abgeordneter Kunz, der Briefwechsel über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten vom 8. November 1972 und die dazu gehörenden Erklärungen zu Protokoll kennen eine solche Einschränkung nicht. Im Laufe der gestrigen Verhandlungen hat der Vertreter der DDR verbindlich erklärt, daß ein Journalist, der als ständiger Korrespondent in der DDR akkreditiert ist, für mehrere Publikationsorgane tätig sein kann, soweit diese Organe in der DDR akkreditiert sind. Gelegentliche Nebentätigkeiten für Organe, für die die Journalisten nicht akkreditiert sind, seien im gewissen üblichen Rahmen möglich.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich dann davon ausgehen, daß die erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Tätigkeit von Publikationsorganen insofern keine Anwendung auf akkreditierte Journalisten findet?
Wir haben gestern um Interpretation nachgesucht; dies ist die verbindliche Erklärung, die wir erhalten haben.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Herr Staatssekretär, ich möchte mich noch nach der Form der Verbindlichkeit erkundigen.
Ich habe sie vorhin genannt. Die Bundesregierung geht davon aus - und sie muß davon ausgehen; auch im Interesse unserer Journalisten -, daß eine Erklärung, die von Vertretern der Regierung der DDR als verbindlich bezeichnet wird, auch verbindlich ist.
({0})
Ich rufe die Frage 116 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Ist die Bundesregierung nach wie vor der Meinung, die ihr Unterhändler, Bundesminister Bahr, am 8. November 1972 im Bundeskanzleramt folgendermaßen ausdrückte: „Ich kann auch auf das Einvernehmen verweisen, die Bestimmungen des heute unterzeichneten Briefwechsels über die Arbeitsmöglichkeit von Journalisten in Übereinstimmung mit dem Vier-Mächte-Abkommen von Berlin-West unter der Voraussetzung sinngemäß anzuwenden, daß in Berlin-West die Einhaltung der Bestimmungen dieses Briefwechsels gewährleistet wird"?
Meine Antwort lautet: ja.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 117 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Sind der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Einschränkungen für die Arbeit von Journalisten verläßliche Mitteilungen der DDR-Behörden darüber zugegangen, wer unter „führende Persönlichkeiten" zu verstehen ist, die nur nach vorhergehender Genehmigung durch die Abteilung journalistische Beziehungen des Ostberliner Außenministeriums interviewt werden dürfen?
Eine Erläuterung über den Umfang des Personenkreises, der unter der Bezeichnung „führende Persönlichkeiten" zu verstehen wäre, ist uns nicht gegeben worden und wurde auch von uns nicht erbeten.
Es ist allerdings auch festzuhalten, daß die neue Verordnung diesbezüglich keine anderen Formulierungen als die bisher geltenden Regelungen von 1969 aufweist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Wie sollen sich Journalisten bei ihrer praktischen Arbeit künftig verhalten? Welche Möglichkeiten haben sie, an führende Persönlichkeiten heranzutreten. Ist das tatsächlich in Ihren gestrigen Gesprächen nicht behandelt worden?
Die Bundesregierung geht davon aus, daß das Fragerecht der Journalisten nicht beschränkt ist. Sie werden in einigen Fällen keine Antwort erhalten, mit dem Hinweis, daß für ein Interview eine Genehmigung notwendig sei.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Sind Sie mit mir der Meinung, daß es sich dabei auf seiten der DDR ganz bewußt um eine Maßnahme handelt, die die Arbeit der Journalisten in der DDR erschweren soll, indem ein solch schwammiger Begriff benutzt wird?
Diesen Begriff, Herr Kollege, hat es in den bisherigen Verordnungen der DDR gegeben, und er entspricht auch der Praxis aller osteuropäischen Staaten.
Ich glaube, Sie stimmen mit mir darin überein, daß es dort nicht immer in das Ermessen des einzelnen gestellt ist, ob er ein Interview gibt oder nicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, inwiefern steht das, was Sie soeben dem Kollegen Böhm zur Antwort gegeben haben, im Einklang mit Ihrer Ausführung zu der vorhin vom Herrn Kollegen Reddemann gestellten Frage, wo Sie erklärten, daß den Journalisten bei der Akkreditierung über alle Arbeitsmöglichkeiten und ihre Begrenzung detailliert Aufschluß gegeben werde?
Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung möchte durch einige Fragen, die Sie zu stellen wünschen, die Journalisten in ihrer Arbeitstätigkeit nicht zusätzlich dadurch beschränken, daß sie einen in einer Liste festgelegten Personenkreis erreicht. Dies führt nicht zu einer Erleichterung, sondern zu einer Erschwerung der Arbeit.
({0})
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Ist die Vermutung und Befürchtung richtig, wonach in der DDR tätige westdeutsche Journalisten von Hilfsorganen umgeben werden, die vom sogenannten „Dienstleistungsamt für ausländische Vertretungen" für diese spezielle Tätigkeit ausgesucht und zur Verfügung gestellt werden, und ist dies zwischen Staatssekretär Kohl und Bundesminister Bahr vereinbart?
Herr Kollege Wohlrabe, der Briefwechsel räumt nicht nur den Journalisten, sondern auch - ohne Einschränkung - deren Hilfspersonal das Recht zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit und der freien Information und Berichterstattung ein.
Im ürbigen bietet die erste Durchführungsbestimmung zur neuen Verordnung dem akkreditierten Korrespondenten lediglich an, Bürger der DDR zu beschäftigen, deren Tätigkeit ausdrücklich auf „technisch-organisatorische Aufgaben" beschränkt wird. Ihre Einstellung muß vom Korrespondenten besonders beantragt werden.
Angesichts dieser Sachlage teilt die Bundesregierung nicht die Befürchtung, daß die Praxis hinter den Zusicherungen aus dem Briefwechsel zurückbleiben wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Im Gegensatz zu den Ostblockstaaten spielen sprachliche Schwierigkeiten in den Beziehungen mit der DDR keine Rolle. Angesichts dieser Tatsache, Herr Staatssekretär, möchte ich Sie fragen, ob die Zugabe von derartigem Begleitpersonal nicht als Behinderung der journalistischen Arbeit verstanden werden kann. Einen Auswuchs in dieser Hinsicht hat es kürzlich auf der Leipziger Messe bei der „Report"-Arbeit gegeben.
Herr Kollege Wohlrabe, die Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, daß es den Journalisten freigestellt sein sollte, entsprechend ihrer Arbeit eine entsprechende Begleitung zu erbitten.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, es ist bekanntgeworden, daß z. B. einem Schweizer Journalisten, der der deutschen Sprache voll mächtig war, ein Dolmetscher zugegeben wurde.
Halten Sie das - insbesondere was westdeutsche Korrespondenten angeht für richtig oder vertretbar?
Ich nehme an, daß der Schweizer der deutschen Sprache mächtig war.
({0})
- Eben!
Halten Sie es für richtig, daß ihm als Begleiter ein Dolmetscher beigegeben wurde?
Herr Kollege Wohlrabe, ich würde einem Schweizer Journalisten in der Bundesrepublik Deutschland keinen Dolmetscher beigeben.
Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Ist die Bundesregierung darüber informiert, ob nach der jetzt vorliegenden „Verordnung über die Tätigkeit von Publikationsorganen . . ." und der ebenfalls vorliegenden „1. Durchführungsbestimmung" zur Verordnung weitere Durchführungsbestimmungen geplant sind, z. B. auf den Gebieten der inneren Sicherheit, Verbrechensbekämpfung, Schutz der öffentlichen Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, so wie es im Briefwechsel zwischen Bundesminister Bahr und Staatssekretär Kohl formuliert ist?
Die in dem Bleichlautenden Briefwechsel entParl. Staatssekretär Ravens
haltene Aufzählung von Rechtsgebieten, die Sie in Ihrer Frage, Herr Kollege Wohlrabe, nennen, hat nicht den Zweck, künftige Verordnungen für die Tätigkeit von Journalisten vorzubereiten. Sie hat vielmehr den alleinigen Sinn, - dies stelle ich mit besonderer Deutlichkeit fest -, die Schranken zu beschreiben, die jeder journalistischen Tätigkeit durch die allgemeinen, für jedermann geltenden Bestimmungen, etwa des Strafrechts, gezogen sein sollen. Solche Hinweise auf die Schranken der Pressetätigkeit in den allgemeinen Gesetzen finden sich z. B. auch in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte - BGBl 1952 II S. 686 ff. - abgedruckt. Die Formulierungen im Briefwechsel sind also keineswegs etwas Besonderes.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Haus bekanntgeben, ob aus den gegenwärtigen Gesprächen bekannt ist, daß weitere Durchführungsbestimmungen erlassen werden? Gibt es darüber hinaus Abmachungen, und kann dabei gegebenenfalls einc weitere Einengung der journalistischen Arbeit herauskommen?
Herr Kollege Wohlrabe, angekündigt war in dem beiderseitigen Briefwechsel, daß die Journalisten sich im Rahmen der hier angesprochenen Gesetze zu halten haben. Bitte, lesen Sie einmal nach
) - ich kann es Ihnen auch gern vorlesen -, daß genau diese Rechtsgebiete auch für die journalistische Tätigkeit im Rahmen der Menschenrechtskonvention als Begrenzungen ihrer Arbeit aufgezählt sind. Die Bundesregierung geht davon aus, daß dies den allgemeinen Rahmen darstellt, in dem Journalisten ihre Tätigkeit auszuüben haben. Im übrigen erklärt sie das auch für Journalisten, die hier Tätigkeiten ausüben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bedeutet die von Ihnen mehrfach verwandte Formel „die Bundesregierung geht davon aus", ,daß die Bundesregierung dies als Geschäftsgrundlage der Vereinbarung ansieht, oder können Sie diesen Begriff näher definieren?
„Die Bundesregierung geht davon aus" heißt für mich, daß sie wie bisher in den Gesprächen auch in den weiteren Gesprächen von dieser Grundlage ausgehen wird.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich ,des Bundeskanzleramtes beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ravens.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold zur Verfügung. Ich rufe die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Mursch ({0}) auf:
Handelt es sich nach Auffassung der Bundesregierung bei dem beabsichtigten Besuch einer Bewohnerin der DDR" bei ihrer in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Schwester anläßlich einer bevorstehenden Geburt, um ihr in den Tagen vor und nach der Entbindung behilflich zu sein, um einen Besuch unter Geschwistern - solche Reisen können von den „DDR"-Behörden genehmigt werden - oder teilt die Bundesregierung die Auffassung von „DDR"-Dienststellen, daß es sich hier um den Besuch einer Tante bei ihrem noch nicht geborenen Neffen oder einer Nichte handelt und deshalb nicht genehmigt zu werden braucht?
Frau Präsidentin, ich wäre dankbar, wenn der Fragesteller damit einverstanden wäre, daß ich die beiden Fragen wegen des Sachzusammenhanges gemeinsam beantworte.
({0})
Ich rufe also auch noch die Frage 93 des Abgeordneten Mursch ({0}) auf:
Wie ist die vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen in einem Schreiben erteilte Auskunft zu verstehen, daß in dem in Frage 92 angesprochenen Fall die genannten Verwandtschaftsgrade „in der Regel" auf das neugeborene Kind bezogen werden?
Herr Kollege Mursch, ich darf Ihre Fragen wie folgt beantworten:
Anläßlich des Inkrafttretens des Verkehrsvertrages hat die Regierung der DDR am 17. Oktober 1972 eine Anordnung erlassen, wonach erstmalig auch jüngere, d. h. noch nicht im gesetzlichen Rentenalter stehende Bewohner der DDR anläßlich dringender Familienangelegenheiten ihre Angehörigen in der Bundesrepublik Deutschland besuchen dürfen. Dringende Familienangelegenheiten sind Geburten, Eheschließungen, lebensgefährliche Erkrankungen und Sterbefälle. Antragsberechtigt sind die in der DDR wohnhaften Großeltern, Eltern, Kinder und Geschwister. Nach der mit dem Wortlaut der Anordnung übereinstimmenden Auslegung dieser Vorschrift durch die DDR-Behörden muß sich bei Geburten der antragsberechtigte Personenkreis auf das neugeborene Kind, nicht aber auf dessen Eltern beziehen. Dies bedeutet, daß nur Geschwister des Neugeborenen, nicht aber Geschwister von dessen Vater oder von dessen Mutter in das Bundesgebiet reisen dürfen. Dieser Sachverhalt ist vorn Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Anfragenden auch stets mitgeteilt worden.
Die Bundesregierung ist selbstverständlich bestrebt, in Verhandlungen mit der DDR, die ja auch am heutigen Tage laufen, eine weitergehende Interpretation des Wortlauts und einen weitergehenden Umfang des Reiseverkehrs zwischen den beiden Staaten zu erreichen. Der jetzt erzielte Erfolg, der nach Jahren vergeblichen Wartens erstmals auch jüngeren Bewohnern der DDR wieder Reisen ins Bundesgebiet ermöglicht, ist einerster Schritt, Herr
Kollege, auf diesem Wege. Seit Erlaß dieser Anordnung sind jeden Monat durchschnittlich 4000 DDR-Bewohner anläßlich dringender Familienangelegenheiten in das Bundesgebiet eingereist.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dieser Sachverhalt ist mir selbstverständlich sehr genau bekannt. Ich frage Sie aber, weil es um etwas ganz anderes geht: Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Rechtsauslegung der DDR-Behörden den bestehenden Rechtsgrundsätzen entspricht, insbesondere dem Bürgerlichen Gesetzbuch, das ja noch in beiden Teilen Deutschlands Gültigkeit besitzt?
Ich glaube, Herr Kollege, es ist nicht sehr sinnvoll, unser Bürgerliches Gesetzbuch den Verordnungen, Anordnungen und Gesetzen der DDR gegenüberzustellen. Wir müssen doch endlich einsehen, daß wir es auch in dieser Frage mit zwei deutschen Staaten zu tun haben. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich das hier so deutlich sage. Ich kann nur nochmals erklären, daß wir uns bemühen, eine Ausweitung des betroffenen Personenkreises zu erreichen. Wille und Absicht sind vorhanden; wir werden bei jeder weiteren Begegnung mit der DDR in dieser Frage versuchen, Verbesserungen zu erreichen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, obwohl Sie meine Frage nicht beantwortet haben - ich ging davon aus, daß das Bürgerliche Gesetzbuch in beiden Teilen Deutschlands Gültigkeit hat und daß es sich hier um eine Rechtsauslegung handelt -, frage ich Sie nun folgendes: Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß bei einer solchen Auslegung, wie sie von den DDR-Behörden praktiziert wird, zum ersten Mal ein noch nicht Geborener als Rechtssubjekt anerkannt wird? Beabsichtigt die Bundesregierung sich einer solchen Regelung anzupassen oder nicht? Das ist im Ausland der Fall, und so ist es im Erbrecht.
Daß wir uns mit der Auslegung der Anordnung der DDR nicht zufriedengeben, habe ich neulich gesagt. Ich habe außerdem erklärt, daß wir uns bemühen werden, eine Erweiterung des Personenkreises zu erreichen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es muß leider bei anderer Gelegenheit dann der Versuch gemacht werden, Sie dazu zu bringen, die Fragen zu beantworten.
Aber da mir noch zwei weitere Fragen zustehen, frage ich Sie: Läßt die Tatsache, daß das Besuchsverfahren unterschiedlich gehandhabt wird - hier beziehe ich mich auf die Formulierung in einem Schreiben Ihres Ministeriums: „in der Regel auf das neugeborene Kind bezogen" -, darauf schließen, daß auch hier in dieser Frage keine präzisen Vereinbarungen getroffen worden sind?
({0})
Hier geht es nicht darum, daß keine präzisen Vereinbarungen getroffen worden sind. Wir haben auf Grund der Erfahrungen in den letzten Wochen und Monaten festgestellt, daß die angesprochene Verordnung der DDR von den unteren und mittleren Stellen der Verwaltung unterschiedlich gehandhabt wird. Dabei kann es sich nach unserer Meinung auch um Auslegungsschwierigkeiten handeln.
Letzte Zusatzfrage.
Nein, Herr Staatssekretär, es handelt sich nicht um Auslegungsschwierigkeiten. Es handelt sich, wie gesagt, um grundsätzliche Rechtsfragen. Deswegen frage ich Sie mit der letzten Frage, die mir zusteht, folgendes. Was hat die Bundesregierung konkret unternommen, um diese unterschiedliche Rechtsauslegung zu klären? Oder hat sie sich damit begnügt, sich einfach mit dieser Situation abzufinden?
Ich habe hier bereits mehrfach erklärt und tue es nun erneut: wir werden uns nicht mit den bisherigen Ergebnissen abfinden, sondern wir werden weiterhin darauf drängen, eine weitergehende Auslegung der Anordnung und eine Ausweitung des Personenkreises zu erreichen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zebisch.
Herr Staatssekretär, Sie haben eine Zahl genannt, und zwar 4 000. Würden Sie dem Hohen Haus mal die Zahlen früherer Zeiten mitteilen, wie es früher gewesen ist, und wie sich die Sache jetzt verbessert hat.
Wenn man die Zahlen der Monate des vergangenen Jahres und früher mit den Zahlen der letzten 4 Monate vergleicht, ist festzustellen, daß die Zahl der Reisenden in dringenden Familienangelegenheiten von seinerzeit 200 bis 300 Personen auf derzeit rund 4 000 im Monat gestiegen ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wienand.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Informationsdefizit des Kollegen Mursch abzuhelfen, indem Sie empfehlen, daß die Mitglieder des Kontaktausschusses eine Kommunikation in der Opposition herstellen und endlich einmal denen, die hier immer wiederkehrende Fragen stellen, berichten, in welcher Form dort die Dinge behandelt worden sind und daß auch die Mitglieder der Opposition dort einsichtiger waren als Fragesteller hier?
({0})
Herr Kollege Wienand, ich habe heute morgen Herrn Kollegen Dr. Marx gebeten, mit Herrn Kollegen Reddemann zu besprechen, in welcher Weise wir diese Dinge wieder sachgerecht in den Griff bekommen, Entsprechend einer alten Übung seit 1950 sind diese Fragen im Kontaktausschuß bzw. mit den Vertrauensmännern der Fraktionen behandelt worden. Auch damit war der Informationsfluß gewahrt. Auch zu der Zeit, als wir in der Opposition waren, gab es keinerlei Schwierigkeiten. Im Interesse der Betroffenen würde ich großen Wert darauf legen, daß wir zu der von Ihnen, Herr Kollege Wienand, angeregten Behandlung kommen würden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
Herr Staatssekretär, darf ich aus der Frage des Herrn Kollegen Wienand und aus der Antwort, die Sie gegeben haben, schließen, daß die Bundesregierung heute keinen Wert mehr auf die Vertraulichkeit der Gespräche im Kontaktausschuß legt?
Herr Kollege Reddemann, so kann man Tatsachen auf den Kopf stellen. Würden wir die Dinge nicht offenlegen, so würden Sie sicher sagen: die Bundesregierung hüllt sich in Schweigen, sie will die Dinge unter dem Siegel der Verschwiegenheit allein regeln. Das wollen wir jedoch nicht. Wir wollen Sie detailliert informieren, zumal wir ja Erfolge aufweisen können.
Herr Kollege Marx, hat sich Ihre Wortmeldung erledigt? - Dann, bitte, Frau Kollegin Berger.
Herr Kollege Herold, ist Ihnen bekannt, daß die Beratungen im Kontaktausschuß ausdrücklich als geheim bezeichnet worden sind, und zwar auch dahin gehend, daß nur die Fraktionsvorsitzenden, nicht aber die anderen Mitglieder der Fraktionen zu unterrichten seien?
Wären Sie bereit, Herrn Kollegen Wienand diesbezüglich zu korrigieren und zu unterrichten?
({0})
Frau Kollegin Berger, es ist richtig, daß diese Informationen als geheim zu behandeln sind.
({0})
- Das ist ja hier auch nicht bestritten worden, Herr Kollege Stücklen. Nur glaube ich, daß es im Grundsatz richtiger wäre, wenn wir uns auf der eben vorgeschlagenen Ebene unterhalten würden, damit wir die Dinge besser als bisher in den Griff bekommen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, da, wie uns der Herr Kollege Mursch berichtet hat, das Bürgerliche Gesetzbuch in beiden Teilen Deutschlands gilt, wäre es dann nicht das einfachste, in einem solchen Fall einfach eine einstweilige Anordnung bei Gericht gegen die Regierung der DDR zu erwirken?
Ja, diesen Versuch sollte man einmal unternehmen.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage? - Dann rufe ich die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Wie lautet der Brief vom 10. November 1972, den der Bundeskanzler laut Mitteilung der Bundesregierung und Presseberichten den Eltern jener 308 Kinder vor der Bundestagswahl zugesandt hat, denen - nach damaligem Sprachgebrauch - die „Ausreise gestattet worden ist"?
Herr Kollege Marx, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Es gibt keinen Brief des Herrn Bundeskanzlers, sondern es gibt eine Benachrichtigung des Herrn Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen an die Eltern der betroffenen 308 Kinder.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wären Sie, da mich diese Antwort überrascht, bereit, alle Mittel Ihres Hauses zu konzentrieren, um festzustellen, wer vor der Wahl die deutsche Presse davon unterrichtet hat, daß der Bundeskanzler an die Eltern aller 308 Kinder einen Brief gerichtet habe, wer also offenbar eine solche Falschmeldung provoziert hat?
Herr Kollege Marx, Sie wissen ja, daß wir alle einigen Schwierigkeiten
unterworfen sind, wenn es sich um Pressemitteilungen handelt.
({0})
Ich möchte aber konkret folgendes sagen: Ich habe mich natürlich sehr intensiv auf diese Antwort vorbereitet, auch wenn sie nur kurz ausgefallen ist.
({1})
- Aber, Herr Reddemann, nehmen Sie mir doch ab, was ich hier sage!
({2})
Es hätte durchaus der Fall sein können, daß der Herr Bundeskanzler jemandem von den betroffenen Eltern geantwortet hat. Das war aber nicht der Fall, sondern geantwortet hat der zuständige Minister. Warum er das getan hat, kann man sich wohl vorstellen: die Eltern mußten ihre Kinder nämlich in der DDR abholen. Eine schnelle Unterrichtung der betroffenen Eltern war deshalb notwendig.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, da niemand diese Aufgabe und Pflicht Ihres Hauses bestreiten oder bezweifeln will und meine Frage sich auch auf die Aktivität des Bundeskanzlers bezog, bitte ich Sie, noch einmal zu prüfen, wie es möglich war - ich habe mir das soeben geben lassen -, daß der hiesige „General-Anzeiger" am 10. November 1972, also neun Tage vor der Bundestagswahl, wie übrigens viele andere Zeitungen, wörtlich geschrieben hat - ich zitiere nur den einen Satz, Frau Präsidentin -:
Bundeskanzler Brandt hat 308 Elternpaare in der Bundesrepublik benachrichtigt, daß ihren in der DDR lebenden Kindern die Ausreise gestattet ist. Das teilte Brandt gestern auf einer SPD-Wahlveranstaltung in Kassel mit.
({0})
Ich kann nur erklären, Herr Kollege Marx, daß der Brief von Bundesminister Franke bzw. das Fernschreiben unseres Hauses ebenfalls das Datum des 10. November tragen. Es kann sich doch um eine Verwechslung der meldenden Agentur gehandelt haben. Ich kann jedenfalls nur bestätigen, daß der zitierte Brief von Minister Franke stammt. Selbstverständlich hat sich der Herr Bundeskanzler - das möchte ich hier deutlich sagen - gerade auf diesem Gebiet sehr energisch eingesetzt und über Herrn Kollegen Bahr immer wieder veranlaßt, daß all diese Fragen bei den Gesprächen nachdrücklich vorgetragen wurden.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie: Kann die Verwechslung vielleicht darauf beruhen, daß der Herr Bundeskanzler nicht in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler, sondern als Vorsitzender der SPD einen entsprechenden Brief geschrieben hat?
Das hat doch damit nichts zu tun.
({0})
Sie haben von mir Tatsachen verlangt, und die habe ich Ihnen in meiner Erklärung gegeben.
({1})
Vizepräsident ,Frau Funcke: Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß sich der Herr Bundeskanzler bei seiner Mitteilung auf der Wahlversammlung vielleicht selber über den Absender geirrt hat, wie Sie es vorhin andeuteten?
({0})
Ich halte diese Frage, in Anbetracht des betroffenen Personenkreises für wirklich deplaciert.
({0})
Hier geht es um die betroffenen Kinder und nicht um den Herrn Bundeskanzler.
({1})
Meine Damen und Herren, ich lasse zu diesem Punkt keine Zusatzfrage mehr zu. Wir sollten das Niveau in diesem Hause bei der Fragestellung beachten. Diese letzten Fragen entsprechen nicht mehr ganz dem Informationsbedürfnis, auf dessen Befriedigung dieses Haus Anspruch hat.
Ich rufe die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Ist über das Schicksal von weiteren 900 gegen ihren und ihrer Eltern Willen in der DDR festgehaltenen Kindern - so wie es vor der Bundestagswahl angekündigt worden war - nun positiv entschieden?
Die Haltung der DDR in dieser Frage ist leider nicht eindeutig. Die Genehmigung zur Ausreise der 308 Kinder stellt jedoch nach unserer Auffassung einen gewichtigen Schritt zur Gesamtlösung des Problems dar. Wir
werden selbstverständlich alles versuchen, daß auch weiterhin die Ausreise von Kindern von der DDR genehmigt wird.
Zusatzfrage.
Herr Kollege Herold, jeder ermuntert die Bundesregierung, sich auf diesem Wege weiter zu bemühen. Dies ist ganz außer Zweifel. Aber meine Frage ging danach, daß vor der Bundestagswahl als Ergebnis von Presse-Hintergrundgesprächen von Mitgliedern der Bundesregierung Informationen aufgetaucht sind - wir haben das ja gesammelt -, in denen es übereinstimmend expressis verbis hieß, daß in den nächsten Tagen das Schicksal von weiteren 900 Kindern positiv geregelt werde. Meine Frage ist: Was ist nun? Kommen sie oder kommen sie nicht? Wir beanspruchen das gleiche Recht und die Empfindung gleicher moralischer Bedrückung diesem Problem gegenüber wie die Mitglieder Ihrer Regierung.
Die Worte „Recht" und „Moral" sind auch für diese Bundesregierung richtungweisend. Darüber gibt es doch keine Diskussion. Es trifft zu, daß in den letzten Monaten von etwa 1000 bis 1500 ungeklärten Fällen gesprochen worden ist. Hiervon konnten 308 geregelt werden. Natürlich ist festzustellen, daß noch nicht alle Kinder ausreisen durften. Genaue Zahlen habe ich in der letzten Fragestunde der vergangenen Woche genannt. Sie wissen aber auch, welche Schwierigkeiten es auf beiden Seiten gibt. Ein Teil der Jugendlichen ist inzwischen 18 Jahre geworden. Es gibt Differenzen zwischen den Elternteilen oder zwischen den Großeltern und den Eltern, so daß jeder Fall einzeln behandelt werden muß. Für die noch ungeregelten Fälle liegen die Anträge in etwa vor; es geht um rund 1000 Kinder, deren Ausreise noch gewünscht wird. Sie werden von uns in den weiteren Verhandlungen nicht vergessen werden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Kollege Herold, da jeder von uns weiß, daß es eine ganze Reihe von Schwierigkeiten der verschiedensten Art, auch persönlicher Art, gibt, wie Sie angedeutet haben, darf ich mich noch einmal auf den Kern der Frage konzentrieren. Ich frage, ob Sie uns sagen können, was eigentlich die erkennbaren Motive der Verantwortlichen in der DDR sind, diese Kinder - viele darunter sind ja schon länger als zehn Jahre getrennt - von ihren Familien fernzuhalten. Dies ist das eigentliche Problem.
Ich würde nicht für alle Fälle sagen, daß das mit der verwaltungsmäßigen Behandlung zusammenhängt. Vielmehr ergeben sich im familiären Bereich die Schwierigkeiten, und manche der Kinder, die drüben in einer verwandten Familie leben, wollen nicht mehr in die Bundesrepublik kommen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Welche konkreten Zusagen für dauerhafte Minderung von Unmenschlichkeit haben die Vertreter der DDR bei den Gesprächen und Verhandlungen dem Beauftragten der Bundesregierung, Bundesminister Bahr, als Gegenleistung für die substantiellen Festlegungen im Grundvertrag gegeben?
Herr Kollege Böhm, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Ihre Frage unterstellt, daß die Bundesregierung substantielle Festlegungen im Grundvertrag eingegangen ist, während die Gegenleistungen durch die DDR erst noch konkretisiert werden müßten. Zur Frage dieser Festlegung darf ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung im Vertrag nur dem von ihr
bereits zuvor - und auch im Verkehrsvertrag - erklärten Prinzip gefolgt ist, die DDR als einen unabhängigen und gleichberechtigten Staat zu bezeichnen. Der Vertrag schafft auf der anderen Seite die Grundlagen für die weitere Gestaltung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten. Er öffnet - so sehen wir es - die Tür für eine breit angelegte Vertragspolitik, die nahezu alle Lebensbereiche erfaßt. Daß praktische und humanitäre Fragen gelöst werden sollen, ist in Art. 7 Satz 1 des Vertrages geregelt. Die Einigung über den Vertragstext schuf die politische Voraussetzung für weitere Vereinbarungen, die in das Vertragswerk einbezogen wurden. So wird z. B. in dem Briefwechsel zur Familienzusammenführung, in Reiseerleichterungen und Verbesserungen des nichtkommerziellen Warenverkehrs ganz konkret festgelegt, was im Augenblick erreichbar war. Weiteres ist in den Erläuterungen zu diesem Briefwechsel fixiert worden.
Dieser Briefwechsel und alle weiteren Zusatzvereinbarungen enthalten verbindliche Zusagen, im Zuge der weiteren Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten die Verhältnisse für die Menschen zu verbessern.
Zusammen mit der Regelung des Art. 7 des Grundvertrages wird somit trotz aller Anfangsschwierigkeiten ein konkreter Weg aus einer jahrzehntelang festgefahrenen Situation vorgezeichnet. Im Verlaufe der Beratungen des innerdeutschen Ausschusses wird meines Erachtens Gelegenheit bestehen, in allen Einzelheiten die Ausgewogenheit und die Verbindlichkeit des Grundvertrages sowie die zusätzlichen Vereinbarungen ausführlich darzulegen und zu diskutieren.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da auch Sie davon ausgehen, daß substan1142
Böhm ({0})
tielle Zusagen über menschliche Erleichterungen im Vertragstext selbst nicht gemacht worden sind, frage ich Sie: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Erfüllung solcher Zusagen, die nicht im Vertragstext, wohl aber in den Anlagen zum Vertrag gemacht worden sind, tatsächlich zu erreichen?
Herr Kollege Böhm, ich erinnerte bereits an Art. 7 Satz 1 des Grundlagenvertrages und an das Zusatzprotokoll. In dem Zusatzprotokoll wird in elf Punkten deutlich dargelegt, was wir anstreben. Die Gegenseite hat das akzeptiert. Das Protokoll ist Grundlage weiterer Verhandlungen über all die Probleme, die in ihm aufgeführt sind.
Ich glaube, gerade die Frage der Behandlung der Journalisten hat doch erwiesen, daß wir es am Anfang zwar mit sehr starken Vorbehalten zu tun hatten, daß aber die Probleme auf Grund der Gespräche heute im wesentlichen als beseitigt gelten können. Das heißt natürlich nicht, daß es keine Schwierigkeiten mehr geben wird. Wir können dann aber wenigstens in Verhandlungen eintreten und auf Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen bestehen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, angesichts der enormen Leistungen der Bundesrepublik, die darin zu sehen sind, daß der DDR die Tür zur völkerrechtlichen Anerkennung geöffnet worden ist und daß ihr der Weg in die UNO geebnet wird, frage ich Sie: Wäre es nicht eine unabdingbare Voraussetzung für einen solchen Vertrag gewesen, diese menschlichen Erleichterungen, die angeblich das Ziel der gesamten innerdeutschen Vertragspolitik sind, im Vertragstext selbst festzulegen?
Herr Kollege Böhm, ich möchte Sie doch bitten, die Polemik aus diesen Fragen herauszuhalten.
({0})
Was soll hier „angeblich" heißen? Ich werde im Laufe dieser Fragestunde noch mehr Zahlen nennen können, damit auch die angeblichen positiven Ergebnisse hier immer wieder in Erinnerung gebracht werden.
({1})
Sie wissen genau wie ich, daß wir in der Frage der
sogenannten Anerkennung der DDR durch dritte
Staaten heute wahrscheinlich ganz abseits stünden.
Sie kennen ja die Diskussionen unserer Verbündeten; Sie wissen, was sie vorhatten.
({2})
Sie kennen die Diskussionen und vor allem die Einstellung der neutralen Staaten in der Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR.
({3})
Bitte tun Sie also nicht so, als wäre es nicht aktuell gewesen, in die Entspannungsbemühungen der Blöcke auch unser Deutschland-Problem mit hineinzupacken.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, können Sie einige konkrete Fälle aufführen, aus denen man eindeutig erkennen kann, daß die Schwierigkeiten allmählich behoben werden und wir auf dem Weg der Normalisierung sind?
Ich habe bereits eine Zahl genannt. Statt einigen Hundert haben wir heute aus Anlaß dringender Familienangelegenheiten rund 4 000 Besucher im Monat aus der DDR. Zum erstenmal haben wir nicht nur Rentner, sondern seit November auch 3 700 Frührentner, die bisher nicht in die Bundesrepublik kommen konnten. In Berlin hat sich die Zahl der Personen, die eine dortige Einrichtung angehen - ich möchte das Institut nicht nennen -, um sich dort Medikamente zu holen, verdoppelt.
All das sind die ersten Schritte auf dem Wege zu menschlichen Erleichterungen. Ich habe bisher in jeder Fragestunde gesagt, daß das die ersten Schritte sind und daß diese noch nicht ausreichen. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, wir müssen doch einmal anfangen, und dazu war der Weg, den wir eingeschlagen haben, der richtige.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kreutzmann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß solche Zusätze zu Verträgen auch bei vielen Verträgen mit dem Westen eine Rolle gespielt haben und daß sie nach der gültigen Völkerrechtslehre untrennbare Bestandteile von Verträgen sind?
Das ist in Ausschußverhandlungen und hier im Plenum während der Fragestunden und in der ersten Lesung schon des öfteren gesagt worden. Ich kann nur bestätigen, daß es so ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Marx.
Herr Kollege Herold, wie können Sie Ihre Feststellungen, die Sie hier auf der Grundlage Ihrer Unterlagen getroffen haben, mit einer Fülle von sehr beunruhigenden Feststellungen in Einklang bringen, die Sie sicher genauso gut kennen wie viele andere Kollegen hier im Hause, daß sich nämlich die Nachrichten häufen, wie sehr Familienbande, oft 20 Jahre hindurch durch einen regen Brief- und Paketwechsel aufrechterhalten, jetzt durch Eingreifen des Staatssicherheitsdienstes und der entsprechenden Vorgesetzten des Familienoberhaupts durchschnitten werden und wir viele Briefe z. B. mit dem Inhalt bekommen: „Schreibt nicht mehr; unsere Kinder werden in der Berufschance eingeengt"?
Herr Kollege Marx, mir liegt eine weitere Frage in dieser Richtung zur Beantwortung vor. Ich darf Sie bitten, damit
einverstanden zu sein, daß ich Ihre Frage im Zusammenhang mit dieser Frage beantworte.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, das Zahlenwerk, das Sie auf die Frage meines Kollegen Müller vorgetragen haben, um einige Daten zu erweitern, nämlich dahin, wieviel Bürger aus der DDR seit dem Jahre 1963 in die Bundesrepublik gekommen sind, wie sich etwa der Monatsdurchschnitt darstellt, zu welchen Zeiten sich gewisse Verdichtungen ergeben haben und wieviel Bürger der DDR im Monatsdurchschnitt im Zuge der Familienzusammenführung seit Unterzeichnung des Verkehrsvertrags und des Grundvertrags herüberkommen?
Frau Kollegin Berger, ich kann Ihnen dazu folgendes sagen. Die Durchschnittszahlen - Sie meinen ja wohl die Rentner -({0})
sind seit Oktober 1964 etwa konstant geblieben. Jährlich kommen etwa 1 Million Rentner in die Bundesrepublik. In der Zeit, für die die Regierung verantwortlich ist, haben sich die Zahlen der Familienzusammenführung wesentlich erhöht. Das ist nachgewiesen. Ich gebe sie Ihnen gern persönlich, wenn Sie das wollen. Sie haben sich tatsächlich erhöht.
({1})
- Nicht nur ab 1963. Wir waren da sehr bescheiden.
Das werden die Kollegen Minister bestätigen, die
damals im Amt waren, Herr Gradl, Herr Mende, Herr Barzel oder - ({2})
- Ich möchte jetzt Herrn Kollegen Wehner nicht nennen. Es wäre vielleicht nicht ganz recht, ihn hier zu nennen.
({3})
Aber seit dieser Zeit haben sich die Zahlen der Familienzusammenführung tatsächlich erhöht, auch, wenn Sie so wollen, seit der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages.
Zur vorletzten Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Mertes.
Herr Staatssekretär, könnten Sie erstens Ihre vorherigen Äußerungen über die Haltung unserer Alliierten zur Frage der diplomatischen Beziehungen zur DDR etwas präzisieren, und könnten Sie zweitens bestätigen, daß bis zum 28. Oktober 1969, dem Tag der Erfüllung der sowjetischen Zwei-Staaten-Forderung, nur 14 kommunistische Regierungen, 5 arabische Regierungen und die kambodschanische Regierung diplomatische Beziehungen zur DDR hatten?
Sie wissen aus den verschiedensten Veröffentlichungen, daß westliche Staaten - ich rede jetzt nicht nur von den NATO-Partnern oder den EWG-Partnern - und dabei auch neutrale Staaten in Verhandlungen und Unterredungen immer wieder darauf aufmerksam gemacht haben, daß auf die Dauer auf Grund ihrer innenpolitischen Verhältnisse die Haltung, keine Beziehungen mit der DDR aufzunehmen und keine diplomatischen Vertretungen einzurichten, nicht aufrechterhalten werden kann.
Herr Abgeordter Jäger zur letzten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,wenn ich Ihre vorhergehenden Auskünfte richtig verstanden habe, nämlich daß nach Auffassung der Bundesregierung der Briefwechsel über die Reiseerleichterungen und die anderen menschlichen Erleichterungen und die Erläuterungen zu diesem Briefwechsel die gleiche Verbindlichkeit und Geltungskraft haben wie die Bestimmungen des Vertrages selbst, weshalb hat es dann die Bundesregierung bei den Verhandlungen nicht fertiggebracht, die DDR dazu zu veranlassen, all dies gleich in den Vertragstext selber klar und deutlich mit hineinzuschreiben?
Ich möchte folgendes
zu bedenken geben: der Grundlagenvertrag legt eine Generallinie fest.
({0})
Die vielen Einzelprobleme müssen in Zusatzvereinbarungen ausgehandelt werden. Ich könnte Ihnen dazu den ganzen bekannten Katalog anführen. Warum sollte man in den Vertrag alles hineinpacken, was dann im Detail mit viel Zeit zusätzlich verhandelt werden muß.
({1})
- Was Herr Bahr wollte, Herr Kollege Reddemann? Ich glaube, es gibt viele Herren in Ihrem Kreis, die in den letzten 20 Jahren auch schon Verhandlungen geführt haben. Wenn man gleich ganz oben hinaus
will, braucht man natürlich im kleinen nicht erst anzufangen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Beratungen. Die noch fehlenden Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, werden morgen früh aufgerufen. Wir danken Ihnen.
Die Fragestunde wird morgen, am 23. März, um 8 Uhr fortgesetzt.
Die Sitzung ist geschlossen.