Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, am 27. Februar 1976 hat der Abgeordnete Dr. Starke ({0})' seinen 65. Geburtstag gefeiert. Nachträglich herzliche Gratulation!
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol - Drucksache 7/4777 -.
Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 2 a und 2 b sowie Punkt 3 der heutigen Tagesordnung auf:
2. a) Beratung des Jahresgutachtens 1975 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache 7/4326 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Haushaltsaussdiuß
b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1976 der Bundesregierung
- Drucksache 7/4677 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Haushaltsausschuß
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Pieroth, Dr. Burgbacher und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Förderung der betrieblichen Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer
- Drucksache 7/3664 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({4})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Friderichs.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat den Jahreswirtschaftsbericht 1976, der ja heute Gegenstand der parlamentarischen Diskussion ist, Ende Januar verabschiedet. Der Bericht enthält unter anderem die Projektion 1976.
Damit hat die Bundesregierung gemäß § 3 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes allen am Wirtschaftsprozeß Beteiligten gesamtwirtschaftliche Orientierungsdaten für das Jahr 1976 an die Hand gegeben. Zugleich hat die Bundesregierung - wie es in § 2 dieses Gesetzes vorgeschrieben ist - im Jahreswirtschaftsbericht auch zum Jahresgutachten 1975/76 des Sachverständigenrates Stellung genommen.
Ich möchte an dieser Stelle nicht versäumen, den Mitgliedern des Sachverständigenrates für die geleistete Arbeit ausdrücklich Dank zu sagen.
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Gerade dadurch, daß sich der Rat der mittelfristigen Beschäftigungsproblematik angenommen und auch die Diskussion von zentralen Fragen unserer Wirtschaftsordnung nicht gescheut hat, ist er seiner gesetzlichen Aufgabe gerecht geworden, die nämlich lautet, die „Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit zu erleichtern".
Der Jahreswirtschaftsbericht, meine Damen und Herren, basiert auf dem Informationsstand von Ende Januar, das heißt, er basiert auf den statistischen Daten von Dezember bzw. November. Die seitdem hinzugekommenen Konjunkturdaten erhärten aber seine zentrale Aussage, daß sich nämlich die deutsche Wirtschaft zu Beginn dieses Jahres in einer Phase der konjunkturellen Erholung befindet.
Die Schwarzseher sollten einsehen, daß das Etikett Schönfärberei, das sie der Jahresprojektion der Bundesregierung aufkleben wollten, nicht haftet.
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Im Gegenteil: Die auf Grund des heutigen Erkenntnisstandes absehbare Entwicklung wird beim Wachstum eher an die Obergrenze der in der Jahresprojektion genannten Marge von vier bis fünf Prozent führen.
Erstens besteht auf Grund des außerordentlich kräftigen Anstiegs des Sozialprodukts im letzten Vierteljahr 1975 ein Überhang nach 1976 von fast drei Prozentpunkten. Diese haben wir beim Wachstum als rechnerischen Vortrag für 1976 auch ohne weitere Beschleunigung bereits fest in der Tasche. Hinzu kommt zweitens das Wachstum im Verlauf des Jahres 1976 selbst. Die neuen Konjunkturzahlen weisen aus, daß sich die im zweiten Halbjahr 1975 beobachtete Aufwärtstendenz von Nachfrage und Produktion zu Beginn des Jahres 1976 fortgesetzt hat.
Auf der Grundlage der jüngsten vorläufigen Januardaten für den Auftragseingang, die wegen einer Umstellung der Statistik besonders vorsichtig interpretiert werden müssen, und auf der Grundlage der nach oben korrigierten endgültigen Dezemberzahlen zeigt sich im konjunkturell aussagefähigsten Zweimonatsvergleich folgendes Bild: Bei einer stärker vom Inland getragenen Zunahme der Gesamtbestellungen bei der Industrie im Dezember/Januar gegenüber Oktober/November von 4 %, saisonbereinigt, ergab sich in der Investitionsgüterindustrie insgesamt ein Orderplus von 91/2 %, in der Verbrauchsgüterindustrie ein Orderplus von insgesamt 81/2%, und in der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie konnte der relativ hohe Stand vom Oktober/November gehalten werden. Die Auslandsbestellungen bei der gesamten Industrie, die bereits im Spätherbst wieder einen erstaunlichen Stand erreicht hatten, konnten das Niveau im Dezember/ Januar voll halten. Damit lag das gesamte Nachfrageniveau im Dezember/Januar bereits wieder uni 12 % höher als im Tiefpunkt des Nachfrageeinbruchs im April/Mai 1975, also noch vor dem Auslaufen der Investitionszulage.
Diese relativ kräftigen Nachfrageimpulse sind seit Sommer 1975 in der Industrie und im Bau produktionswirksam geworden. Die industrielle Produktion inklusive Bau stieg allein von Dezember auf Januar um fast drei Prozentpunkte an, saisonbereinigt, und lag damit zu Beginn dieses Jahres um 10 % über dem Niveau von Juli 1975. Zugleich erhöhte sich der Auslastungsgrad der Wirtschaft von 76 % im Juli 1975 auf 80 % im Januar 1976.
Trotz dieser insgesamt günstigen Entwicklung von Nachfrage und Produktion dürfen wir natürlich nicht verkennen, daß die Wachstumsverluste, die wir in den letzten beiden Jahren erlitten haben, noch nicht wieder aufgeholt sind. Mit anderen Worten, die Wirtschaftstätigkeit spielt sich trotz der Erholung noch auf einem relativ niedrigen Niveau ab.
Für die übrigen gesamtwirtschaftlichen Ziele bedeutet eine solche Entwicklung folgendes: Die Arbeitslosigkeit wird sich, wie angestrebt, im Jahresverlauf 1976 saisonal und allmählich auch konjunkturell verringern. Dadurch wird sich die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt auf voraussichtlich 41/2 % und gegen Jahresende auf rund 4 % begrenzen lassen. Die Arbeitsmarktzahlen für Februar belegen diese projektierte Tendenz. Die Kurzarbeit erreichte im Februar den niedrigsten Stand seit Herbst 1974. Dennoch - ich unterstreiche das - bleibt das Beschäftigungsproblem auf absehbare Zeit bestehen.
Der Anstieg der Verbraucherpreise dürfte sich etwa auf 41/2 bis 5 % herabdrücken lassen, und die vorjährige Preisrate des Bruttosozialprodukts kann sich 1976 auf etwa rund 4 % halbieren. Diese Begrenzung des Anstiegs der Verbraucherpreise wird unseres Erachtens trotz der jüngsten Brüsseler Agrarpreisbeschlüsse möglich sein.
Ich möchte allerdings an dieser Stelle hinzufügen, daß der Anstieg der Verbraucherpreisrate von Januar auf Februar, nämlich von 5,3 auf wahrscheinlich 5,5 %, seine Ursache in erster Linie in den Nahrungsmittelpreisen hat. Ich muß ferner hinzufügen, daß die industriellen Erzeugerpreise im Januar im Vergleich zum Januar des Vorjahres nur noch einen Anstieg von ganzen 2,2 % hatten, womit wir wenigstens in diesem Bereich sagen können, daß es gelungen ist, den Preisauftrieb nachhaltig einzuengen. Ich betone aber, daß unsere Projektion davon ausgeht, daß es trotz der Brüsseler Beschlüsse, die sich natürlich - der Bundesernährungsminister hat das gesagt - auch im Lebenshaltungskostenindex niederschlagen werden, möglich ist, diese Begrenzung vorzunehmen. Die Fortschritte in der Stabilisierung des Preisniveaus werden vor allem dadurch erleichtert, daß das Hineinwachsen in unausgelastete Kapazitäten eine Degression der fixen Stückkosten mit sich bringt. Die Aussichten haben sich verbessert, daß 1976 der deutsche Export wieder deutlich zunimmt, nominal um rund 10 %.
Der Außenbeitrag, d. h. also der Überschuß der Exporte über die Importe, wird unseres Erachtens trotzdem den Vorjahresanteil von etwa 21/2 % des Sozialprodukts nicht übersteigen, weil nach allem, was wir bisher erkennen können, die Einfuhr schneller zunehmen dürfte als die Ausfuhr. Damit kann die Bundesrepublik Deutschland 1976 erneut einen beachtlichen Beitrag zum weiteren Abbau der internationalen Zahlungsbilanzungleichgewichte leisten. Wir sollten auch international diesen unseren Beitrag zugunsten unserer Nachbarländer hervorheben.
Sicherlich entsprechen diese wirtschaftspolitischen Zielsetzungen für 1976 noch nicht dem, was auf mittlere Sicht wünschenswert und meines Erachtens auch erreichbar ist. Ihre Realisierung in diesem Jahr würde aber immerhin einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung bedeuten. Dieses Vertrauen in die Kraft unserer Wirtschaft gründet sich schlicht und einfach auf Realismus. Zu einer realistischen Einschätzung gehören natürlich auch die Unsicherheiten, mit denen heute Aussagen zur Intensität und Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Erholung behaftet sein müssen.
Für die weitere Aufwärtsbewegung der Konjunktur ist zumindest kurzfristig, wenn nicht alles täuscht, genug nationaler „Treibstoff" vorhanden. Ich nenne hierzu nur die Stichworte: Normalisierung der Verbrauchernachfrage, Anspringen des Lagerzyklus, Ingangkommen von ErsatzinvestitioBundesminister Dr. Friderichs
nen und Fortwirken der expansiven Maßnahmen der Bundesregierung.
Daß gerade der letzte Punkt „große Brocken" enthält, zeigen die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin ermittelten quantitativen Effekte des 5,75-Milliarden-Programms vom August 1975. Den Berechnungen des DIW zufolge entstehen allein auf Grund dieses Programms zusätzliche Einkommen in Höhe von 10,6 Milliarden DM, wird eine zusätzliche Gesamtproduktion im Wert von fast 26 Milliarden DM ausgelöst und ergibt sich eine zusätzliche Beschäftigung in der gesamten Volkswirtschaft für rund 292 000 Erwerbstätige. Das sind die Größenordnungen, die man auch bedenken sollte, wenn lamentiert wird, die Bundesregierung habe zu wenig gegen die Arbeitslosigkeit getan. Ich darf in diesem Zusammenhang auch an das Gutachten des Ifo-Instituts vom Februar erinnern, das die Wirksamkeit der Investitionszulage und deren konjunktur- und beschäftigungspolitische Bedeutung eindeutig bestätigt hat.
Aber noch sind natürlich nicht alle Risiken überwunden, und zwar weder in der Binnen- noch vor allem in der Außenwirtschaft. Die erwartete Zunahme des Welthandelsvolumens in Höhe von 6 % hängt davon ab, daß sich der Aufwärtsschwung auch in anderen Ländern durchsetzt - ich denke hier mit Sorge an Italien und Großbritannien - und daß keine exogenen Störungen, wie Importrestriktionen, Erdöl- oder Rohstoffkrisen sowie politische Friktionen, auftreten.
Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft als Ganzes ist es auch heute nicht schlecht bestellt. Aber es gibt Branchen, deren Lage auf Grund von verspäteter Wechselkurskorrektur, Inflationsfolgen und Kostenanstieg heute weniger gut ist als noch vor einigen Jahren, z. B. im Bereich konsumorientierter Massengüter.
Was die Weltkonjunktur angeht, so erscheint aber durchaus ein wenn auch noch vorsichtiger Optimismus am Platze. Ich war sehr erfreut, daß der amerikanische Finanzminister, der gestern abend mein Gast in Mainz war, deutlich gemacht hat, daß die eigene Projektion der USA wahrscheinlich nach oben korrigiert werden müsse; jedenfalls rechnet Amerika heute mit einem realen Wachstum von 6 bis fast 7 % in diesem Jahr. Ich erwähne das, weil das selbstverständlich auch Impulse für die deutsche Volkswirtschaft auslösen wird.
Ebenso wie in der Bundesrepublik dürfte die schärfste Weltrezession der Nachkriegszeit zur Jahresmitte 1975 insgesamt ihren Tiefpunkt gehabt haben. Seitdem zeigen die Konjunkturindikatoren in den wichtigsten Industrieländern - wiederum ausgenommen Italien und Großbritannien - aufwärts. Natürlich sind Intensität und Verlaufsprofil der Erholungstendenzen von Land zu Land sehr unterschiedlich. Ich erwähnte den Kollegen Simon: In den USA ist die Konjunkturbelebung kräftiger und weiter fortgeschritten als in Europa, in Japan hingegen registrieren wir eine zögernde - auch zögerndere als bei uns - Aufwärtsentwicklung. Insgesamt aber stellt die parallele Aufwärtsentwicklung in den wichtigsten Ländern ein meines Erachtens dynamisches Potential dar, das nicht nur über den Außenhandel selbst, sondern auch über psychologische Faktoren zu einer wechselseitigen Verstärkung der Belebungstendenzen führen kann. Ich glaube, bei Italien und Großbritannien muß man differenzierend hinzufügen: In unserem südlichen Nachbarland sehe ich mehr politische Probleme, in Großbritannien mehr wirtschaftliche Probleme bei der Bewältigung der Dinge, die vor ihnen stehen.
In der Konjunkturpolitik dürfte in den meisten Ländern der mehr oder weniger ausgeprägte expansive Kurs beibehalten werden. Insgesamt rechnet die OECD für das Jahr 1976 mit einem realen Bruttosozialwachstum im OECD-Raum in Höhe von 4 %, mit einer insgesamt nur wenig verbesserten Lage am Arbeitsmarkt, da zuerst vorhandene Produktivitätsreserven ausgeschöpft werden. Übrigens zeigt sich sowohl bei der amerikanischen Beurteilung wie bei der der OECD auch eine parallele Entwicklung bei den Arbeitsmarktproblemen. Wir stehen also auch hier nicht alleine, sondern in einem internationalen Verbund.
Risiken liegen trotz des unverkennbar positiven Trends erstens darin, daß besondere Unsicherheiten vor allem bezüglich der Geradlinigkeit, der Stärke und der Nachhaltigkeit des Konjunkturanstiegs bestehen. Ich bin der Meinung, daß frühere Verlaufmuster heute nur sehr bedingt brauchbare Orientierungshilfen bieten. Die Frage ist noch nicht schlüssig zu beantworten, ob vor allem im Investitionsbereich von den Anstoßeffekten der Konjunkturprogramme genügend Sekundärwirkungen ausstrahlen, um über die diesjährigen Erholungstendenzen hinaus einen nachhaltigen Aufschwung zu sichern, der aus sich selbst heraus getragen wird.
Die Risiken beim positiven Trend liegen zweitens darin, daß der hohe Inflationssockel in anderen Ländern ebenso wie eine neuerliche Zunahme der Leistungsbilanzdefizite die Tragfähigkeit der Belebung in Frage stellen könnten; denn es ist zu beobachten, daß die Leistungs- und Zahlungsbilanzen in anderen Ländern dann wieder in Gefahr kommen, wenn es dort mit dem Aufschwung beginnt. Wir bemühen uns, diese Risiken durch internationale Kooperation und Diskussion soweit wie möglich abzubauen. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, so hat die Erfahrung des letzten Jahres die Abhängigkeit der deutschen Binnenkonjunktur von der Außenwirtschaft erneut deutlich gemacht.
Aber auch in der Binnenwirtschaft müssen die Bedingungen und Voraussetzungen für eine nachhaltige Aufwärtsbewegung weiter ausgebaut werden. Dabei spielt das Verhalten der im Inland am Wirtschaftsprozeß Beteiligten eine wesentliche Rolle. Nachdem die geld- und finanzpolitischen Orientierungen gegeben sind, haben es die Tarifvertragsparteien und die Unternehmen in der Hand, durch ihre Lohn- und Preispolitik - und ich betone beides -, die Konjunkturerholung wirkungsvoll zu unterstützen. Der Ausgang der derzeitigen Tarifverhandlungen wird entscheidend über das Profil des vor uns liegenden Konjunkturverlaufs mitbestimmen. Die konjunkturelle Zuversicht kann um
so größer sein, je mehr die Lohnabschlüsse auf dem gesamtwirtschaftlichen Teppich bleiben, das bedeutet angemessen sind.
Die Unternehmen müssen eine stabilitätspolitische Flankierung durch die Einkommenspolitik honorieren, indem sie ihrerseits im Aufschwung die Chancen der Mengenkonjunktur nutzen. Das heißt konkret, daß sie nicht um kurzfristiger Vorteile willen die Preise leichtfertig erhöhen, sondern auf die notwendige Ertragsverbesserung über Produktivitätsgewinne setzen und damit erneute Verteilungskonflikte vermeiden.
In der Konzertierten Aktion am 24. Februar bestand - übrigens entgegen anderslautenden Berichten - über diese Zusammenhänge sowie über die Einschätzung der aktuellen Konjunkturlage und der Perspektive für 1976 prinzipielle Einigkeit. Von allen wirtschaftspolitisch Verantwortlichen wird als Zentralproblem der nächsten Jahre das Beschäftigungsproblem angesehen, auch - ich sage das bewußt - nach einer konjunkturellen Erholung. Es besteht deshalb Übereinstimmung, daß über die kurzfristige Konjunkturentwicklung hinaus eine dauerhafte Stärkung der privaten Investitionenstätigkeit notwendig ist. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, daß die befürchtete sogenannte Sockelarbeitslosigkeit von niemandem einfach als eine mittel- oder gar längerfristig unvermeidbare Entwicklung hingenommen werden kann. Dies ist eine ernste Herausforderung für die staatlichen Instanzen, die Tarifvertragsparteien und die Unternehmer. Die zusätzlichen Investitionen, die erforderlich sind, um mittelfristig einen hohen Beschäftigungsstand herzustellen, müssen primär in der gewerblichen Wirtschaft in langfristig wettbewerbsfähigen Bereichen getätigt werden.
Hier sind im allgemeinen die dauerhaften Beschäftigungswirkungen der privaten Investitionen derzeit höher als im öffentlichen Bereich, wo das Schwergewicht bei kapitalintensiven und - leider - mit hohen Folgekosten belasteten Infrastrukturinvestitionen liegt. Dieser Aussage wird zuweilen in der öffentlichen und auch in der politischen Diskussion entgegengehalten, sie berücksichtige nicht, daß eine stärkere Verlagerung der Nachfrage zugunsten der Dienstleistungsbereiche eher einen vermehrten Bedarf an Arbeitskräften bewirken würde, d. h., es wird der Ratschlag gegeben, man brauche im produzierenden oder im privaten Bereich nicht soviel zu investieren, man solle die Beschäftigungsproblematik über den Dienstleistungsbereich zu lösen versuchen.
Demgegenüber ist aber festzuhalten, daß der Bereich „gewerbliche Wirtschaft" auch die Dienstleistungsunternehmen umfaßt, die Arbeitsintensität des Dienstleistungsbereichs im Vergleich zum warenproduzierenden Gewerbe aber sehr häufig überschätzt wird. Die Kapitalausstattung je Arbeitsplatz ist nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin, im Dienstleistungsbereich im Durchschnitt um ein Drittel höher als im warenproduzierenden Gewerbe.
Ein anderer, ebenfalls nicht stichhaltiger Einwand gegen die notwendige Politik zur Belebung der Investitionstätigkeit richtet sich immer wieder - auch öffentlich - gegen Rationalisierungsinvestitionen. Es wird einfach gesagt: Was nutzt das Stimulieren der Investitionen? Es wird nur investiert zum Rationalisieren, und damit werden die Arbeitsplätze wegrationalisiert.
Ich möchte auch hierzu eine Bemerkung machen. Auch die Rationalisierungsinvestitionen sind notwendig, wenn wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft erhalten und weiter verbessern wollen sowie die eigenen Strukturprobleme erfolgreich lösen wollen. Auch Rationalisierungsinvestitionen führen gesamtwirtschaftlich zu mehr Nachfrage und mehr Produktion im Investitionsgüterbereich und schaffen so - verstärkt durch die Multiplikatoreffekte - neue Arbeitsmöglichkeiten. Damit werden vorhandene Arbeitsplätze auch für die Zukunft abgesichert und neue Arbeitsplätze für die Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen oder die Einstellung von Jugendlichen oder für die Umsetzung von nicht mehr wettbewerbsfähigen Beschäftigten erschlossen. Diese gesamtwirtschaftliche Sicht sollte nicht - wie es allzu häufig geschieht - durch „Betriebsblindheit" vernebelt werden.
Wir kommen allerdings nicht daran vorbei, daß der Beschäftigungseffekt von Investitionen, ob sie nun Ersatz- oder Erweiterungsinvestitionen sind, stets vom Verhältnis der Kosten des Faktors Arbeit zu den Kapitalkosten abhängt. Eben diesen Zusammenhang gilt es von nun an wieder sehr viel sorgfältiger zu beachten als in den vergangenen Jahren.
Ich möchte mich hier auch mit dem Argument auseinandersetzen, die gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsmöglichkeiten hätten sich für die Unternehmen nicht nennenswert verschlechtert und die Unternehmen unterließen die gesamtwirtschaftlich notwendigen Investitionen nicht deshalb, weil die erwarteten Investitionserträge die gestiegenen Kosten nicht deckten, sondern weil sie nicht wüßten, welche Branchen sie für zukunftsträchtig halten sollten. Das ist auch eine sehr stark öffentlich geführte Diskussion. Für nicht wenige ist eine solche Argumentation überzeugend - jedenfalls auf den ersten Blick.
Als Wirtschaftsminister dieser Bundesregierung würde ich fahrlässig handeln, sähe ich es nicht als meine Pflicht an, einer solchen Auffassung deutlich zu widersprechen:
Erstens. Zu den ökonomischen Kausalketten, an denen sich die Wirtschaftspolitik zu orientieren hat, gehört in unserer Marktwirtschaft, daß neben einer vielfältigen Palette anderer Investitionsmotive insbesondere Absatz- und Ertragserwartungen sowie nicht zuletzt die einzelwirtschaftlichen Finanzierungsbedingungen eine zentrale Rolle bei den Investitionsentscheidungen spielen. Daher können aus den gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsbedingungen allein keine Rückschlüsse auf die einzelwirtschaftlichen Finanzierungsspielräume der Unternehmen, die in den letzten Jahren eingeengt worden sind, gezogen werden. Vielmehr ist mittelfristig eine Verbesserung der Ertragserwartungen aus beschäftigungspolitischen Gründen unumgänglich. Ich wiederhole diesen Satz: Eine mittelfristige Verbesserung der Ertragserwartungen ist aus beschäftigungspoliBundesminister Dr. Friderichs
tischen Gründen unumgänglich. Daher sind alle Modellrechnungen wenig aussagefähig, die das Verhalten, die Motive und die Risiken der Investoren und Kreditgeber nicht angemessen in Rechnung stellen.
Zweitens. In unserem Wirtschaftssystem sind es primär die Unternehmen selbst, die herausfinden, welche Bereiche international wettbewerbsfähig sind. Sie erkunden neue Produktionsmethoden, neue Produkte und neue Standorte, die sich unter Wettbewerbsbedingungen dann als zukunftsträchtig für die Volkswirtschaft insgesamt erweisen. Dabei können sich die einzelnen unternehmerischen Dispositionen im Nachhinein durchaus als Fehlentscheidungen erweisen. Das ist aber immer schon Bestandteil unternehmerischen Risikos gewesen. Wir sind in der Bundesrepublik Deutschland ein Vierteljahrhundert lang mit dieser Methode des Aufspürens zukunftsträchtiger Bereiche, das in Ökonomielehrbüchern unter dem Stichwort „Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" abgehandelt wird, zu gut gefahren, als das wir es leichtfertig aufs Spiel setzen sollten.
Die wohl unbestrittene Tatsache, daß sich, wenn nicht das Tempo des Strukturwandels, so auf jeden Fall aber dessen Auswirkungen infolge der eingetretenen Wachstumsschwäche verschärft haben, kann in unserem Wirtschaftssystem deshalb nicht eine neue, andere Art von Strukturpolitik begründen. Wohl aber sind die Anforderungen an die Wettbewerbspolitik, an die Globalsteuerung, an die Strukturpolitik und selbstverständlich auch an die Unternehmen höher geworden.
Dem muß und wird die Wirtschaftspolitik bei der Setzung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Sie wird den verstärkten Strukturwandel auch weiterhin sozial abfedern. Die Erwartung aber, der Staat könne durch vorausschauende Analysen oder gar Vorgaben - etwa in Form von Strukturentwicklungsplänen - feststellen, welche Entwicklungsverläufe in den einzelnen Branchen zu erwarten oder wünschenswert sind, kann sich ganz einfach nicht erfüllen; denn weder der Staat noch ein kollektiver Bundesstrukturrat noch paritätisch zusammengesetzte Branchenausschüsse werden jemals dieses Prognoseproblem lösen können.
Zu Recht hat daher der Abgeordnete Dr. Alex Möller am 5. Februar 1976 zu den Erfolgsaussichten einer derartigen aktiven Strukturpolitik festgestellt - ich möchte ihn mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -:
Das fehlende Zukunftswissen wird generell die entscheidende Lücke bleiben, die bei allen vorausschauenden Maßnahmen nicht geschlossen werden kann.
In dieser Lücke
- so fährt er weiter fort findet jede wissenschaftlich fundierte Prognosetätigkeit ihre begrenzte Anwendbarkeit.
Marktwirtschaftliche Systeme lösen dieses Unsicherheitsproblem durch Unternehmen und durch Wettbewerb.
Soweit die Strukturpolitik dabei angesprochen ist, hat die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht grundsätzlich Stellung bezogen. Auch für die Strukturpolitik gelten marktwirtschaftliche Funktionsbedingungen. Das heißt, die Strukturpolitik kann wegen des nicht lösbaren Prognoseproblems weder eine Positivliste der Wachstumsindustrien noch eine Negativliste jener Bereiche angeben, die unter verstärkten Anpassungsdruck geraten werden. Das hängt auch mit unserer internationalen industriellen Spitzenposition zusammen. Es genügt eben heute nicht mehr, die strukturelle Entwicklung der bis vor wenigen Jahren führenden amerikanischen Wirtschaft zu verfolgen und dann nachzuvollziehen. Unsere Unternehmen haben inzwischen eine eigenständige Entdecker- und Pionierfunktion auf dem Weltmarkt zu erfüllen.
Wachstumsträchtige Produktionen lassen sich deshalb lediglich abstrakt und qualitativ charakterisieren. Zukunft hat zum Beispiel vor allem, was jene Produktivkräfte besonders intensiv nutzt, mit denen wir sehr reich ausgestattet sind: hohes Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte und die Fertigkeit, neue Techniken und Produkte zu entwickeln. Kapital- und forschungsintensive Arbeitsplätze werden stärker zunehmen. Für die staatliche Forschungspolitik sehe ich hier die Aufgabe, im Bereich vor allem der marktnahen Forschung dem Wettbewerbselement zukünftig verstärkt Raum zu geben und die staatlichen Rahmenbedingungen für eine Intensivierung des unternehmerischen Innovationswettbewerbs zu verbessern.
Wer mehr Indikative Strukturplanung des Staates fordert, würde, wenn man seinem Rat folgte, bald einsehen müssen, daß administrierte Strukturanpassungen ein untaugliches Mittel zur Erhaltung und Schaffung zukunftsträchtiger Arbeitsplätze sind. Die Steuerung der Strukturen muß im Rahmen des staatlich gesetzten Datenkranzes durch den Markt erfolgen, und zwar nicht nur aus Effizienzgründen, sondern auch, um den Freiheitsgrad der am Wirtschaftsprozeß Beteiligten aufrechtzuerhalten.
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Setzte man für die Volkswirtschaft jemals auf amtliche Strukturprognosen, dann würde man damit genauso Schiffbruch erleiden wie jene westlichen Länder, die sich in der Vergangenheit zur Inflationsbekämpfung staatlich administrierte Preis- und Gewinnspannenregelungen verschrieben haben.
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Statt dessen muß die Strukturpolitik stärker als bislang vorausschauendes Verhalten der Unternehmen initiieren. Mittelfristig anzustreben sind solche Maßnahmen, die zukunftsrelevante Informationen aus Forschung und Wissenschaft den Investoren, Banken und staatlichen Instanzen zugänglich machen, die die intersektorale Mobilität des Kapitals vergrößern, die die räumliche und berufliche Mobilität der Arbeitnehmer weiter erhöhen, die die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Unternehmen verstärkt anregen und die Strukturveränderungen transparenter machen. Dabei muß der Akzent auf Anpassungshilfen und nicht auf Erhaltungssub15760
ventionen liegen, auch dann, meine Damen und Herren, wenn ich immer wieder feststelle, daß die Anregungen aus dem Parlament - insbesondere in Wahljahren - im allgemeinen primär auf Erhaltungssubventionen und nicht primär auf Anpassungshilfen gerichtet sind. Ausnahme bleibt weiterhin die soziale Abfederung bei bruchartigen Strukturveränderungen. Eine wirksamere Erfolgskontrolle der Strukturpolitik ist dabei unerläßlich, auch bezüglich ihrer indirekten Wirkungen.
Die Bundesregierung überläßt die Bewältigung der strukturellen Probleme keinesfalls mythischen Selbstheilungskräften oder einfach dem anonymen Markt. Als Beleg für die Anstrengungen, den erforderlichen Strukturwandel aktiv zu kanalisieren und sozial abzufedern, möchte ich nur kurz nennen: die strukturpolitischen Akzente der Konjunkturprogramme seit Ende 1973, die hohe beschäftigungs- und strukturpolitische Relevanz der Rahmenpläne der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" - im 5. Rahmenplan werden bis 1979 gut 430 000 neue Arbeitsplätze gefördert - sowie die strukturelle Bedeutung der Forschungsförderungspolitik und der Subventionspolitik.
Die Sorge um den Arbeitsmarkt darf uns nicht dazu verleiten, zu unüberlegten Experimenten in der Strukturpolitik Zuflucht zu nehmen. Wir können die Arbeitslosigkeit nur mit Investitionen abbauen, die dauerhaft Arbeitsplätze schaffen. Ein nachhaltiger Erfolg ist hier, wenn ich von der konjunkturellen Entwicklung absehe, nur mittelfristig möglich.
Deshalb sind besondere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für eine Übergangszeit durchaus sinnvoll. Die Bundesregierung hat dementsprechend eine Reihe ausgewählter Arbeitsmarkthilfen eingesetzt. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat über ihre Wirkung im letzten Gespräch der Konzertierten Aktion ausführlich berichtet. Insgesamt haben die vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - wie Kurzarbeitergeld, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - und die gezielten Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Bildung nach Feststellung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit mindestens 300 000 Arbeitnehmer vor drohender Arbeitslosigkeit bewahrt.
Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat außerdem festgestellt, daß jüngere und gelernte Arbeiter in der Regel jeweils nur wenige Monate arbeitslos sind. Von längerfristiger Arbeitslosigkeit sind dagegen zunehmend ältere, ungelernte Arbeitnehmer und - auch das soll einmal öffentlich gesagt werden - ausbildungsunwillige Jugendliche betroffen. Es zeigt sich also in der Struktur der Arbeitslosen ganz deutlich: Jüngere sind leichter vermittelbar als Altere; Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung sind sehr viel leichter vermittelbar als solche ohne abgeschlossene Berufsausbildung.
Ich möchte daher auch an dieser Stelle die dringende Bitte an die Ausschüsse des Parlaments und das Parlament selbst richten, nicht wegen drohender notwendiger politischer Auseinandersetzungen in
einem Bundestagswahljahr das übergeordnete Ziel der Lösung des Ausbildungsproblems zu vergessen, wenn es an die Beratung des Berufsbildungsgesetzes geht.
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Hier entwickelt sich nämlich ein Arbeitsmarktproblem eigener Art. Jenseits administrativer Hektik über weitere Konjunkturprogramme bin ich dafür, daß hinsichtlich dieser spezifischen Arbeitsmarktprobleme weiter geprüft wird, wie noch effizienter Abhilfe geschaffen werden kann.
Die Bundesregierung vertraut weiterhin darauf, daß sich der soziale Consensus über die Bedingungen für die Rückgewinnung von Vollbeschäftigung als ausreichend tragfähig erweist. Voraussetzung dafür ist aber, daß mit der falschen These aufgeräumt wird, was den Unternehmen nütze, schade den Arbeitnehmern.
Die Zielrichtung einer mittelfristigen Politik zur Aktivierung der privaten Unternehmensinvestitionen darf nicht als einseitiges gesellschaftspolitisches Engagement mißverstanden werden. Sie ergibt sich vielmehr aus den ökonomischen Funktionszusammenhängen für die Rückkehr zu hoher Beschäftigung. Mittelfristig besteht daher keine Konkurrenz der Interessenstandpunkte, sondern eine Interessenkongruenz. Dabei wird keinesfalls bestritten, daß Arbeitgeber- und Arbeitnehmerstandpunkte kurzfristig durchaus nicht zu harmonieren brauchen.
Es kommt entscheidend darauf an, daß die im Aufschwung möglicherweise neu entstehenden Verteilungsprobleme, die wir nicht übersehen dürfen - denn sie werden kommen -, nicht neue Verteilungskämpfe zu Lasten zukünftiger Arbeitsplätze entfachen, sondern durch eine verstärkte vermögenspolitische Beteiligung der Arbeitnehmer von vornherein wenigstens entschärft werden.
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Dazu erscheint es notwendig, daß stärker als bisher der betriebliche oder der tarifliche Ansatz verfolgt wird. Es ist kein Geheimnis, daß ich persönlich ein großer Anhänger des tariflichen Ansatzes bin. Die entsprechende Aussage der Bundesregierung unter Textziffer 16 des Jahreswirtschaftsberichts öffnet diesen Weg der einkommens- und gesellschaftspolitischen Entspannung. Jeder sollte sich davor hüten, daß auf die alte relative Einseitigkeit der Vermögensbildung im kommenden Aufschwung eine neue Einseitigkeit draufgesetzt wird. Die Bundesregierung ermutigt deshalb die Tarifvertragsparteien, jenen Risiken durch geeignete Vereinbarungen zu begegnen, damit sich weder das wiederholt, was in den 50er Jahren den Grund zu jener schiefen Vermögensverteilung gelegt hatte, noch das, was sich im Herbst 1969 ereignet hat. Wir können uns weder neue stabilitätspolitische noch neue vermögenspolitische Hypotheken für die kommenden Jahre und den Verteilungskampf leisten.
Die Vermögenspolitik muß in ihrer komplexen Bedeutung für die Gestaltung der Einkommens- und Verteilungspolitik und auch für die mittelfristig notwendigen Arbeitsplatzinvestitionen gesehen werden. Ich sehe sie bewußt nicht nur als ein gesellBundesminister Dr. Friderichs
schaftspolitis es Problem, sondern auch als ein Instrument der Wirtschaftspolitik zum Ziele eines höheren Beschäftigungsstandes.
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Den Sozialpartnern wächst hier mit der Flankierung durch die Bundesregierung ein neuer Spielraum für tarifpolitisches Handeln und gesamtwirtschaftliche Mitverantwortung zu. Sie sollen auf jeden Fall mit der Unterstützung von Bundesregierung und Gesetzgeber rechnen können, wenn sie mit ihren vermögenspolitischen Initiativen an die bis jetzt noch nicht erreichten Grenzen stoßen; ich betone: an die bis jetzt noch nicht erreichten Grenzen. Vom 624-DM-Gesetz machen zur Zeit rund 16,3 Millionen Bürger unseres Landes Gebrauch, davon 15 Millionen durch Tarifvertrag und rund 1,3 Millionen freiwillig. Das 624-DM-Gesetz ist im Augenblick im Durchschnitt mit 580 DM ausgeschöpft, tarifvertraglich aber nur mit 390 DM. Es ist also tarifvertraglicher Spielraum noch -- ich unterstreiche: noch - vorhanden.
An die Grenze des Gesetzes wird in einigen Branchen tarifvertraglich 1977 gestoßen, nämlich im Bereich der Bauindustrie, im Bereich der Energieversorgungsunternehmen, im Bereich der Chemie, im Bereich der Banken und Versicherungen und im Bereich einiger kleinerer Tarifbereiche. Insgesamt hat die Vermögenspolitik im Jahre 1975 einen Aufwand der öffentlichen Hand von fast 9 Milliarden DM erfordert.
Ich habe bewußt auch zur Ausschöpfung etwas gesagt, damit wir wissen, wann dieses Problem des Volumens auf uns zukommt, nämlich im Verlauf des Jahres 1977. Für die Tarifrunde 1976 ist Spielraum - im Schnitt jedenfalls - im tariflichen Bereich noch vorhanden.
In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, daß bereits die Körperschaftsteuerreform zu einer wesentlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Vermögenspolitik führen wird, nicht zuletzt durch die damit bewirkte Erhöhung der Nettorendite von Beteiligungserträgen der Anteilseigner mit geringem Einkommen.
Scheinbar schnelle Lösungen führen in der Vermögenspolitik nicht zu dem gewünschten Ziel. Um der Gerechtigkeit willen ist allerdings anzumerken, daß die Opposition nicht den Anspruch erhebt, eine entscheidungsreife Lösung für den Gesetzgeber zu haben; denn es ist auch der Opposition offensichtlich nicht möglich gewesen, ihre Vorstellungen in einem durchführbaren Gesetz zu formulieren. Ich sage dies nicht abwertend, sondern mit dem Ziel, die gemachten Vorschläge Punkt für Punkt im Laufe der Debatte und in den nächsten Monaten zu prüfen. Es wird sich dabei zeigen, daß einiges geht, daß einiges einfach nicht geht. Aber darüber sollte man in aller Offenheit sprechen; das Thema ist wichtig genug.
Wir dürfen die deutschen mittelfristigen Beschäftigungs- und Strukturprobleme aber nicht isoliert sehen. Wir leben in einer zum Teil spürbar schlechter gestellten internationalen Umwelt, die von uns
einiges zur Überwindung ihrer eigenen Probleme erwartet. Wie immer die Neuordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, über die in Paris im sogenannten Nord-Süd-Dialog seit Jahresbeginn konkret verhandelt wird, ausfällt: Sie wird reale Mehrbelastungen für die westlichen Industrieländer mit sich bringen. Wie auch immer die Vereinbarung aussieht, sie wird in jedem Fall eine Mehrbelastung der westlichen Industrieländer zugunsten der unterentwickelten Länder mit sich bringen. Ähnliches gilt bei anderen Problembereichen wie Seerechtskonferenz usw. Zudem dürfte sich nach Abschluß der Tokio-Runde der Gatt-Verhandlungen und generell durch das Nachrücken von Entwicklungsländern in einfache, zumeist arbeitsintensivere Fertigungen der strukturelle Anpassungsdruck auf unsere Wirtschaft in Zukunft tendenziell verstärken. Unsere Glaubwürdigkeit, wenn wir in den internationalen Verhandlungen für möglichst marktmäßige Lösungen eintreten, hängt davon ab, daß die Bundesrepublik jenseits verbaler Wohlwollensbekundungen einen positiven Beitrag zur Weiterentwicklung der internationalen Beziehungen leistet. Und das heißt aus der Sicht der Dritten und Vierten Welt nicht zuletzt auch Öffnung unserer Märkte für die Exportprodukte der Entwicklungsländer. Es hat keinen Zweck, dort um unsere eigenen Vorteile zu ringen, ihnen gleichzeitig verbale nette Ankündigungen zu machen, ihnen aber unsere eigenen Märkte für das, was sie exportieren können, schlicht und einfach nicht zu öffnen.
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Hier meine Damen und Herren, stehe ich, wenn ich die Anfragen der Fragestunde sehe, doch permanent unter dem gegenteiligen Eindruck, nämlich: Schotten dicht. Nur frage ich Sie, wohin Sie eigentlich noch exportieren wollen, wenn das Land, das eines der höchsten Sozialprodukte erzielt, nicht bereit ist, aus diesen Ländern etwas zu importieren.
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Es ist einfach unmöglich, in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland jeden vierten Arbeitnehmer für den Export arbeiten zu lassen, wenn Sie anderen Ländern, die unsere Güter kaufen sollen, nicht die Chance geben, über den Verkauf ihrer Produkte bei uns die Devisen zu erlösen, die sie brauchen, um unsere Produkte bezahlen zu können. Wer das nicht will, der soll konsequent sein und erst das Geld und dann die Ware schicken. Damit können Sie allerings unseren Lebensstandard nicht aufrechterhalten.
({9})
-Verehrter Herr Kollege Stücklen, ich bin mir des Problems Dumping sehr wohl bewußt, und die gestrige Nachtverhandlung mit dem amerikanischen Finanzminister befaßte sich mit Dumping in Richtung auf unsere Waren in USA, wie Sie wissen, wo auch Probleme bestehen. Wir dürfen aber nicht einfach sagen, daß jedes Produkt, das aus einem anderen Land hereinkommt und billiger ist als ein hier erzeugtes, ein in Dumping hergestelltes ist.
({10})
Ja, das kommt sehr leicht. Es muß klar unterschieden werden zwischen den dort günstigeren Standortfaktoren - und die müssen wir akzeptieren - und den Fällen, in denen es in der Tat ein Dumping ist. Dafür haben wir Verfahren; diese müssen wir weiterentwickeln; da stimme ich Ihnen sehr zu.
({11})
Nur, um das ganz klar zu sagen, bei Dumping denken ja viele aus Ihren Reihen immer sogleich an Ostblock und ähnliches. Mir macht im Moment in einzelnen Branchen das Preisverhältnis innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere zwischen Italien und der Bundesrepublik, mindestens die gleichen Sorgen. Wenn wir uns schon im eigenen Bereich der Europäischen Gemeinschaft wahnsinnig schwer tun, die Kostenstrukturen des Nachbarn zu ermitteln, um wie viel schwerer in Wirtschaften, die in einem anderen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem leben. Hier gibt es sehr große Probleme. Aber unter dem Vorwand Dumping dürfen wir den Markt nicht für die Waren verschließen, die mit dortigen Kosten erzeugt sind und auf unserem Markt einen Absatz finden müssen. Denn, meine Damen und Herren, wir brauchen dies einfach, um auch selbst exportieren zu können, denn die deutsche Wirtschaft ist ohne Exporte am Ende. Jedenfalls ist sie so aufgebaut worden, Sie müssen das akzeptieren.
({12})
Zwischen Industrie- und Entwicklungsländern besteht eben heute eine wirtschaftliche Interdependenz. Diese ist enger geworden als vor 20 Jahren. Wir brauchen nicht nur Rohstoffe und Erdöl, wie manche glauben, und die Entwicklungsländer brauchen nicht nur Kapital und Technologie, wie manche immer noch glauben. Beide brauchen den Absatzmarkt des anderen. Meine Damen und Herren, wenn wir nicht den Mut haben, mit unserem Vorsprung an Kapital und Technologie in diese weltweite Arbeitsteilung einzutreten, dann entziehen wir uns selbst die Grundlage für das Wachstum der Zukunft. Dazu dürfen wir keinen Beitrag leisten, ganz abgesehen davon: wenn wir durch unser Mittun den Konflikt zwischen Nord und Süd gar verschärfen würden, würden wir am Ende mehr unseres Sozialprodukts benötigen, um den Konflikt auf andere Weise beizulegen, als wir jetzt benötigen, wenn wir konstruktiv in diesen Dialog in der Interdependenz eintreten.
({13})
Wer sagt: mehr investieren, um mehr Arbeitsplätze zu haben, der sagt auch gleichzeitig: mehr produzieren in Deutschland. Er muß dann aber auch die Frage beantworten, wo diese Produkte abgesetzt werden sollen, da wir z. B. bei Konsumgütern doch eine jedenfalls relative - ich betone: relative - Sättigung von Marktbereichen feststellen. Wir müssen also auch und insbesondere für den Weltmarkt produzieren und müssen ein Interesse daran haben, daß Märkte, die für unsere Produkte heute noch nicht in Frage kommen, weil sie noch nicht den erforderlichen Entwicklungsstand erreicht
haben, diesen finit unserer Hilfe erreichen, um in Zukunft als Markt für uns offenzustehen. Das ist unser eigenes, langfristiges Interesse. Leider wird in der Öffentlichkeit dann sehr häufig so abwertend gesagt: „Da schicken sie wieder Entwicklungshilfe" oder „... ein paar Milliarden". Meine Damen und Herren, dies ist, wenn wir es richtig machen, eine Investition in die Zukunft unserer Kinder, und wir haben alle Veranlassung dazu.
({14})
- Herr Kollege Stücklen, ich würde sehr herzlich bitten, das Thema Export von Rüstungsgütern in diesem Augenblick nicht in die Debatte einzuführen.
({15})
Es würde nach meiner Meinung das Problem, das ich zu umschreiben versucht habe, in einem Ausmaß belasten können, in dem ich dieses Problem nicht belasten möchte. Es ist eine ganz andere Frage, ob man auch über den Punkt, den Sie erwähnen, eine, wie ich hoffe, irgendwann entemotionalisierte Diskussion
({16})
führen kann. Nur, niemand in diesem Hause kann mit Zeigefingern auf jemanden zeigen. Denn wenn ich mich recht entsinne, sind die rechtlichen Voraussetzungen für das Verhalten der deutschen Regierung in diesem Bereich nicht nur von einer Seite des Hauses getragen, sondern - ich habe mir die Daten neulich noch einmal angeschaut - von unterschiedlich zusammengesetzten Regierungen festgelegt worden - aus wohlerwogenen Gründen, nach einem Krieg, an dem Deutschland ja wohl sehr beteiligt war.
({17})
Es gibt eine Fülle nicht nur wirtschaftspolitischer, sondern auch außenpolitischer - ich sage bewußt: außenpolitischer - Probleme, die miterörtert werden müssen. Bitte veranlassen Sie mich nicht, mich hier und jetzt in diesem Zusammenhang des NordSüd-Verhältnisses unserer zukünftigen Ökonomiepolitik mit einem Thema zu befassen, das außenpolitisch brisant und wichtig ist, das verteidigungspolitisch wichtig ist, das auch eine ökonomische Bedeutung für einzelne Unternehmen hat, dessen ökonomische Bedeutung für die deutsche Gesamtwirtschaft aber - seien wir ehrlich - Gott sei Dank sehr klein ist.
({18})
Denn die Rüstungsgüter haben an unserer Produktion und an unserem Export einen verschwindend kleinen Anteil - im Gegensatz zu unseren Nachbarn Frankreich und England. Und das kann ich sagen: Welche Politik auf diesem Gebiet auch immer betrieben wird, ob die jetzige oder eine andere, zu einem möchte ich nicht beitragen: dazu,
daß wir eine Ausweitung der Produktionskapazität in diesem Bereich bekommen.
({19}) Denn dies würde auf die Dauer teuer.
Ich sage bewußt: Auch bei einer anderen Politik darf es nicht zu einer Ausweitung der Produktionskapazitäten in diesem Bereich kommen;
({20})
denn wenn dann plötzlich die Nachfrage aus anderen Ländern ausbliebe, möchte ich den Druck auf den Kollegen Leber und den Kollegen Apel nicht miterleben, diese Kapazitäten dann schließlich mit nationalen Bestellungen auszulasten.
({21})
Damit wir uns recht verstehen: Das Problem ist
schwierig. Ich weiß es.
({22})
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung hierzu machen. Der vor Ihnen stehende Wirtschaftsminister wird allerdings zu einem, was seine Nachbarn leider tun, nie bereit sein: diesen Hebel zu benutzen, um draußen andere Geschäfte mies zu betreiben. Um das sehr deutlich zu sagen: Unser Export muß aus seiner Leistungsfähigkeit heraus wirken und nicht, indem man miese Koppelgeschäfte macht.
({23})
Ich sage das, obwohl ich weiß, daß unsere Mitbewerber immer wieder versuchen, uns auch dort, wo wir leistungsfähiger anbieten, mit diesem Mittel auszuhebeln. Ich glaube, mehr ist hierzu im Augenblick nicht zu sagen, es sei denn, Sie erwarten von mir die Erwähnung des Nahen Ostens und der besonderen Problematik, die sich hinsichtlich der Beziehungen zu einem Lande in dieser Region für Deutschland nun einfach aus der Vergangenheit heraus stellt.
Ich sagte, keine Seite kann an der Konfrontation mit den unterentwickelten Ländern gewinnen. Die Lösung kann nur in einer Verbesserung der Weltwirtschaftsstruktur gefunden werden, nicht in einer Beseitigung des Marktmechanismus durch weltweiten Dirigismus.
Ein Abbau des Nord-Süd-Wohlstandsgefälles wird übrigens nur dann möglich sein, wenn eine stärkere Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft gelingt.
Die Bundesrepublik muß auch aus diesen Gründen wirtschaftlich gut gerüstet sein. Konkret: je solider die Basis für Arbeitsplatzinvestitionen, desto besser. Das heißt auch: keine leichtgläubigen Experimente mit Strukturplanung, umfassender selektiver Wachstumspolitik oder Branchenprognosen, auch nicht - das sage ich an die Adresse einiger Länderkollegen - mit der Sektoralisierung und der Regionalisierung der Konjunkturpolitik. Wer vorne nein sagt - dies sage ich in aller Deutlichkeit an einige von der Union regierte Länder -, muß konsequenterweise auch hier nein sagen. Sie können hier nicht mixen. Dort, wo es Ihnen regional gerade ein bißchen nutzt, sagen Sie ja, dort, wo es nicht nutzt, sagen Sie nein. Und daß nennt man dann noch Ordnungspolitik. So einfach geht es nicht.
({24})
Wer das eine will, bekommt das andere gratis dazu. Deswegen warne ich vor beiden Überlegungen. Weder mehr Dirigismus in der Wirtschaftsstruktur noch staatliche Eingriffe in die einkommenspolitischen Entscheidungen der autonomen Gruppen können wir wollen.
Statt dessen wird diese Bundesregierung weiterhin konsequent dafür sorgen, daß erstens die allgemeinen Rahmenbedingungen für die ökonomische Dynamik stimmen. Dazu gehören eine wirksame Wettbewerbspolitik, eine Geldmengenpolitik, wie sie die Bundesbank formuliert hat und betreibt, eine Wechselkurspolitik, bei der sich der Wechselkurs grundsätzlich an den Markttendenzen orientiert, eine Finanzpolitik, die dem Auftrag, Expansion und Konsolidierung zugleich zu verwirklichen, gerecht wird.
Diese Bundesregierung wird zweitens dafür sorgen, daß die so konzipierte Globalsteuerung durch eine Strukturpolitik flankiert wird, die den längerfristigen Marktentwicklungen Spielraum verschafft. Auf dem inzwischen von der Bundesrepublik international erreichten industriellen Entwicklungsstand ist die Entdeckungs- und Pionierfunktion des Unternehmers zum Bestehen des weltweiten Wettbewerbs und damit zugleich als Garant eines hohen Einkommensniveaus für alle Beschäftigten unverzichtbar.
Die Bundesregierung wird schließlich drittens dafür sorgen, daß die ökonomische Datensetzung von einer entsprechenden_ Gesellschaftspolitik, die sich an der sozialen Verpflichtung unserer Wirtschaftsordnung ausrichtet, begleitet wird. Durch eine solche Politik werden kontinuierlich die Bedingungen zur Überleitung auf einen stabilitätsorientierten und mittelfristig angemessenen Beschäftigungs- und Wachstumspfad verbessert.
Der Jahreswirtschaftsbericht 1976 weist meines Erachtens diesen erfolgreichen Weg. Ich wünschte mir, wir könnten ihn im Interesse der Beschäftigten in diesem Lande jenseits notwendiger Auseinandersetzungen im bevorstehenden Wahlkampf ein Stückchen gemeinsam gehen.
({25})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Jahr 1975 war ein Jahr der Fehlprognosen. Ich stimme Minister Friderichs darin zu, daß sich im Jahre 1975 auch die begrenzten Möglichkeiten der wissenschaftlichen Prognosetätigkeit gezeigt haben. Das Jahr 1975 war aber auch ein Jahr der bewußten Falschmeldungen. Die Bundesregierung hat das Prophezeien als Instrument ihrer Wahlstrategie aufs äußerste strapaziert. Ich
denke hier insbesondere an die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland.
({0})
Ihr Ziel war, die Bürger über die wirkliche Lage zu täuschen. Die Bundesregierung hat sich damit selbst unglaubwürdig gemacht. Mit Recht und erfreulicherweise sind die Bürger heute gegenüber der prophetischen Begabung dieser Regierung skeptisch geworden.
Mit Zahlen und Statistiken läßt sich trefflich streiten. Ich will hier nur ein Beispiel anführen.
Der Bundeswirtschaftsminister hat darauf hingewiesen, daß im statistischen Vergleich Dezember 1975/Januar 1976 bei der Industrieproduktion ein Zuwachs von drei Prozent festzustellen ist. Das ist richtig; aber wenn Sie denselben Vergleich, bezogen auf die Arbeitstage, anstellen, dann läßt sich ein Minus von 2,2 Prozent errechnen. Denn im Januar gab es erheblich mehr Arbeitstage als im Dezember.
Ich will mich an der Prognosemacherei gar nicht beteiligen; ich will nur darauf hinweisen, daß man, je nachdem, wie man die Statistik interpretiert, zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann.
({1})
Die CDU/CSU hofft mit der Regierung, daß wir 1976 die Rezession überwinden und eine Erholung einleiten können.
({2})
- Natürlich! Wir alle hoffen, daß es wieder aufwärts gehen möge.
Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn sich die optimistischen Erwartungen der Regierung über ein reales Wirtschaftswachstum von vier Prozent bestätigen sollten, nehmen sich natürlich solche Zahlen nach der Tiefe der Rezession und der Tiefe des Abschwunges einigermaßen gut aus.
({3})
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? - Etwas später, ja?
- Gut.
Aber selbst wenn die Regierung das Ziel der Klasse erreichen sollte - was wir mit ihr hoffen -, wäre erst wieder das Leistungsniveau der Wirtschaft aus dem Jahre 1973 erreicht.
({0})
Entscheidend, meine Damen und Herren, sind jetzt nicht drei oder vier oder fünf Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 1976; entscheidend ist die Dauerhaftigkeit der Entwicklung.
({1})
Denn nur sie gibt uns berechtigte Hoffnung auf eine Milderung der Arbeitslosigkeit.
({2})
Auf jeden Fall wäre es ein erneuter verhängnisvoller Fehler der Regierungskoalition, wenn sie aus rein parteitaktischen und Wahlüberlegungen heraus jetzt neue, übertriebene Erwartungen in die Welt setzen würde.
({3})
Insofern teilen wir durchaus die vorsichtige Einschätzung durch den Bundeswirtschaftsminister, der vor einem Strohfeuer gewarnt hat.
Demgegenüber tönt leider die Propagandawelle der Regierung und auch des Herrn Bundeskanzlers: Wir sind über den Berg! Es geht laufend aufwärts!
({4})
Offensichtlich aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist sich die Regierung ihrer Sache durchaus nicht sicher; denn für den Fall, daß sich die er. hofften Erwartungen nicht erfüllen, werden schon wieder die neuen und die alten Alibis aufgebaut - auch im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung -: Hinweis auf das Ausland und auf das Verhalten der Tarifpartner.
Insofern kann man den Jahreswirtschaftsbericht und auch das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister hier ausgeführt hat, als ein Dokument zwischen Hoffnung und vielerlei Resignation kennzeichnen.
Es wird von Tag zu Tag deutlicher, was es wirklich mit dem auf sich hat, was die Bundesregierung seit 1970 als Reformpolitik verkauft und was in die tiefste Rezession der Nachkriegszeit hineingeführt hat.
({5})
Und wie immer die Dinge laufen werden: Die Bürger werden noch auf sehr lange Zeit die Zeche für die verfehlte Regierungspolitik zu bezahlen haben.
({6})
Wie wir die Regierung einschätzen, wird man jetzt wieder versuchen - und wir sehen das schon an Veröffentlichungen von gestern hier oder an Aussagen von Herrn Wehner oder von Bundeskanzler Schmidt -, mit international ausgewählten Zahlenvergleichen vor den Bürgern so etwas wie eine Nebelwand aufzubauen. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren: -Was Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, Industrieproduktion anbetrifft, schneiden wir im internationalen Vergleich sehr, sehr mäßig, wenn nicht ausgesprochen schlecht ab.
({7})
- Natürlich bin ich auf dem neuesten Stand. Sehen Sie, was die OECD gerade gestern wieder veröffentlicht hat! Wir liegen, was das Wachstum anbetrifft, innerhalb der OECD an 20. Stelle.
({8})
- Das sind die neuesten Zahlen, sehr verehrter Herr Kollege.
Ich möchte Regierung wirklich davor warnen, sich in eine internationale Schönheitskonkurrenz zu begeben - mit Toupets und falschen Busen.
({9})
Die Arbeitslosigkeit, das uns alle am meisten bedrückende Problem, bleibt ein Dauerproblem. Die Regierung rechnet für 1976 mit einer Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 1,1 Millionen. Das wäre ein höherer Jahresdurchschnitt als 1975. Selbst wenn das jährliche Wachstum nach den Hoffnungen der Regierung 5 % erreichte, würde sich dieser hohe Sockel an Arbeitslosigkeit nach den Vorstellungen der Regierung nur ganz langsam abbauen lassen. Selbst im Endjahr der mittelfristigen Zielprojektion ist die Arbeitslosigkeit höher als 1967. Damals hatten wir 2,1 % Arbeitslosigkeit, und das war Anlaß, meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Bänken der SPD, für eine maßlose Hetzkampagne gegen die Regierung Erhard. Im Februar 1976 müssen wir eine Arbeitslosenquote von 5,9 % hinnehmen.
({10})
Es war der heutige Bundeskanzler Schmidt, der im Juli 1972 verkündete, 2 % Arbeitslosigkeit wären ein Beweis für das Versagen der Regierungspolitik und müßten mit einer erheblichen Rezession und schweren psychologischen und politischen Rückschlägen einhergehen. Jetzt will Herr Schmidt das Problem der Massenarbeitslosigkeit sehr verharmlosen.
Ein zusätzliches Problem bringt die Tatsache, daß in den nächsten fünf Jahren zusätzlich zu dem normalen Zugang 400 000 jüngere Mitbürger in das Erwerbsleben eintreten. Damit wird sich angesichts des verminderten Angebots an Arbeitsplätzen das ohnehin schon menschlich und, wie ich auch sagen würde, politisch außerordentlich schwierige Problem der Jugendarbeitslosigkeit weiter verschärfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Ende dieser Reformpolitik muß die Arbeitnehmerschaft erstmalig in der Nachkriegsgeschichte echte Einbußen in ihrem Lebensstandard hinnehmen.
({11})
Selbst bei Tarifabschlüssen in Höhe des sogenannten Inflationsausgleiches ergibt sich eine ganz erhebliche Minderung der Kaufkraft, wenn Sie Steuerprogression, höhere Beiträge und die ohnehin weiterlaufende Inflation berücksichtigen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch eine Bemerkung an die Adresse des DGB machen. Ich möchte wissen, was in Deutschland los wäre und welche Kritik von seiten des DGB zu erwarten wäre, wenn all das unter einer CDU/CSU-Regierung geschehen wäre.
({12})
Vielleicht wäre es eine ganz nützliche Aufgabe für den DGB, der Öffentlichkeit darzulegen, mit welchen echten Einkommenseinbußen die Arbeitnehmer heute fertig werden müssen, wenn es zu einer
Lohnabschlußrunde um etwa 5 % oder sogar darüber kommt.
({13})
- Das ist die Wahrheit. Die wollen Sie doch wohl gelegentlich auch hören. Sie möchten gern alles ein bißchen vernebeln. Das ist aber nicht die Aufgabe der Opposition.
({14})
Meine Damen und Herren, die gewaltigen Defizite in den öffentlichen Haushalten und bei den sozialen Einrichtungen sind zu einem Unsicherheitsfaktor erster Ordnung geworden. Sowohl die Basisannahmen als auch die Zielprojektionen sind - das ist keine Übertreibung - bei all dem, was sich in der Rentenversicherung entwickelt, sehr, sehr labil geworden. All dies ist die Folge der hohen Preis- und Kostensteigerung ebenso wie der hochgeschraubten Ansprüche, nicht zuletzt der Ansprüche des Staates an das Bruttosozialprodukt. Die Bundesregierung hat sich durch ihr eigenes Handeln heute ihrer Bewegungs- und Manövrierfähigkeit weitgehend beraubt. Es wird auf die Dauer für uns alle ein sehr schwieriges Problem werden, wenn wir das Netz der sozialen Sicherung in seiner Substanz erhalten wollen.
Ich darf ferner darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß die mittelständische Wirtschaft einem bisher nie dagewesenen Auszehrungsprozeß ausgesetzt ist. Die beängstigend hohe Zahl von Geschäftsaufgaben, Konkursen und Konzentrationen spricht hier eine deutliche Sprache. Unsere gesamte Wirtschaft leidet angesichts der eingetretenen Kostenexplosion unter einer ernsthaften Bedrohung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Es wird, selbst wenn wir eine günstige Entwicklung des Welthandels unterstellen - ich glaube, das dürfen wir tun -, schwer sein, unseren ohnehin schon rückläufigen Anteil zu halten, und das ist wichtig für die Sicherung oder die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
In diesem Zusammenhang hat der Herr Bundeswirtschaftsminister völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß wir auch den Entwicklungsländern eine Chance geben müssen, sich so zu entwickeln, daß sie ihre Produkte absetzen können und wir neue Käufer schaffen.
({15})
Darin stimmen wir völlig überein. Nur sind wir eben, sehr verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, infolge der Regierungspolitik jetzt zu einem der teuersten Produktionsländer der Welt geworden, weil nicht nur die Lohnkosten, sondern vor allem die Lohnnebenkosten, ausgedrückt in den Lohnstückkosten, eine internationale Rekordmarge erreicht haben und es daher um so problematischer wird, wenn die billig produzierenden Länder jetzt in dieser Rezessionsphase in den deutschen Markt eindringen. Was ich am wenigsten verstehe, ist, daß die Regierung, obwohl Sie darauf hinweisen, Herr Bundeswirtschaftsminister, wie wichtig es ist, daß
wir unsere Wirtschaft zu hochwertigen Produktionen hinführen, gerade jetzt bei den Forschungsmitteln erhebliche Kürzungen vornimmt.
Im Februar ist die Inflationsrate nun erneut auf 5,5 % angestiegen. Die derzeitigen Inflationsimpulse kommen in allererster Linie von den staatlich beeinflußten Preisen.
({16})
Das sollten wir auch einmal festhalten. 1967 gingen wir in die Aufschwungphase mit einer Inflationsrate von unter 2 %; diesmal liegt der Inflationssockel bei über 5 %. Was das in der Praxis bedeutet, hat die Bundesbank einmal ausgerechnet: bei 5 % Inflationsrate würde sich in 13 Jahren der Kontenstand der Sparguthaben aller Bürger um die Hälfte vermindern.
Meine Damen und Herren, die Liste der Probleme ließe sich beliebig vermehren. Sie sind zum Teil konjunkturpolitisch, zum Teil strukturpolitisch bedingt. Das Gefährliche und Schlimme an der Situation ist, daß sich beides jetzt summiert; denn in der Phase der Hochkonjunktur hat die Bundesregierung die Probleme der Strukturpolitik in fahrlässiger Weise vernachlässigt. Wir alle wissen - das ist eine alte volkswirtschaftliche Regel -, daß man mit den Verschiebungen in einer Volkswirtschaft am ehesten ohne Friktionen und ohne Gefährdung der Arbeitsplätze fertig wird, wenn man das in einer Phase der Hochkonjunktur vorantreibt. Jetzt, in der Phase der Rezession, sind die strukturellen Verwerfungen besonders deutlich geworden; sie verschärfen sich, und die notwendigen Anpassungsprozesse sind mit um so schmerzlicheren Folgen für die Menschen verbunden. Es ist nirgends ein Konzept sichtbar, wie die Regierung mit diesen Problemen fertig werden will.
Die Ursachen dieser Entwicklung werden im Bericht der Sachverständigen mit aller Deutlichkeit angesprochen. Der Bundeskanzler verbreitet das Märchen, es liege alles ausschließlich an der importierten Rezession, alle Schwierigkeiten hingen im Grunde nur vom Ausland ab. Das ist objektiv die Unwahrheit. Die Sachverständigen drücken das sehr deutlich aus. Sie sagen - ich darf zitieren, Frau Präsidentin -:
Es ... wäre verfehlt, ... schlechthin von einer importierten Rezession zu sprechen. In ihrem Kern waren die Beschäftigungsprobleme in dem zunehmenden Druck auf die Gewinnmargen und in den Verzerrungen der Produktionsstruktur, die mit der Inflationsgewöhnung einhergingen, seit langem im Inland angelegt.
Und weiter:
Die Inflationsgewöhnung und die schweren Fehler bei ihrer Bekämpfung haben letztlich die Investitionskrise von heute ausgelöst.
({17})
- Das sagen die Sachverständigen. Lesen Sie es bitte nach!
Der schwerste Fehler dieser Kaalition war es, 1970 eine Anspruchsinflation einzuleiten, die zwangsläufig eine Inflation der Kosten und dann auch eine Inflation der Staatsausgaben zur Folge haben mußte. Es folgte dann eine Politik der Inflationsduldung. Sie wurde am treffendsten durch den heutigen Kanzler artikuliert, als er sagte: „5 % Arbeitslosigkeit sind schlimmer als 5 % Inflation." Heute haben wir beides, und ich will es wieder mit den Worten der Sachverständigen ausdrücken: Es war ein Irrtum zu glauben, man könne den Beschäftigungsrisiken ausweichen, wenn man der Inflation nur ihren Lauf lasse.
({18})
Mit ihrer inneren Haltung bewirkte die SPD/FDPKoalition eine Summierung von Inflation und Arbeitslosigkeit, eben weil die notwendiger Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation unterblieben oder verschleppt wurden.
({19})
Und das sind die Folgen: Erstens. Der Anteil der gesamten Staatsausgaben, die sogenannte Staatsquote, erreichte 1975 mit Ausgaben von rund 500 Milliarden DM 47,5 %, d. h., von jeder erarbeiteten D-Mark bei uns im Lande gehen 47,5 % an den Staat. Das ist im Grunde Sozialisierung auf kaltem Wege.
({20})
Zweitens. Die gewaltige Steigerung des Staatsanteils ging zu Lasten der gesamtwirtschaftlichen Investition. Ich glaube, das ist im Kern die Ursache für die heutige Misere. 1975 erreichte die Investitionsquote den niedrigsten Wert seit 1957. Durch den Schrumpfungsprozeß vor allem bei den Investitionen der privaten Wirtschaft wird eine wesentliche Zukunftssicherung verbaut. Andererseits bewirkt die enorme Staatsverschuldung, die mit der Ausweitung der Staatsquote einhergeht, daß wir heute bereits von dem leben, was erst morgen erwirtschaftet werden muß.
Drittens. Diese unsolide Politik müssen die Bürger und die Wirtschaft mit immer neuen Belastungen finanzieren. Meine Zeit reicht einfach nicht aus, um die schier endlose Liste von Steuer-, Beitrags- und Ausgabenbelastungen aufzuzählen, die diese Regierung und diese Koalition den Bürgern zugemutet haben und weiter zumuten wollen. In diesem Punkt haben Sie sich, meine Damen und Herren von der Koalition, wirklich den Titel der „Reformisten für mehr Lebensqualität" verdient.
Trotz all dieser zusätzlichen Belastungen hat sich die Unsicherheit der Bevölkerung über das, was wird, und über die künftigen Leistungen der sozialen Sicherungssysteme weiter erhöht. Und für wichtige Investitionen - ich denke etwa an die Bundesbahn - ist kein Geld da.
Die totale Fehleinschätzung der Investitionen für das wirtschaftliche Wachstum und für die Arbeitsplätze ist ein Wesensmerkmal dieser Bundesregierung.
({21})
Das fing schon al als man sich in der SPD entschlossen zeigte, die Belastbarkeit der Wirtschaft zu erproben; und man hat das ja reichlich getan, mit bedauerlichen Ergebnissen. Folgerichtig wurde 1973 trotz unserer Warnungen auch gerade die private Investitionstätigkeit steuerlich gehemmt. Herr Minister Apel hatte sich Ende 1974 so ausgedrückt: Wir haben die private Investitionstätigkeit „gewollt und bewußt zusammengedrückt".
Nehmen Sie es mir nicht übel: Ich glaube, es gehört keine Übertreibung dazu, festzustellen, daß diese Rezession von Ihnen sicherlich nicht gewollt, aber fahrlässig herbeigeführt worden ist.
({22})
Wir haben jahrelang vor den dramatischen Fehlentwicklungen gewarnt. Wir haben genau auf die Zielkonflikte hingewiesen, mit denen wir heute fertig werden müssen. Ich weiß nicht, an wen der Herr Bundeswirtschaftsminister heute den Vorwurf der Schwarzmalerei gerichtet wissen wollte.
({23})
An unsere Adresse mit Sicherheit nicht. Wir haben die Wahrheit gesagt. Wir haben Sie gemahnt, gedrängt. Sie haben nicht hören wollen. Ich glaube, das bezahlen heute die Bürger im Lande. Wir haben seit 1970 auch laufend Gegenvorschläge gemacht. Man hat alles in den Wind geschlagen; man hat uns verlästert.
Für uns wäre Solidität auf allen Gebieten stets oberstes Gebot gewesen. Wenn man sich daran gehalten hätte, wäre es nie so schlimm gekommen. Bei richtigem und rechtzeitigem Handeln der ,Regierung wäre der Preis für die Wiedergewinnung von Stabilität und Wachstum bei weitem nicht so hoch, wie er jetzt von der Bevölkerung mit Opfern bei Beschäftigung und Einkommen bezahlt wird.
Es gibt starke Kräfte in der SPD, die das Versagen der Regierungspolitik nun in ein Versagen der sozialen Marktwirtschaft ummünzen wollen. Ich fand es sehr interessant, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister heute hier ein im Grunde ausgezeichnetes Kolleg über die Bedeutung und die Erfolgsträchtigkeit der sozialen Marktwirtschaft gehalten hat. Es war wohl nötig, einmal ein solches Kolleg dem Koalitionspartner vorzutragen.
({24})
Wir haben ein Stabilitäts- und Wachstumsgesetz. Herr Kollege Ehrenberg, Sie gehören ja mit zu denen
({25})
- die das gemacht haben, richtig -, die dieses Gesetz als das perfekteste Instrumentarium der Welt zur Steuerung der Konjunktur charakterisiert haben. Es sollte ja vor allem der Verstetigung der Konjunktur dienen. Das Anliegen aus den Erfahrungen zurückliegender Jahre war: vorausschauend der Regierung die Möglichkeit zu schaffen, für eine stetige Politik der Vollbeschäftigung, der Stabilität
und des Wachstums zu sorgen. Aber tatsächlich - das werden Sie nicht bestreiten können, sehr verehrter Herr Kollege Ehrenberg - haben sich unter dieser Koalition die Pendelausschläge der Konjunktur enorm verschärft, und das Wirtschaftswachstum ist einem Auszehrungsprozeß unterworfen gewesen, wie wir ihn bisher nicht gekannt haben. Die Investitionslücke, die nach Berechnungen geeigneter Institute seit 1970 entstanden ist, wird auf mehr als 100 Milliarden DM geschätzt, was einen Verlust an Wirtschaftswachstum in der Größenordnung von mehr als 400 Milliarden DM zur Folge hat.
Einen unbefangeneren Zeugen für die Richtigkeit dieser Feststellung als den ehemaligen Vorsitzenden des Sachverständigenrates, Professor Kloten, gibt es wohl nicht. Professor Kloten hat - ich darf mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, noch einmal zitieren - gesagt:
Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz erhielt nicht einmal die Chance, sich in seinem materiellen Kern zu bewähren.
Das heißt: das Instrumentarium, das der Regierung zur Verfügung stand und steht, wurde nicht richtig und nicht zeitgerecht benutzt. Man kann auch sagen: nicht mit dem erforderlichen Mut und nicht mit der nötigen Konsequenz.
Ich freue mich, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister in einem Punkt ausdrücklich zustimmen zu können. Wenn DGB und SPD jetzt neue regionale und sektorale Lenkungsinstrumente verlangen, dann können wir nur sagen: Wehret den Anfängen!
({26})
Das liegt zwar alles, sehr verehrter Herr Kollege Ehrenberg, auf der Linie des Langzeitprogramms der SPD, das ja unter Kanzler Schmidt verabschiedet wurde. Aber gerade nach den Erfahrungen der letzten Jahre kann man nur schlußfolgern, daß noch mehr staatlicher Dirigismus noch mehr Fehlentscheidungen, noch mehr Fehlentwicklungen, noch mehr Fehlleitung öffentlicher Mittel zur Folge haben müßte. Wir werden daher eine derartige Aushöhlung der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft unter keinen Umständen mitmachen.
({27})
Auch hier möchte ich ein Wort aus dem Bericht der Sachverständigen zitieren, wo das Problem sehr deutlich umrissen wird:
Die Marktwirtschaft hat in zwei Jahrzehnten rapiden Strukturwandels das Schrumpfen alter und das Wachsen neuer Wirtschaftszweige ohne größere Friktionen bewältigt und dank dieses Anpassungsprozesses ihre Mitglieder in einem Maße mit privatem Wohlstand versorgt, ... das nichts Selbstverständliches hat.
Ich glaube, es ist richtig, daß am ehesten mit dem Instrumentarium, das der Globalsteuerung zur Verfügung steht, und mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft auch die Strukturprobleme zu bewältigen sind.
Meine Damen und Herren, zur Überwindung der Krise hat die Union ihre eigene Vorwärtsstrategie.
({28})
In ihrem Mittelpunkt stehen die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung und ein qualifiziertes Wirtschaftswachstum bei stabilen Preisen. Wir sind nicht bereit, Dauerarbeitslosigkeit hinzunehmen. Denn Vollbeschäftigung ist die Bewährungsprobe für jede Regierung, die ihre soziale Verpflichtung ernst nimmt.
({29})
Diese Bewährungsprobe haben die Koalition und die Regierung nicht bestanden. Sie kann sich nicht damit entschuldigen, daß Arbeitslosigkeit ein uns von außen aufgezwungenes Übel sei.
Der Weg zur Vollbeschäftigung führt nach unserer Auffassung nur - „nur" sage ich ({30})
über die Wiederherstellung der Investitionsfähigkeit und der Investitionsbereitschaft der Wirtschaft. Die zentralen Ansatzpunkte, um dies zu erreichen, sind steuerliche Anreize kurz- und mittelfristiger Art, vor allem für die mittelständische Wirtschaft, und die Wiederherstellung einer Vertrauensbasis, die über den Tag hinaus zu einem langfristigen Engagement der Wirtschaft ermutigt.
({31})
Das sind die beiden einzig möglichen Ansatzpunkte, um zu einem Erfolg zu kommen.
Wir werden daher auch alles daransetzen, daß unser Steuerentlastungsprogramm, das praktisch seit dem Dezember 1974 auf dem Tisch liegt und bisher ohne Alternative ist, Schritt für Schritt in die Wirklichkeit umgesetzt wird. Wir wissen natürlich auch, daß das nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist. Daher wiederhole ich: Schritt für Schritt!
Der von der Koalition viel zu spät verabschiedete begrenzte Verlustrücktrag ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, aber für sich allein genommen eben doch ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ein solches Steuerentlastungsprogramm muß natürlich mit einer Entwicklung einhergehen, die den Trend zu immer mehr Staat beendet, und mit einer gründlichen Durchforstung der öffentlichen Ausgaben, damit wir wieder eine Manövriermasse zugunsten der Investitionen schaffen können. Auch dafür haben wir genügend Vorschläge unterbreitet.
Wie sehr Sparmaßnahmen - auch in Milliardenhöhe - denkbar wären, zeigt doch, daß sich auf Grund falscher Haushaltsansätze am Ende des Jahres 1975 Reserven herauskristallisiert haben, die vorher für nicht denkbar gehalten wurden. Der Ausgleich der Haushaltsdefizite über Steuererhöhungen ist gerade in der jetzigen konjunkturellen Landschaft - lassen Sie mich das immer wieder in die Richtung der Bänke der Koalition sagen - der falscheste Weg.
Für die CDU/CSU ist ganz sicher: Nur mit der Wiedergewinnung von Wachstum - über höhere Investitionen - lassen sich die Probleme der Arbeitslosigkeit bewältigen, aber auch die Probleme der gewaltigen Haushaltsdefizite und der Finanzierungsschwierigkeiten bei den sozialen Einrichtungen.
({32})
Aus einer großen Zahl von Analysen, Modellrechnungen, aber auch Erklärungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers wissen wir, daß er sich für seine Person - vielleicht auch für seine Partei - der fundamentalen Bedeutung dieser Zusammenhänge ebenso wie wir bewußt ist. Das gilt ganz offensichtlich auch für die Einsicht, daß die auf uns zukommenden neuen Zielkonflikte in der Einkommenspolitik, die sich gerade aus der Notwendigkeit ausreichender Investitionen ergeben, neue Ansätze in der Vermögenspolitik erfordern.
Herr Minister Friderichs, hier ist nicht ein kritisches Wort an die Adresse der Opposition gerechtfertigt! Sie haben in der ganzen Zeit, in der diese Regierungskoalition besteht, nicht ein einziges Papier zu dem Thema der Vermögenspolitik auf den Tisch des Hauses legen können.
({33})
Aber entscheidend ist - was wir immer wieder feststellen müssen -, meine Damen und Herren: Der Bundeswirtschaftsminister bringt nicht die Kraft auf, sich in dem Koalitionsblock von SPD und FDP durchzusetzen. Wenn aber als richtig erkannte Einsichten nicht in die politische Realität umgesetzt werden, entweder weil sie von der Opposition kommen oder weil der stärkere Koalitionspartner sie ablehnt, dann beweist das eben nur, daß die FDP die ganz anders angelegten ordnungspolitischen Vorstellungen der SPD - ob sie will oder nicht - hinnehmen muß. Sie muß sie dann aber auch mitverantworten.
({34})
Niemand kommt doch an der Tatsache vorbei, daß in der Wirtschaft, daß unter unseren Mitbürgern, auch in breiten Schichten der Arbeitnehmerschaft, außerordentliche Zweifel an der ordnungspolitischen Zuverlässigkeit dieser Regierungskoalition bestehen und daß das ein Hemmnis für eine Aufwärtsentwicklung ist, die nur eintreten kann, wenn sie sich auf eine feste Vertrauensbasis gründet.
({35})
Der Orientierungsrahmen der SPD, die - entschuldigen Sie, daß ich das hinzufüge - doch nur taktisch zu verstehende Zurückhaltung der Systemüberwinder innerhalb der SPD - was tatsächlich vor sich geht, das zeigt sich doch neuerdings an Beispielen wie München ({36})
und die starke Wühlarbeit der Systemüberwinder in der stärksten Regierungspartei sind nun einmal psychologische Unsicherheitsfaktoren, die in ihrer negativen Wirkung im Hinblick auf die Überwindung der heutigen Krise nicht hoch genug eingeDr. Müller-Hermann
schätzt werden können. Deshalb müssen wir aber auch und werden wir die FDP und den Herrn Bundeswirtschaftsminister aus ihrer Verantwortung für das Versagen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht entlassen, sondern sie in ihrer Verantwortung deutlich auch in der Öffentlichkeit festnageln.
({37})
Wir sind in der Union zutiefst davon überzeugt, meine Damen und Herren, daß der Weg aus der heutigen Misere in eine gesicherte Zukunft nur über einen neuen Anfang durch eine neue Bundesregierung gefunden werden wird.
({38})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die ausgewogenen und realistischen Aussagen zur Konjunkturentwicklung, die der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 1975/76 gemacht hat. Sie begrüßt ebenso die vorsichtigen, doch von einem grundsätzlichen Konjunkturoptimismus getragenen Aussagen des Jahreswirtschaftsberichts.
({0})
Sie begrüßt drittens, meine Damen und Herren, daß der Abgeordnete Müller-Hermann hier begrüßenswert deutlich zum Ausdruck gebracht hat, daß auch die CDU/CSU hofft, daß die Rezession 1976 überwunden wird.
({1})
Ich begrüße das - Kollege Breidbach, hören Sie zu! - als die endgültige Abkehr der CDU von der Sonthofener Strategie, wo bisher das Gegenteil verfolgt wurde.
({2})
Ein sehr beachtenswerter Vorgang, den ich vor allen Dingen deshalb als so bemerkenswert empfinde und darum hier erwähne, weil noch vor wenigen Tagen der Vorsitzende der CSU beispielsweise auf dem Mathaiser Markt beim Bund der Selbständigen genau das Gegenteil von dem gesagt hat, was Herr Müller-Hermann hier verkündet.
({3})
Wahrscheinlich, um nicht mit Herrn Müller-Hermann konfrontiert zu werden, ist Herr Strauß ja auch nicht da. Er beschäftigt sich mit dem Jahreswirtschaftsbericht auf dem Mathaiser Markt statt im Plenum des Deutschen Bundestages.
({4})
- Herr van Delden, wenn er das gesagt haben sollte, so bestätigen Sie jetzt meine These, daß Herr Strauß etwas anderes sagt als Herr Müller-Hermann. Genau das ist der Fall.
({5})
Aber lassen wir hier Herrn Strauß dort, wo er ist. Obwohl - wenn jemand anderswo über die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung spricht, muß er sie auch hier vertreten, wo sie hingehört.
({6})
Aber darüber läßt sich nicht streiten - das ist eine Geschmacksfrage -, wo einer das richtige Forum für seine Ausführungen sieht.
Wir haben uns hier mit dem Sachverständigengutachten und dem Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung zu befassen und den dort gefaßten realistischen Annahmen, wobei ich dem Bundeswirtschaftsminister ausdrücklich noch einmal bestätigen möchte, daß er zu Recht hier betont hat, daß diese Annahmen auf nichts anderes als auf einen objektiven Realismus gegründet sind. Wenn man die Entwicklung seither verfolgt - die noch nicht sehr lange Zeit seit dem Sachverständigengutachten, die noch kürzere Zeit seit Vorliegen des Jahreswirtschaftsberichts -, so wird man, wenn man die heute erkennbaren Konjunktursignale und erst recht die Auftragseingänge und Produktionsziffern wertet, zu dem Ergebnis kommen, daß die Annahmen des Jahreswirtschaftsberichts eher an der Untergrenze der wahrscheinlichen Entwicklung liegen als daß sie zu optimistisch gefaßt sein könnten.
Nach den so ausführlichen und mit dem neuesten statistischen Material angefüllten Darlegungen des Bundeswirtschaftsministers und auch, nachdem Herr Müller-Hermann betont hat, daß die CDU stets auf Solidität auf allen Gebieten Wert legt,
({7})
verehrter Herr Müller-Hermann, hatte ich gehofft, daß Sie darauf verzichten würden, die gegenwärtige Rezession nach wie vor der Bundesregierung anzulasten
({8})
und die außenwirtschaftlichen Einflüsse völlig zu negieren. Mit Solidität, verehrter Kollege MüllerHermann, hat das, was Sie hier vorgebracht haben, in der Verteilung der Gewichte der Entwicklung, die hinter uns liegt, leider nur sehr wenig zu tun,
({9})
wie es auch weder mit Solidität noch mit Logik etwas zu tun hat, wenn Sie gleichzeitig beklagen, daß das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz keine Chance bekommen habe, indem Sie Herrn Kloten zitieren, aber sich auch hinter dieses Zitat stellen und wenige Sätze zuvor der Bundesregierung die 1972 und 1973 betriebene Stabilitätspolitik zum Vorwurf machen.
({10})
Verehrter Herr Kollege, entweder oder - aber beides geht nicht. Zu beklagen, daß das Gesetz keine Chance gehabt habe, und gleichzeitig zu beklagen, daß es angewendet wurde, ist doch keine Logik.
({11})
- Da ich Sie, Herr Müller-Hermann, an sich als einen besonnenen Hanseaten schätze, sollten Sie diese Art Logik Herrn Strauß überlassen und sich nicht auf dieses Gebiet begeben.
({12})
- Die bekommen Sie jetzt, Herr Narjes, sofort frei Haus geliefert.
Da Sie die außenwirtschaftlichen Einflüsse trotz der Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers so auf die Seite geschoben haben, als wäre das alles hier ein ganz isoliertes bundesrepublikanische Problem, kann ich es Ihnen nicht ersparen, sich diese außenwirtschaftlichen Zusammenhänge noch einmal von diesem Pult aus anzuhören, auch wenn Sie sie überhaupt nicht gern hören. Ich werde so lange darüber sprechen, bis sie einsehen, wie die Zusammenhänge in der Wirklichkeit sind.
({13})
- Herr Breidbach, Sie dürfen das ruhig als Drohung auffassen. Ich werde so verfahren.
({14}) - Ja, das erwarte ich auch.
Selbst in der CDU/CSU sollte - jedenfalls bei denen, die lesen und hören wollen - einsichtig zu machen sein, daß eine so hochentwickelte Industrienation wie die Bundesrepublik Deutschland, die mehr als ein Viertel ihres Sozialproduktes über den Weltmarkt austauscht, von Veränderungen des Weltmarkts in besonders hohem Maße betroffen wird. Vielleicht sollte auch einsichtig zu machen sein, daß von Herbst 1973 an auf den Weltmärkten Veränderungen in einem Ausmaß stattgefunden haben, wie es sie vorher nicht gab.
Nur ein paar Stichworte! Die Ablösung des - antimarktwirtschaftlichen - Weltwährungssystems von Bretton Woods, die Vervielfachung der Erdölpreise, die Vervielfachung der Preise zahlreicher anderer Rohstoffe haben eine solche Veränderung der Weltnachfragestruktur ausgelöst, daß sehr viele Industrienationen noch vor einem Jahr der Meinung waren, auf absehbare Zeit mit diesem Problemen nicht fertig werden zu können.
Bei Ihnen ist ja wohl auch bekannt, daß die Rückwirkungen dieser Marktverwerfungen nicht auf die westliche Welt beschränkt geblieben sind, daß Devisenmangel, Versorgungsschwierigkeiten, versteckte Teuerungen und Beschäftigungsengpässe auch in der Mehrzahl aller Staaten des Ostblocks anzutreffen sind, jedenfalls bei all denen, die Erdöl importieren müssen und nicht wie einige wenige ein Erdölexportland sind. Selbst dort sind eine Vielzahl von Schwierigkeiten aufgetreten, wie die Revisionen
fast aller Fünfjahrespläne in den Ostblockstaaten ganz eindeutig beweisen.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren von der Opposition, könnte vorläufig einmal die Vermutung auftauchen, daß auf Grund der gegenüber anderen Staaten so viel größeren Exportabhängigkeit der Bundesrepublik diese eruptiven Veränderungen des Weltmarkts bei uns tiefere Spuren als anderswo hinterlassen hätten.
Genau das Gegenteil ist der Fall. Daß das Gegenteil der Fall ist, kann doch wohl nicht ganz zufällig sein. Es besteht. nun wirklich kein Zweifel in der ganzen Welt, außer auf den Oppositionsbänken hier, daran, daß die Bundesrepublik Deutschland diese schwerste Weltrezession seit 1945 in besserer sozialer und politischer Verfassung überstanden hat als fast alle anderen Nationen.
({15})
Sie hat dies überstanden, ohne ihre hohen Devisenreserven substantiell verändern zu müssen.
({16})
Wir haben immer noch mit rund 31 Milliarden Dollar Reserven die höchsten Devisenreserven der Welt
- doppelt soviel wie die USA, dreimal soviel wie die Schweiz und Japan.
({17})
- Das kann er mit Sicherheit nicht, verehrter Herr Breidbach; aber es bewahrt die Bundesrepublik als ein so importabhängiges Land davor, in Versorgungsschwierigkeiten zu kommen. Die Industriearbeiter an der Ruhr, Herr Breidbach, wissen das sehr viel besser, als Sie hier vorgeben, es nicht zu wissen.
({18})
Sie wissen auch, daß die bessere Situation der Bundesrepublik ohne den stabilitätspolitischen Vorlauf, den der Sachverständigenrat der Bundesregierung ausdrücklich bescheinigt hat, nicht erreichbar gewesen wäre.
({19})
Aber da Sie, verehrter Herr Müller-Hermann, das zu leugnen scheinen, kann ich Ihnen die Darstellung .der Vergleichsstatistik der wichtigsten Indikatoren für den ökonomischen Zustand einer Industrienation nicht ersparen. Als wichtigste Indikatoren sind ja wohl die Reihe der Lebenshaltungskosten, die Reihe der Industrieproduktion und die Statistik des Arbeitsmarktes unbestritten. Ich muß Ihnen wirklich vorwerfen, verehrter Herr Müller-Hermann, daß Sie bei Ihren Zahlen nicht auf dem neuesten Stand gewesen sind, eben weil Sie in Ihren Ausführungen den stabilitätspolitischen Vorlauf der Bundesrepublik negiert haben.
Bei der Steigerung der Lebenshaltungskosten von Januar 1975 bis Januar 1976 stehen die Schweiz und
die Bundesrepublik mit 3,4 % und 5,3 % an einsamer Höhe. Die Spannweite geht bis zu 11,2 % in Italien und 23,4 % in Großbritannien. Bei dieser Spannweite ist es ja wohl ein absurder Vorwurf an die Bundesregierung, daß sie nicht genügend zur Inflationsbekämpfung getan hätte, Herr Müller-Hermann. Wenn Sie diese Statistik kennen und so auf Solidität Wert legen, wie Sie es behaupten, dann müssen Sie diesen Vorwurf auf der Stelle zurücknehmen.
Zur Industrieproduktion: Von Dezember 1974 bis Dezember 1975 gerechnet sind die Niederlande, die USA und die Bundesrepublik die einzigen drei Nationen, die nach dieser Weltrezession im Dezember 1975 schon einen - wenn auch noch bescheidenen - positiven Zuwachs in der Industrieproduktion aufzuweisen hatten. Alle anderen Länder hatten negative Zuwachsraten. Das ging bis zu 14 % Rückgang h:i der Industrieproduktion im Dezember 1975 in der Schweiz. Verehrter Kollege, bei diesen Zahlen Ihre Behauptungen aufrechtzuerhalten, dürfte wohl keinem Menschen mehr möglich sein, außer er säße auf den Bänken der Opposition in diesem Deutschen Bundestag.
({20})
Auch in bezug auf die Arbeitslosenquote belegt die Bundesrepublik mit 5,9 % einen guten Mittelplatz zwischen 1,6 % in Schweden, 8,7 % in Belgien und 8 % in den USA. Das ist ein ungewöhnlich hoher Satz, der aber wohl vor der Spannweite der anderen Indikatoren zeigt, daß er nicht durch die binnenwirtschaftliche Situation dieser Republik begründet ist, sondern daß in diesem Zusammenhang, die von niemandem zu leugnenden Veränderungen des Weltmarktes die kausale Rolle spielen.
Es scheint mir wichtiger und aussagefähiger zu sein, diese drei Indikatoren zu einer kombinierten Bewertung zusammenzuziehen, weil ich glaube, daß diese kombinierte Bewertung über die ökonomische und soziale Verfassung einer Industrienation mehr als der Vergleich der Einzelreihen aussagt. Macht man diese kombinierte Bewertung, dann nimmt die Bundesrepublik Deutschland in dieser Bewertung einen geradezu einsamen Spitzenplatz ein, gefolgt von den Niederlanden und der Schweiz, von Japan. und Osterreich. Und bei Japan weiß jedermann, daß die Arbeitslosenstatistik u. a. auf Grund der lebenslangen Arbeitsverträge in den japanischen Unternehmen viel zu niedrige Ziffern aufweist.
Meine Damen und Herren, ich kann es Ihnen nicht ersparen, hier nochmals darauf hinzuweisen, daß genau diese Reihenfolge beweist, wie eng die Zusammenhänge zwischen der Sozialverfassung, der Wirtschaftsverfassung und gezielter sozialdemokratischer Reformpolitik sind. Denn es ist wohl kein Zufall, daß die fünf ersten Plätze in dieser Rangfolge von drei Nationen mit sozialdemokratischer Regierungsführung und einer mit sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung belegt sind. Das ist sicher, Herr Müller-Hermann, keine Mißgunst der Statistiker. Statistiker sind meist selber konservativ. Sie machen mit Sicherheit keine Zahlen zugunsten der Sozialdemokraten. Hier wird vielmehr bewiesen, was sozialdemokratische Reformpolitik zu leisten
vermag. Hier wird außerdem bewiesen, daß eine marktwirtschaftliche Ordnung, deren Sozialbindung Jahr für Jahr vervollkommnet wurde, belastungs-
und leistungsfähiger ist als Laisser-faire-Marktwirtschaften mit verkrusteten Sozialstrukturen, wie sie dort vorherrschen, wo Ihnen benachbarte Parteien die Regierungsmehrheit stellen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ({0})?
Ich tue das im Gegensatz zu meinem Vorredner.
Das ist sehr liebenswürdig. - Bitte schön!
Herr Kollege Ehrenberg, haben Sie bei dieser Arbeitslosenstatistik auch berücksichtigt, daß 550 000 Gastarbeiter ihren Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland nicht wiederaufgenommen haben und daß diese in der Statistik bei uns nicht erwähnt sind?
Das ist selbstverständlich ein Ergebnis dieser Statistik. Nur, verehrter Herr Franke, Sie müssen dann auch berücksichtigen - das würde den Vergleich entschieden zu unseren Gunsten verändern -, wieviel mehr die Statistik der Bundesrepublik erfaßt. Sie erfaßt nämlich auch diejenigen, die gar keine Leistungen bekommen, sondern nur Arbeitsuchende sind, was in fast allen OECD-Staaten nicht der Fall ist. In vielen dieser Staaten werden nur die Leistungsempfänger erfaßt.
({0})
- Das ist nicht falsch, Herr Franke. Sie brauchen mich über Statistik nicht zu belehren.
In diesem Zusammenhang muß leider Herr Strauß noch einmal zitiert werden. Denn Herr Strauß hat das Ergebnis der Arbeitsmarktstatistik vom Februar dieses Jahres nur höchst unwillig zur Kenntnis genommen, vor allen Dingen den so deutlichen Rückgang der Kurzarbeiterzahl. Dieses wichtigste Indiz für die Belebung der Konjunktur, vor allen Dingen diesen so deutlichen Rückgang erklärt Herr Strauß in einer Pressemeldung vom 4. März dieses Jahres in Ihrem Pressedienst damit, daß die rückläufige Kurzarbeiterzahl - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren - „weitgehend in der stärkeren Umwandlung von Kurzarbeit in volle Arbeitslosigkeit liegen" dürfte. Die Erklärung, wie das bei gleichzeitig rückläufigen Arbeitslosenzahlen möglich sein soll, ist Herr Strauß uns schuldig geblieben. Er hat uns nur wieder einen Beweis geliefert, daß Demagogie und Logik auch von Herrn Strauß nicht in Übereinstimmung gebracht werden können.
Aber zurück zur Konjunkturentwicklung. Es ist kein übertriebener Optimismus, wenn hier festgestellt werden kann, daß diese Debatte vor einem zunehmend heller werdenden Konjunkturhorizont
geführt wird. In Ergänzung dessen, was der Bundeswirtschaftsminister hier schon sehr deutlich gesagt, hat, muß ich noch einmal darauf hinweisen, daß diese Indikatoren nachprüfbar und nachmeßbar sind. Unter anderem sind dies die folgenden.
Bereits seit Monaten weisen die Auftragseingänge in der Industrie nach oben: im Dezember um mehr als 15 % in der Investitionsgüterindustrie, um mehr als 16 % in der Konsumgüterindustrie. Und die positiven Steigerungsraten vom Januar bestätigen die Dezemberentwicklung nicht als Einmonats-Entwicklung, sondern als einen kontinuierlichen Prozeß. Mit der Verbesserung der Auftragslage geht eine spürbare Verbesserung der Stimmungslage in der Industrie einher. Nicht nur aus der Automobilindustrie, auch aus der chemischen Industrie und vielen anderen Branchen ist Positives zu hören.
Auch aus dem Bereich des Handwerks - einem Bereich, der Ihnen doch, wenn man Ihren Verlautbarungen glauben kann, immer besonders am Herzen liegt, meine Damen und Herren von der Opposition - kann man von dem Präsidenten des Deutschen Handwerktages selber - kurz vor der Eröffnung der Handwerksmesse - sehr Zuversichtliches hören und lesen. Das deutsche Handwerk hatte 1975 einen realen Wachstumsverlust von 1 %. Berücksichtigt man dabei, daß rund 40 % des Umsatzes im Handwerk auf die Bauwirtschaft, einen in einer besonders schwierigen strukturellen Anpassung befindlichen Wirtschaftszweig, entfallen, ergibt sich eine recht ansehnliche positive Leistungsbilanz für den übrigen Bereich des deutschen Handwerks.
Herr Müller-Hermann, da Sie ja dazu neigen, alles, was geschehen ist, ausschließlich der Bundesregierung anzulasten, müßte Sie diese positive Situation des Handwerks eigentlich dazu veranlassen, der Mittelstandspolitik der Bundesregierung hohes Lob zu zollen. Sie müßten das jedenfalls dann tun, wenn Sie bei allen Fakten so handelten wie bei der Wertung der Konjunkturziffern.
Die Zahlen, die der deutsche Handwerkspräsident veröffentlicht hat, geben eindeutig Auskunft über die Anpassungs- und Leistungsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen in der Bundesrepublik und damit die Bestätigung, daß diese Unternehmen auch in Zukunft gute Chancen haben werden.
Es gibt aber nicht nur positive Stimmungsbilder und Rückblicke, die viel positiver ausfallen, als noch vor Monaten jemand erwartet hätte. Auch die Produktionsverläufe zeigen eindeutig, daß das zuwachsende Produktionspotential auch positive Rückwirkungen auf Kosten und Erträge haben wird. Da Sie mir das sicher nicht ohne weiteres glauben werden, gestatten Sie mir, auch hier zu zitieren, beispielsweise die „Süddeutsche Zeitung", die in der Bewertung der kommenden Produktionsverläufe am 9. März u. a. geschrieben hat:
Eher besteht die Chance, daß diese Erwartungen noch übertroffen werden, wenn sich die Investitionsneigung und das Exportgeschäft früher und stärker beleben sollten, als man es heute noch für möglich hält.
Und die Schlußfolgerung der „Süddeutschen Zeitung" ist, daß eine Verbesserung der Ertragssituation in der Industrie bereits begonnen hat.
Vor diesem Hintergrund ist meine Kritik an der Preispolitik der Ford-Werke zu wiederholen. Auch der Bundeswirtschaftsminister hat mit Recht sehr deutlich auf die preispolitische Verantwortung der Unternehmen hingewiesen. Der angestrebte stabilitätsgerechte Aufschwung kann nur erreicht werden wenn die an den Verhandlungstischen der Tarifvertragsparteien geforderte gesamtwirtschaftliche Verantwortung auch auf der anderen Seite, nämlich auf der Preisseite, der Seite der Unternehmen, beachtet wird.
({1})
Geschieht das nicht, wird diese gesamtwirtschaftliche Verantwortung eine sehr einseitige und damit auf die Dauer nicht tragfähige Basis des stabilitätsgerechten Aufschwungs. Wer, wie die Ford-Werke das getan haben, eine isolierte Branchenkonjunktur, den Vorwegaufwind einer begünstigten Branche, dazu benutzt, in dieser Situation, zu diesem Zeitpunkt Preiserhöhungen dieses Ausmaßes durchzusetzen, der legt, wie ich glaube, Tretminen auf den Weg zu einem stabilitätsgerechten Aufschwung. Wer unter den Pionieren sich ein wenig auskennt, weiß - in dieser Hinsicht möchte ich an dieser Stelle die Unternehmen, insbesondere das Management von Ford, warnen -, daß die Leute, die Tretminen legen, meistens selber darauftreten, daß Tretminen also so etwas wie Rohrkrepierer werden können. Wer so handelt, wie die Ford-Werke es hier getan haben, provoziert geradezu Systemkritik und verstärkt den Ruf nach der Ausweitung der Preiskontrollmöglichkeiten des Bundeskartellamtes.
({2})
Ich finde es in diesem Zusammenhang besonders erstaunlich
({3})
- sparen Sie sich doch so unqualifizierte Zwischenrufe, Herr Breidbach; damit ist doch nichts zu erreichen -,
({4})
daß dieses instinktlose und unsolidarische Verhalten eines Einzelunternehmens keinerlei . Resonanz bei den unternehmerischen Verbänden gefunden hat. Wer so oft und gerne, wie die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft es tun, bei den Verhandlungen der Tarifvertragsparteien von der anderen Seite stabilitätspolitisches Wohlverhalten erwartet, sollte sich auch in einem solchen Preisfalle wie diesem deutlich zu Wort melden und sagen, daß die Verbände das nicht tolerieren, was hier geschehen ist.
({5})
Selbst eine im Prinzip so unternehmerfreundliche Zeitung wie die „Frankfurter Allgemeine" schrieb am 3. Februar sehr deutlich, was in dieser Situation von unternehmerischem Verhalten zu erwarten ist.
Ich zitiere nochmals mit Genehmigung der Frau Präsidentin:
Setzt der Konjunkturaufschwung ein, sind die Unternehmen an der Reihe, zu zeigen, daß sie in der Lage sind, über den Tellerrand ihrer partikularen Interessen hinauszuschauen und konjunkturpolitische Erwägungen in ihr Kalkül einzubeziehen.
Ich hoffe, daß, wenn schon nicht meine Worte, so doch vielleicht wenigstens die der FAZ in Unternehmerkreisen und bei den Verbandsmanagern gehört werden.
Meine Damen und Herren, dieses unternehmerische Verhalten ist vor allen Dingen angesichts der großen Bedeutung, die der Jahreswirtschaftsbericht der Einkommenspolitik zumißt, so besonders zu kritisieren. Es wird nur gelingen, den nächsten Aufschwung stabilitätsgerecht zu gestalten, wenn diese Verantwortungsbereitschaft auf allen Seiten bewiesen wird.
({6})
- Einschließlich der öffentlichen Hand, Herr van Delden! Wer bestreitet das? Ich glaube, man kann der öffentlichen Hand nicht bestreiten, daß sie diese Verantwortungsbereitschaft beweist.
Meine Damen und Herren, es ist nicht zu bezweifeln, daß die Kombination von Lohn- und Vermögenspolitik im nächsten Aufschwung wiederum besondere Bedeutung bekommen wird. Ich begrüße es ausdrücklich, daß der Bundeswirtschaftsminister hier so deutlich auch seine Präferenz für die tarifpolitischen Lösungen auf diesem Gebiet zum Ausdruck gebracht hat. Zum Beleg dafür, daß dies keine nur illusionäre Erwartung ist, möchte ich hier gern eine gewerkschaftliche Stimme zitieren. Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden hat auf dem Gewerkschaftstag im Oktober 1975 zu diesem Thema folgendes gesagt:
Unsere Entschlossenheit, die Probleme unseres Wirtschaftszweiges mit den Tarifvertragspartnern in die Hand zu nehmen und zu lösen, darf auch an den großen Schwierigkeiten einer Beteiligung der Arbeitnehmer an dem von ihnen erarbeiteten wachsenden Produktivvermögen nicht scheitern. Wir werden deshalb diese Frage einer tarifvertraglichen Lösung zuführen.
Diese Bedeutung der Tarifpolitik sollte auch hier in unserer verbundenen Debatte eine besondere Rolle spielen, wenn über die Förderung der betrieblichen Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer, auf die sich Ihr Antrag bezieht, diskutiert wird. Der tarifliche Ansatz läßt sowohl darüber hinausgehende überbetriebliche als auch betriebliche Beteiligungslösungen zu, wenn die Tarifvertragsparteien das wollen.
Aber der angestrebte stabilitätsgerechte Aufschwung hängt natürlich nicht allein von der Einkommenspolitik ab. Wir dürfen hier die Gewichte nicht ungleichmäßig verteilen. Und nicht nur, daß das böse Beispiel der Ford-Werke nicht beliebig oft wiederholt werden darf, um die Verantwortungsbereitschaft nicht zu erschüttern; es sind eine Reihe weiterer Bedingungen zu erfüllen. Dazu gehört vor allem und in erster Linie eine zureichende Geldversorgung.
Die Deutsche Bundesbank hat mit ihrer situationsgerechten Geld- und Kreditpolitik in den letzten Jahren die Voraussetzungen für diesen stabilitätsgerechten Aufschwung geschaffen. Aber der notwendige Kreditspielraum und die Anreize, die davon ausgehen, dürfen auch mit beginnendem Aufschwung nicht eingeengt und nicht zu früh beendet werden.
Die stärkere Auslastung der Kapazitäten, die jetzt begonnen hat, erfordert eine Fortsetzung der bisherigen expansiven Geldpolitik. Sie erfordert vor allen Dingen die Ausschöpfung aller Zinssenkungsmöglichkeiten, die von der internationalen Liquidität her möglich sind.
Ich kann nur davor warnen, auf solche abenteuerlichen Vorschläge, wie sie gerade vor kurzem von der Sparerschutzgemeinschaft zu hören waren, hereinzufallen, die schon jetzt eine Umkehr von dem eingeschlagenen Weg fordert. Vorgefaßte Geldmengenziele sind kein Wert an sich. Sie bedürfen der ständigen Uberprüfung an Hand der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung und der Anpassung an die Notwendigkeiten dieser Entwicklung.
({7})
- Das wird die Bundesbank, wie ich hoffe, tun. Ich traue ihr nicht zu, daß sie auf den Rat dieser merkwürdigen Sparerschutzgemeinschaft hereinfallen wird, verehrter Herr Sprung.
Aber noch ein paar Sätze zu den über den binnenwirtschaftlichen Bereich hinausgehenden Erfordernissen. - Wichtig ist vor allem die Fortsetzung der im Herbst 1974 von uns initiierten - wir müssen dem Bundeskanzler, glaube ich, hier ausdrücklich eine besondere Initiativrolle und Erfolg in dieser Rolle bescheinigen ({8})
notwendigen internationalen Koordinierung der Wirtschaftspolitik. Nur wenn es gelingt, weiterhin unsere wichtigsten Handelspartner auf die gleichen wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele festzulegen, kann es bei der weltweiten Marktverflechtung in der EG und über die EG hinaus gelingen, diesem stabilitätsgerechten Aufschwung Dauer und Intensität zu geben.
Die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft auf den Weltmärkten ist ungebrochen. Bereits vor einem Jahr hat der Sachverständigenrat in seinem Sondergutachten festgestellt, daß über dem konjunkturbedingten Einbruch der Auslandsnachfrage nicht vergessen werden darf, wie erfolgreich sich das deutsche Produktionsprogramm in den letzten Jahren international bewährt hat und daß dieser Erfolg auch die Zukunftserwartungen der deutschen Wirtschaft bestimmen sollte.
Aber natürlich dürfen wir trotz dieser positiven Erwartungen nicht übersehen, daß wir es jetzt mit einer Reihe von Strukturproblemen - Strukturproblemen, die vor allem auf zwei Jahrzehnte lang falsche und feste Wechselkurse zurückzuführen sind - zu tun haben und daß diese Strukturprobleme in der gegenwärtigen Weltmarktverfassung schwerer lösbar sind, als sie im Umfeld einer Hochkonjunktur in der Weltmarktidylle der 60er Jahre schon lösbar gewesen wären.
({9})
- Wir nicht; Sie haben das versäumt, verehrter Herr Müller-Hermann. Denn die festen und falschen Wechselkurse habe ich nicht erfunden, und wir haben sie auch nicht behalten. Die Verantwortlichkeiten dafür sind sehr deutlich auf dem Mathaiser Markt, in Passau und in Sonthofen zu finden, aber nirgendwo bei der sozialliberalen Koalition.
({10})
Ich könnte auch Herrn Kiesinger mit seinem „Niemals" zur Aufwertung zitieren, Herr Sprung, wenn Sie Wert darauf legen, noch ein paar Verantwortliche mehr zu hören.
({11})
- Er hat aufgewertet, sobald er die Mehrheit dafür hatte. Aber Herr Strauß hat ihn vorher daran gehindert, verehrter Herr Warnke. Sie sollten das doch aus Ihrer bayerischen Nähe zu Herrn Strauß besonders gut wissen.
({12})
Zurück zu den Strukturproblemen. Die Vergangenheitsbewältigung hilft uns hier nicht. Es lohnt sich nur, ab und zu die Verantwortlichkeiten in diesem Hause deutlich zu machen. - Wir haben zur Bewältigung dieser Strukturprobleme bereits eine Reihe von notwendigen Maßnahmen ergriffen. Es sei noch einmal auf das Sonderprogramm für die Gebiete mit speziellen Strukturproblemen, die regionale und lokale Abstützung der Beschäftigung und die beiden Konjunkturprogramme verwiesen. Im nächsten Aufschwung bleibt aber viel zu tun. Vor allen Dingen müssen wir alle Kräfte daransetzen, die Modernisierung der Wirtschaft, den Übergang zu höheren Technologien, den Sprung in technologisch höhere Produktionsstufen zu vollziehen und Schritt für Schritt die Fabrikation einfacher Serienprodukte, mit denen wir auf Dauer nicht konkurrenzfähig sein können, umzubauen. Wir werden dazu von der Wirtschafts- und Finanzpolitik her einiges tun können, aber auch tun müssen.
Meine Damen und Herren, ich möchte den Rest meiner Zeit gerne dazu benutzen, noch ein Spezialproblem anzusprechen; denn neben diesen Bedingungen ist eine Verbesserung der staatlichen Planungskapazitäten und Planungsmöglichkeiten dringend notwendig. Das Bundesbaugesetz, das heute abend in diesem Hause behandelt wird, bietet hierfür einen ganz wichtigen Bereich gute Ansätze. Darüber hinaus ist aber generell eine reibungsloser funktionierende Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen notwendig. Manches Detailprojekt aus den Konjunkturprogrammen hätte seine Wirkungen schneller und zügiger entfalten können, wenn weniger Sand im Getriebe des Umgangs zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen vorhanden wäre. Hier liegt eine ganz dringliche Aufgabe.
Für die Bauwirtschaft - einen Wirtschaftszweig, der zur Zeit besondere strukturelle Schwierigkeiten hat, dessen Bedeutung aber auch oft unterschätzt wird; denn beispielsweise fällt jede zwölfte Mark, die in diesem Lande verdient wird, in der Bauwirtschaft an - geht es dabei vor allen Dingen um folgende Probleme: Im Jahreswirtschaftsbericht wird festgestellt, daß der ungewöhnliche Umfang von Kartellverfahren gegen Submissionsabsprachen in der Bauwirtschaft „möglicherweise ein Branchenproblem" darstelle. Das ist es in der Tat: ein spezifisches Branchenproblem der Bauwirtschaft. Ich fürchte, die Branche und das Kartellamt alleine werden mit diesen Problemen nicht fertig werden. Ich habe die dringende Bitte an die Bundesregierung, zusammen mit der Bauwirtschaft die begonnenen Aktivitäten fortzusetzen, um zu mehr Stetigkeit und mehr Übersichtlichkeit auf dem Baumarkt zu kommen. Das Prinzip des Wettbewerbs darf dabei selbstverständlich nicht angetastet werden. Der Staat darf auch keine Garantien geben, die die Anstrengungen der Firmen erlahmen und Rationalisierungsbemühungen unnötig erscheinen lassen würden, und selbstverständlich müssen Mißbräuche verfolgt werden. Ich glaube aber auch, daß die Vergabevorschriften und die Vergabepraxis dringend einer Überprüfung bedürfen. Das bisherige System sichert in Konjunkturzeiten den Auftraggeber nicht vor Übervorteilungen, und es verhindert in Rezessionsphasen nicht die Gefahr des ruinösen Wettbewerbs. Ein weiterer Mangel in der Vergabepraxis für die Bauwirtschaft: Gezielte Strukturprogramme können auf Grund dieser Praxis nur selten so auf den regionalen Arbeitsmarkt hin orientiert werden, wie es bei diesen Programmen an sich wünschenswert wäre.
Hier ist nicht der Ort für detaillierte Vorschläge. Ich kann nur die dringende Bitte an die beteiligten Ressorts richten, sich vielleicht in einer Art „kleiner konzertierter Aktion" zwischen den Betroffenen dieses Problems anzunehmen. Die Ziele einer stetigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft und kostengünstiger Durchführung öffentlicher Aufträge erfordern gleichermaßen, daß dieses Problem kurzfristig und zügig gelöst wird.
Meine Damen und Herren, generell muß man feststellen, daß vor dieser Wirtschaft und vor der Wirtschaftspolitik in diesem Lande eine Vielzahl von Problemen liegt, aber Probleme, die lösbar sind, vor allem weil es keinen Anlaß gibt, sich einem allgemeinen Wachstumspessimismus hinzugeben. Es sollte sich von den ökonomischen Fakten her verbieten, daß vordergründige Spekulationen oder auch modisch gewordene Ismen hier zu einer Resignation
führen. Unsere Verantwortung vor den arbeitenden Menschen erlaubt eine solche Haltung nicht.
Die ökonomischen Fakten sprechen - hier finde ich mich in voller Übereinstimmung mit der Einschätzung der EG-Kommission - durchaus dafür, daß eine Vielzahl von jetzt strukturell erscheinenden Problemen bei besserer Konjunktur überwunden wird, daß der Rest lösbar ist und daß generell die Nachfrage- und die Produktionsmöglichkeiten in der Europäischen Gemeinschaft und vor allen Dingen darüber hinaus bei jenen zu entwickelnden Staaten, die keine eigene Rohstoffbasis besitzen, zu einem nachhaltigen Bedarf führen werden. Wenn es gelingt, dort die nötige Liquidität zu schaffen, und wenn es gelingt, auf den Weltmärkten jeden Ansatz von Protektionismus zu verhindern, dann braucht uns um die Entwicklung der deutschen Wirtschaft bei den Anzeichen, die jetzt zu sehen sind, nicht bange zu sein.
({13})
Vizepräsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Manchmal, Herr Müller-Hermann, hat man Gelegenheit, sich im selben Land offensichtlich in zwei Welten aufzuhalten. Als ich gestern Nachmittag das Vergnügen hatte, eine Pressekonferenz in Mainz mitzumachen, auf der der amerikanische Finanzminister William Simon gefragt wurde, was er vom Zustand der Wirtschaft in der Bundesrepublik und was er von der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung halte,
({0})
war das allerdings eine andere Welt. - Nein, sie sind auch realistisch und sie wissen Bescheid, Herr Kollege;
({1})
sie kennen die Zustände hier, und sie haben in ihrem eigenen Land durch eine vorzügliche Wirtschaftspolitik bewiesen, daß sie sich aus der Rezession befreit haben und auf genau dem gleichen Wege zum Aufschwung oder im Aufschwung sind, wie es die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ist.
({2})
- Ich habe in Amerika sehr deutlich auch kritische Bemerkungen in internen Gesprächen gemacht, Herr Kollege Seiters,
({3})
genauso wie das hier geschieht, und ich habe die gleichen kritischen Bemerkungen auch gegenüber der Presse in den Vereinigten Staaten gemacht. Über Fragen, die fachbezogen sind, kann man sich unterhalten, ohne politische Scherben anzurichten. Auf die Frage politischer Scherben im Zusammenhang mit wirtschaftspolitischen Ereignissen und Untersuchungen in den Vereinigten Staaten, die Sie anrichten, komme ich im Laufe dieser Rede noch zurück.
({4})
Wenn Sie sich einmal anhören, wie unsere Wirtschaft von außen her beurteilt wird, und wenn Sie sich die Zahlen ansehen, Herr Kollege Müller-Hermann, die Sie hier soeben als „Nebelzahlen" bezeichnet haben, dann kommen Sie an der Feststellung nicht mehr vorbei, daß wir aus dem Tal der Rezession heraus sind. Mit anderen Worten, - dies war ja in dem Interview des Kollegen Strauß in der „Wirtschaftswoche" sehr deutlich spürbar -: Die schönen Tage von Sonthofen sind jetzt vorüber.
({5})
Es ist eben nichts damit, daß man alles zusammenbrechen lassen könne, es ist eben nichts mit dem Finanzchaos, das nicht nur herbeikommen sollte, das man herbeiwünschte, ja, das man sogar zu bewirken suchte.
({6})
- Herr Sprung, ich bedanke mich für den an dieser Stelle erwarteten Widerspruch.
({7})
- Herr Kollege Reddemann, ich schicke Ihnen eine Kopie des Artikels von Walter Henkels über das Niveau der parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und ihrer Zurufe.
({8})
Nichts anderes, meine Damen und Herren, ist es, wenn Sie die Mehrwertsteuererhöhung in dieser Legislaturperiode ablehnen. Ich sage Ihnen voraus, daß, wer immer im nächsten Jahr die Bundesregierung stellt und wie immer im nächsten Jahr die Mehrheit im Bundesrat aussieht, die Mehrwertsteuer um zwei Punkte angehoben wird. In einem Versprecher hat Herr Hasselmann in Niedersachsen ja schon zu erkennen gegeben, daß man daran gar nicht vorbeikommen kann.
({9})
Darüber werden wir im nächsten Jahr reden, wenn Sie jetzt tatsächlich im Bundesrat diese notwendige Einnahmeverbesserung zu Fall bringen.
Mit der Wirtschaftskrise und dem Weltuntergang ist es eben nichts, und wenn der Kollege Strauß durchs Land geht und fragt: „Was war denn falsch an meinen Sonthofener Ausführungen?" - das tut er jetzt alle Tage -, dann sage ich ihm: Der wirtschaftspolitische Teil der Rede des finanzpolitischen Sprechers der Opposition war fast in allen Teilen falsch.
({10})
Ich wundere mich nur, daß Sie vor diesem Hintergrund anderer Leute Fehlprognosen kritisieren.
({11})
Es ist unbezweifelbar: Wir sind am Ende der langsten und schwersten Rezession der Nachkriegszeit, und zwar weltweit. - Herr Kollege Müller-Hermann, das kann man ja nur amüsiert anhören, wenn Sie sagen, die Reformpolitik habe in die schwerste Rezession geführt. Hat sie vielleicht auch die Vereinigten Staaten und Japan in ihre schwerste Rezession geführt?
({12})
Wir können heute feststellen, daß die deutsche Volkswirtschaft - und das ist keineswegs etwa nur ein Verdienst dieser Regierung; das ist natürlich auch ein Verdienst der Struktur dieser Volkswirtschaft, einer jahrzehntelang auf guten ordnungspolitischen Prinzipien aufgebauten Wirtschaftspolitik - die Rezession von allen Volkswirtschaften der westlichen Welt - sicherlich in Europa - am besten überstanden hat.
({13})
Sie hat sie aber auch dank einer zielbewußten Wirtschafts- und Konjunkturpolitik der sozialliberalen Koalition überstanden, die sich durch Propagandaanträge der Opposition nicht hat irre machen lassen.
({14})
Noch vor wenigen Wochen und Monaten, Herr Müller-Hermann - ich habe mit Interesse die friedliche, gedämpfte, etwas defensive Art Ihres Vortrags heute gehört -, sind Sie doch durch das Land gezogen und haben gesagt: Jetzt nehmen wir uns den Friderichs aufs Korn; haut den Lukas. Was war denn heute? Nichts, das ist erledigt. Das Thema eignet sich nicht mehr. Das Thema eignet sich auch zum Oktober nicht mehr.
({15})
- Vielen Dank übrigens, Herr Müller-Hermann, daß Sie vorhin erklärt haben, Sie wollten Herrn Friderichs nicht aus seiner Verantwortung entlassen. Wir auch nicht; er bleibt da, wo er ist.
({16})
Warum eignet sich dieses Thema nicht mehr?
({17})
Deswegen, weil Sie personell und auch sachlich nichts annähernd Gleichwertiges entgegenzusetzen haben.
({18})
Ich amüsiere mich immer über den Zustand - nicht
über Sie, Herr Ministerpräsident -, daß da jedesmal die Bundesratshilfstruppen aufgeboten werden müssen.
({19})
Sie, Herr Kollege Stoltenberg und Herr Ministerpräsident Kohl, kommen natürlich alle mit Rückfahrkarten in die ländliche Idylle von Kiel und Mainz. Bringen Sie die Rückfahrkarte auch im Oktober mit!
({20})
- Ich komme zur Sache, Herr Kollege Reddemann. Wenn Sie bisher nicht gemerkt haben, daß das zur Sache gehört, dann liegt das daran, daß Sie sich mit dieser Sache ja nur sehr selten beschäftigen und wir das Vergnügen Ihrer Zwischenrufe in wirtschaftspolitischen Debatten auch nur selten haben.
({21})
Für die FDP wiederhole ich, was wir in der Haushaltsdebatte 1975 gesagt haben. Im vierten Quartal 1975 werden wir den Beginn der Erholung aus der Rezession sehen, die in einen für jedermann spürbaren und sichtbaren Aufschwung im Jahre 1976 überleiten wird. Von dieser Voraussage nehmen wir nicht eine Silbe und nicht ein Komma zurück.
Nach den Erfahrungen des Jahres 1975 ist es natürlich verständlich, daß die Prognosen zum Jahresanfang bezweifelt wurden. Aber nunmehr sind die Zweifel hoffentlich im wesentlichen widerlegt; denn nahezu alle Indikatoren weisen auf eine deutliche Besserung hin. Herr Kollege Müller-Hermann, Sie haben die Meldung über den dreiprozentigen Zuwachs der Industrieproduktion von Dezember 1975 auf Januar 1976 leider nicht genau gelesen. Die 3% sind nämlich eine arbeitstäglich bereinigte Zahl. Ihr Einwand geht fehl.
({22})
- Nein, arbeitstäglich bereinigt.
({23})
- Herr Kollege Müller-Hermann, ich stelle Ihnen nachher die Unterlage zur Verfügung. Da steht - vom Bundeswirtschaftsministerium am 5. März 1976 veröffentlicht -:
Im Vorjahresvergleich ergab sich für die Monate Dezember, Januar in arbeitstäglicher Rechnung
- das Wort ist nicht so ähnlich, daß man daraus „saisonbereinigt" lesen könnte - einen Zuwachs von 31/2 %. Ihr Einwand geht fehl.
Wir stimmen mit allen Sachverständigen überein, mit dem Jahreswirtschaftsbericht, mit der Bundesbank, mit den Forschungsinstituten, mit dem Sachverständigenrat, mit der OECD: Das Bruttosozialprodukt wird in diesem Jahr real steigen, die Preissteigerungsrate wird weiter zurückgehen - trotz des Schlenkers im Februar 1976, der auf saisonale Gründe zurückzuführen ist -, die ProduktiDr. Graf Lambsdorff
vität wird zunehmen, und der Außenbeitrag wird wieder anziehen. - Wenn man zur Sache kommt, hört der Kollege Reddemann sowieso nicht mehr zu; das habe ich auch nicht anders erwartet.
({24})
Das ist u. a. eine Folge der Selbstheilungskräfte der Volkswirtschaft, aber - und nicht zuletzt - auch eine Folge gezielter Maßnahmen der Bundesregierung - 35 Milliarden DM zusätzlich für öffentliche Ausgaben, steuerliche Erleichterungen - und - Herr Ehrenberg, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen - der Zinssenkungspolitik der Bundesbank, die die Bundesregierung nachhaltig unterstützt hat. Nun hat Herr Müller-Hermann vor zwei Tagen gesagt - Sie haben das heute nicht wiederholt; mir war nicht ganz klar, warum -: 35 Milliarden DM sind nicht genug. Wollen Sie eigentlich noch mehr deficitspending veranstalten? Wollen Sie größere Schulden machen? Oder wollen Sie bestreiten, daß Sie das gesagt haben? Dann müßte ich die „dpa"-Meldung auch noch vorlesen. Glauben Sie eigentlich noch an Keynes in einer Zeit, in der Sie Vollbeschäftigungsprobleme und Inflationsprobleme zur gleichen Zeit haben?
({25})
- Nun, ist es immer besser, an jemanden zu glauben, der bereits verblichen ist, als an jemanden, der einen widerlegen kann.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Herr Kollege Müller-Hermann, obwohl Sie meine Zwischenfrage nicht zuließen., werde ich Ihre selbstverständlich zulassen.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die dpa-Meldung, wenn sie so gewesen wäre, wie sie hier zitiert worden ist, bestimmt nicht das ist, was ich gesagt habe.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Müller-Hermann. Ich werde Ihnen eine Kopie der Meldung zustellen, damit Sie Gelegenheit haben, das gegenüber dpa zu berichtigen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich!
Vizepräsident von Hassel: Bitte schön!
Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich auf die Frage von dpa, ob die CDU/CSU zum gegenwärtigen Zeitpunkt für neue Konjunkturprogramme eintrete, erklärt habe, daß die bisher gelaufenen Konjunkturprogramme nach unserer Auffassung falsch strukturiert gewesen sind? Nichts anderes ist gesagt worden.
Daß sie was gewesen sind?
({0})
- Ah, so. Sie wollen jedenfalls keine neuen. Ich nehme das mit Interesse zur Kenntnis. Dann können wir eine doppelte Korrekturmeldung an dpa geben. Das wird ja eine richtige Belehrungsstunde.
({1})
Nun, meine Damen und Herren, die letzten Meldungen beweisen; daß wir im Dezember, Januar, wie gesagt, einen Zuwachs an Industrieproduktion erleben, daß die Auftragseingänge aus dem In- und Ausland besser sind und daß sich die Preisstabilität auf der richtigen Bahn entwickelt.
Dies gilt nun allerdings - hier muß eine Einschränkung gemacht werden - für den Durchschnitt der Volkswirtschaft und sicherlich nicht für alle Branchen. Es gibt in einigen Branchen strukturelle Schäden, die nicht so schnell zu überwinden sind, z. B. in der Bekleidungsindustrie, ganz abgesehen von allen Dumping-Fragen, wobei ich mit dem Bundeswirtschaftsminister der Meinung bin, daß immer sehr schnell zum Dumping-Vorwurf gegriffen wird. Daß die Verfahren hinterher nicht ziehen, Herr Kollege Sprung, ist doch ein Beweis dafür, daß die Preisprüfungen eben ergeben: Es reicht nicht. Die Evidenz für solche Vorwürfe ist nicht in ausreichendem Maße vorhanden.
Es ist sicherlich auch so, Herr Kollege Ehrenberg, daß wir in der Bauindustrie vor strukturellen Problemen stehen, weil Kapazitäten, die verlorengegangen sind, auch in Zukunft nicht wieder gebraucht werden. Die werden also nicht zurückkommen. Ich meine, daß die Kartellverfahren der Bauindustrie, die ich mit keinem Wort und mit keinem Nebensatz hinsichtlich dessen verteidigen will, was da an Absprachen geschehen ist, jedenfalls gezeigt haben, daß eine Marktbereinigung insbesondere in der Anwendung der VOB notwendig ist. Ich meine, daß das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesbauministerium, die bereits dabei sind, sich über die Neuordnung des Baumarktes zu unterhalten, gebeten werden müßten, dies mit Beschleunigung zu tun.
Maßgeblich für die weitere Entwicklung der Bundesrepublik - mit Recht hat der Jahreswirtschaftsbericht einige Wenn und Aber zum Ausdruck gebracht, allerdings vor drei Monaten, meine Damen und Herren, als man noch keineswegs so zuversichtlich sein konnte wie heute; wer wollte das bestreiten? - bleibt die Entwicklung am Weltmarkt. Maßgeblich bleibt für uns, daß der freie Handel in der Welt erhalten bleibt und nicht durch zusätzliche Einschränkungen behindert wird. Denn auf diesen
Welthandel gründet sich weitgehend unser Wohlstand.
Ich will nicht wiederholen, was der Herr Bundeswirtschaftsminister über den Zugang zu Märkten für die Entwicklungsländer, über den Zugang zu industriellen Märkten gesagt hat. Nur eines soll man jedem Verfechter einer marktwirtschaftlichen und liberalen Welthandelstheorie ins Stammbuch schreiben: Es geht nicht an, daß wir den Entwicklungsländern die Vorzüge des freien Marktes, einer liberalen Wirtschaftspolitik und eines liberalen Welthandels empfehlen, um im selben Augenblick, in dem sie davon Gebrauch machen wollen, bei uns die Schotten dicht zu machen.
({2})
Diese Kooperation, diese Sicherung des Weltmarkts hat die Bundesregierung im Verein mit unseren Partnern und Verbündeten auf der Konferenz in Rambouillet, hervorragend wahrgenommen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen, daß das, was man neuerdings den trilateralen Aspekt nennt, nämlich die Mitwirkung der Japaner, auf dieser Konferenz gesichert gewesen ist.
Wir stehen vor Fragen auch in Zusammenarbeit mit unserem amerikanischen Partner: Wie kann sich nun endlich die trade bill, das verabschiedete Handelsgesetz, auf die GATT-Runde auswirken? Wie kommt man im GATT zum Abbau von nicht-tarifären oder auch tarifären Handelshemmnissen? Dies alles ist wichtig. Es ist bedenklich, meine Damen und Herren - lassen Sie mich das in aller Offenheit aussprechen; ich habe das natürlich genauso auch in den Vereinigten Staaten gesagt -, daß es einen zunehmenden Hang zum Protektionismus im amerikanischen Kongreß gibt. Ob das Schuhe sind, Kraftfahrzeuge, Flachglas, Edelstahl, die Bankengesetzgebung und ich weiß nicht was alles - alles dies ist offensichtlich das, was die Amerikaner - ich darf diesen englischen Ausdruck benutzen - einen hang-over aus der Rezession nennen. Merkwürdigerweise wird das in einem Zeitpunkt wirksam, in dem sie die Rezession hinter sich haben und eigentlich zu solchen Maßnahmen nicht mehr zu greifen brauchten. Ich bitte die Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß wir uns solchen Bestrebungen widersetzen.
Nun, meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in einem Punkte gemeinsam mit der Industrie und gemeinsam mit den Gewerkschaften eine, wie ich meine, vorbildliche Haltung eingenommen, nämlich bei der Behandlung der Stahlmindestpreise in der Europäischen Gemeinschaft oder, genauer gesagt, in der Montangemeinschaft. Wir haben Maßstäbe gesetzt.
Die Bundesregierung hat ihre Haltung ebenso richtig - dies möchte ich gerade an die Adresse des Bundeslandwirtschaftsministers sagen, der zwar vergeblich, aber eisern gekämpft hat - in der Frage des Beimischungszwangs für Magermilch bezogen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß auch dies Auswirkungen in den Vereinigten Staaten haben kann, die nun ihre Futtermittellieferungen in die Bundesrepublik bzw. in die Europäische
Gemeinschaft gefährdet sehen. Dieses ist also keineswegs nur ein interner Finanzierungsvorgang, sondern gleich wieder ein Welthandelsproblem, das man nicht unter den Tisch schieben kann.
Meine Damen und Herren, ich habe in diesem Zusammenhang einen unerfreulichen Vorgang zu erwähnen. Ich komme nicht darum herum, da ich gerade vom Kollegen Seiters gefragt worden bin, ob ich denn in den Vereinigten Staaten eine offene Sprache und kritische Äußerungen gewählt habe. Ich habe hier den Wortlaut einer Meldung des „Deutschlandfunks" von gestern vor mir liegen - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Die Christlich-Soziale Union hat der Bundesregierung heute vorgeworfen, wegen der Lockheed-Bestechungsaffäre aus parteipolitischen Motiven eine Diffamierungskampagne gegen die CSU und den Parteivorsitzenden Strauß zugelassen oder sogar gefördert zu haben. CSU-Sprecher Kienl erklärte in München, die Bundesregierung sei durch einen eigenen Beobachter bei den Verhandlungen des Lockheed-Untersuchungsausschusses genau über den Vorgang informiert. Sie habe sich aber dennoch bemüht, den Spekulationen über eine angebliche Verwicklung der CSU Auftrieb zu geben.
Ich kann dazu feststellen, meine Damen und Herren, daß ich auf jeder Pressekonferenz in den Vereinigten Staaten - und auf jeder bin ich nach der Rolle von Herrn Strauß gefragt worden - erklärt habe, wir hätten dafür keine Beweise und ich wünschte auch, keine Beweise dafür zu haben, weil die Schädigung deutscher wirtschaftlicher und politischer Interessen, falls der frühere Verteidigungsminister darin verwickelt gewesen sei, mir in einer politischen Auseinandersetzung mit Herrn Strauß ein zu hoher Preis sei.
({3})
Angesichts dieser Haltung, meine Damen und Herren, halte ich diese Meldung aus der CSU-Geschäftsstelle für eine Unverfrorenheit. Eines allerdings will ich in dem Zusammenhang sagen: Ich - und andere hoffentlich auch nicht - habe keine Freunde- wie Herrn Hauser und brauche mich später von denen nicht zu trennen. Sage mir, mit dem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.
({4})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Warnke?
Bitte sehr.
Graf Lambsdorff, würden Sie dem Haus bestätigen, daß sich die Pressemeldung ausdrücklich auf die Haltung der Bundesregierung bezieht und daß die Tatsache, daß Sie angeblich
({0})
in den USA Herrn Strauß nicht angegriffen haben,
damit in keinen Zusammenhang zu bringen ist?
Wenn Sie es dennoch hier erwähnen, dann eben nur
Dr. Warnke,
aus Ihrer Lust heraus, Herrn Strauß bei jeder Gelegenheit sachlich oder unsachlich zu kritisieren.
({1})
Herr Kollege Warnke, ich bin gerne bereit, Ihnen zu bestätigen, daß ich - wie in anderen Fragen, so auch in dieser Frage -mich und die Bundesregierung nicht auseinanderdividieren lasse.
({0})
Ich komme zurück zu Fragen unserer Außenhandelsentwicklung und darf mich auf einen Vortrag beziehen, den der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Herr Emminger, vor wenigen Tagen in London gehalten hat und in dem er seine Erkenntnisse ausgesprochen hat, daß wir uns auf dem Wege zur Besserung auch auf diesem Sektor befinden.
Eine Frage scheint mir interessant. Sprechen sich Zuversicht und Optimismus eigentlich jetzt auch bei uns herum, und haben Sie, Herr Dr. Müller-Hermann, die Stimmungslage eigentlich schon richtig erfaßt? Ich meine, Sie haben es nicht; denn ich stelle fest: In jeder Zeitung, in die man sieht, in jedem Gespräch, das man führt - mit Wirtschaftlern, auch mit Gewerkschaftern im übrigen - zeigt sich: Die Zuversicht ist da.
Aber es gibt natürlich zwei psychologische Schwellen. Die erste ist die, die Herr Emminger so genannt hat:
Die Propheten, die sich im letzten Jahr mit ihren
optimistischen Vorhersagen die Finger verbrannt haben, geben sich jetzt zu pessimistisch.
Wir müssen damit rechnen, daß das Pendel der Prophezeihungen, der Vorhersagen nun aus Übervorsicht eher zur anderen Seite ausschlägt. Das ist eine völlig natürliche Reaktion. Zum zweiten, meine Damen und Herren: Hier wie in anderen Teilen der Welt gibt es einen zeitlichen Verzögerungseffekt bei der Konjunkturbeurteilung in der breiteren Öffentlichkeit. Mit anderen Worten: selbst, wenn die Zahlen den Optimismus nicht mehr rechtfertigen, weil man schon auf dem Weg in die Talfahrt ist, bleibt der Optimismus länger erhalten, als die Fakten es rechtfertigen. Und wenn es wieder nach oben geht, bleibt der Pessimismus länger aufrechterhalten, als es sich eigentlich aus den Zahlen ablesen läßt. Auch dies ist, wie mir scheint, eine natürliche, jedenfalls eine übliche und uns bekannte Reaktion, und sie zeigt nur wieder einmal, wie groß das psychologische Moment in der Konjunkturpolitik zu werten ist.
Diesen Time-Lag in der Konjunkturbeurteilung müssen wir sehen, und ich glaube, meine Damen und Herren, wenn dies z. B. der CDU in Nordrhein-Westfalen bekannt gewesen wäre, dann hätte sie gegen Ende des vorigen Jahres jenes schöne Flugblatt, „Die Lüge vom Aufschwung" überschrieben, kaum noch gedruckt. Wir werden das sehr sorgfältig aufheben. Sie werden diese Flugblätter wohl einstampfen, aber wir können sie im Herbst ganz gut brauchen.
({1})
Meine Damen und Herren, die FDP sieht in diesem Ergebnis unserer Konjunkturpolitik die Folge erfolgreich und konsequent angewandter Globalsteuerung. Mit Recht weist allerdings der Jahreswirtschaftsbericht darauf hin, daß erst durch den Verzicht auf feste Wechselkurse im Mai 1973 die Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung der Globalsteuerung geschaffen worden ist. Nicht die Globalsteuerung hatte bis dahin versagt, sondern die Wirtschaftspolitik, vor allem durch die unterlassene Aufwertung 1968 und das späte Abkoppeln von der Ankaufspflicht für den Dollar im Mai 1973. Hier lagen die Schwächemomente, die uns gehindert haben, eine Stabilitätspolitik mit den Ergebnissen zu betreiben, wie wir sie heute vor uns liegen haben.
({2})
Herr Präsident, darf ich zum Thema der Globalsteuerung einige - wie mir scheint - prägnante und kurze Ausführungen zitieren, die ich einem der letzten Konjunkturbeurteilungsberichte der Westdeutschen Landesbank in Düsseldorf entnehme. Es heißt dort:
Die staatlichen Instanzen können bei flexiblen Wechselkursen durch die Geldpolitik und die Finanzpolitik die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen so setzen, daß die Nachfrage nur in dem Tempo ausgeweitet werden kann, in dem das Produktionspotential ein Wachstum bei stabilem Preisniveau zuläßt. Allerdings setzt dies voraus, daß die Tarifpartner den dadurch gezogenen Rahmen akzeptieren, da es sonst zu Beschäftigungsausfällen kommt. Je höher der Rang des Vollbeschäftigungsziels gesetzt wird, um so mehr hängt der Erfolg einer auch an der Geldwertstabilität orientierten Wirtschaftspolitik vom Verhalten der autonomen Gruppen ab. Nur, wenn auch vergleichsweise milde Maßnahmen der Globalsteuerung ausreichen, um ein stabilitätskonformes Verhalten am Markt herbeizuführen und zu erhalten, ist Vollbeschäftigung ohne anhaltenden Geldwertschwund möglich. Die dafür erforderliche Reagibilität der einzelwirtschaftlichen Relationen kann nur von einem wirksamen Wettbewerb gesichert werden. Ein funktionsfähiger Markt, der zur Neuerung und Anpassung an strukturelle Veränderungen zwingt, wird dem Entstehen konjunktureller Ungleichgewichte entgegenwirken.
({3})
Meine Damen und Herren, dies ist, wie ich meine, eine zutreffende Beurteilung der Möglichkeiten der Globalsteuerung.
Ich möchte das Ergebnis der letzten „Konzertierten Aktion" dahin würdigen, daß hier offensichtlich eine einheitliche Meinung oder mindestens eine Einigung über das, was möglich ist und was geschehen kann, zutage getreten ist, obwohl man mit verschiedenen Ausgangspositionen und verschiedenen theoretischen Ansätzen in die „Konzertierte Aktion" hinein-, wahrscheinlich teilweise auch wieder aus ihr
herausgegangen ist. Dies ist aber nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist die Übereinstimmung in den Maßnahmen, in dem, was jetzt zu geschehen hat. Hier, meine Damen und Herren, kann ich nur sagen: Es spricht für die Einsicht der Gewerkschaften, Herr Kollege Sprung, daß sie, obwohl sie von anderen theoretischen Denkmodellen ausgegangen sind, im Prinzip zugestimmt haben. Wie man überhaupt ins Ausland fahren muß - aber das kann man ja nicht nur im Ausland feststellen -, um sich darüber klar zu werden, was wir mit diesen Gewerkschaften, mit dieser Kooperationsbereitschaft unserer Gewerkschaften für ein Aktivum in der Bundesrepublik haben.
({4})
Noch einmal: Von entscheidender Bedeutung war die Einführung freier Wechselkurse, und erst der Untergang des Systems von Bretton Woods hat diese Voraussetzung geschaffen. Zu diesem Untergang kam es, weil die Leitwährung nicht mehr nach dem Grundsatz handelte: „Stability begins at home."
Zwei dpa-Meldungen von vorgestern, meine Damen und Herren, erinnern in Argumentation und Formulierung an die Diskussion aus den Zeiten Bretton Woods oder gar an die Aufwertungsdiskussion von 1968. Ich will deutlich sagen, daß die FDP-Fraktion in diesem Hause für die Währungsunion, also für die Schlange ist und daß die FDP-Fraktion ebenso für die Mitarbeit Frankreichs in dieser Schlange ist. Voraussetzung für das Funktionieren eines Währungsverbundes ist aber eine in etwa gleiche Konjunktur- und vor allem Preisentwicklung. Wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, dann sind Adjustierungen dessen, der von der Generallinie abweicht, unvermeidlich. Die Meldungen, die uns gestern über die Devisenmärkte begegnet sind, machen deutlich, daß wir vor Problemen stehen. Manchmal habe ich den Eindruck, daß in diesem Fall nicht das Kaninchen auf die Schlange, sondern die Schlange auf das Kaninchen starrt.
Eines jedenfalls wollen wir als Ergebnis einer solchen begrenzten Währungsgemeinschaft nicht. Wir wollen nicht, daß die Geldmengenpolitik der Bundesbank unterlaufen werden kann, weil sie unveräußerlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Stabilitätspolitik ist und bleiben muß. Sie kann nicht durch Interventionspflichten so geschmälert werden, daß wir zum Schluß wieder in angekauften Devisen schwimmen.
In diesem Punkt überlege ich in der Tat, Herr Kollege Ehrenberg - hier gibt es vielleicht Unterschiede zwischen uns -, daß es uns, wenn wir das Geldmengenziel erreichen und halten wollen - dieses Geldmengenziel ist ja eine vorgegebene Orientierungsgröße auch für alle am Wirtschaftsprozeß Beteiligten dafür, in welchem Rahmen sie sich im Jahr 1976 mit Zustimmung der Bundesregierung und der Bundesbank bewegen dürfen -, wahrscheinlich wie in den Vereinigten Staaten nicht erspart bleibt, mit der Geldmenge im zweiten Halbjahr 1976 vorsichtiger zu fahren, weil wir zur Zeit Sätze haben, die über dem liegen, was die Durchschnittszahl ergeben soll.
Herr Ehrenberg, ich bin ein Freund der Sparerschutzgemeinschaft und möchte sie in Schutz nehmen. Ich glaube, die Sparerschutzgemeinschaft hat die ganzen Jahre über sauber argumentiert. Wenn es Sie ein wenig tröstet, dann darf ich Ihnen vielleicht sagen, daß mich die Sparerschutzgemeinschaft kritisiert hat - bisher allerdings nur telefonisch -, wegen meiner Einstellung zu den Devisenreserven. Vielleicht ist Ihnen das eine gewisse Genugtuung.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Trotz dieser, wie ich meine, nur scheinbaren Differenz, Kollege Lambsdorff: Würden Sie mir darin zustimmen, daß das Geldmengenziel kein Ziel an sich, sondern ein Instrument ist, mit dem man das mögliche Produktionswachstum in Stabilität ausschöpfen kann?
Ich glaube, das ist gar keine Frage.
Ich möchte gern ein Wort zu einem Thema sagen, das der Bundeswirtschaftsminister angeschnitten hat und das in der Diskussion um die Arbeitsplätze eine große Rolle spielt. Ich brauche nicht zu betonen, daß die Frage der Arbeitsmarktsituation für uns die drückendste Sorge ist und für eine vorausschaubare Zeit bleiben wird. In diesem Zusammenhang wird gesagt, daß Investitionen, die man jetzt fördere - es sind ja gewerbliche Investitionen, die der Bundeswirtschaftsminister, wie wir meinen, mit Recht für notwendig hält -, Rationalisierungsinvestitionen würden und daß diese doch Arbeitsplätze vernichteten. Es gibt aber keinen anderen Weg als den über Rationalisierungsinvestitionen, die dann zu Erweiterungsinvestitionen führen. Es gibt keine andere begriffliche Vorstellung, als daß Rationalisierungsinvestitionen zwar durchaus bestimmte Arbeitsplätze vernichten können, aber als Folge der durch diese Investitionen ausgelösten Aufträge an anderer Stelle neue Arbeitsplätze schaffen.
Im übrigen ist es richtig, daß wir mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit - hier kann ich nur unterstreichen, was Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, gesagt haben - selbstverständlich an Rationalisierungsinvestitionen denken müssen.
Nun eine letzte Bemerkung zu der heute schon angeklungenen Diskussion über die Notwendigkeit einer Strukturpolitik. Es handelt sich um eine Grundsatzauseinandersetzung, die zunächst wirtschaftstheoretisch geblieben ist, aber in unserem Land in den kommenden Monaten, wie ich glaube, eine größere Rolle spielen wird. Lassen Sie mich dazu die Position der Liberalen in diesem Hause darlegen.
Liberale Politik sieht und bejaht die Notwendigkeit einer Strukturpolitik; daran gibt es keinen Zweifel. Ich habe das von dieser Stelle aus mehrfach gesagt. Angesichts des großen strukturellen Wandels, den unsere Wirtschaft in den vergangenen Jahren erlebt hat und auch weiterhin durchmacht, kommt der Strukturpolitik sogar eine besonDr. Graf Lambsdorff
dere Bedeutung zu. Das kann jedoch auf keinen Fall heißen, daß der Strukturpolitik die Steuerung des Wirtschaftsprozesses übertragen wird. Die autonome Entscheidungsfähigkeit der Marktpartner - Gewerkschaften wie Arbeitgeber, Produzenten wie Konsumenten, Kreditgeber wie Kreditnehmer - bleibt unerläßlich.
Staatliche Strukturpolitik kann nach unserem Verständnis immer nur in der Schaffung von Rahmenbedingungen für die am Wirtschaftsprozeß Beteiligten bestehen. Das beginnt bei der Wettbewerbspolitik - ein wichtiges Änderungsgesetz zum GWB, nämlich die Pressefusionskontrolle, steht morgen auf der Tagesordnung - und geht über die Globalsteuerung bis hin zur Arbeitsmarkt-, Sozial- und Regionalpolitik. Strukturpolitik hat die Voraussetzungen für die Strukturentwicklung und den Strukturwandel zu schaffen. Insbesondere muß sie übergroße regionale und sektorale Friktionen mindern, die zu gesamtwirtschaftlich unerwünschten Entwicklungen und sozialen Härten beitragen. Den Ausleseprozeß des Marktes kann und darf die Strukturpolitik jedoch auf keinen Fall ersetzen.
Auch auf die Gefahr hin, einige in diesem Saal zu langweilen, möchte ich noch einmal meine Genugtuung und mein Lob für die ordnungspolitisch eindeutigen und klaren Ausführungen des Sachverständigenrats zum Ausdruck bringen, die in ihrer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen.
Strukturpolitik muß weitgehend Hilfe zur Selbsthilfe sein. Als Beispiele seien hier die Förderung des technologischen Fortschritts sowie die Erhöhung der Mobilität der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital genannt. Eine branchenbezogene Wachstumspolitik kommt für uns nicht in Betracht. Hier sind die autonomen Tarifpartner am Zuge. Über die Lohnstruktur haben sie einen wesentlichen Einfluß auf die Produktionsstruktur und damit auf die Beschäftigung.
Der Herr Wirtschaftsminister hat vorhin den Kollegen Alex Möller zitiert mit seiner Äußerung über die Möglichkeit von Vorhersagen in staatlicher Planung. Ich kann einen anderen Satz zitieren, daß nämlich die Weisheit mit der Einsicht beginnt, daß man die Zukunft eben nicht vorhersehen kann und daß es deshalb ein Ersetzen des Marktsteuerungsmechanismus für uns nicht geben kann. Wenn der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes an die Adresse der Liberalen wörtlich sagt „Wenn Reaktionäre solche Parolen verbreiten, so hat man von ihnen wenig anderes erwartet", dann muß ich sagen: Anderes ist in diesem Punkte von uns in der Tat nicht zu erwarten und wird auch nicht zu erwarten sein. Dabei bleiben wir.
Meine Damen und Herren, zum Abschluß darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß wir - im Verlauf der Debatte werden wir darüber noch diskutieren, und die FDP-Fraktion behält sich vor, sich dazu zu äußern - als eines der wesentlichen Korrektivmomente bei einem sich wieder verschärfenden Verteilungskampf im Aufschwung die Vermögenspolitik sehen. Damit folgen wir der Empfehlung des Sachverständigenrats. Wir wollen auch den Hinweis des Sachverständigenrats auf die Öffnungsklausel aufgreifen. Es ist vielleicht nicht richtig, die Öffnungsklausel jetzt in Tarifverträge einzubringen, weil man damit Zweifel an der Entwicklung der Preisstabilität sozusagen tarifvertraglich dokumentieren würde. Aber es muß im Bewußtsein aller Beteiligten bleiben, daß wir Entwicklungen wie 1967/68 wegen sturen Festhaltens an einmal abgeschlossenen Tarifverträgen, die durch rasante Entwicklungen nicht mehr in die Landschaft paßten, nicht noch einmal erleben dürfen. Hier muß Flexibilität gezeigt werden.
({0})
Über die Rolle der Vermögenspolitik werden wir, wie gesagt, nachher noch miteinander zu sprechen haben.
Insgesamt gesehen stehen wir zu Beginn des Jahres 1976 nicht nur an der Wende der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik, sondern wir haben das Tal hinter uns gelassen, und wir befinden uns im Aufschwung. Es wird maßvoller und vernünftiger Politik bedürfen, um diesen Aufschwung zu sichern. Es wird maßvoller und vernünftiger Politik im Verein mit unseren Partnern in internationaler Abstimmung bedürfen. Wir übersehen nicht, daß die zunehmend parallel werdende Entwicklung der Konjunkturen in den Weltwirtschaften natürlich auch zu Risiken führt, auch zum Risiko einer neuen Übersteigerung. Es mag dem einen oder anderen merkwürdig im Ohr klingen, wenn man das schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagt. Ich habe aber schon vor Monaten gesagt, daß der Bundeskanzler mit seiner Warnung in dieser Richtung zwar vielleicht etwas verfrüht kam, aber in der Tendenz völlig richtig gelegen hat.
Wir vertrauen darauf, daß die Bundesregierung und der Bundeswirtschaftsminister dieser Aufgabe gewachsen sind und ihr gerecht werden. Wir gehen mit Vertrauen und Zuversicht in die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1976 und danach.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, Herr Dr. Stoltenberg.
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({2}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Fragwürdigkeit amtlicher Konjunkturprognosen im Zusammenhang mit den Erfahrungen des letzten Jahres wurde in der bisherigen Debatte schon gesprochen. Zu den Reden der Herren Ehrenberg und Graf Lambsdorff darf ich sagen: Es wäre für einige Passagen in Ihren Reden vielleicht gut gewesen, wenn Sie Ihre Beiträge in der Debatte vor 12 Monaten zum Jahreswirtschaftsbericht 1975 noch einmal kritisch durchgelesen hätten.
({3})
In der Tat: In den Fehlentwicklungen des vergangenen Jahres spiegelt sich sicher einmal die Grenze der Vorhersehbarkeit wider. Nicht nur die Wirtschaftspolitiker, sondern auch die Wirtschaftswis15782
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
senschaftler sind nach den Enttäuschungen vergangener Jahre etwas skeptischer bezüglich der Möglichkeiten der Prognose geworden.
Aber es kommt vor allem bei dieser Bundesregierung ein Zweites hinzu, nämlich die Tendenz, die nüchternen Analysen der Fachleute auch in den eigenen Ministerien immer mit einem Stück politischen Wunschdenkens zu amalganieren, über die Grenzen realistischer Vorhersage hinaus etwas hochzurechnen. Das ist auch heute in einigen Passagen wieder deutlich geworden. Ich verstehe nicht ganz, weshalb die Sprecher der Koalition, statt sich ernsthaft mit den Fehlern des vergangenen Jahres und auch den objektiven Fehlentwicklungen auseinanderzusetzen, glauben, hier eine Debatte über Sonthofen, Lockheed und Herrn Hauser eröffnen zu müssen. Es wäre richtiger, einmal der Frage nachzugehen, weshalb die Prognose der Bundesregierung im vergangenen Jahr um mehr als 5 % über dem tatsächlichen Ergebnis lag, weshalb wir rund 50 Milliarden DM an Sozialprodukt weniger erreicht haben, als damals prognostiziert wurde, und was dies für die Menschen und die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik bedeutet.
({4})
Im übrigen, verehrter Graf Lambsdorff, Ihre Ausdeutung der Rolle der Mitglieder des Bundesrates in diesem Hause sollten Sie sich noch einmal überlegen. Sie haben gemeint, meine gelegentlichen Beiträge hier und die Reden des Kollegen Kohl als einen Ausdruck der gewissen Schwäche unserer Fraktion auf diesen Gebieten ansprechen zu müssen. Ich habe vor wenigen Tagen mit Interesse eine Mitteilung Ihres Parteivorstandes, der FDP, gelesen. Da stand, bei dem Versuch, stärker ein eigenständiges Profil zu gewinnen, sei vor allem die Rolle der Minister der FDP in den Ländern wichtig, sie müsse stärker hervorgehoben werden. Deshalb sollten die FDP-Minister in den Ländern in Zukunft auch an den Vorbesprechungen der Regierungschefs im Bundesrat teilnehmen und etwas häufiger hier im Bundestag reden. Ist das ein Ausdruck des mangelnden Vertrauens in Herrn Friderichs und in Sie, wenn wir die vergangenen Debatten betrachten?
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({5}) : Sehr gerne, Herr Ehrenberg.
Herr Ministerpräsident, um auf Ihre Bemerkung betreffend die FDP zurückzukommen: Würden Sie bestreiten, daß die vom Bundeswirtschaftsminister, von Herrn Lambsdorff und auch von mir aufgezeigten außenwirtschaftlichen Zusammenhänge eine ernsthafte Erklärung der Entwicklung 1975 darstellen?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({0}) : Sie sind etwas ungeduldig, verehrter Herr Ehrenberg. Ich wollte diesen Punkt im weiteren Verlauf meiner Ausführungen natürlich nicht aussparen. Ich erlaube mir, darauf in einem anderen Zusammenhang zurückzukommen.
Aber nicht nur die Vorhersagen der Bundesregierung erwiesen sich als falsch, auch in ihrer Politik gab es ein großes Maß an Widerspruch und Unkalkulierbarkeit. Graf Lambsdorff hat in seiner in mancher Hinsicht etwas schneidigen Rede heute gesagt, es sei eine bare Selbstverständlichkeit, daß nach den Bundestagswahlen die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 % beschlossen würde, auch wenn wir sie jetzt im Bundesrat ablehnen sollten. Wir werden sie jetzt im Bundesrat ablehnen, geben Sie sich darüber keinem Irrtum hin, verehrter Graf Lambsdorff. Der Versuch, die Mehrheit des Bundesrates politisch aufzuspalten, ist Ihrer Regierung schon bei anderen wichtigen Vorhaben schlecht bekommen, weil Sie die objektive Lage falsch einschätzen. Ich würde darauf auch bei der Frage der Mehrwertsteuererhöhung nicht spekulieren. So selbstverständlich kann das doch nicht sein, wenn bis zum Sommer vergangenen Jahres die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung eine solche Steuererhöhung selbst abgelehnt, ja in der jetzigen wirtschaftlichen Situation als schädlich bezeichnet haben.
({1})
Darüber wird an anderer Stelle hier und im Bundesrat gründlicher zu sprechen sein. Die Methode, auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik bis zu einem gewissen Zeitpunkt des vergangenen Jahres Dinge als falsch zu deklarieren, um sie nach einem neuen Beschluß im Kabinett, im Koalitionsausschuß oder wo das bei ihnen gemacht wird, als das allein Richtige und Selbstverständliche zu bezeichnen, dient nicht der Verstetigung der wirtschaftspolitischen Diskussion und gibt den beteiligten Menschen keine klaren Rahmenbedingungen. Natürlich sind wir in diesem Jahr alle gefordert.
Mit dem Näherkommen des Wahltages - es gab da ein paar Passagen, die dies deutlich machten - ist die Neigung zur Vereinfachung und Vergröberung noch stärker, sei es in den rosaroten Farben einer regierungsamtlichen Propaganda, sei es vielleicht auch in der Versuchung für die Opposition, die Dinge ungünstiger zu schildern, als sie sind. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, daß wir alle auch in den Monaten vor einer Wahl eine anspruchsvolle und verantwortungsbewußte wirtschaftspolitische Diskussion zu führen haben. Nur, die Verpflichtung der parlamentarischen Opposition und ihrer Mitglieder in den verschiedenen Verfassungsorganen, die Wirklichkeit aufzuzeigen, wie Sie sie sehen und wie sie nach unserer Überzeugung ist, im Licht und auch im Schatten, meine Damen und Herren, lassen wir uns aus dem Verständnis unserer staatspolitischen Rolle nicht nehmen.
({2})
Wenn man die Reden von Kabinettsmitgliedern draußen im Lande hört und auch einige Sätze meiner beiden Vorredner von der Koalition, muß man doch feststellen, daß schon wieder die Neigung besteht, in verfrühten Jubel auszubrechen, Wechsel auf eine Zukunft zu ziehen, von der wir hoffen, daß
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
sie kommt, die aber nach manchen Feststellungen auch des Bundeswirtschaftsministers heute überhaupt noch nicht gesichert ist. Die Zukunft zu sichern, ist unsere Aufgabe, nicht aber, sie parteipolitisch auszunutzen, bevor der Aufschwung erreicht ist.
({3})
Ich sage hier ausdrücklich, und ich erkenne das an: Der Text des Jahreswirtschaftsberichts 1976 ist, auch nach den schmerzlichen Enttäuschungen des Vorjahres mit den damaligen Vorhersagen, in manchem behutsamer formuliert als viele Reden von Kabinettsmitgliedern und Abgeordneten draußen im Lande. Er geht in den Schätzungen des Wachstums und der Investitionen an die obere Grenze möglicher Abläufe. Er deutet vorsichtig einige der Risiken an, nicht nur in der außenwirtschaftlichen Situation, wo sicher ein großes Potential an Unwägbarkeiten und Risiken liegt, sondern vor allem auch in dem empfindlichen Bereich der Investitionen. Seine Vorhersagen für den Arbeitsmarkt scheinen mir demgegenüber leider, wenn ich die mögliche Situation im nächsten Winter bedenke - und wir haben über den 3. Oktober hinauszuschauen -, eher zu optimistisch zu sein.
Es kann - ich möchte das hier noch einmal ganz nachdrücklich sagen - bei den gegebenen Risiken im außenwirtschaftlichen Bereich und bei ausbleibenden Entscheidungen im nationalen Bereich vor der Wahl kaum ein Hauptthema dieser Debatte sein, Variationen oder Nuancen in der Konjunkturprognose zu diskutieren: ob es 4,5 % werden oder 2 % weniger oder 1 % mehr. Meine Damen und Herren, niemand weiß das in diesem Hause. Niemand kann darüber zuverlässig etwas sagen.
Daß es nun freilich nach zweieinhalb Jahren der Stagnation bzw. Rezession Zeichen einer gewissen Belebung der Nachfrage gibt, die 1976 statistisch wirksam werden, ist überhaupt kein Streitpunkt unter uns. Das aber, verehrter Herr Ehrenberg, verehrter Graf Lambsdorff, ist - ich sage das noch einmal - auch keine Veranlassung, in eine vorzeitige Euphorie zu verfallen.
({4})
- Sie waren in einigen Sätzen etwas in dieser Gefahr. Und was man draußen im Lande hört, unterstreicht das, vor allen Dingen deshalb, weil die Bundesregierung selbst, der Bundeswirtschaftsminister, hier gleichsam auf zwei verschiedenen Ebenen argumentiert.
Zunächst aber möchte ich noch einmal hervorheben, was wir in dem Jahreswirtschaftsbericht und vor allem in der Politik der Bundesregierung vermissen. Die schweren Schäden der Strukturkrisen, die Folgen einer jahrelangen Entwicklung in einer falschen Gewichtung politischer Entscheidung, der Rezession und der Stagnation, werden nicht ehrlich und umfassend offengelegt. Zweitens fehlt eine in sich geschlossene, wirksame, programmatische Alternative und Konzeption, was die Bundesregierung tun will, um die Zeichen einer leichten Belebung in eine neue Periode eines anhaltenden Aufschwungs, des Wachstums und dadurch auch der Lösung der Probleme der Arbeitslosigkeit, der Existenz der Betriebe und der beruflichen Chancen der Jugend überzuleiten.
({5})
Dies ist, meine Damen und Herren, auch bezeichnend für die heutige Rede des Bundeswirtschaftsministers. Wir haben eine sehr ausführliche, fachlich in manchem interessante Detailerörterung von Fragen der nationalen und internationalen Konjunktursituation gehört, nach meiner Auffassung zu wenig zu den Strukturfragen, um die es jetzt geht. Es wurde ein vorsichtiger Optimismus gezeigt; es wurden einige Bemerkungen gegen die Schwarzmalerei, dann aber auch ganz erhebliche Einschränkungen gemacht. Der Bundeswirtschaftsminister hat in bestimmten Passagen seiner Rede selbst Zweifel daran geäußert, ob der Aufschwung schon als gesichert angesehen werden kann. Zuvor hatte er gegen die Schwarzmalerei gesprochen und optimistischere Töne angestimmt. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich habe bei der Lektüre Ihrer Rede den Eindruck gehabt, daß sie so angelegt ist, daß Sie später - je nach Verlauf dieses Jahres - für jede denkbare Entwicklung eine bestimmte Passage als Beleg anführen können.
({6})
Es ist sozusagen eine Rede mit zwei oder drei Netzen gewesen.
Aber vieles, was an Grundsätzen auch wichtig war, was an etwas deutlicher pointierten Bemerkungen in einem sonst sehr abstrakten Beitrag zu hören war, hat zugleich auch die inneren Probleme dieser Koalition sichtbar gemacht. Wenn Sie es noch einmal für richtig hielten, sich gegen wie auch immer geartete Formen der Investitionskontrolle - auch mit sektoralen Branchenplänen oder -prognosen - zu wenden, so weiß doch jeder, daß dies nicht ah die Adresse der CDU/CSU, sondern an die Adresse eines Teils Ihrer eigenen Koalitionsfreunde geht.
({7})
Wir begrüßen es natürlich, daß Sie hier in bestimmten Passagen noch einmal eine Art Grundkurs für Marktwirtschaft vorgetragen haben. Die konkreten politischen Folgerungen fehlten aber. Herr Bundeswirtschaftsminister, es ist für die interessierteren Abgeordneten dieses Hauses und die interessierteren Mitbürger wirklich sehr aufschlußreich, diese Rede anläßlich der Einbringung des Jahreswirtschaftsberichts 1976, ein Dokument der Bundesregierung, mit Ihrer Rede vom Sommer vergangenen Jahres vor dem Bundesparteivorstand der FDP über die mittelfristigen Notwendigkeiten einer anderen, einer besseren Wirtschafts-, Steuer- und Gesellschaftspolitik zu vergleichen. Diese Reden kann man Punkt für Punkt vergleichen. Man kann feststellen, daß Sie, wie ich glaube, zwar durchaus zutreffende Vorstellungen und Einsichten in vielen Punkten entwickeln, daß Sie aber nicht in der Lage sind, sie in ein amtliches Dokument der Bundes15784
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
regierung zur Wirtschafts-, Steuer- und Gesellschaftspolitik einzubringen.
({8})
Dies ist das Problem Ihrer Partei und Ihrer Position.
Wir können - lassen Sie mich dies zusammenfassend noch sagen, bevor ich auf Zukunftsprobleme zu sprechen komme - die Entwicklungslinien der veränderten Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik der letzten sieben Jahre und die Bilanz heute besser beurteilen als in den ersten Auseinandersetzungen nach dem sogenannten Machtwechsel im Jahre 1969. Es findet sich ja auch in amtlichen Veröffentlichen der Bundesregierung, in Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes und der wirtschaftswissenschaftlichen Institute eine Fülle von unbestreitbaren Daten. Herr Ehrenberg hat festgestellt, das Statistische Bundesamt stünde nicht im Verdacht, die Geschäfte der SPD zu besorgen. Ich gebe Herrn Ehrenberg recht. Das Statistische Bundesamt ist eine der wichtigsten Bundesbehörden, in denen erfreulicherweise bis heute noch eine überparteiliche, sachbezogene Personalpolitik betrieben wird. Wenn das in allen Behörden so wäre, wäre die Bundesregierung in ihren Auskünften in wichtigen Bereichen leistungsfähiger und zuverlässiger, als das heute der Fall ist.
({9})
Diese amtlichen Daten der Bundesregierung, aber
auch der wirtschaftswissenschaftlichen Institute
ich komme nachher noch auf ein Beispiel in diesem Zusammenhang zurück - machen nämlich deutlich, daß die ernsten Spannungen und Belastungen der Gegenwart nicht erst und nicht allein durch die sogenannte Ölkrise im Herbst 1973 mit ihren unbestreitbar negativen Folgen für die Weltwirtschaft verursacht wurden. Die Weichen sind in der nationalen Politik bereits vorher falsch gestellt worden.
Wenn man die Zahlen aus den Jahren 1969 und 1970 mit denen des Jahres 1976 vergleicht, stellt man folgendes fest. Eine massive Erhöhung der Staatsausgaben vor allem im konsumtiven Bereich und auch bei den Subventionen - Herr Friderichs, was Sie jetzt zum Thema der Erhaltungs- und Erneuerungssubventionen gesagt haben, ist zum Teil genau das Gegenteil dessen, was sich aus der statistischen Bilanz der Regierungspolitik der letzten sechs, sieben Jahre ablesen läßt - ging mit einem ständigen Absinken der Anteile der öffentlichen Investitionen an den Gesamthaushalten Hand in Hand. Die Zahlen sind hier genannt; ich brauche sie nicht zu wiederholen. Das sprunghafte Ansteigen der Staatsquote steht der bedrückenden Tatsache gegenüber, daß die Investitionen der öffentlichen Hand real nicht angestiegen sind und in ihrem Anteil am Haushalt von Jahr zu Jahr rückläufig sind, und zwar auch in der fortgeschriebenen Finanzplanung des Bundes und der Länder bis 1979.
({10})
Meine Damen und Herren, parallel dazu - das ist nun der wirklich beunruhigende Tatbestand - stagnierten die realen Investitionen der Wirtschaft be reits in der Hochkonjunktur, um dann ab Mitte 1973 - auch schon vor der Ölversorgungskrise erkennbar - deutlich abzufallen; denn die unterlassenen Investitionen des Winters 1973/74 beruhen doch nicht auf Entscheidungen vom November nach der Verteuerung des Öls, sondern auf Entscheidungen, die in der Hochkonjunktur 1972 und 1973 getroffen wurden.
({11})
Nun muß man fragen, warum das denn eigentlich so ist. Was hat sich in dieser bedrohlichen Tendenzwende verändert? Bei den Anlageinvestitionen der Unternehmen betrug die Zuwachsrate 1970 - sie beruhte noch auf Entscheidungen, die im Jahre 1969 getroffen wurden - 11,8 %; 1973 waren es noch 0,7 %.
({12})
1974 war ein Minus von 11,2 % und 1975 erneut ein Minus von 6,2 % zu verzeichnen. Hier, sehr geehrter Herr Ehrenberg, wenn ich einmal einen Augenblick Ihre geschätzte Aufmerksamkeit erbitten dürfte, werden natürlich auch die internationalen Vergleichszahlen wirklich ein Stück kritischer als das, was man manchmal selektiv in die deutsche Diskussion einführt, wenn man so schöne Sätze prägt, wie es Herr Bundesminister Vogel in Vilshofen tat, daß nämlich alle Welt in Ost und West, alle Menschen uns nur noch wegen unserer hervorragenden Lage beneideten.
({13})
- So ist es ganz sicher nicht. Die Leute in unseren Nachbarländern, die weniger Arbeitslosigkeit haben, beneiden uns auf diesem Sektor überhaupt nicht. Die Leute, die weniger Wachstumsverluste haben, beneiden uns auch nicht.
Ich möchte zum Thema der ernsthafteren internationalen Vergleichsdiskussion hier einen sehr kritischen Punkt anführen: das Thema Investitionen, Tendenzwende schon 1933. Im Fünfjahreszeitraum 1971 bis 1975 weist die Bundesrepublik Deutschland mit einer jahresdurchschnittlichen Veränderungsrate von minus 1,2 % bei den Bruttoanlageinvestitionen neben den Niederlanden mit minus 0,9 % das ungünstigste Ergebnis von acht führenden Industrieländern in der Frage der Entwicklung der Investitionen aus. Japan mit plus 4,9 % und Frankreich mit plus 4,1 % liegen an der Spitze. Ich bin ganz sicher, daß es hier in der Beurteilung der zentralen Rolle der Bruttoanlageinvestitionen in einem marktwirtschaftlichen System für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft von morgen als Hochkostenland, für die Sicherheit der Arbeitsplätze und die beruflichen Chancen der Jugend jedenfalls - ich möchte es einmal so sagen - in der großen Mehrheit dieses Hauses über Fraktionsgrenzen hinweg auch mit der Bundesregierung keine Meinungsverschiedenheit gibt. Dies müssen Sie eben auch, verehrter Herr Ehrenberg, nicht nur im stillen Kämmerlein - da tun Sie es ja -, sondern auch in einer ehrlichen öffentlichen Debatte im Wahljahr mit in die Bilanz der Politik der letzten sechs, sieben Jahre einbeziehen,
({14})
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
an Stelle hier noch durch Zwischenrufe die Vilshofener Reden des Bundesministers Vogel zu unterstreichen. So kann man es in der Tat nicht machen.
({15})
- Nein, das ist nicht das Problem des Vorlaufs. Das trifft einfach nicht zu; denn wir haben in den letzten Jahren, auch in der Zeit der Rezession, einen ganz besonders starken Einbruch gehabt. Wir werden auch 1975 nach meiner Einschätzung nicht viel besser dastehen. Es besteht die Gefahr - ich komme noch darauf -, daß das auch in Zukunft nicht viel besser wird.
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- Nein, ihr habt niemanden gehindert, aber ihr habt es ihnen erschwert. Das ist der Punkt.
({17})
Ihr habt es durch die Art eurer Steuerpolitik und teilweise auch der Gesellschaftspolitik erschwert.
({18})
- Aber Sie können doch einen Trend der Politik in Steuern, Gesellschaft und Ökonomie, der über Jahre hinweg andauert, nicht z. B. durch eine Investitionsprämie von sieben Monaten, eine Investitionszulage, ausschalten. Aber ich möchte vorschlagen, daß wir nachher noch ein bißchen darüber sprechen.
Hier ist die elementare Aufgabe der Zukunftssicherung weitgehend und schon früh durch falsche Gewichtungen vernachlässigt worden. Selbstverständlich hat man durch kurzfristig wirksame Steigerungen von Konsumleistungen und Sozialleistungen - viele Gesetze sind hier nach Auseinandersetzungen auch einmütig verabschiedet worden - das Lebensniveau vieler Menschen anheben können. Viele dieser Einzelentscheidungen sind auch rückblickend begründet. Darum geht es gar nicht. Es geht aber darum, daß hierdurch eine falsche Gewichtung in der Verteilung der Ressourcen im Gesamtergebnis enstanden ist, die uns noch auf Jahre hinaus belasten wird. Gerade die viel zitierten verschlechterten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Gefolge der Ölkrise hätten die Bundesregierung, sehr geehrter Herr Ehrenberg, zu einem veränderten Kurs veranlassen müssen, mehr Investitionen für die Zukunft zu ermöglichen, anstatt durch immer neue steuer- und gesellschaftspolitische Entscheidungen die Dynamik der Wirtschaft zu bremsen, mit Lasten und Reglementierungen einzuengen.
Im übrigen gibt es Einzeläußerungen von Regierungsmitgliedern, die diesen Kausalzusammenhang ansprechen. Jenseits der deutschen Grenze im benachbarten Dänemark hat der Bundeskanzler schon im August 1975 zu allen diesen Fragen schlicht und ergreifend gesagt: Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt. Das scheint mir eine viel exaktere Beschreibung wesentlicher Ursachen dieser Fehlentwicklung zu sein als die langen und immer wiederholten Versuche, ausschließlich oder überwiegend die externen Faktoren zur Begründung heranzuziehen.
({19})
Jawohl, wir sehen diese externen Gründe durchaus. Sie sind richtig zu gewichten, und dies ist ein jährlich wiederkommendes Thema unserer Aussprachen und Diskussionen. Vieles, was im Jahreswirtschaftsbericht zu den Bemühungen der Bundesregierung steht, im Bereich der internationalen Organisationen in der komplizierten Fülle, in der doch wichtige handels- und währungspolitische Entscheidungen getroffen werden, Verbesserungen zu erreichen, vieles davon, nicht alles, kann auch durchaus im einzelnen unsere Unterstützung finden. Dazu wird im Verlauf dieser Debatte sicher noch zu sprechen sein.
Ich muß aber zu diesem Wechselspiel, in dem man je nach der Lage im eigenen Land von internationalen und nationalen Faktoren spricht, eines sagen: Wenn wirklich ein Aufschwung kommen sollte, wird nicht mehr von den USA, der UNCTAD und dem GATT als Motor des Aufschwungs gesprochen, sondern von dieser Bundesregierung und der SPD, wie Sie das schon einmal versucht haben, meine Damen und Herren.
({20})
Es ist aber nicht möglich, die Schwierigkeiten und Fehlentwicklungen immer nur oder überwiegend auf das Ausland zu schieben und dann den erhofften Aufschwung als eigene Leistung darzustellen.
Ich muß hier auch einmal etwas zur verfassungspolitischen Seite sagen, verehrter Herr Ehrenberg: Nachprüfbare politische Verantwortung im Sinne einer parlamentarischen Demokratie gibt es zunächst einmal nur im eigenen Lande. Die Bürger dieses Landes - ich sage das, weil meine Vorredner hier auch schon ein bißchen vom Wahlkampf und von der Wahl gesprochen haben - stimmen am 3. Oktober nicht über den Verwaltungsrat des GATT oder den Aufsichtsrat der UNCTAD oder den Beirat des Internationalen Währungsfonds ab, sondern für den Teil Wirtschafts- und Finanzpolitik über die Bundesregierung und die Mehrheit des Bundestages der Bundesrepublik Deutschland.
({21})
Da müssen Sie uns schon konzedieren, daß wir dieses Thema der Fehler, Versäumnisse, der Leistungen, Errungenschaften unter dem Gesichtspunkt der verfassungsmäßigen Verantwortung derer diskutieren, an die wir uns in der politischen Auseinandersetzung und auch in der Wahlentscheidung zu halten haben.
({22})
- Das werden wir ja sehen. Daß Sie das tun werden, verehrter Herr Ehrenberg, steht für mich außer Zweifel.
({23})
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg Das würde ich schon glauben.
({24})
Ich will das nicht weiter vertiefen. Ich sehe schon, Herr Ehrenberg brennt darauf, den Wahlkampf zu führen. Ich lade Sie ein, mich in der nächsten Woche nach Baden-Württemberg zu begleiten. Da gibt es zur Zeit viele Möglichkeiten.
({25})
Die weltwirtschaftliche Position der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet natürlich auch uns, aus eigener Kraft einen Beitrag zur Förderung der Stabilität und des Wachstums in der Europäischen Gemeinschaft und in den Beziehungen zu anderen zu leisten.
Ich sagte es schon, der Jahreswirtschaftsbericht beschreibt Probleme, wirft Fragen auf, verweigert aber fast überall die erforderlichen politischen Antworten. Ich sagte das auch schon bei dem Vergleich des weitgehenden Forderungskatalogs auch des Bundeswirtschaftsministers aus dem vergangenen Jahr mit dem Ergebnis.
In der Steuerpolitik hat sich die Bundesregierung, hat sich die Koalition nach langen Auseinandersetzungen für die Einführung des begrenzten Verlustrücktrages ab 1. Januar 1976 entschieden. Zur selben Zeit erhöhte sie die Beiträge der Unternehmer und der Arbeitnehmer zur Arbeitslosenversicherung um ein Vielfaches deser bescheidenen Entlastungsmaßnahme. Das Schicksal der Körperschaftsteuerreform erscheint mir trotz der ermutigenden Worte des Bundeswirtschaftsministers immer noch etwas ungewiß. Es wäre ein wesentlicher Beitrag zur Klärung, wenn nicht immer nur Herr Friderichs oder gelegentlich Herr Alex Möller, sondern auch einmal Herr Herbert Wehner und Herr Offergeld hier klarstellten, daß diese Reform noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden soll. Dazu gibt es immer noch ganz verschiedene Versionen aus der Sozialdemokratischen Partei. Aber, meine Damen und Herren, was auch immer kommt: ich glaube nicht, daß die steuerpolitischen Voraussetzungen für eine grundlegende Belebung gegeben sind.
Das Bekenntnis des Bundeswirtschaftsministers zu verstärkten Maßnahmen zur Vermögensbildung
- Graf Lambsdorff hat das sehr stark unterstrichen
- hat kaum sichtbare Folgen, weil diese Koalition nach dem Scheitern ihres äußerst problematischen Konzepts der dezentralen Fonds durch Gewinnabgaben auch hier nicht in der Lage ist, sich auf eine neue Formel zu einigen. Die Erklärung in einem amtlichen Dokument, sehr geehrter Herr Friderichs, betriebliche Vereinbarungen über Vermögensbildung würden auf eine zukünftige Regelung angerechnet, deren inhaltliche Ausgestaltung noch keiner kennt, ist doch nichts anderes als Ausdruck der Verlegenheit, sich in einer so wichtigen Frage nun endlich auf ein tragfähiges Konzept zu einigen.
({26})
Diese Probleme gelten auch für andere Bereiche. Sie machen sichtbar, daß der Vorrat an Gemeinsamkeit - um eine in den letzten Tagen häufig zitierte Formel aufzunehmen - offenbar auch in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik schwindet.
({27})
- Nein, es wird erkennbar, daß das so ist, verehrter Graf Lambsdorff.
({28})
Es wird wirklich erkennbar, nicht nur für uns. Wenn Sie laut Bericht der „Kieler Nachrichten" in einer Diskussion in Kiel - ich muß mich hier auf die Zeitung beziehen -, in der Ihnen viele mittelständische Unternehmer, Angestellte und Arbeitnehmer gesagt haben, daß in der Steuerpolitik im Hinblick auf den Mittelstand nun wirklich etwas geschehen müsse, zum Schluß erklärt haben, das sei unter den gegebenen politischen Bedingungen nicht machbar, dann weiß doch jeder, daß Sie sich mit der Koalition darauf nicht einigen können - ein Stück Gemeinsamkeit weniger.
({29})
Wir sehen auch, daß es insbesondere in der Sozialdemokratie als führender Regierungspartei unveränderte Gegensätze in ordnungspolitischen Fragen gibt, die auch durch den sogenannten Orientierungsrahmen nicht überdeckt werden können. Wen haben Sie eigentlich gemeint, verehrter Herr Friderichs, wenn Sie auf Seite 56 sagen, Voraussetzung für die Rückgewinnung der Vollbeschäftigung sei aber, daß mit der falschen These aufgeräumt wird, was den Unternehmen nütze, schade den Arbeitnehmern? Wer war damit gemeint? Sorgen Sie dafür, daß Ihre hessischen Kollegen im Kabinett endlich einmal klare Rahmenrichtlinien für den Unterricht auf diesem Gebiet erlassen. Diese Klärung wäre ein Stück Bildungspolitik.
({30})
Aber hier geht es nicht nur um hessische Koalitionsbeschlüsse oder hessische Pädagogen, sondern hier geht es auch um manche Politiker. Ich kann mir schon denken, an wen Sie dabei gedacht haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit Sorge verfolgen wir auch, daß jetzt zwischen den Sozialpartnern nach ihren öffentlichen Bekundungen in Grundfragen der künftigen Wirtschaftspolitik die Auffassungsunterschiede zunehmen. Die für die Konzertierte Aktion von ihnen entworfenen Positionspapiere zeigen dies ebenso deutlich wie ein Vergleich der letzten Veröffentlichungen der jeweiligen wirtschaftswissenschaftlichen Institute.
Es ist aufschlußreich, noch einmal an die Situation 1967 zu erinnern, an eine Krise mit wesentlich geringeren Belastungen und nicht so beunruhigenden Zahlen wie heute. Damals war es in einem Kabinett Kiesinger unter einem Wirtschaftsminister Schiller möglich, einen Beschluß der Konzertierten Aktion zu erreichen, in dem es hieß, daß sich die Sozialpartner verpflichten, die gemeinsam mit der Bundesregierung angestrebten mittelfristigen Ziele zur Überwindung der Krise, zur Herstellung der VollMinisterpräsident Dr. Stoltenberg
beschäftigung, zur Ingangsetzung der Wirtschaft durch ihr autonomes Verhalten im einzelnen zu unterstützen. Einen solchen Beschluß, sehr geehrter Herr Friderichs, haben Sie leider in dieser Konzertierten Aktion niemals, auch nicht auf dem Höhepunkt der Krise, erreichen können. Hier ist ein Stück Veränderung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit sichtbar, aber vielleicht auch die Tatsache, daß die damalige Bundesregierung klarere Zielvorstellungen bei der Vorlage ihrer Orientierungs- und Rahmendaten für die großen sozialen Gruppen in diesem Lande hatte.
({31})
Es wäre in der Tat ein schwerer Fehler, in dieser labilen Übergangslage bereits heute auf die selbstheilenden Kräfte eines neuen Aufschwungs zu setzen. Die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Aktivität, für dauerhaftes Wachstum, für Vollbeschäftigung müssen neu gestaltet werden; denn wir können in der Tat nicht erwarten, daß die. große Aufgabe einer wirklichen Tendenzwende, z. B. bei den Investitionen, z. B. bei dem Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit, genau unter jenen steuerund gesellschaftsrechtlichen Regelungen erreicht wird, die mit zur Talfahrt der vergangenen Jahre beigetragen haben. Das wäre ein politischer und logischer Widerspruch in sich.
({32})
Ich will im letzten Teil meiner Rede noch einmal einige Folgerungen für die wichtigsten Bereiche ziehen. Noch einmal zur Frage der Investitionen: Es muß Sie - Sprecher der Koalition und der Regierung - sehr nachdenklich stimmen, daß nach den letzten Prognosen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute auch für 1976 die Tendenzwende bei den Investitionen nicht erkennbar ist. Der im Oktober 1975 veröffentlichte Ifo-Investitionstest sagt, daß die Industrieinvestitionen im Jahr 1975 nochmals real um 5 % - nach einem Rückgang von bereits 8 % im Vorjahr - auf ein sehr niedriges Niveau sinken; sonst wären die Zahlen im Abschwung noch größer. Und er fügt dann hinzu - und das ist auch im Lichte eines unterschiedlich dosierten Optimismus, Herr Wirtschaftsminister, die eigentlich beunruhigende Zahl -: Nach den Investitionsplänen für 1976 dürfte sich der Investitionsrückgang in der Industrie noch einmal auf real 4 % belaufen, in dem Bereich der verarbeitenden Industrie sogar um 6 %.
Das ist im Licht anderer Unterlagen, Schätzungen und Zielvorstellungen Ihres Hauses, wie ich sehr wohl weiß, natürlich eine Zahl, die Ihnen etwas mehr Sorge bereitet, als das in Ihrer Rede sichtbar wurde.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({33}) : Bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, geben Sie zu, daß der Anstieg der Auftragseingänge in der Investitionsgüterindustrie um mehr als 15 % im Dezember 1975 eine zuverlässigere Aussage ist als der Ifo-Investitionstest vom Oktober 1975?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({0}) : Das kann ich nicht zugeben, weil ich angesichts des Verhaltens von Privatbetrieben und auch Staatsbetrieben glaube, daß sich Investitionsentscheidungen von erheblicher Bedeutung kaum im Verlauf von zwei Monaten grundlegend ändern.
({1})
Die wesentlichen Investitionsentscheidungen für das Jahr 1976 sind im Jahr 1975 gefallen. Das ist eine Prognose, die mit der Unsicherheit jeder Prognose behaftet ist. Aber sie kann nicht durch eine Monatszahl vom Dezember 1975 widerlegt werden. Dann müssen wir auch einmal die Bezugszahl untersuchen, verehrter Herr Ehrenberg: Auf welche Basiszahl bezieht sich das, und wie war das damals 1975? Oder müssen wir nach Exportanteilen aufgliedern? Sie wissen selbst ganz genau, daß das alles etwas komplizierter ist.
Ich zitiere nur eine Prognose, aber eine sehr ernst zu nehmende Prognose. Sie ist so beunruhigend, weil nach den Modellberechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums die Bruttoanlageinvestitionen der gewerblichen Wirtschaft pro Jahr um knapp 8 % steigen müßten, um die für eine nachhaltige Reduzierung der Arbeitslosigkeit mittelfristig erforderlichen Arbeitsplätze zu schaffen. Diese Studien des Bundeswirtschaftsministers - zum Teil in der Wirtschaftspresse auszugsweise erschienen, in der Konzertierten Aktion vorgelegt - unterstreichen diesen Sachverhalt ungleich eindringlicher und mit der Dramatik dieser spröden Zahlen.
Das wird unterstrichen durch das, was die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute erklärt haben: die unbedingte Notwendigkeit einer nachhaltigen Kräftigung der Investitionsneigung und ihrer Ermutigung. Auch der Sachverständigenrat hat ja in seinem Sondergutachten vom August 1975 darauf hingewiesen, daß die Investitionen nicht nur einen Monat oder ein Jahr lang, sondern mittelfristig einen wesentlich größeren Anteil am Sozialprodukt erreichen müssen.
Ich will das nicht im einzelnen vertiefen. Es genügt nicht, sehr geehrter Herr Minister, daß wir uns in den Überschriften einig sind. Sie müssen sich nach der Politik fragen lassen, mit der Sie die Tendenzwende erreichen wollen, nachdem die bisherige Politik bereits in der Hochkonjunktur - und nicht erst nach der Ölkrise - zu einem Absinken der Investitionen geführt hat.
({2})
Diese guten Überschriften und die nicht so gute Politik werden ja auch sichtbar an Ihren Passagen über Forschung und Technik. Das ist ein Schlüsselproblem der Innovation; denn zu dem Absinken der Investitionen gehört ja auch die Tatsache, daß unser Produktionsapparat zunehmend veraltet. Nach den Veröffentlichungen des Berliner Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts waren 1960 30 % des industriel.
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
len Anlagevermögens elf Jahre und mehr alt, und jetzt werden es 50 %. Natürlich ist hier ein Stück Innovation versäumt worden, das Sie programmatisch fordern, das Sie aber durch bestimmte steuerpolitische Entscheidungen der vergangenen Jahre - Schlechterstellung von Forschung und Technik in den Betrieben - genau im Gegenteil eingeschränkt haben. Dieser Widerspruch kommt wie ein roter Faden immer wieder.
Deshalb fordern wir - ich will dem Gesagten nicht viel hinzufügen - sofortige wirksame steuerliche Erleichterungen insbesondere für Klein- und Mittelbetriebe - der Katalog ist bekannt; Herr Müller-Hermann hat ihn genannt - degressive Abschreibung, Senkung der Vermögensteuer als die beiden ersten Punkte, und eingepaßt in die finanzpolitische Landschaft weitere.
Natürlich gibt es ein Spannungsverhältnis zur fiskalpolitischen Diskussion. Das ist uns sehr wohl bekannt, auch aus der eigenen Erfahrung und Verantwortung. Aber, meine Damen und Herren, wie anders als durch eine Initialzündung zur Stärkung der Eigenkapitalkraft und der Investitionskraft können wir denn wieder Wachstum erreichen?
({3})
Daß 1 % Wachstum mehr für die öffentlichen Hände bereits 2 Milliarden DM, wenn wir die indirekten Wirkungen auf die Sozialversicherung hinzunehmen, sogar 3 Milliarden DM mehr bedeutet, ohne ständig an den Steuersätzen herumzumanipulieren, ist auch eine Tatsache der Fiskalpolitik, der Finanzprognose und der zu erwartenden Mittel.
Hier muß man auch mit allem Nachdruck sagen, daß bestimmte Elemente der Steuer- und Abgabengesetzgebung der letzten Jahre auch zu einer Belastung für die stabilitätsgerechte Tarifpolitik geworden sind. Die stabilitätsgerechte Tarifpolitik ist natürlich ein Kernthema nicht nur dieses Jahres, sondern auch der nächsten Jahre, wenn wir den Investitionsanteil erhöhen wollen. Aber die Wirkungen der Gesetzgebung, insbesondere der letzten Jahre, sind hier außerordentlich beunruhigend. Wir alle - oder: fast alle von uns - haben die Berechnungen des Bundes der Steuerbeamten, der Gewerkschaft der Steuerbeamten, über die reale Entwicklung eines Arbeitnehmereinkommens gelesen, eine Tariferhöhung von 5,5 % in diesem Jahr vorausgesetzt. Das ist mehr als das, was die öffentlichen Arbeitgeber - hier durchaus einvernehmlich in der Frage der Ausgangspunkte für die Tarifverhandlungen - den Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes anbieten. Trotz des getrübten Verhältnisses des Bundesfinanzministers zu dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Steuerbeamten - es soll zur Zeit wieder besser sein; es freut mich, Herr Apel - hoffe ich, daß jedenfalls die fachliche Berechnung hier nicht strittig ist. Denn das sind ja Leute, die dieses Handwerk gelernt haben - besser als wir Politiker.
Die Steuerbeamten kommen eben zu dem Ergebnis, daß eine 5,5%ige Gehaltserhöhung für einen ledigen Arbeitnehmer mit 1 350 DM brutto dazu führt, daß er davon noch 2,05 % Zuwachs behält,
der größere Teil in die höhere Steuerlast und in die höhere Sozialversicherungsabgabe fließt. Das bedeutet bei einer Inflationsrate - seien wir einmal vorsichtig - von 5 % bis 5,5 % ein Absinken seines Realeinkommens um 3 %, so daß von einer Sicherung der Realeinkommen überhaupt nicht die Rede sein kann.
({4})
Ich möchte das hier auch einmal ganz offen den sozialdemokratischen Abgeordneten sagen, auch soweit sie Verantwortung in den Gewerkschaften tragen: Wenn Sie draußen in Verbindung mit solchen Tarifverhandlungen und -abschlüssen noch von einer Sicherung der Realeinkommen reden, dann irren Sie sich. Ich unterstelle das, weil ich das zweite, was noch denkbar ist, nämlich daß Sie andere in die Irre führen, nicht annehmen will. Aber das ist eine Wirkung dieser Steuer- und Abgabenpolitik der letzten Jahre auch für die Arbeitnehmer: daß wir zu einem deutlichen Minus bei den Realeinkommen kommen.
Hier gibt es überhaupt kein Patentrezept - um das ganz klar zu sagen -, das die Auswirkungen dieser Fehlentwicklungen vergangener Jahre ändert. Nur, verehrter Herr Friderichs - Sie lächeln -, dann sollte man das auch sagen. Sagen Sie das einmal Ihrem Bundeskanzler, der draußen im Lande etwas ganz anderes über die Wirkung solcher Tarifabschlüsse behauptet. Wenn Sie es wissen, dann wäre es auch gut, wenn der Bundeskanzler das sagte
({5})
und wenn man das auch den Menschen als Realität sagte, die wir nicht von heute auf morgen ändern können, die man aber in den nächsten Jahren ändern muß; denn das sind die Früchte einer bestimmten Politik, über die wir uns hier auseinandersetzen.
Wenn wir das weitere Ansteigen der hohen Abgaben- und Steuerquote gerade auch für die Arbeitnehmer verhindern wollen - es ist doch zum Teil für ein, zwei Jahre vorprogrammiert, jedenfalls in der Lage der Krankenversicherung, weil seit Jahren verschleppte Entscheidungen, die Sie nicht getroffen haben, die eine neue Regierung treffen muß, erst mittelfristig greifen können - und wenn wir auf diesem Gebiet zu einer Tendenzwende kommen wollen, so geht das nur durch eine Neubestimmung und auch eine Begrenzung der Aufgaben des Staates.
Es muß auch in diesem Wahljahr möglich sein, über weitere Einsparungen - auch beim Bund - zur Entlastung der Steuerzahler und zum Abbau der Defizite offen zu reden, ohne daß man sich gegenseitig die Wurfkeule des Wortes von der sozialen Demontage an den Kopf wirft.
({6})
- Ja, verehrter Herr Engholm, das muß möglich sein. Das Wort ist eine Erfindung Ihres früheren Bundeskanzlers Brandt, um das deutlich zu machen, und andere haben es aufgenommen, um es dann auf bestimmte Maßnahmen, auch der Bundesregierung, zu beziehen. Darum geht es nach meiner Überzeugung, daß es möglich sein muß, offen die MöglichMinisterpräsident Dr. Stoltenberg
keit weiterer Einsparungen zu diskutieren, die unausweichlich, nachdem nur der kleinste Teil im vergangenen Herbst getan wurde, auch auf eine neue Bundesregierung, einen neuen Bundestag zukommen.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({7}) : Bitte, Graf Lambsdorff.
Herr Ministerpräsident, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich mehrfach für die Fraktion der FPD solche Vorschläge hier in die Debatte eingeführt habe, daß ich mich mehrfach für die Fraktion der FDP gegen die Benutzung des Wortes „soziale Demontage" in der Auseinandersetzung gewandt habe, daß aber der Generalsekretär der CDU das Wort „soziale Demontage" im Ruhrgebiet ständig im Munde führt?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({0}): Gut, dieses Wort „soziale Demontage" ist in die Debatte eingeführt - ich erinnere mich sehr gut_ daran, weil ich solche Vorschläge gemacht hatte und einer der Betroffenen war - durch den jetzigen Bundesvorsitzenden der SPD und früheren Bundeskanzler Brandt. Es gehört zu diesem Bild, daß eine Rede wie die des Abgeordneten Richard von Weizsäcker Anfang vergangenen Jahres über den Haushalt, über Strukturprobleme, die Begrenzung der Belastung des Staates und der Bürger und über die Eigenverantwortung, die hier großen Respekt auch von den Sprechern der SPD und FDP gefunden hat, dann vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen in einer geradezu unverantwortlichen Weise benutzt wurde,
({1})
um uns zu bezichtigen, den kleinen Leuten das Geld und die soziale Sicherheit wegnehmen zu wollen. Sehr geehrter Graf Lambsdorff, da hat es ein paar Reaktionen gegeben.
({2})
- Das bestreite ich gar nicht. Ich kann Ihnen auch einmal zeigen, was Bundestagsabgeordnete der FDP
- wenn wir schon beim Aufrechnen sind - mir vor meiner Landtagswahl in meinem Wahlkreis vorgehalten haben, weil ich bestimmten kostenwirksamen Sozialgesetzen im Bundesrat nicht zugestimmt habe. Das will ich Ihnen gern noch einmal schicken.
Lassen wir die Vergangenheit hier beiseite und schauen wir ein Stück in die Zukunft, weil diese Probleme weiterer Einsparungen sich unabweislich für jede neue Regierung und jede neue Koalition stellen werden. Da muß ein Spielraum für eine Debatte auch vor einer Wahl offenbleiben - nicht im bloßen Konsensus, sondern im sachlichen Für und Wider der Maßnahmen.
Dazu gehört natürlich auch die Offenlegung der Bücher über die erschütterten Grundlagen der Sozialversicherung. Ich muß das ganz offen sagen: Der Weg der Bundesregierung, Herr Arendt, 16 Alternativrechnungen vorzulegen, hat bei den Rentnern nach meinen Feststellungen nicht das Vertrauen in die finanziellen Grundlagen vergrößert, sondern eher geschwächt. Es wäre, glaube ich, besser, wenn Sie sich zu einer wirklich offenen Darstellung der Probleme entschlossen hätten und auf der Basis einer Prognose, die nach Auffassung der Bundesregierung die größte Wahrscheinlichkeit hat - wenn Sie schon jetzt keine Lösungsvorschläge machen - argumentiert hätten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß dieses ein zentraler Punkt ist. Ich sehe auch die Spannungsverhältnisse
({3})
- wenn Sie mir noch fünf oder sieben Minuten gestatten Stärkung der Betriebe, die Notwendigkeit größerer Eigenkapitalbildung, die Notwendigkeit steuerlicher Entlastung auf der einen Seite und dann die Forderung nach stabilitätsgerechter Lohnpolitik mit diesen Wirkungen für die Arbeitnehmer auf der anderen Seite. Das ist ein schweres Spannungsverhältnis für die nächsten Jahre. Auch deswegen brauchen wir das Verbindungsglied einer aktiven Politik der Vermögensbildung, um steigende Arbeitnehmereinkommen in der Form der Vermögensbildung zugleich für die Verbesserung der Eigenkapitalausstattung und der Investitionskraft der Betriebe zu mobilisieren.
Natürlich hat Eigentumsbildung zunächst einmal einen sozialethischen und gesellschaftspolitischen Rang in sich für uns, aber eine aktivere Politik der Vermögensbildung ist jetzt aus diesen Gründen auch wirtschaftspolitisch noch nötiger als in den sechziger und in den beginnenden siebziger Jahren.
({4})
Deshalb kann ich nur - ich sage das nur mit einem Satz; die Debatte wird darauf noch kommen - den dringenden Appell an die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen richten, auf der Grundlage des Antrages der Union - wenn es Ihnen richtig scheint, auch mit alternativen Vorstellungen im einzelnen - eine gesetzgeberische Entscheidung zu treffen und nicht auch dies noch einem neuen Bundestag als unerledigt zu übertragen.
Meine Damen und Herren, fundamentale Widersprüche sehen wir freilich auch in anderen Bereichen der Regierungspolitik. Ich muß jedoch noch einige Sätze dem Thema „regionale Strukturpolitik" widmen.
Rezession und Arbeitslosigkeit treffen die strukturschwachen Gebiete am härtesten. Viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages wissen das aus ihren Wahlkreisen und ihrer Heimat. Es kommt hier verschiedenes zusammen. Die Kostensteigerungen - zum Teil auch durch politische Entscheidungen - wirken hier überdurchschnittlich und schlagen bei schrumpfenden oder stagnierenden Umsätzen doppelt durch auf dem Gebiet der Verkehrswege, auf dem Gebiet der Energiekosten. Natürlich ist für Abgeordnete und Landesregierungen aus den
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
Flächenländern an den Grenzen etwa die vom Bundestag beschlossene Erhöhung des sogenannten Strompfennigs eine höchst problematische Maßnahme, die wir auch in manchem spüren werden.
Ich frage mich, sehr geehrter Herr Friderichs: Wenn Sie schon - was ich verstehe - etwas mehr für die Kohle
({5})
- entschulden Sie, ich darf das doch hier in der Debatte einführen - tun wollten und eine Belastung der Energieverbraucher aus den Gründen, die ich kenne und auch nachvollziehen kann, vorsahen, ist es denn nötig, diese Mehrbelastung prozentual auf den jetzt schon in den Randgebieten überhöhten Energiepreis aufzuschlagen?
({6})
- Auch die Tatsache, daß die CDU/CSU-Fraktion dies überwiegend mitbeschlossen hat, hindert mich nicht, in meinem freiheitlichen Verständnis, an Sie diese Frage zu richten. Das ist doch eine sehr berechtigte Frage.
({7})
Wenn man diesen unangenehmen Weg, der problematisch ist, schon gehen mußte, muß man dann wirklich diejenigen, die schon einen um 20 % überhöhten Energiepreis haben, auch bei dieser Sonderabgabe noch überdurchschnittlich treffen? Das ist, wenn wir einmal Ihre schönen Sätze über Regionalpolitik - wie alles sehr abstrakt in Ihrer Rede - etwas konkretisieren, eine berechtigte Frage.
({8})
Genauso muß ich Sie einmal fragen, sehr geehrter Herr Friderichs - Sie sind da ja mitverantwortlich, federführend ist Herr Ravens -, was das eigentlich von Ihnen, der Bundesregierung, dem Bundesbauminister, dem Bundeswirtschaftsminister und dem Bundesinnenminister mit den Ländern in vier Jahren erarbeitete, im vergangenen Jahr stolz verkündete Raumordnungsprogramm der Bundesregierung noch wert ist, nachdem der Vorstand der Bundesbahn - ja nicht ohne Wissen und auch mit einer diskreten Ermutigung der Bundesregierung im Prinzip - mit seinen Vorschlägen für die Stilllegung von 40 % der Bundesbahnstrecken den tragenden Pfeiler dieses Raumordnungsprogramms - jedenfalls einen tragenden Pfeiler - nun wegschlagen will. Das muß man ja auch einmal fragen.
({9})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({10}) : Bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, wollen Sie mir bestätigen, daß die von Ihnen angesprochenen Differenzen bei den Strompreisen nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun haben, sondern auf anderen Ursachen beruhen, und wollen Sie mir zweitens bestätigen, daß das bei der Ausgleichsabgabe mit Zustimmung der CDU/CSU gewählte Verfahren das einzig praktikable und einfachste System ist?
({0})
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({1}) : Das zweite kann ich Ihnen nicht so pauschal bestätigen. Da müßten wir die Diskussion ausweiten. Es würde eine lange Fachdebatte erfordern. Ich möchte jetzt mit Rücksicht auf die weiteren Wortmeldungen gern bald zum Schluß kommen.
Das erste kann ich Ihnen nicht uneingeschränkt bestätigen. Natürlich spielen politische Entscheidungen dieser und - das sage ich ganz offen -auch früherer Bundesregierungen eine Rolle. Wenn wir in den Küstenländern ein höheres Importkohlekontingent hätten, wie wir es einmal bis in die 60er Jahre hinein hatten, wäre der Strompreis in Norddeutschland ein Stück niedriger. Das ist in diesem Raum doch kein Geheimnis. Deswegen ist eine pauschale Bestätigung zu dem ersten Punkt nicht möglich.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({2}): Ich möchte jetzt eigentlich gern zum Schluß kommen. Aber aus Paritätsgründen möchte ich Herrn Lambsdorff auch einmal zu einer Frage einladen.
Herr Ministerpräsident, zunächst darf ich meinem Erstaunen darüber Ausdruck geben, daß Sie Anhänger von Paritätsüberlegungen sind. Dann darf ich Sie aber fragen: Wollen Sie der Bundesbahn in der Tat das Recht bestreiten, ein an betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten orientiertes Programm vorzulegen, das sie selbstverständlich der politischen Überprüfung durch die Bundesregierung auch unter regionalen Gesichtspunkten unterwirft? Und wollen Sie uns andernfalls sagen, wie es zu der dauerhaften, notwendigen Entlastung des Bundeshaushalts von den Verlusten der Bundesbahn überhaupt kommen könnte?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({0}) : Sie erweitern jetzt etwas das Thema. Aber ich will Ihnen, Graf Lambsdorff, nicht ausweichen, obwohl es nicht der von mir behandelte Punkt war. Worüber ich spreche, will ich gleich noch einmal verdeutlichen.
Ich darf Ihnen zunächst sagen: Niemand kann verkennen, daß im Hinblick auf die katastrophal verschlechterte Lage der Bundesbahn in einem bestimmten Umfang Streckenstillegungen nötig sind. Das will ich Ihnen aus Gründen der Redlichkeit ganz offen sagen.
Zweitens halte ich die Vorstellung der Bundesbahn, Streckenstillegungen in diesem Umfang vorMinisterpräsident Dr. Stoltenberg
zunehmen, in ihren regionalpolitischen Auswirkungen für unvertretbar.
Drittens kann ich aus meiner Kenntnis nicht bestätigen, daß es sich nur um eine unverbindliche Studie des Vorstands der Bundesbahn handelt - ich will das nur einmal klarstellen -, weil ich weiß, daß führende Mitglieder der Bundesregierung, darunter auch der jetzige Bundeskanzler - seinerzeit als Finanzminister -, in Veröffentlichungen schon Vorstellungen entwickelt haben, die den jetzigen Vorschlägen der Bundesbahn sehr nahekommen.
({1})
- Zum Teil gehen sie sogar noch darüber hinaus, wie Herr Carstens hinzufügt.
Viertens ist dies gar nicht der Bezugspunkt meiner Bemerkung gewesen: eine detaillierte Erörterung darüber, in welchem Umfang Streckenstilllegungen erfolgen oder nicht. Der kritische Punkt meines Einwandes ist, daß zur selben Zeit, wo in dem einen Ressort, im Finanz- und Verkehrsministerium, diese Dinge sehr wohl schon lange vorerörtert werden - auch mit dem Vorstand der Bundesbahn -, in dem anderen Ressort mit den Ländern ein Raumordnungskonzept ausgearbeitet wird, das von dem jetzigen Streckenangebot ausgeht. Das ist in diesem Zusammenhang meine kritische Bemerkung an die Bundesregierung gewesen.
Die Frage des Streckenkonzepts wird uns ja bei dem vorgesehenen Termin wie vieles andere Unangenehme abschließend erst nach der Bundestagswahl beschäftigen.
Meine Damen und Herren, die Kostensteigerungen sind überdurchschnittlich. Die Attraktivität der Randgebiete, der strukturschwachen Gebiete ist zum Teil rückläufig, weil jetzt auch Arbeitsmarktreserven in anderen Regionen vorhanden sind. Das ist einer der Gesichtspunkte, die hier zu bedenken sind.
Wieweit man eine Regionalisierung der Strukturpolitik durchführen kann, Herr Bundeswirtschaftsminister, ist eine Frage, über die weiter gesprochen werden muß. Nur: Wenn Sie zu Streckenstillegungen in dem Umfang kommen, wie sie die Bundesbahn vorsieht, bedeutet das eine negative Regionalisierung der Konjunkturpolitik. Das möchte ich Ihnen sehr deutlich sagen. Das bedeutet nämlich, daß Sie da, wo das Streckenangebot erhalten bleibt, in den Verdichtungsräumen, die Bundesbahn weiter mit Milliarden subventionieren und die anderen Bereiche vom öffentlichen Verkehrsangebot praktisch abschneiden.
({2})
Insofern werden wir hierüber noch etwas nachdenken müssen. Das gleiche gilt für die Frage der Entwicklung des Ersatzverkehrs und seiner Förderung durch den Bund.
({3})
- Nein. Es sind doch Streckenstillegungen, meine Damen und Herren, um die es hier geht. Teilweise sollen sie ganz und teilweise für einen wesentlichen Sektor des Verkehrsangebots erfolgen.
Meine Rede ist durch die Zwischenfragen etwas länger geworden. Lassen Sie mich jetzt aber zum Abschluß kommen und noch folgendes sagen.
Eines der Probleme, das uns über den gegenwärtigen Konjunkturzyklus hinaus in Deutschland beschäftigen wird, große Spannungen verursacht und eine ernste politische Herausforderung an uns alle ist, ist das Thema der verschlechterten beruflichen Chancen der Jugend.
Herr Ehrenberg hat hier die Mittelstandspolitik gelobt. Ich muß nur feststellen, daß in den letzten drei Jahren von Jahr zu Jahr die Zahl der Klein-und Mittelbetriebe, die ein Konkurs- oder Vergleichsverfahren angemeldet haben, angestiegen ist. Die Zahl beläuft sich auf 25 000 Betriebe in drei Jahren. Ich muß Ihnen aus meiner Erfahrung in Schleswig-Holstein sagen - aber das ist woanders auch so -, daß sich diese Tendenz in den ersten Monaten dieses Jahres leider fortgesetzt hat, weil die leichte Belebung diese Strukturprobleme nicht löst.
Herr Ehrenberg, diese Zahl von 25 000 Betrieben, die ein Konkurs- oder Vergleichsverfahren anmeldeten, und der Rückgang der Beschäftigtenzahlen - nach Feststellung des Berliner Instituts um über 1,4 Millionen in zwei Jahren - stehen natürlich in einem unmittelbaren Zusammenhang.
({4})
Die Finanzkrise, die Graf Lambsdorff ein bißchen leicht genommen hat mit seinen einleitenden Bemerkungen über Sonthofen - diese knapp 60 Milliarden DM werden Sie und uns noch mehr drükken, als Sie heute angenommen haben -, führt ja dazu, daß wir auch im öffentlichen Dienst Arbeitskräfte freisetzen müssen. Nicht nur Bundesbahn und Bundespost geben in zwei bis drei Jahren 80 000 Arbeitsplätze auf - es kommen noch mehr hinterher -; auch in den Verwaltungen sparen wir ein, und das sind weniger Arbeitsplätze für die Jugend.
Graf Lambsdorff, wenn das alles so relativ harmlos oder nicht so schlimm ist, wie Sie meinten, dann möchte ich Sie einmal fragen, weshalb SPD und FDP in Hamburg von den vorhandenen Lehrerstellen 4 % abbauen, anstatt sie entsprechend dem Bildungsplan um 20 % zu erhöhen,
({5})
und weshalb mein Kollege, der Bürgermeister Klose aus Hamburg, vor einer Woche gesagt hat: Dies reicht noch nicht aus, wir müssen noch weiter in die Leistungen für Schulen und Hochschulen eingreifen und mehr für die Wirtschaft tun.
Da ist der Widerspruch der FDP in Hamburg. Diese Haltung ist Ausdruck der Tatsache, daß in Hamburg die Finanzsituation leider als nicht besser eingeschätzt wird als vor sechs Monaten. Man muß diese Dinge auch in ihren Konsequenzen für die Ju15792
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
gend ernster nehmen, als Sie sie hier mit einer Bemerkung à la Sonthofen und Lockheed abgetan haben.
({6})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({7}) : Bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, würden Sie mir bitte bestätigen, daß ich in keiner Weise davon gesprochen habe, daß wir uns etwa nicht in einer ernsthaften finanziellen Situation befinden, sondern daß ich formuliert habe, daß das erwartete, von manchem gewünschte Finanzchaos nicht eingetreten ist?
({0})
- Der Widerspruch der CSU macht deutlich, wen ich damit meine.
Herr Ministerpräsident, würden Sie weiter die Freundlichkeit haben, den von Ihnen zitierten Bericht der „Kieler Nachrichten" auch daraufhin zu studieren, ob ich nicht selber Einsparungen auch gerade in diesem Bereich vorgeschlagen habe?
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({1}) : Graf Lambsdorff, wenn wir uns sozusagen in einem semantischen Gespräch zwischen der FDP - vertreten durch Sie -, CSU - vertreten durch den Kollegen Strauß -, CDU - vertreten durch mich - und Herrn Ehrenberg als dem Vertreter der SPD auf die Formel einigen könnten, daß wir eine schwere Finanzkrise haben, würde auch Franz Josef Strauß zustimmen und dies als eine gemeinsame Formel zur Beschreibung der Wirklichkeit akzeptieren.
({2})
Dies ist ein sprachliches Problem. Der Sachverhalt ist ganz klar. Man muß ganz deutlich sehen: Es gibt durch Konkurse und Vergleichsverfahren 25 000 Betriebe weniger, die Zahl der Arbeitnehmer hat um 1,4 Millionen abgenommen, und die Sachverständigen sagen, daß es etwa 900 000 verlorene Arbeitsplätze auf Dauer gibt, weniger Einstellung von Nachwuchskräften überall in der öffentlichen Verwaltung durch die Personaleinsparungen - das alles sind einige der Schlagzeilen, die mit der verschlechterten beruflichen Chance der Jugend zusammenhängen und uns auf Jahre hinaus unabhängig vom Konjunkturzyklus als eine große Last begleiten werden.
Da reichen, sehr verehrter Herr Bundesminister Friderichs, so ein paar Sofortprogramme mit einem Volumen von 300 Millionen DM natürlich überhaupt nicht aus. Schauen Sie einmal, wie sich denn diese mit großem Aufwand verkündeten Programme zum Teil real auswirken. Das zeigt eine Aufzeichnung: Die Deutsche Bundespost hat ihr Ausbildungsplatzangebot von 6 472 im Jahre 1973 auf 1 965 im Jahre 1975 reduziert. Das sind 70 %.
({3})
Bei der Deutschen Bundesbahn betrug der Rückgang 25 %. Nun wird ein Teil dieser aufgegebenen Ausbildungsplätze aus dem 300-Millionen-DMProgramm wieder gefördert, und diese Plätze werden neu eingerichtet. Das wird dann als eine neue große Leistung der Bundesregierung verkauft.
Ich halte dies nicht für eine wirklich korrekte Darstellung. Die öffentliche Hand muß versuchen, ihr Ausbildungsplatzangebot mit allen Kräften breiter zu gestalten.
({4})
Wir haben im Rahmen unseres kleinen Landes, weil auch wir die verwaltungsbezogene Ausbildung abbauen, gesagt, wir bieten auf Kosten des Landes Ausbildungsplätze für andere Berufe an, die nicht in die Landesverwaltung führen. Das sollten auch Bahn und Post tun, ohne etwas zu verlangen. Aber bei allen Einzelmaßnahmen kann das Problem nur durch eine Politik gemeistert werden, die auf die dynamischen Kräfte des Aufschwungs setzt, die die schöpferischen Kräfte des Menschen unterstützt, die ein vernünftiges Wachstum durch Steuer- und Gesellschaftspolitik fördert und damit neue Arbeitsplätze sichert. Zu diesem Konzept gibt es keine Alternative. Dieses Konzept wird Gegenstand unserer politischen Aussagen in diesem Jahr und, wenn wir die Bundestagswahl gewinnen, die Grundlage einer neuen Regierungspolitik sein.
({5})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
({6})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Stoltenberg hat mit bewegten Worten die regionalen Strukturprobleme beklagt, wie sie sich nicht zuletzt im Lande Schleswig-Holstein darstellen. Ich habe dafür durchaus Verständnis. Aus meiner Kenntnis der wirtschaftsgeographischen Gegebenheiten unseres Landes kann ich nicht übersehen, daß sich natürlich in manchen strukturschwachen Gebieten unseres Landes die Probleme schärfer als anderswo darstellen, obwohl ich hinzufügen muß, das ist nicht durchgängig so; es gibt eine Reihe von strukturschwachen Gebieten, die die Konsequenzen der Weltwirtschaftsrezession besser als die der letzten Rezession überstanden haben, weil sich hier die erfolgreiche regionale Strukturpolitik bemerkbar gemacht hat. Aber, Herr Kollege Stoltenberg, was mich, wenn Sie die Dinge so betrachten, mit Ihnen zusammen natürlich beunruhigen muß, ist, daß der Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu Haushaltsfragen, unser hochverehrter Herr Kollege Leicht, vor ganz wenigen Tagen, am 9. März, im „HandelsBundesminister Dr. Apel
blatt" angekündigt hat, er, Kollege Leicht, sei der Meinung, man könne im Bereich der regionalen Strukturpolitik weiter sparen.
({0})
Hier wird also deutlich, wohin der Hase läuft. Sie bringen hier mit bewegten Worten Ihre Sorgen vor. Der Kollege Leicht nennt laut „Handelsblatt" als Beispiele, so weiter gespart werden könnte, die Regionalförderung, die Entwicklungshilfe, den Bildungsbereich, das Gesundheitswesen und die Sparförderung. Wenn hier Probleme sind, wäre es vernünftig, daß man sich innerhalb der Bundestagsfraktion der CDU/CSU darüber abstimmt, was man nun eigentlich will. Ich kann für meine Person und sicherlich auch für die sozialliberale Koalition erklären, uns ist die Aufgabe der regionalen Strukturpolitik viel zu wichtig und viel zu bedeutsam, als wir auch nur daran denken können, den Vorschlägen des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zu folgen.
({1})
Was nun Ihre Bemerkungen, Herr Ministerpräsident Stoltenberg, zur Deutschen Bundesbahn anlangt, so wissen Sie ganz genau, welches hier unsere Position ist.
({2})
Es ist die Pflicht des Vorstandes eines Bundesunternehmens, seine Vorstellungen darzulegen. Es ist dann die Pflicht der Politiker, zu entscheiden, ob diese Vorstellungen vernünftig sind. Dieses werden wir mit Ihnen zusammen tun.
({3})
- Das hat überhaupt nichts mit der Wahl zu tun. Wenn wir uns so wie Sie verhalten würden, wäre der Plan der Deutschen Bundesbahn erst Ende 1976 erschienen. Wir haben sein Erscheinen zu einem Zeitpunkt zugelassen, zu dem wir eine Beratung zu diesem wichtigen Thema haben können. Kommen Sie doch nicht immer mit diesen Ablenkungsmanövern, sondern nehmen Sie zur Kenntnis, daß am Ende politische Entscheidungen stehen werden, in die natürlich die Ministerpräsidenten der Länder einbezogen sein werden, so daß wir überhaupt keinen Grund haben, zur Zeit von dieser oder jener Strecke zu sprechen. Nichts ist entschieden, alles wird untersucht. Die Debatte läuft. Aber vernünftig ist es natürlich, sich ein Bild davon zu machen, welche Kosten wir uns bei der Bundesbahn, dem Rückgrat des Verkehrswesens, leisten können.
Nun haben Sie, Herr Kollege Stoltenberg, in einem zweiten Punkt - und dies kehrte in Mäandern immer wieder - gefragt: Was ist eigentlich eure Konzeption für die nächsten 12 Monate? Ich muß zurückfragen: Was ist eigentlich Ihre Konzeption? Die habe ich vermißt - aber dies lasse ich einmal dahingestellt sein außer Steuersenkungsplänen; darüber wird zu reden sein. Ich will Ihnen unsere Perspektive sagen. Wir haben mit mehr als 15 Milliarden DM Konjunkturprogramme gestartet. Es sind die Konjunkturprogramme, von
denen Sie, Herr Kollege Müller-Hermann, meinen, sie seien falsch strukturiert, denen Sie hier aber zugestimmt haben. Das muß ja wohl einmal angemerkt werden. Diese Konjunkturprogramme sind in der Abwicklung und wirken. Wir haben - und nach Ihrem Zwischenruf bei Herrn Friderichs gilt das wohl auch für Sie - keine neuen Konjunkturprogramme vor. Aber es ist natürlich klar, daß z. B. im Finanzministerium auch darüber nachgedacht werden muß, welche Schubladenprogramme gegebenenfalls gezogen werden müssen. Es gibt überhaupt keine Veranlassung, zu erwarten, daß das erforderlich wird; aber es ist die Pflicht der Regierung, daß sie auch hier vorbereitet ist.
Schließlich - und das ist ein wichtiger Punkt - werden wir auch in diesem Jahre bewußt eine hohe Neuverschuldung des Bundes hinnehmen, weil sie Teil der Konjunkturstabilisierung ist.
Nun haben Sie, Herr Kollege Stoltenberg, viele Worte auf die Jugendarbeitslosigkeit verwandt. Denen kann ich mich nur anschließen. Nur, wo sind denn die Taten? An Taten werden Politiker gemessen, nicht an Worten.
Meine Herren von der Opposition, ich habe vor mir einen Artikel aus der Zeitschrift „Soziale Ordnung" vom 5. Februar 1976, einer Zeitschrift, die, wenn ich das so sagen darf, der christlich-sozialen Kollegenschaft, also Ihnen, nahesteht. Es ist ein Artikel unseres Kollegen Jo Klein. Überschrift: „Einen Schritt vor und zwei zurück". Er äußert sich kritisch zur Berufsbildungspolitik der Opposition, und zwar nicht weniger scharf, als dies ein Sozialdemokrat tun könnte. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:
Die Union
- wörtliches Zitat Ihres Fraktionskollegen beläßt es in ihrem „Programm zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebotes" dabei, auf ein gutes Zureden gegenüber der Wirtschaft zu setzen und für den verstärkten Einsatz staatlicher Strukturförderungsmittel zugunsten von Berufsbildungsmaßnahmen einzutreten.
Ich empfehle Ihnen diesen Artikel zur Lektüre; Sie können dann feststellen, wie kritisch Ihr Fraktionskollege Ihre eigene Haltung dazu bewertet.
Vizepräsident von Hassel: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogt?
Herr Minister, würden Sie mir bestätigen, daß der Kollege Jo Klein das im Regierungsentwurf vorgesehene Finanzierungsmodell ablehnt, und würden Sie mir darin zustimmen, daß die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände dieses Finanzierungsmodell der Regierung ablehnen, weil es unwirksam ist und eher zu einer Verknappung des Angebots an Ausbildungsplätzen führt als zu einer Ausweitung?
({0})
Das ist genau das, was ich dazu sagen wollte. Hier wird gesagt: dann lieber gar nichts. Aber, meine lieben Kollegen, inzwischen haben wir ja, da Herr Filbinger merkt, wie schlecht diese Haltung der CDU, die Haltung des Nichts, in seinem eigenen Landtagswahlkampf ankommt, eine Vorlage der CDU, die morgen im Bundesrat nachgeschoben werden soll. Sie heißt „Entwurf eines Gesetzes über Steuervergünstigungen bei Begründung von zusätzlichen Berufsausbildungsverhältnissen". Ich will mich zu diesem Gesetzentwurf nicht äußern, sondern nur feststellen, daß das Land Baden-Württemberg selbst in seiner Begründung schreibt, man müsse in den nächsten vier Jahren mit Kosten in Höhe von 1,2 Milliarden DM rechnen. Ich muß Sie wirklich fragen, wie ernst Sie es meinen - Sie haben ja erklärt, das Wort „Finanzkrise" sei das richtige - mit der Konsolidierung der Staatsfinanzen, wenn Sie auf diese unverantwortliche Weise signalisieren, daß Sie bereit sind, der deutschen Wirtschaft eine gewisse Mitfinanzierung - denn einen Teil finanzieren ja längst die öffentlichen Hände, z. B. über die Berufsschulen - der Ausbildung der jungen Menschen in unserem Lande abzunehmen.
({0})
Dies hat Alibifunktion und ist unverantwortlich im Hinblick auf unsere Staatsfinanzen. Dieses ist nicht zu leisten, weder vom Bund noch von den Gemeinden noch von den Ländern, die alle drei an der Einkommen- und Lohnsteuer unterschiedlich partizipieren.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogt?
Ja, bitte schön.
Herr Minister, gehe ich, da Sie auf meine Frage hin nur den Zwischenruf des Kollegen Wehner aufgegriffen haben, recht in der Annahme, daß Sie mir darin zustimmen, daß Ihnen ein geringeres Angebot an Ausbildungsplätzen lieber ist?
Diese Frage ist von wenig Sachkenntnis getragen.
({0})
Sie kennen doch ganz genau unser Modell, das bewußt darauf abzielt, dieses Problem über finanzielle Anreize, über eine Berufsbildungsabgabe zu lösen. Wenn Sie aber so insistieren, hochverehrter Herr Kollege, kann ich natürlich auch in der Lektüre des Artikels Ihres Fraktionskollegen Klein fortfahren. Er sagt:
Hier wurde genau das Papier auf den Tisch gelegt und gegen den Widerstand der Vertreter der Sozialausschüsse abgesegnet, das die Fraktion dann als „Programm zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebots" gegen die Stimmen der Arbeitnehmergruppe beschlossen hat.
({1})
Dies ist Ihre Politik. Mehr ist, glaube ich, dazu nicht zu sagen. Ich empfehle Ihnen, keine weiteren Zwischenfragen zu stellen. Ich wäre freilich durchaus bereit, weitere Fragen zu beantworten, weil mir das angesichts dessen, was ich eben dargestellt habe, leichtfällt.
({2})
- Meine Damen und Herren, es tut mir natürlich leid, daß Sie sich darüber ärgern.
({3})
Ich kann Ihnen diese Ausführungen aber nicht ersparen, wenn sich der Sprecher des Bundesrates, der CDU-Ministerpräsident Stoltenberg, hier so in die Brust wirft, obwohl eigentlich festzustellen wäre: Fehlanzeige, was die Vorschläge der Opposition zur Berufsausbildung für junge Leute angeht.
({4})
Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben dann über die Subventionen geklagt. Dies ist ja auch ein Lieblingsthema, aus dem man noch Honig saugen zu können meint. Es wird immer gesagt, man müsse die Subventionen weiter abbauen. Ich kann nur das unterstreichen, was der Kollege Friderichs zu diesem Thema gesagt hat: Die Subventionen sollten nicht auf eine Erhaltung, sondern, wenn es geht, auf eine Verbesserung der Struktur abgestellt sein. Wie war es denn hier aber vor ungefähr acht bis zehn Wochen? Wer hat denn bei einem entscheidenden Punkt des Abbaus von Erhaltungssubventionen, nämlich beim Aufwertungsausgleich für die deutsche Landwirtschaft, gemauert? Waren Sie das, oder waren wir das? Diese Frage muß man doch wohl einmal stellen dürfen.
({5})
Nun will ich Ihnen, hochverehrte Kollegen, vorlesen, wie sich die wesentlichen Elemente der Subventionen, der öffentlichen Steuerverzichte oder der öffentlichen Zahlungen darstellen: deutsche Landwirtschaft: 4,5 Milliarden DM, Bergbau: 1 Milliarde DM, regionale Strukturpolitik - hier will Herr Leicht kürzen -: 2,2 Milliarden DM, Verkehr - im wesentlichen öffentlicher Personennahverkehr -: 1,4 Milliarden DM, Wohnungswesen: 3,8 Milliarden DM, Sparförderung allein beim Bund: 5,1 Milliarden DM. Herr Kollege Stoltenberg, es ist falsch, wenn Sie sagen, wir täten auf dem Gebiete des Subventionsabbaus nichts.
({6})
Wir haben zweimal, im Rahmen der Steuerreform und mit dem Haushaltsstrukturgesetz, Zuwächse bei Subventionen in einer Weise abgebaut, die sich sehen lassen kann. Ich kann hier nur feststellen, daß wir grundsätzlich auf den Widerstand der Opposition stoßen, wenn es darum geht, wirklich an diese Aufgabe heranzugehen.
({7})
- Es lohnt nicht, Herr Kollege Grobecker. Ich möchte im übrigen hinzufügen: Als Hamburger möchte ich sie auch nicht abbauen.
({8})
- Das ist genauso. Damit wird doch deutlich, daß Herr Kollege Stoltenberg hier wieder einmal einen Popanz aufgebaut hat. Wir wissen ganz genau, daß Subventionen eben nicht nur Geschenke, sondern im wesentlichen dazu da sind, unsere Wirtschaftsstruktur in Ordnung zu halten. Deswegen kann das Thema nicht so behandelt werden, wie es Herr Kollege Stoltenberg tut.
({9})
Nun haben Sie gesagt, Herr Kollege Stoltenberg, die Investitionsquoten in unserem Lande fielen international zurück. Ich will mir die Verlesung der Zahlen ersparen; sie liegen mir vor. Ihre Aussage ist falsch.
({10})
- Wollen Sie die Zahlen hören? Wenn Sie vergleichen, wie sich die Bruttoanlageinvestitionen, gemessen am Bruttosozialprodukt zu Inlandspreisen ohne Wohnungsbau - den müssen wir ja herausnehmen, weil er in der Tat sehr starken zyklischen Schwankungen unterworfen ist -, entwickelt haben, können Sie feststellen, daß nach Japan die Bundesrepublik immer noch ganz vorne liegt.
Aber es wäre natürlich falsch, hier nicht ein Problem zu sehen, das uns zwingt, die Modernisierung unserer Wirtschaft sehr ernst zu nehmen. Hier befinden wir uns mit Herrn Kollegen Friderichs und der Grundlinie seiner Politik in Einklang. Nur, Herr Kollege Stoltenberg, wenn Sie erneut auf Ihr Sofortprogramm hinweisen, muß ich einmal die Frage stellen, wo denn eigentlich dieses Sofortprogramm in Gesetzesformulierung ist. Eine so große Opposition kann es sich doch wohl nicht leisten, nur auf Marktplätzen und verbal Sofortprogramme zu verkünden, ohne aber gesetzesmäßig aktiv zu werden. Wo ist denn Ihre Vorlage?
({11})
Diese Vorlage müßte dann, meine Damen und Herren, auch Berechnungen enthalten. Sie müßte bei degressiven Abschreibungen oder, wie Sie, Herr Kollege Stoltenberg, gesagt haben, bei der Vermögensteuer auch ausweisen, was dies an Einnahmeverlusten für die Landeshaushalte sofort brächte. Insbesondere die Vermögensteuer ist eine Landessteuer. Hier sehe ich eine Doppelstrategie. Herr Stoltenberg möchte das Geld der Vermögensteuer haben, den Arger der Unternehmen darüber, daß sie ihnen zu hoch erscheint, bei uns ablassen. Das geht nicht!
({12})
Er muß sich entscheiden. Der Bundesrat ist ja ein
tüchtiges Organ, wie Herr Stoltenberg meint, ein
Verfassungsorgan. Dann soll es bitte schön initiativ werden und Gesetzesentwürfe einbringen.
({13})
Zur Körperschaftssteuerreform will ich hier nur eins sagen: Als Mitglied der Bundesregierung und für die Bundesregierung sprechend weise ich alle Verdächtigungen, die hier ausgestreut werden, zurück. Es gibt eine eindeutige Festlegung der Bundesregierung. Der Finanzausschuß Ist an der Arbeit. Daß im Finanzausschuß eine ganze Reihe von kritischen Fragen gestellt werden müssen, ist ja wohl klar; denn das muß ein Gesetzgebungswerk sein, das nicht zuletzt wegen seiner internationalen Verflechtungen dann auch hieb- und stichfest ist.
({14})
- Wissen Sie, Ihre Zwischenfragen - - Na, lassen wir das!
({15})
Herr Stoltenberg hat dann gesagt, wir gäben uns einem Wunschdenken hin, er sei aber doch sehr skeptisch, was die Prognose im Wirtschaftsjahr 1976 anbelangt. Diese Skepsis teilen wir mit Ihnen. Aber daß die Dinge sich zum Besseren gewendet haben, haben Sie, glaube ich, auch nicht bestritten. Sie haben lediglich Fragezeichen aufgestellt. Diese Fragezeichen stellen allerdings auch wir auf, weil wir natürlich überhaupt nicht abschätzen können, was mit einigen europäischen Demokratien, ihrer Volkswirtschaft und ihrer Fähigkeit, Leistungsbilanzdefizite zu finanzieren, geschieht. Hier müssen wir auch selbst in einer Weise ins Obligo gehen, die manchmal, wie ich draußen im Lande merke, von der Opposition kritisiert wird.
Im übrigen, Herr Kollege Stoltenberg, ist Ihre Meinung, die Mehrwertsteueranhebung sei im Jahre 1977 nicht notwendig - Herr Kollege Müller-Hermann hat sogar gesagt, sie sei aufschwungfeindlich -, durch die Zahlen doch eigentlich nicht zu belegen. Sie können doch nicht auf der einen Seite Steuergeschenke in Höhe von 3 Milliarden für die Unternehmer - sagen wir besser: Vorteile im investiven Bereich für die Unternehmer - versprechen, ohne hier konkret etwas vorzulegen, auf der anderen Seite aber -auf die Haushaltsrisiken hinweisen, wie das Herr Kollege Leicht tut. Ich sehe auch Haushaltsrisiken, auch den Art. 155 GG, der die oberste Verschuldungsgrenze des Bundes in der Größenordnung der Investitionen des Bundes begrenzt. Dies uns alles vortragen und gleichzeitig so leichtfertig argumentieren, geht nicht. So können wir uns aus dieser schwierigen Debatte nicht herausmogeln. Im Gegensatz zu Ihnen sagen wir dem Bürger, was da an Schwierigkeiten auf uns zukommt, daß wir nämlich eine Einnahmeverbesserung brauchen.
Hier möchte ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten die „Zeit", und zwar einen Artikel von Dieter Piel, der alles andere als ein Sozialdemokrat ist, zitieren:
Die Bonner Regierungskoalition sagt zu den drängenden Fragen das Allernötigste, und die Opposition noch nicht einmal das. Die vom Versicherungsprinzip her zwar unumgängliche, aber dennoch lästige Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung tun sie mit der hinreißenden Bemerkung ab, unserem Land fehle lediglich eine bessere Konjunkturpolitik. Den Wunsch der Regierung nach höheren Verbrauchsteuern kontern sie kühl mit der Forderung nach mehr Sparsamkeit des Staates.
Genau das Gegenteil wird zur Zeit von Ihnen hier vorexerziert. Sie wollen weniger Steuereinnahmen haben.
Dieter Piel führt einen ganzen Katalog solcher Fragen auf, wo Sie dem Bürger keine Antworten geben, und schreibt abschließend:
Fast alle diese- Antworten sind leeres Gerede, denn Sie stehen in einem krassen Gegensatz zu dem, was viele Unionspolitiker im privaten Gespräch als ihre „eigentliche" Meinung darstellen ... Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, Gerhard Stoltenberg und Hans Katzer wollen die nächste Wahl gewinnen. Das ist verständlich. Doch sie wollen danach auch regieren. Ist es denn abwegig zu fragen, wie sie das tun wollen?
Dies vermissen wir auch in dieser Debatte: Was wollen Sie denn nun eigentlich tun?
({16})
Meine Damen und Herren, ich muß mich so kurz wie möglich mit der Frage der Staatsquote beschäftigen, also des Anteils des Staates am Bruttosozialprodukt. Herr Müller-Hermann hat dazu Bemerkungen gemacht, auch Sie, Herr Ministerpräsident Stoltenberg. Bereits 1970 hat der Wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums, der Gott sei Dank alles andere als lammfromm ist, gesagt, daß die Vorstellung, daß Steuern gesamtwirtschaftlich nur Lasten darstellen, schlicht abwegig sei. „Abwegig" ! Dies ist wörtlich zitiert. Er hat auf die dahinterstehenden öffentlichen Leistungen verwiesen. Schauen wir uns diese öffentlichen Leistungen an. Sie werden sich dann die Frage gefallen lassen müssen, wie Sie den von Ihnen als zu hoch angesehenen Staatsanteil reduzieren wollen. Von 100 DM Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen - und dieses ist der Staatsanteil - werden für soziale Leistungen 32 DM ausgegeben, für Gesundheit 14 DM, für das Bildungswesen 12 DM und für die Verteidigung 7 DM. Dies sind rund zwei Drittel. Damit wird wohl klar, daß man in dieser leichtfertigen, leichtfüßigen Art und Weise, Herr Kollege Müller-Hermann, wie Sie sich aus dieser Debatte hinausmachen, nicht über die Dinge reden kann. Ich will damit nicht behaupten, daß hier alles beim alten bleiben muß; aber dann muß man Roß und Reiter nennen.
Meine Damen und Herren, interessant ist folgendes: Wir hatten im Jahre 1952 bei den Steuern - und für die bin ich verantwortlich - eine volkswirtschaftliche Steuerquote von 23,4 %. Wir haben im Jahre 1975 dank der Steuerreform eine volkswirtschaftliche Steuerquote von 23,3 %. Das heißt, die Steuerquote am Sozialprodukt ist rückläufig gewesen, was sich ja auch in den hohen Defiziten ausdrückt. Zugenommen hat der Bereich der Sozialabgaben. Da muß ich aber wieder zurückfragen, und zwar Sie, Herr Müller-Hermann: Von 100 DM Sozialversicherungsbeiträgen gehen 50 DM für Alte und Hinterbliebene, 40 DM für Kranke und Invalide und 10 DM für die Arbeitslosen ab: Wo wollen Sie eigentlich diesen Teil des Staatsanteils reduzieren? Nennen Sie uns doch einmal Punkte! Kommen Sie doch heraus aus der unverbindlichen Debatte und präzisieren Sie das, was Sie hier an Vorstellungen entwickeln!
({17})
Lassen Sie mich nur eine Bemerkung zur Haushaltsfinanzierung 1976 machen. Es ist mehr eine Information für Sie, meine lieben Kollegen. Am 10. März 1976, also vor ganz kurzer Zeit, hat der Bund 15,9 Milliarden DM Nettokreditaufnahme für die Haushaltsfinanzierung 1976 gehabt. Das ist angesichts der Tatsache, daß wir die Nettokreditaufnahme, die im Regierungsentwurf steht, sicherlich etwas zurücknehmen können, eine Deckungsrate, die zwischen 40 und 50 % liegt, und dies bei sinkenden Zinsen. Man kann also feststellen, daß sich unsere Politik des intelligenten und an die Marktbedingungen angepaßten Schuldenmachens ausgezahlt hat. Bei der öffentlichen Verschuldung gibt es inzwischen wieder Laufzeiten bis zu 10 Jahren. Sie sehen, in welcher Weise es uns gelungen ist, die öffentlichen Finanzen bei sinkenden Zinssätzen in Ordnung zu halten. Daß wir große Sorgen haben, liegt auf der Hand. Insbesondere das Haushaltsjahr 1977 wird kein Zuckerschiecken werden.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, es juckt mich, einige Bemerkungen zum Thema „Schlange" zu machen. Ich bin grundsätzlich anderer Meinung als Sie. Es gibt angesichts der Situation zwischen Frankreich und Deutschland - Zinspolitik, Leistungsbilanz im letzten Jahr ausgeglichen, hohe Devisenreserven bei beiden - überhaupt keinen Grund, eine Paritätsveränderung ins Auge zu fassen. Insofern, meine ich, haben wir auch von dieser Stelle hier keinen Anlaß, der Spekulation zu signalisieren, es passiere etwas. Ganz im Gegenteil: es kommt darauf an, deutlich zu machen, daß hier überhaupt nichts passiert, sondern daß die Paritäten, wie sie in der Schlange zur Zeit gegeben sind, von uns verteidigt werden und mit Erfolg verteidigt werden können. Dies sage ich nur, damit nicht ein falscher Eindruck an den Devisenbörsen entsteht.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff? - Bitte!
Herr Bundesfinanzminister, darf ich davon ausgehen, daß wir uns darin einig sind, daß man jedweder Spekulation Auftrieb gibt, gleichgültig, ob man sagt: es passiert etwas, oder ob man sagt: es passiert nichts, und daß die einzige Möglichkeit, dies zu verhindern, entweder flexible Wechselkurse oder paralleles Verhalten in einem Währungsverbund sind?
Das ist völlig richtig. Auf das parallele Verhalten kommt es an. Dies wird in Feinabstimmung zwischen den Notenbanken gemacht, insbesondere bei der Zinspolitik: die französischen Zinsen gehen nach oben, unsere nach unten. Das ist nicht nur für die Kreditaufnahme des Bundes gut, sondern auch für die Wechselkursrelationen innerhalb der Schlange.
Der letzte Problemkreis, den ich behandeln möchte, weil er hier wiederholt angesprochen worden ist, ist die Frage der Vermögensbildung. Es ist keineswegs so, daß wir die überbetriebliche Vermögensbildung, wie sie in den Leitsätzen der sozialliberalen Koalition Anfang 1974 festgelegt worden sind, ad acta gelegt haben. Was wir auf Grund sehr intensiver Arbeiten einer Arbeitsgruppe im Finanzministerium haben feststellen müssen, ist, daß wir zur Zeit fast unübersteigbare Schwierigkeiten haben. Sie liegen im wesentlichen darin, daß die Bewertung der von den Unternehmen zu erbringenden Realabgaben an die Kapitalbeteiligungsgesellschaften nur bei Aktiengesellschaften mit börseneingeführten Aktien reibungslos klappt. Bei allen anderen Unternehmen stellt sich sofort die Frage der Bewertung. Diese Bewertungsfragen haben wir zur Zeit noch nicht so gelöst, daß es vernünftig wäre, mit einem Gesetzentwurf auf den Markt zu gehen. Aber wir werden an diesem Thema weiter arbeiten. Es wäre unklug, Zeithorizonte zu nennen, bis zu denen wir diese Probleme lösen können.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pieroth?
Ja.
Herr Minister, wie konnten Sie es denn zulassen, daß in den Jahren seit 1969 in anfangs halbjährlichem Abstand immer wieder neue Verkündigungen auf den Markt kamen - so von Exkanzler Brandt -, daß „noch im Jahre 1971", dann „noch im Januar 1972" und dann „noch im Frühsommer 1972" die große Lösung kommen werde, wenn Sie jetzt nach so vielen Jahren lapidar feststellen, daß zur Zeit unüberwindliche Schwierigkeiten in einem Detailproblem, nämlich der Bewertung, bestünden, und glauben Sie nicht, daß Sie damit den deutschen Arbeiter verschaukelt haben?
Das letzte muß ich zurückweisen. Aber was soll's? Das ist Ihre Ausdrucksweise.
Zur Sache selbst will ich Ihnen folgendes sagen, Herr Kollege Pieroth. In den 50er Jahren hat Ihre Fraktion durch den von mir hochverehrten Herrn Kollegen Professor Burgbacher ihren Plan zum Beteiligungslohn in Thesenform vorgelegt. Sie haben dann immerhin bis 1970 gebraucht, also weit mehr als ein Jahrzehnt, um diese Idee des Beteiligungslohnes wenigstens einmal gesetzestechnisch aufzuschreiben. Inzwischen haben Sie so viele Haken und Osen entdeckt, daß sie einer derer sind, die
Idiesen Plan klammheimlich beerdigt haben. Wir haben noch nicht so viel Zeit verbraucht.
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Wir werden weiterhin an diesem Thema arbeiten. Aber es wäre unredlich, Ihnen nicht zu sagen, vor welchen Schwierigkeiten wir stehen.
Herr Kollege Friderichs hat heute morgen in sehr eindrucksvoller Weise dargestellt, in welchem Umfang wir Fortschritte im Bereich des 624-DM-Gesetzes, des 3. Vermögensbildungsgesetzes, gemacht haben. Er hat auch dargestellt, daß darin noch Luft ist, und er hat dargestellt, wann wir in einzelnen Sektoren an die Grenzen stoßen könnten. Für mich ist die Anhebung der Sparerhöchstbeträge kein aktuelles Thema. Ich muß das ehrlich und offen auch deswegen sagen, weil dem Haushaltsprobleme entgegenstehen. Herr Kollege Leicht hat empfohlen, gerade bei der Sparförderung zu sparen. Das allerdings werden wir mit Sicherheit nicht tun, weil wir der Meinung sind, daß Vermögensbildung ein so wichtiges Thema ist, daß es sich - entgegen der Meinung des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses - nicht zu weiteren Einsparungen eignet.
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Nun haben Sie uns einen Antrag vorgelegt, Herr Kollege Pieroth. Herr Kollege Friderichs hat darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht gereicht hat, um daraus einen Gesetzentwurf zu machen. Das ist natürlich ein deutliches Schwächezeichen.
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- Augenblick! - Diejenigen, die sich in einer so eindeutigen Weise als Experten der Vermögensbildung darstellen - oder sagen wir besser: darstellen wollen -, müssen in der Lage sein, mehr zu tun, als Forderungen aufzuschreiben. Sie müssen in der Lage sein, konkret zu handeln und konkrete Vorschläge zu machen. Aber Sie haben eben nur Forderungen aufgeschrieben, und die wollen wir uns angucken. Wir wollen sehen, wie realistisch sie sind. Ich bitte Sie um Entschuldigung dafür, daß ich das detailliert tun muß.
Erstens muß ich Ihnen sagen, daß das Anrechnungsverfahren bei der Körperschaftsteuer, das Sie fordern, von der sozialliberalen Koalition natürlich längst akzeptiert ist. Es bedarf Ihrer Aufforderung nicht. Danach bleiben also vier Punkte nach, die Sie fordern. Die will ich nacheinander darstellen, und ich werde Ihnen sagen, ob sie durchführbar sind oder nicht.
Sie sagen, es komme darauf an, die begrenzte Lohnsteuerfreiheit auf die Ausgabe von allen Beteiligungswerten, also nicht nur bei Aktien, auszuweiten. Konkret heißt das folgendes. Den geldwerten Vorteil, der im Moment bis zu einer Größenordnung von 500 DM pro Jahr in der Differenz zwischen Ausgabekurs und Börsenkurs einer Aktie gewährt wird und steuerfrei ist, wollen Sie auf alle Beteiligungen ausdehnen, die es ansonsten noch geben könnte. Damit müssen Sie die Frage beantworten - und die können Sie nicht beantworten, und wir können diese Frage für Sie leider auch nicht
beantworten -, wie Sie denn nun eigentlich der Bewertung in dieser Frage beikommen wollen. Wie soll denn eigentlich, wenn jemand von einer Kommanditgesellschaft oder von einer GmbH einen Anteil bekommt, der geldwerte Vorteil, der nur 500 DM betragen kann, ermittelt werden, wenn nicht durch eine Bewertung des Unternehmens?
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- Lassen Sie mich ausreden; dann können Sie Ihre Zwischenfrage stellen. Ich kenne sie ja schon; Ihre Meinung haben Sie ja schon am Montag publik gemacht. - Wie soll das eigentlich gehen?
Oder noch weiter gefragt: Wenn das über die 50Q DM hinausgeht, muß ja die Zuwendung nach den Richtlinien der Lohnsteuer besteuert werden. Welcher Steuersatz soll denn da für welche Summe eigentlich angesetzt werden, wenn nicht vorher das Gesamtunternehmen einer Bewertung unterzogen wird? Sie sehen also, daß wir hier vor große Bewertungsprobleme gestellt sind. Nun will ich nicht sagen, daß diese Bewertungsprobleme unüberwindbar sind. Aber ich kann auf keinen Fall zulassen, daß wir irgend etwas mit heißer Nadel nähen.
Sie haben nun gesagt, diese Bewertung sei doch eigentlich überhaupt kein Problem, die vollzöge sich doch auch bei Kauf und Verkauf von Unternehmen auf dem Markt, das könne sich doch hier auch so vollziehen, indem sich der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer über den Wert der Beteiligung einigten; das Finanzamt möge das dann doch entgegennehmen. Das geht nun in der Tat nicht. Eine seriöse Finanzpolitik betreiben heißt, daß man die Bewertung nachvollziehen kann, daß man nachvollziehen kann, ob das, was an Wert angesetzt wird, den Freibetrag von 500 DM übersteigt und in welchem Maße diese Beteiligung der Lohnsteuer unterworfen wird. Insofern haben Sie - entschuldigen Sie, daß ich das so sage - augenscheinlich das Problem nicht begriffen, indem Sie auf ein Thema ausweichen, das hier nicht zur Debatte steht. Hier geht es um die Bewertung durch das Finanzamt, damit der Begünstigte, der künftig Beteiligte, steuerlich gerecht behandelt wird, um weiter nichts. Diese Bewertung kann dem Finanzamt allerdings niemand abnehmen. Mit dieser Bewertung ist dann auch eine Bewertung des Substanzwertes des Unternehmens verbunden.
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- Das mag so sein.
Sie haben dann in einem zweiten Punkt, Herr Pieroth, gesagt, von Ihnen würde die Befreiung der Mitarbeiterbeteiligung von der Kapitalverkehrsteuer gefordert. Da geht es ja um kleine Beträge. Insofern hätte ich fiskalisch überhaupt nichts dagegen. Nur, wir stellen fest, daß wir seit nunmehr bald einem Jahrzehnt eine entsprechende, in Kraft befindliche EG-Richtlinie haben, die uns zwingen würde, wegen dieser Frage in Brüssel mit allen zu konsultieren und uns mit allen abzustimmen. Das ist ziemlich schwierig.
Schließlich haben Sie gesagt, Einkünfte aus unselbständiger Arbeit sollten bei Teilhabe an Personengesellschaften nicht als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten. Ich habe sehr viel Verständnis für diese Forderung. Denn in der Tat: Wenn ein Arbeitnehmer an seinem Betrieb beteiligt ist und dort Beteiligungserträge bekommt, dann ist es für ihn unangenehm, wenn er auf diese Art und Weise die Vorteile des Arbeitnehmerstatus verliert und alles so besteuern muß, als wären es Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Insofern bin ich hier dabei, nachzudenken, wie man dieses Problem lösen kann.
Im Moment stellt sich das für mich folgendermaßen dar: Wenn ich hier nicht vorsichtig argumentiere und vorsichtig formuliere, erreiche ich doch nur eins: daß sich auch viele Gesellschafter, eigentliche Gesellschafter,
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einer OHG, einer KG über einen Arbeitnehmervertrag - meistens arbeiten die ja bei kleinen und mittleren Firmen sowieso mit - plötzlich auf diese Art und Weise dieselben Vorteile in die Schuhe schieben können, was wir eben nicht wollen.
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- Gut, also damit sind wir bei der Höchstgrenze. Darüber haben wir auch nachgedacht. Und da muß ich nun fragen: Welche Höchstgrenze wollen Sie an welchem Kapital messen, an dem festen Kapital oder an dem variablen Kapital bei Personengesellschaften? Darüber müssen Sie nachdenken, dazu müssen Sie etwas sagen.
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- Ja, da tauchen dann erneut Bewertungsprobleme auf. - Oder aber Sie sagen: Da muß ein Prozentsatz festgesetzt werden. Dann muß ich Sie fragen: Welcher denn? Wenn der sich am Kapital orientiert und dies eine kapitalintensive Gesellschaft ist, kann der Prozentsatz dazu führen, daß es riesenhafte Beteiligungsmöglichkeiten gibt. Wenn es dagegen eine Firma ist wie meine Lehrfirma, eine Exportfirma, GmbH, mit - was weiß ich - 10 000 DM Eigenkapital, so frage ich: Was soll denn dann der Prozentsatz noch bringen? Der muß ja wohl niedrig sein. Sie sehen also auch hier: Fragen über Fragen.
Schließlich haben Sie gesagt, Sie wollten den Anlagekatalog im Dritten Vermögensbildungsgesetz und im Sparprämiengesetz über die Aktien, Schuldverschreibungen und Darlehen hinaus erweitern. Dies geht wiederum wegen der Bewertungsfrage nur für die stille Gesellschaft. Aber hinsichtlich der stillen Gesellschaft, Herr Kollege Pieroth, haben Sie gesagt, Sie wollten - dafür spricht ja sehr viel
- den stillen Gesellschafter dann auch absichern, so daß also sein Anteil, seine Einzahlung im Insolvenzfall nicht verlorengeht. Nur möchte ich ganz gerne wissen, für wen dann die Operation noch interessant ist. Denn aus diesem Grunde werden zur
Zeit Darlehen, die ja auch auf diese Art und Weise gefördert werden können, kaum verwandt.
Der langen Rede kurzer Sinn: Das, was Sie uns vorgelegt haben, ist kein Plan. Den verkaufen Sie zwar so, aber ein Plan ist das nicht.
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Es ist ein Sammelsurium von nicht durchdachten Forderungen. Sie werfen uns quasi die Bausteine vor die Haustür und fordern die Regierung auf, daraus ein Haus zu zimmern, aber nicht einmal den Zement liefern Sie mit.
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Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth? - Bitte!
Herr Minister, ich will jetzt gar nicht schon auf das eingehen, was ich Ihnen noch zu antworten habe, und auch nicht fragen, wozu denn in der Regierung, in der Exekutive Beamte sitzen und warum sie nicht in der Opposition sitzen, um diesen Fragen nachzugehen. Aber meinen Sie wirklich, daß das, was mehr als 3 000 Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, die zum Teil viele Tausend Mitarbeiter beschäftigen, bereits praktizieren, so weltfremd wäre, daß Sie von einem lächerlichen Plan glauben reden zu können? Das ist Praxis, die Sie langsam nachvollziehen könnten.
Nein, Herr Kollege Pieroth. Was Sie hier sagen, ist völlig in Ordnung. Deswegen sind wir ja auch kräftig an der Arbeit. Nur: Ihre Pläne können wir nicht nachvollziehen, weil sie - gestatten Sie mir den etwas saloppen Ausdruck - Unsinn, steuerpolitischer Unsinn sind. Und damit können auch die tüchtigsten Beamten im Finanzministerium nichts anfangen - außer mit dem Kopf schütteln.
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Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff? - Bitte!
Herr Minister, würden Sie die Freundlichkeit haben, dem Kollegen Pieroth vielleicht klarzumachen oder klarzumachen versuchen, daß es natürlich ein Unterschied ist, wenn ich mich einerseits individuell über Bewertungen einige, aber andererseits den Staat auffordere, Bewertungen festzusetzen?
Das ist genau der Punkt. Das ist ja damit auch deutlich geworden.
Lassen Sie mich aber sagen, was wir wollen. Wir werden unsere Bemühungen verstärken, um auf der Ebene der betrieblichen Vermögensbildung das zu machen, was geht. Da geht einiges. Z. B. müssen es nicht unbedingt eigene Aktien sein, die man an die Belegschaft weitergeben kann; es können auch fremde sein. Wir haben ja den Fall Mannesmann vor uns liegen, wo in der Tat dieses Unternehmen Aktien weitergeben will, oder auch den Fall IBM Deutschland. Da kann man was tun. Auch die Stille Gesellschaft kann ohne weiteres einbezogen werden.
Wir müssen uns nur über die Begrenztheit des Operationsfeldes im klaren sein. Darauf kommt es an. Wir müssen uns über ein Zweites im klaren sein. Darum bitte ich auch, und das darf ich hier als Finanzminister doch wohl so sagen: Die Unternehmen sollen nicht zusätzlich belastet werden; sie sollen bei der Operation betriebliche Vermögensbildung eher weniger belastet werden. Die Arbeitnehmer sollen davon einen Vorteil haben. Der soll möglichst größer sein als bei anderen Anlageformen.
Dann stellt sich natürlich immer die Frage: Wer zahlt die Differenz? Dies ist doch wohl ziemlich klar: der Steuerzahler insgesamt! Das soll uns nicht daran hindern, die Dinge voranzutreiben; nur, sehen müssen wir das. Die Steuereinnahme insgesamt wird geringer, wenn wir betriebliche Vermögensbildung in einzelnen Bereichen einführen. Das ist ganz klar. Ferner gibt es auch Probleme, die uns z. B. die Gewerkschaften dann vortragen werden.
Wichtig scheint mir zweierlei zu sein, einmal, daß wir insbesondere die Versuche der CDU/CSU abwehren, das dritte Vermögensbildungsgesetz in seiner Wirksamkeit zu reduzieren. Da habe ich Ihnen Herrn Leicht zitiert. Ich will Ihnen jetzt auch noch Herrn Geißler zitieren, den Staatsminister und Vorsitzenden des Bundesfachausschusses für Sozialpolitik der CDU, der in einem Papier vom 5. November 1975 eindeutig den weiteren Abbau des Dritten Vermögensbildungsgesetzes forderte. Das werden wir nicht mitmachen, weil nämlich dann Ihrem Anliegen, Herr Kollege Pieroth - so unglücklich es auch formuliert sein mag -, die Basis entzogen ist.
Es sind zwei Konsequenzen aus dieser Vermögensdebatte zu ziehen:
Erstens. Möge doch die Opposition endlich einmal klären, was sie will. Herr Pieroth hat einen Vorschlag gemacht, Herr Leicht will die Sparförderung kappen, Herr Staatsminister Geißler will das Vermögensbildungsgesetz kastrieren. Es wäre ganz gut, wenn wir wüßten, was Sie wollten; denn der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat eine wichtige Meinung.
Zweitens. Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, daß alles das, was Sie vorlegen, unbedacht ist, nicht geht, steuertechnisch falsch ist und in die falsche Richtung geht. Sie können sich darauf verlassen, daß das, was wir vorlegen werden - und wir sind an der Arbeit - vernünftig sein wird.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Sie wird
Vizepräsident von Hassel
verkürzt. Um 14 Uhr wird die Sitzung mit der Fragestunde wieder eröffnet.
Ich unterbreche die Sitzung.
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Die unterbrochene Sitzung wird wieder aufgenommen.
Ich komme zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
- Drucksache 7/4827 Zuerst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Verfügung steht Herr Staatsminister Wischnewski.
Ich rufe die Frage 82 des Abgeordneten Hansen auf:
Welches Ergebnishaben die seit 1967 zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Bundesinnenministerium und der amerikanischen Botschaft geführten Besprechungen über den amerikanischen Vorschlag, das Document Center in Berlin, das wichtige Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus enthält, in deutsche Verwaltung zu übergeben, bis heute gehabt?
Herr Kollege Hansen, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Die in den vergangenen Jahren zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern einerseits und der amerikanischen Botschaft andererseits geführten Gespräche über die Frage der Übernahme des Document Center in Berlin in die Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland haben noch zu keinem Ergebnis geführt. Die Ihnen bereits 1974 mitgeteilten Gründe dafür bestehen weiter.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß die Verhandlungen bzw. die Bemühungen der Bundesregierung, das Document Center von den Amerikanern zu übernehmen, seit etwa Anfang vorigen Jahres völlig eingeschlafen sind?
Es wird von Zeit zu Zeit darüber geredet, und die Bemühungen der Bundesregierung in dieser Frage werden fortgesetzt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt - ich glaube, das ist in diesem Zusammenhang wichtig -, daß das Document Center zum Beispiel Auskünfte an Bürgermeister wie an die Exekutive insgesamt erteilt, aber Angehörige von Parlamenten wie Angehörige dieses Hauses keine Auskünfte aus dem Document Center bekommen?
Herr Kollege Hansen, dies ist mir nicht bekannt. Ich bin gerne bereit, mich zu informieren und diese Informationen an Sie weiterzugeben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich komme zur Frage 83 des Abgeordneten Hansen:
Wann wird die Bundesregierung die Verhandlungen mit der Regierung der USA wieder aufnehmen, um das Berliner Document Center endlich in deutsche Verwaltung zu übernehmen?
Die Bundesregierung hält es zur Zeit nicht für opportun, die Verhandlungen in dieser Sache konkret fortzuführen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, plausible Gründe dafür zu nennen, daß die Bundesregierung im Augenblick diese Verhandlungen nicht fortführen will?
Wir gehen von der Voraussetzung aus, daß die Gründe, die wir 1974 genannt haben, weiter gelten und daß darüber hinaus zur Zeit keine Möglichkeit besteht, zu einem Ergebnis in dieser Frage zu kommen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da unter den Gründen von Ihnen früher angeführt wurde, daß man das Berlin-Abkommen abwarten wollte, wie erklärt sich dann, daß inzwischen nicht nur vergleichbare Institutionen, die schon in Berlin waren, in deutsche Hände übernommen worden sind, sondern daß sogar Institutionen nach Berlin verlagert worden sind wie z, B. das Zentrale Deutsche Filmarchiv?
Ich glaube, daß man vom Inhalt her die beiden Institutionen nicht miteinander vergleichen kann und daß diejenigen, die darüber verfügen, mit Sicherheit anders urteilen.
Keine Zusatzfrage mehr.
({0})
- Eben, und die anderen Damen und Herren stellen keine.
Ich komme damit zu Frage 84 des Abgeordneten Freiherr von Fircks:
Sind der Bundesregierung die Bemühungen Deutscher aus Rumänien bekannt, die ihr Anliegen auf Familienzusammenführung mit ihren Angehörigen, die heute noch in Rumänien leben, das bereits seit Jahren läuft, durch Sitz- und Hungerstreikdemonstrationen in Köln, Hannover und München unterstrichen haben, und welche Schritte hat die Bundesregierung gegebenenfalls unternommen, um diese besonderen Härtefälle lösen zu helfen?
Herr Kollege, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.
Zu Ihrer Frage zunächst eine Feststellung. Nach Kenntnis der Bundesregierung handelt es sich bei der von Ihnen angesprochenen Personengruppe zum überwiegenden Teil um Personen rumänischer Volkszugehörigkeit.
Die Frage beantworte ich dann wie folgt: Die von Ihnen genannten Fälle sind der Bundesregierung insoweit bekannt, als sich Personen aus dieser Gruppe auch an die Bundesregierung um Unterstützung ihres Anliegens gewandt haben. Die Bundesregierung setzt sich für die Familienzusammenführung ein und versucht, für die in Rumänien verbliebenen Familienmitglieder Genehmigungen zur Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß in dem Zeitraum seit 1972 mehr Personen im Rahmen der Familienzusammenführung ausreisen konnten als in den vorangegangenen zehn Jahren.
Die Bundesregierung hofft, daß ihre Bemühungen und die entsprechenden Beschlüsse der Konferenz von Helsinki dazu beitragen werden, auch die besonderen Probleme der Familienzusammenführung zu lösen, die zur Zeit noch für Flüchtlinge rumänischer Volkszugehörigkeit bestehen. Es wäre aber eine Illusion, zu glauben, daß gerade dieses Problem von heute auf morgen gelöst werden könnte.
In diesem Zusammenhang stellt sich u. a. das Problem, daß ein Großteil der Betroffenen von der rumänischen Seite - ich sage ausdrücklich: von der rumänischen Seite - als illegal Ausgereiste betrachtet werden. Nach den vorliegenden Erfahrungen ist in diesen Fällen die Voraussetzung für erfolgreiche Bemühungen um die Familienzusammenführung eine Entlassung der hier lebenden Personen aus der rumänischen Staatsangehörigkeit. Diese Möglichkeit wird von den Rumänen in der Regel eröffnet, bewirkt aber entsprechende Verzögerungen bei der Familienzusammenführung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sich das Verhalten Rumäniens in allen noch nicht gelösten Fällen mit den Grundsätzen der UNO-Charta, den Grundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Beschlüssen von Helsinki deckt?
Ich glaube, die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage ist völlig klar. Das ist auch der Grund, warum wir darum bemüht sind, auch Menschen rumänischer Volkszugehörigkeit zu helfen, ihr Ziel zu erreichen, weil wir daran interessiert sind, daß die von Ihnen angesprochenen Dokumente in vollem Umfang zur Anwendung kommen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, eine Dokumentation über die Situation der Ausreise und der Familienzusammenführung bei den Ostblockstaaten insgesamt als eine vergleichende Darstellung zu er- arbeiten?
Ich nehme an, Sie meinen, daß Zahlenunterlagen dokumentarisch dargestellt werden sollten. Solche Unterlagen sind natürlich vorhanden. Dazu bedarf es keiner besonderen Dokumentation.
({0})
- Ich bin gern bereit, zu veranlassen, daß innerhalb der Bundesregierung geprüft wird, ob eine solche besondere Dokumentation notwendig ist oder ob wir bereits jetzt über alle Unterlagen verfügen - dies nehme ich an -, die vielleicht nur noch der besonderen Zusammenstellung bedürfen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, da es sich bei den Sitz- und Hungerstreikdemonstrationen nicht nur um rumänische Volkszugehörige, sondern sogar auch um deutsche Staatsangehörige handelte und Herr Kollege von Fircks nach diesen fragte, stelle ich die Zusatzfrage, ob Sie dem Bundesaußenminister Genscher angesichts seiner so oft gerühmten guten Beziehungen zu dem rumänischen Kollegen nahelegen werden, daß er bei diesem einen persönlichen Schritt in den Fällen unternehmen möge, wo es sich um getrennte Ehegatten, insbesondere aber auch deutsche Staatsangehörige handelt wie im Fall Nothoff.
Es bedarf nicht des Hinweises, dies dem Herrn Bundesaußenminister nahezulegen. Der Bundesaußenminister nimmt jede Gelegenheit wahr, in Gesprächen insbesondere auf diese humanitären Probleme hinzuweisen.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatsminister, da Sie in Ihrer Antwort einen Zahlenvergleich brachten, möchte ich Sie fragen, ob die Zahl der aus Rumänien Ausreisenden im letzten halben Jahr gegenüber den letzten drei bis vier Jahren zurückgegangen ist.
Bei einem kurzen Überblick - ich habe hier Angaben nach Jahren, für das letzte Jahr nach Monaten - kann ich zu der Auffassung kommen, daß während des letzten halben Jahres, ohne die ersten zwei Monate dieses Jahres zu berücksichtigen, die Zahlen etwas niedriger liegen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, wie ist es eigentlich zu erklären, daß es mehr als
Jäger ({0})
ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki, in deren Korb 3 gerade die Familienzusammenführung mit besonderem Gewicht als dringliche Maßnahme dargestellt wurde, noch zu solchen Verzweifelungsschritten einzelner benachteiligter Familien kommen kann?
Ich bedauere auch, daß die Zeit von sechs Monaten noch nicht ausgereicht hat, hier zu einem Ergebnis zu kommen. Ich könnte nachweisen, daß es in anderen Ländern in der Zwischenzeit in bezug auf die Familienzusammenführung Erleichterungen gegeben hat.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 85 und 86 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt:
Ich rufe dann die Frage 87 des Abgeordneten Dr. Köhler ({0}) auf:
Hält es die Bundesregierung in Ansehung der Absicherung wirtschaftlicher Interessen in Südostasien für erforderlich, die bereits paraphierten Abkommen mit Indonesien und Malaysia zur Vermeidung von Doppelbesteuerung möglichst bald zu ratifizieren?
Die Bundesregierung ist im Interesse der Absicherung ihrer wirtschaftlichen Interessen in Südostasien sehr daran interessiert, das im März 1972 paraphierte deutschmalaiische und das im Mai 1973 paraphierte deutschindonesische Doppelbesteuerungsabkommen möglichst bald zu unterzeichnen und zu ratifizieren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, teilen Sie demgemäß meine Auffassung, daß sich die Verzögerung von drei bis vier Jahren in der Unterzeichnung dieser Abkommen für die wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik nachteilig ausgewirkt hat?
Ich teile Ihre Auffassung, daß sich dies nachteilig auswirkt. Ich muß aber zu meinem Bedauern feststellen, daß es bei unseren Partnern - nicht bei uns - liegende Gründe gibt, die zu einer solchen Situation geführt haben. Ich nehme an, daß Sie darüber unterrichtet sind.
Bei Malaysia handelt es sich darum, daß Veränderungen im Steuersystem eingetreten sind. Im Fall Indonesien handelt es sich darum, daß die Seerechtskonferenz - zumindest die nächste Session - abgewartet werden soll, um in einer ganz bestimmten Frage zu einem Ergebnis zu kommen.
Ich darf Ihnen sagen: An beiden Fällen ist die Bundesregierung im Interesse der wirtschaftlichen Zusammenarbeit interessiert, und in beiden Fällen werden von uns alle Anstrengungen unternommen, um die Vereinbarungen so bald wie möglich in Kraft zu setzen.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, würden Sie mir dann auch bestätigen, daß die erklärte Absicht in der deutschen Entwicklungspolitik, an die Stelle öffentlicher Hilfe für diese beiden Staaten vermehrt private Direktinvestitionen zu setzen, der Ratifizierung dieser Abkommen besondere Dringlichkeit verleiht?
Ich bin gern bereit, Ihre Meinung in dieser Frage in vollem Umfang zu unterstützen.
Ich rufe die Frage 88 des Abgeordneten Dr. Köhler ({0}) auf:
Von welchen zeitlichen und sachlichen Vorstellungen läßt sich die Bundesregierung bei der Behandlung der bereits paraphierten Verträge mit Indonesien und Malaysia leiten?
Bezüglich des am 21. März 1972 paraphierten deutsch-malaiischen Doppelbesteuerungsabkommens ist deutscherseits alles getan worden, um den Weg für eine Unterzeichnung freizumachen. Nach der Paraphierung des Abkommens hat sich das Steuerrecht in Malaysia geändert. Dadurch sind geringfügige Abänderungen des Abkommens erforderlich geworden. Hierzu hat sich die malaiische Seite noch nicht abschließend geäußert.
Die Bundesregierung hofft, daß das Abkommen mit Indonesien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, das am 5. Mai 1973 paraphiert worden ist, noch in diesem Jahr unterzeichnet werden kann. Es bestehen zur Zeit noch gewisse Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragspartnern hinsichtlich des territorialen Anwendungsbereichs des Abkommens. Diese sind darauf zurückzuführen, daß Indonesien als Inselstaat andere Vorstellungen dazu hat, als das für die Bundesregierung der Fall ist.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Köhler.
Herr Staatsminister, darf ich ihre Antwort so verstehen, daß die ursprünglich für diese Wochen geplante Reise einer deutschen Verhandlungsdelegation nach Malaysia dann aber doch in Bälde stattfinden wird?
Sie können davon ausgehen, daß Kontakte in Bälde stattfinden. Die Seerechtskonferenz, in der über diese Fragen gesprochen wird, die für Indonesien nach seiner Auffassung von ganz besonderer Bedeutung sind, findet innerhalb kürzester Zeit statt. Ich glaube, daß danach die Möglichkeit gegeben ist, hier ganz schnell zu einem Ergebnis zu kommen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Köhler ({0}).
Abgesehen davon, Herr Staatsminister, daß sich diese Zusatzfrage auf Malaysia bezog, würde ich zur Frage Indonesien gern wissen, ob die zeitweilig vorhandenenen Koordinierungsschwierigkeiten zwischen Ihrem Haus und dem Bundesministerium der Finanzen im Falle Indonesien inzwischen ausgeräumt sind.
Ich gehe von der Voraussetzung aus, daß es keine Koordinierungsschwierigkeiten gibt.
Ich komme zur Frage 89 des Abgeordneten Dr. Becher ({0}):
Trifft es zu, daß - wie die Zeitschrift „Der Spiegel" in der Ausgabe vom 2. Februar 1976 meldete - während der Verhandlungen über den Moskauer Vertrag von 1970 Funktionäre einer ausländischen kommunistischen Partei als „Kuriere" zwischen dem Kanzleramt und dem Kreml dienten?
Die Bundesregierung kann die Richtigkeit der von Ihnen zitierten Meldung nicht bestätigen. Während der gesamten Zeit der Verhandlungen, die zum Abschluß des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR vom 12. August 1970 führten, befand sich eine Delegation der Bundesregierung unter Leitung des damaligen Bundesaußenministers Scheel in Moskau. Für die sowjetische Regierung führte deren Außenminister Gromyko die Verhandlungen. Die notwendigen Kontakte zu diesen beiden Regierungen wickelten sich auf der Ebene der Außenminister, der Delegationen und auf dem sonst üblichen diplomatischen Wege ab. Bei dieser Sachlage bestand für die damalige Bundesregierung weder Veranlassung noch das Bedürfnis, sich sogenannter Kurierdienste Dritter zu bedienen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becher.
Herr Minister, trifft Ihre Auskunft auch in Anbetracht der Tatsache zu, daß der „Spiegel" in der besagten Nummer konkret die KPI als Kurier zwischen dem Kanzleramt und dem Kreml nennt?
Es trifft ausdrücklich auch für diesen Fall zu.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, verlangt die Tatsache, daß die KPI über ihre Verhandlungen mit der Partei, die damals wie heute das Kanzleramt trug, im Jahre 1970 Berichte veröffentlichte, welche den Angaben des „Spiegel" ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit verleihen, nicht dennoch eine Aufklärung dieser Zusammenhänge?
Ich glaube, Sie haben in dieser Hinsicht von mir eine klare Antwort bekommen. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, bedeutet diese von Ihnen gewählte, außerordentlich vorsichtige Formulierung, die Bundesregierung könne die Richtigkeit unserer Angaben nicht bestätigen, daß die Bundesregierung auch nicht in der Lage ist, sie zu dementieren?
Ich kann genausogut sagen, diese Meldung ist falsch, wenn das noch hilfreicher ist.
Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Czaja.
Herr Staatsminister, bezieht sich Ihre Erklärung auf die Verhandlungen allein oder auch auf die Vorverhandlungen?
Sie bezieht sich auf die Verhandlungen und auf die Vorverhandlungen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Gilt die Antwort, die Sie erteilt haben, Herr Staatsminister, also auch für die Gespräche, die Herr Bahr während dieser Zeit mit Herrn Gromyko geführt hat?
Sie gilt für alle Zeiten. Die Bundesregierung hat zu keiner Zeit solche Kuriere in Anspruch genommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung eine Gegendarstellung in der Zeitschrift „Der Spiegel" verlangen?
Ich weiß nicht, welche Vorstellungen in dieser Hinsicht beim Bundespresse- und Informationsamt bestehen, ob es üblich ist, das in solchen Fällen zu tun. Wenn das immer üblich ist, dann, nehme ich an, wird man sich auch in diesem Falle darum bemühen.
Ich komme damit zur Frage 90 des Abgeordneten Dr. Becher ({0}) :
Welcher Art waren gegebenenfalls die im „Spiegel" als „Kurierdienste" umschriebenen Aufgaben, und wie wurden sie des Näheren abgewickelt?
Verzeihung, ich habe die beiden Fragen zusammen beantwortet. Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Herr Kollege Becher, daß ich nicht vorher um Ihr Einverständnis gebeten habe.
Herr Dr. Becher, dann haben Sie noch zwei Zusatzfragen. Bitte sehr.
Herr Minister, kann man die zitierten Angaben des „Spiegel" nicht auch in dem Sinne verstehen, daß der Kreml seinerseits die KPI als Kurier zwischen Moskau und dem Kanzleramt benutzte, um seine Vorstellungen von einer Deutschlandpolitik in der Bundesrepublik Deutschland zu verwirklichen?
Ich glaube, auch die sowjetische Regierung hat dazu keinerlei Anlaß gehabt. Sie sind genauso gut wie ich darüber informiert, daß wir zu diesem Zeitpunkt bereits lange diplomatische Beziehungen hatten. Es ist eine Selbstverständlichkeit, wenn Informationen weiterzugeben sind, den normalen diplomatischen Weg, nämlich den über die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau oder die sowjetische Botschaft hier in Bonn, zu benutzen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becher ({0}).
Herr Minister, darf ich noch einmal ganz konkret fragen, ob das, was Sie soeben sagten, und das, was Sie vorher gesagt hatten, heißt, daß es außer den legitimen Verhandlungen zwischen den Regierungsvertretern und über die Botschaften keinerlei Kontakte zu ausländischen kommunistischen Stellen gab, die der Vorbereitung bzw. Durchführung der Ostverträge dienten?
Ich kann mir durchaus vorstellen, daß Gespräche geführt worden sind. Sie haben aber konkret nichts mit den Verhandlungen zu tun gehabt. Wenn man daran interessiert ist, ein bestimmtes Verhandlungsziel zu erreichen, halte ich es durchaus für möglich, daß man z. B. auch mit anderen über die Problematik spricht. Aber mit der Verhandlung hat das nicht das geringste zu tun gehabt, geschweige denn mit Kurierdienst, wie hier geschrieben ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zoglmann.
Herr Staatsminister, würden Sie Ihre Aussage, daß keine Kurierdienste zwischen dem Bundeskanzleramt oder dem Auswärtigen Amt einerseits und kommunistischen Parteien andererseits in Anspruch genommen worden sind, auch aufrechterhalten, wenn der unmittelbare Kontakt von diesen kommunistischen Parteien aus zunächst über Vertreter einer Regierungspartei in der Bundesrepublik gelaufen sein sollte?
Parteien führen überhaupt keine internationalen Vertragsverhandlungen. Diese Verhandlungen führen Regierungen. Ich habe ganz klar und eindeutig gesagt, von wem die Verhandlungen in dieser Frage geführt worden sind und daß keinerlei Kurierdienste, wie sie hier angegeben sind, dafür in Anspruch genommen worden sind, daß dazu auch nicht der geringste Anlaß bestand.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, wie muß ich Ihre Antwort verstehen, daß die Abwicklung der normalen Nachrichten und Mitteilungen über die deutsche Botschaft in Moskau gelaufen sei, angesichts der Tatsache, daß der damalige Botschafter in Moskau in seinem Buch „Moskauer Tagebuch" ausdrücklich und bisher, soweit ich weiß, unwidersprochen festgestellt hat, daß er von Anfang an systematisch aus diesen Verhandlungen ausgeschaltet worden sei?
Ich habe das Buch nicht gelesen und kann mir darüber kein Urteil erlauben. Aber mit Sicherheit ist der Botschafter soweit in Anspruch genommen worden, wie es die Bundesregierung, das Auswärtige Amt, damals für richtig und notwendig gehalten hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz ({0}).
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin „sonstige Verhandlungen" erwähnt. Welche sonstigen Verhandlungen, die Sie vorhin somit eingeräumt haben, haben stattgefunden?
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Ich habe nicht von „sonstigen Verhandlungen" gesprochen, sondern ich habe gesagt: Ich kann mir, wenn man ein Verhandlungsziel erreichen will, durchaus vorstellen, daß man auch auf anderen Wegen, die mit den Verhandlungen nicht das geringste zu tun haben, informiert, um bei seinen Verhandlungen zu einem Ergebnis zu kommen. Ich halte so etwas für ganz interessant. Es gibt dafür aus der deutschen Geschichte nach 1945 eine Vielzahl von interessanten Beispielen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, es trifft doch aber zu, daß Personen, die Vorverhandlungen in Moskau geführt haben, vorher Gespräche mit der Kommunistischen Partei Italiens über die Themen der betreffenden Vorverhandlungen geführt haben?
Das ist mir nicht bekannt, Herr Kollege Czaja.
({0})
Die Fragen 91 und 92 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn
Vizepräsident Dr. Jaeger
Abgeordneten Reddemann, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 93 des Herrn Abgeordneten Augstein. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann wird auch diese Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf:
Aus welchen Gründen werden die Richtlinien für Nuklearexporte der Öffentlichkeit nicht vorgelegt, obwohl doch auch der Atomwaffensperrvertrag allgemein zugänglich ist, und was sind im einzelnen die Gründe der Partner dieser Vereinbarung für die vertrauliche Behandlung dieser Richtlinien?
Der Inhalt der Richtlinien für Nuklearexporte, zu deren Annahme die Gespräche der wichtigsten nuklearen Lieferländer in London geführt haben, ist vertraulich. Die vertrauliche Behandlung wurde von den Teilnehmern vereinbart. Der Bundestagsausschuß für Forschung und Technologie wurde am 18. Februar 1976 unterrichtet. Die Unterrichtung des Auswärtigen Ausschusses erfolgte am 10. März 1976. Die Richtlinien sollen dazu beitragen, die friedliche Nutzung der Kernenergie in ein wirksames und umfassendes System von Sicherungsmaßnahmen einzubetten. Sie entsprechen den Zielsetzungen und dem Geist des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Engelsberger.
Herr Staatsminister, bedeutet das Abkommen über den Nuklearexport eine Ausweitung des Nichtverbreitungsvertrages auf dem Verordnungsweg auch auf die friedliche kerntechnische Nutzung, und kann der deutschen Nuklearindustrie daraus ein Wettbewerbsnachteil entstehen?
Nein, ein Wettbewerbsnachteil kann für die deutsche Wirtschaft in gar keiner Weise entstehen. Sie sind mit Sicherheit darüber informiert, daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten die deutsche Wirtschaft bei ihren Exportbestrebungen fördert. Sie wäre also nicht bereit, irgendwelchen Vereinbarungen zuzustimmen, die die Wettbewerbssituation unserer Wirtschaft verschlechterten.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Engelsberger.
Herr Staatsminister, in welchem Umfang hat die Bundesregierung den Rat und die Meinung der betroffenen deutschen kerntechnischen Industrie bei der Ausarbeitung der Richtlinien für Nuklearexporte eingeholt?
Ich bin darüber nicht informiert. Ich bin aber sicher, daß so vorgegangen wurde. Ich bin gerne bereit, Ihnen diese Frage schriftlich zu beantworten.
Ich rufe die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf:
In welchem Umfang wird der Export von kerntechnischen Anlagen durch die neuen Richtlinien für Nuklearexporte betroffen, und wer kontrolliert die Anwendung dieser Richtlinien in den Ländern der Partnerstaaten, die die Vereinbarung über die Richtlinien für Nuklearexporte getroffen haben?
Die Richtlinien sind kein völkerrechtlicher Vertrag. Die wichtigsten nuklearen Lieferstaaten wenden die in den Richtlinien niedergelegten Prinzipien über Sicherungsmaßnahmen bei der Lieferung nuklearer Gegenstände und Materialien im Rahmen ihrer nationalen Ausfuhrpolitik an. Die Durchführung der Sicherungsmaßnahmen obliegt der Internationalen Atomenergie-Organisation, der IAEO.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, welche Auswirkungen haben die Richtlinien für Nuklearexporte auf das deutsch-brasilianische Nuklearabkommen und auf die Lieferung von kerntechnischen Anlagen nach Südafrika?
Das, was in den Richtlinien festgelegt worden ist, wurde in den Vereinbarungen, die mit Brasilien getroffen worden sind, antizipiert. Wie es sich im Falle Südafrika verhält, kann ich nicht sagen, weil ein entsprechender Antrag meines Wissens zur Zeit nicht vorliegt.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Engelsberger.
Herr Staatsminister, hat sich auch die Sowjetunion verpflichtet, sich der Kontrolle der IAEO zu unterwerfen, und haben derartige Kontrollen bereits bei sowjetischen Nuklearexporten stattgefunden?
Alle Teilnehmer haben die Richtlinien in gleicher Weise akzeptiert.
Die Frage 96 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Hat die Bundesregierung, seit ihrer Auskunft in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 25. Mai 1973 ({0}), inzwischen ein zuverlässigeres Bild über Christenverfolgungen in Malawi gewonnen, und hat sich für den deutschen Botschafter in Malawi mittlerweile eine Gelegenheit geboten, der malawischen Regierung die Auffassung der Bundesregierung über die Verletzung von Menschenrechten zum Ausdruck zu bringen?
Herr Kollege Dr. Meinecke, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Die der Bundesregierung vorliegenden Berichte über die Verfolgung der Zeugen Jehovas in Malawi sind weiterhin widersprüchlich. Nach wie vor lehnen es die örtlichen Stellen ab, sich zu den Vorgängen zu äußern. Der deutsche Botschafter in Malawi hat das Problem inzwischen mehrfach bei der malawischen Regierung im Sinne der Fragestellung angesprochen.
15806 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Dr. Meinecke ({0}) ({1}) : Herr Staatsminister, haben Sie bereits beide Fragen im Zusammenhang beantwortet?
Nein. Darf ich die andere Frage gleich mit beantworten?
({0})
Ich rufe dann auch die Frage 98 auf:
Wenn die Bundesregierung der Auffassung ist, daß die Handlungsweise der malawischen Regierung eine völkerrechtlich innere Angelegenheit Malawis ist, könnte sie dann gegenüber der dortigen Regierung zum Ausdruck bringen, daß die Einstellung der zwischenstaatlich wirtschaftlichen Beziehungen keine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Malawis bedeuten würde?
Bereits in der Auskunft in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 25. Mai 1973 wurde ausgeführt, daß die Regierung von Malawi Einwirkungen der Bundesregierung zugunsten der Betroffenen, die in aller Regel malawische Staatsangehörige sind, als eine völkerrechtlich unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Malawis zurückweisen würde. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malawi sind ihrem Umfang nach so unbedeutend, daß eine einseitige Einstellung dieser Beziehungen Malawi sicher nicht zu einer Änderung seiner innenpolitischen Einstellung bewegen würde. Auf die privatwirtschaftlichen Beziehungen hat die Bundesregierung keine Einflußmöglichkeiten. Die Bundesregierung könnte zwar der malawischen Regierung zum Ausdruck bringen, daß die Einstellung der zwischenstaatlichen wirtschaftlichen Beziehungen keine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Malawis bedeuten würde. Ein solcher Schritt ist aber weder beabsichtigt, noch würde er mit unserer erklärten entwicklungspolitischen Konzeption in Einklang zu bringen sein, nach der Wirtschaftsbeziehungen grundsätzlich nicht von einem bestimmten Verhalten des Partnerlandes abhängig sind.
Sie haben jetzt eine Reihe von Zusatzfragen. Die erste, bitte.
Ich werde mich kurzfassen, Herr Präsident: In Anbetracht der Tatsache, Herr Staatsminister, daß die Antwort damals zu dem gleichen Thema im Juni 1973 gegeben wurde, möchte ich fragen, ob die Bundesregierung auf Grund der Tatsache, daß sie seit jenem Jahr auch Mitglied der Vereinten Nationen ist, Möglichkeiten gefunden oder gesucht hat, im Rahmen der Vereinten Nationen und der zuständigen Ausschüsse dieses Thema vor das Forum der Weltöffentlichkeit zu bringen.
Herr Kollege, ich habe in anderem Zusammenhang eine ähnliche Frage zu behandeln, bei der ich sagen muß - und hier gilt das gleiche -, daß ich mir keinen Erfolg davon verspreche, auch nicht insbesondere im Interesse der betroffenen Menschen, einen solchen Weg zu gehen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ich habe mich, Herr Staatsminister, zu dieser Frage animiert gefühlt, weil in der Antwort der Bundesregierung 1973 auf ein Organ der Vereinten Nationen verwiesen wurde, nämlich auf den Hohen Flüchtlingskommissar, der sich auch mit der Sache befaßt hat und der sich ja nicht mit einer Sache befaßt haben kann, die international im allgemeinen als widersprüchlich und damit als unklar dargestellt wird.
Ich hatte Ihre Frage so verstanden, daß Sie die Menschenrechtskommission meinten. Die habe ich in meiner Antwort gemeint. Herr Kollege Dr. Meinecke, ich bin gerne bereit, daß wir das Problem in bezug auf den Flüchtlingskommissar noch einmal überprüfen.
Die dritte Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, Sie sprachen von sehr geringen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten. Dies gilt doch sicher nicht für die von 1964 bis 1976 gewährten 65 Millionen DM Kapitalhilfe?
Nein, ich habe von den normalen Handelsbeziehungen gesprochen, die verhältnismäßig gering sind.
Die letzte Zusatzfrage, bitte.
Ist es denn aber nicht zulässig, Herr Staatsminister, daß man versucht, einer solchen Regierung darzustellen, daß es der steuerzahlenden Bevölkerung unseres Landes innerlich und politisch schwerfällt, diese Kapitalhilfe mitzutragen, wenn über Tausende von Publikationen Millionen von Menschen in unserem Lande jetzt zumindest glauben, daß Christenverfolgung, -tötung und -ermordung stattfinden. Das muß man doch einer solchen Regierung zumindest erklären können!
Herr Kollege Dr. Meinecke, ich bin ganz sicher, daß der deutsche Botschafter jedesmal, wenn er die Gelegenheit wahrnimmt, mit den dortigen Verantwortlichen Gespräche zu führen, auch diese Argumente in Anspruch nimmt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, ist es nach der Erfahrung nicht so, daß Diktaturen, wenn sich weltweite Proteste gegen grauenhafte Verfolgungen erheben, diese eher zurückzuschrauben pfleDr. Czaja
gen, als daß Proteste schaden könnten, und meinen Sie nicht, daß auch ein Hinweis des Botschafters auf finanzielle Konsequenzen bei Fortsetzung der Verfolgung einen gewissen Eindruck haben könnte?
Ich bin ganz sicher, daß der Botschafter auf Grund seiner besonderen Erfahrungen an Ort und Stelle alle Argumente in Anspruch nehmen wird, um den betroffenen Menschen zu helfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Köhler ({0}).
Herr Staatsminister, ich erinnere Sie an die Auffassung von Bundesminister Bahr, daß deutsche Entwicklungshilfe dort nicht möglich sei, wo früher geachtete Menschenrechte nunmehr außer Kraft gesetzt seien. Fällt dieser Fall nach Ihrer Ansicht unter dieser Überlegung?
Ich müßte dies an Hand der wenigen Kenntnisse, die wir haben, genau prüfen.
Ich komme nunmehr zur Frage 99 des Abgeordneten Dr. Mertes ({0}). - Er ist nicht im Saal; diese Frage und seine Frage 100 werden somit schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich komme zur Frage 101 des Abgeordneten Dr. Kunz ({1}) :
Trifft es zu, ein Sprecher der Bundesregierung habe im Zusammenhang mit Bedenken gegen eine Sitzung des Präsidiums und des Altestenrats des Bundestages in dessen Berliner Antssitz geäußert, die Bundesregierung werde das Viermächteabkommen über Berlin nicht interpretieren, und wenn ja, wie vereinbart sie diese Haltung mit dem Kommuniqué, das sie zusammen mit dem sowjetischen KP-Chef bei dessen Besuch in Bonn veröffentlicht hat, das Viermächteabkommen über Berlin strikt einzuhalten und voll anzuwenden?
Herr Kollege Dr. Kunz, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten:
Es ist richtig, daß der stellvertretende Regierungssprecher erklärt hat, die Bundesregierung interpretiere das Viermächteabkommen über Berlin nicht. Dies entspricht der Auffassung der Bundesregierung, nach der für die Interpretation des Viermächteabkommens in erster Linie die Signatarmächte, d. h. auf westlicher Seite Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten, zuständig sind. Das Viermächteabkommen enthält bekanntlich zahlreiche Bestimmungen, bei deren Durchführung die Bundesregierung mitwirkt. Ich weise vor allem auf die Anlage II zu den Bindungen zwischen Berlin und dem Bund und auf die Anlage IV über die Außenvertretung Berlins hin. In allen sie betreffenden Bereichen hält die Bundesregierung das Viermächteabkommen strikt ein und wendet es voll an. Dabei handelt sie in allen Fragen, die die besonderen Rechte und Verantwortlichkeiten der Drei Mächte betreffen, in enger Abstimmung mit diesen Mächten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kunz.
Herr Staatsminister, wie kann die Bundesregierung eine Übereinstimmung hinsichtlich der strikten Einhaltung und vollen Anwendung des Viermächteabkommens über Berlin bestätigen, wenn sie nicht eine genaue und konkrete Vorstellung davon hat, welche Rechte in welchem Umfang wem zugebilligt werden?
Die Bundesregierung hat selbstverständlich zu allen Berlin betreffenden Fragen ganz konkrete Vorstellungen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kunz.
War die Bundesregierung bei der Abfassung des Kommuniqués zum Abschluß des Besuches des sowjetischen Parteichefs Breschnews in Bonn der Auffassung, daß Präsidium und Ältestenrat des Deutschen Bundestages im Reichstag tagen dürfen, oder hat sie sich über diesen speziellen Gesichtspunkt überhaupt keine Gedanken gemacht?
Ich glaube, man muß von der Voraussetzung ausgehen, daß das Viermächteabkommen ausdrücklich von Sitzungen der Bundestagsausschüsse und der Fraktionen spricht.
Ich komme zur Frage 102 des Abgeordneten Dr. Kunz ({0}) :
Ist die Bundesregierung der Auffassung, eine Sitzung von Präsidium und Ältestenrat des Bundestages in dessen Berliner Amtssitz würde den Rahmen einer vollen Anwendung des Viermächteabkommens überschreiten, und hat sie, wenn das nicht der Fall ist, in ihren Kontakten mit den westlichen Schutzmächten ihre Auffassung mit Nachdruck vertreten?
Auf dem Gebiet der Aktivitäten des Deutschen Bundestages in Berlin ({0}) hat es seit längerer Zeit keine Probleme mehr gegeben. Die Arbeit der Ausschüsse und Fraktionen vollzieht sich reibungslos. Das Viermächteabkommen hat sich hier bewährt. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, diesen guten Stand westlicher Berlin-Politik nicht zu gefährden. Wie Sie wissen, gibt es aber eine ständige Auseinandersetzung mit der Sowjetunion über die Interpretation des Vier mächteabkommens, soweit die Bindungen betroffen sind. Die Position der Drei Mächte und der Bundesregierung ist dabei von der Entschlossenheit bestimmt, das Viermächteabkommen strikt einzuhalten und voll anzuwenden. Konkret ist bei der Frage von Sitzungen des Ältestenrates in Berlin zu berücksichtigen, daß das Viermächteabkommen ausdrücklich nur Sitzungen der Bundestagsausschüsse und -fraktionen erwähnt.
Die Drei Mächte vertreten mit der Bundesregierung ihre Berlin-Position gegenüber der Sowjetunion mit Festigkeit. Sie vermeiden es aber, der Sowjetunion einen Anlaß zur Fortsetzung und Ausweitung einer Kampagne wegen der Interpretation bestimmter Bestimmungen des Viermächteabkommens zu
geben, einer Kampagne, die sich auf die Gesamtsituation der Stadt nur negativ auswirken kann. Unter diesen Gesichtspunkten ist gegenwärtig von Sitzungen des Ältestenrates in Berlin abgeraten, worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kunz.
Herr Staatsminister, ich darf demnach davon ausgehen, daß diese Fragen zwischen den drei Westmächten und der Bundesregierung eindeutig geklärt worden sind?
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich sage: Die Bundesregierung hat zu jeder hier angesprochenen Frage eine ganz klare Position. Auf der anderen Seite bitte ich um Verständnis dafür, daß ich nicht über das informieren kann, was in der Vierergruppe vertraulich behandelt wird.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Unter diesen besonderen Umständen verzichte ich darauf.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Jäger ({0}).
Ich habe nur folgende Frage, Herr Staatsminister: Ist in diesem Fall, der ja sicher insofern eine gewisse Ausnahme darstellt, die Antwort, die Sie uns erteilt haben, mit dem Präsidium und dem Ältestenrat des Deutschen Bundestages seitens der Bundesregierung abgestimmt worden?
Ich gehe von der Voraussetzung aus, daß die Mitarbeiter, die im Auswärtigen Amt und hier im Hause an der Beantwortung der Frage gearbeitet haben, miteinander Kontakt gehabt haben.
Wir kommen Zur Frage 103 des Abgeordneten Dr. Czaja:
Trifft es zu, daß der polnische Außenminister Olszowski Ende 1973 die Ausreise von mindestens 150 000 Deutschen binnen drei Jahren, jedoch im Zusammenhang mit der Zahlung höherer deutscher Summen, versprochen sowie als berechtigt bezeichnet hat und daß deshalb die Reduzierung der Zahlen der Ausreisebewerber nur auf Täuschungen oder Zwangsmaßnahmen zurückgeführt werden kann?
Herr Kollege Dr. Czaja, der in Ihrer Frage unterstellte Sachverhalt trifft nicht zu. In der mit der polnischen Delegation abgestimmten Erklärung vom 7. Dezember 1973 ist über die Ergebnisse der Gespräche in der Umsiedlerfrage berichtet worden. Ich darf den Wortlaut zitieren:
Beide Minister erörterten die Frage der umfassenden Regelung der Ausreisen innerhalb der
nächsten drei bis fünf Jahre auf der Grundlage der „Information" der Regierung der Volksrepublik Polen und des gemeinsamen Kommuniqués vom 20. Oktober 1973. Die Gespräche führten zu einer weiteren Annäherung der Standpunkte. Was zunächst das Jahr 1974 angeht, so hat die polnische Seite ihre Bereitschaft erklärt, 50 000 Personen die Ausreise zu genehmigen. Beide Seiten beschlossen, ein Protokoll über die Gesamtregelung zu vereinbaren. Zu diesem Zweck werden die Gespräche in der zweiten Hälfte des Jahres 1974 fortgesetzt.
Hierzu hat das Auswärtige Amt im übrigen schon in früheren Fragestunden Stellung genommen, z. B. in der Fragestunde vom 14. März 1974 auf Fragen des Herrn Kollegen Kunz ({0}) und des Kollegen Dr. Hupka. Es ist Ihnen auch bekannt, daß die damaligen Vorstellungen nicht verwirklicht werden konnten.
({1})
Die angestrebte Gesamtregelung ist damals nicht zustande gekommen. Dieser Sachverhalt ist in der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages vom 21. Januar 1976, an der Sie teilgenommen haben, eingehend dargelegt worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Treffen also auch die dabei genannten Zahlen nicht zu, wonach im Dezember 1973 von einer Abwicklung von insgesamt 150 000 Ausreisen die Rede gewesen sein soll, und treffen nach Ihrer Sachkenntnis auch Behauptungen von Parlamentariern nicht zu, daß Ende 1973 mit Polen über höhere finanzielle Leistungen für diese 150 000 Menschen als in Helsinki substantiell verhandelt worden sei und dies zur polnischen Bereitschaftserklärung von Dezember 1973 geführt habe?
Mir liegen solche Informationen nicht vor, Herr Kollege Dr. Czaja.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Haben Sie, Herr Staatsminister, eine amtliche deutsche Erklärung dafür, daß die von den polnischen Behörden Ende 1973 zugegebene Zahl von mindestens 150 000 deutschen Ausreiseberechtigten im Oktober 1975 ohne deutschen Widerspruch nochmals auf höchstens 125 000 reduziert wurde, obwohl bis dahin von den genannten 150 000 nur 14 000 ausgereist waren?
Die Frage ist bereits beantwortet; denn ich habe Ihnen gesagt, daß der in Ihrer Frage unterstellte Sachverhalt nicht den Tatsachen entspricht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, was ist grundsätzlich von der Bedeutung der Zusage des polnischen Außenministers Olszowski vom 7. Dezember 1973 - Sie haben vorgelesen, was damals im „Bulletin" zu lesen war - zu halten, wenn diese nicht nur nicht eingehalten, sondern die Bundesregierung ein Vierteljahr später darüber informiert wird, daß der polnische Außenminister nicht daran denke, sich zu dieser Zusage noch zu bekennen?
Ich glaube, ich habe die Antwort auf diese Frage bereits gegeben. Es ging darum, zu einer Gesamtregelung aller anstehenden Fragen zu kommen. Eine Gesamtregelung aller anstehenden Fragen ist zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, hält es die Bundesregierung angesichts des damaligen Vorganges für ratsam, sich im gegenwärtigen Zeitpunkt, wo es sich ja wiederum um Briefe und Zusagen des polnischen Außenministers Olszowski handelt, zu vergewissern, für welche Zeitdauer solche Aussagen Gültigkeit haben?
In dem Fall, den Sie meinen, hat sich die Bundesregierung voll vergewissert. Es besteht volle Klarheit über das, was vereinbart ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rommerskirchen.
Herr Staatsminister, wenn Sie soeben sagten, daß das nicht verwirklicht werden konnte: Wie bewerten Sie die jetzigen Zusagen des polnischen Außenministers?
Wir haben jetzt vertragliche Regelungen, die von polnischer Seite ratifiziert sind. Für die Bundesregierung gibt es nicht den geringsten Zweifel, daß diese Vereinbarungen in vollem Umfange von allen Beteiligten eingehalten werden.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schweitzer.
Herr Staatsminister, sollte man nicht noch einmal klarmachen, daß der Unterschied der ist, daß es damals eben zu keiner völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarung gekommen ist, während wir jetzt auf der ganzen Linie völkerrechtlich verbindliche Vereinbarungen haben? Ich will das nur noch einmal in Erinnerung rufen.
({0})
Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Professor Schweitzer, daß Sie noch einmal auf den Unterschied hinweisen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Milz.
Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden, als Sie eben sagten, daß die Verträge mit Polen von Polen schon ratifiziert seien?
Nein, das habe ich nicht gesagt.
({0})
Ich habe gesagt, sie werden ratifiziert. Hier handelt es sich um das Kommuniqué eines Gesprächs, das keiner Ratifikation bedarf. Ich kann ja wohl voraussetzen, daß das bekannt ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauer.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß in Publikationen der polnischen Botschaft in Köln, die an die Besucher ausgegeben werden, die in unsere Ostgebiete fahren, steht, daß es in Polen nur eine Minderheit von 3 000 Deutschen gebe, und haben Sie in der Zwischenzeit in Warschau diesbezüglich interveniert?
Ich kenne diese Publikationen nicht. Ich bin gerne bereit, mich darüber zu informieren und der Sache nachzugehen.
Ich rufe die Frage 104 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der letzten Tagung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf, die sich mit Empfehlungen zur Durchsetzung der Menschenrechte in allen Teilen der Welt befaßte, zum Schutz der I Million Deutschen Empfehlungen an den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen zwecks Beseitigung der Versagung eines Teils ihrer Mensdienrechte vorgesdilagen oder in der Generaldebatte das Augenmerk der Kommission eindringlich auf die teilweise menschenrechtswidrige Behandlung Deutscher in den Oder-Neiße-Gebieten gelenkt und im Rahmen der Themen der Tagung auf die fehlende Anwendung des Selbstbestimmungsrechts für die aus ihrer Heimat vertriebenen und für die in der Heimat verbliebenen verfolgten Deutschen hingewiesen?
Der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der diesjährigen 32. Tagung der VN-Menschenrechtskommission in Genf hat sich, übereinstimmend mit der bekannten Politik der Bundesregierung, nachdrücklich für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte, für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts in allen Teilen der Welt, auch in Europa, eingesetzt. Verlauf und Ergebnis der 32. Tagung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen haben jedoch gezeigt, daß Fortschritte auf dem Gebiet der Menschenrechte im westlichen Sinne zur Zeit schwer zu erreichen sind. Entsprechend den in der
Kommission herrschenden Mehrheitsverhältnissen stehen Themen wie Kampf gegen Kolonialismus, gegen Rassismus und Apartheid, die menschenrechtliche Lage in den von Israel besetzten Gebieten sowie die Entwicklung in Chile im Vordergrund des Interesses. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß zur Zeit eine objektive Behandlung von Menschenrechtsfragen in der Kommission kaum noch möglich ist. Ein Vorbringen unserer deutschen Anliegen in der Menschenrechtskommission hätte den Deutschen in Polen nicht geholfen, sondern nur zusätzliche Polemik und nutzlose Angriffe und Gegenangriffe bewirkt.
Die Bundesregierung wird es auch in Zukunft vermeiden, zu einer weiteren Verschärfung der Diskussionen im internationalen Bereich beizutragen. Sie bleibt bei ihrer Auffassung, daß den Deutschen in Polen nicht durch Deklamationen und von vornherein aussichtslose spektakuläre Aktionen geholfen werden kann. Behutsames und geduldiges Verhandeln ist der bessere Weg. Öffentliche und keinen Erfolg versprechende polemische Demonstrationen dürfen diesen Weg nicht verbauen.
Im übrigen darf ich daran erinnern, daß der Vertreter in der Menschenrechtskommission, Kollege Gerhard Jahn, umfangreich dazu Stellung genommen hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, ist der amtliche Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen an den vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Grundgesetzauftrag an alle Staatsorgane gebunden, auch für einen jeden Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten zur Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte den wirksamen Schutz beharrlich zu vertreten, und würde die Bundesregierung ihn abberufen, wenn er das entweder gar nicht oder in polemischer Weise täte, wie Sie soeben ausführten?
Die Bundesregierung würde ihn nur abberufen, wenn er eine Haltung einnimmt, die nicht dazu beiträgt, den betroffenen Menschen bei der Lösung ihrer Probleme behilflich zu sein.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, warum haben, wie aus den Akten des Auswärtigen Amtes zu ersehen ist, frühere Regierungen bei internationalen Erörterungen ununterbrochen die Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte verfolgter Deutscher, teilweise unter Zustimmung anderer Mächte, beharrlich vertreten, und warum hat dies der deutsche Vertreter in der Generaldebatte bei den Vereinten Nationen diesmal - trotz der Hinweise des Generalsekretärs Waldheim, trotz der Intervention des amerikanischen Vertreters für verfolgte Volksgruppen im Ostblock und des bekannten Umstandes, daß Schweigen den Verfolgten nicht hilft - bezüglich der Menschen in den Oder-NeißeGebieten nicht getan?
Ich habe hier zu Beginn ausdrücklich erklärt, welche Haltung der Vertreter der Bundesrepublik dort eingenommen hat. Ich habe darüber hinaus Sie darüber informiert, wie die Mehrheitsverhältnisse dort sind und daß wir nicht im Interesse der betroffenen Menschen handeln, wenn wir das unter Mehrheitsverhältnissen ansprechen, die mit Sicherheit nicht zum Erfolg führen. Weiter habe. ich deutlich gesagt, was nach unserer Auffassung zum Erfolg führen kann. Ich hoffe, daß wir im Laufe dieser Woche in dieser Frage einen wichtigen Erfolg erzielen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, ich nehme fast an, daß Sie das Wort aus der Dreigroschenoper von Bert Brecht kennen: „Die im Schatten sieht man nicht." Warum kommt dann die Bundesregierung zu dem Urteil, das Eintreten freier Demokraten für die verweigerten Menschenrechte mit der Bezeichnung „spektakuläre Aktion" abzuwerten?
Ich glaube, es gibt sicher Aktionen, die man auch als spektakulär bezeichnen muß. Dies liegt nicht im Interesse der betroffenen Menschen. Deshalb habe ich hier einen solchen Ausdruck in diesem Zusammenhang gebraucht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, berücksichtigt Ihre Antwort, daß Fortschritte in der Menschenrechtskommission in bezug auf die Verwirklichung von Menschenrechten derzeit kaum zu erwarten seien, auch den Umstand, daß Ende dieses Monats der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte für einen Großteil der Mitglieder dieser Kommission in Kraft treten wird und damit auch der Menschenrechtskommission selber neue Befugnisse und Verpflichtungen zwecks Durchsetzung der Menschenrechte in den beteiligten Staaten zuwachsen?
Die Bundesregierung wird dieser neuen veränderten - wie ich meine: verbesserten - Rechtsgrundlage in vollem Umfange Rechnung tragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arndt ({0}).
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Meinung, daß es gegen die sich aus
Dr. Arndt ({0})
dem von Herrn Kollegen Czaja zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der gegenwärtigen Verfassungslage überhaupt ergebenden Verpflichtungen für alle deutschen Staatsorgane verstieße, wenn der deutsche Vertreter in der Menschenrechtskommission durch einen Antrag dort provozierte, daß eine Mehrheit dieser doch mit relativer Autorität ausgestatteten Institution der Organisation der Vereinten Nationen feststellte, daß die Menschenrechte im Sinne der Frage nicht verletzt seien?
Ich teile Ihre Auffassung in vollem Umfange.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger ({0}).
Herr Staatsminister, abgesehen davon, daß ich persönlich gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte vor 1945 über den Verlauf dieser Diskussion zutiefst betroffen bin, möchte ich Sie fragen: Wenn die Verhältnisse in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen so desolat sind, wie Sie sie dargestellt haben, daß also eine objektive Behandlung von Verletzungen der Menschenrechte nicht möglich sei - wir haben ähnliches schon vom Innerdeutschen Ministerium zu den Verhältnissen in der DDR gehört -, sollte sich dann die Bundesregierung nicht überlegen, bis zur Wiederherstellung normaler Verhältnisse auch in dieser Menschenrechtskommission den nicht unerheblichen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen in Höhe von etwa 40 Millionen DM um etwa 10 %, sprich 4 Millionen DM, zu kürzen?
Verehrte Frau Kollegin, ich habe für diese Frage Verständnis. Ich glaube allerdings nicht, daß die sehr schwierige Situation in der Menschenrechtskommission, über die ich mich bemüht habe, hier zu informieren, ständig so bleiben muß, wie sie im Augenblick ist. Ich halte eine materielle Reaktion auf die schwierige Lage dort nicht für den richtigen Weg, um die Voraussetzungen zu schaffen, die im Interesse der Menschenrechte dort herbeigeführt werden müssen.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 105 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß zwanzig Prozent, nach anderen Angaben dreißig Prozent, der Aussiedler mit dem polnischen Paß hier eintreffen, also aus der polnischen Staatsangehörigkeit noch nicht entlassen sind, und kann sie dem Bericht in der Zeitung Die Welt" vom 29. Februar 1976 zustimmen, daß die Aussiedler „sicherheitshalber ihren polnischen Paß behielten"?
Herr Kollege Dr. Hupka, die Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung ist darüber unterrichtet, daß ein Teil der Aussiedler aus Polen in jüngster Zeit mit polnischen Konsularpässen in der Bundesrepublik Deutschland eintrifft. Genaue Prozentzahlen für diesen Personenkreis liegen mir gegenwärtig nicht vor. Sollten Sie daran interessiert sein, bin ich gerne bereit, hierzu genauere Feststellungen treffen zu lassen. Nach Kenntnis der Bundesregierung erfolgt die Aushändigung eines solchen Konsularpasses in der Regel nicht auf Antrag der Betroffenen. Der Besitz eines solchen Passes, der im übrigen ohne Einfluß auf die deutsche Staatsangehörigkeit ist, gibt dem Betreffenden die Möglichkeit, nach Polen zurückzukehren.
Hiergegen ist von unserer Seite nichts einzuwenden, da es nach unserer Rechtsordnung jedermann freisteht, sich dort niederzulassen, wo er selbst will. Dies ist u. a. im Ausreiseprotokoll ausdrücklich festgehalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, impliziert aber nicht diese Art der Paßausgabe, die neuerdings auffallend häufig angewendet wird, daß jemand jederzeit, ohne daß wir überhaupt davon Kenntnis erhalten, nach Polen ausreisen und wieder hier einreisen kann und daß er zum anderen in eine gewisse Abhängigkeit von der Behörde - seiner Botschaft hier - gerät?
Ich würde das nicht so sehen. Aber ich bin gerne bereit, über diese Frage nachzudenken, allerdings nur unter dem Gesichtspunkt, daß die Freizügigkeit des Menschen - ganz gleich in welcher Richtung - in vollem Umfange gewahrt ist.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, darin sind wir uns einig, daß niemand die Freizügigkeit hier in Frage stellen will. Kann aber vielleicht die Bundesregierung doch einmal nachforschen, wieso es kommt, daß in jüngster Zeit - das hat ja seinen Niederschlag in der Presse gefunden - die Zahl derer, die mit polnischen Pässen hier zu uns kommen, zugenommen hat? Ich habe die von mir genannte Prozentzahl unmittelbar aus Friedland, die natürlich auch die Bundesregierung genauso erfahren kann, wie sich sie erfahren habe.
Die Bundesregierung ist bereit, dem nachzugehen, und sie ist auch bereit, Sie über die Erkenntnisse, die dabei zutage kommen, zu informieren, Herr Dr. Hupka.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Freiherr von Fircks.
Herr Staatsminister, können Sie uns versichern, ob es für diejenigen, die diese Pässe haben, Konsequenzen steuerrechtlicher Art hat, wenn sie wieder nach Polen zurückfahren und hier zwischenzeitlich lin der einen oder anderen Form Vermögen erworben haben?
Ich bin nicht darüber informiert. Ich bin selbstverständlich gerne bereit, entsprechende Informationen einzuholen und sie an Sie weiterzugeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß es in dem Bruchteil derer, die mit polnischen Reisedokumenten einreisen, auch einen gewissen Teil von Personen gibt, die keineswegs unbestreitbar deutschen Volkstums sind, und trifft es zu, daß seit Anfang 1976 sich die Zusammensetzung der Aussiedler insofern sehr stark geändert hat, als erstens viel häufiger als früher Rentner ohne Anhang kommen und zweitens Personen mit diesen eben genannten Reisedokumenten?
Ich habe keine Informationen darüber. Ich bin gerne bereit, dies prüfen zu lassen und Sie zu informieren.
Ich komme zur Frage 106 des Abgeordneten Dr. Hupka:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Deutsche in Rumänien, die sich zur Aussiedlung entschlossen haben, vielfach vor der Tatsache kapitulieren müssen, daß ihnen keine Antragsformulare ausgehändigt werden, und gedenkt die Bundesregierung nach Kenntnis dieser Tatsache unter Hinweis auf die KSZE-Schlußakte von Helsinki in Verhandlungen mit der rumänischen Regierung einzutreten?
Herr Kollege Dr. Hupka, es ist der Bundesregierung bekannt, daß ausreisewillige Deutsche in Rumänien zuweilen Schwierigkeiten haben, die erforderlichen Antragsformulare zu erhalten. Allerdings besagen die hier bekanntgewordenen Erfahrungen auch, daß in der Regel diese Schwierigkeiten durch nachdrückliche Bemühungen der Ausreisebewerber überwunden werden können.
Soweit der Bundesregierung Fälle anhaltender Schwierigkeiten bekanntgeworden sind, haben wir über unsere Botschaft in Bukarest die zuständigen rumänischen Behörden um Abhilfe gebeten und in der Regel den gewünschten Erfolg erzielt. Angesichts der günstigen Erfahrungen mit diesem Verfahren gedenkt die Bundesregierung, diesen Weg weiterhin zu gehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, halten Sie dann den Weg für gangbar, daß man Siebenbürger Sachsen oder Banater Schwaben, die sich an einen wenden, den Rat erteilt, sich mit dieser Information unmittelbar an unsere Botschaft in Bukarest zu wenden, weil sie dann die Gewißheit haben werden, daß dem abgeholfen wird?
Alle Erfahrungen, die vorliegen, sprechen für diesen Weg.
Ich komme damit zu Frage 107 des Abgeordneten Jäger ({0}) :
In welcher Weise hat die Bundesregierung zu der Behauptung des Generalsekretärs der KPdSU, Breschnew, Stellung genommen, das Verhältnis zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland habe sich normalisiert, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine echte Normalisierung der Beziehungen zur UdSSR die Gewährung des Selbstbestimmungsredits für das ganze deutsche Volk seitens der Moskauer Regierung voraussetzt?
In seinem Rechenschaftsbericht vor dem 25. Parteitag hat Generalsekretär Breschnew davon gesprochen, daß die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR „in ein normales Fahrwasser" gekommen sind. Damit unterstreicht Generalsekretär Breschnew den dynamischen Charakter der Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern und deutet gleichzeitig an, daß diese Beziehungen noch weiter ausbau- und verbesserungsfähig sind.
Nach Ansicht der Bundesregierung ist bereits mit Abschluß des Moskauer Vertrages am 12. August 1970 eine neue Grundlage für die deutsch-sowjetischen Beziehungen geschaffen worden. Ungeachtet aller noch vorhandenen ideologischen und sachlichen Gegensätze bezweckt er, einen politischen Modus vivendi mit der Sowjetunion herbeizuführen, der dem Frieden in Europa dienen soll. Der auf dieser Grundlage auf vielen Gebieten erfolgte rapide und tiefgreifende Ausbau unserer Beziehungen zur Sowjetunion hat ohne Zweifel zu einem im Vergleich zur früheren Situation erheblich höheren Grad an Normalisierung des beiderseitigen Verhältnisses geführt.
Mit dem Brief zur deutschen Einheit, den wir anläßlich der Vertragsunterzeichnung am 12. August 1970 übergeben haben, hat die Bundesregierung den Sowjets gegenüber ausdrücklich festgestellt, daß der Moskauer Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Damit haben wir unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß wir die deutsche Frage nicht als abgeschlossen betrachten und daß wir sie als Teil unserer Friedenspolitik auch der Sowjetunion gegenüber einer Lösung zuführen wollen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, halten Sie die von Ihnen eben vorgenommene Wertung der Äußerungen des Generalsekretärs Breschnew nicht für unvollständig angesichts der Tatsache, daß Breschnew folgendes sagte - ich darf zitieren -:
Sie
- die Beziehungen kamen in normale Bahnen, und zwar unter der
einzig möglichen Voraussetzung des Verzichts
Jäger ({0})
auf die Anmaßung, die bestehenden europäischen Grenzen zu verändern.
Ich dachte, Sie wären aus dem Verlauf der letzten Sitzung des Auswärtigen Ausschusses darüber informiert, daß der Generalsekretär der KPdSU so etwas nicht gesagt hat. Die Übersetzung, die Sie hier jetzt verwandt haben, ist die aus dem „Neuen Deutschland". Die amtliche sowjetische Übersetzung hat einen wesentlich anderen Text und spricht vom Sprengen der Grenzen. In der Tat haben wir uns dazu verpflichtet, Grenzen nicht gewaltsam zu verändern. Ich empfehle Ihnen dringend, die amtliche sowjetische Übersetzung, die wir nachgeprüft haben, und nicht die verkehrte aus dem „Neuen Deutschland" zu übernehmen.
({0})
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, hätte die nach Ihren Darlegungen falsche Übersetzung im „Neuen Deutschland" der Bundesregierung nicht erst recht Anlaß geboten, den Äußerungen des sowjetischen Generalsekretärs gegenüber in der Weise Stellung zu beziehen, ganz klar und deutlich zu machen, daß eine Normalisierung der Beziehungen für uns erst dann eingetreten ist, wenn allen Deutschen das Selbstbestimmungsrecht gewährt ist?
Sie haben falsche Vorstellungen von unserer Arbeitsmethode. Wir nehmen das „Neue Deutschland" für uns in solchen Fragen nicht in Anspruch, sondern wir sind so sehr daran interessiert, daß wir es selber übersetzen lassen. Wir haben bei der Gelegenheit, bevor wir die offizielle Übersetzung der Sowjetunion bekommen haben, sehr schnell festgestellt, daß die dort gebrachte Übersetzung verfälscht ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wie ist es mit dem von Ihnen gewählten Ausdruck des dynamischen Charakters unserer Beziehungen zur Sowjetunion vereinbar, wenn wir es bis jetzt infolge der Haltung der Sowjetunion nicht fertiggebracht haben, drei Zusatzabkommen über Rechtshilfe, Kulturaustausch und Wissenschaftsaustausch mit der Sowjetunion abzuschließen?
Ich habe bei der Formulierung, die ich gebraucht habe, ausdrücklich darauf hingewiesen, Herr Kollege Hupka, daß es auf verschiedenen Gebieten Schwierigkeiten und Gegensätze gibt. Ich habe das nicht ausgespart. Sie haben eine der Fragen angesprochen, von denen ich hoffe, daß wir sie bald einer Lösung näherbringen können.
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Keine Zusatzfrage mehr.
Die Frage 108 des Abgeordneten Niegel wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Staatsminister, das Haus hat Sie heute recht lange in Anspruch genommen. Ich danke Ihnen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Würtz auf:
Mit welcher Begründung führt der Bundesverteidigungsminister für die ausscheidenden Wehrpflichtigen bei der Ausstellung der Dienstzeugnisse auf der Rückseite die entsprechenden Notenerläuterungen ein?
Herr Kollege Würtz, die Erläuterung der Wertungen auf der Rückseite von Dienstzeugnissen für Soldaten, die aus dem Wehrdienst ausscheiden, geht auf eine Anregung des Herrn Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages zurück. Er hatte darauf hingewiesen, daß der Wortlaut der Wertungen durch die zivilen Arbeitgeber, an die sich Dienstzeugnisse richten, ungerechtfertigt negativ ausgelegt werden kann. Da die Wertungen erst in Verbindung mit den amtlichen Definitionen ihre volle Aussagekraft erhalten und von den Arbeitgebern nicht verlangt werden kann, daß sie sich Vorschriften und Erlasse über die Beurteilungspraxis der Bundeswehr beschaffen oder von den Bewerbern vorlegen lassen, wurden die Erläuterungen in den Vordruck aufgenommen. Damit wird erreicht, daß die Dienstzeugnisse bei Bewerbungen außerhalb der Bundeswehr vorgelegt werden können, ohne daß die Gefahr von Fehlinterpretationen entsteht. Die Gründe für diese Maßnahme wurden der Truppe bereits vor Ankündigung der neuen Vordrucke in den Kurzmitteilungen über personelle Grundsatzfragen mitgeteilt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.
Herr Staatssekretär, Sie sehen in dem Ausdrucken dieser Erläuterungen keine besondere Disziplinierung der Soldaten?
Überhaupt nicht; denn jeder Bürger, der ein Zeugnis vorweist, weist es so vor, daß der andere, der es einsieht, es auch lesen kann.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Würtz auf:
Hat der Bundesverteidigungsminister inzwischen das Uniformtragen für die an den Bundeswehrfachschulen lernenden Soldaten überprüft?
Herr Kollege Würtz, die Frage der Verpflichtung von Bundeswehrfach15814
schillern zum Uniformtragen im Dienst ist vom Bundesminister der Verteidigung nochmals mit folgendem Ergebnis überprüft worden:
Nach der Zentralen Dienstvorschrift 37/10 - Anzugsordnung für die Bundeswehr - ist der Soldat verpflichtet, im Dienst grundsätzlich Uniform zu tragen. Zeitlich begrenzte und begründete Ausnahmen können durch die Disziplinarvorgesetzten genehmigt werden.
Diese Bestimmung gilt auch für Soldaten auf Zeit, die sich in der im Rahmen der Berufsförderung zu gewährenden Ausbildung befinden, denn der Besuch der Bundeswehrfachschule ist für den Soldaten Dienst. Die Verpflichtung zum Tragen der Uniform an Schuleinrichtungen der Bundeswehr ist im dienstlichen Charakter der Ausbildung begründet.
Die Regelung an den Hochschulen der Bundeswehr, wonach den Teilnehmern an wissenschaftlichen Lehrveranstaltungen die Wahl des Anzugs freigestellt ist, wurde mit Rücksicht auf die besonderen Gegebenheiten des Studiums an einer Bundeswehrhochschule getroffen. Das Bundesverwaltungsgericht - I. Wehrdienstsenat - hat hierzu in seinem Beschluß vom 14. Januar 1975 festgestellt, daß diese Besonderheiten für den Dienstbetrieb an den Bundeswehrfachschulen nicht zutreffen. Der Soldat an der Bundeswehrfachschule ist z. B. verpflichtet, am Unterricht teilzunehmen und kann sich nicht wie der Studierende an der Bundeswehrhochschule Vorlesungen selbst auswählen.
Ich sehe daher keine Möglichkeit, die für studierende Soldaten an den Hochschulen der Bundeswehr befohlene Anzugsregelung auch auf Bundeswehrfachschüler auszudehnen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.
Herr Staatssekretär, können Sie meine Enttäuschung verstehen, wenn ich hier feststelle, daß die Bundeswehr in dieser Frage nicht gerade an der Spitze des Fortschritts marschiert?
Ich kann Ihre Enttäuschung deswegen verstehen, lieber Kollege Würtz, weil es ja das vierte oder fünfte Mal ist, daß diese Frage von Ihnen gestellt und von uns auch beantwortet wird. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie hier immer wieder nach einer neuen Lösung suchen. Nur muß man eines sehen: Wir haben ja nicht nur die Bundeswehrfachschulen, sondern wir haben auch die Fachschulen der Teilstreitkräfte, wir haben Lehrgänge für die Weiterbildung von Soldaten. Wo fängt man an, und wo hört man auf?
Daß es für die Bundeswehrhochschulen eine eigene Regelung gibt, ist völlig klar. Ich glaube, da sind wir auch gar nicht verschiedener Meinung.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Schüler, die an normalen Truppenfachschulen unterrichtet werden, einen etwas anderen Status haben als diejenigen, die am dienstzeitbeendenden Unterricht an einer Bundeswehrfachschule teilnehmen und damit in Kürze aus der Bundeswehr ausscheiden?
Dem stimme ich zu. Nur, zur Zeit der Unterrichtung in der Bundeswehrfachschule sind sie noch Soldaten. Im übrigen ist ja festgelegt worden, daß die jeweiligen Vorgesetzten Gebrauch von der Möglichkeit machen können, eine andere Anzugsordnung zuzulassen als diejenige, welche die Uniform vorschreibt.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Berger auf:
Stimmt die Bundesregierung meiner Auffassung zu, daß die Kürzungen der Berufsförderung für Soldaten auf Zeit durch das Haushaltsstrukturgesetz bei verfassungskonformer Auslegung nicht für die Fälle gelten können, in denen bereits durch schriftliche amtliche Auskünfte oder Bestätigungen ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist, und wenn ja, wird sie dieser Auffassung Geltung verschaffen?
Herr Kollege Berger, sind Sie damit einverstanden, daß ich beide Fragen zusammenfasse?
Bitte sehr.
Ich rufe also auch die Frage 65 des Abgeordneten Berger auf:
Falls nein, teilt die Bundesregierung wenigstens meine Meinung, daß die Streichung oder wesentliche Kürzung einer bereits schriftlich in Aussicht gestellten Berufsförderung ({0}) einen ganz ungewöhnlichen Eingriff in rechtlich begründete Erwartungen und Dispositionen der Betroffenen darstellen würde, und welche Möglichkeiten sieht sie, wenigstens den im Jahr 1976 nach bisherigem Recht zur Berufsförderung freizustellenden Soldaten auf Zeit die Freistellung noch zu gewähren?
Nach der Ubergangsvorschrift des Art. 10 § 2 des Haushaltsstrukturgesetzes werden in den Fällen, in denen der Anspruch auf Berufsförderung vor dem 1. Januar 1976 entstanden und die Berufsförderung vor diesem Zeitpunkt beantragt worden ist, die fördernden Maßnahmen auch nach dem 1. Januar 1976 gewährt bzw. weitergewährt. Entsteht der Anspruch auf Berufsförderung nach dem 1. Januar 1976, wird er durch das Soldatenversorgungsgesetz in der Fassung des Haushaltsstrukturgesetzes beim Vorliegen der Anrechnungsvoraussetzungen gekürzt.
Es ist richtig, daß ein Teil der von dieser Vorschrift betroffenen Soldaten auf Zeit noch unter der Geltung des bisherigen Rechts auf Antrag einen schriftlichen Bescheid über die Freistellung vom militärischen Dienst, den Umfang des Anspruchs auf Fachausbildung nach Ausübung des Tauschrechts nach § 5 a Abs. 1 Nr. 2 des Soldatenversorgungsgesetzes oder über die Bewilligung einer Fachausbildung erhalten hat. In diesen Fällen werden die Bescheide nicht automatisch zurückgenommen, sondern es wird in jedem Einzelfall geprüft, ob dies nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts über die Rücknahme eines nicht mehr
mit dem Gesetz übereinstimmenden begünstigenden Verwaltungsaktes zulässig ist.
Bei der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem Schutz des Vertrauens des Begünstigten in den Bestand des ergangenen Bescheides kommt es in erster Linie darauf an, in welchem Maße sich der Soldat im Vertrauen auf die mitgeteilte Entscheidung bereits eingestellt hat, z. B. durch den Abschluß von Ausbildungsverträgen. Entsprechendes gilt, wenn im Einzelfall aus besonderem Anlaß ein Bescheid über die Bewilligung einer beantragten Fachausbildung bereits mündlich voraus erteilt worden ist. Durch Erlaß ist angeordnet, daß diese Prüfung zügig und unbürokratisch vorgenommen wird.
Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege. Sie ist insoweit noch zu beantworten, als sie sich auf eine Freistellung aller Soldaten auf Zeit bezieht, die im Jahre 1976 bei Fortgeltung des früheren Rechts zur Berufsförderung freizustellen gewesen wären. Außer in den in meiner Antwort zu Ihrer ersten Frage angesprochenen Fällen gibt das Gesetz nach seinem eindeutigen Wortlaut keine Möglichkeit, Berufsförderung in dem vor Inkrafttreten des Haushaltsstrukturgesetzes geltenden Umfang zu gewähren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß das Bundesministerium der Verteidigung durch den von Ihnen soeben genannten Erlaß vom 16. Februar bereits selbst einen gewissen Vertrauensschutz eingeräumt hat, daß aber dieser Erlaß nur die relativ wenigen Fälle regelt, in denen bereits ein förmlicher Bescheid nach dem Soldatenversorgungsgesetz mit der Überschrift „Bescheid" erteilt war, nicht aber Fälle mit schriftlichen Auskünften oder Bestätigungen des Ministeriums, die nicht den förmlichen Titel „Bescheid" tragen?
Soweit ein Bescheid gegeben war oder auch eine mündliche Zusage gegeben wurde, ist es selbstverständlich, daß das eingehalten wird. Wenn Auskünfte erteilt wurden, ohne daß Rechtsverbindlichkeit dahintersteht, wird im Einzelfalle, so wie ich es gesagt habe, geprüft, ob wegen Verpflichtungen, die auf Grund dieser Auskunft schon eingegangen worden sind, gegebenenfalls die Zulassung trotzdem erteilt werden sollte.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger.
Ist es richtig, daß förmliche Bescheide im allgemeinen erst relativ kurze Zeit vor Beginn der Freistellung oder der Fachausbildung ergehen, so daß die betroffenen Soldaten auf Zeit notwendigerweise schon vorher mit den Vorbereitungen beginnen, z. B. sich um Studienplätze bewerben müssen?
Es ist in der Truppe bekannt gewesen, daß in dieser Richtung durch das Haushaltsstrukturgesetz Veränderungen kommen. Die Soldaten sind sogar darauf hingewiesen worden, ihre Anträge noch im vergangenen Jahr zu stellen. Das ist weitestgehend auch geschehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger.
Würden Sie nicht trotzdem meine Ansicht teilen, daß auch in diesen Fällen bereits schutzwürdige Vertrauenstatbestände geschaffen sind, wenn z. B. betroffene Soldaten sogar schon vom Ministerium schriftlich aufgefordert wurden, zuerst einen Studienplatz nachzuweisen?
Ich meine, daß solche Fälle prüfungswürdig sind und daß man dabei sehr großzügig verfahren sollte.
Eine vierte und letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung insbesondere nach Ihrer letzten, etwas positiveren Antwort bereit, ihren Übergangserlaß vom 16. Februar auf die Fälle schriftlicher Auskünfte, von Bestätigungen und von solchen Aufforderungen ohne den Charakter eines förmlichen Bescheides auszudehnen, oder welche anderen Möglichkeiten sieht sie, um den schutzwürdigen Vertrauenstatbeständen Rechnung zu tragen?
Dieser Erlaß bleibt so, wie er ist. Ich habe aber ausdrücklich gesagt, daß hier der Einzelfall geprüft wird und das es durchaus möglich ist, im Einzelfalle auch zugunsten des Antragstellers oder des Petenten zu entscheiden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rommerskirchen.
Herr Staatssekretär, wie vereinbaren Sie die jetzt vorgetragene Auslegung und Anwendung des Gesetzes mit den vorherigen, nach meiner Auffassung eindeutigen Erklärungen von Vertretern der Bundesregierung sowohl bei unserer Beratung im Verteidigungsausschuß als auch gegenüber den Interessenverbänden der Soldaten, daß in alle bestehenden Besitzstände und Anwartschaften nicht eingegriffen wird?
Es ist in Besitzstände, die bis zum Inkrafttreten laufen, nicht eingegriffen worden. Dort, wo Anwartschaften kurz vor dem Ausscheiden entstanden, ist zum Teil geändert worden. Das ist im Verteidigungsausschuß auch gesagt worden. Im übrigen werden künftig bei Ausscheiden die Zahlungen, die in der Vergangenheit gewährt worden sind, nicht mehr in voller Höhe geleistet. Auch die Weiterverpflichtungsprämie wird in bestimmten Fällen nicht mehr gezahlt.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haar steht zur Verfügung.
Zunächst die Frage 66 des Abgeordneten Hoffie:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, die Verkehrssicherheit, insbesondere für Kinder sowie ältere und gebrechliche Menschen, in Wohngebieten dadurch zu erhöhen, daß auf den Fahrbahnen geschwindigkeitshindernde Bodenschwellen in beiden Fahrtrichtungen so versetzt aufgetragen werden, daß Notfallfahrzeuge auch bei höheren Fahrgeschwindigkeiten den Bodenschwellen ausweichen können?
Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich die beiden Fragen des Herrn Kollegen Hoffie im Zusammenhang beantworten könnte.
Bitte sehr. Ich rufe dann also noch die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in entsprechenden Großversuchen innerhalb von Wohngebieten eine solche Maßnahme zu erproben, und welche wirkungsvollen ergänzenden oder alternativen Möglichkeiten zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit ({0}) wird sie in Erwägung ziehen?
Die Bundesregierung beurteilt diesen Vorschlag negativ. Sinn und Zweck der Bodenschwellen wäre es, die Geschwindigkeit der Kraftfahrzeuge in solchen Straßen erheblich herabzusetzen, in denen dies zum Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer, besonders der Kinder und der älteren Menschen, als Fußgänger wie als Radfahrer, geboten ist, Herr Kollege. Diese schützende Wirkung von Bodenschwellen wird dann verfehlt, wenn die Schwellen so angeordnet sind, daß Fahrzeuge im Notdienst mit höheren Geschwindigkeiten diese Straßen befahren können. Denn eine für Notdienstfahrzeuge freigehaltene Gasse zwischen den Bodenschwellen kann im Grunde auch von jedem anderen Kraftfahrzeug benutzt werden. Die Erprobung von Bodenschwellen, also von neuen Maßnahmen straßenbaulicher Art fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer. Versuche in Wohngebieten sind daher nur dann möglich, wenn sich Bundesländer an ihnen interessiert zeigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Staatssekretär, ist die negative Beurteilung, die Sie diesem Vorschlag insgesamt geben, auf konkrete Erfahrungen zurückzuführen, oder handelt es sich nur um Mutmaßungen, nachdem feststeht, daß überall dort im Ausland, wo ein derartiges Verfahren praktiziert wird, trotz der von Ihnen kritisierten Punkte die Ergebnisse, insgesamt gesehen, sehr positiv sind?
Herr Kollege, Versuche mit derartigen Bodenschwellen kommen - wohl
auch nach Ihrer Auffassung - bei Bundesfernstraßen und Autobahnen ohnehin nicht in Frage. Sie dürfen aber davon ausgehen, daß die Bundesregierung Versuche vergleichbarer Art, wie sie gegenwärtig z. B. in Großbritannien und in Holland vorbereitet und durchgeführt werden, aufmerksam verfolgt. Aus diesen Versuchen werden natürlich auch bei uns Schlußfolgerungen gezogen werden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Staatssekretär, nachdem ich in meiner zweiten Frage gebeten hatte, die Beurteilung ergänzender oder alternativer Möglichkeiten seitens der Bundesregierung in die Antwort einzubeziehen, möchte ich nachfragen, inwieweit hier Ihre Vorstellungen konkretisiert sind.
Es gibt bis zum Augenblick keine Vereinbarungen mit Ländern, in deren Zuständigkeit solche Versuche ja liegen. Es gibt lediglich eine zurückhaltende Position der Bundesregierung, soweit eigene Erfahrungen bislang nicht vorliegen. Sie dürfen aber davon ausgehen, daß die internationalen Erfahrungen verfolgt und auch bei uns, wie zu der zweiten Frage bereits dargestellt, ausgewertet werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich komme zu der Frage 68 des Abgeordneten Zoglmann.
Wie ist die Bundesregierung imstande, die Aufteilung der Kosten für die Erneuerung der Autobahn Berlin-Helmstedt zwischen ihr und Ost-Berlin als sachlich gerechtfertigt zu bezeichnen, wenn ihr nach ihrer eigenen Aussage ({0}) keine Angaben über den Teil des Verkehrs auf dem Autobahnabschnitt Berlin-Helmstedt, der die beiden in der Antwort genannten Übergangsstellen nicht berührt, vorliegen?
Wenn Herr Kollege Zoglmann einverstanden ist, würde ich wegen des Sachzusammenhangs auch hier gern beide Fragen gemeinsam beantworten.
Einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Zoglmann auf:
Welche Versuche hat die Bundesregierung unternommen, um sich über das Verkehrsaufkommen auf der Autobahn Berlin-Helmstedt innerhalb des Ostberliner Herrschaftsbereichs Gewißheit zu verschaffen, und falls sie es nicht versucht hat, warum hat sie es unterlassen?
In meiner Antwort auf Ihre Frage vom 12. Februar 1976 habe ich Zahlen genannt, die sich aus den amtlichen Statistiken der Bundesrepublik Deutschland ergeben. Es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung keine Möglichkeit hat, auf dem Gebiete der DDR eigene Verkehrszählungen in der Form vorzunehmen, die ihr im eigenen Bereich möglich ist. In diesem Sinne sind die von Ihnen zitierten Ausführungen auch zu verstehen.
Dies bedeutet nicht, daß sich die Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen mit der DDR nicht auch einen Überblick über den Anteil des internen DDR-Verkehrs auf der Autobahnstrecke Helmstedt-Berlin verschafft hat. Die Deutsche Demokratische Republik hat im Verlauf der Verhandlungen auf unseren Wunsch Angaben über Gesamtverkehrsbelastungen gemacht, die von uns mit den eigenen Erhebungen verglichen werden konnten. Der sich hieraus errechnete Anteil des nicht die beiden Übergangsstellen Helmstedt und Dreilinden berührenden Verkehrs hielt sich im Rahmen von uns angestellter Beobachtungen. Insgesamt ergaben sich daraus unter Berücksichtigung saisonaler Verkehrsspitzen - so z. B. an Wochenenden, Feiertagen und zur Hauptreisezeit - die Belastungswerte, die zu den bekannten Kostenteilungsschlüsseln geführt haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zoglmann.
Herr Staatssekretär, würden Sie zugeben, daß die Ausführungen, die Sie eben gemacht haben, nicht mit der Antwort in Einklang zu bringen sind, die Sie auf eine frühere Anfrage erteilt haben und in der Sie ausdrücklich darauf hingewiesen' haben, daß Sie keinerlei Angaben über die Dichte des Verkehrs auf der Autobahn Berlin-Helmstedt vorliegen haben?
Ich weiß nicht, ob Ihre Frage eine Form von Verhör darstellen soll. Hier ist doch nichts zuzugeben, sondern festzustellen, daß ich Ihnen die Form unserer Erhebungen auf Ihre Frage hin noch einmal dargestellt habe.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zoglmann.
Herr Staatssekretär, ohne Sie in ein Verhör nehmen zu wollen, möchte ich Sie fragen, ob Sie es für ausgeschlossen halten, daß wir für die Erneuerung der Autobahn Helmstedt-Berlin mehr Kosten zahlen, als wir eigentlich zahlen müßten.
Nein.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zoglmann.
Herr Staatssekretär, würden Sie einräumen, daß präzise Zahlen über die dem Verkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin anteilig zuzurechnenden Kosten nicht vorhanden sind und daher die Zuwendungen an die DDR aus diesem Titel praktisch - jedenfalls teilweise - als Subventionen für das Ostberliner Regime anzusehen sind?
Sehr geehrter Herr Kollege, ich bin der Meinung, daß wir im Interesse der Sache an dieser Stelle die Erörterungen über die Verkehrszahlen nicht fortsetzen sollten. Ich fürchte,
daß wir sonst künftige Verhandlungen mit der DDR präjudizieren würden. Ich möchte Sie vor allem auch daran erinnern, daß die DDR ursprünglich jede Kostenbeteiligung strikt abgelehnt hatte.
Im übrigen mußte die Grunderneuerung der Autobahn Berlin-Helmstedt, auf der fast zwei Drittel des gesamten Straßenverkehrs nach Berlin abgewickelt wird, unbedingt in Angriff genommen werden. Eine unregelmäßige Erneuerung von Teilstücken hätte auf nicht absehbare Zeit hinaus Baustellen und andere Behinderungen des Verkehrsflusses zur Folge gehabt. Dies war unzumutbar und mußte nicht zuletzt im Interesse der Reisenden und auch einer zügigen Güterbeförderung vermieden werden.
Wir kommen zur Frage 70 des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}). - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann wird diese Frage ebenso wie die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Schmidt ({1}) schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 72 und 73 sollen auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Dr. Kraske, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 74 des Herrn Abgeordneten Benz auf:
Welche Mitgliedstaaten des Internationalen Übereinkommens über Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt „Eurocontrol" vom 13. Dezember 1960 haben die Bundesregierung daran gehindert, Eurocontrol Karlsruhe nadi den Vorstellungen der Bundesregierung im Rahmen von „Eurocontrol" auszubauen und zu betreiben?
Die voraussehbare Entwicklung der Organisation Eurocontrol nach 1983 hindert die Bundesregierung daran, die EurocontrolZentrale Karlsruhe ausschließlich durch EurocontrolPersonal betreiben zu lassen. In Übereinstimmung mit dem Eurocontrol-Übereinkommen haben nämlich bisher nur Luxemburg, Belgien und die Bundesrepublik Luftverkehrskontrolldienste auf Eurocontrol übertragen. Dagegen haben Großbritannien, Frankreich und Irland bereits jetzt erklärt, daß sie auch nach 1983 keine Luftverkehrskontrolldienste auf Eurocontrol übertragen werden. Bei dieser Sachlage sind wir überzeugt, daß alle Mitgliedstaaten der deutschen Absicht zustimmen werden, zumal nach den bisherigen Regelungen auch sozial keine Benachteiligungen erfolgen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Benz.
Herr Staatssekretär, wie deckt sich nach Ihrer Auffassung diese eben gemachte Aussage mit der Niederschrift der 46. Sitzung der Ständigen Kommission vom 20. November 1975, in der es heißt, bei den Erkundungsgesprächen seien sich alle Beteiligten darüber einig gewesen, daß Eurocontrol bis 1983 auf der Grundlage des gegenwärtigen Übereinkommens in seiner jetzigen Anwendungsform weiterarbeiten soll?
Was die jetzt angesprochenen Probleme anlangt, so ist die Veränderung organisatorischer Art, Herr Kollege. Sie hat nichts mit der Fortführung nach 1983 im eigentlichen Sinne zu tun. Wir wissen, daß sich ein Teil der Mitgliedstaaten langfristig nicht an die Vereinbarungen halten möchte. Das geht auch schon aus den Entscheidungen hervor, die in den letzten Jahren getroffen worden sind. Damit ergeben sich Schlußfolgerungen, die in Übereinstimmung mit allen Mitgliedstaaten gezogen werden müssen.
Wir stehen am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staassekretär.
Die übrigen, nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kehren zu der Debatte des heutigen Vormittags zurück. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Pieroth das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit unserem Antrag zur Förderung der betrieblichen Gewinn- und Kapitalbeteiligung führen wir unsere Politik „Eigentum für alle" fort. Das ist unsere Politik, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen. Mit der Förderung des Bausparens ab 1952, der Sparprämiengesetzgebung 1958, den drei Privatisierungsgesetzen, dem 312-DM-Gesetz 1961 und dem zweiten Vermögensbildungsgesetz 1965 wurden - zum Teil gegen den Widerstand der damaligen Opposition - alle vermögenspolitischen Meilensteine bisher ausschließlich von den Unionsparteien gesetzt. Es ist Tatsache: in 17 Jahren Opposition und in fast zehn Regierungsjahren haben die Sozialdemokraten hier im Deutschen Bundestag keinen einzigen eigenständigen Antrag zur breiteren Vermögensstreuung eingebracht.
({0})
- Der Antrag kommt jetzt gleich. Sie werden sich wundern.
Angesichts einer laut Bundesbankbericht durch die Geld- und Schuldenentwertung kontinuierlich wachsende Sachvermögenskonzentration bringt die Opposition mit diesem heutigen Antrag erneut eine vermögenspolitische Initiative, wie auch schon 1970 mit dem Burgbacher-Plan, den wir nicht, wie Sie heute morgen den Eindruck erwecken wollten, zurückgezogen haben. Über 40 Milliarden DM wertbeständiges Produktivvermögen wären inzwischen in Arbeitnehmerhand, wenn Sie uns damals nicht niedergestimmt hätten.
Das ist um so verantwortungsloser, als Sie blank und bloß ohne Alternative mit leeren Händen in der Vermögenspolitik dastehen. Ihre Pläne zur überbetrieblichen Vermögensbildung sind gescheitert. Im Jahreswirtschaftsbericht heißt es dazu schlicht und einfach - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Hinsichtlich der Bemühungen zur gesetzlichen überbetrieblichen Beteiligung breiterer Schichten am Zuwachs des Produktivvermögens konnte keine befriedigende Lösung erzielt werden.
Wenn Sie dann auf der gleichen Seite des Jahreswirtschaftsberichts feststellen, daß Ihr Bemühen -ich zitiere wieder -, „die Vermögensbildung breiterer Schichten der Bevölkerung zu fördern, in den letzten Jahren erfolgreich gewesen ist", und zwar durch das 624-DM-Gesetz, so schmücken Sie sich hier mit fremden Federn. Wir bestätigen Ihnen ja gern, daß Sie das 624-DM-Gesetz mit unserer Zustimmung verabschiedet haben. Wir bestätigen Ihnen auch gern, daß 624 unbestreitbar das Doppelte von 312 ist. Nur wurde das 312-DM-Gesetz von uns gegen Sie durchgesetzt, und zwar schon 1961.
({1})
In Anbetracht des weiteren Faktums, daß sich seit 1961 auch die Löhne mehr als verdoppelt haben, begrüßen wir es nach wie vor, daß Sie unseren Begünstigungsrahmen des Jahres 1961 angepaßt haben. Mehr haben Sie nicht getan.
Im übrigen zielte das 312-DM-Gesetz auf Geldsparen. Die vermögenspolitische Diskussion der letzten zehn Jahre will den Arbeitnehmer auch am Produktivvermögen beteiligen. Deshalb unser heutiger Antrag. Auf ihn warten insbesondere die Arbeitnehmer und Unternehmer in mittleren und in mittelständischen Unternehmen. Deren Hoffnung war groß, als die Kollegen Ehrenberg und Schmidt ({2}) als Sprecher ihrer Fraktion zuletzt vor Jahresfrist erklärten, die Koalition arbeite mit Nachdruck daran, die Barrieren für einen Ausbau des betrieblichen Weges zu beseitigen. Aber alle, die darauf hofften, wurden enttäuscht. Um so mehr, meine Damen und Herren, ist den Unternehmern und den Betriebsräten zu danken, die sich auch nicht durch sozialdemokratische Hinhaltetaktik und durch freidemokratische Verbalbekenntnisse davon abhalten ließen, von sich aus ihre Mitarbeiter am Gewinn und Kapital zu beteiligen. Es sind Tausende von Unternehmen, denen die CDU an dieser Stelle für ihren gesellschaftspolitischen Weitblick danken darf.
({3})
- Ja, z. B. auch dem Kollegen Rosenthal, der links hinter Ihnen sitzt.
In diesen Unternehmen ist die Entscheidung für soziale Partnerschaft und gegen Klassenkampf gefallen. Diese Unternehmen haben sich gegen Zwang, gegen Funktionärsbevormundung über zentralisitische Fonds entschieden und haben ja gesagt zum mündigen Wirtschaftsbürger, der selbst und direkt in seinem Unternehmen mitbestimmen und mitbesitzen darf. Der deutsche Arbeitnehmer will persönlich verfügbares individuelles Privateigentum. Der Arbeiter will nichts von dem wissen, was Sie in Ihren Vorstellungen letztlich anstreben, er
will nichts wissen von marktwirtschaftssprengendem funktionärsgesteuertem Kollektiveigentum.
({4})
Dieser Antrag liegt erstens im Interesse der Arbeitnehmer, weil wir der Gefahr, mit dem Arbeitsplatz auch das Vermögen zu verlieren, für den Zeitraum der Verfügungsbeschränkung vorgebeugt haben. Wenn ein Unternehmen Pleite macht, bekommt der Arbeitnehmer seine Beteiligung zurück. - Der Antrag liegt zweitens im Arbeitnehmerinteresse, weil gewährleistet ist, daß der Arbeitnehmer jederzeit sein Unternehmen verlassen kann und seine Beteiligung auch fristgerecht ausgezahlt wird, er also nicht, wie leicht vorgeworfen wird, mit goldenen Fesseln an sein Unternehmen gebunden wird. - Drittens werden die Rechte des Arbeitnehmers im Unternehmen durch sein Kapital gestärkt. Diese Rechte dürfen weder eingeschränkt noch von Dritten usurpiert werden.
Die dringend gebotene Verbesserung der Ertragserwartung der deutschen Unternehmen erfordert nach den Geboten der sozialen Marktwirtschaft auch eine Beteiligung der Arbeitnehmer an diesem Vermögenszuwachs der Wirtschaft, den wir bewerkstelligen wollen. Wir sind uns andererseits einig, daß unsere Wirtschaft mehr als bisher investieren muß. Diese gewaltigen Zukunftsinvestitionen können nicht von wenigen Unternehmern und dürfen in unserer marktwirtschaftlichen Grundordnung nicht weitgehend vom Staat finanziert werden. Die Investitionskraft der deutschen Wirtschaft kann nur durch die Beteiligung vieler Arbeitnehmer an der Investitionsfinanzierung gestärkt werden. So ist unser Antrag investitions- und zugleich mittelstandsfreundlich. Er verbessert durch die betriebliche Beteiligung den Eigenfinanzierungsspielraum der Unternehmen, die sich nicht direkt an den Kapitalmarkt wenden können. Die Wirtschaftskrise hat uns ja wieder einmal die unzureichende Kapitalausstattung der deutschen Wirtschaft gezeigt.
Meine Damen und Herren, im Bundeskabinett wollen gleich mehrere Minister, nicht nur Herr Matthöfer, den Arbeitnehmer gar nicht als Miteigentümer, und sie tun diesen Wunsch der Arbeitnehmer, wie sie so gerne sagen, als „Kleinkapitalistenmentalität" ab. Ich will hier gar nicht fragen, warum sie die Marktwirtschaft nicht dadurch stärken wollen, daß sie möglichst viele Staatsbürger auch zu Wirtschaftsbürgern machen.
({5})
Ich will vielmehr sagen: unser Antrag verbessert das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Unternehmen. Dieses partnerschaftliche Verhältnis entspricht den heutigen gesellschaftspolitischen Realitäten und Notwendigkeiten besser als Klassenkampfvorstellungen des letzten Jahrhunderts und besser als gesellschaftspolitische Konzepte, die durch eine Renaissance
({6})
- hören Sie jetzt gut zu - von Neidinstinkten Leistung diffamieren, Wachstum blockieren
({7})
und den sozialen Frieden in unserem Land unsicherer machen.
({8})
- Meine Herren von der Sozialdemokratie, wir sind jetzt beim politischen Teil des Antrags. Wir müssen uns einmal klarmachen, worum es uns geht und worum es Ihnen geht und warum Sie bisher nichts getan haben.
({9})
Wir sind für Eigentum für alle, weil persönliches Eigentum ein unentbehrlicher Brückenpfeiler unserer und jeder freiheitlichen Gesellschaft ist.
Natürlich will ich gar nicht bestreiten, daß es auch auf beiden Seiten der Koalition Kollegen gibt, die uns sehr nahestehen.
({10})
Aber ich kann wohl feststellen: Die einzige politische Gruppe, die es geschlossen mit der Forderung nach persönlichem Eigentum für alle ernst meint und damit auch Ernst macht, ist die Union.
({11})
Die Union hat zur Zeit keine Mehrheit. Trotzdem, meine ich, muß in diesem Bundestag eine Mehrheit für persönlich verfügbares Eigentum bestehen.
Hier wird das ganze Dilemma dieser Koalition und der SPD deutlich. Die meisten wissen genau, daß sie dem deutschen Arbeitnehmer mit Kollektiveigentumsideen nicht imponieren können.
Herr Abgeordneter Pieroth, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, haben Sie, nachdem die beiden Minister heute morgen prinzipiell ihre Bereitschaft bekundet haben, über die Form der betrieblichen Vermögensbildung nachzudenken, die Güte, außer den schönen Worten, die Sie hier zum Allgemeinen sagen, konkret zu diesem Antrag zu sprechen, insbesondere über die Schwierigkeiten, die die Bewertungsfragen aufwerfen und die im wesentlichen mit den Schwierigkeiten identisch sind, die bei der betrieblichen Vermögensbildung aufgetreten sind.
({0})
Lieber Herr Kollege, von „prinzipiellem Einverständnis" haben wir jetzt sieben lange Jahre etwas gehört, und das genügt uns langsam.
({0})
Deshalb müssen Sie sich - das ist der wichtigste Teil der Auseinandersetzungen heute ({1})
- Schauen Sie mich doch nicht so böse an! Ich meine Sie gar nicht persönlich. Aber wenn Sie für Ihre Politik geradestehen wollen, dann müssen Sie hier argumentieren
({2}) und dürfen nicht schreien.
({3})
Wenn hier verhandelt wird, kommt es auf die politische Erklärung und nicht auf drittrangige Detailfragen an, wie sie von Minister Apel heute morgen angesprochen worden sind. Im übrigen möchte ich selbst bestimmen, wann ich welchen Teil meiner Ausführungen bringe.
({4})
Jedenfalls wird auch an diesen Ihren Einlassungen das ganze Dilemma, in dem Sie sich befinden, deutlich.
({5})
Sie wissen, daß Sie mit Kollektiveigentumsideen, wie Sie sie letztlich im Kopf haben, dem Arbeitnehmer nicht imponieren können, und obwohl es wahltaktisch günstiger wäre, können Sie es sich nicht leisten, für persönliches Eigentum einzutreten, weil dann nämlich die grundlegenden Unterschiede in Ihren Reihen vollends sichtbar würden. Das Problem Ihrer innerparteilichen Zerrissenheit dürfen Sie nicht weiter auf Kosten der Bürger draußen lösen wollen,
({6})
indem Sie verhindern, daß hier im Bundestag eine Politik des „Eigentums für alle" betrieben wird.
({7})
Herr Abgeordneter Pieroth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Herrn Ehrenberg besonders gern, ja.
Herr Kollege Pieroth, darf ich Ihren letzten Ausführungen entnehmen, daß Sie glauben, schon mit einer politischen Erklärung Vermögen für alle schaffen zu können, auch wenn diese Erklärung nichts konkret Durchsetzbares enthält?
({0})
Herr Ehrenberg, das Konkrete lesen Sie in unserem Antrag. Wir wollen hier und heute eine politische Einigung darüber herbeiführen, ob dem deutschen Arbeitnehmer individuelles Privateigentum verschafft werden soll. Die Frage ist, ob Sie bei Ihren Kollektiveigentumsvorstellungen bleiben.
({0})
Ich will hier nicht Eigentumsphilosophie betreiben. Aber bloße Versprechungen, nachzulesen z. B. in den „Freiburger Thesen" der FDP, nützen niemandem etwas, wenn sie auf dem Papier stehenbleiben. Dort steht etwa der schöne Satz - ich darf zitieren -:
Erst durch breite Vermögensbildung wird freie Eigentumsordnung menschenwürdig und glaubhaft.
Ich kann jedoch auch nach angestrenger Suche, wo die menschenwürdige und glaubhafte Vermögensbildung der FDP bisher geblieben ist, nur feststellen: große freidemokratische Fehlanzeige.
Herr Abgeordneter Pieroth, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Huber?
Herr Pieroth, liegt es an den Detailfragen, die Sie hier als zu vernachlässigende Fragen beschrieben haben, daß Sie nur einen Antrag und keinen Gesetzentwurf vorgelegt haben? Das war meine Frage Nummer eins. Zweitens: Woraus schließen Sie konkret, daß wir gegen persönliches Eigentum sind, wo doch das betriebliche Eigentum in der Form, wie Sie es propagieren, bisher nur 0,02 % zugute kommt?
Sie werden mir gestatten, daß ich Ihre Ungeduld jetzt noch nicht befriedige, sondern erst nachher zu den Details komme.
({0})
Sie wollen jetzt sagen, daß im betrieblichen Beteiligungsbereich noch nicht viel passiert ist. Deshalb stehen wir doch hier, weil Sie seit Jahren darüber reden, mit uns die steuerlichen Barrieren, die der betrieblichen Beteiligung entgegenstehen, beseitigen zu wollen, aber nichts dafür tun, wie wir auch heute morgen wieder gehört haben.
({1})
Ich will Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, jedenfalls noch eine grundsätzliche Überlegungen mitgeben, damit Sie wissen, wohin wir wollen, und damit Sie sich uns vielleicht ein bißchen leichter anschließen können.
({2})
Das Reich der Freiheit, in dem soviel Überfluß herrscht, daß jeder nach seinen Bedürfnissen Güter erhält, dieses von Marx angekündigte Reich der Freiheit haben wir ja noch nicht. Wir leben noch im Reich der Notwendigkeit, d. h. unsere Güter sind, gemessen an den Bedürfnissen, knapp. Deshalb muß die Beziehung zwischen den Gütern und den Menschen mit ihren Bedürfnissen ja geregelt werden. Hier sehen wir weit und breit keine bessere Möglichkeit, diese Zuordnung zwischen Mensch und Gütern zu regeln, als über die Einrichtung des persönlichen Privateigentums auch an Produktionsmitteln. Diese auf privater Basis beruhende Eigentumsordnung ist bei weitem menschenwürdiger und ökonomisch zweckmäßiger und sichert die personale Freiheit besser als alle kollektivistischen Ansätze, die letztlich da, wo sie zum Tragen gekommen sind, nur zu miserablen ökonomischen und menschenunwürdigen Ergebnissen geführt haben. Das sollten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die Sie unsere christlich-sozialethische Begründung der Eigentumspolitik nicht akzeptieren mögen, meinetwegen als eine marktwirtschaftlichliberale Begründung unserer Eigentumspolitik neu überdenken.
Herr Abgeordneter Pieroth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rapp ({0}) ?
Bitte schön.
Herr Kollege Pieroth, der Sie unsere Vorstellungen als kollektivistisch abqualifizieren wollen: Ist es für Sie und Ihre Partei nie ein Problem gewesen und nie als Aufgabe empfunden worden, die Vermögenspolitik so auszugestalten, daß es dabei nach Möglichkeit nicht wieder zu neuen Verteilungsspannungen kommt?
Lieber Kollege Rapp, wenn Sie ständig nur darauf achten, ja nicht die geringste Ungerechtigkeit zu begehen, und dafür lieber in Kauf nehmen, daß weitere zehn Jahre nichts Entscheidendes in der Vermögenspolitik geschieht, dann machen Sie nur so weiter, wie Sie das bisher gemacht haben.
({0})
Wir wollen das machen, was jetzt möglich ist, und das ist die Beteiligung der Mitarbeiter an den Unternehmen, in denen Gewinne gemacht werden, wenn das dort möglich ist.
Wie kommen wir jetzt - auch vor dem 3. Oktober 1976 -, solange der Union die Mehrheit fehlt, zur Beteiligung des deutschen Arbeitnehmers am
Gewinn und Kapital seines Unternehmens? Noch sind wir ja Opposition.
({1})
- Wenn wir übersehen, was Sie in der Zeit seit 1969 für die Vermögensbildung getan haben - oder besser: was Sie nicht getan haben -, dann kann man nur sagen: Sie hätten die ganze Zeit über die Opposition sein müssen.
({2})
Wir können jedenfalls das, was jetzt möglich ist, nur machen, wenn Sie aufhören, durch Versprechungen, Ankündigungen, Absichtserklärungen und Sonntagsreden Illusionen zu wecken und Konfusion zu betreiben. Ich will ja gar nicht mehr von den Jahren 1969 bis 1973 reden. Da waren die große Regierungserklärung 1969, Vier-Staatssekretär-Vorschlag 1970, Eckwertbeschluß 1971. Dann Exkanzler Brandt im Jahre 1971, im Januar 1972: noch im Sommer 1972 komme die große Lösung. Dann die Regierungserklärung 1973; das Ergebnis war eine weltfremde Mischung eines ebenso weltfremden Ministers, der glaubte, durch eine Prise Freiburger Thesen der FDP und durch einen Schuß Sozialismus den historischen Kompromiß, wie er meinte, von Sozialismus und Liberalismus gerade auf dem Gebiet der Vermögensbildung demonstrieren zu müssen. Dann die Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers im Mai 1974. Der wichtigste Satz:
Das bedeutet, daß er
- der Gesetzentwurf zur Vermögensbildung in dieser Legislaturperiode wenigstens noch eingebracht werden muß.
Wenn Sie jetzt nach so vielen Ankündigungen, in langen Jahren vorgebracht, im Jahreswirtschaftsbericht lapidar feststellen, daß keine geeignete Lösung gefunden werden konnte, dann müssen Sie die Ernsthaftigkeit Ihres Wollens zunächst einmal glaubhaft machen.
({3})
Heute morgen hat sich dann zu unserem heute zu behandelnden Antrag der Herr Bundesfinanzminister dankenswerterweise detailliert geäußert, leider aber nur im Detail. Was wir gehört haben, war eine kleinkarierte, fiskalische Argumentation eines Minister, der in diesem Fall besser Steuerberater oder Steuerbeamter geworden wäre als Politiker.
({4})
Denn was hat er uns denn erzählt? Wie schwierig es angesichts des heutigen Steuerrechts sei, die Probleme betrieblicher Beteiligung zu lösen. Meine Damen und Herren, wenn derartige Probleme nicht bestünden, wenn das alles so schön von sich aus ginge, dann brauchten wir ja auf diesem Gebiet keine gesetzliche Reform. Es geht doch gerade darum, gesetzliche Regelungen so zu fassen, daß die Schwierigkeiten, die der betrieblichen Beteiligung heute entgegenstehen, beseitigt werden. Natürlich gibt es dazu die verschiedensten Möglichkeiten
und auch einige Detailprobleme. Aber was wichtiger ist, das ist der Grundsatz: Wollen Sie überhaupt die betriebliche Vermögensbildung, oder wollen Sie sie nicht? Hier muß politisch argumentiert werden.
Der Bundesfinanzminister hat politisch sehr wenig dazu gesagt, gerade so nebenbei einige Sätze. Die waren dann aber aufschlußreich. Der Finanzminister hat gesagt: Es ist keineswegs so, daß wir die überbetriebliche Vermögensbeteiligung ad acta gelegt haben. Das enthüllt eindeutig die nach wie vor bestehende kollektivistische, ideologische Grundhaltung. Sonst wäre das heute morgen nicht erklärt worden. Wer natürlich alle Reformvorschläge durch die rote ideologische Brille betrachtet, sieht gern ein paar Gespenster.
Es ist ja sehr bezeichnend, daß das Wirtschaftsministerium und Herr Wirtschaftsminister Friderichs, der eine etwas anders gefärbte Brille zu haben scheint - obwohl man manchmal überrascht ist, wie oft sich die Farben dieser Brille ändern können -, diese Probleme lange nicht als so gravierend ansehen wie der Herr Finanzminister. Bei Herrn Friderichs, zumindest in seinem Hause, heißt es nämlich - ich zitiere -:
Gegen den Antrag bestehen sachlich keine Einwendungen. Es könnte in der Substanz dem CDU/CSU-Antrag gefolgt werden.
Vielleicht können das die Herren unter sich ausmachen. Meine Damen und Herren, mit dem Verweisen auf Detailfragen, mit solch lächerlichen Mätzchen, kommen Sie hier nicht weiter.
Ich darf hier noch ganz kurz zu einem der Haupteinwände Stellung nehmen: Sie sehen keine Möglichkeit, den Arbeitnehmerteilhaber vom eigentlichen Gesellschafter zu unterscheiden, und weisen darauf hin, daß bei kapitalintensiven Unternehmen eine Prozentbegrenzung zu sehr hohen, bei arbeitsintensiven zu sehr niedrigen Beteiligungen führen würde. Haben Sie denn noch nie etwas davon gehört, daß man alternativ eine absolute Begrenzung einführen kann, meinetwegen 20 000 DM oder 2 % vom Kapital als Höchstgrenze?
Meine Damen und Herren, der Redner hat seine Redezeit überschritten. Ich kann deshalb keine Zwischenfrage mehr zulassen, muß ihm selbst aber noch wegen der vielen Zwischenfragen, die an ihn gerichtet worden sind, einige Minuten geben.
Danke schön. - Ich darf daher schließen, indem ich nochmals klar die Frage formuliere, auf die es hier wirklich ankommt: Sie können dieser Frage natürlich auszuweichen versuchen, sei es, weil Sie sich nicht auf eine Antwort einigen können oder weil Sie Angst haben, mit einer ehrlichen Antwort Wählerstimmen zu verlieren. Wir werden Herrn Apel nicht weiter Gelegenheit geben, vermögenspolitische Initiativen hier abzulehnen, aber dann draußen auf dem Steuergewerkschaftstag groß zu erklären: Ich bin ein engagierter Verfechter der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Das ist ja geschehen. Wir werden es auch Ihnen, Herr Minister Friderichs, nicht durchgehen lassen, daß Sie großartige Lippenbekenntnisse zur Eigentumspolitik verbreiten, sich aber auch hinsichtlich der betrieblichen Beteiligung der Arbeitnehmer im konkreten Fall vor der Entscheidung drücken. Das ist klein, aber unfein. Man sollte nicht darauf spekulieren, daß man dem großen Koalitionspartner dann in der Wahl die Schuld anlasten kann.
Solche Ausreden, meine Damen und Herren, ziehen hier nicht mehr. Hier in diesem Hause liegt unser Antrag. Sachlich gibt es dagegen wenig zu sagen. Was die Opposition von Ihnen wissen will, was die Bürger von Ihnen zu wissen beanspruchen, ist: Wie ernst meinen Sie es mit der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand wirklich? An unserem Antrag können Sie das beweisen. Sie müssen jetzt vermögenspolitisch Farbe bekennen. Wir verlangen von Ihnen eine ganz klare Antwort.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Rosenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht für politischen Nebel, auch nicht im eigenen Lager. Ich will nicht vernebeln, daß es uns erst teilweise gelungen ist, auf der einen Schiene unseres dritten Weges zwischen den verschrieenen Schlagworten „Kapitalismus" und „Verstaatlichung", nämlich der Vermögensbildung voranzukommen. Aber es ist schließlich nur eine Schiene. Bitte, Herr Pieroth, meine Herren von der Opposition, vergessen Sie nicht, wie wir auf der anderen Schiene, der Mitbestimmung, vorangekommen sind! Es hat auch sieben Jahre gedauert, bis wir mit den rechtlichen Schwierigkeiten der Mitbestimmung - Zwischenstation Betriebsverfassungsgesetz - fertiggeworden sind. Es hat ebenfalls sieben Jahre gedauert, bis Sie - wie ich hoffe - da Ihre Zustimmung geben werden:
({0})
Daß Gesetze wie das Gesetz der überbetrieblichen Vermögensbeteiligung, die ebenfalls steuerliche Probleme berühren, nicht einfach und schnell zu verabschieden sind, muß akzeptiert werden.
({1})
- Lieber Herr Pieroth, ich bin ein bißchen von Ihrer jetzigen Rede enttäuscht gewesen, denn ich habe in der ganzen Rede keine Antwort auf die präzisen Ausführungen des Finanzministers gehört, warum Ihr Antrag in sechs von sieben Punkten nicht durchführbar ist. Der erste Punkt, der durchRosenthal
zuführen ist, betrifft die Körperschaftsteuerreform, und die stammt bekanntlich von der Koalition.
({2})
Herr Pieroth, ich kann auch nicht zulassen - das muß ich sagen, obwohl ich es hier kurz machen will, denn ich finde, Polemik ist bei dieser Frage nicht drin -, daß Sie uns polemisch als Kollektivisten beschimpfen. Das ist nicht drin; denn wenn wir Kollektivisten wären, dann hätten wir die überbetriebliche Vermögensbildung, die nicht kollektivistisch ist, mit dieser Art von Fonds, die miteinander in Konkurrenz stehen, auf unserem Parteitag nicht durchgebracht. Wir hätten dann die Richtung, in die wir mit der überbetrieblichen Vermögensbildung gehen, nicht verfolgen können. Da von Kollektivismus zu reden - entschuldigen Sie, Herr Pieroth -, geht ein bißchen an der Wahrheit vorbei.
({3})
Schauen Sie, da in dieser Frage der Vermögensbildung viele Leute aus vielen Parteien etwas getan haben, bin ich nicht dafür, jetzt zu sagen: Sie haben nichts gemacht. Ich bin nicht dafür, der CDU bei diesem Thema die Leistungen abzuerkennen.
({4})
Aber wenn Sie jetzt sagen, die Koalition hätte nichts getan, dann muß ich Ihnen die Zahlen ins Gesicht werfen, Herr Pieroth.
({5}) - Sie kommen auch dran, Herr Vogt.
Bei dem ersten CDU-Gesetz konnten die Tarifpartner überhaupt nicht beteiligt werden. Ganze 250 000 Arbeitnehmer waren dabei. Bei dem zweiten Gesetz - das haben wir schon mehr gemeinsam gemacht, da sind wir dann auf 5,7 Millionen gekommen. Aber bei dem Gesetz, das wir, die Sozialliberale Koalition, gemacht haben - das ist eben ein anderes Gesetz; ich habe es damals auch für einen marktpolitischen Fehler gehalten, das auch nur 624-DM-Gesetz zu nennen -, sind wir durch die Zulagen und die Beseitigung der Nachteile in der Sozialversicherung auf 16 Millionen Arbeitnehmer gekommen. Dadurch sind wir eben dazu gekommen, daß diese Sparsumme von 1,6 Milliarden DM jetzt zu einem Betrag von mehr als 10 Milliarden DM geworden ist.
Herr Pieroth, es hat keinen Sinn, daß wir die Wahrheit so vereinfachen, wenn wir weiter - wie ich hoffe - auf diesem Weg zusammenarbeiten wollen.
({6})
Herr Abgeordneter Rosenthal, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pieroth?
Herr Kollege Rosenthal, da wir bekanntlich über die Beteiligung des Arbeitnehmers am Produktivvermögen der Wirtschaft
sprechen, möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen die Erkenntnis des Arbeitsministeriums bekannt, daß der Anteil des Produktivvermögens an dem im Rahmen des 624-DM-Gesetzes gebildeten Vermögen weniger als ein Prozent ausmacht?
Herr Pieroth, das ist mir natürlich bekannt. Warum glauben Sie denn, daß wir - Ehrenberg und wie sie alle heißen - uns um diese Beteiligung am Produktivvermögen bemühen? Lieber Herr Pieroth, Sie können doch jetzt nicht so tun, als ob, selbst wenn Ihre Einzelbetriebsbeteiligung klappen würde, dann nun plötzlich der Weg frei wäre für eine Beteiligung der Arbeitnehmer an den einzelnen Unternehmen.
({0})
Da Sie schon strittig reden, muß ich Sie fragen, Herr Pieroth: Warum haben Sie denn den verbindlichen Teil, nämlich den Burgbacher Plan, in Ihrer Partei bereits zurückgezogen?
({1})
Natürlich ist er zurückgezogen, weil er gar nicht geht. Herr Pieroth - entschuldigen Sie, daß ich mich jetzt an Sie wende, aber Sie waren mein Vorredner -, in Ihrer Partei ist ja die Frage der Beteiligung am Produktiveigentum so „unstrittig", daß der Führer der CSU gesagt hat - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -:
Eine der dümmsten Vorstellungen, die man haben kann, den Arbeitnehmer am Produktivkapital unbedingt beteiligen zu müssen.
({2})
Herr Abgeordneten Rosenthal, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Rosenthal, nachdem Sie hier gerade darauf hinweisen wollten, daß die Christlich-Demokratische Union in der Vermögensbildung sich offensichtlich doch nicht so einig sei, möchte ich Sie fragen: Bestand nicht einer der Gründe Ihres Rücktritts aus der vorhergehenden Regierung darin, daß es in dieser Regierung überhaupt nicht möglich war, Vermögensbildung effektiv in Ihrem Sinne zum Zuge zu bringen?
Herr Kollege Breidbach, da haben Sie wieder falsch getippt.
({0})
Ich bin aus dem Wirtschaftsministerium ausgeschieden, weil ich in dieser und in anderen Fragen erkannt habe, daß Herr Schiller kein Sozialdemokrat war. Das hat er hinterher auch bewiesen.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege Rosenthal, glauben Sie nach dieser Antwort, daß es einen ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretär auszeichnet, jetzt offen zu bekennen, daß er sich so unglaublich getäuscht hat bei seiner Entscheidung, diesem Minister zu helfen, eine ganz bestimmte Politik zu betreiben?
Lieber Herr Breidbach, in Herrn Schiller haben sich doch noch andere Leute getäuscht. Das ist doch im menschlichen Bereich möglich.
({0})
Jetzt kommen wir zu Ihrer freiwilligen Beteiligung. Herr Pieroth, in Ihrer viertelstündigen oder längeren Rede sind Sie mit keinem Wort auf die steuerlichen Bedenken des Finanzministers eingegangen.
({1})
Zweitens haben Sie gesagt, daß Sie von 3 000 Unternehmen reden. Sind Sie sich im klaren, daß es erstens nur 2 200 sind und daß zweitens bei diesen 2 200 Beteiligungen auch Unternehmen dabei sind, die an leitende Angestellte irgendeine Tantieme geben, so daß es in Wirklichkeit einen kleineren Kreis von nur 250 Unternehmen in Deutschland gibt, die eine echte Kapitalbeteiligung für die Arbeitnehmer bieten?
({2})
Herr Pieroth, glauben Sie wirklich, daß es selbst dann, wenn man die steuerlichen Belange berücksichtigen könnte - Sie haben ja vom Finanzminister gehört, daß er das, wo es möglich ist, beabsichtigt -, möglich ist, daß plötzlich alle deutschen Unternehmer oder nur die Hälfte oder nur ein Viertel sich bereit erklären werden? Herr Pieroth, Sie haben es ja selber bewiesen, und ich habe es auch bewiesen: wenn es einer will, dann kann er es, auch heute.
({3})
Aber Sie können doch in einer Frage, bei der es darum geht, eine echte Gefahr für diese von Ihnen immer vertretene Marktwirtschaft zu beseitigen, hinsichtlich der Freiwilligkeit nicht so verfahren, wie Sie es, abgehend von Burgbacher, in den Hamburger Beschlüssen getan haben, indem Sie auf die Freiwilligkeit gegangen sind, und wie Sie es heute wieder tun und auf die Freiwilligkeit gehen.
({4})
Genauso können Sie doch hergehen und es der Freiwilligkeit überlassen, daß man bei Rot nicht über die Straße laufen darf. Dazu bedarf es eines Gesetzes. Aber, Herr Pieroth, ich will jetzt nicht mehr länger darüber reden; denn ich finde, diese Debatte kann der Sache als solcher nur schaden.
Bei der überbetrieblichen Beteiligung, die tatsächlich etwas bringen wird, und der betrieblichen Beteiligung, gegen die wir nichts haben, ist erstens sachlich das Problem der Bewertung zu lösen. Da liegt der Hund begraben. Zweitens müssen wir dem normalen Bürger auch noch viele Aufklärungen geben. Denn, meine Damen und Herren, in der Politik geht etwas vorwärts teils durch Einsicht von oben und teils durch Druck von unten. Solange ein Großteil der deutschen Arbeitnehmerschaft noch nicht weiß, daß er die Wahl hat zwischen zusätzlichen Nominallöhnen und Investitionen, die Arbeitsplätze bringen, solange er noch nicht weiß, daß ihm nur die Nominallohnpolitik keine ins Gewicht fallende Verbesserung seiner Vermögenssituation geben kann, und solange 98 °/o der deutschen Unternehmer, die ja in Ihrer Partei mehr als in meiner vertreten sind, noch gegen jedes dieser Gesetze waren - bezüglich des 312-DM-Gesetzes hat Herr Balke, der Chef der Arbeitgebervereinigung, gesagt, dies sei ein kollektives Zwangssparen, wie es auch heute wieder wörtlich über unsere jetzigen Bestrebungen gesagt wurde - und nicht der Meinung sind, daß dieser Beitrag auch von den Arbeitgebern als den wirtschaftlichen Kennern kommen muß, so lange kommen wir nicht weiter.
Ich mache also zwei Vorschläge: Lassen Sie uns alle, die etwas davon verstehen, gemeinsam arbeiten, um die Bewertungsprobleme zu lösen, und lassen Sie uns dafür eintreten, daß in dieser Situation der bereits gegangene tarifliche Weg weiter beschritten und ausgebaut wird!
({5})
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Kürze der Zeit macht es notwendig, hier sehr thesenartig vorzutragen, welchen Standpunkt die FDP-Fraktion zu diesen Fragen einnimmt.
1. Wir sind der Überzeugung, daß zur Abschwächung und zur Korrektur einkommenspolitischer Verteilungskämpfe Vermögenspolitik dringend erforderlich ist.
2. Wir stimmen insofern dem Sachverständigengutachten und den Anregungen der Sachverständigen zu, glauben allerdings, daß das Modell, das im Sachverständigengutachten 1975 entwickelt worden ist, ein reines Gewinnbeteiligungsmodell und nicht geeignet ist, die Aufgaben und Probleme zu lösen, die uns gestellt sind.
3. Wir meinen, daß die zu falschen Schlußfolgerungen verleitende Unterscheidung zwischen Sparförderung und Vermögensbildung aufgegeben werden sollte; denn auch Geldvermögen ist echtes Vermögen, und jeder Vermögensbildung liegt letztlich ein Sparvorgang zugrunde, wobei wir die direkte Beteiligung am Produktivvermögen zwar als die volkswirtschaftlich wünschenswerteste Anlageform
ansehen, aber sagen müssen, daß auch andere Anlageformen in Unternehmen die von Ihnen, Herr Pieroth, erwähnte Investitionsfinanzierung erleichtern.
4. Wir sind der Überzeugung, daß die Unterscheidung zwischen Geldvermögen und Produktivvermögen, wie wir sie uns in der Vergangenheit angewöhnt haben, sorgfältig überprüft werden muß. Ich gehe nicht so weit wie Professor Engels, der in seiner Untersuchung sagt: Der Arbeitnehmer ist am Produktivvermögen überhaupt nicht interessiert. Aber fest steht, daß diejenigen, die in den vergangenen 15 Jahren Geldvermögen etwa in Form von Bundesanleihen angelegt haben, besser gefahren sind als diejenigen, die sich Titel am Produktivvermögen gekauft haben.
5. Herr Pieroth, wir wüßten nun gern, ob der Burgbacher-Plan, den wir, wie Sie wissen, immer als eine gigantische Mittelstandsschädigungsmaschine bezeichnet haben, nun wirklich endlich verschwunden ist oder ob doch noch ein Teil Burgbacher, außer dem Namen des verehrten Kollegen im Kopf Ihres Antrags, erhalten bleibt.
6. Herr Pieroth, Sie bringen einen Antrag ein, in den Sie unter anderem hineinschreiben, daß die Miteigentümer, die Sie so schaffen wollen - wir sind sehr einverstanden mit dieser Zielrichtung -, gleichzeitig durch Insolvenzsicherung geschützt werden sollten. Dies scheint mir aber nicht die richtige Betrachtung desjenigen zu sein, der am Risikokapital beteiligt ist. Dies ist Vermögensbildung mit Verhütungsmitteln. Das führt nicht zum Erfolg.
({0})
- Herr Pieroth, wenn der Herr Präsident mir die Zeit anrechnet, bin ich gern bereit, auf Ihre Zwischenfrage einzugehen.
Im Hinblick auf die interfraktionellen Absprachen ist es nur bedingt möglich. - Bitte!
Seien Sie doch bitte so freundlich und lesen Sie in unserem Antrag nach, daß wir die Insolvenzabsicherung nur für den Zeitraum der Verfügungsbeschränkung des Arbeitnehmers haben wollen und daß einem in der Verfügung beschränkten Vermögen doch eine zusätzliche Absicherung widerfahren muß, ohne daß dadurch ein zweitrangiges Kapital geschaffen wird. Anschließend hat der Arbeitnehmer doch voll zu haften.
Ich habe das selbstverständlich gesehen, Herr Pieroth. Ich halte auch das für bedenklich. Ich möchte von Ihnen gern wissen, wer denn eigentlich die Kosten dieser Insolvenzsicherung tragen soll. Das steht in Ihrem Antrag vorsichtshalber nicht drin.
({0})
- Nein, es steht nicht drin.
Vorletzter Punkt, meine Damen und Herren. Ich kann mich nur dem anschließen, was der Herr Finanzminister heute morgen zu den technischen Mängeln dieser Vorschläge vorgetragen hat. Dies ist mit einer intellektuellen Klarheit vorgetragen worden, die das Papier leider nicht aufweist. Den Vorschlag, Herr Pieroth, den Sie eben gebracht haben, offensichtlich aus der Hüfte geschossen, obwohl Sie zehn Jahre lang Zeit hatten, darüber nachzudenken, eine Beschränkung auf 2 % des Kapitals einer Kommanditgesellschaft vorzunehmen und die Heranziehung zur Gewerbesteuer zu unterlassen, hätte ich mit großem Vergnügen zur Kenntnis genommen, als ich mit einem Prozent Kommanditist bei einer relativ großen Firma war; aber sicherlich hätte ich nicht in den Kreis derjenigen einbezogen werden sollen, den Sie mit Vermögensbildungsmaßnahmen bedenken wollen.
({1})
Dies ist alles nicht zu Ende gedacht. Sie arbeiten doch angeblich schon seit fünf oder zehn Jahren an diesen Papieren. Sie hätten den Antrag hier in Gesetzesform vorlegen sollen, um selber zu erkennen - wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, hätten Sie es erkannt -, in welche Ecken Sie laufen und vor welchen unüberwindbaren Zäunen Sie stehen. Ich will das Bewertungsthema - in diesem Zusammenhang beziehe ich mich auf den Finanzminister - gar nicht noch einmal aufrühren.
({2})
Hier gehört Klarheit her, Herr Pieroth, nicht nur gute Absicht, die wir anerkennen und Ihnen vorbehaltlos attestieren. Hieran muß mehr gearbeitet werden, hier muß ausgefeilt und bis ins einzelne gegangen werden.
({3})
- Verweisen Sie doch nicht immerzu auf die Regierung. Wenn Sie sich selber solche Initiativen zu eigen machen, werden Sie doch wohl in der Lage sein, die Rolle der Opposition auch so wahrzunehmen, daß Sie brauchbare und verabschiedungsreife Anträge stellen; es sei denn, Sie begnügen sich damit, daß Sie keine Alternative haben, weil Sie, keine Alternative sind.
({4})
Sie haben auch nicht dargetan, Herr Pieroth, wovon Sie eigentlich weitere Entwicklungen finanzieren wollen. Ich bin mit Ihnen einig, daß man z. B. die Anlageformen - auch das hat Minister Apel gesagt - des 624-DM-Gesetzes ausdehnen kann. Man muß sorgfältig untersuchen, welche Auswirkungen das z. B. auf die Bausparkassen haben könnte, auf einen nicht unsensiblen Bereich.
Alles dies kann gemacht werden. Nur, so meine ich, müßten Sie den Mut haben, zu sagen, daß es Möglichkeiten gibt, ohne Zusatzbelastung des Finanzministers das 624-DM-Gesetz auszubauen, wenn Sie die Anlageformen vervielfältigen und es auch in den Bereich des Produktivvermögens hinein wirken lassen.
Ich will deutlich sagen, was ich damit meine. Die FDP-Fraktion behält sich vor, in der nächsten Legislaturperiode das Problem zu untersuchen, ob man nicht bei der Kumulation aus Sparförderung und 624-DM-Gesetz, die teilweise zu 30 %, 40 %, ja bis zu 50 % Begünstigung führt, die Sonde anlegen muß, um große Beträge freizubekommen, die ausreichend sind, um aus dem 624-DM-Gesetz ein 936-DM-Gesetz zu machen, ohne daß der Finanzminister zusätzlich auch nur mit einer Mark aus öffentlichen Mitteln zur Kasse treten muß.
({5})
Dieses muß einmal gesagt werden. Es gefällt nicht jedem; es gefällt natürlich denen nicht, die die überhöhten Förderungssätze in Anspruch nehmen. Aber es muß gesagt werden, wenn man eine ernsthafte Diskussion über diese Frage führen will.
Zu dem, was Sie vorgeschlagen haben, Herr Pieroth, möchte ich noch einmal sagen: Wir attestieren Ihnen den guten Willen. Wir akzeptieren die Grundrichtung. Wir sind mit Ihnen im Prinzip der gleichen Meinung. Aber Sie werden selber kaum erwarten, durch diesen Antrag etwas Brauchbares zustande zu bringen, bei diesen anderthalb Seiten Papier, die vielleicht geeignet sind, auf einem CDU/ CSU-Bundesparteitag diskutiert zu werden, wo sie vielleicht sogar Zustimmung finden. Das Papier ist aber nicht geeignet, Beratungsgrundlage für das Gesetzgebungsverfahren zu sein.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal auf die Debatte von heute morgen zurückkommen und zunächst zwei Bemerkungen zum Bundesfinanzminister machen. Er hat heute morgen meinen wegen Krankheit abwesenden Kollegen Albert Leicht mehrfach zitiert und kritisiert. Soweit ich den Aufsatz von Albert Leicht im „Handelsblatt" in Erinnerung habe, hat er nicht die Herabsetzung bestehender Rechtsverpflichtungen vorgeschlagen, sondern die Korrektur überhöhter Haushaltsansätze für diese bestehenden Verpflichtungen, und zwar derjenigen, in denen offensichtlich vom Bundesfinanzministerium stille Reserven in ungeahnter Zahl eingebaut waren. Insofern werden Sie zwar nicht heute von ihm hören, aber mit Sicherheit noch von ihm lesen.
Zweite Bemerkung. Sie haben heute morgen den Einsatz finanzpolitischer Instrumente zur Belebung der Investitionstätigkeit mit dem Klassenkampfvokabular der Steuergeschenke für Unternehmer diffamiert. Ich möchte dazu mit aller Deutlichkeit feststellen, daß Sie damit einmal im Widerspruch zu Geist und Wortlaut der Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers stehen und zugleich wiederum einen Beitrag zur Verunsicherung investitionsbereiter Unternehmer in Deutschland geleistet haben.
Schließlich haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, einen anscheinend für die Wahlen in BadenWürttemberg bestimmten Katalog von angeblichen Widersprüchen unserer Finanzpolitik aufgestellt, über den wir in der Haushaltsdebatte mit Sicherheit sprechen werden. Für heute sollte es genügen, darauf hinzuweisen, daß der Staatsverbrauch das Übel Ihrer strukturellen Defizite ist und daß Sie, Herr Bundesfinanzminister, heute morgen die dazu gehaltene Grundsatzrede von Richard von Weizsäcker schlicht übergangen haben. So leicht können Sie,, es sich nicht machen. Zunächst sind Sie am Zuge, auf Richard von Weizsäcker zu antworten, der seit über einem Jahr darauf wartet.
Zur Debatte selbst. Mein erstes Wort ist ein Wort des nachgeholten Dankes an den Sachverständigenrat für die hohe wissenschaftliche Qualität seines Jahresgutachtens 1975, das sich deutlich abhebt von einem eher agitatorischen als wissenschaftlichen Gegenpapier, das nicht der Erwähnung wert gewesen wäre, trüge es nicht auch die Unterschrift von sechs Mitgliedern des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB.
({0})
Die Jahreswirtschaftsberichte hingegen - und ich meine, der Bericht 1976 weist dies erneut aus - werden zunehmend weniger ihrer auch politischen Aufgabe gerecht. Der 1976er Bericht enthält keine eindeutige und verläßliche Orientierung über den Weg der Bundesregierung, um uns aus dieser tiefsten Rezession der Nachkriegszeit herauszuführen. Er leidet unter der selbst gewählten Blickverengung auf ein Wahljahr und verbirgt seine Aussagen mit Hilfe einer Technokratensprache, die kaum noch jemand im Lande versteht. Seine Flucht aus den zeitlichen Zusammenhängen und seine Sprache sind kein Zeichen von Führungswillen und Selbstbewußtsein, sie verraten eher Schwäche und Ängstlichkeit. Was wir heute brauchen, ist nicht nur ein Lehrbuch möglicher Strategien, so nötig dies auch ist. Was wir brauchen, ist das klare Signal politischer Entscheidungen. Wieviel Arbeitslose brauchen wir eigentlich noch, bis der Staat sich zu einer eindeutigen Darstellung der Lage und seiner Politik entschließt?
Welches sind die Kennzeichen dieser Lage, die heute morgen angesprochen wurden? Zunächst haben wir einen Sockel hoher Dauerarbeitslosigkeit oder besser strukturelle Arbeitslosigkeit, die uns über 1980 hinaus als schwere Hypothek belasten kann. Eine Wirtschaftspolitik ohne Entschiedenheit und Folgerichtigkeit könnte uns auch noch 1980 mit einer Millionenarbeitslosigkeit konfrontieren. Das weiß die Bundesregierung auch. Der Leser des Jahreswirtschaftsberichts erfährt aber nur, unter welchen Bedingungen und in welchen Abläufen ein besseres Ergebnis zu erwarten ist. Er erfährt aber nicht, ob diese Bedingungen erfüllbar sind, und vor allen Dingen nicht, was eintritt, wenn sie verfehlt werden. Wäre es nicht ehrlicher gewesen, auf die hohe Millionen-Arbeitslosigkeit, die uns bei einem schlechten Konjunkturverlauf droht, unzweideutig hinzuweisen? Wie sonst will die Bundesregierung eine tragfähige allgemeine Basis für eine mehrjährige Wirtschaftspolitik legen, die durch eine entschiedene Priorität für Vollbeschäftigung und
Stabilität gekennzeichnet sein muß und der sich alle anderen Ziele anzupassen haben?
Zweitens. Zum Finanznotstand ist vieles gesagt worden. Ich möchte nur hinzufügen: Man sollte sich nicht seinen Blick auf die Gebietskörperschaften und Sozialversicherungshaushalte verengen. Gesundheitswesen, Bundesbahn, öffentlicher Personennahverkehr, die Finanzierung unserer Bildungspolitik und der soziale Wohnungsbau, sie alle sind ebenso sanierungsbedürftig wie die erwähnten Haushalte. In dem Bemühen - zum Teil mit skrupellosen Methoden -, diese Problematik für das Wahljahr unter den Teppich zu kehren, wird zugleich ein kostbares Jahr der Sanierung vertan und verschleudert. Die Bundesregierung schweigt, wo sie hätte handeln müssen.
({1})
Das Inflationsproblem drittens ist nach wie vor ungelöst. Wir beginnen einen neuen Abschnitt der Konjunkturpolitik mit einer hohen Inflationsrate von 51/2 %, die vielleicht nur deshalb nicht als übermäßig drückend empfunden wird, weil die Hoffnungen noch auf ihre weitere Senkung gerichtet sind. Das außergewöhnliche Risiko dieses hohen Inflationssockels wird aber dann voll sichtbar, wenn erneut inflationäre Tendenzen auftreten und die Geldentwertungsrate wieder sechs, sieben oder mehr Prozent zu erreichen droht. Dann würden Bundesregierung und Bundesbank auch einen Aufschwung in seiner Entstehung notfalls hart abzubremsen haben - mit kaum übersehbaren Konsequenzen für Vollbeschäftigung, Wachstum und soziale Sicherheit. Genau diese Entwicklung aber scheint die Bundesregierung, scheinen jedenfalls Graf Lambsdorff und Herr Bundesminister Apel blindwütig in Kauf nehmen zu wollen, wenn sie an ihren Plänen zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. 1. 1977 festhalten.
Diese Steuererhöhung wird automatisch die Preise wieder steigen lassen und gerade die gefährliche Tendenzwende in den Inflationserwartungen auslösen, die wir um nahezu jeden Preis verhindern müssen. Löhne, Zinsen, Preise, Mieten, alles würde sich in kürzester Zeit auf diese neue Situation einstellen. Die Mehrwertsteuererhöhung zum 1. 1. 1977 wäre deshalb Gift für unsere Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. Die Haushalte würden nicht konsolidiert, und das soziale Netz würde nicht gesichert. Vielmehr würde der Keim für einen weiteren schweren Konjunktureinbruch gelegt werden und damit für die Gefahr einer Verschärfung der strukturellen Arbeitslosigkeit bis in die achtziger Jahre hinein. Die Bundesregierung hat offensichtlich nicht erkannt, daß die Stabilität nach wie vor eine Achillesferse der deutschen Wirtschaftspolitik ist.
Der vierte, heute morgen angesprochene Bereich ist die Konzertierte Aktion. Seit mehr als einem Dreivierteljahr beschäftigt man sich dort mit den brennenden Problemen der mittelfristigen Wirtschaftspolitik, also mit der Arbeitslosigkeit von morgen und übermorgen. Obwohl die Gefahr dieser Arbeitslosigkeit nicht bestritten wird, gibt es bis
heute noch keine Einigung der Sozialpartner über die sich ihrer großen Verantwortung ergebenden Konsequenzen für ihr eigenes Verhalten. Wie hoch muß die Arbeitslosigkeit eigentlich steigen, bis sich dieser diplomatische Kreis zu einer schnelleren Gangart entschließt? Wenn finanzpolitische Instrumente nicht zur Verfügung stehen, ist eine mehrjährige Kalkulierbarkeit aller Kosten unabdingbare Voraussetzung für eine verläßliche Investitionsrechnung. Wer Unsicherheit schafft, verhindert Arbeitsplätze.
Und sodann: Warum ist der Verteilungskampf
- ich kann diese Frage nur zurückgeben - bisher noch nicht entschärft durch einen Rückgriff auf die verschiedenen Investivlohnanregungen des Sachverständigenrates, die zugleich auch als Grundlage für eine Öffnungsklausel im Falle unvorhergesehener Ertragsentwicklungen dienen können? Diese Fragen hier zu stellen bedeutet keinen Eingriff in die Tarifautonomie. Sie entspringen vielmehr der Pflicht dieses Bundestages, über die Gemeinwohlorientierung des Verhaltens der Sozialpartner notfalls auch deutlich und kritisch zu diskutieren.
({2})
Fünftens. Unser Wachstumspotential ist infolge ständig rückläufiger Erweiterungsinvestitionen so sehr geschrumpft, daß wir nur mit außergewöhnlichen Anstrengungen wieder das Wachstum erreichen können, das unser Staat bereits unterstellt hat, als er die geltenden Rechtsansprüche auf soziale Sicherung begründet hat, mit denen er seine gesellschafts- und sozialpolitischen Pläne kalkulierte. Unser soziales Netz steht und fällt mit einer schnellen Rückkehr auf den Pfad des stetigen Wachstums von wenigstens 31/2 bis 4 % jährlich. Andernfalls sind schmerzliche Eingriffe spätestens dann unvermeidbar, wenn die Reserven, an denen wir gegenwärtig kräftig zehren, abgebaut sind. Diese Zusammenhänge sollten auch die Wachstumsgegner erkennen.
Sechtens. Der drastische Rückgang der Erweiterungsinvestitionen - für die verarbeitende Industrie wurde 1975 in Deutschland genau die Hälfte von dem investiert, was 1970 investiert wurde - und die beginnende Überalterung unserer Anlagen haben die strukturelle Anpassungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft eher gemindert als gestärkt. Die Gründe dieses Investitionsrückganges sind in Stichworten bereits genannt worden - ich will sie nicht alle wiederholen -: die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit, die Lohnstückkostenexplosion - die Löhne sind bei uns heute höher als in den Vereinigten Staaten - und die Ungewißheit über die künftige Belastung.
({3})
- Herr Kollege, wissen Sie nicht, daß die ChemieArbeitsstunde in Deutschland einen Dollar mehr als in den Vereinigten Staaten kostet?
({4})
- Herr von Dohnanyi, nach Ihren Vorstellungen brauchten wir überhaupt nichts zu investieren.
Es gibt keine verläßliche Investitions- und Produktionsrechnung mehr, solange über die öffent15828
lichen Belastungen keine Klarheit herrscht. Vor allen Dingen und zu allem Überfluß aber haben wiederholte Experimente und Versuche aus dem Lager des Sozialismus zum Zwecke der Überwindung der marktwirtschaftlichen Ordnung das Vertrauen in die langfristige politische und wirtschaftliche Stabilität des freiheitlichen und sozialen Deutschland in seinen Fundamenten erschüttert.
({5})
- Sie hätten besser in Mannheim arbeiten sollen, als hier Zwischenrufe zu machen. Dann hätten Sie manches verhindern können, Herr Kollege Ehrenberg.
({6})
- Ich komme noch darauf zu sprechen.
Erklärungen dieser von einer Koalition getragenen Bundesregierung reichen nicht mehr aus, um den Vertrauenseinbruch zu korrigieren. Sie reichen nur noch sieben Monate. Entscheidend sind die politischen Absichten der die Regierung tragenden Parteien. Die SPD hat der Marktwirtschaft in ihrem Orientierungsrahmen '85 die dauerhafte Anerkennung versagt. Genau diese Anerkennung hätten wir aber nötig. Ihr Langzeitprogramm, . Herr Kollege Ehrenberg, wirkt deshalb als eine Langzeitverunsicherung für die investierende Wirtschaft.
({7})
Es trägt damit letztlich zur Arbeitslosigkeit bei. Wie können unter diesen Umständen die liberalen Minister dieser Koalition - so müssen sie sich fragen lassen - noch erwarten, mit einem sozialistischen Partner erfolgreiche liberale Politik betreiben zu können?
({8})
- Herr Kollege Ehrenberg, ich komme darauf zu sprechen.
Wenn wir nach den Gründen fragen, so verweisen die Bundesregierung und Sie als Ihr Sprachrohr auf die universelle Trauerformel „Weltrezession", und zwar in einem Ton, der weitere Fragen nach der politischen Haftung der Regierung von vornherein ersticken soll. Wirtschaftspolitische Schuld und Verantwortung sollen so tabuisiert werden.
({9})
Die einschlägigen Kapitel in dem Gutachten des Sachverständigenrates werden im allgemeinen mit Schweigen übergangen.
Hierzu sind noch einmal folgende Feststellungen zu treffen. Die Masse der uns heute auf den Nägeln brennenden Probleme ist in Deutschland entstanden und zu verantworten, so wie Bundesbankpräsident Klasen das schon 1971 mit der Formel „Made in Germany" bündig skizziert hat. Es war die Regierung Brandt, die schon 1969 auf Grund der falschen Alternative „Staat oder Wirtschaft" den staatlichen und gesellschaftspolitischen Aufgaben einen Vorrang vor den Belangen der Wirtschaft geben wollte. Als ob es auf die Dauer möglich wäre, gesteigerte Leistungen des Staates bei gleichzeitig verminderten Leistungen der Wirtschaft zu erwarten!" Es war die aggressive Nominallohnstrategie unserer Gewerkschaften seit 1970, von der Bundesregierung Brandt durch die berühmte Überbeschäftigungsgarantie eingesegnet, die eine Lohnkostenexplosion genau in einem Zeitraum auslöste, in dem unsere Wettbewerbsfähigkeit durch die Aufwertungsserie ohnehin beeinträchtigt war. Die Häufung dieser Belastungen in den Jahren 1970 bis 1972/73 ist die entscheidende Ursache für den Rückgang der Investitionen und damit auch für unsere heutige Arbeitslosigkeit. Hinzu kommt die halbherzige Inflationsbekämpfung seit 1973, die mehrfach schon angesprochen worden ist. Alle diese Probleme, Herr Kollege Ehrenberg, waren in Deutschland schon vor dem Olpreisdiktat 1973/74 und v o r der nachfolgenden Rezessionsentwicklung in allen Industriestaaten geschaffen. Diese beiden Ereignisse haben die vorher vorhandenen Fehlentwicklungen verschärft, aber nicht geschaffen. Die deutschen Fehlentwicklungen bleiben deshalb unverändert hausgemacht und die liberal-sozialistische Regierung hat sie politisch vor dem deutschen Wähler in diesem Herbst zu verantworten.
Aber auch die internationalen Fehlentwicklungen werden spätestens dann zu einer Aufgabe der deutschen Politik, wenn ihre Wirkungen unsere Grenzen überschreiten und unser Wirtschaftsgeschehen beeinflussen. Jede Bundesregierung muß sich daran messen lassen, wie sie mit solchen unerwünschten Problemen fertig wird. Alle diese Ursachen - ich wiederhole es - wären blaß und unzutreffend, wenn ich sie nicht mit der tiefgreifenden Verunsicherung der deutschen Unternehmen in Zusammenhang stellte. Ich will Ihnen Ihren Sündenkatalog ersparen. Wer die wahre Lage ermitteln will, der beobachte einmal sehr genau den Markt für Unternehmen und studiere die dort erkennbaren Motive für Verkauf, Trennung, Resignation und Geschäftsaufgabe. Er wird daraus seine eigenen Schlüsse ziehen können. Einer dieser Schlüsse scheint mir besonders wichtig zu sein. Revisionistischer Marxismus oder Sozialismus in allen seinen Spielarten und freiheitliches Unternehmertum in einer sozialen Marktwirtschaft können nicht in derselben Ordnung miteinander koexistieren. Wer auf der Linken immer noch meint, man könne die marktwirtschaftliche Ordnung schrittweise in ein sozialistisches System überführen, muß schon aus den letzten Jahren die Lehre ziehen, daß dies nicht möglich sein wird. Die Unternehmen werden den letzten Schritt ihrer Ausschaltung immer früher antizipieren, als das mit dem dirigistischen Ehrgeiz der unverändert lebendigen Systemveränderer vereinbar ist.
Aber diese Verunsicherung in Deutschland ist nur ein Symptom der Epidemie der Verantwortungslosigkeit, die seit nahezu einem Jahrzehnt die meisten demokratisch verfaßten Industriegesellschaften in ihren Grundfesten erschüttert. Überall haben die Verteilungskämpfe der großen Gruppen, miteinander und der Gruppen gegen den Staat ihren Bezug auf das Gemeinwohl und das gesamtwirtschaftliche Leistungsvermögen verloren. Hemmungsloser Gruppenegoismus hat zunächst Inflation geschaffen, dann die
Staatsfinanzen zerrüttet und Arbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche zwangsläufig nach sich gezogen. Zunehmend schwächere Regierungen haben zwar formale Verantwortung, aber selten noch die Macht, ihr entsprechen zu können. Die Inhaber der Macht weigern sich, Verantwortung und Pflichten zu übernehmen. Es ist das eigentliche Übel des demokratischen Entscheidungsprozesses, das die Sowjetunion seit einigen Monaten dazu gebracht hat, ihre schon verstaubte Theorie vom Verfall des Kapitalismus wieder aus den Archiven zu holen und unsere Entwicklung näher zu beobachten.
Herr Abgeordneter Dr. Narjes, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte!
Angesichts des Drucks, unter dem ich stehe und dem auch das Tempo meiner Rede entspricht, und des Balletts, dem wir hier durch den Zeitterror der Herren Geschäftsführer unterworfen sind, kann ich es leider nicht gestatten.
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Herr Kollege Narjes, ich bitte doch sehr darum, daß wir nicht so den Unmut über die Zeiteinteilung nur auf die Herren Geschäftsführer abladen. Sie stehen ja vor der schwierigen Frage, hier den Ablauf der Debatten zeitlich zu sichern.
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Ballett bleibt Ballett.
Die Frage nach der politischen Verantwortung für unsere wirtschaftspolitische Situation kann nicht, wie heute morgen wieder versucht, dadurch umgangen werden, daß die Koalition auf eine relativ schlechtere Situation anderer Industriestaaten verweist. Diese Ausflucht ist unabhängig davon, daß sie sachlich höchst indiskutabel ist, als Argument unhaltbar, wie ein Vergleich aus der Medizin zeigt: Wenn ein Kranker, nehmen wir an, Herr Ehrenberg,
({0})
mit schwerer Lungenentzündung und 40 Grad Fieber seinen Hausarzt um Heilung bittet und dieser die Behandlung mit der Begründung ablehnt, Herr Ehrenberg möge sich als Patient nicht so anstellen, andere Kranke hätten wesentlich schwerer, etwa unter Pest und Cholera zu leiden, so entspricht ein solches pflichtwidriges Verhalten des Arztes genau dem der Bundesregierung in bezug auf die deutsche Wirtschaftspolitik.
({1})
Zunächst sollte man sich um die Arbeitslosen in Deutschland kümmern, bevor man mit statistischen Vergleichen eine Entschuldigung dafür sucht, daß man hier nicht das Nötige getan hat. Ein solcher
Vergleich ist auch gefährlich - und damit möchte ich abschließen -,
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weil er unsere Situation verantwortungslos relativiert und damit überzogene Erwartungs- und Verteilungshorizonte verfestigt. Genau daran leiden aber unser Geldwert und unsere Finanzen. Wie soll die Mehrheit unserer Bürger die Notwendigkeit besonderer Anstrengungen einsehen, wenn Regierung, SPD und leider auch DGB unablässig eine Lage vorgaukeln, die nicht der Wirklichkeit entspricht. Diese Selbstgefälligkeit ist geeignet, unsere Zukunft zu zerstören.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Narjes, Sie haben ein sehr düsteres Bild von Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft und was weiß ich gezeichnet. Den Aufschwung, den Sie nicht wahrhaben wollen, kann man allerdings mit einer schwarzen Brille nur schwer sehen. Dieser Aufschwung hat gegriffen: Die Bundesbank sagt es, die Forschungsinstitute sagen es, der Chef des größten Stahlkonzerns sagt es - Sie werden es morgen in der Zeitung lesen -, und selbst beim Arbeitsmarkt bewegt sich das Pendel in die positive Richtung, allerdings noch mit Zeitverzögerung, noch aus saisonalen Gründen geschwächt und durch die Tatsache gehandikapt, daß im Aufschwung erst einmal die vorhandenen Reserven genutzt werden, daß die Kurzarbeit abgebaut wird und daß man lieber in Überstunden und Sonderschichten ausweicht, ehe man an die Einstellung neuer Arbeitskräfte denkt. Schon die Daten des Monats Februar störten Ihr Konzept der Panikmache; Sie werden umdenken müssen. März, April, Mai und die weiteren Monate sind nicht Ihre Wahlhelfer. Die Tendenzwende hat eingesetzt; Sie können sie nicht verhindern.
Bemerkenswert ist nur, daß Sie aus wahltaktischen Gründen auf Zeitverzögerung setzen. Die Tendenzwende - und darauf bauen Sie - ist nämlich keine stürmische. Langsam, zäh, aber unaufhaltsam bessert sich die Lage. Dafür ist es ein nachhaltiger Wandel und keine Eintagsfliege. In dieser Übergangsphase gibt es unterschiedliche Entwicklungen: Überarbeit da, Arbeitslosigkeit dort, denn die Strukturschwächen des Arbeitsmarktes, in Jahrzehnten verfestigt, sind nicht hopplahopp zu beseitigen.
({0})
Das wird unsere nächste Aufgabe sein, und Sie wird uns auch in den Jahren des Aufschwungs beschäftigen. Wir registrieren aber befriedigt: bei der schweren weltwirtschaftlichen Krise, die zu überwinden war, geriet die Bundesrepublik nicht in das ganz tiefe Tal der Massenarbeitslosigkeit, und sie arbeitet sich auch aus der Talsohle schneller wieder heraus als andere.
({1})
Das muß Gründe haben. Sie liegen nicht zuletzt in einer stabilen Sozialstruktur.
({2})
- Herr Präsident, -
Sie wollen keine Zwischenfragen beantworten. Bitte schön!
Sie liegen aber auch in den Handlungen einer Regierung begründet, die entschlossen Korrekturen immer da einsetzte, wo dies am notwendigsten war. Der Zusammenbruch der Bauindustrie wurde verhindert. Mit unserer Regelung des Kurzarbeitergeldes wurden Hunderttausende vor Arbeitslosigkeit bewahrt. Mit unseren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden mindestens 150 000 Arbeitnehmer in Arbeit gebracht oder in Arbeit gehalten. Wir kommen alle gemeinsam über den Berg, und nur Sie werden der Talsohle nachtrauern. Aber das wird uns nicht blind machen dafür, daß wir bei den nächsten Konjunkturschwankungen ein noch besseres Instrumentarium zur Verfügung haben, noch gezieltere Förderungsmaßnahmen ergreifen müssen.
({0})
Es ist bei Ihnen Mode geworden, an allen Ecken und Enden über Jugendarbeitslosigkeit zu reden, und zwar sehr viel undifferenzierter draußen als hier, wo Sie nur bedenklich die Stirn runzeln. Nun, Sie sollten dieses Thema nicht so oft erwähnen; denn wer über Jugendarbeitslosigkeit redet, muß wissen, wovon er spricht und wen er anklagt.
({1})
- Wenn Sie wüßten, wovon Sie sprechen, würden Sie entweder ruhig sein oder sich schleunigst von Ihrem Kanzlerkandidaten trennen müssen.
({2})
Denn so sieht es aus: die Bundesländer mit dem höchsten Anteil arbeitsloser Jugendlicher sind das Saarland und Rheinland-Pfalz. Beide Länder liegen weit über der Bundesnorm. In dem Land, das Herr Kohl verwaltet - zum Regieren kommt er ja im Augenblick nicht mehr -, gibt es keinen einzigen Arbeitsamtsbezirk, in dem der Prozentsatz der arbeitslosen Jugendlichen, gemessen an der Gesamtzahl der Stellungsuchenden, nicht über den Bundeswerten läge, und zwar deutlich. Das ist so in Bad Kreuznach, Kaiserslautern, Ludwigshafen, Neustadt, Neuwied, Koblenz, Mainz, Mayen, Montabaur, Pirmasens und Trier. Seien Sie ehrlich: finden Sie hier noch einen weißen Fleck? - Ich nicht. Und dann vergleichen Sie das bitte mit der Situation in den anderen Bundesländern. Selbst die Bayern schneiden hier günstiger ab
({3})
- Arbeitsamtsbezirke, habe ich gesagt - und ha- I ben Ihren Kandidaten abgehängt. Nun, das ist bei den Bayern Ihrem Kandidaten gegenüber ja durchaus üblich, besonders bei dem Bayern, der nicht in der Staatsregierung sitzt.
Die Bundesregierung hat längst klar erkannt - sie sagt es immer wieder, in der Hoffnung, daß es sich auch einmal bis zu Ihnen herumspricht -:
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Die Jugendarbeitslosigkeit ist ein Qualifizierungsproblem. Schauen Sie wieder auf Rheinland-Pfalz; dann sehen Sie nämlich einen Teil der Ursachen.
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Wenn heute bereits über 20 0/o der Hauptschüler ohne qualifizierten Abschluß die Schule verlassen - es werden bald mehr sein -, dann hat die Schule versagt, und dann muß die Schule nachsitzen. Dann ist der Bildungsstoff eben nicht in neun Jahren zu bewältigen, dann bedarf es eines 10. Pflichtschuljahres. Aber dieses Problem kann nicht der Bund, das können nur die Länder lösen.
({6})
Der Schulabgänger ohne qualifizierten Abschluß findet heute keien Ausbildungsplatz, ja, er ist meist nicht einmal motiviert, einen anzustreben. Wir müssen ihn durch Bundes- und Länderprogramme geradezu in berufsvorbereitende Maßnahmen hineinbetteln, um ihm eine echte Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben.
({7})
8 000 bis 9 000 Jugendliche werden es in diesem Sommer sein, die um eine Ausbildungsstätte ringen. Aber einige Zehntausend wissen nicht, daß sie ihren eigenen Berufsweg, weil sie die Qualifikation nicht anstreben, schon im Ansatz verpfuschen. Jugendliche ohne Berufsausbildung stehen vor einem verhängnisvollen Zyklus. Sollte die Konjunktur nachlassen, werden sie als erste entlassen; im Aufschwung werden sie als letzte eingestellt. Und das wiederholt sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen.
({8})
Die Bundesregierung hat schon viel getan, um diesen Zyklus aufzubrechen
({9})
- ja, Herr Breidbach, Sie wissen es immer besser;
aber das ertrage ich als Prüfung des Himmels -,
({10})
zuletzt mit dem 300-Millionen-Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Wir begrüßen dieses Programm, wir stehen dahinter, und wir danken den Ländern, die unser Bemühen durch flankierende Programme unterstützen, wie es vorbildlich etwa in Nordrhein-Westfalen geschehen ist.
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Viele Länder sind das nicht, und wenn ich mir Ihr 2,5-Millionen-Programm . in Rheinland-Pfalz anschaue, muß ich sagen: Da schweigt des Sängers Höflichkeit.
({12})
Wir müssen ferner wissen: Der ausgebildete Jugendliche hat eine bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt. Viele Jugendliche - das wissen und beklagen auch wir - finden derzeit nach abgeschlossener Berufsausbildung keinen entsprechenden Arbeitsplatz. Wir haben aber festgestellt, daß sich selbst die Jugendlichen, die in einem falschen oder in einem Beruf ausgebildet wurden, für den im Augenblick kein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden kann, leichter tun, wenn es gilt, eine andere Tätigkeit zu finden.
Wir haben durch das Arbeitsförderungsgesetz ein Instrument geschaffen,
({13})
- in dieser Frage aber mit Sicherheit nicht, Herr Burger; das wissen Sie ganz genau -,
({14})
das die Anpassungsschwierigkeiten weiter abbaut. Besser wäre es, wir könnten Fehlleistungen und Fehlleitungen schon im Anfangsstadium verhindern. Dazu brauchen wir u. a. eine Reform der beruflichen Bildung. Aber da scheinen Sie ja finster entschlossen zu sein, über Ihre Vollzugsgehilfen im Bundesrat ein Veto einzulegen. „Njet" kann man leicht sagen. Wissen Sie eigentlich, was Sie den jungen Menschen damit antun?
({15})
Sie wissen es, aber Sie hoffen auf das kurze Gedächtnis der Betroffenen.
Ein Teilaspekt der Jugendarbeitslosigkeit verdient unser aller Aufmerksamkeit. Es ist das die Situation der Mädchen nach Verlassen der Schule. Im Augenblick sind die Chancen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, . gering. Viele Ausbildungsplätze sind wegen Konzentrationstendenzen im Einzelhandel und auch wegen Rationalisierungsbestrebungen weggefallen. Sie sind weggefallen, weil man immer noch glaubt, Mädchen in traditionelle Frauenberufe abdrängen zu müssen. Chancengleichheit für die Geschlechter ist so beim Einstieg in das Erwerbsleben leider immer noch eine Fiktion.
Alle Programme des Bundes sind für Jungen und Mädchen gleichermaßen gedacht. Aber dann setzt in der Praxis häufig eine merkwürdige Horizontverengung ein. Um sie zu überwinden, bedarf es neuer Einsichten bei den Verantwortlichen in Wirtschaft und Verwaltung. Bringen Sie die Mädchen nicht in die stille Reserve! Zerstören Sie nicht die Bereitschaft zum Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt durch rollenfixiertes Verhalten!
({16})
- Das ist an die Betroffenen in Wirtschaft und Verwaltung gerichtet.
({17})
Einen recht absonderlichen Vorschlag in Richtung Arbeitsmarkt hat die baden-württembergische Landesregierung in die Debatte eingebracht. Ich meine den Vorschlag, den ausländischen Arbeitnehmern Rückkehrprämien zu zahlen, um sie so zum vorzeitigen Verlassen der Bundesrepublik, zur Aufgabe ihres Arbeitsplatzes zu bewegen.
({18})
Über die Praktikabilität dieses Vorschlages, über die finanziellen Konsequenzen zu reden, lohnt in der Tat kaum. Dieses Programm wäre ein kostspieliger Schlag ins Wasser. Wichtig ist mir der Geist, der dahintersteckt.
({19})
Man sieht nicht den Menschen, man sieht nur noch die Ware Arbeitskraft, und die kann man dann nach Bedarf hierhin oder dorthin verfrachten, verschaukeln, verschieben oder wie Sie es immer nennen wollen.
({20})
Folglich ist das nicht nur ein schlechter, es ist zudem ein zynischer Vorschlag.
({21})
Wir sehen: Auch auf diesem Gebiet kommen lediglich von Bundesregierung und Koalition angemessene Taten - Taten, die mit unserer und mit der Menschenwürde der ausländischen Arbeitnehmer vereinbar sind. Der Anwerbestopp bleibt aufrechterhalten.
({22})
Der deutsche Arbeitnehmer hat bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen Priorität. Kurzfristig terminierte Arbeitsverhältnisse laufen aus. Das führte und führt zu einem stetigen Rückfluß in die Heimatländer. Ich meine, wir lösen dieses Problem auf eine faire und menschliche anständige Art und Weise, sehr im Gegensatz zu den Herren, die andere Pläne unterbreiten.
Lassen Sie mich sagen: Arbeitslosigkeit ist keine statistische Größe, die man der Regierung etwa in Wahlkampfzeiten genüßlich um die Ohren schlägt,
wie Sie es belieben zu tun. Die Ziffern der Statistik spiegeln Schicksale wider,
({23}) Lebensabschnitte, Übergangsstadien.
({24})
Die Zahl allein, Herr Breidbach, sagt wenig. Deshalb muß man wissen - und nur Sie verschweigen das bewußt -, daß Arbeitslosigkeit in Deutschland kein unabwendbares Dauerschicksal ist. Tag für Tag finden derzeit - ich habe mir gerade die entsprechenden Zahlen geben lassen - 5 000, 6 000 ja 7 000 Arbeitslose eine neue Beschäfigung. Im Rezessionsjahr 1975 verloren mehr als drei Millionen Bundesbürger ihren Arbeitsplatz, und weit mehr als zwei Millionen konnten im gleichen Zeitraum wieder in eine neue Beschäftigung gebracht werden. Ich finde, das ist eine ermutigende Bilanz.
({25})
Sie stellt den Maßnahmen der Regierung, sie stellt dem Einsatz der Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit ein hervorragendes Zeugnis aus. Dafür danken wir.
({26})
Die Rotation auf dem Arbeitsmarkt ist beachtlich. Herr Breidbach, Sie sollten eigentlich froh sein, daß jemand, wenn ihn schon die Arbeitslosigkeit trifft, so schnell wie möglich wieder in neue Tätigkeiten gebracht wird.
({27})
Hier sind wir in der Tat in einer wesentlich besseren Verfassung als vergleichbare Industriestaaten, die sich auch mit diesen Problemen herumzuschlagen haben. Die Rotation auf dem Arbeitsmarkt werden wir erhalten. Wir werden sie fördern, solange noch Strukturprobleme zu bekämpfen sind.
Sie können sich darauf verlassen: Diese Regierung, diese Koalition wird auch weiterhin alles daran setzen, daß, solange es noch einen nennenswerten Bestand an Arbeitslosen gibt, dies kein Dauerbestand bleibt, sondern daß wir gerade den längerfristig Arbeitslosen zuerst die Hilfe zur Findung und zur Ausfüllung eines neuen Arbeitsplatzes geben werden.
({28})
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Warnke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte hat ergeben, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland immer noch auf eine Strategie des marktwirtschaftlichen Strukturwandels warten. Wir wollen keine Investitionslenkung, keine Investitionsverbote oder gar -gebote, sondern Rahmenbedingungen, Anreize, über die der Markt frei entscheiden kann, ob er sie annehmen oder ablehnen will. Herr Minister Friderichs, eine Strategie des Strukturwandels, die diesen Namen auch verdient, die Marktwirtschaft nicht verwechselt mit Treibenlassen und die in sich selbst vor allen Dingen schlüssig ist, haben wir nicht vorgetragen bekommen.
Das, was wir im Jahre 1976 in der Strukturpolitik geboten bekommen haben, war das krasse Gegenteil davon, nämlich eine Wirtschaftsförderung und eine Verkehrspolitik, die einander diametral entgegengesetzt waren. Investitionsförderung bei gleichzeitigem Verkehrsabbau ergibt das Musterbeispiel dessen, was die Engländer eine self-defeating policy nennen, eine Politik, deren Wirkungen sich gegenseitig aufheben und die in Wirklichkeit diesen Namen überhaupt nicht verdient.
({0})
Wir können uns das am wenigsten leisten in einer Zeit, in der uns für die Zukunft regionale Krisenherde drohen. Selbst bei vollem Aufschwung, selbst bei voller Verwirklichung der optimistischen Erwartungen, die von der Regierungsseite heute hier in überreichem Maße geäußert worden sind, könnten wir das nicht.
Ich beziehe mich auf ein Gutachten, Herr Minister Friderichs, das Ihre eigene Regierung beim Weltwirtschaftlichen Institut in Kiel in Auftrag gegeben hat und das zu dem Schluß gekommen ist, daß auf Grund der zu erwartenden Entwicklung in den Verbrauchsgüterindustrien am massivsten die Bekleidungs- und die Lederindustrie betroffen sind. Gefährdet sind die Textil- und die Schuhindustrie, aber auch solche Zweige wie Elektrotechnik, Feinmechanik, Optik sowie die Nahrungs- und Genußmittelindustrie. Dieses Gutachten ist weiter zu dem Schluß gekommen, daß auf Grund der dort zu erwartenden Arbeitsplatzverluste regionale Krisenherde, und zwar in allen Teilen der Bundesrepublik, auftreten werden. Pirmasens/Zweibrücken in Rheinland-Pfalz, Münster/Osnabrück in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, Südwürttemberg-Hohenzollern, Niederbayern, Oberpfalz, Oberfranken und Unterfranken, das sind die regionalen Krisenherde, die dieses Gutachten aufgezeigt hat und die uns zu der Forderung bringen: Wir brauchen in diesen und in anderen Gebieten eine überdurchschnittlich hohe Zahl von neuen Industriearbeitsplätzen in den kommenden Jahren, über den Durchschnitt dessen hinaus, was im Bundesgebiet notwendig ist.
Gleichzeitig bedarf es jetzt auch außerhalb der Ballungszentren eines hohen und bisher weithin fehlenden Angebots an Arbeitsplätzen im modernen Dienstleistungsbereich des öffentlichen wie des privaten Sektors.
Wir haben heute - Gott sei Dank - in allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland Chancengleichheit in der Bildung. Aber wenn die jungen Leute mit Realschulabschluß, als Abiturienten oder als Hochschulabsolventen ins Berufsleben hinaustreten wollen, dann finden sie in zwei Dritteln der Bundesrepublik Deutschland keine geeigneten Arbeitsplätze vor. Herr Kollege Lutz hat eben gesagt, der Mann ohne qualifizierten Schulabschluß finde keinen Arbeitsplatz. In den Gebieten außerhalb der
Ballungsräume trifft genau dasselbe gerade für diejenigen mit qualifiziertem Schulabschluß zu. Mit anderen Worten: Wir schicken unsere Kinder erst auf die Schule und dann in die Fremde - und das in einem Ausmaß, das zu erheblichen Bevölkerungsverlusten in den davon betroffenen Räumen führt.
Herr Minister, die Standortpolitik des Bundes für seine eigenen Einrichtungen hat dieser Notwendigkeit bis heute nicht Rechnung getragen.
({1})
Im Gegenteil, Ihr eigenes Haus hat das Ihnen nachgeordnete Institut für chemisch-technische Untersuchungen aus einem Fördergebiet abgezogen und in einen Ballungsraum verlegt. Nun schauen Sie etwas konsterniert im Augenblick, Herr Minister: Das waren auch nicht Sie, und das fällt nicht unter Ihre Verantwortlichkeit. Das war Ihr Vorgänger Helmut Schmidt. Der ist heute Bundeskanzler.
({2})
Wie hier im kleinen, so ist der Bund als Arbeitsplatzträger auch im großen schizophren. Er erwartet - und Sie erwarten es, Herr Minister - von den Unternehmern, daß sie Arbeitsplätze in den Fördergebieten schaffen. Aber für die eigenen Arbeitsplätze des Bundes - und ihre Zahl geht bei Post und Bahn in die Hunderttausende - ist bis heute keinerlei Anweisung gegeben worden, sie wo immer nur möglich außerhalb der Ballungsräume in die Gebiete zu legen, in denen der Bedarf nach solchen Arbeitsplätzen besonders dringlich ist.
Der Raumordnungsbericht der Bundesregierung führt von 17 beabsichtigten Verlagerungen und Neugründungen - ich bin Ihnen dankbar, Herr Minister Ravens, daß das mit dieser klassischen Klarheit gesagt worden ist - eine einzige auf, die in ein Fördergebiet gelegt werden soll. Sonst geht alles nach Bonn, wenn ich von drei Ausnahmen nach Berlin, für die wir hier alle sicher Verständnis haben, einmal absehe. Das ist Strukturpolitik im eigenen Hause. Das ist Schizophrenie. Wenn Sie schon Arbeitsplätze in den Fördergebieten schaffen wollen, dann möchte ich Sie an das alte englische Sprichwort erinnern: Charity begins at home. Fangen Sie von seiten der Bundesregierung einmal bei sich selber an,
({3})
insbesondere wenn nach der Vorstellung des Herrn Bundeskanzlers unsere Zukunft in der Produktion von Patenten, Verfahrenstechniken und Blaupausen liegen soll und wenn wir nach seiner Vorstellung im Jahre 2000 von dem Export dieser Erzeugnisse leben und es daneben, wie er es ausgeführt hat, noch ein paar Müllmänner und noch ein paar Busfahrer gibt und alle mehr verdienen werden. Meine Damen und Herren, diese Vision des Bundeskanzlers ist ein Alptraum für die Gebiete außerhalb der Ballungsräume.
Verantwortlich ist der Bundeskanzler auch für den Alptraum, der jetzt mit dem größten Schlag, der je gegen eine ausgewogene Regionalentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland geführt wurde, Wirklichkeit zu werden droht, nämlich für das Bahnkonzept der Bundesregierung.
({4})
Nicht die Bundesbahn sitzt auf der Anklagebank, sondern das Kabinett - mit Ihrer Mitwirkung, Herr Minister Friderichs, ist das geschehen -, das die Vorgabe verfügt hat, auf Grund deren dieses Konzept erstellt worden ist.
4 bis 5 Milliarden DM Subventionen sollen nach diesem Konzept auch in Zukunft für den öffentlichen Personennahverkehr gezahlt werden, aber kein Pfennig für die Hälfte der Bundesrepublik, die von den Streckenstillegungen betroffen ist. Die Menschen in der Bundesrepublik werden danach künftig nicht nur bei der Bundesbahn, sondern allgemein in Menschen erster Klasse und in Menschen zweiter Klasse eingeteilt. Die erste Klasse bekommt massive Unterstützung in laufenden Milliardensubventionen für ihre Verkehrsbedürfnisse; die zweite Klasse bezahlt sich ihren Transport gefälligst selbst. Dieses Konzept ist im Grundansatz falsch. Es ist ungerecht, und es kann auch nicht verbessert werden. Es gibt 4 bis 5 Milliarden DM jährliche Subventionen als laufende Selbstverständlichkeit den einen und versetzt die anderen in die unwürdige Lage, darum bitten, darum feilschen zu müssen, ob nicht doch ein paar Kilometer Bahnanschluß wenigstens zum Gütertransport, zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze gütigst gnadenhalber aufrechterhalten werden können. Die Menschen in den von der Stillegung betroffenen Gebieten wollen keine Bevorzugung, sie wollen schon gar keine Almosen, aber sie erheben Anspruch auf Gerechtigkeit.
({5})
5 Milliarden DM zu Null DM - das ist eine so krasse Ungerechtigkeit, daß dieses Konzept keine Verhandlungsgrundlage ist. Es muß vom Tisch, und es ist eine Frage der Ehrlichkeit, ob Sie das jetzt tun, oder ob Sie wieder versuchen, nach dem Motto „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" die davon Betroffenen über den Wahltag hinwegzutäuschen über das, was in Wahrheit auf sie zukommt.
Eines habe ich heute hier in der Debatte auch vermißt: das ist etwas mehr Mitgefühl mit den mehr als einer Million unserer Landsleute, die heute ohne Arbeitsplatz sind und die wir im Durchschnitt dieses Jahres auch ohne Arbeitsplatz sehen werden. Mit einer Kaltschnäuzigkeit sondergleichen haben sich Vertreter der verschiedenen Richtungen auf der Regierungsseite darüber hinweggesetzt, daß es bei allem bestehenden Aufschwung doch über eine Million Menschen in dieser Bundesrepublik gibt, die ohne Arbeit sind und von denen der größte Teil in diesem Jahr auch ohne Arbeit bleiben wird.
Im Zusammentreffen von Verkehrsabbau mit Arbeitsplatzverlust durch Strukturwandel liegt, selbst wenn sich der Aufschwung verwirklichen sollte, ein negatives Entwicklungskonzept für weite Gebiete der Bundesrepublik Deutschland im letzten Viertel dieses Jahrhunderts. Hier tickt eine Zeitbombe, meine Damen und Herren. Wenn nämlich erst der Verkehr einmal abgebaut worden ist, dann wird kein vernünftiger Unternehmer mehr bereit sein, die
notwendigen Investitionen für Ersatzarbeitsplätze ausgerechnet in den Räumen vorzunehmen, in denen es am wichtigsten Unterbau, nämlich an einem ausreichenden Verkehrsangebot, fehlt.
({6})
- Graf Lambsdorff, Sie müssen auch einmal an die Kosten denken. Wenn Sie nämlich jemandem sagen, er habe die große Chance, seine Güter auf der Straße zu transportieren, und ihn vor die Notwendigkeit stellen, dafür das Anderthalbfache der bisherigen Aufwendungen zu zahlen, dann ist die Chancengleichheit in der Bundesrepublik Deutschland mehr beeinträchtigt, als sie es heute schon ist. Das ist es, worauf Ihre Politik im Augenblick abzielt.
Wir haben in einem Land der Bundesrepublik, in Bayern, heute 105 Schwerpunkte der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Wenn diese Stillegungspläne verwirklicht werden, ist in 54 Orten, also in mehr als der Hälfte dieser Entwicklungsschwerpunkte, kein Bahnanschluß mehr. Dann können Sie sich all Ihre salbungsvollen Reden von der regionalen Förderung, all die Zahlenfriedhöfe, die Sie hier präsentiert haben, und all die technischen Spielereien von Erfolgskontrolle usw. an den Hut stecken. Dann gehen dort die Lichter unwiederbringlich aus.
({7})
Herr Minister, Sie haben mit ernster Miene darauf hingewiesen, daß man auch durch Einfuhren in bedrohten Wirtschaftszweigen die Vernichtung von Arbeitsplätzen - um es in Klartext zu sagen - in Kauf nehmen müsse. Aber wenn Sie das in Ihrer Handelspolitik tun und bereit sind, Einfuhren in den Bereichen Textil, Bekleidung, Leder, Schuhe und anderen empfindlichen Bereichen weiterhin hereinzulassen, wodurch Arbeitsplätze bei uns vernichtet werden, dann können Sie doch nicht gleichzeitig in den Rahmenbedingungen, in der Verkehrspolitik, in dem Ausbauplan für die Bundesfernstraßen, durch die Kürzung der Investitionszulage und durch die Senkung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe im Haushalt 1977 die Mittel entziehen, die allein in der Lage sind, die dann nötigen neuen Arbeitsplätze zu schaffen.
Das ist es, was Ihr Programm für uns bedeutet. Daß es sich nicht heute verwirklicht, sondern erst unsere Kinder die volle Last dieser politischen Fehlentwicklung zu tragen haben werden, das ist es, was wir dieser Bundesregierung vorwerfen, die statt einer Strategie des marktwirtschaftlichen Strukturwandels ein Programm vorgelegt hat, das der Arbeitsplatzvernichtung, der Entvölkerung und der Verödung weiter Räume dient und die dort Lebenden zu einem hohen Prozentsatz zur Auswanderung zwingen wird.
({8})
Das
Wort hat Herr Bundeswirtschaftsminister Dr. Friderichs.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich möchte auf einige der Bemerkungen der heutigen Debatte zurückkommen.
Herr Ministerpräsident Stoltenberg, Sie haben einen Vergleich zwischen einer Rede, die ich vor dem Parteivorstand der FDP gehalten habe, und den Ausführungen heute hier herzustellen versucht. Dies war die erste Rede, in der ich den Versuch gemacht habe, in größerem Zusammenhang darzustellen, warum Ertragsverbesserungen und mittelfristig die Investitionen und darüber die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen nötig seien. Es ist völlig richtig, daß ich in dieser Rede eine Fülle von möglichen Maßnahmen additiv zusammengestellt habe, u. a. solche, die von den Oppositionsparteien im Steuerrecht gefordert werden. Es ist eine Selbstverständlichkeit, wenn ich meinem Parteivorstand sage, was man tun kann, daß ich ihm das alles aufzuzählen habe.
Ich sehe aber durchaus eine Kongruenz zwischen dem, was ich dort gesagt habe, und dem, was wir getan haben. Es ist nämlich der Verlustrücktrag eingeführt; das ist ein Punkt, der in dieser Rede enthalten war. Zur Körperschaftsteuerreform, deren Realisierbarkeit Sie angezweifelt haben, hat sich Herr Kollege Apel geäußert. Im gleichen Duktus sehe ich die Investitionszulage, die in diesem Jahr in der gewerblichen Wirtschaft eine Ertragsverbesserung von immerhin rund 4 Milliarden DM bringt. Ich glaube, das sollte man nicht unerwähnt lassen.
Nun ist es gar kein Geheimnis, daß ich - jedenfalls eine Zeitlang - mit dem Gedanken gespielt habe, ob das alles ausreiche, ob man z. B. zusätzlich noch eine Verbesserung bei den Abschreibungen durchführen müßte oder nicht. Auch darüber muß man doch diskutieren. Wir haben uns in der Regierung dazu nicht entschlossen, weil wir der Meinung waren, daß der Aufschwung auch ohne dieses zusätzliche Mittel möglich sei. Ich will Ihnen offen sagen, Herr Ministerpräsident: Man muß bei all diesen Maßnahmen, die gesamtwirtschaftlich richtig sind, eines prüfen: ob man nicht durch ihre Dosierung oder ihre psychologische Überdosierung Rückwirkungen selbst provoziert, welche die eigenen Maßnahmen zunichte machen. Denn wenn Sie zuviel tun, laufen Sie doch sofort Gefahr - in einem transparenten Staat wie unserem ist es so -, daß dies in einen neuen Verteilungskampf einmündet und der vermeintliche Vorteil, der über die Steuer an Ertragsverbesserungen gegeben wurde, auf der anderen Seite über überdimensionierte Verteilungskämpfe wieder abgezogen wird. Ich glaube, daß das, was wir im Jahre 1975 für 1976 getan haben, ausgewogen war, wobei man natürlich - wie immer beim wirtschaftspolitischen Instrumentarium - hier und dort verschiedener Meinung sein kann.
Zu Ihrer Bemerkung über die öffentliche Investitionen und ihr Volumen hat sich der Bundesfinanzminister geäußert. Aber, Herr Ministerpräsident, mich stört ein bißchen - nicht nur bei Ihnen, sondern überhaupt -, daß mitunter öffentliche Investitionen als ein Zweck und Wert an sich dargestellt werden. Ich weiß, daß sie mit Voraussetzung sind zur Produktivität privater Investitionen. Aber, Herr
Ministerpräsident, nicht allein die Summe der öffentlichen Investitionen entscheidet über ihre Wirksamkeit, sondern auch ihre Auswahl, ihr Kosten-NutzenVerhältnis und all die Dinge, die damit zusammenhängen.
In meinem Land, aus dem ich komme - Rheinland-Pfalz -, sind nach dem Krieg in erheblichem Maße, als das Geld noch viel knapper war als heute, in den 50er Jahren, neue einklassige Dorfschulen gebaut worden. Es ist doch wohl unbestritten, daß dies öffentliche Investitionen waren. Daß sie mittlerweile teilweise als sehr hübsche Gastwirtschaften im Hunsrück oder in der Eifel zur Verfügung stehen, will ich gar nicht bestreiten. Öffentliche Investitionen sind eben nicht Selbstzweck oder Wert an sich, sondern sie müssen in die Gesamtstruktur passen. Ich wage heute zu behaupten, daß überall auch Krankenhäuser an falschen Standorten noch in den letzten Jahren gebaut worden sind, Krankenhäuser, die sich als nicht richtige öffentliche Investitionen und als Kostenbringer für die Krankenversicherungen herausstellen.
({0})
Ich will mir über die Baustruktur Ihres Landes an der Küste, wohin unwahrscheinlich hohe Steuerbeträge geflossen sind, selbst wenn es formal private Investitionen sind, ein Urteil nicht erlauben; Sie kennen Ihr Land besser.
Sie haben des weiteren die Steigerung der Abgaben beklagt. Sie haben unter anderem von 16 Rentenmodellen gesprochen. Sie haben gesagt: Auch im Wahljahr muß man den Mut haben, Einsparungen vorzunehmen, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Sie malen - wie viele Ihrer politischen Freunde - die Dramatik an die Wand, die Rentenversicherungen könnten ihren Verpflichtungen irgendwann nicht nachkommen. Meine Damen und Herren, eines ist Ihnen gelungen: Die Menschen draußen, insbesondere diejenigen, die davon betroffen sind, beginnen darüber nachzudenken, was ihnen zustoßen kann, weil sie fürchten, daß sie jetzt zwar die Rentner finanzieren, aber nicht sichergestellt sei, daß ihre eigene Rente vom 65. Lebensjahr an entsprechend ihrer Beitragsleistung - ich betone dies - finanzierbar sei. Hier kann man nicht spielen.
Nur, wenn Sie von unpopulären und harten Maßnahmen sprechen, Herr Ministerpräsident: Die Mehrbelastung der Rentenversicherung von jährlich 5 Milliarden DM haben Sie doch beantragt. Oder haben Sie nicht 1972, unmittelbar vor der Bundestagswahl, als Sie merkten, daß die Mehrheit der Regierung nicht mehr stand, als der Professor Schiller soeben zurückgetreten war, die Vorziehung beantragt und sie über eine Patt-Situation in diesem Hause als Wahlgeschenk durchgesetzt, weil Sie gehofft haben, damit könnten Sie 1972 die Wahlen gewinnen? Das ist doch der Tatbestand, und nichts anderes.
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Bitte, nehmen Sie zur Kenntnis - wenn ich dies für meinen Koalitionspartner sagen darf -: Es ist gerade für eine sozialdemokratische Partei ein nicht einfaches Unternehmen, sich bis zuletzt wenige Monate vor einer Bundestagswahl aus der Kenntnis der Finanzierungszusammenhänge heraus gegen diese für die Begünstigten gewiß populäre Maßnahme zu wenden.
Sie haben den Kohlepfennig angesprochen und bemängelt, daß hier nicht eine absolute, sondern eine prozentuale Belastung erfolgt sei. Herr Ministerpräsident, wegen der Kürze der Zeit will ich nur kurz darauf eingehen. Wir haben diese Dinge mit den Länderwirtschaftsministern erörtert, denn so etwas macht man doch nicht aus sich heraus. Von den Gesetzen, für die der Bundeswirtschaftsminister die Federführung hatte, ist bis zum heutigen Tage noch keines im Bundesrat gescheitert. Ich bin guten Mutes, daß das von Ihnen kritisierte Gesetz - merkwürdige Situation! - diese Woche im Bundesrat die Zustimmung der von der Union regierten Länder findet. Jedenfalls werden, wie ich hoffe, so viele Länder dafür stimmen, daß es durchgeht. Die anderen Länder können ja nach Ihrer Meinung dann ruhig dagegen stimmen.
Aber ich will Ihnen auch noch sagen, warum es so ist. Natürlich habe ich dies geprüft. Natürlich wäre mir an einem besseren Ausgleich der Energiekostenbelastung - sprich hier: der Kostenbelastung für elektrische Energie - gelegen gewesen. Sie wissen genau - wenn Sie es nicht wissen, sind Sie in Ihrem Kabinett nicht unterrichtet worden -, warum es in diesem Augenblick leider nicht anders ging, nämlich deshalb, weil wir an das Dritte Verstromungsgesetz anknüpfen mußten, wenn wir diese Maßnahme für den jetzigen Steinkohleeinsatz wirksam werden lassen wollten. Das war die Bitte des Hohen Hauses einschließlich der Oppositionsfraktion. Wir mußten daran also anknüpfen. Dort ist die prozentuale Belastung drin.
Hätten wir absolut, mit einem Betrag X, aufgestockt, hätten wir Sondertarifabnehmer wie beispielsweise die Aluminiumindustrie, um die Ihr Wirtschaftsminister sich auch besonders kümmert, in einem Ausmaß getroffen, daß sie im Zweifelsfall wettbewerbsunfähig geworden wäre, weil bei ihr der Strompreis am Endprodukt einen exorbitanten Anteil hat. Wir hätten mit einem differenzierten Aufstockungsbetrag arbeiten müssen. Dieser differenzierte Aufstockungsbetrag - auch das ist mit den Länderwirtschaftsministern besprochen worden - war angesichts nicht vorhandener Statistiken nicht errechenbar. So haben wir uns dann am Ende schlicht und einfach für die Lösung entschieden, die mittels vorhandener Statistik und mittels vorhandener Computerabrechnungsanlagen der Elektrizitätsversorgungsunternehmen die einzige war, mit der es uns möglich war, den Mehreinsatz an Steinkohle per 1. Januar 1976 sicherzustellen,
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dies, verehrter Herr Ministerpräsident, mit starker Unterstützung und in enger Kooperation beispielsweise mit Ihrem Kollegen Herrn Röder von der Saar. Ich will Herrn Kühn, weil Sie ihn als andersfarbig ansehen, gar nicht erst erwähnen. - Das zu diesem Punkt.
Sie sagen, die Küstenländer hätten Spaß an Importen von Kohle gehabt. Aber da gibt es ja ein Kontingent. Herr Ministerpräsident, fragen Sie Ihren Wirtschaftsminister. Im Jahre 1975 ist dieses Kontingent nicht ausgenutzt worden. Wenn Sie mehr Kohle hätten importieren wollen, hätten Sie das tun können. Denn wir haben, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, nur etwas über 4 Millionen t importiert, und das Kontingent ist bei über 5 Millionen t. Ich hätte Ihrem Herrn Wirtschaftsminister oder Ihnen persönlich auch jederzeit Kontrakte vermitteln können. Beispielsweise war die polnische Regierung im letzten Jahr sehr begierig, mehr zu liefern, als deutsche Abnehmer zu kaufen bereit waren. Ich habe das Stichwort Polen nicht wegen der morgigen Debatte gebracht, sondern deshalb, weil ich zufällig über Kohle in Polen selbst verhandelt habe.
Bezüglich der Bundesbahn an die Adresse von Ihnen und Herrn Warnke folgendes. Ich finde es nicht richtig, selbst in einem Wahljahr nicht, daß wir uns um ein so wichtiges Thema in dieser Form bemühen, wie das hier geschieht. Meine Damen und Herren, die Deutsche Bundesbahn hat im letzten Jahr Subventionen - und ich denke, heute morgen ist gesagt worden, wir sollten damit vorsichtiger umgehen - von mehr als 10 Milliarden Deutsche Mark bezogen. Oder, anders ausgedrückt - man soll es den Menschen einfacher sagen -, jeder Deutsche vom Greis bis zum Säugling zahlt an die Deutsche Bundesbahn im Jahr 170 DM, ohne Sie zu benutzen. Herr Ministerpräsident und Herr Warnke, ich halte es nicht für vertretbar, auch als Wirtschaftsminister nicht, eine solche Situation sehenden Auges ohne Zutun hinzunehmen.
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Daraufhin wurde mit meiner Unterstützung - jawohl, Sie haben recht - der Auftrag an den Präsidenten der Deutschen Bundesbahn gegeben, eine betriebswirtschaftliche Kostenrechnung nach dem Optimierungsprinzip vorzulegen. Es ist doch wohl ein selbstverständlicher Vorgang, daß ich dies tue. Die Bundesregierung hat vom ersten Tage an gesagt: Wenn diese vorliegt, kommt der Zeitpunkt, an dem wir prüfen werden, ob dieses betriebswirtschaftliche Rechenwerk - mehr ist es nicht, das ist es aber endlich - auch volkswirtschaftlich richtig ist.
({4})
- Ich lasse keine Zwischenfragen mehr zu, nachdem Sie entsprechend verfahren sind und die Bauleute drängen. Ich bitte um Verständnis dafür.
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Das war die Überlegung, und Sie wissen genau, daß es eine Staatssekretärsrunde gibt, die nun die Aufgabe hat, zu prüfen, ob im Einzelfall, d. h. von Strecke zu Strecke, das, was betriebswirtschaftlich eingespart werden würde, nicht unter Umständen volkswirtschaftlich teurer wird. Da sind wir bei der Regionalpolitik, nämlich bei der Frage - das ist doch das normale Vorgehen -: Wollen Sie denn von der Bundesbahn nicht verlangen, daß sie sich
betriebswirtschaftlich verhält? Ich meine, ja. Von der Regierung haben Sie zu verlangen, daß sie sich volkswirtschaftlich und gesamtwirtschaftlich verhält - einschließlich der Gemeinfunktion der Bundesbahn. Dies wird geschehen. Darauf können Sie sich verlassen.
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Ziehen Sie doch nicht durchs Land und sagen Sie doch nicht: das ist der Beschluß der Bundesregierung, obwohl Sie genau wissen, daß es die Absicht der Bundesregierung ist, zu rechnen und dann allerdings zu prüfen, was volkswirtschaftlich und gesamtwirtschaftlich richtig ist!
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- Sie war sicherlich wahltaktisch sehr unklug, Herr Abgeordneter; das gebe ich Ihnen gerne zu. Das bestreite ich nicht.
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- Dieser Schwebezustand ist ja für Sie ganz günstig, wie ich annehme. Sonst würden Sie nicht so viel darüber reden.
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Lassen Sie mich noch eine Bemerkung dazu machen. Natürlich muß ich dann prüfen, ob die Regionalpolitik - ich meine jetzt die Ökonomie-Regionalpolitik - und die Raumordnungspolitik von diesen Entscheidungen tangiert werden. Was ich wünsche, meine Damen und Herren, ist, daß wir am Ende, wenn wir mehr Strecken behalten, als betriebswirtschaftlich richtig ist - und das wird herauskommen -, auch klar sagen müssen: Bundesbahn, wir erstatten dir, weil du hier gesamtwirtschaftliche Funktionen erfüllst, dein Defizit für diese Strecken in Form von Steuergeldern. Meine Damen und Herren, Sie verteilen doch nicht die Gelder des Staates, sondern die der Menschen, die draußen arbeiten und Steuern zahlen, ob Lohnsteuer, Einkommensteuer oder Gewerbesteuer.
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Herr Warnke, es ist auch einfach nicht richtig, wenn Sie behaupten, wir hätten die Behörden alle in die falschen Richtungen verlegt. Sie haben ein Institut genannt, das meinem Geschäftsbereich untersteht und vor meiner Zeit verlegt worden ist. Ich will Ihnen offen sagen: Dieses Institut gehörte vom Sachzusammenhang her in die Bundesanstalt für Materialprüfung. Da die aber in Berlin sitzt und dieses Institut sich u. a. mit der Prüfung von Pulver beschäftigt, wissen Sie genauso gut wie ich, daß es nicht möglich ist, diesen Sachzusammenhang auch räumlich herzustellen. Das ist der Tatbestand. Wir wollen doch hier nicht darum herum-. reden.
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 227. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 19 6 15837
Wer war es denn, Herr Ministerpräsident, der Schiffahrtsdirektionen von Hamburg und Bremen nach Aurich und Kiel verlegt hat - ausschließlich aus regionalpolitischen Gründen und unter heftigsten Protesten in Bremen und Hamburg? Ich habe mich gleichwohl hinter Herrn Kollegen Gscheidle gestellt und gesagt: Wir müssen diesen Weg gehen; denn in die schwächeren Regionen wie Aurich und Kiel gehören diese Direktionen; Dienstleistungsbereiche sind in Hamburg und Bremen leichter zu ersetzen als in den schwach strukturierten Räumen. Dies ist doch unbestritten.
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Es ist ebenso unbestritten - und hier ist Herrn Kollegen Ravens zu danken -, daß 20 % der für Neuinvestitionen vorgesehenen Mittel, nämlich 50 Milliarden DM, beim Straßenverkehrswegeplan auf Grund des Raumordnungsplanes umgewidmet worden sind von den Ballungsgebieten in die schwach strukturierten Gebiete. Ich stelle nur Tatsachen fest und beschreibe sie.
Letzte Bemerkung dazu: Ich wünschte, wir hätten schon in den sechziger Jahren durch einen Zuzugsstopp für Gastarbeiter die deutsche Wirtschaft gezwungen, die Ballungsgebiete mit Zusatzproduktionen zu verlassen und in von uns geförderte schwache Regionen zu gehen, statt ihnen zu relativ billigen Lohnkosten einen hemmungslosen, unkontrollierten und uns nunmehr belastenden Zuzug ausländischer Arbeitnehmer zu ermöglichen.
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Ich sage Ihnen: Es kommt der Tag, an dem die Konjunktur so ist, daß wieder gedrängt wird: laßt uns die Grenzen wieder aufmachen! Ich bin der Meinung, wir müssen allein wegen der regionalen Strukturpolitik einen anderen Weg gehen.
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Wären wir ihn früher gegangen, wir hätten uns eine ganze Menge erspart.
Herr Ministerpräsident, Sie haben versucht, Gegensätze in der Ordnungspolitik zwischen den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten und innerhalb der Sozialdemokratischen Partei aufzuzeigen. Ich pflege die Dinge möglichst beim Namen zu nennen. Herr Ministerpräsident, es ist doch überhaupt kein Geheimnis, daß in allen politischen Parteien, die in diesem Hause vertreten sind, das Spektrum breiter ist als die nach außen einheitlich formulierte Meinung nach einem Parteitagsbeschluß. Das ist doch wohl selbstverständlich. Ich nehme meine politische Partei davon nicht aus, und da ich Staatssekretär in einer CDU-geführten Landesregierung war, habe ich ja einen intimen Einblick auch in andere politische Strukturen und weiß, daß auch dort um Wege gerungen wird, auch in der Ordnungspolitik. Oder wollen Sie etwa sagen, daß Sie allem zustimmen, was, wie ich der „Süddeutschen Zeitung" von vor wenigen Tagen entnehme, dort z. B. Ihr Parteifreund Blüm, Ihr Parteifreund Mann über paritätische Mitbestimmung gesagt hat oder über das Verhalten der Unternehmer, die nur Rationalisierungsinvestitionen tätigten, statt neue Arbeitsplätze zu schaffen? Was Sie gesagt haben, stimmt mit dem in vielen Dingen nicht überein und reicht weit in das Gebiet der Ordnungspolitik hinein. Herr Ministerpräsident, ich würde Ihnen das aber nie vorwerfen, weil ich es für selbstverständlich halte, daß in einer politischen Partei, die lebt, um den richtigen Weg auch in der Ordnungspolitik gerungen wird.
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Marktwirtschaft heißt doch nicht Worte festschreiben und sich daran festhalten, sondern ist vielmehr ein dynamischer Prozeß, dessen Rahmenbedingungen wir unablässig verändern müssen. Das fängt beim Kartellgesetz an. Natürlich haben wir darum gerungen, wo der richtige Weg bei der Fusionskontrolle, bei der Preisbindung, bei der Preisempfehlung ist. Die Lobbyisten hatten es ja drei Legislaturperioden lang verstanden, die Gesetzesnovelle in diesem Bundestag zu verhindern.
({15})
Das ist alles richtig. Daraus leite ich doch keine Vorwürfe her.
Seien Sie doch so fair und nehmen Sie einfach einmal dies zur Kenntnis: Wenn der Wirtschaftsminister dieser Regierung einen Jahreswirtschaftsbericht vorlegt, wird er vorher im Wirtschaftskabinett und im Kabinett besprochen; dann wird er verabschiedet. Tun Sie mir einen Gefallen: Lasten Sie ihn - im Positiven wie im Negativen - dieser Regierung an; tun Sie aber nicht so, als ob hier alles diffus sei und als ob das, was die Regierung selbst sagt, von den die Regierung tragenden Fraktionen nicht getragen werde. Wenn Sie aber so tun, müssen Sie hier halt die Abstimmungen erleben.
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Nun zum Stichwort „Konzertierte Aktion". Herr Ministerpräsident, ich kenne Ihre Rede, in der davon gesprochen wird, daß keine Beschlüsse gefaßt worden seien. Ich muß dazu noch etwas sagen, denn auch Herr Narjes hat dieses Thema angesprochen. Es hat noch nie Beschlüsse in der Konzertierten Aktion gegeben, auch nicht in der Zeit, in der Sie einer Bundesregierung als Minister angehört haben. Es gab früher - bis zu meinem Eintritt in das Bundeswirtschaftsministerium - am Ende der Konzertierten Aktion ein Kommuniqué. Meine erste Handlung in der Konzertierten Aktion war - und dazu stehe ich -, daß ich dieses Kommuniqué abgeschafft habe, und zwar mit Zustimmung aller Beteiligten. Warum? Weil früher fünf Stunden in der Sache gesprochen wurde und man sich dann drei Stunden über Formulierungen zerstritten hat, wovon ich nichts halte. Hinterher ist dann jeder an die Presse herangegangen und hat dort das gesagt, was er denkt.
Die Anlage der Konzertierten Aktion in unserer Ordnungspolitik, auf die Sie ja immer eingehen, ist doch eine ganz andere. Herr Ministerpräsident, die Konzertierte Aktion war im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, bevor der neue Name erfunden wurde, als „sozialer Dialog" konzipiert. Auf Grund eines Sachverständigengutachtens wurde in letzter Minute
der damals vermeintlich attraktivere Name „Konzertierte Aktion" gewählt, der objektiv nicht richtig ist. Dieses Zusammensein in einer pluralistischen Gesellschaft mit notwendigerweise auch divergierenden Auffassungen von Gruppen, die dazu da sind, im Staate gegeneinander - freilich nicht feindschaftlich - zu ringen, um die Verteilung des Sozialprodukts zu ringen, kann keine Konzertierte Aktion im wörtlichen Sinne sein.
1967 stand im Kommuniqué - ich habe es mir heraussuchen lassen -, daß man anerkennt, welches die wirtschaftlichen Ziele der Bundesregierung sind, daß man diese Zielsetzung unterstützt, daß das angestrebte Wachstum von nominal 4 % neben einer konjunkturgerechten Zunahme des privaten Verbrauchs eine kräftige Steigerung der privaten und öffentlichen Investitionstätigkeit erfordert. Herr Ministerpräsident, alles das haben wir auch nach der letzten Konzertierten Aktion verkündet. Ich finde es nicht gut, daß Sie ausgerechnet nach der letzten Konzertierten Aktion, die meines Erachtens eine der besten war, die je stattgefunden haben - nicht etwa wegen meines Vorsitzes, sondern wegen eines unwahrscheinlichen Verständnisses der Verantwortlichen, und zwar endlich auf beiden Seiten des Tisches -, jetzt so tun, als ob das eine LarifariVeranstaltung wäre.
Da Sie mich ordnungspolitisch angesprochen haben - und Sie wissen, daß ich dann reagiere -, will ich Ihnen etwas aus einem Aufsatz über Rechtsfragen der Konzertierten Aktion zitieren. Herr Ministerpräsident, dort heißt es:
Auch in einer pluralistischen Gesellschaft bleibt es notwendig, Kompetenzen zu unterscheiden und Zuständigkeiten deutlich zu ordnen. Mir erscheint es zwingend geboten, staatliche Zuständigkeit für politische Entscheidungen dort zu belassen, wo sie hingehört: im Parlament und in der Exekutive. Institutionalisierte Koordination oder Kooperation zur Formulierung wirtschaftspolitischer Entscheidungen mit Privaten sollte unterbleiben. Nur unter dieser Bedingung scheint es mir möglich, an einer privatrechtlich verfaßten Marktwirtschaft festzuhalten.
Hier ist klar das gesagt, was Herr Narjes verlangte und was der Konzertierten Aktion schon rechtlich und ordnungspolitisch nicht zugewiesen wurde und in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht zugewiesen werden kann. Damit es Ihnen leichter fällt, meiner Auffassung zuzustimmen, will ich Ihnen jetzt den Verfasser des Gutachtens nennen. Es ist Professor Biedenkopf. Mit ihm stimme ich in dieser Frage überein. Er ist immerhin Generalsekretär Ihrer Partei.
In einer pluralistischen Gesellschaft darf es gerade nicht passieren, daß Sie die Leute zusammenrufen, mit dem Knüppel der Regierung drohen und dann Tarifautonomie und all die Dinge praktisch aus den Angeln heben. Dafür ist sie nicht geschaffen. Sie ist ein sozialer Dialog. Das Ausland beneidet uns um eins: daß es in Deutschland möglich ist, daß Gewerkschaftsführer und Unternehmerführer an einem Tisch sachlich diskutieren, miteinander über Prozente reden,
({17})
und zwar nicht über Lohnprozente, sondern über die mittelfristige und kurzfristige gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Herr Narjes, wir haben eben nicht nur über die mittelfristigen Fragen gesprochen, sondern wir haben über die Frage gesprochen, wie wir nach der konjunkturellen Erholung den Übergang in ein mittelfristiges Wachstum haben werden.
Eine letzte Bemerkung, Herr Ministerpräsident. Sie haben gesagt, am 3. Oktober entschieden die Wähler nicht über das Direktorium des GATT, sondern über die Bundesregierung. Bei Ihrer Landtagswahl haben sie auch über Sie entschieden. Sie hatten mit einer Stimme Mehrheit noch gerade Glück.
({18})
Meine Damen und Herren, entsprechend den Bestimmungen des Grundgesetzes bin ich gehalten, dem Herrn Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein das Wort zu erteilen.
Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich die Geschäftslage dieses Hauses kenne, werde ich mich auf zwei, drei Sätze beschränken. Ich glaube, es ist an anderer Stelle Gelegenheit, die zum Teil nicht richtige Ausdeutung und Wiedergabe von Ausführungen, die ich und andere hier gemacht haben, durch den Herrn Bundeswirtschaftsminister zu korrigieren. Was Ihre Schlußbemerkung betrifft, sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, so hätte die besser sein können. Wenn die Union am Tag nach der Wahl im Bund 50,4 °/o der Stimmen wie in Schleswig-Holstein hat, dann sind wir vollauf zufrieden und werden hier eine neue Regierung bilden.
({1})
Meine Damen und Herren, die Aussprache ist geschlossen.
Das Jahresgutachten 1975 wird nach Vorschlag des Ältestenrats dem Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und dem Haushaltsausschuß - mitberatend -, der Jahreswirtschaftsbericht 1976 wird dem Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und dem Haushaltsausschuß - mitberatend -, der Antrag der CDU/CSU auf der Drucksache 7/3664 dem Finanzausschuß - federführend -, dem Ausschuß für Wirtschaft, dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und dem Haushaltsausschuß - mitberatend - überwiesen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung des BundesImmissionsschutzgesetzes
- Drucksache 7/4452 Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Bericht und Antrag des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 7/4760 Berichterstatter: Abgeordneter Volmer
Abgeordneter Bühling
({1})
Eine Ergänzung des vorgelegten Berichts wird nicht gewünscht. Ich danke den Herren Berichterstattern.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich weise darauf hin, daß in Art. 1 nach dem Wort „anzuwenden" noch folgt: „§ 6 bleibt unberührt."
Ich rufe Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die
dritte Beratung
auf. Das Wort wird in der dritten Beratung nicht gewünscht. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenstimmen? - Ich stelle keine Gegenstimmen und auch keine Stimmenthaltungen fest. Damit ist das Gesetz in dritter Beratung einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 7 und 8 sowie den Zusatzpunkt zur heutigen Tagesordnung auf:
7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handelsklassengesetzes
- Drucksache 7/4746 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
8. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes
- Drucksache 7/4823 Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({3}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol
- Drucksache 7/4777 Überweisungswunsch:
Finanzausschuß ({4})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß
Es handelt sich um von der Bundesregierung und vom Bundestag vorgelegte Gesetzentwürfe. Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates bitte ich der Tagesordnung zu entnehmen. - Ich sehe und höre keinen
Widerspruch; das Haus ist mit den Überweisungen einverstanden.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Leistungen an die Europäische Organisation für Kernforschung ({6}) in Genf
- Drucksachen 7/4598, 7/4749 - Berichterstatter: Abgeordneter Blank
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort wird nicht begehrt.
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. grundsätzliche Einwilligung in eine üpl. Ausgabe im Haushaltsjahr 1975 bei Kap. 14 12 Titel 517 01 - Bewirtschaftungskosten - Drucksachen 7/4515, 7/4750 - Berichterstatter: Abgeordneter Haase ({8})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine mündliche Ergänzung des Berichts wird nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Haushaltsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 11 bis 13 unserer Tagesordnung auf:
11. Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses ({9}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie Nr. 69/74/EWG über Zollager, der Richtlinie Nr. 69/75/EWG über Freizonen und der Richtlinie Nr. 71/235/EWG über die üblichen Behandlungen, die in Zollagern und Freizonen vorgenommen werden können
- Drucksachen 7/4388, 7/4741 Berichterstatter: Abgeordneter Bremer
12. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen ({10}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung ({11}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({12}) Nr. 517/72 des Rates vom 28. Februar 1972 über die Einführung gemeinsamer Regeln für den Linienverkehr und die Sonderformen des Linienverkehrs mit Kraftomnibussen zwischen den Mitgliedstaaten
- Drucksachen 7/4298, 7/4751 - Berichterstatter: Abgeordneter Vehar
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
13. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen ({13}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung ({14}) des Rates über die Inkraftsetzung des Europäischen Übereinkommens über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals ({15})
- Drucksachen 7/3695, 7/4752 Berichterstatter: Abgeordneter Vehar
Es handelt sich um Anträge der Ausschüsse zu Vorschlägen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Wünscht einer der Herren Berichterstatter zur Ergänzung der vorgelegten schriftlichen Berichte das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch in der Aussprache nicht begehrt.
Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist, daß ich gemeinsam über die Vorlagen abstimmen lasse. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/4741, 7/4751 und 7/4752. Wer den Vorlagen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Gegen mehrere Stimmen sind die Vorlagen angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 14 der heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbaugesetzes
- Drucksache 7/2496 Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({16})
- Drucksache 7/4793 Berichterstatter: Abgeordneter Waltemathe Abgeordneter Schmöle
({17})
Die beiden Herren Berichterstatter haben nicht das Wort zur Ergänzung des schriftlichen Berichts gewünscht. Ich danke den Herren Berichterstattern.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Es ist eine Aussprache vorgesehen. Das Wort hat der Abgeordnete Schmöle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag wird heute über ein bedeutendes Gesetz beraten und entscheiden, und zwar über die Novelle zum Bundesbaugesetz.
Mit dem im Jahre 1960 verabschiedeten Bundesbaugesetz, das heute novelliert werden soll, war zum erstenmal in der deutschen Rechtsgeschichte der umfassende Versuch unternommen worden, die Bodenordnung auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage zu stellen. Daß dieser Versuch angesichts
der äußerst schwierigen Materie Weiterentwicklungen und Änderungen erforderlich machen würde, lag auf der Hand. Gleichwohl kann heute festgestellt werden, daß sich das Bundesbaugesetz in wesentlichen Teilen bewährt hat. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal den Dank und die Anerkennung unserer Fraktion an den damaligen Minister Lücke aussprechen.
({0})
Bei entschlossener Anwendung der Instrumentarien des Gesetzes wäre es durchaus möglich gewesen, viele Fälle städtebaulicher Fehlentwicklungen zu vermeiden. Das oft zitierte Beispiel Frankfurter Westend ist gerade kein Beweis für eine unzureichende Rechtsgrundlage, sondern vielmehr für eine skandalöse Nichtbeachtung seiner Instrumentarien. Diese Fehlentwicklung hätte vermieden werden können, wie der frühere Frankfurter Baudezernent Adrian gesagt hat, und ich meine, sie hätte auch vermieden werden müssen.
Andererseits kann kein Zweifel daran bestehen, daß angesichts der seit 1960 eingetretenen grundlegenden Veränderungen eine Weiterentwicklung des Gesetzes notwendig ist, um eine geordnete städtebauliche Entwicklung sicherzustellen. Die Unionsparteien und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben angesichts dieser Tatsache ein Geflecht von Änderungsmaßnahmen vorgeschlagen, das sich an folgenden Ordnungszielen ausrichtet: die Sicherung der planungsgerechten Nutzung des Bodens, die Vermehrung und Mobilisierung des Baulandangebotes und damit die Senkung des Bodenpreisniveaus, die Beseitigung von Anreizen, die zu einer überhöhten Bodennachfrage oder zur Zurückhaltung von Boden führen, die Inanspruchnahme der durch öffentliche Planungs- und Infrastrukturmaßnahmen hervorgerufenen Wertsteigerungen, der Abbau der bestehenden Steuerprivilegien für Grund und Boden und die Verbesserung der Qualität und mehr Kontinuität der gemeindlichen Planungs- und Entwicklungspolitik. Wir haben die vorgelegte Novelle zum Bundesbaugesetz an den Maßstäben dieses Zielkataloges gemessen, und ich möchte im folgenden zu einer Wertung kommen.
Uns lag besonders daran, die gemeindliche Planungshoheit zu stärken und eindeutig hervorzuheben. Dies ist nicht nur ein Gebot der sich aus Art. 28 des Grundgesetzes ergebenden Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden, es ist auch eine Verpflichtung gegenüber den vielen tausend ehrenamtlich tätigen kommunalen Mandatsträgern. Wer die gemeindliche Planungspraxis kennt, der weiß, mit welcher Intensität und Sorgfalt in den Planungsausschüssen, Gemeindevertretungen oder -räten über Bauleitpläne beraten und beschlossen wird und mit welcher Arroganz manche Aufsichtsbehörden diese Arbeit oft entwerten. Wer ja sagt zur Selbstverwaltung, zur Subsidiarität, zum demokratischverantwortungsbewußten Entscheidungsprozeß auf kommunaler Ebene, der muß auch ein eindeutiges Ja zur gemeindlichen Planungshoheit sagen und klarstellen, daß die Aufsicht der Aufsichtsbehörden auf eine Rechtsaufsicht beschränkt ist, nicht aber eine Sach- und Fachaufsicht darstellen soll. Wir
sind froh darüber, daß diese Auffassung einmütig im zuständigen Ausschuß geteilt wurde und ihren Niederschlag in vielfältigen Regelungen des Gesetzes gefunden hat. Wir haben uns deshalb auch mit aller Energie dagegen gewendet, durch Gesetzesänderung die Möglichkeit zur Bildung solcher Planungsverbände zu schaffen, an deren Willensbildung die Gemeinden nicht beteiligt gewesen wären.
Meine Damen und Herren, wir bejahen eine gemeindliche Entwicklungsplanung. Diese soll die räumliche Planung mit der Zeit- und Finanzplanung koordinieren, um dadurch Fehlnutzungen des Bodens zu verhindern. Die Weiterentwicklungen der Bauleitplanung sieht eine sinnvolle Verzahnung mit einer gemeindlichen Entwicklungsplanung vor, ohne jedoch eine unpraktikable neue Planungsstufe zu schaffen. Die Bauleitplanung ist auch insofern verbessert worden, als nunmehr die Nutzungen differenzierter und konkreter festgestellt werden können. So können beispielsweise im Bebauungsplan Flächen für den sozialen Wohnungsbau oder die Bedürfnisse bestimmter Personengruppen festgelegt werden. Wir sind uns aber bewußt, daß eine verbesserte und um die Entwicklungsplanung angereicherte Bauleitplanung allein nicht ausreicht, die städtebauliche Planung im Einzelfall auch zu verwirklichen. Hierzu sind Instrumente erforderlich, welche die Durchsetzung einer planmäßigen Nutzung der Grundstücke ermöglichen. Die Gemeinden brauchen wirksame Mittel, um ihre Planvorstellungen auch tatsächlich durchsetzen zu können.
Wir haben deshalb im Grundsatz zugestimmt, die Plandurchsetzungsgebote des Städtebauförderungsgesetzes auf das allgemeine Städtebaurecht zu übertragen. So haben wir uns für ein Baugebot, ein Nutzungsgebot, ein Abbruchgebot, ein Modernisierungsgebot und ein Instandsetzungsgebot ausgesprochen. Dabei kam es uns zunächst darauf an, diese Gebote entsprechend rechtsstaatlichen Anforderungen zu gestalten. Von unserer- Fraktion war beantragt worden, den Erlaß der Verwirklichungsgebote nur dann zuzulassen, wenn dies aus Gründen des allgemeinen Wohls erforderlich sei. Dieser Antrag ist abgelehnt worden. Die Formulierung der Regierungsvorlage „im öffentlichen Interesse erforderlich" ist aber auf diesen Vorstoß hin durch die Regelung ersetzt worden, daß die Verwirklichungsgebote nur dann angeordnet werden dürfen, wenn die alsbaldige Durchführung der angeordneten Maßnahmen aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist.
Wir haben dieser neuen Fassung schließlich zugestimmt, weil wir uns haben überzeugen lassen, daß die jetzige Formulierung es ermöglicht, an die Anordnung der Maßnahmen jeweils die Maßstäbe anzulegen, die der jeweiligen Eingriffsschwere entsprechen. Hat die angeordnete Maßnahme von vornherein enteignende Wirkung, so sind die städtebaulichen Gründe im Sinne des Gemeinwohlerfordernisses auszulegen.
Vor allem aber haben wir uns mit der Forderung durchsetzen können, daß vom Erlaß der Verwirklichungsgebote abzusehen ist, wenn einem Eigentümer die Durchführung der angeordneten Maßnahmen aus objektiven wirtschaftlichen Gründen nicht zuzumuten ist.
Für die Ausweitung gemeindlicher Planungsbefugnisse und für stärkere Eingriffsrechte durch die Verwirklichungsgebote gibt es für die CDU/CSU eine unabdingbare Voraussetzung, nämlich die stärkere Beteiligung der Bürger an der Planung und Entwicklung des gemeindlichen Raumes. Die Bürger haben künftig Anspruch auf frühzeitige Information, Mitsprache und Mitwirkung an der Stadtplanung. Dadurch soll auch eine größere Durchschaubarkeit des Bodenmarktes erreicht werden, die zu einer Preisregulierung beiträgt. Sie soll gleichzeitig verhindern, daß die notwendige Verbesserung des Planungsinstrumentariums der Gemeinden zu einer totalen Bürokratisierung der Planung führt.
In den Ausschußberatungen ist die Bürgerbeteiligung stark hervorgehoben und in einer besonderen Vorschrift geregelt worden. Die Form der Bürgerbeteiligung ist darüber hinaus auch dadurch qualitativ verändert worden, daß die Gemeinde verpflichtet wird, ihre Planvorstellungen möglichst frühzeitig darzulegen. Unsere Fraktion hat in den Beratungen auf die oftmals geübte Geheimniskrämerei mit den Bauleitplänen hingewiesen, die eindeutig zu Lasten breiter Schichten der Bevölkerung gegangen ist und wenige Wohlinformierte begünstigt hat. Die kommunalen Vertretungskörperschaften haben die Form der Bürgerbeteiligung selbst zu regeln.
Als weitere Maßnahme ist nach unserer Auffassung im Rahmen der Bauleitpläne eine Sozialplanung notwendig. Das vor allem deshalb, weil sich die Gemeinden bereits bei der Aufstellung der Bebauungspläne über deren wirtschaftliche und soziale Auswirkungen im klaren sein sollten. Wir glauben, daß Bürgerbeteiligung und Sozialplanung dazu beitragen, eine an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen ausgerichtete Planung zu ermöglichen und die Bürger zum aktiven Mitwirken an der Gestaltung ihrer Gemeinde zu bewegen.
Ein besonderes Schwergewicht unserer Überlegungen liegt bei den Möglichkeiten des Bauens in ländlichen Räumen. Wir haben mit großer Sorge die Entwicklung bei der Genehmigungspraxis der Aufsichtsbehörden für das Bauen im Außenbereich und das Bauen innerhalb bebauter Ortsteile verfolgt.
({1})
Hier ist oftmals ein Zustand eingetreten, der jedwede Entwicklung in ländlichen Räumen blockiert.
({2})
Nicht nur die sinnvolle Erweiterung von Höfen, die neuen Gegebenheiten angepaßt werden sollten, sondern selbst der Wiederaufbau zerstörter Gebäude ist dadurch vielfach verhindert worden. Nach unserer Auffassung mußte ein Weg gefunden werden, der eine zweckmäßige Weiterentwicklung dieser Bereiche ermöglicht, ohne die Gefahr der Zersiedlung der Landschaft zu verstärken. Dabei möchten wir aber mit Nachdruck darauf hinweisen, daß es gerade die Höfe im Außenbereich sind, die un15842
sere Kulturlandschaft ganz wesentlich geprägt haben.
({3})
Die Frage des Bauens innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist von großem Gewicht. Dafür gibt es in den verschiedenen Ländern ganz unterschiedliche Genehmigungspraktiken. Dort jedenfalls, wo der Zentralismus zum leuchtenden Vorbild aller Planung hochstilisiert wird, suchen und finden Genehmigungsbehörden fast jede Möglichkeit, weiteres Bauen zu verhindern. Innenbereich ist nicht mehr Innenbereich, und Baulücken sind offenbar so wandelbar, daß selbst der phantasievollste Beurteiler keine durchschaubare und konsequente Handhabung erkennen kann. Dadurch werden ländliche Räume zu beliebigen Spielbällen bürokratischer Planungsinstrumentarien und Planungsartisten. Für uns sind die ländlichen Gebiete aber keine beliebigen Freiräume, aus denen ministerielle Planer ökologische Frischregionen machen können, in denen sich lärm- und umweltgeschädigte Großstädter erholen können, um für die Verdichtungsfanatiker einen Ausgleich für ihre unsinnige Planung zu schaffen. Die Bewohner ländlicher Regionen haben einen eigenständigen Anspruch auf eine zukunftsgerechte Entwicklung ihrer Lebensräume.
Im übrigen - das sei nur am Rande vermerkt -leisten Verkehrs- und Strukturpolitik dieser Bundesregierung kräftig Hilfestellung, die Benachteiligung und Verödung der ländlichen Räume noch zu verstärken. Unser eindeutiges Ziel ist es, diese Praxis zu ändern und den ländlichen Räumen und den in ihnen lebenden Menschen die ihnen zustehenden Chancen und Rechte zu geben.
Deshalb haben wir darauf gedrungen, das Bundesbaugesetz so zu novellieren, daß das Bauen im Außenbereich künftig die Möglichkeit bietet, den wirtschaftlichen und strukturellen Entwicklungen der Landwirtschaft und ihren Anpassungsproblemen Rechnung zu tragen. Ziel muß dabei bleiben, die natürliche Eigenart der Landschaft zu erhalten und zu fördern.
Für das Bauen im Innenbereich konnten wir die für uns ganz wesentliche Bestimmung durchsetzen, daß die Gemeinden die Grenzen für die im Zusammenhang bebauten Ortsteile künftig durch Satzung festlegen können. Dabei können auch solche Grundstücke einbezogen werden, durch die der Ortsteil abgerundet wird. Diese Satzungen bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörden. Da es sich aber hier wiederum um eine Rechtsaufsicht handelt, glauben wir, daß die Genehmigungswillkür hierdurch eingeengt werden kann.
({4})
Es ist jedoch die Änderung vorgesehen, daß ein Bauvorhaben nur dann zulässig sein soll, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung und seiner Bauweise in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die landschaftliche Siedlungsstruktur berücksichtigt.
Durch alle diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, wollen wir die ländlichen Räume nicht zerstören oder zersiedeln, sondern wir wollen vielmehr eine sinnvolle Weiterentwicklung und einen Erhalt unserer Kulturlandschaft ermöglichen.
Eine bedeutende Stellung bei der Fortentwicklung des Bodenrechts nimmt die Ausgestaltung der gemeindlichen Vorkaufsrechte ein. Die Unionsparteien haben in ihren Programmen deutlich gemacht, daß sie eine Ausweitung dieser Vorkaufsrechte in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht für notwendig halten. Voraussetzung für die Ausweitung der Vorkaufsrechte ist für uns aber deren Koppelung an ausreichende und eindeutige Privatisierungs- und Reprivatisierungsvorschriften im Interesse einer breiten Eigentumsstreuung.
Unserer Auffassung nach erweitert das private Eigentum, auch und gerade das an Grund und Boden, den Freiheitsraum für die persönliche Entfaltung des Menschen. Es dient dem Schutz eines unantastbaren Kernbereichs der Lebensgestaltung und der Zukunftssorge des Bürgers. Diese freiheitlichen Gestaltungs- und Sicherungsfunktionen lassen sich aber nur dann in befriedigendem Ausmaß verwirklichen, wenn möglichst viele Bürger in den Besitz von Grund und Boden gelangen können.
({5})
Die von den Koalitionsparteien im Ausschuß durchgesetzte Regelung weitet die gemeindlichen Vorkaufsrechte und damit die Bestimmungsgewalt der Gemeinde über die Eigentumsverteilung und -gestaltung erheblich aus, ohne aber im Gegenzug die Privatisierungs- und Reprivatisierungspflichten entsprechend zu verschärfen. Gemessen am Ziel der breiten Eigentumsstreuung ist die Koalitionslösung zur Privatisierung und Reprivatisierung absolut unzureichend. Diese Lösung überläßt letztlich der Gemeinde die Auswahl der Eigentums- bzw. Nutzungsform, die dem Bürger zugestanden werden soll. Sie eröffnet damit den Gemeinden die Möglichkeit, nur noch grundstücksgleiche Rechte statt des Volleigentums auszugeben, und diese dann jeweils auch nur für kurze Laufzeiten., Der Formulierung des Vorschlages nach ist nicht auszuschließen, daß Gemeinden Erbbaurechte mit einer Laufzeit von nur fünf oder zehn Jahren vergeben.
An dieser Stelle der Novelle stehen wir an einer eigentumspolitischen Wendemarke. Mit der Aufweichung der Privatisierungs- und Reprivatisierungspflichten wird nämlich bereits der erste Schritt in Richtung auf eine Aufspaltung des Bodeneigentums in ein Verfügungseigentum der Gemeinden und ein nachgeordnetes Nutzungsrecht Privater und damit in Richtung auf eine Kommunalisierung des Baubodens getan.
Auch wenn der SPD-Parteitag in Mannheim aus wahlkampftaktischen Gründen keine endgültigen Beschlüsse zur beabsichtigten Aufspaltung des Bodeneigentums gefaßt hat, steht dieses SPD-Vorhaben nach wie vor im Raum.
({6})
Seine weitere Verfolgung ist lediglich auf die Zeit
nach der Wahl verschoben worden. Die vom SPDParteitag in Hannover 1973 beschlossenen GrundSchmöle
sätze zu einer sogenannten „eigentumsrechtlichen Lösung des Bodenproblems" und das von der dort eingesetzten neuen Bodenrechtskommission vorgelegte und vom Parteivorstand bereits gebilligte Modell des Verfügungs- und sogenannten Nutzungseigentums sind daher als politischer Hintergrund, Herr Kollege Gallus, für die Abfassung der Privatisierungs- und Reprivatisierungsvorschriften im Koalitionsentwurf zu berücksichtigen.
({7})
Für uns bleibt unverständlich, wieso die FDP diese Gefahren der schrittweisen Einführung der Kommunalisierung nicht sehen will und die Aufweichung dieser zentralen Bestimmung überhaupt unterstützen kann.
({8})
- Ich war lange in einem Gemeinderat, Herr Kollege.
Die CDU/CSU macht jedenfalls bei dem Versuch, die Aufspaltung des Eigentums durch die Hintertür zu erreichen, nicht mit. Fortentwicklung des Bodenrechts: ja, Aushöhlung des Privateigentums und Kommunalisierung: nein!
({9})
Die Aufspaltung des Eigentums wird uns einem menschengerechten Städtebau nicht näherbringen. Sie wird wohl eher die unmenschliche Stadt zur Folge haben, weil nämlich dann von anonymen bürokratischen Apparaten die gesamte Bodennutzung bis ins Detail verplant werden kann, ohne auf die tatsächlichen Bedürfnisse und Wertvorstellungen der Menschen Rücksicht nehmen zu müssen. Die kommunale Verfügungsmacht über den Boden wird in einem Umfang verstärkt, der aus städtebaulichen Gründen nicht erforderlich ist, der sich also nur aus dem ideologisch motivierten Versuch und Wunsch erklären läßt, daß eine umfassende Investitionslenkung eingeführt werden soll.
Vor allem aber darf der ungeheure Machtzuwachs bei den Gemeinden nicht übersehen werden. Derartige Machtkonzentrationen lassen sich demokratisch nicht mehr kontrollieren, da eine wirksame Kontrolle nur bei einer weitgehenden Machtverteilung möglich ist. Weil mit der Koalitionsfassung der Privatisierungs- und Reprivatisierungsvorschriften diese verhängnisvolle Entwicklung zur Kommunalisierung begünstigt wird - ich wiederhole: begünstigt wird -, gibt es hierfür keine Stimme der CDU/CSU.
({10})
Für die Weiterentwicklung des Städtebaurechts ist es von außerordentlicher Bedeutung, welche Möglichkeiten die Gemeinden im Bereich der Planung erhalten, sich auf grundlegende Änderungen wirtschaftlicher, demographischer oder gesellschaftlicher Art einzustellen.
Wir alle kennen die Probleme, die durch die .nderung einmal rechtskräftig gewordener Bebauungspläne entstehen können. Das geltende Recht bestimmt, daß sehr weitgehende Verkehrswertentschädigungen bei Planungsschäden auch für nicht ausgeübte Nutzbarkeiten zu leisten sind. Wenn z. B. eine Gemeinde eine Umzonung von einer hochgeschossigen Nutzung zu einer ein- oder zweigeschossigen Nutzung für Einfamilienhäuser vornehmen wollte, war dies auf Grund der dadurch entstehenden Entschädigungsansprüche der Grundstückseigentümer nahezu unmöglich. Der Zwang, Planungseingriffe auch in noch nicht verwirklichte Nutzbarkeiten entschädigen zu müssen, hat zu einer weitgehenden Erstarrung der Planung geführt.
Deshalb hat sich auch die Union intensiv an der Suche nach einer problemgerechten Änderung des Planungsschadenrechtes beteiligt. Übereinstimmung besteht darin, daß einerseits der Schutz des Vertrauens auf die Planung verstärkt werden muß, daß andererseits aber grundsätzlich nur Eingriffe durch Planungsmaßnahmen in bereits verwirklichte Nutzbarkeiten eine Entschädigungspflicht auslösen sollen.
Die gegen diese Einschränkung der Entschädigungspflicht vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken teilen wir nicht, obwohl wir vom Grundsatz der Baufreiheit ausgehen. Dieser besagt, daß die Befugnis, ein Grundstück zu nutzen, Ausfluß des Grundeigentums ist und nicht erst durch den gemeindlichen Planungsakt verliehen wird. Diese Baufreiheit ist aber nicht unbegrenzt. Sie unterliegt der Inhalts- und Schrankenbestimmung durch die Bauleitplanung. Dem Grundeigentum wohnt die bauliche Nutzbarkeit demnach nur als Potenz inne. Der Planungsakt dient dabei der Aktualisierung dieser potentiellen Baufreiheit. Wenn nun generell die so eröffnete Nutzbarkeit nur dann den Schutz einer verfestigten Rechtsposition genießen soll, wenn diese Nutzbarkeit auch verwirklicht wird, liegt dies im Rahmen der Sozialbindung und hat keinen enteignenden Charakter.
Aus Gründen des Vertrauensschutzes ist aber eine ausreichende Schutzfrist hinsichtlich der noch nicht ausgeübten Nutzbarkeit erforderlich. Entgegen der Regierungsvorlage, die eine Schutzfrist von vier Jahren vorsieht, haben wir eine Frist von zehn Jahren vorgeschlagen. Der Ausschuß hat sich schließlich in einem Kompromiß auf eine Schutzfrist von sieben Jahren geeinigt. Darüber hinaus ist eine Reihe weiterer Vertrauenstatbestände eingebaut worden, bei deren Vorliegen eine noch nicht verwirklichte Nutzbarkeit auch nach Ablauf dieser Frist mit der Folge geschützt wird, daß ihre Beeinträchtigung durch Planungsmaßnahmen Entschädigungsansprüche auslöst.
Nun noch ein Wort zum abgaberechtlichen Teil, dem sogenannten Planungswertausgleich. Seit mehr als hundert Jahren bildet die Frage, ob und inwieweit Bodenwertsteigerungen dem Grundstückseigentümer verbleiben oder der Allgemeinheit zufließen sollen, einen Schwerpunkt der Bodenrechtsdiskussion. Die Bodenwertfrage ist auch eine der Grundfragen, die die Diskussion um die Novelle des Bundesbaugesetzes beherrscht hat. Dabei besteht in der Grundforderung Einigkeit, Grundstücke, die durch Planungs- und Infrastrukturmaßnahmen der Ge15844
meinden Wertsteigerungen erfahren haben, wenigstens zu einem Teil zu den Kosten dieser städtebaulichen Maßnahmen heranzuziehen.
Die CDU/CSU hat bereits in der ersten Lesung und danach verschiedentlich in den Ausschußdiskussionen betont, daß nicht das Ob, sondern das Wie der Erfassung städtebaulicher Wertsteigerungen strittig ist. Sie geht dabei von dem Gedanken eines allgemeinen Vorteilsausgleichs aus. Öffentliche Planungs- und Infrastrukturmaßnahmen bewirken eine Qualitätsverbesserung und dadurch eine Werterhöhung der Grundstücke. Diese Maßnahmen, die einen erheblichen finanziellen Aufwand der Gemeinden erfordern, bringen somit den Grundstückseigentümern besondere Vorteile. Es entspricht dem Gebot der Verteilungsgerechtigkeit, wenn die so begünstigten Grundstückseigentümer einen Teil der Kosten erstatten, die der Allgemeinheit entstanden sind.
Neben diesen verteilungspolitischen Aspekt treten bodenpolitische Ziele. So soll die Inanspruchnahme städtebaulich bedingter Weitsteigerungen zur Finanzierung der Infrastrukturmaßnahmen beitragen. Die Verbesserung der Infrastruktur ist wiederum Voraussetzung für eine optimale Nutzung des Bodens. Von dieser Mehrwerterfassung können auch baulandmarktordnende Effekte ausgehen. Wenn nämlich zusätzliche Mittel für eine vermehrte Ausweisung und Erschließung von Bauland verwendet werden, das Baulandangebot also vergrößert wird, ist eine Preisdämpfung zu erwarten. Außerdem kann diese Mehrwerterfassung bestimmte Gewinnerwartungen drosseln und damit spekulative Nachfrage und spekulative Baulandzurückhaltung zurückdrängen. Der preisdämpfende Effekt sollte jedoch nicht überschätzt werden.
In der Begründung des Regierungsentwurfs fehlt jedoch eine eindeutige Zielbestimmung. So spricht man etwa von einer „Verhinderung der Vermögensakkumulation bei wenigen Eigentümern", ohne dabei zwischen allgemeinen und städtebaulich bedingten Bodenwertsteigerungen zu unterscheiden. Ordnungspolitisch ist es aber von großer Bedeutung, ob man nur solche Wertsteigerungen erfassen will, die durch städtebauliche Maßnahmen ermöglicht werden, oder ob man auch die Wertsteigerungen abschöpfen will, die auf eine Veränderung der Marktverhältnisse, z. B. auf eine inflationsbedingte Erhöhung der Baulandnachfrage, zurückzuführen sind.
({11})
In der Diskussion um diesen Entwurf sind von seiten der Regierungskoalition mehrfach widersprüchliche Zielangaben gemacht worden. Mal war die Einnahmeerzielung durch die Gemeinden das wesentliche Ziel, dann war es die Herstellung der Gerechtigkeit, ohne daß es auf gemeindliche Mehreinnahmen entscheidend ankäme, danach stand wieder die Preisdämpfung im Vordergrund usw. usf.
({12})
Wenn die CDU/CSU auf Grund der eben von mir skizzierten Zielbestimmung die Notwendigkeit zur Inanspruchnahme der durch Planungs- und Infrastrukturmaßnahmen hervorgerufenen Wertsteigerungen grundsätzlich bejaht und daher lediglich das Wie dieser Mehrwerterfassung strittig ist, besteht in der Behandlung der Bodenwertfrage keine so prinzipielle Meinungsverschiedenheit wie bei der Ausgestaltung der Privatisierungsvorschriften und der damit verbundenen eigentumspolitischen Grundentscheidung. Der Union den Vorwurf zu machen, einseitige Interessenvertretung zu sein, oder sie gar als Spekulantenpartei zu bezeichnen, ist völlig unangebracht und dient nicht zur Versachlichung der ungemein schwierigen Diskussion über das Wie der Mehrwerterfassung.
({13})
Denjenigen allerdings, meine Damen und Herren, die mit dem sogenannten Planungswertausgleich einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer Bodenwertzuwachssteuer und schließlich zu einer Aufspaltung und damit Kommunalisierung tun wollen, sei gesagt, daß wir ihre Absicht sehr wohl erkennen.
({14})
Dies hindert uns jedoch nicht, die Grundforderung einer verstärkten Heranziehung städtebaulich bedingter Bodenwertsteigerungen zu unterstützen. Mit der Realisierung dieser Forderung wollen wir die Institution des Privateigentums vor Angriffen schützen, die, soweit es diese speziellen Wertsteigerungen angeht, berechtigt sind. Wir wollen damit ein sozial gebundenes Privateigentum sichern. Daß wir den Weg zur Kommunalisierung nicht mitmachen, habe ich bereits klargestellt.
Wir wissen und haben es in den vergangenen Monaten der Ausschußberatung immer stärker erfahren, daß eine sachgerechte Erfassung städtebaulich bedingter Wertsteigerungen ungeheuer schwierige Probleme aufwirft. Meinungsverschiedenheiten über das Wie der Erfassung sind daher nicht verwunderlich; die bestehen auch zuhauf.
({15})
- Auch in Ihren Reihen, Herr Kollege, und in vielen anderen Bereichen. Ich meine, diejenigen, die so tun, als hätten sie mit ihrer Konzeption den Stein der Weisen gefunden, stellen eine durch nichts berechtigte Arroganz und Selbstsicherheit zur Schau, die der Sache nicht dienen.
({16})
Wir haben die Konzeption des Regierungsentwurfs und die des Koalitionsentwurfs mit großer Sorgfalt geprüft. Wir hätten erwartet - das darf ich in allem Ernst sagen -, daß die Koalition unseren Alternativvorschlag ebenso sorgfältig geprüft hätte.
({17})
- Herr Kollege, vielleicht ist Ihnen entgangen, daß
ich gerade von dem Alternativvorschlag sprach.
Wenn Sie nicht zwischen der Zielvorstellung und
dem Wie einer entsprechenden Mehrwerterfassung unterscheiden können, dann sollten Sie sich an dieser sachlichen Diskussion nicht beteiligen.
({18})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Herr Kollege, ich wollte gerade darauf hinweisen, daß der Beschluß des CSU-Parteitags etwas anderes ausweist als das, was jetzt in der Änderungsvorlage niedergeschrieben und im Finanzausschuß eingebracht worden ist.
({0})
Herr Kollege, Sie müssen eine Frage stellen.
Herr Kollege, wie kommt es,
({0})
daß hier heute ein völlig anderer Vorschlag vorliegt, als die CSU vor zwei Jahren unter Wortführung von Herrn Schneider beschlossen hat?
Herr Kollege Gallus, darauf wird Ihnen Herr Kollege Schneider eine umfassende Antwort geben.
({0})
- Lassen Sie mich doch aussprechen! Das Prinzip dessen, was die CSU auf ihrem Parteitag vorgeschlagen hat, findet sich in diesen Vorstellungen, die wir heute vorbringen, wieder. Ich habe ausdrücklich erklärt, daß das Wie der Mehrwerterfassung so kompliziert ist, daß man sich in dieser Frage sinnvollerweise sicher noch weiter entwickeln kann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Schmöle, haben Sie Verständnis dafür, daß Herr Kollege Gallus hier den Planungswertausgleich verteidigt, wo doch sein Kollege Wurbs laut „Handelsblatt" vom 20. Februar 1976 erklärt hat, die FDP sei bereit, der CDU/CSU bei der Reform des Bodenrechts nachzugeben und den Planungswertausgleich zu streichen?
({0})
Herr Kollege Jahn, ich habe Verständnis dafür, daß sich Herr Kollege Gallus bei den vielfältigen und verwirrenden Vorschlägen nicht mehr ganz darin auskennt, wie die Entwicklung wirklich stattgefunden hat, zumal er in unserem Ausschuß nicht dabeigewesen ist.
Herr Kollege Schmäle, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wurbs?
Ich muß zwar zu Ende kommen; aber, bitte, Herr Kollege Wurbs.
Ich darf den Kollegen Dr. Jahn bitten, auch die folgende Passage zu zitieren. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß ich gegen die Darstellung im „Handelsblatt" ein Dementi verlangt habe, das nicht veröffentlicht wurde.
Herr Kollege Wurbs, das war zwar keine Frage, aber ich darf doch sagen, daß es auch für uns interessant war, zu erfahren, daß Sie in dieser Frage entsprechend Stellung genommen haben.
({0})
Die Prüfung des Koalitionsentwurfs ergab für unsere Fraktion folgende schwerwiegende Bedenken: Der Entwurf ist nicht praktikabel; dies betrifft vor allem die Fragen der Wertermittlung. Seine Durchführung erfordert einen hohen Verwaltungsaufwand, also zusätzliches Personal und damit steigende Personalkosten für die Gemeinden.
({1})
Er ist in hohem Maße rechtsmittelanfällig, und dadurch erhöhen sich die Verwaltungskosten weiter. Das Verhältnis des zusätzlichen Verwaltungsaufwands zum finanziellen Ertrag für die Mehrzahl der Gemeinden ist völlig unvertretbar.
({2})
Die Praktikabilitätsbedenken werden von vielen anerkannten Fachleuten geteilt, wie u. a. in den öffentlichen Anhörungen deutlich wurde. Sie werden auch, wie ich ausdrücklich hinzufügen möchte von vielen sozialdemokratischen Praktikern in den Städten und Gemeinden geteilt. Wer von uns will allen Ernstes den Gemeinden höhere Verwaltungskosten aufbürden, ohne dabei hieb- und stichfeste Beweise dafür zu haben und liefern zu können, daß diese Mehrkosten wenigstens durch die Mehreinnahmen gedeckt sind?
({3})
Die Überleitungsvorschriften lassen den Koalitionsentwurf schließlich zu einer Farce werden. Danach sollen nämlich alle bis zum 1. Februar 1976 entstandenen Bauerwartungswerte anerkannt und nicht abgeschöpft werden. Wer die große Zahl der Bauerwartungslandgebiete kennt, weiß, daß es bei dieser Uberleitungsvorschrift in den nächsten Jahren nur ganz wenige Fälle der Mehrwerterfassung geben wird.
({4})
Unser Vorschlag, den der Kollege Schneider gleich begründen wird, ist praktikabel und sofort durchsetzbar und umsetzbar. Er benötigt keine neue kost15846
spielige Bewertungsverwaltung, sondern bedient sich der bewährten Fachkräfte der Finanzämter.
({5})
- Ich fasse zusammen:
Erstens. Nach Meinung der CDU/CSU hat sich das Bundesbaugesetz in wesentlichen Teilen bewährt. Durch die seit 1960 eingetretenen Veränderungen ist jedoch eine Weiterentwicklung dieses Gesetzes notwendig geworden.
Zweitens. Die CDU/CSU hat an der Novellierung des Gesetzes daher konstruktiv mitgearbeitet. Die Aufnahme zahlreicher Änderungsanträge, die von uns gestellt wurden, in die nunmehr vorliegende Gesetzesvorlage ist dafür ein deutlicher Beweis.
Drittens. Die CDU/CSU hat sich eingesetzt für die Stärkung der gemeindlichen Planungshoheit, die Verbesserung der Bauleitplanung, den Ausbau der Bürgerbeteiligung und der Sozialplanung - um dadurch den Freiheitsraum des einzelnen zu stärken und eine Verbürokratisierung der Planung zu verhindern -, die Verbesserung des Bauens im Außenbereich und in den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen, um den ländlichen Räumen eine echte Entwicklungschance einzuräumen.
Viertens. Um eine angemessene Bodenvorratspolitik der Gemeinden zu ermöglichen und um die Durchsetzung der Planung zu erleichtern, hat die CDU/CSU auch einer Ausweitung der gemeindlichen Vorkaufsrechte zugestimmt. Voraussetzung für diese Zustimmung waren aber klare und zufriedenstellende Reprivatisierungsvorstellungen, um das Ziel der breiten Streuung des Bodeneigentums nicht zu gefährden. Die Koalition hat mit ihrer Mehrheit im Ausschuß Gesetzesvorschläge durchgesetzt, die eine Kommunalisierung des Bodens zur Folge haben könnten. Einer solchen Regelung widersetzt sich die CDU/CSU auf das entschiedenste.
Fünftens. Die Unionsparteien und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben sich grundsätzlich für eine Inanspruchnahme der durch öffentliche Planungs- und Infrastrukturmaßnahmen hervorgerufenen Bodenwertsteigerungen ausgesprochen. Die CDU/CSU-Fraktion hat dazu ein steuerrechtliches Modell als Alternative zum abgaberechtlichen Teil der Novelle vorgelegt. Dieser Vorschlag ist ohne ausreichende Prüfung abgelehnt worden.
Sechstens. Die CDU/CSU lehnt den abgaberechtlichen Teil im Koalitionsentwurf mit dem sogenannten Planungswertausgleich ab. Die Praktikabilität dieses Entwurfs wird von anerkannten Fachleuten bezweifelt. Die Durchführung belastet die Gemeinden mit erheblichem Verwaltungsaufwand. Ein vertretbares Verhältnis von Verwaltungsaufwand einerseits und finanziellem Ertrag für die Mehrzahl der Gemeinden andererseits ist nicht gesichert. Über die mit dem Vorschlag verfolgten Ziele werden innerhalb der Koalition verschiedene und widersprüchliche Angaben gemacht.
Wegen der beiden letztgenannten Regelungen vermag die CDU/CSU der vorgelegten Novelle insgesamt nicht zuzustimmen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Im Jahre 1972 gab es zwei Parteien, die in diesem Hause vertreten sind, die im Bundestagswahlkampf klare Aussagen zum Thema Reform des Bodenrechts machten.
({0})
- Ich habe eben von klar en Aussagen gesprochen. Daran werden Sie merken, daß wir dabei waren.
({1})
Aber ich fange mit der FDP an, die sich nämlich auf ihre 1971 verabschiedeten Freiburger Thesen stützte. Dann nenne ich natürlich auch die Sozialdemokraten, die - ebenfalls 1971 - auf ihrem Steuerparteitag erste umfassende Aussagen gemacht hatten und die inzwischen durch ihre Kommission für Bodenrechtsreform detaillierte Vorschläge erarbeitet und vorgelegt hatten. Die CDU/CSU witterte damals vor den Bundestagswahlen 1972 die Chance, dem Wähler einzureden, nun gehe es an „Omas klein Häuschen". Sie behaupteten, nun solle eine Reform ins Werk gesetzt werden, die das private Bodeneigentum beseitige oder gefährde. Entsprechend dünn fielen die 15 Halbzeilen - ich habe sie nachgezählt, es sind wirklich nur halbe Zeilen - aus, die im sogenannten Regierungsprogramm 1972 der CDU zum Thema Bodenrecht zu finden waren. Ohne konkrete Substanz bekennt sich die CDU darin zum privaten Eigentum, und sie bekennt sich auch zur Sozialbindung. Heute haben wir wieder gehört, sie bekennt sich zu hehren Grundsätzen. Aber was die politische Schlußfolgerung ist, über die hier in diesem Hause zu entscheiden wäre, das sagt sie weniger deutlich. Der Wähler ließ sich damals 1972 nicht irre machen. Längst hatte er begriffen, daß Mißstände im Städtebau nicht nur auf Planungsfehlern beruhten, sondern eine ganz wesentliche Ursache in Mängeln unserer Bodenordnung haben. Man konnte nicht einsehen, daß Leistungsprinzip und eine gerechte Gesellschaftsordnung Ergebnisse zutage förderten, die gerade die leistungslosen Gewinne am Grund und Boden dem zufälligen Eigentümer überließen, während Planungsverluste aus der Steuermasse, und zwar voll, zu entschädigen waren.
Die Bürger unserer Republik sind für die Möglichkeit, Eigentum zur Eigennutzung zu erwerben. Sie sind aber gegen eine uneingeschränkte Ausnutzung vermeintlicher Eigentumsrechte. Seeufer und andere markante Stellen der Natur können nicht privatrechtlich aufparzelliert werden, wenn die Sozialbindung privaten Eigentums kein leerer Satz unserer Verfassung sein soll.
Die von der sozialliberalen Koalition vereinbarte Novellierung des Bundesbaugesetzes war und ist ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Sie ist ein Beispiel dafür, daß Kompromisse möglich sind, wenn man in der grundsätzlichen Zielsetzung einig ist. Die Novelle zum Bundesbaugesetz ist ein Kompromiß zwischen selbständigen Koalitionspartnern, die für die praktische Durchsetzung ihrer bodenreformerischen Ziele auf ihren Parteitagen teilweise unterschiedliche Modelle vorgelegt hatten. Die Opposition hat dagegen auch nach der Wahl 1972 in sich nicht die Kraft aufgebracht, konsequent ihre eigenen Parteitagsaussagen in die Tat umsetzen zu wollen. Im Jahre 1973 holten nämlich CDU und CSU oder - umgekehrt in der Reihenfolge - CSU und CDU auf ihren jeweiligen Parteitagen nach, was die Koalitionsparteien vorgemacht hatten. Sie verabschiedeten Beschlüsse zur Reform des Baubodenrechts. Bereits Ende 1973 konnte man hören, nun sollten eigene Alternativentwürfe auf den Tisch kommen. Das hat dann zwei Jahre gedauert. Auch in der ersten Lesung zum Bundesbaugesetz am 27. September 1974 konnte man vernehmen, am Tage zuvor, also am 26. September 1974, habe sich die Bundestagsfraktion der CDU/CSU auf den Grundsatz geeinigt, daß planungsbedingte Grundstücksmehrwerte zugunsten der Allgemeinheit abgeschöpft werden sollten. Die heutige Debatte wird noch im einzelnen zeigen, was von diesen Ankündigungen übriggeblieben ist.
Meine Damen und Herren, um was geht es? Drei Leitgedanken beherrschen den Koalitionsentwurf zur Reform des Bundesbaugesetzes:
Erster Leitgedanke: Das gemeindliche Planungsrecht muß in sich verbessert werden. Dabei sind Instrumente zur Durchsetzung städtebaulicher Planungen im Baurecht zu verankern. Gemeindliche Planungsvorgänge betreffen die bebaute und die frei zu haltende Umwelt und greifen damit in die unmittelbaren und mittelbaren Lebensbereiche eines jeden Bürgers ein. Deshalb dürfen die Bürger nicht abseits stehen und vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Vielmehr sind sie in die Lage zu versetzen, mitzuplanen, um nicht verplant zu werden.
Eine wesentliche Säule des neuen Bodenrechts ist mithin eine frühzeitige und verstärkte Beteiligung der Bürger, um Planungen aus dem Halbdunkel der Amtsstuben ans Tageslicht zu fördern und transparenter zu machen. Das ist allerdings nur möglich, wenn im gleichen Gesetz Vorkehrungen getroffen sind, die zur wirtschaftlichen Interessenneutralität von Planungsentscheidungen führen. Sonst wird aus einer Planung durch alle eine Spekulationsmöglichkeit für wenige, die über das Kapital verfügen.
({2})
Zweiter Leitgedanke: Unsoziale Auswirkungen von städtebaulichen Entwicklungen sind weitestgehend zu vermeiden oder abzumildern. Nach den Phasen des Wiederaufbaus unserer Städte und des Baus von Trabantenstädten - Stadterweiterung - wird sich der künftige Städtebau verstärkt auf Umbau und Modernisierung, auf Erhaltung und Verbesserung zu konzentrieren haben. Das bedeutet, daß Bebauungspläne künftig vermehrt auf bestehende Baugebiete einwirken und auf vorhandene Strukturen stoßen werden. Hier ist Planung nicht nur eine technisch-architektonische Angelegenheit, sondern gleichzeitig eine soziologische, eine soziale. Deshalb ist in solchen Fällen eine Sozialplanung erforderlich.
Dritter Leitgedanke: Baupläne und Umstrukturierungen sollen niemanden ohne eigene Leistung bereichern. Deshalb sind die durch Planung und Entwicklung eines Gebietes entstehenden Wertsteigerungen am Grund und Boden zugunsten der Allgemeinheit abzuschöpfen, wie andererseits ja auch Eingriffe in bestehende Eigentumsrechte zu entschädigen sind. Erst dadurch wird Planung nach städtebaulichen und nicht nur nach Kapitalverwertungsinteressen möglich. Wer für besseren Städtebau und flexiblere Planung ist, kommt nicht daran vorbei, einer Abschöpfung der Entwicklungsmehrwerte zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, wenn man sich unter diesen drei Leitgedanken das vom federführenden Ausschuß vorgelegte Ergebnis ansieht, wird man folgendes feststellen können.
Erstens. Kein Regierungsentwurf ist so gut, daß er nicht noch verbessert werden könnte. Die Bundesregierung und - ich bin sicher - auch der zuständige Bundesminister werden nicht beleidigt sein, wenn ich feststelle, daß wir im Detail erhebliche Korrekturen vorgenommen haben, die das Gesetzeswerk handhabbarer gestalten. Planspiele an Hand des Regierungsentwurfs und Anhörungen haben nämlich den parlamentarischen Gremien, aber auch dem Ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau wichtige Aufschlüsse über notwendige Veränderungen des ursprünglichen Entwurfs gegeben. Dabei ist allerdings die Substanz erhalten geblieben. Die ständige Teilnahme nicht nur von Vertretern des Bundesrates, sondern auch von Vertretern der kommunalen Spitzenverbände hat die Gesetzgebungsarbeit positiv beeinflußt und die Beziehung zwischen Theorie und täglicher Praxis hergestellt.
Zweitens. Der Bundesgesetzgeber sah sich weder in der Lage noch hielt er sich für befugt, eine dritte Planungsstufe verbindlich vorzuschreiben. Wohl aber sind wir der Meinung, daß gemeindliche Entwicklungspläne, wenn sie vorhanden sind - und das ist in sehr vielen Gemeinden der Fall -, bei der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen berücksichtigt werden müssen.
Drittens. Die frühzeitige und umfassende Beteiligung der Bürger ist eine wesentliche Säule des neuen Planungsrechts. Wichtige Bauplanungen sind in Alternativen vorzulegen, um eine sinnvolle Entscheidung zu ermöglichen. Wir lassen keinen Zweifel daran, daß Bürgerbeteiligung nicht zu einer Verlagerung der Entscheidungskompetenz führen darf. Verantwortlich bleibt in einer parlamentarischen Demokratie die gewählte Gemeindevertretung. Aber ebenso klar ist, daß künftig jeder wesentliche Flächennutzungs- oder Bebauungsplan null und nichtig sein wird, bei welchem die Bürger nicht
ausreichend und nicht rechtzeitig beteiligt worden sind.
Viertens. Gemeindliche Planungen setzen Fakten für öffentliche und private Investitionen. Nach dem bisherigen Recht und in der bisherigen Praxis war es vielfach so, daß der Bebauungsplan den privaten Investitionsentscheidungen hinterherhumpelte. Überspitzt, aber sicherlich nicht zu Unrecht konnte gesagt werden: Vielfach lenkten die privaten Investitionen die öffentlichen Ausgaben in den Gemeinden. Künftig sollen nicht nur ein Bebauungsplan und die Erschließung eines Grundstückes, sondern unter Umständen auch das Vorhandensein weiterer Infrastruktureinrichtungen Voraussetzung für eine Baugenehmigung sein. Was nützen beispielsweise Wohnungen, die nicht von Verkehrslinien erreicht werden? Oder was wird aus Kindern, für die keine Schule vorhanden ist? Wir wollen deshalb die Möglichkeit eröffnen, durch Bebauungsplan oder Ortssatzung Gebiete festzulegen, in denen Baugesuche erst Erfolg haben, wenn bestimmte Folgeeinrichtungen vorhanden sind oder ihre Erstellung gesichert ist. Der private Bau ist in diesen Fällen nicht Voraussetzung für die öffentliche Investition, sondern, wenn man so will, Folgeeinrichtung derselben.
Fünftens. Marktkonform, aber in gewisser Weise ebenfalls investitionssteuernd ist die neue planungsrechtliche Vorschrift, für bestimmte Gebiete oder für einzelne Grundstücke von vornherein detailliert den Verwendungszweck im Bebauungsplan festlegen zu können. Nicht nur „Baugebiete für Wohnungsbau" heißt es dann, sondern „Einfamilienhäuser" oder auch „Wohnblocks im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau". Dann treten sich nämlich auf dem Bodenmarkt nur noch solche Konkurrenten gegenüber, die diesen vorgegebenen Zweck auch erfüllen wollen.
Sechstens. Unter Übernahme und Verfeinerung des schon aus dem Städtebauförderungsgesetz bekannten Gebots- und Verbotskatalogs erhalten die Gemeinden die Möglichkeit, beschlossene Planungen auch in die Tat umzusetzen, wenn dies im öffentlichen Interesse geboten ist. Wer als Eigentümer einer Baulücke keinerlei Anstalten macht, sein Bebauungsrecht zu realisieren oder sein Baugrundstück an einen Bauwilligen zu veräußern, kann über ein Baugebot gezwungen werden, die Baulücke zu schließen. Wer sein Haus verkommen läßt - in Spekulation darauf, daß Abriß und Neubau seines Gebäudes ungewohnten Gewinn verheißen -, kann zur Modernisierung veranlaßt werden. Um radikalem Kahlschlag vorzubeugen, erhalten die Gemeinden das Recht, Gebiete festzulegen, in denen Abbrüche verboten sind bzw. einer besonderen städtebaulichen Genehmigung bedürfen. Hier sind Belange der Stadterhaltung, der Stadtbildgestaltung, geschichtliche und künstlerische Gesichtspunkte ebenso angesprochen wie soziale und solche der Bevölkerungsstruktur.
Siebtens. Eine große Rolle hat auch das Problem des Bauens im sogenannten Außenbereich gespielt. Die Koalition folgte dem grundsätzlichen Anliegen der Bundesregierung, daß dem Strukturwandel in
der Landwirtschaft Rechnung zu tragen und aus raumordnerischen Gründen der Abwanderung von Wohnbevölkerung aus dem ländlichen Raum in den Ballungsraum nicht durch übertriebene Versagung von Bauwünschen ehemaliger Landwirte Vorschub zu leisten ist. Auf der anderen Seite muß der weiteren Zersiedlung unserer Umwelt entgegengewirkt werden. Dabei haben wir aber insbesondere verankert, daß Erhaltung vorhandener Bausubstanz nicht nur ein Problem der Innenstädte ist. Auch im ländlichen Raum gibt es wertvolle Bausubstanz, die das Bild der Landschaft entscheidend prägt. Um solche Bausubstanz bei Aufgabe ursprünglich landwirtschaftlicher Nutzung vor Verfall zu bewahren, sieht das neue Gesetz erleichterte Umnutzungs- und Modernisierungserlaubnisse vor.
Gleichzeitig wurden auch die Ortsteile behandelt, die im Zusammenhang bebaut sind, vielfach aber Baulücken aufweisen und in der Praxis zu Zweifeln führen, ob und welche Grundstücke einer Bebauung zugeführt werden können. Für viele Siedlungen wird das neue Recht Lösungen anbieten, die bisherige Rechtsstreitigkeiten reduzieren oder ganz vermeiden lassen.
Achtens. Teils zum Planungs-, teils zum Bodenrecht gehört die Neufassung der gemeindlichen Vorkaufsrechte. Um eine geordnete städtebauliche Entwicklung im Rahmen der Bebauungspläne, aber ebenso in Gebieten zu gewährleisten, für die neue Planungen vorgesehen sind, aber noch nicht festliegen, muß die Gemeinschaft in Grundstücksverträgen zwischen Privaten einsteigen können. Hierin liegt keine Absage an private Verfügungsgewalt über das Bodeneigentum oder an die grundsätzlich geltende Vertragsfreiheit. Wohl aber ist es Ausfluß des grundgesetzlich verankerten Gedankens der Sozialgebundenheit des Eigentums, wenn schon frühzeitige Fehlentwicklungen vermieden werden, die einen geordneten Städtebau unmöglich machen würden. Zu erwähnen ist, daß selbstverständlich die Ausübung des gemeindlichen Grunderwerbsrechts strengen rechtsstaatlichen Voraussetzungen unterliegt und eine ungehemmte Bodenvorratspolitik der öffentlichen Hände - abgesehen von den fehlenden finanziellen Voraussetzungen - über das Vorkaufsrecht nicht möglich ist.
Neuntens. Waren die bisherigen Schwerpunkte der Novelle im wesentlichen planungsrechtlicher Art, so ergibt sich die bodenrechtliche Substanz erst aus den Vorschriften über die Enteignung, über die Behandlung von Planungsschäden und über die Abschöpfung von Entwicklungsgewinnen. Politisch unumstritten ist die schon aus dem Städtebauförderungsgesetz bekannte Trennung von Enteignungsverfahren und Entschädigungsfestsetzung. Ein wesentlicher Mangel der bisherigen Enteignungsvorschriften bestand ja darin, daß die Enteignungsverfahren erst sehr spät in Gang gesetzt werden konnten und der Streit über die Höhe der Entschädigung das ganze Verfahren über Jahre hinaus dergestalt verzögerte, daß wichtige öffentliche Bauvorhaben nicht oder weitaus verspätet angefangen werden konnten.
Ohne den Rechtsschutz der betroffenen Bürger zu mindern, wird künftig der Grundstücksübergang auf den Enteignungsbegünstigten früher beantragt und gegen Zahlung einer vorläufigen Mindestentschädigung rascher vonstatten gehen können, während der etwaige Streit über die endgültige Abfindung der Betroffenen in einem gesonderten Verfahren noch weiterlaufen kann. Die Enteignungsentschädigung berücksichtigt die Wertsteigerungen, die durch Planung bedingt sind, nur noch zur Hälfte.
Zehntens. Das Rechtsgebiet der Behandlung von Planungsschäden ist von grundsätzlicher politischer Brisanz. Einerlei, ob man davon ausgeht, daß das Eigentum an Grund und Boden grundsätzlich die Baufreiheit schon mit beinhaltet oder ob man der gegenteiligen Auffassung ist, daß Baurechte erst verliehen und ausgestaltet werden und nicht mit dem Eigentumstitel verbunden sind, in jedem Fall hat das bisherige Recht aus gesellschaftspolitischer Sicht große Mißstände hervorgerufen; denn praktisch ist jeder Entzug und jede Minderung eines alten Baurechts als entschädigungspflichtig angesehen worden, ob der Eigentümer nun die Nutzungsmöglichkeit verwirklicht hatte oder auch nicht. Dies wiederum führte zu einer völlig starren Stadtplanung. Aus Angst vor unübersehbaren Entschädigungsverpflichtungen haben die Gemeinden notgedrungen darauf verzichtet, völlig überholte alte Bebauungspläne zu überarbeiten und modernen städtebaulichen Anforderungen anzupassen.
Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat sich die seit dem 49. Deutschen Juristentag 1972 auch öffentliche Diskussion und Haltung zu eigen gemacht, daß einmal verliehene Baurechte nicht einen ewigen Bau- und Entschädigungsanspruch gewähren können. Natürlich muß der Staatsbürger eine gewisse Zeit darauf vertrauen können, daß nicht heute Hüh und morgen Hott gesagt wird, was die Ausweisung seines Grundbesitzes anbelangt. Aber auf der anderen Seite muß auch die Gemeinde in die Lage versetzt werden, bei Änderung planerischer Vorstellungen nicht noch für nur theoretische, nie in die Wirklichkeit umgesetzte alte Baurechte zur Kasse gebeten zu werden.
Deshalb ist das Planungsentschädigungsrecht neu gefaßt worden. Ich will dabei gern selbstkritisch anmerken, daß die entsprechenden Vorschriften nicht gerade leicht lesbar sind. Aber die grundsätzliche Neuerung tritt aus dem Gesetzestext doch klar hervor. Entschädigt werden Eingriffe in ausgeübte Nutzungen, wenn neue Bauplanungen diese zunichte machen oder mindern. Entschädigt werden Wertminderungen am Grundstück, die durch Herabsetzung der baurechtlichen Nutzungsmöglichkeiten entstehen, soweit seit der Zulässigkeit des alten Baurechts bis zur Herabstufung noch keine sieben Jahre vergangen sind. Nach dieser Frist gibt es für nicht realisierte theoretische Baurechte nichts mehr. Diese hier nur kurz geschilderten neuen Bestimmungen sind wesentlich, weil Stadtumbau darauf angewiesen ist, frühere, oft jahrzehntealte Planungen abzuändern, ohne daß die Gemeinde dazu gezwungen wird, den finanziellen Offenbarungseid zu leisten. Im übrigen werden auch Aufwendungen entschädigt, die im Vertrauen auf den Bestand der Planung vorgenommen worden sind.
Elftens. Kernstück des neuen Bodenrechts ist die Ausgleichsabgabe. Sie bildet das Gegenstück zur Planungsentschädigung und zieht die nicht auf eigener Leistung des Eigentümers beruhenden Wertsteigerungen am Grund und Boden, die auf Planung, Entwicklung sowie öffentliche Vorleistungen zurückzuführen sind, zur Finanzierung der gemeindlichen Investitionen heran. In der Koalition war nicht der Grundsatz der Abschöpfung dieser Wertsteigerungen umstritten, wohl aber deren Höhe. 1974 wurde eine Einigung auf der Basis erzielt, daß 50 % der Differenz zwischen dem Wert, der ohne Planung und Entwicklung gegeben wäre, und dem neuen Wert, der sich erst aus der Planung und Entwicklung ergibt, in einer beitragsähnlichen Abgabe abgeführt werden sollen. Natürlich kann man einwenden, daß dann die andere Hälfte immer noch dem Eigentümer in die Tasche fließt, so daß eine völlige Interessenneutralität der Planungsvorgänge nicht erreicht werde. Nun, man kann über Prozentsätze immer streiten. Wir halten die gefundene Lösung für einen gerechten, fairen und praktikablen Kompromiß zwischen Maximal- und Minimalvorstellungen.
Der Ausschuß hat dabei gerade bei diesem Kernstück der Gesetzesnovelle wesentliche Verbesserungen vorgenommen, die der Klarheit, der Anwendbarkeit und Gerechtigkeit dienen. So soll der Ausgleichsbetrag möglichst früh feststehen, damit für Marktbeteiligte klare Dispositionen möglich sind. Fällig wird die Abgabe erst bei Ausnutzung des neuen Baurechts durch Veräußerung oder durch Bebauung. Es kann also keine Rede davon sein, daß der Falsche getroffen werde und der Bauherr doppelt bezahlen würde: Zahlen wird immer derjenige, bei dem die Wertsteigerung anfällt. Im übrigen sorgen die Fälligkeitsvorschriften dafür, daß niemand aus bisheriger Substanz zahlen muß und gegebenenfalls seinen Grundbesitz zwangsverkaufen müßte, nur um die Ausgleichsabgabe erbringen zu können.
Auch die Anrechnungsvorschriften für zu zahlende oder gezahlte Erschließungsbeiträge sind nunmehr eindeutig gefaßt worden. Wer einen Ausgleichsbetrag bezahlen muß, zahlt im Ergebnis halbe Erschließungsbeiträge. Die Probleme der Feststellung der Differenzwerte sind als gelöst anzusehen. Die Gutachterausschüsse sind nämlich in der Lage, die Wertermittlungen vorzunehmen.
Schließlich sei erwähnt, daß jeder, der durch städtebauliche Planungen und Entwicklungen begünstigt ist, herangezogen wird und nicht, wie bei dem CDU-Antrag, der heute vorliegt, nur derjenige, der bisheriges Nichtbauland zu Bauland umgewandelt bekommt. Spekulation und Verdrängung finden schließlich auch in Innenstädten statt, und wir sind nicht bereit, hier die Spekulationen und Bauhyänen zu schützen.
Die Planspiele haben klar ergeben, daß der Verwaltungsaufwand ein Zehntel bis ein Fünftel des Ertrages ausmachen wird. Soweit in Bagatellfällen
der Ertrag den Aufwand nicht rechtfertigen würde, kann von der Erhebung der Abgabe ganz abgesehen werden.
Meine Damen und Herren, die Vorschläge der Koalition sind maßvoll, sind sie praktikabel, gerecht, marktkonform und auch verfassungsgemäß.
({3})
CDU und CSU haben auf ihren Parteitagen 1973 Grundsätze beschlossen, die offensichtlich für die politische Praxis und für das politische Handeln keine Bedeutung erlangen sollen. Die CSU ist nämlich vom Planungswertausgleich und die CDU vom Infrastrukturkostenbeitrag inzwischen wieder abgerückt. So wurde beispielsweise auf dem CSU-Parteitag in einer Pressemitteilung ausgesagt, ohne Planungswertausgleich dürfe es kein neues Baubodenrecht geben. Diese Erkenntnisse wurden nun zugunsten wahltaktischer Überlegungen, weil wir wieder einmal vor einer Wahl stehen, zurückgezogen.
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In schöner Deutlichkeit kann man dies in den „Gesellschaftspolitischen Kommentaren" vom 1. März 1974 nachlesen. Damals hat ein Hans Burggraf einen Artikel geschrieben, worin er sich mit den bodenpolitischen Widersprüchen zwischen CDU und CSU auseinandersetzt. Mit Genehmigung der Frau Präsidentin möchte ich Ihnen zwei Sätze zitieren. Er schreibt:
Für den, der die Programmdiskussion auf allen Ebenen der CDU erlebt hat, kann es keinen Zweifel geben, daß ein wesentlicher Grund für die Ablehnung des Planungswertausgleiches
- durch die CDU und des preislimitierten Vorkaufsrechtes durch den Parteitag die eklatante Übereinstimmung mit den SPD-Plänen war ... Die hier zur Diskussion stehenden Fragen . . . muß man also auch und nicht zuletzt unter wahltaktischen Gesichtspunkten beurteilen.
({5})
Offenbar haben diese parteipolitischen Erwägungen Gewissen und Sachverstand der Oppositionskollegen verdrängt. Nunmehr haben sie so abzustimmen, wie es die Führungsmannschaft befiehlt. Ich darf daran erinnern, daß schon bei der Verabschiedung des Bundesbaugesetzes am 20. Mai 1960 der sozialdemokratische Abgeordnete Werner Jacobi erklärte:
({6})
Ein Bundesbaugesetz, das darauf verzichtet, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen, die sich für einen - sozial sein wollenden - Rechtsstaat im Bodenrecht und beim Bodeneigentum ergeben, mag als Spezialgesetz seine Bedeutung haben; staats- und gesellschaftspolitisch ist es ein Versager. Der bereits erwähnte und wohl von allen Seiten dieses Hauses hoch geschätzte Professor Nell-Breuning erklärte einmal, ein Bundesbaugesetz ohne Wertausgleich sei ein Messer ohne Klinge.
Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin. Wenn jetzt, 16 Jahre später, nicht die Chance ergriffen wird, nachzuholen, was damals, 1960, nicht gelang, wird die gesetzgebenden Körperschaften später mit Recht der Vorwurf treffen, das Notwendige nicht möglich gemacht und das Mögliche nicht durchgesetzt zu haben. Die CDU/CSU hat keine ernstzunehmende Alternative vorschlagen können, mit der Planungsmehrwerte wirkungsvoll erfaßt werden können. Damit wären auch frühzeitige Offenlegung von Planungsabsichten, verstärkte Beteiligung der Bürger und Sozialplanung nicht verantwortbar.
Die Novelle des Bundesbaugesetzes ist sicher keine systemüberwindende Reform. Würden wir aber den Vorstellungen der Opposition folgen, so würden wir ein reformüberwindendes System besiegeln.
({7})
Denn die Opposition erweist sich als unfähig, eine Antwort auf die nach wie vor aktuelle Frage zu geben, wie künftig unser Bodenrecht aussehen soll: gerecht oder ungerecht, sozial oder unsozial, spekulationsfördernd oder spekulationshemmend.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Böger.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen, meine Herren! Aus der Sicht der FDP war eine Änderung des Bundesbaugesetzes, das mittlerweile 60 Jahre alt ist, vor allem aus folgenden Gründen notwendig:
Erstens. Für eine planvolle Verbesserung der Lebensverhältnisse in einer Gemeinde ist es erforderlich, daß die Gemeinde das Recht hat, im Bebauungsplan die Art und Weise der Nutzung von Grundstücken konkret, detailliert und differenziert auszuweisen. Wir haben daher eine zeitgemäße Fortentwicklung des Inhalts der Bebauungspläne für richtig erachtet. Ich nenne nur die auszuweisenden Flächen für die Wasserwirtschaft und Flächen für Anlagen und Vorkehrungen zum Schutze vor schädlichen Umwelteinrichtungen. Allerdings mußte dabei vermieden werden, daß die Gemeinde den Eigentümer zu sehr gängelt. Dagegen sind deshalb im Gesetzentwurf Vorkehrungen getroffen. Ich erwähne nur, daß die vorhin schon angesprochene Art und das Maß der Geschoßnutzung nicht generell, sondern nur aus besonderen städtebaulichen Gründen vorgeschrieben werden dürfen.
Zweitens. Es hat sich herausgestellt, daß den Gemeinden zur Verwirklichung der rechtmäßig aufgestellten Bebauungspläne ein ausgewogenes und wirksames Instrumentarium fehlt. Dies soll vor allem durch die sogenannten Verwirklichungsgebote und durch ein erweitertes Vorkaufsrecht, um den Gemeinden auch eine vorausschauende Bodenpolitik zu ermöglichen, geschaffen werden.
1 Drittens. Wenn man den Gemeinden umfassende und in das Verfügungsrecht des Bürgers über sein Grundeigentum einschneidendere Rechte gibt, genügen die Vorschriften des jetzigen Bundesbaugesetzes über die Beteiligung der Bürger bei der Aufstellung der Bauleitplanung unserem Demokratieverständnis nicht mehr. Eine frühzeitigere und stärkere Beteiligung der Bürger an der Planaufstellung mußte deshalb im Gesetz seinen Niederschlag finden.
Viertens. Nachteilige Auswirkungen der Planungen sollen durch soziale Maßnahmen kompensiert werden.
Fünftens. Die städtebauliche Planung wird immer häufiger in eine allgemeine Stadtentwicklungsplanung eingeordnet, die sich bemüht, alle gemeindlichen Aktivitäten auf Zielvorstellungen für das gesamte Gemeinwesen auszurichten und diese Ziele sinnvoll aufeinander abzustimmen. Diese Entwicklung wurde aufgegriffen und in gesetzgeberischen Leitlinien zusammengefaßt.
Sechstens. Außer diesen Verbesserungen hat das Gesetz das Ziel, den Teil von Steigerungen im Werte eines Grundstücks, der durch Planungsmaßnahmen und Investitionen der öffentlichen Hand eintritt, nicht dem zufälligen Eigentümer allein zugute kommen zu lassen. Die Vorteile, die dem einzelnen Eigentümer auf Kosten aller Steuerzahler ohne eigene Leistung zuwachsen, sollen vielmehr in angemessener Weise abgeschöpft werden. Wir, die FDP, hatten die Absicht, die planungsbedingten Wertsteigerungen auf steuerlichem Wege abzuschöpfen. Wir haben uns dann in der Koalition im Kompromißwege auf einen Planungswertausgleich geeinigt, über dessen Höhe, Gestaltung und Wirkung später noch mein Kollege Wurbs etwas sagen wird.
Wir Freien Demokraten messen dem Eigentum und gerade auch dem Grundeigentum des einzelnen eine große Bedeutung bei, und wir treten konsequent für eine verstärkte Bildung von Grundeigentum in privater Hand ein. Deshalb haben wir auch Wert auf die ausdrückliche Erwähnung im Gesetz gelegt, daß die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung bei der Aufstellung der Bauleitpläne besonders berücksichtigt wird.
Auf der anderen Seite sind wir aber auch von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums überzeugt. Nun betrachtet der einzelne jeden Eingriff in sein Eigentum und gerade in sein Grundeigentum mit größtem Mißtrauen. Mit Recht. Aber er verlangt andererseits - auch mit Recht -, daß genügend Straßen, Krankenhäuser, Spielplätze, Erholungseinrichtungen - um nur einiges zu nennen - ihm in seiner Gemeinde in angemessener Entfernung von seiner Wohnung zur Verfügung stehen.
Die privaten Interessen und die Interessen der Allgemeinheit - und der einzelne ist ja auch Teil der Allgemeinheit - müssen deshalb in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden. Diesem Ziel dient die Einführung der sogenannten Verwirklichungsgebote. Die Gemeinde soll nicht nur einen Bauleitplan beschließen können, der eine den heutigen Ansprüchen genügende Infrastruktur
schafft und eine Zersiedlung der Landschaft verhindert, sondern sie muß auch die Möglichkeit haben, diesen Plan im Interesse der Allgemeinheit zu verwirklichen.
Das Eigentum an einem Grundstück schließt nach unserer Rechtsordnung das Recht des Eigentümers ein, sein Grundstück baulich zu nutzen. Dieses Recht wird durch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums eingeschränkt. Die aus diesem Grunde notwendigen Beschränkungen für den Eigentümer müssen aber gesetzlich festgelegt sein. Unser Leitgedanke bei der Novellierung des Bundesbaugesetzes war, diese Beschränkungen so gering wie möglich zu halten. Wir haben uns mit Erfolg dafür eingesetzt, daß die Gemeinde den Eigentümer in jedem Einzelfalle nur dann verpflichten kann, sein Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplanes zu bebauen, wenn - und jetzt betone ich mit Absicht einzelne Worte - die alsbaldige Bebauung oder Anpassung aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist.
Im Gesetz ist auch festgelegt, daß die Gemeinde kein Baugebot erlassen darf, wenn seine Durchführung einem Eigentümer aus wirtschaftlichen Gründen nicht zuzumuten ist. Entsprechendes gilt für die anderen Gebote und Anordnungen.
Aus - um es kurz auszudrücken - denkmalschützerischen Gründen ist bestimmt, daß in entsprechenden Fällen für den Abbruch einer baulichen Anlage eine besondere Genehmigung erforderlich ist; auch hier eine Einschränkung des Eigentumsrechts im übergeordneten Interesse. Es ist also versucht worden - wir meinen, mit einem guten Ergebnis -, sorgfältig zwischen dem Recht des Eigentümers und den Interessen der Allgemeinheit abzuwägen.
Das gemeindliche Vorkaufsrecht ist gegenüber dem bisherigen Rechtszustand erweitert worden. Die jetzigen räumlichen und sachlichen Grenzen sind zu eng. Wir waren der Auffassung, daß die Gemeinde die als notwendig anerkannten und im allgemeinen von der gesamten Bevölkerung gewünschten Maßnahmen zur Gestaltung der Gemeinde und zur Ausstattung der Infrastruktur nur dann durchführen kann, wenn Sie dafür erforderliche Grundstücke rechtzeitig durch Ausübung eines Vorkaufsrechtes erwerben kann. Eine angemessene Bodenvorratspolitik muß den Gemeinden ermöglicht werden; sonst können sie ihre Aufgaben nicht erfüllen.
Diese Erweiterung des Vorkaufsrechts wird, wie wir gehört haben, von manchen kritisiert, weil man befürchtet, daß die Gemeinden dadurch die Möglichkeit hätten, eine zu weit gehende Bodenbevorratungspolitik zu Lasten der einzelnen Grundstückseigentümer zu betreiben. Diese Bedenken sind unserer Ansicht nach nicht berechtigt.
Im Gesetz ist zunächst einmal bestimmt, daß das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden darf, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt und wenn der Verwendungszweck des Grundstücks mit ausreichender Sicherheit bestimmt werden kann. Weiterhin ist der Gemeinde die Ausübung des Vorkaufsrechts untersagt, wenn der Erwerber selbst bereit und in der Lage ist, das Grundstück in einer an15852
gemessenen Frist entsprechend den baurechtlichen Festsetzungen zu nutzen. Diese einengenden Bestimmungen sind in das Gesetz eingefügt worden, um die Freiheit des Grundstückverkehrs und damit die Mobilität des Grundstückmarktes so weit wie möglich zu schützen. Schließlich ist das Verkaufsrecht dann ausgeschlossen, wenn der Eigentümer das Grundstück an seinen Ehegatten oder einen bestimmten Verwandtenkreis veräußert, es sei denn, die Gemeinde benötigt diese Grundstücke als Verkehrs-, Versorgungs- oder Grünflächen. In diesen Fällen wollten wir der Sozialpflichtigkeit des Eigentums Nachdruck verleihen.
Ein besonderes Vorkaufsrecht zum Erwerb von Austausch- und Ersatzland ist im Gesetzentwurf der Gemeinde gegeben worden, damit sie Eigentümern, die infolge von gemeindlichen Baumaßnahmen ihr Grundstück verlieren, wieder zu Grundeigentum verhelfen kann. Wir sind der Auffassung, daß ein Grundstück, das der Eigentümer sowieso verkaufen will, möglichst jemandem zukommen soll, der durch notwendige Baumaßnahmen der Gemeinde sein Grundstück im Interesse der Allgemeinheit verliert.
Der Anhäufung von Boden in kommunaler Hand dient dieses Vorkaufsrecht aber nicht. Denn nur dann hat die Gemeinde dieses besondere Vorkaufsrecht, wenn sie in Erfüllung gesetzlicher Pflichten einem bestimmten Eigentümer, dessen Grundstück im Rahmen städtebaulicher Maßnahmen benötigt wird, Austausch- oder Ersatzland zur Verfügung stellen will.
Das vieldiskutierte preislimitierte Vorkaufsrecht, mit dem sich die Freien Demokraten ursprünglich nur schwer befreunden konnten, ist entschärft worden, und zwar mehrfach: Einmal kann die Gemeinde i das preislimitierte Vorkaufsrecht nur ausüben, solange noch kein Ausgleichsbetrag für das Grundstück festgelegt worden ist. Zum anderen ist Voraussetzung für die Ausübung der Preislimitierung nicht mehr allgemein die Gefahr überhöhter Kaufpreisvereinbarungen; vielmehr gilt die Herabsetzung nur für die Fälle, in denen der mit der Ausübung verfolgte Zweck eine Herabsetzung des Preises erfordert, d. h., daß ohne Herabsetzung des Preises die Verwirklichung des mit der Ausübung des Vorkaufsrechts bezweckten Zieles verhindert würde. Außerdem wird in dem Paragraphen, der das preislimitierte Vorkaufsrecht regelt, dem Veräußerer ein Rücktrittsrecht eingeräumt, das nur dann ausgeschlossen ist, wenn das Grundstück auch enteignet werden könnte, so daß insoweit die von uns gewünschte Anknüpfung an kontrollierbare Enteignungskriterien berücksichtigt ist.
Bis zuletzt strittig diskutiert wurde die Vorschrift über die Verpflichtung der Gemeinden, Grundstücke in entsprechenden Formen zu reprivatisieren, die die Gemeinde enteignet oder auf Grund eines Übernahmeverlangens erworben hat. Es wird behauptet - darauf zielt ja der Änderungsantrag der CDU/ CSU -, der Kommunalisierung von Grund und Boden werde dadurch Vorschub geleistet. Nach unserer Auffassung ist die in dem Entwurf vorgesehene Regelung des § 89 ausgewogen und berücksichtigt
den Gedanken des Vorrangs von Privateigentum in ausreichendem Maße.
Das wird an folgenden Bestimmungen deutlich: Die Gemeinde darf grundsätzlich keine Grundstücke behalten, sondern sie ist zur Reprivatisierung verpflichtet. Eine Ausnahme gilt nur für solche Flächen, die für bestimmte öffentliche Zwecke benötigt werden. Weiter: Soweit dies mit der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung im Einklang steht, hat die Gemeinde, wenn die zu berücksichtigenden Personen es wünschen und Grundstücke in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, der Vergabe von Volleigentum den Vorrang vor der Vergabe von Erbbaurechten, Wohnungseigentum oder Teileigentum zu geben. Diese Regelung engt die Dispositionsmöglichkeit der Gemeinden im Rahmen der Reprivatisierung ganz erheblich zugunsten von Personen ein,
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die volles Grundeigentum erhalten wollen. So blieb es nicht aus, daß auch vorgebracht worden ist, der Spielraum der Gemeinden werde gegenüber dem Städtebauförderungsgesetz zu stark eingeengt. Auch diese Bedenken teilen wir nicht. Wir halten die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Lösung im Hinblick auf die eigentumspolitische Bedeutung der Reprivatisierungsbestimmungen für richtig.
Es ist - auch das wird in dem Änderungsantrag gesagt - eingewandt worden, im Gesetz müsse geregelt werden, welche Laufzeiten ein Erbbaurecht haben soll, wenn die Gemeinde im Rahmen der Reprivatisierung diese Rechtsform wählen sollte. Der Vorschlag, hier starr 99 oder 75 Jahre vorzusehen, ist nach unserer Auffassung etwas wirklichkeitsfremd. Er wird auch nicht den städtebaulichen Erfordernissen gerecht, die sich von Ort zu Ort anders stellen. Man sollte den Gemeinden auch nicht zu enge Zügel anlegen. Es wird dem Markt überlassen bleiben, unter Berücksichtigung der städtebaulichen Erfordernisse zu bestimmen, welche Laufzeit Erbbaurechte im Einzelfall haben können und sollen. Wir können den insofern gestellten Änderungsanträgen nicht zustimmen.
Die erwähnten umfassenderen Rechte der Gemeinde gegenüber dem einzelnen Bürger verlangen als Gegengewicht eine wirksamere Beteiligungsmöglichkeit für die Bürger. Wir haben uns deshalb von Anfang an für eine vorgezogene und umfassendere Beteiligung der Bürger an der Bauleitplanung eingesetzt. Sie ist auch in das Gesetz aufgenommen worden. Die Gemeinde muß in Zukunft die Ziele, Zwecke und Auswirkungen der Planung öffentlich darlegen und über ein Anhörungsverfahren allgemein Gelegenheit zu Äußerungen und Erörterungen geben. Dies soll möglichst frühzeitig geschehen.
Wichtig erschien uns, daß über die Anhörung der Bürger ein Bericht mit einer Stellungnahme der Gemeinde anzufertigen ist. Jedermann kann in den Bericht Einsicht nehmen. Bei der Vorlage der Bauleitpläne zur Genehmigung durch die höhere Verwaltungsbehörde sind nicht nur die nicht berücksichtigten Bedenken und Anregungen der Bürger
mit einer Stellungnahme der Gemeinde, sondern auch - und das halten wir für sehr wesentlich - der Bericht über die Anhörung oder Erörterung beizufügen. Auf diese Weise ist sichergestellt, daß von seiten der Aufsichtsbehörde nachgeprüft werden kann, ob die Gemeinde ihre Bürger in angemessener Weise an der Bauleitplanung beteiligt hat.
Diese gewollte verstärkte Beteiligung der Bürger an der baulichen Entwicklung ihrer Gemeinde bedeutet für die Verwaltungen der Gemeinden einen nicht unerheblichen zusätzlichen Arbeitsaufwand. Das ist in den Planspielen deutlich geworden. Dafür wird aber das, was die Gemeinde vorhat, für den Bürger durchschaubarer, und er kann in gewissem Umfang darauf Einfluß nehmen.
Das Interesse des Bürgers an der Gestaltung seiner Stadt verstärkt sich, und nachträgliche Beschwerden und Wünsche, die jetzt oft zu heftigen Angriffen gegen Rat und Verwaltung führen, werden weitgehend ausgeschaltet oder mindestens erheblich weniger werden.
Nur ein Wort zu den Sozialmaßnahmen: Wenn zu erwarten ist, daß sich ein Bebauungsplan, dessen Aufstellung die Gemeinde beabsichtigt, bei seiner Verwirklichung nachteilig auf die persönlichen Lebensumstände der in dem Gebiet wohnenden oder arbeitenden Menschen auswirken wird, sind von der Gemeinde allgemeine Vorstellungen zu entwickeln und darzulegen, wie diese negativen Auswirkungen vermieden oder gemildert werden können. Konkrete Maßnahmen sind zu ergreifen, wenn bei der Durchführung des Bebauungsplans erhebliche nachteilige Folgen für die Bewohner des betreffenden Gebietes bevorstehen.
Ich habe die Hauptbeweggründe der FDP für eine Novellierung des Bundesbaugesetzes dargelegt. Wir sind der Auffassung, daß es gelungen ist, im planungsrechtlichen Teil den Gemeinden Instrumente an die Hand zu geben, die sie in die Lage versetzen, das Gemeindegebiet zum Wohle aller Bürger baulich zu gestalten und zu entwickeln, ohne daß die Grundstückseigentümer über Gebühr in ihrem Nutzungs- und Verfügungsrecht eingeengt werden. Die stärkere Beteiligung der Bürger an der baulichen Entwicklung ihrer Gemeinde wird zwar den Behörden mehr Arbeit bringen, dafür aber ein größeres Engagement breiter Kreise der Bevölkerung an der als zweckmäßig erkannten baulichen Entwicklung ihrer Gemeinde zur Folge haben. Maßnahmen, um nachteilige Auswirkungen bei Durchführung eines Bebauungsplans für die im Gebiet des Bebauungsplans lebenden und arbeitenden Menschen zu mindern und zu beseitigen, sieht das Gesetz vor. Wir stimmen deshalb dem Gesetzentwurf zu.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen auf den abgabenrechtlichen Teil der Baurechtsnovelle beschränken.
Die öffentliche Auseinandersetzung um die Reform des Bodenrechts - wir wissen alle, daß wir hier unter diesem politischen Begriff das Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes verstehen - gipfelt in der These: Der Planungswertausgleich ist der zentrale und unverzichtbare Bestandteil der Bodenrechtsreform. Diese These ist unhaltbar. Der Planungswertausgleich der Koalition von heute hat mit dem von der CSU 1973 beschlossenen Modell nur das Etikett gemeinsam.
({0})
Beim Ausgleichsbetrag im Regierungsentwurf handelt es sich nicht um einen Planungswertausgleich - darüber wurde jedenfalls bei den Ausschußberatungen einheitliche Auffassung erzielt - sondern um die Abschöpfung der planungsbedingten Bodenwertsteigerungen. Der Ausgleichsbetrag im Regierungsentwurf erstreckt sich auf 50 v. H. der Wertsteigerungen des Grundstücks, die infolge der Entwicklung oder Neugestaltung eines Gebietes eingetreten sind. Der Ausgleichsbetrag ist seinem materiellen Gehalt nach ein Entwicklungswertausgleich, eine neue Abgabenlast, die alle Wertsteigerungen ergreift, die sich im Zusammenhang mit dem allgemeinen Bau- und Planungsprozeß in einem Gemeindegebiet ergeben. Dieser Entwicklungsprozeß erhält seine Anstöße keineswegs nur aus dem Rathaus; er ist vielmehr miteinbezogen in die ökonomische Gesamtentwicklung, die ihrerseits wiederum von den allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängt und somit auch abgabenrechtlich in die Gesamtsystematik unseres Steuer-, Beitrags- und Gebührenrechts eingebunden werden muß.
Wir, die CDU/CSU, fordern zeitnahe Einheitswerte für alle Grundstücke, nicht, um alle höher zu belasten, sondern um für alle eine einheitliche und gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen.
({1})
Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang neue Einheitswerte zu einer höheren Steuerlast führen werden, hängt von den dann durch den Bundesgesetzgeber zu beschließenden Steuermeßzahlen und Tarifen ab. Ich erinnere daran, daß im Vermögensteuer- und Erbschaftsteuerreformgesetz Bestimmungen enthalten sind, die verhindern wollen, daß erhöhte Einheitswerte automatisch zu höheren Steuerlasten führen. Zeitnahe Einheitswerte sind auch deshalb vonnöten, weil sie als wirtschaftliche Einheiten einheitlich verschiedenen Steuern zugrunde liegen: der Vermögensteuer und Erbschaftsteuer, der Grundsteuer und Grunderwerbsteuer. Übrigens ist nach einer jüngsten, vor wenigen Tagen erst ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 1976 der Gesetzgeber schon aus Gründen der verfassungsrechtlich garantierten Gleichmäßigkeit der Besteuerung verpflichtet, für stichtagnahe Einheitswerte zu sorgen; andernfalls würde das Nominalwertprinzip unvertretbar beeinträchtigt werden. Außerdem, meine Damen und Herren, sind die Einheitswerte auch für andere Steuern von Bedeutung, so zum Beispiel für die Bemessung des Nutzungswertes der Wohnung
Dr. Sdineider
im eigenen Einfamilienhaus nach § 21 a des Einkommensteuergesetzes.
({2})
Die Ausgleichsbetragslösung im Regierungsentwurf geht an dieser grundlegenden Systematik unserer Bewertungs- und Steuergesetzgebung vorbei. Sie ist ein Schritt in die falsche Richtung und muß am Ende alle enttäuschen, auch die Städte und Gemeinden. Darüber sollte wenigstens unter den Experten des Bodenrechts redlicherweise kein Streit herrschen. Ich würde mich gerne im Streitfalle dann auslassen, welche Konsequenzen dem Art. 3 § 10 des Entwurfs in der Ausschußfassung in diesem Zusammenhang beizumessen sind.
Wer hier gegen uns den Vorwurf erhebt, unser Nein zum Entwicklungswertausgleich begünstige die Bodenspekulation, bietet uns willkommene Gelegenheit, einmal nachzuweisen, wer in unserem Lande mit wessen Hilfe in welchem Ausmaße und mit welchen Gewinnen in den letzten Jahren spekuliert hat. Nur eine allgemeine Bemerkung dazu.
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Der kleine Haus- und Grundbesitzer, den viele der Bodenideologen, denen unsere gesamte Eigentumsordnung gegen den politischen Strich geht, an den gesellschaftspolitischen Pranger stellen wollten, war es mit Sicherheit nicht. Dieser zahlt brav seine Steuern, Abgaben, Gebühren und Tarife an den Staat und in wachsendem Umfang auch an die Gemeinde. Der Haus- und Grundbesitzer muß zudem 90 0/o der Erschließungskosten nach geltendem Recht bezahlen. Nach Inkrafttreten dieser Novelle erstreckt sich seine Beitragspflicht auch auf Grünanlagen und Kindergärten. Er muß im Rahmen der wirtschaftlichen Rezession hohe Substanzverluste mangels kostendeckender Mieten hinnehmen. Ich möchte keinesfalls eine allgemeine Kritik an einer gewissen Baulandbevorratung üben; eine solche ist im Rahmen einer soliden Geschäftspolitik in der Wohnungswirtschaft sogar unerläßlich.
Meine Damen und Herren, Bodenspekulation ist nur dort möglich, wo wirtschaftliche Macht und Planungskompetenz zusammentreffen und zusammenspielen. Nur aus Zeitmangel ist es mir nicht möglich, auf eine Reihe von Einzelfällen einzugehen, wo eklatante Bodenspekulation dadurch möglich war, daß wirtschaftliche Macht auf der einen und Planungskompetenz der Gemeinde auf der anderen Seite zusammentrafen.
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- Herr Kollege Waltemathe, ich gehe gleich darauf ein. - Mit dem Entwicklungswertausgleich und mit einer zeitnahen Bürgerbeteiligung können SPD und FDP diesen Spekulationen nicht entgegenwirken, solange davon ausgegangen werden kann, daß in den Rathäusern Kontaktpersonen sitzen, die ihr
Wissen zugunsten von Grundstücksinteressenten mißbrauchen lassen.
({5})
- Vielleicht von solchen Rathäusern, an die vor kurzem aus einer großen deutschen Hansestadt ein Brief gegangen ist.
Die Abschöpfung planungsbedingter Bodenwertsteigerungen stellt ein bodenrechtliches und bodenpolitisches Problem dar, mit dem sich seit vielen Jahrzehnten die Wissenschaft und die parlamentarische Praxis befassen. Schon der erste Regierungsentwurf vom 1. September 1950 sah einen abgabenrechtlichen Teil vor. Auch alle weiteren Entwürfe unternahmen den Versuch, die Planungsgewinne abgabenrechtlich zu erfassen. Das galt auch für das Bundesbaugesetz vom 23. Juni 1960. Nach den damaligen Vorstellungen der SPD sollte eine Wertzuwachssteuer erhoben werden. Das Bundesbaugesetz von 1960 brachte statt dessen auf Initiative von CDU und CSU die sogenannte Baulandsteuer, die Grundsteuer C. Sie bestand in einer Erhöhung der Grundsteuer für baureife Grundstücke auf das Vier-, Fünf- und Sechsfache.
Nun wird immer wieder behauptet, die Baulandsteuer sei verfassungsrechtlich nicht haltbar und bodenpolitisch nicht wirksam gewesen.
({6}) Beides trifft nicht zu.
({7})
Sie wurde vom Bundesfinanzhof ausdrücklich als verfassungsgemäß bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu nicht geäußert. Bodenpolitisch mußte sie wirkungslos bleiben, weil sie nach zwei Jahren wieder aufgehoben wurde. Das geschah damals auf einen Antrag der FDP, unterstützt von der SPD. Die FDP lehnte sie als Vertreibungssteuer ab. Die SPD lehnte sie dagegen als bodenpolitisch wirkungslos ab und sah weiterhin das Allheilmittel in einer Wertzuwachssteuer.
Daß sich daraufhin auch die CDU/CSU-Fraktion zum Nachgeben veranlaßt sah und für die Aufhebung der Baulandsteuer stimmte, erweist sich nachträglich als Fehler. Es ist nämlich nicht uninteressant, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß die neuen Einheitswerte für unbebaute Grundstücke, die der Grundsteuer auch 1974 zugrunde liegen, auf das Zehn- bis Zwanzigfache angehoben wurden, während für andere Grundstücke die Einheitswerte im Durchschnitt auf das Zwei- bis Dreifache angestiegen sind. Auch hierzu kann auf die bereits vorliegenden Berichte der Statistischen Landesämter über die Auswertung der gesetzlichen Einheitsbewertung verwiesen werden. Diese Einheitswerte führen zu einer Grundsteuer, die mindestens das Siebenfache der vor 1974 für das Grundstück erhobenen Steuer ausmacht. Wir haben nämlich heute die damalige Baulandsteuer in wesentlich schärferer Form als 1960, ohne daß darüber noch ein einziges Wort verloren wird.
Die Novelle zum Bundesbaugesetz sieht zwar keine allgemeine Wertzuwachssteuer, wohl aber die Erhebung einer Ausgleichsabgabe vor, die alle Wertsteigerungen erfassen soll, die durch die Neuordnung oder die Entwicklung eines Grundstücks eintreten. Wesentliche Argumente, die gegen eine Wertzuwachssteuer sprechen, gelten deshalb in gleicher Weise für diese Ausgleichsabgabe.
Die wesentlichen Mängel darf ich wie folgt zusammenfassen. Einmal ist das Wertermittlungsproblem nicht gelöst. Ich habe jetzt keine Zeit, das näher zu begründen. Aber das scheint mir das Ergebnis aller Planspiele, der Anhörung aller Experten und auch der Überprüfung mit dem eigenen Sachverstand zu sein.
({8})
Die Regelung der Endwerte ist problematisch. Sie vermag einer bewertungsrechtlichen Würdigung nicht, standzuhalten. Hier zeigt sich, daß es sich nicht um einen planungsbedingten Mehrwert, sondern um einen fiktiven Entwicklungsmehrwert handelt. Der Entwurf stellt nämlich beim Endwert auf den Verkehrswert ab, den das noch erschließungsbeitragspflichtige Grundstück zu dem Zeitpunkt hat, an dem es baureif wird. In diesem Verkehrswert ist aber nicht nur der planungsbedingte Mehrwert enthalten, sondern es sind auch alle anderen Werterhöhungen darin enthalten wie etwa die Ausstattung des Gebiets mit Infrastrukturmaßnahmen, die privaten Investitionen und ganz sicher auch die inflatorische Preisentwicklung.
Der Verwaltungsaufwand steht zu dem Aufkommen aus den Abschöpfungserträgen in keinem vertretbaren Verhältnis.
Die Ausgleichsbeträge führen zu einer Verteuerung der Baumaßnahmen und können je nach Marktlage im Veräußerungsfall auf den Erwerber überwälzt werden.
Die Ausgleichsbeträge werden nur in solchen Gemeinden anfallen können, wo Planungs- und Entwicklungsakte zu beträchtlichen Bodenwertsteigerungen führen.
Schon heute aber - auf diesen Zusammenhang darf ich einmal hinweisen, weil dieser Zusammenhang in der Diskussion gänzlich übersehen wird - sind in der Bundesrepublik Deutschland für über 100 Millionen Menschen Baugrundstücke rechtskräftig gewidmet. Die Bevölkerungszahl fällt aber nach den demographischen Prognosen von heute 62 Millionen auf etwa 58 Millionen oder sogar mehr bis zum Jahre 1985. Die Wohnungsbestandszahlen - soweit es überhaupt möglich ist, heute exakte statistische Werte zu nennen - werden mit mindestens über 23,5 Millionen Wohneinheiten angegeben. Die Zahl der Haushaltungen schwankt um 22,3 Millionen.
Trotz eingehender und umfassender Beratungen bestehen die Meinungsverschiedenheiten über Zweck und Ziel der Ausgleichsabgabe immer noch fort. Im Vordergrund wird die Ausgleichsabgabe als ein bodenpolitisches Instrument gewertet, das geeignet ist, die Bodenordnung zu verbessern. Ungeklärt freilich ist, was man im Einzelfall unter einer Verbesserung der Bodenordnung versteht und ob sie eine preisdämpfende Wirkung auslösen kann. Es ist also mit mehr oder weniger Modalitäten - nur beschränkt auf baureifes Land - doch wieder die alte Wertzuwachssteuer, die hier zum Vorschein kommt. Auch der andere Name ändert daran nichts.
CDU und CSU. waren bis zum Schluß der Ausschußberatungen bereit, mit den Koalitionsparteien gemeinsam, wie auch zu allen anderen Punkten, wo dies möglich war, hier eine gesetzliche Regelung zu finden,
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wie planungsbedingte Wertsteigerungen auf dem Bodenmarkt erfaßt werden können. CDU und CSU sind jedoch der Auffassung, daß diese Maßnahmen im Rahmen des Steuerrechts getroffen werden müssen.
Der Änderungsantrag der Unionsfraktionen auf Drucksache 7/4850, der Ihnen vorliegt und den ich hiermit im Namen der CDU/CSU-Fraktion stellen darf, geht von der Überlegung aus, daß nur über eine zeitnahe Einheitsbewertung des gesamten Grundbesitzes im Rahmen des Steuerrechts die angestrebten bodenpolitischen Ziele zu erreichen sind. Eine neue Einheitsbewertung könnte durchaus auch die Grundlage für die Ermittlung eines planungsbedingten Mehrwerts sein. Damit deckt sich das, was wir am 26. September 1974 beschlossen haben, mit dem, was wir heute beantragen und was Sie, Kollege Waltemathe, besonders hervorgehoben haben.
Nachdem jedoch die Bundesregierung die Vorarbeit für eine neue Einheitsbewertung eingestellt hat, obwohl der Stichtag für die jetzt geltenden Einheitswerte auch schon wieder über 12 Jahre zurückliegt, ist eine solche neue Einheitsbewertung nicht von heute auf morgen durchzuführen. Das Steuermodell der Opposition sieht deshalb eine Interimslösung vor, die auch heute schon ohne weiteres zu realisieren wäre. Danach wird für Grundstücke in Planungsgebieten ein eigener Einheitswert festgestellt, der dem heutigen Verkehrswert, d. h. dem Verkehrswert nach Abschluß der Entwicklungsmaßnahmen, entspricht.
Nach diesem Modell käme es dann auf den Unterschied zwischen dem besonderen Einheitswert und dem normalen Einheitswert an, der für das Grundstück vor Beginn der Entwicklungsmaßnahme nach den Wertverhältnissen von 1964 festgestellt worden ist. Dieser Unterschiedsbetrag wäre dann zu 50 v. H. die Grundlage für eine zusätzliche, jedoch maßvolle Grundsteuer.
Daneben soll ebenso, wie das heute schon beim Betriebsvermögen und beim land- und forstwirtschaftlichen Vermögen der Fall ist, auch bei privatem Grundbesitz ein Veräußerungsgewinn innerhalb einer Frist von zehn Jahren der Einkommensteuer unterliegen. Dabei würde mit zahlreichen Vergünstigungen die steuerliche Belastung auf ein tragbares Maß reduziert, was insbesondere für die
Besitzer von Einfamilienhäusern und eigengenutzten Eigentumswohnungen von Bedeutung sein würde. SPD und FDP haben unseren Antrag auf Verlängerung der Spekulationsfrist in § 23 des Einkommensteuergesetzes von zwei auf zehn Jahre abgelehnt. Unser Antispekulationsgesetz ist am Widerstand der Koalition und Bundesregierung gescheitert.
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- Das ist die schlichte, aber bittere Wahrheit, meine Herren von der SPD. Das kombinierte steuerrechtliche Modell der CDU/CSU-Fraktion wäre ein erster Schritt für eine steuerpolitisch und bodenpolitisch harmonisierte Lösung, die gegenüber der Erhebung einer Ausgleichsabgabe eine Reihe wesentlicher Vorteile hätte, vor allem den, daß sie einfach und ohne zusätzlichen personellen Aufwand zu realisieren wäre.
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Des weiteren würde sie die Zweigleisigkeit bei der Tätigkeit der Bewertungsbehörden vermeiden, die zu erheblichen Bedenken Anlaß gibt.
Diese Bedenken, meine Damen und Herren der Koalition oder auch der Bundesregierung, werden keineswegs nur seitens der Opposition vorgetragen. Sie finden sich auch in den Empfehlungen, die der Deutsche Rat für Stadtentwicklung, ein Institut nach dem Städtebauförderungsgesetz, am 4. 4. 1971 abgegeben hat. Ich darf zitieren:
Wegen der Auswirkung einer Wertabschöpfungsregelung im Bundesbaugesetz auf das Steuerrecht, insbesondere auf die einheitswertabhängigen Steuern, muß das Steuerrecht mit den neuen bodenrechtlichen Bestimmungen harmonisiert werden. Ergänzende steuerrechtliche Lösungen müssen auch deshalb vorangetrieben werden, um ungerechtfertigte und unterschiedliche Belastungen von Eigentümern von Grundstücken in verplanten und nicht verplanten Gebieten durch die Wertabschöpfungsregelung zu vermeiden. Zwei verschiedene Bewertungssysteme und -stellen nach Steuerrecht und nach Bundesbaugesetz sollten vermieden werden.
Der Deutsche Rat für Stadtentwicklung schließt seine Stellungnahme mit dem Satz:
Das gegenwärtige Konzept des Bewertungssystems nach Bundesbaugesetz befriedigt nicht.
So weit das Zitat.
Es kann nicht bezweifelt werden, daß sich für die Finanzverwaltung ebenso wie für die Gutachterausschüsse bei den Gemeinden das Problem der Wertermittlung in gleichem Maße ergibt. Das ist aber zwangsläufig dadurch bedingt, daß niemand in der Lage ist, für ein Grundstück einen hundertprozentig zutreffenden Verkehrswert anzugeben. Wer behauptet, daß er dies kann, unterliegt allenfalls einem frommen Wahn. Ob ein Quadratmeter Land 125 oder 135 DM wert ist, kann auch der Gutachterausschuß der Gemeinde nicht mit Sicherheit feststellen. Bei einer Fläche von 1 000 qm würde aber allein schon dieser Unterschied bei 50%iger Abschöpfung zu einer Ausgleichsabgabe von 5 000 DM führen. Das ist eine Größenordnung, die jeden Betroffenen zu Gegengutachten und zu Prozessen direkt herausfordert. Die Koalition will dem durch Obergutachterausschüsse begegnen, bringt damit aber nur nochmals eine zusätzliche Instanz, ohne die zu erwartende Prozeßflut bremsen zu können. In der Praxis werden auch die Gutachterausschüsse gezwungen sein, wenn sie jemals mit ihrer Arbeit fertig werden wollen, mit maßvollen und pauschalierten Bodenwerten auf unterstem Wertniveau zu arbeiten. Das kann aber ebenso gut auch die Finanzverwaltung, und zwar, wie ausgeführt, billiger und einfacher. Der gemeine Wert ist nach dem geltenden Bewertungsgesetz ein Durchschnittswert. Es kann auch gar nicht anders sein. Mindestens liegt bei dem CDU/CSU-Modell der sogenannte Anfangswert, für den es auf die Wertverhältnisse von 1964 ankommt, auf Grund der bei den Finanzämtern aufgestellten Richtwertkarten fest und bedarf keiner Diskussion mehr, während bei dem Koalitionsmodell ein Anfangswert erst konstruiert werden muß und in dieser Form in einem Prozeß kaum der richterlichen Nachprüfung standhalten kann.
Der bodenpolitische Vorteil des steuerrechtlichen Modells der Opposition besteht auch darin, daß er zur alsbaldigen Bebauung drängt, während die Ausgleichsabgabe diese hemmt. Denn die Steuer wird sofort erhoben und entfällt ab dem Zeitpunkt der Bebauung. Die Ausgleichsforderung wird dagegen erst bei der Veräußerung oder bei der Bebauung, also zu einem Zeitpunkt fällig, wo der normale Bauherr sowieso in seinen finanziellen Möglichkeiten bis zum äußersten in Anspruch genommen ist, so daß er unter Umständen durch die Ausgleichsabgabe sogar vom Bauen abgehalten wird. Erlaßregelungen und Stundungen mögen zwar die Situation mildern, ändern aber am Grundsätzlichen nichts. Jede zusätzliche abgaberechtliche Belastung des Haus- und Grundbesitzes hemmt und schwächt die private Neigung, Kapital in den Wohnungsbau zu investieren. Daß der Wohnungsbau aber auf die privaten Investoren nicht verzichten kann, hat kürzlich Bundesminister Ravens sehr zutreffend, wie ich glaube, unterstrichen. Die zeit- und sachgerechte Forderung muß lauten: weniger, nicht mehr öffentliche Lasten auf die Familienwohnung!
In diesem Zusammenhang darf ich an den Vorschlag der Steuerreformkommission erinnern, den Nutzungswert der eigengenutzten Wohnung der Einkommensteuer nicht zu unterwerfen.
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Auf weitere Überlegungen, wie die Bildung von Wohnraumeigentum über das bisherige Maß hinaus durch eine ausgewogene Steuerpolitik gefördert werden könnte, will ich aus den bekannten Zeitgründen verzichten.
Die bodenpolitische Wirkung dieses Gesetzes muß - und darauf legen wir allergrößten Wert - mit dem Zweiten Wohnungsbaugesetz in Einklang stehen. Sie muß die breite Eigentumsstreuung in privater Hand begünstigen. Der Gesetzgeber wollte
im Jahre 1965 durch die grundsteuerrechtlichen Vorschriften seine wohnungs- und vermögenspolitischen Absichten nachdrücklich unterstützen. Dieser Politik widerstreben heute Vorschriften, die direkt oder indirekt den sozialen Vorteil des Zweiten Wohnungsbaugesetzes beeinträchtigen oder gänzlich aufheben.. Und stets bleibt zu bedenken, daß die Grenze zwischen einer bodenpolitisch noch sinnvollen Belastung des Grund und Bodens und einer Vertreibungs- oder Drosselungssteuer ziemlich schnell erreicht wird. Art. 14 GG verbietet Steuern, die aus der Substanz des konsolidierten Eigentums gezahlt werden müssen. Er gewährleistet, daß aus dem Eigentum ein angemessener Ertrag erwirtschaftet werden kann. Schon eine übermäßige Belastung der Erträge wäre verfassungswidrig.
Meine Damen und Herren, ich darf zur Schlußbemerkung kommen. Das Gesetz, das heute zur Verabschiedung steht, ist nicht frei von Widersprüchen und Doppelbelastungen. Überlagerungen mit dem Erschließungsrecht werden nicht vermieden. Auf dieses Rechtsproblem habe ich in einem Aufsatz über den Planungswertausgleich schon im Jahre 1973 hingewiesen. Kollege Waltemathe, um nochmals auf Sie einzugehen: damals habe ich wörtlich geschrieben:
Die Voraussetzungen zur Erhebung des Planungswertausgleichs sollten jedoch nicht durch die Gemeinden, sondern durch die Finanzbehörden geschaffen werden. Dabei ist eine Änderung des Bewertungsgesetzes ebenso unverzichtbar wie eine neue Hauptfeststellung der Einheitswerte. Nur mittels einwandfreier Bemessungsgrundlagen nach den Grundsätzen des Bewertungsrechts kann der planungsbedingte Bodenwertzuwachs ermittelt und steuerlich belastet werden. Auf die Beachtung unverzichtbarer steuerrechtlicher Grundsätze kann und darf nach Auffassung der CSU hierbei nicht verzichtet werden.
Auch der Finanzausschuß hat festgestellt, daß er der Auffassung ist - ich zitiere wörtlich -, „daß die dem Ausgleichsbetrag unterliegende Wertsteigerung nicht zugleich mit der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer erfaßt werden soll". Er werde daher vorsehen, durch eine Änderung des Einkommensteuergesetzes die Doppelerfassung auszuschließen.
Alle früheren Verlautbarungen zum Planungswertausgleich, Kollege Waltemathe, bedürfen auch insoweit einer Überprüfung, als wir aus der erst seit Oktober 1975 vorliegenden vorläufigen und abschließenden Meßbetragshauptveranlagung wissen, daß die Grundsteuerbelastung der unbebauten Grundstücke seit 1974 außerordentlich angestiegen ist. Dieses Ergebnis hat der Gesetzgeber beim Zweiten Steuerreformgesetz besonders für unbebaute Grundstücke ausdrücklich gewollt, was aus der dortigen Begründung zweifelsfrei hervorging.
Endlich ging man 1973 von den Überlegungen aus, daß auch künftig Planungsschäden entschädigt werden. Mit dem befristeten Wegfall des Planungsschadensanspruchs waren derartige Beschlüsse natürlich unter einer, jedenfalls insoweit, falschen Voraussetzung gefaßt; denn es wird ja in Zukunft nach Ablauf einer Frist von sieben Jahren kein Planungsschaden mehr entschädigt werden.
Nach der abschließenden Beratung und Votierung des Finanzausschusses stellt sich für uns die Lage wie folgt dar. Wir sollen heute einem Gesetz zustimmen, das eine Doppelbelastung von Bauland vorsieht. Nach jahrelangen Beratungen außerhalb und innerhalb des Bundestages waren Bundesregierung und Koalitionsfraktionen nicht imstande, eine schlüssige Vorlage im abgabenrechtlichen Teil zu erarbeiten. Da aber der abgabenrechtliche Teil ein integraler Bestandteil des gesamten Gesetzes ist, ist das Gesetz als Ganzes nicht entscheidungsreif. Der mitberatende Finanzausschuß hat kein schlüssiges Votum abgegeben. Da wir aber zu einem nicht schlüssigen Gesetz nicht ja sagen können, müssen wir nicht nur aus politischen, sondern auch aus rechtlichen Gründen gegen die Baurechtsnovelle als Ganzes stimmen. Niemand bedauert dies mehr als diejenigen, die so viel an Zeit, Kraft und Sachverstand in die Beratungen der Baurechtsnovelle wie die Mitglieder des federführenden Ausschusses investiert haben. Der Entwicklungswertausgleich liegt wie ein erratischer Block in der Steuerlandschaft, eher ein Hindernis gegen als ein Meilenstein für den Fortschritt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reform des Bodenrechts bewegt sich im Spannungsfeld von zwei großen Rechtsgebieten, zum einen der privatrechtlichen Eigentumsfreiheit, so wie das 19. Jahrhundert sie zum Schutz des Bürgers gegen die Obrigkeit begründet hat, und zum anderen der baurechtlichen Gebundenheit des Eigentums, so wie das Mittelalter sie in unseren Städten begründet hat, um das Recht der Gemeinschaft gegenüber dem Egoismus des einzelnen zu sichern. Die uns heute so kostbaren alten Städte und Stadtkerne sind bauliche Zeugen einer Stadtgesinnung, einer Bürgergesinnung, die das Wohl der Bürgerschaft vor dem Egoismus des einzelnen sicherte. Vieles von dem, was wir heute in unseren Städten an Büropalästen, an Verödung sehen, ist - ebenso wie die Hinterhöfe des 19. Jahrhunderts - Ausdruck einer Stadtgesinnung, bei der das Wohl der Allgemeinheit und das Gesicht der Stadt den ökonomischen Interessen, den Zuwachsraten und dem Egoismus von Eigentümern untergeordnet worden sind.
In diesem Spannungsfeld zwischen Eigentumsfreiheit und baurechtlicher Gebundenheit war es unser Auftrag, Inhalt und Schranken des Bodeneigentums im Bundesbaugesetz so zu bestimmen, daß das Wohl der Allgemeinheit durch seine Nutzung nicht beeinträchtigt wird.
Ich möchte hier zwei Beispiele anführen, wie wir dieses Ziel zu erreichen versucht haben. Ein Beispiel
ist das Planungsschadensrecht. Unser geltendes Recht sieht ja so aus, daß ein einmal gewährtes Baurecht ewig weitergilt. Es gilt über die Lebensdauer des Gebäudes hinaus. Wenn eine spätere Generation die Stadt nach ihren Maßstäben und Werten umbauen will, muß sie ein Baurecht, welches unter Umständen hundert Jahre vorher verliehen worden ist, voll entschädigen. Es müssen also nicht nur die abgewirtschafteten, abgezinsten und abgewohnten alten Bauten, sondern es muß auch das vor hundert Jahren verliehene Baurecht voll entschädigt werden. Damit wird der neuen Generation die Möglichkeit verbaut, die Stadt nach ihren Vorstellungen zu wandeln, umzubauen und anzupassen.
Ich habe große Zweifel, ob wir langfristig mit dieser Dauergarantie des Baurechts leben können. Ich meine, daß wir zu einer zeitlichen Befristung des Baurechts kommen müssen, die sich an der Lebensdauer eines Gebäudes orientiert. Das war im Rahmen dieser Gesetzgebung nicht möglich. Immerhin war es aber möglich, die Entschädigung für ein nicht ausgeübtes Baurecht gemeinsam auszuschließen. Jemand, dem einmal ein Baurecht verliehen wurde, konnte bis heute bei einer Planänderung eine Entschädigung dafür verlangen, auch dann, wenn er es nie in Anspruch genommen hat, wenn der Betreffende nie gebaut hat. Das kann er in Zukunft nur innerhalb einer Vertrauensschutzfrist von siehen Jahren und bei einigen weiteren Vertrauenstatbeständen, die wir genau festgelegt haben. Danach kann die Gemeinde das einmal gewährte Baurecht entschädigungslos wieder zurücknehmen. Ich halte dies für einen wichtigen, für einen qualitativen Schritt in die richtige Richtung. Ich bin sicher, diesem Schritt werden weitere Schritte in diese Richtung folgen.
Der bodenrechtliche Kernpunkt unseres Gesetzes ist die Abschöpfung der planungs- und - Herr Kollege Dr. Schneider hat es richtig gesagt - der entwicklungsbedingten Wertsteigerungen. Ihr liegt das Prinzip zugrunde, das Oswald von Nell-Breuning einmal so beschrieben hat: „Was die Allgemeinheit dem Bodeneigentümer abkaufen muß, wenn sie es ihm entzieht" - nämlich das einmal gewährte Baurecht -, „das soll dem Bodeneigentümer nicht geschenkt werden, sondern er muß es von der Allgemeinheit kaufen, wenn sie es ihm gewährt." Bei der Abschöpfung der entwicklungsbedingten Wertsteigerungen handelt es sich also nicht um eine Steuer; vielmehr zahlt der Bodeneigentümer eine Abgabe. Er zahlt einen Preis für ein Recht, das wir - die Allgemeinheit - ihm gewähren. Deshalb ist es unsinnig und irreführend, in diesem Zusammenhang von einer Steuer oder gar von einer Doppelbesteuerung zu reden.
({0})
Die Koalition hat sich auf eine Ausgleichsbetragsregelung mit einer Abschöpfung von 50 % bei Halbierung des Erschließungsbeitrags verständigt. Wir haben das in Planspielen getestet. Wir haben es verändern müssen, weil sich in einigen Fällen gezeigt hat, daß es nicht praktikabel war. Jetzt haben wir eine Lösung, die funktionieren kann. Wir haben auch Kompromisse mit unserem Koalitionspartner schließen müssen.
({1})
Wer keine Kompromisse schließen kann, so hat der Bundeskanzler neulich gesagt, sei zur Politik unfähig. Die Opposition war unfähig, unter sich einen Kompromiß zwischen ihren Vorstellungen zu finden. Zum Teil waren Sie für den Planungswertausgleich, zum Teil für den Infrastrukturkostenbeitrag, zum Teil für die steuerliche Regelung.
({2})
Zum Schluß hat Ihr Elferrat, Ihr Führungsgremium, Ihnen dann gesagt, Sie dürften eigentlich für gar nichts mehr sein. Dann haben Sie eine Lösung hereingebracht, die Sie hier nicht einmal zur namentlichen Abstimmung - ({3})
- Nein, Herr Mick, es ist bezeichnend, daß Sie das, was Sie hier vorschlagen, nicht einmal zur namentlichen Abstimmung stellen können, denn dann würde eine ganze Reihe Ihrer Kollegen hinausgehen, die dem hier nicht namentlich zustimmen wollen.
({4})
Natürlich sind eine Reihe von Einwänden vorgebracht worden. Ich will mich mit einigen auseinandersetzen. Da ist das Bewertungsverfahren. Sie sagen, es funktioniere nicht. Da muß ich mich wundern. Wir haben nun seit 1960 eine Bewertung durch Gutachterausschüsse überall dort, wo jemand einen Planungsschaden geltend macht. Da haben Sie nie etwas dagegen gehabt. Das fanden Sie immer sehr schön. Nun auf einmal, wo der Planungsgewinn durch einen Gutachterausschuß ermittelt werden soll, geht das nicht mehr. Der Witz an der Sache ist, daß Sie eine Bewertung durch die Finanzämter vorschlagen, d. h., Sie, die Sie draußen im Lande erzählen, Sie wollten „Weniger Staat", kommen hier mit einer Regelung „Mehr Staat".
({5})
Unsere Lösung dagegen beteiligt die sachkundigen Bürger in den Gutachterausschüssen. Herr Dr. Schneider sagt, die Finanzverwaltung solle das machen. Es wäre das erste Mal, daß die Finanzverwaltung zu zeit- und marktnahen Werten kommt. Das Beispiel der Einheitsbewertung von 1964 ist ja schlimm genug.
({6})
- Herr Dr. Schneider, ich habe daran überhaupt keinen Zweifel. Ich schaue mir nur die Einheitswerte an, auch die Einheitswerte meines eigenen Hauses. Wenn da jemand sagt, dies sei zeitnah und wertgerecht, so muß ich Ihnen sagen, diese Einheitsbewertung ist eine jahrzehntelange Privilegierung des Bodeneigentums, die jeden, der für
steuerliche Gerechtigkeit eintritt, schamrot machen muß.
({7})
Nun sagen Sie, wir bräuchten in den Kommunen viel Personal. Abgesehen davon, daß wir die Bagatellfälle ausschließen, glauben Sie denn, daß die Finanzminister ohne Personal hinkommen? Herr Dr. Schneider, informieren Sie sich einmal über die letzte Sitzung der Oberfinanzpräsidenten der Bundesrepublik, die sich darüber unterhalten haben, was an Personalaufwand herauskäme, wenn sie das machen müßten. Es ist doch absurd, hier zu sagen, das koste weniger Personal, wenn es die Finanzverwaltung machte. Die macht es doch auch nicht in Überstunden.
({8})
Sie haben dann draußen viel davon geredet, und die, die Ihnen zuschreiben, haben oft gesagt, hier würde der Boden verteuert. Bei solchen Gelegenheiten entdeckt ja die Union immer den „kleinen Mann", der zu schützen sei. In der Konsequenz müßte das heißen, daß jede Abgabe und jede Steuer unmöglich wäre, weil sie am Schluß immer doch den sozial Schwächeren trifft. Dieses Argument ist sicher nicht sehr haltbar.
({9})
Aber das, was Sie sagen, ist auch marktwirtschaftlich nicht haltbar; denn Bodenpreise - und ich wundere mich immer, wenn die großen Verfechter der Marktwirtschaft hier solche Sachen vertreten - haben doch mit Kosten überhaupt nichts zu tun. Bodenpreise sind Knappheitspreise, sie richten sich allein nach der Knappheit des Bodens. Wo haben jemals die Kosten, die im Boden stecken, etwas mit dem Preis zu tun gehabt, der gefordert wird? Gefordert wird der Preis, den der Markt hergibt, kein Pfennig mehr. Über den Preis hinaus können Sie nichts überwälzen; sonst können Sie nicht mehr verkaufen.
({10})
Umgekehrt, Herr Dr. Schneider, wird eine Senkung der Kosten nie zu einer Senkung der Bodenpreise führen. Das werden Sie doch nicht behaupten wollen. Wenn jemand ein grunderwerbsteuerbefreites Grundstück verkauft, für das die 7 % Grunderwerbsteuer nicht bezahlt werden müssen, gibt er doch sein Grundstück nicht 7 % billiger ab, sondern er steckt 7 % mehr in die Tasche. Bodenpreise sind eben knappheits- und nicht kostenabhängig. Deswegen ist es absurd, zu sagen, dem kleinen Mann würde der Boden verteuert, zumal wir dagegen eine Reihe von Regelungen eingebaut haben, beispielsweise die Möglichkeit für die Gemeinde, den Ausgleichsbetrag in ein Tilgungsdarlehen umzuwandeln. In den Fällen, wo das zu einer Härte führt oder im öffentlichen Interesse liegt, etwa bei der Eigentumsbildung von Leuten mit geringem Einkommen, soll die Gemeinde - so steht es im Gesetz - auf Tilgung oder Zins ganz oder teilweise verzichten.
Sie haben drittens eingewandt, die Ausgleichsbetragsregelung sei nicht eingepaßt in die Gesamtsystematik unseres Steuer-, Beitrags- und Gebührenrechts. Dies ist doch eine Strategie des Alles-oderNichts und von Ihnen nicht so ganz neu. Sie wissen genau, daß Alles nicht möglich ist. Deswegen verschaffen Sie sich mit der Forderung nach Alles ein billiges Alibi für das Nichts, das Sie haben wollen.
({11})
Sie wollen das, was wir hier bodenrechtlich versuchen, mit einer Steuerlösung verschnüren; Sie wollen das Paket so groß machen, daß es keiner mehr bewegen kann. In Wirklichkeit verschieben Sie damit jeden ersten Ansatz auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Unsere Lösung ist systemgerecht, sie läßt sich in das Steuerrecht einpassen, sie läßt auch eine spätere Besteuerung von Wertzuwächsen zu und kann mit einer Bodenwertzuwachssteuer oder einer veränderten Grundsteuer kompatibel gemacht werden. Freilich läßt sie Wünsche offen, auch bei mir. Das gebe ich ganz offen zu. Ich finde z. B., daß die Ausgleichsabgabe im Außenbereich fehlt. Ich halte auch die Verquickung mit dem Erschließungsbeitrag für problematisch. Insgesamt ist das doch aber in diesem Land der erste Schritt, die durch Planung und Entwicklung einem Eigentümer ohne eigene Leistung zufallenden Wertzuwächse wenigstens zum Teil in die öffentliche Hand zu überführen, dahin nämlich, wo sie herkommen.
({12})
- Den Inflationsmehrwert ganz sicher nicht, Herr Dr. Schneider. Wenn Sie zwei Grundstücke am gleichen Tage bewerten, ein unbeplantes und ein beplantes, dann werden sie nicht behaupten können, in diesem an einem Tag vorgenommenen Wertvergleich stecke ein Inflationsmehrwert.
({13})
Ich komme noch darauf, wer hier die Inflationsentwicklung besteuern möchte.
Über Ihren steuerrechtlichen Vorschlag haben wir uns sehr wohl unterhalten. Wir haben uns damit gründlich auseinandergesetzt. Uns stört die jahrzehntelange steuerrechtliche Privilegierung des Bodeneigentums.
({14})
- Privilegierung heißt, daß das Bodeneigentum gegenüber anderen Eigentumsformen über Jahrzehnte hinweg unterbewertet ist. Ich kann Ihnen das auch im einzelnen nennen: die Freibeträge bei der Veräußerung oder der § 6 b EStG, der praktisch zu einer Steuerbefreiung führt; es gibt doch Dutzende von Tatbeständen, wo diese Eigentumsform privilegiert worden ist.
({15})
- Herr Niegel, wenn Sie es mir nicht glauben, lese
ich es Ihnen aus der Denkschrift der Kirchen vor.
Dann glauben Sie es vielleicht eher. Da heißt es:
Keine wirtschaftliche Tätigkeit in diesem Land ist in solcher Weise mit Steuerprivilegien verbunden wie das bloße untätige Warten auf den Wertzuwachs von Baugrundstücken.
({16})
Wenn man Bodenreform machen will, darf man sich - so hat ein Mitglied der Bundesregierung 1972 gesagt - mit Sicherheit nicht auf die Steuerpolitik verlassen, sonst wäre man verlassen, sondern dann muß man mit einer Neuordnung unseres Bewertungsrechts anfangen.
({17})
Die ist allerdings notwendig. Da liegt ein Auftrag an unsere Steuerpolitiker, endlich dafür zu sorgen, daß wir zu zeit- und marktnahen Werten kommen. Der Änderungsantrag der Opposition - mit diesem will ich mich auseinandersetzen, Herr Dr. Schneider - betrifft nur Grundstücke, die jetzt unbebaut und unbeplant sind und die später Bauland werden. Diese große Phase der Stadterweiterung auf der grünen Wiese von der Neuen Vahr bis zum Märkischen Viertel ist doch vorbei, das kommt nicht wieder. Jetzt kommen Sie mit einem Vorschlag für eine abgeschlossene Stadtentwicklung. Der große Schnitt ist gemacht, und nun sagen Sie, das sei furchtbar, und schlagen im nachhinein vor, wie man es regeln sollte. Das, was interessant wird, die Wandlung unserer Städte, die Anpassung, die Umwandlung von einem Baurecht auf einem schon bebauten Grundstück dort, wo in den nächsten Jahren der große Schnitt gemacht werden kann und offenbar gemacht werden soll, das sparen Sie aus. Wahrscheinlich kommen Sie dann im Jahr 2000, wenn dort abkassiert ist, mit einem Vorschlag anmarschiert.
({18})
Sie haben mich in der ersten Lesung in einer Zwischenfrage, Herr Dr. Schneider, wörtlich gefragt, ob ich nicht bereit sei, zur Kenntnis zu nehmen, „daß wir bereit sind, einer Lösung zuzustimmen, die die Abschöpfung planungsbedingter Bodenwertsteigerungen vorsieht".
({19}) Das haben Sie gesagt.
({20})
- Aber Ihr Vorschlag enthält das nicht. Dazu stehen Sie; aber Ihre Führungsmannschaft hat Ihnen nicht erlaubt, hier einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen.
({21})
Sie nehmen einen Einheitswert von 1977 - so steht es in Ihrem Vorschlag - und einen fiktiven Einheitswert von 1964, und die Differenz ist die Bemessungsgrundlage. Nur, das hat überhaupt nichts mit planungsbedingten Wertsteigerungen zu tun.
I Was haben denn die beiden Jahre 1977 und 1964 mit einer einzelnen Planung zu tun?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider?
Mit Vergnügen.
Herr Kollege Conradi, sind Sie bereit zuzugeben, daß auch durch die Übergangslösung, wonach Bodenwertsteigerungen, die bis zum 1. Februar 1976 eingetreten sind, dem Wertausgleich nicht unterworfen werden, sofern für sie schon irgendwelche Planungsmaßnahmen in Gang gesetzt worden sind, jegliche bisher eingetretenen Wertsteigerungen von jeder Abschöpfung befreit sind?
({0})
Ja, natürlich! Wenn Sie eine solche Regelung für die Zukunft treffen, müssen Sie das, was gewachsen ist, schonend behandeln. Dabei schonen Sie auch ein paar Ungerechte. Aber, Herr Dr. Schneider, Sie wissen ebensogut wie ich, daß in einer Reihe von Gemeinden Baugesellschaften, auch gemeinnützige, im Zusammenwirken mit der Gemeinde Vorratspolitik betrieben haben.
({0})
Diese können Sie doch jetzt nicht bestrafen, indem Sie deren Bodenwertzuwächse voll der Abgabenregelung unterwerfen.
({1})
Im übrigen hätten Sie im Ausschuß die Möglichkeit gehabt, den Antrag zu stellen, den Stichtag weiter vorzuverlegen. Davon habe ich nichts gehört.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmöle?
Bei Ihnen, Herr Schmöle, kann ich nicht nein sagen.
Herr Kollege Conradi, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, wenn ich sage, daß es inkonsequent ist, wenn man auf der einen Seite einen Stichtag einführt und das auch begründet, auf der anderen Seite aber eine andere Stichtagsregelung sehr stark kritisiert?
Nein, in bezug auf den Endwert haben wir ja keine Stichtagsregelung vorgesehen. Worauf ich hinaus will, ist, daß Sie zwei steuerliche Einheitswerte vergleichen. Sie hätten auch die Werte von 1937 und 1980 vergleichen können; das wäre genauso willkürlich gewesen. Nun vergleiConradi
chen Sie aber die beiden steuerlichen Einheitswerte von Baugrundstücken.
({0})
d. h. Baugrundstück 1964 mit Baugrundstück 1977. Die Differenz dieser Werte, Herr Dr. Schneider, hat nun wirklich mit planungsbedingten Wertsteigerungen nichts mehr zu tun. Dies ist die reine Besteuerung einer inflationsbedingten Wertsteigerung, sonst gar nichts.
({1})
- Nein, die Konstruktion war so kühn, daß wir sie Ihnen im Ausschuß erläutern mußten. Sie kam ja aus Bayern.
({2})
Das Deutsche Volksheimstättenwerk und andere Zeugen haben in der Zwischenzeit belegt, daß wir Ihnen das richtig vorgerechnet haben. Das schlimmste ist: es bringt überhaupt nichts. Wenn wir bei einem Grundstück einen Wertzuwachs von 40 000 DM und einen Hebesatz von 300 annehmen, dann kommt bei Ihrem steuerlichen Modell eine jährliche Grundsteuermehrbelastung von 210 DM heraus. Das sind 17,50 DM im Monat. Das ist dann die Beteiligung der Gemeinde. Den Betrag müßten Sie 50 Jahre lang erheben, bis Sie auf das kämen, was wir mit dem Ausgleichsbetrag der Gemeinde bei einem Wertgewinn von 40 000 DM abschöpfen. Bei Ihnen hört diese Erhöhung der Grundsteuer dann auch in dem Augenblick auf, wo der Eigentümer das Grundstück bebaut hat. Dann ist das weg. Nun hören Sie bitte: Was soll denn das? Das ist doch nicht ernst zu nehmen. Ein Vorschlag, der 17,50 DM monatlich Mehrbelastung bei einer Wertsteigerung von 40 000 DM ohne Leistung bringt - das ist Steuerpolitik der Union, aber mit ernsthafter Bodenpolitik hat das nichts zu tun.
({3})
Schließlich sagen Sie, die Finanzverwaltung solle das bewerten. Die werden ohne Mithilfe der Gutachterausschüsse überhaupt gar nicht zu aktuellen Werten kommen. Woher denn? Sie haben doch gar keine. Wo gibt es denn eine Finanzverwaltung, die aktuelle Verkehrswerte des Bodens hat? Die werden genau da nachfragen müssen, wo wir die Bewertung hinlegen wollen, nämlich bei den ehrenamtlichen und bürgernahen Gutachterausschüssen.
Ihre Vorschläge sind nach unserer Auffassung unseriös, sie sind ungeeignet und unwirksam. Deshalb lehnen wir Ihre Änderungsanträge ab. Lassen Sie mich das mit einem Beispiel aus meinem früheren Arbeitsgebiet sagen. Wir, die Sozialdemokraten, haben ein schönes und geräumiges Haus „Bodenrecht" geplant. Wir haben einen Rohbau erstellt; in ihm sind einige Zimmer fertig. In zahlreichen Zimmern ist noch keine Heizung und kein Licht. Aber in den schon fertigen Zimmern kann man ganz komfortabel wohnen. Die anderen Zimmer werden wir
dann im Laufe der Jahre allmählich ausbauen. Im Garten ist im übrigen noch Platz für Erweiterungen.
({4})
- Wir haben die Fundamente gut isoliert! Aber Sie, Herr Dr. Jenninger, haben Pläne gezeichnet und Ankündigungen gemacht, und als es ans Bauen ging, haben Sie eine Fassade hingestellt mit aufgemalten weiß-blauen Fensterläden. Die Fenster auf der Fassade mußten Sie schwarz anmalen, damit man nicht sieht, daß dahinter gar nichts ist.
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Der Fürst Grigoriy Alexandrowitsch Potemkin hat zwar Katharina die Große 1778 täuschen können, aber ob Sie 1976, 198 Jahre später, mit dieser potemkinschen Fassade die Wähler täuschen können, daran habe ich doch große Zweifel. Im übrigen sollten Sie in den letzten Monaten gemerkt haben, daß Baufirmen, die mit solchen unseriösen Projekten gearbeitet haben, reihenweise pleite gegangen sind. Das kann Ihnen auch passieren.
Sie haben uns nun angekündigt, Sie wollten den Abgabeteil im Bundesrat herausnehmen. Damit werden Sie einmal mehr zeigen, daß sich Ihre Vorstellung vom Verhältnis Grundeigentümer gegenüber der Gemeinschaft
({6})
nach dem Prinzip der leonischen Sozietät richtet, bei der der eine, der Löwe - der Leo - den Löwenanteil - das paßt beim Bauen ja: den Baulöwenanteil - die ganzen Vorteile hat und der andere, die Gemeinschaft, die ganzen Nachteile. Sie wollen jetzt zwar Bürgerbeteiligung, Sie wollen Sozialplanung, Sie wollen alle Dinge, die gut und schön sind und der Gemeinde, den Bürgern Geld kosten, aber Sie wollen der Gemeinschaft der Bürger keinen Anteil an der von dieser Gemeinschaft hervorgerufenen und bewirkten Wertsteigerung geben.
({7})
- Doch, wenn Sie das im Bundesrat ablehnen, wird das die Konsequenz sein. Und dann gehen Sie einmal hinaus in die Kommunen und sagen Sie, wieso die CDU/CSU bei all den schönen Sachen, die der Gemeinschaft Geld kosten, zustimmt, und wieso Sie das, was der Gemeinschaft Geld bringen sollte, ablehnen. Sie unterordnen das Wohl und die Zukunft unserer Städte dem Egoismus und der Rücksichtslosigkeit.
Wir, die Koalition, haben unseren Auftrag erfüllt. Dies ist ein Schritt in die Richtung auf ein soziales Bodenrecht hin. Wir haben uns bemüht, Inhalt und Schranken des Bodeneigentums so zu bestimmen, daß seine Nutzung dem Wohl der Allgemeinheit dient. Wenn Sie das zu Fall bringen, meine Damen und Herren von der Opposition, dann sehen wir uns bei Philippi wieder, und Philippi ist dieses Jahr nicht am 1. Mai, sondern am 3. Oktober.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll das Bundesbaugesetz aus dem Jahre 1960 geändert werden. Die bisherige Debatte hat die allgemeinen bodenpolitischen Auswirkungen dieser Rechtsänderung deutlich gemacht. Ich möchte versuchen, aus agrarpolitischer Sicht die Bedeutung des Gesetzentwurfs zu unterstreichen. Auch mein Beitrag ist selbstverständlich bodenpolitischer Natur, bedeutet doch Agrarpolitik im Wortsinn nichts anderes als Bodenpolitik. Was sollte sie auch anders sein, wenn Landwirtschaft im Eigentlichen Bodennutzung ist, Boden also ihr Produktionsfaktor ist.
Diese nüchterne Feststellung, meine Damen und Herren, wird schnell zu einer politischen Aussage, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß rund 55 Vo der gesamten Wirtschaftsfläche in der Bundesrepublik Deutschland landwirtschaftlich genutzt werden - wenn Sie die forstwirtschaftliche Nutzfläche hinzurechnen, sind es sogar 85 v. H. -, wenn wir uns ferner vergegenwärtigen, daß der Vermögenswert allein der landwirtschaftlichen Nutzfläche nach dem Agrarbericht 1976 insgesamt 23,6 Milliarden DM oder rund 20 O/o des gesamten Wertes der Landwirtschaft beträgt. Wenn wir darüber hinaus berücksichtigen, daß gegenwärtig täglich rund 70 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche für städtebauliche und andere infrastrukturelle Zwecke in Anspruch genommen werden, dann ist die politische Aufmerksamkeit der Landwirtschaft gegenüber einem neuen Bodenrecht in besonderem Maße aktualisiert. Der Landwirtschaft kann es nicht gleichgültig sein, mit welchem eigentumspolitischen Grundverständnis unsere Bodenrechtsordnung ihr entgegentritt, wie es ihr in der Folge nicht gleichgültig sein kann, was man ihr im Falle des Landverlustes bei der Bemessung von Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen zubilligt.
Die Landwirtschaft hat ihre Freiheit und ihren „freien Grund" mühsam erkämpfen müssen. Anders als der französische Sozialist Proudhon 1840 behauptete, ist ihr Eigentum nicht Diebstahl. Auf der Grundlage privaten Eigentums hat die Landwirtschaft ihre großen Leistungen vollbracht und unterscheidet sich so von den Landwirtschaften des sozialistischen Auslandes.
Ich will mit diesem Hinweis weder der jakobinischen „Heiligsprechung" des Eigentums noch der nazistischen „Blut und Boden"-Mystik zu einer Renaissance verhelfen. Wenn schon das Bauernbefreiungsedikt vom 9. Oktober 1807 bestimmen konnte: „Nach dem Martinstage 1810 gibt es nur freie Leute ...", dann kann in einer freiheitlichen Demokratie freies Eigentum nicht anstößig sein.
Dabei bin ich sicher: Kein Berufsstand handelt mehr als der landwirtschaftliche aus der Verpflichtung heraus, daß unabhängig davon, wem der Boden gehört, dieser nicht aufhört, dem Nutzen aller zu dienen.
({0})
Wie könnte das unmittelbarer geschehen als durch landwirtschaftliche Nutzung des Bodens zur Versorgung unserer Bevölkerung mit Nahrungsgütern?
Nach meiner Überzeugung hängt der Erfolg einer neuen Bodenordnung auch in den städtischen Bereichen davon ab, inwieweit es gelingt, das soziale Element des Grundeigentums ohne grundsätzliche Beeinträchtigung des marktwirtschaftlichen Ordnungssystems in das Bodenrecht einzubauen. In dieses bodenpolitische Bild, meine Damen und meine Herren - ich sage das in aller Freimütigkeit -, paßt nicht die Vorstellung von einem in ein Verfügungseigentum und ein Nutzungseigentum gespaltenes Eigentum. Ich darf hier sagen, daß der Versuch, der hier über Jahre hinweg unternommen wurde, die sozialliberale Koalition so hinzustellen, als wollte sie dies im Gesetz verwirklichen, keinen Erfolg gehabt hat. Tatsache ist darüber hinaus, daß der dem Hohen Hause vorliegende Gesetzentwurf nie von einer solchen Vorstellung ausgegangen ist.
({1})
Meine Damen und meine Herren, wer nicht unglaubwürdig sein und die städtebauliche Entwicklung nicht sich selbst überlassen will, kann nicht umhin, andererseits das Instrumentarium zum Planungswertvollzug, wie es mit der Novelle zum Bundesbaugesetz eingeführt werden soll, zu bejahen. Es ist durchaus ausgewogen. Das erweist sich im speziellen Bereich des Pflanzgebots und des Nutzungsgebots, die beide die landwirtschaftliche - ({2})
- Das behaupte ich hier, Herr Kollege.
({3})
Wir haben mit dem vernünftigen Kompromiß des Gesetzes dafür gesorgt, daß auch die Praxis damit zufrieden sein kann.
({4})
Das erweist sich im speziellen Bereich des Pflanzgebotes und des Nutzungsgebotes, die beide die landwirtschaftliche Nutzung nicht beeinträchtigen dürfen.
Auch die Regelungen über das Vorkaufsrecht sind besser als ihr Ruf. Sie gehen in räumlicher und sachlicher Hinsicht weiter als das geltende Recht. Das kann niemand leugnen. So wollen es alle Programme der in diesem Haus vertretenen Parteien. Es haben deshalb auch alle Fraktionen den vorliegenden Regelungen in den Ausschußberatungen. zugestimmt.
({5})
Ich glaube, wir brauchen uns da auch nicht durch eine große deutsche Tageszeitung beirren lassen, die es einem baden-württembergischen Landes! beamten in ihrer gestrigen Ausgabe gestattete, uns
allesamt hier mit Kommunalisierungsgelüsten in Verbindung zu bringen.
Meine Damen und Herren, wer wie ich gegenwärtig im Wahlkampf steht - wenn auch nicht hier, sondern in Baden-Württemberg -, erlebt da so einiges an Scheinheiligkeit. Es wäre manchmal sicher ehrlicher, zuzugeben, daß man im Grunde von Ihrer Seite, von der Seite der Opposition, gar keine Gesetzesnovelle will,
({6})
als ausgewogene Lösungen nur um der Kritik willen zu kritisieren. Das haben Ihre Beiträge heute hier bewiesen.
({7})
Ich sage das auch im Hinblick auf den gemeinhin mit Planungswertausgleich überschriebenen abgabenrechtlichen Teil des Gesetzentwurfs. Man mag zu dieser Regelung stehen, wie man will,
({8})
aber mit ihr ein eigentumspolitisches Süppchen zu kochen, kann einfach nicht angehen. Es müßte längst selbst Böswillige nachdenklich stimmen, daß die von meiner Fraktion erreichte sogenannte 50-Prozent-Lösung von den Grundeigentümern und auch von deren Interessenverbänden politisch so gut wie nicht mehr in Frage gestellt wird. Ich gebe zu: Zu diesem Kompromiß kamen wir erst nach zähem Ringen mit der SPD-Fraktion. Aber er war in einer sozialliberalen Koalition immerhin möglich.
({9})
Lassen Sie mich für die Landwirtschaft als wichtiges Detail hinzufügen, daß die nach dem Zweiten Steueränderungsgesetz 1971 bis zum 31. Dezember des vergangenen Jahres festgestellten Teilwerte von jeder Abschöpfung unberührt bleiben. Daran gibt es trotz hier und da anderslautender Behauptungen gar keinen Zweifel.
({10})
An diesem Punkt möchte ich die Ausführungen von Herrn Schmöle kurz noch einmal in den Raum stellen, die ich so verstanden habe, daß er die Überleitungsvorschriften, wonach keine Abschöpfung vor dem 1. Februar erfolgt, von dieser Stelle aus kritisiert hat. Ich frage mich: Warum?
Sie treiben hier Politik nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" einerseits, und auf der anderen Seite haben Sie für die sozialliberale Koalition Wechselbäder, indem daß Sie auf der einen Seite gegen Spekulationen sind, aber auf der anderen Seite alle unsere Bemühungen, die wir in den Gesetzentwurf in bezug auf das Eigentum hineingelegt haben, in Frage stellen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmöle?.
Ja.
Herr Kollege Gallus, sind Sie bereit, mir zuzugeben, daß ich gesagt habe,
unsere Vorschläge würden sofort greifen, anders als die Vorschläge, die im Regierungsentwurf stehen?
Ja, ich komme gleich noch zu Ihren Vorschlägen. Die sind erst durch die Ausführungen des Herrn Schneider so recht deutlich geworden.
Ich kann Ihnen nur sagen: Sie müssen in diese Gesamtüberlegungen auch die Gültigkeit der höheren Teilwerte des Einkommensteueränderungsgesetzes vom 1. Januar 1971 mit einbeziehen. Wenn Sie das tun, sind die Vorschläge, die Sie, Herr Schmöle, und auch der Herr Schneider gemacht haben, wesentlich schlechter als das, was im Gesetz steht.
({0})
Das muß man sich einmal ganz deutlich vergegenwärtigen. Aber, meine Herren Kollegen von der Opposition, ich gebe Ihnen immerhin zu, daß zumindest die Zeiten wie vor vier Jahren vorbei sind, wo Sie im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg mit einem Flugblatt durch die Lande gezogen sind, das an sämtliche Haus-, Grundstücks- und Schrebergartenbesitzer gerichtet war und auf dem es hieß: Das Eigentum ist in Gefahr, wenn Ihr die Sozialliberalen wählt. Heute haben Sie hier endlich nach einer vierjährigen Diskussion zugegeben, daß es nicht mehr um das Ob der Abschöpfung der Wertsteigerung geht, sondern nur noch um das Wie. Das - dies gestehe ich Ihnen zu - ist zumindest ein Fortschritt. Sie haben jahrelang gebraucht, um das überhaupt zu erkennen.
({1})
Nur habe ich einige Fragezeichen an die Ausführungen des Herrn Innenministers Merk im „Beamtenheimstättenwerk" vor einem Jahr anzufügen, wo er sich eindeutig - wenn ich den Artikel richtig lese - nicht nur für den Planungswertausgleich, sondern gleichzeitig für eine steuerrechtliche Lösung ausgesprochen hat, für eine Zangenbewegung, wo das Eigentum wesentlich schlechter wegkommt, als das jetzt im Gesetz festgelegt ist. Anders kann ich diesen Artikel nicht mehr verstehen.
({2})
-- Herr Schneider, wenn Sie heute hier erklärt haben, daß das, was Sie auf dem CSU-Parteitag vor zwei oder drei Jahren beschlossen haben, falsch gewesen ist,
({3})
dann kann ich Ihnen nur sagen, daß das, was Sie jetzt in der bewertungsrechtlichen Lösung vorgeschlagen haben, zumindest bei der FDP-Fraktion erhebliche Fragezeichen aufwirft
({4})
- nein! - in der Hinsicht, daß Ihr Vorschlag durchaus in die Richtung weist, daß wir bei der Einheitsbewertung über kurz oder lang vom Ertragswert15864
prinzip zum Zeitwertprinzip überzugehen haben. Da bin ich einmal gespannt, was die einzelnen Organisationen und die Bürger, die davon betroffen sind, dazu zu sagen haben. Nicht umsonst ist Ihr Vorschlag, den Sie heute hier auf den Tisch legen, von großen Organisationen abgelehnt worden.
({5})
- Ich darf weitermachen.
({6})
- Da sehen Sie, wie kulant ich Herrn Schneider gegenüber bin.
({7})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf zwei Bereiche etwas näher eingehen. Ich denke an die Regelungen in § 35 zum Bauen im Außenbereich und an die Vorschriften im Teil VII a über den Zusammenhang von städtebaulichen Maßnahmen und Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur.
({8})
Die Zulässigkeit von baulichen Vorhaben im Außenbereich ist im geltenden Recht unzureichend geregelt. Die entsprechenden Vorschriften in § 35 des Bundesbaugesetzes tragen dem Strukturwandel in der Landwirtschaft keine Rechnung. Der Strukturwandel hat dazu geführt, daß die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe ständig zurückgeht. Dieser Rückgang wird sich, wenn auch verlangsamt, weiter fortsetzen, wobei ich insoweit auf die Agrarberichte der Bundesregierung verweisen möchte. Der dort aufgezeigte weitere Strukturwandel läßt aber auch das Ausmaß des Problems erkennen, das sich ergibt, wenn für bauliche Maßnahmen an Wohn- und Wirtschaftsgebäuden der auslaufenden Betriebe nicht mehr privilegierende Voraussetzungen des § 35 des Bundesbaugesetzes in Anspruch genommen werden können. Es sollte unser aller Anliegen sein, hier zu einer erträglichen Lösung beizutragen, weil sich sonst negative soziale Auswirkungen und auch volkswirtschaftliche Schäden nicht vermeiden lassen.
Die strukturpolitischen Überlegungen der Bundesregierung zur Verbesserung der Einkommenssituation der Landwirtschaft gehen von einer Verringerung des Arbeitskräfteeinsatzes aus. Wachsende landwirtschaftliche Produktivität und steigende Wertschöpfung sollen erreicht und die Arbeitskräfte ohne ausreichendes landwirtschaftliches Einkommen veranlaßt werden, sich nach einer anderen Erwerbsmöglichkeit umzusehen. Die Bundesregierung fördert diesen Berufswechsel durch eine Reihe von agrarsozialen Maßnahmen. Aus verständlichen Gründen legen die aus der Landwirtschaft ausscheidenden Personen Wert darauf, ihren gewohnten Lebensraum beizubehalten. Werden aber bauliche Maßnahmen zur Bestandserhaltung und sonstigen Maßnahmen zur wirtschaftlichen Nutzung der Gebäude unmöglich gemacht oder erheblich erschwert, so werden all jene Landwirte abgeschreckt, die sich mit dem Gedanken eines Berufswechsels tragen. Sie müssen einen Eigentumsverlust befürchten, weil dem Verlust ihrer Altgebäude eine gleichwertige Eigentumsbildung nicht gegenübersteht. Es treten raumordnungs- und bodenpolitische Gründe hinzu, die es geraten erscheinen ließen, die ehemals landwirtschaftliche Bevölkerung auf dem Lande zu halten, weil andernfalls die ländlichen Gebiete weiter unnötig entvölkert und in den städtischen Räumen der Grundstücksmarkt zusätzlich belastet würde. Die Novelle zum Bundesbaugesetz findet mit ihren Änderungen einen guten Kompromiß zwischen städtebaulichen Erfordernissen einerseits und den Bedürfnissen der ländlichen Bevölkerung andererseits.
({9})
Der Inhalt dieser Regelungen wurde bereits im einzelnen vorgetragen. Ich kann es mir ersparen, ihn zu wiederholen.
Meine Damen und Herren, bereits das Städtebauförderungsgesetz enthält in seinem 4. Teil Vorschriften über den Zusammenhang städtebaulicher Maßnahmen mit Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur. Diese Vorschriften sollen nunmehr in das allgemeine Baurecht übernommen werden. Die mit ihnen verbundene Rechtsentwicklung wird von meiner Fraktion und mir sehr begrüßt.
Vor wenigen Wochen haben wir schon das mit der Novelle zum Flurbereinigungsgesetz uns von der Bundesregierung unter Federführung von Bundeslandwirtschaftsminister Ertl vorgelegte neue ländliche Bodenordnungsrecht verabschiedet. Alle Fraktionen waren sich bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs einig, daß künftig die Entwicklung ländlicher Räume nicht vernachlässigt werden dürfe und der sogenannten passiven Sanierung entgegengewirkt werden müsse.
Mit dem Teil VII a der Novelle zum Bundesbaugesetz haben wir nun die harmonische Verbindung von ländlichem und städtischem Bodenrecht. Ich bin sicher, daß davon für die ländliche Raumordnung neue Impulse ausgehen.
Meine Damen und Herren, um abschließend den agrarpolitischen Aspekt meiner Ausführungen noch einmal zu betonen, möchte ich festhalten, daß die Novelle zum Bundesbaugesetz für die Landwirtschaft eine aktive und eine passive Seite hat. Auf der aktiven Seite - ich habe sie vorhin auf dem Hintergrund der §§ 35 und 144 a ff. dargestellt - ist die Landwirtschaft Begünstigte und hat deshalb keine Einwendungen. Auf der passiven Seite ist die Landwirtschaft als Bodeneigentümerin Betroffene, aber, wie ich meine, immer' unter angemessener Berücksichtigung ihrer Belange. Ich möchte es nicht versäumen, der Bundesregierung, insbesondere dem Herrn Bundeslandwirtschaftsminister für sein Bemühen und dem Herrn Bundesbauminister für sein Verständnis für die landwirtschaftlichen Belange Dank zu sagen. Desgleichen danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Jahn ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre reizvoll, auf die Aussagen des Kollegen Conradi einzugehen. Aber wir haben hier ja alle ein zeitliches Limit.
Herr Kollege Conradi, lassen Sie mich nur soviel sagen: Das Haus, das Sie bauen, ist nicht unser Haus. Peter Conradi baut nach dem Peter-PeterPrinzip und läßt dabei den privaten Grundeigentümer im Regen stehen. Peter Conradi baut ein Haus in roter Verblendung in drei Abschnitten; denn der demokratische Sozialismus kommt in Raten, nicht über Nacht, dafür aber im Frack. Dies sind die drei Stufen: erste Stufe Planungswertausgleich, zweite Stufe - die Sie hier ja auch angekündigt haben - Bodenwertzuwachssteuer, dritte Stufe Aufspaltung des Eigentums in Verfügungseigentum und Nutzungseigentum.
({0})
Diese Welt, Herr Conradi, ist nicht die Welt der CDU/CSU.
({1})
Herr Kollege Conradi, wir wollen beide eine sachgerechte Städtebaupolitik; darüber waren wir uns im Ausschuß einig. Dazu genügen unseres Erachtens verbesserte Planungsinstrumente, um die wir gerungen haben. Für eine sachgerechte Städtebaupolitik ist aber nicht unbedingt die Umschichtung unserer Eigentumsordnung notwendig. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen Ihrer und unserer Position.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir nun, auf das Verhältnis zwischen Vorkaufsrecht und Privatisierung einzugehen. Das gemeindliche Vorkaufsrecht, bisher ausschließlich als Mittel zur Sicherung der Bauleitplanung ausgerichtet, erfährt durch den vorliegenden Gesetzentwurf eine wesentliche Umgestaltung. Es soll aus seinen bisherigen engen räumlichen und sachlichen Grenzen herausgelöst und zu einem Instrument der Steuerung der gemeindlichen Bodenpolitik ausgestaltet werden.
Dies alles, meine Damen und Herren, haben wir gemeinsam beschlossen, jedoch - wie sich jetzt herausstellt - mit unterschiedlichen Zielsetzungen und mit unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Perspektiven. Koalition und Opposition sagen ja zur Privatisierung kommunalen Grund und Bodens, jedoch versteht jeder darunter etwas anderes. An der Frage, was in Zukunft mit dem Grund und Boden der Gemeinden gesehen soll, scheiden sich die Geister.
Nach Auffassung von SPD und FDP soll die Gemeinde in Wahrnehmung ihrer Veräußerungspflichten die Rechtsform wählen, in der die mit der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung verfolgten Ziele und Zwecke erreicht werden können. Da aber die Gemeinde diese Ziele und Zwecke bei der
Aufstellung des Bebauungsplans selbst bestimmt, steht es folglich in ihrem eigenen Ermessen, in welcher Rechtsform - echtes privates Eigentum, Erbbaurechte oder sonstige dingliche Rechte - sie ihrer Veräußerungspflicht nachkommen will. Das heißt, die Kriterien, an die sie gebunden ist, statuiert sie selbst. Damit kann die in § 26 und § 89 festgelegte Veräußerungspflicht gemeindlichen Grund und Bodens unterlaufen werden. Die Gemeinde hat die Möglichkeit, eine echte Privatisierung des Grund und Bodens zu umgehen. Eine solche gesetzliche Regelung ist für uns, die Union, unannehmbar.
Das ausgedehnte Vorkaufsrecht ermöglicht der Gemeinde eine weitgehende Steuerung ihrer Bodenpolitik. Steht diesem Vorkaufsrecht nicht eine wirksame Privatisierungspflicht gegenüber, ist eine Umschichtung des privaten Grundeigentums der Gemeinden unausweichlich. Dies aber steht im Widerspruch zu dem gesellschaftspolitischen Bestreben der CDU/CSU, das Eigentum an Grund und Boden im Interesse einer breiteren Streuung privaten Eigentums zu sehen. Aufgabe des erweiterten Vorkaufsrechts und der Enteignung ist es, Herr Kollege Conradi, die Verwirklichung der Planung zu erleichtern nicht aber, der Kommunalisierung von Grund und Boden Vorschub zu leisten.
Unser Änderungsantrag gibt der Gemeinde einen zwingenden Maßstab an die Hand, auf welche Art und Weise sie ihrer Veräußerungspflicht zu genügen hat. Soweit die früheren Eigentümer es wünschen - und darauf stellen wir ab -, ist für sie Grundeigentum zu übertragen oder zu verschaffen. Den Wünschen der übrigen Bürger ist in der Weise Rechnung zu tragen, daß im Rahmen des Baulandvorrats Rechten auf privates Grundeigentum zwingend der Vorzug vor der Einräumung eines Erbbaurechts oder sonstiger dinglicher Rechte zu geben ist. Unseren Bürgern soll also ein echtes Wahlrecht eingeräumt werden. Grund und Boden für den Bürger, meine Damen und Herren, und keine Eigentumskonzentration bei den Gemeinden!
({3})
Wer unseren Änderungsantrag mit der Begründung abtut, unsere Vorschläge seien zu starr und unpraktikabel - so steht es im Ausschußbericht -, weil sie den städtebaulichen Erfordernissen nicht gerecht würden, macht es sich einfach zu einfach. Auch wir sind für eine sachgerechte Städtebaupolitik. Um sie verwirklichen zu können, müssen die Planungsmöglichkeiten verbessert, nicht aber die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden monopolartig verändert werden. Wer unserem Antrag nicht zustimmt,
({4})
muß sich fragen lassen, was er eigentlich will, welches gesellschaftspolitische Ziel er hat.
Herr Kollege Wehner, Sie haben zugerufen: „Der kommt in die Hölle!" Ich persönlich möchte Ihnen einmal vorhalten, was Sie in den Wahlprogrammen Ihrer Partei immer sagen. Dann werden wir feststellen, daß dies nicht identisch ist mit dem, was die Bundesregierung von diesem Podium aus immer verkündet.
Dr. Jahn ({5})
Welches politische Ziel, Herr Kollege Gallus, in den Freiburger Thesen der FDP zum Bodeneigentum - ({6})
- Herr Kollege Gallus, die sind auch sehr auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Ich kann mir deshalb auch jeden Kommentar darüber ersparen.
Herr Kollege Wehner, im Wahlprogramm der SPD für 1972 hieß es: „Grundsätzlich darf die öffentliche Hand nicht mehr gezwungen werden, Grund und Boden zu privatisieren." Ein Beschluß des SPD-Bundesparteitages 1973 in Hannover lautete: „Für die Kommunen muß gelten, daß Boden nur in unabweisbaren Fällen verkauft werden darf. Auch hier ist die Abgabe von Nutzungseigentum grundsätzlich vorzuziehen."
Herr Kollege Wehner, zur Vorbereitung des Mannheimer Parteitags 1975 gab es Vorschläge von Herrn Koschnick für eine eigentumsrechtliche Lösung. Das Votum lautete: „Die Kommission ,Bodenrechtsreform entschied sich mehrheitlich für das Modell Verfügungs- und Nutzungseigentum nach Art. 14 Abs. 3 Grundgesetz." In dem Anschreiben des Vorsitzenden der Kommission, Herrn Koschnick, an den Parteivorstand der SPD Deutschlands vom 29. Dezember 1974 heißt es hierzu - ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit -:
Liebe Genossinnen, liebe Genossen! Die Kommission Bodenrechtsreform hat ihren Auftrag erfüllt, eine eigentumsrechtliche Lösung auf der Grundlage des Verfügungs- und Nutzungseigentums zu entwickeln. Das Ergebnis legen wir vor. Die Kommission Bodenrechtsreform ist sich bewußt, daß zur Zeit und wahrscheinlich auch in der näheren Zukunft das Thema Neuordnung der Eigentumsstruktur an Grund und Boden für städtebauliche Problembereiche politische Brisanz in sich birgt, die sich im Wahlkampf auch gegen die SPD auswirken könnte. Die Kommission war jedoch gehalten,
- so heißt es weiter den Auftrag zu erfüllen. Die Mitglieder der Kommission wissen nicht nur, daß prinzipiell größte Schwierigkeiten in zeitlicher und sachlicher Hinsicht bei einer angestrebten Realisierung schon heute erkennbar sind. Sie halten auch die politische Bewußtseinslage der Öffentlichkeit in diesem Fragenkomplex nicht für so vorbereitet, daß der politische Gegner
- das sind offensichtlich wir daraus nicht im Augenblick die alte Verteufelungsmasche reiten würde.
({7})
- Herr Kolege Wehner, wer die Papiere der SPD zitiert, wird also der Verteufelungsmasche geziehen. Herr Kollege Wehner, das erinnert in fataler Weise an die Ausführungen von Herrn Bahr, den ich ja auch heute hier sehe, als er am 24. Januar 1973 von diesem Podium aus feststellte, nach den Wahlen sei eine politische Entscheidung gefallen, die es ermöglichte, dem allgemeinen Grundsatz Rechnung zu tragen, daß, wenn möglich, in der Demokratie und in der Politik die Wahrheit gesagt werden soll. „Denn die Mehrheiten waren nicht so, daß sie zugelassen hätten, die Wahrheit zu sagen."
Aus Wahlkampfgründen durfte das Kommissionspapier also nicht beschlossen werden. Herr Kollege Wehner, der Mannheimer Bundesparteitag fand also rechts der wahren politischen Absichten statt. Das Programm des demokratischen Sozialismus blieb im Koffer. Das Transparent auf der Bühne lautete eigenartigerweise nicht „demokratischer Sozialismus", sondern „soziale Demokratie". Herr Kollege Wehner, zugegeben, Doppelstrategie in Perfektion.
Aber dann haben Sie in Mannheim das kommunalpolitische Grundsatzprogramm beschlossen und haben auch dort gesagt, daß jede Gemeinde die Entscheidung über die Nutzung ihres gesamten Bodens erhalten muß. Ob das nun durch die Aufspaltung von Verfügungs- und Nutzungseigentum oder durch ein flexibleres Erbbaurecht eingeführt werden solle, dies sei eine Frage der Praktikabilität und - so heißt es weiter - nicht zuletzt der politischen Durchsetzbarkeit.
Was bedeutet flexibleres Erbbaurecht, meine Damen und Herren? Die Antwort haben SPD und FDP uns indirekt im Ausschuß schon gegeben. Wir beantragten: Laufzeit von Erbbaurechten grundsätzlich für 99 Jahre. Die Koalition lehnte dies ab. Durch die Zulassung von kurzfristigen Erbbaurechten sollen offensichtlich die Vorstellungen der SPD über die Nutzung kommunalen Bodens schrittweise verwirklicht werden.
Wir haben den Eindruck, meine Damen und Herren, daß Sie in der Tat das Eigentum neu definieren wollen. Die Terminologie Verfügungseigentum und Nutzungseigentum täuscht einen unrichtigen Gehalt der vorgeschlagenen Rechte vor.
({8})
- Herr Kollege Immer, der Bürger draußen im Lande hat auch Anspruch, zu erfahren, was die Sozialdemokratie tun würde, wenn sie im Deutschen Bundestag die absolute Mehrheit hätte.
({9})
Verfügungseigentum ist Eigentum, nicht etwa ein bloßes Mittel zur Planung. Sie wissen selbst, Nutzungseigentum ist Nutzung fremden, nicht Nutzung eigenen Eigentums. Und wenn Sie dieses Wort gebrauchen, betreiben Sie in der Tat Etikettenschwindei, indem Sie herkömmlichen Begriffen neue Inhalte unterschieben. Wer wie Sie, meine Damen und Herren von der SPD, in städtebaulichen Problembereichen die Verfügungsgewalt vom Eigentumsbegriff abtrennen will
({10})
- ja, es tut weh, deshalb verstehe ich Ihre Zwischenrufe, aber wir dürfen uns ja mit dem lieschäftigen, was Sie im Grunde zu tun beabsichtigen - und das Eigentum in ein Verfügungseigentum der
Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Dr. Jahn ({11})
Gemeinde und in ein sogenanntes Nutzungseigentum des Bürgers zu überführen beabsichtigt, schafft insoweit das private Eigentum ab. Wer dies will, vollzieht lediglich das, was am 14. Dezember 1970 in der DDR durch das Gesetz über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken bereits geltendes Recht geworden ist.
({12})
Herr Kollege Immer, wer dies will, ist ein konsequenter Sozialist, der privates Eigentum - ({13})
- Herr Kollege Wehner, ich behaupte: Wer dies will, ist ein konsequenter Sozialist; denn privates Eigentum zeugt nun einmal keine Sozialisten, auch keine demokratischen.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Enteignung und Vorkaufsrecht dürfen nicht ein auf Vermögenserwerb durch die Gemeinde ausgerichtetes Instrument werden; sie müssen ein Mittel zur Verwirklichung öffentlicher Planungsaufgaben bleiben und gleichzeitig zu einer breiteren Streuung privaten Eigentums an Grund und Boden führen. Herr Kollege Conradi, gerade in diesem Punkt liegt der fundamentale Unterschied in unserem Verständnis von einer sachgerechten Städtebaupolitik. Wir sind der Meinung - ich wiederhole das -, daß mit einem vernünftigen Instrumentarium auf dem Gebiete des Planungsrechts alles das, was Sie wollen, im Grunde auch erfüllt werden kann. Wir sind aber nicht der Meinung, daß man zur Realisierung einer sachgerechten Städtebaupolitik eine Umstrukturierung der Eigentumsordnung nötig hat.
({15})
- Herr Kollege Conradi, wenn Sie hier sagen und wenn im Ausschuß durch Herrn Kollegen Henke bekundet wird, daß dieses Gesetz die erste Stufe eines Dreistufenplanes ist, dürfen Sie mich nicht daran hindern, auch einmal Ihre Gesamtkonzeption, die Sie der Bevölkerung vorenthalten, weil sie nicht in die politische Landschaft paßt, von diesem Podium aus kundzutun.
({16})
- Das hören sie nicht gern, aber es ist in der Tat so. In der Politik der breiten Streuung des privaten Eigentums gehen unsere Wege auseinander. Soweit ersichtlich - ich habe mir wirklich die beste Mühe gegeben - enthält kein SPD-Programm mehr ein Bekenntnis zum privaten Eigentum. Die Aussagen der von Ihnen, von der Sozialdemokratie, doch maßgeblich getragenen Bundesregierung zur Politik des Eigentums an Grund und Boden und die Parteiprogramme der SPD stimmen in dieser zentralen Frage
unserer Gesellschaftspolitik nicht überein. Was Herr Kollege Ravens häufig - das gebe ich offen zu - von diesem Pult aus sagt, ist nicht mehr identisch mit den Parteiprogrammen der SPD, soweit es um die breite Streuung des privaten Eigentums an Grund und Boden geht.
Für die CDU/CSU ist Recht auf Eigentum an Grund und Boden ein unverzichtbares Prinzip unserer freiheitlichen demokratischen Gesellschaftsordnung.
({17})
Das private Eigentum erweitert den Freiheitsraum für die persönliche Entfaltung, für die eigenverantwortliche Gestaltung und Zukunftssorge unserer Bürger. Andererseits führt die Konzentration der Verfügungsgewalt über Eigentum bei den Gemeinden zu einer Abhängigkeit des Bürgers und damit zu einer Einschränkung des individuellen Freiheitsspielraums. Privateigentum, Herr Kollege Wehner, sorgt für Machtpluralismus und vermindert eben die
Gefahr des Machtmißbrauchs.
({18})
Interessenkonflikte zwischen dem einzelnen privaten Eigentümer und der Allgemeinheit löst unsere Verfassung im Rahmen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und nur unter ganz engen gesetzlichen Voraussetzungen durch Enteignung. Diese Regelungen haben sich bewährt. Sie vereiteln sowohl die Durchsetzung extrem individualistischer als auch die Durchsetzung ideologisch-kollektivistischer Ziele.
({19})
- Herr Kollege Immer, ich wundere mich, daß Sie das Kirchenpapier immer so für sich in Anspruch nehmen. Sie haben im Grunde soeben durch Ihren Kollegen Conradi nur die eine Seite kundgetan. Herr Kollege Conradi, wenn Sie das Kirchenpapier an Ihrem Parteiprogramm messen, auch im Hinblick auf die Aufspaltung des Eigentums in Verfügungs- und Nutzungseigentum, müssen Sie auch hinzufügen, daß sich die Kirche und das Kirchenpapier in eklatanter Weise von diesem Programm distanzieren.
({20})
Herr Kollege Jahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?
Herr Kollege Dr. Jahn, können Sie mir die Frage beantworten,
({0})
ob die SPD dem Kirchenpapier in dieser Frage die gleiche Bedeutung zumißt wie bezüglich des § 218 und bezüglich des Eherechts?
Herr Kollege Niegel, ich interpretiere das dahin gehend, daß sich die SPD aus dem Kirchenpapier nur die Rosinen herauspickt und alles andere verschweigt. Das ist keine objektive Berichterstattung.
({0})
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz schützt nicht nur den Bestand, sondern auch den Erwerb privaten Eigentums. Die CDU/CSU bekennt sich zu einer breiteren Streuung privaten Eigentums an Grund und Boden. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es unseres Erachtens einer kostenneutralen Grundstückspolitik der Gemeinden. Das durch die Novelle zum Bundesbaugesetz erweiterte gemeindliche Vorkaufsrecht muß in den Dienst dieser gesellschaftspolitischen Zielsetzung gestellt werden. Die Gemeinden haben daher Grundstücke, die sie zur Verbesserung ihrer eigenen Infrastruktur nicht oder nicht mehr benötigen, unter Berücksichtigung ihrer Aufwendungen, aber ohne Gewinne zu veräußern. Diese Forderung erheben wir heute hier zu unserem Antrag. In der Praxis sollte dabei denjenigen Bauwilligen, die erstmals privates Eigentum begründen wollen, der Vorrang eingeräumt werden. Herr Kollege Wehner, dies ist breite Streuung privaten Eigentums für den einzelnen Bürger - nicht aber Machtkonzentration von Eigentum in Händen der Kommunen.
Die CDU/CSU wird sich deshalb allen Versuchen widersetzen, eine allmähliche Kommunalisierung des Bodens dadurch zu erreichen, daß die Reprivatisierungsbestimmungen aufgeweicht und schließlich ganz aufgehoben werden. Das, was Sie letztlich in Ihrem Parteiprogramm stehen haben, wird durch dieses Gesetz - das will ich ganz deutlich sagen - zwar nicht eingeführt, aber die Möglichkeit der Einführung wird durch die Formulierungen im Gesetz ausdrücklich offengehalten. Deshalb kommen wir mit einer konsequenteren Lösung, die diese Ihre Absichten durchkreuzt.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die CDU/CSU stellen Erwerbsrechte und Veräußerungspflichten der Gemeinden ein untrennbares Junktim dar. Wir stimmen daher den erweiterten Vorkaufsrechten heute nur zu, wenn Sie unseren Änderungsantrag billigen. Aus diesem Grunde beantragen wir, über unseren gesamten Änderungsantrag - Drucksache 7/4849 - abzustimmen, bevor über die Vorkaufsrechte - §§ 24 ff. - abgestimmt wird.
({2})
Wegen der gesellschaftspolitischen Bedeutung unseres Änderungsantrages beantrage ich namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion namentliche Abstimmung.
({3})
Abschließend möchte ich noch eine kleine Berichtigung anbringen. In Ziffer 1 unseres Änderungsantrages muß es heißen: „§ 26 Abs. 1 Satz 1 erhält folgende Fassung:'".
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellen diesen Änderungsantrag, weil wir ihn für die Zukunft unseres privaten Eigentums für außerordentlich wichtig und bedeutsam halten. Sie haben jetzt die Wahl zwischen zwei Wegen, die allerdings nicht zum gleichen Ziel führen, sondern die einander ausschließen. Wegen der gesellschaftspolitischen Bedeutung bekennen wir uns heute zu diesem Antrag
({4})
und möchten Ihnen sagen, daß unser Antrag ein besseres Plädoyer für die Zukunft des privaten Eigentums beinhaltet.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krockert.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eine so schöne Rede vorbereitet,
({0})
aber nach der Rede von Herrn Kollegen Jahn halte
ich sie nicht in dieser Form; es hat ja keinen Zweck.
({1})
Der Herr Kollege Jahn hat Ihnen einen Dreistufenplan des Kollegen Conradi vorgeführt, und zwar falsch. Nun führe ich Ihnen einmal den Stufenplan von Herrn Jahn vor, und zwar richtig: Erstens: Wir wollen bei dieser Gesetzgebungsarbeit im Prinzip alle dasselbe wie die sozialliberale Koalition. Zweitens: Auf den SPD-Parteitagen werden aber immer ganz schlimme Sachen - Nutzungseigentum und ähnliches - gesagt.
({2}) Drittens: Deshalb lehnen wir dieses Gesetz ab.
({3})
Sehr konsequent, sehr eindrücklich! Dagegen läßt sich in der Tat sachlich kaum noch etwas sagen.
Ein paar Dinge von denen, die ich mir vorgenommen habe, will ich Ihnen aber doch noch bieten, und zwar jetzt mit einem etwas deutlicheren Bezug auf das, was der Herr Kollege Jahn ausgeführt hat. Es wird sich dann nämlich zeigen, wie es mit dem Ausgangspunkt aussieht, den wir doch hier am Anfang der Debatte so ausführlich dargelegt bekommen haben, nämlich der grundsätzlichen Übereinstimmung in allem: daß wir das Planungsrecht verbessern müssen, daß wir die Lenkungsbefugnisse der Gemeinde verstärken müssen, natürlich auch die investitionslenkenden - denn darum geht es -,
sogar die direkt investitionslenkenden - denn um sie geht es in den Geboten -, auch die Bürgerbeteiligung und die Sozialplanung mit vollen Bakken. Sehen wir, was davon übrigbleibt, wenn es nach Ihnen geht und wenn der Herr Jahn recht hat.
Beteiligung der Bürger und soziale Belange - das sind ganz wichtige Sachen. Wir haben das seinerzeit im Städtebauförderungsgesetz zum erstenmal in das Planungsrecht eingeführt, weil wir der Auffassung waren, das Planungsrecht sei zu kopflastig, weil zu einseitig eigentums- und eigentümerorientiert: Es handelte sich nur um eine Auseinandersetzung mit Eigentümern. Man kann zwar verstehen, warum das so war. Aber es war zu einseitig; es hat die Tatsache zuwenig berücksichtigt, daß so viele andere in der Stadt herumlaufen, herumfahren, wohnen und arbeiten, ihr Geld verdienen, zur Pacht oder Miete wohnen. Diese Einseitigkeit haben wir ändern wollen. Wir haben es im Städtebauförderungsgesetz auch tatsächlich geschafft.
Die Frage ist: Werden wir es diesmal schaffen? Werden wir es mit diesem Gesetz schaffen, Bürgerbeteiligung und Sozialplanung in das allgemeine Planungsrecht zu übernehmen? Denken Sie bitte daran, weshalb selbst unter ernst zu nehmenden Gesprächspartnern immer wieder Bedenken gegen eine allzu frühe Information der Öffentlichkeit über bestimmte Planungsabsichten, gegen eine allzufrühe öffentliche Erörterung dessen, was die planende Instanz vorhat, bestehen. Dahinter steckt ja ein berechtigtes Anliegen, nämlich die Einsicht, daß es für die Spekulation und für das preistreibende Standortmonopol überhaupt nichts Günstigeres geben kann, als möglichst früh Wind von dem zu bekommen, was läuft. Das muß man schließlich berücksichtigen. Mit anderen Worten: Bürgerbeteiligung, wenn sie ernst genommen werden will, verlangt Abschöpfung von Mehrwerten,
({4})
die durch Planung und Entwicklung entstanden sind, und zwar durch ein direkt effektbezogenes Verfahren und nicht durch das, was Sie an dessen Stelle setzen möchten, was gar nichts damit zu tun hat und was auch diese Funktion nicht erfüllen kann. Nur dann, wenn Sie eine konsequente und direkt effektbezogene Abschöpfung vollziehen, wird Bürgerbeteiligung das bewirken, was sie soll, nämlich die Planung durchschaubarer machen und dem einzelnen in einer Gemeinde soweit wie möglich Anteil an den Entscheidungen geben, von denen er betroffen sein wird und die er schließlich auch zu tragen hat. Geben Sie ihm das nicht, dann ist Bürgerbeteiligung etwas anderes, nämlich der Aufruf an das interessierte Kapital, sich schleunigst auf Kosten der Allgemeinheit zu vervielfachen.
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Meine Damen und Herren, wir wagen es deshalb, Bürgerbeteiligung in das allgemeine Planungsrecht zu übernehmen, wir wagen deshalb mehr Demokratie, weil wir diese Abschöpfungsregelung gleichzeitig mit anbieten. Sonst würden wir es nicht wagen können. Auf diesem Hintergrund müssen Sie bitte
die Ausführungen des Herrn Jahn und seine drei Stufen noch etwas genauer ansehen.
Es gibt noch einen zweiten Zusammenhang. Bürgerbeteiligung und Sozialplanung kosten Geld. Das ist nicht zu vermeiden. Aber wir meinen auch, daß es vertretbar ist, daß sich auf diese Weise auch die Kostenbasis von Planung verbreitert. Das muß sein, weil Bürgerbeteiligung und Sozialplanung nach unserer Auffassung kein Luxus sind, den man sich erst dann leisten kann, wenn man dafür „Geld übrig hat", sondern weil die Beteiligung der Bürger und die Wahrnehmung ihrer sozialen Belange in den Planungsbegriff geradezu hineingehört. Um so dringlicher muß aber die Abschöpfung gerade da stattfinden, wo die Aufwendigkeit der Planung am intensivsten wird, d. h. in den bebauten und bewohnten Gebieten und nicht bloß irgendwo am Rande! Sie können also, verehrte Opposition, die Bürgerbeteiligung mit noch so aufgeblasenen Backen fordern und sich dazu bekennen, - dieses Ihr Bekenntnis ist wertlos, Sie machen die Bürgerbeteiligung im gleichen Atemzug kaputt, weil Sie ihr die Deckung verweigern. Das ist der Stand der Sache in dieser Diskussion.
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Besonders makaber wird es dann, wenn Sie ankündigen, daß Sie zu diesem Kaputtmachen und zu dieser Ablehnung, die am Ende stehen soll, wieder das Organ des Bundesrates einsetzen werden, also das Organ der Länder, wo es doch gerade die Länder sind, in deren Obhut die Gemeinden gegeben sind.
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Meine Damen und Herren, dies ist nur ein weiterer Schritt in dem Trauerspiel, dem verfassungspolitischen Trauerspiel, das wir im Augenblick auf diesem und auf anderen Gebieten erleben.
Ich komme zu der Kontroverse über die Privatisierung und Reprivatisierung. Wir sind der Auffassung, daß bei der Privatisierung und Reprivatisierung dasselbe passieren soll wie bei dem Vorgang der Aneignung durch die Gemeinden, daß nämlich beides unter der Priorität der städtebaulichen Belange stattfinden muß. Jawohl, in diesem Rahmen soll den Wünschen der Beteiligten Rechnung getragen werden und soll auch der Vorrang des vollen Grundeigentums gegeben sein. Aber bitte, sagen Sie uns doch jetzt nicht: Na schön, wenn die Gemeinde Grund und Boden erwirbt, mag das ja so sein, aber wenn sie ihn wieder herzugeben hat, sollen die städtebaulichen Belange außen vor bleiben, wir wollen den absoluten Vorrang des Wunsches nach vollem Grundeigentum. Da liegt die Differenz, und da denken wir nicht daran, aufzugeben - mit gutem Grund und mit gutem Gewissen. Die Opposition will aber nicht nur den absoluten Vorrang des Wunsches nach vollem Grundeigentum. Sie will auch, daß die Gemeinde bei dieser Prozedur, nämlich die Grundstücke wieder hergeben zu müssen, keine „Gewinne" macht.
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Meine Damen und Herren, beachten Sie doch bitte einmal, wenn Sie das in dem Antrag lesen, der da auf rotem Papier vor Ihnen liegt, welchen Klang dort im Munde der CDU/CSU das Wort „Gewinne" auf einmal bekommt. „Gewinne" : Man meint fast zu hören: „Profit" - aber nur deshalb, weil dieses Wort jetzt im Zusammenhang mit den Gemeinden auftaucht! Mit denen, meine Damen und Herren, denen das Wasser, wie jedermann weiß, bis zum Halse steht! Und weil es nicht bei denen auftaucht, die Gewinne zu machen verstehen und die das Geschäft gelernt haben, auch bei verbilligtem Boden nicht etwa die Verbilligung weiterzugeben, sondern hinterher den Gewinn, der ihnen gewährt wird, doppelt einzustreichen!
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Nein, meine Damen und Herren, wir bedanken uns für diese Konzeption, wir machen sie nicht mit, auch wenn Sie dabei mit einer Träne im Knopfloch den kleinen Mann vorschieben. Der hat es gar nicht verdient, dafür in Anspruch genommen zu werden.
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- Ich bitte um Entschuldigung, wir sind sehr spät dran, wir wollen zu Ende kommen.
Sie brauchen im Grunde, meine Damen und Herren und insbesondere Herr Kollege Jahn, diese Privatisierungsgeschichte ja nicht zu machen. Vor allen Dingen nicht auf einem so hohen Niveau, auf das Sie das jetzt hinaufgespielt haben, mit namentlicher Abstimmung und dergleichen. Herr Kollege Conradi hat mit Recht darauf hingewiesen: bei der Abschöpfungsregelung kommen Sie nicht mit namentlicher Abstimmung, aber hier soll jetzt das Schibboleth sein, der Punkt der Entscheidung, wo sich wieder einmal Eigentumsfreundlichkeit und Eigentumsfeindlichkeit unterscheiden sollen. Warum spielen Sie das so hoch? Weil Sie einen Punkt brauchen, an dem Sie Ihren Gegner
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in den Ruch der „Eigentumsfeindlichkeit" bringen, sich selber aber in den Ruf der „Eigentumsfreundlichkeit" hinaufspielen. Dies tun Sie durch provokative Forderungen mit der Spekulation auf Ablehnung. Damit behalten Sie sogar recht: Wir lehnen es in der Tat ab, aber nicht, weil wir „eigentumsfeindlich" sind! Wir wissen vielmehr, daß das Eigentum weit besser geschützt wird, wenn man es vor denen in Schutz nimmt, die es dauernd in die Rolle des Störenfriedes gegen das Gemeinwohl hineinmanövrieren wollen,
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in die Konkurrenz gegen das öffentliche Interesse. Wir sind dafür, daß ein ausgewogenes Verhältnis zwischen beiden herrscht. Deshalb sagen wir nein.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir haben das Eigentum zu schützen. Das tun wir durchaus in diesem Gesetze. Selbst die Stärkung der Lenkungsbefugnisse der Gemeinde dient diesem Ziel, das Eigentum besser vor denen zu schützen, die es durch ihren Egoismus, ihre Begehrlichkeit und ihren Starrsinn gefährden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Link.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der ideologischen Entscheidung der Koalitionsparteien SPD und FDP, den unpraktikablen, baukostenverteuernden und mietpreissteigernden Planungswertausgleich im Bundesbaugesetz zu verankern, ist untrennbar die Schaffung einer neuen Bewertungsbürokratie mit allen Folgen einer personellen und organisatorischen Aufblähung und entsprechender Kosten für die Gemeinden verbunden.
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Die dadurch aufgabenmäßig bedingte wesentliche Erweiterung einer unübersehbaren Zahl von Gutachterausschüssen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten und die Einrichtung von Obergutachterausschüssen sowie die Möglichkeit, auch bei den kreisangehörigen Gemeinden solche Gutachterausschüsse durch Rechtsverordnung der Länder einzurichten, ist der klassische Fall, wie der Bund durch eine falsche, ideologisch verbrämte Gesetzgebung den Gemeinden, Städten und Landkreisen neue hohe personelle und sachliche Kosten aufzwingt.
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Das überaus komplizierte Wertermittlungsverfahren zur Bodenwertermittlung bei ganz unterschiedlichen Tatbeständen erfordert den Aufbau einer neuen Bewertungsbürokratie von enormen AusmaBen,
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die den ohnehin in großen finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Gemeinden neue, zusätzliche Lasten durch das Bundesbaugesetz aufbürdet.
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Nimmt man die Aufgabenstellung der Gutachterausschüsse nach § 136, die vorgesehene Einrichtung von Geschäftsstellen nach § 137, dazu noch den Obergutachterausschuß nach § 137 a und insgesamt deren personelle Besetzung und sachliche Ausstattung, dann wird deutlich, welche Monsterbürokratie hier durch die linksliberale Koalition geschaffen wird.
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- Zuhören!
Die Notwendigkeit des bürokratischen Auswucherns wird noch zusätzlich deutlich, wenn man den § 143 b des vorliegenden Gesetzentwurfes mit seinen Forderungen an die Gutachterausschüsse unterLink
sucht. Danach müssen die Gemeinden, Städte und Landkreise jährlich durch ihre Gutachterausschüsse zum Ende eines jeden Kalenderjahres für das Gemein- degebiet durchschnittliche Lagewerte, sogenannte Bodenrichtwerte für den Boden, unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Entwicklungszustandes ermitteln. Dabei kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung bestimmen, daß alle zwei Jahre die Bodenrichtwerte für bestimmte Gebiete, meinetwegen Zonenrandgebiete, ermittelt werden.
Weil die graue Theorie des Planungswertausgleiches für die Sozialdemokraten so schön in ihr ideologisch fixiertes Bild paßt und die FDP, wie schon so oft in der Gesellschaftspolitik, gemeinsam mit der SPD eine falsche Weichenstellung vornimmt,
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müssen neue, hohe finanzielle Lasten zur Finanzierung dieser Bewertungsbürokratie von den Gemeinden und ihren Bürgern aufgebracht werden. Damit wird der Bürger gleich zweimal zur Kasse gebeten, einmal durch höhere Mieten als Folge des Planungswertausgleiches und zum zweiten durch zusätzliche hohe Verwaltungskosten. Theorie und Wirklichkeit, Erwartung der Koalition und Realität, stehen hier in krassem Widerspruch.
Das Ziel unserer Anträge zu den §§ 137 a bis 143 b des vorliegenden Gesetzentwurfes ist es, die Bestimmungen zum mietpreissteigernden Planungswertausgleich und seiner Ermittlung zu streichen und die damit verbundene Aufblähung der Verwaltungsbürokratie zu verhindern.
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Wir erkennen die wichtige Arbeit der Gutachterausschüsse nach dem bisher geltenden Bundesbaugesetz, deren integraler Bestandteil sie sind, an, lehnen jedoch ihre beabsichtigte strukturelle und rechtliche Änderung ab.
Wären die Koalitionsparteien dem steuerrechtlichen Lösungsvorschlag der Unionsparteien zur Abschöpfung planungsbedingter Wertsteigerungen gefolgt, so wären weder die mietpreissteigernden Folgen des Planungswertausgleichs noch die damit verbundenen Folgen einer kostspieligen Bewertungsbürokratie im Gesetz verankert worden; denn die Finanzämter würden die anfallenden Arbeiten im Rahmen ihrer steuerlichen Erfassung mit erledigen. Angesichts der gigantischen Staatsverschuldung des Bundes und der hohen Schuldenlast von Ländern und Gemeinden sowie der dringenden Forderung nach Einsparung und Rationalisierung in der öffentlichen Verwaltung lehnen wir diese neue kostspielige Mammutbürokratie ab.
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Ich bitte daher um die Zustimmung zu unseren Anträgen zu den §§ 137 a, 140, 143 und 143b auf der Drucksache 7/4848.
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Das Wort hat der Abgeordnete Polkehn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden zu später Stunde Verständnis haben, daß ich auf den Antrag der CDU/CSU, den Herr Link gerade begründet hat, nicht eingehen werde. Aus der Sicht der CDU/CSU ist er konsequent. Wir werden den Antrag auf Drucksache 7/4848 ablehnen.
Gestatten Sie mir aber, zu einem anderen Thema noch kurz einige Bemerkungen zu machen. Bei den Beratungen der Novelle zum Bundesbaugesetz hat ein Paragraph nicht nur die Fachleute, sondern in besonderem Maße unsere Bürger, vorrangig in den ländlichen Gebieten der Bundesrepublik, beschäftigt, der § 35: Bauen im Außenbereich. Viele einzelne Bürger, Gemeindevertreter, Bürgermeister und Landräte waren es, die sich engagiert haben, sei es mit Eingaben, sei es mit Hinweisen, sei es mit Bitten um Hilfe für manchen betroffenen Bauwilligen draußen im Außenbereich. Darüber hinaus sind Kollegen unseres Ausschusses auf vielen Veranstaltungen und bei Ortsbesichtigungen der ländlichen Gemeinden gewesen und haben dort die nötige Information für das von uns Vorgesehene erhalten.
Natürlich ist von den Bürgern dort draußen in der Wesermarsch, im Emsland, in der Pfalz und in anderen Gebieten der Bundesrepublik noch mehr erwartet worden als das, was wir mit dem heutigen Gesetzentwurf verbessern wollen. Aber Sinn und Ziel auch des neuen § 35 sollte und mußte es bleiben, unsere Landschaft weiterhin vor Zerstörungen, Zersiedlung und umweltschädlichen Einflüssen zu schützen, andererseits aber auch der von uns nicht gewünschten Entblößung der Fläche entgegenzutreten.
({0})
Unter Beachtung dieses Zieles haben wir nach Wegen gesucht, den Menschen, die im Außenbereich unserer Gemeinden oder Ortschaften leben und wohnen wollen, notwendige Baumaßnahmen zu erleichtern. Sie bekommen jetzt die Möglichkeit, bereits vorhandene und auch landwirtschaftlich nicht mehr genutzte Gebäude zu erhalten, zu erweitern, zu modernisieren und auch zu erneuern, wenn die Gebäude gesunden Wohnverhältnissen nicht mehr entsprechen, allerdings unter dem Verzicht auf unwirtschaftliche Aufwendungen der Gemeinden für Infrastrukturmaßnahmen.
({1})
Das ist sehr viel gegenüber dem bisherigen generellen Bauverbot im Außenbereich für nicht Privilegierte.
Ferner hat in der Diskussion um dieses Thema auch die Frage der Lückenbebauung im Außenbereich eine besondere Rolle gespielt. Da wir nicht zwei Baugesetze schaffen konnten, nämlich eins für den ländlichen und eins für den städtischen Bereich, konnte dieses Problem nicht im Detail gelöst werden. Aber in § 34 - Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile - haben wir versucht, eine praktikable Lösung zu finden. Die Gemeinde erhält hiernach die Möglichkeit, durch Satzung - nicht durch den schwierigen Bebauungsplan - die Grenzen für die im Zusammenhang bebauten Ortsteile festzulegen.
In diesen Grenzen können dann auch die Baulücken mit einbezogen werden. Die Satzung bedarf allerdings der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde.
Zu diesem Punkt, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Ausführungen machen. Auch nach der Verabschiedung der Novelle wird es im Bereich des Bauens -
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um etwas Aufmerksamkeit für den Redner.
Auch nach der Verabschiedung der Novelle wird es im Bereich des Bauens im Außenbereich Grenz- und damit Härtefälle geben, die nur durch die Genehmigungsbehörden gelöst werden können. Ich erlaube mir daher, von dieser Stelle aus an die höheren Verwaltungsbehörden zu appelieren, die Möglichkeiten der hier angesprochenen §§ 34 und 35 der Novelle zum Wohle der betroffenen Bürger,
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die gerne im Außenbereich wohnen und ihre Wohnverhältnisse verbessern wollen, weitgehend auszuschöpfen, damit hier eine erneute Landflucht vermieden werden kann.
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Der Bürger selbst, meine Damen und Herren, kommt mit den komplizierten Paragraphen unserer Gesetze so und so nicht zurecht. Dies zu beklagen ist müßig, wenn ich persönlich auch meine, wir könnten Gesetze etwas einfacher, verständlicher und damit vielleicht auch etwas menschlicher gestalten.
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Denn letzten Endes machen wir ja Politik und damit auch Gesetze für den Menschen. Er sollte stets im Vordergrund unseres Wirkens und Handelns stehen.
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Beim § 35 - Bauen im Außenbereich - haben wir uns bemüht, dies in besonderem Maße zu beherzigen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Niegel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihre Geduld nicht übermäßig strapazieren, möchte aber noch einiges sagen. Zum Bauen im Außenbereich, zu allgemeinen Fragen und zum abgaberechtlichen Teil ist noch einiges anzumerken.
Zu Recht wurde - um zum Außenbereich etwas zu sagen - bei den Beratungen zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbaugesetzes eine Neufassung des § 35 in die Überlegungen mit einbezogen. Die Zulässigkeit von baulichen Vorhaben im Außenbereich ist im geltenden Recht nur unzureichend geregelt.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Aufmerksamkeit für den Redner.
An der jetzt besseren Regelung, meine Damen und Herren, haben wir von der CDU/CSU einen entsprechend großen Anteil. So konnten erreicht werden: erweiterte Möglichkeiten zur Nutzungsänderung, bauliche Erweiterung oder Ersatzbauten und nachträgliche Errichtung von Altenteilerhäusern. Gerade das Bauen im Außenbereich wird derzeit oft erschwert. Es ist zu hoffen, daß diese Regelung künftig eine gewisse Erleichterung bringen wird.
Häufig wird gerade in der Öffentlichkeit - das möchte ich mit allen Ernst sagen - auch und gerade von Ideologen der Vorwurf erhoben, Bauen im Außenbereich nach § 35 des Bundesbaugesetzes bringe eine Zersiedelung der Landschaft. Man muß auch hier, meine Damen und Herren, die Kirche im Dorf lassen.
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Es geht hier doch im wesentlichen um die Landwirtschaft. In den meisten Fällen wird gerade durch die Siedlung im Außenbereich durch die Landwirtschaft die Erhaltung der Kulturlandschaft gefördert.
Ich wehre mich aber entschieden gegen eine doppelte Moral: Wenn es um Grundsteuereinnahmen und um Gewerbesteuereinnahmen geht, ist jede Teer- oder Zementanlage im Außenbereich recht. Wenn es aber um die Landwirtschaft geht, wird das Bauen verhindert.
Noch eine Perspektive zur doppelten Moral: Wo sind die, die vor einer Zersiedlung der Landschaft warnen, wenn es - und ich sage das mit allem Ernst - um die Verschandelung eines Stadtbildes geht? Wo wird vor dem „Verbetonieren" der Städte gewarnt? Wo wird der Bau von Hochhäusern verhindert, die die Stadtlandschaft zerstören und die Wohn- und Lebensweise der Menschen negativ beeinflussen? Das haben doch letztlich die Gemeinden, die Baubehörden und die Architekten in der Hand.
Man muß sich dabei fragen, ob es zur Verbesserung der Lebensqualität gehört, daß die „moderne Stadt" zu einer Ansammlung von „Betonhochsilos für aufrechtgehende Nutztiere" wird.
An der jetzt vorgesehenen Regelung des § 35, Bauen im Außenbereich, ist aber auch eine deutliche Kritik anzubringen, und zwar an § 35 Abs. 1 Nr. 1 a Buchstabe d. Die Errichtung eines Altenteilerhauses wird außer von den bereits eingebauten Voraussetzungen davon abhängig gemacht, daß rechtlich gesichert ist, daß die Fläche, auf der das Altenteilerhaus errichtet werden soll, nicht ohne das Hofgrundstück veräußert wird. Dies ist - und das sage ich mit allem Ernst - in materieller und formeller Hinsicht sinnwidrig. Es ist formell sinnwidrig, weil die Begriffe Altenteilerhaus und Hofgrundstück bei einem aufgegebenen Betrieb nicht mehr passen, da der zugrunde liegende Sachverhalt zu einem Zeitpunkt gegeben ist, in dem der landwirtschaftliche Betrieb bereits aufgegeben wurde. Materiell vermag es nicht einzuleuchten, daß ein
Altenteilerhaus das rechtliche Schicksal des Hofgrundstücks auch dann teilen soll, wenn der landwirtschaftliche Betrieb bereits aufgegeben wurde. Diese Kritik, die sich darauf bezieht, daß ein Altenteilerhaus das rechtliche Schicksal des Hofgrundstücks auch dann teilen soll, wenn der landwirtschaftliche Betrieb aufgegeben wurde, kommt nicht nur von mir. Sie kommt auch vom Ernährungsausschuß - ich erinnere an einen einstimmigen Beschluß -, vom Ernährungsministerium, aber auch von den kommunalen Spitzenverbänden.
Wegen der Aussichtslosigkeit - ich möchte das in diesem Hause besonders betonen; ich bedauere das - stelle ich jetzt keinen Antrag auf Streichung der entsprechenden Stelle. Ich möchte aber die Vertreter im Bundesrat bitten, diese Vorschrift nochmals kritisch zu prüfen.
Ebenfalls bitte ich, die Vorschrift des § 35 Abs. 1 Nr. 1 a Buchstabe b zu prüfen, wo die Voraussetzung gemacht wird, daß im Übergabevertrag die Errichtung eines Altenteilerhauses vereinbart worden ist. Dies fördert doch geradezu die Errichtung von solchen Häusern, da bei den notariellen Übergabeverträgen eine diesbezügliche Beratung obligatorisch wäre, mit der Folge, daß dies automatisch vereinbart wird.
Meine Damen und Herren, ein Zweites darf ich zur vorgerückten Stunde noch anmerken. Die Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs, der weitreichende Möglichkeiten des Eingriffs der öffentlichen Hand in das private Grundeigentum enthält, stellt uns vor die grundsätzliche Frage, welche Bedeutung und Rangordnung dem privaten Eigentum und damit auch dem privaten Eigentum nach unserer Verfassungsordnung beizumessen ist. Ich möchte dazu keine weiteren Ausführungen machen,
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da mein Kollege Jahn das umfassend dargelegt hat.
Aber eines möchte ich sagen: Bei allen politischen Eingriffen hat sich der Gesetzgeber bewußt zu sein, daß nach Art. 14 des Grundgesetzes die Wahrung des Bestandes des Eigentums in seiner konkreten Gestalt im Mittelpunkt steht. Ein enteignender Eingriff ist daher allein gerechtfertigt, wenn das Wohl der Allgemeinheit ihn erfordert und der Zweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann.
Ich möchte noch ein Wort zu den sogenannten Verwirklichungsgeboten der sogenannten 39er Gruppe sagen. Der Gesetzentwurf überträgt die Verwirklichungsgebote aus dem als Sonderrecht geschaffenen Städtebauförderungsgesetz in das allgemeine Baurecht. Über die Gebote des Städtebauförderungsgesetzes hinaus werden noch Instandsetzungs-, Nutzungs- und Pflanzgebot eingeführt. Abgesehen von dem verwaltungsstaatlichen Denken, das in den Verbots- und Gebotskatalogen zum Ausdruck kommt, ist noch folgendes zu bemerken: Beim Abbruch-, Bau- und Nutzungsgebot handelt es sich um Eingriffe mit enteignendem Charakter. Folglich muß bei ihrer Anordnung auch der eng auszulegende Tatbestand des Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes
erfüllt sein, nach dem eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist.
Meine Damen und Herren, man könnte zu dem Problem, ob Enteignung zum allgemeinen Wohl, ob Enteignung im öffentlichen Interesse oder aus städtebaulichen Gründen, natürlich noch einige Ausführungen machen. Aber das scheint mir derzeit nicht mehr zweckmäßig zu sein.
Aber eines sollte man zum Schluß noch zum abgaberechtlichen Teil sagen. Wenn man zunächst einmal einen Planungswertausgleich einführen wollte, der dann zu einem Entwicklungsausgleich geworden ist, dann muß man sagen, daß dem elf Punkte entgegenstehen.
Erstens ist in rechtlicher Hinsicht zu vermerken,
daß die Regelung des Planungswertausgleiches wegen des Fehlens der für eine Abgabenvorschrift erforderlichen Bestimmtheit nach Art. 20 des Grundgesetzes nicht der erforderlichen Bestimmtheit entspricht.
Zweitens. Auch in der neu redigierten Fassung dieser Vorlage bleiben die Bedenken weiterhin bestehen, da für den einzelnen Grundeigentümer unbekannt ist, ob eine Ausgleichspflicht besteht und gegebenenfalls in welcher Höhe. Für die Wohnungsbaufinanzierung ist dies von entscheidender Bedeutung.
Drittens gibt es Bedenken wegen Beleihungsschwierigkeiten. Die Banken werden im Hinblick darauf, daß der Planungswert- oder Entwicklungswertausgleich im Rang vorher kommt und man nicht weiß, ob und in welcher Höhe der Ausgleich anfällt, nicht beleihen oder nur in geringerem Maße auszahlen.
Viertens. Gegen die Ausgleichsabgabe sind ferner verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie des Art. 14 des Grundgesetzes geltend zu machen; Stichwort Erdrosselungsabgabe.
Fünftens. Gegen den Planungswertausgleich spricht weiterhin seine mangelnde Praktikabilität. Ich erinnere an die schwierigen Probleme der Wertermittlung.
Sechstens. Die Ausgleichsabgabe dürfte darüber hinaus in der Praxis zu einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand führen.
Siebtens. Wegen der vielen mit der Ausgleichsabgabe verbundenen Schwierigkeiten ist damit zu rechnen, daß sie eine große Zahl von Rechtsschwierigkeiten und -streitigkeiten zur Folge haben wird mit der Folge der Belastung der Gerichte, der Verwaltung und der betroffenen Bürger.
Achtens sind bei der Abgabe eine Reihe von Nebenwirkungen zu erwarten. Ich möchte darauf hinweisen, daß es nicht auszuschließen ist, daß sie insbesondere die Bezieher kleinerer Einkommen trifft, da diese gezwungen sein werden, ihr Grundstück zu veräußern.
Neuntens möchte ich ein Wort zur Überwälzbarkeit, zur Verlagerung der Abgabe sagen. Die Ge15874
fahr, daß die Abgabe den trifft, dem die Wertsteigerung des Grundstückes nicht zugeflossen ist, ist auch nach der Neufassung des § 135 g keineswegs ausgeschlossen. Die Annahme, daß in diesen Fällen der Kaufpreis reduziert wird, ist unrealistisch, da nicht feststeht, ob Ausgleichsbeträge anfallen und, wenn ja, in welcher Höhe.
Zehntes. Die Verbilligung des Baubodens für die Bauwilligen wird nicht erreicht, sondern legt diesen zusätzliche Kosten auf. Dieses Gesetz ist ein Gesetz zur Verteuerung des Baulandes.
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Elftens. Der Ausgleich wirkt sich vor allem allein zugunsten großer Gemeinden in Ballungsgebieten aus, während kleinere Gemeinden, in denen die Wertsteigerungen gering bleiben, leer ausgehen.
Aus alledem, meine Damen und Herren, ergibt sich, daß der Planungs- oder Entwicklungswertausgleich als bodenrechtliches Instrumentarium ungeeignet ist.
Die Novelle zum Bundesbaugesetz bringt nicht das, was von Regierung, von SPD- und FDP-Fraktion einst versprochen wurde, nämlich mehr soziale Gerechtigkeit auf dem Bodenmarkt, Dämpfung der Grundstückspreise und mehr Bauplätze für die vielen Eigenheiminteressenten.
Aus diesen Gründen können wir dieser Novelle nach meiner Meinung nicht zustimmen.
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Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung.
Ich rufe Art. 1 auf. Zu Nr. 1 bis 21 liegen keine Änderungsanträge vor, so daß ich jetzt darüber abstimmen lassen kann. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Art. 1 Nr. 22. Ich darf bemerken, daß nach § 81 der Geschäftsordnung nur Änderungsanträge gelten, die schriftlich gestellt sind. Schriftlich gestellt sind die Anträge Drucksachen 7/4848, 4849 und 4850. Zu Nr. 22 liegt der Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4849 vor. Gemäß Antrag der Fraktion soll über den Gesamtantrag gemeinsam namentlich abgestimmt werden. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß am Ende der dritten Lesung bei der Schlußabstimmung mit einer namentlichen Abstimmung zu rechnen ist. Der Antrag wird von der sozialdemokratischen Fraktion gestellt.
Nunmehr frage ich zu der namentlichen Abstimmung, in der wir uns gegenwärtig befinden: Ist noch jemand, der stimmberechtigt ist, im Saal, der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4849 bekannt. An der Abstimmung haben sich 390 uneingeschränkt stimmberechtigte und 18 Berliner Abgeordnete beteiligt. Von den uneingeschränkt stimmberechtigten Abgeordneten haben mit Ja gestimmt 168, von den Berliner Abgeordneten 6, mit Nein 222 bzw. 12 Abgeordnete. Enthalten hat sich niemand.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 390 und 18 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 168 und 6 Berliner Abgeordnete,
nein: 222 und 12 Berliner Abgeordnete
Ja CDU/CSU
Alber
von Alten-Nordheim
Dr. Althammer
Dr. Arnold Baier
Dr. Barzel Dr. Becker
({0})
Frau Benedix Benz
Bewerunge Biechele
Biehle
Dr. Blüm
von Bockelberg
Braun
Breidbach Bremer
Burger
Carstens ({1})
Dr. Carstens ({2})
van Delden Dreyer
Eigen
Erhard ({3}) Ernesti
Dr. Evers
Dr. Eyrich
Franke ({4})
Dr. Franz
Dr. Fuchs
Frau Geier Geisenhofer Gerlach ({5})
Gerster ({6})
Gewandt
Gierenstein Dr. Gölter Dr. Götz
Haase ({7})
Dr. Hammans Handlos
von Hassel
Hauser ({8}) Dr. Hauser ({9})
Dr. Heck
Höcherl
Hösl
Dr. Hornhues
Horstmeier Frau Hürland
Dr. Hupka Dr. Jaeger Jäger ({10})
Dr. Jahn ({11})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst Josten
Dr. Kempfler
Kiechle
Dr. Klein ({12})
Dr. Klein ({13})
Dr. Kliesing
Dr. Köhler ({14})
Dr. Köhler ({15}) Köster
Krampe
Dr. Kraske Dr. Kreile Freiherr
von Kühlmann-Stumm
Dr. Kunz ({16}) Lagershausen
Lampersbach
Lemmrich
Dr. Lenz ({17})
Lenzer
Löher
Dr. Luda
Dr. Marx
Maucher
Dr. Mende Mick
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Möller ({18})
Dr. Müller ({19})
Müller ({20})
Dr. Narjes
Frau Dr. Neumeister
Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt Pfeffermann
Pfeifer
Picard
Pohlmann Rainer
Rawe
Reddemann
Frau Dr. Riede ({21}) Dr. Riedl ({22})
Dr. Ritgen Dr. Ritz
Vizepräsident Dr. Jaeger
Röhner Rommerskirchen
Sauer ({23})
Sauter ({24})
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Dr. Schäuble
Schetter
Frau Schleicher Schmidhuber
Schmidt ({25}) Schmitt ({26}) Schmitz ({27}) Schmöle
Frau Schroeder ({28}) Dr. Schröder ({29}) Schröder ({30}) Schröder ({31}) Schulte
({32}) Seiters
Sick
Solke
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({33})
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Frau Stommel
Stücklen Susset
de Terra Thürk
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar
Frau Verhülsdonk
Volmer
Dr. Waigel
Wawrzik
Weber ({34}) Werner
Frau Will-Feld
Windelen
Wissebach
Dr. Wittmann ({35}) Frau Dr. Wolf
Dr. Wulff
Zeyer
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Frau Berger ({36}) Dr. Gradl
Müller ({37})
Frau Pieser
Straßmeir
Nein SPD
Dr. Ahrens
Amling Anbuhl Arendt ({38})
Dr. Arndt ({39})
Augstein
Baack Bahr
Barche
Dr. Bardens
Batz
Becker ({40}) Biermann
Dr. Böhme ({41}) Börner
Frau von Bothmer Brandt
Brandt ({42}) Buchstaller
Büchler ({43})
Büchner ({44})
Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Conradi Coppik
Frau Dr. Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland
Dr. Ehmke
Frau Eilers ({45}) Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Engholm
Esters Ewen
Fiebig
Dr. Fischer
Frau Dr. Focke
Franke ({46}) Gansel
Geiger
Gerstl ({47})
Gertzen
Dr. Geßner
Glombig
Dr. Glotz
Gnädinger
Grobecker
Grunenberg
Dr. Haack
Haase ({48})
Haase ({49}) Haehser
Dr. Haenschke Halfmeier
Hansen Hauck Dr. Hauff
Henke Herold Höhmann
Hofmann
Dr. Holtz
Horn
Huonker
Immer ({50}) Jahn ({51}) Jaschke
Jaunich Dr. Jens
Junghans
Junker Kaffka Kater Kern
Koblitz Konrad Kratz
Dr. Kreutzmann Krockert
Kulawig
Lambinus
Lattmann
Dr. Lauritzen
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius
_ Liedtke Löbbert Lutz
Mahne Marquardt
Marschall
Frau Meermann
Dr. Meinecke ({52}) Meinike ({53}) Metzger
Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({54})
Müller ({55})
Müller ({56}) Müller ({57})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Neumann
Dr.-Ing. Oetting
Frau Dr. Orth
Freiherr
Ostman von der Leye Peiter
Dr. Penner
Pensky Peter
Rapp ({58})
Rappe ({59}) Ravens
Frau Dr. Rehlen
Reiser
Frau Renger Reuschenbach
Richter
Frau Dr. Riedel-Martiny Röhlig
Rohde Rosenthal
Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel Schäfer ({60})
Dr. Schäfer ({61}) Scheffler
Scheu
Frau Schimschok Schirmer
Schlaga Schluckebier
Dr. Schmidt ({62}) Schmidt ({63}) Schmidt ({64}) Schmidt ({65})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schreiber
Schulte ({66})
Dr. Schwencke ({67}) Dr. Schwenk ({68}) Simon
Dr. Sperling
Spillecke
Stahl ({69})
Frau Steinhauer
Suck
Sund
Tietjen
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vahlberg
Vit
Dr. Vogel ({70}) Vogelsang
Walther
Dr. Weber ({71}) Wehner
Wende Wendt
Dr. Wernitz
Westphal
Wiefel Wilhelm
Wimmer ({72}) Wischnewski
Dr. de With
Wittmann ({73}) Wolf
Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Dübber
Egert
Grimming
Frau Grützmann
Löffler
Männing Mattick Dr. Schellenberg
Frau Schlei
Schwedler Sieglerschmidt
FDP
Baum
Dr. Böger Engelhard Frau Funcke
Geldner Hölscher Hoffie
Jung
Kirst
Kleinert
Dr. Kreibaum
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Logemann
Frau Lüdemann
Mertes ({74}) Mischnick
Opitz
Peters ({75}) Schleifenbaum
Schmidt ({76}) von Schoeler Spitzmüller
Dr. Vohrer
Wolfgramm ({77}) Wurbs
Zywietz
Fraktionslos Emeis
Der Antrag ist abgelehnt.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Damit lasse ich über Nr. 22 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erstere war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Nr. 23 bis 39. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zu Nr. 40 und damit zu dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, die Nr. 40 zu streichen. Gemäß der Übung des Hauses wird in zweiter Lesung über den Streichungsantrag abgestimmt, indem über die Sache selbst abgestimmt wird. Wer also für die Streichung ist, muß mit Nein stimmen. Ich lasse über Nr. 40 abstimmen. Wer der Nr. 40 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe; hier müssen also alle diejenigen Handzeichen geben, die streichen wollen. - Das erstere war die Mehrheit; die Nr. 40 ist angenommen.
Ich rufe auf die Nr. 40 a bis 43. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur Nr. 44. Der Änderungsantrag ist bereits abgelehnt. Wer Nr. 44 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit beschlossen.
Ich rufe Nr. 45 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zu Nr. 46. Hier liegt wiederum ein Streichungsantrag vor. Wie soeben stimmen wir über Nr. 46 in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe, also alle diejenigen, die streichen wollen. - Das erstere war die Mehrheit; die Ausschußfassung ist angenommen.
Ich rufe dann Nr. 47 bis 59 c auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme nunmehr zu Nr. 60 und damit wiederum zu einem Streichungsantrag. Ich lasse über Nr. 60 abstimmen. Wer der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer dagegen ist und streichen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das erstere war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Nr. 61 auf. Dazu liegen wiederum Änderungsanträge vor, und zwar auf Drucksache 7/4848. Ich frage die Fraktion der CDU/CSU, ob wir über diesen Antrag als ganzen abstimmen können. Es wird sonst viel umständlicher.
({78})
- Wir können über den Antrag als ganzen abstimmen.
Meine Damen und Herren, ich lasse also über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4848 abstimmen. Wer zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich
bitte um die Gegenprobe. Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse über Nr. 61 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Das erste war die Mehrheit.
Ich komme nunmehr zu Nr. 62 bis 67 a. Das ist der Rest des Art. 1. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Nachdem wir Art. 1 somit verabschiedet haben, kommen wir nunmehr zu Art. 2. Hierzu liegt der Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4850 unter Ziff. 2 vor, in Art. 2 die §§ 5 bis 7 anzufügen.
Ich lasse zunächst über die §§ 1 bis 4 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zu dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4850 unter Ziff. 2, die §§ 5 bis 7 anzufügen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit abgelehnt.
Damit komme ich zu den Art. 3, 4, 5 und 6 sowie Einleitung und Überschrift. - Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, die zweite Beratung ist abgeschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung
und erteile das Wort Herrn Bundesminister Ravens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen heute zur Schlußabstimmung vorliegende Entwurf der Novelle zum Bundesbaugesetz ist eines der sozialliberalen Reformvorhaben der Bundesregierung für die laufende Legislaturperiode. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes werden wir unserem Ziel einen weiteren wichtigen Schritt näherkommen, für den einzelnen Bürger in unserem Lande mehr Chancengleichheit, mehr demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten und mehr Freiheitsspielraum zu schaffen. Alle in diesem Haus vertretenen Parteien sind sich - so war mein Eindruck heute abend, jedenfalls bis zur Rede des Herrn Kollegen Jahn - grundsätzlich darin einig, daß das Bundesbaugesetz von 1960 den veränderten Problemen und Aufgaben in unseren Städten und Gemeinden angepaßt werden muß.
Diese weitgehende Übereinstimmung hat wesentlich dazu beigetragen, daß die Ausschußberatungen mit Engagement und einem hohen Maß an Sachlichkeit geführt worden sind. Dafür habe ich den Fraktionen dieses Hauses, den Mitgliedern und dem Vorsitzenden des federführenden Ausschusses, Herrn Dr. Schneider, herzlichen Dank zu sagen.
Meine Damen und Herren, wer die Entwicklung unserer Städte und Gemeinden in den vergangenen
Jahren aufmerksam verfolgt hat, wird bestätigen müssen, daß hier ein Prozeß ablief, der den anspruchsvollen Zielvorstellungen des Bundesbaugesetzes von 1960 in keiner Weise entsprach. Die Stadtentwicklung blieb trotz des Bundesbaugesetzes das Ergebnis eines freien Spiels der Kräfte. Private Einzelinteressen und Investitionsentscheidungen einiger weniger prägten häufig mehr die Entwicklung als zukunftsweisende kommunale Planungen. Die städtebauliche Planung konnte oft nur das nachvollziehen, was von einigen, von mächtigen Einzelinteressen, bereits als Datum vorgegeben war. Korrekturen waren vielfach nur noch mit unverhältnismäßig hohem Kostenaufwand möglich, so daß den Kommunen häufig gar kein anderer Ausweg blieb, als vor einer Entwicklung zu kapitulieren, die sie wegen unzureichender Instrumente einfach nicht steuern konnten. Wir alle kennen eine Fülle von Beispielen, die dann zu entsprechenden Forderungen der Kommunen an den Bundesgesetzgeber geführt haben.
Wir sind uns deshalb wohl auch darin einig, daß beim Bundesbaugesetz von 1960 trotz wichtiger Einzelregelungen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklafften. Nun ist dies sicherlich nicht allein Schuld der damaligen Bundesregierung, obwohl ihr Wohnungsbauminister Lücke als Grundziel des alten Bundesbaugesetzes die „Schaffung rechtlicher Voraussetzungen und Handhabungen für eine zukunftsweisende Wohnungsbau- und Städtebaupolitik einschließlich der notwendigen Sanierung unserer Städte und Gemeinden" herausstellte.
Festzuhalten bleibt jedoch, daß erst unter einer sozialliberalen Bundesregierung, unter Federführung von Bundesminister Lauritzen mit dem Städtebauförderungsgesetz ein entscheidender Durchbruch im Bodenrecht gelang und für räumlich und zeitlich begrenzte städtebauliche Maßnahmen das notwendige Instrumentarium, einschließlich der Abschöpfung planungsbedingter Bodenwertsteigerungen, geschaffen wurde.
Meine Damen und Herren, fünf Jahre Städtebauförderungsgesetz bedeuten fünf Jahre positive Erfahrung mit städtebaulichen Instrumenten, die nach dieser Bewährung nun in das allgemeine Baurecht übernommen werden sollen.
Ich will hier noch einmal daran erinnern und es einigen Kollegen der Union anläßlich des 100. Geburtstages von Konrad Adenauer gern in Erinnerung rufen, daß Konrad Adenauer 1920 als Oberbürgermeister von Köln
({0})
- ich wiederhole dies so oft, bis auch Sie, Herr Niegel, das endlich begriffen haben; ich weiß, daß dies lange dauert, und muß es deshalb noch oft wiederholen ({1})
gesagt hat, daß die „bodenreformerischen Fragen nach seiner Überzeugung Fragen der höchsten Sittlichkeit sind". Ich teile diese Ansicht.
Auch bei vermindertem Wachstum unserer Städte und Gemeinden bleiben die alten Probleme im Kern bestehen. In weiten Bereichen unserer Städte und Gemeinden stellen sie sich sogar verschärft. So wird auch weiterhin die Aufgabe zu lösen sein, die Lebensverhältnisse in unseren Städten und Gemeinden zu verbessern, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern und den Bürger an kommunalen Planungsaufgaben wirklich zu beteiligen. Nutzungskonflikte beim Boden dürfen nicht im Interesse einiger, sondern müssen im Interesse der Allgemeinheit sozial gerecht entschieden werden, und gefällte Entscheidungen müssen dann auch zügig umgesetzt werden können. Bodenwertsteigerungen, die allein auf Leistungen der Gemeinschaft beruhen, müssen für die Allgemeinheit wieder nutzbar gemacht werden. Unabhängig von einer vorübergehend möglichen Entspannung am Bodenmarkt werden unsere Städte und Gemeinden davon auszugehen haben, daß der Boden immer ein knappes Gut bleibt, dessen Nutzung sorgfältig und im Interesse der Allgemeinheit geplant werden muß.
Meine Damen und Herren, wenn wir es mit der Forderung nach menschenwürdigen Städten also ernst meinen, sind wir als Bundesgesetzgeber dazu aufgerufen, den Kommunen ein leistungsfähiges, ein differenziertes Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, damit die Nutzung des Bodens künftig nicht mehr von mächtigen Einzelinteressen bestimmt, sondern an den Bedürfnissen aller Bürger orientiert wird. Hierauf haben bereits die Kirchen in ihrem Memorandum hingewiesen, in dem es heißt:
In der Ordnung des Baubodens haben sich erhebliche Mängel herausgestellt, die einer sinnvollen Raumordnung und einem humanen Städtebau im Wege stehen. Sie führen zu einer Einengung der Gestaltungsmöglichkeiten für unsere und unserer Nachkommen künftige Umwelt. Die Zustände am Bodenmarkt verhindern optimale Standortentscheidungen und verzerren Siedlungsstrukturen in manchmal nicht zu verantwortender Weise. Sie verhindern den Eigentumsübergang zu den Stellen größten Bedarfs und fördern die Vermögenskonzentration.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung teilt diese Analyse der Kirche. Sie zieht mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hieraus auch die notwendigen Folgerungen.
Wir schaffen mit der Novelle zum Bundesbaugesetz ein verbessertes Planungsrecht der Gemeinden, das ihre Planungsbefugnisse verstärkt und die Möglichkeit zur Durchsetzung dieser Planung und Planungsentscheidungen erweitert. Das gemeindliche Vorkaufsrecht wird zu einem echten Instrument der Bodenpolitik. Nur Böswillige, Herr Kollege Jahn, können aus der hier vorgelegten Regelung den Vorwurf der Kommunalisierung des Bodens ableiten.
({2})
Die Novelle enthält dafür keinerlei Ansatz. Im
Gegenteil: Die Pflichten der Gemeinden, erworbenen Boden, der nicht für öffentliche Zwecke be15878
nötigt wird, wieder zu privatisieren, werden verschärft.
Herr Kollege Jahn, ich bin mir gar nicht sicher, ob Sie um des Aufstandes willen und um das Nein Ihrer Führungsmannschaft überhaupt zu begründen, Ihren Kollegen in der Fraktion eigentlich gesagt haben, was Sie denn im Städtebauförderungsgesetz im zweiten Durchgang hier im Bundestag mit Ihrer Stimme beschlossen haben. Ich will Ihnen das mit Genehmigung des Präsidenten vorlesen, weil das, was wir in der Novelle zum Bundesbaugesetz gefunden haben, im positiven Sinne für den einzelnen Bürger noch über die Regelung des Städtebauförderungsgesetzes hinausgeht. Es heißt im Städtebauförderungsgesetz, dem Sie zugestimmt haben:
Die Gemeinde soll die Rechtsform wählen, in der entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans der Sanierungszweck sachdienlich und wirtschaftlich erreicht werden kann. Dabei soll sie ...
Dann kommt das, was auch in der Novelle steht:
... das Grundstück oder das Recht zu dem Verkehrswert veräußern, der sich durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des Sanierungsgebiets ergibt.
Nun muß ich fragen: Herr Kollege Jahn, spricht aus Ihrem Antrag, zur namentlichen Abstimmung gestellt, nicht ein tiefes Mißtrauen gegen die von den Bürgern gewählten Vertreter in der Gemeinde, die auch Mitglieder Ihrer Fraktion sind?
({3})
Welchen Wert messen Sie eigentlich der Bürgerbeteiligung bei, wenn Sie sagen: Die Gemeinde bestimmt ohnehin, was sie mit der Planung macht und was da läuft?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmöle?
Ich möchte dies eben zu Ende führen.
Die zweite Frage, die ich Ihnen stellen muß, lautet: Herr Kollege Jahn, wo bleibt denn Ihr Bekenntnis zur Marktwirtschaft? Sie sagen, der Markt müsse auch beim Boden entscheiden; aber wir wollten abschöpfen - dies sagen Sie in Ihren Papieren auch. Aber dort, wo die Gemeinde Beteiligte bei der Reprivatisierung ist, sagen Sie, sie solle ohne Gewinn arbeiten. Nun muß ich fragen: Was soll sie denn zurechnen? Den Friedhof, den Kindergarten, die Schule, die Straße, das Gymnasium, das Schwimmbad usw.? Dies alles zusammengenommen, haben wir im Städtebauförderungsgesetz schon einmal durchdekliniert. Das alles zusammengenommen, kann unter Umständen einen viel höheren Wert ergeben als den, den der Markt aus der Einschätzung der Lage des Grundstückes hergibt. Von dort her weiß ich nicht, was marktwirtschaftliche Schwüre dann bedeuten, wenn man überall dort, wo die Gemeinden am Markt sind, dies nicht mehr gelten lassen will. Ich frage mich auch, warum das beim Städtebauförderungsgesetz gelten soll und bei der
Novelle zum Bundesbaugesetz plötzlich nicht mehr gelten darf und hier zu einem Punkt hochstilisiert wird, an dem angeblich die Eigentumsordnung in diesem Lande in Gefahr ist.
({0})
Herr Abgeordneter Schmöle zu einer Zwischenfrage.
Herr Minister, würden Sie mir nicht zustimmen, daß es sich bei den Fällen des Städtebauförderungsgesetzes um räumlich sehr begrenzte Fälle handelt, während es sich bei dieser Ausweitung in das allgemeine Städtebaurecht um eine völlig andere Situation handelt?
Herr Kollege Schmöle, auch beim Städtebauförderungsgesetz handelt es sich um die Frage, wie ein gemeinsam mit Bürgern durchexerzierter und hervorgebrachter Bebauungsplan in die Tat umgesetzt werden und wie auf der Grundlage dieses Bebauungsplans unter Zugrundelegung eines gemeinsamen Willens von Rat und Bürgern Eigentum begründet werden kann. Hier kann man ja wohl nicht sagen, wie der Herr Kollege Jahn es tut: Weil ich Eigentum an der Stelle will, darf ich auf städtebauliche Gründe keine Rücksicht nehmen. Dann muß eventuell der Kindergarten, der dort aus städtebaulichen Gründen stehen soll, verschwinden.
({0})
- Dann lassen Sie es bei der Fassung, Herr Kollege Schneider, die im Ausschuß gefunden worden ist, weil sie genau diesem Abwägegebot gerecht wird. Dies sind nämlich die städtebaulichen Gründe. Dann wollen wir den Kindergarten nicht wieder durch ein Kaufhaus vertreiben lassen, das zufälligerweise ein Privater, der Eigentum begründen will, betreibt. Wir meinen, dies sollten wir nicht.
Ich habe ein hohes Vertrauen zu den Ratsvertretern, und Herr Schmöle hat es am Beginn seiner Rede beschworen und hat nachher eine Rede voller Mißtrauen gegenüber den Ratsvertretern gehalten, als es um die Reprivatisierung ging.
({1})
Ich habe ein großes Vertrauen zu unseren Ratsvertretern, daß sie gemeinsam mit den Bürgern eine anständige Lösung im Interesse der Bürger zustande bringen.
({2})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn ({0})?
Ja. Sie dürfen es mir nur nicht auf die Zeit anrechnen, Herr Präsident.
Herr Minister, können Sie nicht unser Mißtrauen verstehen, wenn
Dr. Jahn ({0})
Ihre Partei z. B. auf dem Hannoveraner Parteitag 1973 folgendes zum Beschluß erhoben hat:
Alle Mandats- und Funktionsträger in den Gemeinden, in den Ländern und im Bund werden aufgefordert, .. .
- dann bezeichnen Sie es als den Zweck, die Grundstücksspekulation damit einzudämmen daß Grundstücke, die im Eigentum der öff ent-lichen Hand sind, an Private grundsätzlich nur in Erbbaupacht vergeben werden?
Herr Kollege Jahn, ich weiß ja, daß Sie Ihre Butzemänner brauchen. Sie könnten ja sonst keinen Wahlkampf führen.
({0})
Was soll denn das? Hier gibt es eine gesetzliche Regelung, und Sozialdemokraten haben zu Gesetz und Recht ein ungestörtes Verhältnis. Dazu haben sie sich auch in den Kommunen bekannt.
({1})
Was die Parteitagsbeschlüsse angeht, so will ich darüber gerne diskutieren. Dann würde ich auch gerne diskutieren, was aus Ihrem Eigentumsgeblase manchmal geworden ist, nämlich dort, wo die Bodenpreise dafür gesorgt haben, daß der kleine Mann nicht mehr herangekommen ist.
({2})
Mit Lippenbekenntnissen ist das nicht zu machen.
Ich will gleich noch einen Gedanken aufnehmen. Sie haben gesagt, Sie hörten so oft, daß der Bundesminister Ravens hier über Eigentum spreche. Sicherlich, Sie wollen ja auch nicht bestreiten, daß unsere Eigentumsförderung im öffentlich geförderten Wohnungsbau stark in den Vordergrund gerückt ist. Ich will Ihnen dazu sagen, dies ist die Legislaturperiode, in der in der Bundesrepublik am meisten Eigenheime gebaut wurden.
Und dann sagen Sie: Er steht nicht auf dem Boden seiner Parteiprogramme. Herr Jahn, Sie scheinen nur das zu lesen, was Ihnen Spaß macht. Hier liegt -- ich überreiche es Ihnen nachher - das wohnungspolitische Programm der Sozialdemokratischen Partei. Darin gibt es einen langen Abschnitt über die Notwendigkeit, Eigentum für viele Menschen in diesem Lande zu schaffen, und die besondere Hilfe des Staates für die Kleinen, die es ohne Hilfe des Staates nicht können. Das haben Sie nicht gelesen. Ich will es nur sagen. Ich überreiche es Ihnen nachher mit einer freundlichen Widmung und streiche Ihnen die Passagen an, damit Sie das dann für die Zukunft haben.
Meine Damen und Herren, wir kommen hier zu einem verschärften Instrumentarium, daß die Gemeinden den Boden, den Sie für öffentliche Zwecke nicht benötigen, wieder privatisieren müssen. Wir bekennen uns dazu.
Neben der Verbesserung des Planungsrechts bringt die Novelle eine verstärkte und eine frühzeitige Beteiligung der Bürger am Planungsgeschehen sowie eine teilweise Abschöpfung von Bodenwertsteigerungen, die allein auf öffentliche Leistungen beruhen. Bereits beim Städtebauförderungsgesetz brachten wir eine verstärkte Mitwirkung der Bürger bei der Vorbereitung und Durchführung von städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen. In engem Zusammenhang damit steht der Sozialplan, mit dem Härten im Einzelfall ausgeglichen werden sollen. Beide Instrumente wurden von der Bundesregierung in die Novelle zum Bundesbaugesetz übernommen und im zuständigen Bundestagsausschuß auch _einvernehmlich beschlossen.
Stadtentwicklung wird sich damit in Zukunft nicht mehr über die Köpfe unserer Bürger hinweg vollziehen, sondern nur in enger Zusammenarbeit mit den Bürgern durchgeführt werden können. Die Entscheidung über die Form der Bürgerbeteiligung bleibt der Gemeinde weitgehend freigestellt, sie muß jedoch ihre Planvorstellungen möglichst früh der Öffentlichkeit darlegen, denn die Erfahrung zeigt, daß nach Abschluß der Planung auf der Grundlage bereits fertiger Planergebnisse eine bürgerschaftliche Mitwirkung nur in sehr begrenztem Raume überhaupt möglich ist. Wenn wir den Bürger an kommunalen Planungsentscheidungen beteiligen, müssen wir auch mit den Betroffenen mögliche Härten dieser Planungsentscheidungen erörtern und Vorstellungen über einen sozialen Ausgleich aufgetretener Härten entwickeln. Dazu dient der Sozialplan, den wir in das allgemeine Baurecht übernehmen.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß die bürgerschaftliche Mitwirkung -unter dem Einfluß des Städtebauförderungsgesetzes, aber auch darüber hinaus, im kommunalen Bereich schon weitgehend praktiziert wird. Wenn wir jetzt die bürgerschaftliche Mitwirkung nach den insgesamt guten Erfahrungen in einzelnen Bereichen in das allgemeine Planungsrecht übernehmen, so wird sich sehr bald zeigen, daß Planungsprozesse zwar möglicherweise verlängert, auf der anderen Seite aber sicher die Qualität der dann gewonnenen Planungsergebnisse verbessert und ihre Durchsetzung erleichtert werden. Denn der einzelne Bürger wird sich, da er ja bei der Planung beteiligt war, mit den gemeinsafn erarbeiteten Ergebnissen leichter identifizieren und sie deshalb auch eher mittragen können. Dies ist vor allem wichtig für die vor uns liegenden neuen Aufgaben in der Städtebaupolitik.
Wenn wir uns zukünftig verstärkt den Fragen der Stadterhaltung und der Stadterneuerung zuwenden, dann greifen wir damit unmittelbar in die Lebensverhältnisse einer großen Zahl unserer Mitbürger ein: durch Sanierung, durch Erneuerung, durch Modernisierung. Gerade hier hat jede städtebauliche Einzelmaßnahme unmittelbar auch soziale Konsequenzen, die wir durch bürgerschaftliche Mitwirkung häufig erst erkennen und mit Hilfe des Sozialplans über das bestehende Netz der sozialen Sicherheit auffangen können. Wer die Zentren unserer Städte mit neuem Leben erfüllen will, der darf
nicht allein über die richtigen städtebaulichen Maßnahmen nachdenken, sondern der muß die Beteiligung des einzelnen Bürgers von vornherein mit einbeziehen. Verbesserte Planungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten für die Gemeinden sowie erweiterte Mitwirkungsmöglichkeiten für den Bürger stehen in einem ganz engen Zusammenhang miteinander. Wir wollen die Stadtplanung nicht gegen, sondern Stadtplanung mit dem Bürger; wir wollen nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Bürgerfreiheit.
Meine Damen und Herren, frühzeitige und umfassende Beteiligung des einzelnen Bürgers am kommunalen Planungsprozeß erfordert dann aber auch die Abschöpfung von entwicklungsbedingten Bodenwertsteigerungen, um die Bodenspekulation einzudämmen. Mit den im Gesetz vorgesehenen Ausgleichsbeträgen wird es möglich sein, die allein durch Maßnahmen der Gemeinschaft eingetretenen Wertsteigerungen bei Grund und Boden in Bebauungsplangebieten zu 50 % abzuschöpfen und dieses Mittelaufkommen wieder für die Aufgaben der Gemeinden nutzbar zu machen. Die Abschöpfung derartiger Wertsteigerungen ist an sich schon ein Gebot der Gerechtigkeit. Ich vermag nicht einzusehen, warum einzelne Bürger durch Maßnahmen der öffentlichen Hand hohe Gewinne erhalten sollen, zu denen sie nichts beigetragen haben und die letztlich nur durch Steuerleistungen ihrer Mitbürger ermöglicht werden.
Die teilweise Abschöpfung entwicklungsbedingter Bodenwertsteigerungen bildet mit dem preislimitierenden Vorkaufsrecht und dem neuen Planungsschadenrecht ein zusammenhängendes, in sich geschlossenes Konzept. Damit wird endlich dem unerträglichen Zustand entgegengetreten, daß Planungsschäden von der Gemeinschaft bisher voll ersetzt, Planungs- und Entwicklungsgewinne dagegen voll einigen wenigen zugeflossen sind.
Das neue Bodenrecht wird deshalb daran gemessen werden, ob es gelingt, die Probleme auch der entwicklungsbedingten Bodenwertsteigerungen in den Griff zu bekommen. Die von uns vorgelegte Lösung, die den Grundsätzen der Regierungsvorlage entspricht, ist das Ergebnis intensiver Ausschußberatungen, mehrerer Planspiele und sachverständiger Vorarbeiten mit Verbänden und Experten. Dabei hat sich gezeigt, Herr Kollege Schneider: die vorliegende Ausgleichsbetragsregelung ist praktikabel.
({3})
- Sie ist praktikabel. Die vorgelegte Lösung entspricht in ihrer Konzeption und in ihrer konkreten Ausgestaltung den Bedürfnissen der Praxis. Wir brauchen den Ausgleichsbetrag, denn wir können nicht wegdiskutieren, daß bei einer Planung, die ein Mehr an Baurechten gibt, Bodenwertsteigerungen eintreten können, und diese Leistungen gehen auf die Allgemeinheit zurück.
Die Ausgleichsbeträge können - das wird keiner bestreiten, der in der Praxis arbeitet und an den
Planspielen teilgenommen hat - mit der erforderlichen Sicherheit schnell erfaßt werden. Sie alle wissen, daß schon heute vergleichbare Bewertungsaufgaben bei Entschädigungsleistungen, bei freiwilligem Grunderwerb, bei der Ermittlung von Planungsschäden und beim Umlegungsverfahren alltäglich sind. Das sind ständige Aufgaben der Gutachterausschüsse, und niemand hat bisher daran gezweifelt, daß sie durch die Gutachterausschüsse erfüllt werden können.
Herr Kollege Link, was Sie dort an Visionen an den Himmel gemalt haben, holen Sie mal wieder herunter; denn auch Ihr Vorschlag, meine Damen und Herren von der Opposition, kommt nicht ohne die Lösung des Bewertungsproblems aus. Die Finanzämter kommen, wenn sie das machen sollen, auch nicht ohne ein Mehr an Personal aus.
Wir wollen keine Aufblähung der Verwaltung. Auch deshalb haben wir unsere Vorschläge so sorgfältig auf dem Prüfstand getestet. Wir haben festgestellt, daß die Gutachterausschüsse, die, Herr Kollege Link, durch die Novelle zum Bundesbaugesetz ja nicht neu erfunden werden, sondern die mit dem Bundesbaugesetz unter Herrn Lücke eingeführt worden sind und die wir nur noch arbeitsfähiger machen wollen, in der Regel schon heute den neuen Aufgaben gewachsen sind.
Die vorliegende Ausgleichsbetragsregelung ist gerecht, und sie entspricht der Zielsetzung der teilweisen Abschöpfung planungsbedingter Wertsteigerungen. Es ist sichergestellt, daß derjenige den Ausgleichsbetrag zahlt, der die entwickelungsbedingten Wertsteigerungen auch realisiert. Kernpunkt der politischen Auseinandersetzung - das hat die Debatte gezeigt - ist dieser abgabenrechtliche Teil.
Ich habe dem Ausschußbericht mit großer Genugtuung entnommen, daß sich alle Fraktionen einmütig zu dem Grundsatz bekannt haben, entwicklungsbedingte Wertsteigerungen aus Gründen der Gerechtikeit und aus Gründen einer vernünftigen städtebaulichen Entwicklung abzuschöpfen. Ich betone noch einmal, daß sich alle Fraktionen hierzu bekannt haben, also auch die Opposition, und zwar in diesem Bekenntnis ohne Einschränkung.
Ich darf darauf hinweisen, daß Sie, Herr Dr. Schneider, als Sprecher der Opposition noch am 27. September 1974 im Deutschen Bundestag gesagt haben, daß in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Parteigremien - darunter verstehe ich Parteitage - von CDU und CSU die Teilabschöpfung von entwicklungsbedingten Bodenwertsteigerungen im Grundsatz zu bejahen sei. Ein Jahr davor haben Sie sogar sehr engagiert den Planungswertausgleich gefordert, und zwar, wie ich zugebe, mit guten und fundierten Gründen. Weil Sie als Fachmann in Ihrer Partei Anerkennung haben finden können, konnte sich Ihre Partei - damals jedenfalls - ihren sachbezogenen Argumenten nicht verschließen. All das soll nun auf einmal nicht mehr gelten.
In den entscheidenden Ausschußberatungen hat die Opposition ihre Zustimmung verweigert und statt dessen steuerrechtliche Vorschlage gemacht, die
nicht einmal im Ansatz dazu dienen, leistungslose Bodengewinne abzuschöpfen.
({4})
Ich habe Ihren Vorschlag durchgerechnet, und ich will gerne noch einmal das Beispiel des Kollegen Conradi aufnehmen, bei dem ich, wenn ich den Verkehrswertunterschied nehme, zu einer Wertsteigerung von 100 000 DM komme. Diese Wertsteigerung von 100 000 DM wollen Sie mit 210 DM Grundsteuer mehr im Jahr belasten. Das ist nicht einmal 0,21 % der Wertsteigerung. Und das nennen Sie dann Antispekulationsgesetz.
({5})
- Herr Kollege, ein Eigentümer müßte diesen Steuermehrbetrag etwa 50 Jahre lang zahlen, bis ein Betrag erreicht wäre, der dem sich bei der Ausgleichsbetragsregelung nach der vorliegenden Novelle ergebenden Betrag entspräche. Aber so lange wird dieser Betrag nach Ihrem Vorschlag gar nicht gezahlt werden; denn die Steuermehrbelastung soll ja entfallen, wenn das Grundstück bebaut wird. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Wo bleibt da eigentlich das vernünftige Verhältnis von notwendigem Verwaltungsaufwand und erzieltem Ergebnis? Davon kann man hier wirklich nicht mehr reden.
({6})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider?
Aber ja.
Herr Bundesminister, da die Kollegen der Koalition und auch Sie selbst auf den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre zu verlängern, bisher nicht eingegangen sind, darf ich Sie bitten, doch uns, dem Hohen Hause, zu erklären, weshalb sich Regierung und Koalition nicht bereit erklärt haben, diesem Antispekulationsgesetz der Opposition die Zustimmung zu geben?
Ich komme gern auf das zurück, was Sie da Antispekulation nennen. - Ich meine, man muß - ich will das im Verlauf meiner Rede gern aufnehmen - Ihrem Vorschlag auch wegen dieses Verwaltungsaufwands und wegen dieses „unwahrscheinlichen" Ertrags von 210 DM pro Jahr bei 100 000 DM Wertsteigerungen in zehn Jahren ablehnend gegenüberstehen.
({0})
Doch, das stimmt. Ich will Ihnen gerne die Steuerrechnung aufmachen. Angenommen, ein Campingplatz hat 1964 einen Wert von 10 000 DM. 1974 hatte er, umgestellt auf Bauland, einen Wert von 110 000 DM. Wenn ich Ihre Rechnung und Ihr Modell zugrunde lege und dabei die Einheitswerte hochziehe, d. h. als Bauland auf 1964 beziehe, dann kommen diese Ergebnisse heraus. Ich will das - nicht von dieser Stelle - im Ausschuß gern noch einmal an vielen Beispielen vorrechnen.
Meine Damen und Herren, selbst in den Parteiprogrammen der CSU von 1973 befinden sich Aussagen wie: „Der Planungswertausgleich verwirklicht gleichzeitig ein Gebot der Gerechtigkeit." Oder: „Es entspricht dem marktwirtschaftlichen Prinzip, die Wirkungen der Planung auf Vermögen und Einkommen der Bodeneigentümer durch Ausgleichsmaßnahmen zu neutralisieren." Von all diesen Forderungen ist nichts, aber auch gar nichts geblieben.
({1})
Sie bringen eine steuerrechtliche Scheinlösung, die weit davon entfernt ist, auch das von Ihnen erkannte Gebot der Gerechtigkeit zu realisieren.
Und noch eins. Nun komme ich zu der von Ihnen geforderten verlängerten Spekulationsfrist bei abnehmenden Steuersätzen. Diese abnehmenden Steuersätze fordern doch geradezu zur Immobilität und zur Hortung am Bodenmarkt heraus. Herr Kollege, die Belastung im Monat mag für einen Kleinen - das haben Sie ja bei der Baulandsteuer C schon einmal gemacht -, der große Schwierigkeiten hat, seinen Bausparvertrag zusammenzubringen, um dann irgendwann zu bauen, eine unerträgliche Belastung sein. Aber für einen Großen ist die Belastung sicherlich kein Grund,
({2})
sein Grundstück, auf dem er jedes Jahr nach dem fünften Jahr 10 % bis 20 % Vergünstigung bei der Steuer hat, nicht noch ein bißchen länger zu halten, um es teurer werden zu lassen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schneider?
Herr Bundesminister, ich darf Sie noch einmal fragen: Stellen Sie bei Ihren Ausführungen, Überlegungen und Repliken auch voll in Rechnung, daß auf Grund der Grundsteuerreform der private Grundeigentümer ab 1. Januar 1974 in der Regel ohnedies das Siebenfache an Grundsteuer für unbebaute Grundstücke zu bezahlen hat, daß er für bebaute Grundstücke im Durchschnitt das Dreifache zu zahlen hat - das sind also Steigerungen von 700 % bzw. von 300 %- und daß wir in den Spitzenfällen Steigerungen bis zu 3 000 % zu beklagen haben?
Herr Kollege, bei dem Modell, das ich Ihnen vorgerechnet habe, und bei der Rechnung, die ich aufgemacht habe, beträgt die ganze Grundsteuer für dieses Grundstück 625 DM im Jahr. Dazu schlagen Sie dann 210 DM als Abschöpfung drauf. Das gilt für das Grundstück, das ich
meiner Rechnung zugrunde gelegt habe, und das ist unbebaut. Dies nur, damit wir hier nicht mit dem Sieben-, Acht- und Zehnfachen rechnen, sondern Zahlen hören.
({0})
Dann wird deutlich, was das wirklich ist. Nein, meine Damen und Herren, mit dem Vorschlag, wie Sie ihn jetzt gemacht haben und von dem Sie ja selber sagen, daß er keine Lösung sei, lösen Sie die Probleme der Spekulation nicht. Sie gehen zudem von einer Phase im Städtebau aus, die längst hinter uns liegt. Sie wollen lediglich solche Wertsteigerungen einer besonderen Besteuerung unterwerfen, die bei erstmaliger Einbeziehung eines Grundstückes in einen Bauleitplan erzielt werden.
Die uns auf den Nägeln brennenden Bodenprobleme entstehen heute immer mehr in den bebauten Gebieten. Hier müssen städtebauliche und bodenordnende Maßnahmen getroffen werden. Nach Ihrer Vorstellung soll hier aber nichts, gar nichts geschehen.
Schließlich sind Sie auch die Antwort darauf schuldig geblieben, wie Sie mit Ihrem Vorschlag die durch frühzeitige bürgerschaftliche Mitwirkung bei Planungsmaßnahmen entstehende Gefahr der Bodenspekulation wirklich eindämmen wollen.
Wieder einmal treten Sie wie beim Bundesbaugesetz 1960 mit einem großen Anspruch an. Ich habe mit großem Interesse noch einmal die Diskussion über das Städtebauförderungsgesetz nachgelesen, in der der Kollege Mick darauf verwiesen hat, daß die Erfindung des Planungswertausgleichs keine Erfindung des Kollegen Lauritzen sei, sondern daß dies schon alles vor der Novellierung des Bundesbaugesetzes Gegenstand der Diskussion gewesen, dann aber nicht durchgeführt worden sei. Nun gut, wir haben es durchgesetzt. Aber auch damals traten Sie mit einem hohen Anspruch an. Dann fehlte Ihnen plötzlich der Mut, diese Ansprüche in geeignete Instrumente für unsere Städte und Gemeinden umzusetzen. Wieder einmal läuft die Opposition Gefahr, von der tatsächlichen Entwicklung in unseren Städten und Gemeinden überrollt zu werden, Rezepte für gestern anzubieten und zu sagen, es seien welche für morgen. Wieder einmal sind die Änderungsanträge der Opposition, die uns heute vorgelegt wurden, von einem tiefen Mißtrauen den Selbstverwaltungsorganen der Städte und Gemeinden gegenüber geprägt. Auch dies habe ich noch einmal gelesen.
({1})
Ich wäre froh, wenn sich der Kollege Mick, der nach mir reden wird, vielleicht noch einmal an dieser Stelle an seine Rede erinnerte, die er in der dritten Lesung des Städtebauförderungsgesetzes gehalten hat und in der er sagte:
Ich habe tiefes Mißtrauen gegen die Bürokratie in den Städten und Gemeinden und das, was sich dort vollzieht.
Ich würde gern sehen, daß er das heute noch einmal aufnähme. Herr Kollege Schmöle, lesen Sie in Ihrem Konzept noch einmal nach, was Sie hier gesagt haben.
({2})
Dort war die Rede von diesem Mißtrauen.
Meine Damen und Herren, im übrigen habe ich mit Verwunderung registriert, wie sich eine große Fraktion dieses Hauses von einem Führungsgremium außerhalb dieses Hauses wider besseres fachliches Wissen eine wahltaktische Entscheidung aufzwingen läßt.
({3})
Sie sollten sich wirklich einmal überlegen, ob hier nicht der Musterfall eines imperativen Mandats von oben gegeben ist.
({4})
Ich will noch einmal klarstellen: Die von uns vorgelegte Novelle reiht sich auch in die Politik der sozialliberalen Koalition zur Schaffung und Erhaltung des Eigentums ein. Niemand soll von seinem Eigentum, kein Bauer soll von seinem Acker vertrieben werden. Wer etwas anderes behauptet, verkehrt böswillig die Ziele der Novelle in ihr Gegenteil. Das Eigenheim wird von der Abschöpfung entwicklungsbedingter Bodenwertsteigerungen nicht berührt. Der Bauer soll weiter auf seinem Hof bleiben, auch wenn er ihn nicht mehr bewirtschaftet. Er soll in Zukunft sein Altenteilerhaus auch dann noch bauen können, wenn der Hof bereits anderen Zwekken dient.
Herr Kollege Schmöle, Sie haben sich da vorhin so engagiert eingesetzt. Hier muß ich dann die Frage stellen: Wer hat eigentlich den § 35 beschlossen? Wir haben ihn nicht gemacht. Wir ändern ihn. All das, was Sie und der Herr Kollege Niegel diesem alten § 35 an Besitz- und Eigentumsfeindlichkeit hier nachgesagt haben, - ({5})
- Das ist eine bewußte Unwahrheit, Herr Kollege.
Die Änderung des § 35 steht im Regierungsentwurf.
({6})
Dazu hat es dann mit der Zustimmung der Bundesregierung in Ihrem Ausschuß Zusatzregelungen gegeben. Das sind interfraktionelle Anträge gewesen. Das wollen wir einmal klarstellen. Wer hier beweint, was im alten § 35 steht, muß sich dazu bekennen, daß er 1960 dafür gestimmt hat. Damals haben wir es alle nicht besser gewußt. Aber dazu muß man auch heute Farbe bekennen und
nicht so tun, als hätten das böse Vorgänger irgendwann erfunden.
({7})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?
Herr Bundesminister, sind Sie der Meinung, daß von unseren Rednern von „bösen Vorgängern" gesprochen wurde oder daß andere Kräfte in unserem Lande den § 35 verketzern würden? Die Situation ist doch vielmehr die, daß der Strukturwandel in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum so vor sich gegangen ist, daß der § 35 der Verwaltungspraktikabilität und den Erfordernissen der heutigen Zeit angepaßt werden muß. Das haben sowohl meine Kollegen als auch ich in meiner Rede herausgestellt.
({0})
Dafür sind wir dankbar. Wir meinen aber, daß es noch eine Reihe von Verbesserungen geben müßte, um diesen Paragraphen der heutigen Zeit anzupassen.
({1})
Herr Kollege Niegel, ich habe Ihre Rede vorhin in dem Gemurmel vor der namentlichen Abstimmung nicht vollständig hören können, aber das, was ich hörte, war so, wie ich es eben gesagt habe. Wenn Sie sagen, die Anpassung müsse weiter fortgesetzt werden, dann will ich sagen: Das, was hier in § 35 beschlossen ist, war die übereinstimmende Meinung des Ausschusses und auch die Meinung der Bundesregierung im Ausschuß. Wir haben ja gemeinsam an diesen §§ 35 und 34 gearbeitet, und wir haben dies getan, weil wir den Strukturwandel in der Landwirtschaft sehen und weil wir auch das Eigentum des Landwirtes damit schützen wollen.
Ich glaube, wir haben hier für das Bauen im Außenbereich eine vernünftige Lösung gefunden, die den Strukturwandel in der Landwirtschaft auffängt, gleichzeitig aber eine Zersiedlung der Landschaft verhindert.
Die Novelle schützt das Eigentum; sie will niemanden ungerechtfertigt belasten. Sie bietet in den Übergangsregelungen auch den notwendigen Vertrauensschutz für alle Bürger. Sie will niemanden von seinem Grundstück vertreiben.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister, des Abgeordneten Dr. Waffenschmidt?
Herr Bundesminister, nachdem Sie uns gerade hier kundgetan haben, wie Sie persönlich die Anwendung des § 35 des
Bundesbaugesetzes sehen wollen, möchte ich Sie fragen: Sind Sie bereit, einigen Landesregierungen unter Führung sozialdemokratischer Kabinette einmal ein bißchen deutlich zu machen, daß diese Auslegung des § 35 mit etwas mehr Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse des ländlichen Raums auch dort Anwendung finden sollte? Es bedarf an einigen Stellen dieser zusätzlichen Information.
Herr Kollege Waffenschmidt, der geänderte § 35 ist noch nicht in Kraft, und es liegt an Ihnen, der Novelle zuzustimmen. Dann tritt er in Kraft.
({0})
Es ist jetzt der alte § 35 in Kraft, und hier haben sich auch die Verwaltungsstellen, so leid mir das tut, an Verwaltungsgerichtsurteile zu halten und streng nach dem alten Gesetz zu handeln. Dies ist schmerzhaft, aber dies wäre ein Grund mehr für Sie, dieser Novelle zuzustimmen, damit wir zu einer Lösung kommen.
({1})
Und wenn Sie von sozialdemokratischen Landesregierungen reden: es gilt für alle Landesregierungen, daß sie den alten Paragraphen genau anwenden. Aber ich will gerne darauf verweisen, daß meine Freunde im niedersächsischen Landtag damals einen Antrag eingebracht haben, ihre Landesregierung aufzufordern, im Bundesrat § 35 in der neu vorgelegten Fassung zu unterstützen, und das hat diese Landesregierung im ersten Durchgang getan.
Meine Damen und Herren, nur wenige Maßnahmen der öffentlichen Hand sind gesellschaftspolitisch von ähnlicher Bedeutung wie die Gestaltung unserer baulichen Umwelt, denn hier zeigt sich die Humanität einer Gesellschaft. Wir müssen unseren Städten und Gemeinden das geeignete Instrumentarium an die Hand geben, damit sie ihre Aufgaben auch unter veränderten Rahmenbedingungen erfüllen können.
Humaner Städtebau darf nicht nur ein Schlagwort sein.
Humaner Städtebau ist ohne entsprechende Instrumente nicht möglich, und wir wollen diese Instrumente schaffen für unsere Städte und Gemeinden, für die Bürger in unseren Städten und Gemeinden.
Diese Instrumente sind nicht gegen den Bürger gerichtet. Deshalb wollen wir, daß diese Instrumente unter Beteiligung der Bürger zur Anwendung kommen, denn es geht um ihre Interessen, es geht um ihre Stadt, um ihre Gemeinde.
Wir wollen, daß die Vorstellungen über die Entwicklung und Gestaltung unserer Städte und Gemeinden zusammen mit den Bürgern diskutiert und erarbeitet werden. Dies ist ein Stück aktiver Demokratie, dies ist ein Stück praktizierten Gemeinsinns. Das ist eine Voraussetzung für eine humane, für eine lebendige Stadt.
Die Bürger werden sich mehr als bisher mit ihrer Stadt identifizieren können und so auch für ihre Stadt engagieren. Das bringt uns ein Stück zusätzlicher gesellschaftlicher Stabilität, und diese wollen wir auch. Ich appelliere an unsere Städten und Gemeinden, diese Chance zu erkennen und sie verantwortungsvoll und verantwortungsbewußt zu nutzen.
Meine Damen und Herren, die sachbezogene und so sorgfältige Arbeit in den Ausschüssen sowie die weitgehende Übereinstimmung in den Zielen, wie wir sie bisher zwischen Koalition und Opposition gehört haben, sollten es eigentlich möglich machen, diesen Gesetzentwurf mit breiter Mehrheit in Bundestag und Bundesrat zu verabschieden. Die Novelle greift die drängenden Fragestellungen unserer Städte und Gemeinden auf, und sie gibt sachgerechte Antworten.
Die Abstimmung wird zeigen, wer sich der Verantwortung den Gemeinden und Städten gegenüber stellt.
Wer die verantwortliche Beteiligung der Bürger an den Planungs- und Entwicklungsprozessen in unseren Städten und Gemeinden wirklich will, wer dieses Stück zusätzlicher demokratischer Selbstverwirklichung will, wer den Städten und Gemeinden die notwendigen Instrumente zur Lösung der großen Probleme an die Hand geben will, wer so den Städten und Gemeinden helfen will, wer ein Bodenrecht will, das die weitere Entwicklung in unseren Städten und Gemeinden unterstützt, wer die Abschöpfung leistungsloser Wertzuwächse will, meine Damen und Herren, der muß dieser Novelle seine Zustimmung geben,
({2})
der wird zu diesem Gesetz „ja" sagen können und müssen; denn das, was wir heute nach gemeinsamer mühsamer Arbeit vorgelegt haben, ist eine sachgerechte Lösung für die Bürger in unseren Städten und Gemeinden, für die weitere Entwicklung unserer Städte und Gemeinden.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Mick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer zu dieser Stunde noch eine vorbereitete Rede halten will, muß entweder Minister, Novize oder ein blühender Optimist sein, daß das Haus solches noch honoriert.
({0})
Zu Ihnen, Herr Minister! Ich habe bisher sehr viel Respekt vor Ihnen gehabt. Nach Hannover und nach der heutigen Rede habe ich Mitleid mit Ihnen.
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Zur Sache, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir im Jahre 1960 das Bundesbaugesetz verabschiedeten, standen wir unter dem Motto, den Gemeinden alle Möglichkeiten zu geben, ihre Aufgaben selber in die Hand zu nehmen, auch gegen entschiedenen Widerstand von der linken Seite,
die da der Meinung war, daß die Gemeinden in großer Zahl dazu gar nicht in der Lage seien, weil ihnen dazu die Ausstattung fehle.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren und verehrter Herr Minister, Gemeinden sind nicht allein Gemeinderäte und Gemeindeverwaltungen. Gemeinden sind die Summe der Bürger. Wenn wir hier im Denken für diese Bürger, verehrter Herr Minister, von tiefem Mißtrauen auch gegen dieses Gesetz erfüllt sind, so können Sie uns das nicht verdenken; denn wir haben sehr gute Gründe dafür. Wie können Sie uns dieses Mißtrauen vorwerfen, indem Sie sagen, wir diffamierten Gemeinderäte und Bürger, wenn in Ihren Parteitagsbeschlüssen Anweisungen an Ihre Gemeinderäte gegeben werden, z. B. hinsichtlich des Eigentums kein echtes Eigentum mehr zu vermitteln, sondern nur noch Nutzungseigentum?
({2})
Das Schlimme dabei ist, verehrter Herr Minister, daß Sie damit nicht gegen ein Gesetz verstoßen, sondern sich akkurat in diesem Gesetz bewegen, welches Sie heute mit Ihren Stimmen hier verabschieden werden. Das heißt, Sie sind in Ihrem Bestreben so weit, daß Sie Ihre auf den Parteitagen proklamierten Ziele völlig legal verwirklichen können.
({3})
Daß wir dem mit all unseren Möglichkeiten Widerstand entgegensetzen, sollten Sie anders beurteilen, als Sie es getan haben.
Ich bedaure in diesem Zusammenhang die Kollegen von der rechten Seite des Hauses, die sich hier so leicht zu einer Bodenpolitik, zu einer Städtebaupolitik haben einfangen lassen, die, meine sehr verehrten Damen und Herren, zwar den ersten Schritt, aber nicht die ferneren Schritte erkennen läßt.
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Damit komme ich zu dem dankenswerten Beispiel, das uns der Kollege Conradi in seiner plastischen Art gegeben hat. Wie das auch im Ausschuß der Fall gewesen ist, hat er hier das Gebäude hingestellt und gesagt: Das Gebäude steht, aber in dem Gebäude sind erst ein oder zwei Zimmer fertig - ich weiß nicht, welche Zahl er nannte; das spielt auch gar keine Rolle -,
({5})
in denen richten wir uns ein. Mehr konnten wir im Augenblick nicht erreichen; das ist ein Kompromiß, und Kompromisse müssen gemacht werden.
Das heißt auf gut deutsch: Wenn wir hier im Hause die Mehrheit haben, meine Herren von den Freien Demokraten, werden wir die anderen Räume so einrichten, wie es unserer sozialistischen Doktrin entspricht.
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Herr Kollege Conradi, das, was Sie hier zu verkaufen haben, ist sozialistische Doktrin, auch wenn
Sie sich bemühen, das zu verbergen. Aber dankensMick
werterweise geben Sie sich meistens gar nicht diese Mühe.
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Verehrter Herr Minister, Sie haben hier Glaubensbekenntnisse mit einem Pathos abgelegt, das man an Ihnen nicht gewöhnt ist. Wenn Ihre Rede nicht schon als solche verdächtig wäre, machte Ihr Pathos, das Sie heute an den Tag gelegt haben, diese Rede weiß Gott nachlesenswert, um daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Ich habe am Anfang gedacht, Sie würden eine sachliche Würdigung des nun vorliegenden Ergebnisses der Ausschußarbeit nicht nur in Form eines formellen Dankes vornehmen. Ich hatte gehofft, Sie hätten die sehr subtilen Beratungen dieses Ausschusses, ich möchte fast sagen: die opferbereite Beratung in diesem Ausschuß - trotz Ferien, trotz parlamentsfreier Wochen usw. -, angemessen gewürdigt.
Aber hier scheint wohl schon das der Fall zu sein, was der Kollege Conradi wiederum so freimütig sagte: Es gilt, die Rüstung für den 3. Oktober anzulegen. Nur: Sie müssen sich besser absprechen, Herr Minister. Der Kollege Conradi sagt nämlich etwas ganz anderes als Sie. Er sagt: Dieses Gesetz ist ein Kompromiß in einem Haus, in dem wir nur zwei Zimmer beziehen können, die anderen Zimmer lassen wir leerstehen. Sie dagegen beschreiben dieses Gesetz als ein Nonplusultra. Davon kann aber weiß Gott keine Rede sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zu dieser späten Stunde noch zu einigen praktischen Bemerkungen kommen. Der Kollege Schmöle hat schon eingangs seiner Rede festgestellt, daß das Bundesbaugesetz ein gutes Gesetz war, ein Gesetz bar jeder Erfahrung, auf blankem Boden in einer Hochkonjunktur sondergleichen errichtet. Wir haben auf diesem Gesetz eine Wiederaufbau-und Neubauleistung vollbracht, mit welcher der Kollege Lauritzen - ich sehe ihn hier schon nicht mehr - mit Recht renommiert hat, mit der Sie renommieren. Das Gesetz kann also so schlecht nicht gewesen sein.
Aber hier scheint mir ein fundamentaler Unterschied zwischen Ihrer und unserer Auffassung zu liegen. Wir bauen beide ein Haus. Aber wir bauen das Haus auf dem Boden privaten Eigentums und privater Initiative,
({8})
während Sie ein Haus auf einem Grund bauen, den Sie exakt anzugeben selbst nicht willens sind. Sie umschreiben dieses Fundament mit allen möglichen utopischen, humanistischen und sonstigen Floskeln, von denen niemand weiß, was sie bedeuten sollen. Wir haben uns dazu bekannt, daß in diesem unserem Haus „Bundesbaugesetz" manches Möbelstück und manches Einrichtungsstück, vielleicht auch manches an Dach und Fach, erneuert werden mußte. Wir haben uns mit Ihnen an die Arbeit gegeben, das zu tun. Wir haben Ihnen nicht unterstellt, daß Sie von vornherein etwas Ungutes wollen, wie das heute uns in so „vornehmer" Weise attestiert worden ist. Bei den Ausschußberatungen hätte das
übrigens niemand gewagt, weil er genau gewußt hätte, daß er sich von jedem sachlichen Teppich entfernt hätte. Es wird bei uns immer ein Ringen um das Eigentum, die Erhaltung und Stärkung des Eigentums und um seine Sozialpflichtigkeit sein. Das ist keine Regel, die starr ist, das ist keine Regel, die feststeht, sondern das ist ein Ringen in Permanenz in jedem einzelnen Falle. Darum ringen wir zu jeder Stunde und zu jeder Minute. Daß es da sehr unterschiedliche, auch berechtigte Interessen gibt, daß es da überlebte und vielleicht zu forsche, zu fortschrittliche Anschauungen gibt, wer wollte das bestreiten? Insofern bin ich auch gar nicht der Mann, der sich gegenseitig Diskussionen in der eigenen Partei über dieses Thema vorhalten läßt. Nur, Herr Minister, wenn auf unserem Parteitag ein Beschluß gefaßt worden ist, dann vertrete ich diesen
({9})
und tue nicht so, als wenn er nicht existent wäre, als wenn es etwas Illegales wäre, Sie an einen solchen Beschluß überhaupt zu erinnern.
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Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Herr Kollege, können Sie mir sagen, auf welchem Parteitag die abgabenrechtliche Lösung beschlossen worden ist, die Sie hier dem Hause vorlegen?
Herr Kollege Conradi, auf unserem Parteitag in Hamburg, auf dem ich leider wegen Krankheit nicht anwesend sein konnte, ist in dieser Frage ein Grundsatzbeschluß gefaßt worden.
({0})
- Verehrter Herr Immer, was spielt das denn für eine Rolle? Wenn ein Grundsatzbeschluß gefaßt worden ist, der auch von Herrn Minister Ravens und von niemand von Ihnen angezweifelt worden ist, dann ist es doch eine Frage der Gesetzestechnik, der gesetzlichen Maßnahme, wie ich diesen Grundsatz praktisch zur Durchführung bringe. Da sind wir hier mit dieser steuerrechtlichen Lösung aufgewartet. Man kann natürlich mit Recht darüber streiten, wer hier ein Erstgeburtsrecht hat. Nur, verehrter Herr Minister, ich wäre sofort in der Lage, zu Ihren Planungswertausgleich ad hoc Beispiele zu bilden und zu beweisen, daß, wenn diese Beispiele allein gültig wären, kein Hund ein Stück Brot von dem Erfinder dieses Planungswertausgleiches in dieser Gestalt nehmen würde. Ich verzichte darauf, weil jede Situation anders sein kann und ich sie, wenn mir eine Berechnung in den Kram paßt, hier nicht so hinstelle, als wenn sie allgemeinverbindlich wäre.
({1})
Ich muß mich über ein Weiteres wundern. Wir lehnen den Planungswertausgleich nicht zuletzt deshalb ab, weil wir dadurch eine Vermehrung der Bürokratie und eine weitere Gängelung des Bürgers
und praktisch eine Abschöpfung des Effekts, den Sie erzielen wollen, durch die Bürokratie befürchten. Ich könnte hier Beispiele aus anderen Bereichen bilden, etwa an den Aufwand für kommunale Wohnungsvermittlung in unseren Städten usw. erinnern. Ich verzichte darauf, weil die Zeit zu knapp ist. Aber verehrter Herr Minister, Sie wollen mir doch hier nichts weismachen. Da werden also jetzt Gutachterausschüsse gebildet oder verstärkt, und wer gegen die Gutachterausschüsse in ihren neuen Funktionen etwas sagt, der diffamiert die Bürger, der diffamiert die von ihnen entsandten Gutachter usw. Was ist das für eine Redensart, verehrter Herr Minister? Diese Gutachterausschüsse kommen also jede Woche fünfmal zusammen, die kriegen 5 DM Sitzungsgeld und ein Kännchen Kaffee, dann gehen sie wieder hochbefriedigt nach Hause, geben ihren Beruf auf und verzichten auf Gelderwerb, nur weil sie nach Ihrer Meinung den Bürgern dienen wollen. Was ist das denn für ein Gerede? Was sind das für simple Darstellungen?
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in dieser Angelegenheit jetzt zweifellos nicht in der letzten Runde stehen. Und ich verwahre mich dagegen, Herr Minister, daß Sie mit einem so merkwürdigen Unterton von einem Verfassungsorgan hier geredet haben, wie es der Bundesrat ist: als wäre es ein strafwürdiges Unterfangen, wenn der Bundesrat zu diesen Fragen, bei denen er Mitgesetzgeber ist, Stellung nimmt. Ich darf Ihnen in Offenheit sagen, daß ich die Hoffnung habe, dieses Gesetz wird im Bundesrat genauso behandelt werden, verehrter Herr Minister, wie im Ausschuß durch die Ausschußmitglieder. Ich streite ja gar nicht um Erstgeburtsrechte, wie das heute so oft passiert ist, darüber, wer diesen oder jenen Vorschlag gemacht hat. Meistens haben wir uns gegenseitig angefeuert, möchte ich fast sagen, und ein guter Gedanke hat den anderen geheckt, bis nachher etwas Besseres auf dem Papier stand als zuvor. Ich möchte, daß auch nach Ihrer Rede zu dieser Stunde, Herr Minister, noch eine sachliche Debatte mit dem Bundesrat möglich ist, auf daß wir über das Gesetz in diesem Hause erneut abstimmen können. Ich hoffe, daß es dann besser sein wird als im Augenblick. Die augenblickliche Fassung zwingt uns, dieses Gesetz abzulehnen.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal den Punkt herausstellen, der im Mittelpunkt der zweiten und dritten Lesung der Novelle zum Bundesbaugesetz steht: den Planungswertausgleich. Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben sich in Parteitagsbeschlüssen oder Programmen Gedanken über dieses Problem gemacht. So hat z. B. die SPD durch Parteitagsbeschlüsse in Hannover im Jahre 1973 die Einführung eines Planungswertausgleichs beschlossen und verlangt, planungsbedingte Wertsteigerungen zu hundert Prozent abzuschöpfen.
Die CSU hat im gleichen Jahr in München den Planungswertausgleich - ich zitiere - „als ein Gebot der Gerechtigkeit" bezeichnet:
Dem einzelnen Grundstückseigentümer fließen keine leistungslosen Gewinne zu, die auf Maßnahmen beruhen, die die Allgemeinheit tragen muß.
Dies hat der bayerische Innenminister Merk im Sommer des letzten Jahres noch einmal öffentlich bestätigt.
Auch die CDU hat 1973 in Hamburg neben einem Infrastrukturbeitrag und verbesserten Erschließungsbeiträgen vorgeschlagen, die Spekulationsfrist bei Veräußerungen von privatem Grundbesitz von zwei auf zehn Jahre auszudehnen.
Wir Freien Demokraten schließlich haben uns dafür ausgesprochen, Veräußerungsgewinne beim Verkauf von bebautem und unbebautem Grundbesitz der Einkommensteuer zum halben Steuersatz zu unterwerfen. Ferner haben wir, um die Funktionsfähigkeit des Bodenmarkts zu verbessern, gefordert, bei baureifen Grundstücken jährlich den Zuwachs des Wertes als Einkommen zum halben Steuersatz zu versteuern.
Es ist also festzustellen, daß alle Parteien die Lösung des angesprochenen Problems als vordringlich ansehen, allerdings unterschiedliche Lösungen vorschlagen. Die Koalitionsfraktionen haben sich mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen auf den vorliegenden Kompromiß geeinigt. Dieser Kompromiß ist aber nicht etwa als ein hälftiges Eingehen des einen Partners auf den anderen, sondern als ein vernünftiges Mittelmaß an tragbarer Belastung des Pflichtigen einerseits und der berechtigten Interessen der Kommunen andererseits zu verstehen.
Im übrigen hat es sich die Koalition mit dem Planungswertausgleich nicht leichtgemacht. Neben einer öffentlichen Anhörung sind zwei Planspiele durchgeführt worden. In diesen Planspielen sollte der gefundene Kompromiß auf seine Funktionalität und Praktikabilität hin überprüft werden. Dabei hat sich herausgestellt, daß der Planungswertausgleich in seiner ursprünglichen Form zwar so machbar, aber, was die Berechnung des Endwertes angeht, nicht praktikabel ist. Dem Anliegen wurde generell dadurch die Zugrundelegung eines beitragspflichtigen Grundstücks im Gegensatz zum bisher beitragsfreien Rechnung getragen. Damit wird der Verwaltungsaufwand ganz erheblich verringert.
Meine Damen und Herren, wenn die Opposition dem Konzept der Koalition ein Modell entgegenstellt, das trotz aller gegenteiligen Aussagen ihrer Parteiprogramme den selbst gesteckten Zielen nicht entspricht, so muß sie sich gefallen lassen, in aller Öffentlichkeit auf diese Diskrepanz hingewiesen zu werden. Mit Ihrer sogenannten steuerlichen Lösung schöpfen Sie weder leistungslos erzielte Gewinne ab noch verbessern Sie das Baulandangebot bzw. anders ausgedrückt, verhindern Sie Hortung von Bauland. Dies geht zu Lasten des kleinen Mannes.
Herr Kollege Mick, Sie haben uns eben angesprochen. Ich bin nicht befugt, zu Parteitagsbeschlüssen
des Koalitionspartners Stellung zu nehmen. Für mich ist entscheidend, was in dem Gesetz steht.
({0})
Noch ein Wort. Ihre Ausführungen konnte man so verstehen, als ob wir im Ausschuß nicht zu großen Gemeinsamkeiten gekommen sind. Von einem Kollegen der Opposition wurden hier auch Pappkameraden aufgebaut. Es wurde gesagt, hier würde der Versuch unternommen, eine Trennnung von Nutzungs- und Verfügungseigentum herbeizuführen. Sie wissen ganz genau, daß solche Vorstellungen im Verlaufe der Beratungen nicht realisiert werden konnten. Das gleiche trifft zu, wenn hier gesagt wird, daß wir die Laufzeit des Erbbaurechtes von 99 Jahren generell auf 45 Jahre reduzieren wollten.
Nun noch ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Schneider. Sie führten heute aus, daß die Vorstellungen über den Planungswertausgleich, wie Sie ihn in Ihrem Parteitagsbeschluß festgelegt haben, nur dem Etikett nach mit den Beschlüssen dieses Gesetzentwurfes übereinstimmten. Herr Kollege Schneider, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen hier ganz energisch widerspreche. In Ihren Ausführungen zu Ihrem Parteitagsbeschluß aus dem Jahre 1973 von München sagen Sie ausdrücklich - ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten -:
Der Planungswertausgleich ist somit notwendiger Bestandteil einer Bodenordnung, die einer marktwirtschaftlich verfaßten Wirtschaft dienen soll.
Es wird weiter festgestellt:
Der Planungswertausgleich fügt sich nahtlos in das bereits vom Bundesbaugesetz und Städtebauförderungsgesetz vorgezeichnete System der Entschädigung und Ausgleichsleistungen ein.
Schließlich:
Die Einführung eines Planungswertausgleiches würde das insoweit von allen Parteien bejahte Städtebauförderungsgesetz fortentwickeln.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider!
Jawohl, bitte sehr.
Lieber Herr Kollege Wurbs, sind Sie bereit,. zur Kenntnis zu nehmen oder sich zu erinnern, daß ich eingangs gesagt habe, die Ausgleichsbetragsregelung im jetzt zu verabschiedenden Entwurf habe mit dem Modell, das die CSU 1973 in München beschlossen hat, nur das Etikett gemeint? Denn das, was hier im Gesetzentwurf steht, ist kein Planungswertausgleich, sondern ein Entwicklungswertausgleich und in der Sache eine modifizierte, wenn auch nur auf Plangebiete abgestellte Fortentwicklung eines Bodenwertzuwachssteuermodells?
Herr Kollege Schneider, ich muß Ihnen leider auch in dem widersprechen. Sie haben sogar bei Ihren Parteitagsbeschlüssen Berechnungsbeispiele angeführt.
({0})
Ich will es mir hier ersparen, sie vorzutragen. Da kommen Sie exakt zu den Werten, die wir hier vorgelegt haben. Sie sprechen hier von einem 50 %igen Wertausgleich bei der Abschöpfung von baureifen Grundstücken. Sie wollen auch die Erschließungsbeiträge, wie wir es hier beschlossen haben, entsprechend absetzen. Ich verstehe nicht, daß Sie hier mit falschen Argumenten arbeiten.
({1})
Noch eine Bemerkung, Herr Kollege Schneider. Wenn Sie heute von einem steuerlichen Modell sprechen, dann stimmt einfach das Etikett nicht, denn es ist ja kein steuerliches Modell. Es sollen lediglich die Einheitswerte angepaßt werden. Das hat mit steuerlichen Erwägungen nichts zu tun.
({2})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Schneider, ich will das ganz genau auch im einzelnen präzisieren, und zwar an Hand der Auslassung des Herrn Kollegen Jahn im Wirtschaftsausschuß. Er hat im Wirtschaftsausschuß z. B. ausgeführt - das monieren Sie immer -, das Problem der Wertermittlung sei nicht gelöst. Er sagte, daß Ihre steuerliche Lösung die Schwierigkeiten der Wertermittlung beseitige. Nun frage ich Sie einmal, wie Sie eine Wertermittlung bei Ihrem Antrag 107 durchführen wollen, wenn Sie dort schreiben, die Bemessungsgrundlage sei der Einheitswert, und dann fahren Sie fort: zuzüglich der halben Differenz der Wertsteigerung. Sie müssen doch auch den Wert ermitteln. Wie wollen Sie ihn denn ermitteln?
({3})
Sie wollen einen Zuschlag in der Größenordnung von 50 °/o zu dem Einheitswert erheben. Wie wollen Sie denn diesen Wert ermitteln? Da müssen Sie doch auch eine Basis finden. Aber wir werden uns darüber möglicherweise noch unterhalten.
Meine Damen und Herren, die Koalition hat durch den Einbau des § 135 g in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung Spekulationsgewinnen einen Riegel vorgeschoben - das werden Sie sehr wahrscheinlich auch bestätigen -, wonach der jeweilige Grundstückseigentümer, der die Nutzung realisiert, ausgleichspflichtig ist, wonach aber auch der Veräußerer ausgleichspflichtig ist, wenn ein Grundstück nach Festsetzung des Ausgleichsbetrages durch Rechtsgeschäfte veräußert wird. Diese Regelung stellt ein Stück sozialer Gerechtigkeit dar, der der Planungswertausgleich ohnehin dienen soll.
Nun läßt sich in diesem Zusammenhang einwenden, die Dringlichkeit dieser Novelle sei in der Vergangenheit größer als in der Gegenwart gewesen. Dies, meine Damen und Herren, ist sicherlich unbestritten. Wenn auch im Augenblick eine solche Dringlichkeit nicht besteht, darf das den Gesetzge15888 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Wurbs
ber aber nicht hindern, auf diesem Gebiet vorsorglich tätig zu werden.
Herr Kollege Schneider, eine Bemerkung noch zu Ihnen. Mit der Einführung einer Ausgleichsabgabe im Bundesbaugesetz wird keine Doppelbesteuerung des Eigentums durch Ausgleichsabgabe und Einkommensteuer für die gleiche Wertsteigerung verbunden sein. Das beschloß der Finanzausschuß des Bundestages mit den Stimmen der Koalition; denn Wertsteigerungen, die bereits dem Ausgleichsbetrag unterlegen haben, kommen für eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht mehr in Frage.
({4})
Es ist unverständlich, daß die CDU/CSU im Ausschuß dieser Regelung nicht zugestimmt hat.
Meine Damen und Herren, in letzter Zeit haben sich Pressemeldungen gehäuft, in denen massive Kritik an der Bundesbaugesetznovelle geübt wird, insbesondere am Vorkaufsrecht und den Baugeboten. Hier wird beim unbefangenen Leser der Ein' druck erweckt, als werde staatlicher Willkür gerade durch diese Novellierung Tür und Tor geöffnet. Wer dergleichen schreibt, muß es sich gefallen lassen, der Böswilligkeit geziehen zu werden oder aber totaler Unkenntnis der Novelle, denn eine Ausübung des allgemeinen Vorkaufsrechts ist nur dann zulässig, wenn es aus städtebaulichen Gründen notwendig ist, ganz abgesehen davon, daß es auch das Wohl der Allgemeinheit erfordern müßte. Darüber hinaus ist seine Ausübung ausgeschlossen, wenn der Erwerber selbst bereit ist, es entsprechend den baulichen Festsetzungen zu nutzen.
Was das preislimitierende Vorkaufsrecht angeht, so kann ich nur immer wiederholen, daß durch die gesetzlich festgelegte Anbindung seiner Ausübung an die Enteignungsvoraussetzungen allen berechtigten Belangen des Betroffenen Rechnung getragen worden ist.
Gleiches gilt für die Gebotskataloge. Gerade hier wurde festgelegt, daß die Anordnung solcher Maßnahmen nur aus städtebaulichen Gründen möglich ist. Hier von Willkür zu sprechen, geht an der Sache vorbei.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, an dieser Stelle auf weitere Einzelheiten des Gesetzes einzugehen, verbietet die mir vorgegebene Zeit. Im Ausschuß hatten wir genügend Gelegenheit, Argumente auszutauschen. Mir ging es darum, noch einmal den Standpunkt der FDP-Fraktion zum abgaberechtlichen Teil darzulegen. Die FDP-Fraktion wird dem Gesetzentwurf ihre Zustimmung geben.
({5})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Henke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie gestatten auch den Sozialdemokraten, daß sie in der dritten Lesung noch einmal auf einige Schwerpunkte, wie sie sie sehen, eingehen, denn es
muß ja einiges zurechtgerückt werden, was Sie in der Debatte angeschnitten haben.
Erster Punkt: Grundsteuer C. Herr Kollege Schneider, man hatte den Eindruck, als sei die Grundsteuer C damals gegen den Willen der CDU/CSU wieder abgeschafft worden. Dies ist ja nun nicht so. Ich muß das aufklären. Die Grundsteuer C ist deshalb abgeschafft worden, weil sie die Großen nicht getroffen hat und den Kleinen sehr wehgetan hat. Das war der Grund, warum damals unter Herrn Lücke die Grundsteuer C abgeschafft wurde.
({0})
Herr Mick wird das übrigens von Herrn Lücke erfragen können. Herr Lücke hat - und dies ist in diesem Zusammenhang besonders pikant - die Grundsteuer C nach einer Saarlandbereisung abgeschafft, nachdem er dort gesehen hat, was die Finanzämter aus der Grundsteuer C gemacht hatten. Dies spricht auch für Ihr Steuermodell, Herr Kollege Schneider.
Zweite Bemerkung zur Spekulationsfrist. Wir haben im Ausschuß, als wir diese Dinge beraten haben, aus der bodenrechtlichen Sicht Verständnis für diesen Antrag erkennen lassen. Aber alle Fachleute, auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister der Finanzen, haben gesagt und die Beratung im Finanzausschuß hat ergeben, daß die Verlängerung der Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre ein mobilitätshemmendes Ergebnis zeigen würde. Das Ergebnis würde also genau unserem politischen Wollen widersprechen. Im übrigen muß ich dazu sagen, dies war nicht unbedingt ein Anliegen der Novelle zum Bundesbaugesetz. Das können die Kollegen im Finanzausschuß des Bundestages immer noch in Ordnung bringen.
({1})
Dritte Bemerkung. Herr Kollege Mick, ich weiß nicht, warum Sie heute so schrecklich böse waren. Das entspricht gar nicht Ihrem Naturell. Einige Dinge muß ich aber, weil Sie sie so scharf angesprochen haben, aufnehmen.
({2})
Ich fürchte, zu dem, was Sie zu den Gutachterausschüssen mit dem „Kännchen Kaffee" und so gesagt haben, werden Sie von den Gutachterausschüssen böse Briefe bekommen. Sie werden böse Artikel zu lesen bekommen, und dies zu Recht, Herr Kollege Mick. Sie wissen, daß das Umlegungsverfahren, das wir 1960 im Bundesbaugesetz geregelt haben, nur funktionieren konnte, weil die Gutachterausschüsse eingeführt wurden, und die haben gute Arbeit geleistet.
({3})
Ein weiteres. Sie sprachen von einem „Kännchen Kaffee". Wissen Sie, Herr Kollege Mick, die haben in der Zeit eine Menge ganz erheblicher Planungsverluste ermittelt, die die Gemeinschaft hat tragen müssen. Ich weiß nicht, ob das auch unbedingt mit dem „Kännchen Kaffee" in Einklang zu bringen ist.
Herr Kollege Mick, Sie haben hier einiges zu Parteitagsbeschlüssen und ihre Umsetzung im Parlament gesagt. Ich bitte Sie, daß Sie sich noch einmal Ihren eigenen Parteitag in Hamburg, an dem Sie aus Krankheitsgründen nicht haben teilnehmen können, den Sie aber in der Presse und an Hand des Protokolls verfolgt haben, in Erinnerung rufen. Ich weiß aus Gesprächen mit Ihnen, wie tief Sie damals darüber enttäuscht waren, daß der aus Ihrer Sicht als Fachmann in der Bodenfrage notwendige Planungswertausgleich nicht beschlossen worden ist, wobei wir jetzt gar nicht untersuchen wollen, wie die Berechnungsmodalitäten dazu sein sollten, sondern daß statt dessen der Infrastrukturbeitrag in Hamburg zustande gekommen ist. Wenn Sie hier Minister Ravens vorwerfen, daß Parteitagsbeschlüsse und das Ergebnis der gesetzlichen Beratung weit auseinander lägen, muß ich Sie wirklich fragen: was war in Hamburg, was war lange auch die Meinung Ihrer Arbeitsgruppe während der Beratungen über das Bundesbaugesetz, und was für eine mickrige Sache ist am Schluß zustande gekommen?
Herr Kollege Mick, Sie haben das Bundesbaugesetz von 1960 hier als große Tat herausgestrichen. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, daß damals eine Reihe von neuen Planungsinstrumenten in Kraft gesetzt worden sind, die sicherlich vom Instrumentarium her gesehen eine etwas bessere Planung der Kommunen zugelassen haben. Ich muß Ihnen aber nachdrücklich widersprechen, wenn ich mir ein Kernstück des damaligen Bundesbaugesetzes in Erinnerung rufe, nämlich die Freigabe der Bodenpreise. Herr Kollege Mick, wozu hat denn diese unglückselige Entscheidung geführt, die Sie damals mit diesem Bundesbaugesetz gefällt haben? Sie hat dazu geführt, daß die öffentlichen Haushalte Milliarden haben aufwenden müssen, und sie hat - das Finanzielle wäre noch nicht einmal so schlimm gewesen - zu verhängnisvollen, irreparablen Fehlentwicklungen in unseren Kommunen geführt. Das ist der Grund dafür, daß wir jetzt ein vernünftiges neues Bundesbaugesetz machen.
Vizepräsident von Hassel: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mick?
Bitte sehr!
Herr Kollege Henke, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß wir damals die Situation hinsichtlich der Bodenpreise durch die Freigabe erst sichtbar gemacht und dafür gesorgt haben, daß das, was vorher unter dem Tisch bezahlt worden war, über dem Tisch sichtbar geworden ist?
({0})
Herr Kollege Henke, darf ich Ihnen ein Beispiel aus der Liegenschaftspolitik der Stadt Köln nennen: Grundstückswert, Stopp-Preis, Aufbauten - das Zehn- oder Zwanzigfache -, und nachher mußte das mit hohen Kosten abgerissen werden, weil es nichts mehr wert war. Das waren die Verhältnisse damals.
({1})
Herr Kollege Mick, durch die Freigabe der Bodenpreise sind diese in einer Weise explodiert, daß es für die öffentlichen Haushalte unmöglich wurde, lebensnotwendige Planungen durchzuführen. Diese waren vor 1960, als die Preise eingefroren waren, möglich. Das werden Sie nicht bestreiten können.
Ich möchte jetzt zu einem anderen Punkt, der bei Ihnen allen eine erhebliche Rolle gespielt hat, einige Bemerkungen machen. Sie haben - dies war nicht anders zu erwarten - die bodenrechtlichen Vorstellungen der Sozialdemokraten zum Verfügungs- und Nutzungseigentum kritisiert. Sie haben dies in einer Weise getan, als ob Sie nie die Verhandlungen bei unseren Parteitagen, nie unsere Parteitagsbeschlüsse und auch nie unsere Erläuterungen im Ausschuß dazu, Herr Kollege Dr. Jahn, zur Kenntnis genommen hätten.
({0})
- Ich sage Ihnen etwas zu dem Dreistufenplan, Herr Kollege Dr. Jahn. Wir haben mit unseren Vorschlägen bezüglich eigentumsrechtlicher Lösungen zur Reform der Bodenordnung festgehalten: In vorher genau zu bezeichnenden Gebieten der Kommune ({1}) - ich kann Ihnen genau auflisten, was darunter zu verstehen ist -wird das dort bestehende Eigentum an Grund und Boden auf Grund eines Bundesgesetzes - jetzt kommt es - nach Art. 14 des Grundgesetzes durch besonderen Rechtssatz in das Verfügungseigentum der Gemeinde überführt.
Jetzt will ich Ihnen einmal einen Hamburger Parteitagsbeschluß vorlesen. Dort haben Sie beschlossen:
Das Grundrecht des Eigentums wird in Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes dadurch eingeschränkt, daß zum Wohl der Allgemeinheit auch Enteignungen zulässig sind. Das für die Eigentumsordnung charakteristische Spannungsverhältnis zwischen Interessen des einzelnen Eigentümers und den Belangen der Allgemeinheit wird also vom Grundgesetz so geregelt, daß im Konfliktfall das Wohl der Allgemeinheit den Vorrang vor der garantierten Rechtsstellung des einzelnen hat. Die Individualfunktion des Bodeneigentums hat mithin dort eine Grenze, wo die Raumordnung und ein den Bedürfnissen der Menschen dienender Städtebau beeinträchtigt werden.
({2})
Lieber Herr Kollege Jahn, jetzt frage ich Sie: Wenn wir unser Modell auf Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes aufbauen, also das Wohl der Allgemeinheit zur Voraussetzung der Anwendung der Trennung von Verfügungs- und Nutzungseigentum machen, wo liegt dann eigentlich der Unterschied zu dem, was Sie damals theoretisch erkannt und beschlossen haben? Wir ziehen nur die Konsequenzen
daraus. Das zieht sich sowieso wie ein roter Faden durch den ganzen Bereich.
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Herr Kollege, das muß ich jetzt aber etwas deutlicher sagen: Daß der Kollege Schmöle davon gesprochen hat, daß hier schrittweise kommunalisiert wird, daß hier Machtzuwachs entsteht, der demokratisch nicht zu kontrollieren ist, liegt, finde ich, im Rahmen der zulässigen Polemik. Ich finde auch die Randbemerkungen der übrigen Kollegen Ihrer Fraktion dazu in Ordnung. Daß Sie aber, Herr Dr. Jahn, diese Vorstellungen zum Bodenrecht, wie ich sie eben vorgetragen habe, mit einem DDR-Gesetz vergleichen, würde ich, wenn ich mir dafür nicht einen Ordnungsruf einhandeln würde, als üble Brunnenvergiftung bezeichnen.
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Das ist deutlich unter dem, was hier möglich sein sollte, Herr Kollege Jahn.
Jetzt will ich auch noch ein paar Bemerkungen zu dem Dreistufenplan machen. Es ist doch völlig unmöglich, daß Sie das, was im Ausschuß in einer von allein Seiten bestätigten sachlichen Atmosphäre beraten worden ist, in dieser Weise darstellen. Ich habe Ihnen vorgetragen - und andere Kollegen vor mir haben es getan -, daß wir die Wertabschöpfung in einem begrenzten Umfang als Vorteilsausgleich im Rahmen dieses Gesetzes als eine Lösungsmöglicheit des Problems ansehen, um einen Teilbereich abzudecken, daß es aber einen Bereich gibt, in dem keine Bebauungspläne mehr aufgestellt werden, daß dort andere Preisentwicklungen möglich sind und daß man da überlegen muß, ob man die Dinge durch eine Bodenwertzuwachsteuer regeln kann. Dann haben wir drittens - das ist Ihre dritte Stufe ({5})
gesagt: In den besonderen Zentren der Städte - um den Bahnhof herum, um besondere Plätze herum - gibt es Bereiche, in denen all diese Instrumente nicht greifen können. Hier muß es im Rahmen des Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes, also zum Wohl der Allgemeinheit, möglich sein, in einem - wenn Sie so wollen - verfeinerten, modernisierten Erbbaurecht die Kommunen - sprich: die Gemeinschaft - in den Stand zu versetzen, ihre bodenpolitischen Vorstellungen durchzusetzen und in einer Weise zu regeln, wie das den Bedürfnissen der Allgemeinheit entspricht.
Ich will meine vorbereitete Rede in Anbetracht der späten Stunde - wir wollen ja zum Ende kommen - zur Seite legen. Lassen Sie mich nur noch feststellen: Wir brauchen eine sachgerechte Balance zwischen den Ansprüchen der Gemeinschaft und den Interessen des einzelnen Eigentümers und des Investors. Das alte Bundesbaugesetz hat diese Balance nicht herstellen können. Das ist unstrittig und auch von Ihren Sprechern im Ausschuß und heute anerkannt worden. Die Novelle, über die wir jetzt in dritter Lesung abstimmen wollen, Herr Kollege Mick, wird vermutlich nicht ausreichen, die Gewichte in ausreichender Weise zugunsten der Gemeinschaftsinteressen zu verlagern. Aber sie ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Ich möchte zum Schluß die Gelegenheit nutzen, den Vertretern der Bundesregierung - und hier nenne ich ganz besonders die Herren Bielenberg und Dyong -, die die Ausschußberatungen in hervorragender Weise begleitet und unterstützt haben, sehr herzlich für ihre Arbeit zu danken.
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Im Gegensatz zu Ihnen und mit Minister Ravens bin ich der Meinung, daß wir trotz aller Schwächen und Probleme, die wir auch kennen, im Prinzip ein gutes Gesetz gemacht haben, ein Gesetz, mit dem unsere Gemeinden in den nächsten Jahren ihre Aufgaben werden besser lösen können, als das unter dem alten Bundesbaugesetz möglich war.
Meine Damen und Herren, wegen der besonderen Bedeutung dieses Gesetzes darf ich im Namen der Koalition namentliche Abstimmung beantrage-n.
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Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die Aussprache in dritter Beratung ist beendet. Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte, mit der Abstimmung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, obwohl der Tagesordnungspunkt noch nicht ganz beendet ist - denn das Ergebnis kann noch nicht bekanntgegeben werden -, können wir die Gelegenheit wohl mit Ihrer Zustimmung nutzen, folgendes zu erledigen. Der Abgeordnete Stücklen hat um das Wort gebeten zur Abgabe einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Ich erteile Ihnen, Herr Kollege Stücklen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Stenographischen Bericht über die 224. Sitzung am 19. Februar 1976 ist nach der Erteilung des Wortes an den Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz durch Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen ein von mir gemachter Zuruf wiedergegeben. Der Zuruf steht an falscher Stelle, denn ich habe ihn nicht nach, sondern vor dieser Worterteilung gemacht. Da die falsche Plazierung den Eindruck erweckt, ich hätte mich mit meinem Zuruf zu dem gerade aufgerufenen Redner geäußert,
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stelle ich hiermit klar, daß es die Ausführungen von Bundeskanzler Helmut Schmidt waren,
({1})
die mich zu dem Zuruf veranlaßt haben: „Darauf kann man nur ganz gedämpft antworten: Laßt alle Hoffnung fahren!"
({2})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich gebe das inzwischen vorliegende Ergebnis
Vizepräsident von Hassel
der Schlußabstimmung über das Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes bekannt. Es sind von uneingeschränkt stimmberechtigten Abgeordneten 392 Stimmen abgegeben worden. Davon haben mit Ja 226 und mit Nein 166 Kollegen votiert. Von den Berliner Abgeordneten haben 12 mit Ja, 6 mit Nein abgestimmt. Abgegebene Stimmen der Berliner Abgeordneten: 18.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 392 und 18 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 226 und 12 Berliner Abgeordnete, nein: 166 und 6 Berliner Abgeordnete
Ja SPD
Dr. Ahrens Amling
Anbuhl
Arendt ({3}) Dr. Arndt ({4}) Augstein
Baack
Bahr
Barche
Dr. Bardens Batz
Becker ({5}) Biermann
Dr. Böhme ({6}) Börner
Frau von Bothmer
Brandt
Brandt ({7})
Brück
Buchstaller Büchler ({8}) Büchner ({9})
Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann Collet
Coppik
Frau Dr. Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg
Frau Eilers ({10})
Dr. Emmerlich
Dr. Enders Engholm
Esters
Ewen
Fiebig
Dr. Fischer Frau Dr. Focke
Franke ({11}) Gansel
Geiger
Gerstl ({12})
Gertzen
Dr. Geßner Glombig
Dr. Glotz
Gnädinger Grobecker Grunenberg Dr. Haack Haase ({13}) Haase ({14})
Haehser
Dr. Haenschke
Halfmeier Hansen
Hauck
Dr. Hauff Henke
Herold
Höhmann Hofmann Dr. Holtz Horn
Frau Huber Huonker
Immer ({15}) Jahn ({16})
Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans Junker
Kaffka
Kater
Kern
Koblitz
Konrad
Kratz
Dr. Kreutzmann
Krockert Kulawig Lambinus Lattmann Dr. Lauritzen
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löbbert Lutz
Mahne
Marquardt Marschall Frau Meermann
Dr. Meinecke ({17}) Meinike ({18}) Metzger
Möhring
Müller ({19})
Müller ({20})
Müller ({21}) Müller ({22})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Neumann. Dr.-Ing. Oetting
Frau Dr. Orth
Freiherr
Ostman von der Leye Peiter
Dr. Penner Pensky Peter
Rapp ({23})
Rappe ({24}) Ravens
Frau Dr. Rehlen
Reiser
Frau Renger Reuschenbach
Richter
Frau Dr. Riedel-Martiny Röhlig
Rohde Rosenthal
Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel Schäfer ({25})
Dr. Schäfer ({26}) Scheffler
Scheu
Frau Schimschok Schirmer
Schlaga Schluckebier
Dr. Schmidt ({27}) Schmidt ({28}) Schmidt ({29}) Schmidt ({30})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schonhofen
Schreiber
Schulte ({31})
Dr. Schwencke ({32}) Dr. Schwenk ({33}) Simon
Dr. Sperling
Spillecke
Stahl ({34})
Frau Steinhauer
Suck
Sund
Tietjen
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vahlberg
Vit
Dr. Vogel ({35}) Vogelsang
Walther
Dr. Weber ({36})
Wehner Wende Wendt Dr. Wernitz
Westphal
Wiefel Wilhelm
Wimmer ({37}) Wischnewski
Dr. de With
Wittmann ({38}) Wolf
Wolfram ({39}) Wrede
Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Dübber Egert
Grimming
Frau Grützmann Löffler
Männing
Mattick
Dr. Schellenberg Frau Schlei
Schwedler
Sieglerschmidt
FDP
Baum
Dr. Böger Engelhard Frau Funcke Gallus
Geldner
Hölscher
Jung
Kirst
Kleinert
Dr. Kreibaum Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Logemann
Frau Lüdemann
Dr. Dr. h. c. Maihofer Mertes ({40}) Mischnick
Opitz
Peters ({41}) Schleifenbaum
Schmidt ({42})
von Schoeler Spitzmüller Dr. Vohrer
Wolfgramm ({43}) Wurbs
Zywietz
Fraktionslos Emeis
Nein CDU/CSU
Alber
von Alten-Nordheim
Dr. Althammer
Dr. Arnold Baier
Dr. Becker ({44}) Benz
Bewerunge Biechele
Biehle
Dr. Blüm
von Bockelberg
Braun
Bremer
Burger
Carstens ({45})
Dr. Carstens ({46}) Dr. Czaja
van Delden Dreyer
Eigen
Erhard ({47}) Ernesti
Dr. Evers Ey
Dr. Eyrich
Vizepräsident von Hassel Freiherr von Fircks
Franke ({48})
Dr. Franz
Dr. Fuchs
Frau Geier
Geisenhofer Gerlach ({49})
Gerster ({50}) Gewandt
Gierenstein Dr. Gölter
Dr. Götz
Dr. Gruhl
Haase ({51}) Dr. Hammans Handlos
von Hassel
Hauser ({52}) Dr. Hauser ({53})
Dr. Heck
Höcherl
Hösl
Dr. Hornhues Horstmeier
Frau Hürland Dr. Hupka
Jäger ({54}) Dr. Jahn ({55})
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Josten
Dr. Kempfler Kiechle
Dr. Klein ({56})
Dr. Klein ({57})
Dr. Kliesing
Dr. Köhler ({58})
Dr. Köhler ({59}) Köster
Krampe
Dr. Kraske
Dr. Kreile
Freiherr
von Kühlmann-Stumm
Dr. Kunz ({60}) Lagershausen Lampersbach
Lemmrich
Dr. Lenz ({61}) Lenzer
Löher
Dr. Luda
Dr. Marx
Maucher
Dr. Mende
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Möller ({62})
Dr. Müller ({63}) Müller ({64}) Dr. Müller-Hermann Dr. Narjes
Frau Dr. Neumeister Niegel
Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt Pfeffermann
Pfeifer
Picard
Pohlmann
Rainer
Rawe
Reddemann
Frau Dr. Riede ({65}) Dr. Riedl ({66})
Dr. Ritgen
Dr. Ritz
Röhner
Sauer ({67}) Sauter ({68}) Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein
Dr. Schäuble
Schetter
Frau Schleicher Schmidhuber
Schmidt ({69}) Schmitt ({70}) Schmitz ({71}) Schmöle
Frau Schroeder ({72}) Dr. Schröder ({73}) Schröder ({74}) Schröder ({75}) Schulte
({76}) Seiters
Sick
Solke
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({77})
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen Frau Stommel Stücklen
Susset
de Terra
Thürk
Tillmann
Dr. Todenhöfer Frau Tübler Dr. Unland
Vehar Frau Verhülsdonk
Vogel ({78})
Volmer
Dr. Waigel Wawrzik
Weber ({79}) Werner
Frau Will-Feld
Windelen Wissebach
Dr. Wittmann ({80}) Frau Dr. Wolf
Dr. Wulff Zeyer
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Frau Berger ({81}) Kunz ({82})
Müller ({83})
Frau Pieser
Straßmeir
Damit ist das Gesetz angenommen.
Wir haben dann noch über Ziffer 2 des Ausschußantrags auf Seite 58 abzustimmen. Wer der Ausschußempfehlung seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 12. März, 9 Uhr ein und schließe die heutige Sitzung.