Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich eröffne die Sitzung.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({0}).
- Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung auf, die in der Debatte miteinander verbunden werden:
2. Große Anfrage der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Hoffie, Dr. Graf Lambsdorff, Frau Schuchardt, Kern, Wolfram ({1}), Flämig, Dr. Jens, Kaffka, Dr. Lohmar, Reuschenbach, Scheu, Schwedler, Stahl ({2}) und der Fraktionen der FDP, SPD
betr. rationelle und sparsame Energieverwendung
- Drucksachen 7/2890, 7/3595 -3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einsparung von Energie in Gebäuden ({3})
- Drucksache 7/4575 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({4})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
In der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Kern das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen begründe ich die Große Anfrage betreffend rationelle und sparsame Energieverwendung und möchte im Zusammenhang damit auch den Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag zu den beiden Großen Anfragen, die heute in der energiepolitischen Debatte diskutiert werden, einführen.
Als die Koalitionsfraktionen 1974 die Große Anfrage betreffend rationelle und sparsame Energieverwendung vorbereiteten und einbrachten, hatten wir gerade den Ölpreisschock hinter uns, aber einen immer noch angespannten Energiemarkt. Außerdem
gab es eine Energiebedarfsprognose, die besagte, daß wir heute jährlich mehr als 400 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten Primärenergie verbrauchen würden. Tatsächlich aber liegt der Primärenergieverbrauch im Jahre 1975 bei 348 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten und damit unter dem Niveau von 1972. Außerdem haben wir heute Überkapazitäten an Kraftwerksleistung, große Ölvorräte und 18 Millionen Tonnen Kohle auf Halde.
Bei oberflächlicher oder kurzfristiger Betrachtung der momentanen Energiemarktsituation in der Bundesrepublik könnte der Schluß gezogen werden, die rationelle und sparsame Energieverwendung habe die Priorität in der Energiepolitik verloren. Dennoch sind wir der Meinung, daß für unsere gegenwärtigen energiepolitischen Entscheidungen die Priorität unverändert bei Energiesparmaßnahmen liegt. Daher steht auch die Große Anfrage betreffend rationelle und sparsame Energieverwendung mit gutem Grund am Beginn der heutigen Energiedebatte.
Ich möchte Ihnen begründen, warum Energiesparmaßnahmen auch heute Priorität haben. Energiepolitische Entscheidungen von heute müssen nicht nur in ihrer Folgewirkung auf die nächsten Jahre, sondern auch für die Generationen nach uns verantwortet werden. Energiepolitische Entscheidungen dürfen aber nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten, sondern sie müssen auch in ihren Auswirkungen auf die Umwelt, die Technologie, die Gesellschaft in ihrer ganzen Pluralität und das Leben des einzelnen bedacht werden. Um diese vielfältigen Aspekte gründlich zu analysieren und Konsequenzen daraus für die heutige Energiedebatte zu ziehen, haben wir in der SPD-Fraktion eigens eine Querschnittarbeitsgruppe aus Mitgliedern der Arbeitsgruppen „Wirtschaft", „Forschung und Technologie", „Gesundheit" und „Umwelt" gebildet und den vorliegenden Entschließungsantrag vorbereitet.
Wir haben dabei festgestellt, daß die früher als sicher angenommene Korrelation zwischen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes und Energiewachstum in den letzten zwei Jahren nicht mehr stimmte, so daß der Rückgang des Energieverbrauchs nicht allein konjunkturell, sondern auch strukturell bedingt ist. Das Gesetz des Marktes, daß steigende Preise zu einer nachlassenden Nachfrage führen,
wirkt auch auf dem Energiemarkt. In dieser Feststellung hat uns auch die unter Federführung von Hans Karl Schneider erstellte OECD-Studie „Perspektiven der Energie-Versorgung bis 1985" bestärkt. Dort heißt es:
Der plötzliche Anstieg der Energiepreise wird diese funktionale Beziehung verändern, indem er den gesamten Energieverbrauch je Einheit des Bruttoinlandsprodukts senken und die Struktur der Inlandsnachfrage in Richtung auf weniger energieintensive Waren und Dienstleistungen ändern wird.
Von diesen Veränderungen werden künftige Energiebedarfsprognosen und Investitionsplanungen auszugehen haben.
Ich bin froh und danke dem Bundeskanzler Helmut Schmidt dafür, daß er bereits im November vergangenen Jahres mutig und offen zum Problem der Planung und Prognose in der Energiewirtschaft Stellung genommen hat. Er sagte in seiner Mannheimer Rede:
In der Energiewirtschaft auf staatliche Standortplanung und auf staatliche Investitionsplanung zu verzichten wäre unverantwortlich ... Dabei sind gleichwohl auch schwere Fehlschläge nicht ausgeschlossen. Denken wir nur an den stillgelegten Bau des Steinkohlenkraftwerks Voerde, oder denken wir daran, daß das von uns mit großer Sorgfalt erarbeitete Energieprogramm, auf das ich sehr stolz war, durch die Weltenergiekrise überholt ist. Hier zeigt sich die Notwendigkeit der Skepsis gegenüber staatlicher Prognosekraft.
Unsere energiepolitischen Entscheidungen müssen sich zunächst an den Weltvorräten fossiler Brennstoffe orientieren. Legt man den Weltverbrauch des Jahres 1972 zugrunde und geht von einem gleichbleibenden Verbrauch aus, dann reichen die Vorräte an Erdöl noch 37 Jahre, die Erdgasvorkommen noch 41 Jahre und die Kohlevorräte noch 1 725 Jahre. Nimmt man jedoch - ausgehend wiederum vom Verbrauch des Jahres 1972 - eine jährliche Steigerungsrate von 5 % an, dann reichen die Vorräte an Erdöl noch 21 Jahre, an Erdgas noch 23 Jahre und an Kohle noch 180 Jahre.
Bedenkt man hinzu noch, daß die Kohle ein heimischer Energieträger ist, während die beiden anderen fossilen Brennstoffe überwiegend importiert werden müssen, dann ergibt sich für die Kohle eine klare Priorität.
({0})
Wir wären schlecht beraten, wenn wir in dem augenblicklich stattfindenden Verdrängungswettbewerb zulassen würden, daß Förderkapazitäten an Kohle durch Öl oder Erdgas vom Markt verdrängt würden. Die politisch verantwortliche Entscheidung kann daher nur lauten: Stabilisierung des absoluten Beitrags der Steinkohle. In dieser Zielsetzung ist sich die Bundesregierung mit der Europäischen Gemeinschaft einig. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie hat in seiner Stellungnahme zur Energiepolitik vom Juli 1975 diese Zielsetzung ausdrücklich unterstrichen.
Im Energieprogramm der Landesregierung von Baden-Württemberg, das uns in der vergangenen Woche zuging, steht ein Maßnahmenkatalog, der eingeleitet wird mit dem Satz:
Die Landesregierung hält u. a. folgende Maßnahmen für richtig und ist grundsätzlich bereit, sie zu unterstützen.
Die ersten drei Maßnahmen in diesem Katalog lauten: Erstens die Erhaltung der Förderkapazität des deutschen Steinkohlenbergbaus von gegenwärtig knapp 100 Millionen Tonnen, zweitens die Weiterentwicklung der Technik zur Vergasung und Hydrierung von Kohle, drittens die Aufschließung weiterer Braunkohlenvorkommen. Ich kann dem nur voll zustimmen.
Allerdings muß ich nun feststellen, daß dies im besten Fall nur ein Lippenbekenntnis dieser Landesregierung ist. Denn nach der folgenden Prognose des Landes Baden-Württemberg geht der Anteil der Kohle am Primärenergieverbrauch von heute 13,5 % auf 3 % im Jahre 1990 zurück, was einer totalen Verdrängung gleichkommt, da in diesen 3 % auch noch sonstige Energieformen, z. B. die aus Müll gewonnene Energie oder auch die Solarenergie, enthalten sind.
Wenn man dazunimmt, wie diese Verdrängung geplant ist - nämlich durch eine Steigerung des Anteils der Kernenergie am Primärenergieverbrauch von heute 2,5 % auf 34 % im Jahre 1990 -, dann braucht man gar kein Gegner der Kernenergie zu sein, um diese Zielsetzung als Hybris zu bezeichnen.
In diesem baden-württembergischen Energieprogramm sind die Strukturveränderungen auf dem Energiemarkt überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Die Strukturen, die vor der Energiekrise bis 1973 galten, werden in diesem Programm konserviert. Daher ist es ein Musterbeispiel für Strukturkonservativismus.
Ich möchte an dieser Stelle aber einige Sätze zu der Diskussion um die Kernenergie sagen. Meine Fraktionskollegen Dr. Haenschke, Gerhard Flämig, Harald Schäfer und Rolf Böhme werden im Laufe des Nachmittags bei der Behandlung der Großen Anfrage zur friedlichen Nutzung der Kernenergie im einzelnen ausführlich Stellung nehmen.
Zur Klärung des Standorts der Diskussion in der Öffentlichkeit möchte ich feststellen, daß wir uns im Jahr 1976 in der Bundesrepublik im letzten Jahr des derzeit laufenden vierten Atomprogramms befinden. Es geht nicht mehr um die Frage, ob wir die Kernenergie als neue Technologie einführen sollen oder nicht. Wir haben nicht mehr die Gnade der Stunde null, sondern die Chance, durch energiepolitische Entscheidungen von einem undifferenzierten zu einem organischen Wachstum des Energieverbrauchs zu kommen. Wir können bestenfalls den gegenwärtigen Verdrängungswettbewerb auf dem Energiemarkt in die richtige Richtung lenken.
Ich halte es auch nicht für hilfreich, wenn Befürworter und Gegner der Kernenergie mit Nobelpreisträgern und anderen Autoritäten und mit ganzen Legionen von Unterzeichnern einander gegenüberKern
treten. Niemand, der ernsthafte Sorgen hat, kann dadurch Klarheit gewinnen.
Was wir gegenwärtig zu klären haben, ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang wir einen weiteren Ausbau der Kernenergie wollen. Die heutige Energiedebatte sollte daher nach Auffassung der Koalitionsfraktionen nicht in eine Diskussion pro und contra Kernenergie verfälscht werden, sondern eine Strategie für die Energiepolitik unter Berücksichtigung aller energiepolitischen Entscheidungsvoraussetzungen entwikkeln.
Bei dieser Strategie geht es um Setzung von Prioritäten. Für uns behält die Energieeinsparung erste Priorität. Aus diesem Grund haben wir die Große Anfrage zur rationellen und sparsamen Energieverwendung eingebracht und sehen uns auch heute darin bestätigt.
So hat z. B. der beratende Ausschuß für Forschung und Technologie in seinen Empfehlungen zum Energiebedarf und zur Reaktorsicherheit Ende vergangenen Jahres einstimmig beschlossen:
Energiesparende Techniken sollten die erste Förderungspriorität erhalten. Dies sollte nicht nur durch direkte Förderung geschehen, sondern auch durch eine Energiepolitik, die Marktanreize für Energiesubstitution setzt. In der Entwicklung substituierender Techniken dürfte auch eine künftige Konkurrenzchance auf dem Weltmarkt liegen.
Wir haben aber diese Anfrage auch deswegen eingebracht, weil wir gegenwärtig nur in Energiesparmaßnahmen die Möglichkeit sehen, das Spannungsverhältnis zwischen einer sicheren und ausreichenden Bereitstellung von Energie einerseits und den dringenden Erfordernissen des Umweltschutzes andererseits zu verringern. In einem so dicht besiedelten Gebiet wie der Bundesrepublik Deutschland muß die Energieversorgung stärker als anderswo auf die Belange des Umweltschutzes achten. Daher stimmen wir mit der Bundesregierung darin überein, daß rationelle Verwendung von Energie ein Beitrag zu vernünftigem Umweltschutz ist. Weil die relativ niedrigen Energiepreise der vergangenen Jahre zu einem großzügigen Umgang mit Energie verführt haben, bestehen noch beträchtliche Reserven für Energieeinsparungen.
Bei den einzelnen Fragen unserer Großen Anfrage interessierte uns besonders die Frage der WärmeKraft-Kopplung, der kombinierten Erzeugung von Nutzwärme und Elektrizität, weil damit der Nutzungsgrad der Primärenergie von zirka 35 % bei reiner Stromerzeugung auf 60 bis 80 % bei gekoppelter Erzeugung von Strom und Wärme erhöht wird. Gleichzeitig wird aber auch der zusätzliche Effekt erzielt, daß die Umweltbelastung vermindert wird, wenn weniger Abwärme an Kühlwasser oder an die Luft abgegeben wird. Daß diese Frage richtig war, bestätigt auch der Arbeitskreis „Sinnvoller Energieeinsatz" des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der in seinem Bericht vom Juni vergangenen Jahres feststellt:
Die Möglichkeiten zur Brennstoffeinsparung durch forcierten Einsatz der Kraftwärmekopplung sind beträchtlich. Nach einer mehrjährigen Entwicklungszeit ... könnten nach Ansicht sachverständiger Autoren zugunsten der deutschen Volkswirtschaft im Endausbau wesentliche Rohenergiemengen eingespart werden. Gleichzeitig würde die zusätzliche Möglichkeit geschaffen, erhebliche Mengen von Heizöl durch andere Brennstoffe zu substituieren, da bei größerer Kesselleistung z. B. Steinkohleneinsatz leichter zu verwirklichen ist.
Die im Zusammenhang mit der Wärme-Kraft-Koppelung verfügbar werdende Fernwärme führt bereits jetzt zur Schaffung neuer energiesparender Fernwärmgebiete, und die in der Arbeitsgemeinschaft „Fernwärme" zusammengeschlossenen Betreiber von Heizkraftwerken rechnen mit der Möglichkeit einer Verdoppelung ihres Wärmeabsatzes in etwa zehn Jahren. Der BDI hat vorgeschlagen, die Gruppenwärmeversorgung benachbarter Industriegebiete durch Schaffung von gemeinsamen Kraftwärmeanlagen möglichst im engen Verbund mit dem öffentlichen Stromversorgungsnetz anzustreben. Dadurch können rasch neue Ferwärmeinseln gebildet werden. Daß die Bundesregierung alle Bemühungen unterstützt, die darauf abzielen, vorhandene Fernwärmenetze auszubauen, neue Fernwärmeversorgungsgebiete zu erschließen und benachbarte Netze zusammenzufassen, stellt uns zufrieden.
Unsere Frage nach den Energieeinsparungsmöglichkeiten im industriellen Bereich konnte mit dem Hinweis auf konkrete Forschungsvorhaben zur Verbesserung von bestehenden Techniken sowie zur Entwicklung neuer Technologien beantwortet werden. An diese Stelle möchte ich besonders dem Bundesministerium für Forschung und Technologie für die im Rahmen des Energieforschungsprogramms in Gang gebrachten Vorhaben danken. Wir sehen in den vielen Vorhaben, die auch in der Antwort auf unsere Große Anfrage auf den Seiten 11 bis 14 und den Seiten 23 bis 36 aufgeführt sind, einen wichtigen Beitrag und bitten die Bundesregierung, in diesen Anstrengungen im Interesse der Energieeinsparung nicht nachzulassen.
({1})
Erfreulich finde ich auch, daß wir heute das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden beraten können und damit ein wichtiger Teil unserer Fragen so beantwortet wird, daß weitere Einsparungen im Mineralölbereich möglich sind.
Von besonderem Interesse war für uns die Frage der Quantifizierung der Energieeinsparungsmöglichkeiten. Nach der Antwort der Bundesregierung werden durch die bereits ergriffenen und geplanten Maßnahmen, die sich erheblich erst von diesem Jahr an auswirken können, bis 1980 zirka 18 bis 22 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten gespart. Bis 1985 werden es 35 bis 40 Millionen t Steinkohleeinheiten sein. Etwa 60 % davon entfallen auf den Mineralölbereich und etwa 40 % auf andere Energieträger.
14826 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode
Die Koalitionsfraktionen fordern in ihrem Entschließungsantrag daher die Bundesregierung auf, diese Energieeinsparungen ebenso wie die Strukturveränderungen auf dem Energiemarkt bei der künftigen Fortschreibung des Energieprogramms und bei ihren Aussagen über den Ausbau der Kernkraftwerkskapazität und der Kraftwerkskapazität überhaupt zu berücksichtigen. Gerade weil die notwendige Sicherheit kerntechnischer Anlagen Vorrang vor wirtschaftlichen Belangen hat, diese aber nicht nur eine Frage der Sicherheitsbestimmungen ist, sondern zunehmend eine Frage der personellen und organisatorischen Ausstattung der für die Sicherheitsaufsicht verantwortlichen Stellen - was nach einmütiger Auffassung des Innenausschusses und des Ausschusses für Forschung und Technologie der Unfall in Gundremmingen gezeigt hat - gilt es jetzt, die durch den geringen Energieverbrauch und die Energiesparmaßnahmen gewonnene Zeit zu nutzen. Wir brauchen diese Zeit dringend, weil es bei der Nutzung von Kernenergie noch eine Reihe von Einzelproblemen gibt, die durch große Anstrengungen der Hersteller und Betreiber sowie durch Forschungsprogramme der Bundesregierung zur Verbesserung von Sicherheit und Zuverlässigkeit kerntechnischer Anlagen gelöst werden müssen.
Auch aus diesem Grund hat für uns die Energieeinsparung Priorität.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stavenhagen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu den Bemerkungen, die der geschätzte Kollege Kern zum Sektor Planung und Prognose gemacht hat, möchte ich mit Erlaubnis der Frau Präsidentin nur einen Satz aus der „Welt" von heute vorlesen:
Dem weltweiten gigantischen Produzentenmonopol für 01 steht am Rhein eine kleine Flickschusterei entgegen, die pragmatische Reaktionen auf Veränderungen am Markt für „Politik" ausgibt.
In der Tat sehen wir, daß kurzfristig der Energiesektor von einem großen strukturellen Durcheinander gekennzeichnet ist. Wenn man von langfristigen Strategien spricht, müßte man, glaube ich, zunächst einmal dieses kurzfristige Durcheinander ordnen. Das ist also die kurzfristige Komponente. Daneben gibt es - darin sind wir uns völlig einig - die langfristige Komponente, daß Energie auch in Zukunft knapp sein wird und daß Voraussetzung für das angestrebte qualitative Wachstum und auch Voraussetzung für sichere Arbeitsplätze eine sichere Energieversorgung in der Zukunft ist.
Die Energiebilanz der Bundesrepublik Deutschland zeigt, wie wichtig der Sektor „rationelle und sparsame Energieverwendung" ist. Wenn wir uns vor Augen halten, daß von dem gesamten Primärenergieeinsatz letztlich beim Verbraucher nur rund 30 % genutzt werden, daß der Rest auf dem Weg zum Verbraucher und beim Verbraucher verlorengeht, wird das außerordentliche Potential deutlich, das in diesem Bereich steckt. Herr Kern nannte Baden-Württemberg; es gibt noch andere revierferne Länder, die in einer ständig benachteiligten Situation sind. Für diese revierfernen Länder sind gerade die Maßnahmen im Bereich rationelle Energieverwendung von außerordentlicher Wichtigkeit. Ich glaube nicht, daß die Wertung von Herrn Kern richtig ist, Baden-Württemberg nehme Strukturveränderungen im Energiesektor nicht zur Kenntnis. Tatsache ist aber, daß die Maßnahmen, die von der Bundesregierung im Bereich der Steinkohle ergriffen worden sind und weiter ergriffen werden sollen, nur kurzfristige Korrekturen für dieses Jahr, aber keine langfristige Sicherung der Situation bedeuten.
Rationelle Energieverwendung hat einmal große Bedeutung für den Sektor Umweltschutz, zum anderen große Bedeutung für die politische Abhängigkeit von Importen und letztendlich eben auch, weil die Energievorräte begrenzt und nicht regenerierbar sind, zumindest die Energien nicht, die wir gegenwärtig verwenden.
Es sind folgende Möglichkeiten denkbar: Das Vermeiden unnötigen Nutzenergieverbrauchs, also all das, was wir landläufig als Verschwendung ohne besseren Nutzen bezeichnen könnten; die Verminderung des Nutzenergiebedarfs; die Erhöhung von Nutzungsgraden - hier sind die technologischen Prozesse angesprochen -; die Energierückgewinnung und schließlich die integrierte Energieversorgung.
Etwa 40 % des gesamten Endenergieeinsatzes in Deutschland gehen in den Bereich der Raumheizung. Hier lassen sich wesentliche Einsparungen durch Aufklärung des Verbrauchers über die Möglichkeiten eines sinnvollen und rationellen Heizbetriebes erreichen, ferner durch bautechnische Maßnahmen - darüber werden wir nachher noch sprechen -, durch die Verwendung besserer Regel- und Steuereinrichtungen und sorgfältige Dimensionierung der Anlagen.
Für die Deckung des Prozeßwärmebedarfs werden etwa 35 % des Endenergieverbrauchs eingesetzt. Hier sind Verbrauchssenkungen durch das Vermeiden übertriebener Forderungen der Prozeßparameter möglich, durch Ersetzen von Energieträgern durch günstigere, rationellere Energieträger, durch neue Prozesse, durch energie- und anlagetechnische Maßnahmen.
Im Bereich des stationären Kraftbedarfs sind oft lange Leerzeiten und schlechte Auslastung von Maschinen und Antrieben zu beobachten. Entsprechend bestehen hier die Maßnahmen zur Rationalisierung im wesentlichen in einer bestmöglichen Anpassung der Maschinenkapazität an die gestellten Anforderungen, gute Auslastung der Maschinen und Vermeiden unnötiger Leerlaufzeiten.
Ein weiterer wichtiger Sektor, wenn auch quantitativ geringer, ist der Sektor Verkehr. Hier lassen sich durch energieoptimale Fahrweise im Individualverkehr, bessere Kapazitätsnutzung der Fahrzeuge, technische Verbesserungen, Nutzung anderer Energieträger und neuer Antriebstechniken und
sinnvolle Ergänzung von Individual- und öffentlichem Verkehr Einsparungen erzielen.
Weiter sei der Bereich der Beleuchtung nur erwähnt, wo durch eine optimale Gestaltung der Beleuchtungsanlagen Einsparungen möglich sind.
Schließlich sind noch zu nennen die Energierückgewinnung, die zu einer erheblichen Minderung des Energieaufwandes beitragen kann, wenn Technik und Betriebsweise bestehender Konzeptionen verbessert und neue Bereiche erschlossen werden, und der Gedanke einer integrierten Energieversorgung, der zunehmend in alle Überlegungen einbezogen werden muß.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß im Bereich rationeller Energieverwendung viel geschehen kann, nicht durch ganz neue Technologien, sondern durch eine günstigere Kombination schon bekannter und bestehender Technologien. Hinzu muß selbstverständlich die Forschung, die Suche nach neuen Techniken kommen.
Die Bundesregierung hat ihre Maßnahmen in ihrer Antwort auf die Große Anfrage von SPD und FDP betreffend rationelle und sparsame Energieverwendung dargelegt. Wir meinen, daß hier folgende Kritikpunkte angemeldet werden müssen: Einmal - auch das sagt ja die Antwort - sind die bisher ergriffenen Maßnahmen im Bereich rationeller Energieverwendung in ihrer Auswirkung bis 1980 quantitativ kaum zu bemerken. Die Bundesregierung spricht selbst von 2,6 Millionen Tonnen SKE. Das ist angesichts eines Jahresverbrauchs von rund 350 Millionen Tonnen SKE verschwindend wenig. Das, was geplant wird - ein Teil davon wird heute in erster Lesung behandelt, nämlich das Gesetz zur Energieeinsparung im Bereich von Gebäuden -, bringt etwas mehr, nämlich weitere 15 bis 19 Millionen Tonnen SKE. Aber insgesamt, gemessen an dem darin enthaltenen Potential, erscheint uns dies alles noch zu wenig. Geschehen ist bisher noch kaum etwas, geplant ist wenig, und zu tun bleibt außerordentlich viel.
Zweitens. Im Rahmenprogramm Energieforschung von 1974 bis 1977 kommt der Sektor „rationelle Energieverwendung" sehr schlecht weg. Es sind 56 Millionen DM bei einem Programm von 1,4 Milliarden DM vorgesehen. Wir haben schon damals, als dieses Programm vorgelegt wurde, gesagt: Dieser Anteil muß wesentlich erhöht werden; das ist dringend notwendig. Ohnehin hat man ja beim Lesen dieses Programms ein bißchen den Eindruck, daß damals, ausgelöst durch die akute Situation, schnell etwas vorgelegt werden mußte. Zum Teil sind Projekte darin, die früher schon vorlagen, die zum Teil auch bereits abgelehnt waren, die man dann, weil man dieses Programm eben kurzfristig vorlegen wollte, wieder aufgegriffen hat.
Drittens. Der Empfehlung des beratenden Ausschusses für Forschung und Technologie ist voll und ganz zuzustimmen, daß rationelle Energieverwendung Priorität haben muß. Ich kann aber Herrn Kollegen Kern nicht folgen, wenn er sagt, daß sie das bisher schon hatte. Nein, bisher hatte sie es noch nicht; sie muß es in Zukunft, insbesondere im Bereich der Forschungspolitik, verstärkt haben. Deswegen fordern wir, daß in dem neuen Energieforschungsprogramm, das ja die nichtnukleare Energieforschung und die Kernenergieforschung zusammenfassen soll zu einem Programm und das in ersten Entwürfen vorliegt, die rationelle Energieverwendung auch quantitativ wesentlich weiter nach vorne geschoben wird.
Viertens. Es ist dem beratenden Ausschuß zuzustimmen, daß nicht nur mit direkten Förderungsmaßnahmen im Bereich der Forschung die Dinge verbessert werden können, sondern daß daneben auch eine Energiepolitik treten muß, die alle Möglichkeiten von indirekten Marktanreizen für Energiesubstitution und Energieeinsparung ausnutzt. Zusätzlich ist die Verbraucheraufklärung ganz wesentlich zu verstärken. Nur ein Beispiel: Mit einer Kilowattstunde Energie kann man einen Mann auf die Zugspitze befördern oder sich 85 Stunden lang elektrisch rasieren oder 25 Stunden eine 40-Watt-Birne betreiben oder drei Stunden fernsehen, aber nur ganze drei Minuten Heißwasser verbrauchen. Hier wird deutlich, wie wichtig die Verbraucheraufklärung über diese Zusammenhänge ist und was da wirklich an Einsparpotential drinsteckt. Wir meinen, daß auch die Information über diese Zusammenhänge im Unterricht verbessert werden sollte, daß das eingehen muß in die Lehr- und Ausbildungspläne bei Architekten, Ingenieuren und anderen verwandten Berufen und daß ganz wichtig auch die Tarifgestaltung ist; denn mit der Tarifgestaltung kann man zu sparsamer Energieverwendung ermuntern, oder man kann sie praktisch verhindern.
Was wir nicht wollen, ist ein Vorwand zu neuem Dirigismus, eine Energiepolizei oder ähnliches, sondern wir wollen hier ordnungspolitisch saubere, liberale Lösungen. Wir wollen weiter, daß dieses Bündel von Maßnahmen, das weit über die Energieforschung hinausgeht, zwischen Bund und Ländern sorgfältig abgestimmt wird. Wir meinen, daß es dringend notwendig ist, daß in diesem Bereich Ressortegoismen einfach zurücktreten und daß hier gemeinsam von allen betroffenen Ressorts nach optimalen Lösungen für die Zukunft gesucht wird.
Fünftens. Die Förderung energiesparender Techniken ist zweifellos auch unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit unserer Technologien auf dem Weltmarkt besonders attraktiv. Auch unter diesem Aspekt verdient dies eine verstärkte Förderung, direkt und indirekt.
Sechstens. Es scheint mir notwendig zu sein, daß einmal alle öffentlichen Vorschriften, Gesetze, Verordnungen usw. darauf überprüft werden, ob sie in ihrem Kern die sparsame Energieverwendung unterstützen oder ob sie ihr im Wege stehen oder sie gar verhindern. Ich glaube, daß man auch hier auf einiges Lohnendes stoßen wird.
Die Bundesregierung hat als eine der Maßnahmen den Entwurf eines Gesetzes zur Einsparung von Energie in Gebäuden vorgelegt. Wir begrüßen dies, auch die Zielsetzung. Wir fragen allerdings, warum das erst jetzt geschehen kann. Ich glaube, es gibt keinen Grund, daß man dieses Gesetz nicht schon ein Jahr früher hätte vorlegen können, zumal an14828
dere Länder ähnliche Gesetze haben und hier nicht unbedingt Neuland beschritten worden ist.
Lassen Sie mich drei Anmerkungen machen:
Erstens. Es ist durch entsprechende Gestaltung der Rechtsverordnungen sicherzustellen - und dies sagt auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme -, daß eine Komplizierung und Verlängerung des Baugenehmigungsverfahrens vermieden wird.
Zweitens. Die Verordnungen müssen mit den geltenden Bauordnungen synchronisiert und so gestaltet werden, daß sie den geringstmöglichen Verwaltungsaufwand auslösen. Wir wollen nicht, daß in diesem Bereich eine neue Flut von Verwaltungsausgaben entsteht.
Drittens. Es muß geprüft werden, ob in dieses Gesetz nicht Vorschriften aufgenommen werden können, die eine überflüssige oder übergroß dimensionierte Verwendung von technischen Anlagen verhindern oder zumindest eindämmen. Ich denke an Klimaanlagen, Beleuchtungsanlagen und ähnliches.
Dieses Energieeinsparungsgesetz ist ein erster, ein wichtiger Schritt. Wir begrüßen diesen Schritt, müssen aber gleich sagen, daß dies nicht der einzige Schritt bleiben darf, sondern weitere Schritte folgen müssen; ich habe sie ja aufgezählt. Wir müssen in der Energiepolitik von dem kurzatmigen Taktieren zu einer langfristigen Strategie kommen.
({0})
- Ich weiß nicht, was das mit Sozialismus zu tun haben soll. - Es muß durchgesetzt werden, daß die Energieeinsparungen in der Tat höchste Priorität bekommen, und zwar nicht nur verbal. Es darf aber kein Vorwand für weiteren Dirigismus geschaffen. werden.
Herr Kern, noch eine Bemerkung zur Kernenergie, die ja heute nachmittag separat ausführlich behandelt wird. Es trägt sicher auch zur 'Versachlichung der Diskussion in diesem Bereich bei, wenn Mitglieder von SPD und FDP davon Abstand nehmen, bei kirchlichen Zirkeln einerseits und bei den Betriebsräten andererseits unterschiedliche Positionen zu beziehen, so daß sich dann der Zuhörer aus diesem Durcheinander der Stellungnahmen das heraussuchen darf, was für ihn paßt.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Kollegen Dr. Stavenhagen kann ich nur feststellen, daß wir in wesentlichen Punkten, nämlich was die Notwendigkeit rationeller Energieverwendung betrifft, voll übereinstimmen. Ich darf sogar mit Genugtuung feststellen, daß er Äußerungen, die ich anläßlich der Einbringung unserer Großen Anfrage auf der Pressekonferenz gemacht habe,
hier fast im Wortlaut wiedergegeben hat. So sehr liegen die für die Bemühungen um eine rationelle Energieverwendung maßgebenden Argumente auf der Hand! Nur müssen wir feststellen, daß es die Koalitionsfraktionen sind, die hier die Initiative ergriffen und in der klaren Erkenntnis der Bedeutung rationeller Energieverwendung die Große Anfrage eingebracht haben, über deren Antwort wir heute debattieren.
Sie haben nun ausgeführt, Energiepolitik sei langfristig zu betreiben. Darin stimmen wir ebenfalls überein. Wir müssen auch erkennen, daß diese Problematik sehr komplex ist und daß Energiepolitik vielfältig mit allen möglichen Bereichen verzahnt ist. Ich verstehe deshalb nicht, daß Sie heute morgen den in der Presse erhobenen Vorwurf „Flickschusterei am Rhein" aufgreifen und der Bundesregierung entsprechende Vorhaltungen machen. Angesichts der auch nach Ihrer Meinung bestehenden Notwendigkeit, Energiepolitik langfristig zu betreiben, konnte diese Bundesregierung doch überhaupt erst beginnen, ein energiepolitisches Konzept zu entwickeln. Dieses wurde im Energieprogramm vorgelegt. Leider Gottes kam dann die Ölkrise und entwickelte sich eine weltwirtschaftliche Situation, die es notwendig machte, auf diesem Gebiet permanent kurzfristige Maßnahmen zu ergreifen. Ich möchte also hier für die Regierung und auch für die Koalitionsfraktionen diesen von Ihnen erhobenen Vorwurf zurückweisen. Er fällt im Grunde genommen auf die, die ihn jetzt aufgreifen.
({0})
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß eine sichere Energieversorgung heute und in der Zukunft die Grundvoraussetzung für unsere wirtschaftliche Entwicklung, für die Erhaltung unseres Lebensstandards und in besonderem Maße für die Verwirklichung auch gesellschaftspolitischer Zielvorstellungen ist. Daher muß Energiepolitik als eine Aufgabe mit hoher Priorität betrachtet werden. Sie wird zur Schlüsselfunktion, die unsere wirtschaftliche und damit letztlich auch politische Position und Bedeutung in der Welt sichert. Energieversorgung wird zum Lebensnerv der Gesellschaft, der aber infolge der gegebenen Abhängigkeiten leicht und äußerst empfindsam zu treffen ist, wie uns die Ölkrise nur zu deutlich gezeigt hat.
Sichere und gesicherte Verfügbarkeit ausreichender Energie ist eine Grundvoraussetzung für eine gesunde Wirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig müssen wir aber berücksichtigen, daß der Sicherung unserer Lebensbedingungen und der Erhaltung einer intakten Biosphäre oberste Priorität zukommt. Ich sehe hierin keinen Zielkonflikt, sondern ganz ausdrücklich einen politischen Auftrag.
Eine sinnvolle Energiepolitik muß sich auf allen politischen Ebenen vollziehen. Sie kann nicht isoliert von den Nachbarländern und den übrigen Staaten der Welt betrieben werden, sondern nationale Maßnahmen müssen sich einfügen in eine internationale Zusammenarbeit, und dies aus vielerlei Gründen: ökonomischen, soziologischen, ökologischen. Dies bedeutet u. a. für die Bundesrepublik, daß unsere Energiepolitik europäisch abgestimmt
werden muß und daß wir die Mitarbeit der Bundesregierung im Rahmen der Internationalen Energie-Agentur in Paris begrüßen, genauso wie das aktive Engagement der Bundesregierung für eine internationale Energie- und Rohstoffpolitik.
Die Bundesregierung und besonders auch der Bundeswirtschaftsminister haben, der Bedeutung der sicheren Energieversorgung und deren politischer Priorität entsprechend, eine konsequente Politik betrieben. Sie haben geeignete Wege aufgezeigt und beschritten, um die notwendigen Maßnahmen zur Bereitstellung der benötigten Energie durchzuführen, unterstützt und ergänzt durch die Forschungs- und Entwicklungsprogramme des Forschungsministers.
Diese Energiepolitik ist unter zwei wesentlichen zeitlichen Aspekten zu betrachten:
Erstens muß die kurz- und mittelfristige energiepolitische Zielsetzung darauf gerichtet sein, möglichst weitgehend die Importabhängigkeit in der Energieversorgung abzubauen oder zumindest nicht noch weiter zu vergrößern. Das bedeutet, erstens den Anteil des Erdöls an der Energieversorgung zu reduzieren, zweitens den Beitrag der heimischen Energieträger an der Energieversorgung, also vorwiegend Steinkohle und Braunkohle, ungeachtet der gegebenenfalls höheren Kosten zu erhalten und sie mit einem höheren Wirkungsgrad auszunutzen als bisher, z. B. durch Nutzung der Abwärme aus den Kraftwerken und durch Verfahren der Kohleveredlung, drittens die Notwendigkeit zur Erschließung neuer, alternativer Energiequellen wie Kernenergie und auch Sonnenenergie, um durch größtmögliche Diversifikation einseitige Abhängigkeiten abzubauen, und viertens rationelle und sparsame Energieverwendung in allen Verbrauchssektoren, um die Zuwachsraten auf ein gesamtpolitisch und volkswirtschaftlich vertretbares Maß zu reduzieren.
Zweitens aber muß langfristig davon ausgegangen werden, daß die Weltvorräte an fossilen Primärenergieträgern, also Kohle, Erdöl und Erdgas, auf die sich die Energieversorgung im wesentlichen noch abstützt, nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Dabei ist auch zu bedenken, daß selbst bei niedrigsten Wachstumsraten des Energieverbrauchs in den Industrieländern der Weltenergiebedarf erheblich ansteigen wird, weil mit steigender industrieller Erschließung, steigendem Bruttosozialprodukt und damit steigendem Lebensstandard in den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas auch deren Anteil an dem Rohstoff- und Energievorkommen der Welt wächst.
Es ist nach meiner Meinung unerläßlich, langfristige und weit in die Zukunft weisende Überlegungen hinsichtlich der sicheren Verfügbarkeit von Energie anzustellen. Dazu sind alternative Energiequellen zu erforschen und zu erschließen, zu denen - ich erwähnte es schon - die Kernenergie und die Sonnenenergie, auch in unseren Breiten im Niedrigtemperaturbereich wirksam einzusetzen, in fernerer Zukunft die Fusionsenergie und Wasserstoff als Energieträger gehören. Die Bundesregierung wird - um dies hier ganz nachdrücklich zu betonen, weil vorhin die Energieforschungsprogramme angesprochen worden sind - diesen Erfordernissen in ihren Forschungsprogrammen durchaus gerecht.
Bei all diesen Entwicklungen muß aber davon ausgegangen werden, daß die Energie, in welcher Form und aus welcher Quelle sie auch immer zur Verfügung stehen mag, ihren Preis haben wird. Sie wird teurer werden und so kostbar sein, daß nicht nur wegen der begrenzten Verfügbarkeit, sondern auch wegen der Auswirkungen auf die Lebenshaltungskosten ein verschwenderischer Umgang keineswegs mehr vertretbar sein wird.
Abgesehen von der Verteuerung des Primärenergieträgers Mineralöl und seiner politisch unsicheren Verfügbarkeit müssen wir also schon heute mit besonderem Nachdruck die Begrenztheit der Weltvorräte in die langfristigen Überlegungen einbeziehen. Darin liegt eine der wesentlichen Ursachen der Knappheitserscheinungen, und zwar deshalb, weil der Energiebedarf schneller wächst als das Angebot beim derzeitigen Stand der Nutzungs- und Erschließungstechnologien, und auch - ich darf das hier wiederholen -, weil mit der wirtschaftlichen Entwicklung und der damit verbundenen Steigerung des Lebensstandards in bisher wenig entwickelten Ländern der Dritten Welt selbst bei einer nur noch geringen Bedarfssteigerung in den bisherigen Industrienationen der Weltbedarf rapide steigen wird.
Die Sicherstellung der Energieversorgung erfordert eine langfristige Planung, die absehbare und mögliche zukünftige Entwicklungen von Wirtschaft und Gesellschaft berücksichtigen muß. Der Zeithorizont einer solchen langfristigen Planung wird vor allem und primär durch die notwendigen technologischen Entwicklungen und durch die Veränderungen der menschlichen und wirtschaftlichen Verhaltensweisen bestimmt. Das Problem besteht nun darin, ein geeignetes und weitgehend zuverlässiges Prognoseinstrumentarium zu entwickeln, um den zukünftigen Energiebedarf zu ermitteln. Außerdem sind die Zusammenhänge zwischen Energieverbrauch und Bruttosozialprodukt zu analysieren. Die bisher unterstellte lineare Relation und die bisher prognostizierten Zuwachsraten haben sich - dies ist inzwischen wohl sehr deutlich geworden - einschneidend verändert. Für meine Fraktion möchte ich daher dazu aufrufen, die Zusammenhänge zwischen Energiekonsum und Bruttosozialprodukt einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Dieser Appell richtet sich an die Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften gleichermaßen wie an Forschungsförderungsorganisationen und Industrie. Vielleicht könnte der neue Gesprächskreis „Rationelle Energieverwendung" beim Bundeswirtschaftsminister oder der beratende Ausschuß für Forschungspolitik dazu Vorschläge erarbeiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen haben die Große Anfrage zur rationellen und sparsamen Energieverwendung eingebracht, um das angestrebte Ziel eines sparsamen Umgangs mit der Energie zu fördern; und zwar sollte dieses Ziel durch den Einsatz offensichtlich sinnvoller und auf der Hand liegender Maßnahmen erreicht werden, ohne daß es in irgendeiner Hinsicht zu
unzumutbaren Einengungen und Zwangsvorschriften kommt, die unsere wirtschaftliche Entwicklung oder unseren im privaten Bereich erreichten Komfort und Lebensstandard einschränken.
Die Antwort der Bundesregierung in der vorliegenden Drucksache 7/3595 hat die gestellten Fragen in aller Ausführlichkeit und umfassend beantwortet, wofür ich im Namen meiner Fraktion ausdrücklich danke. Diese Antwort ist nicht nur als eine Bestandsaufnahme zu betrachten; sie weist nicht nur die umfassenden Bemühungen und die bereits getroffenen oder geplanten Maßnahmen aus. Sie verdeutlicht auch die politischen Ansätze und Möglichkeiten sowie die volkswirtschaftliche Bedeutung verstärkter Bemühungen um rationelle Energieverwendung, die wir voll unterstützen.
Auf Grund des aufgeführten Maßnahmenkataloges geht die Bundesregierung - verständlicherweise vorsichtig - davon aus, daß eine Verminderung des Energieverbrauchs um rund 13 % möglich ist. Ich persönlich bin allerdings der Meinung, daß eine höhere Einsparungsrate erreichbar sein müßte. Aber wir müssen davon ausgehen, daß erstens alle derartigen Zahlenangaben mit großen Unsicherheiten behaftet sind, daß niemand langfristige Prognossen der wirtschaftlichen, insbesondere aber der internationalen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung geben kann und daß zweitens die Einsparungen nicht schlagartig, sondern - auch wenn sie technologisch schon heute realisierbar sind - nur in einem langfristigen Umstellungsprozeß zu erzielen sind. Dieser Prozeß kann und wird sich über Jahre oder Jahrzehnte hinziehen. Das wird auch in der Antwort sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.
Ein großer Teil unserer Energie wird für Heizzwecke benötigt. Daher liegt es nahe, im Bereich der Raumheizung mit Vorrang energiesparende Maßnahmen anzusetzen. Der erhöhte Wärmeschutz für Gebäude könnte nach Ansicht der Bundesregierung im Jahre 1985 eine Energieeinsparung in Höhe von 31 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten, was dem für 1985 geplanten gesamten Anteil der Braunkohle am Energieverbrauch entsprechen würde, erbringen.
Dem heute vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Einsparung von Energie in Gebäuden kommt dabei große Bedeutung zu. Die Bundesregierung schätzt zu Recht die Einsparung von Energie durch dieses Gesetz und damit durch die Kombination eines verbesserten Wärmeschutzes in Neubauten mit einer verbesserten Installation, Feuerung, Wartung und Modernisierung von Heizanlagen sehr hoch ein.
Um allen Befürchtungen, Herr Dr. Stavenhagen, und Vorbehalten zu begegnen, die gerade in den letzten Tagen erhoben worden sind, möchte ich auf die Wirtschaftlichkeitsklausel und die ausgesprochen liberale Handschrift des Gesetzentwurfs hinweisen. Er soll keine konkreten Lösungsvorschriften implizieren. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, daß wir in dieser Hinsicht natürlich bei den Rechtsverordnungen sehr acht geben und wachsam sein müssen.
Um auf eine Stellungnahme der Bundesarchitektenkammer einzugehen: Natürlich kommt es auf den Gesamtenergieverbrauch an. Natürlich soll die Kreativität der Planer, Architekten und Ingenieure hinsichtlich der Findung neuer Konzeptionen angeregt werden. Sie sollten diesen Gesetzentwurf als einen Auftrag, eine Aufforderung dazu betrachten. Gerade dieser Personenkreis Planer und Architekten - kann durch eine positive Einstellung zur rationellen Energieverwendung einen maßgebenden Beitrag dazu leisten, auch in der Ausbildung des Nachwuchses - hier ist es notwendig wie durch entsprechende Beratung der Bauherren.
Es sollte auch zur stärkeren Motivation der Hausbesitzer und Bauherren darauf hingewirkt werden - das möchte ich hier als persönliche Bemerkung anfügen -, daß Betriebskostenrechnungen eventuell Bestandteil der Baugenehmigungsunterlagen werden, wobei ich davon ausgehe, daß verantwortungsvolle Planer und Architekten derartige Betriebskostenrechnungen ohnedies schon zur Abstützung ihrer Planung aufstellen.
Auf jeden Fall möchte ich für meine Fraktion an uns alle appellieren, diesen Entwurf eines Gesetzes zur Einsparung von Energie in Gebäuden möglichst zügig zu beraten und zu verabschieden.
Der Umfang der Nutzung der bei der Stromerzeugung anfallenden Abwärme, die in Form von erwärmtem Kühlwasser in unsere Flüsse abgeführt wird oder in Kühltürmen an die Luft abgegeben wird, wird bis 1985 von der Bundesregierung nur als sehr gering angesehen. Auf der anderen Seite soll nach vorgelegten Studien zur Fernwärme bis zum Jahre 2000 der Anteil der Fernwärme eindrucksvoll hoch werden, nämlich etwa 55 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten. Das entspricht etwa der halben jährlichen Steinkohlenförderung in der Bundesrepublik.
Hier scheinen nach jüngsten Informationen die vom Forschungsministerium in Auftrag gegebenen Fernwärmestudien neue wertvolle Erkenntnisse und Entscheidungshilfen zu liefern. Außerdem zeigen die neuesten Zahlen, daß der freie Markt die wirtschaftlichen Möglichkeiten und bei erhöhten Kosten und Knappheitserscheinungen bei den Primärenergieträgern - die Notwendigkeit zur verstärkten Fernwärmeversorgung erkannt hat. 1,85 Milliarden DM begünstigtes Investitionsvolumen - das entspricht etwa 80 O/({1}) des gesamten begünstigten Volumens nach dem Investitionszulagengesetz - belegen das doch wohl eindeutig.
Hier erlaube ich mir die Frage zu stellen, ob die Einbeziehung der Fernwärme als leitungsgebundene Energie in das Energiewirtschaftsgesetz oder ein neues Energieversorgungsgesetz vorgenommen werden sollte, um einerseits die für den Ausbau von Fernwärmeversorgungsgebieten erforderlichen hohen Investitionen, zum anderen aber auch den Verbraucher abzusichern. Vor- und Nachteile sollten sorgfältig geprüft werden. Ich habe inzwischen den Eindruck gewonnen, daß bisherige Vorbehalte nicht mehr in vollem Umfange aufrechterhalten werden und eine gesetzliche Regelung einen verstärkten Ausbau nur fördern könnte.
Neben den energiewirtschaftlichen Aspekten sollten nun allerdings auch die positiven Auswirkungen auf die Umwelt nicht außer Betracht gelassen werden: Verringerung der Belastung durch die Kühlsysteme von Kraftwerken, Reduzierung der Grundbelastung aus in der Regel schlecht gesteuerten Einzelheizungen. Damit könnten manche heute noch berechtigten Einwände gegen die Emissionen aus Kraftwerken ausgeräumt werden.
Zur Frage, wie sich das Ziel einer verstärkten Einsparung von Energie über das bisher Absehbare hinaus fördern ließe, gibt die Antwort der Bundesregierung verständlicherweise auf Grund der schwierigen Finanzlage der öffentlichen Haushalte nur sehr zurückhaltend Auskunft. Denkbar sind weitere steuerpolitische und wirtschaftspolitische Maßnahmen über das hinaus, was nach dem Einkommensteuergesetz schon jetzt möglich ist. Ich meine, daß wir gesamtwirtschaftliche Betrachtungen anstellen müßten, um in Zeiten einer besseren Haushaltslage doch ein wirkungsvolles System von Anreizen für die rationelle Verwendung von Energie zu bilden. Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich bitten, die Frage möglicher Hemmnisse durch Verwaltungsvorschriften wie z. B. die Erhöhung der Einheitswerte und damit höhere Besteuerung durch wertvollere Isoliermaßnahmen im Baubereich eingehend zu untersuchen und Vorschläge für Abhilfe zu machen.
({2})
Meine Damen und Herren, mit der Forderung nach rationeller Energieverwendung ist nahezu ausschließlich die Verbraucherseite angesprochen; hier vorwiegend der größte derzeitige Verbrauchersektor Haushalts- und Kleinverbrauch, auf den etwa 45 % der Nutzenergie entfallen. Hier gilt es nachdrücklich, das Problembewußtsein zu wecken, sparsam und rationell mit der Energie umzugehen. Hier muß ein Lernprozeß in Gang gesetzt werden, um den Bürger zu motivieren, aus eigener Einsicht und Verantwortung sparsamer als bisher mit den Ressourcen dieser Erde - Rohstoffe und Energie --umzugehen. Es widerstrebt liberalem Denken, diese Einsichten gesetzlich zu verordnen. Dennoch scheint es aus akuter Situation geboten, durch gesetzgeberische Maßnahmen die Entwicklungen zu beschleunigen. Wir unterstützen daher nachdrücklich alle diesbezüglichen Aktivitäten der Bundesregierung.
Lassen Sie mich hier in aller Offenheit einmal einen Widerspruch ansprechen, der oftmals in der öffentlichen Diskussion auftaucht. Auf der einen Seite wenden sich Bürger aus verständlicher Sorge um die Umwelt, weil sie ihre elementarsten Lebensbedingungen bedroht sehen, gegen den Bau von Kraftwerken aller Art, andererseits aber beanspruchen und nutzen die gleichen Bürger die Errungenschaften der technologischen Entwicklung in extensivem Maße und beanspruchen dazu die sichere Energieversorgung. Diese Menschen müssen erkennen, daß sie sich vielfach unbewußt, wie ich vermute, in einem Zielkonflikt der eigenen Interessen befinden.
Um so notwendiger scheint es mir daher als eine wichtige politische Aufgabe, mit allem Nachdruck den gesamten komplexen Problembereich „Umwelt und Energie" in die öffentliche, sachliche Diskussion permanent hineinzutragen. Ich finde es äußerst ermutigend und dankenswert, daß Professor Carl Friedrich von Weizsäcker in der Artikelserie in der „Zeit" vom Juli vergangenen Jahres Denkanstöße für die Durchsetzung des meiner Ansicht nach so wichtigen politischen Ziels einer Energieersparnis gegeben hat. Sein Appell zur Entwicklung energiesubstituierender Techniken sollte, verehrte Kollegen, von uns sehr ernst genommen werden. Weichenstellungen in Richtung auf dieses Ziel könnten in unserer gut funktionierenden Marktwirtschaft sicherlich neue Anreize hervorbringen, die langfristig die Wettbewerbssituation unserer hochindustrialisierten Wirtschaft sichern helfen könnten.
Ich möchte hier den Hinweis anschließen, den auch der Herr Kollege Kern bereits gemacht hat, daß sich der beratende Ausschuß für Forschung und Technologie Ende vergangenen Jahres einstimmig dafür ausgesprochen hat, daß energiesparende Techniken die erste Förderungspriorität erhalten sollten.
Wir müssen aber trotz aller intensiven Bemühungen um eine Verringerung der Energiezuwachsraten im Sinne der Antwort der Bundesregierung zur rationellen Energieverwendung davon ausgehen, daß auf die Kernenergie zur Sicherung der Energieversorgung nicht verzichtet werden kann. Wir werden über den Komplex „Friedliche Nutzung der Kernenergie" im Anschluß oder heute nachmittag noch ausführlich zu debattieren Gelegenheit haben. Lassen Sie mich hier nur im Zusammenhang mit dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Entschließungsantrag auf den Sachzusammenhang zwischen den beiden Großen Anfragen hinweisen.
Zur Sicherung unserer Energieversorgung und zum Abbau einseitiger Abhängigkeiten ist gleichermaßen eine Reduzierung des Energiebedarfs wie auch die Nutzung neuer Energieträger erforderlich, letzteres allerdings nur in dem Maße, wie es zur Sicherung der Energieversorgung notwendig ist. Wir unterstützen dabei auch die Position der Bundesregierung nachdrücklich, daß der Schutz von Gesundheit und Leben der Bevölkerung Priorität hat, dem alle anderen Entscheidungen zu entsprechen haben.
Im Jahre 1975 lag der Primärenergieverbrauch bei 348 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten und damit um 30 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten unter dem Verbrauch von 1973. Wir haben also inzwischen eine Phasenverschiebung gegenüber der ersten Fortschreibung des Energieprogramms von rund vier Jahren festzustellen. Diese Atempause müssen wir dazu nutzen, die energiepolitischen Ansätze weiterzuentwickeln. Wir müssen diese Atempause dazu nutzen, die bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie bestehenden Probleme befriedigend zu lösen und die sachlichen, personellen wie organisatorischen Voraussetzungen zu erfüllen, die sich unter dem Aspekt der Risikominimierung als unbedingt notwendig erwiesen haben. Das Risiko „Mensch" und sein mögliches Fehlverhalten müssen ebenfalls in die Sicherheitsüberlegungen einbezogen werden.
Ich fasse zusammen:
Erstens. Rationelle Energieverwendung erhöht die Sicherheit der Energieversorgung wesentlich und führt zu einer besseren Nutzung der nur begrenzt verfügbaren Primärenergievorräte.
Zweitens. Rationelle Energieverwendung führt zu einer Verringerung des Spannungsverhältnisses zwischen den Erfordernissen des Umweltschutzes und den Notwendigkeiten einer gesicherten Energieversorgung.
Drittens. Rationelle Energieverwendung ist geeignet, die Auswirkungen steigender Energiepreise auf die Lebenshaltungskosten zu verringern und hat positive Auswirkungen auf die Zahlungsbilanzen.
Viertens. Rationelle Energieverwendung wird den Einsatz der Kernenergie nicht entbehrlich machen können. Sie kann jedoch wesentlich dazu beitragen, den zur Lösung der anstehenden Probleme nötigen zeitlichen Spielraum zu schaffen.
Fünftens. Die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor den Risiken der Kernenergie sind die Voraussetzung für den Beitrag der Kernenergie zur Energieversorgung.
In diesem Sinne haben die Koalitionsfraktionen den vorliegenden Entschließungsantrag eingebracht, den ich Ihnen nachdrücklich zur Annahme empfehle.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Friderichs.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! In der Debatte über so unterschiedliche Themen wie die Kohleverstromung, rationelle Energieverwendung und Kernenergie sollte als erste Äußerung der Bundesregierung ein Wort zum Stand der Energiepolitik stehen, denn hierauf haben Sie und, wie ich glaube, auch die Bürger im Lande einen Anspruch. Wie ist die Situation? Wir haben heute - man muß das Wort „heute" unterstreichen - nicht zu wenig, sondern eher ausreichend Energie. Das erscheint verwirrend, denn vor einem Jahr haben wir hier über die Gefahren der Energieknappheit diskutiert, und vor zwei Jahren hatte uns die Ölverknappung einiger Förderländer zu Sonntagsfahrverboten als äußerem Zeichen der Lage gezwungen. Die heutige Situation zeigt, wie schnell sich die Energielage verändern kann. Sie beweist aber auch, wie richtig unsere Strategie im Energieprogramm und seiner Fortschreibung ist, eine langfristige Orientierung mit möglichst hoher Flexibilität zur Anpassung an unterschiedliche Marktlagen zu verbinden. Hier ist daran zu erinnern, daß das erste Energieprogramm vor den damaligen Ereignissen formuliert und vorgelegt und danach fortgeschrieben worden ist. Es beweist sich aber auch, daß es falsch wäre, die Energiewirtschaft insgesamt in ein starres Investitionskorsett zu zwängen.
Energiepolitisch stellen sich in diesem Augenblick zwei Fragen. Erstens. Bedeutet der derzeitige
Angebotsdruck auf den Energiemärkten eine grundlegende Veränderung der energiepolitischen Lage unseres Landes? In den letzten Wochen war immer wieder - manchmal offen, mitunter auch unterschwellig - die These zu hören, die Energieknappheit des Winters 1973/74 sei einmalig, vorübergehend, schlicht und einfach eine Episode gewesen. Es ist zuzugeben, daß es möglich ist, daß wir, wenn ich von dem langfristigen Problem der Erschöpfung fossiler Energievorräte absehe, auf Jahre hinaus genügend Energie haben.
Es wäre theoretisch denkbar, daß sich die Energieversorgung im Kern auf ein normales Markt- und Preisproblem reduziert. Aber ich glaube, daß sich die für die Energiepolitik Zuständigen, d. h. also auch der Wirtschaftsminister, damit ganz einfach nicht beruhigen können. Trotz der derzeitigen Entspannung sind die wichtigsten Bestimmungsfaktoren der deutschen Energieversorgung meines Erachtens unverändert. Wir werden für eine wachsende Wirtschaft mehr Energie brauchen, und zwar auch dann, wenn der spezifische Verbrauch in der Relation zum Wachstum geringer sein sollte als in der Vergangenheit. Und dabei bleiben wir bis in die 90er Jahre hinein auf Öl angewiesen. Das bedeutet vor allem Öl aus dem Nahen Osten und aus Afrika.
Der Anteil des Mineralöls am Energieverbrauch wird auch 1985 - bei allen Anstrengungen zu einer Zurückdrängung - immer noch in einer Größenordnung von 40 % bis 45 % unseres Primärenergieverbrauchs liegen. Wir haben es weiter mit einem Weltenergiemarkt zu tun - das dürfen wir doch nicht vergessen -, der weitgehend von politischen Faktoren bestimmt wird und der damit größere Unsicherheiten und Unberechenbarkeiten aufweist, als wenn es sich nur um ökonomische Bedingungen handelte. Wir sind uns in dieser Beurteilung mit der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, der Internationalen Energie-Agentur und mit unseren EG-Partnern einig.
Ich glaube, eine verantwortungsbewußte Politik kann die Erklärungen der führenden Politiker aus Ölförderländern, daß Öl ein politisches Instrument bleibe, ganz einfach nicht in den Wind schlagen.
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Die Energiepolitik kann nicht nach dem Motto ausgerichtet werden: Es wird schon alles gut gehen!
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Trotzdem können wir heute etwas zuversichtlicher sein als in den letzten Jahren. Wir haben bereits in unserem vor der Ölkrise verabschiedeten Energieprogramm gesagt, daß die Versorgungssicherheit wächst, je enger die Interessenverflechtungen mit den Erdölförderländern werden. Denn wir brauchen ja nicht nur deren Öl, die Ölländer brauchen auch unsere Devisen. Sie brauchen auch unsere Industrie, und sie brauchen unser Know how, wenn sie ihre eigenen Pläne verwirklichen wollen.
In permanenten Bemühungen ist es uns seitdem gelungen, die wirtschaftlichen - ja, ich möchte in einer Reihe von Fällen hinzufügen: auch freundBundesminister Dr. Friderichs
schaftlichen - Beziehungen zu vielen erdölerzeugenden Ländern zu verbessern. Wir haben die Märkte, die handelnden Personen, die wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Förderländer besser erkannt als vorher, und - dies ist neu - auch umgekehrt haben sie erkannt, daß tödlich getroffene Industrienationen eben keine Partner für ihre eigenen Bemühungen um Verbesserung des Lebensstandards sind. Die Steigerung der deutschen Exporte in die erdölproduzierenden Länder betrug 1974 74 % und 1975 noch einmal 45 %. Das ist ein positives Indiz, und die Zusammenarbeit mit dem Ziel der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Weltmärkte ist auch international ein zentrales Thema geworden.
Wir unterstützen mit Nachdruck den Dialog zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, der in den letzten Monaten - manchmal mühsam - über erste Hürden gebracht wurde. In der Internationalen Energie-Agentur liegt jetzt ein Programm zur langfristigen energiepolitischen Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Industrieländern auf dem Tisch. Aus diesem Programm wird oft - ich bedauere dies - nur der sogenannte Mindestpreis gegenüber importiertem Öl gesehen und zitiert. Uns ist das Akzeptieren einer solchen Preisuntergrenze nicht leicht gefallen. Wir glauben aber, daß im Interesse der Zusammenarbeit zwischen den Industrieländern eine gewisse Absicherung von Investitionen in alternative Energien notwendig ist, wobei die entscheidende Frage war und ist: Wo setzt man die Grenze an, um nicht selbst Fehlinvestitionen zu produzieren? Mindestens ebenso entscheidend ist der andere Teil der Zusammenarbeit: die Grundregeln für eine konkrete Kooperation bei der Entwicklung von Energie zwischen beteiligten Ländern. Hier wird eine Basis für notwendige Fortschritte gelegt.
Leider sind wir in der Europäischen Gemeinschaft nicht so weit, wie wir uns das vorstellen würden. Wir hoffen, daß der Beschluß des Europäischen Rats vom Dezember 1975 endlich den Weg für konkrete Fortschritte freigemacht hat. Dabei müssen wir uns - lassen Sie mich das hinzufügen - auf einen Weg begeben, der nicht von Visionen und Ideologien, sondern von Realismus und schrittweisem Vorgehen gekennzeichnet ist.
Ich möchte aber hinzufügen, daß dieses in der Gemeinschaft schwierig geworden ist, nachdem sich ein Mitgliedsland auf Grund eigener Ölvorräte schon als zwölftes Mitglied im Klub der OPEC-Länder wähnt, obwohl die eigene wirtschaftliche Situation zu dieser Vision nicht unbedingt Anlaß bietet.
({2})
Ich möchte es nicht deutlicher formulieren. Aber, meine Damen und Herren, es ist keine Frage, daß die Verhandlungen in Brüssel und Paris ungewöhnlich erschwert worden sind, weil ein wichtiges Mitgliedsland andere, partikulare Interessen an der Gemeinschaft vorbei vertreten zu können glaubte, obwohl gerade dieses Land Anlaß hätte, die Chancen der Gemeinschaft angesichts der eigenen Situation zu nutzen.
Die zweite Frage an die Energiepolitik ist, welche Maßnahmen bei der heutigen Situation notwendig sind. Notwendig ist einerseits die konsequente Realisierung der in der Fortschreibung des Energieprogramms dargelegten Mittel und Ziele. Die vor allem konjunkturell bestimmte Überschußsituation gibt uns meines Erachtens keinen Anlaß, in unseren Anstrengungen zur Sicherung der Energieversorgung nachzulassen oder unsere Politik jetzt mit einer neuen Fortschreibung grundlegend zu revidieren.
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Wir dürfen doch nicht so tun, als ob der Minderverbrauch eine gigantische Anstrengung zur Einsparung gewesen sei; denn in Wahrheit beruht er zu einem erheblichen Teil auf der konjunkturellen Entwicklung im Inland.
Die in Ziffer 18 der Fortschreibung des Energieprogramms dargelegten Zielsetzungen bleiben gültig. Hierzu gehören erstens die Sicherung der Mineralölversorgung und die Zurückdrängung des Mineralölanteils an der Energieversorgung. Meine Damen und Herren, das bleibt auch dann richtig, wenn vorübergehend die Raffineriekapazitäten nicht ausgelastet sind. Wir können nicht permanent wegen veränderter Konjunkturlage mittel- und langfristige Ziele ändern.
Wir wissen, daß die Zurückdrängung des Mineralölanteils vor allem das schwere Heizöl trifft. Wenn auch der konjunkturelle Faktor in der derzeitigen Situation besonders ins Gewicht fällt, so müssen wir anerkennen, daß hier ein strukturelles Problem besteht. Wir haben bereits im Energieprogramm vom September 1973, also vor der Energiekrise, die Mineralölwirtschaft aufgefordert, dieser Politik und dieser Entwicklung bei Planung, Höhe und Struktur ihrer Raffineriekapazitäten Rechnung zu tragen.
Fragend möchte ich hinzufügen: Ich weiß nicht, ob das damals von allen Marktbeteiligten ernst genommen worden ist. Jedenfalls ist die Auslegung der Raffineriekapazitäten von Firma zu Firma sehr unterschiedlich. Einige haben sich intensiv bemüht, durch den Bau von Krackanlagen die Anteile von schwerem Heizöl bewußt zu reduzieren. Andere sahen allerdings als ausschließliches Mittel die Ausweitung ihrer Kapazitäten ohne Krackanlagen und wundern sich jetzt, daß sie hohe leerstehende Kapazitäten und nicht verfügbare Krackanlagen haben. Aber hier kann man nur sagen: Wer die Chance zu Gewinn hat, muß auch das Risiko zum Verlust tragen.
Natürlich ist eine solche Anpassung - und das ist ernst gemeint - auch eine Frage der Rentabilität. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten den Mineralölmarkt sehr sorgfältig beobachtet und analysiert. Soweit hierbei Wettbewerbsnachteile der inländischen Mineralölverarbeitung festgestellt wurden, sind Maßnahmen eingeleitet worden. Dies gilt vor allem für die Mineralölpflichtbevorratung. Das Bevorratungsgesetz - eigentlich ja noch sehr jung - soll entsprechend angepaßt werden. Aber eine Abschirmung des deut14834
schen Mineralölmarktes durch Einfuhrbeschränkungen war nicht vertretbar.
Ich möchte hier hinzufügen: Die Novellierung des Bevorratungsgesetzes, die ja in die Relation zwischen freien Importeuren und inländischen Raffinerien eingreift, darf auch nicht dazu führen, mit diesem Gesetz die für den Wettbewerb notwendigen freien Importeure aus dem Markt zu verdrängen. Es ist also eine sehr exakte Abstimmung notwendig, um auf der einen Seite mögliche Wettbewerbsvorteile - ich meine hier künstliche - abzubauen, sie aber auch nicht mittels eines Gesetzes in künstliche Nachteile umzuwandeln; denn das käme uns am Ende für Verbraucher und auch für die Wettbewerbspolitik teuer zu stehen.
Aber eine Abschirmung des Marktes durch Einfuhrbeschränkungen, die ja auch von der deutschen Mineralölwirtschaft - oder richtiger gesagt: von Teilen derselben - gefordert worden ist, war nicht vertretbar. Für den Bereich der Europäischen Gemeinschaft wäre das eine klare Verletzung unserer Verpflichtungen gegenüber der EG. Ohne eine Beschränkung der Einfuhren aus der Gemeinschaft aber, die nämlich mehr als drei Viertel unserer Gesamtimporte ausmachen, wäre eine Maßnahme gegenüber Drittländern praktisch auch unwirksam; denn das war doch die andere Forderung: Laßt die Gemeinschaftsprodukte rein, aber laßt bitte die Drittlandsprodukte, z. B. Einfuhren aus dem Ostblock und anderen Drittländern, draußen.
Wir alle wissen, wie unendlich schwierig die Kontrolle ist: woher das Produkt, das jetzt aus Rotterdam kommt, originär kommt, ob es Drittlandsware oder ob es Gemeinschaftsproduktion ist. Hier gibt es unendlich große Schwierigkeiten, abgesehen davon, daß wir selbst doch keinen Vorwand zum Protektionismus anderer liefern sollten; denn im Zeichen einer starken Verflechtung der Märkte wäre das möglicherweise auch mit Retorsionsmaßnahmen verbunden.
Was ist Rotterdam? Denn auch darüber wird ja öffentlich gezielt, teilweise auch polemisch, diskutiert. Rotterdam ist doch eigentlich gar kein klassisches Importproblem, sondern in Wahrheit ist Rotterdam doch Bestandteil deutscher Versorgungspolitik. Der Standort Rotterdam ist doch von internationalen Gesellschaften nicht gewählt worden, weil er in Holland liegt, sondern weil er in ihr logistisches System zur Versorgung eines Teiles des deutschen Marktes paßt, weil Produktenpipelines bis vor die Tore von Bonn und darüber hinaus laufen. Wir können also nicht so tun, als ob sich hier nur ein Export-ImportProblem stelle. Nein, hier stellt sich schlicht und einfach auch ein Versorgungsproblem für die Bundesrepublik Deutschland. Die Dinge sind also komplizierter, als sie häufig öffentlich dargestellt werden.
Ich möchte als für die Außenwirtschaft zuständiger Minister auch hinzufügen: Es stünde einem der größten Exportländer der Welt nicht gut an, wenn ausgerechnet es selbst - bei einer im Vergleich mit anderen Situation - zu Importbeschränkungen griffe.
Zweitens. Beschleunigte Nutzung von Kernenergie, Erdgas und Braunkohle: Wenn ich die vorliegenden
Entschließungsanträge und die Erklärungen der Vorredner von Opposition und Regierungsparteien betrachte, herrscht wohl in einem Punkt Übereinstimmung, nämlich daß die drei Energieträger nach wie vor entscheidende Möglichkeiten darstellen, um unser Energieangebot ausgewogener, unabhängiger vom Öl zu machen. Ich meine alle drei: Kernenergie, Erdgas und Braunkohle.
Auch hier gibt es trotz Zuwachsraten Probleme im Zusammenhang mit der derzeitigen Konjunktur. Natürlich drängen sich in dieser Situation alle Energieträger, auch die besonders wirtschaftlichen, um die knapper gewordene Nachfrage. Und im Zentrum der Diskussion steht die Kernenergie, die allerdings im zweiten Teil der heutigen Tagesordnung ausführlich behandelt wird.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage zur friedlichen Nutzung der Kernenergie eine Zwischenbilanz ihrer Arbeiten gegeben. Ich möchte dieser Diskussion nicht vorgreifen, möchte nur anfügen: Unsere Zielsetzungen in der Fortschreibung des Energieprogramms sind keine irgendwie gearteten planwirtschaftlichen Ziele, und kein Energiepolitiker wird so unvernünftig sein, mehr Kernenergie zu fordern, als wir tatsächlich brauchen. Aber die Kernkraftwerkskapazität, die wir brauchen, muß eben auch realisiert werden können, wenn die Anforderungen an die Sicherheit erfüllt sind und wenn das verbleibende Restrisiko
- darüber hat Herr Professor Laermann gesprochen - so ist, daß es in Kauf genommen werden kann. Das ist die Entscheidung.
Bei aller Diskussion, ob die Ausbaupläne der Elektrizitätswirtschaft von 45 000 Megawatt bis 1985 realistisch sind oder nicht, sollten wir keinesfalls kurzfristig Bedarfsschwankungen zur Grundlage weiterer Entscheidungen machen. Es wäre zu früh
- dies gilt übrigens für alle Energiemärkte -, schon heute langfristige Konsequenzen aus einer konjunkturellen Entwicklung zu ziehen, obwohl wir annehmen, daß der Konjunktureinbruch zu einem niedrigeren Energieverbrauch auch für 1980 und 1985 führen dürfte. Wir haben für den gesamten Energiemarkt neue und fundierte Prognosen in Auftrag gegeben. Wir dürfen nicht vergessen, daß sich die Elektrizitätswirtschaft schon auf Grund ihrer Versorgungspflicht nach dem Energiewirtschaftsgesetz nicht an einer Untergrenze der Erwartungen orientieren darf. Das wäre übrigens auch energiepolitisch falsch.
Die Kernenergie ist im übrigen nicht nur ein relativ sicherer Energieträger, sondern unter dem Strich bei allen Problemen mit Abwärme und Sicherheit insoweit umweltfreundlich, als jedenfalls Abgasbelastungen, die uns bei der Kohle Sorge bereiten, nicht bestehen. Der hohe Stand der Sicherheit und die strengen Anforderungen auf dem Gebiet des Strahlenschutzes sind jedenfalls in der bisherigen Technik ohne Beispiel. Aber darauf wird der Kollege Matthöfer eingehen.
Drittens: die neue Position für die Steinkohle. Diese möchte ich später erläutern.
Schließlich - viertens -: verstärkte Energieeinsparung. Hier liegt als Zwischenbericht der Arbeiten die Antwort auf die Große Anfrage zur rationellen Energieverwendung vor. Gleichzeitig hat der Deutsche Bundestag mit dem Entwurf des Gesetzes zur Einsparung von Energie in Gebäuden über eine wichtige Maßnahme zu entscheiden.
Neben der konsequenten Realisierung unserer mittelfristigen Politik sind derzeit zeitlich begrenzte Maßnahmen notwendig, um Energieträgern zu helfen, für die konjunkturbedingt ohne zusätzliche Maßnahmen nicht beherrschbare Probleme entstehen. Als notwendig haben sich vor allem Maßnahmen für die Steinkohle erwiesen. Sie werden unter Tagesordnungspunkt 4 bei der Beratung der anstehenden Novelle zum Dritten Verstromungsgesetz darüber diskutieren.
Am stärksten wurde von der Konjunkturentwicklung die Steinkohle betroffen. 1974 konnten noch 109 Millionen t deutsche Steinkohle abgesetzt werden - ich spreche nicht von der Förderung, sondern vom Absatz -, 1975 waren es nur rund 80 Millionen t. Von diesem Absatzrückgang in Höhe von 29 Millionen t entfielen über 17 Millionen t oder 60 % auf die Eisen- und Stahlindustrie im Inland und auf die ebenfalls weitgehend in die Stahlindustrie fließenden Exporte. Ich sage das bewußt, damit nicht der Eindruck entsteht, über den Mehreinsatz in der Kraftwirtschaft sei das Problem Kohle allein zu lösen. Um es noch einmal zu sagen: 17 Millionen t entfallen praktisch auf den Verhüttungsprozeß, und hier ist die Einsatzmenge weitgehend stahlkonjunkturabhängig. Im Kraftwerksbereich betrug der Absatzrückgang 9 Millionen t, bei Haushalten und Verkehr 3 Millionen t.
In dieser Situation muß der Steinkohle geholfen werden. Hierüber gibt es auch, wenn ich das recht sehe, eine weitgehende Übereinstimmung; ich meine über die Tatsache, daß geholfen werden muß. Denn es darf nicht vergessen werden, daß alle Parteien der Steinkohle eine hohe Sicherheitsfunktion zugewiesen haben, in der Erkenntnis - das muß man auch unterstreichen , daß die Kosten der deutschen Steinkohleproduktion strukturell hoch sind und damit je nach Marktlage Hilfen immer wieder erforderlich werden. Deswegen bedeutet dies kein Abgehen vom Konzept, sondern eine Anpassung an die jeweilige Situation.
Hinzu kommt, daß die Kohleproduktion relativ unelastisch ist und daß der Bergbau eine Reihe schlechter Jahre hinter sich hatte, bevor er in eine günstige Position kam. Jedenfalls konnte er nicht den Speck ansetzen, den andere Industriebereiche ansetzen konnten, um eine schwierige Konjunkturphase zu überstehen. Die Frage ist wahrscheinlich auch in dieser Debatte nicht, ob, sondern wie der Kohle geholfen werden soll. Die Bundesregierung hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht.
Es wurde bei der Überprüfung des Gesamtkomplexes klar, daß keine Veranlassung besteht, jetzt die kohlepolitischen Ziele zu ändern oder neue langfristige Maßnahmen zu ergreifen. Als notwendig haben sich Maßnahmen erwiesen, die der Kohle
den Anschluß an eine normale Konjunkturentwicklung ermöglichen. Ich muß immer wieder hinzufügen, sie ist die Primärenergie, die mit hohen Kosten belastet ist. Dies werden wir nicht ändern. Sie wird auch in Zukunft teuer sein. Wäre sie dies nicht, wäre sie der Gewinner des Verdrängungswettbewerbs; weil sie es ist, ist sie der Verlierer des Verdrängungswettbewerbs. Das muß doch alles einmal dargelegt sein, damit wir nicht so tun, als ob alles mit Druck der Regierungsmaschine so herum oder anders herum gemacht werden kann.
Die Bundesregierung hat als kombinierten Ansatz neben der Weitergewährung der bisherigen Hilfen drei Dinge beschlossen:
Es wurde erstens in Abstimmung mit den Bergbauländern der Aufbau der nationalen Kohlereserve von 10 Millionen Tonnen schon ab 1. Januar 1976 beschlossen statt sukzessive ab 1. Januar 1977. Damit erhält der deutsche Bergbau nicht nur eine wesentliche Kostenentlastung durch eine energiepolitisch sinnvolle Maßnahme im Rahmen der Krisenvorsorge, wie in der ersten Fortschreibung bereits vorgesehen war. Ich finde, durch den Aufbau dieser Reserve haben wir auch Spielraum für vorhandene Schwankungen im Absatzbereich bei plötzlicher Nachfragevermehrung, was wir ja im vergangenen Winter erlebt haben.
Für 1976 werden zweitens die Kohleimporte auf das Niveau von 1975 festgeschrieben. Dies bedeutet keine Änderung der in der Fortschreibung geäußerten Absicht, zu gegebener Zeit und bei Einigung von Kohle und Stahl über den Hüttenvertrag - ich muß beide Voraussetzungen nennen - ein begrenztes Kokskohlekontingent zuzulassen.
Meine Damen und Herren, auch hier muß klar sein: Die Forderungen, die Importe einfach auf Null zu stellen, sind leicht zu erheben, wenn man z. B. in Nordrhein-Westfalen oder in Baden-Württemberg lebt, die hören sich aber ganz anders an, wenn man in Hamburg, Bremen oder Schleswig-Holstein zu Hause ist; denn die Kohleimporte konzentrieren sich im wesentlichen auf die norddeutschen Küstenländer und sind dort fester Bestandteil ihrer Energiepolitik, übrigens der dortigen Kraftwirtschaft ebenso wie der dortigen Importeure. Deswegen haben wir gesagt: nicht mehr als 1975, aber auch nicht weniger als 1975. Das heißt, das alte Kohlezollkontingentsgesetz wird nicht voll ausgeschöpft, aber die bestehenden Verpflichtungen gegenüber den Lieferländern, für die das auch Devisenprobleme sind, werden eingehalten.
In dieser Situation hätten aber die Menschen an Rhein und Ruhr und an der Saar sicher wenig Verständnis gehabt, wenn wir genau in diesem Augenblick mit einer erstmaligen Eröffnung eines Importkontingents für die Stahlindustrie gekommen wären. Deswegen gab es eine Zurückstellung dieser Entscheidung.
Dennoch hält die Bundesregierung ein gewisses Engagement deutscher Firmen am wichtiger werdenden Weltkohlemarkt weiterhin für grundsätzlich erwünscht. Die Bundesregierung hat dem Bundesrat einen Gesetzentwurf zugeleitet, der das Ende 1976
auslaufende Kohlenzollkontingentsgesetz bis 1981 verlängern soll.
Drittens. Der Absatz im Elektrizitätsbereich wird verbessert. Für eine zusätzliche Absatzstabilisierung scheiden - auch das muß gesagt sein, meine Damen und Herren - Haushalt, Industrie und Verkehr praktisch aus. Das gleiche gilt übrigens für den Eisen- und Stahlbereich, denn was auch immer Sie energiepolitisch tun, es wird nur soviel Kokskohle gebraucht, wie zur Stahlerzeugung nötig ist, und die Stahlerzeugung richtet sich nach den Absatzerwartungen in Deutschland und am Weltmarkt. Hier muß die Kohle also eine gewisse Durststrecke durchstehen. Es kann eben nur das verbraucht werden, was benötigt wird. Ich stimme allerdings mit den Fachleuten und dem Bergbau überein, daß unabhängig von der derzeitigen Lage die Wettbewerbssituation der deutschen Kokskohle günstig ist, und zwar weltweit. Wir dürfen davon ausgehen, daß im Zuge eines konjunkturellen Aufschwungs in etwa die Mengen in der Stahlindustrie eingesetzt werden können, die wir auch in der Fortschreibung des Energieprogramms in einer Größenordnung von etwa 25 Millionen Tonnen jährlich zugrunde gelegt haben. Dies weist auch die vor wenigen Tagen vorgelegte Absatzvorausschau des Steinkohlebeauftragten aus.
Für die Elektrizitätswirtschaft hat der Deutsche Bundestag Ende 1974 ein Kohleverstromungsgesetz mit dem Ziel des Einsatzes von 33 Millionen Tonnen Steinkohle bis 1980 beschlossen. Der effektive Absatz belief sich 1974 auf 31 Millionen Tonnen und 1975 auf nur noch 22 Millionen Tonnen. Meine Damen und Herren, ohne die Maßnahmen, die heute hier zur Entscheidung anstehen, würde 1976 in der Kraftwirtschaft nach unserer Meinung höchstens nur etwa die gleiche Menge von 22 Millionen Tonnen benötigt. Die Bundesregierung weiß sehr wohl, daß dieser Absatzrückgang kein - wie von manchen behauptet - finsteres Komplott ist, denn auch andere Energieträger - wie schweres Heizöl mußten Federn lassen. Sowohl 1975 als auch 1976 gehen neue Kapazitäten, vor allem auf der Basis von Kernenergie und Erdgas, in Betrieb, die zwar langfristig gebraucht werden, die aber erst in die Nachfrage hineinwachsen müssen; denn es ist einfach so, daß diese Investitionsentscheidungen zu einem Zeitpunkt getroffen worden sind, wo der konjunkturelle Einbruch und damit die Stagnation oder gar die Verminderung des Strombedarfs über zwei Jahre hinweg nicht sichtbar waren, oder anders ausgedrückt: es ist investiert worden in einen wachsenden Markt, der mindestens vorübergehend nicht gewachsen ist.
Trotzdem erschien der Bundesregierung das Ausmaß des Absatzrückganges für Kohle in diesem Bereich nicht mehr akzeptabel. Die Kohle kann zwar aus dem Spiel des Marktes in der Elektrizitätswirtschaft nicht voll herausgenommen werden - auch die Kohle muß in gewissem Umfang flexibel eingesetzt werden können -, aber sie kann angesichts ihrer besonderen Funktion auch nicht der alleinige oder der Hauptlückenbüßer des Nachfragerückganges sein.
({4}) Die Fragestellung lautet, ob ich es zulassen kann, daß sich der Nachfragerückgang im wesentlichen auf eine einzige Primärenergieart konzentriert, auch dann, wenn dies aus betriebswirtschaftlichen Gründen geschieht, weil dieser Primärenergieträger teuer ist, aber es muß doch auch dann noch vertretbar und mit einer langfristigen Konzeption vereinbar sein.
Nach langwierigen Verhandlungen mit der Elektrizitätswirtschaft ist es nunmehr gelungen, bei Inkrafttreten der dem Hause vorliegenden Novelle zum Dritten Verstromungsgesetz zu erreichen, daß 1976 unabhängig von der Konjunkturentwicklung mindestens 26 Millionen Tonnen Kohle abgesetzt werden. Bei der zu erwartenden konjunkturellen Entwicklung dürfte sich diese Menge um etwa 2 bis 2½ Millionen Tonnen erhöhen. Über die zu erwartende Entwicklung werden wir ja im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht diskutieren, aber die derzeitigen Prognosen der Institute und der OECD liegen beim realen Wachstum nicht mehr unter 3%, die höchsten bei etwa 6 %. Das heißt, wenn sich das reale Wachstum irgendwo zwischen diesen beiden Marken bewegen würde, dürfte mehr Kohle eingesetzt werden als diese 26 Millionen Tonnen. Außerdem hat sich die Elektrizitätswirtschaft bereit erklärt, zwei Millionen Tonnen Kohle in Form einer zusätzlichen eigenen Reservehalde zu finanzieren; hier werden also dem Bergbau die Finanzierungskosten abgenommen.
Für 1977 wurden keine Zahlen festgelegt, es wird jedoch auf der Basis der Novelle von einer vergleichbaren Lösung ausgegangen. So sind auch die Verhandlungen geführt worden.
Für den Zeitraum ab 1978 kann davon ausgegangen werden, daß auf Grund der Konjunktur der Steinkohleabsatz in der Kraftwirtschaft wieder in die Zielgrößen des Dritten Verstromungsgesetzes hineinwächst. Die dem Bundestag vorliegende Novelle zum Dritten Verstromungsgesetz wird von den Sprechern der einbringenden Fraktionen begründet werden, und ich werde deshalb nur auf die in der Diskussion um diese Lösung besonders kritischen Punkte eingehen.
Die Bundesregierung hat sich für ein System des verstärkten Anreizes und der Kooperation mit der Elektrizitätswirtschaft nach eingehender Erörterung auch anderer Möglichkeiten entschieden. Lassen Sie mich, wenn ich sage: „auf der Basis der Kooperation", bewertend mit Zurückhaltung hinzufügen, daß uns diese Basis nicht immer von allen Gesprächspartnern aus dem Bereiche der Elektrizitätswirtschaft erleichtert worden ist. Auch dies muß hier offen gesagt werden.
({5})
Nach einer ausführlichen Diskussion, ob dies nicht das notwendige Mittel sei, haben wir eine Zuteilung von Quoten nicht für richtig gehalten. Abgesehen aber von der ordnungspolitischen und der verfassungsrechtlichen Problematik, die in der Quotenzuteilung gelegen hätte, scheint sie uns auf die Dauer nicht gut angelegt zu sein. Das heutige Proplem besteht in einer temporären Hilfe. Außerdem
würde ein derartiges Modell angesichts der unterschiedlichen Belastung der Kohlekraftwerke durch eine Quotenzuweisung ebenfalls einen finanziellen Ausgleich von Mehrkosten erfordern. Wir kämen also auch bei Quoten um ein Mehrkostenausgleichssystem nicht herum.
Im Bundestag liegt deshalb eine Novelle zum Dritten Verstromungsgesetz vor, die der Bundesregierung die Möglichkeit einer befristeten Verstärkung der finanziellen Anreize zum Steinkohleneinsatz einräumt. Es soll schlicht und einfach die Möglichkeit geschaffen werden, nicht mehr nur wie bisher gegenüber Heizöl, sondern auch gegenüber billigeren Energieträgern, vor allem gegenüber Erdgas und Importkohle, Mehrkosten auszugleichen.
Reduziert heißt das: Bisher haben wir mit dem Verstromungsgesetz die Kohle auf die Kosten des Konkurrenzprodukts schweres Heizöl heruntersubventioniert. Dies reicht nicht aus, wenn man 26 Millionen t Kohle verstromen will. Will man dies, muß die Kohle auch mit anderen Primärenergieträgern konkurrieren, z. B. mit dem Erdgas. Das bedeutet, daß man sie dann auch in ihren Kosten auf diese Preise heruntersubventionieren muß, um den Einsatz mit einem Anreizsystem sicherzustellen.
Daneben sind verschiedene Verbesserungen des Ausgleichs der Mehrkosten von Steinkohle gegenüber dem Heizöl vorgesehen, und zwar teilweise in dem vorliegenden Gesetzentwurf, teilweise durch Änderungen der Richtlinie zu den bisherigen Verstromungsgesetzen. Ich will hier nur sagen, daß wir mit dieser Regelung und den mit der Elektrizitätswirtschaft vereinbarten Einsatzmengen volkswirtschaftlich weit gehen; denn neben Heizöl werden eben auch andere Konkurrenzenergien verdrängt, und da diese Energien billig sind, ist diese Verdrängung teuer. Ich glaube, wir sollten auch dies hier sagen, damit die betroffene Bergbauwirtschaft weiß, daß wir unser Herz nicht einfach über die Hürde geworfen haben, sondern daß wir wissen, was es kostet, daß wir diese Kosten aber für richtig und vertretbar halten.
Die Finanzierung des gesamten Steinkohleeinsatzes rückwirkend ab 1. Januar 1976 erfordert nämlich in diesem Jahr ein Zuschußvolumen von 1,42 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, wie schwer sich dieser Bundestag tut, wenn er über Ausgaben von 1,42 Milliarden DM beschließen soll. Er darf es sich nicht deswegen leicht machen, weil es nicht die Haushaltskasse trägt, sondern weil es die Verbraucher tragen; denn die volkswirtschaftliche Bedeutung ist doch letztlich nicht unterschiedlich, je nachdem, ob ich es über Steuern wegnehme und einsetze, oder ob ich es unmittelbar den Stromverbrauchern anlaste. Hier muß man sehen, wo die Grenzen und wie die Folgen sind.
Wir haben es uns nicht leicht gemacht; denn dieser Preis von fast 1,5 Milliarden DM ist von den Stromverbrauchern durch eine Ausgleichsabgabe aufzubringen. Konkret heißt das, daß die Ausgleichsabgabe von zur Zeit 3,24 % auf 4,5 % erhöht werden muß. Dies führt für einen durchschnittlichen Haushalt mit vier Räumen und einem monatlichen
Verbrauch von 250 Kilowattstunden sowie bei mittleren Strompreisen zu einer höheren Belastung von 50 Pfennig auf insgesamt 1,80 DM im Monat. Dies muß ich sagen, wenn ich die Diskussionen im Bundesrat seitens der nicht kohleproduzierenden Länder schon vorausahne. Gewiß ist es eine Belastung um den eben genannten Betrag. Es ist aber für den Einzelhaushalt eben auch nur eine Belastung von 50 Pfennig mehr auf insgesamt 1,80 DM pro Monat. Es geht bei dieser Erhöhung nicht, wie heute eine Tageszeitung schreibt, um die Mehrkosten pro betroffenem Bürger, sondern pro Haushalt. Es ist die Frage, ob man dies den Bürgern nicht im Interesse der Sicherung der Energieversorgung und im Interesse eines Wirtschaftszweigs, der sich derzeit in einer nicht einfachen Situation befindet, zumuten kann. Wir waren der Meinung, man könne es ihnen zumuten.
({6})
- Pro Monat. Ich habe die herzliche Bitte, daß die Mitglieder des Deutschen Bundestages, die sich hier zur Energiepolitik bekennen, auch in ihren Ländern mit ihren politischen Freunden darüber sprechen, ob nicht eine Zustimmung im Bundesrat leichter werden könnte als beim Ersten Verstromungsgesetz. Dies, meine Damen und Herren, ist nämlich eigentlich nicht der richtige Platz, im Zusammenhang mit diesem Gesetz andere als energiepolitische Fragen zu diskutieren.
({7})
Wir sehen natürlich, daß die Erhöhung der Ausgleichsabgabe auf 4,5 % besonders für die stromintensive Industrie Probleme aufwirft. Die Bundesregierung ist aber der Auffassung, daß diese Belastung für die Wirtschaft noch tragbar ist. Ich unterstreiche allerdings auch das Wort „noch". Es ist ja nicht nur der absolute Prozentsatz, sondern auch das damit angesprochene Kostenvolumen zu sehen. Die Strompreise liegen bei hohem Verbrauch, besonders in der stromintensiven Industrie, wesentlich niedriger als im Haushaltsbereich, und wenn der Preis je Kilowattstunde teilweise 3 oder 4 Pf beträgt, sollte eine Erhöhung um 1,3 Prozentpunkte auch bei sehr hohem Stromkostenanteil noch zu verkraften sein.
Deswegen habe ich nicht vorgeschlagen, die Härklausel des Dritten Verstromungsgesetzes zu Lokkern. Durch eine Lockerung der Härteklausel würde nur ein nicht gerechtfertigter administrativer, in der Abgrenzung sehr problematischer und aufwendiger Eingriffsspielraum geschaffen. Lassen Sie mich es reduziert sagen: Wir müßten in die Kostenkontrolle gehen, wenn wir gerecht und ungerecht trennen wollten. Die Bundesregierung hat sich daher für die gleichmäßige Belastung aller Stromverbraucher - auch aus anderen Gründen - entschieden. Denn bei einer leichten Erhöhung der Ausgleichsabgabe für die Industrie von 3,24 auf 3,5 % hätte sich der Prozentsatz für die privaten Haushalte auf 7,7 % erhöht. - Bitte, ich breite das offen aus. Wir haben in der Tat im eigenen Ministerium und auch im Kabinett die Frage erörtert: Sollen wir nur die Privaten belasten und die Industrie ausnehmen, oder sollen wir alle belasten? Für beide Methoden gibt
es gute Gründe. Konjunkturpolitisch wäre die Belastung nur der Privathaushalte wahrscheinlich das Bessere gewesen. Aber das hätte dann bei den privaten Haushalten eben zu mehr als einer Verdoppelung geführt. Denn aufgebracht werden müssen ganz einfach diese fast 1,5 Milliarden DM. Es war die Frage, ob eine mehr als verdoppelte Belastung zumutbar ist.
Lassen Sie mich hier offen sagen: Die Diskussion mit meinen Kollegen, den Wirtschaftsministern der Länder, von denen ich angenommen hatte, daß sie sofort sagen würden: nur die Privaten, keineswegs die Wirtschaft, hat deutlich ergeben, daß sie keineswegs dieser Meinung waren, sondern sehr mit dem Gedanken spielten, doch eine gleichmäßige Belastung vorzuziehen - bei Nuancen von einem Land zum andern.
Es kommt aber ein Argument hinzu: Eine differenzierte Belastung zwischen privaten Haushalten und Industrie hätte ungeheuer schwierige Abgrenzungsprobleme ergeben. Denn in der Landwirtschaft und teilweise wohl auch im Handwerk gibt es keine Trennung zwischen dem gewerblich genutzten und dem privat verbrauchten Strom. Wir hätten also sofort vor der Frage gestanden: räumen wir diesen Gruppen den günstigen Satz ein, d. h. dürfen sie auch im privaten Sektor den billigen Strom verbrauchen, oder belasten wir sie wie die Privathaushalte und zwingen sie, auch in dem gewerblichen Teil die hohe Belastung zu tragen? Hier ergeben sich auch Konsequenzen der modernen Technik: Frage der komputerhaften Abrechnung und ähnliche Dinge mehr. Schlicht und einfach: Diese Abgrenzung wäre schwierig geworden und hätte zu einer Fülle von Streitereien geführt.
Ähnlich schwierig wären Ausnahmen für einzelne Branchen der Wirtschaft, Unternehmen oder Produktionsverfahren. Auch dies haben wir durchgeprüft. Aber eine vernünftige Abgrenzung ist praktisch nicht möglich. Jede Grenze, gemessen am Stromkostenanteil, wäre Willkür und ein tiefer Eingriff in die Struktur einzelner Branchen. Hinzu kommt ja, daß Großunternehmen häufig stromintensive Fertigungen und weniger stromintensive Fertigungen haben und die einzelnen Bezüge dort gar nicht getrennt abgerechnet werden können.
Lassen Sie mich im Hinblick auf die Beratungen auch im Bundesrat noch auf ein besonderes Problem eingehen, nämlich auf die regionalen Auswirkungen. Es ist eine Tatsache, daß zu Nachbarländern und innerhalb des Bundesgebietes ein Strompreisgefälle besteht. Wir haben bei der Verabschiedung des Dritten Verstromungsgesetzes eingehend geprüft, ob diesen Unterschieden durch einen festen Aufschlag statt durch einen Prozentsatz Rechnung getragen werden soll. Aus vielen Gründen hat sich dieses Hohe Haus damals für einen Prozentsatz entschieden, und die Bundesregierung ist der Auffassung, daß sich die Verstärkung der Strompreisdisparitäten durch die Erhöhung der Ausgleichsabgabe um 1,3 % in so engen Grenzen hält, daß sie verkraftbar ist. Maßnahmen, die über die jetzige Novelle hinausgehen, die also eine höhere Belastung brächten, müßten allerdings noch sorgsamer
als bisher abgewogen werden, um dauerhaft regionale Standortnachteile zu vermeiden.
Wie schwierig und komplex dieses Problem eines festen Aufschlags ist, möchte ich an Hand einer Überlegung zeigen. Strompreisunterschiede bestehen ja nicht nur - wie häufig behauptet wird - regional, sondern auch innerhalb der Industrie für die verschiedenen Grade der Stromintensität. Wer viel abnimmt, bezieht die Stromeinheit billiger; ein Festbetrag hätte für derartig stromintensive Unternehmen sehr viel schwerer wiegende Auswirkungen als ein prozentualer Aufschlag. Lassen Sie es mich an einem Beispiel zeigen: Mit einem festen Aufschlag hätten Sie beispielsweise die Aluminiumindustrie und Teile der Metallurgie tödlich oder fast tödlich getroffen, während es für andere sehr viel leichter gewesen wäre. Deswegen war der prozentuale Aufschlag auch im Hinblick auf die Struktur der Wirtschaft der richtige Ansatzpunkt.
Mit dem vorliegenden Initiativgesetzentwurf der Fraktionen von Sozialdemokraten und Freien Demokraten wird der Bundesregierung die Möglichkeit für ein flexibles Vorgehen im Bereich der Kohleverstromung über einen begrenzten Zeitraum gegeben. Die Bundesregierung wird - dies versichere ich Ihnen - beim Gebrauch dieser Ermächtigung sehr sorgfältig verfahren. Sie stimmt diesem Entwurf zu, und ich bitte den Deutschen Bundestag, der Novelle die Zustimmung zu geben. Für eine zügige Beratung wäre ich allerdings besonders dankbar, da das Ziel eines Absatzes von 26 Millionen Tonnen Steinkohle voraussetzt, daß bereits im Januar zusätzliche Kohlemengen eingesetzt werden. Je länger die Beratung dauert, desto schwieriger wird es sein, das Absatzziel zu erreichen.
Dieses Bündel von Maßnahmen für die Kohle stellt eine meines Erachtens ausreichende und eine effektive Hilfe dar, und die Bundesregierung geht dabei davon aus, daß der Bergbau auch entsprechende eigene unternehmerische Anstrengungen macht. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die Produktivitätsentwicklung. Ich weiß um die besonderen Probleme dieses Produktionszweiges. Aber kein Wirtschaftsbereich, auch nicht die Steinkohle, kann erwarten oder verlangen, in der Flaute die Produktionskapazität immer zu 100 % ausnutzen zu können. Auch der Bergbau muß und kann eine gewisse temporäre Minderausnutzung von Kapazitäten in Kauf nehmen. Dies wird auch von anderen Wirtschaftszweigen - einfach vom Markt her - verlangt. Und so, aus dieser Sicht verstehe ich auch die zehn angekündigten Feierschichten, nämlich als die Bereitschaft zur Anpassung in einer begrenzten Zeit mit dem Ziel, bei wieder wachsender Nachfrage die vorhandene Produktionskapazität auch wieder ausschöpfen zu können.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich im Sinne der Tagesordnung jetzt nicht zur Kernenergie äußern, sondern mich noch kurz dem Thema „rationelle Energieverwendung" zuwenden, damit der Beitrag jedenfalls meines Ressorts zu dem Gesamtbereich „Energie" erledigt ist.
In diesen Monaten, in denen sich die Wirtschaftspolitiker zwangsläufig auf die Ankurbelung der
Konjunktur konzentrieren, bin ich mehrfach gefragt worden, ob das Thema „Energie sparen" eigentlich überhaupt in die Landschaft passe; Aufgabe wäre es doch, so wird behauptet, eher zu ermuntern, Energie zu konsumieren, statt Energie zu sparen. Das ist sogar für die Konjunkturpolitik gar nicht falsch, aber meine Antwort war: Rationelle Energieverwendung paßt auch jetzt in die Landschaft. Einen ins Gewicht fallenden konterkarierenden Einfluß auf die derzeitige Konjunkturlage sehe ich übrigens nicht. Wir haben im Gegenteil das konjunkturelle Tal genutzt, um mit dem Konjunkturprogramm zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, nämlich Investitionen zu fördern, die gleichzeitig mittelfristig Energie rationeller zu verwenden helfen. Der Abgeordnete Laermann hat die Größenordnung genannt.
Entscheidend ist aber die unterschiedliche zeitliche Dimension von Konjunktur- und Einsparpolitik. Unsere Politik der rationellen Energieverwendung ist auf mittel- und langfristige Ziele angelegt. Wir müssen heute anfangen. Mittelfristig spielt die sparsame Energieverwendung in unserer energiepolitischen Konzeption eine wichtige Rolle. Neben der Substitution von Erdöl und der Entwicklung alternativer Energiequellen ist sie eine wichtige Möglichkeit zur Verminderung der Versorgungsrisiken.
Rationelle Energieverwendung heißt aber nicht Rationierung von Energie. Unsere Politik bedeutet für den einzelnen nicht verordnete Einschränkung und nicht Verzicht auf erworbenen Lebensstandard. Sie bedeutet auch keine Beschränkung der Wachstumsmöglichkeiten der Wirtschaft, wie manchmal fälschlich gesagt wird.
Bei der derzeitigen Versorgungslage wird die Bundesregierung niemanden hindern, seine Wohnung so zu heizen, wie er will. Sie wird ihm aber sagen, wie man im eigenen Interesse Brennstoff sparen kann. Kein Unternehmer wird auf die Energiemengen verzichten müssen, die er für seine Produktion braucht. Aber es geht darum, die Vergeudung von Energie zu beenden. Es geht darum, durch eine intelligente Verwendung von Energie einen höheren Nutzungsgrad zu erreichen oder - und hier übernehme ich eine Formulierung von Herrn Professor von Weizsäcker, auf den Herr Professor Laermann Bezug genommen hat - Energie durch Intelligenz zu substituieren, nicht durch andere Energie.
Bei dieser Formulierung des Ziels wird, glaube ich, deutlich, warum das Thema Ökonomen, Ökologen, Techniker und Politiker fasziniert. Wir wollen unsere Politik nicht am grünen Tisch machen. Deswegen haben wir einen Gesprächskreis „Rationelle Energieverwendung" gegründet, an dem Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung beteiligt sind. Wir betrachten diesen Kreis auch als einen Multiplikator, um die neuen Erkenntnisse durchzusetzen. Ich erwarte, daß die Arbeit in diesem Kreis zu konkreten Aktionsvorschlägen führt. Die schriftliche Antwort zur Großen Anfrage ist - wenn ich das sagen darf - eine Art Zwischenbilanz. Sie zeigt einen ersten Schritt.
Lassen Sie mich nur vier Punkte aus dem nationalen Bereich hervorheben:
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, durch eine Fülle von Gesetzen, Verordnungen und sonstigen staatlichen Eingriffen den Verbraucher zu sparsamer Energienutzung zu zwingen. Sie vertraut hier auf vernünftiges Verhalten der Marktpartner. Wettbewerb, Markt und Preis sind das entscheidende Mittel zur ökonomischen und damit auch zur rationellen Energieverwendung.
Das zeigt sich nicht nur in der Großindustrie. Auch kleine und mittlere Unternehmen nehmen bei schärfer gewordenem Wettbewerb Möglichkeiten, Energie zu sparen und damit die eigene Kostenkalkulation zu entlasten, gerne wahr.
Nur am Rande möchte ich vermerken, daß das Rationalisierungskuratorium der Wirtschaft und die von der Bundesregierung geförderten Betriebsberatungen zur Schärfung des Energiekostenbewußtseins vor allem im mittelständigen Bereich erheblich beigetragen haben.
Ich habe den Eindruck, daß auch viele private Verbraucher bereits Konsequenzen aus gestiegenen Heizkosten gezogen haben: Die Heizung wird gedrosselt und in unbenutzten Räumen abgestellt, Richtgeschwindigkeiten werden - jedenfalls einigermaßen - eingehalten, um nur einige Beispiele zu nennen.
Das vernünftige und marktgerechte Verhalten der Energieverbraucher unterstützt die Bundesregierung durch Offentlichkeitsarbeit. Die bisherigen Aktionen haben gute Aufnahme gefunden; denn häufig fehlt es an der Kenntnis, wie . die Absicht konkret realisiert werden kann.
Ergänzende gesetzliche und administrative Maßnahmen kommen für die Bundesregierung nur subsidiär in Betracht, nämlich dann, wenn Preismechanismus und Information der Verbraucher keine ausreichende Motivation zum rationellen Umgang mit Energie versprechen. Das ist vor allem im Bereich von Kühlung und Beheizung von Gebäuden der Fall, den wir mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Einsparung von Energie in Gebäuden anpacken.
Besondere Bedeutung messen wir der Forschung und Entwicklung zu. Ich will hier dem Kollegen Matthöfer nicht vorgreifen, aus der Sicht des Wirtschaftsministers muß aber die langfristige Bedeutung der technologischen Entwicklung in diesem Bereich hervorgehoben werden; denn die Möglichkeiten rationeller Energienutzung, die mit konventioneller Technologie verwirklicht werden können, dürften mit Ablauf eines Investitionszyklus im wesentlichen erschöpft sein. Hier liegen große Einsparreserven für die Zukunft, z. B. auf dem Gebiet der Kraft-Wärme-Koppelung, der Abwärmenutzung, der Wärmespeicherung, der Entwicklung energiesparender Produktionsweisen. Als konkreter Ausfluß der Politik der Bundesregierung in diesem Bereich liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Einsparung von Energie in Gebäuden vor. Mit diesem Gesetzentwurf erfüllt die Bundesregierung einen weiteren Punkt ihrer ersten Fortschreibung des Energieprogramms, und zwar packen wir hier den Be14840
reich mit den größten Einsparreserven an; denn auf das Beheizen von Gebäuden entfallen 30 bis 40 % des gesamten Energieverbrauchs in der Bundesrepublik und die hier auftretenden Energieverluste lassen sich mit wirtschaftlich vernünftigen Maßnahmen um 25 bis 30 % vermindern. Alle Rechnungen über Einspareffekte - das muß man allerdings hinzufügen - haben natürlich theoretischen, modellhaften Charakter. Aber es gibt Anhaltspunkte dafür, daß sich, kumuliert bis zum Jahre 1985, Einsparungen in der Größenordnung von 160 Millionen Tonnen Steinkohle-Einheiten erreichen ließen. Der größte Teil dieser Energieeinsparungen entfällt auf Mineralöl und könnte damit eine kumulierte Deviseneinsparung bis 1985 von etwa 15 Milliarden DM erbringen. Die Wirkungen dürften sich in den Jahren nach 1985 mit steigender Tendenz fortsetzen.
Dieses Gesetz ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats Anforderungen an den Wärmeschutz in neuen Gebäuden, an die Beschaffenheit und an den Betrieb von Heizungsanlagen festzulegen. Meine Damen und Herren, es ist klar, daß die Erreichung der Energieersparnis Investitionen voraussetzt. Für mich war deshalb ein sehr wichtiger Punkt, daß die Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes nicht gefährdet wird und daß vor allem keine zusätzlichen Belastungen auf den Mietwohnungsbau zukommen.
({8})
Dies ist auch eine Antwort auf eine Bemerkung des Sprechers der Opposition von heute morgen, hier dürfe nicht überzogen werden, wenn ich es inhaltlich so wiedergeben darf. Ich stimme dem zu. Das Gesetz betont daher den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit. Die vorgesehenen Anforderungen müssen durch entsprechende Energieeinsparungen voll erwirtschaftet werden können. Mit dieser entscheidenden Beschränkung, die dem zukünftigen Verordnungsgeber auferlegt werden soll, vermeiden wir eine Überforderung des einzelnen. Wir vermeiden gleichzeitig Wachstumsverluste für die Gesamtwirtschaft. Letztlich verlangen wir mit diesem Gesetz nicht mehr, als was aus der Sicht des betroffenen Bürgers auch wirtschaftlich sinnvoll ist.
Nun können Sie natürlich fragen, warum dann überhaupt ein Gesetz notwendig ist; macht der Bürger das denn nicht von sich aus? Nein, wir brauchen das Gesetz. Mieter, um nur ein Beispiel zu nennen, haben in der Regel nicht die Möglichkeit, ihre Heizkosten durch Investitionen zu senken, denn die Investitionsentscheidung trifft nicht der Mieter, sondern der Bauherr. Er kann also die Bilanz gar nicht langfristig aufstellen; der Mieter muß sich an den laufenden Kosten orientieren.
Leider geht es dabei nicht ganz ohne Überwachung. Wenn sich die Anforderungen, wie im Gesetz vorgesehen, im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsprinzips halten, dann kann man jedoch damit rechnen, daß das Eigeninteresse des einzelnen Bürgers staatliche Kontrollen weitgehend überflüssig macht. Herr Kollege Ravens und ich sind uns in diesem Punkt einig. Wir wollen den Bürgern die gute Idee des Energiesparens nicht durch ein Übermaß lästiger Kontrollen verleiden. Die vorgesehenen Anforderungen an die bauphysikalischen Eigenschaften von Gebäuden und an die Beschaffenheit oder den Betrieb haustechnischer Anlagen sind nicht im Gesetz selbst geregelt. Das Gesetz enthält lediglich Ermächtigungen für die Bundesregierung, durch Rechtsverordnungen - übrigens mit Zustimmung des Bundesrates - solche Anforderungen festzusetzen. Dies ist allerdings erforderlich, weil es sich zu einem großen Teil um Regelungen handelt, die zahlreiche technische Einzelheiten enthalten müssen, und eine möglichst elastische Anpassung an sich verändernde Verhältnisse und Erfordernisse gewährleistet sein muß. Der Bundesrat hat schon in seinem Beschluß vom 14. März 1975 zur ersten Fortschreibung des Energieprogramms die verbindliche Einführung eines erhöhten Wärmeschutzes bei Neubauten begrüßt. Er hat darüber hinaus verlangt, die rationelle Energieverwendung energischer und zielgerichteter voranzutreiben. Entsprechend positiv war seine Stellungnahme im ersten Durchgang. Ich bin deshalb optimistisch, daß das Gesetz nach seiner Verabschiedung durch dieses Haus die definitive Zustimmung des Bundesrates noch vor der Sommerpause finden wird. In diesem Sinne bitte ich um eine baldige und zügige Beratung der dem Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen jetzt vorliegenden Gesetze. Meine Damen und Herren, wir sollten ungeachtet des derzeitigen scheinbaren Überangebots an Energie einen Beitrag zur langfristigen Verminderung des Energieverbrauchs leisten.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Russe.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Minister, Sie haben die Tagesordnung des Hohen Hauses heute genutzt, um uns aus Ihrer Sicht einige Aussagen über die derzeitige Situation in der Energiewirtschaft zu vermitteln und im Zusammenhang damit energiepolitische Vorstellungen darzulegen, die Sie im Hinblick auf verschiedene Problemkreise dieser Energiewirtschaft aufzugreifen oder durchzusetzen für richtig oder gar unerläßlich halten.
({0})
Dies gibt der Opposition natürlich die Möglichkeit es ist eine Pflicht der Opposition, diese Chance zu nutzen -, zu diesen Ihren Vorstellungen ihrerseits gegenteilige Auffassungen und andere Meinungen vorzutragen. Ich möchte versuchen, dies zu tun.
Ich greife zunächst eine Ihrer ersten Feststellungen auf. Sie sagten, man könne den Eindruck haben, daß sich in vielerlei Hinsicht die Meinung durchgesetzt habe, es werde schon alles gut gehen. Herr Minister, meine Damen und Herren von der Koalition, wir haben den Eindruck, daß Sie in den letzten Wochen und Monaten selbst sehr eifrig dieser Devise gehuldigt haben, daß Sie selbst zu der Auffassung gelangt sind, man könne die Dinge ruhig laufen lassen, es werde schon gut gehen. Wir sind mit Ihnen der Auffassung, daß man bei Betrachtung der Lage und der Lösungsnotwendigkeiten, die sich
energiepolitisch im Sinne einer Verpflichtung herausschälen lassen, nicht von Ideologien ausgehen darf, sondern daß man gehalten ist, die Dinge sehr realistisch zu beurteilen. Dies werden wir uns immer zu tun verpflichtet fühlen, und dies soll auch Gegenstand meiner Ausführungen zu Ihrer Darstellung und zu der Gesamtproblematik der Energiepolitik sein.
Wir haben es in diesem Hohen Hause und auch an anderer Stelle des öfteren gesagt, und wir wiederholen es auch heute: Wir haben den Eindruck, daß es dieser Regierung seit Jahren an zielbewußtem Handeln fehlt.
({1})
- Es mag Ihre Meinung sein, daß das Quatsch ist, Herr Kollege Wolfram. Sie müssen uns zugestehen, daß wir diese Feststellung treffen. Ich wiederhole, daß wir den Eindruck haben und behalten, daß es dieser Bundesregierung an zielbewußtem Handeln gefehlt hat und in der Tat auch heute fehlt.
({2})
Dies gilt auch für den Komplex der Kohlepolitik. Herr Minister, Sie haben zu diesem Komplex hier sehr ausführlich Stellung bezogen. Ich will nicht über den vorliegenden Gesetzentwurf sprechen; das werden andere Kollegen aus meiner Fraktion tun.
Lassen Sie mich aber zur Verstromung der Steinkohle schlechthin einige Dinge hier einmal klarstellen. Ihre Versäumnisse reichen doch schon einige Jahre zurück. Im Anschluß an das Erste und Zweite Verstromungsgesetz haben Sie zunächst eine Anschlußregelung lediglich auf Verordnungsbasis vorgeschlagen, obwohl Ihnen von allen beteiligten Seiten, von allen Fachleuten die anstehenden Probleme und die möglichen Auswirkungen einer Anschlußregelung lediglich auf Verordnungsbasis klar vor Augen gehalten worden sind. Und das Dritte Verstromungsgesetz trat dann leider erst am 14. Dezember 1974 in Kraft. Wir haben lange auf die Ausführungsrichtlinien warten müssen. Die bis dahin geschaffenen Begünstigungen für Steinkohlenkraftwerke endeten bereits mit dem Stichtag 30. Juni 1971. Allein an diesen Daten kann man schon erkennen bzw. ablesen, daß es der Kohlepolitik dieser Regierung nach 1969 an Stetigkeit gefehlt hat mit der sehr entscheidenden und schwerwiegenden Folge, daß die Kapazität des Steinkohlenverbrauchs in Kraftwerken seit Jahren stagniert. Dies ist auch durch Zahlen eindeutig zu beweisen.
Lassen Sie mich dies hier tun. Die Gesamtkapazität der Steinkohlenkraftwerke, nämlich öffentlicher Kraftwerke, industrieller Kraftwerke und Kraftwerke der Bundesbahn, entwickelte sich in den Jahren von 1969 bis 1974, also in den Jahren, als Sie die Regierungsverantwortung in diesem Hause gehabt haben, wie folgt - diese Angaben sind auf Megawatt und jeweils auf das Jahresende bezogen -: 1969 28 000 Megawatt, 1970 28 500 Megawatt, 1971 30 000 Megawatt, 1972 29 500 Megawatt, 1973 29 100 Megawatt, 1974 29 000 Megawatt.
({3})
Dieser Entwicklung bei steinkohlebefeuerten Kraftwerken muß man natürlich den Ausbau öl- und gasbefeuerter Kraftwerke gegenüberstellen, um danach voll ermessen zu können, was in den Jahren von 1969 bis heute vor sich gegangen ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Ich möchte zunächst diesen Gedankengang zu Ende führen, Herr Kollege Lambsdorff. Dann können Sie gleich gerne Ihre Zwischenfrage stellen. - Ich möchte dem Hohen Hause für dieselben Jahre ebenfalls den Bestand bei öl- und gasbefeuerten Kraftwerken bekanntgeben. 1969 waren das 7 700 Megawatt, 1970 8 700 Megawatt, 1971 10 000 Megawatt, 1972 13 300 Megawatt, 1973 16 900 Megawatt, 1974 23 800 Megawatt. Was will ich mit dieser Zahlenreihe aussagen?
({0})
Nun, meine Damen und Herren, die damals verabsäumte Anschlußregelung in der Form einer gesetzlichen Norm ist eine - eine wesentliche - Hauptursache für die heutige Misere bei der Verstromung der Steinkohle.
({1})
- Moment, Herr Kollege Lambsdorff! - Diese Zahlen lassen auch erkennen, daß es vor dem Stichtag für die Begünstigung noch einen regelrechten Zuschußboom gegeben hat. Dann setzte mit Nachdruck der Bau von öl- und vor allem gasbefeuerten Kraftwerken ein - dies eindeutig zu Lasten der Steinkohlenverstromung.
Bitte schön, Graf Lambsdorff!
Herr Kollege Russe, könnten Sie uns vielleicht außer der Zahlenreihe, die Sie genannt haben, auch noch sagen, wie lange man für Planung, Genehmigung und Bau eines Kraftwerkes braucht?
Oh natürlich, sehr gern. Sie wissen das zwar genauso gut wie ich, aber damit ist für Sie nicht die Möglichkeit, die Chance eröffnet, nun etwa zu sagen, daß diese Planung schon vor 1969 gelegen hätte.
({0})
Drei bis vier Jahre brauchen Sie für den normalen Bau - Planung plus Bau - eines Kohlekraftwerkes, eines gas- und ölbefeuerten Kraftwerkes.
({1})
- Dadurch, daß Sie dazwischenrufen, wird es ja nicht anders. Die Daten und Fakten sprechen für sich.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, ich möchte jetzt erst weiterreden.
({0})
- Er will wohl, aber er tut es nicht, Herr Kollege Ehrenberg, wenn Sie damit zufrieden sind.
({1})
Die Kraftwerksbetreiber haben nach 1969 aus nur verständlichen Gründen zugewartet, ob es zu einer Anschlußregelung kommen würde. Als dann über lange, lange Zeit nichts geschah, gingen die Kraftwerksbetreiber, die schließlich auch rechnen müssen, verstärkt zum Bau von öl- und vor allem von gasbefeuerten Kraftwerken über. Mit der Stagnation im Energieverbrauch 1974 und seinem Rückgang im Jahre 1975 war es dann aus kalkulatorischen Gründen nur konsequent, daß die jüngeren Anlagen stärker mit anderen Brennstoffen zum Einsatz gekommen sind.
Das, meine Damen und Herren, ist der Verlauf im Kraftwerksbau nach 1969. Es ist in der Tat keine Übertreibung, wenn wir feststellen, daß der eingetretene Rückschlag in der Verstromung der Steinkohle auch durch diesen Teil der Energiepolitik dieser Bundesregierung - man könnte versucht sein, es so zu sagen - geradezu vorprogrammiert worden ist. Dies muß gesagt werden, weil es die unabweisbaren Zahlen über die Entwicklung einfach nicht zulassen - wie auf anderen Gebieten der Politik so auch hier -, alles auf die derzeit schlechte Konjunktur, die im übrigen auch Sie zu vertreten haben, abzuschieben.
Nein, meine Damen und Herren, eine gesamtwirtschaftliche Entwicklung - das muß hier betont werden - vollzieht sich unter längerfristigen Zeithorizonten. Heute wirkt sich in der Tat das aus, was vor Jahren versäumt oder falsch angelegt worden ist.
Ich will zweifellos zugestehen, daß die Bundesregierung die Entwicklung nicht so gewollt hat. Aber sie hat fahrlässig auch Unterlassungssünden - hier und auf anderem Gebiet - begangen, zu denen nachher noch etwas zu sagen sein wird. Die Energiepolitik ganz allgemein, die Kohlepolitik im speziellen eignen sich von der Natur der Sache her einfach nicht zu einer Politik des reinen Laisser-faire.
Als Parlamentarier können wir der Bundesregierung eine weitere Tatsache der letzten Jahre nicht einfach nachsehen. Deshalb können wir nicht darauf verzichten, sie hier darzustellen. Es handelt sich um das Vertagen und Verschieben der 7. Absatzvorausschau des Bundesbeauftragten für den Steinkohlenbergbau. Die 7. Vorausschau, die nach dem Gesetz zum 1. Dezember 1973 hätte erscheinen müssen, wurde erst am 30. März 1974 veröffentlicht.
Die nächste, die 8. Vorausschau wurde bis in die letzten Tage hinausgezögert. Im Wortlaut kennen wir, die Mitglieder dieses Hohen Hauses, sie bis heute nicht. Die Bundesregierung zog es vor, den Bundesbeauftragten für den Steinkohlenbergbau hier mehr oder weniger nicht zu veranlassen, entsprechend zu handeln und diesem Hause entsprechende Vorlagen zuzuleiten. Offenbar paßten Prognosen von dieser Seite nicht in die entsprechende Politik.
({2})
Wir meinen, das war politisch sehr kurzsichtig. Dem Gesetzgeber gegenüber hat die Bundesregierung hier eine Ignoranz zutage treten lassen, die von diesem Hohen Haus nicht unwidersprochen hingenommen werden kann.
({3})
- Wir wissen ja, was die Hintergründe waren. Die will ich hier nicht ausbreiten, Graf Lambsdorff. Der Bundesbeauftragte war gehalten zu handeln. Uns ist die Vorlage nicht zugeleitet worden, aber draußen in der Öffentlichkeit ist sie bereits verkündet worden. Das ist ein Stil, der diesem Hohen Haus nicht angemessen ist, meine Damen und Herren.
({4})
Nach unserer Meinung paßt in dieselbe Linie möglicher Verschleierungen die Stellungnahme der Bundesregierung in einem kürzlich an den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages, unseren Kollegen Narjes, gerichteten Brief. Dort heißt es kurz und bündig, eine Fortschreibung des schon fortgeschriebenen Energieprogramms vom Herbst 1974 sei gegenwärtig weder nötig noch beabsichtigt. Ich sage Ihnen dazu, was ich schon einmal bedeutet habe - ich wiederhole es für meine Fraktion -: Genau das Gegenteil ist richtig, nicht nur weil das Energieprogramm selber als eine ständig anzupassende Handlungsmaxime konzipiert worden ist, sondern auch deshalb, weil alle Energiewirtschaftsexperten - alle! - inzwischen übereinstimmend der Auffassung sind, daß die Notwendigkeit einer Korrektur vorliegt und deshalb gehandelt werden muß.
Wenn ich mich recht erinnere, dann ist in der Debatte zur Energiepolitik vor dem 4. Mai vergangenen Jahres in diesem Hohen Hause doch gerade von Ihrer Seite, als wir entsprechende Vorbehalte geltend machten, daß wir das noch nicht zu Ende beraten hätten, daß große Teile des Programms überhaupt nicht Gegenstand der Erörterung gewesen seien, sehr deutlich darauf hingewiesen worden, dies werde laufend und immer wieder auf den Tisch gelegt und durchgeführt. Nun, von damals bis zum heutigen Tag haben wir über diesen Komplex weder im Wirtschaftsausschuß noch in diesem Hohen Hause die Möglichkeit zur Beratung bzw. zur Debatte gehabt.
({5})
Das Basteln an Einzelgesetzen ersetzt dabei auch
kein zusammenhängendes Konzept. Wir meinen, es
verschleiert nicht einmal mehr oder weniger die Konzeptionslosigkeit Ihrer Energiepolitik.
Wir verkennen dabei nicht, daß die Verstromung der Steinkohle, der zweitgrößte inländische Absatzbereich des Bergbaus, natürlich auch infolge der Konjunkturentwicklung erheblich zurückgegangen ist. Die Zuwachsrate bei der öffentlichen Stromversorgung bewegte sich im Jahre 1975 um den Nullpunkt. Im Bereich der industriellen Kraftwirtschaft ist in demselben Jahr ein Rückgang von 10 bis 12 % gegenüber 1974 zu verzeichnen gewesen.
Was veränderte sich dabei beim Brennstoffeinsatz? Nun, das Heizöl ist stark zurückgenommen worden. Das ist ein Problem im Mineralölbereich, zu dem nachher noch etwas zu sagen sein wird. Es gibt schon eine Anzahl von nicht mehr in Betrieb befindlichen neuen Ölkraftwerken. Die Braunkohle hat ihren Teil trotz neuer Kapazitäten unverändert halten können. Die Inbetriebnahme der Kernkraftwerke Biblis und Würgassen bewirkten eine Steigerungsrate für Kernenergie von 4 auf 7 % im Jahre 1975. Der Anteil des Erdgases an der Verstromung ist von 12 % im Jahre 1973 auf 20 % im Jahre 1975 angestiegen. Übrigens, meine Damen und Herren: Der stark erhöhte Einsatz von Erdgas in den Kraftwerken ist nicht nur mit Kapazitätserweiterung zu erklären. Es kommt hinzu - das muß hier ausgesprochen werden -, daß im Gewerbe und in der Industrie mit zurückgehender Konjunktur Gasmengen freigesetzt worden sind, die den Kraftwerken nunmehr zu günstigen, teilweise relativ niedrigen Preisen angeboten werden konnten. Das 01 war hier ohnehin schon zurückgedrängt; ich habe das vorhin gesagt.
Auch diese Entwicklung konnte man frühzeitig genug beobachten. Aber vielleicht war die Bundesregierung auch hier das Opfer ihrer eigenen konjunkturpolitischen - optimistischen - Prognosen und Vorstellungen. Wir erinnern uns ja an das Jahr 1975, wo es hieß: „Der Aufschwung kommt", „Den Aufschwung wählen". Eingetreten ist er bekanntlich nicht. Wer weiß - wir stellen uns die Frage und hätten darauf gern eine Antwort -, vielleicht wurde auf diesem vorgetragenen Hintergrund deshalb im Dritten Verstromungsgesetz eine Verstromung von durchschnittlich 33 Millionen Tonnen pro Jahr angestrebt. Diese Zielsetzung ist nun nicht annähernd erreicht worden, und deshalb muß novelliert werden.
Dabei darf man nicht übersehen:
Erstens. Wenn sich die Stromwirtschaft jetzt zur Abnahme von 26 Millionen Tonnen für die Verstromung plus 2 Millionen Tonnen zusätzlichen Einkaufs für Haldenanlage verpflichtet hat, bedeutet das in der Menge doch zweifellos eine deutliche Unterschreitung der Vorgaben des Energieprogramms und des Dritten Verstromungsgesetzes um 7 Millionen Tonnen. Das ist doch nicht zu bestreiten, Herr Minister. Wenn Sie sagen, natürlich müsse auch die Kohle Opfer bringen - à la bonheur! Aber was ist dann mit den übrigen Bereichen? Darauf haben Sie uns bis heute keine Antwort gegeben.
Zweitens. Zeitlich beschränken sich die beabsichtigten Abnahmeverpflichtungen nur auf zwei Jahre.
Aber nach den Absichten des Energieprogramms und des Dritten Verstromungsgesetzes müßten sich Maßnahmen zugunsten des Steinkohlebergbaus doch bis 1980 erstrecken. Sie haben sich vorhin eingelassen, Herr Minister, Sie seien der Auffassung, ab 1978 würde die alte Größenordnung schon erreicht werden. Das ist eine Ihrer Prognosen, von der wir nicht überzeugt sind, daß das in der Tat eintreten wird.
Drittens. Die auf 26 Millionen Tonnen jährlich zurückgenommene Verstromung der Steinkohle und die zeitliche Beschränkung der jetzigen Maßnahmen auf zwei Jahre erschweren zwangsläufig auch weiterhin Investitionsentscheidungen über weiterreichende Rationalisierungsmaßnahmen im Bergbau und zur Erhaltung der Förderkapazität. Ich sagte: zur Erhaltung der Förderkapazität. Die Gefahr von Stillegungen ist schon aus diesem Grunde keineswegs gebannt.
Nun wissen wir natürlich, daß Sie diesbezüglich in Ihren Auffassungen auch nicht einig sind. Wir kennen die Äußerung des Herrn Kollegen Ollesch, daß es seiner Meinung nach richtig wäre, auf 85 Millionen Tonnen zurückzugehen, was die Förderkapazität angehe. Der Wirtschaftsminister im Lande Nordrhein-Westfalen, der ja unter uns ist, hat ähnliche Äußerungen von sich gegeben. Andere Äußerungen lauten anders. Was sollen wir davon halten? Was ist Ihre Meinung? Wie stehen Sie zu dem Tatbestand, der hier von mir behauptet worden ist, daß dann zur Erhaltung der Förderkapazität - ({6})
Herr Kollege Wolfram, natürlich habe ich das gehört.
({7})
Aber demgegenüber muß doch noch einmal deutlich darauf hingewiesen werden, daß eben Parteifreunde - aus seiner eigenen Partei! - unwidersprochen andere Äußerungen gemacht haben und daß darüber hinaus bei Ihnen wiederum andere Vorstellungen herrschen. Ist es denn noch nicht einmal erlaubt, in diesem Hohen Hause feststellen zu dürfen, daß hier innerhalb der Koalition gegenteilige Auffassungen bestehen
({8})
und daß wir von daher gesehen hier mit Recht bohren müssen.
({9})
Es ist unsere Pflicht zu fragen: Was ist denn nun eigentlich Ihre Position, wie hoch ist denn die von Ihnen vorgesehene Förderkapazität heute, morgen und übermorgen? Bitte, äußern Sie sich dazu, und zwar verbindlich, für die Koalitionsfraktionen und die Regierung!
({10})
- Ach, Herr Kollege Wehner, das können Sie haben, natürlich!
Ein anderes Kapitel. Die CDU/CSU-Fraktion hat in allen ihren Einlassungen seit mehr als Jahresfrist stark kritisiert, daß die nach dem Energieprogramm erst für 1977 vorgesehene - ich darf es genau sagen - Anlage einer Bundeskohlenreserve und ihre Finanzierung - wir sollten alle aus unserem Sprachgebrauch den Begriff „Haldenfinanzierung" herauslassen - zu spät einsetzt und im Haushalt ungesichert bleibt.
({11})
- Die Teilfinanzierung ist keine Lösung.
({12})
Eine Ausweitung der schon beschlossenen Kurzarbeit im Steinkohlenbergbau kann deshalb keineswegs ausgeschlossen werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, im Augenblick nicht, Frau Präsidentin; es tut mir leid.
({0})
Volkswirtschaftlich wäre es deshalb sinnvoller gewesen und für die Zukunft noch notwendiger, an Stelle der Mittel, die von der Bundesanstalt für Arbeit für Kurzarbeit und eventuelle Stillegungen aufgebracht werden müssen, eine sofortige Vollfinanzierung der nationalen Kohlenreserven durchzuführen.
({1})
Würde man dies tun, erhielte der Steinkohlenbergbau einen beträchtlichen Liquiditätszuwachs. - Herr Kollege Wolfram, daß kein Geld da ist, haben Sie zunächst einmal zu vertreten. Sie haben zu vertreten, daß diese Frage nicht beantwortet werden kann.
({2})
- Es ist zu einfach, darauf in dieser Form zu reagieren. Wenn wir heute diese Haushaltsmisere haben, wer hat das denn in diesem Hohen Hause zu verantworten und zu vertreten? Doch diejenigen, die regieren - das sind Sie -, und nicht wir!
({3})
Zweiter Punkt. Es gab in der Vergangenheit eine Fülle von Hinweisen und praktischen Lösungsvergleichen, wie man so etwas machen kann. Man hätte beispielsweise - das ist ein Weg - vorübergehend auch die KfW für eine solche Finanzierung durchaus heranziehen können. Schauen Sie sich einmal an, was in der Vergangenheit über diesen Weg finanziert worden ist. Wenn man diese Notwendigkeit ernst nimmt, wäre das ein Weg gewesen. Sie haben damit
auch auf Ihren Zwischenruf, so hoffe ich, die entsprechende Antwort bekommen.
({4})
Meine Damen und Herren, für die bereits beschlossenen zehn Tage Kurzarbeit im deutschen Steinkohlenbergbau müssen von der Bundesanstalt für Arbeit etwas über 11 Millionen DM pro Tag - das sind rund 110 Millionen DM - aufgewendet werden. Das ist mehr als die Hälfte der 200 Millionen DM Investitionshilfe, die der Steinkohlenbergbau 1975 insgesamt erhielt. Hätte man auf die Kurzarbeit verzichtet und die dafür aufzuwendenden Mittel den Bergbauunternehmen als zusätzliche Investitionszuschüsse zur Verfügung gestellt, wären die Bergbauunternehmen z. B. in die Lage versetzt worden, zusätzliche Maßnahmen des Aus- und Vorrichtungsbaues zu ergreifen. Gerade für den aus geologischen Gründen benachteiligten deutschen Steinkohlenbergbau liegt es nahe, im Rahmen der bestehenden Förderkapazität den Mechanisierungsgrad weiter zu erhöhen, also die Rationalisierungsinvestitionen im Interesse der Förderkostensenkung weiterzutreiben. Aber Erwägungen dieser Art sind von der Bundesregierung offenbar nicht angestellt worden.
Hier zeigt sich nach unserer Auffassung wiederum, daß die Bundesregierung eine falsch angelegte Politik verfolgt. Meine Fraktionskollegen Adolf Müller ({5}) und Hans Katzer haben das bei der Novelle zum AFG in diesem Hause vor kurzem, ich glaube, zu Recht, kritisiert; ich darf das noch einmal mit Erlaubnis der Frau Präsidentin dem Inhalt nach zitieren. Sie haben damals bedeutet:
Sie bezahlen lieber Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit, statt sie dort zu beseitigen, wo sie entsteht. Sie haben eben keine Perspektive für Politik auf längere Sicht und verschleiern Ihre Unfähigkeit, langfristig zu denken, mit dem großen Mantel sozialpolitischer Zuweisungen. Und die lassen Sie dann die Arbeitnehmer auch noch über die Beitragserhöhung der AFG-Beiträge selbst bezahlen.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die Novellierung des Verstromungsgesetzes ist angesichts sich türmender Halden der unzureichende Versuch, so meinen wir, in der Kohlepolitik für die nächsten ein bis zwei Jahre über die Runden zu kommen, das Wahljahr in den Revieren zu überstehen. Eine größere Wirkung ist damit nach unserer Auffassung, jedenfalls nach Kenntnisnahme dessen, was bis heute dazu vorgetragen worden ist, nicht zu erreichen.
({6})
Für den deutschen Steinkohlenbergbau bleibt letztlich alles offen, denn die vom Verstromungsgesetz und vom Energieprogramm der Bundesregierung angestrebte langfristige Absicherung der Förderkapazität des deutschen Steinkohlenbergbaus wird durch diese gesetzgeberische Maßnahme nicht erreicht
werden, ganz zu schweigen von einer Erhöhung der Förderkapazität für andere Maßnahmen, etwa Verwendung zu Forschungszwecken; aber das ist ein Kapitel für sich.
Die Bundesregierung gibt mit dieser Novellierung weder den Bergbauunternehmen weiterreichende Entscheidungsgrundlagen noch den Beschäftigten die langfristigen Gewißheiten, die man ihnen wünschen muß.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich frage noch einmal sehr deutlich, und diese Frage möchten wir von Ihnen ganz konkret beantwortet wissen: Welche Kapazitätsvorhaltung wird von Ihnen im Steinkohlenbergbau nun endlich angestrebt bzw. festgestellt, und wie soll diese auf die Dauer abgesichert werden? Dies bleibt auch jetzt, mehr als zwei Jahre nach dem Ölschock, eine offene Frage deutscher Energiepolitik.
Ein weiteres Problem ist das sogenannte 6000-MWProgramm. Herr Minister, Sie haben es nicht angesprochen; ich muß es tun. Es konnte im Jahre 1975 ebenfalls nicht weitergebracht werden. Bisher liegen lediglich Bauzusagen von 3900 MW vor - Sie wissen das -, wenn man Voerde einschließt. Nach dem Verwaltungsgerichtsentscheid in Sachen Voerde sind im Grunde genommen nur 2500 MW kontrahiert. Der Streit über blauen Himmel oder mehr Kohle in Kraftwerken ist offen ausgebrochen, und der Leidtragende ist der Kumpel. Wir werden nun in diesen Tagen eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes in erster Lesung zu beraten haben. Dies begrüßen wir. Wir haben das ja im Wirtschaftsausschuß bei der Beratung über den Komplex Voerde unmittelbar gefordert. Herr Kollege Ehrenberg, der nicht hier ist, hat das - dies soll fairerweise festgestellt werden - sofort unterstützt, als ich den Antrag einbrachte. Sie kommen leider erst jetzt nach mehr als acht Wochen Debatte im Ausschuß mit dem Gesetz. Nun, es kommt eine richtige Sache; sie kommt zu spät. Trotzdem begrüßen wir diese Absicht.
Nicht weniger besorgniserregend stellt sich für uns die konkrete Situation im Bereich der deutschen Mineralölwirtschaft dar. Nach der Nahostkrise im Oktober 1973 brennt uns heute noch das Problem der drei- bis vierfach erhöhten Einstandspreise auf den Nägeln. Die Auswirkungen der letzten OPEC-Beschlüsse sind dabei noch gar nicht abzusehen. Was uns hier sowohl unter konjunkturellen, aber, Herr Minister, auch unter strukturellen Gesichtspunkten zusätzlich beschwert, ist dies - wir sind dankbar, daß wir erstmalig heute aus Ihrem Munde gehört haben, daß auch Sie es jetzt mit als ein strukturelles Problem ansehen, daß Sie es nunmehr nicht nur, wie lange Zeit vertreten, als eine konjunkturelle Angelegenheit betrachten -: Erstens besteht ein Überangebot an schwerem Heizöl hauptsächlich zur Verfeuerung in industriellen und öffentlichen Kraftwerken aus der Produktion unserer heimischen Raffinerien. Dies ist bedingt durch die Konjunkturlage, aber auch durch zusätzliche Importe.
Zweitens werden vornehmlich aus Rotterdam und Straßburg entsprechende Mehrmengen von Raffinerieprodukten nach Deutschland eingeführt, die einen Preisdruck auf die Erzeugnisse deutscher Raffinerien bewirken und damit als Folge Vertriebsverluste für die deutschen Raffinerien entstehen lassen.
Drittens rufen unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen sogenannte windfall profits hervor. Einige Gesellschaften in Deutschland fördern Rohöl und Erdgas aus deutschen Feldern. Dort steigen die Förderkosten nicht annähernd so wie die Rohölpreise international anziehen oder angezogen sind. Das bringt Sondergewinne. Die sollen nun mit einer Sonderabgabe belegt werden. Der Beschluß dazu ist am 10. Dezember im Kabinett gefaßt worden; aber bis heute steht die konkrete Vorlage der Bundesregierung an dieses Hohe Haus noch aus - wieder ein Verzögerungseffekt, - der doch, egal wie man zu der Sache stehen mag, unsere Feststellung zulassen muß, daß Sie eben nicht ausreichend handeln, sondern mehr oder weniger zunächst nur ankündigen, und daß sehr viel Zeit ins Land geht, bis Sie zur Handlung kommen.
({7})
Viertens. Wettbewerbsverzerrungen entstehen auch dadurch, daß die freien, d. h. die konzernungebundenen Importeure hinsichtlich der Ölbevorratungspflicht bessergestellt sind als die abhängigen Importeure. Das bringt ersteren einen zusätzlichen Preisvorteil, der zur Zeit zwischen 5 DM und 6,50 DM pro Tonne liegt. Die von Ihnen vorgesehene Neuregelung haben Sie zu unserem Bedauern bis heute nicht vorgelegt, obwohl wir darüber schon vor Wochen im Wirtschaftsausschuß debattiert haben.
Meine Damen und Herren, die entscheidenden Fragen im Mineralölbereich - die nach wie vor schwierige Absatzlage bei schwerem Heizöl und die Förderung des Baus von Krackanlagen zur Senkung des Anteils an schwerem Heizöl, der zunehmende Importdruck von Raffineriefertigprodukten, die aus all diesen Gründen niedrige Kapazitätsauslastung bei den deutschen Raffinerien -, diese unbestreitbaren strukturellen Probleme müssen unverzüglich gelöst werden.
({8})
Bisher gingen Sie der Behandlung dieser unstreitig bestehenden strukturellen Probleme allerdings beharrlich aus dem Wege.
({9})
- Herr Kollege Lambsdorff, Ihr Zwischenruf ist durchaus berechtigt, aber ich sage noch einmal: Es geht hier nicht um die Frage „Wie denn?", sondern Sie sind zum Handeln verpflichtet. Wir haben die Debatte im Wirtschaftsausschuß geführt, und Sie haben nach Wochen noch keine entsprechenden Vorlagen ausgearbeitet, die uns in die Lage versetzen würden, ein klares Votum dazu abzugeben. Das ist doch die Position.
({10})
Das hat zur Folge, daß draußen die betroffenen und
beteiligten Wirtschaftszweige in dieser strukturellen
Situation in starker Weise belastet sind. Dies stellen wir hier als einen Mangel Ihrer Wirtschaftspolitik heraus. Darum geht es.
({11})
Nun zu einem ganz anderen Part zukünftiger energiewirtschaftlicher Aufgabenstellung: Das ist der Problemkreis einer bundesweiten Fernwärmeversorgung. Dies hat sich inzwischen zu einem - darf ich sagen - futuristischen Kolossalgemälde bei unserem Herrn Kollegen Matthöfer entwickelt, aber er wurde aus den eigenen Reihen schon eines Besseren belehrt. Ich zitiere hier mit Erlaubnis der Frau Präsidentin unseren Kollegen Dr. Karl Ahrens, der sich auf einer Fachtagung in München im Mai 1975 u. a. wie folgt äußerte:
Man ist verleitet, im Interesse des großen Wurfs die Stimmen derer zu überhören, die erfahren und nüchtern vor die letztlich notwendige energiepolitische Entscheidung die technisch-wirtschaftliche Abklärung aller Pros und Kontras setzen wollen. Eine ähnliche Gefahr droht dem bekannten Projekt eines Systems nuklearer Fernenergie. Fasziniert durch die Universalität dieses Konzepts ist man leicht geneigt, die hier noch offenen Probleme zu übersehen, wobei der ordnungspolitische Aspekt heute von mir nur erinnernd genannt werden kann. Es wird sich meiner festen Überzeugung nach in Zukunft wieder einmal herausstellen, daß Extremvorstellungen nicht zur gewünschten Problemlösung führen.
({12})
Der Bundesminister für Forschung und Technologie spricht demgegenüber weiterhin unbeirrt von seiner Bundesfernwärmeschiene, als ob gleichsam - ich darf es einmal ein bißchen salopp so formulieren - mit Davids Schleuder hiermit 80 Millionen Tonnen SKE von heute auf morgen oder jedenfalls in nächster Zukunft eingespart werden könnten.
({13})
Wir sind für den Ausbau dieser Versorgungsmaßnahmen, für diesen Versorgungszweig, der im übrigen als solcher gar nicht neu ist und in unserem Lande vor Jahrzehnten schon Pionierleistungen erbracht hat. Auch steht hier eine längst bewährte Technik zur Verfügung. Nach unserer Einschätzung der Probleme kommt es hier aber darauf an, die Fernwärmeversorgung dort auszubauen, wo die Anschlußdichten vorhanden sind und wo zugleich besondere Umwelterfordernisse bestehen,
({14})
nämlich in den Verdichtungsgebieten, und - das ist das Entscheidende - es muß sich rechnen. Wer soll das sonst bezahlen? An diesen Klippen kommt der Minister nicht vorbei, ob er will oder nicht.
({15})
Lassen Sie mich einiges wenige im Rahmen der gesamtpolitischen Darstellung zur Energiepolitik auch zur Kernenergie sagen, zur Versorgung mit Natururan und der Wiederaufbereitung.
Meine Damen und Herren, die Energie der Zukunft ist trotz aller heutigen Widerstände zweifellos die Kernenergie. Die Kernenergie kann aber bis zur Jahrhundertwende nicht mehr als 25 bis 30 % Anteil an unserer Gesamtenergiebilanz erreichen. Das wäre dann schon eine ausgezeichnete Leistung. Dies wird aber nicht erreichbar sein, weil eben mit Zubaulücken zu rechnen ist. Nach dem derzeitigen Stand werden von 20 000 MW, die bis 1980 am Netz sein sollten, höchstens 15 000 bis 16 000 MW installiert sein. Für 1985 kann man allenfalls mit 35 000 MW anstatt der geplanten 45 000 bis 50 000 MW rechnen.
Wir möchten deshalb endlich von dieser Bundesregierung erfahren, wie sie diese Zubaulücken bis 1980 bzw. 1985 beurteilt. Wenn man etwas gegen diese Zubaulücken im Kernkraftwerksbauprogramm mit entscheidender Wirkung tun will, dann muß man endlich - ich wiederhole: dann muß man endlich; dies fordern wir seit mehr als zwei Jahren in diesem Hohen Hause, durch Anträge, in Reden und darüber hinaus ({16})
die Standortvorsorge verbessern, die Genehmigungsverfahren beschleunigen, von der Genehmigungspraxis her eine standardisierte Kraftwerkstechnik ermöglichen und die Öffentlichkeitsarbeit verbessern.
({17})
Man muß auch an Kernkraftwerke der zweiten Entwicklungsgeneration denken. Dazu ist es insbesondere notwendig, eine der Sache nach angemessene, aber gezielte - oder: gezieltere - Förderung der Prototypanlagen beim Hochtemperaturreaktor sicherzustellen. Wir meinen, trotz offenkundiger Vorzüge hat die Entwicklung des Hochtemperaturreaktors seitens der Bundesregierung eine mehr als schleppende Behandlung erfahren, obwohl gerade in einem Verbund zwischen der Kernenergie und der Kohle, beispielsweise über die Veredelung, die Kohlevergasung, die Kohleverflüssigung - hier ist nicht nur Steinkohle, sondern auch Braunkohle gemeint -, die größten Chancen für unsere eigene Energiewirtschaft erblickt werden müssen.
Der Kugelhaufenreaktor darf dabei nicht übersehen und außer acht gelassen werden. Wir haben deshalb auch bereits am 21. Oktober 1973 - man beachte: 1973 - den Antrag betreffend Verbund Kernenergie/Kohle eingebracht,
({18})
um auf eine forcierte Behandlung hinzuwirken. Die Mehrheit des Bundestagsausschusses für Forschung und Technologie hat diesen Antrag seinerseit abschlägig beschieden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte gleich die Frage. - Im Frühjahr 1975 wurde im Wirtschaftsausschuß des Bundestages diese Sache erneut aufgerufen. Bis heute haben wir das nicht abschließend behandeln können.
Herr Kollege Wolfram, bitte, zu Ihrer Frage.
Vielen Dank, daß Sie mich auch eines Blickes würdigen! Herr Kollege Russe, darf ich Sie fragen, ob Sie mir bestätigen können, daß dieser Antrag, der tatsächlich 1973 von Ihnen eingebracht worden ist, jahrelang Ihrerseits überhaupt nicht zur Sprache gebracht worden ist, daß er dann in Ihrer Abwesenheit stillschweigend ein Begräbnis erster Ordnung im Wirtschaftsausschuß bekommen hat? Sie waren leider nicht dabei.
Herr Kollege Wolfram, Sie verwechseln das mit einem anderen Vorgang im Wirtschaftsausschuß.
({0})
Ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen zu folgen. Sie haben die Frage, wenn ich Sie recht verstanden habe, nämlich auf die Einrichtung einer Energie-Enquete-Kommission bezogen. Sie haben recht, daß das während meiner Krankheit im Wirtschaftsausschuß erledigt wurde.
({1})
Aber die Angelegenheit des Verbundes von Kohle und Kernenergie ist nicht erledigt; denn wir haben uns darauf verständigt, Herr Kollege Wolfram, in der übernächsten Woche ein öffentliches Hearing zu dieser Angelegheit im Wirtschaftsausschuß durchzuführen.
({2})
Meine Damen und Herren, Umstellungen erfordern Mut. Sie bedeuten in jedem Fall Anstrengung und Kosten. Das wissen wir. Die mindeste Umstellung, die wir jetzt einleiten können, ist aber in diesem Zusammenhang auch die auf die Kohle hin. Ich möchte ein Wort des heute hier bereits zweimal genannten Professors Carl Friedrich von Weizsäcker zitieren. Er hat in seiner jüngst veröffentlichten Studie klar und deutlich gesagt: Kohle und Kernspaltung sind die einzigen Alternativen für Erdöl und Erdgas, die - soweit technische Argumente tragen - in einigen Jahrzehnten zur Verfügung stehen können, freilich nur wenn die Vorbereitungen dafür jetzt getroffen werden. - Das ist wieder die Position: Wo ist die Vorstellung der Bundesregierung für diesen Komplex in concreto, so daß man dazu etwas sagen, dazu Stellung beziehen, dazu entsprechende Voten abgeben kann? Ich halte es im übrigen in dem Zusammenhang auch für möglich - ich habe „ich" gesagt -, mit Hilfe des Kugelbettreaktors ein versorgungssicheres, zudem über alle
Maßen umweltfreundliches Energie- und Rohstoffversorgungssystem aufzubauen.
Ein anderer Punkt ist der Markt für Natururan. Seit 1973/74 hat sich dieser Weltmarkt vom Käufermarkt zum Verkäufermarkt gewandelt. Natururan ist heute ebenfalls ein politisch gehandhabter Rohstoff. Die heutige Bundesregierung mißt in dieser Frage, so meinen wir, zuwenig die Bedeutung dem Tatbestand bei - ja, ich glaube, sie hat hier eine gewisse Sorglosigkeit bis heute an den Tag gelegt -, daß dies ein rohstoffpolitisches Problem ist, daß der Ankauf von Natururan eingebettet sein muß in die Anwendung der Instrumentarien der Wirtschafts-, der Außen- und der Entwicklungspolitik. Herr Kollege Lenzer wird heute nachmittag für unsere Fraktion den Antrag, den wir diesbezüglich mit eingebracht haben, begründen und weitere Ausführungen dazu machen. Das gilt auch für den Komplex der Anreicherung und der Wiederaufbereitung. Auch dies ist eine Problematik, bei der wir zu neuen Ufern gelangen müssen. Das, was die Regierung dazu bisher getan oder unterlassen hat, wirft Probleme auf, die uns beschweren.
Meine Damen und Herren, der Bau von Kernkraftwerken muß schließlich auch durch die Schließung des Brennstoffkreislaufs ergänzt werden. Wer A sagt, muß auch B sagen. Die Bundesregierung muß hier auf eine sinnvolle Verwendung der Mittel, auf größere Effektivität, auf Beschleunigung und Konzentrierung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten hinarbeiten. Auch dazu heute nachmittag mehr von meinem Kollegen.
Lassen Sie mich zusammenfassend mit folgender Feststellung schließen: Diese Bundesregierung sieht nach allen Verlautbarungen, die wir kennen, dennoch keinen konkreten Anlaß, ihre bisherige Energiepolitik zu ändern. Sie beruft sich insbesondere - das haben wir auch heute morgen aus dem Munde des Herrn Wirtschaftsministers wieder entgegennehmen müssen - darauf, daß die jetzigen Schwierigkeiten fast ausnahmslos konjunktureller Art seien. Ich habe demgegenüber versucht, hier ganz wesentliche strukturelle Probleme des Steinkohlebergbaus und der Mineralölwirtschaft aufzuzeigen. Das wird im Laufe des heutigen Tages noch mehr zur Sprache kommen müssen.
Aber auch die Entwicklung alternativer Energiequellen und der Aufbau neuer Energieversorgungssysteme stellen uns vor weitreichende strukturpolitische und strukturelle Probleme, die ordnungspolitisch-institutionell gelöst werden müssen. Die Zeit drängt ungeheuer. Was heute nicht angegangen wird, steht morgen bedauerlicherweise nicht zur Verfügung. Energiewirtschaft und Energietechnik haben ihre eigenen Sach- und Zeithorizonte. Das aber wird von der Bundesregierung offensichtlich nicht erkannt. Wir fragen aus diesem Grunde erneut: Welche Korrekturen will die Bundesregierung hier vornehmen? Eigentlich müßte die Frage anders gestellt werden, und ich stelle sie auch so: Will sie es überhaupt tun? Im Mineralölbereich hat sie ihre Zielsetzungen nicht einmal ansatzweise zu realisieren versucht. Keine Reaktion auf verän14848
derte Bedingungen, keine Flexibilität, nur Absichtserklärungen. In einem Zeitungskommentar wurde diese Art der Energiepolitik vor einigen Tagen mit einem Bratwandernden Bergsteiger verglichen, der hofft, daß es schon irgendwie gutgehen werde.
Meine Damen und Herren, es dürfte übrigens auch kein Zufall sein, daß die Energiepolitik der Bundesregierung seit einer Reihe von Wochen bzw. Monaten eine relativ schlechte Presse hat.
({3})
Sie haben sich zu sehr auf Prognosen verlegt und zuwenig Ziele dargestellt bzw. sich für sie eingesetzt. Und die Wege, die Sie beschreiten wollen, haben Sie völlig offengelassen. Natürlich kann man sich bei Prognosen irren. Das wollen wir Ihnen in keiner Weise vorwerfen; wir gestehen Ihnen diesen Irrtum gern zu.
({4})
Das ist auch gar nicht das Schlimmste. Den politischen Willen eines Programms aber dokumentieren dann die Zielsetzungen. Hinter Ihrer Energiepolitik steht jedoch weder der erforderliche Sach- und Zeithorizont noch der entscheidende Wille. Ein energiepolitisches Leitbild für heute und morgen ist ebenfalls nicht zu erkennen. Die neue konkrete Situation hat Sie offensichtlich überfordert. Auch mangelt es Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, an der Bereitschaft, Zielkonflikte, so z. B. zwischen der Energieversorgung und dem Umweltschutz, zu beseitigen.
Wenn aber Politik Auswahl und Einsatz geeigneter Mittel zur Ordnung und zur Lösung anstehender Probleme - und zwar unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten Situation - ist, muß auch und gerade für die Energiewirtschaft die Beachtung dieser Handlungsmaximen unabdingbares Gebot sein und bleiben. Meine Damen und Herren von der Koalition, dazu sollten Sie bereit sein; wir jedenfalls sind es.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen ganztägigen Energiedebatte im Deutschen Bundestag unterstreichen Parlament und Bundesregierung einmal mehr, welche Bedeutung und welchen Stellenwert sie den nationalen, den europäischen und den weltweiten Energieproblemen und der Energiepolitik beimessen.
In den parlamentarischen Beratungen und Beschlußfassungen seit Vorlage des Energieprogramms der Bundesregierung vom 26. September 1973 - es ist übrigens, Herr Kollege Russe, das erste Energieprogramm, das jemals eine Bundesregierung vorgelegt hat, und es ist vorgelegt worden von einer Bundesregierung der sozialliberalen Koalition -,
({0})
in seiner ersten Fortschreibung und in den zwischenzeitlich getroffenen Maßnahmen und energiepolitischen Entscheidungen spiegelt sich die Kontinuität unserer Energiepolitik wider. Dem ersten Programm folgten die Erste Fortschreibung, das Dritte Verstromungsgesetz, das Mineralölbevorratungsgesetz sowie viele andere energiepolitische Entscheidungen, und heute stehen in erster Lesung die Novelle zum Dritten Verstromungsgesetz und das Energieeinsparungsgesetz und schließlich die Großen Anfragen der Koalitionsfraktionen zur Debatte. Es sind dies weitere Schritte auf dem Wege zur Verwirklichung unserer energiepolitischen Ziele, Schritte zum Zwecke der mittel- und langfristigen Sicherung eines ausreichenden Energieangebots, selbstverständlich zu volkswirtschaftlich möglichst günstigen Kosten unter angemessener Berücksichtigung der Erfordernisse des Umweltschutzes. Wir treffen also dringend notwendige energiepolitische Entscheidungen, ohne daß wir den Blick für mittel-und langfristige Ziele verlieren.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen handeln also, sie treffen im Rahmen des Gesamtkonzepts die notwendigen Entscheidungen. Und zu diesen Entscheidungen gibt es keine Alternative der CDU/CSU-Opposition.
({1})
Herr Kollege Russe, Sie haben großen Wert darauf gelegt, nach dem Wirtschaftsminister zu sprechen. Sie haben in Ihrem ersten Satz angekündigt, daß das für die Opposition die Möglichkeit ist, zu den Vorstellungen der Bundesregierung gegenteilige Auffassungen vorzutragen. Wir haben darauf mit Spannung und Interesse gewartet, aber wir haben feststellen müssen - und Ihre Kolleginnen und Kollegen haben es selbst mithören können -: Sie haben ein paar Fragen gestellt, und dabei blieb es.
({2})
Sie haben Kritik geübt, aber Sie haben nicht in einem einzigen Fall eine konkrete Alternative aufgezeigt.
({3})
- Also, lieber Herr Kollege Russe, es werden ja heute noch weitere Sprecher von Ihnen - ({4})
Wolfram ({5})
- Nun, hier steht ja nicht der Oberbürgermeister, sondern das Mitglied des Bundestages, und zwar, Herr Kollege Russe,
({6})
der mit 60 °/o Stimmenanteil direkt gewählte Abgeordnete.
({7})
Herr Kollege Russe, es war interessant, was Sie im einzelnen ausgeführt haben. Ich bin sicher, mein Kollege Adolf Schmidt und andere werden Ihnen darauf noch antworten.
Ich habe Ihnen einmal zugerufen, es wäre Quatsch, wenn Sie behaupteten, dieser Bundesregierung fehle der Wille zum energiepolitischen Handeln. Sie wissen es doch selbst: Es hat doch in den Jahren, seit dieser Bundestag besteht, nie eine Periode gegeben, in der so konkret und so konsequent an der Verwirklichung energiepolitischer Zielvorstellungen gearbeitet worden ist wie seit den Zeiten der sozialliberalen Koalition. Wir haben ein Konzept, das fortgeschrieben wurde und auf dessen Basis die Bundesregierung handelt.
({8})
Sie haben doch die Möglichkeit: Legen Sie doch endlich einmal ein alternatives energiepolitisches Konzept der CDU/CSU vor! Die Öffentlichkeit und wir alle wären sehr gespannt darauf, das kennenzulernen.
({9})
Nun haben Sie behauptet, der Kohlepolitik fehle seit 1969 die Stetigkeit. Herr Kollege Russe, in welcher Welt leben Sie denn eigentlich? Bis 1965 lebte die Kohle in Unsicherheit, lebten die Bergleute in Existenzangst, waren die Bergbaustädte und -gemeinden von unplanmäßigen Zechenstillegungen betroffen.
({10})
Seitdem die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten regieren, gibt es eine planmäßige Energiepolitik, gibt es Vertrauen in diese Energiepolitik. Das spiegelt sich auch nicht zuletzt in den Wahlergebnissen wider. Sie haben es doch bedauert, daß Sie am 4. Mai vorigen Jahres im Lande Nordrhein-Westfalen nicht gewonnen haben.
({11})
- Entschuldigen Sie bitte, jetzt kommen Sie mit dieser These des Aufschwung-Wählens. Diese These stimmt. Sie wissen: Es geht aufwärts. Diese These ist richtig.
({12})
Sie werden es erleben, ob Sie wollen oder nicht. Sie reden den nächsten konjunkturellen Aufschwung nicht kaputt. Er ist schon auf dem besten Wege.
({13})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Russe hat dann die Steinkohlenkraftwerkskapazitäten genannt und wollte daran beweisen
({14})
- einen Moment, ich möchte noch den Satz zu Ende sprechen, Herr Kollege Luda -, daß zu wenig für die Kohleverstromung getan worden ist. Er hat dann die Entwicklung der Öl- und Gaskraftwerkskapazitäten aufgezeigt. Herr Kollege Russe, Sie wissen doch: Das Erdgas ist erst in den letzten Jahren verstärkt auf den europäischen und deutschen Markt gekommen. Eine Reihe von Elektrizitätsversorgungsunternehmen haben gerade in den letzten Jahren neue Gaskraftwerke ans Netz genommen. Deshalb ist es ganz logisch, daß sich der Erdgasanteil an der Verstromung beträchtlich erhöht hat. Sie wissen aber auch, daß es uns gelungen ist, zu verhindern, daß das Öl verstärkt eingesetzt wird. Es ist substituiert worden. Der Ölanteil bei der Verstromung ist praktisch eingefroren worden.
Herr Kollege, zwei Zwischenfragen sind angemeldet.
Ich bin gern bereit, sie zu gestatten.
Herr Kollege Wolfram, Sie verweisen mit Recht auf die Belebungstendenzen, die wir alle begrüßen. Glauben Sie aber, daß der Aufschwung, von dem Sie sprechen, der Aufschwung ist, den die Bevölkerung mit Recht erwartet, wenn alle Experten sich darüber einig sind, daß trotzdem im Durchschnitt des Jahres 1976 die Arbeitslosenzahl noch bei einer Million bleiben wird?
Herr Kollege Luda, zu Ihrer Frage schlicht und einfach die Antwort: Ja, ich bin überzeugt, daß die Bevölkerung das so sieht. Was die Arbeitslosigkeit anbetrifft - das wissen wir alle -, das ist ein - ({0})
- Entschuldigen Sie, das haben Sie gesagt. Das wollen wir gern zu Protokoll nehmen.
({1})
Die Arbeitslosigkeit ist ein großes Problem, das nicht nur uns und dieses Land und diese Volkswirtschaft, sondern die meisten Industrienationen beschäftigt. Darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel. Alle in der Wirtschaft Verantwortlichen haben zur Lösung dieses Problems große Anstrengungen zu
Wolfram ({2})
unternehmen. Aber Sie haben bislang auch keine Lösung gefunden, wie man dem besser zu Leibe rücken kann.
({3})
Herr Kollege Russe!
Herr Kollege Wolfram, darf ich die Frage an Sie richten: Ist meine Information richtig, daß der Herr Bundeskanzler persönlich in einer der internen Sitzungen Ihrer Partei den Vorwurf erhoben hat, daß sozialdemokratische Mehrheiten - vor allem am Rhein und an der Ruhr - zum großen Bedauern dafür Sorge getragen hätten, daß nicht Kohle, sondern Gas und 01 in Kraftwerken der verschiedenen Gemeinden eingesetzt würden. Ist diese Information richtig?
Nein, die ist nicht richtig, weil Sie den Bundeskanzler jetzt falsch interpretieren.
({0})
- Nein, entschuldigen Sie bitte, der Bundeskanzler hat sowohl in der Fraktion als auch auf dem Mannheimer Parteitag - -({1})
- Nun hören Sie doch mal zu! Sie wollen doch wissen, was dieser Bundeskanzler sagt.
({2})
Er sagt in der Regel immer das Richtige.
({3})
Herr Kollege Russe, der Herr Bundeskanzler hat sowohl in der Fraktion wie auf dem Mannheimer Parteitag darauf hingewiesen, daß selbstverständlich auch die Energieversorgungsunternehmen, die sich zu einem Großteil in öffentlichen Händen befinden, eine Mitverantwortung tragen. Das ist etwas ganz anderes als das, was Sie jetzt an Eindruck erwecken wollen. Seien Sie sicher: wenn Sie in dem Unternehmen, in dem Sie beruflich tätig sind, so wirken, wie wir auf die öffentlichen Versorgungsunternehmen einwirken, dann wird es wegen des Steinkohleneinsatzes in der Kraftwirtschaft keine Probleme geben.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Frau Präsidentin, ich bin dazu gerne bereit, aber ich muß natürlich auch einmal die Möglichkeit haben, meine Vorstellungen vorzutragen.
({0})
- Sehr gern, Herr Kollege!
Herr Kollege Wolfram, Sie sagen, die Regierung habe jetzt ein energiepolitisches Konzept.
Das hatte diese Regierung schon immer! Sie hatten früher keins!
- Warten Sie doch bitte einmal ab! Ist in diesem Konzept denn auch vorprogrammiert, daß es jetzt an der Ruhr Kurzarbeit geben soll und daß die Schrumpfung so weitergehen soll wie beispielsweise im Raum Ibbenbüren und an der Saar, wobei allein im Raum Ibbenbüren 1150 Arbeitsplätze verlorengehen werden? Ist das Ihr energiepolitisches Konzept?
Wissen Sie - ({0})
- Ich komme ja nicht wie Sie aus dem Sauerland.
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Herr Kollege Rawe, ich hätte, was die Kurzarbeit an der Ruhr betrifft, dem Kollegen Russe ohnehin geantwortet.
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Der Herr Kollege Russe wie auch Sie müßten wissen, daß das unternehmenspolitische Entscheidungen sind, die der Vorstand der Ruhrkohle-AG in Abstimmung mit den Betriebsräten getroffen hat.
({3})
Ich muß sagen, höchsten Respekt davor, daß dieses Unternehmen und die Beschäftigten einen eigenen Beitrag geleistet haben, eine Überproduktion in einem angemessenen Rahmen in den Griff zu bekommen. Das ist anzuerkennen. Was Ibbenbüren anbetrifft, Herr Kollege Rawe, werden wir im Laufe der Debatte noch einiges dazu zu sagen haben. Sie wissen genau wie wir, welche besonderen Probleme in diesem Bereich bestehen. Sie wissen auch genau, wie sehr auch wir uns darum bemühen, das Ibbenbüren-Problem zu lösen.
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- Entschuldigen Sie bitte, gegen bestimmte wirtschaftliche Fakten kommen auch Sie nicht an. Sie können zwar verbal dagegen opponieren, aber gewisse politische und wirtschaftliche Fakten müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Halfmeier?
Herr Kollege Wolfram, gerade in diesem Augenblick verläßt eine Gruppe, die aus dem Sauerland stammt, die Tribüne.
({0})
Ich möchte Sie fragen, ob Sie grundsätzlich etwas gegen das Sauerland haben?
Ganz im Gegenteil! Ich freue mich, daß Sauerländer anwesend sind. Ich wollte damit nur sagen, daß meine Beziehungen zur Kohlepolitik, zur Energiepolitik, nicht zuletzt auf Grund meiner langjährigen praktischen und politischen Erfahrung, wohl viel enger als die des CDU-Kollegen aus dem Sauerland sind. Das Sauerland schätze ich als das Naherholungsgebiet des Ruhrgebiets. Es spendet unseren Bergleuten viel Kraft.
({0})
Herr Kollege Russe, nur noch eine Bemerkung zu Ihnen, denn es lohnt sich nicht, daß man sich noch länger mit Ihren Ausführungen befaßt.
({1})
Sie haben gefragt, was denn nun die Förderrichtzahl sei.
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Der Bundeswirtschaftsminister hat für die Bundesregierung verbindlich die Erklärung abgegeben, daß wir keinen Anlaß sehen, von den Grundsätzen und Zielvorstellungen der Ersten Fortschreibung des Energiekonzepts abzugehen. Im Gegenteil. Wir stehen zu diesen Aussagen. Sie sind heute bemerkenswerterweise erstmalig davon abgegangen, Ihre in der letzten Zeit mehrmals erhobene Forderung, eine weitere Aktualisierung und Fortschreibung des Energiekonzepts vorzunehmen, zu wiederholen. Wir haben registriert, daß Sie diese falsche Forderung heute nicht wiederholt haben.
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Meine Damen und Herren, ich habe für meine Fraktion zur rationellen Energieverwendung und zum Energieeinsparungsgesetz zu sprechen. Mit der Bundesregierung teilt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die Auffassung, daß in der rationellen und sparsamen Energieverwendung ein wesentlicher Beitrag zur Erleichterung der energiepolitischen Probleme liegt. Die Sicherheit unserer Energieversorgung wird durch sparsamen Energieverbrauch wesentlich erhöht, unsere Importabhängigkeit wird verringert, die begrenzte Verfügbarkeit von Energievorräten verlängert, die Energieaufwendungen werden beeinflußt, und es wird ein wesentlicher Beitrag zum Umweltschutz geleistet. Die Notwendigkeit, bei der Gewinnung, der Umverteilung und beim Verbrauch von Energie rationell und sparsam zu wirtschaften, ergibt sich also zwangsläufig aus den Geboten der Sicherheit, der Wirtschaftlichkeit und des Umweltschutzes.
Nun wissen wir allerdings, daß es auch Zusammenhänge mit dem weiteren wirtschaftlichen Wachstum gibt.
An der These, daß knappe und teure Energie eine sparsame und rationelle Energieverwendung erfordert, ist nicht zu rütteln. Es gibt allerdings auch keinen Zielkonflikt zwischen den Energieeinsparungsmaßnahmen und der gegenwärtigen Lage auf dem Energiemarkt. Der Bundeswirtschaftsminister hat ja bereits darauf hingewiesen, daß die gegenwärtig stagnierende Gesamtenergienachfrage, vor allem die Absatzschwierigkeiten der Steinkohle, die nur 60%ige Ausnutzung der Raffineriekapazitäten und der stagnierende Elektrizitätsverbrauch national wie international vor allem konjunkturbedingt sind. Hinzu kommen - auch das muß man sehen - drei aufeinanderfolgende milde Winter und ein durch die Marktpreisentwicklung geschaffenes Energiesparbewußtsein der Bevölkerung und der Wirtschaft. Mit der zu erwartenden konjunkturellen Belebung und mit der erneuten Steigerung des Bruttosozialprodukts wird es auch wieder zu einem Energieverbrauchszuwachs kommen.
Meine Damen und Herren, offensichtlich scheint der gegenwärtige Zustand des Energiemarktes den Verbrauchern wenig Sorge zu bereiten. Ich warne aber erneut vor diesem trügerischen Sicherheitsgefühl. Eine solche weit verbreitete Einstellung könnte sich eines Tages gefährlich auswirken. Wir dürfen uns deshalb nicht beeinflussen lassen, nicht beirren lassen, die einzelnen Teilbereiche einer energiepolitischen Strategie - orientiert an den mittel- und langfristigen Zielen unseres Energiekonzepts - zu entwickeln und auszuschöpfen. Im Bereich der sparsamen und rationellen Energieverwendung sind jedenfalls noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.
Deshalb erwarten meine politischen Freunde und ich, daß Bund, Länder und Gemeinden, aber auch die Europäischen Gemeinschaften und alle anderen internationalen Organisationen weiterhin verstärkt die Voraussetzungen für eine sparsamere und rationellere Energieverwendung schaffen. Wir erwarten von Industrie und Wirtschaft und appellieren in diesem Sinne an sie, hier alle gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen.
Forscher und Techniker sind aufgefordert, immer wieder neue und energiesparsamere Technologien zu entwickeln. Professor von Weizsäcker - er ist ja auch schon vom Wirtschaftsminister zitiert worden - hat meines Erachtens zu Recht die Frage nach der Struktur unserer Technik gestellt. Er hat zu Recht gefragt: Ist der heutige Energieaufwand für die heutige Güterproduktion technisch notwendig, oder ist er das Ergebnis einer speziellen energievergeudenden Form der Technik? Eine Technik der Energieersparnis braucht keineswegs eine Technik des Verzichts auf Güter zu sein. Professor von Weizsäcker empfiehlt - ich wiederhole es -, Energie durch Information zu substituieren, d. h., anders ausgedrückt, gedankenlosen Umgang mit Energie durch intelligenten zu ersetzen. Auf jeden Fall - das füge ich hinzu - sollte der Staat markt14852
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wirksame Anreize zur Entwicklung einer energiesubstituierenden Technik schaffen. Neben der Sicherung und dem Einsatz der heimischen Energie, insbesondere der Kohle, sollten deshalb energiesparenden Techniken besondere Förderungsprioritäten zugewiesen werden.
Energie wird teurer, und je teurer die Energie für den Verbraucher ist, desto mehr kann er an Kosten sparen, wenn er Energie rationell nutzt. Wir wissen auch, daß den Belangen des Umweltschutzes eine rationelle Energieerzeugung in jedem Falle entspricht. Das Prinzip der rationellen Energienutzung unterstützt also die energiepolitischen Zielsetzungen. Deshalb ist aus energiepolitischer Sicht jede Art der Energierationalisierung wünschenswert. Allerdings bedarf es meines Erachtens lenkender und ordnender Impulse, weil eine ungesteuerte Entwicklung unter Umständen von gesteckten Zielsetzungen abweichen kann.
Wir wissen, daß die Vorkehrungen zu einer rationellen Energieverwendung vor allem mittel- und langfristige Zielsetzungen verfolgen. Die Bundesregierung rechnet - im Gegensatz zur Ersten Fortschreibung des Energiekonzepts - jetzt mit einer kumulierten Energieeinsparung in einer Größenordnung von rund 70 Millionen Tonnen SKE bis 1980 und sogar mit einer solchen in Höhe von 230 Millionen Tonnen SKE bis 1985. Das entspricht einer kumulierten Deviseneinsparung von rund 24 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, das ist fast soviel, wie im Vorjahr die Devisenaufwendungen für Mineralölimporte betragen haben. Daran kann man die Größenordnungen ermessen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil zukünftiger Energiekostensteigerungen - bei Privaten wie in der Wirtschaft - kann also durch eine sparsamere und rationellere Energieverwendung aufgefangen werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein kurzes, kritisches Wort zur gemeinschaftlichen Energiepolitik sagen. Es ist der Vizepräsident der EG-Kommission, Herr Haferkamp, gewesen, der auf dem Steinkohlentag 1975 in Essen die gemeinschaftliche Energiepolitik als desolat bezeichnet hat. Man kann nur hoffen, daß der Rat die letzten energiepolitischen Entscheidungen ernst nimmt und daß die Bundesregierung alle ihr gegebenen Möglichkeiten ausschöpft, in den Gemeinschaften, mit den Partnerländern und mit den anderen Industrienationen eine verbindliche Strategie für eine gemeinschaftliche Energiepolitik zu konkretisieren und anzuwenden. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung leistet ihre Beiträge zur Erreichung der von den internationalen Institutionen gesteckten Gruppeneinsparzielen. Unsere Arbeiten und Maßnahmen decken sich auch mit dem „Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich einer rationelleren Energienutzung".
Lassen Sie mich jetzt ein Wort zu dem uns vorliegenden „Gesetz über Energieeinsparung" sagen. Die Bundesregierung hat uns, wie in der Fortschreibung angekündigt, das Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden vorgelegt. Damit wird ein weiterer Schritt getan, um die rechtlichen Voraussetzungen zur verbindlichen Einführung eines erhöhten Wärmeschutzes in Neubauten sowie verbindliche Anforderungen an heizungs- und lüftungstechnische Anlagen in bestehenden Gebäuden zu schaffen. Wir wissen, in diesen Bereichen liegen die größten Einsparungsreserven.
Durch den Gesetzentwurf wird die Gestaltungsfreiheit des Bauordnungsrechts der Länder nicht beeinflußt. Das Gesetz hat nur zum Ziel - über die Gesichtspunkte von Sicherheit, von Hygiene hinaus -, einheitliche Mindestanforderungen zur Energieeinsparung zu stellen.
Der Gesetzentwurf enthält vorwiegend allgemeine Zielsetzungen. Besonderes materielles Gewicht kommt deshalb den noch zu erlassenden Rechtsverordnungen zu. Wir hoffen sehr, daß sie bald und in Abstimmung mit dem Bundesrat vorgelegt und in Kraft gesetzt werden.
Wenn die Bundesregierung den an der Ausgestaltung der Rechtsverordnungen interessierten Kreisen weitere Gespräche angeboten hat, dann soll sichergestellt werden, daß keine Bestimmungen erlassen werden, durch die die freie Materialwahl des Bauherrn unvertretbar eingeengt und die Konkurrenzfähigkeit der Lieferanten unzumutbar beeinträchtigt würde. Ich füge hinzu, daß nicht nur Anregungen von Fachspezialisten und Wirtschaftsinteressenten eingeholt werden sollen, sondern daß auch die gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme und Folgen gründlich geprüft werden müssen.
Meine Damen und Herren, in unserem Interesse kann es nicht liegen, Scheinerfolge zu erzielen. Das könnte passieren, wenn die Energieeinsparungen an einer Stelle mit einem Mehraufwand an anderer Stelle erkauft würden. Mögliche Zielkonflikte müssen deshalb nüchtern gegeneinander abgewogen werden, wie auch verhindert werden muß, daß einzelne Energieträger entscheidend begünstigt und andere entscheidend benachteiligt werden.
Die in § 5 des Gesetzentwurfs auferlegte Selbstbegrenzung ist wichtig. Herr Minister, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, daß sich ein zusätzlicher Investitionsaufwand durch eine permanente Senkung der Heizungskosten erwirtschaften lassen muß. Wir legen deshalb besonderen Wert darauf, weil wir natürlich verhindert wissen wollen, daß auf die Mieter zusätzliche finanzielle Belastungen zukommen. § 7 stellt auch sicher, daß der Umfang der Überwachungen auf das unerläßliche Maß beschränkt wird.
Die Stellungnahme des Bundesrates, der sich ja grundsätzlich zustimmend ausgesprochen hat, und die Gegenäußerung der Bundesregierung werden in den Ausschußberatungen noch zu behandeln sein. Ich brauche deshalb jetzt nicht näher darauf eingehen. Auf alle Fälle sind die Auflagen dieses Gesetzes technisch realistisch, ökonomisch notwendig und zumutbar und energiepolitisch wünschenswert. Die SPD-Bundestagsfraktion geht deshalb mit einer grundsätzlich positiven und zustimmenden Einstellung in die weiteren Beratungen dieses Gesetzentwurfs.
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Im übrigen hoffe ich, daß durch Forschung und Technologie, durch breit angelegte, aber gezielte Öffentlichkeitsarbeit und nicht zuletzt auch durch die heutige Debatte wesentliche Beiträge zur weiteren Verwirklichung von Energieeinsparungsvorstellungen geleistet werden.
Es ist eigentlich unerklärlich, meine Damen und Herren, daß erst die Energie- und Rohstoffkrise der letzten Jahre die Begrenztheit von Energie- und Rohstoffen ins öffentliche Bewußtsein gehoben hat. Es war höchste Zeit, daß wir endlich mit einem vielfach an Verschwendung grenzenden Energieverbrauch Schluß gemacht haben bzw. uns um eine sparsamere und rationellere Energieverwendung bemühen. Es tut unserer Volkswirtschaft, den privaten wie industriellen Energieverbrauchern gut, bei auch zukünftig weiter steigenden Energiepreisen durch Sparmaßnahmen die Gesamtenergieaufwendungen positiv zu beeinflussen.
Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung leisten auch auf diesen Gebieten mit den entsprechenden Gesetzen und mit ihren energiepolitischen Beiträgen konstruktive Hilfen zur Verwirklichung der energiepolitischen Zielvorstellungen. Wir werden an der planmäßigen Verwirklichung unseres Energieprogramms zusammen mit der Bundesregierung weiterarbeiten. Die in der Energiewirtschaft Beschäftigten und die Energieverbraucher können sich auch in dieser Beziehung auf uns und auf die Bundesregierung Schmidt/Genscher verlassen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich hatte eigentlich die Absicht, auf die Rundum-Kritik des Kollegen Russe an der Energiepolitik der Regierung zu antworten. Er ist im Augenblick leider nicht im Saal. Ich weiß deswegen nicht, ob ich meine Antwort bis zu seinem Wiedererscheinen aufheben oder mich mit dem leeren Platz des Kollegen Russe - wie gelegentlich im Wirtschaftsausschuß so auch hier - abfinden soll.
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- Das Schlußwort kommt auch; seien Sie unbesorgt! Aber vorher muß noch einiges andere gesagt werden.
Meine Damen und Herren, auch in Abwesenheit von Herrn Russe will ich zu seinen Ausführungen sprechen. Er hat seinen Vortrag mit der bemerkenswerten Feststellung begonnen - vielleicht war es auch nur eine Freudsche Fehlleistung; aber immerhin war es interessant, es zu hören -, daß es die Pflicht der Opposition sei, gegenteiliger Meinung als die Regierung zu sein. Ich glaube, man darf gelegentlich auch zustimmen. Manchmal tut die Opposition das auch. Sie wird ja auch den heute eingebrachten Gesetzentwürfen im Endeffekt zustimmen, und zwar nach dem bewährten Motto: 55 Minuten dagegen
reden und dann fünf Minuten begründen, warum man doch dafür stimmt.
Herr Kollege Russe hat in einigen Punkten Probleme angeschnitten. Aber diese Art der Behandlung energiepolitischer Probleme, die in der Tat schwierig sind und uns auf den Nägeln brennen, stellt alles andere als auch nur den ernsthaften Versuch einer zufriedenstellenden und brauchbaren Antwort dar. Ich nenne als Beispiel die „windfall profits". Herr Russe: „Wie steht man denn zu der Sache im letzten?" Auf die Frage, wie er selbst dazu steht: keine Antwort.
Zur Frage des Überangebots von schwerem Heizöl am deutschen Mineralölmarkt. „Wie steht es denn mit dem Bau von Krackanlagen?" Er meint wahrscheinlich Konversionskracker. „Und was tut die Regierung eigentlich, um der Situation des Imports von Erdgas und schwerem Heizöl zu begegnen?" Von Herrn Russe keine Antwort und keine Anregung. Soll die Regierung Konversionskracker bauen, oder sollen die betroffenen Unternehmen das unternehmerische Risiko behalten und gefälligst Kracker bauen, wenn sie meinen, daß das rentabel ist? Darauf brauchen wir Antworten.
Herr Kollege Russe meint in Fragen Natururan der Regierung Sorglosigkeit vorwerfen zu müssen. Ich könnte mir vorstellen, daß Herr Bundesminister Matthöfer darauf noch eingehen wird. Auch hier wüßten wir gern, wie die geographischen und politischen Probleme, die mit der Versorgung mit Natururan im Zusammenhang stehen, denn aus der Sicht der Opposition gelöst werden können. Bei der Anreicherung und der Wiederaufbereitung - das sind zwei in der Tat außerordentlich gravierende Probleme - erschöpft sich die Aufforderung des Kollegen Russe darin, wir sollten doch zu neuen Ufern finden. Ich frage, wo diese Ufer liegen. Die Frage ist doch z. B., ob wir in der Bundesrepublik die Wiederanreicherung haben wollen und müssen - dabei entstehen Transportprobleme, Sicherheitsprobleme und alles, was dazugehört -, ob wir hier Aufbereitungsanlagen brauchen oder uns darauf verlassen können, daß wir sie anderswo unter umweltfreundlicheren Gesichtspunkten errichten können, wodurch wir uns aber in der Belieferung politisch und geographisch abhängiger machen. Da muß doch einer sagen, in welche Richtung seine Meinung nun eigentlich geht.
So geht das weiter. Im Haushalt sei eine ungesicherte Finanzierung der Steinkohlenreserve vorgesehen. Nun, darüber kann man diskutieren. Aber auf die Frage: Woher denn das Geld nehmen?, Herr Russe, waren Sie der Auffassung: „Das müssen Sie vertreten, das ist nicht unsere Sache." Sie haben erneut vorgeschlagen, Gelder aus den Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit dafür einzusetzen und damit das Problem zu lösen.
({1})
- Natürlich, wenn Sie von Kurzarbeitsgeld sprechen, das man anderswo sparen könne, stammt es ja wohl aus diesen Mitteln. Mit anderen Worten: Sie haben immer noch nicht begriffen, daß selbst für die hehrsten und edelsten Zwecke, die alle gut,
recht und schön sein mögen, keine Gelder eingesetzt werden können, die für völlig andere Zwecke eingezahlt worden sind, nämlich zur Sicherung der Arbeitsplätze.
({2})
- Das ist eine völlig andere Frage, Herr Kollege Zeyer. Über die Frage, so etwas aus Haushaltsmitteln zu finanzieren, haben wir schon 1974 bei der Beratung des Dritten Verstromungsgesetzes gesprochen, und darüber muß natürlich auch heute gesprochen werden, wenn man im System des Dritten Verstromungsgesetzes bleiben will. Aber der Hinweis, wir sollten uns das Geld bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau pumpen, ist doch nicht die Beantwortung bzw. die Lösung dieser Frage.
({3})
- Natürlich haben Sie die KfW erwähnt - man könne das dort finanzieren -, aber nicht die Frage beantworten, wer denn nachher eigentlich die Kosten bezahlt und die Zinsen dafür aufbringt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Russe?
({0})
Gern, selbstverständlich.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, ist Ihnen entgangen, daß ich gesagt habe: Zu früheren Zeiten ist so etwas auch schon einmal über die KfW gemacht worden? Ich habe mir nicht die Feststellung erlaubt, das nachzuvollziehen, sondern, lediglich darauf hingewiesen.
Zu früheren Zeiten ist das selbstverständlich nicht gemacht worden. Und Ihre Feststellung vorhin - ich bin dankbar, daß Sie mir Gelegenheit geben, darauf noch einmal zurückzukommen - war ebenso unrichtig wie jetzt Ihre Frage; denn früher sind nur Zwischenfinanzierungen über die KfW gelaufen, gelegentlich einmal Haldenfinanzierungen.
({0})
- Ja, wollen Sie eine Haldenfinanzierung über eine Zwischenzeit oder wollen Sie eine nationale Steinkohlenreserve?
({1})
- Herr Kollege Russe, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie die Gelegenheit benutzen klarzustellen, was Sie eigentlich sagen wollten. Es ist ganz nützlich, daß wir das auf diese Weise erfahren.
Herr Kollege, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Gerne.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, wollen Sie dem Kollegen Russe bitte sagen, daß wir die Finanzierung der Kohlenreserve gestern im Wirtschaftsausschuß bei der Beratung des Einzelplanes 09 in seiner Abwesenheit eingehend behandelt haben und daß auch die CDU/ CSU-Kollegen im Wirtschaftsausschuß die klare Antwort des Bundesministers für Wirtschaft über die Finanzierung zustimmend zur Kenntnis genommen haben?
Ja, das ist völlig richtig. Wir haben uns gestern im Ausschuß nicht nur über dieses Thema unterhalten, sondern auch über das Hearing: Verbund von Kernenergie und Kohle. Herr Russe, Sie haben auch darüber Klage geführt. Aber Sie waren gestern leider wieder nicht im Ausschuß.
Wenn wir uns heute mit den Fragen beschäftigen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister dargestellt hat, nämlich mit dem wieder drängend gewordenen Problem unseres Steinkohlenbergbaus, so braucht man nicht viele Zahlen ins Gedächtnis zu rufen. Jeder kennt sie. Wir stehen erneut vor einer Halde von 18 Millionen Tonnen Kohle im Steinkohlenbergbau, d. h., wir haben es erneut mit Problemen zu tun, die uns - ob dem Grunde nach, das wird zu untersuchen sein -, aber jedenfalls der Höhe nach schon mehrere Jahre beschäftigt haben. Als wir 1974 das Dritte Verstromungsgesetz beschlossen, waren wir davon ausgegangen, daß mit den dort geschaffenen Anreizen ein Einsatz von Kraftwerkskohle von mindestens 30 Millionen, möglichst aber von 33 Millionen Tonnen pro Jahr gesichert werden könnte. Ergebnis des Jahres 1975: Es sind 22 Millionen Tonnen geworden. Alles, was der Bergbau tun kann, um dieser Schwierigkeiten aus eigener Kraft Herr zu werden, nämlich 10 Feierschichten im Jahre 1976 einzulegen - notabene nach Sonderschichten im Jahre 1975 -, das, so wird man zugeben müssen, ist geschehen oder wird geschehen.
Es ist also an uns, die Frage zu stellen - und ich meine, man sollte die Frage noch einmal radikal stellen -: Hat denn das alles, was wir beschlossen haben - und was wir auch heute wieder erörtern - an Schutzmaßnahmen, an Sicherungsmaßnahmen, eigentlich einen Sinn, oder laufen wir etwa bei der Steinkohle in agrarmarktähnliche Probleme? Sind solche Schutzmaßnahmen und Sonderregelungen ordnungspolitisch überhaupt vertretbar?
Man kann antworten - ich unsterstreiche: man kann antworten -: Legt doch die deutschen Anlagen still, kauft doch die Kohle, wo sie billiger gefördert wird, in Südafrika oder in den Vereinigten Staaten, wo sie im Tagebau gewonnen wird, baut doch die Belegschaften weiter ab, die Nachwuchsprobleme sind ohnehin groß - der Kollege Schmidt wird darüber sicher nachher noch etwas sagen -,
sie können zu einem Teil nur mit Hilfe ausländischer Arbeitnenhmer gelöst werden, das ganze Gerede über eine nationale Energiereserve paßt überhaupt nicht in eine arbeitsteilige Weltwirtschaft! Wir meinen, daß man im Sinne liberaler Wirtschaftspolitik als Ausgangspunkt der Überlegung zunächst einmal so radikal fragen muß, weil nur dann, wenn man so fragt, auch die Bedeutung anderslautender Antworten wirklich klarzumachen sein wird.
Denn unsere Antwort, die meiner Freunde und die der Koalition, lautet: Die deutsche Steinkohle muß erhalten werden. Eine solche Antwort, wie ich sie hier soeben als theoretisch möglich bezeichnet habe, ist praktisch und politisch nicht denkbar.
Dafür gibt es auch, aber nicht in erster Linie - ich sage das ganz offen - natürlich sozialpolitische Gründe; deswegen nicht in erster Linie, weil mit dem Aufwand, den wir hier treiben, viele der Kumpels gut finanziert spazierengehen könnten; „freigesetzte" Kumpels, wobei ich die Gelegenheit benutzen darf, die Bitte zu äußern, einmal darüber nachzudenken, welch inhumaner Ausdruck das Wort „freisetzen" eigentlich ist.
({0}) Wird jemand frei, der keine Arbeit mehr hat?
({1})
Nein, meine Damen und Herren, der Hauptgrund für uns - natürlich neben sozialpolitischen Überlegungen und Erwägungen - ist, daß wir die einzige in unserem Lande vorhandene Energiereserve erhalten wissen wollen. Die einzige Primärenergie, die es in der Bundesrepublik gibt, wollen wir erhalten wissen. Die Mehrheit unserer Bevölkerung - das ist für unsere Entscheidung wesentlich - unterstützt diese Auffassung. Gleichgültig, ob Sie jemanden in Kiel, München, Bonn oder Saarbrücken fragen, also in einem sogenannten Kohleland oder anderswo, die Antwort ist die gleiche, und es ist auch die Antwort aller Fraktionen in diesem Hause. Von dieser gemeinsamen Grundüberlegung gehen wir doch alle aus.
Im übrigen hat der rapide Haldenabbau im Jahre 1975 gezeigt, wie notwendig gelegentlich eine solche Reserve sein kann, wie wichtig sie in diesem konkreten Fall war. Der schnelle Umschlag in die andere Richtung, der durch den Haldenaufbau als Ergebnis gekennzeichnet ist, ist sicher - der Herr Bundeswirtschaftsminister hat darauf hingewiesen - überwiegend konjunkturell bedingt. An den Folgen einer Flaute in der Stahlkonjunktur werden wir auch im deutschen Bergbau niemals vorbeikommen können. Dieses Risiko wird für den Bergbau bleiben. Es ist auch tragbar, weil in Zeiten der Spitzenentwicklung angesichts der guten Kokskohle, die in der Bundesrepublik produziert wird, diese Halden wieder abschmelzen können. Dies ist anders als bei der Kraftwerkskohle. Aber es bleibt nach unserer Auffassung, auch wenn man dies nicht gerne hört, ein Rest des alten strukturellen Problems, das die Mineralölpreiskrise verdeckt hat und das wir jetzt wieder sehen. Dieses alte Problem darf, wie wir meinen, nicht nur konjunkturell gesehen werden.
Warum fragen wir radikal, und warum geben wir eine solche Antwort? Weil sich, wenn wir unsere heimische Energie erhalten wollen, niemand vor den Folgen drücken darf und jeder klar sehen muß, zu welchen Konsequenzen dies auf der Kostenseite führt. Denn eine solche Politik kostet viel Geld, und das muß bezahlt werden, und zwar nicht nur aus Bundesmitteln und auch nicht nur aus den Mitteln der sogenannten Bergbauländer Nordrhein-Westfalen und Saarland; denn wenn dies eine Aufgabe ist, die für die gesamte Bundesrepublik notwendig ist und durchgeführt werden muß, müssen wir gesamtheitlich dazu beitragen.
Es ist in letzter Zeit gefragt worden, ob wir nicht eigentlich erwarten könnten, daß uns auch Europa die Last dieses Problems tragen hilft. Wir könnten auf diese Antwort, wie ich meine, in Brüssel ein deutlicheres, schnelleres und kräftigeres Ja geben, wenn wir uns zu der Auffassung entschließen könnten, daß Schleswig-Holstein und Bayern in gleichem Maß dazu beitragen müssen wie Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland.
({2})
Wie schon bei der Beratung des Dritten Verstromungsgesetzes gesagt wurde, ist dies eine Gemeinschaftsaufgabe; sie müßte - Herr Zeyer, hier komme ich auf Ihren Einwurf zurück - aus Gemeinschaftsmitteln, aus Mitteln des Haushalts bezahlt werden. Darüber hat es für uns schon damals keine Meinungsverschiedenheiten gegeben. Aber wir waren uns auch im klaren darüber - das will ich hier und heute nicht wiederholen -, daß wir dies angesichts der Lage der öffentlichen Haushalte nicht können und die Finanzierung auf andere Weise vornehmen müssen. Wir bleiben deshalb im damals akzeptierten System des Dritten Verstromungsgesetzes.
Welche andere Möglichkeiten gäbe es? Herr Russe hat einige angeschnitten, allerdings ohne auch nur eine einzige Antwort zu geben. Welche anderen Möglichkeiten gäbe es, dem Verdrängungswettbewerb zu Lasten der Kohle in der konkreten Situation zu begegnen? Sie könnten natürlich daran denken, eine Einfuhrbeschränkung bei schwerem Heizöl vorzunehmen. Einmal ist aber der Problemträger zur Zeit gar nicht das schwere Heizöl, sondern das Erdgas, und außerdem - Sie haben recht, Herr Minister Dr. Friderichs - wäre dies ein klarer Verstoß gegen die europäischen Verträge. Dies scheidet mithin aus.
Sie könnten weiter einen Versuch unternehmen, eine Selbstbeschränkung zu erreichen. Dazu brauchten Sie eine Ministererlaubnis nach dem Kartellgesetz - auch nicht besonders schön -, und Sie brauchten außerdem die Genehmigung der Europäischen Kommission. Ich glaube, auch darüber sollte man nicht lange diskutieren, weil die Selbstbeschränkung bei 18 Raffineriegesellschaften und 39 Importeuren, davon ein großer Teil Selbstverbraucher, mit Sicherheit nicht funktionieren würde. Selbstbeschränkung funktioniert nicht, scheidet also auch aus.
Die dritte Möglichkeit ist auch diskutiert worden, auch öffentlich: Sie können der Kraftwirtschaft, den Elektrizitätserzeugern Quoten zuweisen, Quoten für Kraftwerkskohle. Dies wäre einmal rechtlich bedenklich, es wäre aus unserer Sicht - da sind wir mit dem Bundeswirtschaftsminister und mit dem Kabinett, das diese Möglichkeit verworfen hat, voll einig - ordnungspolitisch abzulehnen. Es wäre aber auch, selbst wenn man sich über alle diese Bedenken hinwegsetzen wollte, praktisch ergebnislos und würde uns nicht aus der Klemme helfen, denn, wenn ich das einmal so salopp formulieren darf, diese Bundesrepublik ist ja nicht nur ein Rechtsstaat, sie ist auch ein Rechtswegstaat, und die Betroffenen würden in allen Gerichtsbarkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, die Prozesse bis zur letzten Instanz führen. Dies hieße mit anderen Worten, in den Jahren 1976 und 1977 bekämen wir nicht eine Tonne Kohle mehr unter die Kraftwerkskessel.
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Die Bundesregierung hat also auch diesen Weg mit Recht abgelehnt.
Das führt zu dem Ergebnis, daß wir wie 1974 nur sagen können, wir brauchen eine kooperative Lösung mit den Energieversorgungsunternehmen. Nur die führt schnell - und schnell ist wichtig - zum Ziel. Frage, meine Damen und Herren: Kann man einer solchen kooperativen Lösung eigentlich vertrauen? Die Erfahrungen des Jahres 1975 - das müssen wir ganz offen sagen - sprechen nicht dafür. Als ich mich damals hier im Hause bei der Beratung des Dritten Verstromungsgesetzes beklagte, daß die Verhandlungen mit der Elektrizitätswirtschaft nicht das Nonplusultra an Kooperation darstellten, wurde mir aus Ihren Reihen entgegengerufen, dies sei aber doch eine recht herbe und ungerechtfertigte Kritik. Mir scheint, daß das Jahr 1975 unsere Vorbehalte und Zweifel ein wenig bestätigt hat; denn bei einem Rückgang im Stromabsatz von 3 % - erwartet wurde eine Zunahme von 7 %, der Sie, Herr Russe, damals nicht widersprochen haben; wenn wir vom Rathaus kommen, sind wir alle klüger - ging der Steinkohleneinsatz von 30,6 Millionen Tonnen im Jahre 1974 auf die genannten 22 Millionen Tonnen im Jahre 1975 zurück, d. h., die Elektrizitätsversorgungsunternehmen haben mit verstärktem Einsatz des billigeren Erdgases die Ziele des Dritten Verstromungsgesetzes unterlaufen. Dies ist der objektive Tatbestand.
Ich frage mich, wir fragen uns, ob Ihnen daraus ein Vorwurf zu machen ist, und wir antworten zunächst: Nein, daraus ist Ihnen kein Vorwurf zu machen, denn natürlich setzt jeder Unternehmer - das ist auch seine Aufgabe - und jedes Unternehmen die billigsten Rohstoffe ein, um zu niedrigstmöglichen Kosten zu produzieren. Das hat sich dann auch im Ergebnis gezeigt. Die meisten der Stromerzeuger haben 1975 höhere Gewinne als in den Vorjahren erzielt. Meine Damen und Herren, die gelegentlich daran geäußerte Kritik teilen wir nicht. Es ist etwas anderes, ob Preisberechnungen oder Unterlagen und Angaben für die Preisgenehmigung zugrunde gelegt worden sind, die nachher nicht erfüllt worden sind. Dies ist eine Frage, die wir bei
dieser Kritikfreiheit auslassen. Die Tatsache aber,
daß jemand mehr Gewinn erzielt, weil er zu niedrigeren Kosten produziert, ist kein Anlaß zur Kritik.
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- Herr Russe, Sie haben eben wieder nicht zugehört. Ich habe genau diesen Fall gemeint, daß nämlich die Angabe über den Einsatz von Primärenergie, der zu einer bestimmten Preisberechnung und dann zu Tarifgenehmigungen führt, jedenfalls dann kritikwürdig und kritikbedürftig ist, wenn diese Angaben in der Praxis nicht stimmen und nicht zutreffen. Ich kann mir diesen Tatbestand nicht zu eigen machen, weil ich ihn nicht prüfen kann, dies nehme ich aber ausdrücklich aus bei meiner Bemerkung: Die höheren Gewinne unterliegen keiner Kritik.
Meine Damen und Herren, inzwischen ist ja wohl klar, Gewinne sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen. Nur gut florierende Unternehmen können sichere Arbeitsplätze mit anständigen Arbeitnehmereinkommen zur Verfügung stellen. Daß gute Erträge und gute Gewinne richtig und notwendig sind, meine Damen und Herren, gilt - so hoffen wir zuversichtlich - nicht nur für die Gewinne, die nicht vorhanden sind, sondern auch für diejenigen, die endlich wieder erwirtschaftet werden. Im übrigen glaube ich, daß nichts so deutlich diese These beweist wie die Überschrift des „Handelsblatts" in der vorigen Woche, wonach der größte deutsche Stromerzeuger, der in der Tat im Jahre 1975 besser verdient hat, auch das Unternehmen in der Bundesrepublik ist, das der größte Einzelinvestor ist mit insgesamt 5,5 Milliarden DM Investitionen in den Jahren 1975 und 1976. Genau dies wollen wir ja. Daran ist also zunächst einmal keine Kritik zu üben.
Allerdings gilt eine Einschränkung: Die Elektrizitätsversorgungsunternehmen stehen nicht im vollen Wettbewerb. Sie arbeiten auf der Grundlage genehmigter Preise, in Konzessionsgebieten, nach dem Regionalprinzip, und insbesondere ist das Risiko von Fehlinvestitionen verhältnismäßig gering, weil die Investitionskosten zu einem großen Teil im Leistungspreis des Stroms weitergegeben werden. Damit können Fehlinvestitionen, Überkapazitäten, die entwickelt worden sind, zu einem großen Teil auf den Stromverbraucher abgewälzt werden; man geht ein sehr vermindertes Risiko ein. Bei dem gegenwärtigen Überhang von Kraftwerkskapazitäten, der unleugbar vorhanden ist, nicht zuletzt auf dem Hintergrund einer konjunkturellen Entwicklung, die wir hinter uns haben, ist dies ein wesentlicher Gesichtspunkt. Aber der öffentliche Auftrag der Energieversorgung - der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zu Recht darauf hingewiesen - verpflichtet die Unternehmen zum Vorhalten von Kapazitäten. Aus dem Überhang in der Rezession kann sehr schnell ein Mangel im Boom werden, und Stromversorgungsengpässe wird sich von uns in diesem Hause und auch draußen wohl niemand wünschen. Es bleibt aber dabei - diese Forderung allerdings unterstützen wir nachhaltig -, daß die weitgehende Freistellung von Risiken die EnergieversorgungsDr. Graf Lambsdorff
unternehmen veranlassen muß, über Ertragsmaximierung hinaus die energiepolitische Zielsetzung des Staates zu unterstützen.
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Deswegen, meine Damen und Herren, begrüßt meine Fraktion die verbindliche Zusage der Energieversorgungsunternehmen, 1976 und 1977 mindestens 26 Millionen Tonnen Steinkohle einzusetzen und einen zusätzlichen Haldenaufbau von 2 Millionen Tonnen vorzunehmen. Wir erkennen dabei mit der Bundesregierung an, daß der Mehrkostenausgleich gegenüber dem Einsatz von Erdgas notwendig geworden ist, und stimmen deswegen der vorgesehenen Erhöhung der Ausgleichsabgabe auf jetzt 4,5 % vom 1. April bis 31. Dezember 1976 zu.
Die Frage, die der Herr Bundeswirtschaftsminister mit Recht gestellt hat, ob man Industrie und Private unterschiedlich belasten soll, kann hinsichtlich der politischen Beantwortung zunächst dahingestellt bleiben, weil es praktisch nicht durchführbar ist. Herr Minister, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß die Abgrenzungsschwierigkeiten nicht lösbar sind; ich brauche das nicht zu wiederholen.
Wir legen allerdings auf eines Wert: daß - und
dies hat die Bundesregierung vorgesehen - die Härteklausel im Gesetz erhalten bleibt, weil wir sehen, daß bestimmte stromintensive Bereiche der deutschen Industrie in ihrer Fertigung nicht mehr wettbewerbsfähig bleiben können oder mindestens stark gefährdet werden; ich will als Beispiele nur die Aluminiumproduktion, die Ferrolegierung oder die Zementherstellung nennen. Dafür ist die Härteklausel notwendig. Wir bitten darum, Herr Minister - und werden das im Ausschuß vorbringen -, daß das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft die Härteklausel etwas weniger restriktiv auslegt, als das zur Zeit der Fall ist. In einem Bescheid vom 12. Juni, der mir vorliegt, heißt es wörtlich - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsident zitieren -:
Eine Existenzgefährdung ist erst dann gegeben, wenn wegen der Ausgleichsabgabe mit so ernstlichen Zahlungsschwierigkeiten zu rechnen ist, daß der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit droht.
So hatten wir uns das, wenn ich mich recht erinnere, im Wirtschaftsausschuß nicht gedacht, daß man erst pleite sein muß, bevor die Härteklausel angewandt werden darf. Mir scheint, daß hier durch die Verwaltung die Absichten des Gesetzgebers unterlaufen werden.
In diesem Zusammenhang wären wir auch dankbar, wenn die nunmehr fünf Jahre andauernden Beratungen über die Abwicklung der Zahlung aus dem Zweiten Verstromungsgesetz wirklich zum Ende gebracht werden könnten. Auch hier sind wir gegebenenfalls bereit, unsere Hilfe, notfalls auch im Wege der Gesetzgebung, zur Verfügung zu stellen, wenn Vorschriften erleichtert werden müssen, die sich als unhandlich erweisen.
Insgesamt: Die FDP hält den eingeschlagenen Weg für richtig und sichert, Herr Bundesminister, dieser Vorlage schnelle Beratung zu. Der Wirtschaftsausschuß hat gestern schon vorgesehen, daß ein Termin in allernächster Zeit für die Beratung der Novelle zum Dritten Verstromungsgesetz kommt. Das ist auch notwendig. Sie haben vollständig recht, daß Sie darauf hingewiesen haben, daß natürlich schon die Januarzahlen entscheidend für den Gesamtjahreseinsatz an Steinkohle sind. Die Abrufe der Energieversorgungsunternehmen liegen in diesem Jahr im Januar bei nur 8,2 % von 26 Millionen t, während sie im Jahresdurchschnitt der Vorjahre bei 9,1 % der Jahresmenge lagen. Das muß nicht unbedingt auf einen verringerten Einsatz in den Kraftwerken zurückzuführen sein, weil auch in den Stromversorgungsunternehmen Halden aufgebaut worden sind, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Preisanhebung bei der Steinkohle zum 1. Januar 1976.
Ich sehe den einen oder anderen, der das auch getan hat, freundlich nicken. Das geschieht jedes Jahr. Das ist auch vollständig in Ordnung; da sitzen Kaufleute, die sollen rechnen.
Die Bevorratung der EVUs beträgt heute 142 Tage. Dies ist eine nie zuvor gekannte Zahl. Deswegen ist eine schnelle Beratung und eine schnelle Verabschiedung der Gesetzesvorlage notwendig.
Im übrigen: Je eher und schneller wir klare Daten setzen, desto besser für die Betroffenen, desto besser auch im Hinblick auf deren Kooperationsbereitschaft.
Herr Kollege Russe, Sie haben darauf hingewiesen, daß dies eine Lösung für nur zwei Jahre sei. Ich gestehe Ihnen zu: Es ist so, es peilt die beiden nächsten Jahre an. Sind Sie in der Lage und haben Sie den Mut, angesichts der Entwicklung, die wir in den letzten 18 Monaten erlebt haben, eine Prognose und sich darauf gründende Gesetzesvorschläge zu machen, die über einen solchen Zeitraum hinausgehen? Sie haben gesagt, die Fortschreibung des Energieprogramms sei nötig. Wollen Sie in der Tat veranlassen und verantworten, daß auf der Basis der jetzigen Lage, die eine Zeitung neulich mit „Zickzacksituation der Energielage" beschrieben hat, der Versuch einer Prognose bis 1985 hier und heute unternommen wird? Mir scheint das bei einem solchen strukturellen Wandel und dem dazukommenden konjunkturellen Einbruch nicht möglich zu sein.
({6})
Als die Lage der Kohle noch besser war, hat der Kollege Russe am 24. April 1975 ausweislich des Protokolls von einer Förderzahl in Höhe von 94 bis 95 Millionen t gesprochen. Das ist ja wahrscheinlich inzwischen bei Ihnen korrigiert worden. Sie haben uns den Irrtum zugestanden; wir gestehen Ihnen den gleichen zu.
({7})
- Wenn Sie nichts korrigieren, Herr Russe, spricht das nicht für Ihre Einsichtsfähigkeit.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Russe?
Aber immer, selbstverständlich. Ich mache das anders als Sie, Herr Kollege Russe.
Kollege Graf Lambsdorff, darf ich mit dieser Ihrer Feststellung die Frage verbinden, ob das die Grundlegung für Ihre neue Kohlerichtzahl, wie Sie vorhin selbst gesagt haben - ich liebe diesen Ausdruck nicht -, sein soll?
Wir haben keine neue Kohlerichtzahl. genannt. Ich könnte aus meiner Sicht die Bundesregierung nur warnen, im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Kohlerichtzahl zu nennen.
({0})
Wir wollen ernsthafte Zahlen nennen, aber nicht va banque spielen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Russe?
Wenn das von meiner Zeit abgeht und Sie, Herr Kollege Russe, mich bei dem Kollegen Schmidhuber entschuldigen, der noch vor der Mittagspause sprechen wollte, selbstverständlich.
Ich werde mich bemühen. - Kollege Graf Lambsdorff, ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, daß Sie für die Bundesregierung eine Aussage gemacht haben. Darf ich noch einmal die Frage an Sie als den jetzigen Sprecher der Freien Demokratischen Partei in diesem Hohen Hause richten, ob diese Feststellung auch für Ihre Partei Gültigkeit hat oder ob die Feststellung des Kollegen Ollesch und des Wirtschaftsministers von Nordrhein-Westfalen richtig ist?
Ich habe erstens nicht gesagt, daß ich für die Bundesregierung spreche; ich bin nämlich nicht Mitglied der Bundesregierung.
Ich habe zweitens gesagt: Ich persönlich könnte nur davon abraten, zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Kohlerichtzahl zu nennen, es sei denn, ich stelle sie unter so viele Vorbehalte und Wenn und Aber, an denen man gar nicht vorbeikommt, daß sie allein aus dieser Sicht fraglich wird.
Sie haben, Herr Russe, außerdem bemängelt, daß das Kernenergieprogramm im Jahre 1985 wahrscheinlich nur 35 000 Megawatt anstatt 40 000 Megawatt erreichen wird. Meine Damen und Herren, eine Abweichung von 10 % in einem Zehnjahresplan wäre geradezu eine hervorragende Trefferquote, wenn das wirklich so bleibt.
({0})
Wenn ich mir Ihre eigenen Prognosen, die Sie vor zehn Monaten hier abgegeben haben, ansehe, könnte man, wenn dieses Ergebnis wirklich eintritt, was ich angesichts der Schwierigkeiten bei der Standortplanung, bei den Umweltproblemen, den Genehmigungsverfahren, den technologischen Überlegungen und den Sicherheitsüberlegungen noch gar nicht einmal für so sicher halte, recht zufrieden sein.
Wir meinen weiter, daß die Ergänzung des Immissionsschutzgesetzes notwendig ist, wobei wir betonen, daß wir die Technische Anweisung Luft in keiner Weise inhaltlich verändern wollen. Wir wollen nur das, was der Verordnungsgeber getan hat, mit Gesetzeskraft ausfüllen, um der Probleme, die sich aus dem bekannten Gerichtsverfahren in Düsseldorf ergeben haben, Herr zu werden. Das ist wichtig. Denn das 6000 MW-Programm für Kohlekraftwerke kann sonst nicht erreicht werden. Zur Zeit sind - Herr Russe, Sie haben recht - inklusive Voerde erst knapp 4000 MW im Bau. Es trifft auch zu - und das ist beunruhigend -, daß seit dem 30. Juni 1971 kein Kohlekraftwerk mehr ans Netz gegangen ist. Nur, Herr Kollege Russe, Sie haben selber bestätigt: Die Bauzeit einschließlich Planung und Genehmigungsverfahren beträgt drei bis vier Jahre. Wir können daraus nur sehen, daß natürlich lange vor 1969 die Daten so gesetzt gewesen sind, daß sich ein Kohlekraftwerk nicht rentierte und deswegen auch nicht geplant und nicht gebaut worden ist. Sie kennen selber Gesellschaften, die keineswegs bereit gewesen sind, Kohlekraftwerke zu bauen, eben auf Grund dieser Rechnung.
({1})
- Unter „Voraussetzungen" verstehen Sie in diesem Falle die Subventionsversprechungen. Wir müssen immer deutlich sein, Herr Russe. Dann kann man natürlich besser rechnen. Da haben Sie recht.
({2})
- Nein, Herr Kollege Russe, mit dieser Art der Argumentation: was auch immer darunter zu verstehen ist, wie auch immer genehmigt wird, wer auch immer finanziert, mit dieser Art der Opposition, die Sie betreiben, lassen wir Sie nicht auskommen. Wenn Sie Opposition betreiben, dann bitte, tun Sie Butter bei die Fische und sagen Sie uns, wie es gehen soll!
({3})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit drei kurzen Bemerkungen zu Energieproblemen abschließen.
Wir begrüßen die vorgeschlagene Verlängerung des Kohlezollkontingentgesetzes. Mein Kollege Zywietz wird, wenn sich dazu Gelegenheit ergibt, heute darauf noch eingehen. Wir hätten es begrüßt
- ich sage das ganz offen -, wenn sich die BunDr. Graf Lambsdorff
desregierung dazu etwas früher entschlossen hätte, weil wir - und das ist die einzige Bemerkung, die ich hier machen möchte - die Importkohle nur als einen marginalen Wettbewerber für die deutsche Steinkohle ansehen.
Zweitens halten wir es für richtig - und wir begrüßen auch die Findigkeit des Bundeswirtschaftsministers, die ja dabei eine Rolle gespielt hat -, daß ein Teil der nationalen Kohlenreserve, nämlich 10 Millionen t, auf den 1. Januar 1976 vorgezogen und finanziert werden konnte. Dies ist ein guter Anfang; meine Fraktion stimmt dem zu.
Und schließlich - der Herr Bundeswirtschaftsminister hat mir dies schon mehr oder weniger vorweggenommen - die Novelle zum Mineralölbevorratungsgesetz, die diskutiert wird. Selbstverständlich: Wenn unterschiedliche Wettbewerbsbelastungen aus diesem Gesetz bestehen und der Nachweis dafür geführt wird, sind wir diskussionsbereit. Aber wir wollen - hier sind wir mit Ihnen, Herr Minister, völlig einig - den 15%igen Marktanteil der Kleinen erhalten, ob Sie ihn „Störfaktor" nennen wie die einen oder „ein belebendes Wettbewerbselement" wie die anderen. Wir sind der letzteren Auffassung: wir wollen ihn erhalten wissen. Ich finde es gut, daß der Mineralölwirtschaftsverband zum Bundeswirtschaftsminister kommt. Wenn die erst einmal 100 % des Marktes haben, muß man befürchten, daß der Bundeswirtschaftsminister zum Mineralölwirtschaftsverband fahren muß. Das kann nicht das Ziel unserer Energiepolitik sein. Des wegen ist diese Politik richtig.
Wir machen keinen Hehl daraus, meine Damen und Herren, daß Energiepolitik ganz offensichtlich die Quadratur des Zirkels darstellt und daß eine voll befriedigende Antwort nicht möglich ist, es sei denn, man macht es sich so leicht, wie Herr Russe es sich heute für die Opposition gemacht hat. Die Bundesregierung hat in unseren Augen abgewogene Lösungsvorschläge für die jetzt anstehenden Probleme vorgelegt. Diesen Lösungsvorschlägen stimmen wir zu.
Herr Kollege Russe hat gemeint, was heute nicht angegangen wird, steht morgen nicht zur Verfügung. Das ist ein schöner Satz, Herr Kollege Russe, den Sie da geprägt haben. Wir wollen Sie nicht allzu hart angehen, denn Sie stehen ja morgen auch nicht zur Verfügung.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidhuber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Dritten Verstromungsgesetzes sieht sich die Bundesregierung genötigt, durch die Koalitionsfraktionen - also sozusagen in einem Eilverfahren - eine erhebliche Änderung dieses Gesetzes einbringen zu lassen. Diese Änderung ist gekennzeichnet durch einen erheblichen zusätzlichen, von den Stromverbrauchern zu tragenden finanziellen Aufwand von ca. 700 Millionen DM jährlich bei gleichzeitiger Herabsetzung der Zielprojektion für die Verstromungsmenge des Jahres 1976 von 33 Millionen auf 26 Millionen t. Das Konzept des Jahres 1974 für die Lösung der Probleme des deutschen Steinkohlenbergbaus hat sich also bereits im Jahre 1975 als nicht sonderlich erfolgreich erwiesen. Angesichts des scharfen Absatzrückgangs der Steinkohle im Jahre 1975 werden von der Regierung offenbar neue, noch weitergehende Eingriffe in den Energiemarkt für erforderlich gehalten. Die Regierung ist gerade in der Energiepolitik das Opfer ihres eigenen konjunkturpolitischen Zweckoptimismus geworden. Die falsche Einschätzung der Entwicklung des vergangenen Jahres auf dem Energie- markt ist nichts anderes als ein Folgefehler der falschen Konjunkturprognosen des Frühjahres 1975.
Am 24. April 1975, also vor nicht einmal neun Monaten, eröffnete der Kollege Wolfram die Debatte über die erste Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung u. a. - ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin - mit folgender Behauptung:
Wir haben entscheidend mit dazu beigetragen, daß der Bergbau wieder gesund wurde, daß die Arbeitsplätze gefragt und gesichert sind, daß die Bergleute und der Bergbau optimistisch in die Zukunft blicken zu können.
({0})
Tm Lichte unserer heutigen Erkenntnisse erscheint diese Behauptung ziemlich kühn.
({1})
Man muß dabei allerdings wohl berücksichtigen, daß der Kollege Wolfram diese Rede wenige Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gehalten hat; sie sollte wohl in erster Linie das damalige Wahlkampfmotto der SPD „Wir wählen den Aufschwung" rechtfertigen. Sie ist aber darüber hinaus ein Beweis für die falsche Einschätzung der Lage der Steinkohle durch die Koalition aus dem Munde eines maßgeblichen Kommunalpolitikers des Ruhrgebiets.
Wenn der Steinkohlenbergbau schon wieder gesund wäre und die Arbeitsplätze in den deutschen Steinkohlenbergbaugebieten gesichert wären, wären die Vorlage der Koalitionsparteien überflüssig und die heutige Debatte zumindest teilweise unnötig.
Wir müssen leider feststellen, daß nach wie vor eine erhebliche Unsicherheit über die energiepolitischen Entscheidungsgrundlagen besteht. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für die Kohle, sondern für den gesamten Energiebereich. Der Konjunktureinbruch, aber auch andere Faktoren haben den zeitlichen Horizont der energiepolitischen Bedarfsprognosen um einige Jahre weiter hinausgerückt. Darin liegt möglicherweise aber auch eine Chance für eine organische Umorientierung der Verbrauchsstruktur und eine Verbesserung der Versorgungslage z. B. durch einen schnelleren Aufbau der Energievorräte, der ja in der Zwischenzeit in die Wege geleitet wurde.
Deshalb bedauern wir auch - und dieser Punkt ist in der heutigen Debatte schon einige Male angesprochen worden -, daß sich die Bundesregierung bisher noch nicht bereit gefunden hat, das Energieprogramm wieder auf einen aktuellen Stand zu bringen. Die sich rasch wandelnden energiewirtschaftlichen Bedingungen sollten ja eigentlich alljährlich erfaßt und von der Bundesregierung wirtschaftspolitisch gewürdigt werden, nicht etwa um auf jede Konjunkturschwankung sofort mit energiepolitischen Maßnahmen zu reagieren, sondern um in einem Annäherungsverfahren mit möglichst geringer zeitlicher Verzögerung die Energiepolitik an die wirtschaftlichen, an die technologischen und - das hat sich in den letzten Jahren gezeigt - auch an die weltpolitischen Veränderungen anzupassen.
Der von der Koalition vorgelegte Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Dritten Kohleverstromungsgesetz hat - auch das ist heute schon festgestellt worden - den Charakter einer Sofortmaßnahme. Der Steinkohleabsatz soll kurzfristig durch drei Maßnahmen erhöht werden, nämlich erstens durch die Erhöhung des Mehrkostenausgleichs Kohle/ Heizöl, zweitens durch die Einbeziehung auch von Kraftwerken mit einer Leistung von 1 bis 10 MW in die Förderung und drittens durch die Einbeziehung von Erdgas und anderen Energieträgern in den Mehrkostenausgleich.
Ob dieser Vorschlag ein zweckmäßiger und realisierbarer Ausweg aus der akuten Absatzkrise des deutschen Steinkohlebergbaus ist, muß in der Ausschußberatung geklärt werden, und es kann dann durchaus sein, daß auf Grund der Beratungen im Wirtschaftsausschuß die Opposition diesem Gesetzentwurf zustimmt. Aber die Opposition hat doch weder in der ersten noch in der zweiten und dritten Lesung die Aufgabe, eine Jubelgarde für die Regierung zu sein; das überlassen wir den Koalitionsparteien.
({2})
Unsere Aufgabe ist es - auch wenn wir in der zweiten und dritten Lesung zustimmen sollten; das steht heute noch nicht zur Diskussion -, die Bedenken vorzutragen, die gegen eine solche Regelung bestehen, und dann abzuwägen, wie zu entscheiden ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz kurz einige Fragen ansprechen, die in den Beratungen des Wirtschaftsausschusses eine Rolle spielen werden.
Da ist zunächst einmal die Frage: Ist das revidierte Verstromungsziel von 26 bis 28,5 Millionen Tonnen realistisch? Welche Risikofaktoren können die Realisierbarkeit dieses energiepolitischen Ziels negativ beeinflussen? Diese Frage stellt sich trotz der Zusage der Elektrizitätswirtschaft, die ich nicht rechtlich qualifizieren möchte.
Zweitens. Wie wird die Aufbringung der insgesamt für 1976 benötigten Mittel von zirka 1,5 Milliarden DM am zweckmäßigsten gestaltet? Ich möchte nicht so weit gehen wie der Herr Bundeswirtschaftsminister, der davon ausgeht, daß es überhaupt keine Alternative zu einem prozentualen Zuschlag gebe. Es stellt sich die Frage, ob man bei einem prozentualen Zuschlag auf den Strompreis bleiben sollte oder etwa zu einer anderen Bemessungsgröße übergehen sollte oder ob man zwischen dem privaten Verbrauch und dem Industrieverbrauch differenzieren sollte. Die unterschiedlichen Belastungen, die sich daraus ergeben würden, sind heute genannt worden.
Werden alle Energieverbraucher mit dem gleichen prozentualen Zuschlag auf den Strompreis belastet, etwa mit 4,5 %, so ergibt sich - und darauf müssen wir besonders hinweisen - wegen der regionalen Unterschiede bei den Strompreisen eine weitere Verzerrung des Strompreisgefüges zu Lasten der revierfernen Gebiete. Das kann man sicherlich nicht mit dem Hinweis abtun, daß die Mehrbelastung pro Haushalt bzw. pro Industriebetrieb verhältnismäßig gering sei, also sozusagen eine Bagatelle. Dem könnte man mit gleicher oder vielleicht sogar mit größerer Berechtigung entgegenhalten, daß die Erhöhung des Strompreiszuschlags von derzeit 3,24 % auf 4,5 % eine Anhebung des Zuschlags um zirka 39 % bedeutet.
Drittens. Durch die Erhebung eines prozentualen Aufschlags auf den Strompreis werden besonders energieintensive Produktionszweige - Graf Lambsdorff hat schon einige genannt - sowie bestimmte Herstellungsverfahren, wie z. B. in der Stahlindustrie, aber auch in der chemischen Industrie, erhebliche Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen müssen. In diesem Zusammenhang - und darin möchte ich mich Graf Lambsdorff anschließen - wird man die Frage prüfen müssen, ob man nicht die Härteklausel des § 7 Abs. 2 umgestalten sollte, um bei Produktionen mit einem besonders hohen Stromanteil eine Minderung der Belastung herbeiführen zu können. Ob das im Wege des Verwaltungsverfahrens durch eine Anweisung an das Bundesamt geht oder durch eine Gesetzesänderung gemacht werden müßte, muß noch geprüft werden. Der bisherige Zustand ist wohl aber nicht ganz befriedigend. Bei annähernd 500 Anträgen sind nach meinen Informationen nur ein oder zwei Anträge bisher vom Bundesamt genehmigt worden.
Viertens. Abgesehen von den Aufwendungen aus dem Bundeshaushalt für die Sicherung der deutschen Steinkohle haben die Energieverbraucher im Jahre 1976 durch die Steuer für schweres und leichtes Heizöl sowie durch die Verstromungsabgabe einen Betrag von zirka 2,2 Milliarden DM aufzubringen. Um diesen Betrag geht es, wenn man sagt - was im Grundsatz hier nicht bestritten werden soll -, daß sichere Energie ihren Preis hat.
Fünftens. Die Belastung der Wirtschaft mit diesen Abgaben beträgt schätzungsweise 1,2 Milliarden DM im Jahre 1976, wovon etwa 850 Millionen DM auf die Ausgleichsabgabe auf den Verbrauch von fremdbezogenem und eigenerzeugtem Strom entfällt. Man muß diese Belastung vor dem Hintergrund von Preiserhöhungen der wichtigsten Einsatzenergien sehen, nämlich z. B. von 12,5 % beim Listenpreis für Kraftwerkskohle ab 1. Januar 1976 sowie bei Strom für Sonderabnehmer in Höhe von ca. 10 %, bei ErdSchmidhuber
gas je nach Vertragsgestaltung bis in die Größenordnung von ca. 30 % gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitpunkt. Dies alles gilt es zu bedenken; denn in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation führen neue Kostenbelastungen leicht zur Gefährdung von Arbeitsplätzen.
Sechstens. Das Verfahren für den zusätzlichen Mehrkostenausgleich, das die Verdrängung des Erdgases und anderer Energieträger - man fragt sich, welche noch gemeint sein könnten: Braunkohle? Kernenergie? - durch Einsatz von Steinkohle in den Kraftwerken ermöglichen soll, ist verhältnismäßig teuer. Die Unterbringung einer zusätzlichen Absatzmenge von 5,5 Millionen Tonnen im Jahr 1976 erfordert einen Mehraufwand von 225 Millionen DM. Der kumulierte Aufwand pro Tonne Steinkohle kann in der Spitze bis zu 140 DM betragen - bei einem Listenpreis für Kraftwerkskohle von 153 DM. Hier fragt man sich in der Tat, ob nicht die zusätzliche Aufhaldung einer gewissen Menge die billigere Lösung wäre.
Das Verwaltungsverfahren ist zudem sehr kompliziert. Es dürfte zu einem erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand nicht nur beim Bundesamt, sondern auch bei den beteiligten Unternehmen führen.
Siebtens. Das volle Ausmaß der durch die Hilfe für die Steinkohle ausgelösten Veränderungen der regionalen Wirtschaftsstruktur ergibt sich erst durch eine Gegenüberstellung aller unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen dieser Maßnahme auf das Bruttoinlandsprodukt der Steinkohlenbergbaugebiete einerseits und in den revierfernen Ländern andererseits. Ich will es mir hier nicht so einfach machen, die Leistungen des Bundes aus der Gemeinschaftsaufgabe „Regionalpolitik" dem Aufwand für die Kohle gegenüberzustellen. Aber ich muß hier darauf hinweisen, daß diese Nebeneffekte einer im Interesse der nationalen Energiesicherung erforderlichen sektoralen Politik sorgfältig registriert und gegebenenfalls kompensiert werden müssen. Es kann nämlich nicht der Sinn einer vernünftigen Kohlepolitik sein, die regionalen Disparitäten zu verstärken.
Achtens. Je höher der Satz der parafiskalischen Abgabe - ich möchte hier kurz auf diesen finanzpolitischen Aspekt eingehen -, also des sogenannten Kohlepfennigs, ist, desto stärker werden die haushaltsrechtlichen und verfassungspolitischen Bedenken gegen diese Art der Finanzierung wirtschaftspolitischer Ausgaben, desto größer wird aber auch das Ärgernis, daß der Kohlepfennig auch noch mit 11 % Mehrwertsteuer belastet ist.
Hinzu kommt, daß die Bundesregierung eine weitere parafiskalische Abgabe plant, die die Energiewirtschaft belasten soll. Die Bundesregierung beabsichtigt - etwas Endgültiges wissen wir ja noch nicht -, zur teilweisen Abschöpfung der sogenannten windfall profits aus der Förderung von Erdöl und Erdgas im Inland eine weitere wirtschaftsverwaltungsrechtliche Abgabe einzuführen. Deren Aufkommen soll zur Finanzierung energiepolitischer Maßnahmen, vielleicht sogar kohlewirtschaftlicher
Maßnahmen herangezogen werden. Ich will jetzt zur Zweckmäßigkeit und zu den wirtschaftspolitischen Konsequenzen wie etwa der Möglichkeit der Abwälzung auf die Energieverbraucher schon deswegen nicht Stellung nehmen, weil ein Konzept der Bundesregierung in dieser Frage noch gar nicht vorliegt. Ich halte es aber für sehr bedenklich - ({3})
- Das ist der erste Zwischenruf, den Sie heute gemacht haben, Herr Kollege Wehner, und der ist wie üblich nicht sachdienlich.
({4})
Ich möchte zur Frage der finanzpolitischen Problematik zurückkehren.
({5})
Ich halte es für sehr bedenklich, wenn man hier das in der Vergangenheit schon eingeführte System der Schattenhaushalte in der Energiepolitik zur Regel werden läßt. Die Kumulierung von derartigen Sonderfinanzierungen führt nämlich unweigerlich zu einem finanzpolitischen Durcheinander.
Meine Damen und Herren, die Novelle soll den zusätzlichen Absatz von insgesamt 11 Millionen Tonnen Steinkohle in den Jahren 1976 und 1977 bewirken. Sie stellt also, wie bereits erwähnt, lediglich eine Überbrückungsmaßnahme dar. Sie setzt kein neues Datum für die mittel- und langfristige Rolle des deutschen Steinkohlenbergbaus. Sie geht davon aus, daß es lediglich ein konjunkturelles Tal aufzufüllen gilt. Ob diese Annahme richtig ist, wird sich frühestens nächstes Jahr herausstellen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ganz kurz wenige Bemerkungen allgemeiner Natur anschließen, die mit dem Kohleproblem in einem komplementären Zusammenhang stehen. Die energiepolitische Entwicklung der nächsten Jahre ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Die Energiepolitik wird der Disposition der einzelnen Staaten immer stärker entzogen. Die Regierungen sind gezwungen, auf einseitige Akte der Förderländer zu reagieren. Sie müssen den neuen weltwirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragen, wie sie sich beim Dialog der Industrieländer mit den Staaten der dritten Welt abzeichnen. Das Zusammenwirken in der OECD und der EWG geht zu Lasten des eigenen Entscheidungsspielraums. Unterschiedliche ordnungspolitische Vorstellungen der beteiligten Staaten machen es schwerer, marktwirtschaftliche Prinzipien wenigstens im eigenen Souveränitätsbereich zu verwirklichen. Ich möchte aber nicht bestreiten, daß sich der Herr Bundeswirtschaftsminister in diesem Sinne bemüht.
Der Sektor „Steinkohle" kann sicherlich nicht isoliert betrachtet werden. Die erste Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung geht davon aus, daß das Mineralöl zumindest bis in die Mitte der 80er Jahre hinein zirka 45 % unseres Energiebedarfs decken muß. Das beabsichtigte Zurückführen des Erdölanteils von 55 % im Jahre 1973 auf 44 % im Jahre 1985 bringt aber erhebliche Versorgungsprobleme bei bestimmten Mineralölprodukten
mit sich und legt darüber hinaus ernste Strukturprobleme der deutschen Mineralölindustrie offen.
Durch die Förderungsmaßnahmen zugunsten der heimischen Steinkohle einerseits und durch die Zunahme der Importe von schwerem Heizöl andererseits sind der Absatz und damit auch die Produktion von schwerem Heizöl aus deutschen Raffinerien seit 1973 stark rückläufig. Da der Produktenausstoß der Raffinerien - abgesehen vom Einsatz unterschiedlicher Rohölqualitäten - kurzfristig kaum beeinflußbar ist, bestimmt der Absatz von schwerem Heizöl praktisch den Rohöldurchsatz der deutschen Raffinerien. Als Folge der Absatzschwierigkeiten des in der Bundesrepublik erzeugten schweren Heizöls ist daher die Kapazitätsauslastung der Raffinerien von zirka 80 % im Jahre 1973 auf etwas mehr als 60 % im Jahresdurchschnitt 1975 gefallen, was einen entsprechenden negativen Einfluß auf die Ertragssituation der in der Bundesrepublik tätigen Raffineriegesellschaften hat.
Während vom Januar bis zum September 1975 der Inlandsabsatz von Mineralölprodukten gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 4,4 % gesunken ist, ist die deutsche Raffinerieproduktion um 15,3 % zurückgegangen. Gleichzeitig sind das ist eine logische Folge - die Importabhängigkeit bei den Mineralölprodukten und damit auch der Risikofaktor der Produktenversorgung größer geworden.
Diese Entwicklung ist in erster Linie auf die Einfuhr sogenannter Spot-Mengen von schwerem Heizöl zurückzuführen, also von überschüssigen Partien aus ausländischen Raffinerieprodukten. Diese Importe bringen dem inländischen Verbraucher zwar einen kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Kostenvorteil, haben aber eine entsprechend nachteilige Auswirkung auf die Produktionsstruktur der Mineralölindustrie. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich betonen, daß es mir hier um eine Problemdarstellung geht, nicht etwa um bestimmte handelspolitische Maßnahmen, die ich nicht empfehlen könnte.
Auch unter dem Blickwinkel der Versorgungssicherheit sind diese Spot-Mengenimporte sehr problematisch. Wenn es zu einer nachhaltigen Konjunkturbelebung in den Industrieländern kommt, wird sich der Rohölmarkt wieder in einen Verkäufermarkt verwandeln. Dann wird es Spot-Mengen zu Schleuderpreisen nicht mehr geben. Die Verknappung und Verteuerung der Produktenimporte wird dann auch die Preise aus der eigenen Erzeugung hochtreiben.
Die energiepolitische Grundsatzentscheidung, der deutschen Steinkohle im Interesse der Versorgungssicherheit stabile Absatzmöglichkeiten auf bestimmten Sektoren, nämlich in der Elektrizitätserzeugung und in der Stahlindustrie, einzuräumen, kann nicht allein nur durch die Verstromungsgesetze konkretisiert werden. Diese Grundsatzentscheidung wird nur dann verwirklicht, wenn komplementäre wirtschaftspolitische Maßnahmen auf dem Mineralölsektor getroffen werden. Der Anteil von schwerem Heizöl an der Raffinerieausbringung muß daher durch den Bau von Konversionsanlagen zugunsten
der sogenannten Leichtfraktionen, vor allen Dingen des Motorenbenzins und des Leichtbenzins, gesenkt werden.
Die Bundesregierung sollte erwägen, wirtschaftspolitische Anreize, etwa durch Sonderabschreibungen für den Bau von Konversionsanlagen, zu schaffen. Das Problem besteht ja darin, daß diese Anlagen einen sehr hohen Investitionsaufwand erfordern. Sie können nach dem heutigen Stand der Technik erst bei einer langfristigen Preisdifferenz von zirka 120 DM pro Tonne zwischen schwerem Heizöl und Benzin rentabel arbeiten. Meine Damen und Herren - ich sage das auch deswegen, weil ich jetzt einige Herren, die hier sitzen, in anderer Eigenschaft ansprechen möchte -, es wäre eine erfreuliche Kombination von unternehmerischem Wagemut und energiepolitischer Einsicht, wenn Vorstand und Aufsichtsrat der VEBA AG, an der der Bund bekanntlich einen hohen Kapitalanteil hält und daher einen bestimmenden Einfluß hat, den Beschluß fassen würden, möglichst rasch eine solche Konversionsanlage zu bauen.
Herr Kollege, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich werde zum Schluß kommen, Frau Präsidentin. - Es ist eine aktuelle Aufgabe der Energiepolitik, den Zielkonflikt zu lösen, der zwischen der Forderung nach einem Ausbau der Raffineriekapazität durch Konversionsanlagen und dem Postulat der Zurückdrängung des Ölanteils am Gesamtverbrauch besteht. Die Überwindung dieses Zielkonflikts ist auch die ordnungspolitische Rechtfertigung für wirtschaftspolitische Hilfen auf diesem Sektor.
Anders als durch den Bau von Konversionsanlagen läßt sich das mittelfristige Versorgungsproblem bei Motorenbenzin und Leichtbenzin nicht lösen. Da sich weltweit eine Diskrepanz zwischen der Gesamtbenzinerzeugung und dem Gesamtbenzinbedarf abzeichnet, kann dieses Problem nicht durch Produktenimporte zu vertretbaren Preisen gelöst werden. Ein Versorgungsengpaß auf diesem Gebiet würde nicht nur weite Kreise der Bevölkerung, nämlich alle Kraftfahrer, unmittelbar betreffen, sondern hätte schwerwiegende Konsequenzen für unsere Wirtschaft. Ich darf nur darauf hinweisen, daß der Produktionswert der petrochemischen Industrie im Jahre 1974 zirka 57 Milliarden DM betrug. Hinsichtlich des Benzinproblems muß also rechtzeitig, d. h. möglichst rasch, eine wirtschaftspolitische Datensetzung erfolgen.
Meine Damen und Herren, das sind nur einige der bestehenden Interdependenzen in der Energiepolitik. Eine andere Wechselbeziehung will ich nur durch eine Frage noch andeuten, nämlich durch die Frage: Welche Primärenergie soll eigentlich die Lücke schließen, die in der Energieversorgung unter Umständen auftreten könnte, wenn sich erhebliche Verzögerungen beim Bau von Kernkraftwerken ergäben? Aber vielleicht werden wir darüber heute nachmittag etwas erfahren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen, lassen Sie mich meinen Debattenbeitrag mit der Feststellung abschließen, daß die weitere Entwicklung unserer Volkswirtschaft und damit das Niveau der Bedürfnisbefriedigung unserer Bevölkerung, der eigentliche Zweck des Wirtschaftens, maßgeblich von energiepolitischen Entscheidungen abhängig sein wird. Dabei sollten wir uns vielleicht an die Einsicht des griechischen Historikers Thukydides erinnern, der vor mehr als 2000 Jahren geschrieben hat: Aus Notzeit ist es fast leichter, sich herauszuarbeiten, als Wohlstand festzuhalten.
({0})
Meine Damen und Herren, es haben in der Vormittagsdebatte schon einige Sprecher den Tagesordnungspunkt 4 angesprochen. Ich glaube, es ist deswegen sachgerecht, daß wir die Tagesordnungspunkte 2 und 3 jetzt nicht abschließen, sondern daß heute nachmittag zusätzlich der Tagesordnungspunkt 4 aufgerufen und begründet wird. Dann können alle drei Punkte in der Debatte gemeinsam behandelt werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann werden wir so verfahren.
Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Das Haus tritt um 14 Uhr wieder zusammen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 7/4595
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen.
Die Fragen 25 und 26 wurden bereits gestern behandelt.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Wird die Bundesregierung auch für weitere Ausgaben des Kalenders Mittel zur Verfügung stellen, und - wenn ja - wird sie dafür sorgen, daß Autoren und Redakteure bestellt werden, die durch Ausbildung und Erfahrung in der Lage sind, ein objektives Bild der Wirklichkeit in Mitteldeutschland unter Einschluß der Situation an Mauer, Stacheldraht, Minenfeldern und Todesautomaten - den nachdrücklichsten „DDR"-Eindrücken jedes Besuchers aus der Bundesrepublik Deutschland - zu erstellen?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold.
Herr Präsident, ich habe zwar gestern die Frage 27 ausführlich mit beantwortet, wenn der Herr Fragesteller die Beantwortung aber jetzt noch einmal wünscht, wäre ich bereit, die Antwort zu wiederholen.
Vizepräsident von Hassel: Der Fragesteller nickt mit dem Kopf. Also wünscht er die Wiederholung.
Herr Kollege von Fircks, der Kalender ist unter Mitwirkung von Journalisten aus der Bundesrepublik Deutschland entstanden, die bereits seit längerem in der DDR leben und arbeiten. Ich betone nochmals: Wer ihn vorurteilsfrei liest und betrachtet, wird feststellen, daß die dortigen Beiträge über die komplexen Verhältnisse in der DDR vielfältig und nach unserer Auffassung auch objektiv berichten.
Die Bundesregierung hat daher keine Veranlassung, die Arbeit der Verfasser der Beiträge zu bemängeln oder diesen gar eine einseitige oder voreingenommene Beurteilung bei der Beschreibung der einzelnen Themenbereiche des Kalenders vorzuwerfen.
Im übrigen, Herr Kollege, teile ich mit, daß die Nachfrage nach dem Kalender 1976 im Vergleich zu derjenigen nach seinem Vorgänger derart groß ist, daß wir tatsächlich überlegen müssen, ob eine Neuauflage erfolgen sollte.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter von Fircks.
Herr Staatssekretär, unabhängig davon, daß Sie mir sicher recht geben, daß nicht immer die Dinge die größte Auflage haben, die die beste Qualität haben, frage ich Sie, ob man Ihrer Meinung nach wirklich von einem informativen Text über die DDR und von einer realistischen und objektiven Darstellung sprechen kann, wenn der Text auf das Grundmotiv dieses Staates, nämlich die Absperrung seiner Menschen durch Staat und Partei und die tiefsitzende Furcht und Feigheit der Machthaber vor einer offenen und freien Auseinandersetzung mit den Menschen des freien Westens, ausgedrückt in der jedem Reisenden überwältigend deutlichen Grenze mit Todesstreifen, nicht eingeht.
Herr Kollege von Fircks, den ersten Teil Ihrer Frage möchte ich uneingeschränkt mit Ja beantworten. Ich will nicht übertreiben und nicht von Tonnen reden. Aber es gibt einige Kilogramm überholten Materials aus den vergangenen zwei Jahrzehnten, das ich Ihnen gern einmal zur Verfügung stellen würde.
Was die zweite Frage betrifft, so habe ich schon gestern gebeten, daß wir uns nicht gegenseitig Ausschnitte aus diesem Kalender vorhalten. Das würde in jedem Fall ein schiefes Bild geben.
Wenn wir im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen solche Dinge im Detail diskutieren, dann kommt man, ohne daß jemand seine Grundüberzeugung aufgeben muß, zu einer Betrachtung, die zunächst kritisch ist; dies ist nicht zu bezweifeln.
Aber, der Kalender ist doch als ergänzendes Informations- und Diskussionsmaterial für unsere Schulen gedacht, nicht als umfassende Unterrichtshilfe. Ich bitte nochmals: ersparen Sie mir, hier zu zitieren. Ich könnte aus dem Kalender Stellen verlesen, die das, was Sie jetzt feststellen wollten, in einem anderen Licht erscheinen lassen würden.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter von Fircks.
Herr Staatssekretär, sind Sie nach der Kritik im Parlament und der Kritik und der Diskussion in der Presse bereit, in Ihrem Hause zu überlegen, ob Sie im kommenden Jahr das Redaktionsteam bei Fortsetzung dieser Aufgabe nicht pluralistischer - auch hinsichtlich der Auffassung zu den Problemen - zusammensetzen sollten?
({0})
Bei uns hat hier niemand einen Dauerauftrag. Aber ich muß Ihnen noch einmal sagen: Wir sind sehr froh, daß man sich in der Öffentlichkeit so kritisch mit diesem Kalender auseinandersetzt. Seit 1969 erscheint dieser Kalender jährlich; aber leider ist er trotz interessanter Aufzeichnungen in Bild und Text bisher kaum Objekt so großen Interesses gewesen. Wir sind froh darüber, daß jetzt eine Sachdiskussion über den Kalender entstanden ist. Wir werden selbstverständlich prüfen, inwieweit man für das nächste Jahr ein anderes Team mit seiner Konzeption beauftragen sollte.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, angesichts der alleinigen Verantwortung der Bundesregierung, die diesen Kalender ja durch das Gesamtdeutsche Institut herausgeben ließ, frage ich Sie: Wird sich die Bundesregierung dazu verstehen, bei einer - wie Sie sagten - eventuell geplanten Neuauflage oder einer Nachlieferung von einer größeren Zahl von Exemplaren die Mängel und Bedenken, die hier und auch im Ausschuß sachlich festgestellt worden sind, zu berücksichtigen?
Wir werden das erörtern. Irgendwelche Zusagen kann ich heute nicht geben; denn Sie wissen, daß das auch mit den Verfassern der Beiträge besprochen werden muß. Wenn wir aber in dieser Sache tätig werden sollen, so darf das auf keinen Fall nach Zensur aussehen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Böhm ({0}).
Herr Staatssekretär, da Sie es trotz des Fehlens von Mauer, Stacheldraht und Minenfeldern in diesem Kalender für richtig halten, ihn pädagogisch einzusetzen und von Ihrem Haus finanzieren zu lassen, frage ich Sie, ob Sie beispielsweise auch einen Kalender, der die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland darstellt und dabei nicht von der Judenverfolgung, von Konzentrationslagern und den Unmenschlichkeiten des Naziregimes berichtet, im Unterricht verwenden und ihn auch von Ihrem Haus finanzieren lassen würden.
Darf ich die Frage beantworten, Herr Präsident?
Vizepräsident von Hassel: Bitte schön, selbstverständlich; Sie sind gefragt worden.
Ich bin der Meinung, daß die Frage, die Sie gestellt haben, überhaupt nicht im Zusammenhang mit den eingebrachten Fragen steht.
({0})
- Nein, nicht „aha", Herr Kollege Böhm.
Ich darf Ihnen nur folgendes sagen.
({1})
Wir haben seit 1969 acht Kalender herausgegeben. Ich habe mir diese acht Kalender auf Grund der Kritik noch einmal alle sehr aufmerksam angesehen. In den Kalendern ist ein einziges Mal ein Bild von der Mauer gebracht worden, nämlich zum zehnjährigen traurigen Jubiläum des Mauerbaus von 1961, zusammen mit einem Artikel von Minister Franke. Sonst sind weder die Mauer noch der Stacheldraht so in den Mittelpunkt gerückt worden, wie Sie das jetzt fordern, und zwar ohne daß dies Kritik eingebracht hätte. Es gibt andere Publikationsorgane, die sich mit diesen Dingen befassen, wie es auch wiederholte Erklärungen der Bundesregierung zu dieser Frage gibt. Ich glaube, es ist nicht fair, wenn man hier unterstellen will, wir wollten mit dem Kalender irgend etwas verniedlichen, verheimlichen oder verschleiern. Im Gegenteil, wir haben diese Dinge bei jeder Auseinandersetzung beim Namen genannt.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lenders.
Herr Staatssekretär, da dieser Kalender die deutsch-deutsche Diskussion ganz offensichtlich sehr stark befruchtet hat, was ich als einen Erfolg dieses Kalenders ansehe, ich aber nicht im Besitz dieses Kalenders bin, möchte ich Sie fragen, ob Sie mir sagen können, wie ich an diesen Kalender kommen kann.
Es gab zwar schon in den Massenmedien die Anregung, den Kalender anzufordern. Und das Ministerium oder unser Institut ist gerne bereit, ihn auf Wunsch zur Verfügung zu stellen.
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, sich bei Zusatzfragen an die Grundfrage zu halten. Beide Fragen, sowohl die von Herrn Böhm ({0}) als auch die von Herrn Lenders, sind nicht mehr ganz mit der Grundfrage zu vereinbaren. Ich darf Sie bitten, das einigermaßen einzuhalten.
Zur nächsten Zusatzfrage hat das Wort Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie mir gestern - wahrscheinlich aus Zeitgründen - die letzt Frage in der Fragestunde nicht beantwortet haben und weil Sie so liebenswürdig waren, mir den Kalender danach sofort zuzuschicken, möchte ich Sie fragen - da ich nicht Mitglied des innerdeutschen Ausschusses bin und Ihnen daher auch nicht dort die Frage stellen kann -: Da sich in dem Kalender eine Aufnahme befindet, in der Soldaten der Nationalen Volksarmee in Ost-Berlin abgebildet sind, können Sie mir zusagen, daß Sie in der angekündigten Neuauflage des Kalenders auch in den Text aufnehmen werden, daß die Anwesenheit dieser Soldaten im Widerspruch zum Viermächtestatus der Stadt steht?
Wie gesagt, wir werden mit den Verfassern noch einmal alle Fragen erörtern. Ich bin aber der Meinung: wir haben den Militarismus in der DDR wirklichkeitsnah dargestellt.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, daß nach dem Urteil der Bundesregierung objektiv berichtet werde. Wie erklären Sie es sich, daß gewichtige Stimmen genau der gegenteiligen Meinung als die Bundesregierung sind?
Ist es in einer Demokratie ein Schaden, wenn es gegenteilige Meinungen über solche Publikationen gibt? Ich halte das für sehr vernünftig. Ich erwarte nicht, daß Sie mir in allen Dingen zustimmen, und Sie können umgekehrt auch nicht von mir erwarten, daß ich Ihnen in allen Dingen zustimme.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Pieser.
Herr Staatssekretär, um das zu präzisieren, was die Kollegin Berger mit ihrer Frage angeschnitten hat und was immer noch nicht beantwortet ist, muß ich noch einmal fragen: Ist Ihr Haus bereit, im Zuge einer eventuell geplanten Neuauflage dieses Kalenders in dem Kommentar zum Thema Ost-Berlin darauf hinzuweisen, daß die Existenz von Angehörigen der Nationalen Volksarmee der DDR in Ost-Berlin dem Status von Gesamtberlin widerspricht?
Sehr verehrte Frau Kollegin Pieser, ich habe Ihnen und auch der Frau Kollegin Berger zugesagt, daß wir bei Überlegungen zu einem Neudruck des Kalenders darüber diskutieren werden, ob es hier Änderungen geben kann.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Sauer.
Herr Staatssekretär Herold, trifft meine Vermutung zu, daß sich die Autoren des Kalenders sehr oft auf DDR-Broschüren und Touristenführer der DDR gestützt haben, wie z. B. im Fall des sächsischen Bades Schandau, wo es wörtlich heißt:
Früher war dieses Bad als Adelsbad bekannt; heute aber ist es ein FDGB-Kneipp-Kurort der Werktätigen.
({0})
Mir ist diese Äußerung im Moment nicht gegenwärtig.
({0})
Aber ich bin gern bereit, das zu prüfen. Sie wissen, daß das ein großer Vorwurf auch an die Verfasser ist.
({1})
- Augenblick! Aber natürlich haben wir ihn herausgegeben.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Der Herr Staatssekretär hat das Wort.
Ich habe die Verantwortung meines Hauses in dieser Frage nicht bestritten, und ich werde überprüfen, ob in irgendeiner Form Äußerungen oder Darlegungen aus DDR-Schriften in den Kalender übernommen worden sind. Mehr kann ich im Augenblick nicht tun.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Kreutzmann.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, wenn in diesem Kalender beispielsweise steht, daß in der Bundesrepublik auf 500 Einwohner ein Polizist kommt, in der DDR dagegen auf 250, wenn der Militarismus in der DDR in diesem Kalender scharf verdammt wird, wenn gleichzeitig bei einer Prachtstraße darauf hingewiesen wird, daß diese Straße genausogut in der Sowjetunion liegen könnte, daß dann ein Maß an Objektivität erfüllt ist, das den Kalender durchaus rechtfertigt?
Herr Kollege Kreutzmann, ich hatte erklärt, daß wir nicht mit Zitaten beginnen sollten. Aber das, was Sie sagen, ist auch meine Auffassung.
Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage, der Abgeordnete Höhmann.
Herr Staatssekretär, sieht man denn im Ministerium ein, daß man einen großen
Fehler dadurch begangen hat, daß man diesen Kalender nicht von vornherein allen Kollegen zugesandt hat, weil die Opposition über den Kalender redet wie der Blinde von der Farbe?
({0})
Vizepräsident von Hassel: Herr Staatssekretär, ich glaube, daß Sie darauf keine Zusatzantwort zu geben brauchen. Es ist, wie Sie wissen, Herr Kollege Höhmann, weder in die Antwort noch in die Frage oder die Zusatzfrage eine Wertung zu legen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß ich bereits 11 Zusatzfragen zugelassen habe. Ich glaube, daß ich damit das Höchstmaß an Zusatzfragen zugelassen habe. Ich muß auch auf die anderen Fragesteller Rücksicht nehmen.
({1})
Ich rufe daher jetzt die Frage 66 des Abgeordneten Straßmeir auf:
Trifft es zu, daß die von der DDR vorgenommene drastische Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren für Lastkraftwagen ({2}) von der Bundesregierung bei ihren Verhandlungen ohne energischen Widerstand hingenommen worden ist?
Ist der Abgeordnete im Saal? - Bitte schön, zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold!
Herr Kollege Straßmeir, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Bei den Verhandlungen mit der DDR im letzten Jahr ging es nicht um die Straßenbenutzungsgebühren außerhalb der Pauschale. Die Bundesregierung hat lediglich anläßlich der Verhandlungen, die die Neufestlegung der Transitpauschale für den Berlin-Verkehr betrafen, davon Kenntnis erhalten, daß die DDR die Straßenbenutzungsgebühren für den Wechselverkehr mit der DDR für Fahrzeuge aller Art zu erhöhen beabsichtigte. Früher hatte die Bundesregierung überhaupt keine Einflußmöglichkeiten auf die Höhe und den Umfang der Gebührenerhebungen durch die DDR. Sie hat deshalb die Gelegenheit der Verhandlungen über die Transitpauschale genutzt, Einfluß auf die DDR auszuüben. Ihr ist es durch energischen Widerstand gelungen, die DDR zu veranlassen, die beabsichtigte Gebührenerhebung weitgehend nicht zu verwirklichen. Für Pkw werden die bisherigen Sätze nicht erhöht. Für Lkw bis zu einer Nutzlast von 9 Tonnen bleiben die Gebührensätze ebenfalls unverändert. Für Lkw mit einer Nutzlast von 9 Tonnen und mehr erhöhen sich die Gebührensätze. Die Gebührenstaffel enthält bisher die höchste Gebühr für Lkw über 9 Tonnen Nutzlast, sie ist nunmehr verlängert worden. Die letzte Stufe ist jetzt für Fahrzeuge über 30 Tonnen Nutzlast vorgesehen. Der sachliche Grund für die Verlängerung der Gebührenstaffel liegt darin, daß sich die Struktur des Lkw-Verkehrs - und das steht wohl außer Zweifel - in den letzten 20 Jahren - die bisherige Gebührenstaffel stammt aus dem Jahre 1955 - erheblich verändert hat. Es sind in
zunehmenden Umfang größere Fahrzeuge eingesetzt worden.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Straßmeir.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben bemerkt hatten, daß die angeblich nicht verhandlungsfähige Straßengebührenordnung doch in den Verhandlungen behandelt worden ist, darf ich Sie fragen, ob mir die Bundesregierung sagen kann, welche Transportunternehmungen außer denen der Bundesrepublik Deutschland in der Praxis eigentlich überhaupt noch von der Gebührenordnung betroffen sind.
Entschuldigung, ich habe die Frage akustisch nicht verstanden.
Ich frage Sie, ob die Bundesregierung mir mitteilen kann, welche Transportunternehmungen außer denen der Bundesrepublik Deutschland in der Praxis überhaupt noch von der Straßengebührenordnung der DDR betroffen sind. Mit anderen Worten, gibt es außer uns überhaupt noch jemand, der von dieser Straßengebührenordnung in der Praxis betroffen ist?
In der Praxis gibt es natürlich auch andere Staaten, die von den Gebühren betroffen sind, sei es im Wechsel- oder im Durchfahrtverkehr. Daneben gibt es mit einzelnen Staaten Befreiungsabkommen. Ich kann Ihnen diese Staaten auf Anhieb nicht nennen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen das mitzuteilen. Es gibt jedenfalls solche Abkommen, etwa mit skandinavischen Staaten, aber auch mit westlichen Ländern. Und natürlich sind die Lkw der Ostblockstaaten von den Gebühren befreit.
Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Straßmeir.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie offenbar mit mir darin übereinstimmen, daß praktisch außer uns niemand betroffen ist, ergibt sich die Frage, ob die Bundesregierung auf Grund der Formel von den „besonderen Beziehungen" die Verpflichtung sieht, in Vereinbarungen mit der DDR zu günstigeren oder zumindest zu gleich guten Ergebnissen zu kommen, wie es anderen Nationen in Vereinbarungen mit der DDR möglich ist.
Herr Kollege Straßmeir, ich werde Ihnen in Beantwortung der Fragen von Herrn Kollegen Kunz noch zusätzlich einige Dinge sagen müssen, die man nicht übersehen kann. Es steht auf jeden Fall fest, daß wir von diesen Dingen durch Zufall erfahren haben daß sie im Rahmen der Verhandlungen über die Transitpauschale zwar nicht Verhandlungsgegenstand, wohl aber Gegenstand der Erörterung gewesen sind. Wir haben gegen die beabsichtigten Regelungen energischen Widerstand geleistet, und ich glaube, den Erfolg kann man ablesen. Pläne der DDR, die sich auf
Pkw und auf Fahrzeuge unter 9 Tonnen bezogen sind immerhin nicht verwirklicht worden.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, mich würde ganz außerordentlich Ihre Antwort auf die Frage interessieren, ob es die Bundesregierung für eine wirksame und erfolgreiche Verhandlungsstrategie hält, nachträglich über mögliche Gegenmaßnahmen öffentliche Erklärungen abzugeben.
Frau Kollegin Berger, die Regierung der DDR war bestrebt, eine Gebührenordnung von 1955 zu verändern und gewisse Fahrzeuge, die bisher als Spezialfahrzeuge unter 9 Tonnen mitgelaufen sind, nicht mehr zwischen 3 und 7 Tonnen, sondern, wie es auch in anderen Ländern gemacht wird, nach der Nutzlast einzustufen. Ich will hier die Interessen der DDR nicht vertreten - das ist ein Politikum, das wissen Sie -, aber es ist nicht zu vermeiden, daß solche Dinge zur Diskussion gestellt werden, wobei der Verhandlungspartner DDR die Meinung vertritt, daß seine Straßen in einer Art und Weise belastet werden, die solche Gebührenänderungen rechtfertigen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Sick.
Herr Staatssekretär, nachdem festzustehen scheint, daß zumindest mit Schwergewicht die Auswirkungen das deutsche Verkehrsgewerbe treffen, meinen Sie nicht, daß es die Pflicht der Regierung zur Wahrnehmung der eigenen Interessen erfordert hätte, vorher - wenn man schon verhandelt - zu ermitteln, welche Befreiungstatbestände gegeben sind und wie sich im einzelnen die Erschwernisse für das deutsche Gewerbe auswirken, auch in bezug auf West-Berlin?
Ich werde darauf noch zu sprechen kommen. Das ist eine Frage, die ich noch zu beantworten habe. Ich bitte also, diese Frage zunächst zurückzustellen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, nachdem es mit der DDR seit Inkrafttreten des Grundvertrages eine Vereinbarung gibt, daß sich die beiden Staaten in wichtigen, einander gegenseitig berührenden Fragen vorher konsultieren, sehen Sie nicht hier eine klare Verletzung dieser Abmachung seitens der DDR, wenn Sie uns hier gesagt haben, daß die Bundesregierung nur durch Zufall von diesen Gebührenerhöhungen seitens der DDR erfahren hat?
({0})
Wir haben das erfahren, wir haben gehandelt, wir haben darüber am Rande von Besprechungen geredet, die dafür gar nicht vorgesehen waren, und ich glaube, man kann sagen, wir haben verhindert, was zu verhindern war. Damit wird die Frage, die Sie hier gestellt haben, gegenstandslos.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Höhmann.
Herr Staatssekretär, gibt es nicht auch das Institut der Einzelbefreiung von Transporten in die DDR oder zurück, und kann sich die Bundesregierung nicht bemühen, das Institut der Einzelbefreiung weiter auszubauen als bisher?
Diese Möglichkeit gibt es im Einzelfall, wie schon angeführt. Ich glaube, es kommt darauf an, über die Möglichkeiten, die bestehen, im Einzelfall Befreiungen oder in irgendeiner Form Erlasse zu erreichen.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 67 der Abgeordneten Frau Pieser auf:
Kann die Bundesregierung Pressemeldungen bestätigen, daß sie gegenwärtig prüft, entsprechende Gebühren für Lastkraftwagen bei der Einreise aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland zu erheben, und wenn ja, ist dies als ein Versuch der Bundesregierung zu bewerten, ein Verhandlungsergebnis nachträglich zu korrigieren?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Sehr geehrte Frau Kollegin Pieser, die Bundesregierung hatte vorgesehen, im Zuge der vorerst zurückgestellten Kfz-Steuerreform Kraftfahrzeuge aus der DDR in die Erhebung der Kfz-Steuer einzubeziehen. Auf Grund der Neuregelung der Tarife der Straßenbenutzungsgebühren für den Schwerlastverkehr prüft die Bundesregierung, ob eine Besteuerung von Kraftfahrzeugen aus der DDR vorgezogen werden kann. Das ist keine Korrektur des erzielten Ergebnisses der Verhandlungen, die die Neufestlegung der Transitpauschale für den Berlin-Verkehr betrafen, und nicht den im Verkehrsvertrag geregelten Verkehr, also insbesondere den Wechselverkehr mit der DDR.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, die Abgeordnete Frau Pieser.
Herr Staatssekretär, darf ich dieser Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung bereits während ihrer Verhandlungen mit der DDR deutlich gemacht hat, daß sie sich im Falle einer drastischen Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren Gegenmaßnahmen vorbehält?
Wir haben das nicht zu erklären brauchen. Sie wissen, daß wir bereits eine Gesetzesvorlage hatten, die ja auch schon beim Bundesrat war. Es war ein Paket mit verschiedenen Maßnahmen, das u. a. auch die Besteuerung der Lastfahrzeuge aus der DDR enthielt. Ich werde bei
der Antwort auf eine andere Frage auf Gegenmaßnahmen noch zurückkommen, so z. B. im Berlinverkehr, wo es passieren kann, daß eines Tages Berliner Unternehmer gewisse Erzeugnisse, die durch die neuen Gebühren mehr belastet sind, aus dem Zonenrandgebiet über die Transitstrecken und nicht mehr aus der DDR beziehen.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Pieser.
Hält es die Bundesregierung für ein befriedigendes Verhandlungsergebnis, daß man zwar erreicht hat, den großen Bereich des Pkw-Verkehrs von zusätzlichen Belastungen freizuhalten, daß dafür aber der Lkw-Verkehr eine um so größere Belastung erfahren hat?
Frau Kollegin Pieser, der Erfolg beim Pkw-Verkehr ist eindeutig; der ist nicht zu bestreiten. Ich würde beim Westberliner Lkw-Verkehr differenzieren. 90 % werden wie bisher nicht belastet; nur bei 10 % tritt eine zusätzliche Belastung ein. Ich komme aber auf die finanziellen Auswirkungen noch zu sprechen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß heute ein Gespräch zwischen dem Verkehrsministerium und dem Finanzministerium über eventuelle Gegenmaßnahmen stattfinden soll, oder ist ein solches Gespräch bereits für einen anderen Zeitpunkt vereinbart worden?
Hier sind laufend Gespräche geführt worden. Die Maßnahme der Gebührenerhöhung hat alles etwas aktualisiert. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob zur Stunde Gespräche stattfinden. Diese haben aber in der vergangenen Woche und vor längerer Zeit stattgefunden. Dieses Thema bleibt auf dem Tisch.
Wir wollten nur eines machen, Frau Kollegin Berger: Wir wollten das Steuerreformpaket und damit auch die Kraftfahrzeugsteuerreform gemeinsam durchziehen. Das ist aus den Gründen, die Sie alle kennen, nicht möglich gewesen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dreyer.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung mit dem betroffenen Gewerbe bereits Gespräche über Gegenmaßnahmen geführt, oder ist die Bundesregierung bereit, mit dem betroffenen Gewerbe in absehbarer Zeit über die Gegenmaßnahmen Gespräche zu führen?
Die Bundesregierung ist bereit, über diesen Komplex zu reden; das ist selbstverständlich.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Höhmann.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie davon gesprochen haben, daß bestimmte Lieferungen, die bisher aus der DDR bezogen wurden, in Zukunft unter Umständen zugunsten von Lieferungen aus dem Zonenrandgebiet fortfallen könnten, frage ich Sie: Wie hoch ist eigentlich der Anteil des Güterverkehrs von der Bundesrepublik oder West-Berlin in oder durch die DDR, gemessen am Gesamtgüterverkehr? Ich frage das, damit wir uns ein Bild darüber machen können, in welchen Größenordnungen so etwas abläuft.
Der Anteil des Güterverkehrs in und durch die DDR aus dem Bundesgebiet und Berlin ({0}) liegt bei etwa 3,5 %. Das sind etwa 32 000 bis 33 000 Fahrzeuge, abgesehen von den Berliner Schutt- und Kiesfahrzeugen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sick.
Herr Staatssekretär, ich möchte an die Frage des Kollegen Dreyer anknüpfen. Wenn Gegenmaßnahmen erwogen werden: Haben Sie sich in Ihrem Hause auch Gedanken darüber gemacht, welche Rückwirkungen das von der DDR aus haben könnte und wie die aussähen?
Natürlich muß das in unsere Überlegungen mit einbezogen werden.
Ich möchte noch auf meine Antwort zur Frage des Kollegen Dreyer zurückkommen: Es bestanden Kontakte mit dem Verkehrsgewerbe über das Finanzministerium. Das wollte ich nachholen; ich bitte um Entschuldigung, daß ich das vorhin nicht sofort sagen konnte.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Dreyer auf :
Wie hoch beziffert die Bundesregierung die zusätzliche finanzielle Belastung, die sich aus der von der DDR vorgenommenen drastischen Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren für Lastkraftwagen insgesamt ergibt?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Sehr geehrter Herr Kollege Dreyer, die zusätzliche Belastung für den Straßen- und Güterverkehr kann nur annäherungsweise geschätzt werden, da die Struktur des Verkehrs und die in der DDR zurückgelegten Entfernungen nicht erfaßt werden können. Überschlägige Rechnungen deuten jedoch auf eine Größenordnung von insgesamt etwa 3,5 Millionen DM hin.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dreyer.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung auch einmal geprüft, ob nicht eventuelle Auswirkungen auf die Entwicklung der betroffenen Verkehre aus regionaler Sicht - ich
denke dabei an unsere Seehäfen und an das Zonenrandgebiet - besonders zu Buche schlagen?
Ich sagte schon in meiner letzten Antwort, es handelt sich um 3,5 % vom gesamten Lastverkehr. Auch diese 3,5 % sind natürlich eine ernst zu nehmende Größe.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dreyer.
Herr Staatssekretär, auf Grund dieser Antwort möchte ich sagen: Man darf auch bei dem geringen Anteil an den Gesamttransporten unter Umständen die Bedeutung aus regionaler Sicht für Spezialtransporte nicht unterschätzen. Deswegen meine Frage, ob geprüft wird, ob sich aus regionaler Sicht für die Zonenrandgebiete und eventuell auch für unsere Häfen nicht unter Umständen besondere Härten ergeben.
Vor allen Dingen auch für Berlin, Herr Kollege. Sie haben da völlig recht. Das wird geprüft. Wir nehmen das sehr ernst.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Straßmeir.
Herr Staatssekretär, noch einmal ganz präzis gefragt: Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren auf die Entwicklung des davon betroffenen Verkehrs insgesamt?
Ich sagte Ihnen, daß die Gebührenerhöhung für einen Teil des Gesamtverkehrs - ich habe ihn auf 3,5 % beziffert - Belastungen mit sich bringen wird. Bitte verwechseln Sie nicht die 3,5 Millionen DM mit den 3,5 %. Es sind zufällig die gleichen Zahlen. Wir werden auf jeden Fall zu prüfen haben, inwieweit wir eventuell gewisse Unterstützungen leisten müssen.
({0})
- An die Betroffenen. Aber das kann heute noch nicht entschieden werden. Herr Kollege Straßmeir, wissen Sie, ich bin da etwas vorsichtig geworden. Hier im Saal sitzen einige Kollegen, die damals mit mir in Berlin vor Verabschiedung des Verplombungsgesetzes sehr eingehende und ernste Diskussionen geführt haben. Wir haben damals alle Beteiligten zu der Frage gehört, welche Auswirkungen das Gesetz haben kann. Ich bin seinerzeit in große Zweifel geraten, ob wir das überhaupt richtig machen. Heute hören wir nichts mehr. Wir hören auch nicht, welche Vorteile für das Güterkraftverkehrsgewerbe durch das Verplombungsgesetz entstanden sind. Deswegen bin ich immer etwas vorsichtig mit Zahlen. Ich kann nur das wiederholen, was ich Ihnen schon sagte: Es wird Betroffene geben, die sich bestimmt Sorgen machen müssen. Das ist ohne Zweifel richtig. Im Zusammenhang mit dem Verplombungsgesetz hatte ich damals angedeutet, daß ich Möglichkeiten zu Hilfen für die Binnenschiffahrt
und auch für die Wirtschaft in Berlin sähe. Das ist mir abgenommen worden. Gott sei Dank mußten diese Hilfen dann fast gar nicht in Anspruch genommen werden. Ich hoffe, das wird auch hier der Fall sein. Aber wir müssen dann zumindest den Einzelfall sehen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hösl.
Herr Staatssekretär, um keine Irrtümer aufkommen zu lassen: Worauf beziehen sich die 3,5 %?
Auf den grenzüberschreitenden Verkehr. Wir haben im grenzüberschreitenden Verkehr insgesamt etwa 900 000 Fahrzeuge.
Beziehen Sie dabei den Pkw-Verkehr mit ein?
Nein. Den betrifft es ja gar nicht. Es handelt sich im Güterverkehr um 900 000 Fahrzeuge. Im letzten Jahr sind ja allein 1 Million Pkw in die DDR eingefahren. Die 900 000 beziehen sich also nicht auf die Pkw, auch nicht auf die Kies- und Müllfahrzeuge von West- nach Ost-Berlin.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Kunz auf:
Wie hoch beziffern sich die zusätzlichen finanziellen Belastungen für den Straßengüterverkehr in Berlin ({0})?
Herr Kollege Kunz, die zusätzliche Belastung für den Straßengüterverkehr kann nur annäherungsweise geschätzt werden, da - ich wiederhole es - die Struktur des Verkehrs und die in der DDR zurückgelegten Entfernungen nicht erfaßt werden können. Ich habe Ihnen bereits etwas über die überschlägigen Rechnungen gesagt: insgesamt 3,5 Millionen DM; davon werden auf den Berliner Raum nach unseren jetzigen Berechnungen, die mir vorgelegt worden sind, etwa 1,7 bis 1,8 Millionen DM entfallen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kunz.
Herr Staatssekretär, waren der Bundesregierung die speziellen Belastungen des Westberliner Straßengüterverkehrs während der Verhandlungen mit der DDR bereits bekannt, oder hat sie diese Belastungen erst nachträglich ermittelt?
Ich glaube, daß den Fachleuten auch diese Zahlen damals bekannt gewesen sind. Und ich bin der Meinung, Sie sollten die Antwort, die ich auf Zusatzfragen gegeben habe, in Ihre Überlegungen im Zusammenhang mit der Belastung einbeziehen.
Vizepräsident von Hassel: Die zweite Zusatzfrage
des Abgeordneten Kunz.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die besondere Situation der von der DDR-Straßenbenutzungsgebühr betroffenen Westberliner Betriebe hinsichtlich der zukünftigen Transportentwicklung?
Herold, Pari. Staatssekretär: Ich habe bereits angedeutet, daß für die DDR eine Gefahr besteht, wenn Spezialfahrzeuge, die früher hinsichtlich der Gebühr in die Gruppe von 4 bis 7 Tonnen eingereiht waren, nun in den neuen Tarif fallen. Das ist eine schwere Belastung; die DDR muß sich darüber im klaren sein, daß dies von den einzelnen Fuhrunternehmern nicht so verkraftet werden kann, wie man sich das einbildet. Vielleicht muß dann die DDR bei der Abgabe ihrer Produkte hinsichtlich des Preises Überlegungen anstellen; oder es geschieht das, was ich auf die Zusatzfrage der Frau Kollegin Pieser bereits als Vermutung vorgetragen habe.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Praktiken der DDR bekannt, die Straßenbenutzungsgebühren nach eigenem Ermessen nachträglich zu erstatten, und zwar insbesondere in Fällen, in denen sie sich außerstande sieht, die Verkehre selbst technisch zu bewältigen?
Es gibt solche Fälle. Ich bin kein Verkehrsspezialist; ich stehe als Politiker da. Aber ich will das gern prüfen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Pieser.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung nicht gerade in diesem Sachverhalt die Gefahr, daß derartige Gebührenpraktiken der DDR auf die Dauer für die von Straßenbenutzungsgebühren betroffenen Betriebe zu einem unkalkulierbaren Risiko werden?
Frau Kollegin Pieser, jede Preis- oder Gebührenerhöhung ist ein Risiko; das muß jeder von uns tragen. Aber wenn Sie sich überlegen, daß hier in 20 Jahren - also seit 1955! - die erste Veränderung der Gebührensätze vorgenommen wird, so war, glaube ich, das Risiko unserer Unternehmer auf anderen Gebieten viel größer.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Höhmann.
Herr Staatssekretär, können Sie - wenigstens prozentual - dem Hause mitteilen,
wie hoch im Berlin-Verkehr der Anteil derjenigen Kraftfahrzeuge ist, die von diesen Gebühren befreit sind, und wie hoch jener Prozentsatz ist, der Gebühren zahlen muß?
Es fahren etwa 100 000 Fahrzeuge im Jahr von Berlin in die DDR, und ich nannte vorhin bereits den Prozentsatz. Etwa 90 % sind von den Gebühren nicht betroffen.
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, bevor ich die Frage 70 des Abgeordneten Kunz aufrufe, darf ich auf folgendes aufmerksam machen. Wir haben zu diesem Thema insgesamt neun Fragen vorliegen. Ich darf Sie bitten, daß Sie sich bei Zusatzfragen wirklich auf die Grundfrage konzentrieren. Die eben gestellte Zusatzfrage wich inhaltlich von der gestellten Frage ab.
Ich rufe die Frage 70 des Abgeordneten Kunz ({0}) auf:
Hat die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen die besonders starke Diskriminierung des Straßengüterverkehrs in Berlin ({1}) im Nahverkehr in die DDR durch die Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren nicht erkannt?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe schon angedeutet: Aus West-Berlin fahren jährlich 100 000 Lastfahrzeuge in die DDR. Für 90 % dieser Fahrten werden keine Straßenbenutzungsgebühren entrichtet. Zu Fahrzeugen dieser Art gehören u. a. Kies-, Sand-, sowie Bauschutt- und Müllfahrzeuge. Der große Anteil an Spezialfahrzeugen, die im Versorgungsverkehr zwischen West-Berlin und der DDR fahren und für die jetzt höhere Straßenbenutzungsgebühren erhoben werden, führt zu einer stärkeren Belastung des Straßengüterverkehrs. Das habe ich Ihnen bereits bestätigt.
Die Bundesregierung hat diese Folgen von Anfang an auch erkannt, konnte sie aber aus den in der Antwort an den Kollegen Straßmeir dargelegten Gründen nicht weiter verhindern. Im übrigen bleibt abzuwarten, ob die Kostenerhöhungen nicht dazu führen - und hier wiederhole ich das, was ich der Frau Kollegin Pieser bereits sagte -, daß bestimmte Güter von Berliner Unternehmen in Zukunft nicht mehr aus der DDR bezogen werden, wenn die DDR den Unternehmern die Kostenbelastung nicht abnimmt.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Kunz.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich den Umstand, daß die DDR ausgerechnet in demselben Zeitpunkt eine sehr starke Diskriminierung der Berliner Interessen vornehmen zu können glaubt, in dem die Bundesregierung zugesagt hat, die Transitpauschale auf 400 Millionen DM zu erhöhen, Mittel für die sogenannte Grunderneuerung der Autobahn Berlin-Helmstedt zur Verfügung zu stellen und Mittel zum Ausbau des Berliner Rings ebenfalls in erheblichem Umfange zur Verfügung zu stellen.
Ich verstehe nicht, Herr Kollege Kunz, - wir haben gerade Prozentzahlen gehört und feststellen können, mit welchen Belastungen zu rechnen sein wird -, daß Sie von einer „sehr starken Diskriminierung" sprechen können.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Jäger ({0}).
Jäger ({1}) ({2}) Herr Staatssekretär, da ich davon ausgehe, daß Sie den Vertretern der DDR bei den Gesprächen, die, nachdem Ihnen das bekanntgeworden ist, geführt wurden, den Text des Art. 1 Abs. 2 des Verkehrsvertrages vorgehalten haben, wonach sich beide Staaten verpflichten, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und Nichtdiskriminierung den Verkehr in größtmöglichem Umfang zu gewähren, zu erleichtern und möglichst zweckmäßig zu gestalten, möchte ich Sie fragen: Wie haben die Vertreter der DDR auf diese Vorhaltungen reagiert?
Herr Kollege Jäger, ich möchte Ihnen nur sagen: Ich bin den Fachleuten und den Verantwortlichen, die diese Gespräche geführt haben, dankbar, daß sie mit dieser Umsicht verhandelt haben und daß wirklich sehr viel von dem nicht Wirklichkeit geworden ist, was die DDR vorhatte.
Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage, der Abgeordnete Hösl.
Herr Staatssekretär, könnten Sie auf Grund der Vorhaltung des Kollegen Jäger präzise die Antwort der Verhandlungspartner in dieser Frage hier wiedergeben?
Herr Kollege Hösl, ich werde mir das Protokoll der Besprechungen geben lassen und nachlesen und hoffe sie dann schriftlich unterrichten zu können. Aber ich bin kein Übermensch. Ich habe hier keinen Computer. Ich bin Gott sei Dank auch nur ein so normal veranlagter Mensch wie Sie, so daß ich solche Dinge natürlich nicht im Kopf haben kann.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Straßmeir auf:
Welche besonderen Probleme sieht die Bundesregierung in der Tatsache, daß nicht nur die Gebührensätze von der DDR drastisch erhöht wurden, sondern auch das Gebührensystem durch Bildung von Gesamtnutzlasten und Entspezialisierung nachhaltig verändert wurde? Herold, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Straßmeir, die Beantwortung der Frage nach der Auswirkung der Bildung von Gesamtnutzlasten und der Auswirkung der Tatsache, daß bestimmte Spezialfahrzeuge in der neuen Gebührenstaffelung der DDR nicht mehr besonders berücksichtigt werden, muß nach unserer Auffassung voneinander getrennt werden. Die Herausnahme bestimmter Fahrzeugtypen, wie z. B. Tank- und Silofahrzeuge, die bisher als
Spezialfahrzeuge behandelt wurden, bringt für die Halter dieser Fahrzeuge in der Tat erheblich höhere Belastungen mit sich. Diese Fahrzeuge, die tatsächlich zur Beförderung von Lasten dienen, werden von nun an wie die Lastfahrzeuge der gleichen Kategorie gemäß ihrer genauen Nutzlast eingestuft. Die DDR hat das damit begründet, daß eine von der Nutzlast unabhängige Gestaltung der Gebühren nicht gerechtfertigt werden könne.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Straßmeir.
Herr Staatssekretär, wie hoch ist denn der Anteil der besonders negativ betroffenen Spezialfahrzeuge an dem von den Straßenbenutzungsgebühren insgesamt betroffenen Verkehr?
Ich höre gerade, Herr Kollege Straßmeir, daß im Augenblick keine Zahl bekannt ist. Ich werde das prüfen und Ihnen diese Frage schriftlich beantworten.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Straßmeir.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß die neue Definition der unter die Straßengebührenordnung der DDR fallenden Fahrzeuge als Versuch der DDR anzusehen ist, unsere Transportunternehmungen in dem Maße aus dem Markt zu drängen, wie die DDR in der Lage ist, diesen Verkehr mit eigenen Fahrzeugen zu bewältigen?
Herr Kollege Straßmeir, ich kann mir im Moment die einzelnen Auswirkungen nicht vorstellen. Daß das natürlich zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führt, steht außer Zweifel. Aber ich nannte bereits die Konsequenzen, die auf die DDR selbst zukommen könnten. Daß man in gewissen Dingen eine Verlagerung der zu besorgenden Güter vornimmt, steht für mich außer Zweifel.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Sick auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die sich aus der Erhöhung der DDR-Straßenbenutzungsgebühren ergebenden neuen Wettbewerbsverzerrungen für den deutschen Straßengüterverkehr?
Bitte zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Verehrter Herr Kollege Sick, ich antworte wie folgt. Es ist nicht auszuschließen, daß durch die neue Staffelung der Straßenbenutzungsgebühren und die damit verbundene Erhöhung der Gebührensätze für den Schwerlastverkehr durch die DDR die ohnehin schwierige Wettbewerbssituation des Güterkraftverkehrs im Verkehr in und durch die DDR nicht verbessert wird.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sick.
Herr Staatssekretär, auch wenn Sie sagten, Sie seien kein ausgesprochener Verkehrspolitiker, so möchte ich dennoch fragen, ob sich die Bundesregierung darüber klar ist, daß hier eine Entwicklung mit weit größerer Wirkung, in Gang gesetzt worden ist, wenn wir die allgemeinen Dumping-Methoden des Ostblocks sehen und bedenken, daß diese nun durch die Befreiung von dieser Gebühr voll auf unser Gewerbe durchschlagen.
Ich habe Ihnen doch vorhin gesagt, daß jetzt darüber beraten wird, ob wir im Rahmen der Diskussion um die Neuordnung der Kraftfahrzeugsteuer hier nicht eine Änderung herbeiführen, um diese Verzerrung aus der Welt zu schaffen.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sick.
Herr Staatssekretär: sind Sie einverstanden, daß wir auf das, was Sie eben bezüglich der Regelung der Kraftfahrzeugsteuer gesagt haben, wieder zurückkommen?
Aber selbstverständlich! Das ist Ihr gutes Recht, Herr Kollege.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger.
Herr Staatssekretär, im Anschluß daran: Wird die Bundesregierung prüfen, ob und wie die Wettbewerbsgleichheit zu Verkehrsunternehmen der DDR durch Bundesgesetz gefördert werden kann?
Frau Kollegin Berger, ich habe das doch eben gerade gesagt. Ich habe Herrn Kollegen Sick geantwortet, daß wir bereit sind, diese Dinge zu prüfen, und, wenn möglich, auch entsprechende Änderungen vorschlagen werden.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Sick auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die mit der Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren durch die DDR verbundenen Diskriminierungen und Wettbewerbsverzerrungen für den deutschen Straßengüterverkehr zu beseitigen oder dem betroffenen Gewerbe zu helfen?
Herr Kollege Sick, die Bundesregierung prüft gegenwärtig die Heranziehung von Fahrzeugen der DDR zur Kfz-Steuer. Ich verweise insofern auf meine Antworten, die ich bereits der Frau Kollegin Pieser, Ihnen und mehreren anderen Kollegen gegeben habe.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sick.
Herr Staatssekretär: haben Sie bereits Vorstellungen über die Größenordnungen, die hier auf uns zukommen, und zwar auch im Hinblick darauf - das werden Sie sicher schon beachtet haben -, daß dies ja Rückwirkungen beispielsweise auf das Preisgefüge von Waren in West-Berlin hat?
Von welchen Größenordnungen sprechen Sie? Wovon gehen Sie aus?
({0})
Ich sagte Ihnen bereits: die Gesamtbelastung beträgt im Augenblick etwa 3,5 Millionen DM. Bezüglich Berlins erklärte ich - davon sprachen Sie ja -, daß nach dem mir vorliegenden Zahlenmaterial eine Belastung von maximal 1,7 bis 1,8 Millionen DM auf die Wirtschaft der Stadt zukommen wird. Dies ist das, was uns bekannt ist. Bitte bedenken Sie aber auch, welche anderen Vorteile die Berliner Wirtschaft und auch die Wirtschaft im Zonenrandgebiet - davon wurde ja besonders gesprochen - auf anderen Gebieten haben. Auch das sollte in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sick.
Herr Staatssekretär, wenn ich Ihnen hier ausdrücklich zustimme, sollte es dann nicht auch Ihr Bemühen sein, zu verhindern, daß diese Vorteile durch andere Maßnahmen wieder ausgehöhlt werden?
Sehr verehrter Herr Kollege Sick, dem habe ich schon zugestimmt.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Straßmeir.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß Sie diesen Vorgang im Rahmen der Kraftfahrzeugsteuer regeln wollen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie in der Zwischenzeit auch an individuelle Lösungen für das betroffene Gewerbe denken. Weiterhin möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht befürchten müssen, daß Sie in erhebliche Schwierigkeiten kommen, wenn Sie im Nachgang zu den im Dezember gerade erst mit der DDR getroffenen Vereinbarungen nunmehr Aufrechnungstatbestände schaffen.
Herr Kollege Straßmeir, es ist verständlich, daß man nicht all das, was ich hier vorn erkläre, genau mitbekommen kann. Ich würde das auch nicht mitbekommen. Wenn Sie nachlesen, was ich hier gesagt habe, werden Sie feststellen, daß ich mitgeteilt habe, man müsse sich Einzelmaßnahmen überlegen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Sauer ({1}) auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, nach der Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren in der „DDR" nun für „DDR"-Kraftfahrzeuge auf den Straßen der Bundesrepublik Deutschland Straßenbenutzungsgebühren zu erheben?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Sauer, ich habe diese Frage eigentlich schon beantwortet. Ich kann die Antwort nur wiederholen. Die Bundesriegerung beabsichtigt auf jeden Fall nicht, sogenannte Straßenbenutzungsgebühren einzuführen, sondern denkt an andere Maßnahmen, an Maßnahmen im Bereich des Wechselverkehrs, wie wir sie im Falle anderer Staaten auch getroffen haben.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.
Herr Staatssekretär Herold, wenn Sie diesen Vorschlag, der erstmals wohl von meinem Berliner Kollegen Lummer, dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, geäußert worden ist, nicht übernehmen wollen, frage ich Sie, ob Sie die Beurteilung des Kollegen Lummer akzeptieren, der die Erhöhung der Gebühren als „Geldschneiderei" bezeichnet hat.
Ich möchte dieses Wort nicht übernehmen. Herr Kollege Sauer, ich persönlich muß mich jede Woche hier hinstellen und versuchen, mich mit Ihnen über innerdeutsche Politik auseinanderzusetzen. Sollen wir - was vielleicht manche drüben wollen - auf einen Keil, auf einen Klotz immer gleich noch einen stärkeren daraufschlagen? Arbeiten wir dann nicht den Kräften in die Hände, die sich solche Entwicklungen gern vorstellen? Ich glaube, wir haben hier noch eine Verantwortung für das Ganze.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({1}).
Herr Staatssekretär, nach dieser Bemerkung möchte ich Sie fragen, wann Sie endlich anstelle eines Herolds der Leisetreterei dieser Bundesregierung als ein Herold einer klareren und härteren Haltung bei solchen Rechtsverletzungen hier auftreten wollen.
({0})
Ich bin sehr erfreut darüber, daß Sie meinen Namen, den ich wirklich mit Freude und Ehre trage, jetzt für eine solche Polemik benutzen. Auf diese Frage gebe ich keine Antwort.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Berger.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bei ihrer in der Denkschrift zum Verkehrsvertrag niedergelegten Auffassung - ich zitiere aus der Drucksache VI/3770 des Deutschen Bundestages:
Die Prinzipien der Gegenseitigkeit und der
Nichtdiskriminierung erlauben Forderungen auf
Gleichbehandlung oder auch Gegenmaßnahmen, wenn der eine Vertragspartner im bilateralen Verhältnis nichtvergleichbare Bedingungen gewährt oder wenn er Verkehrsteilnehmer dritter Staaten unter vergleichbaren Umständen besser behandelt.
- zu bleiben und im vorliegenden Fall praktische Konsequenzen zu ziehen?
Ich versuche jetzt seit einer Stunde, über alle diese Probleme im Detail Auskunft zu geben. Ich habe auch gesagt, daß wir bei allen Verhandlungen immer wieder zu erreichen versuchen, daß Diskriminierungen ausgeschlossen werden. Es ist selbstverständlich, daß das auch in Zukunft geschieht. Ich wehre mich dagegen, in der Öffentlichkeit in irgendeiner Form Ausführungen zu machen, die der anderen Seite von uns nicht gewünschte Maßnahmen als berechtigt erscheinen lassen könnten. Frau Kollegin Berger, ich bin gern bereit, mich mit Ihnen weiter über diese Frage zu unterhalten.
Vizepräsident von Hassel: Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Als erste Frage dieses Geschäftsbereichs rufe ich die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes ({0}) auf. - Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 85 des Abgeordneten Rollmann auf:
Unter Bezugnahme auf den Artikel „Die Aussiedler aus Polen haben viele Sorgen - Wir mußten wie Bettler ausreisen" im Hamburger Abendblatt vom 19. Dezember 1975 frage ich die Bundesregierung, ob es richtig ist, daß deutsche Aussiedler aus den Oder-Neiße-Gebieten nach wie vor hohe Gebühren für Pässe und Visen, für Formulare des Finanz- und Wohnungsamts an den polnischen Staat bezahlen müssen?
Zur Beantwortung, Herr Staatsminister Moersch!
Herr Abgeordneter, die Frage der mit der Aussiedlung verbundenen Kosten ist durch die einschlägigen polnischen Verwaltungsvorschriften klar geregelt. Diese sehen z. B. auch Ermäßigungen unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse der Betroffenen vor. Die der Bundesregierung bekannten Beschwerden von Umsiedlungsbewerbern beziehen sich nicht auf die Kostenfrage. Im übrigen ist nach Kenntnis der Bundesregierung hieran noch keine Ausreise gescheitert.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rollmann.
Herr Staatsminister, Sie haben so leise gesprochen. Ich möchte mir aus dem Grunde erlauben, etwas lauter zu sprechen. - Hat die Frage der hohen Gebühren für Pässe, Visen, Formulare des Finanz- und Wohnungsamtes bei den
Verhandlungen der Bundesregierung mit der Warschauer Regierung eine Rolle gespielt?
Herr Abgeordneter, diese Frage ist in diesem Plenum ausführlich dargelegt worden. Ich verweise auf die entsprechenden Auskünfte. Selbstverständlich haben wir großen Wert darauf gelegt, daß diese Gebühren in einem erträglichen Umfang bleiben. Es ist hier auch dargelegt worden - ich wiederhole es -, daß auf unserer Seite den betroffenen Umsiedlern die Kosten auf Antrag erstattet werden können.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rollmann, bitte!
Ist es so, Herr Staatsminister, daß Polen, die aus der Bundesrepublik Deutschland in die Volksrepublik Polen ausreisen, ähnlich hohe Paß- und Visagebühren bezahlen müssen, wie das umgekehrt der Fall ist?
Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß Sie das Grundgesetz kennen und wissen, wo in einem solchen Fall die Unterschiede in der Handhabung von Grundrechten liegen. Mir ist nicht bekannt, daß irgend jemand durch irgendeine Maßnahme gehindert würde, die Bundesrepublik Deutschland per Ausreise zu verlassen. Ich glaube, wir sollten das auch nicht einführen wollen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Freiherr von Fircks.
Herr Staatsminister, würden Sie mir bestätigen, daß die Höhe der Gebühren - wie hoch auch immer sie sein mögen - nicht gerechtfertigt ist durch die Kosten, die dem Staat dafür entstehen, daß er diese Leistung erbringt, sondern daß es so ist, daß der polnische Staat hierin offensichtlich - gerade weil man weiß, daß die Gebühren von der Bundesrepublik erstattet werden - die Möglichkeit einer Deviseneinnahmequelle sieht?
Herr Abgeordneter, über die Motivation für die Erhebung der Kosten kann ich hier im Augenblick nichts mitteilen. Ich will Ihnen nur sagen: es wäre ein Irrtum, wenn man aus Ihrer Frage schließen wollte, daß diese Gebühren nur für Ausreisen in die Bundesrepublik Deutschland gelten - das ist eine allgemeine Praxis -, so daß die Schlußfolgerung, es würde hier eine besondere Praxis wegen unserer Kostenerstattung geübt, nicht zutreffen kann. Ich würde mich auch dagegen wahren, einen solchen Zusammenhang herzustellen. Das wäre nicht im Sinne des Bundeshaushalts.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben mit Recht darauf verwiesen, daß die Ausgaben der Aussiedler hier erstattet werden. Könnten Sie mir denn darin zustimmen, daß wir also mit dazu beitragen, daß die Polen die Aussiedler in einer recht großen Höhe zu Kasse bitten, indem wir die Polen zur Fortsetzung dieser Praxis durch unser Verhalten bestärken?
Herr Abgeordneter, ich habe zum ersten gerade gesagt, daß zur Erstattung der Kosten ein Antrag gestellt werden muß. Es gibt hier keine Pflicht zur Erstattung. Zum zweiten habe ich auf die allgemeine Regelung in Polen hingewiesen, die nichts mit der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland zu tun hat. Im übrigen kann sich, glaube ich, jeder Abgeordnete selbst die umgekehrte Folgerung aus dieser Frage beantworten.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Jäger ({1}).
Herr Staatsminister, ist erkennbar geworden, daß die Volksrepublik Polen nach der Unterschrift unter die Schlußakte der KSZE-Konferenz in Helsinki, in der ja vorgesehen ist, daß Gebühren für solche Personen, die zu ihren Familien übersiedeln, gemäßigt sein sollen, ihre diesbezüglichen Gebühren auch ermäßigt hat?
Ich will im einzelnen gerne nachprüfen, ob sich inzwischen Veränderungen ergeben haben. Aber aus früheren Antworten der Bundesregierung hier oder an anderer Stelle wissen Sie genau, daß es Differenzierungen gibt und daß die Meinungen darüber, was in diesem Punkte zumutbar oder was nicht zumutbar sei, immer auseinandergegangen sind.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf:
In welchem Umfang können Aussiedler aus den Oder-NeißeGebieten ihr Eigentum in die Bundesrepublik Deutschland mitnehmen?
Bitte zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Für die Mitnahme von beweglichem Vermögen, Herr Abgeordneter, bestehen bei der Umsiedlung aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland außer den allgemeinen Ausfuhrverboten für Kunstgegenstände, die vor dem 9. Mai 1945 hergestellt wurden, für Edelmetalle, Devisen und polnische Währung keine weiteren Beschränkungen. Bewegliches Vermögen der Umsiedler kann auf Grund von Sonderbestimmungen des polnischen Außenhandelsministeriums im wesentlichen zollfrei ausgeführt werden. So sind praktisch der gesamte Hausrat sowie je Familie ein Motorrad oder Motorroller, bei Landwirten oder Landarbeitern in größeren Mengen Lebensmittel, Saatgut und Futter sowie Landwirtschaftsgeräte und innerhalb festgelegter Grenzen lebendes Vieh von Zollabgaben befreit. In letzter Zeit war darüber hinaus festzustellen, daß auch die zollfreie Mitnahme von einem Pkw pro Familie sowie die Ausfuhr von persönlichem Schmuck gestattet worden sind. SoStaatsminister Moersch
weit das bewegliche Vermögen der Umsiedler über den Rahmen hinausgeht, für den Zollfreiheit besteht, kann es nach Entrichtung von Ausfuhrzöllen gemäß den allgemeinen polnischen Zollbestimmungen ausgeführt werden.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Rollmann.
Ist es richtig, Herr Staatsminister, daß der polnische Staat noch Schenkungsteuer kassiert, wenn deutsche Aussiedler ihr Eigentum aufgeben müssen, weil sie es nicht in die Bundesrepublik Deutschland mitnehmen dürfen?
Nach meinen Unterlagen ist es richtig, daß es in Polen eine Schenkungsteuer gibt, die auch dann erhoben wird, wenn auf Grund der Ausreise solche Geschenke gemacht werden.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatsminister Moersch, da sie soeben das Ausfuhrverbot im wesentlichen auf Kunstgegenstände u. ä. bezogen, darf ich Sie fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß z. B. bei Büchern, Zeitungen und Broschüren in deutscher Sprache, die vor 1945 gedruckt worden sind, Schwierigkeiten bestehen. In einem Fall im Kreis Neustadt in Oberschlesien ist z. B. einer Aussiedlerin - ich konnte mich selber drüben überzeugen - nicht gestattet worden, das deutschsprachige katholische Gebetbuch „Weg zum Himmel" des Prälaten Ludwig Skowronek aus dem Jahre 1927, gedruckt im Verlag Meyer in Ratibor OIS - im übrigen ein Erstkommunionsgeschenk -, mit herauszunehmen.
Herr Abgeordneter, ich kann natürlich nicht beurteilen, welche Einzelfälle etwa von allgemeinen Vorschriften abweichen. Aber unter dem Begriff „Kunstgegenstände" habe ich jedenfalls beispielsweise Gemälde, Plastiken und ähnliches verstanden. Ein Gebetbuch habe ich bisher nicht zum Kunstgegenstand erheben wollen; das entspricht auch nicht unserer Verfassungsdefinition. Sonst würden Kunst und Religion nicht getrennt aufgeführt sein.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, Herr Kollege Rollmann hat nach der Eigentumssituation gefragt. Aber Sie haben nur zum beweglichen Eigentum Stellung genommen. Warum sagen Sie der Öffentlichkeit nicht, daß Aussiedler hinsichtlich ihres dinglichen Eigentums diskriminierend und völkerrechtswidrig behandelt werden?
Herr Abgeordneter, ich hatte auf die Frage nach dem beweglichen Eigentum geantwortet. Wenn der Fragesteller, der sich
offensichtlich nicht so sachkundig gemacht hat wie Sie, die Frage in dieser Richtung gestellt hätte, hätte ich sie auch beantwortet. Die Frage nach dem unbeweglichen Eigentum habe ich hier sehr ausführlich dem Kollegen Ey beantwortet. Vielleicht hatte Herr Rollmann das inzwischen nachgelesen. Er hielt die Frage also vielleicht für überflüssig, weil sie hier schon beantwortet worden ist.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 87 des Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ihre Beziehungen zu Staaten
zu überprüfen, deren Regierungen Terroristen unterstützen?
Zur Beantwortung Herr Staatsminister Moersch.
Diese Frage läßt sich nicht abstrakt beantworten, Herr Abgeordneter. Sollte eine derartige Situation entstehen, werden die Konsequenzen, die sich daraus eventuell auch für den Bereich der bilateralen Beziehungen ergeben, sorgfältig zu prüfen sein. Die Bundesregierung ist entschlossen, ihre innerstaatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus durch koordiniertes weltweites Vorgehen gegen Terrorakte zu ergänzen. Sie hat eine Initiative mit dem Ziel eingeleitet, auf der bevorstehenden 31. Generalversammlung der Vereinten Nationen die Wiederaufnahme der Debatte über ein umfassendes Abkommen gegen den Terrorismus zu erreichen, in dessen Mittelpunkt Maßnahmen gegen Geiselnehmer, namentlich die Blockierung der Zufluchtsmöglichkeiten, stehen sollen. Die Bundesregierung hat hierüber Kontakt mit den Regierungen unserer EGPartnerstaaten aufgenommen, um die Möglichkeit eines gemeinsamen Vorgehens in europäischem und weltweitem Rahmen zu prüfen.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Wittmann.
Herr Staatsminister, ich erwarte von Ihnen jetzt keine Namensnennungen. Aber sind bei der Bundesregierung nicht präzise Erkenntnisse vorhanden, daß es Staaten gibt, die den Terrorismus aktiv unterstützen? Ich möchte keine Namen nennen.
Herr Abgeordneter, „präzise Erkenntnisse" wäre einer Definition wert. Es gibt darüber Meinungen. Aber es ist ganz klar, daß es keine verwertbaren Anhaltspunkte gibt, die etwa allgemeine Maßnahmen rechtfertigen würden. Wir stehen darüber mit unseren Partnern in Kontakt. Wenn sich hier eine gemeinsame Meinung auf Grund der Faktenprüfung herausgebildet haben sollte, dann würde man gemeinsam überlegen, was unseren Interessen dient, d. h., welche Reaktion unseren Interessen angemessen ist.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Wittmann.
Ist man in der Vergangenheit auf diplomatischem Weg bei Staaten vorstellig geworden, die ganz offensichtlich Terroristen unterstützt haben und nach der Begehung der Tat begünstigen, Terroristen, deren Handlungen sich auch gegen Menschen oder den Staat Bundesrepublik Deutschland richten?
Herr Abgeordneter, ich habe das vor einiger Zeit beantworten können: wir haben in dieser Frage allgemein demarchiert.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, ergäbe sich nicht doch die Möglichkeit einer präzisen Erfassung solcher Staaten angesichts der Tatsache, daß es Staaten gibt, die dadurch öffentlich - sogar im abendlichen Fernsehen erkennbar - Unterstützung leisten, daß sie Terroristen, die auf ihrem Territorium mit Maschinen landen, nachher nicht etwa der vorgesehenen strafrechtlichen Behandlung zuführen, sondern diesen sogar die Ausreise gestatten, ja sie sogar oft durch finanzielle Zuwendungen unterstützen? Sehen Sie so etwas nicht als ein klares Kriterium dafür an?
Herr Abgeordneter, ich sehe mich nicht in der Lage, hypothetische Fragen zu beantworten, vor allem nicht, Inhalte zu bestätigen, die in Frageform gekleidet werden und die nicht in jedem Fall einer genauen Nachprüfung standhalten können, weil nämlich zweifellos auch für uns Überlegungen gegolten haben und gelten müssen, wie man das Leben von Geiseln schützen kann. Daß Staaten hier in Zwangslagen gebracht werden, brauche ich wohl nicht auszuführen, so daß eine A-prioriBehauptung auf Grund von Bildern, die Sie gesehen haben, möglicherweise beweist, daß Bilder täuschen können.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 88 des Abgeordneten Dr. Wittmann ({1}) auf:
Kennt die Bundesregierung die Zahl der Bürger deutscher Nationalität in der Tschechoslowakei, insbesondere im Hinblick auf die bisherigen Angaben und Schätzungen?
Bitte zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
In einer Volkszählung vom 1. Dezember 1970 haben sich rund 86 000 tschechoslowakische Staatsbürger als deutsche Volkszugehörige bezeichnet. Andere statistische Unterlagen sind der Bundesregierung hierzu nicht bekannt, Herr Abgeordneter.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wittmann.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung die in einem Jahrbuch der Tschechoslowakei genannte Zahl von 370 000 bekanntgeworden, und wie bewertet die Bundesregierung diese Zahl?
Herr Abgeordneter, diese Frage ist kürzlich gestellt und schriftlich wie folgt beantwortet worden - ich darf das vortragen; vielleicht klärt das den Sachverhalt -:
Hier liegt bei der Zahl 370 000 ganz offensichtlich ein Mißverständnis vor. Die erwähnte Zahlenangabe findet sich in der November-Nummer der Zeitschrift „Tschechoslowakisches Leben" in einem Interview des Vorsitzenden des deutschen Kulturverbandes der CSSR, in dem dieser über die Tätigkeit des Kultur- verbandes Auskunft gibt und dabei erwähnt, daß in den vergangenen fünf Jahren an über 4 000 Veranstaltungen des Kulturverbandes insgesamt 370 000 deutsche Volkszugehörige teilgenommen hätten. Diese Zahl hat daher keinen Bezug zur Zahl der deutschen Volkszugehörigen in der CSSR, die von der tschechoslowakischen Seite im Augenblick mit 75 000 bis 80 000 angegeben wird, was auch unseren Erhebungen - wenn ich den Vergleich mit der Zahl 86 000 der vergangenen Jahre ziehe - entspricht. Es handelt sich also offensichtlich um eine mißverständliche Interpretation von Besucherzahlen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wittmann.
Herr Staatsminister, werden im Auswärtigen Amt oder in anderen Dienststellen, die sich mit der Betreuung von Deutschen befassen, demographische Fortschreibungen von statistischen Angaben gemacht - etwa wahrscheinliche Zahl der Sterbefälle, durchschnittliche Geburtenzahl -, so daß man jederzeit sagen kann, wieviel Deutsche in einzelnen Ländern, insbesondere auch in der Tschechoslowakei, noch leben?
Herr Abgeordneter, wir haben zunächst einmal die exakten Zahlen, die das Deutsche Rote Kreuz über die Veränderungen zur Verfügung gestellt hat, d. h. hinsichtlich der Auswanderung bzw. Umsiedlung in den Jahren seit dieser Volkszählung. Das sind einige Tausend. Wir haben auf Grund Ihrer Frage selbstverständlich auch versucht, eine Fortschreibung auf Grund der allgemeinen demographischen Erkenntnisse vorzunehmen, die Sterbeziffern anzulegen, die auch bei uns gelten.
Hier kommt ein Faktor hinzu, den wir nicht bewerten können. Das ist die Frage, wieviel jüngere deutsche Volkszugehörige dadurch, daß sie einen Angehörigen einer anderen Volkszugehörigkeit geheiratet haben, ihre deutsche Volkszugehörigkeit aufgegeben haben. Das ist aber eine Frage, die insgesamt bei rund 75 000 bis 80 000 Personen nicht besonders ins Gewicht fallen wird.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß auch hier eine gewisse Dunkelziffer impliziert werden müßte? Denn mancher wird sich wegen der besonderen
Umstände, unter denen er leben muß, nicht als tschechoslowakischer Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit deklarieren.
Diese Vermutung kann ich in dieser Form nicht bestätigen; denn die Ziffern stimmen ja auch ganz offensichtlich mit den Ziffern von Zählungen überein, bei denen es nach Meinung der Betroffenen kein Risiko bedeutet haben kann, sich zur deutschen Volkszugehörigkeit zu bekennen. Und die Ziffern, die das Rote Kreuz hat und die damals vorhanden waren, bestätigen offensichtlich Angaben. Ich habe jedenfalls noch nichts Bündiges gehört, was an diesen Ziffern zweifeln ließe.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 89 des Abgeordneten Hösl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussagen in dem Entwurf für ein neues Programm der SED, wonach Berlin „kein Bestandteil irgendwelchen Staates ist" und es nur noch um die sogenannte „strikte Einhaltung" des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin, aber nicht mehr um dessen „volle Anwendung" gehe, und welche Auswirkungen auf die Lage in Berlin wird die damit bezogene Position der „DDR" haben?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, die Stellen im Entwurf für ein neues Parteiprogramm der SED, nach denen Sie fragen, enthalten - wie beinahe der gesamte Entwurf - kaum etwas, was den Beobachter der Politik der DDR überraschen könnte. Immerhin enthält der Programmentwurf nicht die Behauptung des derzeit noch gültigen Parteiprogramms von 1963, Berlin sei eine, wie es dort heißt, „freie Stadt". Das Parteiprogramm kann die völkerrechtliche Lage Berlins, so wie sie sich in den völkerrechtlichen Abkommen der Kriegs- und Nachkriegszeit entwickelt hat und wie sie u. a. im Viermächteabkommen vom 3. September 1971 beschrieben ist, nicht verändern. Es faßt lediglich die bisher vertretene Politik der DDR zusammen und schafft insofern keine grundlegend neue Lage.
Was die Politik der Bundesregierung betrifft, erinnere ich daran, daß alle Mitglieder der Allianz auf der letzten Tagung des NATO-Ministerrats im Deutschland- und Berlin-Passus des Kommuniqués die bekannte Haltung des Westens in der Berlin-Frage bekräftigt haben.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hösl.
Herr Staatsminister, sehen Sie in den Verhandlungen, die sich in der Folge des Viermächteabkommens ergeben, Erschwernisse für die Position Berlins bzw. der Bundesrepublik Deutschland in der Behauptung ihres Rechtsstandpunktes?
Herr Abgeordneter, die Verantwortung für Berlin ist klar festgelegt. Deswegen heißt das Abkommen „Viermächteabkommen". Alles, was hier geschieht, geschieht im Einvernehmen zwischen unserer Seite und den drei Westmächten. Sie sind als Signatarmächte berufen,
hier ihre Position zu wahren, und sie tun das, wie ich glaube, in vollem Umfang.
Vizepräsident von Hassel: Zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Hösl.
Herr Staatsminister, beabsichtigt die Bundesregierung, wenn dieser Punkt in der von der Presse dargelegten Absicht verwirklicht und dieses Parteiprogramm dann verkündet wird, eine öffentliche Erklärung dazu abzugeben?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung gibt immer - das habe ich, glaube ich, gerade dargetan -, wenn sie es politisch für notwendig hält, Erklärungen ab. Sie stellt aber heute schon fest, daß Parteiprogramme in einem anderen Staat nichts an einer völkerrechtlichen Lage ändern können.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Hösl auf:
Durch wen und für welche Fälle hat die Bundesregierung die vom Stellvertretenden Chef des Presse- und Informationsamts erwähnte Formel entwickelt, „die es bei Veranstaltungen in West-Berlin auch aus sowjetischer Sicht ermöglicht, Vertreter der Sowjetunion nach West-Berlin zu schicken", und welche rechtliche Bedeutung hat diese Formel, wird durch sie insbesondere die Freiheit von Veranstaltern privatrechtlichen Charakters beeinträchtigt?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, bis zum Abschluß des Viermächteabkommens, also in den Jahren vor 1970, nahmen osteuropäische Staaten an internationalen Veranstaltungen in Berlin nicht teil. Anlage IV Ziffer 2 d des Viermächteabkommens sieht diese Möglichkeit vor, und zwar in der Form, daß zu internationalen Veranstaltungen in Berlin ({0}) Einladungen - ich zitiere -„vom Senat oder gemeinsam von der Bundesrepublik Deutschland und dem Senat ausgesprochen" werden.
Die Anwendung dieser Regelung warf in der Praxis eine Reihe von Fragen auf. Ich erwähne u. a. nur das Problem der Einladung durch den Senat bzw. von Einladungen durch Bund und Senat bei privaten internationalen Veranstaltungen, die Form der Einladung bzw. der Einladungen, den Einladungsmodus, wenn der Veranstalter eine internationale Organisation mit Sitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ist. Im Interesse eines Ausbaus von Berlin ({1}) zu einem internationalen Treffpunkt, den wir wünschen, mußte erreicht werden, daß die östlichen Staaten internationalen Veranstaltungen nicht unter dem Vorwand, Regelungen des Viermächteabkommens seien nicht berücksichtigt worden, fernblieben. Dazu bedurfte es praktischer Verhaltensmodelle.
Am 16. und 17. Oktober 1973 fanden zwischen Angehörigen des Auswärtigen Amts und des sowjetischen Außenministeriums in Moskau auf Expertenebene Gespräche statt, die u. a. auch die Einladungsmodalitäten zum Gegenstand hatten. Die sowjetische Seite gab in dem Meinungsaustausch zu ver14878
stehen, daß es ihr darauf ankomme, daß bei Einladungen ein Papier vorliege, welches im Sinne des Viermächteabkommens deutlich mache, daß die Berliner Stellen Einladende seien. Dies könnten auch Berliner Unterverbände von Organisationen oder Verbänden sein. Es handelt sich also um eine entsprechende Anwendung der Regelung des Viermächteabkommens im nichtstaatlichen Bereich.
Diese deutsch-sowjetischen Expertengespräche wurden weder formalisiert noch in einem von beiden Seiten anerkannten Papier festgehalten. Sie wurden lediglich in einer nachfolgenden Außenministerkonsultation bestätigt. Die Bundesregierung hat die in Betracht kommenden privaten Stellen über den Inhalt der Expertengespräche unterrichtet und empfohlen, in entsprechender Anwendung des Viermächteabkommens je eine Einladung des Dachverbandes im Bundesgebiet und des Berliner Landesverbandes zu versenden. Diese unsere Empfehlung beruht auf folgenden Überlegungen, die ich in der letzten Fragestunde übrigens schon dargelegt habe.
Erstens. Die Bundesregierung trägt dazu bei, daß internationale Veranstaltungen soweit wie möglich ebenso reibungslos in Berlin ({2}) veranstaltet werden können wie im Bundesgebiet, und zwar im staatlichen ebenso wie im nichtstaatlichen Bereich.
Zweitens. Die Bundesregierung kann und will keinen Veranstalter nichtstaatlicher internationaler Treffen in Berlin ({3}) zwingen, ihrer Empfehlung zu folgen. Sie macht ihn allerdings auf das Risiko aufmerksam, daß eine Nichteinhaltung der Modalitäten die Absage der osteuropäischen Staaten zur Folge haben kann. Die letzte Entscheidung liegt also allein beim Veranstalter.
Drittens. Den privaten Veranstaltern wird nicht mehr zugemutet, als was das Viermächteabkommen für den staatlichen Bereich bindend geregelt hat.
Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage des Abgeordneten Hösl.
Herr Staatsminister, dann darf ich davon ausgehen, daß eine feste Formel, die, wie die Pressemitteilung sagt, von Herrn Sonderminister Bahr der Sowjetunion angeboten wurde, nicht besteht?
Ich weiß nicht, auf was die Frage abzielt. Ich habe gesagt, daß es im Viermächteabkommen eine Formel gibt. Die gilt für den staatlichen Bereich. Eine entsprechende Anwendung für den nichtstaatlichen Bereich haben wir empfohlen. Dies ist die Grundlage, über der die Dinge bisher vonstatten gegangen sind.
Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, aus welchem Grund haben eigentlich Sie als Staatsminister im Auswärtigen Amt diese und die vorangegangenen Fragen beantwortet, die doch ausschließlich Berlin betreffen und daher entweder in das Ressort des Innerdeutschen Ministeriums oder allenfalls in das Ressort des Bundeskanzleramtes gehören, obwohl durch die Beantwortung durch Sie doch die Gefahr besteht, daß dadurch nach außen hin der Dreistaatentheorie der DDR in die Hände gearbeitet wird?
Herr Abgeordneter, manche Antworten ergeben sich durch einen Blick in die Gesetze, unter anderem in das Grundgesetz und in die einschlägigen Bestimmungen der Alliierten. Ich verweise auf diese. Es mag Ihnen entgangen sein, daß alle Fragen, die Berlin betreffen, von uns nur beantwortet werden können, soweit sie Status und Sicherheit berühren, nachdem sie mit den drei Westmächten konsultiert worden sind. Nach einer Geschäftsordnung, die für die Bundesregierung verbindlich ist und die die Unterschrift Konrad Adenauers trägt, ist die zuständige Behörde für die Zusammenarbeit mit den Alliierten in Fragen, die Status und Sicherheit Berlins betreffen, das Auswärtige Amt. Dabei wollen wir es auch lassen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 91 des Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:
Wie wird sich nach den Vorstellungen der Bundesregierung das wissenschaftliche Austauschprogramm zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich 1976/77 entwickeln?
Zur Beantwortung bitte, Herr Staatsminister.
Obwohl ein förmliches Austauschprogramm zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen nicht besteht, entwickelt sich der wissenschaftliche Austausch zwischen beiden Seiten befriedigend. Er wird in erster Linie von dem Bundesministerium für Forschung und Technologie, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und seit kurzem auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt. Daneben sind Institutionen im Länderbereich, insbesondere die Universitäten, am wissenschaftlichen Austausch mit Polen beteiligt.
Das Bundesministerium für Forschung und Technologie hat 1973 mit dem Wissenschaftleraustausch im Verhältnis zu Polen begonnen. In diesem Jahr stehen für polnische Wissenschaftler mindestens - wie die abgekürzte Formel lautet - 60 Mann/Monate zur Verfügung.
Der Deutsche Akademische Austauschdienst hat mit der polnischen Akademie der Wissenschaften im Oktober 1970 eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach jährlich zehn Stipendien für ein Jahr an polnische Wissenschaftler vergeben werden. Daneben werden jährlich bis zu zehn Wissenschaftler für mehrwöchige Aufenthalte ausgetauscht. Es ist nicht vorgesehen, diese Zahlen generell zu erhöhen. Dennoch können darüber hinaus jederzeit polnische Wissenschaftler zu Studienaufenthalten bis zu drei Monaten eingeladen werden.
In diesem Jahr wird auch der Austausch über die Deutsche Forschungsgemeinschaft beginnen, die im Juni 1974 eine Vereinbarung mit der polnischen Akademie der Wissenschaften über wissenschaftliche Zusammenarbeit abgeschlossen hat. Die Vereinbarung betrifft Umweltwissenschaften, die Ozeanographie, die Neurobiologie und die molekulare Biologie. Es ist zunächst ein Austausch von 50 Mann/ Wochen jährlich vorgesehen. Sollte von polnischer Seite der Wunsch bestehen, mehr Wissenschaftler zu Forschungsarbeiten in die Bundesrepublik Deutschland zu entsenden, so könnte diesem Wunsch von unserer Seite entsprochen werden.
Partnerschaften zwischen polnischen und deutschen Universitäten sind noch nicht abgeschlossen worden, jedoch besteht auf beiden Seiten Interesse hieran. Derzeit sind 13 Partnerschaften im Gespräch.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schweitzer.
Herr Staatsminister, da ich einer Pressemeldung vom 19. Januar 1976 entnehme, das der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft soeben in Warschau über die Möglichkeiten des Lehreraustausches mit der Volksrepublik Polen verhandelt hat - „wahrscheinlich ab 1977", so heißt es hier -, darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung in diese Überlegungen informell eingeschaltet worden ist, und wenn nein, ob die Bundesregierung bereit ist, diese Bestrebungen im Benehmen mit den Ländern nach Kräften zu unterstützen.
Die Bundesregierung wird bei den bevorstehenden Verhandlungen über ein Kulturabkommen diese Frage mit ansprechen. Ich mache aber vorsorglich darauf aufmerksam, daß dies auf Grund unseres innerstaatlichen Rechts die so ungefähr komplizierteste aller Fragen ist, weil es die Kulturhoheit der Länder gibt. Bei einem solchen Abkommen, das Länderbedienstete umfaßt, müssen Sie die einheitliche Zustimmung aller Länder haben, und dafür brauchen Sie vor allem viel Zeit.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schweitzer.
Herr Staatsminister, darf ich in diesem Zusammenhang fragen, wie die Bundesregierung das derzeit erkennbare Ausmaß des in der Volksrepublik Polen erteilten Deutschunterrichts beurteilt. Liegen Ihnen da neuere Erkenntnisse vor?
Die Erkenntnisse, die uns vorliegen, sind indirekter Natur. Ich habe kürzlich hier auf die Frage eines Kollegen darauf Bezug nehmen können. Man schätzt, daß etwa 200 00({0}) Schüler in der Volksrepublik Polen am Deutschunterricht teilnehmen
({1})
im Gegensatz zu sehr viel weniger Schülern bei uns umgekehrt.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 92 des Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:
Hält es die Bundesregierung für möglich und wünschenswert, daß im Haushalt der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts künftig für solche Zwecke Sondermittel eingestellt werden analog zu dem schon bestehenden Sondertitel im Rahmen der deutsch-französischen Beziehungen, um auf diese Weise den Rang zu dokumentieren, den die Bundesregierung einem neugestalteten Verhältnis zur Volksrepublik Polen beimißt?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Die Bundesregierung hält es nicht für notwendig, daß im Kulturfonds Sondermittel für das wissenschaftliche Austauschprogramm mit der Volksrepublik Polen eingestellt werden. Auch die Projekte zur Förderung der deutsch-französischen kulturellen Beziehungen werden nicht aus Sonderpositionen des Kulturfonds, sondern aus den für die einzelnen Sachgebiete jeweils ausgebrachten Haushaltsansätzen finanziert. Dem hohen Rang, den die Bundesregierung den kulturellen Beziehungen zu den genannten Ländern beimißt, wird durch die prioritäre Bereitstellung von Haushaltsmitteln Rechnung getragen.
Ich darf noch ergänzen: Was die Schülerzahl des Deutschunterrichts betrifft, so müßte ich diese noch einmal nachprüfen; vielleicht habe ich mich da geirrt. Ich verweise jedenfalls auf die Zahlen, die ich kürzlich vorgetragen habe und die hier im Protokoll des Bundestages niedergelegt sind.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 93 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat die Bundesregierung die besonders wichtige, weil die gewissenhafte Vertretung von Menschen- und Grundrechten Deutscher durch diplomatisch-konsularischen Schutz betreffende Frage bereits, wie zugesagt, geprüft, wie viele der im Auswärtigen Amt namentlich und listenmäßig erfaßten 20 000 Aussiedler mit besonderen Härtegründen inzwischen hier eingetroffen sind, nachdem diese Liste schon vor dem 9. Oktober 1975 bestand und die Bundesregierung verpflichtet ist, den Angehörigen jeweils umgehend und vollständig über den Stand ihrer Intervention Auskunft zu geben?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, die Ihnen in der Fragestunde vom 6. November 1975 in Aussicht gestellte Überprüfung hat ergeben, daß in den Monaten seit Unterzeichnung der deutschpolnischen Vereinbarungen, in denen sich im übrigen die Umsiedlerzahlen allgemein positiv entwickelt haben, auch eine beträchtliche Anzahl von Fällen ihre Erledigung gefunden hat, in denen die Bundesregierung interveniert hatte. Es handelt sich nach unserer heutigen Kenntnis um insgesamt über 1000 Personen, die zwischenzeitlich in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen konnten.
Ich darf aber noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß diese Tatsache um so beachtlicher ist, als - wie Ihnen bekannt ist - das Ausreiseprotokoll noch nicht in Kraft getreten ist.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der
Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, nachdem die Bundesregierung und der Bundesaußenminister sich bezüglich der Ausreise ständig als Rechtsgrundlage auf die Information von 1970 be14880
rufen, frage ich: finden Sie es nicht erstaunlich, daß die Bundesregierung in 20 000 Härtefällen vorstellig geworden ist - meist Fällen von getrennten Ehegatten - und daß erst 5 % davon ausreisen konnten?
Herr Abgeordneter, Sie haben nach einer Zahl gefragt, die jetzt im Augenblick vorliegt. Ich habe nicht die Gesamtziffer geben können.
Ich will hinzufügen, daß ich in der Tat einiges erstaunlich finde, z. B. daß nach unseren Beobachtungen in den jüngsten Wochen sowohl viel mehr Ausreisegenehmigungen als auch Sichtvermerke erteilt worden sind, als tatsächlich Ausreisewillige bei uns angekommen sind. Hier mag eine zeitliche Verzögerung vorliegen, aber das ist jedenfalls eine Beobachtung, die wir bisher in dieser Form nicht gemacht hatten. Es ist deshalb auch heute sicherlich noch zu früh, ein Urteil über die Entwicklung insgesamt abzugeben.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Czaja.
Erhalten Sie eigentlich, Herr Staatsminister, auf die zahlreichen Interventionen wegen dieser 20 000 Personen binnen angemessener Zeit Antwort von polnischer Seite, wie es im normalen diplomatischen Verkehr üblich ist?
Herr Abgeordneter, ich verweise diesbezüglich auf die Erläuterungen, die wir wiederholt im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages über diese Praxis gegeben haben. Selbstverständlich besteht eine Antwort u. a. darin, daß die Ausreisebewilligungen erteilt worden sind.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, hat es auf die Regelung der Härtefälle einen Einfluß gehabt, daß seit dem 1. September des vergangenen Jahres dafür eine ausdrückliche Bestimmung im 3. Korb der Schlußakte der KSZE-Konferenz von Helsinki vorgesehen ist, der sich besonders auf kranke und alte Personen bezieht?
Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, was die auslösenden Momente auf der polnischen Seite gewesen sind, aber durch die Gespräche, die zu Helsinki geführt haben, und die Vereinbarungen, die wir dann mit Polen herbeiführen konnten, und durch den Wunsch der Bundesregierung, eine Politik der Aussöhnung mit Polen herbeizuführen und dabei auch die bekannten Vereinbarungen zu treffen, wurde, im Gesamtzusammenhang gesehen, ein positiver Einfluß ausgeübt. Ich wünsche, daß dieser positive Einfluß durch eine allgemeine Zustimmung zu diesen Vereinbarungen noch unterstützt wird.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Sauer.
Herr Staatsminister Moersch, ich darf also davon ausgehen, daß sowohl bei der zuständigen Stelle hier im Auswärtigen Amt als auch bei der Deutschen Botschaft in Warschau genügend Personal vorhanden ist, um eine genaue Kontrolle über die genannten 20 000 Personen zu haben und ständig auf dem laufenden zu sein, inwieweit die Interventionen Erfolg haben?
Herr Abgeordneter, das ist eine völlig andere Frage. Daß unser Personal überlastet ist, kann überhaupt nicht bezweifelt werden. Aber es kann doch bezweifelt werden, ob wir sicher sein können, daß wir jeden, für den wir interveniert haben und der etwa ausreisen konnte, auf Grund der eigenen Mitteilung des Betroffenen auch registrieren können. Ich erlebe immer wieder, daß Sie wie andere Abgeordnete mir Briefe schreiben für Leute, die inzwischen längst hier eingetroffen sind. Dies ist schon wiederholt geschehen.
({0})
- Aber bei anderen Kollegen wiederholt in letzter Zeit, auch was die DDR betrifft. Ich finde das erfreulich. Damit müssen Sie rechnen. Wir sind ja kein Land mit einer täglichen Volkszählung.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Fircks.
Herr Staatsminister, können Sie uns mitteilen, ob es sich bei den Härtefällen im wesentlichen um getrennte Ehegatten und um von ihren Familien getrennte unmündige Kinder handelt?
Herr Abgeordneter, unter die Definition der Härtefälle fällt nach meinem Familienrechtsverständnis die Trennung von Ehegatten in jedem Falle. Deswegen haben wir ja auch in den Vereinbarungen - wir haben es im Bundestag gründlich dargelegt - gerade auf diese Fälle Wert gelegt, in denen durch Umstände, die Sie ja alle kennen, Ehegatten getrennt waren. Das sind beispielsweise Fälle, in denen jemand eine Besuchserlaubnis hatte, aber nicht zurückgekehrt ist.
Wir haben besonderen Wert auf diese Fälle gelegt, die ja Härtefälle darstellen. Wir haben erreicht, daß inzwischen eine Reihe von solchen Fällen positiv beschieden wurden. Dies wiederum ist eine Folge unserer Politik. Ich kann Sie nur bitten, wenn Sie mit uns diese Härtefällle gelöst wissen wollen, unsere Politik nachdrücklich zu unterstützen.
Vizepräsident von Hassel: Die Fragen 94 und 95 der Abgeordneten Frau Berger werden auf ihren
Vizepräsident von Hassel
Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 96 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Hält es die Bundesregierung für ein Zeichen der Menschlichkeit und als in Übereinstimmung mit der Schlußakte von Helsinki befindlich, daß die Behörden der Volksrepublik Polen immer nur einem Familienmitglied die Erlaubnis zur Besuchsreise erteilen und die übrigen Familienmitglieder als „Faustpfand" zurückhalten, und ist sie bereit, durch Verhandlungen mit der Volksrepublik Polen mehr Menschlichkeit in der Praxis derartiger Besuchsreisen zu erreichen?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister!
Nach Kenntnis der Bundesregierung, Herr Abgeordneter, kann von einer derartigen generellen Praxis der polnischen Behörden nicht gesprochen werden. Die polnische Regierung hat im Gespräch mit der Bundesregierung in der Vergangenheit verschiedentlich ihre Absicht bekräftigt, eine Zunahme des Reiseverkehrs im Zusammenhang mit Verwandtenbesuchen nicht nur von der Bundesrepublik Deutschland nach Polen, sondern auch aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen.
Die Zahl der Besuchsreisen von der Bundesrepublik Deutschland nach Polen hat seit 1970 um mehr als das Achtfache zugenommen. Im Jahre 1970 waren es 13 000 Deutsche, 1974 109 000. Die Zahl der Besuchsreisen zu Verwandten aus Polen in die Bundesrepublik ist in der gleichen Zeit auf das beinahe Vierfache angewachsen, und zwar von 10 000 im Jahre 1970 auf 37 000 im Zeitraum Januar bis November 1975. Der Dezember ist noch nicht mitgezählt. Wir hoffen, daß sich diese positive Entwicklung sowohl auf der Grundlage der Schlußakte von Helsinki als auch der des von der Bundesregierung angestrebten baldigen Inkrafttretens der deutsch-polnischen Vereinbarungen weiter fortsetzen wird.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, hält es die Bundesregierung - danach habe ich gefragt - menschenrechtlich überhaupt für vertretbar, daß Familienangehörige als sogenanntes Faustpfand zurückbleiben müssen, wenn andere Familienangehörige eine Besuchsreise nach hier machen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, diese Frage habe ich vorhin implizite beantwortet mit dem Hinweis auf unsere Grundrechte und unsere Vorstellungen von Freizügigkeit.
({0})
Aber es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß die Vorstellungen anderswo von den unseren verschieden sind. Wenn dort jemand eine Besuchsreiseerlaubnis bekommt, so ist das nach der Auffassung eines solchen Staates ganz allgemein - es ist ja nicht nur einer - nicht dasselbe wie eine Ausreiseerlaubnis für seine Familienangehörigen. Wir haben uns bemüht, auf Grund unseres Standpunktes zu überzeugen, daß gerade solche Fälle im Interesse
der betroffenen Familienangehörigen gelöst werden müssen.
Ich glaube, daß wir hier auf einem insgesamt guten Weg sind. Ich kann mich nur wundern darüber, daß die Konsequenzen, die aus dieser Verbesserung der Bedingungen für die Betroffenen hergeleitet werden, von vielen, die hier Fragen stellen, offensichtlich nicht in vollem Umfang getragen werden.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, hat auch bei den jüngsten Verhandlungen zwischen Bundesaußenminister Genscher und dem polnischen Außenminister Olszowski die Frage der Besuchsreisen eine Rolle gespielt, schon im Hinblick auf die Information, in der es ausdrücklich heißt, daß die Besuchsreisen gefördert werden sollen?
Wir haben in all diesen Gesprächen eingehend darauf hingewiesen, daß die Möglichkeit verstärkter Besuchsreisen insgesamt dem deutsch-polnischen Verhältnis nützen wird und daß dadurch auch jedem, der hier einen Besuch macht, eine genaue Kenntnis etwa von den Umständen verschafft werden kann, unter denen er hier arbeiten und leben würde. Das tun wir seit Jahren, das tun wir in jedem Gespräch; wir haben es selbstverständlich auch in diesen Gesprächen getan.
Wir halten diese Art der Information, die man durch Besuche gewinnt, für die beste Vorbereitung auf eine freie Entscheidung über die künftige Wahl des Wohn- und Arbeitsplatzes.
Vizepräsident von Hassel: Zur letzten Zusatzfrage der Abgeordnete Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, steht es nicht im direkten Widerspruch zu dem Beschluß von Helsinki, wo es ausdrücklich heißt, daß Gesuche auf Reisen wohlwollend und in humanitärem Geiste behandelt werden, daß die Ausreisegesuche nur deswegen abgelehnt werden, weil gleichzeitig ein anderes Familienmitglied ebenfalls eine Ausreise beantragt?
Herr Abgeordneter, der Völkerrechtsberater des Auswärtigen Amtes hat Ihnen gestern auf entsprechende Fragen im Auswärtigen Ausschuß die Rechtsnatur der Schlußakte von Helsinki eingehend dargelegt. Ich kann nur feststellen, daß Sie offensichtlich den in der Frage beschworenen humanitären Geist noch nicht für sich vollzogen haben, denn Sie haben die Schlußakte von Helsinki in diesem Hause abgelehnt.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der 90 Minuten dieser Frage14882
Vizepräsident von Hassel
stunde und damit am Ende der beiden für diese Woche vorgesehenen Fragestunden angelangt.
Bevor ich diesen Tagesordnungspunkt schließe, mache ich darauf aufmerksam, daß die Frage 48 des Abgeordneten Dr. Althammer sowie die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Tillmann von den Fragestellern zurückgezogen worden sind. Die anderen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet.
Wir setzen nun die Aussprache über die Punkte 2 und 3 unserer Tagesordnung, die uns den Vormittag über beschäftigt haben, fort: Große Anfrage betr. rationelle und sparsame Energieverwendung und Entwurf des Energieeinsparungsgesetzes.
Nachdem aber auch Punkt 4 am Vormittag in die allgemeine Aussprache einbezogen worden ist, rufe ich hiermit auch offiziell Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes
- Drucksache 7/4577 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Haushaltsausschuß
Wir fahren also in der Debatte über alle drei Punkte, die Punkte 2, 3 und 4 der Tagesordnung, fort. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({2}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalitionsfraktionen legen Ihnen mit der Drucksache 7/4577 den Entwurf einer Novelle zum Dritten Verstromungsgesetz vor. Er ist im Verlauf der Vormittagsdebatte bereits eingehend und ausführlich begründet worden. Ich unterstreiche gern die in diesem Zusammenhang vorgetragenen Gedanken von Bundesminister Friderichs und Herrn Graf Lambsdorff sowie meines Freundes und Kollegen Erich Wolfram. Den schon bekannten Begründungen füge ich mit ein paar Gedanken dies hinzu:
Wir wollen mit dieser Gesetzesänderung den durch die Konjunkturlage stark reduzierten Einsatz von Steinkohle in unserer Kraftwirtschaft in den Jahren 1976 und 1977 in etwa auf der Höhe gewährleisten, die das Dritte Verstromungsgesetz vorsieht. Unsere Verantwortung für die langfristige Sicherung der notwendigen Energie für Wirtschaft und private Verbraucher verpflichtet uns zu dieser zeitlich begrenzten Regelung, weil ohne sie dem Steinkohlenbergbau, unserem bedeutendsten Primärenergieträger, durch Zechenstillegungen dauerhafte Schäden entstehen würden.
Wie sehr uns an einem eigenen, gesunden, lebens-
und leistungsfähigen Bergbau gelegen sein muß, ist heute morgen schon wiederholt unterstrichen worden. Wir kennen diese Notwendigkeit auch aus den Debatten von vor zwei Jahren. Wir mußten seinerzeit, Ende 1973/Anfang 1974, auf hohen konjunkturellen Wogen schwierigste energiepolitische Fragen beantworten. Das Öl - und nicht nur das vom Persischen Golf - floß nicht mehr in der gewohnten Menge, und es stand uns nur noch um einen vierfach höheren Preis zur Verfügung. Unsere Bürger mußten Opfer tragen, die Wirtschaft mußte sich teilweise schnell auf andere Primärenergieträger umstellen.
Die Bundesrepublik Deutschland, unser Land, hat unter sozialliberaler Regierungsverantwortung diese ungewöhnliche Herausforderung hervorragend bestanden. Damals mußten wir mit mutigen Entscheidungen die Bedrohung für unser wirtschaftliches und soziales Wohlergehen abwehren. Wir haben bis heute einen Lernprozeß durchgemacht und sind um viele Erfahrungen reicher geworden. Wir haben gelernt, ein gutes Maß von Flexibilität zu entwickeln, und haben uns dadurch in den Stand versetzt, besser als andere Länder, die vor dem gleichen Problem standen, mit den unmittelbaren Folgen fertig zu werden.
Die Ölpreiserhöhungen allerdings, die wir aus eigener Kraft nicht verändern können, tragen wir mit allen anderen Ölverbrauchern. Die weltweite Rezession und, damit verbunden, der Konjunktureinbruch in unserem Lande finden ihre Ursachen u. a. in der drastischen Ölverteuerung und in der drastischen Mengenverknappung. Die Vervierfachung des Ölpreises zerrüttete nicht nur die Preisstrukturen und die Zahlungsbilanzen vieler Länder, sondern beeinflußte und verunsicherte das gesamte Wirtschaftsgeschehen.
Viele haben die Voraussetzungen dafür schaffen geholfen, daß unsere Volkswirtschaft, die Gesamtwirtschaft unseres Landes, ansonsten ohne weitere Schäden geblieben ist. Entscheidende Beiträge hierzu haben die Menschen der Bergbauwirtschaft geleistet. Auch von hier aus wurden in den Energiedebatten, die eben gerade 24 Monate alt sind, große Anforderungen an den Bergbau gestellt. Der Bergmann wie der Bergbau haben die Volkswirtschaft nicht im Stich gelassen. Durch Mehrarbeit und Zusatzarbeit sind nicht selten die Voraussetzungen für die Substituierung des kaum noch vorhandenen Öls durch unsere Kohle geschaffen worden.
Heute nun geht es für zwei Problemjahre um den Schutz genau des gleichen Bergbaus, an dessen Leistungsfreudigkeit wir vor zwei Jahren so große Erwartungen geknüpft haben. Und nun dürfen wir, meine Damen und Herren, die Menschen der Bergbauwirtschaft so wenig im Stich lassen, wie sie uns damals im Stich gelassen haben.
({0})
Der deutsche Energiemarkt hat auf den Konjunktureinbruch unterschiedlich reagiert. Kernenergie und Erdgas weisen nach wie vor hohe Wachstumsraten auf, während die wichtigsten und bedeutendsten Wettbewerber, das Mineralöl und die Steinkohle, mit rückläufigen Mengen an der Deckung des Primärenergiebedarfs beteiligt sind. Neben dem Mineralöl ist die deutsche Steinkohle am stärksten vom allgemeinen Verbrauchsrückgang betroffen. Das heißt mit anderen Worten: Die aus vielen GrünSchmidt ({1})
den eingetretene Erholungspause nach den Ereignissen von 1973, die den Kohleabsatz auf insgesamt 109 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten in einem Jahr hinaufkatapultierten, ist mit dem Beginn des Jahres 1975 zu Ende gegangen. Der Höhenflug ist in einem Jahr gestoppt worden. Der Absatz fiel im nächsten Jahr, im Jahre 1975, auf knapp 80 Millionen Tonnen SKE; das entspricht einem Rückgang von, rund gerechnet, 26 %.
Dennoch, meine Damen und Herren, kann es keinen Zweifel geben: Energiemärkte müssen wie jeder andere Markt mit Konjunkturschwankungen leben und mit ihnen auskommen. Was wir auch immer an energiepolitischen Rahmenbedingungen schaffen, für jeden Energieträger bleibt das normale Risiko. Wogegen wir alle uns gemeinsam wehren müssen - und das sehr nachhaltig -, sind Fehlentwicklungen, die eines Tages nicht mehr korrigierbar sind und dann zu dauerhaften Schäden führen.
Deshalb möchte ich Sie, meine Damen und Herren, darauf aufmerksam machen, daß der Steinkohlenbergbau nie zuvor einen derart gravierenden und schnellen Absatzeinbruch erlebt hat wie im vergangenen Jahr. Die ganze Dramatik dieser Entwicklung spiegelt sich in der Geschwindigkeit wider, in der die Halden in den Kohlerevieren gebildet wurden. Dies sind zwar nicht die ersten Halden, mit denen der Bergbau leben mußte und muß. Halden hat es schon oft gegeben, und sie sind auch immer wieder verkauft worden. Aber noch nie in der Bergbaugeschichte hat der Aufhaldungsprozeß diese Geschwindigkeit erreicht. Ein Haldenanstieg in dieser Größenordnung und damit diesem Tempo belastet nicht nur Ertrag und Liquidität der Unternehmen, sondern strapaziert erneut das erst vor kurzem wiedergewonnene Vertrauen der Beschäftigten und ihrer Familien in den Steinkohlenbergbau.
16 Millionen Tonnen auf der Halde bedeuten erneut Kurzarbeit für diejenigen Arbeiter und Angestellten, die unsere Volkswirtschaft durch ihre Mehrarbeit vor Versorgungsengpässen bewahrten, als die arabischen Ölhähne zugesperrt waren. Damals haben sie - wie fast selbstverständlich - durch Mehrarbeit die Kohle gefördert, die die Wirtschaft brauchte. Heute leisten sie durch Kurzarbeit ihren Beitrag, indem mehr als 3 Millionen Tonnen Kohle in diesem Jahre 1976 auf diesem Wege nicht gefördert werden.
Hätten wir die Gewißheit, meine Damen und Herren, daß sich der Oktober 1973 - in welcher Form auch immer - nie mehr wiederholt, die Gewißheit nämlich, daß sich die Preise nicht mehr vervierfachen, auch nicht scheibchenweise, hätten wir die Gewißheit, daß unser Land nie mehr in einen Lieferboykott einbezogen wird, hätten wir die Gewißheit, daß Araber und Israelis - wie wir es uns gewiß alle wünschen - nie mehr aufeinander schießen, hätten wir die Gewißheit, daß Öl nie mehr zur politischen Waffe wird, dann könnten wir den Steinkohlenbergbau den Mechanismen der Märkte überlassen.
({2})
Aber diese Gewißheit kann niemand haben. Im Gegenteil, die Risiken der Energieversorgung sind keine abstrakten Möglichkeiten, sondern reale Gefährdungstatbestände. Das wissen wir nicht seit gestern. Die, die in diesem Lande Verantwortung tragen, wissen es auch nicht erst ab Oktober 1973. Dieses steht bereits im Ersten Energieprogramm der Bundesregierung - vor den Zeiten gemacht, die wir uns Energiekrise zu nennen angewöhnt haben.
Die energiepolitische Flanke ist die verwundbarste Flanke der deutschen Volkswirtschaft. Niemand kann auch die Illusion haben, eine sichere Versorgung mit Energie jedweder Art würde schon durch die Mechanismen der Märkte besorgt. Wenn die Marktwirtschaft in unserem Lande langfristig wirklich funktionieren soll, muß im Rahmen der Energiepolitik ein ständiges kooperatives Zusammenspiel zwischen den Organen des Staates und denen der Wirtschaft praktiziert werden.
Es ist gut, daß dies im Energieprogramm steht, das sich in der Philosophie der Fortschreibung wie mit seinen Eckwerten grundsätzlich bewährt hat. Auch die gegenwärtige, von der Konjunktur bestimmte Lage kann die Richtigkeit der gefundenen Eckwerte und ihre Zielsetzungen nicht in Frage stellen.
({3})
Darum, verehrter Herr Kollege Russe, darf man in diesem Augenblick nicht daran denken - jedenfalls, was den Eckwert Förderung deutscher Steinkohle betrifft -, eine Veränderung vorzunehmen.
({4})
Schon zu oft in unserer Geschichte sind die Bergarbeiter enttäuscht worden. Die Förderungsmenge - und damit der Verbrauch - deutscher Steinkohle muß so realistisch wie möglich sein. Sie darf nicht so phantastisch wie möglich sein.
({5})
Menschen und Wirtschaft müssen sich darauf verlassen können, daß die Prognosen derer, die dieses Konzept gemacht haben, realistisch sind.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Russe?
Gerne.
Herr Kollege Schmidt, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß diese realistische Betrachtung genau unsere Position ist?
Dann bin ich froh, daß wir übereinstimmen. Ich hatte das am heutigen Vormittag anders in den Ohren.
({0})
Ich bin Ihnen, sehr verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, von ganzem Herzen dankbar, daß Sie im Verlauf des Vormittags eine zumindest sinnesgleiche Bemerkung gemacht haben. Gerade deshalb sind wir verpflichtet, die im Energieprogramm
Schmidt ({1})
verankerte Flexibilität dann anzuwenden, wenn uns die aktuellen Schwierigkeiten das gebieten. Deshalb begrüßen wir die Absicht der Bundesregierung, das Gesetz über das Zollkontingent für feste Brennstoffe in seinen grundsätzlichen Bestimmungen unverändert zu lassen. Ob zu einem späteren Zeitpunkt eine Marktöffnung erwünscht oder notwendig wird, hängt von der Entwicklung ab.
Ich möchte hier ein Zweites sagen. Herr Bundesminister Friderichs hat schon darauf hingewiesen. Der Bereich der Energie und Rohstoffe bleibt ein politischer Faktor. Energie und Rohstoffe werden auch in Zukunft als ein Mittel zur Erreichung politischer und ökonomischer Möglichkeiten und Positionen eingesetzt. Die Bundesregierung hat diese Erfahrungen im Energieprogramm konkretisiert und die Bildung einer bundesweiten nationalen Kohle-reserve beschlossen. Was im Energieprogramm erst für 1977 vorgesehen war, wird nun schon seit diesem Jahr Wirklichkeit.
({2})
Innerhalb der Rahmenbedingungen dieses Energieprogramms, die auf einem kooperativen Weg zustande gekommen sind, erwarten wir die selbstverständliche und uneingeschränkte Mitarbeit aller Beteiligten. Ich hätte mir gewünscht, meine Damen und Herren, daß die Elektrizitätswirtschaft, die ganz gewiß nicht aus ihrer konjunkturellen Lage herausspringen kann und ihr auch nicht entfliehen kann, die Primärenergieträger, so gut dies möglich ist, gleichmäßig am Mindereinsatz beteiligt hätte.
({3}) Aber sie hat das nicht getan.
({4})
In seinen Grundsätzen und Mengenbildern, im Energieprogramm beschrieben und im 3. Verstromungsgesetz abgesichert, sollte der Anteil der deutschen Verstromungskohle die durchschnittliche Höhe von 33 Millionen Tonnen im Jahr erreichen, eine Zahl, die auch die Zustimmung der Elektrizitätswirtschaft gefunden hatte.
({5})
Im Jahre 1975 sind aber nur 22 Millionen Tonnen deutscher Steinkohle zur Stromerzeugung eingesetzt worden. Für das Jahr 1976 wäre ein noch geringerer Einsatz zu befürchten gewesen. Ich betone dies noch einmal - das ist im Verlauf des Vormittags schon gelegentlich gesagt worden -, damit wir alle eine möglichst objektive Einschätzung bekommen.
Bei einem Rückgang der Stromerzeugung 1975 um 3,8 % im Vergleich zu 1974 ist die Stromerzeugung auf Steinkohlenbasis um 26 % und die Stromerzeugung auf der Basis deutscher Steinkohle um 28,5 % gedrosselt worden. Der Rückgang der Erzeugung auf Heizölbasis um 8 % nimmt sich dagegen vergleichsweise bescheiden aus. Demgegenüber sind die Leistungen bei der Kernenergie und beim Erdgas voll ausgenutzt worden. Die Wachstumsraten von rund 70 % bzw. 10 % sprechen ihre eigene Sprache. Ich hätte mir, wie gesagt, meine Damen und Herren, ein anderes Verhalten bei der Elektrizitätswirtschaft
gewünscht. Aber das Jahr 1975 gehört bereits der Geschichte an. Anderes, als aus ihm zu lernen, ist nicht mehr mit ihm anzufangen.
Für das Jahr 1976 hat sich nun die Elektrizitätswirtschaft gegenüber dem Bundeswirtschaftsminister unter dem Vorbehalt der Annahme dieses Gesetzentwurfes verpflichtet, 26 Millionen Tonnen deutscher Steinkohle zur Verstromung einzusetzen und zusätzlich 2 Millionen Tonnen auf eigenes Lager zu kaufen.
Die Koalitionsfraktionen haben darüber hinaus mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß die Elektrizitätswirtschaft in diesem Jahr im Zuge der anlaufenden Konjunktur weitere rund 2,5 Millionen Tonnen einsetzen will. Das ergibt für 1976 ein neues Mengengerüst von insgesamt rund 30 bis 30,5 Millionen Tonnen. Auch wenn diese Zahl noch nicht an die im Verstromungsgesetz festgelegten Daten heranreicht, kann die sichere Steigerung auf 28 Millionen Tonnen mit der aller Voraussicht nach zusätzlichen Menge von 2 bis 2,5 Millionen Tonnen als eine realistische Größenordnung angesehen werden. Diese Größenordnung dient der Stabilisierung der Beschäftigung, fördert die Aufrechterhaltung der Bergbaukapazitäten und festigt nicht zuletzt die Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherung der Stromerzeugung auf der Basis der heimischen Steinkohle.
Das ganze Haus sollte, wie ich meine, erwarten - wie wir Sozialdemokraten es tun -, daß die Zusagen an die Bundesregierung bald in Lieferverträge mit den Bergbauunternehmungen übersetzt werden. Wir erwarten auch, daß frühzeitig Verhandlungen zwischen Ein- und Verkäufern aufgenommen werden, um einen nahtlosen Anschluß des Jahres 1977 an das Jahr 1976 zu gewährleisten.
Der gesamtwirtschaftlich notwendige und von uns gewollte Einsatz von mehr Steinkohle erfordert die Bereitstellung höherer finanzieller Mittel. Ich will - und ich brauche das auch nicht zu tun - die heute morgen von Bundesminister Friderichs und von Kollegen abgegebenen Erklärungen nicht wiederholen und nicht ergänzen. Die sorgfältigen Prüfungen des Bundeswirtschaftsministers mit dem Bundesbeauftragten für den Steinkohlenbergbau und dem ganzen Hause führen zu den notwendigen Erhöhungen von jetzt 3,5 % - von denen 3,24 % in Anspruch genommen sind - auf 4,5 %, wenn alle Stromverbraucher wie bisher gleichmäßig belastet werden. Wir halten dies für richtig. Für den privaten Verbraucher, der mit seiner Familie in einer Vierraumwohnung wohnt und ein durchschnittlicher Stromverbraucher ist, erhöht sich die Abgabe damit ab April 1976 um 50 Pfennig pro Monat. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion geht davon aus, daß die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Maßnahme bei den Bürgern im Lande vorhanden ist.
({6})
Jeder verantwortungsbewußte Bürger sichert sich gegen die Risiken des Lebens in allen möglichen Bereichen ab. Was wir hier tun, ist genau dasselbe. Die Zahlung einer Ausgleichsabgabe ist für den
Schmidt ({7})
Bürger nicht mehr und nicht weniger als eine Sicherheitsprämie, die ihn vor Versorgungsrisiken schützen soll.
({8})
Wir wollen mit unserer Novelle auch die Fristen für den Bau und die Inbetriebnahme von Kohlekraftwerken im Rahmen des 6 000-Megawatt-Programms verlängern. Mit dieser Regelung verbinden wir die dringende Erwartung, daß nun wirklich und endlich diejenigen Kohlekraftwerke, über die wir seit Jahren sprechen, gebaut werden. Hier bietet sich nach meinem Eindruck die Chance, das energiepolitisch Richtige wie Notwendige mit dem regionalpolitisch Erforderlichen zu einem vernünftigen und für alle guten Kontext zu führen. Die Elektrizitätswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland bleibt eingeladen, die Standortangebote von Bürgern sowie kommunalen Organen und Einrichtungen auf dem Kohlekeller des Vaterlandes zumindest gewissenhaft zu prüfen und nach Möglichkeit anzunehmen. Ich würde es jedenfalls als einen eindrucksvollen Beweis der Bereitschaft zur Kooperation und zum Ziehen der Konsequenzen aus dieser Kooperation erkennen, wenn die drei großen Stromversorgungsunternehmen, deren Demarkationsgrenzen sich im nördlichsten Steinkohlenrevier, im Tecklenburger Land bei Ibbenbüren, treffen, das dortige Standortangebot von Menschen und Kommunen sehr gewissenhaft prüfen, um am Ende dort ein Kraftwerk aufzubauen, damit die dortige Kohle immer, sicher und zum Gewinn für alle dort veredelt werden kann.
({9})
Dies gilt auch genauso dringend wie genauso bedeutsam für die Angebote an die Elektrizitätsversorgungsunternehmen aus dem östlichen Ruhrrevier. Das, was die Städte und die Bürger dort der Elektritätswirtschaft anbieten, darf nicht ohne gewissenhafte Prüfung abgelehnt werden.
({10})
Mit allem, was wir hier tun, ändert sich die Lage, weil sie sich für die kommenden Jahre in der Bergbauwirtschaft stabilisiert. Dennoch bleiben noch Probleme. Es bleibt mir in diesem Zusammenhang, Sie, sehr verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, herzlich zu bitten, auf das besonders schwierige Problem der Lieferungen saarländischer Kohle an unsere französischen Nachbarn und Freunde mit dem Ziele hinzuwirken, daß die gehabten Mengen auch in Zukunft abgenommen werden.
Meine Damen und Herren, die Energiepolitik wird eine ständige Auseinandersetzung mit immer neuen Fakten bleiben. Aber wir werden diese Auseinandersetzungen immer dann erfolgreich bestehen können, wenn wir uns nach Grundsätzen wirtschaftlicher Vernunft richten und den Hunger nach Befriedigung von Popularität zurückstellen. Von diesen Grundsätzen haben sich die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung, die den Gesetzentwurf natürlich in enger Zusammenarbeit erarbeitet haben, leiten lassen. In 1976 und 1977, in diesen beiden besonders schwierigen Problemjahren,
wird demnach insgesamt so viel Kohle abgesetzt, daß drohende Stillegungen vermieden werden.
Bleibt mir zu wünschen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß sich alle an der Diskussion um diesen Problemkreis Teilnehmenden - in welcher Verantwortung sie auch immer stehen - der Tatsache bewußt bleiben, daß es entweder für die Gesamtwirtschaft, also für uns alle, eine optimale Energieversorgungssicherheit gibt oder für keinen von uns. Sicherheit der Energieversorgung kann weder auf Branchen noch auf Bereiche noch auf Regionen aufgebaut sein. Sie muß von der Risikogemeinschaft getragen und gewollt sein, die Bundesrepublik Deutschland heißt.
Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf anzunehmen und ihn bei seiner besonderen Bedeutung ebenso zügig wie gewissenhaft in den Ausschüssen zu beraten, damit wir ihn in möglichst naher Zukunft hier zum zweiten und dritten Male debattieren und verabschieden können.
({11})
Vizepräsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Springorum.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sprachen heute morgen davon - ich glaube, mit Recht -, daß in der Energiepolitik wegen ihrer starken Abhängigkeit von außenpolitischen Faktoren eine größere Unsicherheit herrsche, als es sich sonst aus ökonomischen Daten ergäbe. Wenn dies Ihre Meinung ist, Herr Bundeswirtschaftsminister, frage ich mich, ob Sie unter diesen Umständen von der Richtigkeit Ihrer Energiepolitik überzeugt sein können. Es kommt mir heute fast etwas absurd vor, daß wir uns darüber unterhalten müssen, einem sicheren heimischen Energieträger eine gewisse Hilfe zu gewähren, damit sein Absatz erhalten bleibt, wenn auf der anderen Seite 20 000 bis 25 000 palästinensische Freischärler in den Libanon eingefallen sind und damit die Gefahr eines neuen Nahostkrieges so dicht vor uns steht wie noch nie in den letzten zwei Jahren.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben vorhin selber davon gesprochen, daß die Drohung der Nahostländer, die Ölwaffe scharf zu halten, ernst zu nehmen ist. Wir haben seit der letzten großen Krise vor nun mehr als zwei Jahren eine Gnadenfrist, so möchte ich fast sagen. Wir müssen einmal überlegen: Ist diese Frist wirklich genutzt worden? Eine Energiepolitik sollte daran gemessen werden, ob sie das Ziel der Zurückdrängung der Abhängigkeit vom Nahen Osten wirklich erreicht hat oder nicht.
Wir stellen die Frage: Was hat die Bundesregierung seit Oktober 1973 getan?
1. Heute behandeln wir erstmalig den Entwurf eines Gesetzes über rationelle und sparsame Energieverwendung, obwohl seit Jahr und Tag eine Reihe von Initiativen der Europäischen Kommission vorliegen. Der Gesetzentwurf, den wir heute behan14886
dein, befaßt sich auch nur mit langfristigen Chancen für die Energieeinsparung. Alles, was von heute auf morgen wirken könnte, ist bisher vernachlässigt worden.
2. Im Bau von Kernanlagen sind die Genehmigungsfristen länger geworden. Die Erleichterungen für die Genehmigungen, von denen wir hier immer wieder gesprochen hatten, die in diesem Hause von allen Fraktionen gefordert worden sind, sind nicht eingetreten.
({0})
3. Dem einzigen sicheren Energieträger, den wir in diesem Land in größerer Menge zur Verfügung haben, wird eine langfristige Konzeption immer noch vorenthalten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, könnten Sie die Freundlichkeit haben, uns zu sagen, welche Maßnahmen auf dem Energieeinsparungssektor nach Ihrer Ansicht kurzfristig wirksam wäre und gesetzlich verordnet werden könnten?
Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen. Wenn Sie die Initiativen der Kommission kennten, würden Sie diese Frage nicht stellen.
({0})
Ich nenne als Beispiele: Überprüfung der Heizanlagen, Überprüfung der Heizeinrichtungen, bessere Informationen der Verbraucher, Entfernung des Rußes in Heizanlagen durch entsprechende Organe usw. usw. Wir haben bisher erst in zwei Ländern eine wirkliche Überwachung dieser Anlagen. Es gibt Dinge genug, die sofort hätten veranlaßt werden können.
4. Der von uns immer wieder geforderte Bau von Hydrieranlagen, der es möglich gemacht hätte, aus dem schweren Heizöl Benzin, leichtes Heizöl, Kerosin usw. herzustellen, ist nicht gefördert worden. Vorhin sagte der Herr Bundeswirtschaftsminister, hier hätten eben die Unternehmungen, die nicht gewagt hätten, solche Krackanlagen zu bauen, die Folgen ihrer Gewinnminimierung selber zu tragen. Dazu meine ich, daß solche Dinge dem Markt nicht allein überlassen werden können.
5. Der Bau der vorgesehenen 6 000 MW ist nicht mit dem notwendigen Nachdruck durchgesetzt worden. Statt dessen hat man in den letzten zwei Jahren hingenommen, daß fast 12 000 MW an Erdgas- und Erdölkraftwerken entweder neu fertiggestellt oder im Bau sind oder in der Planung waren und jetzt mit dem Bau begonnen wird.
Wenn Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, vorhin sagten, daß wir bis in die 90er Jahre hinein in einer Größenordnung von 40 bis 50 % vom Öl abhängig blieben, so meine ich , sollte das auf keinen Fall ausschließen, alles, aber auch alles zu tun, um diese
Abhängigkeit zwar nicht zu beseitigen, aber doch zumindest zu mindern, besonders da in absehbarer Zeit ein großer Teil dieses Öles aus sicheren Quellen geliefert werden kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Bitte schön.
Herr Kollege Springorum, sind Sie sich dessen bewußt, daß Sie mit diesen Vorschlägen natürlich eine extreme staatliche Investitionslenkung im Energiesektor fordern? Es würde mich interessieren, zu erfahren, ob sich Ihre Fraktion Ihrer Auffassung anschließt.
Gestatten Sie mir, diese Frage zum Schluß zu beantworten, da ich dann darauf zu sprechen komme.
Herr Bundeswirtschaftsminister, in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage betreffend Energieeinsparung schreiben Sie im Vorspann einen Satz, der mir zu denken gegeben hat und der vielleicht auch Ihre Energiepolitik erklären mag. Ich darf diesen Satz einmal zitieren:
({0})
Die Bundesregierung stellt ... bewußt keine quantitativen Planziele an die Spitze. Sie würden die ... Flexibilität der Politik ... zu sehr einengen ...
Daß Sie damit natürlich die Investitionslust aller
Energieproduzenten einengen, ist wohl verständlich.
Ich meine auch, daß die Bundesregierung für Ihre Flexibilität erst vor kurzem, vor wenigen Tagen, einen Beweis erbracht hat, und zwar geht das aus einem Brief hervor, den Herr Staatssekretär Rohwedder an die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses geschrieben hat. In diesem Brief steht ein Satz, den ich zitieren möchte und der folgendermaßen heißt:
Die Eckdaten für die grundsätzlichen Ziele der Energiepolitik, nämlich Zurückdrängung des Öls, optimale Nutzung der relativ sicheren Energieträger Kernenergie, Erdgas und Braunkohle sowie Einsatz des deutschen Steinkohlenbergbaus als Sicherheitsfaktor, haben sich nicht verändert.
Noch in der Fortschreibung des Energieprogramms war nur die Rede von der optimalen Nutzung der deutschen Steinkohle. Jetzt soll die deutsche Steinkohle nach diesem Satz nur noch irgendein Sicherheitsfaktor sein.
Aus diesem Satz ist es auch zu verstehen, weshalb das Erdgas im vergangenen Jahr in erheblich größerem Umfang unter den Kesseln der Kraftwerke
verbrannt worden ist, obwohl der Gesetzgeber in seinem Dritten Verstromungsgesetz in § 8 ja eigentlich einen steigenden Absatz untersagt hatte. Ich habe mich gewundert, daß heute morgen niemand der Redner auf diesen § 8 eingegangen ist, der die Erdgaskraftwerke an bestimmte Referenzmengen bindet. Allerdings kann das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft Genehmigungen erteilen. Sie sind im laufenden Jahr höchstwahrscheinlich auch ununterbrochen zu Lasten der deutschen Steinkohle erteilt worden.
Dieser Satz des Herrn Staatssekretärs Rohwedder ist meiner Ansicht nach auch eine Erklärung dafür, daß die Bundesregierung der Europäischen Kommission für das Jahr 1985 eine sehr viel niedrigere Förderziffer für die deutsche Steinkohlenförderung genannt hat, als es der augenblicklichen Förderung entspricht. Die Schrumpfung des deutschen Steinkohlenbergbaus scheint also nach Ansicht der Bundesregierung keineswegs beendet zu sein. Ibbenbüren ist wahrscheinlich nur ein erstes Beispiel. Ich darf allerdings hoffen, daß es der Europäischen Kommission gelingt - sie hat es sich fest vorgenommen -, auf die Bundesregierung Einfluß zu nehmen, damit sie von dieser ihrer Politik abgeht; denn die Kommission hält die Zurückdrängung des Nahostöls für einen ganz wesentlichen Faktor der Energiepolitik Europas.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Becker ({0})?
Bitte schön!
Herr Kollege, Sie erwähnten Ibbenbüren. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang, wenn Sie der Bundesregierung Vorwürfe machen, fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Bundesregierung und die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zur Fortführung der Steinkohleförderung in Ibbenbüren zu den bereits gewährten Mitteln in diesem Bereich in Höhe von 90 Millionen DM insgesamt 120 Millionen DM zusätzlich angeboten hat.
Danke schön! Das ist mir zwar nicht bekannt; aber es hilft ja auch nichts gegen die Stillegung.
({0})
- Ich hätte dafür gesorgt, daß ein Kohlekraftwerk gebaut wird, das den Strom in das öffentliche Netz hätte abgeben können,
({1})
allerdings unter der Voraussetzung, daß ich andere Energieträger aus der Lieferung von Strom herausgenommen hätte.
({2})
Herr Abgeordneter Springorum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Bitte schön!
Sind Sie so freundlich, Herr Springorum, mir nun zu erläutern, wie, mit welchen Mitteln,
({0})
Sie dafür gesorgt hätten, daß dort ein Kohlekraftwerk gebaut wird?
Darf ich hierzu vielleicht nachher, wenn ich auf die Richtlinien des Rates zum Verbot des Einsatzes von Erdgas und Erdöl in Kraftwerken komme, noch einige Ausführungen machen.
({0})
- Nein, nein, ich komme darauf.
Ich hoffe, daß die Bundesregierung der Absicht der Kommission folgt, das Erdöl tatsächlich so zurückzudrängen, daß wir nicht mehr im gleichen Umfang erpreßbar sind. Ist es, meine Damen und Herren, wirklich notwendig, daß wir über ein Land, das Terroristen Geld für ihren Terror gibt, das nach gelungenem Abenteuer und nach Mord und Totschlag diesen Terroristen eine Freistatt gewährt und ihnen die Möglichkeit zu neuen Terroraktionen gibt, kein böses Wort sagen dürfen, weil wir befürchten müssen, daß uns dieses Land eventuell den Ölhahn zudrehen könnte?
Wir haben heute über die Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes zu beraten, eines Gesetzes, von dem Graf Lambsdorff vorhin gesagt hat, wir sprächen 55 Minuten dagegen und begründeten dann in fünf Minuten, weshalb wir doch dafür seien. Ich weiß nicht, ob wir dafür sein werden; das wird die Beratung mit Ihnen im Wirtschaftsausschuß ergeben. Aber es ist nun einmal die Rolle der Opposition, daß sie, obwohl sie schon vor einem Jahr auf die Schwierigkeiten hingewiesen hat, die auf den Bergbau zukommen, Vorschläge, die sie gemacht hat, nicht durchsetzen kann und daß sie nachher gezwungen ist, den Vorschlägen der Regierung, ob sie sie für gut oder schlecht hält, zuzustimmen, weil einfach die Lösung des Problems dringend notwendig ist.
Darf ich jetzt einmal auf Möglichkeiten zurückkommen, die tatsächlich eine Alternative gewesen wären. Sie wissen, daß der Rat zwei Richtlinien verabschiedet hat, eine über das Verbot des Einsatzes von Erdgas in Kraftwerken und eine über das Verbot des Einsatzes von Erdöl in Kraftwerken. An beiden Richtlinien hat die Bundesregierung außerordentlich stark mitgewirkt. Wenn ich die Mitglieder der Kommission richtig verstanden habe, waren es gerade die Mitglieder der Bundesregierung, die eine solche Aufweichung in diese Richtlinien hineingebracht haben, daß das, was eigentlich erfolgen sollte, nämlich der Kohle in der Kraftwirtschaft eine Möglichkeit zu geben, nicht mehr in dem Maße möglich war, wie es der Fall hätte sein sollen.
Herr Abgeordneter, Sie kommen allmählich an den Zeit14888
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
punkt heran, zu dem Sie Ihre Ausführungen abschließen müssen.
Danke schön.
Die Bundesregierung hat das, was sie vorgelegt hat, ein Programm genannt. Ein Programm kann aber nur als solches bezeichnet werden, wenn man die Ziele dieses Programms mit flankierenden Maßnahmen abdeckt. Das mag - als Antwort für Sie, Herr Wolfram - zwar manchmal dirigistisch aussehen, wenn ich die Ziele eines Programms mit Schutzmaßnahmen abdecke. Aber in der Energiepolitik und in der Energiewirtschaft wird die Marktwirtschaft leider, ob wir es wünschen oder nicht, immer weniger ihren Platz finden.
({0}) Darüber müssen wir uns klar sein.
Inhalt einer gesunden Energiepolitik - Herr Schmidhuber hat es heute morgen schon gesagt - muß sein, daß nicht der preisgünstigste, sondern der für bestimmte Bedürfnisse geeignete Energieträger verwandt wird. Nur so können wir der Verschwendung in dieser Welt Einhalt gebieten. Wenn wir solch eine Politik betreiben, dann weiß jeder, wie er zu rechnen hat, und jeder weiß, wie er zu kalkulieren hat. Ich kann nur hoffen, daß sich die Bundesregierung zu diesem Weg durchringt; denn einmal wird es zu spät sein, und das wäre für uns alle am bittersten.
({1})
Herr Kollege Schmidt, ich schlage vor, für die Beantwortung Ihrer Fragen ein persönliches ausführliches Gespräch zu nutzen. Die Redezeit war leider abgelaufen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ahrens.
Herr Präsident: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kohle und Kernenergie, unausgesprochen auch die anderen Primärenergiearten, stehen im Mittelpunkt dieser Debatte, und sie haben auch die energiepolitische Diskussion in den letzten Jahren bestimmt. Das ist verständlich, bedrohten doch die Gefahren der Jahreswende 1973/ 74 den mengenmäßig bedeutendsten Teil unserer Primärenergiebasis, das Mineralöl. Verständlich ist es aber auch deshalb, weil wir in diesen Jahren und schon seit langem in diesem Hause immer und immer wieder mit den Sorgen und Nöten unserer Steinkohle zu tun hatten und zu tun haben, Sorgen und Nöten, die zu einem ganz erheblichen Teil Konsequenzen einer schon in ihren Ansätzen verfehlt gewesenen Energiepolitik sind. Meine Damen und Herren der Opposition, das war Ihre Politik. Wir hören zwar, daß Herr Springorum sagte - und darin stimme ich ihm zu -, daß die Energiewirtschaft ein Wirtschaftszweig sei, in dem Ordnungsvorstellungen der Marktwirtschaft nicht in vollem Umfange gelten könnten. Aber wie hat diese Energiepolitik jahrelang ausgesehen? Sie bestand doch
eigentlich nur aus zwei Dingen: zugucken und sich freuen, zugucken dabei, daß eine Zeche nach der anderen dichtmachte, und sich freuen darüber, daß immer mehr billiges Öl auf den deutschen Markt kam. In diese Freude teilten Sie sich mit den Verbrauchern. Nun, denen nehme ich das nicht übel. Ich meine nur, daß dieses Zuwarten, dieses Geschehenlassen nicht als Energiepolitik zu bezeichnen ist.
Herr Springorum, wenn Sie bedauern - Kollege Schmidt wie auch der Herr Bundesminister für Wirtschaft haben heute darauf hingewiesen -, daß im vergangenen Jahr zahlreiche Erdgaskraftwerke ans Netz gegangen sind und damit weniger Kohle verbraucht wurde, und wenn Sie in diesem Zusammenhang auf § 8 des Dritten Verstromungsgesetzes hinweisen, dann muß ich Ihnen eines sagen: daß dieser § 8 überhaupt keine Grundlage gab, das zu verhindern. Denn die Genehmigungspflicht gilt nicht für Kraftwerke, deren Planung nachweislich vor dem Inkrafttreten dieses Dritten Verstromungsgesetzes abgeschlossen war. Sie werden mir nicht weismachen, daß irgendeines der Kraftwerke, das im vorigen Jahr seinen Betrieb aufgenommen hat, bei Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht durchgeplant war.
Genausowenig glaube ich die raschen Bauzeiten, von denen heute morgen Herr Kollege Russe sprach. Herr Kollege Russe hat uns zwar gesagt, daß drei Jahre die Bauzeit für ein modernes großes Kraftwerk sei.
({0})
- Meinetwegen auch ein Kohlekraftwerk. Ich wäre ihm sehr dankbar, wenn er mir Kraftwerke nennen könnte, deren Bauzeit vom Planungsbeginn bis zur Inbetriebnahme nur drei Jahre beträgt. Die gibt es nämlich nicht.
Herr Springorum, ich glaube, Sie sind ein ziemlich einsamer Rufer in der Wüste; denn sonst hätte es ihnen eigentlich gelingen müssen, schon zuzeiten andere Akzente in der damaligen Energiepolitik zu setzen.
Heute sind die Ziele der Energiepolitik klar, und sie sind unverändert: die Sicherung und Nutzung der heimischen Energiequellen, ihre Ergänzung durch sicher und immer verfügbares Naturgas und durch Kernenergie, eine weitestgehende Diversifizierung der Importenergien, die Verringerung der einseitigen Abhängigkeit vom Mineralöl und auch die Einschränkung der Zuwachsraten des Verbrauchs an Primärenergie. Zwar wird auch heute ab und zu schon wieder von Überangebot oder gar von Energieschwemme geredet; wir begrüßen es aber, daß die Bundesregierung auch bei der Beantwortung der beiden Großen Anfragen der Koalitionsfraktionen unverändert an den genannten Zielen festhält.
Nun ist das Energieprogramm, auch das Ziel einer sparsamen, rationellen und damit auch umweltfreundlichen Energieverwendung, indessen nicht allein mit Schaffung einer sicheren und soliden Primärenergiebasis zu erreichen. Erfolg werden wir nur haben, wenn wir auch die Probleme der leitungsgebundenen Energien lösen können. Dabei
liegt - das ergibt sich auch schon aus dem Energieprogramm der Bundesregierung und aus den heute zu diskutierenden Antworten - die Zukunft der Versorgung mit Energie und Wärme nicht in einer Totalelektrifizierung des letzten Hauses in der Bundesrepublik. Das Heil kommt auch nicht von einem die letzte Ecke bevölkerungsschwacher Gebiete erreichenden Naturgasnetz und ganz sicher auch nicht allein von einer Bundesfernwärmeschiene. Herr Kollege Russe, hier haben Sie mich heute zitiert; ich kann das nur als den Versuch werten, den Wirkungsgrad Ihres eigenen Beitrages zu erhöhen.
({1})
Nun hat das seine Schwierigkeit mit der Erhöhung des Wirkungsgrades! Nur, Herr Kollege Russe, weiß ich nicht, was dieses Zitat soll. Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat doch wohl selbstverständlich nie vorgehabt - jedenfalls war mir niemals eine solche Äußerung erkenntlich , irgend eine Bundesfernwärmeschiene ins Gelände zu legen, in der Erwartung, damit irgend etwas zu erreichen, bevor nicht die Netze am Ort ausgebaut sind.
({2})
Daß Herr Bundesminister Matthöfer und ich uns im übrigen darüber klar sind, daß eine solche Bundesfernwärmeschiene ordnungspolitische Aspekte und ordnungspolitische Probleme hat, darüber dürfen Sie sich auch klar sein.
Meine Damen und Herren, es kommt nach unserer Auffassung darauf an, die Möglichkeiten von elektrischer Energie, Gas und Fernwärme konzertiert und technisch wie wirtschaftlich sinnvoll einzusetzen. Das bedeutet: Zur Deckung des Nutzenergiebedarfs müssen unter Beachtung der verfügbaren primären und auch sekundären Energieträger jeweils diejenigen Energieträger eingesetzt werden, die, insgesamt gesehen, die Forderung nach sicherer, rationeller und umweltfreundlicher Energie am besten erfüllen. Jede Energieart ist so einzusetzen, daß sie ihre Vorzüge und ihre Stärken voll zur Geltung bringen kann. Das ist die eigentliche Aufgabe.
Die Vorteile einer solchen integrierten Versorgung zeigen sich am deutlichsten bei der Versorgung mit Wärme. Der Energiebedarf in der Bundesrepublik besteht zu 76 % im Bedarf an Wärmeenergie. Dabei entfällt etwa ein Anteil von 40 % auf Raumheizung und Warmwasserbereitung in Haushalt, Kleinverbrauch und Industrie, und mehr als die Hälfte hiervon verbrauchen die privaten Haushalte. Das Potential für die Aufnahme eines leitungsgebundenen Wärmeangebots ist also sehr erheblich. Bei der Versorgung mit Fernwärme tritt an die Stelle zahlreicher Einzelheizungen mit durchweg nur geringem Wirkungsgrad das fachmännisch gewartete und optimal gefahrene Heizkraftwerk mit WärmeKraft-Kopplung, das trotz unvermeidbarer Übertragungsverluste ungleich rationeller zu betreiben ist. Dieser positive energiewirtschaftliche Effekt wird verstärkt durch eine spürbare Verbesserung der Luftqualität. Wo es wegen zu geringer Verbrauchsdichte nicht oder noch nicht sinnvoll ist, Fernwärme anzubieten, steht Heizgas zur Verfügung oder auch die Elektroheizung, die jedenfalls beim Einsatz von Wärmepumpen auch unter energiewirtschaftlichen Aspekten sinnvoll ist. Viele Städte in der Bundesrepublik haben das erkannt. So werden etwa in München schon 40 % des Gesamtwärmebedarfs im Stadtgebiet durch Strom, Gas oder Fernwärme gedeckt; in Düsseldorf sind es 45 %, in Hannover 50 % und in Bielefeld sogar 60 %. Das konnte erreicht werden.
Aber generell sind die wirtschaftlichen und die rechtlichen Grundlagen für eine Ausweitung der integrierten Wärmeversorgung bislang nur sehr unvollkommen vorhanden. Daher werden heute auch insgesamt erst 7 % aller Wohnungen durch Fernwärme versorgt, 5 % haben Elektroheizung, 14 % Gasheizung.
Einem weiteren raschen und zügigen Ausbau etwa der Fernwärmeversorgung stehen einmal die hohen Anfangsinvestitionen für die Wärmeverteilung im Wege. Sie lassen sich nur durch eine zügige Auslastung der Fernwärmeanlagen schnell amortisieren. Hier beginnen die wirtschaftlichen Probleme. Zwar kann nach den Landesbauordnungen und künftig auch nach den Vorschriften des Bundesbaugesetzes der Einsatz wenig umweltfreundlicher Energien in bestimmten Stadtteilen und Baugebieten untersagt werden; einige Gemeindeordnungen kennen auch einen Anschluß- und Benutzungszwang in sehr unterschiedlicher Ausgestaltung. Aber damit ist das Problem nicht oder nur sehr unvollkommen zu lösen. Sicherlich kann man auf diese Weise neue Stadtteile einheitlich an ein Fernheiznetz oder auch an Gasoder Elektroheizung anschließen. Was aber geschieht in den bestehenden Stadtteilen? Soweit sie nach den Vorschriften des Städtebauförderungsgesetzes saniert werden, ist das Problem zu lösen. Im übrigen aber ist man darauf angewiesen, jeden einzelnen Eigentümer zu überzeugen.
Die Antwort der Bundesregierung zur rationellen und sparsamen Energieverwendung enthält einige interessante Passagen zu diesem Problem. Sie gipfeln in der Feststellung, daß etwa die Fernwärme ohne zusätzliche öffentliche Hilfe erst dann zusätzlichen Auftrieb erhalten wird, wenn sich die Brennstoffkosten weiterhin beträchtlich erhöhen sollten und für die Fernwärme die Vorteile der WärmeKraft-Kopplung auch wirtschaftlich voll genutzt werden. Dieser Meinung wird man zustimmen müssen.
Daraus folgt aber auch, daß die Entwicklung solcher Heizsysteme gegen Störungen von außen abgesichert werden muß. Wie notwendig eine solche Absicherung ist, zeigt sich, wenn man die gegenwärtigen Rohölpreise free on board Persischer Golf mit den „Technischen Förderkosten" vergleicht, die für Vorkommen in Nahost oder in Nordafrika ein Verhältnis von 40 : 1 widerspiegeln. Das ungeheure Dumping-Potential, das darin steckt, kann gegen die Entwicklung alternativer Versorgungssysteme mobilisiert werden. Es kann im übrigen jeden anderen Versuch, unabhängiger vom Mineralöl zu werden, im Keime ersticken.
Man hat wiederholt gesagt, die Bundesrepublik sei zur Ölkippe der Welt geworden. Die auf dieser Grundlage gebildeten Öl-Tagespreise ermöglichen daher gar keine Wirtschaftlichkeitsvergleiche zu den kapitalintensiven Verfahren und Systemen einer umfassenden Energierationalisierung. In der Praxis stehen diese Vergleiche natürlich einem Anschluß an solche Systeme im Wege.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute morgen darauf hingewiesen, daß es ihm nicht leichtfalle, den Mindestschutzpreisen beim Öl zuzustimmen. Ich glaube ihm das; es scheint ja auch eine Sünde wider den Geist des freien Welthandels zu sein. Trotzdem glaube ich, daß wir um diese Mindestölpreise nicht herumkommen. Wir begrüßen es daher, daß die Internationale Energieagentur und neuerdings auch die Europäische Gemeinschaft dieses Problem angefaßt haben und daß sich auch die Bundesregierung in einer realistischen Betrachtung der Situation diesem Anliegen nicht verschlossen hat.
Es interessiert in diesem Zusammenhang, welche deutschen Entwicklungen durch den diskutierten Grenzpreis von sieben Dollar/Barrel geschützt werden und welche Entwicklungen bei einem solchen Grenzpreis aus heutiger Sicht ungeschützt bleiben müssen.
Aber neben diesen wirtschaftlichen Unwägbarkeiten stehen der Ausbreitung einer integrierten Energie- und Wärmeversorgung auch eine Reihe von Schwierigkeiten rechtlicher und administrativer Art gegenüber. Ich will sie nicht im einzelnen erwähnen, sondern nur darauf hinweisen, daß beispielsweise die Forderung, die in einigen Bundesländern erhoben wird, Kraftwerke mit einer Leistung von mindestens 300 MW zu bauen, eine Diskriminierung von Heizkraftwerken bedeutet. Aber auch Regelungen des Steuerrechts, des Umweltschutzes, des Baurechts und des Mietrechts erschweren in vielen Fällen die Ausbreitung dieser rationellen und sparsamen Versorgung.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf das erst vorgestern vom Bundesminister für Forschung und Technologie gemeinsam mit dem Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau verkündete Rahmenprogramm „Kommunale Technologien" hinweisen. Wir begrüßen dieses Programm sehr, meinen aber, daß wir es wohl über den technologischen Bereich hinaus werden ausweiten müssen auf die Prüfung auch solcher administrativen und rechtlichen Hindernisse, die die Ausbreitung rationeller Energieversorgungsnetze manchmal mehr behindern als technische Probleme.
Diese integrierten Versorgungsnetze sind im übrigen offen für alle bislang in der Diskussion befindlichen neuen Technologien. Gasnetze, die heute und sicherlich auch noch in einer überschaubaren Zukunft Erdgas zum Kunden bringen, werden morgen aus Kohle gewonnenes Gas transportieren. Die Fernwärme, die heute aus einem Heizkraftwerk auf Kohle-, Gas- oder Ölbasis stammt, wird morgen im Wege der Wärme-Kraft-Kopplung aus einem Kernkraftwerk kommen.
Der außerordentlich kapitalintensive Aufbau eines solchen integrierten Energie- und Wärmenetzes ist daher nicht auf die heute verfügbaren klassischen Energieträger angewiesen. Die Ehe von Kernenergie und Kohle, die ganz sicher eine weitreichende Primärenergiebasis eröffnet, gewährleistet auch nachhaltig die Aufspeisung dieses Systems mit Strom, Gas und Wärme.
In diesem Zusammenhang ein Wort zum Hochtemperaturreaktor, auf den auch Herr Kollege Russe heute morgen schon hingewiesen hat. Nachdem die Vorhaben in den USA ins Stocken geraten sind, handelt es sich hier jetzt wohl nur noch um eine deutsche Entwicklung, an der vielleicht noch die Franzosen interessiert sind. Dieser Reaktor mit seinem unbestreitbar hohen Sicherheitspotential stellt die Standortfrage für Reaktoren neu. Gerade deshalb eignet er sich besonders für die Wärme-Kraft-Kopplung, die jedenfalls nach dem heutigen Stand der Technik nur dann sinnvoll ist, wenn die Reaktoren nicht allzu weit von den Verbrauchsschwerpunkten der Wärme entfernt sind.
Besonders wertvoll an diesem Reaktortyp aber ist das thermische Potential, das die Voraussetzung für den Verbund von Kohle und Kernenergie liefert ebenso wie für eine umfassende Transformation nuklearer Energien in eine Vielzahl von für den Verbraucher nutzbaren Energieformen. Die Entwicklung dieses Hochtemperaturreaktors ist von der Bundesregierung maßgeblich gefördert worden. Gleichwohl ist seine weitere Entwicklung gegenwärtig in hohem Maße gefährdet.
Das industrielle und wirtschaftliche Übergewicht der Leichtwasserreaktoren, das sicherlich nicht in Frage gestellt werden kann, droht das vorhandene wissenschaftliche, mehr aber noch das industrielle Potential für den Hochtemperaturreaktor aufzusaugen, falls nicht umgehend Anschlußaufträge erteilt werden. Die nächste Anlage müßte so konzipiert werden, daß sie sowohl den Belangen der Elektrizitäts- und Fernwärmewirtschaft konventioneller Art gerecht wird als auch als Prozeßwärmequelle für den Verbund von Kohle und Kernenergie zu verwenden ist. Wir begrüßen es daher, daß der Bundesforschungsminister gegenwärtig alle Möglichkeiten für eine weitere Förderung dieses Reaktortyps prüft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Umgestaltung unserer Energie- und Wärmeversorgung stellt uns vor eine Fülle von schwierigen und noch nicht gelösten, vielleicht im Augenblick auch noch gar nicht lösbaren Problemen. Diese Umgestaltung ist ganz sicher eine der größten technologischen, aber auch wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Die Antworten der Bundesregierung, die wir heute debattieren, zeigen die Probleme in aller Klarheit auf, und sie geben Hinweise für ihre Lösung. Wir begrüßen das und werten diese Antworten ganz sicher nicht als letztes, aber als rechtes Wort.
({3})
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
fort. Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will kurz auf einige Punkte eingehen, die in der Debatte bisher eine Rolle gespielt haben.
Der Abgeordnete Schmidhuber hat heute vormittag einen Punkt angesprochen, der sehr ernst zu nehmen ist und auf den ich kurz eingehen möchte, nämlich die Frage, ob es sinnvoll wäre, mit öffentlichen Mitteln den Bau von Konversionsanlagen zu fördern. Da sich die Bundesregierung mit dieser Frage sehr intensiv befaßt hat, will ich hier auch öffentlich sagen, warum wir dies bisher nicht getan haben. Einmal handelt es sich bei diesen Investitionen um sehr teure Investitionen. Es besteht bis jetzt eine Kapazität von 19 Millionen Jahrestonnen. Zum zweiten ist die Rentabilität dieser Anlagen nach bisherigen Berechnungen unsicher und von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Meine Besprechungen mit den Vorständen der Mineralölwirtschaft haben ergeben, daß jedes Unternehmen die Frage weiterer Konversionskapazitäten, so richtig sie pauschal sind, unternehmenspolitisch unterschiedlich beurteilt. Meine Auffassung von der Wirtschaftsordnung, in der wir leben, ist, daß es so bleiben soll,
({0})
daß die Unternehmen dies zu beurteilen haben. Es wundert mich, daß sich ausgerechnet die Opposition, nachdem sie draußen ja doch von marktwirtschaftlichen Grundsätzen spricht, die von der Bundesregierung permanent verletzt würden, hier nun plötzlich selbst so darstellt.
Um es sehr klar zu sagen: Wir hatten beim letzten Konjunkturprogramm eine besondere Förderung von Konversionsanlagen überlegt. Wir haben beschlossen, es bei der allgemeinen Förderung nach dem Konjunkturprogramm zu belassen. Diese Anlagen werden weiterhin gefördert, wenn sie in Aktionsprogrammgebieten schwach strukturierter Regionen gebaut werden. Aber das alles sind Förderungsmaßnahmen, die auch für jede andere Investition gelten.
Eine Sonderförderung hätte unter Umständen ähnliche Folgen, wie wir sie in einem anderen Bereich erlebt haben. Wir haben Tanker mit öffentlichen Mitteln gefördert, und die Erbauer dieser Tanker, Privatunternehmen, haben anschließend daraus den Anspruch hergeleitet, nun müßten wir sie auch beschäftigen. Auch dies entspricht nicht meiner Vorstellung; denn es war die Einzelentscheidung des Unternehmers, ob er bauen will oder nicht.
Zusatzbemerkung: Es hängt nämlich am Ende von der wahnsinnig schwierig zu beurteilenden Frage ab, wie groß der Preisabstand zwischen schwerem und leichtem Heizöl ist. Danach entscheidet sich, ob sich die Konversionsanlage lohnt. Nur wenn der Abstand groß bleibt, lohnt sich die Anlage. Da die Anlage aber den Anfall an schwerem Heizöl vermindert und den Anfall an leichtem Heizöl vermehrt, produziert
sie von der Menge her selbst einen kleiner werdenden Preisabstand.
({1})
Das ist die Problematik, vor der man steht und bei der ich, glaube ich, nicht bereit wäre, mit leichter Hand über sogenannte öffentliche Mittel zu entscheiden, weil ich weiß, daß öffentliche Mittel Gelder sind, die wir vorher unserer Bevölkerung in Form von Steuergeldern abgenommen haben und mit denen wir daher sehr sorgfältig umgehen müssen, bevor wir sie Einzelunternehmen zuschießen.
Letzte Bemerkung zu diesem Teil: Ein Ungerechtigkeitselement kommt noch hinein. Wir würden nämlich diejenigen Gesellschaften, die bisher keine Konversionsanlagen gebaut haben, begünstigen und diejenigen, die das Richtige getan, nämlich welche gebaut haben, nachträglich auch noch benachteiligen. Und es ist doch wohl, wenn auch die Frage der nicht ausgelasteten Raffineriekapazitäten diskutiert werden, kein Geheimnis, Herr Russe: Es gab eben Unternehmen, die in den letzten fünf Jahren bewußt in Konversionsanlagen investiert haben. Ich will hier keine Schleichwerbung machen, aber deren heutige Ertragssituation ist mir bekannt. Und es gab Unternehmen - u. a. das, in dem der Abgeordnete berufliche Verantwortung trägt -, die eben, statt Konversionsanlagen zu bauen, die richtige Politik darin sahen, die Raffineriekapazitäten zu erweitern. Ich kritisiere das nicht; das ist die Entscheidung eines jeden einzelnen Unternehmens, und dieses Unternehmen hat vielleicht sogar noch Glück gehabt, daß die Umweltschützer die weiteren Kapazitäten in Orsoy erst gar nicht haben entstehen lassen; denn die stünden ja jetzt auch noch da und wären nicht beschäftigt. Aber ich kritisiere auch dies nicht; das ist, Herr Russe, in unserer Wirtschaftsordnung nicht Sache der Regierung, sondern Sache der Unternehmungen und derjenigen, die in ihnen Verantwortung tragen.
({2})
Ich kann mich im übrigen zu diesem Unternehmen, obwohl der Bund beteiligt ist, viel weniger sachkundig äußern als drei Vorredner. Denn Sie sind Vorstandsmitglied und haben gesprochen; Ihr stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender hat gesprochen; ein Aufsichtsratsmitglied hat gesprochen. Es ist ja fast eine interne Debatte gewesen.
({3})
Meine Damen und Herren, zu der weiteren Kritik, zu Ihrer Hauptkritik, Herr Abgeordneter Russe: Warum jetzt nicht endlich Fortschreibung des Programms?
Erstens. Das Energieprogramm der Bundesregierung ist kein Jahresenergiebericht; so ist es nicht angelegt.
({4})
Das heißt, es gibt keine jährliche Fortschreibungsoder Berichtspflicht, wie es beim Grünen Bericht oder auch bei anderen Berichten der Fall ist.
Zweitens. Die Grundziele des Programms sind meines Erachtens bis heute unverändert, nämlich: Gefährdungstatbestand Weltenergiesituation, Krisenvorsorge, Maßnahmen zur Sicherung der langfristigen Versorgung mit Öl, also Deutsche Mineralölgruppe, Deminex, Grundaussagen im Steinkohlenbereich, Braunkohle, Kernenergie, Energieeinsparung und Relation Energieversorgung/Umweltschutz.
Ich behaupte sogar, daß eine Fortschreibung heute, quantifiziert, eher ein Schuß ins Blaue wäre als eine saubere Arbeit. Warum? Neue Verbrauchsprognosen jetzt, mitten in der Baisse, sind nach meiner Meinung äußerst problematisch. Sie wissen, ich habe damals auch versucht, das Drängen der Opposition zurückzuhalten, als Sie wollten, daß wir mitten in der schwierigen Lage ein Langfristprogramm verändern.
Es ist immer so: Wer in Extremsituationen langfristige Konzeptionen entwickelt, muß mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, daß sie falsch sind. Das ist einfach im Leben so, nicht nur bei der Energie.
Wir haben nämlich eine extreme Situation in der Baisse. Wir haben die Auswirkungen der Strukturveränderungen noch nicht zuverlässig zur Beurteilung vorliegen. Wissenschaft und internationale Organisationen bestätigen uns absolut in dieser Haltung, daß es im Moment eben nicht möglich ist, mit einem notwendigen Maß an Sicherheit eine Projektion '85 aufzustellen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kern?
Ja.
Nach diesen Ausführungen möchte ich Sie fragen, Herr Minister, was Sie von dem jetzt vorgelegten Energieprogramm des Landes Baden-Württemberg und den dort enthaltenen Prognosen halten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie mir, nicht jetzt, sondern etwas später dazu ein Wort zu sagen, weil ich das ohnehin vorhatte.
Der Unsicherheitsfaktor - ich will das auch zugestehen - der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kommt hinzu. Das Bundesministerium für Wirtschaft hat ein fundiertes Gutachten an wissenschaftliche Institute in Auftrag gegeben. Auch diese Institute können das Gutachten erst im letzten Drittel des Jahres 1976 vorlegen. Dann wird der Zeitpunkt gekommen sein, festzustellen, ob unsere Langfristprognosen des absoluten Energieverbrauchs und der Relation Bruttosozialprodukt zu Energieverbrauch noch stimmen.
Für die Fortschreibung ist es wichtig, daß auch exogene Faktoren berücksichtigt werden. Wir müssen den Verlauf des Nord-Süd-Dialogs in Paris kennen und auch die Fortschritte in den Europäischen
Gemeinschaften und die interne Diskussion in der OPEC etwas besser kennen als im Augenblick.
Das hindert uns überhaupt nicht daran, heute energiepolitische Entscheidungen zu treffen, und zwar Entscheidungen über den Haushalt, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes, das Bundesimmissionsschutzgesetz, das Bevorratungsgesetz zu ändern und das Kohlenzollkontingentgesetz zu verabschieden. Das heißt, wir brauchen zur Verabschiedung dieser Gesetzentwürfe keine revidierte Prognose per 1985, weil die Inhalte dieser Gesetze alle mit Sicherheit in die richtige Richtung zielen. Aber manchmal hat man den Eindruck, es geht einigen nur darum, neue Zahlen herauszulocken,
({0})
um dann später sagen zu können: Ätsch, sie waren aber falsch! Das ist doch wohl nicht der Sinn von Energiepolitik.
({1})
Ich bitte die Abgeordneten und die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages um Entschuldigung, daß ich mich jetzt mit Herrn Russe beschäftige, der gestern nicht anwesend war, als wir die Dinge besprachen, die er kritisiert hat.
({2})
- Was das soll, will ich Ihnen klar sagen: Ich bin gestern in den Ausschuß gebeten worden, um dort den Haushaltsplan meines Ministeriums, geordnet nach Schwerpunktbereichen, zu besprechen. Das ist in einer sehr aufgeschlossenen, sehr konstruktiven Atmosphäre geschehen. Ich möchte das allen Mitgliedern des Ausschusses hier gerne bestätigen.
Dort habe ich genau die Probleme auf Fragen von Herrn Wolfram und Herrn Ahrens detailliert behandelt und gesagt, wie es mit der Finanzierung der Steinkohlenreserve ist, was bei den Bergbauunternehmen bleibt, woraus sie finanziert ist, ob sie im Haushaltsplan eingestellt ist. Es ist alles minuziös behandelt worden.
Deswegen bedauere ich, daß Sie heute vormittag in der Debatte den Eindruck erweckt haben, als ob das nicht der Fall wäre. Ich will es Ihnen hier noch einmal klar sagen: Das, was Sie heute morgen gefordert haben und von dem Sie behauptet haben, wir hätten es nicht getan, exakt das ist beschlossen worden,
({3})
nämlich - das haben Sie wohl noch nicht bemerkt -: Diese zehn Millionen Tonnen bleiben nicht im Bestand der Bergbaugesellschaften. Sie haben gesagt: Sie müssen denen die Liquidität geben. Sie werden ihnen per 1. Januar abgekauft, Herr Abgeordneter,
({4})
durch die Notgemeinschaft des deutschen Steinkohlenbergbaus,
Dann haben Sie gesagt: Laßt euch doch einmal etwas einfallen! Finanziert sie durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau! Nein, wir finanzieren sie ganz normal mit Krediten. Aber der Bund macht eine Rückbürgschaft für diese Kredite, - wiederum eine Entlastung der Unternehmen. Die Zinslast tragen wir auch noch, so daß es sich um eine totale bilanzmäßige und finanzielle Entlastung handelt.
Wie können Sie sich mit Ihrer Verantwortung, die Sie tragen, hier hinstellen und so tun, als ob dies alles nicht der Fall wäre?
({5})
Ich möchte Ihnen die Zahlen sagen. Das bedeutet für die Bergbauunternehmen liquiditätsmäßig eine Verbesserung um 1,5 Milliarden DM. Das bedeutet, daß die Ertragslage durch die Vermeidung von Abschreibungen über die Menge von 10 Millionen Tonnen entscheidend verbessert wird. Es verbleiben bei den Unternehmen - hier haben Sie recht - noch die Lagerkosten, während die gesamten Zinskosten in Höhe von 135 Millionen DM von der öffentlichen Hand übernommen werden. Das ist der Tatbestand. Das soll die Öffentlichkeit wissen. Ich habe niemals den Versuch gemacht, die Kumpel an der Ruhr oder irgendwo sonst zu täuschen. Dann müssen Sie aber auch diese Wahrheit hören und das, was bereits entschieden ist.
({6})
Die Mittel dafür, Herr Abgeordneter, stehen im Bundeshaushalt 1976, weil ich selbst in meinem Haushalt 1975 100 Millionen DM locker gemacht habe. Nun wissen Sie die Wahrheit.
({7})
Wenn Sie aber sagen, das alles sei nicht genug und diene nicht der Sicherheit, dann lassen Sie mich noch etwas hinzufügen. Wir müssen auch sehen, daß wir in der Finanzierung unserer Bundesrohölreserve den Weg weitergehen, den wir gegangen sind, denn das dient auch der Sicherheit. Herr Abgeordneter, vielleicht haben Sie die Güte, hier vor der Öffentlichkeit auch noch zur Kenntnis zu nehmen, daß wir gestern im Wirtschaftsausschuß, dessen Mitglied Sie sind, auch besprochen haben: daß wir bei der Bundesrohölreserve das Ziel per Ende 1975 nicht nur erreicht, sondern um fast 100 % überschritten haben. Auch dies soll hier gesagt sein.
({8})
Damit allerdings stimmt sicher nicht überein, was in einem Fernschreiben steht, das an den Bundeskanzler gerichtet ist; aus einer Kopie möchte ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz zitieren:
Sie hält die geplante Erhöhung der Ausgleichsabgabe nicht für gerechtfertigt und die Art und Weise, wie der Erhöhungsbetrag berechnet werden soll, für untragbar.
Es heißt weiter:
Die Bundesregierung geht selbst davon aus, daß sich die Konjunktur im Laufe des Jahres spürbar erholen wird. Damit werden sich aber der Steinkohleabsatz und das Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe automatisch erhöhen. Zusätzliche Finanzhilfen zugunsten des Steinkohleabsatzes würden unter diesen Umständen über das Ziel hinausschießen.
Die Unterschrift lautet: Die Landesregierung von Baden-Württemberg, Filbinger, Ministerpräsident.
({9})
Nun wissen Sie, was Ihre Leute dort erzählen, wo keine Kohle gefördert wird, zufällig aber Wahlkampf geführt wird. Ich wollte hier noch einmal deutlich machen, daß es nicht angeht, daß man auf der einen Seite sagt, man tue alles für die Kumpel, und wir müssen noch dafür sorgen und mit allen möglichen Methoden den Versuch machen, im Bundesrat wenigstens eine Mehrheit für das zu bekommen, was wir hier fordern und was Sie als unzureichend bezeichnen.
({10})
Ich werde mich allerdings mit großem Vergnügen morgen abend im Wahlkreis dieses Ministerpräsidenten aufhalten. Sie können sich darauf verlassen, daß diese Frage auch dort besprochen wird, wo keine Kumpel sind.
Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen, meine Damen und Herren. Was mich heute morgen an den Beiträgen gestört hat, war, daß der Kosteneffekt hier nun überhaupt nicht erwähnt wurde. Es ist doch merkwürdig, daß wir uns Sorge darüber gemacht haben, ob die Relation soziale Sicherheit/ Kosten bzw. Belastbarkeit der Wirtschaft stimmt. Jede Entscheidung, die Sie hier treffen und die sich gut anhört, die aber gleichzeitig Mehrkosten verursacht, ist doch auch eine Maßnahme, die uns in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zusätzliche Probleme schafft. Oder ist das etwa nicht der Fall?
({11})
Ich halte nichts von diesen Sektoraldebatten, wo man so tut, als könne man alles machen und als würde das nebendran überhaupt nichts schaden. Das Ziel muß es doch wohl sein, den Menschen an Rhein und Ruhr und an der Saar das Maß an Sicherheit zu geben, auf das sie einen Anspruch haben, die Kohle zu produzieren, die wir brauchen, um unsere Sicherheit so beträchtlich wie möglich zu machen. Ich wiederhole aber: Eine absolute Unabhängigkeit von Import und Öl wird es in den nächsten zehn, ich sage Ihnen, in den nächsten zwanzig Jahren nicht geben.
({12})
Es kann sich also nur um die Frage der Relativität handeln. Im Verhältnis dazu müssen dann auch die Aufwendungen gesehen werden. Ich bilde mir ein, daß Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen es sich nicht leicht gemacht haben, diesen schmalen Grat von Vertretbarkeit zu finden. Ma14894
chen Sie es sich bitte nicht zu leicht, indem Sie hier so tun, als ob nichts oder, wenn überhaupt, dann Falsches geschehen sei.
({13})
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Spilker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Vorreden meiner Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion war es an sich meine Absicht, mich sehr kurz zu fassen, damit wir uns gemeinsam der Debatte über die friedliche Nutzung der Kernenergie zuwenden können. Ich meine nun aber auch auf das eingehen zu sollen, was Herr Bundesminister Dr. Friderichs hier erwähnt hat. Mein Kollege Russe wird im besonderen auf die Fragen zurückkommen, mit denen er ihn persönlich angesprochen hat.
({0})
- Lieber Herr Kollege, über Aufsichtsratssitzungen wollen wir hier nicht sprechen. Es war auch früher nicht üblich, daß Bundesminister hier darüber gesprochen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mich hier mit Fragen des Verstromungsgesetzes befassen. Zunächst möchte ich fragen, warum wir dieses Gesetz nicht morgen beraten, denn es ist doch im Grunde genommen ein Steuergesetz und es würde sich gut in die Reihe der Entwürfe einordnen, die die Bundesregierung vorgelegt hat und die morgen in der Steuerdebatte erörtert werden. Diese Entwürfe zielen auf eine Erhöhung der Umsatzsteuer, der Tabaksteuer und der Branntweinsteuer ab. Dann könnten wir wenigstens dokumentieren, daß wir in dieser Woche über die Erhöhung von drei Steuerarten und der Verstromungsabgabe diskutieren. Das ist, wie ich meine, ein Rekord, wie er in diesem Hause selten zu verzeichnen ist.
Wir waren immer der Meinung, daß die Verstromungsabgabe in Wirklichkeit eine Verbrauchsteuer darstellt. Diese Abgabe soll durch Gesetz nunmehr von 3,24 auf 4,5 % des Betrages der Stromrechnung erhöht werden.
({1})
Ja, Herr Kollege Graf Lambsdorff, aber zu dieser Anhebung kommen andere Preiserhöhungen hinzu, die jeden einzelnen Verbraucher treffen. Das wird oft übersehen. Damit dies nicht geschieht, erinnere ich an die Preiserhöhungen für Kohle ab 1. Januar 1976 zwischen 4,5 und 12,5 %, an die Preiserhöhungen für Strom in Höhe von rund 10 % und schließlich auch an die beträchtliche Preiserhöhung für Erdgas bis zu 30 %. Diese Erhöhungen kommen also hinzu. Der Verbraucher hat zum einen eine erhöhte Verstromungsabgabe und zum anderen die, wenn ich so sagen darf, normalen Preiserhöhungen, die auf andere Kostensteigerungen bei den einzelnen Unternehmungen zurückgehen, zu zahlen.
Meine Damen und Herren, es geht mir bei meinen Ausführungen nicht darum, frühere Meinungsverschiedenheiten z. B. haushalts- und steuerpolitischer Art wieder in die Debatte einzuführen. Wir wollen hier aber in aller Ruhe feststellen - dies hat der Herr Bundesminister, wie ich glaube, mit anderen Worten auch getan -, daß es ein Jahr und einen Monat nach Inkrafttreten des Dritten Verstromungsgesetzes schon notwendig geworden ist, dieses Gesetz zu ändern, weil seine Ziele bei weitem nicht erreicht worden sind. Damals, 1974, hieß es - meine Damen und Herren, ich erinnere daran -: Sicherstellung der Verstromung von jährlich durchschnittlich 33 Millionen Tonnen, mindestens aber 30 Millionen Tonnen deutscher Steinkohle. Das ist nicht eingetroffen. In Wirklichkeit wurden nämlich 1975 nur 22 Millionen Tonnen Steinkohle zur Verstromung eingesetzt. Es sieht so aus, als ob sich daran dieses Jahr ohne neue staatliche Maßnahmen nichts ändern wird, obwohl man eigentlich mit einer mehrprozentigen Steigerung des Stromverbrauchs rechnet.
Herr Bundesminister Friderichs hat am 14. Januar in der „Tagesschau" erklärt - ich zitiere -:
Ziel ist, mehr deutsche Steinkohle zu verstromen. Da aber deutsche Steinkohle teuerer ist als andere Primärenergieträger, müssen die Mehraufwendungen von den Verbrauchern getragen werden. Daher wird sich das, was man landläufig „Kohlepfennig" nennt, von jetzt im Durchschnitt 1,30 DM pro Monat und VierPersonen-Haushalt erhöhen auf etwa 1,80 DM, d. h. um 50 Pfennige.
Der Minister hat diese Argumentation heute früh wiederholt, und ich muß sagen, sie hört sich ganz gut und völlig undramatisch an, jedenfalls besser, als wenn man mit gleichem Recht von einer Anhebung der Verstromungsabgabe um knapp - hören Sie gut zu - 40 % spräche. Das eine ist so richtig wie das andere. Der Gesamtproblematik allerdings werden beide Feststellungen nicht gerecht. Da kommen nämlich andere Fragen auf uns zu, denen wir doch wohl nicht ausweichen können - so ist auch das Fernschreiben der Landesregierung von Baden-Württemberg gemeint -, Fragen, die wir in den Ausschüssen hoffenlich ganz eingehend beraten können. Ich habe bei diesem Schnellverfahren zwar einige Zweifel, aber ich hoffe doch - und hoffe das mit meinen Freunden -, daß dies in den nächsten Wochen gelingen wird.
Einige Fragen, meine Damen und Herren, mögen Sie mir gestatten, um die Diskussion vielleicht auch für die Ausschüsse etwas anzureizen. Soll z. B. die weitere Stützung der Steinkohle, so berechtigt sie sein mag, weiter über das Sondervermögen finanziert werden? Wenn ja: Ist dann gleich eine Anhebung auf 4,5 % des Rechnungsbetrages notwendig? Damit komme ich wiederum auf das Fernschreiben der Landesregierung Baden-Württemberg zurück. Oder die weitere Frage: Ist es richtig oder ist es in unserer konjunkturellen Lage folgerichtig, private und industrielle Stromverbraucher gleich zu belasten? Das ist eine Frage, die heute morgen auch vom Herrn Bundeswirtschaftsminister angedeutet wurde.
Herr Abordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Ja.
Herr Kollege Spilker, fällt Ihnen eigentlich auf, daß Sie nun eine Richtung einschlagen, die der von Herrn Russe und Herrn Springorum vertretenen genau widerspricht, die beide weit darüber hinausgehende Aufwendungen verlangt haben?
({0})
Lieber Herr Kollege, erstens bin ich noch nicht am Ende
({0})
und zweitens stelle ich hier Fragen, um eine Diskussion in Gang zu bringen, die ich für notwendig halte und die im Interesse der Sache auch zwingend ist.
({1})
- Herr Wolfram, warten Sie doch ein bißchen! Ich habe doch bei Ihnen auch nicht ununterbrochen dazwischengerufen. Ich tue das, wie Sie wissen, auch sonst nicht.
Ich möchte diese Fragestellung, diesen Fragekatalog doch fortsetzen. Wir haben Stromverbraucher, die aus rein regionalen Gründen verschieden behandelt werden. Da spielt die Revierferne eine große Rolle. Das heißt: Stromverbraucher in revierfernen Gebieten zahlen jetzt schon höhere Strompreise und werden dadurch, daß die Verstromungsabgabe auf den Preis bezogen wird, noch einmal zu einer höheren Abgabe gezwungen. Das scheint mir kein guter Weg zu sein.
Aber es besteht auch noch die Frage, ob wir mit den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht sogar besonders stromintensiven Industrien die Wettbewerbsfähigkeit entziehen, vor allem dann, wenn solche Betriebe revierferne Standorte haben. Ich stelle diese Fragen, weil ich in zahlreichen Gesprächen in den letzten Wochen und Monaten auf diese Problematik angesprochen worden bin, wobei natürlich auch die Bemessungsgrundlage - Preis oder Menge - immer wieder im Mittelpunkt stand.
Meine Damen und Herren, ich bin mir darüber im klaren, daß differenzierte Maßnahmen ein hohes Maß an Verwaltungsmehrarbeit zur Folge haben. Ich weiß auch, daß man Einfachheit und Gerechtigkeit bei manchen Gesetzen nur sehr schwer in Einklang bringen kann. Ich glaube aber, wir sollten uns bemühen, hier wenigstens einen Mittelweg zu finden, um die schlimmsten Härten auszugleichen.
({2})
Gestatten Sie mir im Zusammenhang mit den Fragen noch zwei Hinweise. Sie wissen, daß der derzeitige Modus der Ausgleichsabgabe wegen der Unterschiede im Strompreisniveau der einzelnen
EVU zu einer unterschiedlichen Belastung vergleichbarer Stromabnehmer führt. Das ist nicht gut. Das ist ein Problem, das - soweit ich es übersehe - sicherlich in erster Linie von den revierfernen Bundesländern aufgegriffen wird. Gewiß ist es schwer, hier Abhilfe zu schaffen, da das Strompreisniveau nicht nur von EVU zu EVU, sondern auch innerhalb einer EVU durch verschiedene Verträge verschieden ist. Trotzdem scheint mir auch hier eine Lösung möglich zu sein, die auch denen gerecht wird, die nicht das Glück haben, reviernah zu wohnen, reviernah zu arbeiten oder reviernah industriell tätig zu sein.
Noch ein Wort zu besonders stromintensiven Betrieben. Manchen Betrieben dieser Art wird durch die erhöhte Verstromungsabgabe die Wettbewerbsfähigkeit entzogen, und zwar mit allen Folgerungen, die sich daraus ergeben, bis hin zu den Arbeitsplätzen. Sie werden mir entgegenhalten - Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute früh bereits von der Härteklausel gesprochen -, daß das Verstromungsgesetz für diese Fälle in § 7 eine Härteklausel enthält. Ich muß Ihnen aber darauf antworten, daß diese Klausel bei weitem nicht ausreicht. Die Härteklausel des § 7 des Dritten Verstromungsgesetzes sieht vor, daß Unternehmen von der Ausgleichsabgabe entlastet werden, wenn die Belastung nach Feststellung des Bundesamts für gewerbliche Wirtschaft eine unbillige Härte darstellt. Eine unbillige Härte liegt vor - Abs. 2 -, „wenn durch die Belastung die wirtschaftliche Existenz des einzelnen Unternehmens, eines Unternehmensteils oder einer Betriebsstätte gefährdet ist". Nach Auslegung des Bundesamts für gewerbliche Wirtschaft bzw. des Bundeswirtschaftsministeriums heißt das, daß infolge der Ausgleichsabgabe Konkurse oder Überschuldung drohen müssen. Bei unselbständigen Betrieben soll auch die drohende Schließung wegen Unwirtschaftlichkeit genügen.
Diese Härteklausel ist für meine Begriffe zu hoch aufgehängt, und die Anforderungen sind einfach zu streng. Mein Vorschlag: Statt auf die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz abzustellen sollte es genügen, wenn die Belastung für das einzelne Unternehmen, ein Unternehmensteil oder ein einzelnes Erzeugnis zu einer nicht unbeträchtlichen Beeinträchtigung seiner Wettbewerbsfähigkeit führt. Das wäre z. B. ein Weg, auf dem man sich treffen könnte.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich bin fertig, Herr Präsident.
Bei dem Ziel, mehr deutsche Steinkohle als 1975 zu verstromen und damit zur Sicherung unserer Stromversorgung beizutragen, und unseren sonstigen Bemühungen um die deutsche Steinkohle und die im Bergbau arbeitenden Menschen sind wir auch verpflichtet, die Schwierigkeiten, Belastungen und Gefährdungen zu sehen, die durch das Dritte Verstromungsgesetz und dessen Änderung entstan14896
den sind bzw. entstehen werden. Darauf aufmerksam zu machen und hier Änderungen anzuregen bezweckten meine heutigen Ausführungen.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie, Matthöfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige wenige Richtigstellungen zu Feststellungen, die heute von Abgeordneten der immer noch ungeübten Opposition zu meinem Fachbereich Forschung und Technologie gemacht worden sind. Zunächst einmal zu einer Bemerkung des Abgeordneten Dr. Stavenhagen, der sich darüber beschwerte, daß die Bundesregierung im „Rahmenprogramm Energieforschung" für die Jahre 1974 bis 1977 nur 56 Millionen DM veranschlagt habe. Das stimmt natürlich, Herr Kollege Dr. Stavenhagen, wenn Sie nur diese Zahl nehmen. Man könnte zeigen, was im Rahmenprogramm sonst noch für energiesparende Maßnahmen ausgewiesen ist, etwa, Herr Kollege Lenzer, die von Ihnen so sehr geliebten Studien oder die Komponentenentwicklung.
({0})
- Herr Kollege Lenzer, ich habe mit großer Erwartung gehört, daß Herr Russe Sie angekündigt und die Themen aufgezählt hat, zu denen Sie noch reden werden. Lassen Sie sich das vorher noch einmal gut durch den Kopf gehen, was Sie sagen werden.
({1})
Jetzt erst einmal zu Herrn Stavenhagen: 1974 7 Millionen DM, 1975 - der. erste Haushalt, den ich zu verantworten hatte - 40,8 Millionen DM
({2})
- ja, gucken Sie das einmal alles nach, Herr Dr. Stavenhagen, Sie sind ja Berichterstatter für meinen Haushalt -, 1976 7,5 Millionen DM, Konjunkturprogramm 1975/76 108 Millionen DM, zusammen also 163,3 Millionen DM für rationelle Energieverwendung in drei Jahren.
Der hohe Ansatz des Jahres 1975, Herr Kollege Dr. Stavenhagen, ist u. a. den Bemühungen meines Kollegen Bertram Blank zu verdanken. Ihre Fraktion - und Sie auch - hat sich diesen Vorschlägen leider nicht anschließen können. Sie haben dagegen gesprochen und dagegen gestimmt. Dann können Sie sich hier nicht anschließend hinstellen und sagen, die Bundesregierung habe zu wenig getan. Das geht ja wohl nicht.
Jetzt zu Herrn Kollegen Russe. Er hat gesagt, der Bundesminister für Forschung und Technologie spreche weiterhin unbeirrt von seiner - ich wollte, das stimmte; denn das wird ja ungefähr 200 Milliarden DM kosten - Bundesfernwärmeschiene, als ob hiermit gleichsam 80 Millionen Tonnen Steinkohlenhalde von heute auf morgen oder jedenfalls in nächster Zukunft eingespart werden könnten. - Herr Kollege Russe, wenn Sie einmal so freundlich wären, einen Moment zuzuhören, würde ich Sie nämlich auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Burgbacher, Russe usw. und Fraktion der CDU/CSU vom 4. Juli 1975 verweisen. In dieser Antwort der Bundesregierung, die natürlich völlig meine Meinung darstellt, sonst stünde das hier nicht so, heißt es:
Es existieren heute keine Planungen für ein bundesweites Fernwärmenetz. Ein Fernwärmeversorgungssystem kann nur stufenweise von lokalen über regionale zu überregionalen Etappen aufgebaut werden. Für eine Realisierung der jeweils höheren Stufe ist die exakte Ermittlung der Investitionskosten und der Wirtschaftlichkeit entscheidend auf Grund der bereits betriebenen Fernwärmenetze. Wie alle großen Infrastruktursysteme - Schienennetz, Stromverbund, Straßennetz - würde der Ausbau eines bundesweiten Fernwärmenetzes einen Zeitraum von Jahrzehnten benötigen.
Das ist die Meinung der Bundesregierung und meine Meinung, die ich auch immer so vortrage. Ich frage mich, wie Sie dann dazu kommen, hier derartige Dinge vorzubringen.
({3})
- Nein, er ist weder im Ausschuß, noch liest er die Antwort der Bundesregierung auf Fragen, noch hört er zu, wenn man ihm erzählt, was richtig ist.
({4})
- Herr Kollege Carstens, ich freue mich darüber, daß Sie sich heute zur Debatte melden. Ich freue mich auch, wenn Sie einmal einen Zwischenruf machen. Ich würde mich auch freuen, wenn Sie sich nach der Rede Ihres Kollegen Gruhl hier hinstellten und sagten, welches denn nun die Meinung der CDU/CSU-Fraktion ist.
({5})
Herr Fraktionsvorsitzender, ich bekomme Briefe von Umweltschutzverbänden, die besagen: Solange Herr Gruhl Umweltsprecher der CDU/CSU-Fraktion ist, ist für uns keine andere Partei wählbar. Wir werden heute erleben, wer Herr Gruhl ist und für wen er hier spricht.
({6})
Ich wünschte mir, daß Sie hierherkommen und uns auch die Meinung der CDU/CSU-Fraktion zu der Rede des Herrn Kollegen Gruhl sagen.
Meine
Damen und Herren, wir hatten uns vorgenommen, über rationelle und sparsame Energieverwendung zu sprechen.
({0})
Ich schlage vor, daß wir das im weiteren Verlauf der Debatte versuchen.
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stavenhagen?
Herr Präsident, dann bitte ich aber auch sehr darum, daß der Herr Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU keine aufreizenden Zwischenrufe macht.
({0})
Herr Kollege Matthöfer, wir wollen in der Debatte fortfahren. Ich frage Sie daher noch einmal, ob Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stavenhagen zulassen?
Immer!
Bitte, Herr Kollege!
Herr Minister, können Sie uns sagen, welche Meinung in der SPD gilt, das, was Herr Eppler in Baden-Württemberg sagt, oder das, was Herr Farthmann in Nordrhein-Westfalen sagt, daß nämlich neue Fabriken wichtiger als zuviel Umweltschutz seien und daß wir es uns nicht länger leisten könnten, Genehmigungsverfahren für den Bau neuer Industrieanlagen durch Umweltschutzüberlegungen zu verzögern?
Das kommt ganz auf den bestimmten Fall an.
({0})
- Dazu kann man überhaupt keine generelle Aussage machen. Es ist die Meinung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und die Meinung der Bundesregierung, daß beides, der Schutz der Umwelt und die Voraussetzungen für ein vernünftiges wirtschaftliches Wachstum, gewährleistet sein muß.
({1})
Wen Sie mit Patentrezepten alles über einen Leisten schlagen wollen, werden Sie natürlich Schiffbruch erleiden.
Herr Minister, wir haben noch zwei Zwischenfragen. Der
nächste ist Herr Abgeordneter Spilker. Dann sehe ich am Mikrophon bereits einen weiteren Kollegen aus Baden-Württemberg.
Bitte schön!
Herr Minister, ist es üblich, daß der noch im Plenum verbliebene Bundesminister den Inhalt der Rede eines Kollegen von der Opposition vorwegnimmt?
Herr Kollege, warten Sie einmal die Rede des Kollegen Gruhl ab! Ich bin gern bereit, nachträglich noch einmal dazu Stellung zu nehmen, wenn das Ihr Stilgefühl befriedigt.
Herr Minister, Sie sind auch mit der nächsten Frage des Herrn Kollegen Dr. Böhme einverstanden?
Bitte schön!
Herr Minister, können Sie bestätigen, daß die SPD auf dem Bundesparteitag in Mannheim einen einheitlichen Standpunkt zur Kernenergie bezogen hat, der auf einen Antrag aus dem Landesverband Baden-Württemberg zurückgeht und damit jetzt eine einheitliche Grundlage für die Haltung der SPD insgesamt darstellt?
Herr Abgeordneter, die Bestätigung ist völlig überflüssig. Die SPD hat auf allen Gebieten einen einheitlichen Standpunkt,
({0})
den sie auch entsprechend einheitlich nach außen vertritt.
({1})
Jetzt kommen wir wieder zum Kollegen Russe. Der sagt weiter:
Nach unserer Einschätzung der Probleme kommt es hier vor allen Dingen darauf an, die Fernwärmeversorgung dort aufzubauen, wo die Anschlußdichten vorhanden sind und zugleich besondere Umwelterfordernisse bestehen, nämlich in den Verdichtungsgebieten.
({2})
- Eben! - Das ist in der Antwort der Bundesregierung dann noch einmal ausführlich in einem langen Abschnitt dargestellt. Es wäre gut, wenn er nachlesen würde, bevor er fragt.
({3})
Ich will die ersten Sätze einmal vorlesen:
Die Bundesregierung begrüßt die gegenwärtigen Bemühungen der Fernwärmewirtschaft um Ausbau und Verdichtung bestehender Fernwärmenetze in dicht besiedelten Gebieten. Sie sieht in diesen privatwirtschaftlichen Plänen einen wichtigen Beitrag zur rationellen Energieverwendung und fördert daher die Initiativen der Fernwärmewirtschaft zum weiteren Ausbau der Fernwärmeversorgung unter den Voraussetzungen des Investitionszulagengesetzes. Sie gibt damit einen neuen Anreiz, durch Verdichtung bestehender Netze, Bildung neuer Fernmeldeinseln und Zusammenschluß benachbarter Versorgungsgebiete die Voraussetzungen für einen etwaigen späteren großflächigen Fernwärmeverbund zu schaffen, ...
Das ist die Meinung der Bundesregierung und natürlich auch meine Meinung.
Jetzt geht es weiter mit dem Herrn Russe. Er sagte: „Das Entscheidende ist, es muß sich rechnen. Wer soll denn das sonst bezahlen? An diesen Klippen kommt der Minister nicht vorbei, ob er will oder nicht." Dies ist mir natürlich klar. Ich habe das auch schon viele Male gesagt. Man kann natürlich nicht verlangen, daß ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen auch dann Wärme verkauft, wenn dies ein Verlustgeschäft wäre. Daß dies rentabel sein muß, scheint mir selbstverständlich zu sein.
Ich möchte aber folgendes sagen: Manche Politiker mit Funktionen in Wirtschaftsunternehmen neigen nach einer gewissen Weile dazu, betriebswirtschaftliche Kriterien überzubetonen und die Perspektiven des Gemeinwohls aus dem Auge zu verlieren. Es ist die Aufgabe der Politik, Herr Kollege Russe, volkswirtschaftliche Vernunft durch entsprechende Maßnahmen mit der betriebswirtschaftlichen Rentabilität zur Deckung zu bringen. Man kann sich nicht im Deutschen Bundestag hinstellen und sagen: „Das rechnet sich nicht", ohne gleichzeitig zu sagen, was man tun muß, als Gesetzgeber oder als Bundesregierung, um der volkswirtschaftlichen Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen.
({4})
Dann sagt der Kollege Russe, die Regierung solle die Öffentlichkeitsarbeit im Hinblick auf die Information über die Notwendigkeit und die Risiken der Kernenergie verbessern. Auch hier wurde der betreffende Haushaltstitel von Ihnen im Haushaltsausschuß abgelehnt. Das ist eine Doppelzüngigkeit, Herr Kollege Russe. Sie können doch nicht im Haushaltsausschuß, wenn der sozialdemokratische Berichterstatter diesen Vorschlag macht, dagegen argumentieren und sich anschließend in der Öffentlichkeit hinstellen und die Bundesregierung auffordern, ihre Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern.
({5})
Wir werden es ja erleben, Sie werden im Haushaltsausschuß wieder die Chance haben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte!
Herr Minister, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß wir diesen Dauerbrenner zum zweitenmal im Plenum besprechen und daß ich schon das letztemal darauf hingewiesen habe, daß diese 800 Millionen DM nichts in der Titelgruppe „Reaktorentwicklung" zu suchen haben, daß Sie ferner für dieses Jahr 3,2 Millionen DM haben wollen, und das ausgerechnet im Wahljahr, während Sie 1977 wieder wesentlich weniger haben wollen?
Herr Kollege Stavenhagen, erstens einmal waren es 800 000 DM, nicht 800 Millionen DM.
({0})
Zweitens richtet sich die Notwendigkeit, mit der Bevölkerung über Risiken und Nutzen der Kernenergie zu diskutieren, nicht nach Wahljahren.
({1})
Wir können die Verwirklichung unseres Energieprogramms nicht deshalb aussetzen, weil zwischendurch einmal Wahljahre sind. Dann kommt das nächste Jahr, wo dann Landtagswahlen konzentriert sind, oder was weiß ich. Da muß schon eine vernünftige Regelung gefunden werden, auch für 1976. Ich nehme das aber als Ankündigung, daß Sie entgegen der Aufforderung des Kollegen Russe auch in diesem Jahr beabsichtigen, der Bundesregierung diese 3,2 Millionen DM nicht zu bewilligen. Gott sei Dank haben wir die Mehrheit und nicht Sie.
Der Kollege Russe sagt dann weiter, mahnend an die Bundesregierung gerichtet: „Man muß auch an die Kernkraftwerke der zweiten Entwicklungsgeneration denken." Und dann behauptet er, die Bundesregierung habe trotz offenkundiger Vorzüge die Entwicklung des Hochtemperaturreaktors schleppend behandelt. Das ist natürlich auch unzutreffend. Man muß sich fragen, was er eigentlich will. Wir haben im Vierten Atomprogramm gesagt, was wir anstreben. Wir haben dieses Programm Zug um Zug realisiert. Wir haben das Prototypkraftwerk SNR 300 in Kalkar im Bau, wir bauen den THTR 300 bei Schmehausen; die Fertigstellung ist gegen Ende des Jahrzehnts zu erwarten. Nur, verehrter Herr Kollege Russe, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten: Der Bau eines Hochtemperaturreaktors muß sich rechnen.
({2})
Falls es Ihnen nicht bekannt sein sollte, dann darf ich Ihnen sagen, daß der HochtemperaturreaktorMarkt in den Vereinigten Staaten gerade zusammengebrochen ist, daß Bestellungen für 10 000 Megawatt Hochtemperaturreaktorkapazität zurückgenommen worden sind, und daß die General Atomic mit einem Verlust von 750 Millionen Dollar aus dieBundesminister Matthöfer
sem Geschäft ausgestiegen ist, weil sie sich von den letzten Aufträgen hat loskaufen müssen. Und da verlangen Sie von der Bundesregierung, vom Bundesforschungsminister, daß er einen Reakatortyp entwickeln läßt, als könne er je nach seiner Entscheidung einen Leichtwasserreaktor oder auch einen Hochtemperaturreaktor so von der Stange kaufen, als sei es nur mangelnder Wille der Bundesregierung, Hochtemperaturreaktoren jetzt einzusetzen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Minister, Sie haben General Atomic und deren Pleite zitiert. Würden Sie die Güte haben, dann dem Hohen Hause auch zur Kenntnis zu geben, aus welchen Gründen dieses Unternehmen in Amerika pleite gegangen ist, und dies nicht in Verbindung mit dem HTR-Reaktor bringen?
Entschuldigen Sie bitte!
({0})
Sie haben von dem Hochtemperaturreaktor gesprochen. Der Hochtemperaturreaktor-Markt in den Vereinigten Staaten ist zusammengebrochen. Es gibt meines Wissens zur Zeit in der ganzen Welt keinen einzigen Auftrag für einen kommerziellen Hochtemperaturreaktor. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis! Wir betreiben unsere Entwicklung planmäßig weiter. Wir versuchen auch, in Abstimmung mit anderen Nationen zu dem Ziel zu kommen, den Hochtemperaturreaktor so zügig wie möglich weiterzuentwickeln. Aber wir werden auch beim Bau des zukünftigen Hochtemperaturreaktors genau, wie wir es beim Prototypbau tun, uns demselben gründlichen atomrechtlichen Genehmigungsverfahren unterwerfen, wie es bei anderen Kraftwerken erforderlich ist, bei Prototypreaktoren natürlich um so mehr, als es sich um ganz neue Dinge handelt. Deshalb dauert das Genehmigungsverfahren dort eben länger. Wir wehren uns nicht dagegen, wir beschweren uns darüber nicht, weil die Bundesregierung auch in dieser Beziehung dem notwendigen Schutz von Leben und Gesundheit Vorrang vor wirtschaftlichen Erwägungen einräumt. Das hat Konsequenzen für den Bauablauf un den Zeitrahmen für die Weiterentwicklung der Hochtemperaturreaktortechnologie.
Wir haben gerade der Prozeßwärmeerzeugung durch Hochtemperaturreaktoren Priorität eingeräumt. Das kann Ihnen der Kollege Stavenhagen bestätigen. Ich verweise auf unser Projekt „Nukleare Prozeßwärme", in dem die Kernforschungsanlage Jülich, die Industrie, die Bergbauforschung und die Rheinischen Braunkohlenwerke zusammenarbeiten. Da gibt es eben technische Schwierigkeiten, Herr Kollege Russe, die erst gelöst werden müssen und die man nicht durch Befehl lösen kann, sie müssen
durch Forschung und Entwicklung neuer Technologien gelöst werden. Das dauert seine Zeit.
Die Bundesregierung fördert diese Entwicklung weiterhin auf Grund eines beschlossenen Konzepts, in dem internationale Zusammenarbeit und internationale Arbeitsteilung eine wichtige Rolle spielen, und die Bundesregierung wird keinem Vorschlag zustimmen, der eine Beschleunigung der Arbeiten auf Kosten der notwendigen Sicherheit zum Ziele hat. Ich bin überzeugt, daß Sie das auch nicht anders hören werden, wenn der Wirtschaftsausschuß zu diesem Thema die Beteiligten selbst anhören wird, vorausgesetzt, Sie können an dieser Sitzung teilnehmen.
Sie haben dann der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe Sorglosigkeit an den Tag gelegt bei der Versorgung mit Natururan. Ich frage mich: Wie kommen Sie dazu? Wir haben uns intensiv und erfolgreich um eine langfristige Deckung des Bedarfs an Kernbrennstoffen bemüht. Wir haben in den vergangenen Jahren in verstärktem Maße Mittel eingesetzt, um die langfristige Versorgung der deutschen Kernkraftwerke mit Natururan zu sichern. Allein in dieser Legislaturperiode, also seit 1972, werden für die Suche nach neuen Uranlagerstätten und die Beteiligung an Uranbergwerken rund 140 Millionen DM ausgegeben, um die Prospektion und den Abbau von Uran zügig voranzutreiben. Das ist erheblich mehr als in allen anderen Legislaturperioden zusammen; von 1956 bis 1972 waren es nämlich nur 94 Millionen DM, die insgesamt dafür eingesetzt wurden.
Die Bundesregierung hat - ich habe diese Verhandlungen geführt - die Elektrizitätsversorgungsunternehmen veranlaßt, sich mit einem höheren Anteil, mit 20 % an den Prospektionskosten zu beteiligen, damit auf diese Weise die Gesamtaktivität noch weiter ausgebaut werden kann. Der Zugriff der deutschen Unternehmen auf wirtschaftlich gewinnbare Uranvorräte aus den bisherigen Förderungsvorhaben beträgt heute rund 30 000 t Uranoxid. Zusätzlich wurde im Rahmen von Devisenausgleichsabkommen ein Bundesvorrat von zirka 3 000 t Natururan geschaffen, das auch angereichert wurde. Rund 409 t angereichertes Uran mit einem Marktwert von 719 Millionen DM - es war nämlich eine gute Investition, die wir da gemacht haben - liegen bereit. Zusammen mit den Vorräten, die sich bei den Kernkraftwerksbetreibern und den Brennelementefabriken befinden, können Versorgungsengpässe bei uneingeschränkter Leistungsabgabe der Kernkraftwerke bis zu drei Jahre lang, Herr Russe, überbrückt werden. Die Reservehaltung im Kernenergiebereich ist damit unverhältnismäßig höher als bei allen anderen fossilen Kernenergieträgern im Kraftwerksbereich.
Ich frage mich, was diese Kampagne, die nicht erst heute begonnen wurde, sondern die sich seit Monaten hinzieht, eigentlich bezwecken soll. Sie soll - ich sage das noch einmal - eine Verunsicherung der Bevölkerung bezwecken. Sie wollen Ihren Wahlkampf auch damit führen, daß Sie der Wahrheit zuwider behaupten, die deutsche Natururanversorgung sei nicht gewährleistet. Natürlich
sind auch die Förderungsmaßnahmen zur Uranversorgung eingebettet in die allgemeinen Ziele der
Rohstoff- und Energiepolitik der Bundesregierung.
Das, Herr Präsident, zu den Feststellungen des Herrn Abgeordneten Russe.
({1})
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Zeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte, in einem kurzen Beitrag auf das Dritte Verstromungsgesetz einzugehen. Mein Kollege Lenzer wird, soweit dies geboten erscheint, im Verlauf der weiteren Debatte auf die Ausführungen des Herrn Bundesministers für Forschung und Technologie eingehen.
Als wir am 24. April des vergangenen Jahres, unmittelbar vor den Landtagswahlen in NordrheinWestfalen und im Saarland, in diesem Hohen Hause eine Energiedebatte führten, wurde das Energieprogramm in seinem Kohleteil von den Vertretern der Koalition über den grünen Klee gelobt. Ein sehr geschätzter Kollege, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, Herr Kollege Adolf Schmidt, erklärte damals - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Die Abwärtsbewegung, d. h. die Reduzierung der Förderung im Steinkohlenbergbau wird durch dieses Energieprogramm abgeschlossen. Eine Phase der Konsolidierung und der Stabilisierung wird eingeleitet. Dafür sind alle Menschen in der Bergbauwirtschaft, nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Manager und die leitenden Herren, aus ganzem Herzen dankbar.
Verehrter Herr Kollege Schmidt, die Wahrheit und die Wirklichkeit - das wissen Sie wie wir - sehen leider anders aus. An der Ruhr liegen über 16 Millionen t und an der Saar weitere 1,5 Millionen t Steinkohle auf Halde. Es mußten bereits die ersten Feierschichten eingelegt werden. Weitere sind schon terminiert. Nach einer Mitteilung der „Saarbrücker Zeitung" vom gestrigen Tage haben die Saarbergwerke beim Kohlebeauftragten einen Antrag auf Entlassung von 570 Bergleuten gestellt. Durch die Anfang dieser Woche bekantgewordene Schließung des Westfeldes der Preußag-Steinkohlezeche Ibbenbüren verlieren weitere 1 150 Bergleute ihren Arbeitsplatz. Die Bergleute wissen inzwischen, was sie von Versprechungen dieser Bundesregierung in Feiertagsreden zu halten haben.
({0})
Sie wollen jetzt endlich erfahren, wie viele der von dem damaligen Bundeskanzler Brandt in der Barbara-Feier im Dezember 1973 in Saarbrücken versprochenen 10 neuen Steinkohlekraftwerke tatsächlich bis zum 1. Januar 1980 in Betrieb genommen werden - ich betone: bis zum 1. Januar 1980 in Betrieb genommen werden. Denn darauf kommt es
an; so ist es in dem fortgeschriebenen Energieprogramm vorgesehen. Meines Wissens gilt dies aber nur für den in Bau befindlichen 700 MW-Block des Kraftwerks Weiher der Saarbergwerke AG. Doch soll es selbst in diesem Fall bisher nicht zum Abschluß eines Stromabnahmevertrages gekommen sein.
Als ich in der Debatte vom 24. April des vergangenen Jahres - das ist nicht einmal neun Monate her - Zweifel an einer fristgerechten Verwirklichung des 6 000 MW-Programms anmeldete und auf die teilweise widersprüchlichen regierungsamtlichen Verlautbarungen in dieser Frage hinwies, wurde mir von Kollegen der SPD-Fraktion vorgeworfen, die Tatsachen zu verdrehen. Heute, meine sehr verehrten Damen und Herren, weiß man, wer damals die Tatsachen verdreht hat.
Der von mir sehr geschätzte Kollege Graf Lambsdorff erklärte in jener Sitzung von diesem Platze aus unter Berufung auf seine Stellung als Aufsichtsratsmitglied der Saarbergwerke AG - ich darf auch dies mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Block Nr. 2 mit ebenfalls 650 MW befindet sich, wie vorgesehen, in der Planung; es wird damit gerechnet, daß er 1979 in Betrieb genommen werden kann.
Verehrter Graf Lambsdorff, die Bundesregierung hat mir am 22. Oktober 1975 auf eine schriftliche Anfrage mitgeteilt, nach Auffassung der Elektrizitätswirtschaft werde sich die vollständige Verwirklichung des 6 000 MW-Programms bis in den Anfang der achtziger Jahre verschieben und angesichts des ausstehenden Stromabnahmevertrags sei eine Entscheidung der Saarbergwerke AG über einen Standort noch nicht erfolgt. Das heißt doch im Klartext, daß dieser im fortgeschriebenen Energieprogramm der Bundesregierung enthaltene zweite 700 MW-Block nicht fristgerecht bis zum 1. Januar 1980 betriebsbereit sein wird. Denn jeder von uns weiß, daß Kraftwerke, für die bis heute noch nicht einmal eine Standortentscheidung getroffen ist, bis zum Jahre 1980 nicht mehr in Betrieb genommen werden können. Alles andere ist reine Augenwischerei.
Bereits mittelfristig fehlt daher den Saarbergwerken die Absatzmöglichkeit für etwa 1 Million t Flammkohle jährlich.
Ich bedaure, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht anwesend sein kann. Ich betone: er hat sich entschuldigen lassen. Ich muß aber folgende Frage ansprechen. In Art. 83 Abs. 1 des Deutsch-Französischen Vertrages vom 27. Oktober 1956 ist Frankreich die Verpflichtung eingegangen, ein Drittel der verkaufsfähigen Steinkohlenförderung der Saarbergwerke AG abzunehmen. Diese Bestimmung ist bei den Verhandlungen auf den ausdrücklichen Wunsch der französischen Regierung in den Vertrag aufgenommen worden. Diese Abnahmeverpflichtung gilt für die Dauer von 25 Jahren, also über den 1. Januar 1976 hinaus.
In letzter Zeit mehren sich allerdings die Anzeichen dafür, daß Frankreich dieser AbnahmeverpflichZeyer
tung nicht mehr in vollem Umfange nachkommen will; mein geschätzter Kollege Adolf Schmidt hat von dieser Stelle aus bereits ebenfalls darauf hingewiesen. Um es ganz deutlich zu sagen: Es muß besorgt werden, daß ab Januar dieses Jahres Lieferungen von Flammkohle in einer Größenordnung von 700 000 bis 1 Million Tonnen jährlich ausfallen werden.
Auf eine diesbezügliche Kleine Anfrage von uns hat die Bundesregierung lediglich mitgeteilt, sie trete in den laufenden Verhandlungen selbstverständlich dafür ein, das Liefervolumen der Saarbergwerke AG nach Frankreich so hoch wie möglich zu halten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Aber gerne!
Herr Kollege Zeyer, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen und sich von Ihren wenigen Kollegen, die gestern im Wirtschaftsausschuß waren, bestätigen lassen, daß wir diese Frage eingehend besprochen haben? Herr Wirtschaftsminister Friderichs hat auf unsere Frage einen klaren Bericht über den Stand der Verhandlungen gegeben, und das Ergebnis, das sicherlich mit der saarländischen Regierung abgestimmt ist, wird Ihnen bekannt sein können, wenn Sie es erfahren wollen.
Herr Kollege Wolfram, ist Ihnen wirklich nicht bekannt, daß ich als Vertreter meiner Kollegen des Wirtschaftsausschusses gestern nachmittag an der zur gleichen Zeit stattfindenden Sitzung des Unterausschusses für Arzneimittelrecht teilnehmen mußte?
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Sonst lassen Sie es sich bitte von Ihren anwesenden Kollegen - ich sehe gerade einen - bestätigen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Luda?
Ja, selbstverständlich.
Bitte!
Herr Kollege Zeyer, wären Sie bereit, Herrn Kollegen Wolfram darauf hinzuweisen, daß gestern bei der Vormittagssitzung des Wirtschaftsausschusses die CDU/CSU-Fraktion mit mehr Abgeordneten zugegen war als die ganze Koalition und daß es zwischen den beiden Blöcken dieses Hauses durchaus unüblich ist, sich so etwas gegenseitig aufzurechnen?
Ich kann das nur bestätigen, Herr Kollege Luda. Und die Kollegen wußten ja
zumindest teilweise, wer durch Teilnahme an Sitzungen gleichzeitig tagender anderer Ausschüsse verhindert war.
({0})
- Verehrter Herr Kollege Wolfram, leider kann ich Ihnen diese nicht bestätigen, denn worauf es ankommt, ist, ob die Bundesregierung bereit ist, den französischen Partner aufzufordern, sich vertragstreu zu verhalten. Ich meine, es muß auch für die Bundesregierung in dieser Frage der Grundsatz „pacta sunt servanda" gelten, und diesen Grundsatz hat die Bundesregierung bisher nicht praktiziert; sonst wären die Lieferungen über den 1. Januar hinaus bisher nicht in der Schwebe.
({1})
- Ich bedaure, ich kann nur das sagen, was die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von uns mitgeteilt hat. Sie hat nur erklärt: Wir wollen dafür eintreten, daß die Lieferungen so hoch wie möglich sein werden. Das ist aber nicht der Punkt; das wissen Sie genau. Denn wenn es zu einem Ausfall der Flammkohlelieferungen an Frankreich in einer Größenordnung von 700 000 bis 1 Millionen Tonnen im Jahr kommt - und dieser Ausfall droht ja unmittelbar -, heißt das im Klartext, daß voraussichtlich 1000 bis 2000 Bergleute ihren Arbeitsplatz verlieren werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Bitte!
Herr Kollege Zeyer, sind Sie so freundlich und in der Lage, dem Hause mitzuteilen, was die Bundesregierung in den vergangenen Jahren getan hat, um diesen von Ihnen so beklagten Zustand zu verändern und zur Erreichung des Ziels beizutragen, von dem Sie ständig sprechen?
Herr Kollege Schmidt, ich verkenne nicht, daß sich die Bundesregierung bemüht hat, daß die Franzosen 20 Jahre lang in bezug auf ihre Abnahmeverpflichtung vertragstreu waren. Aber der Vertrag gilt nun einmal für 25 Jahre, nicht nur für 20 Jahre. Und die Bergleute an der Saar können ja wohl erwarten, daß die Bundesregierung auch dafür eintritt, daß der Vertrag für die gesamte Vertragsdauer, d. h. auf 25 Jahre, eingehalten wird.
({0})
Sehen Sie, Herr Kollege Schmidt, ich mache Ihnen keinen Vorwurf; Sie sind ohnehin in einer schwie14902
rigen Position. Ich muß aus Zeitgründen darauf verzichten, das zu zitieren, was Sie in der Debatte vom 24. April vergangenen Jahres noch weiter gesagt haben. Damals haben Sie einen Jubelchor auf die Bundesregierung ob ihres Eintretens und der Sicherung des Absatzes der Kohle angestimmt. Ich kann Ihnen nur empfehlen, dieses einmal nachzulesen. Sie müßten heute, glaube ich, hier eine andere Position einnehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes sagen: Die Bundesregierung sollte endlich die Wahrheit sagen. Ich meine, die Bergleute an der Saar haben Anspruch auf die volle Wahrheit. Sie haben einen Anspruch darauf, die Wahrheit jetzt zu erfahren und nicht erst nach der Bundestagswahl. Die Bundesregierung sollte damit aufhören, sich über die Bundestagswahl im Herbst dieses Jahres hinwegmogeln zu wollen.
({1})
Meine Damen und Herren das Wort hat der Herr Minister für Wirtschaft und Verkehr des Landes NordrheinWestfalen Riemer.
Minister Dr. Riemer ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Land Nordrhein-Westfalen ist das energiewirtschaftliche Zentrum der Bundesrepublik. Wir sind deswegen ganz besonders an den Beratungen hier interessiert. Alle Entscheidungen, die Sie hier treffen, treffen das Land Nordrhein-Westfalen ganz besonders.
Die Tatsache, daß wir das energiewirtschaftliche Zentrum der Bundesrepublik sind, hat Vorteile, aber auch Nachteile. Vorteile hat es deswegen, weil unsere Wirtschaft natürlich näher an der Energie ist. Vorteile hat es auch deswegen, weil eben dadurch Standortvorteile für neue Investitionen und auch für Erweiterungsinvestitionen entstehen. Das ist völlig klar.
Das hat aber auch Nachteile, weil wir als Land Lasten tragen, die eigentlich von der gesamten Bundesrepublik, insbesondere auch von den anderen Bundesländern getragen werden müßten.
Wir tragen z. B. mit 500 Millionen DM pro Jahr, die wir für die Kohle zahlen, mit die Last für die Stromversorgung auch der übrigen Bundesländer. Wir tragen mit diesem Betrag auch die Last für die Stahlerzeugung und für die Weiterverarbeitende Industrie im ganzen Bundesgebiet. Aber wir sind auch besonders durch den Strukturwandel gerade im Bereich der Energiewirtschaft betroffen und haben hier besondere Probleme.
Wir müssen besondere Aktivitäten entwickeln, wenn es um Technologien geht, wenn es darum geht, neue Anwendungsmöglichkeiten für die Kohle oder die Kernenergie zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, ich glaube, eine Energiepolitik muß von folgenden Grundsätzen ausgehen - diese Grundsätze finden sich auch im energiepolitischen Programm der Bundesregierung wieder -:
Der erste Grundsatz ist der, daß Energiepolitik Infrastrukturpolitik ist und daß Energieversorgung genauso zu sehen ist wie der Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern. Deswegen können die Marktgesetze in der Energiepolitik nicht in reiner Form verwirklicht werden. Das wissen wir alle. Das ist hier heute auch mehrfach betont worden. Aber wir müssen natürlich versuchen, so viel Marktwirtschaft wie eben möglich auch in der Energiepolitik zu verwirklichen.
Es wäre aber falsch, gerade die Kohle dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Weil wir in der Energieversorgung abhängig sind, brauchen wir die Kohle als Grundversorgung für unser Land und für unsere Wirtschaft. Wir brauchen die Kohle nicht nur als Grundversorgung, sondern wir brauchen sie auch deswegen, um die Position der Bundesrepublik bei den Verhandlungen mit den Erzeugern der anderen Energieträger - insbesondere von 01 und Erdgas -, aber auch bei der Beschaffung von Brennstoffen für die Kernkraftwerke zu stärken. Diese Position wird dadurch stärker, daß wir die Kohle als Grundversorgung haben.
Ich glaube, daß sich die Schaffung einer solchen Ausgangsposition bei den Verhandlungen schon bezahlt gemacht hat und auch in Zukunft bezahlt machen wird, so daß das Geld, das wir in die Kohle hineingesteckt haben, auch ganz sicher wieder herauskommen wird. Also: Energiepolitik ist Infrastrukturpolitik.
Ein zweiter Grundsatz, der wichtig ist: Kohlepolitik wollen wir nicht als einen isolierten Bereich sehen, sondern Kohlepolitik muß ein Teil einer Gesamtkonzeption der Energiepolitik sein. Wenn wir nur Kohlepolitik machten, eine sektorale Politik, nur auf einen Energieträger ausgerichtet, machten wir einen großen Fehler. Wir würden uns isolieren und in die allergrößten Schwierigkeiten kommen, weil dann alles in der Energiepolitik nicht mehr stimmte, weil auch die Relationen zu den anderen Energieträgern nicht mehr stimmten. Auf die sind wir angewiesen, wenn wir für die Bundesrepublik die Versorgung mit Energie sicherstellen wollen.
Ein dritter Grundsatz: Meine Damen und Herren, wenn hier über die Kohle gesprochen wird, dann klingt es manchmal so, als ob wir hier Arbeitsmarktpolitik machten oder als wollten wir Sozialpolitik machen oder als wollten wir Strukturpolitik machen. Das alles spielt sicher auch eine Rolle im Rahmen der Energiepolitik; aber in erster Linie geht es uns auch in Nordrhein-Westfalen, wenn wir von der Kohle sprechen, um Energiepolitik.
Hier ist ein ganz bestimmtes Problem angesprochen worden, nämlich Ibbenbüren. Dies ist so geschehen, als ob das ein Beispiel für die gescheiterte Kohlepolitik der Bundesregierung und der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen sei. Das stimmt nicht; denn gerade dieses Beispiel eignet sich überhaupt nicht zum Vergleich und auch nicht für eine Gesamtbetrachtung, wenn ich daraus Grundsätze ableiten will. Ibbenbüren ist ein Sonderfall - das muß hier einmal ganz deutlich gesagt werden -, bei dem sowohl die Energiepolitik als auch die StrukturLandesminister Dr. Riemer
politik eine Rolle spielen. Tecklenburg ist ein strukturschwaches Gebiet. Dort gibt es kaum andere Arbeitsplätze. Entsprechend dieser Doppelbedeutung, nämlich energiepolitische und strukturpolitische Maßnahmen ergreifen zu müssen, haben sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung gehandelt.
Das geschah durch die 90 Millionen DM, von denen 60 Millionen vom Bund und 30 Millionen DM vom Land gezahlt worden sind, um hier Zeit zu gewinnen und die Arbeitsplätze zu sichern. Wir, sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung, haben ein Angebot gemacht, für die Aufschließung des Westfeldes die damals genannten 120 Millionen DM zu zahlen. Die Landesregierung hält ihr Angebot aufrecht, davon 40 Millionen zu übernehmen. Aus den 120 Millionen wurden dann 180 Millionen DM, und selbst dabei haben wir mitgehalten. Aber da stellten sich weitere Schwierigkeiten ein. Die Preussag hat uns erklärt, auch mit diesem Betrag sei das Ganze nicht zu machen, weil sich neue Schwierigkeiten herausgestellt hätten, die auch das Unternehmen nicht zu vertreten hat und die geologischer Natur sind. Auch die Rentabilität wäre hierdurch nicht gegeben. Der Versuch, zunächst einmal eine energiepolitische Lösung zu finden, ist also mit allen Mitteln und ohne jeden Vorbehalt gemacht worden. Wenn ich nun hier von der Opposition höre, sie hätte dort einfach ein Kraftwerk gebaut, und dann wären die Probleme gelöst,
({1})
dann meine ich: so einfach ist das nicht. Zunächst muß man heute jemanden finden, der in Zeiten ein Kraftwerk baut, in denen die Wachstumsraten nicht nur gleich Null, sondern negativ sind. Wenn ich ein Kraftwerk baue und die Kohle dort verfeuere, dann muß mir auch jemand sagen, wohin ich den Strom schicken soll. Ich kann ihn ja nicht wieder untertage bringen. Das ist ja wohl nicht der Sinn einer solchen Maßnahme. Zum anderen ist Kohle übrigens nicht gleich Kohle, wie ich das hier so höre. Es gibt auch bei der Kohle ein Sortenproblem. Die Kohle in Ibbenbüren hat ihre Besonderheiten; sie ist schwer entflammbar. Sie können sie gar nicht allein ins Kraftwerk schicken und dort verbrennen, sondern Sie müssen sie mischen, d. h., Sie müssen Kohle aus dem Ruhrgebiet dorthin fahren und mit der Kohle aus Ibbenbüren mischen, damit Sie letztere überhaupt zum Brennen kriegen. Das ist eine Schwierigkeit, die man sehen muß und die sich ganz sicher auf die Kosten des Betriebs eines solchen Kraftwerks auswirkt.
Dies haben wir also versucht. Ich will nicht sagen, daß das für uns, die Landesregierung, schon abgeschlossen ist. Wenn sich energiepolitische Lösungsmöglichkeiten anbieten, dann ist es gut; man muß aber auch die Mengen, um die es dabei geht, im Zusammenhang mit der Gesamtförderung sehen - es sind 700 000 t/a -, so daß der energiepolitische Gesichtspunkt auch nicht überbetont werden darf.
Deswegen haben wir uns rechtzeitig mit der strukturpolitischen Seite in Ibbenbüren beschäftigt und haben erreicht, daß dieser Raum in die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur aufgenommen worden ist. Wir haben im letzten Planungsausschuß mit Zustimmung der anderen Bundesländer die Zusage erreicht, daß bei jeder Investition, die dort erfolgt, im Einzelfall eine Förderung bis zu 20 % der Investitionssumme erfolgen kann. Es gibt Interessenten für diesen Bereich. Es geht dabei auch nicht um 1 100 Arbeitsplätze, sondern um 600. Wenn das Ganze richtig abgewickelt wird, besteht gute Aussicht, diese Stilllegung durch Neuansiedlung aufzufangen, zumal sie ja nicht von heute auf morgen erfolgen wird. Die strukturpolitische Komponente wird also von uns ebenfalls weiter verfolgt. Ich sehe keinen anderen Weg, als dies gleichzeitig zu machen, weil die Aufrechterhaltung des Bergbaubetriebs auf lange Sicht weder rentabel noch wahrscheinlich von den technischen Möglichkeiten her zu erwarten ist.
Nun zum energiepolitischen Programm der Bundesregierung. Meine Damen und Herren, ich warne davor, dieses energiepolitische Programm der Bundesregierung herunterzureden. Ich warne davor, immer wieder zu sagen: Dieses Programm mußte ja schon sehr bald wieder fortgeschrieben werden. - Es ist doch widersprüchlich, wenn die Opposition, die CDU/CSU, auf der einen Seite fordert, das Programm solle fortgeschrieben werden, und der Regierung auf der anderen Seite vorwirft, daß sie es fortgeschrieben hat. Es ist gar nicht so wichtig, ob die eine oder andere Zahl erreicht wird. Das Programm steht eben unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Entwicklung. Das können wir nicht ändern. Wichtig ist, daß die Richtung stimmt. Wir müssen feststellen
- ich kann das aus der praktischen Arbeit bestätigen -, daß dieses energiepolitische Programm der Bundesregierung in der Bundesrepublik einen neuen Abschnitt in der Energiepolitik eingeleitet hat. Dieses Verdienst müssen wir von seiten des Landes Nordrhein-Westfalen dem Programm zubilligen.
Was hat es vorher gegeben? Die Kohlenkrise ist ja nicht erst entstanden, seit wir die sozialliberale Koalition haben; es gibt sie schon seit 1958. Natürlich haben wir auch heute Schwierigkeiten in der Energiepolitik und Schwierigkeiten mit der Kohle. Im Vergleich mit früheren Zeiten muß man aber sagen: Was damals herrschte, war schlicht und einfach ein energiepolitisches Chaos.
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Früher sind Förderzahlen von 140 Millionen Tonnen genannt worden; sie sind nicht erreicht worden. Es sind ungeordnet Zechen stillgelegt worden. Gute Zechen sind stillgelegt, schlechte weiter betrieben worden. All das ist ganz sicher überwunden.
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- Das ist jetzt egal. Es geht um die Sache. Auch wenn bestimmte Entwicklungen, die man erwartete, nicht eingetreten sind - dieses Programm hat die Richtung bestimmt, hat weitgehend Ordnung in die Energiepolitik gebracht und ist zu einem Orientierungspunkt für die Energiepolitik - auch für die Länder und insbesondere für Nordrhein-Westfalen
- geworden.
Landesminister Dr. Riemer
Dieses energiepolitische Programm ist auch ein wichtiges Instrument, um mit dem Strukturwandel in der Energiepolitik fertig zu werden. Ich glaube, daß wir diesen Wandel weitgehend im Griff haben. Es ist, wie ich gerne zugeben will, freilich noch nicht alles festgezurrt und festgenagelt. Dieses Programm ist aber ein Instrument, das es auf Grund seiner Orientierung erlaubt, eine koordinierte Politik zu betreiben. Es gibt z. B. keine ungeordneten Stillegungen mehr. Das ist doch schon etwas! Ich will hier nicht behaupten, daß es keine Stillegungen mehr geben werde. Natürlich wird es noch Stillegungen geben, aber überwiegend wird es sich um Verlagerungen der Kohleförderung auf kostengünstigere Zechen handeln. Solche Verlagerungen muß man vornehmen, damit die Kohle eine bessere Wettbewerbsposition bekommt und damit die vorhandenen Arbeitsplätze erhalten werden. Wir müssen solche Verlagerungen also vornehmen. Wenn in der nächsten Zeit solche Versuche gemacht werden, die Rentabilität der Kohle noch wesentlich zu verbessern, so kann man dies nicht als Stillegung bezeichnen.
Worum es aber jetzt geht - dies ist auch der Sinn dieses Gesetzentwurfs, der Novelle zum Dritten Verstromungsgesetz -, ist, daß wir versuchen, die konjunkturellen Schwankungen in den Griff zu bekommen und zu beherrschen. Das ist deswegen notwendig, weil gerade bei der Kohle und der Technik ihres Abbaus eine sehr geringe Flexibilität vorhanden ist und die Abbaukapazität nicht jeweils entsprechend den konjunkturellen Schwankungen gestaltet und ausgerichtet werden kann. Hier müssen eben andere Instrumente geschaffen werden, die die sich vollziehenden Schwankungen jeweils auffangen. In der Rezession - z. B. in der jetzigen Situation - verlangt man, daß die Kohle die Last trägt; sie wird aus dem Verstromungsbereich verdrängt. In Zeiten des Booms wiederum verlangt man, daß die Kohle die Spitzenlast übernimmt. Dies ist doch die Theorie, die immer wieder verbreitet wird, die aber ganz einfach nicht stimmt und die auf diesen Wirtschaftszweig auch praktisch nicht anwendbar ist, wenn er nicht endgültig in die roten Zahlen kommen und letztlich zu einem Staatsbetrieb werden soll, für den der Staat ständig Subventionen zu zahlen hat. Hier muß also ein anderer Ausgleichsmechanismus her. Die Konzeption kann doch nur so aussehen, daß wir kurzfristige, mittelfristige Maßnahmen ergreifen und uns auch Gedanken darüber machen, was langfristig zu geschehen hat.
Was die kurzfristig wirkenden Maßnahmen betrifft, sind wir schon einen wesentlichen Schritt nach vorne gekommen, wenn ich z. B. an die Kohle-reserve denke. Natürlich, Herr Russe, in der ersten Phase ist das zunächst einmal nur eine Übernahme der Schuldenlast für ein Jahr, aber das ist ja schon etwas. Die Liquidität für die Ruhrkohle ergibt sich durch die entsprechenden Bürgschaften und durch die Übernahme des Schuldendienstes durch Bund und Land zu zwei Dritteln bzw. zu einem Drittel.
Ich bin noch gar nicht einmal sicher, meine Damen und Herren, ob das schon eine Kohlereserve ist oder ob das nicht erst ein Konjunkturausgleichspuffer ist, wenn ich mir ansehe, was dort auf Halde liegt. Das ist ja nicht nur Kraftwerkskohle, sondern auch Kokskohle und Koks. Und wenn wir jetzt wieder hören, daß es beim Stahl, wenn auch langsam, wieder aufwärtsgeht, dann kann ich nur sagen: es wird nicht lange dauern, bis die Halden jedenfalls in diesem Bereich aus konjunkturellen Gründen wieder sehr schnell abschmelzen werden. Wir haben ja in den vergangenen Jahren gesehen, wie schnell Halden verschwinden können. Wer damals an den Halden vorbeigefahren ist, der hatte, wenn da noch gebaggert wurde, gelegentlich den Eindruck, daß schon der Mutterboden und nicht Kohle verkauft wurde.
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Halden sind also für mich - das will ich ganz ehrlich sagen - nicht von vornherein ein Schreckgespenst - keineswegs -, sondern wir brauchen sie, wir brauchen sie in einem bestimmten Umfang. Die Haldenfinanzierung, die Kohlereserve, ist eine wirtschaftspolitische Maßnahme, die zwingend notwendig ist. Denn wenn wir eine Energiepolitik machen wollten - nehmen wir jetzt die Kohle -, bei der wir immer nur so viel fördern, daß der geschätzte Bedarf, die Nachfrage gedeckt wird, könnten wir sehr schnell in eine Situation hineingeraten, in der es Versorgungsschwierigkeiten gibt. Gerade bei der Kohle, die eben hinsichtlich der Kapazitäten nicht flexibel ist, brauchen wir eine solche Reserve, um mit der Nachfrage, die ja schwankt, überhaupt fertig werden zu können.
Die Importe: Die Landesregierung begrüßt, daß das Importkontingent nicht nur nicht ausgeschöpft, sondern auf die tatsächlichen Einfuhren des Jahres 1975 festgefroren wird. Das sind 4,7 Millionen Tonnen; 5,5 Millionen Tonnen sind möglich, um 1 Million sollte es noch erhöht werden. Meine Damen und Herren, ich wehre mich ganz entschieden dagegen, wenn immer wieder gesagt wird: Na ja, was ist das schon; das wirkt sich ja gar nicht aus. Wenn man einmal nachrechnet, daß 1 Million Tonnen Kohle im Durchschnitt ungefähr 2 000 Arbeitsplätze bedeuten, dann weiß man, was es heißt, wenn hier die Importe gestoppt werden, gerade auch im Hinblick auf Ibbenbüren, wo es ja um 600 Arbeitsplätze geht. Also: Die Importe sollten festgeschrieben werden.
Eine kurzfristig wirkende Maßnahme ist ganz sicher auch die Absatzhilfe, an der sich NordrheinWestfalen beteiligt, nämlich die Lieferung von Kokskohle, die Finanzierung oder die Subventionierung des Absatzes an revierferne Gebiete.
Für die mittelfristige Lösung bietet sich dieses vorliegende Gesetz an, das Dritte Verstromungsgesetz. Wenn wir uns die Entwicklung und die Statistik ansehen, meine Damen und Herren, dann ergibt sich daraus, daß jedenfalls der Rückgang des Stromverbrauchs tatsächlich überwiegend konjunkturell bedingt ist - überwiegend, sage ich. Wir müssen wissen, daß einiges auch strukturell bedingt ist. Daß der Rückgang, wie gesagt, überwiegend konjunkturell bedingt ist, kann man daran erkennen, daß er überwiegend bei den industriellen und gewerblichen Stromabnehmern eingetreten ist und
Landesminister Dr. Riemer
daß im privaten Bereich tatsächlich noch Zuwachsraten zu verzeichnen sind. Aber wir sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir es, auch wenn sich die Konjunktur belebt, nicht mit den früheren Zuwachsraten zu tun haben werden. Sie werden geringer sein.
Zur Lösung des Verstromungsproblems müssen beide Seiten einen Beitrag leisten, sowohl die Kohle auf der einen Seite als auch die Kraftwerke auf der anderen. Die Kohle kann ihren Beitrag dadurch leisten - damit meine ich jetzt nicht die Feierschichten -, daß sie die Flexibilität in der Förderung ausnutzt. Die Elektrizitätswirtschaft kann ihren Beitrag dadurch leisten, daß sie, soweit die technischen Kapazitäten dafür verfügbar sind - auch durch die Umstellung etwa bei bivalenten Kraftwerken -, Kohle verfeuert und Strom erzeugt. Natürlich können da, wo das technische Umstellungspotential zu Ende ist, auch die Kraftwerke nicht mehr Kohle verfeuern. Das wissen wir ganz genau.
Warum drängen wir gerade in Nordrhein-Westfalen so darauf, daß Kohle verstromt wird? Nicht nur weil wir unsere Förderung aufrechterhalten wollen, sondern auch damit neue Kohlekraftwerkstechnologien entwickelt werden. Denn wir haben in der letzten Zeit feststellen müssen, daß, wenn es um Kraftwerkstechnologien ging, die Kernkraftwerke im Vordergrund standen, wofür Forschung und Technologien weiterentwickelt wurden. Aber leider haben sich nur wenige dafür interessiert, ob es nicht auch eine weitere Entwicklung der Technologien für Kohlekraftwerke gibt. Deswegen bestehen wir darauf, und deswegen sind wir daran interessiert, daß Kohle verstromt wird, damit wieder das Interesse für Kohlekraftwerkstechnologien geweckt wird. Es ist doch durchaus möglich und sogar sicher, daß, wenn solche Technologien beschleunigt weiterentwickelt werden, auch der Kohlestrom gegenüber dem Kernenergiestrom immer konkurrenzfähiger wird. Das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt, der für uns bei der Entscheidung über die Investitionen maßgebend ist, die wir im Land Nordrhein-Westfalen getroffen haben.
Nun zu der dritten Stufe, der langfristigen Betrachtung. Natürlich sind wir daran interessiert und werden alles daransetzen, daß auch in Zukunft bei der Elektrizitätserzeugung das Kohlebein so stark wie möglich ist. Dies werden wir versuchen. Dazu dient dieses Gesetz.
Die Kernenergie wird und kann nach meiner Meinung das ihr gesteckte Ziel nicht in der vorgesehenen Zeit erreichen. Sie ist zu einem Problem geworden. Zumindest in der Öffentlichkeit. Es wird darüber diskutiert. Ich will hier jetzt nicht über Fragen der Sicherung und der Sicherheit von Kernkraftwerken sprechen. Das ist nicht meine Zuständigkeit. Natürlich gibt es auch da sicher Probleme. Wir brauchen die Kohle zur Verstromung, weil wir genau das wollen, was auch Herr Kollege Matthöfer hier vorgetragen hat, nämlich die Verbindung von Kernenergie mit Kohle. Aber da geht es eben um Prozeßwärme, nicht um Kernkraftwerke; das ist etwas anderes. Bis die Prozeßwärme so weit ist, muß man mit der Kohle durchhalten. Das kann man für diesen Teil der Kohle nur im Bereich der Verstromung und bei den Kohlekraftwerken machen.
Sosehr wir für diese Kombination sind, so muß eines deutlich gesagt werden. Was die Prozeßwärme betrifft, sollten wir uns keine Illusionen machen. Der Thorium-Hochtemperaturreaktor mit 300 MW in Schmehausen, der hier ja auch angesprochen worden ist, ist ein Prototyp. Damit bewegen wir im Hinblick auf die Kohle zunächst einmal noch gar nichts. Ende des Jahrzehnts wird er fertig. Welche Probleme darin stecken, zeigt sich auch darin, daß er nicht - wie ursprünglich gesagt - 700 Millionen DM kosten soll - wir sind ja als Land mit 100 Millionen DM beteiligt - sondern 1,2 Milliarden DM kosten wird. Ich warne davor, bevor dieser Prototyp mit all den darin steckenden Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln, gebaut und erprobt ist, mit weiteren Hochtemperaturreaktoren zu beginnen. Das können absolute Fehlinvestitionen werden. Ich warne vor solchen Experimenten.
Wir sind für diesen Reaktor. Wir finanzieren ihn auch mit. Da geht es um die Prozeßwärme. Aber ich will nicht, daß in der Zwischenzeit die Kohle durch die Kernkraftwerke von der Verstromung verdrängt wird, so daß sie hinterher als Kapazität für die Prozeßwärme und die Kombination mit der Kernenergie nicht mehr zur Verfügung steht.
Die Technologie wird gerade bei uns großgeschrieben. Wir sind auch dankbar für die Unterstützung durch die Bundesregierung. Wir geben in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr für Bergtechnik, bergtechnische Entwicklung und Technologien 130 Millionen DM aus. Kein anderes Bundesland gibt so viel aus, sicher noch nicht einmal alle anderen Bundesländer zusammen, weil sie die Kohle nicht haben. Die Kohle liegt bei uns, und deswegen haben wir dafür auch die Verantwortung.
Aber dies zeigt, daß wir langfristig an die Kombination mit der Kernenergie denken müssen. Bis dahin muß die Kohle im Hinblick auf die Vergasung eben durchgezogen werden. Es muß eine starke Förderung von Kohletechnologien geben, damit die Kohle andere Energieträger substituieren kann. Wir müssen diese Technologien mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln forcieren. Auch wenn der Haushalt im Augenblick nicht so viel hergibt, ist das ein Schwerpunkt, den wir ganz besonders ernst nehmen.
Ich halte es für richtig, meine Damen und Herren, daß in dem Gesetzentwurf vorgesehen ist, daß die Finanzierung über den Verbraucher erfolgt, weil weder der Bundeshaushalt von den 1,5 Milliarden DM diese 1 Milliarde DM tragen könnte noch das Land Nordrhein-Westfalen. Bei dem Haushalt von 36 Milliarden DM des Landes Nordrhein-Westfalen sind die bisherigen 500 Millionen DM, die wir tragen, schon ein Batzen. Manche Schule und manches Krankenhaus könnten wir bauen, wenn wir uns hier nicht diesem offensichtlich ganz unabänderlichen Naturgesetz zwischen Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen beugten. Allerdings versuchen wir ständig, dies zu ändern.
Landesminister Dr. Riemer
Graf Lambsdorff, ich bin dankbar, daß Sie angesprochen haben, daß sich auch die anderen Bundesländer entsprechend ihrem Anteil beteiligen müßten. Aber es ist unrealistisch, zu glauben, daß in der nächsten Zeit etwas geändert werden kann. Hier muß bei der neuen Finanzierung eine Gesamtkonzeption entwickelt werden. Dieser Gesetzentwurf ist dafür insofern ein Anfang, als Nordrhein-Westfalen jetzt nicht wieder mit einem Drittel einsteigen muß, sondern alle belastet werden sollen. Wir sind allerdings auch wieder stärker beteiligt; 29 % ist unser Anteil am Bruttosozialprodukt. Bei der bisherigen Ausgleichsabgabe nach dem Dritten Verstromungsgesetz waren wir immerhin mit 36 % beteiligt, also mit mehr als dem Anteil des Bruttosozialprodukts. Wir haben insofern hier schon wieder einiges an Vorleistungen erbracht.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen begrüßt diesen Gesetzentwurf. Wir gehen davon aus, daß damit der Anschluß an das Jahr 1978 gewonnen wird, in dem hoffentlich auch ohne zusätzliche Maßnahmen mit einem erhöhten Kohleeinsatz zu rechnen ist. Die Novelle trägt zur Erhaltung der gegenwärtigen Kapazität des Steinkohlenbergbaus bei und festigt seine Position als Sicherheitssockel unserer Energieversorgung.
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Vizepräsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Rawe.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich bitte um Nachsicht, wenn ich zu so später Stunde gerade zu diesem Teil der Debatte noch das Wort nehme. Aber ich glaube, die Ausführungen, die soeben vom Herrn Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen zum Raum Ibbenbüren gemacht worden sind, können nicht unwidersprochen bleiben.
Herr Riemer, es ist nicht so, wie Sie es darzustellen versuchten, daß die Situation in Ibbenbüren für die Bundesregierung und für die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen völlig unabwendbar gewesen wäre; denn dann hätten eigentlich Ihre und unsere gemeinsamen Anstrengungen von vornherein wenig Sinn gehabt. Also kann das so nicht sein, und deswegen sollten wir uns die Situation wirklich noch einmal in Erinnerung rufen.
Es ist auch nicht so - Sie haben jetzt versucht, das herunterzuspielen -, daß dort weniger als 1 150 Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Wir freuen uns natürlich alle darüber, daß durch geeignete Sozialpläne oder ähnliche Maßnahmen die Schwierigkeiten für die Betroffenen abgefangen werden können. Aber das darf doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß für diese Region in der Tat annähernd 1 200 Arbeitsplätze verlorengehen. Was das in einer strukturschwachen Region bedeutet, kann sich jeder selber ausmalen. Denken wir bitte auch einmal daran, daß dies zu einem Zeitpunkt passiert, wo wir so viel Jugendarbeitslosigkeit haben. Jährlich entfallen damit für Nachwuchskräfte 100 Arbeitsplätze.
Das kann man nicht vom Tisch wischen, Herr Minister Riemer.
({0})
Ich freue mich darüber, daß Sie gleichzeitig angekündigt haben, Sie wollten etwas für die Strukturstärkung des Raumes tun. Aber ich würde mich natürlich vor allem sehr freuen, wenn Ihre Ankündigungen hier wesentlich erfolgversprechender wären als die Ankündigungen, die Sie und die Bundesregierung zur Erhaltung des Westfeldes gemacht haben.
({1})
Denn, meine Damen und Herren, wie war es denn beim Westfeld? Wir alle, der Betriebsrat, die Werksleitung - ich sehe die beiden Kollegen von der SPD - und ich - Sie selbst, Herr Riemer, haben das dankenswerterweise auch getan -, haben die Bundesregierung immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß die Entscheidung über den Fortbestand des Westfeldes zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt fallen mußte. Diesen Zeitpunkt hat die Bundesregierung immer weiter hinausgezögert, in der klaren Erkenntnis, daß damit die Entscheidung für die Erhaltung des Westfeldes negativ ausfallen mußte.
({2})
Dies muß man doch sehen. Ich glaube, so einfach, wie Sie es jetzt getan haben, kann man über dieses Problem nicht hinwegreden, und dies werden wir auch nicht tun.
Sie haben alle so schön von dem energiepolitischen Konzept geredet und gesagt, das sichere alle Schwierigkeiten ab. Sie müssen sich aber vorhalten lassen, daß die Bundesregierung hinter ihrem eigenen Programm der 6 000 MW zurückgeblieben ist, und keiner, auch der Kollege Schmidt und andere nicht - -({3})
- Lieber Herr Kollege Wolfram, zu Ihnen komme ich gleich auch noch. Fest steht, daß man hinter diesem Programm zurückgeblieben ist, und es läßt sich nicht leugnen - ich sage noch einmal: dankenswerterweise hat das auch keiner von Ihnen getan -, daß dadurch die Absatzschwierigkeiten im Bereich der Kohle mit verstärkt worden sind. Die Folge ist nun einmal, daß der Raum Ibbenbüren in besonderer Weise betroffen ist, weil hier 1 150 Arbeitsplätze verlorengegangen sind.
Nun haben Sie, Herr Kollege Wolfram, gesagt, ich wüßte, wie sehr wir uns alle gemeinsam bemüht haben, das abzuwenden. Ich sage Ihnen: natürlich weiß ich das. Ich sehe die Kollegen, die sich gemeinsam mit mir darum bemüht haben.
({4})
- Sie auch, natürlich! Ich bestreite das gar nicht; ich
unterstreiche das ausdrücklich. Der Kollege Becker
sitzt auch hier, der Kollege Schmidt ebenfalls; wir
haben uns alle sehr bemüht. Aber, schauen Sie, dem, Kumpel in Ibbenbüren hilft es wenig, daß wir uns bemüht haben, wenn wir nicht zu einem positiven Ergebnis kommen, und wir sind nun einmal leider nicht zu einem positiven Ergebnis gekommen.
Es läßt sich nicht verheimlichen, daß bei den Verhandlungen hier, wenn Sie das im nachhinein betrachten, der Eindruck entstehen muß, daß die Situation von der Bundesregierung von Anfang an falsch dargestellt worden ist. Warum sage ich das?
({5})
- Eine Sekunde! Sie werden das gleich nicht mehr behaupten, Herr Ehrenberg. Schauen Sie, als dann nach langem Zögern - obwohl die Landesregierung, obwohl wir, der Betriebsrat und die Werksleitung immer wieder gedrängt haben - die Entscheidung fiel, eine Investitionszulage zu geben, hat die Bundesregierung diese Zusage mit der ausdrücklichen Bedingung gegeben, daß sie die Investitionszulage nur dann gewähre, wenn zugleich der Absatz gesichert werde. Nun unterstelle ich sogar dem Bundeswirtschaftsminister, daß er das ausdrücklich guten Willens getan hat. Aber dann hätten ihn doch zumindest die Beamten seines Hauses rechtzeitig darauf aufmerksam machen können, daß dafür auf Grund der Situation und nach den Verhandlungen mit den EVUs überhaupt keine Chance bestand. Sehen sie, das beklage ich; denn das ist wieder ein typisches Beispiel dafür, daß Sie vor einer Wahl in Nordrhein-Westfalen alle möglichen Versprechungen gemacht haben, obwohl Sie, wenn Sie mit einiger Sorgfalt vorgegangen wären, hätten wissen können, daß Sie diese Versprechungen nicht einhalten konnten.
({6})
Wenn Sie, Herr Kollege Ehrenberg, glauben, dauernd Zwischenrufe machen zu müssen, dann müssen Sie Ihre Position öfter überdenken. Ich rufe nur Ihren Zwischenruf von vorhin in Erinnerung, als der Unterschied zwischen 800 000 und 800 Millionen für Sie nur in einer Null bestand. Unter diesen Umständen hat es keinen Zweck, daß man auf Ihre Zwischenrufe eingeht.
({7})
- Das hilft doch alles nichts, Herr Kollege Ehrenberg.
Seien Sie mir bitte nicht böse, meine Damen und Herren; ich bringe diesen Beitrag nicht, um hier nachzukarten. Die Entscheidung in Ibbenbüren ist leider gefallen. Wir alle bedauern das, Sie sowohl wie wir. Aber ich meine, wir müssen eine solche Situation doch in die Erinnerung der Bundesregierung rufen, denn dies, meine Damen und Herren, muß eine ganz ernste Mahnung sein, daß sich solche Dinge nicht wiederholen. In Ibbenbüren steht mehr auf dem Spiel als nur die jetzt betroffenen 1 150 Arbeitsplätze. Wenn es uns nämlich nicht gelingt, auch den Absatz für das Ostfeld nachhaltig zu sichern, dann ist auch dort Gefahr im Verzuge. Deswegen, Herr Kollege Schmidt, unterstreiche ich gerne Ihren Appell und richte ihn zugleich an die Bundesregierung, alles zu tun, damit wenigstens im Rahmen dieses 6 000 MW-Programms die Verwendung von genügend Ibbenbürener Kohle für die Verstromung abgesichert wird. Sonst werden dort weitere Arbeitsplätze gefährdet, und ich glaube, dagegen müssen wir alle ankämpfen.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Becker?
Mit großem Vergnügen, Herr Kollege.
Herr Kollege Rawe, Sie haben davon gesprochen, daß Versprechungen gemacht worden sind, und ich möchte Sie gern fragen: Könnten Sie diesem Hause mitteilen, welche konkreten Versprechungen gemacht worden sind, und zwar von der Bundesregierung und von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, die nicht eingehalten worden sind?
Sicher, ich habe Ihnen ja schon einige genannt.
({0})
- Aber nun warten Sie doch einmal ab! Ich staune immer, wie schnell Sie sind. Sie sollten abwarten, welche Antwort Sie bekommen.
Wollen Sie etwa leugnen, daß Herr Minister Riemer, der hier vor mir gesprochen hat, damals gesagt hat: „Das Westfeld wird nicht stillgelegt"? Wollen Sie leugnen, daß Ihr Kollege, der gerade neben Ihnen saß - ich meine den Kollegen Schmidt -, erklärt hat: „Das Westfeld ist nicht stilllegbar"
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und daß er selbst am vergangenen Sonntag dies hat zurücknehmen und hat sagen müssen: „Wir haben leider den Absatz nicht sichern können"?
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Dies ist doch nun so. Herr Kollege Becker, Sie wollen doch nicht die Richtigkeit folgender Aussage bestreiten: Wenn man eine Zusage für eine Investitionszulage unter der Bedingung gibt, daß sie nur gewährt werden soll, wenn der Absatz gesichert wird, und dies zu einem Zeitpunkt tut, wo man weiß, daß der Absatz nicht zu sichern ist, so ist das ein ausgesprochen leeres Versprechen. Dies können Sie doch nicht bestreiten, Herr Becker.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({4}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde, obwohl es mich verlockt - das will ich gerne bekennen -, den
Schmidt ({0})
Boden der nüchternen Betrachtung nicht verlassen. Energiepolitik bleibt, obwohl sie jetzt in eine Ecke gezerrt wird, wo sie nicht hingehört und wo sie uns allen auch nicht guttut, eine der wichtigen Voraussetzungen für das Funktionieren unserer Wirtschaft. Wir haben vieles, wir haben fleißige und verantwortungsbereite Menschen, aber wir haben keine ausreichenden Mengen von Energie, jedenfalls nicht von Primärenergie im eigenen Lande, so daß wir immer Zugriff dazu hätten. Dies ist es, was mich bestimmt, mit diesem Schatz, den wir haben, besonders sorgsam umzugehen.
Ich kann nicht ertragen, Herr Kollege Rawe, daß hier der Eindruck entsteht, das Ergebnis, das jetzt in Ibbenbüren verkündet werden mußte, sei ein Ergebnis, das von jemandem, von wem auch immer, schuldhaft zu vertreten sei. Sie kennen die Dinge in Ibbenbüren, so hoffe ich, mindestens genauso gut.
({1})
- Wir versprechen Ihnen das, was wir halten können, und wir nehmen Einfluß auf die veränderbaren und unveränderbaren Dinge, so gut wir können.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Aber natürlich.
Herr Kollege Schmidt, wollen Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß ich nicht von Verschulden gesprochen habe, sondern von schuldhaften Versprechungen. Dabei bleibe ich. Ich bin gerne bereit, Ihnen die entsprechenden Zeitungsausschnitte zu übergeben.
Ich will Ihnen gerne bekennen, daß ich den Unterschied nicht verstehe.
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Ich fühle mich eher verstanden; das Ganze ist doch der Zweck der Übung. Verehrter Herr Rawe, nicht viele wissen so gut Bescheid wie Sie über die Entwicklung in Ibbenbüren,
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und das ist der Grund für mein Betroffensein über Ihren Auftritt.
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Sie wissen, Herr Rawe, daß längst vor dem Oktober 1973 eine angesichts der Existenzbedrohung gefaßte Entscheidung der Bundesregierung dieser Bundesrepublik Deutschland und der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen damals den lebensfähigen Teil am Leben erhalten hat. Sie wissen ganz genau, Herr Rawe: die Bergwerke Ibbenbüren waren im Sommer 1973 existenzgefährdet, und sie bestünden heute nicht mehr, wenn die Bundesregierung mit der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen das Ostfeld
nicht mit 90 Millionen DM am Leben erhalten hätte.
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Vizepräsident von Hassel: Gestatten sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Aber gerne!
Herr Kollege Schmidt, wir sollten doch nicht darüber hinwegtäuschen - ({0})
- Lieber Herr Ehrenberg, Sie können noch so schön dazwischenrufen, Sie bringen mich nicht dazu.
({1})
Herr Präsident, habe ich jetzt das Wort oder Herr Kollege Wehner?
Vizepräsident von Hassel: Sie haben das Wort zu einer Frage.
Vielen Dank.
Herr Kollege Schmidt, haben Sie und haben andere der Regierungsparteien ähnliche Worte wie „Ibbenbüren ist gerettet" gesprochen oder nicht? Mußte damit nicht bei den Betroffenen der Eindruck entstehen: Nun sind wir aller Schwierigkeiten enthoben?
Glauben Sie denn, Herr Rawe, daß jemand in diesem Lande irgendeinem Arbeitnehmer einen Garantieschein auf Dauer und für immer geben kann?
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Sie wissen doch genau - das ist das Makabre -, daß dies zu keiner Zeit geschehen ist. Lassen Sie mich den Gedanken noch fortsetzen; Sie können dann noch dutzendemal dazwischenfragen.
Das Unternehmen Steinkohlenbergwerke Ibbenbüren ist vor der Energiekrise durch politisches Handeln der sozialliberalen Regierungen in Bonn und in Düsseldorf am Leben erhalten worden. Alle Beteiligten, auch Sie, wenn meine Erinnerung mich nicht trügt - und ich bin ziemlich sicher -, waren damals, als wir das Ostfeld zu neuem Leben gebracht haben, damit einverstanden, daß das Westfeld auslaufen sollte. Ist das nicht richtig?
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Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Ja, gerne!
Herr Kollege Schmidt, wenn das richtig wäre, was Sie sagen, dann frage ich Sie:
Warum hat denn der Kollege Becker, warum hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, warum haben Sie und ich dann trotzdem so energisch für den Erhalt des Westfeldes gekämpft? Das kann doch einfach nicht richtig sein.
Wenn Sie die Tugend der Geduld hätten, dann hätten Sie diese Frage nicht zu stellen brauchen; das ist nämlich der nächste Punkt.
Dies alles war vor der Energiekrise, und dann kam der 17. Oktober 1973, die Ölhähne wurden zugedreht, und es wurden große Ansprüche an den Bergbau gestellt. In diesem Augenblick haben die Verantwortlichen in Ibbenbüren mit ihren Beschäftigten, mit ihrer Gewerkschaft überlegt, was nun in dieser neue entstandenen Situation zu tun sei. Das Dokument aus dieser neu entstandenen Situation war das Memorandum des Vorstandes der Preussag vom 15. Januar 1975 an den Bundeswirtschaftsminister über den Kohlebeauftragten: Wenn wir 120 Millionen DM öffentliche Hilfe bekommen, können wir in der jetzigen Lage das Westfeld an das Ostfeld anschließen und damit die Arbeitsplätze erhalten. Und nun muß ich fragen: Welcher verantwortliche Mann will anderen Verantwortlichen einen Vorwurf daraus konstruieren, daß sie eine neue Lage im Interesse der Erhaltung der Arbeitsplätze nach Kräften genutzt haben? Ich habe dazu gehört, und ich beklage das nicht, und ich bereue das nicht.
({0})
Als die Finanzminister in Bonn und Düsseldorf in einer großen Runde ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärten, 120 Millionen DM zur Verfügung zu stellen - davon zwei Drittel von Bonn und ein Drittel von der nordrhein-westfälischen Landesregierung zu tragen , wurde daran die Erwartung geknüpft, daß man nach der Entscheidung im Sommer 1973, welche die öffentlichen Hände 90 Millionen DM gekostet hatte, und nach der Zurverfügungstellung weiterer 120 Millionen DM nicht schon wieder am nächten Donnerstag oder Freitag mit einer neuen Nachforderung kommen würde. Sie haben an diese Überlegung die Erwartung geknüpft, daß die Arbeitsplätze auch langfristig sicher sind und dafür gesorgt wird, daß der Kohleabsatz aus dem Westfeld längerfristig gesichert wird.
Nun muß ich mich wieder fragen: Wem wird aus solchem Verhalten von wem ein Vorwurf konstruiert?
Nach dieser Zusage, Herr Rawe - auch das wußten Sie, das wissen auch die Menschen in Ibbenbüren auf jeder Verantwortungsetage; denn alle haben sich bemüht -, kam ein neues Memorandum des Vorstandes der Preussag, daß es nunmehr 170 bis 180 Millionen koste; für 120 Millionen DM gehe das nicht mehr. Aber selbst dann, wenn die beiden Regierungen auch die 180 Millionen DM zur Verfügung stellten, sähe sich die Preussag aus begreifbaren unternehmens- wie betriebswirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage, den Betrieb im Westfeld weiterzuführen.
Das Ganze nennen Sie nun, mit welchen Worten auch immer, mit welcher Berufung auf welche Zeitungen und welche Äußerungen von wem auch immer, mit Ihren Worten ein Versagen der Bundesregierung oder der Regierungen.
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Dem wird aber von mir aus meinen Kenntnissen des Wirtschaftslebens und aus meinem Rechtsempfinden heraus ganz entschieden widersprochen.
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- Nein, ich muß nicht pflichtgemäß. Für einen
solchen Hampelmann können Sie mich nicht halten!
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Meine Arbeitgeber in Ibbenbüren - die Menschen dort sind meine Arbeitgeber liegen mir mehr am Herzen, als Sie offenbar jemals begreifen können.
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Nun geht es darum, in dieser Unveränderbarkeit dennoch niemanden im Stich zu lassen. Es wurde erreicht, daß alle, die dieses Bergwerk und die Gesamtanlagen verlassen müssen, in die Sicherheit eines Feierabends nach getaner Lebensarbeit gehen können. Keiner, Herr Rawe, wird in die Maschen des Arbeitsamtes entlassen, keiner braucht sich zum Stempeln zu melden. Ich finde, dies ist in Anbetracht des Ganzen immerhin noch ein respektabler Erfolg.
Aber ich muß auch noch folgendes sagen, weil ich denke, daß Sie und alle anderen das auch wußten: Das Westfeld in Ibbenbüren war nie und ist auch jetzt nicht ein energiepolitisches Problem. Das Westfeld in Ibbenbüren mit seinen zirka 1 200 Arbeitsplätzen war und ist ein regionalpolitisches Problem. Es ist wohltuend für mich, vom Landeswirtschaftsminister zu hören, daß er diesem Problem besondere Aufmerksamkeit schenkt. Ich hoffe dennoch, daß es uns gemeinsam gelingen kann, auch vor diesem Hintergrund ein Kraftwerk dorthin zu bekommen.
Herr Zeyer, ich kann auch die Gedanken nicht unwidersprochen im Raum stehenlassen, die Sie vorgetragen haben. Ich wundere mich überhaupt - wenn ich das noch einmal sagen darf -, mit welchem Mut Mitglieder der christdemokratischen Parlamentsfraktion, die über Jahrzehnte das größte Tohuwabohu im Bergbau mitgetragen haben, das es überhaupt gibt,
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nun denen, die danach Ordnung in diese Entwicklung gebracht haben, Vorwürfe machen.
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Das wird natürlich mit tiefster Überzeugung auch bei Ihnen nicht verstanden werden.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zeyer?
Herr Kollege Schmidt, nur eine Frage: Hätten Sie die Freundlichkeit, dem Hohen Hause mitzuteilen, welche Parteien und Fraktionen seit 1966 den Bundeswirtschaftsminister stellen?
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Herr Kollege Zeyer, die Strukturkrise im Steinkohlebergbau begann am 18. Februar 1957. Seinerzeit ist auf der Schachtanlage Westfalen die erste Feierschicht verfahren worden. Es gab in diesem Augenblick ich sage das dem Hohen Hause gern - 174 Schachtanlagen in der Bundesrepublik Deutschland. Als die sozialliberale Regierungskoalition 1969 ihr Bündnis begann, hatten die Sozialdemokraten in der Gro-Ben Koalition bereits dafür gesorgt, daß es eine Einheitsgesellschaft gab, um die organisatorischen Voraussetzungen zur Beherrschung des Prozesses zu haben.
({0})
Bis dahin, meine Damen und Herren, sind leistungsfähigste Schachtanlagen zum Schaden für die Volkswirtschaft stillgelegt
({1})
und andere Schachtanlagen in Betrieb gehalten worden.
Aber ich wollte eigentlich ein Wort zu Ihren Bemerkungen sagen, Herr Zeyer. Wir haben ein Energieprogramm vor der Energiekrise gemacht. Sie wissen, wir haben in diesem Energieprogramm den ersten Eckwert deutscher Steinkohleförderung aufgeschrieben, den es in unserer Geschichte gegeben hat. Bis dahin wurde nur gehampelt, versprochen: 140 Millionen t, selbst als wir schon bei 105 Millionen t angekommen waren.
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Der Bundeskanzler vor Kiesinger, Ludwig Erhard, ein ohne Zweifel im wirtschaftlichen Bereich um das Wohlergeben unserer Volkswirtschaft recht verdienter Mann, ist auf „Friedrich der Große" eingefahren und hat noch aus dem Schacht herausgerufen: 140 Millionen t, als wir gerade noch 105 Millionen t förderten.
Ich nenne das, was wir getan haben, Ordnung in einen Prozeß bringen. Ich nenne es eine große Leistung, einen Strukturwandlungsprozeß beherrschbar, führbar und damit durchführbar zu machen zum Gewinn für die Volkswirtschaft und für die betroffenen Menschen.
({3})
In dem ersten Energieprogramm stand als Eckwert für den Steinkohlenbergbau eine Förderung von 83 Millionen t - auch umstritten, wie alles im Leben, aber am Ende von allen getragen. Dann kam im Oktober 1973 die Energiekrise. Sie werden sich erinnern, Herr Zeyer, wie insbesondere ich in der Energiedebatte am 17. Januar 1974 - fast auf den Tag genau vor einem Jahr - von meinem Kollegen Russe bedrängt wurde, doch endlich zu sagen, welche neue Zahl ich für das Energieprogramm für richtig hielte. Wir haben uns nicht auseinandernehmen und nicht durcheinanderbringen lassen, wir haben, aufbauend auf ausreichenden Erfahrungen, eine neue Zahl geschrieben: 94 bis 95 Millionen t. Und nun sagen sie mir heute - zwar mit Ihren Worten, aber so verstehe ich es -, es sei teuflisch, damals gesagt zu haben, man sei glücklich darüber, daß der Prozeß zu Ende sei, daß die Stillegungen ein Ende hätten. Und Sie schlußfolgern daraus, heute sei das Gegenteil erwiesen. Alle Schachtanlagen, die in Deutschland Steinkohle fördern, die gelebt haben, als wir das Energieprogramm fortgeschrieben haben, leben heute noch!
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Es bleiben uns die Sorgen nicht erspart; die Konjunktur geht nicht an uns vorbei. Es kann niemand die Kohle, die die Kumpels fördern, zum Kaffee verzehren. Wir können in die Hochöfen oben nur das hineinschütten, was gebraucht wird, um das flüssige Material unten herauszunehmen. Und wir können und wollen auch nicht vorschreiben, daß alle Schmidts und alle Zeyers in Deutschland Kohle verbrennen. Wir wollen das System so, wie es ist. Darum bleiben Sie uns die Antwort schuldig, wenn sich der verehrte Herr Kollege Springorum hier hinstellt und auf die Frage, was er denn getan habe, um in Ibbenbüren ein Kraftwerk zu bauen, antwortet, er hätte dafür gesorgt.
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- Ja, wie?
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Wen hätte er denn - und wen hätten Sie alle - mit welchen Mitteln zwingen wollen und können, in Ibbenbüren bereits ein Kraftwerk aufgebaut zu haben? Wie denn? Wollen Sie Bundeswehr aufmarschieren lassen, oder was wollen Sie tun?
Und, Herr Zeyer, die gleiche Philosophie gilt für die großen Sorgen, die wir mit dem Saarbergbau haben. Wer will, wer von uns kann die französische Regierung zwingen, so zu denken, wie wir es wünschen? Das kann niemand. Aber daß von denen, die im Augenblick die politische Verantwortung tragen, alles getan wird, kann doch nicht zweifelhaft sein, denn die saarländische Kohle wäre schon im Jahre 1975 nicht in dem Umfang, wie es tatsächlich der Fall ist, nach Frankreich lieferbar gewesen, wenn sich unsere Bundesregierung nicht so energisch dafür verwendet hätte.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zeyer?
Ja, bitte!
Herr Kollege Schmidt, war Ihnen wirklich nicht bekannt, daß, als Sie am 24. April 1975 hier erklärten:
Die Abwärtsbewegung, d. h. die Reduzierung
der Förderung im Steinkohlenbergbau, wird
durch dieses Energieprogramm abgeschlossen,
eine Phase der Konsolidierung und der Stabilisierung wird eingeleitet.
bereits wieder mehr als 4 Millionen Tonnen aufgehaldet waren?
Ein Energieprogramm, Herr Zeyer, will doch nicht festschreiben, daß die Tagesförderung verbraucht wird, und vielleicht auch noch vorschreiben, von wem. Wer will denn bei dem Einbruch der Konjunktur bei unserem bedeutenden Kunden „Stahl" die Stahlindustrie zwingen, den Koks zu kaufen, den sie nicht braucht? Sagen Sie doch, wenn Sie dies glauben durchsetzen zu können, bitte, mit welchen Mitteln Sie die Elektrizitätswirtschaft hätten zwingen oder anders dazu anhalten wollen, zu bewirken, daß der Bergbau vom Konjunktureinbruch unberührt bleibt.
Vizepräsident von Hassel: Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß trotz Zugabe von fünf Minuten doch langsam die Zeit überschritten ist.
Herr Präsident, ich komme gern zur Schlußbemerkung, weil wir uns offenbar im Detail doch nicht verständigen können.
Bei klarer, nüchterner und unbefangener Beurteilung der energiepolitischen Szene der Bundesrepublik kann der sozialliberalen Regierungskoalition nicht nur kein Vorwurf gemacht werden, sondern es muß ihr bescheinigt werden, daß sie alles getan hat, Menschen und Land immer und ausreichend mit Energie zu versorgen. Wie sonst hätten wir denn nach dem 19./20. Oktober 1973 im allgemeinen so schadlos durchkommen können?
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rawe.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Kollege Schmidt, ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Sie verteidigen sich hier für die Bundesregierung.
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Ich habe gegenüber der Bundesregierung lediglich den Vorwurf erhoben, daß sie den Eindruck erweckt hat, das Westfeld retten zu können, obwohl sie ganz genau wußte, daß der Absatz nicht zu sichern war.
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Das, lieber Kollege Schmidt, wußten auch Sie; denn, wenn Sie sich die Verhandlungen genau ansehen, werden Sie feststellen, daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmen nie einen Hehl daraus gemacht haben, daß sie diese Bedingung, den Absatz zu sichern, nicht einhalten konnten.
Wir sollten doch endlich einmal aus dieser Debatte dieses lernen: Was hat das eigentlich für einen Sinn, daß wir uns gemeinsam anstrengen, Arbeitsplätze zu erhalten, wenn Sie dann hier nach
vorn kommen und so tun, als ob überhaupt keine gefährdet wären? Ich habe doch ausdrücklich bestätigt, daß es einen ordentlichen Sozialplan gibt.
Aber wollen Sie etwa leugnen, daß für diese Region die 1 150 Arbeitsplätze verlorengegangen sind? Wollen Sie etwa leugnen, daß 100 junge Arbeitnehmer dort in diesem Jahr nicht eingestellt werden konnten? Wollen Sie leugnen, daß in dieser Region, die Gott sei Dank noch einen Geburtenüberschuß hat, künftig diese Arbeitsplätze weiter fehlen werden? Das können Sie doch nicht.
Deswegen stellen Sie sich doch bitte nicht hierhin und tun so, als ob alles in schönster Ordnung wäre.
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- Herr Wehner, Sie können dazwischenrufen, was Sie wollen! Ich sage: Hier hat die Bundesregierung vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen die Wähler in dem Raum zu täuschen versucht. Da beißt die Maus keinen Faden von ab.
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Vizepräsident von Hassel: Ich habe den Zwischenruf nicht gehört. Ich werde mir das Wortprotokoll geben lassen. Sollte es so gewesen sein, wird ein Ordnungsruf erteilt. Aber ich kann das im Augenblick nicht prüfen, weil ich das selber nicht gehört habe.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker ({4}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe - nachgewiesen - insgesamt 1 500 Arbeitsstunden damit zugebracht, um mich der Probleme der Arbeitnehmer in Ibbenbüren in meinem Wahlkreis anzunehmen. Ich habe sehr viele Kollegen dieses Hauses, aus unserer Fraktion sowie aus der Bundes- und Landesregierung gebeten, sich in Ibbenbüren an Ort und Stelle ein Bild über die Situation zu machen. Einschließlich der Präsidentin des Deutschen Bundestages sind sehr viele dieser Einladung gefolgt.
Ich habe an allen Gesprächen, die mit dem Betriebsrat stattgefunden haben, und an allen öffentlichen Veranstaltungen teilgenommen. Ich habe von keinem der verantwortlichen Politiker zu irgendeinem Zeitpunkt gehört, daß er eine Zusage gemacht hat, die Arbeitsplätze im Westfeld der Steinkohlenbergwerke Ibbenbüren könnten erhalten bleiben.
Ich habe von allen Verantwortlichen gehört, daß sie bereit sind, alles in ihren Kräften und im Rahmen ihrer Möglichkeiten Stehende zu tun, uns in dieser Situation zu helfen. Ich glaube, hier liegt wohl der große Unterschied. Ich weiß ganz genau, was alle, die dort gewesen sind, dann anschließend auch wirklich getan haben, wie sie sich im Rahmen
Becker ({0})
ihrer Zuständigkeiten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten bemüht haben.
So sehe ich es als etwas Seltsames an, daß in dieser Stunde und zu diesem Problem das, was an gutem Willen dort investiert worden ist - und ich gebe zu, auch von der Opposition und von den Beteiligten, die sich in Ibbenbüren ein Bild gemacht haben -, an dieser Stelle so verzerrt wird.
Ich will abschließend einen Satz aus einem Schreiben an ein Mitglied der Jungen Union vorlesen, weil ich meine, daß das in Zukunft eigentlich auch unser Bestreben sein sollte:
An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, daß zwischen den Bundestagsabgeordneten Helmut Becker und Willi Rawe völlige Übereinstimmung darin bestand, daß alle Bemühungen um die Arbeitsplätze bei den Steinkohlenbergwerken in Ibbenbüren ohne parteipolitische Auseinandersetzungen stattfinden sollten bzw. niemand aus Erfolg oder Mißerfolg parteipolitisches Kapital schlagen sollte.
Ich überlasse es der Beurteilung der Zuhörer, auch aus meinem Wahlkreis, wie dieses Prinzip hier heute gehandhabt worden ist.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Verzeihung, es ist völlig klar, Herr Kollege Gruhl: Graf Lambsdorff war vor Ihnen gemeldet. Er ist dann nachher gestrichen worden. Inzwischen ist die Wortmeldung wieder aufgenommen worden.
Bitte schön, Graf Lambsdorff! Anschließend hat der Abgeordnete Dr. Gruhl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich möchte zu drei Komplexen kurz abschließende Bemerkungen machen.
Erstens. Saarbergwerke, Frankreich-Lieferungen, Weiher III, 700 MW, zusätzlicher Block. Herr Zeyer, ich hatte bei Ihrer Darstellung den Eindruck, als läge es an uns, daß wir nach Frankreich keine Kohlen mehr liefern können.
({0})
Davon ist keine Rede. Die Saarbergwerke würden mit dem größten Vergnügen nach wie vor 1 Million Tonnen liefern. Wir haben mühsam noch 500 000 Tonnen für 1976 kontrahieren können. Wir sprechen zur Zeit zwischen den Saarbergwerken einerseits, dem Saarland und der Bundesrepublik andererseits über den Ausgleich des Minderpreises. Sie können uns doch wahrhaftig nicht vorwerfen, daß wir nicht in der Lage sind, mit den Waggons unerlaubterweise über die französische Grenze zu fahren und die Kohlen dort auszukippen.
Zweiter Punkt ist Ihre Bemerkung zu dem zusätzlichen Kraftwerksblock. Als wir hier im April vorigen Jahres darüber diskutierten, war in der Tat die Situation so, daß wir der Annahme waren, die Saarbergwerke könnten innerhalb kurzer Zeit einen Vertrag mit einem Stromabnehmer schließen. Die konjunkturelle Entwicklung, über die wir ja heute allgemein diskutieren - sonst stünden wir nämlich nicht hier und müßten eine Novelle zum 3. Verstromungsgesetz beschließen -, hat dazu geführt, daß dieser Vertrag nicht zustande gekommen ist und daß deswegen aller Voraussicht nach damit gerechnet werden muß, daß dieser zweite Block der Saarbergwerke nicht zu dem Zeitpunkt fertiggestellt wird und, in Betrieb gehen kann, der geplant war. Wenn Sie keinen Abnehmer für ein Kraftwerk haben und nicht wissen, wohin Sie den Strom schicken sollen - Herr Minister Riemer hat ja vorhin gesagt, daß man ihn wohl nicht gut untertage zurückschicken könne -, dann stehen Sie vor genau derselben Situation, wie das in Ibbenbüren der Fall gewesen wäre.
Meine Damen und Herren, ich habe mir die Diskussion zum Thema Ibbenbüren mit Erstaunen und Bedauern angehört. Es steht doch fest, daß alle Beteiligten versucht haben, zu erhalten, was erhalten werden konnte. Ich selbst habe keineswegs soviel Arbeitsstunden wie der Herr Kollege Becker investiert. Ich habe mich nur am Rande und im letzten Stadium in dieses Gespräch - z. B. mit der Preußag - einschalten können. Daß sich aber beim Herausstellen der letzten Schwierigkeiten hinsichtlich des Westfeldes ergab, daß hier der dafür notwendige Aufwand und der mögliche Ertrag in einem überhaupt nicht mehr zu verantwortenden Verhältnis standen, Herr Rawe, da mußte das doch schließlich zu der Entscheidung führen, die getroffen worden ist. Dabei bleibt Ihre Feststellung völlig unbestritten, daß es sich um ein regionalpolitisches Problem handelt. Deswegen haben wir uns im letzten Stadium ja auch so schwer getan, denn wirtschaftlich gesehen war die Fortführung gar nicht mehr zu verantworten. Im Gegenteil: Es hätte nach den Auskünften der Preußag dazu geführt, auch noch das Ostfeld zu gefährden, weil man dessen wirtschaftliche Lage unterhöhlt hätte. Das regionalpolitische Problem hat uns Sorge gemacht. Seine Folgen machen uns weiter Sorge. Natürlich sind die 1100 Arbeitsplätze verloren, natürlich fehlen 100 Arbeitsplätze für den Nachwuchs, für Jugendliche in den kommenden Jahren. Dies Problem zu lösen, dazu hat der Landeswirtschaftsminister aus Düsseldorf erfreuliche und in die Zukunft weisende Ausführungen gemacht. Ich bin ihm dafür dankbar, daß er kein Gemälde an die Wand gemalt hat, das zu Irrtümern führen könnte, sondern daß er nur gesagt hat, wir seien auf dem besten Wege, das Problem zu lösen.
Der Kraftwerksbau war ein interessantes Moment in der Diskussion mit Ihnen, Herr Springorum. Wer sollte eigentlich dieses Kraftwerk dorthin bauen? Herr Kollege Schmidt hat das schon gefragt. Die Preag, die VEBA, die Preussag und das RWE haben sich an den Verhandlungen beteiligt. Alle sind zu dem Ergebnis gekommen: Wir können hier nicht produzieren, weil wir leider keinen finden, der uns den Strom abnimmt. Dies rechnet sich von hinten und von vorne nicht. Natürlich hätten Sie dazu übergehen können, ein bundesrepublikanisches Kraftwerk zu bauen. Dann aber, Herr Rawe, müssen Sie hier antreten und sagen, daß Sie das wollen. Ich
höre, Sie wollen es nicht. Dann sind wir uns ja schon wieder ein Stück einiger. Aber heute hatten wir dasselbe, Herr Springorum, in Ihrer Rede. Soll denn die Bundesrepublik die Konversions-Kracker bauen, oder wer soll das tun?
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Springorum?
Ja, gerne!
Ich möchte Sie, Graf Lambsdorff, fragen, ob Sie vorhin davon Kenntnis genommen haben, daß ich gesagt habe: Wären die beiden Richtlinien zum Verbot des Baus von Kernkraftwerken auf Erdgas- und Erdölbasis früher verabschiedet worden, hätten zwangsläufig entsprechende Kohlekraftwerke gebaut, in Betrieb und ans Netz genommen werden müssen. Leider sind diese Richtlinien mit durch Einsprüche der Bundesregierung so spät verabschiedet worden.
Herr Springorum, das letzte Kohlekraftwerk ist am 30. Juni 1971 an das Netz gegangen.
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Die Richtlinie liegt sehr viel später, und ein Eingehen auf diese Richtlinie hätte an der gegenwärtigen Situation nicht Nennenswertes, nichts von Gewicht geändert.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Springorum?
Bitte, gern!
Sind Sie bereit, davon Kenntnis zu nehmen, daß die anderen Mitgliedsländer für ihre Ölkraftwerke sofort im Jahre 1973 die Bivalenz verlangt haben, so daß in ihnen auch Kohle eingesetzt werden kann?
Herr Springorum, wir haben Bivalenz verlangt, wo immer das möglich war. Wir erteilen keine Genehmigung - es sei denn, in Ausnahmefällen - für den Neubau von Kraftwerken, die allein auf Ölbasis betrieben werden können. Sie wissen, daß dies Probleme mit sich bringt. Führen Sie sich doch einmal die Spannweite der Beiträge von den Kollegen aus Ihrer Fraktion, Kollegen aus revierfernen und reviernahen Ländern vor Augen. Setzen Sie Ihre Auffassung doch bitte erst einmal bei Ihren Kollegen von der CSU durch. Haben Sie Herrn Spilker heute zugehört? Haben Sie verfolgt, was Herr Schmidhuber hat anklingen lassen? Es herrscht doch vollständige Uneinigkeit bei Ihnen. Ich weiß, daß es schwer ist, alles auf einen Nenner zu bringen. Solange Sie aber Telegramme wie das von Herrn Filbinger produzieren oder dem Bundeswirtschaftsminister die Gelegenheit geben, das vorzulesen, können wir nur feststellen: Sie würden in
der Energiepolitik heute genau dasselbe Chaos vollführen, wie Sie es früher getan haben.
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Herr Springorum, ich möchte noch auf einen Einwand zurückkommen. Wir müssen uns darüber klar werden - Sie haben offensichtlich Ihre Konsequenzen gezogen; das haben Sie vorhin deutlich gemacht -, wieviel marktwirtschaftliche Substanz wir auf dem Gebiet der Energiepolitik noch erhalten können. All das, was Sie vorschlagen, hat mit Marktwirtschaft nahezu nichts mehr zu tun, auch wenn Sie es unter dem schönen Titel „flankierende Maßnahmen" verbergen. All das sind unmittelbare Eingriffe. Dies ist direkte Investitionslenkung. Ich nenne als Beispiele nur ihren Hinweis auf das Kraftwerk in Ibbenbüren und den Hinweis auf die Konversions-Kracker. Sie gewinnen kein Unternehmen dafür.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burger?
Bitte sehr!
Graf Lambsdorff, Sie haben heute und, wie ich glaube, auch in der letzten Debatte erklärt, daß im Saargebiet deshalb kein Kraftwerk gebaut werden konnte, weil keine Stromabnehmer da waren. Warum zieht die Bundesregierung - ich bin vielleicht nicht Experte genug, um das zu übersehen - aus dieser Tatsache in dem Energieprogramm, das vorgesehen ist, keine Folgerungen?
Sie können die Saarbergwerke nicht durch einen Gesetzesakt oder durch eine Verordnung in die Lage versetzen, einen Stromabnehmer zu finden. Wie wollen Sie Folgerungen mit dieser Wirkung ziehen? Wie wollen Sie das machen?
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- Eine lange Leitung in das Saargebiet brauchen Sie ohnehin, aber selbstverständlich nur für Strom.
Solche Folgerungen zu ziehen ist gar nicht möglich. Sie müssen ein Stromerzeugungsunternehmen in der Bundesrepublik finden, das bereit ist, die Produktion eines solchen Kraftwerkes in sein Netz einzuspeisen. Das Unternehmen wird das aber selbstverständlich nur tun, wenn am Ende dieses Netzes jemand da ist, der einen Stecker in die Steckdose steckt und den Strom verbrauchen kann. Im Augenblick besitzen die Energieversorgungsunternehmen - darauf habe ich heute morgen hingewiesen - Kraftwerkskapazitäten im Überhang. Sie werden also mit dem Abschluß neuer Verträge sehr vorsichtig sein, weil sie ja bezahlen müssen. Sie müssen auch dann bezahlen - sehen Sie sich einmal einen Stromlieferungsvertrag an -, wenn sie nichts abnehmen. Zumindest die Grundlast müssen sie bezahlen. Infolgedessen ist niemand geneigt, heute einen solchen Vertrag ins Leere hinein abzuschließen.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burger?
Bitte sehr!
Graf Lambsdorff, ich begreife Ihre Erklärung durchaus. Ist es dann, wenn wir einen solchen Stromüberhang haben, aber notwendig, innerhalb weniger Jahre weitere 50 Kernkraftwerke zu bauen?
Dies ist eine Frage, die wir heute morgen auch schon besprochen haben. Die Frage ist, ob der öffentliche Auftrag der Energieversorgungsunternehmen, der eben auch darin besteht, Vorhaltekapazitäten zu schaffen, in dieser Zeit zurückgenommen werden kann. Die Antwort auf diese Frage lautet sicherlich nein.
Die zweite Frage ist, ob man angesichts einer konjunkturellen Entwicklung, wie wir sie in den letzten drei Jahren gehabt haben, seine Kapazitäten und seine Ausbaupläne wesentlich zurückführen soll. Dies ist eine Entscheidung, die wir in unserem Wirtschaftsystem den einzelnen Unternehmen überlassen. Die Unternehmen sind nämlich privatwirtschaftlich organisierte Aktiengesellschaften, und sie tragen auch die Verantwortung dafür, ob sie Kapazitäten schaffen, die hinterher genutzt werden können, oder ob sie dies unterlassen. Sie können das alles ändern. Sie können es selbstverständlich dem Staat überlassen, das alles anzuordnen, vielleicht sogar durchzuführen. Nur habe ich bisher die Erfahrung gemacht, daß die Summe der Entscheidungen von Vorstandsmitgliedern solcher Unternehmen sicherlich nicht weniger intelligent ist als die Summe der Entscheidungen von Oberregierungsräten oder Ministerialräten, die Sie dann damit beauftragen.
Meine Damen und Herren, Herr Springorum, die Frage der Konversions-Kracker, die Sie angeschnitten und die auch andere erwähnt haben, ist doch in der Tat - ich kann nur noch einmal auf das Argument von Herrn Minister Friderichs zurückkommen - ein außeordentlich zweischneidiges Schwert. Sie drücken eben den Preis der leichten Produkte, die dabei herauskommen, wenn mehr produziert wird. Und wenn Sie die Spanne zwischen leichten und schweren Produkten nicht mehr in der Größenordnung haben, daß sich der Konversions-Kracker lohnt, dann baut ihn niemand. Und Herr Friderichs hat völlig recht - er hat keine Namen genannt, aber das ist ja auch nicht notwendig -: Es gibt große internationale Gesellschaften in der Bundesrepublik, die seit Jahren Konversions-Kracker gebaut haben. Es gibt andere, die das radikal ablehnen und in ihrer unternehmerischen Entscheidung nein sagen; dies ist ihre Entscheidung.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Springorum? - Bitte schön!
Darf ich fragen, welchen Grad der Priorität Sie der Zurückdrängung des Nahost-Öls einräumen oder welchen dem Preisunterschied zwischen hydriertem und destilliertem Benzin? Denn Sie können, wenn Sie hydrieren, einen wesentlichen Teil Unabhängigkeit gewinnen, die meiner Ansicht nach auch einen Preis hat, den man nicht unberücksichtigt lassen darf.
Herr Springorum, zunächst einmal ist die Überlegung, in der wir uns alle einig sind, so, daß wir die Absicht haben, die Abhängigkeit von importiertem Mineralöl zu mindern. Aber wohin mindern Sie die? Von zur Zeit 55 % auf, wenn es hoch kommt bis 1980 45 % oder, sind wir sehr optimistisch, 40 %?
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- Na gut, ein bißchen salopp gesagt: 5 % geschenkt, also 40 %. Ich bin mit Ihnen einig. Sie müssen dann aber die Antwort geben - ({1})
Vizepräsident von Hassel: Ich bitte, hier keinen Dialog zu führen. Entweder gehen Sie an das Mikrophon, Herr Kollege Springorum, und stellen Zwischenfragen, oder wir fahren mit der Aussprache fort.
Dies war ein interessanter Hinweis, Herr Springorum. Glauben Sie denn in der Tat, daß das englische Öl eines Tages billiger und besser zu haben sein wird als das, was Sie jetzt aus dem Nahen Osten bekommen?
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- Glauben Sie, daß das sicherer ist? Haben Sie erlebt, wie die Holländer im Oktober 1973 die Erdgasverträge behandelt haben? Mir ist zweifelhaft, ob das sicherer ist. Sie meinen, das sei politisch sicherer. Dafür spricht einiges. Aber ob die Verträge eingehalten werden, ob Sie beliefert werden, ist eine große Frage. Und Sie müssen sagen, Herr Springorum, was diese 5 % im Preis wert sein sollen, wieviel Sie dafür aufwenden wollen. Dies ist nicht eine Frage, die Sie, die wir einfach damit beantworten können, daß wir sagen: Wir zahlen die Summe X, sondern dies ist natürlich auch die Frage: Wieweit belasten wir durch diese Summe X die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie? Das muß zu Ende gedacht werden.
({1})
Meine Damen und Herren, das, was Sie heute in dieser energiepolitischen Debatte vorgeführt haben, entspricht genau dem, was an dem Beispiel mit den Konversions-Anlagen klar geworden ist. Diesen Vorgang, sich nämlich durch den Bau von Konversionsanlagen den Markt und die Ausgangsposition selber zu verderben, hätte ein früherer Bundeswirtschaftsminister, der jetzt zu Ihren Reihen zählt, wahrscheinlich mit dem Ausdruck self-defeating beDr. Graf Lambsdorff
legt. Das, was die Opposition heute in der Energiedebatte betrieben hat, war in meinen Augen ebenfalls self-defeating.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Wir fahren fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gruhl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um Mißverständnisse auszuschließen, möchte ich gleich sagen, daß ich mich nicht deshalb zu Wort gemeldet habe, weil in meinem Wahlkreis ein Kernkraftwerk gebaut werden soll oder weil ein solches geplant ist. Ich möchte mich vielmehr zur Energiepolitik im allgemeinen äußern - jedoch nicht für meine Fraktion - und möchte in diesem Zusammenhang, wie andere Redner das heute auch getan haben, natürlich auch auf die Kernenergie mit eingehen.
Ich muß leider in aller Deutlichkeit sagen, daß ich sehr vielen der auch heute hier geäußerten Auffassungen nicht zustimmen kann. Das gilt besonders für das Energieprogramm der Bundesregierung, aber auch für die von meiner Fraktion eingebrachte Entschließung.
Ich muß vielmehr meine eigenen Überlegungen vortragen. Diese Ansichten vorzutragen ist um so dringlicher, als Millionen von Bürgern in diesem Land berechtigte Sorgen haben, ob der Kurs der gesamten Energiepolitik überhaupt noch stimmt und ob er überhaupt noch von jemandem verantwortet werden kann.
Eine falsche Darstellung ist schon die Aussage, daß Energie Arbeitsplätze schaffe. Die Energie ist dazu da, menschliche Arbeitskraft zu ersetzen. Damit werden Menschen überflüssig. Das habe ich an anderer Stelle gründlich bewiesen. Professor Jürgensen hat für die Bundesrepublik Deutschland an Hand der Entwicklung von 1960 bis 1975 festgestellt, daß durch die Investitionen immer mehr Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Dieses System kann also nur so lange funktionieren, wie die Wirtschaft ständig expandiert. Damit ist es heute aus.
Darum haben sich alle Prognosen als falsch erwiesen, besonders diejenigen, auf denen die Bundesregierung ihr Energieprogramm aufgebaut hat. Der darin enthaltene geistige Aufwand war ohnehin nicht groß.
Das mindeste wäre aber nun, daß die Bundesregierung die jetzt eingetretenen Tatsachen akzeptiert und die Annahmen dort revidiert, wo tatsächlich die andere Entwicklung schon bekannt ist. Tatsache ist, daß der Gesamtenergieverbrauch 1974 um 3 % und 1975 um 6 % zurückging. Das bedeutete für 1975 also 61 Millionen t Steinkohleeinheiten weniger. Selbst wenn die früher angenommenen Zuwachsraten ab 1976 in voller Höhe wieder erreicht würden, was mit Sicherheit nicht geschehen wird, würden Jahr für Jahr genau diese 61 Millionen t Steinkohleeinheiten weniger verbraucht werden. Das sind bis 1985 immerhin rund 600 Millionen t Steinkohleeinheiten.
Bei der elektrischen Energie wurden 1975 nicht etwa die prognostizierten 114 % gegenüber 1973 verbraucht, sondern 99,8 %. In Primärenergie, in Steinkohleeinheiten, umgerechnet, sind dies für 1975 15 Millionen t weniger als prognostiziert. Dieser Minderbedarf bleibt auch hier in allen Folgejahren in voller Höhe bestehen, genau wie ich das eben erläuterte, selbst wenn ab 1976 wieder jährliche Zuwachsraten von 7 % eintreten sollten, woran ja wohl auch niemand mehr glaubt. Was beim Strom zur Zeit übrigens steigt, sind lediglich die Preise. Steigende Preise werden sich bekanntlich in einem geringeren Verbrauch niederschlagen.
Außerdem sollen doch schließlich die heute morgen diskutierten Sparmaßnahmen allein auf dem Gebiet der Heizung 160 Millionen t Steinkohleeinheiten einsparen, d. h. mit diesen Einsparungen kann man an anderer Stelle durchaus einen Mehrverbrauch speisen.
Zur Kernenergie!
({0})
Der Deutsche Bundestag hat jedenfalls niemals eine Entscheidung unter Abwägung aller Gesichtspunkte getroffen. - Ich habe vorhin gesagt, daß auch andere Redner darauf eingegangen sind. Darum kann wohl auch ich mir erlauben; etwas darauf einzugehen.
Vizepräsident von Hassel: Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die anderen Redner dies sehr sparsam taten. Wenn Sie längere Ausführungen zur Kernenergie machen, müßte ich Sie zur Sache verweisen. Die anderen Redner heute morgen haben das Thema nur gestreift und nicht ausdrücklich behandelt, weil es nachher noch aufgerufen wird.
Herr Präsident, ich erwähne die Kernenergie in dem Zusammenhang, weil da der entscheidende Punkt der Überlegungen zur gesamten Energie liegt.
Wie viele Kernkraftwerke
({0})
- natürlich! - nun so ein kleines, dicht besiedeltes Land wie die Bundesrepublik Deutschland verträgt, ist vom Bundestag niemals beschlossen worden. Darum ist die wiederholte Berufung des Herrn Bundeswirtschaftsministers auf den Beschluß von 1959 - damals sei ja ein Atomgesetz beschlossen worden - nicht statthaft.
({1})
Denn die ganze Problematik hat sich erst in der weiteren Entwicklung herausgestellt.
Die Versorgung mit Erdöl gehört mit in diesen Komplex. Das gehört nun wirklich zur Allgemeinenergie; das ist übrigens eben auch in dem Frage-und-Antwort-Spiel angesprochen worden. Wenn ich Erdöl ersetzen will, wie es eben wieder vorgeschla14916
gen wurde, dann muß ich Uran einsetzen. Uran läßt sich bekanntlich nicht zum Betrieb unserer Kraftfahrzeuge einsetzen. Infolgedessen ist dieser Wechsel nicht möglich.
({2})
- Ja, sind Sie denn heute nicht dagewesen? Fast jeder Redner hat einige Worte über das Thema Kernenergie gesagt.
({3})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß im Laufe der bisherigen Debatten im Deutschen Bundestag die Probleme und die Risiken der Kernenergie immer abends zur Sprache kamen, wo hier praktisch keine Aufmerksamkeit mehr vorhanden war. Das haben mir die Kollegen der SPD vor einem halben Jahr ganz klar bestätigt. Sie haben mir gesagt: Daraufhin werden wir eine Große Anfrage zur friedlichen Nutzung der Kernenergie einbringen, um dieses Thema endlich einmal im Deutschen Bundestag in den Mittelpunkt zu stellen.
({4})
Das hat heute dazu geführt, daß man die anderen Energiemaßnahmen ausgiebig von 9 bis 19 Uhr abends diskutiert hat und nun immer noch nicht bei der Kernenergie ist.
Aber, Herr Präsident, auf Grund der vielen Einwände stelle ich meine übrigen Ausführungen zu dem Thema zurück, bitte aber, die mir zugemessene Zeit bei meiner späteren Wortmeldung wieder zuzuteilen.
({5})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache zu den Punkten 2, 3 und 4 angelangt.
Wir haben über die Überweisung an die Ausschüsse zu befinden. Der Überweisungsvorschlag ist in der Tagesordnungsvorlage ausgedruckt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Vorlage zusätzlich auch dem Finanzausschuß - mitberatend - überwiesen werden. Ich gehe davon aus, daß so beschlossen werden kann. - Ich sehe keinen Widerspruch.
Zu Punkt 2 der Tagesordnung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP auf Drucksache 7/4607 vor, über den bei Punkt 5 der Tagesordnung abgestimmt wird, weil er beide Punkte miteinander verbindet.
Bevor ich nun die nächsten Punkte aufrufe, muß ich noch einmal auf die Unruhe soeben zurückkommen. Ich habe mir das Wortprotokoll geben lassen. Darin heißt es wie folgt. Herr Rawe sagte: „Da beißt die Maus keinen Faden von ab." Dann folgt: „({6})" - Herr Abgeordneter Wehner, ich rufe Sie dieserhalb zur Ordnung.
Ich rufe die Punkte 5, 6 und 7 der Tagesordnung auf:
5. Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Haenschke, Konrad, Schäfer ({7}), Dr. Ehrenberg, Junghans, Kern, Liedtke, Reuschenbach, Dr. Schäfer ({8}), Dr. Hirsch, Dr. Wendig, Kleinert, Dr.-Ing. Laermann, Dr. Graf Lambsdorff, Zywietz und der Fraktionen der SPD, FDP
betr. friedliche Nutzung der Kernenergie in
der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 7/3410, 7/3871 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Pfeffermann, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Roser, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz und Genossen
betr. friedliche Nutzung der Kernenergie, Brennstoffkreislauf
- Drucksache 7/3827 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates;
Ausschuß für Forschung und Technologie ({9}) Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Walz, Lenzer, Pfeffermann, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Roser, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Solke, Ey und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Standortplanung von Kernkraftwerken - Drucksache 7/3720 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({10})
Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Zur Begründung des Tagesordnungspunktes 5 erteile ich dem Abgeordneten Haenschke das Wort. Ich mache darauf aufmerksam, daß wir beschlossen haben, die Punkte 5, 6 und 7 in der Aussprache miteinander zu verbinden. Das Wort hat der Abgeordnete Haenschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der SPD und FDP haben im Frühjahr des vergangenen Jahres der Bundesregierung 47 Fragen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik gestellt. Damit sollte ein weiterer Schritt unternommen werden, um die Diskussion über die Kernenergie in unserem Lande zu versachlichen. Im Namen der Koalitionsfraktionen danke ich der Bundesregierung dafür, daß sie die Beantwortung unserer Großen Anfrage zum Anlaß genommen hat, vor allem auch einmal die Soll-Seite der nuklearen Bilanz aufzuschlagen.
Die Bundesregierung hat in ihrem Energieprogramm die Kernenergie unter die Energiequellen gesetzt, die den Zuwachs des künftigen Energiebedarfs abdecken und die einseitige Abhängigkeit vom Öl mindern sollen. Die Bundesregierung hat allerdings auch nie verschwiegen, daß dazu noch eine Reihe wichtiger technischer, organisatorischer und ökonomischer Voraussetzungen geschaffen werden müsDeutscher Bundestag 7. Wahlperiode Dr. Haenschke
sen. Sie hat auch darauf hingewiesen, daß möglicherweise Ungewißheiten über die längerfristigen Folgeerscheinungen eines umfassenden Kernenergieeinsatzes verbleiben.
Es war der Zweck unserer Großen Anfrage, daß die Bundesregierung ihre Gründe dafür darlegt, daß sie trotz des eingestandenen Mangels an einigen Voraussetzungen und trotz der verbleibenden Ungewißheiten heute schon für ein ehrgeiziges Kernreaktorbauprogramm optiert. Derart hohe potentielle Risiken, wie sie die umfangreiche Nutzung der Kernenergie mit sich bringt, zwingen dazu, diese Risiken möglichst genau zu kennen, abzuschätzen und zu belegen, ehe man folgenschwere Schritte ins Irreversible unternimmt. Es kann nicht angehen, nur achselzuckend auf fehlende Alternativen zur Kernenergie hinzuweisen, um sich dann ins Unvermeidliche zu ergeben. Die Frage kann nur lauten: Kann man in einem dichtbesiedelten Land wie der Bundesrepublik Deutschland mit der Kernenergie als einer der Hauptstützen unserer Energieversorgung leben, oder schafft man dadurch im Vergleich mit der heutigen Situation nicht vielleicht weitaus gefährlichere Zwänge und Abhängigkeiten?
Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß für sie der Schutz der Bevölkerung den Vorrang vor energiewirtschaftlichen Bedürfnissen hat. Wird diese politische Maxime aber auch in aller Zukunft durchzuhalten sein, wenn man sich erst einmal einer Technologie verschrieben hat, die die Eigenart hat, daß man sie nicht mehr loswird, deren Spuren sich selbst in Jahrtausenden noch nicht verloren haben werden? Was unter den heutigen technischen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen unwahrscheinlich sein mag, kann aus Gründen mangelnder Umsicht oder energiepolitisch wünschenswert erscheinender Nachsicht jederzeit möglich werden.
Nach einer langen Zeit, in der die Zähmung des atomaren Feuers immer neue öffentliche Ehrfurcht und Begeisterung hervorgerufen hat - der Sachverstand der Bevölkerung wurde übrigens damals nicht angezweifelt -, nach einer langen Zeit, in der die Kernenergie das hochdotierte öffentliche Hätschelkind gewesen ist, wird es weltweit unruhig um diese Technologie. Wissenschaftler erheben mehr und mehr die kritische Stimme, während andere - meist solche, die von der Kernenergie leben - mit Unbedenklichkeitserklärungen dagegenhalten.
Aus einer Position der gesunden Skepsis heraus ist diese Große Anfrage geboren worden. Nicht nur aus den Meinungen der Wissenschaftler ergibt sich, daß unsere Urteilsgrundlage nach wie vor schwankend ist. Nach wie vor ist diese gesunde Skepsis angebracht, und die Bundesregierung bestätigt dies auch mit langen Problemlisten in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage. Skepsis ist angebracht, ob das technisch bereits Erreichte sicher genug ist und sicher genug gehalten wird. Noch mehr Skepsis hat dem zu gelten, das heute noch technisch unentwickelt ist, obwohl es für das System Kernenergie zu den unabdingbaren Voraussetzungen zählt. Die Konzepte der Anlagen des Brennstoffkreislaufs und der zur endgültigen Lagerung der hochaktiven Abfälle für Hunderte von Generationen notwendigen Anlagen sind fast noch nicht mehr als optimistische Hoffnungen.
Wer kann erst recht die Risiken voll abschätzen, die in der bekannten Unberechenbarkeit des Faktors Mensch liegen? Ich meine den Menschen in all seinen verzeihlichen und unverzeihlichen Erscheinungsformen: den Leichtsinnigen, den Tölpel, den physisch und psychisch nur endlich Belastbaren, den Egoisten, den militärischen Menschen und den Böswilligen, der auf Terror und Sabotage aus ist. Diese vielen Charakterzüge und sicher noch mehr müssen für Jahrhunderte, gar Jahrtausende garantiert ohne Einfluß auf die großartigste, aber auch abenteuerlichste Technologie unserer Geschichte bleiben.
Es ist Skepsis am Platze, ob unsere Gesellschaft und die Gesellschaften nach uns, ob Staat, Wirtschaft und Bevölkerung jederzeit willens und in der Lage sind, die in finanzieller, organisatorischer und technischer Hinsicht mit einem Kernenergiegroßeinsatz aufgenommenen Hypotheken auch einzulösen. Denken wir etwa an den immensen Personalaufwand, der notwendig ist, um den Betrieb und die Wartung, die Reparatur, die Aufsicht und Kontrolle der Anlagen zu gewähleisten, um sie zu sichern! Denken wir an die Menschen, die für den Katastrophenschutz und für medizinische Fürsorge vorgehalten werden müssen! Denken wir an den mit dem Gewohnten unvergleichbaren Bedarf an Investitionskapital, Forschungskapital, Betriebskapital, denken wir an die hohen finanziellen Aufwendungen, die auch dann noch notwendig sind, wenn kein Nutzen aus den Anlagen gezogen wird! Ich denke dabei an gewollte und ungewollte Stillstandszeiten genauso wie an die Sicherhaltung ehemaliger Anlagen, an den Atommüll oder das Abräumen der Hinterlassenschaften des Nuklearzeitalters.
Es ist heute noch nicht glaubhaft zu widerlegen, ob sich die als kostengünstig geltende Kernenergie nicht am Ende als ein Faß ohne Boden für öffentliche Subventionen erweist. Schon heute, da man noch nicht von der Kernenergie abhängig ist, ist es oft schwierig, die Wirtschaft dazu zu bringen, sich an dem nicht unmittelbar Profitablen des für die friedliche Nutzung der Kernenergie erforderlichen Gesamtsystems zu beteiligen. Da liegen z. B. ausschlaggebende Gründe dafür, daß unser Reaktorsicherheitsforschungsprogramm verzögert worden ist, da liegen Gründe dafür, daß die dringend notwendige Wiederaufarbeitungskapazität bis heute noch nicht sichtbar ist. Bis heute ist nicht bekannt, ob man sich dazu bereit gefunden hat, für die Beseitigung stillgelegter Anlagen auch die notwendigen Rücklagen zu machen. Man könnte sich denken, daß die Zeit kommt, in der der Staat aufgerufen ist, hier Zwangsmittel einzusetzen bis hin zum Entzug von Betriebsgenehmigungen. Dann spätestens würde sich die Frage nach der politischen Durchsetzbarkeit stellen.
Besteht nicht auch die Gefahr, daß die Schaffung einseitiger Abhängigkeit von der Kernenergie zwangsläfig zu neuen Generationen der Nukleartechnologie führt, deren technisches Sicherheitsniveau, deren wirtschaftlicher Nutzen auf noch mehr Hypothesen und optimistischen Prognosen beruht als die
heutige Leichtwassertechnologie? Ich denke dabei an die „Schnellen Brüter" und die damit verbundene Plutoniumgroßwirtschaft, d. h. den Umgang mit einem durch die Kernenergie neu ins Dasein gesetzten Element, das extrem giftig ist und sich in der eingesetzten Form zum Basteln nuklearer Sprengkörper eignet, das folglich mehr gehütet werden muß als der eigene Augapfel.
Der letzte Punkt in der Liste der Unsicherheiten, die ich hier aufzählen will, ist folgender: Wenn man davon ausgeht, daß mit zunehmendem Export von Nukleartechnologie auch Länder mit Kernenergie umgehen werden, deren technische Versiertheit und deren ökonomische und organisatorische Ressourcen niedriger anzusetzen sein werden als unsere, dann wird dadurch unleugbar das Risiko erhöht werden. Nebenbei gesagt wird sich die Kernenergie wegen dieses hohen Aufwandes an Kapital und Personal wohl auch nicht eignen, für die unterentwickelsten der unterentwickelten Länder dienstbar gemacht zu werden. Wenn durch diesen Umgang der weniger Versierten mit der Kernenergie eines Tages einmal eine - bei uns vielleicht zu verhindernde - mittlere Katastrophe irgendwo in der Welt stattfände, dann würde das bei uns mit Sicherheit dazu führen, daß der Widerstand in der Bevölkerung sprunghaft anwächst, und dann wird die Frage zu stellen sein, ob die Kernenergie - wenigstens vorübergehend - bei uns haltbar ist.
Ich glaube, damit in einigen grundsätzlichen Punkten umrissen zu haben, daß die friedliche Nutzung der Kernenergie zwar ein Problem der technischen Machbarkeit ist, vor allem aber auch ein Problem der ökonomischen und politischen Machbarkeit. Neben vielen wissenschaftlich-technischen Ungewißheiten, von denen die Bundesregierung glaubt, daß sie die grundsätzliche Machbarkeit der Kernenergie aus der Sicht der Sicherheit der Bevölkerung nicht mehr wesentlich tangieren, ist die Kernenergiesicherheit zur Frage der systematischen, lückenlosen und insbesondere auch kompromißlosen Anwendung des bisher schon erreichten und ständig sich weiterentwickelten Standes von Wissenschaft und Technik geworden.
Es ist eine Binsenwahrheit, daß sich wissenschaftliche Erkenntnis und technische Praxis laufend fortentwickeln. Neue Fähigkeiten werden erzeugt, aber auch neue Zweifel geboren; für sicher gehaltene Meinungen müssen teilweise oder sogar vollständig revidiert werden. Allein daraus ergibt sich schon, daß es unzulässig, ja, unlogisch ist, zu behaupten, daß wir bei der Kernenergietechnik schon alle die Probleme kennten, mit denen wir morgen schon konfrontiert sein können, und daß die Aussage mehr als vermessen ist, wir wüßten für alle Probleme schon sichere und akzeptable Lösungen.
Das sei an einem Beispiel illustriert. Noch vor zwei bis drei Jahren ging man nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik davon aus, daß die Haltbarkeit der Reaktordruckbehälter für die Lebensdauer eines Kernkraftwerks von 30 Jahren kein Problem sei. Auf Grund dieses Kenntnisstandes sind diese Herzstücke des Reaktorsicherheitssystems genehmigt und gebaut worden. Mit
Dampfkesseln haben wir seit James Watt Erfahrungen. So große Druckbehälter aber, wie sie die heutige Kernenergietechnik benötigt, sind vorher nie gefertigt worden. So hat man natürlicherweise keine Erfahrungen mit den bei diesen großen Stücken selbst bei sorgfältigster Fertigung unvermeidbaren Materialfehlern und keine Erfahrungen mit der Tendenz dieser Materialfehler, sich unter hoher Wärme- und Strahlenbelastung auszubreiten.
Wie gesagt: Noch vor zwei bis drei Jahren war man sicher, selbst unter pessimistischen Annahmen, hundertprozentig damit rechnen zu können, daß die Reaktordruckbehälter mindestens so lange durchhalten werden, bis die Kernkraftwerke endgültig wegen ihres Alters stillgelegt werden.
Heute scheinen den Experten aus den Ergebnissen des leider in Verzug geratenen Komponentensicherheits-Forschungsprogramms Erkenntnisse zur Verfügung zu stehen, nach denen niemand mehr die Haltbarkeit der Reaktordruckbehälter für nur 15 Jahre garantieren mag. Die Folge wird sein, daß die Aufsichtsbehörden nun in kurzen Zeitabständen eingehende Inspektionen und auch von der Strahlenbelastung des Personals her unangenehme Wiederholungsprüfungen durchführen lassen müssen, um die Sicherheit der einzelnen Anlagen jederzeit ausreichend beurteilen zu können.
Es ist nicht auszuschließen, daß die Reaktordruckbehälter dann vielleicht schon nach einem Dutzend von Jahren vor Ort neu vergütet, d. h. ausgeglüht werden müssen. Durch solche organisatorischen und technischen Maßnahmen, wie ich sie aufgezählt habe - Inspektionen und Wiederholungsprüfungen -, kann man nach außen hin dieselbe Sicherheit aufrechterhalten, von der man bisher ausgegangen ist. Aber die Kernenergienutzung wird dadurch erheblich kostspieliger. Durch zusätzlichen Material- und Personalaufwand, vor allem aber durch zusätzliche Stillstandszeiten der Kernkraftwerke, deren Fähigkeit, Strom zu erzeugen, dadurch durchaus um 10 bis 15 % beeinträchtigt werden könnte, wird die Kernenergie kostspieliger werden.
Vom Parlament aus - und die Bundesregierung wird dasselbe tun - wird man streng darauf achten, daß wirtschaftliche Argumente hier nicht auf Kosten der Sicherheit in den Vordergrund geschoben werden. Dieses Beispiel lehrt, wie kostspielig es werden kann, wenn man sich ohne gesicherte Grundlagen auf Hoffnung und technischen Optimismus gründet. Es ist ein Beispiel dafür, welche unberechenbaren Zwangsläufigkeiten bei dieser Technologie entstehen können. Hoffen wir - mehr bleibt nicht -, daß etwa die Ergebnisse des Notkühlexperiments in Idaho oder andere Bereiche der von der Bundesregierung in den letzten Jahren besonders hoch dotierten Reaktorsicherheitsforschung nicht zu ähnlich kostspieligen Revisionen der bisherigen Meinungen führen!
Wieviel weniger Gewißheit haben wir aber erst bei den zum Gesamtsystem „Kernenergienutzung" gehörenden Systemteilen, deren technische Durchführbarkeit bisher praktisch nur auf dem Papier steht? Wieviel Überraschungen werden wir noch
Mit der Wiederaufarbeitung, mit dem Management hochaktiver Abfälle oder dem Abbau stillgelegter Anlagen erleben? Technisch wird das vielleicht noch machbar sein, aber zu welchen Kosten und mit welchem endlichen Nutzen? Mit Risikophilosophie mag man das alles verstecken können, aber aus der Welt schafft man es damit nicht.
Zum Schluß dieser Betrachtung über den Stand von Wissenschaft und Technik, der so viel zitiert wird, noch zwei bewußt provokant gestellte Fragen. Die Beherrschung einiger technischer Störfälle, die über die Auslegung unserer heutigen Kernkraftwerke hinausgehen - ich nenne das Bersten des Reaktordruckbehälters und das Schmelzen des Reaktorkerns infolge Kühlmittelausfalls - ist heute schon Stand der Wissenschaft. Wann werden berstgeschützte und mit Corlcatchern versehene Anlagen ebenfalls Stand der Technik sein? Erst wenn die meisten Anlagen bereits gebaut sind und eine Nachrüstung nicht mehr möglich ist?
Meine Damen und Herren, ich habe zu Beginn meiner Ausführungen eine Ubersicht über die Risikobereiche der Kernenergie im allgemeinen gegeben und auf eine Reihe von Unwägbarkeiten hingewiesen. Ich möchte mir erlauben, im folgenden noch an vier beispielhaften Punkten, meist solchen, die in der Antwort der Bundesregierung weniger ausführlich behandelt worden sind - dies lag auch an den Fragestellungen -, diese Sicht zu vertiefen.
Zunächst zur Radioaktivität, der spezifischen Gefahr aus der Kernenergienutzung. Dabei soll nicht der unwahrscheinliche, aber nie auszuschließende große Störfall mit Freisetzung hoher Dosen von Strahlungen und vielleicht zahllosen unmittelbaren Opfern betrachtet werden, sondern der Normalbetrieb kerntechnischer Anlagen, bei dem immer ein bißchen Radioaktivität an die Umwelt abgegeben wird, der durch Strahlenschutzvorschriften limitiert ist. Sicher ist, daß bei Strahlendosen von einigen hundert Röntgen in einem lebenden Körper so viele Zellen auf einmal geschädigt werden, daß alsbald der Tod eintritt. Dies steht hier nicht zur Debatte. Kleine Strahlendosen erzeugen dagegen zunächst nur wenige geschädigte Zellen, die, falls sie nicht vollständig abgestoßen werden, sich zwar weiter vermehren, aber den Schaden nur langsam auf den Organismus übertragen. Zwischen Strahlenschaden und dem Ausbruch von Krebs oder Leukämie müßten viele Jahrzehnte vergehen, in der Regel Zeiten, die weit außerhalb der Lebenserwartung eines Menschen liegen.
Es wird zum Beweis der Ungefährlichkeit normal betriebener Kernkraftwerke nun sehr oft darauf verwiesen, daß der Bundesbürger im Durchschnitt einer natürlichen Strahlenbelastung von 110 Millirem ausgesetzt sei und daß die höchtszulässige Belastungsdosis aus der Kernenergie selbst bei Berücksichtigung aller Anreicherungsmöglichkeiten in der Biosphäre nicht einmal 30 % dieses Wertes annehmen dürfe, er sich damit also innerhalb der natürlichen Schwankungsbreite der Strahlenbelastung aus der Natur befinde. Ich meine, solange wir nichts genau wissen, hinkt dieser Vergleich ein wenig. Er ist jedenfalls nicht geeignet, die letzten Zweifel auszuräumen.
Denn erstens besteht die natürliche Strahlenbelastung zu mehr als 80 % aus materieloser Strahlung, die zum größten Teil durch unseren natürlichen Schutzschild Haut abgewehrt wird. Bei der Kernenergienutzung werden jedoch strahlende Materieteilchen freigesetzt, die in den Körper eingebaut werden und dort lebenswichtige Organe aus nächster Nähe bestrahlen können.
Zweitens kann jede Strahlenbelastung zusätzlich zur natürlichen Dosis - auch die Strahlenbelastung aus der Medizin, auch die Strahlenbelastung aus dem Fernsehapparat - dazu führen, daß die Latenzzeit für Krebs und Leukämie verkürzt wird und diese Erkrankungen näher in den Bereich der allgemeinen Lebenserwartung verschoben werden. Die künstliche Strahlenbelastung könnte dann zwar nicht zur alleinigen, aber zur auslösenden Ursache werden. Es wird schwer, wenn nicht unmöglich sein, diese Kausalität über Jahrzehnte hinweg festzustellen. Allenfalls wären umfangreiche epidemiologische Studien in der Umgebung der Anlagen - möglichst schon lange vor deren Errichtung - in der Lage, das statistische Risiko tatsächlich zu belegen. Solche Untersuchungen werden bei uns bis heute nicht angestellt. Man sollte sie jedoch durchführen, um auf jeden Fall sicherzugehen.
Auf jeden Fall ist die Ungewißweit über die Wirkung einer niedrigen Strahlendosis noch so groß, daß weiterhin alle Anstrengungen unternommen werden müssen, die Strahlenbelastung so niedrig wie technisch möglich zu halten. Es wird schwerfallen, älter werdende Kernkraftwerke auf dem niedrigen Niveau neuer Anlagen zu halten. Deshalb sollte man verstärkt auf die Entwicklung besserer Rückhaltetechniken hinarbeiten und nicht etwa aus der Not eine Tugend machen, indem man das Strahlenschutzkonzept - wie in den Vereinigten Staaten - von der Formel „as low as possible" in „as low as practicable" umwandelt.
Ich habe diesem Punkt eine besondere Bedeutung zugemessen, weil es sich bei der Radioaktivität, wie gesagt, um die spezifische Gefahr handelt, die aus der Nutzung der Kernenergie entsteht. Die weiteren Bemerkungen sollen sich mit drei weiteren Bereichen aus dem befassen, was ich zu Anfang über die verschiedenen Faktoren möglicher Ungewißheit gesagt habe.
Zunächst an einem Beispiel Bemerkungen zum Faktor „Mensch", Bemerkungen zum Faktor „physisch endlich belastbarer Mensch". Schon bei den wenigen heute arbeitenden Kernenergieanlagen macht sich ein gefährlicher Engpaß bemerkbar, über den man bisher noch wenig diskutiert hat. Das Personal für den Betrieb, die Wartung und die Reparatur der Anlagen darf nur mit einer endlichen jährlichen Strahlendosis - zur Zeit noch 12 rem, nach der demnächst von der Bundesregierung zu erlassenden Novelle der Strahlenschutzverordnung nur noch 5 rem - belastet werden. Die Menge qualifizierten Personals ist ebenfalls begrenzt. Die Betreiber besonders der älteren Anlagen, in denen die
Strahlenbelastung des Betriebspersonals schon im Normalbetrieb naturgemäß höher ist als in neuen Anlagen, behelfen sich zunächst damit, daß sie an Stelle ihrer eigenen Leute zunehmend auf betriebsfremdes Personal für strahlungsintensive Reparatur-, Wartungs- und insbesondere Inspektionsarbeiten zurückgreifen. Damit geht dem betriebseigenen Personal die wichtige Detailkenntnis der Anlage verloren, und umgekehrt hat das - meist nur punktuell eingesetzte und stark wechselnde - Fremdpersonal einen geringeren Gesamtüberblick über die Anlage.
Selbst wenn man dies noch hinnähme, wäre zu bedenken, daß auch Fremdpersonal in sehr begrenzter Menge zur Verfügung steht und brauchbarer Nachwuchs nicht in beliebig kurzer Zeit geschaffen werden kann. Die schon bald drohenden Gefahren werden sein: Rückgriff auf unqualifiziertes Personal, Hinausschieben notwendiger Wartungs- und Reparaturarbeiten, lange und damit kostspielige Stillstandszeiten bei den Wiederholungsprüfungen. Ob die Kernenergie dann noch so viel Spaß macht? Ob die Strahlenbelastung der Bevölkerung - weil jeder dann einmal ran muß - dann vielleicht auf diesem Umweg auf den für das Betriebspersonal zulässigen Wert von 5 rem pro Jahr hochgeschraubt werden wird? Dann würde selbst die beste Vorausberechnung über das medizinische und genetische Gesamtrisiko überhaupt nicht mehr stimmen.
Ein zweites Stichwort, das ich nenne, auch auf die Gefahr hin, daß einige von Ihnen den Finger auf den Mund legen, ist das Stichwort Kernenergie und Verteidigung.
Es kann nicht angehen, daß wir eine kerntechnische Anlage nach der anderen in den dichtbesiedelten und hochindustrialisierten Flußtälern weithin sichtbar aufstellen, um dann vielleicht nach einigen Jahren festzustellen, daß die Bundesrepublik dadurch nunmehr verteidigungsunfähig geworden ist. Schon konventionelle Waffen oder kleinste atomare „Sparblitze" nach der neuen Warnstrategie könnten die Sicherheitsbarrieren der Atomkraftwerke durchbrechen und dann Katastrophen ungeheuren Ausmaßeses unter der Bevölkerung anrichten. Da die Kernkraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen nur in Einheiten über 1000 Megawatt und in der Regel in mehreren Blöcken gebaut werden, genügen wenige Volltreffer, um unsere Stromversorgung mit einem Schlag zusammenbrechen zu lassen.
Man mag daran denken, sich durch internationale Verträge die Unantastbarkeit der atomaren Anlagen zu garantieren. Aber zählen im Krieg Verträge? Dann vielleicht gegenseitige Abschreckung nach dem Prinzip: Wie du mir, so ich dir! Aber wenn der Gegner seine Anlagen vielleicht in menschenleeren Wüsten stehen hat und sie zudem mit Antiraketen schützt?
Ich halte diese Fragen für die zur Zeit schwerwiegendsten bei der Erörterung der Probleme der Kernenergienutzung; denn die hier ausgesprochenen Sorgen gelten nicht nur dem Fall kriegerischer
Ereignisse. Feinde brauchen nicht immer von außen zu kommen.
Man hat aus diesen ernsten Sorgen bis heute noch keine Konsequenzen gezogen. Wir müssen uns dorch darüber im klaren sein, daß einmal in Betrieb befindliche Anlagen nicht mehr vom Boden weggezaubert werden können. Wir wissen noch nicht einmal genau, wie man alte, ausgediente Anlagen wieder loswird.
Man kann Leute verstehen, die sagen, logischerweise müßte der Zubau weiterer Kernenergieanlagen so lange unterbleiben, bis man für dieses Problem eine vernünftige Lösung gefunden hat. Möglicherweise wäre die einzige Lösung, die unterirdische Bauweise von kerntechnischen Anlagen zur Pflicht zu machen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage jedoch zu erkennen gegeben, daß sie zur Zeit erst die grundsätzlichen Probleme der unterirdischen Bauweise prüfen läßt und erste Ergebnisse Mitte dieses Jahres erwartet. Dann wird noch einige Zeit bis zur technischen Realisierbarkeit vergehen müssen. Können wir in der Zwischenzeit weiter irreversible Tatsachen schaffen?
Zum letzten: In einer sehr fundierten amerikanischen Studie wurde vor kurzem ausgerechnet, daß ein Ausbau der Energieerzeugung, insbesondere der kapitalintensiven Kernenergieerzeugung, nach den Verbrauchsgewohnheiten der letzten Jahrzehnte einen steil ansteigenden Anteil der Energiewirtschaft am gesamten Investitionskapital bedeuten würde. Für die übrigen Investitionen würde prozentual also erheblich weniger Kapital zur Verfügung stehen - und das für eine Volkswirtschaft, die unbestritten gerade in den nächsten Jahren einen hohen Kapitalbedarf haben wird, um die Arbeitsplätze für morgen zu schaffen.
Auch die staatliche Forschungsförderung wird noch mehr Anstrengungen unternehmen müssen, um die Umstellungen unserer Volkswirtschaft auf die Bedürfnisse von morgen zu stimulieren und zu beschleunigen. In welch schwierige Situation würde die Forschungspolitik geraten, wenn der Handlungszwang aus einer umfangreichen, schnell ausgebauten Kernenergiewirtschaft nur noch ein paar Millionen Mark zur Disposition übrigließe! Ich nenne nur: Reaktorsicherheitsforschung, Entwicklung einer sicheren Wiederaufarbeitungstechnologie, neue Rückhaltetechniken, um das Radioaktivitätsniveau niedrig zu halten, Abfallfürsorge, die Entwicklung neuer Reaktorgenerationen für die Zeit, zu der die kostengünstigen Uranquellen versiegen, und die Beherrschung einer umfangreichen Plutoniumwirtschaft. Wenn wir die Kernenergie schnell ausbauen, werden wir das alles schneller brauchen, als es jetzt vorangeht.
Wie tief wir bereits in dem Pakt mit der Kernenergie verstrickt sind, zeigt sich aus der Diskrepanz zwischen dem heute noch überdimensionalen Anteil der Atomforschung am gesamten Forschungsetat und den guten Vorsätzen, die man schon vor Jahren gefaßt hatte. Im Forschungsbericht 1972 der
Bundesregierung hatte es doch geheißen - ich zitiere -:
Kernforschung und Kerntechnik werden in Zukunft nicht mehr die überragende Rolle bei den durch große Fachprogramme geförderten Forschungs- und Entwicklungsbereichen spielen.
Der allgemeinen Sparwut und dem Einfrieren der öffentlichen Personalstellen läuft auch der Personalbedarf für die Genehmigungs-, Aufsichts-, Gutachter- und Kontrollinstanzen, die Sicherheitsorgane zuwider, die alle unabweislich in dem Maße ausgeweitet werden müssen, wie die Kernenergiewirtschaft wächst. Schon heute führt Personalmangel in diesen Bereichen häufiger dazu, daß wichtige Aufgaben der Vor-Ort-Kontrolle nicht mehr im notwendigen Umfange vorgenommen werden können.
Dabei muß man sich darüber im klaren sein, daß das hohe Sicherheitsniveau der kerntechnischen Anlagen mehr und mehr bloß noch auf dem Papier stünde, wenn es nicht durch eine lückenlose Aufsicht und Kontrolle gewährleistet wird. Es könnte schon bald der Zeitpunkt kommen, an dem wir uns angesichts der immensen finanziellen Aufwendungen, die notwendig sind, um die ursprünglich eingeplante Sicherheit auch aufrechtzuerhalten, die Frage stellen werden, wieviel Sicherheit wir uns noch leisten können. Bei einseitiger Abhängigkeit von der Kernenergie könnten dann Meinungen an Boden gewinnen, die einen Sicherheitsstandard nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik schon als humanitären Luxus empfinden könnten. Wenn die Abhängigkeit vom Atomstrom erst einmal eine Bedingung für das Funktionieren unserer Gesellschaft sein sollte, wird man kaum noch Handlungsspielraum haben, um selbst das Notwendige zu tun. Die Einführung zusätzlicher Sicherheitsvorkehrungen wird sich dann fest installierten Interessen gegenübersehen und möglicherweise am Mangel an politischer Durchsetzungsfähigkeit scheitern.
Um so wichtiger wäre jetzt eine möglichst umsichtige und alle denkbaren politischen und ökonomischen Realitäten einkalkulierende Vorausplanung. Man sollte das große Geschenk an Zeit nutzen, daß uns die geringen Energieverbrauchszuwachsraten der letzten Jahre beschert haben, und das, was nach heutigem Wissen schon möglich ist, auch in Organisation und Technik umsetzen. Die Bundesregierung hat immer wieder betont, daß für sie der Schutz der Bevölkerung vor möglichen Gefahren absolute Priorität bei der Nutzung der Kernenergie hat. Sie wäre deshalb gut beraten, Zeit zum Luftholen zu lassen und mit dem Ausbau der Kernenergie langsamer zu treten, bis der Fortschritt der Reaktorsicherheitsforschung, der Rückhalte- und Entsorgungstechniken eine mehr abgesicherte Urteilsgrundlage bietet. Unterirdische Bauweise, Berstschutz und wartungsfreundlichere Anlagen wären gute Mittel, um die langfristig irreversiblen Entscheidungen besser abzusichern. Ich glaube nicht, daß Kernspaltungsenergie auf Grund der immer verbleibenden Ungewißheiten, auf Grund der nie vollständig zu beseitigenden und mit gravierenden Folgen beaufschlagten Restrisiken, die vor allen Dingen aus dem Faktor „Mensch" erwachsen, je mehr sein kann als nur
eine von mehreren Energiequellen für eine gewisse Übergangszeit.
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Wir müssen achtgeben, daß die wirtschaftlichen Zwänge durch einen zu raschen Ausbau der Kernenergietechnik nie so groß werden, daß wir unsere Anstrengungen nicht mehr im notwendigen Umfange der Entwicklung neuer, alternativer Energiequellen mit weniger Risikopotential und mehr Zukunft widmen können.
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Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung der Großen Anfrage gemäß Tagesordnungspunkt 5 gehört. Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich einiges zur Geschäftlage sagen. In der Aussprache zu den Tagesordnungspunkten 5, 6 und 7 liegen bereits sieben Wortmeldungen vor, deren Abwicklung bei vorsichtiger Zeitplanung etwa zweieinhalb Stunden in Anspruch nehmen würde. Außerdem muß heute im Anschluß an die Beratungen über die Tagesordnungspunkte 5, 6 und 7 auf Grund eines Beschlusses des Ältestenrates noch der gesonderte Tagesordnungspunkt - Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes - behandelt werden. Ich bitte darum, daß man sich in der kommenden Debatte etwas auf diese Situation einstellt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt die heutige Gelegenheit, anläßlich dieser Debatte grundlegende Ausführungen zur Kernenergie zu machen. Sie legt, um ihre Meinung gegenüber diesem Hause und damit auch der deutschen Öffentlichkeit zu verdeutlichen, drei Anträge vor, die einmal grundsätzliche Aussagen zur Kernenergie und ihrer Rolle in der Energieversorgung enthalten - das ist der auf dem grünen Umdruck vor Ihnen liegende Entschließungsantrag -, zum zweiten Probleme des Brennstoffkreislaufes behandeln und sich schließlich mit den Fragen der Standortvorsorge für Kernkraftwerke beschäftigen.
Eine ausreichende und preiswerte Energieversorgung ist eine Grundvoraussetzung für den Bestand und die Weiterentwicklung unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Wenn auch die Zuwachsraten des Energieverbrauchs langfristig abnehmen müssen und wir uns schon aus Gründen der Umweltbelastung um einen sparsameren Energieverbrauch bemühen werden, so wird doch auch weiterhin mit einem wachsenden Energiebedarf zu rechnen sein. Daran ändert auch nichts der vorübergehende Rückgang, der im wesentlichen konjunkturbedingt sein dürfte und dessen Ursachen in den Rezessionsjahren 1974 und 1975 ihren Ursprung haben.
Energie aus der Kernspaltung wird nicht nur langfristig den Energiebedarf der Menschheit sichern helfen, sie wird auch zur Schonung unserer fossilen Primärenergieträger beitragen, die auf Sicht un14922
widerbringliche, wertvolle Rohstoffe darstellen und die viel zu schade sind, um nur verbrannt zu werden. Sie kann aber auch schon mittelfristig die Industrieländer aus der einseitigen Abhängigkeit von wenigen Rohölförderländern befreien und dazu beitragen, die besonders rasch zur Neige gehenden flüssigen und gasförmigen fossilen Primärenergiereserven zu strecken.
Die Uranreserven sind geographisch breit gestreut und befinden sich vorwiegend in industrialisierten und damit vom Welthandel abhängigen Ländern. Auf Grund der hohen Energiedichte des Urans lassen sich zudem auch leichter als bei fossilen Primärenergieträgern Reserven im eigenen Lande anlegen.
Nicht zuletzt um eine größere Versorgungssicherheit zu erreichen, haben daher alle Industrieländer nach der Mineralölkrise im Herbst 1973 einen stark steigenden Anteil der Kernenergie an der Energiebedarfsdeckung in ihren nationalen Programmen vorgesehen. So ist es z. B. ein Hauptziel des Energieprogramms der Bundesregierung, welches ja von der CDU/CSU-Fraktion, wie Sie sich erinnern werden, in seiner Zielsetzung grundsätzlich begrüßt wurde, den Anteil des Mineralöls an der Dekkung des Primärenergiebedarfs der Bundesrepublik Deutschland von derzeit mehr als 50 % bis zum Jahre 1985 auf 44 % zu senken. Kernenergie soll 1985 rund 15 % der benötigten Primärenergie liefern und stellt somit einen bedeutenden Beitrag zur Dekkung des künftigen zusätzlichen Bedarfs und zur Substitution des Erdöls dar.
Zur Energie aus Kernspaltung gibt es daher zunächst einmal keine Alternative. Die technisch mögliche Nutzung von Wind und Gezeitenkräften oder von Erdwärme kann mengenmäßig keine nennenswerte Entlastung bringen. Andererseits bedarf es zur Anwendung der kontrollierten Kernfusion oder einer ins Gewicht fallenden wirtschaftlich sinnvollen - ich betone: wirtschaftlich sinnvollen - Nutzung der Sonnenenergie noch Jahrzehnte aufwendiger Entwicklung und Forschung.
Zur Nutzung der Kernenergie dagegen besitzen wir eine Technik von hohem Reifegrad, die es erlaubt, die Uranreserven ohne Gefährdung der Bevölkerung in steigendem Maße zur Energiebedarfsdeckung einzusetzen. Es soll nicht verschwiegen werden, daß selbstverständlich auch die Kernspaltungsenergie in der Geschichte der Energiewirtschaft ihre begrenzte Bedeutung hat. Damit werden ihre Probleme zeitlich und quantitativ auch beschränkt und überschaubar bleiben.
Meine Damen und Herren, werfen wir nun einen Blick auf die begrenzte Nutzungsmöglichkeit unserer heimischen Primärenergieträger. Zu mehr als 50 % hängt die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit vom Mineralöl ab. 94 % des Mineralölbedarfs müssen importiert werden. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Energieprogramm zum Ziel gesetzt, diese Abhängigkeit bis 1985, wie bereits erwähnt, zu mindern. Kernenergie und Erdgas sollen bis dahin den zusätzlichen Energiebedarf decken. Eigene fossile Primärenergiereserven besitzt unser Land vor allem in Form von Steinkohle und
Braunkohle. Nach heutiger Schätzung könnten bis zu einer Tiefe von 1 500 Metern 22 Milliarden Tonnen Steinkohle und aus den Tagebauen im rheinischen Braunkohlenrevier 35 Milliarden Tonnen Braunkohle unter wirtschaftlichen Bedingungen abgebaut werden. Die heimischen Erdgasreserven oder Erdölreserven fallen bei dieser Betrachtung nicht ins Gewicht.
Legt man den Energieverbrauch des Jahres 1974 zugrunde, könnten die heimischen fossilen Primärenergiereserven den gesamten Energiebedarf für nahezu ein Jahrhundert decken. Sie stellen damit zwar ein bedeutendes Element der Versorgungssicherheit dar; aber ungünstige geologische Gegebenheiten und ein hoher Lohnkostenanteil von mehr als 50 °/o an den Förderkosten machen die Gewinnung der Steinkohle teuer. Ich glaube, daß bereits heute morgen im Verlauf der Debatte auf diese Zusammenhänge in epischer Breite eingegangen worden ist.
Ein Wort zum elektrischen Strom, der einfach und vielseitig als Energieträger am Ort der Anwendung keine Umweltbelastungen verursacht und damit zu einer unverzichtbaren Voraussetzung für die Aufrechterhaltung unseres Lebensstandards geworden ist. Daher ist auch sein Bedarf in den vergangenen Jahren stets stärker gestiegen als der gesamte Primärenergiebedarf. Durch das Zusammentreffen von milden Wintern und einer schwachen wirtschaftlichen Entwicklung liegen die Stromverbrauchsraten derzeit zwar unter dem langjährigen Mittel; es muß aber damit gerechnet werden, daß der Stromverbrauch auch in Zukunft weiter ansteigen wird.
Dabei wird die Kernenergie bis zum Ende der 80er Jahre so gut wie ausschließlich für die Stromerzeugung in der Grundlast eingesetzt werden können. Sie kann deshalb durch ihren Einsatz in diesem Sektor in den kommenden Jahren überproportional - im Vergleich zur Primärenergieverbrauchssteigerung - zum Ersatz fossiler Primärenergieträger beitragen. So könnten 1980 25 % und 1985 rund 45 % des in der Bundesrepublik benötigten Stroms auf der Basis von Kernenergie erzeugt werden. Es ist allerdings nötig, daß bis 1985 die im Energieprogramm der Bundesregierung vorgesehene Kraftwerkskapazität von 45 000 bis 50 000 Megawatt elektrischer Leistung geschaffen wird.
Die fortschreitenden Rationalisierungsmaßnahmen in der Industrie, die Erhöhung des spezifischen Verbrauchs im Haushaltssektor, wo die Mechanisierung zunehmen wird, sowie Heizung und Klimatisierung werden sicherlich zu einer weiteren Steigerung des Strombedarfs beitragen. Während zur Zeit ein Viertel der insgesamt verbrauchten Primärenergie in Deutschland zur Stromerzeugung eingesetzt wird, dürften nach derzeitigen Prognosen 1980 etwa ein Drittel und 1985 etwa 40 % der Primärenergie in Elektrizität umgewandelt werden.
Natürlich ist die Kernenergie nicht ohne ein gewisses Restrisiko. Absolute Sicherheit gibt es weder in diesem noch in irgendeinem anderen Bereich menschlichen Lebens. Ein Kernkraftwerk - das soll nicht verschwiegen werden - stellt mit seinem GeLenzer
halt an unvermeidbar entstehenden radioaktiven Spaltprodukten ein Gefährdungspotential dar, das erheblich größer ist als das konventioneller Kraftwerke. Dies ist von Anfang an bekannt. In keinem Bereich der industriellen Technik ist daher die Notwendigkeit der Sicherheits- und Umweltschutzmaßnahmen so deutlich erkannt, ihre Durchführung so streng gehandhabt und der Erfolg so genau kontrolliert worden wie in der Kerntechnik.
So muß der Hersteller jeweils nachweisen, daß er daß Kernkraftwerk gegen den „größten anzunehmenden Unfall", den GAU, so ausgelegt hat, daß keine unzulässigen Mengen an Spaltprodukten ins Freie gelangen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß der GAU in Wirklichkeit kein zu erwartender, sondern ein als hypothetisches Modell vom Kraftwerksbauer zugrunde gelegter Unfall mit außerordentlich geringer Wahrscheinlichkeit ist. Durch Mehrfachauslegung, sogenannter Redundanz des Reaktorschutzsystems und Diversifizierung, d. h. verschiedenartige Sicherheitsvorkehrungen, wird eine optimale technische Zuverlässigkeit erreicht.
Damit diese Schutzeinrichtungen auch von außen nicht gefährdet werden können, werden die Komponenten, die das Mehrfachsystem bilden, räumlich voneinander getrennt und notfalls durch dicke Betonwände geschützt. Menschliche Unzulänglichkeiten werden abgedeckt, indem sich während der Auslegung des Baus und der Inbetriebnahme Hersteller, Betreiber, Gutachter und Genehmigungsbehörden mit jeweils eigenen, voneinander unabhängigen Fachleuten und mit unterschiedlichen, zum Teil gegenläufigen Interessen gegenüberstehen. Auch während des normalen Betriebs unterliegt der Betreiber weiterhin behördlicher und gutachtlicher Kontrolle.
In diesem Zusammenhang erwartet die Öffentlichkeit sicherlich auch ein Wort zu dem Unfall, der sich vor kurzem im Kernkraftwerk Gundremmingen in Bayern ereignet hat. Ohne den abschließenden Ermittlungen vorgreifen zu wollen, kann bereits jetzt gesagt werden, daß die Sicherheitsvorkehrungen einwandfrei funktionierten und daß von einer Gefährdung der Umwelt und der Bevölkerung nicht gesprochen werden konnte. Eine Arbeitsgruppe des Innenausschusses hat sich in Zusammenarbeit mit dem Auschuß für Forschung und Technologie eingehend mit dieser Angelegenheit befaßt und ist in einem abschließenden Bericht zu der gleichen Stellungnahme gekommen. Selbstverständlich bedarf es auch hier einer Fülle von weiteren Vorschlägen. Ich verweise in diesem Zusammenhang, ohne auf Einzelheiten eingehen zu wollen, auf den Bericht dieser Arbeitsgruppe. Er enthält im übrigen im wesentlichen das, was der Kollege Haenschke hier in seiner gewohnten sachlichen Art, mit der er seine Argumente immer vorbringt, geschildert hat.
Bei den rund 160 Reaktoren kommerziell betriebener Kernkraftwerke auf dieser Erde, die insgesamt bereits mehr Strom erzeugt haben - auch das muß man sich einmal vor Augen führen -, als die Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen fünf Jahren insgesamt verbraucht hat, ist noch in keinem einzigen Fall ein Mensch infolge radioaktiver Strahlung zu Schaden gekommen. Ich kann die
Bundesregierung in diesem Zusammenhang mit Genugtuung als Kronzeugen anrufen. Sie sagt in ihrem Umweltbericht, daß die künstliche, durch Kernenergienutzung erzeugte Umweltbelastung weniger als 1 °/o der natürlichen Radioaktivität beträgt. Die Einwirkung der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist also vernachlässigbar gering.
Der Bundesminister des Innern stellte in einer Übersicht über Störfälle in Reaktoranlagen im Juli 1974 fest, daß diese im Vergleich zu konventionellen Industrieanlagen selten sind. Störungen traten nur, wie er berichtet, an konventionellen Bauteilen auf und wurden durch die einwandfrei arbeitenden Sicherheitsvorkehrungen immer auf das Innere der Anlagen begrenzt. Weder wurde unkontrollierbar Radioaktivität in nicht zulässiger Menge freigesetzt, noch konnte von einer Gefährdung der Bevölkerung gesprochen werden.
Auch bei dem bedauerlichen Unfall in Gundremmingen, der zwei Menschenleben kostete, handelte es sich um einen Vorfall, der nicht spezifisch für die friedliche Nutzung der Kernenergie ist, sondern in jedem anderen Kraftwerk, ja, in jedem druckführenden System überhaupt hätte stattfinden können. Von einem „Beinahe-GAU" zu sprechen oder die Meßergebnisse anzuzweifeln, ist geradezu unverantwortlich.
Die Gegner der Kernenergie wollen nicht einsehen, daß gerade diese Form der Energieerzeugung die Möglichkeit einer Minimierung der Umweltbelastung bietet. Kernkraftwerke verbrauchen nämlich keinen Sauerstoff und geben auch keine bei der Verbrennung fossiler Energieträger anfallenden Schadstoffe ab. Die Abgabe radioaktiver Substanzen kann deswegen sehr genau gemessen und somit gut überwacht werden. Zulässige Abgaberaten werden für einen Standort genehmigt und dürfen auch von mehreren Kernkraftwerksblöcken an diesem Standort nicht überschritten werden. Bisher lagen die tatsächlich abgegebenen Werte weit unter den genehmigten. Auch die oft ins Feld geführte thermische Belastung ist nicht ein spezifisches Problem, was ausschließlich Kernkraftwerke betrifft, sondern stellt sich bei jeder Form der Energienutzung und kann nur langfristig durch sparsamen Energieverbrauch beherrscht werden.
Kernkraftwerke helfen uns nicht nur, die knapp werdenden flüssigen und gasförmigen fossilen Primärenergieträger zu substituieren und unsere Energieversorgung langfristig zu sichern und unabhängiger zu machen, sondern sie tragen auch - das ist in der heutigen Zeit ebenfalls ein wichtiges Moment - zu einer relativen Stabilität der Preise für elektrische Energie bei.
Da für ein Kernkraftwerk ein hoher Investitionskostenanteil und andererseits niedrige spezifische Brennstoffkosten charakteristisch sind, können die auch heute noch bei der Kernenergie zu lösenden Probleme, wie z. B. die Schließung des Brennstoffkreislaufs, die Wirtschaftlichkeit der Kernenergie nicht grundsätzlich in Frage stellen. Selbst wenn sich die Brennstoffkreislaufkosten eines Kernkraftwerks auf heutiger Preisbasis verdoppeln würden - das
sei einmal unterstellt -, so hat das auf die Stromerzeugungskosten keine stärkeren Auswirkungen als beispielsweise die Erhöhung der derzeitigen Preise für schweres Heizöl um 15 bis 20 %.
Auch ist es falsch, wenn in der Öffentlichkeit behauptet wird, die staatlichen Förderungsmaßnahmen der Kerntechnik würden das Bild der Wettbewerbsfähigkeit zugunsten der Kernenergie verzerren. Bisher wurden in der Bundesrepublik Deutschland etwa 17 Milliarden DM an staatlichen Mitteln für die Förderung der Kernenergie aufgewendet. Das bedeutet eine Belastung der in den heute in Betrieb und in Bau befindlichen Kernkraftwerken bis 1985 erzeugten elektrischen Energie von ca. 0,2 Pfennig pro Kilowattstunde.
Noch vor wenigen Jahren schien die Entsorgung von Kernkraftwerken im Vergleich zu den anderen Bereichen des Brennstoffkreislaufs von untergeordneter Bedeutung zu sein. Heute wissen wir, daß dieser Teil des Brennstoffkreislaufs ebenso wichtig wie die Uranversorgung und die Anreicherung ist, im Gegensatz dazu aber noch die meisten ungelösten Probleme mit sich bringt.
Da in der Begründung unseres Antrags zum Brennstoffkreislauf noch einmal auf diese Thematik eingegangen werden soll, möchte ich mich an dieser Stelle lediglich darauf beschränken, das Problem in seiner ökonomischen und finanziellen Dimension darzustellen. Nach neuesten Schätzungen werden im Jahre 1990 in Westeuropa bei insgesamt 350 000 Megawatt installierter elektrischer Leistung pro Jahr etwa 9 300 Tonnen Uran als bestrahlter Brennstoff anfallen. Bereits 1985 wird der jährliche Anfall bestrahlten Brennstoffs in der Bundesrepublik Deutschland 1 000 Tonnen Uran überschreiten. Das bedeutet für die Bundesrepublik Deutschland bis 1990 eine kumulative Menge von mehr als 10 000 Tonnen uranbestrahlten Brennstoffs.
Sollte daher - und das läßt sich bereits jetzt absehen - erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre die deutsche Wiederaufarbeitungsanlage in Betrieb gehen, müssen Lagerkapazitäten geschaffen werden, die sich in der Größenordnung von zirka 7 000 Tonnen bewegen. Um eine Stillegung von Kernkraftwerken zu vermeiden, muß deshalb rechtzeitig der Bau von zentralen Lagerbecken, vorzugsweise am Standort der Wiederaufarbeitungsanlage, begonnen werden. Diese Kapazitäten müssen spätestens etwa 1981/82 zur Verfügung stehen.
Auch muß geprüft werden, ob die erste deutsche Anlage tatsächlich mit 1 500 Tonnen Jahresdurchsatz optimal ausgelegt ist oder ob man nicht jetzt schon eine größere Kapazität ins Auge fassen sollte. Das gilt insbesondere auch dann, wenn die Inbetriebnahme der Anlage erst nach 1986 erfolgt.
Noch ein Wort zu den Kosten. Die wirtschaftlichen Konsequenzen der langfristigen Lagerung großer Mengen bestrahlten Brennstoffs können aus den zuletzt eingesparten Kosten der Wiederaufarbeitung, Konditionierung und Endlagerung bestrahlter Brennelemente und dem Wert des in den gelagerten Brennelementen enthaltenen Urans und Plutoniums errechnet werden. Als Fazit kann man sagen, daß
die zeitlich begrenzte Lagerung bestrahlter Brennelemente zu keiner spürbaren Erhöhung der Brennstoffkosten von Kernkraftwerken führt. Energie- und wirtschaftspolitisch bedeutsam ist also nicht die Inbetriebnahme einer Wiederaufarbeitungsanlage zum Zeitpunkt des Anfalls der bestrahlten Brennelemente, sondern die rechtzeitige Planung und Bereitstellung von entsprechender Lagerkapazität.
Ob die Kernenergie in der Lage sein wird, den skizzierten möglichen Beitrag zur Sicherung unserer Versorgung mit preiswerter und umweltfreundlicher Energie zu leisten, hängt nicht zuletzt von der Bereitschaft der Bevölkerung ab, die Kernenergie zu akzeptieren, und damit von der zeitgerechten Abwicklung der Genehmigungsverfahren. Dazu ist eine ausführliche Information der Bevölkerung notwendig. Oberster Grundsatz sollte dabei sein, sachlich nachprüfbare Fakten in allgemeinverständlicher Form der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Anhörung aller Betroffenen ist im übrigen in § 7 des Atomgesetzes eindeutig geregelt. So müssen das Vorhaben bekanntgemacht, die wesentlichen, das geplante Vorhaben beschreibenden und in seiner Beurteilung benötigten Unterlagen zur Einsicht ausgelegt und erhobene Einwände in einem öffentlich bekanntgegebenen Erörterungstermin diskutiert werden. Dringend notwendige Entscheidungen müssen rechtzeitig gefällt werden, um sicherzustellen, daß die ohnehin schon langen Planungs- und Bauzeiten nicht noch weiter durch Einsprüche kleiner, überwiegend emotional und ohne ausreichende Sachkenntnis argumentierender Gruppen von Kernenergiegegnern verlängert werden und angesichts bereits überzogener Bauzeiten ein zielsicherer, zeitgerechter, dem jeweiligen Bedarf angepaßter Ausbau von Kraftwerkskapazitäten unmöglich wird.
Ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Kernenergienutzung wäre die Vereinheitlichung und Vereinfachung des eingangs zitierten Genehmigungsverfahrens, ohne natürlich die in unserem Lande bekanntermaßen hohen Sicherheitsanforderungen zu mindern. Leichtwasserreaktoren sind heute sowohl vom technisch-wirtschaftlichen als auch vom sicherheitstechnischen Standpunkt so weit ausgereift, daß eine Standardisierung von Systemen und Komponenten in Erwägung gezogen werden sollte.
Die Bundesregierung kann auf die Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion rechnen, wenn sie sich bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie von den Grundsätzen leiten läßt, die sie bereits in der Antwort auf die vorliegende Große Anfrage zum Ausdruck gebracht hat. Dort heißt es - ich darf zitieren -:
Nach den in Artikel 20 des Grundgesetzes verankerten Grundsätzen der parlamentarischen repräsentativen Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit darf eine Beteiligung der Öffentlichkeit nicht dazu führen, daß einzelnen oder Zusammenschlüssen gesellschaftlicher Gruppen echte Mitentscheidungs- oder Kontrollrechte bei einzelnen Verwaltungsentscheidungen mit der Folge eingeräumt werden, daß die den Behörden als Teil der exekutiven Gewalt
zugewiesene Funktion praktisch von einzelnen oder einzelnen Gruppen übernommen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit meinen Ausführungen habe ich gleichzeitig, wie schon gesagt, den Entschließungsantrag zur Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen begründet und damit die Haltung der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Thema kundgetan. Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes feststellen.
Die friedliche Nutzung der Kernenergie ist für uns mittelfristig ohne Alternative zur Sicherung einer ausreichenden Energieversorgung und damit eine Grundvoraussetzung wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Wie bei allen fortschrittlichen Technologien bleibt jedoch auch hier noch ein gewisses Restrisiko. Aus diesem Grunde bekennt sich auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu dem Grundsatz, daß die Sicherheit des Menschen und der Schutz seiner Umwelt Priorität vor wirtschaftlichen Überlegungen haben und weiterhin haben müssen. Auf Grund der bisher gemachten Erfahrungen bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie kann diese Technik jedoch grundsätzlich als beherrschbar angesehen werden.
({0})
Das Wort hat Herr Bundesminister Matthöfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe dem, was der Abgeordnete Lenzer hier vorgetragen hat, gespannt zugehört. Ich habe, Herr Kollege Russe, die angekündigte Kritik an der Politik der Bundesregierung nicht wahrnehmen können.
({0})
- Na gut, dann warten wir das erst einmal ab!
({1})
Ich habe aber den Abgeordneten Gruhl inzwischen gehört und mit großem Interesse folgendes von ihm vernommen. Er sagte, es sei eine falsche Darstellung, daß Energie Arbeitsplätze schaffe. Die Energie ist dazu da, menschliche Arbeitskraft zu ersetzen. Menschen werden überflüssig! Dies habe er, so sagt er, an anderer Stelle - ich glaube in seinem Buch - gründlich bewiesen. Außerdem habe ein Professor festgestellt, so sagt er weiter, daß durch die Investitionen immer mehr Arbeitsplätze wegrationalisiert würden.
Dies ist ja doch nun überhaupt nichts Neues. Natürlich werden durch Investitionen Arbeitsplätze wegrationalisiert.
({2})
- Es tut mir leid, daß weder Ihr Herr Fraktionsvorsitzender noch Herr Gruhl da ist. Das ist ja der
Arbeitsstil der CDU/CSU-Fraktion, daß sich einer
bei den Umweltschutzgruppen als Sprecher der Fraktion ausgibt - ({3})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pfeffermann?
Herr Abgeordneter Wehner, ich glaube nicht, daß die Widersprüchlichkeit der Äußerungen draußen und hier im Hause bei der SPD so groß sind wie bei der CDU. Die Spannweite zwischen Herrn Lenzer, der hier eine glühende Verteidigung der Kernenergie vorgetragen hat, und Herrn Gruhl, dem angeblichen offiziellen Sprecher der Fraktion, ist so unendlich groß, daß die beiden Positionen völlig unvereinbar nebeneinander- oder sich gegenüberstehen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pfeffermann?
Herr Minister wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß, wie Sie ganz genau wissen, Herr Lenzer der Obmann der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion in diesem Ihrem Ausschuß ist?
({0})
Wären Sie bereit, dies öffentlich zur Kenntnis zu nehmen? Wären Sie darüber hinaus bereit, wenn Sie sich jetzt mit der Rede des Kollegen Gruhl zu befassen beabsichtigen, anschließend auch die Kritik aus Ihrer Fraktion, nämlich die des Kollegen Haenschke, gleich mitzubehandeln, um uns darzulegen, wie die in unserem Beitrag enthaltene Forderung nach einem neuen Energieprogramm von Ihnen heute abend beantwortet werden soll?
Aber selbstverständlich, Herr Pfeffermann, warum denn nicht? Die Tatsache, daß Herr Lenzer Obmann ist, ändert doch nicht die andere Tatsache, daß Herr Gruhl auch Obmann in Ihrer Fraktion ist. Sie haben doch nicht bloß einen.
({0})
- Lesen Sie sein Buch, das bisher in 54 000 Exemplaren verkauft worden ist. Auf der Innenseite des Umschlags stellt er sich als Obmann und als Sprecher der CDU/CSU-Fraktion in Umweltfragen vor.
({1})
- Sagen Sie nicht nein, sondern schauen Sie das nach, dann sind Sie besser unterrichtet!
({2})
Herr Bundesminister, fahren Sie in der Rede fort oder lassen Sie erst eine Zwischenfrage zu?
Ich lasse keine Fragen mehr zu, Frau Präsidentin! Die Herren sollen sich erst einmal unterrichten, bevor sie hier solchen Krach machen.
Keine Zwischenfrage, Herr Kollege. Es ist ja auch schon 20 Minuten nach acht.
({0})
Verehrter Herr Bundesminister, würden Sie freundlicherweise in Ihrer Rede fortfahren.
Frau Präsidentin, bitte, der Herr Lenzer insistiert so sehr. - Bitte, Herr Lenzer, Ihre Frage.
Herr Minister, darf ich Sie dann bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß Herr Gruhl, als er seine Rede begonnen hat, ausdrücklich betont hat, daß es sich um eine private Meinungsäußerung handele und daß er nicht im Auftrage unserer Fraktion spreche? Damit ist doch alles gesagt.
Eben darum geht es doch, Herr Lenzer. Sie verstehen das Problem nicht. Es geht mir um die Doppelzüngigkeit Ihrer Partei. Draußen bei den Umweltschutzverbänden tritt Herr Gruhl als „der Sprecher der CDU/CSU" auf - lesen Sie die innere Umschlagseite seines Buches, dann werden Sie das sehen , und hier tritt er als Privatperson auf und Sie als Obmann der Fraktion, und Sie sagen genau das Gegenteil von dem, was er sagt.
({0})
Eine völlig unerträgliche, weil, Herr Lenzer, im Grunde unehrliche Situation.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spies von Büllesheim?
Herr Spies, von Ihnen immer.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob es nicht richtiger wäre, nach den schlechten Beispielen der Debatte, die wir heute morgen erlebt haben, den guten
Anfang, der bei der Kernenergie mit den sachlichen Beiträgen von Herrn Haenschke und von Herrn Lenzer gemacht wurde, daß auch der Minister fortfährt, auf dieser Ebene zu diskutieren. Darf ich Sie bitten, das doch zu berücksichtigen?
({0})
Herr Spies, ich komme sofort zum sachlichen Teil, sobald ich mit Herrn Gruhl und Herrn Carstens und der inneren Zerrissenheit Ihrer Fraktion fertig bin.
({0})
Meine Damen und Herren, können wir den Herrn Minister jetzt fortfahren lassen, damit wir heute vielleicht noch vor Mitternacht zu Ende kommen.
Frau Präsidentin, es wird mir wohl noch erlaubt sein, mich mit völlig unhaltbaren Aussagen auseinanderzusetzen, die hier in diesem Hause vor knapp einer Stunde gemacht worden sind.
({0})
Sie werden mich mit Ihren Zwischenfragen nicht daran hindern. Sie können mich vielleicht aufhalten; dann müssen Sie länger sitzen.
({1})
Nun geht es weiter mit dem, was Herr Gruhl gesagt hat. Er sagt - hören Sie bitte zu, meine Herren Christdemokraten -:
({2})
„Dieses System kann nur so lange funktionieren, wie die Wirtschaft ständig expandiert. Damit ist es heute aus." Herr Gruhl sagt also: Unsere Wirtschaftsordnung - so verstehe ich das , mit der wir es in diesem Lande zu tun haben, kann nur so lange funktionieren, wie die Wirtschaft ständig expandiert. Damit wäre es aus.
({3})
Ich frage Sie also: Was sagt Herr Gruhl hier? Dies sagt er genauso in einem Buch mit noch kräftigeren Ausdrücken, das in einer Auflage von 54 000 Exemplaren vorn mit dem Vermerk „Sprecher der Fraktion" verkauft wird, dies sagt er vor Zehntausenden von Personen draußen, und ich frage Sie als CDU/ CSU-Fraktion: Ist dies Ihr Sprecher, oder ist dies nicht Ihr Sprecher, damit man draußen Bescheid weiß, wenn man mit Herrn Gruhl diskutiert.
({4})
Sind Sie der Meinung, daß es aus ist mit diesem System? Sind Sie der Meinung, daß keine Expansion mehr stattfindet? Was wollen Sie denn? Wie sieht denn die Wirtschaftsordnung aus, die Herr Gruhl will?
({5})
Sie können doch nicht draußen Nullwachstum fordern, ohne die Konsequenzen zu überdenken, nur um Ihren konservativen Naturschützern nach dem Munde zu reden,
({6})
und dann hier durch Herrn Lenzer eine gegenteilige Meinung vortragen zu lassen.
({7})
Ich glaube, der Beitrag des Abgeordneten Haenschke hat gezeigt, daß in unserem Lande das Verständnis dafür gewachsen ist, daß viele Menschen bei uns mehr oder minder präzise artikulierbare Sorgen und Vorbehalte gegenüber der Kernenergie haben. In manchen Kreisen beginnt man allmählich zu begreifen, daß diese Sorgen und Vorbehalte nicht einfach überrollt werden können, daß in einem demokratischen Staat die Bürger Mittel und Wege finden, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen und sich notfalls Beachtung zu erzwingen. Es genügt jetzt nicht mehr, sich nur auf formale Rechtspositionen und formale demokratische Legitimation zu berufen. Man muß sich um eine gründliche Auseinandersetzung mit den Meinungen und den Bedürfnissen der Betroffenen bemühen, ihre Motivation untersuchen und berechtigten Einwänden und Forderungen entsprechen. Die Bundesregierung hatte übrigens lange vor solch spektakulären Ereignissen wie der Bauplatzbesetzung in Wyhl erkannt und immer wieder betont, daß mit der Nutzung der Kernenergie mehr Fragen verbunden sind, als eine euphorische Technikgläubigkeit noch vor einigen Jahren meinte. Wir sprechen heute über eine grundlegende Weichenstellung, über die Richtung des zukünftigen technischen Fortschritts. Wir haben es mit einer Entwicklung zu tun, die besondere und neuartige Risiken mit sich bringt und die deshalb nur bei vollem Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit der Entwicklung und in die Verläßlichkeit der Kontroll- und Aufsichtsinstanzen vorangetrieben werden kann.
Die Bundesregierung will die mit der Entwicklung und Einführung der Kernenergie verbundenen Fragen in eine breite Öffentlichkeit tragen und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, daß hier eine Entwicklung im Gange ist, die für uns alle von allergrößter ökonomischer und ökologischer Bedeutung ist und bei der alle Schritte sehr sorgfältig abgewogen werden müssen. Insofern ist dem Abgeordneten Haenschke durchaus zuzustimmen. Es wäre gut, wenn wir eine breite rationale Diskussion zustande bringen könnten, die die bewußtseinsmäßigen Voraussetzungen schafft, die für eine bewußte demokratische Entscheidung erforderlich sind.
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- Mein lieber Herr Vogel, ich sehe ja nur, daß Sie jetzt die Zeitung lesen. Wenn man mit Ihnen nicht polemisiert, hören Sie doch gar nicht zu. Bei einem ruhigen Vortrag unterhalten Sie sich und lesen die Zeitung.
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- Seien Sie doch ruhig! Merken Sie denn nicht, daß Sie meinen Vortrag hier stören?
({10})
- Ich möchte Ihnen das, Herr Pfeffermann, Sie lustiger Mensch, in der Tat vortragen.
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- Die Politik der Bundesregierung bewegt sich auf der Linie, die im vorliegenden Resolutionsentwurf der Koalitionsfraktionen formuliert wird, und zwar vollständig. Die Bundesregierung bemüht sich um Objektivität und um vollständige Aufklärung.
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Sie versucht auch, allen Kritikern Gelegenheit zu geben, ihre Bedenken vorzutragen. Natürlich wird dieser Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß in eine Grundsatzentscheidung einmünden müssen, ob wir die Nutzung der Kernenergie weiter betreiben wollen oder nicht. Die Bundesregierung hat dazu eine Meinung, die sie in ihren Antworten auf die beiden Großen Anfragen zur Kernenergie und zur rationellen Energieverwendung dargestellt und erläutert.
Sie lautet auf eine kurze Formel gebracht: weder rotes Licht für den Bau und die Entwicklung von Kernkraftwerken, was ja auch der Abgeordnete Haenschke nicht gefordert hat - er hat vielmehr nur gefordert, langsamer und vorsichtig an den Ausbau heranzugehen -, noch ein bedingungsloses Ja, sondern absoluter Vorrang für Sicherheit und Gesundheit; alle Anstrengungen sind zu unternehmen, um Energie rationeller und sparsamer zu nutzen, ohne Wirtschaftswachstum und qualitative Verbesserungen des Wachstums dadurch zu gefährden; alle Möglichkeiten sind auszuschöpfen, um alternative Energiequellen zu erschließen, insbesondere die Vorteile der natürlichen Energiequellen Sonne, Wasser, Wind und Erdwärme soweit wie möglich zu nutzen.
In diesem Rahmen und unter diesen Voraussetzungen bekennt sich die Bundesregierung dazu, die Entwicklung der Kernenergie fortzuführen und die Chancen zu wahren, die sie uns für die Siche14928
rung unserer zukünftigen Energieversorgung bietet. Nach dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse brauchen wir die Kernenergie, und wir werden ihren Einsatz auch im größeren Maßstab verantworten können und verantworten müssen. Dazu werden wir allerdings noch größere Anstrengungen als in der Vergangenheit unternehmen müssen, um unsere Kenntnisse über mögliche Gefahren, über Schadensund Störfallabläufe zu verbessern - hier ist dem Abgeordneten Haenschke zuzustimmen -, um die Reaktorsicherheit weiter zu erhöhen, um den Brennstoffkreislauf endlich zu schließen und die Probleme der Wiederaufarbeitung und der Endlagerung, so gut es geht, zu lösen.
Hier gibt es nicht nur Probleme der großtechnischen Realisierung bekannter und im Versuch erprobter Technologien; es gibt auch raumplanerische Fragen und Probleme der Durchsetzung einmal getroffener Entscheidungen. Es wird diese Probleme, da eine vollständige Lösung nicht in Sicht ist, auch in absehbarer Zukunft geben. Es wird eine wichtige Aufgabe der Länder sein, für die Standortbestimmung kerntechnischer Anlagen geeignete Instrumente und praktikable Verfahren zu entwickeln. Die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden müssen sich eine klare Meinung bilden, die auch dem Gesamtinteresse an einer auf unsere Versorgungssicherheit bedachten Energieforschungsplanung zur Technologieentwicklung Rechnung trägt.
Hier im Deutschen Bundestag ist der Ort, Bedenken oder Zweifel gegenüber dieser Haltung der Bundesregierung zur Kernenergie anzumelden oder sie rundweg abzulehnen. Der Herr Abgeordnete Lenzer hat solche Bedenken gegenüber der Haltung der Bundesregierung nicht angemeldet; der Abgeordnete Gruhl hat diese Haltung rundweg abgelehnt. Es kann nicht der Sache dienen, hier diese Bedenken nicht vorzutragen und im Lande umherzuziehen, um mit Argumenten, mit denen man sich dann hier nicht auseinandersetzen kann, um parteipolitische Sympathien zu werben.
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Es ist richtig, den Kontakt mit den einzelnen Bürgern und den organisierten Bürgerinitiativen zu suchen. Aber nur der ist politisch glaubwürdig, der das, was er den Bürgern sagt, auch in den Meinungsbildungsprozeß des Parlaments einbringt.
({14})
- Wer hat sich denn hier als Privatperson hingestellt, die für niemanden anders als für sich selber spricht?
({15})
- Herr Lenzer, ich bedanke mich für die Bestätigung, daß Herr Gruhl nur für sich selbst spricht und für
niemanden sonst. Ich werde dies mit Ihrer freundlichen Erlaubnis verwenden.
({16})
Keine Opposition sollte sich der Illusion hingeben, sie könne es, sozusagen arbeitsteilig, Herr Lenzer, allen recht machen. Die Opposition sollte nicht versuchen, den Eindruck zu erwecken, als habe die Sozialdemokratische Partei kein Verständnis für die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, während die Opposition gleichzeitig bei denen Stimmen sucht, die von einer heilen Welt ohne industrielle Entwicklung träumen, die ihren guten alten Kapitalismus mit Schmetterlingen und Vögeln und blumenbesäten grünen Weiden wiederhaben wollen, - ({17})
- Lieber Herr Pfeffermann, wenn Sie das Gruhl-Buch gelesen hätten, wüßten Sie, daß Herr Gruhl, um die Endvorstellung der von ihm gewünschten Gesellschaft zu beschreiben, auf anderthalb Seiten den Herrn Mobutu zitiert, der ungefähr ein solches Bild malt.
({18})
In energiepolitischen Bereichen gilt: Wer glaubt, es zahle sich politisch aus, sich der einen und der anderen Lobby gleichzeitig zu verschreiben, der irrt sich.
({19})
- Herr Kollege Wehner, ich gebe Ihnen recht: Die Herren sind damit in der Tat außerordentlich erfolgreich, jeder Gruppe im Lande alles zu versprechen, und wir lassen es ihnen hier durchgehen. Soweit aber mein Arbeitsbereich betroffen ist, werden Sie damit nicht durchkommen, Herr Lenzer und Herr Gruhl. Ich werde den gegensätzlichen Gruppen jeweils Ihre Stellungnahme zuschicken.
({20})
- Sie sollten einmal unser Grundgesetz lesen. Dann wüßten Sie, wer die Zusammensetzung des Kabinetts bestimmt, jedenfalls nicht der Fraktionsvorsitzende allein.
({21})
Die Öffentlichkeit wird verstehen, daß unsere langfristigen Energieprobleme nicht dadurch gelöst werden, daß man je nach Auditorium auf diese oder jene Karte setzen will, sei es einmal das 01, einmal das Gas, einmal die Kohle und einmal die Kernenergie. Ein ausfuhrabhängiges Land wie die Bundesrepublik kommt nun einmal nicht darum herum, ein breites Spektrum von Energiequellen zu erschlieBundesminister Matthöfer
ßen. Wir müssen mit den Mitteln der Forschung
und durch die Entwicklung neuer Technologien dafür
sorgen, daß dieses Spektrum noch verbreitert wird.
Ein Vernichtungswettbewerb der einzelnen Energieträger gegeneinander mit kurzfristig veränderbaren Kostenvorteilen wäre sicher ebenso schädlich wie die Förderung falscher, d. h. letzten Endes ökonomisch schädlicher Kostenrelationen oder wie eine strukturell unerwünschte Expansion des Energieverbrauchs um einzelwirtschaftlicher Kostenüberlegungen willen.
Wenn wir heute dem Verbraucher noch zusätzliche Kosten zumuten müssen, damit die Kohle als heimischer Energieträger erhalten bleibt, wenn wir uns um Möglichkeiten bemühen, Energie einzusparen, und wenn gleichzeitig die Energieversorgungsunternehmen eine aufwendige Werbung betreiben, um - was betriebswirtschaftlich durchaus geboten sein mag - den Absatz von Strom oder Gas zu steigern, so gibt es hier offensichtlich noch Koordinierungsprobleme. Wir werden auf Grund sorgfältiger Untersuchungen, die hoffentlich auch von der Opposition befürwortet werden,
({22})
Vorschläge für umfassende Energieversorgungssysteme erarbeiten, die jeder Energiequelle den ihr angemessenen Platz einzunehmen erlauben.
Dabei kommt sicher dem Ausbau von Fernwärmenetzen eine besondere Bedeutung zu, bei denen der Gegensatz zwischen volkswirtschaftlichem und gegenwärtig noch dominierendem betriebswirtschaftlichem Nutzen besonders offenkundig ist. Wir werden uns genauer ansehen müssen, welche politischen Kräfte sich den im Allgemeininteresse liegenden Entscheidungen über die Fernwärme entgegenstellen.
So klar wir uns heute im Grundsatz dazu bekennen, auch die Entwicklung der Kernenergie voranzutreiben, so unüberhörbar verbinden wir dies mit den Rahmenbedingungen, die sich auch auf das Tempo und den Umfang des Ausbaus der Kernenergie auswirken können. Die erste und wichtigste Rahmenbedingung ist, daß wir große Anstrengungen unternehmen müssen, damit sich das Wachstum des Energieverbrauchs nicht - wie in der Vergangenheit - unvermindert fortsetzt. Wir haben keinen Anlaß, Wirtschaftswachstum zu bremsen, um Energie zu sparen, aber wir werden versuchen, durch rationellere Energieverwendung die bisher relativ enge Beziehung zwischen Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch so weit wie möglich zugunsten eines verminderten Energieverbrauchs zu lockern. Auch wenn manche es nicht gern hören, muß hier festgehalten werden, daß die größte Energieverschwendung bei der Versorgung mit Niedrigtemperaturwärme betrieben wird. Wer überzeugend darlegen will, daß wir ohne Kernenergie nicht auskommen, muß ernsthafte Anstrengungen unternehmen, diese Verschwendung abzubauen.
Wir müssen die Verschwendung von Öl für Heizzwecke durch bessere Wärmeisoliertechniken, durch
Wärmerückgewinnung und durch die Kopplung von Krafterzeugung und Wärmeerzeugung mit Hilfe von Fernwärmenetzen abbauen. Die Nutzung der bisher verschwendeten Abwärme wird bei den Kernkraftwerken zu einem Gebot der Vernunft. Die Bundesregierung will mit Forschungsprojekten den Beweis dafür erbringen, daß diese Kraftwerke bei vernünftiger Planung ohne unvertretbaren zusätzlichen Kostenaufwand auf die Nutzung der Wärmeerzeugung eingestellt werden können.
Wir werden weiterhin der Entwicklung energiesparender Technologien hohe Priorität beimessen. Wir werden versuchen, Wasser, Wind, Sonne und Erdwärme künftig stärker als Energiequellen zu nutzen. Sie bieten zum Teil langfristig auch für unsere Volkswirtschaft und die Allgemeinheit so viele Vorteile, daß es sich lohnt, zumindest vorübergehend zusätzliche Anlaufkosten in Kauf zu nehmen. Die natürlichen Energiequellen können unsere Abhängigkeit von Versorgungsrisiken und Importkosten verringern helfen, und sie schonen die Umwelt.
Die Bundesregierung hat erfolgversprechende Entwicklungen auf diesem Gebiet schnell aufgegriffen. Es ist uns in nur anderthalb Jahren gelungen, Systeme für die Einbeziehung der Sonnenenergie in die Warmwasseraufbereitung und Raumheizung zu entwickeln, die schon jetzt - unter den Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland - kostengünstig sind. Unser Sonnenhaus in Aachen ist da ein Meilenstein. Die Sonnenenergie wird bald auf breiter Basis zu einem spürbar wichtigen Faktor in der Wärmeversorgung werden. Das Zusammenspiel von Sonnenstrahlung, besseren Isoliertechniken, Wärmespeicherung im Erdreich, Wärmerückgewinnung mit Hilfe einer Wärmepumpe und elektrischem Strom unter Einschluß aller Haushaltsgeräte wird hier zum erstenmal unter dem Gesichtspunkt der rationellen Energieverwendung optimiert. Es ist sicher eine der positiven Seiten der Ölpreissteigerung und der Sorge der Öffentlichkeit angesichts der Risiken der Kernenergie, daß ein breites Interesse für Sonnenenergie und Energieeinsparung entstanden ist. Die Planungen der Wirtschaft geben Anlaß zu der Prognose, daß hier ein wirklicher Durchbruch in der Praxis bevorsteht.
Daß Bürgerinitiativen, engagierte Bürger und Gruppen sowie nicht zuletzt auch die Massenmedien uns bei den Bemühungen um die Förderung solcher Entwicklungen unterstützen, wird von der Bundesregierung begrüßt. Ohne diese Unterstützung wird es nicht leicht sein, die eingefahrenen Geleise der Energieversorgung zu verlassen.
Aber all dies hilft nicht an der Einsicht vorbei - und die Antwort auf die Große Anfrage zur rationellen Energienutzung legt es im Detail dar -, daß unsere Energieversorgung in den 80er und 90er Jahren ohne Kernenergie in eine zu große Abhängigkeit von Öl geriete. Natürlich sind das Berechnungen mit mehreren Variablen und einigen unbekannten Größen. Darum wäre es problematisch, durch Zahlen belegbare Lücken in der Energieversorgung vorhersagen zu wollen. Weder bei der Gesamtversorgung noch bei der Lückenschließung soll14930
ten wir auf eine Karte setzen. Ich möchte jedenfalls die Möglichkeit offengehalten sehen, sowohl durch Erschließung einer Vielfalt von Energiequellen als auch durch Nutzung aller Einsparungsmöglichkeiten mögliche Lücken zu verkleinern und zu schließen. Dafür müssen wir uns auch die Möglichkeiten offenhalten, die die Kernenergie bietet, auch die der fortgeschritteneren Reaktorlinien.
Um die Entwicklung der Kernenergie verantworten zu können, müssen wir auf vier Gebieten große Anstrengungen unternehmen und Fortschritte erzielen: bei der Analyse und Beherrschung der möglichen Risiken von Kernkraftwerken, bei der Wiederaufarbeitung, bei der Endlagerung und nicht zuletzt bei der Standortplanung.
Der Unfall im Kernkraftwerk Gundremmingen hat der Debatte um die Sicherheit kerntechnischer Anlagen neuen Auftrieb gegeben.
Ich selbst habe mich sofort nach dem Unfall dagegen ausgesprochen, es etwa bei beschwichtigenden Hinweisen auf menschliches Versagen bewenden zu lassen. Einmal kommt es bei Unfällen immer wieder vor, daß dem Verunglückten auch noch schnell die Schuld zugeschoben wird. Eine jahrzehntelange Erfahrung hat mich gelehrt, sofort mißtrauisch zu werden, wenn die verantwortlichen Vorgesetzten von menschlichem Versagen sprechen. Zudem könnte von einer wirklich umfassenden Sicherheitsstrategie wohl nicht die Rede sein, wenn sie nicht Folgen menschlichen Fehlverhaltens in Betracht zöge.
Sicherheitsforschung muß insofern Sicherheitsreserven weiterentwickeln. Grundlage der Fortentwicklung von Sicherheitssystemen müssen Störfallanalysen sein, die noch besser in die Feinstrukturen aller denkbaren Störfallabläufe eindringen und nicht nur die technische, sondern auch die menschlich-organisatorische Seite des Reaktorsystems auf Schwachstellen abklopfen.
Auch eine noch so sicherheitsbewußte Auslegung, Fertigung und Weiterentwicklung von Komponenten und Systemen kann nicht daran vorbeiführen, daß Menschen diese Systeme steuern und Menschen in ihnen tätig sind.
Unsere Sicherheitsüberlegungen müssen daher alle Möglichkeiten menschlichen Versagens einschließen. Eine systematische Ausbildung und ein ständig wiederkehrendes Training sind notwendig. Die Möglichkeiten von Kernkraftsimulatoren sind hier zu nutzen. Wir tun das auch im Rahmen unseres Sicherheitsforschungsprogramms, bei der Verhaltensanalyse in Störfallsituationen und bei Untersuchungen von Möglichkeiten verstärkter Automatisierung der Kraftwerkssteuerung.
In zahlreichen theoretischen und experimentellen Forschungsvorhaben werden darüber hinaus relative Schwachstellen in Reaktorsystemen aufgedeckt, um so die optimalen Ansatzpunkte für weitere Steigerungen des Sicherheitsniveaus zu finden. Ich halte mehr Sicherheit beim einzelnen Reaktor für erforderlich, wenn trotz zunehmender Kernenergienutzung das Restrisiko für die Bevölkerung vertretbar klein bleiben soll.
Ich habe den Rahmen des Forschungsprogramms „Reaktorsicherheit" - noch bevor die Rasmussen-Studie der Öffentlichkeit das Denken in Risikokategorien nähergebracht hat - bewußt sehr weit abgesteckt. Dabei haben wir selbst hypothetische Ereignisse, mit denen nach menschlichem Ermessen kaum zu rechnen ist, wie Kernschmelzen, Gaswolkenexplosion in Reaktornähe, Druckbehälterbersten, in die Untersuchungen einbezogen. Wir haben das aus der Überzeugung heraus getan, daß in einer Risikobetrachtung auch ganz entfernte Möglichkeiten, sofern deren Auswirkungen schwerwiegend sind, nicht von vornherein vernachlässigt werden dürfen.
Auch bei dieser Gelegenheit muß ich der Opposition sagen, daß sie eine merkwürdige Vorstellung von Forschungs- und Technologiepolitik hat, wenn sie etwa diese Art von Studien um 50 % reduzieren will. Die Kenntnis möglicher Schadensabläufe und die Reaktorsicherheit sind jedenfalls ohne Studien nicht zu verbessern.
({23})
- Dann sagen Sie mal, welche 50 % Sie kürzen wollen. Legen Sie die mal auf den Tisch, damit man sich damit auseinandersetzen kann.
({24})
Mit unseren Risikoanalysen hoffen wir, zugleich ein Instrument zu schaffen, das der Bevölkerung in einer Art und Weise, die in anderen mit Gefahren verbundenen Bereichen ohne Beispiel ist, das Ausmaß der Schadensvorsorge, aber auch das Maß des trotz aller Vorsorgemaßnahmen verbleibenden Risikos transparent macht.
Selbstverständlich darf neben der Diagnose die Therapie nicht vergessen werden. Ich habe zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten eingeleitet und gefördert, die die Funktionstüchtigkeit und die betriebliche Zuverlässigkeit von Kernenergieanlagen, ihren Systemen und Komponenten verbessern und so die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von Störfällen weiter vermindern, Im Vordergrund stehen dabei Arbeiten zur Verbesserung der Qualitätssicherung und der Erhöhung der strukturellen Sicherheit wichtiger Bauteile.
Hier wäre vielleicht der Ort, einiges zu dem zu sagen, was der Abgeordnete Frank Haenschke ausgeführt hat. Ich will das der Zeit wegen nicht tun.
Sicherheitsforschung ist ein Aufgabe, die sich in besonderer Weise für internationale Zusammenarbeit anbietet. Wir sind deshalb bemüht, die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet sowohl bilateral also auch multilateral stark zu forcieren. Auf diese Weise können unsere Mittel rationeller eingesetzt werden. Ein hohes Maß an Gemeinsamkeit in der Sicherheitsforschung begünstigt darüber hinaus auch eine Harmonisierung der auf Forschungsergebnissen gegründeten sicherheitstechnischen Anforderungen, deren Unterschiedlichkeit heute ein erhebliches Handelshemmnis für kernBundesminister Matthöfer
technische Erzeugnisse darstellt. Es ist uns insbesondere gelungen, die Zusammenarbeit mit den USA u. a. durch die Schaffung mehrerer gemeinsamer Großprojekte in einer Breite und Tiefe zu entwickeln, die für beide Partner äußerst vorteilhaft ist.
Die Übereinstimmung der politisch Verantwortlichen über die Notwendigkeit der Kernenergienutzung darf sich nicht auf den Kraftwerkbau beschränken. Sie muß den Willen mit einschließen, für die Schaffung der nötigen Entsorgungskapazitäten einzutreten. Die Bundesregierung verfolgt das Konzept eines integrierten Entsorgungssystems, das Aufarbeitungs-, Rezyklierungs- und Lagerungseinrichtungen an einem Ort konzentriert. Die technologischen Fortschritte zur Verwirklichung dieses Konzepts, das eine befriedigende Lösung insbesondere auch des Transportproblems verspricht, sind ermutigend. Die Arbeiten auf dem Gebiet der Behandlung radioaktiver Abfälle haben bereits sehr schnell zum Bau hochaktiver, zur Endlagerung vorgesehener verglaster Körper geführt. Auch bei der Entwicklung der Techniken zur Rückhaltung radioaktiver gasförmiger Emissionen der Entsorgungsanlagen sind Fortschritte zu verzeichnen.
Bei diesem Stand kommt es darauf an, auch an die Standortfrage mit dem Willen heranzugehen, Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten akzeptabel sind und die das Vertrauen der Bevölkerung verdienen. Sollte es, Herr Kollege Lenzer, dort Schwierigkeiten geben, bin ich gern bereit, auf Ihr Angebot zurückzukommen und Sie um Ihre Unterstützung zu bitten. Die erforderlichen Forschungs- und Erkundungsarbeiten sind von meinem Ministerium seit 1974 unter Einschaltung aller maßgeblichen Stellen zügig vorangetrieben worden. Gegenwärtig laufen an mehreren potentiellen Standorten Eignungsuntersuchungen. Ich möchte schon jetzt an die politisch Verantwortlichen appellieren, sich an der Standortdiskussion konstruktiv zu beteiligen. Die Bundesregierung wird mit der vierten Novelle zum Atomgesetz eine klare gesetzliche Regelung vorschlagen, die einen praktikablen Entscheidungsprozeß vorsieht.
Ich will es zusammenfassen und noch einmal auf eine kurze Formel bringen. Die Entwicklung der Kernenergie ist schwieriger, langwieriger und letztlich auch kostspieliger, als man in der Vergangenheit weithin angenommen hat. Wir können aber nicht verantworten, eine Chance der Energiegewinnung auszulassen - weder bei der Kernenergie noch bei den natürlichen Energiequellen und auch nicht bei der Kernfusion. Wir müssen mehr dafür tun, um Energie schonender und rationeller zu nutzen. Der kurzfristige betriebswirtschaftliche Preis für die verschiedenen Energieträger darf nicht allein Maßstab unseres Handelns sein. Es ist wichtiger, langfristig genug Energie zu haben, als kurzfristig viel Energie billig zu verbrauchen.
({25})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland konfrontiert die Probleme einer modernen Energietechnologie mit den Schutzbedürfnissen der Umwelt und der betroffenen Bürger und zeigt die Möglichkeiten eines Ausgleichs unter der Bedingung der absoluten Priorität der Sicherheit auf. Sie schließt sich damit dem Bericht „Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und Strahlenschutz" des Bundesministers des Innern aus dem Jahre 1974 und den Ergebnissen der öffentlichen Anhörung zum Thema „Das Risiko Kernenergie" aus demselben Jahre an und ist Beweis für die von Zielstrebigkeit und Ausgewogenheit gekennzeichnete Energie- und Umweltpolitik der Koalition. Die Antwort macht deutlich, daß die friedliche Nutzung der Kernenergie kein isoliertes technisches Problem ist, sondern ein Gesamtkomplex von technologischen, wirtschaftlichen, ordnungspolitischen, organisatorischen und nicht zuletzt psychologischen Fragestellungen. Damit trägt sie dazu bei, die Diskussion über Vor- und Nachteile der Kernenergie aus dem closed shop der sich widersprechenden Experten- und Spezialistenmeinungen herauszuführen und damit der Gefahr einer Atomtechnokratie entgegenzuwirken. Offenheit und Problembewußtsein - Merkmale, die die Antwort der Bundesregierung kennzeichnen - sollten es auch dem Skeptiker erlauben, unter den von der Regierung dargelegten Bedingungen der Realisierung des energiepolitischen Konzepts der Koalition zuzustimmen. Es ist zu unterstreichen, wenn Carl Friedrich von Weizsäcker sagt, daß es keine materiell zwingenden Gründe gibt, von der gegenwärtig bis 1985 befristeten Reaktorplanung der Bundesregierung abzuraten.
Die Nüchternheit und Offenheit der Antwort der Bundesregierung erlauben es aber auch, bei prinzipieller Zustimmung zum Energieprogramm und zum 4. Atomprogramm auf einige von ihrer technischen Lösungsmöglichkeit her noch offene und keinesfalls marginale Probleme hinzuweisen. Die Antwort zum Problemkreis „Entsorgung" macht deutlich, daß sich die Maßnahmen der Bundesregierung in bezug auf die Wiederaufbereitung zum jetzigen Zeitpunkt auf die Förderung und Weiterentwicklung entsprechender Technologien konzentrieren. Soll aber das Reaktorprogramm im vorgesehenen Zeitraum realisiert werden können, bedarf es der baldigen Erstellung einer Wiederaufarbeitungsanlage im industriellen Maßstab in der Bundesrepublik. Einer vorsichtigen Schätzung nach werden bis 1985 in Europa rund 8 000 Tonnen abgebrannte Brennelemente nicht aufgearbeitet werden können und in Zwischenabsatzbecken gelagert werden müssen. Auch unter dem Aspekt, daß die Aufarbeitung radioaktiven Materials auf absehbare Zeit kein lukratives Geschäft sein wird und es von daher kaum vorstellbar ist, daß irgendein Land bereit wäre, Aufarbeitungskapazität für den radioaktiven Abfall Dritter zur Verfügung zu stellen, ist diesem Problem besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Dasselbe gilt für den weiteren Bereich der Entsorgung bis hin zu den Problemen der Endlagerung. Die Lagerung schwach14932
Wolfgramm ({0})
und mittelradioaktiver Abfälle stellt nach den bisherigen Erfahrungen auf absehbare Zeit kein besonderes Problem mehr dar, sieht man einmal von den Lagerungsfristen bis zur endgültigen Unschädlichkeit ab. Besonders problematisch aber ist die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle nach dem heutigen Stand von Forschung und Technik. Vorhandene Endlagerkonzepte sind noch in der Überlegung und Erprobung und zum Teil bislang nur im Labormaßstab operationabel. Da aber bei Realisierung des Energieprogramms der Anteil hochradioaktiven Abfalls nicht nur, wie bislang, qualitativ wächst, bedarf es hier intensiver Forschungsaktivität zur rechtzeitigen Lösung dieser Probleme.
Die Bundesregierung legt die Probleme, die sich im Zusammenhang mit dem Transport radioaktiven Abfalls ergeben, dar und gibt gleichzeitig zu erkennen, daß sie in Zusammenarbeit mit den zuständigen Landesbehörden und den Nachbarländern versuchen wird, durch zusätzliche bzw. verbesserte Regelungen potentielle Gefahrenpunkte auszuschalten. Es bleibt auf absehbare Zeit richtig, daß der Brennstoffkreislauf die Achillesferse der Kernenergie ist. In ihm nimmt übrigens auch der Transport einen besonderen Stellenwert ein, was sich auch quantitativ verdeutlichen läßt, da ab 1985 voraussichtlich etwa 10 000 cbm leicht- und mittelradioaktiven und 150 cbm hochradioaktiven Abfalls pro Jahr aus Reaktoren abtransportiert werden müssen. Die Auswertung der vorgesehenen Risikoanalysen wird eine weitere Verbesserung der Organisation des Transports im Rahmen der Abfallbeseitigung ergeben.
Nicht zuletzt durch eine Zuspitzung und Internationalisierung terroristischer Aktivitäten in westlichen Industriegesellschaften ist das Problem der Sicherheit von Kernkraftanlagen und -material in den Vordergrund der Diskussion gerückt. Die vom Länderausschuß für Atomkernenergie 1974 verabschiedeten Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke sprechen dieses Problem der absichtlichen Einwirkung Dritter an. Es ist richtig, daß durch Auflagen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens die Risiken durch Sabotage begrenzt werden. Eigene Erfahrungen von Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Reaktorsicherheit und Strahlenschutz" des Innenausschusses beweisen, daß die Möglichkeiten zur widerrechtlichen Entwendung radioaktiven Materials zwar theoretisch und rechtlich ausgeschlossen, in der Realität aber vorhanden sind.
In den Jahren 1966 bis 1975 hat es in der ganzen Welt 21 Anschläge auf Nuklearanlagen gegeben, wie z. B. in Fessenheim im Elsaß. Die entsprechenden Strafbestimmungen allein sind also kein ausreichender Schutz. Der Parlamentarische Staatssekretär Gerhart Baum hat in seinem Vortrag vor dem Dritten Deutschen Atomrechts-Symposium im Oktober 1974 in Göttingen mit Recht auf folgendes hingewiesen - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -:
Bei den Tätergruppen, die für eine kriminelle Verwendung radioaktiver Stoffe in Betracht kommen, dürfte der Abschreckungseffekt durch Strafnormen nicht allzu hoch einzuschätzen
sein. Der erforderliche Schutz muß also auch durch andere präventive Maßnahmen erreicht werden.
Es gilt, Theorie und Praxis der Stadtguerilla ernst zu nehmen. Es bleibt daher besonders zu prüfen, ob für solche präventiven Maßnahmen über den Werkschutz hinaus ein ständiger Schutz durch staatliche Sicherungskräfte bei Kernkraft- und Wiederaufbereitungsanlagen, Transport und Endlagerungsstätten gewährleistet werden soll. Die verschärften öffentlichen Schutzmaßnahmen der holländischen Behörden in ihrem Kernenergiezentrum nach den Geiselaktionen sind hier besonders zu beachten.
Ahnlich wie Carl Friedrich von Weizsäcker in seiner „Zeit"-Studie vom vorigen Sommer weist jetzt auch der Beratende Ausschuß beim Bundesminister für Forschung und Technologie auf die Rolle der gültigen Militärstrategie der Bundesrepublik im Zusammenhang mit Kernkraftwerken hin. Er meldet Zweifel an, ob sich beides vereinbaren läßt. Auch sieht er einen sicheren Schutz vor dem Aufprall von Militärflugzeugen nur bei Kernkraftwerken der jüngsten Generation bzw. bei unterirdischen Anlagen gegeben, auf deren Probleme jedoch die Bundesregierung in ihrer Antwort wiederum verweist. Es ist zu begrüßen, daß diese sicherheitspolitischen Probleme inzwischen Gegenstand von Beratungen zwischen den betroffenen Ressorts geworden sind. Auch wird die Bundesregierung, wie in ihrer Antwort dargelegt, auf die baldige und ungeschmälerte Fortentwicklung des Kriegsvölkerrechts in diesem Bereich drängen müssen.
Nach den Untersuchungsergebnissen des Bundesministeriums des Innern und der zuständigen Arbeitsgruppe im Innenausschuß des Bundestags zum Unfall des vorhin schon zitierten Kernkraftwerkes Gundremmingen ist ein weiteres Sicherheitsproblem zu erwähnen. Gemeint ist die Anwendung der Arbeitsschutzbestimmungen bei Reparatur- und Wartungsarbeiten. Und das sind auch Sicherheitsvorkehrungen, Herr Kollege Lenzer. Ich stimme da mit Ihnen nicht überein. Die in Gundremmingen gemachten Erfahrungen zeigen, daß die bestehenden Regelungen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung bei dem in Frage stehenden Unfall nicht eingehalten wurden. Es ist richtig, daß der Bundesminister des Innern hier gegenüber den zuständigen Stellen auf eine strikte Einhaltung der Bestimmungen hingewirkt hat. Dies ist um so wichtiger, da die Verletzung von Arbeitsschutzvorschriften in kerntechnischen Anlagen die Gefahr in sich birgt, Auswirkungen auf die nukleare Sicherheit der Anlagen zu haben. Es ist durch bundeseinheitliche Regelungen sicherzustellen, daß Strahlenschutz und Reaktorsicherheit absoluten Vorrang vor Kostenüberlegungen bei Reparaturarbeiten, einschließlich der Abschaltung des Reaktors, haben. Die Bundesregierung sollte in regelmäßigen Abständen Berichte zur Lage der Sicherheit der Kernenergie und über die zu diesem Zweck durchgeführten Maßnahmen erstatten.
Keine ausreichende Berücksichtigung findet bislang das Problem des wachsenden Bedarfs an Fachpersonal für die Reaktoranlagen und deren Wartung.
Wolfgramm ({1})
Dr. Haenschke hat hierauf hingewiesen. Nach Schätzungen werden nach Durchführung des jetzigen Reaktorprogramms 10 000 bis 20 000 Fachleute - und hier weniger Wissenschaftler als hochqualifizierte Techniker - benötigt. Durch die Strahlendosisbegrenzung ist der Aufwand an Personal gegenüber konventionellen Kraftwerken ein Vielfaches. Es besteht daher die Gefahr, daß bei verstärktem Ausbau der Kernenergie notwendige Wartungs- und Reparaturarbeiten nicht mehr sachgemäß durchgeführt werden können. Unmittelbares Ziel muß es daher sein, Vorausschätzungen der Personalbedarfs und der Verfügbarkeit des Personals nach Qualifikationsstufen zu erstellen. Gegegebenenfalls muß durch die Schaffung neuer Berufsbilder und Ausbildungsgänge die Qualifikation des Fachpersonals sichergestellt bzw. erhöht werden.
Es ist selbstverständlich, daß alle noch nicht quantifizierten Folgekosten von den Betreibern zu übernehmen sind, und zwar auch dort, wo der Staat etwa in Vorlage treten muß, an diesen zu erstatten sind. Dies betrifft insbesondere die Kosten für die zusätzliche Sicherung gegenüber Anschlägen Dritter auf die Reaktoranlagen, den Transport hochradioaktiven Materials, die Wiederaufbereitung und Entsorgung und die langfristige Bewachung der Endlagerungsstätten ebenso wie die Stillegung oder den Abbruch ausgedienter Kernkraftwerke. Man rechnet damit, daß allein die vollständige Beseitigung eines Kernkraftwerks wenigstens 15 % - manche sprechen sogar von 25 % - der Neubaukosten ausmacht. Auch hierzu sind Modelle zu erstellen und eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzulegen. Es ist notwendig, zu wissen, wie sich unter Einrechnung aller Folgekosten der Gesamtstrompreis bei der Kernenergie darstellt, sowohl für die Verbraucher wie für die Gesamtwirtschaft. Die Kosten werden hier anders aussehen, als Sie, Herr Kollege Lenzer, es vorhin dargestellt haben.
Meine Damen, meine Herren, wie schwierig es sein wird, frühzeitig genug echte Folgekosten zu übersehen und zu berücksichtigen, können wir an den Schwierigkeiten ermessen, die sicherem Vernehmen nach die Energieversorgungsunternehmen zur Zeit haben, sich mit der chemischen und der Verfahrensindustrie zu einem gemeinsam getragenen Entsorgungskonzept durchzuringen.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Bundesregierung auffordern, zu verhindern, daß eine Monopolstellung der einen Seite, die möglicherweise zu Preisdiktaten führt, dadurch eine frist- und sachgerechte Lösung des Entsorgungsproblems in Frage stellt.
({2})
Die Freien Demokraten setzen sich für eine stärkere Bürgerbeteiligung ein, weil alle von den Restrisiken der Kernenergie betroffen sein könnten und alle an der Sicherung der Energieversorgung partizipieren.
Die Verbandsklage, die Minister Maihofer engagiert vertritt, bietet neben einem institutionalisierten Anhörungsverfahren den Bürgern eine der Bedeutung des Ausbaus der Kernenergie angemessene Einwirkungsmöglichkeit. Die Verbandsbeteiligung
bedeutet eine rechtzeitige Planung der Standorte, um genügend Zeit zur Abwägung des Für und Wider unter Beteiligung der Bürger zu haben. Dabei müssen die Entwicklungspläne der Länder neben den Interessen der Ökologie und des Landschaftsschutzes auch den Gesichtspunkt der rationellen Nutzung der Abwärme einbeziehen. Die Abstimmung über Länder- und Staatsgrenzen, auch zum Osten, muß Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen werden.
Die prinzipielle Zustimmung zum Kernenergieprogramm darf uns nicht daran hindern, für die künftige Entwicklung folgendes zu fordern:
1. In Abkehr von der bisherigen Praxis sollte die Entwicklung energiesparender Techniken erste Förderungspriorität im Rahmen unserer Forschungspolitik erhalten.
2. Die Durchführung des Energieprogramms macht es dringend erforderlich, vor endgültigen Entscheidungen die Rasmussen-Studie und die von Bethe/Panofsky/Weisskopf in ihren Aussagen auf die Verhältnisse der Bundesrepublik zu überprüfen.
3. Da bei Realisierung des Energieprogramms die Kernenergie nach 1985 führende Energiequelle sein wird, ist auf eine räumliche und strukturelle Planung im Rahmen der EG, aber auch in Abstimmung mit den östlichen Anrainern hinzuwirken.
4. Kernfusion und Sonnenenergie sind als langfristige Alternativen der Großenergiegewinnung besonders zu fördern.
Im Sinne des gemeinsamen Entschließungsantrags der Koalitionsparteien hat sich daher das Maß des Ausbaus der Kernenergie Zug um Zug nach der Lösung der noch anstehenden Probleme zu richten.
Meine Fraktion bejaht die Rolle, die die Bundesregierung der Kernenergie in der Zukunft zuweist. Wir übersehen dabei die Risiken nicht und werden aufmerksam und kritisch die Anstrengungen zur Lösung der noch offenen Probleme der Kernenergie überwachen. Die Entschlossenheit der Bundesregierung, Probleme zu bewältigen, und unsere Bereitschaft, sie darin intensiv zu unterstützen, sind dafür ein tragfähiges Fundament.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu unterstützen.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Flämig.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem wir nun die Begründung der Großen Anfrage unseres Kollegen Frank Haenschke gehört haben, der aus tiefer Besorgnis und mit großem Ernst hier seine Einwände vorgetragen hat, nachdem uns die Regierung gesagt hat, daß sie nach dem Prinzip „Sicherheit zuerst" handle, aber überzeugt sei, daß die Technologie der friedlichen Nutzung der Kernenergie nach einer 30jährigen Entwicklungszeit beherrschbar ist, bleibt mir noch die
Aufgabe, den Entschließungsantrag zu begründen, soweit er die Kernenergie betrifft, und hier klarzustellen, daß in diesem Entschließungsantrag nicht nur die Gesichtspunkte, die gegen eine schnelle Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie sprechen, sondern auch die Gesichtspunkte enthalten sind, die dafür sprechen. Es ist eine ausgewogene Entschließung. Ein paar kurze Bemerkungen dazu bitte ich mir trotz der vorgerückten Stunde noch zu gestatten; denn es muß natürlich auch ein falscher Eindruck vermieden werden.
Ich möchte nur einige wenige Stichworte aus der Diskussion aufgreifen. Da ist einmal die Frage der Zeitnutzung aufgetaucht. Das geht so weit, daß draußen, außerhalb dieses Hauses, die Forderung erhoben worden ist, ein Zweijahresmoratorium für die Entwicklung der Kernenergie einzuräumen, nicht nur für den Bau, sondern sogar für den Betrieb von Kernkraftwerken. Wer so etwas fordert, muß sich natürlich über die Folgen im klaren sein. Weder die Forschung noch gar die Stromerzeugung in Kernkraftwerken kann man ja auf und zu machen wie eine Eisenbahnschranke. Kein Wirtschaftszweig, auch nicht der der Kernindustrie, kann es sich leisten, die Gesetze des Marktes zu vernachlässigen oder bewährte Forschungsteams auseinanderlaufen zu lassen.
Die deutsche Kernindustrie steht in einem harten Konkurrenzkampf mit potenten ausländischen Großfirmen. An ihr hängen Zehntausende von Arbeitsplätzen. Nicht zufällig stellt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage fest, daß ein Zweijahresmoratorium für die Kernkraftwerke schon Ende 1978 eine Deckungslücke von rund 10 000 Megawatt elektrische Energie für die Volkswirtschaft bedeutete und schwerwiegende Folgen für wichtige Industriezweige hätte. Ein Kernkraftwerk benötigt für seine Erstellung rund 300 Zulieferbetriebe. Gefährlich wäre auch der Entwicklungsrückstand, der einträte, wenn zwei Jahre lang keine praktische Erfahrung im Betrieb von Kernkraftwerken gesammelt werden könnten.
Nun etwas anderes. Die besondere Bedeutung von Hochtemperaturreaktoren ist im Lauf der Debatte herausgestellt worden. Wir sprechen in unserer Entschließung dieses Thema an, indem wir auf die Wärme-Kraft-Kopplung hinweisen. Wir werden demnächst in einem Hearing Gelegenheit haben, diese Fragen zu vertiefen. Deswegen gestatten Sie mir, daß ich jetzt darüber hinweggehe. Ich möchte nur soviel dazu sagen: Der Hochtemperaturreaktor muß weiterentwickelt werden; denn er stellt die zweite Generation dar, und er bietet die Möglichkeit der Kohlevergasung und Nutzung auch für die Stahlherstellung, ist also geeignet, die Verbindung zwischen Kohle und Kernenergie herzustellen.
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Wer diesen Feststellungen zustimmt, darf natürlich nicht vergessen, daß im Zusammenhang mit dem Hochtemperaturreaktor und der Nutzung der Prozeßwärme noch viele Fragen offen sind. Fragen der Materialforschung und des Brennstoffkreislaufs müssen noch geklärt werden.
Gewaltig sind auch noch die Probleme, die der Lösung bei der Entwicklung der dritten Reaktorgeneration - so möchte ich das einmal bezeichnen -, nämlich der schnellen Brüter, harren. Nachdem der Versuchsreaktor SNR 300 in Kalkar unter strengster Einhaltung aller Sicherheitsvorkehrungen gebaut wird, muß beim nächsten Schritt, beim 600er, die Erfahrung in ganz Europa genutzt werden. Hier sollten wir nicht allein weitermachen, sondern hier sollten wir versuchen, auch die Erfahrungen der anderen Länder zu berücksichtigen.
Jetzt noch kurz eine Bemerkung in bezug auf die Ersatzenergien im Zusammenhang mit dem Kernverschmelzungsreaktor. Es geht darum, Reaktoren zu entwickeln, die das vollziehen, was auf der Sonne vor sich geht, die sogenannten Kernfusionsreaktoren. Das könnte eines Tages wirklich die Lösung des Problems sein, wenngleich auch, wie wir heute morgen gehört haben, vor übertriebenem Optimismus gewarnt wird. Das Tritium, das dieser Reaktor benötigt, ist nämlich auch radioaktiv, und die Kühlprobleme von Fusionsreaktoren werden sicherlich nicht kleiner sein als die bei Kernspaltungsreaktoren. Allerdings gäbe es wohl keine Gefahren der Reaktorkernschmelze beim Fusionsreaktor und ganz sicherlich auch keine Probleme mit radioaktivem Müll.
Herr Bundesminister, wir würden es deshalb sehr begrüßen, wenn die Bundesregierung das JET-Projekt fördern würde, ein Projekt zur Weiterentwicklung der Kernfusion auf internationaler Ebene. Wir wissen, daß das ein weiterer Schritt in die richtige Richtung ist. Jetzt wird versucht, 10 Millionen Grad elektromagnetisch einzuschließen und zu beherrschen. Mehr als 100 Millionen Grad werden eines Tages benötigt, um die Kernfusion überhaupt in Gang zu bringen. Aber der nächste Schritt muß getan werden.
Ich muß mich leider kurz fassen, weil die Zeit so fortgeschritten ist. Aber wir werden Gelegenheit haben, darüber im Ausschuß eingehender zu sprechen.
Noch ein paar kurze Bemerkungen zur Sicherheit. Wir haben vorhin gehört, welche Bedeutung die Bundesregierung dem Strahlenschutz und der Reaktorsicherheit beimißt. Wir gehören nicht zu denen, die gern alberne Vergleiche anstellen zwischen Strahlengefahren und beispielsweise krebsauslösendem Zigarettenkonsum oder zwischen Strahlengefahren und der Gefährdung, die der moderne Mensch jederzeit in Kauf nimmt, wenn er ein Auto oder ein Flugzeug besteigt. Selbstverständlich wissen wir, daß es in Bergwerken schon viele Tote gegeben hat und daß auch Dammbruch-Katastrophen viele Menschenleben forderten. Und doch besteht ein Unterschied - hier muß ich dem Kollegen Haenschke zustimmen -, wenn man daran denkt, daß bei mangelndem Strahlenschutz unter Umständen Erbschäden eintreten können. Wir nehmen die Einwände der Warner erst. Wir nehmen aber auch die Gegenargumente der Befürworter einer friedlichen Nutzung der Kernenergie und ihr Bemühen ernst, Schäden, soweit es menschenmöglich ist, zu verhüten. Wir halten es für falsch, die einen als
Spinner und die anderen als Industrie-Lobbyisten abzuqualifizieren.
({1})
Die SPD-Bundestagsfraktion ist seit 1961 im Präsidium des Deutschen Atomforums vertreten und arbeitet dort ebenso mit wie im Umweltforum. Wir wissen, vor welcher schwierigen Situation wir Politiker stehen, wenn wir in rein technischen Fragen Entscheidungen treffen sollen. Aber niemand kann uns diese Entscheidungen beim Setzen von Prioritäten oder beim Bewilligen von Forschungs- und Entwicklungsförderungsmittel abnehmen. Das wirft die Frage der sachkundigen Beratung auf und unterstreicht erneut die Notwendigkeit, dort vertreten zu sein, wo die Fragen, um die es hier geht, beraten und vorentschieden werden.
An Beratern fehlt es nicht. Jeder von uns hat auf seinem Schreibtisch einen ganzen Stapel von wissenschaftlichen Gutachten liegen, in denen vor der Entwicklung der Kernenergie gewarnt wird. Auch ein Buch von Herrn Gruhl habe ich dort liegen.
({2})
Vor wenigen Tagen ist uns die Stellungnahme von 650 Wissenschaftlern zugegangen, die sich für die friedliche Nutzung der Kernenergie aussprechen, Wissenschaftler, die nicht in der Wirtschaft verankert, sämtlich aber Fachleute sind. Wenn kein Vertreter der Reaktorsicherheits-Kommission und kein Vertreter des TÜV darunter ist, so sicherlich nicht, weil diese Fachleute gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie wären, sondern wahrscheinlich, weil sie sich aus dem Streit pro und contra Kernenergie heraushalten wollen. Unter den Unterzeichnern sind natürlich auch wieder drei Nobelpreisträger, zahlreiche Physiker, Ingenieure, Mediziner und Biologen. Allerdings sind unter den Befürwortern, die unterschrieben haben, keine Soziologen und keine Theologen.
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- Das ist nicht wahr, Herr Gruhl; sie wohnen in der ganzen Bundesrepublik, das haben wir schon nachgeprüft. Es ist aber - und insoweit möchte ich Ihnen recht geben - nicht sehr hilfreich, wenn wir hier eine Autoritätenschau pro und contra statt einer Entscheidungshilfe vorgesetzt bekommen. Dieses Hickhack führt zum Glaubenskrieg um die Kernenergie. Das brauchen wir als Politiker nicht, sondern wir brauchen eine sachliche Überprüfung der Bedingungen, unter denen Kernenergie eingesetzt werden kann oder eingesetzt werden muß.
Haben sich die Befürworter sehr vorsichtig ausgedrückt, so haben sie dafür natürlich einen guten Grund. Ich möchte hier nicht noch einmal als dritter Redner auf den Störfall in Gundremmingen eingehen. Nur so viel sei dazu gesagt: Das war kein „Beinahe-GAU"; das muß ich hier unterstreichen.
Zum Plutonium ist hier eine Bemerkung gemacht worden, die so nicht stehenbleiben kann. Fachleute haben uns erklärt, daß Plutonium in Leichtwasserreaktoren entstehe, daß seine Lagerung und Verarbeitung gefährlich seien, weshalb man besondere Vorsichts- und Schutzmaßnahmen ergreifen müsse. Aber die beste Art - so wurde uns gesagt -, Plutonium loszuwerden, sei, es in den Reaktoren zu verbrennen.
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Dabei bleibt aber immer noch die Frage - damit komme ich zu dem Einwand, der heute abend hier erhoben worden ist -, ob es möglich ist, aus dem Plutonium abgebrannter Brennelemente eine Bombe zu basteln. Fachleute versichern uns, für eine 50-Kilotonnen-Bombe benötige man 7 kg reines Plutonium 239. Um dieses herzustellen - nun bitte ich diejenigen, die vorhin von der Bombe geredet haben, einmal zuzuhören -,
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sei eine komplizierte Isotopen-Trennanlage erforderlich, und es stelle ein großes technisches Problem dar, die überkritische Masse Plutonium lange zusammenzuhalten. Das allerdings würde bedeuten, daß die Geschichte von der Waschküchenbombe eine Fabel sein muß.
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- Was glaubt niemand? Das ist so. Es ist nicht so einfach, aus dem Gemisch, das in dem Reaktor entsteht, das reine Plutonium 239 herauszufiltern.
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- Na, gut!
Ich möchte zum Schluß kommen und darauf hinweisen, daß für die Aufklärung der Öffentlichkeit viel getan wird. Der Vorwurf, der Herr Minister tue nicht genug, ist ungerecht. Es ist aber nicht nur das Ministerium, das Aufklärung betreibt. Wir wissen, daß es einen Informationskreis Kernenergie gibt, und wir wissen auch von anderen Bemühungen, die Bevölkerung objektiv aufzuklären. Diese Bemühungen sind zu begrüßen, genauso wie der Appell der Bundesregierung an alle demokratischen Parteien und an die Kräfte des öffentlichen Lebens, die aufgefordert wurden, das Ihre dazu beizutragen, Simplifizierungen, Vorurteile und Emotionen abzubauen oder zu vermeiden und an einer sachlichen Information mitzuwirken.
Ich möchte nun, damit ich mich nicht noch einmal zu Wort melden muß, gleich in zwei, drei Minuten zu den beiden Anträgen der CDU/CSU-Fraktion ein paar Worte sagen. Sie beantragen zum Brennstoffkreislauf und zu Standortfragen Stellungnahmen abzugeben. Wir werden darüber im zuständigen Ausschuß diskutieren müssen, so wie es das Europäische Parlament vor wenigen Tagen in Luxemburg getan hat. Dabei gilt es, abzuklären, ob es tatsächlich zweckmäßig ist, Kraftwerke in sogenannten Nuklearparks oder gar auf Plattformen oder Inseln im Meer zu massieren. Wir sind uns darüber im klaren, daß dies nicht nur Fragen des rationellen Energietrans14936
ports aufwirft, was in ungünstigen Falle verteuernd auf den Stromkreis wirken müßte, sondern auch militärische Probleme. Wir werden auch darüber diskutieren müssen, ob es möglich und wirtschaftlich vertretbar ist, Kernkraftwerke unterirdisch anzulegen. Immerhin gilt es zu bedenken, daß die Forderung, die Prozeßwärme von Hochtemperaturreaktoren über eine sogenannte Wärme-Kraft-Kopplung zu nutzen, zugleich die Forderung beinhaltet, Kernreaktoren in der Nähe chemischer Fabriken oder von Stahlwerken zu errichten. Solche Werke befinden sich aber meist in Flußniederungen mit relativ hohem Grundwasserstand. Wie kann also vermieden werden, daß unterirdische Kraftwerke im Störfalle Radioaktivität an das Grundwasser abgeben? Vielleicht gibt uns das kommende Hearing Aufschluß darüber, ob die unterirdische Bauweise insbesondere von Hochtemperaturreaktoren die Kosten um 10 oder 30 % erhöht, ob das machbar ist oder nicht.
Beim Brennstoffkreislauf werden wir zu untersuchen haben, inwieweit die Anlage von Brennstoffkreislaufparks die unbestreitbare Gefährdung durch Transporte radioaktiver Stoffe zu verringern vermag. Wahrscheinlich müssen wir uns auch mit der Frage befassen, ob der Schutz vor unbefugter Aneignung radioaktiver Stoffe eine öffentliche Sache ist oder Sache der Hersteller und der Betreiber von Kernkraftwerken. Immerhin gibt es hier schon Grundsätze und Normen der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien, die es zu beachten gilt.
Lassen Sie mich zusammenfassend hierzu sagen und damit schließen: Wir Sozialdemokraten betrachten die Frage pro oder contra Kernenergie als geklärt. Wir fordern mit unserer Entschließung die Bundesregierung auf, den eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten und die von ihr selbst genannten Maßnahmen unverzüglich zu ergreifen, um den Ausbau der friedlichen Nutzung von Kernenergie zu gewährleisten und zugleich die rationelle und sparsame Energieverwendung zu fördern und zu verbessern. Wir bedauern, daß es nicht möglich war, diese Frage und die Fragen der Sicherheit in einer gemeinsamen Entschließung des gesamten Bundestages niederzulegen. Wir bestehen aber auf unseren Prioritäten und damit auf den Grundsätzen, die in unserer Entschließung niedergelegt sind.
Frau Präsidentin, wir bitten um Überweisung dieser Entschließung, weil sie ausgewogen ist und der Situation auf dem Energiemarkt gerecht wird. Wir bitten um Überweisung an den Ausschuß für Forschung und Technologie - federführend - und zur Mitberatung an den Innenausschuß und an den Wirtschaftsausschuß.
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- So ist es mir gesagt worden.
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- Dann muß darüber beraten werden. Mir ist gesagt
worden, Herr Kollege Schäfer, Ausschuß für Forschung und Technologie federführend, Innenausschuß und Wirtschaftsausschuß mitberatend.
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Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Baum.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Koalitionsfraktionen danken, daß ihre Anfrage uns Gelegenheit gibt, auch eine Reihe wichtiger Fragen aus dem Arbeitsbereich des Bundesministeriums des Innern hier zu erörtern.
Wir gehen davon aus, daß für eine ausgewogene Energieversorgung mehrere Energieträger zur Verfügung stehen müssen. Eine solche Vielfältigkeit der Energieversorgung - das haben wir heute gehört - dient der Verminderung von Risiken. Die heimische Kohle wird deshalb als Basis weiter erhalten und genutzt werden. Die Kernenergie wird keineswegs die Kohle oder die übrigen Primärenergiequellen ersetzen oder überflüssig machen. Die friedliche Nutzung der Kernenergie kann und sollte jedoch eine Verbreiterung der Versorgungsbasis bewirken und somit zu einer besseren Grundversorgung beitragen. Unter der Voraussetzung einer vernünftigen Vorratshaltung an Brennstoffen, Herr Kollege Gruhl, ist dieser Energiezweig auch weitgehend gegen Versorgungskrisen gefeit.
Dieser Ausbau setzt den absoluten Vorrang der Sicherheit unserer Bürger vor wirtschaftlichen Erwägungen voraus. Ich habe hohen Respekt vor allen denen, meine Damen und Herren, auch vor Einzelpersonen, die hier warnen und zögern und zur Vorsicht mahnen,
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auch dann, wenn ich ihre Meinung nicht teile und wenn ich versuche, mit Argumenten ihren Argumenten zu begegnen.
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Ich möchte das hier an dieser Stelle sagen: Wir sollten der Tatsache Rechnung tragen, daß dieses neue Phänomen der Kernenergie noch vielfach auf Mißtrauen stößt und daß wir hier besondere Schwellen der Unsicherheit zu überschreiten haben.
Wir haben in unserem Lande strenge Sicherheitsanforderungen geschaffen. Dies hat uns wiederholt den Vorwurf eingebracht, wir würden überzogene Forderungen stellen und Verzögerungen im Aufbau neuer Kernkraftwerke bewirken. Aus heutiger Sicht hat sich unser sorgfältiges Vorgehen als absolut richtig erwiesen, und zwar sowohl im Hinblick auf' die Energieversorgung als auch zum Schutz unserer Bevölkerung. Ich möchte betonen, meine Damen und Herren: Jede Hast ist schädlich, sorgfältige Prüfung ist notwendig; nur eine stetige Entwicklung kann Garant zur Vermeidung von Sicherheitsrisiken sein. Das Konzept der Bundesregierung geht davon aus, daß wir immer erst dann den nächsten Schritt tun, wenn wir dessen Folgen langfristig übersehen können.
Ein Beispiel haben Sie genannt, Herr Kollege Haenschke: die Haltbarkeit der Druckbehälter. Hier ist ein typisches Problem, das man jetzt erkennt und nicht früher erkennen konnte, so möchte ich behaupten. Aber das ist ein Fall, dessen sich jetzt die Genehmigungsbehörden angenommen haben und annehmen müssen und der beherrschbar ist. Wir gehen also davon aus, daß Risiken auftreten, daß wir sie aber mit Hilfe der Technik beherrschen können. Eine andere Frage ist, wie wir wirtschaftlich mit ihnen fertig werden, wie die Betreiber also die Kosten verkraften.
Bei einer solchen verantwortungsbewußten und realistischen Betrachtung ergibt sich somit die Notwendigkeit, auch Kernenergie zur Energieversorgung einzusetzen. Die damit verbundenen unvermeidlichen Risiken sind durch die besonders starken Anforderungen an Sicherheit und Strahlenschutz in der Bundesrepublik Deutschland auf ein zumutbares Maß heruntergedrückt worden. Die Bedingungen für die Kernenergiewirtschaft, so möchte ich behaupten, sind strenger als in allen anderen Staaten der Erde. Dieses hohe Maß an Sicherheit bietet auch wirtschaftliche Vorteile. Ein Beispiel hierfür sind die Exporterfolge der deutschen Kernenergiewirtschaft, die nicht zuletzt auch auf den anerkannten Sicherheitsstandard unserer Anlagen zurückzuführen sind. Die beste Ökologie, meine Damen und Herren, ist also auch, wie man hier sieht, die beste Ökonomie.
Als dritten Aspekt nenne ich nach den energiewirtschaftlichen und sicherheitsmäßigen Betrachtungen die Frage der stärkeren Bürgerbeteiligung, die auch von meinen Vorrednern schon angeschnitten worden ist. Ich meine, der Bürger in unserem Lande sollte stärker an den ihn betreffenden Entscheidungen beteiligt werden, insbesondere an den spezifischen Planungs- und Verwaltungsentscheidungen. Die im Zusammenhang mit dem geplanten Kernkraftwerk Wyhl und anderen Projekten aufgetretenen Schwierigkeiten dürften dies uns allen hinlänglich demonstriert haben. Insbesondere sollte nach meiner Auffassung eine Verbesserung der Mechanismen der Bürgerbeteiligung dazu beitragen, daß die Einführung der Kernenergie nicht Sache bürgerferner Technokraten ist. Der Bundesminister des Innern tritt deshalb für die Einführung einer Verbandsbeteiligung im Rahmen der atomrechtlichen Anhörungs- und Genehmigungsverfahren ein bei gleichzeitiger Einführung eines strengen Anerkennungsverfahrens, dem sich die zu beteiligenden Verbände zu unterwerfen haben. Die Bedenken gegen ein solches Modell, meine Damen und Herren, sind auch dem Bundesminister des Innern sehr wohl bekannt. Er ist der Meinung, daß dieses Modell jedoch weiterhin eingehend geprüft werden muß.
Die heute zur Debatte stehende Große Anfrage formuliert die zahlreichen typischen Fragen, die anläßlich einer Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages im Jahre 1974 offengeblieben sind. Ich bin den Abgeordneten der Parteien der Regierungskoalition dankbar, daß sie heute Gelegenheit geben, auf die zahlreichen Probleme rückhaltlos einzugehen.
Die Bundesregierung hat sich angesichts der kontroversen Meinungen in der Öffentlichkeit zum Nutzen und zu den Risiken der Kernenergie bemüht, in ihrer ausführlichen Antwort die bei ihren Entscheidungen maßgebenden Gesichtspunkte darzulegen. Insbesondere macht sie im einzelnen deutlich, daß unter Abwägung aller Gesichtspunkte die wichtigen sicherheitstechnischen und ökologischen Probleme der Kernenergie als soweit geklärt angesehen werden können, daß eine aus energiepolitischen Gründen erstrebenswerte Nutzung dieser Energieform für die Bundesrepublik Deutschland mit dem Schutz der Bevölkerung vereinbar ist, wenn man die von uns aufgestellten Voraussetzungen und Bedingungen erfüllt. Die kerntechnischen Anlagen bewirken im Normalbetrieb wegen der äußerst gering gehaltenen Radioaktivitätsabgaben keine reale Gefahr für die Bevölkerung. Jüngste Pressemeldungen über durch kerntechnischen Anlagen in den USA ausgelöste gesundheitliche Schäden und über angeblich ungeheure Kosten zu deren Behebung haben sich als unhaltbar erwiesen.
Die Bundesregierung ist sich hierbei, ich wieder-sind erkannt. Da sowohl die technischen als auch die organisatorischen Voraussetzungen für eine sichere Nutzung der Kernenergie grundsätzlich geschaffen sind und sie gegenüber anderen Energiealternativen volkswirtschaftlich notwendig und energiepolitisch entscheidend ist, kann der Kernenergie ein behutsam wachsender Anteil an der künftigen Energieversorgung unseres Landes eingeräumt werden.
Die Bundesregierung ist sicher hierbei, ich wiederhole es, der Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren bewußt und räumt diesem Schutzauftrag bei der Durchführung des Kernenergieprogramms den absoluten Vorrang vor den wirtschaftlichen Erwägungen ein. Aus der Sicht meines Ressorts wurde hinsichtlich des weiteren Ausbaus der Kernenergie eine Reihe von Bedingungen und Voraussetzungen genannt, die in den Ziffern 63, 64 und 67 des fortgeschriebenen Energieprogramms der Bundesregierung dargelegt sind. Des weiteren habe ich die bei einer Ausweitung der Kernenergienutzung zu lösenden Probleme detailliert in meinem Bericht an den Innenausschuß vom September 1974 dargestellt. Lassen Sie mich nur auf einige wesentliche Schwerpunkte der zu bewältigenden Aufgaben besonders hinweisen.
Erstens. Der Vollzug der gesetzlichen Vorschriften einer Vielzahl von Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren wirft zahlreiche Probleme auf. Eine Ausweitung der Kernenergienutzung erfordert einen Ausbau der organisatorischen Möglichkeiten zur Kontrolle der Kernenergie. Für besonders wichtig halte ich in diesem Zusammenhang die laufenden Arbeiten zur Vereinheitlichung der Verfahren und zur Kodifizierung der Anforderungen an Sicherheit und Strahlenschutz.
Angesichts der wichtigen Rolle der Gutachter- und Sachverständigenorganisationen kommt der Straffung dieser Organisationen erhebliche Bedeutung zu. Meine Bemühungen in dieser Richtung zeigten bereits ein erfreuliches Resultat. Die Technischen Überwachungsvereine haben im vergangenen Jahr
eine gemeinsame Leitstelle „Kerntechnik" geschaffen, welche die notwendige Vereinheitlichung der Gutachtertätigkeit erwarten läßt.
Eine Erleichterung des Vollzugs soll auch die Fortentwicklung der Rechtsgrundlagen bezwecken. Die Novellierung des Atomgesetzes und einiger wesentlicher Verordnungen werden in Kürze vorgelegt werden. Kernstück der Vierten Atomgesetznovelle sollen die Bundeszuständigkeit für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, Verordnungen zur Verbesserung der Genehmigungsverfahren und zur Konkretisierung des Schutzauftrags des § 1 des Atomgesetzes sowie die Verbesserung der Bürgerbeteiligung ein. Wir gehen davon aus, daß wegen der Dringlichkeit dieser Probleme diese Novelle noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann.
Die neue Strahlenschutzverordnung wird in Kürze vorliegen. Hierin wird die zulässige Strahlenbelastung für Einzelpersonen in der Umgebung kerntechnischer Anlagen durch die erhebliche Herabsetzung der gültigen Dosisgrenzwerte vermindert und die Sicherheitsauslegung von Kernkraftwerken durch die Einführung einer engen Begrenzung der zulässigen Störfalldosis weiter erhöht. Außerdem soll das Sicherheitskonzept für das Wartungs- und Reparaturpersonal ausgebaut werden. Hier gibt es natürlich, Herr Kollege Haenschke, die Probleme, die Sie aufgezeigt haben. Es erfordert eben erhebliche Organisationskraft und Anforderungen an die Ausbildung dieser Sicherheitskräfte, um mit diesen schwierigen Fragen, nämlich der Vermeidung einer Überschreitung der Schwellenwerte bei diesen Personen, fertig zu werden.
Zweitens. Eine besondere Problematik birgt in unserem dicht besiedelten Land die Auswahl geeigneter Standorte. Zur Verbesserung der Situation ist es inbesondere nötig, die Planung neuer Standorte rechtzeitig und unter Hinzuziehung der Beteiligten vorzunehmen. Es ist eine vorausschauende Standortvorsorge gemeint, die in einer Rahmenplanung für alle Energiebereiche erfolgen sollte; und es müßte auf Grund der in den hierfür zuständigen Ländern vorliegenden Erfahrungen geprüft werden, ob die Standortvorsorge und -planung nicht wesentlich dadurch verbessert werden könnte, daß man sie von vornherein zu Zielen der Raumordnung und fachlichen Entwicklungsplanung macht und nicht etwa hinterher am Einzelfall zu kurieren versucht. Von Bedeutung ist, daß bereits in einer frühen Planungsphase diejenigen Argumente Berücksichtigung finden, die in den später notwendigen Genehmigungsverfahren ausschlaggebend sind. Hierzu zählen selbstverständlich auch alle ökologischen und Landschaftsschutzziele. Für die wichtigen Fragen der Sicherheit und des Strahlenschutzes bei Kernkraftwerken haben wir Bewertungsdaten für Standorteigenschaften aufgestellt, die nach einer Beschlußfassung im Länderausschuß für Atomkernenergie den Planungsinstitutionen zur Verfügung stehen.
Drittens. Die Entsorgung von radioaktiven Abfällen, insbesondere der Abtransport abgebrannter Brennelemente von den Kernkraftwerken und ihre Aufarbeitung sowie die Überführung dieser Abfälle
in eine lagerfähige Form und schließlich die Endlagerung dieser zum Teil langfristig radioaktiv bleibenden Abfälle, stellt - das haben meine Vorredner ja auch schon unterstrichen - erhebliche Anforderungen an Sicherheit und Strahlenschutz. Entsprechendes gilt auch für die spätere Stillegung nicht mehr benutzter kerntechnischer Anlagen. Mit dem Erwerb des stillgelegten Salzbergwerks Asse II bei Wolfenbüttel durch den Bund und die Umrüstung zu einer Versuchsanlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle in geologischen Formationen wurde in der Bundesrepublik Deutschland der auch international als sicher anerkannte Lösungsweg beschritten. Für eine großtechnische Lösung wird, auf den Erkenntnissen und Erfahrungen des Asse-Betriebs aufbauend, ein maßgeschneidertes Endlager in einem geeigneten Salzstock einzurichten sein.
Das Entsorgungskonzept der Bundesregierung sieht vor, die Lagerung abgebrannter Brennelemente, deren Aufarbeitung und die Rückführung der wiederverwertbaren Kernbrennstoffe sowie die Organisation der Abfallbehandlung an einem zur Endlagerung radioaktiver Abfälle geeigneten Standort zu konzentrieren. Auf diese Weise können die notwendigen Schutzanforderungen hinsichtlich der Sicherung und des Transportaufkommens besser verwirklicht werden.
Die grundsätzliche Eignung der Wiederaufarbeitungstechnologie hierfür wurde insbesondere in den USA, in Frankreich und Großbritannien sowie in der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe und in der gemeinsam von mehreren europäischen Ländern betriebenen Wiederaufarbeitungsanlage Eurochemic in Belgien grundsätzlich erfolgreich demonstriert. Ein erster Erfolg ist hier der Zusammenschluß deutscher Energieversorgungsunternehmen zu einer Projektgesellschaft, welche mit eigenen Mitteln das Konzept der künftigen Entsorgung ihrer Kernkraftwerke vorantreibt.
Viertens. Die Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter ist vom Gesetzgeber im Atomgesetz ausdrücklich gefordert worden. Wegen der schwerwiegenden Folgen im Falle des Erfolges eines Anschlages oder einer Drohung mit der Verbreitung von Radioaktivität umfaßt unser Sicherheitssystem die Kernkraftwerke, die Wiederaufarbeitungsanlagen, die Kernforschungseinrichtungen sowie Lagerug
und Transport. Die Sicherungsmaßnahmen werden im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren dem jeweiligen Betreiber auferlegt.
Die Vorkehrungen zur Gewährleistung der betrieblichen Sicherheit der Anlagen, die auf unabhängigen und räumlich getrennten Systemen beruht, kommen der Sicherung gegen äußere Gefahren zugute. Zu diesen Vorkehrungen treten ergänzende Präventivmaßnahmen und für den konkreten Fall einer eingetretenen Störung polizeiliche Sicherheitsmaßnahmen. Sie richten sich in ihrer Intensität nach dem Grad der jeweiligen Gefahrenlage und sind in der Innenministerkonferenz bereits behandelt worden.
Auf Vorschlag des Bundesinnenministers ist mit Zustimmung der Innenministerkonferenz kürzlich
eine Expertenkommission „Sicherung kerntechnischer Einrichtungen" gebildet worden, welche sich aus Vertretern der atomrechtlichen Behörden und der für die Sicherheit verantwortlichen Dienststellen zusammensetzt. Die Kommission führte Inspektionsbesuche bei kerntechnischen Einrichtungen zur Überprüfung der dort vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen durch und wird über ihre Arbeit der Innenministerkonferenz in Kürze berichten.
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- Daß der Bundestag einen Bericht bekommt und über die Schlußfolgerungen unterrichtet wird, versteht sich von selbst, Herr Professor Schäfer. - Aus den Folgerungen und Empfehlungen werden sowohl die atomrechtlichen Aufsichtsbehörden als auch die Landesinnenminister und der Deutsche Bundestag entsprechende Anregungen mit dem Ziel einer weiteren Verbesserung der Sicherheit gewinnen können.
Bei der Beurteilung von Schutznotwendigkeiten und -möglichkeiten ist von Bedeutung, daß bei kerntechnischen Anlagen in der Bundesrepublik ein hoher Sicherheitsstandard gegenüber schweren äußeren Einwirkungen bereits vorgeschrieben ist. Diese Maßnahmen bieten auch einen sehr weitgehenden Schutz gegen Versuche absichtlicher gewaltsamer Zerstörung bis hin zu kriegerischen Einwirkungen.
Dieser Problemkomplex, nämlich die Frage der Vereinbarkeit der Kernenergie mit den Geboten der militärischen Sicherheit der Bundesrepublik, wurde erst kürzlich auch vom Beratenden Ausschuß für Forschung und Technologie unter Leitung von Professor Carl Friedrich von Weizsäcker diskutiert. Diese Frage ist auf Anregung des Bundesinnenministers seit langem Gegenstand einer systematischen Analyse der hiervon berührten Ressorts. Dabei werden zur Aufhellung der komplexen Zusammenhänge und Wechselwirkungen Sachverständige aus den betroffenen Gebieten, insbesondere der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sowie der Terrorismusforschung und der Reaktorsicherheit, beteiligt.
Im übrigen bemüht sich die Bundesregierung auch, das aus dem Spannungs- bzw. Kriegsfall erwachsende Gefahrenpotential kerntechnischer Anlagen in Abstimmung mit ihren Verbündeten sowie durch eine aktive Rolle bei der Genfer Konferenz für die Bestätigung und Fortentwicklung des humanitären Kriegsvölkerrechts zu mindern.
Fünftens und letztens: Risikostrategie. Da bisher für die Beurteilung der Sicherheit irgendeiner Sache und somit auch einer kerntechnischen Anlage oder ihres Gesamtsystems eine Maßeinheit fehlt, beruht der Entscheidungsprozeß sozusagen auf einer Summe von Expertenmeinungen, die gegeneinander und miteinander abgewogen und verglichen werden müssen, damit man von einer isolierten Betrachtung einzelner Aspekte zu einer Gesamtbeurteilung gelangen kann. Dieses Beurteilungssystem macht es für den einzelnen sehr schwer, eine einmal getroffene Entscheidung nachzuvollziehen.
Aus diesem Grunde ist es zweckmäßig, Risikobetrachtungen durchzuführen, welche die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten bestimmter Ereignisse und der jeweiligen Folgen miteinander verknüpfen und so im Vergleich mit entsprechenden Risikobetrachtungen in anderen Bereichen der Technik oder des Lebens die Beurteilung der Akzeptierbarkeit erleichtern. Ich bin im übrigen davon überzeugt, daß derartige Risikobetrachtungen nicht nur der Sicherheit der Kernenergie nützen, sondern auch Anstöße zur Verbesserung der Sicherheit in anderen Bereichen unseres Lebens geben können, in denen heute oft hohe Risiken unbewußt in Kauf genommen werden.
Ich komme zum Schluß. Die bisher unternommenen Anstrengungen zur Erreichung eines hohen Sicherheitsniveaus und zur Verringerung der unvermeidlichen restlichen Risiken rechtfertigen meiner Ansicht nach die Schlußfolgerung, daß die Entscheidung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland richtig ist und weiter verantwortet werden kann. Der Sicherheit bleibt dabei im Interesse unserer Bürger der absolute Vorrang eingeräumt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerlach ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gesamtdebatte wurde heute vorrangig von der Sorge um die ausreichende künftige Versorgung unseres Landes mit Energie beherrscht. Die bei der Energiegewinnung nun einmal auftretenden Fragen der Sicherheit am Arbeitsplatz und der Sicherheit der Bevölkerung treten bei dieser Diskussion verständlicherweise in den Hintergrund und fristen auf Grund des sichtlichen Bemühens, solche Risiken in ihren Dimensionen tunlichst zu verniedlichen, höchstens ein Mauerblümchendasein. Herr Bundesminister Matthöfer hat sich vorhin mit seinem Schattenboxen gegen die CDU/ CSU-Fraktion und den Kollegen Gruhl leider bemüht, solchen Tiefgang auch in dieses Haus einzuführen.
In dem Bemühen um die optimale Energieversorgung muß das Problem der Sicherheit als Wermutstropfen im reinen Wein des energiepolitischen Fortschritts wirken. Dennoch zwingen uns die Risiken - vor allem die Risiken in der Kernenergieerzeugung -, auch die Gefahren, die immer noch nicht gebändigt sind, aufzuzeigen, wenn sich das Parlament ein ausgewogenes Urteil verschaffen will, das es sich im Konflikt zwischen der Notwendigkeit einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Energie und der gleichzeitigen unverzichtbaren Dringlichkeit, für diese Bevölkerung die Sicherheit vor Unfällen zu garantieren, verschaffen muß. Lassen Sie mich diese Aspekte der friedlichen Nutzung der Kernenergie ansprechen.
Der Bau von Kernkraftwerken in der Bundesrepublik Deutschland hat in den letzten Jahren eine immer stürmischere Entwicklung erfahren. Insbesondere wurden die einzelnen Werke immer größer. Eine Reihe von Vorfällen hat den Innenausschuß des
Gerlach ({0})
Deutschen Bundestages vor zwei Jahren veranlaßt, eine Arbeitsgruppe Reaktorsicherheit einzusetzen. Diese hat auch Besichtigungen verschiedener Anlagen in der Bundesrepublik durchgeführt und eine Studienreise durch die USA unternommen. Nicht zuletzt hat der Innenausschuß im Dezember 1974 eine Anhörung durchgeführt.
Der bisherige Erfahrungsstand aus alledem und auch die heutige Debatte zwingen zum Resümee, daß mehrere Probleme noch keine ausreichende und erschöpfende, also völlig zufriedenstellende Klärung gefunden haben. Lassen Sie mich hierzu nur einige wenige ketzerische Bemerkungen machen, ketzerisch deswegen, weil diese Bedenken öfter als übertrieben apostrophiert, gelegentlich auch bagatellisiert werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vohrer?
Ja.
Herr Kollege, könnten Sie sich vorstellen, daß es hier im Hause noch einige Kollegen gibt, die sich dafür interessieren, was die CSU zu dem Problem für eine Meinung hat, und könnten Sie deshalb bitte etwas langsamer lesen?
Herr Kollege, ich würde Ihnen vorschlagen, daß Sie warten, bis ich mit meiner Rede zu Ende bin, und dann Ihr Urteil fällen.
({0})
Das genannte Hearing des Innenausschusses sollte Klärungen herbeiführen. Man muß leider feststellen, daß die hierbei vorgetragenen, oft widersprüchlichen Aussagen keine eindeutigen Schlußfolgerungen zuließen. Auch die Besichtigungen und Besprechungen in den USA konnten nicht alle Zweifel ausräumen. Freilich können in den Vereinigten Staaten einige Probleme infolge der Größe des Landes vernachlässigt werden, die in der Bundesrepublik Deutschland entschieden mehr Sorgen bereiten. So blieben auch dort offene Fragen zurück und mußten als nicht allseits befriedigend beantwortet registriert werden.
Lassen Sie mich z. B. auf folgendes vergleichsweise hinweisen. Obwohl z. B. die dortige Großräumigkeit ganz andere Standortchancen bringt, erklärt die Genehmigungsbehörde, daß Standorte für weitere Kernkraftwerke kaum mehr zu finden seien. Die strengen Abstandsrichtlinien in den USA, die große Abstände zu den Bevölkerungszentren vorschreiben, lassen das nicht zu. Wer versteht da nicht die Bedenken derjenigen, die mit Skepsis die Entwicklung betrachten, die Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland möglichst an den Rand der Ballungszentren bzw. der Verdichtungsräume zu verlegen, um eine sicherlich an sich begrüßenswerte - optimale Nutzung z. B. auch der Abwärme zu erzielen? Eine weitere Entwicklung in dieser Richtung kann nur dann gutgeheißen werden, wenn ausreichende und klare Bestätigungen vorliegen, die die Sicherheit der Bevölkerung eindeutig garantieren.
Ein weiterer Vergleichspunkt bietet sich in der Problematik der Endlagerung radioaktiver Abfälle an. Während wir glauben, mit unserer Lösung der Lagerung in stillgelegten Salzbergwerken sozusagen den Stein der Weisen gefunden zu haben, wie Herr Staatssekretär Baum eben dargelegt hat, experimentieren die Vereinigten Staaten noch mit den verschiedensten Lösungen herum und arbeiten mit Zwischenlagerungen, obwohl dort, wie wir wissen - die Kernenergiegewinnung eine bedeutend längere Entwicklung und die entschieden größere Zahl von Werken aufzuweisen hat. Haben wir in dieser Frage zielstrebig auf kürzestem Weg, den Amerikanern trotz deren längerer Erfahrung überlegen, unmittelbar die richtige Lösung gefunden oder glauben wir nur etwa voreilig daran? Wir werden mit Interesse und gespannter Aufmerksamkeit die Entwicklungen und Erfahrungen in den USA beobachten müssen und gegebenenfalls unsere Konsequenzen daraus zu ziehen haben.
Einen weiteren Hinweis darauf, wie manches noch in der Entwicklung steckt, Endgültiges also nicht ausgesagt werden kann, aber auch von dieser Entwicklung abhängige Fragen, wie die Standortwahl für Kernkraftwerke, noch nicht endgültig beurteilt werden können, ermöglicht die Versuchsanlage zur Erprobung der Notkühlsysteme. Die mit deutscher finanzieller Unterstützung in den USA erst im Aufbau befindliche Anlage soll alle Probleme der Notkühlsysteme praktisch durchspielen. Erst wenn diese Experimente eine ausgeglichene Beurteilung zulassen, wird eine gültige Aussage über diese Systeme gewagt werden können. Bis dahin bleibt manches im Ungewissen und kann nicht als gesicherte Voraussetzung für die Sicherheitssituation unterstellt werden.
Weiterhin ist die Wiederaufbereitung der Brennelemente und der Einsatz des Plutoniums auch in den USA noch nicht bewältigt, trotz der enormen Summen, die seit Jahren hierfür aufgewandt werden. Dieser sogenannte Brennstoffkreislauf wird auch für uns ein sehr wichtiger Punkt sein. Die Probleme der Lagerung und der Transporte sind schon von der Größenordnung her eine Aufgabe, die ständige neue Überlegungen und zusätzliche Maßnahmen erzwingt, Maßnahmen übrigens, die auch der Sicherung gegen Angriffe Dritter von außen her dienen. Die Bemerkungen, die heute hierzu gemacht worden sind, scheinen uns nicht ausreichend zu sein.
Schon stellt sich auch die Frage nach dem Konzept für die Beseitigung stillgelegter Kernkraftwerke. Während man beim ersten Versuchskernkraftwerk der Bundesrepublik in Kahl/Großwelzheim die Beseitigung durch Zwischenlösungen umgeht, wurde nach der ersten endgültigen Stillegung bei uns in Niederaichbach mangels anderer Lösung das Werk einfach eingemauert. Natürlich werden wir auf Dauer nicht einfach Denkmäler aus Beton und Stein stehenlassen können. Aber auch unsere
Gerlach ({1})
Gesprächspartner in den USA mußten offen zugeben, daß sie noch kein Konzept für die Beseitigung stillgelegter Kernkraftwerke besitzen.
Weitere Probleme liegen in der Haltbarkeit der in den Reaktoren verwandten Materialien, insbesondere des Reaktordruckbehälters, wie bereits erwähnt worden ist. Die ständigen hohen Temperaturen bei gleichzeitiger Strahleneinwirkung setzen jedes Material einer so hohen Belastung aus, daß über seine Einsatzdauer noch nichts Schlüssiges gesagt werden kann. Daraus ergeben sich auch die Reparatur- und Wartungsprobleme bei allen älteren Reaktoren.
Auf der anderen Seite kommt ein Gewöhnungseffekt für das Bedienungspersonal hinzu. Überhaupt ist der Faktor Mensch natürlich eine unwägbare Größe bei allen Sicherheitsberechnungen. So dürfte jetzt feststehen, daß der Unfall im Werk Gundremmingen weitgehend auf menschliches Versagen zurückzuführen ist. Die dortigen Vorgänge lassen auch erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob die Sicherheitsvorkehrungen in deutschen Werken tatsächlich so perfekt gehandhabt werden, wie das immer vorgetragen wird und auch heute hier vorgetragen wurde. Der schnell steigende Personalbedarf führt auch dazu, daß auf weniger qualifiziert ausgebildete und erfahrene Reparaturmannschaften zurückgegriffen werden muß.
Mit dem Problem der mangelhaften Personalausstattung bei den Aufsichtsbehörden vor allem der Länder hat sich die Arbeitsgruppe Reaktorsicherheit wiederholt beschäftigt. Es kann einfach nicht verschwiegen werden, daß die Aufsichten lückenhaft sind und jedenfalls bei weitem nicht ausreichend durchgeführt werden können, da der Personalbestand dies nicht zuläßt. Es liegt auf der Hand, daß die Patentlösung, ausreichende Planstellen zu schaffen, bei der derzeitigen Situation der öffentlichen Finanzen mit Zurückhaltung vorgetragen werden muß. Der derzeitige Zustand begegnet andererseits so erheblichen Bedenken, daß die Finanzmisere als Gegenargument ihr Gewicht verlieren muß. Die Unzulänglichkeiten müssen jedenfalls möglichst kurzfristig ausgeräumt werden, wenn die Gewißheit auf Einhaltung der angeordneten Sicherheitsvorkehrungen glaubwürdig bleiben soll.
Ein gravierender Punkt der Umweltbelastung ist die Wassererwärmung durch Kühlung. Die Fachleute stimmen darin überein, daß die Kühlkapazität der deutschen Gewässer im wesentlichen erschöpft ist. Das Experiment mit den Trockenkühltürmen befindet sich im Versuchsstadium. Es ist nicht abzusehen, wann diese Form der Kühlung zur Verfügung stehen wird. Die sinnvollste und dringendste Aufgabe müßte darin bestehen, die Abwärme nicht umweltschädigend zu vergeuden, sondern durch ein Fernwärmesystem wirtschaftlich zu nutzen. Welche Standortprobleme diese Forderung wiederum aufwirft, habe ich bereits aufgeführt. Für dieses Ziel bietet sicher der Hochtemperaturreaktor weitaus bessere Möglichkeiten als die jetzigen Leichtwasserreaktoren. Gerade in dieser Verschachtelung der Problemstellungen und der Zielkonflikte zeigt sich, daß wir es uns überhaupt nicht erlauben können,
den weiteren Bau von Kernkraftwerken stürmisch anzugehen. Wir sind auch in der Zukunft gezwungen, nur sinnvolle, wohlüberlegte, allseits ausgewogene Entscheidungen zu treffen.
Wer könnte hierbei übersehen, daß Teile der Bevölkerung hinsichtlich der Risiken der Kernreaktoren verunsichert sind? Mögen hierzu einerseits Übertreibungen und einseitige Darstellungen in den Gegenargumenten geführt haben, so spielen andererseits aber auch Geheimnistuerei und Bagatellisierung eine entscheidende Rolle, zumal regelmäßig die Geheimnisse gelüftet oder gar falsch interpretiert werden, der sogenannte Bagatellfall schnell widerlegt oder übertrieben wird. Dabei besteht meines Erachtens überhaupt kein zwingender Grund, die Fakten nicht auf den Tisch zu legen und die Risiken klar zu definieren, denn jedermann weiß, daß es ein völlig risikofreies Leben nicht gibt.
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Ich stelle mir daher z. B. die Frage und gebe sie an die Bundesregierung und die Länderregierungen weiter, ob es sinnvoll wäre, den Wohnbevölkerungen in der Umgebung von Kernkraftwerken die Katastrophenpläne so weit bekanntzumachen, daß ein jeder im schlimmsten Falle auch weiß, was zu tun ist. Haben wir doch die Möglichkeit, die eventuell entstehenden Gefahren, auch wenn deren Entstehung noch so unwahrscheinlich ist, abzuwenden oder sich wenigstens davor zu schützen, wenn wir nur die notwendigen Gegenmaßnahmen kennen. Das kann zum Teil auch jeder einzelne Bürger tun und auf sich nehmen, wenn auch er das Instrumentarium kennt. Die Vorsorge für einen Ernstfall, auch wenn er mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nie eintritt, wird jedenfalls den Bürger weniger schrekken als unzutreffende Schreckensgemälde, die teils hinter vorgehaltener Hand geflüstert oder teils in maßloser Übertreibung auch in aller Öffentlichkeit dargeboten werden, wenn nicht mit offenen Karten gespielt wird. Meine Damen und Herren, vor allem aber gilt es, die Katastrophenpläne nicht nur im Planspiel - dies allerdings auch -, sondern in Katastrophenübungen zu praktizieren und zu überprüfen, wobei vor allem zu fordern ist, daß endlich Ländergrenzen überschreitende Katastrophenpläne aufgestellt und, wo sie vorhanden sind, aufeinander abgestimmt werden.
Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung am 14. März 1975 aufgefordert, bis zum 30. September 1975 eine Novelle zum Atomgesetz vorzulegen. Welche Probleme darin geregelt werden sollen, wurde detailliert festgelegt. Heute haben wir nicht mehr den 30. September, sondern bereits den 22. Januar, aber von einer Vorlage der Bundesregierung ist noch nichts sichtbar. Herr Staatssekretär Baum hat vorhin eine vierte Novelle angekündigt. Wie man aber erfahren konnte, stoßen die Ausarbeitungen auf vielerlei Schwierigkeiten, so daß sich die Bundesregierung auf eine verkürzte Vorlage beschränken will. Das heißt aber, daß die Beschlüsse des Deutschen Bundestages erst in der nächsten Legislaturperiode gesetzmäßig ausgefüllt werden könnten. Im Namen der CDU/CSU-Fraktion muß ich diese Entwicklung bedauern.
Gerlach ({3})
Wenn die notwendigen gesetzlichen Regelungen so lange Zeit brauchen, steht das allerdings in beträchtlichem Widerspruch zu den bisher durch die Bundesregierung und die Elektroversorgungsunternehmen ungekürzten Aufbauplänen auf dem Gebiet der Kernenergie. Wenn die Bundesregierung nicht dazu fähig und in der Lage ist, beides zugleich zu erreichen, erzwingt sie durch ihr Handeln somit ein langsameres Tempo beim Ausbau der Kernkraftwerke. Die Verantwortung für solche Verzögerungen liegt bei der Bundesregierung, denn ein einseitiges Vorprellen kann nicht verantwortet werden. Wir alle sind gehalten, ausgeglichene und ausgewogene Lösungen im Blick auf den Reaktorbau und seine Auswirkungen zu finden.
Die CDU/CSU-Fraktion hat Ihnen einen ausgeglichenen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich bitte Sie, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der FDP auf Vorteile und Nutzen der Kernenergie, aber auch auf ihre Gefahren und Risiken hingewiesen. Sie hat damit einen wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion geleistet -.
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In der Tat ist eine Argumentation in der Sache notwendig. Wir stehen nämlich bei der Entscheidung über den weiteren Ausbau der Kernenergie vor der säkularen Frage der Beherrschbarkeit und Beherrschung einer vom Menschen erdachten, geschaffenen und hochentwickelten Technologie. Eine eindeutige und abschließende Beantwortung dieser Frage ist - darauf ist bereits hingewiesen worden - angesichts des riesigen Gefährdungspotentials der Kernenergie und des Risikofaktors „Mensch" nicht möglich.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage der Verantwortbarkeit des weiteren Ausbaus, des Umfanges und des Tempos beim Ausbau von Kernkraftwerken zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die Bundesregierung macht in ihrer Antwort erneut deutlich - dafür sind wir dankbar -, daß im Zielkonflikt zwischen der Notwendigkeit einer vorausschauenden Daseinsvorsorge auch im Energiebereich und dem Schutzauftrag für die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung eindeutig der Schutz und die Sicherheit der Bevölkerung Vorrang vor energiewirtschaftlichen Gesichtspunkten haben. Die Bundesregierung relativiert insofern auch ihre Option für die Kernenergie im vorgesehenen Umfange des Energieprogramms, als für sie die Maßnahmen zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung Voraussetzungen sind, von deren konsequenter Erfüllung jede einzelne Genehmigung einer kerntechnischen Einrichtung und darüber hinaus die
Realisierbarkeit des Energieprogramms im Kernenergiesektor abhängen.
Meine Fraktion bestärkt die Bundesregierung ausdrücklich in ihrer Haltung, keine Abstriche an den Sicherheitsforderungen zuzlassen, auch wenn dies im Einzelfall zur Verzögerung oder Verhinderung einzelner Projekte oder zur Revision des Energieprogramms im Ausmaße des geplanten Ausbaus der Kernenergie führen sollte. Die von Promotern der Kernenergie oft vertretene Auffassung, wir seien mit der Kernenergie bislang gut ausgekommen und deshalb bestehe auch für die Zukunft kein Anlaß zur Sorge, ist nicht stichhaltig. Mit der Zunahme der Kernkraftwerke wachsen und verschärfen sich die damit zusammenhängenden Probleme. Die Quantität schlägt in Qualität um; ein unbestreitbarer Tatbestand. Allein ein Hinweis auf den anfallenden Atommüll und seine Beseitigung unterstreicht dies.
Von meinen Vorrednern, Herrn Gerlach, vor allem aber Herrn Dr. Haenschke, ist auf die Soll-Seite der Kernenergiebilanz hingewiesen worden. Ich will dies nicht im einzelnen wiederholen. Einzelbereiche freilich, beispielhaft genannt, sollen indes belegen, weshalb wir vor einem überstürzten, vorschnellen Massenaufbau von Kernkraftwerken warnen.
Problemkreis Entsorgung: Es steht außer Zweifel, daß ein funktionsfähiges Entsorgungssystem für die friedliche Nutzung der Kernenergie unabdingbar ist. Die Antwort der Bundesregierung weist aus, daß zur Zeit kein schlüssiges, längere Zeit im großen kommerziellen Maßstab erprobtes und somit bewährtes Entsorgungskonzept vorliegt. Es lohnt sich, unter dieser Fragestellung die Antwort der Bundesregierung zum Problemkreis Entsorgung zu lesen. Formulierungen wie „Es ist geplant ...", „Es befindet sich in der Entwicklung ...", „Forschungsarbeiten beschäftigen sich zur Zeit damit ..." und ähnliche Formulierungen dominieren.
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Dabei fällt auf, daß vor allem die Probleme im Zusammenhang mit der Beseitigung von hochradioaktiven Abfällen noch exakter Lösungen bedürfen. Wenn man das riesige und vor allem über Jahrtausende währende Gefährdungspotential hochradioaktiver Abfälle bedenkt, gewinnt die Überlegung an Gewicht, mit dem Bau weiterer Kernkraftwerke zuzuwarten, bis diese Probleme als gelöst betrachtet werden können.
Die potentielle Gefährdung der Umwelt in diesem Kontext ist unbestritten. Sie ergibt sich im wesentlichen aus der Radioaktivität des Zerfallproduktes sowie der damit verbundenen Zerfallwärme, der Radiotoxität des Materials und der Spaltbarkeit des Materials, die zur Kritikalität führen könnte. Ein Teilaspekt, die Frage des Transports und der potentiellen Gefährdung der Umwelt allein durch das Ansteigen der Atommüllmengen, ist von meinem Vorredner genannt worden.
Meine Damen und Herren, es ist leicht zu ersehen - ich wiederhole den Gesichtspunkt -, daß mit dem Bau weiterer Kernkraftwerke die Menge radioaktiven Mülls und damit die sich ergebenden
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Probleme ansteigen. Es ist davon auszugehen, daß sich auch bei einem behutsamen weiteren Ausbau von Kernkraftwerken der Transportbedarf für radioaktiven Müll von ungefähr 100 Tonnen im Jahre 1976 auf das ungefähr Zehnfache im Jahre 1985 vermehren wird. Es ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit Fragen des Brennstoffkreislaufes ausdrücklich - ich zitiere - „aus einer vorausschauenden Kontrolle die Notwendigkeit zur Revision von Teilen des Energieprogramms und seines Ablaufs" nicht ausschließt, wie sich aus der Antwort zur Frage I 2 ergibt.
Ein weiterer Problemkreis sei angeführt. Es ist unbestreitbar, daß in der Bundesrepublik beim Bau und Betrieb von Kernkraftwerken ein hohes Maß von Sicherheitsauflagen gefordert und realisiert wird.
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Es ist nicht zuletzt das Verdienst des Bundesministeriums des Innern, das mit Hartnäckigkeit und Augenmaß Fragen der Sicherheit und des Schutzes der Bevölkerung sowohl bei der Genehmigung als auch bei der laufenden Kontrolle im Rahmen der Bundesaufsicht vertritt.
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Trotzdem bleibt unbestritten, daß überirdische Kernkraftwerke gegen extreme Störfälle innerhalb der Anlagen sowie gegen Flugzeugabstürze, Sabotage und Waffeneinwirkung anfällig sind.
In der Antwort der Bundesregierung auf die Frage nach der Errichtung unterirdischer kerntechnischer Anlagen weist die Bundesregierung auf mögliche Vorteile, aber auch auf nicht auszuschließende Nachteile hin. Wie so oft in diesem Bereich werden die Fragesteller mit dem Hinweis auf zu erwartende Untersuchungen von Experten, Herstellern und Betreibern vertröstet. Wäre es nicht angebracht, so bleibt zu fragen, mit der Genehmigung weiterer Kernkraftwerke zu warten, bis diese Frage endgültig geklärt ist?
Mehrere bislang gottlob konventionell gebliebene Störfälle in Kernkraftwerken haben verdeutlicht, daß neben organisatorischen auch die personellen Voraussetzungen für eine friedliche Nutzung der Kernenergie gegeben sein müssen. Das ist nicht zuletzt eine Erkenntnis des Unfalls im Kernkraftwerk Gundremmingen, wo im übrigen in erschrekkender Weise die mangelnde Kooperation zwischen dem konventionellen Arbeitsschutz und entsprechenden atomrechtlichen Schutzbestimmungen deutlich geworden ist.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt in diesem Zusammenhang, daß die Unterabteilung „Reaktorsicherheit und Strahlenschutz" im Bundesministerium des Innern entsprechend dem Gutachten des Bundesrechnungshofs auf 70 Mitarbeiter ausgebaut wurde. Es wäre unverzeihlich, wenn in diesem Bereich ausschließlich fiskalpolitische Gesichtspunkte befolgt würden und die notwendigen personellen Voraussetzungen somit nicht geschaffen würden. Daß die Bundesregierung diese Abteilung personell entsprechend verstärkt hat, unterstreicht einmal mehr die
Bedeutung, die die Bundesregierung der Sicherheit kerntechnischer Anlagen beimißt.
Für uns stellt sich in diesem Zusammenhang ernsthaft die Frage, ob die personelle Ausstattung der für die atomrechtliche Genehmigung und Aufsicht zuständigen Behörden der Länder im Interesse der Sicherheit kerntechnischer Anlagen ausreicht. Die besten Gesetze nützen bekanntlich nichts, wenn Vollzug und Überwachung der gesetzlichen Bestimmungen nicht garantiert sind. Wir müssen fragen, ob, wie es im Bund geschieht, auch bei den Behörden der Länder die notwendigen organisatorischen und personellen Voraussetzungen für eine zügige Durchführung der atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren gegeben sind.
Die Bundesregierung weist in ihrer Antwort ausdrücklich darauf hin, daß es im Zusammenhang mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht ausreicht, die Personallage beim Bund zu verbessern. Vielmehr müßten auch die Bundesländer ihr fachkundiges Personal rechtzeitig verstärken.
Nach unserer Kenntnis besteht in den Ländern in diesen Fragen ein erschreckendes Defizit. Aus einem Ist-Bestand des Personals der Länder von 54 und einem Soll-Bedarf von 98 ergibt sich ein Fehlbedarf von 44.
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- Vielen Dank, Herr Kollege Vogel, daß Sie noch so aufmerksam sind. - Nach meiner Auffassung hat die Genehmigung weiterer Kernkraftwerke zu unterbleiben, solange dieser personelle Fehlbedarf, der in Baden-Württemberg übrigens ungefähr 100 % beträgt, besteht.
Meine Damen und Herren, innerhalb der Europäischen Gemeinschaft besteht nach Art. 37 des Euratom-Vertrags eine Meldepflicht für kerntechnische Anlagen. Diese Meldepflicht reicht nicht aus. Wer wie ich aus einer Grenzregion am Oberrhein kommt, weiß dies aus leidvoller Erfahrung.
Die Bundesregierung hält über den bestehenden Rechtszustand hinaus eine gegenseitige Abstimmung mit allen Nachbarstaaten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt für erforderlich, um bereits vor der Planung der Standorte kerntechnischer Einrichtungen und der sicherheitstechnischen Konzeption von zu errichtenden Anlagen die jeweiligen Be- lange möglichst frühzeitig zu berücksichtigen. Wir teilen diese Auffassung und hoffen, bald zu verbindlichen Vereinbarungen über eine gemeinsame Planung in Grenzgebieten zu kommen.
Meine Damen und Herren, im März des vergangenen Jahres habe ich für meine Fraktion ausgeführt, daß der Bau von Kernkraftwerken nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden kann. Ich bestätige diese Auffassung heute ausdrücklich. Ein repräsentativ-parlamentarisches System wie das unsere ist gottlob auf die Unterstützung der Mehrheit seiner Bürger angewiesen. Diese gewinnt man in der Regel nicht, indem man die Staatsgewalt zur Durchsetzung des staatlichen Willens einsetzt, sondern indem man die Bürger von der
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Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen, beispielsweise des Baus eines Kraftwerks an einem bestimmten Standort, überzeugt.
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Ich begrüße die Aktivität von Bürgerinitiativen, auch wenn ich nicht in jedem Fall ihre Auffassung teile.
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- Herr Kollege Vogel, auf Ihren Zuruf sage ich: Wenn die Landesregierung von Baden-Württemberg in dem Genehmigungs- und dem Anhörungsverfahren zu Wyhl nicht so viel Porzellan zerschlagen hätte, wäre es heute leichter, in der Bevölkerung die Akzeptierbarkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erreichen.
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Ich begrüße die Aktivität von Bürgerinitiativen, auch wenn ich nicht in jedem Fall ihre Auffassung teilen kann. Unbestreitbar bleibt, daß Bürgerinitiativen vor allem des Umweltschutzes entscheidend zur Weckung eines Problembewußtseins im Zusammenhang mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie beigetragen haben.
Bereits im März 1975 hat der Bundestag einstimmig die Verbesserung des rechtlichen Gehörs der Bürger bei atomrechtlichen Genehmigungsverfahren gefordert. Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung bei der vom Bundestag verlangten vierten Novelle des Atomgesetzes diesem Petitum des Bundestages noch in dieser Legislaturperiode folgt. Die Einführung der Verbandsbeteiligung im Atomrecht würde dabei eine wesentliche Verbesserung darstellen.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Die Antwort der Bundesregierung bestärkt uns in unserer Haltung, die Prioritätssetzungen in der Energienutzung folgendermaßen zu bestimmen: erstens rationelle Verwendung der vorhandenen Energie, zweitens vorrangige Nutzung einheimischer Energieträger, drittens Entwicklung alternativer Energietechnologien, viertens kurz- und mittelfristige Nutzung der Kernenergie. Wir sind davon überzeugt, daß bei dieser Reihenfolge der Nutzung der Energie der Bundesregierung auch längerfristig die notwendige Handlungsfreiheit erhalten bleibt.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Freiherr Spies von Büllesheim.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, den Gruppenantrag der CDU/CSU zur Frage des Brennstoffkreislaufs zu begründen. Ich verzichte auf diese Begründung, weil ich es für
falsch halte, dieses Thema am späten Abend bei allgemeiner Ungeduld zu erörtern. Ich halte es für eine Zumutung für die verbliebenen Abgeordneten, für die Stenographen und für die verbliebenen Zuhörer. Ich verweise deswegen auf die schriftliche Begründung.
Aber ich möchte eine Bemerkung anfügen. Ich halte es auch für eine Zumutung und für eine Rücksichtslosigkeit, wenn eine Debatte, wie heute morgen die Debatte über Energie und Kohle, klaglos drei bis vier Stunden über die ursprünglich vorgesehene Dauer fortgeführt wird und dadurch den übrigen Kollegen für das ursprünglich zumindest für genauso wichtig gehaltene Thema der Kernenergie - ich bin der Meinung, es ist genauso wichtig - überhaupt keine Zeit mehr für eine vernünftige Debatte übrigbleibt.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laermann.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist für mich keine Frage des Trauens, Herr Kollege, sondern ich bin der Meinung, daß ich das, was ich dem Hohen Hause zu sagen gewillt bin, auch sagen sollte. Ungeachtet meiner Zustimmung, die die Bemerkungen des Herrn Kollegen Spies von Büllesheim finden, möchte ich diese Ausführungen machen. Und zur Frage, ob ich das dürfe: Das, Herr Reddemann, ist meine Entscheidung.
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Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen doch auch sehr bedauern, daß sich das Interesse um diese brennende Frage - wir wissen das ja alle aus den öffentlichen Diskussionen, und wir sehen ja auch in den Medien, welches Interesse diese Probleme finden - im Hohen Hause offenbar nicht entsprechend und angemessen widerspiegelt.
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Ich möchte weniger auf technische Einzelheiten und weniger auf die jetzt schon wiederholt geäußerten Probleme eingehen, sondern ich möchte einige etwas anders gelegene Fragen anschneiden. Leider ist die Diskussion um die Kernkraftwerke mit äußerster Leidenschaft entbrannt, und eine Kluft zwischen Gegnern und bedingungslosen Befürwortern hat sich aufgetan. Die Auseinandersetzungen sind geprägt von Angst und Emotionen. Aber wir wollen und dürfen nicht verkennen, daß für und wider die Kernenergie wissenschaftlich fundierte Argumente vorgebracht werden, denen wir als die politisch Verantwortlichen sorgfältig nachzugehen haben und die uns im Parlament als in der Regel Nichtfachleuten aus der Diskussion hinauszudrängen drohen. Das Parlament läuft bei diesem Interesse Gefahr, die Glaubwürdigkeit gegenüber dem Bürger zu verlieDr.-Ing. Laermann
ren. Einer solchen Entwicklung müssen wir energisch begegnen. Wir können dies aber nur dadurch, daß wir keine widerlegbare Schönfärberei betreiben, sondern die Problematik und die Schwierigkeiten offenlegen, nur dadurch, daß wir den permanenten Dialog mit dem mündigen Bürger, einem Bürger, der wach und äußerst umweltsensibilisiert ist, offen führen und diesen notwendigen Dialog nicht den „Verkäufern" überlassen.
Es wäre auch ein fataler und folgenschwerer Irrtum, in Bürgerinitiativen und Protestaktionen gegen Kernkraftwerke nur die Aktivitäten linksradikaler Elemente sehen zu wollen. Es wäre, meine ich, billig und diffamierend, den um die vitalsten Lebensinteressen besorgten Menschen ideologische Motivation zu unterstellen. Meine Damen und Herren, ich möchte dringend davor warnen, diese Menschen in ihrer Bedrängnis geradezu in die Arme solcher Elemente zu treiben, die hier Nährboden für ihre umstürzlerischen, staatsgefährdenden Absichten finden möchten. Wir müssen erkennen, daß eine kontinuierliche, aber besonnene Fortentwicklung auf dem Gebiet der friedlichen Nutzen der Kernenergie nur m i t den Menschen in unserem Lande möglich ist und möglich sein wird.
Vor wenigen Tagen haben mehr als 650 Wissenschaftler eine Erklärung unterschrieben, in der es heißt, die Gefahren der Kernenergie würden derzeit in ausreichendem Maße beherrscht, und dies sei auch für den weiteren Ausbau wegen der laufenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu den Sicherheitsproblemen gewährleistet, um gleich anschließend in einem Nebensatz die Probleme der Endlagerung und des Transports des Plutoniums der Aufmerksamkeit der staatlichen Organe zu empfehlen. Aber es gibt auch in der Bundesrepublik und in der übrigen Welt eine noch größere Zahl von Wissenschaftlern und Spezialisten, unter ihnen auch Nobelpreisträger, die sich sehr viel differenzierter, vorsichtiger, kritischer verhalten, die in jüngster Zeit eindringlich auf die noch zu lösenden Probleme und deren Folgen hinweisen, ohne daß sich diese mahnenden Stimmen ganz einfach in eine ideologische linke Ecke stellen ließen. Meine Damen und Herren, in aller Bescheidenheit darf ich mich vielleicht auch zu den Ingenieuren und Wissenschaftlern zählen, und gerade deshalb erlaube ich mir, vor möglicher Überheblichkeit, vor dem Glauben an die Allmacht des menschlichen Geistes zu warnen.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort freimütig dargelegt, welche Fragen es noch zu beantworten, welche Probleme es noch zu lösen gilt, Probleme nicht nur technischer Art. Wir werden die Wissenschaftler nach den Antworten fragen, wir werden sie fragen müssen, ob wir auf ihre Zuversicht hin Entscheidungen treffen und die Verantwortung übernehmen können. Ich fürchte aber, es gibt Fragen, die sie nicht beantworten können, es gibt Fragen, die nicht in ihre Zuständigkeit fallen. Ich bin der Meinung, in diesen drängenden Existenzfragen, Sicherung der lebenserhaltenden Biosphäre und Sicherung der Energieversorgung, hilft nicht der Glaube an die Weisheit der Experten,
hilft nicht der Glaube an die Allmacht der Technokraten.
Außer den genannten Problembereichen, die bereits vielfach und ausführlich erwähnt wurden, möchte ich insbesondere noch auf zwei Punkte eingehen. Ich möchte daran erinnern, daß mein Fraktionskollege Graf Lambsdorff in der Energiedebatte am 24. April 1975 auf die Notwendigkeit eines deutschen Rasmussen-Berichts hingewiesen hat. Es ist auch in der Antwort der Bundesregierung noch einmal ausgewiesen, daß ein solcher Bericht erarbeitet wird. Es scheint dringend geboten, einen derartigen Bericht in gestraffter Form auf die gegenüber den USA unterschiedlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik und in Europa zu übertragen. Immerhin ist bei uns die durchschnittliche Bevölkerungsdichte sechsmal höher als in den USA, und es müßten auch bereits die nachfolgenden Reaktorlinien, die Schnellen Brüter und Hochtemperatur-Reaktoren sowie auch die übrigen kerntechnischen Anlagen, mit einbezogen werden. Wir müssen aber wissen, daß der Rasmussen-Bericht - vom wissenschaftlich-technischen Standpunkt aus gesehen hervorragend - nur die rein technologische Seite untersucht, nur die kalkulierbaren, also systematischen Versagensursachen erfaßt und danach die Schadenswahrscheinlichkeit berechnet. Diese Wahrscheinlichkeit des Schadensereignisses ist danach äußerst gering. Darauf wird nun eine Argumentation aufgebaut, daß das allgemeine Lebensrisiko viel höher sei als das durch die friedliche Nutzung der Kernenergie verursachte. Die Wahrscheinlichkeit durch einen Verkehrsunfall zu Schaden an Leib und Leben zu kommen, sei wesentlich höher.
Dazu kurz folgende Bemerkungen:
1. Das Gefährdungspotential kommt zu den vorhandenen Risiken hinzu, es hat eine kumulative Wirkung.
2. Auswirkungen und Folgen eines atomaren Unfalles sind ungleich weitreichender und schwerer.
3. Niemand wird behaupten wollen, daß wir uns mit den Verkehrstoten und Unfallgeschädigten abfinden wollen.
4. Die Verkehrsunfälle sind doch nur zu einem sehr geringen Teil auf technische Fehler zurückzuführen. Sie werden doch im wesentlichen durch menschliches Verhalten oder Fehlverhalten verursacht.
Ich möchte die Frage stellen, ob menschliches Fehlverhalten überhaupt in Wahrscheinlichkeitsrechnungen einbezogen werden kann. Ist es nicht mehr eine Frage der Verhaltensforschung, festzustellen, wie sich Menschen unter dem dauernden Druck der enormen Verantwortung im Betrieb kerntechnischer Anlagen verhalten und ob sich Gewohnheitseffekte einstellen? Ein verantwortlicher Leiter in einer entsprechenden Anlage hat noch kürzlich sehr deutlich ausgedrückt, daß er sich Sorgen darüber mache, daß die Leute im Laufe der Zeit gleichgültig werden. Ereignisse der jüngsten Zeit weisen auf die durch Fehlverhalten, Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit in der Beachtung der Sicherheits- und Betriebsvorschrif14946
ten drohenden Gefahren hin. Was wir notwendig brauchen, sind - ich darf das hier noch einmal wiederholen - Fachkräfte, die im Hinblick auf die verantwortlichen Aufgaben ausgebildet und vorbereitet sind.
Zu Fragen des Katastrophenschutzes ist hier schon gesprochen worden.
Eines möchte ich hier auch noch erwähnen. Die Problematik der Sicherheit der Kernenergie ist nicht nur ein nationales Problem. Wir müssen es vielmehr auch im übernationalen Rahmen sehen, nicht nur innerhalb der EG, nicht nur innerhalb Europas, sondern das Problem muß weltweit gesehen werden, und zwar mit Bezug auf den steigenden Export und den Ausbau internationaler Kooperation auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie.
Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen wurde vor fünf Jahren mit dem Ziel abgeschlossen, die mögliche Verbreitung von Kernwaffen und eine mißbräuchliche Nutzung der Kernenergie für andere als friedliche Zwecke zu verhindern. Die internationale Atomenergieagentur in Wien hat dazu ein weitverzweigtes Kontrollsystem entwickelt, dem sich allerdings nur die Unterzeichner des Atomsperrvertrages unterwerfen. Nach der indischen Atombombenexplosion ist wiederholt die Forderung erhoben worden, daß die Länder, die Kernenergieanlagen importieren, ihren gesamten Brennstoffkreislauf den internationalen Kontrollen unterwerfen sollten. Eine solche Forderung hat jedoch nur Sinn, wenn sie von wirklich allen Beteiligten angenommen und erfüllt wird. Es geht bei dieser Forderung nicht so sehr um den Export des einzelnen Kernkraftwerks, sondern um die sogenannten sensitiven Bereiche der Kerntechnik, nämlich die Urananreicherungsanlagen, welche die Herstellung von nuklearen Sprengkörpern ermöglichen, und um die Anlagen zur Wiederaufarbeitung von Brennelementen mit ihrer Ansammlung von Plutonium.
Die sieben führenden Exportländer für kerntechnische Anlagen und Brennstoffe haben sich im vergangenen Jahr über einen Entwurf für einen neuen Atomsperrvertrag geeinigt, der die mißbräuchliche Verwendung von Kernenergie zuverlässiger als bisher ausschließen soll. Es muß nun die Frage gestellt werden, ob und inwieweit die Importländer wegen des starken Wettbewerbs und in der Erkenntnis, welche außerordentliche Bedeutung ihren Ressourcen zumindest für einige der miteinander konkurrierenden Anbieterländer zukommt, überhaupt bereit sind, sich der absoluten Kontrolle zu unterwerfen, und wie lange sie dazu bereit sind. Es muß die Frage gestellt werden, ob denn die politische und soziale Stabilität oder das friedliche Verhältnis des Partnerlandes zu seinen Nachbarländern auf Dauer gewährleistet und damit die Einhaltung der Verträge gesichert ist und ob eine andere als friedliche Nutzung der kerntechnischen Anlagen absolut zuverlässig verhindert werden kann. Wir bitten die Bundesregierung dringend, sich für die Verbesserung und Sicherung internationaler Kontrollsysteme einzusetzen.
Ich möchte zum Schluß einige Punkte anführen, die uns als unabdingbare Voraussetzungen für den weiteren Ausbau der Kernenergie gelten. Wir müssen uns dafür einsetzen, daß die Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit verstärkt fortgesetzt und die im Bereich der Fusionsforschung und Nutzung der Sonnenenergie bereits angelaufenen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten intensiv weiter gefördert werden. Wir müssen die Atempause, die, wie ich heute morgen ausführen konnte, gewonnen wurde, nutzen, um Sicherheitsstrategien und Überwachungshierarchien auszubauen, um die dazu erforderlichen Fachkräfte für Betrieb und Überwachung auszubilden, und damit das Risiko „Mensch" zu minimieren. Wir müssen die personellen und organisatorischen Voraussetzungen für eine lückenlose Sicherung und Absicherung kerntechnischer Anlagen einschließlich Endlagerung und Transporte erfüllen, die erforderlichen Bestimmungen entsprechend dem Stand von Wissenschaft und Technik weiterentwickeln und die Bereitstellung der finanziellen Mittel sichern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unter der Bedingung, die in der Antwort der Bundesregierung als unabdingbare Voraussetzung ausgewiesen ist, daß bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie Sicherheit und Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen Vorrang haben, stimmen wir der Antwort auf die Große Anfrage zu. Wir akzeptieren die Antwort und bitten Sie auch noch einmal, den Initiativantrag der Koalitionsfraktionen in diesem Sinne zu unterstützen.
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Vizepräsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Walz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich sehr kurz fassen, weil wir tatsächlich in der Zeit sehr vorgeschritten sind. Aber man kann hier nicht alles so stehen lassen, wie es gesagt worden ist, insbesondere nicht die Taktik des Herrn Minister Matthöfer, der zum Angriff überging, weil er zu viele Pannen bei seiner eigenen Fraktion in seinem Sinn verschleiern mußte.
Herr Matthöfer, Sie haben sich so auf unseren Herrn Gruhl gestürzt, obwohl Herr Gruhl von vornherein gesagt hat, daß er in seinem eigenen Namen eine Erklärung abgibt, und dazu hat er jederzeit das Recht. Er hat ausdrücklich gesagt: „Ich spreche nicht für die Fraktion, ich gebe hier meine eigene Erklärung ab." Aber was kam dann? Dann kam bei Ihnen zur Begründung der Großen Anfrage der Herr Haenschke. Herr Haenschke hat eine wirklich sehr gute Rede gehalten, sehr zum Nachdenken, durchaus auch mit einigen überlegenswerten Argumenten. Nur weiß ich nicht, wie Herr Haenschke und die, die in ähnlicher Richtung wie er gesprochen haben, das Energieprogramm der Bundesregierung tragen. Ich lese doch in Ihrem Energieprogramm, daß Sie 20 000 Megawatt bis 1980 und 50 000 Megawatt bis 1985 haben wollen. Was ich aber von Herrn
Haenschke, was ich eben auch von Herrn Laermann und was ich von Herrn Schäfer gehört habe, man möchte doch einen überstürzten, vorschnellen Massenausbau verhindern usw., das war alles für Ihre eigene Energiepolitik eigentlich ein Schlag ins Gesicht. Ich weiß gar nicht, wie Sie mit diesen Meinungen Ihrer Fraktion
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Ihr Energieprogramm durchführen wollen, obwohl Sie sich doch selbst sozusagen auf europäischer Ebene zur Durchführung eines solchen Energieprogrammes verpflichtet haben.
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Auch die europäische Ebene rechnet natürlich damit, daß wir jedenfalls ungefähr Ihr Energieprogramm einhalten, wobei Ihnen völlig zuzugeben ist, daß wir natürlich, wenn sich neue Beziehungen zwischen Sozialprodukt und Energiewachstum als erkennbar zeigen ließen, unter Umständen alle etwas herunterfahren könnten, aber doch nicht so, wie es hier etwa von Herrn Haenschke vorgeschlagen worden ist, denn er hat ja nur gewarnt und gewarnt. Was hat er uns denn eigentlich als Alternative angeboten? Doch wohl kaum die Sonnenenergie, die selbst bei verstärkter Förderung erst im Jahre 2000 etwa 1 % des Weltenergiebedarfs decken könnte, in unseren Breiten jedenfalls. Wir haben ja schließlich keine Sahara, und Sie wissen ja selbst, daß wir etwa eine Fläche wie die des Landes Belgien benutzen müssen, um genügend Sonnenenergie für Europa zu haben.
Ich würde also sagen, was uns hier von Ihrer Fraktion und auch von Ihnen selbst, Herr Minister, im Stil zum Teil etwas merkwürdig, geboten worden ist, läßt mich fragen - übrigens auch Herrn Minister Friderichs -, wie Sie Ihr eigenes Energieprogramm bei dieser Stimmung hier überhaupt in Ihrer eigenen Koalition durchsetzen wollen.
Nun frage ich mich natürlich, nachdem ich nun Herrn Kollegen Flämig gehört habe, der sich für Ihr Programm ausgesprochen hat, wieweit Sie eigentlich in diesem Hause - übrigens auch in Europa, Herr Flämig - eine Doppelstrategie betreiben. Hier, wenn es nach draußen hin gut ankommt, geben Sie Ihre Bedenken zu Protokoll, sagen Sie, wie unendlich besorgt Sie sind. Man muß darüber auch besorgt sein - darüber sind wir uns völlig klar -; der ganze Komplex der Entsorgung ist durchaus so, daß er nicht gelöst ist.
Aber Sie tun so, als ob man eigentlich dieses Energieprogramm gar nicht mehr durchführen könnte, weil es eben all diese Probleme gibt. Ich glaube, Sie müssen sich untereinander erst einmal klar darüber werden, was Sie eigentlich wollen. Herr Flämig sagt, es sei alles wunderbar, und die anderen sagen, es wäre die größte Katastrophe, wenn dieses Energieprogramm in die Tat umgesetzt würde. Wir haben uns hinter Ihr Energieprogramm gestellt, allerdings natürlich mit den nötigen Abschlägen, falls dies möglich und nötig sein sollte. Wir erwarten dann eigentlich auch von Ihnen, daß Sie hinter Ihrem eigenen Programm stehen und sich nicht,
wenn es schwierig wird, sozusagen hinter der Opposition verstecken, wie es nämlich immer wieder gemacht wird, insbesondere, Herr Minister, in den Wahlkreisen.
Ich glaube, daß jeder Abgeordnete, der Ihr Programm bejaht - das gilt übrigens auch für Sie selbst -, dann, wenn es im Wahlkreis darauf ankommt, zu diesem Programm stehen sollte; denn sonst werden Sie es nie durchsetzen. Wir wissen nun einmal, daß sich die fossilen Reserven verbrauchen, übrigens auch die Kohle im EG-Raum. Bei einem Wachstum von 4 % würde die Kohle im EG-Raum auch nur noch 60 bis 80 Jahre reichen. Das muß man sich einmal klarmachen. Bisher habe ich keine vernünftige Alternative gehört; Warnungen allein nützen uns nichts. Wir wollen ja schließlich unsere Arbeitsplätze erhalten. Geben Sie wenigstens Alternativen, wenn Sie gegen das Programm Ihrer eigenen Regierung sind!
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Es ist leider eine sehr ernsthafte Frage. Keiner von uns stellt sich gern in einen Wahlkreis und ist für ein Kernkraftwerk; darüber wollen wir uns alle einmal klar sein. Wenn man, wie wir das tun, die Energiepolitik Ihrer Bundesregierung einigermaßen für vernünftig hält und sich in den Wahlkreisen hinstellt und sie zum Teil auch verteidigt, dann können Sie selbst das doch wohl auch machen.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat Herr Dr. Böhme ({4}).
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Dr. Walz, Ihre Auführungen waren interessant, weil sie gezeigt haben, daß Sie der Debatte offensichtlich nicht richtig gefolgt sind.
Alle meine Kollegen haben sich hinter diese Entschließung gestellt, allerdings nicht mit geschlossenen Augen. Mein Kollege Dr. Haenschke hat sehr eindrucksvoll die Probleme dargestellt, und zwar, wie ich glaube, mit besserem Wissen und schärferem Gewissen, als Sie dies hier anzuführen beliebten, Frau Kollegin Dr. Walz. Sie können sich offensichtlich eine Zustimmung nur vorstellen, wenn man den Kopf in den Sand steckt. Damit bin ich beim Thema. Lassen Sie mich in gebotener Kürze einige Ausführungen machen. Die großtechnische Nutzung der Kernenergie wirft ein Bündel von Problemen und Fragen auf. Mein Kollege Dr. Haenschke hat dazu vorhin in seiner Rede eine eindrucksvolle Zusammenstellung gegeben.
Eine Hauptfrage ist dabei, ob die ausgelegten Kapazitäten erforderlich und rentabel finanzierbar sind, wenn alle Folgekosten dem Strompreis zugeschlagen werden. Zu diesem zentralen Punkt der Kosten und Finanzierung von Kernkraftwerken einige kurze Anmerkungen.
Zunächst ist festzustellen, daß die Kosten für die Installation von Kernkraftwerken heute nach eige14948
Dr. Böhme ({0})
nen Angaben der Energieversorgungsunternehmen 80 % teurer sind als die konventioneller Kraftwerke, und auch die Bauzeit ist länger. Sie beträgt rund sieben Jahre gegenüber etwa drei Jahren bei herkömmlichen Kraftwerken.
Ferner ist der Nutzungsgrad der eingesetzten Primärenergie geringer als bei konventionellen Kraftwerken. Diese erreichen einen Wirkungsgrad von rund 40 %, d. h., rund 60 % des eingesetzten Brennstoffes, sei es Kohle, Ö1 oder Gas, gehen in Form von Abwärme verloren. Kernkraftwerke mit den jetzt eingebauten Reaktoren weisen dagegen nur einen Wirkungsgrad von 33 % auf. Dies ist ja auch der Hintergrund der Forderung für den stärkeren Einsatz der Wärme-Kraft-Kupplung. Erst von der zweiten Generation der Kernreaktoren erwartet man eine Steigerung des Wirkungsgrades der nuklearen Kraftwerke auf ebenfalls rund 40 %.
Die Kosten der gesamten Investitionen bis 1985 werden vom Verband der Deutschen Elektrizitätswerke auf rund 187 Milliarden DM beziffert, darunter die Kosten der Installation der geplanten Kernkraftwerke allein auf rund 87 Miliarden DM. Zur Finanzierung dieser Kosten werden in einer Studie der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke Sonderabschreibungen auf die Investitionen vorgeschlagen. Diese Forderungen sind bisher politisch noch nicht geltend gemacht worden. Die Finanzierung erfolgt im Moment allein über die Preiserhöhungen.
Gerade aber die steigenden Stromkosten bedeuten ein großes Fragezeichen für die künftigen Stromprognosen, vor allem im Bereich der privaten Haushalte. Der Zuwachs des Energieverbrauchs gerade im Bereich der Haushalte ist besonders eine Kostenfrage. Wenn dies jedoch so ist, können die großen Zuwachsraten des Verbrauchs von Atomstrom im Haushaltsbereich nicht erwartet werden, und die Bedarfsprognosen sind herunterzukorrigieren.
In den genannten Kosten der Installation von rund 87 Milliarden DM sind die Aufwendungen für die Wiederaufbereitung der bestrahlten Brennelemente und die Kosten der Endlagerung nicht enthalten. Diese Fragen des sogenannten Brennstoffkreislaufs einschließlich des Transports sind nach Mitteilung der Experten inzwischen beherrschbar. Die Kosten können allerdings bis heute nicht genau quantifiziert werden, schon weil die Sicherheitsprobleme bei der Entsorgung Auswirkungen auf die Kosten haben werden. Diese Kosten sind bisher nicht gerechnet worden, werden aber ansteigen; denn das Risiko und die Probleme der Beseitigung radioaktiver Abfälle wachsen mit dem Volumen der Kernenergie.
Schließlich schafft der verstärkte Einsatz von Uran neue Abhängigkeiten und macht vor allem auch den Strompreis von den steigenden Urankosten abhängig. Die Preise für Uranerz sind seit 1973 beträchtlich gestiegen und werden bei der außerordentlichen Expansion der Kernenergie künftig ein erheblicher Kostenfaktor sein.
Dieser Fragenkatalog zu den künftigen Kostenbelastungen durch die Kernenergie ließe sich noch
um die externen Kosten für Absicherung gegen Sabotagefälle usw. erweitern; auf eine vollständige Aufzählung der Kostenfaktoren kommt es mir hier jedoch nicht an, sondern darauf, darzustellen, daß künftig jede Energieart teuer sein wird und daß dies auch und gerade für die Kernenergie gilt.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, da Sie davon ausgehen, daß bei der Kernenergie sehr erhebliche Investitionskosten in Höhe von 87 Milliarden DM entstehen würden, wie Sie sagen, frage ich Sie: Ist Ihnen nicht bekannt, wie viele Milliarden wir pro Jahr für die Ölimporte auszugeben haben, daß das Öl noch mehr als 50 % unseres Primärenergiebedarfs deckt und daß darüber hinaus der Urananteil am Strompreis pro Kilowattstunde nur 0,2 Pf aufmacht?
Ja, Herr Kollege, Sie haben völlig recht: das ist ein großes Problem. Deswegen hat die Bundesregierung mit ihrem Energieprogramm größten Wert darauf gelegt, alternative Energiearten zu entwickeln. Wenn Sie sich die Zahlen in der Anlage zum Ersten Energiebericht und in der Fortschreibung des Energieprogramms ansehen, werden Sie aber feststellen, daß selbst bei völligem Ausfahren des Energieprogramms in der ersten Fortschreibung und selbst bei Umsetzen aller Energieeinsparungsmaßnahmen der absolute Verbrauch von Erdöl trotz relativen Absinkens des Anteils an der Gesamtenergie steigt.
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Das heißt - und das wurde hier ja von allen Rednern immer wieder betont , daß die Abhängigkeit von Erdöl nach wie vor bestehen wird. Deswegen, Herr Kollege, wird im Prinzip ja nichts dagegen eingewendet, sondern es wird im Gegenteil begrüßt, daß alternative Energiearten entwickelt werden. Die Kernenergie ist dabei ein Schwerpunkt. Das Problem aber ist, daß diese Kernenergie im Volumen abgecheckt, überprüft sein muß, damit die Kapazitäten, die ausgelegt sind, noch rentabel finanzierbar sind.
Ihre Frage jetzt provoziert mich besonders zu der Feststellung, daß es ein Märchen ist, zu behaupten, die Kernenergie wäre eine billige Energiequelle.
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Wir können uns nicht wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dieser Situation herausziehen.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Engelsberger?
Bitte sehr!
Herr Kollege, ist Ihnen nicht klar, daß Sie mit der Antwort, die Sie auf meine Frage gegeben haben, geradezu Ihrem Konzept widersprechen und daß die Erdölabhängigkeit
gerade durch den Ausbau von Kernkraftwerken gemindert werden soll und daß darüber hinaus Kernbrennstoffe in einem ganz anderen Maß als Erdöl, das jeweils in Millionentonnage über die Weltmeere zu uns gebracht werden muß, bevorratet werden können?
Es tut mir leid; Sie verstehen meine Antwort nicht. Ich hatte vorhin schon bei Ihrer Kollegin Dr. Walz diesen Eindruck. Ich bedaure, wenn ich bei Ihnen dasselbe sagen muß. - Ich glaube, was ich sagte, ist sehr schlüssig, nämlich daß die Kernenergie mit Recht einen Schwerpunkt in der Entwicklung alternativer Energiearten darstellt.
Aus diesen Gründen - hier kann ich das fortsetzen - ist es notwendig, alle Anstrengungen zu unternehmen, neue Energiesysteme zu entwickeln, vorhandene Energiearten besser auszunutzen sowie energiesparende Technologien zu fördern. Zugleich bedeutet dies ein ständiges Abwägen, ob ein verstärkter Ausbau der Kernenergieanlagen nicht zu starke technologische und volkswirtschaftliche Kräfte zu einseitig bindet. Diese Fragestellung wird vor allem bei der nächsten Fortschreibung des Energieprogramms zu berücksichtigen sein, wozu der in der Entschließung von SPD und FDP genannte Bericht im Jahre 1977 eine wichtige Grundlage liefern wird.
Immerhin ist heute schon gut die Hälfte des geplanten Kernenergievolumens bis 1985 genehmigt, nämlich rund 22 000 MW von geplanten 45 000 MW. Dies ist ein gewaltiger Brocken, der erst durchfinanziert und im Verbrauch abgenommen sein will. Ein weiterer forcierter Ausbau der Kernenergie erscheint daher nach jetzigem Stand, nach jetziger Erkenntnis, bei den jetzigen Energieprognosen und nach den Erfahrungen mit dem Energieverbrauch auch aus ökonomischen Gründen entbehrlich.
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Vizepräsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wegen der Kürze der Zeit nur ganz wenige Sätze: Ich begrüße den CDU/CSU-Antrag betr. Standortplanung von Kernkraftwerken besonders. Ich halte ihn für hochaktuell, ja für dringlich, und dies besonders auch auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit. Denn es ist uns allen klar geworden: Die Frage des Standorts von Kernkraftwerken ist zu einer Schlüsselfrage für das Energieprogramm geworden.
Es ist - das ist bekannt - keine andere Technologie der Nachkriegszeit auch durch die Wissenschaftler zu so erbitterten Kontroversen aufgestachelt worden. Diese Kontroversen der Experten schlugen sich auch in heftigen Streitgesprächen der Bürger nieder. Aus diesem Siedekessel von Meinungen schrieb einst ein Pfarrer aus dem Landkreis Emmendingen - wo bekanntlich Wyhl liegt - seinerzeit an den Bundesinnenminister einen Brief, in dem er u. a. ausführte:
Bei all diesen Problemen sieht sich der Laie auf den Fachmann angewiesen, den Biologen, den Radiologen, den Meteorologen, den Hydrologen, den Ökologen und den Atomphysiker. Die Unruhe in der Bevölkerung beruht nun vor allem darauf, daß in den wesentlichen Fachbereichen kein einhelliges Urteil der Wissenschaft über die Unschädlichkeit von Atomkraftwerken besteht. Fast zu jedem Gutachten der Antragsteller bzw. der Behörde konnte ein anderslautendes Gegengutachten erstellt werden.
Dies war die Lage, mit der sich die betroffene Bevölkerung seinerzeit zunächst einmal auseinandersetzen mußte. Dies hing auch damit zusammen, daß die Initiatoren dieser Programme die Bevölkerung nicht frühzeitig und rechtzeitig umfassend informiert hatten.
Die Folge dieser einander widersprechenden Aussagen von Wissenschaftlern über die Notwendigkeit der Erstellung von Kernkraftwerken, die möglichen Auswirkungen auf die Menschen, das Klima und die Landschaft und der Beschreibungen eventueller Risiken war deshalb ein Klima der Angst. So geriet dieser Prozeß der Meinungs- und Willensbildung auch in den Bereich des Emotionalen. Der vorgelegte Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - davon bin ich überzeugt - bietet die Gewähr für ein solides Verfahren, in dem diese in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen mit Sicherheit überwunden werden können.
Meine Damen und Herren, heute sind es allerdings nicht mehr irrationale Ängste, sondern präzise formulierte Bedenken, die vorgetragen werden. Es geht neben der wichtigen Frage der Nebelbildung durch Kühltürme um Grundwasserprobleme, vor allem aber auch um die möglichen Auswirkungen der Strahlenbelastung, die hinreichende Sicherheit für den Fall größerer Unfälle und die Funktionssicherheit des Notkühlsystems. Alle diese Fakten müssen - davon bin ich überzeugt, und ich halte daran fest - gutachtlich geklärt werden. Die Ergebnisse müssen erläutert werden.
Ich bin allerdings im Gegensatz zu einigen meiner Vorredner, Herrn Böhme und Herrn Schäfer, der Meinung, daß die Situation in Baden-Württemberg durch die konstruktiven Verhandlungen zwischen der Landesregierung und den Bürgerinitiativen in den letzten Monaten nun in ein solches Stadium gelangt ist, daß man hinsichtlich eines günstigen Ausgangs optimistisch sein kann. Die Standpunkte haben sich angenähert. Die Probleme liegen klar auf dem Tisch. Ich bin durchaus sehr optimistisch.
Immerhin schrieb dieser Tage ein kritischer Beobachter, Michael Dölfs, in der „Badischen Zeitung" - er verweist auf einen Wendepunkt :
Noch bei keinem großtechnischen Projekt der
Bundesrepublik konnte eine so weitreichende
Absicherung der Menschen, der Natur und der angemessenen Entwicklung erreicht werden wie in diesem Falle.
({0})
Das ist immerhin - wenn man die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen kennt - ein Erfolg, auf den man zunächst einmal mit Befriedigung hinweisen kann.
Meine sehr verehrten Kollegen, Sie haben kein Recht, die Landesregierung grundsätzlich und generell zu kritisieren; denn, meine Damen und Herren, heute steht die Bundesregierung zu dem Programm. 50 Kernkraftwerke sollten gebaut werden. Sie, Herr Dr. Böhme, haben in Wyhl für ein halbiertes Kernkraftwerksprogramm plädiert. Heute haben Sie diesen Antrag hier im Hause nicht gestellt, wie überhaupt festzustellen ist, daß die Reden hier manchmal kühner sind als vor Ort, wo man den betroffenen Bürgern Auge in Auge gegenübersteht.
({1})
- Warum wohl? Sie fragen, Herr Mertes! Ich brauche Ihnen keine Antwort zu geben.
Ich darf zum Schluß noch folgendes fordern: Für die künftigen Standortplanungen möchte ich, vor allem im Hinblick auf die Erfahrungen, Bundesregierung und Parlament auffordern, ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren einzuführen. Im Rahmen dieses Verfahrens muß auch die Möglichkeit gegeben sein, in entscheidungserhebliche Unterlagen, wie Gutachten usw., Einsicht zu nehmen. Die sinnvolle und rechtzeitige Beteiligung der Bürger setzt eine umfassende und auch rechtzeitige Information voraus.
Es müssen auch verstärkt Anstrengungen unternommen werden, um wirtschaftliche Techniken der Abwärmenutzung zu entwickeln, womit vor allem die Umweltbelastung gemildert werden könnte.
Das Wichtigste jedoch für die Regionen entlang des Rheins ist eine bessere Abstimmung über die Standorte von Kernkraftwerken. Es muß zu einer staatsvertraglich geregelten grenzüberschreitenden Planung kommen. Die Probleme diesseits und jenseits des Stromes lassen sich durch unkoordinierte nationale Maßnahmen nicht mehr lösen. Die bisherige Abstimmung war unzureichend. Eine bloße Information genügt nicht. Wir brauchen die rechtsverbindliche abgesicherte Planung.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Vohrer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte über die friedliche Nutzung der Kernenergie hat meiner Ansicht nach den Katalog von Problemen nicht unbedingt verkürzt.
Ich begrüße den sehr offenen und sachlichen Beitrag des Kollegen Haenschke, der hier den Finger in die Wunden legte und der - ähnlich wie die Antwort der Bundesregierung - deutlich zeigte, daß keineswegs alle Risiken, die mit der Kernenergie verbunden sind, ausgeräumt sind.
Ich möchte mich hier auf den internationalen Aspekt konzentrieren und die grenzüberschreitenden Probleme, die bei jemandem, der sich für Europa engagiert und der in einer Grenzregion lebt, doch einen ganz erheblichen Stellenwert haben.
Dieser Problemkreis wird sowohl in den Fragen der Opposition als auch in den Fragenkomplexen VII und XI des Fragenkatalogs der Koalition aufgegriffen. Ich halte die Antwort der Bundesregierung in dem Teil, in dem sie sich auf die Sicherheit der kerntechnischen Anlagen und den Strahlenschutz bezieht, im Hinblick auf die internationale Abstimmung für sehr optimistisch.
Nun zu der Frage, die hier der Kollege Burger angeschnitten hat, in der es um die internationale Abstimmung der Standorte geht: Daß bei deren Beantwortung gesagt wird, daß der Abstimmungsprozeß auf internationaler Ebene eingeleitet wurde, ist für mich wenig befriedigend. Die Tätigkeit der Commission Tripartite, die in der Grenzregion Oberrhein gegründet wurde, sollte von uns mit aller Aufmerksamkeit verfolgt werden. Die Commission Tripartite hat einen ungeheuer langen Aufgabenkatalog, der sich aus den verschiedensten Elementen zusammensetzt. Wer hier weiß, daß sich diese Kommission einmal jährlich trifft, muß sich fragen, wie es möglich ist, mit diesen drängenden Problemen in dieser Region fertig zu werden. Vor dem Hintergrund eines im Bau befindlichen Kernkraftwerks in Fessenheim und eines geplanten Werkes in Wyhl ist es dringend notwendig, daß die internationale Abstimmung besser funktioniert, damit nicht möglichen Verzögerungen in Wyhl das Argument entgegengehalten wird, daß ansonsten die Franzosen ein entsprechendes Projekt auf der anderen Rheinseite bauen würden. Daß solche Diskussionen nicht mit einem aggressiven Zungenschlag geführt werden, sollte die Aufgabe aller Europäer sein. Wer hier in dieser Grenzregion dazu beitragen möchte, daß das gute deutsch-französische Klima langfristig gut bleibt, der muß auch einen Beitrag leisten, daß Abstimmungen im Bereich der Standorte schnellstens vollzogen werden.
Ich möchte deshalb an dieser Stelle darauf hinweisen, daß es Aufgabe von uns als Parlamentarier ist, uns im Rahmen der deutsch-französischen Parlamentariergruppe mehr zu engagieren und, ich würde sagen, schwerpunktmäßig in der Commission Tripartite mitzuarbeiten und die neue Unterkommission zu unterstützen, die bei dem Parlamentariertreffen in Straßburg im Dezember beschlossen wurde und die von beiden Seiten fünf Parlamentarier benennen wird. Die Unterkommission hat eine wichtige Aufgabe zu leisten.
Auch die internationale Rheinschutzkommission halte ich für ein Instrument, das gerade, was den Wärmelastplan des Rheins anbetrifft, mehr Aktivität
entwickeln sollte, die ökologischen Auswirkungen der Rheinaufheizung besser verdeutlichen müßte.
Der Tindemans-Bericht, der uns zwischenzeitlich vorliegt, hat nicht umsonst gerade im Umweltschutzbereich den europäischen Aspekt besonders hervorgehoben und hier in Analogie zu den Vereinigten Staaten eine europäische Kontrollbehörde für die Kernenergie gefordert. Ich würde sagen, wir Europäer sollten den Gedanken, der hier entwickelt wird, weiter verfolgen.
({0})
Ich komme zu dem Ergebnis, daß gerade im grenzüberschreitenden Bereich noch viele ungelöste Probleme vorliegen. Der Gefahrenbereich von Kernkraftwerken ist keineswegs ein Halbkreis. Wenn wir wissen, daß der Gefahrenbereich ein ganzer Kreis ist, dann ist es keine Einmischung in andere Territorien und in andere Kompetenzen, wenn wir ein Mitspracherecht bei französischen Projekten fordern und wenn entsprechend auch die Franzosen über unsere Projekte besser informiert sein wollen, sondern es ist schlichtweg eine selbstverständliche Forderung, daß solche Projekte koordiniert werden, und zwar mit weiterreichenden Mitspracherechten, als das bislang der Fall war.
Wir haben bislang keine ausreichende gesetzliche Regulierung von grenzüberschreitenden Schadensfällen und müssen diesen Bereich dringend lösen. Wir haben kein Informations- und Kommunikationssystem im Katastrophenfall, das die Grenze überschreitet. Ich möchte hier deutlich machen, daß der, der diese Fragen ernst nimmt, alle Briefe, die auf uns zukommen, auch in einer Weise beantworten muß, die deutlich machen, daß wir solchen Anliegen Rechnung tragen und daß wir mit unseren Entscheidungen, die wir hier fällen, keine Leichtfertigkeit begehen.
Sie alle wissen, daß die jetzige Diskussion über die Kernkraftwerke mit sehr viel Sachverstand und Engagement geführt wird. Aus diesem Grunde bin ich auch überhaupt nicht traurig, daß diese Debatte in den späten Abend hinein verlängert wurde. Keine Gruppe wird mit ähnlicher Aufmerksamkeit verfolgen, was hier im Parlament geschieht, als die Gruppe derer, die sich um die Kernkraftwerke Sorgen machen und die wissen wollen, was ihre politischen Vertreter und ihre politischen Parteien zu diesem Problem zu sagen haben. Es ist eine dringende Notwendigkeit, daß wir uns in aller Offenheit und über die Parteigrenzen hinweg hier unterhalten, denn das Problem verlangt dies.
({1})
- Wenn Sie von Binsenwahrheit reden, sollten wir Ihnen auch wieder einmal deutlich machen, wie die Leute heute informiert werden. Wenn die Leute von der Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft in der Weise informiert werden, daß es dem Verbraucher völlig gleichgültig sei, in welchem Typ von Kernkraftwerk der Strom erzeugt werde, den ihm seine Steckdose spende, so ist das eine Volksverdummung, die im Lande Baden-Württemberg durch die Anzeigenkampagne ihre Verlängerung fand und die zu alledem noch von den Verbrauchern der Elektrizität bezahlt werden muß. Ich distanziere mich in aller Form von solchen Praktiken. Ich finde es sehr erfreulich, daß durch die Niederlegung des Aufsichtsratsvorsitzes durch Herrn Filbinger die Möglichkeit geschaffen wurde, daß die Landesregierung die Probleme etwas unbefangener diskutieren kann.
Wir wollen mit der Versachlichung der Diskussion und mit dem Offenlegen der Probleme erreichen, daß parteipolitische Polemik aus der Diskussion herauskommt,
({2})
daß Kaiserstühler Winzer zukünftig nicht als Linke, Kommunisten oder Extremisten abgestempelt werden.
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Für mich ist die Antwort der Bundesregierung, die hier von dem Parlamentarischen Staatssekretär Baum vorgetragen wurde, mit dem klaren Bekenntnis zum absoluten Vorrang der Sicherheit bei Kernkraftwerken vor ökonomischen Überlegungen eine gewisse Beruhigung. Dennoch ist sie kein Persilschein für Kernkraftwerke und überdimensionierte Projekte, die zu schnell vorangetrieben werden.
({4})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gruhl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin bedauert, daß derart wichtige Debatten zu so später Stunde stattfinden. Ich muß meinem Vorredner darin recht geben, daß die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit trotzdem Ausführungen in entsprechendem Umfang erfordert.
Ich brauche hier nicht auf die vielfältigen Risiken der Kernenergie einzugehen. Das haben heute abend die Kollegen - insbesondere Herr Gerlach und Herr Dr. Haenschke - bereits ausführlich getan. Ich teile voll das, was in dieser Hinsicht vorgetragen wurde. Insbesondere die Bedenken, die Herr Haenschke hier auch in bezug auf die Entwicklungsländer vorgetragen hat, sind sehr ernst zu nehmen.
Ablehnen muß ich aber die statistischen Spielereien, die angestellt werden, etwa darüber, wie gering das Risiko für einen Menschen sei, durch einen Atomunfall ums Leben zu kommen. Es geht hier schließlich um völlig verschiedene Ebenen. Bei normalen Unfällen, selbst bei schwersten Explosionen in Dynamitfabriken und beim Bruch von Staudämmen kann die Unglücksstelle sofort betreten und Hilfe geleistet werden. Nach Stunden, Tagen oder spätestens Wochen sind alle Schäden beseitigt. Das wird bei einem schweren Unfall in einem Kernkraftwerk nicht der Fall sein. In einem solchen Fall wird der betroffene Landstrich sofort unbetretbar und auf Jahre verseucht. Nicht nur die Menschen
sind betroffen, sondern - unabhängig von der Zahl der Toten - auch die Tiere und Pflanzen, die Böden und die Gewässer, und zwar auf Jahre; wir wissen nicht, wie lange. Das ganze Gebiet ist für die Nutzung auf unbestimmte Zeit verloren.
Alle Industrieländer bauen nun Leichtwasserreaktoren, die auf Uran angewiesen sind. Die Uranvorräte sind jedoch sehr begrenzt und lagern vorwiegend in Industrieländern, die selbst die größten Verwendungsmöglichkeiten haben. Wir sind da hundertprozentig vom Ausland abhängig, also noch gründlicher als beim Erdöl, das im übrigen über viel mehr Länder in der Welt verteilt ist als das vorhandene Uran.
Die Urankraftwerke erhöhen also unsere Abhängigkeit, statt sie zu vermindern, wie vielfach behauptet wird. Und die Macht der Uranbesitzer wächst um so schneller, je mehr Länder Kernkraftwerke in dieser Größenordnung bauen. Der Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover führte in seiner Ansprache am 30. Oktober 1975 in Hannover in Anwesenheit des Herrn Wirtschaftsministers Friderichs aus - ich zitiere -:
... die bekannten Uranlagerstätten stehen im krassen Mißverhältnis zu dem geplanten Verbrauch. Es muß einmal festgestellt werden, daß alle bisher in der Welt bekannten, wirtschaftlich ausbeutbaren Lagerstätten für Kernenergierohstoffe gerade für die Lebenszeit der jetzt in Betrieb und in der Ausführungsplanung befindlichen Reaktoren ausreichen. Mit anderen Worten: Für alle nach der Mitte der 80er Jahre noch zu bauenden Reaktoren muß das Uran erst noch gefunden werden!
Der Herr Bundeswirtschaftsminister gibt zwar jährlich viele Millionen für die Bundesanstalt in Hannover aus, die dort erzielten Ergebnisse beachtet er aber so wenig - jetzt zitiere ich wieder den Präsidenten Professor Bender -, „wie die Hofnarren an mittelalterlichen Fürstenhöfen beachtet wurden. Sie wurden zwar gehalten, um unliebsame Wahrheiten zu sagen, aber niemand richtete sich danach". Dies ist ein Zitat des Präsidenten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, die nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern weltweit die Exploration in bezug auf alle Rohstoffe betreibt.
Der Kanadier John Kostuik, Vorsitzender des 1974 durch Bergbaugesellschaften von 16 Uranförderländern gegründeten Internationalen Uran-Instituts erklärte - wörtlich -:
Alle bekannten und wirtschaftlich gewinnbaren Uranreserven sind jetzt nämlich für den Bedarf der in Betrieb und im Bau befindlichen Kernreaktoren „ausverkauft". Demnach sind alle Kernenergie-Programme der westlichen Welt außerhalb der USA so lange bloße Illusion, bis die entsprechenden Uranvorkommen aufgefunden und erschlossen sind.
Die begrenzten Uranvorkommen könnten also gerade bei uns dazu führen, daß die Urankraftwerke
später ohne Uran bleiben und dann Milliarden von Investitionen nutzlos brachliegen.
Was die Wiederaufbereitung der Brennelemente betrifft, so ergeben neueste Berechnungen, daß der Preis des damit gewonnenen Brennstoffs wahrscheinlich fünf- bis zehnmal höher liegen wird als der des Natururans zur Zeit, dessen Preis natürlich auch steigen wird.
Das Jonglieren mit den Uranmengen in den Ozeanen kann ich nur als sinnloses Gerede bezeichnen. Denn wenn man alles Uran aus den Ozeanen herausholen wollte, müßte man sie zuerst einmal durch eine Mauer trennen, und das Wasser, dem das Uran entzogen ist, müßte dann praktisch in die andere Kammer hinein. Denn jedes Weltmeer ist in Bewegung. Im übrigen würde man mit dem Entzug jeweils nur eine größere Verdünnung schaffen, und das könnte nur einige Zeit funktionieren.
Das zweite Hauptproblem ist für mich die Endlagerung der radioaktiven Rückstände. Es ist heute ausgiebig angesprochen worden, so daß ich nur darauf hinweisen möchte, daß die Lagerung in den Salzstöcken Niedersachsens nun eben nicht als eine Lösung für die Ewigkeit hingestellt werden kann. Denn bereits im letzten Jahr geriet in meinem Wahlkreis in Ronnenberg die Erde buchstäblich in Bewegung, und zwar weil dort Salzbergwerke lagen und weil angeblich ein Erdbeben 200 m weiter weg in der DDR so viel Veränderung bewirkt hatte, daß es dort Wassereinbrüche und alles mögliche gab. Wie kann man dann sichere Voraussagen für Zehntausende bis Hunderttausende von Jahren machen? Es sind nicht einmal für die nächsten hundert Jahre sichere Voraussagen zu machen. Wir wissen nicht, was alles an politischen, gesellschaftlichen Umwälzungen, Bürgerkriegen oder anderen Kriegsereignissen eintreten wird.
Der amerikanische Physiker Weinberg schlägt vor, eine Art atomarer Priesterschaft zu gründen, deren von Generation zu Generation weitergegebene technisch-rituelle Aufgabe es sein soll, die radioaktiven Überreste unserer Generation zu bewachen und zu pflegen. Das Deutsche Atomforum scheint sich dieser Sprachregelung schon anzuschließen. Denn wie ich heute in der Zeitung las, spricht man dort neuerdings von „Salzdomen". Das stimmt also im Sprachgebrauch sehr gut damit überein.
Eine Kostenabrechnung für die Endablagerung ist völlig unmöglich. Die Probleme und Kosten des kurzfristigen Nutzens, den wir haben, werden auf die folgenden Generationen vererbt, so auch, wie heute schon gesagt, die stillgelegten Kraftwerke.
Es wird behauptet, daß die Kernkraftwerke eine Lebensdauer von 30 bis 40 Jahren haben. Doch niemand kann das beweisen; denn keines läuft bisher so lange. Gerade hierüber haben die Kollegen heute Überlegungen vorgetragen und neueste Erfahrungen in bezug auf die Reaktordruckgefäße mitgeteilt, wonach diese eben nicht so lange Zeiträume durchhalten. Aber selbst wenn es 40 Jahre sind und uns die Uranbesitzer so lange Brennstoff zum Betrieb dieser Werke liefern, was dann? Auch in den USA gibt es noch keine Konzeption für die Beseitigung stillgelegter Kernkraftwerke.
Nun erlauben Sie mir noch ein Wort über die verteidigungspolitischen Aspekte der Kernkraftwerke. Diese Aspekte sind bis vor kurzem offiziell überhaupt nicht beachtet worden. Von anderen Seiten liegen aber so viele Untersuchungen vor, daß nur noch ein Blinder daran vorbeigehen kann. Ein potentieller Angreifer kann gegen die Bundesrepublik einen Atomkrieg mit konventionellen Waffen führen. Er braucht nur einige Kernkraftwerke durch großkalibrige Geschosse oder Bomben zu zerstören, wie es heute auch Herr Haenschke schon anführte. Damit setzt er die Radioaktivität über ganze Landstriche frei. Man wird einem solchen Gegner gar nicht vorwerfen können, daß er einen Atomkrieg führe. Ja, er wird behaupten können, daß es sich um unbeabsichtigte Treffer handle. Infolgedessen helfen auch keine internationalen Verträge, wie sie die Bundesregierung in ihrer Antwort in Aussicht stellt.
Meine Damen und Herren, ein beratender Ausschuß des Bundesministers für Forschung und Technologie hat um die Jahreswende festgestellt - ich zitiere -:
Die Verträglichkeit der Errichtung zahlreicher Reaktoren mit unserer militärischen Strategie ist zu überprüfen.
Ich frage die Bundesregierung: Wann soll denn diese Überprüfung beginnen? Wenn die 50 Kernkraftwerke gebaut sind? Und wenn die Überprüfung ergibt, daß sich diese Werke mit der militärischen Strategie nicht vertragen, sollen sie dann wieder abgerissen werden? So dicht besiedelte Räume wie die der Bundesrepublik Deutschland mit einigen Dutzend Kernanlagen zu überziehen heißt nach meiner Ansicht, unser Land verteidigungsunfähig zu machen.
Angeblich leben wir zur Zeit in einer Energiekrise. Ich kann dies nur als Wahnwitz der Weltgeschichte bezeichnen. In ungefähr 50 Jahren, von denen wir etwa 20 hinter uns haben, verbrennt die Menschheit die Hauptmasse an Erdöl, Erdgas und nun auch noch Uran. Ausgerechnet zu dieser Zeit behauptet sie aber, daß sie sich im Stadium eines Energiemangels befinde. Es ist doch völlig sicher: Die Uranvorräte der Welt werden heute nicht etwa verbrannt, um eine Energielücke zu schließen. Sie werden vielmehr zusätzlich zu Erdöl, Erdgas und Kohle verbrannt. Allein die Kohle wird noch da sein, wenn es längst kein Uran mehr geben wird. Die wirkliche Energielücke kommt erst später.
Meine Damen und Herren, ich schließe. Das Kernenergieprogramm der Bundesregierung ist aus Gründen der Sicherheit, der Wirtschaft sowie wegen allgemeiner politischer Bedenken nicht zu verantworten und finanziell unvertretbar. Die Bundesregierung sollte dieses Programm sofort zurückziehen und während des Moratoriums neu überdenken. In dieser Zeit kann man mit den bereits fertiggestellten und im Bau befindlichen Kernkraftwerken viel größere Erfahrungen sammeln, und man kann ein zukünftiges geändertes Kernprogramm auch mit der Nutzung der Abwärme verbinden, was ja heute bekanntlich nicht der Fall ist, wie viele Redner das angesprochen haben. Aber dann darf man heute nicht erst einmal 50 Werke bauen, um dann festzustellen: Dieses Konzept war falsch; wir hätten die Werke ganz anders bauen müssen, nämlich mit Nutzung der Abwärme. Dann muß man eben eine solche Denk- und Planungspause einlegen. Die Bundesregierung würde bei einer solchen Entscheidung nicht nur der Vernunft folgen, sondern einen Beitrag zum Frieden in unserem Lande leisten.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Rednerliste angelangt. Zu Punkt 5 der Tagesordnung, zur Großen Anfrage der Fraktionen der SPD und der FDP, liegen zwei Entschließungsanträge vor, über die wir abzustimmen haben.
Wir kommen zunächst zu dem Entschließungsantrag auf Drucksache 7/4607 der Fraktionen der SPD und der FDP. Wird der Antrag begründet? - Das ist nicht der Fall. Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag an den Ausschuß für Forschung und Technologie - federführend - sowie an den Innenausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft - jeweils mitberatend - zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Dann kommen wir zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU /CSU auf Drucksache 7/4600. Die Überweisungsvorschläge lauten wie eben. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme so beschlossen.
Die unter den Tagesordnungspunkten 6 und 7 genannten Anträge sind zu überweisen. Die Überweisungsvorschläge sind aus der Tagesordnung ersichtlich. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich darf bei der Gelegenheit zum Ausdruck bringen, daß es oftmals auch während der besten Tagesstunden keine stärkere Besetzung des Plenums gegeben hat als heute abend. Für die Bereitschaft der Abgeordneten, gerade bei einem so wichtigen Tagesordnungspunkt anwesend zu sein und mitzudiskutieren, bedanke ich mich besonders.
Zur Geschäftslage darf ich jetzt folgendes sagen. Jetzt kommt der Zusatzpunkt. Dazu liegen drei Wortmeldungen vor. Dann werden wir noch einige Abstimmungen durchführen, die nur sehr kurze Zeit in Anspruch nehmen.
Zunächst rufe ich also den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
- Drucksache 7/4604 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({1}) Ausschuß far Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Zur Begründung hat Frau Abgeordnete Huber das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Fraktionen der SPD und der FDP verfolgen mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf zum Carry back genau wie die Bundesregierung das Ziel, insbesondere kleineren und mittleren Unternehmen die auf Grund der angespannten Lage erwünschte baldige Liquiditätshilfe zu geben. Wir knüpfen daran die Hoffnung und Erwartung, daß diese steuerliche Erleichterung zu ihrem Teil dazu beitragen wird, Arbeitsplätze zu sichern und die Anpassungsfähigkeit und Investitionsneigung der Unternehmen zu stärken.
Das Carry back, d. h. der Rücktrag von Verlusten aus einem Verlustjahr in ein davor liegendes Gewinnjahr, ist jedoch nicht als einmalige konjunkturelle Maßnahme gedacht, sondern soll als Dauereinrichtung und Ergänzung zum Verlustvortrag auch künftig wirksam sein, um Schwankungen in der Ertragslage, die ja selbst bei Hochkonjunktur der Wirtschaft immer wieder in Teilbereichen eintreten können, abzufangen, d. h. die Härten der Periodenbesteuerung zu mildern. Es handelt sich also um ein neues steuerliches Instrument, bei dem, beginnend mit dem Jahre 1975, die Verluste eines Jahres wie Sonderausgaben von den Gesamteinkünften des vorherigen Gewinnjahres abgezogen und auch dann noch berücksichtigt werden, wenn für den vorherigen Veranlagungszeitraum inzwischen ein Steuerbescheid ergangen und rechtskräftig geworden ist.
Dem Finanzausschuß liegt seit dem vorigen Jahr eine Bundesratsdrucksache zur gleichen Materie vor, die sich jedoch in wesentlichen Punkten von der jetzigen Koalitionsvorlage unterscheidet. Beide Entwürfe gehen zunächst von der Begrenzung des Verlustrücktrages auf 5 Millionen DM aus, einer Summe, mit der sich Großunternehmen sicherlich nicht sanieren können, die aber für kleinere Betriebe und Mittelbetriebe, so unterschiedlich diese größenordnungsmäßig von Branche zu Branche sich darstellen, eine entscheidende Hilfe bedeutet.
Während jedoch der Bundesratsvorschlag die steuerliche Erleichterung nur für Gewerbetreibende - unter Einbeziehung der Gewerbesteuer -, Landwirte und freie Berufe vorsieht, berücksichtigt unser Entwurf bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, nicht dagegen bei der Gewerbesteuer, alle Einkunftsarten, also auch die der nichtselbständig Tätigen. Auch für Arbeitnehmer wird das Carry back finanzielle Entlastung bringen, wenn nämlich in Veranlagungsfällen auf Grund von Arbeitslosigkeit die dem Arbeitnehmer eigentlich zustehenden Vorteile aus § 7 b oder aus Vermietung und Verpachtung nicht in Anspruch genommen werden können. Wenn es auch nur eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern ist, für die hier die Steuererstattung gilt, so ist doch nicht einzusehen, warum die unselbständigen Einkommensbezieher generell von den Vorteilen des Carry back ausgeschlossen werden sollen.
Im Unterschied zum Bundesrat soll das Carry back nach Meinung der Regierung und unserer Fraktion, auch nicht so ausgestaltet werden, daß man es wahlweise in Anspruch nehmen oder nicht in Anspruch nehmen kann. Dies würde neben Verwaltungsschwierigkeiten vor allem der Manipulation zu viel Spielraum geben. Als zwingende Regelung hat der Verlustrücktrag außerdem den Vorteil, daß er auch denen zugute kommt, die aus Unkenntnis oder Vergeßlichkeit keinen besonderen Antrag ge stellt haben. Für die zwingende Regelung war übrigens auch die Steuerreform-Kommission von 1971.
Der sicherlich wichtigste Punkt, in dem unsere Auffassung sich von der des Bundesrates und, wie sich in der gestrigen Finanzausschußsitzung herausgestellt hat, auch von der Auffassung unserer Opposition unterscheidet, ist die Frage, ob der Verlustrücktrag ein oder zwei Jahre gelten soll, d. h. ob der Verlust auf die Jahre 1974 und 1973 oder nur von 1975 auf 1974 zurückgetragen wird. Dem vom Bundesrat vorgeschlagenen zweijährigen Rücktrag his hinein in das Jahr 1973 stehen drei wichtige Gründe entgegen. Erstens muß die zusätzliche steuerliche Erleichterung - der Verlustvortrag wird nämlich nicht gekürzt, sondern bleibt bei fünf Jahren -aus der Abwägung zwischen sinnvoller und nötiger Hilfe sowie den haushaltsmäßig verkraftbaren Steuerausfällen gestaltet werden. Wir wissen auch, daß sich die Ausfälle durch die Koppelung von Verlustrücktrag und dem dadurch verringerten Verlustvortrag bis auf die Konkursfälle auf längere Sicht ausgleichen. Im ersten Jahr entstehen jedoch zwangsläufig Steuerausfälle, die das Finanzministerium mit annähernd 400 Millionen DM errechnet hat. Die Rechnung ist sicherlich grob unter Berücksichtigung einer hochgerechneten Zahl von Konkursen mit entsprechenden Verlustsummen, von Rücktragsmöglichkeit, 5-Millionen-Begrenzung und durchschnittlichem Steueranteil. Aber sie ist doch einigermaßen realistisch und besagt, daß ein zweijähriger Verlustrücktrag entsprechend der Bundesratsvorlage mehr als 800 Millionen DM Steuerausfall bedeuten würde.
In der Bundesratsvorlage sind die Kosten für das erste Rücktragsjahr mit 450 Millionen DM angegeben. Für das zweite Jahr wird hier nur gesagt, daß voraussichtlich ein Ausgleich durch geminderten Verlustvortrag erfolge. Allein das ist sehr ungewiß, weil Steuerpflichtige, die vor Konkursen stehen, natürlich auch den zweijährigen Rücktrag nützen würden, falls sie 1974 und 1973 noch Gewinne hatten. Ganz abenteuerlich wird die Ausfallfrage aber dann, wenn der bayerische Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr unter dem 13. Januar an die Vorsitzende des Finanzausschusses schreibt, daß nach seiner Meinung - ob man hier „Berechnung" sagen kann, wage ich sehr zu bezweifeln - allein der Verlustrücktrag von 1975 auf 1974 2 Milliarden DM kosten würde. Der Vertreter des Bayerischen Finanzministeriums hat gestern im Finanzausschuß die Gesamtkosten eines zweijährigen Rücktrags mit ca. 350 Millionen DM beziffert
({0})
- Das glaube ich sicherlich.
({1})
- Wissen Sie, wenn sich schon zwei Bayern im Bundesrat über die Kosten nicht einig sind, traue ich doch eher meiner Regierung.
({2})
- Daß wir genug gucken, darauf können Sie sich verlassen.
Allein diese Kostenfrage zeigt, auf wie unsicheren Füßen die Bundesratsvorlage steht. Ich will Ihnen sagen, dies alles hat sicherlich dazu beigetragen, daß das Carry back nicht so schnell verabschiedet wurde. Das sage ich im Blick darauf, daß der Vertreter der Opposition hier gleich sagen wird, wie lange wir das verzögert haben und wie früh Sie das alles machen wollten.
({3})
- Ach wo, Herr Schäuble. Ich wollte Ihnen nur die Zahlen ins Gedächtnis rufen.
Auch wenn uns die CDU/CSU gleich vorhalten wird - übrigens entgegen ihren eigenen Unkenrufen bei der Diskussion über die Steuerschätzungen -, daß wir nunmehr 1975 etwas mehr Geld in die Staatskasse bekommen haben als erwartet, so hat der ({4})
Das werden wir morgen noch begründen. Dies wird die Mehrwertsteuerdebatte sicherlich sehr interessant machen. Wenn ich nun sage, daß wir von Ihnen sicherlich das Argument hören werden, da sei ja mehr Geld eingegangen, und da könne man doch dies und das tun, dann will ich Ihnen sagen: nach unserer Auffassung hat der Bundesfinanzminister überhaupt keinen Grund, bloß weil die Schuldenreduzierung etwas leichter wird, weniger sorgsam mit unserem Geld umzugehen. Das sage ich Ihnen deswegen - ({5})
- Deswegen wollen Sie das Carry back so teuer machen, damit es der Finanzminister leichter hat? Oder wie soll ich das verstehen?
({6})
- Deswegen haben Sie so ein teures Carry back vorgeschlagen?
Ich möchte Sie außerdem daran erinnern, daß Herr Stoltenberg schon wieder 3 Milliarden DM Steuererleichterungen für Unternehmen gefordert hat, wenn ich das „Handelsblatt" richtig gelesen habe. Vielleicht soll das dem Carry back einen geringeren Rang geben, nachdem wir hier die Vorlage eingebracht haben. Zum anderen beleuchtet es
aber schlagartig die Frage, wie Sie die Staatsfinanzen diskutieren.
({7})
- Wissen Sie, Herr Reddemann, ich bin nur gespannt, wann Sie uns hier wieder den Staatsruin an die Wand malen werden und wann Sie dann wieder gegenteilig argumentieren werden, daß eigentlich Geld genug da sei, um der Wirtschaft weitere Steuererleichterungen zu bringen.
({8})
- Wie die Realität ist, darüber gibt es verschiedene Auffassungen. Meine ist sicher von der Ihren weit entfernt.
({9})
- Das glaube ich nicht.
Meine Fraktion hat aber noch zwei weitere Gründe, das Carry back entsprechend dieser Vorlage auf ein Jahr zu begrenzen. Sein Zweck ist es nämlich, sinnvolle Hilfen für Unternehmen und Einkommensbezieher zu bringen, die vorübergehende Schwierigkeiten, aber doch auch Aussicht auf wirtschaftliches Überleben haben. Im Interesse der nötigen Zeitnähe halten wir unsere Regelung für angebracht und ausreichend. An eine Verbesserung von Konkursmassen auf steuerlichem Wege kann schon aus Gründen des wirtschaftlichen Wettbewerbs nicht gedacht werden.
Zum dritten möchte ich Ihnen sagen, daß uns die Länder im Finanzausschuß durch die Vertreter ihrer Verwaltungen haben wissen lassen, daß das Carry back über den Einjahreszeitraum hinaus von den Finanzämtern technisch überhaupt nicht zu verkraften sei.
Zusammenfassend möchte ich sagen, das Carry back in der hier vorgeschlagenen Ausgestaltung trägt nicht nur dem Wunsche nach baldiger Liquiditätshilfe insbesondere für die mittleren und kleinen Unternehmen Rechnung, sondern ist ein neues stabilisierendes Element im Zeitalter des schnellen Wandels, das, soweit dies mit steuerlichen Mitteln möglich ist, unvermeidliche Schwankungen und ihre unerfreulichen Auswirkungen auf die Beschäftigungslage mildern hilft.
({10})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat Herr Dr. Schäuble.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin der Frau Kollegin Huber schon deswegen besonders dankbar für das, was sie gesagt hat, weil wir jetzt erstmals eine Begründung der Fraktionen - wenigstens der SPD - zu diesem Gesetzentwurf zu hören bekommen haben.
({0})
Ich habe mir die Begründung dieser Drucksache 7/4604 angeschaut. Da heißt es zwar auf dem Deckblatt: „Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, FDP", aber in der Begründung heißt es dann immer, daß die Bundesregierung aus diesen oder jenen Gründen dies und das für richtig halte. Ich hoffe, daß Sie anfangen, vielleicht im sachlichen Teil nicht ganz so schlampig zu arbeiten, wie hier im Formalen gearbeitet worden ist.
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Wir begrüßen, meine Damen und Herren von der Koalition, daß Sie nunmehr endlich ebenfalls den Verlustrücktrag einführen wollen. Frau Kollegin Huber, Sie können noch so schnell reden, Sie werden den Zeitvorsprung nicht aufholen, der darin besteht, daß wir diesen Verlustrücktrag bereits im Herbst 1974 im Finanzausschuß des Bundestags als Alternative zur Investitionszulage beantragt haben,
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und Sie können bei aller Geschwindigkeit nicht ausgleichen, daß das Land Bayern ebenfalls noch 1974 denselben Antrag im Bundesrat eingebracht hat. Am 21. Februar 1975 hat dieser Antrag im Bundesrat die Mehrheit der von der CDU/CSU regierten Länder gefunden. Meine Damen und Herren, wenn es diese Vorlage nicht gäbe, worüber hätte dann eigentlich der Finanzausschuß gestern diskutieren können - über Ihre Vorlage ja wohl nicht -, und worüber hätten Sie eigentlich jetzt sprechen wollen, wenn es diese Vorlage nicht gegeben hätte, über die wir gestern im Finanzausschuß schon in der ersten Lesung gesprochen haben?
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Meine Damen und Herren, am 21. Februar 1975 hat der Bundesrat diesen Antrag mit Mehrheit beschlossen. Am 21. Mai, also am letzten Tag der nach Art. 76 Abs. 3 des Grundgesetzes möglichen Frist, hat die Bundesregierung diese Vorlage des Bundesrates dem Bundestag überhaupt erst zugeleitet, und am 5. November endlich hat der Bundestag den Antrag in erster Lesung behandelt und an den Finanzausschuß überwiesen.
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Inzwischen sind erneut 21/2 Monate vergangen, und wenn wir nicht so gedrängt hätten, wäre der Antrag wohl noch nicht einmal gestern zum erstenmal auf die Tagesordnung des Finanzausschusses gesetzt worden. Ich sage dies, damit die Verantwortung klar bleibt - trotz Ihrer doch sehr scherzhaften Bemerkung, Frau Kollegin Huber - für diese Verzögerung in der Behandlung unseres Antrags, den Verlustrücktrag einzuführen, eine Verzögerung, meine Damen und Herren, für die sich vor allem jene Klein- und Mittelbetriebe bedanken, die in der Zwischenzeit zusammengebrochen sind und die durch die Liquidität aus einem Verlustrücktrag hätten gerettet werden können.
({5}) Diesem „Dank" schließen sich bestimmt jene Arbeitnehmer besonders herzlich an, die dadurch ihren Arbeitsplatz verloren haben.
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Ich sage dies auch, damit die Urheberschaft für diese Liquiditätshilfe für unsere mittelständische Wirtschaft nicht verschleiert wird. Rührige Vertreter vor allem des kleineren Koalitionspartners werden sich selbst wieder auf die Schultern klopfen, wie mittelstandsfreundlich sie angeblich seien. Meine verehrten Herren von der FDP, seit Monaten haben Sie zwar schöne Sprüche gemacht, aber statt endlich mit uns für einen Ausweg aus der wirtschafts- und finanzpolitischen Misere zu sorgen, haben Sie mit der SPD unsere Vorschläge zur Soforthilfe verschleppt und dafür gesorgt, daß der Verlustrücktrag nicht rechtzeitig eingeführt werden konnte.
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Noch am 23. Dezember vorigen Jahres hat die Vorsitzende des Finanzausschusses, Frau Funcke, unserem Kollegen Dr. Häfele schriftlich vorgeschlagen, den Verlustrücktrag zusammen mit der Körperschaftsteuerreform zu behandeln, weil man das Körperschaftsteuergesetz nicht zweimal ändern solle. Als ob die Koalition sich schon wirklich einig wäre, ob sie die Körperschaftsteuerreform denn überhaupt will! Auf jeden Fall aber hätte eine mit der Körperschaftsteuerreform verbundene Behandlung des Verlustrücktrages eine weitere Verzögerung um Monate bedeutet, und deshalb haben wir nicht zugestimmt. Wir drängen auf eine schnelle Verabschiedung der Vorlage über den Verlustrücktrag im Finanzausschuß und durch dieses Hohe Haus, damit endlich wenigstens einer unserer alternativen Vorschläge zur verfehlten Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung verwirklicht wird.
Das, was die Koalition nunmehr vorlegt, wird im übrigen unseren Zielen nicht so gerecht wie der CDU/CSU-Antrag. Der Verlustrücktrag soll kleinen und mittleren Unternehmen in diesen schwierigen Zeiten helfen zu überleben, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben, bis eine neue Politik wieder für Stabilität und Solidität und damit für günstigere Erwartungen sorgt.
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Die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Einschränkung des Verlustrücktrags auf ein Jahr und die erstmalige Anwendbarkeit für den Veranlagungszeitraum 1975 reichen dazu, Frau Kollegin Huber, wie Sie selbst genau wissen, nicht aus. Die Betriebe, die den Verlustrücktrag heute zur Erhaltung ihrer Existenz dringend benötigen, haben in der Regel wohl schon 1974 keine ausreichenden Erträge mehr erzielt, mit denen sich die Verluste des Jahres 1975 verrechnen ließen.
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Dabei sind wir immerhin schon froh, Frau Kollegin Huber, daß Sie den Verlustrücktrag nicht gar erst 1976 zum erstenmal anwenden lassen wollen, wie dies - laut Pressemeldungen - noch Anfang dieses
Monats die Absicht zumindest im Finanzministerium
gewesen sein soll; denn dies wäre dann überhaupt
keine Hilfe mehr für die aktuelle Situation gewesen.
Die CDU/CSU hält an ihrem schon 1974 eingebrachten Antrag fest. Wir begrüßen es, daß der Verlustrücktrag auf alle Einkunftsarten ausgedehnt werden soll. Wir sind angesichts der sich beängstigend verschlimmernden Finanzentwicklung bei den Gemeinden bereit, die Gewerbesteuer vom Verlustrücktrag auszunehmen.
Über die Soforthilfe für die mittelständische Wirtschaft hinaus versprechen wir uns vom Verlustrücktrag einen Beitrag zur Verbesserung der Investitionsfähigkeit. Der Verlustrücktrag ist allerdings nur ein Schritt in diese richtige Richtung. Seit Jahr und Tag haben wir ein ganzes Paket von alternativen Vorschlägen auf den Tisch gelegt, mit denen Rezession und Arbeitslosigkeit hätten zumindest wesentlich gemildert werden können. Ich nenne nur die Verbesserung der degressiven Abschreibung auf das Zweieinhalbfache der linearen Abschreibung, eine zeitlich begrenzte Wiedereinführung der Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Sonderausgaben als Sofortmaßnahmen; oder mittelfristig die Senkung der Vermögensteuer auf 0,5 bzw. 0,7 % Steuererleichterungen im Rahmen des § 7 b des Einkommensteuergesetzes, Sonderabschreibungen für die Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen und Investitionszulagen für diese Investitionen und den Verzicht auf die inzwischen unerträglich gewordene Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen bei der Gewerbesteuer.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich füge aus gegebenem Anlaß hinzu: Ich nenne in dieser Reihe auch die schnellstmögliche Verabschiedung der Körperschaftsteuerreform. Wir werden sehen, Herr Böhme, ob Ihre Sprüche im Finanzausschuß ein Stück weit tragen.
Mit der Verwirklichung dieser unserer alternativen Vorschläge kann die Steuerpolitik einen wichtigen Beitrag zur Rückgewinnung der verlorenen Arbeitsplätze und zur Wiedergesundung unserer Wirtschaft leisten. Der vorgeschlagenen Überweisung des Entwurfs zur Änderung des Einkommensteuergesetzes stimmt die CDU/CSU-Fraktion zu.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst noch einen Irrtum von Herrn Schäuble aufklären. In der gestrigen Sitzung des Finanzausschusses wurden beide Gesetzentwürfe diskutiert, wobei Sie Abstriche von Ihrem Gesetzentwurf machen mußten und teilweise Forderungen von unserem Gesetzentwurf übernommen haben.
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Denken Sie nur an die Ausweitung des Verlustrücktrags auch auf die Arbeitnehmer.
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Die von den Freien Demokraten geforderte Einführung des Verlustrücktrags ist eine Erweiterung und Verbesserung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums. Die bisherige steuerliche Gewinnermittlung nach einzelnen Wirtschaftsjahren kann unter Umständen in einer rezessiven Konjunkturphase wie der gegenwärtigen dazu führen, daß Unternehmen durch die derzeitige Periodenabgrenzung in Schwierigkeiten geraten. Diese Situation ist insbesondere gegeben im Zusammenhang mit größeren Investitionen, die zunächst nur Kosten verursachen und deren Erträge erst in späteren Zeiträumen anfallen.
Die Einführung des Verlustrücktrags beseitigt diese unerwünschten Auswirkungen des Steuerrechts. Der Sachverständigenrat hatte in seinem Jahresgutachten vom November 1975 mit Recht diesen Tatbestand kritisiert. Die Möglichkeit des Verlustrücktrags hat zur Folge, daß der Staat an den Verlusten der Unternehmen beteiligt ist, im Falle des Mißerfolgs der Investitionen sogar endgültig, nachdem er auch an den vorangegangenen Gewinnen beteiligt war. Für die Unternehmen entsteht hier quasi eine Eigenkapitalreserve, die im Falle von Verlusten mobilisiert werden kann. Dies bedeutet letztlich eine Stärkung der Liquidität solcher Unternehmungen in kritischen Wirtschaftssituationen, wodurch u. a. eine größere Sicherheit der Arbeitsplätze gewährleistet werden kann.
Der Vorteil des Rücktrags gegenüber dem Vortrag von Verlusten liegt gerade in einer schnellen Auswirkung für das betroffene Unternehmen, während ein Verlustvortrag nur unter dem Vorbehalt zukünftiger Rentabilität der Investitionen eine positive Wirkung entfalten kann.
Die Konjunkturpolitik der Bundesregierung bezüglich der eingesetzten Instrumente, der Dosierung und der Wahl der Zeitpunkte wird vom Sachverständigengutachten positiv beurteilt. Selbst wenn Herr Professor Klothen mit Blick auf den Präsidentensessel der Landeszentralbank in Baden-Württemberg zu einer anderen Aussage kommt, so ist sein Urteil für die 7. Legislaturperiode wohlwollend;
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seine Kritik betrifft nur die vorangegangenen Zeiträume.
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Der Verlustrücktrag erbringt einen Beitrag zu der von der Bundesregierung angestrebten Stärkung der Investitionsfähigkeit der Unternehmen und damit zur Sicherung und Anhebung des Beschäftigungsniveaus. Bei der gegenwärtigen Haushaltssituation sind die mit dem Verlustvortrag verbundenen Steuermindereinnahmen in Höhe von ca. 400 Millionen DM keineswegs leicht zu verkraften. Diesen Mindereinnahmen stehen aber in Zukunft steuerliche Mehreinnahmen gegenüber.
Die Begrenzung des Verlustrücktrags auf einen Betrag von 5 Millionen DM zielt bewußt auf eine
Stärkung der mittelständischen Wirtschaft ab, deren Bedeutung für die Erstellung des Sozialprodukts sich besonders deutlich an den Zahlen für Baden-Württemberg zeigen läßt. Dort sind 15 000 der insgesamt 16 000 gewerblich produzierenden Betriebe mittelständische Betriebe. Mehr als 100 000 Handwerksbetriebe und fast 100 000 Unternehmen des Handels und Verkehrs zählen ebenfalls zu diesen mittelständischen Betrieben, die von den Maßnahmen begünstigt sind, und in diesen Betrieben ist die Hälfte aller Erwerbstätigen beschäftigt. Diesen mittelständischen Unternehmen stehen in der Regel auch nicht die Möglichkeiten von Konzernen und verschachtelten Großunternehmen zum internen und steuerwirksamen Ausgleich von Gewinnen und Verlusten zwischen den einzelnen Betrieben zur Verfügung, wie sie einem diversifizierten Großunternehmen geboten sind.
Für den bestehenbleibenden Verlustvortrag wie auch für den Rücktrag gilt die Ausdehnung auf alle Einkunftsarten. Dadurch sind auch Arbeitnehmer erstmalig in der Lage, negative steuerliche Einkommen, die sich beispielsweise bei Arbeitslosigkeit, verbunden mit Abschreibungsmöglichkeiten nach § 7 b, ergeben können, mit positiven Einkommen des Vorjahrs zu verrechnen. Dies ist ein Beitrag einer Politik der sozialen Symmetrie, wie sie von der FDP nie vernachlässigt wurde.
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- Daß Sie das so lächerlich finden, erstaunt mich. Soziale Symmetrie wurde bei uns immer groß geschrieben.
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- Na ja, vielleicht können wir uns über diese begriffliche Neuschöpfung einmal unterhalten.
Die vorgeschlagene zeitliche Begrenzung des Verlustrücktrags auf ein Jahr wird von der FDP unterstützt, und zwar vor allem aus Gründen der Praktikabilität für die Finanzverwaltung. Zugleich wird dadurch eine schnellere Durchführung und, daraus folgend, eine umgehende Wirksamkeit des Vorhabens gewährleistet.
Was den Zeitpunkt der Einführung des Verlustrücktrags betrifft, erscheint das angestrebte Ziel durch die Verrechnung von Verlusten aus dem Jahre 1975 mit Gewinnen aus dem Jahre 1974 am ehesten erreichbar.
Gegen ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen zwischen Verlustrücktrag und Verlustvortrag ist zu sagen, daß mit der Einführung des Rücktrags ein Beitrag zur Konsolidierung der gegenwärtigen Konjunktursituation geleistet werden soll, was bei Einführung des Wahlrechtes nicht im gleichen Umfang gewährleistet werden kann.
Zu dem Antrag des Bundesrats, die Einführung des Verlustrücktrags auch auf die Gewerbesteuer auszudehnen, ist anzumerken, daß man vom Bundesrat eigentlich erwarten sollte, daß er auch die Interessen der kommunalen Finanzwirtschaft im Auge hat. Dies scheint hier aber nicht der Fall zu sein, denn sonst hätte er bedacht, daß eine derartige Regelung im Bereich der Gewerbesteuer die sehr angespannte Finanzlage der Gemeinden erheblich verschärft. Eine solche Entwicklung kann niemand wollen. Wenn hier Herr Schäuble die Forderungen von Herrn Stoltenberg - sogar noch ergänzt - aufgegriffen hat und Sonderabschreibungen, Ausdehnung der Abschreibungsmöglichkeiten bei der Vermögensteuer, Ausdehnung des § 7 b und auch Erleichterungen im Gewerbesteuerbereich fordert, macht er das Defizit, das wir jetzt schon in unserem Haushalt haben, nur größer. Ich würde sehr empfehlen, daß Sie sich innerhalb Ihrer Fraktion etwas besser abstimmen, denn die Haushaltsexperten reisen heute noch durch das Land und verkünden das Märchen vom Staatsbankrott, während Sie hier wieder Anträge bringen, die nur geeignet sind, jenes Defizit zu vergrößern.
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Und dies geschieht trotz optimistischer Prognosen Ihres wirtschaftspolitischen Großsprechers mit fastoppositionellen Richtlinienkompetenzen, der den Aufschwung prophezeit und der hier nicht unbedingt mit Ihnen einer Meinung ist.
Darüber hinaus wissen Sie so gut wie ich, daß sich die Länderchefs sofort zu Wort melden würden, wenn sich hier ihr Steueranteil verkleinerte; und nach dem Klaren aus dem Norden würde sich bestimmt schon nach Tagen der Schwarze aus dem Süden zu Worte melden; denn Herr Filbinger würde es sich nicht bieten lassen,
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daß hier im Bund Gesetze verabschiedet werden, die die Finanzsituation der Länder verschlechtern.
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- Wissen Sie, Herr Kollege, wenn Sie hier fragen, was Herr Friderichs dazu gesagt hat, sollten Sie wissen, daß Herr Friderichs mit der Forderung des Verlustrücktrages Ihnen um Monate voraus war.
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Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Mit diesem Gesetzentwurf wurde eine von der FDP sehr frühzeitig vorgetragene Forderung aufgegriffen.
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- Herr Schäuble, Sie lachen wieder. Sie sind sich doch sicherlich der Tatsache bewußt, daß sich der Wirtschaftsminister sehr frühzeitig für den Verlustrücktrag eingesetzt hat. - Darüber hinaus begrüßt die FDP die gezielte Wirkung auf mittelständische Unternehmen, deren Beitrag zur Stärkung des Wettbewerbs von uns nicht verkannt wird. Die FDP
wird sich dafür einsetzen, daß das Gesetz im Ausschuß zügig verabschiedet wird.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Herr Haehser.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich die Initiative der beiden Koalitionsparteien zur Einbringung - ({0})
- Herr Mertes, Sie verstehen doch von der Außenpolitik nicht viel; warum mischen Sie sich denn jetzt ein?
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Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich die Initiative der beiden Koalitionsparteien im Hinblick auf die jetzt anstehenden Entscheidungen, und sie möchte hinzufügen, daß sie sich über die Haltung der beiden Oppositionsparteien wundert: Wir haben es auf der einen Seite mit einer Fülle von Forderungen nach Mehrausgaben zu tun,
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und wir haben es auf der anderen Seite mit einer Fülle von Forderungen nach Minderausgaben zu tun. Dies ist unsolide; das möchte ich namens der Bundesregierung ausdrücklich feststellen.
Das, womit wir es hier zu tun haben, ist ein bereits im vorigen Jahr im Bundeskabinett erörtertes Thema, der Verlustrücktrag, „Carry back". Jetzt liegt der Antrag vor, und die Entscheidung über diesen Antrag wird durch den guten Abschluß des Haushalts 1975 erleichtert, der uns ja, wie Sie wissen, immerhin mehr als 5 Milliarden DM Minderausgaben und mehr als 2,6 Milliarden DM Mehreinnahmen beschert hat.
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Ich möchte Sie alle, meine Damen und Herren, bitten, das, was jetzt zur Entscheidung ansteht, recht bald einer solchen Entscheidung zuzuführen. Es geht weniger um Polemik als um eine baldige Entscheidung, um die wir Sie alle bitten möchten.
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Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Rednerliste angelangt. Ich schließe die Beratung in erster Lesung.
Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe als letzten Punkt für heute den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Sammelübersicht 51 des Petitionsausschusses ({5}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 7/4510 Sie kennen den Antrag des Ausschusses. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir die anderen Punkte morgen erledigen können.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.