Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Meine Damen und Herren, gestern erhielten wir die Nachricht, daß am Mittwochabend unser ehemaliger Kollege Anton Storch, der von 1949 bis 1957 der erste Arbeitsminister der Bundesrepublik war, im hohen Alter von 83 Jahren in seiner Vaterstadt Fulda verstorben ist. Somit heißt es für uns heute wieder von einem Manne Abschied nehmen, der noch maßgeblich an der Grundlegung unserer staatlichen und sozialen Ordnung mitgewirkt hat.
Anton Storch, der am 1. April 1892 als Sohn eines Arbeiters geboren wurde, hat sich schon in jungen Jahren Aufgaben und Idealen verschrieben, die ihn sein ganzes Leben hindurch leiten sollten. Er nahm sich vor, als Anwalt der Arbeiterschaft zu wirken und durch Neugestaltung der sozialen Ordnung aus christlicher Gesinnung zur Lösung der sozialen Frage beizutragen.
Darum widmete er sich, nachdem er das Tischlerhandwerk erlernt hatte, schon als Dreiundzwanzigjähriger, also noch in der Zeit des Ersten Weltkrieges, intensiv der Gewerkschaftsarbeit. In der Weimarer Republik war er bis 1933 an führender Stelle in der christlichen Gewerkschaftsbewegung tätig.
Auch nach der politischen Verfolgung durch das Nazi-Regime stellte er sich sofort wieder in den Dienst der Gewerkschaften. Er gehörte zu den Verfechtern des Gedankens einer Einheitsgewerkschaft und war Mitgründer des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der damaligen britischen Zone.
Seine eigentliche politische Laufbahn begann 1948 mit seiner Wahl zum Direktor des Amtes für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsrates. Hier war er maßgeblich an den Entscheidungen zur Einführung der sozialen Marktwirtschaft beteiligt.
Im Jahre 1949 kam Storch als direkt gewählter CDU-Abgeordneter des Wahlkreises Osnabrück in den Deutschen Bundestag, dem er vier Wahlperioden lang, bis 1965, angehört hat. Acht Jahre war er Arbeitsminister und Mitglied der Regierung Adenauer.
Mit seinem Namen sind vor allem zwei bedeutende Gesetzeswerke verbunden, auf die sich auch die heutige Gesetzgebung stützt: das erste Betriebsverfassungsgesetz und die Neuregelung der sozialen Rentenversicherung mit der Einführung der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente. Für beide hat ei auch Anerkennung bei seinen parteipolitischen Gegnern gefunden.
Nachdem Anton Storch 1957 sein Ministeramt abgegeben hatte, übernahm er neben seinem Bundestagsmandat noch ein Mandat des Europäischen Parlaments, dem er auch als Mitglied und Vorsitzender verschiedener Ausschüsse mit seinen reichen Erfahrungen auf dem sozialpolitischen Gebiet dienen konnte, bis er sich 1965 aus der aktiven parlamentarischen Arbeit zurückzog.
Wer Anton Storch gekannt hat, wird sich seiner als eines Mannes erinnern, in dessen Persönlichkeit sich Überzeugungskraft, Durchsetzungsvermögen und Zivilcourage mit einem ganz hohen Maß an Bescheidenheit und persönlicher Anspruchslosigkeit vereinten. Diese Anspruchslosigkeit auch im dienstlichen Aufwand bekam in Bonn geradezu sprichwörtlichen Charakter.
Anton Storch erhielt für seine Leistungen und Verdienste um den Wiederaufbau unseres Staatswesens das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Wir werden seiner stets als eines Mannes vorbildlicher Gesinnung und Haltung gedenken.
Ich spreche der Witwe des Verstorbenen namens des ganzen Hauses unser tiefempfundenes Beileid aus. - Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um folgende, in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Einsetzung eines Sonderausschusses
- Drucksache 7/4333 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau
- Drucksache 7/4334 14134
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Beratung des Ersten Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur ({2})
- Drucksache 7/4359 Berichterstatter: Abgeordneter Höcherl
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 8. April 1959 zur Errichtung der Interamerikanischen Entwicklungsbank
Drucksache 7/4315 Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({3}) Ausschuß für Wirtschaft
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, Ihnen liegt folgende Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Betr.: Bericht über die Deckung des Finanzbedarfs der Deutschen Bundesbahn
Drucksache 7/4247 zuständig: Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({4}), Haushaltsausschuß
Betr.: Bericht des Bundesrechnungshofes nach § 99 BHO über die Betätigung des Bundes bei der Olympia-Baugesellschaft mbH ({5}) und über Zuwendungen des Bundes zu den Kosten der Spiele der XX. Olympiade 1972
- Drucksache 7/4297 zuständig: Haushaltsausschuß
Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland
- Zur psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychosomatischen Versorgung der Bevölkerung
- Drucksachen 7/4200, 7/4201 -zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Betr.: Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung
Drucksache 7'4244 zuständig: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Erhebt sich gegen die vorgeschlagene Überweisung Widerspruch? Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Das vom Deutschen Bundestag in seiner 200. Sitzung am 6. November 1975 verabschiedete Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ({6}) ({7}) wurde gemäß § 123 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages wie folgt berichtigt:
1. § 179 - Gerichtsverfassungsgesetz -
In der letzten Zeile der Nummer 2 muß es richtig heißen: „2. nach § 109 des Strafvollzugsgesetzes."
2. § 198 - Inkrafttreten -
a) In Absatz 2 Nummer 1 müssen gestrichen werden: aa) der Buchstabe „a" nach der Angabe „§ 192" und bb) der Buchstabe „b" nach der Angabe „§ 193".
b) In Absatz 2 Nummer 2 muß der Buchstabe „a" nach der Angabe „§ 192" gestrichen werden.
3. § 199 - Übergangsfassungen In Absatz 2 muß die Einleitung der Nummer 1 richtig lauten: „1. § 50 - Haftkostenbeitrag erhält folgende Fassung:"
4. § 201 - Übergangsbestimmungen für die Unterbringung In der Nummer 4 muß die Angabe „Nummern I und 2" durch die Angabe „Nummern 2 und 3" ersetzt werden.
Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 25. November 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Riede ({8}), Frau Stommel und Genossen betr. Bewertung der Arbeitsleistung der Frau im Haushalt ({9}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/4335 verteilt.
Überweisung von Zollvorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Aufhebbare verkündete Fünfzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - ({10})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig dem Plenum am 12. März 1976
Aufhebbare verkündete Einundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - ({11})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig dem Plenum am 12. März 1976
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates betreffend Finanzvorschriften für das Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung und für die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ({12})
überwiesen an den Haushaltsausschuß ({13}), Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates
zur zeitweiligen und vollständigen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Pinene der Tarifstelle ex 29.01 C I
zur zeitweiligen und vollständigen Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für gebrannten Bauxit ({14}) der Tarifstelle ex 38.19 T ({15})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien ({16}) und ({17}) über den Verkehr mit Pflanzkartoffeln und mit Gemüsesaatgut ({18})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({19}) Nr. 517/72 des Rates vom 28. Februar 1972 über die Einführung gemeinsamer Regeln für den Linienverkehr und die Sonderformen des Linienverkehrs mit Kraftomnibussen zwischen den Mitgliedstaaten ({20})
überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({21}) des Rates über den Pauschbetrag für nicht raffiniertes Olivenöl, das vollständig in Griechenland erzeugt wurde und aus diesem Land unmittelbar in die Gemeinschaft befördert wird ({22})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({23}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({24}) Nr. 1955/75 über die Erstattung bei der Erzeugung für Getreide und Reis ({25})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({26}) des Rates zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge zum Marktrichtpreis, zum Interventionspreis und zum Schwellenpreis für Olivenöl für das Wirtschaftsjahr 1975/76 ({27})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({28}) Nr. 1463/70 des Rates vom 20. Juli 1970 über die Einführung eines Kontrollgeräts im Straßenverkehr ({29})
überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates betreffend Schutzmaßnahmen nach der Vereinbarung über den internationalen Handel mit Textilien sowie zur Änderung der Verordnung ({30}) Nr. 1439/74 ({31})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({32}) des Rates
zur Verlängerung der Verordnung ({33}) Nr. 346/75 über die Einfuhr bestimmter Fischereierzeugnisse mit Ursprung in Tunesien in die Gemeinschaft
zur Verlängerung der Verordnung ({34}) Nr. 347/75 über die Einfuhr bestimmter Fischereierzeugnisse mit Ursprung in Marokko in die Gemeinschaft ({35})
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft hei vorübergehender Einfuhr von bestimmten Verkehrsmitteln ({36})
überwiesen an den Finanzausschuß ({37}), Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates über Steuerbefreiungen der endgültigen Einfuhr von persönlichen Gegenständen durch Privatpersonen aus einem Mitgliedstaat ({38})
überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({39}) Nr. 2917/75 des Rates vom 5. November 1975 über die Lieferung von Butteroil an das Welternährungsprogramm im Rahmen des Nahrungsmittelhilfeprogramms 1975 für Flüchtlinge aus Angola in Portugal
Verordnung ({40}) Nr. 291B'75 des Rates vom 5. November 1975 über die Lieferung von Magermilchpulver an das Welternährungsprogramm ins Rahmen des Nahrungsmittelprogramms 1975 für Flüchtlinge aus Angola in Portugal
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte urn Vorlage des Berichts innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Vereinbarungsgemäß rufe ich zunächst die Zusatzpunkte auf.
Zusatzpunkt 1:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Einsetzung eines Sonderausschusses
- Drucksache 7/4333 Ich frage, ob von den Antragstellern das Wort gewünscht wird. Das Wort wird nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau
- Drucksache 7/4334 Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Waltemathe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der antragstellenden Koalitionsfraktionen möchte ich den Ihnen in Drucksache 7/4334 vorliegenden Antrag zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau wie folgt begründen.
Erstens. Der Bundestag hat dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung in seiner Sitzung am 10. April 1975 in zweiter und dritter Beratung zugestimmt. Der Bundesrat hat am 30. Mai 1975 den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel angerufen, in sechs Punkten eine Änderung des Gesetzes herbeizuführen. Der Vermittlungsausschuß ist diesem Begehren am 12. Juni 1975 in zwei Punkten gefolgt. Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses ist in der Sitzung des Bundestages am 9. Juni 1975 übernommen worden.
Der Bundesrat versagte in seiner Sitzung am 11. Juli 1975 dem Gesetz die Zustimmung. Nachdem alsdann die Bundesregierung am 28. Juli die erneute Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangte, wurden am 17. Oktober 1975 Vermittlungsvorschläge gemacht, die im wesentlichen einvernehmlich, also unter Zustimmung von CDU-Vertretern des Bundestages und aus den Ländern, ergingen. Der Bundestag hat diese Vorschläge in seiner 197. Sitzung am 24. Oktober 1975 angenommen.
Wider Erwarten hat der Bundesrat am 7. November 1975 dem Gesetz in der Fassung der Kompromißvorschläge des Vermittlungsausschusses die Zustimmung verweigert.
Zweitens. Die Ablehnung des Bundesrates ist nicht nur in der Fachwelt auf großes Unverständnis gestoßen, zumal plausible Begründungen der CDU/ CSU-regierten Länder im Bundesrat für die ablehnende Haltung nicht erkennbar geworden sind. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien hatten in vielen wesentlichen Punkten dem Begehren der Bundesratsmehrheit nachgegeben und ihre Kompromißbereitschaft unter Beweis gestellt. Gleichzeitig wurde dabei unterstrichen, daß es der Mehrheit in diesem Hause um einen Fortschritt in der Sache und nicht um einen polemischen oder ideologischen Streit geht.
Vor der Sitzung des Bundesrats am 7. November hatten auch Vertreter von CDU-regierten Bundesländern wie Schleswig-Holstein, Saarland und teilweise auch Rheinland-Pfalz zu erkennen gegeben, daß sie den Vermittlungsvorschlägen zustimmen würden, wenn nicht noch übergeordnete Gesichtspunkte vorgetragen würden, Da sachliche übergeordnete Gesichtspunkte nicht erkennbar wurden, muß man vermuten, daß die einigende Klammer der unionsregierten Länder in einer totalen Obstruktionspolitik gegenüber Vorlagen aus dem Regierungslager besteht. Ich würde mich freuen, wenn diese Vermutung falsch wäre. Die Opposition in diesem Hause kann unseren Eindruck durch ihr heutiges Abstimmungsverhalten gern korrigieren.
Drittens. Ursprünglich hatte der Bundesrat Bedenken gegen die neue Bestimmung im zweiten Wohnungsbaugesetz, wonach die öffentliche Wohnungsbauförderung überwiegend, d. h. zu mehr als 50 "'c, der Bildung von Eigentum dienen soil. Diese Bedenken haben aber nicht etwa zur Ablehnung des Gesetzes geführt. Die CDU/CSU hat immer betont, daß sie nicht grundsätzlich gegen die neue Rechtsform des Wohnbesitzes sei, soweit diese Art der Vermögensbildung im sozialen Wohnungsbau nicht zu Lasten der Eigentumsmaßnahmen geht. An dieser grundsätzlichen Haltung wird sich die CDU/CSU in diesem Hause und auch im Bundesrat messen lassen müssen, wenn sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, bloße Lippenbekenntnisse von sich zu geben.
Viertens. Die Koalition hält die Gesetzesinitiative aus mehreren Gründen für wichtig und unabdingbar, wenn ernstgemacht werden soll mit der erleichterten Eigentumsbildung und Vermögensbeteiligung im sozialen Wohnungsbau. Kommt das Gesetz insgesamt nicht zustande, so wird nicht etwa nur die im Gesetz angesprochene Form des Wohnbesitzes abgelehnt, vielmehr wird die grundsätzliche Bestimmung abgelehnt, daß künftig öffentliche Mittel zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus überwiegend der Bildung von Einzeleigentum dienen. Es wird abgelehnt die Möglichkeit des erleichterten Mietkaufs. Es würde zurückgewiesen die Möglichkeit erleichterter Vor- oder Zwischenfinanzierung von Eigenleistungen bei kinderreichen Familien und jungen Ehepaaren. Es würde nein gesagt zu der Möglichkeit, daß kinderreiche Familien und junge Ehepaare beim Bau von Einfamilienheimen oder Eigentumswohnungen mit einer Eigenleistung von 10 % zu Eigentum kommen können.
Fünftens. Weil wir nicht nur die Rechtsform des Wohnbesitzes, sondern die soeben erwähnten gesetzlichen Erleichterungen für wichtig halten, um wohnungs- und sozialpolitische Fortschritte zu machen, meinen wir, daß der Bundesrat die Gelegenheit erhalten muß, seine Haltung noch einmal zu überprüfen. Dies ist auch notwendig, weil auf dem Markt schon Wohnbesitzwohnungen vorhanden sind und „kleine Leute" ihre Ersparnisse in einen Wohnbesitzbrief hineingegeben haben. Diese Bürger haben einen Anspruch darauf, daß der Gesetzgeber ihnen die steuer- und prämienrechtlichen Vorteile zukommen läßt, die eine wirksame Vermögensbildung erst mit ermöglichen.
Wir sind für das Gesetz, weil wir eben nicht wollen, daß Mieter nur zur Vermögensbildung großer Wohnungsbaugesellschaften beitragen und deren Eigentumskonzentration fördern. Sozialmieter mit eigener Vermögensbeteiligung an ihrer Wohnung sind von einer Wohnungsbaugesellschaft unabhängiger und haben Mitbestimmungsmöglichkeiten. Die Anrufung des Vermittlungsausschusses ist eine Chance für die Opposition in diesem Hause und die CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat, das in der Öffentlichkeit vorhandene negative Bild, nichts für die Eigentumsbildung wenig bemittelter Bevölkerungskreise beitragen zu wollen, doch noch zu korrigieren.
({0})
Ich bitte das Hohe Haus, der Anrufung des Vermittlungsausschusses aus diesen Gründen zuzustimmen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich frage, ob das Wort zur Begründung noch von der FDP gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.
Dann erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Jahn ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aller guten Dinge sind drei! Dies könnte ein gutes Omen für die dritte Anrufung des Vermittlungsausschusses werden. Doch wissen tun wir es noch nicht. Der Antrag von SPD und FDP liegt uns erst seit vorgestern auf dem Tisch. Mit welchem konkreten Ziel der Vermittlungsausschuß angerufen werden soll, ist in dem Antrag in keiner Weise angesprochen worden.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie zwingen uns heute morgen zu einer Abstimmung, bei der wir noch nicht einmal wissen, was Sie ganz konkret vom Vermittlungsausschuß wollen.
({0})
Und dies - das möchten wir ganz deutlich sagen - ist ein schlechter demokratischer Stil. Wir werden deshalb diesmal, weil wir nicht konkret über den Inhalt urteilen können, weder mit Ja noch mit Nein stimmen,
({1})
um uns für den Vermittlungsausschuß offenzuhalten, weil Sie heute konkret nicht sagen, was Sie konkret an welcher Vorschrift ändern möchten.
({2})
Wir geben Ihnen damit, Herr Wehner, die Chance zur Umkehr
({3})
zugunsten eines Weges, den wir von der CDU/CSU längst eingeschlagen haben.
({4})
Wir bleiben nämlich dabei, Herr Wehner, daß unsere Politik nicht in erster Linie den Wohnungsbaugesellschaften dient, sondern den Bürgern in unserem Lande.
({5})
Unsere Position zum Wohnbesitzbrief war von Anfang an klar. Wir sagten, wer 15 "/o der Bausumme eines Objekts, das er bewohnt, neben der Kostenmiete auf den Tisch des Hauses legen muß, den muß eine echte Sozialpolitik auch in die Lage versetzen, daß er zu echtem privaten Eigentum kommt. Dies hat Ihre Fraktion, Herr Wehner, in einer Beratung von einem Jahr laufend abgelehnt, bis allmählich die Einsicht kam, daß man doch etwas entgegenkommen könnte. Lange Zeit haben Sie das kategorisch abgelehnt, und der Herr Bundesbauminister lieferte frei Haus auch die Begründung dafür, die wie folgt lautet:
Wer Wohnungseigentum erwerben will, kann dies über den Weg des „Mietkaufs" durch Nachsparen der Eigenleistung einfacher, direkter und schneller. Wer sich für den Wohnbesitzbrief entscheidet, gibt zu erkennen, daß er kein volles Eigentum anstrebt.
So der Herr Bundesbauminister.
Im Vermittlungsausschuß haben Sie nun eine Kehrtwendung vollzogen, bei der wir im Grundsatz mit Ihnen d'accord sind. Aber wir sind der Meinung:
Dr. Jahn ({6})
Es ist zunächst ein Lippenbekenntnis, wenn Sie ein Ja zur Umwandlung einer Wohnbesitzwohnung in eine Eigentumswohnung sagen, gleichzeitig aber die Umwandlung tatsächlich erschweren, indem Sie an eine qualifizierte Mehrheit von 60 % anknüpfen und zusätzlich die Forderung aufstellen, daß auch der letzte der am Fonds Beteiligten sein Eigenkapital bezahlt haben muß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was in den letzten Wochen an Verdrehungen durch den Blätterwald geistert, spottet jeder Beschreibung.
({7})
So lesen wir - auch in Äußerungen des zuständigen Bauministers, der heute leider nicht hier sein kann -, daß wir Obstruktionspolitik betreiben, daß wir eine Politik gegen die kleinen Leute machen und daß das Verrat am Eigentumsgedanken ist.
({8})
Meine Damen und Herren von der Koalition, die Maske muß herunter! Sie stärken mit diesem Wohnbesitzbriefmodell eindeutig die Position der Baugesellschaften, und zwar auf Kosten des kleinen Mannes.
({9})
Sie schaffen mit diesem Modell den Eigentümer ohne Eigenkapital, indem Sie die Verpflichtung, das Eigenkapital aufzubringen, auf den kleinen Mann abwälzen; der Eigentümer, die Baugesellschaft, braucht es nicht aufzubringen.
({10})
Sie schaffen mit diesem Modell den Eigentümer ohne Risiko, denn das Mietausfallrisiko trägt ja im Grunde nicht die Baugesellschaft als Eigentümer, sondern die Gemeinschaft der Wohnbesitzberechtigten in kollektiver Haftung. Eigentümer ohne Eigenkapital, Eigentümer ohne Risiko - man muß sich doch einmal fragen, wie Sie dazu kommen, gerade dieses Modell zu fördern, bei dem Sie den Eigentümer stärken, wo Sie doch sonst immer das Hohelied des Mieters singen. Die Antwort haben Sie selbst ins Gesetz hineingeschrieben: Eigentümer im Sinne des Gesetzes kann kein Privatmann sein, sondern eben nur eine Baugesellschaft.
Wer sitzt Ihnen denn heute im Nacken, daß Sie das drittemal den Vermittlungsausschuß anrufen? Doch die Baugesellschaften, die hier das Geschäft machen! Herr Kollege Walthemathe, Sie haben eben selbst erklärt, daß danach schon gefördert worden ist. Ich muß feststellen, es ist eine rechtswidrige Förderung, wenn man bereits nach einem Gesetz fördert, das noch gar nicht in Kraft ist. Dies ist ein Argument, das Sie nicht hereinbringen dürfen.
Dann haben Sie - das war das zweite - geäußert, wer dieses Gesetz nicht will, untergräbt den Eigentumsgedanken. Wir halten demgegenüber nach wie vor fest: Wenn dieses Gesetz nicht kommt, bleibt es bei der geltenden Rechtslage, und die geltende Rechtslage geht bereits vom Vorrang des privaten
Eigentums aus. Das ist eine Politik, die wir bereits damals in das geltende Recht hineingeschrieben haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die mangelnde Attraktivität der Wohnbesitzwohnungen soll durch eine großzügige staatliche Förderung überdeckt werden. Wie bereits mehrfach von uns nachgewiesen, kann mit demselben Kapitaleinsatz anstelle der risikoreichen Wohnbesitzwohnungen sofort volles Wohnungseigentum erworben werden.
({11})
Wenn Sie wirklich das private Eigentum wollen, warum dann der Umweg über den Wohnbesitzbrief? Diese Frage haben Sie uns bis auf den heutigen Tag nicht beantwortet, Herr Kollege Henke.
Wir wehren uns dagegen - ich sage das deshalb, weil das gerade in den letzten Wochen so durch den Blätterwald gegangen ist -, daß Sie sich hier zum Anwalt des privaten Eigentums hochstilisieren, wo Sie doch im Grunde monate- und jahrelang verhindert haben, diesem Umwandlungsanspruch Rechnung zu tragen. Wir weisen dies zurück. Wir sind überzeugt,
({12})
daß wir der Anwalt für die private Eigentumsbildung sind. - Herr Kollege Wehner, wenn Sie dies bestreiten, muß ich Ihnen sagen: Sie sind doch derjenige gewesen, der mitverantwortet hat, daß das Koschnick-Papier zur Aufspaltung des Eigentums in Verfügungs- und Nutzungseigentum
({13})
auf dem Parteitag nicht behandelt wurde. Sie wußten, warum Sie das tun; Sie sind klug genug und haben dafür immer den Satz parat: Genossen, ich warne vor noch so guten Gedanken, die gegenwärtig nicht in die politische Landschaft passen. Sie wissen genau, Herr Kollege Wehner, daß dieses Koschnick-Papier von der Aufspaltung des Eigentums in Verfügungs- und Nutzungseigentum wahrlich ein Sicherheitsrisiko für das private Eigentum ist.
({14})
- Ja, eine originale, Herr Wehner, ich finde das auch. Das ist richtig.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Der bisher eingeschlagene Weg dient nicht der Politik der Sicherung einzelner, sondern der Machtzusammenballung von Wohnungseigentum bei den Baugesellschaften.
({15})
Dies ist ein Stück Gesellschaftspolitik, aber, wie wir meinen, in die verkehrte Richtung. Der Kleinverdiener zahlt sein erspartes Geld; Herr in der eigenen Wohnung wird er nicht. Das, was mit dem Wohnbesitzbrief gewonnen wird, das Dauermietrecht, ist am Markt viel billiger.
Dr. Jahn ({16})
Und nun unser Angebot: Um eine ehrliche und wirkliche Eigentumsbildung für unsere Bürger auch in diesem Bereich zu finden, um den Eigentumsgedanken zu stärken - nicht bei den Baugesellschaften, sondern bei dem kleinen Mann -, fordern wir Sie heute auf, alle Erschwernisse für das Umwandlungsbegehren abzubauen. Es liegt an Ihnen, meine Damen und Herren. ob Sie über Ihren eigenen ideologischen Schatten springen wollen.
({17})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Danke. Meine Damen und Herren, der Antrag ist angenommen hei einer Reihe von Stimmenthaltungen der Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung des Ersten Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur ({2})
- Drucksache 7/4359
Berichterstatter: Abgeordneter Höcherl
Das Wort hat der Berichterstatter, der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesrat hat am 21. November dieses Jahres beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 6. November 1975 verabschiedeten Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur den Vermittlungsausschuß anzurufen. Die mit unterschiedlichen Mehrheiten beschlossenen Anrufungsgründe bezweckten eine Änderung der vom Bundestag beschlossenen Gesetzesfassung in insgesamt 21 Punkten.
Der Vermittlungsausschuß hat sich gestern, am 27. November, mit dem Gesetzesbeschluß befaßt. Er hat, und zwar einmütig, beschlossen, den bisherigen Gesetzesbeschluß aufzuspalten, in dem die Art. 20 und 25, die das Arbeitsförderungs- und das Bundesversorgungsgesetz betreffen, aus dem Gesetz herausgenommen werden. Die betreffenden Regelungen sollen bis auf zwei unwesentliche Änderungen des Bundesversorgungsgesetzes, die in untrennbarem Zusammenhang mit der Regelung zum Bundeskindergeldgesetz stehen, nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses Gegenstand eines besonderen Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des
Bundesversorgungsgesetzes werden, das Ihnen heute in der Drucksache 7/4359 vorliegt.
Der Grund für diese Maßnahme ist, daß das Ihnen heute vorliegende Teilgesetz im Gegensatz zum bisherigen Gesetz nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Bei der Fassung des Ihnen vorliegenden Teilgesetzes hat der Vermittlungsausschuß die drei Änderungsvorschläge, die der Bundesrat in seinem Anrufungsbegehren zu den Art. 20 und 25 des Gesetzesbeschlusses des Bundestages gemacht hat -vgl. Ziffer 7 bis 9 der Drucksache 7/4325 abgelehnt.
Mit dem ersten Änderungsbegehren strebte der Bundesrat an, den § 36 des Arbeitsförderungsgesetzes um einen zweiten Absatz zu ergänzen, um im Bereich der Förderung der beruflichen Bildung den Kreis der förderungsberechtigten Personen zu erweitern. Die vom Bundestag beschlossene Fassung schließt alle Personen von der Förderung aus, die selbständig werden wollen. Nach Auffassung des Bundesrates wird damit ein für den Arbeitsmarkt wichtiger Bereich außer Betracht gelassen. Die Förderung solle daher auch dann eingreifen, wenn damit die Gründung selbständiger Existenzen erleichtert wird. Die Ausweitung der Förderung würde nach Auffassung des Bundesrates insbesondere dem Handwerksbereich zugute kommen. Die Mehrheit des Vermittlungsausschusses konnte sich nicht für diese Änderung des § 36 des Arbeitsförderungsgesetzes entscheiden.
Im zweiten Änderungsbegehren zu der vom vorliegenden Teilgesetz erfaßten Materie hat der Bundesrat verlangt, die in der Änderung des § 144 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes vorgesehene Anhebung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung von 2 auf 3 % zu streichen. Der Bundesrat geht zwar ebenfalls davon aus, daß die Ausgaben der Arbeitslosenversicherung auf längere Sicht durch Beiträge gedeckt werden müssen. Er hält jedoch im gegenwärtigen Zeitpunkt die Anhebung der Beiträge nicht für akzeptabel. Die Anhebung der Beiträge führe zu einer Belastung der Wirtschaft, die zur Zeit weder mit den konjunkturpolitischen Erfordernissen noch mit der angestrebten Stärkung der Investitionskraft der Wirtschaft vereinbar seien.
Da die verschiedenen Auffassungen zu dieser Frage schon seit langem bekannt sind, wurde im Vermittlungsausschuß über die Erforderlichkeit der Beitragserhöhung nicht mehr ausführlich diskutiert, sondern mit Mehrheit eine Streichung der Beitragserhöhung abgelehnt.
Hinsichtlich der Änderungen des Bundesversorgungsgesetzes hatte der Bundesrat schließlich verlangt, die Neufassung des § 48 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes, die die Witwen- und Waisenbeihilfe erheblich einschränkt, zu streichen.
Der Bundesrat geht davon aus, daß viele versorgungsberechtigte Schwerbeschädigte im Vertrauen auf die vor fünfzehn bzw. vor zwölf Jahren unter entschädigungsrechtlichen Gesichtspunkten begründeten Versorgungsleistungen auf die Begründung eines eigenen zusätzlichen Versicherungsschutzes verzichtet haben. Die vorgesehene Einschränkung
der Witwen- und Waisenbeihilfe lasse außer acht, daß die Folgen der in zurückliegender Zeit getroffenen Entscheidung von den Betroffenen nicht abgefangen werden könnten, da eine entsprechende Nachversicherung nicht möglich ist.
Auch in diesem Punkte hat sich die Mehrheit des Vermittlungsausschusses dem Streichungsbegehren des Bundesrates nicht anschließen können, so daß es bei der Neufassung des § 48 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes geblieben ist.
Hinsichtlich des nicht vom vorliegenden Teilgesetz erfaßten Haushaltsstrukturgesetz hat der Vermittlungsausschuß einige Änderungen vorgeschlagen, über die aber heute nicht zu entscheiden ist. Dem Hohen Hause wird darüber ein besonderer Antrag des Vermittlungsausschusses für die Sitzung am nächsten Mittwoch vorgelegt.
({0})
Meine Damen und Herren, ich danke dem Herrn Berichterstatter. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich lasse gemeinsam über den Antrag des Vermittlungsausschusses abstimmen. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Meine Damen und Herren, der Antrag des Vermittlungsausschusses ist mit sehr großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 8. April 1959 zur Errichtung der Interamerikanischen Entwicklungsbank
- Drucksache 7/4315 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({0}) Ausschuß für Wirtschaft
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Ich frage, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Ich frage, ob das Wort zur Aussprache gewünscht wird. - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit - federführend -, an den Ausschuß für Wirtschaft und den Finanzausschuß - mitberatend - sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 9 der heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
- Drucksache 7/4179 - Bericht und Antrag des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 7/4347 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Gruhl
Abgeordneter Schäfer ({2})
({3})
Ich frage die Herren Berichterstatter, ob eine Ergänzung des schriftlichen Berichts gewünscht wird. - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe die Artikel 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. -
Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich frage, ob das Wort in der
dritten Beratung
gewünscht wird. - Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen! Ich stelle das ausdrücklich fest. Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in der dritten Lesung einstimmig angenommen worden.
Ich rufe nunmehr Punkt 20 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Grundsätze der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik der Bundesregierung
- Drucksachen 7/3656, 7/3805, 7/3907 -
b) Beratung des Zweiten Berichts der Bundesregierung zur Entwicklungspolitik und der zweiten Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzeption
- Drucksache 7/4293 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit )federführend)
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wawrzik.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat am 20. Mai 1975 die heute zur Beratung anstehende Anfrage eingereicht. In der Begründung haben wir den Anlaß dargelegt: Erdölpreiserhöhungen, verschärfte Ernährungskrise, Inflation, Handelsbilanzungleichgewichte und die Forderung der Entwicklungsländer nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung auf
der einen Seite sowie Zahlungsbilanzschwierigkeiten zahlreicher Industrieländer auf der anderen Seite erfordern es, die deutsche Entwicklungspolitik auf die veränderte Lage einzustellen. Die Bundesregierung hat hierzu bisher nur widersprüchliche Aussagen und Ankündigungen ohne Substanz gemacht, nicht aber sichtbare, entscheidende Konsequenzen gezogen. Deshalb mußten wir unsere Fragen stellen.
Das Papier, das die Bundesregierung als ihre Antwort bezeichnet, liegt seit dem 20. Juni 1975 vor. Die Schriftliche Antwort auf unsere Große Anfrage ist das klassische Beispiel für eine Politik der gezielten Desinformation.
({0})
Die einzige wirklich klare Aussage ist die Nummer der Drucksache. Bis auf wenige Ausnahmen ist mit den Antworten überhaupt nichts anzufangen.
({1})
Sie beseitigen weder Widersprüchlichkeiten noch lassen sie klar erkennen, in welche Richtung der Zug nun wirklich fährt.
Mit unserer ersten Frage wollten wir erkunden: Was bleibt von Eppler? Was kommt neues von Bahr? In der Antwort wird auf die zweijährige Überprüfung der Konzeption und die Gymnicher Thesen hingewiesen. So einfach macht man sich das: Sucht euch aus den Papieren heraus, was ihr wollt. Leider läßt die knappe Zeit eine Würdigung der Gymnicher Thesen im einzelnen an dieser Stelle nicht zu. Eine solche Würdigung scheint mir aber auch nicht notwendig zu sein, denn die These 24 stellt das gesamte Papier in Frage. Dort heißt es:
Die Vorlage präjudiziert nicht die Haushaltsberatungen.
Minister Bahr ist in diesen Tagen gegen Minister Apel im Kabinett untergegangen. Wegen weit geringerer Differenzen - neben anderen Gründen - hat Herr Minister Eppler seinen Hut genommen. Wie lange hängt der Hut des jetzigen Ministers noch?
({2})
In den Fragen 2 und 3 geht es um das Verhältnis der multilateralen zu den bilateralen Mitteln. In der Antwort auf Frage 2 wird der hohe multilaterale Anteil als Qualitätsmerkmal bestätigt. In der Antwort auf Frage 3 wird der Widerspruch, der durch die Aussage des Regierungssprechers Bölling entstanden ist, die bilaterale Hilfe müsse künftig Vorrang haben, einfach bestritten. Ein Vorrang für das eine muß zu Lasten des anderen gehen. Das alles paßt nicht zusammen. und ein Widerspruch wird nicht dadurch gegenstandslos, daß man ihn einfach bestreitet.
({3})
2 + 2 gibt 4, und auch 1 + 3 gibt 4. Daß auch 5 herauskommen kann. glaubt nur die Bundesregierung. Aber richtiges Rechnen hat sie ja noch nie gekonnt.
({4})
Im übrigen sind uns Zahlen bekanntgeworden, wonach - im Gegensatz zu den Erklärungen von Minister Bahr - der Anteil der multilateralen Leistungen nicht bei 30 % bleiben, sondern sich schon im nächsten Jahr real auf 19,8 % reduzieren wird.
Zur Frage 4 nach der Rolle der Eigeninteressen im Rahmen der Entwicklungspolitik: wieder keine konkrete Antwort. Leerformeln wie „Teil der Gesamtpolitik", „langfristige Friedenssicherung" und „Erhaltung unseres Standards" eignen sich höchstens für Sonntagsreden, aber heute ist Freitag, und da wollen wir mehr wissen, als in diesem Papier steht.
In 5 a geht es um Auskunft über die Veränderungen in den entwicklungspolitischen Zielen und Instrumenten. Antwort: Technische Zusammenarbeit gegen Entgelt. Das ist nichts Neues. Konditionendifferenzierung: eine Forderung, die von der CDU/ CSU übernommen worden ist. Als drittes die sogenannte Dreieckskooperation.
Ich kann hier die Antworten auf die Fragen 14 und 15 gleich mitbehandeln. Sie erklären uns, was Sie unter Dreieckskooperation verstehen und was Sie damit wollen: Entwicklungshilfe ohne den Finanzminister. Das hört sich gut an, und wir würden Sie unterstützen, wenn das Modell Aussicht auf Erfolg hätte. Aber diese Entwicklungshilfe ohne Finanzminister findet nicht nur ohne den deutschen Finanzminister statt, sondern auch ohne die arabischen Finanzminister, und auf die kommt es in Wirklichkeit an. Eine Änderung der Einstellung der Ö1länder ist nicht zu erwarten. Sie antworten uns, daß das Verhandlungsstadium noch Zurückhaltung verlange.
({5})
- Lesen Sie doch einmal die Anfrage und die Antwort der Bundesregierung durch, Herr Kollege Stahl.
({6})
Lesen Sie das durch. Hier geht es um den Stil der Beantwortung dieser Anfrage.
({7})
- Die Antwort ist natürlich überholt. Die war schon überholt, als sie geschrieben wurde.
({8})
Eine um so größere Zumutung ist es, uns hier so ein Papier auf den Tisch zu legen.
Finden überhaupt Verhandlungen von Gewicht über Projekte in nennenswertem Umfang statt? Wenn Sie uns in der Antwort auf Ihre Anfrage Zurückhaltung empfehlen und Zurückhaltung üben, dann fragen wir Sie: Warum üben Sie eigentlich nicht Zurückhaltung, wenn Sie im Lande herumreisen
({9})
und in zahlreichen Interviews die Dreieckskooperation immer wieder als das Ei des Kolumbus verkaufen?
({10})
Wissen Sie, wenn nur ein Zehntel von Projekten
der Dreieckskooperation verwirklicht würde, die Sie
in Ihren Interviews draußen genannt haben, könnten wir Ihnen gratulieren. Aber das, was sich bisher tut, ist gleich Null. Sie haben nicht das Ei des Kolumbus gefunden, sondern ein Gipsei, auf dem Sie brüten.
({11})
Herr Minister, wir sähen gerne, daß Sie mit den Projekten zu Erfolgen kommen. Was Sie uns aber hier als Ergebnis von Verhandlungen über Dreieckskooperationen bekanntgeben, ist im Grunde nichts anderes als Parallelfinanzierung oder als Beteiligung an Projekten der Olländer, und das ist etwas ganz anderes.
So wie der Minister in dieser Frage an Illusionen hängt, macht er sich auch in anderen Bereichen Illusionen. Laut „Handelsblatt" vom 12. Dezember 1974 hält der Minister eine Senkung des Erdölpreises um 25 °/o nicht für ausgeschlossen. Dies könnte als Hypothese dienen. Nichts dagegen, daß man über Hypothesen nachdenkt, auch laut nachdenkt, aber diese Gedankenspielerei ist einfach absurd und höchstens ein Hinweis auf die Traumwelt, in die sich der Minister offensichtlich immer wieder zurückzieht. Man kann sich zwar selbst rosarote Hoffnungen machen, an den Realitäten ändert sich dadurch nichts.
Auch die Antwort auf Frage 8 ist ausweichend. Es gibt lediglich einen Literaturhinweis, aber nicht eine einzige Bemerkung zu den Differenzen zwischen den Empfehlungen des Gutachtens und der konkreten Politik der Bundesregierung.
In Frage 9 war gefragt worden, in welchem Umfang einzelne Ländergruppen in den Jahren seit 1970 Kapitalhilfe und technische Hilfe erhalten haben. Die Frage zielt darauf ab, den Trend der deutschen Entwicklungspolitik sichtbar zu machen. Sie haben sich dieser Antwort entzogen, indem Sie die Leistungen von 1970 bis 1974 zusammengefaßt haben - entgegen dem Wortlaut der Frage, um möglichst wenig Informationen geben zu müssen.
({12})
Auf Frage 10 gibt es keine konkrete Antwort, auf Frage 11 nur eine ausweichende Aussage, als ob Minister Bahr nicht mehrfach in der Öffentlichkeit erklärt hätte, daß bestimmte Länder künftig keine Kapitalhilfe mehr erhalten. Man kann sich das nur damit erklären, daß der Antwort ausgewichen wird, weil sonst vielleicht die Antwort im Widerspruch zu dem steht, was uns zur Frage 12 erklärt worden ist.
Die Behandlung der Frage 13 b ist ein anderes miserables Beispiel des Umgangs mit unserer Anfrage.
({13})
Wir wollten wissen, wieviel Mittel durch die Anwendung des Instruments der technischen Hilfe gegen Bezahlung für die „ärmsten der armen Länder" frei werden. Sie antworten mit den Zahlen der Steigerungsrate für die Gruppe der sogenannten „am meisten betroffenen Länder". Wir fragen nach den LLDC-Ländern, Sie antworten mit den MSAC-Ländern. Herr Minister, warum verweigern Sie uns die Antwort auf solche Fragen? Können Sie nicht
oder wollen Sie nicht antworten? Oder wollen Sie uns im November in den April schicken? Mit solchen Tricks wird doch der Versuch unternommen, das Parlament und die Öffentlichkeit zu manipulieren. So werden nur alle Klarheiten beseitigt.
Zur Frage 16: Herr Minister Bahr erklärte gegenüber der „Frankfurter Rundschau", es müßten Produktionszweige in Entwicklungsländer „verlagert" werden, da sie dort rentabler und billiger arbeiten würden. Es ist doch nur selbstverständlich, daß wir wissen wollen, an welche Zweige der Minister denkt. Die Antwort ist nur, daß er sich vor einer Antwort drückt. Es heißt dort so schön: „In privatwirtschaftliche Dispositionen ... greift die Bundesregierung grundsätzlich nicht ein ..." Aber danach hatten wir gar nicht gefragt. Wir wollten und wir wollen auch heute noch wissen, an welche Produktionszweige der Minister denkt. Wenn man über diese Dinge redet, muß man Vorstellungen über Gemeinplätze hinaus haben.
Die Frage 18 zum „Corea-Plan" wurde mit dem Hinweis auf noch fehlende Details und eine nicht abgeschlossene sorgfätige Prüfung dieses in „einigen wesentlichen Elementen bedenklichen Plans" abgeschmettert. Sie sagen „bedenklich" ; Sie haben also Bedenken. Aber danach hatten wir Sie gefragt. Warum teilen Sie uns Ihre Bedenken nicht mit? Wenn Sie meinen, daß die Erörterung für die Öffentlichkeit nicht geeignet sei: sind Sie wenigstens bereit, darüber mit uns im zuständigen Ausschuß zu sprechen? Oder wollen Sie in Ihrem bisher geübten Stil fortfahren, Ihre Meinung eines Tages irgendwo zu verkünden, nur nicht im Parlament?
Ihre Antworten zu den Fragen 19 bis 21 werden in den Ausführungen meiner Kollegen noch eine besondere Rolle spielen. Nur so viel vorweg: Nichts stellt die Glaubwürdigkeit Ihrer Antworten so sehr in Frage wie Ihr eigenes Verhalten auf der 7. UN-Sonderkonferenz.
({14})
Wie kurzlebig ist das alles; Hauptsache, man kommt über den Tag hinweg. Diese Art, Politik zu treiben, programmiert den Konflikt von morgen. Wenn dem aber nicht so sein sollte, dann kann es sich nur um Ihr altes Rezept aus Ihrer Ostpolitik handeln, die Wahrheit nur nach dem jeweiligen Grad der Mehrheit zu dosieren.
({15})
Zusammenfassend möchte ich feststellen: Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage ist ein Skandal.
({16})
Als Sie, Herr Minister, im Jahre 1974 das Amt des Entwicklungsministers übernahmen, verband sich damit bei uns und in der entwicklungspolitisch engagierten Öffentlichkeit die Hoffnung auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Parteien im Bereich der Entwicklungspolitik. Unsere Fraktion hat es bewußt unterlassen, nach Ihrem Amtsantritt die Hypothek weiter anzurechnen, die Ihnen nach unserer
Meinung aus den Auseinandersetzungen um die Ostpolitik anlastet. Wir haben viele Monate gewartet, in der Hoffnung, daß mit dem neuen Ministeramt ein neuer Bahr in Erscheinung tritt.
({17})
Dabei haben wir als Vorbedingung nicht viel verlangt. Wir forderten lediglich eine realistischere und vor allem durchführbare entwicklungspolitische Konzeption sowie eine offene und ehrliche Informationspolitik. Sie haben unsere Forderungen bis heute nicht nur nicht erfüllt; Sie haben, wie es die Antwort auf die Große Anfrage beweist, das Gegenteil von Information, nämlich Desinformation, betrieben. Das gilt ebenso für die Antworten auf eine lange Reihe von Einzelfragen.
Mit dieser Großen Anfrage haben wir Ihnen ein zweites Mal die Chance gegeben, aus dem Gestrüpp von Falschinformationen, Widersprüchen und Halbwahrheiten zu einer echten Offenlegung Ihrer Politik herauszufinden. Sie haben auch in diesem Fall die ausgestreckte Hand ausgeschlagen. Das zu tun ist Ihre Sache. Die Konsequenz daraus zu ziehen liegt bei uns. Sie haben sich mit Beharrlichkeit über unsere Forderungen und Vorschläge hinweggesetzt. Es ist das gleiche Verhalten, das Sie der Opposition im Zuge Ihrer Ostpolitik entgegengebracht haben.
Wir müssen davon ausgehen, daß Sie keine Zusammenarbeit, sondern die Auseinandersetzung wollen. Den Schaden trägt nicht die Opposition, sondern vor allem die auf unsere Hilfe und Zusammenarbeit angewiesene Dritte Welt. Damit stehen Sie in direktem Widerspruch zur Erfüllung der Aufgabe, die Ihnen mit dem Ministeramt übertragen worden ist.
Wir fordern Sie auf, im Interesse der Entwicklungspolitik Ihren Standort zu überprüfen und einen anderen Weg als in der Vergangenheit einzuschlagen.
({18})
Das Wort
hat Herr Abgeordneter Holtz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer heute verantwortlich Entwicklungspolitik machen will, muß sich sechs Herausforderungen stellen:
1. Im historischen Augenblick des Heranreifens einer neuen Weltordnung sieht sich die Bundesrepublik vor die Wahl gestellt, die alte Weltordnung mit allen Mitteln - koste es, was es wolle - zu verteidigen oder an der Fortentwicklung zu einer gerechteren Ordnung mitzuwirken. Die Bundesregierung hat sich in ihrer Politik und auch in der entwicklungspolitischen Konzeption für die zweite Lösung entschieden.
2. Die weltweite Rezession hat für viele Staaten die Verlockung größer werden lassen, nur noch eine nationale Interessenpolitik zu verfolgen und sich gegen die drohende Konkurrenz von außen abzuschirmen.
({0})
Die Bundesregierung hält eine solche Politik für unser Land für kurzsichtig und gefährlich. Die entwicklungspolitische Konzeption trägt dieser Auffassung Rechnung, indem sie eine Politik der internationalen Solidarität gegenüber der Dritten Welt empfiehlt.
3. Erdölkrise, höhere Preise für die aus den Industriestaaten ausgeführten Produkte und Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelversorgung haben viele Entwicklungsländer in noch größere Kalamitäten gestürzt. Der vor uns liegende entwicklungspolitische Bericht liefert anschauliches Material für die Not- und Katastrophensituation in vielen Teilen der Dritten Welt. Die Konsequenz für die Bundesregierung lautet Konzentration auf die ärmsten Entwicklungsländer, in die rund die Hälfte aller Mittel fließen soll.
({1})
4. Die für die Entwicklungspolitik zur Verfügung stehenden Gelder werden zunächst leider knapper. Deshalb wird die Verwendungskontrolle verschärft. Die technische Hilfe kann nach der Gründung der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit bürokratiesparend und noch effizienter eingesetzt werden. Eine Planung über längere Zeiträume hinweg soll den Mitteleinsatz so wirksam wie möglich gestalten.
5. Wer die Arbeitslosenheere, die Hungernden und die Hungertoten sowie die unzureichenden Fortschritte in der Industrialisierung in erschreckend vielen Gegenden der Dritten Welt sieht, weiß, daß die Entwicklungspolitik der Bundesregierung hier ansetzen muß;
({2})
und sie tut dies auch.
6. Deutlicher als zuvor wird, dem Geist der Kooperation und einer wachsenden Partnerschaft folgend, die Erwartung ausgesprochen, daß die Entwicklungsländer ihre Eigenanstrengungen verstärken müssen und daß die Bundesrepublik bei ihren Leistungen auch ein Entgegenkommen der Entwicklungsländer erwartet, z. B. den gesicherten Bezug mit Rohstoffen zu angemessenen Preisen.
An sich müßte ich noch „siebtens" sagen, aber eine Herausforderung durch die Opposition gibt es hier leider nicht.
Die sozialliberale Koalitionsregierung trägt mit ihrer entwicklungspolitischen Konzeption voll der veränderten Weltlage Rechnung. Kurz, trocken, aber treffend haben Sie Ihre gebührende Antwort erhalten.
({3})
Die Bundesregierung hat mit ihrer Politik, mit der
Konzeption auch ein für die Entwicklungsländer verDr. Holtz
trauensbildendes Element der notwendigen Zusammenarbeit geschaffen. Daran rütteln Sie auch nichts.
({4})
Dennoch wird Entwicklungshilfe von vielen Menschen in diesem Land als überflüssig betrachtet, weil der Zusammenhang auch mit eigenen Interessen nicht klar ist.
({5})
Viele Bürger fragen sich trotz Energiekrise, warum wir uns überhaupt mit den Entwicklungsländern beschäftigen, und sagen, schließlich gebe es ja genügend Probleme im eigenen Land. Ich halte diese Sicht für verkürzt.
Uns gehen die Entwicklungsländer sehr viel an. Warum? ln der Bundesrepublik arbeiten mehr als eine Million Menschen für den Export in die Entwicklungsländer. Die Hälfte aller importierten Rohstoffe beziehen wir aus diesen Ländern. Auch bei der Lieferung von Fertig- und Halbfertigwaren sind wir auf die Dritte Welt angewiesen. Die deutsche Industrie tätigt knapp ein Drittel aller Auslandsinvestitionen in diesen Ländern. Zahlreiche Probleme können ohne eine Zusammenarbeit mit der Dritten Welt nicht mehr gelöst werden. Ich denke etwa an die Lösung von Umwelt- und Bevölkerungsproblemen, an die Ausbeutung des Meeres und seines Bodens, an die Bewältigung des internationalen Terrorismus, an die Kontrolle der multinationalen Konzerne oder an die Erhaltung des Weltfriedens. Wir sind heute mehr denn je auf die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern angewiesen. Ihnen verdanken wir schon heute einen Teil unseres Wohlstandes.
Bei schrumpfendem Handel mit den westlichen Industriestaaten stellen wir fest, daß die Exporte in die Entwicklungsländer - übrigens: ebenfalls in den Ostblock - steigen. Dadurch werden bei uns Arbeitsplätze stabilisiert. Sicherlich, die eigenen Arbeitslosen liegen uns am nächsten. Nur, die Verbesserung der Massenkaufkraft in den Entwicklungsländern entscheidet mit darüber, ob die Schornsteine bei uns wieder stärker rauchen.
Heute geht es uns in der Bundesrepublik rund zwanzigmal besser als dem Durchschnittsbewohner eines Entwicklungslandes. Diesen Zustand konservieren zu wollen kann zur Katastrophe führen. „Entwicklungsländer haben Anspruch auf die Solidarität der anderen Völker und nicht nur auf großherziges Teilhabendürfen an dem, was erübrigt wird"
so Herbert Weimer vor der Seliger-Gemeinde am 2. November dieses Jahres. Entwicklungspolitik, die einen gewichtigen Part in der Politik mit der Dritten Welt spielt, will eine Brücke schlagen zwischen den entwickelten und unterentwickelten Staaten. Sie gewährt vielen Entwicklungsländern Leistungen, ohne direkte Gegenleistungen zu fordern oder zu erwarten.
Die Entwicklungspolitik dient aber auch dem Interessenausgleich. Durch die Verbesserung der Lebensbedingungen, durch die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts können z. B. Voraussetzungen für den erweiterten Austausch von Gütern und Dienstleistungen im beiderseitigen Interesse geschaffen werden. Entwicklungspolitik vergrößert langfristig auch die Chancen der Friedenssicherung. Frieden läßt sich dabei nicht nur als Abwesenheit von direkter Gewalt bestimmen, sondern auch positiv als Schaffung von weltweiter sozialer Gerechtigkeit. Friedenspolitik ist auch eine Politik des Verzichts auf die Anwendung von struktureller Gewalt, die etwa über das Welthandelssystem ausgeübt werden kann, das die Dritte Welt in manchen Bereichen benachteiligt.
Gerade in einer Phase der Entspannung erhält dabei eine sozial akzentuierte Entwicklungspolitik einen hohen Rang, der meines Erachtens auf längere Sicht die gleiche Bedeutung wie militärische Sicherheitspolitik gewinnen kann. Nicht nur Panzer bedeuten die Sicherung des Friedens.
Die Sozialdemokraten haben auf ihrem Parteitag in Mannheim aus den qualitativen Veränderungen in den internationalen Beziehungen erste Konsequenzen gezogen, indem sie in ihrer Entschließung zur Außen- und Sicherheitspolitik die Entwicklungspolitik an die erste Stelle setzten.
({6})
Um diese Erkenntnis in die breite Öffentlichkeit zu bringen und um sie durchzusetzen, bedarf es noch vieler zusätzlicher Anstrengungen, auch und gerade seitens der Politiker.
({7})
Wir sind dabei auf die kritische Unterstützung der Medien, der Schulbuchverfasser, der Kirchen, der Entwicklungshelfer, der Dritte-Welt-Gruppen, der Gewerkschaften angewiesen.
({8})
Ich möchte diesen Gruppen an dieser Stelle für die bereits erfolgte Unterstützung in Fragen der Dritten Welt danken.
({9})
Erschwert wird die Zustimmung zur Entwicklungspolitik für viele Bürger in unserem Lande dadurch, daß sich in manchen Entwicklungsländern die Wohlhabenden auf Kosten der Armen ständig bereichern. Deshalb halten wir den Abbau von krassen Einkommensunterschieden und die Veränderung entwicklungshemmender sozialer Strukturen in Entwicklungsländern für so wichtig.
Entwicklungspolitik wird zwischen Kuala Lumpur und Quito unter den unterschiedlichsten klimatischen, politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnissen und Systemen betrieben und eben nicht zwischen Konstanz und Kiel.
({10})
Wenn ich dann die verschwindend geringe Quote gescheiterter Entwicklungsprojekte sehe, die sich allerdings häufig großer Publizität erfreuen, braucht die Entwicklungspolitik meiner Meinung nach kei14144
nen Vergleich mit der Politik einer größeren Stadt in unserem Lande zu scheuen.
Lassen Sie mich noch auf drei Bereiche eingehen, in denen wir uns von den Auffassungen einiger Oppositionspolitiker unterscheiden, ja, in denen die Opposition auch eine für die Bundesrepublik nachteilige Politik gegenüber der Dritten Welt empfiehlt.
({11})
Heute gibt es bei Ihnen politische Kräfte, die gerne, wenn es nach ihnen ginge, die Entwicklungspolitik besonders für Rohstoff-, Export- und ordnungspolitische Interessen einsetzen wollen. „Deutsche Entwicklungshilfe ist in erster Linie nationale Politik und keine internationalistische Weltinnenpolitik", meinte der Oppositionssprecher.
({12})
Der katholische Arbeitskreis „Entwicklung und Frieden" hat ihm die adäquate Antwort gegeben: die Entwicklungspolitik der Bundesregierung wird unglaubwürdig, wenn das nationale Eigeninteresse in den Mittelpunkt der Zielüberlegungen gestellt wird.
({13})
Liegt es etwa im nationalen Interesse, den Ruf nach einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung als für unser Wirtschaftssystem gefährlich und systemsprengend zu diffamieren? Liegt es im nationalen Interesse, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, eine Zusammenarbeit mit dem quasi-faschistischen Chile zu empfehlen? Liegt es im nationalen Interesse, eine Spalterstrategie gegenüber der Dritten Welt anzuraten? - Nichts von alledem liegt in unserem Interesse.
({14})
Mir scheint diese Gegenüberstellung von nationalem Interesse und „internationalistischer Weltinnenpolitik" nur dazu zu dienen, den Status quo festzuschreiben. Sie wirkt auch sehr provinziell; denn - um mit Erhard Eppler zu sprechen - „Entwicklungspolitik kann nicht nur der humanitäre Zuckerguß auf dem Kuchen nationalistischer Interessenpolitik sein".
Zweitens. Der Kanzleraspirant Helmut Kohl verkündete auf dem entwicklungspolitischen Kongreß der CDU, was er unter Entwicklungspolitik versteht, nämlich die Außenpolitik freiheitlich-politischer Ordnungen habe den Auftrag, sich für die Verbreitung dieser Ordnung in der Welt einzusetzen.
({15})
Dies ist das missionarische „Gehet hin in alle Welt" der CDU/CSU, das wir für uns zurückweisen.
({16})
Für uns steht im Vordergrund der Auftrag: Entwicklungspolitik muß den Menschen, dem wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt dienen. Regierungen, die dem entsprechen, sollten von uns vor allem unterstützt werden. Abenteuerlich und undenkbar wäre doch die Konsequenz der Vorstellung, daß jemand die Verantwortung für die Bundesregierung tragen könnte, der ausziehen wollte, die Welt nach dem Bilde womöglich von Rheinland-Pfalz zu prägen. Ich glaube, die Rheinland-Pfälzer würden dies selbst nicht wollen.
({17})
Ein provinzieller Bezug auf das nackte nationale Interesse würde uns in der Dritten Welt ebenso in die Sackgasse und Isolation führen, wie dies anläßlich der KSZE-Beratungen für Europa der Fall gewesen wäre, wenn die Bundesregierung Ihnen gefolgt wäre.
Drittens. Das stark veränderte und ergänzte Kapitel „Handels- und Währungspolitik" in der entwicklungspolitischen Konzeption macht deutlich, daß Entwicklungspolitik eben mehr ist als nur die bloße Bereitstellung von nationalen Haushaltsmitteln. So unser Bundesfinanzminister. Der Hinweis der Opposition auf die selbstheilenden Kräfte des Marktmechanismus wirkt doch manchmal sehr zynisch, weil wir alle wissen, daß der Marktmechanismus allzu häufig ein Instrument der Mächtigen zur Verarmung der Dritten Welt darstellt.
({18})
Abgestandene Formeln von einer sogenannten freien Weltwirtschaft, von der alle Fachkenner wissen, daß sie heute nicht funktioniert, taugen nichts und führen nur dazu, den bislang ungerechten Zustand zwischen armen und reichen Nationen aufrechtzuerhalten. Eine solche Politik würde den Frieden bedrohen. Wer hier der Opposition folgen würde, würde ein großes Risiko für die Zukunft in Kauf nehmen.
({19})
Das ist genau das, was Willy Brandt mit „Sicherheitsrisiko in der Außenpolitik" umschrieben hat.
({20})
Wir sind der Auffassung, daß die neue Weltwirtschaftsordnung, wenn sie marktwirtschaftlich geordnet sein soll, der sozialen Korrektur bedarf. Um diese soziale Korrektur war man in New York bemüht. Wir haben in der Bundesrepublik ein starkes soziales Netz geschaffen.
({21})
Wir sind in der Europäischen Gemeinschaft dabei. Wer dies den Entwicklungsländern verweigert, ist unsozial, meine Damen und Herren von der Opposition.
({22})
Wer Kompromissen grundsätzlich eine Absage erteilt und etwa bei dem erstmalig praktizierten Exporterlösstabilisierungsmodell
({23})
in der Konvention von Lomé von einem kapitalen Fehler spricht, muß im internationalen Bereich auf Politik verzichten. Er katapultiert sich selbst aus der Verantwortung in internationalen Beziehungen heraus. Wir sind der Auffassung: mit der 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen hat der entwicklungs- und weltwirtschaftspolitische Dialog eine begrüßenswerte Richtung gewonnen. In der Beurteilung dieser Situation durch die Koalitionsfraktionen gibt es keinerlei Unterschiede.
({24})
Herr Roser, Sie können ruhig mitklatschen, wenn ich Sie zitiere.
Der zweite Bericht an den Club of Rome hat in dramatischer Weise beschrieben, daß sich die Menschheit an einem Wendepunkt befindet. Tun wir das Notwendige in dieser revolutionären Weltlage! Machen wir uns klar, daß es bei der Zusammenarbeit mit der Dritten Welt auch um unsere Zukunft geht!
({25})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Schleifenbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion sieht in der Vorlage des Zweiten Berichts der Bundesregierung zur Entwicklungspolitik und der zweiten Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesrepublik Deutschland einen willkommenen Anlaß, die erfolgreichen Bemühungen der Bundesregierung zur Versachlichung des Dialogs zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern zu würdigen.
Stationen dieses Erfolges in jüngster Zeit sind: die Entschließung der 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zur Entwicklung und internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit vom 16. September, die Rede des Bundesaußenministers Genscher vor der 30. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York am 24. September, das Treffen der sechs Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Japans, der USA und der Bundesrepublik Deutschland auf Schloß Rambouillet in Frankreich und die dortige Erklärung vom 17. November sowie die Konsultationen des Bundesaußenministers Genscher in Südamerika, insbesondere seine Rede vor der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer Sao Paulo am 19. November. - Herr Dr. Marx,
Sie werden noch aufmerken; ich werde auch noch für Sie Pfeffer bringen.
({0})
- Das kommt noch. Warten Sie ab!
Wir können beobachten, daß die Position der Bundesrepublik Deutschland in bilateralen und multilateralen Gesprächen und auf internationalen Konferenzen zunehmende Bedeutung gewinnt. Die Politik der Bundesregierung hat wesentlich dazu beigetragen, den Dialog zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern aus einer Phase der Konfrontation, die noch 1974 zu beobachten war, in eine Phase der Kooperation überzuleiten.
({1})
Die Politik der Bundesregierung fördert eine einheitliche Entwicklungspolitik der Europäischen Gemeinschaft und die Harmonisierung der Entwicklungspolitik der übrigen hockentwickelten westlichen Industrienationen. Die Politik der Bundesregierung bekennt sich offen zu den außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Interessen, die es zu wahren gilt. Sie erkennt aber auch, daß diese Interessen langfristig nur zu wahren sind, wenn den berechtigten Interessen der weniger entwickelten Länder entgegengekommen wird.
Entwicklungspolitik in weiterem Sinne betrifft nicht nur die pragmatische Ausgestaltung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Dritten Welt, sie muß auch unter binnen- und außenwirtschaftlichen Gesichtspunkten und unter den Aspekten der Europapolitik, der Sicherheitspolitik, der Friedenspolitik gesehen werden, also im umfassenden Rahmen der Außenpolitik.
({2})
Deshalb nimmt die FDP-Fraktion mit Befriedigung zur Kenntnis, daß innerhalb der Bundesregierung Consensus über die entwicklungspolitische Konzeption der Bundesrepublik Deutschland besteht.
({3})
- Das paßt Ihnen natürlich nicht, meine Damen und Herren von der Opposition.
({4})
Aber niemand kann leugnen, daß das Bundeskabinett am 9. Juni dieses Jahres 25 Thesen zur Politik der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern einmütig beschlossen hat und daß die Bundesregierung am 6. November 1975 ohne Dissens die entwicklungspolitische Konzeption der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt hat.
({5})
Auch sogenannte enthüllende Dokumente ändern am nahtlosen Consensus der Ressortchefs nichts. Auch der Opposition - ich beziehe mich auf vergangene Presseerklärungen - wird es nicht gelingen, das Ungeheuer von Loch Ness zu materialisieren. Das haben schon andere versucht. Es wird ihr auch nicht gelingen, die Bundesregierung oder die Koalitionsfraktionen in der Frage der Entwicklungspolitik auseinanderzudividieren.
({6})
Es ist bedauerlich, daß durch die Große Anfrage der Opposition, durch die Fragen der Opposition in der Fragestunde am 16. Oktober durch die Presseverlautbarungen der Opposition zu den Antworten der Bundesregierung auf diese Fragen und durch den heutigen Diskussionsbeitrag bzw. die noch zu erwartenden Diskussionsbeiträge der Opposition
({7})
- Ihre Strategie kenne ich - in den Augen der Weltöffentlichkeit der innenpolitische Consensus der Bundesrepublik Deutschland in den Fragen der Entwicklungspolitik in Zweifel gezogen wird. Dies ist der deutschen Position in dem hochkomplizierten Annäherungsprozeß von Industrie- und Entwicklungsländern nicht sehr dienlich.
({8})
Die plakative Kritik der Opposition entbehrt des konstruktiven Beitrags.
({9})
Sonthofen findet auch in der Entwicklungspolitik statt.
({10})
- Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ich habe mir soeben erlaubt, die „Frankfurter Rundschau" vom 8 November zu zitieren.
({11})
- Aber wenn Sie es gern hören wollen: Ich identifiziere mich natürlich mit dieser Aussage.
Wenn der entwicklungspolitische Sprecher der Opposition das Schreckgespenst einer sozialistischen, planwirtschaftlichen Weltwirtschaftsordnung an die Wand malt, ist dies doch nichts anderes als die Anwendung der Sonthofener Strategie seines heimlichen Chefs Franz Josef Strauß.
({12})
Weder ist uns bisher aus dem sozialistischen Lager
ein derartiges Kompliment gemacht worden, noch
wurde uns seitens unserer westlichen Verbündeten bisher ein solcher Vorwurf gemacht.
Die deutsche Öffentlichkeit wird erneut Zeuge der Isolation der Opposition in allen Angelegenheiten der auswärtigen Beziehungen. Davon haben wir ja erst am Mittwoch ein anderes Beispiel zu spüren bekommen. Das Geschick der Opposition scheint schier unerschöpflich zu sein, sich ins Abseits zu manövrieren.
({13})
Die Haltung der Opposition droht ein Risiko für die auswärtigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu werden.
({14})
- Ich beziehe mich immer auf die Aussagen des entwicklungspolitischen Sprechers. Wenn Sie dieses Risiko nicht wollen, meine Damen und Herren von der Opposition, dann pfeifen Sie doch Ihren entwicklungspolitischen Sprecher zurück!
({15})
Sie haben doch Frauen und Männer, welche die Problematik differenzierter sehen.
Meine Damen und Herren, es kann gar keine Rede davon sein, daß die auch von der Bundesrepublik Deutschland angenommene Entschließung der 7. Sondergeneralversammlung in New York die Mitglieder der Vereinten Nationen darauf festlegt, die Weltwirtschaft in eine Planwirtschaft umzufunktionieren. Es ist lediglich darüber Übereinstimmung erzielt worden, daß auf der 4. Tagung der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung ({16}) „Beschlüsse über die Verbesserung der Marktstrukturen im Bereich der Roh-und Grundstoffe, an deren Ausfuhr die Entwicklungsländer interessiert sind, einschließlich Beschlüsse bezüglich eines integrierten Programms und der Anwendbarkeit von Teilen dieses Programms zu fassen" sind.
({17})
Aber für uns kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Probleme der Entwicklungsländer, die auch unsere Probleme sind, nicht durch eine Weltwirtschaftsordnung des Status quo zu lösen sind.
({18})
Schon im Ansatz ist die Argumentation falsch, die freie Weltwirtschaftsordnung sei gefährdet. Wenn man unter „frei" „marktwirtschaftlich" versteht, so muß man einfach feststellen, daß die derzeitige Weltwirtschaftsordnung weder hüben noch drüben in jeder Beziehung marktwirtschaftlich organisiert ist.
({19})
Auch die Industrieländer haben in mancher Beziehung die Marktmechanismen durch Macht- und Kartellmißbrauch außer Kraft gesetzt.
({20})
Wenn man unter frei „laisser faire, laisser aller" versteht, so entspricht dies nicht dem liberalen Verständnis einer internationalen sozialen marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Probleme der Dritten Welt, die ich wiederhole das - auch unsere Probleme sind, sind nur durch eine Weltwirtschaftsordnung zu lösen, die auch eine soziale Komponente enthält.
({21})
Wer wollte sich den Fakten - ich nenne davon die wichtigsten verschließen! 80 °/o der Exporterlöse der Entwicklungsländer entfallen - ausgenommen. Erdöl - auf 12 Rohstoffe.
({22})
Sie erhalten dafür 30 Milliarden Dollar.
({23})
- Mein lieber Herr Spezialist,
({24})
es sind hier heute angesichts dieses Themas, welches in der Öffentlichkeit einen höheren Stellenwert haben sollte, so wenige Abgeordnete vertreten,
({25})
daß es selbstverständlich ist, daß von dieser Stelle in diesem Flohen Hause auch Erklärungen gegenüber der Öffentlichkeit abgegeben werden, der diese Fakten nicht bekannt sind.
({26})
Im übrigen könnte es zwar Ihnen bekannt sein, aber einigen Ihrer Fraktionskollegen nicht, die sich nämlich diesen Gedanken, die ich hier vortrage, verschließen, was ich an den Bemerkungen hier sehe, -Die Entwicklungsländer erhalten also 30 Milliarden Dollar für ihre Rohstoffe. Die Verbraucher müssen dafür aber 200 Milliarden Dollar bezahlen. Nur 4 % der zwischen 1970 und 1974 neu geschaffenen Liquidität von insgesamt 102 Milliarden Dollar entfielen
auf die Entwicklungsländer. Die anwachsende Devisenkrise der Entwicklungsländer hat die 2 Milliarden Menschen in den ärmsten Ländern in ihren Bemühungen um Anhebung ihres minimalen Lebensstandards zurückgeworfen. Das Außenhandelsdefizit der nichtölexportierenden Entwicklungsländer wird in diesem Jahr voraussichtlich - - Können Sie mir, Herr Spezialist, sagen, wie hoch das Außenhandelsdefizit der nichtölexportierenden Entwicklungsländer in diesem Jahr voraussichtlich sein wird?
({27})
Ich sage es Ihnen: Es sind 33 Milliarden Dollar gegenüber 26,1 Milliarden Dollar im Vorjahr.
({28})
Fast 25 °/o der zufließenden Entwicklungshilfe wird zur Tilgung der Schulden benötigt. 70 °/o des Welteinkommens entfallen auf 30 °/o der Weltbevölkerung. Nach Angaben der Weltbank wird das Pro-Kopf-Einkommen 1970 bis 1980 in den ärmsten Entwicklungsländern real nur um 3 Dollar steigen, in den hochentwickelten Ländern aber um 900 Dollar. Der Anteil der Entwicklungsländer an der Industrieproduktion in der Welt beträgt nur 7 °/o bis 8 °/o.
Diese Fakten hatten die Entwicklungsländer zunächst in eine Konfrontationsstellung zu den Industrieländern getrieben, was im letzten Jahr in überzogenen Forderungen der durch sie vertretenen Mehrheit in der UNO gipfelte. Inzwischen hat sich aber bei der Mehrheit der Entwicklungsländer die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Probleme der Dritten Welt nicht ohne die wachsende Wirtschaftskraft der Industrienationen gelöst werden können. Allerdings haben sie an der Forderung festgehalten, daß es zu einem realen, stark anwachsenden RessourcenTransfer kommen muß, und dieser Forderung können wir uns nicht verschließen. Dieser Ressourcen-Transfer wird aber nicht zustande kommen, wenn die Industrienationen an ihren Macht- und Kartellpositionen festhalten. Auch in einer Weltwirtschaftsordnung des „laisser faire, laisser aller" würden sich die Einkommensdisparitäten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern weiter vergrößern. Andererseits kann es nicht im Interesse der Industrienationen liegen, die rohstoffreichen Entwicklungsländer dazu zu zwingen, als Antwort auf Unnachgiebigkeit der Industrienationen den Rohstoffpreis als Waffe zu gebrauchen.
Der Nord-Süd-Konflikt ist implizit auch ein sozialer Konflikt. Wie wir hinreichend aus der Geschichte gelernt haben sollten, ist es zur Vermeidung von Explosionen notwendig, daß die „Haves" eventuell auf Kosten ihres eigenen Standards ihren Beitrag dazu leisten müssen, die Lebensbedingungen der „Non-Haves"
({29})
menschenwürdig und erträglich zu gestalten. So verstanden liegt ein Entgegenkommen gegenüber den Forderungen der Entwicklungsländer im wohlverstandenen Interesse der Industrienationen. Nicht zuletzt die Ölkrise hat gezeigt, wie anfällig und labil die Voraussetzungen fur den Lebensstandard der Menschen in den hochentwickelten Ländern sind.
Ich kann es mir deshalb ersparen, im nationalen Denken verhaftete Materialisten mit dem Hinweis auf den humanitären Aspekt der Entwicklungshilfe zu provozieren. Dennoch möchte ich die Anmerkung nicht aussparen, daß im liberalen Selbstverständnis unser Beitrag zur Entwicklungshilfe insbesondere auch ein Beitrag zur Verbesserung der Lebensumstände jedes einzelnen in den weniger entwickelten Ländern ist. Insofern ist bei einer Input-OutputAnalyse der Effizienz der Entwicklungshilfe weniger
vom statistischen Durchschnitt des wirtschaftlichen Fortschritts als vom Erfolg für den einzelnen auszugehen.
Meine Damen und Herren, für uns kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Bundesregierung für die Durchsetzung des marktwirtschaftlichen Prinzips in der fortzuentwickelnden Wirtschaftsordnung eingetreten ist und in Zukunft weiterhin eintreten wird. Sie findet hierfür die nachhaltige Unterstützung der FDP-Fraktion.
Wie am Beispiel nationaler Volkswirtschaften zu demonstrieren ist, ist die Marktwirtschaft an Leistungsfähigkeit von keiner anderen Wirtschaftsordnung zu übertreffen.
({30})
- Die haben wir mitgetragen und mitentwickelt, und Sie haben, als Sie den Minister stellten, die Anleihe bei den Liberalen gemacht.
({31})
Keine andere Wirtschaftsordnung ist in der Lage, die Talente des Menschen derart zu mobilisieren und die Kapitalströme einer produktiveren Verwendung zuzuführen.
({32})
Allein die Durchsetzung des marktwirtschaftlichen Prinzips in allen multilateralen Wirtschaftsbeziehungen führt zu der internationalen Arbeitsteilung, die sowohl den Entwicklungsländern wie auch den Industrieländern die Chance eröffnet, die gemeinsamen Probleme erfolgreich zu bewältigen.
({33})
Wir dürfen es aber nicht zulassen, daß diejenigen Entwicklungsländer, die in einer hoffnungslosen Startposition sind-und jetzt komme ich nämlich auf das, was Herr Holtz gesagt hat -, ungeschützt den Kräften des Marktes ausgesetzt sind
({34})
und selbst bei aller Anstrengung keine Chance haben, in diesem Wettbewerb zu bestehen.
({35})
Hier ist besonders an die am wenigsten entwickelten Länder und an die durch die Rohstoff- und Ölkrise am meisten betroffenen Länder zu denken, also an die sogenannten „least developed countries" und die „most seriously affected countries". Der Tripolarität der Welt in Beziehung auf ihre wirtschaftliche Entwicklung und ihre Entwicklungschancen muß durch eine graduelle Differenzierung im Rahmen der Weltwirtschaftsordnung Rechnung getragen werden.
Die Bundesregierung und die Europäische Gemeinschaft sind hier auf dem richtigen Wege. Das am 28. Februar zwischen der Europäischen Gemeinschaft
und 46 Staaten aus Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum in Lomé unterzeichnete Abkommen bedeutet eine Weiterentwicklung der handelspolitischen Rahmenbedingungen ohne die Aufgabe der marktwirtschaftlichen Grundprinzipien. Vereinbart wurden u. a. der präferenzielle Zugang der AKPStaaten zum EG-Markt, eine langfristige vertragliche Festlegung der Mittel für die finanzielle und technische Zusammenarbeit und ein Verfahren der Mitwirkung bei der Planung der finanziellen und technischen Zusammenarbeit. Die FDP-Fraktion wird sich dafür einsetzen, daß dieses Abkommen möglichst bald ratifiziert wird.
({36})
Meine Damen und Herren, die Opposition hat in Zweifel gezogen, ob die Zustimmung der Bundesregierung zum sogenannten 0,7 °/o-Ziel von den Entwicklungsländern ernst genommen werden kann. In der Entschließung zur 7. Sondergeneralversammlung heißt es - ich zitiere wörtlich -:
Die entwickelten Länder bestätigen ihre fortdauernde Verpflichtung bezüglich der Ziele für den Transfer von Ressourcen, insbesondere das Ziel von 0,7 % des Bruttosozialprodukts für die öffentliche Entwicklungshilfe.
Weiter heißt es:
Die entwickelten Länder, die sich noch nicht an diese Ziele gebunden haben, verpflichten sich, sie noch innerhalb dieses Jahrzehnts nach besten Kräften anzustreben.
Die FDP-Fraktion sieht keinen Anlaß, die Zustimmung Bundesaußenministers Genscher zu diesen Passagen zu kritisieren. Wie aus dem Wortlaut des Textes deutlich zu ersehen ist, hat sich die Bundesrepublik Deutschland nicht etwa verpflichtet, bis 1980 0,7 °/o des Bruttosozialprodukts für die öffentliche Entwicklungshilfe aufzuwenden.
({37})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roser?
Herr Kollege Schleifenbaum, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Bemühensklausel, die in der Tat enthalten ist, sich auf die Länder bezieht, die bisher noch nicht das 0,7 °/o-Ziel öffentlich akzeptiert haben, die Bundesregierung hingegen es vor fünf Jahren bereits akzeptiert hat?
({0})
Lieber Herr Kollege Roser, das ist eine Auslegung, die ich nicht teilen kann. Die Bemühungsklausel trifft sowohl die Bundesregierung als auch andere Industrienationen, und sie entspricht auch den Beschlüssen des Rates der
Europäischen Gemeinschaft vom 30. April und 16. Juli 1974, wo die Bundesregierung diesen Beschlüssen beigetreten ist,
({0})
wo es heißt: Sobald wie möglich wollen wir uns darum bemühen.
({1})
Aber der Erfolg dieser Bemühungen hängt doch von verschiedenen Imponderabilien ab. Zunächst muß die Bereitschaft unserer Bürger geweckt werden, einen substantiellen Beitrag zur Lösung der Probleme der Dritten Welt zu leisten. Die Dimension der erforderlichen Mittel macht es unmöglich, diese für uns alle existentiellen Fragen mit einem Beitrag aus dem frei verfügbaren Taschengeld des Bürgers zu lösen. Es geht um den Stellenwert der Entwicklungspolitik im Bewußtsein des Bürgers unseres Staates.
({2})
Wir hoffen, daß auch die Medien sich ihrer Verantwortung in diesem Zusammenhang bewußt sind.
({3})
- Herr Wehner, die Abgeordneten lassen sich natürlich sehr von den Medien beeinflussen, und wenn die Medien mehr schreiben, dann werden die Abgeordneten auch hier sein.
({4})
Eine weitere Voraussetzung für den Erfolg der Bemühungen ist die positive Entwicklung der wirtschaftlichen Situation in unserem Lande. Ein wirtschaftlicher Aufschwung und eine Verstetigung des Wirtschaftswachstums würden es möglich machen, die Beiträge der öffentlichen Entwicklungshilfe in der mittelfristigen Finanzplanung nach oben zu korrigieren. Ich zweifle nicht daran, daß wir zu gegebener Zeit seitens der Regierung einen entsprechenden Vorschlag erwarten können.
Die Zustimmung zum 0,7-%-Ziel in der Entschließung zur 7. Sondergeneralversammlung ist nicht etwa, wie böse Zungen behaupten, auf ein Versehen unserer Delegation zurückzuführen, sondern - ich habe es eben schon gesagt - sie ist in Übereinstimmung erfolgt mit den Beschlüssen des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 30. April und 16. Juli 1974. Zudem geht die Kritik der Opposition in diesem Punkt völlig am Ziel vorbei. Den Entwicklungsländern kommt es unter dem Strich darauf an, daß sich der Beitrag der entwickelten Länder insgesamt der Größenordnung von 1 % des Bruttosozialprodukts nähert. Dies betrifft natürlich nicht nur
die westlichen Industrienationen, sondern auch die sozialistischen Industrienationen.
({5})
Deren öffentlicher Anteil am Bruttosozialprodukt tendiert bekanntlich gegen 100 °/o. Wenn man den öffentlichen und den privaten Anteil der Bundesrepublik Deutschland zur Entwicklungshilfe zusammenrechnet, ergeben sich für 1974 bereits 0,83 °/o vom Bruttosozialprodukt. Die vergleichbare Leistung der DAC-Länder, also der im Entwicklungsausschuß der OECD vertretenen Länder, beträgt im Durchschnitt lediglich 0,78 °/o. Der öffentliche Anteil der Entwicklungshilfe der UdSSR beträgt lediglich 0,19 °/o des Bruttosozialprodukts.
({6})
Ein weiterer Gesichtspunkt darf nicht ganz außer acht gelassen werden. Einen erheblichen, wenn auch unfreiwilligen Beitrag zur Entwicklungshilfe erbrachte die Bundesrepublik Deutschland durch die Olpreiserhöhungen. Diese machten 1974 17 Milliarden DM aus, sprich 1,7 % des Bruttosozialprodukts.
Aus diesen Zahlenvergleichen ergibt sich, daß der Streit um das 0,7-%-Ziel letztlich ein Streit um des Kaisers Bart ist,
({7})
und die Kritik der Union läßt wieder einmal vermissen, worauf es doch an sich ankommt, nämlich auf die Frage, wie denn die Union selbst zu dem 0,7-%-Ziel steht. Sind Sie dafür, oder sind Sie dagegen, meine Damen und Herren von der Opposition?
({8})
Die FDP-Fraktion ist der Ansicht, daß die Entwicklungsländer den Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Entwicklungshilfe nicht an dem mathematischen Vollzug des 0,7-°/o-Ziels messen werden, sondern daß sie sehr wohl in der Lage sind, die Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland im Kontext ihrer öffentlichen und privaten Beiträge auf nationaler und internationaler Ebene zu sehen sowie die unterschiedlichen Situationen der verschiedenen Industrieländer und die Relationen ihrer Beiträge untereinander zu werten.
Wir unterstellen, daß sich die Entwicklungsländer sehr wohl ihrer Verantwortung bewußt sind, durch größtmögliche eigene Anstrengungen die Effizienz der Entwicklungshilfe für alle Bürger zu optimieren. Hierzu gehören auch die Kampfansage an das Bevölkerungswachstum - die Familienplanung - und die Schaffung von attraktiven und sicheren Bedingungen für ausländisches Kapital.
Meine Damen und Herren, Weltbankpräsident McNamara sagte am 30. September 1974 in Washington - ich zitiere -:
Entwicklungshilfe ist kein Luxus, etwas, das man sich leistet, wenn die Zeiten leicht sind, und das überflüssig ist, wenn die Zeiten vorübergehend schwierig werden.
({9})
Das ist auch die Meinung der FDP-Fraktion.
({10})
Wir unterstützen die erklärte Absicht der Bundesregierung, die Bemühungen zur Befriedung und Prosperität der Menschheit fortzusetzen und zu verstärken. Diese Absichten finden ihren deutlichen Niederschlag in der vorgelegten entwicklungspolitischen Konzeption. Diese Konzeption findet unsere uneingeschränkte Zustimmung.
Die Opposition fordern wir auf, die auswärtigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland durch Unterstützung der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesregierung konstruktiv zu fördern.
({11})
Auch für den Bereich der Entwicklungspolitik sei
der Union ins Stammbuch geschrieben - ich zitiere
ein Wort des venezolanischen Außenministers -.
Mit dörflichem Denken kann man heute keine internationale Politik mehr machen.
({12})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Roser.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Das Klima, in dem sich entwicklungspolitische Diskussionen neuerdings vollziehen, ist leider rauher geworden.
({0})
Das Klima ist innenpolitisch rauher geworden, weil nicht mehr viel in den Kassen ist, und international, weil die dauerhaften Beiträge zum Abbau der Konfrontation - mit der wir es doch auch zu tun haben - zwischen den Industrienationen und den Entwicklungsländern ausgeblieben sind.
Darum wäre es um so wichtiger, wenigstens in diesem Bereich der Gestaltung auswärtiger Beziehungen gemeinsam zu Werke zu gehen; denn in der Entwicklungspolitik arbeiten wir - auch das muß gesagt werden, meine ich - wie in kaum einem anderen politischen Aufgabenbereich an der Zukunft aller Völker in Frieden und mit dem Ziel, mehr Freiheit - auch mehr Freiheit -, mehr Partnerschaft im Umgang miteinander und mehr internationale Solidarität zu erreichen, zu ermöglichen, gemeinsam zu erringen.
({1})
Der Friede kann eben wirklich nur gewahrt werden, wenn die Ungleichheit der Chancen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern allmählich ausgeglichen wird, und die Freiheit - von der wir in diesem Zusammenhang eben auch reden müssen - kann nur gewahrt werden, wenn sie nicht das Privileg - da stimmen wir sicher überein - der wenigen I reichen Völker bleibt.
Wahrscheinlich sind diese beiden großen Zielvorstellungen, die mit Entwicklungspolitik zusammenhängen, der Grund, warum sich gerade junge Leute so leidenschaftlich in der Entwicklungspolitik engagieren und für sie interessieren. Hier, meine ich, handelt es sich um ein Kapital, das wir um keinen Preis aufgeben dürfen, das wir nicht verwirtschaften dürfen. Ich gehe davon aus, daß jede Entwicklungspolitik auf zwei Säulen ruht, einmal auf der Säule der Klarheit der eigenen Konzeption und zum anderen auf der Säule der internationalen Glaubwürdigkeit. Ich mache allerdings keinen Hehl daraus, daß ich hier zum Bericht der Bundesregierung erhebliche Fragen habe.
Ich fürchte nämlich, Herr Bundesminister Bahr, daß die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik auf dem Gebiete der Entwicklungspolitik in letzter Zeit zunehmend Schaden nimmt, international wie national. Ich frage z. B.: Warum hat die Bundesregierung in ihrem entwicklungspolitischen Bericht, der heute zu diskutieren ist, nicht deutlich gemacht, daß sie auf der 7. UN-Sondergeneralversammlung in New York die, wie es wörtlich heißt, „fortdauernde Verpflichtung" eingegangen ist, 0,7 °/o des Bruttosozialprodukts für die öffentliche Entwicklungshilfe bis zum Ende dieses Jahrzehnts - um die Terminfestsetzung geht es! - zu erreichen? Das bedeutet doch, daß sie 1979 - Herr Minister Bahr, dazu haben Sie sich international verpflichtet - 11,5 Milliarden DM zur Verfügung stellen will. Wo nehmen Sie die eigentlich her? Was halten Sie eigentlich davon, daß vier I Tage vor diesem Entschluß in New York, gegen den die Bundesrepublik Deutschland keine Bedenken geltend gemacht hat - Sie zitieren übrigens nach Meinung von Minister Bahr den falschen Satz, Herr Kollege Schleifenbaum, wenn Sie sagen, das treffe nicht zu; aber lassen wir das einmal außer acht -, bei der Festlegung der mittelfristigen Finanzplanung zum entsprechenden Zeitpunkt nur 3,5 Milliarden DM vorgesehen wurden? Was gilt nun eigentlich? Gelten die 3,5 Milliarden DM für den innenpolitischen Hausgebrauch in der mittelfristigen Finanzplanung, oder gelten die 7 Milliarden DM mehr, nämlich die 11,5 Milliarden DM, die Sie in New York bis zum Jahre 1980 aufzubringen definitiv zugesagt haben?
({2})
Was ist hier eigentlich Wahrheit? Wem wird hier eigentlich Wahrheit vorenthalten? Wer ist hier vielleicht noch nicht reif für die volle Wahrheit? Das möchten wir hier erfahren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Roser, Sie waren doch selber in New York, und Sie wissen,
Stahl ({0})
daß dort, was das 0,7 °/o-Ziel betrifft, nur eine Bereitschaftserklärung allgemeiner Art ohne zeitliche Festlegung ausgesprochen wurde. Ich frage Sie: Glauben Sie tatsächlich an das, was Sie hier ausführen? Haben Sie als Opposition jemals einen Antrag gestellt, die Mittel für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Haushalt zu erhöhen?
Lieber Herr Kollege Stahl, Sie machen mich schrecklich verlegen. Lassen Sie mich mit zwei Punkten antworten. Erstens: Diese Zustimmung der Bundesregierung ist in New York zu einem Zeitpunkt erfolgt, als ich nicht mehr dort war. Aber es geht ja um etwas ganz anderes. Es geht
- um es deutlich zu machen und um bei der Sache zu bleiben; dies ist der zweite Punkt - um die Doppelzüngigkeit, die dahintersteht, wenn Sie in New York 11,5 Milliarden DM versprechen, hier in der Bundesrepublik den Ansatz in der mittelfristigen Finanzplanung jedoch nur auf 3,5 Milliarden DM fortschreiben. Das ist doch die Widersprüchlichkeit. Das kostet doch die Glaubwürdigkeit, Herr Minister Bahr. Da wollen wir die Wahrheit und nicht die „Bahrheit" hören.
({0})
Herr Abgeordneter Roser, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl?
Herr Präsident, ich habe genau 15 Minuten Redezeit zur Verfügung. Ich will die Sache nicht verzögern. Ich habe das Recht, jetzt nein zu sagen. Die Sache ist mir so wichtig, daß ich in meinen Ausführungen fortfahren möchte.
({0})
Mich wundert es jedenfalls angesichts dieses Zahlenwerks, das uns in der mittelfristigen Finanzplanung vorgelegt wurde,
({1})
durchaus nicht, daß sich Bundeskanzler Schmidt
- er war ja vorher Finanzminister - in seiner Regierungserklärung vom Mai 1974 zu Fragen der Entwicklungspolitik vollständig ausgeschwiegen hat. Dieses Schweigen - es hat dann zu bestimmten Konsequenzen geführt; Sie waren damals noch im Amt, Herr Minister Bahr - war ein Schweigen der Verlegenheit. Dieses Schweigen kann auch nicht übertüncht werden durch die Klausurtagung von Gymnich. Lieber würde ich sagen: durch den Gag von Gymnich; denn diese Klausurtagung - es war die erste ihrer Art - ist zum nationalen Ereignis hochstilisiert worden.
({2})
Damit kann man aber nicht überkleistern, überdecken, was wir an Defiziten im Bereich der Entwicklungspolitik aufzuweisen haben, insbesondere nicht überkleistern, daß es der Bundeskanzler bei seiner ersten Regierungserklärung nicht für nötig gehalten hat, zur Entwicklungspolitik als eigener Aufgabe auch nur eine Silbe zu verlieren. Dazu wollen wir Ihre Meinung hören.
Im übrigen ist es - in dem Zusammenhang muß es gesagt werden - auch unbegreiflich, daß Bundesaußenminister Genscher auf der 29. Generalversammlung der Vereinten Nationen erklären konnte, die Bundesregierung werde in den nächsten Jahren die Entwicklungshilfe stärker erhöhen - noch einmal: stärker erhöhen - als den nationalen Haushalt. Das stimmt einfach nicht.
({3})
- Hören Sie doch einmal die Zahlen, und lassen Sie mich ausreden! - In den Jahren 1975 bis 1978, Herr Kollege Stahl, wird der Einzelplan 23 eine Verringerung um 4,7 % erfahren, während der Bundeshaushalt insgesamt, durchschnittlich gerechnet, eine Steigerung von 14,8 % erfährt. Da stimmt doch etwas nicht! Diese Doppelgesichtigkeit der entwicklungspolitischen Aussagen auch und vor allem im finanziellen Bereich, um den es letztlich geht, prangern wir an. Wir sind nicht bereit, da mitzumachen und womöglich diese Verpflichtungen in dieser Form zu übernehmen.
({4})
Was man nicht halten kann, soll man einfach nicht
versprechen. Wir sind nicht bereit, eine derartige
Belastung unserer internationalen Glaubwürdigkeit
- hier liegt das eigentliche Problem - mitzumachen.
({5})
Wir können nicht schweigen.
Im übrigen, Herr Minister Bahr, habe ich immer so die Leichtigkeit vor Augen, mit der Sie sich bisher über unsere diesbezügliche Kritik hinweggesetzt haben. Ich werde dabei den Eindruck nicht los - es fällt mir gar nicht so leicht, das auszusprechen, aber es muß eben doch gesagt werden -: Hier ist der alte Bahr am Werk, zwar in einem neuen Auftrag, aber eben im alten Stil. Sie sagen uns immer wieder, es sei alles in Ordnung. In Wirklichkeit ist doch gar nichts in Ordnung. Vor allem stimmen die Finanzzusagen, die wir zur Entwicklungspolitik gemacht haben, nicht. Ich bin der Meinung, daß das dem Ganzen schadet: Das schadet dem Ansehen unseres Landes nach außen, und das schadet auch der Glaubwürdigkeit einer Regierung im Inneren dieses Landes. Oder sind Sie dabei, lieber Herr Minister Bahr, auch die Entwicklungspolitik zur Politik der Kompromisse, in diesem Fall der faulen Kompromisse werden zu lassen?
Wie werden Sie sich, frage ich zusätzlich die Bundesregierung, hinsichtlich der Beschlüsse der 7. Sondergeneralversammlung bei den bevorstehenden
multinationalen Konferenzen verhalten? Wir verlangen jedenfalls eine klare Aussage darüber, wie Sie sich die Gestaltung des Weltwirtschaftssystems künftig vorstellen. Wir meinen, es darf nicht dazu kommen, wie es sich nach Ihrem entscheidenden Schweigen bei der 7. Sondergeneralversammlung, wo ja die Beschlüsse der 6. Sondergeneralversammlung aufgenommen wurden, darstellt. Wir wissen nicht, was gilt. Gilt nun die Rede des Bundesaußenministers zu Beginn dieser 7. Sondergeneralversammlung in New York, oder gilt das Verhalten der Bundesregierung bei der entscheidenden Abstimmung am Ende? Wie sehen Ihre Vorbehalte in diesem Zusammenhang aus?
({6})
Auf Dauer, so meine ich jedenfalls, kommt die Bundesregierung mit dem Bemühen um fragwürdige Formelkonsensusregelungen nicht zurecht. Ich habe im Zusammenhang mit dem Wort „Formelkonsensus" noch das Wort vom „Formelkram" deutlich in den Ohren. Oder wollen Sie, Herr Minister Bahr - auch diese Frage muß man hier stellen -, tatsächlich die bedenklichen Prinzipien und Verfahrensweisen der - hier muß ich sagen: Ihrer - Koexistenzpolitik - das war doch wohl die „neue Ostpolitik" - auf die Politik der weltwirtschaftlichen Zusammenarbeit übertragen?
Was meinten Sie eigentlich, als Sie kürzlich in einem Vortrag - in einem Vortrag, wohlgemerkt, nicht in einem der zahlreichen Interviews - erklärten: „Wir müssen ins Auge fassen: die wirtschaftliche Koexistenz ist der politischen Koexistenz hinzuzufügen"? Was meinten Sie eigentlich mit diesem Satz?
({7})
Den gleichen Verbalismus, von dem ich soeben sprach, kritisieren wir übrigens auch im Zusammenhang mit der europäischen Politik.
({8})
Zu Ihrem entwicklungspolitischen Bericht wird des langen und breiten vom Abkommen von Lomé berichtet. Aber Sie schweigen sich über eines aus: Sie schweigen z. B. vollständig über das Scheitern der EG-Verhandlungen, der Ratsverhandlungen, Mitte Oktober in Luxemburg. Sie scheiterten doch an der Haltung der Bundesregierung. Wir fordern jedenfalls die Bundesregierung erneut auf, in der Europäischen Gemeinschaft die Abstimmung der nationalen Entwicklungspolitiken wie die Schaffung einer weltweit orientierten europäischen Entwicklungspolitik entschiedener, entschlossener, energischer, auch intensiver, voranzutreiben.
Wir fordern Sie zugleich auf, sich von der Fessel zu lösen, Herr Bundesminister Bahr, die Sie sich selbst in den 25 Thesen angelegt haben, wo Sie festlegen - das ist auch beim „Gag von Gymnich" geschehen -, daß 30 % der deutschen öffentlichen Hilfeleistungen multilateral vergeben werden, inklusive - und das ist der Punkt - der europäischen Leistungen. Warum legen Sie sich eine solche Fessel an, wenn es Ihnen mit der Europäisierung der Entwicklungshilfe ernst ist, was doch möglicherweise und in der Finalität ganz sicher den Verzicht auf bilaterale Leistungen zugunsten europäischer Entwicklungspolitik zur Folge hat? Darüber wollen wir eine Aussage haben. Wir fordern Sie auf, diese 30-Prozent-Fessel abzustreifen, und zwar so schnell wie möglich.
({9})
Natürlich wissen wir, daß es schwer ist, Europa zu schaffen. Aber wir brauchen Europa. Wir brauchen es im übrigen, Kollege Holtz, auch um des Wachstums unserer eigenen Wirtschaft willen, von dem Sie sprachen. Wir brauchen es deswegen, weil wir nur so die notwendigen Wachstumsraten erreichen, um in der Lage zu sein, unsere Weltverantwortung im Bereich der Entwicklungspolitik wahrzunehmen.
Wenn das aber so ist, dann müssen wir auch zur Schaffung der europäischen Währungs- und Wirtschaftsunion mehr tun und dürfen nicht immer die Konditionen so hoch hängen, daß Europa einfach nicht zustande kommen kann. Auch hier liegt ein Problem der Glaubwürdigkeit dieser Regierungspolitik, Herr Minister Bahr.
({10})
Deswegen fordern wir Sie auf, intensiver als bisher für Europa einzutreten.
Wir freuen uns, daß Sie - freilich etwas verspätet - erkannt haben, daß die Harmonisierung und Koordinierung der verschiedenen Entwicklungspolitiken der Mitgliedstaaten nötig ist. Nur, wir haben schon im Juni 1971 einen Stufenplan zur Europäisierung der Entwicklungshilfe vorgelegt. Wir sind froh darüber, daß es nach langem Zögern endlich dahin gekommen ist, daß die Bundesregierung - es war noch die Regierung Brandt - diesen Vorschlag übernommen hat. Aber sie hat ihn halbherzig und nur halb übernommen. Deswegen haben wir heute die Misere. Damals, im Oktober 1972, kam es dann zu den großen Sprüchen von Paris - der Pariser Gipfel paßte damals gerade in die deutsche Wahllandschaft -, wo man sagte: Die Entwicklungshilfe soll europäisiert werden. Aber was ist inzwischen herausgekommen? Man war nicht folgerichtig genug, man war inkonsequent. Dies ist der Punkt, den wir kritisieren und wo wir meinen, daß allerdings in Zukunft mehr geschehen müßte.
Herr Bundesminister Bahr, lassen Sie mich noch eine letzte Sache ansprechen.
({11})
Es wird landauf und landab die Sorge geäußert, der Einfluß der Entwicklungspolitik, ihre Bedeutung innerhalb der Politik dieser Bundesregierung könnte unter Minister Bahr geringer werden. Die schrumpfenden Leistungen sind nicht zu verkennen. Lassen Sie mich hier sehr deutlich sagen: Wir wolDeutscher Bundestag - 7. Wahlperiode
len nicht haben, daß Sie zum Exekutor der Entwicklungspolitik werden. Die Schrumpfung der Leistungen, vor allem wenn man die entwicklungspolitisch sicher nicht gerechtfertigte Hilfe an Jugoslawien abzieht, ist allerdings besorgniserregend.
({12})
Wir betonen mit Nachdruck, Herr Minister Bahr, daß wir in einer eigenständigen Entwicklungspolitik im Gesamtsystem der Koordinaten unserer auswärtigen Beziehungen einen bedeutsamen, langfristig den entscheidenden Beitrag für die Wahrung von Frieden und Freiheit in der Welt sehen. Deswegen setzen wir uns gegen alle Tendenzen zur Wehr, an den beiden Säulen zu rütteln, zuzulassen, daß die beiden Säulen ausgelaugt werden, auf denen Entwicklungspolitik steht, nämlich Klarheit, auch international erkennbare, gewahrte, gesicherte Klarheit der eigenen Konzeption und internationale wie nationale Glaubwürdigkeit. Hier haben wir allerdings unsere Zweifel. Es wäre gut, wenn Sie versuchten, diese Zweifel zu zerstreuen.
Ich habe jedenfalls den Eindruck, daß Minister Bahr, kaum daß er begonnen hat, das entwicklungspolitische Latein zu buchstabieren, mit diesem Latein am Ende ist, und fürchte, daß da nichts mehr zu erwarten ist. Dies bedaure ich im Hinblick auf die Bedeutung der Entwicklungspolitik.
({13})
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Stahl ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, die Debatte wieder auf das zurückzuführen, Herr Kollege Roser, was heute in diesem Hause eigentlich besprochen werden soll, und zwar auf die drei Punkte, die auf der Tagesordnung stehen. Der erste Punkt ist Ihre Anfrage, der zweite Punkt die Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzeption, und der dritte Punkt ist der zweite entwicklungspolitische Bericht, den die Bundesregierung diesem Haus vorlegt.
Zu dem ersten Punkt ist die SPD-Fraktion der Meinung, daß er heute eigentlich überflüssig ist. Damit will ich nichts gegen das Recht sagen, das jede Fraktion in diesem Hause hat, Große Anfragen einzubringen. Allerdings. meine Damen und Herren von der Opposition, waren die Fragen, die Sie in Ihrer Großen Anfrage gestellt haben, doch längst in den Beratungen des Ausschusses durch die Bundesregierung ausführlich beantwortet. Weiterhin haben Sie doch in diesem Hause in mündlichen Anfragen dieses Feld der Politik weitgehend abgegrast, und die Bundesregierung hat das Problem hier in aller Offenheit dargestellt und Ihnen Antworten erteilt.
Um die Bundesregierung zu den von Ihnen verlangten zusätzlichen Rechenaufgaben zu veranlassen, hätte eigentlich ein Telefonanruf im Bundesministerium genügt. Deshalb hat ja der Sprecher der Opposition, als die Antwort auf die Große Anfrage kam, in seinen immer „sehr netten" Art in der deutschen Öffentlichkeit gesagt, er sei mit der Antwort und dieser Bundesregierung nicht zufrieden.
({0})
Ich meine, derartige allgemeine negative Formulierungen in Sachen Entwicklungspolitik sollten unterbleiben.
Inzwischen ist Ihre Anfrage, meine Damen und Herren - das hat Herr Kollege Wawrzik eben klar dargestellt -, auch überholt. Er hat sich zwar sehr bemüht, die Begründung noch darzulegen, aber die Zeit ist wohl darüber hinweggegangen.
Die neueren Beziehungen zwischen den Industriestaaten und der Dritten Welt haben Probleme aufgeworfen, denen sich die Opposition in der Großen Anfrage nicht gestellt hat. Dies muß man noch einmal feststellen. Bundesregierung und SPD-Fraktion haben dies zügig und ohne Verzug getan.
In der zweiten Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzeption, die dem Hause vorliegt, gibt die Bundesregierung Antworten auf brennende Fragen der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Hier wird auch Gymnich mit aufgeführt. Herr Kollege Roser, Sie sollten die 25 Thesen tatsächlich einmal lesen und dabei etwas durchdenken.
({1})
Dazu wird heute noch ausführlich gesprochen werden. Die Bundesregierung hat angemessen und ausgewogen auf die Bemühungen der Dritten Welt, sich nach der politischen Unabhängigkeit nun auch wirtschaftlich zu emanzipieren, reagiert. Sie bemüht sich, die Entwicklungspolitik auf dem aktuellen Stand zu halten, der notwendig ist. Sie hat mit dieser Fortschreibung verstärkt die Konsequenzen aus der Erkenntnis gezogen, daß Entwicklungspolitik nicht mehr auf Entwicklungshilfe im klassischen Sinn beschränkt sein darf, sondern daß die Fragen der Hilfe zur Selbsthilfe, der Bevölkerungszunahme, der Weltwirtschaft, der Weltwährung, des Welthandels ebenso berücksichtigt werden müssen wie Fragen einer vorausschauenden Strukturpolitik in unserem Lande selbst. Dazu ist in der vorliegenden fortgeschriebenen Konzeption das Notwendigste in Kürze gesagt. Viele Punkte sind in den Ausschüssen beraten und angeregt worden. Es ist erfreulich, daß das in dem Konzept zu erkennen ist. Der entwicklungspolitische Bericht, den die Bundesregierung nun zum zweiten Mal vorlegt, ist für sich allein eigentlich schon eine Debatte im Plenum dieses Hauses wert.
Unsere Entwicklungspolitik hat in den letzten beiden Jahren tiefgreifende Veränderungen durchgemacht. Darüber, Herr Kollege Roser und meine Damen und Herren von der Opposition, sollten Sie in diesem Hause auch einmal sprechen. Der organisatorische Bereich ist verändert und neuen Gegebenheiten angepaßt worden. In ihm schlägt sich die Erkenntnis nieder, daß noch mehr als bisher Entwick14154
Stahl ({2})
lungspolitik Zusammenarbeit mit den Ländern in der Dritten Welt im weiteren Sinne bedeutet. Noch in jüngster Zeit haben wir gesehen, daß Handelsrestriktionen der Industriestaaten für die Dritte Welt wesentlich mehr Verluste bedeuten, als die Entwicklungshilfe im engeren Sinne jeweils wettzumachen vermag. Ich erinnere nur an den Rindfleischeinfuhrstopp der Europäischen Gemeinschaft.
Wie gesagt, die Beziehungen zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern haben sich grundsätzlich geändert. Man kann die derzeitige Lage ihrem politischen Range nach durchaus mit der am Ende der 50er bzw. Anfang der 60er Jahre vergleichen, als die meisten Kolonien ihre politische Unabhängigkeit erhielten. Die Länder der Dritten Welt haben in der Zwischenzeit erkannt, daß politische Unabhängigkeit allein nicht genügt, um die Rolle als souveräner Staat tatsächlich voll ausfüllen zu können. Dazu müssen die wirtschaftliche Partnerschaft und Anerkennung treten. Ich spreche bewußt nicht von wirtschaftlicher Unabhängigkeit, weil es heute kaum einen Staat gibt, dessen wirtschaftliches Wohlergehen nicht von dem anderer abhängig ist. Das muß aber noch mehr verdeutlicht werden. Es wird künftig Aufgabe der Bundesregierung sein, auch diesen Punkt, im besonderen bei Verhandlungen mit Entwicklungsländern, zu berücksichtigen.
Zwanzig Jahre Erfahrung mit der Entwicklungspolitik haben gezeigt, daß sie allein nicht in der Lage ist, die Lücke zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern in nahezu allen Bereichen des Lebens zu schließen. Indien beispielsweise hat seit seiner Unabhängigkeit ungefähr 50 Milliarden DM Entwicklungshilfe insgesamt aus der Welt erhalten. Trotzdem bestimmen weiterhin Not und Elend das Tagesgeschehen der Menschen. Wenn man diese Aufwendungen und ihre Erfolge z. B. mit dem Resultat des Marshallplans vergleicht, in dessen Rahmen damals für Europa ungefähr die gleiche Summe ausgegeben wurde, kann man klar sehen, daß andere Faktoren als Entwicklungspolitik im engeren Sinne für die Entwicklung eines Landes mehr als wichtig sind.
({3})
Deshalb ist es doch verständlich, daß Entwicklungsländer in der heutigen Weltwirtschaftsordnung zu kurz kommen. Es wird notwendig, die internationale Wirtschaftsordnung dahin gehend zu ändern, daß sie den Bedürfnissen der Entwicklungsländer verstärkt entgegenkommt.
Das bedeutet nicht, daß Entwicklungshilfe im klassischen Sinne durch die Umstrukturierung der Weltwirtschaft ersetzt werden kann. Der Dritten Welt wird es an Kapital und vor -allem an technischem Wissen, an qualifizierten Arbeitskräften und an erfahrenen Führungskräften noch lange, lange mangeln. Hier, bei der Bereitstellung von Wissen, technischem Know-how und Kapital, wird in Zukunft verstärkt die Möglichkeit unserer Privatindustrie liegen, ihren Anteil zur Entwicklung der Länder beizutragen. Es wird weiterhin notwendig sein, einen angemessenen Anteil des Bruttosozialprodukts für
die Entwicklungspolitik im engeren Sinne aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung zu stellen.
Lassen Sie mich hier auch dazu einmal ein klares Wort sagen. Das, was wir für diesen Bereich zur Zeit aufwenden, kann tatsächlich nicht als ausreichend angesehen werden. Ich hoffe nur, daß das bei einer verbesserten Wirtschaftslage in unserem Land die Erkenntnis aller Verantwortlichen sein wird, auch die Erkenntnis der Opposition. Auch das muß man einmal sagen. Ein weiteres Nachlassen bei den finanziellen Leistungen zugunsten der Dritten Welt könnte so verstanden werden, daß wir über die Abgabe von gut klingenden Erklärungen nicht hinaus wollen.
({4})
Wenn wir nicht langfristig unseren eigenen Interessen Schaden zufügen wollen, muß nach Verbesserung unserer derzeitigen Wirtschaftslage die Geldbörse wieder weiter geöffnet werden. Hierzu gab es ja schon zustimmende Erklärungen.
({5})
Im Bereich der Entwicklungspolitik im engeren Sinne hat die Opposition gezeigt, daß sie in vielen Fragen der technischen Abwicklung der Entwicklungshilfe keine grundlegenden Meinungsunterschiede zur Regierung und zur Koalition pflegt. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten sich tatsächlich noch einmal überlegen, was einige Ihrer Redner hier gesagt haben. Im Ausschuß sieht das nämlich ganz anders aus.
({6})
- Ach natürlich, Herr Kollege Roser. Sie wissen doch, was Sie im Ausschuß sagen und was Sie vorhin dem Herrn Bundesminister alles vorgeworfen haben, z. B. das 0,7-Prozent-Ziel.
({7})
Die entwicklungspolitischen Leitlinien der CDU lehnen sich in den meisten Bereichen eng an die entwicklungspolitische Konzeption der Bundesregierung an, und sie sind von uns in der Erwartung begrüßt worden, daß sich hier endlich eine Möglichkeit zu mehr gemeinsamer sachlicher Zusammenarbeit bieten würde. Dies hat sich inzwischen leider als Fehlschluß erwiesen. Die Opposition hat sich in letzter Zeit zunehmend - bitte nehmen Sie mir nicht übel, daß ich dieses Wort einmal in aller Offenheit sage - auf Effekthascherei beschränkt. Auf ihrem eigenen entwicklungspolitischen Kongreß mußte sie in aller Deutlichkeit von ausländischen und nicht nur von ausländischen Gästen hinnehmen und sich vorhalten lassen, daß sie zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung keine ernst zu nehmende Alternative hat.
({8})
Die verbalen Eskapaden Ihres entwicklungspolitischen Sprechers stehen nicht selten in groteskem
Widerspruch zu Ihren Leitlinien. Aber er persönlich
Stahl ({9})
hat ja wohl eine spezielle Grunderkenntnis: Entwicklungspolitik ohne Widerspruch gibt es in unserem Lande nicht, Herr Dr. Todenhöfer.
({10})
Dies ist Ihre Erkenntnis, und in dieser Art sind Ihre laufenden Presseerklärungen. Dies müssen Sie sich auch von hier aus einmal sagen lassen.
Ich frage deshalb, welche Grundsätze und welche Aussagen, die oftmals in der Öffentlichkeit im Namen der CDU/CSU-Fraktion und im Namen der Entwicklungspolitik präsentiert werden, die Alternative der Union sind. Welche werden eingehalten? Um nochmals auf Widersprüchlichkeiten zurückzukommen: In den Leitlinien der CDU heißt es z. B. die Weltwährung müsse mit dem Ziel reformiert werden, daß bei der Schaffung internationaler Liquidität Stabilitätsgesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Später wütet der Sprecher gegen den von der Bundesregierung mitgetragenen Beschluß der 7. Sondergeneralversammlung, der die aufgeführten Kriterien berücksichtigt. Dies, Herr Kollege Roser, haben Sie doch auch teilweise in Ihrer Rede angesprochen.
Oder: Im Juli 1973 wendet er sich gegen deutsche Kapitalhilfe für Chile.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roser?
Bitte schön!
Herr Kollege Stahl, sind Sie bereit, endlich zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in meiner Stellungnahme zu dem Verlauf der 7. Sondergeneralversammlung in New York, soweit ich an ihr teilnahm, ausdrücklich darauf hingewiesen habe, daß die Entwicklungsländer bislang leider noch von keiner ihrer Forderungen abgewichen seien, so daß man in keiner Weise und nicht im entferntesten von irgendeiner Zustimmung zur Haltung der Bundesregierung sprechen kann, zumal die Bundesregierung erst am letzten Tag zugestimmt hat?
({0})
Herr Kollege Roser, es ist eigentlich enttäuschend, daß Sie eine derartige Frage stellen, nachdem Sie den gesamten Verhandlungsvorgang in New York mitbekommen haben und sogar die Möglichkeit hatten, die Verhandlungen mit zu beeinflussen.
({0})
Meine Damen und Herren, kommen wir zu den Widersprüchen zurück. Im .Juli 1973 wendet sich
der Sprecher gegen die Kapitalhilfe für Chile, weil die Weltwirtschaftspolitik und die wirtschaftliche Situation nicht erwarten lasse, daß diese Kapitalhilfe tatsächlich der Bevölkerung zugute komme. 1975 nach einer Reise nach Chile und einem Gespräch mit General Pinochet fordert er plötzlich lauthals hier in unserem Lande eben diese Kapitalhilfe. Kurze Zeit später greift er, der für die Militärdiktatur in Chile Geld forderte, die Bundesregierung an, weil sie langfristig eingegangene völkerrechtliche Verträge für Uganda erfüllt hat.
({1})
Es stimmt, meine Damen und Herren: Er ist mit dieser CDU/CSU-Politik bekannt geworden, aber mit dem Grad seiner Bekanntheit steigen natürlich auch die Zweifel an der Seriosität der Entwicklungspolitik der CDU.
Daß eine ernst zu nehmende Zusammenarbeit mit der Opposition im Rahmen der Entwicklungspolitik nicht unmöglich ist, zeigt eigentlich die Arbeit im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Mit wenigen Ausnahmen gab es hier eine konstruktive Kooperation. Meinungsunterschiede sind zwar nicht verschwunden, aber sie wurden in der Regel sachlich und fair ausgetragen.
Der Ausschuß hat in den letzten beiden Jahren seit dem ersten entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung, wie ich meine, wichtige Grundsatzarbeit geleistet. Er war beteiligt an der Ausformung der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesregierung, er war beteiligt an der Ausarbeitung der Grundsätze für die technische Zusammenarbeit und in vielen anderen Bereichen an der Schaffung von Grundlagen unserer Entwicklungspolitik. Durch die Einbeziehung des Ausschusses in frühe Planungsphasen - meine Herren von der Opposition, hören Sie nun einmal gut zu - werden das Mitspracherecht und die Kontrollmöglichkeit des Parlaments beträchtlich erhöht. Hier muß, glaube ich, dem verantwortlichen Bundesminister, Egon Bahr, ein uneingeschränktes Lob gezollt werden.
({2})
Es ist mir eigentlich unverständlich, daß Sie heute in dieser Debatte so tun, als hätten Sie in den Ausschüssen, in denen ja nun tatsächlich die Einzelheiten und die Kleinarbeit der Politik gemacht werden, kein Mitspracherecht.
({3})
- Nein. dies ist an Sie gerichtet, verehrter Herr Kollege Todenhöfer.
Auch die Novellierung des EntwicklungsländerSteuergesetzes, mit dem Privatinvestitionen für Entwicklungsländer zusätzlich motiviert werden sollen, ist im Ausschuß gemeinsam erörtert und beschlossen worden. Das gleiche gilt für das Hearing des Ausschusses über die Tätigkeit deutscher multinationaler Unternehmen, wenn sich auch Herr Todenhöfer von dem nicht gerade sozialistisch angehauchten „Handelsblatt" den Vorwurf gefallen lassen
Stahl ({4})
mußte, nicht die SPD, sondern er betreibe die Emotionalisierung der Probleme.
({5})
In den beiden Punkten Entwicklungsländer-Steuergesetz und „Multi"-Hearing hat der Ausschuß der Bundesregierung Vorgaben und Empfehlungen für die künftige gesetzgeberische Arbeit an die Hand gegeben. Leider ist auch - und hier hören Sie doch bitte einmal zu - -({6})
- Herr Dr. Todenhöfer, von Ihnen ist doch ein ordentliches und ehrliches Wort gar nicht zu erwarten. Sie gehen doch nur darauf aus, in der Öffentlichkeit Effekt zu haschen.
({7})
Lesen Sie doch das, was z. B. heute in den Zeitungen geschrieben wird! Warum melden Sie sich denn hier nicht, warum sprechen Sie jetzt hier nicht einmal, der Sie doch das Haus überzeugen wollen?
({8})
- Sehr wahr, Herr Kollege Wehner. Herr Kollege
Todenhöfer bezeichnet sich offiziell als Sprecher
({9})
für die Entwicklungspolitik der CDU/CSU. Er hat
aber noch nicht einmal den Mut, jetzt hier einmal
in die Debatte einzusteigen und dies darzustellen.
({10})
Leider ist auch die Entwicklungspolitik der Opposition in der Öffentlichkeit so angelegt, daß sie Vorurteile gegenüber der Entwicklungspolitik und den Ländern der Dritten Welt verstärkt, die wir eigentlich alle - und darüber waren wir uns doch im Ausschuß einig - abbauen wollen. Natürlich ist Entwicklungspolitik ein schwieriges Geschäft. Natürlich gibt es Projekte, die nicht den Erfolg bringen, den man sich zu Beginn, nach erstellter Planung, versprochen hat. Aber das sind doch Einzelfälle. Wo gibt es das nicht, daß irgend etwas im Bereich der Planung - auch in einem Industriebetrieb - einmal schiefläuft? Ist es nicht so, daß die deutsche Entwicklungspolitik im wesentlichen als erfolgreich und positiv bewertet wird? Erstens verweise ich nochmals auf die Aussagen der Experten bei dem entwicklungspolitischen Kongreß der CDU, und zweitens, lesen Sie doch einmal, Herr Kollege Todenhöfer, den DAC-Bericht! Dort werden die Leistungen der Bundesrepublik Deutschland als sehr positiv bewertet und besonders im Verhältnis zu anderen Ländern hervorgehoben. Lesen Sie ihn doch bitte einmal durch! Dieser gute Ruf, meine Damen und Herren, muß künftig verstärkt in unserem Lande genutzt werden, um mehr Verständnis für die Notwendigkeiten der Entwicklungspolitik in der Öffentlichkeit zu wecken. Ich darf nur einige Beiträge nennen: Holland gibt ungefähr 50 Pfennig für die Öffentlichkeitsarbeit aus, Schweden etwa 90 Pfennig und die Bundesrepublik 5 Pfennig. Hier ist, so meine ich, noch viel zu tun. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, ermuntern deshalb die Bundesregierung, vor allen Dingen Bundesminister Bahr, die Öffentlichkeitsarbeit wesentlich zu verstärken.
({11})
Hier ist noch vieles zu tun. Noch immer hat in vielen Bereichen der deutschen Öffentlichkeit das Märchen vom goldenen Bett seine Gültigkeit. Wir müssen klarmachen, daß Entwicklungshilfe und ihre Politik keine Caritas sind, sondern politische und wirtschaftliche Notwendigkeit: notwendig angesichts der Tatsache, daß inzwischen rund ein Fünftel unserer Exporte in die Dritte Welt geht; notwendig, weil inzwischen zahlreiche weltwirtschaftliche und weltpolitische Probleme ohne die Entwicklungsländer nicht mehr lösbar sind, auch nicht die Rohstoffversorgung unseres Landes; notwendig, weil sie ihren Anteil zur Schaffung von mehr sozialer Gerechtigkeit in der Welt leisten und den Frieden sicherer macht.
Abschließend, meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen, daß die SPD-Bundestagsfraktion überzeugt ist, daß die Leistungen für die Entwicklungshilfe ein positiver Wechsel auf die Zukunft unseres Landes sind und langfristig auch den Wohlstand unseres Landes sichern helfen. Es wäre gut, wenn sich die Opposition dem anschlösse und in einer konstruktiven, sachlichen Zusammenarbeit dieses Ziel mit uns gemeinsam zum Wohle der Entwicklungsländer verfolgte.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Werner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab eine Vorbemerkung zu Ihnen, Herr Stahl. Sie mögen - wie auch immer - mit unserem Obmann, Herrn Dr. Todenhöfer, geteilter Meinung sein. Nur, ein Vorwurf ist völlig unverständlich: Sie machen es sich doch hier merkbar leicht, wenn Sie meinen, Herr Todenhöfer müßte dann jeweils hier zum Rednerpult springen und laufen, wenn Sie es wünschen, nachdem Ihr zuständiger Ressortminister seit fast eineinhalb Jahren sich zu Fragen der Entwicklungspolitik von hier aus nicht dezidiert geäußert hat.
({0})
Ich möchte Sie doch bitten, dann dergleichen Schlenker wirklich zu unterlassen.
({1})
Nach den Kontroversen mit Herrn Eppler haben wir von den Unionsparteien uns um Übereinstimmung mit den anderen Parteien in diesem Hohen Hause in Fragen der Entwicklungspolitik bemüht. Leider war aber, Herr Bundesminister Bahr, diese Übereinstimmung bisher nicht erreichbar, weil Sie trotz der - wie ich es einmal bezeichnen möchte - mehr als vagen Formulierung der 25 Thesen und trotz der im Detail geschehenen Umformulierung der Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzeption seit mehreren Monaten nicht deutlich gemacht haben, was eigentlich konkret Ihr entwicklungspolitischer Kurs ist, wo Ihre Konzeption mit der Konzeption Ihres Vorgängers übereinstimmt, wo Sie neue Wege und neue Mittel wählen wollen.
({2})
Dies näher zu erfragen, war der Sinn der Großen Anfrage, Herr Stahl.
({3})
Auf diese Große Anfrage haben wir leider Antworten bekommen, die offensichtlich zum Ziel haben und hatten, klärende Worte zu vermeiden.
({4})
Mehrdeutiges steht dort, Herr Schleifenbaum, wo
Eindeutiges gesagt werden müßte, und es wird dort
geschwiegen, wo klare Antworten notwendig wären.
({5})
Sie, Herr Bundesminister, verkünden unentwegt, um ein Beispiel zu nennen, die scheinbar erfolgreiche Idee der Dreieckskooperation. Aber Sie haben bisher nicht in dem notwendigen Maße der Öffentlichkeit deutlich gemacht, daß eben gerade die Realisierung dieser Idee nicht von Ihren Absichten allein, sondern maßgeblich von denen abhängt, die sie bezahlen sollen. Die arabischen Länder - das wissen Sie doch auch - wollen in der Form, wie Sie sie vorschlagen, nicht mitmachen. Selbst Teile der Bundesregierung sind doch offensichtlich der Auffassung, daß dieser Gedanke keinerlei Chance hat.
Herr Abgeordneter Werner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl?
Bitte schön, Herr Stahl!
Herr Kollege Werner, da Sie nun als dritter Sprecher auf den Bereich der Dreieckskooperation abheben, frage ich Sie, ob Sie im Ausschuß nicht zur Kenntnis genommen haben, daß es in diesem Bereich einige Vereinbarungen gibt und daß ein derartiges Projekt nicht von heute
auf morgen erstellt werden kann. Sie wissen doch selbst aus den Planungen der Industrie z. B., daß von der Vorplanung bis zur Durchführung in der Regel zwei bis drei Jahre vergehen.
Herr Stahl, Sie machen es mir relativ einfach, hier zu antworten. Denn ich erinnere Sie an Ihr Argumentationspapier für Ihre Fraktionskollegen,
({0})
in dem Sie darauf hinweisen, daß die Idee der Dreieckskooperation bisher noch keinerlei greifbare Ergebnisse gezeitigt hat.
({1})
Deswegen möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinweisen, daß nach unseren Informationen bisher kein einziges derart konzipiertes Projekt tatsächlich beschlossen wurde. Beschlossen wurde vielmehr eine geringe Anzahl von Parallelfinanzierungen in einzelnen Fällen.
Nun, wir meinen, daß sich diese Politik der Widersprüchlichkeit und der Desinformation seitens der Bundesregierung ebenso in der Frage etwa der Vergabe von Mitteln an nichtdemokratische Regierungen zeigt, also in der Art der Einschätzung von Verhältnissen und Vorgängen in der Dritten Welt. Ich erinnere an den nachweislich angebotenen 45Millionen-Kredit an Chile, der heute schon einmal angesprochen wurde, ein Kredit, der nach dem Sturz des Sozialisten Allende seitens dieser Regierung verneint wurde. Ich weise demgegenüber auf die Verlautbarungen im vergangenen Sommer hin,
({2})
auf die Kreditzusage an Uganda, die trotz der Vorgänge in diesem Lande aufrechterhalten wurde.
({3})
Wenn wir, Herr Stahl, beide Beispiele einmal näher betrachten,
({4})
dann müssen wir doch sagen, daß diese Bundesregierung ihre eigenen Zusagen und ihre eingegangenen Verbindlichkeiten jeweils willkürlich interpretiert.
({5})
Diese Handlungsweise weist zugleich auf die widersprüchlichen Aussagen der Regierung zu Menschenrecht und Demokratie hin. Im Mai und im September dieses Jahres machten Sie, Herr Bundesminister, in einem Interview eine Aussage über moralische Maßstäbe. Dabei legten Sie einen sehr strengen moralischen Maßstab als Grundlage für die Gewährung partnerschaftlicher Hilfe an Entwick14158
lungsländer an, einen strengen moralischen Maßstab im Hinblick auf Demokratievorstellungen, einen Maßstab, der, wie ich meine, von Ihnen im Zusammenhang mit Ihren ostpolitischen Vorstellungen offensichtlich vergessen worden war. Sie sagten damals, man werde Entwicklungshilfe nur dort gewähren, wo Menschenrechte beachtet würden und die Demokratie nicht umkippe.
({6})
Und hier möchten wir fragen: In wie vielen Empfängerländern deutscher Entwicklungshilfe ist eigentlich eines von beiden nicht der Fall? Amnesty International kann hierauf sofort eine Auskunft geben.
({7})
Dies nur als Beispiel dafür, in welcher Art und Weise hier wirklich mit Maßstäben gearbeitet wird.
Doch, Herr Minister: Ehre, wem Ehre gebührt! Im September dieses Jahres sagten Sie gleichzeitig, daß Sie davor warnen, die Dritte Welt mit unseren Vorstellungen missionieren zu wollen. Ich sage das ausdrücklich und weise darauf hin, daß etwas Derartiges und Ähnliches bereits in der Fragestunde seitens des Vertreters des Auswärtigen Amtes im Januar 1975 hier verlautete, als der Vertreter des Auswärtigen Amtes sagte, die Bundesregierung werde sich in erster Linie von den eigenen Interessen leiten lassen und nicht Richter über Regierungsformen sein. Was gilt nun als Vergabekriterium? Hat z. B. die Meinung von Bundesminister Matthöfer noch Geltung, der nur sozialistische Lösungen für die Dritte Welt dereinst sah, oder hat die Bundesregierung heute jegliche Absicht ideologischer Missionierung aufgegeben? Wir, die Unionsparteien, lehnen sozialistische Missionierung wie jede Form der Missionierung ab.
({8})
Die Entwicklungsländer sollen unserer Auffassung nach in Eigenverantwortung über ihren Weg in die Zukunft entscheiden können.
({9})
Die Vergabe von Entwicklungshilfe ergibt sich danach nach unserer Auffassung aus der Abwägung einer Vielzahl von Faktoren, zu denen die projektbezogene Hilfe für die Armen, die Chance, Unterdrückten mehr Menschenrechte und Selbständigkeit zu verschaffen ebenso gehören wie die Beachtung unserer fundamentalen Sicherheitsinteressen.
Entwicklungspolitik muß, so meinen wir, in sich folgerichtig sein. Herr Eppler war nur unter der Voraussetzung bereit, die Vermischung von Außenpolitik und Entwicklungspolitik, die die Vergabe des Jugoslawien-Kredits aus dem Entwicklungshaushalt eingeleitet hat, mitzutragen, daß darunter die Entwicklungsländer nicht zu leiden hätten. In seiner
Rücktrittserklärung vom 4. Juli 1974 erklärte er wortwörtlich - ich zitiere -:
Seit 1968 habe ich die Zustimmung zum Kapitalhilfekredit für Jugoslawien davon abhängig gemacht, daß sie nicht auf Kosten anderer Entwicklungsländer geht. Daher habe ich 1973 jede weitere Kreditzusage an Jugoslawien an die Bedingung geknüpft, daß eine großzügigere, der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 entsprechende Finanzplanung beschlossen wird. Als die Höhe des Kredits erkennbar wurde, habe ich die Bestätigung gefordert und erhalten, daß die neue Finanzplanung nicht gekürzt wird. Daher konnte ich mich dem Parlament gegenüber verbürgen, daß unter der Kapitalhilfe an Jugoslawien kein anderes Entwicklungsland zu leiden hätte.
Herr Eppler trat also zurück, weil die Zahlungen an Jugoslawien zu Lasten der Entwicklungsländer gehen.
({10})
Ihnen, Herr Bahr, machte dies offensichtlich nichts aus, denn wie sonst könnten Sie bereit sein, derartige Haushaltsansätze, wie sie die neueste Finanzplanung vorsieht, hinzunehmen?
Wir müssen deswegen sagen, Herr Minister, daß das Neue unter Ihrer Ägide das ist, daß es offensichtlich in zunehmendem Maße weniger Geld und dafür mehr schöne Worte gibt, konkret: 1975 3,5 Milliarden DM, 1976 2,9 Milliarden DM, 1977 3,1 Milliarden DM, 1978 3,3 Milliarden DM, und erst 1979 werden wir wieder den Stand dieses Jahres in Höhe von 3,5 Milliarden DM Entwicklungshilfe erreichen.
({11})
Diese Zahlen, meine Damen und Herren, müssen doch alarmieren. Sie zeigen, wie wir meinen, wie leicht eigentlich die Probleme, die sich weltweit im großen globalen Zusammenhang der Entwicklungspolitik stellen, seitens der Bundesregierung genommen werden.
Herr Eppler erklärte bei seinem Rücktritt - ({12})
- Jawohl, der tut Ihnen weh, ich weiß das,
({13})
weil er Ihnen die Wahrheit sagte, wo Sie selbst in sich und in Ihrer Diktion
({14})
nicht folgerichtig und unredlich geworden waren. - Jawohl, Herr Wehner, das ist die Situation! Sie wollen nicht hören, wo sich der Bruch in Ihrer eigenen Argumentation vollzog.
({15})
Herr Eppler betonte nachdrücklich:
Ich kann die Verantwortung nicht dafür übernehmen, daß wenige Wochen nach diesem Beschluß das weit gesündeste Land durch drastische Kürzung der Finanzplanung für die Entwicklungshilfe als erstes dagegen verstößt.
({16})
Er sprach dabei von einem am 30. April 1974 unter deutschem Vorsitz im Ministerrat der EG gefaßten Beschluß, der besagte, daß der Umfang der öffentlichen Hilfe ohne Rücksicht auf Haushaltsschwierigkeiten und Zahlungsbilanzen beibehalten werden soll.
Herr Abgeordneter Werner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?
Herr Präsident, in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und der wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, bitte ich um Verständnis, wenn ich fortfahren möchte.
({0})
Herr Eppler trat zurück, weil er dies alles nicht mehr verantworten konnte. Sie, Herr Bahr, sind bereit, darüber hinaus hinzunehmen, daß wir uns bis zum Jahre 1980 von dem beschworenen und beschlossenen 0,7 %-Ziel weiter entfernen als je zuvor. Sehen Sie eigentlich nicht die verheerende Signalwirkung eines derartigen Vorgehens des Landes, das sich stolz als das wirtschaftlich stabilste Land der EWG bezeichnen läßt?
({1})
Wie wollen Sie dieser Haushaltspolitik gegenüber eigentlich rechtfertigen, daß Sie in New York auf der 7. Sondergeneralversammlung unterschrieben haben, die Bundesrepublik Deutschland werde alles tun, bis 1980 - zum Ende dieser Entwicklungsdekade - den Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe an Bruttosozialprodukt von 0,7 °/o zu erreichen, während Sie doch eigentlich wissen mußten, daß Sie das, was Sie unterschrieben haben, niemals werden bis dahin halten können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Bahr spricht und steht ja nicht für sich allein, sondern er steht für die gesamte Regierung, und deswegen trifft der Vorwurf der Täuschung die gesamte Regierung, auch den Herrn Bundeskanzler, der zu dieser Frage einmal Stellung nehmen sollte.
({2})
Wenn wir die Entwicklungspolitik einmal in den Rahmen der Gesamtpolitik und des gesamtpolitischen Handelns dieser Bundesregierung hineinstellen, dann wage ich folgende Feststellung: Die Bundesregierung leistet Beiträge zu Krediten an den Osten, sperrt sich gegenüber dem Westen, der EWG, und kürzt die Hilfe gegenüber dem Süden, den Entwicklungsländern. Würden Sie Ihre Beiträge für den Osten in die Entwicklungspolitik stecken, wo Gelder in keinem einzigen Falle bisher gegen fundamentale Sicherheitsinteressen dieses Volkes eingesetzt wurden, dann wäre uns allen mehr gedient!
({3})
Was uns stört, ist, daß man nicht feststellen kann, welche Art von Entwicklungspolitik oder gar welche Art Außenpolitik Herr Bundesminister Bahr treibt; denn uns verwundert, daß er in zunehmendem Maße wieder das Vokabular seiner angeblichen Ostpolitik übernimmt. Während sich Herr Bahr im Inland stark für die Marktwirtschaft ausspricht, läßt er offensichtlich im Ausland ordnungspolitisch Gegensätzliches unterschreiben.
({4})
Betreibt Herr Bahr Rohstoffvorsorgepolitik, müssen wir fragen, oder meint er gar trickreich auf Zeitgewinn spekulieren zu können? Herr Bundesminister Bahr, wir sind der Auffassung, hierzu sollten Sie Stellung nehmen. Sie sollten uns sagen, was Sie tatsächlich meinen, damit wir Klarheit darüber erlangen, was Sie bezwecken, welche Zielsetzungen in der Entwicklungspolitik Sie verfolgen und ob wir uns mit Ihnen zu einer gemeinsamen Basis finden können, von der aus wir alle miteinander in diesem Hause Entwicklungspolitik tragen können. Denn, so meine ich, und so meinen meine Freunde, der Satz des früheren Bundespräsidenten Heinemann hat auch in dieser Stunde Geltung, der da lautete: „Wer heute nur für sich selbst sorgen will, verspielt mit der Zukunft anderer auch seine eigene." Herr Bahr, Sie sollten uns sagen, wie Sie die Zukunft gestalten wollen. Wir werden bereit sein,
({5}) Ihnen zuzuhören, Ihre Politik zu erwägen,
({6})
und dann Ihnen zu sagen, inwieweit wir mit Ihnen eine gemeinsame Politik betreiben können. Vielen Dank, auch Ihnen, Herr Wehner!
({7})
Herr Bundesminister Bahr!
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis, wenn ich diejenigen Fragen der Opposition nicht beantworte, auf die sich
die Antworten bereits aus dem entwicklungspolitischen Bericht ergeben und dort nachgelesen werden können.
({0})
Vielleicht mache ich eine Ausnahme, um zu verhindern, daß hier eine Legendenbildung entsteht. Herr Kollege Roser, Sie haben zum wiederholten Male behauptet, daß in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 14. Mai 1974 nichts über Entwicklungspolitik gestanden habe. Ich bitte Sie, diese Regierungserklärung vom 24. Mai 1974 nachzulesen. Der Auszug ist übrigens als Anlage 1 dem entwicklungspolitischen Bericht beigefügt.
({1})
Meine Damen und Herren, die bedeutendsten Veränderungen auf unserem Globus fanden in den vergangenen zwei Jahren in dem Verhältnis zwischen Nord und Süd, Reich und Arm, Minderheit und Mehrheit, industrialisierten Ländern und Entwicklungsländern statt. Diese Veränderungen sind bisher in einem atemberaubenden Tempo verlaufen.
Es hat nur zwei Jahre von der Ölpreisexplosion bis zu dem Augenblick gedauert, in dem Saudi-Arabien zu einem größerem Geberland für Entwicklungshilfe geworden ist als Großbritannien, und Kuweit Kanada überflügelt hat. Es hat nur zwei Jahre von der Explosion des Selbstbewußtseins in manchen Entwicklungsländern bis zum Augenblick der Erkenntnis gedauert, daß der Kurs der Zusammenarbeit dem Kurs der Konfrontation vorzuziehen ist.
In diesen zwei Jahren ist die größte finanzielle Einnahmenverschiebung von Industrieländern an Entwicklungsländer erfolgt seit es Entwicklungsländer gibt. In diesen zwei Jahren haben die Vereinten Nationen eine neue Kategorie von Ländern definiert, nämlich die Gruppe der von den Preissteigerungen am meisten betroffenen Länder, die Ärmsten der Armen. In diesen zwei Jahren hat die Welt erlebt, daß dem Wirtschaftsrückgang in einigen Ländern Rückgang bei allen anderen folgt. Die gegenseitige Abhängigkeit ist größer, als wir vor zwei Jahren gewußt haben, die Parallelität der Entwicklung im Weltmaßstab frappierend. Sie überspringt alle Grenzen, alle Bündnissysteme und verschont kein Wirtschaftssystem.
({2})
Allein diese Tatsache würde ausreichen, um die Behauptungen, wir hätten es in der Bundesrepublik Deutschland im wesentlichen mit hausgemachten Schwierigkeiten zu tun, in das Reich der Absurdität zu verweisen.
({3})
Die Gleichartigkeit der Gesamtentwicklung hat dennoch zu unterschiedlichen Auswirkungen geführt.
Alle Ölproduzenten sind reicher geworden. Das gilt auch für die beiden Supermächte. Für die meisten Länder, die nicht über exportfähige Rohstoffe verfügen, hat sich die Lage dramatisch verschärft.
Die Komplexität der globalen Entwicklung enthält zugleich auch die Hoffnung: Die Verantwortung jedes Landes für das, was in der Welt insgesamt vorgeht, ist gestiegen. Sein Verhalten entscheidet auch über das Schicksal anderer, mehr als früher.
In der vor uns liegenden Zeit muß sich der Zwang zur Zusammenarbeit bewähren, das heißt mit anderen Worten: die Vernunft steht hier gleichbedeutend mit Interesse, dem Eigeninteresse aller an einer friedlichen Entwicklung der Menschheit.
({4})
Wer von der notwendigen Vernunft auf weltweiter Basis spricht, dokumentiert damit nicht nur Hoffnung, sondern auch, wie schwierig und wie verletzlich der Kurs ist, der vor uns liegt.
Die Globalität der Probleme hat zugenommen, aber wir sind bisher nicht imstande gewesen, in entsprechendem Tempo wirksame globale Instrumente zur Lösung der Probleme zu entwickeln. Man könnte vereinfachend sagen, daß die Familie der Völker die Aufgabe hat, die Regeln zu vereinbaren, die für das Zusammenarbeiten aller in Respekt vor der Entscheidung des einzelnen nötig sind.
In diesem Zusammenhang ist die Siebente Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zu sehen. In diesem Zusammenhang ist der große Beitrag, den die Vereinigten Staaten durch eine Veränderung ihrer Position möglich gemacht haben, ebenso zu würdigen wie der Anteil der Entwicklungsländer, die eine Reihe maximaler Forderungen aufgaben.
In diesem Zusammenhang ist die Position der Bundesregierung vor den Vereinten Nationen zu sehen. Ohne sie wäre die Europäische Gemeinschaft nicht in der Lage gewesen, eine führende Rolle für das Zustandekommen einer einheitlichen Schlußresolution zu spielen.
Ich will nicht zu oft wiederholen, was der Opposition auf ihre zahlreichen Fragen in diesem Hohen Hause von der Bundesregierung geantwortet worden ist. Ich will nur unterstreichen: Die Opposition sollte in ihr Bewußtsein aufnehmen, daß der Vertreter der Vereinigten Staaten in der Vollversammlung keine Vorbehalte gemacht, sondern unterstrichen hat, daß die Schlußresolution einmütig zustande gekommen ist.
({5})
Nach dem Abkommen von Lomé war die Siebente Sondergeneralversammlung die erste große operative Gelegenheit, bei der die Staaten der Europaischen Gemeinschaft einheitlich auftraten und einheitlich abstimmten. Die Europäer in der CDU/ CSU sollten darüber nicht weniger froh sein als die Bundesregierung.
({6})
Die Solidarisierung zwischen den ölproduzierenden und den nicht ölproduzierenden Entwicklungsländern hat sich nicht nur darin ausgedrückt, daß die Entwicklungsländer insgesamt an Gewicht gewonnen haben; es hat vielmehr auch eine Solidarisierung für den Kurs der Mäßigung stattgefunden. Die Bundesregierung weiß die dahinterstehende Integrationsleistung der Entwicklungsländer zu würdigen.
Das Ergebnis der 7. Sondergeneralversammlung hat noch keine materiellen Lösungen der dort beschriebenen Probleme gebracht, wohl aber den Rahmen abgegrenzt, innerhalb dessen nach Lösungen gesucht werden soll. Man kann schon jetzt sagen, daß die praktischen Lösungen weder nach der einen noch nach der anderen Seite am äußersten Rand des Rahmens zu finden sein werden. Das ist allen Beteiligten klar. Schon aus diesem Grunde gehen manche Angriffe oder Sorgen - auch heute gehörte - betreffend Formulierungen des Schlußdokuments ins Leere.
Das Neue ist das Engagement aller Beteiligten, nach praktischen Lösungen zu suchen.
({7})
Ob die Bereitschaft, sich zu engagieren, weiter besteht - dies wird im Laufe der nächsten zwölf Monate darüber entscheiden, ob die Welt in eine neue und sehr viel härtere Konfrontation zurückfällt.
({8})
Die Formulierungen des Schlußdokuments sind auslegungsfähig. Wer daraus den Anfang einer totalen Kehrtwendung der deutschen Wirtschaftspolitik herausliest, wird seine Sorgen ebenso beerdigen müssen wie jene, die von einer Bundesregierung unter sozialdemokratischer Führung die Enteignung der Eigenheime befürchtet haben.
({9})
Wenn der amerikanische Außenminister „fundamentale Änderungen in der Struktur der Weltwirtschaft" erwartet, wenn der französische Staatspräsident von einer neuen Weltwirtschaftsordnung spricht,
({10})
wenn der Kollege Genscher eine „ausgewogenere und gerechtere interdependente Weltwirtschaftssturktur" fordert,
({11})
wenn der Vorsitzende der CDU auf dem entwicklungspolitischen Kongreß die Frage stellt, warum die Struktur des Warenaustauschs noch immer der des Kolonialzeitalters entspricht, und entsprechende Folgerungen zieht,
({12})
wenn die Sozialdemokratische Partei in ihrem Orientierungsrahmen fragt, ob das bestehende System der internationalen Arbeitsteilung die Probleme in der Weltwirtschaft lösen kann
({13})
oder Funktion und Beitrag der verschiedenen Ländergruppen neu zu bestimmen sind, wenn schließlich im Rahmen der OECD alle dort vertretenen Länder von der Notwendigkeit einer neuen Weltwirtschaftsordnung sprechen, handelt es sich bei allen eben Genannten wohl nicht um Systemveränderer, sondern um Menschen, die im vollen Bewußtsein ihre Verantwortung wissen,
({14})
daß die schreiende Ungerechtigkeit von heute nicht verewigt werden kann, wenn die Welt an einem Konflikt vorbeikommen will.
({15})
Daß 80 °/o der Menschheit über 7 °/o der industriellen Produktion verfügen, daß mehr als eine Milliarde Menschen ein Pro-Kopf-Einkommen von 250 oder 300 DM - im Jahr, nicht im Monat - haben, daß jeden Tag - also auch heute - mehrere Tausend Kinder und Erwachsene an Hunger sterben, dies genügt, um den Ruf nach Veränderung zu rechtfertigen.
({16})
Dieser Ruf erklingt im Namen der Würde des einzelnen, unabhängig von Hautfarbe und Glaube.
({17})
- Dann müßten Sie das Ihren vorherigen Sprechern sagen.
({18})
Der Ruf nach Veränderung ist global heute genauso berechtigt und begründet, wie er dies Ende des vergangenen Jahrhunderts war, am Ende der ersten industriellen Revolution in Deutschland, als man die Einführung bestimmter Arbeitszeiten, die Abschaffung der Kinderarbeit und vieles mehr forderte, was heute längst international geltendes Recht geworden ist, übrigens auch ohne daß - wie von der damaligen reichen Minderheit befürchtet wurde - die Wirtschaft zusammenbrach.
In dem Maße, in dem Chancengleichheit für mehr Menschen geschaffen wurde, ging es allen besser, und diese Erfahrung wird sich weltweit wiederholen. Es wird sich natürlich auch etwas anderes wiederholen: Das bessere Leben wird keinem geschenkt. Von dem Willen zur Arbeit und der Fähigkeit zur Arbeit hängt schließlich alle Entwicklung
ab. Keine Unterstützung von außen kann für die Länder der Dritten Welt diese entscheidenden Faktoren ersetzen.
Das tragende Moment für die Staatenwelt von heute ist das Prinzip der nationalen Souveränität. Es bedeutet hier, daß wir niemandem unsere Wirtschaftsordnung aufzwingen, und umgekehrt, daß wir über unsere Wirtschaftsordnung selbst entscheiden. Jeder hat die Entscheidung des anderen zu respektieren. Die Bundesrepublik Deutschland hat bei allen Mängeln mit dem System der sozialen Marktwirtschaft gute Erfahrungen gemacht.
({19})
Daß wir es nicht zu ändern beabsichtigen, habe ich in Lima vor der UNIDO-Konferenz im Frühjahr gesagt und dabei auch bei den Entwicklungsländern Verständnis gefunden. Wenn Sie dieses in Erinnerung behalten hätten, verehrte Sprecher der Opposition, hätten Sie sich heute viele Fragen danach sparen können.
({20})
Die Haltung der Bundesregierung hat sich auch nach der 7. Sondergeneralversammlung zu diesem Punkt nicht verändert. Auch dies haben wir schon mehrfach gesagt. Wir haben der Resolution in New York zugestimmt, d. h., wir sind für eine Weiterentwicklung der heutigen Weltwirtschaftsordnung unter Wahrung liberaler und marktwirtschaftlicher Prinzipien. Man kann es auch so formulieren: Unser System einer Marktwirtschaft, die den Schwachen zu schützen weiß, muß sich fähig erweisen, seinen Beitrag zur Beseitigung schreiender Ungerechtigkeiten zu leisten.
({21})
Die Bundesrepublik gehört zu den wenigen sehr reichen Ländern dies ist eben wiederholt worden im Gegensatz zu dem, was die Sprecher der Opposition in anderen Debatten dazu sagen -, und wer in Gesprächen mit Vertretern der Entwicklungsländer unsere Sorgen erklärt, der hört nur eine Antwort: unsere Sorgen möchten viele in der Welt haben.
({22})
Sie müssen es einem Bundesminister, der den Problemen der Länder der Dritten Welt besonders nahesteht, nachsehen, wenn er hier das kopfschüttelnde Unverständnis von Vertretern der Dritten Welt über manche Diskussion wiedergibt,
({23})
die hierzulande stattfindet. Gewiß wollen wir keines unserer Probleme verniedlichen. Noch viel weniger sollten wir uns aber dem Vorwurf aussetzen, die riesigen existentiellen Probleme anderer zu verniedlichen.
({24})
- Wir wollen einmal sehen, ob es weiter so bleibt.
Damit sind wir bei dem 0,7 %-Ziel, das zu erreichen sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat.
({25})
Daß wir dafür keine Verpflichtung übernehmen können, bis wann wir dieses Ziel erreichen,
({26})
war international auch vor der Abstimmung über die Schlußresolution der 7. Sondergeneralversammlung bekannt. Insofern, Herr Kollege Roser, kann hier niemand enttäuscht sein. Ich sage hier in aller Offenheit, daß ich bedauere, wenn wir unsere öffentlichen Mittel für die Dritte Welt nicht stärker steigern können.
({27})
Ich sage ebenso deutlich, daß von einschneidenden Maßnahmen, denen das Kabinett alle Ressorts unterziehen mußte und die sehr viele unserer Bürger treffen, nicht allein die Entwicklungspolitik ausgenommen werden konnte. Die Bundesregierung wird sich weiter bemühen, unsere Leistungen zu steigern. Sie wird dabei sicher die Unterstützung dieses Hauses finden.
Was die Forderung nach möglichst schneller Erfüllung des 0,7-Zieles angeht, so freue ich mich, einige Kollegen der Opposition an der Seite der Jungsozialisten zu finden. Selten hat es eine größere Koalition gegeben.
({28})
Inwieweit die Opposition dem Einzelplan 23 mehr Mittel als vorgesehen zuführen will, werden wir bei den Haushaltsberatungen erleben.
({29})
Dabei bin ich gespannt auf die Vorstellungen der Opposition über entsprechende Kürzungen in anderen Haushalten.
({30})
Im übrigen wäre es gut, wenn die Opposition zunächst einmal dafür sorgen würde, wenn in den von ihr regierten Ländern nach den hier verkündeten Maximen verfahren würde. Sie sollte z. B. darauf hinwirken, daß die vorgesehene 50 °/oige Kürzung der Ausgaben für Entwicklungshilfe im Landeshaushalt von Schleswig-Holstein rückgängig gemacht wird.
({31})
Im übrigen, meine Damen und Herren, brauchen wir uns unserer Leistungen nicht zu schämen.
({32})
Die Stabilitätspolitik, die unser Land unter eigener
Opfern erfolgreich führt, kommt auch den EntwickBundesminister Bahr
lungsländern zugute. Es ist vorteilhaft, in einem Land zu bestellen, in dem nicht nur die Lieferfristen eingehalten werden, sondern die Preise kalkulierbar bleiben. Im Verhältnis zu den allermeisten Währungen der Welt ist heute 1 Milliarde DM mehr wert als vor zwei Jahren. Kein internationaler Leistungsvergleich berücksichtigt das sehr unterschiedliche Inflationsgefälle.
Es ist objektiv falsch, Herr Kollege Roser, von Schrumpfungen zu sprechen. Es ist im Gegenteil so, daß die Bundesrepublik Deutschland im letzten Jahr von der vierten an die dritte Stelle der wichtigsten Geberländer gerückt ist,
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nach den USA, nach Frankreich, vor Japan, vor Kanada, vor Großbritannien.
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Wenn die Ziffern dieses Jahres vorliegen werden, dann wird sich abermals eine Steigerung zeigen. Wir sehen mit rund 4 Milliarden DM einem Rekordvolumen entgegen, und unsere Leistungen sollen im nächsten Jahr diesen hohen Standard halten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roser?
Ich möchte das erst zu Ende vortragen.
Sie möchten keine Zusatzfrage zulassen? - Bitte sehr!
Bei dem verständlichen Wunsch, daß noch mehr noch besser wäre, sollten wir uns nicht in eine Diskussion verlieren, die uns im Augenblick unserer größten Leistung kleiner macht, als wir sind. Das gilt auch für die Qualität unserer Hilfe.
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Alle Regierungen haben versucht, Konsequenzen aus der veränderten internationalen Lage zu ziehen. Die Bundesregierung hat dies getan und damit international Anerkennung gefunden. Besonders begrüßt wurde die nach der Sondersitzung des Kabinetts in den Thesen von Gymnich, die in dem entwicklungspolitischen Bericht, in der fortgeschriebenen Konzeption, niedergelegte Absicht, die Hilfe stärker auf die ärmsten Entwicklungsländer, auf die ärmsten Bevölkerungskreise zu konzentrieren und zu diesem Zweck zunehmend die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung zu fördern.
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Interesse fanden die neuen Formen unserer Nahrungsmittelhilfe. - Wir erreichen in diesem Jahr, Herr Zwischenrufer, daß jede zweite Mark, die wir bilateral zusagen, in die am meisten betroffenen Länder fließt, daß jede dritte Mark der Entwicklung
der Landwirtschaft zugute kommt, und wir werden diese Konzentration auch fortsetzen.
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Vom 1. Januar kommenden Jahres an wird die Gruppe der am meisten betroffenen Länder unsere Kapitalhilfe zu günstigeren Bedingungen erhalten, während Länder, die in einer besseren Position sind, Kapitalhilfe nur zu härteren Konditionen bekommen. Wir werden damit der eingetretenen Veränderung gerecht; wir befinden uns hier in Übereinstimmung mit der Politik der Weltbank, den Empfehlungen der OECD und dem Wunsch der Vereinten Nationen.
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- Na, um so besser!
Die Frage, ob wir bei diesen vielen Änderungen unsere entwicklungspolitische Konzeption nicht neu fassen müßten, wurde geprüft. Das Ergebnis kennen Sie. Unsere entwicklungspolitische Konzeption erwies sich als elastisch genug, um zum zweitenmal fortgeschrieben zu werden.
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Dies ist ein nachträgliches Kompliment für meinen Vorgänger im Amt und Freund Erhard Eppler, dessen Leistung draußen größere Anerkennung gefunden hat als zu Hause. Auch das verbindet ihn mit manchen anderen.
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Wer die Sprecher der Opposition heute über Erhard Eppler reden hört, der merkt, daß Sozialdemokraten um so akzeptabler werden, je weniger sie noch im Amt sind.
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Zu den Möglichkeiten, der neuen Lage gerecht zu werden, gehört auch unser Angebot, in einer Dreieckskooperation das technische Wissen der Industrieländer mit den finanziellen Möglichkeiten der Ölproduzenten zugunsten dritter Länder zu verwenden. Diese Idee entsprang der Logik und der Erfahrung, daß Entwicklung drei Faktoren bedingt. Der erste und wichtigste ist die Bereitschaft und die Fähigkeit eines Landes, sich zu entwickeln. Der zweite liegt in der Übertragung von Wissen oder Technik, und der dritte liegt in der Finanzierung. Wir können heute drei Feststellungen treffen.
Erstens. Die Ölländer, deren Aufnahmefähigkeit für Entwicklung schneller gewachsen ist, als allgemein angenommen wurde, haben sich auch sehr schnell ihrer gewachsenen Verantwortung gerecht gezeigt und haben insgesamt nicht weniger Geld
für Entwicklungshilfe zugesagt, als die Industrieländer zur Verfügung gestellt haben.
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Ich muß allerdings zugeben,
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daß die ölproduzierenden Länder in ihrer Auszahlungsgeschwindigkeit genauso langsam sind wie die Industrieländer.
Zweitens, Sie haben natürlich etwas mehr Zeit gebraucht und brauchen sie noch immer, um sich die Instrumente zu schaffen, mit denen Entwicklungshilfe geleistet werden kann.
Drittens. Die Idee der Dreieckskooperation ist international akzeptiert. Sie hat ihre größten Erfolge über die Weltbank als ein international anerkanntes multinationales, politisch neutrales Instrument. Alle großen Industrieländer sind in der Verhandlung über entsprechende Projekte.
Wie positiv diese Idee gesehen wird, hat die CDU auf ihrem entwicklungspolitischen Kongreß gehört, als Raul Prebisch, Maurice Williams und der Schah-Berater Reza Fallah darüber sprachen.
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Auch wir sind in Verhandlungen mit dem Arab Fund, dem Saudi Arab Development Fund, dem Abu Dhabi Fund, dem Kuwait Fund und mit dem Iran. Dabei geht es um Projekte von vielen hundert Millionen DM, bei denen wir zum Zeichen unseres Engagements z. B. bereit sind, Kosten für die Projektvorbereitungen zu tragen. Es muß unterstrichen werden, daß die Dreieckskooperation nicht dazu dienen soll, die finanziellen Aufwendungen der Bundesrepublik zu ersetzen, sondern dazu, Drittländern zusätzlich unsere technischen Kapazitäten über das hinaus, was für uns finanzierbar ist, zur Verfügung zu stellen. Nach weniger als einem Jahr konkreter Bemühungen, also einer Zeit, in der normale bilaterale Projekte nur in seltenen Fällen unterschriftsreif sind, kann noch keine große Projektliste vorgelegt werden. Aber ich kann heute meine Erwartung ausdrücken, daß sowohl die Projekte als auch die Volumina, die im Laufe des nächsten Jahres zu erwarten sind, beträchtlichen Umfang haben werden.
Wir haben das Kapital der DEG bedeutend erhöht, um besonders mittleren Unternehmen Investitionen und Beteiligungen in Entwicklungsländern zu erleichtern. Die Europäische Gemeinschaft- hat mit dem Abkommen von Lomé einen großen Sprung geschafft. Das dortige Modell der Erlösstabilisierung hat international auch zur Entkrampfung der Fronten in New York beigetragen. Ich will dieses Thema nicht weiter vertiefen, da es den Deutschen Bundestag gesondert beschäftigen wird.
Aber ich darf nicht mein Bedauern unterdrücken, daß es der Gemeinschaft bisher nicht gelungen ist, zwei andere Beschlüsse zu verwirklichen, die im Sommer vergangenen Jahres gleichzeitig gefaßt wurden, nämlich die Koordinierung und Harmonisierung der Entwicklungspolitik der Partner und die gemeinschaftliche Organisation der weltweiten Hilfe. Hier hat die Bundesregierung den Standpunkt eingenommen, daß das eine nicht ohne das andere geht, daß der letzte große Fonds der Gemeinschaft nicht eingerichtet werden kann, ohne daß die Gemeinschaft die selber gesetzten politischen Ziele erreicht, wobei ich das stufenweise Erreichen nicht ausschließe.
Die Gespräche mit meinem britischen Kollegen Anfang dieser Woche in London haben ergeben, daß die britische Regierung beide Ziele bejaht. Die Bundesregierung wird dazu Initiativen ergreifen, um nach Abstimmung mit unseren anderen Partnern in der Europäischen Gemeinschaft einen Entwicklungsrat im kommenden Frühjahr vorzubereiten, der sich mit diesen beiden Punkten befassen soll.
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Hier geht es nicht um Geld, denn wir hätten das Geld, das wir auf eine europäische Verantwortung in dem Maße übertragen könnten, in dem unsere bilaterale Aufgabe geringer wird. Es handelt sich um eine Komplettierung der Europäischen Gemeinschaft, die im Prinzip beschlossen ist und auf deren Verwirklichung wir drängen werden.
Wir haben uns bemüht, auch unsere Instrumentarien zu verbessern. Das Ministerium bewältigt bei international anerkannter Qualität seiner Arbeit nun schon im zweiten Jahr ein beträchtlich wachsendes Volumen mit der gleichen Zahl von Mitarbeitern. Hierin liegt ein Rationalisierungsfaktor, der von den Mitarbeitern ein Engagement verlangt, das außergewöhnlich ist und Anerkennung verdient. Wir haben in der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ein Instrument zur Durchführung unserer gesamten technischen Hilfe geschaffen, das privatrechtlich organisiert und inzwischen voll arbeitsfähig ist. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die unsere Kapitalhilfe abwickelt, hat ebenfalls Rationalisierungen vorgenommen, die zum Teil sehr lange Prüfungszeiten abkürzen.
Wir geben uns mit alledem nicht zufrieden und haben Anfang November mit der Überprüfung der gesamten Arbeitsorganisation des Ministeriums begonnen. Wir wollen uns die neuesten Erkenntnisse moderner Verwaltungs- und Unternehmensführung zunutze machen. Wir haben den Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung vorangebracht und werden in der Lage sein, einem oft geäußerten Wunsch entsprechend, den Fachausschuß dieses Hauses vom kommenden April an über alle nach dem 1. Januar 1976 neu abgeschlossenen Projekte regelmäßig zu informieren. Wir sind noch nicht ganz in der Lage, das auch für alle in der Vergangenheit liegenden Projekte zu tun. Aber das ist inzwischen zu einer Frage weniger Wochen geworden.
„In der Entwicklungspolitik geht es darum, nicht das Populäre zu tun, sondern das Richtige populär zu machen." Das ist ein Satz aus einer entwicklungspolitischen Debatte vor 15 Jahren, den der heutige Bundespräsident formuliert hat. Damals haben ihm alle zugestimmt; ich hoffe, daß das so bleibt, wenn wir uns, auch einer Empfehlung der OECD folgend, gemeinsam - gemeinsam! - um eine verbesserte Information bemühen.
Ich habe die Freude, Ihnen heute mitteilen zu können, daß der Herr Bundespräsident meiner Anregung zugestimmt hat, einen „Journalisten-Preis Entwicklungspolitik" zu schaffen. Wir werden Journalisten auszeichnen, die mit der außergewöhnlichen Qualität ihrer Berichterstattung das Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit für die Notwendigkeit partnerschaftlicher Zusammenarbeit schärfen.
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Der Bundespräsident wird den mit insgesamt 20 000 DM dotierten Preis zum erstenmal im kommenden Frühjahr überreichen.
Der Export in die Entwicklungsländer hat sich in den letzten beiden Jahren verdoppelt. Unsere Kapitalhilfe wird - darin sind wir vorbildlich - insgesamt ohne Lieferbindung gegeben. Ich bin auch der deutschen Wirtschaft dafür dankbar, daß sie sich dem internationalen Konkurrenzdruck stellt, der darin liegt, daß die Entwicklungsländer mit der von uns für bestimmte Projekte vereinbarten Kapitalhilfe dort kaufen können, wo sie am besten, am schnellsten und am billigsten bedient werden. 80 % unserer Kapitalhilfe fließt in Form von Aufträgen an unsere Wirtschaft zu uns zurück. Bei der technischen Hilfe sind es sogar 90 °/o. Aus dem Weltbankbereich bekommen wir mehr als doppelt so viele Aufträge, wie wir als Anteil einzahlen. Übrigens, Herr Kollege Roser: aus dem Fonds der Europäischen Gemeinschaft weniger als ein Drittel von dem, was wir einzahlen.
Entwicklungshilfe sichert heute Arbeitsplätze, und zwar jeden siebten, der mit dem Export zusammenhängt.
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Export in die Entwicklungsländer ist für den Gesamtexport genauso wichtig geworden wie die Automobilindustrie für unsere Gesamtwirtschaft.
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Wir definieren Interessen, wir treten den Entwicklungsländern als Partner gegenüber, die ihre Interessen definieren. Wir versuchen, soweit es geht, die Hilfe durch Zusammenarbeit zu ersetzen, weil es auf die Dauer eines ganz ungewöhnlichen Stolzes bedarf, wenn der eine immer nur danke sagen soll. Wir sind überzeugt, daß diese Länder zudem das Entscheidende selbst tun müssen, weil nur sie unter dem aus allen angebotenen technischen Modellen auswählen können, was sie aus ihrer Tradition, aus ihrem Willen, aus ihrer Fähigkeit, aus ihrer Möglichkeit tun und welchen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Weg sie gehen wollen. Die Verantwortung für diese Entscheidung kann ihnen niemand abnehmen. Das Recht auf Fehler haben auch junge Staaten.
Nachdem es gelungen ist - und solange es weiterhin gelingt -, den Prozeß der Entspannung in Europa zu entwickeln, kann sich die Bundesrepublik Deutschland freier und mit größerer Energie den Entwicklungsländern zuwenden. Auch die Entwicklungsländer profitieren von der Entspannung zwischen Ost und West.
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Wenn der Verdacht geäußert worden ist - das ist übrigens auch heute wieder geschehen -, ich würde die Entwicklungspolitik in den Dienst der Ostpolitik stellen oder umgekehrt Ostpolitik in die Entwicklungspolitik übertragen, so kann ich nur sagen: die Politik der Friedenssicherung und die Politik der Entspannung gilt für die Bundesregierung nach allen Himmelsrichtungen. Das Prinzip des Gewaltverzichts ist nach unserer Auffassung ein Prinzip auch für das Zusammenleben der Entwicklungsländer und mit Entwicklungsländern. Im übrigen hat die Opposition den gleichen ostpolitischen Gewinn wie die Regierungskoalition für unsere Entwicklungspolitik. Wir alle sind frei geworden von der Hallstein-Doktrin. Ich habe dem oft angekündigten und dann auch erschienenen Entwurf für entwicklungspolitische Leitsätze der CDU entnehmen können, daß dies der einzige Punkt ist, in dem man unsere Ostpolitik wirklich akzeptiert hat.
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Jedenfalls sehnt sich die Union in der Entwicklungspolitik auch nicht mehr nach der Hallstein-Doktrin zurück.
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Bei der Komplexität der weltpolitischen Probleme geht es um Fragen, für die in den letzten Jahren zunehmend auch die Regierungschefs, die Außenminister, die Wirtschaftsminister, die Landwirtschaftsminister und die Familienminister Interesse gewonnen haben. Ich begrüße das, weil die Sache der Entwicklungsländer damit Verbündete gewinnt. Entwicklungspolitik war schon immer mehr als Hilfe für die Armen. Heute gibt es darüber weder international noch zu Hause Streit. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, daß außer allem Neuen die alten Probleme geblieben sind, der Hunger und die Armut größer geworden sind. Mit dem schneller werdenden Wachstum der Menschheit sind auch die Probleme schneller gewachsen, als wir sie lösen können. Die Herausforderung an unsere Gewissen ist nicht kleiner geworden. Wir können wohl alle froh sein, daß auch die Bereitschaft der Menschen in unserem Lande zu spenden nicht geringer geworden ist. Wir haben beiden Kirchen herzlich für das zu danken, was sie an Aufklärung und tätiger Hilfe mit den Menschen und für die Menschen in aller Welt tun.
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Ich stimme dem Kollegen Roser zu, der heute vormittag die Frage gestellt hat, ob wir auf diesem Gebiet der Entwicklungspolitik nicht viel gemeinsam tun können. Warum denn nicht? Aber die Opposition muß sich dann überlegen, ob sie dem Stil des Vorsitzenden Kohl oder dem Stil des Vorsitzenden Strauß folgen will.
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Alle Parteien geben der Entwicklungspolitik einen großen Rang. Alle Parteien denken dabei in die gleiche Richtung. Es gibt das Verständnis, daß es sich hier um Aufgaben handelt, die zu groß sind, urn sie im Rahmen unserer üblichen Zeitvorstellung lösen zu können. Diejenigen, die dennoch Tag für Tag daran arbeiten, bitten um Ihrer aller Unterstützung.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Todenhöfer.
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Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
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Das war ein Anflug von Deutschtümelei, nehme ich an.
Herr Präsident! Wir haben keine Vorsitzenden, die so an Titeln hängen wie die Vertreter dieser Regierung.
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Herr Minister, Sie haben Ihre entwicklungspolitische Konzeption unter das Motto der Kontinuität und Konzentration gestellt. Dies ist einer der wenigen Punkte, in denen ich Ihnen zustimmen kann. Ihre Entwicklungspolitik steht, um mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu sprechen,
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in der Tat unter diesem Motto: Kontinuität der Versprechen, Herr Wehner, und Konzentration der Mittel.
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Als Sie, Herr Minister Bahr, im Juli 1974 das Amt des Entwicklungsminister übernahmen, verband sich damit in der engagierten Öffentlichkeit die Hoffnung, daß nun endlich eine realistische und durchführbare entwicklungspolitische Konzeption vorgelegt würde -, eine Konzeption, in der Worte und Taten nicht mehr in so eklatanter Weise auseinanderklaffen würden. Diese Hoffnungen haben sich leider nicht erfüllt. Anstatt das Utopische auf das Machbare zu reduzieren, haben Sie in der entwicklungspolitischen Fortschreibung der Unzahl der
Ziele und Strategien eine ganze Reihe neuer hinzugefügt.
Ich weiß jetzt eigentlich wirklich nicht mehr,
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was wir in den Entwicklungsländern nicht tun, Herr Wehner. Nur wäre ich Ihnen, Herr Wehner, für die Mitteilung dankbar,
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wo diese Entwicklungsländer liegen, in denen wir all das tun, was in dieser Konzeption Bahrs steht.
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Es ist doch einfach unseriös und auch unredlich, Herr Minister Bahr, diese „großartigen" Strategien und Ziele zum gleichen Zeitpunkt vorzulegen, in dem Ihre Regierung den Beschluß gefaßt hat, 1979 weniger Entwicklungshilfe zu leisten als 1975 ({6})
und das bei einem Inflationsverlust von rund 25 °/o!
Auf derselben Linie liegt es, wenn Sie nun, Herr Minister, um der Öffentlichkeit eine Scheinübereinstimmung mit der Opposition vorzuspielen, sich demonstrativ einige schwarze Federn an Ihren roten Hut stecken.
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Was nützt ein verbaler Consensus mit der Opposition, wenn Sie diesen verbalen Consensus nicht in die praktische Politik umsetzen?
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Was nützt es, Herr Bahr, wenn Sie nun endlich - nach dem Fiasko Ihrer Fraktion im Hearing über multinationale Unternehmen - private Direktinvestitionen ausdrücklich begrüßen,
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wenn Sie gleichzeitig auf Ihrer Tagung in Gymnich Gegenmaßnahmen bei völkerrechtswidrigen Enteignungen deutschen Eigentums in Entwicklungsländern verhindern? Was nützt es, wenn Sie unsere Forderung nach weltweiter europäischer Entwicklungspolitik verbal übernehmen und gleichzeitig in Brüssel alles unternehmen, um praktische finanzielle Schritte zur Verwirklichung dieser Forderung durch Ihr Veto verhindern?
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Was nützt es, wenn Sie in der Theorie unsere Forderung nach Konzentration der Mittel auf die ärmDr. Todenhöfer
sten Länder der Vierten Welt übernehmen und in der Praxis die Kapitalhilfezusagen Ihres Hauses für die 25 ärmsten Länder dieser Welt im Jahre 1975 auf kümmerliche 20 °/o bringen? Das ist eine Steigerungsrate von rund 1 °/o.
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Wir könnten über diese Fälle, die sich beliebig erweitern ließen, kommentarlos hinweggehen, wenn nicht gerade die letzten Monate Anlaß zu der ernsten Sorge gegeben hätten, daß Sie, Herr Minister Bahr, mit dieser Strategie der verbalen Übereinstimmung nach außen in erster Linie das Ziel verfolgen, in der politischen Praxis unkontrolliert und ungehindert Ihre eigenen Wege gehen zu können.
Eine jener genialen neuen Strategien, die Sie sogar zum persönlichen Markenzeichen Ihrer Politik gemacht haben, ist die staatliche Dreieckskooperation.
({12})
Herr Bahr, in ungezählten Interviews haben Sie diese Idee als den Stein der Weisen angepriesen: Die Öllander sollten ihr Kapital geben, die Bundesrepublik als Staat wollte die Experten stellen, und unter der Regie dieser Experten sollten in Entwicklungsländern große Projekte verwirklicht werden. „Entwicklungshilfe ohne den Finanzminister" haben Sie das genannt, Herr Bahr.
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Sie, Herr Bahr, haben das einen Beitrag zum Recycling der Ö1-Milliarden in die Bundesrepublik und - ich zitiere - „ein Programm zur Sicherung von Arbeitsplätzen" noch dazu genannt.
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Herr Minister Bahr, ich muß Ihnen an dieser Stelle einmal ein Kompliment machen.
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Es ist Ihnen mit dieser „großartigen" Idee gelungen, fast alle zu überzeugen: die deutsche Öffentlichkeit, ja sogar einige Haushaltsexperten, die von der Idee „Entwicklungshilfe ohne den Finanzminister" natürlich ganz besonders angetan waren, die internationalen Geberorganisationen und natürlich auch jene Entwicklungsländer, die die Früchte Ihrer genialen Dreiecksidee ernten sollten. Leider haben Sie immer die Falschen überzeugt; denn von Ihrer Dreieckskooperation hätten Sie jene überzeugen müssen, die sie bezahlen sollten: die Erdölländer. Das aber ist Ihnen nicht gelungen, obwohl seit über einem Jahr Ihre Abgesandten an fast alle Türen Arabiens geklopft haben.
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Man könnte das alles noch unter das Kapitel „Einarbeitungszeit eines neuen Ministers" fassen und Gras darüber wachsen lassen, wenn Sie nicht im Stile Ihrer Ostpolitik nach dem bewährten Instrumentarium der Falschinformation gegriffen hätten.
({17})
Am 25. April 1975 gab Ihr Ministerium - um nur ein Beispiel zu nennen eine offizielle Erklärung heraus mit der Überschrift „Saudi-Arabiens Zustimmung zu Bonns Konzept der Dreieckskooperation ein großer Erfolg".
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Die Überraschung der saudi-arabischen Regierung, Herr Stahl, konnte nicht größer sein. Die Promptheit der Antwort der saudi-arabischen Regierung allerdings auch nicht, mit der sie die deutsche Seite darauf hinwies, Saudi-Arabien ziehe ganz entschieden eine bilaterale Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern der von Ihnen vorgeschlagenen Dreieckskooperation vor, - und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen und nicht - wie Sie immer wieder behaupten weil Entwicklungsprojekte immer mehrere Jahre dauern.
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Die unangenehme Aufgabe zuzugeben, daß Ihre Dreiecksinformationen Fehlinformationen waren, hatte wenige Wochen später Staatssekretär Rohwedder nach Verhandlungen mit einer offiziellen saudi-arabischen Wirtschaftsdelegation. Er erklärte im Deutschen Fernsehen: Der Gedanke ist zu schön, um wahr zu sein. Leider wollen die Saudis an diese Sache gar nicht ran. Wir sollten die Sache mit den Dreiecksgeschäften so schnell wie möglich vergessen.
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Das alles hat Sie, Herr Minister Bahr, nicht daran gehindert, vor den Augen der staunenden arabischen Botschafter in Bonn eine Erfolgsmeldung nach der anderen verbreiten zu lassen. Auch in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage bezeichnen Sie die Dreieckskooperation als eine der entscheidenden Antworten auf die durch die Ölkrise entstandene „neue Lage".
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Nur beabsichtigen Sie, in Zukunft - und das ist leider typisch für Ihre Politik - unter den Begriff „Dreieckskooperation" nunmehr Dinge zu fassen, die mit der ursprünglich im Sudan verkündeten Idee der „Entwicklungshilfe ohne den Finanzminister", des Recycling, der Mobilisierung arabischer Ölmilliarden für unsere Entwicklungshilfe, nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun haben.
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- Herr Stahl, das ist die richtige Antwort. Das ist die Bestätigung der falschen Ankündigungen Ihres Ministers.
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Wenn Sie, Herr Minister Bahr, in Ihrem entwicklungspolitischen Bericht Ihre Bereitschaft erklären, falls dies notwendig werde, nun auch deutsche Finanzhilfe für diese geniale Dreieckskooperation zur Verfügung zu stellen, dann ist das doch keine „Entwicklungshilfe ohne den Finanzminister" mehr, sondern Parallelfinanzierung, die es seit vielen Jahren gibt.
Das gleiche gilt, Herr Minister, wenn deutsche Privatfirmen - ohne Einschaltung des deutschen Staates - von den Ölländern Aufträge zur Durchführung von Projekten in Entwicklungsländern erhalten. Diese Form der privatwirtschaftlichen Zusammenarbeit gibt es ebenfalls schon seit Jahren; sie funktioniert sogar vorzüglich, nur hat sie mit Ihrer staatlichen Dreieckskooperation ebenfalls nichts zu tun.
Natürlich, Herr Minister, wird es Ihnen irgendwann gelingen, das eine oder andere staatliche Dreiecksprojekt durchzuführen. Ich wünsche Ihnen das sogar,
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wenn es Ihnen gelingt, die Boykott-Problematik dabei zu lösen. Aber, Herr Minister Bahr, wenn Sie in ein mit arabischem Ölgeld finanziertes landwirtschaftliches Projekt zwei deutsche Melker schicken, dann hat das doch mit Ihrer epochalen Dreiecksidee, die Milliarden mobilisieren wollte, nichts mehr zu tun. Das muß hier doch einmal gesagt werden.
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„Entwicklungshilfe ohne den Finanzminister", Herr Wehner, bahnt sich allerdings in einem Punkte an, nämlich im Abschnitt „Finanzielle Planung". Hier blieb von der finanziellen Planung leider nur noch die Überschrift. Der Satz, der in der bisherigen Konzeption zur Erreichung des 0,7 °/o-Ziels in den nächsten Jahren eine erhebliche Steigerung der Haushaltsansätze verlangte, wurde sang-und klanglos gestrichen. Herr Minister Bahr, Sie haben die Fahne der Entwicklungshilfe schneller eingeholt, als dies selbst Ihre politischen Gegner für möglich gehalten hätten - und das alles nur wenige Wochen, nachdem die Bundesregierung vor den Vereinten Nationen feierlich, ohne Zwang und anders als andere europäische Staaten ihre Absicht erklärt hatte, bis 1980 0,7 °/o des Bruttosozialprodukts - das wären „bescheidene" 11 Milliarden DM - für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen.
Sie behaupten nun hier in dieser Debatte, die Bundesregierung habe in ihre internationale Zusage
eine Bemühensklausel eingebaut, obwohl Sie wissen, daß schon der Wortlaut dieses Argument Lügen straft. Aber selbst wenn die Bundesregierung recht hätte, hätte sie doch etwas versprochen, was sie gar nicht halten will. Wer wie die Bundesregiegierung für 1979 0,25 °/o plant, will doch 1980 0,7% gar nicht verwirklichen!
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Die Bundesregierung kann ihre internationale Zusage nicht nur nicht erfüllen, sie will sie auch nicht erfüllen.
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Früher glaubte die Bundesregierung wenigstens noch an ihre eigenen Versprechen, die sie den Entwicklungsländern gab; heute, unter Bundesminister Bahr und unter Bundeskanzler Schmidt, verspricht diese Regierung bereits wider besseres Wissen.
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Herr Minister, es gibt viele Hindernisse für eine echte Kooperation zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern. Das größte Hindernis aber ist zur Zeit das fehlende gegenseitige Vertrauen. Sie vermeiden doch mit einem Versprechen, dessen Nichteinhaltung Sie im gleichen Atemzug beschließen, nicht die Konfrontation, Sie machen die Konfrontation doch damit geradezu unvermeidlich. Das ist genau die falsche Strategie, Herr Bahr, die Sie hier einschlagen.
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- Ein Glück, daß ich Sie nicht als Ratgeber habe, Herr Wehner.
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Niemand, Herr Wehner, hat dieser Regierung, die Sie unterstützen, das Recht gegeben, so leichtfertig mit der internationalen Glaubwürdigkeit unseres Landes umzugehen. Herr Wehner, keiner hat Finanzminister Schmidt 1973 gezwungen, in Nairobi vor den Vertretern von mehr als 100 Entwicklungsländern feierlich zu verkünden, die Bundesrepublik werde ihre Entwicklungshilfe bis 1978 von 3 Milliarden DM auf rund 6 Milliarden DM „verdoppeln".
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Niemand hat ferner die Bundesregierung unter seiner Kanzlerschaft, Schmidts Kanzlerschaft, gezwungen, dieses Versprechen lange nach der Erdölkrise national und international mehrfach ausdrücklich, mit Nachdruck zu wiederholen. Ich sage dieses, was ich hier sagen muß, nicht gern: Der SPD mag dieser internationale Wortbruch ihres Bundeskanzlers gleichgültig sein, uns, Herr Wehner, ist es nicht
gleichgültig, daß an der Spitze dieses Staates ein Mann steht, dessen Wort nicht gilt.
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- Ich finde es, Herr Wehner, im übrigen bemerkenswert, wieviel Mittel dieser Bundesregierung plötzlich für den Ostblock zur Verfügung stehen. Wir wollten doch die Dritte Welt entwickeln
({33}) und nicht den Ostblock.
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Es ist doch einfach kein Zufall, daß zum gleichen Zeitpunkt, in dem die deutsche Entwicklungshilfe für 1976 um 15,2 % gekürzt wird,
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Polen 2,3 Milliarden DM erhält.
Wir haben vor anderthalb Jahren an dieser Stelle, als die Bundesregierung dem kommunistischen Jugoslawien eine Milliarde zusagte, davor gewarnt, die deutsche Entwicklungshilfe in den „Sog der Ostpolitik" geraten zu lassen. Der damalige Bundeskanzler Brandt hat seinerzeit erklärt, er verstehe nicht, was dieses Wort vom „Sog der Ostpolitik" bedeuten solle; für ihn seien Kooperation mit dem Osten und Partnerschaft mit den Entwicklungsländern zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Heute wissen wir, was damit gemeint war. Für die Ostpolitik werden mühelos Mittel aus dem Haushalt bereitgestellt, während bei der Südpolitik achselzuckend auf leere Kassen verwiesen wird. Ich bezweifle, daß ausgerechnet der Ostpolitiker Bahr, der die Kürzungen seines Haushalts mit erstaunlicher Gleichgültigkeit hingenommen hat, der Mann sein soll, der verhindern wird, daß die deutsche Entwicklungshilfe in Zukunft nur noch das erhält, was die Finanzierung der Ostpolitik übrigläßt.
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Meine Damen und Herren, mit großer Sorge verfolgt die CDU/CSU die Haltung der Bundesregierung und insbesondere Bundesminister Bahrs in der Frage der von den Entwicklungsländern geforderten planwirtschaftlichen und dirigistischen neuen Weltwirtschaftsordnung, und dies nicht zuletzt deshalb, weil diese neue Weltwirtschaftsordnung die Lösung der Probleme der Entwicklungsländer nicht erleichtern, sondern erschweren wird.
Nachdem die Bundesregierung noch 1974 auf der 6. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zu dieser neuen Weltwirtschaftsordnung entscheidende und präzise Vorbehalte angemeldet hatte, hat sie der Schlußakte der 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen vor wenigen Wochen, wie Herr Minister Bahr voller Stolz erklärte, „ohne Vorbehalt" zugestimmt.
({37})
Sie hat mit ihrer Zustimmung zu diesem Dokument, das die Prinzipien der planwirtschaftlichen neuen Weltwirtschaftsordnung einen „Beitrag zum Frieden in der Welt" nennt, die programmatische Weichenstellung für eine planwirtschaftliche neue Weltwirtschaftsordnung zugelassen.
({38})
Sie pflegen diese Feststellung der CDU/CSU, die sich immerhin mit den Meinungen der Experten des Wirtschaftsministeriums deckt, empört zurückzuweisen und auf die marktwirtschaftlichen Bekenntnisse Außenminister Genschers in New York hinzuweisen.
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Niemand, meine Herren von der FDP, bestreitet jedoch, daß sich Minister Genscher und andere führende Mitglieder dieser Regierung vor und nach der Schlußabstimmung in New York mehrfach zur freien Weltwirtschaftsordnung bekannt haben. Aber was nützen liberale Bekenntnisse, wenn anschließend antiliberal abgestimmt wird?
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Was nach Außenminister Genschers Rede in New York unter der Regie von Minister Bahr beschlossen wurde, ist doch das genaue Gegenteil von dem, was Genscher vorher in seiner Rede gesagt hatte.
({41})
Herr Minister Bahr, Sie müßten - ich mache Ihnen hier schon das zweite Kompliment - es eigentlich als Kompliment auffassen, wenn ich Ihnen sage, daß die Art, wie Sie Außenminister Genscher überspielt haben, an den Stil Ihrer Ostpolitik erinnert und daß der Egon Bahr der Ostpolitik nun auch in der Entwicklungspolitik aufgetaucht ist. Ja, ich bin sogar bereit, Sie zu der Art und Weise zu beglückwünschen, wie Sie die Minister Friderichs und Genscher überspielt haben. Nur unser Land kann ich nicht beglückwünschen, und die FDP kann ich auch nicht beglückwünschen.
({42})
Denn hier wiederholt sich mit denselben Methoden und denselben Begriffen, wie „Koexistenz", jene Politik des „Wandels durch Annäherung", die schon gegenüber dem Osten falsch war und die gegenüber der Dritten und Vierten Welt genauso falsch ist.
({43})
Sie werden, Herr Holtz, auf der Energiekonferenz in
Paris bereits erleben, in welch miserable Verhand14170
Dr. todenhöfer
lungsposition Ihre Regierung sich durch diese planwirtschaftlichen Zugeständnisse hineinmanövriert hat.
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Sie, Herr Minister, bestreiten diese Strategie natürlich, wie Sie auch in der Ostpolitik alles zu bestreiten pflegten. Vielleicht glauben Sie wie in der Ostpolitik, daß die Bevölkerung noch nicht reif sei, die Wahrheit zu erfahren - gemäß Ihrem Ausspruch gegenüber Herrn Merseburger, daß man nicht alles sagen muß, was wahr ist. - Aber Sie haben doch selbst vor eineinhalb Jahren die drastische Anhebung der Erdölpreise durch das OPEC-Kartell als Vorboten einer gerechteren Verteilung der Reichtümer dieser Welt bezeichnet. Sie waren es doch, der auf der 7. Sondergeneralversammlung von einem Durchbruch zugunsten der Entwicklungsländer gesprochen hat, und es waren doch ebenfalls Sie, der vor wenigen Tagen am Rande des Mannheimer Parteitages den wegen Ihrer nachträglichen Dementis beunruhigten sozialistischen Vertretern der Entwicklungsländer versicherte, die Diskussion um eine neue Weltwirtschaftsordnung werde auch nach der Überwindung der jetzigen Krise nicht zu den Akten gelegt, aber erst müsse Ihre Regierung einmal wiedergewählt werden.
Es ist auch kein Zufall, daß gerade der SPD-Vorsitzende Brandt fast die gleiche Sprache spricht, wenn er sich in Mexiko zur sogenannten Charta der Rechte und Pflichten der Staaten - dem Grunddokument der neuen Weltwirtschaftsordnung - bekennt
({45})
oder wenn er auf der außenpolitischen Sonderkonferenz der Sozialdemokraten im Januar 1975 die Auffassung vertritt, umfassende Rohstoffabkommen mit Preisabsprachen - das planwirtschaftliche Kernstück der neuen Weltwirtschaftsordnung - könnten ein. sinnvolles globales Instrument sein.
Und - Herr Holtz, Ihnen als Jungsozialist sei gesagt - es ist auch kein Zufall,
({46})
daß sich das alles mit der entwicklungspolitischen Konzeption der Jungsozialisten vom Frühjahr dieses Jahres deckt, in der es heißt: Entwicklungspolitik im weiteren Sinne ist vor allem Kampf gegen das kapitalistische Weltwirtschaftssystem.
({47})
Herr Minister Bahr, Sie haben heute - wie das nicht anders zu erwarten war - versucht, den Eindruck zu erwecken, Sie segelten in der Frage der neuen Wirtschaftsordnung unter der Flagge der Marktwirtschaft.
({48})
Aber es reicht nicht aus, Herr Wehner, diese Flagge
v o r und nach einer derart entscheidenden Abstimmung zu hissen; das muß man bei der Entscheidung tun.
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Das aber haben Sie nicht getan.
({50})
Dies ist der klassische Fall der von Ihnen mitgetragenen sozialdemokratischen Doppelstrategie, Herr Wehner,
({51})
die sich der Linken planwirtschaftlich und der Mitte marktwirtschaftlich präsentiert, um weiterhin wählbar zu bleiben.
({52})
- Herr Wehner, ich bin gerne bereit, Sie in den Verein der Altjusos aufzunehmen, aber das ist nicht das Thema dieser Debatte.
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Herr Minister Genscher pflegt die vorbehaltlose Zustimmung
({54})
der Bundesregierung zur Schlußakte der 7. Sondergeneralversammlung damit zu rechtfertigen, daß man beabsichtigt habe, als Europäische Gemeinschaft einheitlich und geschlossen aufzutreten. Angesichts des Abstimmungsverhaltens der übrigen EG-Partner, die in New York zu einer ganzen Reihe von Einzelfragen präzise und klare Einzelvorbehalte eingelegt haben, hätte ich von diesem Außenminister eigentlich eine überzeugendere Ausrede erwartet.
({55})
Die weitere Forderung des Auswärtigen Amts, man müsse doch wenigstens anerkennen, daß man sich jetzt endlich, statt eine endlose Energiediskussion zu führen, auf eine Politik der praktischen Schritte geeinigt habe, ist noch weniger überzeugend. Denn was nützen praktische Schritte, wenn sie in die falsche Richtung führen?
({56})
Wenn dieser Weg, der in New York begonnen wurde, in den nächsten zehn Jahren weiter beschritten wird, wird es in zehn Jahren keine freie Weltwirtschaftsordnung mehr geben.
({57})
Daß das, Herr Minister Bahr, gleichzeitig Folgen für unser marktwirtschaftliches System im Inland hat, wissen Sie ganz genau.
({58})
Das ist doch der eigentliche Punkt, um den es geht. Ich bezweifle, Herr Bahr, daß es Ihnen und der Linken in Ihrer Partei
({59})
in der Frage der neuen Weltwirtschaftsordnung in erster Linie wirklich um die Entwicklungsländer geht. Wir haben leider zunehmend den Eindruck, um mit Schelsky zu sprechen,
({60})
daß hier die Entwicklungspolitik als Hebel benutzt werden soll, international von jenem System abzurücken, das Ihnen national trotz Godesberg und trotz Mannheim nach wie vor ein Dorn im Auge ist.
({61}) Die sogenannten „Freien Demokraten"
({62})
haben bei der 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen eine besonders traurige Rolle gespielt.
({63})
- Vielen Dank für die Zustimmung, Herr Wehner.
({64})
Herr Minister Friderichs hatte vor der Sonderkonferenz noch kategorisch erklärt: wo die freie Preisbildung aufhöre,
({65})
die Märkte zu lenken, sei das Ergebnis erfahrungsgemäß politischer Streit und Konfrontation auf allen Ebenen.
Jetzt aber stimmt die Bundesregierung, der er angehört, die er mit trägt, einem Dokument zu, in dem eben diese marktfeindliche neue Weltwirtschaft als Beitrag zum Frieden in der Welt bezeichnet wird.
({66})
Wo waren denn die Liberalen, als dieses Votum gegen die liberale Weltwirtschaftsordnung fiel? Wer international nicht in der Lage ist, ein programmatisches Ja zur Planwirtschaft zu verhindern, ist auch national nicht in der Lage, das System der freien Marktwirtschaft über den Wahltag hinaus zu verteidigen. Das muß sich auch Herr Friderichs, der sich so gerne zum Propheten der freien Marktwirtschaft macht, einmal sagen lassen.
({67})
- Das hoffen wir, und wir hoffen, daß ihm nicht
nur die Ohren klingen, sondern daß er sich ausnahmsweise einmal in diesem Kabinett durchsetzt
gegenüber denen, die mit der Marktwirtschaft nichts im Sinn haben, Herr Wehner.
({68})
Meine Damen und Herren, ich achte das Engagement aller Zwischenrufer. Wenn Sie mir den Gefallen tun würden, sich einmal umzudrehen und zu sehen, wie viele Kollegen Ihren Ausführungen folgen, dann fragen Sie sich doch vielleicht, ob sich dieser Sturm im Wasserglas lohnt.
({0})
Ich bin dennoch für die Einwürfe Herrn Wehners sehr dankbar, wenn auch nicht für seinen Ton,
({0}) das waren wir nie.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU sagt auch in der jetzigen Situation
({1})
ein uneingeschränktes Ja zur Entwicklungshilfe,
({2})
ein uneingeschränktes Ja zur Unterstützung der Entwicklungsländer in ihrem Bemühen, ihre wirtschaftlichen und sozialen Strukturen zu verbessern. Das alles ist jedoch nur in einer wirklich freien Weltwirtschaftsordnung erreichbar.
Unsere Leitsätze - die CDU hat sie auf ihrem entwicklungspolitischen Kongreß im Detail dargestellt - lauten daher:
Erstens. Ausbau der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung nach dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft - an Stelle der Errichtung einer internationalen sozialistischen Planwirtschaft.
Zweitens. Schrittweise und energische Liberalisierung des Welthandels - statt schrittweiser Einführung dirigistischer Reglementierungen.
Drittens. Wirkliche Konzentration der Entwicklungshilfe auf die ärmsten Länder der Vierten Welt - statt des noch immer praktizierten Gießkannenprinzips der Bundesregierung.
Viertens. Verstärkte und massive Förderung deutscher Privatinvestitionen in den Entwicklungsländern - statt Behinderung und Verunsicherung
durch ideologische Kampagnen und steuerliche Maßnahmen.
({3})
Fünftens. Europäisierung der Entwicklungspolitik - allerdings nicht einer sozialistischen Entwicklungspolitik - statt finanzieller Blockade einer weltweiten europäischen Entwicklungspolitik.
({4})
Voraussetzung einer wirkungsvollen Strategie gegen die Not in den Entwicklungsländern ist allerdings langfristig weiteres wirtschaftliches Wachstum in den Industrieländern.
({5})
Dieses Wachstum ist auch erreichbar. Die gegenteiligen Prognosen des Club of Rome, die Thesen von den Grenzen des Wachstums und vom unvermeidbaren Nullwachstum sind lange genug nachgebetet worden - häufig um vom Versagen der eigenen Regierung abzulenken.
({6})
Wir haben auf dieser Erde die technischen Kapazitäten, um allen Menschen einen erträglichen Lebensstandard zu sichern. Voraussetzung hierfür ist jedoch in den Industrieländern
({7})
- und besonders in der Bundesrepublik Deutschland - eine weltoffene, liberale Handelspolitik, eine weitsichtige, marktkonforme Strukturpolitik und vor allem
({8})
die „technologische Flucht nach vorne", die ständige Spezialisierung auf technologisch hochstehende, intelligente Produkte.
Das einzige System, in ,dem dies ohne erhebliche Wachstumsverluste möglich ist, ist das System der freien und sozialen Weltwirtschaft.
({9})
Diese Regierung hat durch ihr Verhalten in den letzten Monaten und durch diesen Entwicklungsminister den Anspruch verspielt, Garant eines solchen Systems, Garant einer wirklich engagierten und wirkungsvollen deutschen Entwicklungspolitik zu sein.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schluckebier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Todenhöfer, nachdem ich Ihre Ausführungen wieder einmal gehört habe, kann ich in Abwandlung eines alten Filmtitels nur feststellen: Von Ihnen im Westen immer noch nichts Neues.
({0})
Es lohnt nicht, im Detail auf Ihre Ausführungen einzugehen: viel billige Polemik, keine konstruktiven Vorschläge, ein richtiger Todenhöfer, wie wir aus unseren Ausschußsitzungen wissen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine der wichtigsten Stationen, die den Wandel der weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Gesamtlage markieren, ist die 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen gewesen. Daß sie zu einem Erfolg geworden ist, war nichts Selbstverständliches. Dieser Erfolg, Herr Kollege Roser, war nicht unbedingt zu erwarten - nach den Erkenntnissen der 6. Sondergeneralversammlung, der sogenannten Rohstoffkonferenz vom Frühjahr des vergangenen Jahres, auf der die Teilnehmer besondere Positionen bezogen, auf deren Grundlage eine versöhnliche, vernünftige und allen nützliche Zusammenarbeit schwer möglich gewesen wäre. Dieser Erfolg, so meine ich, wird bei uns von einigen geleugnet. Zu diesen wenigen gehören aber große Teile der CDU/CSU. Sie sehen - Herr Todenhöfer hat es wieder angedeutet - eine Marktwirtschaft in Reinkultur gefährdet, die so nie bestanden hat. Sie sehen in der Konfrontation eine bessere Möglichkeit zur Wahrung der deutschen Interessen als in einer Kooperation.
({2})
- Einen Moment bitte, Herr Kollege Roser, ich werde es tun.
Was ist denn in New York geschehen? Es sind wichtige Grundlagen, so glauben wir übereinstimmend, für eine sinnvolle Zusammenarbeit und einen langfristigen Interessenausgleich geschaffen worden. Daran war die Bundesregierung maßgeblich beteiligt.
Erstens. Es wurde beschlossen, den Transfer von Gold und Know-how in die Dritte Welt zu erleichtern. Dies soll vor allem durch günstigere und differenzierte Kreditkonditionen und durch die quantitative und qualitative Steigerung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit und die Verbesserung der Kapitalausstattung von Weltbank und internationaler Entwicklungsbehörde wie anderer internationaler Organisationen geschehen.
Zweitens. Industriestaaten und geeignete Industrieländer sind aufgefordert, Privatinvestitionen in Entwicklungsländern zu fördern. Damit soll, nach
entwicklungspolitisch erwünschten Kriterien gesteuert, die Weltwirtschaft der Dritten Welt dauerhaft gesteigert werden.
Drittens. Die Industriestaaten sollen - dieses Thema hat uns heute morgen bewegt - bis 1980 das Ziel zu erreichen versuchen, 0,7 % ihres Bruttosozialproduktes für die Zusammenarbeit mit der Dritten Welt zu verwenden.
({3})
Hier darf ich nochmals darauf hinweisen, Herr Kollege Roser und auch Herr Kollege Todenhöfer: die Bundesregierung hat in New York in der Schlußakte versprochen, dieses Ziel anzustreben wie alle anderen Industrienationen auch.
({4})
Wir als SPD-Fraktion und auch die Bundesregierung werden diese Bemühungsklausel
({5}) sehr ernst nehmen,
({6})
und ich denke, daß wir alle Anstrengungen, auch fiskalisch, unternehmen sollten, dieses Ziel zu erreichen.
({7})
Das wird aber natürlich dann nicht gelingen, wenn wir uns gegenseitig vorwerfen, daß wir das so und nicht anders gewollt haben.
Herr Abgeordneter Schluckebier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Werner?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Schluckebier, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß der Herr Bundesfinanzminister im Kabinett offensichtlich die Zielvorstellung auch im Hinblick auf 1980 verstanden hat, und ist Ihnen eigentlich nicht bekannt, daß gerade im Hinblick auf mögliche entstehende Unklarheiten, die sich aus dem Text ergeben könnten, zumindest zwei EG-Partner im Hinblick auf dieses Ziel 1980 offiziell Vorbehalt eingelegt haben?
(Wehner [SPD] : Ein ganzes Korreferat! Gegenruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU]
Ich weiß nur, Herr Kollege Werner, daß sich im Rahmen von Gesprächen und Diskussionen auch in Bundeskabinetten Meinungen ändern können. Was der Bundesfinanzminister in diesem Jahr gesagt hat, muß keine Entscheidung für die Haushaltsberatungen der nächsten Jahre sein. Darauf können wir, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, doch als Entwicklungspolitiker nur hoffen, daß diese Dinge politisch durchgesetzt werden. Das
ist der Wunsch auch unserer Bundestagsfraktion, und darüber werden wir mit unseren Kollegen im Kabinett und überall dort, wo sie entsprechend darüber zu befinden haben, sprechen müssen. Die Opposition würde uns aber einen weitaus größeren Gefallen tun, wenn sie nicht immer das Problem der 0,7 % so hinstellte, als wenn es nach außen zugesagt worden wäre
({0})
und wir im Innern nichts dazu täten, dieses Ziel zu erreichen. Wir werden uns anstrengen.
Viertens. Die Herstellung einer Verbindung zwischen den Sonderziehungsrechten und der Entwicklungshilfe soll Teil der Überlegungen des internationalen Währungsfonds sein, wie es im Schlußdokument der 7. Sondergeneralversammlung heißt. Hier, so meinen wir, ist ein klarer Prüfungsauftrag erteilt und nicht eine endgültige Entscheidung getroffen worden. Dies ist legitim, so meinen wir, und verantwortungsbewußt, weil noch nicht bekannt ist, auf jeden Fall nicht hinreichend bekannt ist, was geschieht, wenn Sonderziehungsrechte zur Verwendung in der Entwicklungshilfe geschaffen werden. Außerdem heißt es dort ausdrücklich, daß das Bedürfnis nach internationaler Liquidität berücksichtigt werden solle.
Mit den Ergebnissen, meine sehr verehrten Damen und Herren, der 7. Sondergeneralversammlung ist keine neue, wir betonen es: keine neue internationale Wirtschaftsordnung präjudiziert,
({1})
die wir nicht wollen. Sie spiegeln aber die Erkenntnisse aller Beteiligten wider, daß es dringend erforderlich ist, den Interessen aller Staaten der Welt Rechnung zu tragen. Aus unserer eigenen Sozialgeschichte, so meinen wir, sollten wir gelernt haben, daß langfristig nur dann eine gewaltsame Konfliktaustragung verhindert werden kann, wenn wir auf ganz bestimmte Bedürfnisse und Entwicklungen eingehen.
({2})
Die Bundesregierung, so glauben wir mit Recht zu sagen, hat ihr entwicklungspolitisches Instrumentarium den neuen weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Gegebenheiten in zahlreichen Belangen angepaßt. In ihren Richtlinien für die bilaterale finanzielle Zusammenarbeit hat die Bundesregierung die Bedingungen für die Vergabe von Krediten sehr flexibel gestaltet. Dies war angesichts einer wachsenden Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse bei einzelnen Entwicklungsländern notwendig. Deshalb besteht heute sowohl hinsichtlich der Förderungsbereiche und der Einsatzformen als auch hinsichtlich der finanziellen Bedingungen ein großes Maß an Anpassungsfähigkeit. So werden Kredite im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern künftig vorzugsweise an solche Staaten vergeben, die wegen ihrer schwierigen gesamtwirtschaftlichen Lage die erforderlichen Investitionen nicht aus eigener Kraft oder mit Fremdmitteln zu kommerziellen Bedingungen finanzieren können.
Die Bedingungen für die Kredite haben wir aufgefächert und den verschiedenen gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten der einzelnen Länder besser angepaßt. So werden nun die am wenigsten entwickelten und die von den weltwirtschaftlichen Veränderungen am härtesten betroffenen Länder besonders günstige Kreditbedingungen erhalten. Andererseits müssen fortgeschrittenere Entwicklungsländer künftig härtere Kreditbedingungen akzeptieren. Für alle übrigen Entwicklungsländer werden die bisher gültigen Standardbedingungen weiter gelten.
Aber auch die technische Zusammenarbeit wurde, so glauben wir, den neuen weltwirtschaftlichen Gegebenheiten angepaßt.
({3})
Ziele, Prioritäten, Leistungen und Verfahren sind seit Anfang 1974 neuen Kriterien unterworfen. Ziel ist die Förderung der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Bevölkerung in der Dritten Welt.
Zu den neuen Leistungen gehören die Finanzierung von Planungen im Sektorbereich oder im Regionalbereich, die von einheimischen Organisationen durchgeführt werden, und die Entsendung von sogenannten integrierten Fachkräften, die voll in den Arbeitsprozeß der Entwicklungsländer eingegliedert sind und deren Arbeitgeber auch das Entwicklungsland selber ist. Mehr als bisher liegen, so glauben wir, damit Verantwortung und Initiative für die geförderten Projekte beim Partnerland,
({4})
das auch angemessene finanzielle Eigenleistungen erbringen muß. Dazu gehören zumindest die Folgekosten, die auch nach Beendigung der Förderung aufzubringen sind, wenn das Projekt weiter aufrechterhalten werden soll.
Ergänzend dazu gibt es seit Mitte 1975 die technische Zusammenarbeit gegen Entgelt, die von seiten der Opposition heute einer, so meine ich, sehr polemischen Kritik unterzogen worden ist. Diese Zusammenarbeit wird solchen Ländern angeboten, die zwar das notwendige Wissen zu ihrer Entwickwicklung benötigen, aber finanziell stark genug sind, um die Kosten dafür zu tragen. Daß dies nicht eine Frage von einem oder anderthalb Jahren ist, sondern daß dies auch mittelfristig gesehen werden muß, leuchtet uns höchstwahrscheinlich sehr ein.
({5})
Ein weiteres wichtiges, neues Feld in diesem Bereich ist die Koordination der Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Bundesministerium für Forschung und Technologie auf dem Gebiet der angepaßten Technologie. Das heißt, in Zusammenarbeit mit den beiden Ministerien sollen Technologien entwickelt werden, die für die Bedingungen in den Entwicklungsländern besonders geeignet sind.
Damit, so glaubt die SPD-Bundestagsfraktion, hat die Bundesregierung konkrete Antworten auf konkrete Fragen gegeben. Uns bleibt noch viel zu tun; das wissen wir. Wir sind auch der Meinung, daß es durchaus verschiedene Wege geben kann, um den derzeitigen Problemen in den Beziehungen zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern zu begegnen. Die entwicklungspolitischen Leitlinien der CDU allerdings lassen es offenbar nur schwer zu, andere Wege zu finden, denn wir haben sie bei der Durchsicht ihrer Konzeption und ihrer Leitlinien nicht gefunden.
({6})
Wir verlangen also nicht, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit der Politik von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen in allen Dingen einverstanden sind. Aber wir verlangen von Ihnen konstruktive und redliche Alternativen zu unserer Form der Zusammenarbeit mit der Dritten Welt. Es genügt nicht, zu allem nein zu sagen, was die Regierung macht. Aber es ist möglicherweise müßig, Sie zu einer nützlichen Zusammenarbeit bei Respektierung der gegensätzlichen sachlichen Standpunkte aufzufordern. Es gibt ja kaum einen Bereich der Politik, in dem Sie bereit sind, Alternativen aufzuzeigen.
Die Rolle, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bei der Bewältigung der Probleme in den Beziehungen zwischen Industriestaaten und Dritter Welt einnehmen, zeigt, daß Sie dem Hang zur Kritik auch in dieser Frage huldigen, ohne Alternativen vorzubringen, und sich unter Umständen - das ist jedenfalls bis heute erkennbar -vor notwendigen Entscheidungen drücken. Was in der allgemeinen Politik in diesem Hause festzustellen ist, stellen wir auch im speziellen Bereich der deutschen Entwicklungspolitik bei Ihnen fest.
({7})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Zywietz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Plazierung dieses Punktes als letzter Punkt der Tagesordnung kann nicht gleichzeitig eine Wertung dieser Thematik darstellen. Ich habe im Verfolg dieser Debatte jedenfalls nicht diesen Eindruck gewonnen. Es war zumindest eine große Übereinstimmung festzustellen, nämlich darüber, daß der Entwicklungshilfe von allen Seiten des Hauses eine außerordentlich große Bedeutung für eine friedliche und humane Entwicklung auf unserem Globus beigemessen wird. Aber dann, glaube ich, verliert sich auch schon die Gemeinsamkeit, soweit ich das als Nichtmitglied dieses Ausschusses hier heute bei der Verfolgung der Debatte habe feststellen können. Auch bei genauem Hinhören konnte ich an Alternativen eigentlich nichts Wesentliches feststellen. Darum finde ich es angesichts des Interesses an einer breit getragenen Entwicklungspolitik, zumal sie so bedeutsam sein kann, bedauerlich, daß man sich in der Kritik so im Detail, so im gezwungenen und gekünstelten Detail verliert.
Wenn Sie auf der einen Seite ein uneingeschränktes Ja zur Entwicklungshilfe sagen, dann sollten Sie nach dem Eindruck, den ich gewonnen habe, auch den Mut haben, ein stärkeres Ja zu dem Konzept zu sagen, wenn man dem Hause hier nichts Besseres präsentieren kann.
({0})
- Ich habe in der Zeitung gelesen, es sei ein Vorteil, als zweiter sprechen zu können. Bloß konnte ich bei Ihren Ausführungen, Herr Dr. Todenhöfer, nicht feststellen, daß Sie diese Chance großartig genutzt hätten, um das, was im Verlauf der Debatte gesagt worden ist, auch in Ihrer Funktion als entwicklungspolitischer Sprecher so seriös und genau zu replizieren.
({1})
Ich will noch einen Gedanken hinzufügen. Ich habe als Zuhörer und Beobachter bei Ihrem grundsätzlichen „Ja" so manchmal den Eindruck, daß Sie ansonsten doch sehr vermkidmpf den Kopf schiefhalten. Beim Gehen und Stehen sollte man etwas lockerer und entspannter Schlußfolgerungen ziehen und nicht eine so ungewohnte Haltung einnehmen.
Aber ich möchte die Viertelstunde nutzen, auch einige Anmerkungen zu den Sachausführungen zu machen. Entwicklungshilfe ist ganz gewiß kein Wunschkonzert. Wenn man sie einigermaßen realistis betrachtet, genügt es nicht, helfen zu wollen, sondern man muß ja wohl auch einmal kritisch überprüfen, in welcher Position man sich befindet, um wirklich jemandem Hilfe angedeihen zu lassen. Wenn die Position vielleicht nicht so sein sollte, wie sie gewünscht wird - natürlich habe ich die Zurufe in dem Tenor „Geld spielt keine Rolle" gehört -, dann muß man sich dennoch überlegen, wie man die wirtschaftliche Leistungskraft erhöht, um eben diesem hohen Ziel besser gerecht werden zu können. Zweifelsohne gibt es bei vielen Bürgern auf diesem Globus eine Menge unbefriedigter Bedürfnisse, und zwar sehr essentieller Bedürfnisse, die man auf Dauer nicht negieren kann, ohne politisch Schaden zu nehmen. Aber, ich meine, darin sind wir uns einig.
Nur, wie sieht es mit unserer Leistungsfähigkeit, unserer Volkswirtschaft, unserer Wirtschaft, unserer Gesellschaft insgesamt aus? Da habe ich von Ihrer Seite allerdings realistische Ausführungen vermißt. Vielmehr habe ich immer nur ein Mehr in verschiedenen Sentenzen durchklingen hören.
({2})
Sicherlich wird von der Bundesrepublik als dem dritt- oder viertstärksten Industriestaat eine ganze Menge verlangt. Aber sicherlich ist es auch richtig festzustellen, daß die Wirtschaftssituation in der gesamten westlichen Welt schwieriger ist, als sie vor drei oder vier Jahren war, wenn auch die Bundesrepublik, wie ich meine, im Vergleich zu den anderen Staaten damit noch am besten fertig geworden
ist. Ich habe bei den Ausführungen über das, was wir alles leisten sollten, ein wenig vermißt, was Sie als Opposition getan haben, um die Wirtschaft in diesem Staat und diese Gesellschaft in einen guten oder, wenn möglich, noch besseren Stand der Leistungsfähigkeit zu bringen.
({3})
Es ist doch wohl unzweifelhaft, daß die Entwicklungshilfe nicht isoliert gesehen werden kann, sondern ein Teil der Gesamtpolitik ist.
({4})
Wenn man nicht nur schöne Worte reden will, muß man sich auch fragen, was man in diesem Staat mit 62 Millionen Bürgern tun kann, um unseren Leistungswillen, aber auch unsere realen Leistungen zu steigern;
({5})
denn nur über das Geben zu sprechen ist doch eine sehr theoretische und wenig hilfreiche Angelegenheit.
Da muß ich einfach fragen: Wo sind denn Ihre Alternativen geblieben in der Wirtschaftspolitik, in der Konjunkturpolitik,
({6})
in der Stabilitätspolitik, in der Steuerpolitik? Wo ist denn das, was hilfreich sein könnte, um diesen Staat in einen Konjunkturaufschwung zu bringen?
({7})
Wo sind Ihre Bemühungen gewesen, das Preisniveau im Vergleich zum Ausland stabil zu halten, damit wirklich jede deutsche Entwicklungsmark eine reale Mark und damit eine reale Hilfe ist?
({8})
Ich kann in der Richtung wenig feststellen, und nur über die eine Seite der Medaille zu sprechen ist für mich, wenn wir politisch diskutieren wollen, doch eine sehr abstrakte Angelegenheit.
({9})
Wenn wir über Stabilität sprechen - und unser Bemühen ist doch in der westlichen Welt anerkannt -, dann vermeiden wir Diskussionen über Indexierung und andere Dinge, die wir in unserer Volkswirtschaft und auch im Hinblick auf unsere Absicht, Entwicklungshilfe zu geben, nicht so uneingeschränkt als glücklich empfinden können. Aber nur Stabilitätspolitik ist doch die präventive Maßnahme gegen sol14176
che Tendenzen, die dann ihre Berechtigung hätten, wenn man eben nicht Stabilitätspolitik betriebe.
Sie sahen auch - da teile ich Ihre Auffassung - mit einem Schlenker auf die Ausführungen des Club of Rome deutlich gemacht, daß eine gesunde und intakte Wirtschaft Voraussetzung für eine wirksame Entwicklungspolitik ist. Natürlich ist sie Voraussetzung. Bloß, ich sage noch einmal: Ich habe alle Wirtschaftsdebatten in diesem Hause mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Allerdings habe ich den konstruktiven Beitrag von Ihnen auch bei gutem Willen - den können Sie mir unterstellen - bislang nicht entdecken können.
({10})
Wir sind doch bereit, unseren Anteil im Bereich des Handels und in der Strukturpolitik zu erbringen. Wir sind doch offen für aid by trade, wir sind doch offen dafür, Handelsbarrieren abzubauen und unsere Strukturpolitik auf das, was Sie mit einem Schlagwort als „möglichst intelligente Produkte produzieren" bezeichnen, auszurichten, damit Märkte, die nicht mehr so sehr unserer Tätigkeit und unserem technologischen Stand entsprechen, anderen - und wer kann das sein? Das können doch nur die Entwicklungsländer sein - für die Produktion, für den Handel und damit auch für den Gelderwerb zur Verfügung stehen.
Wer letztlich Entwicklungshilfe will, und zwar real, der muß wohl auch ehrgeizige Ziele haben. Ich
glaube, in dem Bereich, über den wir diskutieren, ist das sehr vonnöten.
({11})
Von dorther habe ich diese verbissene und etwas verkniffene Diskussion um die Zielprojektion von 0,7 °/o des Bruttosozialprodukts nicht ganz verstanden. Wenn man schon Zahlen vergleicht, vor allen Dingen international, muß man die ganze Leistungspalette überhaupt erst einmal etwas ehrlicher abklopfen und einbeziehen und darf man nicht in einen Zahlenfetischismus - bei so unterschiedlichen Statistiken und wirtschaftspolitischen Systemen - verfallen. Das muß doch zum Showbusiness führen. Herr Todenhöfer, ehrgeizige Ziele sind doch wohl nur richtig in einem Bereich, in dem wir oft genug feststellen mußten, daß immer dann, wenn zu wenig und zu spät Unterstützungen gewährt worden sind, der beabsichtigte Effekt nicht erzielt werden konnte. Nur allzu häufig ist dann das, was wir wünschen, nämlich eine evolutionäre Entwicklung, in eine revolutionäre Entwicklung umgekippt. Nehmen wir es doch als das, was es ist, nämlich als eine ehrgeizige Zielprojektion. Aber, Herr Todenhöfer, gerade für Ehrgeiz sollten Sie doch ein gerüttelt Maß an Verständnis haben, wenn ich Ihre Ausführungen, und zwar nicht nur die von heute, Revue passieren lasse.
({12})
- Es handelt sich in der Politik, glaube ich, nicht nur um eine Frage des Geistes. Wenn ich vielleicht etwas in dieser Zeit hier im Parlament gelernt habe, dann dies, daß vielleicht gleiches Unrichtiges, manchmal auch gleiches Richtiges allzu häufig wiederholt wird, daß es aber an der Charakterstärke und an der realen Absicht, es auch durchsetzen zu wollen, manchmal hapert.
({13})
Das will ich Ihnen auch sehr deutlich sagen.
({14})
- Wer so wie Sie im Glashaus sitzt, der sollte doch nicht mit Steinen werfen.
({15})
Sie haben doch in Ihrer Partei für jede Zielsetzung ein paar theoretische Zeilen und ein paar Leute, die es plakativ nach außen verwenden. Bloß an der Einheitlichkeit, an der Durchschlagskraft und an der Mehrheitsbildung mangelt es doch. Für jeden ein Alibi zu haben, hilft niemandem.
({16})
Wir wollen uns jedenfalls bemühen - das Ziel und auch das reale Bemühen sind klar gesteckt -, im Bereich der Entwicklungshilfe erfolgreich weiterzuarbeiten. Wir haben doch die schmerzliche Erfahrung gemacht, daß wir, als es unserer Volkswirtschaft in der Olkrise abgepreßt wurde, plötzlich 17 Milliarden DM unseres Volkseinkommens abgeben mußten. Das entspricht 1,7 °/o des Bruttosozialprodukts, denn wenn ich mich recht erinnere, betrug das Bruttosozialprodukt dieses Staates im letzten Jahr ungefähr eintausend Milliarden DM, man könnte auch sagen, eine Billion DM. Ein Einkommenstransfer auf Grund der Olkrise im Herbst 1973 mit einem Ausmaß von 17 Milliarden DM, die wir bisher an Energierechnungen zu bezahlen hatten,
({17})
bedeutet jenen realen Ressourcentransfer, um den wir hier in der Entwicklungshilfe ja ehrlicherweise zu diskutieren haben. Es geht darum, ob wir als Volk und als politische Repräsentanten zu einem realen Ressourcentransfer bereit sind oder ob wir uns davor drücken oder bis zu welchem Ausmaß wir es können oder ob wir vielleicht irgendwelche tarnenden Mechanismen suchen, um das, was wir real nicht so recht wollen, unter einem Deckmantel auf andere Weise zu offerieren. Ich komme im Zusammenhang mit dem Weltwährungssystem noch mit einigen Andeutungen darauf zurück. Jedenfalls läßt die Tatsache, daß uns ein Ressourcentransfer in einer so großen Höhe abverlangt und abgezwungen wurde, glaube ich, den Mut zu, auch dem ehrgeizigen Ziel von 0,7 °/o beachtlich nahezuZywietz
kommen. Mehr wollte ich damit nicht ausgedrückt haben. Wenn es nicht vom Volumen her eine hundertprozentige Annäherung geben sollte, dann - das macht das Konzept ja deutlich - gilt unser Bemühen doch der Tatsache, daß die Ressourcen, die wir haben, so effizient wie möglich eingesetzt werden. Von daher kann ich all das nur begrüßen, was von der Bundesregierung in dieser Richtung mit beachtlichem Erfolg unternommen wurde. Das umschließt auch das Bemühen, die Ressourcen möglichst auf die least developed countries schwerpunktmäßig zu kanalisieren und nicht nur Hilfe abzuschicken, sondern auch ihren Empfang und ihre Verwendung zu kontrollieren oder zumindest die gute Absicht zu haben hinterherzuschauen, ob die gedachte Effizienz sich dann auch wirklich in der Realität zeigt.
({18})
Wenn auch die Erfolge bei Dreieckskooperationen, Herr Dr. Todenhöfer, noch nicht so groß sind, so ist festzustellen, daß die Absicht richtig ist und daß wir uns mit großer Schnelligkeit auf die fundamentalen Veränderungen, die ja erst zwei Jahre hinter uns liegen, eingestellt haben, um die, die jetzt mehr Mittel haben, in diese Verantwortung mit hineinzunehmen. Die OPEC-Staaten werden ihre Versprechen auch nicht so, wie sie es bisher gemacht haben, in die Welt setzen können. Von dem einen oder anderen Staat hört man ja schon, daß er sich auch ein klein wenig verausgabt hat und wieder nach Mitteln auf dem Eurodollarmarkt nachfragen muß. Auch dort werden die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und das Verlangen, sich in einer Dreieckskooperation zu arrangieren, kann in der Tendenz durchaus stärker werden, als sich dies angesichts der Fülle des Geldes, das man bei den Ölpreiserhöhungen eingenommen hat, momentan darstellt.
Mit dem Beispiel der „Saudis" zu argumentieren, ist für mich nicht voll überzeugend. Saudi-Arabien ist nämlich von der Ölpreiseinnahme her der Staat, der am meisten von dieser Veränderung profitiert hat. Er hat keine große Bevölkerung und nimmt innerhalb der OPEC-Staaten sicherlich eine sehr pointierte Position ein, auch hinsichtlich seiner volkswirtschaftlichen Möglichkeiten. Daran ein Exempel zu statuieren und an Hand dieses Beispiels zu generalisieren ist zumindest eine zweifelhafte Sache, wenn ich die Situation richtig übersehe.
({19})
Das Bemühen ist etwas genereller.
Im Hinblick darauf, daß hier die gelbe Lampe aufleuchtet, möchte ich nur noch sagen, daß wir uns sehr bemüht haben, unsere realen Unterstützungsmöglichkeiten auszubauen, und daß wir in Erinnerung an das, was „Energieschock" oder „Ölkrise" genannt wird, diese Erfahrungen auch aufnehmen, um den Willen zur Hilfe gegenüber der Dritten Welt in diesem Staat stärker, offensiver zu vertreten. Denn daß das in der Bevölkerung kein besonders reizvoller politischer Diskussionsbereich war, ist wohl unstrittig. Aber die Erfahrungen haben gelehrt, daß keiner - auch die großen Industriestaaten nicht - autark, selbständig leben kann. Ich glaube, wir sollten gemeinsam den Nachhilfeunterricht, den uns der Energieschock offeriert hat, dazu nutzen, diese epochale und globale Aufgabe stärker im Bewußtsein der Bevölkerung zu verankern.
Abschließend möchte ich noch einen Bereich aus dem, was in der Debatte schon angesprochen worden ist, aufgreifen, und zwar einige Fragen zum Währungssystem. In der Diskussion um die Reform des Weltwährungssystems spielt ja die Frage der Sonderziehungsrechte und ihrer Ausweitung eine be sondere Rolle, insbesondere das Bemühen, mit einer Ausweitung einen entwicklungspolitisch helfenden Effekt zu erzielen. Ich sehe sehr wohl die gute Absicht, möchte aber nicht verhehlen - ich weiß mich da mit der Fraktion einig , daß hier zwar ein Überprüfungsauftrag gegeben ist, daß die Bundesrepublik aber, wie ich meine, gut beraten wäre, wenn wirklich sorgfältig geprüft würde, ob das, was als Absicht, als Ziel im Vordergrund steht, auf diesem Wege wirklich erreicht werden kann. Denn eine bloße Ausweitung der Liquidität, d. h. des Kreditspielraums, und damit auch ein Druck durch Preissteigerungstendenzen wird sicherlich auch das Stichwort „Indexierung" wieder stärker in den Vordergrund bringen. Ob diese Gedankenabfolge zu einem wirtschaftspolitischen Szenarium führt, welches der ehrlichen Absicht, der Dritten Welt zu helfen, auch in der Realität näherkommt, versehe ich zumindest für meine Person mit einem Fragezeichen. Ich möchte deshalb hier für eine sehr sorgfältige Prüfung plädieren.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie an den Ablauf Ihrer Redezeit erinnern.
Ja, ich möchte zum Schluß kommen.
Wir von der FDP begrüßen den eingeschlagenen Weg, wie er in den Vorlagen zum Ausdruck kommt. Ich möchte auch sagen, daß dies ein geschlossenes Konzept der Regierung und der Koalitionsfraktionen ist und daß, Herr Todenhöfer, wie ich meine, hier niemand überfahren oder überspielt worden ist. Denn dies ist die Haltung der Koalitionsfraktionen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Köhler ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das große und ernste Thema der Entwicklungspolitik hätte es uns eigentlich verbieten sollen, daß wir uns hier einige Stunden lang mit Ladenhütern beschäftigen mußten, die nicht dadurch besser werden, daß sie immer wieder vorgeritten werden,
({0})
Dr. Köhler ({1})
als da sind: „Die Opposition hat keine Alternative", der „Geist von Sonthofen", tutti quanti: „Für welchen Vorsitzenden sprechen Sie hier?" bis hin zum „ehrgeizigen Herrn Todenhöfer", den Sie mit besonderer Liebe immer und immer wieder apostrophieren. Wir hätten diese kostbare Zeit wirklich etwas besser zur Sache nutzen sollen.
({2})
Weil es da an uns nicht fehlen soll - lieber Herr Stahl, das ging an Ihre Adresse -, werde ich mich hier noch einmal mit einigen Grundfragen beschäftigen müssen.
Dabei möchte ich von vornherein eines noch einmal deutlich machen. Ich meine, es ist ebenfalls ein bißchen vertane Zeit gewesen, als wir uns hier lange mit der Analyse beschäftigten, die doch seit vielen Jahren zwischen uns überhaupt nicht streitig ist.
({3})
- Auch die Analyse der in den letzten zwei Jahren geschehenen Dinge, verehrter Herr Kollege Holtz, ist nicht streitig. Wir hätten uns auch etwas weniger mit Globalzielsetzungen beschäftigen sollen, die um so weniger Gelegenheit zu Meinungsverschiedenheiten geben können, je globaler sie sind.
Wäre es wirklich so gewesen, daß im Ausschuß vorher alles längst geklärt war, dann bot doch diese Anfrage die Gelegenheit, zu einem frühen Zeitpunkt alle Tatsachen ans Licht zu fördern, statt diese Antworten zu geben, die eine Provokation des Parlaments waren.
Die wirklich entscheidende Frage lautet: Hat angesichts der Analyse, in der wir übereinstimmen, hat angesichts der Globalzielsetzungen die Politik dieser Bundesregierung im Bereich der Entwicklungspolitik die innere Konsistenz, die Überzeugungskraft und die inhaltliche Ausgestaltung, die sie braucht, um gemeinsam getragen zu werden und große Teile der Bevölkerung dieses Landes anzusprechen? Diese Frage ist bis zu dieser Stunde nicht anders als negativ zu beantworten, und zwar nicht nur von uns.
({4})
Hier versagt eben auch das Klischee von der Opposition, die in ihrem Urteil alleinsteht.
({5})
Die Überschriften der öffentlichen Meinung, die hier zitiert wurden, stammen nicht von uns. Es wurde doch geschrieben: „Unverbindliche Grundsätze", „Außer Thesen nichts gewesen", „Kontinuität der Versprechen und Konzentration der Mittel". Das ist nicht die einsame Opposition, die hier spricht, sondern das ist die öffentliche Meinung dieses Landes.
({6})
Wir müssen einmal zur Kenntnis nehmen, daß trotz der Fülle der Interviews und trotz der Fülle
der Erklärungen, die zur Entwicklungspolitik in den letzten Monaten immer wieder abgegeben worden sind es war ja eine wahre Hochkonjunktur; man konnte sich freuen, daß in diesem Lande wenigstens auf einem Gebiet Hochkonjunktur herrscht -, nach wie vor zu beklagen ist, daß das Interesse weiter Bevölkerungskreise schwach ausgeprägt ist. Auch diese lendenlahme und vielleicht auch lendenfrohe Zeitschrift, die wir seit einiger Zeit aus einem Ministerium erhalten,
({7})
hat ja daran nichts geändert.
Es ist eben - das ist unsere Meinung - zu dürftig, wenn wir immer nur das Beschwören weltpolitischer Probleme zusammen mit schönen Worten und Ideologie hören; denn noch weniger, meine Damen und Herren, als in irgendeinem anderen Bereich zählen in der Entwicklungspolitik die guten Absichten und die großen Ziele, wenn die Wirkungen nicht tatsächlich durchschlagen.
({8})
Wer will im Ernst bestreiten, daß, gemessen an den Indikatoren eines qualitativen und wachstumsorientierten Entwicklungsbegriffs, unendlich viel zu hoffen und zu wünschen übrigbleibt? Aber nur das würde wirklich den Millionen von Hungernden in dieser Welt weiterhelfen.
Im Grunde ist das, was die Bundesregierung mit ihren Gymnicher Formeln und ihrem zweiten entwicklungspolitischen Bericht der Öffentlichkeit anbietet, eben leider Gottes eine subtile Form der Flucht vor der Innovation.
Nachdem es hier mehrfach angesprochen wurde und die Frage nach der Alternative gestellt wurde - Herr Kollege Zywietz, Sie haben es auch wieder gesagt und es sogar auf den wirtschaftspolitischen Bereich ausgedehnt -, möchte ich sagen: O, hätten Sie doch in den letzten Jahren wenigstens auf unsere Warnungen gehört; da hätte sich schon eine Menge an Alternative ergeben!
({9})
Wir nehmen für uns in Anspruch, daß wir uns als einzige Partei in diesem Lande der Mühe unterzogen haben, in parteiinternen und öffentlichen Diskussionen ein in sich bündiges Konzept zur Entwicklungspolitik zu erarbeiten. Das kann keine andere Partei in diesem Saal hier sagen, leider Gottes auch nicht die FDP, wenn die Meldung stimmt, die ich in dem Pressedienst lese, daß Ihre entwicklungspolitische Konzeption vorerst gescheitert sei. Und da werfen Sie uns vor, daß wir auf diesem Gebiet nichts hätten! Ich stütze mich auf etwas, was Sie bisher nicht bestritten haben, verehrter Herr Kollege Schleifenbaum. Es war das Vorrecht der Koalition, ihre entwicklungspolitischen Ideen nach den Veränderungen der letzten zwei Jahre ex cathedra zu verkünden, und das hat manchem, der in der Entwicklungspolitik konkret arbeitet, bitter weh getan und ihn sehr enttäuscht.
Dr. Köhler ({10})
Die Scheu vor wirklich durchgreifender Innovation und vor einer präzisen Formulierung der Ausgestaltung dieser Politik muß man leider auch daran ablesen, daß wir uns jetzt zwei Jahre lang immer wieder große und umfassende Grundsatzgedanken, die auf öffentlichen, internationalen Konferenzen formuliert wurden, anhören mußten, daß aber die Chance, in diesem Parlament darüber zu diskutieren, zwei Jahre lang nicht genutzt wurde.
({11})
Nach der Auffassung der CDU/CSU hat die Bundesregierung die Notwendigkeit, daß eine gründliche Revision des entwicklungspolitischen Kurses und seiner theoretischen Grundlage seit 1973 angezeigt war, eben leider geraume Zeit verschleiert.
Ich muß nun nach den Ausführungen des Kollegen Schluckebier doch noch einmal deutlich unsere Position zur 7. Sondergeneralversammlung definieren,
({12})
und zwar auch vor folgendem Hintergrund: Auch wenn es nichts hilft, es soll gesagt werden. Wir werden nämlich noch manches Jahr hier darüber zu sprechen haben.
({13})
- Das, Herr Kollege Mertes, verbindet uns zutiefst: daß wir aus der Hoffnung heraus handeln. - Diese Konferenz hat Sie in die Zweideutigkeit hineingeführt, Herr Minister. So wahr es ein Wert sein mag, daß Konfrontation und Aggressionen vermindert worden sind, so wahr ist es auf der anderen Seite, daß durch dieses Verhalten auf dieser Konferenz eine Situation entstanden ist, die sich in Zukunft in doppelter Konfrontation entladen kann, daß damit unserer Entwicklungspolitik großer Schaden zugefügt werden kann und daß unsere Politik insgesamt ins Zwielicht geraten kann.
Was ist geschehen? Entgegen den offiziellen Bekenntnissen zur freien Weltwirtschaftsordnung und abweichend von den fest umrissenen Einwänden und Voten zum Aktionsprogramm der 6. SGV haben Sie in essentiellen Positionen wegen einer vermeintlichen Einigkeit mit den Entwicklungsländern Entscheidendes aufgeopfert. Die vorbehaltlose Zustimmung zu den Abschlußdokumenten bedeutet eben in den Augen vieler Politiker, gerade in den Ländern der Dritten Welt, eine prinzipielle Anerkennung der Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung auf planwirtschaftlicher Grundlage. Wie Sie aus dieser Interpretation herauskommen wollen, haben Sie uns hier heute eben nicht gesagt. Sie haben Absichtserklärungen unterzeichnet, die den eigenen ordnungspolitischen Grundsätzen, wie Sie sie heute hier formuliert haben, entweder diametral entgegenstehen und unerfüllbar sind,
({14})
wenn Systemgefährdungen ausgeschlossen bleiben
sollen, oder aber man muß die Frage stellen, ob Sie
es mit diesen Grundpositionen im eigenen Lande auch wirklich ernst nehmen.
({15})
Wir bedauern zutiefst, daß unsere Warnungen nach der 6. Sondergeneralversammlung in den Wind geschlagen worden sind, daß unsere Aufforderung an die Regierung, zu einer vermittelnden Rolle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern beizutragen und nach konkreten Lösungsmöglichkeiten für den Rohstoffbereich und für die Ausgestaltung internationaler Wirtschaftsbeziehungen zu suchen, nicht befolgt wurde.
({16})
Nach unserer Auffassung hat die Bundesregierung mit ihrer Unterschrift unter die Schlußdokumente der 7. Sondergeneralversammlung nicht nur falsche Hoffnungen geweckt, sondern sich zugleich der Möglichkeiten eines weiten Handlungsspielraums in den Anschlußkonferenzen beraubt. Sie hat Verhandlungspositionen präjudiziert, die ohne zusätzlichen internationalen Reputationsverlust kaum noch unterschritten werden können. Das ist nicht allein unsere Auffassung, sondern hier stützen wir uns auch auf den Sachverstand des Bundesministeriums für Wirtschaft,
({17})
wie er in entsprechenden Veröffentlichungen zum Ausdruck kommt.
Um diesen Zustand herbeizuführen, hätte es wirklich nicht der Inszenierung in New York bedurft, die anfänglich eben mehr versprach, als die überraschende Schlußabstimmung dann brachte. Aber nach der Grundsatzrede des Außenministers mit ihrem Bekenntnis zur Marktwirtschaft folgte eben unter Ihrer Verantwortung, Herr Minister, der Vollzug einer Poliitk, die im Ergebnis höchst unliberal sein muß, die den eigenen Interessen nicht nützt, die keine dauerhaft tragfähigen Perspektiven für einen Interessenausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern eröffnet und auch keine Ansätze für pragmatische Lösungen bietet. Wir fordern deshalb im Hinblick auf die Anschlußkonferenzen von der Regierung ein erneutes Mal, daß sie ihre Verhandlungspositionen frühzeitig absteckt und das Parlament darüber rechtzeitig unterrichtet,
({18})
und wir erneuern nochmals unsere Bereitschaft zur Mitarbeit an der Weiterentwicklung der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung auf der Grundlage marktwirtschaftlicher Prinzipien.
({19})
Wir verstehen dabei unsere Haltung als Angebot zur Diskussion über Maßnahmen, die weltwirtschaftlich einer größeren sozialen Gerechtigkeit unter den Völkern dienen, und wir unterscheiden uns in diesem Punkt nur in einem von der Regierung
Dr. Köhler ({20})
- es sei denn, das Gegenteil würde uns bewiesen -, nämlich dadurch, daß für uns das Prinzip der Marktwirtschaft sowohl verbal als auch in der Praxis eben nicht zur Disposition steht.
({21})
Herr Minister, in einem anderen Punkt muß ich Sie leider auch noch einmal der Mehrdeutigkeit bezichtigen, denn Sie haben hier vorhin meine Bedenken nicht ausgeräumt.
({22})
- Die Taten stellen es in Frage, nicht die Worte. Das ist das, was wir hier beklagen.
({23})
- Lassen Sie nun bitte endlich einmal den Mumienfrevel sein, Herr Kollege Schleifenbaum; Sie haben das heute schon ein paarmal gemacht.
Herr Minister, Ihr spätestens seit der Konferenz von Lima unablässiges Bemühen, das Prinzip der sogenannten friedlichen oder konstruktiven Koexistenz auf die weltwirtschaftliche Zusammenarbeit von Staaten höchst unterschiedlicher Prägung zu übertragen - Sie haben das vorhin dann zum Teil dadurch etwas umgewendet, daß Sie von „Gewaltverzicht" sprachen -,
({24})
ist nach unserer Ansicht ein untauglicher und außerdem außerordentlich gefährlicher Versuch, die Maximen einer fragwürdig gewordenen Außenpolitik auf die Entwicklungspolitik anzuwenden. Ist Ihnen eigentlich bewußt, Herr Minister, daß Sie mit Ihrem Bekenntnis zur Koexistenz als der Grundlage der Beziehungen zu den Entwicklungsländern sich eines Prinzips bedienen, das die Bundesregierung als einzigen von 14 Punkten des ersten Kapitels der Charta auf der 6. Sondergeneralversammlung ausdrücklich abgelehnt hat?
({25})
Und kurz nachdem diese Ablehnung, für die die Bundesregierung sicherlich doch Gründe gehabt hat, erfolgte - sie muß sich diese unmißverständliche Entscheidung doch überlegt haben, und wahrscheinlich muß dabei die Erkenntnis oder die Gewißheit eine Rolle gespielt haben, daß diese unscharfe Begriffsschablone, die der Ost-West-Konfrontation entlehnt ist. keinen Gebrauchswert für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen hat -, haben Sie, Herr Minister, eine spektakuläre Veränderung in dieser Frage vorgenommen, und dies sofort nach der 6. Sondergeneralversammlung, bevor noch irgend etwas anderes neu verhandelt war. Was hat Sie dazu bewogen?
({26})
Die Erfahrungen mit der Ostpolitik können Sie doch eigentlich nicht dazu ermutigt haben, sofern Sie sich nicht dem Vorwurf blinden Analogiedenkens aussetzen wollen.
Deswegen fragen wir hier nicht um der Polemik, sondern um der Wahrheit willen, die wir erkennen wollen, ob uns hier der alte Adam im Gewande der Entwicklungsländer wieder begegnet. Das wollen wir wissen, damit wir wissen, wohin die Reise geht.
({27})
Wohin sie in der Vergangenheit in der Ostpolitik gegangen ist, wissen wir nämlich schon ganz gut.
Friedliche Koexistenz bedeutet doch letztlich in ihrer begrifflich anerkannten Form den unversöhnlichen Kampf auf der ideologischen Ebene zwischen Staaten gegensätzlicher Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Dieser Begriff wird, bezogen auf alle Staaten dieser Welt, nicht einmal im Ansatz der Pluralität dieser Länder und ihrer Strukturen gerecht.
({28})
Was heißt Koexistenz mit der Elfenbeinküste, was heißt Koexistenz mit Kolumbien oder mit Malaysia, Herr Minister? Es dürfte doch wohl Einigkeit darüber zu erzielen sein, daß sich diese Welt nicht einfach schematisieren läßt nach kapitalistischen und sozialistischen Ländern
({29})
und daß sich von daher jeder Versuch, das Prinzip der Koexistenz universal anzuwenden, bereits vorn Ansatz her verbietet und zum Scheitern verurteilt ist. Und wenn im Koexistenzbegriff der Gedanke an eine künftige Konvergenz enthalten ist, muß ich hier um so mehr fragen: Wohin wollen wir denn konvergieren, wenn wir von wirtschaftlicher Koexistenz sprechen? Etwa zu einem Mischsystem von Planwirtschaft und Marktwirtschaft? Dann wird die Haltung auf der Sondergeneralversammlung zu diesem Thema wieder fragwürdig; ich möchte mich hier nicht im Kreise drehen.
Meine Bitte und mein förmliches Ersuchen an Sie, Herr Minister, ist dies: Hören Sie auf, mit schillernden und ideologiebehafteten Formeln uns im Lande und der Welt einzureden,
({30})
wir befänden uns auf dem richtigen Wege, die Beziehungen zu den Entwicklungsländern auf gerechtere Grundlagen zu stellen. Das ist bisher de facto ein Trugschluß; mehr noch, die Formel von der friedlichen Koexistenz verbaut nach meiner tiefsten Überzeugung gerade konkrete Kooperationsmöglichkeiten.
({31})
Dr. Köhler ({32})
- Entschuldigen Sie, wenn Sie eine begriffstheoretische Überlegung nicht als konkret empfinden, kann ich Ihnen nicht helfen.
({33})
- Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Schleifenbaum, weiß ich, daß Herr Minister Bahr diesen Diskussionsteil sehr ernst nimmt, und ich glaube, ich bin mit ihm in diesem Fall ausnahmsweise darin einig, daß es sich hier um essentials handelt und nicht, wie Sie denken, um Theorie.
Die Tatsache, Herr Minister, daß es sich bei dieser Theorie um eine primär außenpolitische Doktrin handelt, ist weiterhin in anderer Hinsicht bedenklich, weil es hier um die Gewichtsverteilung der einzelnen Teilpolitiken im Verhältnis zur Entwicklungspolitik geht. Nicht erst seit der 7. Sondergeneralversammlung und der dann veröffentlichten Studie des Wirtschaftsministeriums wissen wir doch um die Friktionen im interministeriellen Entscheidungs- und Koordinierungsablauf. Die Reihe ließe sich sehr weit fortführen: Bei der Weltbevölkerungskonferenz in Bukarest, bei der Welternährungskonferenz in Rom, beim Lomé-Abkommen usw. hat Ihr Ministerium bestenfalls mitgewirkt. Es ist nicht die Entscheidungsstelle und nicht die entscheidend führende Stelle in dieser Politik gewesen. Ihr Ministerium ist leider weit davon entfernt, Koordinierungsressort zu werden und seine fachlichen Entscheidungsbefugnisse voll zu nutzen. Kompetenz- und Sachkonflikte beherrschen das Bild und lassen die Hoffnung absterben, es könne sich je bei Entwicklungspolitik um eine eigenständige Politik handeln, die auch im praktischen Vollzug voll in die Gesamtpolitik integriert ist. Wir kritisieren hier, daß der Koordinationsvorgang, das Herstellen eines Sachzusammenhangs zwischen außen-, außenwirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Zielsetzungen nicht geleistet wird.
({34})
Das, Herr Kollege Holtz, ist nun für uns eine der Grundvoraussetzungen dafür, ein wohlverstandenes Eigeninteresse mit entwicklungspolitischen Zielsetzungen überhaupt verbinden zu können.
({35})
Wenn diese Arbeit nicht geleistet wird, haben Sie recht, den Gedanken des Eigeninteresses anzugreifen.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie an das Ende der Redezeit erinnern.
Wie es um den Stellenwert der Entwicklungspolitik derzeit bestellt ist, wird angesichts der ständig zunehmenden Aktivitäten des Außenressorts daran deutlich, daß sich der Verdacht im Lande ausbreitet, die Entwicklungspolitik könne ohne weiteres auch in Zukunft von einem Staatsminister im Auswärtigen Amt geleistet werden.
({0})
Das ist von der Presse geschrieben und es ist der Koalition unterstellt worden, daß das in weiten Kreisen ihre Meinung sei. Dem ist bis heute nicht klar widersprochen worden.
({1})
Wir sind nicht bereit, die Eigenständigkeit der Entwicklungspolitik zur Disposition stellen zu lassen; wir fordern mehr politisches Gewicht für diese Politik.
Es wäre an dieser Stelle von Interesse gewesen, noch einiges zum Durchführungsbereich zu sagen. Ich fürchte, die Frau Präsidentin hat das nicht mehr gerne, obwohl ich garantieren kann, in zwei Minuten zu Ende zu sein.
Ich glaube doch, Sie müßten zum Ende kommen, Herr Kollege.
Ich bemühe mich darum, Frau Präsidentin.
({0})
- Ja, Herr Kollege Stahl, und deswegen tue ich es auch hier, denn für das was ich gesagt habe, war die Zeit in der Tat ziemlich kurz.
({1})
Aber ich möchte mich jetzt nicht aufhalten lassen, sondern ich möchte nur darauf hinweisen, daß Ihre Berichterstattung gerade zu den Details der Durchführung mit großer Sorgfalt jeden Fehlschlag verschweigt, der in den letzten Jahren geschehen ist. Kein Wort darüber, daß das deutsche Forum für Entwicklungspolitik eingestellt wurde; kein Wort darüber, daß das mit so viel Aplomb in die Welt gesetzte Institut für angepaßte Technologie
({2})
ruhmlos gestorben ist. Nichts dergleichen wird in einem Bericht erwähnt, der die letzten Jahre charakterisieren soll.
Ich darf als Quintessenz unserer Kritik zusammenfassen, daß für uns das „Ob" der Entwicklungspolitik außer jeder Frage steht. Unsere Kritik bezieht sich auf das „Wie". Solange Sie, Herr Minister, nicht mehr tun, um in grundsätzlichen Fragen der Entwicklungspolitik Klarheit und eindeutige Definitionen zu schaffen, und solange Sie nicht mehr tun, ideologische Verunklärungen abzuwerfen, ja, in der Tat die Entwicklungspolitik noch mehr mit Ideologie befrachtet wird und im Durchführungsbereich Mängel perpetuiert werden, so lange wird die Entwicklungspolitik in diesem Hause strittig bleiben und - wie ich fürchte - wird sie auch in der Öffentlichkeit nicht die Basis finden, die wir
Dr. Köhler ({3})
bitter benötigen, um mutige, konstruktive und wirksame Entscheidungen zu erreichen.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peiter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Schluß einer Debatte hat man meistens wieder versöhnliche Gedanken. Dennoch meine ich, auch einiges zu dem sagen zu sollen, was nicht allen gefallen hat.
Herr Dr. Köhler, Sie sprachen eben davon, daß wir unsere Zeit heute vormittag besser hätten nützen sollen, um die Gedanken der Entwicklungspolitik besser zu formulieren und darzulegen. Da bin ich mit Ihnen einverstanden; denn ich meine, wir hätten die Zeit auch nutzen sollen, heute unserer Bevölkerung, unseren Mitbürgern, den Gedanken der Entwicklungspolitik näherzubringen;
({0})
denn draußen gibt es noch viele Mißverständnisse.
Ich will es in einem Satz sagen: Ich bin dankbar, daß unsere Jugend, insbesondere die in Parteien, in den Kirchen und Gewerkschaften organisierte Jugend, so großes Verständnis für die Entwicklungspolitik hat.
Aber lassen Sie mich etwas anderes sagen, meine Damen und Herren: Ich habe Verständnis dafür, daß die Opposition nicht der entwicklungspolitischen Konzeption der Regierung beitreten kann.
({1}) - Ja, danke.
Ich hätte Verständnis dafür, wenn Sie Alternativen entwickelt hätten und dabei hier und da überzogen hätten. Aber ich habe ganz und gar kein Verständnis für weite Passagen der Rede unseres Kollegen Dr. Todenhöfer, die hier doch nicht in diese Debatte gehört haben.
({2})
- Sie wissen das, Herr Kollege Dr. Marx.
({3}) - Danke, lassen Sie es sein.
({4})
Wir fragen uns alle: Wem hat der Beitrag Dr. Todenhöfers genützt? Hat er unserem gemeinsamen Wollen genützt? Hat es den Ländern genützt, denen wir beistehen wollen? Niemandem hat es genützt, noch nicht einmal Herrn Dr. Todenhöfer.
({5})
Vor zwei Jahren hat man versucht, die Entwicklungspolitik zu einem Problem Eppler zu machen.
Jetzt versucht man die deutsche Entwicklungspolitik zu einem Problem Bahr zu machen. In Wahrheit ist es ein Problem Dr. Todenhöfer.
({6})
- Herr Reddemann, lassen Sie es sein! Desto länger dauert es doch mit uns!
({7})
Sie wissen, was ich sagen will, und im Grunde Ihres Herzens werden Sie mir nicht ganz und gar unrecht geben.
({8})
Meine Damen und Herren, der zweite entwicklungspolitische Bericht der Bundesregierung liegt uns heute vor. Aus ihm spricht eine Erfolgsbilanz, die sich sehen lassen kann. Die Bundesregierung hat nun einmal neue Antworten und auch Antworten auf neue Probleme unserer Beziehungen zur Dritten Welt gefunden.
({9})
Wir wissen alle, daß noch viel zu tun ist und daß wir noch mehr tun müssen, als wir zur Zeit können. Das wissen wir alle. Aber wir wissen auch - wir von der Regierungskoalition -, daß die Regierung den richtigen Weg geht.
({10})
Daß diese Richtung richtig ist, das müßten auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wissen.
({11})
Ich sage es noch einmal wie eben: Im Grunde Ihres Herzens
({12})
wissen Sie es auch: Im stillen Kämmerlein werden Sie der Konzeption der Bundesregierung doch zustimmen.
({13})
Sie tun hier nur mit ganz vordergründigen Argumenten so anders.
({14})
- Ich erlebe Sie ja schon lange Jahre und weiß doch Ihre Gedankengänge. Ich bin lange genug im Ausschuß, wo man oft etwas anderes sagt als hier im Plenum, wo man so gern spricht, damit es ins Fernsehen oder in die Zeitung kommt.
({15})
Aber lassen Sie mich zu meinen weiteren Gedanken kommen! Sie stören mir nicht meine 15 Minuten! Sie können mir hier anschließend entgegnen.
Es ist doch eine nicht wegzudiskutierende Tatsache, daß die Zusammenarbeit der Bundesrepublik
Deutschland mit den Ländern der Dritten Welt eine eindrucksvolle Entwicklung sowohl qualitativer als auch quantitativer Art hinter sich hat.
({16})
- Ach Gott, Sie wissen doch die Gründe! Sie wissen doch, was los ist, Herr Roser. Bringen Sie das doch einmal in den Ausschuß! Schlagen Sie doch einmal vor, daß wir den Ansatz aufstocken! Das tun Sie auch nicht.
({17})
Sie mosern nur draußen im Lande herum, wir sollen aufstocken, und zur gleichen Zeit sprechen Sie von Sparen. Das ist doch ein Widerspruch. Das sollten Sie doch nicht tun.
({18})
Dafür sollten Sie sich selbst zu ernst nehmen.
({19})
Sie wissen doch selbst, wie gering die Möglichkeiten sind, ernsthafte Alternativen zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung zu entwickeln. Ihre entwicklungspolitischen Leitlinien - es wurde heute morgen schon einmal gesagt -, die Sie - in Mannheim war es wohl ({20})
konzipiert haben, lehnen sich doch in weiten Bereichen an die Konzeption der Bundesregierung an.
({21})
Das ist doch so. Oder wollen Sie das bestreiten?
({22})
- Ich weiß, in dieser späten Stunde ist man Ihrerseits zu solchen Beiträgen aufgelegt.
({23})
- Ja, ich auch. Sie verlängern diese Debatte ja nur.
Wir wissen, daß Entwicklungspolitik im engeren Sinne allein nicht genügt, um die Probleme der Entwicklungsländer zu lösen. Entwicklungspolitik im engeren Sinne kann nur eine flankierende Maßnahme zu einer Politik sein, die der Dritten Welt eine angemessene Rolle in Weltwirtschaft, Welthandel und Weltwährung zugesteht.
({24})
An dieser Entwicklung werden auch organisatorische Überlegungen nicht vorbeigehen können, wenn das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht zu einem Bundesministerium für Armenhilfe degenerieren soll. Das BMZ - das ist klar - wird in Zukunft die entwicklungspolitischen Belange im wirtschaftlichen und im weltwirtschaftlichen Bereich vertreten müssen. Diese Arbeitsteilung muß einfach vorgenommen werden. Die Entwicklungspolitik ist nun einmal ein integraler Bestandteil unserer Gesamtpolitik.
({25})
Sie kann nicht ohne Beachtung der gesamtpolitischen Konstellation betrieben werden. Umgekehrt ist unsere Gesamtpolitik unvollständig, wenn nicht unsere Beziehungen zur Dritten Welt mit allen ihren Problemen mit in Betracht gezogen werden.
({26})
Diese Entwicklung im Bereich der wirtschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit der Dritten Welt zeigt sich nicht nur in der langfristigen Perspektive. Sie wird bereits in der kurzen Zeitspanne von zwei Jahren sichtbar, die zwischen dem ersten und dem zweiten entwicklungspolitischen Bericht verstrichen ist. So sind die Industriestaaten in der Zwischenzeit mit einem weit gefächerten Katalog von Forderungen zur Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung konfrontiert worden.
({27})
Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, zu einer Fortentwicklung der Weltwirtschaftsordnung beizutragen, sich kontinuierlich um eine engere Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern zu bemühen und neuen Gegebenheiten elastisch Rechnung zu tragen. Dies hat sich in vielfacher Weise in praktischer Politik niedergeschlagen.
So hat sich im Rahmen der europäischen Außenwirtschaftspolitik der Trend zu Zollpräferenzen ohne Gegenverpflichtungen nahezu vollständig durchgesetzt. Der Mechanismus der Erlösstabilisierung im Rahmen des AKP-Abkommens wird nicht nur vom Bund, sondern auch von vielen Entwicklungsländern als Modell für die Möglichkeit der Gestaltung von Beziehungen zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten betrachtet. Die Bundesregierung hat zugestimmt, die Möglichkeit einer Verbindung zwischen der Schaffung neuer Sonderziehungsrechte und der Finanzierung der Entwicklung der Dritten Welt zu prüfen, und sie hat auch der Verstärkung der Industrialisierung in der Dritten Welt zugestimmt. Auch aus Gründen der Förderung dieses Prozesses hat sich die Bundesregierung stets für einen freiheitlichen Welthandel eingesetzt, wenn auch ihre Möglichkeiten hierfür dadurch begrenzt sind, daß die Zuständigkeit für die Handelspolitik auf die Europäische Gemeinschaft übergegangen ist und dort Regierungen mitbestimmen, die zum Teil von weniger liberalen Konzepten ausgehen als die Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, in den 25 Thesen von Gymnich hat die Bundesregierung doch auf die veränderte Weltlage und die Forderungen der Entwicklungsländer an die Industriestaaten nach einer grundlegenden Umgestaltung der internationalen Wirtschaftsordnung reagiert. Diese Thesen zeigen, daß die Bundesregierung nach einer Antwort auf die neuen Fragen gesucht und sie auch gefunden hat.
Unsere Entwicklungshilfe ist inzwischen gemäß diesen Thesen angepaßt worden.
Auch im engeren Bereich hat die Entwicklungspolitik eine Umorientierung erfahren, ohne daß die Grundsätze der entwicklungspolitischen Konzeption hätten angetastet werden müssen. Die Anteile der am wenigsten entwickelten und der am meisten von den weltwirtschaftlichen Veränderungen betroffenen Länder an den Aufwendungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind vergrößert worden. Die Schwerpunkte der sektoralen Verteilung liegen in den Bereichen von Landwirtschaft, Ausbildung und Bildung, öffentlicher Versorgung und Industrialisierung. In der Zukunft soll der auf den Agrarsektor entfallende Anteil erheblich erhöht werden.
Ich meine, es reicht jedoch nicht aus, daß nur die Mittelansätze erhöht werden. Einige Länder müssen endlich darangehen, auch eine sinnvolle Agrar- und Bodenreform durchzuführen.
({28})
Aber auch die technische und die finanzielle Zusammenarbeit sind den neuen Gegegebenheiten angepaßt worden. Der stärkeren Differenzierung der Entwicklungsländer entspricht jetzt eine aufgefächerte Differenzierung der Bedingungen für die Kreditvergabe. Bei der technischen Zusammenarbeit wird von solchen Ländern Bezahlung erwartet, die zwar unser technologisches Wissen benötigen, aber finanziell gekräftigt genug sind, um die Kosten für die Übertragung dieses Wissens selbst zu tragen.
({29})
- Ja, ich wollte gerade sagen: In dem Punkt sind wir uns sicherlich einig.
Mehr denn je ist aber auch die Eigenverantwortlichkeit der Entwicklungsländer zu einem Kriterium der Entwicklungspolitik geworden.
Meine Damen und Herren, bei der Finanzierung der Entwicklungspolitik sind neue Wege beschritten worden. Noch größer als vor zwei Jahren ist der Anteil der multinationalen Entwicklungshilfe an dem Gesamtaufkommen der Bundesrepublik. Sehen Sie, Herr Dr. Todenhöfer, Sie haben eben - ich meine, Sie sind es gewesen - etwas kritisch die Bemühungen des Ministers Bahr um Dreieckskooperationen unter die Lupe genommen. Ich glaube, wir sollten dankbar dafür sein, daß ein Minister neue Initiativen entwickelt, um unseren Partnern in den Entwicklungsländern zu helfen. Sie haben es sehr kritisch etwas heruntergerissen, wie ich sagen möchte. Das ist aber doch im Werden. Das ist ein Konzept,
({30})
das erst im Werden, in der Entwicklung ist. Wir wissen alle, daß da erst ein OPEC-Staat beteiligt ist.
({31})
Aber eine ganze Reihe - etwa 13 - andere Industriestaaten sind an diesen Dreieckskooperationen schon beteiligt.
({32})
- Sie müssen auch auf das hören, was ich jetzt
gesagt habe: Etwa 13 Industriestaaten sind an diesen Dreieckskooperationen beteiligt. Oder nicht? Stimmt die Zahl nicht? Dann beweisen Sie mir das Gegenteil. Etwa 13 sind daran beteiligt. Sie sagen nur immer nein. Sie streiten etwas ab, ohne etwas anderes auf den Tisch legen zu können, geschweige denn zu wollen.
({33})
- Was sagten Sie: kein einziges?
({34})
- Ein einziges; das habe ich ja eben gesagt. Das haben Sie ja gehört.
({35})
- Na gut. Also, Sie sagen: „Kein einziges", ich sage: „Ein einziges".
({36})
- Gut, wir unterhalten uns noch einmal darüber.
Meine Damen und Herren, an dieser Entwicklung der deutschen Entwicklungspolitik war das Parlament immer und in wachsendem Maße beteiligt. Sie wissen selbst - wem sage ich das hier? -, der Ausschuß wirkte an der mittelfristigen vorausschauenden Rahmenplanung für die Zusammenarbeit mit der Dritten Welt mit und vermehrte so die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments. Die Bestrebungen der Bundesregierung, die Mittel für die Entwicklungspolitik zur Verbesserung der Wirksamkeit auf wenige Bereiche zu konzentrieren, werden vom Ausschuß - da sind wir uns alle einig - nachdrücklich unterstützt. So ist es seinem Einfluß zuzuschreiben, daß die Förderung des Tourismus - darüber waren wir uns auch einig
- als nicht sehr effizient aus dem Programm der Entwicklungspolitik gestrichen wurde.
Meine Damen und Herren, Sie sind alle froh, wenn die Debatte heute zu Ende ist. Lassen Sie mich deshalb zum Ende kommen mit meinen Gedanken. Lassen Sie mich noch eins sagen. Die Koalition - ich darf für die Koalition sprechen ({37})
bejaht den von der Bundesregierung vorgelegten Bericht und dankt dem Minister für diesen ausgewogenen Bericht.
({38})
Ich danke Ihnen, Herr Minister, für die Klarheit, mit der Sie Ihren Bericht hier erläutert und die Konzeption der Bundesregierung noch einmal dargelegt haben.
({39})
Meine Damen und Herren von der Opposition, es wäre gut, wenn Sie alles noch einmal überdenken würden.
({40})
Vielleicht werden Sie diesem Bericht, wenn wir ihn im Ausschuß beraten, dann doch zustimmen. Ich sage noch einmal, viel anderes können Ihre Überlegungen auch nicht bringen. Sie wollen vielleicht einiges Unwesentliche ändern,
({41})
aber besser machen können Sie es nicht.
({42})
Das Wort hat Herr Bundesminister Bahr.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte es angesichts dieser späten Stunde sehr kurz machen.
({0})
Ich möchte auf das eingehen, was der Kollege Köhler gefragt hat. Er hat die Frage nach der Ideologisierung oder der Gefahr der Ideologisierung der Entwicklungspolitik aufgeworfen. Ich bin mit ihm darin einig, daß wir uns davor hüten müssen, die Ideologie zur Grundlage der Entwicklungspolitik zu machen. Ich darf fragen, wieviel manchmal an Ideologie in Äußerungen mitschwingt, die oppositionelle Sprecher von sich geben.
({1})
Aber ich bin wirklich der Auffassung, daß es geradezu zu den Hoffnungen dieser Welt gehört, daß die Ideologie zurücktritt und daß man nach praktischen Lösungen sucht.
({2})
Dies ist der Hintergrund dessen, daß ich - das
ist auch nachlesbar - gesagt habe, wir sollten froh darüber sein, daß das Nebeneinander unterschiedlicher Wirtschaftssysteme organisiert wird und daß man nicht versucht, ein Wirtschaftssystem dem anderen aufzupressen. Ich halte Konvergenz schon seit langem für irrelevant.
Im übrigen darf ich sagen: Ich hatte erwartet, daß der Kollege Todenhöfer - schon nach dem, was man in der Zeitung lesen konnte ({3})
eine Auseinandersetzung mit dem beginnen wollte, was ich sagen würde.
({4})
Ich kann nur bedauern, daß dies nicht geschehen ist. Ich kann nur bedauern, daß er so gesprochen hat, als ob das, was gesagt worden ist, überhaupt nicht existierte.
Eine Sache muß ich allerdings zurückweisen, nämlich seine Äußerung oder seine Behauptung, die man im Protokoll nachlesen kann, in der er den Bundeskanzler des internationalen Wortbruchs bezichtigte und erklärte, daß an der Spitze dieses Staates ein Mann stehe, dessen Wort nicht gelte. Ich hoffe, daß er das korrigieren kann. Ich weise diese Äußerung jedenfalls zurück.
({5})
Unsere ausländischen Partner wissen, daß sie sich
auf das Wort des Bundeskanzlers verlassen können,
({6})
und sie werden gerade dabei erfahren, wie wenig man auf die Worte des Kollegen Todenhöfer geben kann.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie haben nicht zu befürchten, daß ich diese eigentümliche Sitzung durch eine Erklärung sei es verlängern, sei es zusätzlich komplizieren möchte. Hier sind ehrenwerte Damen und Herren beieinander gewesen, die auch sonst die Themen, über die sie heute miteinander das, was man Klingen nennt, gekreuzt haben, behandeln. Deren Fehler war es nicht, gleichgültig, zu welcher der Fraktionen sie gehören, daß sie hier unter sich geblieben sind. Das ist aber charakteristisch sowohl für den Deutschen Bundestag, und zwar gleichgültig, welche Fraktion, als auch für die Art, in der wir Streite ausführen - und da wende ich mich an alle -, Streite ausführen, die eines hinterlassen: zitiert zu werden, obwohl sie hier nicht einmal gehört werden, obwohl sie hier nicht einmal gewogen werden können: gewisse Äußerungen, gewisse Beschuldigungen. Eine hat jetzt zu meiner Freude der Herr Bundesminister Bahr zurückgewiesen. Und dann wollen Sie auch noch darauf bestehen! Ich sehe es schon; der Regisseur zeigt schon mit seinem berühmten Finger, wer sich dazu noch äußern soll. Tun Sie das bitte! Im Grunde müßten wir uns alle für eine Darstellung schämen,
({0})
wie sie die heutige Debatte über eines der gewichtigsten Gebiete der internationalen Politik geboten hat, statt jetzt hier Gift und Reizworte anzuhängen,
mit denen man weiter durch Medien und weitere ganze Kaskaden von Entwicklungen, die aber nicht Entwicklungshilfe sind, andere kränken, beleidigen und verletzen will. Das wollte ich Ihnen jetzt sagen, meine Damen und Herren.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Dr. Todenhöfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der jetzige Bundeskanzler Schmidt hat 1973 gesagt, er werde die Entwicklungshilfe bis 1978 auf rund 6 Milliarden DM „verdoppeln". Er hat dieses Versprechen international und national nach der Erdölkrise wiederholt, ohne Zwang, ohne Druck, ohne irgendeinen Grund, ohne daß ihn irgend jemand dazu gezwungen hätte. Jetzt hat er in der mittelfristigen Finanzplanung, für die er steht, dieses internationale Versprechen zurückgenommen. Ich nenne das einen internationalen Wortbruch. Und ich stehe zu dem Wort, daß es mir nicht gleichgültig ist, daß an der Spitze dieses Staates ein Mann steht, dessen Wort international in der Entwicklungspolitik nicht gilt.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reddemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Wehner, hat bedauert, daß nur eine geringe Zahl von Abgeordneten dieser Debatte bis zum Schluß beigewohnt haben. Ausnahmsweise stimme ich diesem Bedauern zu.
Herr Wehner hat aber zugleich Beschimpfungen gegen die Opposition in diesem Hause in seinem
gewohnten Stil ausgesprochen. Er hat gesagt, man müsse sich schämen. Ich möchte auf Grund seines Stils sagen: Er ist der letzte, der ein Recht hat, in diesem Hause von einem anderen zu verlangen, daß er sich schämt.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle folgende Bernerkungen. Es ist ganz sicher auch für einen Präsidenten sehr schwierig, bei sehr komplizierten Vorgängen immer sofort zu erkennen, wo ein Hintergedanke vorliegt oder wo eine Behauptung aufgestellt wurde, die nicht zutrifft, die man zurückweisen muß. Generell möchte ich aber sagen, daß eine bestimmte Eskalation der Gefühle, wenn Sie so wollen, auf allen Bänken des Hauses - ich will gar nicht sagen, wer anfängt, wer aufhört, sondern das entwickelt sich so - Schwierigkeiten macht, in der Bevölkerung Verständnis zu finden.
Ich bitte deswegen alle sehr herzlich, daß wir in Zukunft gerade in der Zeit, in der wir uns im Wahlkampf befinden, bei aller vorhandenen politischen Gegensätzlichkeit versuchen sollten, keine unerträgliche Überspitzung Platz greifen zu lassen.
Wir sind am Ende dieser Debatte. Ich schließe die Debatte.
Wir haben jetzt nur noch die Überweisung vorzunehmen. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit - federführend - sowie an den Ausschuß für Wirtschaft und den Haushaltsausschuß vor. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung und der heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf Mittwoch, den 3. Dezember 1975, 13.00 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.