Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 31. Oktober 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Gölter, Frau Benedix, Dr. Blüm, Bremm, Ey, Dr. Fuchs, Dr. Hornhues, Hussing, Dr. Klein ({0}), Lenzer, Pfeffermann, Pieroth, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Schedl, Schmidt ({1}), Dr. Stavenhagen, Dr. Wagner ({2}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Regierungsentwurf für ein neues Berufsbildungsgesetz ({3}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/4269 verteilt.
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 4. November 1975 im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Gölter, Frau Benedix, Dr. Blüm, Bremm, Ey, Dr. Fuchs, Dr. Hornhues, Hussing, Dr. Klein ({4}), Lenzer, Pfeffermann, Pieroth, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Schedl, Schmidt ({5}), Dr. Stavenhagen, Dr. Wagner ({6}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Versprechungen des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Dr. Glotz, am 18. September 1975 auf der Bundesversammlung des Vereins Deutscher Postingenieure ({7}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/4272 verteilt.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 4. November 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Roser, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz und der Fraktion der CDU/CSU betr. Beratungswesen beim Bundesminister für Forschung und Technologie ({8}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/4273 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 5. November 1975 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen und dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schröder ({9}), Dr. Marx, Baron von Wrangel, Dr. Abelein, Jäger ({10}), Böhm ({11}), Dr. Mende, Dr. von Bismarck, Dr. Ritz, Seiters, Lagershausen, Franke ({12}), Dr. Klein ({13}), Ey, Freiherr von Fircks, Frau Benedix und Genossen betr. Grenzmarkierung an der Elbe ({14}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/4274 verteilt.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur ({15})
- Drucksachen 7/4127, 7/4193 Bericht und Antrag des Haushaltsausschusses ({16})
- Drucksachen 7/4224, 7/4243 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. von Bülow Abgeordneter Schröder ({17}) ({18})
Wir setzen die gestern begonnene Debatte fort. Nachdem die Entwürfe des Haushaltsgesetzes 1976 und des Steueränderungsgesetzes 1975 gestern abend an die Ausschüsse überwiesen worden sind, liegt heute der Schwerpunkt der vereinbarten gemeinsamen Debatte auf dem Entwurf des Haushaltsstrukturgesetzes.
Jetzt hat der Abgeordnete Grobecker das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem gestern in der Debatte über den Haushalt 1976 die Alternativlosigkeit der Opposition gegenüber den Problemen der öffentlichen Finanzwirtschaft noch einmal überaus deutlich geworden ist, wenden wir uns heute einer ,der konkreten Maßnahmen zu, die die Bundesregierung dem Parlament vor 14 Tagen zur Abwendung von schädlichen Einflüssen, die sich vorwiegend aus der weltwirtschaftlichen Lage ergeben, vorgeschlagen hat.
Das Ihnen vorliegende Haushaltsstrukturgesetz, das heute verabschiedet werden soll, bringt Einsparungen in den Jahren bis 1979 von ca. 13 Milliarden DM, die notwendig sind, damit Bund, Länder und Gemeinden in dieser schwierigen Situation ihren Aufgaben nachkommen können. Der Erhalt des sozialen Leistungsstandards und das Vorhalten öffentlicher Investitionen sind die wichtigsten Aufgaben des Haushalts in einer Zeit der durch die weltweite Rezession hervorgerufenen Erschütterungen.
Bei den widersprüchlichen Aussagen und Verhaltensweisen ,der Opposition gegenüber diesen Aufgaben und den dazu vorgeschlagenen Maßnahmen der Bundesregierung ist die Feststellung erlaubt: Diese Republik und die in ihr lebenden Menschen wären längst den Bach heruntergegangen, wenn Sie dieses Land regierten oder regieren müßten.
({0})
Die Opposition ist nicht in der Lage, den Aufgaben, die diese Zeit erfordert, nachzukommen. Das hat sich u. a. auch bei der Beratung dieses Gesetzes in den Ausschüssen noch einmal deutlich gezeigt. Die Vertreter der Opposition, von Herrn Windelen bis Herrn Strauß, haben sich hier in der ersten Lesung und anderswo hingestellt und in pathetischer Art
und Weise zusätzliche Einsparungen gefordert. Nichts davon haben sie im Verlauf der Ausschußberatungen realisiert. Im Gegenteil: alle Anträge, die von der CDU/CSU gestellt worden sind, einschließlich derer, die heute auf Ihren Plätzen liegen, hätten Mindereinnahmen oder Mehrausgaben zur Folge. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, denn die CDU/CSU ist ja keine Partei; sie ist eine Union, und zwar eine Union, in der es die vielfältigsten Interessengruppen gibt. Mindestens je eine dieser Gruppen sitzt in den Fachausschüssen dieses Parlaments und darf sich dort austoben. Das haben wir bei den Beratungen dieses Gesetzes eindeutig festgestellt.
Meine Damen und Herren, die Einzelmaßnahmen des Haushaltsstrukturgesetzes bedeuten für die betroffenen Bürger und Gruppen von Bürgern zum Teil schmerzhafte Eingriffe. Sie sind nötig und müssen hingenommen werden, wenn das Gesamtsystem unserer sozialen Sicherung nicht gefährdet werden soll. Die sozialpolitische Leistungsbilanz der sozialliberalen Koalition seit 1969 wird durch dieses Gesetz nicht gemindert. Dennoch gibt es einige Bereiche mit durchaus gravierenden Punkten, die einer näheren Beleuchtung bedürfen.
Da sind zunächst die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Auch der hartgesottenste Tarifpartner wird zugeben müssen, daß die seit 1970 erfolgten Strukturverbesserungen und Gehaltsanpassungen, besonders im unteren Bereich der Besoldungsskala des öffentlichen Dienstes, sich sehen lassen können. Trotzdem waren einige Regierungsvorschläge bittere Pillen für die Betroffenen. Sie sind zum Teil auch durch die Fachausschüsse und den Haushaltsausschuß abgemildert worden.
So ist die Regelbeförderung, die bei einer Beförderung vom Eingangsamt der Laufbahn des einfachen, mittleren, gehobenen und höheren Dienstes in das jeweils erste Beförderungsamt an feste Zeiträume gebunden war, zwar abgeschafft; durch die von den Ausschüssen vorgenommene Festlegung auf 35% Eingangsstellen und 65% Beförderungsstellen im ersten Beförderungsamt ist diese Maßnahme jedoch in vertretbarer Weise entschärft worden. Dasselbe gilt für das einheitlich auf 90 DM festgesetzte Verheiratetengeld.
Beim Ortszuschlag für Ledige ist eine Besitzstandsklausel eingeführt worden, die garantiert, daß es auch hier zu weicheren Übergängen kommt. Auch bei der Ausgleichszulage beim Ausscheiden aus dem Polizeidienst, aus der Bundeswehr und anderen Bereichen ist durch die Ausschüsse eine Regelung geschaffen worden, die das Erreichen der 8 000-DMGrenze für alle möglich macht.
So gibt es eine Reihe von Veränderungen des Regierungsentwurfs, die das Gesamtpaket ausgewogener gemacht haben. Mein Kollege Becker wird später noch einmal auf die Einzelheiten eingehen.
Bei dieser Gelegenheit, meine Damen und Herren, möchte ich freimütig sagen, daß es um den Teil des Haushaltsstrukturgesetzes, der den öffentlichen Dienst betrifft, natürlich auch innerhalb der Koalition zu zwar fairen und geduldig geführten, aber immerhin zu Auseinandersetzungen gekommen ist.
Ein zweiter Schwerpunkt des Gesetzes ist das Arbeitsförderungsgesetz. Dazu muß vorweg gesagt werden: Das Arbeitsförderungsgesetz hat sich in seinen Grundprinzipien bewährt. Ohne Arbeitsförderungsgesetz wäre die Zahl der Arbeitslosen ganz ohne Zweifel höher, als sie heute ohnehin ist. Es soll deshalb in seiner Substanz auch unangetastet erhalten bleiben. Die Opposition braucht also keine Befürchtungen zu haben. Es ist sichergestellt, daß Sie alle umgeschult werden können, um Ihrem beruflichen Aufstieg zu einer wirklich konstruktiven Opposition gerecht zu werden.
({1})
Meine Damen und Herren, auch ohne Haushaltsstrukturgesetz wäre es zu einer Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes gekommen. Dies ist schon während der Haushaltsberatungen 1975 von der Bundesregierung und den Sprechern der Koalitionsfraktion angekündigt worden. Gerade weil das Gesetz in einer, konjunkturell gesehen, relativ ruhigen Zeit konzipiert worden ist, sind erst jetzt seine Schwächen - gleichsam wie auf einem Prüfstand - deutlich geworden. Die wichtigsten Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes - auch hierüber wird später ein Kollege noch eingehend Ausführungen machen - betreffen a) die Differenzierung des Unterhaltsgeldes nach Zielgruppen, b) die Behandlung der Nichtbeitragszahler, c) das Kurzarbeitergeld, d) die zumutbare Vermittlung auf einen Arbeitsplatz und schließlich die Rücklagenvorschrift der Bundesanstalt für die Liquiditätslage der Anstalt in den jeweiligen Phasen; darüber hinaus und nicht zuletzt selbstverständlich die vorgeschlagene Erhöhung der Beiträge um 0,5 % für jede Seite, also für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Das Unterhaltsgeld wird zukünftig nach Notwendigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen differenziert. Arbeitnehmer, die arbeitslos, von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedroht oder ohne beruflichen Abschluß sind, erhalten 80 % des vorhergehenden Nettolohns als Unterhaltsgeld bei der Umschulung. Bei den Zweckmäßigkeitsfällen - es handelt sich dabei um die individuelle Aufstiegsfortbildung - sollen nur noch 58% des letzten Nettolohns gezahlt werden. Dies ist durchaus vertretbar, zumal sichergestellt ist, daß eine vorausschauende Arbeitsmarktpolitik auch weiterhin möglich ist. Bedroht ist ein Arbeitsplatz auch dann, wenn in bestimmten Sektoren ein wirtschaftlicher Strukturwandel erkennbar wird. Das Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes bleibt also voll erhalten. Nichtbeitragszahler, die ohne Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme keinen Arbeitsplatz finden, sollen auch weiterhin entgegen dem Regierungsentwurf - dies ist eine wichtige Abänderung der Ausschüsse - Unterhaltsgeld statt Darlehen erhalten. Antragsberechtigt ist jedoch nur, wer aus zwingenden Gründen seine Arbeit aufnehmen muß. Dies ist besonders eine Erleichterung für Frauen, die entweder geschieden sind oder anderweitig allein leben.
Meine Damen und Herren, das Kurzarbeitergeld wird zukünftig - diese Regelung soll schon zum 1. Dezember in Kraft treten - nicht mehr an SonnGrobecker
und Feiertagen gezahlt werden. Immer wieder hat es in der Vergangenheit Fälle von erheblichem Ausmaß gegeben, in denen Kurzarbeit ausgerechnet vor einer Kette von Feiertagen angemeldet worden ist. Auf diese Weise haben sich die Betriebe auf Kosten der Arbeitslosenversicherung entlastet. Dies werden wir zukünftig nicht mehr zulassen. Das Lohnfortzahlungsgesetz an Feiertagen wird ebenfalls entsprechend geändert, so daß Kurzarbeiter die Leistungen aus diesem Gesetz voll erhalten werden.
Die Konkretisierung des Zumutbarkeitsbegriffs bei der Vermittlung eines Arbeitsplatzes durch die Arbeitsverwaltung stellt klar, daß eine vom Arbeitsamt angebotene Beschäftigung für den Arbeitslosen nicht allein deshalb unzumutbar ist, weil sie der bisherigen beruflichen Tätigkeit nicht entspricht, der Arbeitsplatz weiter entfernt ist oder die Arbeitsbedingungen etwas ungünstiger sind. Dabei ist sichergestellt, daß auch die Belange des zu Vermittelnden berücksichtigt werden.
Letztlich, meine Damen und Herren, sind die Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes, die die Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit betreffen, so geändert worden, daß die Zahlungsfähigkeit der Anstalt in Zeiten höherer Arbeitslosenzahlen Vorrang hat.
Alle diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, sind vorweg notwendig, damit den Beschäftigten, den Beitragszahlern, eine Erhöhung um 0,5% ihres Arbeitslosenversicherungsbeitrags zugemutet werden kann.
({2})
Diese Erhöhung lehnt die CDU/CSU aus sehr vordergründigen Motiven ab. Meine Damen und Herren von der Opposition - ich habe Ihnen das schon im Ausschuß gesagt -, damit sitzen Sie auf einem falschen Dampfer. Sie glauben sich mit dieser Ablehnung bei den Betroffenen lieb Kind machen zu können. Diese Einschätzung ist falsch. Arbeitnehmer, die im Betrieb stehen, also Arbeit haben, wissen, daß man für die draußen, die keine Arbeit haben, einen zumutbaren Beitrag leisten muß. Die Opposition unterschätzt in diesem Punkt die Solidarität der deutschen Arbeitnehmer untereinander.
({3})
Meine Damen und Herren, für den Bereich der Kriegsopferversorgung gilt ähnliches wie das, was ich vorhin über den öffentlichen Dienst gesagt habe. Seit dem Antritt der sozialliberalen Koalition haben sich die Kriegsopferrenten verdoppelt; das ist eilt Fakt. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Kriegsopfer in Rollstühlen nach Bonn fahren und bei den CDU-Regierungen um ein paar Pfennig Erhöhung ihrer Bezüge betteln mußten.
({4})
Die Kriegsopferrenten sind seit 1970 dynamisiert und gleichzeitig spürbar erhöht worden. Die nächste Erhöhung ist für den 1. Juli 1976 mit 11% terminiert. Deshalb ist es möglich, in einigen Fällen zu Einsparungen zu kommen, wo das vertretbar ist, z. B. bei der Inanspruchnahme von Badekuren. Die
vorgeschriebenen zeitlichen Abstände von zwei Jahren sind häufig dadurch unterlaufen worden, daß wechselseitig mehrere Sozialleistungsträger in Anspruch genommen worden sind. Dies verhindern wir mit einer entsprechenden Vorschrift.
Bei der Erholungsfürsorge, meine Damen und Herren, bleibt es bei dem Zweijahresrhythmus entgegen dem Regierungsentwurf, aber die zeitliche Dauer der Erholungsfürsorge wird auf drei Wochen eingeschränkt.
Die Darlehensgewährung im Rahmen der Wohnungsfürsorge wird auf die Fälle beschränkt, in denen eine besondere Ausgestaltung der Wohnung wegen der Art der Beschädigung nötig ist. Ebenso wird die Beihilfenregelung unter dem Gesichtspunkt der sozialen Entschädigung enger gefaßt.
Meine Damen und Herren, es gibt in diesem Gesetz noch eine Fülle kleinerer und größerer Einsparungsmaßnahmen, die im Verlauf dieser Debatte noch erörtert werden, so z. B. im Agrarhaushalt der Abbau des Aufwertungsausgleichs, Änderungen bei einigen Kriegsfolgengesetzen, die Umstellung des Graduiertenförderungsgesetzes auf Darlehensbasis, einige Einschneidungen auch beim BAFÖG, die Verhinderung der Unterstützung eines Zweitstudiums - auch dies nur noch auf Darlehensbasis. Zu den meisten dieser Maßnahmen wird, wie gesagt, heute hier noch geredet werden.
Worauf es ankommt, ist die Tatsache, daß all diese zum Teil schmerzlichen, zum Teil notwendigen und zum Teil längst fälligen Kürzungen ein Jahr vor einer Bundestagwahl und nicht hinterher durchgeführt werden. Dies ist notwendig. Diese Offenheit der Koalition gegenüber den Bürgern unterscheidet uns - abgesehen von den äußeren Umständen - von dem, was Sie im Jahre 1965 gemacht haben.
({5})
Dabei hat Ihr damaliges Haushaltssicherungsgesetz nicht einmal das erreicht, was Sie damit erreichen wollten. Wir, die Sozialdemokraten, mußten trotzdem in die Regierung eintreten, um den Laden wieder flottzumachen.
({6})
Das ist diesmal anders, meine Damen und Herren. Sie möchten - jedenfalls steht das in einem Ihrer Anträge -, daß das Haushaltsstrukturgesetz in „Haushaltssicherungsgesetz" umbenannt wird. Dies werden wir nicht tun.
({7})
Es müssen Strukturen im Haushalt verändert werden, um Leistungen für die Bürger zu erhalten. Dies machen wir.
({8})
Aus diesem Grunde heißt das Ihnen vorliegende Gesetz auch Haushaltsstrukturgesetz.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz erfordert von vielen Bürgern in diesem Lande einschneidende Maßnahmen.
({9})
Wir glauben, das ist dennoch vertretbar, sofern diese Maßnahmen als notwendige Einschnitte angesehen werden, um das Staatsschiff außer Gefahr zu bringen. Wir sind den Einflüssen der Weltwirtschaft ausgesetzt. Wir müssen Maßnahmen durchführen, die schmerzlich sind, damit wir gemeinsam über die Runden kommen. Wir gehen davon aus, daß die Bürger dafür Verständnis haben.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist der schlechteste, der dem Parlament während meiner vierzehnjährigen Tätigkeit hier bisher vorgelegt worden ist.
({0})
Schon in der Begründung des Gesetzentwurfs steht - auch ein einmaliger Vorgang -, daß sich noch Ungereimtheiten in diesem Gesetz finden. Man hat sich bemüht, den Entwurf im Laufe der Beratungen etwas zu verbessern, aber ich darf sagen: im wesentlichen ist das Durcheinander ist diesem Gesetz geblieben. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses werden sich erinnern, wie zu manchen Artikeln des Gesetzentwurfs am Schluß keiner der federführenden Beamten mehr wußte, wo hinten und vorne ist, daß die Sache abgebrochen, über die Mittagspause geklärt und dann noch einmal aufgenommen werden mußte. Das ist eine Illustration dessen, was hier zusammengeschustert worden ist und was man der deutschen Bevölkerung vorlegen will.
({1})
Wenn es aber noch eines Beweises bedarf, dann sehen Sie sich bitte das an, was heute im Plenum passiert. Da wird jetzt noch einmal mit heißer Nadel in Art. 16 a und Art. 17 genäht und gesagt: Kommando kehrt; das kann so nicht durchgeführt werden, weil das Auswirkungen hätte, die zunächst nicht gesehen worden sind.
({2})
Ich finde, die Vorlage eines so gearteten Gesetzes ist ein Skandal.
({3})
Nun, wenn man die Artikel des Gesetzes durchzählt - es sind 44 -, dann wird die Opposition, abgesehen von dem neuesten Vorgang mit Art. 16 a und 17 - und jetzt möchte ich alle diejenigen bitten zuzuhören, die Tag um Tag von fehlenden Alternativen, vom Neinsagen und von Obstruktion sprechen -, 40 Artikeln ihre Zustimmung geben trotz der Kritik, die ich soeben vorgetragen habe.
({4})
Ich habe nicht die Illusion, daß das von den Propagandisten der Koalitionsfraktionen gewürdigt wird. Aber ich hoffe doch, daß der eine oder andere gedankenlose Nachbeter dieser Schlagworte zur Kenntnis nimmt, daß wir als Opposition selbst in einem solchen Fall, wo die Beratungszeit vom 15. Oktober bis 23. Oktober 1975 dauerte, konstruktiv mitarbeiten und mit einer Fülle von Anträgen unsere Änderungsvorschläge eingebracht haben.
({5})
- Ja, Herr Kollege Wehner, wir werden es Ihnen auch nicht ersparen, diesen Etikettenschwindel noch einmal anzuprangern. Der Redner Ihrer Fraktion, Herr Grobecker, hat eben selber in einem Atemzug erklärt, das sei ein Haushaltsstrukturgesetz, das der Verbesserung diene, andererseits erfordere es aber einschneidende Opfer von der Bevölkerung. Wir wollen, daß diese Opfer, diese Verschlechterung der Leistungen gegenüber der Bevölkerung auch in der Gesetzesüberschrift zum Ausdruck kommen.
({6})
Nun zum Bereich des öffentlichen Dienstes. Die wesentlichen Punkte des Gesetzes, und zwar in 16 Artikeln, beschäftigen sich mit diesem Bereich einschließlich der Bundeswehr. Hier ist es gelungen, dem Gesetz einige Giftzähne zu ziehen. Es ist immerhin erreicht worden, die Verlängerung der Dienstzeit bei den schwerbeschädigten Beamten zu streichen und eine Härteregelung für ausscheidende Berufssoldaten vorzusehen. Wir haben auch der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß das Reisekostenrecht - diese Bitte richtet sich jetzt an die Bundesregierung - so schnell wie möglich reformiert wird. Ich erwarte, daß es nicht nur bei der Zusage bleibt, sondern daß das dann auch realisiert wird.
Trotzdem sind auch in diesem Bereich die wesentlichen Punkte der Kritik, die Ungereimtheiten geblieben. Es ist in keiner Weise gelungen, die Ungleichbehandlung von Fachhochschulabsolventen im öffentlichen Dienst zu bereinigen. Deshalb haben wir zu diesem Komplex einen Antrag gestellt; der Kollege Miltner wird diesen Teil noch näher beleuchten.
Bis jetzt ist es, abgesehen von einer Zusicherung des Herrn Innenministers, auch nicht gelungen, eine Gewähr dafür zu bieten, die Ungleichbehandlung der Beamten und der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst zu verhindern. Auch dazu stellen wir einen konkreten Antrag. Wenn die Regierung es ernst meint mit ihrer Zusage, müßte sie - und müßten auch die Koalitionsfraktionen - diesem unseren Antrag, nämlich beides, die Regelbeförderung im öffentlichen Dienst und den Bewährungsaufstieg im Tarifrecht gemeinsam in Kraft treten zu lassen, eigentlich zustimmen.
Wir haben darüber hinaus einen weiteren Antrag gestellt, der zum Inhalt hat, daß die Regierung, wenn schon von der Bevölkerung Opfer verlangt werden, hier mit gutem Beispiel vorangeht. Sie könnte das tun, wenn sie unserem Antrag zustimmt, die Zahl der Staatsminister und Staatssekretäre auf den Stand von 1969 zu reduzieren, die angestiegene Zahl der politischen Leitungsbeamten und vor allem die Propagandamittel - deren Ausweitung gestern schon als Skandal bezeichnet worden ist - zu reduzieren.
({7})
Auch hieran wird die deutsche Öffentlichkeit ermessen können, wie ernst es der Regierung damit ist, nun wirklich wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, oder ob sie nur nach der Devise lebt, allen anderen Opfer aufzuerlegen, selber aber weiterhin kräftig aus dem Vollen zu wirtschaften.
({8})
Zu den sehr umstrittenen Fragen, inwieweit durch Nachschieben von Vorschriften Eingriffe in die Selbstverwaltungskörperschaften vorgenommen werden können - Art. 16 a und der geänderte Art. 17 habe ich schon Stellung genommen. Hier sind zwei Komplexe zu sehen. Einmal - das möchte ich betonen - sieht auch die CDU/CSU das dringende Anliegen, daß sich öffentliche Körperschaften und andere Einrichtungen bemühen, beim Personal, bei den Sachausgaben, bei der Durchrationalisierung in ähnlicher Weise sparsamer zu wirtschaften, wie wir es hoffen, bei den Verwaltungen von Bund, Ländern und Gemeinden erreichen zu können. Dieses Anliegen muß in irgendeiner Form realisiert werden. Wir wehren uns aber dagegen, daß unkontrolliert und im Augenblick nicht überschaubar in die Selbstverwaltungsrechte dieser Selbstverwaltungsträger eingegriffen wird. Das ist der Grund, warum wir sagen, daß wir uns nach alledem, was wir bei diesen Vorschriften an Hin und Her erlebt haben, im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht imstande sehen, zu diesen Fassungen, wie sie jetzt erneut geändert werden sollen, unsere Zustimmung zu geben.
({9})
Dann muß man sich etwas mehr Zeit nehmen, um eine sachgerechte Lösung zu finden.
Wir mußten leider auch feststellen, daß unsere Alternativvorschläge im Bereich der Bildung nicht akzeptiert worden sind. Unsere Sorge geht vor allem dahin, daß durch die Totalumstellung von bisheriger Zuschußförderung von jungen Wissenschaftlern auf Darlehen hier bei jungen, befähigten Wissenschaftlern eine Verschuldungssituation eintritt, weil ja nicht nur Schüler und Studenten, sondern auch die graduierten Wissenschaftler nur eine Darlehensförderung erhalten sollen, die einfach nicht mehr erträglich ist. Wir haben alternativ zur Diskussion gestellt, lieber einmal zu fragen, wie es eigentlich mit der Bedarfssituation des akademischen Nachwuchses aussieht und ob nicht von daher der gleiche finanzielle Effekt auf einem anderen Wege erreicht werden könnte, als daß man es hier zuläßt, daß sich junge Leute unter Umständen notgedrungen in einer Weise verschulden, an der sie später schwer zu tragen haben,
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Ich möchte das gern im Zusammenhang zu Ende führen.
Meine Damen und Herren, der zentrale Punkt ist für uns neben der Kriegsopferfrage und den Fragen der Landwirtschaft die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Hier hat sich der Herr Kollege Grobecker auf die Bemerkung beschränkt, bei unseren Arbeitnehmern bestehe ein Solidaritätsgefühl gegenüber den Arbeitslosen. Wenn Sie das Problem nur in dieser einzeln herausgegriffenen Detailsituation sehen, dann, so muß ich sagen, kann ich die Arbeitnehmer verstehen, die viele Jahre lang der SPD angehört haben und sich heut mit Abscheu von dieser Partei abwenden.
({0})
Man muß diese Dinge nämlich im Gesamtzusammenhang sehen. Wenn Sie zusammennehmen, daß wir hohe Preissteigerungsraten haben und daß wir verschiedene Belastungen, nicht nur die Steuerbelastung, die Sie auferlegen wollen, sondern jetzt auch Beitragserhöhungen in der Krankenkasse bei den Arbeitnehmern haben, dann heißt das, daß im nächsten Jahr bei den vorgesehenen Lohnerhöhungssätzen der Arbeitnehmer netto 3 % weniger als im Jahr zuvor in der Tasche haben wird. Das ist der Gesamtzusammenhang, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({1})
- Dagegen wehren wir uns, Herr Ehrenberg. Wir sind nicht bereit, diese unsoziale Politik mitzumachen.
({2})
Es gibt einen zweiten Grund, warum wir uns so leidenschaftlich gegen diesen bequemen Ausweg wehren. Wenn gestern gesagt worden ist, die Zunahme der Arbeitslosigkeit sei eben saisonbedingt, dann meine ich, daß das bloße Registrieren der Zunahme von Arbeitslosigkeit auch keine soziale Antwort ist.
({3})
Wir verlangen von der Regierung und von der Koalition, die die Verantwortung trägt, daß sie durchgreifende Maßnahmen zur Herabsetzung der Arbeitslosigkeit trifft. Hier ist aber Fehlanzeige. Unsere Alternativvorschläge auf steuerlichem Gebiet, um Arbeitsplätze zu schaffen, sind bisher abgelehnt worden.
({4})
Wir wenden uns also dagegen, daß man versucht, diese Dinge herunterzuspielen. Hier kommt ein soziales Problem auf unseren Staat zu, meine sehr verehrten Damen und Herren, dessen Tragweite leider Gottes mancher von Ihnen offenbar noch nicht erkennt. Das könnte zu sehr, sehr schwierigen
Auseinandersetzungen führen. Der soziale Friede, den wir seit 1969, seit 1949 gewohnt sind,
({5})
Das war ein schöner Versprecher!)
könnte ernsthaft gefährdet sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Bereich der Lastenausgleichs- und Kriegsfolgegesetzgebung ist es der CDU/CSU Gott sei Dank gelungen, die Fristen von zwei auf fünf Jahre zu verlängern.
({6})
- Das ist eine Tatsache. Wir freuen uns darüber.
Nicht so sieht es leider im Bereich des Krankenhausfinanzierungsgesetzes aus. Dazu stellen wir einen Änderungsantrag. In diesem Bereich zeigt sich besonders drastisch, wie die „Reformpolitik" dieser Koalition Schiffbruch erlitten hat. Aber dazu wird ein Kollege noch im einzelnen Stellung nehmen.
Wir sind auch der Meinung, daß im Bereich der Landwirtschaft die Dinge so nicht laufen können, wie sich die Regierung das vorstellt. Wir haben zu diesem Komplex einen Alternativantrag gestellt, und wir haben Deckungsvorschläge gemacht. Man kann unserer Landwirtschaft dieses Sonderopfer nicht zumuten. Wenn die Regierung schon davon ausgeht, daß wir spätestens 1978 einen Aufschwung erleben werden, dann kann man der Landwirtschaft jetzt für diese kommenden Jahre dieses Sonderopfer nicht auferlegen. Wir bedauern es außerordentlich, daß es uns nicht gelungen ist, die Koalition für unseren Verbesserungsvorschlag zu gewinnen. Das wird für uns auch ein Gradmesser dafür sein, ob wir diesem Gesetz insgesamt die Zustimmung geben können.
({7})
Ein weiteres, für uns fundamentales Problem liegt im Bereich der Kriegsopfer. Der Kollege Grobecker ist über diesen Komplex sehr rasch hinweggegangen. Wir haben uns bei unseren Änderungsvorschlägen auf ein Minimum beschränkt. Wir haben gesagt, wenigstens die 18 Millionen, die man den Hinterbliebenen von Schwerbeschädigten wegnehmen will, sollten anderweitig gedeckt werden. Die Koalition hat sich nicht bereitgefunden, diesen bedauernswerten Menschen wenigstens insoweit entgegenzukommen.
Ich darf für mich persönlich sagen, ich finde es besonders makaber, daß sich die Koalition weigert, den Kriegsopfern wenigstens in diesem einen Punkte entgegenzukommen, und im gleichen Atemzuge das Strafvollzugsgesetz passieren läßt, das mit einer Anfangssumme von 50 Millionen DM, sich steigernd bis 300 Millionen DM, einem anderen Personenkreis Gelder in dieser Größenordnung zuwendet, während man den Kriegsopfern die Einsparung von 18 Millionen DM auferlegt.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine ganz merkwürdige Sache hat sich dann noch im Bereich des Kindergeldgesetzes ergeben. Hier hat die Koalition im Haushaltsausschuß wie Ziethen aus dem Busch den Antrag gebracht, Länder und Gemeinden sollten ab 1977 und in den folgenden Jahren 1,5 Milliarden DM Kindergeldbelastung weiter tragen. Die Antragsbegründung fand ich in gewissen Passagen direkt zynisch. Da ist gesagt worden, man könne sich dann die nächsten Verhandlungen über den Steuerausgleich zwischen Bund und Ländern ersparen, weil hiermit den Ländern bereits 1,5 Milliarden DM im Jahr aufgelastet seien.
Wenn ein Verfassungsorgan mit einem anderen Verfassungsorgan in dieser Weise verfährt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn das Klima vergiftet und verschlechtert wird. Ich kann zugunsten der Koalition nur annehmen, daß das ein taktischer Schachzug sein soll, um Spielmaterial bei den Verhandlungen im Bundesrat zu haben. Dann würde ich aber sagen - so wie der Herr Finanzminister früher einmal gesagt hat, es sei wohl ein schlechter Witz, jetzt Steuererhöhungen zu wollen -: auch dies ist ein schlechter Witz, und bei einem schlechten Witz wollen wir nicht mitmachen.
({9})
Ich habe vorher gesagt, trotzdem die Art der Behandlung und auch die Form, wie manche Fragen gelöst worden sind, fast widerwärtig zu nennen sind,
({10})
haben wir uns dazu durchgerungen, bis zuletzt den Versuch zu machen, in konstruktiver Mitarbeit eine Sache, die wir nicht zu verantworten und zu vertreten haben, mitzutragen. Man muß sich immer wieder fragen, wie das bewertet würde, wenn wir das ablehnten. Es gäbe sehr gute Gründe, um das pauschal abzulehnen. Dann würde man uns als Neinsager hinstellen. Wenn wir uns so verhalten wie jetzt und uns trotz alledem bemühen, einen wesentlichen Teil passieren zu lassen, sagt man: Ihr seid in der Mitverantwortung. Um diese Rabulistik einmal ein bißchen zu durchstechen, möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen: Wir haben diesen Offenbarungseid, den Regierungs- und Koalitionsfraktionen hier vorgelegt haben, nicht zu vertreten. Das ist nicht unser Gesetz. Wenn die CDU/ CSU die Regierungsverantwortung von 1969 an behalten hätte, hätte es mit Sicherheit so etwas nicht gegeben.
({11})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie überhaupt noch die Verwegenheit finden, bei einer solchen Materie zu lachen.
({12})
Wenn Sie den Staatsbürgern in den Versammlungen draußen gegenübertreten, dann müßte Ihnen eigentlich das Lachen vergehen.
({13})
Dr. AIthammer
Hätte man auf die Warnungen der CDU/CSU gehört bzw. unsere Anträge angenommen, dann wäre es zu einer solchen Maßnahme nicht gekommen. Und wir wissen, daß diese Maßnahme nicht die letzte sein wird.
Wir haben als Entschließungsantrag auch den Antrag vorgelegt, daß das Gutachten des Bundesrechnungshofes von der Regierung sofort behandelt, daß dem Parlament eine Synopse mit den einzelnen Vorschlägen vorgelegt wird und daß die Regierung zu den Einsparungsvorschlägen des Bundesrechnungshofes Stellung nimmt, damit sich das deutsche Parlament bei Beginn der Haushaltsberatungen mit diesen Einsparungsvorschlägen beschäftigen kann. Ich muß sagen, es hat mich sehr gewundert, daß der Staatssekretär Haehser sofort - wie auch in anderen Fällen konstruktiver Einsparungsvorschläge - versucht hat, dieses fundierte Gutachten herunterzuspielen. Er hat - wozu eigentlich? - darauf hingewiesen, daß der Präsident des Bundesrechnungshofes hier in seiner Eigenschaft als Beauftragter für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung tätig gewesen sei. Mit solchen lapidaren Hinweisen versucht man, die Dinge herunterzuspielen, anstatt sich ernsthaft mit diesen Fragen zu beschäftigen.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden Ihnen nicht die Möglichkeit geben, so billig aus der Sache herauszukommen. Ich betone noch einmal, was die CDU/CSU immer gesagt hat: Bevor man unseren Staatsbürgern und gerade den sozial schwächsten Gruppen in unserem Lande solche Opfer auferlegen will und solche Zumutungen an sie heranträgt, müßte die Regierung das Letzte und Äußerste unternehmen, um bei sich selber mit Einsparungen anzusetzen.
({15})
Wenn sie das nicht tut, dann ist das für die deutsche Öffentlichkeit ein Signal dafür, wie sie die Wahrhaftigkeit und Ernsthaftigkeit dieser Regierung zu bewerten hat.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirst.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in dieser allgemeinen Beratung zur zweiten Lesung im wesentlichen auf einige grundsätzliche Feststellungen beschränken. Es wird später noch Gelegenheit sein, Einzelthemen in der Einzelberatung zu vertiefen.
Ich habe am 15. Oktober bei der ersten Lesung dieses Gesetzes für die FDP erklärt, daß die FDP zu diesem Programm, so wie es ist - das Gesetz ist ja nur ein Teil, wenn auch das Kernstück dieses Programms -, steht, insgesamt und in seinen Teilen. Wir dürfen, glaube ich, im Anschluß an diese Bemerkung von mir als Fazit der Beratungen feststellen - da sollten wir allen Beteiligten danken, daß sie dieses schnelle Tempo der Beratungen ermöglicht haben, auch den Kollegen der Opposition, die uns dabei geholfen haben, das Ziel zeitlich zu erreichen -, daß das Gesetz, im Kern unversehrt, die Stationen der parlamentarischen Beratungen bisher überstanden hat.
Dabei sind wir uns, glaube ich, einig, von welcher Fraktion auch immer - wir waren ja nicht nur mit den Ausschußberatungen beschäftigt -, daß wir alle in diesen Wochen und Monaten, seitdem dieses Gesetz im Gespräch ist, Versuchungen und Anfechtungen ausgesetzt waren. Und jeder von uns hat wohl schon angenehmere politische Aufgaben gehabt, als dieses Gesetz zu beraten, als dieses Programm gegenüber den Betroffenen, auch außerhalb dieses Hauses, zu vertreten. Die Richtschnur für unser Handeln konnte dabei aber nur das Ziel sein, die Ausgewogenheit, was die Belastung der Gruppen anlangt, nicht zu gefährden, denn entscheidende Konzessionen - es sind freilich einige Verschiebungen vorgenommen worden - in einer Richtung hätten unweigerlich eine Lawine ausgelöst, unter der am Ende das ganze Gesetz verschüttet worden wäre.
Meine Damen und Herren, die Hauptlast der Beratung hat bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses gelegen. Vielleicht sollten wir bei dieser Gelegenheit auch einmal der Öffentlichkeit gegenüber zum Ausdruck bringen, daß Haushaltspolitiker weder gefühlskalt noch herzlos sind, daß sie aber immer das Ganze im Auge haben müssen. Wir wissen, auch bei diesem Programm stehen hinter Zahlen und Paragraphen Menschen und ihre Schicksale. Insgesamt steht hinter diesem Programm und diesem Gesetz aber weitgehend das finanzielle Schicksal unseres Haushalts. Wer heute nicht den Mut und die Kraft für dieses Programm hat, könnte morgen nur noch vor den dann auftretenden Schwierigkeiten bedingungslos kapitulieren. Wir als Regierung und als Koalition haben jedenfalls den Mut und diese Kraft.
({0})
- Herr Stücklen, die Ziele dieses Programms ergeben sich aus der mittelfristigen Planung, die ja gestern mit Gegenstand der Beratung war. Die Ziele sind klar abgesteckt. Es geht um eine Reduktion der Nettokreditaufnahme. Es ist einer der vielen Widersprüche der Opposition, die hier gestern deutlich geworden sind, daß die Opposition auf der einen Seite die Problematik der Größenordnung der Schuldenaufnahme besonders betont. Das hat der Kollege Leicht getan. Gestern abend hat es auch noch der Kollege Sprung getan, wobei all das, was er gesagt hat - soweit es Tatsachen waren -, ja nichts Neues war. Die Regierung hat dies alles in ihrer Antwort in Drucksache 7/4225 auf eine Anfrage offengelegt. Diese Antwort ist sicher für alle Mitglieder des Hauses interessant. Nachdem man sich bei der Haushaltsreform in der Veranschlagung nun einmal für das Nettoprinzip entschieden hat, ist es vielleicht nötig, in diesem Falle auch einmal - zumindest gedanklich - das Bruttoprinzip anzuwenden.
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Dies findet man natürlich auch in der Finanzierungsübersicht des Haushaltsplanes, wo ja von der Bruttokreditaufnahme ausgegangen wird.
Das Widersprüchliche im Verhalten der Opposition liegt darin, daß sie einerseits zu Recht die Problematik der Schuldenaufnahme aufzeigt, sich andererseits aber den notwendigen einschneidenden Maßnahmen versagt. Wer noch Zweifel an der Notwendigkeit des Gesamtkomplexes einschließlich der noch kommenden Steuererhöhungen hat, findet doch gerade in dieser Darstellung eine Bestätigung der Notwendigkeit und der Unausweichlichkeit der vorgesehenen Maßnahmen. Um so fragwürdiger muß die Ablehnung entscheidender Punkte dieses Programms durch die Opposition wirken. Hier hilft eben nicht die oppositionelle Klagemauer, sondern nur ein entschlossenes Handeln.
Die Schlußfolgerung aus dieser Situation, die wir deutlich erkennen, kann doch nur sein, daß die Verbesserung der Haushaltsstruktur keine Eintagsfliege sein darf, sondern eine langfristige Aufgabe sein muß. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal an das erinnern, was der Herr Finanzminister vorgestern bei der Einbringung des Haushalts gesagt hat. Ich habe ihn - verkürzt zusammengefaßt -, was neue Aufgaben anlangt, so verstanden, daß er die Möglichkeit für neue Ausgaben nur dann sieht, wenn vorher oder gleichzeitig an anderer Stelle Einsparungen vorgenommen werden. Und ich sage Ihnen, verehrter Kollege Finanzminister: Bleiben Sie hart!
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Meine Damen und Herren, ein Wort noch zur Schuldenproblematik. Herr Sprung, Sie dürfen dabei natürlich eines nicht übersehen: daß die Gelder, die - sicherlich in einem für uns unangenehm hohen Ausmaß - in den kommenden Jahren zu tilgen sind, ja nicht in den Reißwolf geraten oder auf den Mond geschossen werden, sondern als Rückflüsse für ,die Anleger am Kapitalmarkt wieder zur Verfügung stehen, ohne daß wir allerdings die Garantie hätten, daß sie sie dann wieder uns zur Verfügung stellen wollen. Insgesamt muß man also sehen, daß jede Mark Tilgung unsererseits in den kommenden Jahren die Möglichkeiten des Kapitalmarktes wieder um ,die gleiche Summe erhöht. Das sollten wir bei aller Schwierigkeit, die wir auch sehen, dabei nicht außer acht lassen.
Es ist hier gestern viel um die Schuld an der Situation und um die Wertung der Vergangenheit gestritten worden. Ich meine, Schuld- und Vergangenheitsbewältigung darf die nüchterne Analyse der Lage, von ,der wir auszugehen haben, nicht vernebeln. Es geht ja im Augenblick nicht um die sogenannte Generalabrechnung, sondern um klaren Kopf und kühle Überlegungen. Dies ist das Gebot der Stunde.
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Ein Wort noch zu dem großen Generalabrechner: Er hat hier gestern - und ich sage das, ohne irgendwelche Amtsführungen in Zweifel zu ziehen - ungestraft, wenn nicht sogar unbeanstandet die
Politik dieser Regierung eine „Lügenpolitik" genannt. Nun, manche von uns haben gestern abend zur Entspannung sicher im Fernsehen bei sechs oder acht verschiedenen Fußballspielen verfolgen können, wie groß die Bandbreite für Regelauslegungen ist. Lassen Sie mich, um diesen sportlichen Vergleich fortzuführen, zu dieser Behauptung des Kollegen Strauß sagen: Er erwartet immer - und er ist ja sehr empfindlich -, daß man ihm, um ein Beispiel aus einem anderen Bereich des Sports zu nehmen, zumindest nach den Regeln des griechisch-römischen Ringens begegnet, während er für sich selbst in Anspruch nimmt, hier als politischer Catcher auftreten zu dürfen.
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Aber auch wenn alle 234 Abgeordneten der Opposition - so viele sind es wohl mit den Berlinern - einzeln zu diesem Pult hier marschieren und die gleiche Litanei herunterbeten würden, die wir gestern von einem großen Teil der Oppositionsredner erlebt haben: Die Tatsachen werden Sie durch noch so viel Polemik und Demagogie hier und 'draußen im Lande nicht ändern, die Tatsache nämlich, daß die Gründe für dieses Gesetz und das gesamte Programm eben erstens in den finanziellen Folgen der Steuerreform liegen und zweitens in den Folgen der Konjunktur; ich erinnere noch einmal an den Rückgang der Steuerschätzungen allein für den Bund um 17 Milliarden DM vom Juni 1974 bis zum August 1975 und an die damit verbundenen hohen Zuwendungen an die Bundesanstalt in Nürnberg.
Aber, meine Damen und Herren, wer das Echo der gestrigen Debatte in den Massenmedien verfolgt hat, der wird wohl Verständnis für das haben, was ich sage: Die fruchtlosen Debatten über die Schuld sollten endlich mit dem Bekenntnis aller politischen Kräfte zu ihrer gemeinsamen Verantwortung abgeschlossen werden.
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Meine Damen und Herren, nur wer gegen die Steuerreform gestimmt hätte und wer gegen die Stabilitätspolitik gewesen wäre, könnte sich insoweit freisprechen. Wir bekennen uns sowohl zur Steuerreform als auch zur Stabilitätspolitik.
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Die Opposition bleibt auch am Ende der Beratung dieses Gesetzes hier in diesem Hause zunächst - wir haben ja noch Vermittlungsverfahren zu erwarten - ohne Alternative, und den Vorwurf der Alternativlosigkeit wird sie sich gefallen lassen müssen, bis sie ihre vielen Worte endlich durch echte Taten ersetzt, Herr Althammer.
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Die Vorschläge des Rechnungshofs oder des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung werden wir prüfen; aber sie sind doch kein Alibi für die Einfalls- und Mutlosigkeit der Opposition.
Hier ist gestern abend von den 37 Milliarden DM - soviel war es wohl -, die, nach welcher Methode
auch immer, der Kollege Wohlrabe errechnet hat, die Rede gewesen. Ich kann mich, Herr Leicht, aus sechs Jahren nur an zwei Arten von Kürzungsanträgen der Opposition, die wirklich finanzielles Gewicht hatten, erinnern - daß Sie damals 5 Millionen DM für die Öffentlichkeitsarbeit und noch 3 Millionen DM für irgend etwas anderes weniger haben wollten, sei Ihnen unbenommen -: Das waren globale Minderausgaben, wo also auch der Mut zur Spezifizierung fehlte, und das waren Kürzungen bei sogenannten Schätzansätzen, wo die Kürzung auf den tasächlichen Ausgabebetrag nach Lage der Gesetze, die zu ändern Sie nicht vorgeschlagen haben, überhaupt keinen Einfluß gehabt hätte. Dagegen erinnern wir uns alle an die unendlich lange Liste der ausgabewirksamen Gesetze, die die Opposition im Laufe der sechs Jahre hier vorgelegt hat.
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- Jetzt zurückgezogen. Aber viele, viele Milliarden haben Sie in den letzten sechs Jahren hier zusätzlich auszugeben beantragt. Seien Sie froh, daß Sie nicht die Mehrheit hatten, dies alles zu beschließen, was Sie sich vorgenommen hatten.
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Herr Abgeordneter gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Aber bitte!
Wollen Sie zugeben, Herr Kollege Kirst, daß Sie sich selber zu globalen Minderausgaben entschieden haben und daß der jetzige Finanzplan sogar hohe Summen von globalen Minderausgaben vorsieht? Wo bleibt hier die Spezifikation? Und Sie haben den Apparat dazu.
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Herr Leicht, ich habe ja gar nicht bestritten, daß das Thema „globale Minderausgabe" seit vielen Jahren ein Streitgespräch ist, und ich räume ein, daß die Debatte darüber zum Teil auch mit veränderten Ausgangspositionen geführt worden ist, manchmal vernünftigerweise, weil eben auch die Situation eine andere war. Selbstverständlich hat auch die Regierung von dem Instrument der globalen Minderausgabe Gebrauch gemacht, auch jetzt im Haushalt 1976: 800 Millionen DM.
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Das sind 10 % des Sparvolumens, das durch dieses Gesetz für 1976 bewirkt wird, während Sie sich in den vergangenen Jahren - darauf kommt es an - nicht zu einem einzigen wirklichen, konkreten, entscheidenden Kürzungsantrag durchgerungen haben, sondern mangels politischen Mutes immer die Ausflucht in die Unverbindlichkeit der globalen Minderausgabe gewählt haben. Das ist der entscheidende Unterschied.
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Meine Damen und Herren, ich will noch, ohne den weiteren Beratungen vorzugreifen, drei Bemerkungen zu einzelnen Punkten machen.
Die Freie Demokratische' Partei und ihre Fraktion ist von der ersten Phase dieser Beratungen an von der absoluten Gleichbehandlung im Bereich des öffentlichen Dienstes zwischen Tarif- und Besoldungssektor ausgegangen. Dies ist und bleibt auch die Geschäftsgrundlage für unsere heutige Zustimmung zu den einschlägigen Artikeln dieses Gesetzes. Das sei hier noch einmal ganz deutlich gesagt.
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- Dazu, Herr Althammer, brauchen wir Ihren Antrag nicht,
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weil er nicht hilfreich ist. Er ist insofern nicht hilfreich, als dem für die Verhandlungen Verantwortlichen ein mit bedingter Wirkung beschlossenes Gesetz nichts nützt. Der Mann, der für uns diese Verhandlungen führt, unser Innenminister, kann sie um so besser und erfolgreicher führen, wenn er sich auf ein ohne jeden Vorbehalt von diesem Parlament bereits beschlossenes Gesetz stützen kann. Das ist das Entscheidende. Wir haben gar keinen Zweifel daran, daß das gesteckte Ziel erreicht wird. Daß eine andere Synchronisation aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist, wird jeder einsehen, der von der Materie etwas versteht.
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- Wir werden ja sehen, Herr Leicht, wie weit wir dann sind. Wir werden ja noch das Vermittlungsverfahren haben. Ich gehe davon aus, daß wir dann gemeinsam feststellen, daß Ihr Antrag so überflüssig war, wie ich ihn jetzt eben bezeichnet habe.
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- Sicher, wir reden ja hoffentlich noch lange gemeinsam über diese Dinge, Herr Leicht.
Nun zu dem Arbeitslosenversicherungsbeitrag. Ich habe hier wiederholt deutlich gemacht, aus welchen meiner Ansicht nach zwingenden Gründen
- wann immer Einnahmeverbesserungen in der gegenwärtigen Situation beschlossen werden müssen - dies logischerweise der erste Schritt sein müsse. Denn es kann kein Zweifel bestehen, Herr Althammer, daß wir auch nach Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags im nächsten Jahr nach den derzeit zur Verfügung stehenden Daten rund 6 Milliarden DM Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit zahlen müssen. Es ist ja nicht so, daß das Risiko der verschlechterten Beschäftigungssituation voll abgedeckt werden könnte. Das geht gar
nicht. Wir können den Beitrag nicht auf 41/2 % erhöhen. Das würde sich dann rechnerisch ergeben. Im vorgesehenen Ausmaß ist das auf Zeit, wie wir alle wissen, aber erforderlich. Man muß nur noch einmal die Frage stellen, weshalb der Normalbeitrag, der seinerzeit ja herabgesetzt worden war, nicht bereits früher wieder heraufgesetzt wurde. Dann hätte sich die Situation der Anstalt nämlich nicht so schwierig gestaltet, wie es heute der Fall ist.
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Ihre Ablehnung kann das Defizit der Nürnberger Anstalt um keinen Pfennig verringern. Hier ist nun doch wirklich der Punkt, wo ganz hautnah die Frage der Alternative gestellt ist. Für die 3,8 Milliarden DM, die diese Erhöhung für den Bundeshaushalt allein 1976 bedeutet, haben Sie hier nicht einen Pfennig als Alternative angeboten. Ihre Vorschläge hätten demnach zur Folge, daß die Kreditaufnahme, über die Sie gestern ja zu Recht Ihre Sorgen geäußert haben, nicht auf 38 Milliarden DM angesetzt, sondern auf 42 Milliarden DM erhöht werden müßte. Das wäre doch die Konsequenz, wenn wir Ihnen folgten.
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Beim Kindergeld schließlich geht es uns, Herr Althammer, in erster Linie darum, eine sinnlose Verwaltungsverlagerung mit neuen Kosten zu vermeiden.
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Wir wissen doch, was es kosten würde, wenn wir die Übergangsregelung nicht zu einer Dauerregelung machten. Wir sind froh, daß heute die Vernunft dazu überall vorhanden zu sein scheint. Scheint! Denn Sie sind plötzlich offenbar dagegen.
Wir alle wissen, daß die geltenden Mehrwertsteuervereinbarungen bis Ende 1976 in Kraft sind. Und wie immer was beschlossen wird - für 1977 und die folgenden Jahre muß neu verhandelt werden. Insofern ist der Vorwurf, den der Kollege Althammer hier erhebt, nicht berechtigt.
Nun ist es natürlich eine Milchmädchenrechnung, Herr Althammer - wie alles bei Ihnen -, zu sagen: Wir sind eine so konstruktive Opposition, daß wir von 44 Artikeln - dabei zählen Sie das Inkrafttreten und die Berlin-Klausel gleich mit - 40 Artikeln, also über 90 %, zustimmen. Nur, Herr Althammer, Sie wissen auch: Artikel ist in diesem Artikelgesetz nicht gleich Artikel in der finanziellen Gewichtigkeit, wenn auch in der Bedeutung für die Betroffenen; insofern will ich von dem, was ich eingangs sagte, nichts zurücknehmen. Aber zu sagen: 90% der Artikel stimmen wir zu, dabei jedoch allen finanziell entscheidenden Dingen nicht oder nicht in der vorgesehenen Form zuzustimmen, ist nicht ganz aufrichtig. Das muß man hier deutlich sagen. Wir sind trotzdem zufrieden darüber, daß jedenfalls in den anderen Artikeln Übereinstimmung besteht. Wir werden Sie nicht, wie es der Kollege Strauß gestern andeutete, an dieser Zustimmung „aufhängen" .
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- Nein, das ist ein friedlicher Mensch; der hängt keinen auf.
Nur, Herr Stücklen, wogegen wir uns wehren, das ist eine gewisse Taktik, die Taktik nämlich, daß Sie sagen: Wir wollen einmal abwarten, ob es gut geht - ich denke jetzt auch an die Investitionszulage -; geht es gut, dann haben wir zugestimmt, geht es nicht gut, dann können wir immer sagen: wir waren ja eigentlich dagegen. So kann man sich aus den Dingen auch nicht herausmogeln.
Schließlich, meine sehr geehrten Damen und Herren: Sie haben den Antrag vorgelegt, das Gesetz umzutaufen - um es einmal etwas theatralisch auszudrücken. Aber, Herr Althammer, es geht nicht um Haushaltssicherung.
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Haushaltssicherung wäre ein Eingriff in den laufenden Haushalt. Das geschieht mit diesem Gesetz nicht. Damit wir nicht in laufende Haushalte eingreifen müssen, machen wir eben das Gesetz rechtzeitig, damit es ab 1976 wirken kann. Ich glaube, dieser Streit ist ein etwas kindisches Ablenkungsmanöver. Denn es geht hier nicht um Etiketten,
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sondern es geht um, wenn auch schmerzliche, so doch verantwortliche Finanzpolitik. Dazu sind wir durch unsere Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetz bereit.
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Meine Damen und Herren, ich schließe damit die allgemeine Aussprache. Wir kommen jetzt zur Beratung der Anträge und zur Einzelabstimmung.
Ich rufe Art. 1 auf. Dazu liegt kein Änderungsantrag vor. Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Art. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/4257 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Miltner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beratungen dieses Haushaltssicherungsgesetzes im Innenausschuß haben ergeben, daß die Bestimmungen, die den öffentlichen Dienst betreffen, als unausgewogen und unausgereift bezeichnet werden müssen. Bei dem von meiner Fraktion beantragten Hearing wurde der Regierungsentwurf von den Vertretern der Gewerkschaften und Verbände so sachkundig im einzelnen verworfen, daß Regierung und Koalition in aller Eile Teile des Entwurfs aufgeben mußten.
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Sie haben diese Teile dann durch einen Vorschlag
des Christlichen Gewerkschaftsbundes - auch auf
unseren Antrag hin - ersetzt. Dadurch konnten
einige grobe Ungerechtigkeiten des Regierungsentwurfs ganz oder teilweise vermieden werden. So hätte z. B. der Regierungsentwurf dazu geführt, daß die Inspektoren in der Zollverwaltung elf Jahre auf die Beförderung zum Oberinspektor hätten warten müssen.
Bei der Würdigung der von der Bundesregierung vorgesehenen Kürzungen ist meine Fraktion grundsätzlich davon ausgegangen, daß sie das Gesamtvolumen der Kürzungswünsche der Regierung hinnimmt und sich im einzelnen auf wenige Anträge beschränkt, die etnweder kostenneutral sind oder sogar zusätzlich zu Einsparungen führen.
Dennoch sind, bevor ich auf die Anträge im einzelnen zu sprechen komme, einige grundsätzliche Feststellungen nötig. Erstens. Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Wege, um den überproportional gewachsenen öffentlichen Personalkosten entgegenzuwirken: auf der einen Seite den Weg des Eingriffs in bestehende Arbeitseinkommen der Beschäftigten. Ich stelle fest, daß dieser Weg offenbar der Weg der sich „sozialliberal" nennenden Koalition ist, aber nicht der Weg der Union.
Wir tolerieren ihn für dieses Mal mit einigen Änderungs- und Ergänzungsforderungen im einzelnen als die kurzfristige, finanzielle Notmaßnahme einer Regierung, der die Schulden bis zum Halse stehen. Wir weisen aber mit allem Nachdruck darauf hin, daß dieser Weg trotz schmerzlicher Eingriffe im einzelnen im finanziellen Gesamtergebnis nicht sehr weit führt und führen kann.
An den Arbeitseinkommen im öffentlichen Dienst kann nicht mehr viel gespart werden, weil sie sich - das weisen eingehende statistische Unterlagen aus - insgesamt nicht überdurchschnittlich im Verhältnis zu den Arbeitseinkommen in der privaten Wirtschaft entwickelt haben.
Um insgesamt die öffentlichen Personalkosten in finanzierbare Größenordnungen zurückzubringen, kommt nur der andere Weg in Betracht: der Weg zunächst eines Stopps und dann einer energischen Straffung der öffentlichen Aufgaben und des Personalbestands.
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Der Herr Präsident des Bundesrechnungshofes hat dazu für den direkten Bundesbereich Vorschläge gemacht, die das größte Interesse meiner Fraktion finden.
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Aber auch für die Länder und Gemeinden trägt der Bund hier Verantwortung insofern mit, als sich Gesetze und Verordnungen des Bundes in die Verwaltungen der Länder und Gemeinden hinein auswirken.
Zweitens. Die Kürzungsvorschläge dürfen nicht emotional als Beseitigung von Privilegien - wie das im sogenannten Börner-Papier geschehen ist - bezeichnet werden. Wenn man von „Wildwuchs" spricht, darf man sich nicht wundern, wenn damit der öffentliche Dienst in der Öffentlichkeit zum Prügelknaben der Nation gemacht wird.
Die Kürzungsvorschläge sind ehrlicherweise finanzielle Notmaßnahmen im Rahmen eines Haushaltssicherungsgesetzes, das nur eines der Eingeständnisse einer verfehlten Finanz- und Haushaltspolitik darstellt.
Drittens. Bei der Beratung wurde auch deutlich, daß die Bundesregierung die Chance versäumt hat, zusammen mit den Angehörigen des öffentlichen Dienstes und mit den Vertretern der Gewerkschaften und Verbände zuvor in ausreichendem Maße Lösungsvorschläge zu besprechen und darauf aufbauend selbst einen gründlich erarbeiteten Entwurf vorzulegen. Die Bundesregierung hat sich von einer sachlich ungerechtfertigten Hektik leiten lassen. Die Folge dieser Umstände ist, daß mit diesem Gesetz das Vertrauen des öffentlichen Dienstes in den Dienstherrn und vor allem in die Kontinuität staatlicher Personalentscheidungen erheblich erschüttert worden ist. Auf diesem Wege darf in der Zukunft nicht fortgefahren werden.
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Im einzelnen stellen wir an das Gesetz folgende Mindestanforderungen. Mit unserem Antrag auf Drucksache 7/4257 zu Art. 2 verfolgen wir das Ziel, daß die Fachhochschulabsolventen im technischen und nichttechnischen Bereich entgegen der Gesetzesvorlage weiterhin so gleichgestellt bleiben, wie das im Dezember vergangenen Jahres im 2. BesVNG beschlossen worden ist, heute allerdings verbunden mit einer kostenneutralen Regelung.
Unser Antrag legt fest, daß die Gleichstellung aller Fachhochschulabsolventen mit dem Eingangsamt A 10 wenigstens dann in Kraft treten kann, wenn durch Umwandlung von Planstellen für Beamte des gehobenen Dienstes in solche für Beamte des mittleren Dienstes oder durch Umwandlung von Planstellen für Beamte des höheren Dienstes in solche für Beamte des gehobenen Dienstes eine Aufgabenabschichtung stattgefunden hat und damit Mehrkosten vermieden werden.
Wir befinden uns hier deshalb an einem so neuralgischen Punkt, weil die Bundesregierung das notwendige Gesamtkonzept schon seit Jahren in einfach unverantwortlicher Weise verschleppt hat. Die Frage steht doch seit 1970 im Raum, als alle Länder ihre Fachhochschulgesetze erlassen und mit der Einrichtung von Fachhochschulen begonnen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der gehobene Dienst hat mit berechtigten Erwartungen auf die baldige Verabschiedung der seit längerer Zeit vorliegenden Fachhochschulgesetze geblickt. Wir alle wissen, daß die Koalition die Verabschiedung dieser Gesetze vor der Sommerpause verhindert hat. Schon diese Verzögerung - heute sehen die Betroffenen darin sogar eine Blockierung der Einführung der Fachhochschulen - brachte eine große Verbitterung. Nun kommt neu hinzu, daß die erst vor einem Jahr im Dezember 1974 beschlossene Gleichstellung der Fachhochschulabsolventen wieder rückgängig gemacht werden soll. Was sollen eigentlich die in Fachhochschulen ausgebildeten
Sozialarbeiter denken, die in denselben Fachhochschulen ihre Ausbildung erfahren, ebenso sechs Semester studieren, aber schlechter als ihre Kollegen, die Ingenieure, bezahlt werden? Was soll überhaupt der öffentliche Dienest davon halten, wenn der Bund in diesem Falle mit seiner Besoldungnskonzeption eine solche Labilität von einem auf den anderen Tag zeigt? Was heute richtig ist, wird morgen wieder verworfen.
Die Regierungsvertreter haben selbst noch am 22. Oktober dieses Jahres im Innenausschuß erklärt, daß die Fachochschulausbildung zügig weiterbetrieben werden solle, allerdings der Grundsatz der Kostenneutralität beachtet werden müsse. Einen kostenneutralen Vorschlag zur Verwirklichung der Fachhochschulausbildung hat die Regierung dem Innenausschuß bis Ende Oktober zugesagt. Genau in die gleiche Richtung geht aber der Antrag der CDU/CSU. Es wäre also für alle Betroffenen nicht nur unverständlich, sondern eine bittere Enttäuschung, würde dieser kostenneutrale Vorschlag der CDU/CSU von der Regierungskoalition heute abgelehnt werden, denn eine Begründung der Gesetzesvorlage läßt sich aus der gegenwärtigen Finanzkrise insoweit nicht mehr herleiten, als durch eine sachgerechte Aufgabenabschichtung Mehrkosten vermieden werden.
Meine Damen und Herren, der Änderungsantrag zu Art. 44 - Drucksache 7/4264 - betrifft das Inkrafttreten von Art. 1. Er zielt auf den Gleichlauf zwischen der besoldungsrechtlichen Beseitigung der Bewährungsbeförderung und des Bewährungsaufstiegs und vergleichbarer Fälle im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes. Die Bundesregierung hat zwar diesen Gleichlauf angekündigt, doch kann bisher nicht übersehen werden, ob sie und wieweit sie überhaupt in der Lage ist, dies im Tarifbereich durchzusetzen. Es ist schon merkwürdig genug, wenn Tarifverträge im Oktober dieses Jahres unterzeichnet werden und gleichzeitig wieder korrigiert werden sollen oder wenn ein anderer Tarifvertrag, der im Januar/Februar verhandelt wurde, noch nicht einmal unterschrieben ist, aber wieder korrigiert werden soll. Man sieht in diesem Vorgang die ganze Hilfs- und Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung. Sie lebt bei ihren Entscheidungen von der Hand in den Mund. Auch die bekanntgewordenen Gespräche mit den Tarifparteien dieser Tage lassen erkennen, daß es die Regierung absolut nicht in der Hand hat, ob sie den Gleichlauf zum 1. Januar 1976 überhaupt erreichen wird.
Mit unserem Antrag wollen wir deshalb den von der Bundesregierung selbst zugesagten Gleichlauf im Gesetz verankern. Wenn diesem Antrag nicht zugestimmt wird, bestätigen Sie unsere Zweifel an der Ankündigung der Bundesregierung. Aus diesem Grunde beantragen wir, daß die im Ausschuß gefundene Lösung für die Bewährungsbeförderung erst zu einem Zeitpunkt durch ein besonderes Gesetz in Kraft gesetzt wird, wenn der Gleichlauf im Tarifbereich vereinbart ist.
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Die Beratung eines dritten Änderungsantrages heute hat sich dadurch erübrigt, daß der Innenausschuß jetzt endlich unserem schon mehrfach wiederholten Vorschlag zugestimmt hat, die Auszahlung des Kindergeldes im öffentlichen Dienst beim Dienstherrn zu belassen. Damit werden allein 2 000 Dienstposten und damit 70 Millionen DM jährlich bei der Arbeitsverwaltung eingespart.
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Wenn die Bundesregierung und die Koalition allerdings glauben, mit einer solchen Regelung auf kaltem Wege die Länder und Gemeinden mit 1,5 Milliarden DM an auszuzahlenden Kindergeldbeträgen belasten zu können, müssen wir einem solchen Trick unsere Zustimmung versagen.
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Nun zu unserem Entschließungsantrag auf Drucksache 7/4266, den ich schon jetzt in der zweiten Lesung gleichzeitig mitbegründen möchte. Wenn eine Bundesregierung Einsparungen im öffentlichen Dienst verlangt, sollte sie in ihrem unmittelbaren Bereich mit gutem Beispiel vorangehen, also bei sich selber anfangen. Und wenn bei den mittleren und unteren Einkommensschichten des öffentlichen Dienstes gespart werden muß, erwartet nicht nur der Betroffene, sondern erwarten die Bürger unseres Landes, daß der Regierungsapparat davon nicht verschont wird. Die von uns gemachten Kürzungsvorschläge bieten sich geradezu an, weil sie beispielhaft sind für die Bekämpfung der unnötigen Aufblähung des Regierungsapparates der sozialliberalen Regierung.
Die Bundesregierung wird durch unseren Entschließungsantrag aufgefordert, in ihrem engsten politischen Bereich Einschränkungen vorzunehmen. Sie soll die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre und Staatsminister von heute 20 auf 7 zurückführen, also auf die Zahl, die im Jahre 1969 zu verzeichnen war.
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Sie soll weiter die Stellenzahl in den politischen Leitungsbüros in den Bundesministerien und im Presse- und Informationsamt von heute 1 270 auf 1 058, den Stand von 1969, reduzieren. Weiter soll sie die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit von heute 144 Millionen DM auf den Stand von 1969 mit 100 Millionen DM zurückführen. Alle drei Maßnahmen zusammen ergeben ohne Berücksichtigung der für 1976 gewünschten Erhöhungen eine Einsparung von 56 Millionen DM jährlich.
Im Haushaltsausschuß ist dieser Antrag von den Koalitionsfraktionen mit der Begründung abgelehnt worden, es handle sich hier um Fragen, die nicht im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes, sondern im Rahmen der Haushaltsberatungen behandelt werden müßten. Was machen wir denn heute eigentlich anderes, als mit dem Haushaltssicherungsgesetz Auswirkungen auf die künftigen Haushalte zu beschließen? Nichts anderes soll auch dieser Antrag bewirken. Das Parlament würde seine
Kontrollfunktion vernachlässigen, würde es in dieser Stunde der Finanzkrise solche möglichen und von ihm auch erwarteten Vorschläge ablehnen.
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Im Zusammenhang mit diesem Haushaltssicherungsgesetz ist oft, insbesondere von SPD-Seite, von Privilegien der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gesprochen worden, die beseitigt werden müßten. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, daß die Kürzungen nur als finanzielle Notmaßnahmen verstanden und vertreten werden können. Ich sehe in diesem Zusammenhang nur ein einziges unberechtigtes Privileg, das die Regierung für sich in Anspruch nimmt, wenn sie ihre eigene unverantwortliche und verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik von den Bürgern bezahlen läßt und anschließend noch erhöhte Steuermittel beansprucht, um diese Politik als Erfolg verkaufen zu können.
({9}) Dieses Privileg wollen wir ihr beschneiden.
Die CDU/CSU bittet das Parlament um Zustimmung zu den beiden Änderungsanträgen und zu dem von mir genannten Entschließungsantrag.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker.
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Herr Kollege Stücklen, wir werden am Schluß sehen, ob das ein Seiltanz wird.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zu den drei von Herrn Dr. Miltner begründeten Anträgen etwas sagen. Ich möchte mit dem Entschließungsantrag beginnen, einfach schon deswegen, weil er, wie ich meine, mindestens sachliche Unrichtigkeiten aufkommen lassen kann. Sie wissen doch ganz genau, daß die Zahl der Ministerien drastisch gekürzt worden ist, als die sozialliberale Koalition 1969 die Regierung in Bonn übernahm.
({0})
Nun stellen Sie einen Antrag, und mit ihm wollen Sie als Opposition gleich die Hälfte der Regierung abschaffen. Das könnte Ihnen so passen!
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Sie können im Ernst nicht annehmen, daß wir diesem Ihren Entschließungsantrag zustimmen.
({2})
Lassen Sie mich auf einige Bemerkungen eingehen, die Herr Dr. Miltner gemacht hat, indem er den Regierungsentwurf als unausgewogen und unausgereift bezeichnet hat. Ich meine, wir konnten in der einen oder anderen Frage feststellen, daß wir ihn noch ausgewogener machen konnten. So könnte
ich mit Ihnen übereinstimmen. Aber daß Sie nun auch noch behaupten, wir hätten einen Antrag des Christlichen Gewerkschaftsbundes auf unser Papier geschrieben, das geht etwas zu weit; denn seit mehr als 15 Jahre fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund einen einheitlichen Verheiratetenzuschlag. Den haben wir bei dieser Gesetzesoperation nun mit verwirklichen können.
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Ich bin erfreut darüber, daß Sie wenigstens das Gesamtvolumen, das wir im öffentlichen Dienst angesprochen haben, als gerechten Sparanteil hinnehmen. Dazu will ich gleich noch ein paar weitere Bemerkungen machen. Wenn Sie nun aber auch noch sagen, das Vertrauen der im öffentlichen Dienst Beschäftigten in ihren Dienstherrn sei erschüttert, muß ich dem ganz energisch widersprechen, und ich will Ihnen das auch gleich beweisen. Sie können die jetzt im öffentlichen Dienst getroffenen Sparmaßnahmen nämlich einfach nicht losgelöst von der Entwicklung seit 1969 sehen. Wir haben auf Initiative der Koalitionsfraktionen im Februar 1969 ein Gutachten zur Frage des Besoldungsrückstands in Auftrag gegeben. Wir haben eine Studienkommission unabhängiger Fachleute berufen, die Vorschläge für eine zeitgemäße Weiterentwicklung eines modernen öffentlichen Dienstes unterbreitet hat. Wir haben einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes gefordert, und wir haben einen Gesetzentwurf über die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen im öffentlichen Dienst erbeten.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen über die Einkommensverhältnisse in Wirtschaft und Verwaltung sowie schließlich nach Auswertung des Gutachtens über einen etwaigen Besoldungsrückstand wurden nach 1970 folgende Besoldungserhöhungen im öffentlichen Dienst vorgenommen: 1. Januar 1970 8 %, 1. Januar 1971 7 % plus 27 DM Sockelbetrag, 1. Januar 1972 4% plus 30 DM Sockelbetrag, 1. Januar 1973 6 % plus 40 DM Sockelbetrag, 1. Januar 1974 11 v. H., mindestens aber 170 DM, 1. Januar 1975 6 v. H. plus einmalige Zulage von 100 DM.
Zu diesen Besoldungserhöhungen kam eine ganze Serie von Strukturmaßnahmen, z. B. die Zahlung eines vollen 13. Monatsgehalts, Wegfall der Tarifklasse 3 im Ortszuschlag, Verbesserungen in allen übrigen Tarifklassen, Wegfall der Ortsklasse A, Einführung allgemeiner Zulagen, Verbesserung des Stellenkegels, Schaffung von Funktionsgruppen. Zwar gibt es in den Eingangsbesoldungsgruppen der Laufbahnen, aber auch bei Spitzengehältern zum Teil noch erhebliche Differenzen zwischen Wirtschaft und öffentlichem Dienst. Insgesamt kann aber in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften festgestellt werden, ein Besoldungsrückstand im öffentlichen Dienst ist nicht mehr vorhanden. Dies, so meine ich, ist ein Ergebnis sozialliberaler Politik von 1969 bis heute.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Vorlage des Berichts der Studienkommission
Becker ({5})
über die Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts sind in Teilbereichen die ersten Maßnahmen erfolgt. Weitere Maßnahmen sind in Vorbereitung. Grundsätzlich bleibt zu diesem Reformvorhaben festzuhalten, die SPD-Bundestagsfraktion wird tatkräftig Zug um Zug das öffentliche Dienstrecht weiterentwickeln, um zur einem noch moderneren und rationeller arbeitenden öffentlichen Dienst zu kommen.
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Ich hatte eingangs erwähnt, daß wir uns neben diesen beiden Gesetzentwürfen oder diesen beiden Teilbereichen der Politik im öffentlichen Dienst mit dem Personalvertretungsgesetz beschäftigt haben, das seit Jahren ebenso wie ein Gesetz über die vermögenswirksamen Leistungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Kraft ist.
Neben diesen zentralen Punkten wurden in einer Vielzahl von Gesetzen Teilprobleme des öffentlichen Dienstes aufgegriffen und einer zukunftsorientierten Lösung zugeführt. Betrachtet man unter diesem Blickwinkel die Sparmaßnahmen, die im Haushaltsstrukturgesetz den öffentlichen Dienst betreffen, so kommt man vorweg zu einer generellen Feststellung. Der Sparbeitrag im öffentlichen Dienst mit einer runden halben Milliarde DM ist zumutbar und gerechtfertigt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde in Beratungen mit den Gewerkschaften sowie nach einer nichtöffentlichen Anhörung der Gewerkschaften im Innenausschuß und schließlich, wie auch Sie richtig gesagt haben, Herr Dr. Miltner, in den Ausschußberatungen im Innen-und Haushaltsausschuß noch sozial ausgewogener gestaltet.
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, an dieser Stelle darauf hinweisen, daß wir insbesondere die unteren Einkommensgruppen - auch bei den Bestimmungen, die wir über die Regelbeförderung getroffen haben -, nicht in ihrem - in Zukunft rein nach Leistung zu bemessenden - Berufsweg einschränken werden, sondern nach den Ergebnissen wird hier zwar rein nach den Leistungsgrundsätzen verfahren, aber im ganzen keine Behinderung des beruflichen Aufstiegs herbeigeführt.
Zugegebenermaßen liegen die Verhältnisse im gehobenen Dienst, wie eben schon geschildert, auch unter Berücksichtigung dessen, was man zur Frage der Fachhochschulgesetzgebung sagen muß, auf die ich gleich noch zurückkomme, ungünstiger. Wir werden uns hier bei ,den nächsten Beratungen im Innenausschuß noch eingehend mit den Problemen zu beschäftigen haben.
Lassen Sie mich an dieser Stelle aber eines sagen. Ich meine, wir waren uns im Innenausschuß des Deutschen Bundestages einig, daß wir in bezug auf die Fachhochschulgesetzgebung zunächst einmal das Sparprogramm der Bundesregierung erörtern und abschließen. Erst wenn dies abgeschlossen ist, sollte die Beratung über die Fachhochschulgesetze, die uns vorliegen, begonnen werden, und zwar mit einer Anhörung der Gewerkschaften. Wir wollten dann nach Abschluß dieser Debatte feststellen, wie wir in diesem Bereich weiterfahren. Sie wissen, daß es unser gemeinsames Bestreben war, dann auf kostenneutraler Basis eine Lösung zu finden. Sie verlassen diesen gemeinsamen Weg, indem Sie heute etwas in das Gesetz hineinpraktizieren wollen, das keineswegs bis zum Ende durchdacht ist. Ich muß das deswegen sagen, weil Sie ja, wenn Sie hier fordern, daß alle Absolventen von Fachhochschulen in die gleiche Eingangsbesoldungsgruppe zu bringen sind, vorweg wissen müßten, ob auch in allen Fachhochschulen die Anforderungsmerkmale gleich sind. Da werden uns die Anhörungen bei den Gewerkschaften ein sehr differenziertes Bild bieten. Wir können also zu diesem Zeitpunkt die Fachhochschulgesetzgebung überhaupt nicht in diese Betrachtung einbeziehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten van Delden?
Ja, bitte!
van Delden ({0}) : Herr Kollege Becker, halten Sie es für sinnvoll, in Art. 2 eine Fassung einzubringen, die unter Umständen eine Verfassungsbeschwerde hervorruft, weil Sie bei gleichen Voraussetzungen dem technischen Dienst den Vorzug beispielsweise vor den Sozialarbeitern geben - ein Problem, das Sie im übrigen sehr genau kennen -, und sind Sie nicht der Meinung, daß durch unseren Änderungsentwurf, der kostenneutral ist, dieser Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde der Wind aus den Segeln genommen wird?
Herr Kollege van Delden, diese Frage ist geprüft worden, und ich bin nicht der Auffassung, daß wir mit dieser Regelung gegen die Verfassung verstoßen. Wir haben das Problem der Sozialarbeiter im Innenausschuß erörtert. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir keine Dekkungsvorschläge. Sie sagen jetzt, wir können das kostenneutral machen. Ich bin davon überzeugt, daß man auf diesem Wege einen Versuch machen kann. Ich bin aber nicht Ihrer Meinung, daß wir das jetzt in diesem Gesetz machen können, weil wir diese Frage nicht zu Ende erörtert haben. Ihre Fraktion hat doch eine Anhörung der Gewerkschaften u. a. zu diesem Themenkreis gefordert. Warum muß man eine solche Anhörung durchführen, wenn Sie schon wissen, welches das Ergebnis dieser Anhörung ist?
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger?
Bitte!
Herr Kollege Becker, Sie sagten, wenn ich recht hörte, es habe im Innenausschuß keine Änderungsvorschläge dazu gegeben. Darf ich fragen, ob Sie sich nicht erinnern, daß von der CDU/
CSU ein Antrag gestellt wurde, Fachhochschulvorbildung auf kostenneutraler Basis einzuführen und erst dann die Verschlechterungen auch bei den Sozialarbeitern ins Auge zu fassen?
Herr Kollege Berger, ich weiß nicht, ob Sie das, was ich vorher ausgeführt habe, alles mitgehört haben.
({0}) : Ja!)
- Dann hätten Sie eigentlich diese Frage nicht stellen dürfen. Natürlich haben wir uns da unterhalten, aber ich meine, wir hätten doch gemeinsam beschlossen, erst die Sparvorschläge vom Tisch zu bringen und uns dann um die kostenneutrale Lösung bei der Fachhochschulgesetzgebung zu bemühen. Wenn da keine Übereinstimmung bestand, so kann ich Ihnen jedenfalls sagen: Dies ist unsere Absicht, und wir wollen dabei keinen Sozialarbeiter, aber auch keinen Fachhochschulabsolventen unter den Schlitten kommen lassen, auch nicht im Vergleich zu den Technikern.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger?
Ja.
Herr Kollege Becker, wollen Sie nicht doch bestätigen, daß gerade zu diesem Punkt von der CDU/CSU im Innenausschuß ein Änderungsantrag gestellt wurde?
Nein, ich kann nicht bestätigen, daß Sie den für Sozialarbeiter gestellt haben, denn den habe ich gestellt.
({0})
- Dann muß ich Sie ja auch fragen, wo eine Reihe Ihrer Anträge geblieben ist, und ich muß Sie dann auch fragen, warum Sie im Innenausschuß einen guten Teil der hier vorliegenden Maßnahmen abgelehnt haben und warum Sie denen im Haushaltsausschuß wieder zugestimmt haben, warum Sie sich hier so und dort so verhalten haben.
({1})
Das führt ja zu nichts. Ich stelle den Antrag im Plenum deswegen nicht, weil ich mich an das halte, was wir - mindestens in der Koalition - vereinbart haben, daß wir nämlich die Fachhochschulgesetzgebung nach Abschluß dieser Beratungen in Angriff nehmen, so wie es, wie ich dachte, gemeinsam besprochen war.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich 1 möchte zu den Sparmaßnahmen, die mein Kollege Claus Grobecker eigentlich in den Überschriften schon dargestellt hat, nachdem wir jetzt wochenlang darüber diskutiert haben und nachdem wir von den Gewerkschaften und Verbänden dazu angegangen worden sind, nicht mehr im einzelnen Stellung nehmen. Lassen Sie mich nur noch auf ein paar Punkte zu sprechen kommen, die, wie ich meine, hier nicht untergehen sollten.
Wir haben bei den Überlegungen zu diesem Gesetzentwurf natürlich eine ganze Reihe von Alternativen entwickelt und erörtert. Sie haben dazu im Innenausschuß Alternativvorschläge gemacht - das ist zuzugeben - und wir haben uns in der Koalition über Alternativvorschläge unterhalten. Wir haben den einen oder anderen Vorschlag nicht so ausgereift gefunden, daß man ihm jetzt schon nähertreten könnte. Ich schließe aber überhaupt nicht aus, daß völlig unabhängig von den Sparmaßnahmen hier aufgegriffene Punkte bei der weiteren Reform des öffentlichen Dienstrechts in die Erörterung einbezogen werden können. Ich denke dabei z. B. an eine Umgestaltung des Reisekostenrechts, weil es einfach nicht einzusehen ist, daß wir hier noch in drei verschiedenen Gruppen und Besoldungsklassen operieren. Ich greife den Punkt auf, daß größere Rationalisierungsvorhaben, vor allen Dingen im Bereich der allgemeinen Verwaltung, auch längere Anlauffristen für die Umorganisation benötigen. Ich will Ihnen nur noch einmal ins Gedächtnis rufen - und das besonders deshalb, weil Herr Stücklen auf die 400 000 hingewiesen hat, die hier zuhören -, daß wir bei Post und Bahn in den letzten Jahren ja doch sehr kräftig rationalisiert, automatisiert und umorganisiert haben
({3})
und daß das mit einer erheblichen Einsparung von Arbeitsplätzen ausgegangen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht zuletzt müssen wir uns in den Beratungen der nächsten Wochen ein Problem noch sehr genau durch den Kopf gehen lassen, das Problem der Zulagen. Wir haben diese Zulagen bei der Verabschiedung des 1. BesVNG als Harmonisierungszulagen bezeichnet. Wir hatten gemeinsam die Absicht, solche Zulagen in Zukunft in das Besoldungssystem einzufügen. Das gilt aber nicht nur für diese allgemeinen Zulagen, das gilt auch für Ministerialzulagen, Bankzulagen und Sparkassenzulagen. Dies hat Erörterungen gegeben und in der SPD-Fraktion sicherlich auch eine starke Neigung, schon jetzt und in diesem Zeitpunkt hier etwas zu tun. Wir haben auch diesen Punkt - wie auch einen vorhin von mir begründeten anderen - zurückgestellt, weil wir nur bei der Weiterentwicklung des Besoldungsrechts diese Punkte einer ordnungsgemäßen Lösung zuführen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch auf den letzten Antrag eingehen. Sie wollen, daß wir das Inkrafttreten dieses Gesetzes von Tarifabschlüsen abhängig machen. Ich kann Ihnen zu diesem Punkt nur sagen: Wir haben im Innenausschuß bereits darüber ge13758
Becker ({4})
sprochen, daß wir diesen Weg, wie wir ihn hier im Gesetz konsequent gehen wollen, und nicht Ihren Weg für richtig halten. Wir werden deswegen diesen Antrag ebenfalls ablehnen.
({5})
Abschließend bleibt festzustellen: Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind die Mitbürger in diesem Staat, die in unserem Auftrag für uns alle staatliche Leistungen erbringen. Ihnen gebührt für geleistete Arbeit Dank und Anerkennung. Ob Sozialarbeiter oder Lehrer, Ingenieur oder Rechtspfleger, Polizeibeamter oder Soldat, Steuerbeamter oder Richter, Verwaltungsbeamter, ob bei Bahn, Post oder im kommunalen Bereich beschäftigt: Die Vielzahl der in diesen Bereichen tätigen Menschen arbeitet gewissenhaft und fleißig im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Die SPD-Bundestagsfraktion wird wie bisher jede unsachliche Kritik an den Beschäftigten im öffentlichen Dienst energisch zurückweisen.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie zunächst einige allgemeine Bemerkungen im voraus. Es steht außer Frage: Zu den immer wieder behandelten Schwerpunkten des Artikelgesetzes gehören u. a. auch diejenigen Abschnitte, die sich mit Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Dienstes befassen. Dies scheint mir insbesondere unter zwei Aspekten - hier im Hause, aber auch darüber hinaus draußen - erwägenswert zu sein.
Der erste Aspekt besteht in der unbestreitbaren Tatsache, daß der Bereich des öffentlichen Dienstes einen sehr hohen Anteil am Gesamtsparprogramm einnimmt; darauf komme ich im Detail noch zurück. Zum zweiten - dazu will ich nachher noch etwas sagen - ist der öffentliche Dienst im allgemeinen - der Beamte im besonderen - durch eine zunehmende öffentliche Diskussion, auch unabhängig von diesem Haushaltsstrukturgesetz, in den letzten Monaten Gegenstand einer breit gestreuten Beachtung geworden, Gegenstand eines allgemeinen öffentlichen Interesses also, das uns dazu veranlassen sollte, auch hier in diesem Zusammenhang die Sparansätze im Bereich des öffentlichen Dienstes besonders kritisch zu beleuchten.
Der erste Aspekt ist verhältnismäßig einfach zu behandeln. Es steht ganz einfach außer Zweifel, daß in einer finanzpolitischen Situation wie der gegenwärtigen Sparmaßnahmen des Staates den öffentlichen Dienst nicht unberührt lassen können. Jeder wäre schlecht beraten, der diese Erkenntnis bei seinen Überlegungen außer Betracht ließe. Wenn dem so ist, kann man die Sparvorschläge nur danach beurteilen, ob sie in sich und gegenüber anderen Gruppen der Gesellschaft ausgewogen sind, soweit dies überhaupt möglich ist. Der Herr Kollege Becker ich möchte hier nichts neu aufzählen - hat deutlich gemacht, was in den einzelnen Jahren - insbesondere seit 1969 - in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes von der sozialliberalen Koalition getan worden ist. Das sollten wir hier nicht vergessen. Ich komme auf einige Punkte dann im einzelnen noch zurück.
Bei der Diskussion darf uns dann allerdings auch die Tatsache nicht beirren, daß die Ansätze für den öffentlichen Dienst, die ja unmittelbar - das beklagt man dann immer - in bestehende Einkommensstrukturen eingreifen, auf den ersten Blick besonders gravierend erscheinen. Man darf dabei aber nicht vergessen, daß der Staat - hier der Bund - als Dienstherr und Inhaber der Gesetzgebungskompetenz für die Besoldung der Beamten natürlich von der Sache her nur unmittelbar eingreifen kann, während bei den übrigen Arbeitnehmern entweder durch die Erhöhung des Beitrags für die Arbeitslosenversicherung oder durch den Abbau von Subventionen oder anderen Vergünstigungen nur mehr mittelbar eingegriffen werden kann. Um es aber noch einmal zu sagen: Wir Freien Demokraten halten einen Beitrag des öffentlichen Dienstes etwa in der vorgeschlagenen Höhe für geboten. Wir meinen weiter, daß sich ein solcher Beitrag nur positiv auf das Gesamtklima der Lohnentwicklung im kommenden Jahr auswirken kann. Auch dies muß man hier und in diesem Zusammenhang sagen dürfen.
Ergänzend zu dem schon von anderer Seite Vorgetragenen soll nun hier für meine Fraktion noch so viel - damit komme ich auch zu den einzelnen Anträgen der Opposition - nachgetragen werden. Auch wir haben uns bemüht, Regelungen vorzusehen, die den ursprünglichen Entwurf, den wir - ich möchte es noch einmal sagen - bejahen, in bestimmten Bereichen ein wenig stärker an bestimmte Bedürfnisse der sozialen Ausgewogenheit anpassen.
Bei der sogenannten Regelbeförderung, die abgeschafft bleibt, wollen auch wir ein Verhältnis zwischen Eingangs- und erstem Beförderungsamt von 35 zu 65 statt eines Verhältnisses von 50 zu 50 realisiert sehen - bei Einsparung nur jeder zweiten frei werdenden Stelle des Beförderungsamts. Mir erscheint eine solche Lösung in zweifacher Hinsicht geboten. Man kann die sogenannte Regelbeförderung, die ja nur die Eingangsämter der jeweiligen Laufbahnen betrifft, nicht ohne Blick auf die gesetzlich festgelegten oder faktischen Stellenstrukturen im übrigen sehen, und man muß berücksichtigen, daß hier vorwiegend junge Beamte betroffen sind, bei denen sehr leicht eine Kumulation mit anderen Sparmaßnahmen eintreten kann, eine Konsequenz, die in anderen Bereichen nicht in annähernder Dringlichkeit zu besorgen ist. Die Situation, die bei einem Stellenverhältnis von 35 zu 65 eintritt, läßt im übrigen die Anpassung an den Tarifbereich leichter durchführbar erscheinen.
Hiermit komme ich zu einer der zentralen Fragen und gehe damit ,auf Ihren ersten Antrag ein. Ich möchte hier für meine Fraktion - Herr Kollege Kirst hat dazu schon einiges gesagt - folgendes mit aller Deutlichkeit betonen: Wir von der FDP gehen nach wie vor ,davon aus, daß der Gesetzgeber
im Ergebnis nicht einseitig Maßnahmen für den Beamtenbereich vorsehen sollte, die für den im Tarifbereich angesiedelten Teil des öffentlichen Dienstes nicht eine gerechte Entsprechung finden. Dieser Gleichklang des Besoldungsrechts mit dem Tarifrecht muß bestehenbleiben. Ich meine, daß die kommenden Tarifverhandlungen dem Rechnung tragen werden und im Ergebnis Rechnung tragen müssen. Gleichwohl kann man dem Antrag Drucksache 7/4264 der CDU/CSU-Fraktion so nicht zustimmen. Wir haben ja schon im Innenausschuß darüber gesprochen. Herr Kollege Miltner, man kann nun aber nicht auf der einen Seite beklagen, daß die Bundesregierung noch keine Ergebnisse auf dem Tarifsektor erreicht hat, und auf der anderen Seite beklagen, daß diese Bundesregierung sogar hergehe und in bestehende Tarifverträge eingreife oder schon abgeschlossene nicht unterschreibe. Das widerspricht sich, glaube ich, ein wenig.
({0})
Natürlich steckt doch hier der Kern des Problems.
({1})
Wir meinen aber, daß Ihr Antrag, den wir ja eingehend beraten haben, für die kommenden Verhandlungen nicht hilfreich ist. Dazu hat der Kollege Kirst einiges ausgeführt. Darüber hinaus meine ich ganz generell, daß die präjudizielle Wirkung einer solchen Maßnahme, wie Sie sie hier vorschlagen, auf unser künftiges Gesetzgebungsverfahren im höchsten Maße bedenklich wäre. Ich sehe die Problematik - insbesondere für den Innenminister - durchaus. Wir können aber, meine ich, das gesteckte Ziel sinnvollerweise nur auf dem Wege erreichen, den der Innenminister vorgesehen hat. Ich glaube, es wird sich sehr bald herausstellen, daß man nur so dem Bemühen um einen Gleichklang zwischen Besoldungs- und Tarifrecht besser entsprechen kann.
Von den übrigen Veränderungen, die in den Ausschußberatungen vorgeschlagen worden sind, will ich nur zwei kurz erwähnen. Wir meinen, daß es richtig ist, für die am 31. Dezember 1975 über 40 Jahre alten Ledigen als Rechts- und Besitzstandswahrung die Gleichstellung mit den Verheirateten beim Ortszuschlag beizubehalten. Für diejenigen, die das 40. Lebensjahr nach diesem Stichtag erreichen, halten wir allerdings mit der Regierungsvorlage die Voraussetzungen, die insbesondere in den Nachkriegsjahren für weibliche Bedienstete bestanden haben, für nicht mehr gegeben.
Die in den Auschußberatungen gefundene Lösung bei der Ausgleichszulage und der Kompromiß für die Polizei, den Bundesgrenzschutz, die Bundeswehr und die Fluglotsen mit dem Fünffachen des Monatsgehalts bei Aufrechterhaltung der Grenze von 8 000 DM führt zu einer stärkeren und damit gerechteren Berücksichtigung der unteren Besoldungsgruppen in den genannten Bereichen. Das ist gut so; wir unterstützen das.
Nun zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion hinsichtlich der Fachhochschulabsolventen auf Drucksache 7/4252. Sicher muß ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Besoldung der Fachhochschulabsolventen überhaupt und speziell im gehobenen nichttechnischen Dienst und einer Aufgabenabschichtung gesehen werden. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, dies gilt nur wirklich in einem sehr großen Zusammenhang. Technisch und rechtlich erscheint es mir dagegen nicht möglich, eine Beziehung zwischen dem Inkrafttreten von besoldungsrechtlichen Bestimmungen und einer Aufgabenschichtung in der Weise herzustellen, daß das Inkrafttreten exakt fixiert wird, daß keine Mehrkosten entstehen. So wäre eine sinnvolle, dem einzelnen Dienstposten gerecht werdende Bewertung sicher nicht möglich.
In der Sache selbst, glaube ich, da waren wir alle im Innenausschuß uns mehr oder weniger einig, als wir im Juni dieses Jahres vor den Sommerferien die abschließende Beratung der sogenannten Fachhochschulgesetze deshalb noch ein wenig hinausschoben, weil wir uns nicht darüber im klaren waren, ob all die Einrichtungen, die tatsächlich in den einzelnen Ländern schon vorhanden sind, den Ansprüchen genügen, die an eine Fachhochschule zu stellen sind. Ich kann mich noch sehr wohl daran erinnern, daß ich mit diesen meinen kritischen Bemerkungen im Innenausschuß Beifall und Zustimmung auch in Ihrer Fraktion gefunden habe. Und was wir jetzt tun und was wir im Anhörungsverfahren tun wollen, ist doch unter anderem, nun zu prüfen und zu testen: Wie sieht das in den Ländern wirklich aus, welche Voraussetzungen sind tatsächlich gegeben, und wie müssen wir danach verfahren?
({2})
- Ich komme darauf. - Wir sind uns doch aber im Innenausschuß auch darüber einig gewesen, daß wir zunächst einmal - Herr Becker hat es gesagt - in diesem Artikelgesetz so verfahren wollen und die Fachhochschulausbildung im übrigen mit der Anhörung usw. vordringlich behandeln. Wir sind uns darüber im klaren, daß es sich hier nur um eine zeitliche Abkoppelung handelt
({3})
- natürlich -, wobei wir im Auge haben, diese so bald wie möglich wiederaufzuheben. Deswegen haben wir auch einen Stichtag der Abkoppelung, von dem - und zwar 1979 - auch bei Ihnen die Rede war, gerade nicht hineinnehmen wollen; denn wir meinen, daß diese Fragen, die hier anstehen, mit den Folgerungen, die daraus gegebenenfalls zu ziehen sind, möglicherweise und wahrscheinlich sogar sehr viel schneller akut werden.
Die Fachhochschulausbildung für den gehobenen nichttechnischen Dienst - und das gilt auch für Sozialarbeiter und Sozialpädagogen - bleibt für uns - auch für uns Freie Demokraten - aktuell, bleibt ein aktuell weiter zu behandelndes Problem. Die Erklärungen aller Sprecher im Innenausschuß waren in dieser Frage, glaube ich, sehr eindeutig,
und zwar auch zu der Frage, wie wir in der Sache selber verfahren sollten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köster?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege, betrachten Sie die zeitliche Abkoppelung nicht als eine Diskriminierung der Sozialarbeiter?
({0})
Das kann keine Diskriminierung sein.
({0})
- Diejenigen, die jetzt in diesen Besoldungsgruppen sind, bekommen es ja auch. Es sind doch nur die Künftigen, für die diese Entwicklung eintritt.
({1})
Daß die Abkoppelung natürlich für bestimmte Gruppen finanzielle Konsequenzen hat, haben wir gesehen. Was soll denn diese Frage?
({2})
- Ich weiß das. Ich habe doch aber auch gesagt, wie wir verfahren wollen und wie wir den Anschluß an eine gleiche Behandlung wieder zu erreichen gedenken. Wir haben aber gemeint, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt dieses Verfahren im Hinblick auf die Haushaltssituation das einzig vertretbare ist. Das ist doch mehrfach gesagt worden.
({3})
Meine Damen und Herren, nun als letztes zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4266! Man kann ganz einfach sagen, daß dies ein Propagandaantrag ist. So leicht und so einfach kann man es sich nicht machen: ein Ansprechen gewisser Emotionen, die möglicherweise in Kreisen der Bevölkerung vorhanden sind. Wenn man meint, was Beamten geschehe, müsse an der Regierungsspitze auch geschehen, könnte das die Konsequenz haben, daß man meinetwegen die Gehälter von Staatssekretären - oder was Sie meinen - stärker kürzt. Das wäre dann eine Entsprechung zu dem anderen Bereich, nicht aber der Vorschlag, einfach eine ganze Regierungstätigkeit sozusagen abzuschaffen oder einzustellen. Im übrigen ist weder dieses Gesetz noch die Bundesregierung hierfür der rechte Adressat. Eine solche Regelung wäre gestern beim Haushaltsgesetz einzubringen gewesen; denn das wäre eine Frage des Bundeshaushalts und des Parlaments und nicht eine Frage der Bundesregierung. Aber im Grunde ist dies - und darüber ist sich jeder im klaren - ein Propagandaantrag und nichts anderes.
Lassen Sie mich nun zum Schluß noch einen allgemeinen Aspekt angehen, der seit Monaten jede Diskussion beherrscht, die sich mit dem öffentlichen Dienst befaßt! Ich will hier Einzelgegenstände dieser Diskussion, die auch in der parlamentarischen Debatte immer wieder auftauchen und immer wieder aufgetaucht sind, nicht im einzelnen näher beleuchten. Nur müssen nach meiner Auffassung zwei Dinge hier im Zusammenhang mit dem Artikelgesetz kurz dargesellt und so gesehen werden:
Erstens. Eine kurzfristig zu vollziehende Sparaktion kann nicht im gleichen Zuge eine notwendige Dienstrechtsreform, eine Verwaltungs- und Funktionalreform, ja, vielleicht sogar eine Verfassungsreform bewirken. Oder - um es anders auszudrükken -: Das Artikelgesetz ist nicht der einzige, vielleicht auch nicht der geeignete Anknüpfungspunkt, um dies alles in der Vorstellung in Angriff zu nehmen, dies dann auch in kürzerer Frist zum Abschluß bringen zu können. Es kommt hier nur darauf an, daß die jetzt kurzfristig durchzuführenden Maßnahmen nicht so beschaffen sind, daß sie eine künftige Reform verhindern. Die Vorschläge der Bundesregierung - z. B. im Fall der sogenannten Regelbeförderung - zeigen, daß der Gesetzentwurf auf dem rechten Wege ist. Im übrigen kann ich auch für meine Fraktion erklären, daß wir der Frage einer bald weiter durchzuführenden Dienstrechtsreform nach wie vor auf der Spur bleiben.
Zweitens. Darüber hinaus muß man wissen, meine Damen und Herren, welchen Problemkreis man angeht, wenn man über den öffentlichen Dienst diskutiert und manchmal auch polemisiert. In der Regel geht man nämlich nur von einigen äußeren Fakten aus, die zwar überwiegend zutreffen, die aber doch nur Teilaspekte eines sehr umfassenden Bereichs zur Diskussion stellen: Personalkosten, gestiegene Personalkosten, angeblich nicht gesicherte Rechtspositionen und anderes mehr, auch die Qualität der Verwaltung in einem sozialen Rechtsstaat. Wir sollten aus dieser Aufzählung erkennen, daß man die Thematik auf die Frage nach einer effizienten öffentlichen Verwaltung, ja, nach dem Wesen und der Aufgabenstellung des modernen Staates ausweiten muß. Neben einer notwendigen Reform des öffentlichen Dienstrechts ist hier auf eine künftige Gesetzgebung in Bund und Ländern zu verweisen, die bei allen Maßnahmen die Auswirkungen auf die Verwaltung - und das heißt dann auch: auf den öffentlichen Dienst - sorgfältig beachtet. Dies schließt die Frage, ob die geplanten Maßnahmen überhaupt einer Regelung durch die öffentliche Hand bedürfen, ebenso ein wie eine exakte Prüfung der Frage, welche Kosten, insbesondere welche Personalkosten mit der gedachten Maßnahme verbunden sein werden. Bei der Frage nach einer Privatisierung bisher öffentlich wahrgenommener Aufgaben, die jetzt in unserem Lande sehr oft erörtert wird, wird man dann auch im Detail zu prüfen haben, ob die konkret zu bezeichnenden Maßnahmen nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten oder nach einer andersgearteten Bewertung eines gemeinen Interesses optimal zu lösen ist.
Meine Damen und Herren, wir erkennen insgesamt also, in welchen großen Zusammenhang alle Forderungen nach einer Dienstrechtsreform gestellt sind. Es sage nun niemand, wer auf so viele Probleme und problematische Verflechtungen hinweise, wolle in Wahrheit mit den aufgezeigten Schwierigkeiten jedem den Mut zur Reform nehmen. In dem Maße, in dem wir uns der strukturell bedingten Schwierigkeiten in der Entwicklung der Konjunktur bewußt sind und in dem wir zu Recht nach mittel-und langfristigen Lösungen suchen, ist es auch notwendig, die Probleme der öffentlichen Verwaltung in dem gleichen großen Zusammenhang zu sehen. Dies wollte ich mit den vorstehenden Ausführungen wenigstens angedeutet haben.
Zurück zum Artikelgesetz! Es darf mit seinem dienstrechtlichen Teil künftige Entwicklungen nicht verbauen. Dies sagte ich schon. Wir dürfen aber weiter nicht meinen, mit einigen kleinen Abstrichen sei schon eine große Reform angegangen. Schließlich müssen wir bei den künftigen Maßnahmen auch im Interesse des Staates und des öffentlichen Dienstes die Erörterung auf einen nüchternen, realistischen Kern zurückführen. Nur bei einer solchen Ausgangslage wird eine vernünftig angelegte, reformistische Neuordnung des öffentlichen Dienstes möglich sein.
({4})
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Maihofer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß die Opposition heute ihre ausdrückliche Zustimmung zu nahezu allen Artikeln des Haushaltsstrukturgesetzes - 40 von 44, wenn ich recht gehört habe, Herr Kollege Althammer -, auch zu denen, die den öffentlichen Dienst betreffen, erklärt hat. So schlecht können diese Sparvorschläge deshalb offenbar nicht sein.
({0})
- Ich überlasse Ihnen diese Ihre oppositionelle Interpretation. Sie müssen mir auch diese meine regierungsamtliche überlassen.
({1})
So schlecht können diese Sparvorschläge also offenbar nicht sein, wie sie hie und da in den letzten Wochen gemacht worden sind. Jedenfalls sind offensichtlich alle, die sich hier in Regierung und Opposition in einer Gesamtverantwortung wissen, bereit und in der Lage, diese Vorschläge gemeinsam zu tragen. Das stelle ich wirklich mit großer Befriedigung fest.
({2})
Ebenso haben auch die ergänzenden Vorschläge des Bundesrats, denen die Bundesregierung weitgehend zugestimmt hat, wie die Beschlüsse der Ausschüsse des Bundestages deutlich gemacht, daß
der Spielraum für Änderungsvorschläge in diesem Bereich gering war und ist. Die Ausschußempfehlungen sehen zwar in einzelnen Punkten gewisse Abschwächungen der für die Betroffenen eintretenden Härten vor, doch konnte die Bundesregierung dem zustimmen, da durch Umschichtungsvorschläge das Einsparungsvolumen des Regierungsentwurfs insgesamt beibehalten worden ist.
Im ganzen jedoch - und daß ich das feststelle, können Sie mir hier wohl nicht verübeln - hat sich gezeigt, daß die Einsparungsvorschläge der Regierung in diesem Bereich nur modifiziert, nicht jedoch in ihrer Substanz durch Alternativen ersetzt werden können. Das gilt für den Wegfall der Bewährungsbeförderung ebenso wie für die Korrekturen im Ortszuschlag, womit ich nur die wichtigsten Vorschläge nenne.
Die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen sind, zumal wenn den Empfehlungen des Haushaltsausschusses gefolgt wird, entgegen allen gegenteiligen Reden in der Sache richtig und in sich ausgewogen.
Wenn ich mir die Änderungsvorschläge der Opposition ansehe, dann stelle ich fest, daß allein zwei Fragen hier noch im Streit stehen. Zu diesen will ich abschließend nochmals Stellung nehmen. Es handelt sich erstens um die Aussetzung der besoldungsrechtlichen Folgeregelungen für die Fachhochschulabsolventen des nichttechnischen Dienstes und zweitens um die Sicherstellung des Gleichklangs der Einsparungsmaßnahmen im Besoldungsbereich der Beamten und im Tarifbereich der Arbeiter und Angestellten.
({3})
Zu dem ersten Punkt. Die Einführung der Fachhochschulausbildung ist in weiten Bereichen der öffentlichen Verwaltung bereits vollzogen, insbesondere für Techniker und für Sozialarbeiter. Darüber hinaus - das steht weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeit - ist in vier Ländern für verschiedene Verwaltungsbereiche die Fachhochschulausbildung auch für den nichttechnischen Bereich bereits eingeführt. Nur für den größeren Teil der Kernverwaltungen, nämlich die innere Verwaltung, die Justiz und die Finanzverwaltung, steht die verbesserte Ausbildung für den gehobenen Dienst noch aus. Entsprechende Gesetzentwürfe der Bundesregierung, durch die die Fachhochschulausbildung auch in diesen Bereichen eingeführt werden soll, liegen ja, wie Sie wissen, dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages zur Beratung vor.
Durch das Dritte Bundesbesoldungserhöhungsgesetz und das am 27. Februar 1975 einstimmig von diesem Hohen Hause verabschiedete Zweite Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetz ist in Hinsicht auf diese erwartete verbesserte Ausbildung für Fachhochschulabsolventen ein um eine Besoldungsgruppe höher eingestuftes Eingangsamt festgelegt worden.
({4})
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihof er
- Ich darf diesen Gedanken zunächst einmal zu Ende bringen. Dann will ich gerne auf Ihre Frage eingehen.
In Art. 2 des Entwurfs des Haushaltsstrukturgesetzes ist nunmehr vorgesehen, die Geltung dieser Regelung für die Fachhochschulabsolventen des gehobenen nichttechnischen Dienstes, und nur für sie, auszusetzen. Hierdurch wird verhindert, daß infolge der verschieden weit fortgeschrittenen Einführung der Fachhochschulausbildung in Bund und Ländern Beamte des nichttechnischen Dienstes auch in den gleichen Verwaltungsbereichen unterschiedlich besoldet würden, was, wie ich meine, unerträglich wäre.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten van Delden?
Aber gerne!
van Delden ({0}) : Herr Minister, da Sie kraft Gesetzes Hüter der Verfassung sind, darf ich Sie fragen, ob Sie den von mir vorhin schon angeschnittenen Gleichheitsgrundsatz ebenso sehen wie wir. Sind Sie nicht der Meinung, daß man deswegen unseren Vorschlag annehmen sollte, der alle diese Bedenken ausräumt, die Sie hier gerade bezüglich der unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Schulen und der unterschiedlichen Qualität das haben Sie zwar nicht gesagt, aber implizite war das gemeint - vorgetragen haben?
Wenn Sie mir weitere fünf Sätze gestattet hätten, hätte sich Ihre Frage erübrigt, denn genau darauf will ich jetzt eingehen.
Durch die Stornierung des besoldungsrechtlichen Regelung wird eine abschließende Prüfung der Einführung der Fachhochschulausbildung auch für diese weiteren Bereiche erleichtert, die angesichts der gegenwärtigen Haushaltslage - darin werden wir wohl alle übereinstimmen - kostenneutral erfolgen muß. Deshalb soll die Entscheidung über diese Besoldungsregelungen bis zur Entscheidung des Hohen Hauses über die bereits erwähnten Gesetzentwürfe zur Einführung der Fachhochschulausbildung offengehalten werden.
Ich bin der Auffassung, daß die Einführung der Fachhochschulausbildung auch und gerade unter den veränderten Umständen notwendig bleibt, nicht nur bildungspolitisch, um dem einseitigen Zug an die Hochschulen entgegenzuwirken, sondern auch beamtenpolitisch. Die Anforderungen an die öffentliche Verwaltung werden weiter steigen. Dem muß eine verbesserte Ausbildung entsprechen. Dazu ist ihre Anhebung auf die Ebene wissenschaftsorientierter Bildungsgänge erforderlich. Denn die Funktionsfähigkeit der Verwaltung wird künftig nicht mehr durch Stellenmehrungen, sondern muß durch Leistungssteigerungen gewährleistet werden!
({0})
Die bisherige Entwicklung zur Fachhochschule war von einer breiten politischen Willensbildung in Bund und Ländern getragen. Würde diese Entwicklung auf der Mitte des Weges unterbrochen und bliebe die verbesserte Ausbildung auf einzelne Bereiche der öffentlichen Verwaltung beschränkt, so wären schwerwiegende Unausgewogenheiten in den Laufbahnstrukturen von Dienstherr zu Dienstherr, aber auch beim gleichen Dienstherrn, unausbleiblich.
Angesichts der gegenwärtigen angespannten Haushaltslage kann - ich glaube, auch darin sind wir alle hier in diesem Hause einig - die Fachhochschulausbildung nur - ich sage es nochmals - kostenneutral oder gar kostensparend eingeführt werden.
({1})
- Sie werden gleich sehen, warum ich von meiner Seite aus diesen Antrag trotzdem nicht befürworten kann.
Ich bin, ebenso wie die zur Prüfung dieser Fragen bereits im Frühsommer dieses Jahres eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe - denn das Problem beschäftigt uns ja nicht erst seit heute - der Ansicht, daß eine solche kostenneutrale oder gar kostensparende Lösung erreicht werden kann, und zwar vor allem durch die in meinem Hause schon lange vorbereitete und schon in den Kabinettsberatungen über das Haushaltsstrukturgesetz erörterte Abschichtung von Funktionen des höheren Dienstes auf den gehobenen Dienst wie des gehobenen Dienstes auf den mittleren Dienst. Aber das kann man nicht so beiläufig als Randfrage zu diesem Artikelgesetz abhandeln.
Die Einzelheiten einer solchen weitreichenden Maßnahme, die ja auch strukturelle Veränderungen der Organisation unseres öffentlichen Dienstes voraussetzt, bedürfen eingehender Prüfung und Abstimmung mit den Ländern, wie sie schon seit Monaten eingeleitet sind. Hier am Rande der Beratungen des Haushaltsstrukturgesetzes ist nicht der richtige Ort, die bereits erwähnten drei Gesetzentwürfe mit ihren sehr weitreichenden Folgewirkungen für die Verwaltungsorganisation in Bund und Ländern im Zusammenhang mit der Gesamtproblematik der Fachhochschulausbildung zu erörtern.
Das ist der Grund dafür - Sie haben mich danach gefragt -, daß ich hier ganz klar sage, daß ich keinen Nutzen, noch nicht einmal einen Sinn darin sehe, diese weiterreichenden Fragestellungen mit den Sparmaßnahmen zu verquicken.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berger?
Bitte ja.
Herr Minister, wenn Sie auf die drei noch zu beratenden Gesetze verweisen: Warum wird dann schon in diesem Gesetz eine
durch das Zweite Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetz getroffene Regelung für Fachhochschulabsolventen rückgängig gemacht?
Sie wird ja nicht rückgängig gemacht, sondern sie wird ausgesetzt. Wir werden nach Abschluß dieser Beratungen gemeinsam darüber entscheiden müssen, was als Ergebnis gründlicher Kostenberechnungen am Ende wirklich verantwortlich mittelfristig gemacht werden kann. Das jetzt über den Daumen durch eine solche Lösung zu präjudizieren, halte ich für verfehlt. Deshalb sind wir zwar im Ziel einig, aber in Ihrem Weg uneinig, das jetzt am Rande der Beratungen über das Haushaltsstrukturgesetz abzutun. Wir sind der Meinung, das muß im Gesamtzusammenhang der Erörterung der Fachhochschuleinführung für die weiteren Verwaltungsbereiche mit bedacht werden.
Ich komme zum zweiten Punkt, dem von der Bundesregierung angestrebten Gleichklang der Einsparungen zwischen dem Tarifbereich des öffentlichen Dienstes und dem gesetzlichen Bereich. Diese Frage hat schon hei der Einbringung des Gesetzentwurfs, aber auch bei den Ausschußberatungen eine besondere Rolle gespielt. Sie werden sich erinnern, daß ich bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs hier in diesem Hause mit Nachdruck auf die Notwendigkeit hingewiesen habe, bei den vorgesehenen Maßnahmen alle Bereiche des öffentlichen Dienstes gleich zu behandeln. Ich brauche das nicht zu wiederholen, Sie können das ja im Protokoll nachlesen.
Diese Gleichbehandlung ist nach wie vor für mich und für die Bundesregierung insgesamt die unabdingbare Voraussetzung, unter der wir den einzelnen Bereichen überhaupt die schmerzlichen Belastungen und Opfer zumuten können.
Die notwendige Ausgewogenheit der Maßnahmen im Verhältnis der Beamten zu den Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes ist in weiten Teilen bereits unmittelbar gewährleistet. Was das Gesetz für den Ortszuschlag der Beamten vorsieht, gilt ja - auch das ist in der Öffentlichkeit meist nicht bemerkt worden - automatisch auch für den Ortszuschlag der Angestellten wie für den Sozialzuschlag der Arbeiter. Dasselbe ist der Fall bei den außerhalb des Haushaltsstrukturgesetzes laufenden Sparmaßnahmen.
Im übrigen aber - so verhält es sich vor allem beim Bewährungsaufstieg und der Zusatzversorgung - muß über die notwendigen Änderungen in Tarifverhandlungen entschieden werden. Da ist es eben anders. Der Gesetzgeber kann dekretieren, Tarifpartner müssen kontrahieren. Das ist ein Unterschied, den man sich durchaus gelegentlich in Erinnerung rufen muß.
Ich habe diese hier erforderlichen Tarifverhandlungen gemeinsam mit den Ländern und Gemeinden inzwischen aufgenommen und in zwei auf Chefebene geführten Verhandlungen eine Annäherung der Standpunkte feststellen können, vor allem in der Frage, Herr Kollege Miltner, die Sie hier polemisch noch einmal in die Debatte eingeführt haben:
der Nichtunterzeichnung der Eingruppierungsverhandlungen aus der vergangenen Tarifrunde. In ihnen waren ja - das wissen Sie sehr genau - Bestandteile enthalten, die mit dem Bewährungsaufstieg zusammenhingen. Daß wir diese nach den Sparbeschlüssen der Bundesregierung nicht mehr unterzeichnen konnten, ist ganz selbstverständlich. Daß wir deshalb mit den Tarifpartnern nach einer Lösung suchen mußten, diese Bestandteile aus den Zusatztarifvereinbarungen auszuklammern, war die unverzichtbare Voraussetzung für unsere Unterschrift unter die Verhandlungsergebnisse. Das ist nun glücklicherweise inzwischen nach zähen Verhandlungsrunden erreicht, und ich erwarte noch in dieser Woche, daß wir zu einer Unterzeichnung des im übrigen von den Sparbeschlüssen unberührten Ergebnisses der Eingruppierungsverhandlungen aus der vergangenen Tarifrunde kommen werden.
Es besteht dabei mit den Ländern und Gemeinden insgesamt Einvernehmen, alles daran zu setzen, diese Verhandlungen entsprechend der Zielsetzung der Sparbeschlüsse auch in allen übrigen Hinsichten zum Abschluß zu bringen.
Die Gewerkschaften stehen hier - ich muß das auch in diesem Hause einmal klar beim Namen nennen - vor ganz neuen Fragestellungen, weil es um den Nachvollzug von Einsparungen geht, und das hat es bisher so nicht gegeben. Die Tarifautonomie steht damit - das ist jedenfalls meine Auffassung - vor einer Bewährungsprobe, ob sie nur als Einwegstraße nach oben oder ebenso auch bei Einsparungen nach unten funktioniert; oder ob sie so nicht funktioniert. Dies gilt vor allem für den Gleichklang der Einsparungsmaßnahmen durch Streichung der Regelbeförderung bei den Beamten und der entsprechenden Ablösung des Bewährungsaufstiegs bei den Angestellten. Dabei muß man sich in Erinnerung rufen, daß der Bewährungsaufstieg der Angestellten im Jahre 1966, wie sich aus den damaligen Diskussionen rekapitulieren läßt, als tarifvertragliche Folgeregelung im Anschluß an die Einführung der Regelbeförderung der Beamten eingeführt worden ist. Es ist daher nur folgerichtig, wenn nun auch die Abschaffung der Regelbeförderung der Abschaffung des Bewährungsaufstiegs vorausgeht, denn nur wenn hier der Gesetzgeber vorangeht - und das ist der Grund, warum ich auch Ihrem anderen Änderungsvorschlag nicht zustimmen kann -, besteht für die Tarifpartner Veranlassung, auf die entsprechenden Vorschläge der Arbeitgeber für den Tarifbereich einzugehen. Diese Entschlossenheit der öffentlichen Arbeitgeber würde durch Vorbehaltsklauseln, wie sie die Opposition heute vorschlägt, nur gemindert werden.
({0})
Es gibt - das ist meine Antwort in diesem Punkte, die ich Ihnen hiermit geben will - auch andere Mittel und Wege, ohne solche Verklausulierungen eines Gesetzesbeschlusses hier im Parlament über den Gleichklang der Einsparungsmaßnahmen im Besoldungsbereich und im Tarifbereich bis zum Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens im Bundestag und im Bundesrat - wir sind ja hier noch nicht am
Ende - zu wachen, und wir werden darüber wachen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berger? - Bitte sehr!
Haben Sie, Herr Bundesminister, nicht Ende September in der Öffentlichkeit erklärt, daß nicht, wie Sie jetzt sagen, bis zum Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens, sondern bis zur zweiten und dritten Lesung des Haushaltsstrukturgesetzes Klarheit erreicht sein muß, ob der sogenannte Bewährungsaufstieg im Tarifrecht zurückgenommen wird? Ist Ihnen nicht bekannt, daß auch der Bundespersonalausschuß davon ausgeht, daß bis zur Entscheidung hier im Hause Klarheit sein muß, ob der Gleichklang zwischen Tarif- und Besoldungsbereich innerhalb des öffentlichen Dienstes erzielt werden konnte?
Wir haben bei den genannten Verhandlungen von unseren Tarifpartnern die Zusicherung erhalten, daß sie mit uns über die Ablösung des Bewährungsaufstiegs in Verhandlungen eintreten. An diese Zusicherung halte ich mich. Ob sie eingelöst wird, werden wir bis zum Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens sehr wohl beurteilen können. Aber das, was Sie hier wollen, daß der Tarifpartner, noch bevor ein Gesetz wirklich rechtskräftig durch alle Instanzen verabschiedet ist, schon den Nachvollzug dieser Maßnahme vermeldet, geht natürlich über alles hinaus, was man im Tarifbereich erwarten kann. Wir können nur so verfahren wie jetzt vorgeschlagen. Das war von allem Anfang an klar.
Herr Bundesminister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel ({0})?
Bitte sehr, Herr Vogel, wenn es Ihnen notwendig erscheint, gerne.
Herr Minister, müssen Sie denn nicht einräumen, daß eine solche Vorschrift - wenn Sire unserem Antrag folgten - natürlich auch erst dann in Kraft treten könnte, wenn das gesamte Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist?
Ich kann Ihnen nur nochmals sagen: Wenn ein Gesetzgeber seinen klaren Beschluß, hinter dem auch die klare Entschlossenheit der Regierung steht, hier zu einem Gleichklang der Einsparungen in beiden Bereichen zu kommen, schon selber durch Klauseln relativiert, dann halte ich das nicht für eine Stärkung unserer Verhandlungsposition, sondern für ihre Minderung. Allein aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß wir einen solchen Beschluß hier im Hause heute nicht fassen sollten.
Ich möchte damit zum Abschluß kommen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie vorher noch eine Frage des Abgeordneten Dr. Miltner?
Wenn es sein muß.
Herr Bundesminister, wenn Sie hier vor aller Öffentlichkeit erklären, daß der Gleichlauf eine unabdingbare Forderung für die Bundesregierung ist, dann ist das doch dasselbe, wie wenn wir das in das Gesetz hineinschreiben; dann haben nicht wir Sie präjudiziert, sondern Sie haben sich selber präjudiziert, wenn Sie davon ausgehen.
Nein. Ich müßte mich wiederholen. Die Antwort, die ich Herrn Vogel gegeben habe, gilt in vollem Umfang auch für Ihre Frage.
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Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Die heute zur Beschlußfassung anstehenden Einsparungen im öffentlichen Dienst sind - das ist uns allen klar - Notmaßnahmen zur mittelfristigen Haushaltsentlastung. Sie sind hie und da auch Bereinigungen von Fehlentwicklungen; das ist nicht zu bestreiten.
Was nun bevorsteht und in diesen Tagen im partnerschaftlichen Zusammenwirken mit den Verbandsorganisationen der öffentlich Bediensteten eingeleitet werden wird, sind weitere Schritte zur Dienstrechts- und Verwaltungsreform mit dem Ziel: Steigerung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes unter Minderung der Kostenbelastung der öffentlichen Hände. Bei der Verwirklichung dieser beiden Ziele - ich glaube, auch über sie werden wir ja wohl hier im Hause einig sein - ist das dritte Ziel jeder Dienstrechts- und Verwaltungsreform gleichrangig zu beachten: Die berechtigten Interessen der im öffentlichen Dienst Tätigen z. B. an vernünftigen Arbeitsbedingungen, an Möglichkeiten zur Entfaltung von Eigeninitiative und an angemessener Bezahlung für ihre Leistung.
Diese Reform des öffentlichen Dienstes - lassen Sie mich dies abschließend feststellen - kann nicht, wie manche meinen, in einem einmaligen Akt vollzogen werden, sondern ist ein ständiger Prozeß. Sie verlangt darum zu jeder Zeit Anstrengungen, nicht nur das kurzfristig Machbare, sondern auch die Vorarbeiten für die nur mittel- oder gar langfristig realisierbaren Reformen auf den Weg zu bringen. Dies wäre in einem auf Legislaturperioden beschränkten Vorgehen nicht möglich. Deshalb wird die Bundesregierung nicht nur in diesen Tagen das kurzfristig Realisierbare, sondern auch die längerfristigen Vorhaben in einem neuen Anlauf noch vor Ende dieser Legilaturperiode in Angriff nehmen. Dabei hoffe ich auf Ihrer aller Mitwirkung auch in diesem Hohen Hause. Denn das ist, glaube ich, eine gemeinsame Aufgabe, vor der wir stehen, auch zum Wohle des öffentlichen Dienstes selbst.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riedl ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem, was der Kollege Becker und was der Herr Bundesinnenminister Dr. Maihofer eben ausgeführt haben, möchte ich in vier Punkten ganz kurz Stellung nehmen.
Erstens. Herr Minister, dieses Haushaltsstrukturgesetz, daß Sie veranlaßt, das Sie durchgesetzt haben und notwendigerweise aus Ihrer verfehlten Finanz- und Haushaltspolitik heraus entwickeln mußten,
({0})
müssen Sie allein verantworten. Diesen Anzug ziehen wir uns nicht an.
({1})
Wir haben, insbesondere was Ihren Bereich anbetrifft, den öffentlichen Dienst, im Innenausschuß und im Haushaltsausschuß unseren guten Willen zu einer kooperativen Zusammenarbeit gezeigt. Sie verlangen von uns, Herr Minister, daß wir immer alle Ihre Vorschläge übernehmen. Wir haben eine solche Fülle von Vorschlägen gemacht, die es Ihnen erleichtert hätten, die Zustimmung der Opposition zu diesem Gesetz zumindest in wichtigen Teilbereichen global zu erhalten. Sie haben zusammen mit Ihren Kollegen von der Koalition alle diese Vorschläge in Bausch und Bogen abgelehnt. Wenn Sie sich jetzt hierher stellen und so tun, als ob die Opposition nicht bereit gewesen wäre, eine sachliche Arbeit mitzutragen, ist das eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit, die wir zurückweisen müssen.
({2})
Zweitens zum Herrn Kollegen Becker. Herr Kollege Becker, Ihr Dank an alle Beamtengruppen - und Sie haben ja fast keine Beamtengruppe ausgelassen -, ist doch in Wirklichkeit ein glatter Hohn. Erst werden die Beamten geprügelt, und dann stellen Sie sich hierher und bedanken sich. Das ist die Methode Zuckerbrot und Peitsche. Mit der lassen wir Ihre miserable Arbeit draußen nicht stehen.
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Wir werden dem öffentlichen Dienst das draußen so darstellen, wie es richtig ist.
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- Ja natürlich, wir machen keine außerparlamentarische Opposition, wie Ihnen das Herr Strauß gestern schon erklärt hat. Aber ich glaube, Herr Kollege, Sie waren gestern nicht im Saal; sonst hätten Sie diesen Zwischenruf gar nicht machen können.
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- Herr Kollege Becker, ich schätze Sie persönlich viel zu hoch ein, als daß ich Ihnen unterstellen könnte, das Gesetz nicht gelesen zu haben. Aber das müßten Sie doch wissen: In diesem sogenannten Haushaltsstrukturgesetz wird der öffentliche Dienst unbestrittenerweise überproportional belastet. Dieses Gesetz sieht Kürzungen in Höhe von 6 Milliarden DM vor, wovon allein auf den öffentlichen Dienst zunächst einmal eine halbe Milliarde DM entfällt. Rechnet man weitere Sparmaßnahmen hinzu, die keiner gesetzlichen Regelung bedürfen, so entfällt von der Gesamteinsparung von dann 7,9 Milliarden DM ein Kürzungsbetrag von 1,15 Milliarden DM allein auf den öffentlichen Dienst. Diese besonderen Eingriffe kommen zu den allgemeinen Belastungen hinzu, die in diesen Wochen und Monaten beschlossen werden. So werden auch die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst durch die Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages von 2 auf 3% selbstverständlich mit betroffen, um nur ein Beispiel zu nennen. Herr Kollege Becker, das beweist doch, daß diese Vorschläge unausgewogen sind und nur bestimmte Berufs- und Bevölkerungsgruppen treffen.
Drittens. Nun darf ich mich wieder an Sie, Herr Innenminister Maihofer, wenden. Der öffentliche Dienst bezahlt mit diesem Haushaltsstrukturgesetz die Zeche dafür, daß die Bundesregierung bei der Reform des öffentlichen Dienstrechts und bei der Reform der Struktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung in Wirklichkeit gescheitert ist.
Mit welchen großen Reformankündigungen wurde denn nicht 1970 die Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts ins Leben gerufen. Dann wurde ein umfangreicher Bericht dieser Kommission vorgelegt. Seit über drei Jahren ruht dieses Expertenmachwerk nun in den Büros und in den Amtsstuben des Innenministeriums. Mir ist gesagt worden, Sie hätten schon 20 oder 25 Vorlagen gemacht, die dem Bundeskabinett hätten vorgelegt werden sollen. All das ist nicht geschehen; die Reform des öffentlichen Dienstrechtes gehört, wie viele andere Reformankündigungen dieser sozialliberalen Regierung auch, zu den gescheiterten Reformvorhaben.
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Dazu gehört auch die gescheiterte Reform der Struktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung. Ich habe einen Auszug aus dem Bundeshaushaltsplan 1975 hier vorliegen. Da können Sie auf Seite 139 nachlesen, mit welch großen Worten ein eigener Kabinettsausschuß unter Mitwirkung und unter dem Vorsitz des Herrn Bundeskanzlers zur Reform der Struktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung eingesetzt worden ist. Sogar die Kollegen von SPD und FDP mußten sich unserem Antrag im Haushaltsausschuß anschließen, daß die Hunderttausende von D-Mark Haushaltsausgaben zur Finanzierung dieser Retormarbeit mit Ablauf dieses Haushaltsjahres wegfallen müssen, weil das Geld sonst zum Fenster hinausgeworfen wäre, da die Bundesregierung nicht in der Lage ist, diese Reform überhaupt anzupacken, geschweige denn zu verwirklichen. Dafür müssen die Beamten jetzt in diesem Gesetz von Ihnen Prügel bekommen.
Meine Damen und Herren, warum sprechen denn die Kollegen von der SPD in diesem Saal jetzt nicht von dem sogenannten Börner-Papier, Herr Kollege Börner? Ist das in Wirklichkeit der wahre Hinde13766
Dr. Riedl ({7})
rungsgrund, warum die Reform des öffentlichen Dienstrechts in unserem Lande nicht vorankommt? Haben Sie vielleicht ganz andere Absichten, um das öffentliche Dienstrecht zu verändern, und wollen Sie dies vor der nächsten Bundestagswahl nicht an die deutsche Öffentlichkeit heranbringen? Haben Sie Angst davor, daß Sie mit diesem Börner-Papier vielleicht einen Großteil der öffentlich Bediensteten verärgern? Auch dazu hätte ich gerne einmal von kompetenter Seite in dieser Debatte einiges gehört.
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Viertens. Meine Damen und Herren, die Regierung möchte überall und bei jedem sparen. Da wird über den Briefträger, den Lokführer, über die Krankenschwester, über die Lehrer, die Polizisten und über die Bundeswehr versucht, die Haushaltsmisere zu beseitigen. Nur dort, wo die Regierung selbst betroffen ist, spart sie nicht. Wir hätten hier mit unserem Antrag eine Brücke gebaut, die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre, die Zahl der Leitungsbeamten und vor allen Dingen die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit wieder auf den Stand des Jahres 1969 zurückzuführen. Statt dessen wurde auch dieser Antrag, der, wenn Sie ihn angenommen hätten, der Beitrag der Bundesregierung zum Haushaltsstrukturgesetz gewesen wäre, ebenfalls abgelehnt und zu den Akten geworfen. Damit beweist die Regierung, daß sie es in Wirklichkeit mit diesem Haushaltsstrukturgesetz nicht ehrlich meint. Das ist der Grund, warum wir von der Opposition dieses Gesetz in Bausch und Bogen ablehnen.
({9})
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich lasse nun über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4257 abstimmen, der eine Neufassung des Art. 2 des Gesetzentwurfes beinhaltet. Wer diesem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das Zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über Art. 2 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist mit umgekehrter Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Art. 3 bis 16 auf. Hierzu liegen keine Änderungsanträge und keine Wortmeldungen vor. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Art. 16 a. Es liegen die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4280 und der Abgeordneten Dr. von Bülow und Genossen auf Drucksache 7/4283 vor. Wer spricht für den erstgenannten Antrag der Fraktion der CDU/CSU?
({0})
Dann komme ich zum zweitgenannten Antrag der Abgeordneten Dr, von Bülow und Genossen. Das Wort dazu hat Herr Abgeordneter Becker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei den parlamentarischen Beratungen hatte der Bundesrat vorgeschlagen, einen Art. 16 a in dieses Gesetz mit aufzunehmen, der sich mit der Frage der bei den Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Beschäftigten im einzelnen auseinandersetzte. Die Bundesregierung hat im Grundsatz dem Begehren, das hier zum Ausdruck kam, zugestimmt. Ich glaube, daß es auch insgesamt in diesem Hause zu diesem Grundsatz eine breite Zustimmung gibt. Ich bin aber der Meinung, daß uns Einzelpassagen in der vom Bundesrat vorgesehenen Fassung in die schwierige Situation bringen, daß wir uns vorwerfen lassen müßten, wir wollten das Tarifrecht entweder einschränken oder aber zumindest tangieren. Ich meine, da wir über das Zweite Besoldungsneuregelungs- und -vereinheitlichungsgesetz eine Lösung gefunden haben, auch in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, daß wir bei der nächsten gesetzlichen Änderung hier einen Ansatzpunkt haben, das, was wir in diesem Bereich gemeinsam wollen, auch gemeinsam zu formulieren. Um hier nichts zu verbauen, soll daher der Art. 16 a in dieser Gesetzesvorlage gestrichen werden. Ich bitte um Zustimmung.
Meine Damen und Herren, wird weiterhin das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Über Streichungsanträge in der zweiten Lesung wird in der Weise abgestimmt, daß der Artikel selbst aufgerufen wird und diejenigen, die streichen wollen, mit Nein stimmen. Ich mache darauf aufmerksam.
Ich lasse also über Art. 16 a abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Niemand. Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist jedenfalls eindeutig; Art. 16 a ist damit gestrichen.
Meine Damen und Herren, ich komme zu Art. 17. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, und zwar zunächst Ziffer 2 des vorhin schon erwähnten Antrages der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/4280. Soll der Änderungsantrag begründet werden? - Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Haushaltsstrukturgesetz soll den Sinn haben, der wirtschaftlichen Entwicklung der jüngsten Vergangenheit auch auf dem Gebiete des Haushaltsrechts Rechnung zu tragen. Diese Zielsetzung sollte jedoch nicht dazu führen, ganz andere Ziele damit zu verbinden, wie es z. B. hier - gewollt oder ungewollt, das lasse ich völlig dahingestellt - durch die Nr. 2 des § 1 in Art. 17 geschieht. Wir beantragen, diese Nummer zu streichen.
Zur Begründung möchte ich kurz folgendes ausführen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben nach geltendem Recht zwei Aufgaben, erstens die Gewährleistung der ambulanten ärztlichen Versorgung gegenüber den Krankenkassen in ihren Verbänden und zweitens die Wahrnehmung der Rechte der Kassenärzte gegenüber den Krankenkassen. Damit erfüllen sie vollkommen andere Aufgaben, als es etwa die Träger der Krankenversicherung oder gar die Träger der Rentenversicherung tun. Wir sehen in dieser Vorschrift eine Einschränkung der Möglichkeiten zur Wahrnehmung der Rechte der Kassenärzte durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Über die Haushalte der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen etwa eine Kostendämpfung in der Krankenversicherung erreichen zu wollen, ist völlig abwegig, da es sich bei diesen Haushalten um reine Verwaltungshaushalte handelt, deren Umfang für das Problem der Kostendämpfung total irrelevant ist. Sie können damit die Beitragsbelastung des Versicherten weder vermindern noch vergrößern. Wer dies erkennt, meine Damen und Herren - und das ist die geltende Vertragslage -, wird unserem Antrag zustimmen müssen, es sei denn, er beabsichtige mit der Vorschrift des § 1 Nr. 2 in der Fassung des Haushaltsausschusses, die Aktionsfähigkeit der kassenärztlichen Selbstverwaltung mit ihrer Besonderheit einzuengen und zu beseitigen. Dies allerdings würde zwangsläufig die verfassungsrechtliche Frage aufwerfen, ob einem Kassenarzt in einer derart eingeschränkten Selbstverwaltung, d. h. bei derart eingeschränkten Möglichkeiten zur Vertretung seiner Rechte überhaupt noch die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft in den Kassenärztlichen Vereinigungen auferlegt werden kann.
Diese Gründe haben doch offensichtlich auch die Bundesregierung veranlaßt, den Besonderheiten der kassenärztlichen Selbstverwaltung in dem uns erst vor kurzer Zeit zugeleiteten Entwurf des Allgemeinen Teils eines Sozialgesetzbuches und auch des Kassenarztrechts, über das wir im Moment im Ausschuß verhandeln, Rechnung zu tragen. Wir bitten daher auch unter Hinweis auf diese beiden Gesetzentwürfe um die Annahme unseres Antrags.
({0})
Erlauben Sie mir, auch gleich zu dem Änderungsvorschlag von Abgeordneten der Koalition zum Art. 17 kurz folgendes auszuführen.
Der vom Haushaltsausschuß vorgeschlagene § 415 c - neu - RVO gleicht die Haushaltsaufsicht für die Träger der Krankenversicherung in vollem Umfang an die im Gesetz über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in den §§ 12 bis 14 festgelegte Aufsicht an. Das klingt zwar sehr einleuchtend - denn der Befürworter wird sagen, daß das, was für die Träger der Rentenversicherung Rechtens ist, den Trägern der Krankenversicherung billig sein muß -, jedoch vernachlässigt diese vordergründige Betrachtung die Aufgabenstellung in den verschiedenen Zweigen der Einrichtung unserer sozialen Sicherheit, über deren Unterschiedlichkeit, meine Damen und Herren - Sie können auch sagen: Gliederung -, in diesem Hause
bisher überhaupt keine Zweifel bestanden. Die Unterschiede reichen nun einmal von Einzelheiten der Finanzierung bis hin zu dem Leistungsrecht. Wir halten eine Bindung der Krankenversicherungsträger an die Vorschrift des § 13 Abs. 4 des BfA-Errichtungsgesetzes mit seiner Zwangsetatisierungsmöglichkeit für sachlich ungerechtfertigt und für die Durchführung der Aufgaben einer Krankenkasse unter Umständen hinderlich. Wir begrüßen deshalb, daß sich Abgeordnete der Koalition zu einem solchen Änderungsvorschlag durchgerungen haben.
({1})
Zur Begründung des Änderungsantrags der Abgeordneten Dr. von Bülow und Genossen hat das Wort der Abgeordnete Sund.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Frau Kollegin Dr. Neumeister, ich habe das Gefühl, Sie haben die Absicht, die in Art. 17 steckt, völlig mißverstanden. Sie haben hier auch eine Darstellung gegeben, die ich für ein bißchen aus der Luft gegriffen halten muß. Wenn hier an dieser Stelle dann gesagt worden ist, daß dann, wenn unser Vorschlag hinsichtlich der Kassenärztlichen Vereinigungen in der Weise, wie unser Vorschlag das mit dem Änderungsantrag zusammen vorsieht, Platz griffe, die Verfassungsfrage gestellt werden müßte, dann muß ich sagen, daß das doch wirklich reichlich hoch gegriffen ist.
Es geht doch hier um nichts anderes als darum, daß für das Haushaltsrecht auch in diesem Bereich, nämlich im Bereich der Krankenkassen, im Bereich der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, eine Regelung erforderlich ist, wie sie auch bei allen übrigen Körperschaften des öffentlichen Rechts gilt. Und zwar aus folgenden Gründen: Erstens, weil eine geordnete und kostenbewußte Haushaltsführung nur möglich ist, wenn ein genauer Überblick über die einzelnen Einnahme- und Ausgabepositionen besteht. Zweitens, weil nach der bisher in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Voranschlagspraxis von den Trägern teilweise nur ganz globale Positionen in Millionenhöhe angesetzt wurden und damit jegliches Planungs- und Steuerungsinstrument fehlt. Drittens, weil eine Dämpfung der Kosten, insbesondere im Bereich der Verwaltungskosten, erforderlich ist und diese durch eine haushaltsrechtliche Bindung an den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erwartet werden kann. Viertens schließlich - ich glaube, da müssen wir uns alle selber zum Vorwurf machen, daß wir erst heute über diesen Punkt sprechen -, weil das einem Gesetzgebungsauftrag nach den §§ 1 und 48 des Haushaltsgrundsätzegesetzes entspricht, der bereits seit dem Jahre 1969 besteht und der bis zum 1. Januar 1972 zu erfüllen gewesen wäre. Dieser Auftrag wird im übrigen in den Gemeinsamen Vorschriften des Sozialgesetzbuches auszufüllen sein, das noch in dieser Woche in erster Lesung hier eingebracht wird.
Die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen müssen, wie auch schon im Entwurf des soeben angesprochenen Teils der Gemeinsamen
Vorschriften des Sozialgesetzbuches vorgesehen und übrigens auch mit den Vereinigungen abgestimmt, aus Gründen der Gleichbehandlung in das Haushaltsrecht einbezogen werden. Bei den Kassenärztlichen Vereinigungen besteht bereits ansatzweise eine haushaltsrechtliche Regelung. Dies ist in § 368 n Abs. 3 RVO nachzulesen. Es muß aber Klarheit darüber bestehen, daß dieses Haushaltsrecht nur für den sogenannten Verwaltungshaushalt der Kassenärztlichen Vereinigungen Bedeutung hat, nicht aber für die im Auftrage der Ärzte zu verrechnenden Gelder, die bei den Kassenärztlichen Vereinigungen lediglich durchlaufen. Insofern kann das Haushaltsrecht gerade in dem besonders dringlichen Bereich des Verwaltungshaushalts zu einer Dämpfung der Kosten beitragen. Dies wird auch in dem Änderungsantrag, der hier von Koalitionsabgeordneten eingebracht worden ist, klargestellt. Es soll weiter klargestellt werden, daß Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen grundsätzlich dem Aufsichtsrecht unterliegen, das sich lediglich auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht erstreckt.
Ich bitte daher um Zustimmung zu Art. 17 unter Einbeziehung des Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen. Zugleich bitte ich den Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion Art. 17 abzulehnen.
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Wird zu Art. 17 und den beiden aufgerufenen Änderungsanträgen noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen dann zur Abstimmung über Ziff. 2 des Änderungsantrages der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4280. Danach soll in Art. 17 in § 1 die Nr. 2 gestrichen werden. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Damit ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Ziff. 1 des Änderungsantrags der Abgeordneten Dr. von Bülow und Genossen auf Drucksache 7/4275. Es geht dabei um Änderungen in Art. 17 § 1 Nr. 3. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Es ist einmütig so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über Ziff. 2 des Änderungsantrags auf Drucksache 7/4275. Es geht hier um eine Einfügung in den § 510. Wer diesem Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. von Bülow und Genossen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir stimmen nun über Art. 17 als Ganzen ab. Wer Art. 17 in der Ausschußfassung, jedoch mit den beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich komme einen Augenblick zu Art. 16 a zurück, Der Abgeordnete Gansel legt Wert auf die Feststellung, daß er - offenbar als einziges Mitglied dieses Hauses - für diesen Artikel, den das Haus gestrichen hat, gestimmt hat. Der Sitzungsvorstand bedauert, dies nicht gesehen zu haben.
Ich füge - weil es gewünscht worden ist - hinzu: In der Abstimmung über den Antrag auf Streichung des Art. 16 a wurde nur nach Zustimmung und Ablehnung gefragt. Wer sich der Stimme enthalten will, möge jetzt die Hand heben. - Ich stelle fest, daß einige Abgeordnete der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sich der Stimme enthalten haben.
({0})
Ich hoffe, damit allen berechtigten Wünschen Rechnung getragen zu haben.
Ich rufe nunmehr die Art. 18 und 19 auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Art. 20 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/4258 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor. Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({1}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Zusammenhang mit der Begründung unseres Antrages auf Streichung der Nr. 37 in Art. 20 § 1 - Drucksache 7/4258 - will ich einige der hier heute zur Beschlußfassung anstehenden Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes kritisch unter die Lupe nehmen.
Meine Damen und Herren der Koalitionsparteien, Sie haben mit Ihrer Mehrheit in den Ausschüssen des Bundestages die Erhöhung des Beitrages für die Bundesanstalt für Arbeit um 50% - von jetzt 2 % auf 3 % - beschlossen. Wir haben schon in der ersten Lesung dieses sogenannten Haushaltsstrukturgesetzes unsere Ablehnung deutlich gemacht und begründet.
Gerade die gestern veröffentlichten neuen Arbeitsmarktzahlen mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit im Monat Oktober um 55 000 auf 1 061 000, mit einer weiteren Abnahme der Zahl der offenen Stellen auf den niedrigsten Stand seit 1954 und mit der Zunahme der Zahl der Kurzarbeiter um 78 000 auf 760 000 zeigen deutlich, wie richtig die Forderung der CDU/CSU war und ist, vorrangig Arbeitslosigkeit zu beseitigen, statt sie zu bezahlen.
({0})
Die von Ihnen für den 1. Januar 1976 vorprogrammierte Erhöhung des Arbeitslosenbeitrages wird die Wirtschaft noch stärker belasten und die Kaufkraft der Arbeitnehmer einengen.
({1})
Gerade das Gegenteil wäre in dieser Situation notwendig!
({2})
Müller ({3})
Die Belebung der binnenländischen Nachfrage und die Stärkung der Investitionskraft zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sind vorrangige Aufgaben, die sich angesichts dieser schon lange bedrückenden Arbeitslosigkeit stellen. Wir verfolgen diese Entwicklung mit großer Sorge.
Meine Damen und Herren, selbst die den Sozialdemokraten nahestehende Gruppe von 40 oder 41 Professoren hat Ihnen ja unverblümt ins Stammbuch geschrieben, daß alles, was Sie bisher zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit und zur Ankurbelung der Wirtschaft getan haben, unsozial und unbrauchbar ist.
({4})
Die Analyse dieser Professoren kommt der Wahrheit sehr nahe, wenngleich die vorgeschlagenen Maßnahmen von uns natürlich nicht akzeptiert werden können.
({5})
Wenn Sie, meine Damen und Herren, diesen unseren Streichungsantrag ablehnen und gegen unsere Meinung den Beitrag für die Bundesanstalt für Arbeit erhöhen, belasten Sie sowohl die Wirtschaft als auch die Arbeitnehmer mit je 2 Milliarden DM.
({6})
Wenn Sie diesen unseren Antrag auf Streichung ablehnen, werden wir nicht nur den Art. 20 dieses Gesetzes, sondern das gesamte Haushaltsstrukturgesetz ablehnen müssen.
({7})
Die Tatsache, daß wir keine weiteren Änderungsanträge zu Art. 20, also zum Arbeitsförderungsgesetz, gestellt haben, soll deutlich machen, welche Bedeutung wir gerade diesem arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisch wichtigen Problem des Beitragssatzes zumessen.
Wir haben darüber hinaus noch einige sehr schwerwiegende Bedenken, weil in den von Ihnen beschlossenen Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes die Zielsetzung ganz entscheidend verändert wird. 1969, bei der Verabschiedung dieses wichtigen, in der Gesellschafts- und Sozialpolitik richtungweisenden Gesetzes, war das erklärte Ziel, Arbeitslosigkeit nicht nur zu lindern, nicht nur zu beseitigen, sondern nach Möglichkeit zu verhindern. Wir haben in völliger Übereinstimmung in diesem Hause in der Förderung vor allem der beruflichen Mobilität eine entscheidende Aufgabe gesehen. Dabei sollten diese beruflichen Bildungsmaßnahmen im Rahmen der arbeitsmarktpolitischen Notwendigkeiten und einer vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik gefördert werden.
Dieses Ziel wird durch Ihre Beschlüsse, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, in Frage gestellt.
({8})
Sie engen den Kreis der förderungsfähigen und förderungswilligen Arbeitnehmer entscheidend ein und
gefährden gerade damit die Maßnahmen, die angesichts der erschreckend hohen Zahl der jugendlichen Arbeitslosen und bei der Wiedereingliederung der Frauen zwingend notwendig sind.
({9})
Besonders gefährdet ist aber die Zielsetzung vorausschauender beruflicher Bildungsmaßnahmen durch die Neufassung der Vorschriften über das Unterhaltsgeld. Ich spreche hier nicht von der Herabsetzung des Unterhaltsgeldes von 90 %auf 80%; dem können wir zustimmen. Aber dieses Unterhaltsgeld von 80 °/o sollen ja nach Ihrer Auffassung nur diejenigen Arbeitnehmer erhalten, die arbeitslos sind oder unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Unseren Antrag im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, die unmittelbare Bedrohung von Arbeitslosigkeit zu streichen, haben Sie abgelehnt. All Ihre Zusicherungen, daß in diesem Kreis der unmittelbar von Arbeitslosigkeit Bedrohten auch diejenigen Arbeitnehmer erfaßt würden, die infolge der Änderung der Wirtschaftsstruktur auf längere Sicht ihren Arbeitsplatz verlieren, können angesichts der Formulierung des Gesetzestextes einfach nicht überzeugen.
Die ganz entscheidende Veränderung der Zielsetzung arbeitsfördernder Maßnahmen liegt allerdings in der Kürzung des Unterhaltsgeldes auf 58 % des letzten Nettolohns für alle diejenigen, die sich beruflichen Bildungsmaßnahmen unterziehen und nicht zum Personenkreis der arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedrohten Arbeitnehmer oder zu den Ungelernten gehören. Meine Damen und Herren, Sie bauen damit die einzige erfolgversprechende berufliche Bildungsmaßnahme ab, nachdem Ihre gesamte Bildungspolitik, vor allem Ihre Hochschulpolitik, kläglich gescheitert ist.
({10})
Sie wissen genauso wie wir, daß berufsbezogene Bildungspolitik in den kommenden Jahren so notwendig wie das tägliche Brot ist.
Die Arbeitnehmerorganisationen, die Gewerkschaften, haben bei der Sachverständigenanhörung im Ausschuß und in ihren Veröffentlichungen unmißverständlich auf die von ihnen nicht zu billigende Veränderung der Zielsetzung des Arbeitsförderungsgesetzes hingewiesen, und ich stimme nachdrücklich dem stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Gerd Muhr, zu, daß dieses Haushaltsstrukturgesetz völlig außer acht läßt, daß Maßnahmen der beruflichen Fortbildung und Umschulung nicht nur unter dem Gesichtspunkt der kurzfristigen Anpassung an aktuelle Arbeitsmarktentwicklungen gesehen werden dürfen. Die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft sowie die Sicherung der Arbeitsplätze sind davon abhängig, daß ein weitaus größerer Teil der Beschäftigten höhere oder andere Qualifikationen erwirbt. Dieses entscheidende arbeitsmarktpolitische Ziel wird von Ihnen hiermit radikal verändert.
({11})
Ein anderes Problem! Sie wollen bei der Bundesanstalt für Arbeit jährlich 50 Millionen DM einsparen, indem Sie den Begriff der zumutbaren Be13770
Müller ({12})
schäftigung angeblich präzisieren. Sie wissen so gut wie ich, daß Fachleute der Arbeitsverwaltung, also Praktiker, die Auffassung vertreten, daß das eine Phantasiezahl ist, die sich weder der Sache noch der Höhe nach rechtfertigen läßt. Zum Teil fordert dieser Paragraph nicht mehr als das, was schon jetzt nach den derzeitigen Vorschriften und Anordnungen der Bundesanstalt zu beachten ist. Ob eine zugewiesene Arbeit zumutbar ist oder nicht, kann jeweils nur im Einzelfall entschieden werden. Einen abhakbaren Katalog können Sie in einem Gesetz überhaupt nicht aufstellen. Die Arbeitsämter hatten auch bisher schon die Möglichkeit, die Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsangebots mit einer Sperrfrist beim Bezug von Arbeitslosengeld zu ahnden. Es ist einfach eine Tatsache, daß nur 0,5 % der Arbeitslosen mit einer solchen Sperrfrist belegt worden sind.
Diese Tatsachen beweisen doch, daß Sie mit der angeblichen Präzisierung des Begriffs der zumutbaren Arbeit in Wirklichkeit andere Ziele verfolgen. Sie wollen von Ihrer eigenen Unfähigkeit, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, ablenken und den Arbeitslosen, der Arbeitslosengeld bezieht, zum Schmarotzer der Gesellschaft stempeln.
({13})
Diffamierende Angriffe gegen die Arbeitslosen sind ja in der letzten Zeit reichlich gestartet worden. Es ist der Versuch, gewisse Randerscheinungen, die auch wir bedauern, zum Mittelpunkt der Betrachtungen zu machen,
({14})
um vom eigentlichen Mittelpunkt, der von Ihnen mitverschuldeten Arbeitslosigkeit, abzulenken.
({15})
Meine Damen und Herren, spätestens in diesem Winter, wenn immer mehr Arbeitslose die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ausgeschöpft haben und Arbeitslosenhilfe beantragen, wird deutlich, daß Sie mit dieser Methode nicht durchkommen. Die Tatsache, arbeitslos zu sein, bedeutet auch heute noch für die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer nicht nur eine ernst zu nehmende materielle Einbuße, sondern auch eine große psychische Belastung.
({16})
Wenn bei der Arbeitslosenhilfe, deren Höhe noch wesentlich unter dem Arbeitslosengeld liegt, der Gang zum Sozialamt dazukommt, weil die Sozialhilfe höher ist als Arbeitslosenhilfe, dann wird wohl deutlich, daß Sie mit diesem Versuch, die Arbeitslosen zu den Schuldigen der Arbeitslosigkeit werden zu lassen, scheitern müssen.
({17})
Ich sagte: Ob eine Arbeit zumutbar ist, kann man nur im Einzelfall entscheiden. Das gilt sowohl für die berufliche Tätigkeit als auch für den arbeitsbedingten zumutbaren Weg. Nicht die Weite des Weges zur Arbeit, sondern der arbeitsgebundene An- und Abmarschweg, also sein Zeitfaktor, spielt eine Rolle ebenso wie der Geldfaktor dieses Arbeitsweges und die Frage, ob und welche Verkehrsverbindungen überhaupt bestehen.
Besonders gefährlich wird es aber in dem Absatz, wo es um die Höhe des Lohnes geht. Hier hat Ihnen ja das zuständige Vorstandsmitglied für Sozialpolitik bei der Industriegewerkschaft Metall, Jansen, das Notwendige schon ins Stammbuch geschrieben. Jansen befürchtet nach meiner Auffassung zu Recht, daß diese zusätzliche Regelung die unkontrollierte Möglichkeit gibt, Arbeitssuchende in niedrigere Lohn-und Gehaltsgruppen einzustufen. Er befürchtet, daß bei den Arbeitnehmern ein Rotationsverfahren in Gang gesetzt würde und daß die mühsam hergestellte Vertrauenswürdigkeit der Arbeitsämter bei den Arbeitnehmern wieder in Mißkredit gebracht wird. Was Sie hierbei völlig außer acht lassen, ist der Versuch einer durch das Arbeitsförderungsgesetz sanktionierten Lohn- und Gehaltsdrückerei oder ungleicher Behandlung bei gleicher Arbeit.
Noch ein Wort zur Arbeitslosenhilfe. Sie übertragen die Kosten der Arbeitslosenhilfe auch für die nächsten fünf Jahre auf die Bundesanstalt für Arbeit und damit auf die Beitragszahler. Sie überwälzen damit weiter ein Risiko auf die Arbeitslosenversicherung, das von ihr nicht zu tragen ist. Die von Ihnen mit der Beitragserhöhung gewünschte Verbesserung des Haushalts der Bundesanstalt wird dadurch wieder entscheidend verschlechtert.
Die Haushalts- und Vermögenspolitik der Bundesanstalt haben es dem Bundesarbeitsminister besonders angetan. Die Debatte im März dieses Jahres bei der Verabschiedung des Haushalts 1975 mit der Kontroverse zwischen dem Bundesarbeitsminister und mir hat das ja wohl sehr deutlich gemacht. Seine Ausführungen, die damals nicht den Tatsachen entsprachen und von seinem Parlamentarischen Staatssekretär in der Fragestunde des Bundestages korrigiert werden mußten, seien hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Ich billige Ihnen ausdrücklich zu: Die Bestimmungen über die Rücklage müssen so verändert werden, daß die Zahlungsfähigkeit der Bundesanstalt den Vorrang hat. Ich bin auch mit den Prozentsätzen einverstanden, die Sie zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit im Gesetz niedergeschrieben haben. Ich darf auf den Bundesrechnungshof verweisen.
Ganz und gar nicht einverstanden bin ich allerdings mit Ihrer Forderung, alle Beschlüsse des Vorstands der Bundesanstalt für Arbeit über die Anlage des Vermögens von der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit abhängig zu machen. Damit entmachten Sie die Selbstverwaltung, die einen solchen Maulkorberlaß nicht verdient.
({18})
Die politische Ingriffnahme der Bundesanstalt für Arbeit über ihre Anlagepolitik ist der Versuch des Bundesarbeitsministers, Initiativen und Erfolge der Selbstverwaltung politisch an seine Fahne zu heften. Wenn dieser Bundesarbeitsminister nicht zur Unzeit weiter den gekürzten Beitrag erhoben hätte, wären in diesem Jahr die Zuschüsse für die BunMüller ({19})
desanstalt nicht in so schwindelnder Höhe notwendig geworden, wie sie heute sind.
({20})
Sachliche Überlegungen können bei dieser Entscheidung keine Rolle gespielt haben.
Aber nicht nur an diesem Beispiel wird deutlich, welche Bedeutung Sie den Selbstverwaltungsorganen in der Sozialversicherung zumessen. Die allenthalben zu beobachtende Einschränkung dieser Rechte gibt zu ernster Sorge Anlaß. Unsere Auffassung von der Zuordnung von staatlichen und gesellschaftlichen Kräften ist nicht die politische Ingriffnahme der Selbstverwaltung, sondern die verantwortliche Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane im Rahmen der gesetzlichen Notwendigkeiten.
Ein letztes Wort - Herr Präsident, ich bin gleich fertig - zu den Einsparungsabsichten und zu den finanzwirksamen Zahlen dieses Art. 20. Die Fachleute der Bundesanstalt für Arbeit sind hinsichtlich des Erreichens und der Realisierbarkeit nahezu aller dieser Einsparungszahlen vorher nicht gefragt worden. Die „freischaffenden Künstler" im Bundesministerium für Arbeit haben nach dem Grundsatz gehandelt: Was kümmert mich der Sachverstand; ich muß sparen, also streiche ich. Bei der Einschränkung der Förderung beruflicher Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen soll von 1976 an der Spareffekt von 478 Millionen DM bis 1979 auf 1,22 Milliarden DM gesteigert werden. Insgesamt soll die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes in Art. 20 zu Sparwirkungen von 750 Millionen DM in 1976, bis zu 1,6 Milliarden DM in 1979 führen. Meine Damen und Herren, diese gewissermaßen im „unsortierten Zugriff" hingeschriebenen Zahlen über Einsparungsmöglichkeiten geben nichts anderes wieder als die Wirkung der Rechtsverkürzungen zu Lasten der Arbeitnehmer und die Einbeziehung einer schon vorher einkalkulierten Inflationsrate. Ich betrachte diese Zahlen als ein Täuschungsmanöver.
Ich fasse zusammen. Erstens: Wir beantragen die Streichung der Beitragserhöhung. Zweitens: Wenn Sie diesem Antrag nicht folgen, lehnen wir Art. 20 ab. Drittens: Das bedeutet eine Ablehnung des gesamten Gesetzes, das ohnehin, am Beispiel des Arbeitsförderungsgesetzes nachgewiesen, unausgegoren, in vielen Detailfragen falsch, in mancher Zielsetzung gefährlich und im finanziellen Einsparungsvolumen höchst fragwürdig ist.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sehr verehrte Herr Vorredner hat soeben einen beredten Schwanengesang auf das Arbeitsförderungsgesetz angestimmt.
({0})
Das tut er in letzter Zeit häufiger. Das ist offenbar
sein rhetorisches Scherflein zu Ihrer Krisenstrategie.
Ich weiß nicht, wer ihn dazu zwingt. Er als einer der
Experten des Arbeitsförderungsgesetzes dürfte sich eigentlich nicht zu leichtfertig auf demagogisches Glatteis begeben.
({1})
Mein Vorredner weiß besser als mancher Abgeordnete seiner Fraktion, daß eine Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes überfällig war. Sie wäre auch ohne die gegenwärtige schwierige Haushaltslage von Bund und Bundesanstalt gekommen, übrigens dankbar begrüßt von der Bundesanstalt. Sie war notwendig, um, wie der Arbeitsminister schon mehrmals treffend formuliert hat, Wildwuchs zu beschneiden, überzogene Ansprüche zurechtzurücken, Inhalt und Sinn des Gesetzes den Betroffenen und den Gerichten deutlicher zu machen. Wären Sie an der Regierung, hätten Sie auch novellieren müssen, und niemand hätte Sie dafür tadeln können.
({2})
- Wir machen nur Vernünftiges.
Mit der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes betrat der Gesetzgeber in der Zeit der Großen Koalition sozialpolitisches Neuland. Es war damals gar nicht zu übersehen, ob alle Paragraphen, wie gewünscht, greifen würden. Die Praxis allein ist
- die Erkenntnisse liegen jetzt vor - Grund für uns zu handeln. Viele der beabsichtigten Änderungen werden das Gesetz praktikabler machen.
({3})
Es wird den „Dauerumschüler" nicht mehr geben. Wir werden erleben, daß sich künftig nicht auf wundersame Weise die Kurzarbeit in Feiertagswochen ballt. Die Förderung der Nichtbeitragszahler wird auf einen vernünftigen Umfang zurückgeschnitten. Statt dessen werden wir die Förderungsbedürftigen stärker begünstigen als die nur Aufstiegswilligen. Die Leistungen werden entsprechend differenziert. Wir werden das AFG, Herr Katzer, transparenter machen. Wir werden der Findigkeit bei der Terminierung der Kurzarbeit mit dem Entwurf Grenzen setzen. Wir werden wohlabgewogen die Interessen der Arbeitslosen und der Gemeinschaft aller Beitragszahler ordnen, und wir werden die Finanzen der Bundesanstalt stabilisieren.
({4})
Das sind alles Ziele, die eigentlich auch Ihre Ziele sein müßten, Herr Müller - da Sie etwas davon verstehen -, falls es Ihre Ziele sein dürften.
({5})
Natürlich zwingt uns die Haushaltslage von Bund und Bundesanstalt zu schmerzhaften Eingriffen. Es ist uns nicht leichtgefallen, das Unterhaltsgeld für die Zweckmäßigkeitsfälle auf 58 % des letzten Verdienstes zurückzuschneiden; 68 % wären schöner, zugegeben. Aber das wäre bei Beibehaltung aller sonstigen Leistungen des AFG nicht möglich gewesen. Da wir, der Staat und die Bundesanstalt, I nicht im Lotto spielen können, um Defizite abzu13772
decken, da wir gezwungen sind, solide zu wirtschaften,
({6})
kommt es darauf an, bei allen notwendigen Einsparungen die Substanz der Arbeitsförderung zu erhalten. Das müßte unser Anliegen sein.
Das war unser Ziel; wir haben es erreicht, und wir werden es mit Zähnen und Klauen verteidigen.
({7})
Schauen Sie, ehe Sie so laut rufen, besonders die Kollegen, die weniger mit dem AFG befaßt sind: Der Arbeitslose, der von der Arbeitslosigkeit unmittelbar bedrohte, auch der vom Strukturwandel bedrohte und der beruflich noch nicht qualifizierte Arbeitnehmer kann auch künftig bei notwendigen Umschulungs- und Förderungsmaßnahmen mit der Förderung von 80% Unterhaltsgeld rechnen. Experten nennen das die Notwendigkeitsfälle. Es ist der Personenkreis, bei dem Umschulung und weitere Qualifizierung notwendig sind, um sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten zu können. Hier bleiben die Hilfen, hier greifen die Hilfen, und hier sind sie auch dringend erforderlich.
Notwendigkeitsfälle sind für uns aber auch aus dem Kreis der Nichtbeitragszahler die Witwe, die wegen Verlustes ihres Ehegatten wieder ins Erwerbsleben eingegliedert werden muß, der Ehegatte, der wegen Zerstörung seiner Ehe Hilfen zur Wiederaufnahme im Berufsleben benötigt, der Landwirt, der seinen Hof aufgeben muß, und auch der kleine Unternehmer, der ein Rezessionsopfer wurde
({8})
und jetzt eine neue berufliche Chance braucht.
Wir erwarten allerdings, daß der eben genannte Personenkreis nach der Förderung auch tatsächlich ins Erwerbsleben tritt. Tut er dies aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht, sind die Hilfen zurückzuzahlen. Die Bundesanstalt wird, so erwarten wir es, und so schreiben wir es auch ins Gesetz, die Notwendigkeit unter Würdigung aller Umstände der Betroffenen festzustellen haben.
Der andere Kreis, die Aufstiegswilligen, deren Förderung zweckmäßig erscheint, wird auch künftig nach dem AFG gefördert, allerdings nur noch mit einem Unterhaltsgeld von 58 % des früheren Einkommens. Das ist ein Einschnitt, der aus haushaltspolitischen Gründen unumgänglich war; es ist aber auch ein Einschnitt, der den Bildungswilligen nach wie vor die weitere Qualifizierung nicht unmöglich macht.
Sie sehen das anders, Herr Müller. Sie sehen das wider besseres Wissen anders.
({9})
Sie wissen nämlich sehr wohl - das ist im Anhörungsverfahren gesagt worden -, daß die finanzielle Förderung nur eine Motivation für den Aufsteiger war und ist.
({10})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Blüm?
Nein.
({0})
Vor dem AFG haben sich die Arbeitnehmer zu Meistern, zu Technikern weitergebildet. Sie haben damals große zeitliche und finanzielle Opfer auf sich genommen. Das AFG hat ihnen den Aufstieg erleichtert, ja, es hat in erheblichem Umfang die Qualifizierung der bereits Qualifizierten begünstigt, nicht das, was wir damals alle in erster Linie wünschten, nämlich die Weiterbildung der noch nicht Qualifizierten, um sie fähig zu machen, im Arbeitsleben zu bestehen.
Wir besinnen uns auf diese Grundziele des Gesetzes. Wir erhalten auf niedrigerem Niveau die Substanz der Förderung der Aufsteiger, und wir sind sicher, daß auch künftig bildungsbereite Arbeitnehmer das Angebot des AFG in Anspruch nehmen werden. Untersuchungen der Bundesanstalt die Sie wohlweislich nicht in Ihre Rede eingeführt haben, stützen diesen Optimismus.
({1})
- Es ist wahr! Es ist gesagt worden, daß die finanzielle Seite nur eine Motivation ist. Die Mehrheit der Versicherten - dessen bin ich gewiß - hat Verständnis für unsere Entscheidungen; wir erleben es täglich in den Versammlungen.
({2})
Lassen Sie mich zur Zumutbarkeit kommen. Ich kann verstehen, Herr Müller, wenn Sie genüßlich ablehnende Stellungnahmen von DGB-Kollegen zitieren.
({3})
Ich kann nicht mehr verstehen, wenn Sie verschweigen, wie dieses Problem eigentlich im Gesetzentwurf und im Ausschußbericht der Regierungsparteien gelöst wurde.
({4})
Lassen Sie mich sagen: Auch künftig wird kein Arbeitsloser zu unzumutbaren Bedingungen zur Arbeitsaufnahme genötigt.
({5})
Im Gegenteil: jeder Betroffene weiß künftig klarer als bisher, was noch als zumutbar anzusehen ist und was nicht. Dabei formulieren wir ja nur Grundsätze. Kein Gesetz könnte für jeden Einzelfall die adäquate Entscheidung festschreiben. Das haben wir auch dem DGB gesagt,
({6})
und das wird im Bericht deutlich. Wir formulieren
- was Sie vergessen haben -, daß die Situation
des Arbeitsmarktes sowie die Interessen der Arbeitslosen und der Beitragszahler zu berücksichtigen sind. Wir sagen im Klartext des Gesetzes, daß niemand eine Arbeitsaufnahme deswegen ablehnen kann, weil die Arbeit nicht seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit entspricht - das ist nicht strittig -, weil der Beschäftigungsort weiter vom Wohnort entfernt ist als sein früherer - hier ist natürlich der Zeit- und Finanzaufwand, der dem Arbeitslosen entsteht, zu würdigen -, und es ist nicht unzumutbar, eine Arbeit aufzunehmen, weil die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind als die bisherigen, insbesondere nur der Tariflohn gezahlt wird. Im Bericht aber ergänzen wir, daß immer auch die persönlichen Umstände des Betroffenen zu berücksichtigen sind.
({7})
- Weil wir keinen Katalog schreiben wollten.
Wir sagen beispielsweise sehr präzise, daß nicht jeder Tariflohn zumutbar ist, daß es auf den Einzelfall ankommt, und wir verdeutlichen, daß niemand daran denkt, mögliche Lohndrückermethoden einzelner Unternehmen zu unterstützen oder auch nur zu tolerieren.
({8})
Die Opposition wirft uns vor, wir sähen in den Arbeitslosen Drückeberger. Diesen Vorwurf machen Sie wider besseres Wissen; ich weise ihn mit Schärfe zurück.
({9})
Die Opposition will dieser Regierung die Möglichkeit zur Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um je ein halbes Prozent
({10}) für Arbeitnehmer und Arbeitgeber verweigern.
({11})
Wie Sie die Finanzierungslücke der Bundesanstalt schließen wollen, verschweigen Sie wiederum. Statt dessen retten Sie sich in den rhetorischen Trick, zu erklären, es käme nicht in erster Linie auf die Finanzierung der Arbeitslosigkeit, sondern auf deren Beseitigung an.
({12})
Natürlich kommt es auf die Beseitigung an, aber wenn Arbeitslose da sind, muß für sie gesorgt werden.
({13})
Wer der Bundesanstalt das Geld verweigert, handelt unredlich und nach Sonthofen-Manier.
({14})
Mit Milliardenaufwand hat diese Bundesregierung durch konjunkturbelebende Maßnahmen den
Anstieg der Arbeitslosenzahlen in Grenzen gehalten,
({15}) [CDU/CSU] : Das darf
nicht wahr sein! - Weitere Zurufe von der
CDU/CSU)
ein Ergebnis, um das uns andere Staaten beneiden. Selbst Herr Stingl hat gestern sehr viel optimistischer gesprochen als Sie.
({16})
Allein durch die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesanstalt
({17})
werden wir in diesem Jahr 150 000 Arbeitsplätze sichern bzw. Arbeitslose wieder in Arbeit bringen. Das ist aktive Beschäftigungspolitik! Die Aufrechterhaltung der vollen Leistungen für die Arbeitslosen und Kurzarbeiter ist aktive Solidarität mit ,den rezessionsgeschädigten Arbeitnehmern.
({18})
Im Anhörungsverfahren - auch das haben Sie verschwiegen - haben Gewerkschaften und Bundesvereinigung der Arbeitgeber dieser Politik zugestimmt. Auch das war aktive Solidarität. Sie wird von der Bevölkerung, sie wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen, nur nicht von Ihnen.
({19})
Sind Sie sich eigentlich sicher, daß Sie sich in einer solchen Frage ungestraft aus der Solidargemeinschaft aller herausstehlen können?
({20})
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Von Franz Josef Strauß gestern bis zu meinem verehrten Kollegen vorhin haben die Sprecher der Opposition mit beträchtlichem Stimmaufwand einen Marsch rund um die Mauern von Jericho inszeniert. Es wird ein langer, ein sehr langer Marsch werden.
({21})
Ihre Reden haben gezeigt, daß Ihnen die einheitliche Liturgie fehlt
({22})
und daß es Ihnen an den Instrumenten mangelt. Unsubstantielles Kriegsgeschrei - das sollten Sie eigentlich wissen - bringt die Mauern der Regierung und der Koalition nicht zum Einsturz. Marschieren Sie weiter im Kreise!
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweifellos gehört das Arbeitsförderungsgesetz zu den wichtigsten Gesetzen unserer sozialen Sicherung; denn die ausreichende materielle Sicherung bei Arbeitslosigkeit durch die Zahlung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, aber auch die Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen bei drohender Arbeitslosigkeit bleiben unverändert die Hauptziele des Gesetzes. Hieran ändert im Prinzip auch das Sparprogramm nichts.
Wir müssen uns allerdings fragen, ob nach sechs Jahren Erfahrung mit diesem Gesetz - natürlich auch wegen der angespannten Finanzlage der Arbeitslosenversicherung - noch alle Leistungen in vollem Umfang mit dem Solidaritätsgedanken einer Versicherung zu vereinbaren sind. Ich denke, auch draußen wird nur zu oft übersehen, wer z. B. die Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen bezahlt. Das ist ja nicht die Gesamtheit aller Steuerzahler, sondern allein eine Gruppe in dieser Gesellschaft, es sind allein die Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber. Die Arbeitslosenversicherung ist eben eine Solidargemeinschaft - ähnlich wie die Krankenversicherung, ähnlich wie die Rentenversicherung -, in der von den Versicherten durch die Zahlung von Beiträgen das Risiko des Arbeitsplatzverlustes gemeinsam getragen wird. Es ist daher, so meine ich, im Prinzip richtig, wenn z. B. bei den Leistungen zwischen Beitragszahlern und Nichtbeitragszahlern differenziert wird, wenn Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, die zur Arbeitsplatzsicherung nicht unbedingt erforderlich sind, auf ihre arbeitsmarktpolitische Notwendigkeit hin überprüft werden.
Meine Damen und Herren, die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ist daher nicht allein unter den aktuellen finanzpolitischen Aspekten zu sehen, sondern stellt auch eine notwendige Reform auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre dar. Sie wissen, daß sich die FDP-Fraktion bereits seit vielen Monaten mit diesem Thema befaßt hat. Ein Teil der von uns schon lange vor der Diskussion über die finanzielle Lage vorgelegten Änderungsvorschläge ist ja auch in Art. 20 des Haushaltsstrukturgesetzes eingebaut worden. Wenn nun die Arbeitsförderung auf ihre eigentlichen Zielsetzungen zurückgeführt und den aktuellen arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen angepaßt wird, so bedeutet das vor allem eine Konzentration der Mittel auf die Hilfe für Arbeitslose und auf die Hilfe für solche Arbeitnehmer, die durch fehlende Ausbildung oder den falschen Beruf von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Für diesen Personenkreis - das ist das Wesentliche - gelten Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen mit einem nur von 90 auf 80 % des früheren Nettoeinkommens reduzierten Unterhaltungsgelds unverändert.
Anders sieht es allerdings in Zukunft aus für Arbeitnehmer, deren Arbeitsplatz nicht gefährdet ist, die sich aber fortbilden lassen wollen, um ein höheres Einkommen zu erzielen. Diese erhalten ein Unterhaltsgeld etwa in der Höhe der Arbeitslosenhilfe. Ich denke, man kann ohnehin sehr wohl die Frage stellen, ob nicht Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei diesen Bildungsmaßnahmen, also bei den Bildungsmaßnahmen, die arbeitsmarktpolitisch nicht unbedingt notwendig sind, in der Vergangenheit oft sehr individuelle Wünsche auf Berufsbildung und auch Allgemeinbildung finanziert haben, die, so wichtig und richtig sie auch für den einzelnen sein mögen, wohl eigentlich mehr in die gesamtgesellschaftliche bildungspolitische Verantwortung hineingehören und in ihrer Finanzierung nicht einem Teil der Gesellschaft allein angelastet werden können.
Dennoch ist die Reduzierung des Unterhaltsgeldes für arbeitsmarktpolitisch nicht notwendige, aber zweckmäßige Bildungsmaßnahmen nicht ganz unproblematisch. Das möchte ich für meine Fraktion in aller Offenheit sagen.
({0})
Sie könnte nämlich wegen des niedrigen Satzes - 58 % ist eben nicht sehr viel - zur Austrocknung dieses Zweiges der Fortbildung und Umschulung führen. Deshalb wird die Bundesregierung auf Initiative der FDP prüfen, ob nicht die Differenz zwischen den Unterhaltsgeldsätzen von 58 und 80 % auf Antrag durch Darlehen ausgeglichen werden kann. Diese Darlehen könnten nach unserer Meinung ohne Belastung der öffentlichen Haushalte vom Darlehensnehmer direkt auf dem freien Kapitalmarkt aufgenommen werden, wobei natürlich sichergestellt werden müßte, daß die Bundesanstalt für Arbeit die Ausfallbürgschaft und die Zinsen übernimmt. Ich hoffe, zu diesem Kapitel ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Aber ich denke, an diesem Beispiel wird auch deutlich, wie sehr sich die Sozialpolitiker der Koalitionsfraktionen bei den Ausschußberatungen im Rahmen des finanziell Möglichen um eine Verbesserung des Regierungsentwurfs bemüht haben. So haben SPD und FDP bei den Beratungen durchgesetzt, daß auch Antragsteller, die nicht Beitragszahler sind bzw. nicht die erforderlichen Beitragszeiten nachweisen können, die vollen Zuschüsse von 80 % erhalten, wenn sie aus persönlich zwingenden Gründen eine Arbeit aufnehmen müssen, jedoch ohne Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme voraussichtlich keinen Arbeitsplatz finden. Diese durch die Koalitionsfraktionen erreichte Verbesserung hat z. B. zweifellos sehr große Bedeutung für geschiedene Frauen, die lange Zeit nicht mehr im Beruf standen.
Der Regierungsentwurf sah für diese und andere Fälle Leistungen nur in Form von Darlehen vor. Darlehensaufnahmen in dieser Größenordnung, d. h. also in einer Größenordnung, die dem gesamten Unterhaltsbedarf während der Schulungszeit entspricht, wäre aber in vielen Fällen kaum zumutbar, weil nicht zurückzahlbar. Gestatten Sie, Herr Kollege Lutz, eine freundschaftliche Anmerkung: Hier irrt sich entweder „Welt der Arbeit", oder Herr Kollege Lutz irrt sich. Eine Forderung der FDP, einen wesentlichen Teil der Umschulung voll auf Darlehen abzustellen, hat es nie gegeben.
({1})
Unser Vorschlag behandelt die Aufstockung, die Zahlung eines Darlehens in der Größenordnung der Differenz zwischen den Unterhaltsgeldsätzen von 58 und 80 %. Wir wissen auch, daß ein Antragsteller wohl kaum in der Lage sein wird, einen Betrag von 20 000 bis 30 000 DM zurückzuzahlen. Auch hierdurch würde selbstverständlich der gute Zweck der Umschulung und Fortbildung von vornherein verhindert.
Meine Damen und Herren, die Änderung des Gesetzes führt in vielen Teilen zu einer Straffung der Vorschriften, z. B. zur Verhinderung des Mißbrauchs von Förderungsmaßnahmen durch die sogenannten Durchstarter oder Berufsumschüler. Die Änderungen führen aber auch zur schnelleren Vermittlung von Arbeitslosen durch die Konkretisierung des Begriffs der Zumutbarkeit für eine neue Beschäftigung, wobei wir ausdrücklich festgestellt haben, daß hierbei die Interessen des Arbeitslosen berücksichtigt werden müssen.
Der Antrag der Opposition auf Streichung der Beitragserhöhung, den wir erwartet haben, ist uns heute morgen auf den Platz gelegt worden. Er ist sicher sehr wohlgefällig. Ich möchte sagen: er ist eigentlich rührend. So einfach hat es in diesem Geschäft eine Opposition. Alles, was unpopulär ist - das sind natürlich Beitragserhöhungen und Steuererhöhungen immer , wird abgelehnt. Während wir in den Koalitionsfraktionen uns stundenlang den Kopf darüber zerbrochen haben, ob es nicht doch andere Wege gibt, die Beitragserhöhung zu umgehen, schreiben die Kollegen der Opposition nun einfach ihren Ablehnungsantrag, ohne, Herr Kollege Müller, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, wie denn nun das Defizit bei der Bundesanstalt abgedeckt werden soll, und ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, ob Sie es möglicherweise für vertretbar halten, die Kreditaufnahme des Haushalts noch um rund 4 Milliarden DM zu erhöhen. Da hier aber, ich muß sagen, der seriöse Teil des Antrages fehlt, nämlich der Deckungsvorschlag, können wir diesen Antrag eigentlich nicht so ganz ernst nehmen und werden ihn deshalb ablehnen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich für meine Fraktion zum Schluß noch eines sagen. Wir haben uns bemüht, in der Ausschußfassung einen Entwurf zur zweiten und dritten Lesung vorzulegen, der nicht nur finanzpolitisch vertretbar ist. Der für unsere Gesellschaft so wichtige Solidaritätsgedanke würde jedoch großen Schaden erleiden, wenn in Zukunft bei höherer Beitragsbelastung einerseits nicht eine strikt zweckgebundene Mittelverwendung andererseits sichergestellt ist. Eine Reihe von Mißbräuchen bei der Fortbildung und Umschulung hat ja in der Vergangenheit bereits leider dazu geführt, daß bei vielen Arbeitnehmern ein großer Unwille gegen die gesamte Arbeitsförderung erzeugt wurde. Die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes war daher notwendig, und zwar unabhängig von der finanzpolitischen Situation. Sie bringt deshalb nicht nur finanzielle Einsparungen, sondern sie macht die Arbeitsförderung durch Straffung und Verdichtung auch wirksamer. Das Gesetz hat sich im Kern bewährt. Auch in Zukunft wird es ein unverzichtbarer
Bestandteil der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zur Bewältigung konjunktureller und vor allen Dingen struktureller Veränderungen sein. Wir werden dem Gesetz zustimmen.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen der Bedeutung der Erhöhung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung, die Sie vornehmen wollen, beantragen wir namentliche Abstimmung über unseren Streichungsantrag.
Meine Damen und Herren, wer diesen Antrag auf namentliche Abstimmung unterstützt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die notwendige Zahl ist erreicht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sund.
({0})
- Wir sind noch nicht in der Abstimmung. Ich wollte zuerst nur einmal feststellen, ob der Antrag auf namentliche Abstimmung unterstützt wird.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
Es ist sehr schwer, sich hier in diesem allgemeinen
Tumult zu äußern. Aber ich glaube, der Antrag -
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um etwas Ruhe. Wir werden ohnehin noch einige Zeit im Saal bleiben müssen, weil ein Aufzug im Hochhaus, voll von Abgeordneten, hängengeblieben ist.
({0})
Ich bitte nun um Aufmerksamkeit für den Redner.
Der Antrag, der hier gestellt worden ist und der zum Inhalt hat, die notwendige Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu demagogischen Zwecken zu mißbrauchen, verdient doch noch einige Anmerkungen.
({0})
- Dieser Antrag ist pure Demagogie.
({1})
Ich erlaube mir folgenden Hinweis: Als der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung diesen Teil des Gesetzes beraten hat und als sich die Vertreter der Verbände dazu geäußert haben, ist ausweislich des Protokolls vom Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der sich nicht der Einsicht in die Notwendigkeit verschlossen hat, erklärt worden:
Ich kann im Namen des Deutschen Gewerkschaftsbundes erklären, daß wir der vorgesehenen Beitragserhöhung von 2 auf 3 % ab 1. Ja13776
nuar mit der Maßgabe zustimmen, daß der Beitragssatz, sobald die finanzielle Situation der Bundesanstalt es erlaubt, wieder herabgesetzt werden kann.
Dies ist auch unsere Position.
({2})
Ich bitte Abgeordnete aller Fraktionen, sich zu setzen. Ich bitte nochmals, sich zu setzen und auf die Worte des Redners zu hören.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es lohnt sich, auch diesen zweiten Teil aus dem Protokoll der Ausschußsitzung zur Kenntnis zu nehmen, wo nämlich der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände bzw. sein Vertreter, Herr Herbst, auf die gleiche Frage erklärt:
Wenn wir trotzdem die Dinge nicht ablehnen, so deshalb, weil wir glauben, daß dieser Weg gewählt werden muß, um die Ausgaben der Bundesanstalt, die sehr groß geworden sind, nun wenigstens zu mindern.
Weiter hat sich der Sprecher der Deutschen Angestelltengewerkschaft geäußert:
Bezüglich der Beitragsfrage sehen wir im Augenblick auch keine andere Möglichkeit, als der beabsichtigten Erhöhung des Beitragssatzes unsere Zustimmung zu geben.
Die Bundesanstalt für Arbeit hat sich in der gleichen Weise geäußert.
Ich glaube, daß diese Hinweise ausreichen, um den Beweis dafür zu führen, daß das, was hier unternommen wird, das ist, was ich eingangs hier festgestellt habe: Demagogie!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Franke ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß das, was der Kollege Sund hier gerade gesagt hat, korrigieren. Auf mein ausdrückliches Befragen ist von den Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Deutschen Angestelltengewerkschaft gesagt worden, sie begrüßten die Erhöhung dieser Beiträge nicht.
({0})
Meine Damen und Herren, ich darf für einen Augenblick die Einigkeit des Hauses wieder herstellen in der Freude darüber, daß unsere Kollegen aus dem Aufzug befreit sind.
({0})
Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen dann zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 7/4258, in Art. 20 § 1 die Nr. 37 zu streichen. Wer für die Streichung der Nr. 37 ist, stimme mit Ja, wer dagegen ist mit Nein, die übrigen mit Enthaltung.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Offenbar haben alle Mitglieder des Hauses, die im Saal anwesend sind, abgestimmt.
Ich schließe die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Ich habe nicht die Absicht, das Ergebnis zu verkünden, solange die Mehrheit des Hauses steht.
Ich bitte Sie nochmals, Platz zu nehmen. - Meine Damen und Herren, ich darf das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Streichungsantrag der Fraktion der CDU/CSU bekanntgeben. Mit Ja haben 183 vollstimmberechtigte und 7 Berliner Abgeordnete, mit Nein 220 vollstimmberechtigte und 11 Berliner Abgeordnete gestimmt. Stimmenthaltungen: ein uneingeschränkt stimmberechtigter, kein Berliner Abgeordneter.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 403 und 18 Berliner Abgeordnete;
davon
ja: 182 und 7 Berliner Abgeordnete, nein: 220 und 11 Berliner Abgeordnete, enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
von Alten-Nordheim
Dr. Arnold
Dr. Barzel
Dr. Becher ({1}) Frau Benedix
Benz
Berger Bewerunge
Biechele Biehle
Dr. Dr. h. c. Birrenbach Dr. von Bismarck
Dr. Blüm
Blumenfeld
Böhm ({2}) Braun
Bremer Bremm Burger
Carstens ({3})
Dr. Carstens ({4}) Dr. Czaja
Damm
van Delden
Dr. Dollinger
Dreyer Eigen
Engelsberger
Entrup
Dr. Erhard
Erhard ({5}) Ernesti
Ey
Freiherr von Fircks Franke ({6})
Dr. Franz
Dr. Fuchs
Geisenhofer Gerlach ({7})
Gewandt
Gierenstein Dr. Gölter
Dr. Götz
Dr. Gruhl
Haase ({8}) Dr. Häfele
Dr. Hammans von Hassel
Hauser ({9}) Hauser ({10})
Dr. Hauser ({11})
Dr. Heck
Höcherl
Horstmeier
Frau Hürland Dr. Hupka
Hussing
Jäger ({12}) Dr. Jahn ({13})
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Josten
Katzer
Dr. Kempfler Kiechle
Dr. Klein ({14})
Dr. Klein ({15})
Dr. Kliesing
Dr. Köhler ({16})
Krampe
Freiherr
von Kühlmann-Stumm
Dr. Kunz ({17}) Lagershausen
Vizepräsident Dr. Jaeger Lampersbach
Leicht Lenzer Link
Löher
Dr. Luda
Dr. Marx
Dr. Mende
Dr. Mertes ({18}) Mick
Dr. Mikat
Milz
Möller ({19})
Dr. Müller ({20}) Müller ({21})
Dr. Müller-Hermann
Dr. Narjes
Niegel Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt
Orgaß Pfeffermann
Pfeifer Picard Pieroth Pohlmann
Dr. Probst
Rainer Rawe
Reddemann
Frau Dr. Riede ({22}) Dr. Riedl ({23})
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Röhner Rollmann
Rommerskirchen
Roser
Sauer ({24})
Sauter ({25})
Prinz zu Sayn-Wittgenstein Hohenstein
Dr. Schäuble
Schedl Schetter
Schmidt ({26}) Schmitz ({27}) Schmöle
Dr. Schneider
Frau Schroeder ({28}) Dr. Schröder ({29}) Schröder ({30}) Schröder ({31}) Schulte
({32})
Dr. Schulze-Vorberg
Seiters Sick
Solke
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Dr. Sprung
Stahlberq
Dr. Stark ({33})
Dr. Starke ({34})
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Frau Stommel
Strauß Stücklen
Susset
de Terra
Thürk
Dr. Todenhöfer
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar
Frau Verhülsdonk
Vogt
Volmer
Dr. Waffenschmidt
Dr. Wagner ({35})
Dr. Waigel Dr. Wallmann Dr. Warnke Wawrzik
Weber ({36})
Dr. Freiherr von Weizsäcker Werner
Frau Will-Feld
Windelen Wissebach
Dr. Wittmann ({37}) Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf Dr. Wulff
Dr. Zeitel
Zeyer
Ziegler
Zink
Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({38}) Dr. Gradl
Kunz ({39})
Müller ({40})
Frau Pieser
Straßmeir
Wohlrabe
Nein
SPD
Ahlers
Amling
Anbuhl
Dr. Apel
Arendt ({41})
Dr. Arndt ({42}) Augstein
Bäuerle
Barche
Bahr
Dr. Bardens Batz
Becker ({43})
Dr. Beermann Biermann Blank
Dr. Böhme ({44}) Börner
Frau von Bothmer
Brandt ({45})
Brück
Buchstaller Büchler ({46}) Büchner ({47})
Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann Conradi
Coppik
Frau Däubler-Gmelin
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Frau Eilers ({48})
Dr. Emmerlich Dr. Enders Engholm
Esters
Ewen
Fiebig
Dr. Fischer Frau Dr. Focke
Franke ({49})
Gansel
Geiger
Gerstl ({50})
Gertzen
Dr. Geßner Dr. Glotz Gnädinger Grobecker Grunenberg Haase ({51})
Haase ({52}) Haehser
Dr. Haenschke
Hauck
Dr. Hauff Henke
Herold
Höhmann Hofmann Dr. Holtz Horn
Huonker
Immer ({53})
Jahn ({54})
Jaschke Jaunich Junghans Junker
Kern
Koblitz
Konrad
Kratz
Dr. Kreutzmann
Krockert Kulawig Lambinus Lattmann Dr. Lauritzen
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löbbert
Dr. Lohmar Lutz
Mahne
Marquardt Marschall Matthöfer Frau Meermann
Dr. Meinecke ({55}) Meinike ({56}) Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({57})
Müller ({58}) Müller ({59})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Neumann Dr.-Ing. Oetting
Offergeld Freiherr
Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Dr. Penner Pensky
Peter
Polkehn Porzner
Rapp ({60})
Rappe ({61})
Ravens
Frau Dr. Rehlen
Frau Renger
Reuschenbach
Richter Röhlig Rohde Sander Saxowski
Schäfer ({62})
Dr. Schäfer ({63}) Scheffler
Scheu
Frau Schimschok
Schinzel Schirmer
Schlaga
Dr. Schmidt ({64}) Schmidt ({65}) Schmidt ({66}) Schmidt ({67})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schonhofen
Schreiber
Schulte ({68})
Dr. Schwenk ({69})
Seibert Simon Simpfendörfer
Spillecke
Stahl ({70})
Frau Steinhauer
Dr. Stienen
Tietjen
Frau Dr. Timm
Tönjes Vahlberg
Vit
Dr. Vogel ({71}) Vogelsang
Waltemathe
Dr. Weber ({72})
Wehner Wendt Dr. Wernitz
Westphal
Wiefel Wilhelm Wimmer ({73})
Dr. de With
Wittmann ({74})
Wolf
Wolfram ({75}) Wrede
Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Dübber
Egert
Grimming
Frau Grützmann Löffler
Männing
Dr. Schellenberg Frau Schlei
Schwedler
FDP
Dr. Bangemann Dr. Böger
Christ
Vizepräsident Dr. Jaeger
Engelhard Schmidt ({76})
Ertl von Schoeler
Gallus Frau Schuchardt
Genscher Spitzmüller
Grüner Dr. Vohrer
Hölscher Dr. Wendig
Kirst Wolfgramm ({77})
Kleinert Wurbs
Krall Zywietz
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Berliner Abgeordnete
Logemann Hoppe
Frau Lüdemann
Mertes ({78}) Enthaltungen
Mischnick
Möllemann CDU/CSU
Ollesch Dr. Becker
Peters ({79}) ({80})
Damit ist der Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Nr. 37 zu streichen, abgelehnt.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über Art. 20 als ganzen in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich komme zu Art. 21. Änderungsanträge und Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer Art. 21 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die Mittagspause ein. Um 14 Uhr fahren wir mit der Fragestunde fort.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({81})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Aus dem mir inzwischen vorgelegten Stenographischen Bericht der gestrigen Sitzung des Deutschen Bundestages ergibt sich, daß Herr Abg. Wohlrabe im Hinblick auf einen bestimmten Vorfall gegenüber einem Kollegen im Protokoll festgehaltene Zurufe gemacht hat, die den Rahmen des parlamentarisch Üblichen und Zulässigen klar überschreiten, und ich rüge dies nachträglich ausdrücklich.
Meine Damen und Herren, wir treten in die
Fragestunde
- Drucksache 7/4242 ein.
Zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes liegen die Fragen 82 und 83 des Herrn Abgeordneten Tillmann vor. Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung der Fragen gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung.
Die erste Frage - die Frage 87 - ist von Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer eingebracht:
Wie beurteilt die Bundesregierung nach dem letzten EG-Ratstreffen nunmehr die Chancen einer definitiven Abhaltung von Direktwahlen zum Europäischen Parlament im Mai 1978?
Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, erwartet, daß die ersten Direktwahlen tatsächlich 1978 stattfinden werden. Die Bundesregierung weiß, daß die Zeit bis dahin knapp ist, sie glaubt aber, daß sich der Zeitplan bei gutem Willen aller Beteiligten und bei Anstrengungen auch der Parlamente in allen Mitgliedstaaten einhalten lassen müßte.
Wie Ihnen sicher inzwischen bekannt ist, hat der Ministerrat am 5. und 6. November eine allgemeine Orientierungsgebatte auf der Grundlage des Berichts der Arbeitsgruppe des Rats geführt, der - wie vorgesehen - dem Europäischen Rat am 1. Dezember 1975 - also in Kürze - vorgelegt werden wird. Frühestens nach dem Europäischen Rat kann klarer beurteilt werden, ob noch Widerstände zu überwinden sind, um die Direktwahlen in der Gemeinschaft termingerecht einführen zu können.
Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, darf ich also Ihrer Antwort entnehmen, daß die Vertreter der Bundesregierung bei den weiteren Sitzungen in den nächsten Wochen in den zuständigen Gremien konsequent für die Einhaltung des Termins stimmen werden?
Ja.
Herr Abgeordneter Amrehn, Zusatzfrage!
Ist die Bundesregierung, Herr Staatsminister, entschlossen, alles daranzusetzen, um die Volkswahl auch in Berlin möglich zu machen, das uneingeschränkt und ohne Vorbehalt zur Europäischen Gemeinschaft gehört?
Herr Abgeordneter, der Herr Bundesaußenminister hat sich dazu nach der gestrigen Sitzung geäußert; ich darf auf diese Äußerungen verweisen. Sie kennen, glaube ich, die Umstände, die die Möglichkeiten der Bundesregierung selbst begrenzen - die Verantwortung der Drei Mächte -, sehr genau.
({0})
Nein, Sie haben leider keine Möglichkeiten, meine Damen und Herren.
Ich rufe die Fragen 85 und 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner auf, sehe aber den Abgeordneten nicht im Saal.
Die Frage 87 ist von Herrn Abgeordneten Rollmann eingebracht. - Herr Abgeordneter Rollmann ist offensichtlich nicht im Saal, so daß auch diese
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Frage schriftlich beantwortet wird. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die nächste Frage ist von Herrn Abgeordneten Windelen:
Wie viele Personen unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit gibt es derzeit schätzungsweise im Hoheitsbereich der Volksrepublik Polen?
Der Bundesregierung, Herr Abgeordneter, sind verschiedene, zum Teil weit auseinanderliegende Schätzungen bekannt. Die von Ihnen im Deutschland-Uniondienst vom 29. Oktober 1975 erwähnte angebliche Schätzung des Deutschen Roten Kreuzes kennt die Bundesregierung allerdings nicht. Ein Anhaltspunkt für die Zahl der noch auf polnischem Hoheitsgebiet lebenden Deutschen kann allenfalls die Zahl der dem Deutschen Roten Kreuz vorliegenden Umsiedlungswünsche sein, da es sich hierbei zu einem erheblichen Teil um Angehörige des in Art. 116 GG beschriebenen Personenkreises handelt.
Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, bei der Bedeutung dieser Frage in den Verhandlungen der deutschen Bundesregierung mit der Regierung der Volksrepublik Polen frage ich Sie: Warum hat sich die Bundesregierung eigentlich nie ernsthaft um die Klärung der Frage bemüht, wie viele Deutsche oder Personen deutscher Volkszugehörigkeit es in der Volksrepublik Polen noch gibt?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat Anhaltspunkte für die Zahl derer, die Aussiedlungswünsche haben, in die Gespräche eingeführt, vor allem den Personenkreis, der nach Art. 116 GG auf deutsche Staatszugehörigkeit Anspruch erheben kann. Es ist ein Mißverständnis zu meinen, daß es eine Legitimation für die Bundesregierung gäbe, die Volkszugehörigkeit zum Maßstab von Vorstößen in irgendeinem Teil der Welt zu machen. Denn es gibt sehr viele Millionen Menschen, die deutscher Volkszugehörigkeit sind, die mit -der Bundesrepublik Deutschland oder mit dem ehemaligen Deutschen Reich nicht verbunden sind und auch von dem Art. 116 GG nicht erfaßt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nach dem letzten Urteil des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei dieser Gruppe zu einem sehr großen, wahrscheinlich überwiegenden Teil um solche Menschen, die nach unserem Recht deutsche Staatsbürger sind und insoweit der Fürsorgepflicht der Bundesregierung obliegen. Wäre es nicht schon aus diesem Grunde notwendig gewesen, sich über die Zahl der in Betracht kommenden Personen Klarheit zu verschaffen?
Das hat die Bundesregierung ja getan. Sie hat die Zahlen dem Deutschen Bundestag genannt.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß offensichtlich wenig bekannt ist, daß es in der Welt verstreut Hunderttausende gibt, die auf deutsche Staatsangehörigkeit Anspruch erheben können, aber zum Teil erst nach 25 oder 30 Jahren etwa durch Melden bei deutschen Konsulaten, wenn sie einen Paß beantragen wollten - auf diese Tatsache hingewiesen haben. Der Bundesregierung ist unbekannt, wieviel Menschen es irgendwo in der Welt gibt, die auf deutsche Staatsangehörigkeit Anspruch erheben können.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß nach den polnischen Volkszählungsergebnissen von 1949 über 3 Millionen deutsche Staatsangehörige in den von Polen verwalteten Gebieten lebten und 1950 noch immerhin 11/2 Millionen deutsche Staatsangehörige dort lebten? Wenn Sie die Ausreisenden abziehen und die Geburten hinzunehmen, dann kommen Sie auch heute noch auf 1,2 bis 1,3 Millionen. Wieso weiß das die Bundesregierung nicht?
Herr Abgeordneter, es gibt eine Fülle von Berechnungen, deren Stichhaltigkeit jeweils als umstritten gilt. Die Bundesregierung kennt Zahlen, die aus der polnischen Statistik hervorgehen. Aber sie kennt auch andere Angaben und andere Zahlen. Ich glaube, das Deutsche Rote Kreuz hat im Auswärtigen Ausschuß klar mitgeteilt, wie seine Zahlen zustande gekommen sind. Die Zahl, die Herr Abgeordneter Windelen in seinem Artikel genannt hat, ist vom Deutschen Roten Kreuz, ich wiederhole es, nicht bestätigt worden.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schweitzer.
Herr Staatsminister, können Sie dem Hause mitteilen, wann die Karteikarten des Deutschen Roten Kreuzes, die Sie erwähnt haben, erstellt worden sind und ob Sie es für möglich halten, daß die Zahlen in Einzelfällen inzwischen gewissermaßen nach unten zu revidieren wären?
Die Zahlen haben einmal 1970 vorgelegen. Sie sind dann ergänzt worden, und es sind neue hinzugekommen. Andere sind weggefallen. Die revidierten Zahlen sind dem Auswärtigen Ausschuß vorgetragen worden.
({0})
- Es handelt sich um die vom Deutschen Roten Kreuz revidierten Zahlen. Bekanntlich waren die Meinungen auch über die deutsche Volkszugehörigkeit nicht in allen Fällen klar, Herr Abgeordneter. Ich glaube, bei vielen Kollegen besteht hier offen13780
sichtlich der Grundirrtum, daß deutsche Volkszugehörigkeit und Anspruch auf deutsche Staatsangehörigkeit dasselbe seien. Das ist nicht der Fall.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie es sich, daß wir zwar aus Rumänien und Ungarn durch Angaben der Staaten Zahlen über Deutsche vorliegen haben, aber seitens der Volksrepublik Polen eine derartige Zahl nicht vorliegt?
Herr Abgeordneter, ich werde das nachher bei der Antwort auf eine Frage des Kollegen Dr. Miltner näher ausführen. Die Ansichten der Volksrepublik Polen über Minderheiten sind ganz andere als die etwa in Ungarn und Rumänien.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Arndt.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß sich die eben von dem Kollegen Czaja genannten Zahlen aus der polnischen Statistik auf Personen deutscher Nationalität, also Volkszugehörigkeit beziehen, nicht aber auf die deutsche Staatsangehörigkeit, da die Volksrepublik Polen nach ihrer von uns nicht geteilten Auffassung eine doppelte Staatsangehörigkeit und damit eine deutsche Staatsangehörigkeit als zweite Staatsangehörigkeit nicht anerkennt und infolgedessen in ihren Statistiken auch nicht ausweist?
Herr Abgeordneter, ich bekenne mich schuldig, das hier nicht im einzelnen dargestellt zu haben, weil ich es in früheren Fragestunden hier wiederholt ausgeführt habe. Aber ich habe nachher noch Gelegenheit, darauf näher einzugehen. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie hier in der Frageform die Aufklärung geschaffen haben.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Müller ({0}) zu einer letzten Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wäre nicht gerade wegen der Beurteilung des Rentenabkommens mit Polen die genaue Kenntnis der zahlenmäßigen Stärke und auch der Struktur der deutschen Staatsangehörigen in Polen sehr wichtig gewesen?
Herr Abgeordneter, wir haben uns bemüht, hierüber Zahlen zu bekommen. Das wird auch in den Ausschußsitzungen im einzelnen dargelegt. Aber Sie unterliegen wiederum einem Irrtum, wenn Sie glauben, daß das Rentenabkommen mit der Volksrepublik Polen etwa nur solche Bürger betreffen könnte, die deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit sind. Sie übersehen dabei, daß es viele Polen gegeben hat, die einst Beiträge in die deutsche Sozialversicherung gezahlt haben und natürlich ebenso mitbetroffen sind. Sie machen ja auch keinen Unterschied bei Beitragszahlungen in der Sozialversicherung der Bundesrepublik Deutschland nach der Staatsangehörigkeit. Die Gesetze, die dieser Bundestag verabschiedet hat, schließen es ausdrücklich aus.
Ich rufe die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Windelen auf:
Seit wann bestreitet die Warschauer Regierung die Existenz einer deutschen Volksgruppe in Polen?
Die polnische Seite bestreitet nicht, daß in Polen noch Deutsche leben. Allerdings gehen die polnischen Statistiken von sehr geringen Zahlen aus.
Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, worauf führen Sie es zurück, daß die polnische Regierung so hartnäckig die Existenz einer deutschen Volksgruppe leugnet?
Herr Abgeordneter, ich habe schon auf die Frage des Kollegen Dr. Miltner verwiesen. Darf ich vielleicht Ihre Frage im Zusammenhang mit der bereits schriftlich vorformulierten Antwort auf jene Frage noch einmal aufgreifen. Ich glaube, aus dieser Antwort wird der Sachverhalt sehr klar werden, daß die polnische Auffassung über Nationalität und Staatsangehörigkeit von unserer abweicht.
({0})
Kollege Windelen, ich habe den Herrn Kollegen Miltner noch nicht gesehen.
({0})
- Oh, ich bin sehr froh, daß Sie da sind! Dann werde ich jetzt zunächst Ihre Frage aufrufen und Ihnen dann, Herr Kollege Windelen, die Möglichkeit geben, zwei Zusatzfragen zu stellen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann rufe ich also die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Erwartet die Bundesregierung in absehbarer Zeit Entscheidungen der Warschauer Regierung, die geeignet sind, die bisher bestrittenen Volksgruppenrechte der im polnischen Hoheitsbereich lebenden Deutschen zu verwirklichen?
Die Antwort muß von folgendem Sachverhalt ausgehen. Der polnische Staat kennt nur eine polnische Nation. Er gewährt im Gegensatz zu anderen, auch osteuropäischen Staaten keine Minderheitenrechte. Geschichtliche Erfahrungen mit Minderheiten haben zu dieser Politik in der Volksrepublik Polen geführt. Aus den Ereignissen gerade der jüngsten Geschichte erklärt sich auch, daß die polnische Regierung und die polnische BeStaatsminister Moersch
völkerung in diesem Punkt äußerst empfindlich reagieren. Die Bundesregierung war gehalten, im Sinne ihrer Pflichten diesen Umständen Rechnung zu tragen. Sie bemüht sich daher, in erster Linie den Deutschen, die dies wünschen, die Ausreise aus Polen zu ermöglichen.
Mit den am 9. Oktober unterzeichneten Vereinbarungen verknüpft die Bundesregierung jedoch die Erwartung, daß bestehende Diskriminierungen abgebaut werden. Ich möchte aber hinzufügen, daß es falsch wäre, sehr weit darüber hinausgehende Erwartungen an diese Möglichkeiten zu knüpfen. Wir werden nur mühsam und Schritt für Schritt in unserem Sinne einwirken können.
Herr Abgeordneter Windelen, ich gebe zunächst dem Herrn Kollegen Miltner die Möglichkeit zu zwei Zusatzfragen, und dann Ihnen, die Möglichkeit zu Zusatzfragen, wenn Sie damit einverstanden sind.
Bitte!
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Warschauer Regierung den Deutschen die Minderheitenrechte vorenthält, obwohl nach dem jüngsten Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes diese deutsche Minderheit weiterhin in einem lediglich unter polnischer Verwaltung stehenden Teil Deutschlands lebt?
Herr Abgeordneter, ohne jetzt diesen Beschluß im einzelnen zitieren zu können, muß ich darauf aufmerksam machen, daß andere Staaten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht als für sich verbindlich ansehen, sondern nach eigenem Recht handeln, das sie selbst in den Gebieten setzen, in denen sie Staatsgewalt ausüben.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Auf welche völkerrechtlichen Grundsätze oder Vereinbarungen kann sich die Bundesregierung berufen, um den ihrem Schutz anvertrauten deutschen Staatsbürgern zu ihrem Recht zu verhelfen?
Sie kann sich auf das Bemühen berufen, durch Ausschaltung solcher konträrer Standpunkte die Beziehungen zu verbessern. Einen Völkerrechtstitel in dem Sinne, wie ich ihn aus Ihrer Frage heraushöre, gibt es nicht. Das Völkerrecht stellt z. B. klar, daß im Falle einer umstrittenen Staatsangehörigkeit oder etwa bei Doppelstaatlern derjenige Staat, in dem die Betroffenen leben und dessen Staatsangehörigkeit sie ebenfalls oder nach seiner Auffassung ausschließlich besitzen, zunächst einmal sozusagen den Vorrang und auch ein weitgehendes Vorrecht hat. Das ist internationale Praxis.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Windelen.
Herr Staatsminister, Sie haben zur Begründung Ihrer Antwort auch auf historische Erfahrungen der Volksrepublik Polen hingewiesen. Ist es aber nicht so, daß man auch auf Erfahrungen der deutschen Volksgruppe zwischen den beiden Weltkriegen verweisen muß?
Herr Abgeordneter, ich habe mich nicht speziell zu den Erfahrungen einer Volksgruppe geäußert. Aber ich glaube, ich brauche hier keine Erinnerungen zu wecken, etwa an den 1. September 1939 und an die Vorgänge vorher. Es ist jedenfalls weitverbreitete Meinung, und zwar nicht nur in der Volksrepublik Polen, sondern auch anderswo in der Welt, daß die Reichsregierung unter Adolf Hitler bewußt mit Minderheiten deutscher Nationalität oder deutscher Volkszugehörigkeit Politik gegen die Existenz von Staaten betrieben hat, in denen sich diese Minderheiten befunden haben. Das ist eine Auffassung, die in der Welt weitgehend vertreten wird und die wir in unsere politische Überlegungen einbeziehen müssen, die wir jedenfalls kennen müssen, weil wir uns sonst selbst einer Illusion über unsere tatsächlichen Möglichkeiten hingeben würden.
({0})
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wann und warum hat wohl die polnische Regierung diesen Wandel vollzogen, da doch noch in den 50er Jahren eine beträchtliche Zahl von deutschsprachigen Schulen und von Kulturgruppen bestanden, die teilweise auch gefördert wurden; da es z. B. auch noch deutschsprachige Wahlaufrufe in jenen Jahren gab, in denen die Deutschen dort aufgefordert wurden, sich an Sejm-Wahlen zu beteiligen, mit dem Hinweis, daß sie dadurch ihre Staatsbürgerrechte keineswegs beeinträchtigten?
Herr Abgeordneter, Sie nehmen mit der Zusatzfrage eine Reihe von Fragen vorweg, die andere Kollegen eingereicht haben. Ich habe mir diese Unterlagen, auf denen Ihre Angaben beruhen, ebenfalls angesehen, und ich habe durch unsere Vertretung nachforschen lassen. Hier gibt es erhebliche Lücken in der Sachdarstellung, d. h. unterschiedliche Auffassungen darüber, was dort nun wirklich gewesen ist.
Ich kann also die Quellen selbst ebenso wenig verifizieren, wie wir das alle hier in diesem Hause können. Aber ich werde nachher im einzelnen auf diese Fragen eingehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben uns gerade mitgeteilt, daß die polnische Re13782
gierung auf die Existenz einer deutschen Volksgruppe äußerst empfindlich reagiere. Wäre es nicht an der Zeit, daß auch einmal die Bundesregierung, wenn nicht äußerst empfindlich, so doch zumindest empfindlich darauf reagiert, daß diese deutsche Volksgruppe durch die heutige polnische Regierung geleugnet wird?
({0})
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat ihre Meinung zu diesem Punkt immer sehr deutlich ausgesprochen.
({0})
Ich möchte aber nicht versäumen, in diesem Hause auch einmal zu sagen, daß gerade von Ihrer Seite, Herr Abgeordneter, nicht übersehen werden darf, daß für eine lange Zeit in der Vergangenheit die Nationalitätenfrage von beiden Seiten mit ungewöhnlicher Intoleranz behandelt worden ist und daß die jüngste Periode deutscher Herrschaft in Polen tiefe, noch nicht bewältigte Ressentiments hinterlassen hat. Wenn wir etwas dazu tun können, diese Ressentiments abzubauen, dann ist es z. B. dies, daß wir in Fragen des deutsch-polnischen Verhältnisses mit weniger Emotionen, als es gelegentlich auch in der Fragestunde geschieht, die Dinge behandeln.
({1})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schweitzer.
Herr Staatsminister, können Sie meine Auffassung teilen, daß bislang im Völkerrecht - auch im Rahmen des von den Vereinten Nationen fortentwickelten Völkerrechts - Volksgruppenrecht im Sinne des Fragestellers leider nicht eindeutig definiert werden konnte?
Herr Abgeordneter, es ist eine Erfahrung, die gelegentlich übersehen wird, daß die Frage der rechtlichen Formulierung und der Verbindlichkeit von Völkerrecht eine Sache ist, daß aber sehr viele kontroverse Fragen, wie sie eben wieder deutlich geworden sind, gerade nur durch eine Verbesserung der politischen Gesamtbeziehungen geregelt werden können.
Deshalb legt die Bundesregierung so großen Wert darauf, daß sich die politischen Gesamtbeziehungen positiv entwickeln. Die Bundesregierung bedauert alles, was in unserem Lande geschieht und diese Verbesserung der politischen Gesamtbeziehungen stören könnte. Ich darf deswegen auch ausdrücklich erwähnen, daß sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in den letzten Tagen in diesem positiven Sinne geäußert hat.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, hat nicht die Bundesregierung angesichts dieses Bestreitens der Volksrepublik Polen und angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1975 die, wie das Bundesverfassungsgericht sagt, verfassungsmäßige Pflicht, mit allen legalen Mitteln für den Schutz der Grundrechte dieser über 1 Million Deutschen einzutreten und, solange dies nicht anerkannt wird, solange die Grundrechte verletzt werden, dem Vertragspartner keine weiteren Vorteile zu gewähren, bevor nicht die Menschenrechte wiederhergestellt sind?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung nimmt ihre Pflichten ernst und nimmt sie wahr und arbeitet grundsätzlich nur mit legalen Mitteln, wenn ich das hier auf Ihre Frage sagen darf.
({0})
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung die polnische Regierung eigentlich darauf hingewiesen, daß, wenn schon nach polnischem Herkommen seit dem Krieg, wie Sie sagen, keine Minderheitenrechte anerkannt werden, wenigstens nach den Lehren Lenins, zu denen sich die dortige Führungsschicht doch bekennt, der Schutz der Minderheiten ein besonders intensives Anliegen ist?
({0})
Herr Abgeordneter, zum einen hat die Bundesregierung - ich glaube, auch hier in diesem Hause, obwohl es offensichtlich nicht immer gehört wird, weil es eben von der Bundesregierung kommt; so etwas soll es ja geben - deutlich auf ihren Standpunkt hingewiesen, was die Entkrampfung des Verhältnisses bei der Behandlung von Minderheiten bedeuten könnte. Es ist nirgends unbekannt geblieben.
Aber ich darf vielleicht Ihre Anregung aufgreifen und den Gedanken äußern, daß Sie, falls die Bundesregierung in der Zitierung Lenins nicht so sachkundig ist wie Sie, Herr Fragesteller, vielleicht gelegentlich einmal mit Ihren Kollegen nach Warschau mitreisen und dort die entsprechenden Fakten noch einmal ausbreiten. Ich bin sicher, daß die polnische Regierung sehr neugierig zuhören wird.
({0})
Herr Kollege, Antworten ergeben sich immer aus Fragen.
Ich rufe die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Böhm ({0}) auf:
Wieviel Schulen mit deutscher Unterrichtssprache gab es in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten Mitte der 50er Jahre und wieviel existieren heute?
Wie die amtlichen polnischen Statistiken und vor allem die grundlegende Arbeit von Alfred Bohmann, „Menschen und Grenzen", Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1969, ausweisen, gab es Mitte der fünfziger Jahre im polnischen Staats- und Verwaltungsbereich 125 Grundschulen, eine Oberschule, zwei Berufsschulen sowie Abendgrundschulen und Abendlyzealklassen mit deutscher Unterrichtssprache. Die meisten dieser Schulen sind jedoch als Folge der verstärkten Aussiedlung schon in den unmittelbar darauffolgenden Jahren wieder geschlossen worden, so daß die amtliche polnische Statistik bereits für das Schuljahr 1957/58 keine Oberschule und für das Schuljahr 1959/60 nur noch fünf Grundschulen führt. Mit Sicherheit hat es 1964 in den genannten Gebieten keine Schule mit deutscher Unterrichtssprache mehr gegeben. Diese Feststellung ist auch heute noch gültig.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, haben Sie Verhandlungen mit der polnischen Regierung geführt, um für die immerhin noch nach Hunderttausenden zählende deutsche Minderheit die Möglichkeit zu schaffen, ihre Kinder in deutsche Schulen schicken zu können?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat in Gesprächen und öffentlich ihre grundsätzliche Meinung über die kulturelle Eigenständigkeit von solchen Gruppen deutlich gemacht. Verhandlungen kann man dann führen, wenn man auf beiden Seiten über die rechtlichen Grundlagen die gleichen Auffassungen hat. Ich habe hier erläutert, daß dies eben nicht der Fall ist.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, warum ist diese Frage nicht wenigstens bei den Verhandlungen in Helsinki, die zu dem zu ratifizierenden Abkommen geführt haben, von der bundesdeutschen Seite angeschnitten worden, um dieses Problem ins Gespräch zu bringen, auch wenn, wie Sie sagen, noch unterschiedliche Vorstellungen über die Zahlen vorhanden sind?
Herr Abgeordneter, über die Gespräche in Helsinki wird anläßlich der Ratifizierung des Abkommens der Bundestag im einzelnen unterrichtet werden. Ich möchte dieser Unterrichtung hier nicht vorgreifen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner.
Herr Staatsminister, sind Sie sicher, daß Sie die von Ihnen jetzt neu aufgestellte These, daß Verhandlungen überhaupt nur dann Sinn hätten, wenn gemeinsame Rechtspositionen anerkannt würden, auch auf alle anderen Verhandlungen der Bundesrepublik Deutschland mit Ost und West anzuwenden bereit sind?
Herr Abgeordneter, ich bin mir darüber im klaren, daß man solche Erklärungen wie ich sie soeben versucht habe mißverständlich interpretieren kann. Deswegen ist mir Ihre Frage Veranlassung, ein solches Mißverständnis von vornherein gar nicht aufkommen zu lassen. Verhandlungen mit dem Ziel eines Vertrages sind nur dann möglich, wenn die andere Seite bereit ist, einen Vertrag über den Verhandlungsgegenstand abzuschließen. Die polnische Regierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie nicht bereit ist, zweiseitige Verträge über Fragen abzuschließen, die für sie rechtlich eindeutig geregelt sind, für uns aber nicht. Deshalb hat es keine vertraglichen Abmachungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland über Bürger gegeben, die nach unserem Recht, nach Art. 116 des Grundgesetzes die deutsche Staatsbürgerschaft haben; denn die polnische Seite ist der Meinung, daß sie polnische Staatsangehörige sind und die Bundesrepublik Deutschland keinen Rechtstitel hat, darüber Verträge abzuschließen. Das ist der Grund, weshalb darüber nicht im dem Sinne verhandelt werden konnte, wie man Verhandlungen im diplomatischen Verkehr versteht.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka zu.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung darüber informiert, daß nur deswegen so viele Deutsche den Antrag auf Aussiedlung stellen, weil ihre Kinder keine Chance haben, deutsche Schulen zu besuchen, und daß in logischer Folge nicht so viele einen Antrag stellen würden, wenn ihre Kinder die Möglichkeit hätten, auch deutsche Schulen im heutigen Herrschaftsbereich Polens zu besuchen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat in den Gesprächen mit der polnischen Seite nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie in der Tat der Meinung ist, daß bei einer Regelung, wie sie etwa in der Tschechoslowakei oder Rumänien praktiziert wird, eine Fülle von Ausreiseanträgen gar nicht erst gestellt worden wäre.
Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Haltung der Volksrepublik Polen zur deutschen Staatsangehörigkeit der in den Ostgebieten lebenden Deutschen angesichts der Tatsache, daß mehrfach durch zweisprachige Flugblätter oder Plakate für die Teilnahme dieses Personenkreises an den Sejm-Wahlen mit dem Hinweis
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
geworben wurde, durch die Stimmabgabe verliere der Wähler nicht seine deutsche Staatsangehörigkeit, und worauf führt sie die offensichtlich eingetretene Änderung der polnischen Rechtsauffassung zurück?
In der mir vorliegenden Veröffentlichung von Grund, „Das kulturelle Leben der Deutschen in Niederschlesien unter polnischer Verwaltung", Berlin und Bonn 1967, ist auf Seite 38 ausgeführt, daß Mitte der fünfziger Jahre in der Volksrepublik Polen in Flugblättern hinsichtlich der Beteiligung an bevorstehenden Sejm-Wahlen zum Ausdruck gebracht wurde, durch die Teilnahme an der Wahl verliere der Wähler nicht seine deutsche Staatsangehörigkeit. Die Bundesregierung kann aus eigener Kenntnis die Richtigkeit dieser Angabe nicht bestätigen und die Authentizität solcher Flugblätter nicht beurteilen. Es liegen ihr auch keine Unterlagen darüber vor, daß später noch derartige Flugblätter erschienen seien. Die in den Gebieten ostwärts von Oder und Neiße verbliebenen Personen werden dort von der Volksrepublik Polen als polnische Staatsangehörige in Anspruch genommen, wobei das polnische Recht eine doppelte Staatsangehörigkeit nicht anerkennt. Eine Änderung der polnischen Rechtsauffassung ist nicht erkennbar. Diesen Sachverhalt habe ich hier und in den Ausschüssen wiederholt dargelegt. Er ändert jedoch nichts an der Rechtsauffassung der Bundesregierung, wonach die einmal begründete deutsche Staatsangehörigkeit fortbesteht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, ist Ihnen jenes Flugblatt aus dem Wahlbezirk 110 für die Wahlen zum Sejm bekannt, die im Jahre 1957 stattgefunden haben, in dem es wörtlich heißt:
Deutscher Wähler, vergesse nicht, noch heute die Wahlliste einzusehen, ob Dein Name darin richtig eingetragen ist! Durch die Teilnahme an der Wahl verlierst Du nicht Deine deutsche Staatsangehörigkeit.
Herr Abgeordneter, mir ist dieses Flugblatt aus einem Zitat in einem Buch bekannt. Das Flugblatt selbst war nicht beizubringen. Wir haben uns darum bemüht.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, angesichts Ihrer Kenntnis dieses Flugblatts - wenigstens aus einem Buch - möchte ich fragen, ob bei den Unterredungen, die zur Vorbereitung der jetzigen Abmachungen mit der polnischen Regierung geführt worden sind, auf diese Vorgänge hingewiesen und die Zweideutigkeit und Doppelzüngigkeit der polnischen Argumentation dargelegt worden ist, auf der einen Seite davon zu sprechen, daß
Polen eine deutsche Staatsangehörigkeit für seine Bürger nicht anerkenne, während sie auf der anderen Seite damals ausdrücklich zur Wahlberechtigung mit dem gegenteiligen Argument geworben hat.
Herr Abgeordneter, ich muß zunächst darauf verweisen, daß es sich hier um eine Sekundärquelle handelt, aus der Sie zitieren, daß aber die Originalquelle, mir jedenfalls, nicht zur Verfügung steht, auch nicht der Deutschen Botschaft.
({0})
- Wenn Sie mir das Flugblatt zur Verfügung stellen könnten, wäre ich Ihnen dafür dankbar. Wir haben es jedenfalls nicht bekommen.
({1})
Meine Damen und Herren, die Auskunft des Herrn Staatsministers, das Flugblatt liege ihm nicht vor, war korrekt. Vielleicht hätte man es ihm ja auch schon vor der Fragestunde zur Prüfung geben können.
({0})
Herr Präsident, dann wäre die Fragestunde sicher nur halb so spannend gewesen.
Dier deutsche Auffassung dazu mußte nicht durch Zitat aus einem Flugblatt oder einem Buch untermauert werden. Die deutsche Auffassung habe ich Ihnen hier dargelegt. Ich darf fortfahren; vielleicht, Herr Abgeordneter, wird dann der Sachverhalt klarer. Wir müssen auch beachten, daß nach allgemeinem Völkerrecht ein Staat solchen Bürgern diplomatischen Schutz nicht gewähren kann gegenüber einem anderen Staat, der die in seinem Gebiet lebenden Betroffenen ausschließlich als seine Staatsangehörigen in Anspruch nimmt. Ich glaube, Sie müssen doch die Probleme Volkszugehörigkeit und Staatsangehörigkeit einmal sorgfältig voneinander trennen. Auch wenn dort in den fünfziger Jahren gesagt wurde, die Staatsangehörigkeitsfrage werde dadurch nicht berührt, so habe ich Ihnen erläutert, daß nach dieser Zeit einige hunderttausend aus diesen Gebieten in die Bundesrepublik Deutschland und in die DDR gekommen sind und daß sich die polnische Seite uns gegenüber im Jahre 1970 auf den Standpunkt gestellt hat - übrigens auch anschließend und auch Kollegen von Ihnen gegenüber, die mit der polnischen Seite darüber gesprochen haben -, daß dieses Problem nicht mehr existiere. Daß wir dazu eine andere Auffassung hatten, haben wir ebenfalls dargelegt. Das ist der Tatbestand, von dem wir ausgehen müssen und den ja viele deutsche Politiker in Warschau jeweils erfahren haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, Sie sagten soeben, Polen bestreite die deutsche Staatsangehörigkeit. Ist Ihnen bekannt, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem soeben zitierten Urteil auf den Seiten 44 und 45 unter ausdrücklicher Berufung auf eine Erklärung der Bundesregierung feststellt, daß die Bundesregierung über die Staatsangehörigkeit Polen gegenüber entsprechende Erklärungen abgegeben habe und daß nach den Ausführungen der Bundesregierung und des verehrten Herrn Kollegen Arndt die deutsche Seite unter diesen Umständen, da das unwidersprochen blieb, davon ausgehen konnte, daß die Erklärung von der polnischen Seite akzeptiert worden ist? Wieso wissen Sie das nicht, wenn die Bundesregierung das in Karlsruhe erklärt hat?
Herr Abgeordneter, wer halb zitiert, hat ganz gewonnen. Das gilt auch für Ihre soeben gestellte Frage. Es ist doch so, daß die polnische Seite unsere zu Protokoll gegebene Erklärung hingenommen hat, daß über diese Frage keine Einigkeit besteht. Das ist aber etwas anderes, als wenn die polnische Seite gesagt hätte, sie sei mit uns der gleichen Meinung. Ich glaube, daß das Bundesverfassungsgericht an dieser Tatsache in seinem Urteilsspruch überhaupt nichts geändert hat, sondern das lediglich festgestellt hat, daß es aber offensichtlich für manche schwierig ist, Verfassungsgerichtsurteile so zu lesen, wie sie wirklich geschrieben sind.
({0})
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Fircks zu.
Herr Staatsminister, wie ist Ihre Aussage, daß Polen eine doppelte Staatsangehörigkeit nicht kennt oder nicht anerkennt, wie Sie sagten, in Deckung zu bringen mit dem letzten Monatsbericht aus dem Lager Friedland, dem zu entnehmen ist, daß Polen fast 40 % derjenigen, die im letzten Monat gekommen sind, aus der polnischen Staatsangehörigkeit nicht entlassen hat, wohl wissend, daß sie hier automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten?
Herr Abgeordneter, auch diese Frage steht nachher zur Debatte. Die polnische Seite hat zu der Frage, welche Staatsangehörigkeit diejenigen besitzen, die aus Polen ausgereist sind, überhaupt keine Stellung genommen, weder eine für uns noch eine für die polnische Seite. Das ist eben offensichtlich bewußt offengeblieben, weil man eine solche Frage in der Fragestunde dort schon erwartet hatte.
Ich rufe die Frage 92 des Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Gestatteten die polnischen Behörden der deutschen Volksgruppe Mitte der fünfziger Jahre im Vergleich zur heutigen Situation Ansätze eines kulturellen Eigenlebens?
Hierüber gibt es allgemein zugängliche Literatur, z. B. Bohmann „Strukturwandel der deutschen Bevölkerung im polnischen Staats- und Verwaltungsbereich", Köln 1969, und Grund „Das kulturelle Leben der Deutschen in Niederschlesien unter polnischer Verwaltung", Berlin und Bonn 1967. Dieser Literatur ist zu entnehmen, daß Anfang der 50er Jahre den in Niederschlesien, Ostpommern und Ostbrandenburg lebenden Deutschen in gewissem Rahmen ein kulturelles Eigenleben eingeräumt wurde. Das wurde allerdings in dem Maße wieder abgebaut, in dem Deutsche aus den genannten Gebieten in die Bundesrepublik Deutschland und in die DDR übersiedelten, insbesondere im Rahmen der großen Ausreisewelle der Jahre 1957 und 1958.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie kommen Sie zu der Aussage, daß ein Abbau dieser kulturellen Einrichtungen in dem Maße erfolgt sei, wie Aussiedlungen in die Bundesrepublik Deutschland erfolgt sind, da doch bekannt ist, daß die Ausgesiedelten jedenfalls nicht annähernd einen so großen Teil ausmachen, daß man sagen kann, für dir Zurückgebliebenen seien kulturelle Einrichtungen dieser Art nicht mehr notwendig gewesen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, wenn Sie die vorliegenden beiden Bücher sorgfältig lesen - und zwar ganz, nicht nur in den Auszügen -, werden Sie feststellen, daß es sich hier bei den kulturellen Eigenständigkeiten um gewisse Gebiete handelt, aus denen die Betroffenen anschließend tatsächlich ausgesiedelt sind. Es handelt sich also um Bezirke einer fest umschriebenen Art, vor allem um Waldenburg und in Niederschlesien. Das erklärt die Sache für mich eindeutig.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie bringen Sie Ihre Antwort damit in Einklang, daß in der Zwischenzeit ein Teil dieses kulturellen Lebens, z. B. bestimmte Volkstheatergruppen, die nicht bloß in dem Gebiet, in dem sie gebildet worden waren und bestanden haben, sondern in größeren Teilen Schlesiens "umhergereist sind und für die dortige Bevölkerung in deutscher Sprache Aufführungen durchgeführt haben - die sicherlich auch heute noch gerne gesehen würden -, ebenfalls erloschen ist?
Herr Abgeordneter, wenn es so ist, wie Sie sagen - was ich jetzt im einzelnen nicht nachprüfen kann -, hängt das mit der Veränderung der Verhältnisse zusammen.
({0})
Ich lasse zu dieser Frage noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka zu; dann gehe ich zu den Fragen des Herrn Abgeordneten Sauer über.
Herr Staatsminister, in Schlesien gab und gibt es auch Oberschlesien. Können Sie mir darin zustimmen, daß ein großer Teil der Deutschen jenseits von Oder und Neiße gerade in Oberschlesien lebt, und wie erklären Sie es sich dann, daß gerade für diese Deutschen keine kulturellen Einrichtungen bestehen?
Ich werde die Frage gerne prüfen. Das hat sicher Gründe, die man, wie ich hoffe, auch aus diesen Büchern entnehmen kann. Ich habe sie beide nicht ganz durchgelesen; ich muß das zugeben.
({0})
- Ich hatte den Eindruck, die Fragesteller hatten es auch nicht ganz gelesen.
Ich rufe die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Sauer ({0}) auf:
Kann die Bundesregierung die Behauptung des „Vorwärts" vom 16. Oktober 1975 bestätigen oder widerlegen, daß die finanziellen Forderungen der Volksrepublik Polen, „über die sich später die ganze Bundesrepublik Deutschland so erstaunt zeigte", Gomulka „schon nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags hei Willy Brandt angemeldet" hatte, und wie beurteilt die Bundesregierung bejahendenfalls die für die finanzielle Belastung der Bundesrepublik Deutschland bedeutsame Antwort des damaligen Bundeskanzlers Brandt sowie das Verschweigen dieser Vorgänge bei der Unterzeichnung während der Aussprache über die Zustimmungsgesetze im Deutschen Bundestag?
Die polnische Regierung hat im Zusammenhang mit dem Abschluß des Warschauer Vertrages noch einmal ausdrücklich auf Reparationsforderungen verzichtet. Die Frage von Entschädigungsleistungen für NS-Opfer wurde während der Verhandlungen über den Warschauer Vertrag nicht angesprochen.
Es trifft zu, daß Gomulka nach Unterzeichnung des Vertrages Bundeskanzler Brandt in allgemeiner Form auf die Frage angesprochen hat. Bundeskanzler Brandt hat seinerseits entsprechend der bekannten Haltung der Bundesregierung Entschädigungsforderungen zurückgewiesen. Von einer „für die finanzielle Belastung der Bundesrepublik Deutschland bedeutsamen Antwort" des damaligen Bundeskanzlers Brandt kann mithin nicht die Rede sein; ein Vorgang übrigens, der dem Parlament und dem Auswärtigen Ausschuß in den Ratifizierungsberatungen ausdrücklich mitgeteilt worden war.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie das Datum nennen, an dem dem Auswärtigen Ausschuß des Bundestages und auch dem Bundesrat offiziell mitgeteilt worden ist, daß Gomulka nach Unterzeichnung des Vertrages diese Forderung aufgestellt hat?
Ich erinnere mich, daß ich selbst darüber berichtet habe. An Hand der Protokolle kann man das prüfen. Es sind Wortprotokolle, die hier zur Verfügung stehen.
({0})
Ich erinnere mich, daß ich im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages darüber berichtet hatte - es gibt Kollegen, die das bestätigen können -, daß nachher von polnischer Seite eine solche Frage gestellt worden war und daß Bundeskanzler Brandt sie zurückgewiesen hat.
Ich rufe die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Sauer auf:
Trifft die Behauptung des „Vorwärts" vom 16. Oktober 1975 über eine fahrlässige Behandlung der Schutzpflicht für Hunderttausende deutscher Staatsangehöriger und über den „entscheidenden Fehler in der fatalen Zahlenfestlegung" im November 1970 zu, wonach trotz der dem Bundesaußenminister bekannten, durch das Bundesverwaltungsamt viel höher beschiedenen, aber noch nicht erfüllten Ausreiseanträge „die polnische Zahlenangabe hingenommen" wurde, da „der damalige Bundesaußenminister unter äußerstem Zeitdruck" stand, weil er „am Abend desselben Tages bei einer Veranstaltung in München auftreten" mußte?
Herr Abgeordneter, die zitierte Pressemeldung ist in ihrem Kern falsch. Richtig ist nur, daß der damalige Bundesminister des Auswärtigen nach Abschluß der letzten Gesprächsrunde in Warschau am Morgen des 14. November zur Teilnahme an einer Parteiveranstaltung nach München geflogen ist. Alle hieran geknüpften Spekulationen sind irrig. Von einem angeblichen Zeitdruck kann schon deshalb gar keine Rede sein, weil die deutsch-polnischen Gespräche und Verhandlungen zwischen Februar und November 1970 geführt worden sind.
Zur Frage, weshalb die Bundesregierung der Formulierung in Ziffer 3 der „Information" zugestimmt hat, habe ich hier bereits des öfteren Stellung genommen. Ich verweise insofern auf meine Antwort, die ich auf die Frage des Abgeordneten Wittmann in der Fragestunde am 14. März gegeben habe.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, erwartet die Bundesregierung, weil über die Zahlen keine Vereinbarungen getroffen worden sind, vielleicht von den hier lebenden Familienangehörigen Unterlassungsklage?
Ich habe die beiden ersten Worte am Anfang Ihrer Frage nicht verstanden.
Weil über die Zahlen keine Vereinbarungen getroffen worden sind, d. h. nicht offiziell festgestellt worden ist, wieviele Deutsche noch drüben leben, und daher die polnische Regierung auch willkürlich die Zahl von 125 000 Aussiedlern festgelegt hat, frage ich Sie: Erwartet die Bundesregierung insbesondere von den Personen, die hier leben und von ihren Familien
Sauer ({0})
getrennt sind, Klagen auf Unterlassung dieser Vereinbarung?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht keinen Grund zu einer solchen Erwartung. Ich glaube, Sie gehen da von einer falschen Voraussetzung über die Möglichkeiten aus, erstens Zahlen festzustellen und zweitens darüber Vereinbarungen zu treffen. Wir haben hier ausdrücklich dargelegt, daß das gar nicht möglich war und daß auch heute noch niemand sagen kann, wer nun eigentlich unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit ist und ausreisen will, wer die deutsche Staatsbürgerschaft in Anspruch nehmen kann und ausreisen will.
({0})
Ich habe in der letzten Fragestunde versucht, zu erklären, wie kompliziert die Verhältnisse sind. Ich glaube, wenn man komplizierte Verhältnisse dieser Art vor sich hat, sollte man sich vor jeder Art von Vereinfachung hüten.
({1})
- Die Angaben über die Zahl der Anträge ist auch schwankend.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, war es nicht, da die Verhältnisse so kompliziert waren, schon aus der Schutzpflicht heraus notwendig, diese komplizierten Verhältnisse zu klären, und müssen Sie deshalb nicht ganz präzise Gegenbeweise gegen die Behauptungen von Herrn Gert Baumgarten im „Vorwärts" vom 16. Oktober 1975 vorbringen, aus denen dann hervorgeht, daß tatsächlich eine systematische Verhandlung - Herr Baumgarten nennt die Stunden - stattgefunden hat und nicht eine frühzeitige grob fahrlässige Abreise nach München oder auf die Zugspitze erfolgte?
Diese Beweise hat die Bundesregierung längst im Auswärtigen Ausschuß - und wenn ich mich recht erinnere, in Ihrer Gegenwart - vorgelegt.
({0})
Wenn heute Mystifikationen eines Herrn Baumgarten im „Vorwärts" auftauchen, bedauere ich diese Mystifikationen ebenso sehr, wie sie alle die bedauern müssen, denen an einer Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen gelegen ist.
({1})
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka zu.
Herr Staatsminister, war es nicht so, daß die Verhandlungen in Warschau gerade im November 1970 in ein entscheidendes
Stadium eingetreten waren - denn es ging hier um die Formulierung des Textes der „Information" und daß es besonders auffällig ist, daß Herr Bundesaußenminister Scheel in diesem Augenblick eine FDP-Veranstaltung für wichtiger hielt als ein Verbleiben in Warschau?
Herr Abgeordneter, es war nicht so, wie Sie es in Ihrer Frage darstellen. Ich habe den Sachverhalt nicht nur eben hier dargelegt, sondern ich habe ihn auch im Auswärtigen Ausschuß dargelegt. Wenn es so gewesen ist, wie Sie jetzt sagen, dann wundere ich mich, daß Sie das in der Ratifikationsdebatte nicht vorgebracht haben.
({0})
Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die sogenannte Offenhaltungsklausel im Protokoll fiber die Aussiedlung auf Grund der vorn Warschauer Korrespondenten des „Vorwärts" veröffentlichten Beurteilung: „Der Satz spricht vom ,Einreichen' der Anträge ({0}), nicht von ihrer Genehmigung. Die wäre vermutlich davon abhängig, daß mit Bonn im Rahmen eines neuen Protokolls wieder eine Zahl ausgehandelt wird. Was dergleichen kostet, weiß man am Rhein ja inzwischen."?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung beurteilt die von ihr abgeschlossenen Vereinbarungen nicht auf Grund von Presseveröffentlichungen. Die sogenannte Offenhaltensklausel im Ausreiseprotokoll besagt, daß die im Protokoll enthaltene Regelung der Ausreise von 120 000 bis 125 000 Personen keine Abschlußregelung ist. Das gilt sowohl hinsichtlich des Zeitraums als auch hinsichtlich der Zahl.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung in Anbetracht dessen die Angelegenheit, daß ein Mitglied des polnischen Sejm soeben das in der Frage zum Ausdruck Gebrachte bestätigt, daß mit der Regelung für 120 000 bis 125 000 Personen, die aussiedeln können, die ganze Sache erledigt ist?
Im Protokoll - und das ist maßgebend - steht, daß damit keine zeitliche Einschränkung für die Antragstellung gegeben ist. Ich glaube, Sie sollten auch diesen Satz zur Kenntnis nehmen. Ich verweise noch einmal darauf, daß wir dieses Thema im einzelnen hier im Bundestag behandeln können - ich hoffe, noch in diesem Monat - und im Auswärtigen Ausschuß. Dann kann Näheres über den Verhandlungsablauf gesagt werden, und Sie werden sicherlich volle Aufklärung im Sinne Ihrer Frage haben.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da die Bundesregierung das Protokoll vorgelegt hat, ist es wohl notwendig, auch jetzt schon Fragen zu stellen. Ich frage: Woraus zieht die Bundesregierung die Schlußfolgerung, daß alle Anträge, die meinetwegen nach dem 1. Januar 1980 gestellt werden können, auch angenommen werden? Denn wir wissen, in welcher Weise Anträge heute bis zu zwanzigmal abgelehnt worden sind.
Herr Abgeordneter, das ist eine Frage, die wir im einzelnen sicherlich behandeln müssen. Es ist in der Tat von der Antragstellung und nicht von der Annahme die Rede, sonst brauchte man gar keine Anträge zu stellen, dann könnten sich die Betroffenen einfach melden. Es geht in der Tat in vielen Fällen um weiterhin umstrittene Probleme. Aber die Tatsache, daß die polnische Seite diesen Satz zu Protokoll erklärt hat, halte ich für so wesentlich, daß wir das nicht in irgendeiner Form in der Bedeutung einengen sollten, indem wir unterstellen, daß dies eine Scheinerklärung der polnischen Seite sei.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schweitzer.
Herr Staatsminister, teilen Sie im Hinblick auf die Fragestellung meine Auffassung, daß der „Vorwärts" in keinem Falle als ein offizielles, offiziöses oder der sozialliberalen Regierung insgesamt nahestehendes Organ bezeichnet werden kann und Sie damit dazu eigentlich gar nicht Stellung zu nehmen brauchen?
({0})
Herr Abgeordneter Schweitzer, diese Zusatzfrage lasse ich nicht zu.
({0})
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({1}).
Herr Staatsminister, wie läßt sich die Feststellung, die Sie eben auf die Frage des Kollegen Dr. Hupka getroffen haben, mit der Tatsache in Einklang bringen, daß nach dem neuesten Bericht der Bundesregierung über die Aussiedlung aus Polen im ersten Halbjahr 1975 die durchschnittliche Zahl der Anträge, die ein Deutscher drüben in Polen stellen mußte, um ausreisen zu dürfen, sechs betrug und daß die Bundesregierung selbst feststellt, daß in einzelnen Fällen erst nach dem 25. Antrag eine Genehmigung erteilt worden ist?
Herr Abgeordneter, was Sie eben zitieren, markiert die Schwierigkeiten, die dazu geführt haben, daß wir zu diesen neuen
Vereinbarungen gelangt sind. Wir hielten diese neuen Vereinbarungen gerade deswegen für notwendig, weil es diese Schwierigkeiten gegeben hat, und Sie könnten einen großen Beitrag zur Beseitigung künftiger Schwierigkeiten leisten, wenn durch ein entsprechendes Verhalten aller deutschen Demokraten klargemacht würde, daß allen wirklich an einer Aussöhnung mit Polen gelegen ist, wie es Ihr Fraktionsvorsitzender gestern gesagt hat.
({0})
Ich rufe die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche zusätzlichen Informationen zur Klärung des Sachverhalts kann die Bundesregierung zu der im „Vorwärts" am 16. Oktober 1975 abgedruckten Schilderung der Schlußphase des Warschauer Vertrags geben, derzufolge der „damalige Bundesaußenminister unter äußerstem Zeitdruck stand, er mußte am Abend desselben Tages bei einer Veranstaltung in München auftreten", weshalb „die polnische Zahlenangabe ({0}) hingenommen wurde"?
Herr Abgeordneter, ich habe zu dem von Ihnen angesprochenen Zeitungsartikel bereits im Zusammenhang mit der Frage des Kollegen Sauer Stellung genommen. Sie haben sinngemäß die gleiche Frage gestellt. Ich darf mich darauf beziehen.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie uns einige Zusatzinformationen geben, wieso die Zahl von 280 000, über die damals die Bundesregierung verfügt hat, nicht in der „Information" steht, sondern nur die sehr vage Zahl von „einigen Zehntausenden Personen"?
Ich habe das hier ausgeführt, und ich darf auf die entsprechende Antwort in der Fragestunde verweisen. Ich kann Ihnen das schriftlich nachreichen. Damals habe ich sinngemäß gesagt, daß zwischen der polnischen Auffassung und unserer Auffassung eine Diskrepanz in den Zahlen bestanden hat. die polnische Seite hat gesagt, nach ihrer Auffassung seien es einige Zehntausend, sie würde aber entsprechende Anträge, die beim Roten Kreuz eingereicht worden sind, entsprechend prüfen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin den Bericht des „Vorwärts"- Korrespondenten in Warschau eine Mystifikation genannt. Können Sie mir sagen, was das Mystische sein soll und was das Tatsächliche ist?
({0})
Herr Abgeordneter, wenn Sie das in einer Frage, die Sie schriftlich einreichen, präzise bringen, werde ich Ihnen das im
) einzelnen auseinandersetzen. Ich habe es an zwei Beispielen dargelegt. Es ist unmöglich, einen Artikel von 150 Druckzeilen im einzelnen auf Mystizismen und Realitäten hin hier auseinanderzunehmen. Ich glaube, das ist auch nicht die Aufgabe im Deutschen Bundestag.
({0})
Herr Abgeordneter Hupka, Sie haben Ihre Zusatzfragen erschöpft.
Ich lasse eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja zu.
Herr Staatsminister, stimmt die Angabe von Gert Baumgarten also nicht, daß im Oktober 1970 zuerst in der Nacht und dann in den frühen Morgenstunden über die Zahlen verhandelt worden ist, daß dem Bundesaußenminister die tatsächlichen Zahlen vorgelegen haben, er aber die polnische Zahlenangabe, wie es heißt, „hingenommen" hat, da er „unter äußerstem Zeitdruck" stand und „am Abend desselben Tages bei einer Veranstaltung in München auftreten" mußte? Stimmt das oder stimmt das nicht?
Nein, Herr Abgeordneter, das stimmt so nicht. Ich habe das vorhin bereits in der Antwort auf die schriftlich eingereichte Frage dargelegt. Ich glaube nicht, daß Sie durch Wiederholungen etwa von meinem Standpunkt überzeugt werden können.
({0})
Ich lasse noch zwei Zusatzfragen, eine des Herrn Abgeordneten Mattick und eine des Herrn Jäger ({0}), zu. - Bitte!
Herr Staatsminister, im Hinblick auf die Fragen, die hier heute behandelt werden und in dieser Legislaturperiode so ungefähr das hundertste Mal behandelt werden,
({0})
frage ich die Bundesregierung, wie sie sich die ablehnende Haltung der Opposition und insbesondere der Personen, die hier die Fragen stellen,
({1}) : Was soll denn
das?)
zur jetzigen Vereinbarung erklärt,
({2})
wenn die Fragen der Kollegen wirklich die Sorgen um die Menschen ausdrücken, um die sich die Bundesregierung bemüht hat und die bei Zustimmung zu der Vereinbarung sicher nach Hause kommen könnten, wie sie es nennen?
({3})
Herr Kollege Mattick, ich kann diese Frage, da sie nicht in dem geforderten unmittelbaren Zusammenhang mit der eingereichten Frage steht, nicht zulassen.
Eine letzte Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Jäger.
Herr Staatsminister, wenn es also unzutreffend ist, was hier im „Vorwärts" gestanden hat, und wenn Sie außerdem sagen, -
Herr Kollege, bitte nicht zwei Zusatzfragen in einer. Eine klare, knappe Zusatzfrage, bitte!
Wenn das also, wie ich es im ersten Halbsatz schon gefragt habe, unzutreffend ist, wie erklären Sie es sich dann, Herr Staatsminister, daß ehe diese Differenzen über die Zahlenauffassungen beider Seiten einvernehmlich ausgeräumt waren und klargestellt war, daß es sich um 280 000 handelt, die Vereinbarungen 1970 tatsächlich durch Unterschrift abgeschlossen worden sind?
Herr Abgeordneter, dies alles ist in den Unterlagen zur Ratifizierung im einzelnen nachzulesen. Ich bin nicht in der Lage, mehrstündige Ausführungen dazu jetzt in einem Satz oder in zwei Sätzen zu beantworten. Das ist längst klargestellt.
({0})
Aber ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit noch eine kleine Zusatzantwort geben dürfen. Vielleicht vermindert das ein bißchen die Schärfen, die in dieser Frage gelegentlich entstehen. Der Sprecher der CDU hat unter der Überschrift „Polenverträge - Causa finita" im „Deutschland-UnionDienst" einen Beitrag geschrieben. Nun bin ich, wie Sie wissen, immer mißtrauisch gegenüber Zitaten. Ich habe nachgeprüft, wo dieses Zitat „Causa finita" eigentlich steht und wo es ganz steht, und habe gefunden, es steht bei Augustinus. Es heißt dort:
Iam enim de hac causa ({1}) duo concilia missa sunt ad Sedem Apostolicam. Inde etiam rescripta venerunt: causa finita est; utinam aliquando finiatur error.
Und da Sie Latein können, aber andere nicht, will ich es auf deutsch sagen, meine Herren von der CDU/CSU:
Denn es sind in Sachen des Pelagius schon die Beschlüsse zweier Konzilien an den Päpstlichen Stuhl gesandt worden. Auch kamen von da die Reskripte: Die Sache ist zu Ende. Wenn doch einmal der Irrtum ein Ende nähme!
So weit Augustinus.
({2})
Der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann ist, soweit ich das sehen kann, nicht im Saal. Die von ihm eingereichten Fragen 98 und 99 werden daher schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Sauter ({0}) auf:
Warum heißt im polnischen, ebenfalls verbindlichen, Text das dem Bundestag übermittelte „Protokoll" der Erklärungen der Minister Genscher und Olszowski „Protokollvermerk" bzw. „Protokollnotiz", und handelt es sich also nur um die in Vermerkform gekleidete Information über innerstaatliche Vorgänge oder um ein Protokoll mit Übernahme und Bestätigung völkerrechtlicher Rechtspflichten?
Bei dem Ausreiseprotokoll handelt es sich um ein von den beiden Außenministern unterzeichnetes Dokument, in dem der polnische Außenminister für seine Regierung eine förmliche Zusicherung über die Ausreisemöglichkeiten gibt, die rechtlich verbindlich ist. Im deutschen Text wird dieses Dokument als Protokoll bezeichnet. Auch die polnische Übersetzung „Protokollniederschrift" bringt zum Ausdruck, daß es sich bei dem Dokument um die förmliche Niederschrift einer verbindlichen Zusage der polnischen Seite handelt, die an uns gerichtet ist und von uns angenommen wurde.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da es nach meinen Informationen auch in der polnischen Sprache einen Unterschied zwischen Protokollvermerk und Protokoll gibt, frage ich Sie, warum die Bundesregierung nicht insistiert hat, daß hier auch die Bezeichnung „Protokoll" verwendet wird, um alle Unklarheiten von Anfang an zu beseitigen?
Das war nicht notwendig, Herr Abgeordneter. Ich bedauere, daß ich die Frage des Abgeordneten Zimmermann nicht mündlich beantworten konnte. Auch hier ist insgesamt in dem Beitrag, auf den Sie rekurrieren und der mir auch als Unterlage zur Verfügung steht, längst klargestellt, daß Dinge, die heute moniert werden, von einer Bundesregierung im Jahre 1962/63 als Erfolg gefeiert worden sind
({0})
- mit Recht übrigens -, weil „Bundesrepublik Deutschlands" als Genitiv, so wie es „Königreich Großbritanniens" heißt, dort verwendet wurde. Dasselbe gilt auch für die dort übliche Bezeichnung für die Protokollniederschrift. Wir sahen gar keinen Anlaß, daran Anstoß zu nehmen. Ich halte das für eine Sprachklauberei, die da angestellt worden ist. Der Sprachendienst des Auswärtigen Amtes, den ich für in diesem Fall höchst zuverlässig halte und der wissenschaftlich die volle Unterstützung hat, hat dies in Zusammenarbeit mit den Völkerrechtlern als korrekt angesehen. Daran gibt es nichts zu deuteln.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ich möchte Sie noch einmal fragen: Teilen Sie meine Auffassung, daß es ein qualitativer Unterschied ist, ob eine Unterschrift unter ein Protokoll oder unter einen Protokollvermerk gesetzt wird?
Einen solchen Unterschied gibt es im diplomatischen Verkehr nicht. Wieso auch?
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes ({0}).
Herr Staatsminister, worin besteht der Unterschied in der Verbindlichkeit der polnischen Zusagen in der „Information" von 1970 und der Verbindlichkeit der polnischen Zusagen im Protokoll von 1975?
Beides sind keine völkerrechtlichen Verträge. Das eine ist eine einseitige Erklärung der polnischen Seite, die wir zur Kenntnis genommen haben. Das andere ist eine Protokollniederschrift, die von beiden unterzeichnet worden ist. Das ist der Unterschied.
({0})
- Herr Abgeordneter, ich sehe Erklärungen anderer Regierungen - gleichgültig, welche Form sie haben - grundsätzlich als verbindlich an. Ich kann mich z. B. auch mit dem Gedanken befreunden, daß man in diesem Bereich etwa durch eine Absprache, die nicht Vertragsform annimmt, zu den gewünschten politischen Ergebnissen kommt. Ich glaube, das hängt eindeutig von dem jeweiligen politischen Willen ab.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja zu. Dann gehe ich zu der Frage des Herrn Abgeordneten Niegel über.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie es sich, daß Herr Bundesaußenminister Genscher - dieses Dokument gilt ja in beiden Sprachen - zum einen ein Dokument unterschrieben hat, das den Namen „Protokoll" trägt, und zum anderen - obwohl es in der polnischen Sprache auch so heißt - seine Unterschrift unter das polnische Dokument gesetzt hat, obwohl darin der Begriff „Protokollvermerk" verwandt wird?
Das erkläre ich mir damit, daß unsere Rechtsexperten der Meinung waren, daß dies in der Sache überhaupt nichts anderes bedeutet, daß genau dasselbe gemeint ist, daß die Polen, wie ich mich überzeugen ließ, die Angewohnheit haben, eine solche Niederschrift so zu nennen,
wie sie sie hier genannt haben, daß also beides rechtlich auf dasselbe hinausläuft. Ich bewundere die Kunst von Katecheten, die daraus Probleme machen wollen.
({0})
Ich rufe die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Trifft die Meldung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 22. Oktober 1975 zu, der Bundesminister des Auswärtigen sei der Auffassung, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit wäre in das Auswärtige Amt einzugliedern, und welche zwingenden sachlichen Erwägungen hindern die Bundesregierung, diese praktischen, auch der Verwaltungsvereinfachung und der Reduzierung der Bürokratie dienenden Vorstellungen unverzüglich in die Tat umzusetzen?
Herr Abgeordneter, Bundesminister Genscher verfolgt nicht das Ziel, das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in das Auswärtige Amt einzugliedern.
Sie haben zwei Zusatzfragen, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, wie interpretieren Sie dann die Herrn Genscher von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in den Mund gelegten Äußerungen, die da lauten, Genscher würde die Verschmelzung der beiden Ministerien betreiben, wenn es möglich wäre, den Plan zu verwirklichen?
Ich betrachte das als eine in einen Irrealis gefaßte Aussage oder Meinung eines Journalisten, die von Art. 5 des Grundgesetzes voll gedeckt ist.
({0})
Herr Abgeordneter, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, eine Frage zum Grundsätzlichen. In dem fraglichen Artikel heißt es auch:
Deutsche Außenpolitik soll mit Nachdruck deutsche Interessen vertreten, während Entwicklungspolitik in erster Linie den Entwicklungsländern zu dienen hat.
Ist das die Meinung von Außenminister Genscher?
Das ist zunächst einmal kein Widerspruch. Wenn dies die Meinung ist, ist dies eine differenzierte Ansicht zu den Unterschieden zwischen den erstrangigen Zielen von Entwicklungspolitik und Außenpolitik, die zutreffend ist. Wir haben immer gesagt, daß Entwicklungspolitik für uns nicht ein Instrument oder ein Hilfsmittel der Außenpolitik sei, sondern für sich selbst steht, nämlich zur Verbesserung der sozialen Lage in den Entwicklungsländern beitragen kann und damit selbstverständnis indirekt auch unseren außenpolitischen
Zielen dient, die Sicherheit in der Welt zu erhöhen.
({0})
Ich rufe die Frage 102 der Abgeordneten Frau Grützmann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die im Artikel der „Frankfurter Rundschau" vom 24. Oktober 1975 geschilderten Vorgänge der deutschen Schule in Paris insbesondere im Hinblick auf die Verwirklichung der Chancengleichheit?
Herr Staatsminister, ich frage Sie und die Fragestellerin, ob wir nicht die Beantwortung der beiden von der Abgeordneten Frau Grützmann eingereichten Fragen verbinden können. - Die Fragestellerin wäre einverstanden.
Dann dauert es nur länger. Ich könnte die Fragen aber zusammen beantworten.
Vielleicht wird dann aber die Zahl der Zusatzfragen verringert.
Gut, einverstanden!
Dann rufe ich noch die Frage 103 der Abgeordneten Frau Grützmann auf:
Hat die Bundesregierung rechtliche Möglichkeiten, um den hier aufgezeigten Tendenzen entgegenzuwirken?
Frau Abgeordnete, ich nehme an, daß Sie mit Ihrer Frage nach der Chancengleichheit auf die im Artikel der „Frankfurter Rundschau" vom 24. Oktober 1975 erwähnte Prioritätenregelung bei der Aufnahme in die deutsche Schule in Paris abzielen. Der Schulträger - das ist der deutsche Schulverein in Paris - steht vor der Tatsache, daß mehr Kinder angemeldet werden, als die deutsche Schule aufnehmen kann. Er versucht, des Problems vorübergehend dadurch Herr zu werden, daß er gewisse Prioritäten festlegt. Alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß jede solche Regelung nur eine unvollkommene Übergangslösung sein kann.
Die Bundesregierung ist bestrebt zu helfen. Sie hat daher trotz der schwierigen Haushaltslage vor Beginn des neuen Schuljahres der deutschen Schule Paris zugesichert, daß Kosten, die durch die Bildung zusätzlicher Parallelklassen entstehen, von ihr übernommen werden können.
Es handelt sich - wenn ich die Antwort auf die zweite Frage hier anschließen darf -, wie ich vorhin ausgeführt habe, also nicht um Tendenzen, sondern um eine vorübergehende Notlösung. Wie alle deutschen Schulen im Ausland wird auch die deutsche Schule Paris von einer Vereinigung örtlichen Rechts getragen. Der Schulvorstand wird von der Elternschaft gewählt; er entscheidet und handelt voll verantwortlich und unabhängig. Der Bundesregierung sind daher keine rechtlichen Möglichkeiten der Einwirkung gegeben; es handelt sich rechtlich - ich betone das nochmals - um eine private Schule.
13792 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 200. Sitzung. Borin, Donnerstag, den 6. November 1975
Herr Staatsminister, haben Sie geprüft, ob die Möglichkeit des Verlosungssystems der Chancengleichheit in diesem Fall dienen könnte?
Das haben wir geprüft, und wir sind zu einem verneinenden Urteil gekommen, und zwar aus folgenden Gründen, Frau Abgeordnete. Wenn Steuergelder - und das geschieht ja - für die Lehrerbesoldung an solchen Schulen privaten Rechts ausgegeben werden, ist es zwingend notwendig, daß in erster Linie die Kinder derjenigen Eltern davon profitieren, die ohne eigene Entscheidung an einen solchen Ort versetzt worden sind, z. B. Beamte des Bundes - sei es im auswärtigen Dienst, sei es im Verteidigungsbereich, sei es in anderen Ministerien - oder Angestellte und Beschäftigte von Wirtschaftsunternehmen, die auch nicht allein durch eigene freie Entscheidung etwa bei der Wahl des Arbeitsplatzes eine Zeitlang in einem solchen Gebiet arbeiten müssen. Es ist klar, daß es bei einer Versetzung, die ja meistens auf drei Jahre befristet ist, für diese Eltern besonders wenig zumutbar wäre, Kinder etwa in örtliche Schulen, die einem anderen Schulsystem angehören, zu schicken. Das unterscheidet solche Kräfte aus Staat, Verwaltung und Wirtschaft grundsätzlich von Eltern, die durch eigene Entscheidung und für lange Zeit in ein fremdes Land gegangen sind und ihre Kinder dort zur Schule schicken müssen.
Deswegen ist ein Verlosungssystem ein System, das sicher noch mehr Ungerechtigkeiten schafft als eine Prioritätenliste. Wir haben also bei der Wahl zwischen zwei Übeln den Vorzug doch dem kleineren Übel zu geben.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte, Frau Kollegin!
Herr Staatsminister, ist erwogen worden, deutsche Schulen im Ausland generell mehr zu Begegnungsschulen auszubauen und von der Expertenschule wegzukommen, um dann auch zweisprachige Abschlüsse zu vermitteln?
Das haben wir in einigen Teilen der Welt gemacht, und wo immer wir das können, hat dies den Vorrang. Tatsache ist aber, daß bei der zunehmenden Zahl vorübergehend im Ausland beschäftigter deutscher Staatsbürger natürlich in erster Linie diese Bürger Anspruch auf eine schulische Versorgung ihrer Kinder erheben, da ja dafür Steuergelder aufgewandt werden. Das eine ist ein allgemeines wichtiges kulturpolitisches Ziel; das andere ist praktisch für Staatsbürger, die auch bei uns regelmäßig Steuern zahlen, eine Schulversorgung, die wir auch im Inland geben müßten.
Wenn es möglich sein sollte, den Schuletat des Auswärtigen Amtes entsprechend aufzustocken, werden wir aus kulturpolitischen Gründen bevorzugt Begegnungsschulen unterstützen. Die Expertenschulen sind sozusagen kein kulturpolitisches Instrument im Ausland, sondern einfach eine Notwendigkeit der Schulversorgung.
Die letzte Frage, Herr Staatsminister: Haben Sie auch an Reformvorstellungen gedacht, die eine Änderung hinsichtlich dieses Schulvereinsvorstandes beinhalten, so daß eben nicht mehr das passieren kann, was dieser Artikel aufgreift, daß nämlich eine Privatfirma praktisch die Schule okkupiert?
Frau Abgeordnete, natürlich haben wir das, was dort geschieht, mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Auf der anderen Seite ist der Bund nicht und durch nichts in der Lage, hier Änderungen herbeizuführen, denn hier handelt es sich zweifellos um die Anwendung des Mehrheitsprinzips im Vereinsrecht, die ja auch woanders stattfindet. Man kann dem nur entgegentreten, wenn sich andere Mehrheiten bilden oder wenn andere Formen gefunden werden. Aber auf Vereine, die örtlichem Recht unterliegen, die also private Institutionen sind, und auf ihre Art, Vorstände zu bilden, hat die Bundesregierung nicht den geringsten Einfluß. Man kann höchstens bestimmte Dinge zur Kenntnis nehmen und kann sie vielleicht - je nach Standpunkt - auch bedauern. Aber man kann sie jedenfalls vom Bund aus nicht ändern. Es handelt sich nicht um eine öffentliche deutsche Schule, und hier ist das Demokratieprinzip in voller Wucht angewendet worden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, darf ich als ehemaliges Mitglied des deutschen Schulvereins Paris und der Deutschen Botschaft Paris fragen: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die unabhängigen deutschen Schulvereine eine berechtigte Neigung haben, sich Ingerenzen des Staates, der Regierung, der Botschaften zu verbitten?
Herr Abgeordneter, sie haben eine Neigung. Ob sie berechtigt ist, entscheidet sich von Fall zu Fall und ist sicher auch subjektiven Empfindungen ausgesetzt.
Der Herr Abgeordnete Walkhoff hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 104 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 105 des Abgeordneten Dr. Mertes ({0}) auf:
Treffen Pressemeldungen zu ({1}), daß kommunistische Landarbeiter südlich von Lissabon einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb deutscher Eigentümer widerrechtlich im Handstreich besetzt haben, und was hat die Bundesregierung gegebenenfalls unternommen, um derartige Übergriffe auf deutsches Eigentum in Portugal zu verhindern?
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß am 22. Oktober 1975 der landwirtschaftStaatsminister Moersch
liche Besitz des deutschen Staatsangehörigen Hans-Joachim Gerike von fremden Landarbeitern besetzt und Herr Gerike nach einwöchigen Verhandlungen mit den Besetzern gezwungen wurde, sein Eigentum zu verlassen. Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Lissabon ist sofort nach Bekanntwerden der Besetzung des Gutes von Herrn Gerike bei der portugiesischen Regierung vorstellig geworden. Sie hat ereicht, daß der Fall sowohl im Ministerrat als auch im Revolutionsrat behandelt worden ist. Als die Besetzung dennoch nicht aufgehoben wurde, hat sich der Botschafter an Premierminister Pinheiro de Azevedo gewandt und ihn am 31. Oktober gesprochen. Das Auswärtige Amt selbst hat sich in dieser Angelegenheit an den portugiesischen Botschafter in Bonn gewandt. Die portugiesische Regierung hat anerkannt, daß die Landbesetzung unrechtmäßig erfolgt ist und Herr Gerike das Recht hat, die Aufhebung der Besetzung zu fordern. Sie hat zugesagt, ihr Möglichstes zu tun, um Herrn Gerike Recht widerfahren zu lassen.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß an dieser widerrechtlichen Besetzung eine deutsche kommunistische Gruppe beteiligt war?
Das ist mir nicht bekannt. Nach unserer Kenntnis handelt es sich in der Tat um Kommunisten und linksextreme Gruppen, die die Besetzungskampagne eingeleitet haben, und offensichtlich war es das Ziel dieser Gruppen, die Beziehungen Portugals zum befreundeten Ausland zu stören.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für den Fall, daß die portugiesische Seite diese Angelegenheit nicht zufriedenstellend bereinigen will oder kann?
Ich bitte um Verständnis, wenn ich die Antwort dann gebe, wenn der Fall eingetreten ist. Ich halte nichts von Antworten auf hypothetische Fragen im Umgang mit fremden Mächten. Die portugiesische Seite kennt unseren Standpunkt.
Ich rufe die Frage 106 des Herrn Abgeordneten Hösl auf. -Meine Damen und Herren, wir haben noch nicht einmal alle Fragen des Auswärtigen Amtes behandelt!
Trifft die Meldung der „Welt" vom 31. Oktober 1975 zu, die Sowjetunion habe zu einem Empfang anläßlich ihres Nationalfeiertags den Vertreter des Landes Berlin beim Bund als einzigen Vertreter der Bundesländer nicht eingeladen, die Bundesregierung werde aber gleichwohl durch eines ihrer Mitglieder auf dem Empfang vertreten sein, und was gedenkt - bejahendenfalls - die Bundesregierung zu tun, um diese unterschiedliche Wertung der Landesvertreter beim Bund durch den sowjetischen Gastgeber zu verhindern?
Es trifft zu, daß der Senator für Bundesangelegenheiten - der Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund - wie in früheren Jahren auch zum diesjährigen Empfang der sowjetischen Botschaft aus Anlaß des Nationlfeiertages der UdSSR keine Einladung erhalten hat. Die damit zum Ausdruck kommende Haltung der Sowjetunion zur Frage der Zuordnung von Berlin ({0}) zur Bundesrepublik Deutschland ist bekannt. Ebenso bekannt ist die klare und wiederholt auch gegenüber der Sowjetunion bekräftigte Haltung der Bundesregierung, daß die Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen Berlins an den Bund ein fundamentales und unverzichtbares politisches Interesse der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Diese Haltung wird durch die Teilnahme an den Empfängen zum sowjetischen Nationalfeiertag nicht beeinträchtigt. Die Bundesregierung glaubt nicht, daß durch ein Fernbleiben von diesen Veranstaltungen oder durch andere demonstrative Schritte den Interessen Berlins gedient wäre. Sie setzt damit die Praxis früherer Bundesregierungen fort.
Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, sehen Sie keine politische Verpflichtung der Bundesregierung, gegen dieses Verhalten der UdSSR Stellung zu nehmen?
Herr Abgeordneter, diese Frage müßten Sie an alle Bundesregierungen richten, vor allem auch an diejenige, die die diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion aufgenommen hat. Hier ist abzuwägen, was den Interessen Berlins am besten dient. Wir glauben, daß das Verhalten der Bundesregierung - indem sie ihren Standpunkt in der Sache sehr deutlich gemacht hat, gerade in dem von Ihnen geschilderten Fall - unseren Interessen am besten dient. Ich habe das in meiner Antwort wohl umfassend dargestellt.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, sind Sie denn der Meinung, daß das Viermächteabkommen die UdSSR in die Lage versetzt, so zu verfahren?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung kann grundsätzlich keine Kommentierungen zum Viermächteabkommen geben. Die Auslegung des Abkommens ist Sache der Signatarmächte. Ich werde deshalb in diesem Hause auch immer davon Abstand nehmen, Auslegungen vorzunehmen. Dazu sind wir nicht befugt. Das ist Sache der Unterzeichner dieses Abkommens, und die Drei Mächte sind sicherlich in der Lage, ihre Verantwortlichkeiten und ihre Interessen wahrzunehmen.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Arndt zu.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß in Solidarität mit dem Vertreter Berlins bei der Bundesregierung die übrigen Bevollmächtigten der Bundesländer in Bonn nicht an dem Empfang teilnehmen und daß dies in Verbindung mit dem, was Sie in Ihrer Beantwortung gesagt haben, die richtige Reaktion der Bundesrepublik insgesamt ist?
Herr Abgeordneter, ich bedanke mich für den Hinweis, der in der Frage enthalten ist. Ich werde gerne prüfen, ob es sich so verhält, wie Sie gesagt haben.
Wir kommen dann zur Frage 108 des Herrn Abgeordneten Reiser.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Westberliner Student Küster, parteilos und keiner Organisation angehörend, der als einzelreisender Tourist mit erspartem Geld mehrere Staaten Südamerikas besuchte, am Ankunftstag in der chilenischen Hauptstadt Santiago verhaftet, gefesselt, später gefoltert wurde sowie drei Tage lang ohne Essen und Trinken blieb, und ({0}) was hat sie dagegen unternommen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist durch unsere Botschaft in Santiago darüber unterrichtet worden, daß Herr Küster dort am 5. September 1975 verhaftet wurde. Aus dem Bericht der Botschaft geht nicht hervor, ob Herr Küster gefesselt wurde sowie drei Tage lang ohne Essen und Trinken blieb. Es heißt in dem Bericht lediglich, Herr Küster habe selbst angegeben, daß ihm die Augen verbunden worden seien. Gefoltert wurde Herr Küster nach seinen Angaben gegenüber der Botschaft nicht.
Die Botschaft erfuhr von der Verhaftung des Herrn Küster durch ein Telegramm, das anscheinend am 13. September abgesandt worden war, aber erst am 18. September eintraf. Obwohl an diesem Tag Feiertag war und deshalb eine Besuchserlaubnis nicht zu erhalten war, gelang es einem Botschaftsbediensteten, noch am selben Tage Herrn Küster im Internierungslager zu besuchen. Auf Grund der von der Botschaft im chilenischen Außenministerium erhobenen Vorstellungen verfügten die chilenischen Behörden am 22. September die Ausweisung Herrn Küsters, deren Vollzug sich allerdings bis zum 27. September verzögerte. Die Botschaft besorgte Herrn Küster eine Flugpassage und streckte teilweise die Mittel hierfür vor. Ein Botschaftsbediensteter holte Herrn Küster am 27. September im Lager ab und begleitete ihn zum Flughafen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Herr Küster in mehreren Radio- und Zeitungsinterviews genau das bekanntgegeben und weitergereicht hat, was in meiner Frage steckt, frage ich Sie: Haben Sie sich einmal von seiten des Auswärtigen Amts genau erkundigt, welche Folterungen von dem Studenten inzwischen zugegeben worden sind bzw. welche er angeführt hat?
Herr Abgeordneter, in solchen Fällen wird der Betroffene gebeten, über seine Erfahrungen zu berichten. Das hat er getan. Aber in dem Bericht, der darüber niedergeschrieben wurde, steht das, was er anderen offensichtlich gesagt hat, nicht drin. Hier ist ein klarer Widerspruch. Ich kann ihn im Augenblick nicht aufklären.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn die Folterungen, wie sie der Student geschildert hat, in dem Umfang zutreffen, besteht dann eine Möglichkeit, daß er für derartige Opfer eine gewisse Entschädigung bekommt?
Das kann er selber anwaltlich sicherlich zu erreichen versuchen. Da muß er den Rechtsweg beschreiten. Unsere Vertretung wird ihm sicher entsprechende Ratschläge geben können, wie das in Chile im einzelnen zu machen ist.
Aber zunächst einmal gehen Sie vor einer Behauptung aus, die sich jedenfalls in unseren Akten nicht findet. Das ist für mich in der Tat verwunderlich. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand berichtet, ihm seien die Augen verbunden worden, aber nicht berichtet, er sei gefoltert worden - wenn er gefoltert worden ist -, was ja sicher eine härtere Maßnahme ist, als die Augen verbunden zu bekommen. Das ist der Umstand.
Ich rufe die Frage 109 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Sieht die Bundesregierung im Verhalten der Südafrikanischen Botschaft im Zusammenhang mit dem Besuch von Herrn Rail in Südafrika eine unfreundliche Handlung, und wird sie dem Botschafter das Agreement entziehen?
Herr Abgeordneter, das Auswärtige Amt hat zu dem Vorgang am 17. Oktober 1975 folgendes erklärt - ich wiederhole es -:
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Dr. Walter Gehlhoff, hat heute den Botschafter der Republik Südafrika in Bonn, Herrn Donald Bell Sole, zu einem Gespräch empfangen. Das Gespräch diente der Klärung von Fragen im Zusammenhang mit dem Besuch von Generalleutnant Rall in Südafrika. In dem Gespräch bestätigte der südafrikanische Botschafter, daß er mit dem Bundesminister der Verteidigung, Herrn Georg Leber, zu keinem Zeitpunkt über den Besuch von Generalleutnant Rall in Südafrika gesprochen habe.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Zu welcher Beurteilung die südafrikanische Regierung selber in dieser Angelegenheit kommt und welche Konsequenzen sie zieht, ist der Bundesregierung bisher nicht bekannt.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung grundsätzlich das Verhalten eines Botschafters, der in konspirativem Zusammenwirken mit einem hohen bundesdeutschen General dem außenpolitischen Ansehen der Bundesrepublik schweren Schaden zufügt und gleichzeitig Unwahrheiten über ein Regierungsmitglied verbreitet?
Herr Abgeordneter, ich bedaure, daß ich diese Fragen hier nicht beantworten kann. Ich habe die Stellungnahme der Bundesregierung hier zitiert. Ich möchte Sie bitten, es dabei bewenden zu lassen.
Sie dürfen eine weitere Zusatzfrage stellen. Dabei bitte ich Sie, Wertungen nicht anzubringen.
Herr Staatsminister, glauben Sie nicht, daß es einen Unterschied ausmacht, ob die Mitteilungen des Botschafters an seine Regierung geheim bleiben oder ob sie, wie es in diesem Fall geschehen ist, der breiten Öffentlichkeit bekannt werden und damit eine Stellungnahme der Bundesregierung herausfordern?
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis, daß ich Glaubensfragen in diesem Zusammenhang nicht beantworten werde.
Ich lasse eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner zu.
Herr Staatsminister, ich greife als Zusatzfrage die Frage 85 auf und frage Sie, ob Pressemeldungen zutreffen und ob Ihnen als Regierung bekannt ist, daß der Botschafter der Südafrikanischen Republik seiner Regierung u. a. folgendes geschrieben haben soll:
Ich konnte erreichen, daß .die Genehmigung für den Besuch auf informeller Basis vom deutschen Verteidigungsminister Georg Leber gegeben wurde, mit dem ich ebenfalls über die Angelegenheit sprach.
Herr Abgeordneter, was Sie eben vorgetragen haben -
Herr Staatsminister, ich lasse die Frage zu, weil sie in der ursprünglich eingereichten Frage enthalten war. Es handelt sich um die Frage 85 des Abgeordneten Dr. Wörner, die ich hiermit aufrufe:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach vor der Reise von General Rall nach Südafrika der Botschafter der südafrikanischen Republik, Donald Bell Sole, seiner Regierung u. a. folgendes geschrieben haben soll: „Ich konnte erreichen, daß die Genehmigung für den Besuch auf informeller Basis vom deutschen Verteidigungsminister Georg Leber gegeben wurde, mit dem ich ebenfalls über die Angelegenheit sprach."?
Herr Abgeordneter, wir sparen uns einen bürokratischen Vorgang, wenn ich Ihre Frage 86 gleich mitbeantworten könnte.
Dann rufe ich noch die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner auf:
Ist der von Botschafter Sole seiner Regierung mitgeteilte Sachverhalt zutreffend wiedergegeben?
Die Bundesregierung hat keinen Grund gesehen, die Echtheit der öffentlichen Wiedergabe von offenbar gestohlenen oder verschwundenen Akten einer ausländischen Botschaft zu prüfen. Sie hat daher auch keine diesbezüglichen Recherchen angestellt. Botschafter Sole hat in seinem Gespräch mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, das ich soeben zitiert habe, am 17. Oktober 1975 Dr. Gehlhoff bestätigt, daß er mit dem Bundesminister der Verteidigung, Herrn Georg Leber, zu keinem Zeitpunkt über den Besuch von Generalleutnant Rall in Südafrika gesprochen habe. Im übrigen hat das Bundesverteidigungsministerium hier zu diesem Vorgang Stellung genommen.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Becher zu.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß sie mit dem hier vorgeschlagenen Entzug des Agrément für den Botschafter Südafrikas den Eindruck erwecken würde, sie weiche hier dem Druck von Kräften, denen es nicht um Herrn Rall, sondern um Minister Leber und um das Zusammenwirken der wenigen noch freien Sicherheitskräfte der westlichen Welt geht?
({0})
Herr Abgeordneter, ich kann Sie als Fragesteller einer Zusatzfrage nicht besserstellen als den Fragesteller selbst, der die Originalfrage eingebracht hat. Ich verweise darauf, daß ich vorhin gesagt habe: Ich habe meiner ersten Antwort nichts hinzuzufügen.
Herr Abgeordneter de Terra, haben Sie noch eine Zusatzfrage? - Ich würde sie noch zulassen. Dann schließe ich den Komplex ab.
de Terra ({0}) : Herr Staatsminister, habe ich es nun richtig verstanden, daß der Bericht, den Botschafter Sole seiner Regierung gegeben hat, nicht den Tatsachen entsprach?
Sie haben mich richtig verstanden, wenn Sie die Erklärung zur Kenntnis nehmen, die ich vorhin vorgelesen habe.
Ich rufe die Frage 110 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf;
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Trifft es zu, daß die offizielle polnische Presse, z. B. „Trybuna Ludu" vom 7. Oktober 1975 und „Zycie Warszawy" vom 8. Oktober 1975, und die polnische Nachrichtenagentur, die nach den unseren Vertretungen bekannten Richtlinien und Grundsätzen für die Pressearbeit in den Ostblockstaaten in außenpolitischen Fragen ausschließlich die Regierungsmeinung wiedergeben, seit Anfang Oktober meinen feststellen zu sollen, daß die deutsche Frage aufgehört hat, in der internationalen Politik zu existieren, daß in endgültiger unwiderruflicher Trennung zwei deutsche Staaten Beziehungen auf der Basis der „friedlichen Koexistenz" unterhalten, sowie daß der Untergang von Deutschland als Ganzem „in Übereinstimmung mit dem Prinzipienkatalog von Helsinki und dem Vertrag zwischen der DDR und der UdSSR" nunmehr völkerrechtlich bestätigt wurde, und wird die Bundesregierung bei der polnischen Regierung dagegen vorstellig werden?
Die Antwort auf den ersten Teil Ihrer Frage lautet: Ja, es gibt polnische Zeitungsartikel, die sich in dem von Ihnen angedeuteten Sinne äußern.,
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, nämlich ob die Bundesregierung gegen solche Pressekommentare bei der polnischen Regierung Vorstellungen erhoben hat, lautet die Antwort „Nein". Es erscheint der Bundesregierung nicht angebracht - das habe ich wiederholt hier dargelegt -, auf Pressekommentare mit förmlichen Demarchen bei Regierungen zu antworten.
Herr Abgeordneter, haben Sie Zusatzfragen? - Bitte!
Ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß insbesondere in außenpolitischen Fragen alle Feststellungen von Zeitungen des Ostblocks weder eine private noch eine offiziöse Meinung darstellen, sondern die offizielle Meinung der Partei- und der Staatsführung, wie es beispielsweise „Das Neue Deutschland" am 29. Oktober ausdrücklich festgestellt hat?
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß, wenn ausländische Regierungen der Bundesregierung eine Mitteilung machen wollen, die im völkerrechtlichen Verkehr dafür vorgesehenen Institutionen zur Verfügung stehen. Auf Mitteilungen dieser Art nimmt die Bundesregierung Bezug, oder sie nimmt dazu Stellung. Wenn die Bundesregierung ständig auf Mitteilungen anderer Art reagierte, wäre damit sicherlich niemandem gedient.
({0})
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Warum glaubt sich die Bundesregierung nicht durch das Grundgesetz und durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Ende Juli 1973 verpflichtet, politische und Rechtspositionen Deutschlands, des ganzen deutschen Staatsvolkes, zwar nicht allein, aber beharrlich nach innen wach zu erhalten und nach außen auch gegen offizielle Stellungnahmen polnischer Zeitungen unmittelbar vor dem Besuch des Bundesaußenministers in Warschau beharrlich zu vertreten?
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß sie keine einzige Handlung oder Unterlassung begangen hat, die nicht mit dem Verfassungsrecht völlig im Einklang stünde. Wer anderer Meinung sein sollte, mag dies durch eine Beschwerde beim Verfassungsgericht ausloten.
({0})
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer zu.
Herr Staatsminister Moersch, sehen Sie keine Möglichkeit, daß der Pressereferent unserer Botschaft in Warschau einmal die Journalisten dort zusammenruft und ihnen noch einmal den offiziellen Standpunkt der Regierung mitteilt?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist für jede Anregung dankbar. Möglicherweise ist diese Anregung auch schon aufgenommen worden.
Ich rufe die Frage 111 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Trifft die Meldung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 11. Oktober 1975 zu, daß die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Warschau „bisher schon zugunsten von 7 000 Härtefällen, die einen Kreis von etwa 20 000 Personen umfassen, bei der polnischen Regierung vorstellig geworden ist"?
Die Antwort lautet ja.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Wie viele von diesen 20 000 Personen, für die die Bundesrepublik Deutschland nach den von Ihnen soeben gemachten Ausführungen als Völkerrechtssubjekt interveniert hat, sind inzwischen und in welcher Zeit hier eingetroffen?
Die Bundesregierung wird das gerne prüfen.
Haben
Sie noch eine Zusatzfrage? - Bitte!
In wie vielen Fällen und in welchen Fristen erhielt die Bundesregierung eine Antwort auf die Vorstellungen, die sie erhoben hatte, und mit welcher Begründung wurden Härtefälle nicht erledigt?
Das war sowohl zeitlich als auch hinsichtlich der Begründung zum Teil sehr unterschiedlich.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka zu.
Herr Staatsminister, ist dann mindestens damit zu rechnen, daß in diesen Investitionsfällen die Betroffenen jetzt als erste werden aussiedeln können?
Das erwarten wir. Darauf gibt es auch Hinweise, wie Sie aus den jüngsten Zahlen, die heute in der „Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht worden sind, sicherlich selbst schon gesehen haben.
({0})
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen beantwortet. Herr Staatsminister, ich danke Ihnen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Offergeld zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf:
Hat die Bundesregierung die Prufung der ringe abgeschlossen, in welcher Höhe und zu welchem Preis den Brennereien für Agraralkohol im Brennrechtsjahr 1975/76 ({0}) Brennrechte eingeräumt werden?
Herr Kollege, die Prüfung durch die Bundesregierung steht vor dem Abschluß.
Zusatzfragen?
Herr Staatssekretär, können Sie eine Zeitangabe machen, wie lange es dauern wird, bis die in Abschluß befindliche Prüfung tatsächlich beendet ist?
Die Prüfung steht vor dem Abschluß, Herr Kollege. Wir hoffen, daß das in den nächsten Wochen der Fall sein wird, auf jeden Fall noch vor Jahresende.
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir das Ergebnis dieser Prüfung schon andeuten?
Nein, das kann ich Ihnen noch nicht andeuten.
Herr Abgeordneter Kunz!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, wenn das Brennkontingent verringert wird, die dann höheren Fixkosten in den neuen Abnahmepreisen zu berücksichtigen?
Herr Kollege, wie Sie wissen, ist die neue Festsetzung abhängig von dem Ausgang eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof. Bevor nicht dieses Verfahren entschieden ist, kann ich über die möglichen Maßnahmen, welche die Bundesregierung dann zu treffen hat, nichts sagen.
Herr Abgeordneter Dr. Jobst!
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung jeder Brennrechtsbeschränkung energisch entgegentreten und an der bewährten nationalen Regelung festhalten, bis die EG die Voraussetzungen für eine gemeinsame Alkoholmarktordnung getroffen hat?
Herr Kollege, die Bundesregierung wird sich nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs entsprechend einrichten müssen; dazu sind wir gezwungen. Ihre Frage ist weitgehend hypothetisch.
ich rufe die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf:
Ist die Bundesregierung mit mir der Ansicht, daß durch die bisherige Nichtfestsetzung der Brennrechte für das Brennrechtsjahr 1975/76 durch die Bundesregierung für die Brennereien eine erhebliche Rechtsunsicherheit und ein erhebliches wirtschaftliches Risiko entstanden sind, und welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die Rechtsunsicherheit und das wirtschaftliche Risiko zu mildern?
Herr Kollege Kiechle, für die deutschen Brennereien ist eine ungewisse Lage daraus entstanden, daß die Brennrechte für das Betriebsjahr 1975/76 noch nicht festgesetzt werden konnten. Wirtschaftlich hat sich das aber nicht nachteilig ausgewirkt.
Die Bundesmonopolverwaltung hat bisher den Branntwein übernommen und voll bezahlt, der ihr von den Brennereien angeboten worden ist. Die Bundesregierung prüft zur Zeit, was geschehen muß, falls die Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, die das deutsche Branntweinmonopol betreffen und in Frage stellen, ungünstig ausgehen. Die Prüfung steht, wie ich Ihnen vorher schon gesagt habe, vor dem Abschluß. Erst danach können die Brennrechte für das Betriebsjahr 1975/76 festgesetzt werden.
Haben Sie Zusatzfragen? - Bitte!
Herr Staatssekretär, da das laufende Verfahren ja schon längst bekannt ist und damit auch der Bundesregierung bekannt sein müßte, frage ich: Bedeutet die Haltung der Bundesregierung nicht, das volle Risiko von der Bundesmonopolverwaltung auf private Einrichtungen abzuwälzen?
Die Sachlage hat sich dadurch geändert, daß jetzt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar bevor13798
steht und wir uns nach dieser Entscheidung zu richten haben.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, falls die Konsequenzen aus diesem Urteil bedeuten, daß die bisherigen nationalen Größenordnungen in bezug auf die Kontingente nicht mehr beibehalten werden könnten: Wird die Bundesregierung dann wenigstens versuchen, die Konsequenzen für die betroffenen Brennereien abzumildern?
Herr Kollege, die Überlegungen, die Prüfungen der Bundesregierung gehen in die von Ihnen angedeutete Richtung. Über das Ergebnis kann ich, wie ich schon sagte, noch nichts sagen, weil die Beratungen zwischen den Ressorts noch im Gange sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten .Hauser.
Herr Staatssekretär, führt denn die Rechtsunsicherheit, von der in der Frage des Kollegen Kiechle die Rede ist, gegenwärtig nicht zu einer ganzen Menge von Verfahren vor dem Finanzgericht, weil die Brennereibesitzer die Übernahmebescheide nicht rechtskräftig werden lassen können, um keine Nachteile zu erleiden, falls die Bundesregierung nicht bei den bisher zugestandenen Brennrechten bleibt, sondern viel geringere Prozentsätze festsetzen sollte?
Herr Kollege Hauser, mir ist der Sachverhalt, der Ihrer Frage zugrunde liegt, nicht bekannt. Ich kann daher im Augenblick nicht darauf antworten. Ich bin selbstverständlich bereit, falls Sie es wünschen, das überprüfen zu lassen.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst zu.
Ist sich die Bundesregierung bewußt, Herr Staatssekretär, daß im Vertrauen auf die Beibehaltung des Branntweinmonopolgesetzes des Bundes in den strukturschwachen Gebieten eine erhebliche Anzahl von Brennereien, vor allem Gemeinschaftsbrennereien, errichtet wurde - in Bayern in diesen Bereichen allein 74 Brennereien - und daß bei einer Reduzierung der Brennrechte die horrenden Investitionen in Frage gestellt wären?
Uns ist das sehr wohl bekannt, Herr Kollege, aber ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß wir an eine etwaige negative Entscheidung bezüglich unseres Branntweinmonopols vor dem Europäischen Gerichtshof gebunden sind und daß wir daraus Konsequenzen ziehen werden und auch prüfen werden, wie für die Betroffenen vielleicht eine erträgliche Übergangsregelung gefunden werden kann.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf.
Ist die Bundesregierung bereit, bei der EG auf ein schnelleres Zustandekommen einer europäischen Alkoholmarktordnung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu drängen und dabei nicht außer acht zu lassen, daß entsprechende für die deutschen Kartoffelgemeinschaftsbrennereien erträgliche Übergangsregelungen gefunden werden, damit eine Existenzgefährdung insbesonders bei den neuerrichteten, finanziell stark belasteten Kartoffelgemeinschaftsbrennereien abgewendet wird?
Herr Kollege, in den Jahren 1972 und 1973 ist in Brüssel sehr intensiv über eine Marktordnung für Äthylalkohol verhandelt worden. Diese Verhandlungen haben jedoch wegen der vielfältigen Interessengegensätze zwischen den Mitgliedstaaten zu keinem Ergebnis geführt.
Die Schwierigkeiten für eine Gemeinschaftsregelung haben sich noch verstärkt, nachdem in den letzten Jahren durch Destillation von Tafelwein nach der Weinmarktordnung große Mengen Weinalkohol erzeugt wurden, die den europäischen Alkoholmarkt belasten.
Die Bundesregierung hält es deshalb für richtig, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten, bevor sie Initiativen ergreift.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß die erwogene Kürzung des Brennrechts oder, richtiger gesagt, des Brennkontingents eine Marktlücke schaffen soll für Agraralkoholimporte aus dem Ausland, eventuell sogar aus dem Ostblock?
Ich habe Ihre Frage nicht verstanden, Herr Kollege.
Darf ich sie noch einmal wiederholen: Können Sie ausschließen, Herr Staatssekretär, daß die erwogene Kürzung des Brennrechtes eine Marktlücke auf dem deutschen Markt schaffen soll für Importe aus dem Ausland, möglicherweise sogar aus dem Ostblock?
Es geht nicht darum, eine Lücke auf dem deutschen Markt zu schaffen, sondern, falls notwendig, nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs dieser Entscheidung gerecht zu werden. Das habe ich schon auf mehrere Fragen deutlich zu machen versucht.
Herr Abgeordneter, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie gedenkt die Bundesregierung den Schaden für die betroffenen Betriebe eventuell abzuwenden,
Dr. Kunz ({0})
der darin besteht, daß durch die Änderung des Monopolgesetzes die Investitionen bzw. die Kredite, die in erheblichem Umfang aufgenommen wurden, jetzt von den Banken als gefährdet betrachtet werden? Davon sind etwa 4 000 Betriebe betroffen.
Herr Kollege, ich habe schon vorhin auf Fragen gesagt, daß ich vor Abschluß der Prüfungen zwischen den Ressorts nichts darüber sagen kann.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, den Brennereien sind bisher lediglich 50% des Brennkontingents zugeteilt worden. Meine Frage: Ist es zwingend geboten, daß an dieser 50 %igen Zuteilung festgehalten wird, oder wäre es zulässig und möglich, daß für das nächste Jahr das bisherige Vollkontingent den Brennereien wieder zugeteilt wird, denn selbst wenn -
Herr Abgeordneter, knapp und klar! Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, ich halte die von Ihnen im letzten Teil Ihrer Frage angedeutete Möglichkeit nicht für realistisch. Darum hat die Bundesregierung bisher die Kontingente nicht voll zugeteilt.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten von Fircks auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 13 Prozent ab 1977 den um die Hälfte verringerten Satz für die Kunstschaffenden und den Kunsthandel ({0}) weiter gelten zu lassen?
Herr Kollege, die Umsätze der Künstler und des Kunsthandels sollen nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, der Ihnen zugänglich ist, weiterhin dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, der ab 1. Januar 1977 auf 6,5 % angehoben werden soll.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen, die dann auch den Betroffenen Klarheit über die Situation gibt?
Herr Kollege, das hängt vom Gesetzgebungsverfahren ab.
Haben Sie keine weitere Zusatzfrage? - Danke.
Ich darf für das Protokoll noch nachtragen, daß die Fragen 42 und 43 des Herrn Abgeordneten Pfeifer auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 45 des Abgeordneten von Fircks auf:
Wird die Bundesregierung sich dem Antrag der europäischen Kommission anschließen, der eine Umsatzsteuerbefreiung für Autoren, Schriftsteller, Komponisten, Journalisten, Conférenciers und Musiker vorsieht, und wird sie sich für eine Einbeziehung der bildenden Künstler in die von der Umsatzsteuer zu befreienden Gruppen einsetzen?
Herr Kollege, bei der Einführung der Mehrwertsteuer sind die Künstler mit ihren Leistungen aus wohlerwogenen Gründen in die Steuer einbezogen, allerdings dem ermäßigten Steuersatz unterworfen worden. Für diese Entscheidung des Gesetzgebers war neben dem Aspekt einer allgemeinen Verbrauchsbesteuerung insbesondere der Gesichtspunkt maßgebend, daß eine Steuerbefreiung für Künstler oft nachteilig wäre, weil sie ihre Leistungen weitgehend an andere Unternehmer erbringen und deshalb die Steuerbefreiung in diesen Fällen zum Verlust des Vorsteuerabzugs beim Erwerber führen würde. Dieser Mangel, der auch dem in Ihrer Frage angesprochenen Kommissionsvorschlag anhaftet, wird bei den bevorstehenden Beratungen im Rat der EG zur Sprache kommen. Dies ist schon deshalb zu erwarten, weil die Mehrheit der EG-Mitgliedstaaten die Leistungen der Künstler gegenwärtig der Mehrwertsteuer unterwirft. Bei den Beratungen des Kommissionsvorschlags wird die Bundesregierung um eine Lösung bemüht sein, die einer weiteren Harmonisierung nicht im Wege steht. Die Bundesregierung ist bereit, im Rahmen dieser Beratungen auch die Frage aufzuwerfen, ob bildende Künstler in diese Lösung einbezogen werden sollen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich darf meine Zusatzfrage jetzt in etwa wiederholen - Sie haben jetzt deutlicher zu erkennen gegeben, daß hier noch eine Reihe von Vorklärungen notwendig sind -: Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung in dieser Frage?
Herr Kollege, ich kann das nicht absehen. Ich kann Ihnen auf diese Frage nur antworten, daß sich noch im Laufe dieses Monats eine Ministerratssitzung mit diesem Fragenkreis beschäftigen wird. Wann es dann zu einer Lösung kommen wird, ob bald oder erst in späterer Zeit, ist im Augenblick nicht mit Sicherheit vorherzusagen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der hier zur Erörterung stehende Vorschlag zwar den Kunsthandel, nicht aber die Künstler begünstigen würde?
Wenn man von den Umsätzen ausgeht, die getätigt werden, hat eine Steuerbefreiung sicherlich eine starke Begünstigung des Kunsthandels zur Folge.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Böhm ({0}) auf :
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß man in der Bundesrepublik Deutschland generell zu einer Hochzinspolitik übergehen soll, die sich die öffentliche Hand auf Grund ihrer Steuerkraft eher leisten könne als viele im Bereich der Privatwirtschaft, um so die öffentlichen Investitionen in die Lage zu versetzen, einen Teil der Privaten vom Markt zu verdrängen und daß dies das beste Konzept für eine „vergesellschaftete Investitionskontrolle" sei?
Herr Kollege, die Bundesregierung teilt die in Ihrer Frage ausgedrückte Ansicht nicht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt geworden, daß die in dieser Frage ausgedrückte Ansicht von dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion in einem Gespräch mit den Jungsozialisten Johano Strasser vertreten und daß darüber im Juni 1973 in der Zeitschrift „Die neue Gesellschaft" berichtet worden ist?
Mir ist das nicht bekannt, Herr Kollege. Ich halte das auch für äußerst unwahrscheinlich.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, diesen Auszug aus der Zeitschrift „Die neue Gesellschaft", die Sie als Mitglied dieser Partei sicher ohnehin haben, von mir zur Kenntnis zu nehmen, wenn ich ihn Ihnen jetzt überreiche?
Dazu bin ich selbstverständlich bereit.
Meine Damen und Herren, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet. Herr Staatssekretär Offergeld, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Die Frage 47 ist von dem Herrn Abgeordneten Biehle eingebracht:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tadelung und die Qualifikation eines Abgeordneten durch einen verbeamteten Staatssekretär, wie dies in der Fragestunde am 22. Oktober 1975 durch den Staatssekretär Fingerhut gegenüber dein Landtagsabgeordneten Prentl vom Bayerischen Landtag geschehen ist?
Zur Beantwortung steht Herr Parl. Staatssekretär Schmidt zur Verfügung. - Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Biehle, laut Steno, graphischem Bericht der 195. Sitzung des Deutschen Bundestages hat mein Kollege Fingerhut auf einen entsprechenden Hinweis des Herrn amtierenden Präsidenten wörtlich gesagt:
Herr Präsident, wenn ich in der Formulierung zu hart war, bitte ich um Entschuldigung.
Nach dem ,,Sprach-Brockhaus" bedeutet Entschuldigung u. a. die Bitte um Verzeihung oder Nachsicht. Der Herr amtierende Präsident bezeichnete daraufhin die Angelegenheit laut Protokoll als „erledigt". Die Bundesregierung hat dem nichts hinzuzufügen.
({0})
Herr Abgeordneter, ein weiterer Nachtusch.
Herr Staatssekretär, nachdem auch Sie die Generalabsolution für Ihren Herrn Kollegen Fingerhut ausgesprochen haben, darf ich Sie fragen, ob ich daraus entnehmen darf, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß es einem Parlamentarischen oder beamteten Staatssekretär nicht zusteht, Qualifikationen über Abgeordnete in diesem Parlament auszusprechen?
Die Bundesregiegierung ist dieser Meinung. Aber auch mein Kollege Fingerhut ist dieser Meinung; denn er hat, nachdem er zunächst eine andere Meinung vertreten hatte, sich dafür offiziell vor diesem Hause entschuldigt, und diese Entschuldigung ist vom Präsidenten angenommen worden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Biehle auf:
Trifft es zu, daß die personelle Veränderung in der Leitung des Studentenbereichs der Bundeswehrhochschule München ohne Wissen des zuständigen Präsidenten erfolgte, und daß dem ehemaligen Leiter des Studentenbereichs vom Stellvertreter des Generalinspekteurs die Zusage gemacht wurde, er werde in seiner Verwendung belassen, jedoch anschließend die politische Leitung des Bundesverteidigungsministeriums entgegen dieser Zusage eine abweichende Entscheidung getroffen hat?
({0})
- Frau Kollegin, nach den geltenden Regeln müssen Sie am Mikrophon stehenbleiben und die Taste drücken, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten. Ich dachte, Sie hätten sich wieder gesetzt, weil kein Licht mehr aufleuchtet.
Herr Kollege Biehle, der Präsident der Hochschule der Bundeswehr München wurde Ende August 1974 über die in nächster Zeit bevorstehende personelle Veränderung in der
Leitung des Studentenbereichs dieser Hochschule erstmalig informiert.
Zum zweiten Teil der Frage ist festzustellen, daß der Stellvertreter des Generalinspekteurs dem Oberstleutnant Schmidt nicht zugesagt hat, ihn in seiner damaligen Verwendung als Leiter des Studentenbereichs auf die Dauer von drei Jahren zu belassen. Vielmehr hat der Stellvertreter des Generalinspekteurs Oberstleutnant Schmidt zugesagt, daß er sich dafür verwenden wird, ihn zur Erlangung der Promotion bis Ende März 1975 im Standort München zu belassen. Insoweit steht auch die Versetzung des Oberstleutnant Schmidt auf eine zbVStelle an der Fachhochschule der Luftwaffe in München nicht im Widerspruch zu dieser Zusage.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage zu. Dann ist die Fragestunde abgelaufen.
Bitte!
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann die Tatsache, daß der Präsident der Bundeswehrhochschule München, Herr Professor Engerth, trotz Ihres Dementis nach der vollzogenen personellen Änderung beim Bundesverteidigungsministerium in Bonn gegen die Nichteinschaltung und Nichtinformation protestiert hat und daß nach seiner Beschwerde in Bonn im Kreise führender Beamter eine Besprechung stattgefunden hat, auf der man sich entschuldigt hat, daß man so verfahren ist, und zugesichert hat, daß der Präsident der Bundeswehrhochschule bei künftigen personellen Veränderungen im vorhinein informiert wird?
Herr Kollege, es ist Ihnen gelungen, alle weiteren Zusatzfragen in diese eine Zusatzfrage einzubringen. Ich bitte nur, Herr Staatssekretär, sich bei der Antwort kurzzufassen.
Meine Antwort wird die gebührende Kürze haben.
Dieser Vorgang ist eingeleitet worden von dem Vorgänger des jetzigen Präsidenten, dem Oberst Dr. Wachter. Es ist wohl selbstverständlich das nehme ich jedenfalls an, obwohl ich den jetzigen Präsidenten deswegen nicht befragt habe -, daß bei der Übergabe, wenn vielleicht auch nur in einem Nebensatz, über diese personelle Veränderung gesprochen worden ist. Auf jeden Fall sind all diese Dinge mit dem damaligen kommissarischen Präsidenten der Hochschule. dem Oberst Dr. Wachter, abgesprochen gewesen.
Meine Damen und Herren, die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Pfeifer werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen A 63, 64, 74 und 107 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit stehen wir am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir treten wieder ein in die Beratung des Haushaltsstrukturgesetzes.
Wir haben zunächst abzustimmen über die Art. 20 a, 20 b und 20 c, die ich hiermit aufrufe. Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die aufgerufenen Bestimmungen sind mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen; keine Stimmenthaltung.
Über Art. 21 haben wir bereits vor der Mittagspause abgestimmt.
Ich rufe Art. 22 auf. Zu § 1 Nr. 4 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4259 vor. Es wird ersatzlose Streichung von § 1 Nr. 4 beantragt. Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird. - Das Wort zur Begründung hat . Herr Abgeordneter Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte einschneidende Rechtsverschlechterungen im Kriegsopferrecht zu Lasten der Witwen- und Waisenversorgung verhindern. Sie beantragt deshalb, in Art. 22 die Ziffer 4 in § i zu streichen.
Mindestens 5 000 Witwen verlören in der Zukunft Jahr um Jahr ihren Anspruch auf Versorgung, wenn die Vorlage der Koalition heute angenommen wird. Diese Korrektur einer sozial gerechten und bewährten Regelung träfe einen Kernbereich des sozialen Entschädigungsrechts. Aus guten Gründen waren diese gesetzlichen Regelungen vom Parlament im Ersten Neuordnungsgesetz im Jahre 1960 und im Zweiten Neuordnungsgesetz im Jahre 1964 geschaffen worden.
Beim Tode eines Schwerbeschädigten kann sehr oft ärztlich nicht geklärt werden, ob das Kriegsleiden die Todesursache war. Es ist allgemein bekannt, daß sich schwere und schwerste Schädigungsfolgen auf den gesamten Organismus auswirken und oft lebensverkürzend sind. Wer kann und will denn schon z. B. bei einem Oberschenkelamputierten, der an einem Herz- und Kreislaufversagen stirbt, letztlich nachweisen, daß diese Amputation ohne jeden Einfluß auf das Herz- und Kreislaufleiden war? Schon das Reichsversorgungsgesetz der Weimarer Republik sah auch aus diesem Grunde Regelungen vor, um diese Fälle gerecht zu entschädigen.
Es muß schließlich auch davon ausgegangen werden, daß die Schwer- und Schwerstbeschädigten oft nicht eine der Versorgung eines Gesunden gleichwertige Versorgung erreichen, zumal sie nach dem Kriege ihr Berufsleben ohne Rehabilitation bewältigen mußten.
Die Ehefrauen haben ein Leben lang außergewöhnliche Belastungen und Sorgen auf sich genommen. Nach dem Willen dieses Hohen Hauses war deshalb die Witwenbeihilfe als eine Sonderform der Witwenrente bewußt im Regelfall auf zwei Drittel der Rente festgesetzt worden.
Nach der ursprünglichen Absicht der Bundesregierung sollen nun gemeinsam getragene Leistungsverbesserungen wieder zurückgenommen werden, weil sie angeblich dem Grundgedanken des Bundesversorgungsgesetzes nicht mehr entsprechen und Leistungsvorteile darstellen, die nicht mehr gerechtfertigt erscheinen.
Eine so radikale Zäsur am bestehenden Recht hat erhebliche Unruhe unter den Kriegsopfern ausgelöst. Die von der Opposition beantragte Anhörung der Verbände brachte wesentliche Gesichtspunkte zutage und zeigte auch auf, wie übereilt und mit heißer Nadel genäht die Kürzungsvorschläge der Bundesregierung waren.
Im Falle der Witwenbeihilfe würde erstens zweierlei, ja dreierlei Recht für einen Personenkreis geschaffen. Zweitens würde der Verwaltungsaufwand in nicht zu verantwortender Weise ausgeweitet werden. Drittens würde sich die Zahl der Verfahren vor den Sozialgerichten mit Sicherheit erheblich vergrößern.
Meine Damen und Herren, anders als bei der Mehrzahl der übrigen Einsparungsvorschläge können sich diese Betroffenen nicht mehr auf den neuen Rechtstatbestand einstellen. Im Falle der Witwen- und Waisenbeihilfe ist davon auszugehen, daß viele versorgungsberechtigte Schwerbeschädigte, vertrauend auf die vor 15 bzw. 12 Jahren unter entschädigungsrechtlichen Gesichtspunkten begründeten Versorgungsleistungen, auf eigene weitergehende versicherungsmäßige Sondermaßnahmen verzichtet haben. Eine solche in zurückliegender Zeit getroffene Entscheidung würde bei Zugrundelegung der vorgeschlagenen Neufassung weitreichende Konsequenzen haben, die auch nicht durch entsprechende Nachversicherungen der Betroffenen aufgefangen werden könnten.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im Ausschuß die sonstigen Kürzungen bei der Kriegsopferversorgung nach Vornahme zahlreicher Änderungen mitgetragen. Es ist für die Betroffenen durchaus eine Härte, wenn jährlich z. B. etwa 50 Millionen DM für Versorgungskuren entfallen, obwohl der Gedanke der Rehabilitation in diesen Jahren besonders in den Vordergrund getreten ist. Es ist sicherlich auch bemerkeiswert, meine Damen und Herren, wenn als erste Gruppe die Kriegsopfer die vielfach diskutierten Selbstkostenbeteiligungen im Rahmen der Erholungsfürsorge hinnehmen müssen. Auch im Rahmen der Wohnungsfürsorge erleidet dieser Personenkreis Einbußen.
Schließlich erbringt der Kriegsopferhaushalt - darauf muß auch hingewiesen werden - jährlich bereits erhebliche Einsparungen dadurch, daß die Zahl der Versorgungsberechtigten um durchschnittlich 60 000 pro Jahr kleiner wird. Auch haben die Kriegsopfer bereits durch die vorgezogene Anpassung im Rahmen eines Stufenplans ein Stabilitätsopfer in Höhe von 800 Millionen DM erbracht.
Meine Damen und Herren, dies alles sollte man bedenken, wenn man um eine gerechte Lösung ringt. Die zunehmende Erregung der Kriegsopfer und die Argumente der Sprecher der Verbände in der Anhörung zwangen die Koalition, die Regierungsvorlage zu korrigieren. In der jetzt vorliegenden Fassung sind daher Rechtsverschlechterungen für den Personenkreis der Hinterbliebenen von Erwerbsunfähigen und Pflegezulageempfängern nicht mehr vorgesehen. Betroffen bleiben jedoch - und dies ist eine große Gruppe - künftig die Witwen und Waisen der Beschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 bis 90%. Ihre Zahl wird sich Jahr um Jahr auf 5 000 und mehr Hinterbliebene belaufen.
Man muß davon ausgehen, daß als Folgemaßnahmen der jetzigen Änderung auch eine radikale Korrektur der Verwaltungsvorschriften erfolgt, die bisher ein soziales Sicherungsnetz für die Hinterbliebenen enthalten, deren Gesamteinkommen eine gewisse Grenze nicht erreicht. Hier wurde davon ausgegangen, daß in diesen Sozialfällen eine nicht im einzelnen zu erhebende Versorgungsminderung seitens des verstorbenen Schwerbeschädigten vorliegt.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns ernstlich fragen, ob die Bundesregierung bewußt nur eine obere Grenze für ein Bedürfnis einführen will, ohne auch gleichzeitig die Bedürfnisgrenze nach unten in das Gesetz einzuführen. Hierin liegt die entscheidende, sozial nicht zu rechtfertigende Rechtsverschlechterung für einen einkommensschwachen Personenkreis. Das mitzumachen, meine Damen und Herren, ist die Opposition nicht bereit.
({0})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wendet sich mit Entschiedenheit gegen diese lautlose Demontage. Zur Deckung der Mehrausgaben von 18 Millionen DM werden wir im Rahmen der Haushaltsberatungen über den Bundeshaushalt 1976 entsprechende Einsparungsvorschläge beim Einzelplan 04 unter Kap. 03 - Presse- und Informationsamt der Bundesregierung - und den entsprechenden Titeln für die Öffentlichkeitsarbeit der anderen Ressorts machen. Wir meinen, auch die Propagandatitel müssen ein Stabilitätsopfer bringen.
Wir meinen auch, daß es der Regierungskoalition, die mehr soziale Gerechtigkeit versprach, nicht schwerfallen sollte, heute zu beweisen, daß sie es damit ernst meint. Machen Sie, meine Damen und Herren, Ihre Ankündigungen, daß Kriegsopfer nicht mehr um ihr Recht kämpfen müssen, wahr, und stimmen Sie heute unserem Antrag zu! Die Unionsfraktion wird den gesamten Art. 22 ablehnen, wenn die Mehrheit des Hauses unserem Antrag nicht zustimmt.
Meine Damen und Herren, es geht um das künftige Schicksal von über 5 000 Hinterbliebenen, die Jahr um Jahr diesen Anspruch verlieren würden. Dies ist keine Beschneidung von Wildwuchs mehr,
dies ist, so meine ich, echte soziale Demontage. Der ganze Bundestag wird aufgefordert, durch Annahme unseres Antrages einschneidende Rechtsverschlechterungen zu verhindern. Alle Fraktionen können beweisen, daß sie zu ihren in der Vergangenheit wiederholt vorgetragenen Versprechungen zugunsten der Kriegsopfer stehen wollen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich habe noch die Änderungsanträge zu Art. 22 auf Drucksache 7/4276 aufzurufen. Diese interfraktionellen Anträge werden von dem Abgeordneten Sund begründet. Wollen Sie dann gleichzeitig zu dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Stellung nehmen? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Zunächst, Herr Burger, Ihre Argumentation in allen Ehren, aber Sie werden davon ausgehen müssen, daß der Antrag, der von Ihnen hier begründet wurde, von uns nicht akzeptiert wird. Sie werden in die Situation kommen, dem gesamten Artikel nicht zustimmen zu können. Das wissen Sie auch ganz genau. Sie wissen ganz genau, daß wir alle diese Argumente, die hier vorgetragen worden sind, in den Ausschußberatungen sehr sorgfältig abgewogen haben. Sie wissen auch ganz genau, daß es uns gelungen ist, in dem Gesamtkonzept eine ganze Reihe von Änderungen herbeizuführen, die alle auf der Grundlage eines Mittelausgleichs innerhalb des gleichen Artikels vorgenommen worden sind. Sie wissen auch ganz genau, daß es höchst publikumswirksam ist, hier das Schicksal von Behinderten in einen Zusammenhang mit Mitteln für Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung zu bringen. Ich meine, daß dieser Zusammenhang, der hier hergestellt wird, heuchlerisch ist.
({0})
Ihr ganzes Bemühen geht darauf aus, den Eindruck zu erwecken - Herr Kollege Althammer hat das heute in gleicher Weise versucht -, als ob hier ein tiefer Einschnitt in das Leistungsgefüge des Kriegsopferrechts erfolgen würde. Ich glaube, es ist daher erforderlich, die Fakten zurechtzurücken und die beabsichtigten Einsparungen nüchtern auf ihre tatsächliche Dimension zurückzuführen.
Wir wissen doch: Noch 1969 hatte der Kriegsopferhaushalt einen Umfang von nur 6,3 Milliarden DM. Trotz einer rückläufigen Anzahl von Versorgungsberechtigten wird der Bund in diesem Jahr etwa 11 Milliarden DM zur Verfügung stellen. Zum ersten Juli 1976 können die Beschädigten und Hinterbliebenen mit einer Rentensteigerung von 11 % rechnen, die allein für das zweite Halbjahr 1976 beinahe eine halbe Milliarde DM Mehraufwendungen erfordern wird.
Wir müssen uns nun einmal in diesem Zusammenhang - wir sprechen über einen Haushaltsbereich und unter Haushaltsgesichtspunkten bestimmte Probleme an - auf Zahlen beziehen. Das bedeutet, daß, bezogen auf den gesamten Kriegsopferhaushalt des Jahres 1976, von rund 11,5 Milliarden DM die Einsparungen demnach nur einen Anteil von 1,3 °/o ausmachen. Stellt man also die vorgesehenen Kürzungen und die beabsichtigte deutliche Erhöhung der Versorgungsbezüge in Rechnung, so ergibt sich unter dem Strich, daß die Kriegsopferversorgung im Jahre 1976 insgesamt keineswegs, wie hier Glauben gemacht werden soll, beschnitten wird, sondern vielfach ausgeweitet werden wird.
({1})
Und noch eins: Obwohl ich nicht der Kriegsgeneration angehöre, nicht unmittelbar betroffen bin - vielleicht gerade deswegen -, darf ich Ihnen versichern, daß es uns Sozialdemokraten auch in einer schwierigen haushaltspolitischen Situation nicht leicht fällt, in der Kriegsopferversorgung auch nur geringe Abstriche in Kauf zu nehmen. Die SPD-Mitglieder des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung haben daher zusammen mit ihrem Koalitionspartner den Teil des Regierungsentwurfs zum Haushaltsstrukturgesetz, der sich auf die Kriegsopferversorgung erstreckt, nach intensiven Gesprächen mit den Kriegsopferverbänden in wichtigen Punkten verbessert. Drei Änderungen seien dabei hervorgehoben.
Erstens. Bei der Erholungsfürsorge bleibt der Zwei-Jahres-Abstand erhalten. Zudem werden auch künftig für die Ehegatten von Beschädigten Erholungsmaßnahmen gewährt.
({2})
Die Dauer der Erholungsaufenthalte wird in der Regel auf drei Wochen befristet. Aufwendungen, die in dieser Zeit für den häuslichen Lebensunterhalt gespart werden, sind als Einkommen anzusetzen. Nach dem Regierungsentwurf sollten in der Erholungsfürsorge der Bewilligungszeitraum, der bisher zwei Jahren beträgt, auf drei Jahre ausgedehnt und die Leistungen für Familienmitglieder gestrichen werden.
Zweitens. Bei der Wohnungsfürsorge ist sichergestellt, daß Schwerbeschädigte, deren Wohnung wegen der Art und Schwere der Schädigung besonderer Ausgestaltung bedarf, auch über das Jahresende 1976 hinaus finanzielle Hilfen erhalten. Dem Ziel behindertengerechten Wohnens wird also entsprochen. Nach dem Regierungsentwurf sollte die Darlehensgewährung, die schon bisher nur in Ausnahmefällen erfolgt ist, nach dem 31. Dezember 1976 entfallen. Dies erscheint im Hinblick auf die Förderung des Wohnungsbaus durch öffentliche Mittel sowie auf das Wohngeld gerechtfertigt. Die Beratung in Wohnungs- und Siedlungsangelegenheiten sowie die Mitwirkung bei der Beschaffung und Erhaltung ausreichenden und gesunden Wohnraums bleiben erhalten; ebenso die Darlehensgewährung in Fällen, in denen der Beschädigte innerhalb von zwei Jahren nach seinem Eintreffen im Geltungsbereich dieses Gesetzes einen entsprechenden Antrag stellt, wie z. B. Aussiedler.
Drittens - und das ist der Punkt, an dem Sie meinen, immer wieder besonders den Hebel an13804
setzen zu müssen -: Bei der Witwen- und Waisenbeihilfe bleibt gewährleistet, daß den Hinterbliebenen von erwerbsunfähigen Beschädigten, z. B. Kriegsblinden, weiterhin ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens Beihilfe gezahlt wird. Die Beihilferegelung soll unter dem Gesichtspunkt der sozialen Entschädigung enger gefaßt werden. Die Versorgung der Hinterbliebenen eines Beschädigten, der nicht an Schädigungsfolgen gestorben ist, ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich die Schädigungsfolgen mindernd auf deren Versorgung ausgewirkt haben und wenn der Lebensbedarf nicht bereits durch andere Einkünfte gesichert ist. Ich glaube, dies ist ein Punkt, auf den wir in diesem Zusammenhang besonders hinweisen müssen.
Herr Abgeordneter Sund, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geisenhofer?
Aber bitte, gern!
Herr Kollege Sund, es ist doch eine Tatsache, daß bei der Witwen- und Waisenbeihilfe eine Kürzung um 18 Millionen DM erfolgen soll. Halten Sie es für richtig, daß hier eine Kürzung um 18 Millionen DM erfolgt, während auf der anderen Seite die Ansätze für Öffentlichkeitsarbeit und sonstige Propaganda um Millionen erhöht werden und dies in einer Zeit, in der dem Volke Milliardenlasten auferlegt werden?
Wenn ich gewußt hätte, daß Sie so demagogisch fragen würden, hätte ich die Zwischenfragen gar nicht zugelassen.
({0})
Es ist nämlich wirklich gut, sich diesen Zusammenhang, über den man räsonieren kann, weil niemand genau weiß, was da eigentlich passiert, einmal klar vor Augen zu führen.
({1})
Dann wird man feststellen, daß den Hinterbliebenen unter diesen Voraussetzungen - im Gegensatz zur bisherigen Regelung - ein Anspruch auf Beihilfe zusteht. Die Versorgung der Hinterbliebenen ist gemindert, wenn der Beschädigte infolge der Schädigung nur beschränkt erwerbstätig sein konnte. Dies wird generell unterstellt bei Erwerbsunfähigen, bei Pflegezulagenempfängern und bei Beschädigten, die mindestens fünf Jahre lang Anspruch auf Berufsschadensausgleich hatten, nicht aber bei den übrigen Personenkreisen. Für die Beurteilung des Bedürfnisses sollen im Gesetz klare, an der allgemeinen Bemessungsgrundlage der gesetzlichen Rentenversicherung orientierte Grenzen gezogen werden. Eine Übergangsvorschrift stellt sicher, daß durch die Neuregelung nur Fälle betroffen werden, in denen der Beschädigte nach dem Inkrafttreten der Änderung gestorben ist. Und nun merken Sie auf: Die Orientierung an der allgemeinen Bemessungsgrundlage bedeutet, daß immerhin nur solche Witwen erfaßt
werden, deren anzurechnendes Einkommen nach dem derzeitigen Stand 1 530 DM monatlich übersteigt.
({2})
Ich meine, hier wird ein Betrag ins Auge gefaßt, der wirklich als angemessen angesehen werden kann und den man auch ohne jede Emotion einmal würdigen sollte.
Weitere Bestimmungen beziehen sich auf Badekuren, auf den Berufsschadensausgleich, wobei schädigungsunabhängige Nachschäden ausgeklammert werden sollen, auf den Härteausgleich, bei dem es künftig keine rückwirkenden Leistungen mehr geben wird, weil sie vielfach ohnehin nur zur Verrechnung mit anderen öffentlichen Leistungsträgern geführt haben, sowie auf die Aufhebung unrichtiger Bescheide.
Meine Damen und Herren, eine kritische Würdigung des Änderungskatalogs macht deutlich, daß es der Bundesregierung darum geht, die Substanz der in der Amtszeit der sozialliberalen Koalition erheblich ausgebauten Kriegsopferversorgung zu erhalten. Das Haushaltsstrukturgesetz versucht, die notwendigen Einsparungen gerecht auf die gesellschaftlichen Gruppen zu verteilen. Die Kriegsopfer bleiben zwar nicht ausgespart, doch sind die Änderungen des Bundesversorgungsgesetzes vertretbar.
In Erinnerung zu rufen sind folgende Fakten: Bis 1969 waren die Kriegsopfer gezwungen, als dauernde Bittsteller von Regierung und Parlament gelegentliche Rentenerhöhungen zu erkämpfen.
({3})
Sie wissen doch ganz genau, daß es bis 1969 mehr Jahre gegeben hat, in denen die Versorgungsbezüge der Kriegsopfer nicht erhöht worden sind als umgekehrt. Die sozialliberale Koalition jedoch hat die Dynamisierung durchgesetzt. Der Rechtsanspruch auf eine alljährliche Anpassung der Versorgungsbezüge, Strukturverbesserungen des Leistungsrechts sowie die Vorziehung des Anpassungstermins um ein halbes Jahr haben dazu geführt, daß sich von 1969 bis heute die Beschädigtenrenten fast und die Witwenrenten gar mehr als verdoppelt haben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wer glaubt, mit dem Haushaltsstrukturgesetz bei den Kriegsopfern politische Geschäfte machen zu können, unterschätzt deren Erinnerungsvermögen.
({4})
Am 1. Oktober dieses Jahres bestand das Bundesversorgungsgesetz 25 Jahre. Bis zum Amtsantritt der Bundesregierung der sozialliberalen Koalition hatte es eine eher leidvolle Geschichte. Wir Sozialdemokraten werden uns auch in der Zukunft so verhalten, wie man es von uns kennt. Die Kriegsopfer und ihre Hinterbliebenen können auf uns vertrauen.
({5})
Herr Abgeordneter Sund, Sie haben im Zusammenhang mit dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU das Wort
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
„heuchlerisch" gebraucht. Ich halte damit den parlamentarischen Rahmen für überschritten und rüge das.
({0})
- Meine Damen und Herren, wir wollen das nicht in die parlamentarische Umgangssprache einführen. Soweit der amtierende Präsident einen Zwischenrufer nicht feststellen kann, kann er ihn nicht rügen, aber die Redner dürfen solche und andere Worte nicht in unsere Umgangssprache aufnehmen.
Wer wünscht weiter das Wort? - Bitte, Herr Abgeordneter Maucher!
({1})
- Hier kann nicht jeder auf jeden warten. Herr Abgeordneter Maucher, Sie nehmen entweder das Wort oder tun es nicht. Bitte!
({2})
- Ich richte mich da nach der Reihenfolge der Fraktionen. Soeben kam die stärkste Fraktion, jetzt spricht der Vertreter der Opposition, und dann kommt der Herr Kollege Schmidt von der FDP. - Bitte !
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, heute nach den ausgezeichneten Ausführungen meines Kollegen Burger noch etwas zu sagen.
({0})
- Sie haben allen Grund, Beifall zu spenden; das werde ich Ihnen nachher schon beweisen.
Der Grund, weshalb ich mich zu Wort gemeldet habe, ist die bedauerliche Feststellung, daß die Regierungskoalition - das ist durch die Ausführungen von Herrn Sund bestätigt worden - überhaupt nicht begriffen hat, um was es hier geht.
({1})
Ich muß feststellen, daß Sie es nötig hätten, in dieser Frage einmal eine Stunde Elementarunterricht zu nehmen.
({2})
Sie haben soeben gehört, daß der Kollege Sund erklärt hat, es kämen nur die Witwen nicht in Betracht für die Beihilfe, deren Einkommen 1 500 DM überschreitet. Hierzu muß ich feststellen: Das ist
eine absolut falsche Darstellung. Nach dieser neuen
Regelung nämlich - der Kollege Burger hat die Zahl genannt - werden ab 1. Januar etwa 5 000 Witwen von der Beihilfe ausgeschlossen. Stellen Sie sich das einmal vor! Die Regierungskoalition hat einen Änderungsantrag eingebracht und erklärt: Da haben wir etwas Großes getan, Ausgabenerhöhung oder Einsparungsminderung 0,4 Millionen, d. h. 400 000 DM. Mit diesem Betrag können Sie im Jahr 100 Witwen mehr eine Beihilfe geben. Und nun sparen Sie 18 Millionen ein. Wenn Sie dann bei der Zweidrittelversorgung von 300 DM den Durchschnitt errechnen,
kommen Sie auf 5 000, denen Sie keine Witwenbeihilfe mehr geben können,
({3})
wenn diese Regelung ab 1976 gilt.
Der entscheidende Satz ist nämlich der, daß eine Witwenbeihilfe nur dann gewährt werden kann, wenn ein ursächlicher Zusammenhang besteht, d. h. eine schädigungsbedingte Einkommensminderung beim Beschädigten vorliegt, auf Grund derer die Versorgung der Witwe nicht unerheblich beeinträchtigt ist. Da habe ich zu Hause auf meinem Schreibtisch zwei Bescheide liegen, einmal einen Bescheid, wo die Witwe überhaupt kein Einkommen hat, und da wurde die Witwenbeihilfe mit dieser Begründung abgelehnt. Das ist der Tatbestand, und das muß man hier doch in aller Deutlichkeit sagen.
({4})
Nun, Herr Kollege Sund, Sie erklärten: Was haben wir alles getan! Glauben Sie, daß die Kriegsopfer es länger hinnehmen, wenn Sie immer die Zahlen von 1969 bis 1975 bringen? Wenn Sie diese Zahlen bringen, stellen Sie dem doch bitte gegenüber, was man damit damals kaufen konnte und was man heute kaufen kann.
({5})
Daß wir in dieser Situation sind, ist im Grunde genommen der Erfolg der miserablen Politik, die Sie seit 1969 betrieben haben.
({6})
Als einer derjenigen, die hier in den ganzen Jahren leidenschaftlich für die Kriegsopfer gekämpft haben, muß ich heute feststellen: Die Christlich-Demokratische Union, die Fraktion der CDU/CSU hat in all den Jahren die Priorität der Kriegsopfer immer aufrechterhalten, und ich stelle fest: Sie haben sie aufgegeben.
({7})
({8})
Jetzt will ich Ihnen eines sagen! Wer Erinnerungsvermögen hat, kann zwischen Propaganda und Wirklichkeit unterscheiden.
({9})
- Daß Sie so unruhig sind, ist an sich ein Beweis, daß Sie ein außerordentlich schlechtes Gewissen haben.
({10})
Und jetzt will ich hier und heute fürs Protokoll feststellen:
({11})
Im Jahre 1964 haben Abgeordnete der Fraktion der CDU/CSU einen eigenen Initiativentwurf eingebracht. Die Kollegen im Haushaltsausschuß haben damals unter Führung der Kollegen Leicht und Althammer in 89 Positionen des Bundeshaushalts zugunsten der Kriegsopfer Streichungen vorgenommen. Und jetzt stelle ich fest: Sie sind nicht bereit, 18 Millionen DM in dem Propagandahaushalt zu
streichen, wo Sie Erhöhungen zum Teil bis zu 800% vorgenommen haben.
({12})
Sie müssen sich jetzt den Vorwurf gefallen lassen, daß Sie die Kriegerwitwen, bei denen Sie streichen, Ihre Propaganda bezahlen lassen.
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil dem so ist und weil Sie hier die Wahrheit auf den Kopf stellen und nicht wissen, um was es sich handelt, muß ich den Antrag stellen, daß wir über diesen Punkt namentlich abstimmen.
({14})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({15}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es eigentlich bedauerlich, beinahe beschämend,
({0}) beinahe beschämend,
({1})
beinahe beschämend,
({2})
- Herr Kollege Katzer, beinahe beschämend - - ({3})
- Ich kann es noch öfters sagen; vielleicht werden Sie dann wieder ruhiger.
({4}) Ich finde es bedauerlich
({5})
- ich habe eine Viertelstunde Zeit; aber ich möchte gar nicht so lange reden -, beinahe beschämend, daß hier erneut versucht wird, Emotionen aufzuheizen, nachdem vorhin Herr Kollege Sund und auch Herr Kollege Burger - dafür bin ich insgesamt dankbar - sehr sachlich darüber berichtet haben, wie sich alle Fraktionen im zuständigen Ausschuß bemüht haben, die nun einmal im Rahmen der Sparmaßnahmen auch in diesem Bereich notwendigen Dinge so gerecht und sachlich wie möglich zu gestalten. Und ich stelle dankbar fest, daß die Opposition und wir gemeinsam in allen anderen Punkten - siehe Erholungsfürsorge, siehe bei anderen Punkten - entweder die Vorschläge der Bundesregierung getragen oder sie so geändert haben, daß sie - das gebe ich offen zu - in manchem vernünftiger geworden sind. Ich denke an die Erholungsfürsorge. Hier war etwas zu sehr pauschal gedacht worden. Wir haben es gemeinsam geändert. Aber deshalb, Herr Kollege Stücklen, finde ich es eben beschämend, daß man dann plötzlich hier hergeht
- nachdem man sich sachlich zusammengesetzt hat, um das Bestmögliche zu machen - und die Dinge so verzerrt und verdreht darstellt, als würden durch diese Sparbeschlüsse die Kriegsopfer, die Kriegsbeschädigten oder ihre Witwen, plötzlich in einem
großen Maße zu den Sparopfern der Bundesregierung gehören.
({6})
Beschämend ist so etwas, und ich bin dankbar, meine Damen und Herren, daß die Kriegsopfer draußen sehr genau zu wägen wissen, was hier wirklich geschehen ist, was man hier an Polemik vorgebracht hat und wie Emotionen aufgeheizt worden sind.
Deshalb möchte ich nur - Herr Kollege Maucher, auch zu Protokoll - noch einmal zweierlei sachlich feststellen.
Erstens zu dem Bereich der Witwen- und Waisenhilfe. Herr Kollege Burger hat davon gesprochen, hier werde in den Kernbereich des Entschädigungsrechts eingegriffen. Herr Kollege Burger, als so guter Kenner der Materie müßten Sie eigentlich wissen, daß die damals in diesem Bereich getroffenen Entscheidungen über den ursprünglichen Entschädigungscharakter des Bundesversorgungsgesetzes hinausgingen, daß also der Entschädigungscharakter, wenn man so will, durch uns seinerzeit verbessert wurde und hier gewisse Überlegungen bestanden haben, die Sache in eine richtige Bahn zu lenken.
Sie und eigentlich auch Herr Kollege Maucher müßten ebenfalls wissen, daß das, was beim Bundesversorgungsgesetz nun einmal im Rahmen der Maßnahmen notwendig wurde, nur dort greift, wo wirklich überhaupt kein Kausalzusammenhang, auch kein medizinisch nachweisbarer Zusammenhang vorhanden ist, wo also durch die Kriegsbeschädigung keine echte wirtschaftliche oder sonstige Schädigung für den Betroffenen oder seine Witwe vorhanden war. Ich meine die Fälle, wo kein echter Entschädigungsanspruch und kein echter Kausalzusammenhang bestand. Hier handelte es sich also um etwas, was über den ursprünglichen Sinn des Gesetzes hinausging und wo wir gewisse Einschnitte machen. Das sollte vor allem denen einmal deutlich werden, die mit der Materie vielleicht nicht so ganz vertraut sind.
Eine zweite Bemerkung. Auch aus folgendem Grunde haben mich die Emotionen in diesem Bereich etwas erschüttert. Wir alle, ob wir nun der Opposition oder der die Regierung tragenden Koalition angehören, müssen doch zugeben, daß es seit 1969 erfreulicherweise eine derart gute Entwicklung im Kriegsopferetat gegeben hat, daß heute 38 % des Haushalts des Bundesarbeitsministeriums für die Kriegsopfer zur Verfügung stehen. Das sind, meine Damen und Herren, immerhin 9 °/o des Gesamthaushalts 1975.
({7})
Das wurde erst möglich, nachdem die sozialliberale Koalition unserem langjährigen Petitum, die Kriegsopferrenten in die Dynamisierung einzubeziehen, gefolgt ist.
Ich rufe noch etwas in die Erinnerung. - Herr Kollege Maucher, Sie sprachen auch von dem, was 1969 in der Großen Koalition zur Diskussion stand. - Damals gab es in der heutigen Opposition Kräfte,
Schmidt ({8})
die den Anpassungsparagraphen nicht nur aufhalten, sondern am liebsten sogar abschaffen wollten. Haben Sie die Auseinandersetzung zwischen den Kollegen Katzer und Strauß in der damaligen Großen Koalition ganz vergessen? Herr Kollege Katzer wird sich noch daran erinnern. Das ist Gott sei Dank überwunden. Gott sei Dank können wir den Haushalt weiterschreiben. Gott sei Dank müssen wir hier nicht größere Einsparungen vornehmen. Aber, meine Damen und Herren, dann sollte man sich den Kriegsopfern verpflichteter fühlen, statt hier einfach aufzuheizen und als Opposition einen derart schlechten Eindruck zu machen.
({9})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt; der Antrag ist ausreichend unterstützt. Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU Drucksache 7/4259 in namentlicher Abstimmung ab.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Abstimmungsergebnis bekannt. Insgesamt sind 400 abgegebene Stimmen uneingeschränkt stimmberechtigter Abgeordneter gezählt worden. Davon haben 181 dem Antrag 7/4259 zugestimmt bei 219 Ablehnungen. Von den Berliner Abgeordneten haben mit Ja 8 und mit Nein 12, zusammen 20, gestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 398 und 20 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 180 und 8 Berliner Abgeordnete, nein: 218 und 12 Berliner Abgeordnete
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
von Alten-Nordheim Dr. Althammer
Dr. Arnold Dr. Barzel
Dr. Becher ({10}) Dr. Becker
({11}) Frau Benedix
Benz
Bewerunge Biechele
Dr. von Bismarck
Dr. Blüm
Blumenfeld
von Bockelberg
Böhm ({12}) Braun
Bremer
Bremm
Carstens ({13})
Dr. Carstens ({14}) Dr. Czaja
Damm
van Delden Dr. Dollinger
Dreyer
Eigen
Eilers ({15}) Engelsberger
Entrup
Erhard ({16}) Ernesti
Ey
Freiherr von Fircks
Franke ({17})
Dr. Franz
Dr. Fuchs
Geisenhofer Gerlach ({18}) Gewandt
Gierenstein Dr. Gölter
Dr. Götz
Dr. Gruhl
Haase ({19}) Dr. Häfele
Dr. Hammans von Hassel
Hauser ({20}) Dr. Hauser ({21})
Dr. Heck
Höcherl
Dr. Hornhues Horstmeier
Frau Hürland Dr. Hupka
Hussing
Jäger ({22})
Dr. Jahn ({23})
Dr. Jenninger
Josten Katzer Kiechle Dr. Klein ({24})
Dr. Klein ({25})
Dr. Kliesing
Dr. Köhler ({26}) Köster
Krampe
Dr. Kraske
Freiherr
von Kühlmann-Stumm
Dr. Kunz ({27}) Lagershausen
Dr. Lenz ({28})
Lenzer Link
Löher
Dr. Luda
Dr. Marx
Dr. Mende
Dr. Mertes ({29}) Mick
Dr. Mikat
Milz
Möller ({30})
Müller ({31})
Dr. Müller-Hermann
Dr. Narjes
Niegel Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt
Orgaß Pfeffermann
Pfeifer Picard Pieroth Pohlmann
Rainer Rawe Reddemann
Frau Dr. Riede ({32}) Dr. Riedl ({33})
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Röhner Rollmann
Rommerskirchen
Roser
Sauer ({34})
Sauter ({35})
Prinz zu Sayn-Wittgenstein Hohenstein
Dr. Schäuble
Schedl Schetter Frau Schleicher
Schmidt ({36})
Schmitt ({37})
Schmitz ({38})
Dr. Schneider
Frau Schroeder ({39}) Dr. Schröder ({40}) Schröder ({41}) Schröder ({42}) Schulte
({43})
Dr. Schulze-Vorberg
Seiters Sick
Solke
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({44})
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Frau Stommel
Stücklen Susset de Terra Thürk
Dr. Todenhöfer
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar
Frau Verhülsdonk
Vogel ({45})
Vogt
Volmer
Dr. Waffenschmidt
Dr. Wagner ({46})
Dr. Waigel
Dr. Wallmann
Dr. Warnke
Wawrzik
Weber ({47})
Dr. Freiherr von Weizsäcker Werner
Frau Will-Feld
Wissebach
Frau Dr. Wolf
Dr. Wulff
Dr. Zeitel Zeyer
Ziegler Zink
Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({48}) Dr. Gradl
Kunz ({49})
Müller ({50})
Frau Pieser
Straßmeir
Wohlrabe
Nein
SPD
Ahlers Amling Anbuhl Dr. Apel Arendt ({51})
Dr. Arndt ({52}) Augstein
Baack
Bäuerle Barche Bahr
Dr. Bardens
Batz
Becker ({53})
Biermann
Blank
Dr. Böhme ({54})
Börner
Brandt ({55})
Bredl
Brück
Buchstaller
Büchler ({56})
Büchner ({57})
Vizepräsident von Hassel Dr. von Billow
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Conradi Coppik Frau Däubler-Gmelin
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland
Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Frau Eilers ({58})
Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Engholm
Esters Ewen
Fiebig
Dr. Fischer
Frau Dr. Focke
Gansel Geiger Gerstl ({59})
Gertzen Dr. Glotz
Gnädinger
Grunenberg
Dr. Haack
Haar
Haase ({60})
Haase ({61}) Haehser
Dr. Haenschke
Halfmeier
Hansen Hauck Dr. Hauff
Henke Herold Höhmann
Hofmann
Dr. Holtz
Horn
Huonker
Immer ({62})
Jahn ({63})
Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans
Junker Kaffka Kern
Koblitz Konrad Kratz
Dr. Kreutzmann
Krockert
Kulawig Lambinus
Lattmann
Dr. Lauritzen
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius
Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Mahne Marquardt
Marschall
Frau Meermann
Dr. Meinecke ({64}) Meinike ({65}) Metzger
Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Müller ({66})
Müller ({67}) Müller ({68})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel Neumann
Dr.-Ing. Oetting
Freiherr
Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Dr. Penner
Pensky Peter
Polkehn
Porzner
Rapp ({69})
Rappe ({70}) Ravens
Frau Dr. Rehlen
Frau Renger Reuschenbach
Richter
Frau Dr. Riedel-Martiny Röhlig
Rohde Sander Saxowski
Dr. Schäfer ({71}) Scheffler
Scheu
Frau Schimschok
Schinzel
Schirmer
Schlaga
Dr. Schmidt ({72}) Schmidt ({73}) Schmidt ({74}) Schmidt ({75})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schonhofen
Schreiber
Schulte ({76})
Dr. Schwenk ({77}) Seibert
Simon
Spillecke
Stahl ({78})
Frau Steinhauer
Dr. Stienen
Tietjen
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vahlberg
Vit
Dr. Vogel ({79}) Vogelsang
Waltemathe
Dr. Weber ({80})
Wehner Wendt Dr. Wernitz
Westphal
Wiefel Wilhelm
Wimmer ({81}) Dr. de With
Wittmann ({82}) Wolf
Wolfram
Wrede Würtz Wüster Wuttke
Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Dübber
Egert
Grimming
Frau Grützmann Löffler
Manning Mattick
Dr. Schellenberg Frau Schlei Schwedler
FDP
Baum
Dr. Böger Christ
Engelhard Ertl
Gallus Geldner
Hoffie Jung
Dr. Graf Lambsdorff Logemann
Frau Lüdemann
Dr. Dr. h. c. Maihofer Mischnick
Möllemann
Peters ({83}) Schmidt ({84})
von Schoeler
Frau Schuchardt Spitzmüller
Dr. Wendig Wolfgramm ({85}) Wurbs
Zywietz
Berliner Abgeordnete Hoppe
Damit ist der Antrag 7/4259 in namentlicher Abstimmung abgelehnt worden.
Wir müssen noch über den interfraktionellen Änderungsantrag zu Art. 22 abstimmen, der Ihnen in der Drucksache 7/4276 vorliegt. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Nun haben wir über Art. 22 mit den beschlossenen Änderungen abzustimmen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Meine Damen und Herren, es ist von hier oben nicht zu sehen, wie abgestimmt wird. Darf ich Sie bitten, zur Abstimmung Platz zu nehmen.
Ich wiederhole die Abstimmung. Wer Art. 22 mit den beschlossenen Änderungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. ({86})
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Abstimmung durch Aufstehen zu wiederholen. Wer dem Art. 22 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
({87})
- Ich lasse durch Hammelsprung auszählen. Ich darf Sie bitten, den Saal zu verlassen. - Ich bitte, mit der Abstimmung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, die Abstimmung ist geschlossen. - Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. Es sind insgesamt 406 Stimmen abgegeben worden. Davon haben mit Ja für den Art. 22 225 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 181; keine Enthaltungen. Damit ist Art. 22 mit den Änderungen angenommen worden.
Ich rufe die Art. 23, 25, 26 sowie 28 bis 33 auf. Dazu liegen keine Änderungsanträge und keine Wortmeldungen vor.
Vizepräsident von Hassel
Wer diesen aufgerufenen Artikeln zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Gegenstimme und Enthaltungen so beschlossen.
Ich rufe den Art. 34 auf. Dazu liegt Ihnen die Drucksache 7/4260 vor, ein Antrag der Fraktion der CDU/CSU. Wird dazu das Wort gewünscht?
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Köster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemanden wundert es, daß das Krankenhausfinanzierungsgesetz im Bündel der Artikel des Gesetzes zur Sicherung der Haushaltsstruktur auftaucht. Unser Kollege Strauß hat es in seiner gestrigen Rede eines der schlampigsten und liederlichsten Gesetze genannt, die jemals von einer Gesetzgebungsmaschine der Bundesregierung ersonnen worden sind. Ein Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung ist allein in der Fülle unserer von der Koalition in den damaligen Beratungen des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit abgelehnten Änderungsanträge und deren heutigen aktuellen Bedeutung zu finden. Jedenfalls wird dieses Gesetz dem Verfasser und seinen Verteidigern als Arbeitsfeld für Reformen noch lange Jahre erhalten bleiben.
({0})
Liederlich ist dieses Gesetz, aber das läßt noch offen, ob hinter dem Gesetz wenigstens ein ehrlicher Leistungswille steht oder noch steht. Art. 34 und die Diskussion dazu im Ausschuß und in der Öffentlichkeit liefern Beweise für berechtigte Zweifel an der Redlichkeit des Bundesgesetzgebers, hier seine Leistungszusage, die er in den §§ 1 ff dokumentiert hat, zu halten.
Durch die Nr. 1 des Art. 34 wird angestrebt, für gesetzliche Verpflichtungen, an denen sich der Bund bisher mit einem Drittel der tatsächlich entstandenen Aufwendungen beteiligte, für die Jahre von 1977 bis 1978 eine Obergrenze festzusetzen. Die Vertreter der Bundesregierung haben während der Beratung im Ausschuß erklärt, daß trotz dieser Plafondierung die gesetzlichen Verpflichtungen des Bundes voll erfüllt und die Länder nicht zusätzlich belastet würden. Das ist um so verwunderlicher, als dieses Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur doch unter dem Motto angetreten ist, hier Einsparungen vorzunehmen. Die Bundesregierung sagte: bei diesem Punkte des Artikels sind keine Einsparungen zu erwarten. Die CDU/CSU hat diesen Standpunkt und die Erklärung der Bundesregierung mit großem Zweifel zur Kenntnis genommen. Es fällt uns schwer, dem zu glauben.
Dazu ist noch zu bemerken, daß diese Aussage vielleicht für Verpflichtungen zur Wiederbeschaffung von kurzfristigen Anlagegütern zutreffen mag, jedoch nicht auf die Verpflichtung, ebenfalls ein Drittel für Anlauf- und Umstellungskosten aufzubringen, wie es § 4 Abs. 2 vorsieht, nicht auf Übergangs- und Einstellungshilfen gemäß § 8 Abs. 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, nicht auf die
Abwicklung vor allen Dingen von Versorgungsverpflichtungen, nicht für alte Lasten und nicht auf den Ausgleich von Eigenmitteln.
Da in den nächsten Jahren mit einem Ansteigen insbesondere der Kosten für Anlauf und Umstellung, für die Fertigstellung jetzt im Bau befindlicher Neu- und Ersatzbauvorhaben und auch noch für § 12, für die Abwicklung von Versorgungsverpflichtungen, zu rechnen ist, kann man davon ausgehen, daß die vom Bund eingeplanten Beträge für die Abdeckungen eines Drittels der in den Ländern aufgewendeten Verpflichtungen nicht ausreichen werden, insbesondere auch deshalb nicht, weil in den Vorausschätzungen die für die Alterssicherung nach § 12 aufzuwendenden Mittel mit Sicherheit nicht enthalten sind. Es wird unseren schärfsten Protest hervorrufen, wenn die Plafondierung dazu führen wird, über Verfahrensfragen Versorgungsansprüche zu vernichten. Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, die ein Leben lang auf normale Einkommen zum Wohle der Allgemeinheit verzichtet haben, können nach Treu und Glauben Ansprüche beim Gesetzgeber anmelden, der Krankenhäusern, die Träger ihrer Altersversorgung waren, die wirtschaftliche Grundlage - aus welchen Gründen auch immer - entzieht.
Zu Art. 34 Nr. 2 ist zu sagen, daß die im Jahre 1972 für die Zeit von 1972 bis 1975 im Krankenhausfinanzierungsgesetz für Neubauten vorgesehenen Beträge fast ausschließlich dafür gedacht waren, den vorhandenen Bestand zu erhalten. Es ist während der damaligen Beratungen klar zum Ausdruck gekommen, daß an eine Bettenvermehrung und an eine Deckung des Nachholbedarfs mit den vorgesehenen Beträgen vorerst keinesfalls gedacht werden könne. Eine Einschränkung der Baumaßnahmen bedeutet also, daß der damals als notwendig erkannte Sanierungs- und Erneuerungsbedarf nun nicht mehr gedeckt werden kann. Dies ist im Zusammenhang mit den Landeskrankenhausplänen deshalb von Wichtigkeit, weil es Krankenhäuser gibt, die deshalb nicht in die Krankenhauspläne der Länder aufgenommen worden sind, weil für sie der Bau von Ersatzbetten fest programmiert war. Wenn diese Ersatzbetten nun nicht gebaut werden, wird es Krankenhäuser geben, deren Unterstützung nach § 8 nach zehn Jahren ausläuft und die dann geschlossen werden müssen, ohne daß die erforderlichen Ersatzbetten gebaut sind. Auch hier hat die Regierung im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit fest zugesagt, eine Regelung zu finden, die diesen Krankenhäusern den Verbleib in der Förderung sicherstellt.
Wir beantragen Art. 34 Nr. 3 zu streichen, weil wir der Meinung sind, daß der Bund die nach § 27 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes von den Ländern und Krankenhäusern dringend erwarteten Verordnungen bisher noch nicht erlassen hat. Es ist nicht einzusehen, daß der Bund den Eindruck erweckt, daß er hier ohne ersichtlichen Grund in die Planungshoheit der Länder eingreifen will.
In unserem Änderungsantrag Drucksache 7/4260 beantragen wir unter Ziffer 1, Art. 34 Nr. 3 zu streichen. Unter Ziffer 2 unserer Vorlage ist eine Be13810
richtigung erforderlich. Es muß heißen: „Es wird folgende Nummer 3 angefügt".
Anliegen dieses unseres Antrages ist folgendes. Nach § 30 Abs. 2 des gültigen Krankenhausfinanzierungsgesetzes werden die Kosten für Ausbildungsstätten ab 31. Dezember 1978 nicht mehr im Pflegesatz zu berücksichtigen sein. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen für Krankenpflegeschulen und für andere Ausbildungsstätten für nichtärztliche Heilberufe andere Kostenträger gefunden werden.
Ein Beispiel für die Unzuverlässigkeit der Arbeit dieser Regierung in Fragen der Krankenhausfinanzierung mag es sein, daß für eine Neugestaltung der Struktur der Krankenhauspflegeberufe Voraussetzung ist, ein Gesetz über die nichtärztlichen Heilberufe in der Geburtshilfe und der Krankenpflege vorzulegen. Zur Zeit arbeitet das Ministerium bereits am dritten Referentenentwurf.
({1})
Wenn die Bundesregierung und die Regierungskoalition am Termin des 31. Dezember 1978 festhalten, werden viele Träger der Krankenpflegeschulen Bewerbungen junger Krankenpflegeschüler und -schülerinnen nicht entsprechen können, weil die Finanzierung für die gesamte Dauer der Ausbildung nicht mehr gesichert ist. Angesichts der Jugendarbeitslosigkeit und des Mangels an Ausbildungsstätten ist die Haltung der Bundesregierung und der Regierungskoalition gegenüber diesen jungen Menschen unverständlich hart.
Jeder weiß doch, daß im übrigen noch ein anderer Aspekt zu berücksichtigen ist. Nicht das Wissen eines Krankenpflegers allein macht seine Qualität in der Krankenpflege aus. Wesentlich für den hohen Standard der Krankenpflege in unserem Lande ist doch der enge Kontakt mit dem Kranken, ist doch die geistige Solidarität derjenigen, für die die Qualität der Krankenpflege nicht mit materiellen Gründen garantiert werden kann.
({2})
Ist der Wille zur Verschulung der Krankenpflege aus ideologischen Gründen der eigentliche Grund für diesen Termin? Das ist unsere bange Frage. Soll hier Druck auf die freien Träger der Krankenpflege ausgeübt werden, so daß sie ihre Tradition nicht weitergeben können?
Die Tradition der Krankenpflege ist ein wesentliches Fundament der Qualität unserer Krankenhäuser. Wenn Sie - ich spreche hiermit die Regierung und die Regierungskoalition an - nicht bereit sind, diesen Termin ganz zu streichen, seien Sie wenigstens bereit, unserem Antrag zuzustimmen, die Frist bis zum 31. Dezember 1985 zu verlängern.
Wesentliche Bedeutung gewinnt dieser Artikel für den Bundesrat. Wir sehen der Debatte im Bundesrat entgegen und werden uns hier im Bundestag der Stimme zu diesem Artikel enthalten.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Köster, ich kann Ihre Selbstverleugnung gar nicht verstehen, die darin zum Ausdruck kommt, daß Sie sich dem Urteil von Herrn Strauß anschließen, wir alle gemeinsam hätten damals ein mieses, schlampiges Gesetz gemacht. Überhaupt muß Herr Strauß einen Alptraum von diesem Krankenhausfinanzierungsgesetz haben, denn bei jeder Gelegenheit, ob in Sonthofen oder gestern hier in der Debatte, macht er dieses Gesetz einfach mies.
({0})
Dieses Gesetz war dringend notwendig, denn sonst hätten wir heute auf dem Gebiet des Krankenhauswesens nicht eine Kostenentwicklung nach oben, sondern eine Kostenkatastrophe.
({1})
Es ist schon beachtenswert, daß seit dem Inkrafttreten des Gesetzes im Jahre 1972
({2})
insgesamt 10,405 Milliarden DM von Bund und Ländern für Investitionen im Krankenhauswesen bereitgestellt wurden,
({3})
davon rund 5,12 Milliarden für den Neubau und 5,2 Milliarden für die übrigen gesetzlichen Aufwendungen. Daß damit ein wesentlicher Schritt zu der von allen Seiten seit Jahren geforderten Sanierung und Modernisierung unserer Krankenhäuser getan wurde, kann doch nicht ernsthaft bestritten werden!
Die Eingaben der kommunalen Spitzenverbände, der Krankenhausgesellschaft, der Kirchen und der freien Träger zu Art. 34 beweisen doch, daß das Gesetz insgesamt ein ordentliches Gesetz ist. Die Regierung und die Koalitionsfraktionen haben in den Ausschußsitzungen und in der kurzen Anhörung klargestellt, daß durch die Änderungen des Gesetzes, insbesondere durch die Plafondbegrenzung bei den gesetzlichen Verpflichtungen und die Plafondabsenkung ab 1977 bei den Neubauten, die Zielvorstellungen des Gesetzes nicht beeinträchtigt werden.
({4})
Hier wird also nicht zu Lasten der notwendigen Krankenhausversorgung unserer Bürger gespart, wohl aber zur Schonung ihres Steuer- und Betragsaufkommens. Die Mittel als solche reichen aus; das ist unsere Meinung, und Sie fordern ja auch gar nicht, daß die Nummern 1 und 2 gestrichen werden.
({5})
Sie fordern es ja gar nicht! Sie hätten doch dann jetzt die Forderung erheben müssen, das anders zu regeln.
Zu dem Begehren, Punkt 3 zu streichen, ist zu bemerken, daß es unverständlich ist, daß die Opposition diese minimale Einwirkung des Bundes bei der abgestimmten Bedarfsermittlung ablehnt. Es wird doch hier nicht in die Planungshoheit der Länder eingegriffen. § 22 betrifft ausschließlich die rechnerische Bemessung der Finanzhilfen des Bundes, während die Zuweisung der Bundesmittel nach der Einwohnerzahl weiterhin nach § 23 erfolgt. Daran soll sich auch nichts ändern. Worauf es ankommt, ist eine Regelung, nach der der Bund in Zukunft seine eigene Beteiligung auf der Grundlage einer zwischen ihm und den Ländern abgestimmten Bedarfsermittlung festlegen kann. Dies ist weder verfassungsmäßig unzulässig noch ist es eine Mischverwaltung. Die Streichung wird daher von uns abgelehnt.
Dasselbe gilt für das Begehren, in das Gesetz die Verlängerung der Übergangsfrist für die Finanzierung von Ausbildungsstätten über den Pflegesatz aufzunehmen. Wir können hier keine Diskussion über die Krankenpflegeausbildung und ihre gesetzliche Regelung führen. Das ist ein eigener Vorgang. Hier geht es um die Finanzierung der Ausbildungsstätten über den Pflegesatz. Ein Hinausschieben der Übergangsregelung für die Finanzierung von Ausbildungsstätten über den Pflegesatz nach § 30 Abs. 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes über den ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt des 31. Dezember 1978 hinaus bis 1985, wie Sie fordern, erscheint nicht vertretbar. Nach der Grundsatzentscheidung bei der Verabschiedung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, die von Bund und Ländern gemeinsam getragen worden ist, sollten die Kosten für die Ausbildung ab 1979 nicht mehr aus dem Pflegesatz finanziert werden. Die Krankenkassen sind durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz unter Entlastung der Gemeinden von den herkömmlichen Betriebszuschüssen in den Jahren 1973 und 1974 mit erheblichen zusätzlichen Ausgaben für Krankenhausbehandlung in Milliardenhöhe belastet worden. Eine weitere zusätzliche Belastung kann den Krankenkassen nicht zugemutet werden. Die Übergangsfrist für die Finanzierung von Ausbildungsstätten über den Pflegesatz gehört zu den Kompromissen, die das Krankenhausfinanzierungsgesetz erst für alle Beteiligten annehmbar gemacht haben. Ein Aufbrechen dieses Paketes würde die Gefahr in sich schließen, daß die grundsätzliche Einigung über die Neuordnung der Krankenhausfinanzierung erneut in Frage gestellt werden könnte.
Deshalb lehnen wir auch diesen Punkt ab und plädieren für eine unveränderte Annahme des Art. 34 in der Ausschußfassung.
({6})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion Drucksache 7/4260. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die
Gegenprobe. - Enthaltungen? Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt worden.
Ich komme zur Abstimmung über den Art. 34. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion der CDU/CSU ist der Art. 34 angenommen.
Ich rufe Art. 35 auf. Dazu liegt Ihnen mit der Drucksache 7/4261 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Das Wort dazu hat Herr Abgeordneter Dr. Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU hat den Zweck, eine gerechtere Verteilung von Investitionsmitteln im Bereich des gemeindlichen Straßenbaues als diejenige herbeizuführen, die nach der Regierungsvorlage beabsichtigt ist. Nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz wird mit einem Betrag von etwa 2 Milliarden DM im Jahr die Verkehrsinfrastruktur in den Gemeinden gefördert. Dieser Betrag wird nach dem gegenwärtigen Rechtszustand je zur Hälfte für die großen Vorhaben des öffentlichen Personennahverkehrs und für den gemeindlichen Straßenbau verwandt. Der Gesamtbetrag soll nun um 10 v. H. gekürzt werden. Also eine erneute Kürzung von Investitionsmitteln, eine erneute Verlagerung von Investitionsmitteln in den allgemeinen Konsumtopf! Aber dies ist nicht der Punkt, zu dem ich sprechen will.
Tatbestand ist, daß die Kürzung der Mittel einseitig zu Lasten des gemeindlichen Straßenbaues gehen soll. Es soll erreicht werden, daß die Mittel für den gemeindlichen Straßenbau um 19% sinken; dagegen sollen die Mittel für den ÖPNV, das heißt insbesondere für den Bau von Großprojekten wie U-Bahnen und S-Bahnen, so gut wie ungeschmälert bleiben. Man kann es auch so ausdrücken: Die zehnprozentige Kürzung soll zu 9,5 % vom gemeindlichen Straßenbau verkraftet werden; nur zu 0,5 % soll sie von den ehrgeizigen Großprojekten des U-Bahnbaues und S-Bahnbaues abgehen, die 95 % des Mitteleinsatzes im .ÖPNV beanspruchen.
Wir sind der Auffassung, daß dies so nicht vertretbar ist. Die Mittel für U- und S-Bahnen, also für die Großvorhaben, kommen nur sehr wenigen großen Zentren in der Bundesrepublik zugute. Dagegen gehen die Mittel für den gemeindlichen Straßenbau nicht nur in den ländlichen Raum im engeren Sinne, sondern sie betreffen auch all unsere Mittelstädte. Sie betreffen auch die vielen Großstädte, die bei sich keine Großbauten des ÖPNV haben.
Die ungleichgewichtige Kürzung ist nicht vertretbar. Sie widerspricht auch den Grundsätzen, die der Herr Bundesfinanzminister hier verkündet hat und die besagt, daß gleichmäßig gekürzt werde und die Kürzungen und Lasten gerecht verteilt würden.
({0})
Dieses gerechte Verteilen kann sich nicht nur auf
einzelne, auf Individuen, auch nicht nur auf bestimmte Bevölkerungsgruppen beziehen, es muß sich
Dr. Wagner ({1})
auch auf die Verteilung der Lasten auf die Regionen unseres Landes beziehen.
Offensichtlich hat hier ein Wille die Feder geführt, wie er auch in Ausführungen des Bundesgeschäftsführers der SPD, des Herrn Kollegen Börner, bereits zum Ausdruck gekommen ist und den man so formulieren könnte: Alle sollen gleich sein, beim Verteilen von Lasten aber einige etwas gleicher als die anderen, nämlich diejenigen, bei denen wir - nämlich die SPD - nicht in erster Linie unsere Wahlklientel sehen. Sachlich vertretbar ist das, was hier beabsichtigt ist, nicht.
Es ist auch nicht gegenüber denen vertretbar, die die Mittel über die Mineralölsteuer aufbringen, nämlich gegenüber den Autofahrern. Von diesen wird bereits seit Jahren erwartet und gefordert, daß sie über die Mineralölsteuer den Bau von U- und S-Bahnen, also von Verkehrsprojekten, die nicht dem Individualverkehr dienen, finanzieren. Jetzt wird ihnen zugemutet, eine weitere Zweckentfremdung der Mittel, die von ihnen aufgebracht werden, hinzunehmen. Es handelt sich um eine Zweckentfremdung, weil die Mittel für andere Zwecke als den Straßenbau verwendet werden sollen. Das heißt, ihnen wird einmal mehr zugemutet, für das Geld, das Sie aufbringen, keine Gegenleistung in Form von besserer Straßeninfrastruktur zu erhalten. Die Autofahrer sollen weiter zahlen dürfen. Sie sollen eine weitere Verminderung der Mittel, an deren Einsatz sie interessiert sind, hinnehmen.
Wir müssen auch sehen, daß in den Ballungsräumen mehr als drei Viertel der gesamten Personenbeförderung vom Individualverkehr bewältigt werden. Dort wird also weniger als ein Viertel des gesamten Personentransports vom ÖPNV, vom öffentlichen Personennahverkehr, bewältigt. Außerhalb der Ballungsräume liegt das Verhältnis noch weit höher, ganz zu schweigen von den zahlreichen Fällen, in denen das eigene Kraftfahrzeug überhaupt das einzige Beförderungsmittel ist, also nur der Individualverkehr besteht.
Wir halten deswegen unseren Antrag Drucksache 7/4261 für unbedingt gerechtfertigt und bitten um seine Annahme. Der Antrag sieht vor, daß das Verteilungsverhältnis der Mittel zwischen ÖPNV und gemeindlichem Straßenbau im allgemeinen unverändert bleibt, daß also die Mittel hälftig auf beides entfallen. Er erlaubt es aber den Ländern, in einem gewissen Umfang, soweit es zur Finanzierung laufender Vorhaben erforderlich ist, Mittel von dem einen Zweck zum anderen umzuschichten. Allen berechtigten Anliegen ist also auch durch diesen Antrag Genüge getan.
Wir bitten um Annahme.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller ({3}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Wagner, wenn Sie nicht der Oberbürgermeister von
Trier, sondern der von Stuttgart wären, hätten Sie sicherlich anders gesprochen.
({0})
Es ist nicht umstritten, daß bei den Finanzhilfen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden wie bei den anderen Gemeinschaftsaufgaben ab 1977 Einsparungen von 10 % erzielt werden sollen. Das sind etwa 200 Millionen DM jährlich ab 1977.
Unterschiedlich wird dagegen die Frage der Änderung der Aufteilung der Mittel zwischen dem öffentlichen Personennahverkehr und dem kommunalen Straßenbau von bisher, wie Sie sagten, 50:50 auf nunmehr 55:45 zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs beurteilt.
Ein Teil der Länder und auch die Opposition möchten es bei dem bisherigen Schlüssel belassen und dafür den Ermächtigungsrahmen der Länder, Mittel vom kommunalen Straßenbau auf den öffentlichen Personennahverkehr umzuschichten, von bisher 10 v. H. auf nunmehr 15 v. H. erweitern. Wir halten dagegen die Regelung, wie sie die Regierung vorgeschlagen hat, für besser, und zwar weil wir bei den großen Bauvorhaben in den Großstädten System- und Bauruinen vermeiden möchten. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie wissen, daß das Gesamtprogramm des Baues von S- und U-Bahnen in den Großstädten nicht zuletzt wegen der Folgekosten bereits um über 6 Milliarden DM reduziert wurde, davon allein an Bundesmitteln 3,3 Milliarden DM weniger.
Ich komme nun zu den von Ihnen angesprochenen etwaigen negativen Auswirkungen in der Fläche. Wir meinen, sie können dadurch vermieden werden, daß die Länder bei Maßnahmen des kommunalen Straßenbaues, die in ihren Programmkompetenzen liegen - das sind die Vorhaben mit einem Volumen im Einzelfall bis zu 5 Millionen DM -, solche Bauvorhaben, die außerhalb der Verdichtungsräume liegen, vorziehen,
({1})
daß der Bund bei den Maßnahmen des kommunalen Straßenbaues, für die er mit zuständig ist - das sind die Maßnahmen über 5 Millionen DM -, Vorhaben in den Städten mit S- und U-Bahnen zurückstellt und, drittens, daß bei der Fortschreibung der Bundesfernstraßenplanung Vorhaben in strukturschwachen Gebieten besondere Berücksichtigung finden.
In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, daß der kommunale Straßenbau eine wesentliche Entlastung dadurch erfahren hat, daß in den bisherigen Konjunktur- und Strukturprogrammen vorzugsweise der Bau von Ortsumgehungen gefördert wurde. So werden im letzten Programm für Ortsumgehungen zusätzlich 135 Millionen DM bereitgestellt. Darüber hinaus sollte auch nicht übersehen werden, daß sich die Ausgabenminderung bei den vielen kleinen Maßnahmen des kommunalen Straßenbaues technisch reibungsloser vollziehen
Müller ({2})
lassen wird, ohne daß es zu Stillegungen oder gar zu System- und Bauruinen kommen kann.
Auch das Verhältnis der Maßnahmen bis zu 5 Millionen DM zu den Maßnahmen über 5 Millionen DM hat sich in den letzten Jahren stark zugunsten der Maßnahmen bis zu 5 Millionen DM verschoben. Während 1975 noch 37 v. H. der Ausgabemittel für die kleineren Vorhaben vorgesehen waren, sind es 1976 bereits 46 v. H. Hier hat eine echte Verlagerung stattgefunden.
Es spricht also alles dafür, an der ausgewogenen Regelung der Regierungsvorlage festzuhalten. Die Koalitionsfraktionen lehnen deshalb den Änderungsantrag ab.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4261. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Art. 35 in der vorgelegten Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 36 und 37 auf. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 38 auf. Dazu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf Drucksache 7/4262 vor, und zwar unter Ziffer I. Können wir aber davon ausgehen, daß wir bei der Begründung durch den Abgeordneten Schmitz ({4}) den ganzen Änderungsantrag - zu diesem Artikel und dem Artikel 39 - behandeln können? - Das ist der Fall. Das Wort hat der Abgeordnete Schmitz ({5}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der in den Artikeln 38 und 39 des Gesetzes zur Sicherung des Haushalts vorgesehene Abbau des Aufwertungsausgleichs für die deutsche Landwirtschaft über die Mehrwertsteuer um 3 % in vier Jahresraten ist nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion unausgewogen, sozial ungerecht und in keiner Weise ökonomisch gerechtfertigt.
({0})
Herr Minister Ertl, der gerade kommt, hat sich zwar in Brüssel als ein Verteidiger der Belange der deutschen Landwirtschaft feiern lassen; als es im Kabinett um die Beibehaltung des Aufwertungsausgleichs ging, ist er jedoch schachmatt gesetzt worden. Dies ist wiederum ein klassisches Beispiel dafür, wie wenig Glauben man den Worten der Bundesregierung schenken kann. Hier wird offenbar wieder einmal nach der bekannten Methode verfahren: zunächst einmal alles versprechen, damit
man gewählt wird, um nachher Versprechungen zurückzunehmen oder abzubauen.
({1})
Der Vorschlag, den Aufwertungsausgleich über die Mehrwertsteuer in vier Stufen bis 1979 völlig abzubauen, führt in der Landwirtschaft über längere Zeit zu einem deutlichen Rückgang des Einkommenszuwachses. So werden etwa Betriebe mit einem Jahresumsatz - Umsatz, nicht Gewinn! - von 100 000 bis 200 000 DM einen Einkommensausfall zwischen 3 000 und 6 000 DM jährlich hinnehmen müssen.
Obwohl man dauernd Überlegungen anstellt, die Investitionstätigkeit anzureizen, und von der Entlastung der Unternehmen spricht - so Herr Friderichs jüngst wieder in Köln - geschieht im Bereich der Landwirtschaft genau das Gegenteil. Im Endstadium der Sparbeschlüsse, 1979 also, wird der Landwirtschaft zugemutet, 1,498 Milliarden DM - Bund und Länder gemeinsam - an direkten Einkommensverlusten hinzunehmen. Die Bundesregierung, auch Herr Bundesminister Ertl, versucht in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als seien diese Einkommenseinbußen für die deutsche Landwirtschaft ohne weiteres zu verkraften. Herr Minister Ertl spricht von einem Einkommensverlust von durchschnittlich 1,5 %. Dies ist nicht nur schlicht und einfach falsch; dies muß als Schönfärberei angesehen werden.
({2})
Aber das sind wir ja von dieser Regierung seit langem gewohnt.
Wenn der Abbau des Aufwertungsausgleichs um 0,75 % pro Jahr bis 1979 erfolgt, vermindert sich das Einkommen der Landwirte beträchtlich, wobei es selbstverständlich zwischen den einzelnen Betriebsformen erhebliche Unterschiede geben wird. Die bedeutet aber, daß in 1976 bei 0,75 % Abbau bereits 2,6 % Einkommensminderung eintreten, 1977 bereits 5,1 % 1978 7,7 % und 1979 10,3 %.
({3})
Dies ist eine statische Berechnungsmethode. Ihre Methode könnte eventuell zu besseren Verhältnissen führen.
({4})
- Herr Gallus, Sie krähen immer zu früh, aber das ist Ihr Problem. - Ich halte jedoch diese Methode für fragwürdig, weil sie von zu vielen Hypothesen belastet ist.
({5})
So kann z. B. angesichts der größten Arbeitslosigkeit der Nachkriegszeit niemand verläßlich voraussagen, wie sich der Strukturwandel innerhalb der Landwirtschaft vollziehen wird. Jedenfalls kann man keinem Bauern empfehlen, seinen Betrieb aufzugeben, weil niemand weiß, ob ihm überhaupt ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden kann.
Diese Probleme, wie sie für die Landwirtschaft zutreffen, gelten selbstverständlich auch für den
Schmitz ({6})
Gartenbau. Wenn die Bundesregierung zur Rechtfertigung ihrer Maßnahmen behauptet, Wildwuchs müsse beschnitten werden, so kann ich dazu nur sagen, daß dieses angesichts der Einkommensdisparität innerhalb der Landwirtschaft, die ja nach wie vor besteht, den Bauern wie Hohn und Spott in den Ohren klingen muß.
({7})
Keinem anderen Wirtschaftszweig und keiner anderen Berufsgruppe werden von der SPD/FDP-Koalition so harte Opfer abverlangt.
({8})
Der Anteil der Landwirtschaft an den Sparbeschlüssen ist als unverhältnismäßig hoch zu bezeichnen. Er würde, wenn man den Vorstellungen der Bundesregierung folgte, unter Einbeziehung der Anhebung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge 1976 4,6% betragen, 1977 9,8 %, 1978 16,4 % und 1979 bereits 20,5 %. Dies zeigt besser als alle Lippenbekenntnisse, wie diese linksliberale Koalition in Wirklichkeit zur Landwirtschaft steht.
({9})
- Ich hoffe, Sie haben es gehört, Herr Kollege.
Die Kürzungen müssen aber auch im Zusammenhang mit der von der Bundesregierung beabsichtigten Reform der EG-Agrarpolitik gesehen werden. Die Vorstellungen des Herrn Bundeskanzlers werden wieder zu neuen Belastungen unserer Bauern führen. Er denkt über Erzeugerbeteiligung nach und damit über die Begrenzung der Interventionen. Schon in den vergangenen Jahren mußte die Landwirtschaft im Bundeshaushalt kurztreten. Während der Gesamthaushalt von 1973 bis 1976 um 39,7 % steigt, sinkt der Agraretat um 0,7%.
({10})
Nun stellt sich die Bundesregierung in der Öffentlichkeit hin und versucht den Eindruck zu erwekken, als sei der D-Mark-Aufwertungsausgleich für die deutsche Landwirtschaft ein besonderes Geschenk oder sogar in die Kategorie der Subventionen einzuordnen.
({11})
Alle Fraktionen dieses Hohen Hauses waren sich darüber einig, daß die Aufwertung der D-Mark am 27. Oktober 1969 der Landwirtschaft einseitige und besondere Belastungen auferlegt, die sie allein und entschädigungslos nicht zu tragen in der Lage sei. Bundeskanzler Schmidt jedoch behauptete jüngst, die deutsche Landwirtschaft habe die Folgen der D-Mark-Aufwertung voll verkraftet,
({12})
so daß die Berechtigungsgrundlage für den Aufwertungsausgleich entfalle. Im Gegenteil: die Austauschrelationen zwischen Agrarpreisen und Betriebsmittelpreisen sind immer schlechter geworden.
({13})
- Herr Gallus, Sie sind wieder zu früh. - Das Verhältnis von Erzeugerpreisindex zu Betriebsmittelpreisindex entwickelte sich wie folgt: 1969/70 gleich 100,4, bereits im Jahre 1974/75 80,8; die Agrarpreise sind also seit 1969 um real 20% gesunken. Selbst die Bundesregierung hat in dem Agrarbericht 1975 hervorgehoben, daß der EG-Ministerrat zu dem Ergebnis gelangt sei, daß die Einkommensentwicklung der deutschen Landwirtschaft seit der D-Mark-Aufwertung von 1969 insbesondere im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten ungünstig sei. Wenn hier immer davon die Rede ist - und dieses Argument wird von der Bundesregierung meistens gebracht -, der Rat habe den D-Mark-Aufwertungsausgleich von vornherein degressiv angelegt, so ist dies höchstens bei vordergründiger Betrachtung - und eine solche stellt die Bundesregierung ja meistens an - und oberflächlich richtig. Es ist aber nur dann richtig, wenn man davon ausgehen kann, daß die Nachteile, die der deutschen Landwirtschaft aus der Aufwertung entstanden sind, bis jetzt abgebaut worden sind. Das ist nicht der Fall. Der Ministerrat war deshalb auch bereit, die Fortführung des Aufwertungsausgleichs über die Mehrwertsteuer beizubehalten.
({14})
-- In seiner Sitzung vom 11. Dezember 1973 stellte der Rat ausdrücklich fest, daß auf eine Befristung dieses Ausgleichs verzichtet wird, Herr Gallus.
Da muß ich auch den Herrn Minister Ertl fragen, warum er seine eigenen Bemühungen zugunsten der deutschen Landwirtschaft wieder zunichte macht. Die Beschlüsse des Ministerrates gehen doch davon aus, daß trotz preisstabilisierender Effekte der D-Mark-Aufwertung und trotz Aufwertungsausgleich die deutsche Landwirtschaft sowohl nominal wie auch real und unabhängig davon, ob man 1969 oder 1968 als Basisjahr wählt, im EG-Durchschnitt den geringsten Einkommenszuwachs zu verzeichnen hat und im Vergleich des Erlös-KostenVerhältnisses am schlechtesten abschneidet.
({15})
Es bleibt im übrigen unerfindlich - für mich jedenfalls -, wie sich die Bundesregierung im Rahmen der landwirtschaftlichen Haushaltspolitik, die in die gesamte Reformkonzeption der EG-Agrarpolitik eingeordnet werden muß, selber unerträgliche Fesseln anlegen kann. Das Vorgehen von Herrn Staatssekretär Logemann und Herrn Minister Ertl ist für mich schon ein Meisterstück an Konzeptionslosigkeit.
({16})
Die CDU/CSU-Fraktion stellt der unausgereiften Vorlage der Bundesregierung ihre eigenen Vorschläge entgegen. Wir schlagen Ihnen vor, den Aufwertungsausgleich für die Jahre 1976 und 1977 um je 0,5 % zu kürzen. Auch damit wird unserer Landwirtschaft noch ein großes Stabilitätsopfer zugemutet. Als Kompensation bieten wir im Haushalt eine Regelung über die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes an. Damit stünden die Einkommensverminderungen aus den Kürzungen im Haushalt in einem angemessenen Verhältnis zu den Einbußen anderer
Schmitz ({17})
Schichten der Bevölkerung und zu den übrigen Haushaltskürzungen. Wir bitten Sie daher, dem Änderungsantrag der CDU/CSU aus den vorgetragenen sachlichen Erwägungen zu folgen und die Art. 38 und 39 entsprechend zu ändern.
({18})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß die Begründung für die gesamte Drucksache, d. h. für beide Artikel, erfolgt ist. Wir haben also auch in der Aussprache beide Artikel zu behandeln. - Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Löffler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Carstens hat gestern nachmittag gesagt, die Koalitionsfraktionen seinen gar nicht bereit, mit der Opposition sachlich zu diskutieren. Das stimmt nicht. Wir sind dazu bereit. Nur macht es uns die Opposition mitunter außerordentlich schwer, in eine sachliche Diskussion mit ihr einzutreten,
({0})
ja sie macht uns das teilweise sogar unmöglich, nämlich dann, wenn sie verlangt, daß die Koalition die Widersprüche, die es in der Oppositionsfraktion gibt, hier in diesem Hause durch Diskussion bereinigt.
({1})
Das können wir nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, das müssen Sie freundlicherweise schon allein erledigen.
Diese widersprüchliche Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch die Debatten von gestern und heute. Diesmal ist es ausnahmsweise bei Ihnen ein roter Faden. Im Bundesrat, in den Medien und auch hier vertreten Ihre Hauptsprecher die Auffassung, es muß sehr viel mehr gespart werden. Sie kündigen an, es seinen noch Einsparungen in Höhe von einigen Milliarden möglich.
({2})
- Das hat natürlich mit der Sache zu tun, Herr Haase; Sie haben ganz vergessen, daß es sich hier um eine finanzpolitische Vorlage handelt.
Wo diese Einsparungen vorgenommen werden können, ist allerdings bis zur Stunde das große Geheimnis der Opposition. Sie haben die Erwartungen hochgespannt, alles wartet auf Ihre große Einsparungsüberraschung. Sie wird aber wohl nur darin bestehen, daß Ihr Sparpaket zwar politisch ganz wirkungsvoll verpackt, im Innern aber leer sein wird. Es ist nichts drin. In den finanziell entscheidenden Punkten der Sanierung der Staatsfinanzen blocken Sie die Vorschläge der Regierung und der Koalition ab. Ich will Ihnen sogar zugeben, daß das Ihr gutes Recht ist.
({3})
Aber spätestens dann müßten Sie eigentlich mit
konkreten Deckungsvorschlägen kommen. Sie müßten diese Deckungsvorschläge machen, wenn Ihre
politischen Absichten, die hinter den Änderungsanträgen stehen, jenes Maß an Ernsthaftigkeit haben sollen, auf das unser Volk, glaube ich, in einer solchen Debatte Anspruch hat.
({4})
Die gleiche Haltung, Herr Dr. Stark, nehmen Sie auch ein in der Frage des Aufwertungsausgleichs. Herr Strauß und Herr Leicht warfen der Regierung und der Koalition vor, sie ließen es an der sorgfältigen finanziellen Vorausplanung fehlen.
({5})
- Prima, jetzt mal feste klatschen! Jawohl!
Wie sieht denn nun Ihre eigene finanzielle Vorausplanung aus? Der Regierungsentwurf sieht zu diesem Punkt in den Art. 38 und 39 in den nächsten vier Jahren Einsparungen in Höhe von 2,4 Milliarden DM vor. Der Vorschlag der Opposition hingegen sieht nur Einsparungen in Höhe von 650 Millionen DM vor. Das ist immerhin ein Unterschied von 1 750 000 000 DM, für die Sie keinen Deckungsvorschlag machen. Herr Kollege Schmitz hat eben schon gesagt, wie Sie sich die Deckung vorstellen. Das hat er von seinem Meister, dem Kollegen Ritz abgeschrieben. Der hat ja in „Agra-Europe” auf die Frage, wie er sich denn die Deckung vorstelle, folgendes gesagt:
Was den Aufwertungsausgleich in den Jahren 1978 und 1979 angeht, halten wir es aus mehreren Gründen für angebracht, darüber jetzt noch nicht zu entscheiden.
({6})
- Na ja, wir schreiben immerhin das Jahr 1975 und sind bald am Ende dieses Jahres angelangt. Aber über 1978 und 1979 wird noch nichts gesagt.
Erstens kann heute niemand sagen, wie dann die Lage der Landwirtschaft aussieht, zweitens lassen sich die finanzpolitischen Prioritäten kaum vorherbestimmen.
Die finanzpolitischen Prioritäten lassen sich kaum vorherbestimmen - das bedeutet doch im Grunde genommen eigentlich nicht mehr und nicht weniger, als daß Sie diese Frage gegenwärtig ausklammern wollen, und das wiederum bedeutet nichts anderes, als daß Sie finanzpolitisch unsolide von der Hand in den Mund leben wollen.
({7})
Ich kann bei einem solchen Sparpaket nicht einfach 1 750 000 000 DM unter den Tisch fallen lassen. Das geht beim besten Willen nicht, wenn man die Ernsthaftigkeit Ihrer sonstigen finanzpolitischen Vorschläge in Rechnung stellt.
Wenn das die seriöse Haushaltspolitik à la Strauß ist, dann fehlt der Opposition eigentlich jede moralische Rechtfertigung und aber auch jede sachliche Kompetenz, in der Weise gegen die Finanz- und Haushaltspolitik der Regierung zu polemisieren, wie es ihr Hauptsprecher gestern getan hat. Leider
- nein, ich muß sagen: Gott sei Dank - hindert mich meine psychische Konstruktion daran, das Vokabular von Herrn Strauß zu gebrauchen. Aber
vielleicht suchen Sie aus einigen sprachpsychologisch höchst aufschlußreichen Bemerkungen des wirklich großen Vorsitzenden der Union einiges heraus, das auf Ihr Verhalten passen könnte. Da hat Herr Strauß gestern Bemerkungen gemacht: „Spielen mit gezinkten Karten", „falsch", „phantastisch", „spekulativ", „in jeder Hinsicht überzogen", „Irreführung der Wähler", „bodenloser Leichtsinn", „Täuschung der Bürger unseres Landes", „notorisch systematisch die Bevölkerung irreführen".
({8})
Das können Sie auf Ihre eigene Haltung anwenden, Herr Möller. Lesen Sie sich einmal die Rede von Herrn Strauß durch, und unterstreichen Sie diejenigen Passagen, die auf das Verhalten der Oppositionsfraktion zutreffen!
({9})
Der Abbau des Aufwertungsausgleiches ist zugegebenermaßen eine harte Maßnahme für die Landwirtschaft - das hat niemand in der Koalition bestritten -, so wie auch in anderen Bereichen harte Maßnahmen getroffen werden mußten, weil in der jetzigen Situation nur harte Maßnahmen einen Erfolg haben können. Allerdings darf man dabei auch nicht ganz vergessen, daß die Landwirtschaft gegenwärtig in einer guten Ertragssituation steht. Ich will nicht in Abrede stellen - das ist nun einmal in der Landwirtschaft so -, daß sich die Ertragssituation demnächst wieder ändern kann.
Dann darf man nicht vergessen, daß es dank der sozialliberalen Koalition gelungen ist, der Landwirtschaft ein ähnlich sicheres soziales Netz wie anderen Bereichen zuzuschneidern, das sie in Krisenzeiten etwas weniger anfällig macht, als das früher der Fall gewesen ist. An der Agrarsozialpolitik ist, was einmal ganz deutlich gesagt werden muß und was von Ihrer Seite im Vorfeld der Diskussion um diese Sparmaßnahmen auch immer vermutet worden ist, nichts gekürzt worden.
Wenn ich sage, das ist eine harte Maßnahme, so kann ich allerdings dem nicht zustimmen, daß es sich um ein Sonderopfer der Landwirtschaft handelt. Nach der Verordnung des Rates, die Herr Kollege Schmitz bereits zitiert hat, war der Aufwertungsausgleich zunächst auf vier Jahre befristet. Es gab einen Passus, der eine Überprüfung nach vier Jahren vorsah. Am 11. Dezember 1973 beschloß der Rat dann, den Aufwertungsausgleich über die Mehrwertsteuer zeitweilig weiterzuführen. Darin steckt zwar keine Befristung; aber durch das Wort zeitweilig ist natürlich klargeworden, daß der Rat die Entscheidung über den Aufwertungsausgleich in der Schwebe lassen wollte. Wir haben es in Brüssel häufig genug erlebt, daß uns dieser Aufwertungsausgleich bei allen möglichen Beschlüssen - schlicht gesagt - um die Ohren geschlagen wurde. Es gab also keinen unbefristeten Aufwertungsausgleich.
({10})
- Herr Kiechle, es ist in der heutigen Debatte zwar nicht üblich, Zwischenfragen zuzulassen, aber in diesem Falle möchte ich es dennoch tun.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kiechle?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Löffler, da Sie hier feststellen, daß diese Aufwertung zeitlich befristet gewesen sei, möchte ich Sie fragen: Wieso hat der Herr Bundesminister Ertl im Einverständnis mit dem Herrn Bundeskanzler dem Deutschen Bauernverband brieflich mitgeteilt, er könne unbefristet weitergeführt werden?
({0})
Nein, das ist nicht unsolide.
({0})
- Nun lassen Sie mich doch erst einmal ausreden!
- Lieber Herr Kollege Kiechle, zwischen „unbefristet" und „zeitweilig" steckt natürlich noch einiges drin. Das ist doch ganz klar.
({1})
- Aber lieber Herr Kollege Ritz, wenn ich sage „zeitweilig", dann habe ich zwar eine Frist im Kopf, aber ich spreche diese Frist natürlich noch nicht aus,
({2})
sondern ich denke nur daran, daß einmal eine Frist gesetzt werden wird. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das aber unbefristet. Jedenfalls ist es eine Tatsache, daß es „zeitweilig" heißt.
({3})
Wir wollen nicht vergessen, daß der deutschen Landwirtschaft bis 1978 über den Aufwertungsausgleich ein Betrag von 10,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt wird. Ich glaube, das ist ein Betrag, der sich sehen lassen kann und der einen gerechten Ausgleich für die Aufwertungsverluste darstellen dürfte.
({4})
Der Zwang zum Sparen und die Notwendigkeit, etwas Ordnung in die sich teilweise widersprechenden Bestimmungen der EG-Agrarpolitik zu bringen, treffen bei den beiden Art. 38 und 39 zugegebenermaßen zusammen.
Ich glaube, daß durch diesen Beschluß der Regierung der Rücken für die Verhandlungen in Brüssel freigemacht wird, bei denen es jetzt um eine maßvolle, vernünftige und zweckentsprechende Revision der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik geht, um eine Revision, die auch vom Deutschen Bauernverband, von der Vertretung der deutschen Landwirtschaft, gewünscht wird und von der wir selbstverständlich annehmen - und dafür wird sich die
Regierung einsetzen -, daß sie auch für unsere Landwirtschaft nützliche Aspekte enthalten wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich ganz kurz auf einige Bemerkungen eingehen, die Herr Professor Carstens gestern hier von dieser Stelle gemacht hat. Er hat der Bundesregierung vorgeworfen - ich zitiere sinngemäß -: Bei ihren westlichen Partnern knausert sie mit den Mitteln. Da will sie nicht allzuviel ausgeben.
({5})
Auf der anderen Seite ist sie aber bei Regelungen
im Rahmen der Ostpolitik finanziell sehr großzügig.
- Ganz abgesehen davon, daß diese Bemerkung einen eindeutig diffamierenden Charakter hat, ist sie auch ein Zeichen
({6})
- lieber Herr Franke, nun warten Sie doch erst einmal ab! - für die Widersprüchlichkeit innerhalb der Union, Verzeihung, der Unionen.
Ein bedeutender bayerischer Unionspolitiker hat nämlich bei einer anderen Gelegenheit folgendes gesagt. Er wurde gefragt:
Gleichzeitig heißt es, zusätzliche EG-Gelder will die Bundesregierung nur dann weiterhin zur Verfügung stellen, wenn Fortschritte in der Integration gemacht werden?
Darauf sagte Herr Baron von Feury:
Da muß ich zunächst einmal sagen, daß es diese Bundesregierung war, die den Prozentsatz von dem, was wir in der EWG zahlen, erhöht hat. Wir haben zu Zeiten des Finanzministers Strauß darum gekämpft, daß das nicht passiert. Diese Regierung hat - sicherlich auf Druck des Auslands
- natürlich, auf wessen Druck denn sonst? aber dann freiwillig den Prozentsatz erhöht. Und wenn wir vorher 28 °/o, gleich mit Frankreich waren, wurden wir eine Zeitlang auf 31 und 32 °/o heraufgesetzt.
Hier wird also genauso unsachlich wie gestern in anderer Richtung der Versuch gemacht, die Regierung zu diffamieren, daß sie gegenüber französischen, holländischen und anderen Wünschen in die Knie gegangen ist und in Brüssel deutsche Steuergelder verschleudert.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, ich wünsche Ihnen, beiden Unionsparteien, viel Spaß bei der gemeinsamen Regierungsverantwortung, die Sie anstreben. Gleichzeitig bin ich aber sicher, daß das deutsche Volk Ihnen bei dieser widersprüchlichen Haltung diesen Spaß noch lange vorenthalten wird.
({8})
Eine letzte Bemerkung. Durch den Abbau des Aufwertungsausgleichs ist es gelungen, die Mittel Ha-die nationale Agrarpolitik so gut wie nicht zu kürzen. Es wird bei den Haushaltsberatungen möglich
sein, durch Umschichtungen in einem gewissen Maße dem berechtigten Anliegen der deutschen Landwirtschaft gerecht zu werden. Damit möchte ich auch zum Ausdruck bringen, daß sich die Landwirtschaft so wie bisher voll und ganz auf die sozialliberale Koalition verlassen kann, deren Verantwortung sich nicht nur auf einige bestimmte Gruppen innerhalb unseres Volkes bezieht, sondern auf das ganze Volk. Dazu gehört auch die Landwirtschaft Sie bleibt bei dieser Koalition nach wie vor in guten Händen.
({9})
Wir müssen den Antrag der CDU/CSU-Fraktion ablehnen.
({10})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Peters ({11}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es besteht gar kein Zweifel, daß die Landwirtschaft durch einen Abbau im Bereich der Mehrwertsteuer in Höhe von 3 % über vier Jahre Opfer bringen muß.
({0})
Aber zieht man andere Gruppen in Betracht, so stehen diese Opfer in gleicher Relation und sind angemessen.
({1})
Der Unterschied zwischen dem Abbau um ein halbes Prozent, wie es die Union vorschlägt, und dem Abbau um ein dreiviertel Prozent, wie es Regierung und Koalition vorschlagen, ist minimal.
({2})
Das ist im ersten Jahr, Herr Ritz, ein Betrag von 70 Millionen DM für den Bund und von 100 Millionen DM für Bund und Länder zusammen und im zweiten Jahr von 150 Millionen bzw. 220 Millionen DM bei Verkaufserlösen der Landwirtschaft in Höhe von über 40 Milliarden DM.
({3})
- Über die letzten Jahre sagen Sie ja nichts aus. Die Frage ist nur, was Sie machen würden, wenn Sie an die Regierung kämen. Sie behalten sich die Maßnahmen vor, und das halte ich für eine absolute Unehrlichkeit. Es ist sicher besser, gleich zu sagen, was man will, und nicht mit der Hälfte zurückzuhalten.
({4})
Im übrigen hat die Bundesregierung ihr Versprechen gehalten, die Aufwertung des Jahres 1969 voll auszugleichen. Bis einschließlich 1979 werden über
Peters ({5})
10 Milliarden DM an Ausgleichsmitteln an die Landwirtschaft gegeben.
({6})
Wir haben in den ersten vier Jahren Mehrwertsteuer- und Flächenausgleich gehabt. Der Flächenausgleich ist ausgelaufen. Darüber haben Sie verhältnismäßig wenig gesagt, obgleich das Volumen des Abbaus in den ersten Jahren im Grunde noch größer war als das, was die Regierung jetzt bei der Mehrwertsteuer vorschlägt.
({7})
Ich betone: Dieser Abbau ist verhältnismäßig reibungslos gegangen. Der Übergang bei der Mehrwertsteuer wird ebenfalls reibungslos sein, und zwar ganz einfach deshalb, weil wir in der Landwirtschaft heute eine ausgesprochen günstige Ertragslage haben. Das ist unbestreitbar.
({8})
- Auch im nächsten Jahr!
({9})
Der Aufwertungsausgleich hat seine Funktion um so mehr erfüllt, als die deutsche Landwirtschaft von dem relativ stabilen Preisniveau in der Bundesrepublik profitiert. Dazu lassen sich einige eindeutige Zahlen nennen, Herr Ritz. Die Betriebsmittelpreise sind 1974 in der Bundesrepublik um 7,3 %, in Frankreich um 28 %, in Italien um 33 %
({10})
und in England um 40 °/o gestiegen. - Also, wenn diese Kostenrelation, noch bei steigenden Agrarpreisen, nichts aussagt, dann weiß ich nicht, wie Sie argumentieren wollen.
({11})
Und nehmen Sie einmal die Lebenshaltungskosten, die ja auch für die landwirtschaftliche Bevölkerung eine wesentliche Rolle spielen! Die Lebenshaltungskosten sind bei uns von 1970 bis 1975 um 35 %, in Frankreich um 54 %, in Italien um 72 % und in England um 90 % gestiegen.
({12})
- Ich nehme an, daß Sie sich mit Chile nicht vergleichen wollen.
({13})
Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft ist durch diese Ausgleichsmaßnahmen entscheidend gestärkt worden. Das zeigt sich besonders daran, daß die Agrarausfuhren aus der Bundesrepublik, insbesondere in EWG-Länder, in den letzten fünf Jahren von 3,6 Milliarden DM auf über 10 Milliarden DM angestiegen sind und daß diese Steigerung sich auch fortsetzte, als die industriellgewerbliche Ausfuhr im 1. Halbjahr 1975 Einbrüche zu verzeichnen hatte. Als die Industrieausfuhren rückläufig waren, sind die Agrarausfuhren weiter gestiegen. Auf Grund dieser Verhältnisse ist die Wettbewerbslage der deutschen Landwirtschaft im internationalen Wettbewerb eindeutig gestärkt worden.
({14})
- Die Einfuhren, Herr Kiechle, sind in dem Maße nicht gestiegen.
({15})
Sie haben zumindest das deutsche Preisniveau nicht zu beeinflussen vermocht,
({16})
im Gegenteil, wir haben bei Agrarpreisen Preisauftriebstendenzen nicht aus dem Inland, sondern zum Teil aus dem Ausland bekommen.
Nun haben der Aufwertungsausgleich und der Grenzausgleich mit Sicherheit auch einen starken politischen Akzent. Wir wissen, daß beide Elemente zusammen das bundesdeutsche Agrarpreisniveau gegen Währungsveränderungen abschirmen; das ist der Sinn beider Maßnahmen. Die EG-Länder und auch die EG-Kommission sind bemüht, beides abzubauen; das wissen Sie wie wir. Dadurch, daß die Bundesregierung diesen langfristigen, diesen vierjährigen Abbau vorgenommen hat, ist sie Maßnahmen aus der EWG zumindest zuvorgekommen. Es ist also nicht so, daß wir dadurch international in eine schwächere Position gekommen sind, sondern es ist so, daß wir das Gesetz des Handelns ergriffen haben und damit Tatsachen geschaffen haben. Unsere Position in den Verhandlungen in der EG, die in bezug auf den Grenzausgleich anstehen, ist dadurch nicht geschwächt, sondern gestärkt.
Und nun will ich Ihnen noch folgendes in Erinnerung rufen. Nehmen Sie die Verhältnisse von 1967/ 68, nehmen Sie die Maßnahmen, die damals auf Grund der Agrarpreisangleichung für die deutsche Landwirtschaft von EWG-Seite und von deutscher Seite vorgesehen waren: Sie haben alles, meine Damen und Herren, mit einem Federstrich beseitigt. Das hat die jetzige Regierung nicht getan,
Wie hieß denn
der Finanzminister damals?)
sondern sie hat entsprechend den wirtschaftlichen Möglichkeiten einen ganz langsamen Abbau vorgesehen.
({0})
- Nein,
({1})
das war damals,
({2})
als die Koalition CDU und FDP zerbrach.
({3})
Peters ({4})
Das war zur Zeit der Großen Koalition, Herr Haase, Sie haben ein schwaches Erinnerungsvermögen.
({5})
- Nein, nein, vorsichtig, vorsichtig!
({6})
- Nein, die sind nicht uns gegenüber mißtrauisch, sondern die sind Ihnen gegenüber mißtrauisch.
({7})
Die FDP-Fraktion wird also den Art. 38 und 39 der Regierungsvorlage zustimmen.
({8})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bedeutung dieses Themas scheint es mir doch notwendig zu machen, daß ich noch einmal die Folgen dessen hier erläutere, was die Bundesregierung einer für die gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in unserem Lande nach wie vor wichtigen Gruppe, nämlich der Landwirtschaft, meint zumuten zu sollen. Ich will auf die einzelnen Zahlen, die der Kollege Schmitz in der Begründung unseres Antrages vorgetragen hat, hier nicht im einzelnen eingehen, mich wohl aber besonders mit einigen Argumenten der Kollegen Löffler und Peters auseinandersetzen.
Ich bin sehr verwundert darüber, daß man z. B. davon spricht, die Kürzungsvorschläge, der Abbau des Aufwertungsausgleichs seien im Rahmen der Gesamtkürzung angemessen und ausgewogen.
({0})
Ich kann dazu nur sagen: Dies spiegelt den Stellenwert wider, den Sie der Landwirtschaft beimessen.
({1})
Wenn Sie meinen, daß es angemessen ist, daß die Landwirtschaft nach Ablauf der Übergangszeit im Jahre 1979 mit knapp 12 °/o an der Gesamtkürzung beteiligt ist, kann ich Ihnen nur sagen: Dies ist nicht unser Rollenverständnis von der Landwirtschaft in diesem Lande.
({2})
Dies ist der Grund dafür, warum wir sagen: Gut, auch die Landwirtschaft muß ihren Beitrag leisten. Wir habe deshalb einen Abbau in zwei Stufen zu je 0,5% vorgeschlagen.
({3})
- Das heißt für uns, Herr Kollege Gallus und Herr Kollege Peters, daß 2 °/o stehenbleiben. Ich werde dazu noch etwas sagen.
({4})
Nun zum Problem der Deckung. Herr Kollege Löffler, ich verkenne nicht die Schwierigkeiten, die sich hier im Rahmen des Agraretats ergeben. Aber warum ist das denn so? Dies ist eben darum so, weil der Gesamthaushalt in der Zeit von 1973 bis 1976 um knapp 40 % gewachsen sein wird, während der Agraretat in der gleichen Zeit um 0,7 % gesunken sein wird.
({5})
Nun ich bin auch nicht der Meinung, daß ein Bundeshaushalt nur Buchhaltung widerspiegeln sollte, d. h. daß man alles nur linear anzuheben hat. Aber, meine Damen und Herren, es kann doch kein Zweifel bestehen, daß auf Grund dieser unterschiedlichen Entwicklung von Agrarhaushalt einerseits und Gesamthaushalt andererseits die Verfügungsmassen in diesem Haushalt minimal sind. Wir wissen doch alle - Herr Kollege Löffler, Sie wissen es so gut wie ich -, welche Risiken noch in diesem Haushalt stecken.
Da geht der Kollege Löffler her und sagt: Wir haben das Netz der sozialen Sicherheit in der Landwirtschaft fester geknüpft.
({6})
Wir haben in den letzten Jahren vieles gemeinsam dazu beigetragen, in der Tat!
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vohrer?
Ich möchte erst diesen Gedanken zu Ende führen.
Meine Damen und Herren, sind wir aber nicht auf dem besten Weg - ich frage dies mit großem Ernst -, daß die sozialen Wohltaten im Bereich der Landwirtschaft zur Last werden? Die Beiträge im Bereich der Altershilfe sollen - und zwar mit unserer Zustimmung - am 1. Januar um rund 16 % steigen. Im Bereich der Krankenversicherung wird eine Steigerung mindestens im gleichen Umfang erfolgen. Im Bereich der Unfallversicherung ist mit einer Steigerung um 60 % zu rechnen, es sei denn, daß der Ausschuß und das Parlament das korrigieren; denn Herr Ertl hat sich in den Verhandlungen gegenüber dem Finanzminister ja nicht durchsetzen können. Zumindest sollte der finanzielle Ansatz erhalten werden, den wir für den Bereich der Unfallversicherung noch im Jahre 1975 hatten. Das ist doch die Lage, mit der wir uns hier konkret auseinanderzusetzen haben.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?
Ja, Entschuldigung, Herr Kollege Vohrer.
Herr Kollege Ritz, ich möchte fragen, ob Sie in die Einkommensberechnungen, die Sie hier vortragen, auch die Preisbeschlüsse von Brüssel und die haushaltswirksamen Ausgaben, die damit verbunden sind, einbezogen haben.
Ich glaube, da ist alles einbezogen, Herr Kollege Vohrer.
({0})
Ich will Ihnen ganz nüchtern sagen: Der Abbau von 3 % Aufwertungsausgleich im Rahmen der Mehrwertsteuer bedeutet auf der Basis des Produktionsvolumens des Jahres 1975 nun einmal Einkommenseinbußen in der Größenordnung von 8 bis 12%. Da können Sie in Brüssel zuschlagen, was Sie wollen, oder abziehen, was Sie wollen; aber dazu komme ich, was die europäische Wertung anlangt, gleich noch.
Lassen Sie mich nun ein Wort zu der Frage sagen: Inwieweit ist das, was uns hier von der Bundesregierung vorliegt, sachlich gerechtfertigt? Es ist ja interessant, daß sowohl Minister Ertl wie die Vertreter der Koalitionsfraktionen den Versuch unternehmen, darzustellen, daß dies doch nun eigentlich angemessen ist, daß es an der Zeit ist, auch den Aufwertungsausgleich über die Mehrwertsteuer abzubauen, während die gleichen Politiker - und dies hat die Zwischenfrage des Herrn Kollegen Kiechle sichtbar gemacht - noch vor gar nicht langer Zeit deutlich gemacht haben, daß dies für uns unverzichtbar ist und daß wir der deutschen Landwirtschaft diesen Aufwertungsausgleich über die Mehrwertsteuer eben nicht wegnehmen können.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schmitz hat den Agrarbericht 1975 zitiert, in dem deutlich wird, daß auch der EG-Agrarministerrat diesen Maßnahmen zustimmt. Herr Minister Ertl, in einem Bericht Ihres Hauses von diesem Sommer können Sie zu diesem Vorschlag - Abbau des Aufwertungsausgleichs bei der Mehrwertsteuer um 3 % - folgendes lesen: Es ist so, daß
für den Wegfall des Aufwertungsausgleichs sich zwar gesamtwirtschaftliche Belange ({1}), aber keine sektoralen ökonomischen Notwendigkeiten vorbringen lassen. Denn die Faktoren, die den Rat der EG Ende 1973 bewogen haben, einer unbefristeten Fortführung des mehrwertsteuerlichen Aufwertungsausgleichs zuzustimmen, bestehen für die deutsche Landwirtschaft heute wie damals fort.
({2})
Meine Damen und Herren, wir bestreiten nicht, ja, wir sind froh darüber, daß sich die Erzeugerpreise in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Monaten für die Landwirtschaft günstig entwickelt haben; darüber sind wir froh. Aber ich kann nur Sie, Herr Minister Ertl, und Sie alle, meine Damen und Herren, fragen: Woher eigentlich nimmt diese Regierung die prophetische Kraft, über das Jahr 1976/77 hinaus zu sagen, wie sich die Einkommen weiter fortentwickeln werden?
({3})
Dies vermag doch niemand zu sagen!
Ich kann Ihnen nur sagen: Nennen Sie mir eine Regierung innerhalb der EG, die bereit wäre, ein solches Faustpfand ohne Not und ohne unmittelbaren Druck aus der Hand zu geben,
({4})
wo gleichzeitig gravierende, wichtige Verhandlungen über die Fortentwicklung der europäischen Agrarpolitik anstehen!
({5})
Es ist für mich nicht zu begreifen,
({6})
daß man im Rahmen dieser Entwicklung, vor dem Hintergrund der Pläne und Vorstellungen der Bundesregierung über die weitere Entwicklung der EG-Agrarpolitik, genau diese Maßnahmen meint abbauen zu müssen.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Bitte schön!
Herr Kollege Ritz, sind Sie bereit, vor diesem Hohen Hause zuzugeben, daß der Beschluß des EWG-Ministerrats gelautet hat, daß dieser Aufwertungsausgleich nur einstweilig fortgeführt werden kann, und daß dies in diesem Sinne überhaupt kein Faustpfand war, sondern es den Bemühungen unseres Bundesministers Ertl zuzuschreiben war, daß überhaupt über den 1. Januar 1974 hinaus der 3%ige Mehrwertsteuerausgleich gewährt werden konnte?
({0})
Herr Kollege Gallus, ich kann nur darauf verweisen, daß die Widersprüche bei Ihnen selbst liegen.
({0})
Während Sie und die Regierung immer dann, wenn es passend war, hier im Innern der deutschen Landwirtschaft sagten, die Sache sei unbefristet, stützen Sie sich jetzt auf das Argument, daß der Ministerrat davon ausgeht, die Sache sei nur „zeitweilig". Natürlich weiß ich, daß dies so ist. Aber ich frage noch einmal: Wo war der unmittelbare Druck, diese Maßnahme jetzt zu dieser Zeit durchzuführen? Ich kann nur sagen, dies halten wir für unzuträglich; es wird die Position der Bundesregierung in Brüssel weiter schwächen und nicht stärken, und es wird die Lage unserer Landwirtschaft im Laufe der nächsten Jahre trotz einer wesentlichen Verbesserung heute, die wir gar nicht leugnen, verschlechtern.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Herr Kollege Ritz, sind Sie weiterhin bereit, vor diesem Hohen Hause zuzugeben, daß Ihre Fraktion damals überhaupt nicht für den Aufwertungsausgleich - weder über die Fläche noch über die Mehrwertsteuer - war, sondern lediglich für den Grenzausgleich, der aber von der EG-Kommission zu diesem Zeitpunkt abgelehnt worden ist?
({0})
Ich bin Ihnen für die Frage sehr dankbar. Denn in der Tat haben wir uns damals bei diesem Gesetz der Stimme enthalten, weil wir gesagt haben, daß erstens das Instrument des Flächenausgleichs nicht der Tatsache gerecht wird, daß die eigentlichen Schäden durch die Aufwertung ja im Bereich des Grenzverkehrs, des Warenverkehrs auftreten. Und zweitens haben wir damals gesagt, daß das dem Gemeinsamen Markt in dieser Phase der Paritätsänderung adäquate Instrument eben der Grenzausgleich wäre. Wenn Sie heute sagen, daß das damals nicht erreicht worden ist, kann ich dazu nur sagen: Wir sehen uns im nachhinein durch die Zustimmung zum Grenzausgleich im Jahre 1971 bestätigt. Es hat also doch wohl an dieser Bundesregierung gelegen, wenn wir nicht bereits 1969, 1970 dieses Instrument eingeführt haben.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit schon schließen.
({1})
Ich will noch ein Wort zur EG-Finanzierung sagen. Herr Kollege Löffler, ich bin gern bereit, daß wir etwa auch auf der Basis der Aussagen von Herrn Minister Apel gestern sehr ernst und gründlich darüber nachdenken, durch welche Maßnahmen, durch welche veränderte Politik wir künftig im Bereich von Marktordnung auch Geld sparen können. Aber das ist doch nicht das Problem.
({2})
Das Problem in diesem Sommer war doch, verehrter Kollege Löffler, daß gerade auch der Bundeskanzler - und fragen Sie einmal, wieviel Spaß das seinem Landwirtschaftsminister gemacht hat - in mehreren öffentlichen Erklärungen das ganze Problem auf die Aussage reduziert hat, diese unsinnige Agrarpolitik mit der Produktion von Überschüssen müsse endlich aufhören, und darum wollten wir die hohen Zahlungen nicht mehr leisten. Das ist doch das eigentlich Deprimierende an der Entwicklung, daß hier ein Zustand für eine Entwicklung verantwortlich gemacht wird, für die doch die Bauern - in der Bundesrepublik schon gar nicht - nichts können,
({3})
sondern die mit politischen Leistungen belastet worden ist, die der Ministerrat und die Gipfelkonferenz doch permanent erbracht haben.
({4})
Meine Damen und Herren, zum Schluß dies! Unser Änderungsantrag ist uns so wichtig, daß wir
auch in diesem Falle namentliche Abstimmung beantragen,
({5})
um sichtbar zu machen, welches Gewicht wir diesem Antrag geben. Ich kann Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, nur herzlich bitten: Nehmen Sie die Chance wahr, durch Annahme dieses Antrages unzumutbare Einkommenseinbußen von der Landwirtschaft fernzuhalten, sie auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, die Landwirtschaft ausgewogen - und zwar im wahren Sinne des Wortes ausgewogen - an den Gesamtkürzungen zu beteiligen und den europäischen Handlungsspielraum der Regierung nicht unnötig einzuengen. Darum beantragen wir namentliche Abstimmung über unseren Antrag.
({6})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeslandwirtschaftsminister.
({7})
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich will nur einige Bemerkungen zu den Ausführungen über dieses sicherlich nicht einfache Problem machen. Herr Kollege Ritz, Sie haben eben etwas zitiert, was ich jetzt auch nicht ganz wörtlich wiedergeben kann. In dem Papier meines Hauses ist die Rede von dem politischen Zwang zur Abschaffung des Aufwertungsausgleichs. Wenn man aber zitiert, muß man voll zitieren.
({0})
- Nein, verehrter Herr Althammer, es tut mir sehr leid, dieses Papier ist aus meinem Hause. Ich habe bisher immer geglaubt, ich hätte nur loyale Beamte. Ab heute ist darauf ein wenig Rauhreif gefallen. Das wird zu klären sein. Ich wäre Ihnen sogar dankbar, wenn Sie mir im Interesse der loyalen Beamten bei der Klärung helfen würden.
({1})
Denn für mich als ehemaligen Angehörigen des öffentlichen Dienstes ist das ein schwergewichtiges Problem, auch für mich als Vorgesetzten.
Ich möchte auch aus meiner Sicht betonen: Natürlich ist das eine schwere Belastung für die Landwirtschaft und ein Opfer. Es ist ein Opfer wie bei den Arbeitslosen, ein Opfer wie im öffentlichen Dienst, ein Opfer wie in der Graduiertenförderung und wie auch in anderen Bereichen. Über die Proportionen kann man sicherlich streiten.
Aber ich komme zur rechtlichen Klärung der Problematik. Rechtlich war der Aufwertungsausgleich in dem Ratsbeschluß immer befristet, in der nationalen Gesetzgebung jedoch unbefristet. Insoweit hätte theoretisch niemand das nationale Parlament zwingen können, es sei denn der Europäische Gerichtshof. Die Möglichkeit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ist aber in der Rechtsproblematik impliziert. Ich sage das nur zur Klärung der Fakten.
Nun will ich Ihnen sagen, was für meine Haltung maßgeblich war. Ich wußte, daß sich in Brüssel in dieser Frage Widerstände aufbauen. Ich muß hier sagen, Herr Kollege Ritz, daß ich es nicht gerade sehr nett finde, wenn Sie ausführen: Aber er hat ja selbst dafür gekämpft, daß die Frist verlängert wird, dann darf er das nicht hinterher kritisieren. Natürlich habe ich dafür so lange wie möglich gekämpft und habe mich beim Abbau sogar hier auf eine Rate eingelassen, die ich verantworten kann, und habe dafür die Zustimmung gefunden. Aber das ändert nichts daran, daß diese Frage bei jedem Preisbeschluß zur Diskussion stand.
Und hier unterliegen Sie, Herr Kollege Ritz, einem Trugschluß. Gerade weil Mehrwertsteuer und Grenzausgleich Dinge sind, die von fast allen Partnern als für uns vorteilhaft betrachtet werden, habe ich mich mit der einen Basis nicht für die zweite Basis geschwächt. Dabei kann ich nicht sagen, daß der Grenzausgleich für alle Zeiten gilt und in der gleichen Höhe für alle Zeiten gilt. Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren - ich will das hier nicht wiederholen -, durch die Aufwertung und die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sowie durch die geringere Preissteigerungsrate hat die deutsche Landwirtschaft geringere Kostensteigerungen zu verzeichnen als die übrigen Landwirtschaften. Wer das bestreitet, soll mir die Zahlen auf den Tisch legen und hier den Beweis liefern.
({2})
Wer das hierbei nicht akzeptiert, ist unseriös und bringt den Minister in eine ganz unseriöse Lage, wenn er von ihm erwartet, daß er in einer wichtigen Verhandlung auf eine so unseriöse Art glaubhaft argumentieren kann. Das muß hier doch einmal zugegeben werden.
({3})
Herr Kollege Ritz, ich habe gesagt: Ich gehe diesen schmerzlichen Weg. - Sie müssen sich bei Ihren Kollegen beschweren, wenn Sie das nicht verstehen. Ich möchte das einmal ganz objektiv mit dem Kollegen Ritz bereden, weil er meine Motive verstehen soll.
Ich habe gesagt: Das Thema Mehrwertsteuerausgleich bleibt auf dem Tisch. Ich hätte Alternativen gehabt. Ich komme auf Ihren Vorschlag zurück. Ich hätte Alternativen im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe gehabt. Ich hätte solche aber für sehr gefährlich gehalten und habe mir nach reiflicher Überlegung gesagt: Dann gebe ich die Gemeinschaftsaufgabe auf oder reduziere sie in einem bestimmten Ausmaß und muß dennoch, und sei es im äußersten Fall durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, bei der Mehrwertsteuer nachgeben. Ich hätte auch Alternativen im sozialen Bereich gehabt. Das wollte ich im Interesse der Landwirtschaft vermeiden.
({4})
Übriggeblieben wäre - es gibt Herren in dieser Runde, die bei den Gesprächen anwesend waren -, möglicherweise auch das GDL anzurühren.
({5})
- Ich bin Ihrer Meinung; „um Gottes willen" sagen Sie. Deshalb habe ich mir gesagt: Ich will mich lieber schwerpunktmäßig auf eine Position festlegen, so schmerzlich das auch ist. Denn es gibt doch wohl keinen Zweifel darüber, daß die Landwirtschaft von den Sanierungsmaßnahmen nicht ausgenommen werden kann.
Ich habe Ihnen zunächst einmal sehr genau dargelegt, welche Motive ich hatte. Ich will jetzt nicht noch in viele Details eintreten. Aber ich möchte Ihnen noch eines sagen, verehrter Herr Ritz. Ihr Antrag läßt natürlich - ich sage das sehr zurückhaltend, vornehm und rücksichtsvoll - zwei Fragen offen. Erste Frage: Was machen Sie nach dem Jahr 1977? Das müssen Sie, wenn Sie ehrlich sind, beantworten. Sie müssen hier und heute entweder sagen: Wir werden die 2 °/o Aufwertungsausgleich fortführen, auch wenn wir die Regierungsverantwortung tragen. Ich habe das bis heute nicht gehört. Oder Sie müssen sagen: Dann reden wir wieder über Stufen. Wenn Sie das tun und sagen: Dann machen
wir mit 0,5 % weiter, ist das Argument von Herrn Peters - das muß ich allerdings sagen - berechtigt. Ich sage nicht: für die Landwirtschaft ist das nicht angenehmer. Es ist in der Tat angenehmer. Nur, ob das Tauschgeschäft mit der Gemeinschaftsaufgabe das richtige Tauschgeschäft ist, das müssen Sie vor der Landwirtschaft mitverantworten.
({6})
Ich will Ihnen folgendes sagen: Wenn Sie die 2% außen vor ließen, kämen Sie möglicherweise bei den Gemeinschaftsaufgaben im Jahre 1978 zu Einsparungen in Höhe von 650 Millionen DM. Das kann doch nicht Ihre Absicht sein.
({7})
- Gut, einverstanden! Dann frage ich mich aber, wieso Herr Strauß hierher kommt und sagt: Wir würden viel mehr sparen. Bis jetzt höre ich immer nur, daß Sie weniger sparen und mehr erhalten wollen. Das verstehe ich nicht.
({8})
Ich habe Herrn Strauß, Ihrem Sprecher, sehr genau zugehört. Er hat uns sehr hart kritisiert. Er hat erklärt, daß wir keinen Mut hätten, daß jetzt nur noch das Mögliche getan werden könne. Ich habe sehr genau untersucht, was möglich und was auch zu verantworten ist. Ich will gar nicht sagen, daß ich die Iedallösung gefunden hätte. Aber man kann nicht hingehen und sagen: Wir wollen mehr sparen; aber die dazu notwendigen Beschlüsse fassen wir nicht. Das können Sie auf die Dauer nicht glaubhaft vertreten.
({9})
Wissen Sie, ich hätte Sie verstanden, Herr Kollege Ritz - ich war ja auch lange genug in der Opposition -,
({10})
I wenn Sie gesagt hätten: Wir machen dabei nicht mit. Insoweit würdige ich Ihren Vorschlag. Aber Ihr Vorschlag muß ja in der Konsequenz fortgesetzt werden: Entweder wollen Sie bei der Mehrwertsteuer weiter abbauen, sagen das aber den Bauern erst nach der Wahl, oder Sie wollen die Gemeinschaftsaufgabe so kürzen, daß Sie sie praktisch einstellen. Es gibt nur eines.
({11})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bewerunge?
Ja.
Herr Minister, ich will das Thema nicht verlängern, möchte Sie aber fragen: Halten Sie sich wirklich für so klug und weise, um zu wissen, was sich im Jahre 1979 mit dem landwirtschaftlichen Einkommen abspielen wird?
Nein.
Kennen Sie einen anderen Berufsstand, wo ein solcher Nachweis erbracht werden könnte?
Nein, dann wäre ich bei der falschen Fraktion. Ich halte mich nicht für so klug und weise, denn dafür müßte ich die christlichen höheren Weihen haben. Ich bin aber ein Liberaler, und infolgedessen habe ich diese Weisheit nicht.
({0})
- Herr Kollege Bewerunge, eines kann ich Ihnen jedoch heute schon sagen: Wir werden im Februar darüber diskutieren, wie sich die Ertragslage im abgelaufenen Wirtschaftsjahr entwickelt hat und wie sie im laufenden Wirtschaftsjahr abzuschätzen ist. Das kann ich Ihnen sicher sagen. Dann reden wir weiter miteinander. Ich bin heute sehr vorsichtig. Es geht höchstens insoweit werden Sie sich wundern - um einen geringeren Einkommenszuwachs. Es geht aber mit Sicherheit um einen beachtlichen Einkommenszuwachs im laufenden Wirtschaftsjahr. Ich traue mich, das heute schon zu sagen.
({1})
Darüber hinaus kann ich nichts sagen, weil ich - ich beantworte Ihnen auch diese Frage - nicht absehen kann - da es sich erst nach Ablauf des Wirtschaftsjahres herausstellt -, wie der Schweinezyklus weiter verläuft. Das ist nicht eine Frage der agrarpolitischen Entscheidung, sondern das ist weitgehend eine Entscheidung von Produktion und Markt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Jawohl.
Herr Minister, nachdem Sie den Deckungsvorschlag bezüglich der Gemeinschaftsaufgaben kritisiert haben, frage ich Sie: Darf ich das so verstehen, daß Sie und die Regierung im laufenden Jahr bei den Gemeinschaftsaufgaben keinerlei Abstriche für andere Zwecke machen wollen?
Ich will Ihnen ganz offen sagen - das hat Kollege Löffler gesagt; ich kann ihn noch besser interpretieren -: Ich habe deshalb für den Bestand der Gemeinschaftsaufgabe so gekämpft, um möglicherweise für andere Positionen etwas übrig zu haben, weil das meine einzige Möglichkeit ist, noch etwas Gutes für die Landwirtschaft zu tun - mit Ihrer Unterstützung, wie ich hoffe.
({0})
- Nein, Sie schaden den Landwirten durch Ihren
zusätzlichen Kürzungsvorschlag. Das ist der Punkt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?
Bitte!
Herr Minister Ertl, stimmen Sie mir zu, daß man in der Tat nicht sagen kann, wie es der Landwirtschaft 1979 gehen wird, weil, falls die Opposition die Wahlen gewinnt, niemand weiß, was sie mit dem Haushalt gegen die Landwirtschaft machen wird?
({0})
Herr Sperling, ich kann nur sagen: Der Vorschlag, den die Opposition gemacht hat, ist fragmentarisch. Die Opposition läßt die Frage, was nach der Wahl ist, offen. Ich hoffe, daß das die Bauern bemerken.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich mußte
das hier noch sagen und habe es auch abgewickelt.
Jetzt muß ich aber noch etwas zum Problem des Haushalts sagen. Es ist den Haushaltsexperten der Opposition offensichtlich nicht entgangen, daß seit dem Jahre 1971 die gesamten Mittel für den Markt, die früher in meinem Etat waren, Bestandteile des Einzelplans 60 bezüglich EG-Finanzierung geworden
sind. Den Rückfluß, der auf die deutsche Landwirtschaft entfällt, beziffern meine Mitarbeiter auf 2,2 Milliarden DM. Das ist immerhin kein Pappenstiel. Insoweit müssen Sie meinen Etat um 2,2 Milliarden DM erhöht sehen. Damit kommt die Landwirtschaft immerhin auf eine ganz beachtliche Summe.
({1})
Ich bin bereit, meine Mitarbeiter in den Haushaltsausschuß zu schicken, damit sie dort die Zahlen erläutern. Es sind ja nicht meine Zahlen, und ich mache damit auch gar kein politisches Geschäft. Aber ich muß Ihnen sagen - hervorgerufen durch das, was ich in öffentlichen Diskussionen gehört und in Fachblättern gelesen habe -: Es ist einfach unredlich, zu sagen, die deutsche Landwirtschaft erhalte durch die EG-Agrarmarktfinanzierung keine Einkommenssicherung. Die deutsche Landwirtschaft hat auch ihren Anteil daran; sicherlich haben andere einen größeren Anteil.
Letzter Punkt, verehrter Kollege Bewerunge. Wir bekommen einen neuen Agrarbericht, und dazu gehört auch eine Vorausschau. Da wird natürlich auch eine Bilanz kommen - das kündige ich heute schon an -: Was ist in den sieben Jahren Gutes, nicht Gutes, weniger Gutes geschehen? Wie haben sich in dieser Zeit, in der ich die Verantwortung getragen habe, die Einkommen entwickelt? Ich werde mir erlauben, einen Vergleich mit der Zeit vor mir anzustellen. Das ist eine ganz legale Aufgabe. Dann können wir auf dieser Basis miteinander weiter diskutieren.
({2})
Meine
Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist Antrag auf namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf der Drucksache 7/4262 gestellt, wobei ich davon ausgehe, daß Sie gleichzeitig die Abstimmung über den Antrag zu den Artikeln 38 und 39 beantragen. Herr Kollege Jenninger, das ist richtig so.
Ich gehe davon aus, daß der Antrag genügend unterstützt ist. Wir treten in die namentliche Abstimmung ein.
Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort. Ich gebe zunächst das Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4262 zu Art. 38 und 39 des Haushaltsstrukturgesetzes bekannt. An der Abstimmung haben sich 403 Damen und Herren des Hauses sowie 19 Berliner Abgeordnete beteiligt. Mit Ja haben 182 und 8 Berliner Abgeordnete, mit Nein 221 und 11 Berliner Abgeordnete gestimmt. Keine Stimmenthaltung, keine ungültige Stimme.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 403 und 19 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 182 und 8 Berliner Abgeordnete,
nein: 221 und 11 Berliner Abgeordnete Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
von Alten-Nordheim
Dr. Arnold Dr. Barzel Dr. Becher ({0})
Dr. Becker ({1})
Frau Benedix
Benz
Bewerunge Biechele
Dr. Blüm Blumenfeld
von Bockelberg
Böhm ({2})
Braun
Bremer
Bremm
Carstens ({3})
Dr. Carstens ({4})
Dr. Czaja Damm
van Delden Dr. Dollinger
Dreyer
Eigen
Eilers ({5}) Engelsberger
Entrup
Dr. Erhard
Erhard ({6}) Ernesti
Ey
Freiherr von Fircks
Franke ({7})
Dr. Franz Dr. Fuchs Geisenhofer
Gerlach ({8}) Gewandt
Gierenstein Dr. Gölter Dr. Götz
Dr. Gruhl Haase ({9})
Dr. Häfele Dr. Hammans
von Hassel
Hauser ({10}) Dr. Hauser ({11})
Dr. Heck Höcherl
Dr. Hornhues
Horstmeier Frau Hürland
Dr. Hupka Hussing
Dr. Jaeger Jäger ({12})
Dr. Jahn ({13})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst Josten
Katzer
Dr. Kempfler
Dr. Klein ({14})
Dr. Klein ({15})
Dr. Kliesing Köster
Krampe
Dr. Kraske
Kroll-Schlüter
Freiherr
von Kühlmann-Stumm
Dr. Kunz ({16})
Dr. Lenz ({17})
Lenzer Link
Löher Dr. Luda
Dr. Marx
Dr. Mende
Dr. Mertes ({18})
Mick
Dr. Mikat
Milz
Möller ({19})
Müller ({20})
Dr. Müller-Hermann
Dr. Narjes
Niegel Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt
Orgaß Pfeffermann
Pfeifer Picard Pieroth
Pohlmann
Rainer Rawe Reddemann
Frau Dr. Riede ({21}) Dr. Riedl ({22})
Dr. Ritgen
Röhner Rollmann
Rommerskirchen
Roser Russe Sauer ({23})
Sauter ({24})
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Dr. Schäuble
Schetter
Frau Schleicher
Schmidt ({25})
Schmitt ({26})
Schmitz ({27})
Dr. Schneider
Frau Schroeder ({28}) Dr. Schröder ({29}) Schröder ({30}) Schröder ({31}) Schulte
({32})
Dr. Schulze-Vorberg
Seiters Sick
Solke
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({33})
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Frau Stommel
Strauß Stücklen
Susset de Terra
Thürk
Dr. Todenhöfer
Frau Tübler
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Dr. Unland Vehar
Frau Verhülsdonk
Vogel ({34})
Vogt
Volmer
Dr. Waffenschmidt
Dr. Wagner ({35})
Dr. Waigel Dr. Wallmann
Dr. Warnke Wawrzik
Weber ({36})
Dr. Freiherr von Weizsäcker Werner
Frau Will-Feld
Windelen Wissebach
Dr. Wittmann ({37}) Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Dr. Wulff Dr. Zeitel Zeyer
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({38})
Dr. Gradl Kunz ({39})
Müller ({40})
Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe
Nein
SPD
Ahlers
Amling
Dr. Apel
Arendt ({41})
Dr. Arndt ({42}) Augstein
Baack
Bäuerle
Barche
Dr. Bardens Batz
Becker ({43}) Biermann
Blank
Dr. Böhme ({44}) Börner
Frau von Bothmer
Brandt ({45})
Bredl
Brück
Buchstaller Büchler ({46})
Büchner ({47})
Buschfort
Di. Bußmann Collet
Conradi
Coppik
Frau Däubler-Gmelin
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg
Frau Eilers ({48})
Dr. Emmerlich
Dr. Enders Engholm
Esters
Ewen
Dr. Fischer Frau Dr. Focke
Friedrich Gansel
Geiger
Gerstl ({49})
Gertzen
Dr. Geßner Dr. Glotz Gnädinger Grobecker
Grunenberg
Dr. Haack Haar
Haase ({50})
Haase ({51}) Haehser
Dr. Haenschke
Halfmeier Hansen Hauck
Dr. Hauff Henke
Höhmann Hofmann Dr. Holtz Horn
Huonker
Immer ({52})
Jahn ({53})
Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans Junker
Kaffka
Kern
Koblitz
Konrad
Kratz
Dr. Kreutzmann
Krockert Kulawig Lambinus Dr. Lauritzen
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löbbert
Dr. Lohmar
Mahne
Marquardt Marschall Matthöfer Frau Meermann
Dr. Meinecke ({54}) Meinike ({55}) Metzger
Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({56})
Müller ({57})
Müller ({58})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Neumann Dr.-Ing. Oetting
Offergeld Freiherr
Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Dr. Penner Pensky
Peter Polkehn Porzner Rapp ({59})
Rappe ({60}) Ravens
Frau Dr. Rehlen
Frau Renger Reuschenbach
Richter
Frau Dr. Riedel-Martiny Röhlig
Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel Schäfer ({61})
Dr. Schäfer ({62}) Scheffler
Frau Schimschok Schirmer
Schlaga
Dr. Schmidt ({63}) Schmidt ({64}) Schmidt ({65}) Schmidt ({66})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schonhofen
Schreiber
Schulte ({67})
Dr. Schwenk ({68}) Seibert
Simon Simpfendörfer
Spillecke
Stahl ({69})
Frau Steinhauer
Dr. Stienen
Tietjen
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vahlberg
Vit
Dr. Vogel ({70}) Vogelsang
Waltemathe
Dr. Weber ({71})
Wehner Wende Wendt Dr. Wernitz
Westphal
Wiefel Wilhelm
Wimmer ({72}) Dr. de With
Wittmann ({73}) Wolf
Wolfram ({74}) Wrede
Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Dübber
Egert
Grimming
Löffler Manning Mattick Frau Schlei
Schwedler
FDP
Baum
Dr. Böger Christ
Engelhard
Gallus Geldner Hölscher Hoffie
Jung
Kleinert
Dr. Graf Lambsdorff Logemann
Frau Lüdemann
Dr. Dr. h. c. Maihofer Mertes ({75}) Mischnick
Möllemann
Ollesch
Peters ({76}) Schleifenbaum
Schmidt ({77})
von Schoeler
Frau Schuchardt Spitzmüller
Wolfgramm ({78}) Wurbs
Zywietz
Berliner Abgeordnete Hoppe
Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Art. 38. Wer Art. 38 in der Fassung der Ausschußvorlage zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei einer Gegenstimme angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Art. 39. Wer Art. 39 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Art. 40 auf, und zwar zunächst Nr. 1 und 2. Ich frage, ob dazu das Wort begehrt wird. - Dazu wird das Wort nicht begehrt. Wer Nr. 1 und 2 in der Fassung der Ausschußvorlage zuzustimmen wünscht, den bitte ich um
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
das Zeichen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - So beschlossen.
Ich rufe nunmehr Art. 40 Nr. 3 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4263 ({79}) vor.
Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Spilker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe für die CDU/CSU-Fraktion den Antrag Drucksache 7/4263 ({0}) zu begründen und darf das, auch in Anbetracht der späten Stunde, in der gebotenen Kürze tun.
Wie vieles in diesem sogenannten Haushaltsstrukturgesetz ist auch Art. 40, um den es hier geht, hastig, ich möchte sagen: oberflächlich formuliert worden. So ist es eigentlich kein Wunder - aber vielleicht ist es doch eines -, daß selbst die Drukkerei streikte und Fehler beim Ausdrucken dieser Drucksache machte. In der Zwischenzeit, so habe ich mich überzeugen können, liegt Ihnen die Korrektur vor. Wir debattieren also über die neue Fassung unseres Änderungsantrages Drucksache 7/4263 ({1}).
Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, daß Art. 40 des Haushaltsstrukturgesetzes insoweit geändert wird, als diese Regelung nur für den Veranlagungszeitraum 1976 Gültigkeit haben soll. Vom Veranlagungszeitraum 1977 an soll, falls kein neues Körperschaftsteuergesetz vorliegt, wieder das Gesetz in der Fassung vom 18. Juli 1975 angewendet werden, allerdings mit den beiden Ausnahmen, die im Haushaltsstrukturgesetz in Art. 40 Nr. 1 a und 2 b vorgesehen sind. Es handelt sich dabei um § 4 Abs. 1 Nr. 2 und § 19 Abs. 2 a Nr. 2.
Meine Damen und Herren, das Hearing im Finanzausschuß vor einigen Wochen hat gezeigt, daß der Vorschlag einer Anhebung des Körperschaftsteuertarifs auf damals 46 % für bestimmte Kreditinstitute recht unüberlegt war, mindestens aber ohne ausreichende Beteiligung von Sachkundigen zustandegekommen ist. Das isolierte Vorziehen der Tarifanhebung vor die eigentliche Körperschaftsteuerreform, die geplant ist, wird ohne Zweifel eine Wettbewerbsveränderung zur Folge haben, die sicherlich unerwünscht ist.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf einige Folgen aufmerksam machen, die uns nicht recht sein sollten: Bei der geplanten Erhöhung der Körperschaftsteuer auf nunmehr 45% schmälern wir das Kreditvolumen der betroffenen Institute, das von der Höhe des Eigenkapitals abhängt, und lösen damit Folgen aus, die sich recht bald negativ auswirken werden. Oder meinen Sie etwa, daß eine solche nach meiner Auffassung unüberlegte - Erhöhung der Körperschaftsteuer für Kreditnehmer wie etwa die Wohnungsbauwirtschaft und die mittelständische Wirtschaft gut sein könnte? Das Gegenteil wird der Fall sein.
Der Haushaltsausschuß hat zwar dankenswerterweise einige Ecken abrunden können. Die hier vorliegende Fassung des Art. 40 ist jedoch trotzdem
nicht gut. Sie wird auch dadurch nicht besser, daß sie in einem schlechten Gesetz verankert ist.
Wir sollten wenigstens dafür sorgen, daß diese Bestimmungen nicht von Dauer sein werden, und sollten bemüht sein, daß sie auch keinen mittelfristigen Bestand haben werden. Unsere Aufgabe ist es daher, zu gewährleisten, daß die Körperschaftsteuerreform zum 1. Januar 1977 wirksam werden kann. Warum, das möchte ich Ihnen gern sagen.
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 diesen Termin genannt. Wenn auch andere Prophezeiungen und Zusagen nicht - jedenfalls bisher nicht - eingetroffen sind, so möchte ich Sie trotzdem fragen - jedenfalls die Damen und Herren von den Kolitionsfraktionen -:
Vertrauen Sie diesen Worten Ihres Bundeskanzlers? Sind Sie bereit, seine Versprechungen zu realisieren? Wenn ja, können Sie unserem Antrag ganz getrost zustimmen. Dann können wir uns nämlich bei den Beratungen der Körperschaftsteuerreform in aller Ruhe und mit dem Flankenschutz des notwendigen Sachverstandes um Regelungen und Bestimmungen bemühen, die im Kreditgewerbe einen vernünftigen Wettbewerb ermöglichen und sichern, Regelungen, die vernünftig und daher auch notwendig sind.
Das kann man - selbst bei bestem Willen - von den hier zur Debatte stehenden Bestimmungen nicht sagen. Daher haben wir hier den Antrag auf zeitliche Begrenzung gestellt, nachdem unser Antrag auf Anhebung des Körperschaftsteuertarifs für die in Frage kommenden Institute auf 41 % im Finanzausschuß abgelehnt wurde. Mit anderen Worten: Wenn schon eine mangelhafte Regelung wie hier in Art. 40 des Haushaltsstrukturgesetzes, dann wenigstens eine Befristung auf ein Jahr! Nahtlos können seine Bestimmungen dann durch das neue Körperschaftsteuergesetz abgelöst werden, dessen Verabschiedung wir uns vorgenommen hatten.
Die CDU/CSU-Fraktion ist jedenfalls nach wie vor der Meinung, daß dieses neue Recht am 1. Januar 1977 wirksam werden sollte. Das Inkrafttreten dieser Reform setzt allerdings voraus, daß wir unverzüglich im Parlament und seinen Ausschüssen mit den Beratungen beginnen.
Wenn wir das neue Körperschaftsteuergesetz wirklich wollen, werden wir ein entsprechendes Gesetz auch zum 1. Januar 1977 verabschieden können. An der CDU/CSU-Fraktion wird das nicht scheitern, meine Damen und Herren. Unsere Zweifel, die wir bezüglich Iher Haltung in dieser Frage haben, können Sie schon heute abend dadurch zerstreuen, daß Sie unserem Antrag auf zeitliche Befristung von Art. 40 des Haushaltsstrukturgesetzes zustimmen.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr überrascht und meine Fraktion mit mir, daß Sie zum Art. 40 nicht den Antrag in der Hauptsache gestellt haben, obwohl das
hier begründet worden ist. Das war nämlich der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, den Steuersatz einheitlich auf 41 % zu setzen. Dies wurde hier wieder breit ausgeführt. Ich nehme an, Sie haben das unnterlassen, weil Sie sich darauf verlassen, daß der Bundesrat dies bringt. Wir hätten sonst die Freude gehabt, Ihnen zu sagen, daß dies 218 Millionen Mark gekostet hätte und wieder ein wertvoller Beitrag zum Sparen gewesen wäre. Ich nehme an, Sie haben sich das hier mit Blick auf den Bundesrat verkniffen.
Zur Sache selbst möchte ich Ihnen sagen, nachdem das hier schon angesprochen ist, daß eine unsachgemäße Behandlung nicht stattgefunden hat. Wir haben das in der Breite beraten, und wir haben eine ausführliche Anhörung gehabt, bei der jeder Fragen stellen konnte, soviel er mochte. Außerdem hat der Haushaltsausschuß keine Ecken und Kanten weggeschliffen, sondern den Vorschlag des Finanzausschusses, der dort mit Mehrheit beschlossen worden war, voll übernommen.
Wenn Sie hier eine Einsetzung der Jahresfrist für den Veranlagungszeitraum 1976 beantragen, so möchte ich wiederholen, was wir von dieser Stelle schon oft gesagt haben: Wir wollen uns nicht dauernd selbst durch Fristen in unserer Arbeit binden und uns einrichten und immerfort sagen müssen, was wir dann und dann manchen werden. Die Regierung hat klar erklärt, für welchen Zeitraum dies gilt. Wir haben dies auch erklärt. Das Parlament sollte endlich aufhören, sich dauernd selbst Fristen in die Gesetze zu schreiben.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte die Gelegenheit benutzen, den Kollegen Spilker zu fragen, ob er die Argumentation, der höhere Körperschaftsteuersatz werde die Eigenkapitalbasis der von ihm angesprochenen Institute schmälern, eigentlich im Ernst aufrechterhalten will. Haben Sie bisher festgestellt, Herr Kollege Spilker, daß mit oder ohne hohen Körperschaftsteuersatz, gerade aber mit dem jetzt noch ermäßigten Körperschaftsteuersatz die Eigenkapitalbasis der privilegierten Institute etwa seitens der Kommunen oder - was die Landesbanken angeht - seitens der Länder gestärkt worden wäre? Wenn Sie sich auf das Hearing im Finanzausschuß zu diesem Punkt beziehen, werden Sie zugestehen müssen, daß die Eigenkapitalbasis auf diese Weise nicht gestärkt werden kann, sondern nur durch die endgültige Reform der Körperschaftsteuer. Ich hatte aber den Eindruck, Herr Spilker, daß Sie hier eher einem Beibehalten der Privilegien ad Kalendas graecas das Wort geredet haben. Oder wollen Sie, wie es bisher auch von Ihrer Partei verkündet worden ist, die überholten Privilegien, die durch den Wettbewerb bei privaten Hypothekenbanken, Sparkassen und Landesbanken jedenfalls in diesem Umfang nicht mehr gerechtfertigt sind, mit uns gemeinsam abschaffen?
Ich glaube, daß der Finanzausschuß einen sehr vernünftigen Beschluß dadurch gefaßt hat, daß er eine Abstufung zu den Genossenschaftskassen gefunden hat, die in der Tat wegen des Ausschüttungszwanges nicht mit 45 % besteuert werden können. Hier ist eine saubere und klare Regelung getroffen worden, die später voll in die Körperschaftsteuerreform übernommen werden kann. Wir arbeiten an diesem Problem einmal und machen uns nicht dauernd Doppelarbeit. Wir müßten dasselbe sonst nämlich in einem Jahr noch einmal diskutieren.
Ihre Argumentation stimmt nicht. Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus: Weil wir wissen, Herr Spilker, daß die Regierung erklärt hat, zum 1. Januar 1977 komme die Körperschaftsteuerreform, können wir den betroffenen Instituten im Hinblick auf die Notwendigkeit der Maßnahmen des Haushaltsstrukturgesetzes die jetzige Anhebung zumuten. Sie wird in einem Jahr nahtlos in das dann geltende Körperschaftsteuergesetz überführt werden.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache über die Beratung des Antrags.
Wer dem Antrag auf der Drucksache 7/4263 ({0}) der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer Art. 40 Nr. 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen in der CDU/CSU ist die Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe nunmehr Art. 41, 42, 42 a, 42 b, 42 c, 43 und 44 § 1 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Art. 44 Abs. 2 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 7/4264 vor. Ich habe hier einen Vermerk daß er zusammen mit dem Antrag 7/4257 von dem Herrn Abgeordneten Miltner begründet sei. Kann ich davon ausgehen, daß das zutrifft? - Das Wort wird also nicht begehrt. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? -Der Antrag ist abgelehnt.
Wer nunmehr Art. 4 4 § 2 in der Ausschußfassung
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei zahlreichen Stimmenthaltungen in der Fraktion der CDU/CSU und einer großen Zahl von Gegenstimmen ist damit dieser Artikel angenommen. Gleichzeitig, meine Damen und Herren, ist damit der Art. 44 insgesamt angenommen.
Ich rufe nunmehr Einleitung und Überschrift auf. Zur Überschrift liegt auf der Drucksache 7/4256 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich frage, ob dazu das Wort begehrt wird? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Einleitung und der Überschrift in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Angenommen in der Fassung der Ausschußvorlage gegen die Stimmen der CDU/CSU.
Meine Damen und Herren, damit ist die zweite Beratung des Haushaltsstrukturgesetzes abgeschlossen, und wir treten in die
dritte Beratung
ein.
({1})
Das Wort für die Fraktion der SPD hat Herr Abgeordneter von Bülow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, Herr Schröder, ich hatte mich darauf vorbereitet, auf Ihre Einlassungen zu antworten. Aber nun kann ich das nicht tun und werde mich bei den Ausführungen, die ich zu machen habe, sehr kurz fassen.
Wir haben eines der kompliziertesten Gesetze, möglicherweise seit Legislaturperioden, in verhältnismäßig kurzer Frist parlamentarisch behandelt. Ich glaube, wir können allen Mitarbeitern der Ausschüsse, allen Mitarbeitern der Ministerien für die präzise Arbeit, die sie in den letzten Wochen geleistet haben, herzlich danken.
({0})
Meine Damen und Herren, gestern haben wir den Haushalt 1976 beraten. Das Ziel des Haushalts 1976 und der mittelfristigen Finanzplanung war und ist, den Kreditbedarf des Bundes von jetzt 38,9 Milliarden DM auf 11 Milliarden DM im Jahre 1979 herunterzubringen. Das Haushaltsstrukturgesetz ist ein Paket von dreien, um dieses Ziel zu erreichen.
Das Haushaltsstrukturgesetz, wie es heute vom Parlament verabschiedet wird, wird bereits im Jahre 1976 Einsparungen in Höhe von 7,9 Milliarden DM bringen. Es wird weitere Einsparungen in Höhe von 12,2 Milliarden DM im Jahre 1977 und in Höhe von 11,6 Milliarden DM im Jahre 1978 bringen. Ich glaube, daß das Paket, das in den Ausschußberatungen erarbeitet und uns allen vorgelegt worden ist, letztlich doch ausgewogen ist. Sei es im Bereich des öffentlichen Dienstes, im Bereich der Landwirtschaft, bei den Sparprämien oder auf dem Gebiete von Bildung und Wissenschaft - es besteht gar kein Zweifel, daß die Eingriffe, die vorgenommen worden sind, teilweise hart sind. Es ist auch nicht so, daß einige Bereiche - etwa der Bereich der Verteidigung - bei den Einsparungsbemühungen völlig ausgelassen worden wären. Gerade im öffentlichen Dienst entfällt ein erheblicher Teil der Einsparungen auf den Bereich des Verteidigungsministeriums. Hinzu kommt ja die Herabsetzung der früher geplanten
Ansätze im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung.
Ich glaube, die Bevölkerung ist bereit, dieses Paket mit zu tragen. Bei den Verbänden sieht es teilweise etwas anders aus. Dort stößt man oft auf die Reaktion: Im Grundsatz sagen wir ja zum Sparen, auch in unserem Bereich; aber dort, wo jetzt die Schwerpunkte des Sparprogramms gesetzt worden sind, sollte lieber nicht gespart werden. Solche Aussagen sind sehr häufig allerdings nicht mit konkreten Alternativen verbunden.
Die CDU/CSU - dieses Resümee muß jetzt gezogen werden - hat zwar wohl 40 Artikeln insgesamt zugestimmt; aber die Artikel, denen sie nicht zugestimmt hat, machen die Masse des Geldes aus. Bei einer Ablehnung der Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages würde der Haushalt mit 3,8 Milliarden DM belastet. Die Ablehnung der im Bereich des Bundesversorgungsgesetzes vorgesehenen Maßnahmen würde mit 18 Millionen DM zu Buche schlagen. Ihre Anträge zum Aufwertungsausgleich würden 69 Millionen DM ausmachen. Unter dem Strich ergeben sich so Minderersparnisse in Höhe von rund 3,9 Milliarden DM gegenüber dem, was die Mehrheit dieses Hauses in der dritten Lesung nun verabschieden wird.
Für 1977 sieht die Rechnung noch schlechter aus. In diesem Jahr würden 4,7 Milliarden DM weniger gegenüber dem Regierungsvorschlag eingebracht werden.
Sie haben uns Anträge vorgelegt, die darauf abzielen, bestimmte Einsparungen nicht vorzunehmen. Auf der anderen Seite haben Sie uns aufgefordert, noch zusätzlich mindestens 7 Milliarden DM zu sparen. Auch der heutige Tag hat Ihre Glaubwürdigkeit, was die Sparvorschläge angeht, um keinen Punkt erhöht.
({1})
Bei allen Ihren Einlassungen sind Sie zu kurz gesprungen. Die Koalitionsfraktionen werden den Weg, den die Regierung eingeschlagen hat, weitergehen und dies offen und ehrlich gegenüber dem Bürger vertreten. Wir glauben, daß hier ein Schritt in die richtige Richtung, hin auf eine langfristige Konsolidierung der Staatsfinanzen getan wird. Wir werden dem Haushaltsstrukturgesetz zustimmen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben durch Ihre dreimalige Beantragung einer namentlichen Abstimmung heute einen zwar nicht nennenswerten, aber wiederkehrenden Beitrag zu den Einsparungen geleistet. Wir möchten unsererseits nicht nachstehen und beantragen namentliche Abstimmung für die Schlußabstimmung.
({2})
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröder ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion möchte ich eine zusammenSchröder ({0})
fassende Schlußerklärung zur dritten Lesung des sogenannten Haushaltsstrukturgesetzes abgeben.
Die Fraktion der CDU/CSU hat in der zweiten Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfes eine Fülle von Änderungsanträgen eingebracht. Wir bedauern, daß diese Änderungsanträge fast ausnahmslos abgelehnt worden sind. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, das ist bezeichnend dafür, wie Sie in Wirklichkeit mit den uns ständig abverlangten Alternativen umgehen wollen.
({1})
Es zeigt sich, daß das ständige Rufen nach Alternativen im Grunde genommen nichts anderes ist als der Ausdruck Ihrer Hilflosigkeit, mit den Problemen fertig zu werden, und ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver.
({2})
Denn, meine Damen und Herren, Sie waren nicht einmal bereit, in Fragen, bei denen sich in materieller Hinsicht im Haushaltsausschuß ein Einvernehmen ergeben hatte - wie beispielsweise bei der Frage der analogen Ausgestaltung der Regelungen für die Beamten einerseits und für den tariflichen Bereich des öffentlichen Dienstes andererseits -, hier einen entsprechenden Bleichlautenden Antrag unserer Fraktion anzunehmen.
({3})
Es muß in der Öffentlichkeit deshalb ganz deutlich werden, daß dieses Gesetz nur Folgen Ihrer verfehlten Politik ausbaden soll.
({4})
Ich frage mich in diesem Zusammenhang übrigens ohnehin, was eigentlich ich darf das einmal so sagen, das Prinzip der politischen Verantwortung einer Regierung konkret noch zu bedeuten hat. In jedem anderen Land wäre bei einer solchen katastrophalen Finanzsituation,
({5})
die zu einer Zurücknahme von über 40 konkreten gesetzlichen Leistungen führt, der Rücktritt der Regierung die normale demokratische Folge.
({6})
Die Selbstgefälligkeit wird hier langsam unerträglich, und der Versuch des Umdrehens der Verantwortlichkeit ist unredlich.
(Erneuter Beifall hei der CDU/CSU
Meine Damen und Herren, in den ausführlichen Beratungen der Ausschüsse und in der zweiten Lesung sind die Einwände meiner Fraktion vorgetragen worden; ich brauche deshalb auch bei den Punkten, zu denen wir hier in der Abstimmung in der zweiten Lesung unsere Zustimmung gegeben haben, nicht noch einmal zum Ausdruck zu bringen, daß uns diese Zustimmung in vielerlei Hinsicht nicht leicht gefallen ist. Wenn wir aber in der Schlußabstimmung in dritter Lesung mit Nein stimmen, dann deshalb, weil unsere Bedenken in vier Punkten unüberwindlich geblieben sind.
({7})
Ich erwähne hier noch einmal ausdrücklich den Bereich der Kriegsopferversorgung. Unser Freund Maucher hat überdeutlich gemacht, wie Sie hier mit unseren Kriegsopfern, den Schwächsten der Schwachen in unserem Lande, verfahren,
({8})
obwohl wir hier konkrete Ausgleichsvorschläge unterbreitet haben.
({9})
Meine
sehr geehrten Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Platz nehmen würden, damit der Redner im Hause verständlich ist und wir in den Beratungen fortfahren können.
Das zweite, was uns unüberwindlich daran hindert, diesem Gesetz unsere Zustimmung zu geben, ist der Bereich der Landwirtschaft.
({0})
- Ich muß, Herr Kollege Gallus, leider vorweg feststellen, daß im Tohuwabohu der namentlichen Abstimmung insoweit ein Abstimmungsfehler passiert ist; aber ich glaube, daß aus den Ausführungen meiner Kollegen Schmitz und Ritz deutlich geworden ist, daß dies für uns einer der zentralen, wenn nicht sogar d e r zentrale Punkt gewesen ist, der dazu führt, daß wir uns nicht in der Lage sehen, diesem Gesetz unsere Zustimmung zu geben.
({1})
Und ich hoffe, lieber Herr Kollege Gallus, daß Sie es draußen im Lande nicht so billig machen, wie Ihr Zwischenruf es eben anzudeuten schien.
({2})
Der dritte Bereich ist schließlich die Frage der Festsetzung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags. Auch hierzu ist durch meinen Kollegen Müller ({3}) in aller Breite das Notwendige gesagt worden.
Schließlich und letztlich will ich auch nicht unerwähnt lassen, daß wir die Aushöhlung der Selbstverwaltung bei den Kassenärztlichen und den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen nicht mitmachen können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die politische Gesamtbewertung durch meine Fraktion in vier Punkten zusammenfassen:
Erstens. Dieses Haushaltssicherungsgesetz bedeutet das erste förmliche Eingeständnis des Scheiterns Ihrer Finanz- und Haushaltspolitik.
({4})
Schröder ({5})
Es offenbart, daß die Bundesfinanzen total zerrüttet sind und man nunmehr unter der irreführenden Vokabel der Bereinigung von Wildwuchs Leistungen abbauen muß, die man in den letzten Jahren mit großem propagandistischem Aufwand als Reformen und Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität hingestellt hat.
({6})
Graf Lambsdorff ging in der ihm eigenen Art gestern sogar so weit, von einer „Gesetzesrenovierung" zu sprechen. Trotz der Zustimmung zu einer großen Zahl von Artikeln muß dieses Gesetz, meine Damen und Herren, deshalb unverkennbar Ihre Handschrift tragen, und Sie müssen auch die Verantwortung dafür tragen.
({7})
Zweitens. Sie haben dem Deutschen Bundestag wieder einmal zugemutet, in allerkürzester Zeit einen Gesetzentwurf zu beraten, der sich, wie wir in Norddeutschland zu sagen pflegen, aus Flickschusterei zusammensetzt.
({8})
Daß dieser Gesetzentwurf mit heißer Nadel genäht wurde, beweist allein die Tatsache, daß von den 44 Artikeln nur 12 Artikel die Ausschußberatungen überhaupt heil überstanden haben. Ich habe rund 140 Bestimmungen gezählt, die gegenüber der Regierungsvorlage geändert werden mußten. Wie viele Ungereimtheiten, meine Damen und Herren, mögen auch noch in der jetzigen Fassung vorhanden sein, die wegen der Kürze der Beratungszeit nicht erkannt werden konnten!
({9})
Allein diese Tatsache ist eine Zumutung für das Hohe Haus und eine Ansehensschädigung für das Parlament.
({10})
In diese Kategorie gehört übrigens auch der heute wieder gestrichene Artikel 16 a, der im Schnellverfahren eine Beeinträchtigung der Tarifautonomie in wesentlichen Bereichen des öffentlich-rechtlichen Sektors beinhaltete.
Meine Damen und Herren, wenn ich hier von Flickschusterei und von Schludrigkeit spreche, dann möchte ich ausdrücklich festhalten, daß ich damit nicht etwa die Bediensteten, insbesondere die Beamten im Bundesfinanzministerium, und schon gar nicht die Mitarbeiter im Haushaltsausschuß meine.
({11})
Beiden gebührt Dank für die zusätzliche Arbeit, die sie in den letzten Wochen haben leisten müssen. Für die Flickschusterei und für die Schludrigkeit trägt die politische Verantwortung die Spitze dieser Regierung.
Drittens. Die Vorschläge des Rechnungshofpräsidenten, des Bundes der Steuerzahler und anderer
widerlegen die Regierungsbehauptung, daß weitere Einsparungen über das hier Vorgesehene hinaus nicht möglich sind.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein kurzes Wort zu dem Entschließungsantrag Drucksache 7/4265 meiner Fraktion sagen, in dem die Regierung aufgefordert wird, zu den Kürzungsvorschlägen des Rechnungshofs konkret Stellung zu nehmen. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die Vorschläge des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung aus drei Gründen. Zum erstenmal tritt hier der Rechnungshof nicht nur als Abschlußprüfer, sondern bereits im Vorfeld der Beratungen mit konkreten Vorschlägen hervor, die den ganzen Ernst der gegenwärtigen Haushaltsmisere, in der wir uns befinden, unterstreichen.
({12})
Ohne den Hintergrund der katastrophalen Zerrüttung der Bundesfinanzen hätte der Rechnungshofpräsident ganz sicher seine Vorschläge zu diesem Zeitpunkt und in dieser Form nicht unterbreitet. Zweitens strafen die Vorschläge des Rechnungshofpräsidenten die Behauptung des Bundesfinanzministers und der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Haushaltssicherungsgesetz, daß weitere Einsparungen nicht möglich seien, Lügen, und drittens begrüßen wir die Vorschläge des Rechnungshofpräsidenten, weil sie sich weitestgehend mit unseren eigenen Vorschlägen und Vorstellungen über die Ausgestaltung des Haushalts 1976 decken.
({13})
Schließlich der vierte Punkt. Das Haushaltssicherungsgesetz ist in Relation zu der völligen Zerrüttung der Staatsfinanzen, zu dem beinahe schon nicht mehr faßbaren Ausmaß an Neuverschuldung nur ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein. Das ganze Ausmaß dessen, was der Bürger an Zeche für die verfehlte Haushalts- und Finanzpolitik dieser Regierung noch zu zahlen hat, wird noch verschleiert; es steht uns noch bevor. Die Flickschusterei bei diesem Gesetz paßt voll und ganz zu der Unseriosität und Unsolidität der Haushalts- und Finanzpolitik der zurückliegenden sechs Jahre.
({14})
Dieses Gesetz beseitigt nicht die in dem Gutachten des wissenschaftlichen Beirats im Bundesfinanzministerium festgestellten strukturell verursachten Defizite unserer Haushalte. Die Fraktion der CDU/CSU, meine Damen und Herren, wird deshalb heute diesen Schuldwechsel der Bundesregierung nicht unterschreiben, sondern das Gesetz ablehnen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schröder, wenn Sie die Tatsache, daß die Ausschüsse bei einer Vielzahl von Artikeln noch Verbesserungen zu machen wußten, als eine Schädigung des AnseDr. Vohrer
hens des Parlaments empfinden, dann muß ich das im Namen meiner Fraktion und sicher auch im Namen der SPD zurückweisen.
({0})
Ich finde, es hebt eher das Ansehen des Parlaments, wenn in den Ausschüssen gearbeitet wird und die Vorlagen der Regierung, wo Ansätze sind, verbessert werden. Wenn Sie Demokratie so verstehen, daß die Koalitionsfraktionen eigentlich nur alles absegnen müssen, dann irren Sie sich.
({1})
Im übrigen hätte es das Parlament noch viel mehr geehrt, wenn Sie in der Debatte sachlich-konstruktive Beiträge geleistet hätten, statt hier zu polemisieren, wie Sie es getan haben.
({2})
-- Wenn Sie mich hier auffordern, mehr sachliche Beiträge zu leisten, dann gehe ich darauf gern ein; denn mir liegt daran, die gesamte Diskussion noch einmal in den größeren Zusammenhang zu bringen, in den Zusammenhang der volkswirtschaftlichen Daten, die sich mit dem Haushaltsstrukturgesetz verbinden.
Wir haben für die Jahre 1976 bis 1979 Einsparungen von 40 Milliarden DM vorgeschlagen. Der Bundesfinanzminister ist in seiner Rede am Dienstag schon darauf eingegangen, in welchem gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang die Einnahmeminderungen der öffentlichen Hände zu sehen sind. Im Rahmen der dritten Lesung möchte ich darauf eingehen, wie die Vorschläge, die wir hier machen, in die finanzpolitische Landschaft passen. Ich möchte beim Haushaltsstrukturgesetz darstellen, daß sie als Opposition Mitverantwortung tragen. Denn es stimmt schlichtweg nicht, daß Sie hier nur eine oppositionelle Rolle spielen könnten.
Wir haben drei Maßnahmenbündel vorgeschlagen. Zum einen haben wir die ursprünglichen Haushaltsansätze des Finanzplans reduziert. Zweitens haben wir Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur in einem Volumen von fast 40 Milliarden DM vorgeschlagen. Als drittes Maßnahmenbündel haben wir die Erhöhung der Umsatz-, der Tabak-und der Branntweinsteuer hier als Vorschlag eingebracht. Das alles hat eine Gesamtwirkung an Einsparungen für 1976 von 13 Milliarden DM, für 1977 von fast 27 Milliarden DM, für 1978 von 33 Milliarden DM und für 1979 von 23 Milliarden DM.
Damit wird die Kreditfinanzierung, die auf Grund der ursprünglichen Einnahmeausfälle in erheblich größeren Maßen notwendig geworden wäre, wesentlich reduziert. Wir präsentieren einen Saldo, der durch Kredit finanziert werden muß, für 1975 in Höhe von 38,9 Milliarden DM, für 1977 von 22 Milliarden DM, für 1978 von 18 Milliarden DM und für 1979 in Höhe von 11 Milliarden DM.
Diese notwendige Kreditfinanzierung war Anlaß für wirtschaftspolitische Rundschläge der Opposition, die in der Form, wie sie hier erfolgten, keineswegs sehr sachlich untermauert wurden. Die Opposition hat einen ganz erheblichen Anteil an dem Defizit zu verantworten. Ich darf Sie nur daran erinnern, daß Sie bei der Reform der Einkommensteuer durch Ihre Anträge und durch die von Ihnen durchgedrückte Regelung der Abzugsfähigkeit der Sonderausgaben das Defizit um rund 5 Milliarden DM vergrößern. Es liegt deshalb auch in Ihrer Verantwortung, daß Sie das von Ihnen hier aufgerissene Loch mit konkreten Vorschlägen stopfen.
({3})
Das Haushaltsstrukturgesetz bringt in dem Zeitraum der vier Jahre, für die wir es Ihnen vorlegen, Einsparungen von 40 Milliarden DM. Sie haben das mit Anträgen beantwortet, die zu Mindereinnahmen bzw. Mehrausgaben führen, und zwar im Jahre 1976 in Höhe von 4,1 Milliarden DM, 1977 von fast 5 Milliarden DM, 1978 von 5 Milliarden DM und 1979 von fast 6 Milliarden DM. Das alles - Sie wollen es jetzt schon nicht mehr wahrhaben - erwidern Sie mit Ihrem Globalantrag und sagen, Sie hätten alle ausgabesteigernden Anträge zurückgezogen. Das stimmt insofern nicht, als daß Sie alle Anträge im Zusammenhang mit dem Haushaltsstrukturgesetz heute wieder vorgebracht und teilweise mit namentlicher Abstimmung verbandspolitisch auswertbar gemacht haben.
({4})
Sie haben neben den hier vorgetragenen Vorschlägen auch noch einen ganzen Strauß von Steuervergünstigungen für Unternehmer auf den Tisch gelegt und haben davon nichts zurückgezogen. Sie wollen die degressive Abschreibung erweitern und den Verlustrücktrag einführen. Sie verlangen hiermit ein zusätzliches Finanzvolumen von 7 Milliarden DM, das überhaupt nicht in die konjunkturpolitische Landschaft paßt.
({5})
Daneben haben Sie uns jetzt schon angekündigt, daß Sie die Mehrwertsteuererhöhung ablehnen. Das verursacht immerhin Steuermindereinnahmen von 10,2 Milliarden DM im Jahre 1977, von 12 Milliarden DM 1978 und von fast 14 Milliarden DM 1979, wenn Sie sich durchsetzen können. Sie können natürlich die Mehrwertsteuererhöhung, wie es Herr Seiters auch getan hat, hier als unsozial darstellen. Wir sind auch immer bestrebt gewesen, den Anteil indirekter Steuern durch direkte Steuern zu ersetzen. Dennoch war unser Beschluß in der jetzigen haushaltspolitischen Lage die einzige Möglichkeit. Wenn Sie hier die soziale Komponente betonen und die direkten Steuern bevorzugen dann sollten Sie auch einmal deutlich machen, daß Sie im Falle einer Tarifänderung der Einkommensteuer, wenn Sie nämlich die niedrigen Einkommen schonen und nur die hohen Einkommen heranziehen, im Bereich der hohen Einkommen zu Steuersätzen kommen, die Ihnen und nicht, wie immer unterstellt wird, den Koalitionsparteien den Stempel aufdrücken, Systemveränderer zu sein.
Wir haben es uns nicht einfach gemacht. Wir haben uns überlegt, wie es wirkt, wenn wir, was
möglich wäre, die Mehrwertsteuer für den Nahrungsmittelsektor niedrig hielten, also die 5,5 % beibehielten. Das alles würde sich - das sollte hier auch einmal deutlich gesagt werden - auf den Rentnerhaushalt monatlich mit weniger als 1 DM auswirken. Ich halte es auch für notwendig, daß hier im Plenum darauf hingewiesen wird, daß auch die Mehrwertsteueranhebung sozial differenzierend wirkt, denn der Rentnerhaushalt wird mit monatlich 12 DM weit geringer belastet als der Unternehmerhaushalt mit zwei Kindern, den monatlich immerhin eine Erhöhung um 55 DM trifft.
Eines sollte Ihnen auch zu denken geben: Für den Fall, daß Sie, was Sie ja immer noch in Ihrem Optimismus glauben, 1976 die Regierungsverantwortung übernähmen, hätten Sie überhaupt nicht die Möglichkeit, finanzpolitisch verantwortungsvoll zu handeln. Ich sehe das als einen Beweis dafür an, daß Sie gar nicht mehr daran glauben, 1976 Regierungsverantwortung tragen zu können; denn solche destruktiven Beiträge wie die Ablehnung der Mehrwertsteueranhebung beweisen, wie pessimistisch Sie sind.
({6})
Meine Damen und Herren, die Opposition hat nicht zur Kenntnis genommen, daß das hier vorgelegte Paket auch einen sehr schnellen Abbau des relativ hohen, durch Kredite zu finanzierenden Defizits für 1976 in Höhe von 40 Milliarden DM bringt, das 1977 schon auf 20 Milliarden DM reduziert sein kann, wenn die Vorlage so angenommen wird. Die
Opposition hat mit ihren Anträgen - deren Addition einfach einmal notwendig ist, damit Sie nicht immer nur die Einzelanträge, sondern auch einmal die Gesamtwirkung von dem sehen, was Sie hier beantragen, und sich vorrechnen lassen - außer den eingangs erwähnten 5 Milliarden DM Mindereinnahmen, die sie über die Einkommensteuerreform zu verantworten hat, zum Haushaltsstrukturgesetz Anträge im Bereich steuerlicher Erleichterungen für Unternehmer gestellt, die zusammen mit der Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung 1977 die Summe von 22 Milliarden DM ausmachen. Dies bedeutet - das sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen -, daß der jetzige Saldo, den Sie als finanzpolitisches Chaos darstellen, von 40 Milliarden DM auf 62 Milliarden DM vergrößert würde. Erst wenn Sie sich das und die Schwierigkeit, einen solchen Saldo zu finanzieren, vor Augen führen, wird Ihnen deutlich, wie dubios Ihre Strategie heute ist. Zumindest zu dem von Ihnen zu verantwortenden Mehrbetrag in Höhe von rund 20 Milliarden DM sollten Sie Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit wegen Deckungsvorschläge machen. Sie können es uns überlassen, unseren Anteil zu verantworten. Aber Sie sollten wenigstens hier im Hause sagen, wie Sie die zusätzlichen Anträge finanzieren wollen. Ich halte es für unredlich, finanzpolitische Katastrophenkolossalgemälde aufzuzeigen, das Wort vom Staatsbankrott immer wieder irreführenderweise zu gebrauchen und dabei Vorschläge zu machen, welche die finanzpolitische Situation in diesem Lande wesentlich verschlechterten.
Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, sind auch in zeitlicher Hinsicht richtig. Nehmen Sie beispielsweise die Einkommensteuerreform: sie paßte in die konjunkturpolitische Landschaft, denn zu Beginn der Rezession haben wir ein Maßnahmenbündel vorgelegt, welches das verfügbare Einkommen erweitert und die Kaufkraft vergrößert hat. Wir legen jetzt mit den Steuervorschlägen für 1977 ein Maßnahmenbündel vor, das im Aufschwung - wir rechnen damit, daß der Aufschwung bis 1977 einsetzt - die Steuern erhöht und nicht in der Rezession, wie Sie es uns immer unterstellen.
({7})
- Herr Stark, Sie sollten vielleicht auch zur Kenntnis nehmen, nachdem Sie immer wieder den wachsenden Staatsanteil kritisiert haben, daß Sie sich entscheiden müssen, ob sie antizyklische Finanzpolitik betreiben wollen oder nicht. Wenn Sie sich zum volkswirtschaftlich Richtigen bekennen, nämlich zu einer antizyklischen Finanzpolitik, dann sollten Sie auch in Kauf nehmen, daß in der Rezession der Staatsanteil wächst.
({8})
Sie können dann - Herr Stark, das ist eine Überlegung, die Sie einmal anstellen sollten - in der Hochkonjunktur Hilfestellung leisten, indem Sie Anträge stellen, die mit dazu beitragen, daß der Staatsanteil wirksam reduziert wird.
Ich habe immer den Eindruck, daß die Opposition die Soziale Marktwirtschaft als eine reine Schönwetterveranstaltung versteht.
({9})
Nur so ist es verständlich, daß Sie sich jeglicher verantwortungsbewußter wirtschaftspolitischer Maßnahmen enthalten; nur so ist es verständlich, daß Sie keine Alternativen zu dieser Regierung vorlegen. Ich halte es für notwendig, daß Parteien, die sich zur Sozialen Marktwirtschaft bekennen, sich auch darum kümmern, daß die Rahmendaten zur Funktionsfähigkeit dieses Systems so angepaßt werden, daß es gesellschaftspolitisch zu verantworten ist und das System auch funktionieren kann. Ich halte das Haushaltsstrukturgesetz für einen Schritt in dieser Richtung und für einen Beitrag zur langfristig funktionsfähigen sozialen Marktwirtschaft. Ich begrüße für meine Fraktion dieses Gesetz und erkläre unsere Zustimmung.
({10})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
({0})
Dr. Apel, Bundesminister der Finanzen ({1}) : Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 15. Oktober haben wir den vorliegenden Gesetzentwurf in erster
Bundesminister Dr. Apel
Lesung behandelt. Seit dem 15. Oktober sind drei Wochen vergangen. Ich möchte mich im Namen der Bundesregierung bei Ihnen sehr herzlich dafür bedanken, daß Sie sich in diesen drei Wochen in konstruktiver und sachbezogener Art mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt haben.
Ich möchte mich insbesondere bei dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, dem Kollegen Leicht, dafür bedanken, daß er die Arbeit der zehn Ausschüsse so koordiniert hat, daß wir heute einen Gesetzentwurf vorliegen haben, den wir verabschieden können.
({2})
Meine Damen und Herren, ich will die Debatte jetzt nicht wieder eröffnen. Ich will nur eines sagen: Die Opposition hat zu Beginn dieser Debatte eigene konstruktive Vorschläge angekündigt. Sie hat gesagt, sie würde ihren Beitrag leisten. Eine ganze Reihe von Abgeordneten der Opposition haben Zeitvorstellungen dazu entwickelt, insbesondere auch Herr Kollege Leicht.
Heute stellen wir fest - die Ausführungen von Herrn Schröder haben das deutlich gemacht -, daß bei Ihnen ani Ende nichts weiter steht ais verbale Kraftmeierei.
({3})
Ich habe das nicht anders erwartet. Wir tragen unsere Verantwortung. Mit diesem Haushaltsstrukturgesetz wird ein wesentlicher Beitrag zur Überwindung der rezessiven Folgen für unseren Bundeshaushalt geleistet.
({4})
Ich bin froh darüber, daß dieser Schritt erreicht ist. Ich möchte mich bei Ihnen bedanken und hoffe, daß wir auch die nächsten Schritte, die noch vor uns liegen, in der gleichen konstruktiven Weise erledigen können.
({5})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache in der dritten Beratung.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt; ich gehe davon aus, daß der Antrag hinreichend unterstützt ist. Wir stimmen über den Gesetzentwurf in namentlicher Abstimmung ab. Meine Damen und Herren, damit im Plenum keine Mißverständnisse über den weiteren Ablauf des Abends auftreten, möchte ich Ihnen mitteilen, daß wir noch den Punkt 5 der Tagesordnung, den Bericht und den Antrag zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung - Strafvollzugsgesetz - anschließend in zweiter und dritter Beratung hier behandeln werden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das bei Ihren persönlichen Dispositionen berücksichtigen würden. Meine Damen und Herren, ich schlage vor, während der Auszählung der Stimmkarten mit der Begründung der Entschließungsanträge zu beginnen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dazu Platz nähmen. - Als erster Redner hat Herr Abgeordneter Schröder ({0}) das Wort.
Herr Präsident, ich mache es ganz kurz. Die Anträge auf den Drucksachen 7/4265 und 7/4266 sind im Laufe der Debatte und soeben von mir begründet worden. Wir beantragen, in beiden Fällen heute direkt abzustimmen. Den Antrag Drucksache 7/4267 wird Herr Kollege von Fircks begründen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag und die Begründung des Herrn Kollegen Schröder ({0}) gehört. - Zu dem Antrag auf der Drucksache 7/4267 erteile ich dem Herrn Abgeordneten von Fircks das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der Drucksache 7/4267 haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt, nachdem wir festgestellt haben, daß der in der 5. Legislaturperiode gefaßte einstimmige Beschluß des Bundestages, noch 20 000 Nebenerwerbsstellen zu schaffen, mit den Mitteln, die bis 1976 zur Verfügung stehen, nicht erfüllt werden kann. Es bleiben 2 000 Stellen übrig. Wir bitten mit diesem Entschließungsantrag, Vorsorge dafür zu treffen, daß noch Mittel bereitgestellt werden können, die nicht unmittelbar aus dem Bundeshaushalt, sondern aus dem Zweckvermögen kommen, damit die Eingliederung, die seinerzeit von uns einstimmig beschlossen worden war, auch tatsächlich zu Ende geführt werden kann.
Wir bitten um Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend -, an den Innenausschuß - mitberatend - und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen darf ich Sie bitten, davon Kenntnis zu nehmen, daß wir die Entschließung auf Drucksache 7/4266 ablehnen werden. Hinsichtlich der Entschließungsanträge auf Drucksache 7/4265 und 7/4267 beantragen wir die Überweisung an die zuständigen Ausschüsse.
Mit dem Entschließungsantrag auf Drucksache 7/4266 soll einem falschen Adressaten an einer falschen Stelle ein Propagandaauftrag erteilt werden. Sie werden uns nicht zumuten können, das mitzumachen. Die Entscheidung über die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre und der Staatsminister fällt in diesem Parlament im Zusammenhang mit der Beratung des Haushalts. Die Entscheidung über die Stellenzahl der politischen Leitungsbüros hat gleich13834
falls im Zusammenhang mit der Haushaltsberatung in diesem Parlament zu erfolgen. Auch über die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit dieser Regierung hat dieses Haus bei der Beschlußfassung über den Haushaltsplan 1976 zu entscheiden. Wir werden diese Aufgabe nicht anderen, auch nicht der Bundesregierung, in die Hände geben können. Wir müssen uns dieser Aufgabe schon in eigener Verantwortung selbst stellen. Deshalb kann dieser Antrag nur abgelehnt werden.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu den Entschließungsanträgen nicht vor.
Bevor wir über die Anträge abstimmen, gebe ich das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über das Haushaltsstrukturgesetz, Drucksache 7/4224, in dritter Beratung bekannt. Insgesamt haben sich 392 Damen und Herren des Hauses und 17 Berliner Abgeordnete an der Abstimmung be teiligt. Mit Ja haben 224 und 11 Berliner Abgeordnete, mit Nein 168 und 6 Berliner Abgeordnete gestimmt. Keine Enthaltung, keine ungültige Stimme.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 391 und 17 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 223 und 11 Berliner Abgeordnete,
nein: 168 und 6 Berliner Abgeordnete
Ja
SPD
Ahlers
Amling
Dr. Apel
Arendt ({0}) Dr. Arndt ({1}) Augstein
Baack
Bäuerle
Barche
Bahr
Dr. Bardens
Batz
Becker ({2}) Biermann
Blank
Dr. Böhme ({3}) Börner
Frau von Bothmer Brandt ({4}) Bredl
Brück
Buchstaller
Büchler ({5})
Büchner ({6})
Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann
Collet
Conradi
Coppik
Frau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland
Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Frau Eilers ({7}) Dr. Emmerlich
Dr. Enders Engholm Esters
Ewen
Dr. Fischer
Frau Dr. Focke Friedrich Gansel
Geiger
Gerstl ({8}) Gertzen
Dr. Geßner Dr. Glotz Gnädinger Grobecker Grunenberg
Dr. Haack Haar
Haase ({9})
Haase ({10}) Haehser
Dr. Haenschke Halfmeier Hansen
Dr. Hauff Henke
Herold
Höhmann Hofmann Dr. Holtz Horn
Frau Huber Huonker
Immer ({11}) Jahn ({12}) Jaschke
Jaunich
Dr. Jens Junghans Junker
Kaffka
Kern
Koblitz
Konrad
Kratz
Dr. Kreutzmann
Krockert Kulawig Lambinus Lattmann Dr. Lauritzen
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löbbert
Dr. Lohmar Lutz
Mahne
Marquardt Marschall Matthöfer Frau Meermann
Dr. Meinecke ({13}) Meinike ({14}) Metzger
Möhring
Müller ({15})
Müller ({16})
Müller ({17})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Neumann Dr.-Ing. Oetting
Offergeld Freiherr
Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Dr. Penner Pensky
Peter
Polkehn Porzner
Rapp ({18})
Rappe ({19}) Ravens
Frau Dr. Rehlen
Frau Renger Reuschenbach
Richter
Frau Dr. Riedel-Martiny Röhlig
Rohde
Sander
Saxowski
Dr. Schachtschabel Schäfer ({20})
Dr. Schäfer ({21}) Scheffler
Frau Schimschok Schirmer
Schlaga
Dr. Schmidt ({22}) Schmidt ({23}) Schmidt ({24}) Schmidt ({25})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schonhofen Schreiber Schulte ({26})
Dr. Schwenk ({27}) Seibert
Simon
Simpfendörfer
Spillecke
Stahl ({28})
Frau Steinhauer
Dr. Stienen
Tietjen
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak Vahlberg Vit
Dr. Vogel ({29}) Vogelsang
Waltemathe
Dr. Weber ({30})
Wehner Wende Wendt Dr. Wernitz
Westphal Wiefel Wilhelm Wimmer Dr. de With
Wittmann ({31}) Wolf
Wolfram ({32}) Wrede
Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Dübber Egert
Grimming
Löffler
Manning
Frau Schlei Schwedler
FDP
Dr. Bangemann
Baum
Dr. Böger Christ
Engelhard
Gallus
Geldner Hölscher Hoffie
Jung
Kleinert Logemann
Frau Lüdemann
Dr. Dr. h. c. Maihofer Mertes ({33}) Mischnick
Ollesch
Peters ({34}) Schmidt ({35})
von Schoeler
Frau Schuchardt Spitzmüller
Wolfgramm ({36}) Wurbs
Zywietz
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Berliner Abgeordnete Hoppe
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
von Alten-Nordheim
Dr. Arnold
Dr. Barzel
Dr. Becker ({37})
Frau Benedix
Benz
Berger Bewerunge
Biechele Biehle Dr. Blüm
Blumenfeld
von Bockelberg
Böhm ({38})
Braun Bremer Bremm Burger Carstens ({39})
Dr. Carstens ({40})
Damm
van Delden
Dr. Dollinger
Dreyer Eigen
Eilers ({41}) Engelsberger
Entrup
Erhard ({42}) Ernesti
Ey
Freiherr von Fircks
Franke ({43})
Dr. Franz
Dr. Fuchs
Gerlach ({44}) Gewandt
Gierenstein
Dr. Gölter
Dr. Götz
Dr. Gruhl
Haase ({45})
Dr. Häfele
Handlos von Hassel
Hauser ({46}) Dr. Hauser ({47}) Höcherl
Dr. Hornhues
Horstmeier
Frau Hürland
Hussing
Dr. Jahn ({48})
Dr. Jenninger
Katzer Kiechle Dr. Klein ({49})
Dr. Klein ({50})
Dr. Kliesing
Köster Krampe Freiherr
von Kühlmann-Stumm Dr. Kunz ({51})
Dr. Lenz ({52})
Lenzer Link
Löher
Dr. Luda
Dr. Marx
Dr. Mende
Mick
Dr. Mikat
Milz
Möller ({53})
Müller ({54})
Dr. Müller-Hermann
Dr. Narjes
Niegel Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt
Orgaß Frau Pack
Pfeffermann
Pfeifer Picard Pieroth Pohlmann
Rainer Rawe Reddemann
Frau Dr. Riede ({55}) Dr. Riedl ({56})
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Röhner Rollmann
Rommerskirchen
Roser Russe Sauer ({57})
Sauter ({58})
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Dr. Schäuble
Schetter
Frau Schleicher
Schmidt ({59})
Schmitt ({60})
Schmitz ({61})
Dr. Schneider
Frau Schroeder ({62}) Schröder ({63}) Schröder ({64}) Schulte
({65}) Seiters
Sick
Solke
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({66})
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Frau Stommel
Strauß Stücklen
Susset
de Terra
Thürk
Dr. Todenhöfer
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar
Frau Verhülsdonk
Vogel ({67})
Vogt Volmer
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Dr. Wallmann Dr. Warnke
Wawrzik
Weber ({68})
Dr. Freiherr von Weizsäcker Werner
Frau Will-Feld Windelen
Wissebach
Dr. Wittmann ({69})
Frau Dr. Wolf Dr. Wulff
Zeyer
Ziegler
Dr. Zimmermann Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({70}) Kunz ({71})
Müller ({72})
Frau Pieser
Straßmeir
Damit ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Ziffern 2 und 3 des Ausschußantrages auf Drucksache 7/4224. Ziffer 2 betrifft die Erledigung der Petitionen, Ziffer 3 die Überprüfung des Reisekostenrechts durch die Bundesregierung. Ich glaube, wir können über beide Ziffern gemeinsam abstimmen. - Widerspruch erhebt sich nicht. Wer dem Antrag des Haushaltsausschusses unter den Ziffern 2 und 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4265. Die Antragsteller haben Abstimmung beantragt, die Koalitionsparteien Überweisung an den Haushaltsausschuß. Dieser Antrag ist der weitergehende. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zum Entschließungsantrag auf Drucksache 7/4266, der bereits in der zweiten Lesung von dem Abgeordneten Miltner mit begründet worden ist. Die Antragsteller haben Abstimmung beantragt; dem ist von den Koalitionsparteien nicht widersprochen worden. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu dem Entschließungsantrag auf Drucksache 7/4267. Im Hause besteht Übereinstimmung, daß dieser Entschließungsantrag an die Ausschüsse überwiesen wird, und zwar an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend -, an den Innenausschuß
- mitberatend - sowie an den Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen.
- Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit ist der Tagesordnungspunkt 3, soweit ich das aus den Unterlagen ersehen kann, abschließend behandelt.
Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung - Strafvollzugsgesetz ({73})
- Drucksache 7/918 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({74}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/4208
Berichterstatter: Abgeordneter Simon
b) Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
- Drucksache 7/3998
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Eyrich
Abgeordneter Brandt ({75}) Abgeordneter von Schoeler
Abgeordneter Spranger
({76})
Berichterstatter sind die Herren Abgeordneten Dr. Eyrich, Brandt ({77}), von Schoeler und Spranger. Meine Damen und Herren, ich frage zunächst, ob von den Herren Berichterstattern eine Ergänzung des vorgelegten umfangreichen schriftlichen Berichts gewünscht wird? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann danke ich Ihnen sehr für die ausführliche Berichterstattung. Wir können nun in die Einzelberatung eintreten.
Zu dem Gesetzentwurf liegt zunächst ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Müller-Emmert, Dr. Eyrich, Dr. Penner, von Schoeler, Brandt ({78}) und Spranger - Drucksache 7/4246 - vor, der die Änderungen einer Reihe von Bestimmungen zum Inhalt hat. Ich frage das Haus, ob wir darüber gemeinsam abstimmen können? - Das ist offenbar der Fall.
Dann rufe ich diesen Änderungsantrag aus der Drucksache 7/4246 auf. Dazu wünscht zunächst der Vorsitzende des Ausschusses, der Herr Abgeordnete Dr. Müller-Emmert, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir ein kurzes Wort der Begründung zu dem aufgerufenen Änderungsantrag auf der Drucksache 7/4246. Hierbei handelt es sich um einen Änderungsantrag, der von allen Mitgliedern des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform getragen wird. Es geht im einzelnen - kurz gesagt - darum, daß der Bericht nach der Berichterstattung noch einmal eingehend geprüft wurde und daß dabei einige Unebenheiten festgestellt worden sind.
Im ersten Teil des Antrags geht es darum, daß das Wort „Behandlungszieles" durch das Wort „Vollzugszieles" und die Worte „der Behandlung" durch die Worte „des Vollzuges" ersetzt werden sollen.
Der zweite Teil des Antrags beschäftigt sich mit dem Anhalten von Schreiben. Es war eine unklare Formulierung gefunden worden, die sich nur auf
Schreiben der Gefangenen an andere bezog. Natürlich müssen auch Schreiben, die an den Gefangenen gerichtet werden, in diese Regelung einbezogen werden.
Der dritte Teil des Antrags beschäftigt sich mit Disziplinarmaßnahmen. Nach § 91 Abs. 1 Nr. 8 ist es möglich, daß der Verkehr des Gefangenen mit Personen außerhalb der Anstalt geregelt wird. Dabei muß natürlich zwangsläufig der Schriftverkehr ausgeschlossen werden, den der Gefangene mit Gerichten und Justizbehörden führt. Daraus erklärt sich der dritte Teil dieses Antrags.
Der vierte Teil des Antrags hat lediglich eine Folgeänderung des § 37 zum Inhalt. Er enthält keine materielle Änderung.
Der fünfte Teil des Antrags beruht darauf, daß in einer Übergangsregelung der § 37 genannt ist, der in dem Zeitraum, für den diese Übergangsregelung gilt, überhaupt noch nicht in Kraft ist. Deshalb darf der § 37 in dieser Vorschrift nicht vorkommen.
Ich darf namens der Antragsteller, die diesen Antrag interfraktionell eingebracht haben, bitten, diesen Änderungsantrag anzunehmen.
Meine Damen und Herren, wird noch weiter dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem von dem Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Emmert begründeten Antrag auf der Drucksache 7/4246 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Meine Damen und Herren, der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die §§ 1 bis 30 und 32 bis 179 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe!
({0})
- Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal sagen, daß das die Paragraphen sind, die wir soeben einstimmig geändert hatten.
Ich wiederhole noch einmal: Ich rufe in der Abstimmung die §§ 1 bis 30 und 32 bis 179 in der geänderten Ausschußfassung auf.
({1})
- Jawohl. - Wer den Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Bestimmungen sind angenommen.
Meine Damen und Herren, wir stehen jetzt vor folgender Situation: Zu den §§ 180 ff. sind aus der Fraktion der CDU/CSU Änderungsanträge eingebracht worden. In Abweichung von dem üblichen Vorgehen, daß die Generalaussprache in der dritten Beratung stattfindet, könnte zur Vereinfachung des Verfahrens der Hauptredner der CDU/CSU diese Anträge in seiner Rede mitbegründen. Ich möchte daher mit dem Aufruf der §§ 180 ff. die Möglichkeit geben, daß die allgemeine Aussprache, was sonst
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
nicht üblich ist, hier bereits beginnt. - Ich gebe zunächst dem Herrn Abgeordneten Spranger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte der beiden letzten Tage im Deutschen Bundestag haben die Bundesregierung und Vertreter der Koalition zum Ausdruck gebracht, daß gewaltige Finanzierungsdefizite der öffentlichen Hand einschneidende Sparmaßnahmen erfordern. So fällt auch das vorliegende Strafvollzugsgesetz unter die Erklärung des Bundesfinanzministers vom vergangenen Dienstag - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Wenn wir mit dem Haushaltsstrukturgesetz in bestehende Gesetze eingreifen, um die finanzielle Leistungsfähigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden zu stärken, dann ist es selbstverständlich, daß wir auch alle neuen Gesetzesvorhaben kritisch auf ihre finanziellen Konsequenzen hin untersuchen.
Dementsprechend müssen nicht nur die sachlichen, also die rechts-, justiz- und gesellschaftspolitischen Aspekte dieses Strafvollzugsgesetzes geprüft werden. Gleichgewichtig steht daneben die Frage, welche Kosten das Strafvollzugsgesetz verursacht und ob diese Kosten überhaupt finanzierbar sind. Die Antwort auf diese sachliche und finanzielle Problematik dieses Gesetzes entscheidet über sein Inkrafttreten.
In der Sache erfüllt das Gesetz einen Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, die Beschränkung von Grundrechten Gefangener durch ein Gesetz zu regeln. Ein bundeseinheitliches Konzept des Strafvollzuges soll langjährige Unterschiede im Strafvollzug der einzelnen Länder und die dadurch entstandene Rechtsunsicherheit bei Richtern und Staatsanwälten, Vollzugsbediensteten und Gefangenen beseitigen. Seine vom Strafrechtssonderausschuß gebilligte Fassung ist das Ergebnis eines intensiven Ringens der verschiedenen Parteien, von Bund und Ländern um einen Kompromiß, der den verschiedenen Argumenten, Interessen, Meinungen, Überzeugungen und Tatsachen gerecht zu werden versucht.
Wesentliche Änderungswünsche der CDU/CSU wurden zwar von der Bundesregierung und der Ausschußmehrheit nicht berücksichtigt, dennoch konnte vor allem aus zwei Gründen in der Sache ein Kompromiß erreicht werden:
Erstens. Alle für das Zustandekommen des Gesetzes Verantwortlichen haben von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, welche außerordentliche Bedeutung sie dem Strafvollzug innerhalb der Rechtspflege für unser Volk wegen der Einzelschicksale der Menschen, die dadurch berührt werden, wegen der sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen beimessen und daß sie ein Strafvollzugsgesetz wollen, das die modernen Erkenntnisse aus allen Ländern innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt. Dieser Wille traf auf eine große Bereitschaft der Bundesländer zur Mitarbeit, die zu allen entscheidenden Sitzungen sachkundige Vertreter entsandten und deren Justizminister und -senatoren sich in der kritischen Endphase persönlich in die Beratungen einschalteten. Dafür gebührt allen Beteiligten unser aufrichtiger Dank.
Zum zweiten. Das neue Strafvollzugsgesetz ist keine Erfindung von Strafrechtstheoretikern oder Gesellschaftsvisionären, es ist vielmehr Niederschlag eines in allen oder in einzelnen Bundesländern bereits praktizierten Strafvollzuges. Diesem verdankt das Gesetz die von Realität und Erfahrung bestimmten Züge.
Der Wahrheit wegen sei aber auch ergänzend festgestellt: Öfters verbreitete Greuelmärchen über menschenunwürdige mittelalterliche Zustände in unserem Strafvollzug, über Isolationsfolter und andere Torturen sind Erfindungen und Übertreibungen mit dem Ziel, unseren Rechtsstaat in Mißkredit zu bringen.
({0})
Das ist eine Beleidigung für die aktive und selbstlose Mitarbeit der im Vollzugsdienst Tätigen, die unter schwierigen Bedingungen ein Höchstmaß an Arbeits- und Leistungsbereitschaft erbringen und denen dafür unser Dank und unsere Anerkennung gebühren.
({1})
Unter diesen Voraussetzungen konnte in der Sache ein Kompromiß erzielt werden, der besser ist als der ursprüngliche Regierungsentwurf. Er ist ein Kompromiß zwischen Hoffnung und Sorge. Wir von der CDU/CSU hoffen, daß es mit diesem Gesetz gelingen könnte, mit der Kriminalität in unserem Lande in humaner Weise besser fertig zu werden, als das bisher geschehen ist, daß insbesondere die Eingliederung straffällig Gewordener, die Verhütung weiterer Straftaten durch diese und der Schutz des gesetzestreuen Bürgers und der Allgemeinheit vor dem Verbrechen verbessert werden.
Daneben bleibt aber auch die Sorge, daß mit dem Gesetz ein Weg beschritten werden könnte, an dessen Ende das enttäuschte Vertrauen des Gesetzgebers in Willen und Fähigkeit der Straffälligen steht, die vielfältigen und großzügigen Chancen, die das Gesetz zweifelsohne enthält, auch angemessen zu nützen. Diese Chancen müssen von allen am Strafvollzug Beteiligten verantwortungsvoll genutzt werden, was im Einzelfall eine sorgfältige Abwägung zwischen den Rechten und Pflichten der Gefangenen, der Allgemeinheit und des Staates erfordert.
Diese Abwägung führte im Grundsätzlichen und bei einer Reihe von Bestimmungen zu vielen Diskussionen, weil nach unserer Auffassung SPD und FDP dort zu sehr das Recht der Allgemeinheit auf Schutz und Sicherheit vor Straftaten zugunsten der Straftäter und einer falsch verstandenen Humanität im Strafvollzug vernachlässigten.
({2})
- Herr von Schoeler, das kommt sofort. - So haben wir uns mit Erfolg der Auffassung der Bundesregierung widersetzt, im § 2 den Strafvollzug als Behandlungsvollzug allein mit dem Ziel der Resozialisierung des Gefangenen auszugestalten. In idealistischer Verkennung der sozialen Wirklichkeit wurde von der Bundesregierung nur ein, wenn auch sicher13838
lieh wesentliches Ziel des Strafvollzuges angesprochen. Zwar soll jeder, der nach seiner Persönlichkeit resozialisierbar ist, seine echte Chance erhalten.
Aufgabe des Strafvollzuges - und das ist nun Ergebnis der Arbeit der CDU/CSU und nun Inhalt des § 2, Herr von Schoeler - ist aber auch die Sicherheit der Allgemeinheit vor Rechtsbrechern, insbesondere vor solchen, die einer Resozialisierung nicht zugänglich sind, ja sie nicht wollen und ablehnen. Das hohe Risiko, das diese Straftäter für die Allgemeinheit bedeuten, verbietet von vornherein eine übertriebene Orientierung an der Idee der Resozialisierung, die die soziale Wirklichkeit verkennt, wie es der Regierungsentwurf tat. Der Vollzug erfaßt nämlich auch solche Straftäter, die einer Resozialisierung gar nicht bedürfen und bei denen der Schuldausgleich im Vordergrund steht, wie bei Konflikttätern, nationalsozialistischen Straftätern oder den fahrlässigen Tätern.
Um eines klarzustellen, meine Damen und Herren: Für uns steht Resozialisierung zur Sicherheit der Allgemeinheit nicht im Widerspruch. Denn alles, was der Resozialisierung tatsächlich wirksam dient, dient auch der Sicherheit. Wo Resozialisierung aber zur bloßen vagen Hoffnung reduziert wird, schadet sie der Sicherheit der Allgemeinheit. Die Erfahrungen in anderen Ländern, z. B. in den USA, in Dänemark, haben gezeigt, daß trotz des Einsatzes aller erdenklichen personellen und finanziellen Mittel der Behandlungsvollzug auch gegenüber nicht resozialisierbaren Kriminellen ein klarer Fehlschlag war. Der Behandlungsvollzug wurde dort deshalb auf wirklich resozialisierungsfähige und -willige Gefangene beschränkt. Ich meine, dies sollte uns ebenfalls zur Warnung dienen.
In § 4 wollte die Bundesregierung die Stellung des Gefangenen nur solchen Schranken unterwerfen, die das Strafvollzugsgesetz ausdrücklich nennt. Nach unserer Auffassung ist es jedoch völlig ausgeschlossen, alle in der täglichen Vollzugspraxis möglichen Situationen vorauszusehen und eine perfektionierte Einzelregelung zu schaffen. Statt zu flexiblen Reaktionen der Anstaltsleitung und der Vollzugsbediensteten hätte die Schematisierung zur Lähmung des Strafvollzugs geführt. Aus diesen Gründen wurde der Entwurf der Bundesregierung nach langen Beratungen dahin gehend geändert, daß nunmehr auch zur Aufrechterhaltung der Sicherheit in der Anstalt und zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung dort flexibel auf das jeweilige Verhalten der Gefangenen reagiert werden kann.
Eine wichtige vollzugspolitische Entscheidung war in § 10 zu treffen. Der Regierungsentwurf sah vor, daß ein Gefangener stets und von Anfang an im offenen Vollzug unterzubringen ist, wenn er sich dafür eignet. Da die Nichteignung in der Praxis meist nicht eindeutig feststellbar ist, wäre der offene Vollzug die Regel geworden.
CDU und CSU haben diese Umkehrung der bisherigen Praxis entschieden abgelehnt. Nach unserer Auffassung hätte der Regierungsentwurf das Risiko des Versagens des Gefangenen im offenen Vollzug mit seinen Verlockungen einseitig den Vollzugsanstalten und der Allgemeinheit aufgebürdet. Dieses Risiko wiegt besonders schwer, weil der Rückgang der kurzzeitigen Freiheitsstrafen im Vollzug immer stärker an den harten und gefährlichen Kern der Täter herangeführt hat.
Auch haben die Erfahrungen der Vergangenheit, insbesondere der letzten Jahre, und das Ansteigen der Zahl der Entweichungen seit 1970 ergeben, daß der größere Teil der Gefangenen für den offenen Vollzug nicht als tauglich angesehen werden kann. Würde der offene Vollzug zur Regel, dann würden die Zahl der Entweichungen und das Sicherheitsrisiko der Allgemeinheit weiter steigen. Dies haben auch die sehr weitgehenden Lockerungen in Holland und in Schweden unter Beweis gestellt, die außerdem zu erheblichem Alkohol- und Rauschgiftmißbrauch führten.
Trotzdem konnte nach langen Diskussionen nur die Umwandlung der Ist-Bestimmung in eine SollBestimmung erreicht werden. Wenigstens zum Teil wurde somit den Bedenken der CDU/CSU und des Bundesrates Rechnung getragen.
Meine Damen und Herren, es gab darüber hinaus eine Reihe von Bestimmungen, die umstritten waren, sei es § 13 - Urlaubsregelung -, § 14 - Regelung des Widerrufs von Weisungen -, die Frage der gemeinschaftlichen Unterbringung von Gefangenen, die Einschränkung von Besuchsmöglichkeiten von Verteidigern und ähnliches. Allein dieser Überblick macht deutlich, daß viele schwierige Sachprobleme zu bewältigen waren und auch gemeinsam bewältigt wurden. Die CDU/CSU hat deshalb trotz zum Teil erheblicher Bedenken zum sachlichen Inhalt dieses Gesetzes ja gesagt, das einer ständigen Überprüfung durch seine praktischen Ergebnisse zu unterziehen ist, an dem Änderungen nicht auszuschließen sind, sofern die hohen Erwartungen insbesondere in die vorbehaltlose Mitarbeit des Gefangenen an seiner Resozialisierung sich nicht rechtfertigen.
Der desolate Zustand der öffentlichen Finanzen als Ergebnis des wirtschafts- und finanzpolitischen Versagens der Bundesregierung stellt jedoch das Inkrafttreten des Gesetzes in Frage, soweit es kostenwirksame Bestimmungen enthält. Das Gesetz bürdet den Ländern große Kosten auf, nicht allein für das Arbeitsentgelt und die Sozialversicherung der Gefangenen, sondern auch im Personalbereich, für die Beseitigung der Gemeinschaftshaft, die Einrichtung von offenen und sozialtherapeutischen Anstalten, für Freizeiträume, schulische und berufliche Bildungseinrichtungen und vieles andere mehr. Die Bundesregierung hat dies im übrigen in ihrer Begründung zum Regierungsentwurf selbst angegeben und dargelegt. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitiere ich aus der Begründung zu § 180:
Absatz 2 behält das Inkrafttreten der Vorschriften über die Arbeit der Gefangenen und damit im Zusammenhang stehender Regelungen sowie der Vorschriften über die Sozial- und Arbeitslosenversicherung der Gefangenen einem besonderen Bundesgesetz vor. Die Einführung eines Arbeitsentgelts auf der in dem Entwurf vorgesehenen Grundlage hätte nach den getroffenen Schätzungen Mehrausgaben von etwa
173 Millionen DM jährlich zur Folge gehabt. Ebenfalls ist von der Einbeziehung der Gefangenen in die Sozial- und Arbeitslosenversicherung eine beträchtliche Erhöhung der laufenden Kosten zu erwarten ... Bei der gegenwärtigen Finanzlage konnte keine Frist für die Einführung dieser Vorschriften festgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, das sagte die Bundesregierung am 23. Juli 1973, also vor über 21/4 Jahren, zu einem Zeitpunkt, zu dem die Finanzsituation sicherlich noch günstiger war als heute. Entsprechend ihrer Auffassung hat die Bundesregierung dann in § 180 Abs. 2 vorgeschlagen, diese kostenträchtigen Bestimmungen erst durch ein besonderes Bundesgesetz in Kraft zu setzen.
Der Ausschuß hat zwar die stufenweise Inkraftsetzung des Strafvollzugsgesetzes beschlossen. Auf Grund erst nachträglich erkennbarer und fixierter Fakten kann jedoch die CDU/CSU diesem Stufenplan nicht zustimmen, weshalb sie den vorliegenden Änderungsantrag eingebracht hat.
({3})
- Herr von Schoeler, wir kommen darauf; ich habe gesagt, daß wir diesem Stufenplan nicht zustimmen können, und ich möchte das wie folgt begründen.
Erstens. Der Stufenplan belastet in der jetzigen Fassung nach dem nachträglichen Bericht des Haushaltsausschusses vom 23. Oktober 1975 die Länderhaushalte erheblich. Ab 1977 entstehen Mehrkosten von jährlich 52 Millionen DM, ab 1980 von 124 Millionen DM und ab 1987 von 352 Millionen DM. Wenn Herr Dr. von Bülow in seiner von Sachkenntnis ungetrübten Attacke am vergangenen Mittwoch behauptete, das sei nicht so schlimm, weil diese Kosten erst ab 1977 anfallen würden, dann bestätigt er die ganze Kurzsichtigkeit und auch Verantwortungslosigkeit einer wirtschafts- und finanzpolitischen Konzeption von SPD und FDP, die nach dem Motto „Nach uns die Sintflut" den Staat in eine einmalige Finanzkrise führte und die offenbar - zumindest nach Herrn von Bülow - weiter Maßstab der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung bleiben soll.
({4})
Zweitens. Wie diese enorme Belastung für die Bundesländer im einzelnen aussieht, beweist das Beispiel des Freistaates Bayern. Dort betragen die jährlichen Mehrkosten für das Arbeitsentgelt ab 1977 2 Millionen, ab 1980 10 Millionen und 1986 55 Millionen DM.
Herr AbAbgeordneter, gestatten Sie Zwischenfragen?
Ich möchte mein Referat geschlossen abgeben.
Die Sozialversicherungskosten steigen in dem gleichen Zeitraum von 2,5 Millionen auf 7 Millionen und dann auf 32,5 Millionen DM. Dies zeigt, daß die vom Haushaltsausschuß angesetzten Kosten niedriger sind, als sie dann tatsächlich in den künftigen Jahren sein werden.
({0})
- Diese Erklärung von Herrn Staatsminister Dr. Hillermeier ist uns jedenfalls nicht bekannt; er befindet sich in völligem Einvernehmen mit der Fraktion der CDU/CSU.
({1})
Drittens. Auf Ihrer Besprechung vom 22. bis 24. Oktober 1975 haben sich die Regierungschefs aller Bundesländer - aller Bundesländer, Herr Arndt, also auch des Freistaates Bayern einmütig darauf geeinigt, daß zu jenen Teilen des Strafvollzugsgesetzes, die mit erheblichen Folgekosten belastet sind, Detailentscheidungen zu einem späteren Zeitpunkt getroffen werden sollen. Bei diesem klaren Votum der Länder also auch der von SPD und FDP regierten - ist klar, daß dieser Stufenplan aus finanziellen Gründen nicht Gesetz werden wird. Hier nun im Bundestag so zu tun, als gäbe es dieses Finanzierungsproblem nicht, wäre unsolide und Traumtänzerei.
Viertens. Unseriös, zwielichtig und auf Täuschung der Öffentlichkeit angelegt ist insbesondere die Haltung der Bundesregierung und ihres Bundesjustizministers. Denn sie versucht, sich an der klaren Antwort auf die Frage vorbeizumogeln: Wie sollen denn eigentlich die allseits anerkannten enormen Belastungen, die die Länder übereinstimmend nicht tragen können und nicht tragen wollen, finanziert werden? Will etwa der Bund sie übernehmen? Oder welche zusätzlichen Zuschüsse gewährt eigentlich der Bund für die Übernahme dieser Kosten durch die Länder?
Die Bundesregierung hat zuerst erklärt: Wegen der Kosten, die nicht finanzierbar sind, ist ein späteres Inkrafttreten erforderlich. Jetzt hingegen sagt sie nichts, als der Strafrechtssonderausschuß auf Grund falscher Voraussetzungen anders entschieden hat und obwohl der Haushaltsausschuß im nachhinein die Kosten als viel schwerwiegender berechnet hat, als die Vertreter der Bundesregierung im Strafrechtssonderausschuß einzuräumen bereit waren. Was meint und will eigentlich die Bundesregierung in dieser Finanzierungsfrage? Sind nun die Kosten untragbar, wie die Länder meinen? Sind sie untragbar, wie die Bundesregierung früher meinte? Welche Leistungen will die Bundesregierung an die Länder erbringen, damit diese dennoch die Belastungen übernehmen können? Meine Damen und Herren, diese Fragen müssen geklärt werden, und ehe diese Fragen nicht geklärt sind, ist auch die Finanzierung dieser kostenrechtlichen Bestimmungen nicht geklärt.
({2})
Wenn Sie bei den Beratungen anwesend gewesen wären oder eine Ahnung davon hätten, in welchem Stil und mit welcher Sachlichkeit diese Bera13840
tungen geführt wurden, und wenn Sie erkannt hätten, daß alle sich einig waren, dieses Gesetz in der Sache durchzuführen, hätten Sie einen solchen Zwischenruf unterlassen, Herr Arndt.
({3})
Eine Regierung oder eine Partei, die angesichts dieser ungeklärten Fragen dem Strafvollzugsgesetz zustimmt, läßt die primitivsten haushaltsrechtlichen Vorschriften außer acht und setzt sich in Gegensatz zu all den Sprüchen, die diese Regierung über ihre Solidität in der Finanz- und Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit gemacht hat. Sie setzt allerdings nahtlos die wirtschafts- und finanzpolitische Unsolidität dieser Bundesregierung fort.
({4})
Ich möchte sagen: Es ist beinahe typisch, wenn von Herrn Apel in seinen Darlegungen finanzielle Konsequenzen aus der Haushaltslage angekündigt werden, die Nagelprobe durch die Bundesregierung dann aber vermieden wird. Wenn der Herr Bundesfinanzminister am Schluß seiner Rede auch davon sprach, daß Offenheit und Wahrheit das Gebot dieser Regierung seien, dann muß ich sagen: Das ist als ein trauriger Witz zu qualifizieren angesichts der Tatsache, daß hier eine ganz klare Finanzierungslücke vorliegt und diese Angelegenheit nicht finanziert werden kann.
({5})
Fünftens. Die Bundesregierung hat der CDU/CSU-Fraktion völlig zu Unrecht in der Öffentlichkeit wiederholt vorgeworfen, sie meine es nicht ernst mit ihren Sparvorschlägen. Angesichts der von SPD und FDP verschuldeten Finanzkatastrophe sah sich die CDU/CSU-Fraktion gezwungen, grundsätzlich keine ausgabenwirksamen Gesetze mehr zu initiieren oder zu unterstützen. Wenn die Bundesregierung nach der Rede des Bundesfinanzministers am vergangenen Dienstag Defizite reduzieren will, wie er sagte, dann kann sie dies nicht allein durch Steuererhöhungen und Streichungen bei Leistungen des Staates tun, dann muß sie auch die Gesetze - die sie an sich vorhat - auf ihre finanziellen Auswirkungen hin überprüfen. Ich sehe nicht ein, meine Damen und Herren, warum in vielen Bereichen wegen der Mißwirtschaft dieser Bundesregierung der gesetzestreue Bürger geschröpft und zur Kasse gebeten wird,
({6})
während andererseits die gleiche Bundesregierung ohne Rücksicht auf die Finanzlage
({7})
- Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen, Herr Lambinus, Sie müssen es hinnehmen - wünschenswerte -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ostman von der Leye?
Nein, ich möchte hier zu Ende kommen; ich bin gleich fertig.
({0})
Ich wiederhole es gern noch einmal, damit Sie sich etwas beruhigen können. Herr Lambinus, ich sehe nicht ein, warum in vielen Bereichen wegen der Mißwirtschaft der Bundesregierung der gesetzestreue Bürger geschröpft und zur Kasse gebeten wird, während andererseits die gleiche Bundesregierung ohne Rücksicht auf die Finanzlage wünschenswerte, aber zur Zeit nicht finanzierbare Projekte des Strafvollzuges legalisieren will. Man kann einfach nicht, meine Damen und Herren, die Strafgefangenen zu Lasten der Heimkehrer, der Kriegsopfer, der Opfer von Straftaten
({1})
und aller übrigen gesetzestreuen Steuerzahler bevorzugen.
({2})
Meine Damen und Herren, das ist auch keine schäbige Argumentation ({3})
Meine Damen und Herren, das ist auch keine schäbige Argumentation für die Stammtische, wie Herrn von Bülow zu meinen beliebte,
({4})
sondern Ausdruck eines wahren Gerechtigkeitsempfindens, das aber diesem Herrn offenbar längst abhanden gekommen ist.
({5})
Aber wenn ich Ihre Reaktion verfolge, meine Damen und Herren, muß ich auch Ihnen das Gerechtigkeitsempfinden pauschal absprechen.
({6})
Aus diesen Gründen kann die CDU/CSU dem Gesetz ihre Zustimmung nur erteilen,
({7})
wenn ein von uns gestellter und durch mich hiermit begründeter Änderungsantrag angenommen wird, demzufolge der Stufenplan insgesamt erst drei Jahre später als beschlossen in Kraft gesetzt wird. Wir bedauern diese Entwicklung der Sache wegen. Wir sind aber nicht bereit, eine Politik der finanziellen Roßtäuscherei mitzumachen.
({8})
Bundesregierung und Koalitionsparteien haben es
in der Hand, ob das Gesetz hier im Bundestag dem
sachlichen Einvernehmen gemäß gemeinsam verabSpranger
schiedet wird. CDU und CSU haben ihre Bereitschaft dazu in den Beratungen bewiesen. Nach Ihren Zwischenrufen werden Sie Gelegentheit haben, Ihre Bereitschaft hier ebenfalls unter Beweis zu stellen.
({9})
Meine Damen und Herren, heute ist einer der seltenen Fälle eingetreten, daß ein Kollege des Hauses mit zwei anderen von der Bestimmung des § 81 Abs. 2 der Geschäftsordnung Gebrauch machen will, wonach Änderungsanträge in der zweiten Beratung keiner Unterstützung bedürfen und, wenn sie noch nicht verteilt sind, verlesen werden. Die Verwaltung hatte gehofft, den Antrag noch verteilen zu können. Das war bei dem Abstimmungsexemplar hier nicht berücksichtigt.
Ich wäre Ihnen für Ihr Einverständnis dankbar, daß wir den betreffenden Antrag noch einmal aufrufen, den Herr Kollege Erhard gestellt hat, damit wir die Sache ordnungsgemäß abschließen können. Dieses Verfahren ist nach der Geschäftsordnung, wenn der Antrag noch nicht verteilt ist, durchaus möglich. Ich gebe dazu jetzt dem Kollegen kurz das Wort. Danach wird Herr Abgeordneter Müller-Emmert dazu Stellung nehmen. Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere diesen kleinen Fehler in der Technik. Aber darüber können wir hinwegkommen.
Es handelt sich um §§ 26 und 28 der Vorlage. Es geht darum, daß es in § 26 Abs. 2 heißt: „Besuche von Verteidigern werden nicht überwacht." In § 28 geht es darum: „Der Schriftwechsel des Gefangenen mit seinem Verteidiger wird nicht überwacht." Diese Vorschriften in der Vorlage entsprechen nicht ganz dem, was die Regierungsvorlage vorgesehen hatte.
Zu diesen beiden Paragraphen lautet der Änderungsantrag Erhard ({0}), Dr. Hauser ({1}), Kunz ({2}) wie folgt:
§ 26 Abs. 3 wird durch folgende Sätze ergänzt: „Die Besuche werden durch einen Richter überwacht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß der Beschuldigte den Verkehr dazu mißbraucht oder mißbrauchen wird, eine Straftat nach § 129 a Abs. 1 StGB oder eine der in dieser Vorschrift bezeichneten Straftaten zu begehen. Die Überwachung erstreckt sich auf Personen, denen der Verteidiger Untervollmacht erteilt oder denen er nach § 139 StPO die Verteidigung überträgt. Eine Überwachung findet nicht mehr statt, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen."
Es wird folgender Abs. 3 a eingefügt:
„Die Anordnung einer Überwachung nach Abs. 3 trifft vor Erhebung der öffentlichen Klage der nach § 126 Abs. 1 StPO zuständige Richter, danach das Gericht des ersten Rechtszuges, danach der für die Vollstreckung zuständige Richter."
§ 28 Abs. 1 wird durch folgenden Satz ergänzt:
„Ist Gegenstand der Untersuchung oder der Verurteilung eine Straftat nach § 129 a StGB, so sind Schriftstücke oder andere Gegenstände zurückzuweisen, sofern sich der Absender nicht damit einverstanden erklärt, daß sie zunächst einem Richter vorgelegt werden."
Das ist der Antrag, den ich vorlesen mußte.
({3})
Begründung: Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollten dem dringlichen Anliegen der Bundesregierung, dem sie mit dem Gesetzentwurf Drucksache 7/4005 am 1. September 1975 Rechnung tragen wollte, und dem besonderen Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vom 4. Juni 1975 mindestens in den Punkten zum Leben verhelfen, bei denen es Ihnen von der Koalition möglich ist, Ihrem eigenen Antrag zuzustimmen; denn er ist wörtlich aus den beiden wortgleichen Vorlagen der Fraktionen und der Bundesregierung hier übernommen worden. Wortgleich!
({4})
Heute soll Ihnen die Gelegenheit gegeben werden, dem zuzustimmen. Sonst könnte nämlich der Eindruck entstehen
({5})
- hören Sie erst einmal gut zu! -, als ob Sie es vergessen hätten, daß Sie die Erkenntnisse, die Sie im Dezember noch nicht hatten, im Juni als neu verkündet haben. Damals haben Sie gesagt, es sei aus neuen Erkenntnissen der Konspiration der Verteidiger mit den Inhaftierten dringend notwendig, hier einzuschreiten. Bis heute sind die Anträge im Rechtsausschuß noch nicht beraten worden. Bis heute ist keine andere Meinung da als die, die Sie uns selber hier auf den Tisch gelegt haben. Wir sollten nicht ein Gesetz verabschieden, bei dem Ihre Fraktion und die Bundesregierung nicht die Möglichkeit haben, über ihre eigenen Vorstellungen, ihre eigenen Anträge abzustimmen.
Ich beantrage also nicht das, was wir vorgeschlagen haben - wir haben viel, viel detailliertere und schärfere Vorschriften vorgeschlagen -, sondern beantrage nur, das Wenige, was in etwa den Notwendigkeiten entspricht, die die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen hier vor der Sommerpause lauthals verkündet haben, jetzt Wirklichkeit werden zu lassen. Nichts anderes besagt unser Antrag.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Erhard, ich glaube, Sie dramatisieren in einer eigentlich völlig unbegründeten Weise. Ich glaube sogar, Sie haben ein klein wenig an der Sache vorbeige13842
redet. Das ergibt sich allein schon daraus, daß beispielsweise - Ziffer 3 Ihres Antrags - ein § 129 a in dieses Gesetz aufgenommen werden soll, der überhaupt noch nicht beschlossen ist.
({0})
Das ist wirklich eine ganz besondere juristische Kunstfertigkeit, die wir eigentlich nicht nachvollziehen können.
({1})
Das kommt daher, Herr Kollege Erhard, daß drei geschätzte Kollegen, nämlich Sie, Herr Kollege Hauser und Herr Kollege Kunz, diesen Antrag gestellt haben, die nicht dem Strafrechtssonderausschuß angehören und deswegen - das ist kein Vorwurf - nicht wissen können, wie die Beratungen eigentlich gelaufen sind.
({2})
- Herr Kollege Lenz, warum denn diese Aufregung? Natürlich haben wir das Problem gesehen, und wir haben im Strafrechtssonderausschuß - fragen Sie bitte die Kollegen aus Ihrer Fraktion, die Mitglieder dieses Ausschusses sind - folgendes vereinbart.
Wir wissen, daß verschiedene Gesetzentwürfe, nämlich einer von der Opposition und einer von der Bundesregierung, vorliegen, die das Problem der Überwachung des Verkehrs des Gefangenen mit seinem Verteidiger regeln sollen. Insoweit ist der Rechtsausschuß zuständig. Der Rechtsausschuß ist mit dieser Materie befaßt. Bei der zügigen Art der Sachbehandlung, die dem Rechtsausschuß eigen ist, ist mit Sicherheit zu erwarten, daß diese beiden Gesetzentwürfe Anfang des nächsten Jahres - dies steht auch auf dem Programm des Rechtsausschusses - behandelt, dann dem Plenum des Bundestages zur zweiten und dritten Beratung vorgelegt und - das sehen die beiden Entwürfe übereinstimmend vor - beschleunigt in Kraft gesetzt werden.
Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten und beschließen, soll erst - das wissen Sie auch, Herr Kollege Erhard - zum 1. Januar 1977 in Kraft gesetzt werden, und deshalb haben wir die Vereinbarung im Strafrechtssonderausschuß getroffen, daß das, was der Rechtsausschuß an Gedanken und an neuen Ideen im Rahmen der Überwachung des Verkehrs des Gefangenen mit seinem Verteidiger gebiert, selbstverständlich sofort in das Strafvollzugsgesetz übernommen werden soll. Das ist eine ganz einfache Regelung, die dafür Sorge trägt, daß das, was der Rechtsausschuß gefunden hat, im Strafvollzugsgesetz auch seinen Niederschlag findet, wobei dem Rechtsausschuß sogar die wirklich große Ehre zuteil wird, daß er dann das Strafvollzugsgesetz in einem besonderen Artikel des Gesetzes, das er noch zu beschließen haben wird, in Form einer ersten Novelle zum Strafvollzugsgesetz ändern wird. Ich glaube, das ist für den Rechtsausschuß eine besonders feierliche Sache.
Deswegen bitte ich im Namen der Fraktionen der FDP und der SPD darum, daß dieser Änderungsantrag abgelehnt wird.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Es kommt sicherlich ganz selten vor, daß ausgerechnet Herr Erhard in juristischen Angelegenheiten so nett, in einigen Punkten leider aber auch so profund
({0})
- mindestens in einem Punkt, gut; das andere waren halbe Punkte, das addiert sich - belehrt werden muß. Nach dieser Belehrung ist es vielleicht sogar möglich, daß die Fraktion der CDU/CSU diesen Antrag zurücknimmt
({1})
- Entschuldigung; ich dachte, es ginge bei Ihnen etwas solidarischer zu -, daß also die Antragsteller ihn zurücknehmen, damit wir nicht den damit zutreffend dargestellten Gang der Dinge weiter verwirren, zumal ich schon bei den Ausführungen von Herrn Spranger den Eindruck hatte, als er hier als einer Ihrer weiteren wirtschafts- und finanzpolitischen Experten in Aktion getreten ist, anstatt zum Strafvollzug zu reden,
({2})
daß es Ihnen mit der ganzen Geschichte „Strafvollzug" nicht so richtig paßt
({3})
und Sie dann auf Nebenkriegsschauplätze ausweichen. Einen weiteren Kriegsschauplatz bedeutete der Antrag, den wir, falls Sie nicht in der Lage sind, ihn in aller Freundschaft zurückzunehmen, ablehnen möchten.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Eyrich. Meine Damen und Herren, ich schlage nur vor, daß wir zu dieser Stunde nicht auf diesem Nebenkriegsschauplatz das Hauptgefecht eröffnen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ganz gewiß so, daß nicht wir diejenigen sind, die auf einem Nebenschauplatz einen Hauptkrieg ausführen wollen. Nur: Das, was Herr Kollege Kleinert gesagt hat, kann nicht unwidersprochen bleiben.
Herr Kollege Kleinert, wir hatten schon lange den Verdacht, daß Sie mit der Ankündigung, unseren
Antrag, der eine Hinausschiebung der kostenwirksamen Teile dieses Gesetzes betrifft, abzulehnen, nichts anderes erreichen wollen, als in der Öffentlichkeit sagen zu können: Diese CDU/CSU hat dem reformerischen Gedanken des Strafvollzugsgesetzes nicht zugestimmt. Dabei verschweigen Sie dann, daß unsere Ablehnung allein der Sorge entspringt, daß die Finanzierung nicht gesichert ist.
({0})
Ich kann das guten Gewissens sagen.
({1})
- Herr Kollege von Schoeler, Sie haben die Beratungen zum Strafvollzugsgesetz mit mir zusammen von Anfang bis Ende miterlebt.
Wenn dieser Versuch unternommen werden sollte, dann kann ich nur sagen, die Protokolle des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform werden die Wahrheit eindeutig ausweisen und solche Behauptungen, falls Sie sie aufstellen sollten, Lügen strafen.
({2})
Herr Kollege Eyrich, wir befinden uns im Augenblick in der zweiten Beratung, die ich wegen des Antrags Erhard noch einmal aufgerufen habe. Da gab es eine kleine Polemik; darauf kann noch eingegangen werden. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie bald zum Schluß kämen.
Herr Präsident, ich nehme das natürlich sehr ernst, was Sie sagen. Ich hoffe nur, daß Sie mit dem Bezug auf das, was Sie von der kleinen Polemik gesagt haben, nicht geschlossen haben, daß ich hier eine große Polemik veranstalte.
({0})
Es ist notwendig, Herr Kollege Kleinert, daß man Ihre Ausführungen zurückweist. Sie wissen doch auch, daß nicht nur der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, sondern auch der Präsident des Senats von Hamburg im Auftrag aller Ministerpräsidenten einen Brief geschrieben hat, in dem er eindeutig klarstellt, daß die finanzielle Sicherung dieses Gesetzes nicht gewährleistet ist.
Wir sollten hier offen miteinander diskutieren. Natürlich, Herr Kollege Ostman von der Leye, können wir der Auffassung sein, hier ein Gesetz beschließen zu sollen, wohl wissend, daß der Bundesrat in seiner Gesamtheit - nicht nur in seiner Mehrheit, sondern in seiner Gesamtheit - dieses Gesetz ablehnt. Das wäre mit ein Weg. Nur, dann machen Sie bitte nicht daraus die Theorie, als ob wir diesem Gesetz, das wir mitgestaltet und mit erarbeitet haben, aus anderen Gründen nicht zustimmten.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen
nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Antrag des Abgeordneten Erhard in der zweiten Beratung nach § 81 Abs. 2 der Geschäftsordnung unterstützen will, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Danke. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kehren zur Aussprache zurück. Das Wort hat der Abgeordnete Brandt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Strafvollzugsgesetz, über das wir hier miteinander sprechen, hat schon eine sehr lange Geschichte, aber es hat noch keine Gegenwart, und seine Zukunft ist nach wie vor sehr ungewiß.
({0})
Dabei sind sich alle Seiten darüber im klaren, daß es ein Strafvollzugsgesetz geben muß. Wir haben doch gar nicht die Wahl, ein Strafvollzugsgesetz zu verabschieden oder es auch bleiben zu lassen. Unabhängig von der sachlichen Notwendigkeit stehen wir doch auch unter dem Druck des Bundesverfassungsgerichtes, das uns, dem Gesetzgeber, Anfang 1972 und jetzt dieser Tage gerade wieder aufgegeben hat, alsbald ein Gesetz zu verabschieden, weil in die Grundrechte auch von Gefangenen nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden darf und nicht auf Grund von Verwaltungsvereinbarungen.
Freilich liefen, wie Sie wissen, 1972, als dieser Urteilsspruch ergangen ist, schon längst die Arbeiten für ein Strafvollzugsgesetz, nämlich seit 1967, als Gustav Heinemann eine Kommission eingesetzt hat, die das spätere Gesetz vorbereitete. Das Arbeitsergebnis dieser Kommission war dann Grundlage für den Regierungsentwurf und dieser wiederum Grundlage für die jetzt vorliegende Ausschußfassung, die Gesetz werden soll.
Über die Frage des Ob, meine Damen und Herren, gab es also überhaupt keine Diskussion. Damit wäre dann aber auch eine über hundertjährige Geschichte gescheiterter Versuche, zu einem Strafvollzugsgesetz zu kommen, beendet.
War die Frage des Ob schnell beantwortet, so war die Frage danach, wie dieses Gesetz aussehen soll, keineswegs so schnell und so leicht beantwortet. Da gab es viele verschiedene Ausgangspositionen und sehr verschiedene Meinungen über Einzelfragen; dies ist richtig, Herr Kollege Spranger. Aber am Ende stand die Einigung zwischen Regierung und den sie tragenden Koalitionsfraktionen, die keineswegs immer einer Meinung waren, stand die Einigung innerhalb des Ausschusses oder - so muß ich sagen - innerhalb der Ausschüsse - es war nicht nur der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, sondern auch der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung -, die Einigung zwischen Koalition und Opposition. Dieses Gesetz ist im Ausschuß einstimmig verabschiedet worden.
Da es sich aber um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz handelt, war es zweckmäßig, mit den Bundesländern vorab einen Kompromiß zu suchen. Auch
Brandt ({1})
diese Einigung, meine Damen und Herren, ist gelungen, soweit es die justizpolitische, die vollzugspolitische Seite betraf, und es war nicht zu erwarten, daß Bundestag und Bundesrat sich noch einmal streiten würden. Das alles war nicht einfach, und das Unternehmen Einigung wäre sicherlich nicht gelungen, wenn nicht der ernste und bewiesene Wille zur Einigung bei allen vorhanden gewesen wäre.
({2})
Jeder von uns hätte sich nach seinen Wünschen ein besseres Gesetz fürwahr vorstellen können.
Aber, Herr Kollege Spranger, ich will mich jetzt hier nicht verzaseln und verzwirnen in dem Versuch, nachzurechnen, wem was bei diesen Beratungen zu verdanken ist. Dies war am Ende ein einstimmig getragener Kompromiß, und wir sind bereit, diesen Kompromiß auch weiter zu tragen.
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Sie haben die Sachlichkeit, mit der im Ausschuß beraten worden ist, hier kurz angeführt. Das ist richtig; das waren sehr sachliche, sehr nüchterne Beratungen in diesem Ausschuß. Nur hätte ich mir gewünscht, Sie hätten diese Sachlichkeit der Ausschußberatung noch ein Stück mit hinübergerettet in diese zweite und dritte Lesung. Denn wenn Ihre Ausführungen einen Ihrer Kollegen hier zu der Äußerung provozieren können - was ich hier selber mit angehört habe -, wir machten hier ein „Verbrecherschutzgesetz", dann muß man sich doch fragen, ob man wohl falsch liegt, daß es zuviel verlangt ist,
({4})
von einer christlichen Partei manchmal auch das Mindestmaß an Humanität zu verlangen, das man auch hier braucht.
({5})
Ich sage noch einmal: Wir Sozialdemokraten sind nach wie vor bereit,
({6})
den gefundenen Kompromiß zwischen auseinanderlaufenden Meinungen zu tragen. Wir wollen, daß das Straßvollzugsgesetz, daß der Strafvollzug eine Reformperspektive bekommt. Diesem Willen muß man dann auch in Gesetzesformulierungen einen Niederschlag geben.
Ohnehin, meine Damen und Herren, ist doch das, was nun hier als Gesetz formuliert vorliegt, kein Reformgesetz im Sinne einer abgeschlossenen Reform. Wir werden uns ohnehin etwas stärker mit der Tatsache auseinanderzusetzen haben, daß viele Reformen Prozeßcharakter haben, daß ihnen ein Weg geöffnet werden muß. Mit anderen Worten: Dies ist keine Reform, aber es öffnet einer Reform den Weg. Da sind noch viele Entwicklungen möglich, die gefördert und, geprüft auf ihre Tauglichkeit, verankert werden müssen. Die schwierigsten Reformen sind immer diejenigen, bei denen es nicht nur darum geht, ein Gesetz zu machen, sondern mit denen Einstellungen, Denkweisen geändert werden müssen, um das Gesetz erst wirksam werden
zu lassen. Das Strafvollzugsgesetz ist ein solches Gesetz.
Eigentlich, meine Damen und Herren, fängt das ja alles viel früher an. Darüber müßten wir auch einmal reden; ich kann das hier nur im Vorübergehen streifen. Wir werden von einigen Fragen nicht losgelassen werden, die zunächst einmal, auf den ersten Blick, mit dem Strafvollzug überhaupt nichts zu tun haben: die Frage, was das denn für Menschen sind, die Gesetze brechen - bis hin zu schweren und schwersten Straftaten -, warum sie es tun. Wir wissen darüber - dies sollten wir zugeben - verdammt wenig.
Dann die Frage, welche persönliche Lebensgeschichte abgelaufen ist, die in ein Verbrechen mündet. Es ist zu einfach, sich hinter die Mauer der Selbstverantwortlichkeit der Person zurückzuziehen und zu sagen: selber schuld. Wir fassen den Täter, urteilen ihn ab, setzen ihn fest. Wir regen uns über das Verbrechen auf, ohne die kritische Frage auch danach zu stellen, ob denn nicht auch die Gesellschaft selber, zumindest mitunter, einen Teil Mitschuld trägt. Wir fragen uns zu selten, wie denn das alles gekommen ist.
Ich suche hier nicht nach Entschuldigungen. Ich hoffe aber, daß wir uns ernsthafter mit Erklärungen des Verbrechens und mit der Frage beschäftigen, ob es uns nicht gelingen kann, in einer gerechteren Gesellschaft eine Zahl von Verbrechen erst gar nicht entstehen zu lassen, statt sie zu bestrafen.
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Ich habe nicht die Illusion, es könne gelingen, eine Gesellschaft zu haben, in der das Verbrechen, der Bruch der Gesetze, nicht mehr stattfindet. Aber jede Gesellschaft macht Gesetze, auch Strafgesetze, zu ihrem Schutz, zum Schutz der Gesellschaft und der einzelnen Menschen in ihr. Es ist die Frage noch nicht schlüssig und endgültig beantwortet - endgültig werden wir das nie schaffen -, ob wir denn alles bestrafen müssen, was wir heute noch bestrafen - ein Grundproblem der Strafrechtsreform, mit der wir uns ja auch befassen -; die Frage, ob es nicht andere Sanktionsmöglichkeiten gibt über das hinaus, was es schon gibt: Geldstrafe, Strafaussetzung zur Bewährung; die Frage, ob es nicht Möglichkeiten gibt, viel früher bei drohenden Sozialisationsschäden eingreifen zu können, um eine Entwicklung zu unterbrechen, die geradewegs und erkennbar in das Verbrechen hineinführt. Da bleibt die Frage, ob Richter bei der Verurteilung nicht bedenken müssen, welche Aufgabe die von ihnen verhängte Strafe erfüllen soll. Ist es wirklich sinnvoll, jemanden für kurze Zeit - zwei Monate, drei Monate, vier Monate - in den Knast zu schikken? Ist es nicht viel besser, sich da etwas ganz anderes einfallen zu lassen, etwa den Ausbau des Bewährungshelfersystems oder eine Art Vollzug in Freiheit?
Dies sind Fragen, meine Damen und Herren, die wir mit dem Strafvollzugsgesetz nicht lösen können, die aber auch gestellt werden müssen, weil es allemal noch besser ist, Fragen zu stellen, für die es
Brandt ({8})
noch keine Antwort gibt, als Antworten zu bekommen, nach denen niemand gefragt hat.
Der vom Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei kürzlich gefaßte Beschluß zur inneren Sicherheit, der dem Parteitag in Mannheim vorliegt, nimmt diese Thematik auf. Es heißt dort:
Sozialdemokraten begnügen sich nicht mit der Verfolgung und Ahndung bereits begangener Verbrechen, sondern fragen nach den Ursachen. Die SPD sieht deshalb in einer besseren Ursachenforschung, die insbesondere die Situation in der Familie, die Wohnverhältnisse, den Bildungsbereich und das Berufsleben mit einbezieht, einen wichtigen Beitrag zum Schutz des Bürgers. Es ist eine vordringliche Aufgabe sozialdemokratischer Gesellschaftspolitik, auf der Grundlage der Ergebnisse der Ursachenforschung durch gezielte Maßnahmen, insbesondere der Sozial-, Jugend- und Familienpolitik, die Entstehung von Kriminalität zu verringern.
Das ist eine klare Aussage, eine Aussage übrigens, die mich indessen auch veranlaßt, zum wiederholten Male anzumahnen, daß der Beschluß der Justizministerkonferenz, der Ministerpräsidenten und natürlich auch des Bundesjustizministers, eine kriminologische Zentralstelle einzurichten, endlich in- die Tat umgesetzt wird. Ich erhoffe mir von ihr keine Lösung der Probleme, aber eine entscheidende Hilfe.
Der Wirkungsbereich des Strafvollzugsgesetzes beginnt erst, nachdem das Verbrechen geschehen ist, die Strafe ausgesprochen ist, der Verurteilte in ein Gefängnis geschickt worden ist; Justizvollzugsanstalt nennt man das heute.
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- Ich habe gar nichts dagegen, Herr Kollege Spranger. - Und dann ist die Frage: Was nun? Was soll denn nun geschehen? Die einfachste Antwort ist, den Gefangenen wegzuschließen, ihn schmoren zu lassen, ihn zu verpflegen, ihn zu behandeln, wenn er krank ist, und ihn schließlich wieder herauszulassen, wenn er seine sechs Monate, seine fünf Jahre, seine 15 Jahre abgesessen hat. Das ist die einfachste Antwort. Aber es ist auch die falsche Antwort.
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- Wissen Sie, der schöne Ort, in dem ich wohne, heißt Grolsheim, nicht Gerolstein. Aber das nur nebenbei.
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Aber auch hierzu, zur Frage der inneren Sicherheit, äußert sich der Beschluß des Parteivorstandes der Sozialdemokraten in folgender Weise:
Die Wiedereingliederung der Straffälligen in die Gesellschaft ist vordringliche Aufgabe des Strafvollzuges. Sie ist auch der beste Schutz vor Rückfalltaten. Nur ein Strafvollzug, der für alle in Frage kommenden Strafgefangenen echte Resozialisierungschancen eröffnet, genügt den Anforderungen des sozialen Rechtsstaates,
unseres Grundgesetzes. Dadurch wird die Sicherung unserer Gesellschaft vor gefährlichen Rechtsbrechern nicht vernachlässigt. Die Opfer krimineller Taten haben Anspruch auf unsere besondere Unterstützung.
Soweit der Parteivorstand der Sozialdemokraten.
Ich darf hinzufügen, daß das, was gestern schon von meinem Kollegen von Bülow gesagt worden ist, gerade zu dem zuletzt erwähnten Gesetz, vollkommen den Tatsachen entspricht. Das, was Herr Dr. Carstens glaubte unterstellen zu müssen, entspricht nicht den Tatsachen, wie übrigens vieles von dem, was er gesagt hat.
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Aber damit werde ich mich noch ein bißchen zu befassen haben.
Der Strafvollzug braucht eine klare Zielorientierung, einen klaren organisatorischen Aufbau, andererseits den Abbau hierarchischer Strukturen, eine gute Ausbildung der im Vollzug Tätigen, eine Atmosphäre des Vertrauens unter den Bediensteten, nach Möglichkeit unter den Gefangenen und zwischen beiden Gruppen, weil anders eine Behandlung von Gefangenen nicht möglich ist; wobei ich hinzufügen möchte, daß mir der Begriff „Behandlung" nur schwer über die Zunge geht, weil darunter so Mißverständliches zu verstehen ist oder so Mißverständliches herausgeholt werden kann. Wir sollten doch eher vom Ziel her formulieren und von Eingliederungsvollzug reden.
Der Strafvollzug braucht in vielen Fällen mehr noch als feste Gitter, gut ausgestattete Arbeits- und Ausbildungsplätze für die Gefangenen. Er braucht eine vernünftige Bezahlung der geleisteten Arbeit und die Einbeziehung der Gefangenen in das soziale System unserer Gesellschaft, aus dem sie nicht ausgeschlossen werden dürfen; denn ihre Strafe ist der Freiheitsentzug und kein weiteres Übel.
Der Strafvollzug braucht, wenn er wirksam sein soll, auch die Verständnisbereitschaft der Öffentlichkeit, auch der Parteien.
({13})
Strafvollzug kann nicht etwas sein, das sich nur hinter Mauern unter Ausschluß der Öffentlichkeit vollzieht. Er kann nur erfolgreich sein, wenn die Öffentlichkeit einbezogen wird. Hier sind längst nicht alle Formen ausprobiert, die denkbar sind und die erfolgreich sein können. Dies ist so wichtig, weil ein noch so gut durchdachter und erfolgversprechender Strafvollzug zwar innerhalb einer Anstalt durchgeführt werden mag, der entscheidende Punkt aber erst dann erreicht ist, wenn der Gefangene wieder entlassen wird. Dann ist es wichtig, was mit ihm vorher geschehen ist, welche Verbindungen er nach draußen hat, wie die Menschen ihm begegnen, ob er ein Ausgestoßener auch in Freiheit bleiben wird und damit potentiell wieder ein Straftäter.
Die erste und die entscheidende Frage ist, nach welchem Ziel der Vollzug sich denn ausrichten soll. Unsere Antwort ist, daß das Ziel des Vollzugs ist, alles zu tun, um zu erreichen, daß der Gefangene
Brandt ({14})
fähig wird, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Es ist keineswegs zu bestreiten, meine Damen und Herren, daß die Sicherheit der Allgemeinheit nicht außer acht gelassen werden darf. Diese Sicherung der Allgemeinheit ist eine wichtige Aufgabe des Vollzugs, aber sie ist nicht selbständiges Ziel des Vollzugs, so wenig wie etwa die Absicht, daß der Gefangene sühnen soll für das, was er getan hat, und daß er Einsicht in den Unrechtsgehalt seiner Tat gewinnen soll. Dies ist alles sehr wichtig. Aber das geschieht entweder in der Verfolgung des hier formulierten Vollzugsziels oder es geschieht nicht; denn dazu gehört der Mensch selber mit seiner Entscheidung. Man kann ihn dazu nicht zwingen. Deshalb ist es so wichtig, daß dem Vollzug diese eindeutige Zielorientierung gegeben wird, die nach vorne sieht. Gelingt es, das Vollzugsziel zu erreichen, dann ist das der Beitrag des Vollzugs zur Bekämpfung der Kriminalität und der Beitrag des Vollzugs zur inneren Sicherheit.
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Ich mache mir nichts vor. Es wird nicht immer gelingen, in jedem Fall dafür zu sorgen, daß der Entlassene nicht wieder rückfällig wird. Richtig ist aber auch, daß wir heute eine viel zu hohe Zahl von Rückfalltätern haben und daß der Vollzug in seiner konkreten Ausgestaltung zur Minderung der Rückfallkriminalität beitragen kann und soll, er es in seiner heutigen Form aber nicht leisten kann.
Unter dem Obersatz, daß der Gefangene im Vollzug fähig werden soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, sind alle weiteren Gesetzesbestimmungen zu sehen; denn eine solche Festlegung hat ja Folgerungen und Konsequenzen. Dementsprechend muß der Vollzug gestaltet werden. Dafür gibt es wiederum den Grundsatz, daß das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit wie möglich angeglichen werden soll. Aus einem solchen Grundsatz ergeben sich wiederum Folgerungen für die Gestaltung etwa der Räume, für die Unterbringung, allein zur Ruhezeit und gemeinschaftlich mit anderen bei der Arbeit und in der Freizeit. Dies hat auch Folgerungen für die Anwendung von Gesetzen, die für alle gemacht sind: Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, Krankenpflege nach dem Leistungskatalog der RVO, Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes und anderes mehr.
Wenn es richtig ist, meine Damen und Herren, daß für eine gute Prognose nach der Entlassung Außenkontakte von wesentlicher, wenn nicht gar von entscheidender Bedeutung sind, dann dürfen sie, wo vorhanden, nicht abgebrochen werden; insbesondere familiäre Kontakte müssen erhalten bleiben. Dort, wo überhaupt keine Kontakte vorhanden sind, müssen sie hergestellt, zumindest aber gefördert werden. Dieser Erkenntnis dienen etwa Regelungen des Urlaubs aus der Haft, des Besuchs, des Freigangs, des Ausgangs, aber auch die Zusammenarbeit mit Gruppen und Personen, deren Arbeit bei der Eingliederung helfen kann, den Kirchen beispielsweise und vielen anderen Gruppen, die sich an den Orten der Justizvollzugsanstalten gebildet haben. Wir brauchen diese Hilfe. Natürlich gibt es keinen
Rechtsanspruch auf Urlaub oder Ausgang. Man muß unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit der Allgemeinheit das Risiko soweit wie möglich ausschalten, daß jemand nicht wieder zurückkehrt oder gar die Zeit des Urlaubs zu neuen Straftaten mißbraucht. Überhaupt muß Mißbrauch soweit wie möglich ausgeschlossen werden.
Es ist die Frage, ob man das will oder ob man das nicht will. Wenn man es aber mit dem Grundsatz Ernst meint, daß Leben in der Unfreiheit, im Knast, eben auch Leben ist wie jedes andere mit der allerdings sehr bedeutsamen Einschränkung, daß es ein Leben ohne Freiheit ist, dann hat das wiederum Folgerungen. Oder man will etwas ganz anderes, dann soll man das aber auch sagen. Dann soll man offen sagen, daß das, was der Richter als Urteil abgibt, nämlich Freiheitsentzug von soundso viel Monaten oder Jahren, nicht genügt. Dann muß man sagen, daß man das Urteil ergänzt haben will, z. B. dadurch, daß der Gefangene zwar arbeiten muß, aber für seine Arbeit keine Entlohnung erhält. Dann muß man sagen, daß man will, daß die Familie mit-bestraft werden muß, weil man dem Gefangenen keine Chance gibt, seine Familie durch seine Arbeit und Arbeitsentlohnung zu unterhalten. Dann muß man sagen, daß man will, daß der Gefangene und seine Familie aus dem Netz der sozialen Sicherung zumindest teilweise herausfallen, egal ob es Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung oder Rentenversicherung ist. Dann muß man sagen, daß man das mit der Ausbildung für Schmonzes hält und daß man darauf auch ebensogut verzichten kann.
({16})
Denn dies ist doch der eigentliche Reformteil dieses Gesetzes. - Wissen Sie, Herr Kollege Wittmann, Sie sprechen von Ausdrucksweise: Sie waren das doch, der vorhin das gesagt hat, was ich hier erwähnt habe. Nehmen Sie nicht Anstoß an meiner Ausdrucksweise,
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wenn Sie hier von einem „Verbrecherschutzgesetz" reden!
({18})
Das waren Sie doch!
Ich sage noch einmal, es ist der eigentliche Reformteil dieses Gesetzes. Wir sind erstens davon ausgegangen, daß ein hoher Prozentsatz der Gefangenen keine oder nur eine unvollkommene Berufsausbildung hat. Dafür, daß sie nicht zustande gekommen ist, gibt es in fast allen Fällen gute Gründe. Die Vermutung spricht dafür, daß die Gründe, die dafür verantwortlich sind, daß ein Sozialisationsprozeß nicht zustande gekommen ist, und die, die dafür verantwortlich sind, daß keine Berufsausbildung zustande gekommen ist, ein und dieselbe Wurzel haben. Eine während des Vollzugs durchgeführte Ausbildung gibt nicht nur der Zeit, die der Gefangene abzusitzen hat, einen Sinn, sie läßt auch hoffen - und leistet dafür auch einen wesentlichen Beitrag -, daß der Gefangene, wenn
Brandt ({19})
er erst wieder in Freiheit ist, mit seiner neu erworbenen Freiheit dem Ziel des Vollzuges, einmal ein Leben ohne Straftaten zu führen, ein Stück nähergekommen ist. Dies ist innerhalb des Strafvollzuges längst erkannt und keineswegs eine neue Erkenntnis und wird auch weitestgehend schon praktiziert. Wir wollen dieser Praxis und ihrer Weiterentwicklung eine gesetzliche Grundlage geben.
Der Gefangene unterliegt grundsätzlich der Arbeitspflicht. Er arbeitet, aber er wird für diese Arbeit nicht entlohnt, sondern bekommt eine Arbeitsbelohnung, die im Durchschnitt bei etwa 70 DM im Monat liegt. Mit diesem Geld kann er seine kleinen persönlichen Bedürfnisse, Dinge des täglichen Bedarfs kaufen. Ein geringer Teil wird zurückgelegt und steht ihm dann bei der Entlassung zur Verfügung. Dieser Betrag ist jedoch auch nach mehrjähriger Haft so gering, daß das Geld oft in wenigen Tagen aufgebraucht ist. In vielen Fällen führt die so herbeigeführte Situation wiederum zu neuen Straftaten.
Der von uns vertretene Grundsatz ist der, daß diese willkürliche Arbeitsbelohnung, die zudem noch in einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ist, abgelöst wird durch ein Arbeitsentgelt. Bezugsgröße dieses Arbeitsentgelts soll das durchschnittliche Arbeitsentgelt aller Versicherten der Rentenversicherungen - Arbeiter und Angestellte ohne Auszubildende - des vorvergangenen Jahres sein. Da es jedoch nicht denkbar ist, daß diese Bezugsgröße, die derzeit bei etwas über 18 000 DM im Jahr liegt, im Strafvollzug je voll erreicht werden könnte - unter den gegenwärtigen Bedingungen überhaupt nicht -, soll als Eckwert der Arbeitsentlohnung nur ein geringer Prozentsatz dieser Bezugsgröße gezahlt werden. Ab 1977 sollen das 5 % dieser Bezugsgröße sein. Jeder, der nachrechnet, wird feststellen, daß diese 5 % die jetzt gezahlte Arbeitsbelohnung kaum übersteigen werden.
({20})
Für einige Länder bedeutet dies überhaupt keine Mehrbelastung. Allerdings geht der Entwurf davon aus, daß 1980 10 % dieser Bezugsgröße erreicht werden sollen und 1986 40 %. Eine solche Entwicklung war und ist ausdrücklich gewollt.
Freilich muß dabei beachtet werden, daß wir spätestens 1986 eine Situation haben werden, die es gestattet, die Gefangenen anteilig zu den Sozialversicherungsbeiträgen und zu den Haftkostenbeiträgen heranzuziehen. Auch dies ist gewollt. Denn wenn der Vollzug tauglich sein soll für das gesteckte Ziel, muß die Selbstverantwortlichkeit gestärkt und nicht wie bisher weitestgehend gelähmt werden. Der Gefange soll dadurch auch in die Lage versetzt werden, trotz seiner Situation im Strafvollzug etwa für seine Familie mit sorgen zu können. Wenn diese Stärkung der Selbstverantwortlichkeit jedoch als wesentlicher Bestandteil des gesteckten Zieles anzusehen ist, muß man wiederum Folgerungen daraus ziehen, und diese Folgerungen haben wir gemeinsam zu formulieren versucht.
Nun hat in der gestrigen Debatte gerade an diesem Punkt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, wie er sagt, Stellung genommen, u. a. eben zum Strafvollzugsgesetz. Stellungnahme - so habe ich das in Erinnerung -, so sagte das einmal Eduard Spranger, heiße das große Leitwort der geistigen Welt. Er hat sicherlich Recht. Nur habe ich erhebliche Zweifel, ob das, was da gestern gesagt worden ist, noch irgend etwas mit geistiger Welt zu tun hat.
({21})
Hier ist doch unterstellt worden - und da muß man das Protokoll einfach nachlesen -, schlicht unterstellt worden, daß in den nächsten Jahren 1,6 Milliarden DM für eine stärkere Arbeitsentlohnung hinausgegeben oder hinausgeworfen werden sollen. Ich will es wörtlich sagen:
Außerdem ist in diesem Entwurf aber vorgesehen, daß die Strafgefangenen künftig eine kräftige Erhöhung ihrer Bezüge, ihrer Arbeitsentgelte erhalten. Dadurch entstehen zwar nicht dem Bund, aber den Bundesländern in den nächsten Jahren zusätzliche Ausgaben von sehr beträchtlichem Ausmaß, Ausgaben, die nach einem Gutachten des Haushaltsausschusses innerhalb der nächsten zehn Jahre 1,6 Milliarden DM betragen werden.
So wörtlich gestern Herr Carstens.
({22})
Und dann sagte er weiter, daß man sich eine derartige Aufbesserung der Einkünfte der Strafgefangenen nicht leisten könne in einer Zeit, in der sonst gekürzt werde, und daß das zurückgestellt werden müsse. Nein, ich meine, diejenigen, die sich zum Thema Strafvollzug, meine Damen und Herren, mit Sachkenntnis, nicht emotional und mit Nüchternheit äußern, haben hierzulande ohnehin fast den Seltenheitswert von andalusischen Kampfstieren auf bayerischen Almen.
({23})
Nun hat der flachdeutsche Vorsitzende der CDU/ CSU-Fraktion eine bemerkenswerte Affinität eben zu der erwähnten Gegend; nur, ein Kampfstier ist er mit Sicherheit nicht.
({24})
In diesem Zusammenhang hat er auch nichts auf die Hörner genommen. Denn dies ist so falsch, daß man nur sagen kann, er hat das Bein gehoben.
({25})
Das hat er gemacht, nicht nur in diesem Fall. Denn eigentlich muß ihm doch irgend jemand einmal gesagt haben, daß er da eine Addition von 1,6 Milliarden DM hat, die die Gesamtkosten des Strafvollzugs ergeben, einschließlich bis zum Jahre 1987: alle Investitionskosten, die durch das Strafvollzugsgesetz bis dahin verursacht werden, alle Personalkosten, die da verursacht werden, die Einbeziehung in die Sozialversicherung. Aber er bezieht
Brandt ({26})
es ausdrücklich auf das Arbeitsentgelt. Und so
dumm oder so ununterrichtet kann er nicht sein,
({27}) daß er das nicht gewollt hier eingeführt hat.
({28})
Denn da sollte doch jemand in Verdacht gebracht werden: Denen wird's da reingeblasen, in eine bestimmte Gegend, und den anderen wird es genommen. So ungefähr sollte das doch klingen.
({29})
Nein, meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal sagen: 70 DM sind das, Herr Vogel, die im Monat an Arbeitsentgelt gezahlt werden. Und wenn wir die 5 % einführen, von 1977 bis 1980, werden das ungefähr 75 DM sein. Und das nennen Sie eine kräftige Erhöhung des Einkommens der Strafgefangenen! Und das noch als Eckvergütung, die je nach Leistung nach oben und nach unten variiert werden kann.
Nein, da gab es eine ganze Reihe von Falschvoraussetzungen, auf die ich nicht eingehen kann und will. Nur darf das hier einfach nicht so stehenbleiben, weil es falsch ist.
An sich müßte man ja auch einmal davon reden, meine Damen und Herren, was denn durch einen guten, sinnvollen und erfolgeichen Strafvollzug auch gespart werden kann.
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Davon wird nirgendwann geredet. Jede Straftat, die begangen wird, bringt Schaden, mitunter unermeßlichen Schaden, und jede Straftat, jeder Rückfall, den wir verhindern können, lohnt doch einigen Einsatz. In vielen Fällen geht es dabei um Dinge, die in Geld überhaupt nicht mehr ausgedrückt werden können. Deshalb muß die Frage gestellt und beantwortet werden, ob man einen Strafvollzug haben will, der konsequent mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln darauf hinarbeitet, daß der Gefangene nicht wieder rückfällig wird, und ob wir jetzt mit dem Bundesstrafvollzugsgesetz die in den Ländern schon begonnenen Bemühungen vereinheitlichen, verstärken und durch neue Elemente unterstützen wollen.
Meine Damen und Herren, Sie legen uns hier nun einen Änderungsantrag vor, der darauf abzielt, alle möglichen Regelungen um drei Jahre zu verschieben. In der offiziellen Begründung ist gesagt worden, wegen der schwierigen finanziellen Situation dürfe man damit jetzt erst gar nicht beginnen; das müsse alles um drei Jahre verschoben werden. Wenn ich mir Ihren Änderungsantrag ich weiß nicht, wer ihn gemacht hat - ansehe, stelle ich fest, daß Sie die Übergangs- und Inkrafttretensbestimmungen einfach durch den Zuschlag von jeweils drei Jahren diesen Antrag muß irgend jemand erarbeitet haben, der zumindest drei hinzuzählen kann - von 1980 auf 1983 und von 1986 auf 1989 terminiert haben.
({31})
- Ich finde diesen Änderungsantrag in der Tat primitiv,
({32})
denn das, worum es geht und was an sich auch Sie haben wollten, nämlich die Kosten, die 1977, 1978 und 1979, also in den nächsten drei Jahren entstehen, haben Sie in diesem Änderungsantrag überhaupt nicht drin. Ihr Antrag setzt erst 1980 an. Welchen Sinn soll es denn haben, daß Sie von 1980 auf 1983 und von 1986 auf 1989 verschieben - unter dem Vorwand, daß die Kassen 1977 doch so leer seien? Dies ist der Inhalt Ihres Antrags.
Wir sind nach wie vor dafür, daß auch der Gefangene in die Sozialversicherung mit einbezogen wird. Es sind drei Stufen vorgesehen: 1977, 1980 und 1986. Dies ist ein weit gezogener Zeitraum.
Ein Strafvollzugsgesetz ohne diese wesentlichen Reformelemente aber ist überhaupt kein Reformgesetz mehr; mehr noch, es ist sogar ein Gesetz ohne Reformperspektiven. Wenn man aber eine Reform des Strafvollzugs für notwendig hält und diese Umwandlung des Strafvollzugs ohnehin nur langfristig angelegt werden kann, dann muß man bald und möglichst jetzt damit beginnen. Der Strafvollzug hat seinen Beitrag zur inneren Sicherheit zu leisten, und er kann es auch. Wir müssen ihn aber in den Stand versetzen, das, was wir von ihm verlangen und erwarten, auch tun zu können, und dem dient dieses Gesetz.
({33})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Schoeler.
von Schoeler ({0}) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber im März 1972 auferlegt, den Strafvollzug durch ein Gesetz in rechtsstaatlich einwandfreier Weise zu regeln. Bedauerlicherweise erscheint es heute angebracht, die nachdrückliche Mahnung, die das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung ausgesprochen hat, noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Diese Mahnung besteht noch. Der Strafvollzug braucht eine rechtsstaatlich einwandfreie gesetzliche Regelung. Das Strafvollzugsgesetz ist nicht nur politisch wünschenswert, sondern verfassungsrechtlich zwingend geboten.
Erfreulicherweise waren wir uns in diesem Hause darüber einig, daß das heute zur Verabschiedung anstehende Strafvollzugsgesetz - über die bloße gesetzliche Regelung des heutigen Zustandes hinaus - auch und gerade zur Reform des Strafvollzuges beitragen muß. Wir Freien Demokraten bekennen uns zur Notwendigkeit dieser Reform auch heute. Wir bekennen uns dazu insbesondere deshalb, weil wir die Augen nicht davor verschließen können, daß der Strafvollzug heute mit veralteten Methoden, mit zuwenig und vor allein mit zuwenig geschultem Personal unter schlechtesten Bedingungen Rückfallzahlen produziert, die wir nicht hinnehmen können. Wir können diese Rückfallzahlen - sie werden auf 70 bis 80 % geschätzt - aus humanitären Gründen
von Schoeler
nicht hinnehmen. Wir können sie aber auch im Interesse der Sicherheit unserer Bürger nicht hinnehmen; denn Rückfallquoten von 70 bis 80%o bedeuten eben, daß in einer Vielzahl von Fällen der Strafvollzug heute seine Aufgabe, zukünftige Straftaten zu verhindern, nicht erfüllt und dadurch Bürger gefährdet werden.
Ziel der Strafvollzugsreform muß es daher sein, den Vollzug nicht nur mehr als bisher an humanitären Grundsätzen zu orientieren, sondern ihn auch effektiver zu gestalten.
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Solange der provokative Satz „Wir züchten unsere Verbrecher selber" nicht als Polemik zurückgewiesen werden kann, solange der Teufelskreis, daß labile Menschen im Vollzug noch labiler gemacht werden und deshalb immer wieder straffällig werden und in die Haftanstalten zurückkehren, besteht, ist diese Aufgabe nicht erfüllt.
({2})
Während der Ausschußberatungen zu diesem Gesetzentwurf ist die Dringlichkeit der Reform durch den Mannheimer Gefängnisskandal und durch ähnlich gravierende Vorgänge in anderen Strafanstalten in erschütternder Weise unterstrichen worden. Die Gefangenenmißhandlungen - in einem Fall bis zum Tode eines Strafgefangenen - und die nachgewiesenen Korruptionsfälle sind bei uns nicht in Vergessenheit geraten. Genauso falsch, wie eine Verallgemeinerung der krassen Vorfälle in der Mannheimer Vollzugsanstalt wäre, genauso falsch wäre es, zu leugnen, daß es heute in vielen Anstalten Mißstände gibt. Genauso falsch wäre es aber auch, dem Vollzugspersonal pauschal die Schuld an Skandalen zu geben. Die Verantwortung hat vielmehr zu tragen, wer dem Vollzug eine klare gesetzliche Regelung, eine am Behandlungsvollzug orientierte Grundentscheidung des Gesetzgebers und - auch wenn es unpopulär ist, muß es gesagt werden - mehr Geld zur Erfüllung seiner Aufgaben verweigert.
Der Strafrechtssonderausschuß hat während seiner Beratungen zahlreiche Vollzugsanstalten besucht und dort mit Vollzugspersonal und Gefangenen gesprochen. Zwei Erfahrungen aus diesen Gesprächen will ich besonders hervorheben. Zum einen das Engagement der Vollzugsbediensteten, die unter oft sehr ungünstigen Bedingungen mit ungeheurem Einsatz ihre Arbeit tun. Wir haben ihnen in unseren Gesprächen dafür gedankt; wir danken ihnen auch von dieser Stelle aus.
({3})
Zum anderen haben wir bemerkt, wie groß die Hoffnungen sind, die Bedienstete und Gefangene auf dieses Gesetz richten. Nicht alle diese Hoffnungen können erfüllt werden; die Strafvollzugsreform ist und bleibt eine schwierige, eine lange dauernde Aufgabe. Aber nachdem so lange über dieses Gesetz gesprochen worden ist, wollen und können wir die Hoffnungen derjenigen nicht enttäuschen, die - durchaus mit einem Blick auf das jetzt Realisierbare - einen ersten wichtigen und angesichts der
hundertjährigen Diskussion über dieses Thema damit eben auch entscheidenden Schritt auf dem Wege zu einem besseren Vollzug erwarten.
Meine Damen und Herren, die Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform waren von dem allseitigen Bemühen gekennzeichnet, eine für alle tragfähige Grundlage zu schaffen. Dabei haben wir uns um eine Einigung bemüht, nicht nur um eine Einigung zwischen den Fraktionen, sondern auch um eine Einigung unter Einbeziehung von Vertretern aller Parteien aus den Bundesländern.
Um dieser Einigung willen haben wir Freien Demokraten in einigen Punkten darauf verzichtet, unsere Vorstellungen voll durchzusetzen. Wir haben dies insbesondere getan, um sicherzustellen, daß das Strafvollzugsgesetz den Bundesrat passieren und endgültig in Kraft treten kann. Wir appellieren daher an dieser Stelle an die Bundesländer, diesen Gesetzentwurf, dem die Justizminister der Bundesländer einstimmig zugestimmt haben, anzunehmen.
Zu einigen besonders wichtigen Regelungen, die wir im Zuge der Ausschußberatungen geändert haben, will ich kurz einige Ausführungen machen.
Besonders schwergefallen ist es uns Freien Demokraten, die Änderung des § 4 des Gesetzentwurfes hinzunehmen. Herr Kollege Brandt und ich hatten in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs an dieser Stelle unterstrichen, welche Bedeutung für uns eine klare Regelung der Rechtsstellung des einzelnen Gefangenen hat. Diese Frage ist für uns deshalb von so besonderer Bedeutung, weil dieses Strafvollzugsgesetz mit seinen einzelnen Regelungen gerade dazu beitragen soll, die generalklauselartige Ermächtigung zu Eingriffen in die Grundrechte der Gefangenen, die bis heute gültig ist, abzuschaffen.
Der Forderung des Bundesrates und der Opposition, insoweit den bisherigen Rechtszustand in dem Gesetz festzuschreiben, konnten wir auf keinen Fall zustimmen. Eine solche Fassung des § 4 hätte die Gefahr mit sich gebracht, daß diese Vorschrift zur Legalisierung fragwürdiger Zustände hätte herhalten müssen. Die nun gefundene Kompromißlösung konnte von uns hingenommen werden, weil bei ihr eine solche Gefahr wohl ausgeschlossen ist.
Als wichtiger Reformschritt besonders hervorzuheben ist nach unserer Auffassung die Regelung über den offenen Vollzug. Mit dieser Vorschrift wird ein wichtiger Beitrag dazu geleistet, daß die in der Bundesrepublik und im Ausland vielfach erprobte und bewährte Form des offenen Vollzuges in Zukunft immer stärker in den Vordergrund der Strafvollzugswirklichkeit rücken wird. Der offene Vollzug ist nach unserer Auffassung in vielen Fallen die geeignetste Maßnahme, um zu verhindern, daß Strafgefangene durch die Verbüßung der Strafhaft geradezu weiter auf die schiefe Bahn gebracht werden. Der offene Vollzug hält die Freiheitsbeschränkungen, die dem Gefangenen auferlegt werden, im Rahmen des durch den richterlichen Strafausspruches unbedingt Notwendigen. Der offene Vollzug verhindert, daß die Beziehungen des Gefangenen zur Außenwelt, insbesondere zu seiner Familie und seinen Verwandten, stärker unterbrochen werden, als
von Schoeler
dies unbedingt notwendig ist. Der offene Vollzug macht damit nach Verbüßung der Strafzeit den Übergang vom Vollzug in die Freiheit leichter. Dies sind nur einige Gründe dafür, daß der offene Vollzug größere Resozialisierungschancen bietet.
Meine Damen und Herren, ebenfalls wichtig für die weitere Entwicklung des Vollzugs ist die Regelung über die Gefangenenmitverantwortung. Zwar bedauern wir Freien Demokraten, daß es nicht gelungen ist, eine Konkretisierung dieser Vorschrift in den Gesetzentwurf aufzunehmen. Wir appellieren dennoch an die Länder, darauf hinzuwirken, daß die Haftanstalten von dem Rahmen dieser Regelung großzügig Gebrauch machen und die Gefangenen an den Ereignissen des Anstaltslebens Mitverantwortung tragen lassen.
Die neue Regelung, die der Strafrechtssonderausschuß für die Vorschrift über den Urlaub aus der Haft gefunden hat, findet unsere volle Zustimmung. Sie stellt auch - dieses Thema sollte auch an dieser Stelle nicht unterdrückt werden - einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Sexualprobleme im Strafvollzug dar. Vielleicht ist das Wort „Urlaub" etwas mißverständlich; jedenfalls hat man bei der Lektüre des „Bayernkurier" diesen Eindruck. Festgehalten werden muß daher hier, daß es dabei nicht um Urlaub von der Arbeit geht, sondern daß es um eine an der Resozialisierung und an therapeutischen Grundsätzen orientierte Vollzugsmaßnahme geht, die dem Gefangenen die Kontaktmöglichkeiten zu seiner Familie erhalten soll.
Meine Damen und Herren, die Frage des Arbeitsentgelts sowie die Einbeziehung der Gefangenen in die Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung hat in den Ausschußberatungen eine besondere Rolle gespielt. Einstimmig hat der Strafrechtssonderausschuß sich hier einer ebenfalls einstimmig angenommenen Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung angeschlossen. Mit diesem Beschluß ist ein fester Zeitplan für die stufenweise Einführung des Arbeitsentgelts für Strafgefangene an die Stelle der noch im Regierungsentwurf vorgesehenen unbefriedigenden Aussetzung des Inkrafttretens der entsprechenden Vorschriften getreten. Die Einführung dieses Stufenplans stellt einen wesentlichen, ja entscheidenden Reformschritt dar.
Nun haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, heute durch den von Ihnen vorgelegten Abänderungsantrag die bisherige Gemeinsamkeit aller Fraktionen in dieser Frage aufgekündigt. Sie haben angekündigt, daß Sie den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen werden, wenn Ihrem Abänderungsantrag nicht stattgegeben wird. Diese Ihre Ankündigung hat uns nicht nur enttäuscht; wir können für sie auch keinerlei Verständnis aufbringen. Wir haben in wochen-, ja monatelanger Arbeit den vorliegenden Gesetzentwurf mit den Experten Ihrer Fraktion abgestimmt. Wir haben in diese Abstimmung auch die Justizminister der CDU/CSU-regierten Bundesländer einbezogen. Der bayerische Justizminister Hillermeier - Herr Kollege Arendt wollte vorhin in einer Zwischenfrage, zu der er leider keine Gelegenheit hatte, darauf hinweisen - hat noch vor wenigen Tagen den Gesetzgeber aufgefordert, auch angesichts der finanziellen Auswirkungen dieses Gesetzes dieses heute hier in diesem Hause passieren zu lassen.
({4})
Ihre rechtspolitischen Sprecher - Sie, Herr Kollege Vogel, und Sie, Herr Kollege Eyrich - haben immer wieder betont, daß gerade die Stufenregelung für Arbeitsentgelt und Sozialversicherung von besonderer, ja, entscheidender Bedeutung für dieses Gesetz sei.
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Die Situation ist doch die folgende: Wir haben mit Ihren rechtspolitischen Sprechern mühsam einen Kompromiß gefunden. Ihre Haushaltsexperten bringen aber in der entscheidenden Sitzung der Fraktion die Mehrheit Ihrer Fraktion dazu, den Gesetzentwurf abzulehnen und Ihre Rechtsexperten im Regen stehen zu lassen. Meine Damen und Herren von der Opposition, was sollen wir eigentlich von der Handlungsfähigkeit Ihrer Fraktion halten? Was sind denn die von Ihnen gemachten und bis vor wenigen Tagen aufrechterhaltenen Zusagen eigentlich wert, wenn Sie so verfahren?
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Das wirkt doch vollends grotesk, wenn man berücksichtigt, daß der ganze Streit hier darum geht, ob, auf die nächsten Jahre gesehen, ein Betrag von einigen Millionen DM drei Jahre früher oder drei Jahre später ausgegeben wird. Das sind die Fakten. Es geht ja nicht um mehrere Hundert Millionen oder Milliarden von D-Mark, sondern es geht um einige Millionen DM. Es geht auch nicht darum, ob sie ausgegeben werden oder nicht, sondern lediglich darum, ob das drei Jahre früher oder drei Jahre später passiert.
Meine Damen und Herren, in Ihren Reihen ist offensichtlich die Vernunft der Experten dem Wunsch nach Effekthascherei bei der Mehrheit erlegen. Wir können kein Verständnis dafür aufbringen, daß Sie sich auf diese Weise aus der gemeinsamen Verantwortung in dieser Frage herausschleichen wollen. Warum machen Sie mit Ihrem Änderungsantrag eigentlich das, was bisher eine Frage zwischen dem Bund einerseits und den Ländern andererseits war und der Sache nach auch heute noch ist, nun zu einer parteipolitischen Frage, die hier im Hause plötzlich kontrovers beurteilt wird?
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- Herr Kollege Eyrich, die Situation war zu Beginn der Beratungen dieses Vollzugsgesetzes nicht anders als heute. Die Länder sagen: Was ihr im Bundestag wollt, ist nicht finanzierbar. Und wir sagen: Dies ist finanzierbar. Das ist ein natürlicher Streit, der sich zwischen Bund und Ländern abspielt.
({8})
von Schoeler
Sie versuchen hier nun, die gemeinsame Plattform, die es im Bundestag gab, zu verlassen.
Nun haben Sie hier zwei Begründungen gegeben. Eine hat Herr Kollege Spranger gegeben, die andere Herr Kollege Eyrich. Die beiden unterschieden sich, meine ich, nicht nur in der Nuancierung. Herr Kollege Eyrich hat gesagt: Reform ja - Geld später! Das ist nicht auf einen Nenner zu bringen. Oder höchstens auf den Nenner: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!
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- Herr Kollege Eyrich, ich gehe doch recht in der Annahme, daß Sie gesagt haben: „Reform ja." Und ich gehe wohl auch recht in der Annahme, daß Sie gesagt haben: „Geld später." Sonst gibt Ihr Änderungsantrag keinen Sinn. Daher weiß ich nicht, weshalb Sie von Demagogie sprechen. Ich zähle hier die Fakten auf und wiederhole, was Sie vorhin in der Debatte gesagt haben.
Herr Kollege Spranger hat dann eine andere Begründung gegeben. Auch er hat zunächst damit angefangen zu sagen: „Reform ja." Er hat dann auch gesagt: „Geld später." Er hat dann allerdings Begründungen angefügt, die eigentlich dafür sprechen, daß man dieses Geld überhaupt nicht geben und diese Reform überhaupt nicht durchführen sollte.
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Einige Ihrer Ausführungen waren nur so zu verstehen, Herr Kollege Spranger.
Wir werden auch heute - ich kann dem, was Kollege Brandt dazu gesagt hat, voll zustimmen - zu der Einigung stehen, die wir mit Ihnen gefunden haben und zu der Sie heute nicht mehr stehen. Wir stehen dazu in der Hoffnung und in der Erwartung, daß Sie in den nächsten Wochen zu der gemeinsamen Plattform zurückkehren.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf ist in mehrfacher Hinsicht ein Kompromiß. Er ist in einigen Einzelregelungen ein Kompromiß zwischen den verschiedenen Fraktionen dieses Hauses. Er ist aber auch ein Kompromiß zwischen Bund und Ländern, und er ist im Hinblick auf unsere Idealvorstellungen auch insoweit ein Kompromiß, als er sich notwendigerweise auf das gemeinsam Erreichbare beschränkt.
Unser Dank gilt allen denjenigen, die diesen Kompromiß durch ihre Arbeit ermöglicht haben An
die Adresse all derjenigen, die verständlicherweise auf mehr gedrängt haben und noch drängen, geht unsere Bitte um Verständnis. Seit mehr als 100 Jahren wird von einem Strafvollzugsgesetz nur geredet. Wir müssen es jetzt endlich Wirklichkeit werden lassen. Da dies nur in einem Kompromiß möglich ist, darf dieser Kompromiß nicht zwischen denjenigen, die mehr wollen, als möglich ist, und denjenigen, denen das Mögliche schon zuviel ist, zerrieben werden.
Wir Freien Demokraten stimmen dem Gesetzentwurf zu.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Eyrich.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir in der Beratung im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform begannen, über dieses Gesetz zu sprechen, haben wir in einem anderen Ton und in einer anderen Bereitschaft, miteinander zu reden, miteinander gesprochen, Herr Kollege von Schoeler.
Ich muß Ihnen sagen, daß ich damals in der Generaldebatte erklärt habe: Hier legt uns die Bundesregierung ein Gesetz vor, das in § 180 Abs. 2 vorsieht, die ausgabenwirksamen Teile dieses Gesetzes überhaupt nicht in Kraft zu setzen. Ich habe damals die Meinung vertreten, daß uns dieses Gesetz in einer Situation zwischen Hoffnung und Resignation sehe, der Hoffnung nämlich, daß wir etwas für die Strafgefangenen tun können, nämlich für jene Strafgefangenen, von denen wir glauben, daß sie auf der einen Seite resozialisierungsfähig und auf der anderen Seite resozialisierungswillig seien. Ich habe damals in der Generaldebatte im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform ferner gesagt, daß alles Bemühen um eine Reform des Strafvollzuges umsonst sein müsse, wenn nicht die Chance gegeben werde, daß derjenige, der aus dem Gefängnis herauskommt, mit anderen Einsichten und mit einer anderen Einstellung in das Leben hinausgeht, und daß wir alles versuchen sollten, diese Einstellung des Täters und jenes, der in der Strafvollzugsanstalt ist, zu erreichen.
({0})
Sehen Sie, meine Damen und Herren, genau das war, wenn man so will, der Grundtenor. Darüber hinaus lautet der Grundtenor meines Antrags und des Antrags des Kollegen Brandt, § 180 Abs. 2 dahin zu ändern, daß wir es nicht dem Zufall überlassen, wann dieses Gesetz durch irgendein anderes Gesetz in Kraft gesetzt wird. Wir glauben vielmehr, daß es notwendig ist, dieses Gesetz nach einem Stufenplan zu verabschieden, und zwar aus folgender Erkenntnis heraus. Wir sagen: Mit der Versicherung des Strafgefangenen, mit der Möglichkeit, ihm Arbeitsentgelt zu geben, erreichen wir zweierlei. Wir erreichen zum einen eine andere Einstellung des Strafgefangenen zu seiner Tat, weil ihm nämlich dadurch die Möglichkeit gegeben wird, den Schaden wiedergutzumachen, den er verursacht hat. Zum anderen geben wir dem Strafgefangenen die Möglichkeit, mit dem, was er selber erarbeitet, für seine Familie zu sorgen. Nun sage mir einmal jemand, was sich eigentlich an diesen Anträgen und der Einstellung der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Gesetz geändert hat. Es hat sich überhaupt nichts geändert.
({1})
- Lieber Herr Kollege von Schoeler, ich komme darauf zurück.
Ich kann das, was der Kollege Brandt gesagt hat, unterstreichen. Ich muß ihm aber leider sagen - Herr Kollege Brandt, Sie verstehen es, wenn ich das jetzt so sage -: Ich habe manchmal den Wunsch, die Hoffnung zu haben, die Sie in vielen Fällen haben. Ich habe sie nicht immer; das unterscheidet uns in Nuancen voneinander.
Aber wenn Sie dann kommen, Herr Kollege von Schoeler, und sagen, wir hätten diese Plattform verlassen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Diese Plattform ist noch nicht einmal von der Bundesregierung vor der Beratung des Gesetzes betreten worden.
({2})
Die Bundesregierung hat einen Entwurf eingereicht, mit dem sie sich dem Befehl des Bundesverfassungsgerichts beugte, Herr Minister, ohne alle diese Veränderungen, die mit unserem Zutun und mit unserem Willen in dieses Gesetz hineingekommen sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Schoeler?
von Schoeler ({0}) : Herr Kollege Eyrich, könnten Sie dem Hohen Hause vielleicht mitteilen, warum der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf bezüglich der finanzwirksamen Maßnahmen die von Ihnen eben dargelegte Regelung enthielt, und daß dies geschah, damit der Gesetzentwurf den Bundesrat passiert, und daß dies notwendig gewesen ist, weil die Finanzminister der Länder vorher eine Zusage zurückgezogen hatten?
Herr Kollege von Schoeler, ich kann dem Hohen Hause sehr gern sagen, warum der Entwurf der Bundesregierung so war. Der Entwurf der Bundesregierung war eine Folge der Erkenntnis, daß die Länder nur dann in der Lage wären, dieses Gesetz zu vollziehen, wenn die Finanzzuweisungen des Bundes den Ländern die Möglichkeit dazu tatsächlich gäben. Nichts anderes, aber auch gar nichts anderes war der Sinn der Vorlage der Bundesregierung.
Sie haben mich unterbrochen. Ich möchte Ihnen sagen, Herr Kollege von Schoeler: Wenn wir die gemeinsame Basis, die wir im Ausschuß gefunden haben, nicht verlassen wollen, das Bemühen, dort, wo es ohne Gefährdung der Sicherheit der Allgemeinheit möglich ist, alles zu tun, um dem Strafgefangenen den Weg zurück in sein Leben zu eröffnen, dann müssen wir heute offen zugestehen, daß diese Plattform niemand von uns verlassen darf. Sie haben gesagt, wir hätten die Plattform dieses Gesetzes verlassen.
({0})
- Herr Kollege Arndt, auch Zwischenrufe helfen in diesem Fall über eine Erkenntnis nicht hinweg: Sie können uns nicht sagen, wir hätten die Plattform eines Gesetzes verlassen, da doch alle Länder
- alle! - auf Grund einer gemeinsamen Erklärung der Ministerpräsidenten an die Herren Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag ein Schreiben gerichtet haben, in dem sie darum bitten, daß der Bundestag eine Entscheidung treffen möge, die der finanzpolitischen Situation angemessen sei.
({1})
Wenn die Bundesregierung den Anspruch erhebt, diesem Deutschen Bundestag ein Strafvollzugsgesetz zugeleitet zu haben, das im Grundsatz dem Bemühen um Resozialisierung entspricht, und wenn wir diese Plattform nicht verlassen, sondern nur sagen: Wir beugen uns leider der Erkenntnis der derzeitigen finanziellen Situation, dann haben Sie nicht das Recht, uns vorzuwerfen, wir hätten nicht zu unserem Wort gestanden.
Ich appelliere an Sie alle, insbesondere an diejenigen, die im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform tätig sind: Sagen Sie mir einen Punkt, in dem der Charakter dieses Gesetzes durch einen Antrag verändert wird, der über den Antrag der Bundesregierung hinaus gewährleistet, daß die Vorschriften in Kraft treten, von denen wir alle glauben, daß sie - wenn es die Finanzsituation erlaubt - notwendig sind, um dem Ziel dieses Gesetzes zu entsprechen.
Das ist das Entscheidende. Ich hatte vorhin eine Vermutung und einen Verdacht geäußert. Ein Redner Ihrer Fraktion wird diesen Verdacht dadurch ausräumen können, daß er uns bestätigt, daß wir an diesem Gesetz konstruktiv mitgearbeitet haben, daß wir die Zielsetzung dieses Gesetzes bejaht haben, daß wir uns nichts anderem als der finanziellen Situation beugen.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich rufe jetzt die §§ 180, 181, 182 und 183 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/4287 vor. Die Antragsteller sind damit einverstanden, daß über alle vier Ziffern dieses Antrags gemeinsam abgestimmt wird. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer den §§ 180, 181, 182 und 183 in der Ausschußfassung mit der bei der Abstimmung über den Änderungsantrag Drucksache 7/4246 beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr Einleitung und Überschrift auf. Wer der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit sind wir am Ende der zweiten Beratung und treten in die
dritte Beratung
ein.
Dazu hat das Wort Herr Senator Klug.
Senator Dr. Klug ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Strafvollzugsgsetzgebung ist die ziemlich traurige Mär von zahlreichen gescheiterten Reformen. Die Gründe sind vielschichtig: Meinungsverschiedenheiten bei der Beantwortung der Frage nach dem Vollzugswerk, gefährliches Desinteresse an den Problemen der Outsider unserer Gesellschaft und nicht zuletzt finanzielle Bedenken. Sie wissen das.
Um so bemerkenswerter ist es, daß nunmehr der Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes beraten werden kann auf Grund einer - ich darf das noch einmal aus der Sicht eines Landes in die Erinnerung zurückrufen - Fassung, die von den Mitgliedern dieses Ausschusses einstimmig angenommen wurde. Diese wichtige Tatsache wird in ihrer Bedeutung nicht geschmälert durch die nüchterne Sicht auf noch offene Probleme.
({1})
Allerdings bleibt ein bitterer Beigeschmack auf der Zunge. In den Jahren und Jahrzehnten, als wir in einer wirtschaftlichen Glanzzeit lebten, ist es leider versäumt worden, ein Strafvollzugsgesetz, das uns seit 1945 fehlt, zu erlassen, und dies, obwohl es genug Mahner gab. Aber gut, nun liegt ein Entwurf endlich vor.
({2})
Zu begrüßen ist gleichwohl zunächst einmal und vor allem anderen, daß der Entwurf des Sonderausschusses das Vollzugsziel klar und eindeutig ausspricht und sich dabei unmißverständlich absetzt von atavistischen Vorstellungen eines allein oder jedenfalls zusätzlich der Sühne oder der Vergeltung dienenden Strafvollzugs, sich also absetzt von einem Vollzug, der, wie eine genaue individual-und sozialpsychologische Analyse zeigt, letztlich mindestens unbewußt - ich spreche ein Tabu an - Aggressionen Rechnung trägt, die zumindest in der Nähe des Racheverlangens liegen, vorsichtig ausgedrückt.
({3})
§ 2 des Entwurfs definiert das Vollzugsziel so, daß er ein rationales Konzept für das neue Gesetz gibt, das auch - übrigens in sprachlich erfreulicher Form - genau das zum Ausdruck bringt, was mit der Redeweise von der Resozialisierung und Sozialisation gemeint ist. Ein solches Konzept hält sich mit jeder nur wünschenswerten Deutlichkeit fern von immer wieder vorgetragener unangebrachter Gedankenlyrik und deplazierter Metaphysik, die in der Verwendung der Begriffe von Sühne und Vergeltung zum Ausdruck kommen.
({4})
Im Entwurf wird eine andere Position bezogen. Diese Strafzwecke übernimmt der Entwurf nicht. Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß damit endgültig Abschied genommen wird von den übrigens nur im deutschen Bereich immer noch eine Rolle
spielenden Strafrechtsthesen von Kant und Hegel, die weit unter dem sonstigen Niveau dieser beiden großen Philosophen bleiben.
Lassen Sie mich nach diesen grundsätzlichen Bemerkungen nur sehr kurz auf einige konkrete Punkte eingehen.
Von herausragender Bedeutung für die Reform des Strafvollzuges durch das vorgelegte Gesetz ist sicherlich die Tatsache, daß nunmehr ein Anspruch auf ein Arbeitsentgelt für den Gefangenen verankert ist. Hier wird ein altes Reformanliegen berücksichtigt, das seit langem, insbesondere schon im Alternativ-Entwurf von 1966, der hier sicherlich einmal genannt werden darf, vorgetragen wurde. Über den Sinn braucht eigentlich nicht diskutiert zu werden. Nach dem, was bisher hier vorgetragen wurde, darf ich aber doch einmal daran erinnern. Erstens ist die Zahlung eines gerechten Entgelts ein Eingliederungsinstrument, ein therapeutisches Mittel. Zweitens - und das ist sehr wichtig - ist es aber ein Mittel, mit dem es möglich wird, daß der Straftäter dort, wo das überhaupt denkbar ist, mindestens teilweise das wiedergutmacht, was er seinen Opfern gegenüber angerichtet hat.
({5})
- Das zahlt er mit seiner Arbeit, Herr Abgeordneter. Das ist therapeutisch und im Ergebnis gut.
Gewiß, über die finanzielle Ausgestaltung wird man aus der Sicht der Länder noch im Bundesrat sprechen müssen. Immerhin ist daran zu erinnern, daß vom Bundesverfassungsgericht in einem nicht veröffentlichten und, wie ich glaube, nicht genügend bekannten Beschluß darauf hingewiesen wurde, es ergäben sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 GG und dem aus dem Sozialstaatsprinzip herzuleitenden Recht des Gefangenen auf Hilfe bei seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft verfassungsrechtliche Schranken - so wörtlich - für die Ausgestaltung der Arbeitsentlohnung.
Zum offenen Vollzug ist hier das Richtige schon gesagt worden. Lassen Sie mich persönlich erklären, daß mir die ursprünglichen Vorschläge der Bundesregierung richtiger zu sein schienen. Sie, Herr Abgeordneter Spranger, gehen von einer falschen Prämisse aus. Wissenschaft und Praxis können eindeutig darauf hinweisen, daß die große Mehrzahl der Gefangenen für den offenen und dann immer noch eine große Zahl für den halboffenen Vollzug geeignet ist, weil keine Fluchtgefahr besteht.
({6})
Nun gut, mit der Umkehrung der Regel/AusnahmeSituation, die sich die Opposition zurechnet - das sei ihr gegönnt -, läßt sich leben.
Im übrigen - dies ist der letzte konkrete Punkt, der mir wichtig genug zu sein scheint, in diesem Hohen Hause angesprochen zu werden - ist eine Kompromißlösung auch für das wichtige Problem der Zwangsmaßnahmen zur Gesundheitsförderung der Gefangenen gefunden. Dies hat mich besonders gefreut, weil ich selbst miterleben konnte, daß auch
Senator Dr. Klug
die Kollegen aus den Justizministerien von Bayern und Rheinland-Pfalz zustimmen konnten. Hierbei ist von entscheidender Bedeutung, daß die Vollzugsbehörden im Falle der akuten Lebensgefahr zum Eingreifen verpflichtet sind. Dies steht nicht nur mit der Verfassung in Einklang, sondern ist auch verfassungsrechtlich geboten.
Lassen Sie mich einen vernachlässigten Punkt der Diskussion um diese Problematik anfügen. Man frage sich bitte: Was geschähe denn, ließen die Vollzugsbeamten den in akuter Lebensgefahr befindlichen Häftling mit staatlicher Billigung wirklich sterben? Das war diskutiert worden. Zum einen wäre das eine unerhörte Zumutung für die Beamten, denen das Eingreifen von der Anstaltsleitung untersagt wäre, zum anderen würde ein Prozeß der Abstumpfung, der Brutalisierung und Resignation in Gang gesetzt, in dem eine humane Behandlung von Gefangenen nicht mehr vorstellbar wäre. Wie überhaupt zu bemerken ist, daß sich das ganze Problem aus menschlicher Nähe ganz anders ausnimmt als in der theoretischen Diskussion weitab vom Vollzug.
Der vorliegende Entwurf jedenfalls macht Schluß mit der makabren Vorstellung, daß in unseren Vollzugsanstalten irgendwo und irgendwann einmal Sterbezellen eingerichtet werden könnten, in denen Gefangene untergebracht würden, die man von Rechts und Gesetzes wegen - man wagt es kaum, so zu formulieren - „ruhig" sterben lassen dürfte.
({7})
Mit dem Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes in der Fassung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform liegt nunmehr ein vollzugs- und kriminalpolitisches Konzept vor, das sich sehen lassen kann. Damit kann ich jedoch nicht in Einklang bringen Argumente der Opposition, die heute vorgetragen worden sind.
Was die Kosten anlangt, so haben wir in unserer Praxis in Hamburg einmal ermittelt, daß der Gefangene, der sich einen Rückfall zuschulden kommen läßt, dem Steuerzahler Aufwendungen zwischen 50 000 und 250 000 DM auferlegt, den Schaden nicht eingerechnet. Das bei einem Rückfall! Man bedenke, was dem Steuerzahler durch die Vermeidung auch nur weniger Rückfälle erspart wird.
Wenn - auch das lassen Sie mich bitte als Sprecher des Senats von Hamburg erklären - von der Opposition immer wieder eine Erklärung der Ministerpräsidentenkonferenz als Argument vorgetragen wird, so möchte ich deutlich sagen: Das ist eine legitime Absichtserklärung, wie Sie der Formulierung gut entnehmen können. Ich kann für den Hamburger Senat nur sagen, daß sich mein Senatskollege Bürgermeister Klose selbstverständlich dieser Tatsache bewußt war, und daß kein Senatsbeschluß, der zur Kostenfrage nämlich erforderlich gewesen wäre, in dieser Richtung vorliegt.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Herr Abgeordneter Spranger, ich war an einer Stelle Ihrer Argumentation erschrocken. Behandlungsvollzug soll, wie Sie formuliert haben, nicht für alle Gefangenen in Frage kommen. Ich kann nur sagen Dann
verschwindet aber auch der letzte Rest von Humanität gegenüber einer Gruppe von Gefangenen. Das gleicht doch der These, man dürfte unheilbaren Kranken nicht die medizinische Sorgfalt zuwenden, die wir ihnen selbstverständlich zuwenden müssen.
({8})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit der Erklärung schließen, daß es aus meiner Sicht begrüßenswert wäre, wenn sich alle Fraktionen dieses Hohen Hauses dazu entschließen könnten, zu dem Kompromiß, der gewiß nicht leicht erarbeitet wurde, zurückzukehren und im übrigen doch davon auszugehen, daß über die Kostenproblematik im Bundesrat - da das ja die Länder betrifft - beraten werden muß.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Vogel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Geschichte der Strafvollzugsreform ist bis zum heutigen Tage eine Geschichte der Entwürfe geblieben. Schon 1791 hat der Gefängnispfarrer Wagnitz in seinen „Historischen Nachrichten und Bemerkungen über die merkwürdigsten Zuchthäuser in Deutschland" festgestellt:
Man wird überall aufmerksamer auf die Menschenrechte und gewiß kommt auch an die gefangenen Menschen einmal die Reihe.
Es hat mehr als weitere 100 Jahre gedauert, bis Berthold Freudenthal in seiner berühmten Frankfurter Rektoratsrede vom 3. November 1909 die gesetzliche Grundlegung der Rechtsstellung der Gefangenen forderte, und mehr als weitere 60 Jahre, bis der Bundestag der Bundesrepublik Deutschland heute in zweiter und dritter Lesung ein Gesetz verabschieden kann, das die Rechte und Pflichten der Gefangenen gesetzlich verankert.
Ich möchte nicht im einzelnen auf die Hindernisse und Schwierigkeiten eingehen, die sich der gesetzlichen Regelung des Strafvollzugs immer wieder in den Weg gestellt haben. Finanzprobleme und föderalistische Bedenken haben zur Einstellung der Arbeiten am Entwurf von 1879 geführt. Die Auflösung des Reichstages im Jahre 1930 führte zur Beendigung der Arbeiten an dem fortschrittlichen und humanen Entwurf von 1927.
Als Bundesminister der Justiz freue ich mich darüber, daß sich die von meinen Amtsvorgängern Dr. Dr. Gustav Heinemann und Gerhard Jahn in Gang gebrachten und weitergeführten Arbeiten am Entwurf des ersten deutschen Strafvollzugsgesetzes heute mit der zweiten und dritten Lesung ihrem Ziel nähern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was Strafe wirklich bedeutet, zeigt sich erst im Vollzug.
Mit Recht wird deshalb seit langem die Erneuerung des Strafvollzugs als ein notwendiger Bestandteil, ja als der krönende Abschluß der Strafrechtsreform angesehen.
Der Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes bringt für die etwa 17 000 Bediensteten der 186 Justizvollzugsanstalten die seit langem von ihren Berufsverbänden geforderte gesetzliche Grundlegung ihrer Befugnisse. Er regelt die Rechte und Pflichten von 30 000 Gefangenen im Vollzug von Freiheitsstrafen, Tag für Tag. Er bringt für etwa 15 000 Untersuchungshäftlinge und etwa 5 000 Insassen von Jugendstrafanstalten mittelbare, aber nicht minder bedeutsame Auswirkungen.
Insgesamt werden im Laufe eines einzigen Jahres über 69 000 Verurteilte mit der Folge in Justizvollzugsanstalten zum Strafantritt aufgenommen, daß sie für längere oder kürzere Zeit ihr Leben nach den Regeln dieses Strafvollzugs führen müssen.
Mit seinen Regelungen über Besuch, Schriftwechsel und Urlaub greift der Entwurf indes auch in das Leben einer sehr großen Anzahl von Angehörigen - über ein Viertel aller Strafgefangenen sind verheiratet -- ein. Nicht übergangen werden soll schließlich, daß der Strafvollzug ebenfalls eine kaum abschätzbare Zahl von Menschen betrifft, denen gegen Gefangene Ansprüche auf Unterhalt, Schadenersatzansprüche oder sonstige Forderungen zustehen.
Der Entwurf berührt also Hunderttausende von Menschen in ihrer täglichen Existenz oder doch in ihren wesentlichen Interessen.
Ziel des Entwurfs ist die Reform der Strafvollzugs-praxis. Eine solche Reform ist aus zahlreichen Gründen ein Gebot kriminalpolitischer und sozialpolitischer Vernunft. Einige Zahlen sollen das verdeutlchen:
Etwas mehr als die Hälfte der Anstaltsinsassen kehrt nach weniger als einem Jahr Anstaltsaufenthalt aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe in das normale Leben zurück. Nur etwa 3 000 der in einem Jahr Verurteilten erwartet eine Vollzugsdauer von mehr als fünf Jahren. Lediglich 60 Verurteilte treten im Jahresdurchschnitt eine lebenslange Haft an. Das zeigt: Die Gesellschaft kann sich durch die Freiheitsstrafe der Straffälligen nicht entledigen. Sie wird regelmäßig nach kurzer Zeit mit der Aufgabe konfrontiert, den Straffälligen wieder in normale Lebensverhältnisse einzugliedern. Gelingt das nicht, so beginnt nur allzu oft der Teufelskreis von Arbeitslosigkeit oder Verlust der Arbeitsstelle, Verlust der Wohnung, Begehung einer neuen Straftat und abermaliger Haft.
Über Grundlage und Sinn der Strafe sagt die Bestimmung des § 46 des Strafgesetzbuches:
Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
Folgerichtig muß der Strafvollzug insbesondere auch den Resozialisierungsprozeß fördern und damit den soeben beschriebenen Teufelskreis durchbrechen.
Nun ist es keineswegs so, daß die dafür Verantwortlichen diese Aufgabe bisher nicht erkannt hätten. Im Gegenteil, viele Länder und viele der im Strafvollzug Tätigen haben sich schon bisher in dankenswerter Weise bemüht, die Praxis nach modernen Anforderungen auszurichten. So sind in bemerkenswertem Umfang gerade in den letzten Jahren neue Anstalten gebaut oder alte modernisiert worden. Fast alle Länder haben auch bereits Versuche mit sozialtherapeutischen Anstalten in Angriff genommen.
Frühere Vollzugsvorschriften haben diesen Bemühungen aber Schranken gesetzt. Diese Schranken sind nach den Vorschlägen der Strafvollzugskommission von 1969 zum Teil im Vorgriff auf dieses Gesetz durchbrochen worden. Der Entwurf geht jedoch weiter und gibt den Bemühungen um Wiedereingliederung der Anstaltsinsassen endlich eine solide, rechtsstaatlich einwandfreie Grundlage. Durch all das, was der Entwurf vorsieht, können Ausbildungsmängel abgebaut, die positiven Antriebskräfte im einzelnen Strafgefangenen gestärkt und die jähen Übergänge zwischen den Lebensverhältnissen in den Anstalten und in der Freiheit gemildert werden.
Gewiß, der Regierungsentwurf ging in manchen Punkten weiter. Manche Kompromisse sind eingegangen worden, nicht nur um Einmütigkeit zu erreichen, sondern um das Gesetz überhaupt zustande zu bringen, um es nicht an den jedermann erkennbaren Klippen scheitern zu lassen. Dies mag man bedauern; kritisieren kann es nur, wer nur die Alternative des Alles oder Nichts gelten läßt.
Manche Veränderung, die der Ausschuß vorgenommen hat, enthält übrigens neben Elementen des Kompromisses auch solche - das wird seitens der Bundesregierung anerkannt - der Verbesserung des ursprünglichen Entwurfs. Ich begrüße, daß sich der Ausschuß entschlossen hat, die Aufrechterhaltung der für die Wiedereingliederung besonders bedeutsamen Arbeitslosenversicherung zeitlich vorzuziehen und daß er für die Fortführung der Krankenversicherung und der Rentenversicherung feste Zeitpunkte bestimmt hat. Einen wichtigen Fortschritt sehe ich auch darin, daß für das Arbeitsentgelt eine vernünftige, die Länderfinanzen zu Beginn schonende, in der Zukunft aber ausbaufähige Regelung gefunden worden ist.
An den Beratungen des Strafrechtssonderausschusses haben dankenswerterweise sehr intensiv die Länder teilgenommen. Ihren Wünschen entsprechend wurde der vorgesehene Anspruch auf offenen Vollzug für alle geeigneten Anstaltsinsassen zugunsten einer freieren Stellung der Anstalten aufgegeben und die Aufzählung der detaillierten Eingriffsbefugnisse der Vollzugsbehörden um eine allgemeine Eingriffsbefugnis ergänzt. Nicht zuletzt auf diese Verständigung stützt sich die Hoffnung, daß auch der Bundesrat dem Entwurf zustimmen wird.
Ich habe schon betont, meine Damen und Herren, daß sich für die Verwirklichung des Entwurfs eine' breite Arbeitsgemeinschaft gebildet hat. Zu dieser Gemeinschaft gehören die beiden Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, viele engagierte Gruppen und Ein.
zelpersönlichkeiten, aber auch Rechtspolitiker aller Parteien. Mehrfach, zuletzt noch am 14. Oktober 1975, haben sich auch die Justizminister aller Länder ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit für die alsbaldige Verabschiedung des Gesetzes ausgesprochen. Mein bayerischer Kollege Dr. Hillermeier hat sich sogar noch am 26. Oktober zu dem Entwurf bekannt und Abstriche in den entscheidenden Teilen ausdrücklich abgelehnt.
Um so mehr, meine sehr verehrten Damen und Herren, bedauere ich, daß der Vorsitzende der Oppositionsfraktion gestern diese in der Sache begründete Akkordanz in Frage gestellt hat, und zwar mit Argumenten, die zum Teil falsch, zum Teil in höchstem Maße anfechtbar sind.
({0})
Falsch war die Behauptung, die Bundesregierung und die Koalition lehnten das Opferentschädigungsgesetz ab. Richtig ist vielmehr, daß der Arbeits- und Sozialausschuß diese von der Bundesregierung eingebrachte Vorlage am 26. November in der Mitberatung behandeln wird und der abschließenden Beratung des Rechtsausschusses dann nichts mehr im Wege steht.
Anfechtbar, ja bedenklich und nicht frei von Peinlichkeit ist die Beziehung, die Herr Carstens zwischen Kürzungen der Einkünfte für Landwirte, Auszubildende oder Kriegsopfer und der angeblichen kräftigen Erhöhung der Einkünfte der Gefangenen herstellt.
({1})
Meine Damen und Herren, gerade diejenigen, die sich in so anerkennenswert sachlicher Weise an den Beratungen beteiligt haben, wissen doch, daß hier mit emotionalem Sprengstoff hantiert wird und daß man damit all denen in den Rücken fällt, die sich seit Jahr und Tag darum bemühen, Verständnis für die Probleme des Strafvollzugs und der gefangenen Menschen zu wecken.
({2})
Eine solche, auch nur mißverständlich hergestellte Beziehung mag einen vordergründigen Tageseffekt haben; politische hilfreich und verantwortungsbewußt oder - lassen Sie mich das von dieser Stelle sagen - gar christlich im Sinne dieses Wortes ist ein solcher Bezug nicht.
({3})
Natürlich weiß jeder in diesem Hause, daß die finanziellen Auswirkungen des Entwurfs noch einmal mit den Ländern erörtert werden müssen.
({4})
Das sollte aber in dem dafür vor allem berufenen Gremium, nämlich dem Bundesrat, geschehen. Hier und heute sollte der Bundestag klar sagen, von welcher Grundlage bei diesen Verhandlungen mit den Ländern ausgegangen werden sollte.
({5})
Es wäre doch, meine Damen und Herren von der Opposition, unökonomisch und unzweckmäßig, durch vorweggenommene Änderungen an dem gemeinsam geschaffenen Werk eine Verständigung mit den Ländern an einem Ort zu versuchen, an dem sich die Länder selber doch gar nicht verbindlich äußern und am Gespräch beteiligen können.
Bei dem Gespräch mit den Ländern wird folgendes zu berücksichtigen sein:
Erstens. Die gestern von Herrn Carstens genannte Summe addiert Mehraufwendungen bis zum Jahre 1987. Es erscheint zweifelhaft, ob solche Berechnungen auf derart lange Zeiträume eine hinlängliche Aussagekraft für die Verhandlungen haben. Im Vordergrund standen doch im Ausschuß und stehen jetzt die Kosten für die Jahre bis 1979. Hier handelt es sich - und das ist doch ganz unbestritten für alle elf Länder im Zeitraum bis 1979 um 150 Millionen DM, von denen fast die Hälfte auf Baumaßnahmen, also auf durchaus erwünschte Bauinvestitionen, entfällt.
Zum zweiten bitte ich für dieses Gespräch zu bedenken, daß das Bundesverfassungsgericht die verfassungsmäßige Pflicht des Bundesgesetzgebers, das Strafvollzugsgesetz zu verabschieden, in einem Beschluß vom 29. Oktober 1975, der gestern bekannt geworden ist, neuerdings eingeschärft und wörtlich folgendes ausgeführt hat - ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin -:
Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hat jedoch in seiner 61. Sitzung am 18. Juni ... einstimmig das Strafvollzugsgesetz in einer bearbeiteten Fassung verabschiedet ... Die Verabschiedung im Plenum des Bundestages in 2. und 3. Lesung ist für den 7. November ...
- das Bundesverfassungsgericht ist von der früheren Disposition ausgegangen vorgesehen. Daher
- fährt das Gericht fort darf erwartet werden, daß das Strafvollzugsgesetz zügig verabschiedet und demnächst verkündet wird. Finanzielle Erwägungen
-- so heißt es wörtlich in den Gründen oder organisatorische Schwierigkeiten, die ein Strafvollzugsgesetz mit sich bringen mag, dürfen eine Verabschiedung nicht unangemessen verzögern. Vielmehr muß der Staat den Strafvollzug so ausstatten, wie es zur Realisierung des Vollzugsziels erforderlich ist ... Er hat auch die Aufgabe, die erforderlichen Mittel für den Personal- und Sachbedarf bereitzustellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade Herr Carstens, der sich gern und häufig auf Entscheidungen des Verfassungsgerichts beruft, hätte diese Entscheidung und diese Teile des Beschlusses zitieren sollen.
({6})
Eine dritte Bemerkung im Hinblick auf dieses Gespräch mit den Ländern. Auch dem, der die Sache nur fiskalisch betrachten wollte, muß doch folgendes
einleuchten. Jede Rückfalltat, die infolge der Verbesserung des Strafvollzugs unterbleibt, spart der Allgemeinheit und dem einzelnen Kosten. Die Rückfallquote von 70 °/o ist einfach zu hoch. Es gibt keinen wirksameren Schutz unserer Bürger vor strafbaren Handlungen als die Senkung der Rückfallquote.
({7})
Eine Senkung auch nur um 10 °/o würde eine Minderung um 15 000 bis 20 000 mittelschwere oder schwere Straftaten bedeuten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es bleibt mir nur übrig, namens der Bundesregierung allen zu danken, die den Entwurf bis zur Stunde gefördert und begleitet haben. Insbesondere danke ich aber den Herren Berichterstattern und dem Herrn Ausschußvorsitzenden, dem Kollegen Müller-Emmert, ohne deren Engagement wir die zweite und dritte Lesung mit diesem Ergebnis noch lange nicht erreicht hätten. Ich beziehe in den Dank ausdrücklich auch Herrn Kollegen Theisen als den amtierenden Vorsitzenden der Justizministerkonferenz mit ein.
Es gibt viele Kriterien, an Hand deren man den ethischen und moralischen Stand einer Gesellschaft und ihr wahres Verhältnis zu den Werten ablesen kann, zu denen sie sich bei feierlichen Gelegenheiten in feierlichen Reden bekennt. Nicht das unwichtigste Kriterium ist die Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit ihren Strafgefangenen umgeht, ob sie die Gefangenen als Objekte, allenfalls als Betroffene ansieht oder ob sie auch den straffällig Gewordenen zuvörderst als Menschen, als verantwortliche, aber auch hilfsbedürftige Persönlichkeit betrachtet, die es nicht zu brechen, sondern zu festigen und zu stabilisieren gilt.
({8})
Dieser Entwurf kann dazu beitragen, daß wir alle eine solch kritische Prüfung unter den Maßstäben unserer Verfassung besser bestehen als bisher.
Im Namen der Bundesregierung bitte ich Sie daher, dem Entwurf Ihre Zustimmung zu geben.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, Ihre Zeit noch lange in Anspruch zu nehmen.
({0})
- Sie können das in dieser Form wiederholen; dann werde ich einige Zeit länger reden. Das ist keine Art des Umgangs miteinander, schließt sich aber würdig der subtilen Art der Demagogie an, die wir heute abend in dieser Aussprache von Ihrer Seite gehört haben.
({1})
Mir kommt es darauf an, einiges zu sagen, um Legendenbildungen vorzubeugen. Hier ist von seiten der Koalition und von seiten der Bundesregierung wiederholt an uns appelliert worden, die Gemeinsamkeit, die im Strafrechtssonderausschuß gefunden worden ist, nicht aufzugeben. Meine Damen und Herren, ich erkläre für die Fraktion der CDU/CSU, daß wir zu dem sachlichen Reforminhalt dieses Gesetzes stehen.
({2})
- Ich sage noch einmal, daß wir zum sachlichen Reforminhalt dieses Gesetzes vom Anfang bis zum Ende stehen.
({3})
- Sie haben gehört, daß die Fraktion dem, was ich gesagt habe, zugestimmt hat!
({4})
Meine Damen und Herren, das, worüber wir hier heute zu sprechen haben und was Inhalt unseres Antrages gewesen ist, sind die Fragen der finanziellen Auswirkungen dieses Gesetzes. Sie alle wissen genauso wie wir, daß der Entwurf mit den Inkraftsetzungszeitpunkten so, wie sie hier enthalten sind, nicht Gesetz werden wird; das wissen Sie genausogut wie wir, nur versuchen Sie auf eine infame Art,
({5})
die Verantwortung dafür ausschließlich dem Bundesrat zuzuschieben. Meine Damen und Herren, auch für den finanzwirksamen Teil dieses Gesetzes haben wir im Bundestag die gleiche Verantwortung, die Sie allein dem Bundesrat zuschieben wollen.
({6})
Sie wissen, daß der Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg
({7})
im Auftrage der Ministerpräsidentenkonferenz den drei Fraktionsvorsitzenden geschrieben und ausdrücklich auf die finanziellen Auswirkungen dieses Gesetzes hingewiesen hat. Er hat die Bedenken der Ministerpräsidentenkonfernz
({8})
dadurch hier in den Bundestag eingeführt.
({9})
Das, was Sie wollen, ist: hier zustimmen, hinterher den Bundesrat voranmarschieren lassen und dann sagen, da gibt es ja eine CDU/CSU-Mehrheit, und diese CDU/CSU-Mehrheit hat uns daran gehindert,
Vogel ({10})
dieses Reformwerk so zu verabschieden, wie wir, die guten Menschen im Bundestag, es gewollt haben. Das ist genau die Art und Weise, in der Sie versuchen, mit dieser Sache umzugehen.
({11})
Und ich sage Ihnen offen: Hier spielen wir nicht mit. Das hier noch einmal zu sagen war mein Anliegen.
({12})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter? Bitte!
Herr Kollege Vogel, können Sie mir bestätigen, daß in dem Schreiben des Herrn Klose zum Ausdruck kommt, der Deutsche Bundestag möge eine angemessene Verschiebung der Fristen, die ausgabenwirksame Teile des Gesetzes betreffen, vornehmen?
Genau das, Herr Kollege Eyrich, ist der Fall,
({0})
und ich wundere mich darüber, daß das hier unterschlagen wird.
({1})
Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal sagen: Für die finanzwirksamen Beschlüsse in diesem Gesetz trägt der Bundestag die gleiche Verantwortung wie der Bundesrat, und Sie haben die Konsequenzen daraus zu ziehen, daß Sie unseren Änderungsantrag abgelehnt haben.
({2})
Hätten Sie dem zugestimmt, würden wir jetzt zu einer einstimmigen Beschlußfassung kommen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier ist eben von dem Schreiben des Bürgermeisters Klose die Rede gewesen und gesagt worden, es würde ein Teil dieses Schreibens vorenthalten. Ich habe das Schreiben hier. Es ist ein Schreiben, das die Vorsitzenden der drei Bundestagsfraktionen bekommen haben, und ich habe meinen Kolleginnen und Kollegen im Fraktionsvorstand und auch in der Fraktion gesagt: Dies ist der Inhalt, und das wird man so, wie es da geschrieben ist, verstehen. Und jetzt ist es am Bundestag, deutlich zu machen, wie er es mit diesem Gesetz, von dem ja hier Kundige manches dazu gesagt haben, daß es nicht leicht zustande zu bringen gewesen sei, gehalten sehen will.
Ich will mich jetzt nicht noch einmal in diese Auseinandersetzung zurückbegeben, ich will nur den Text dieses Schreibens vor all denen, die noch da sind, verlesen, damit jener Vorwurf zurückgenommen werden kann oder als erledigt gilt, daß hier überhauppt nur ein Teil dessen, was darin steht, von uns gewissermaßen akzeptiert oder bekanntgemacht worden wäre.
In dem Schreiben an mich heißt es:
Die Regierungschefs der Länder haben sich auf ihrer Besprechung vom 22. bis 24. Oktober 1975 in Hamburg mit dem Entwurf des Strafvollzugsgesetzes befaßt. Die Regierungschefs der Länder streben zu diesem Gesetz eine grundsätzliche Beschlußfassung in der Weise an, daß in jenen Teilen, die mit erheblichen finanziellen Folgekosten belastet sind, Detailentscheidungen zu einem späteren Zeitpunkt getroffen werden können.
({0})
- Na ja; bitte, lassen Sie mich doch zu Ende lesen! Werden Sie doch nicht gleich irritiert! - Der letzte Satz, den ich ja auch noch vorlesen möchte, verehrte Herren, die Sie vorhin gesagt haben, wir unterschlügen einen Teil dieses Schreibens, heißt:
Dabei besteht Einigkeit, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. März 1972 bei den anstehenden Beratungen berücksichtigt werden muß.
Folgt Unterschrift. Sehen Sie, da ist nichts zu verbergen, und wenn der Bundestag so einig ist, wie er das gewesen sein muß, als im Ausschuß über diese Dinge nicht nur gesprochen, sondern dann auch einstimmig befunden worden ist, dann ist zunächst einmal in dieser Etappe das in Ordnung, was wir in Ordnung bringen und halten können.
Hier möchte ich nur eine einzige Bemerkung machen. Die Äußerungen, die eben hier mit meiner vollen Zustimmung - wenn es auch auf sie nicht ankommt der Herr Bundesminister der Justiz etwas niedriger gehängt hat - ich meine die Ausführungen des Herrn Kollegen Carstens, und ich füge hinzu, daß die Ausführungen des Herrn Kollegen, der heute morgen hier die Debatte zum Artikelgesetz von Ihrer Seite mit einer Erklärung eröffnete, noch etwas niedriger hängen sollten als die des Herrn Kollegen Carstens -, ließen es sehr bedenklich erscheinen, wie das eigentlich von Ihnen gemeint sei. Sie müssen Ihre Sache mit sich selbst klarmachen. Wenn bei der Abstimmung alle diesem Gesetz ihre Unterstützung geben, ist das in Ordnung, und nichts anderes ist es, worauf es ankommt. Alles andere können wir dann und wird man dann notwendigerweise im Benehmen mit den Ländern regeln. - Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Eyrich.
Herr Kollege Wehner, Sie haben den Brief des Herrn Klose verlesen, und Sie haben es mit dem Hinweis auf den letzten Satz dieses Briefes abzuschwächen versucht, in dem steht, daß dabei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu beachten sei. Die Bundesregierung hat
ein Gesetz vorgelegt, in dem kein einziger Paragraph stand, der jetzt ausgabenwirksam ist, und hat zu diesem Gesetz bemerkt, daß es dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts entspreche.
({0})
Ich möchte nur sagen: Nicht daß hier gar noch der Eindruck entsteht, als würde dieser letzte Satz hindern, dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts nachzukommen!
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordnete von Schoeler.
von Schoeler ({0}) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Äußerungen aus den Reihen der Opposition veranlassen mich, doch noch einmal festzuhalten, was von Ihnen in dieser Debatte gesagt worden ist. Nicht nur, was an falschen Zahlen von Ihrem Fraktionsvorsitzenden gestern hier genannt worden ist, sondern auch, was Ihre rechtspolitischen Sprecher hier gesagt haben.
({1})
- Ja, wenn Sie dabei gewesen wären, Herr Jenninger, während wir hier diskutiert haben!
({2}) Ja, ich sage es ja.
({3})
Herr Kollege Carstens hat gestern gesagt, für das
Arbeitsentgelt würden in den nächsten zehn Jahren
- entschuldigen Sie, Herr Professor Carstens, sagen Sie doch nicht schon, Sie hätten das nicht gesagt, bevor ich zu Ende gesprochen habe! - Mehraufwendungen von 1,6 Milliarden DM entstehen. Dies ist falsch; es ist einfach falsch.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Carstens? - Bitte!
Herr von Schoeler, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich gesagt habe, die Mehrkosten, die mit diesem Gesetz verbunden sind, werden nach einem Gutachten des Haushaltsausschusses in den nächsten zehn Jahren 1,6 Milliarden DM betragen?
von Schoeler ({0}) : Herr Kollege Professor Carstens, ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen dies zu bestätigen, weil Sie nachweislich des Protokolls etwas anderes gesagt haben, nämlich das, was ich eben vorgetragen habe.
({1})
Meine Damen und Herren von der Opposition, hier
ist nicht nur mit falschen Zahlen operiert worden,
sondern Sie haben auch - - Bitte, Herr Kollege!
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert!
Herr von Schoeler, sind Sie in der Lage, zu bestätigen, daß Sie vorhin aus dem Protokoll der gestrigen Rede von Herrn Carstens feststellen konnten: Der Satz vor dem entscheidenden Satz lautet am Schluß:
daß die Strafgefangenen künftig eine kräftige Erhöhung ihrer Bezüge, ihrer Arbeitsentgelte erhalten sollen. Dadurch
- dadurch! entstehen zwar nicht dem Bund, Herr Bundesfinanzminister, aber den Bundesländern in den nächsten Jahren zusätzliche Ausgaben von sehr beträchtlichem Ausmaß, Ausgaben, die nach einem Gutachten des Haushaltsausschusses innerhalb der nächsten zehn Jahre 1,6 Milliarden DM betragen werden.
({0})
Herr Abgeordneter, bitte fahren Sie fort!
von Schoeler ({0}) : Herr Kollege Kleinert, ich danke Ihnen dafür, daß Sie den Protokollauszug der gestrigen Debatte, den ich jetzt nicht mit hierher genommen habe, noch einmal vorgelesen und dadurch dem Kollegen Carstens Gelegenheit gegeben haben, dies erneut zu hören und kennenzulernen, was er gestern gesagt hat. Ich stelle fest: Es sind falsche Zahlen verwendet worden.
({1})
Und ich stelle fest, meine Damen und Herren, daß Sie hier sagen: „Reform ja" und gleichzeitig sagen: „Geld später". Das ist nicht redlich.
({2})
Sie wollen einerseits in der Öffentlichkeit als diejenigen dastehen, die zu dem Gesetz stehen, aber Sie lehnen es andererseits ab.
Ich sage es noch einmal, meine Damen und Herren von der Opposition: Sie machen das, was der Natur der Sache nach ein Streit zwischen Bund und Ländern ist und immer war, zu einem Streit zwischen den Fraktionen dieses Hauses. Das entspricht nicht unserer bisherigen Diskussion und ist nicht redlich.
Meine Damen und Herren von der Opposition, was hat sich denn eigentlich geändert? Während wir im Strafrechtsonderausschuß einstimmig beschlossen haben, daß wir die Stufenregelung, wie sie heute vorliegt, machen, war doch die Situation insofern nicht anders als heute, als die Länder schon damals gesagt haben: Wir können das nicht finanzieren. Sie haben damals trotzdem zugestimmt. Es ist doch so, daß Bund und Länder die Dinge naturgemäß unterschiedlich beurteilen.
von Schoeler
Deshalb noch einmal der Hinweis: Sie dürfen hier keine Augenwischerei betreiben! Entweder Sie stimmen diesem Gesetz zu oder Sie stimmen ihm nicht zu. Ihre Bekundungen während der Debatte sollten Sie nun zu einer Jastimme für dieses Gesetz ummünzen.
({3})
Herr Abgeordneter Dr. Eyrich hat das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem es die Kollegen der Koalition offenbar vorziehen, Fragen nicht zu beantworten, werden Sie mir gestatten, daß ich von dem parlamentarischen Recht Gebrauch mache. Ich rede auch noch etwas länger,
({0})
wenn es dazu dient, die Dinge, die von Ihnen hier verfälscht wiedergegeben worden sind, richtigzustellen.
Nun darf ich Sie, Herr Kollege von Schoeler, einmal fragen - ich hätte Sie danach gern in Form einer Zwischenfrage gefragt -: Ist Ihnen entgangen, daß seit dem Abschluß der Beratungen im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform die Bundesregierung gezwungen worden ist, den Entwurf eines Haushaltssicherungsgesetzes vorzulegen?
({1})
- Herr Arndt, über Worte läßt sich trefflich streiten; das wissen auch Sie. Wir nennen dieses Gesetz halt so, wie es tatsächlich ist, und nicht mit der verschleierten Ausdrucksweise, wie Sie es tun.
In dem Augenblick, als wir das Gesetz im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform beschlossen hatten, war das Haushaltssicherungsgesetz der Bundesregierung nicht auf dem Tisch des Hauses. Wir haben die verheerenden finanziellen Auswirkungen einer Politik, die Sie bis dato betrieben haben, so nicht gekannt.
({2})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Vogel.
Frau Präsidenti! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf die Auseinandersetzungen, die um die Begründung für ein Nein der Opposition geführt werden, noch einmal auf den realen Kern zurückbringen.
Sie haben in Ihrem Änderungsantrag gerade die Beträge, die in den nächsten vier Jahren anfallen, die Beträge für 1977, 1978 und 1979, diese 152 Millionen DM, um die jetzt die Verhandlung geht, unberührt gelassen. Gerade bei den aktuellen Beträgen haben Sie keine Veränderung vorgeschlagen. Ihr Antrag will nur die Zeitpunkte hinausschieben, die für 1980 und 1985 vorgesehen sind. Das Gespräch mit den Ländern muß aber doch, meine Damen
und Herren, im Bundesrat geführt werden. Keiner gibt Ihnen doch die Gewähr, daß die Länder tatsächlich damit einverstanden sind, daß für die nächsten drängenden Jahre nichts verändert wird und das Hinausschieben sich nur auf später erstreckt. Sie laufen, wenn Sie jetzt mit dieser Begründung nein sagen, sicher Gefahr, daß der Bundesrat dennoch ein eigenes Votum abgibt und die Sache über den Vermittlungsausschuß wieder hierher kommt. Sie sagen also nein, obwohl Sie genau wissen, daß Ihr Vorschlag, der nur die nächsten drei Jahre unberührt läßt, selbstverständlich wieder zu einer Diskussion mit dem Bundesrat führt.
Ich appelliere im Interesse der Gefangenen und im Interesse der Werte, die auf dem Spiel stehen, an Sie, sich von dem Fehler Ihres eigenen Antrags zu lösen und zuzustimmen, damit wir mit dem Bundesrat in ein Gespräch über eine Vorlage eintreten können, die das Haus einmütig und einstimmig trägt. Das ist meine Bitte namens der Bundesregierung.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel ({0}).
({1})
Wer war das?
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben vorhin ein Musterbeispiel der Ehrlichkeit des Zitierens erlebt, Herr Kollege Kleinert.
({1})
Ich darf wörtlich, aber jetzt vollständig, den hier in Frage kommenden Teil aus dem Protokoll der Sitzung des gestrigen Tages zitieren.
({2})
- Das, was im Protokoll steht, hat einen gewissen
Wert hinsichtlich der Objektivität. Das Zitat lautet:
Wir begrüßen es unter anderem, daß der Vollzug der Freiheitsstrafe nunmehr einheitlich durch ein Bundesgesetz geregelt wird, und wir begrüßen es auch, daß verbesserte Möglichkeiten zur Wiedereingliederung der Strafgefangenen in die Gesellschaft geschaffen werden.
({3})
- Das war der Satz, Herr Kollege Kleinert, den Sie vorhin unterschlagen haben.
({4})
Außerdem ist in diesem Entwurf aber vorgesehen, daß die Strafgefangenen künftig eine kräftige Erhöhung ihrer Bezüge, ihrer Arbeitsentgelte erhalten.
({5})
- Punkt, ja.
Vogel ({6})
Dadurch entstehen zwar nicht dem Bund ...
({7})
- Entschuldigen Sie, das ist eine Unanständigkeit des Zitierens eines Textes, obwohl Sie bei einigermaßen gutem Willen in der Lage wären, das auf die gesamten Ausführungen zu beziehen.
({8})
Gegen diese Unehrlichkeit des Zitierens wehren wir uns in dieser Debatte.
({9})
Meine Damen und Herren, bitte, lassen Sie uns doch zum Ende kommen! Wir sind gleich am Ende der Beratungen. Lassen Sie den Redner weiterreden! Es kann sich jeder noch zu Wort melden.
Ich kann mir vorstellen, daß Sie unruhig sind,
({0})
weil Sie sich entlarvt fühlen. Genau darum geht es hier.
({1})
Meine Damen und Herren, noch etwas zu dem, was der Herr Bundesminister der Justiz zu dem Antrag meiner Fraktion gesagt hat.
({2})
Herr Kollege Vogel, Sie sollten diesem Antrag entnehmen, daß die kräftigen Steigerungsraten, die sich aus dem Gesetz ab 1980 ergeben, um drei Jahre hinausgeschoben sind und daß wir die übrigen
daraus entstehenden Kosten, die im wesentlichen Investitions- und Personalkosten sind, d. h. also den jährlichen Betrag von 52 Millionen DM, dabei nicht berührt haben. Nun machen Sie es uns zum Vorwurf, daß wir nicht vorgeschlagen haben, noch mehr zu kürzen. Genauso ist die Argumentation hier zu verstehen. Das wollte ich noch einmal klargestellt haben.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die allgemeine Aussprache. Wir kommen zur Schlußabstimmung.
Wer diesem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsparteien angenommen.
({0})
Wir haben noch über den Antrag des Ausschusses abzustimmen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
({1})
Meine Damen und Herren, eine Sekunde. Ich habe noch eine Mitteilung zu machen. Die CDU/ CSU-Fraktion hat morgen früh eine Fraktionssitzung. Sie bittet deshalb darum, daß morgen die Sitzung des Deutschen Bundestages erst um 9.15 Uhr beginnt. Ich berufe deshalb die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 7. November 1975, 9.15 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.