Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und b zur verbundenen Beratung auf:
a) Beratung des Jahresgutachtens 1972 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache 7/2 -
b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1973 der Bundesregierung
- Drucksache 7/225 Das Wort zur Begründung des Jahreswirtschaftsberichts und zum Jahresgutachten hat der Bundesminister Friderichs.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht liegt dem Hohen Hause vor. Die Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht sollte nicht ausschließlich eine Konjunkturdebatte sein und sich auch nicht nur mit währungspolitischen Fragen befassen. Diese Gelegenheit heute sollte zu einer Diskussion auch und gerade über Grundsatzfragen und die Rahmenbedingungen der Wirtschaftspolitik genutzt werden.
Angesichts der sich überstürzenden Ereignisse neigen wir, glaube ich, immer mehr dazu, kurzfristig zu denken und allzuoft auch kurzfristig zu handeln. Dabei gerät sehr häufig in Vergessenheit, daß die aktuellen Probleme im Grunde genommen nur Oberflächenerscheinungen längerfristiger, und zwar struktureller, Probleme sind. Eine solche Grundsatzdiskussion hat ihren Platz auch und gerade in diesem Hohen Hause, wenn Wirtschaftspolitik nicht vorrangig oder gar ausschließlich eine Frage der Technokraten sein soll. Ich glaube, meine Damen und Herren, unser Gespür dafür, daß Wirtschaftspolitik nicht nur eine Sache der Experten sein kann, sondern erhebliche politische Dimensionen hat, ist in den letzten Tagen erheblich geschärft worden. Wir tun gut daran, uns über die Umweltbedingungen und die Beschränkungen, unter denen Wirtschaftspolitik heute zu handeln hat, schonungslose Klarheit zu verschaffen.
Es ist unübersehbar, daß sich die Erfolgsbedingungen der Wirtschaftspolitik in den letzten Zeiten nicht gerade verbessert haben. Wir erhalten zur Zeit einen drastischen Anschauungsunterricht über die Schwierigkeiten, die der weltweite Integrationsprozeß mit sich bringt. Wir sehen die geringen nationalen Möglichkeiten des Einflusses auf wirtschaftliche Prozesse. Das Währungsdilemma besteht doch im Grunde genommen darin, daß wir zwar internationale Waren- und Geldmärkte haben, daß wir aber keine handlungsfähigen übernationalen Institutionen haben, die die gleichen Räume umfassen und Steuerungsaufgaben übernehmen können. Diesem Dilemma begegnen wir in zugespitzter Form auch auf europäischer Ebene. Ich begrüße es, daß der Sachverständigenrat dieses Thema in seinem Jahresgutachten, das zusammen mit der Stellungnahme der Bundesregierung Gegenstand dieser Debatte ist, einer eindrücklichen und, wie ich meine, lesenswerten Analyse unterzogen hat.
Ich möchte auch an dieser Stelle dem Sachverständigenrat den Dank der Bundesregierung aussprechen. Sein letztes Jahresgutachten trägt dazu bei, die Möglichkeiten, vor allem aber auch die Grenzen der Wirtschaftspolitik aufzuzeigen. Für besonders wertvoll halte ich, daß der Sachverständigenrat erstmals die europäischen Rahmenbedingungen für die nationale Wirtschafts- und Währungspolitik an den Anfang seines Gutachtens gestellt hat.
Zu diesen Rahmenbedingungen wirtschaftspolitischen Handelns gehört auch, daß das marktwirtschaftliche System nicht mehr fraglos akzeptiert wird. Zwar wird auch von den Kritikern die Effizienz des Systems kaum bezweifelt, aber um so mehr werden seine Voraussetzungen und seine Ergebnisse in Frage gestellt. Es wird ein Gegensatz zwischen Marktwirtschaft und Qualität des Lebens, zwischen Ökonomie und Ökologie beschworen, und es wird die Frage nach den Grenzen des Wachstums gestellt. Zum Problem sind auch die Funktionsbedingungen des Systems selbst geworden.
Nicht wenige sind der Meinung, Konzentration und Vermachtung der Märkte näherten sich ihrem Grenzwert. Für viele heißt die Schicksalsfrage dieser Ordnung: Zerstört der Wettbewerb durch den systemimmanenten Zwang zur Produktivität und
daraus folgender Konzentration sich selbst? Gleichgültig, wie hoch man den Grad der Vermachtung ansetzt, für mich steht jedenfalls fest, daß der Schutz und die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs eine zentrale politische Aufgabe ist.
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben auch die Frage drängend werden lassen, ob es der Marktwirtschaft überhaupt möglich sei, mit dem Problem der Inflation fertig zu werden. Auch diese Frage ist zu einer Herausforderung für die gegenwärtige Wirtschaftspolitik geworden.
In der Nacht zum Montag sind in Brüssel Entscheidungen gefallen, die währungspolitisch und integrationspolitisch zwar keine Ideallösungen darstellen, die aber unter den gegebenen Umständen als optimal bezeichnet werden können. Wenn es auch keine Gemeinschaftslösung im Sinne der Neun gegeben hat, so konnte doch - und das war wichtig - ein deutscher Alleingang, der integrationspolitische Nachteile mit sich gebracht hätte, vermieden werden. Eine Beteiligung Italiens, Großbritanniens und Irlands, so wünschenswert sie grundsätzlich gewesen wäre, hätte zum gegenwärtigen Zeitpunkt erhebliche Risiken mit sich gebracht, und zwar für die Gemeinschaft als Ganzes ebenso wie für einen Teil der Länder der Gemeinschaft.
Einer der wichtigsten Aspekte der gefundenen Lösung ist meines Erachtens, daß sie im Einklang mit den Interessen der Vereinigten Staaten gefunden werden konnte. Diese Lösung hat zwar die bestehenden wirtschaftlichen Probleme nicht beseitigt; aber ich glaube, wir können sie als einen Beitrag dafür ansehen, daß die Verhandlungen über die grundlegende Reform des Weltwährungssystems und die weitere Liberalisierung im GATT dadurch erleichtert werden können.
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Auch unter binnenwirtschaftlichen Gesichtspunkten sind die gefaßten Beschlüsse, nimmt man alles in allem, positiv zu bewerten. Sie sind eine willkommene Unterstützung - das sollte doch offen ausgesprochen werden - der Bundesregierung in ihren Bemühungen um Rückgewinnung von mehr Stabilität.
Die Bundesregierung verkennt nicht, daß der gesamtwirtschaftliche Aufwertungseffekt, den wir gegenüber dem Stand von Ende Januar 1972 mit etwa 6 % beziffern, für einige Exportbranchen ein Opfer bedeutet. Es sollte aber nicht übersehen werden, daß es für rund die Hälfte des deutschen Außenhandels weiterhin feste Wechselkurse gibt.
Wen die Höhe des Aufwertungssatzes stören sollte - auch solches war zu vernehmen -, dem sei vor Augen geführt, daß erstmals gehandelt wurde, ohne vorher auf offenem Markt Zustimmung für einen irgendwie genannten Prozentsatz zu erheischen.
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Ich glaube, durch die Tatsache, daß zum ersten Mal über eine bevorstehende Aufwertung nicht öffentlich geredet und sie nicht zerredet wurde, ist die Möglichkeit geschaffen worden, einen Satz zu
wählen, der daher auch vergleichsweise milde ausgefallen ist.
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- Ich nehme hier keine Aufwertung aus, auch nicht die aus dem Jahre 1961, wo auch durch zu langes Warten am Ende ein Satz herauskam, der am Anfang nicht nötig gewesen wäre.
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Besondere Probleme dürfte es im wesentlichen nur für die Kohle geben. Sie wird bei aller in diesem Bereich notwendigen Anpassung als unser wichtigster einheimischer und damit weltpolitisch unabhängiger Energieträger eine angemessene Rolle in dem noch in diesem Jahr vorzulegenden Programm spielen.
Für die Energiepolitik - darauf möchte ich mich heute und hier beschränken - stellen sich folgende Aufgaben: Erstens eine Verminderung der Risiken der Mineralölversorgung, zweitens eine optimale Nutzung der relativ sicheren und auch preisgünstigen Energieträger Braunkohle, Kernenergie und Erdgas, drittens eine Konsolidierung des Steinkohlenbergbaus und viertens eine Lösung von Zielkonflikten zwischen Umweltschutz und Sicherung der Energieversorgung, die sich vor allem beim Bau von Raffinerien und Kraftwerken ergeben können.
Für zahlreiche andere Branchen, wie z. B. der Automobilindustrie oder dem Maschinenbau, tritt auf den Weltmärkten häufig deshalb durch die Aufwertung kein Nachteil ein, weil die Währungen konkurrierender Länder, insbesondere Japans, gleichfalls floaten und gleichfalls einen Aufwertungstrend haben. Auf dem Hintergrund eines sich beschleunigenden Konjunkturaufschwungs und vor allem einer stark expansiven Auslandsnachfrage ist der Aufwertungseffekt uneingeschränkt zu begrüßen. Die Vollbeschäftigung ist durch dieses Handeln nicht gefährdet. Die Bestellungen aus dem Ausland nehmen aber in geradezu rasantem Tempo zu: im vierten Quartal 1972 hatten wir bei der gesamten Industrie eine Zunahme von 21 % und bei den Investitionsgütern eine Zunahme von 27 %. Diese Tendenz setzt sich fort, so daß auch von daher erhebliche stabilitätspolitische Sorgen kommen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch auf die Entwicklung der Importpreise hinweisen, die sich binnen Jahresfrist um rund 12 % erhöht haben. Auch von daher ist der Aufwertungseffekt zu begrüßen.
In die erwünschte Richtung gehen auch die Wirkungen auf die Einkommensverteilung, wo alle, wie ich meine, ein Interesse daran haben müßten, daß Gewinn- und Lohnentwicklung in einer gewissen Relation zueinander verlaufen. Überaus wichtig ist es schließlich, daß der Handlungsspielraum der Geld- und Kreditpolitik vergrößert worden ist und die Bundesbank ihre bisher überaus zäh betriebene Liquiditätsabschöpfung endlich fortsetzen kann.
Die währungspolitischen Entscheidungen vom Wochenende haben die Erfolgschancen des im JahresBundesminister Dr. Friderichs
wirtschaftsbericht dargelegten Stabilisierungsprogramms begünstigt.
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- Die Bundesregierung hat sich, Herr Abgeordneter Müller-Hermann, in diesem Jahreswirtschaftsbericht - schon die Diktion verrät dies - um Realismus bemüht.
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Sie hat versucht, den eingangs von mir skizzierten Problemen und Relativierungen nationalen wirtschaftspolitischen Handelns Rechnung zu tragen. Wir alle haben die Erfahrung gemacht, daß es nicht weiterhilft, wenn wir uns an übertriebenen Machbarkeitsvorstellungen festklammern.
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Wir sollten die Grenzen des Quantifizierbaren und des Vorhersehbaren in der Konjunkturpolitik offen und ehrlich zugeben. Da wir uns nicht scheuen, dem Ausdruck zu geben, haben wir dem Jahreswirtschaftsbericht auch äußerlich eine leicht veränderte Form gegeben.
Die Bundesregierung hat zwar die für dieses Jahr angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele dargelegt; inwieweit die jüngsten währungspolitischen Beschlüsse Auswirkungen auf das Zielbündel haben, läßt sich heute im einzelnen noch nicht mit Sicherheit feststellen. Aber die angestrebte Rate des realen Wachstums von 4 bis 5 % dürfte nicht zu ehrgeizig sein. Sie ist ohne eine weitere Auslastung der Kapazitäten zu erreichen. Es ist nicht damit zu rechnen, daß die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt 1 °/o überschreitet. Die Beschäftigung ist in diesem Jahr nicht gefährdet; Probleme kommen eher von einer drohenden Überbeschäftigung auf uns zu.
Der geschätzte Außenbeitrag von 13 bis 14 Milliarden DM dürfte zur Finanzierung des unsicheren Transfers ins Ausland ausreichen und damit unsere Leistungsbilanz ausgeglichen halten. Er dürfte sich tendenziell als Folge der Währungsbeschlüsse, zumindest real gesehen, vermindern.
Drei Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes können in diesem Jahr als erfüllt angesehen werden. Eines, die Preisstabilität, ist nach wie vor stark gefährdet. Wenn die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht schreibt, sie strebe eine Wirtschaftsentwicklung an, bei der eine Begrenzung des Anstiegs der Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt auf 51/2 bis 6 % erreicht werden kann, so hat diese Bundesregierung die allergrößten Hemmungen, dies als ein anzustrebendes Ziel zu nennen. Wir sagen das sehr offen und nicht mit Schönfärberei. Ich erkläre hiermit klipp und klar: 51/2 bis 6 % Preissteigerungen sind für uns kein Ziel, sondern ein Zustand, der mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mitteln nicht abgewendet werden konnte. Unser Ziel besteht in einer Eindämmung des Preisauftriebs, um in diesem Jahre eine Tendenzwende in der Preisentwicklung herbeizuführen.
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Darauf, meine Damen und Herren, müssen wir unsere Bemühungen konzentrieren. Aber wir sollten auch sehr nüchtern die Grenzen der Stabilitätspolitik sehen. Deshalb möchte ich „realistisch" als Kennzeichnungswort für das stabilitätspolitische Programm in Anspruch nehmen.
An diesem Programm ist Kritik geübt worden, draußen im Lande, von der Opposition, von Mitgliedern dieses Hohen Hauses. Ich habe diese Kritik ernst genommen, weil ich der letzte wäre, der bestreiten würde, daß man auch ein anderes Programm mit anderen Maßstäben hätte beschließen können. Aber, meine Damen und Herren, ich habe aus all der Kritik im Lande und hier kein Programm herausgehört, das wirksamer und realisierbar gewesen wäre.
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Auch durch Alternativen der Opposition bin ich keines Besseren belehrt worden. Dabei gestehe ich gerne zu, daß es nicht die primäre Aufgabe der Opposition ist, der Regierung Vorschlage zu machen.
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Niemand kommt aber daran vorbei, daß der kategorische Imperativ der Stabilitätspolitik gegenwärtig Stillegung von Liquidität und Kaufkraft heißt. Wir werden uns ja im einzelnen noch darüber unterhalten, auch über die Frage, welche Vorschläge aus den Reihen der Opposition mit gegenläufiger Tendenz und mit unterschiedlichen Bemerkungen gekommen sind.
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Durch die Beschlüsse der Bundesregierung werden insgesamt 5 bis 6 Milliarden DM Liquidität stillgelegt. Natürlich wird die Wirkung unserer Maßnahmen durch die Dollarzuflüsse der letzten Wochen beeinträchtigt.
Abgesehen davon, daß Bankenliquidität nicht gleich Kaufkraft ist - diese nationalökonomische Feinheit haben nicht wenige Kommentatoren in dei letzten Zeit übersehen -, hat die Bundesbank in einem restriktiven Kraftakt versucht, die Zuflüsse so weit wie möglich zu neutralisieren. Die Bundesregierung hat diese Maßnahmen der Bundesbank unterstützt.
Aber die Frage nach Alternativen müssen sich auch diejenigen entgegenhalten lassen, die sagen, mit dem Instrument der Steuerpolitik dürfe keine Konjunkturpolitik gemacht werden. Solche gibt es ja auch.
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Daß die Geldpolitik ständig hart an der Grenze des self defeating operiert, weiß mittlerweile wohl jeder. Ebenso klar sollte sein, daß mit der sogenannten Einkommenspolitik keine stabilitätspolitischen Wunder zu vollbringen sind. Es ist einfach unrealistisch, meine Damen und Herren, zu erwarten, die Tarifpartner könnten sich langfristig in dieser Ge906
sellschaftsordnung anders als am Markt orientieren. Damit ist der Spielraum der konjunkturpolitischen Möglichkeiten auch weitgehend erschöpft.
Es bliebe dann, wenn über Steuern nicht gesteuert werden dürfte, nur noch die Ausgabenpolitik.
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Dazu ist folgendes zu sagen. Ich kenne keinen Länderhaushalt, dessen Zuwachsrate geringer ist als die des Bundeshaushalts.
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- Ich kenne keinen Länderhaushalt - ich wiederhole das -, dessen Zuwachsrate geringer ist als die Zuwachsrate des Bundeshaushalts.
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- Herr Abgeordneter, Sie nennen jetzt ein Land. Ich würde sagen: die Achse reicht von Schleswig-Holstein bis Bayern und nimmt nahezu nichts aus, was dazwischen liegt. Vielleicht können wir uns auf diese Formulierung einigen.
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Es ist auch hier - wie überhaupt in der Stabilitätspolitik - nicht selten so, daß dieselben, die nach Einsparungen rufen, mit Ausgabenwünschen nicht gerade zurückhaltend sind.
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Dies lese ich auch draußen in den Zeitungen, auch von Mitgliedern dieses Hohen Hauses, die einer Fraktion angehören, die hier eine Begrenzung der Ausgaben wünscht, deren Mitglieder im eigenen Wahlkreis - z. B. auch in meinem - aber gleichzeitig eine Erhöhung der Ausgaben - Straßenbau, Investitionszulagen usw. - fordern, wie ich annehme, unter Beschränkung dieser Ausgaben in anderen Wahlkreisen; dies wäre natürlich möglich.
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Aber im übrigen haben wir heute keine Haushaltsdebatte; diese Frage. werden in der Haushaltsdebatte zur Diskussion stehen.
Die Begebung der Stabilitätsanleihe durch den Bund bis zu einer Höhe von 4 Milliarden DM ist ein marktkonformes Mittel der Konjunktursteuerung. Die Bundesregierung betreibt damit eine finanzpolitische Offenmarktpolitik, und diese Maßnahme ist ja auch kaum kritisiert worden. Die Anleihe ist marktgerecht ausgestattet, und ich hoffe, daß es den Banken gelungen ist, dafür Sorge zu tragen, daß ein Großteil der Anleihe an private Zeichner gegeben werden konnte, damit der liquiditätspolitische Effekt erreicht wird.
Vielen draußen hat der Beschluß der Bundesregierung, eine Stabilitätsabgabe für Einkommen über 100 000 DM für Ledige und über 200 000 DM für Verheiratete sowie für Körperschaften zu erheben, nicht gefallen. Nun, meine Damen und Herren, auch wer nicht zu den 150 000 Betroffenen zählt, wird Verständnis dafür haben, daß es diesen nicht gefällt. Nur eines verstehe ich nicht, und diesen Satz spreche ich auch in dieses Haus hinein: daß häufig behauptet wird, die erhöhte Abgabe für hohe Einkommen und Körperschaften belaste die Investitionsneigung und die Investitionsmöglichkeit, und daß von denselben gleichzeitig behauptet wird, sie werde aber doch nur auf die Preise weitergewälzt. Eine von den beiden Behauptungen, meine Damen und Herren, kann nicht stimmen. Entweder oder!
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- Herr Abgeordneter Dr. Strauß, Sie werden ja anschließend sicher Gelegenheit nehmen, dazu Stellung zu nehmen, und ich würde mich freuen, wenn wir uns darüber heute noch unterhalten könnten.
Ich habe, meine Damen und Herren von der Opposition, der Presse entnommen, daß in Ihren Reihen - von einigen, nicht von allen - ein allgemeiner Konjunkturzuschlag als Allheilmittel angepriesen worden ist. Einige haben sich anders geäußert; das ist nicht so ganz einheitlich gewesen.
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Ich gebe zu, dafür sprach einiges. Es wäre auch das einfachste gewesen, zumal es im Gesetz steht. Aber Sie hätten sich doch, meine Damen und Herren von der Opposition, genauso wie ich selbst bei verantwortungsvoller Betrachtungsweise die Frage vorlegen müssen, in welche konjunkturpolitische Landschaft eine solche Konjunkturzulage hineingestellt wird. Wer sich von Ihnen der Mühe unterzogen hat, die Kommuniques der Konzertierten Aktion wirklich zu lesen, der muß zugeben, daß eine Verschärfung des Verteilungskampfes die unausweichliche Folge eines allgemeinen Konjunkturzuschlages gewesen wäre. Und Sie müßten mir nachher begründen, inwiefern eine solche Verschärfung des Verteilungskampfes als konjunkturpolitisch begrüßenswert zu bezeichnen gewesen wäre.
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Wir sollten auf Grund vergangener Konjunkturzyklen doch endlich auch die Erfahrung gemacht haben, daß es zu bremsen gilt, bevor sich der Boom überschlägt. Ebenso sollten wir gelernt haben, daß es äußerst unangenehme Folgen haben kann, wenn die Gewinneinkommen den Lohneinkommen in allzu großem Abstand davoneilen. Auch dies haben wir in früheren Zyklen erlebt.
Und was nützt es uns, meine Damen und Herren, wenn wir die Arbeitnehmer jetzt im Sinne der Stabilität zur Kasse bitten, aber bei der nächsten Lohnrunde Forderungen auf den Tisch bekommen, die
alle Stabilisierungsanstrengungen von vornherein über den Haufen werfen?
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- Ich habe den Eindruck, die Opposition ist der Meinung, dies stimme nicht. Daher muß ich eine Zusatzbemerkung machen.
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Ich glaube, wir sollten, ohne uns in die tarifpolitischen Auseinandersetzungen einmischen zu wollen, zugestehen, daß angesichts der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die Tarifabschlüsse der ersten Monate dieses Jahres als äußerst verantwortungsbewußt zu bezeichnen sind.
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Es ist unbestritten, daß diejenigen, die sie zu verantworten haben, in eine schwierige Lage gekommen sind.
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- Wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, müssen Sie das hier sagen.
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Sie haben mir das Stichwort „Mineralölsteuererhöhung" gegeben. Damit haben wir, wenn ich mir einmal die Presseerklärungen ansehe, wieder einen neuen „Dauerlutscher".
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- Ich wollte mich ja gerade, Herr Abgeordneter, wenn Sie mir Gelegenheit geben, dazu äußern. Die Erhöhung der Mineralölsteuer dient einer Verminderung der Nettokreditaufnahme und damit auch einer solideren Finanzierung öffentlicher Investitionen im Verkehrsbereich.
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- Wir können das ja gleich besprechen. Wenn Sie den Haushalt richtig lesen, sehen Sie das anders. Ich bin mir bewußt, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer konjunkturpolitisch nicht ganz unproblematisch ist. Diese Bundesregierung diskutiert so etwas freimütig und offen; sie hat da gar nichts zu verbergen. Natürlich steigen durch die Erhöhung der Mineralölsteuer die Benzinpreise und damit auch der Lebenshaltungskostenindex; das ist alles unbestritten. Aber Sie werden zugeben, daß im Zusammenhang mit dem weiteren Beschluß des Bundeskabinetts, alle Einnahmen, die über den Ansatz hinausgehen, in diesem Jahr stillzulegen, der Maßnahme auch ein Liquiditätsentzugseffekt zukommt.
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Sie müssen sich selbst einmal überlegen, meine Damen und Herren, ob es richtig ist, sich nur in Argumentationen mit dem Index zu verflüchtigen. Denn Sie hätten denselben Effekt, wenn Sie eine andere Steuer erhöhten, die nicht in den Index eingeht; Sie hätten dann zwar die Indexwirkung nicht; aber volkswirtschaftlich ergäbe sich dieselbe Effizienz.
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- Frau Präsident, der Herr Abgeordnete möchte eine Frage stellen.
Herr Abgeordneter, Sie können jetzt noch keine Zwischenfrage stellen, sondern erst dann, wenn die Debatte eröffnet ist.
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- So sieht es die Geschäftsordnung leider vor.
Ich werde Ihnen im Laufe des Tages sicher Gelegenheit geben, Herr Abgeordneter Müller-Hermann, mir noch eine oder mehrere Fragen zu stellen; denn ich freue mich immer darauf, einen Dialog zu führen.
Mit der Beseitigung der Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Sonderausgaben, der Reduzierung der Investitionszulagen zur Regional- und Forschungsförderung und der Aufhebung der degressiven Abschreibung bei Gebäuden hat die Bundesregierung endlich einmal ein Kapitel des Buches „Abbau von Subventionen" aufgeschlagen. Und siehe da, dies wird von denen kritisiert, die ständig den Abbau von Subventionen fordern. Für jede Subvention gibt es eine gute Begründung.
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Aber ich bin auch, und zwar entschieden, der Meinung, daß wir einen Subventionsdschungel haben und daß dieser Dschungel endlich einmal gelichtet werden muß. Wenn man damit nicht schon zu Beginn einer Legislaturperiode anfängt, wann denn sonst?!
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Wir haben mit einem wohl dosierten Abbau begonnen, indem wir zunächst einmal die Investitionszulage von 10 % auf 7,5 % zurückgenommen haben. Draußen im Lande heißt es dann: dies ist ein Schlag gegen die Regionalförderung.
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Am 21. Februar 1973 bin ich mit den Wirtschaftsministern der Länder zusammengetroffen. Wir haben den 2. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" verabschiedet. In der Zeit von 1973 bis 1976 werden danach in den schwach entwickelten Gebieten der Bundesrepublik 460 000 neue Arbeitsplätze geschaffen und rund 250 000 Arbeitsplätze gesichert: ein Ziel, das auch mit der gekürzten Investitionszulage zu erreichen ist. Darüber gab es
zwischen den Länderministern und mir keine Meinungsverschiedenheit. Die Konzentration dieser Mittel müssen wir allerdings fortsetzen; auch darüber sind wir uns einig.
Lassen Sie mich noch, weil ich darüber ständig in den Regionalzeitungen lese - bezeichnenderweise sind diese Äußerungen aus oppositionellen Kreisen dieses Hauses nicht in überregionalen Zeitungen zu finden -, ein Wort zur Größe sagen, weil draußen immer wieder behauptet wird, dies sei ein Raubbau und Abbau sinnvoller Strukturveränderungen. Bei der Einführung dieser Investitionszulage ist die Bundesregierung und ist dieses Parlament davon ausgegangen, daß diese Förderung ein Mittelvolumen von bis zu 300 Millionen DM im Jahr in Anspruch nehmen solle. Wir sind mittlerweile beim Doppelten, nämlich bei 600 Millionen DM angelangt. Das bedeutet: wenn wir von 10 auf 7,5 heruntergehen, liegen wir immer noch beim doppelten des mit Ihnen zusammen beschlossenen Ansatzes.
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- Ich hatte die Absicht, die Diktion, die bis zum 19. November angewandt wurde, bei ökonomischen Debatten in diesem Parlament nicht mehr zu verwenden.
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Ich wollte es Ihnen überlassen, das draußen weiter zu tun, obwohl Sie sich angesichts der wahlpolitischen Ergebnisse dieser Ihrer politischen Diskussion vor dem 19. November auf dem Stabilitätsgebiet überlegen müssen, ob es sinnvoll ist, so weiterzumachen. Das ist aber Ihr Problem, nichts meins.
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Die Bundesregierung ist sich jedenfalls bewußt, daß ihre Maßnahmen nicht von heute auf morgen Stabilität bringen. Wenn aber jemand, meine Damen und Herren, ein besseres Programm hat, soll er es heute hier vortragen. Ich habe bis zur Stunde außer Kritik keine konstruktiven Beiträge zur Kenntnis nehmen können.
Ordnungs- und Strukturpolitik haben für diese Bundesregierung grundsätzlich denselben Stellenwert wie die Konjunkturpolitik. Die Bundesregierung hat ihren Standpunkt und ihre Absichten in diesem Bereich im Jahreswirtschaftsbericht dargelegt. Ich möchte es mir heute ersparen, über strukturpolitische Fragen zu sprechen, da wir im Laufe dieses Jahres bei einer Reihe von Anlässen ausreichend Gelegenheit dazu haben werden.
Ich möchte aber die Diskussion des Jahreswirtschaftsberichts auch dazu nutzen, einige Bemerkungen zur Ordnungspolitik zu machen. Diese Bundesregierung hat ihre ordnungspolitische Position im Jahreswirtschaftsbericht unzweideutig, wie ich meine, mit dem Satz beschrieben:
Bewährtes Leitbild der Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik ist die nach freiheitlichen Grundsätzen gestaltete und dem sozialen Fortschritt dienende Marktwirtschaft.
Marktwirtschaft ist aber - und diese Aussage ist zur obigen komplementär - kein Denkmal, sie ist kein starres System, das der Weiterentwicklung nicht bedürfte und nicht fähig wäre. Ihr Vorteil liegt vielmehr eben darin, daß sie ein dynamisches Ordnungssystem ist, dessen Fähigkeit gerade darin liegt, sich besser als alle anderen Systeme auf wirtschaftlich-technischen ebenso wie auf gesellschaftlichen Wandel einzustellen.
Der Weiterentwicklung des Wettbewerbsrechts mißt die Bundesregierung eine für den Bestand dieser Ordnung entscheidende Bedeutung bei. Ich möchte hier meine Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, daß die Beratung der Kartellnovelle im Parlament nach den schlechten Erfahrungen in der letzten Legislaturperiode rasche Fortschritte macht. Ich möchte nicht unterlassen, allen Parteien dieses Hohen Hauses, die dabei mithelfen, zu danken. Ich vermerke an dieser Stelle aber auch dankbar, daß Kräfte in der Wirtschaft mittlerweile die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung des Wettbewerbsrechts eingesehen haben und dem Gesetzesvorhaben der Bundesregierung nunmehr positiv gegenüberstehen. Ich glaube, gerade die Fälle der letzten Zeit - Sie wissen, welche ich meine haben die Notwendigkeit eines wirksamen Instrumentariums deutlich gezeigt, wenn nicht Grundelemente unserer Wirtschaftsordnung entscheidend geschwächt werden sollen.
Eine aktuelle Herausforderung begegnet der Marktwirtschaft in der Frage nach den Grenzen des Wachstums. Ich glaube, es ist richtig, in einer Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht diese Frage nach den Grenzen des Wachstums aufzunehmen. Wir können es uns nicht mehr leisten, über diese und ähnliche Fragen einfach hinwegzugehen. Die Frage nach der Qualität des Wachstums zu stellen ist legitim. Ich finde es auch gar nicht schlimm, wenn bei der Diskussion über diese Frage gelegentlich Übertreibungen vorkommen. Die Übertreibungen und Vereinfachungen, die beispielsweise den viel zitierten Thesen der MIT-Studie anhaften, berauben diese Studie nicht ihres Wertes an sich. Ich möchte hier nicht näher darauf eingehen, aber so viel bemerken, daß die entscheidende Schwäche des MIT-Modells meines Erachtens darin liegt, daß die der Marktwirtschaft eigenen Korrektur- und Substitutions-mechanismen nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.
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Dennoch sind solche Projektionen der Gegenwart in die Zukunft nützlich, um auf gewisse Konsequenzen unseres Handelns aufmerksam zu machen.
Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß wir den qualitativen Aspekten des wirtschaftlichen Wachstums mehr Beachtung schenken müssen als bisher. Doch brauchen wir uns dabei nicht in sogenannten Alternativ-Radikalismen oder Verbal-Radikalismen zu bewegen wie beispielsweise der Aussage: 6 % Wachstum oder gar keines. Die sinnvolle Alternative für diese Regierung bedeutet: 4 % qualiBundesminister Dr. Friderichs
fiziertes Wachstum oder 5 bis 6 % unqualifiziertes Wachstum. Dazwischen haben wir uns zu entscheiden.
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- Das sollte jedem Wachstumskritiker klar sein; Wachstum ist zur Steigerung der Lebensqualität notwendig. Das soll gesagt sein. Es scheint mir eine Binsenwahrheit zu sein, daß wir zur Finanzierung der dringend notwendigen Infrastrukturinvestitionen im Bildungs- und Verkehrsbereich und beim Umweltschutz - um nur drei Bereiche zu nennen -, aber insbesondere auch zur Aufrechterhaltung unseres sozialen Sicherungssystems auf eine respektable jährliche Wachstumsrate angewiesen sind. Auf der anderen Seite sollte jedoch unbestritten sein, daß im Interesse von mehr Lebensqualität Abstriche vom Wachstum notwendig sein können.
Wachstumseinbußen können sich auch ergeben, wenn wir uns einem Problem stellen, das wir bisher mehr oder weniger vor uns hergeschoben haben: nämlich dem Problem der Beschäftigung von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung darauf hingewiesen, daß unsere Aufnahmefähigkeit für ausländische Arbeitskräfte nicht unbegrenzt sei. Ich meine, wir sollten diese schwierige Frage, die nicht nur ökonomische, sondern auch politische und insbesondere menschliche Bedeutung hat, bald anpacken. Ich sage heute in der wirtschaftspolitischen Debatte folgendes dazu.
Bei aller Anerkennung des Beitrages der ausländischen Arbeitnehmer zu unserem Bruttosozialprodukt müssen wir uns unter längerfristigen strukturpolitischen Aspekten die Frage vorlegen, ob nicht die andauernde Zuwanderung den Zwang zur Rationalisierung und damit Produktivitätssteigerung hemmt und ob sie nicht den ohnehin vorhandenen Fehlbedarf an Infrastruktur qualitativ und quantitativ verschärft.
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Ich möchte zu der Frage, welcher Beitrag zur Dekkung dieses zusätzlichen Bedarfs an Infrastruktur eigentlich geleistet werden müßte, hier noch nicht Stellung nehmen. Aber ich hoffe, daß wir in dieser Debate mit dem nötigen Ernst und dem nötigen Respekt vor der Situation der Betroffenen noch darüber sprechen können. Insgesamt gesehen scheinen mir die menschlichen und gesellschaftlichen Probleme bei einer weiter steigenden Zahl ausländischer Arbeitnehmer schwerwiegender zu sein als eine eventuelle Abschwächung des Wirtschaftswachstums. Schließlich sollte uns das Zusammenrücken der Wirtschaftsräume auch den Gedanken nahelegen, dem Kapitalexport in die betreffenden Länder den Vorrang vor einem Arbeitskräfteimport zu geben.
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Das wird nicht überall gerne gehört, aber es muß gesagt sein.
Worauf es mir hier ankommt, ist, zu betonen, daß wir zur Qualifizierung und Sinngebung des Wachstums das System, das wir haben, nicht auf den
Kopf zu stellen brauchen. Es genügt eine Änderung der Datenkonstellation. Die allerdings brauchen wir auch. Zum Teil geschieht dies schon, zum Teil ist es unsere Aufgabe, Aufgabe dieser Regierung, Aufgabe dieses Parlaments, diese Datenkonstellationen einzuleiten. Darunter verstehe ich und darunter versteht auch diese Bundesregierung in erster Linie eine effiziente Reformpolitik.
Es ist auch nicht notwendig - ja es wäre geradezu absurd -, zur Lösung unserer Umweltprobleme das System verändern zu wollen. Diese Umweltprobleme sind keine spezifischen Probleme der marktwirtschaftlichen Ordnung, sie existieren auch in anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen. Ich meine sogar, die Marktwirtschaft kann uns bei der Lösung dieser Probleme ein gutes Stück weiterbringen. Allerdings müssen wir ernst damit machen - und dazu gehört politische Kraft -, die Kasten der Umweltgefährdung den sie verursachenden Produkten anzulasten, um damit auch durch höhere Preise einen Zwang zur Umstellung auf andere Produkte zu bewirken. Es hat manchmal an dem Mut gefehlt, dies zu tun.
Niemand möchte natürlich leugnen, daß in einer ganzen Anzahl von Fällen Verbote und Gebote unumgänglich sind.
An diesem Punkt hat die Feststellung ihre besondere Richtigkeit, daß nicht wenige Mängel, die der Marktwirtschaft angelastet werden, darauf zurückgehen, daß sie nicht oder nicht konsequent genug angewendet worden ist.
Gleichwohl stellen die Probleme, die in der Wirtschaftspolitik in der nächsten Zeit auf uns zukommen, an uns alle, Politiker, Unternehmer, Arbeitnehmer, hohe Anforderungen. Es bedarf, meine Damen und Herren, einerseits der Standfestigkeit und des Festhaltens an bewährten Prinzipien. Andererseits müssen wir flexibel auf neue Datenkonstellationen reagieren oder sie herbeiführen. Die Szenerie ändert sich, insbesondere bei den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, von Tag zu Tag.
Ich glaube, daß der Jahreswirtschaftsbericht 1973, den ich hiermit dem Hohen Hause vorlege, Möglichkeiten eröffnet, über die nationalen und internationalen Zusammenhänge von Wirtschaftspolitik im Interesse unseres gesamten Volkes zu sprechen.
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Ich danke dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft und eröffne die Aussprache. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Narjes.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Bundestag hat heute das Jahresgutachten 1972 des Sachverständigenrates zu diskutieren, ein Gutachten, das wie die der früheren Jahre auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau abgefaßt ist und zugleich mit großem Sinn für das Notwendige und Mögliche Strategien für die Wirtschaftspolitik des Jahres 1973 entwickelt hat. Es trägt so zur Vertiefung
und zur Versachlichung der Wirtschaftspolitik in Deutschland bei und zeigt, wie fruchtbar empirische Wissenschaft und politische Entscheidungsinstanzen einander in der Durchdringung des Tatbestandes und in der Suche nach den besten Strategien ergänzen können. Ich möchte deshalb den Sachverständigen und ihren Mitarbeitern namens der CDU/CSU-Fraktion Dank und Anerkennung für ihre Leistung aussprechen.
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Des weiteren liegt dem Hohen Hause der Jahreswirtschaftsbericht 1973 der Bundesregierung vor, der, so wie auch die Rede des Bundeswirtschaftsministers, eine deutlich liberalere Handschrift verrät als die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers.
Im Gegensatz zu früheren Jahren fehlt uns die mittelfristige Projektion der Wirtschaftspolitik und die schon seit 1972 fällige fortgeschriebene mittelfristige Finanzplanung.
Überdies müssen wir die Wirtschaftspolitik des Jahres 1973 heute im Schatten einer Weltwährungs- und auch Welthandelskrise diskutieren, deren Verlauf uns kurzfristig neue Daten gesetzt hat und auch weiterhin noch setzen kann. Sodann müssen wir hier im Bewußtsein der erneut sichtbar gewordenen Schwächen des Entscheidungsprozesses der europäischen Gemeinschaften sprechen. Schließlich haben wir zu berücksichtigen, daß seit der Abfassung des Gutachtens und des Berichts erhebliche Veränderungen der außenwirtschaftlichen Daten eingetreten sind und bereits Teile beider Dokumente hinfällig gemacht, anderen ein entsprechend größeres Gewicht gegeben haben.
Ich werde auf die Weltwährungskrise erst im späteren Verlauf meiner Ausführungen eingehen. Im Mittelpunkt dieser Debatte, so meinen wir, sollte die Frage nach der Lage der Wirtschaft in Deutschland stehen. Das Jahresgutachten des Sachverständigenrates bestätigt dazu in weitem Umfange die Analyse, die Argumente und die nüchterne Darstellung unserer Aktionsmöglichkeiten, die die Opposition schon im Wahlkampf 1972 gegeben hat. Wir haben dem wenig hinzuzufügen.
Von den Zielen des Stabilitätsgesetzes erfordern heute die der Vollbeschäftigung und der ausgeglichenen Zahlungsbilanz keine besondere Stellungnahme. Wohl aber scheint mir ein Hinweis auf das Ziel des angemessenen Wachstums angesichts einiger Stimmen aus dem Regierungslager nötig zu sein, sofern man weiß, wo es anfängt, und vor allen Dingen wo es aufhört. Ich meine damit nicht den Herrn Bundeswirtschaftsminister, dessen Ausführungen insbesondere zur MIT-Studie ich voll zustimmen kann. Mein Hinweis betrifft die Notwendigkeit, auch weiterhin eine Politik des qualitätsbewußten Wachstums zu verfolgen,
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eine Politik also, die weder seiner hemmungslosen Maximierung dient - dies war niemals die Politik der CDU/CSU - noch den unsozialen Ratschlägen jener linken Romantiker folgt, die in abgeschiedenen Studierstuben die Welt verbessern wollen oder die ihr persönliches Wohlstandsziel schon erreicht haben und jetzt meinen, dem ganzen Volk von einem weiteren Wachstum abraten zu sollen.
({2})
Eine solche Politik, die weder ökonomische oder demographische Gesichtspunkte noch solche des Umweltschutzes für sich anführen kann, verkennt gründlich die soziale Wirklichkeit in Deutschland. Der durchschnittliche Arbeitnehmerhaushalt hatte im Jahre 1972 nur ein Einkommen von etwa 1500 DM und damit einen Lebensstandard, dessen reale Verdoppelung und Vervielfachung ein selbstverständliches Ziel aller ist, die, wie die CDU/CSU, diese Wirklichkeit kennen und ihre Verbesserung zum Ziel ihrer Politik gemacht haben.
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Wir sind auch der Ansicht - lassen Sie mich das an dieser Stelle hinzufügen --, daß die individuellen Realeinkünfte in Deutschland keineswegs so glänzend sind, daß ihren Beziehern über die bestehenden Belastungen hinaus ein Zuwachsverzicht zugunsten wirklicher oder vermeintlicher kollektiver Bedürfnisse zugemutet werden kann. Im Gegenteil, die Entlastung dieser Gruppen von den sich aus Progression und Inflation ergebenden steuerlichen Mehrbelastungen ist für uns ein Ziel der steuerlichen und sozialen Gerechtigkeit. Eine soziale Volkspartei, die die Interessen der Arbeitgeber nicht nur mit dem Mundwerk vertritt und die von der wahren sozialen und wirtschaftlichen Lage der Arbeitnehmer ausgeht, ohne ihnen vorschreiben zu wollen, was sie zu denken haben, kann deshalb auf absehbare Zeit nicht auf eine Wachstumspolitik verzichten.
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Für uns ist eine Politik in hohem Maße unsozial, die bei gedrosseltem Wachstum und verstärkter Besteuerung ideologische Tempel des Kollektivis mus bauen möchte, um den hemmungslosen Machttrieb einiger besessener Missionare zu befriedigen.
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Der eigentliche Kern der Wirtschaftspolitik der Jahre 1973 bis wenigstens 1975 wird der Kampf gegen die Geißel und das soziale Unrecht der trabenden Geldentwertung sein. Dieser Kampf wird über mehrere Jahre Priorität haben müssen, weil sich die inflationäre Entwicklung in den Jahren 1970 bis 1972 bereits so tief in unser Wirtschaftsleben eingefressen hat, daß eine kurzfristige Lösung ohne Gefährdung der Vollbeschäftigung heute nicht mehr möglich ist. Zu Recht fordert das Jahresgutachten der Sachverständigen den Vorrang für den Geldwert im Falle von Zielkonflikten. Vorrang heißt auch Konzentration des Handelns auf dieses Ziel und den Verzicht, es bei Lippendiensten oder zynischen Anspielungen auf das „Modewort" der Stabilität bewenden zu lassen.
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Inflation ist kein Betriebsunfall der Konjunkturpolitik und auch kein Kavaliersdelikt. Inflation ist schweres soziales Unrecht an der Mehrzahl unserer Mitbürger und an der marktwirtschaftlichen Ordnung selbst.
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Wird aber die ganze Ordnung gefährdet, schwächt die Inflation auch unseren Staat nach außen, im Wettkampf der Systeme ebenso wie im Kreise der Industrienationen der westlichen Welt.
Die Zahlen der Teuerung sprechen eine eindeutige Sprache. Die Meldungen des heutigen Morgens beweisen es. 1969 hatten wir für den Normalhaushalt noch eine Preissteigerungsrate von 2,7 %, im Jahre 1972 waren es 5,8%, und Mitte Februar lagen wir bei 6,8 %. Für den Rentnerhaushalt ist die 7-%Grenze überschritten, und im Lande Berlin beträgt die Preissteigerungsrate für den Normalhaushalt bereits 8,1 %. Alle diese Zahlen weisen eine steigende Tendenz auf. Gerade die Beobachtung dieser Tendenz zu steigenden Preisen setzt sich bei den Bürgern im Lande in noch stärkere Erwartungen auf die künftige Beschleunigung der inflationären Entwicklung um. Sie kaufen schnell unter der Vorwegnahme der von ihnen vermuteten weiteren Steigerung der Preise und Kosten, was wiederum die sich zunehmend selbst nährende Preis-Kosten- und Kosten-Preis-Spirale kräftig fördert und anheizt. Es sollte doch nicht nötig sein, die Gefahren, die durch dieses Streben der Bürger nach Sicherheit durch Sachwertbesitz ausgelöst werden, hier im einzelnen aufzuzeigen. Ich beschränke mich auf den ernsten Hinweis, daß das Sparverhalten der Bevölkerung sich auch an einem nicht zu kalkulierenden Punkt der Geldentwertung in sein deutliches Gegenteil verkehren kann. Aus alledem sollte vielmehr deutlich werden, daß der erste Ansatzpunkt jeder erfolgreichen Strategie gegen die inflationäre Entwicklung mit dem Bemühen beginnen muß, die Inflationsmentalität, die spekulative Erwartung weiterer Preissteigerungen zu brechen.
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Groß ist die Zahl der Opfer und Geschädigten des inflationären Prozesses. Alle Bürger, die mehr Geldforderungen als Schulden haben - und das ist die Masse der Haushalte mit kleineren und mittleren Einkommen -, insbesondere die Sparer und Bausparer, sind von seinen Folgen betroffen. So werden die Verluste der Sparer im Jahre 1972 auf 26 Milliarden DM - das sind rund 47 % der Ersparnisse dieses Jahres - geschätzt.
Der inflationäre Prozeß beeinträchtigt auch das reale Wachstum. Er gefährdet auf mittlere Sicht die Sicherheit der Arbeitsplätze. Die Preise verlieren ihre Lenkungsfunktion am Markt; das Sachwertdenken tritt in den Vordergrund. Damit verbunden ist die Fehllenkung der Produktivkräfte mit langfristigen Strukturschäden als Konsequenz.
Daß die Flucht in die Sachwerte insbesondere auch die Bodenpreise unnötig in die Höhe treibt, die ohnehin faktisch unter höchst verzerrten Marktbedingungen zustande kommen, sei hier nur zur Korrektur des zuständigen Bundesministers vermerkt, der anzunehmen scheint, daß die Bodenpreisentwicklung kaum etwas mit der Inflation zu tun habe.
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Dadurch, daß der inflationäre Prozeß nur die Nettogläubiger trifft, führt er zu einer unsozialen, weil unausgewogenen Einkommensverteilung, die die Lohnpolitik kaum korrigieren kann. Die Schere zwischen den Besitzenden und den Nichtbesitzenden wird so weiter geöffnet. Der Verteilungskampf unter den gesellschaftlichen Gruppen wird verschärft. Daß bei alledem unter dem Strich keine reale Lohnsteigerung für den einzelnen Arbeitnehmer mehr herauskommen wird, möchte ich nur all denen in Erinnerung rufen, die die Wahlreden des Herrn Bundeskanzlers vor dem 19. November ernst genommen haben.
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Schon in diesem Jahr kann das für die Masse unserer Arbeitnehmer, wie die Debatte noch zeigen wird, nicht mehr behauptet werden.
Für die Politik ist es schließlich nötig zu wissen, daß das Nominalprinzip, der Grundsatz, daß Mark
gleich Mark ist, unter dem Druck von lndexierungsund Anpassungswünschen aller Geschädigten auf die Dauer nicht zu halten sein wird. Eine allgemeine Indexierung unseres Kosten-, Lohn- und Preisniveaus wäre dann aber eine Automatik, die zwangsläufig zu einer Unumkehrbarkeit der inflationären Entwicklung führen müßte. Die gesamte freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wäre am Ende gefährdet, weil der Mann auf der Straße die Inflation und ihre Folgen auf die Dauer nicht der fehlerhaften Politik einer einzelnen Regierung, sondern dem ganzen System anlasten wird, weil er nicht erkennen kann, daß wir es nicht mit einer fehlerhaften Wirtschaftsordnung, sondern mit einer Serie von Fehlern der Wirtschaftspolitik der beiden Regierungen Brandt/Scheel zu tun haben.
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Die Inflation ist also krasses Unrecht, nicht zuletzt weil sie die Bürger ungleichmäßig trifft, sie um ihr Erspartes bringt und ihre Chancen mindert, das Realeinkommen so zu verbessern, wie es unter den Bedingungen der Stabilität möglich wäre. Wenn andere damit leben wollen, - wir werden niemals damit zufrieden sein, weder national noch in den Europäischen Gemeinschaften.
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Welche Schäden müssen eigentlich noch eintreten, bis allseits umfassender und tatkräftiger gehandelt wird!
Dazu will ich gleich darauf hinweisen, daß es in der Europäischen Gemeinschaft kein isoliertes deutsches Inflationsthema gibt. In unseren Partnerländern spricht man eher von sozialen Spannungen als dem wesentlichen Aspekt der Verteilungsungerechtigkeit, weil man die deutsche leidvolle historische Inflationserfahrung nicht kennt, die uns zu Recht die Ursache sozialer Spannungen stärker in der wirtschaftspolitischen Gleichgültigkeit gegenüber dem Geldwertverfall suchen läßt. Mir scheint aber, daß
auch bei unseren Partnern das Problembewußtsein für diese Zusammenhänge wächst.
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Die Inflation ist kein Naturereignis, sie ist eine Folge fehlerhafter Wirtschaftspolitik. Sie ist bei uns auch überwiegend hausgemacht entstanden, ohne daß ich Herrn Präsidenten Klasen oder den Vizepräsidenten Barre im einzelnen noch einmal zitieren möchte, also auf Fehler der nationalen Politik zurückzuführen.
Was das für 1972 heißt, ergibt sich z. B. aus einem Rückblick auf den Jahreswirtschaftsbericht des vergangenen Jahres. Dort heißt es - ich darf zitieren -:
Der Sachverständigenrat hat bestätigt, daß die Wirtschaftspolitik die Chance für eine Rückkehr zur Stabilität noch einmal geschaffen hat ... diese Chance gilt es zu nutzen.
Wenn wir diese von der ersten Regierung Brandt/ Scheel selber festgestellte Chance mit den tatsächlichen Ergebnissen des Jahres 1972 vergleichen, so lernen wir, daß sie vertan wurde. Das Jahresgutachten der Sachverständigen spricht deshalb bitter von einer „Vorbelastung eines bedrohlichen Fehlschlags", mit dem die Konjunkturpolitik dieses Jahres zu leben hat. Im Zeichen des neuen Aufschwungs ist das Stabilitätsziel nämlich ungleich schwerer als vor einem Jahr zu erreichen.
Die europäischen und weltweiten Einflüsse auf unser Konjunkturgeschehen werden indessen wachsen. Aber gerade in dem Maße, wie diese Einflüsse in Zukunft wachsen werden, wächst zugleich auch die politische Mithaftung der Bundesregierung für das, was in den europäischen Gemeinschaften und im Weltwährungs- und Welthandelssystem geschieht. Dabei wird nämlich jetzt sichtbar, wie gut oder wie schlecht die Bundesregierung in den europäischen und weltweiten Systemen verhandelt hat. Es ist insbesondere die Pflicht des Bundestages, das europäische Handeln oder Unterlassen dieser Bundesregierung um so schärfer zu kontrollieren, als sie es unterläßt, auf eine wirksame europäische parlamentarische Kontrolle hinzuwirken, was immerhin seit 1958 die vertragliche Verpflichtung einer jeden deutschen Bundesregierung ist.
Die Bundesregierung hat also die gegenwärtige inflationäre Entwicklung zu vertreten und zu verantworten. Sie hat den Karren in den Sumpf gefahren,
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und sie ist deshalb in allererster Linie verpflichtet, ihn dort wieder herauszuholen.
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Sie muß handeln. Sie muß wissen, daß es keine politisch schmerzlose Geburt von mehr Stabilität gibt, daß für mehrere Jahre, ich sagte es schon: wahrscheinlich für die ganze Legislaturperiode die volle Führungskraft und der Einsatz der politischen Existenz dieses Kabinetts und vor allem des Bundeskanzlers persönlich gefordert ist. Sie muß schließlich wissen, daß eine Bundesregierung, die die Inflation nicht stoppt, ob sie es will oder oder nicht, mit den „Systemüberwindern" kollaboriert". Sie muß die Stabilität ernsthaft wollen und glaubwürdig anstreben und die von ihr verkündete Politik im eigenen Bereich vorbildlich praktizieren, wenn sie das wesentlichste Ziel, die Brechung der Inflationsmentalität, erreichen will.
Diese Überzeugung vermittelt der Bundesfinanzminister nicht uneingeschränkt. Da seine Glaubwürdigkeit durch frühere Äußerungen zu diesem Thema ohnehin belastet ist, wäre Sorgsamkeit heute besonders am Platze.
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Statt dessen läßt er in einem Interview mit der Londoner „Times" Ende Januar hieran erneut erhebliche Zweifel aufkommen. Ebenso läßt die fast mißbräuchliche Verwendung des Begriffs der Stabilität für das finanzpolitische Sammelsurium, das am 16. Februar verkündet worden ist, Zweifel an seinem Willen zur Priorität der Inflationsbekämpfung aufkommen. Hierüber wird in dieser Debatte sicherlich noch gesprochen werden.
Aber auch die durchschnittliche europäische Inflationsrate, auf die sich der Bundesfinanzminister in seinem Interview mit der „Times", übrigens im Widerspruch zu den Zielen des Jahreswirtschaftsberichts, bezogen hat, ist keine extraterrestrische Größe. In ihr stecken vielmehr zu knapp einem Drittel die deutschen Zahlen und indirekt auch noch die Zahlen solcher europäischer Nachbarn, die wir durch unseren Inflationsexport in den vergangenen Jahren negativ beeinflußt haben. So einfach können wir uns also nicht aus der uns schon kraft unserer Größe zufallenden wirtschaftspolitischen Verantwortung in der Europäischen Gemeinschaft herausstehlen.
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Die entscheidende Frage, die sich nach der vorliegenden Analyse der derzeitigen konjunkturellen Lage - über die wohl weitgehend Einmütigkeit unter den Parteien herrscht - stellt, ist, mit welchen Mitteln die Stabilitätspolitik in diesem Jahr betrieben werden soll und welche Zielvorstellungen den zu ergreifenden Maßnahmen zugrunde liegen sollen. Es handelt sich also um die Frage nach der Strategie der Stabilitätspolitik. Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht das Ziel der Tendenzumkehr beim Preisauftrieb genannt. Wir stimmen diesem Ziel ohne Einschränkung zu, weil die entscheidenden Sätze fast wörtlich unseren Wahlkampfaussagen entsprechen.
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Die Zielrate von 51/2 bis 6 % ist indessen - und diese Feststellung kennzeichnet die ganze Situation, in der wir stehen - schon heute als sehr, sehr ehrgeizig zu beschreiben.
Die Bundesregierung hat dann aber in ihrer Regierungserklärung gesagt, daß sie zur Erreichung von mehr Stabilität in erster Linie die Geld- und Kreditpolitik einzusetzen wünsche. Wir haben in der Debatte sogleich eine Reihe skeptischer Fragen gestellt, weil wir große Zweifel haben, ob die GeldDr. Narjes
und Kreditpolitik schon jetzt die ihr zugeschriebene Rolle übernehmen kann.
Wir sind bestätigt worden, als nur eine Woche später dieser Versuch der Bundesregierung, die Stabilitätspolitik auf die Bundesbank abzuwälzen, von der ersten Dollarwelle hinweggespült worden ist. Die Bundesbank hat in ihrem Februarbericht festgestellt, daß die starken Devisenzuflüsse seit Anfang Februar einer solchen Strategie die Erfolgsaussichten genommen hat. Durch den sehr kostspieligen Feldzug des Finanzministers gegen die sogenannte Spekulation wurde nämlich mehr Zentralbankgeld geschaffen, als den Banken in der gesamten vorangegangenen Periode seit Juli 1972 durch Devisenabflüsse oder kreditpolitische Maßnahmen entzogen worden war.
Infolge dieser unzweckmäßigen Strategie haben wir noch zu einem Zeitpunkt, als die Aufrechterhaltung der Paritäten schon eine Illusion war, Milliarden von überbewerteten Dollar gegen D-Mark gekauft und damit einen Teil der mit dem Fleiß unserer arbeitenden Bevölkerung erstellten Güter an das Ausland verschenkt. Darum handelt es sich und nicht um die Verrechnung bloßer Buchverluste.
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Binnenwirtschaftlich kann nach der zweiten Dollarwelle die Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage durch die Geldpolitik allein fürs erste kaum noch in dem notwendigen Umfang gedämpft werden. Mit durchgreifenden Maßnahmen der Bundesbank können wir erst wieder rechnen, wenn die starke Verflüssigung außerhalb des Bankapparates wieder aufgesogen und abgebaut ist, also wohl kaum vor dem letzten Quartal dieses Jahres. Da außerdem geld- und kreditpolitische Maßnahmen nur mit Wirkungsverzögerungen arbeiten und greifen, fällt eine Strategie der Dämpfung der monetären Nachfragegrößen, die sich in erster Linie oder ausschließlich auf die Bundesbank stützt, in diesem Jahre und vielleicht auch noch Anfang 1974 aus.
Um so dringlicher erscheint unter diesen Umständen, daß die öffentlichen Hände bei ihren Haushaltsplanungen 1973 und beim Haushaltsvollzug alles tun, um durch kontraktive Maßnahmen dem äußerst bedrohlichen Preisauftrieb im Inland und den noch weiter steigenden Inflationserwartungen der Bevölkerung entgegenzuwirken. So mühevoll das politisch sein mag, die Finanzpolitik muß 1973 soweit wie irgend möglich aktiviert werden, und zwar auf der Ausgaben- und auf der Einnahmenseite.
Das gute Beispiel des Staates ist dabei unverzichtbar, gerade auch wegen der Finanzierung der großen Zukunftsaufgaben. Die öffentlichen Hände gehören nämlich zu den größten Inflationsverlierern. Der Haushalt des Bundes darf deshalb nicht, wie man aufgrund der vorliegenden Zahlen erwarten muß, die Konjunktur weiter anheizen, also prozyklisch wirken, und die sonstigen nachfragedämpfenden Maßnahmen der Regierung praktisch konterkarieren.
Im Mai des vergangenen Jahres hatte der damalige Wirtschafts- und Finanzminister Professor Schiller noch ein Haushaltvolumen von ungefähr 116 Mililarden D-Mark in Aussicht genommen. Das wäre ein Volumen, das dem Bundeshaushalt heute das Prädikat konjunkturgerecht verleihen könnte. Die Ausweitung auf 120 Milliarden D-Mark kann hingegen auch nicht mit einem Hinweis auf ein europäisches Alibi gerechtfertigt werden. Das gibt es nicht.
Der Wirtschaftsbericht 1973 der Kommission der EWG war vielmehr im vergangenen Herbst von der Absicht getragen, den Mitgliedstaaten eine geringere Zuwachsrate als die der nominalen Steigerung des Bruttosozialprodukts nahezulegen. Erst der Ministerrat hat diese Formel aufgegeben, vielleicht sogar mit der deutschen Stimme. Jedenfalls markieren auch die EWG-Empfehlungen nur Obergrenzen dessen, was zulässig ist, und hindern niemanden, darunter zu bleiben.
Aber selbst diese - wie behauptet wird - EWGkonforme Zuwachsrate der Ausgaben des Bundes wird für das Jahr 1973 nicht eingehalten. Durch die vorweggenommene Zahlung an die Bundesbahn in Höhe von 1,2 Milliarden DM kurz vor Jahresende 1972 wurde der Haushalt 1973 und seine Steigerungsrate durch einen Buchhaltertrick verringert, ebenso durch die Heranziehung der Rentenversicherungsträger zur Finanzierung des Haushalts in ´Höhe von weiteren 2,5 Milliarden DM auf dem Wege der Stundung fälliger Bundeszuschüsse an die Rentenversicherungsträger. Zählt man allein diese beiden Posten dem Etat hinzu, kommen wir beim Bund auf einen Haushaltszuwachs in Höhe von fast 14 %. Hinzu kommt noch alles, was im Laufe des Jahres auf Grund der heute noch nicht berücksichtigten Haushaltsrisiken das Haushaltsvolumen noch weiter aufblähen wird.
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Was die Kreditaufnahme anlangt, so hat der Bund mit einer Nettoverschuldung von 4 Milliarden DM unter den gegebenen konjunkturellen Umständen eine relativ hohe Neuverschuldung ins Auge gefaßt, höher als die faktische Neuverschuldung des vergangenen Jahres. Aber auch diese 4-MilliardenGrenze wird schon heute überschritten, wenn man, wie es konjunkturpolitisch richtig wäre, die soeben erwähnte Zwangsverschuldung bei den Rentenversicherungsträgern mit einbeziehen würde.
Was die Einnahmenseite anlangt, so hat die Bundesregierung das bereits erwähnte, irreführend mit der Überschrift „Stabilitätspolitik" versehene, Maßnahmenbündel vorgelegt, das den Anforderungen zur Wiedergewinnung der Stabilität nicht gerecht werden kann. Zwar stimme ich im Prinzip dem Gedanken der Stabilitätsanleihe zu und würde sogar zu erwägen geben, ihren Betrag im Lauf des Jahres zu erhöhen, falls sich das als notwendig erweisen sollte und die Bundesbank ihre Offenmarktpolitik nicht stärker einsetzen kann oder will. Meine Fragen betreffen zu dieser Anleihe den Zeitpunkt und die Art der späteren Verwendung der stillgelegten Mittel. Ein Julius-Schmidt-Turm scheint mir kein erstrebenswertes Ziel der deutschen Finanzpolitik zu sein. Fast alle steuerlichen Maßnahmen fordern er914
hebliche Kritik heraus, vor allem die Absicht, in einer konjunkturellen Aufschwungsphase Verbrauchsteuern zu erhöhen. Wir hätten den Zielkonflikt, Herr Bundeswirtschaftsminister, vor dem Sie gestanden und den Sie geschildert haben, anders gelöst.
Dieser Plan läßt sich nämlich nicht - das wollte ich gleich hinzufügen - mit dem Hinweis rechtfertigen, daß die daraus resultierenden Mehreinnahmen stillgelegt werden; denn dieser Hinweis ist infolge der Fluchtklausel in dem Kommuniqué auch nicht glaubwürdig, wonach die Stillegungsabsicht nur insoweit gilt, wie dem nicht unabweisbare Haushaltserfordernisse entgegenstehen.
Der Sachverständigenrat hat der Bundesregierung vorgeschlagen, 9 Milliarden DM stillzulegen. Vielleicht würde er heute noch mehr vorschlagen. Die Maßnahmen der Regierung werden auf dem Papier allenfalls 5 bis 6 Milliarden DM Stillegungen bewirken; sie reichen also nicht aus. Da der Haushalt aber außerdem - ich sagte es schon - eine Reihe von Risiken nicht berücksichtigt hat, die als unabweisbar dargestellt werden können oder unabweisbar sind, etwa Stationierungskosten, Energiekonzept, Bundesbahndefizite, Sondermaßnahmen für aufwertungsgeschädigte Branchen, um nur einige zu nennen, dürfte der Stillegungseffekt in Wirklichkeit noch wesentlich geringer sein.
Da außerdem die revidierten Steuerschätzungen für 1973 offenkundig Mehreinnahmen ergeben, die bei der Verkündung der steuerpolitischen Maßnah- men am 16. Februar noch nicht bekannt waren, besteht ohnehin kein Grund, wenigstens im Jahre 1973 nicht, überhaupt an eine Erhöhung der Mineralölsteuer zu denken. Die Erhöhung der Mineralölsteuer in der vorgesehenen Form kann deshalb auch aus diesem Grunde ersatzlos gestrichen werden, zum Nutzen des Preisindex - denn woran sonst wollen Sie die Tendenzwende, die Sie anstreben, messen ({21})
und auch zum Nutzen der Bundesregierung. Sie gewinnt nämlich Zeit, die unausgegorenen und widersprüchlichen regionalpolitischen und verkehrspolitischen Konsequenzen ihres Steuerpakets noch einmal ernsthaft zu prüfen.
Zur Ausgabenseite werden wir in der Haushaltsdebatte sprechen. Wir werden uns dann vergegenwärtigen, daß der Bundeshaushalt 1973 in dem vorgesehenen Volumen nicht konjunkturgerecht, nicht einmal konjunkturneutral ist, obwohl er kontraktiv wirken müßte. Die Bundesregierung wird ihre Ausgaben weiter beschränken müssen. Ohne Stabilitätspolitik wird es keinen nennenswerten realen Zuwachs der öffentlichen Haushalte geben können.
Nun einige Sätze zur Finanzwirtschaft der Länder und Gemeinden, die bei dieser Gelegenheit gerne angezogen werden. Der Bund trägt auch für die Finanzwirtschaft der Länder und Gemeinden eine konjunkturpolitische Mitverantwortung. Wir alle sollten uns hierbei nicht auf jährlich neu aufgelegte „Schwarze-Peter-Spiele" konzentrieren, sondern uneingeschränkt feststellen, daß die Finanzwirtschaft der Gesamtheit der öffentlichen Hände unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten heute nicht in der Ordnung ist. So kann es nicht weitergehen. Der Bund macht es sich zu leicht, wenn er die vertretbare Zuwachsrate für seinen eigenen Haushalt voll ausschöpft und sich darauf beschränkt, die Länder und Gemeinden aufzufordern, ebenso zu verfahren. Ein solches Verfahren ist nicht ganz redlich, weil der Bund genau weiß, daß die unterschiedliche Ausgabenstruktur von Bund, Gemeinden und Ländern bei den Ländern und Gemeinden höhere Zuwachsraten erforderlich macht, wenn diese den Status quo gegenüber dem Vorjahr jeweils erreichen wollen. Die Notwendigkeit differenzierter Zuwachsraten für Bund, Länder und Gemeinden ist deshalb auch schon seit Jahren Gegenstand des Gesprächs im Finanzplanungsrat und im Konjunkturrat der öffentlichen Hände, ohne daß bisher irgendwelche Fortschritte erzielt worden sind. Zuletzt enthielt noch das Kommuniqué des Konjunkturrats Ende Januar einen entsprechenden Absatz.
Im Interesse der Stabilität darf diese Frage nicht weiter schleifen. Art. 109 GG und das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz geben genügend Ansatzpunkte für eine sofortige Initiative des Bundeskanzlers bei den Ministerpräsidenten. Wenn über das notwendige Zahlenwerk keine Einigung zu erzielen ist, warum wird dann nicht der Sachverständigenrat aufgefordert, unverzüglich ein Gutachten zu erstellen und Lösungsstrategien zu entwerfen? Es wäre pflichtwidrig, wenn auch die Haushalte 1974 in der bisherigen Art und Weise aufgestellt würden. Sollte die Einbeziehung der Gemeinden Schwierigkeiten machen, sind entsprechende gesetzliche Maßnahmen zu erwägen. Wenn das Stabilitätsziel Vorrang hat, muß hier gehandelt werden.
Die Finanzierung der Länderhaushalte durch Kredite ist ein weiterer Punkt, der heute stabilitätspolitische Aufmerksamkeit und Aktion erfordert. Ein Versuch der Begrenzung der Neuverschuldung der Länder erst im Laufe des Haushaltsjahres wird zunehmend wirkungslos, weil bis dahin schon vollendete Tatsachen geschaffen sein können.
Was schließlich die Einkommens- und Lohnpolitik anlangt, so ist einiges dazu bereits in der Debatte über die Regierungserklärung gesagt worden. Wir haben das Dilemma hervorgehoben, in dem sich die Sozialpartner befinden. Die weitere Entwicklung hat uns bestätigt. Sie hat vor allem unsere Annahme bestätigt, daß der notwendige lange Feldzug gegen die Inflation nur gewonnen werden kann, wenn vermögensbildende Maßnahmen mit in die Tarifverhandlungen eingeführt werden. - Hierzu wird der Kollege Pieroth noch ausführlich Stellung nehmen. - Das dürfte nicht ohne die engagierte Hilfe der Bundesregierung möglich sein. Es ist offenkundig, daß der Sachverständigenrat seine mehrjährigen Bemühungen um das, was man einen „Stabilitätspakt" genannt hat, nicht mehr mit derselben Energie wie in seinen früheren Gutachten betreibt, aber dies nicht, weil der Gedanke an Zugkraft verloren hätte, sondern weil der Sachverständigenrat es anscheinend nicht mehr für „realistisch" hält, auf eine solche Abstimmung der Sozialpartner und der öffentlichen Hände zu hoffen.
In diesem pessimistischen Realismus liegt aber ein Vorwurf und zugleich eine Herausforderung an die Adresse der Bundesregierung, denn deren Aufgabe ist es, die allgemeine Einsicht in die Notwendigkeit einer gemeinsamen nationalen Anstrengung aller Beteiligten zu fördern, das Vertrauensklima zu schaffen und die Gesprächsbereitschaft so weit zu entwickeln, daß eine solche Abstimmung zustande kommt.
Dazu bedarf es der Führungskraft des Bundeskanzlers und seiner Bereitschaft, auch gegen solche anzugehen - wer immer es sein mag -, die Sonderwünsche und Gruppenegoismus pflegen möchten.
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Dazu können auch die Massenmedien beitragen, wenn sie diesen Sonderwünschen einzelner Gruppen deutlich Grenzen aufzeigen, und dazu kann nicht zuletzt auch die Wirtschaft beitragen, indem sie nicht alle Preiserhöhungsspielräume ausnutzt.
Dazu gehört schließlich auch eine Aufforderung an die Gewerkschaften, überzogenen Erwartungen in ihren Reihen zu begegnen und den Kampf gegen die Vertreter der extremen Linken aufzunehmen, die von innen und von außen die soziale Marktwirtschaft und die freiheitliche Ordnung überhaupt durch eine raffinierte Taktik der Überforderung des Systems überwinden möchten.
Sie alle werden bei einer solchen Politik unsere Unterstützung finden. Mit den bisherigen Maßnahmen jedenfalls ist das stabilitätspolitische Ziel der Tendenzwende in diesem Jahr nicht zu erreichen.
Die Lage unserer Wirtschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in diesen Monaten von der Weltwährungskrise überschattet. Da Währungspolitik immer auch eine nationale Aufgabe ist, scheint mir eine gewisse Zurückhaltung in der Diskussion geboten zu sein. Die seit 5 Jahren in immer kürzeren Abständen auftretenden Währungskrisen haben inzwischen weltweit Politik und Wirtschaft belehrt, daß es keine Rückkehr zum veralteten Weltwährungssystem von Bretton Woods mehr geben kann.
Die schleppenden Verhandlungen in Brüssel und Paris zeigen aber auch, welch ein Knäuel von technischen Schwierigkeiten, Unterschieden in der wirtschaftspolitischen Auffassung und Macht- und Prestigegesichtspunkten zu entwirren ist und wie schwerfällig die dazu herangezogenen Instrumente arbeiten.
Über die bekannten währungspolitischen Gründe des Niedergangs des Golddollarstandards hinaus solite auch beachtet werden, daß, während die moderne Weltwirtschaft zu immer engeren Verflechtungen führt, insbesondere in der Nachkriegszeit die Entwicklung des Weltwährungssystems gegenläufig verlief. Mehrere Dutzend neuer Währungen sind entstanden. Damit sind viele tausend Kilometer neuer Währungsgrenzen geschaffen worden. Jede Währungsgrenze kann aber auch immer eine Grenze des Handels sein. Währungspolitische Desintegration und handelspolitische Integration können auf die Dauer aber nicht ohne erhebliche Spannungen miteinander koexistieren. Darum handelt es sich heute.
Zum anderen waren die Befugnisse des Weltwährungsfonds viel zu schwach, als daß den zentrifugalen Kräften ausreichend hätte entgegengewirkt werden können. Das Währungssystem von Bretton Woods hat aber nicht nur schwerfällig gearbeitet; es erwies sich auch als nicht reformfähig.
Drittens war es unter dem Goldstandard und noch in den Verhandlungen von Bretton Woods zwangsläufig oder galt es als selbstverständlich, daß wirtschaftspolitische Signale auch dann binnenwirtschaftlich durchschlugen, wenn das nicht in die jeweilige konjunkturpolitische Landschaft paßte. In den letzten Jahren haben die führenden Länder der westlichen Welt zunehmend eine gegenteilige Politik, nämlich den absoluten Vorrang ihrer binnenwirtschaftlichen Ziele, verkündet und praktiziert.
Es fragt sich heute, ob diese radikale Umkehr der Prioritäten unverändert fortgesetzt werden kann, ob nicht wieder mehr Disziplin in der einen oder anderen Form erreicht werden muß.
Auch im Weltwährungssystem - lassen Sie mich das deutlich sagen -- hat sich der Geist des Nationalismus verfestigt. Es fühlt sich keine Regierung mehr hinreichend verantwortlich für sein Funktionieren, obwohl die Kommentare aus dem Osten uns täglich zu Recht darüber belehren, daß in dieser wohl größten Währungskrise der Nachkriegszeit das ganze arbeitsteilige, liberale Weltwirtschaftssystem auf dem Spiele steht. Wir haben es also mit einer Systemkrise der freien Weltwirtschaft zu tun. Sie ist eine Herausforderung an alle, die für den Bestand der liberalen Weltwirtschaft Verantwortung tragen oder tragen sollten. Sie müssen wissen, daß sich, wenn nicht unverzüglich umfassend und umsichtig gehandelt wird, der Verfallprozeß des Welt-währungs- und Weltwirtschaftssystems noch beschleunigen kann. Die Eskalation von überzogenen Positionen, Drohungen und versteckten Sanktionsankündigungen ist leider nicht mehr zu übersehen. Besonnenheit und gemeinsame Besinnung auf gemeinsame Verantwortung sind deshalb das Gebot der Stunde.
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Pokern ist, so scheint es mir, kein angemessenes Verfahren des Krisen-Managements. Der neomerkantilistische Export von Schwierigkeiten und Problemen in die Partnerländer hat schon einmal in der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre Unheil für uns alle gebracht.
Der europäische Beitrag zur Lösung der gegenwärtigen Krise ist bisher eher dürftig gewesen. Europa ist nicht so konzeptionsfähig und so handlungsfähig, wie es seiner Größe und damit seiner Verantwortung und wie es auch seiner elementaren wirtschaftlichen und politischen Interessen entspräche. Dafür tragen alle Mitglieder der Europäischen Gemeinschaften ein erhebliches Maß an Mitschuld. Die politische Abwertung der Kommission in den 60er Jahren und die nur unzulänglichen Versuche, ihr danach wieder eine größere politische
Eigenständigkeit zu geben, behindern sie, unabhängig von nationalen Tagesinteressen, das europäische Gesamtinteresse weitschauend zu formulieren und mit dem notwendigen politischen Eigengewicht im Ministerrat auch durchzusetzen. Die Europäische Gemeinschaft tritt folglich noch immer als gelähmter Dinosaurier auf, als ein großer Koloß mit kleinem Gehirn und geringer Bewegungsmöglichkeit.
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Sie stellt so die Geduld unserer Partner auf eine harte Probe und überschreitet zuweilen die Grenze des Zumutbaren.
Der Sachverständigenrat hat dankenswerterweise eine sehr gründliche Analyse der gegenwärtigen und künftigen europäischen Einbindung der Bundesrepublik dargestellt. Die Währungskrisen der letzten sechs Wochen haben diese Darstellung in eine besondere Aktualität gestellt, weil inzwischen auch den Skeptikern die Bedeutung der europäischen Komponente für unser wirtschaftspolitisches Handeln offenkundig geworden sein dürfte.
Es ist notwendig, so scheint es mir, den erreichten Integrationsstand heute, nach den Erfahrungen dieser Krise, kritisch zu überprüfen. Ich knüpfe dazu an die gängige Formel der Bundesregierung an, nach der der Ministerratsbeschluß unter den gegebenen Umständen die optimale Lösung war. Die kritische Frage dazu muß lauten: Welche Verantwortung trägt die Bundesregierung für diese gegebenen Umstände durch das, was sie in ihrer Europapolitik seit 1969 getan oder unterlassen hat?
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Stehen Wort und Tat ihrer Europapolitik in Einklang? Das gilt hier besonders für die wortreichen Beschlüsse zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, die wir seit 1969 ununterbrochen vernommen haben. Eine nüchterne Einschätzung des Standes dieser Bemühungen finden wir im Sachverständigen-Bericht in den Teilziffern 12 bis 35, deren Lektüre ich nur empfehlen kann und denen ich nichts hinzuzufügen habe.
Nach der Aussage der Bundesregierung ist der monetäre Besitzstand der Gemeinschaft durch den Beschluß vom letzten Wochenende nicht verschlechtert worden. Dieser muß aber sehr gering gewesen sein, wenn die Feststellung der Bundesregierung zutreffen soll. Seit dem vergangenen Wochenende haben wir nämlich einen Ministerratsbeschluß vor uns, der das freie Europa - um einen Ausdruck der Presse zu benutzen - in ein „Hart- und Weichwährungslager" unterteilt. Währungsgebiete und Außenhandelsgebiet sind seitdem nicht mehr deckungsgleich. Die Faktoren, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft auf so viel Homogenität hinwirken sollten, daß wir zu einem gemeinsamen Währungsgebiet kommen, sind - zunächst jedenfalls - erheblich geschwächt. Eine Desintegrationsgefahr ist heute nicht von der Hand zu weisen. Ich möchte es mir versagen, die Währungspolitik der Bundesregierung seit dem 9. Mai 1971 im einzelnen nachzuzeichnen, den Zickzackkurs, die Widersprüche und auch die Fehleinschätzungen, deren teuerster der Bundesfinanzminister zum Opfer fiel, als er seinen Milliardenkampf gegen die Spekulation antrat, von dem ich glaube, daß es die Spekulanten, gegen die er kämpfte, überhaupt nicht gab. Vielleicht ist die Feststellung, daß die Bundesregierung in jede Krise unvorbereitet hineingegangen ist, obwohl nach der Freigabe des Pfundkurses im Sommer 1972 der Bundesbankpräsident damals dem Bundeskanzler nur Ruhe bis zu den Wahlen versprochen haben soll. Es ist kennzeichnend für den Weitblick der Bundesregierung, daß sie diese Feststellung offensichtlich als ein Schlummerkissen interpretiert hat und nicht als das Alarmsignal, das sie hätte sein müssen, um alles vorzubereiten, damit währungspolitische Schäden, die danach wieder möglich wurden, abgewendet werden können.
Eine Krise ist für eine Organisation häufig eine Chance, immer eine Bewährungsprobe und zuweilen auch eine Gefahr. Außenstehende können an der Art und Weise, wie eine Krise bewältigt wird, am besten erkennen, welcher Zusammenhalt, welche Vitalität und welche politische Kraft in dieser Organisation steckt. So gesehen waren die letzten sechs Wochen eher ein Zeichen der Schwäche der Europäischen Gemeinschaft, weil der erste Teil der Krise praktisch an ihren Institutionen vorbei im Kreise einer mehr oder minder spontan sich herausbildenden Hegemonialgruppe gelöst worden ist. Das war mehr als eine Panne. Eine Gemeinschaft, die Stabilität und Kontinuität gegenüber ihren Beobachtern nachweisen soll und muß, liefert ein Zeichen elementarer Schwäche, wenn sie ihre Krise in einem Pariser Salon statt am Ministerratstisch in Brüssel zu lösen versucht.
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Die selbstverständlichste Grundlage dieser Gemeinschaft des freien Europas muß der Respekt vor der Gleichheit ihrer Mitglieder bleiben. Sie in Zweifel gezogen zu haben, war ein unverzeihlicher Fehler auch der Bundesregierung, den hier zu rügen die erste Voraussetzung dafür ist, die in dieser Krise aufgebauten Befürchtungen der sogenannten kleineren Partner wieder abzubauen.
In ihrer politischen Substanz war das Problem dieser Krise am besten durch eine schweizerische Zeitung mit der Frage gekennzeichnet, ob der Dollar zum Föderator Europas werde. Diese Frage müssen wir vorerst mit Nein beantworten. Für die wünschenswerte Flucht nach vorne fehlt es offenkundig an politischer und wirtschaftspolitischer Vorbereitung; diese Chance konnte Europa also nicht nutzen. Und das ist kein Zufall, weil sich die Gemeinschaft noch immer nicht von den Rückschlägen und Schwächen erholt hat, die sie in den 60er Jahren erlitt.
Was die stabilitätspolitischen Folgen der Kursfreigabe anlangt, so haben wir die Erwartungen und Hoffnungen der Bundesregierung gestern und heute hier gehört. Sie werden nur eintreten, wenn die Währungstechnik innerhalb der floatenden Gruppe funktioniert. Die strukturpolitischen Folgen werden teilweise schwerwiegender sein. Wir müssen uns um eine differenzierte Betrachtung bemühen. Vor
allem sollten wir uns in der Analyse des Sachverhalts nicht zu sehr von Durchschnittszahlen beeinflussen lassen. Der Export in die Dollarräume ist ganz anders betroffen als der in unsere europäischen Nachbarstaaten. Zu den Branchen, die in der öffentlichen Diskussion bereits genannt wurden, möchte ich ausdrücklich den Luftverkehr und die Seeschifffahrt hinzufügen, denn dies sind Verkehrszweige, deren Raten international in Dollar gehandelt und festgelegt werden.
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Insbesondere muß ich aber die Problematik der Landwirtschaft ansprechen.
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Hier ist offensichtlich versäumt worden, einen Verhandlungsfehler über den Grenzausgleich zu korrigieren, der sich bei früheren Wechselkursänderungen eingeschlichen hat und der darin besteht, daß der Grenzausgleich erstens nur berechnet wird für die Agrarprodukte, die europäischen Marktordnungen unterliegen, zweitens bei tierischen Veredelungsprodukte nicht den vollen Warenwert, sondern lediglich den Getreidewert erfaßt, drittens Nichtmarktordnungswaren überhaupt nicht berücksichtigt, vor allen Dingen Obst und Gemüse, viertens den Differenzbetrag zwischen Interventionspreis und Martkpreis nicht berchnet. Da sich aus diesem Verhandlungsfehler schon bisher für eine Reihe von Agrarprodukten beträchtliche Wettbewerbsnachteile ergeben haben, würden sie durch die Erhöhung des Grenzausgleichs in der jetzigen Form nach den heutigen Raten unerträglich verschärft werden. Die erwähnten Nachteile werden sich nur vermeiden lassen, wenn das System des Grenzausgleichs auf alle Agrarprodukte ausgedehnt wird und den vollen Warenwert erfaßt.
({29})
Die Antwort des Bundesfinanzministers auf eine entsprechende Frage gestern schien zu zeigen, daß er sich dieses Problems nicht bewußt ist. Wir erwarten, daß die Bundesregierung alles in ihren Kräften Stehende tut, um bei den bevorstehenden Brüsseler Verhandlungen der Agrarminister über die Anwendung der Währungsbeschlüsse auf dem Agrarmarkt diese Unterlassung zu korrigieren.
Da in der Krise Währungs- und Handelsprobleme ohnehin erheblich miteinander verquickt sind, muß ich schon hier auf die neomerkantilistische Art hinweisen, mit der eine zunehmend größere Zahl von technologieintensiven Produkten, die meist mit staatlicher Förderung entwickelt worden sind, am internationalen Handelsverkehr teilnehmen. Für sie gilt weniger die Preiswürdigkeit oder das Gesetz der komparativen Kosten als vielmehr die politische Macht, die hinter ihnen steht. Das betrifft moderne Transportsysteme aller Art ebenso wie die Brennelemente von Atomreaktoren, die Farbfernsehsysteme ebenso wie Produkte im Grenzbereich der Rüstungsindustrie. Alle diese Fragen liegen auf dem Tisch. Wir fragen die Bundesregierung nach ihren Antworten und ihren Konzeptionen.
Im Blick auf die Zukunft ist es das Wichtigste - das darf ich abschließend feststellen -, daß das Vertrauen in die Währungen, in das Geld nicht weiter von innen oder von außen erschüttert wird. Die gemeinsame Analyse der Ursachen und neuen Faktoren, die das Weltwirtschaftssystem erschüttert haben, ist ebenfalls unverzichtbar, ob es sich nun um die gigantische Liquidität handelt, über die die multinationalen Gesellschaften verfügen, oder die Probleme des Kapitalverkehrs und der Investitionen.
Es scheint uns auch notwendig zu sein, daß möglichst schnell ein ganzes Bündel flankierender Maßnahmen in Europa und mit den Vereinigten Staaten beschlossen wird, die der jetzigen Lösung genug Dauerhaftigkeit verleihen. Dazu gehört eine Stilllegung der Dollarüberhänge, eine wirksame Kontrolle der Euro-Geldmärkte, Absprachen über die Zinspolitik der Notenbanken und schließlich auch eine kurzfristige Einigung der europäischen Staaten über eine gemeinsame Haltung zur Reform des Weltwährungssystems.
In der EWG selbst ist eine Bestandsaufnahme vonnöten, die ausloten muß, von welcher Basis aus ein neuer Anlauf für die unverzichtbare Wirtschafts- und Währungsunion gefunden werden kann. Es ist aber auch notwendig, die Gemeinschaft krisenfester zu machen, und dazu ist nichts geeigneter als ein direkt gewähltes Europäisches Parlament.
Für die weltweiten Aufgaben wie für die europäische Integration haben wir keine Zeit zu ver-heren. Jede neue Krise kann noch größere Gefahren auslösen, noch schwieriger unter Kontrolle gebracht werden. Es geht auch hier, Herr Bundeskanzler, um ein Stück Friedenspolitik: um den sozialen Frieden nach innen, insbesondere darum, den Menschen die Furcht vor der Geldentwertung zu nehmen, und um den Frieden in und für Europa. Weder für die Stabilitätspolitik noch für die Europapolitik genügen Halbherzigkeiten und oder billige Aushilfen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben die Verantwortung, Sie schulden uns die Tat.
({30})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe nicht recht, was in diesem Augenblick und angesichts der Probleme, die uns beschäftigen, mit überzogener Polemik eigentlich erreicht werden soll.
({0})
Vor allem ist nicht recht einzusehen, weshalb nicht auch einmal die Opposition anerkennen will, daß Gefahren, die wir miteinander auf uns zukommen sahen - ich denke an die doch nun gewiß nicht zu unterschätzenden Gefahren der europäischen und internationalen Währungskrise -, weithin abgewendet worden sind. Eigentlich sollte man sich - bei allem, was uns sonst voneinander trennt 918
darüber doch miteinander freuen. Das will ich hier einmal sagen, meine Damen und Herren.
({1})
Ich äußere mich in diesem Augenblick schon nach der Rede von Herrn Kollegen Narjes, weil - wofür ich um Verständnis bitte; den vorderen Bänken ist es mitgeteilt worden - Herr Kollege Schmidt, der ja mehrfach angesprochen worden ist, in diesem Augenblick mit dem amerikanischen Finanzminister Shultz sprechen muß. Ich treffe ihn heute nachmittag und bitte deshalb jetzt schon um Nachsicht, daß ich nach der Mittagspause in den ersten Stunden nicht an der Debatte hier teilnehmen kann. Was dort gesprochen wird, hat ja einen gewissen Zusammenhang mit dem, was uns hier heute den Tag über beschäftigt.
Mein Bemühen war es, im Zusammenwirken mit dem Bundesfinanzminister und auch dem Bundeswirtschaftsminister - wir haben ja ein sehr enges Zusammenwirken in diesen Wochen nötig gehabt -, - mein Bemühen war es, ich möchte das hier mit allem Nachdruck sagen, bei den Verhandlungen um eine währungspolitische Lösung erstens, wenn irgend möglich, zu einer Stärkung der europäischen Gemeinsamkeit und zu einer Beschleunigung beim Aufbau der Währungsunion zu gelangen und zweitens auch, wenn irgend möglich, eine unnötige Belastung des Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten zu vermeiden.
Wie verhält sich nun das dieser Tage erzielte Ergebnis - ob es ganz so erzielt werden kann, was ich unterstelle, werden wir morgen noch etwas besser wissen als heute - zu diesen beiden soeben genannten politischen Orientierungspunkten?
Ich sagte schon: über die Aspekte, die das Verhältnis zu den USA betreffen, sprechen wir heute mit Finanzminister Shultz, und morgen wird im Rahmen des erweiterten Zehnerklubs - wenn man der Form ganz gerecht werden will, muß man sagen: in der gemeinsamen Sitzung zwischen den Mitgliedstaaten der erweiterten EG und dem Zehnerklub - weiterverhandelt. Die Chancen, daß sich gemeinsame Interessen durchsetzen, sind über den morgigen Tag hinaus nicht schlecht. Auf Grund meines vertraulichen Meinungsaustausches mit
die politische Führung in Washington will einen Ausgleich, bei dem man aufeinander Rücksicht nimmt. Das wollen wir auch. Da müßte das vernünftigerweise hinzukriegen sein.
Was die europäische Seite des Problems angeht, so haben sich, wie Sie wissen, zunächst nur sechs der neun Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zur gemeinsamen Aktion, was die Wechselkurse und die gemeinsame Abwehr der Spekulation angeht, zusammenfinden können. Ich halte es für sehr bedeutsam, daß die deutsch-französische Solidarität auf diesem Gebiet bestätigt werden konnte, und ich kann in keiner Weise meinem Vorredner zustimmen, wenn er meint, es sei auf die Europapolitik dieser Bundesregierung oder ihrer Vorgängerin zurückzuführen, wenn nicht schon seit 1969 größere Fortschritte beim Ausbau der Gemeinschaft und beim Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion erzielt wurden. Das ist nicht so. Jeder, der die Zusammenhänge kennt - und der Vorredner kennt sie -, weiß, daß wir uns, verglichen mit anderen und mit dem früheren deutschen Record, mit unseren Bemühungen seit 1969 sehen lassen können.
({0})
Übrigens hätte sich auch der britische Premierminister mit seinem Land gern an einer gemeinsamen Aktion beteiligt. Ich weiß das auf Grund der Gespräche, die wir kürzlich hier in Bonn geführt und danach schriftlich weitergeführt haben. Die britische Regierung weiß, daß wir uns um sachliche Vorschläge bemüht haben und materiell sehr weit gegangen sind, um, wenn es irgendwie ging, zu einer Lösung zu kommen, die auch Großbritannien einbezogen hätte. Natürlich wäre es gut gewesen, wenn sich Großbritannien, Italien und Irland schon zu diesem Zeitpunkt unserer Entscheidung hätten anschließen können. Die Lage in diesen Ländern hat das nicht zugelassen. Ich darf aber daran erinnern, daß die Länder, die ich soeben nannte, vor allen Dingen Großbritannien und Italien, schon in den letzten Monaten ihre Währungen im freien Raum außerhalb des Gemeinschaftsbandes bewegen ließen. Sie sind also nicht durch die Brüsseler Beschlüsse zu einer isolierten Aktion veranlaßt oder gar gezwungen worden. Im übrigen ist es sehr zu begrüßen, daß sie die Absicht geäußert haben, sobald wie möglich in die gemeinschaftlichen Bandbreiten zurückzukehren.
Aber es ist - wir wollen uns ja nicht in die Tasche lügen -, gerade gemessen an den beiden Orientierungspunkten, von denen ich selbst ausgegangen war, in aller Offenheit festzustellen, daß sich die an sich erwünschte Beschleunigung beim Aufbau der Währungsunion in dieser Runde nicht hat erreichen lassen. Das ist eine Tatsache.
Die Entscheidung von Brüssel bedeutet nun allerdings auch nicht - das möchte ich ebenso deutlich sagen - eine Aufspaltung in zwei europäische Währungsblöcke. Die Behauptung, auf die man hier und dort in der Öffentlichkeit stieß, daß dies doch so sei, ist einfach nicht richtig. Es kann vor allem keine Rede von einer Spaltung der Europäischen Gemeinschaft sein. Die Ziele der Pariser Konferenz der Regierungschefs vom Oktober vergangenen Jahres gelten unverändert, nämlich die Schaffung der europäischen Union, nicht irgendwann, sondern in den Fristen, die wir uns gesetzt haben, d. h. - ich darf das hier noch einmal in Erinnerung rufen - die Definition der bis zum Ende des Jahrzehnts zu gestaltenden europäischen Union bis Ende des Jahres 1975, also innerhalb der Legislaturperiode, in der wir in der gegenwärtigen Zusammensetzung des Bundestages hier miteinander wirken.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die in Paris und in Brüssel gefundene Lösung unter den gegebenen Umständen auch für unsere Industrie die bestmögliche ist. Innerhalb der beteiligten Länder der Gemeinschaft und der Nichtmitgliedsländer, die sich anschließen, kann unsere Industrie auch in Zukunft mit festen Wechselkursen rechnen. Die Lage für den deutschen Export wird zweifellos nicht einfacher - das streitet niemand ab -, aber die AusBundeskanzler Brandt
landsnachfrage nach unseren Industriegütern hat sich in den letzten Monaten, wie wir alle wissen, doch recht ungewöhnlich entwickelt. Eine gewisse Normalisierung unserer Exporte ist für die Industrie, im ganzen gesprochen - ich weiß sehr wohl, welche Ausnahmen es dabei gibt -, tragbar und für die Stabilitätspolitik durchaus angebracht. Ich betone: Es ist nicht die Absicht dieser Regierung, mit häufigen Wechselkursänderungen Konjunkturpolitik zu machen; doch niemand wird leugnen, daß die gemeinsame Freigabe der Wechselkurse mit einer kleinen bundesdeutschen Zugabe, wenn ich so sagen darf, stabilitätspolitisch durchaus in die Landschaft paßt.
Nun habe ich mit Interesse gelesen - das habe ich auch aus den Ausführungen meines Vorredners heute morgen schon herausgehört -, daß einige Sprecher der Opposition auf diesem Gebiet heute für bedenklich erklären, was sie gestern für richtig gehalten haben. Meine Damen und Herren, dies halte ich nicht für überzeugend. Da gibt es bessere, d. h. sachlichere Stellungnahmen aus maßgebenden Kreisen der Wirtschaft selbst.
Lassen Sie mich eines anfügen - ich denke, das ist für die Bürger in unserem Lande nicht unwichtig -: Die Ereignisse der letzten beiden Wochen haben doch erneut gezeigt, eine wie begehrte und, verglichen mit anderen Währungen - sagen wir es ruhig -, wie harte Währung unsere Deutsche Mark heute ist. Ihr Wert ist im internationalen Vergleich weiter gestiegen. Die Brüsseler Währungsbeschlüsse, für deren Zustandekommen ich dem Bundesfinanzminister ausdrücklich danken möchte, sind ein Bestandteil der gemeinsamen europäischen Anstrengungen zur Wiedergewinnung größerer Stabilität. Wir müssen allerdings wissen, daß die Verständigung mit unseren Partnern über das stabilitätspolitisch Notwendige nicht immer einfach ist. Niemand soll sich bitte täuschen: Stabilitätspolitik ist heute nicht mehr gegen Europa, sondern in allem Wesentlichen nur noch mit Europa möglich.
({1})
Übrigens, auch der Katalog von Maßnahmen, über den Herr Kollege Friderichs heute morgen gesprochen hat, jener Katalog, den die Bundesregierung zusammen mit dem Jahreswirtschaftsbericht beschlossen hat und der hier heute morgen als Sammelsurium bezeichnet wurde, stimmt mit den europäischen Beschlüssen vom Ende vorigen Jahres zur Bekämpfung der Preissteigerungen überein.
Die Opposition stellt nun - das ist ihr gutes Recht - von neuem die Forderung an die Regierung, die insoweit für den Staat tätig zu werden hat, die Preisentwicklung bei uns eindämmen zu helfen. Ich sage Ihnen guten Gewissens: Die Bundesregierung hat nichts versäumt, was unter den schwierigen Bedingungen der vergangenen Wochen notwendig und möglich war und was vor allem jetzt - darauf kam es in diesen Wochen an - gegen den Inflationsdruck von außen notwendig war. Das kann doch nun wohl keiner bestreiten,
({2})
was immer sonst an Interpretation in der Vergangenheit uns beschäftigt hat.
Für die Einschränkung der öffentlichen Ausgaben, verehrte Kollegen von der Opposition, gibt es jedoch eine klare Grenze - das will ich hier auch noch einmal in aller Deutlichkeit sagen -, jenseits welcher die Sparsamkeit zu Lasten unserer Bevölkerung, zu Lasten der Entwicklung unseres Landes geht. Das kann niemand, das können jedenfalls nicht diejenigen wollen, die diese Regierung tragen.
({3})
Natürlich müssen steuerliche Bürden, die von den Bürgern im Interesse des Ganzen zu tragen sind, möglichst gerecht verteilt werden. Deshalb ist gerade auch folgendes wichtig, meine Damen und Herren. Maßvolle Tarifabschlüsse Anfang des Jahres sollten bewußt durch eine Stabilitätsabgabe ergänzt, um nicht zu sagen: auch honoriert werden, die nicht die breiten Schichten trifft. Die Erhöhung der Mineralölsteuer trifft allerdings alle, und ich kann nicht erwarten, daß sie irgendwo Freude bereitet. Allerdings ist es doch auch so, meine Damen und Herren, daß sich die Benzinpreise - die von Jahr zu Jahr zunehmende Zahl von Urlaubern weiß das - nun dem europäischen Standard angleichen.
({4})
Diese Entwicklung war in Wirklichkeit unvermeidlich.
({5})
Um auf der anderen Seite die Arbeitnehmer zu entlasten, will die Bundesregierung die Einkommensgrenzen für die steuerfreien Überstundenzuschläge abschaffen.
({6})
Das wird richtig verstanden werden, und das zählt mehr als manche Demagogie, der man dieser Tage begegnet.
({7})
Gewiß, meine Damen und Herren, von den Tarifvertragsparteien verlangt die gegenwärtige Lage ein hohes Maß an Einsicht. Die Arbeitnehmer haben - ich ließ es eben schon anklingen - bei den Tarifabschlüssen Anfang des Jahres erhebliches Verantwortungsgefühl für die Gesamtwirtschaft gezeigt. Das sei hier ausdrücklich anerkannt. Es ist zu hoffen, daß auch die Unternehmen dort, wo Spielräume für Preiserhöhungen gegeben sind, Vernunft walten lassen. Preisdisziplin dient schließlich neben dem eigenen auch dem allgemeinen Interesse. Ich meine, unsere Wirtschaft darf nicht im eigenen Haus aufs Spiel setzen, was draußen ge920
sichert wurde oder an Sicherheit erst noch gewonnen werden muß.
Im übrigen sage ich sinngemäß wie der Bundeswirtschaftsminister heute früh bei der Einbringung seines Berichts: Es besteht, meine Damen und Herren, kein Grund zum Pessimismus. Viele andere würden gern tauschen, wenn sie unsere Probleme mit den ihren vergleichen.
({8})
Das sollten wir auch bei der Behandlung des Jahreswirtschaftsberichts nicht übersehen. Freilich werden wir auch niemanden darüber im unklaren lassen dürfen, daß es des Zusammenwirkens und der Aufgeschlossenheit aller verantwortungsbewußten Kräfte bedarf, um Gefahren für unsere Volkswirtschaft miteinander abzuwehren.
({9})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Ich habe Verständnis dafür, daß Sie auch einen anderen Redner als mich hören wollen.
({0})
Aber dafür gibt es heute offensichtlich noch reichhaltige Möglichkeiten.
Ich darf in der Hauptsache auf das antworten, was der Herr Bundeskanzler eben ausgeführt hat. Ich glaube, man kann die Rede des Kollegen Narjes nicht gerade unter die Rubrik „überzogene Polemik" einreihen.
({1})
Sie könnten ein relativ ruhiges politisches Schicksal haben, Herr Bundeskanzler, wenn alle politischen Redner der Opposition so glimpflich mit Ihnen umgingen, wie es heute hier durch den Kollegen Narjes geschehen ist.
({2})
Ich möchte auch hier, wie ich es auch in der Aussprache zur Regierungserklärung getan habe, nicht etwas angreifen, bloß weil es von der Regierung gesagt oder getan worden ist, also nicht nein sagen, bloß weil es von der Regierung kommt, oder ja sagen, weil es von der Regierung abgelehnt wird. Darum haben wir ein wohlabgewogenes Urteil zu den Maßnahmen der Regierung und sind nicht nur vom, wie man sagt, obstruktiven Oppositionsdenken besessen. Ich bitte, nicht diesen Eindruck hier zu erwecken, Herr Bundeskanzler.
Aber etwas anderes ist wenig erträglich, obwohl wir hier in diesem Hause viel gewohnt sind: daß sich nämlich die Mitglieder der Regierung hier jeweils gegenseitig ihren Dank aussprechen und ihre Hochachtung bekunden.
({3})
Wir haben gestern bei der Aktuellen halben Stunde erlebt, wie eine Reihe von Fragen gestellt wurde: „Sind Sie nicht auch der Meinung, Herr Bundesminister, ..."?
({4})
Aber diese Methode, daß man sich selber auf die Schulter klopft, sich dann im bilateralen Verkehr gegenseitig auf die Schulter klopft und das Ganze dann vielseitig macht, jeder jedem auf die Schulter klopft, ist doch für eine ernsthafte Aussprache etwas zuviel.
({5})
Herr Bundeskanzler, ich möchte von vornherein sagen, daß in der gegebenen Situation, wie sie Ende Februar/Anfang März war, die Bundesregierung in Brüssel keine anderen Beschlüsse herbeiführen konnte, als sie tatsächlich gefaßt worden sind. Ich möchte das hier ausdrücklich feststellen, weil es keiner anderen Regierung in der Situation vom 1. März und den folgenden Tagen gelungen wäre, etwas anderes zu erreichen, als tatsächlich erreicht worden ist. Ich möchte damit ausdrücklich sagen, daß es nicht möglich war, ein gemeinsames Floaten aller Europäer zu erreichen. Ich weiß ganz genau, daß die Bundesregierung sowohl den Briten wie den Italienern beträchtliche Angebote gemacht hat, um ihre Zustimmung zu einem gemeinsamen Floaten zu erreichen. Ich weiß auch, daß die erreichte Lösung, so unzulänglich und miserabel sie ist, immer noch besser ist als nationale Alleingänge ohne gegenseitige Abstimmung.
Aber das Ganze rechtfertigt noch lange nicht etwa Sondermeldungen von einem großen Erfolg, den man nunmehr abermals erreicht habe. Denn wir haben schon so viele „Siege" der Bundesregierung auf währungspolitischem Gebiet in diesem Hause behandelt, daß man darüber allmählich einen ganzen Katalog anfertigen könnte; denn die Regierung Brandt I und Brandt II haben viele währungspolitische Krisen durchzustehen gehabt, zum Teil auch einiges zu ihrer Entstehung beigetragen.
({6})
Wir haben in diesem Lande dann immer jeweils gehört, daß man nunmehr die Krise gemeistert habe, daß man einen festen Wechselkurs habe oder demnächst wieder haben werde - wie damals im Mai 1971 -, und zwar den alten wieder, den wiederherzustellen im Dezember 1971 sicherlich niemand mehr etwa für möglich hielt. Wir haben doch damals auch die Sondermeldung aus dem Hauptquartier von Helmut Schmidt vernommen, als der amerikanische Dollar vor wenigen Wochen abgewertet wurde, daß nun ein großer, entscheidender Durchbruch erzielt, daß nunmehr ein großer Sieg errungen worden sei.
Das hat aber nicht lange gehalten. Deshalb dürfen wir doch heute als „Ihre gehorsamste Opposition"
({7})
auch die Frage stellen, ob Sie das jetzt wiederum
für eine länger währende Lösung halten oder ob Sie
nicht mit uns bereit wären, zu glauben, daß wir nur eine Atempause erreicht haben, die ausgenutzt werden muß,
({8})
wenn nicht weitere Krisen das Weltwährungssystem
weiter zerrütten und eine echte Reform des Weltwährungssystems noch schwieriger gestalten sollen.
Der Fehler der Bundesregierung bestand doch nicht darin, daß sie punktuell das Falsche gemacht hat. Das gebe ich Ihnen zu, Herr Bundeskanzler.
({9})
- Ich habe auch im Radio und Fernsehen gesagt,
({10})
daß sie nicht punktuell das Falsche gemacht hat, sondern daß sie jeweils eine Atempause mit einer länger funktionierenden Lösung oder gar einer Dauerlösung des Problems verwechselt hat.
({11})
- Ich werde Ihnen sagen, Herr Wehner, wenn ich mehr Zeit habe, was wir daran auszusetzen haben. Sie haben ja in Ihrer berühmten Kolumne, die ich mit großer Freude gelesen habe, geschrieben, man solle doch von seiten der Opposition sagen, was ihr an der Währungspolitik der Bundesregierung nicht paßt. Ich darf es Ihnen sagen, und ich differenziere jetzt sehr sorgsam. Punktuell war nichts anderes zu erreichen als das, was erreicht worden ist. Aber die Währungspolitik der Bundesregierung ist eine Kette von Siegen, deren Gesamtergebnis immer mehr zu Lasten der deutschen Wirtschaft gehen muß.
({12})
Sie hat sich immer wieder Atempausen verschafft und die Atempausen nicht genutzt, weil sie Atempausen nicht als Atempausen erkannt hat.
Die Bundesregierung kann auch frei von der Furcht leben, -
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte, Herr Kollege Wehner.
Herr Kollege Strauß, darf ich das als eine Modifikation Ihrer Bewertung ansehen, die Sie in Ihrer berühmten Kolumne - in einer Zeitung, die am Sonntag erscheint - vor jener am 12 und 13. Februar 1973 zustande gebrachten Atempause geschrieben und nach der Sie sich hier nicht mehr gestellt haben, die Regierung könne überhaupt nichts Richtiges mehr tun? Immerhin wollte ich fragen: Habe ich mich geirrt, daß das eine Modifikation dessen war?
({0})
Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir die Möglichkeit geben, noch ein sehr kritisches Wort in Beantwortung Ihrer Frage anzubringen. Man kann durch Zuwarten, durch die Verwechslung von Atempause mit Dauerlösung eine Situation herbeiführen und damit verschulden, in der man nichts Richtiges mehr tun kann, wo es kein Patentheilmittel mehr gibt. Das habe ich damit gemeint.
({0})
Sie sind doch selbst immer mit Ihrem guten Gedächtnis, Herr Wehner, das ich anerkenne und bewundere, Zeuge, wie oft wir uns in diesem Hause über währungspolitische Probleme, über die Lösung von Krisen unterhalten haben und wie oft wir von der Regierung gehört haben, nun sei der entscheidende Schritt getan. Einmal war es die Aufwertung, dann war es deutsches Alleinfloaten, dann war es das Smithsonian-Agreement, dann war es das Bardepotgesetz, dann waren es die Restriktionsmaßnahmen, das Verbot für Gebietsfremde, festverzinsliche Wertpapiere, Aktien zu kaufen, dann war es die angebliche oder wirkliche Hilfe der Amerikaner, die den Schmidtschen Sondersieg mit der 10prozentigen Dollarabwertung ermöglicht hat - hier im Hause hat doch eine große Siegesfeier stattgefunden. in der wir den letzten Heeresbericht von der Währungsfront entgegennehmen durften -, und dann haben wir gemerkt, daß schon ein paar Tage später das Ganze nicht mehr stimmt und die Krise wieder weitergeht.
({1})
Ich darf Ihnen, Herr Kollege Wehner, sagen - ich hätte das sonst nicht getan, aber ich muß Ihnen das doch sagen, damit Sie genau wissen, was ich meine -: Der Bundesfinanzminister hat z. B. am 14. Februar - das sind doch ganz junge Termine; ich meine 1973, nicht 1972 ({2})
wörtlich erklärt: Es gibt kein Indiz in unserer Leistungsbilanz, gegenüber auch nur einem Teil unserer Handelspartner eine Bewegung der D-Mark nach oben vorzunehmen.
({3})
Bundesminister Friderichs sagte vor dem Verein der Auslandspresse - laut „Süddeutsche Zeitung" vom 2. März 1973 -: „Eine Aufwertung nur der D-Mark ist absolut ausgeschlossen." Jetzt haben wir als Folge der amerikanischen Abwertung eine Aufwertung der D-Mark um 3 % bei der letzten Siegesmeldung. Dann kommen die 3 % als deutscher Beitrag zur europäischen Solidarlösung; das ist ein Opfer. Jetz L kommen noch 3 % voraussichtlich als Ergebnis des gemeinsamen Floatens auf uns zu. Aber die Aussagen der Bundesminister waren nicht zutreffend!
Helmut Schmidt sagte am 4. Februar im Bundestag weiter:
Was nun die durch unsere Sturheit eingeströmte Liquidität angeht,
- das ist ein merkwürdiges Selbstkompliment, daß
man sagt, durch unsere Sturheit ist viel Liquidität
eingeströmt; vielleicht hat er es aber sprachlich anders gemeint ({4})
so wird die Bundesbank unter den jetzt gegebenen Bedingungen mit ihr fertigwerden.
Wenige Tage später schreibt die Bundesbank in ihrem Februar-Bericht, daß sie mit dieser Liquidität nicht fertigwerden könne; sie werde höchstens in dem Maße fertig, wie die Liquidität bei den Banken erzeugt worden sei, aber sie werde nicht mit dem größeren Teil der Liquidität fertig, die nicht bei den Banken erzeugt worden sei. So feine Unterschiede dürften selbst im Finanzministerium nicht unbekannt sein, da es hier mit der Bundesbank aufs engste zusammenzuarbeiten hat.
Am 14. Februar haben wir gehört: Wir haben mit der Währungspolitik keine Binnenkonjunkturpolitik, d. h. keine Stabilitätspolitik, getrieben. Heute hören wir sowohl vom Bundesminister Friderichs als auch vom Bundeskanzler: Wir haben damit auch Stabilitätspolitik, also Konjunkturpolitik, getrieben. Ich meine, daß hier das Wort „Stabilitätspolitik" als Feigenblatt für etwas dienen muß, was in Wirklichkeit gar nicht als solche bezeichnet werden kann.
Helmut Schmidt sprach in einer Pressekonferenz vom 12. März ebenfalls von stabilitätspolitischen Erfordernissen, die die 3%ige Aufwertung sozusagen nahegelegt hätten. Ist das nun Konjunkturoder Währungspolitik? Es ist ein Stück Währungspolitik. Aber niemand wird glauben, daß mit der 3%igen Aufwertung auch nur der leiseste stabilitätspolitische Effekt im Kampf gegen die Inflation erreicht werden wird. Je mehr wir aufgewertet haben, desto höher ist die Inflationsrate im Laufe der letzten Jahre gestiegen,
({5})
und zwar nicht aus diesem Grunde, aber ohne Zusammenhang damit.
Ich darf hier noch eines erwähnen. Bundesminister Friderichs sagte am 7. Februar im Deutschen Fernsehen:
Wir denken weder an eine Aufwertung noch an ein Floatenlassen. Wir wollen den internationalen Spekulanten einmal zeigen, daß sie sich verspekuliert haben.!
({6})
Außerdem sagte Bundesminister Friderichs am 1. März dieses Jahres, an dem berühmten Donnerstag - in Bonn war Weiberfastnacht, in Wien der Opernball -,
({7})
es werde jetzt wohl ein europäisches Floaten kommen. Wenn ein Bundesminister sagt, er rechne mit einem europäischen Floaten, ist das ein Signal dafür, aus dem Dollar heraus in europäische Währungen und vornehmlich in die D-Mark zu gehen.
Herr Bundeskanzler, das wollte ich nur als Beitrag zu der angeblich so gut konzertierten Währungspolitik der Bundesregierung sagen. Dabei empfehle ich Ihnen die Lektüre der „Wirtschaftswoche" - einer Zeitschrift, von der man nicht sagen kann, daß sie besonders CDU/CSU-freundlich wäre - vom 9. März dieses Jahres. Da lesen wir - das ist die Tragik, die ich hier ausdrücklich und mit vollem Ernst nennen will -, daß der Finanzminister hier offensichtlich allein steht; er befand sich beim Ausbruch dieser Krise - mit Recht - in Krankenbehandlung und mußte diese unterbrechen. Das ist die Tragik des Politikers, der seine Gesundheit gegenüber politischen Erfordernissen hintansetzen muß. Aber wenn dem schon so ist, sollte eigentlich - ich entnehme das auch dieser Zeitung - der zuständige Finanzstaatssekretär für Währungsfragen in diesen Tagen nicht gerade beim Skilaufen in Zermatt sein. Herr Bundeskanzler, da müssen Sie für etwas mehr Ordnung sorgen.
({8})
Und Pöhl, der erst am Abend,
- so heißt es in der gleichen Wirtschaftszeitung aus seinem Zermatter Urlaubsquatier kommend, in Bonn eintraf, sagte rückblickend: „Wenn ich dagewesen wäre, hätten wir die Devisenbörsen auf jeden Fall schon mittags geschlossen. Dann wäre manche Milliarde nicht mehr eingeströmt."
({9})
Am Schluß darf ich noch Herrn Dahrendorf zitieren, der wohl bei Ihnen noch nicht zur Unperson geworden ist, sondern nach wie vor, als Vertreter der Bundesrepublik entsandt, der EG-Kommission angehört. Er sagte, die fast völlige Absenz von Leadership an allen Ecken und Enden sei hier zu spüren gewesen. Diese neue Brüsseler Sprachschöpfung „Absenz von Leadership" muß man sich für die Zukunft merken. Das ist eine wesentliche Formulierung.
Die „Wirtschaftswoche" kommt zu der Schlußfolgerung:
Trost für Deutschlands Kanzler: Regierungschefs ohne Berater sind schlecht für Europa; noch schlechter aber sind offenbar Berater ohne handlungsfähige Regierungschefs.
({10})
Man könnte zum Thema Währungspolitik noch sehr viel sagen. Ich will mich auf diese Bemerkungen zunächst beschränken, darf aber vielleicht noch eines andeuten: Die Frage der Währungspolitik ist doch nur die Spitze eines Problems; es ist doch nur ein Symptom. Dahinter stehen doch wesentliche wirtschaftspolitische, handelspolitische Fragen von gewaltiger Bedeutung. Mit diesen handels- und wirtschaftspolitischen Fragen von gewaltiger Bedeutung sind auch gesamtpolitische Fragen verbunden. Man soll nicht glauben, daß die amerikanische Wirtschaft krank sei und daß der Dollar uns nur anstecke, wie man hier in manchen Gazetten gelesen hat: „So macht uns der Dollar kaputt" z. B. oder Bundesminister Schmidt, dargestellt als Gärtner, der Unkraut
jätet, das schneller nachwächst, als er es beseitigen kann; und damit ist der Dollar gemeint. Nein, wir werden jetzt von den Amerikanern wieder mit der weltpolitischen Verantwortung konfrontiert werden.
Im Gefolge dieser Währungspolitik stehen massive handelspolitische Überlegungen, stehen massive handelspolitische Zielsetzungen. Wir können uns zwischen Europa und USA keinen Handelskrieg erlauben. Andererseits gibt es amerikanische Forderungen, die demnächst auf den Tisch gelegt werden, auf die wir besser vorbereitet sein sollten, als wir jeweils auf Währungskrisen vorbereitet waren.
({11})
Eine Reform des Weltwährungssystems wird auch die Gesundung des Dollars insoweit mit sich bringen, und mit der Gesundung des Dollars werden wir viel schwerigere handelspolitische Verhältnisse auf der Welt haben. Wir müssen mit ihnen leben, wir müssen uns auf sie einrichten. Denn wenn wir uns nicht darauf einrichten, dann wird die Stunde kommen, wo die Frage der Neugestaltung der Atlantischen Allianz automatisch auf den Tisch der internationalen Verhandlungen gelegt werden wird. Hier hat sich doch im Laufe der letzten Monate so viel geändert. Es ist doch ausgeschlossen, daß die Europäer keine Alternativstrategie für den sicherlich kommenden Teilabzug der Amerikaner haben, weil sie angeblich dafür nicht die Mittel aufbringen können, andererseits aber vom kranken Dollar reden, dem Land des kranken Dollars jedoch zumuten, die Hauptlast der Verteidigung auch weiterhin zu tragen.
({12})
Ich muß mich auf diese wenigen Bemerkungen beschränken.
Diese Rechnung wird uns auf den Tisch gelegt werden, und diese Fragen der Währungspolitik, die Fragen der internationalen Handelspolitik mit der Berücksichtigung der Wünsche und Forderungen der Amerikaner gegenüber Europa wie gegenüber Japan und die Frage der Zukunft der Atlantischen Allianz und damit die Frage von Sicherheit und Stabilität für uns alle in Europa sind mit diesem Problem untrennbar verbunden.
({13})
- Ich glaube, Herr Wehner, das ist kein Gegenstand der Ironie oder ein Gegenstand hämischen Lachens. Es ist eine todernste Frage, und hier haben wir, hat auch die Opposition einen Anspruch darauf - wenn es hier nicht geht, dann in den zuständigen Ausschüssen -, die Überlegungen der Bundesregierung über diese mittel- und langfristigen Probleme, die untrennbar mit diesem Symptom Währungspolitik und Währungskrise verbunden sind, zu erfahren und zu der Vertretung der deutschen Interessen, zu der Formulierung des deutschen Standpunktes etwas als Opposition leisten zu können.
({14})
Erlauben Sie mir, im letzten Teil meiner Ausführungen noch einige Bemerkungen zu dem zu machen, was Sie, Herr Bundeskanzler, im Zusammenhang mit den finanzpolitischen Maßnahmen gesagt haben. Sie haben sich gegen den Begriff „Sammelsurium" zur Wehr gesetzt.
({15})
Nun, Sie wissen, daß in einem guten Teil der Wirtschaftspublizistik diese Maßnahmen als „finanzpolitisches Potpourri" bezeichnet worden sind. Aber es geht jetzt nicht um die Frage der Terminologie, um die Frage der Namengebung; es geht jetzt um die Frage der Substanz.
Sie sagen z. B.: Sparsamkeit nicht zu Lasten der Bevölkerung. Wer will denn Sparsamkeit zu Lasten der Bevölkerung? Aber man muß hinsichtlich dessen, was möglich ist, und hinsichtlich dessen, was notwendig ist, einen Prioritätenkatalog aufstellen. Und wir bedauern, daß die Bundesregierung bisher in all den Jahren von Herbst 1969 an keinen klaren Katalog erkennbarer Prioritäten, die das Mögliche umreißen und das Notwendige möglich machen, der deutschen Öffentlichkeit geboten und sich selbst als Programm gesetzt hat.
Was heißt „Sparsamkeit zu Lasten der Bevölkerung"? Ein großer Teil dieser finanzpolitischen Maßnahmen ist doch nicht notwendig geworden, um Haushaltsbedürfnisse zu befriedigen, sondern ist notwendig geworden, weil durch die inflationäre Entwicklung, an der die Bundesregierung nun einmal eine Hauptschuld trägt, Lücken gerissen worden sind, die offensichtlich wiederum nur durch stärkere Steuereinnahmen geschlossen werden können. Wir bieten doch gar nicht höhere Lebensqualität! Wir können ja begonnene Programme kaum fortsetzen. Ich frage: Was ist denn aus dem Straßenbauprogramm der Bundesregierung geworden?
({16})
Da wird jetzt auf einmal beim Straßenbauprogramm der Bundesregierung aus der Not eine Tugend gemacht. Da heißt es: höhere Lebensqualität durch Förderung der Massennahverkehrsmittel. Es gibt aber viele Bewohner der Bundesrepublik - Millionen -, die nie in der Lage sein werden, ihre Beförderungsprobleme - Fahrt zur Arbeitsstätte und zurück - mit Massenverkehrsmitteln zu lösen,
({17}) weil sie außerhalb der Ballungsräume leben.
({18})
Ich lese hier im „Vereinigten Wirtschaftsdienst", Herr Bundeskanzler, daß einer Ihrer prominenten Parteifreunde, nämlich Jochen Steffen, sagte, die Sozialdemokratische Partei sehe die Schwierigkeiten der ländlichen Räume, kümmere sich aber nicht sehr um diese Gebiete, weil die Masse ihrer Wähler in den Städten wohne.
({19})
Herr Bundeskanzler, die Erhöhung der Mineralölsteuer um 5 Pfennige, die zu etwa 6 Pfennigen Preiserhöhung führen wird, ist keine stabilitätspolitische Maßnahme, auch wenn der Ertrag zunächst stillgelegt wird.
({20})
Denn die Folgen dieser Steuererhöhung schlagen sich unmittelbar in den Preisen nieder. Es ist nicht wahr, daß sich jetzt der europäische Benzinpreis angleiche. Wir sind jetzt - nach Italien - Nummer 2; wir haben in Zukunft nach Italien die höchsten Treibstoffpreise in Europa. Aber in Italien haben wir dafür keine Kraftfahrzeugsteuer; in der Bundesrepublik haben wir sie.
Durch diese Mineralölsteuererhöhung um 5 Pfennige ist der Spielraum für eine Bereinigung der Kraftfahrzeugsteuer schon wieder vertan worden. Sie müßten nämlich, um eine moderne Kraftfahrzeugsteuer oder wenigstens eine Vereinfachung herbeizuführen, die Mineralölsteuer abermals um 3 bis 4 Pfennige erhöhen.
({21})
Und glauben Sie denn, daß die ölerzeugenden Länder, die sogenannten OPEC-Länder, auf die Dauer auf Preisforderungen verzichten werden, wenn sie sehen, wie das ergiebige Mineralöl für höhere Einnahmen der jeweils belieferten Staaten verwendet wird?
({22})
Für die Stabilität bringt das Paket fast nichts. Aber in der Wirkung treibt es zum Teil die Preise hoch und ist im übrigen eine unsoziale Verteilung der Lasten,
({23})
weil nämlich der Selbständige die höheren Treibstoffpreise von der Steuer absetzen kann, der Unselbständige aber nicht. Dann müßten Sie zum Ausgleich die Kilometergeldpauschale erhöhen, was Sie aber ausdrücklich ablehnen.
Und es war auch nicht sehr beruhigend zu hören, daß Sie darüber nicht Bescheid wissen. Ich fahre auch gern einen Dienstwagen, aber wenn man nur mit Dienstwagen fährt, verliert man allmählich das Gefühl dafür, wie hoch die Treibstoffpreise sind.
({24})
Herr Bundeskanzler, es war auch nicht gerade sehr beruhigend für die Bevölkerung, aus dem Munde Ihres Finanzministers zu vernehmen, daß die Grenze für die 10 %ige Steuererhöhung immerhin so hoch angesetzt sei, daß nicht einmal der Bundespräsident, der Bundeskanzler und die Bundesminister darunter fallen.
({25})
Ich glaube nicht, daß das, wenn ich so sagen darf, einem besonderen Herzenswunsch des deutschen Volkes entsprochen hat und daß damit also etwa ein allgemeines gesellschaftspolitisches Bedürfnis befriedigt worden ist.
({26})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann in dieser Sachdebatte leider nicht umhin, als erstes noch einige Bemerkungen zu der „Schulter-Klopfen-Trilogie" des Abgeordneten Strauß zu machen.
({0})
Herr Kollege Strauß, wenn Sie glaubten, auf das gegenseitige Schulterklopfen der Regierungsfrakionen und der Bundesregierung selbst einleitend eingehen zu müssen, so glaube ich, daß dies doch ein erfreulicherer Tatbestand - selbst wenn er so wäre, wie Sie ihn darstellen - ist als der, den man hinsichtlich des Verhältnisses zwischen CDU und CSU registrieren muß. Dort klopfen Sie sich nicht gegenseitig auf die Schulter, sondern sind hinsichtlich der Sachprobleme schlicht verschiedener Meinung.
({1})
Herr Abgeordneter Strauß, ich habe mit Freude festgestellt, daß Sie dieser Bundesregierung bescheinigt haben, daß auch keine andere in Brüssel hätte mehr erreichen können.
({2})
Dagegen hat unmittelbar nach den Brüsseler Beschlüssen Ihr Kollege Narjes, mein geschätzter Ausschußvorsitzender, die Beschlüsse von Brüssel als enttäuschend, ungenügend und als zu gering bezeichnet. Bitte, bringen Sie das untereinander auf einen Nenner!
({3})
- Es war nicht mehr drin. Sie sind auch nicht ungenügend, Herr Abgeordneter Strauß. Sie haben die Situation so dargestellt, als habe man sich gewissermaßen von Atempause zu Atempause, von Sieg zu Sieg emporgehangelt, um dann die deutsche Wirtschaft anschließend zu belasten. Das trifft nicht zu.
Wenn Sie die Entwicklung objektiv verfolgen, so stellen Sie fest, daß es sich hier um einen sehr kontinuierlichen Prozeß in diesem merkwürdigen Weltwährungssystem handelt, das wir seit Bretton Woods hatten. Dieses Währungssystem wurde in den ersten Jahren nach dem Kriege in einer Welt des Mangels aufgebaut. Daß es seine Aufgabe in einer Welt des partiellen Überflusses, des zunehmenden Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs nicht mehr erfüllen konnte, liegt auf der Hand.
({4})
Aber es bedurfte wahrscheinlich, da dieses Weltwährungssystem, vor allem in den Köpfen der Notenbank-Gouverneure, sehr verfestigt war, ({5})
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn die Lautstärke der UnterVizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
haltungen im Saale etwas gedämpft werden könnte, damit der Redner voll verstanden wird
({0})
- Ich meine wie immer alle, die es angeht.
Diese von dem Abgeordneten Strauß als Atempause von Sieg zu Sieg bezeichnete, sich hinziehende Entwicklung war im Gegenteil eine sehr kontinuierliche, Herr Kollege Strauß, die Sie auch damit nicht diskreditieren können, daß Sie Zitate bringen, in denen der Wirtschafts- oder der Finanzminister noch vor wenigen Wochen eine Aufwertung abgelehnt habe. Was wäre das denn für ein Wirtschafts- oder Finanzminister, der angesichts der Bedeutung dieser Frage die Aufwertung auf dem offenen Markt verkündete!? Das kann doch wohl niemand, der etwas von Währungspolitik versteht, erwarten!
({0})
Ich kann mich an einen Bundesfinanzminister Strauß erinnern, der im April 1969 mit unbedachten Äußerungen über künftige Währungsmaßnahmen die erste große Spekulationswelle eingeleitet hat.
({1})
Unserem Finanzminister und unserem Wirtschaftsminister muß ich in der Behandlung dieser sehr delikaten Frage - das möchte ich hier noch einmal wiederholen - mehr Verantwortungsgefühl bescheinigen: daß nämlich zum erstenmal in der Bundesrepublik eine Aufwertung beschlossen wurde, ohne daß dies vorher in den Zeitungen breit und lang ausgewalzt worden ist. Auch das ist ein Stück vernünftig gesteuerter Politik und nicht ein Atemholen, ein Springen von Sieg zu Sieg, wie der Kollege Strauß das gern darzustellen wünschte.
Zu dem gegenwärtigen Währungssystem und seinen Veränderungen ist wohl noch folgendes zu sagen: In der westlichen Welt floaten jetzt alle wichtigen Währungen mit der Ausnahme der europäischen Sechser-Gruppe im Innenverhältnis. Die Gruppe dieser sechs, zu der später weitere Länder stoßen werden, bleibt durch feste Paritäten verbunden. Das heißt, etwa die Hälfte des deutschen Außenhandels hat bei den Export- und Importgeschäften nach wie vor feste Paritäten. Das ist für die deutsche Wirtschaft ein gar nicht hoch genug zu bewertender Tatbestand, ein Tatbestand der sicheren Kalkulation für mehr als die Hälfte des deutschen Außenhandels.
Im übrigen sollten wir doch vielleicht eines nicht tun: wir sollten von diesem Pult aus nicht die bestehende Verunsicherung in der Wirtschaft unnötig anheizen. Flexible Wechselkurse sind in einer marktwirtschaftlichen Ordnung ein durchaus legitimes Instrument. Sie entsprechen dieser marktwirtschaftlichen Ordnung. Bisher ist mein Unternehmerbild jedenfalls so gewesen, daß die Unternehmer geradezu dazu prädestiniert sind, auf wechselnde Situationen richtig und marktwirtschaftlich zu reagieren. Wir sollten also nicht so tun, als ob durch flexible Kurse für die Hälfte des deutschen Außenhandels nun über die deutsche Exportwirtschaft die Nacht hereinbricht. Das ist mit Sicherheit nicht der Fall.
Es war mit Sicherheit auch richtig, daß nur diese sechs europäischen Volkswirtschaften mit in etwa vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen das gemeinsame Floating mit festen Kursen untereinander beschlossen haben und daß Großbritannien, Irland und Italien nicht in diese Gemeinschaft eingeschlossen worden sind, sondern, da sie ja bereits vorher ein isoliertes Floating ihrer Währungen vorgenommen haben, jetzt noch so lange draußen bleiben, bis dieser marktwirtschaftliche Prozeß des isolierten Floatens zwischen Großbritannien, Irland und Italien und dem Sechser-Block, der gemeinsam floatet, zu richtigen Austauschrelationen geführt hat.
Nach diesem marktwirtschaftlichen Prozeß, Herr Kollege Narjes, kann dann die Sechser-Gemeinschaft auf alle neun Mitgliedsländer erweitert werden. Wenn dann das Floaten der Neun nach außen weitergeht, wird die Chance sehr viel größer sein, daß innerhalb der bereinigten Kursverhältnisse ohne große „Stand-by"-Kredite, ohne große Anstrengungen des einen Partners für die anderen, diese erweiterte Gemeinschaft zu halten ist. Die Ergebnisse ermutigen dazu. Die Bereitschaft der drei Länder, die draußen geblieben sind, nach Festsetzung neuer Relationen hineinzukommen, ist vorhanden. Die Bereitschaft dieser sechs Länder, die anderen drei aufzunehmen, sobald der Zeitpunkt erreicht ist, ist auch vorhanden. Dies berechtigt zu der Aussage, daß diese Brüsseler Beschlüsse die europäische Integration nicht hemmen, sondern daß sie ein sehr wichtiger Schritt zur Erweiterung der Integration, ein sehr wichtiger Schritt zur angestrebten Wirtschafts- und Währungsunion sind.
Wir dürfen auch damit rechnen, daß die Brüsseler Entscheidungen, die den europäischen und den transatlantischen Zusammenhalt bewahrt haben, durch die bevorstehenden Beschlüsse im Rahmen der GATT-Verhandlungen noch gefestigt werden können. Ist das erreichbar, werden wir, wie ich glaube, am Ende dieses Jahres mit Stolz darauf zurückblicken können, daß wir eine der schwierigsten währungs- und handelspolitischen Etappen der Nachkriegszeit bewältigt haben. Das Brüsseler Ergebnis ist ermutigend Allerdings sollte sich auch niemand täuschen, daß vor der Bundesregierung noch sehr viel harte Arbeit liegt. Ich glaube jedoch, die Bewältigung der hinter uns liegenden Währungsprobleme berechtigt zu positiven Erwartungen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat allen Anlaß, der Bundesregierung für die Standfestigkeit, die sie in den kritischen Wochen der Dollarkrise bewährt hat, zu danken, desgleichen für die Beharrlichkeit, mit der sie eine internationale Lösung der Krise versucht und schließlich auch in optimalem Rahmen erreicht hat.
Lassen Sie mich nach diesem Vorexkurs, der, glaube ich, durch den Beitrag des Kollegen Strauß
notwendig geworden war, zu den einleitenden Worten des Bundeswirtschaftsministers zurückkehren. Der Bundeswirtschaftsminister verdient Zustimmung, wenn er - zu Beginn seiner Rede - gesagt hat, daß die Debatte um den Jahreswirtschaftsbericht nicht nur den aktuellen Maßnahmen gelten solle, sondern Gelegenheit zu grundsätzlicher Diskussion, zu grundsätzlichen Ausführungen zur Wirtschaftsordnung und der dieser Ordnung entsprechenden Politik sei. Das ist gut und richtig so.
Aber man muß auch eindeutig feststellen, daß grundsätzliche Aussagen es sich gefallen lassen müssen, am Für und Wider zu den konkreten politischen Maßnahmen gemessen zu werden. Die bisherige Debatte, wie sie von Ihrer Seite aus zur CDU/CSU geführt wurde, hat den Beweis erbracht, daß marktwirtschaftliche Lippenbekenntnisse an diesem Pult und anderswo sehr leicht und sehr schnell abgegeben werden. Wenn es aber konkret wird - und flexible Wechselkurse sind ein konkreter Tatbestand der marktwirtschaftlichen Ordnung -, dann tun sich viele doch sehr schwer.
Die gute Gelegenheit der für die politische Standortbestimmung so nützlichen Gegenüberstellung der Grundsatzerklärungen mit der mehr oder weniger großen Bereitschaft, an konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen mitzuwirken, bietet der Jahreswirtschaftsbericht 1973. Denn man kann diesen ersten Jahreswirtschaftsbericht der zweiten sozialliberalen Bundesregierung guten Gewissens unter die Überschrift stellen: Mehr Struktur- und mehr Wettbewerbspolitik. Diese Linie „Mehr Strukturund mehr Wettbewerbspolitik" zieht sich nicht nur durch den Jahreswirtschaftsbericht einschließlich des dort im Kernpunkt vorhandenen Stabilitätsprogramms, diese Linie „Mehr Struktur- und mehr Wettbewerbspolitik", vor allen Dingen die strukturverbessernde Grundlinie, findet sich auch bei den währungspolitischen Beschlüssen. Ja, man wird mit gutem Gewissen sagen können, daß diese währungspolitischen Beschlüsse hier nicht nur so hintendrangekommen sind, sondern daß mit den Brüsseler Beschlüssen das Stabilitätsprogramm der Bundesregierung erst komplettiert und abgerundet wird. Erst in der Kombination des Stabilitätsprogramms und der währungspolitischen Beschlüsse wird die entsprechende stabilitäts-, struktur- und einkommenspolitische Wirkung eintreten.
Das Stabilitätsprogramm, das natürlich in erster Linie die nach der Abwertung des Dollars eingetretene Aufblähung des Geldvolumens reduzieren will, zeigt aber auch eindeutig strukturpolitische Akzente, und zwar gleich nach zwei Seiten. Herr Kollege Narjes, Sie haben vor den „schweren strukturpolitischen Folgen" des Stabilitätsprogramms gewarnt. Ich kann Ihre Meinung nicht teilen. Das Stabilitätsprogramm wird strukturpolitische Folgen haben, aber sehr andere, als Sie sie dargestellt haben.
Gestatten Sie mir dazu einige Einzelerläuterungen. Die Stabilitätsabgabe setzt bei Einkommen über 200 000 bzw. bei Unverheirateten über 100 000 DM an. Das ist eine Einkommensgrenze, oberhalb deren die Einkommen in der Regel nicht mehr für den Konsum bestimmt, sondern auf Investitionszwecke ausgerichtet sind. Damit trifft diese Stabilitätsabgabe genau dort, wo im gegenwärtigen Konjunkturverlauf die ersten Überhitzungstendenzen deutlich sichtbar sind. Sie wird mit zu einer Verlagerung der Investitionsentschlüsse beitragen. Sie schöpft Einkommen ab, aber sie schöpft es von der Größenordnung wie von der Zielrichtung des Einkommens her an der richtigen Stelle ab.
Stabilitätsabgabe und Stabilitätsanleihe geben darüber hinaus gleichzeitig ein Signal zu der notwendigen Erweiterung des Anteils der öffentlichen Investitionen am Sozialprodukt. Das Aufkommen aus der Stabilitätsanleihe wird stillgelegt, das gegenwärtige Geldvolumen wird damit vermindert; aber das Aufkommen ist jetzt schon zur Finanzierung öffentlicher Investitionen bestimmt und wird darum entscheidend zu der notwendigen Gewichtsverlagerung vom privaten auf den öffentlichen Investitionssektor und damit zur konkreten Verbesserung der Lebensqualität für die Bürger in diesem Lande beitragen.
Die gleichen Anstöße zur Umorientierung, wie sie vom Stabilitätsprogramm ausgehen, werden durch die währungspolitischen Beschlüsse noch gefördert. Die leichte Aufwertung der Deutschen Mark zusammen mit der vorangegangenen Abwertung des US-Dollars und den möglicherweise noch denkbaren Veränderungen durch das gemeinsame Floating werden den deutschen Export nicht drosseln. Aber sie werden, und das ist sehr nützlich und notwendig, dazu beitragen, daß die Zuwachsraten im Export dort, wo die Wettbewerbsfähigkeit vorwiegend auf die falschen Wechselkurse aus der Vergangenheit zurückging, allmählich langsamer werden. Das ist nicht zu bedauern, Herr Kollege Narjes, das ist gewollt. Dieser strukturpolitisch und verteilungspolitisch notwendige Prozeß, der freilich nur mit sanftem Tempo vor sich gehen darf - aber die Beschlüsse sind auch so, daß ein sanftes Tempo gewährleistet wird -, wird dazu führen, daß die Kapazitätsreserven, die in einer vollbeschäftigten Wirtschaft für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur nur schwer frei zu machen sind, immer mehr dort freigemacht werden, wo sie für den Wohlstand der Bürger am wenigsten beitragen.
Das Stabilitätsprogramm und die währungspolitischen Maßnahmen zusammen bilden eine geeignete Kombination, die Aufschwungtendenzen dort abzubremsen, wo sie am stärksten entwickelt sind und wo deshalb gleichzeitig der Anlaß zu langfristiger Umstrukturierung gegeben ist.
Diese Kombination ist damit auch geeignet, zur Realisierung jener Zielvorstellungen beizutragen, die gewöhnlich unter den Begriff „Qualität des Lebens" zusammengefaßt werden. Zur Verbesserung der Lebensqualität ist eine Erhöhung der öffentlichen Leistungen unerläßlich. Diese setzt aber eine Umorientierung vorhandener Kapazitäten voraus. Diese Umorientierung wird mit dieser Maßnahmenkombination eingeleitet.
Zu dieser Maßnahmenkombination gehört auch die Mineralölsteuer, die hier von dem Abgeordneten Strauß so hart kritisiert wurde, kritisiert vor allen Dingen mit dem Hinblick auf die Gebiete
außerhalb der Ballungsgebiete, die flachen Räume. Es wurde von Herrn Strauß zitiert, daß dort ja eben für Sozialdemokraten nicht die Masse der Wähler sitze, und darum könnten Sozialdemokraten sich so etwas leisten.
({2})
Es wurde zitiert von Herrn Strauß, habe ich gesagt.
({3})
- Auch wenn Sie Herrn Steffen zitiert haben,
({4})
Herr Kollege Strauß: Sie und meinetwegen auch Herr Steffen in Kiel müssen zur Kenntnis nehmen, daß sämtliche Nordseewahlkreise, die nur über sehr flaches und weites Land verfügen, in diesem Bundestagswahlkampf die höchsten Zuwachsraten für die Sozialdemokratische Partei aufzuweisen haben;
({5})
und sie haben so gewählt, Herr Kollege Strauß, in Kenntnis der Beschlüsse des Steuerreformparteitages der SPD, wo die Erhöhung der Mineralölsteuer noch um 2 Pfennig mehr, als sie jetzt durchgeführt worden ist, beschlossen worden ist. Die Wähler sind nicht so unvernünftig, wie Sie ihnen zu unterstellen belieben.
({6})
Die Bürger in diesem Lande und unsere Wähler wissen sehr genau, daß allein mit Straßen- und Autoproduktion die Verkehrsbedingungen nicht zu verändern sind. Der Bundesverkehrsminister hat bereits bestätigt, daß man bei der zukünftigen Verkehrspolitik zwischen dem Ausbau des Nahverkehrs in den Ballungsgebieten und dem parallel dazu einhergehenden Ausbau des Straßennetzes in den ballungsfernen Gebieten sehr genau unterscheiden wird. Für diese künftige Verkehrspolitik leistet die Erhöhung der Mineralölsteuer einen wesentlichen und sehr nützlichen Beitrag.
Vor allem im Zusammenhang mit dem Begriff „Verbesserung der Qualität des Lebens" muß noch eine Anmerkung zu den währungspolitischen Beschlüssen gemacht werden. Die Bundesrepublik Deutschland ist seit mehr als zwei Jahrzehnten auf dem Weltmarkt in hohem Maße ein Gläubigerland; Überschüsse bei uns setzen Defizite bei anderen voraus und umgekehrt. Wir können die einheimischen Produktionskapazitäten schon längst nicht mehr allein, sondern nur noch mit einer zunehmenden Zahl ausländischer Arbeitskräfte in Gang halten. Bundesminister Friderichs hat bereits auf diese Problematik hingewiesen. Die mehr als 21/2 Millionen ausländischen Arbeitnehmer sind für unsere Volkswirtschaft unentbehrlich geworden. Aber es muß die Frage gestellt werden, ob nicht ein weiterer Anstieg im Tempo der vergangenen Jahre wegen der überproportionalen Zunahme der sozialen Probleme zu große Schwierigkeiten schafft. Ich kann dem Bundeswirtschaftsminister nur zustimmen, der eine Umkehr zu mehr Kapitalexport gefordert hat.
Den Familien der ausländischen Arbeitnehmer und uns selbst ist mehr damit gedient, wenn wir in Zukunft eine Politik treiben, die die Industrie zu den Leuten, dorthin, wo sie wohnen, bringt und sie nicht zur Industrie holt. Das werden wir in Zukunft stärker betreiben müssen. Die währungspolitischen Beschlüsse geben einen handfesten Anstoß dazu, das zu tun.
Ständige Exportüberschüsse bedeuten einen ständigen Verzicht auf mögliche Steigerungen des Leistungsangebots für die Bürger des eigenen Landes. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das Blockfloating nur für jene europäischen Staaten richtig, deren Wettbewerbsbedingungen übereinstimmen.
Die gewünschte Verlagerung, die langfristige, allmähliche, Strukturveränderungen nur sanft in Bewegung setzende Umorientierung vom Sektor der privaten Investitionen auf die öffentlichen Investitionen, die gleichzeitig eine Umorientierung zu mehr Lebensqualität bedeutet, erfordert allerdings auch eine differenzierte Betrachtung des wirtschaftlichen Wachstums. Aus der öffentlichen Wachstumseuphorie der letzten zwei Jahrzehnte ist in den letzten Jahren ein großes Unbehagen über das wirtschaftliche Wachstum geworden. Auch darauf hat der Bundeswirtschaftsminister schon hingewiesen. Ich meine, daß eine Interpreation der undifferenzierten Antiwachstumsthesen des Clubs von Rom unerläßlich ist. Das dort und anderswo errichtete Warnzeichen vor einem Wachstum um jeden Preis, vor einer unqualifizierten, rein auf quantitatives Wachstum gerichteten Politik, war nur zu berechtigt. Aber die Reaktion auf dieses Warnzeichen darf nicht eine ebenso unkritische Antiwachstumshaltung, nicht irgendeine Art „Zurück-zur-NaturBewegung" sein.
({7})
Das kann sich die Bundesrepublik mit Sicherheit nicht leisten.
({8})
Die Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Zukunft wird nur auf der Grundlage eines kontinierlichen und kräftigen Wirtschaftswachstums möglich sein, allerdings nicht eines wahllosen, ausschließlich von kurzfristigen Einzelinteressen bestimmten Wachstums, sondern durch eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistungskräfte, wobei die Qualität des wirtschaftlichen Wachstums in zunehmendem Maße berücksichtigt wird.
Meine Damen und Herren, das ist auch möglich und im industriellen Wachstumsprozeß gar nicht so schwierig. Allein wegen der Sicherheit der Arbeitsplätze, wegen der Vollbeschäftigung, die neben der Stabilität in der Skala der wirtschaftspolitischen Ziele der Sozialdemokraten ganz oben steht, kann es einen Verzicht auf Wachstum nicht geben, wohl aber eine Veränderung, eine Differenzierung des wirtschaftlichen Wachstums. Es muß hier einmal ausgesprochen werden, daß der Bau von Kläranlagen und Luftfiltern sowie die menschengerechte Ausstattung industrieller Arbeitsplätze von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ebenso als wachstums928
steigernd erfaßt werden wie die Produktion wenig umweltfreundlicher Produkte. Die Produktion dieser notwendigen Dinge hat auch die gleichen positiven Auswirkungen auf die Beschäftigung.
Das gleiche gilt für die notwendige Umorientierung, die sich hinter den neuen Wechselkursrelationen allmählich in der deutschen Wirtschaft einstellen muß. Ein großer Teil der unter den neuen Bedingungen langsamer wachsenden Wirtschaftszweige hat die gleichen Vorlieferanten, die zum besseren Ausbau der Infrastruktur notwendig sind. Der schnelle Ausbau leistungsfähiger Nahverkehrssysteme, die beschleunigte Ausstattung von Krankenhäusern mit den modernen Errungenschaften der medizinischen Wissenschaft oder die gerade in Bonn ja wohl besonders spürbare vordringliche Verbesserung der Fernmeldeeinrichtungen in der Bundesrepublik erfordern zusätzliche Produktionskapazitäten, die in einer vollbeschäftigten Wirtschaft allerdings nur durch Verlagerungen in die angedeutete Richtung geschaffen werden können.
Diese Verlagerungen erfordern allerdings gleichzeitig eine ausgewogene Arbeitsmarktpolitik, die vorbeugend Umschulungs- und andere Maßnahmen bereitstellt, um die notwendigen Strukturveränderungen so glatt wie möglich abwickeln zu können. Die Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Ich zweifle nicht daran, daß dieser Prozeß durch die Arbeitsmarktpolitik glatt und mit dem nötigen sanften Tempo gesteuert werden kann.
Meine Damen und Herren, hier ist noch ein Gesichtspunkt als Folge der Stabilitätsbeschlüsse hervorzuheben. Die Beschlüsse von Brüssel haben über den stabilitäts- und strukturpolitischen Effekt hinaus noch eine verteilungspolitische Komponente. Es war sicher kein Zufall - das ist aus den ökonomischen Gegebenheiten nachweisbar -, daß es erstmalig im Jahre 1961, dem Jahr der ersten Aufwertung der Deutschen Mark, möglich war, den Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen über die zehn Jahre lang schon als eine Art Naturkonstante angesehene 60-°/o-Barriere zu bringen. Dieser ersten Durchbrechung der von konservativen Nationalökonomen schon als ewig dauernd angesehenen 60-°/o-Barriere ist seit diesem Zeitpunkt ein kontinuierlicher Anstieg der Lohnquote gefolgt, wenn auch nicht im Gleichschritt mit der sich gleichzeitig vermehrenden Zahl der Arbeitnehmer.
Die Konjunkturlage zu Beginn des Jahres 1973 ließ aber darauf schließen, daß die sprunghaft angestiegenen Auftragseingänge im Investitionsgüterbereich eine Art Gewinnexplosion nach sich ziehen würden. Das Stabilitätsprogramm und die währungspolitischen Maßnahmen werden den voraussehbaren Gewinnanstieg der deutschen Wirtschaft nicht brechen, aber sie werden den Verlauf des Anstiegs notwendigerweise abflachen.
({9})
Das ist langfristig auch im Sinne einer stabilen Entwicklung des privaten Unternehmenssektors selbst. Es nimmt dem kommenden Konjunkturaufschwung einen Teil seiner Verteilungsproblematik, der ohne
diese Einschränkung für die in so hohem Maße ihre gesamtwirtschaftliche Verantwortung wahrenden Gewerkschaften unerträglich würde.
({10})
Sowohl in Zusammenhang mit dem Stabilitätsprogramm als auch gelegentlich in Kommentaren zu den währungspolitischen Beschlüssen wird dann auch immer wieder das übliche Überwälzungsargument aus der volkswirtschaftlichen Trickkiste hervorgeholt. Es lautet so, daß sich die Unternehmer der vorgesehenen Belastung der Stabilitätsabgabe durch entsprechende Preisaufschläge entzögen. Meine Damen und Herren, wer so argumentiert, stellt die Funktionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems auf die Dauer in Frage. Überwälzungsvorgänge bei gleichmäßigen Belastungen können in einer Marktwirtschaft stattfinden, aber nur bei entsprechender Nachfragekonstellation. Liquidität allein, wie sie zur Zeit im Überfluß vorhanden ist, ist noch keine Nachfrage.
Die Bundesbank ist - das sei in Klammern hinzugefügt - darüber hinaus bemüht, mit ihrem geld-und kreditpolitischen Instrumentarium diese überschüssige Liquidität immer mehr einzufangen. Aber in diesen Vorgang greift die Stabilitätsabgabe in der Form ein, daß sie Geld der privaten Verfügung entzieht und stillegt. Das Geldvolumen wird reduziert. Wenn sich die Unternehmer nicht in Höhe der Stabilitätsabgabe zusätzlich verschulden, muß sich auch die Gesamtnachfrage entsprechend verkürzen.
Das gleiche gilt für die mit der Verbesserung des D-Mark-Kurses sich verändernden Kostenrelationen der Unternehmen. Es geht keine Veränderung, jedenfalls keine positive Veränderung der Gesamtnachfrage damit einher. Trotzdem wird oft und gern behauptet, die Unternehmer würden die damit verbundenen Exporterschwerungen über Preiserhöhungen im Inland abwälzen. Kurzfristige Reaktionen dieser Art sind möglich, und vielleicht sind sie gelegentlich auch erfolgreich.
Mittelfristig wird ein Verhalten dieser Art aber die Absatzerwartungen der Unternehmer nicht unbeeinträchtigt lassen. Zu der gegenwärtigen Konjunktursituation mit dem nur kurzfristig so stark vergrößerten Geldvolumen kommt eines hinzu, was ich hier abschließend in aller Deutlichkeit sagen möchte. Im Anschluß an die Stabilitätsmaßnahmen der Bundesregierung wird es für die Unternehmer noch notwendiger sein als sonst, zwischen kurzfristigen Vorteilen und ihren eigenen wohlverstandenen langfristigen Interessen zu unterscheiden. Die unternehmerische Verantwortung in einer marktwirtschaftlichen, aber sozial gebundenen Wirtschaftsordnung erfordert es auch, nicht jeden kurzfristig sichtbar werdenden Preiserhöhungsspielraum bis zur äußersten Grenze auszunutzen.
({11})
Unternehmer, die so handeln, die mit kurzfristiger Motivation Preiserhöhungsspielräume bis zur letzten Grenze ausnutzen, werden weder der den Unternehmern obliegenden gesamtwirtschaftlichen VerDr. Ehrenberg
antwortung gerecht, noch dienen sie langfristig ihren eigenen Interessen. Sie bringen mit einem solchen Verhalten lediglich die marktwirtschaftliche Ordnung in Verruf, eine Wirtschaftsordnung, die bei entsprechender Sozialbindung unter allen praktizierten Wirtschaftsordnungen zwar nicht die denkbar beste, aber die in der Praxis effektivste und bei allen Unzulänglichkeiten am wenigsten unvollkommene ist.
({12})
Die Bundesregierung hat - das muß man Ihnen, Herr Kollege Breidbach, sagen, weil Sie so oft falsche Schlüsse daraus ziehen wie gestern im Ausschuß - mit dem Stabilitätsprogramm und den wohlabgewogenen, im europäischen Bereich sorgfältig erarbeiteten währungspolitischen Beschlüssen deutliche Signale für die künftige wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik gesetzt. Dieses Stabilitätsprogramm mit seinen struktur- und verteilungspolitischen Akzenten darf nicht mißverstanden werden. Es setzt Markierungen für den künftigen Weg und gibt hinter dem Schutzwall der flexiblen Wechselkurse nach außen der Bundesbank die geld- und kreditpolitische Handlungsfreiheit wieder.
Aber, meine Damen und Herren, auch das Arsenal der konjunkturpolitischen Instrumente der Bundesregierung ist nicht erschöpft. Wenn die Unternehmer auf breiter Front die gegenwärtigen Signale nicht verstehen bzw. nicht beachten sollten - ich
) persönlich halte die Mehrheit der deutschen Unternehmer für nicht so töricht - und die noch vorhandene Geldschwemme dazu benützt würde, die angestrebten Strukturveränderungen zu blockieren und den der Unternehmerschaft zugedachten Teil auf die Verbraucher abzuwälzen, dann sind allerdings härtere Maßnahmen notwendig. Das konjunkturpolitische Instrumentarium ist noch nicht leer.
Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz sieht als kräftig bremsende Maßnahme auch die Aussetzung der degressiven Abschreibung vor. Der Anstieg der Auslands- und Inlandsordner im Investitionsgüterbereich würde die Anwendung dieses konjunkturpolitischen Instruments legitim machen, auch wenn dann eine erhebliche Kumulierung restriktiver Maßnahmen einsetzen würde: von der Stabilitätsabgabe über die Stabilitätsanleihe, die Veränderung der Wechselkurse bis zur direkt die Investitionsentscheidungen berührenden Aussetzung der degressiven Abschreibung.
Bisher hat die Bundesregierung in ihrem abgestuften Programm auf die Anwendung dieses Instruments bewußt verzichtet. Aber dieser Verzicht auf die Anwendung eines noch vorhandenen, sehr wirksamen Instruments ist ein Angebot an nicht kurzfristig motiviertes, sondern langfristig überlegtes Unternehmerverhalten. Der marktwirtschaftlichen Ordnung und den Unternehmen in der Bundesrepublik steht damit eine Art Belastungsprobe, eine Bewährungsprobe bevor. Es ist im allseitigen Interesse sehr zu hoffen, daß diese Bewährungsprobe bestanden wird, ohne daß die Bundesregierung gezwungen wird, den groben konjunkturpolitischen Knüppel der Aussetzung der degressiven Abschreibung hinter der Tür hervorzuholen. In Bereitschaft muß dieser grobe Knüppel allerdings bleiben.
({13})
Entspricht das Unternehmerverhalten in der Zukunft dem richtigen Verständnis der marktwirtschaftlichen Ordnung, dann kann dieser Knüppel dort auch bleiben. Aber er bleibt in Bereitschaft, und die Statistik der nächsten Monate wird uns zeigen, ob er dort auch bleiben kann.
({14})
Die Opposition aber, die die Mehrzahl der Maßnahmen der Bundesregierung enttäuschend oder ungenügend findet, wird sich damit abfinden müssen, daß, wer in der Bundesrepublik stabilitätspolitisch den Mund spitzt - und das tun Sie, meine Herren von der Opposition, seit gut drei Jahren -,
({15})
dann steuer- und währungspolitisch auch pfeifen muß. Wenn er das nicht tut, dann hat er den Mund vergebens gespitzt.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für meine Fraktion darf ich zunächst einmal feststellen: wir begrüßen es, daß der Jahreswirtschaftsbericht, der übrigens auch für Nicht-Professoren lesbar und verständlich ist, illusionslos und nüchtern abgefaßt ist.
({0})
- Auch illusionslos, Herr Breidbach, natürlich. - Die gleiche Nüchternheit, Herr Kollege Narjes, war bei Ihren Ausführungen nicht festzustellen. Denn daß wir nun allesamt im Sumpf säßen oder unsere Lösungen in Pariser Salons suchten, das ist mir nicht ganz begreiflich.
Was den Kampf gegen Spekulanten betrifft, die es gar nicht gab, so habe ich über den Begriff „Spekulanten" und meine Einstellung dazu vor drei Wochen hier gesprochen. Aber nun frage ich Sie: Kamen diese 6,4 Milliarden Dollar - inzwischen sind es mehr geworden - aus dem Sumpf oder aus den Pariser Salons, oder wo kamen sie eigentlich her? Wir haben sie ja bekommen.
Meine Damen und Herren, die stabilitätspolitische Aufgabe, die sich uns und der Bundesregierung stellt, ist ganz ohne Frage durch die außenwirtschaftlichen Einflüsse erschwert. Wer wollte das be. streiten? Ich betone hier aber noch einmal und wiederhole das, was ich namens meiner Fraktion voi einigen Wochen gesagt habe, daß die damals getroffene Regelung richtig war und daß die Art und Weise, wie die Bundesregierung die Lösung erreicht
hat, unsere Zustimmung gefunden hat und auch heute noch findet.
Es ist bereits darauf hingewiesen worden: Hätten wir diese 10 °/o auch noch im Verhältnis zu unseren EWG-Partnern auf unserer Sollseite, so wäre die Gesamtsituation der deutschen Exportwirtschaft selbstverständlich noch mehr verschlechtert. Der gewogene Durchschnittssatz einer etwa 6%igen Aufwertung - Herr Kollege Narjes, ich bin mir über die Problematik eines solchen Durchschnittssatzes wie aller Durchschnittssätze durchaus im klaren; man kann das mit törichten Witzen belegen - wäre natürlich noch schlechter, wenn die Veränderung um 10 % damals nicht eine amerikanische Abwertung, sondern durch eine D-Mark-Aufwertung oder auch ein Floating mit gleichen Folgen zustande gekommen wäre.
Interessant ist, daß Sie, Herr Kollege Narjes, vor etwa 14 Tagen mit einem Kommentar zu vernehmen waren, die Regierungskoalition habe vorzeitig einen endgültigen Sieg gefeiert. Da würde ich doch bitten, noch einmal das nachzulesen, was wir hier unter dem Stichwort: „die nächste Krise kommt bestimmt!" gesagt haben.
({1})
Hätten Sie uns sagen können, daß sie schon in drei Wochen kommt, hätten Sie das ja mit Begeisterung getan.
Herr Kollege Strauß hat gesagt, wir hätten eine Atempause mit einer Lösung verwechselt. Herr Strauß, auch das halte ich nicht für richtig. Sie haben dabei auf das Smithsonian-Agreement hingewiesen. Sie wissen ja selber, wer das Smithsonian-Agreement als eine langfristige Lösung bezeichnet und erhofft hat, daß es eine solche werde.
({2})
- Sie haben es gemerkt: Jawohl.
({3})
- Das sage ich auch nicht, aber wir sind allesamt davon ausgegangen. Natürlich weiß man - wenn man vom Rathaus kommt, ist man klüger -, daß das keine endgültige Lösung gewesen ist.
Aber ich glaube, es ist im Gehalt jedes Finanz- und Wirtschaftsministers einbegriffen, daß er hier glaubwürdig und mit langem Atem dementiert. Herr Strauß, 1968 war das auch in Ihrem Gehalt einbegriffen.
Wir stehen in der Tat vor der Frage - ich kann das nur wiederholen und noch einmal unterstreichen; ich halte das für entscheidend wichtig -, wie das Weltwährungssystem in Ordnung gebracht wird und wie wir unseren Anteil daran leisten. Wir müssen - da stimme ich Ihnen, Herr Strauß, zu
- die Kritik, die aus den Vereinigten Staaten in handelspolitischer, auch in währungspolitischer Hinsicht - vor allem aber in handelspolitischer Hinsicht gegenüber der Europäischen Gemeinschaft - zu uns herüberkommt, ernst nehmen.
Wir haben uns im klaren darüber zu sein, daß wir handelspolitisch sehr unbequeme Forderungen auf den Tisch des Hauses gelegt bekommen werden, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Es wäre in der Tat gut, wenn wir uns darauf rechtzeitig vorbereiteten; denn wir wissen, was dort etwa kommen kann.
({4})
- Völlig richtig, Herr Kollege Wehner. - Aber solange wir z. B. - darf ich dieses heiße Eisen einmal anschneiden? - die leistungsfähigste amerikanische Industrie von dem Markt der Europäischen Gemeinschaft total abschneiden - das ist die Landwirtschaft; ich bedauere das sehr, es ist aber so -, solange müssen wir uns einfach überlegen, wie wir mit den Amerikanern im do ut des zurechtkommen. Es sei denn, Sie wollten eine törichte Amigo-home-Politik in der Bundesrepublik betreiben. Das kann ja wohl nur jemand tun, der politisch seine fünf Sinne nicht mehr beisammen hat. Es gibt auch solche in diesem Lande.
({5})
- Ich habe gesagt: Es gibt solche in diesem Lande.
Diese Reform - ich wiederhole das - ist vordringlich. Wir wollen keine technischen Erörterungen anstellen, aber sie ist sicherlich nur über die Sonderziehungsrechte möglich. Dabei ist eine souveräne und unabhängige Institution zur Verwaltung und Zuteilung der Weltliquidität notwendig. Es muß uns etwas einfallen - das ist außerordentlich schwierig -, die umherfließende Überliquidität von 60, 70, 80 Milliarden Dollar aus den Finanzmärkten der Welt herauszunehmen. Keine einfache Aufgabe!
Die gespaltenen Kurse sind uns auch in der letzten Krise wieder einmal als ein exzellentes Mittel empfohlen worden. Ich möchte noch einmal das unterstreichen, was der Bundesfinanzminister gestern gesagt hat. Bei dem Verhältnis zwischen Handels- und Leistungsbilanz, wie es in der Bundesrepublik vorhanden ist, würden die gespaltenen Kurse mit Sicherheit dazu führen, daß die Herausforderung, die die Amerikaner z. B. darin sehen, um ein Erhebliches vergrößert würde. Wer das nicht versteht, soll nicht über gespaltene Kurse reden. Ich bin dem Bundesfinanzminister dafür dankbar - Herr Strauß, das ist schon wieder „Schulterklopfen"; aber besser klopft man sich gegenseitig auf die Schulter, als daß man sich untereinander irgendwo hintritt;
({6})
das finde ich jedenfalls angenehmer;
({7})
mit Rücksicht auf die Frau Präsidentin: die Kniekehlen waren gemeint, Herr Kollege Strauß -,
({8})
daß er trotz des Rates guter Freunde an der Ablehnung der Spaltung festgehalten hat, obwohl er damit in den Geruch geraten kann, unter die Neoliberalen eingereiht zu werden.
Meine Damen und Herren, ich darf eine Bemerkung zum Goldpreisproblem machen. Die Spaltung des Goldpreises hat ihren ursprünglichen Sinn verDr. Graf Lambsdorff
Loren. Nachdem der offizielle Kurs bei 42 Dollar steht und der Marktkurs etwa das Doppelte beträgt, ist in der Tat ernsthaft daran zu denken, ob man nicht durch Verkäufe aus den amtlichen Reserven der Notenbanken die Goldspekulation bekämpft; denn die Goldspekulation war mit ein Anstoß für die letzte Dollarkrise. Ich sage: mit ein Anstoß und nicht mehr. Ich schlage vor, daß man ernsthaft darüber nachdenkt, z. B. aus dem Internationalen Währungsfond, der Ende 1971 über Goldreserven in Höhe von immerhin 36 Milliarden Sonderziehungsrechte verfügte, Gold abzugeben und ihn außerdem als Agent für Verkäufe der Notenbanken einzusetzen, damit das in einer konzertierten Aktion geschehen kann. Außerdem hätte das die angenehme Nebenwirkung, daß die Bilanzen der Notenbanken etwas verschönt werden könnten, wenn man Gold in den freien Markt verkaufen kann.
War die Lösung, die wir diesmal für die Währungskrise gefunden haben, richtig, waren die Maßnahmen angemessen? Ich meine, sie waren es. Es war richtig, die Devisenbörsen zu schließen, und es war richtig, eine politische Lösung anzustreben. Daß diese Lösung, wie der Bundesfinanzminister formuliert hat, unter den gegebenen Umständen optimal war, halte ich für zutreffend, wobei das „unter den gegebenen Umständen" natürlich - leider! - zu unterstreichen ist. Ob das eine Sternstunde der Europäischen Gemeinschaft hätte werden können, ob es eine war, ob sie ausgenutzt worden ist? Ich meine immerhin, so pessimistisch wie Sie es beurteilen, Herr Narjes, sollten wir es nicht sehen.
({9})
Wir haben einen Schritt zu einer sehr zweifelhaften - das will ich alles zugeben -, sehr unvollständigen Lösung der europäischen Währungsunion gemacht. Wir haben den zehnten Schritt vor dem ersten getan. Wenn man sich ansieht, was im Werner-Plan in schöner Reihenfolge vorgeschlagen wird, so muß man sagen, daß wir mit einem späten Schritt angefangen haben. Aber ich frage mich, Herr Kollege Narjes, ob wir anders überhaupt ernsthaft anfangen würden und ob nicht der Zwang der Verhältnisse auch für die Weiterentwicklung politischer Fragen und politischer Dinge hilfreich und notwendig ist.
Es gibt einige Probleme im Gefolge dieser Lösung, die Sie alle kennen und auf die ich kurz hinweisen möchte: Zunächst müssen wir alles vermeiden, was dazu führen könnte, daß die D-Mark die Leitwährung in Europa wird. Das wäre eine Belastung, die wir sehr ungern tragen würden; aber die Gefahr ist in dieser Lösung enthalten.
({10})
Zweitens ist die Stabilitätspolitik durch diese Lösung sicherlich nicht einfacher geworden. Sie wäre allerdings - das ist die Kehrseite der ungenügenden politischen Lösung - bei einem gesamteuropäischen Floating noch sehr viel schwieriger gewesen. Stabilitätspolitik wäre dann nur sehr mühsam zu betreiben gewesen.
Immerhin: auf diesem Hintergrund haben wir nun einmal Stabilitätspolitik zu betreiben. Ich meine das ganz ernst: wir haben sie in der Tat zu betreiben. Herr Kollege Klaus Dieter Arndt ist heute, wie ich glaube, nicht im Hause; aber ich erinnere mich, daß er vor ein, zwei Jahren einmal in einem Zeitungsartikel seine Meinung etwa dahin formulierte: Laßt das doch bleiben, sagt doch echt, was am Ende herauskommen kann und strebt nicht Zahlen an, von denen ihr im Grunde wißt: das kann doch nicht geschafft werden! Ich glaube, das ist nicht richtig.
Wir müssen in der Politik das Risiko laufen, uns auch dann Ziele zu setzen, wenn sie im Endeffekt nicht voll erreichbar sind. Natürlich müssen die Ziele nüchtern sein. Das, was die Bundesregierung mit dem Ziel einer Tendenzwende angegeben hat, ist ein nüchternes und, wie ich hoffe, realistisches Ziel.
Ich stimme Ihren Ausführungen, Herr Narjes, über die schädlichen strukturellen Folgen der Inflation durchaus zu. Wir müssen diesen Kampf aufnehmen und uns ihm stellen. Er wird nicht dadurch leichter, daß man an einem Tage 2,4 Milliarden Dollar in das Bankensystem geschleust bekommt. Die Bundesregierung weist mit Recht darauf hin, daß die Bundesbank abzusaugen versucht, was möglich ist; aber alles geht in der Tat nicht. Das kann man im Februar-Bericht der Bundesbank nachlesen.
Nun zur Stabilitätspolitik! Die Bundesregierung hat dazu Vorschläge gemacht. Die Opposition - der Bundeswirtschaftsminister hat das schon erwähnt und es ihr als ihr Recht zugestanden - hat daran Kritik geübt, aber keine Alternativen gebracht. Ich fände es hilfreich, wenn Alternativen vorgeschlagen worden wären.
Herr Kollege Narjes hat, glaube ich, heute morgen gesagt, die Erhöhung der Mineralölsteuer sollte man ersatzlos streichen. Außerdem hat er empfohlen, ein Gutachten des Sachverständigenrates über die Beziehungen Bund/Länder einzuholen. Dies ist, wie mir scheint, angesichts der vorliegenden Situation etwas zuwenig. Vielleicht wird es aber noch mit den Alternativen. Heute konnte man ja z. B. in der Morgenpresse lesen, daß Sie Alternativen auf dem Gebiete des Naturschutzes vorschlagen. Das sind erste Ansätze, die ich als hoffnungsvoll bezeichnen möchte.
Vorgeschlagen sind von Herrn Strauß, wie auch von Herrn Narjes - nicht heute hier - der rückzahlbare Konjunkturzuschlag und - von Ihnen, Herr Strauß - die Kreditplafondierung. Zu dem Vorschlag der Kreditplafondierung, einem ungemein „marktwirtschaftlichen" Vorschlag, kann ich nur sagen: dazu bekommen Sie die Zustimmung meiner Fraktion nicht.
Der Vorschlag eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags hat mich veranlaßt, Ihre bemerkenswerten Ausführungen zur Regierungserklärung über die Haltung der Gewerkschaften, über die 8,5 % und ähnliches, noch einmal nachzulesen, Ausführungen, denen wir damals ja im wesentlichen zustimmen konnten.
({11})
- Herr Kollege Strauß, so differenziert - mit hoher Freigrenze - haben Sie sich jedenfalls in der Äußerung im „Handelsblatt" nicht festgelegt. Ich nehme das gern zur Kenntnis. Dann fangen wir wieder an, über die Freigrenze zu streiten. Jetzt haben wir ja einen Konjunkturzuschlag mit hoher Freigrenze gemacht. Diese ist Ihnen wahrscheinlich zu hoch, wie ich annehme.
({12})
Offensichtlich wird davon die Mehrheit Ihrer Wähler betroffen.
({13})
Der rückzahlbare Konjunkturzuschlag wäre auch stabilitätspolitisch und ökonomisch - daran gibt es für mich keinen Zweifel - die richtige und wirksame Lösung gewesen. Jedermann bis herunter zum letzten Lohnsteuerzahler 10 %! Dies wäre Abschöpfung von Kaufkraft im Optimum geworden, aber eine politisch völlig unerträgliche und völlig unzumutbare Lösung.
({14})
- Ich bin erstaunt, daß man hier die Frage nach dem Warum stellen kann, nachdem wohl allgemein klar ist, daß den Gewerkschaften bei 8,5 °/o von allen Seiten des Hauses - ich zitiere erneut Herrn Kollegen Strauß - Verantwortung und maßvolles Verhalten bescheinigt worden ist. Jetzt wollen Sie also mit der großen Sense darübergehen und den Arbeitnehmern den realen Kaufkraftzuwachs wieder abnehmen?
({15})
Dies scheint mir unvertretbar zu sein; denn das hätte zu einem heißen Tarifsommer führen müssen. Ich hoffe, daß wir den nicht ohnehin bekommen.
Herr Kollege Strauß!
Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Kollege Graf Lambsdorff, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie hier über zwei verschiedene Möglichkeiten des Konjunkturzuschlags reden, daß nämlich die Gewerkschaften sich aus gutem Grund und verständlicherweise gegen den Konjunkturzuschlag wenden, wie er im Stabilitätsgesetz vorgesehen ist, nämlich gegen den Konjunkturzuschlag, der nicht rückzahlbar ist, daß aber eine Verhandlungsbasis für Gespräche mit den Gewerkschaften über einen rückzahlbaren Konjunkturzuschlag bei einer Freigrenze, die unterhalb der ministeriellen Spitzengehälter liegt, durchaus gefunden werden kann, weil die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer davon bestimmt nicht betroffen wird?
Herr Kollege Strauß, die Unterschiede sind klar. Sie wissen selbst, daß eine derartige Möglichkeit zur Zeit wegen der geltenden Form des Stabilitätsgesetzes nicht gegeben ist. Das Gesetz könnte man ändern, obwohl es seinerzeit von Ihnen als ein Jahrhundertgesetz gefeiert worden ist, als es verabschiedet wurde. Man könnte es ändern und novellieren.
({0})
- Ja, das ist mir klar. Das Gesetz könnte man in der Tat ändern. Nur glaube ich, daß die Ausgangsposition, wie Sie sie sehen, nicht gegeben ist. Die Gewerkschaften wären auch nicht bereit - ich sage sogar: sie wären auch nicht in der Lage -, zur Zeit einer Abschöpfung von Kaufkraft, also der Wegnahme realer Kaufkraft ihrer Mitglieder, zuzustimmen, auch nicht unter der Zusicherung, sie würden das Geld - ich will nicht sagen: am St.-Nimmerleins-Tag; das haben Sie nicht gemeint - zu einem konjunkturpolitisch angebrachten Zeitpunkt - wann ist der? - wiederbekommen. Das würden uns die Gewerkschaften nicht abnehmen und, wie ich meine, auch nicht abnehmen können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneter Müller-Hermann?
Bitte sehr!
Herr Kollege Graf Lambsdorff, wenn Sie die Anhebung der Mineralölsteuer nun als ein Ersatzinstrument zur Abschöpfung von Kaufkraft ansehen, warum limitieren Sie diese Maßnahme dann nicht zeitlich? Dann hätte das vielleicht noch einen Sinn.
Sie meinen die Mineralölsteueranhebung?
({0})
Herr Kollege Müller-Hermann, wir sind uns doch darüber im klaren - das ist auch oft genug besprochen worden -, daß der Erhöhung der Mineralölsteuer zur Zeit auch - vielleicht auch vorwiegend - konjunkturpolitische Überlegungen zugrunde liegen, daß dahinter aber auch verkehrspolitische Motivationen stehen.
({1})
- Ob Ihnen diese verkehrspolitischen Motivationen gefallen oder nicht gefallen, ist eine zweite Frage. Aber daß sie dahinterstehen, das ist doch wohl unzweifelhaft.
Gestatten Sie eine zweite Frage?
Bitte!
Abgesehen davon, Herr Kollege Graf Lambsdorff, daß die verkehrspolitische Motivation sehr fragwürdiger Natur
ist - das kann bei einer anderen Gelegenheit besprochen werden -, stimmt es denn nicht, daß die Regierung nun ihrerseits argumentiert, es würden damit öffentliche Verkehrsinfrastrukturinvestitionen in die Wege geleitet oder gefördert werden, während tatsächlich die Mittel, sofern sie nicht stillgelegt werden - ich denke an die vielen Wenn's in der Erklärung der Regierung -, dazu dienen werden, praktisch nur Haushaltslöcher zu stopfen?
Herr Kollege Müller-Hermann, über die Frage der Stillegung dieser 700 Millionen DM aus der Mineralölsteuer und über die Frage der Stillegung von Einnahmen, die über die Haushaltsansätze von 120,4 Milliarden DM hinausgehen, hat die Regierung beraten, und sie hat ihre Erklärungen dazu zum besten gegeben.
({0})
Aber ich mache gar keinen Hehl daraus, Herr Müller-Hermann, daß ich es lieber gesehen hätte, die Regierung hätte gesagt: diese 700 Millionen werden stillgelegt. Nun. alles kann man in einer Koalition nicht immer nach den Wünschen geordnet haben, die man selber einbringt. Aber im materiellen Ergebnis dürfte die Zusage, daß das, was über den Haushaltseinnahmenansatz hinausgeht, stillgelegt wird, unter dem Strich wohl mehr ergeben.
({1})
- Warten wir ab, selbstverständlich.
({2})
Herr Müller-Hermann, wir müssen ohnehin abwarten. Wir müssen auch - das ist ein Hinweis, den Sie sicherlich unterstützen werden - den Vollzug dieses Haushalts im Auge behalten. Aber über die haushaltspolitische Situation wird mein Kollege Kirst heute nachmittag noch sprechen.
Ich habe im Zusammenhang mit den Tarifzahlen, die uns immer wieder genannt werden, eine Anregung oder eine Bitte an die Bundesregierung. Bei zukünftigen Tarifgesprächen wird ganz sicher auf die Gewinnerwartungen der deutschen Wirtschaft Bezug genommen werden. Dabei wird die Zahl, die in der Statistik unter „Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen" auftaucht, eine Rolle spielen. Diese Zahl ist in der bundesdeutschen Statistik eine Mischgröße die im Grunde völlig ungeeignet ist, um als Aufhänger für solche Argumentationen zu dienen. In ihr sind nicht nur die Einkommen aus Unternehmertätigkeit, sondern auch die Vermögenseinkommen aller Gruppen - der Unselbständigen, der Selbständigen und des Staates - enthalten, so daß das in der Tat keine geeignete Ausgangsbasis ist. Ich wäre sehr dankbar, wenn sich die Bundesregierung einmal mit dem Statistischen Bundesamt darüber unterhalten könnte, ob man das nicht - das ist natürlich keine Sache, die von heute auf morgen erledigt werden kann - ändern und verbessern kann. Das würde der Versachlichung der wirtschaftspolitischen und der tarifpoltischen Diskussion dienen.
Wenn der allgemeine Konjunkturzuschlag ausgeschlossen war, dann blieb eben nur eine Paketlösung - oder Sammelsurium oder Potpourri; wie Sie das auch nennen mögen -; es blieb die Möglichkeit, überhaupt nichts zu tun. Man kann natürlich auch meinen, es würde nach der alten Militärdevise verfahren: Hauptsache, es geschieht etwas. Aber ich möchte doch betonen, daß sich eine Regierung - wir haben doch festgestellt, das sie verpflichtet ist, im Kampfe gegen die Instabilität daß ihr Mögliche zu tun - nicht darauf zurückziehen kann, zu sagen: die beste Lösung geht nicht, und die zweitbeste mache ich dann nicht mehr. Wir müssen dann eben die zweitbeste Lösung ernsthaft ins Feld führen.
Ich will mich hier, meine Damen und Herren, auf kurze Bemerkungen beschränken, weil dies ja heute morgen in der Tat schon ausführlich erörtert worden ist. Da ist zunächst einmal die Stabilitätsanleihe. Ich begrüße, daß die Bundesregierung entgegen den ursprünglichen Plänen und Vorschlägen zu marktgängigen Konditionen und auch zu einer Laufzeit, die keine Marktspaltung herbeiführt, gekommen ist. Wir werden abzuwarten haben, inwieweit das Ziel erreicht wird, daß in der Tat private, dem Konsum zugedachte Gelder in die Stabilitätsanleihe einfließen. Dies wird sicherlich vor Auflegen einer zweiten Tranche sorgfältig geprüft werden. Vielleicht könnte man überlegen, ob die üblicherweise gewährten Bonifikationen für Kapitalsammelstellen diesmal ausnahmsweise auch dem Privatzeichner zugute kommen sollten, um seine Rendite zu erhöhen und diesen Kreis in besonderem Maße anzusprechen.
Es wäre vielleicht auch angebracht - das sei aber nur eine zusätzliche ergänzende Bemerkung -, darüber nachzudenken, ob man über den Weg der Sparförderung - das hat zwar zugegebenermaßen keine automatische Stillegungsfunktion, aber wohl doch die Funktion, kurzfristiges Geld in Kapital umzuwandeln -, was bekanntlich teuer ist - die Stabilitätsanleihe ist ja auch nicht ganz billig -, ein ähnliches Ziel erreichen kann. Dann müßte allerdings, so meine ich, mit der Bundesbank die Mindestreservepolitik hinsichtlich der Frage der Sparkonten noch einmal abgestimmt werden.
Zur Stabilitätsabgabe - 2,4 Milliarden DM werden stillgelegt - haben wir unsere besondere Aufmerksamkeit der Progressionsstufe - Herr Strauß und Herr Arndt haben das auch herausgefunden - gewidmet. Wir haben eine Aufteilung von zweimal 5 % pro Jahr vorgenommen: es ist also nicht aar so schlimm. Dadurch wird eine Progressionsstufe erreicht, die über das hinausgeht, was wir in den Eckwerten für die Steuerreform mit dem Koalitionspartner vereinbart haben. Wir haben die Zusage des Koalitionspartners, Herr Kollege Strauß - das darf ich vielleicht zu Ihrer Beruhigung sagen, wenn es Ihnen eine sein kann; ich weiß das nicht -, daß dies keine präjudizielle Wirkung für die Beratung der Eckwerte hat. Ich war deswegen nicht erfreut - das darf ich ganz offen sagen -, daß der Kollege Klaus Dieter Arndt gemeint hat: Na, das ist ein Satz, der nun bestehenbleibt. Denn wenn wir dies,
wie ich sagen möchte, am „grünen Holz" des Kollegen Arndt erfahren müssen, weiß ich nicht, was wir am „dürren Holze" des Herrn Strauß in dieser Frage zu erwarten haben. Sie haben ja dieselbe Vermutung ausgesprochen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Strauß?
Bitte sehr, Herr Kollege.
Schließen Sie damit aus, daß die 60%ige Belastung, die mit dieser Stabilitätsabgabe jeweils für zweimal ein halbes Jahr verbunden ist, der Einstieg in die Steuerreform und der zukünftige Spitzensteuersatz sein wird?
Daß dies der Einstieg in die Steuerreform ist, schließe ich aus. Daß es der zukünftige Spitzensteuersatz sein soll, ist nach den Vereinbarungen der Koalitionspartner nicht möglich.
Eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß.
Sie glauben also nicht, daß Klaus Dieter Arndt in diesem Falle ausnahmsweise der Vorreiter dessen gewesen ist, was die Bundesregierung, wie in anderen Fällen, später dann zu vollziehen pflegt?
Nein, das glaube ich nicht, Herr Kollege.
({0}) - Auch das werden wir sehen.
Über die Stillegung der Mittel aus der Mineralölsteuer haben wir hier mit Herrn Müller-Hermann schon diskutiert. Aber in diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Bemerkung von Ihnen, Herr Narjes, zurückkommen. Sie haben gesagt, dies treffe den „kleinen Mann". Natürlich, Herr Narjes, das ist richtig. Aber wie um alles in der Welt wollen Sie eigentlich Stabilitätspolitik betreiben, wenn Sie niemandem weh tun wollen!?
({1})
Die Bundesregierung hat sich bemüht, die Lasten, die eine Stabilitätspolitik zur Folge hat, so gerecht wie möglich zu verteilen, wobei zu bedenken ist, daß irdische Gerechtigkeit häufig ein subjektiver Begriff ist. Von allen Seiten werden wir zur Stabilitätspolitik aufgefordert. Und jeder, bei dem wir damit anfangen wollen, sagt: Nein, bitte bei dem anderen! Ja nicht bei mir! Unter gar keinen Umständen!
({2})
Dies, meine Damen und Herren, ist doch kein Zustand und keine Diskussionsbasis, auf die wir uns wirklich ernsthaft einlassen können.
({3})
Das gleiche gilt im grundsätzlichen Ansatz, wie ich meine, auch für die Kürzung der Investitionszulagen. Ich darf für meine Fraktion hier vortragen, daß wir es ausdrücklich begrüßen, daß man endlich mit dem Abbau der Subventionen begonnen hat. Nun weiß ich, daß einem entgegengehalten wird: Ihr senkt die Subventionen einfach radikal von 10 auf 7,5 %; das ist ein sehr grobmaschiges Verfahren. In diesem Zusammenhang möchte ich an eine Äußerung des Herrn Kollegen Kirst erinnern, die er - ich weiß nicht, ob an dieser Stelle - gemacht hat, die mich beeindruckt hat: Es möge sich einmal derjenige melden, der in diesem Land keine Subventionen, sei es über Steuerersparnis, sei es über direkte Subventionen, empfängt. Schweigen im Walde würde im Zweifel herrschen.
({4})
- Nein, Renten sind natürlich keine Subventionen, Herr Kollege Strauß. Aber alle steuerlichen Erleichterungen, alle steuerlichen Präferenzen und auch die von Ihnen genannte Kilometer-Pauschale sind doch Subventionen.
({5})
Was die Subventionen angeht, so muß ich sagen: Subventionen sind seinerzeit - zumindest hinsichtlich der Wirkung - mit der Gießkanne über das Land ausgestreut worden. Wenn Sie nicht im ersten Ansatz einmal mit dem Rasenmäher darüber hinweggehen, geschieht überhaupt nichts; und ich bin froh, daß etwas geschieht.
({6})
Allerdings hätte ich es begrüßt, wenn die Nachricht, daß man sich auch einmal um die Steuerpräferenzen von Sparkassen und Hypothekenbanken kümmerte, die entscheidende Kabinettsitzung überdauert hätte.
({7})
Meine Damen und Herren, die Fraktion der Freien Demokraten begrüßt das marktwirtschaftliche Bekenntnis, das der Jahreswirtschaftsbericht auf Seite 28 enthält. Insbesondere sind wir dankbar dafür, daß die Wettbewerbspolitik in den Vordergrund gestellt wird. Ich darf hier noch einmal unterstreichen, was der Herr Bundeswirtschaftsminister gesagt hat: Wir anerkennen dankbar und freuen uns darüber, daß die Bereitschaft aller Fraktionen, auch der Oppositionsfraktion, zur Zusammenarbeit ersichtlich geworden ist.
Es gibt in der Zwischenzeit einen neuen Fall, der etwas Dampf in der Wettbewerbsdiskussion macht. Dafür kann man aus einer Sicht nur dankbar sein. Ich will mich über die Frage Rheinstahl-Thyssen nicht etwa eingehend äußern - mir fehlen auch Einzelzahlen und Daten -, aber es gäbe ja Anlaß, über einiges nachzudenken, zu philosophieren, wenn man das will. Etwa über die Frage der Größe an
sich, über die Frage der Vereinbarkeit des Verlangens nach Kokskohlesubvention und gleichzeitiger Abfindungsofferte, auch über die Frage, inwieweit sich die Montanmitbestimmung zur Kontrolle wirtschaftlicher Macht wirklich als Hindernis oder als geeignet erweist. Ich will das alles heute nicht behandeln.
Ich will nur auf einen Aspekt dieser Angelegenheit eingehen, der uns beunruhigt und befremdet. Der Kollege von Bismarck, meine Damen und Herren, hat eine Stellungnahme abgegeben, die ich nicht in allen Punkten teile. Ich glaube, daß da etwas wettbewerbspolitischer Nachholbedarf oder wettbewerbspolitischer New Look der CDU oder des CDU-Wirtschaftsrates enthalten war.
({8})
Was mich interessiert, ist die Antwort, die darauf erfolgte. Ich kann verstehen, daß sich jemand ärgert, wenn er von demjenigen kritisiert wird, den er noch vor wenigen Monaten finanziert hat.
({9})
- Das ist sicherlich sehr gut. Jawohl, Herr Kollege Strauß. Das sichert Unabhängigkeit, und das ist etwas Wertvolles. Wir haben das gelernt. Ich komme darauf noch zurück. Es gibt da noch eine Bemerkung von Ihnen, mit der ich mich am Schluß auseinandersetzen möchte.
Wir haben eine Antwort an ein Mitglied dieses Hauses erhalten, das aus seiner politischen, in diesem Falle wettbewerbspolitischen Verantwortung heraus eine Stellungnahme abgegeben hat, und die Antwort des Chefs des nunmehr zweitgrößten deutschen Unternehmens begann mit den Worten, hier sei wohl eine Karnevalslaune der Ratgeber und der Anlaß für eine solche Stellungnahme gewesen. Meine Damen und Herren, wir meinen, daß in diesem Hause und an dieser Stelle festgestellt werden muß, daß dies eine fatale Entgleisung war. Wir meinen, daß allen denjenigen - und das trage ich namens und im Auftrage meiner Fraktion vor -, die sich um ein sachliches, rationales und von Emotionen hoffentlich bald wieder befreites Gespräch zwischen Politik und Wirtschaft mühen, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie einen sehr schlechten Dienst erwiesen hat.
({10})
Ich darf allerdings meine Verwunderung darüber ausdrücken: Hier wäre einmal für den Vorsitzenden der Opposition zu einem „so nicht" Anlaß gewesen.
({11})
Zum Abschluß, Herr Kollege Strauß, will ich noch einmal auf eine Bemerkung von Ihnen zurückkommen, die ebenfalls im „Handelsbatt" gestanden hat. Dort haben Sie - Ihre sprachschöpferische Kunst ist ja allgemein anerkannt, bereitet auch immer wieder Vergnügen und macht Eindruck - ({12})
- Sie tun Ihr Bestes, das ist völlig klar. - Sie haben dort die Politik der Bundesregierung dahin glossiert, nunmehr würde der Würgegriff zur Halsmassage erklärt.
({13})
- Herr Kollege Strauß, ich möchte zunächst einmal für uns beide sagen, mangels Hals ist dieser Angriff für uns beide nicht so gefährlich.
({14})
Dahinter stehen aber natürlich ernstere Überlegungen. Ich beziehe mich auf Ihre Formulierung, nunmehr sei die Umverteilung eingeleitet, nunmehr habe die Nivellierung begonnen, mit anderen Worten, diese Regierung sei auf dem besten Wege, sozialistische Enteignungspolitik zu betreiben.
({15})
- Einstieg, auch wieder Einstieg, immer Einstieg;
das muß ein bayerischer Begriff sein.
({16})
- Wo auch immer, in welchem Stockwerk auch, das
ist egal.
Dazu möchte ich namens meiner Fraktion eindeutig erklären - und, Herr Narjes, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie die liberale Haltung dieses Jahreswirtschaftsberichts bestätigt haben -, wir werden in dieser Koalition für liberale Wirtschaftspolitik sorgen. Wir werden weder der Umverteilung noch der Konfiszierung in jedweder Form zustimmen; wir werden da nicht mitmachen. Wir beobachen unseren Koalitionspartner - das wird uns niemand verbieten, auch der Koalitionspartner selber wird das gar nicht übelnehmen - ganz besonders nachdrücklich und sorgfältig auf dem Gebiete der Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik. Das weiß er auch.
({17})
- Nur langsam!
Für uns, meine Damen und Herren von der Opposition, ist das maßgebend, was in der Regierungserklärung steht, und die Haltung der Fraktion der SPD in diesem Bundestage; das ist unser Koalitionspartner. Solange das Godesberger Programm, das alte,
({18})
die Grundlage bleibt, ändert sich daran gar nichts, und wir werden loyal und kooperativ sein in einem Gebiet, in dem sich natürlich die ernsthaftesten Konfliktstoffe ansammeln können. Wer wollte das leugnen; das wissen wir alle in diesem Hause. Rechnen Sie nicht darauf, daß Sie uns dort auseinander-dividieren! Die Fairneß, mit der wir bisher zusammengearbeitet haben, werden wir fortsetzen.
Der Weg der Sozialdemokratischen Partei nach Godesberg ist in unseren Augen eine große Lei936
stung gewesen, ist es auch heute noch. Wir wissen das zu würdigen. Denn wir kennen unseren Weg nach Freiburg, der ebenfalls, wie wir meinen, eine Leistung war, der außerdem noch lebensgefährlich war - darin unterscheiden wir uns von Ihnen - und der eine ungeheuere, für uns wichtige, befreiende Wirkung gehabt hat.
Herr Ministerpräsident Kohl hat kürzlich in einem Zeitungsartikel erklärt, die CDU brauche kein Godesberg. Dies ist Ihre Sache. Aber wenn, dann wird es hoffentlich kein Fulda.
({19})
Ich komme zum Schluß. Die Freie Demokratische Partei begrüßt den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung. Wir bringen dieser Bundesregierung Vertrauen entgegen. Wir vertrauen ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik, weil sie dieses Vertrauen verdient.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Zeitel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Wirtschaftsminister hat nicht zu Unrecht gesagt, wir sollten den Wirtschaftsbericht zum Anlaß einer etwas mehr grundsätzlich ausgerichteten Debatte nehmen. Lassen Sie mich wenigstens in einem Teilbereich, nämlich vornehmlich im Bereich der Finanz- und Steuerpolitik, einen solchen Versuch unternehmen.
Dazu zunächst ein paar Vorbemerkungen. Das herausragendste Merkmal der gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklung ist vielleicht, daß wir es nicht mit einem üblichen Konjunkturablauf zu tun haben, sondern mit einer Überlagerung von konjunkturellen und strukturellen tiefergreifenden Wandlungstendenzen. Die entscheidende Frage, die sich in dieser Situation stellt, lautet: wohin treibt - gewollt oder ungewollt - die Entwicklung in der Bundesrepublik, und wie steht es mit den öffentlichen Bekundungen der Regierung und den Realitäten in diesem Land?
Ich kann an das anknüpfen, was Herr Kollege Strauß vorhin gesagt hat. Wenn man die Verlautbarungen der Regierungsvertreter hört und liest, muß man den Eindruck gewinnen, daß wir im wesentlichen forsch und natürlich progressiv von Problemlösung zu Problemlösung eilen, von Reform zu Reform, und daß, wo sich Flankeneinbrüche zeigen, diese in optimaler Weise begradigt werden. Es ist in einigen Bereichen heute bereits zu fragen, ob wir nicht laufend rückwärts begradigen statt nach vorn.
Ich will hier nicht noch einmal auf technische Detailfragen der währungspolitischen Situation zurückkommen. Aber es ist doch einfach eine Vortäuschung falscher Tatsachen, zu glauben, daß die internationale Währungssituation mit diesen Maßnahmen auch nur annähernd bereinigt sei. So wie der nächste Winter, kommt die nächste Währungskrise. Und wir haben in unserem Lande noch immer keine zuverlässige, rechtzeitig aufgebaute Sicherung gegen mögliche Einbrüche. Wir werden wohl erst dannwieder etwas tun, wenn das Kind noch einmal in den Brunnen gefallen ist und noch einmal Milliarden hereingeströmt sind.
({0})
- Ich komme noch darauf, Herr Kollege Matthöfer. Die Standardformel - wir mäkelten nur herum und hätten keine Alternative - kennen wir. Ich werde noch darauf eingehen, warten Sie ein bißchen zu.
Was ergibt eine nüchterne Analyse der gegenwärtigen Situation?
Wir haben in der Konjunkturanalyse keine wesentlichen Differenzen mit ihnen. Wir anerkennen auch, lassen Sie mich das deutlich sagen, daß es gelungen ist, die Vollbeschäftigung zu sichern, und daß die Produktionskapazitäten gut ausgelastet sind. Auch diese Feststellung gehört zu einer nüchternen Analyse. Aber es muß ebenso deutlich festgestellt werden, daß trotz wiederholter Ankündigungen - wir erleben ja diese Ankündigung fast von Vierteljahr zu Vierteljahr erneut - die Preise nicht stabilisiert werden, sondern sich erneut Beschleunigungstendenzen bei der Verschlechterung des Geldwertes abzeichnen.
Ebensowenig wie von einer Preisstabilisierung kann bis zur Stunde von einer befriedigenden Lösung der finanziellen Probleme gesprochen werden. Die Entwicklung läuft ebenfalls im Bereich der Einkommens- und Vermögensverteilung - und Sie legen ja großen Wert darauf, die soziale Optik zu wahren - eher in ungünstiger Richtung als in Richtung auf einen besseren Ausgleich von Einkommen und Vermögen. Wir werden das im Herbst noch deutlicher sehen, wenn die nächste Lohnrunde ansteht und die Probleme noch schwieriger werden. Nicht zuletzt aber werden Grundelemente einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung untergraben und in Frage gestellt; nicht von heute auf morgen, aber langsam und stetig.
Wir verkennen ganz gewiß nicht, daß die entstandenen Schwierigkeiten zum Teil auf die zunehmende internationale Verflechtung und Integration der Bundesrepublik zurückzuführen sind; aber eben nur zum Teil. Es gibt eine Mitschuld der Regierung, die auf eine zureichende und rechtzeitige Flankentherapie verzichtet hat. Dies ist doch nicht zu leugnen, bis hin zur zu späten Schließung der Devisenbörsen.
Gravierender sind freilich die Versäumnisse bei den binnenwirtschaftlichen Maßnahmen, insbesondere in der Finanzpolitik. Wir diskutieren hier das Gutachten des Sachverständigenrates. Es ist nicht Mäkelei der CDU, sondern desjenigen Gremiums, das von diesem Parlament eingesetzt ist. Der Sachverständigenrat hat eindeutig darauf hingewiesen - entgegen dem, was Sie dauernd in der Öffentlichkeit verkünden -, daß die Finanzpolitik inflationsfördernd und expansiv war. Das haben wir immer betont, und darum geht es.
Entgegen dem, was Sie glauben machen wollen, ist der Anteil der öffentlichen Hand nicht größer geworden, sondern gleichgeblieben. Das ist doch das Fatale. Sie meinen - und wir stimmen Ihnen darin zu -, daß zur Lösung bestimmter Aufgaben vielDr. Zeitel
leicht der Staatsanteil erhöht werden muß. Aber das schaffen wir auf diesem Wege, Herr Matthöfer, mit Sicherheit nicht.
Auf dem finanzpolitischen Wege der Bundesregierung, jedenfalls dem, den sie bisher beschritten hat, wird keine großzügige Reformpolitik realisiert werden, sondern eher eine Deformationspolitik. Solange der Bund in seiner Finanzpolitik nicht ernstlich deutlichere Signale setzt, so schwer das auch sein mag, werden wir die Inflationsglut nicht eindämmen.
Lassen Sie mich noch eine grundsätzliche Berner-kung zur Finanzpolitik machen, weil eine bestimmte falsche Argumentation ständig in der Öffentlichkeit wiederholt wird. Die Anpassung der öffentlichen Ausgabenerhöhung an die nominale Steigerungsrate des Sozialprodukts ist eben nicht konjunkturgerecht. Es bedeutet einen der zahlreichen die Öffentlichkeit irreführenden Relativierungsversuche der Regierung, wenn auf noch höhere Ausgabensteigerungen der Länder und Gemeinden hingewiesen wird. Lassen Sie mich auch sagen, daß man endlich aufhören soll, immer nur auf die CDU-regierten Länder hinzuweisen, so als ginge es nur um diese. Nordrhein-Westfalen wird, wenn ich richtig informiert bin, in diesem Jahr eine 18%ige Steigerungsrate des Haushalts vorlegen. Interessant ist, daß alle Länder und zum Teil auch die Gemeinden betroffen sind, und das ist eben nicht zufällig.
({1})
Lassen Sie mich deutlich feststellen: Wenn eine konjunkturgerechte öffentliche Finanzpolitik betrieben werden soll, können die Länder und Gemeinden aus grundsätzlichen Erwägungen nicht den gleichen Beitrag dazu leisten wie der Bund.
({2})
Die Hauptverantwortung für eine konjunkturgerechte Gestaltung der Finanzpolitik hat der Bund. Wenn die Länder und die Gemeinden, die den wesentlichen Teil der zukunftsweisenden Investitionen durchzuführen haben, darüber hinausgehen, muß eben die Steigerungsrate des Bundeshaushalts unterproportional sein. Anders werden wir mit den Problemen nicht fertig werden.
({3})
- Das steht im Augenblick nicht zur Debatte, Herr Matthöfer.
({4}) Ich bemühe mich, auf die Anregung
({5})
- nein, nein - des Wirtschaftsministers einzugehen, der einige grundsätzliche Erwägungen hören will. Hier bin ich mit ihm einer Meinung.
Es ist ebenso ein prinzipieller Trugschluß, die nicht zu leugnenden Schwierigkeiten einer konjunkturgerechten Finanzgestaltung dadurch umgehen zu wollen, daß der Bundesbank immer mehr Verantwortung zugeschoben wird. Das sieht fast so aus, als wolle man sagen: Wir können nicht, die Bundesbank muß ran. Und wenn es die Bundesbank dann nicht schafft, hat man ihr wenigstens den Schwarzen Peter zugeschoben. So sieht es doch in der Realität aus.
({6})
Gerade die Ereignisse der letzten Wochen sind geeignet, darzutun, daß und warum die Geld- und Kreditpolitik nicht einseitig konjunkturpolitische Aufgaben zu erfüllen vermag. Zu Recht verweist die Notenbank auf die Notwendigkeit konstruktiver Maßnahmen bei der Haushaltsgestaltung. An dieser Notwendigkeit ändert sich auch dann nichts, wenn wir das notenbankpolitische Instrumentarium verbessern. Ich möchte davor warnen - lassen Sie mich das für unsere Seite hier zum Ausdruck bringen -, der Bundesbank bei der Verbesserung des Instrumentariums immer mehr bürokratische Verantwortung zuzuschieben. Wir könnten sonst eines Tages erleben, daß die Bundesbank damit zu einem Element eines ganz anderen, nämlich dirigistischen Staatsgefüges und Befehlsempfängers des Staates wird, was wir gewiß nicht wollen. Aber bestimmte instrumentale Änderungen können in diese Richtung gehen. Wir werden abzuwarten haben, ob die Entwicklung nicht dahin treibt.
Nun hat die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen insbesondere steuerlicher Art beschlossen, durch die die eingetretenen und sich vermehrt abzeichnenden konjunktur- und finanzpolitischen Schwierigkeiten überwunden werden sollen. Man wird dabei freilich kaum erwarten können, daß sich Unternehmer und Bürger in unserem Lande keine Inflationsmentalität zueignen, wenn die Regierung von der Projektion einer 6%igen Preissteigerung ausgeht. Die Leute können ja schließlich vor der Entwicklung nicht die Augen zumachen, sondern sie reagieren, und sie reagieren erstaunlich schnell.
Die von dieser Regierung beschlossenen Maßnahmen sind bereits im Ansatz janusköpfig, da sie nicht nur - ich zitiere wörtlich - „die Gesamtnachfrage nach Verbrauchs- und Investitionsgütern dämpfen sollen, sondern ebenso einen Vorgriff auf notwendig werdende Einnahmeverbesserungen bedeuten". Sieht man etwas genauer hin, dominiert eindeutig das Ziel vermehrter Einnahmebeschaffung.
Es kann doch ernstlich kaum bestritten werden, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer nicht preisdämpfend, sondern inflationstreibend wirkt, unabhängig davon, ob thesauriert wird oder nicht. Ebenso vermag die Stabilitätsabgabe in der gegenwärtigen Konjunkturphase aus quantitativen und qualitativen Gründen keinen tendenzbestimmenden Beitrag zur Inflationsbekämpfung zu leisten. Während in weiten Unternehmungsbereichen Ausweichmöglichkeiten bestehen, die man doch nicht wegreden kann, sind die Maßnahmen etwa im Kreis der besonders betroffenen freiberuflich Tätigen, die nicht die gleichen Ausweichmöglichkeiten haben, doch wenig geeignet, den Verbrauch zu dämpfen. Sie gehen vielmehr im wesentlichen zu Lasten der Er938
sparnisbildung und wirken damit zinstreibend. Das gilt im Prinzip auch für die Stabilitätsanleihe.
({7})
- Herr Matthöfer, warten Sie doch ab. Ich hatte es Ihnen angekündigt; infolgedessen werde ich auf die Alternativen noch eingehen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?
Bitte!
Herr Professor Zeitel, Sie haben vorhin von der Bundesregierung verlangt, daß sie auf der Ausgabenseite des Haushalts kürzen müsse, um konjunkturgerecht zu sein. Können Sie mir und dem Hause hier vielleicht erläutern, warum eine Maßnahme wie die Stabilitätsabgabe auf der Einnahmenseite, die echt Kaufkraft abschöpft, nicht einer konjunkturgerechten Haltung entsprechen soll, während eine Ausgabenkürzung, die den gleichen Effekt - freilich auf dem Weg über die Unternehmer - hätte, Ihrer Meinung nach richtig sein soll? Ich wäre Ihnen für eine Erläuterung dankbar.
Herr Ehrenberg, Sie sollten doch wissen, daß im Bereich der Finanzpolitik der gleiche Geldbetrag nicht unbedingt gleich wirkt. Sie wissen aus den allgemeinen Zusammenhängen, daß die Beträge, die wir auf der Ausgabenseite einsparen, die unmittelbar die Nachfrage dämpfen, nicht mit dem gleichen Handikap der Einnahmenseite belastet sind, das wir in der Sprache der Theorie im allgemeinen als Problem der Überwälzung bezeichnen. Daran kommen wir nun einmal nicht vorbei, selbst dann nicht, wenn wir die Preise regulieren. Das macht den Unterschied zwischen einem Ansatz auf der Ausgabenseite und einem Ansatz auf der Einnahmenseite aus.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kirst?
Ja, bitte!
Herr Kollege Zeitel, wären Sie so liebenwürdig, im Verlauf Ihrer weiteren Ausführungen wirklich einmal konkret Ihre Alternativen darzulegen? Wir sind sehr wißbegierig in dieser Hinsicht!
({0})
Herr Kollege Kirst, da ich wußte, daß diese Standardformel gebraucht wird und daß die Regierung offensichtlich noch nach Konzeptbeiträgen sucht, habe ich Ihnen ja gesagt, daß ich darauf noch eingehen werde - ob freilich konkret genug, ist eine andere Frage.
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Ich will hier darauf verzichten, den Topf der kleineneren Maßnahmen unter Stabilitätsgesichtspunkten zu durchleuchten. Ich konzediere, daß die Aufhebung der degressiven Abschreibung von all den Maßnahmen vielleicht die wirksamste ist. Die anderen Maßnahmen, die Streichung der Schuldzinsen und dergleichen, bringen quantitativ nichts. Die Aufhebung der degressiven Abschreibung das sollten wir doch auch nicht verheimlichen - greift im wesentlichen erst in einem Jahr und kaum sofort. Alle anderen Maßnahmen wirken doch nicht. Das müssen wir bei einer nüchternen Analyse, die Sie erwarten, doch in Rechnung stellen.
Zusammenfassend läßt sich über den stabilitätspolitischen Effekt folgendes sagen. Es geht der Regierung offenbar doch gar nicht darum, primär die Stabilität zu sichern. Es gibt ja eindeutige Äußerungen von Ihrer Seite, daß wir mit diesen Preissteigerungen leben müssen. Tatsächlich möchten Sie sich die Tür zu einer strukturverändernden Gesellschaftspolitik aufstoßen. Das ist doch der Kern der Sache.
({1})
Die genannten Maßnahmen beinhalten eine Reihe weiterer Widersprüchlichkeiten, die ich hier wenigstens erwähnen möchte. Was etwa die soziale Ausgewogenheit und den Hinweis darauf angeht, ein Konjunkturzuschlag sei nicht möglich, weil man die Arbeitnehmer nicht zur Kasse bitten möchte, so ist zu sagen, daß dieser Hinweis einfach nicht richtig ist. Wir wissen, daß die gegenwärtige Besteuerung im Lohnsteuerbereich durch die Progressionswirkung zu Mehreinnahmen von Milliarden D-Mark führt, die in der Masse von den Arbeitnehmern gezahlt werden.
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Die Arbeitnehmer müssen die Belastung also so oder so tragen. Die entscheidende Frage lautet eigentlich: Wie tragen sie sie besser? Mit der Inflationssteuer, die wir gegenwärtig haben, ganz gewiß nicht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp?
Ja, bitte!
Herr Professor Zeitel, hier ist von Widersprüchlichkeiten die Rede. Würden Sie mir bitte konzedieren, daß ich einen Widerspruch darin sehen muß, wenn Sie einerseits die Stabilitätsanleihe ablehnen und Herr Narjes sie andererseits begrüßt, wenn Sie einerseits gegen administrative Möglichkeiten der Bundesbank wettern, Herr Strauß andererseits die Kreditplafondierung haben möchte? Ich könnte noch zehn derartige Widersprüche aufzählen. Konzedieren Sie mir, daß
Rapp ({0})
ich daran denke, wenn von Widersprüchen die Rede ist.
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Herr Kollege Rapp, so einfach und so billig sind die Dinge nicht. Sie müssen schon genau zuhören. Denn ich habe gesagt, daß die Stabilitätsanleihe nicht einen solchen Dampfungseffekt hat, wie die meisten meinen. Sie wirkt zinstreibend. Ich habe sie nicht abgelehnt, das haben Sie getan. Wir müssen schon genau diskutieren; sonst kommen wir in diesen Fragen nicht weiter.
Die Maßnahmen bestehen darin - das ist ein weiterer Widerspruch; er mag Ihnen nicht passen, aber es ist so -, daß wir damit in der Steuerreform, die Sie groß angekündigt haben, den Gestaltungsspielraum mit Sicherheit einengen.
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Das wird auch draußen nicht anders gesehen. Daß man die Mineralölsteuererhöhung nicht losgelöst von der Kraftfahrzeugsteuer betrachten kann, war auch die Auffassung zumindest der SPD-Länderregierungen. Es ist möglich, daß die Bundesregierung darüber anders denkt. Aber es ist Allgemeingut gewesen, daß die Kraftfahrzeugsteuer zusammen mit der Mineralölsteuer gesehen werden muß. Wir dürfen wohl kaum annehmen - aber auch das ist vielleicht nicht ausgeschlossen -, daß nach dieser Mineralölsteuererhöhung im Zusammenhang mit der Kfz-Besteuerung und ihrer notwendigen Vereinfachung noch einmal eine Mineralölsteuererhöhung kommen wird. Unmöglich ist nach der Kette von Steuererhöhungen leider nichts.
Täuschen wir uns doch nicht! Das Gesamtpaket der Maßnahmen und weitere diskutierte Vorhaben führen nicht zur europäischen Steuerharmonisierung; sie führen von ihr weg. Es ist einfach unrichtig, wenn der Bundeskanzler hier den Eindruck erwecken will, als wenn wir in der Mineralölsteuerbelastung noch irgendwo unten oder in der Mitte schwebten. Wir sind bereits oben, und in einer ganzen Reihe von Bereichen müssen wir bei der Steuerreform in eine ganz andere Richtung gehen, als Sie es bis jetzt getan haben.
Die namentlich im steuerlichen Bereich beschlossenen Maßnahmen - erlauben Sie mir, daß ich auch darauf aufmerksam mache - sind kennzeichnend für Stil und Methode der Regierung. Sie wissen genau, daß die Stabilitätsabgabe die Länder- und Gemeindeinteressen vital berührt. Man mußte ja wohl wissen, daß es verfassungspolitische und verfassungsrechtliche Bedenken gibt. Es gibt auch in Ihren Reihen Angehörige, die diese Bedenken ausdrücklich artikuliert haben; sie sind nicht beiseite zu schieben.
Aber sehen wir einmal von den verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Bedenken ab, dann wäre es doch der Stil einer konzertierten Wirtschaftspolitik, daß solche Maßnahmen mit den davon betroffenen Ländern und Gemeinden abgestimmt werden. Aber nichts von dem ist der Fall. Dieses Steuerprogramm ist exemplarisch für Methode und Inhalt der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung. Sie wird mit wohlklingenden Überschriften für die Bevölkerung versehen, ist im konzeptionellen Ansatz widerspruchsvoll, vielleicht weil von widerstreitenden Kräften und Absichten getragen, und sie vermag relativ wenig zur Beseitigung der Hauptschwierigkeiten beizutragen, verbaut aber andererseits Reformwege im Bereich der europäischen Harmonisierung und auch im Bereich der Strukturpolitik. Ich will das Kapitel der Investitionszuschläge gar nicht weiter erläutern.
Die Finanz- und Steuerpolitik weist nicht zuletzt zunehmend Züge auf, die den Funktionsmechanismus der sozialen Marktwirtschaft und die dazu unerläßlichen Rahmenbedingungen nicht dynamisch fortentwickeln - da sind wir mit von der Partie -, sondern langsam auszuhöhlen drohen. Aber der Herr Finanzminister sieht solche ordnungspolitischen Überlegungen ja vielleicht ohnehin nicht sehr gern; denn er hat eher die Tendenz zu einem pragmatischen Gewurstel, das er dann in eine staatsmännische Pose verkleidet.
({1})
Nun hat es der Wirtschaftsminister für richtig gehalten, eine der Standardformeln, die in den Fragen schon angeklungen ist, aufzugreifen, die die Öffentlichkeitsarbeit betrifft. Wir bestreiten nicht, daß Ihre Öffentlichkeitsarbeit gut ist. Eine dieser Standardformeln ist, wir mäkelten nur; selbst wenn alle Sachverständigen und der Sachverständigenrat genau das sagen, was wir behaupten, mäkelten wir noch, oder wir hätten keine Alternativen. Nun ist es in der Tat unsere Auffassung, Herr Ehrenberg, daß es nicht die primäre Aufgabe der Opposition ist, fehlende Konzepte - das ist nämlich der Kern der Dinge - der Regierungspolitik nachzuliefern. Aber ich will wenigstens - ich fasse mich kurz, weil ich nicht allzuviel sagen will - ein paar Andeutungen in bezug auf konstruktive Möglichkeiten machen.
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- Wir können uns auch darüber weiter unterhalten.
Erstens. Wir sind der Auffassung, daß ohne eine mit den Ländern und den Gemeinden abgestimmte mittelfristige Bedarfs- und Ausgabenüberprüfung des Staates kein grundsätzlicher stabilitätspolitischer Wandel herbeigeführt werden kann. Dadurch, daß der Bund seine Planung vorlegt, die im einzelnen nicht vorher abgestimmt ist, werden wir nicht zu einem ausreichenden gemeinsamen Vorgehen kommen. Bloße Steuererhöhungen - wie Sie das nun seit 21/2 Jahren permanent machen - zur Anpassung an die nominalen Einkommensaufblähungen reichen nicht aus.
Es ist eben auch nur eine Teilwahrheit, von der öffentlichen Armut zu sprechen. Gucken Sie sich mal Ihre Stellenforderungen anläßlich der Regierungsbildung an! Es gibt auch eine Form öffentlicher Verschwendung. Da muß man schon ein bißchen sorgfältiger prüfen, wenn man wirklich zu einer stabilitätsgerechten Politik kommen will.
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Wir werden in wenigen Wochen darüber zu diskutieren haben, wie hoch allein die Personalkostensteigerung wegen der Regierungsbildung sein wird.
Zweitens. Die Parteien dieses Hauses haben gemeinsam ein Stabilitätsgesetz beschlossen, das ganz bestimmte Maßnahmen vorsieht. Ich verstehe eigentlich nicht, warum Sie nicht mit uns gemeinsam eine längerfristig ausgerichtete Änderung des Stabilitätsgesetzes beantragen, sondern immer große Siege feiern, wenn Sie mit einer Art Notstandssituation, in die Sie sich selber hineingewurstelt haben, gerade wieder fertig geworden sind und die nächste wieder vor der Tür steht.
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Wir werden an einer Fortbildung des Stabilitätsgesetzes mitwirken, damit jedermann in diesem Lande weiß, was im Falle von Stabilitätsgefährdung möglich ist. Wir wirken nicht - um das hier deutlich zu machen - an Notstandsgewurstel mit, das mit leichter Hand hingeworfen ist.
Es ist einfach nicht wahr, wenn Sie in der Öffentlichkeit, auch im Hinblick auf die Gewerkschaften, zu sagen versuchen, wir könnten den Konjunkturzuschlag nicht erheben. Ich meine, es gibt Mitglieder Ihrer Koalition, die wohl bis zuletzt dies vorgezogen hätten - aber Sie wollten es aus vordergründigen, optischen Gründen nicht -; die Arbeitnehmer werden auch gegenwärtig besteuert, und sie ließen sich gerechter belasten als mit dieser Besteuerung. Das ist alles Tünche über die wahren Sachverhalte.
Drittens. Die Regierung und der Wirtschafts- und der Finanzminister haben von der Notwendigkeit gesprochen - auch Herr Graf Lambsdorff hat das erwähnt -, den Subventionsdschungel zu lichten. Nun, wir würden es in der Tat begrüßen, wenn dieser Dschungel - und Herr Schmidt hat das wiederholt angekündigt - endlich einmal gerodet würde. Da würden wir sicher dabeisein.
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- Einen Moment, ich komme gleich noch dazu. - Nur, dazu müßte man doch wohl einmal den ganzen Katalog von Subventionen durchgehen. Nun gehöre ich zu denjenigen -
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp?
Herr Professor Zeitel, stimmt es, daß im Januar dieses Jahres Ihre Partei erklärt hat, beim letzten Konjunkturzuschlag deshalb nicht mitgemacht zu haben, weil die Rückzahlung des Konjunkturzuschlags konjunkturpolitisch immer verquer käme? Stimmt das? Haben Sie so argumentiert oder nicht?
Ich habe diese Äußerung persönlich nicht im Kopf. Aber es ist schon möglich, daß der eine oder andere dieses oder jenes sagt. Aber Herr Strauß hat doch vorhin angedeutet - Sie weisen das immer zurück -, daß man über die Modifiktionen eines Konjunkturzuschlages sicher mit uns wird beraten können. Das wollen Sie doch gar nicht. Sie wollen unsere Mitwirkung doch gar nicht.
({0})
Bitte schön.
Haben Sie sich das letzte Mal dem Konjunkturzuschlag versagt, und haben Sie im Januar dieses Jahres so argumentiert, daß Sie das getan hätten, weil Sie von vornherein gewußt hätten, daß ein rückzahlbarer Konjunkturzuschlag niemals in die konjunkturpolitische Landschaft einzupassen sei?
Aber wer sagt denn das, Herr Rapp, daß ein rückzahlbarer Konjunkturzuschlag niemals in die Landschaft paßt? Sie argumentieren leider ein bißchen global. Wogegen wir uns damals gewehrt haben, war die Befristung des Rückzahlungszeitraumes. Das hat sich als richtig erwiesen. Aber ein nicht befristeter rückzahlbarer Konjunkturzuschlag ist doch wohl etwas anderes.
({0})
So undifferenziert von Konjunkturzuschlag zu reden,
wie Sie das immer tun, bringt uns keinen Schritt
weiter. Wir müssen schon ein bißchen exakter sein.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?
Bitte.
Herr Kollege Professor Zeitel, wären Sie bereit, dem Fragesteller das zu übermitteln, was ich Ihnen sage?
({0})
Sie können es ihm auch direkt sagen.
Erstens die Empfehlung, die Pressemitteilungen über meine letzte Pressekonferenz als Finanzminister vom 19. Oktober 1969 und die Rede, die ich hier bei diesem Anlaß im Juli 1970 gehalten habe, zu lesen. Dann wären Sie in der Lage, ihm darüber Aufklärung zu verschaffen, daß wir im Oktober 1969 die Änderung des Stabilitätsgesetzes und die sofortige Einführung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags verlangt haben und daß wir im Juli 1970 den Konjunkturzuschlag nicht schlechthin abgelehnt, sondern festgestellt haben, daß er zu spät kommt, daher wirkungslos ist und wir uns nicht mit einer solchen Maßnahme belasten sollten.
({0})
- Sie brauchen doch nur das Bundestagsprotokoll nachzulesen statt zu grinsen.
({1})
Zweitens. Dieser Konjunkturzuschlag ist außerdem keiner, weil man das Stabilitätsgesetz gar nicht angewandt, sondern das Einkommensteuerrecht geändert hat. Das ist dem Fragesteller anscheinend ebenfalls unbekannt.
Drittens schließlich die Empfehlung, daß man den Konjunkturzuschlag verzinsen sollte.
Ich glaube, Herr Kollege Strauß, die Aspekte, um die es in der Sache geht, sind doch deutlich genug. Der Konjunkturzuschlag und die jetzt vorgesehene Stabilitätsabgabe sind sehr differenzierte Dinge. Es kommt jeweils auf die Form und auf den Zeitpunkt an.
Lassen Sie mich fortfahren in bezug auf die Alternativfragen. Ich war bei dem Subventionskapitel stehengeblieben.
({0})
- Ich komme gleich auf einige zurück, Herr Matthöfer, die Ihnen vielleicht gar nicht angenehm sind; um das gleich deutlich zu sagen.
({1})
Wir haben einige Beispiele dafür, daß Subventionen abgebaut werden. Aber da liegen doch nicht die quantitativ bedeutsamen Beträge. Ich habe immer davor gewarnt - nicht wir, primär der Finanzminister meinte doch, die Deckungssummen hier zu finden -, in der Beseitigung von Subventionen eine Wunderwaffe zu sehen. Wer das glaubt, der
verkennt die Realität der Entwicklungen, die sich bei uns im steuerlichen Bereich insgesamt vollzogen haben.
Wir sind für die Lichtung des Subventionsdschungels, und zwar auf der ganzen Breite. Und Herr Kollege Matthöfer, damit Sie das ganz genau hören: Wir sind auch für die Lichtung solcher Subventionen, die im Mantel der Gemeinnützigkeit stecken. Wir sind auch für die Lichtung solcher Subventionen, die quasi öffentliche Verbände betreffen; denn man kann dies nicht einfach nur im Bereich der privaten Wirtschaft, sondern man sollte das in allen Bereichen fordern.
({2})
- Herr Kollege Schäfer, ich habe gesagt, eine solche
Liste muß im ganzen sorgfältig aufgestellt werden.
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Graf Lambsdorff hat doch zu Recht gesagt, der Wald der Subventionen sei groß. Ich glaube, wir können hier nicht die Einzelheiten aufzählen. Die Subventionen werden jedenfalls wohl anders gelichtet werden müssen, als Sie das bisher vorgeschlagen haben, ohne daß wir den Ansatz verkennen.
Viertens. Im Zusammenhang mit den stabilitätspolitischen Bemühungen müßte wohl auch stärker überprüft werden, ob der außenwirtschaftliche Flankenschutz, ohne den die binnenwirtschaftliche Entwicklung nicht auf eine Stabilität zuzuführen ist, verbessert werden kann. Lassen Sie mich konkret anregen, daß wir gemeinsam prüfen sollten, ob eine Zinsausgleichsteuer nicht vielleicht besser wäre oder zumindest ergänzend in Betracht gezogen werden sollte.
({4})
- Richtig, wir halten sie für marktwirtschaftlicher als andere dirigistische Methoden. Sie werden unsere Unterstützung sicher nicht dafür bekommen, daß wir den Weg in einen bürokratischen Dschungel der Wirtschaftspolitik weiter mitgehen, wie wir ihn jetzt schon im außenwirtschaftlichen Bereich erleben. Täuschen Sie sich doch nicht! Es ist zu Recht gesagt worden: wenn wir die Löcher stopfen wollen, die dort noch offen sind, müssen wir zu Grenzkontrollen übergehen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir werden immer konstruktiv mitwirken, wenn es um die Fortentwicklung unserer freiheitlich-marktwirtschaftlichen Ordnung geht. Wir werden nicht mitwirken, wenn Sie eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wollen.
({5})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung für die Mittagspause. Um 14 Uhr tritt das Haus zur Fragestunde wieder zusammen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Ich rufe die Frage Nr. 1 des Abgeordneten Pfeifer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß Bundesminister Eppler auf die an ihn gerichtete Aufforderung, gegen den gemeinsam mit dem Bundeskanzler gefaßten Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz über die Einstellung von Radikalen im öffentlichen Dienst Demonstrationen zu organisieren, keine klare negative Antwort gegeben hat?
Der Abgeordnete Pfeifer ist anwesend. Zur Beantwortung hat der Parlamentarische Staatssekretär Ravens das Wort.
Herr Kollege Pfeifer, mir ist eine an Minister Eppler gerichtete Aufforderung nicht bekannt. Sollten Sie jedoch den Antrag des Landesparteitages der SPD in Offenburg meinen - ich denke, Sie meinen ihn -, so richtet er sich an den Landesvorstand der SPD. Der Landesvorstand hat auf einer Sitzung am 3. März 1973 dazu einen Beschluß gefaßt, der im Wortlaut der Presse übergeben wurde. Das Landessekretariat der SPD in Stuttgart, Friedrichstraße 13, ist sicher gern bereit, Ihnen den Beschluß auf Anfrage mitzuteilen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeifer.
Herr Staatssekretär, wird denn nun Herr Minister Eppler dem Landesvorstand vorschlagen oder wird er im Landesvorstand darauf hinwirken, daß derartige Demonstrationen, für die er als Landesvorsitzender die Verantwortung tragen müßte, organisiert werden oder wird er klar sagen, daß das nicht in Betracht kommt?
Herr Kollege, ich kann hier nur für Mitglieder der Bundesregierung, in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Bundesregierung Erklärungen abgeben, nicht in ihrer Eigenschaft als Vorstandsmitglieder von Parteien. Aber ich verwies auf die Presseerklärung des Landesvorstandes der SPD, aus der Sie sicherlich alles entnehmen können.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeifer.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Ansicht, daß man an sich von einem Mitglied der Bundesregierung, an welches das Ansinnen gestellt worden ist, Demonstrationen gegen den genannten Beschluß der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers zu richten, hätte erwarten müssen, daß er klar zum Ausdruck bringt, daß er nicht bereit ist, solche Demonstrationen zu organisieren?
Es tut mir leid, Herr Kollege, ich muß noch einmal darauf verweisen: hier ist nicht eine Aufforderung an Bundesminister Eppler gegangen, sondern auf einem Landesparteitag ein Antrag an den Landesvorstand einer Partei gerichtet worden.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Herrn Kollegen Pfeifer mitzuteilen, daß sich die Aufforderung des Landesparteitags an den Landesvorstand in erster Linie gegen die Richtlinien des baden-württembergischen Innenministers Schiess gerichtet hat?
Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie darauf hingewiesen haben. Ich kann jedoch nur Stellungnahmen der Bundesregierung beurteilen und nicht solche von Parteitagen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abg. Dr. Jenninger.
Herr Staatssekretär, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß der Beschluß dieses Landesvorstandes ausdrücklich gegen den Beschluß der Ministerpräsidenten, der auf Initiative des Herrn Bundeskanzlers zustande gekommen ist, gefaßt wurde?
({0})
Ich kann hier nicht werten. Ich habe den Beschluß nicht vor mir liegen, weil es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, in der Fragestunde Beschlüsse von Parteitagen im Parlament mitzuteilen und Wertungen darüber abzugeben.
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß wirklich nur Fragen und Zusatzfragen zu Themen gestellt werden können, die die Bundesregierung unmittelbar betreffen und nicht etwa Vorstandsbeschlüsse von Parteien, denen Mitglieder der Bundesregierung angehören.
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Reddemann.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß der Herr Bundesminister Eppler eine andere Meinung vertritt als der SPD-Landesvorsitzende Eppler?
Hier geht es gar nicht um die Frage, ob der Bundesminister Eppler eine andere Meinung vertritt als der SPD-Landesvorsitzende Eppler; aber ich kann mir durchaus vorstellen, daß der Bundesminister eine andere Meinung vertritt als der SPD-Landesparteitag.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Seiters auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Erklärung von Bundesminister Egon Bahr in seinem Interview im Deutschlandfunk am 25. Februar 1973, in dem es heißt: „Ich habe es noch nie in meinem Leben vorher erlebt, Gesichter mit einem solchen gesammelten Ausdruck von Haß vor mir zu sehen in den Bänken der Opposition."?
Der Abgeordnete ist im Saal.
Herr Präsident, wenn der Fragesteller einverstanden ist, würde ich gern die Fragen 2 und 3 zusammen beantworten.
Vizepräsident von Hassel: Keine Bedenken? - Ich rufe also noch die Frage 3 des Abgeordneten Seiters auf:
Was hat die Bundesregierung veranlaßt, ein solches Interview im Bulletin der Bundesregierung vom 27. Februar 1973 abdrucken zu lassen?
Herr Kollege, die von Ihnen zitierte Äußerung ist ein Teil einer Antwort, die Bundesminister Bahr auf eine Frage seines Interviewpartners gegeben hat, nämlich was den Minister in seiner Rede in der Debatte um die Regierungserklärung zu einem - wie der Fragesteller sich ausdrückte - „unerwarteten Gefühlsausbruch getrieben" habe.
Bundesminister Bahr hat in dieser Antwort seine persönlichen Eindrücke von der gespannten Atmosphäre in jener Debatte geschildert. Dabei hat er auch auf Zwischenrufe hingewiesen, die im Protokoll nicht verzeichnet sind und die er nicht für möglich gehalten habe.
Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß sie hierzu keine weitere Erklärung abgeben kann.
Die Veröffentlichung des Interviews im Bulletin wurde von der Bundesregierung nicht wegen der von Ihnen zitierten Äußerung veranlaßt, sondern weil Bundesminister Bahr zu aktuellen politischen Fragen Stellung genommen hat. Im Bulletin werden u. a. alle Interviews von Mitgliedern der Bundesregierung zu wichtigen und aktuellen politischen Fragen veröffentlicht.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Seiters.
Herr Staatssekretär, nachdem ich Ihrer Antwort zu meinem Bedauern entnehmen muß, daß die Bundesregierung es ablehnt, Herrn Minister Bahr, der sich nach meiner Auffassung erneut im Ton vergriffen hat, zur Ordnung zu rufen oder sich von dieser Erklärung zu distanzieren, darf ich Sie fragen, ob diese und ähnliche Äußerungen von Herrn Bundesminister Bahr der Ausdruck dessen ist, was Bundeskanzler und Bundesregierung unter der guten Nachbarschaft verstehen, die sie doch im Innern unseres Landes praktizieren wollten?
Herr Kollege Seiters, es tut mir leid, daß ich hier einen Ball zurückspielen muß. - Herrn Minister Bahr und mir wäre es lieber gewesen, er hätte diese Fragen hier selber beantworten können; aber Sie wissen, daß er wegen Krankheit nicht hier sein kann. - Herr Minister Bahr hat sich in dieser Antwort auch auf Zurufe bezogen, die er und ich, der ich hinter ihm gesessen habe, in diesem Hause nicht für möglich gehalten hätten und die sich an ihn richteten.
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Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schröder.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, um was für Zurufe es sich dabei gehandelt hat?
Ich möchte sie hier nicht nennen, weil ich mir nicht einen zusätzlichen Ordnungsruf des Präsidenten einhandeln möchte.
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Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mick.
Herr Staatssekretär, Sie erwähnen, im offiziellen Protokoll seien Zwischenrufe nicht enthalten gewesen. Sie betrachten es gewiß mit mir als einen Mangel des Protokolls, wenn das so ist. Hat denn Herr Bahr bei der Frau Bundestagspräsidentin dieserhalb Vorstellungen erhoben, damit solche Mängel in Zukunft nicht mehr vorkommen?
Herr Kollege, ich glaube, es ist besser für dieses Hohe Haus, daß die Stenographen die hier gefallenen Zwischenrufe nicht ins Protokoll aufgenommen haben.
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Vizepräsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Reddemann auf:
Hält die Bundesregierung den von der DDR-Regierung beschlossenen „Journalistenerlaß" für vereinbar mit den Abmachungen, die zwischen der Bundesregierung und der Regierung der DDR im Zusammenhang mit dem Grundvertrag abgeschlossen wurden?
Zur Beantwortung Herr von Wechmar.
Herr Abgeordneter, die Verordnung der DDR über die Tätigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten und deren Korrespondenten vom 21. Februar 1973 reglementiert die Berichterstattung aus der DDR in einer Weise, die unserem Verständnis von der Freiheit der Presse fremd ist. Die Bundesregierung muß jedoch davon ausgehen, daß der am 8. November 1972 unterzeichnete und am 21. Dezember 1972 in Kraft getretene Briefwechsel über die Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten in der DDR die DDR rein rechtlich nicht hindern kann, ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu verändern, wie umgekehrt der gleiche Briefwechsel der DDR auch keinerlei Handhabe gibt, in unsere Rechtsordnung einzugreifen. Die Tatsache, daß die DDR ihre Bestimmungen über die Tätigkeit von Journalisten in Ost-Berlin geändert hat, ist demnach für sich genommen nicht unvereinbar mit dem Briefwechsel.
Unabhängig von dieser juristischen Frage hat sich die DDR jedoch in dem Briefwechsel verpflichtet, daß sie ich zitiere - „im Rahmen ihrer geltenden Rechtsordnung Journalisten das Recht der beruflichen Tätigkeit und der freien Information und Berichterstattung" gewährt.
Dies bedeutet, daß die innerstaatlichen Rechtsvorschriften als grundsätzlich veränderbarer Rahmen so beschaffen sein müssen, daß sie die Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen nicht unmöglich machen oder geradezu ins Gegenteil verkehren. Die Bundesregierung hält sich an die im Briefwechsel getroffenen Vereinbarungen.
Ob die DDR-Verordnung mit dem Briefwechsel vereinbar ist, ist eine Frage, bei der es wesentlich darauf ankommen wird, wie die zuständigen Organe der DDR die Verordnung vom 21. Februar 1973 handhaben werden.
Staatssekretär von Wechmar
Der Geist der Vereinbarung zielt eindeutig auf eine Verbesserung, nicht aber auf eine Verschlechterung hin. Die DDR kann ihre Vorschriften in der Praxis sowohl eng als auch großzügig handhaben. Nach der politischen Absicht des Grundvertrages gehen wir davon aus, daß die DDR letzteres tun wird.
Ich möchte dazu auch darauf verweisen, daß sich die DDR in Art. 7 Satz 1 des Grundvertrages verpflichtet hat, praktische Fragen mit uns zu regeln, wozu sicherlich auch dieses Problem gehört. Dabei geben wir uns nicht der Illusion hin, daß sich der Charakter der Rechts- und Gesellschaftsordnung in der DDR wandeln wird. Die DDR kann aber beweisen, ob sie gute oder ob sie schlechte Beziehungen zu uns haben will. Sollte sich zeigen, Herr Abgeordneter, daß durch eine strenge Handhabung der Vorschrift die Zusagen des Briefwechsels eingeschränkt werden, so würde die Bundesregierung dies für mit den getroffenen Abmachungen unvereinbar halten.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatssekretär, welchen konkreten Hinweis besitzt die Bundesregierung dafür, daß die DDR-Regierung diese Verordnung, die für die Korrespondenten einen eindeutigen Nachteil beinhaltet, in besserer Weise praktizieren will, als es aus dem Text dieser Verordnung hervorgeht?
Herr Abgeordneter, noch keinen Hinweis. Aber es ist Ihnen vielleicht bekannt, daß am 21. März der Leiter der Abteilung Inland des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Dr. Müller, mit seinem Gesprächspartner aus Ost-Berlin die nächste Runde der Besprechungen über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten hier in Bonn führen wird. Die Bundesregierung hat die Absicht, sich bei dieser Gelegenheit offizielle Interpreationen und Mitteilungen über die Motive geben zu lassen, wie in Zukunft diese Verordnung, die ja noch nicht hat praktiziert werden können, angewendet wird.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatssekretär, da bei der Unterzeichnung des Briefwechsels eine andere Rechtsgrundlage vorhanden war, als sie heute gegeben ist, möchte ich Sie fragen, ob der Beauftragte der Bundesregierung bei dem Gespräch am 21. März nicht die Frage aufwerfen muß, ob die Geschäftsgrundlage, die beim Zustandekommen des Briefwechsels vorhanden war, durch die einseitige Maßnahme der DDR geändert worden ist.
Herr Abgeordneter, ich hatte mich bemüht, in der Beantwortung Ihrer ersten Frage darzustellen, daß es sehr wesentlich darauf ankommen wird, wie die DDR eine solche Verordnung handhabt.
Zum anderen wird Ihnen aus dem Briefwechsel zwischen Bundesminister Bahr und Staatssekretär Kohl sicherlich in Erinnerung sein, daß es dort jeweils im zweiten Absatz heißt, daß die Arbeitsmöglichkeiten auf Grund der geltenden Rechtsnormen gewährt werden. Dies kann doch nur heißen: auf Grund der jeweils geltenden Rechtsnormen, denn sonst müßte das im Umkehrschluß bedeuten, daß Vereinbarungen, die mit anderen Staaten geschlossen werden, den Stillstand der Gesetzgebung bewirken müßten, weil Rechtsnormen nicht geändert werden könnten.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, in der von Ihnen vorgetragenen, offenbar sorgfältig formulierten Antwort fällt auf, daß Sie den Begriff „Wandel" etwa in dem Sinne gebrauchen - ich zitiere jetzt aus der Erinnerung -, daß sich die Bundesregierung nicht der Illusion hingibt, daß in der DDR durch den Vertrag ein Wandel eintreten werde. Da der Begriff „Wandel durch Annäherung" durch Egon Bahr bekannt und berühmt geworden und Grundlage der Politik der Bundesregierung gegenüber der DDR ist, frage ich Sie - nachdem Sie bewußt und betont diesen Wandel, der nicht eintreten werde, angesprochen haben -: Hat die Bundesregierung also ihre Politik der DDR gegenüber aufgegeben, oder sieht sie ein, daß sie damit erfolglos bleiben wird?
Herr Abgeordneter, vielleicht ist es zum besseren Verständnis dessen, was ich gesagt habe, nützlich, daß ich diesen einen Satz noch einmal wiederhole:
Dabei geben wir uns
- also die Bundesregierung nicht der Illusion hin, daß sich der Charakter der Rechts- und Gesellschaftsordnung in der DDR wandeln wird.
Wandel durch Annäherung kann nicht Veränderung der Gesellschaftsordnung, sondern nur Wandel der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten heißen.
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Vizepräsident von Hassel: Bevor wir fortfahren, möchte ich darum bitten, daß man die Zusatzfragen kürzer faßt. Ich möchte nur daran erinnern, daß dies eine Vorschrift unserer Geschäftsordnung ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, wann und bei welcher Gelegenheit die Bundesregierung von der Verordnung und der entsprechenden ersten Ausführungsbestimmung, wie sie uns vorliegt, Kenntnis bekommen hat? In meine Frage ist auch das letzte Gespräch zwischen den Unterhändlern Bahr und Kohl eingeschlossen.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat die Kenntnis hierüber mit dem Tage der Veröffentlichung der Verordnung im Gesetzblatt der DDR erlangt. Das heißt, es hat keine Möglichkeit für Bundesminister Bahr bestanden, mit Staatssekretär Kohl vor der Veröffentlichung über den Text einer solchen Anordnung, da nicht bekannt, zu sprechen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die Akkreditierungsbestimmungen der DDR für auswärtige Journalisien mit dem Art. 19 der von der Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte für vereinbar, die - ich darf zitieren - lautet:
Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht umfaßt die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln, ohne Rücksicht auf Grenzen, zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die offenkundige Verletzung des Art. 2 des Grundvertrags mit der DDR, der sich ausdrücklich auf die UNO-Charta, die Menschenrechte und die Nichtdiskriminierung bezieht?
Herr Abgeordneter, es ist selbstverständlich, daß sich die Bundesregierung in allen ihren Handlungen immer nach den Bestimmungen der UN-Charta richten wird. Ebenso selbstverständlich ist es, daß wir bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit - dies wird am 21. März der Fall sein - die DDR-Vertreter auf diese Bestimmungen aufmerksam machen.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, so darf ich darauf hinweisen, daß die Bestimmung en des Grundvertrages noch nicht in Kraft sind, weil er noch nicht ratifiziert worden ist.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Klein.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben zum wiederholten Male erklärt, daß die Vereinbarung, die in dem Briefwechsel vom 8. November 1972 getroffen worden ist, nicht so verstanden werden dürfe, daß die DDR in der Änderung ihrer Rechtsordnung beeinträchtigt werde. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß zwischenstaatliche Verträge u. a. auch den Zweck haben können - und in diesem Falle tunlichst haben sollten -, den Vertragspartner in der Ausübung seiner Gesetzgebungsarbeit inhaltlich zu binden?
Selbstverständlich, Herr Abgeordneter. Darum hatte ich in meiner Antwort auf die erste Frage des Herrn Abgeordneten Reddemann am Schluß u. a. gesagt: Die DDR kann aber beweisen, ob sie gute oder schlechte Beziehungen zu uns haben will. Sollte sich zeigen, daß durch eine strenge Handhabung der Vorschriften die Zusagen des Briefwechsels eingeschränkt werden, so würde die Bundesregierung dies für unvereinbar mit den getroffenen Abmachungen halten.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung im Zusammenhang mit diesem Diskussionsthema an der Auffassung von Bundesminister Bahr fest, die dieser anläßlich der Paraphierung am 8. Dezember 1972 gemacht hat, als er äußerte, daß es sich beim Grundvertrag, und damit sicher auch bei den zusätzlichen Abmachungen, um einen ehrlichen Vertrag handle?
Ja.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Professor Abelein.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um künftige Aushöhlungen im Wege von Gesetzen und Verordnungen der von der Bundesregierung mit der DDR getroffenen Vereinbarungen durch die Regierung der DDR zu verhindern?
Herr Abgeordneter, der erste Schritt, den die Bundesregierung schon in dieser Richtung getan hat, war der Abschluß des Grundvertrages. Die Bundesregierung wird sicherlich alle Bemühungen dieses Hauses unterstützen, eine rasche Ratifizierung dieses Vertrages zustande zu bringen.
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Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Schröder ({1}).
Herr Staatssekretär, darf ich die Frage des Kollegen Abelein dahin präzisieren, welche Schritte die Bundesregie946
Schröder ({0})
rung zu unternehmen gedenkt, wenn es im Zuge des Gesprächs am 21. März, über das Sie uns hier referiert haben, nicht zu einer Änderung des sogenannten Journalistenerlasses der DDR kommt?
Herr Abgeordneter, auch hier muß ich, wenn Sie erlauben, daran erinnern, daß der Grundvertrag, noch nicht in Kraft, weil noch nicht ratifiziert, uns genau die Möglichkeiten bietet, solche Fragen mit der DDR zu regeln und zu besprechen, wie der Vertragstext des Grundvertrages eindeutig ausweist.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Jäger.
Herr Staatssekretär, um die Frage noch ein wenig konkreter zu stellen: Ist die Bundesregierung, nachdem Sie vorhin zugegeben haben, daß bei einer strikten Durchführung dieser Verordnung eine Unvereinbarkeit mit den Abmachungen vom November letzten Jahres bestehen würde, entschlossen, in Verhandlungen mit der Ostberliner Regierung darauf hinzuwirken, daß diese neue Verordnung zurückgenommen wird, und welche Schritte hat die Bundesregierung in dieser Richtung bereits eingeleitet oder wird sie einleiten?
Herr Abgeordneter, wenn Sie erlauben, würde ich gerne mit dem zweiten Teil Ihrer Frage beginnen und dahin gehend antworten, daß eine Anwendung dieser neuen Verordnung noch nicht Platz gegriffen hat, so daß wir alle miteinander noch keine Erfahrung haben, wie sie gehandhabt werden wird.
Was den ersten Teil Ihrer Frage angeht, wird die Bundesregierung selbstverständlich bemüht bleiben, eine Anwendung im restriktiven Sinne im Wege der Verhandlungen mit der DDR zu beseitigen. Dieses kann aber nicht, um es gleich hinzuzufügen, bedeuten, daß wir solche Verhandlungen mit dem Ziel führen, die ganze Verordnung zu beseitigen. Dieses wäre ein Eingriff in die Eigenstaatlichkeit der DDR und ihr Recht darauf, sich selbst Gesetze und Verordnungen zu geben.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Kreutzmann.
Herr Staatssekretär, entsprechen diese Presserichtlinien der DDR den auch in anderen kommunistischen Staaten üblichen Presserichtlinien für ausländische Korrespondenten und dem dort geübten Presseverständnis?
({0})
Herr Abgeordneter, der einzige Unterschied zwischen der Praxis in den übrigen Staaten des
Warschauer Paktes und dem, was in der Verordnung vom 21. Februar 1973 in der DDR niedergelegt worden ist, ist die Tatsache, daß die Verordnung in der DDR veröffentlicht worden ist. Ich selbst habe gemischte, zum Teil leidvolle Erfahrungen als Korrespondent des Zweiten Deutschen Fernsehens fünf Jahre lang in Osteuropa. Ich weiß, wie dort gearbeitet wird.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Professor Slotta.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß die Verordnung über die Tätigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten und deren Korrespondenten in der Deutschen Demokratischen Republik für alle 108 in der DDR ständig akkreditierten Journalisten gilt, auch für alle Reisejournalisten, oder gilt diese Verordnung nur für die zwölf bisher in der DDR akkreditierten Korrespondenten der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Abgeordneter, es ist so, daß diese Verordnung alle Korrespondenten aller Nationen betrifft, und zwar nicht nur die ständigen, sondern auch die Reisekorrespondenten. Das heißt, die bisher in einzelnen Fällen sichtbar gewordene Diskriminierung von Korrespondenten aus der Bundesrepublik oder aus Berlin entfällt hiermit.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, wenn es zutrifft, wie Sie eben ausführten, daß die erlassenen Richtlinien mit dem Usus der übrigen Ostblockstaaten übereinstimmen, ist es dann richtig, daß Sie solche Verordnungen dem Sinne nach erwarten mußten, und hätte die Bundesregierung nicht darauf dringen müssen, daß das Auftreten westlicher Korrespondenten in der DDR schon im Vertrag anders geregelt wird?
Herr Abgeordneter, das würde ja den Umkehrschluß erlauben, daß die Bundesregierung kein Interesse daran gehabt hätte, überhaupt die Möglichkeit einzuräumen, daß Journalisten dort arbeiten.
({0})
Im übrigen ist es nicht eine neue Verordnung. Sie wissen vielleicht, daß am 17. November 1969 in der DDR bereits eine Verordnung erlassen worden war - einschließlich Ausführungsbestimmungen -, die die Tätigkeit von Journalisten in der DDR geregelt hat.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eilers.
Herr Staatssekretär, nach Ihren bisherigen Ausführungen fühle ich mich bemüßigt, folgende Frage zu stellen. Glauben Sie, daß die Regierung der DDR diese Verordnung nicht erlassen hätte, wenn der Grundvertrag inzwischen ratifiziert worden wäre?
Da sich die Verordnung ja nicht nur, wie ich eben schon in der Beantwortung einer anderen Frage auszuführen mich bemühte, auf deutsche Korrespondenten, sondern auf alle bezieht, wage ich sehr zu bezweifeln, ob die DDR eine Verordnung nicht erlassen hätte, wenn der Grundvertrag ein anderes parlamentarisches Beratungsstadium erreicht hätte.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Baier.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben dem Kollegen Kreutzmann antworteten, daß diese Richtlinien erfahrungsgemäß zu erwarten waren, andererseits heute erklärten, daß diese Richtlinien die Abmachungen beeinträchtigen, frage ich Sie, ob Sie das beim Abschluß des Vertrages und der Abmachungen auch gewußt haben.
Nein, ich antwortete schon auf eine Frage eines anderen Herrn Abgeordneten vorher, daß es uns nicht bekannt war, daß die DDR diese Verordnung erlassen würde, sondern wir - Baier ({0}) : Sie sagten doch eben dem Kollegen, Sie haben es erwartet, „erfahrungsgemäß".
Nein, ich habe gesagt oder ich wollte sagen - vielleicht ist es nicht deutlich genug geworden -, daß die Bundesregierung damit rechnen mußte, daß die DDR in dem Augenblick, wo sie von einer gro-Ben Zahl von Staaten in der Welt anerkannt wird und aus diesen Staaten Korrespondenten sich bei ihr niederlassen wollen, dieses Problem zu regeln hat.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Seiters.
Herr Staatssekretär, hat in den Gesprächen zwischen Bahr und Kohl die DDR-Seite Aufschluß darüber gegeben, welche geographischen Bereiche der DDR Gebiete sind, für die besondere Genehmigungen erforderlich bleiben?
Nein.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Schmude.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Ihre Darlegungen richtig, daß es nach Auffassung der Bundesregierung vor allem oder ausschließlich auf die Praxis ankommt und daß mit diesen Richtlinien eine Praxis vereinbar ist, die auch mit dem Geist des Briefwechsels übereinstimmt, ebenso wie ohne Richtlinien eine Praxis denkbar gewesen wäre, die dem Briefwechsel widerspricht?
Ja, Herr Abgeordneter, das ist genau der Punkt, den ich zu erläutern versuchte, auch mit dem Hinweis darauf, daß zahlreiche andere kommunistisch regierte Staaten in der Praxis so verfahren, ohne daß die Richtlinien veröffentlich worden sind.
Vizepräsident von Hassel: Weitere Fragen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht mehr vor. Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes angelangt. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Frage 119 stellt Herr Abgeordneter Saxowski. Ist der Abgeordnete anwesend? Er ist anwesend. Er fragt:
Wird die Bundesregierung darauf hinwirken, daß die Einfuhr von Düngemitteln aus den drei neuen EWG-Mitgliedsländern nicht durch wettbewerbsheschränkende Praktiken behindert wird und sich damit die Möglichkeit einer Senkung des deutschen Preisniveaus eröffnet?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Herr Kollege, die Bundesregierung wird gegen etwaige wettbewerbsbeschränkende Absprachen im Rahmen ihrer Möglichkeiten einschreiten. Nach Auskunft des Bundeskartellamts liegen dort zur Zeit keine Anhaltspunkte für derartige Absprachen mit Herstellern ner neuen Mitgliedsländer der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vor, die ein Einschreiten des Kartellamts rechtfertigen würden. Im übrigen wird die EWG-Kommission nach ihrer Antwort vorn 26. Dezember 1972 auf eine Anfrage des Abgeordneten Vredeling prüfen, ob wettbewerbsbeschränkende Absprachen bestehen, die unter das Kartellverbot des Art. 85 des EWG-Vertrages fallen.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Der Fragesteller der Frage 120 hat schriftliche Beantwortung erbeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 121 des Herrn Abgeordneten Dr. Waffenschmidt auf:
Vizepräsident von Hassel
Wie sind die letzten steuer- und finanzpolitischen Beschlüsse der Bundesregierung, die mit den vorgesehenen Kürzungen bei den Investitions- und Wirtschaftsförderungsmaßnahmcn, den beabsichtigten Kürzungen beim Bundesfernstraßenbau und der vorgesehenen Erhöhung der Mineralölsteuer besonders die wirtschaftlich schwachen Regionen und Strukturverbesserungsgebiete im Bundesgebiet belasten, mit den Erklärungen der Bundesregierung und des Bundeskanzlers zu vereinbaren, sie wolle für Chancengleichheit in den einzelnen Bereichen der Bundesrepublik Deutschland eintreten?
Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Die regionale Strukturpolitik die im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" durchgeführt wird, kann bereits nach dem ersten Jahr seit dem Inkrafttreten als sehr erfolgreich bezeichnet werden. Dies hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht. Am 21. Februar dieses Jahres wurde die Fortschreibung des Rahmenplans für die Jahre 1973 bis 1976 beschlossen. Er setzt die bisher verfolgte regionale Strukturpolitik unvermindert fort. Für wichtige Bereiche wurden die Mittel verstärkt. So werden 1973 für Maßnahmen zur Erhöhung des Wohn- und Freizeitwertes aus dem dafür eingerichteten ERP-Programm, das im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" durchgeführt wird, zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen. Auch das ERP-Programm zur Förderung mittelständischer Betriebe in den Fördergebieten soll erhöht werden. Zunehmend werden Haushaltsmittel der Gemeinschaftsaufgabe für die Infrastrukturförderung verwendet. Aber auch die Förderung der gewerblichen Wirtschaft sieht für die nächsten vier Jahre die Schaffung von 460 000 neuen qualitativ besseren Arbeitsplätzen und die Sicherung weiterer 250 000 Arbeitsplätze vor. Das Ziel, gleichwertige Lebenschancen zu schaffen, wird daher unvermindert weiter verfolgt, der Einsatz der Mittel durch Konzentration auf räumliche und sachliche Schwerpunkte so effizient wie möglich gestaltet. Die konjunktu- und finanzpolitischen Beschlüsse der Bundesregierung erfolgten im Rahmen der dringend erforderlichen stabilitätspolitischen Bemühungen. Sie haben nicht die Diskriminierung bestimmter Räume zum Ziel. Die Bundesregierung ist bestrebt, strukturpolitisch unerwünschte Folgen zu vermeiden und das Maß des für die regionale Strukturpolitik Verkraftbaren trotz der notwendigen gesamtwirtschaftlichen Entscheidung nicht zu überschreiten.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, des Herrn Abgeordneten Dr. Waffenschmidt.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zuzugeben, daß die beabsichtigte Erhöhung der Mineralölsteuer und die zugleich beabsichtigte Kürzung im Bundesfernstraßenbau, wenn sie realisiert würden, besonders die Gebiete betreffen und belasten würden - und auch die Erreichung der Chancengleichheit erschweren würden -, die im starken Maße auf Individualverkehr für ihr wirtschaftliches und soziales Leben noch angewiesen sind?
Herr Kollege, die strukturpolitischen Folgen der genannten Maßnahmen werden von der Bundesregierung mit großem Ernst im Auge behalten. Ich muß ausdrücklich darauf hinweisen, daß keine der beabsichtigten Maßnahmen als eine Einschränkung der regionalen Strukturpolitik gedacht ist. Die Bundesregierung ist daher auch um eine entsprechende Abminderung der Folgen für die regionale Strukturpolitik bemüht. So soll z. B. die Rationalisierungszulage von 7,5 % für das Zonenrandgebiet wegen der besonderen Situation dieses Gebietes nicht gekürzt werden. Auch ist im Entwurf des Steueränderungsgesetzes vorgesehen, die Folgen der Erhöhung der Mineralölsteuer für besonders betroffene Bereiche, etwa den Werkfernverkehr im Zonenrandgebiet, zu mildern. Mittelkürzungen werden zu einer noch strengeren Prioritäten- und Präferenzsetzung bei Vergabe der verbleibenden Mitteln führen, wobei die struktur- und wirtschaftsschwachen Gebiete mit besonderer Aufmerksamkeit zu berücksichtigen sind. Das schließt allerdings nicht aus, Herr Kollege, daß Folgen dieser stabilitätspolitischen Maßnahmen auch in den strukturpolitisch schwachen Gebieten sich zeigen werden. Das läßt sich nicht ausschließen. Aber ich betone mit großem Nachdruck, daß wir gerade dieser Frage im Rahmen der uns gegebenen Möglichkeiten besondere Aufmerksamkeit zuwenden werden.
Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Waffenschmidt.
Wären Sie insbesondere bereit, dabei zu prüfen, wie die Nachteile ausgeglichen werden können, die sich insbesondere für Arbeitnehmer, die in diesen Regionen auf den Individualverkehr angewiesen sind, dadurch ergeben, daß sie dann besonders von einer möglicherweise eintretenden Mineralölsteuererhöhung belastet sind und zugleich möglicherweise weniger Straßen für ihre notwendigen Verkehrsleistungen erhalten?
Es ist ganz sicher, daß diesen Fragen im Rahmen der besonderen Berücksichtigung der strukturschwachen Gebiete unsere besondere Aufmerksamkeit gelten wird.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, Sie haben die steuerpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung - Erhöhung der Mineralölsteuer, Senkung der Investitionszulage - damit begründet, daß diese Maßnahmen konjunkturpolitisch notwendig gewesen seien. Ich frage Sie: Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß es in den wirtschaftsschwachen Gebieten keine Überkonjunktur und kein Problem einer Konjunkturdämpfung gibt?
In dieser allgemeinen Form, Herr Kollege, kann ich Ihrer Meinung nicht zustimmen. Sicher ist, daß die Probleme der Hochkonjunktur in den wirtschaftsschwachen Gebieten nicht in der gleichen Ausprägung wie in den ausgesprochenen Industrie- und Wirtschaftsballungszentren vorhanden sind. Es ist ebenso selbstverständlich, daß die Regionalisierung einer Konjunkturpolitik ein höchst komplexes Verfahren voraussetzt. Wir werden jedenfalls im Zusammenwirken mit den Ländern im Rahmen unserer Möglichkeiten und im Rahmen der regionalen Strukturpolitik versuchen, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die mit dem derzeit vorhandenen Instrumentarium ergriffen werden können.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Eilers.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer eine neue, zusätzliche Belastung vor allem für solche Arbeitnehmer darstellt, die öffentliche Verkehrsmittel nur mit großen Schwierigkeiten oder überhaupt nicht in Anspruch nehmen können, weil sie in verkehrsfernen Gebieten wohnen?
Es ist sicher richtig, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Verbraucher haben wird. Das ist selbstverständlich bei jeder Art von zusätzlicher Belastung, die von der Bundesregierung vorgeschlagen und von diesem Hause beschlossen wird, der Fall. Es ist nicht möglich, Globalmaßnahmen etwa mit Rücksicht auf Einzelprobleme zu dosieren. Das ist auch bei der Steuerpolitik nur mit Einschränkungen möglich.
Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Warnke.
Herr Staatssekretär, welche Vorkehrungen sind getroffen worden, um ähnlich wie bei der Stabilitätsabgabe und der Stabilitätsanleihe nach Wegfall der konjunkturellen Notwendigkeiten die jetzt ergriffenen Maßnahmen nicht zu Dauerbenachteiligungen für die Fördergebiete werden zu lassen?
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir im Rahmen der regionalen Strukturpolitik den strukturschwachen Gebieten besondere Aufmerksamkeit zuwenden werden, und es ist ganz sicher, daß bei Wegfall der jetzt notwendig gewordenen stabilitätspolitischen Maßnahmen besondere Möglichkeiten gegeben sein werden, diese Gebiete im Zusammenwirken mit den Ländern entsprechend zu berücksichtigen.
Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie „besondere Aufmerksamkeit" etwas näher präzisieren?
Das ist nicht möglich, solange nicht die entsprechenden Voraussetzungen, nämlich eine Änderung unserer derzeitigen wirtschaftlichen und stabilitätspolitischen Lage, eingetreten sind, weil über zu treffende Maßnahmen erst in Kenntnis der konkreten Gegebenheiten tatsächlich beraten werden kann und weil derartige Maßnahmen auch im Zusammenwirken und in Abstimmung mit den Länderregierungen getroffen werden müssen.
Vizepräsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 122 des Abgeordneten Schröder ({0}) auf:
Ist nach der Kürzung der Investitionszulage 10% auf 7,5 % gewährleistet, daß die Investitionszuschüsse aus Mitteln des regionalen Aktionsprogramms entsprechend aufgestockt werden?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege, eine solche Aufstokkung ist seitens der Bundesregierung nicht beabsichtigt. Die Frage der künftigen Höchstsätze der Förderung, die heute je nach Standort 10 bis 25 % der Investitionskosten betragen, wird vom Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur geprüft werden, wenn der Bundesrat zu den Vorschlägen der Bundesregierung Stellung genommen hat.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Schröder.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß wenigstens in den Zonenrandgebieten die jeweiligen Höchstsätze, beispielsweise 25 % in den Schwerpunktorten, in Zukunft trotz der Reduzierung der Investitionszulage gewährt werden?
Die Bundesregierung wird dieser Frage ihre Aufmerksamkeit zuwenden. Das bestehende Präferenzsystem soll ja erhalten bleiben. Wie Sie wissen, sind hier schon gewisse Möglichkeiten gegeben. Außerdem muß ich darauf hinweisen, daß im Hinblick auf die Maßnahmen, die die Bundesregierung treffen kann, zunächst einmal eine Meinungsäußerung des Bundesrates vorliegen muß. Eine abschließende Beratung muß im Planungsausschuß erfolgen, sobald der Bundesrat sein Votum abgegeben hat. Ich möchte diesen Beratungen im Planungsausschuß und auch der Meinungsäußerung des Bundesrates nicht vorgreifen. Die Haltung der Bundes950
regierung wird sich ebenfalls an diesen Meinungsäußerungen zu orientieren haben.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen sehr allgemein von bestimmten Möglichkeiten, die da seien, um das Präferenzsystem in bisheriger Höhe zu erhalten. Können Sie dem Hause präzisieren, an welche Möglichkeiten Sie hier denken?
Nein, ich bin nicht in der Lage, das hier zu präzisieren, weil ich den Beratungen, die wir im Planungsausschuß vor uns haben, von seiten der Bundesregierung hier nicht vorgreifen möchte.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Warnke.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesregierung im letzten Planungsausschuß für den Fall, daß ihre Vorschläge im Bundesrat und im Parlament akzeptiert werden, in Aussicht gestellt hat, die Höchstsätze der Förderung entsprechend der Investitionszulage, also um 2,5 %, zu senken, wie dies auch nur logisch wäre, da ja die Zuschußmittel heute ohnehin schon nicht zur vollen Bedienung der Höchstsätze ausreichen?
Grüner. Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, die Bundesregierung wird ihre Entscheidung nach Vorliegen des Votums des Bundesrates treffen.
Vizepräsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 123 des Abgeordneten Eilers ({0}) auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach mit einer Verteuerung des Haushaltsstromes und des leichten Heizöls für den Hausbrand nach dem neuen Energiekonzept der Bundesregierung zu rechnen ist?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege, das in der Regierungserklärung angekündigte Energieprogramm ist noch nicht fertiggestellt. Eine Stellungnahme zu möglichen Einzelpunkten oder zu Pressemeldungen, wie Sie sie zitieren, ist daher im Augenblick weder möglich noch sinnvoll. Selbstverständlich werden im Rahmen dieser Überlegungen die Alternativen für alle möglichen Maßnahmen durchgespielt. Hierzu gehört auch die Frage, ob und wie der Verbraucher zu den Lasten beitragen soll, die im Interesse der Sicherung der Energieversorgung notwendig sind. Im Jahreswirtschaftsbericht hat die Bundesregierung auf diese Konsequenz ja auch hingewiesen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Eilers.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß es wenig sinnvoll sei, jetzt schon näher darauf einzugehen, weil das Energieprogramm und -konzept der Bundesregierung bisher - ich kann es nur so formulieren - immer noch nicht vorliegt. Ich kann mich dann aber nur darüber wundern, daß Herr Staatssekretär Rohwedder sich - allerdings in einem Zeitungsinterview - so verbindlich dazu äußert. Dies veranlaßt mich zu der Frage: Teilen Sie bzw. die Bundesregierung die Auffassung von Herrn Staatssekretär Rohwedder, daß die Kosten der Kohleverstromung künftig zu einem erheblichen Teil auf die Stromverbraucher abgewälzt werden sollen?
Herr Kollege Rohwedder hat in dem von Ihnen zitierten Zeitungsinterview auf die Möglichkeiten und gedanklichen Alternativen, die im Rahmen der Erarbeitung eines Gesamtkonzepts eine Rolle spielen, hingewiesen. Es hat aber nicht etwa eine Haltung der Bundesregierung dargelegt, wie Sie sie hier nun erfragen. Es ist naturgemäß ein Unterschied, ob die Bundesregierung hier zu einer konkreten Frage Stellung nimmt - das kann sie nicht, solange sie nicht das Energiekonzept vorgelegt hat und dieses die Billigung des Kabinetts gefunden hat - oder ob Dinge, die allgemein in der Diskussion sind, etwa in Pressegesprächen im Sinne von Möglichkeiten, nicht aber von Entscheidungen erörtert werden.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Eilers.
Sind Sie nicht doch der Meinung, daß das Hohe Haus dann, wenn ein so wichtiges Mitglied der Bundesregierung einer deutschen Tageszeitung ein solches Interview gibt, hier danach trachten muß, sobald wie möglich nähere Auskünfte zu bekommen?
Ich halte es für völlig berechtigt, daß Sie danach fragen. Ich gebe kein Geheimnis preis, sondern es ist einfach eine Selbstverständlichkeit, wenn ich auch hier noch einmal unterstreiche, daß in die Überlegungen zu diesem Energiekonzept all die Fragen mit hineinspielen, die Herr Kollege Dr. Rohwedder in diesem Zeitungsinterview angeschnitten hat.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es im Rahmen der Überlegungen zur Sicherung der zukünftigen Energieversorgung und der damit zusammenhängenden Frage, welche Rolle die heimische Steinkohle spielen soll, absolut notwendig ist, auch zu überlegen,
wie die Kohle bei der Verstromung eingesetzt wird, wie die Kostensituation gelöst wird und ob vor allem - über die öffentlichen Hilfen hinausgehend - auch die Stromverbraucher einen angemessenen Anteil zur Sicherung der zukünftigen Energieversorgung leisten sollen?
Herr Kollege, ich teile Ihre Meinung. Es wird ein entscheidender Teil des energiepolitischen Konzepts der Bundesregierung sein, der Steinkohle in unserem Gesamtenergieprogramm die Rolle zuzuweisen, die aus Sicherheits- und anderen Gründen nötig ist, und gleichzeitig eine Antwort auf die Frage zu geben, wer die Kosten eines solchen Programms zu finanzieren hat, die ja im Augenblick vom Bundeshaushalt getragen werden.
Vizepräsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 124 des Abgeordneten Eilers ({0}) auf:
Wird die in der Pressemitteilung vertretene Auffassung; ,.Das ncue Lueiyiekuuzept musse unabhängig von den ergriffenen stabilitäts- und konjunkturpolitischen Maßnahmen betrachtet werden", auch von der Bundesregierung geteilt?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege, die Energiepolitik ist selbstverständlich ein wichtiger Teil der gesamten Wirtschaftspolitik. Sie kann nicht unabhängig von den allgemeinen stabilitäts- und wirtschaftspolitischen Überlegungen und Maßnahmen betrieben werden. Andererseits kann ein Energieprogramm nicht ausschließlich oder in erster Linie auf die ihrer Natur nach kurzfristigen konjunkturellen Entwicklungen abgestellt sein. Bei der Sicherung der Versorgung unserer Volkswirtschaft mit Energie handelt es sich um langfristige Fragen. Die energiepolitischen Maßnahmen müssen dementsprechend langfristig ausgerichtet sein. Ich könnte mir denken, Herr Kollege, daß das der Hintergrund der Frage ist, die Sie hier gestellt haben, und daß das auch der Hintergrund der zitierten Pressemeldungen ist, auf die Sie Bezug genommen haben.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Eilers.
Herr Staatssekretär, Sie summen mir doch gewiß zu, daß dieses Energiekonzept nicht etwa im Gegensatz zu dem Stabilitätsprogramm der Bundesregierung stehen darf?
Es wird die Aufgabe der Bundesregierung sein, ein Energiekonzept zu entwickeln, das den stabilitätspolitischen Gesichtspunkten, soweit es irgend möglich ist, Rechnung trägt. Es wird aber andererseits nicht auszuschließen sein, daß im Rahmen eines solchen Energiekonzepts Maßnahmen notwendig werden, die mit dem konjunkturpolitisch jeweils etwa Wünschbaren nicht in vollem Einklang stehen. Es gibt zahlreiche Beispiele, etwa das Beispiel der zusätzlichen Belastung des Bundeshaushalts durch die Abwertung des Dollars und die damit entstehenden zusätzlichen Kosten zur Subventionierung der Kohle, einer Maßnahme, die im Blick auf die Gestaltung des Bundeshaushalts konjunkturpolitisch sicher unerwünscht, aber aus energiepolitischen Gründen unvermeidbar ist.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Eilers.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß diese Maßnahmen, wenn die Kosten der Kohleverstromung auf die Verbraucher abgewälzt werden, ganz allgemein und in erheblichem Umfang preistreibend, also gegen das Stabilitätsprogramm der Bundesregierung wirken müßten?
Es ist gar keine Frage, daß eine solche zusätzliche Belastung der Verbraucher zu einer Preissteigerung führen und die von Ihnen zitierten Folgen haben wird. Das sind wirtschaftliche Tatbestände, denen sich niemand entziehen kann.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wolfram.
Herr Staatssekretär, wollen Sie dem Kollegen Eilers freundlicherweise bestätigen, daß sich auch Sprecher der Opposition für ein langfristig orientiertes energiepolitisches Konzept ausgesprochen haben und daß die Art und Weise, wie die Verstromungskosten geregelt werden sollen, vor allem, wie es möglich sein soll, die öffentlichen Haushalte nicht zu stark zu belasten, auch von namhaften Sprechern der Stromwirtschaft in dem Sinne, wie sie Herr Rohwedder angesprochen hat, als möglich angesehen wird?
Ich bestätige das gern. Ich habe aus den Fragen des Kollegen Eilers auch keine grundsätzliche Kritik an einem solchen energiepolitischen Programm entnommen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen, daß etwa die Finanzierung der Energiepolitik über den Bundeshaushalt selbstverständlich auch den Steuerzahler trifft und wirtschafts- und finanzpolitisch im Grunde genommen keine andere Auswirkung hat als eine direkte Belastung des Verbrauchers, allenfalls eine andere Gruppierung stärker trifft, aber im volkswirtschaftlichen Ergebnis genau auf das gleiche hinausläuft.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß Sicherheit auf dem Energiesektor wie alle Sicherheit ihren Preis hat?
Ich teile diese Auffassung, Herr Kollege, zumal in der Entwicklung der letzten Jahre auf dem Energiesektor deutlich sichtbar geworden ist, daß bei den Anbietern von Energie politische Gesichtspunkte eine steigende Bedeutung erlangt haben, so daß für uns der sicherheitspolitische Aspekt ebenfalls eine zunehmende Bedeutung bekommen muß.
Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem sich aus Ihren Ausführungen hier ergeben hat, daß die Bundesregierung derzeit kein energiepolitisches Konzept besitzt: Sind Sie in der Lage, dem Parlament mitzuteilen, bis wann die Bundesregierung ein solches Konzept vorzulegen beabsichtigt?
Herr Kollege, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung dem Hohen Hause mitgeteilt, daß in diesem Jahr ein energiepolitisches Konzept vorgelegt wird. In unserem Hause wird mit größter Intensität an diesem Konzept gearbeitet. Wir wollen keine Daten nennen, um uns nicht in Zugzwang zu bringen. Wir haben aber die Hoffnung, daß es uns gelingen wird, noch vor der Sommerpause dem Kabinett ein solches Konzept zuzuleiten.
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, bevor wir fortfahren, gebe ich folgendes bekannt. Unsere Kollegen aus dem Europäischen Parlament sind erst vor etwa 10 Minuten in Wahn gelandet. Sie können nicht bis zur Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses um 15 Uhr hier sein. Ich werde daher in Absprache mit den Fraktionen in der Zeit von 15 Uhr bis 15.15 Uhr die Sitzung unterbrechen.
Es ist bereits mitgeteilt worden, daß eine aktuelle Stunde beantragt wird. Wir werden wie folgt verfahren. Wir werden ab 15.15 Uhr den Wahlvorgang vornehmen und dann nicht abwarten, bis die Auszählung erfolgt ist, sondern unmittelbar nach Schließung des Wahlvorganges mit der Aktuellen Stunde beginnen. Ich darf bitten, daß das im Hause bekanntgegeben wird, damit sich die Kollegen darauf einstellen können.
({0})
Wir fahren in der Fragestunde fort.
Ich rufe die Frage 125 des Abgeordneten Dr. Kunz ({1}) auf. - Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Fragen 125 und 126 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner, und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf.
Frage 130 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister:
Hält die Bundesregierung die Auslegung des Artikels 2 § 9 a Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes durch die Rentenversicherungsträger für sozial gerechtfertigt, wonach über 60jährige Selbständige dann von der Sondervorschrift zur Anrechnung von beitragslosen Zeiten ausgeschlossen sein sollen, wenn sie ihre selbständige Erwerbstätigkeit erst nach dem 18. Oktober 1972 übergeben haben?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rohde.
Frau Kollegin, die Fassung des Art. 2 § 9 a - ({0})
Vizepräsident von Hassel: Darf ich bitten, ein wenig mehr Ruhe walten zu lassen und Rücksprachen in den hinteren Teil des Saales zu verlegen. Es können nicht alle verstehen, was die Fragesteller fragen und was die Regierung antwortet.
Die Fassung des Art. 2 § 9 a Abs. 2 des AngestelltenversicherungsNeuregelungsgesetzes geht auf einen Antrag Ihrer Fraktion zurück. Das betrifft auch die Auslegung, die Sie in Ihrer Frage kritisch behandeln.
Inzwischen vertreten die Rentenversicherungsträger die Auffassung, daß es für die Anwendung der genannten Vorschrift nicht darauf ankommt, ob die selbständige Tätigkeit bis zum 18. Oktober 1972 aufgegeben worden ist. Die Rentenversicherungsträger stellen jetzt darauf ab, ob die selbständige Tätigkeit bis zum Eintritt des Versicherungsfalles aufgegeben worden ist. Diese Handhabung schließt somit die Anwendung dieser Vorschrift in den von Ihnen genannten Fällen nicht mehr aus.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 131 und 132 des Abgeordneten Katzer werden später vom Bundesminister der Finanzen beantwortet.
Ich rufe die Frage 133 des Herrn Abgeordneten Rawe auf:
Hält die Bundesregierung die Regelung im Bericht der Bundesregierung zur Frage der Rentenversicherung ({0}), Abschnitt C. III. 4. a) dd), Verbesserung beim Wiederaufleben der Witwenrenten, „Hat eine Witwe oder ein Witwer wieder geheiratet und wird diese Ehe aufgelöst, so lebt ein früherer Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente wieder auf . Von dieser Regelung werden indessen nur Personen begünstigt, deren 2. Ehe nach dem 31. Dezember 1956 aufgelöst ist und die vor dieser Ehe einen Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente hatten, den zu erfüllen ein Träger der reichsgesetzlichen Rentenversicherung oder ein Rentenversicherungsträger in der Bundesrepublik verpflichtet war . " für änderungsbedürftig, und wann kann gegebenenfalls mit einer Änderung gerechnet werden?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Kollege Rawe, die Vorschrift über das Wiederaufleben der Witwenrente wurde durch die Neuregelungsgesetze des Jahres 1957 mit dem von Ihnen genannten Stichdatum eingeführt. Der Gesetzgeber stand damals vor der Frage, ob diese Leistungsverbesserung auch
auf Tatbestände in der Vergangenheit ausgedehnt werden sollte. Er hat insbesondere aus verwaltungsmäßigen, aber auch aus finanziellen Gesichtspunkten entschieden, die Regelung für künftige Fälle einzuführen. Heute, 17 Jahre nach dem Stichdatum, würden namentlich verwaltungsmäßige Schwierigkeiten nach einer entsprechenden Gesetzesänderung in erhöhtem Maße auftreten.
Außer dem Hinweis auf das Stichtagsproblem enthält Ihre Frage auch die Anregung, den Frauen nach Auflösung einer zweiten Ehe einen Witwenrentenanspruch aus der Versicherung des ersten Ehemannes auch dann zu geben, wenn ein solcher Anspruch bei der Wiederverheiratung nicht bestanden hat.
Zu beiden von Ihnen angesprochenen Aspekten möchte ich folgendes bemerken: Hier stehen wir vor dem allgemeinen Problem, wie die soziale Sicherung der Frauen generell verbessert werden kann. Die sozialpolitische Diskussion drängt dabei auf Lösungen, die Frauen nicht allein auf vom Ehemann abgeleitete Ansprüche verweisen, sondern ihnen die Begründung eigenständiger Ansprüche ermöglichen. Erste Schritte in dieser Richtung sind die im Rentenreformgesetz vorgenommene Öffnung der Rentenversicherung und die Verbesserungen im Entwurf eines Ersten Eherechtsreformgesetzes, das gegenwärtig vorbereitet wird. In diesem Zusammenhang der Bemühung um die allgemeine Verbesserung der sozialen Sicherung der Frauen sind auch die von Ihnen angesprochenen Einzelfragen zu behandeln.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rawe.
Herr Staatssekretär, nachdem seit dem Härtebericht nunmehr drei Jahre vergangen sind, darf ich Sie fragen: Können Sie mir nicht einen etwas konkreteren Termin nennen, wann Sie diese Sache angehen wollen?
Herr Kollege, die Fragen der Witwenrentenregelung sind im Zusammenhang mit der Rentenreform im vergangenen Jahr behandelt worden. Soweit ich es in Erinnerung habe, ist seinerzeit insbesondere auf die Absicht hingewiesen worden, im Zusammenhang mit dem Ausbau der eigenständigen Sicherung der Frau und der Eherechtsreform darauf zurückzukommen.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Rawe.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie trotzdem noch einmal fragen: Können Sie ungefähr übersehen, welches der Termin für eine solche Vorlage sein wird?
Herr Kollege, das kann ich Ihnen nicht sagen. Denn eine Antwort müßte sich auch auf die Art der Regelung erstrecken, die dabei ins Auge zu fassen wäre, weil - wie ich schon angemerkt habe - eine isolierte Behandlung des Problems viele Jahre nach der Rentenreform des Jahres 1957 in dem von Ihnen genannten Sinne außerordentlich schwierig ist und für die Versicherungsträger große Probleme mit sich bringen würde.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 134 der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin auf:
Welche Persönlichkeiten sind von der Bundesregierung in die Sachverständigenkommission zur Erstellung eines Arbeitsgesetzbuches berufen worden?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rohde.
Herr Präsident, ich würde gerne beide Fragen im Zusammenhang beantworten.
Vizepräsident von Hassel: Die Fragestellerin ist einverstanden.
Dann rufe ich auch die Frage 135 der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin auf:
Wie ist der Stand der Arbeit der Kommission, und liegen bereits Ergebnisse vor?
Auf Grund des Kabinettsbeschlusses vom 21. Mai 1970 hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die Sachverständigenkommission für ein Arbeitsgesetzbuch berufen. Die Kommission besteht aus 23 Mitgliedern und setzt sich wie folgt zusammen.
8 Professoren aus den Fachbereichen Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht, Bürgerliches Recht, Öffentliches Recht, Volkswirtschaftslehre; 3 Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit; 10 von den Tarifpartnern benannte Sachverständige, davon 4 vom DGB, 1 von der DAG, 4 von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und 1 von den öffentlichen Arbeitgebern; sowie 2 Sachverständige der Bundesländer, die von der Länderarbeitsministerkonferenz benannt worden sind.
Ich werde Ihnen, Frau Kollegin, gern die Namen der 23 Mitglieder übermitteln.
Die im November 1970 gebildete Kommission - damit komme ich zur zweiten Frage - hat die Aufgabe, die Bundesregierung in dem Bemühen zu unterstützen, das unübersichtlich gewordene Arbeitsrecht in einem Arbeitsgesetzbuch zusammenzufassen. Das Arbeitsrecht soll insbesondere für den einzelnen Arbeitnehmer überschaubarer werden. Diese Aufgabe umfaßt die Bestandsaufnahme des geltenden Rechts ebenso wie seine Weiterentwicklung im Hinblick auf die gewandelte Stellung des Arbeitnehmers in unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
In diesem weitgespannten Rahmen hat die Kommission zunächst Grundsatzfragen der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung erörtert und dazu Thesen entwickelt. Unter Einbeziehung der Erkenntnisse der
Pari. Staatssekretär Rohde
Soziologie und der Arbeitswissenschaft hat sie u. a. geprüft, ob in einem Arbeitsgesetzbuch auf die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten verzichtet werden kann und ob für die leitenden Angestellten in einigen Fällen Sonderregelungen nötig sind.
Weitere Untersuchungsgegenstände sind die Erstellung einer sachgerechten Systematik für das geplante Arbeitsgesetzbuch, das durch Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes begründete Spannungsverhältnis zwischen Gesetzgebungskompetenz und Tarif autonomie und der Einfluß internationaler arbeitsrechtlicher Normen auf die Schaffung eines deutschen Arbeitsgesetzbuches.
Die Bundesregierung und die Kommission sind sich bewußt, daß eine so umfangreiche und schwierige Gesamtkodifikation eine längerfristige Aufgabe ist, die nicht in einer einzigen Legislaturperiode bewältigt werden kann. Die Bundesregierung beabsichtigt daher, im Zusammenwirken mit der Sachverständigenkommission in sich geschlossene Teilentwürfe vorab zu erarbeiten, die später in das Arbeitsgesetzbuch eingefügt werden können. So ist sie bestrebt, dem Bundestag noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf aus dem Bereich des Arbeitsverhältnisrechts vorzulegen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin.
Da ich auf Grund der Unruhe im Hause nur die Hälfte verstehen konnte, verzichte ich im Augenblick auf eine Zusatzfrage.
Vizepräsident von Hassel: Ich lasse noch eine Frage zu.
Ich rufe die Frage 136 des Abgeordneten Maucher auf:
Ist der Bundesregierung der Inhalt der Sendung „Report" vom 19. Februar 1973 über die besonderen Härten, die sich für Kriegerwitwen nach dem Bundesversorgungsgesetz ergeben, bekannt, und wenn ja, welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, uni diese Härten zu beseitigen?
Ich darf wirklich bitten, daß man etwas mehr Ruhe walten läßt. Diejenigen, die Rücksprachen zu erledigen haben, mögen das im hinteren Teil des Hauses tun.
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Präsident, ich bitte, auch die Frage 139 des Abgeordneten Dr. Jenninger mit einbeziehen zu können, weil sie präzise denselben Sachverhalt betrifft.
Vizepräsident von Hassel: Der Abgeordnete Dr. Jenninger ist im Saal. Sind Sie damit einverstanden, daß beide Fragen zusammen beantwortet werden? - Dann rufe ich auch die Frage 139 des Abg. Dr. Jenninger auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die finanziellen Nachteile von Kriegerwitwen abzuwenden, die durch das Absinken oder Fortfallen des Schadensausgleichsbetrags entstehen zu dem Zeitpunkt, an dem der gefallene Ehemann das 65. Lebensjahr erreicht hätte?
Wir haben nur noch eine Minute Zeit. Ich darf Sie
bitten, die Fragen zusammen kurz zu beantworten.
Der Bundesregierung ist der Inhalt der von Ihnen, Herr Kollege Maucher, genannten Sendung bekannt. Die Kritik der Sendung richtet sich, wie Sie wissen, gegen die Kürzung des Schadensausgleichs nach dem Bundesversorgungsgesetz, wenn der Verstorbene das 65. Lebensjahr erreicht hätte. Die in der Durchführungsverordnung zum Schadensausgleich getroffene Regelung war mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Überprüfung. Sie wurde als rechtens anerkannt, weil erfahrungsgemäß bei der genannten Altersgrenze an die Stelle des Erwerbseinkommens geringere Leistungen der Alterssicherung treten.
Die Bundesregierung verkennt jedoch nicht, daß die betroffenen Witwen diese Minderung als Härte empfinden, weil sie auf Grund des meist weit zurückliegenden Todestages ihres Mannes zu der fiktiven Altersgrenze keine Beziehung gewinnen können. Außerdem kommt hinzu, daß in den nächsten Jahren mehr Witwen als vorher auf Grund ihres Alters in den Bereich dieser fiktiven Berechnung geraten. Das ist auch der Grund dafür, daß vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bereits eine Überprüfung der maßgebenden Vorschriften der genannten Rechtsverordnung in die Wege geleitet worden ist, um im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten eine Lösung anzustreben.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jenninger.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, wann mit einer solchen Regelung gerechnet werden kann?
Rohde, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, einen genauen Termin kann ich noch nicht angeben. Wir haben die Vorbereitungen eingeleitet, um die Rechtsverordnung auf diesem Gebiete weiterzuentwickeln, nachdem wir bereits in der letzten Legislaturperiode den Schadensausgleich durch die jährliche Anpassung positiv verändert haben.
Vizepräsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 137, 138, 140 und 141 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde angelangt. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam: infolge des späteren Eintreffens der Kollegen, die aus Straßburg kommen, unterbreche ich die Sitzung bis 15.15 Uhr.
Zuvor hat zur Fragestunde Herr Abgeordneter von Wrangel das Wort erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU hält die Antworten der Bundesregierung in der Frage des sogenannten Journalisten-Erlasses der DDR für unbefriedigend, ausweichend und widerspruchsvoll. Um Klarheit in dieser entscheidenden Frage zu schaffen, beantrage ich im Namen der CDU/CSU-Fraktion die Abhaltung einer Aktuellen Stunde, so wie sie in den Richtlinien für die Aktuelle Stunde in Ziffer 2 vorgesehen ist.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Sie haben den Antrag gehört. Es findet eine Aktuelle Stunde statt. Interfraktionell wurde vereinbart, daß zuvor um 15.15 Uhr mit der Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses begonnen wird. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß es nachher dazu eine genaue Anleitung gibt, daß Sie aber jetzt schon Ihre zwei Stimmzettel heraussuchen können, die auf Ihren Tischen liegen müssen. Es werden nachher keine weiteren Stimmzettel verteilt. Sie müssen sie in Ihren Unterlagen vorfinden. Bitte füllen Sie sie noch nicht aus, bevor nachher die Anleitung kommt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15.15 Uhr. ({1})
Vizepräsident von Hassel: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren zunächst mit der Behandlung der Punkte 4 und 5 der Tagesordnung fort:
4. Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses
- Drucksache 7/202 ({2}) 5. Wahl der Wahlmänner
- Drucksache 7/203 ({3}) Im Anschluß an den Wahlvorgang fahren wir, bevor die Stimmen ausgezählt sind, mit der Aktuellen Stunde fort, deren Durchführung um 15 Uhr beschlossen worden ist. Daran anschließend werden wir die Punkte 3 a und 3 b der Tagesordnung behandeln.
Zu der Wahl, die jetzt ansteht, muß ich Ihnen einiges bekanntgeben. Ich darf Sie bitten, aufmerksam zuzuhören, weil es dabei etwas Besonderes zu beachten gilt.
Nach den Bestimmungen des § 5 Abs. 1 des Richterwahlgesetzes und des § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht beruft der Bundestag die Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses und die Wahlmänner nach den Regeln der Verhältniswahl.
Ihnen liegen nun zwei Drucksachen vor, und zwar die Drucksache 7/202 ({4}) und die Drucksache 7/203 ({5}). Auf jeder dieser beiden Drucksachen besteht jeweils für die Mitglieder einer der drei Fraktionen eine Vorschlagsmöglichkeit. Ich bitte Sie, auf beiden Drucksachen, die als Wahlzettel gelten, den Vorschlag Ihrer Wahl anzukreuzen, und zwar nicht einzeln, sondern in den hinter den Vorschlägen eingetragenen großen Kreisen. Es gibt also weder die Möglichkeit des Kumulierens noch die Möglichkeit des Panaschierens. Sie können nur ein Kreuz, einen Wahlvorschlag, in einem der großen Kreise anbringen; andernfalls ist der Stimmzettel ungültig.
Wir müssen nun Wahlen mit verdeckten Stimmzetteln vornehmen. Wir haben in Abweichung von § 54 a unserer Geschäftsordnung interfraktionell vereinbart, ohne Benutzung von Wahlzellen zu arbeiten. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; dann können wir so verfahren.
Ich schlage nun weiter vor, daß wir beide Wahlen in einem einzigen Wahlgang miteinander verbinden und diesen so durchführen, daß, abweichend von dem üblichen Verfahren, der Namensaufruf unterbleibt und statt dessen sämtliche Mitglieder wie beim Hammelsprung den Saal verlassen und dann durch die Mitteltür wieder eintreten.
An der Mitteltür befinden sich die beiden Urnen. Die Mitglieder des Hauses werden gebeten, in die Urne rechts den Wahlzettel mit der Drucksachennummer 202 ({6}) - das ist ein weißer Wahlzettel - und in die Urne links den Wahlzettel mit der Drucksachennummer 203 ({7}) einzuwerfen. Die Drucksache 203 ({8}) ist ein gelber Zettel. Ich mache darauf eufmerksam, daß der ursprüngliche Entwurf, den einige Kollegen bereits früher in ihrer Post vorgefunden haben, auf weißem Papier gedruckt war. Sie müssen Drucksache 203 ({9}) auf gelbem Papier nehmen. Es liegt alles in Ihren Unterlagen auf dem Tisch. Sollte einer der Kollegen die Zettel dort nicht vorfinden, gibt es draußen noch Reservezettel.
Darf ich zunächst die Frage stellen, ob alle Kollegen des Hauses die beiden Drucksachen haben.
({10})
- Wer die Zettel nicht hat, sehe bitte seine Mappe durch. Sie finden Reservezettel sonst draußen vor der Tür.
Ich stelle fest, daß alle Anwesenden bis auf die eine Ausnahme hier die Stimmzettel haben. Ich darf Sie bitten, sich die Stimmzettel noch zu besorgen. Beim Eintritt in den Saal kommt also der weiße Stimmzettel in die Urne rechs, der gelbe Stimmzettel in die andere Urne links. Bei dieser Gelegenheit wird gleichzeitig die Zahl der Mitglieder, die an der Wahl teilnehmen, festgestellt. Ich darf Sie nunmehr bitten, den Saal zu verlassen, und bitte die eingeteilten Schriftführer, ihre Plätze an der Tür einzunehmen. Sobald Sie den Saal geräumt haben, eröffne ich den Wahlvorgang. - Wir beginnen mit dem Wahlvorgang.
Meine Damen und Herren, der Wahlvorgang ist geschlossen. Die Auszählung wird in der südlichen Wandelhalle stattfinden. Wir werden das Wahlergebnis später bekanntgeben.
Wir fahren in unserer Tagesordnung fort. Wie Ihnen bekannt list, ist eine Aktuelle Stunde beantragt worden. Ich eröffne die
Aktuelle Stunde.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider werden wir heute nicht die letzte Aktualität im Zusammenhang mit dem Grundvertrag haben, die Anlaß zu einer aktuellen Stunde gibt. Der eigentliche Adressat unserer Fragen und dieser Aktuellen Stunde kann zu unserem Bedauern heute leider nicht hier sein, aber wir wünschen ihm eine gute und rasche Genesung, denn er wird eine volle Gesundheit brauchen, um mitzuhelfen, alle die Dinge, von denen wir heute reden, wieder in Ordnung zu bringen.
Einer unserer Einwände gegen den Grundvertrag und die Dokumente im Zusammenhang mit ihm richtete sich auf die mangelnde Ausgewogenheit und Unklarheit der Texte.
({0})
Über die Schwierigkeiten des Vertragspartners konnte es eigentlich auf keiner Seite Unklarheiten geben.
({1})
Eine der Fragen, die wir heute gestellt haben, lautete - und die Antwort auf unsere Fragen war rundweg unbefriedigend; deswegen wollen wir mehr Klärung in dieser Aktuellen Stunde -: Wie hat sich die Bundesregierung denn dagegen abgesichert, daß die DDR durch Verordnungen die Vereinbarungen, die sie mit der Bundesregierung getroffen hat, wieder unterläuft?
({2})
Natürlich beruft sich die DDR darauf, daß diese Arbeitsmöglichkeiten im Rahmen der Rechtsordnung der DDR bestünden. Ich wundere mich nur über die Interpretation, die in diesem Zusammenhang auch von seiten der Bundesregierung gegeben wird. Denn es ist völlig unverständlich, wenn die Bundesregierung darauf nicht anders reagiert als durch die Äußerung ihres Regierungssprechers, der Erlaß administrativer Vorschriften für den eigenen Staatsbereich könne nicht durch den Abschluß eines Vertrages verhindert werden, und man könne auch künftige Rechtsnormen nicht durch Verträge verhindern. Dann fragt man sich: Wozu denn dann überhaupt noch Verträge?
({3})
Es ist doch der Sinn von Verträgen, das Verhalten des Vertragspartners, und zwar auch im Hinblick auf den Erlaß von Rechtsvorschriften, zu binden. Die Bundesregierung darf nicht zulassen, daß die Regierung der DDR diesen Vereinbarungen jetzt einen ganz anderen Sinn gibt. Sonst stellt sich ernsthaft die Frage nach dem Wegfall der Geschäftsgrundlage für die gesamten Vereinbarungen.
({4})
Es ist doch unbefriedigend, wenn hier in der Form von Beschwichtigungen geantwortet wird - wobei dies ohnehin der völlig falsche Stil für Verhandlungen mit den Verhandlungspartnern der DDR ist -, hier handle es sich um Üblichkeiten im Rahmen des östlichen Lagers. Wenn es sich hier nur um Üblichkeiten handelt, dann frage ich mich: Wieso denn
dann der Abschluß von Verträgen und Vereinbarungen, die diese Beziehungen doch gerade bessern sollen?
Jetzt haben wir den Zustand, daß eine Verordnung nach Abschluß dieser Vereinbarungen, nach Unterzeichnung des Grundvertrages die Situation nicht verbessert, sondern verschlechtert. Denn die Journalisten sind jetzt gehalten, nicht nur wort- und wahrheitsgetreu, sachbezogen und korrekt zu berichten, sie haben auch Verleumdungen oder Diffamierungen der DDR, ihrer staatlichen Organe, ihrer führenden Persönlichkeiten zu unterlassen. Hier stellt sich die Frage: Wo liegt denn die Grenze zwischen sachlichem Bericht, berechtigter Kritik und Diffamierung? Dies zu entscheiden bleibt doch anscheinend dem Ermessen der DDR-Behörden überlassen, dem sich diese Journalisten dann ausliefern müssen. Hier wird von vornherein allein durch den Erlaß dieser Rechtsverordnung ein Klima erzeugt, das einer freien Berichterstattung aus Ost-Berlin und aus der DDR sicher nicht nützlich sein kann, wobei den Gipfel dieses Verbotskatalogs der DDR-Verordnung die Vorschrift bildet, es dürften auch keine böswilligen Verfälschungen von Tatsachen „zugelassen" werden. Hier handelt es sich geradezu um eine Art von Sippenhaftung der Journalisten für die von ihnen vertretenen Organe.
({5})
Lassen Sie mich zum Abschluß noch folgendes sagen: Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die internationale Anerkennung der DDR läuft, die noch ausstehende Ratifizierung des Grundvertrages anscheinend weder für die Regierung der DDR noch für die der Bundesrepublik noch Probleme aufwirft, während auf der anderen Seite den humanitären Vereinbarungen und den Vereinbarungen über die Arbeit der Journalisten in der DDR risikolos von den Behörden der DDR ein völlig anderer Sinn gegeben werden kann, als er bei Abschluß der Vereinbarungen zugrunde lag. Hinzu kommt, daß sich die Bundesregierung jedes Druckmittels gegen diese Entwicklungen begeben hat.
({6})
Ich komme damit zum Schluß. Es bleibt dabei, was wir immer gesagt haben: Es handelt sich um eine höchst unsolide, unpräzise Arbeit bei diesem ganzen sogenannten Vertragswerk, wie man heute bezeichnenderweise an Stelle von präzisen Verträgen sagt. Man braucht sich auch nicht darüber zu wundern, daß es so weit gekommen ist; denn diese wichtigen Vereinbarungen sollten ja den Zweck haben - nachdem die Verhandlungen möglichst rasch zu Ende geführt wurden -, am 19. November 1972 noch als Wahlschlager eingebracht werden zu können.
({7})
Alle diese Dinge rächen sich heute. Auf die Fragen, die wir heute gestellt haben, die ich noch einmal angeschnitten habe und die meine Kollegen noch anschneiden werden, hätten wir gern eine klare Antwort.
({8})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreutzmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, wir sollten das Thema, über das wir diskutieren, weitestgehend von Emotionen freihalten. Es geht nicht darum, den Nachweis zu führen, daß die eine Seite pressefreundlicher ist als die andere. Ich halte es für selbstverständlich, daß wir alle uns zu dem Grundsatz der Pressefreiheit als zu einem der fundamentalsten Rechte der Demokratie bekennen.
({0})
Ich meine, diese Bundesrepublik ist ein freier Staat. Sie hat nichts zu verstecken und zu verbergen. Bei uns kann jeder Journalist ungehindert seinen Beruf ausüben, solange er ihn nicht kriminell mißbraucht.
({1})
Daraus ergibt sich, daß wir in diesen Verhandlungen cine ausgezeichnete Position haben.
({2})
Wir meinen auch, daß die Art und Weise, wie ein Staat mit der Presse umgeht, welche Rolle er ihr einräumt, sein Selbstverständnis offenbart.
({3})
Wir haben geglaubt, die DDR besäße mehr Selbstsicherheit, mehr Überzeugung von sich, als es in diesem Erlaß zum Ausdruck kommt. Im Grunde genommen ist er ein Zeichen fehlenden Selbstvertrauens.
Aber wir müssen bei der Beurteilung dieses Erlasses doch davon ausgehen, daß er weitestgehend den Gepflogenheiten kommunistischer Staaten entspricht. Sie bringen sich der eigenen Presse gegenüber in Schwierigkeiten,
({4})
wenn sie ausländischen Journalisten Freiheiten einräumen, die sie den eigenen Journalisten nicht gewähren. Insofern, meine ich, hat dieser Erlaß auch eine innenpolitische Komponente. Das sollte man von seiten der Opposition nicht übersehen.
Sie sollte vor allem eines begreifen: Es ist eine Illusion, zu glauben, mit Verträgen das System dort drüben von außen her grundsätzlich verändern zu können. Wir können sie durch Verträge dazu bringen, mehr Kommunikation zu pflegen, Unmenschlichkeiten abzubauen. Wir können ihnen von außen her aber niemals Systemveränderungen aufdrängen.
Es hat daher auch wenig Sinn, nach Protesten, lautstarken Anklagen zu verlangen und die Regierung der Laschheit in der Wahrung der Interessen der Presse zu beschuldigen. Wenn hier etwas erreicht werden kann, dann nur in zähen und geduldiVerhandlungen
({5}) und nicht im Aufputschen von Prestigestandpunkten, von denen man später nicht herunterkommt.
({6})
Ich meine, für solche Behandlung fehlt es uns nicht an Argumenten. Es gibt auch kommunistische Staaten, die selbstbewußter, selbstsicherer als die DDR sind und die nicht drohen, wenn nicht so berichtet wird, wie sie das gerne haben möchten.
Ich meine daher, daß es dem von Honecker zitierten Geist und Buchstaben des Grundvertrages entspräche - wir sollten die Bundesregierung bitten, in diesem Sinn geduldig und zäh zu verhandeln -, wenn man die von der DDR-Regierung erlassenen gesetzlichen Bestimmungen nicht zu Knebelungsgesetzen macht, die schließlich der DDR selber schaden.
Der Beruf eines Journalisten in einem anderen Land - auch wenn es der andere deutsche Staat ist - wird an die Fähigkeiten, das Einfühlungsvermögen und das Fingerspitzengefühl eines Journalisten immer besondere Anforderungen stellen. Kein Journalist ist dabei vor Fehlinterpretationen, Kritik und Mißverständnis sicher. Daß dabei die Bedingungen in einem kommunistischen Land besondere Begabungen, aber auch besonderes Fingerspitzengefühl erfordern, ist selbstverständlich. Wenn ich das hier sage, so soll damit nicht die Last der Behauptung den Journalisten selbst zugeschoben werden. Unsere Aufgabe muß es sein, ihnen Bedingungen zu schaffen, die eine vernünftige Arbeit ermöglichen und sie vor Übergriffen bewahren.
({7})
Immerhin ist es ein Fortschritt, daß nunmehr eine ganze Reihe ständiger Korrespondenten der Bundesrepublik in der DDR arbeiten können.
({8})
- Sie arbeiten dort unter den gleichen Bedingungen wie andere Journalisten, die nicht Bürger der DDR sind. Sie werden nach der Ratifizierung des Grundvertrages mit der Rückendeckung einer Vertretung der Bundesrepublik in der DDR arbeiten. Bis dahin haben wir die Möglichkeit, bei Gesprächen und Verhandlungen darauf hinzuwirken, daß die getroffenen Bestimmungen nicht exzessiv ausgelegt werden. Das ist das, was zu erreichen ist und was erreicht werden muß. Mit großen Worten ändern wir weder diese Gesetze noch erleichtern wir die Aufgabe derer, die dort drüben tätig werden. Dabei ist es wichtig, daß wir in Zukunft die Chance haben, aus erster Hand informiert zu werden, und nicht nur abnehmen müssen, was man uns in vorfabrizierten Pressekommuniqués vorsetzt oder was wir an Hand der dortigen Presseerzeugnisse mühsam zusammenbasteln müssen.
({9})
Insofern sehe ich trotz allem einen Fortschritt gegenüber dem, was war, wenn dieses Gesetz auch bestimmt kein Ruhmesblatt für die DDR ist.
({10})
Vizepräsident von Hassel: Wir fahren fort. Das Wort hat der Abgeordnete Jäger ({11}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion, die wir heute miteinander führen, steht im Zeichen eines Ereignisses, das uns wohl deutlicher als viele Worte sagt, wie die Herrschaften in Ost-Berlin den Geist, von dem hier so beredt gesprochen worden ist, verstehen. Wir bekommen soeben eine Meldung von dpa, daß in Ost-Berlin beim Versuch, nach WestBerlin zu fliehen, wieder ein Bürger von drüben von der Grenzpolizei niedergeschossen worden ist. Das zeigt klar und deutlich, in welchem Geist die Regierenden drüben all das anwenden, was zur Zeit versucht wird aufzubauen.
Angesichts dieser Situation wundert es nicht, daß die Reaktion der Bundesregierung auf diese neue Journalistenverordnung nichts anderes war als Verlegenheit, Abwiegelung, Verniedlichung und Verschleierung.
({0})
Nach unserer Meinung hat aber der Bürger ein Recht darauf, von der Regierung zu erfahren, was geschehen ist. Wir machen uns keine Illusionen über die Möglichkeiten einer freiheitlichen Berichterstattung in einem totalitären Staat; auch die DDR ist ja solch ein Staat. Aber es ist vorhin schon von Staatssekretär von Wechmar klar und deutlich gesagt worden, man habe sich von dem Briefwechsel zwischen den damaligen Staatssekretären Bahr und Kohl eine deutliche Verbesserung erhofft. Genau das ist nun - das macht die Verordnung deutlich - nicht eingetreten. Die Pressefreundlichkeit, Herr Kollege Kreutzmann, von der Sie gesprochen haben, und die wir uns alle einander nicht absprechen wollen, hätte eine ganz andere Reaktion des für Presse und Information zuständigen Staatssekretärs dieser Regierung notwendig gemacht.
({1})
Wie ist die Lage, meine Damen und Herren? Bisher galt die Verordnung über die Akkreditierung und Tätigkeit ständiger Korrespondenten von Publikationsorganen anderer Staaten in der DDR vom 17. November 1969, die in § 2 Satz 2 lautete - ich darf mit Genehmigung des Herr Präsidenten zitieren -:
Er
- der Journalist ist verpflichtet, die allgemein anerkannten, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienenden Regeln des Völkerrechts und die Rechtsordnung der DDR sowie die Grundsätze journalistischer Ethik einzuhalten.
Das waren damals die Verpflichtungen. Dieser Text
hat natürlich auch schon Anhaltspunkte dafür gegeben, Einschränkungen zu praktizieren, etwa mit
dem Begriff der journalistischen Ethik oder dem Begriff der Rechtsordnung der DDR. Aber zu dieser Rechtsordnung, meine Damen und Herren, gehörte und gehört immerhin der Art. 27 der DDR-Verfassung, in dem ausdrücklich die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens bestätigt ist. Bei einer so allgemein gefaßten Formulierung, wie sie bisher in der Verordnung stand, war es natürlich nicht so leicht für die Machthaber drüben, zugelassenen Korrespondenten ihre Freiheiten zu beschneiden.
Ganz anders ist das nach der neuen Verordnung. In § 5 dieser neuen Verordnung sind zwei entscheidende, einschneidende Bestimmungen enthalten, die ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten hier ebenfalls zitieren darf. Im dritten Halbsatz des ersten Absatzes von § 5 heißt es:
Verleumdungen oder Diffamierungen der Deutschen Demokratischen Republik, ihrer staatlichen Organe und ihrer führenden Persönlichkeiten sowie der mit der Deutschen Demokratischen Republik verbündeten Staaten sind zu unterlassen.
Und im vierten Halbsatz: Dieser Journalist, der drüben akkreditiert ist,
hat wahrheitsgetreu, sachbezogen und korrekt zu berichten
({2})
sowie keine böswilligen Verfälschungen von Tatsachen zuzulassen.
({3}) - Zuzulassen.
Meine Damen und Herren, diese Bestimmungen enthalten nach unserer Auffassung eine ganz erhebliche Verschlechterung des bisher bestehenden Rechtszustandes drüben.
({4})
Die vier Schutzobjekte im ersten Teil, in der Diffamierungsklausel, wie ich sie nennen möchte, nämlich: erstens die DDR insgesamt, zweitens ihre staatlichen Organe, drittens alle führenden Persönlichkeiten und viertens die verbündeten Staaten, umfassen einen so großen Kreis von Sachbezogenheiten, über die ein Journalist zu berichten hat, daß man angesichts der gewohnten Art, wie man drüben solche Bestimmungen auszulegen pflegt, eigentlich nur noch sagen kann: Was hier von der Regierung in Ost-Berlin gemacht wird, ist nichts anderes als eine ganz massive Zensur aller ausländischen und deutschen Korrespondenten, die drüben zugelassen werden sollen.
({5})
Was kann denn eigentlich - so fragen wir - ein Journalist nach dieser Verordnung noch anderes tun, als Hofberichterstattung treiben?
Noch schlimmer ist die Maulkorbklausel in dem vierten Halbsatz. Denn dort wird praktisch eine Haftung des Korrespondenten für die gesamte Berichterstattung und Kommentierung seines Publikationsorgans eingeführt, eine Haftung, die bei extensiver Auslegung sogar noch die Haftung für die
Jäger ({6})
Publizistik in der Bundesrepublik überhaupt einschließen kann. Lesen Sie einmal diesen Halbsatz nach! Sie werden dann feststellen, daß sogar diese gefährliche Möglichkeit gegeben ist. Das ist doch nichts anderes als eine massive Einmischung der DDR in die Freiheit der Berichterstattung auch hier in der Bundesrepublik Deutschland.
({7})
Das ist zweitens, wie wir meinen, ein Angriff auf die Informationsfreiheit aller Deutschen hier in der Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, wir haben hier nur die Bitte und die Aufforderung an die Bundesregierung: Diese Verordnung, die drüben geschaffen worden ist, muß vom Tisch. Sie muß vom Tisch um der Pressefreiheit willen, sie muß vom Tisch um der Informationsfreiheit aller Deutschen willen. Strengen Sie sich an in den Verhandlungen, die Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, führen werden, diese Verordnung vom Tisch zu bringen!
({8})
Das Wort hat Herr Bundesminister Franke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Vereinbarung über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten konnte es zunächst einmal nur darum gehen, geregelte Arbeitsmöglichkeiten in der DDR zu schaffen.
({0})
- Ich habe das ja schon gesagt: geregelte. Die oft zu weitgehenden Erwartungen - damit komme ich Ihnen ja auch schon entgegen - über das Ausmaß der Möglichkeiten freier Berichterstattung aus der DDR sind von der Bundesregierung nicht genährt worden.
({1})
- Sind nicht genährt worden!
({2})
Die neue Verordnung der DDR führt eine gewiß nicht neue Erkenntnis nochmals vor Augen: Im Hinblick auf das im Briefwechsel festgelegte Recht der freien Information und Berichterstattung besteht zwischen unserem Verständnis und den Auffassungen der Staaten des Ostblocks im allgemeinen und der DDR im besonderen ein grundlegender Dissens, der kaum völlig auszuräumen sein dürfte. Schließlich haben wir es in der DDR mit einer Staatsordnung zu tun, von der wir im Prinzip nicht völlig andere Arbeitsverhältnisse als in Moskau und Warschau erwarten können.
Bei einer Bewertung des durch die neue Verordnung umschriebenen Rahmens haben wir von der Frage auszugehen, wie sich ihre Bestimmungen zu den Verpflichtungen verhalten, die die DDR im Briefwechsel über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten übernommen hat. Sie hat sich verpflichtet, das Recht der freien Information und Berichterstattung zu gewähren, ferner das Recht unserer Korrespondenten auf gleiche Behandlung wie Korrespondenten anderer Staaten und unter Beachtung der Gegenseitigkeit ihre berufliche Niederlassung als ständige Korrespondenten.
({3})
Maßgebend im Hinblick auf die Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten aus der Bundesrepublik Deutschland in der DDR ist für uns dieser Briefwechsel zum Grundvertrag. Dort ist aber auch festgelegt, daß die DDR „im Rahmen ihrer geltenden Rechtsordnung" „das Recht zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit und der freien Information und Berichterstattung" gewährt. Der Briefwechsel kann die DDR rechtlich nicht daran hindern, ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu ändern, wie er umgekehrt der DDR auch keine Handhabe bietet, Änderungen unserer Rechtsordnung zu verlangen.
Das im Briefwechsel zugesicherte Recht auf gleiche Behandlung wie Korespondenten anderer Staaten ist gewahrt. Insoweit ist die Verordnung nicht unvereinbar mit dem Briefwechsel.
({4})
Die in der Verordnung enthaltenen Verschärfungen und administrativen Einengungen werden von der Bundesregierung nicht übersehen. Dies ist auch in der Fragestunde sehr deutlich geworden. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung geht davon aus, daß die innerstaatlichen Rechtsvorschriften der DDR eine Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen und übernommenen Verpflichtungen nicht unmöglich machen dürfen. Die Bundesregierung hält sich ihrerseits an die im Briefwechsel übernommenen Verpflichtungen. Als den entscheidenden Gesichtspunkt sieht die Bundesregierung die Handhabung der neuen Verordnung an.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Vereinbarungen des Briefwechsels eine Erweiterung und Verbesserung der journalistischen Arbeitsmöglichkeiten zum Ziel haben. Dies muß der Maßstab sein. Auch die neuen Bestimmungen, meine Damen und Herren, stehen einer positiven, dem Geist und Buchstaben des Briefwechsels wie der politischen Zielsetzung des Grundvertrages entsprechenden Auslegung durch die DDR nicht entgegen.
({5})
Die Bundesregierung wird darauf dringen, daß die Handhabung der Verordnung Geist und Buchstaben der Vereinbarung gerecht wird.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen hat sich gezeigt, daß die Beziehungen zwischen uns und der DDR alles andere als normal und, was die DDR betrifft, nicht eben von Entgegenkommen und nachbarschaftlicher Großzügigkeit gekennzeichnet sind. Normale Beziehungen setzen auf beiden Seiten normales Verhalten voraus.
({6})
Das ist in unserem deutschen Fall besonders schwierig. Wer die humanitären und praktischen Probleme der staatlichen Trennung mißachtet oder unterschätzt, wird Fortschritte ebenso erschweren wie derjenige, der glaubt, sich über die Unterschiede der Gesellschaftsordnungen einfach hinwegsetzen und der anderen Seite unsere Maßstäbe aufzwingen zu können.
({7})
Ich habe dabei, um das offen zu sagen, eine Äußerung von Herrn Dr. Barzel im Auge, der am 15. Februar von dieser Stelle aus „zumindest die Herstellung der Freizügigkeit" forderte - wohlgemerkt: zumindest!
({8})
Hierin drückt sich meines Erachtens seine Einstellung aus, die die Unterschiede der Staats- und Gesellschaftsordnungen einfach nicht wahrhaben will. Es ist keine reale Basis, von der aus hier dann Politik betrieben werden sollte, wenn man sich so verhält.
({9})
Denn, meine Damen und Herren, es ist dann doch
nur noch eine sprachliche Frage, warum Herr Barzel
nicht gleich die Abschaffung der DDR verlangt hat;
({10}) im Wege des Grundvertrages, wie gesagt.
({11}) - Natürlich wäre das die Konsequenz! Ganz entschieden wehre ich mich gegen den Vorwurf, die Bundesregierung habe jemals falsche Hoffnungen geweckt. Wir haben immer wieder die Mühsal und Zähflüssigkeit des Vorgehens Schritt für Schritt betont.
({12})
Dafür könnte ich hier eine Vielzahl von Belegen beibringen. Es waren nicht wir, sondern Sprecher der Opposition hier und draußen im Lande, die unsere Politik der „kleinen Schritte" als falsche Bescheidenheit oder sogar Schlimmeres verdächtigten
({13})
- natürlich! die Schlagzeilen auch in diesen Tagen lauten so! - und die mit radikalen Forderungen auftrumpften, wenn wir uns gegen die Beschuldigungen mit Zahlen zur Wehr setzten, die immerhin klare Fortschritte erkennen lassen.
({14})
Gerade die großen Worte, die das ideale Alles suggerieren, kommen nicht von uns. Sie werden vielmehr gegen uns ausgebeutet, gegen uns verwendet, um uns des geheimen Einverständnisses mit Ost-Berlin zu bezichtigen. So sehen doch diese Diskussionen seit Jahren wirklich aus.
Um nur ein kleines Beispiel zu nennen: Am 24. Januar rügte Herr Kollege Windelen hier von dieser Stelle die Regierungserklärung, weil sie von der „Linderung" humanitärer Probleme gesprochen hatte.
({15})
Herr Kollege Windelen hätte lieber, wie er sagte, „Beseitigung" gehört. Er tadelte also die Regierung, weil sie nach seiner Meinung zuwenig versprochen hatte.
({16})
Wir haben nie einen Zweifel darüber aufkommen lassen, mit welchem Verhandlungspartner wir es zu tun haben und daß die beiderseitigen Grundauffassungen nun einmal auseinandergehen.
({17})
Die Oposition behauptet, das ebenfalls zu wissen, und ich glaube ihr das auch. Aber sie vergißt dieses Wissen, wann immer es ihr angebracht erscheint, um die Regierung anzuklagen,
({18})
die ihre pragmatische Politik nach eben diesem Wissen ausgerichtet hat und sich danach verhält, was nicht immer leicht ist.
({19})
Und nun zum Grundvertrag. Es scheint mir ein grobes Mißverständnis vorzulegen, wenn neuerdings gefordert wird, die Ratifizierung des Vertrages auszusetzen, ein Mißverständnis gleich in mehrfacher Hinsicht. Das Wesentliche betrifft die Natur des Vertrages. Er ist, wie schon der Name sagt, ein Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen, und ich bitte das wörtlich zu nehmen; Grundlagen sind nicht die Beziehungen selbst. Bisher hatten wir ungelöste, drängende und schmerzliche Probleme in Deutschland und sonst nichts. Wir hatten keine Möglichkeit, systematisch und in geregelter Weise an diese Probleme heranzugehen, um sie zu mildern oder gar aus der Welt uz schaffen. Gerade aber diese Möglichkeiten schafft der Vertrag.
({20})
Er gibt uns endlich das Instrument an die Hand, um die Dinge überhaupt anpacken zu können, die im argen liegen. Dieses Instrument ist stark und darum brauchbar. Es verankert in seinem Art. 7 die hart verhandelte Generalklausel,
({21})
im Zuge der Normalisierung „praktische und humanitäre Fragen" zu regeln. Das ist hier festgeschrieben, und ich bitte, das in seinem vollen Gewicht zur Kenntnis zu nehmen.
Dieser Vertrag ist kein unverbindliches Instrument,
({22})
sondern er schreibt auch die Richtung vor, in der dieses Instrument angewendet werden soll.
Herr Bundesminister, wir können die Mitglieder der Bundesregierung nicht auf eine bestimmte Redezeit festlegen. Aber es entspricht einem Gebot der Fairneß, daß sich auch die Damen und Herren der Regierung in etwa an die für die Aktuelle Stunde vorgesehene Redezeit halten.
({0})
Ich komme gleich zum Schluß. - Da Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, durch Ihre Einwände immer wieder versuchen, ein Durcheinander auch in der Öffentlichkeit herbeizuführen, das durch nichts belegt ist, muß ich auch in diesem Zusammenhang wieder deutlich machen: Wem es also um die Regelung praktischer und humanitärer Fragen ernsthaft zu tun ist, muß Sorge Lidyen, daß dieser Vertrag samt seinen Pflichten in Kraft tritt, und zwar bald.
({0})
Denn dieser Zustand mit einem nicht ratifizierten Vertrag hilft gerade denen, die gern die Vorteile des Vertrages genießen, aber nichts dagegen einzuwenden haben, wenn seine Pflichten hinausgeschoben werden.
({1})
Begreifen Sie den Vertrag als das, was er ist: als eine Basis zum Angehen und zur Bewältigung von vorgegebenen Problemen, die ohne ein solches Instrument ungehemmt weiterwuchern würden, wie es 20 Jahre lang der Fall war.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Erlaß der Richtlinien der DDR-Regierung für akkreditierte Berichterstatter ist gewiß enttäuschend. Die Maßnahme verdient daher durchaus Kritik. Und doch sollten wir uns in dieser Aktuellen Stunde nicht in Gefühlsaufwallungen verlieren. Sie helfen ganz sicher nicht weiter, meine Damen und Herren.
({0})
Mit den Bestimmungen kann den Journalisten eine
Handfessel angelegt werden; denn diese Bestimmungen sind der willkürlichen Auslegung zugänglich. Auch auf diesem Gebiet, so glaube ich, ist die Sowjetunion Vorbild für die DDR-Regierung gewesen. Es ist zu fürchten, daß die Kommunisten in Ost-Berlin bei der Anwendung der Richtlinien noch strenger sein werden als ihre Lehrmeister in Moskau.
Aber, meine Damen und Herren, wenn wir uns hier Klarheit verschaffen wollen und wenn sich die Bundesregierung, was sie zugesagt hat, in dem bevorstehenden Gespräch um Aufklärung, Korrektur und einschränkende Auslegung bemühen will, dann sollten wir sie zunächst bei diesen Bemühungen unterstützen und nicht das Fehlverhalten der DDR-Regierung zum Maßstab der Politik der Bundesregierung machen.
({1})
Es wäre gut, wenn wir uns in diesem Hause, in dem wir das Verhalten der Bundesregierung zu beobachten und zu kontrolileren haben, von Erwägungen leiten ließen, die Fachkundige dazu angestellt haben, nämlich die Journalisten selbst. Es ist doch immerhin bemerkenswert, daß ein so bekannter Journalist wie Jürgen Engert in einem Kommentar vom 7. März 1 973 zu der Einschätzung gelangt, es sei müßig, über die Ost-Berliner Restriktionen zu lamentieren.
Sie sind sytemgerecht und aus der Sicht der DDR selbstverständlich. Nur Träumer konnten annehmen, daß die DDR eine Informationsfreiheit gewähren würde, die westliche Demokratien für ihr Funktionieren für unabdingbar erachten.
Und er fährt in seinem Kommentar - wie es mir
scheint, völlig zutreffend - an anderer Stelle fort:
Der DDR das vorzuwerfen in dem Glauben, der Grundvertrag müsse doch so etwas wie eine Geschlechtsumwandlung bei der DDR bewirken, zeugt von Illusion. Ost-Berlin grenzt sich ab.
Meine Damen und Herren, diese Einschätzung eines Journalisten von den tatsächlichen Verhältnissen in kommunistischen Staaten sollte die CDU bitte nicht übersehen. Sie selbst haben doch von den Kommunisten auch gar nichts anderes erwartet.
({2})
Wir sind doch gerade insoweit stolz auf unser freiheitliches Kontrastprogramm und dürfen es auch erneut sein.
({3})
Ich meine, das Grundmuster der Pulitik der DDR ist von Herrn Honecker noch einmal mit Nebeneinander und Abgrenzung klargemacht worden. Es wäre gut, wenn wir im Bundestag und wenn wir in der westlichen Welt dieses Konzept zur Kenntnis nähmen.
({4})
Es macht die Begrenzung unserer Deutschlandpolitik deutlich, zeigt aber auch die Chancen unserer Deutschlandpolitik auf.
({5})
Gerade in Kenntnis der politischen Möglichkeiten und der politischen Zielvorstellungen, die es für die Bundesregierung gegenüber der Regierung der DDR durchzusetzen gilt, wäre es, so meine ich, ein Fehler, die allein mögliche und für richtig erkannte Politik nicht konsequent fortzusetzen, trotz der Schwierigkeiten, die sich ihr durch die Politik der DDR entgegenstellen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Klein ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Rede des Herrn Bundesministers Franke habe ich mich gefragt, ob hier wohl der Vertreter der Bundesregierung sprach,
({0})
der kraft seines Amtes in erster Linie verpflichtet ist, das nationale deutsche Interesse zu wahren.
({1})
Die beiden DDR-Verordnungen, von denen hier die Rede ist, wahrhaftig Spottgeburten aus Hohn und Zynismus,
({2})
sind ein Glied in der Kette unverkennbarer Versuche der DDR, zu testen, was diese Bundesregierung sich alles gefallen läßt.
({3})
Einstweilen scheint sie nicht daran zu denken, ihre windelweiche Haltung aufzugeben.
({4})
In dem Briefwechsel vom 8. November 1972 gewähren Bundesrepublik und DDR den Journalisten wechselseitig das Recht zur Ausübung der freien Information und Berichterstattung. Wer nun naiverweise fragt, ob die Bundesregierung, nachdem diese Verordnungen bekanntgeworden sind, dieses Recht reklamiert habe,
({5})
sieht sich enttäuscht. In den Äußerungen ihres Sprechers und auch des Herrn Bundesministers Franke wird statt dessen darauf hingewiesen, daß es der DDR freistehe, ihre Rechtsordnung nach Belieben zu ändern; denn sie habe jenes besagte Recht ja nur im Rahmen ihrer Rechtsordnung gewährt. Als ob die erwähnte Formel nicht nur bedeuten würde, was am Ende dieses Briefwechsels umschrieben ist als - ich zitiere wörtlich die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen, die im Interesse der Sicherheit, Verbrechensbekämpfung, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erlassen wurden.
Wurden, meine Damen und Herren! Mit anderen Worten: natürlich ist jeder Journalist gehalten, im Gastland sich an dessen allgemeine Gesetze gebunden zu fühlen. Wenn aber die Bundesregierung es der DDR freistellt, die Tätigkeit ausländischer und
natürlich insbesondere westdeutscher Journalisten beliebig einzuschränken, dann hätte sie diese briefliche Vereinbarung überhaupt nicht abzuschließen brauchen.
({6})
Wenn man diesen Briefwechsel so auslegt, wie es unseren Interessen dienlich und zudem richtig ist, dann kann an der Vertragswidrigkeit dieser Verordnungen und nicht erst ihrer strengen Handhabung kein Zweifel sein.
({7})
Wenn hier das Gegenteil behauptet wird, dann bedeutet dies nichts anderes, als den Standpunkt der anderen Seite zu übernehmen.
({8})
- Das steht im Protokoll.
({9})
- Ich sage gleich noch einiges dazu, Herr Kollege Wehner. - Aber dies, meine Damen und Herren, ist doch das Phänomen, vor dem wir ständig staunend stehen. Ich meine nicht die Vertragsbrüchigkeit der DDR - mit der war und ist zu rechnen -, sondern ich meine das verharmlosend-entschuldigende Verständnis, welches die Bundesregierung diesem Verhalten entgegenbringt,
({10})
und die Verantwortungslosigkeit, mit der sie sogar noch die falsche, den deutschen Interessen zuwiderlaufende Auslegung der anderen Seite übernimmt.
({11}) Wir sind die Beschwichtigungspolitik satt.
({12})
Sie wollen wieder einmal abwarten, wie der Herr Staatssekretär von Wechmar hier verkündet hat.
({13})
Sie wollen abwarten, wie streng diese Verordnung gehandhabt wird. Aber bis Sie das herausbekommen, wird man sich an den jetzt geschaffenen Zustand so gewöhnt haben, daß sich niemand mehr darüber erregt.
({14})
Welchen Glauben sollen wir eigentlich in die Versicherung des Herrn Bundeskanzlers setzen, er werde an der Meinungsfreiheit nicht rütteln lassen - wir haben das hier mit Genugtuung gehört -, wenn die Bundesregierung in dem ersten auf sie zukommenden Ernstfall resigniert, statt zu protestieren?
({15})
Wir verlangen von der Bundesregierung, daß sie die wenigen Chancen, die der Grundvertrag und seine Begleitdokumente uns noch lassen, kraftvoll nutzt. Tut sie dies nicht, dann wird sie eines Tages
Dr. Klein ({16})
mit der Frage rechnen müssen, wo bei ihr das Verständnis in das Einverständnis übergeht.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Geßner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat sich soeben zu der Behauptung verstiegen, die Bundesregierung habe Verständnis für das Verhalten der DDR-Regierung. Ich weise diese Behauptung als Unverschämtheit erster Klasse zurück.
({0})
Zweitens ({1})
- Aber entschuldigen Sie bitte mal: Sie versuchen doch einen Sinn hineinzustellen, der in dieser Rede überhaupt nicht drin gewesen ist. Sie müssen zuhören; das ist Ihr Problem.
({2})
Zweitens. Ich glaube, daß es vernünftig ist, die Einlassungen der CDU im großen Zusammenhang zu sehen, so wie bisher Oppositionspolitik hier gemacht worden ist; und da scheint mir doch offensichtlich zu sein, daß die Diskussion der CDU/CSU über den Journalistenerlaß - der uns nicht befriedigt - zweifellos nur als Vorwand dient, einen neuen Grund für die Ablehnung der Ost- und Deutschlandpolitik zu finden. Das ist der ganze Grund.
({3})
In Wirklichkeit geht es Ihnen nicht in erster Linie um die Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten, sondern Sie wollen zeigen, daß man mit kommunistischen Staaten keinen Vertrag machen kann. Das ist der Kernpunkt Ihrer Einlassungen.
({4})
Sie fordern uns auf, die Verträge so wasserdicht zu machen, daß sie sozusagen von keinem Tropfen der Veränderung berührt werden könnten. Sie verlangen von uns im Grunde genommen das, was Sie selber für unmöglich halten. Dieser Widerspruch zeigt, daß alle Ihre Beteuerungen, für eine Politik der menschlichen Erleichterungen zu sein, letztlich auf einen beachtlichen Haufen Sand politischer und intellektueller Verirrungen gebaut sind.
({5})
- Natürlich. - Wenn ich das, was die Kollegen Abelein und Jäger gesagt haben, insgesamt werte, dann kann ich nur sagen: Sie verlangen zunächst einmal die Beseitigung der DDR. Das ist eigentlich das, was im Hintergrund Ihrer Polemik steht.
({6})
- Natürlich ist das so. So wie Sie argumentieren, sind im Grunde genommen Verträge mit osteuropäischen Staaten überhaupt nicht möglich. Nun geben Sie es doch einmal zu! Das gehört ja auch zum gestandenen Mannsbild, das Sie alle sein wollen.
({7})
Meine Damen und Herren! Der Kollege Abelein hat soeben gemeint, der Sinn von Verträgen sei es, die Rechtsordnung zu binden. Ich erinnere mich noch sehr gut, daß in den Diskussionen über den deutschsowjetischen Vertrag genau diese Einlassung von Ihrer Seite gekommen ist: über den Vertrag solle auch die Rechtsordnung der Bundesrepublik und die Gestaltungsmöglichkeit der Bundesrepublik gebunden werden. Ich kann nur feststellen: Sie gebrauchen die Argumente mal so und mal so, je nachdem, wie es Ihnen in den Kram paßt. Das ist nicht seriös.
({8})
- Aber natürlich!
Wenn ein hoher Funktionär der SED
({9})
erklärt hätte, der Grundvertrag diene dazu, die Rechtsordnung der Bundesrepublik zu binden, hätten Sie das als Beweis für den Versuch, sich in die Rechtsordnung der Bundesrepublik einzumischen, gewertet. Mit anderen Worten: wir können sagen und machen, was wir wollen, Sie werden das, was wir machen, immer ablehnen. Daran gibt es doch keinen Zweifel mehr.
({10})
Im übrigen, meine Damen und Herren, habe ich den Eindruck, daß Sie Zeit benötigen, um Ihre Politik des Zerredens fortzuführen. Sie haben heute den Versuch gemacht, zu verzögern, neue Argumente zu finden und immer wieder darauf zu dringen, man solle doch erst diese und jene Frage regeln, bevor man ratifiziere. Das, was Sie tun, ist ein Versuch, die Sache zu verzögern, weiter nichts.
In Art. 7 heißt es, zur Normalisierung der Beziehungen
({11})
könne man die praktischen Fragen regeln.
({12})
Das, was heute hier zur Diskussion steht, ist eine praktische Frage.
({13})
- Herr Marx, hören Sie doch zu! Hinterher wissen Sie es wieder nicht. Es ist ja bei Ihnen immer das gleiche.
({14})
Art. 7 gibt die Möglichkeit, praktische Fragen zu regeln. Das, was zur Erörterung ansteht, ist, wie gesagt, eine praktische Frage. Die Bundesregierung - dessen bin ich ganz sicher - wird diese Möglichkeit nutzen, um all das, was an Bedenken auf unserer Seite vorhanden ist, auszuräumen, soweit das überhaupt möglich ist.
Ich übrigen bin ich nicht so pessimistisch wie der Kollege Jäger. Ich vertraue auch auf die Tüchtigkeit und Intelligenz der Journalisten aus der Bundesrepublik,
({15})
uns trotz der in östlichen Ländern üblichen negativen Arbeitsbedingungen einen tieferen Einblick in die Lebensverhältnisse der Menschen in der DDR zu geben. Auch das gehört zur Wahrung der Einheit der Nation.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Flach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fürchte, daß diese Debatte in ein falsches Fahrwasser gerät.
({0})
- Warten Sie mal ab! Sinn einer kurzen Aktuellen Stunde über eine solche Frage kann doch nur sein, in einem wohlverstandenen Wechselspiel von Opposition und Regierung die gemeinsame Position der Bundesrepublik in den anstehenden Fragen zu stärken.
({1})
Wir stehen hier vor der Gefahr, in der alten Schlachtordnung des Wahlkampfes mit veralteten Positionen aufeinander einzuschlagen, ohne der Sache selbst, die hier zur Debatte steht, zu dienen.
({2})
- Vor dieser Gefahr stehen beide Seiten, allerdings auch die Opposition. Die Opposition könnte nämlich der Versuchung erliegen - das klang hier verschiedentlich durch -, geradezu darüber zu triumphieren, daß sie recht behalten habe, daß das Verhalten der DDR uns hier und dort Schwierigkeiten bereiten werde.
({3})
Damit, meine Damen und Herren, dienen Sie nicht der Sache.
({4})
Ich sage noch ein Weiteres. Auch die Regierung ist in einer solchen öffentlichen Debatte in ihrem Bestreben, die wohlverstandenen Interessen der Bundesrepublik wahrzunehmen und sich diplomatisch zu verhalten, in der Versuchung, das eine oder andere ein wenig herunterzuspielen oder sanft zu behandeln, was auch uns Sorgen bereitet.
({5})
Es ist doch selbstverständlich, daß wir die Bundesregierung anhalten müssen, darauf zu achten, daß Geist und Buchstaben der getroffenen Vereinbarungen eingehalten werden.
({6})
Aber sie kann das nur in der notwendigen und sinnvollen Form, wenn diese Vereinbarungen auch Rechtsgültigkeit erlangt haben. Ich kann doch nicht versuchen, zu verhindern, daß dieser Vertrag ratifiziert wird, aber gleichzeitig seine Einhaltung durchsetzen wollen.
({7})
Meine Damen und Herren, ich möchte mir erlauben, zu dieser Debatte noch einen Aspekt beizutragen, der bisher nicht zur Sprache gekommen ist. Ich möchte das auch mit der genügenden Delikatesse und Vorsicht tun. Ich glaube, wir mußten von vornherein damit rechnen, daß es in der Administration der DDR und im Parteiapparat der SED Kräfte gibt, denen diese ganze Politik nicht paßt und die Sorgen vor dieser Entspannungspolitik und vor der Herausforderung haben, in die ein solches System bei einer solchen Politik gerät und vor der sie die ganzen Jahrzehnte bewahrt worden sind. Wir sollten durch unser Verhalten und die Art, wie wir solche Debatten führen, diesen Kräften nicht zuarbeiten, sondern ihnen ihr Handwerk erschweren.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Kunz ({0}).
Frau Präsidentin! Mein Damen und Herren! Lassen Sie mich mit dem beginnen, was Herr Bundesminister Franke gesagt hat; ich muß sagen, man kann kaum glauben, daß er es gesagt hat.
({0})
Er warf dem Führer der Opposition vor, gesagt zu haben, daß zumindest Freizügigkeit erreicht werden müsse. Herr Bundesminister Franke, in welchem Geist gehen Sie eigentlich an die Dinge heran,
({1})
und auf welchem Boden stehen Sie, wenn Sie dies
so ausdrücken, und mit welcher Durchschlagskraft
Kunz ({2})
können die Unterhändler der Bundesregierung in Helsinki Freizügigkeit fordern?
({3})
Es scheint mir weiterhin ein eigenartiges Schlaglicht auf Ihre Politik zu werfen, wenn Sie diese unsere Arbeit, die dazu dient, unsere Position zu stärken, kritisieren und nicht zulassen wollen, daß Rechtsbrüche der anderen Seite als das bezeichnet werden, was sie sind.
({4})
Ich frage deshalb: Hat die Bundesregierung die DDR während der Verhandlungen über die Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten darauf hingewiesen, daß sie nach Vertragsunterzeichnung in ihrem Bereich nicht Bestimmungen schaffen kann, die das Ziel der Vertragsabrede illusorisch machen? Ich frage weiter: Hat die Bundesregierung nach dem Inkrafttreten der Reglementierungsverordnung die DDR in aller Form darauf hingewiesen, daß sie durch innere Rechtsetzungsakte die Bindungen, die sie eingegangen ist, nicht federstrichartig, ja, in der Manier von schlechten Advokatentricks beseitigen kann? Hat die Bundesregierung die DDR insbesondere darauf aufmerksam gemacht, daß durch derartige beispiellose Vertragsaushöhlungen die Geschäftsgrundlage von Abmachungen berührt wird? Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß sich die DDR durch den Reglementierungserlaß nicht zum erstenmal, sondern erneut vertragsbrüchig verhält, indem sie durch innere Vorschriften den Vertragszweck ins Gegenteil verkehrt?
Meine Damen und Herren, ich möchte hier daran erinnern, daß durch „Geheimschutzvorschriften" der DDR, die unter anderem Feuerwehrleute von Gemeinden zu Geheimnisträgern erklären, Millionen Mitteldeutscher gehindert werden, Verwandte und Bekannte aus der Bundesrepublik einzuladen. Das ist das Problem. Das Wenige, was erreicht ist, soll durch Reglementierungen, durch innere Rechtsakte unmöglich gemacht werden. Und dann, Herr Minister Franke, stellen Sie sich hierhin und bringen noch ein gewisses Verständnis für derartige Machenschaften auf!
({5})
Es zeigt sich in aller Schärfe, daß die Bundesregierung durch ihre Art gutgläubiger Verhandlungsführung die DDR nahezu ermuntert hat, solche Aushöhlungen vorzunehmen.
({6})
- Herr Kollege Wehner, so wird aus dem Besuchsverkehr Geheimnisschutz, und so wird aus freier Berichterstattung in böswilliger Verdrehung durch die DDR Verleumdung. Dies ist der Tatbestand.
({7})
Verträge können nur mit Leben erfüllt werden, wenn ein gesicherter Mechanismus an Gegenseitigkeit da ist. Daran fehlt es. Das ist einer der fundamentalen Fehler Ihrer Politik. Es ist bedauerlich, daß Sie sich, nachdem wir nunmehr jedenfalls einen großen Teil der Verträge in Kraft haben, immer noch nicht bemühen, wenigstens jetzt diesen Ihren Grundfehler endlich zu beseitigen. Wir müssen Sie auffordern, vorstellig zu werden.
Hier meine letzte Frage: Was haben Sie bisher konkret getan? Wo haben Sie interveniert? Mit welcher Zielsetzung? Verwischen Sie endlich den Eindruck, daß Sie diese Dinge noch in Schutz nehmen! Dann haben Sie uns voll in der Unterstützung dessen, was unsere Rechtsposition gemeinsam sein muß.
({8})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mattick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich eine einfache Sache, Herr Kollege Kunz, die Regierung in einer Form anzuklagen, die eigentlich nicht mehr die Fairneß ausdrückt, die vorhanden sein sollte, wenn man auf einen gemeinsamen Weg kommen will, und dann noch zu sagen, daß wir die Haltung der anderen Seite verteidigten, indem wir uns mit Ihren Vorwürfen auseinandersetzen müssen.
Wenn ich mir die ganze Debatte überhaupt vergegenwärtige und darauf zurückkommen darf, daß es hier zeitweilig so vorging, als wenn wir uns noch in den Tagen befänden, die wir vor zwei Wochen hier im Rheinland hatten, dann muß ich sagen: So ernst, wie es hier von Ihnen zum Teil dargestellt wird, nehmen Sie die Dinge in einer solchen Diskussion nicht. Das tut uns sehr leid.
({0})
Meine Damen und Herren, Herr Kunz hat hier gesagt, die Regierung habe Verständnis für das Verhalten der anderen Seite gezeigt. Das ist eine Unterstellung, die Sie in einer solch ernsthaften Diskussion unterlassen sollten. Die Bundesregierung hat etwas anderes getan. Ich bedauere, daß wir der Opposition immer wieder klarmachen müssen,
({1})
mit wem wir es zu tun haben, wobei sich die Opposition 1955 als Regierungspartei, als sie diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion aufnahm, genau den Bedingungen unterworfen hat, die von der Sowjetunion in Osteuropa ausgestrahlt werden.
({2})
Der Diplomat, der 1955 nach Moskau ging, unterstand denselben Zwangsbedingungen. Unsere Pressevertreter in Moskau unterstehen denselben Bedingungen. Und daß die DDR - ({3})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden! Ich habe ja auch zugehört.
({4})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden! Sie sind unfair in dieser Diskussion, weil Sie nervös sind; das ist doch sinnlos.
({5})
- Ja, das ist richtig zum Lachen. Aber dennoch ist es so.
Sie wissen wie wir, daß die DDR einer der treuesten Staaten an der Seite der Sowjetunion ist und daß die DDR die Lebensformen der Sowjetunion sehr weitgehend übernommen hat. Daher wissen Sie auch, daß man sich, wenn man mit einem solchen Staat in Beziehungen tritt, wie Sie es auch mit der Sowjetunion getan haben, an den innerpolitischen Bedingungen dieses Staates nicht vorbeimogeln kann.
Daher ist es ganz logisch, daß wir uns auch bezüglich der Pressevertreter, die wir in Ost-Berlin haben wollen, den Bedingungen fügen müssen. Denken Sie einmal darüber nach, wie viele Engländer, Amerikaner und Angehörige anderer Nationen als freie Pressevertreter aus der Sowjetunion und den anderen Ostblockstaaten wegen ihres Verhaltens schon ausgewiesen wurden. Die Engländer und die Amerikaner und die anderen Staaten haben dann immer wieder andere hingeschickt, weil es eben so ist, daß sie begreifen, mit welchen Staatsformen wir es zu tun haben, und trotzdem wissen, daß es besser ist, solche Beziehungen zu haben, als gar keine.
({6})
Das ist die Ausgangsposition unserer Politik, nachdem Sie es für richtig gehalten haben, 20 Jahre gar keine Beziehungen zu haben und nachdem es nach dem Mauerbau immerhin bis zur Kleinen Koalition gedauert hat, daß eine Regierung überhaupt auf die Idee gekommen ist, den Versuch zu machen, die Mauer etwas zu überwinden und den Menschen drüben zu helfen. Sie haben sich an dieser Politik keinen Schritt beteiligt. Jetzt sind Sie doch in dieser Auseinandersetzung, meine Damen und Herren, wirklich nur auf der Suche - das kommt heute hier zum Ausdruck -, Ihre voreilige Festlegung, zum Grundvertrag nein zu sagen, nachträglich zu begründen und Argumente dafür für die Öffentlichkeit zu sammeln. Dafür sollte Ihnen diese Politik zu schade sein!
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gradl.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es sollte sich niemand auf der Seite der Koalition darüber wundern, daß wir das Thema, das uns heute hier beschäftigt, sehr ernst und vielleicht auch etwas temperamentvoll behandeln;
({0})
denn mit diesem Thema der strangulierten Bewegungs- und Berichtsfreiheit für die westdeutschen
Journalisten steht zugleich der Sinn und Wert OstBerliner Zusagen überhaupt in Frage
({1})
und damit der Sinn und Wert insbesondere auch des Grundvertrages, der einige solche Zusagen als Bestandteil enthält.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung erklärt die Politik, die sie mit dem Grundvertrag verfolgt, damit, dieser Vertrag und diese Politik solle für die Deutschen beiderseits der Trennungslinien den Weg zueinander öffnen ungeachtet der fundamentalen politischen Gegensätze. Man hofft - dies können wir ganz objektiv als die Vorstellung der Bundesregierung feststellen; das tut uns nicht weh -, so den Zerreißungsprozeß, dem die Nation seit 1945 ausgesetzt ist, zu stoppen und umkehren zu können. Meine Damen und Herren, über dieses Ziel gibt es zwischen uns keine Meinungsverschiedenheit, aber hier in diesem Augenblick geht es um etwas ganz anderes. In diesem Augenblick geht es darum, daß mit dieser Zielsetzung, mit der mit ihr verbundenen Hoffnung und Erwartung die Bundesregierung selber auch den Maßstab gesetzt hat, der an das jetzige Verhalten der DDR anzulegen ist. Und an diesen Maßstab halten wir uns.
Um dieser Hoffnung und Erwartung willen hat die Bundesregierung eine Reihe wichtigster politischer Positionen aufgegeben, hat sie die DDR im innerdeutschen Verhältnis bis zur Gleichrangigkeit angehoben, hat sie der DDR den Zugang zur internationalen Aufwertung bis hin zu den NATO-Verbündeten und den Vereinten Nationen verschafft. Und nun fragen wir, natürlich besonders bestärkt durch solche Erfahrungen, wie sie jetzt mit der Presseberichterstattung und ihrer Ostberliner Regelung gemacht worden sind, wie es denn mit dem Verhalten der Gegenseite sei, wenn man es in Beziehung setzt zu den politischen Leistungen, die von unserer Seite erbracht worden sind. Dann bekommen wir zu hören, wir hätten kein Recht, so zu fragen, denn der Grundvertrag sei noch gar nicht in Kraft gesetzt, und Herr Kollege Flach hat darauf hingewiesen, daß sei alles noch gar nicht rechtsgültig. Entschuldigen Sie: dies ist reiner Formalismus;
({2})
denn in Wahrheit ist der Grundvertrag politisch längst in Kraft. Er ist höchst wirksam, allerdings nur zugunsten der DDR.
({3})
Sie trägt seit der Paraphierung - um nur ein Beispiel zu nennen - einen Aufwertungserfolg nach dem anderen nach Hause. Wir aber werden auf das Nachher vertröstet und wissen nicht einmal, wie dieses Nachher wirklich aussehen soll. Das ist unsere Situation.
Um so mehr drängt sich dann die Frage auf, wie es denn mit den anderen Bereitschafts- und Absichtserklärungen der DDR im Grundvertrag steht,
({4})
mit den Erklärungen, die überhaupt nicht präzisiert sind, von denen es nur Überschriften gibt. Bei der Presseregelung hat die Bundesregierung ja noch versucht, Präzision zu erreichen. Sie ist ein umfangreicher Bestandteil des Vertragswerkes, und da müssen wir jetzt mit dem Maulkorberlaß diese schlechten Erfahrungen machen.
Nein, meine Damen und Herren. Wenn die Menschen - bleiben wir bei der Zielsetzung und den Hoffnungen in bezug auf den Grundvertrag - beider Teile zu gegenseitigem Verstehen und zum Verständnis der Situation des jeweils anderen kommen sollen - beides ist doch Voraussetzung für ein Miteinander -, dann allerdings kann auf eine freie Publizistik nicht verzichtet werden. Im Grunde ist dieser Erlaß eine Beleidigung für jeden Journalisten auf unserer Seite, weil - und dies im Zusammenhang eines Vertrages unter Deutschen - von vornherein unterstellt wird, daß die Journalisten hier von Unfairneß getrieben seien und daß sie nicht wahrheitsgetreu zu berichten beabsichtigen.
({5})
Herr Kollege Gradl, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Darf ich noch einige wenige Bemerkungen machen?
Das geht zu I Lasten der anderen Kollegen. Das kann ich nicht zulassen.
Darf ich eine Schlußbemerkung machen?
Ja.
Wenn das so ist, wenn sich die DDR schon jetzt, ehe der Grundvertrag in Kraft gesetzt ist, so abgrenzungswütig verhält, dann stellt sich eben nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, de Frage, ob denn die Regierung glaubt und uns mit diesem Glauben meint zur Zustimmung bewegen zu können - was ein Irrtum wäre -, daß sich die DDR besser verhält, wenn sie politisch alles in der Scheuer hat, woran sie interessiert ist.
Nach den vorliegenden Erfahrungen muß man jetzt erst recht sagen: Auf nachträglichen guten Willen der DDR ist kein Verlaß. Nicht einmal diejenigen, die den Vertrag befürworten, sollten sich in der Lage sehen, darauf zu bauen. Schaffen Sie vorher die notwendige Klarheit auf seiten der DDR durch Präzision und durch Festlegung; denn schließlich hat in diesem Parlament jeder ein Recht, vorher genau zu wissen,
({0})
worüber er bei der Abstimmung entscheiden soll. ({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, Herr Kollege Gradl hat seine Rede mit der Forderung geschlossen: schaffen Sie Klarheit. Nun muß aber zunächst einmal, wenn das auch in dieser Stunde nicht mehr geht, Klarheit darüber geschaffen werden, was Sie eigentlich bewirken wollen. Denn diese Stunde macht die Frage aktuell: Geht es Ihnen um die Änderung von Bestimmungen, die den gegebenen Zusicherungen widersprechen, oder geht es Ihnen darum, an bösartigen Bestimmungen die Bindung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland, an vertragliche Regelungen überhaupt scheitern zu lassen? Der bisherige Eindruck Ihrer Debatteneinlagen hinterläßt - ich bitte Sie um Entschuldigung, ich kann das gar nicht anders verstehen - die Meinung, Sie wollten an einer und an anderen besonders bösartigen Bestimmungen die Bindung der Beziehungen an vertragliche Regelungen überhaupt scheitern lassen. Das ist außerdem ein Ausdruck Ihrer eigenen inneren Zerstrittenheit darüber, wie Sie es mit dem Grundvertrag halten sollen.
({0})
Ginge es Ihnen um die erste Frage, also darum, Bestimmungen zu ändern, die den gegebenen Zusicherungen widersprechen, dann dürften Sie hier nicht so argumentieren, als ob die Zusicherungen von vornherein nichts wert gewesen seien, als ob die Regierung der eigenen Republik, die diese Zusicherungen bekommen hat, sich hätte belügen lassen. Es sind der Regierung sogar viel schlimmere Ausdrücke als „belügen" unterstellt worden. Da müssen Sie erst einmal wählen. Wenn diese Frage, wie Sie sich wirklich stellen wollen, einmal aktuell wird, wird das interessant sein.
({1})
Meine Zeit läßt es nicht zu, das, was für ständige Korrespondenten der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik zugesichert wird - in dieser Ausgabe auf Seite 46 -, und das, was für die Tätigkeit als ständiger Korrespondent Voraussetzung ist, Seiten 46 bis 47 hier vorzulesen. Sie werden sich, da Sie das so aktuell finden, mindestens nachträglich bei einer Gelegenheit einmal mit der Sache weiter beschäftigen.
Hier ist wiederholt jeder Paragraph zitiert worden, von dem ich sage, er enthält eine bösartige Bestimmung. Das ist § 5. Ich könnte ihn zitieren; aber ich darf ihn nicht zitieren,
({2})
um meine Zeit nicht zu verspielen. Dieser von Ihnen hier wiederholt besonders unterstrichene Halbsatz widerspricht sogar dem ersten Halbsatz. Wenn Sie wenigstens einmal durch einen Ihrer zahlreichen Redner darauf hingewiesen hätten, hätte Sie bei aller Kritik am Grundvertrag etwas getan, was nationales Miteinander genannt werden dürfte; denn
dieser erste Halbsatz bedeutet, die allgemeinen, anerkannten Normen des Völkerrechts einzuhalten. Aber das, was mit dieser bösartigen Bestimmung des von Ihnen als vierten Halbsatz bezeichneten Satzes, die Sie hier genügend zitiert haben, gemeint ist, nämlich mit diesem schlimmen Wort, keine böswillige Verfälschung von Tatsachen „zuzulassen", widerspricht den allgemein anerkannten Normen. Warum wollen Sie nicht wenigstens in diesem Punkt einmal, und wäre es nur für eine kurze Zeit, mit uns zusammen um die Beseitigung einer bösartigen Bestimmung kämpfen?
({3})
Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein seriöses Publikationsorgan in der Bundesrepublik Deutschland einen journalistischen Vertreter dorthin entsenden würde, wenn die Gefahr nicht beseitigt wäre. „Falls aber wirklich", wie es heute ganz richtig in einer Glosse des Chefredakteurs der Hamburger Wochenschrift „Die Zeit" steht, „die Absicht dahinter stünde, die Akkreditierung eines Korrespondenten als Hebel zu benutzen, um pauschal ein kommentatorisches Wohlverhalten seiner Zentrale gegenüber der DDR und ihren Verbündeten zu erzwingen, so wäre die Entsendung eines eigenen Mannes nach Ost-Berlin nur um den Preis journalistischer Selbstentäußerung zu erkaufen. Dieser Preis", so schließt er, „wäre in jedem Fall zu hoch." Aber selbst das haben Sie heute nicht über sich gebracht, in dieser Frage wirklich etwas zu machen.
({4})
Das Signal steht hier auf Rot.
({5})
Wenn es Ihnen darum gehen sollte, sich bösartiger Bestimmungen zu bedienen, um die Bindung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik an vertragliche Regelungen scheitern zu lassen, dann hätten Sie heute richtig operiert. Mir scheint es so, daß das Ihr eigentlicher Beweggrund ist.
({6})
Der Stellenwert dieses Vertrages über die Grundlage der Beziehungen zwischen den beiden Staaten im getrennten Deutschland ist bei der Einbringung der Zustimmungsgesetze durch den Bundeskanzler am 14. Februar eindeutig und, wie ich glaube, auch eindrücklich dargelegt worden als Stellenwert in den Beziehungen zu den anderen Verträgen, die wir mit jenem Teil unseres Kontinents geschlossen haben und noch zu schließen beabsichtigen, um dies in dieses Bezugssystem hineinzubringen. Dieser Vertrag - so hat der Bundeskanzler damals gesagt - ist nicht isoliert zu beurteilen. Das wissen Sie aber genauso. Da Ihnen ja alle diese Verträge nicht passen, wollen Sie an dieser Stelle, an der schwierigsten Stelle - wie Sie es leider gemacht haben mit dem Berlin-Abkommen, das Sie beinahe aufs Spiel gesetzt hätten mit Ihren Torpedoschüssen gegen die Ostverträge -, ansetzen.
({7})
- Natürlich! Sie lachen über Sachen, die Sie im Moment gar nicht ermessen können.
({8})
Über Sie lache ich nicht mehr.
Meine Damen und Herren, meine letzte Bemerkung: Dieser Vertrag wird doch nicht geschlossen und ratifiziert als Lohn für Wohlverhalten - wechselseitig -, sondern um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten zu regeln, d. h. mit diesem Vertrag die Grundlage für Beziehungen zu schaffen und einen wahrscheinlich langen und, wie ich annehme, sehr steinigen Weg mit mancherlei abschüssigen Stellen gangbar zu machen. Das ist es. Sie müssen sich das auch nach dieser aktuellen Stunde, bei der nur aktuell geworden ist, daß Sie das wieder aktualisieren möchten, was in den fünfziger und sechziger Jahren für Sie aktuell war, klar und deutlich sagen lassen.
({9})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der aktuellen Stunde.
Wir kehren zurück zu den Punkten 4 und 5 der Tagesordnung: Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses und Wahl der Wahlmänner.
Ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt.
Bei der Wahl der Wahlmänner gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht sind insgesamt 503 Stimmen abgegeben worden, davon 1 ungültige Stimme. Gültige Stimmen somit 502. Hiervon entfielen 232 auf den Vorschlag der SPD, 229 auf den Vorschlag der CDU/CSU und 41 auf den Vorschlag der FDP. Nach dem vorgeschriebenen Höchstzahlverfahren entfallen auf den Vorschlag der SPD 6 Mandate, auf den Vorschlag der CDU/CSU 5 Mandate und auf den Vorschlag der FDP 1 Mandat.
Damit sind von der Vorschlagsliste der Fraktion der SPD gewählt die Abgeordneten Dürr, Metzger, Dr. Müller-Emmert, Dr. Schäfer ({0}), Schulte ({1}) und Wehner, von der Vorschlagsliste der Fraktion der CDU/CSU die Abgeordneten Dr. Jaeger, Vogel ({2}), Dr. Lenz ({3}), Erhard ({4}) und Dr. Hauser ({5}), von der Liste der FDP-Fraktion der Abgeordnete Kleinert.
Ich frage die Herren, deren Namen ich verlesen habe, ob sie die Wahl annehmen. - Ich höre keinen Widerspruch; sie sind damit gewählt.
Bei der Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses sind 502 Stimmen, davon 1 ungültige Stimme, somit 501 gültige Stimmen abgegeben worden. Davon entfielen auf den VorVizepräsident Frau Funcke
schlag der SPD 231 Stimmen, auf den Vorschlag der CDU/CSU 229 Stimmen und auf den Vorschlag der FDP 41 Stimmen. Nach dem Höchstzahlverfahren entfallen auf den Vorschlag der SPD 5 Mandate, auf den Vorschlag der CDU/CSU ebenfalls 5 Mandate und auf den Vorschlag der FDP 1 Mandat.
Damit sind von der Vorschlagsliste der Fraktion der SPD gewählt Dr. Claus Arndt ({6}), die Abgeordneten Dürr, Frau Huber, Dr. Müller-Emmert, Schulte ({7}) und deren Stellvertreter, von der Vorschlagsliste der Fraktion der CDU/CSU die Abgeordneten Vogel ({8}), Memmel, Dr. Hauser ({9}), Erhard ({10}) und Kunz ({11}) sowie deren Stellvertreter, von der Vorschlagsliste der FDP-Fraktion der Abgeordnete Kleinert und sein Stellvertreter.
Auch hier frage ich, ob die genannten Damen und Herren die Wahl annehmen. - Ich höre keinen Widerspruch; sie nehmen die Wahl also an.
Meine Damen und Herren, wir kehren dann zu Tagesordnungspunkt 3 zurück:
a) Beratung des Jahresgutachtens 1972 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache 7/2 -
b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1973 der Bundesregierung
- Drucksache 7/225 Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schachtschabel. Es sind 30 Minuten Redezeit angemeldet.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in den Vormittagsstunden des heutigen Tages von Vertretern der Opposition einige Reden angehört, die kaum dazu dienen, ein objektives Bild der wirtschaftlichen Lage in der Bundesrepublik Deutschland zu geben. Vor allem aber sind in diesen Reden - wie wir gehört haben, teilweise in polemischer Art - die stabilitätspolitischen Bestrebungen und Zielsetzungen der Bundesregierung mit einer so unglaublichen Oberflächlichkeit behandelt worden, daß es dringend erforderlich erscheint, dazu Stellung zu nehmen.
Ich erinnere nur, weil eine gewisse Pause dazwischengelegen hat, an die Rede von Herrn Kollegen Narjes, die er sicherlich mit großer Mühe vorbereitet hat Doch konnten seine Ausführungen keineswegs dadurch an Qualität gewinnen, daß er sie im Brustton der Überzeugung vortrug. Wir fragen ganz schlicht und einfach: Was sollen denn in einer als ernsthaft zu begreifenden Auseinandersetzung diese Allgemeinplätze, wie sie immer wieder vorgebracht worden sind? Da hieß es z. B. - ich zitiere teilweise wörtlich, teilweise sinngemäß -, die Bundesregierung habe den Karren in den Sumpf gefahren, die Bundesregierung müsse handeln, man werde sich seitens der Oppsition niemals zufriedengeben, solange nicht mit Energie die Geldwertstabilität angestrebt werde - obwohl doch gerade in den letzten Tagen sowohl außenwirtschaftlich als auch binnenwirtschaftlich eine Fülle von Maßnahmen getroffen und Regulierungen vorgenommen worden sind.
Ja, dann ist sogar gesagt worden, daß die Flucht in die Sachwerte sichtbar geworden sei. Nun, meine Herren von der Opposition, dazu nur einmal die Frage, ob Sie sich vielleicht noch der Dinge erinnern, die in der letzten Legislaturperiode von Ihnen immer wieder so allfällig kundgetan worden sind, wodurch sie die Inflationsangst regelrecht geschürt haben. Fragen Sie sich einmal selbst, ob Sie nicht dazu beigetragen haben, daß diese Flucht in die Sachwerte überhaupt auftreten konnte.
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Ich will jetzt gar nicht darauf eingehen, daß in anderen Ausführungen auch davon gesprochen worden ist, daß von der Bundesregierung falsche Tatsachen vorgetäuscht worden seien und daß die Bundesregierung, wie gesagt worden ist, „gewurstelt" habe - von Angriffen auf den Herrn Bundesfinanzminister ganz zu schweigen. Wir stellen nur fest, daß wir bedauern, daß diese Ausführungen, die ich meine und von denen ich einige Beispiele gegeben habe, von einem Niveau waren, das man eigentlich nur mit Beschämung zur Kenntnis nehmen kann.
Lassen Sie mich zu einigen dieser Anwürfe Stellung nehmen.
Erstens. Es ist einfach falsch, wenn behauptet worden ist, die Bundesregierung messe dem Ziel der Geldwertstabilität keinen hohen Rang bei. Eine derartige Argumentation geht glatt an der Tatsache vorbei, daß im Jahreswirtschaftsbericht dazu seitens der Bundesregierung eine klare und überzeugende Haltung eingenommen wird.
Die Bundesregierung ist nach § 2 Abs. 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes zu einer Stellungnahme zu den Ergebnissen des Sachverständigenrates in seinem Jahresgutachten verpflichtet. Sie ist dieser Aufgabe nachgekommen. Ich verweise vor allem auf Ziffer 46 des Jahreswirtschaftberichtes.
Dazu, meine Damen und Herren, ein paar kurze Anmerkungen: Hier, in diesem Jahreswirtschaftsbericht, unter der angezogenen Nummer und auch an anderen Stellen, widerspricht die Bundesregierung der Behauptung des Sachverständigenrates, daß sie der Geldwertstabilität einen niedrigen Rang einräume. Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß in der damaligen Situation gar keine Voraussetzungen und auch keine Aussichten für eine durchgreifende Realisierung gegeben waren.
Oder zu einem anderen Punkt. Es ist zu der damaligen Zeit unter Berücksichtigung der außenpolitischen Lage weder das vom Sachverständigenrat empfohlene längere Floaten der D-Mark möglich gewesen, noch war die konjunkturelle Entwicklung zum Jahresbeginn 1972 so eindeutig, daß eine binnenwirtschaftliche Restriktion - übrigens auch nach der Meinung des Sachverständigenrats - zwingend gewesen wäre. Auch hier verweise ich auf die bereits angeführte Ziffer.
Nur am Rande soll noch erwähnt werden, daß auch der von dem Sachverständigenrat herange970
zogene Vergleich über stabilitätspolitische Erfolge in den 50er oder in den frühen 60er Jahren wegen der unterschiedlichen Ausgangslage keineswegs schlüssig erscheint. Mit Verwunderung wird festgestellt, daß der Sachverständigenrat mit seiner negativen Einschätzung der bisherigen Bilanz der Konzertierten Aktion gleichzeitig Argumente gegen einen Stabilitätspakt geliefert hat und insoweit auch seine in früheren Jahren vorgebrachten Erwartungen für eine konzertierte Stabilisierungsaktion - ich verweise auf das Jahresgutachten 1965; dort kann es nachgelesen werden - nunmehr als realitätsfern einschätzt. Das steht in Ziff. 55.
Im Jahreswirtschaftsbericht wird bedauert, daß sich der Sachverständigenrat nicht zu einer eindeutigen Absage an einen Lohn- und Preisstopp durchgerungen hat, obwohl die Praxis die Erfolglosigkeit solcher Maßnahmen bestätigt hat. Dazu verweise ich auf die Ziff. 56. Alles das, meine Damen und Herren, sollte doch eigentlich klar sein und jeden, der das mit objektiver Einstellung zu beurteilen in der Lage ist, davon überzeugen, daß die Bundesregierung ernsthaft darum bemüht ist, die Stabilität zurückzugewinnen.
Aber es ist auch - ich möchte fast sagen: mit einem gewissen Akzent - von der sogenannten Inflationsmentalität gesprochen worden. Auch da scheint es mir so zu sein, daß die Ausführungen im Jahreswirtschaftsbericht offenbar gar nicht mit der genügenden Aufmerksamkeit gelesen worden sind. Ich darf in diesem Zusammenhang die Ziff. 48 des
Jahreswirtschaftsberichts zitieren:
Gerade weil sie
- d. h. die Bundesregierung - die Gefahr nicht verkennt, - ich betone: nicht verkennt die in den Versuchen einer vorwegnehmenden Einrechnung erwarteter Preissteigerungen liegt, bemüht sie sich mit Vorrang um eine verstärkte und nachhaltige Bekämpfung des Preisauftriebs im nationalen und internationalen Bereich.
Nun, meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in den letzten Wochen und Tagen wohl genügend Beweise dafür geliefert, mit welcher Energie sie bemüht ist, dieses Ziel zu erreichen.
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In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß es allen Fachleuten klar ist, daß die Stabilität nicht mit einer Zauberformel zurückgewonnen werden kann. Wir haben heute morgen darüber so einiges gehört, daß nämlich das Ziel so weit gesteckt worden sei, daß man gar nicht mehr an seine Verwirklichung glauben könne. Nun, ich wiederhole noch einmal: Die Stabilität kann nicht mit einer Zauberformel zurückgerufen oder zurückgewonnen werden und auch nicht sozusagen mit einem Ruck von heute auf morgen, sondern dieses Ziel kann doch nur durch stetiges und energisches Bemühen erreicht werden, um somit stufenweise wieder in eine Stabilität einschwingen zu können. Das ist deutlich im Jahreswirtschaftsbericht und in anderen Äußerungen der
Bundesregierung angekündigt. Es ist auch anerkennenswert, daß eine Zielvorstellung vorgegeben ist. Sie ist dadurch vorgegeben, daß es heißt, es werde ein Jahresdurchschnitt von 51/2 bis 6 % angesteuert, und zwar mit einer deutlichen Verlangsamung im zweiten Halbjahr.
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- Verehrter Herr Kollege,
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ich glaube, wir kennen uns zur Genüge: Wenn ich
gesagt hätte, eine solche Vorgabe steht nicht drin,
wären Sie der erste gewesen, der es moniert hätte.
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- Bitte!
Bitte schön!
Herr Kollege Schachtschabel, erinnern Sie sich an die Prognosen für die drei oder vier zurückliegenden Jahresberichte und an 'das, was am Jahresende jeweils daraus geworden ist?
Verehrter Herr Kollege, es ist selbstverständlich, daß man bei Prognosen und Projektionen nicht immer punktuell und vor allen Dingen nicht kommagenau sein kann. Das gebe ich zu.
Nicht kommagenau! Hm!
Des weiteren können Situationen eintreten - das wissen Sie ganz genau, Herr Kollege, und die haben Sie bei anderen Gelegenheiten auch durchstehen müssen -, aus denen sich ganz neue Entwicklungen ergeben, so daß man mit neuen Maßnahmen arbeiten muß. Da hat diese Bundesregierung allerdings bewiesen, daß sie reaktionsfähig ist.
Es sind immer die alten Situationen mit den alten Fehlprognosen!
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Zweitens. Jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Punkt. Die Bundesregierung hat sich nicht nur deutlich, wie ich eben demonstriert habe, für das Ziel der Geldwertstabilität ausgesprochen, sondern - das ist heute morgen moniert worden - sie hat auch gehandelt. Es war zwar gesagt worden, wir müßten da etwas zugeben, sie habe aber nicht ausreichend gehandelt. Meine Damen und Herren, sie hat gehandelt: währungspolitisch zur Sicherung der außenwirtschaftlichen Flanke - darüber haben wir in den letzten Tagen
nicht nur aus der Presse erfahren, sondern auch von dieser Stelle aus sehr viel gehört -, aber auch binnenwirtschaftlich, konjunkturpolitisch mit einem Paket von wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen.
Wir müssen Ihnen noch einmal entgegenhalten: ausschlaggebendes Ziel ist es eben gerade, eine wirksame Reduktion der monetären Nachfrage zu erreichen, und dies nicht nur dadurch, daß allein die öffentlichen Hände mit ihrem Einfluß auf die Nachfrage in die Verantwortung genommen werden. Auch der private Bereich hat dazu seinen Beitrag zu leisten. Darüber ist in den entsprechenden Unterlagen, die hier zur Diskussion anstehen, viel zu lesen.
Ich darf interpretieren, was in diesem wirtschafts- und finanzpolitischen Paket vorgesehen ist. Es soll zweigleisig vorgegangen werden, indem einerseits die Ausgabenexpansion der öffentlichen Hand auf die voraussichtliche Zunahme des nominalen Bruttosozialprodukts beschränkt und andererseits Kaufkraft mit einem Bündel von Maßnahmen sowie durch restriktive Geld- und Kreditpolitik seitens der Deutschen Bundesbank abgeschöpft wird. Zugleich werden die Länder aufgefordert, ihre für 1973 geplanten Ausgaben wie der Bund an der erwarteten Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts zu orientieren. Problematisch ist natürlich, daß der Spielraum für Kürzungen auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte nicht sehr groß ist. Dies betrifft die Personalausgaben, die Sachausgaben und in bestimmtem Umfange auch die Investitionen. Zugleich - darüber sind wir uns hier alle im klaren - müssen die Maßnahmen der öffentlichen Hände durch eine entsprechende Preis- und Lohnpolitik unterstützt werden. Die bisherigen Tarifabschlüsse zeigen ja gerade das Bemühen der Tarifpartner, trotz aller Schwierigkeiten den stabilitätspolitischen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Es ist auch gut, daß die Bundesregierung in ihrer Jahresprojektion von einer Steigerung der Bruttoeinkommen der Unselbständigen ausgegangen ist und dabei eine Zahl fixiert hat. Im Bereich der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen wird ein Anstieg in ähnlicher Höhe erwartet.
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Als weiteres wichtiges wirtschaftspolitisches Anliegen nennt die Bundesregierung unter stabilitätspolitischen Aspekten eine baldige Verabschiedung der Kartellgesetznovelle, Wir wären auch da sehr viel weiter, wenn die Verhältnisse in der vergangenen Legislaturperiode andere gewesen wären. Auch sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordination zu erzielen. In diesem Zusammenhang weist die Regierung erneut auf den vorgesehenen Gleichschritt der Entwicklung von Wirtschafts- und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft hin. Die jetzigen währungspolitischen Beschlüsse bestätigen die Richtigkeit der Konzeption der Bundesregierung.
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Lassen Sie mich noch zu einigen wenigen Punkten Stellung nehmen, die heute morgen angeklungen sind und auf die, wie ich meine, unmittelbar eine Antwort erfolgen sollte.
Drittens. Erinnern Sie sich - ich muß das so ausführen -, daß die Zuwachsrate des Geldvolumens im Jahre 1973, so die Bundesregierung, deutlich reduziert werden soll. Die Bundesregierung drängte aus diesem Grunde auf eine Erweiterung des Ermächtigungsrahmens für das Bardepot bis auf 100 %.
Nun ist heute morgen so unversehens eine Zinsausgleichsteuer erwähnt worden.
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Man tat so ein bißchen, als ob man das in den Raum stellen könnte, ohne das näher begründen zu müssen. Da ist es doch wohl ratsam, zu dieser Zinsausgleichsteuer ein paar Worte zu sagen. Die Vertreter der Opposition, die zu dieser Zeit im Wirtschaftsausschuß tätig gewesen sind, werden sich daran erinnern, daß wir eine ganze Klaviatur von Maßnahmen im Gespräch mit den Vertretern des Bundeswirtschafts- und Finanzministers durchgearbeitet haben, darunter auch die Zinsausgleichsteuer. Wir haben aber die Zinausgleichsteuer mit Recht verworfen.
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Wir haben dafür das Bardepotgesetz bevorzugt. Man kann doch nun nicht aus irgendeiner Pressemeldung erneut wieder einen Gedanken oder eine Überlegung, die dann Zinsausgleichsteuer heißt, hier einfach aufgreifen und sagen: „Das hättet ihr machen müssen."
Ich will jetzt nicht auf diese Zinsausgleichsteuer eingehen. Aber zu überprüfen wäre zumindest, ob bei der Zinsausgleichsteuer, die sämtliche Kapitaltransaktionen erfaßt - im Gegensatz zum Bardepotgesetz, das nur die Kapitaltransaktionen der Nichtbanken erfaßt -, nicht eben doch letztlich ein verstärkter, ein größerer administrativer Apparat benötigt wird. Ich stelle das als Frage hin.
Eine zweite Überlegung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Kann denn nicht mit einer Zinsausgleichsteuer etwa die Selbstfinanzierungsquote nach oben getrieben werden? Das ist eine Frage, die ich aufgeworfen habe. Man kann nicht einfach ein Konzept andeuten und es ohne Überprüfung zur Diskussion stellen. Es ging da heute so ein bißchen hin und her, als ob man hier, ich möchte sagen, mit großen Ideen aufwarten könnte, mit Ideen, auf die offenbar, wie da gesagt worden ist, noch niemand gekommen sei. So ist es nicht. Wir haben noch sehr viel mehr durchexerziert. Wir haben noch sehr viel mehr durchgeprüft, um uns endlich dann für das Bardepotgesetz zu entscheiden, auf das ich im einzelnen jetzt nicht weiter eingehen möchte.
Aber eines darf ich vielleicht noch sagen, weil es mir wichtig erscheint, daß man in dieser Hinsicht doch auch einmal ein Wort eines anderen Finanzpolitikers außerhalb dieses Bundestages an972
hört. Denn ich komme da auf die Begrenzung des Bundesetats auf 120,4 Miliarden DM, also Zuwachs 10,5 %, bei einer Nettokreditaufnahme in Höhe von 4 Milliarden DM. Sie kennen die Dinge. Auch hier hat die Bundesregierung mit dieser Maßnahme ihre ernste Bereitschaft zur Bekämpfung der Preissteigerung dokumentiert. Die Beschränkung der effektiven monetären Nachfrage erfolgt bei Ausgabenkürzung des Staates unmittelbar. Jeder weiß aber, daß die Möglichkeiten der öffentlichen Hand begrenzt sind. Denn bestehen längerfristige inflatorische Gefahren und setzt der Staat die Ausgabenpolitik zur Konjunktursteuerung ein, so entsteht ein Ungleichgewicht zwischen dem privaten und dem öffentlichen Bereich.
Und nun zitiere ich einen Finanzwissenschaftler - wir wollen die Theoretiker nicht ganz so abfällig behandeln, wie das gelegentlich geschieht -, ich zitiere den Finanztheoretiker und meinen Kollegen W. Albers. Es heißt in einer Veröffentlichung von ihm wörtlich:
Eine längerfristige Restriktionspolitik zu Lasten öffentlicher Ausgaben geht einseitig zu Lasten der Infrastruktur, da die Ausgaben des Staates für Konsumgüter und Dienste überwiegend gesetzlich oder rechtlich festgelegt sind, so daß sie kurzfristig nur bedingt den konjunkturellen Erfordernissen angepaßt werden können.
Aber, meine Damen und Herren, vergessen wir dabei doch nicht, daß das Hauptgewicht auf einigen weiteren Maßnahmen liegt, die vor allen Dingen auch die private Nachfrage treffen, und daß damit eine Wirksamkeit erreicht werden kann. Ich erwähne nur die Stabilitätsanleihe, die offenbar in der ersten Tranche sehr gut angekommen ist. Das ist doch auch ein Beweis dafür, daß diese Maßnahmen der Bundesregierung in der Öffentlichkeit richtig aufgenommen werden. Natürlich - das bestreiten wir in keiner Weise -: quantitativ fällt sie am stärksten ins Gewicht. Sie ist ein, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister gesagt hat, in hohem Maße marktkonformes Mittel. Sie sind doch von der Opposition immer gerade dafür, marktkonforme Mittel anzuwenden. Die Stabilitätsanleihe ist nun einmal so ein Mittel und dann ist heute morgen so getan worden, als ob das alles in den Mülleimer geworfen werden müßte. Nun, sicherlich wird, das geben wir zu, diese Anleihe nicht Kaufkraft in gleicher Höhe neutralisieren. Wohl aber schränkt sie - und das ist doch das Entscheidende, und darauf ist auch heute morgen aus berufenem Munde hingewiesen worden den Liquiditätsspielraum für private und öffentliche Nachfrage, also auch von Ländern und Kommunen, ein. Die Stillegung der Mittel bei der Notenbank gewährleistet ihre völlige liquiditätspolitische Neutralisierung.
Ich könnte auch noch auf die übrigen Maßnahmen mit einigen kurzen Bemerkungen eingehen, damit erst einmal verdeutlicht wird, um was es eigentlich geht. Aber die Zeit drängt, und deswegen darf ich gleich - zum Abschluß - auf einen letzten Punkt kommen.
Es ist - das möchte ich unter Punkt 4 meiner Darlegungen anführen in einigen Ausführungen darauf abgehoben worden, man sollte an eine Änderung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes denken. Diese Anregung ist keineswegs neu. Ich nehme es niemandem übel, wenn er die Protokolle aus der letzten Legislaturperiode nicht nachliest, vielleicht weil er zu wenig Zeit hat. Ich kann auch nicht verlangen, daß er sie nachliest. Es ist aber an dieser Stelle schon früher sehr deutlich gesagt worden, daß man auch an eine Novellierung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes denkt, und zwar nicht nur an eine Novellierung, eine Verbesserung, eine Ergänzung, eine Weiterführung oder Fortschreibung des Instrumentariums der Zentralnotenbank. Nein, nein, meine Damen und Herren! Wir haben hier sehr offen und sehr deutlich darüber gesprochen, und diese Anregung hat, wie ich schon sagte, dazu geführt, daß wir uns auch selber einige Gedanken darüber gemacht haben. Es liegen sogar gedruckte Äußerungen darüber vor, die man eigentlich kennen sollte. Besonders dann, wenn man sie den interessierten Politikern oder Wissenschaftlern zugeschickt hat, müßte man eigentlich erwarten können, daß sie ein paar Minuten Zeit finden, sich auch mit den Grundlagen zu befassen, die in meiner Fraktion und in unserer Koalitionsfraktion Grundlage und Unterlage dafür sein werden, diese Dinge zeitadäquat zu entwickeln und voranzutreiben. Da brauchen wir nicht erst jemand zur Belehrung hierher zu bestellen, sondern das machen wir laufend und arbeiten wir entsprechend durch.
Aber, meine Damen und Herren - lassen Sie mich darauf noch einmal abheben -, es ist in diesen Ausführungen, die wir mit den Vertretern der zuständigen Ministerien abgestimmt haben, auch sehr deutlich geworden, inwieweit etwa - das alles steht darin - eine Einbeziehung der Gemeinden in die Konjunkturausgleichsrücklage möglich ist. Ich sage das nur als Beispiel, von anderen Vorschlägen und Überlegungen ganz zu schweigen.
Ich darf dazu noch folgendes bemerken. Sie können sicher sein, daß diese und viele andere Ausführungen, wenn es für ratsam und richtig befunden wird, zur Grundlage eingehender Erörterungen gemacht werden, denn auch wir wollen - darüber besteht gar kein Zweifel - die Instrumente für die Konjunkturpolitik verbessern, wir wollen sie wirksamer machen, wir wollen sie so gestalten, daß sie griffig sind und dort, wo sie noch nicht ganz so gewirkt haben, wie wir es uns vorstellen, auch in entsprechender Form eingesetzt werden, damit wir Erfolge erzielen können.
Aber, meine Damen und Herren - ich darf das ohne Polemik sagen; diejenigen, die sich getroffen fühlen, mögen mir das nicht übelnehmen -, es ist nach meiner Auffassung schlechthin billig und regelrecht primitiv, wenn gesagt wird, der Bundesregierung oder auch den Regierungsfraktionen fehle es an einem Konzept. Nun, wir tun nicht so, ich möchte fast sagen, naßforsch, als ob wir alles wüßten und könnten, und wir tun auch nicht so, als ob andere, wie es uns heute gelegentlich entgegengehalten worden ist, keine Ahnung von diesen Dingen hätten.
Wir haben dazu ja heute morgen einiges gehört. Wir arbeiten vielmehr sehr sorgfältig und gediegen, wir überprüfen und verbessern und vermeiden Rechthaberei. Denn wir wollen, sofern Sie dazu bereit sind, auch mit Ihnen über eine ganze Reihe von Problemen ernsthaft sprechen, aber dann auch wirklich ernsthaft und nicht mit dem Ergebnis, daß wir immer wieder in eine Konfrontation geraten. Unser Anliegen - das haben auch Sie gesagt - ist vielmehr ein gemeinsames Bemühen um eine wirkungsvolle Konjunkturpolitik mit Ausrichtung auf das Ziel, Stabilität zu erreichen. Dazu, meine Damen und Herren - das ist von Ihnen auch in einem anderen Zusammenhang deutlich gemacht worden; ich habe es zwar nicht heute morgen, aber gelegentlich doch gehört -, sind wir ganz gewiß bereit. Denn uns geht es nicht nur darum, eine Stabilitätspolitik zu konzipieren und durchzuführen - wir vertreten sie, wir sind dabei, sie wirksam einzusetzen -, sondern wir würden uns auch freuen, wenn Sie bereit wären, mit uns über die Maßnahmen, die getroffen worden sind, nicht wie heute morgen, sondern in Sachlichkeit, in Ruhe und mit Bedachtsamkeit, zu sprechen.
Lassen Sie mich mit der Bemerkung schließen -sie richtet sich an ganz bestimmte Adressaten -: Mit uns kann man diskutieren. Es wäre schön, wenn auch die Opposition dazu einen konkreten Beitrag leistete. Davon haben wir aber, von einigen müden Ansätzen abgesehen, heute morgen, bis zur Stunde und auch in der Öffentlichkeit nichts gehört.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Obwohl das heute morgen von den Sprechern der Opposition kritisiert worden ist, möchte auch ich mit einem Wort des Lobes über den Jahreswirtschaftsbericht beginnen, und zwar einem Wort des Lobes über den Realismus, durch den er sich auszeichnet, und zwar insbesondere in den Punkten, auf die auch der Herr Minister heute morgen hingewiesen hat und die ich stichwortartig wiederholen möchte. Ich meine den Realismus in bezug auf die Grenzen des Machbaren, die Grenzen des Quantifizierbaren und die Grenzen des Vorhersehbaren. Das scheint mir eine ganz entscheidende und wichtige Feststellung zu sein. Gestatten Sie mir, daß ich dies auch als die Sprache der FDP ansehe, und zwar gilt dies nicht nur heute, sondern genauso gestern und morgen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, der Grund liegt letzten Endes darin, daß die FDP das historisch größte Verdienst daran gehabt hat, daß gleich nach dem Kriege und der Nachkriegszeit im Jahre 1948 der Durchbruch zur sozialen Marktwirtschaft für dieses Land, das damals noch in drei Zonen aufgeteilt war, erreicht werden konnte. Wir sind uns deshalb wahrscheinlich auch immer am besten der Möglichkeiten und der Grenzen einer solchen von uns bejahten Ordnung bewußt gewesen.
Dieser Realismus - das hat der Vormittag bewiesen; es wäre schön, wenn uns die kommenden
Sprecher der Opposition am späten Abend eines Besseren belehrten - fehlt der Opposition. Ich finde dafür nur die Erklärung - nach dem, was wir heute nachmittag erlebt haben, formuliere ich das jetzt so -, daß die Opposition in diesem Hohen Hause auch die Konjunkturpolitik mit Parteipolitik verwechselt.
Ich möchte gern eine kurze Verbindung der heutigen Debatte zu der Debatte über die Regierungserklärung im Januar dieses Jahres herstellen, und zwar anknüpfend an die Auseinandersetzung zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Kollegen Strauß über die Prioritäten der Instrumente, der Mittel der Konjunktur- oder - konkreter - der Stabilitätspolitik. Der Herr Bundeskanzler hatte damals in der Regierungserklärung die Geld- und Kreditpolitik an erster Stelle genannt, dann die Haushaltspolitik und dann die Wirtschaft. Herr Kollege Strauß hatte daran eine Reihe von kritischen Passagen geknüpft und für sich und seine Freunde die absolute Priorität für die Haushaltspolitik als Instrument der Stabilitätspolitik gefordert, reklamiert, oder wie immer wir es formulieren wollen. Ähnliches haben wir ja auch heute wieder von den Sprechern der Opposition gehört. Auf ihre Ausführungen, verehrter Kollege Zeitel, komme ich gleich zurück.
Wir sind demgegenüber der Meinung, daß es absolut richtig ist, bei der Ordnung der Prioritäten dieser Instrumente die Geld- und Kreditpolitik mit weitem Abstand an die erste Stelle zu setzen. Das ist, nebenbei gesagt, marktkonform, systemimmanent oder wie immer wir es bezeichnen wollen, denn die Geld- und Kreditpolitik bestimmt ja letzten Endes die entscheidende Größe, nämlich die Größe der Nachfrage. Konjunkturpolitisch ist es doch wirklich gleich, wer die Nachfrage ausübt. Entscheidend ist immer die Größe der Nachfrage. Das war eine richtige Feststellung des Kollegen Strauß in seiner ja auch im übrigen beeindruckenden Rede im Januar 1973 bei der Debatte über die Regierungserklärung. Über diese Feststellung habe ich mich sehr gefreut. Die Hoffnungen, die sich an diese Feststellung des Kollegen Strauß damals geknüpft haben oder knüpfen konnten, haben sich natürlich nicht erfüllt. Das hat auch heute wieder die Debatte, das hat der Beitrag des Kollegen Narjes und besonders ausgeprägt natürlich der Beitrag des Kollegen Zeitel erwiesen.
Im übrigen - ich will auf die Währungspolitik
hier nicht weiter eingehen - hat natürlich alles das,
was wir währungspolitisch erlebt haben, diese Priorität der Geld- und Kreditpolitik auch unterstrichen. Die Grenzen der autonomen Geld- und Kreditpolitik haben wir dabei sicherlich auch erkennen können.
Wenn ich das, was hier heute morgen kritisch gesagt worden ist, betrachte, dann muß ich feststellen, daß das in der Sache zum Teil natürlich gar nicht falsch ist. Nur ist es eine Kritik am falschen Ort, an die falsche Adresse. Von dem, was darüber gesagt worden ist, was in Europa besser sein könnte, hätte ein Teil nicht hier gesagt werden sollen, weil das, was hier kritisch gesagt wird, natürlich als Kritik an der Regierung verstanden wird; das ist ja auch Ihr Ziel. Das kann man sagen, wo es in Europa ge974
sagt werden sollte. Das gehört in die europäischen Gremien.
Im übrigen habe ich manchmal den Eindruck, daß die CDU der Auffassung ist oder andere der Auffassung werden lassen will, wir könnten hier in Europa bestimmen, wir könnten unseren Partnern innerhalb und außerhalb der EWG irgend etwas diktieren. Das können und wollen wir auch gar nicht. Wir können immer nur auf die Überzeugungskraft unserer Argumente bauen und müssen dabei einkalkulieren, daß die anderen genauso wie wir dabei berechtigte Interessen zu vertreten haben.
Wie gesagt, für uns steht die Kredit- und Geldpolitik in ihrer Bedeutung als konjunkturpolitisches Instrumentarium ganz klar an erster Stelle. Dann kommt natürlich erst einmal die Wirtschaft selbst. Das habe ich hier drei Jahre lang zum Ausdruck gebracht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Zeitel?
Selbstverständlich, gerne, Herr Zeitel.
Herr Kollege Kirst, selbst die Bundesbank hat eindeutig festgestellt, daß sie angesichts der währungspolitischen Entwicklung die geldpolitischen Probleme nicht schaffen kann. Sind Sie wirklich der Auffassung, daß es dennoch möglich ist?
Herr Zeitel, Sie haben nicht zugehört oder mich falsch verstanden. Ich habe ja selber auf die Grenzen, die der autonomen Geld- und Kreditpolitik gesetzt sind, hingewiesen.
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- Natürlich ziehen Sie die falsche Folgerung daraus: daß das, was mit Mitteln der Geld- und Kreditpolitik nicht oder nur bedingt zu erreichen ist, mit anderen Mitteln besser zu erreichen ist. Das ist der Streit, den wir miteinander austragen. Ich komme auf Ihre Ausführungen noch zurück. Nur sind sie in meiner Konzeption noch nicht ganz dran, weil ich meine: Das erste Mittel ist die Geld- und Kreditpolitik; dann kommt das Verhalten der Wirtschaft selbst; dann kommt lange nichts; dann kommt die öffentliche Finanzwirtschaft; und dann komme ich wieder zu ihnen zurück.
Ich habe das hier jahrelang zum Ausdruch gebracht und will auch nicht alles wiederholen, obwohl mir gerade ein Wort in die Erinnerung kommt, das ich bei Churchill gehört habe - er hat es vielleicht auch von jemand anderem -: die Wiederholung sei die Mutter der Weisheit. Das animiert vielleicht dazu, es doch immer und immer wieder zu versuchen. Denn in welcher Funktion, auf welcher Seite, in welcher Größenordnung und was auch immer die Menschen in der Wirtschaft selber an Entscheidungen treffen, es ist für die konjunkturelle Entwicklung unendlich wichtiger und bedeutungsvoller als die
Haushalts- und Finanzpolitik. Das ist nun einmal eine Erkenntnis, die Sie sicher weniger leugnen würden, wenn Sie in diesem Hause politische Verantwortung trügen. Denn das ist das Schlimme, daß Sie hier immer nur aus parteipolitischen Gründen meinen der Regierung eine Verantwortung auflasten zu sollen, die ihr in Wirklichkeit nicht zukommt.
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Meine Damen und Herren, ich will hier die Haushaltsdebatte, die wir Anfang April in erster Lesung führen wollen, nicht vorwegnehmen. Aber, ich glaube, man muß es einmal so sagen: Die Haushaltspolitik ist in den letzten Jahren in die Gefahr geraten, zur bloßen Funktion der Konjunkturpolitik zu werden. Ich kann es auch fast so formulieren: Die Konjunkturpolitik hat sich als Geißel der Haushaltspolitik erwiesen. Das sollte man auch einmal sehr deutlich sagen; denn die Haushaltspolitik hat sicherlich eine selbständige und wichtige Funktion. Ich glaube, es wäre angemessen, darüber im Rahmen der Haushaltsberatungen im April etwas vertieft nachzudenken und etwas vertieft zu sprechen.
Was die Grenzen der antizyklischen Haushaltspolitik betrifft - auch darüber habe ich, wie gesagt, in diesem Hause wiederholt gesprochen -, so hat heute Herr Kollege Zeitel - damit bin ich bei seinen Ausführungen -, wenn ich das so formulieren darf, bei dieser Darstellung einen Gipfel der Verzerrung erreicht. Er hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, doch davon gesprochen, daß die Allein- oder zumindest die weit überwiegende Hauptschuld den Bund trifft. Habe ich Sie so richtig verstanden?
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- Vielen Dank, daß Sie mir das bestätigen. Sie haben im gleichen Atemzug - das ergibt sich ja logisch daraus - eine Art Freispruch oder mildernde Umstände
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für die Länder und Gemeinden abgeleitet. Damit, Herr Dr. Zeitel, entsprechen Sie nicht einmal dem, was die Sachverständigen in den entsprechenden Ausführungen ihres Gutachtens sagen, auf die Sie sich im übrigen berufen. Denn wer den Sachverständigenbericht sehr genau liest - ich habe darauf auch im Dezember bei den Lesungen des Haushalts 1972 wiederholt hingewiesen -, der sieht sehr deutlich, daß diese Sachverständigen von ihrem Standpunkt aus zu Recht eine weit größere Verantwortung den Ländern und Gemeinden für finanzpolitisches Fehlverhalten anlasten als dem Bund. Herr Dr. Zeitel, wenn Sie das gelesen haben, werden Sie dem nicht widersprechen können. Insofern verstehe ich das, was Sie hier vorgebracht haben, einfach logisch nicht. Ich verstehe es nur politisch, und so war es ja auch gemeint, denn wer, meine Damen und Herren, von den Haushalten redet, der sollte nicht nur darüber reden, der sollte sie auch kennen. Der sollte einmal wissen, wie es um Haushaltspläne steht und was sie enthalten. Dann werden Sie nicht bestreiten können, daß, wenn wir jetzt überhaupt einmal von der konjunkturpolitischen Wirkung sprechen, natürlich die konjunkturpolitisch besonders relevanten InvestiKirst
tionen in den Länder- und Gemeindehaushalten eine viel größere Rolle spielen. Untersuchen Sie doch einmal, welche Rolle die Hochbauten - wir wissen alle, daß die Bauwirtschaft ein besonderer Brennpunkt der Hochkonjunktur ist - vergleichsweise im Bundeshaushalt und in der Summe der Länder- und Gemeindehaushalte spielen. Dann werden sie das bestätigt finden, was ich eben gesagt habe.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jenninger?
Bitte, Herr Jenninger!
Herr Kollege Kirst, es ist zutreffend, was Sie hinsichtlich der Verantwortung der Länder und Gemeinden in der Darstellung in den Sachverständigengutachten in den Jahren 1970 und 1971 sagen. Aber würden Sie wenigstens zugestehen, wenn Sie das schon gelesen haben, daß dort auch sehr deutlich dargestellt wird, daß der Bund die Möglichkeiten leider nicht wahrgenommen hat, die er sowohl nach der Verfassung als auch nach den Institutionen - beispielsweise Finanzplanungsrat - hatte und leider Gottes nach den nicht geschaffenen Instrumentarien nach dem Stabilitätsgesetz haben müßte, um hier zusammen mit Bund, Ländern und Gemeinden eine gemeinsame antizyklische Konjunkturpolitik zu entwickeln?
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Ich glaube, daß die Möglichkeiten, von denen Sie zum Teil, Herr Dr. Jenninger, auch nur im Konjunktiv gesprochen haben, die also geschaffen werden könnten, die gar nicht vorhanden sind, zur Zeit nicht realisiert werden können. Daß der politische Wille bei den Ländern, ganz gleich, wer da regiert - darüber wollen wir uns gar nichts vormachen -, kaum vorhanden ist, muß man dabei ganz deutlich sehen. Es kommt hinzu, daß es - ({0})
- Aber dieser Finanzplanungsrat hat keine Entscheidungsbefugnisse, und wir haben keine Möglichkeit, auf die Länder- und Gemeindehaushalte einzuwirken. Wir können bei den Länderkrediten nach S 19 des Stabilitätsgesetzes Einfluß nehmen. Bei den Gemeinden ist das schon nicht mehr möglich, wie wir alle in den letzten Tagen und Wochen wiederholt erörtert haben.
Aber, um noch einmal die konjunkturpolitische Bedeutung ins richtige Licht zu rücken und Ihre Bemerkungen, Herr Dr. Zeitel, die ich wirklich als völlig abwegig ansehen muß, richtig zu qualifizieren: Von dem Haushaltsvolumen der öffentlichen Hand - Bund, Länder und Gemeinden - entfallen bekanntlich rund 60 °/o auf Länder und Gemeinden.
({1}) - Nein, nein!
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- Wir können es ja nachlesen! Es entfallen knapp 60 °/o auf Länder und Gemeinden und gut 40 % auf die andere Seite.
Lassen Sie mich nun noch einige Bemerkungen zu dem machen, was von der Opposition und insbesondere auch von Herrn Professor Zeitel zu dem Stabilitätsprogramm gesagt worden ist. Ich meine, wir sollten das heute nicht unbedingt vertiefen; denn uns steht ja noch die erste Lesung der entsprechenden Gesetze bevor. Nur, ich meine, die Opposition hat doch den Ruf, den ich ihr in einer Debatte einmal angehängt habe - das ist wohl vor zwei Jahren gewesen -, nämlich den Ruf eines stabilitätspolitischen Suppenkaspers auch diesmal wieder glänzend gerechtfertigt.
Sie redet immer, d. h. sie zeigt immer Hunger nach Stabilitätsmaßnahmen. Wenn ihr die Regierung irgend etwas vorsetzt - das mag sein, was es will, von der Aufwertung 1969 angefangen über alle Stationen hinweg, die ich gar nicht im einzelnen aufzählen will, bis zu diesen Maßnahmen jetzt -, dann kommt das Echo: nein, meine Suppe eß ich nicht. Genauso hat sich die Opposition in den letzten Jahren unentwegt verhalten.
Ich meine auch, die unrühmliche Rolle, die die Opposition beim Konjunkturzuschlag gespielt hat, sollte sie eigentlich veranlassen, dieses Wort gar nicht mehr in den Mund zu nehmen. Sie hat sich damals, als das Gesetz im Sommer 1970 beschlossen wurde, erst enthalten. Sie hat dabei aber die Rückzahlung bezweifelt. Im gleichen Atemzug - es ist interessant, das noch im Zusammenhang mit dem festzustellen, was auch Herr Kollege Strauß heute morgen in Zwischenfragen produziert hat - wollte sie die Rückzahlung mit Hilfe eines Antrags ein Jahr früher haben, als die Regierungsvorlage das vorsah. Dann hat sie, als die Rückzahlung erfolgte, auf der einen Seite dagegen polemisiert, und andere haben uns unkeusche Ratschläge gegeben, die Rückzahlung gar nicht vorzunehmen, sondern das Geld endgültig einzubehalten. Das war das Verhalten der Opposition bei dem Konjunkturzuschlag.
Nun muß man doch sehr deutlich sehen: Worin liegt denn eigentlich der Grund dafür, daß die Regierung dem Parlament vorschlägt, den Haushalt 1973 in einem zu der Summe des Haushalts sicher relativ unbedeutenden Maße durch eine Steuererhöhung auszugleichen? Der liegt doch letzten Endes darin, daß hier einem jahrelangen Prozeß der Verketzerung öffentlicher Kreditaufnahmen Rechnung getragen wird, wie ihn eine ganz illustre Gesellschaft - Bundesbank, Sachverständige, diese und jene Journalisten und nicht wenige Politiker der Opposition - betrieben hat. Darin sehe ich ganz nüchtern den Anlaß für diese Entscheidung. Denn wer eine Ausweitung der öffentlichen Kredite verketzert, darf auf der anderen Seite nicht gegen Steuererhöhungen polemisieren, d e r hat dazu jedenfalls kein Recht.
Wie würde die Opposition und wie würden andere Kritiker über die Regierung herfallen, wenn sie alternativ den Kreditbedarf - wir werden das mit den Zahlen bei der Haushaltsberatung ja noch detailliert behandeln - entsprechend höher vorgelegt hätte? Umgekehrt war die Kritik des Kollegen Narjes von heute morgen - das zeigt ja, wie ungereimt das alles ist, was hier letzten Endes immer nur for show gesagt wird - an dem auch im neuen Haushalt ohnehin vorhandenen Kreditvolumen praktisch, konsequenterweise ein Plädoyer für weitere, für verstärkte Steuererhöhungen. Anders kann man das logisch gar nicht begreifen. Denn daran muß man sich nun einmal gewöhnen, auch die Kollegen der Opposition und diejenigen, die darüber sonstwo schreiben und reden: Man kann nicht gleichzeitig gegen mehr Kredite oder gegen mehr Steuern und gleichzeitig für mehr Leistungen der öffentlichen Hand sein. Das ist doch das, womit wir auf der Seite der Kritiker immer zu tun haben.
Nun noch ein paar Worte zu den sogenannten Alternativen; wir sind damit beim Problem der Alternativen. Was der Kollege Zeitel hier geboten hat, war wirklich nicht überwältigend. Das kann man nicht anders sagen.
({3})
Man muß wohl sagen: wenn wir das täten - auf einiges ist Professor Schachtschabel eingegangen -, wenn wir Ihre sogenannten Alternativen, soweit sie überhaupt konkret waren, verwirklichten, würde sich dieser Preisindex nicht einmal um Promille nach unten bewegen. So muß man das wohl einschätzen. Nur, wer den Mut und/oder - das ist die Preisfrage - die Fähigkeit - freundlich wie ich bin, bezweifle ich mehr den Mut als die Fähigkeit bei Ihnen - zu Alternativen vermissen läßt, dem wird, das haben Sie erfahren, die Fähigkeit zur Alternative als Regierung abgesprochen. Das ist aber Ihr Problem, was uns nicht stört.
Kollege Zeitel hat davon gesprochen, man müsse hier zwischen Bund, Ländern und Gemeinden dieses und jenes tun. Das war die alte Vokabel, die wir auch schon aus dem vergangenen Herbst kennen, die alte Vokabel der Bestandsaufnahme, die natürlich in der Sache überhaupt nichts bedeutet. Ich leugne gar nicht, daß es zwischen Ländern, Gemeinden und dem Bund Fragen der Kompetenzen und im Zusammenhang damit auch der Mittel zur Finanzierung gibt. Das sind sicher Dinge, mit denen wir beschäftigt sind und weiter beschäftigt sein werden. Nur hat das zumindest unmittelbar überhaupt keine konjunkturpolitische Auswirkung. Wenn man sagt, das ist eine Alternative, dann ist es keine. Und wenn man sagt, bevor wir irgendwelchen Maßnahmen zustimmen, muß man erst dieses tun, dann ist das eine Ausrede.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Stabilitätsgesetz. Es fehlt außer dem Bekenntnis, man müsse dieses Gesetz reformieren oder novellieren, die Angabe, wie und wo man das machen könne. Da habe ich nichts gehört. Vielleicht hören wir das noch. Es gibt, wenn ich das richtig weiß, auch keinen Antrag. Wie viele Anträge Sie auch immer produziert haben, es hat nie einen Antrag der Opposition gegeben, dieses Gesetz zu novellieren. Dann käme es darauf an, daß es durch eine Novellierung wirklich praktikabler würde. Wenn Sie das gemeint haben sollten, daß dieses Gesetz, so wie es ist, nicht der Weisheit letzter Schluß und wenig praktikabel ist, bin ich mit Ihnen völlig einer Meinung. Man könnte dann viel über die Entstehungsgeschichte sagen. Ich will mir das verkneifen, nicht nur wegen der Zeit. Aber wenn man sich einmal mit diesen Dingen befaßt, muß man ehrlicherweise zu folgendem kommen. Wenn man diese Wunsch- und Wundervorstellungen, die an dieses Gesetz geknüpft werden, fälschlicherweise überhaupt meint verwirklichen zu können, müßte man etwas tun, was gar nicht möglich ist, nämlich ganz konkrete Eingriffskriterien festlegen. Dann würde es vielleicht funktionieren. Aber ich habe meine Zweifel ob das geht und ob das dann noch mit unserer marktwirtschaftlichen Ordnung vereinbar wäre.
Sie haben über die Subventionen gesprochen. Auch das waren nur allgemeine Erklärungen. Wir sehen Ihren konkreten Vorschlägen sehr interessiert entgegen. Herr Zeitel, Sie haben das Wort vom „Dschungel" gebraucht. Ich darf mir nur die Bemerkung erlauben - das ist auch in der Natur so -, daß ein Dschungel nicht über Nacht wächst. Jedenfalls ist dieser Dschungel nicht in drei Jahren, sondern in 23 Jahren entstanden, Das sollten wir gemeinsam sehen.
({4})
Aber vielleicht roden wir einmal gemeinsam.
Die stabilitätspolitische Debatte - das hat der Vormittag gezeigt - gerät in Gefahr, wieder so wie in den letzten drei Jahren zu laufen, nämlich so, daß die Opposition hier nur meint, ein bequemes Mittel zu haben, der Regierung Schuld und Versagen vorwerfen zu können.
({5})
- Es trifft eben nicht zu, Herr Dr. Sprung. Ich halte das für falsch und zugleich für gefährlich. Das es für Sie nicht erfolgreich war, haben Sie ja auch, nebenbei gesagt, bemerkt; aber das ist auch Ihre Sache. Ich halte das für falsch und für gefährlich.
Ich halte es für falsch, weil - ich werde das hier so lange immer wieder sagen, bis Sie es nicht mehr hören mögen und es glauben - Sie eben nicht die nur begrenzten Einflußmöglichkeiten des Staates in der von uns allen bejahten Wirtschaftsordnung ständig verleugnen dürfen. Sie können nicht ständig - frühmorgens, mittags und abends - aus professionellem Zweiflertum heraus von uns, von dieser Regierung, von dieser Koalition, ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft verlangen und dann durch Ihre eigenen Aussagen zu diesen Themen letzten Endes deutlich machen, daß Sie marktwirtschaftliche Zusammenhänge gar nicht begreifen wollen, wenn es Ihnen nicht paßt. So geht es eben nicht, meine Damen und Herren.
({6})
Ich halte es für gefährlich, weil Sie - und das ist doch nun das Ziel Ihrer Politik -, dem Bürger weismachen wollen, die Regierung könnte, wenn sie nur wollte oder wenn sie fähig wäre. Das ist das Gefährliche - nicht für die Regierung -, weil nämlich dann beim Bürger die Illusion erweckt und gehegt und gepflegt wird: die da oben, die können das, die müssen das; auf uns kommt es gar nicht an. Das ist das Gefährliche an dieser Argumentation, wie Sie sie hier führen. Denn, meine Damen und Herren: Mehr Stabilität im Rahmen der gegebenen Verhältnisse - denken wir nur noch einmal an die außenwirtschaftlichen Bezüge usw. - werden wir nur erreichen, wenn jeder Bürger und jede Gruppe von Bürgern - wo immer sie selbst für sich oder für andere entscheiden - dieses Mehr an Stabilität zur Richtschnur ihres Handelns machen und sich nicht auf die Regierung verlassen, weil das in unserer Ordnung nun einmal so ist.
({7})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie die Fraktionsführungen wußten, habe ich heute tagsüber eines ausländisches Besuches wegen leider einen wichtigen Teil der Debatte nicht hören können. Ich habe ihn aber inzwischen gelesen. Er gibt kaum Stoff für eine längere Rede,
({0})
jedenfalls was die Reden der Herren Prof. Zeitel, Prof. Narjes und Dr. Strauß angeht.
({1}) - Kein Professor? Ich dachte.
({2})
- Ich glaube, das ist ein kleinerer Fehler, und Sie sehen mir das nach. Wenn man das liest, was Herr Narjes gesagt hat, wirkt es überaus professoral. Vielleicht hat es sich auch so angehört; ich weiß es nicht.
({3})
Ich habe hier nur das Wort erbeten, meine Herren von der CDU/CSU, weil mir daran lag, nicht hinterher - wie es mir in der Januar-Debatte passiert ist - von irgend jemandem öffentlich gesagt zu kriegen, ich hatte mich hier gedrückt.
Ich habe die Rede von Herrn Strauß gelesen. Rhetorisch sehr hübsch - wie immer. Es war ja auch notwendig, ein bißchen Rhetorik zu verbreiten, nachdem man es nötig hatte, sowohl das, was Herr Dr. Barzel unvorsichtigerweise ein paar Tage vorher öffentlich gesagt hatte, als auch das, was Herr Narjes, unmittelbar vor ihm sprechend, gesagt hat, und auch die Äußerungen von Herrn Höcherl und Herrn Dollinger und anderen doch jedenfalls so zu behandeln, daß nicht allzuviel Widerspruch offensichtlich wurde. Der Kernsatz in der Rede des Herrn Kollegen Dr. Strauß ist der, wo er in schöner Offenheit zugegeben hat, von der Währungspolitik sprechend, daß die Bundesregierung in Brüssel mitgeholfen hat, die besten Beschlüsse herbeizuführen, die tatsächlich in dieser Lage möglich gewesen sind. Keiner anderen Regierung - so hat er wörtlich hinzugefügt - wäre es gelungen, etwas anderes, etwas Besseres zu erreichen, als tatsächlich erreicht worden ist. Mir scheint, daß dieser Kernpunkt der Rede des Oppositionssprechers wirklich dick hervorgehoben gehört. Übrigens will ich gerne auch meinerseits unterstreichen, daß dies eine faire Bemerkung gewesen ist.
Was den Kollegen Prof. Zeitel angeht - das mit dem Professor ist hier aber, glaube ich, richtig -, bin ich erstaunt über eine Bemerkung, die ich bei ihm gelesen habe. Sie, Herr Zeitel, haben ausgeführt, so wie der nächste Winter komme auch die nächste Währungskrise, und wir in unserem Lande hätten immer noch keine zuverlässige, rechtzeitig aufgebaute Sicherung. Was wollen Sie damit sagen?
({4})
Ich will ad 1 bemerken, daß es einstweilen nicht der Verantwortlichkeit eines Mitglieds dieses Hauses entspricht, in dieser Lage jetzt von der nächsten Währungskrise zu sprechen.
({5})
Zum anderen aber: Wie vereinbaren Sie denn das, was Sie über eine Sicherung „in unserem Lande" gesagt haben, mit den Ausführungen des Kollegen Strauß, der mit Recht und sehr viel sachverständiger von der Notwendigkeit einer Welt währungsreform gesprochen hat?
({6})
Eine nationale Sicherung gibt es nur, wenn Sie grundsätzlich den Kurs der deutschen Währung freigeben wollen. Dann sagen Sie das deutlich! Dann allerdings befinden Sie sich in Widerspruch zu all denjenigen Ihrer CDU/CSU-Kollegen, die hier so sehr für die europäische Integration gesprochen haben. Eines von beiden geht nur, und Sie müßten uns einmal sagen, welches von den verschiedenen Angeboten wir uns aussuchen sollen.
({7})
Im übrigen ist die Bundesregierung bereit, im Finanzausschuß - wohin es gehört - über Fragen der Weltwährungsreform zu sprechen, und sie würde es begrüßen, wenn alle diesbezüglichen Äußerungen in der Öffentlichkeit, auch die seitens der Opposition, sorgfältig überlegt würden.
({8})
- Wenn sie sorgfältig überlegt würden, Herr Kollege Zeitel!
({9})
Es gibt eine ganze Menge mehr an Widersprüchen. Z. B. wird auf der einen Seite gesagt, die Regierung leiste einen finanzpolitischen Offenbarungseid auf
Raten. Das hören wir viele Male; das wird auch immer nachgeredet von anderen, die das von ihren Vordermännern übernehmen. Auf der anderen Seite wird heute gesagt, z. B. auf die geplante Mineralölsteueranhebung könne man ganz oder teilweise verzichten. So hat es dann auch Herr Höcherl irgendwo geschrieben, und so hat dann also auch Herr Strauß heute eingeräumt, daß diese finanzpolitischen Maßnahmen jedenfalls nicht notwendig seien, um Haushaltsbedürfnisse zu befriedigen. Herr Müller-Hermann hat dann aber, wie ich im Protokoll gelesen habe, in einer Zwischenfrage gesagt, damit würden nun doch die Lücken im Haushalt gestopft. Und so geht das alles durcheinander.
Oder was sollen wir davon halten, wenn auf der einen Seite von Ihnen ausgeführt wird, daß die auf ein Jahr befristete Erhebung einer Stabilitätsabgabe eine bedrohliche Anspannung der Steuerlast bedeute - so hat es einer gesagt -, wenn der andere aber sagt, sie werde doch auf die Preise überwälzt werden? Was von beidem ist nun richtig?
({10})
Oder was sollen wir davon halten, wenn Sie den Abbau von Subventionen fordern - so habe ich es heute nachmittag in zwei Reden gelesen, die über Mittag gehalten worden sind -, wenn Sie auf der anderen Seite aber den von der Regierung beschlossenen Subventionsabbau kritisieren und zahlreiche Bedenken vortragen, aber drittens nun nicht Ihrerseits Abbauvorschläge machen? Das ist doch das, was sich durch all diese Reden der Herren Strauß und Zeitel und Narjes zieht,
({11})
viel Gerede, aber kein einziger alternativer Vorschlag.
Ich bin anderer Meinung als Herr Kirst. Er hat gemeint, es sei gefährlich, daß Sie sich so verhalten. Ich habe nichts dagegen, daß Sie sich so verhalten, denn dies muß ja für die Opposition, was die öffentliche Meinung angeht, erfolglos ausgehen. Es muß ja erfolglos bleiben, und damit bin ich durchaus zufrieden.
({12})
Was sollen wir davon halten, wenn Herr Narjes hier einen größeren Stabilitätsbeitrag des Bundeshaushalts verlangt und wenn andererseits die Fraktion, der er angehört, im selben Atemzug öffentlich die zu geringe Verbesserung staatlicher Leistungen beklagt? Gerade in diesen Tagen hat einer Ihrer Bildungssprecher öffentlich davon Zeugnis abgelegt. Er hat beklagt, daß auf diesem Gebiet nicht mehr geleistet werde. Ich habe das gelesen, nachdem ich am Vortage eine Besprechung mit den Ministerpräsidenten der Länder hatte, mit Herrn Stoltenberg und Herrn Kohl, die sich dort sehr explizit dagegen wehrten, daß auf diesem Gebiet etwa mehr geleistet würde. Der Bildungssprecher der CDU/CSU hat genau das Gegenteil dessen vertreten, was diese hervorragenden Anwärter auf das Amt des Parteivorsitzenden der CDU in der Ministerpräsidentenbesprechung vorgetragen haben.
({13})
- Sie wollen doch nicht dementieren, daß sie hervorragende Vertreter sind, hervorragende Anwärter?
({14})
- Ihr habt noch mehr? Herrn Narjes noch und Herrn Zeitel?
({15})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bismarck?
Aber gern. Bitte!
Herr Bundesminister Schmidt, sind Sie sich nicht selber darüber klar, daß die Aussagen der Opposition, die Sie eben kritisiert haben - der 'Staatshaushalt sei nicht in Ordnung, und bildungspolitische Maßnahmen könnten nicht durchgeführt werden -, alle auf den einen Nenner zurückgehen, daß unsere Währung ihre innere Stabilität verloren hat und unser Geld deswegen nicht mehr das leistet, was es hätte leisten sollen?
Was den inneren Wert unserer Währung angeht, so haben Sie in den letzten beiden Monaten einen weltweiten Anschauungsunterricht dafür bekommen, daß diese unsere Währung, trotz des Zustandes, von dem Sie sprechen, eine der begehrtesten der ganzen Welt ist, Herr Kollege.
({0})
Das ist deshalb so, weil der innere Wert anderer
Währungen durch inflatorische Aufblähungen eben
noch mehr zurückgegangen ist als der der unserigen.
({1})
Das ist so. Man kann das zwar beklagen, aber Sie müssen diese Tatsache zur Kenntnis nehmen. Wenn Sie möchten - was auch wir möchten -, daß die inflatorische Entwicklung der Preise gedämpft werde - hierfür haben wir eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen -, dann sollten Sie sich diesen Vorschlägen entweder anschließen oder andere Vorschläge machen, wie mehr Stabilität erzielt werden kann. Von Ihren Vorschlägen habe ich aber noch nichts gehört.
Was den Kern Ihrer Frage angeht, so möchte ich feststellen, daß ich nicht der Meinung bin, daß der Haushalt unsolide finanziert sei. Im Gegenteil, er ist sehr viel solider finanziert als die Haushalte anderer Staaten, mit denen wir uns vergleichen könnten; er ist solider finanziert als im vergangenen
Jahre. Das ist nicht unbedingt ein Verdienst. Es hängt damit zusammen, daß wir wirklich mit dem Rotstift gearbeitet haben.
Wenn z. B. der Kollege Narjes - ich weiß nicht, ob er inzwischen wieder da ist -, der soviel von Stabilität in Bund und Ländern gesprochen hat, im Herbst an der gemeinsamen Sitzung des Konjunktur- und Finanzplanungsrats teilgenommen hätte,
({2})
in dem auch das Land Schleswig-Holstein vertreten war, dann würde er wissen, daß sich dieser Haushalt in vollständiger Übereinstimmung mit den Beschlüssen befindet, denen auch der Vertreter der schleswig-holsteinischen Regierung zugestimmt hat. Es ist ein ander Ding, darüber so daherzureden.
({3})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, eine letzte Zwischenfrage.
Herr Minister, wollten Sie wirklich dem Kollegen von Bismarck antworten, daß der innere Wert des Dollars geringer ist als der der D-Mark?
Ich wollte dem Kollegen antworten, daß die Märkte der Welt, ungeachtet der inflatorischen Aufblähung auch in unserem Lande, diese Deutsche Mark für wesentlich härter als den Dollar halten.
({0})
Dann stellen Sie Ihre Frage bitte noch einmal mit anderen Worten.
({1})
Herr Minister Schmidt, die entscheidende Frage ist doch, wieviel die Kaufkraft der D-Mark im Inneren als ein Teil der Ausgabemöglichkeiten des Staates, z. B. Haushalt, noch bedeutet. Da liegt doch der Hase im Pfeffer. Auf diese Frage sind Sie in Ihrer Antwort verzeihen Sie, gar nicht eingegangen.
Entschuldigung, darauf habe ich geantwortet: Wenn Sie das beklagen, was Sie offenbar zu beklagen scheinen, dann müßten Sie Vorschläge stabilitätspolitischer Art machen.
({0})
- Wir haben ja ein Bündel von Vorschlägen gemacht. Ihr sagt nur zu allem nein, obgleich Ihr euch geistig nicht aufraffen könnt, etwas anderes vorzuschlagen; das ist Euer Fehler.
({1}) Nehmen Sie einmal den Sachverstand des Kollegen Narjes. Er hat gesagt: Mit durchgreifenden geld-und kreditpolitischen Maßnahmen der Bundesbank - und damit sind wir bei dem Thema von Herrn von Bismarck könnten wir weder für dieses Jahr noch für den Anfang des Jahres 1974 rechnen.
Ich habe mir die Mühe gemacht, mir die Maßnahmen der Bundesbank, die inzwischen ergriffen worden sind, noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen. Vom 1. bis zum 9. Februar haben wir einen Dollarzufluß von 18,6 Milliarden DM zu verzeichnen gehabt; desgleichen vom 23. Februar bis zum 1. März noch einmal einen Dollarzufluß in Höhe von 7,9 Milliarden DM. In der Zwischenzeit sind davon 5,0 Milliarden DM abgeflossen. Per Saldo hatten wir also einen Zufluß von 21,5 Milliarden DM zu registrieren.
Dagegen möchte ich nun die neutralisierenden Beschlüsse der Bundesbank anführen. Am 7. Februar hat sie die Rediskontkontigente schrittweise auf 60 % gekürzt, was zu einer Abschöpfung von 6,9 Milliarden DM führt. Ferner hat sie am 1. März die Mindestreservesätze um 15 bzw. um 7,5 % erhöht, was eine Abschöpfung von 4,8 Milliarden DM ausmacht. Weiter wurde am 12. März die Stabilitätsanleihe in einer Höhe von bisher 1,5 Milliarden DM aufgelegt, was addiert bisher zu einer Abschöpfung von 13,2 Milliarden DM führte, so daß noch 8,3 Milliarden DM übrigbleiben. Demgegenüber steht die automatische Erhöhung des Mindestreservesolls für Februar und März, die nach Schätzung der Bundesbank 8,0 Milliarden DM ausmacht. Es bleiben noch 300 Millionen im Bankapparat. Wenn Herr Narjes von der Liquidität der Unternehmungen gesprochen hätte - ({2})
- Ja, das wäre ein richtiger Punkt gewesen, aber den hat er nicht beim Wickel gehabt. Er hat gesagt, es sei nicht mit kreditpolitischen Maßnahmen der Bundesbank zu rechnen, die durchgreifen. Diese greifen alle durch. Die Bundesbank wird im Laufe dieses Frühjahrs mühelos die aus den Dollar-Zuflüssen stammende zusätzliche Liquidität abschöpfen.
({3})
Damit ist das Stabilitätsproblem des Herrn von Bismarck noch nicht bedeckt, nur muß doch das, was S P sagen, Herr von Bismarck, und das, was Herr
Dr. Narjes sagt, irgendwie zusammenpassen.
({4})
Natürlich ist es das gute Recht der Opposition zu kritisieren. Das soll sie auch weiterhin tun, sonst wird es hier ganz langweilig. Spannend für uns und bedenklich für uns wird es erst von dem Augenblick an, wo Sie Vorschläge vorlegen, die der öffentlichen Meinung besser erscheinen könnten als die Vorschläge der Regierung. Da Sie bisher überhaupt keinen Vorschlag vorgelegt haben, gehe ich ganz beruhigt von diesem Pult wieder auf meinen Platz.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Pieroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schrei von den Koalitionsbänken nach Alternativen der Opposition ist heute wieder einmal nicht zu überhören. Ich halte das für eine bedenkliche Entwicklung, nicht allein für die Koalitionsfraktionen, sondern für uns alle, für die Koalitionsfraktionen einfach deshalb, weil damit doch mehr und mehr der Eindruck erweckt wird, daß man selbst nicht mehr weiter weiß, für uns alle, weil hier eine unverantwortliche Verquickung von parlamentarischen und demokratischen Verantwortlichkeiten herbeigeführt wird. Sie sind am 19. November gewählt worden, Ihr Regierungsprogramm ist gewählt worden.
({0})
- Sie kommen gleich, Herr Matthöfer. Warten Sie mal ab!
Sie sind gewählt worden, wir sind Opposition. Wir haben die Funktion der Kontrolle, wir haben auch die Funktion der Alternative, aber nicht für die nächsten vier Jahre. Da sind Sie dran, und das müssen Sie jetzt beherzigen. Es ist deshalb falsch, wenn Sie aus Ihrer Verantwortung flüchten, daß Sie immer dann, wenn Sie nicht weiter wissen, uns Vorwürfe machen.
({1})
Jetzt aber zur Alternative, die, weil Sie diesen
) Weg wahrscheinlich nicht zu gehen gedenken, dann wohl erst eine Alternative für das Jahr 1976 sein wird. Meine Damen und Herren, in der Prozeß- und in der Ordnungspolitik unserer Wirtschaft ist die Vermögenspolitik heute fundamentales Ziel und zugleich wichtiges Instrument. Die Bundesregierung hat dem in früheren Jahreswirtschaftsberichten auch jeweils Rechnung getragen, indem sie beispielsweise ihre Überlegungen hierzu in ihrem Vermögensbildungsbericht oder weitere Maßnahmen zur verstärkten Förderung der Vermögensbildung in breiten Schichten ankündigte. Um so mehr ist zu bedauern, daß dieser Jahreswirtschaftsbericht keinerlei Ankündigungen über derartige Vorhaben enthält.
Wenn wir uns an das Wort des Bundeskanzlers halten, daß die geistige Orientierung des Programms dieser Regierung in der täglichen Arbeit stets sichtbar bleiben solle, kann man nur zu einem Ergebnis kommen: Eine Vermögenspolitik, die den Arbeitnehmern als Geldsparern mehr bringt als Inflationsverluste, eine solche Vermögenspolitik gehört weder zur geistigen Orientierung noch zur täglichen Arbeit dieser Regierung.
({2})
Der Sachverständigenrat bemüht sich schon, seinem Gesetzesauftrag gerecht zu werden, indem er in seinem jüngsten Gutachten fundiert und sehr abgewogen die Vermögenspolitik als einen Schwerpunkt heraustellt und dafür auch Vorschläge unterbreitet. Er schreibt sogar in Ziffer 496:
Die strategische Größe für die Verteilungspolitik scheint daher die Vermögensbildung der Arbeitnehmer zu sein.
Auf diese zentrale Überlegung geht die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme nur mit ein paar dürftigen, nichtssagenden Worten ein. Offenbar ist diese Regierung auch weiterhin nicht gewillt - die Herren Kollegen Ehrenberg und Rosenthal können ein Lied davon singen -, in der „strategischen Größe" Vermögenspolitik so etwas wie eine große Strategie zu entwickeln.
Angesichts solcher Fehlanzeige im Jahreswirtschaftsbericht hat ein Mitglied dieser Bundesregierung am Wochenende noch gemeint, Kriterien aufstellen zu sollen, die seine Partei dann von uns abgrenzen. Dabei hat er, der Herr Sonderminister Maihofer, im Deutschlandfunk die kühne Behauptung aufgestellt: „Für all das, was mit Vermögensbeteiligung und Mitbestimmung zusammenhängt, ... scheint mir in der CDU/CSU gegenwärtig überhaupt keine Bereitschaft zu bestehen." Daß muß hier deutlich gesagt werden: der Herr Sonderminister weiß überhaupt nicht Bescheid.
({3})
Ich weiß leider nicht genau, wie so eines dieser Sonderministerien eigentlich ausgestattet ist. Vielleicht hat es nicht einmal einen Referenten, der dem Herrn Sonderminister unsere Gesetzesanträge aus dem letzten Bundestag heraussuchen könnte. Dann wüßte er, wovon er redet, wenn er CDU und Vermögensbildung sagt. Ich meine deshalb: der Herr Sonderminister muß wohl, um seine vermögenspolitischen Lücken aufzufüllen, auf so etwas wie eine Sonderschule; da kann er nachholen.
Wir haben Möglichkeiten und Vorschläge, wie man Vermogenspolitik sowohl prozeßpolitisch als auch ordnungspolitisch wirksam einsetzen kann. Die Regierung bekennt sich ja hier zu denselben Zielen wie wir. Deshalb somen wir auch unvoreingenommen diese Vorschlage und Möglichkeiten miteinander prüfen. Zunachst zu den konjunkturpolitischen! Herr Dr. Friderichs, dessen wirtschaftspolitischen Verstand ich ja aus den Auseinandersetzungen im heimischen Wahlkreis noch sehr schätze, wird mir verzeihen, wenn ich trotzdem einmal auch hier auf wichtige Zusammenhänge zwischen Konjunktur- und Vermögenspolitik hinweise, weil diese Zusammenhänge in dem Jahreswirtschaftsbericht nicht berücksichtigt sind. Die Bundesregierung will mit ihren jüngsten Steuererhöhungen den Preisauftriebstendenzen begegnen, die sie durch die hohe Konsumgüternachfrage ausgelöst sieht. Hat sich die Regierung wirklich überlegt, ob es nicht bessere Wege zur Dämpfung dieser Nachfrage gibt? Die Regierung hätte z. B. schon früher dafür sorgen können, daß die Arbeitnehmer nicht mit einem Teil ihres Einkommenszuwachses die Nachfrage steigern, sondern Vermögen bilden, und zwar nicht nur mit dem Spargeld nach dem 624-DM-Gesetz, das ständig durch die heutige Inflation an Wert verliert und langfristig keine interessante Anlage für den Arbeitnehmer sein kann, sondern echtes Sachvermögen wie Produktivkapital von WirtschaftsPieroth
unternehmen. Sie hätte damit auch der Gefahr der Investitionsabschwächung vorgebeugt, wie sie durch die jetzigen Maßnahmen zumindest entstehen kann.
Die Gefahr der Überwälzung auf die Preise, die den Gegnern der Vermögenspolitik gern als Vorwand dient, ist bei vermögenspolitischen Maßnahmen kein bißchen größer als bei steuerpolitischen, die ja ebenfalls Kostenerhöhungen bringen. Die Möglichkeit der Überwälzung infolge gestiegener Nachfrage ist allerdings bei vermögenspolitischen Maßnahmen langfristig geringer als bei steuerpolitischen. Es gibt das beliebte Klischee von dem unmündigen Bürger, der seine festgelegten Vermögensteile eigentlich doch nur bei nächster Gelegenheit wieder auflöst, um sie im Konsumrausch auszugeben. In Wirklichkeit aber geben die Bürger ihr erspartes Vermögen viel weniger rasch aus. Sie geben es jedenfalls nicht so rasch aus wie diese Regierung ihre Mehreinnahme aus Steuererhöhungen. Aus diesem Grunde wäre dem vermögenspolitischen Instrument der Vorzug vor dem steuerpolitischen zu geben. Die Regierung hätte sich dabei zunutze machen können, daß es zwischen einer wirksamen Vermögenspolitik und der jeweiligen Konjunktursituation einen engen Zusammenhang gibt. Es gibt gewissermaßen ein optimales konjunkturelles Timing für vermögenspolitische Maßnahmen.
In der Großen Koalition gab der heraufziehende Boom einen Anstoß, sich um ein zusätzliches konjunkturpolitisches Instrument zu kümmern. Vier konkrete Modelle zur Vermögensbildung wurden ausgearbeitet. Damals funktionierte das noch. Damals lag ja auch die Federführung noch bei Hans Katzer. Die jetzige Bundesregierung hat daran nicht weitergearbeitet - mit der Folge, daß sie heute einer ähnlichen Konjunktursituation, aber verschärft um den Inflationssockel, gegenübersteht, allerdings mit leeren Händen, ohne dieses vermögenspolitische Instrument der Stabilitätspolitik.
Meine Damen und Herren, bestimmte günstige Situationen für vermögenspolitische Maßnahmen verpaßt man nicht ungestraft. Diese Regierung hat sie bisher alle verpaßt, und gestraft werden dafür jetzt die Bürger, besonders die Arbeitnehmer.
1970 haben wir, die CDU/CSU, in diesem Hohen Haus den Entwurf des Beteiligungslohngesetzes eingebracht. Damals waren die Staatsfinanzen noch in Ordnung. Anstatt den Arbeitnehmern jetzt durch Steuererhöhungen Milliarden wegzunehmen. hätte man ihnen besser jedes Jahr diese 6 Milliarden an echtem Produktivvermögen gegeben, mit demselben, oder wahrscheinlich einem besseren, stabilitätspolitischen Effekt. Diese 6 Milliarden wären der Nachfrage entzogen. Die Regierung hätte heute ein erprobtes konjunkturpolitisches Instrument in der Hand. Die Stabilität wäre besser gewahrt. Sie wäre besser gewahrt, muß man leider sagen, denn dieser Regierung fehlt eben ein Mann wie unser Professor Burgbacher.
({4})
- Sie hätten ihn vielleicht gern gehabt, aber Sie hatten ihn eben nicht.
({5})
- Warten wir ab!
Die Vermögenspolitik ist gewissermaßen nur nebenberuflich ein Instrument der Stabilitätspolitik. Hauptberuflich ist sie nochmals mit den Worten des Sachverständigenrates - „die strategische Größe für die Verteilungspolitik". Und hierzu schreibt der Sachverständigenrat allen bloßen Gewinn-Maximierern in den Unternehmen - das hören Sie vielleicht nicht gern - und allen Nominallohnerhöhern in den Gewerkschaften etwas sehr Wichtiges ins Stammbuch, etwas, das wir zwar seit langem erfahren, das aber von vielen nicht zur Kenntnis genommen wird. Der Sachverständigenrat schreibt, daß es nur „geringe Chancen" gibt, „durch Ausnutzung von Marktmacht die volkswirtschaftlichen Anteile der Arbeitseinkommen oder der Besitzeinkommen auf längere Sicht zu beeinflussen. Insofern bleiben Verteilungskämpfe, die unter Ausnutzung von Marktmacht ausgetragen werden, funktionslos".
Der Kollege Rosenthal hat das populärer gesagt
- und in dem Falle stimmen wir ihm sogar zu - wenn er diese Woche noch äußerte: „Der Arbeiter kommt dem Nominallohnbetrug auf die Schliche."
({6})
Ich verstehe das Dilemma sehr gut, in dem die Kollegen aus den Gewerkschaften angesichts der herrschenden Inflation stehen. Wie soll bei Lohnerhöhungen auch noch ein Verteilungseffekt erreicht werden, wenn allein die Summe aus Produktivitätszuwachs und Geldentwertungsausgleich mit rund 10 % schon fast stabilitätsgefährdend ist? Ich meine, hier verdient ein Mann wie Georg Leber unseren besonderen Respekt, der schon vor langer Zeit einen Ausweg aus diesem Dilemma gewiesen hat; Herr Ehrenberg hat mitgearbeitet. Aus der Erkenntnis, daß reine Nominallohnpolitik zu nichts führt, wurden damals die Investivlohn-Vereinbarungen in die Tarifverträge der IG Bau aufgenommen.
({7})
- Eben nicht Produktivvermögen; das ist der Unterschied.
Dadurch aber, daß die Regierung auch diesem Beispiel nicht folgte und ihr deshalb heute eine konsequente Vermögenspolitik fehlt und dazu eine nie gekannte Geldentwertung herrscht, heißt für den Arbeitnehmer das Ergebnis der Nominallohnpolitik: durch gesteigerte Nachfrage zusätzlicher Preisauftrieb, der die reale Lohnsteigerung auf Werte knapp über oder jetzt sogar unter Null drückt, wenn man die Steuerprogression mit berücksichtigt. Das Verteilungsziel, nämlich ein höherer Anteil für die Arbeitnehmer am Volkseinkommen, wird auf diese Weise nicht erreicht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?
Bitte sehr!
Weil Sie gerade diese Regierung zitierten - die ja in Kontinuität mit der vorangegangenen zu sehen wäre -: Wollen Sie bestreiten, daß das, was Sie lobend hervorgehoben haben, die Tarifpolitik überhaupt erst durch das Dritte Vermögensbildungsgesetz der sozialliberalen Koalition zur Effektivität gekommen ist?
Das Dritte Vermögensbildungsgesetz haben wir deshalb bekommen, weil wir am Beteiligungslohngesetz gearbeitet haben und weil Sie unter Zugzwang standen. Sonst hätten Sie es heute noch nicht.
({0})
Zu Lasten der Arbeitnehmer profitiert also vom Ergebnis der Nominallohnpolitik nur die Staatskasse.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
({0})
Bitte sehr!
Herr Kollege Pieroth, können Sie mir bestätigen, daß sich sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeberverbände erst für die tarifvertragliche Festlegung von vermögenswirksamen Leistungen interessierten, als die CDU/ CSU ihren Entwurf für den Beteiligungslohn erarbeitet und eingebracht hatte?
({0})
Herr Kollege Müller, das bestätige ich Ihnen sehr gern.
({0})
Schließlich war Herr Brenner ein starker Mann in der Gewerkschaftsbewegung; das können Sie doch nicht bestreiten. Er hat noch im November 1969 erklärt, er wolle von einer Anwendung des 312-DMGesetzes nichts wissen. Im Mai 1970 war er dann plötzlich dafür. Das war nur eine Differenz von sechs Monaten, eine sehr kurze Zeit für diesen Gesinnungswandel.
({1})
Herr Abgeordneter Pieroth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bismarck?
Kriege ich dafür eine zeitliche Zugabe, Herr Präsident?
Ja, selbstverständlich! Das ist immer so.
Danke schön!
Wollen Sie so freundlich sein und den Kollegen von der anderen Seite bestätigen, daß niemand Geringerer als ihr Kollege Farthmann uns im März 1970 ausdrücklich erklärt hat, der Deutsche Gewerkschaftsbund habe seine Politik in bezug auf Vermögensbildung durch Tarifverträge auf Grund des Studiums des Burgbacher-Plans geändert.
Ja, das geschah in unserem Hearing zum Beteiligungslohngesetz oben im Hochhaus. Das will ich gern bestätigen, Herr von Bismarck.
Ich darf jetzt fortfahren, meine Damen und Herren. Zu Lasten der Arbeitnehmer profitiert von dieser Entwicklung allenfalls die Staatskasse, nämlich durch schleichende Steuererhöhungen. Deshalb ist es kein Zufall, daß seit 1970, seit dem ersten Jahr der sozialliberalen Koalition, die Einnahmen aus der Lohnsteuer jedes Jahr den Betrag der veranlagten Einkommen- und Körperschaftsteuer erheblich übertreffen, und das bei einem langfristig kaum veränderten Arbeitnehmeranteil am Volkseinkommen. Hieran sieht man, daß die Arbeitnehmer die vielen Mehrleistungen, die ihnen diese Regierung immer wieder verspricht, aber nicht liefert, schon seit Jahren selber bezahlen. Mit Nominallohnpolitik ist also keine bessere Einkommensverteilung zu erreichen, wenn die anderen volkswirtschaftlichen Ziele nicht gefährdet werden sollen.
Eine wirksame Verteilungspolitik muß den Arbeitnehmern neue Werte verschaffen, die nicht sofort als Nachfrage die Preise weiter in die Höhe treiben und die nicht von der Preissteigerung im selben Maße aufgezehrt werden wie die Nominallohnerhöhungen. Das aber ist nur möglich durch eine Verteilungspolitik, die nicht, wie die Nominallohnpolitik, auf einem Bein, sondern auf zwei Beinen steht, nämlich zusätzlich auf dem der Vermögenspolitik.
Es war die CDU/CSU, die dieses zweite Bein mit ihrer Vermögenspolitik schon vor über 20 Jahren auf die Erde gestellt hat.
({0})
Die Folge dieser CDU/CSU-Politik war eine beachtliche Verbesserung bei der Verteilung des Gesamtvermögens, besonders des Geld- und Wohnvermögens. Nach diesem Erfolg haben wir mit dem Beteiligungslohn einen Schritt weiter getan, um auch die Verteilung des Produktivvermögens zu verbessern, die sich noch nicht so entwickelt hat wie die des übrigen Vermögens. Die Bundesregierung hat dies abgelehnt.
Die Folge davon ist, daß sich, wie die Bundesbank letztes Jahr kritisierte, die Verteilung des Volksvermögens zum Nachteil der breiten Masse der Bevölkerung verändert. Die Größenordnung dieser Verschlechterung ist alarmierend. Der Abstand zwischen dem Vermögen der Selbständigen und dem der Arbeitnehmer vergrößerte sich in den letzten drei Jahren pro Jahr um 12,4 Milliarden DM, also in drei Jahren SPD-Regierung um mindestens 37,2 Milliarden DM. Die Kluft zwischen Armen und ReiPieroth
chen wird durch das vermögenspolitische Versagen dieser Regierung nicht kleiner, sondern größer.
({1})
Nun hat der Sachverständigenrat einen sorgfältig durchdachten Vorschlag für den marktkonformen Einsatz des vermögenspolitischen Instruments in der Konjunktur- und Verteilungspolitik unterbreitet, der kurzgefaßt wie folgt lautet: Die Arbeitnehmer sollten einen Teil ihres zusätzlichen Einkommens, und zwar in der Höhe abhängig vom Jahresergebnis der Wirtschaft, zur Festlegung in Vermögenswerten verwenden. Das würde bedeuten, daß zum einen der geschilderte stabilitätspolitische Effekt einträte, nämlich keine Nachfrageverstärkung durch diesen Teil des Einkommenszuwachses. Zum anderen würde dieser Teil für diejenigen, die ihn aufbringen, auch den Charakter von festen Kosten verlieren und den von Residualeinkommen erhalten. Damit würde die Möglichkeit seiner Überwälzung auf die Preise zumindest veringert. Zum anderen träte aber auch der verteilungspolitische Effekt ein, weil dieser in Sachvermögen festgelegte Zuwachs nachträglich durch die Inflation nicht aufgezehrt wird. Soweit ich sehe, könnte dieser Vorschlag theoretisch auf alle denkbaren Vermögensbildungsmodelle angewandt werden. Praktisch ist es dieser Vorschlag des Sachverständigenrates zumindest wert, gründlich im Hinblick darauf durchdacht zu werden, ob er in Gesetzesvorhaben eingebaut werden kann.
Die Bundesregierung sagt im Jahreswirtschaftsbericht zu diesem Vorschlag des Sachverständigenrates, er habe wichtige Kriterien geliefert. Meine Damen und Herren, nach all den vielen Ankündigungen, Absichtserklärungen und Inaussichtstellungen der Regierung zur Vermögenspolitik ist das einfach zu wenig.
({2})
Ich kann nur hoffen, daß die Tarifpartner eine raschere Auffassungsgabe und mehr Entscheidungskraft besitzen als diese Regierung, die sich nun schon über drei Jahre bei der Prüfung von Plänen und der Ankündigung kurz bevorstehender Maßnahmen zur Vermögensbildung aufhält.
Die Tarifpartner sollten den Vorschlag des Sachverständigenrates bei nächster Gelegenheit in die Tat umsetzen, und sei es auch nur versuchsweise, um damit Erfahrungen zu sammeln. Schließlich hätten beide, Unternehmen und Arbeitnehmer, Vorteile davon: geringere Preisauftriebstendenzen, geringere Vermögensentwertung und größere Liquidität als Nominallohn und Steuererhöhungen. Zusätzlich würde das in unserer Gesellschaft den sozialen Frieden sicherer machen.
Meine Damen und Herren, auch folgendes gehört noch dazu. Neben konjunktur- und verteilungspolitischen Auswirkungen hat die Vermögensbildung fundamentale und aktuelle Bedeutung für die Ordnungspolitik unserer Wirtschaft. Hier können wir die Anregung des Sachverständigenrates für eine grundsätzliche Neugestaltung sozio-ökonomischer Strukturen nutzen. Ich meine die Anregung, den
Arbeitnehmern auch die Beteiligung am Residualeinkommen zu eröffnen, die Beteiligung am Gewinn der Unternehmen als Entgelt auch für ihre Arbeit.
Meine Damen und Herren, nirgends steht geschrieben, und es ist auch kein Naturgesetz, daß der Produktionsfaktor Arbeit nur fest kontrahiertes Ein-. kommen haben soll und (laß die Masse der Bürger nur den Produktionsfaktor Arbeit einsetzen kann. Es ist genausowenig ein Naturgesetz, daß der Produktionsfaktor Kapital nur wenigen Bürgern zur Verfügung stehen soll und daß allein diesem Faktor das Residualeinkommen, der Gewinn zufließt.
({3})
Wir wollen, daß alle Produktionsfaktoren, auch das Kapital, allen Bürgern frei zugänglich sind.
({4})
Wir wollen, daß die Gewinnchance, die in dem Recht auf das Residualeinkommen liegt, auch den Arbeitnehmern für ihre Arbeit offensteht. Wir wollen, daß immer mehr Wirtschaftsbürger ihre Arbeitskraft und Kapital nach freier Entscheidung einsetzen können. Wir wollen daß sie daraus nach freier Entscheidung Einkommen beziehen können, sowohl vertraglich fixiert in Form von Kapitalzins und Lohn als auch ertragsabhängig in Form der Beteiligung am Residuum, am Gewinn. Wir wollen nicht „das Kapital" abschaffen, wie einige sozialistische Systemveränderer sich das in ihren durch die Geschichte längst widerlegten Träumen als Möglichkeit zu besserer Lebensqualität vorstellen.
({5})
Wir werden im Gegenteil künftig mehr Kapital brauchen, um dadurch Arbeit zu ersetzen und mehr Freizeit für alle zu gewinnen.
Was wir überhaupt nicht wollen, ist, daß der leider noch bestehende Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit institutionalisiert und vielleicht sogar noch zum Klassenkampf verschärft wird.
({6})
Was wir wollen, ist, diesen Gegensatz zwischen den Menschen, die über Kapital, und denen, die nur über ihre Arbeitskraft verfügen, von der Verteilung und den Funktionen dieser beiden Produktionsfaktoren her aufzulösen. Wenn wir das Verhältnis von Kapital und Arbeit so neu gestalten, dann wird sich das z. B. auch auf die Mitbestimmungsfrage auswirken.
({7})
Natürlich bleibt die Mitbestimmung für uns ein eigenständiges Ziel neben der Vermögensbildung. Aber die Mitbestimmungsfrage wird dann in einem neuen Licht erscheinen; denn es versteht sich in unserer Marktwirtschaft von selbst, daß mit der Risikoübernahme auch Entscheidungsrechte verbunden sind.
Damit Sie nicht meinen, meine Kollegen von der Koalition, der Pieroth rede hier von Utopien und habe Tagträume, will ich Ihnen auch gleich sagen, was wir an konkreten politischen Maßnahmen für nötig halten und vorschlagen werden, um diese
Neugestaltung im Verhältnis von Kapital und Arbeit einzuleiten.
Erstens sind vermögenspolitische Maßnahmen in einem engeren Sinne nötig, damit der Zugang zum Produktionsfaktor Kapital tatsächlich für alle Bürger offen wird. Dafür machte die CDU/CSU 20 Jahre lang Gesetze. Sie kennen auch die neuen Gesetzesvorschläge der CDU/CSU. Sie kennen den gesetzlichen Beteiligungslohn mit den für uns unverzichtbaren drei Bestandteilen: 1. persönliches Eigentum, 2. Eigentum am Produktivkapital, 3. Geltung für alle Arbeitnehmer.
({8})
Sie kennen betriebliche Gewinn- und Kapitalbeteiligungen für Arbeitnehmer. Sie kennen unseren Gesetzentwurf für Unternehmensbeteiligungsgesellschaften zur Beteiligung an Unternehmen, die keine börsenfähigen Beteiligungswerte ausgeben. Dann wäre hier die weitere soziale Privatisierung von Bundesbesitz an Wirtschaftsunternehmen anzuführen.
Ich habe mich sehr gefreut, daß mein neuer Kollege Ahlers in heimischen Wahlkampfdiskussionen mehrmals gesagt hat: Das ist eine gute Grundlage, über die können wir in Bonn reden. Hoffentlich hat er das inzwischen nicht vergessen oder vergessen müssen.
({9})
Dazu kommen zweitens vermögenspolitische Maßnahmen in einem weiteren Sinn, damit die Arbeitnehmer, die Kapital einsetzen, steuerlich nicht so behandelt werden, als wären sie Großaktionäre. Dazu gehören Änderungen bei der Körperschaftsteuer, der Gewerbesteuer, bei Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln und bei der Kapitalverkehrsteuer, ferner solche Änderungen in der Einkommensteuer, die die Gewinnabhängigkeit von Arbeitseinkommen in Rechnung stellen.
Schließlich nenne ich drittens strukturelle Maßnahmen, die sich um die Vermögenspolitik gruppieren. Dazu gehören, wie es auch der Sachverständigenrat erwähnt hat, neue Formen im Gesellschaftsrecht; denn manches an unseren heutigen Unternehmensformen ist vorwiegend auf ein Verhältnis von Kapital und Arbeit zugeschnitten, wie wir es gerade nicht beibehalten wollen. Ich nenne hier die entsprechende Weiterentwicklung des Arbeitsrechts, des Kapitalverkehrsrechts und des Betriebsverfassungsrechts.
Meine Damen und Herren, das alles ist nötig, wenn wir mit einer wirksamen Vermögenspolitik als Kern die Beziehungen von Kapital und Arbeit in unserer Gesellschaft neu und besser ordnen wollen.
Was bietet demgegenüber die Regierung, wenigstens an unverbindlichen Ankündigungen? Denn sonst bietet sie vermögenspolitisch ja überhaupt nichts. Sie versucht sich seit über drei Jahren an einem komplizierten Patentmodell der Vermögenspolitik, das zwar nur einen kleinen Teil der Problematik betrifft, aber einen großen marktwirtschaftsfremden Apparat mit sich bringen würde. Dieser
Appa rat würde wirtschaftliche Macht kumulieren, aber den Arbeitnehmern eben gerade kein echtes Eigentum verschaffen.
({10})
Ein wachsender Teil der SPD will inzwischen überhaupt keine private Vermögensbildung mehr. Falls Sie sich, meine Kollegen von der SPD, trotzdem jemals auf ein solches vermögenspolitisches Patentrezept einigen sollten, wird es eines garantiert nicht leisten: die große gesellschaftliche Aufgabe lösen helfen, vor der wir in den Beziehungen von Kapital und Arbeit heute stehen.
Es ist kein Wunder, daß sich durch die andauernde Untätigkeit der Regierung in dieser Frage, die nach der Fehlanzeige in diesem Jahreswirtschaftsbericht fortdauern wird, die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit bei uns nicht gerade verbessern. Diese Untätigkeit der Regierung arbeitet bewußt oder unbewußt denen in die Hände, die Mängel unseres Systems gar nicht beseitigen wollen. Sie würden damit die Vorwände verlieren, unter denen sie die Abschaffung unseres Systems fordern. Einen Vorgeschmack davon, was in dieser Hinsicht die SPD auf ihrem nächsten Parteitag zu erwarten hat, haben wir ja in dem neuen Godesberg der SPD bekommen.
Ich glaube, daß angesichts dieser fundamentalen Kontroversen und der Größe der gesellschaftspolitischen Aufgabe hier im Bundestag jeder die Alternative beantworten sollte, die so wichtig ist, daß sie auch Koalitions- und Parteiabgrenzungen relativiert, die Alternative: Wollen wir eine andere Republik, wo ein kollektives Glück vom Staat oder gigantischen Apparaten abhängt, die den größten Teil des Volkseinkommens und einen immer größeren Teil des Eigentums an sich reißen, oder wollen wir eine friedliche, evolutionäre Weiterentwicklung unserer Gesellschaft mit privater Eigentumsbildung, in der freie Bürger weitestmöglich in persönlicher Selbstverantwortung ihr Leben gestalten können?
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Rapp ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat - so empfinde ich das jedenfalls - einmal mehr die Chance vertan, deutlich und glaubhaft zu machen, daß ihr ständiger Ruf nach mehr Stabilität mehr und etwas anderes ist als der Versuch, von der beklagenswerten Tatsache der Preissteigerungen politisch billig zu leben, um es einmal paradox zu sagen. Dieser Versuch ist, wie Sie wissen, bisher gescheitert. Wäre die Opposition heute besser beraten gewesen, so würde sie auf der zwar gewagten und in der Sache irreführenden Schiene gefahren sein, die verbal aber einigermaßen eingängig gewesen wäre und die geheißen hätte: Endlich handelt die Regierung. Damit hätte sie, wie gesagt, noch einiges machen oder, wenn Sie so wollen, einiges retten können. Mit Ihrer Art aber, alles, was die Regierung vorhat, aus dem Zusammenhang zu
Rapp ({0})
pflücken und zu zerreden und dabei keinesfalls einen eigenen Wurf zu wagen - denn der könnte ja jemanden treffen -, wird sich draußen nichts Positives darstellen lassen. Denn, meine Damen und Herren, Hand aufs Herz: das mit dem Konjunkturzuschlag - Herr Professor Zeitel, hier spreche ich genau Sie an - ist Ihrerseits doch barer Verbalradikalismus. Oder sollten Sie sich von der betrieblichen Wirklichtkeit tatsächlich so weit entfernt haben, daß Sie in der gegebenen Situation nach den Tarifverhandlungen, so wie sie gelaufen sind, die Einführung des Konjunkturzuschlags für machbar gehalten hätten oder daß Sie ihn heute noch für machbar halten?
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- Ich komme darauf zurück; das ist sozial eine ausgewogene Sache.
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Ich komme auf den zweiten Ausweichversuch: die Vermögensbildung. Meine Damen und Herren, es ist doch merkwürdig, daß Sie Ihren Beteiligungslohnplan just zu einem Zeitpunkt in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, zu dem Sie hier nicht mehr die Mehrheit hatten. Sie hätten doch bei Gott lange zuvor Zeit gehabt!
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- Sie werden darauf eine Antwort bekommen. ({4})
Sie haben diesen Plan eingebracht in der sicheren und für Sie tröstlichen Erwartung, nicht beim Wort genommen zu werden. Denn, meine Damen und Herren, dieser Plan verursacht 5 Milliarden DM Aufwand an öffentlichen Mitteln, und diese sind nicht vorhanden. Dieser Plan ist bei der gegebenen Verfassung des Kapitalmarktes nicht realisierbar. Dieser Plan hat gesellschaftspolitisch zur Folge, daß Stimmrechte überhaupt nur über das Depotstimmrecht der Banken mobilisiert ewrden können. Wenn Sie mir hier einen Exkurs erlauben: es ist doch immerhin merkwürdig, daß Sie allemal von individueller Vermögensbildung reden, wenn Stimmrechte über das Depotstimmrecht der Banken geltend zu machen sind, und wenn wir Pläne entwickeln, die die Geltendmachung der Rechte über die freie Selbstverwaltung der Arbeitnehmer ermöglichen, dann ist von kollektiver Vermögensbildung die Rede. Dies empfinden wir als sehr merkwürdig.
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Im übrigen sind Investivlohnteile Lohnteile, und Lohnteile gehen in die Kalkulation ein und werden überwälzt. Ich sage noch einmal:
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- Ja, ich komme darauf zurück. - Ihr Plan war „for show" gemacht, und er war ein Alibi dafür, daß die Vermögensverteilung dank einer zwanzigjährigen Steuerpolitik ihrer Regierungen so skandalös geworden ist.
Herr Abgeordneter Rapp, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Herr Kollege, Sie sprechen vom Beim-Wort-nehmen-Lassen. Würden Sie sich jetzt wenigstens insofern beim Wort nehmen lassen, als Sie unseren drei gerade von mir wieder genannten Essentials zustimmen, daß wir personenbezogenes Vermögen in Form von Produktivvermögen für alle schaffen wollen? Stimmen Sie diesen drei Bedingungen unseres Beteiligungslohngesetzes zu?
Herr Pieroth, die Überlegungen der Bundesregierung zielen auf eine Art der Heranführung der Arbeitnehmer an das Produktivvermögen, das sich außerhalb der Unternehmensbilanzen, außerhalb der Gewinn- und Verlustrechnungen, außerhalb der öffentlichen Etats und in interpersonalen Vermögensübertragungen darstellen läßt. Das bringt mehr. Das ist stabilitätspolitisch und gesellschaftspolitisch ergiebiger als das, was Sie vorhatten.
({0})
- Die Regierung hat die Ankündigungen gemacht. Sie wissen, daß wir auf dem kommenden Parteitag der SPD die Auseinandersetzungen darüber führen werden. Ich bin zuversichtlich, in welche Richtung sie laufen werden.
({1})
Ich wiederhole: Die Opposition hat heute eine Chance vertan. Das ist zum Glück nicht unsere Sache.
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Wir von der SDP brauchen uns wegen der von der Opposition ausgelassenen Chancen nicht zu grämen; im Gegenteil.
Die Regierung aber hat die Chance wahrgenommen, uns ein Lehrstück darüber vorzuführen,
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daß allem Skeptizismus zum Trotz Konjunkturpolitik, aktive Fiskalpolitik, Gesellschaftspolitik und das Gebot der gerechten Lastenverteilung doch unter einen Hut zu bringen sind und in Einklang gebracht werden können. Genau das scheint der Opposition nicht recht zu sein, bemängelt sie doch, im Stabilitätspaket seien auch Fiskalpolitik - Stichwort: Steuererhöhungen - und Gesellschaftspolitik eingeschnürt worden.
Herr Abgeordneter Rapp, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höcherl?
Bitte schön!
Herr Kollege, nach Ihrer sehr interessanten vermögenspolitischen Mitteilung, die Sie soeben gemacht haben, möchte ich folgende Frage stellen: Beabsichtigen Sie, nachdem Sie auf dem Parteitag in Hannover diese Dinge ausdiskutiert haben, auch Ihren Koalitionspartner an den Plänen zubeteiligen, damit er die liberale Handschrift anbringen kann?
({0})
Zuerst wird sich die SPD darüber verständigen. Die FDP hat sich bereits verständigt. Dann wird darüber gesprochen werden.
({0})
- Ich habe Ihnen eben gesagt, daß es der Opposition offensichtlich besonders unangenehm war, daß es uns gelungen ist, in dieses Stabilitätsprogramm mehr als nur den Stabilitätsimpuls
({1})
- ich komme darauf zurück -, nämlich auch eine aktive Fiskalpolitik und Gesellschaftspolitik einzuschnüren. Darüber sind wir froh.
Was ich jetzt sage, sollten Sie sich aufmerksam anhören;
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denn wir haben in all den Jahren doch allzuoft erfahren müssen, wie hinter dem Primat einer nur auf die Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte fixierten Konjunkturpolitik Reformen, die Impulse zur Erneuerung unserer Gesellschaft und zur Verbesserung unserer Lebensqualität zurücktreten mußten. Diese scheinbare Unverträglichkeit zwischen Konjunktur- und Reformpolitik hat ja, wie Sie alle wissen, nicht wenige Freunde einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung in die Resignation getrieben.
Noch einmal: Wir freuen uns, daß das Stabilitätspaket geeignet ist, dieser Resignation entgegenzuwirken, indem es mit der Konjunkturpolitik endlieh auf der Einnahmenseite der Haushalte ansetzt. Damit ist, Herr Professor Zeitel, nichts gegen eine sparsame Haushaltsführung und nichts gegen einen Prioritätenkatalog gesagt. Nur, gestern haben Sie im Forschkungsausschuß mehr Geld verlangt, heute war es beim Straßenbau nicht genug, morgen wird die Verteidigung drankommen: x, y, z.
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Das ist es, was Sie - ich habe das eingangs angemerkt - unglaubwürdig macht. Sie werden erneut alle Einzelhaushalte zu niedrig und den Gesamthaushalt zu hoch finden. Aber rechnen Sie damit, daß wir mitrechnen werden.
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Was die Prioritätensetzung angeht, meine Damen und Herren von der Opposition, so sollte sich Ihre Partei einmal in das Abenteuer begeben, einen auch nur mittelfristigen Orientierungsrahmen aufzustellen und auszuarbeiten.
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Dann würden Sie unserem sogenannten Langzeitprogramm sicher ein anderes Verständnis entgegenbringen. Haben Sie einmal den Mut, eine Politik zu konzipieren, in der nicht nur von Ast zu Ast gehupft wird, sondern in der man sich Gedanken macht, ob in diesem Lande auch im Jahre 1985 noch die Chance besteht, anständig zu leben! Haben Sie den Mut, und Sie werden mit uns anders über die Dinge reden, wann werden Sie dieses .Abenteuer hinter sich haben.
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Nun lassen Sie mich unter den skizzierten Gesichtspunkten einzelne Elemente des Maßnahmenbündels der Bundesregierung in ihren Wechselwirkungen und in ihren Mehrfachwirkungen durchdeklinieren. Zunächst zur Stabilität! Durch die Stabilitätsabgabe und die Stabilitätsanleihe sollen dem Kreislauf 6 Milliarden DM entzogen werden. Damit wäre an sich die Grundannahme der Laissezfaire-Prognose der Sachverständigen vom Tisch. Freilich weiß ich - jeder weiß es -, was sich mittlerweile währungspolitisch zugetragen hat. Man weiß aber auch, daß sich die Regierung gerade auf diesem Feld mit besonderer Bravour geschlagen hat.
Wenn nun die Opposition bezüglich der Mineralölsteuer - und da ganz gewiß nicht ganz zu unrecht - auf die Überwälzungsproblematik hinweist, so ist da immerhin der stabilitätswirksame Effekt gegenzurechnen, der sich aus der Mineralölsteuererhöhung und dem Abbau steuerlicher und anderer Vergünstigungen insofern ergibt, als der Zuwachs der Nettoverschuldung geringer gehalten werden kann. Dies ist ein spürbarer Beitrag zur Stabilität.
Zur Fiskalpolitik! Die Mineralölsteuer ermöglicht - ich sagte es - eine stabilitätsgerechtere Haushaltsführung - und wiederum nicht nur dies. Wir Sozialdemokraten leugnen nicht die Wechsel- und Mehrfachwirkungen. Wir leugnen nicht, daß die Mineralölsteuererhöhung darüber hinaus sowohl auf der Aufkommens- als auch auf der Verwendungsseite auf der Linie unseres verkehrspolitischen Programms liegt, in dem der öffentliche Nahverkehr und die Schiene eine besondere Rolle spielen.
Wenn nun die Opposition einerseits klagt, die Mineralölsteuererhöhung treffe den kleinen Mann mit voller Wucht, andererseits aber jetzt so tut, als wäre der Konjunkturzuschlag demgegenüber ein kleines Vergnügen gewesen, so liegt jedenfalls für mich der Verdacht nahe, daß es ihr dabei zumindest auch um die Interessen geht, denen - ich sage es umschreibend - an einer anderen Verkehrspolitik als an der unseren gelegen ist. Ganz abgesehen davon hätte es - ich bin darauf eingangs bereits zu sprechen gekommen - nach den vergangenen
Rapp ({7})
Tarifrunden beim Konjunkturzuschlag Überwälzungsaspekte ganz anderer Art gegeben. Ich brauche mich nicht deutlicher auszudrücken; das weiß jeder, der die betriebliche Wirklichkeit auch nur noch einigermaßen im Blick hat.
Auf die gesellschaftspolitischen Implikationen dieser einzelnen Maßnahmen bin ich schon eingegangen. Wir stellen nicht in Abrede, daß wir mit der Mineralölsteuererhöhung und mit dem Abbau steuerlicher und anderer Vergünstigungen nicht nur Stabilitäts- und Fiskalpolitisches im Schilde führen. Was übrigens den Subventionsabbau anbelangt - Herr Dr. Zeitel ist nicht mehr da -, so werden wir mit Ihnen darüber immer reden und wir werden noch lange darüber reden, nachdem Sie darüber wahrscheinlich längst nicht mehr reden wollen.
Die zeitweise Reduzierung der Vergünstigung nach § 7 Abs. 5 hat für uns eben auch etwas mit Boden- und Baupolitik zu tun, wie überhaupt ein erheblicher Teil unserer Inflation auf dem Bodenmarkt seinen Ursprung hat.
({8})
Wir werden sehen, wo Sie von der Opposition sind, wenn wir über das Bodenrecht reden.
Im übrigen soll in diesem Zusammenhang, da von Gesellschaftspolitik die Rede ist, nochmals angemerkt werden, welch wichtiger Beitrag zum sozialen Frieden geleistet wurde, wenn durch das Maßnahmenbündel der Bundesregierung der Konjunkturzuschlag vermieden werden konnte. Wir meinen, doch noch ein bißchen mehr als Sie in den Betrieben zu Hause zu sein und dies dort beurteilen zu können.
Was die Lastenverteilung anlangt, meine Damen und Herren von der Opposition, so habe ich den Eindruck, daß Sie einmal mehr versuchen, aus kleinen Leuten, die die Mineralölsteuerhöhung vielleicht 5 bis 7 DM im Monat kostet, was ich gewiß nicht bagatellisieren will, einen Wall des Unmuts aufzubauen, hinter dem sich jene verstecken könnten, die durch die Konjunkturabgabe beispielsweise mit 800 DM zusätzlich pro Monat zur Kasse gebeten werden. Dies ist der alte konservative Trick, einen Wall von Angst aus kleinen Leuten zu bauen, hinter dem sich die großen verstecken können, die wir meinen.
({9})
Ich fasse zusammen. Die Regierung versteht zu handeln. Sie hat gehandelt, und sie handelt nicht zufällig; sie hat ein Konzept, in dem sich eins ins andere fügt, in dem Stabilitätspolitik, Konjunkturpolitik, in dem Fiskalpolitik und Gesellschaftspolitik endlich wieder einmal unter einen Hut gebracht und aus dem schrecklichen Konkurrenzverhältnis herausgeführt werden. Es wäre sehr reizvoll, aufzuzeigen, wie sich das Stabilitätspaket in eine Gesamtstrategie einpaßt, die in dieser Legislaturperiode mit der Schärfung des Wettbewerbsrechts eingeleitet wurde, von der Sie, die Sie in der Gesetzgebungsarbeit stehen, die weiteren Elemente bereits kennen.
Es war Professor Klothen, der dieser Tage feststellte, daß die Bundesregierung im strategischen Konzept wie in den Eckwerten der Jahresprojektion bemerkenswert mit den Sachverständigen übereinstimmt. Und was der Opposition am Stabilitätspaket besonders zu mißfallen scheint: die auf der Einnahmenseite ansetzende fiskalpolitische und die gesellschaftspolitische Komponente, darin liegt nach unserem Verständnis gerade die Stärke dieses Stabilitätsprogramms.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Warnke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Städten und ländlichen Gebieten gleiche Lebenschancen für alle Bürger zu schaffen, ist eines der Ziele der CDU/CSU. Seine Aufnahme in die Regierungserklärung haben wir begrüßt.
Der Jahreswirtschaftsbericht nunmehr kündigt Maßnahmen an, die die Chancen für die Menschen im ländlichen Raum und in den Randgebieten nicht angleichen, sondern im Gegenteil verschlechtern. Der Finanzminister kürzt die Investitionszulage um 25 %, der Wohnungsbau wird eingeschränkt, die Mineralölsteuer wird um 5 Pf pro Liter erhöht. Schlimmer noch: der Verkehrsminister will jährlich 800 Millionen DM dem Straßenbau entziehen, der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau will die Förderung auf Ober- und Mittelzentren konzentrieren, d. h. er will den kleineren Städten die Mittel entziehen, die sie bis jetzt gehabt haben.
Dieses Maßnahmenbündel leitet eine radikale Weichenstellung zuungunsten der ländlichen Räume und der Randgebiete in der regionalen Strukturpolitik ein. Es ist schon bemerkenswert genug, daß die Strukturpolitik konjunkturellen Kürzungen unterworfen werden soll. Wir wissen alle: Wenn man nicht im Aufschwung neue Arbeitsplätze schafft, kann man es nie tun. Es ist geradezu einmalig, daß die konjunkturellen Kürzungen allein auf dem Rükken der Förderungsgebiete durchgeführt werden sollen. Denn sonst gibt es keine Haushaltskürzungen im Haushalt dieser Bundesregierung. Das schlimmste aber, meine Damen und Herren: Die konjunkturpolitischen Begründungen sind ein dürftiges Feigenblatt. Sie sind ein Vorwand Denn es handelt sich im Gegensatz zur Konjunkturabgabe, im Gegensatz zur Stabilitätsanleihe nicht um zeitlich begrenzte, einmalige Eingriffe, sondern um einschneidende Änderungen von Dauerwirkung.
Nun kann man darüber streiten, ob man den Akzent in der Förderung mehr auf die Schaffung von Arbeitsplätzen oder mehr auf den Ausbau von Infrastruktur setzen sollte. Man kann aber schon nicht mehr darüber streiten, daß man auf jeden Fall beides gleichzeitig tun muß.
({0})
Eines aber ist ganz klar: Wer beides kürzt, die Arbeitsplatzförderung und den Straßenbau, der ver988
ringert die ohnehin nicht gleichwertigen Chancen für die 20 Millionen Menschen, die in den Fördergebieten der Bundesrepublik leben.
({1})
Darum, meine Damen und Herren, ist es auch verständlich, daß diese Weichenstellung auf eine raffinierte Weise verschleiert wird. In der Begründung zum Steueränderungsgesetz wird die Endstufe der Ausfälle durch die verringerte Arbeitsplatzförderung nicht angegeben. Sie liegt mit 420 Millionen Mark jährlich im Jahre 1977 nahe der halben Milliarde und erheblich höher als die 250 Millionen, die in der Begründung zum Investitionszulagengesetz aufgeführt sind. Darum wird vom Verkehrsminister die Vorlage einer Liste verweigert, in der niedergelegt ist, wo welche Straßen infolge der jährlichen Einschränkung der Straßenbaumittel um 800 Millionen Mark nicht gebaut werden können. Und diese 800 Millionen Mark würden doch mit Mühe und Not knapp ausreichen, die Leistungsverluste wieder auszugleichen, die durch die inflatorische Entwicklung der Straßenbaukosten in der mittelfristigen Finanzplanung eingetreten ist.
({2})
Darum hat sich die Bundesregierung Mittel aus der Mineralölsteuererhöhung und aus den bisherigen Straßenbaumitteln in Höhe von mehr als anderthalb Milliarden Mark jährlich ab 1974 für unbekannte „andere verkehrspolitische Zwecke" reserviert. Was, meine Damen und Herren, verbirgt sich hinter diesen „anderen verkehrspolitischen Zwecken"? Die Menschen in den Fördergebieten haben ein Anrecht darauf, es zu erfahren.
Schon jetzt fließen nahezu 90 % der Mittel, die die Kraftfahrer im Emsland und im Bayrischen Wald, in der Eifel und im Sauerland durch den Benzinpreis für den kommunalen Verkehrsausbau aufbringen, in die Verdichtungsräume, in denen nur 35 % der Menschen wohnen.
({3})
- 90 % der Mittel, die über die Benzinsteuer für den kommunalen Verkehrsausbau aufgebracht werden - das sind die Gemeindepfennige -, fließen heute schon in die Verdichtungsräume, in denen nur 35 °/o der Menschen wohnen. Und der deutsche Landkreistag hat mit Recht darauf hingewiesen, daß dies schon heute dem verfassungsrechtlichen Gebot widerspricht, nach dem die Bundesfinanzhilfen in erster Linie zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums gewährt werden müssen.
({4})
Die Bevölkerung in den Klein- und Mittelstädten hat jahrelang mit den Menschen in den Ballungsräumen Solidarität geübt und hat ihnen einen erheblichen Teil der Mittel zum Ausbau ihrer Untergrundbahnsysteme zur Verfügung gestellt, und dies über Benzinpreise, die ohnehin erheblich höher sind als die, die in den Ballungsräumen zu zahlen sind.
({5})
Wir haben auch heute Verständnis für die Notwendigkeit, den Nahverkehr in den Verdichtungsräumen weiter auszubauen. Aber daß Mittel, die nach der bisherigen Gesetzeslage für den dringend notwendigen Verkehrsausbau in den Randgebieten zur Verfügung gestanden hätten, nun - ohne Information, worum es sich handelt - für andere verkehrspolitische Zwecke verwendet werden, das ist unerhört.
Es gehört zum kleinen Einmaleins jeglicher Strukturpolitik, daß, wenn aus einem revierfernen Gebiet überhaupt etwas werden soll, erst einmal die Zufahrtsstraßen in Ordnung gebracht werden müssen.
({6})
Deshalb kommt die Bundesregierung, Herr Bundesverkehrsminister, auch nicht darum herum, uns klipp und klar zu sagen, wie sie z. B. den § 4 des Zonenrandförderungsgesetzs, der den bevorzugten Verkehrsausbau für das Zonenrandgebiet vorschreibt, endlich in einer nachprüfbaren Form der Begünstigung und nicht durch unkontrollierte und unkontrollierbare technische Mätzchen erfüllen will.
Aber die Undurchsichtigkeit dieser Weichenstellung in der regionalen Strukturpolitik ist keineswegs auf die Straßenbaumittel begrenzt. In der regionalen Strukturpolitik fehlt es bis heute an der einfachsten Eröffnungsbilanz. Die CDU/CSU-Fraktion hat im vergangenen Jahr von der Bundesregierung die Vorlage der regionalen Aufgliederung der raumwirksamen Ausgaben des Bundes, zusammengefaßt nach Verdichtungsräumen und nach Fördergebieten, verlangt. Die Bundesregierung hat darauf geantwortet, daß sie im Rahmen des Bundesraumordnungsprogrammes diese Zahlen Ende 1972 veröffentlichen werde. Seit Ende vergangenen Jahres liegen diese Zahlen dem Bundesminister für Raumordnung, aufgegliedert nach 38 Gebietseinheiten, vor. Warum hält er sie im Geheimfach verschlossen?
Wie glaubt die Bundesregierung, daß ein Parlament über einschneidende strukturpolitische Kürzungen, die ein Drittel der Bevölkerung der gesamten Bundesrepublik betreffen, beraten und beschließen soll, wenn ihm die Grundinformation über die bisherige Aufteilung der raumwirksamen Mittel vorenthalten wird? Wann wird die Bundesregierung dem Parlament die ihm zustehende Unterrichtung über diese Eröffnungsbilanz, die seit Monaten vorliegt und geheimgehalten wird, zukommen lassen? Es kommt überhaupt nicht in Frage - ich hoffe hier für alle Fraktionen zu sprechen, Herr Kollege Ehrenberg; ich hoffe hier auch die Zustimmung von Strukturpolitikern der sozialdemokratischen Partei zu finden , daß wir die einschneidenden Verschlechterungen, die das Steueränderungsgesetz für die Fördergebiete bringt, vor dieser Unterrichtung und vor ihrer Auswertung in diesem Hause auch nur beraten.
Aber dies alles betrifft nur die Rückschau. Viel wichtiger: Welches sind denn die wahren Ziele, die
mit der Kürzung der Infrastruktur- und Arbeitsplatzförderungsmittel für die Klein- und Mittelstädte, für die Randgebiete und für die ländlichen Räume verfolgt werden? Will die Bundesregierung die radikale Einschränkung der Kraftfahrzeugbenutzung? Außerungen von Bundesminister Dr. Vogel in der mit Recht so beliebten Zeitschrift „Konkret"
({7}) gehen in jüngster Zeit in diese Richtung.
({8})
Wenn dem so ist, dann müssen wir der Bundesregierung eines sagen: Zur Qualität des Lebens im ländlichen Raum gehört das Kraftfahrzeug, ganz gleich, ob es für die Fahrt zum Arbeitsplatz, für den Schulbesuch der Kinder, für die Fahrt zur Berufsausbildung, für den Besuch beim Arzt oder für irgendeine Freizeittätigkeit benutzt wird.
({9})
Qualität des Lebens heißt dann in diesem Zusammenhang, daß genügend Straßen, auch hin zu den großen Verkehrsachsen, vorhanden sein müssen.
Qualität des Lebens, Herr Kollege, heißt aber auch, daß der Benzinpreis so sein muß, daß der kleine Mann ihn noch bezahlen kann. Ich habe stark den Eindruck, daß sich die Bundesregierung über die unzumutbare Höhe der Benzinpreise in den Randgebieten bei ihren Steuerentscheidungen keine Gedanken gemacht hat. Sonst hätte der Bundeskanzler heute vormittag wohl nicht versucht, die Mineralölsteuererhöhungen als Angleichung der Benzinpreise an den europäischen Standard hinzustellen. Es ist das Glück des Herrn Bundeskanzlers, daß die Menschen draußen es gar nicht glauben werden, daß er das hier im Plenum gesagt hat.
({10})
Herr Kollege Ehrenberg, Sie haben heute früh stolz eine Ausarbeitung über die Stimmengewinne, die Sozialdemokraten in den Fördergebieten erzielen konnten, zitiert. Mir ist bekannt, daß ein Konzept für Öffentlichkeitsarbeit existiert, in dem diese Ausarbeitung in den kommenden Monaten mit dem Ziel des Stimmenfangs für die SPD bei den bevorstehenden Landtagswahlen verwendet werden soll.
({11})
In Zukunft, Herr Kollege Ehrenberg, wird es nötig sein, die Zeit weniger auf derartige Wahlmanipulationen als vielmehr auf die sachliche Arbeit für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen zu verwenden, die uns ihr Vertrauen gegeben haben.
({12})
Wollen Sie, Herr Kollege Ehrenberg, uns vielleicht einmal dazu etwas sagen, ob die Bundesregierung in Abkehr von ihrer bisherigen Politik jetzt die Entvölkerung des ländlichen Raumes und insbesondere der Randgebiete betreibt? Es mutet merkwürdig an, wenn wir im Entwurf des Langzeitprogramms der SPD dem Drittel der Bevölkerung, das in den Fördergebieten lebt, eine ganze halbe Seite unter der Überschrift „Regionale Strukturpolitik" gewidmet finden. Für die Städtebaupolitik hat man es auf über fünf Seiten gebracht. Die Feststellung im Programmentwurf - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -, die „Schaffung ... ,städtischer' Lebensverhältnise möglichst für alle Bürger würde auch der überwiegenden Mehrzahl der Arbeitskräfte genügend Wahl- und Wechselmöglichkeiten bieten", weist in die gleiche Richtung wie die Ankündigung von Minister Vogel am Sonnabend der vergangenen Woche, daß er die Beförderungsmittel auf Ober- und Mittelzentren zu konzentrieren beabsichtige.
({13})
Der sozialdemokratische Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein, Jochen Steffen, hat, wie wir heute Vormittag schon hörten, am 4. März im Süddeutschen Rundfunk erklärt, daß die Sozialdemokratische Partei die Schwierigkeiten der ländlichen Räume sehe, sich aber nicht um diese Gebiete kümmere, weil die Masse der Wähler in den Städten wohne.
({14})
- Herr Kollege Haase, daß Sie es mehr mit den Verdichtungsgebieten halten, bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Es war immerhin interessant, daß Dr. Ganser, seines Zeichens Direktor der Bundesanstalt für Raumordnung und ein maßgeblicher Berater von Bundesminister Vogel, an diesem Wochenende auf den Hinweis auf die Gefahr der Entvölkerung der ländlichen Räume kühl erklärte: Was schadet es schon dem bayerischen Wald bei Grafenau, wenn es dort etwas mehr Wald gibt! Er sprach in Bayern. Er hätte sonst genauso gut sagen können: Was schadet es der Eifel, wenn es bei Prüm wieder etwas mehr Urwald mit einigen Eingeborenen zur Ergötzung der städtischen Bevölkerung und der Besucher gibt.
({15})
Meine Damen und Herren, will die Bundesregierung mit der Arbeitsplatzförderung Schluß machen? Derselbe Mann, Direktor der Bundesforschungsanstalt für Raumordnung und ein einflußreicher
Ghostwriter der sozialdemokratischen Polit-,, papers"
hat am vergangenen Sonntag die Forderung aufgestellt, die Bundesrepublik müsse aus dem Wachstum heraus, kein Arbeitsplatz solle mehr hinzukommen. Auch in den Fördergebieten sind nach der Auffassung von Direktor Ganser die Probleme nicht mit Wachstumspolitik und nicht mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu lösen. Priorität hat nach dieser Auffassung - ({16})
- Er wird Ihnen eines sagen, Herr Kollege Wagner,
nämlich was er uns am Sonntag gesagt hat: Priorität hat die Verlagerung von Arbeitsplätzen aus der
Bundesrepublik ins Ausland. Das ist die neue Linie, wonach der Grundsatz, daß die Arbeit zum Menschen und nicht der Mensch zur Arbeit gebracht werden soll, anscheinend wohl in den Beziehungen Deutschlands zum Ausland, aber nicht für die revierfernen Gebiete innerhalb des Bundesgebietes gelten soll.
({17})
- Sie müssen sich mit Ihren sozialdemokratischen Genossen auseinandersetzen.
({18})
- Herr Ehrenberg, daß Sie in der Strukturpolitik genauso einen Zielkonflikt und erbitterten Streit zwischen links und rechts wie in allen anderen wichtigen politischen Fragen haben, ist für uns nachgerade eine Selbstverständlichkeit.
({19})
Wir wollen wissen, wohin die Reise geht! Herr Kollege Ehrenberg, wenn Sie fragen, wer die Strukturpolitik angefangen hat, dann kann ich nur sagen: Hochmut kommt vor dem Fall. Daß im Haushalt des Bundes seit 1953 stetig wachsende Mittel eingesetzt waren, das sollte auch Ihnen bekannt sein, auch wenn Sie damals, wie so viele andere, noch nicht dabei waren. Aber daß seit 1967 die Mittel für das Zonenrandgebiet im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums nicht mehr gewachsen sind, das ist die Wahrheit, und das ist der Klartext. Wer sich hier zum Erfinder der regionalen Strukturpolitik hochstilisieren will, der sollte lieber einmal die Fakten studieren.
Eins allerdings, Herr Kollege Ehrenberg, möchte ich noch sagen, und jetzt verstehe ich Ihren Trugschluß! Auch Minister Vogel hat mir nämlich mit entwaffnendem Irrtum gesagt: „Herr Warnke, was wollen Sie denn? Wir sind uns doch einig, daß es vor 1968 überhaupt keine Mittel für Strukturpolitik im Haushalt gab."
({20})
- Herr Ehrenberg, Herr Ehrenberg! Wissen Sie, was los ist? Sie verwechseln die Erfindung der Investitionszulage durch Minister Schiller mit den Haushaltsmitteln für regionale Strukturpolitik.
({21})
Für uns ist die Investitionszulage in ihrer gegenwärtigen konkreten Festlegung kein Dogma. Der Satz im Jahreswirtschaftsbericht, wonach beabsichtigt ist, der Infrastruktur im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung künftig größeres Gewicht zuzumessen, entspricht auch unseren Vorstellungen und ist eine Diskussionsgrundlage. Freilich hatten wir uns vorgestellt, daß das in der Form geschehen soll, daß man mehr Mittel bereitstellt für die Infrastrukturförderung und daß man die Zuschüsse erhöht, so wie Sie ja auch anderswo im Haushalt 1973 die Zuschüsse erhöht haben. Mit der ersatzlosen Streichung von 420 Millionen kommen Sie bestimmt nicht davon, sondern wenn Sie streichen wollen, müssen Sie uns sagen, wo Sie erhöhen wollen und wo Sie für den Menschen mehr Arbeitsplätze und höheres Einkommen in den Fördergebieten erzielen wollen und konkret auf welchem Wege.
Denn mit diesen Wechselbädern der Zielsetzung
in einem Jahr alles für das Wachstum, im nächsten Jahr Wachstum Null, in einem Jahr alles für Erleichterung der Motorisierung des Arbeitnehmers, im nächsten Jahr prohibitive Steuern, damit der Arbeitnehmer sich sein Auto nicht leisten kann -, mit diesen Wechselbädern der Zielsetzung kommen Sie in der regionalen Strukturpolitik genausowenig weiter wie in der allgemeinen Wirtschaftspolitik und richten Sie dort genausoviel Verheerungen an wie in der Wirtschaftspolitik im allgemeinen.
({22})
Die CDU/CSU-Fraktion damit komme ich zum
Schluß - sieht ihrerseits neue Horizonte für die Entwicklung des ländlichen Raumes und der Randgebiete in den 70er und 80er Jahren. Steigende Mobilität, wachsender Wohlstand immer größerer Bevölkerungskreise, erhöhte Freizeit und das Verlangen einer stetig größer werdenden Zahl von Menschen, ohne Umweltbeeinträchtigung leben zu können, schaffen die Voraussetzungen für eine neue Partnerschaft zwischen Ballungsräumen und Randgebieten, die die Wanderungsbewegung von der bisherigen Einbahnstraße in ihr Gegenteil verkehren kann.
({23})
Mehr und bessere Arbeitsplätze in der Industrie in unmittelbarer Zukunft, ein steigendes Angebot von qualifizierten Arbeitsmöglichkeiten im modernen Dienstleistungsgewerbe, damit wir unsere Kinder nicht nach der Schule in die Fremde schicken müssen, mehr Straßen, damit man uns schnell findet, und eine soziale Infrastruktur, die auch die Erwachsenenbildung nicht vernachlässigt, dies sind Elemente eines Zielkatalogs, der Notwendigkeiten technischen und gesellschaftlichen Wandels human gestalten und nicht durch Zielschwenkungen um 180 Grad die Anpassungsfähigkeit unserer Menschen in diesen Gebieten überfordert.
({24})
Meine Damen und Herren, es stehen noch neun Redner auf der Rednerliste. Wenn jeder von ihnen 20 Minuten spricht
- das war der Durchschnitt der letzten Redner - haben wir noch eine dreistündige Diskussion. Wir müssen aber im Hinblick auf die morgige Tagesordnung heute fertig werden. Ich darf deshalb die Redner bitten, sich noch kürzer zu fassen, als es sowieso
- hoffentlich - schon vorhaben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.
Dr. Lauritzen, Bundesminister für Verkehr Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wil mich gern an diese Ermahnung halten. Ich habe mid nur zu Wort gemeldet, weil die Äußerungen vor Herrn Kollegen Warnke doch in einigen Punkter der Richtigstellung bedürfen. Ich nehme an, er ha
Bundesminister Dr. Lauritzen
in einigen Punkten das mißverstanden, was bisher von uns zur Verkehrspolitik gesagt worden ist.
Der Bundeskanzler hat bei der Regierungserklärung von diesem Platz aus gesagt: Der öffentliche Personennahverkehr hat Vorrang. Ich glaube, daß wir uns darauf verständigen können, ohne damit das Auto verdammen oder den Straßenbau einstellen zu wollen. Aber wir werden mit den Verkehrsproblemen in den Innenstädten und in den Ballungsräumen nicht dadurch fertig, daß wir noch mehr Straßen, noch mehr Parkhäuser, noch mehr Parkplätze bauen. Dadurch lösen wir das Problem dort nicht.
Nun ist es doch eine grobe Verkennung, wenn man aus dieser Vorrangeinräumung den Schluß ziehen will, damit sollten die Randgebiete und die verkehrlich unterstrukturierten Gebiete vernachlässigt werden. Daran denkt niemand.
({0})
- Nein. Sie werden gleich sehen! Wir stehen mit den Ländern in Verhandlungen darüber, daß wir mit der globalen Kontingentierung, wie sie im Augenblick besteht - Gemeindeverkehrsfinanzgesetz: 50 % öffentlicher Personennahverkehr, 50 % Straßenbau - dem tatsächlichen Bedarf nicht gerecht werden. Denn wir haben nun einmal in der Bundesrepublik - Herr Warnke, das verkenne auch ich doch nicht! - weite Gebiete, in denen das Problem des öffentlichen Personennahverkehrs gar nicht besteht. Dort ist die Aufgabe: Straßenbau. - Wenn Herr Warnke zuhörte, würde er jetzt von mir hören, daß ich die Absicht habe, dort den Straßenbau ganz konsequent weiterzuführen.
({1})
Das kann doch bedeuten - und das ist meine Schlußfolgerung -, daß in solchen Gebieten der Straßenbau sogar über 60 % liegen kann, vielleicht sogar bei 70%, weil der ÖPNV - öffentlicher Personennahverkehr - Gemeindeverkehrsfinanzmittel in diesen Gebieten gar nicht braucht. Deswegen wäre die schematische Kontingentierung - für alle Gebiete 50:50 - falsch. Dann müssen wir aber bereit sein - und dazu wäre ich auch bereit -, in den Ballungsräumen, wo der öffentliche Personennahverkehr Vorrang hat, im Straßenbau zurückzufahren.
({2})
Das setzt entsprechende Konsequenzen voraus.
({3})
- Ja bitte, ich muß das hier sagen, weil Sie anscheinend den Obersatz „ÖPNV hat Vorrang" so mißverstanden haben.
({4})
- Ich komme gleich dazu.
Das bedeutet, daß wir zu einer entsprechenden Regionalisierung im Einsatz der Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzgesetz kommen müssen: in
Ballungsgebieten mehr für OPNV; in anderen Randzonen, in unterstrukturierten Gebieten mehr für den Straßenbau. Ich glaube, diese flexible Handhabung ist richtig. Sie bedeutet doch keineswegs etwa, das Automobil - des Bundesbürgers liebstes Kind - verdammen zu wollen. Aber, meine Damen und Herren, die ständige Autolawine morgens in die Städte hinein und abend aus den Städten heraus ist doch keine Naturnotwendigkeit. Das muß doch auch einmal entscheidend geändert werden.
Wie wir also das Verhältnis ÖPNV/Straßenbau durchaus differenziert sehen, gilt das auch im Straßenbau selbst. Die Kürzung der Straßenbaumittel im Haushaltsjahr 1973, Herr Warnke, wird etwa 400 Millionen DM ausmachen; denn es stehen aus dem Haushaltsjahr 1972 noch 300 Millionen DM Haushaltsreste zur Verfügung. Deswegen ist eine Kürzung, die etwa bei 7 Oh liegt, eine Maßnahme, die wir durch gezielten Einsatz der Mittel richtig handhaben können.
({5})
- Gerade im Tiefbau ist die Preisentwicklung wesentlich anders verlaufen als im Hochbau. Das muß man doch sehen.
({6})
- Nein. Sie haben doch in diesen Tagen gehört, daß der Hochbau in diesem Jahr mit Preissteigerungen von etwa 6 % rechnet.
({7})
- Das sind die Äußerungen der Bauindustrie in München gewesen. Im Tiefbau liegen sie wesentlich darunter. Ich meine, bei einem Gesamtvolumen von 6 Milliarden DM ist eine Kürzung um 400 Millionen DM zu rechtfertigen, wenn wir folgendes tun: auf der einen Seite Straßenbaumaßnahmen, die einen besonderen Vorrang haben, konsequent weiterführen - Beispiel linksrheinische Autobahn -, aber dann genauso, Herr Warnke und meine Damen und Herren, wie beim ÖPNV die Randgebiete und die verkehrlich unterstrukturierten Gebiete sehr schonend behandeln. Das muß auch hier unsere Zielsetzung sein, und das möchte ich erreichen.
({8})
- Nein, ich sage nur: das, was in diesem Jahr aus hauswirtschaftlichen Gründen notwendig ist, muß im Hinblick auf die Randzonen und die verkehrlich unterstrukturierten Gebiete so schonend behandelt werden, daß es dort nicht zu Störungen kommt. Ich glaube, hier liegen wir beide auf derselben Linie. Sie können also nicht in der Kumulierung dessen, was Sie soeben aufgezählt haben, sagen, in der Verkehrspolitik sei eine Wendung um 180 Grad vorgenommen worden.
Was die Mineralölsteuer angeht, soll sie, soweit sie für den Verkehrshaushalt zur Verfügung steht, für verkehrspolitische Ziele eingesetzt werden.
({9})
Bundesminister Dr. Lauritzen
- Ich komme gleich darauf. Neben dem Straßenbau denke ich an den großen Investitionsbedarf der Bundesbahn, die ja auch Nahverkehr in großem Umfang betreibt und neue Strecken bauen muß. Wir wollen versuchen, mit dem Bau einer neuen Strecke schon in diesem Jahr anzufangen. Aber ich denke auch daran, daß wir mehr tun müssen, um eine größere Sicherheit im Verkehr zu erreichen. Das erfordert immer wieder Aufklärungsarbeit, Öffentlichkeitsarbeit. Auch dafür sollten wir mehr Mittel einsetzen.
Um alle diese Ziele zu erreichen, so hat der Herr Bundeskanzler hier in seiner Regierungserklärung gesagt, brauchen wir auch für den Verkehr mehr Geld. Deshalb hat die Regierung den Vorschlag gemacht, die Mineralölsteuer zu erhöhen.
Wenn wir über einen internationalen Vergleich insbesondere in Europa sprechen, müssen wir feststellen, daß wir hinter Italien und hinter Belgien immer noch in einer guten Mittelposition liegen. Aber, meine Damen und Herren, wenn man die verkehrspolitischen Ziele, von denen ich heute nur ein paar genannt habe - wir werden wahrscheinlich bei der Beratung des Haushalts Gelegenheit haben, das noch zu intensivieren -, erreichen will, muß man allerdings auch den Mut haben, Entscheidungen zu treffen, die nicht allen gefallen.
({10})
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß sich die weiteren Redner an das Vorbild des Herrn Ministers in bezug auf die Kürze seiner Rede halten.
Das Wort hat der Abgeordnete Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe, daß ich dem Vorbild des Herrn Ministers, was die Kürze betrifft, folgen kann.
Ich freue mich darüber, daß nach sehr langen Diskussionen über Konjunkturpolitik, Stabilität und Preise - Überschrift Währung; ein Problem, das situationsbedingt sicherlich im Vordergrund stand - nun endlich auch Fragen der Strukturpolitik, sprich: regionaler Strukturpolitik, wenn auch sehr spät in die Debatte gekommen sind. Wie gesagt, darüber freue ich mich, und ich will dazu auch einiges sagen. Ich fand nur, daß Herr Kollege Warnke von der CDU, der diese Frage als erster angesprochen hat, sie ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen hat. Der Herr Bundesminister für Verkehr hat sie soeben etwas klarer dargestellt. Ich fand diese Art auch ein wenig polemisch, denn sein Obersatz lautete, daß der Bürger ein Anrecht darauf habe, zu erfahren, was geschieht, und zwar auch der Bürger, der in den Räumen lebt, die von, wie er meinte, restriktiven Maßnahmen der regionalen Strukturpolitik betroffen sind. Wenn man solche Fragen aufwirft, muß man - ich will es hier einmal versuchen - die Bestandteile des Jahreswirtschaftsberichts 1973 der Bundesregierung, was die regionale Strukturpolitik angeht, im positiven Sinne zusammenfassen.
Es ist, wie ich meine, sehr zu begrüßen - ich tue das ausdrücklich -, daß der Jahreswirtschaftsbericht im Gegensatz zu den Ausführungen der Opposition der Strukturpolitik, gerade auch der regionalen Strukturpolitik, ein großes Gewicht eingeräumt hat. Nicht nur der äußere Rahmen, mehr noch der Inhalt des Abschnitts, von dem wir jetzt reden, läßt Erfreuliches hoffen, wird doch hier einmal - das möchte ich vorab sagen, und darin sind wir uns wohl alle einig - deutlich, daß die Sorge um die Konjunkturpolitik, also die Sorge hinsichtlich der Sektoren Stabilität, Preise usw., die Erkenntnis für die nicht weniger wichtige Tatsache nicht verstellt hat, daß eine ausgewogene, an den wirtschafts- und staatspolitischen Notwendigkeiten orientierte Strukturpolitik nicht minder wesentlich ist.
Diese Erkenntnis - das hat mir auch der Diskussionsbeitrag von Herrn Warnke gezeigt - ist nicht überall und bei allen so selbstverständlich, wie es der Jahreswirtschaftsbericht zum Ausdruck bringt. In bezug auf die regionale Strukturpolitik des Bundes, die eine sachgerechte Abstimmung mit den Ländern einschließt, bedeutet dies etwas sehr Wichtiges. Bei der gegenwärtigen und auch wohl nicht so leicht zu überwindenden Finanzverfassung der Bundesrepublik - das muß man sehen, und darüber sind wir uns wahrscheinlich auch alle einig - wird ohne eine solche regionale Strukturpolitik die Diskrepanz immer größer, die zwischen der Finanzmasse einerseits, die die öffentlichen Hände - Bund, Länder und Gemeinden - zur Verfügung haben, und den Leistungsanforderungen andererseits, die - vor allem im Sozialwesen, im Verkehr und in der Bildungspolitik - an eben diese öffentlichen Hände, und zwar auf allen drei Ebenen, die ich genannt habe, gestellt werden, besteht. Damit dient die regionale Strukturpolitik dem Bürger in den strukturell benachteiligten Räumen. Auch unmittelbar - also nicht über die öffentlichen Hände
- nützt die regionale Strukturpolitik dem Bürger, da bekanntermaßen in den strukturschwachen Gebieten auch das allgemeine Verdienstniveau niedriger liegt. Neben erhöhten öffentlichen Leistungen ist auch ein erhöhter Lebensstandard des Bürgers erklärtes Ziel. Ich glaube, diese allgemeine Feststellung findet die Zustimmung aller.
({0})
- Eben! Ich komme gleich noch darauf zu sprechen.
Ich möchte im folgenden einige der diesen Bereich betreffenden Teile des Jahreswirtschaftsberichts in einer kurzen Ubersicht nun etwas näher behandeln.
Erstens. An erster Stelle muß jedem objektiven Betrachter ins Auge fallen, daß in dem breiten Feld konjunkturpolitischer Erwägungen und Maßnahmen in den Sektoren Stabilität und Preise die Belange der regionalen Strukturpolitik angemessen berücksichtigt worden sind. Um es allen Kritikern, die man hier und im Lande draußen in den letzten Tagen hört, deutlich und konkret zu sagen: Die unterschiedlichen Strukturen bestimmter Regionen und ihre besonderen Bedürfnisse - das gilt auch für das Land - sind in keiner Weise irgendeinem gleichmachenden Schematismus stabilitätspolitischer Maßnahmen zum Opfer gefallen. Das Gegenteil ist richtig. Die Änderung der Investitionszulagen z. B.
erfolgt - so steht es im Text - unter ausdrücklicher Beibehaltung der Präferenzstruktur in dem Komplex der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". So und nicht anders steht es in Textziffer 42 des Jahreswirtschaftsberichts. Alles Gerede von einem undifferenzierten Abbau regionaler Strukturpolitik im allgemeinen oder in bestimmten Gebieten als Folge der stabilitätspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung ist falsch. Meine Damen und Herren, jeder muß dies wissen, vor allen Dingen jeder, der in Räumen, die es angeht, politische Verantwortung trägt.
Zweitens. Das Programm der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ist wohl in seiner Zielsetzung, nicht aber unbedingt in den einzelnen Maßnahmen und Planungen konstant. Das Programm bedarf der Fortentwicklung und der Verbesserung, beides auf der Grundlage der finanziellen Möglichkeiten und der praktischen Erfahrungen in Bund und Ländern. Es gilt, unter den gegebenen Voraussetzungen, die nicht beliebig und schnell veränderbar sind - das müssen wir wissen -. ein optimales Ergebnis zu erzielen. Schon am 21. Februar 1973 - das ist heute mehrfach erwähnt worden - hat der Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", dem der Bundeswirtschaftsminister als Vorsitzender angehört, den zweiten Rahmenplan für die Jahre 1973 bis 1976 verabschiedet. Davon war schon die Rede. Dieser Plan trägt der soeben genannten Forderung Rechnung. Der Jahreswirtschaftsbericht 1973 zeigt auch vor dem Hintergrund der konjunkturpolitischen Maßnahmen die gleichen Ziele auf. Er betont - und dies muß allen Kritikern entgegengehalten werden - auch vor diesem Hintergrund die Besonderheit strukturell benachteiligter Regionen. Ich habe Anlaß, hierauf besonders hinzuweisen.
Im einzelnen ist dazu folgendes zu sagen. Dieser Rahmenplan für 1973 bis 1976 sieht die Schaffung von 460 000 neuen Arbeitsplätzen und die Sicherung von 250 000 Arbeitsplätzen vor. Zur Erreichung dieser Ziele sollen private Investitionen in Höhe von 14,7 Milliarden DM gefördert werden. Als Finanzierungshilfen sind im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe neben der Investitionszulage 870 Millionen DM an Zuschüssen vorgesehen.
Hier war von bestimmten Regionen die Rede. Daß im Rahmen dieser Maßnahmen besonders benachteiligte Regionen einen hervorgehobenen Stellenwert besitzen, zeigt der Hinweis auf die Tatsache, daß 31.6 0/o der neu zu schaffenden und 58,4 0/o der zu sichernden Arbeitsplätze auf das Zonenrandgebiet entfallen sollen. Dieser Schwerpunkt, meine Damen und Herren, kommt auch im Jahreswirtschaftsbericht zum Ausdruck.
Nun drittens. Der zweite Rahmenplan wird u. a. eine Neuabgrenzung der Förderungsgebiete, also eine räumliche Konzentration der Förderung, aber auch eine Erfolgskontrolle zum Gegenstand haben. Oberstes Ziel dieser Änderung wird es sein, die Maßnahmen der regionalen Strukturpolitik in Bund, Ländern und Gemeinden noch wirkungsvoller zu gestalten. Die Bundesregierung verweist dankenswerterweise auf die Verbesserungsvorschläge, die von der Konferenz der Länderwirtschaftsminister erwartet werden. Dies ist im Interesse der Sache sicher notwendig.
Gestatten Sie, daß ich in diesem Zusammenhang eine besondere, nach vielen Ausführungen vielleicht überflüssige Bitte an die Bundesregierung richte. Es steht außer jedem Zweifel, daß eine stärkere Konzentration der Förderung, also eine Abkehr von noch vorhandenen Resten des Gießkannensystems, jeder uneingeschränkt unterstützen muß und unterstützen wird. Bedenken Sie dabei aber bitte auch die unterschiedlichen Strukturen etwa der Bevölkerungsdichte - Herr Ritz, hören Sie zu!; er tut es aber nicht - und der Verkehrsferne, die hier und in manchen Räumen zu anderen Maßstäben der Beurteilung zwingen mögen, als es für Bereiche mit größerer Bevölkerungs- und Verkehrsdichte gilt. Ich sage dies nicht nur, weil ich aus einem relativ schwach strukturierten Flächenstaat, nämlich Niedersachsen, stamme, sondern weil ich weiß, daß es in anderen Flächenstaaten - auch ohne Zonenrand und ohne Küste - vergleichbare Probleme gibt. Der zweite Rahmenplan schließt diese Differenzierung nicht aus. Darauf muß man immer wieder hinweisen.
Viertens und letztens. In der gleichen, mit Konsequenz verfolgten Linie liegt es, wenn die Bundesregierung die räumliche Neuabgrenzung, also die räumliche Konzentration, mit einer Konzentration der sachlichen Schwerpunkte gleichschaltet. Meine Fraktion begrüßt daher die Absicht der Bundesregierung, der Infrastruktur im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung in der Zukunft ein größeres Gewicht einzuräumen.
({1})
- In nächster Zukunft.
Der zweite Rahmenplan - ich erwähne es noch
einmal - widmet über die Hälfte der Mittel für Gemeinschaftsaufgaben dem Aufbau der Infrastruktur. Auch hier fließt über die Hälfte des Betrages in das Zonenrandgebiet. Eine solche sachliche Konzentration der Maßnahmen wird oft erst in dem weiteren Verlauf durch die Ansiedlung von Industrien die Wirtschaftsstruktur verbessern. Die Erhöhung des Wohn- und Freizeitwerts ist aber das primäre Ziel der infrastrukturellen Maßnahmen. Auch das ERP-Programm, von dem vorhin nur am Rande die Rede war, gewinnt für die Schwerpunktorte der Gemeinschaftsaufgaben zunehmend Bedeutung.
Die Bundesreigerung trägt hiermit einer Erfahrung Rechnung, die von allen Praktikern regionaler Strukturpolitik gemacht worden ist. Diese Erfahrung besteht darin, daß längst in zunehmendem Maße der Zug der Arbeitskräfte, ihr räumliches Interesse - vom Facharbeiter bis zum höheren Management -, oft erst den letzten Ausschlag bei Investitionen zur Industrieansiedlung gibt. Es ist immer deutlicher geworden: Bei gleichen Konditionen im übrigen wird von Arbeitnehmern ebenso wie von ansiedlungs- und investitionswilligen Unter994
nehmern demjenigen Schwerpunktsort der Vorzug gegeben, der über den größeren Wohn- und Freizeitwert verfügt.
An dieser Stelle berühren sich Ziel und Ausgangspunkt meiner Überlegungen. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, von der ich eingangs sprach, kommt nämlich nicht zuletzt auch in dem hohen Wohn- und Freizeitwert des Raumes zum Ausdruck, in dem wir unseren Lebensmittelpunkt haben.
Im letzten Grunde, meine Damen und Herren, verwirklicht die Bundesregierung, indem sie für eine Stärkung strukturell benachteiligter Regionen im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten sorgt, eine der Grundforderungen, die das Grundgesetz zum Wohle der Bürger an die staatliche Gewalt stellt. Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung 1973 stellt diese Tatsachen - Sie mögen es nicht so sehen, aber es ist so - in einem deutlichen Zusammenhang. Er sollte daher auch in den Abschnitten, die sich mit der regionalen Strukturpolitik befassen, einer breiten Zustimmung sicher sein.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sehr forsche Rede von Herrn Bundesminister Schmidt kann natürlich nicht ohne gewisse Anmerkungen bleiben.
({0})
Leider hat er uns das Vergnügen seiner Anwesenheit nicht bis in diese Abendstunden bewahrt.
Herr Bundesminister Schmidt hat sich an einem interessanten Satz von Herrn Strauß delektiert. Herr Strauß hat nämlich in der Objektivität, die uns als Opposition
({1})
eigen ist,
({2})
erklärt, daß er durchaus in der Lage ist, gewisse Anstrengungen der Bundesregierung mit leidlichen Erfolgen auch angemessen anzuerkennen. Das haben war nicht aus Ihrer Oppositionszeit gelernt, Herr Kollege Wehner, sondern das ist unser neuer Stil.
({3})
Nun, seit wir mit der ersten und der zweiten sozialistisch-liberalen Koalition gesegnet sind, dreht sich das Aufwertungskarussel aber pausenlos. Es ist immer noch leidlich gut gegangen mit all den Maßnahmen, weil uns unsere Handelspartner den Gefallen getan haben, selber etwas unsolide zu sein, so daß all diese Maßnahmen nicht die befürchteten Wirkungen im außenwirtschaftlichen Bereich hatten.
Jetzt scheint mir aber ein Punkt erreicht zu sein, an dem die Dinge recht kompliziert werden, weil wir zu Hause im innenpolitischen Feld einen recht scharf fahrenden Inflationszug haben, der sich im grenzüberschreitenden Warenverkehr genauso wie eine Aufwertung auswirkt. Beides kumuliert, könnte es schon etwas schwieriger werden.
Nun wurde hier mit großem Pathos gesprochen. Wir sind ja in einen Personenkult eingetreten, der schon merkwürdige Formen annimmt. Ich habe mir sagen lassen, daß es geradezu Weihrauchschwaden gegeben hat nach dieser ersten 20-Milliarden-Operation, die Schmidt durchgeführt hat und nach der er der Meinung war, er habe es geschafft. Er hat es nicht geschafft. Für Schmidt war das ein interessanter Lernprozeß. Er mußte sein Trauma gegenüber Schiller überwinden, bis er überhaupt wieder Boden gefaßt hat.
({4})
Aber immerhin, es ist gerade noch gut gegangen. Wir wissen das Ende nicht. Ich bin in währungspolitischen Fragen sehr vorsichtig und möchte mich zu keiner Äußerung hinreißen lassen, die die Situation noch gefährden hönnte. Sie müssen auch bedenken, daß hinter all diesen Dingen nicht bloß währungspolitische Fragen, sondern die Umrisse eines sich abzeichnenden Handelskriegs sichtbar werden. Hierauf muß sich unser Interesse konzentrieren, und darauf haben wir zu achten. Der Herr Schatzkanzler hat also mit Müh und Not den Hof erreicht und ist gerade noch einigermaßen weggekommen.
Ich sage Ihnen hier auch folgendes. Das sind für uns nationale Fragen, und wir versagen uns in solchen Fragen nicht. Aber es wäre gar nichts Außergewöhnliches und es würde sich demokratisch gar nicht so schlecht ausnehmen, wenn man auch die Opposition in einer solchen Operation einmal fragte, sie mit einbezöge und hier nicht immer nach „Alternativen" schreien würde. Herr Wehner, da halte ich es mit Ihrer Devise - Sie wissen noch, damals vor der Großen Koalition haben Sie das erklärt -: Wir sind feine Leute, wir waschen nicht anderer Leute Wäsche. Jetzt natürlich wären Sie auf Alternativen angewiesen. Wir haben kürzlich eine vorgelegt - der Kollege Vogt wird darüber morgen zu berichten haben - zu § 34 a des Einkommensteuergesetzes. Sofort haben Sie sie übernommen, mit eigenem Etikett „SPD/FDP" versehen und als eigene Ware ohne Ursprungszeugnis verkauft.
({5})
Das würde Ihnen so passen, daß wir Ihnen die Verantwortung, die Sie trifft, abnehmen, damit Sie das abschreiben können, wie es Ihnen bei der Rentenreform erfolgreich gelungen ist.
({6})
Nun einige politische Bemerkungen zum Stabilitätsprogramm. Das ist natürlich kein Stabilitätsprogramm, sondern ein ganz raffiniert in der Maske eines Stabilitätsprogramms herantrabendes .Steuererhöhungsgesetz, und zwar ein ganz massives, das allein für den Bund Einnahmen besorgen soll.
({7})
Die Finanzmasse wird auf Kosten der Länder und
der Gemeinden angeknabbert. Und wissen Sie, was
Sie wollen? Ich will es einmal ganz offen sagen: Sie
wollen sich dieses Geld auf die Seite legen, einen Juliusturm aufbauen und sich dann in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode, nachdem Sie all die unangenehmen Dinge hinter sich gebracht haben, zwei Jahre hindurch schön und liebenswürdig zeigen.
({8})
- Ja, so ist es! Sie haben zwar mit uns in der Großen Koalition das Stabilitäts- und Wachstums-Gesetz erfunden. Es gab einen großen Taufschmaus. Das wurde als wundervolles Instrument gefeiert. Heute ist es im Archiv oder in der Garderobe abgelegt. Ich weiß das nicht. Warum? Weil Sie den Ländern und den Gemeinden diese Anteile nicht geben wollen. Das wollen Sie alles in die eigene Tasche stecken,
({9})
um hernach nach Wehner-Strategie den zweiten Teil bestreiten zu können. Wir kennen Ihre langfristig angelegten, weiß Gott sehr interessanten Pläne und wissen auch um die Disziplin bei Ihrer ganzen Gefolgschaft. Das hat nichts mit Ihrem Amt zu tun.
({10})
- Wenn bei Ihnen wirklich wieder innere Demokratie herrschen und es Widerstände geben sollte, würde mich das freuen. Das wäre ein Demokratisierungsprozeß, nach dem Sie bei allen anderen - ungehörigen - Anlässen schreien.
({11})
Es kann gar keinen Zweifel geben, daß das ein massives Steuererhöhungsgesetz ist. Natürlich sind gewisse Effekte damit verbunden, um Geld abzuschöpfen. Aber das ist nicht ihr Hauptzweck. Das könnten Sie über eine Konjunkturmaßnahme mit demselben Personenkreis erreichen. Wir lassen uns die Reichen nicht anhängen, Herr Wehner. Wir sind genauso wie Sie der Meinung, daß diejenigen, die gut verdienen, einen entsprechenden und größeren Anteil zu einer gemeinsamen Aufgabe zu leisten haben.
({12})
Mit dieser Geschichte kommen Sie bei uns nicht durch.
Nehmen Sie diesen Zuschlag als Einkommensteuerergänzung, und legen Sie ihn dorthin - in die Bundesbank -, wo er hingehört. Lösen Sie ihn dann auf: 43 % zugunsten der Länder, 43 % für den Bund und 14 % für die vielbeweinten Gemeinden. Das entspricht dem von Ihnen mit geschaffenen Gesetz, ist eine Stabilitätsleistung und außerdem kein Eingriff in die Steuerquellen zu Lasten der beiden anderen verantwortlichen Ebenen.
({13})
Dieser Vorgang - damit möchte ich schließen, um die von Herrn Präsidenten verlangte Kürze zu beweisen - reicht aber nicht aus. Wir wissen gar nicht, wie wir herauskommen. Wir werden noch gemeinsam große Anstrengungen unternehmen müssen, die 90 Milliarden Dollar, die nun vagabundieren, einzufangen und in einer Form zu binden, die verhindert, daß sie dieses unheilvolle Geschäft nicht immer - fast immer - auf unsere Kosten treiben können. Sie müssen auf innenpolitischem Feld auch noch ergänzt werden durch flankierende Maßnahmen, und zwar anderer Art, als Sie uns das vorschlagen.
Sie müssen die Preisentwicklung berücksichtigen, die ja noch viel gefährlichere Formen annimmt, als das im letzten Jahr mit 6,9 % der Fall war; denn wir sind im industriellen Güterbereich bereits bei einer Steigerung von 4,8 % angelangt. Hier müssen Sie dafür sorgen, daß die binnenwirtschaftlichen Maßnahmen die anderen Maßnahmen ergänzen. Sie müssen für echte Stabilität zugunsten vor allem des kleinen Mannes sorgen. Dann wird daraus ein richtiger Schuh: wenn beide Elemente zusammengeführt werden.
Daran fehlt es. Dazu haben Sie nicht den Mut. Sie müssen das Vertrauen zum Geld wiederherstellen. Sie wissen ganz genau, Herr Wehner - niemand weiß das so sehr -, was ein anderer Mann in einer ganz anderen Zeit gesagt hat, wie man nämlich Staaten unserer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung durch einen Angriff auf das Geld vernichten kann.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Vogt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Sprecher der SPD, der Kollege Schachtschabel und der Kollege Ehrenberg, haben sich heute mit Fleiß bemüht, den Eindruck zu erwecken, das Jahr 1973 werde verteilungspolitisch im Grunde genommen unproblematisch, wenn die Unternehmer nur die vorhandenen Preiserhöhungsspielräume nicht ausnutzten. Herr Kollege Ehrenberg, ich glaube, das ist eine Schönfärberei, die man heute abend zu später Stunde doch noch ein bißchen zurechtrücken muß.
Denn Sie wissen, wenn Sie in den Jahreswirtschaftsbericht hineinschauen, genau, daß er für dieses Jahr eine Steigerungsrate der Einkommen aus unselbständiger Beschäftigung um 7 % vorsieht. Die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sollen um 9 % ansteigen. Nun könnte man natürlich über solch einen unterschiedlichen Anstieg der Einkommen durchaus reden, wenn es notwendig wäre, über eine Begünstigung der Gewinne die Konjunktur anzukurbeln. Aber das ist wohl in dieser Situation heute gar nicht notwendig. Wenn die Bundesregierung trotzdem die Begünstigung der Gewinne vorsieht, kann das nur begründet, gerechtfertigt werden, wenn der Versuch unternommen wird, die Preisentwicklung tatsächlich zu dämpfen. Aber die Preisentwicklung wird in diesem Jahr nicht gedämpft werden; die Zielprojektion wird wahrscheinlich nicht erreicht werden. Dann kommen wir zu einer Situation, von der ich nur sagen kann, daß hier ein sozialer Sprengsatz für eine Stabilitätspolitik gelegt werden wird; denn ein Auseinanderklaffen der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und
Vermögen auf der einen Seite - zu Lasten der anderen - und der Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit ist - aus der Erfahrung heraus wissen wir das - nun einmal ein sozialer Sprengsatz.
({0})
Meine Damen und Herren, dieses Ungleichgewicht wird sich um so mehr auswirken, je weniger die Annahmen des Jahreswirtschaftsberichts Realität werden. Und sie werden nicht Realität; die jüngsten Zahlen über den Anstieg der Lebenshaltungskosten beweisen es. Die berühmte Tendenzwende, die für die zweite Hälfte des Jahres vorhergesagt wird, verhindert die Bundesregierung durch ihre Steuererhöhungspläne selbst; denn diese Steuererhöhungen wirken kosten- und damit letztlich auch preistreibend.
Deshalb bleibt nur festzustellen: Erstens. 1972 hatten die Arbeitnehmer wenigstens noch einen gewissen Anstieg ihres Realeinkommens. 1973 können sie damit nicht rechnen; denn bei einem Anstieg des Netto-Einkommens um 7 % bei einem gleichzeitigen Anstieg der Verbraucherpreise um 7 % bleibt auch nach der berühmten Unter-dem-Strich-Rechnung von Herrn Rosenthal nichts mehr übrig.
Das Zweite - Herr Dr. Ehrenberg, das ist vielleicht, von Ihrer früheren Tätigkeit ausgehend, noch etwas wichtiger -: die Gewerkschaften haben in der jüngsten tarifpolitischen Auseinandersetzung im Vertrauen auf die Bundesregierung, sie werde den Preisauftrieb dämpfen können, einen wirksamen Beitrag zur Stabilität geleistet. Das erkennen alle
Teile dieses Hauses an.
Die Bundesregierung war aber nicht in der Lage, sozusagen die Voraussetzung für diesen Beitrag zu garantieren, den die Gewerkschaften geleistet haben. Sie hat damit einer „Vereinbarung" die Geschäftsgrundlage entzogen. Sie wissen, daß ich das nicht einfach so dahersage. Wenn Sie die Situation auf Gewerkschaftsveranstaltungen kennen, dann wissen Sie, daß viele Arbeitnehmer durchaus gemerkt haben, daß das, was sie als Beitrag zur Stabilitätspolitik geleistet haben, durch die Politik der Bundesregierung nicht honoriert wird.
Ich wollte auf diese verteilungspolitischen Probleme, die im Blick auf das Jahr 1973 auftreten werden und die leicht zu sozialen Spannungen führen können, wenigstens zum Ende dieser Debatte noch einmal kurz hingewiesen haben.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Gewandt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Dr. Wendig hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Behandlung des Jahreswirtschaftsberichts etwas zu kurz gekommen ist. Das ist verständlich. Das gesamte wirtschaftliche Geschehen steht unter dem Eindruck der ernsten Wirtschaftskrise und der anhaltenden Inflation. Bei der Einbringung des Jahreswirtschaftsberichts hat sich der Herr Bundeswirtschaftsminister erfreulich marktwirtschaft ausgelassen. Das steht in Übereinstimmung mit einer Aussage, die der Herr Bundeswirtschaftsminister kürzlich machte:
Konsequente marktwirtschaftliche Ordnungspolitik und Verbesserung der Qualität des Lebens schließen sich nicht aus; im Gegenteil: sie bedingen einander. Niemand kann uns ein leistungsfähigeres Wirtschaftssystem als die Marktwirtschaft nennen. Auch ihre zahlreichen Kritiker sind dazu nicht in der Lage.
Er sagt dann weiter:
Nur innerhalb dieser immer wieder geschmähten Ordnung, die viel zu oft verletzt und längst nicht hart genug durchgespielt wird, können wir das erreichen, was wir uns „Qualität des Lebens" zu nennen angewöhnt haben.
Herr Minister, das hören wir gern; das findet unsere Zustimmung. Ich werde allerdings in kurzen Ausführungen einige Beispiele anführen müssen, bei denen wir feststellen müssen, daß sich Ihre Aussagen nicht decken mit Aussagen Ihrer Parteifreunde oder Aussagen der Sozialdemokraten.
In dem Bericht der Bundesregierung wird auch auf den Mittelstand eingegangen, der immerhin mehr als 60 0/o der Arbeitnehmer Arbeit bietet. Dabei bezieht sich die Bundesregierung auf ihr sogenanntes Aktionsprogramm zur Steigerung der Leistung kleinerer und mittlerer Unternehmen aus der letzten Legislaturperiode. Wir haben dieses Programm damals als ein Aktionsprogramm ohne Aktion bezeichnen müssen. Das heute vorliegende Programm ist ein Programm mit sehr vielen Unbekannten.
Die Bundesregierung betont die Notwendigkeit der Ausgewogenheit der Unternehmensstruktur. Sie sagt zutreffenderweise, daß für eine funktionsfähige Marktwirtschaft der Mittelstand unerläßlich ist, auch für die optimale Versorgung der Verbraucher. Das deckt sich mit der Erkenntnis der Wissenschaft, die sagt, daß wir viele Schwierigkeiten in unserem Lande im Gegensatz zu anderen Industrienationen wegen der Ausgewogenheit unserer Struktur nicht kennen. Es ist auch anzuerkennen, daß die Impulse, die im technologischen Bereich von der mittelständischen Wirtschaft ausgehen, zur Sprache kamen. Ich glaube, wir alle verdanken gerade dem mittelständischen Dienstleistungsbereich die Farbigkeit des Lebens, die unsere Wirtschaft von dem grauen Alltag sozialistischer Ordnung unterscheidet.
({0})
Aber nun ist die Frage: Wie bringen wir das, was hier dargelegt wird, in Einklang mit den Fakten? Wie bringen wir diese Darlegungen auch in Einklang mit den Ausführungen, die der Herr Bundeskanzler gemacht hat?
Am letzten Wochenende haben die Jusos - einige Mitglieder sind in der SPD-Fraktion vertreten - gesagt:
Unumstritten ist unser Wille, die bestehende
Gesellschaft durch eine sozialistische zu ersetzen. Die paritätische Mitbestimmung dient nur
als Durchgangsstation auf dem Weg zur Selbstbestimmung der Arbeitenden über die Produktionsmittel.
Und immerhin haben die Judos, Herr Minister, gesagt, sie wollen keine radikale Systemreform, sondern eine Strategie der Systemüberwindung. Sie meinen weiter, eine Änderung der Einkommensverteilung zugunsten der Lohnabhängigen in diesem System sei so schwierig wie die Quadratur des Zirkels. Ich erwähne dies nur, weil ein Minister dieser Regierung, Minister Maihofer, zu diesen lichtvollen Ausführungen gesagt hat, sie seien Symptome für die theoretische Besinnung innerhalb der Partei.
Die Regierung macht in ihrem Bericht geltend, sie sei für eine Erleichterung der Kooperation der mittleren Unternehmen. Das deckt sich voll mit unserer Auffassung; hier haben Sie unsere Unterstützung. Wir sehen wie Sie, daß wir einen funktionsgerechten Wettbewerb aufrechterhalten müssen durch eine Fusionskontrolle und durch eine Verstärkung der Mißbrauchsaufsicht. Wenn Sie aber in Ihrem Bericht sagen, daß den wirtschaftlichen Erfordernissen der kleineren und mittleren Betriebe auch bei der Vermögens- und Steuerpolitik Rechnung getragen werden muß, dann meine ich, daß angesichts der derzeitigen steuerpolitischen Realitäten dies als Zynismus angesehen werden muß.
Es ist sehr interessant, zu hören, wie sich die Kollegen aus der FDP-Fraktion zu diesem Thema einlassen. Wir kennen alle noch den Artikel im „Handelsblatt". Dort wurde gesagt: Keine Steuererhöhung zur Stopfung von Inflationslücken! Dann hat am 19. Januar ein von mir hochgeschätzter Hamburger Kollege gesagt, er sei nach wie vor der Meinung, daß man Steuererhöhungen aus Etatgründen nicht bräuchte. Vollkommen richtig! Kurze Zeit später hat er dann erklärt: Das sind ja Vorschläge der Regierung; das Parlament entscheidet. Etwas später hat er gesagt, er wolle nicht mit Absolutheit ausschließen, daß „wir nicht mitmachen". Jetzt frage ich: wobei nicht mitmachen? Bei einer massiven Verbrauchsteuererhöhung und bei einer Vorwegnahme der Parteitagsbeschlüsse der SPD in bezug auf die Besteuerung der Einkommen.
Diese Widersprüchlichkeiten kennen wir ja schon aus dem alten Aktionsprogramm. Damals wurde gesagt, daß man bei der angestrebten Reform der Erbschaftsteuer ganz zweifellos im Mittelstand zu Liquiditätschwieriqkeiten käme
Es kann hier also nicht von einer leistungsfördernden Steuerpolitik gesprochen werden. Wir alle wissen aus den Statistiken, daß die Gewinnstagnation im Mittelstand beträchtlich ist. Die Erträge sinken; der Kostendruck hält an. Ich möchte wegen der Kürze der Zeit nur auf eine Zahl hinweisen. In einer Eingabe an den Ausschuß für Wirtschaft hat ein Einzelhandelsverband dargelegt, daß der betriebswirtschaftliche Gewinn der Unternehmen, der im Jahre 1962 noch bei 5,1 % lag, heute mit 2,7 % des Umsatzes veranschlagt werden muß - ganz abgesehen davon, daß im mittelständischen Bereich nach den Angaben des Wirtschaftsministeriums die Anzahl der Konkurse größer wird.
Deshalb vermissen wir im Programm der Regierung eine Aussage zur Eigenkapitalbildung, zumal Bundesbank und Statistisches Bundesamt deutlich machen, daß die Eigenmittel im verarbeitenden Gewerbe in bedenklicher Weise zurückgegangen sind.
Vergessen Sie dabei nicht, daß sich durch die verfehlte Konjunkturpolitik gerade der mittlere Wirtschaftsbereich jahrelang keine Kredite beschaffen konnte, während sich andere zur Zeit der Hochzinspolitik auf dem Eurodollarmarkt bedienen konnten.
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Und heute erleben wir, daß die Kreditgemeinschaften in Schwierigkeiten kommen und daß die Volksbanken durch die Rediskontierungseinschränkung erhebliche Schwierigkeiten haben.
Die Regierung bekennt sich nun zur Förderung all der Maßnahmen, die die vergangenen Regierungen eingeführt haben - Gewerbeförderung, Beratung, Betriebsbegehung, Aus- und Fortbildung -, aber in der Praxis haben diese Maßnahmen nicht den hohen Stellenwert, der hier vorgegeben wird. Denn wenn man die Zahlen im Haushalt einmal näher untersucht, wenn man berücksichtigt, daß unter den entsprechenden Titeln mehr Aufgaben zusammengefaßt werden als früher vorgesehen, und die Kostensteigerungen in Betracht zieht, muß man von einer effektiven Leistungsminderung sprechen. Es gibt also zunächst nur eine Absichtserklärung, von der wir allerdings hoffen, daß sie im nächsten Haushalt dann wirklich Realität wird.
Wir haben weiter festzustellen, daß die Gemeinschaftsforschung, die gerade im mittelständischen Bereich von größter Bedeutung ist, durch die Haushaltspolitik in Schwierigkeiten kommt. Man kann nicht Forschung treiben, wenn man von Jahr zu Jahr gezwungen ist, neu über Personal zu disponieren. Die jungen Wissenschaftler wandern ab; sie haben keine Möglichkeit, hier einen dauerhaften Arbeitsplatz zu finden. Das heißt also: Es ist eine ernsthafte Gefährdung der Gemeinschaftsforschung festzustellen.
Auf die Strukturpolitik ist schon eingegangen worden. Eines allerdings möchte ich betonen: Die Bundesregierung hat eine Anregung von uns aufgenommen. Sie wird künftig bei der Gewerbeförderung die Kosten-Nutzen-Analyse einführen. Wir hoffen, es bleibt hier nicht wieder bei einer Absichtserklärung, sondern es werden Taten folgen.
Die Regierung spricht auch von der Ausbildung. Aber im Gegensatz zu uns - wir haben ein ganz konkretes Programm zur Förderung der beruflichen Ausbildung vorgelegt - gibt es wiederum nur Absichtserklärungen.
Wir haben hervorzuheben, daß durch den Strukturwandel, der im mittelständischen Bereich ohne staatliche Hilfe überwunden wurde, natürlich viele menschliche Härten entstanden sind. Es ist deshalb an die Regierung zu appellieren, daß sie die Frage der Alterssicherung erneut prüft. Damit meine ich vor allem die Stiftung für ältere Selbständige.
Lassen Sie mich in Kürze folgendes sagen. Es fehlt an klaren Aussagen über die Vorstellungen zur Ver998
besserung der Eigenkapitalbildung und des Sparens im Betrieb. Es fehlen konkrete Angaben über die Vermögensbildung für Selbständige. Es fehlen Pläne für die Einbeziehung der gewerblichen Räume in die Bauförderung. Es fehlen Angaben über den Ausbau der beruflichen Aus- und Fortbildung; es gibt nur unverbindliche Absichtserklärungen. Es fehlen konkrete Vorstellungen über Finanzierungshilfen für die mittelständische Wirtschaft zur Anpassung an den dynamischen Marktprozeß. Es fehlen konkrete Angaben darüber, was die Regierung zu tun gedenkt, wenn die Zahlungen der Ausgleichskassen für die Lohnfortzahlung auslaufen.
Gestatten Sie mir zum Schluß folgende Berner-kung. Wir werden die Regierung nicht an den schönen Worten und an den Absichtserklärungen messen, sondern an ihren Taten. Wir müssen wiederholen, was der Generalsekretär des Deutschen Handwerks gesagt hat: Es macht sich in mittelständischen Bereichen eine Resignation breit. Warum? Weil sich viele Mittelständler die Frage stellen, ob sie sich angesichts der systemüberwindenden Kräfte
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am Ende ihres Lebens noch der Früchte harter Arbeit werden erfreuen können.
Herr Bundesminister, wir hoffen, daß die Absichtserklärungen, die sich weitgehend mit unseren Vorstellungen decken, nicht, wie in der Vergangenheit, Absichtserklärungen bleiben, sondern zu realen und konkreten Maßnahmen führen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wurbs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will versuchen, mich an die Redezeit zu halten.
Ich muß aber doch, obwohl ich damit dem Herrn Kollegen Zeitel vielleicht ein Übermaß an Publizistik verleihe,
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noch einmal auf sein Zitat zurückkomme. Er führte zum Schluß seines Diskussionsbeitrages aus, daß die Opposition keinesfalls bei Entscheidungen mitwirken würde, die unsere soziale Marktwirtschaft in Frage stellten.
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Das ist ganz klar und ist zu unterstreichen. Aber man versucht doch hier wieder, einen Buhmann aufzubauen und uns etwas in die Tasche zu stecken, was gar nicht den Tatsachen entspricht.
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Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung ein ganz klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft abgelegt. Es ist nicht so, daß man nicht nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft verfährt, wenn nicht in jeder zweiten Zeile das Wort „soziale Marktwirtschaft" genannt wird. Ich darf nur darauf verweisen, daß in der Regierungerklärung ausdrücklich von Leistung, vom Schutz des Eigentums, unter Berücksichtigung der Sozialpflichtigkeit selbstverständlich, die Rede ist. Das sind doch zwei entscheidende Kriterien der sozialen Marktwirtschaft.
Ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Dr. Narjes. Herr Dr. Narjes hat auch bei seiner Erwiderung zur Regierungserklärung bemängelt, daß der mittelständische Bereich, der Selbständige, nicht genügend angesprochen worden sei. Ich darf dies im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht nachholen und noch etwas verdeutlichen.
Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht die Schwerpunkte ihrer Mittelstandspolitik ganz präzise dargestellt. Hier wird ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, daß die Notwendigkeit einer breiten Mittelschicht, d. h. der Bestand von kleinen und mittleren Betrieben. nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit darstellt, sondern vielmehr auch eine politische.
Nun zu Ihren Ausführungen, Herr Gewandt. Ich möchte mich nicht mit Zitaten Ihrer Partei - da gibt's ja wohl auch die widersprüchlichsten Meinungen -, sondern nur mit ein paar kurzen Bemerkungen befassen, die Sie hier an dieser Stelle gemacht haben.
Sie haben ausgeführt, daß sich die Bundesrepublik in einer echten Wirtschaftskrise befinde.
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- Nein, Sie haben gesagt: in einer ernsten Wirtschafts- und Währungskrise. Ich glaube, von einer Wirtschaftskrise kann doch keine Rede sein.
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- Sie haben „Wirtschafts- und Währungskrise" gesagt. Wir können es im Protokoll nachlesen; ich habe da aufmerksam zugehört. Ich glaube, der Begriff „Wirtschaftskrise" kann doch nur ein Versprecher sein.
Dann haben Sie weiter gesagt, das Aktonsprogramm, das diese Bundesregierung im Jahre 1970 vorgelegt habe, sei ein Programm ohne Aktionen.
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Ich will Ihnen hier den Gegenbeweis antreten. Noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik sind so viel Mittel für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten, so viel Mittel für die Betriebsberatung, die zusätzlich erhöht worden sind, ausgegeben worden. Die Bundesregierung hat des weiteren Kooperationserleichterungen für kleinere und mittlere Betriebe vorgesehen. Daß die Kartellnovelle, die diese Materie mit beinhaltet, bisher noch nicht verabschiedet worden ist, haben wir allein nicht zu verantworten.
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Im Jahreswirtschaftsbericht ist ganz klar davon die
Rede, daß künftighin der Berufsausbildung eine
Priorität beigemessen werden muß. Ich glaube,
keine Bundesregierung hat bisher in dieser Klarheit diese Forderung herausgestellt. Wenn Sie einmal die Zahlen der ERP-Mittel der Jahre 1969 bis 1973 gegenüberstellen, werden Sie feststellen können, daß eine ganz erhebliche Steigerung erfolgt ist, nämlich von 285 Millionen DM im Jahre 1969 auf 420 Millionen DM im Jahre 1973. Dazu kommen noch weitere Mittel des Bundes in Höhe von 350 Millionen DM, die von der Kreditanstalt und von der Lastenausgleichsbank zu einem Mischzinssatz von etwa 6 % gewährt wurden. Das sind durchaus Maßnahmen, die dem Mittelstand zugute kommen und die die mittelständische Wirtschaft fördern.
Ich glaube, der Mittelstand erwartet auch gar nicht in jedem Falle, wie es teilweise andere tun, finanzielle Förderung. Wir sind je bereit, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, nur müssen wir die Forderung erheben, daß bei Eintreten struktureller Schwierigkeiten vom Staat entsprechend eingegriffen wird. Das ist bisher auch der Fall gewesen.
Auf das Problem bzw. die Problematik der Steuererhöhung möchte ich hier nicht mehr im einzelnen eingehen. Ich glaube, wir haben noch Gelegenheit, zu Ihren Äußerungen Stellung zu nehmen, wenn die Materie im einzelnen behandelt wird. Eines möchte ich aber doch vorab sagen, daß gerade die Eckwerte und die Vorstellungen der Bundesregierung Erleichterungen für den mittelständischen Bereich bringen. Man kann das an Beispielen belegen. Wir sollten hier nicht versuchen, die Resignation, die in Teilen des mittelständischen Bereichs durchaus zu spüren ist, durch diese Behauptungen noch zu schüren; hier würde auf dem Wege der Steuerreform auch der Mittelstand weiter in Mitleidenschaft gezogen.
Ich darf für meine Fraktion erklären, daß wir den klaren und illusionslosen Jahreswirtschaftsbericht begrüßen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen, meine Herren! Ich darf mich am Ende dieser Debatte - ich möchte das sehr kurz machen - für diesen Tag bedanken, für die Kritik und für die Anregungen. Ich möchte mich aber noch mit ein paar Beiträgen auseinandersetzen, soweit das erforderlich ist.
Der Herr Abgeordnete Dr. Strauß ist leider nicht mehr im Hause.
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- Das wäre möglich, würde mich aber äußerst unruhig machen,
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da man so etwas ja von früher kennt. Das haben wir nicht so gerne. Wenn er aber bei Herrn Kollegen Schmidt sein sollte, würde ich ihn deswegen beneiden, weil ich annehme, daß Herr Schmidt schon
in Paris ist. Nun ja, man weiß ja, was dann im Ausland manchmal so passieren kann.
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Hoffen wir, daß beide wohlbehalten zurückkommen.
Zu der Rede vom Vormittag wollte ich eigentlich nur sagen: dies alles war nicht ungeschickt vorgetragen, mit ein paar Zitaten, ohne die Termine zu nennen, und vor allen Dingen mit Zitaten aus einer Zeitschrift, über die ich mich nicht äußern möchte, weil ich keinen Eingriff in den Wettbewerb auf dem Zeitschriftenmarkt machen möchte. Mir war die Rede aber doch noch ein bißchen zu sehr von Vilshofen geprägt. Ich hatte das Gefühl, sie war nicht voll auf den Inhalt des Jahreswirtschaftsberichts und diese Debatte umgeschrieben.
Nun noch zu zwei oder drei sachlichen Fragen. Die Stabilitätsabgabe ist diskutiert und kritisiert worden. Ich erwähne das nur, weil der Abgeordnete Gewandt diese Mittelstandsfragen mit Recht noch einmal angeschnitten hat. Da muß ich nun sagen: ich habe geglaubt, mit diesen gewählten Grenzen Ihrem Anliegen weitgehend Rechnung tragen zu können, während ja offensichtlich der Abgeordnete Dr. Strauß einen Konjunkturzuschlag sehr viel tiefer angesetzt haben wollte. Er hat leider nicht gesagt, bei welcher Größenordnung. Ich fürchte, Herr Gewandt, das hätte diese Mittelstandsgruppe nicht kalt gelassen. Aber das ist Ihr Problem; das müssen Sie dann einmal untereinander ausmachen.
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- Nein, das können Sie mir doch deswegen, weil ich aus Mainz komme, nicht gleich unterstellen. Ich meine, das spielt da manchmal eine Rolle, das wissen Sie, aber nicht bei mir und in meinem Verein, also keine Sorge.
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Zu einem zweiten Punkt eine Bemerkung: Wir waren uns ja einig, daß wir die Subventionen endlich abbauen wollten. Etwas zu der Streichung der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen: Da ist heute gesagt worden, das treffe den kleinen Mann. Der kleine Mann ist, wenn ich mich an meine juristische Ausbildung erinnere, ein unbestimmter Rechtsbegriff. Den müssen wir also ausfüllen und deshalb den Versuch machen, zu sehen, wer das eigentlich ist. Da gibt es z. B. diesen kleinen Mann, der folgendes tut: Der geht zu einer Lebensversicherungsgesellschaft und schließt einen Vertrag ab über eine Million, Laufzeit 12 Jahre, Einzahlung: ein Einmalbetrag, und zwar in Höhe von 45 000 DM. Und die zahlt er ein. Dann bekommt er von dieser Versicherung ein Policendarlehen in Höhe von 710 000 DM. Kann er machen. Das verzinst er etwas niedriger, als er sonst seine - ({5})
- Nein, das sind praktische Fälle, die am laufenden
Band vorkommen. Lassen Sie mich das ruhig einmal
durchrechnen. Er kriegt ein Policendarlehen von ({6})
- Entschuldigen Sie bitte, wenn Sie z. B. ein Haus bauen und billigeres Baugeld haben wollen, dann müssen Sie es so machen. Also kriegt das Policendarlehen von 710 000 DM. Die Schuldzinsen betragen 7 oder 71/2%; so günstig sind nämlich die Policendarlehen. Er zahlt also um die 50 bis 55 000 DM an Zinsen. Und was passiert? Bei einem Spitzensteuersatz von 53 % hat er 30 000 DM Steuersubventionen herausgeholt. Dies ist der eine kleine Mann, den wir auf Dauer nicht mehr subventionieren wollen. Ich hoffe, hier sind wir uns einig, daß wir das abschaffen wollen.
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- Das hat mit Haus gar nichts zu tun. Das wird am laufenden Band gemacht. Das ist gar keine Frage.
Jetzt kommt der zweite kleine Mann. Das ist der, der sich ein Auto kauft, und auch der, der sich Möbel kauft, der also den Konsum vorwegnimmt, den er eigentlich nach der Stabilitätsdefinition im Augenblick noch nicht nehmen sollte, sondern etwas später. Dem subventionieren wir den vorgezogenen Konsum ebenfalls, indem wir ihm die Schuldzinsen steuerlich begünstigen.
Damit hier gar kein Irrtum aufkommt, sage ich Ihnen auch die Zahlen. Das ist nämlich ein Punkt, der so verniedlicht worden ist. Wenn diese Schuldzinsen nicht mehr abzugsfähig sind, dann bedeutet das Steuermehreinnahmen oder, wenn Sie so wollen, Verzicht auf Subventionen in Höhe von 250 Millionen DM in 1974, 800 Millionen DM in 1975 und über 900 Millionen DM in 1976. Dies kommt - entsprechend der Forderung der Opposition - nicht nur dem Bund zugute, sondern selbstverständlich auch den Ländern, denn das richtet sich ja nach den entsprechenden Anteilen. Ich will das nur deswegen sagen, weil es sich hier nicht um eine Kleinstsubvention handelt. Hier haben wir uns an etwas herangewagt, wozu ein bißchen Mut gehört hat und was natürlich - notabene - alle Begünstigten trifft.
Ich könnte Ihnen dazu noch etwas sagen. Die degressive Abschreibung auf Gebäude, die wir abschaffen wollen, ist ja irgendwann eingeführt worden. Man muß sich nur einmal das Bundestagsprotokoll angucken. Wissen Sie, wann? Die ist eingeführt worden im Jahre 1965, kurz vor der Sommerpause von den damaligen Koalitionsparteien CDU und FDP. Nach der Sommerpause haben wir gewählt. Ich sage das so unbefangen, weil ich beteiligt bin - qua Partei, wenn Sie so wollen. Wir haben damals gesagt: Das ist eine gute Sache. Die Wähler haben das ganz gerne, führen wir also die Subvention vor der Wahl mal ein. Wir wollen das ruhig so offen aussprechen. Die schaffen wir nun endlich wieder ab. Haben Sie was dagegen? Ich hoffe nicht. Das wollen wir gemeinsam machen. Wir haben sie gemeinsam eingeführt, und es wäre ein vorzüglicher Beitrag, wenn wir sie gemeinsam wieder abschaffen könnten, nachdem das ja alles nicht mehr erforderlich ist.
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Zwei sehr ernste Bemerkungen: Herr Kollege Narjes hat angeregt, der Sachverständigenrat solle ein Gutachten zu der Aufgaben- respektive Ausgabenverteilung zwischen Bund und Ländern erstellen. Ich finde die Anregung gut. Ich muß aber gleich dazu erklären, daß ich Bedenken habe, ob die Bundesregierung diesen Auftrag dem Sachverständigenrat geben darf. Der Sachverständigenrat hat diese Aufgabe nach dem Gesetz wahrscheinlich nicht - so sehe ich es jedenfalls. Aber das schließt ja nicht aus, daß ein anderes Gremium - z. B. der wissenschaftliche Beirat beim Finanzministerium oder beim Wirtschaftsministerium - diese Aufgabe erledigt.
Zu der Reduzierung des Haushaltsvolumens auf 116 Milliarden DM kann ich heute nur sagen: Wir werden mit Freude Streichungsanträge über 5 Milliarden DM in der Haushaltsdebatte kommen sehen. Nur eines muß ich sagen: Die Reduzierung auf 116 Milliarden DM würde im Ist-Soll-Vergleich 1973 gegenüber 1972 eine Steigerungsrate von etwas mehr als 5 % bedeuten. Mit diesem Haushalt könnten Sie nicht einmal mehr alle gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen. Wir müssen uns dann bei den Vorschlägen auch sofort einigen, welche gesetzlichen Leistungen abgebaut werden müssen. Hier müssen wir also auf die Anträge warten.
Ich habe in der Debatte den Eindruck gewonnen, daß wir eigentlich alle für Stabilität sind, aber Sie sind gegen die Stabilitätsabgabe, für Abbau von Subventionen, aber gegen die Abschaffung der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen, für Abbau von Subventionen, aber gegen die Abschaffung der degressiven AfA. Im Grunde genommen sind wir uns also im Ziel völlig einig. Wir haben ein neues Spiel erfunden. Wir spielen jetzt Schwarzen Peter zu Dritt und jeder kriegt einen. Dann tauschen wir sie alle einmal aus und haben zum Schluß alle wieder einen. Dann müssen wir uns nur noch einig werden - wir sind uns im Ziel ja einig, wer das Ziel letztendlich bezahlen muß. Das ist ein bißchen problematisch, weil wir bisher immer sagen: der nicht, der nicht, der nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, daß wir auch dazu noch ein Gutachten in Auftrag geben, damit auch dieses Problem einer Lösung zugeführt wird.
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Ich hätte mich beinahe hier heute abend hingestellt und hätte gesagt - weil das den ganzen Tag gesagt worden ist - diese Opposition habe zwar Kritik geübt, aber sie habe keine Alternativen geboten. Das kann ich beim besten Willen nicht mehr sagen. Sie hat Alternativen geboten, meine Damen und Herren, und das sollten wir in aller Offenheit anerkennen.
Die Opposition hat dankenswerterweise auf die Fortführung der regionalen Wirtschaftspolitik hingewiesen. Ich habe die Erfolge dieser Politik heute morgen in meiner Rede ausgeführt und möchte jetzt dazu sagen: diese Politik ist vorzüglich gewesen. Sie muß vorzüglich gewesen sein, denn eine Partei hat eine Wahlanalyse durchgeführt, in der sie auch dieses Gebiet wahlanalytisch erfaßt hat. Und sie hat dabei festgestellt, daß die Gewinne der Koalitionsfraktionen in diesen Gebieten überproportional groß, die Verluste der Opposition - nota
bene, weil man leider bei den Wählern noch nicht über 100 % hinausgehen kann ebenfalls überproportional groß gewesen seien. Das ist natürlich ein Impetus, eine Anregung für uns, diese Politik fortzusetzen, insbesondere weil sie sachlich auch noch richtig ist. Das war eine Anregung.
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Die zweite Anregung verdanke ich insbesondere dem Kollegen Höcherl, mit dem ich mich auch zu meiner früheren Bundestagszeit immer in einer vorzüglichen Harmonie befunden habe, die Anregung nämlich, daß wir die Einnahmen, die wir jetzt durch diese Stabilitätsmaßnahmen erzielt haben, kurz vor der Wahl ausgeben sollen. Das hat er vorhin hier gesagt. Ich habe - offen gestanden - daran noch gar nicht gedacht.
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Noch eine Alternative! Insofern können wir auch dies dankbar anerkennen.
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Meine Damen und Herren, Spaß beiseite, ich glaube ({13})
- Ja, natürlich ist das ein Spaß. Wenn man eine
solche Anregung am späten Abend noch bekommt,
die sich womöglich positiv auswirken kann auf die
Frage, wie lange eine Epoche dauert im Sinne der Zeitung „Die Welt", ist das nicht uninteressant.
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- Nein, so würde ich das nicht sagen.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich sehr herzlich für die heutige Aussprache, die sehr fair verlaufen ist. Die Bundesregierung wird sich bemühen, auf der Basis des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung fortzufahren. Sie erkennt dankbar an, daß die Opposition offensichtlich bereit ist, zunehmend an die Erarbeitung von Alternativen im Sinne der Erreichung dieses Ziels heranzugehen. Ich danke Ihnen.
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Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft.
Ich schlage Ihnen Überweisung der beiden Vorlagen an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und an den Haushaltsausschuß und den Finanzausschuß - mitberatend - vor. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 16. März, 8 Uhr, und hoffe Sie, meine Damen und Herren, zu diesem Zeitpunkt mindestens so zahlreich zu sehen wie heute abend.
Die Sitzung ist geschlossen.