Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Überweisungen von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung ({0}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({1}) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif ({2})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates betreffend die gemeinsame Maßnahme zur Verbesserung der Verarbeitungs- und Absatzbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse ({3})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({4}) des Rates zur Aufrechterhaltung der Eilmaßnahmen für die Einfuhr gewisser Textilerzeugnisse mit Ursprung in der Republik Korea ({5})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern ({6})
überwiesen an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 24. Oktober 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Sprung, Dr. Häfele, Schmidhuber, Dr. Wagner ({7}), Dr. Kreile, van Delden, von Bockelberg, Dr. Zeitel und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Schuldenstand des Bundes - Drucksache 7/4088 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4225 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 28. Oktober 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Vogel ({8}), Dr. Miltner, Dr. Klein ({9}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutsche Kommunistische Partei - Drucksache 7/3912 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4231 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 28. Oktober 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Vogel ({10}), Dr. Marx, Dr. Jaeger, Dr. Miltner, Dr. Abelein, Dr. Klein ({11}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutsche Kommunistische Partei - Drucksache 7/4009 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4232 verteilt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 22. Oktober 1975 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Entschließung des Rates betreffend die Festlegung eines kurzfristigen Zieles im Bereich der Verringerung des Mineralölverbrauchs ({12})
Verordnung ({13}) Nr. 2107/75 des Rates vom 6. August 1975 zur Verlängerung der Regelung für den Warenverkehr mit Tunesien
Verordnung ({14}) Nr. 2108/75 des Rates vom 6. August 1975 zur Verlängerung der Regelung für den Warenverkehr mit Marokko
Verordnung ({15}) Nr. 1302/75 des Rates vom 20. Mai 1975 zur zeitweiligen, vollständigen Aussetzung der in der Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung geltenden Zollsätze für die Einfuhr von einigen Waren aus den neuen Mitgliedstaaten
Meine Damen und Herren, ich rufe den einzigen Punkt der heutigen Tagesordnung auf:
Einbringung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976 ({16})
- Drucksache 7/4100 Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die innenpolitische Diskussion der letzten Wochen und Monate wird in unserem Lande weitgehend von der Auseinandersetzung um die öffentlichen Finanzen beherrscht. Entzündet hat sich diese Diskussion an der gewaltigen Steigerung der Finanzierungsdefizite der öffentlichen Hände.
({0})
So hatten wir 1973 beim Bund ein Defizit von rund 3 Milliarden DM; 1974 waren es gut 10 Milliarden DM; 1975 und auch noch 1976 erreichen wir eine Größenordnung von etwa 40 Milliarden DM.
({1})
Aus diesen wenigen Zahlen ergeben sich die Fragen:
({2})
Wie sind diese Defizite entstanden? Passen sie in unsere konjunkturelle Landschaft? Wann und wie sind sie abzubauen? Sind sie finanzierbar? Unser Streit geht also um die Frage nach den Ursachen der Entwicklung, und unser Streit geht um die Konsequenzen, die zu ziehen sind.
({3})
Bundesminister Dr. Apel Beginnen wir mit den Ursachen.
Von dem gesamten Finanzierungsdefizit des Bundes in 1976 von rund 38,9 Milliarden DM sind gut 19 Milliarden DM, also etwa die Hälfte, auf konjunkturbedingte Steuerausfälle zurückzuführen.
({4})
Gegenüber dem Finanzplan des Bundes für die Jahre 1974 bis 1978, den wir im Juli vorigen Jahres beschlossen hatten, haben wir für 1976 nach den jüngsten Steuerschätzungen folgende Ausfälle: bei der Lohnsteuer 9,1 Milliarden DM, bei der veranlagten Einkommensteuer und bei der Körperschaftsteuer 4 Milliarden DM
({5})
und bei den Steuern vom Umsatz 4,3 Milliarden DM. Weitere Steuerausfälle werden bei den Verbrauchsteuern - bei der Tabaksteuer, beim Branntweinmonopol und bei der Mineralölsteuer - erwartet.
Die Ursache ist bei allen Steuerausfällen letztlich dieselbe: 1974 hatten wir kein Wirtschaftswachstum; 1975 geht das reale Bruttosozialprodukt um 3 bis 4 % zurück. 1976 wird es zwar wieder ansteigen - wir rechnen mit fünf Punkten -, aber insgesamt erreichen wir damit nicht viel mehr als das Niveau von 1973. Die weltwirtschaftliche Rezession hat zu einer Wachstumspause von 21/2 bis 3 Jahren geführt. Selbst wenn wir ab 1977 wieder die Wachstumsraten erhalten, mit denen wir vor der Rezession für diese Zeit gerechnet haben, so erreichen wir doch nicht das alte Niveau, den alten „Wachstumspfad", auf dem wir uns vor der Rezession bewegt haben. Damit entwickelt sich zugleich auch die Steuerkraft unserer Wirtschaft von einem niedrigeren Niveau aus weiter. Im Ergebnis heißt das: Konjunkturelle Ursachen, nämlich eine Wachstumspause, führen bei den Steuern zu Dauerverlusten und damit zu strukturellen Haushaltsdefiziten.
Neben den Steuerausfällen von gut 19 Milliarden DM führt die Rezession auch zu Mehrausgaben des Bundes. Auch 1976 werden an die Bundesanstalt für Arbeit noch erhebliche Leistungen zu erbringen sein. Vorsorglich sind dafür 6,1 Milliarden DM veranschlagt. Dabei ist die Beitragserhöhung, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, bereits berücksichtigt. Ohne diese Beitragserhöhung müßte die Bundeskasse im nächsten Haushaltsjahr ungefähr 10 Milliarden DM an die Nürnberger Anstalt leisten. Konjunkturbedingte Steuerausfälle und diese konjunkturbedingten Mehrausgaben machen zusammen gut 25 Milliarden DM aus. Von den 38,9 Milliarden DM des Haushaltsdefizits 1976 sind damit etwa zwei Drittel rezessionsbedingt.
Von dem verbleibenden Defizit sind in 1976 2,6 Milliarden DM dadurch entstanden, daß die Länder an den Kosten der Steuerreform nicht in dem Maße beteiligt werden konnten, wie es nach ihrem Anteil am Gesamtsteueraufkommen erforderlich gewesen wäre.
Ziehen wir daraus die Konsequenzen, so kommen wir zu dem Ergebnis, daß vom Gesamtdefizit 1976 etwa 11 Milliarden DM übrigbleiben, die auf Beschlüsse der Bundesregierung und Gesetze des Parlaments zurückzuführen sind. Hier erinnere ich insbesondere an die Steuer- und Kindergeldreform, die wir gemeinsam verabschiedet haben, und an die Gesetze mit sozialpolitischer Wirkung, allein seit Dezember 1972 38 an der Zahl, wie Anpassung der Renten, Erhöhung der Kriegsopferversorgung, Erhöhung der Unfallversicherung, Erhöhung der Altersgelder für die Landwirtschaft - initiiert von der sozialliberalen Koalition -, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, weitgehend mitgetragen haben.
Dieses von der Bundesregierung und der sozialliberalen Koalition bewußt gewollte Restdefizit in Höhe von 11 Milliarden DM würde uns, wenn es sich nur um dieses Defizit handelte, keine Kopfschmerzen bereiten. Ein Defizit in dieser Höhe ist kein zu hoher Preis für mehr Steuergerechtigkeit und für die sozialen Fortschritte, die diese sozialliberale Koalition zustande gebracht hat.
Noch ein letztes Wort zum Problem der Ursachen unserer strukturellen Defizite. Wenn die Opposition recht hätte und die Finanzierungsdefizite, wie sie sagt, durch Mißwirtschaft und soziale Experimente herbeigeführt worden wären, dann dürfte es doch eine Parallelentwicklung der Verschuldung zumindest in den CDU-regierten Ländern nicht geben.
({6})
Es ist im übrigen unrichtig, meine Damen und Herren, daß es die Gesetzgebung des Bundes gewesen sei, die die Haushalte der Länder ungebührlich belastet habe.
({7})
Unsere Verfassung schützt die Länder vor der zu hohen Ausgabenbelastung durch den Bund. Bundesgesetze über Geldleistungen, deren Ausgaben zu einem Viertel oder mehr von den Ländern getragen werden, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Ohne Gesetz kann also der Bund die bei der Gestaltung ihrer Haushalte souveränen Länder, die, wie wir wissen, sich vom Bund nun wirklich nicht bevormunden lassen, nicht belasten.
Betrachten wir die Defizitentwicklung der Bundesländer in den letzten Jahren. 1973 hatten alle Länder zusammen ein Defizit von 1,9 Milliarden DM. 1974 waren es 9,1 Milliarden DM. 1975 zeichnet sich bei unseren Bundesländern ein Defizit von rund 21 Milliarden DM ab. Damit wird deutlich, daß die Weltrezession genauso für die Haushaltslöcher bei den Bundesländern verantwortlich ist wie beim Bund. Dies gilt nicht nur für die Gesamtheit der Länder, es gilt auch für jedes einzelne Bundesland, unabhängig von der parteipolitischen Couleur der jeweiligen Regierungsmannschaft.
Damit mich niemand mißversteht: ich will diese Entwicklung in den Länderhaushalten in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation nicht kritisieren. Ganz im Gegenteil: mit dem Ausgleich der Steuermindereinnahmen durch zusätzliche Kredite leisten auch die Länder einen gesamtwirtschaftlich notwendigen Beitrag zur antizyklischen Schuldenpolitik der öffentlichen Hand, so wie das natürlich auch unsere Partner im Ausland machen.
Die explosionsartige Verschlechterung der Finanzierungssalden in den Haushalten zeigt sich auch bei fast allen westlichen Handelspartnern. Frankreich z. B. hatte 1974 im Staatshaushalt noch einen Überschuß von rund 6 Milliarden Francs, wird aber im laufenden Haushaltsjahr voraussichtlich mit einem Defizit von 35 Milliarden Francs abschließen. Oder nehmen Sie England: Auch dort werden 1975/76 knapp 20 v. H. der Ausgaben des Zentralstaats durch Schulden finanziert. In den USA betrug das Haushaltsdefizit 1973, vor Beginn der Weltrezession, 3,5 Milliarden Dollar. Es wird sich 1975 auf 42 Milliarden Dollar belaufen. Es könnte sich am Ende des laufenden Haushaltsjahres ergeben, daß jeder vierte oder sogar jeder dritte ausgegebene Dollar am Kreditmarkt beschafft werden muß.
Ich ziehe eine erste Zwischenbilanz, einen ersten Schluß. Wer sich die konjunkturellen Fakten ansieht, die unsere Defizite verursacht haben, wer die Parallelität der Entwicklungen bei den Bundesländern und den anderen westlichen Industrienationen sieht, wer sich schließlich daran erinnert, daß der Bund in den vier Jahren vor der Rezession der Weltwirtschaft - von 1970 bis 1973 - insgesamt nur 9,1 Milliarden DM Nettokreditaufnahme zur Finanzierung benötigte, aber im gleichen Zeitraum 8,1 Milliarden DM an konjunkturellen Rücklagen bildete, der erkennt die Ursachen unserer Haushaltsdefizite. Die Polemik der Opposition ist durch keinerlei Fakten belegt.
({8})
Das wird die Opposition allerdings nicht davon abhalten, historische Betrachtungen anzustellen. Wer für die Gegenwart und die Zukunft nicht gerüstet ist, weicht gern in eine ensprechend zurechtgezimmerte Vergangenheit aus.
({9})
Wir scheuen im übrigen diesen Vergleich nicht. Von 1970 bis zum Ausbruch der Weltrezession hat der Bund kaum Schulden gemacht, und auch die Jahre davor hat die CDU nicht allein regiert.
Doch Politik ist keine Veranstaltung zur Vergangenheitsbewältigung. Uns geht es um die Gestaltung der Zukunft.
({10})
Die Weltwirtschaftsrezession hat unsere bisherige Politik wachsender sozialer Gerechtigkeit und Mitbestimmung eindrucksvoll bestätigt.
({11})
Aber die Rezession hat auch für die Zukunft Probleme aufgezeigt. Diese Probleme bewältigen sich nicht von allein. Sie müssen zwangsläufig zu politischem Handeln führen. Unabhängig von der kon junkturpolitischen Rolle der Defizite, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde, will ich hier das Problem künftiger Haushalte ansprechen.
Die Ausgaben des Bundes für den Zinsendienst steigen von 3,3 Milliarden DM in 1973 auf gut 141/2 Milliarden DM in 1979 an. Im Verhältnis zu den Gesamtausgaben bedeutet das: 2,7 % in 1973 und 71/2 % in 1979. Auch hier, meine Damen und Herren, sieht das Bild bei den Bundesländern keineswegs freundlicher aus. Natürlich bereitet mir dieser Anstieg der Zinsbelastung Sorgen. Aber wir müssen ihn als ökonomische Notwendigkeit hinnehmen. Vermeiden ließe sich dieser Zinsanstieg doch nur, wenn wir in der gegenwärtigen Rezessionsphase eine prozyklische Ausgabenpolitik betreiben würden. Man kann nicht die Expansion befürworten und den Preis dafür, die Zinsen, beklagen.
({12})
Der Anstieg der Zinsbelastung darf aber andererseits auch nicht so weitergehen. Wenn wir beispielsweise beim Bund Dauerdefizite in der jetzigen Größenordnung hätten, dann würde unser Zinsendienst Jahr für Jahr um 3 bis 4 Milliarden DM ansteigen. Dies wäre untragbar. Deshalb können wir Defizite in der bisherigen Größenordnung nur vorübergehend tragen. Wir müssen sie wieder auf ein tragbares Maß reduzieren.
Damit bin ich bei der zweiten Frage: Wann müssen wir diese Defizite reduzieren und in welcher Dosierung? Diese Frage kann eine sozialliberale Koalition nur beantworten im Zusammenhang mit einer weiteren Frage: Wie können wir die Lasten, die mit der Konsolidierung zwangsläufig verbunden sind, angemessen und gerecht verteilen?
Beginnen wir mit der konjunkturellen Fragestellung. Im Jahre 1975 steht unsere Wirtschaft insgesamt im Zeichen der Rezession. Die gesamtwirtschaftliche Produktion wird das Vorjahresergebnis um 3 bis 4 °/o unterschreiten.
({13})
Ursächlich ist hierfür in erster Linie der unvorhergesehen kräftige Einbruch der Auslandsnachfrage. Die Auslandsnachfrage in konstanten Preisen, die in den letzten beiden Jahren besonders dynamisch war, ist im ersten Halbjahr 1975 nach den Ergebnissen des Statistischen Bundesamts um 11 % gesunken. Im ersten Halbjahr 1974 hatte sie dagegen den Vorjahresstand noch um 171/2 % übertroffen.
({14})
Im ganzen Jahr 1975 wird unser Export nach den Schätzungen des Sachverständigenrats um etwa 40 Milliarden DM hinter dem zurückbleiben, was ein Jahr zuvor noch erwartet werden konnte.
({15})
Dies hat verhindert, daß sich die Auftragslage im Gefolge der verschiedenen Maßnahmen stabilisieren konnte, die in der Bundesrepublik zur Stützung von Produktion und Beschäftigung ergriffen wurden. Die realen Bruttoinvestitionen sind in der ersten Jahreshälfte 1975 nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamts um 101/2 % gesunken, nachdem sie bereits
im Gesamtjahr 1974 um 12 % unter dem Stand von 1973 gelegen hatten.
({16})
Die Aufgabe der Finanzpolitik, Herr Kollege Leicht, ist in dieser Situation eindeutig: Die geschwächte Nachfrage im privaten Bereich erfordert, daß die öffentlichen Hände die vorgesehenen Ausgabenpläne ohne Einschränkung durchführen und darüber hinaus konjunkturstützende Maßnahmen ergreifen.
({17})
Dies kann und muß die Finanzpolitik leisten und dies hat sie geleistet. Niemand kann allerdings erwarten, daß die öffentliche Hand die fehlende Auslandsnachfrage in vollem Umfang ausgleichen könnte. Dennoch ist der expansive Effekt der öffentlichen Ausgaben im Jahre 1975 beachtlich: Unter dem Einschluß des Nachtragshaushalts des Bundes und der Sonderprogramme vom September und Dezember 1974 - bekanntlich hat das letzte Programm zur Förderung von Bau- und anderen Investitionen schon Aufträge ausgelöst, es führt aber noch nicht zu Ausgaben - werden die öffentlichen Ausgaben im Gesamthaushalt 1975 voraussichtlich um 14,5 % ansteigen. Angesichts der hohen Finanzierungsdefizite verlangt das ein hohes Maß an Durchhaltevermögen bei Bund, Ländern und Gemeinden.
Das Finanzierungsdefizit des öffentlichen Gesamthaushaltes dürfte im laufenden Jahr einschließlich der Sonderprogramme vom September und Dezember 1974 etwa 78 Milliarden DM erreichen. Das sind etwa 50 Milliarden DM mehr als 1974. Oder, um es mit einem Begriff der Ökonomen auszudrücken: der expansive Swing, die expansive Wirkung beläuft sich damit auf etwa 5 % des Bruttosozialproduktes. Damit wird deutlich, in wie starkem Maße die öffentlichen Haushalte der zyklischen Abschwächung der privaten Nachfrage entgegenwirken.
Allein aus der Investitionszulage, die nach einer Untersuchung des Ifo-Instituts in diesem Jahre zusätzliche Aufträge in Höhe von 5 Milliarden DM ausgelöst hat, werden der Privatwirtschaft 1976 3,5 Milliarden DM und 1977 2 Milliarden DM an zusätzlicher Liquidität zufließen. Auch andere Elemente unserer nationalen Maßnahmen zur Ankurbelung unserer Volkswirtschaft wirken weiter. Ein wesentlicher Teil der öffentlichen Investitionen wird auch noch 1976 positive Konsequenzen für die Beschäftigung auslösen.
Steht das Jahr 1975 im Zeichen der Rezession, so muß das Jahr 1976 als eine Periode des konjunkturellen Übergangs charakterisiert werden, in der die Finanzpolitik des Bundes aus dem Jahre 1975 natürlich nicht ohne Modifizierung fortgesetzt werden kann. Auch bei einer vorsichtigen Einschätzung der konjunkturellen Lage muß man gegenwärtig -auch auf Grund der neuesten Daten - zu der Auffassung kommen, daß die rezessiven Einflüsse, die den Wirtschaftsablauf bisher prägten, schwächer geworden sind. In verschiedenen Wirtschaftszweigen bessert sich die Absatzlage.
Insgesamt sind die Voraussetzungen günstiger geworden, daß sich die expansiven Kräfte im weiteren Verlauf durchsetzen. Besonders scheinen die negativen außenwirtschaftlichen Einflüsse auf Produktion und Beschäftigung in der Bundesrepublik nachzulassen: Die Auslandsnachfrage hat sich seit einigen Monaten stabilisiert. Eine erneute Verschlechterung ist in diesem Bereich nicht sehr wahrscheinlich, da die wichtigsten Industrieländer der westlichen Welt in abgestimmten Aktionen umfangreiche Maßnahmen zur Konjunkturbelebung ergriffen haben.
Geht man für die Bundesrepublik davon aus, daß sich - auch infolge des Programms zur Belebung von Bau- und anderen Investitionen - die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und die Produktion im weiteren Verlaufe der Konjunktur verstärken, so werden diese Aufschwungstendenzen im Jahre 1976 eine breitere Basis gewinnen und wieder zu einem deutlichen Anstieg des realen Bruttosozialprodukts führen.
Dabei wird jedoch niemand erwarten können, daß der vorhandene Wachstumsspielraum der Wirtschaft im nächsten Jahr schon in vollem Umfang ausgeschöpft werden kann. Dazu ist der Auslastungsgrad der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten heute noch zu gering. Dem Entwurf des Bundeshaushaltsplans 1976 liegt die Annahme zugrunde, daß der mögliche Wachstumsspielraum von etwa 10 % nur zur Hälfte ausgenutzt werden kann. In dieser Phase des konjunkturellen Übergangs ist es zwar möglich und notwendig, eine Reduzierung der öffentlichen Defizite einzuleiten; dies muß aber - und darin sind sich alle Experten einig - mit Vorsicht geschehen. Wir dürfen die konjunkturelle Neubelebung nicht kaputtsparen. Bund, Länder und Gemeinden müssen auch in 1976 weiterhin ein hohes Maß an öffentlichen Defiziten durchhalten.
({18})
Ab 1977 ist wieder mit einem deutlich stärkeren Kapazitätsauslastungsgrad der Wirtschaft zu rechnen. Dann dürfen wir keine Situation haben, in der sich Staat und Wirtschaft an den Kreditmärkten einen ruinösen Wettbewerb um knappe Finanzierungsmittel und damit letztlich um gesamtwirtschaftliche Ressourcen liefern. Das aber erfordert einen drastischen Abbau des Finanzierungsdefizits für 1977.
Die Bundesregierung hat mit ihren Entscheidungen vom August/September 1975, die von der sozialliberalen Koalition voll getragen werden, aus dieser konjunkturellen Lagebeurteilung in einer Dreistufenfolge die finanzpolitischen Konsequenzen gezogen.
Stufe 1: Volle Hinnahme des Defizits 1975. Das heißt: keine Kürzungen im Nachtragshaushalt, sondern voller Ausgleich der konjunkturbedingten Mehrausgaben und Mindereinnahmen durch Kredite und zusätzlich, insbesondere zur Belebung der Beschäftigung in der Bauindustrie, das Bau- und Konjunkturprogramm, von dem wir in diesem Winter und im nächsten Frühjahr einen expansiven
Effekt in Höhe von 10 bis 12 Milliarden DM erwarten.
Stufe 2: Für 1976 haben wir zunächst einmal die Finanzplanungsansätze für die einzelnen Ressorts, die wir im Juli 1974 festgelegt hatten, kräftig durchforstet. Dank der Einsicht aller Beteiligten ist es gelungen, nicht nur die seit langem üblich gewordenen Mehrforderungen gegenüber dem Finanzplan von vornherein fallenzulassen, sondern darüber hinaus 5,1 Milliarden DM zu streichen.
Das allein reichte aber noch nicht aus. Wir haben zusätzlich ein Bouquet von Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur mit einem Gesamtvolumen von 7,9 Milliarden DM beschlossen, so daß wir das Finanzierungsdefizit um insgesamt 13 Milliarden DM verringern konnten. Dieses Maßnahmenbündel, das natürlich vollständig in den Etatentwurf 1976 und in den Finanzplan bis 1979 eingearbeitet ist, durchläuft die parlamentarischen Beratungen auf zwei Wegen. Alle gesetzlichen Änderungen sind im Entwurf des Haushaltsstrukturgesetzes zusammengefaßt, das hier morgen und übermorgen in zweiter und dritter Lesung behandelt wird. Die übrigen Maßnahmen werden als Bestandteil des Haushaltsentwurfs 1976 im Rahmen der Etatberatungen behandelt.
Stufe 3: Ab 1977 wirken alle schon für 1976 beschlossenen Sparmaßnahmen weiter, und zwar mit erheblich steigenden Beträgen. Bei den Kürzungen gegenüber dem vorigen Finanzplan sind es 6,6 Milliarden DM in 1977 und 11,4 Milliarden DM in 1978. Beim Strukturpaket ist es jährlich ein Volumen von etwa 12 Milliarden DM. Damit wird aber auch eines deutlich, meine Damen und Herren, nämlich daß die Flexibilität öffentlicher Ausgaben und damit sofortige Sparmöglichkeiten bei den öffentlichen Haushalten begrenzt sind. Sparen muß rechtzeitig eingeleitet werden, wenn es etwas bringen soll.
({19})
Allein die Fortsetzung der für 1976 beschlossenen Sparmaßnahmen reicht aber für die Jahre ab 1977 nicht aus, um die gesamtwirtschaftlichen Anforderungen zu erfüllen und um der Vorschrift des Art. 115 des Grundgesetzes gerecht zu werden. Die restliche Verminderung des Finanzierungsdefizites soll nach dem Vorschlag der Bundesregierung durch Steuererhöhungen ab 1. Januar 1977 realisiert werden. Dabei handelt es sich um Erhöhungen von 2 Prozentpunkten bei der Umsatzsteuer, um eine Anhebung der Tabaksteuer um 18 % und eine Anhebung der Branntweinsteuer um 20 %.
({20})
Insgesamt wird es durch diese Maßnahmen möglich, die Finanzierungsdefizite des Bundes in 1977 auf 22 Milliarden DM, in 1978 auf 17,8 Milliarden DM und 1979 auf 11,3 Milliarden DM zu reduzieren.
({21})
Bei der öffentlichen Diskussion des finanzpolitischen Programms der Bundesregierung fällt auf, daß sich die Opposition zwar zu einzelnen Maßnahmen des Programms - oft negativ - äußert, daß sie aber die zeitliche Verteilung und die Dosierung
beim Abbau der Finanzierungsdefizite von ihrer Kritik bisher ausgespart hat. Ich will daraus keine Schlüsse ziehen und dieser Debatte nicht vorgreifen. Doch das muß deutlich sein: Keiner der Teilnehmer an der Debatte über die öffentlichen Finanzen kann sich auf die Erörterung von Einzelfragen beschränken, so wichtig sie auch sein mögen. Die Marschgeschwindigkeit des Abbaus der Defizite muß ebenso stimmen wie ihre soziale Zumutbarkeit und ihre wirtschaftlichen Fernwirkungen.
({22})
Ich ziehe einen zweiten Zwischenschluß: Die Haushaltsdefizite sind in der Rezession zentrales und unverzichtbares Element des Aufschwungs. Sie müssen möglichst in dem Maße abgebaut werden, in dem die Auftriebskräfte unserer Volkswirtschaft wirksam werden. Der Abbau der Defizite bringt auch unangenehme Konsequenzen für viele Begünstigte mit sich. Deshalb kann er nur so vorgenommen werden, daß die soziale Infrastruktur unseres Landes intakt bleibt und wir die Lasten so gerecht wie möglich verteilen. Die sozialliberale Koalition ist diesen Maximen gefolgt. Sie wird ihnen auch weiter folgen.
Kredite müssen allerdings nicht nur konjunkturell richtig dosiert werden, man muß sie auch auf den Kreditmärkten beschaffen können. Die Möglichkeiten der Kreditfinanzierung des Bundes im laufenden Jahr 1975 sind von vielen noch vor wenigen Monaten äußerst pessimistisch eingeschätzt worden. Heute wissen wir, daß die kapitalmarktpolitische Einschätzung der Bundesregierung zutreffend war. Die hohe Ersparnisbildung der privaten Haushalte im Zusammenwirken mit einer konjunkturell bedingten niedrigen Nettokreditaufnahme der Unternehmen und der auflockernden Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank führte zu einem Angebot von Finanzierungsmitteln, das zur Deckung der hohen Kreditwünsche der öffentlichen Hände mengenmäßig voll ausreicht. Bis heute haben wir die für dieses Jahr vorgesehene Nettokreditaufnahme in in der Größenordnung von 37,9 Milliarden DM, also einschließlich des Nachtragshaushalts, bereits bis auf einen Restbetrag von 4 Milliarden DM verwirklicht.
Für das Jahr 1976 ergibt sich auf den Kapitalmärkten kein grundsätzlicher Wandel. Wir können weiter mit einer hohen privaten Ersparnisbildung rechnen. Auch wenn mit der Verbesserung der konjunkturellen Entwicklung die laufenden Ersparnisse aus Arbeitnehmereinkommen nicht mehr so stark wachsen werden wie im laufenden Jahr, kann doch eine hohe Neukapitalbildung erwartet werden. Aus heutiger Sicht wird auch bei ansteigender Konjunktur die Kreditnachfrage der Unternehmen nur sehr allmählich zunehmen, weil die Unternehmen ihre Investitionen auch im Jahre 1976 größtenteils aus selbst erwirtschafteten Mitteln finanzieren können.
Diese optimistische Einschätzung ist nicht allein Ergebnis der Beurteilung der Bundesregierung. Sie wird beispielsweise durch die Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute vom Herbst 1975 oder durch Äußerungen des Präsidenten des
Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung bestätigt. Auch die Deutsche Bundesbank nimmt zur Möglichkeit der Deckung des Kreditbedarfs 1976 eine optimistische Haltung ein.
Ich will in dieser Einbringungsrede allerdings auch nicht die Probleme der Kreditfinanzierung verschweigen. So wie im Jahre 1975 wird sich auch 1976 ein Teil der Kreditaufnahme des Bundes im kürzer- und mittelfristigen Bereich vollziehen. Dafür gibt es zwei Gründe. Einmal erfolgt ein großer Teil der Ersparnisbildung - wenigstens formal - in kürzeren Fristen. Die Kreditinstitute haben mithin nur begrenzte Möglichkeiten, sich längerfristig zu engagieren.
Zum anderen - und dies ist für uns ein wesentlicher Aspekt - würde eine massierte Kreditnachfrage im langfristigen Bereich dort zu Zinserhöhungen führen, wo sie im Interesse einer kostengünstigen Finanzierung privater Investitionen vermieden werden müssen. Eine allmähliche Überführung in längere Laufzeiten wird von der Bundesregierung angestrebt.
Angesichts der verbesserten Chancen für weitere stabilitätspolitische Erfolge und im Größerwerden der Zinsdifferenzen zwischen kurz- und längerfristigen Sparanlagen ist zu erwarten, daß sich die Sparer wieder vermehrt längerfristigen Vermögensanlagen zuwenden werden.
Ein letztes Wort noch zum Problem der Kreditaufnahme des Bundes im Ausland. Ich kann erklären, daß große Kreditaufnahmen des Bundes im Ausland nicht beabsichtigt sind. Aber umgekehrt ist nicht einzusehen, weshalb aus kapitalmarktpolitischen Gründen bei zinsgünstigen Angeboten nicht auch auf Kreditangebote ausländischer Banken zurückgegriffen werden soll, natürlich nur in landeseigener Währung.
({23})
- Wir halten, Herr Kollege Stücklen, den internationalen Wettbewerb für eine gute Sache.
({24})
Unser Land ist auch in diesem Jahr in einem so hohen Maße Kreditexporteur, daß überhaupt nichts dagegen spricht, auch in einem bescheidenen Maße Kapitalimporteur zu sein.
Lassen Sie mich aus diesem Abschnitt einen dritten Schluß ziehen. Wir konnten die hohen Defizite des Jahres 1975 bei über das Jahr gesehen sinkenden Zinsen decken. Auch die letzte Anpassung der Konditionen der Schuldenaufnahme des Bundes an die von anderen Gebietskörperschaften gewährten Zinsen hat nur ein begrenztes Ausmaß gehabt und die weiter fallende Tendenz der Zinsen für Wirtschaftskredite nicht berührt. Bei einer entsprechenden Zusammenarbeit aller Verantwortlichen kann auch 1976 sichergestellt werden, daß die hohe Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hände nicht den beginnenden Aufschwung bremst.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf dem Hintergrund dieser mehr grundsätzlichen Überlegungen zur Haushaltspolitik jetzt zum Haushalt 1976 in einzelnen Abschnitten Stellung nehmen, da dieser Haushalt auch vor dem Hintergrund dieser mehr grundsätzlichen Überlegungen deutlich wird.
Ich beginne mit einer allgemeinen Vorbemerkung. Die Anpassung der öffentlichen Finanzen an die Folgen der Rezession und der damit verbundenen Wachstumspause ist für diese sozialliberale Koalition nicht nur die globale Frage nach dem konjunkturellen Timing des Defizitabbaus. Mindestens ebenso wichtig ist für uns die Frage, durch welches Paket von Einzelmaßnahmen wir zu einer möglichst ausgewogenen und gerechten Verteilung der Lasten kommen, die eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen - wie ich bereits betonte zwangsläufig mit sich bringt.
Bei dieser Haushaltspolitik beachten wir 1976, aber auch in den folgenden Jahren, folgende drei Grundsätze:
Erstens. Wir können und wir wollen unsere Probleme nicht exportieren, obwohl sie vom Weltmarkt kommen.
({25})
Exportanreize und Importrestriktionen sind für uns kein gangbarer Weg.
({26})
Aus den Erfahrungen zu Beginn der 30er Jahre wissen wir, daß jede „beggar-my-neighbour-policy" - jeder Versuch also, die Lasten auf das Ausland abzuwälzen - zu Gegenreaktionen der Wirtschaftspartner führen muß. Wir hoffen, daß sich nicht andere Länder, denen es schlechter geht als uns, in solche Scheinlösungen flüchten.
Zweitens. Die sozial Schwächeren in unserem Lande werden weiter geschützt. Wir gehen nicht mit der Axt an die sozialen Verbesserungen heran, die wir seit 1969 erreicht haben.
({27})
Wir betreiben keinen Kahlschlag bei den öffentlichen Leistungen. Unsere Haushaltspolitik baut auf unseren sozialpolitischen Leistungen auf. Sie wird vom Grundsatz sozialer Gerechtigkeit bestimmt.
({28})
Drittens. Die marktwirtschaftliche Struktur unserer Wirtschaftsordnung - und damit auch die Tarifautonomie - bleiben unangetastet. Deshalb wird es auch für den öffentlichen Dienst keine staatlich verordnete Lohnpause geben.
({29})
Eine Politik, die diese Grundsätze verfolgt, muß a) im Detail ansetzen, ohne den Überblick über das Ganze zu verlieren, b) Dutzende von Gesetzen und staatlichen Maßnahmen auf überflüssig Gewordenes abklopfen, c) ein entsprechendes gesellschaftliches Bewußtsein wecken, damit alle Gruppen unserer Gesellschaft bereit sind, die auf sie entfallenden Lasten zu tragen. Das ist nicht aus dem Stand heraus möglich. Die Bundesregierung hat mit ihren Beschlüssen vom August/September die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen bewußt, meine Damen und
Herren, in einer Zeit eingeleitet, in der die vollen Auswirkungen der Sparpolitik aus konjunkturellen Gründen noch gar nicht eintreten durften.
Mit besonders großem, auch finanziellem Engagement hat sich die sozialliberale Koalition von Anfang an der Verbesserung des Schutzes des einzelnen Bürgers gegen die Grundrisiken des Lebens angenommen: Alter, Arbeitslosigkeit, Krankheit, unverschuldete Notlagen, Folgen des letzten Krieges. Besonders plastisch wird das Bild vom fester geknüpften Netz der sozialen Sicherung im Bereich der Arbeitslosenversicherung.
({30})
Noch bevor die weltwirtschaftliche Schwäche voll auf den deutschen Arbeitsmarkt durchschlug,
({31})
wurden die Leistungssätze des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe verbessert.
Dem vorgelegten Haushaltsentwurf liegt als Vorsichtsmaßnahme die Annahme zugrunde, daß die Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahlen im Jahresdurchschnitt 1976 in etwa noch auf dem Niveau des Jahres 1975 verbleiben werden. Bei einer solchen Entwicklung werden die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit im nächsten Jahr etwa 20 Milliarden DM betragen. Bei unverändertem Beitragssatz von 2 % stünden der Bundesanstalt aber nur 10 Milliarden DM an eigenen Einnahmen zur Verfügung. Nennenswerte flüssige Mittel sind in 1976 nicht vorhanden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die verbleibende Lücke von rund 10 Milliarden DM zu weit mehr als der Hälfte auch 1976 durch eine Liquiditätshilfe aus Bundesmitteln gedeckt werden muß.
Aber auch die Solidargemeinschaft muß sich in Anwendung des Versicherungsprinzips durch eine Beitragserhöhung an diesen Kosten beteiligen. Auf allgemeine Haushaltsmittel kann in größerem Umfang nur in extremen Situationen wie in 1975 und 1976 zurückgegriffen werden. Wir müssen wissen, daß Beitragssätze von 2 % letztlich nur ausreichen, um eine Arbeitslosenquote von 2 % zu finanzieren. Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, daß die Beiträge dann wieder reduziert werden, wenn die Finanzlage der Bundesanstalt für Arbeit dies erlaubt.
({32})
Auch im übrigen Sozialbereich hat diese sozialliberale Koalition eine erfolgreiche Leistungsbilanz vorzuweisen:
({33})
Die Dynamisierung der Kriegsopferrenten, die Einführung der Krankenversicherung für die Landwirte und die flexible Altersgrenze in der Rentenversicherung mögen hier als Beispiele dafür genügen, was die Koalition im Sozialbereich in den vergangenen Jahren geschaffen und bisher gegen alle Abbauversuche verteidigt hat.
({34})
- Na, denken Sie doch nur an Ihre Strategie-Papiere, zu denen Sie sich anschließend nicht mehr bekennen wollen!
({35})
Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie nicht Entwicklungen dieser Art eingeleitet und bereits überlegt!
({36})
Die Aufwendungen für Sozialleistungen - ohne Kindergeld, damit es vergleichbar ist - liegen im Jahre 1976 um rund 80 °/o höher als im Jahre 1970.
({37})
Bis 1979 wird der Abstand sogar 130 % betragen.
Den größten Einzelposten innerhalb des Blocks der Sozialleistungen des Bundes stellt die Mitfinanzierung der Rentenversicherung dar. Hier wird 1979 die Grenze von 30 Milliarden DM überschritten sein. Von den Steigerungsraten her haben jedoch die Ausgaben für die landwirtschaftliche Sozialpolitik mit jährlich durchschnittlich 10 % die größte Dynamik.
An dieser Stelle müssen auch die Leistungen nach dem Ausbildungsförderungsgesetz erwähnt werden, die 1970 nur 340 Millionen DM, 1975 aber bereits 2,2 Milliarden DM ausmachen.
({38})
- Herr Kollege Leicht, ich beklage diesen Anstieg nicht - im Gegenteil -, denn er spiegelt die Anstrengungen der sozialliberalen Koalition wider, zu einer größeren Chancengleichheit für die heranwachsende Generation zu gelangen.
({39})
- Allerdings, Herr Kollege Orgaß, eine Fortsetzung dieser Ausgabendynamik ist in der näheren Zukunft nicht zu verwirklichen.
({40})
Die gesamtwirtschaftliche Wachstumspause zwingt unerbittlich zu einer Pause bei den Leistungsverbesserungen.
({41})
- Ich komme darauf gleich zu sprechen.
Dies gilt nicht nur hier, sondern für den gesamten sozialpolitischen Bereich. Zufriedenheit über das bisher Erreichte darf uns nicht den Blick trüben für sachliche und finanzielle Probleme, die sich für die Zukunft abzeichnen. Die nächsten Jahre lassen eine Ausweitung der Sozialleistungen kaum möglich erscheinen. Wir werden in den vor uns liegenden Jahren den erreichten Standard zu wahren haben. Dies ist in der Tat des Schweißes der Edlen wert.
({42})
Wir werden unsere Bemühungen nicht auf Expansion, sondern auf Konsolidierung innerhalb der Sozialleistungen zu richten haben.
({43})
Aber - und dies ist eine ganz wichtige Aussage - das bedeutet keineswegs Stillstand der Sozialgesetzgebung.
({44})
Es kann eine Umstrukturierung der öffentlichen Ausgaben notwendig werden, weil neue, unabweisbare Leistungstatbestände, die viel Geld kosten, nur bei Einsparungen an anderer Stelle zu finanzieren sein werden.
({45})
In diesem Zusammenhang ein generelles Wort zu künftigen Gesetzesvorhaben der Bundesregierung. Wenn wir mit dem Haushaltsstrukturgesetz in bestehende Gesetze eingreifen, um die finanzielle Leistungsfähigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden zu stärken, dann ist es selbstverständlich, daß wir auch alle neuen Gesetzesvorhaben kritisch auf ihre finanziellen Konsequenzen hin untersuchen. Dies kann aber natürlich nicht bedeuten, daß wir bei der Beurteilung von Gesetzesvorhaben nur noch aufs Geld und nicht mehr auf die Sache schauen, sozusagen ein „Preisschießen" auf alles veranstalten, was Geld kostet. Allerdings werden wir bei der Frage, ob wir ein Vorhaben verwirklichen sollten oder nicht, künftig schärfere Maßstäbe anlegen müssen als bisher.
Einen Stillstand der Gesetzgebung darf es aber auch aus einem anderen Grunde nicht geben. Das würde nämlich bedeuten, daß diejenigen, die heute unter dem „Regenschirm" gesetzlicher Privilegien stehen, auf Dauer privilegiert bleiben. Das jedoch entspricht nicht dem Politikverständnis der sozialliberalen Koalition.
({46})
Wir werden nicht die Mittel haben, immer neue „Regenschirme" aufzustellen. Wir werden aber dafür sorgen, daß in unserem Lande diejenigen geschützt werden, die es am nötigsten haben.
({47})
Nach den Sozialleistungen bilden die Ausgaben für die äußere Sicherheit im Bundeshaushalt den zweitgrößten Ausgabenblock. Von 1970 bis 1976 haben wir den Verteidigungshaushalt um fast zwei Drittel erhöht. Innerhalb des westlichen Bündnisses werden wir im absoluten Betrag - wie in den Ausgaben für die Verteidigung pro Kopf der Bevölkerung - nur von den USA übertroffen. Das rechtfertigt in den vor uns liegenden Jahren unterdurchschnittliche Zuwachsraten für die Verteidigung. Im Jahresmittel bis 1979 haben wir für die Verteidigung im Blick auf unsere finanziellen Möglichkeiten nur eine Steigerungsrate von etwa 31/2 % eingesetzt.
Diese Zahl verdeckt allerdings zwei, wie mir scheint, wichtige Aspekte. Erstens stehen dem Bundesminister der Verteidigung vor allem für 1976 aus den Konjunkturprogrammen noch erhebliche zusätzliche Mittel für Bauten und Beschaffung zur Verfügung. Zweitens wird die Einnahmen- und Ausgabenstruktur des Verteidigungshaushalts bei Aufrechterhaltung des Streitkräfteumfangs durch die Maßnahmen des Strukturpaketes und ständige Bemühungen um Rationalisierung laufend verbessert, so daß die verteidigungsinvestiven Ausgaben bis 1979 wesentlich stärker steigen als die Personal- und Betriebsausgaben. Unsere Haushaltspolitik trägt also mit dazu bei, daß die Verteidigungskraft der Bundeswehr erhalten bleibt. Das bedeutet, daß wir
- eingebettet in den Schutz des NATO-Bündnisses
- den Rückhalt behalten, der Voraussetzung für eine dauerhafte Entspannungspolitik ist. Sie steht im Zentrum der Außenpolitik der sozialliberalen Koalition. Sie ist die Voraussetzung dafür, daß wir eine Chance dafür haben, überall in der Welt zu Abrüstung und damit zur Verringerung der Rüstungskosten zu kommen.
Neben der äußeren gebührt auch der inneren Sicherheit weiterhin ein hoher Rang. Wir haben im Haushalt 1976 hierfür über eine Milliarde DM veranschlagt. Das ist mehr als doppelt so viel, wie wir für diesen Bereich im Jahre 1970 ausgegeben haben. In diesen Zahlen schlägt sich neben der verbesserten technischen Ausstattung der Sicherheitsorgane vor allem eine erhebliche Personalverstärkung nieder. Beim Bundeskriminalamt wurde die Stellenzahl von 1970 bis 1976 mehr als verdoppelt. Sie erreicht jetzt über 2 400 Stellen. Der Bundesgrenzschutz verzeichnet mit über 21 000 Polizeivollzugsbeamten einen bisher nie erreichten Höchststand.
Sosehr wir im öffentlichen Dienst generell um eine Einschränkung des Personalbestandes bemüht sind - hier ist die Personalausweitung richtig und notwendig. Ich glaube, wir sind uns alle darin einig, daß diese Entwicklung in den nächsten Jahren nicht wieder zurückgedreht werden darf.
Ein wichtiges Instrument der weltweiten wirtschaftlichen und sozialen Interessenausgleiche sowie der Friedenssicherung ist für uns die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Selbstverständlich ist Entwicklungspolitik mehr als nur die bloße Bereitstellung von nationalen Haushaltsmitteln. Neue Formen der Zusammenarbeit wie technische Hilfe gegen Entgelt, DreiecksKooperation sowie die Handelspolitik im Rahmen des GATT und die internationale Währungspolitik im Rahmen des Internationalen Währungsfonds stellen dies nachdrücklich unter Beweis.
Dennoch werden wie auch bisher Geldleistungen im Mittelpunkt des entwicklungspolitischen Interesses stehen. Als Zielvorstellung für die öffentlichen Leistungen der Industrieländer für Entwicklungshilfe wurde auf der 7. UNO-Sondergeneralversammlung erneut die Größe von 0,7 v. H. des Bruttosozialprodukts gefordert. Aber, meine Damen und Herren, wie in der Sozialpolitik, wie in der Verteidigungspolitik und wie in vielen anderen Bereichen nationaler Politik muß man auch deutlich und ohne Scheuklappen erkennen, daß Wunsch und
politischer Wille, den auch ich voll unterstütze, nur im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten verwirklicht werden können. Die im Haushalt 1976 und im Finanzplan bis 1979 ausgewiesenen Mittel, denen die Schuldscheinhingabe an die Internationale Entwicklungshilfeorganisation ({48}) und an die Interamerikanische Entwicklungsbank noch hinzugerechnet werden müssen, bilden das Maximum des staatlich Möglichen.
Aber - ich glaube, hier wird unser Land oft zu stark in den Hintergrund gedrückt - Entwicklungshilfe ist eben nicht nur staatliche Aufgabe. Neben den öffentlichen Leistungen werden erhebliche Mittel durch andere, private Institutionen, so insbesondere durch die Kirchen, aber auch durch die Industrie, aufgebracht. Die private und öffentliche Hilfe unseres Landes belief sich im Jahre 1974 zusammengefaßt auf etwa 0,83 v. H. des Bruttosozialprodukts. Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, allen Beteiligten, aber insbesondere unseren Kirchen, zu danken. Die Kirchen haben in den letzten 15 Jahren über „Miserior" und „Brot für die Welt" fast 1,7 Milliarden DM aufgebracht. Dank und Anerkennung gebührt dieser Initiative.
({49})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der leider allzuoft in der entwicklungspolitischen Diskussion übersehen wird. In vielfältiger Weise trägt der Staat durch steuerrechtliche Vergünstigungen in Form von Einnahmeverzichten zu dieser Hilfe bei. Ich nenne nur das Entwicklungsländersteuergesetz und die steuerliche Abzugsfähigkeit privater Spenden. Auch dies sind letzten Endes öffentliche Leistungen an Entwicklungsländer, die auch als solche anerkannt und berücksichtigt werden sollten.
Mit dem Wort Verkehrshaushalt assoziiere ich, seit ich Finanzminister bin, aber auch schon vorher, u. a. den Risikofaktor Deutsche Bundesbahn.
Ich bin mir sehr wohl bewußt, meine Damen und Herren, welch wichtigen Beitrag die Eisenbahner tagtäglich für die verkehrsmäßige Versorgung unseres Landes erbringen und auch in Zukunft erbringen müssen. Nur mit einer zuverlässigen und leistungsfähigen Bundesbahn lassen sich die Transportprobleme in der Bundesrepublik bewältigen.
Die Bundesbahn bringt uns aber nicht nur unverzichtbare Verkehrsleistungen, sie bringt uns auch Defizite in Milliardenhöhe, die dadurch ausgeglichen werden müssen, daß ständig Steuergelder durch die Nabelschnur vom Bund zur Bahn fließen.
Vom Grundsatz her halte ich dies sehr wohl für berechtigt.
({50})
Denn wir können nicht darauf verzichten, daß die Bahn in einzelnen Bereichen Verkehrsleistungen erbringt, für die sich heute, aber auch in der Zukunft kostendeckende Preise nicht erzielen lassen.
Der Bund hat die Erkenntnis, daß wir nicht ohne die Bahn und die Bahn nicht ohne die Bundeszuwendungen leben können, auch honoriert. Rund 50
Milliarden DM sind in den letzten zehn Jahren vom Bund zur Bahn geflossen.
Bedenklich allerdings ist der steigende Trend des Zuschußbedarfs. Noch 1966 - zu dieser Zeit war Bundesminister Leber Verkehrsminister - konnte die Bahn 80 % ihrer Aufwendungen in Höhe von 12 Milliarden DM durch eigene Erträge decken. Im Jahre 1974 dagegen konnte die Bahn nur noch 60 % ihrer auf 24 Milliarden DM angestiegenen Aufwendungen aus eigenen Erträgen bezahlen.
({51})
Bei einer Verdoppelung der Aufwendungen hat sich somit der Subventionsbedarf in noch nicht einmal zehn Jahren vervierfacht: von rund 2,3 Milliarden DM in 1966 auf 9 Milliarden DM in 1974 und nun etwa 9,5 Milliarden DM in 1976. Mit dieser Größenordnung ist die Grenze der Leistungsfähigkeit des Bundes erreicht, jedenfalls dann, wenn wir nicht in großem Umfange Mittel von der Straße zur Schiene verlagern wollen. Deshalb muß gehandelt werden.
Der erste Schritt ist bereits getan. Der Bundesminister für Verkehr hat für die Deutsche Bundesbahn Zielvorgaben aufgestellt. Die Bundesbahn wird durch sie zu einer Konzentration der Aufgaben und zu bedeutenden betriebswirtschaftlichen Ergebnisverbesserungen angehalten. Auf Grund der Zielvorgaben entwickelt die Bundesbahn zur Zeit Programme zur Rationalisierung des Netzes und der Verwaltung. Erfolge lassen sich bereits absehen. So will die Bahn bis 1979 rund 60 000 Stellen abbauen, und zwar - dies muß unterstrichen werden - nicht durch Entlassungen, sondern durch natürliche Abgänge.
Sicherlich - und darauf sind wir eingestellt - werden die Pläne der Bundesbahn ein lebhaftes und sehr kritisches Echo auslösen. Es ist selbstverständlich Aufgabe aller, insbesondere der Experten in diesem Hause, die Perspektiven der Unternehmensleitung der Deutschen Bundesbahn kritisch unter die Lupe zu nehmen. Doch auch in diesem Falle muß jeder, der ernst genommen werden will, seine Kritik an einzelnen Punkten mit realistischen Alternativen begleiten.
({52})
Und eines muß hinzugefügt werden: Bei realistischer Beurteilung kann nur langsam eine Konsolidierung der Defizite der Deutschen Bundesbahn erreicht werden.
Die Entwicklung der Personalausgaben ist natürlich kein Sonderproblem der Deutschen Bundesbahn. Sie betrifft den gesamten öffentlichen Dienst, der in diesem Punkte in den letzten Monaten ganz besonders in das Blickfeld der Kritik geraten ist. Manche Kritiker meinen, nun hätten sie die Ursache aller finanziellen Schwierigkeiten und damit dann zugleich auch den Zentralbereich für die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen gefunden.
Aber auch hier kommt es darauf an, den Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen. Von 1964 bis 1974, also in zehn Jahren, haben die Gebietskörperschaf13622
ten insgesamt ihren Personalbestand um gut 600 000 auf rund 2,4 Millionen ausgeweitet.
({53})
Die Folge war ein weit überproportionaler Anstieg der Personalausgaben: Während alle Ausgaben der öffentlichen Hände in dieser Dekade um 130 % stiegen, nahmen die Personalausgaben um gut 230 % zu.
Bei den einzelnen Ebenen der Gebietskörperschaften ist diese Entwicklung - und damit auch das Gewicht der sich daraus ergebenden finanziellen Probleme - allerdings sehr unterschiedlich. Der Bund ist wegen seiner andersgearteten Ausgaben von dieser Entwicklung sehr viel weniger betroffen als Länder und Gemeinden. Von der Personalvermehrung aller Gebietskörperschaften zusammen entfallen im Zeitraum dieser zehn Jahre auf den Bund nur knapp 10 %, auf Länder und Gemeinden 90 %. Aber auch diese Aussage reicht noch nicht, um das Problem abgreifen zu können.
Es muß die Frage beantwortet werden, wo denn nun die zentralen Ursachen für die Personalvermehrung liegen. Vor allem ist die Personalvermehrung von Bund, Ländern und Gemeinden auf die Verbesserung der staatlichen und der gemeindlichen Leistungen für den Bürger zurückzuführen. Nehmen wir die Zahlen von 1970 bis 1974. Danach haben Sie gefragt. Hier entfallen beim Bund 25 % der Personalvermehrung auf die innere Sicherheit, bei den Ländern mehr als zwei Drittel auf den Bildungsbereich und vom restlichen Drittel fast die Hälfte auf innere Sicherheit. Der Wunsch nach mehr öffentlichem Dienst, meine Damen und Herren - diesen Wunsch haben wir alle politisch, auch draußen in den Versammlungen, mitgetragen , hat allgemein zu mehr öffentlichem Dienst geführt. Diesen Zusammenhang sollte jeder sehen, der einen umfangreichen Personalabbau verlangt.
Trotzdem - und hier treffe ich mich mit Ihnen - müssen wir die Personalentwicklung im öffentlichen Dienst in den Griff bekommen. Das heißt konkret: Stabilisierung des Personalkostenanteils an den Gesamtausgaben der öffentlichen Hände. Beim Bund ist nicht nur der Anteil der Personalausgaben an den Gesamtausgaben ziemlich konstant geblieben. Von 1973 bis 1975 sind auf Grund der Vorschriften in den Haushaltsgesetzen insgesamt 4 350 Stellen beim Bund weggefallen. Damit konnte der Personalbestand des Bundes trotz Bewilligung neuer Stellen für unabweisbare Aufgaben insgesamt verringert werden. Der Abbau von 1 000 Stellen nach der im Haushaltsgesetz 1976 vorgesehenen Regelung wird zu einer weiteren Reduzierung des Gesamtstellensolls beim Bund führen, so daß der Rückgang gegenüber 1974 beim Personalbestand des Bundes knapp einen Prozentpunkt ausmachen wird. Wir werden dabei darauf achten, daß der Stellenabbau anteilig in den verschiedenen Laufbahngruppen vorgenommen wird.
Zu diesem Bereich, meine Damen und Herren, hat der Präsident des Bundesrechnungshofes als Beauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung vor kurzem Vorschläge gemacht, die beim Abbau von Stellen über die Vorstellungen der Bundesregierung hinausgehen. Wir betrachten diese Vorschläge als hilfreich und werden sie - wie sicherlich auch der Haushaltsausschuß - sorgfältig prüfen. Ich habe allerdings Zweifel - dies will ich offen sagen -, ob beim Bund nach mehreren Jahren des Stellenabbaus Globalmaßnahmen wie z. B. „jährlich 1 % Stellenabbau für jedes Ressort in jeder Laufbahngruppe", und zwar Jahr für Jahr, möglich sind, wenn die notwendige Aufgabenerfüllung darunter nicht leiden soll.
Noch ein letztes Wort zu den Personalausgaben: Es geht nicht an, den Unmut über die höheren Personalausgaben auf die Bediensteten abzuladen und damit den einzelnen für diese Entwicklung verantwortlich zu machen.
({54})
Solchen oft unqualifizierten Angriffen sollten wir alle entgegentreten, nicht nur weil der öffentliche Dienst solch herabsetzende Kritik nicht verdient, sondern weil damit auch die notwendige Diskussion zur Begrenzung der Personalausgaben unnötig emotionalisiert wird, was entsprechende Reaktionen auslöst. Wir wollen Einsparungen in diesem Bereich, wir werden aber auch dafür sorgen, daß der öffentliche Dienst nicht zum Prügelknaben der Spardebatte wird.
({55})
Lassen Sie mich einen vierten Schluß ziehen: Der Bundeshaushalt 1976 ist mehr als ein Sparhaushalt, der in seinen Dimensionen und durch die ihn begleitenden belebenden Konjunkturmaßnahmen der von uns erwarteten wirtschaftlichen Lage im Jahre 1976 gerecht wird. Er setzt auch deutliche politische Akzente, die unseren außenpolitischen Verpflichtungen gerecht werden, unsere innere Sicherheit erhalten und unsere sozial- und gesellschaftspolitischen Anliegen finanziell absichern. Soziale Sicherheit und ein Mehr an Gerechtigkeit und Solidarität stehen für uns auch heute nicht zur Disposition.
Ich möchte nun zu einigen Fragen Stellung nehmen, die in ihrer Tragweite über den Zeitraum des Haushaltsplans 1976 hinausreichen.
Von verschiedenen Politikern der Opposition, so von Herrn Professor Carstens, ist in den vergangenen Wochen anklagend darauf hingewiesen worden, daß der Anteil des Staates am Bruttosozialprodukt von 37 % in 1970 auf 47 % in 1975 ansteigt. Die Opposition will daraus den Beweis ableiten, daß die sozialliberale Koalition eine Politik betreibe, die den Spielraum des individuell verfügbaren Einkommens über Gebühr einschränke.
({56})
Auch in diesem Fall kommt es aber darauf an, Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, und sie stellen sich folgendermaßen dar.
Erstens. Der Staatsanteil beläuft sich 1973 auf 40 %. Wenn er 1975 sprunghaft auf 47 % anschwillt,
dann ist dieser Anstieg fast ausschließlich rezessionsbedingt.
({57})
- Ja, natürlich! Das ist eine ganz simple Rechnung;
({58})
denn unser Bruttosozialprodukt wächst 1974 real nicht. 1975 müssen wir einen Rückgang um 4 % hinnehmen. Gleichzeitig steigen die Sozialaufwendungen und die Aufwendungen für die Konjunkturprogramme stark.
Zweitens. Der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt gibt nicht nur die staatlichen Ausgaben wieder. Er umfaßt auch den weiten Bereich der Sozialversicherung. Sie ist aber für die Sicherung unserer Bürger gegen Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität und Alter von existenzieller Wichtigkeit.
({59})
Seit den 50er Jahren ist der Anteil der Aufwendungen für die soziale Sicherung am Bruttosozialprodukt um etwa 4,5 v. H. gestiegen. Mehr als die Hälfte des Wachstums des sogenannten Staatsanteils am Sozialprodukt von den 50er in die 70er Jahre ist darauf zurückzuführen.
Drittens. Der Anteil der Bundesausgaben am Staatsanteil ist seit den 50er Jahren nahezu konstant, eigentlich sogar etwas rückläufig. Beträchtlich zugenommen hat in diesem Zeitraum der Anteil der Ausgaben der Länder und der Gemeinden am Bruttosozialprodukt.
Viertens. Die Steuerreform hat die Steuerlast stark reduziert. Der Anteil der Steuern am Sozialprodukt lag 1969 bei 24,0 %; 1974 betrug er 24,1 %. Die Steuerreform hat ihn dann stark absinken lassen. Selbst wenn wir die ab 1. Januar 1977 beabsichtigten Steuererhöhungen einrechnen, bleibt die Steuerlast auch 1977 noch unter der Steuerlastquote von 1975. Wenn wir die Veränderung der Kindergeldzahlung, die ja jetzt die Steuerlastquote erhöht hat, die durch den Haushalt läuft, herausrechnen, so wird die Steuerlastquote 1977 nur bei 22,3 % liegen. Rechnen wir sie ein, wird sie bei 23,9 % liegen. Da die öffentlichen Hände ihre Nettokreditaufnahme stark reduzieren werden, da das Bruttosozialprodukt wieder ansteigen wird, wird der Staatsanteil nach Überwindung der Rezession wieder deutlich fallen.
Allerdings wird der Staatsanteil - das will ich sehr deutlich hinzufügen - nicht wieder auf das Niveau der 60er oder gar der 50er Jahre fallen. Das ist auch keineswegs wünschenswert. Überall in den westlichen Industrieländern wächst der Staatsanteil. Er macht deutlich, daß wir mit wachsendem Wohlstand eine bessere Ausbildung unserer Kinder, modernere Krankenhäuser, ein leistungsfähiges Verkehrssystem verwirklichen müssen. Außerdem heißt ein höherer Staatsanteil auch: höhere Renten, eine besser ausgerüstete Polizei, staatliche Forschungsförderung, Subventionen für die private Wirtschaft und z. B. auch über die Sparförderung für unsere Haushalte.
Damit ich hier nicht mißverstanden werde: Es gibt deutliche Grenzen für die Begrenzung des individuell verfügbaren Einkommens. Die persönlichen Leistungsanreize, das Recht auf individuelle Konsumentscheidungen und die Pflicht zu eigenen Vorsorgeleistungen dürfen nicht verschüttet werden. Das hat die Finanzpolitik in unserem Lande aber auch stets berücksichtigt.
({60})
Ich ziehe einen fünften Schluß: Wer die Tatsachen nicht verdreht, muß sehen, daß die Erhöhung des Staatsanteils in den letzten Jahren nicht Ursache, sondern Folge der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist. Ursache ist ein Weniger an privater Aktivität. Der Staat zog hieraus die Konsequenzen. Und das war richtig so. Die Steuerbelastung unserer Bürger hat durch die Steuerreform abgenommen.
Wie die Entwicklung des staatlichen Anteils am Sozialprodukt gehört auch die Entwicklung der Investitionsausgaben zum Standardrepertoire aller Kritiker der Finanzpolitik der Bundesregierung. Diese Kritiker übersehen allerdings, daß sich die gleiche Kritik auch an den Haushalten aller Bundesländer unabhängig von ihren politischen Mehrheitsverhältnissen anbringen läßt.
({61})
Auf den ersten Blick erscheinen die Zahlen der Investitionen für den Bund in der Tat nicht günstig: Von 1975 bis 1976 gehen die investiven Ausgaben im Bundeshaushalt von rund 26 Milliarden um 31/2 auf 221/2 Milliarden DM zurück. Auch in der Finanzplanung bis 1979 ist nur ein relativ schwacher Anstieg auf 23 Milliarden DM verzeichnet.
Aber, meine Damen und Herren, Investitionsausgaben sind doch kein Selbstzweck - und Steigerungsraten schon gar nicht! Mit öffentlichen Investitionen werden zwei Ziele verfolgt: Der Bau von Straßen, Schulen oder Krankenhäusern soll unsere Wirtschaft leistungsfähiger machen und unsere Lebensqualität verbessern. Ferner soll die Vornahme öffentlicher Investitionen Arbeitsplätze in der Wirtschaft sichern.
Aus der Sicht des Bürgers ist es völlig abwegig, öffentliche Investitionen und öffentlichen Konsum sozusagen in „bessere" und „schlechtere" Staatsausgaben auseinanderzudividieren.
({62})
- Investitionen in Stahl und Beton sind nur sinnvoll, Herr Kollege Wagner, wenn Menschen mit ihnen arbeiten.
({63})
Was wäre denn die Schule ohne Lehrer?
({64})
Was wäre das Krankenhaus ohne Personal? Beides muß doch in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen und zusammen am Bedarf und am Leistungsvermögen des Bürgers und Steuerzahlers orientiert sein.
Im Blick auf öffentliche Leistungen besteht keine Notwendigkeit, unabhängig vom Bedarf in jedem Jahr mehr Straßenkilometer, mehr Schulgebäude und mehr Krankenhäuser als im Vorjahr zu bauen. Im übrigen haben wir - das wissen wir alle - in manchen Bereichen die öffentliche Infrastruktur in den letzten Jahren so verbessern können, daß Sättigungstendenzen erkennbar werden.
({65})
- Ich bin bereit, Ihnen dazu z. B. aus meinem Heimatland unübersehbare Tatbestände auf den Tisch zu legen. Anderswo ist das durchaus ähnlich.
({66})
In der gegenwärtigen Lage - meine Damen und Herren, das ist ja der Punkt, über den wir hier debattieren - steht allerdings der konjunkturelle Aspekt der Investitionen im Vordergrund. Nur: Wenn wir über den konjunkturellen Aspekt der Bundesinvestitionen reden, dann wollen wir bitte auch die Größenordnung zur Kenntnis nehmen. Bezogen auf das Bruttosozialprodukt betrugen in den letzten Jahren die privaten und die öffentlichen Investitionen, bereinigt um das Konjunkturtief, durchschnittlich etwa 25 %. Die öffentlichen Sachinvestitionen von Bund, Ländern und Gemeinden in diesen 25 % betrugen nur 4 bis 5 % des Bruttosozialproduktes; und die Sachinvestitionen des Bundes betrugen nun wiederum nur 0,8 °/o des Bruttosozialproduktes.
({67})
- Darauf will ich gleich zu sprechen kommen.
Diese Zahlen, Herr Kollege Wagner - darüber sind wir uns wohl zunächst einmal einig -, relativieren die Bedeutung der Investitionsausgaben des Bundes für die Beschäftigung der Wirtschaft: 0,8 %. Gleichwohl - und damit stelle ich mich in Ihre Schuhe - bieten sie natürlich keine Rechtfertigung für einen Rückgang der Bundesinvestitionen.
Aber wie sieht es in Wirklichkeit aus? Betrachten wir die Einzelfaktoren, die zu einem Rückgang der Investitionsausgaben im Bundeshaushalt 1976 gegenüber 1975 führen. Ich sagte Ihnen, der Rückgang von 1975 auf 1976 beträgt 3,5 Milliarden DM. Von diesen 3,5 Milliarden DM - und hier wird die ganze Unsinnigkeit der Definition von investiven Ausgaben beim Bund deutlich - offenbaren Rückgangs der öffentlichen Investitionen des Bundes von 1975 auf 1976 entfallen 3 Milliarden DM auf Finanzierungshilfe. Einmal zahlen wir etwa 400 Millionen DM weniger an Wohnungsbauprämien auf Grund der Veränderung der gesetzlichen Grundlage. Zum anderen zahlen wir 2,5 Milliarden DM nicht mehr als Darlehen an die Bundesanstalt für Arbeit
- das wäre investive Ausgabe -, sondern als Zuschuß. Damit wird klar: Von diesen 3,5 Milliarden DM sind 3 Milliarden DM zwar fiktiv Rückgang der Investitionsausgaben, aber nur rechnerisch. Tatsächlich gehen die Sachinvestitionen des Bundes lediglich um eine halbe Milliarde DM zurück. Das wird aber weit mehr als überkompensiert durch die
Konjunkturprogramme, insbesondere durch das Bau-
und Investitionsprogramm, das 1976 voll wirksam wird und den Rückgang der Sachinvestitionen um eine halbe Milliarde DM mehr als ausgleicht.
Lassen Sie mich einen sechsten Schluß ziehen. Die Investitionsgüternachfrage des Bundes werden wir 1976 hochhalten. Von dieser Seite her werden keine zusätzlichen Beschäftigungsprobleme in unsere Wirtschaft hineingetragen. Gleichwohl müssen wir nüchtern erkennen: Das Sparen kann auch vor den öffentlichen Investitionen nicht völlig haltmachen. Die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur werden von 1976 bis 1979 eine Ersparnis bei den Bundesausgaben von rund 40 Milliarden DM bringen. In dieser Summe sind auch 4 Milliarden DM enthalten, die nach unserer Definition als investive Ausgaben gelten. Wenn ich sage „gelten", dann will ich darauf hinweisen, daß in diesen 4 Milliarden DM die Reduzierung der Zuschüsse zur Wohnungsbauförderung enthalten ist. Hier kann man sich wirklich füglich streiten, ob das investive Sachausgabe des Bundes ist. Aber lassen wir das einmal dahingestellt.
13 % der Bundesausgaben sind auch im nächsten Jahre investive Ausgaben. Bei der Kürzung im Strukturverbesserungspaket kürzen wir die investiven Ausgaben nur um 10 %. Damit schonen wir bei unseren Kürzungen die investiven Ausgaben, soweit es geht.
Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen. Wir wollen, wie ich bereits gesagt habe, ab 1. Januar 1977 die Mehrwertsteuer, die Branntweinsteuer und die Tabaksteuer erhöhen. Wir sehen uns dazu gezwungen, weil die anhaltende Rezession die öffentlichen Einnahmen so stark reduziert hat, daß auch kräftiges Sparen allein die Lücke nach Überwindung der Rezession nicht schließen kann.
Wir müssen - und das ist natürlich eine entscheidende Frage - die Mehrwertsteueranhebung auch unter der Perspektive sehen, ob wir die Lasten der Haushaltskonsolidierung gerecht verteilen. Die einzelnen Gruppen der privaten Haushalte werden durch diese Maßnahme ab 1. Januar 1977 etwa wie folgt belastet: Zwei-Personen-Rentnerhaushalt mit 12 DM im Monat, Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen mit 25 DM im Monat, Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit höherem Einkommen mit 40 DM im Monat, Vier-Personen-Unternehmerhaushalt mit hohem Einkommen mit 55 DM im Monat.
Natürlich, meine Damen und Herren, - und darüber ist sich die Bundesregierung sehr wohl im klaren - ist dies eine schmerzliche Belastung für alle Bürger.
({68})
Wer freut sich schon, wenn er mehr an Steuern bezahlen muß. Aber dieses Mehr an Steuern ist keine Überbelastung der Bürger,
({69})
und sie ist auch keine unsoziale Belastung. Wir leben eben nicht mehr im 19. Jahrhundert, wo die Masse der Arbeitnehmer nicht über das physische Existenzminimum hinauskam. Das muß in die Überlegungen mit einbezogen werden.
Eine Erhöhung der Lohn- und der Einkommensteuer hätte, um für den Bund den gleichen Ertrag zu erbringen, in jedem Falle zu einer wesentlich höheren Belastung der Arbeitnehmer geführt. Durch die geplanten Steueranhebungen wird im übrigen die Reform der Lohn- und Einkommensteuer keineswegs aufgehoben.
({70})
Auch nach den ab 1. Januar 1977 geplanten Steueranhebungen bleibt bei den von mir genannten Gruppen - vierköpfige Familien, also mit zwei Kindern - von Arbeitnehmer- bzw. Unternehmerhaushalten ein monatlicher Steuervorteil zwischen 85 und 137 DM - natürlich unter Einrechnung des Kindergeldes - erhalten.
Es stimmt, daß die Rentner höher belastet werden. Das liegt auch daran, daß die Rentner von der Steuerreform keinen Vorteil hatten. Dafür, meine Damen und Herren, tasten wir aber auch die Renten nicht an. Sie werden von unseren Sparmaßnahmen nicht betroffen. Gleichzeitig erhalten die Rentner auf Vorschlag der Bundesregierung Mitte 1976 erneut eine Rentensteigerung um 11 %.
({71})
Nun haben verschiedene Sprecher der Opposition in den letzten Wochen anklingen lassen, daß sie Alternativen sähen, um zu einer gerechteren Lastenverteilung zu kommen. Dazu haben wir allerdings bei den Beratungen des Haushaltsstrukturgesetzes weder im Haushaltsausschuß noch im Bundesrat etwas Konkretes gehört. Im Gegenteil: Im Haushaltsausschuß haben Sie nicht nur die Beitragserhöhungen bei der Arbeitslosenversicherung abgelehnt. Sie wollen auch unsere Einsparungen beim Aufwertungsausgleich für die Landwirtschaft und bei der Krankenhausfinanzierung wesentlich vermindern.
Da die Opposition andererseits die Höhe der Kreditaufnahme des Bundes scharf kritisiert, scheidet für sie doch wohl sicherlich der Weg in eine höhere Verschuldung aus. Wenn das so ist, dann müssen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, diesem Parlament Kürzungsvorschläge vorlegen über
({72})
4 Milliarden DM in 1976, 12 Milliarden DM in 1977, 14 Milliarden DM in 1978 und 15 Milliarden DM in 1979.
({73})
Doch damit, meine Damen und Herren von der Opposition, sind Sie mit der sich selbst gesetzten Aufgabe noch nicht fertig. Sie haben als CDU/CSUFraktion am 21. Oktober Sofortmaßnahmen für Steuererleichterungen für die Wirtschaft gefordert. Ich rede nur über die Sofortmaßnahmen. Das Gesamtpaket kostet 7 Milliarden DM. Ich rede über die Sofortmaßnahmen, die sofort - denn sie heißen ja Sofortmaßnahmen - einen Steuerausfall von rund 2,5 Milliarden DM bewirken. Auch für diese Summe müssen Sie zusätzlich zu den hier bereits genannten Summen einen Deckungsvorschlag machen. Beim Bund würden von dieser Summe - ({74})
- Lieber Herr Leicht, Sie haben doch noch vor einigen Tagen verkündet - das habe ich hier vorgelesen -, Sie würden bei den Haushaltsberatungen Steuersenkungspläne in diesen Größenordnungen vorlegen.
({75})
Nun versuchen Sie nicht erneut, sich selbst auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu vertrösten!
({76})
Meine Damen und Herren, auch über diese Summe müssen Sie also einen Deckungsvorschlag machen. Doch ich bleibe beim Bundeshaushalt 1976. 4 Milliarden DM wollen Sie nicht sparen. Von der Summe der Sofortmaßnahmen entfallen etwa 1,2 Milliarden DM Ausgaben auf den Bund. Wenn Sie finanzpolitisch glaubwürdig bleiben wollen, müssen Sie uns also - die Ernsthaftigkeit Ihrer eigenen Kürzungsvorschläge bei den Sparvorschlägen vorausgesetzt - zusätzliche Kürzungsvorschläge über mindestens 5,2 Milliarden DM machen, und zwar in dieser Debatte. Dabei müssen - und darauf werde ich bestehen - Ihre Vorschläge so konkret sein, daß sie 1976 sofort Einsparungen in dieser Höhe erbringen. Mit allgemeinen Deklamationen kommen Sie nicht weiter.
({77})
- Wir kontrollieren Sie nicht. Wir versuchen nur, zu erspüren, ob Sie in dieser Debatte einen ernsthaften Beitrag erbringen können oder nicht. Dies ist der Punkt.
({78})
Ich ziehe einen siebenten Schluß: Die Anhebung der Mehrwert-, der Branntwein- und der Tabaksteuer zum 1. Januar 1977 ist unabweisbar. Sie ist nicht unsozial und nimmt keineswegs die Vorteile der Steuerreform zurück. Die Opposition ist bisher jeden Anschein eines Beweises dafür schuldig geblieben, daß sie über eine Alternative zu unserer Politik der Haushaltskonsolidierung verfügt. Verbale Kraftakte bringen nicht eine Mark in die öffentlichen Kassen.
({79})
Eine besondere Rolle im Rahmen unserer Bundesfinanzen spielen unsere Beiträge zum Haushalt der Europäischen Gemeinschaft. Der EG-Haushalt ist seit 1971 von rund 14 Milliarden DM auf mehr als 27 Milliarden DM im Entwurf 1976 angestiegen, also in fünf Jahren auf fast das Doppelte. Allein für 1976 hat die Kommission eine Steigerung um fast 30 % beantragt. Der Ministerrat hat diese Steigerungsrate zunächst auf immerhin 19 % reduziert.
Die Hauptursachen der Ausgabenexplosion sind im hohen Ansteigen der Ausgaben für die gemeinsame Agrarpolitik zu suchen. Die Agrarausgaben haben sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdreifacht. Sie machen mit 20,1 Milliarden DM allein über 70 % des Gemeinschaftshaushalts aus. Die Ursachen dafür sind bekannt: Marktüberschüsse werden zunächst auf Lager genommen und später mit hohen Verlusten verkauft; hohe Subventionen für den Verbrauch, die Verfütterung oder zur Ausfuhr sind erforderlich, um Milchpulver, Fleisch oder Wein abzusetzen.
Einen noch stärkeren Anstieg als die Ausgaben der Gemeinschaft insgesamt haben unsere Beitragsleistungen an die Europäische Gemeinschaft genommen. Unsere Bruttoleistungen haben sich in den letzten fünf Jahren etwa verdreifacht. Unsere Nettoleistungen - und auf die kommt es bei einem Belastungsvergleich natürlich an - haben sich fast versechsfacht. 1974 betrug unsere Nettoleistung nach Brüssel rund zwei Milliarden DM. Sie wird sich voraussichtlich in diesem Jahre verdoppeln und nicht viel unter vier Milliarden DM liegen.
Es liegt auf der Hand, daß eine solche Entwicklung den Bundeshaushalt auf Dauer überfordern muß. Im neuen Finanzplan sind für unsere Leistungen an die Gemeinschaft verglichen mit den Steigerungsraten für den gesamten Bundeshaushalt - überproportionale Steigerungsraten vorgesehen. Sie betragen in den Jahren 1976 und 1977 mit 9,5 % und 9,1 °/o mehr als das Doppelte der Steigerungsraten des Bundeshaushalts. Das bedeutet aus der Sicht des Finanzministers eine hohe Priorität für Europa. Sollte die EG allerdings mit diesen Finanzzuweisungen nicht auskommen, dann sehe ich nur drei Alternativen - einzeln oder kombiniert -: Steuererhöhungen für Europa, Kürzung nationaler Ausgaben für Europa oder Umschichtungen im Etat der Europäischen Gemeinschaft.
Ich habe eine erhöhte Kreditaufnahme des Bundes zur Deckung von EG-Ausgaben bewußt ausgeschlossen. Sie ist für mich keine Alternative. Hinzu kommt, daß sie im Bundeshaushalt 1977 ausgeschlossen sein wird; denn nur durch allergrößte Sparsamkeit und über die von mir bereits angesprochenen Steuererhöhungen werden wir in der Lage sein, dem Verfassungsgebot des Art. 115 des Grundgesetzes zu entsprechen.
Sie werden verstehen, daß ich mir hier und heute jede Kommentierung der drei von mir aufgezeigten Alternativen versage, da diese Haushaltsdebatte sicher nicht der Ort ist, urn eine fundierte Europadebatte zu führen. Ich muß jedoch als Bundesfinanzminister darauf aufmerksam machen dürfen, daß wir die Politik der Sparsamkeit bei den öffentlichen
Ausgaben, die wir im eigenen Lande betreiben, gegenüber den deutschen Bürgern nur rechtfertigen können, wenn ähnliche - nicht gleiche - Maßstäbe auch in Europa erreichbar sind.
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Dies setzt vor allem eine Verbesserung des Finanzgebarens in Brüssel voraus. Die Bundesregierung hat dazu in den letzten Wochen eine Reihe von Vorschlägen beschlossen, die sie ihren Partnern unterbreiten will. Die wichtigsten davon sind die folgenden:
Erstens. Dem eigentlichen Haushaltsverfahren in Brüssel soll künftig eine Grundsatzdebatte vorgeschaltet werden, die das Ziel hat, den Rahmen des finanziell Möglichen und Vertretbaren festzulegen.
Zweitens. In der Brüsseler EG-Kommission soll ein Mitglied als Finanzkommissar bestellt werden, der alle Vorschläge und Maßnahmen auf ihre Finanzierbarkeit hin zu überprüfen hat.
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Drittens. Finanzwirksame Sachbeschlüsse sollen künftig nur dann getroffen werden können, wenn gleichzeitig förmlich über die Höhe der finanziellen Aufwendungen und ihre Deckung beschlossen wird.
Viertens. Nachtragshaushalte, die uns immer wieder vor eine überraschende Nachschußpflicht stellen, müssen strikt auf Fälle unvorhersehbarer und unvermeidbarer Ausgaben beschränkt werden.
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- Sie sind anscheinend nicht informiert über die Haushaltsordnung in diesem Lande. Ich kann das von Ihnen auch nicht verlangen.
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Mit diesen Vorschlägen hofft die Bundesregierung dazu beizutragen, daß das Finanzgebaren der Gemeinschaft transparenter und überschaubarer wird. Dies, meine Damen und Herren, reicht nach meiner Überzeugung allerdings nicht aus. Um materiell die finanzpolitischen Probleme in Brüssel zu lösen, ist es darüber hinaus notwendig, bestehende ausgabewirksame Politiken, besonders im Agrarbereich kritisch unter die Lupe zu nehmen, neue Maßnahmen sorgfältig daraufhin zu prüfen, ob der finanzielle Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum integrationspolitischen Erfolg steht.
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Nur mit einer derartigen rationalen Haushaltspolitik lassen sich dauerhafte Integrationsfortschritte erreichen. Die Gemeinschaft darf nicht zur bloßen Drehscheibe eines horizontalen Finanzausgleichs degenerieren.
Ich ziehe einen achten Schluß: Die Bereitschaft der Bundesregierung, ihr Engagement für die Integration Europas auch finanziell zu untermauern, ist ungebrochen. Wir können dabei jedoch weder die Grenzen unserer eigenen Leistungsfähigkeit übersehen, noch auf die unabweisbare Forderung nach
einem sparsamen und effektiven Einsatz der Steuermittel in der EG verzichten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Die Bundesfinanzen spiegeln sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite die Schwierigkeiten wider, in denen sich unsere Volkswirtschaft auf Grund der tiefsten anhaltenden Rezession, die weltweit ist, seit dem letzten Krieg befindet. Damit unsere Burger, soweit sie von der Rezession getroffen werden, nicht ins Elend abrutschen, haben wir stark steigende Leistungen aus dem Bundeshaushalt an die Bundesanstalt für Arbeit erbracht. Zum Erhalt von Arbeitsplätzen in unserem Lande haben wir viele Milliarden zur Finanzierung mehrerer Konjunkturprogramme aufgebracht.
Der Erfolg dieser Politik ist sichtbar.
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Trotz hoher Arbeitslosigkeit gibt es in unserem Lande kein verbreitetes Elend.
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Wir konnten die binnenländische Nachfrage stabilisieren. Davon geben auch die letzten Zahlen der Auftragseingänge im Inland wie aus dem Ausland deutlich Zeugnis.
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Wir haben damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Ankurbelung der Weltwirtschaft geleistet. Ohne die Politik der sozialliberalen Koalition des Erhalts der sozialen Sicherheit und der Konjunkturstabilisierung würden wir uns heute zweifelsfrei in wesentlich größeren Schwierigkeiten befinden.
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Die weltweite Rezession hat sich nachhaltig auf unsere Steuereinnahmen ausgewirkt. Wir haben der Versuchung widerstanden, darauf mit massiven Ausgabekürzungen zu antworten. Hohe Nettokreditaufnahmen waren die Folge. Sie haben uns in die Lage versetzt, eine die Konjunktur stabilisierende Haushaltspolitik zu betreiben. Unsere Politik, auch die Politik der Haushaltsstabilisierung, hat unserem Land die stabilste Währung in der Welt und unseren Bürgern die geringsten Preissteigerungen in der Welt gebracht.
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Trotz der hohen Nettokreditaufnahmen sind die Zinsen für Wirtschaftskredite stark gesunken. Der soziale Friede ist bei uns ausgeprägter als anderswo.
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Wir haben die Voraussetzungen für den Aufschwung geschaffen.
Überall in der Welt hat die Rezession hohe Defizite in die öffentlichen Haushalte gerissen. Sie müssen im Aufschwung abgebaut werden.
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Wir haben dazu ein Konsolidierungsprogramm vorgelegt, das den konjunkturellen Erfordernissen entspricht und, soweit es möglich ist, sozial ausgewogen ist.
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Seine Verwirklichung verlangt von uns Augenmaß und politischen Mut.
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Der vorliegende Entwurf des Bundeshaushalts ist ein wesentliches Element der Finanzpolitik der sozialliberalen Koalition.
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Er ist mehr als ein Sparhaushalt.
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Er baut auf den Ergebnissen unserer Regierungszeit auf, konsolidiert Erreichtes, baut Privilegien ab, setzt Bewährtes fort, er ist Element unserer Reformpolitik.
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Auch nach 1976 bleibt manches zu tun.
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Im Gegensatz zur Opposition lassen wir unsere Bürger auch vor Wahltagen nicht im unklaren über unsere Politik.
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Wir können unsere Probleme nur gemeinsam lösen, national wie international. Deshalb sind für uns Offenheit und Klarheit,
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Manche Schwierigkeiten liegen noch vor uns.
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- Natürlich, meine Damen und Herren, z. B. die Debatte über die Mehrwertsteueranhebung. Zu unserer Haushalts- und Finanzpolitik ist uns in jedem Falle von Ihnen und auch von anderen bisher keine echte Alternative gezeigt worden.
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Deshalb werden wir in Solidarität innerhalb der Koalition und in Solidarität im Interesse unseres Landes unsere Politik Schritt für Schritt in die Tat umsetzen.
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Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 5. November, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.