Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1975 ({0})
- Drucksache 7/4001 Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses ({1})
- Drucksache 7/4060 Berichterstatter:
Abgeordneter Krampe,
Abgeordneter Carstens ({2}), Abgeordneter Esters,
Abgeordneter Hoppe,
Abgeordneter Dr. von Bülow, Abgeordneter Kirst
({3})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Bülow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Nachtragshaushalt, wie er von der Regierung vorgelegt worden ist, zustimmen. Er sieht Mehrausgaben in Höhe von 6,31 Milliarden DM und Mindereinnahmen, d. h. Steuerausfälle, in Höhe von 8,8 Milliarden DM vor, die durch die Erhöhung der Kreditaufnahme in Höhe von 15 Milliarden DM auf dann 38 Milliarden DM gedeckt werden sollen.
Die Haltung der Opposition, soweit sie aus den Ausschüssen bereits bekanntgeworden ist, bestärkt uns in unserer Haltung. Die Opposition bestreitet nicht die Richtigkeit und Notwendigkeit der Ausgaben, wie sie im Nachtragshaushaltsplan angesetzt sind. Sie bestreitet keineswegs die Mehrausgaben
für die Bundesanstalt für Arbeit, sie bestreitet auch nicht die Notwendigkeit der Erhöhung der Mittel für das Kindergeld, sie bestreitet nicht die Notwendigkeit, den Baransatz in der Entwicklungshilfe auszudehnen. Sie kann sich letztlich nicht gegen die Folgen der Steuerschätzung wehren, die der Arbeitskreis „Steuerschätzung" unter Einbeziehung der Länderfinanzminister, der Gemeinden, des Bundesfinanzministers und der wissenschaftlichen Institute vorgenommen hat. Das heißt also, die Lasten, die hier auf den Bundeshaushalt zukommen, sind in ihrer Höhe zwischen den Fraktionen nahezu unumstritten.
Die Gegenhaltung der Opposition besteht darin, daß sie sagt: Diese 15 Milliarden DM an zusätzlicher Belastung müssen durch Einsparungen im Haushalt 1975 an anderer Stelle hereingeholt werden. In diesem Zusammenhang können wir uns des Spielchens etwa mit dem Haushalt 1976 entsinnen. Von Franz Josef Strauß wird uns das Ziel vor Augen gehalten: 7 Milliarden DM müssen noch zusätzlich eingespart werden; macht von seiten der Regierung Vorschläge, dann werden wir unsere Äußerung dazu bringen. Die Regierung hat eine ganze Reihe von Sparvorschlägen in verschiedenen Bereichen gemacht, durch welche bei verschiedenen Gruppierungen Privilegien abgebaut werden sollen. Selbst dort, wo konkrete Nennungen erfolgten, ist keine konkrete Gegenäußerung der Opposition vorhanden.
Dieses Ziel der Einsparung von 7 Milliarden DM im Haushaltsjahr 1976 wird durch die Opposition verdoppelt, indem sie sagt: Im Jahre 1975, mitten in der Rezession, müßt ihr zusätzlich noch 15 Milliarden DM einsparen! Die Opposition fordert das gegen das Votum aller Sachverständigen, aller wissenschaftlichen Institute, die ebenso wie die Finanzminister der Länder der Meinung sind, daß das Auftragsvolumen, welches dieser Staat an seine Wirtschaft vergibt, nicht noch zusätzlich zurückgeführt werden darf, nicht noch zusätzlich schrumpfen darf. Anderenfalls hätten wir nämlich dadurch, daß zu den Schwierigkeiten aus dem Weltmarkt mit den 40 Milliarden DM fehlenden Aufträgen und der schwachen Baukonjunktur eine Verringerung der Aufträge der öffentlichen Hände um 15 Milliarden DM hinzukommt, eine prozyklische Politik. Das
würde unsere Wirtschaft ins Unglück stürzen, und dies kann nicht akzeptiert werden.
Zum anderen ist die Haltung der Opposition höchst widersprüchlich. Gestern hat die Opposition einem Konjunkturprogramm mit Mehrausgaben in Höhe von 5 Milliarden DM zugestimmt; heute sagt sie: Im Nachtragshaushalt - den hat die Opposition übrigens immer wieder gefordert, und wir Haushaltspolitiker mit ihr müssen 15 Milliarden DM eingespart werden. Hier kann man der Opposition die Forderung nicht ersparen: Wenn man Einsparungen fordert, dann muß man auch sagen, wo dies geschehen soll.
Im Frühjahr hatten wir nicht nur im Ausschuß, sondern im ganzen Deutschen Bundestag eine einhellige Meinung, daß der Bundesfinanzminister gebeten werden sollte, die Investitionen dieses Jahres in das erste Halbjahr, ins Frühjahr, vorzuziehen, damit sie sich in der Wirtschaft als nachfragewirksame Aufträge niederschlagen können. Dies ist gemacht worden - mit der Folge, daß der Mittelabfluß im ersten Halbjahr natürlich überproportional hoch war und daß natürlich in entsprechendem Umfang Einsparungsmöglichkeiten etwa in diesem Investitionsbereich nicht gegeben sind.
Wenn man sich die Aufgliederung des Haushalts in die einzelnen Aufgabenarten anschaut, muß man die Opposition fragen, wo sie sparen will. 15 Milliarden DM, das ist etwa so viel, wie aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherungsträger gezahlt wird. Frage: Soll in dieser Höhe - und diese Höhe von 15 Milliarden muß ja dann erreicht werden - gespart werden? Eine ähnliche Größenordnung erreicht das Kindergeld mit etwa 13 Milliarden DM. Das reicht nicht ganz, um 15 Milliarden einzusparen, aber immerhin. Die Kriegsopferversorgung ist mit etwa 11 Milliarden DM ein weiterer großer Brocken. Soll hier gespart werden? Verteidigung: der große Brocken mit 31 Milliarden DM. Den müßte man um etwa die Hälfte reduzieren, also auf 15 Milliarden DM, um die 15 Milliarden freizubekommen, die Sie haben wollen. Oder Sie müssen praktisch doppelt soviel sparen, wie der Bund für den Bundesautobahn- und Bundesfernstraßenbau ausgibt, nämlich etwa 8 Milliarden DM. Wenn Sie das verdoppeln, haben Sie 16 Milliarden, und in dieser Größenordnung müssen Sie im Haushalt einsparen, wenn Ihre Haltung irgendwo nur einen Funken von Realismus an sich haben soll.
({0})
- Bitte, Herr Fircks, es geht doch um 15 Milliarden. Alle Sachverständigen der Bundesrepublik bis hin zu sämtlichen Bankleuten sind der Meinung, der Staat dürfe in der jetzigen Situation diese 15 Milliarden nicht durch Kürzungen aufbringen, sondern müsse in entsprechendem Umfang in die Kreditaufnahme gehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Bitte sehr!
Herr Kollege von Bülow, warum haben Sie dann, wenn es richtig ist, daß wir uns tunlichst nicht einschränken sollten, überhaupt Kürzungen in der Größenordnung von 2 Milliarden DM ausgewiesen, die wir im kommenden Gesetzgebungsgang zu beraten haben?
Weil das teilweise Bereiche sind - z. B. im Arbeitsförderungsgesetz -, wo es um die Beseitigung von Wildwuchs geht.
({0})
Darüber sind wir uns ja einig. Das sind Größenordnungen von etwa 1 Milliarde DM, und dies ist keine soziale Demontage. Wir werden ja bei der Beratung des Artikelgesetzes miteinander darüber streiten können, ob die Ausbildung von Hausfrauen, die nie etwas in die Arbeitslosenkasse eingezahlt haben und die nachher auch nicht bereit sind, ins Arbeitsleben einzutreten bzw. zurückzugehen, mit den Mitteln der Arbeitslosenversicherten bezahlt werden soll. Darüber werden wir uns dann unterhalten können; wir sind der Meinung, daß dies nicht sinnvoll ist. - Ich glaube also, daß die Opposition mit ihrer Haltung gerade auch zu diesem Nachtragshaushalt sowohl konjunkturpolitisch als auch haushaltspolitisch auf völlig falschem Kurs segelt.
Nun einige Bemerkungen, warum diese hohe Kreditaufnahme notwendig ist. Eine der Positionen ist die Hilfe an die Bundesanstalt für Arbeit, um die jetzige Rezession durchstehen zu können, um die Zahlungen an die Arbeitslosen weiter aufrechterhalten zu können. Wir hatten im März im Bundeshaushalt einen Ansatz von 3,2 Milliarden; er muß jetzt um 5 Milliarden DM erhöht werden. Ich hoffe, daß die Besetzung des Präsidentenpostens der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg bei Ihnen wenigstens in dieser Frage für Einsichtsfähigkeit gesorgt hat.
Die zweite Position, die korrigiert werden muß, ist das Kindergeld. Wir hatten im Haushaltsjahr 1975 eine Ausnutzungsquote von 95 °/o zugrunde gelegt. Die Bevölkerung ist inzwischen über die Inanspruchnahme des Kindergeldes derartig aufgeklärt, daß wir jetzt eine Quote von 98 °/o, also fast 100 °/o Ausnutzung haben, was zur Folge hat, daß wir hierfür weitere 294 Millionen DM einsetzen müssen. Ich erinnere nur an das große Sparprogramm der Opposition noch bei der Haushaltsdebatte dieses Jahres. Dort hatte sie eine Einsparung von etwas über 2 Milliarden DM gefordert. Hauptposition war das Kindergeld mit 1 Milliarde DM; sie glaubte, daß dort Einsparungen vorgenommen werden könnten.
Diese beiden Positionen Liquiditätshilfe und Kindergeld machen allein 5,3 Milliarden DM und damit den größten Brocken der zusätzlichen Ausgaben aus.
Ich komme zu der Einnahmeseite. Die Steuerreform hat für den Bund einen Einnahmeausfall in Höhe von 10 Milliarden DM zur Folge gehabt.
Hinzu kommen weitere 2 Milliarden DM aus dem Streit zwischen Bund und Ländern über die NeuDr. von Bülow
verteilung der Umsatzsteuer. Bei dieser Auseinandersetzung hat der Bund den kürzeren gezogen und muß nun die entsprechende Position einstellen.
Der größte Brocken auf der Einnahmeseite ist die Steuerneuschätzung. Auch dieser Steuerneuschätzung - darüber sollten wir uns einig sein - hat ja die CDU/CSU letztlich zugestimmt über den Finanzplanungsrat und den Arbeitskreis „Steuerschätzung". Es fallen in diesem Jahr zusätzlich zu dem, was bereits im Haushaltsjahr 1975 im Haushaltsplan veranschlagt worden ist, für Bund, Länder und Kommunen weitere 15 Milliarden DM an Steuern aus. Der Bund muß hiervon 6,84 Milliarden DM tragen und in den Haushaltsplan einsetzen.
Das Ganze führt dazu, daß wir eine besorgniserregende Kreditaufnahme in Höhe von 38 Milliarden DM in diesem Jahr haben werden, aber nicht nur besorgniserregend, in der jetzigen Situation auch notwendig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg?
Ja, gerne.
von Bockelberg ({0}) : Herr Kollege, Sie erwähnten eben 10 Milliarden DM Ausfall durch die Steuerreform. Ist das ein Posten des Nachtragshaushaltes?
Nein. Ich habe nur, um ein Gesamtbild von den Folgen der Steuerreform zu geben, dargelegt, daß 10 Milliarden DM die ursprüngliche Schätzung sind und jetzt die Kosten für den Bund um 2 Milliarden DM erhöht werden müssen, weil der Umsatzsteuerstreit zwischen Bund und Ländern aus der Revisionsklausel, wo man sich fair die Lasten teilen wollte, zu Lasten des Bundes ausgegangen ist, wie immer man darüber im einzelnen streiten mag.
Diese 38 Milliarden DM sind 22,4 Milliarden DM mehr, als in der alten mittelfristigen Finanzplanung 1975 vorgesehen war. Wenn man sich diese Erhöhung der Nettokreditaufnahme etwas vor Augen hält und sie näher analysiert, so ergibt sich - Herr von Bockelberg, ich komme noch einmal auf die Zahlen -: 10 Milliarden DM Steuerreform, 2 Milliarden DM Revisionsklausel, 13,8 Milliarden DM konjunkturbedingter Steuerausfall - wenn man nämlich die August-Schätzung des letzten Jahres, wo wiederum alle Finanzminister der Bundesrepublik einhellig der Meinung waren, daß die Steuereinnahmen zu erwarten seien, die damals geschätzt worden sind, mit der jetzigen August-Schätzung vergleicht, so macht das 13,8 Milliarden DM Absenkung -, und dazu kommen noch die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit. Wenn Sie die Posten Steuerreform und konjunkturbedingte Mehrausgaben und Mindereinnahmen addieren, dann bleibt ein Rest von 6,4 Milliarden DM als normale Kreditaufnahme übrig. Dies ist im Grunde genommen das, was letztlich bei der ganzen Rechnung übrigbleibt.
Bei der Steuerreform waren alle politischen Kräfte dieses Hauses der Meinung, daß dies finanziell für Bund, Länder und Kommunen voll verkraftbar ist. Das ist gemeinsam getragen worden, und man kann sich jetzt nicht aus der Verantwortung stehlen und sagen, dies habe etwa diese Koalition allein verursacht, sondern das hat dieses Haus gemeinsam gewollt, und wir haben geglaubt, daß wir es gemeinsam tragen können. Die Schwierigkeit der jetzigen Situation und der kommenden Haushalte - wir werden im Herbst dieses Jahres noch genügend Gelegenheit haben, darüber zu sprechen - ist, daß man beides bewältigen muß: die Steuerreform plus die rezessionsbedingten Steuermindereinnahmen. Beides muß in absehbarer Zeit bewältigt werden, um die Kreditaufnahme des Staates nicht auf der jetzigen Höhe halten zu müssen.
Ich glaube, daß dieses nüchterne Zahlenwerk dazu angetan ist, auch Ihre Zustimmung zu finden außerhalb aller Polemik. 6,4 Milliarden DM bleiben, wie gesagt, unter dem Strich übrig.
Da ist noch eine Position, die hier anzusprechen wäre und zu der die Oppositionshaltung reichlich unklar ist. Das ist die Aufnahme und Finanzierung des Polen-Kredites in den nächsten 25 Jahren. Im Nachtragshaushalt schlägt sich das nieder in einer Erhöhung der Verpflichtungsermächtigung für die kommenden Jahre in Höhe von 950 Millionen DM. Dieser Kredit wird von der Kreditanstalt für Wiederaufbau an ein polnisches Bankeninstitut gegeben und wird im Laufe von 25 Jahren zurückgezahlt.
Es wird schwierig sein, hier im Rahmen der Aussprache über den Nachtragshaushalt eine intensive Debatte über diese Frage zu führen, aber es muß doch vermerkt werden, daß die Opposition auch in dieser Frage eine äußerst schillernde Haltung einnimmt. Die besonneneren Kräfte in der Opposition scheinen diesen Weg des Zusammengehens mit Polen zu akzeptieren, die Konstruktion eines gemeinsamen Weges in die Zukunft. Ich erinnere an Äußerungen von Gerhard Schröder, von von Weizsäcker, von Blüm bis hin zu den Äußerungen von Stoltenberg, der ausdrücklich erklärt hat, daß man sich in einem solchen Rahmen eine Kooperation beider Länder und eine Weiterentwicklung des auf Grund der Geschichte sehr schwierigen deutsch-polnischen Verhältnisses vorstellen könnte.
Der Kanzlerkandidat Kohl ist in der Debatte der letzten Woche zur Stellungnahme aufgefordert worden; er hat dazu keine Äußerungen getan. Es könnte sein, daß dahinter die Rücksichtnahme auf die außenpolitische Achse München-Peking steht. Das kann ich allein nicht beurteilen.
({0})
Aber es ist immerhin merkwürdig, Herr Narjes, daß die schon seit langem immer wieder angekündigte Polen-Reise des Vorsitzenden der CDU immer wieder hinausgeschoben wird, offensichtlich doch nur aus Angst, zu dieser Frage Stellung beziehen zu müssen,
({1})
was in Ihren Reihen eine Zerreißprobe mit sich bringen würde.
({2})
- Herr Haase, ich habe ungefähr im Gefühl, in welcher Richtung Sie stehen, aber in Ihrer Fraktion gibt es Gott sei Dank in dieser Frage unterschiedliche Auffassungen. Ich glaube, daß unser Verhältnis zum Osten so, wie die Opposition es sich vorstellt, nicht geordnet werden kann.
Wir sollten auch nicht verschweigen, daß für die Bundesrepublik im Hintergrund natürlich auch Wirtschaftsaspekte anzusprechen sind. Die Volksrepublik Polen hat im Jahre 1970 Waren im Werte von 1,4 Millarden DM aus der Bundesrepublik bezogen. Im Jahre 1974 ist der Wert der Importe aus der Bundesrepublik auf 5,04 Milliarden DM angestiegen, hat sich also mehr als verdreifacht. Unsere Bezüge aus der Volksrepublik Polen stagnieren bei etwa 1,5 Milliarden DM. Auch vor diesem Hintergrund ist der polnische Wunsch nach Einräumung eines Kredits nicht völlig von der Hand zu weisen. Ich verweise auf die Kredite, die vergleichbare Staaten wie Großbritannien und Frankreich ihren Osthandelspartnern eingeräumt haben, um in der jetzigen schwierigen Situation ihrer Wirtschaft die Vollbeschäftigung zu ermöglichen oder zu erhalten.
({3})
Auch dies muß bei uns gesehen werden. Ich glaube, mit diesem Abkommen ist in allen Fragen der Vernunft zum Durchbruch verholfen worden und kann die Neuordnung der Beziehungen in sinnvoller Weise gestaltet werden.
Ich fasse zusammen. Der Nachtragshaushalt ist notwendig in dieser Höhe. Darüber besteht, wenn ich es richtig sehe, kein Zweifel. Die Notwendigkeit der Ausgaben ist unbestritten. Die Deckungsvorschläge, die die Opposition bringt, sind konjunkturund haushaltspolitisch völlig unhaltbar. Die SPD-Fraktion wird diesem Nachtragshaushalt zustimmen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Althammer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion lehnt den Nachtragshaushalt 1975 ab.
({0})
Wir sind der Auffassung, daß dieser Nachtragshaushalt ein weiterer Schritt auf dem falschen Weg ist, den diese Regierung geht, einem Weg, der gekennzeichnet ist erstens durch die Zerstörung der Stabilität, zweitens durch den Verlust der Vollbeschäftigung, drittens durch die Vernichtung des Wirtschaftswachstums und viertens durch den Ruin der Staatsfinanzen.
({1})
Der Nachtraghaushalt dieses Jahres 1975, Herr Kollege Wehner, ist ein ganz exemplarisches Dokument der Unfähigkeit dieser Regierung, wenigstens jetzt eine Umkehr auf diesem Wege zu versuchen.
({2})
Die Zahlen belegen das eindeutig. Da wird erklärt: 8,8 Milliarden DM fehlen uns auf der Einnahmeseite, 6,3 Milliarden fehlen uns auf der Ausgabenseite. Das macht zusammen 15,1 Milliarden DM. Antwort dieser Regierung und dieser Koalition: Also nehmen wir 15 Milliarden DM mehr Kredit auf.
({3})
Das ist das einzige, was Sie zu diesem Problem heute zu sagen wissen. Wenn Sie sich vergegenwärtigen, daß Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr 1975 zusammen mindestens 75 Milliarden DM Neuverschuldung aufnehmen - ohne Bahn, Post, ohne andere öffentliche Vermögensträger -, wenn Sie bedenken, daß im nächsten Jahr bereits noch einmal die gleiche Summe von 75 Milliarden DM aufgenommen werden muß, daß also, meine sehr verehrten Damen und Herren, innerhalb von zwei Jahren 150 Milliarden DM Neuverschuldung aufgenommen werden müssen, dann, glaube ich, ist nicht nur die Belastbarkeit des Kapitalmarkts bis an die äußersten Grenzen erprobt, sondern dann bedeutet das auch eine Belastung unserer Bevölkerung und unserer Steuerzahler in die Zukunft hinein, die einfach nicht tragbar ist.
({4})
Deshalb hat die CDU/CSU gefordert, Herr Kollege von Bülow, daß wenigstens ein Teil dieses Nachtragshaushalts durch Einsparungen an anderer Stelle hätte finanziert werden müssen. Sogar im Krisenjahr 1972 hat es der damalige Superminister Schiller verstanden, noch durch eine Vorlage während des Haushaltsjahres mehrere Milliarden DM einzusparen. Heute, im Jahre 1975, wo die Situation vergleichsweise sehr viel katastrophaler ist, macht man nicht einmal den Versuch, in Richtung Einsparung etwas zu tun. Wir von der CDU/CSU werden diese unsere Forderungen, die Finanzmisere in erster Linie durch Einsparungen zu überwinden, nicht aufgeben; wir werden sie immer wiederholen. Wir freuen uns, daß die Öffentlichkeit diese unsere Forderung aufgenommen und bejaht hat.
({5})
Ich möchte Ihnen aus der Vielzahl der Stimmen nur ein Zitat bringen, ein ganz unverdächtiges. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium hat der Bundesregierung schon am 15. August dieses Jahres ich darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren -({6})
folgendes ins Stammbuch geschrieben:
Der Beirat ist der Auffassung, daß eine Steigerung der Einnahmen grundsätzlich nur nach
Ausschöpfung aller Möglichkeiten von AusDr. Althammer
gabesenkungen in Erwägung gezogen werden sollte, weil die Staatsausgaben in der jüngeren Vergangenheit zum Teil auf Grund der im Inflationsprozeß progressiv ansteigenden Steuereinnahmen, zum Teil infolge zu optimistischer Einschätzungen des weiteren Wirtschaftswachstums übermäßig ausgeweitet und unwirtschaftliche Programme beschlossen wurden sowie die gebotene Sparsamkeit oft nicht gewahrt wurde.
({7})
Ferner kann erwartet werden, daß Ausgabekürzungen in vielen Fällen zu einer rationelleren Leistungserstellung führen, während Einnahmeerhöhungen höhere Ausgabenwünsche der einzelnen Ressorts bewirken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die Stimme einer Organisation, die dem Ministerium selbst zur Verfügung steht.
Was die Regierung bisher vorschlägt, ist auch für das kommende Jahr - und man muß ja den Blick auch auf das kommende Jahr richten - absolut unzureichend. Es ist einfach unwahr, daß die Regierungsvorschläge die Staatsfinanzen etwa bis zum Jahre 1980 sichern würden. Schon 1976, im kommenden Jahr, werden SPD und FDP wieder vor der gleichen Krise stehen, vor der sie sich heute befinden.
Kanzler Schmidt weist darauf hin, daß unser Volk nach jüngsten Meinungsumfragen den Sparkurs grundsätzlich bejaht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein großes Kompliment für unsere Bürger. Wir von der CDU/CSU aber werfen dieser Regierung und der sie tragenden Parteien vor, daß sie diese Bereitschaft der Bevölkerung eben nicht genutzt hat,
({8})
sondern daß sie wieder in den Versuch geflüchtet ist, einen Offenbarungseid auf Raten abzulegen.
Da ist zunächst schon die Antwort auf die Frage unklar, ob diese Regierung überhaupt noch weitere Einsparungen vornehmen will. Der Bundeskanzler Helmut Schmidt erklärte am 5. September in einem Interview in der „Bild"-Zeitung auf die Frage, ob noch weiter eingespart werden solle: Das reicht bis an die Schwelle der 80er Jahre. - In der „Berliner Morgenpost" vom 13. September - Herr Kollege von Bülow, das ist jetzt für Sie von besonderer Bedeutung; Sie haben ja eine weitere Einsparungskommission installiert sagt Ihr Bundeskanzler:
Man muß aufpassen, daß nicht einige Heißsporne eine allgemeine Sparorgie veranstalten.
({9})
Finanzminister Apel dagegen erklärt in einem Interview laut Bulletin vom 15. September wörtlich - ich zitiere, Frau Präsidentin -:
Sie werden fragen, ob es nicht weitere Sparmöglichkeiten gibt. Die Bundesregierung hat gestern in ihrem Kabinettsbeschluß festgelegt, daß sie jedem weiteren konkreten Vorschlag aufgeschlossen gegenübersteht. Wir haben uns
vorgenommen, im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens selbst gegebenenfalls weitere Vorschläge hierzu zu machen. Wir haben gestern bereits einen konkreten Auftrag vergeben und das zuständige Ministerium beauftragt, eine Vorlage zu erarbeiten.
({10})
Meine Damen und Herren, ich frage: Was gilt jetzt eigentlich? Soll nichts mehr getan werden? Reicht das, was getan wurde, bis in die 80er Jahre? Müssen sich Heißsporne vor Sparorgien hüten? Oder gilt, daß weiter eingespart werden soll?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sperling?
Bitte schön!
Herr Kollege Althammer, schließen Sie es auf Grund der Kenntnis Ihrer eigenen Person aus; daß der Bundeskanzler mit „Heißsporn" Sie gemeint hat und geglaubt hat, Ihnen keine Orgie zutrauen zu können?
({0})
Herr Kollege Sperling, nachdem Sie gestern gesagt haben, daß Sie nicht zu der Sparkommission gehören, brauchen Sie sich jedenfalls nicht betroffen zu fühlen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Einsparungsvorschläge gibt es in Hülle und Fülle.
({1})
Im August ist vom Wissenschaftlichen Beirat ein gründliches Gutachten mit ganz konkreten Vorschlägen vorgelegt worden. Der Bund der Steuerzahler hat ein ganzes Bündel von konkreten Vorschlägen vorgelegt. Der Bundesbeauftragte für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung hat seine konkreten Vorschläge gemacht. Auch der Verband der deutschen Steuerbeamten hat sich speziell zu diesem Teil geäußert.
({2})
Der Herr Bundeskanzler hat sich zu diesen Bemühungen, die ja fortgesetzt werden, allerdings in einer merkwürdigen Weise geäußert. Er hat den Präsidenten der Sparerschutzgemeinschaft Poullain, apostrophiert, wodurch sich dieser veranlaßt sah, zu erklären, Herr Schmidt sollte sich erst richtig informieren, ehe er Ohrfeigen verteilt.
Wir haben bereits heute früh wieder erlebt, in welch demagogischer Weise SPD und FDP versuchen, jeden Ansatz, hier weiter nachzudenken, sofort zu verteufeln und uns zu sagen, wir wollten soziale Demontage betreiben, wir wollten bei der
Landesverteidigung einsparen. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Sozialetat, im Etat des Arbeitsministeriums in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung auf Grund der Sparvorschläge allein 6 Milliarden DM einsparen wollen, so ist das Beseitigung von sozialem Wildwuchs. Wenn ein anderer sich etwas auf diesem Gebiet überlegt, so ist das soziale Demontage.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schachtschabel?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Althammer, wie erklären Sie sich den Widerspruch in Ihren Parteikreisen, der darin besteht, daß einerseits von weiteren Kürzungen und Einsparungen gesprochen wird und andererseits das Sinken der Staatsinvestitionen beklagt wird,
({0})
wie dies jüngst gerade Herr Ministerpräsident Stoltenberg getan hat?
Es ist sehr gut, Herr Kollege, daß Sie diese Frage gestellt haben. Ich komme nämlich jetzt auf das, was heute früh Kollege von Bülow immer wieder gesagt hat. Da wird bei jedem Sparvorschlag so getan, als ob es nur die investiven Ausgaben gibt. Genau hier liegt der Irrtum. Wenn Sie sich einmal die Mühe machten, das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates nachzulesen, würden Sie feststellen, daß dort klar gesagt wird, das Auseinanderklaffen von Einnahmen und Ausgaben sei strukturell dadurch bedingt, daß die sogenannten konsumtiven Ausgaben zu stark wachsen. Ich möchte das hier präzisieren. Wir sind für eine Steigerung der investiven Ausgaben. Der Skandal ist ja, daß die investiven Ausgaben sinken und nicht steigen. Wir sind dafür, daß bei den nicht investiven, bei den sogenannten konsumtiven Ausgaben gespart wird. Das bitte ich endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte die eine Zwischenfrage noch zulassen, möchte aber dann fortfahren. Im übrigen hoffe ich nur, daß mir der Herr Bundeskanzler dann gelegentlich auch einmal wieder eine Zwischenfrage gestattet. - Bitte schön!
Herr Kollege Althammer, wenn ich mich nicht irre, gehört zu den Vorschlägen des Bundes der Steuerzahler die Wiederabschaffung der flexiblen Altersgrenze. Wollen Sie sich diesem Vorschlag des Sparens anschließen?
Herr Kollege Westphal, ich möchte dazu jetzt eines sagen: Der Herr Kollege Lothar Haase hat ein Paket von Vorschlägen vorliegen. Bitte, Herr Kollege, überreichen Sie das dem Herrn Bundesfinanzminister. Darin sind die zitierten Vorschläge enthalten.
({0})
Ich möchte sagen: Wir sollten doch die Kleiderordnung einhalten. Sie haben sich zuerst zu äußern, und dann, wenn Sie Ihre Stellungnahme abgegeben haben, können Sie herkommen und uns fragen.
({1})
Ich wollte Ihnen aus diesem Gutachten an sich noch das Zitat bringen, in dem z. B. auf den Bereich der Personalausgaben verwiesen wird.
({2})
- Sie sollten halt ein bißchen zuhören, wenn wir von Sparvorschlägen reden. - Im Bereich der Personalausgaben sind ganz umfangreiche Sparvorschläge möglich. Allerdings nicht so, daß man die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst verteufelt
({3})
und der öffentlichen Kritik preisgibt, sondern indem man das beherzigt, was in diesem Gutachten steht, nämlich daß die Rationalisierungsreserven jetzt endlich einmal ausgeschöpft werden sollten, was Ihr Herr Bundeskanzler schon längst verkündet hat.
({4})
Die CDU/CSU hat bereits 1967 eine Kommission beim Kanzler eingerichtet - unter dem damaligen Ministerialdirektor Krüger -, die genau diesen Komplex ordnen sollte.
({5})
Als Herr Ehmke in das Kanzleramt 1969 eingezogen ist, Herr Ehrenberg, wurde das alles begraben, weil Herr Ehmke ganz andere Sorgen hatte. Der mußte nämlich Genossen wie den Herrn Guillaume dort unterbringen, und die ganze Verwaltungsreform ist liegengeblieben.
({6})
- Ja natürlich!
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bülow?
Frau Präsidentin, ich habe vorher gesagt: Ich lasse jetzt keine mehr zu.
({0})
- Wenn Sie keinen intelligenteren Zwischenruf mehr machen können, zeigt das nur, wie armselig es um Ihre Argumentation bestellt ist.
({1})
Nun einige Anmerkungen zu den Einzelheiten des Nachtragshaushaltes 1975. Da wird zunächst auf der Einnahmeseite festgestellt: 8,8 Milliarden DM fehlen, weil weniger Steuern eingehen. Nun muß man dazu aber in aller Deutlichkeit sagen, daß das ja auch nicht von ungefähr, sozusagen als unabwendbares Himmelsereignis kommt; sondern weniger Steuern gehen deshalb ein, weil Sie eine so schlechte Wirtschaftspolitik machen.
({2})
Deshalb ist es dringend erforderlich, daß in der Wirtschaftspolitik entscheidende Korrekturen angebracht werden. Dann werden die Steuereinnahmen auch wieder steigen, und dann sind Sie nicht in diesen Schwierigkeiten.
({3})
- Ach, Herr Kollege Wehner, diese Sorge können Sie uns überlassen.
({4})
Es genügt uns, wenn Sie Ihren Teil dazu beitragen, daß wir nach den Wahlen im nächsten Jahr diese Entscheidung treffen können.
({5})
Die CDU/CSU-Fraktion fordert, daß zum Jahresende eine neue Steuerschätzung getroffen wird, damit wir uns bei den Beratungen des Haushaltes 1976 wenigstens auf einem solideren Boden befinden, als dem, der gegenwärtig als eine solche Grundlage angesehen wird.
Der nächste Punkt, den der Kollege von Bülow schon angesprochen hat, ist die exorbitante Zahlung an die Bundesanstalt für Arbeit. Wenn wir genötigt sind, jetzt neuerlich 5 Milliarden DM aus Steuergeldern zuzuschießen, dann zeigt das die ganze Katastrophe, die diese dauernde Arbeitslosigkeit nicht nur für die Familien der Betroffenen bedeutet, sondern auch für die Staatsfinanzen. Und die Katastrophe wird noch größer, wenn wir wissen, daß nicht nur für das laufende Jahr 1975 1,1 Millionen Arbeitslose und 850 000 Kurzarbeiter von der Bundesregierung zugrunde gelegt werden, sondern daß die Bundesregierung heute davon ausgeht, daß wir auch im kommenden Jahr 1,1 Millionen Arbeitslose und 850 000 Kurzarbeiter haben werden.
({6})
Das ist in der Tat für eine Regierung, die sich immer so gerne mit dem Beiwort „sozial" schmückt, eine Katastrophe.
({7})
Es ist auch sehr die Frage, ob diese Prognose der Arbeitslosigkeit mit dem jetzt bereits wieder propagierten Aufschwung 1976 mit einer angeblichen nominalen Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts von 9,5 °/o in Übereinstimmung zu bringen ist.
({8})
Der nächste Punkt, der hier anzusprechen ist, ist das Problem der Kapitalhilfe. Den hat der Kollege von Bülow nicht angesprochen, was ich sehr bedauere. Hier ist zunächst einmal anzumerken, daß man sich vorstellen kann, was der Herr Kollege Eppler jetzt für Gefühle haben muß, der bei der Aufstellung dieses Haushaltes wegen 200 Millionen DM, die ihm nicht bewilligt wurden, zurückgetreten ist. Jetzt verlangt diese gleiche Regierung im Nachhinein für diesen Haushalt 300 Millionen DM mehr.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Nachforderung steckt aber ein sehr ernstes Problem für unsere Bundeshaushalte in den kommenden Jahren. Die Ursache liegt in der Doppelzüngigkeit der Regierung in der Frage der Entwicklungshilfeleistungen begründet. Dem Ausland gegenüber erklärt man, man wolle 0,7 °/o oder wenigsten 0,45 °/o des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen. Man ist aber nicht bereit - und ich möchte hinzufügen: man kann es auch gar nicht -, die entsprechenden Baransätze im Haushalt auszuweisen. Was tut man also? Man flüchtet von den nicht möglichen Baransätzen in die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen; man geht also Verpflichtungen für kommende Jahre ein, obwohl man wissen muß, daß dafür rechtliche Bindungen eingegangen werden und das einmal bezahlt werden muß. Die Ergebnisse von Hochrechnungen, die uns bekanntgeworden sind, sind erschrekkend. Das soll sich allein bei der Entwicklungshilfe mit Beträgen von 3 Milliarden DM über 5 Milliarden DM bis 11 Milliarden DM pro Jahr steigern, wenn dieses Vorhaben realisiert wird. Darüber, meine sehr verehrten Damen und Herern, sollten Sie sich rechtzeitig Ihre Gedanken machen.
({10})
Ich bedauere es außerordentlich, daß man zu diesem Thema sowohl im Ausschuß als auch heute geschwiegen hat.
Nun kommt der nächste zentrale und für mich wohl schwerwiegendste Komplex dieses Nachtragshaushalts. Das ist eine zusätzliche Zinsbelastung von 530 Millionen DM. Das heißt: allein im Bundeshaushalt dieses Jahres werden für Zinsen dieser exorbitanten Neuverschuldung über 6 Milliarden DM gefordert.
Wenn man sich überlegt, daß seit 1972 Bund, Länder und Gemeinden von 155 Milliarden DM Gesamtverschuldung auf 250 Milliarden DM gekommen sind und daß im Jahre 1976 75 Milliarden DM und in den folgenden Jahren ähnliche Summen - wir hoffen nicht so hohe - vor uns stehen, dann kann man den Tag absehen, an dem Zins und Tilgungslasten der größte Etatposten im Bundeshaushalt werden, größer als der Etat für Sozialleistungen und größer als der Posten Landesverteidigung.
({11})
Wenn Sie, Herr Kollege Kirst, etwas bedenklich den Kopf schütteln, dann muß ich Sie daran erinnern, daß der Staatssekretär Haehser im Haushaltsausschuß erklärt hat, Pressemeldungen darüber, daß im nächsten Jahr allein 20 Milliarden DM an Tilgung für die eingegangene Verschuldung anfielen, seien nicht aus der Luft gegriffen. Er hat allerdings zu erkennen gegeben, daß man da durch Umschuldungsaktionen abhelfen werde. Aber was bedeuten denn Umschuldungsaktionen? Das heißt, daß man einen Schuldenberg, der immer größer wird, laufend vor sich her wälzt und die Last für die Bevölkerung, für den Steuerzahler lawinenartig vergrößert.
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Herr Finanzminister, das noch als Virtuosität des Schuldenmachens zu bezeichnen, wie Sie es getan haben, kann nur, so meine ich, aus dem Mut der Verzweiflung heraus geschehen.
({13})
Es kommt noch ein Weiteres hinzu, nämlich die Frage, wie man eigentlich den Art. 115 des Grundgesetzes bei dieser Ausweitung der Verschuldung überwinden will. Für das laufende Jahr war der Vorgang doch bezeichnend: Wir haben letzte Woche dem Bundeskanzler vorgeworfen, daß er die Bevölkerung im Mai 1975 bewußt getäuscht habe, als er in der Öffentlichkeit - von allen Plakatsäulen zu lesen - erklärt hat: Der Aufschwung kommt. Er hat sich als Biedermann hingestellt und gesagt: Bitte, ich habe mich geirrt wie so viele andere auch. Wenn man aber etwas näher zusieht, was im Mai dieses Jahres passiert ist, wird die Sache interessant. Zur gleichen Zeit nämlich, als man nach außen den Aufschwung für den Sommer verkündete, hat diese gleiche Regierung den Nachtragshaushalt 1975 entworfen, und zwar in dem Wissen, daß sie den Artikel 115 des Grundgesetzes überwinden muß, d. h., daß sie, wenn sie mehr Schulden aufnehmen will, als investive Ausgaben vorhanden sind, erklären muß: Wir befinden uns in der Rezession.
({14})
Nach außen sagt man „Aufschwung", bei der Aufstellung des Nachtragshaushaltes sagt man „Rezession". Das, meine sehr verehrten Damen und Herren,
nennen wir bewußte Täuschung der Bevölkerung und der Wähler.
({15})
Es bleibt die Frage, ob man im nächsten Jahr das gleiche im großen Maßstab wieder vorhat. Da wird uns zunächst gesagt: Wir gehen von einer Zuwachsrate von nominal 9,5 %, real von 5 % aus.
({16})
Gleichzeitig sagt man: Wir gehen aber davon aus, daß wir im ganzen kommenden Jahr 1,1 Millionen Arbeitslose haben, und man sagt uns ebenfalls - und das ist hochinteressant, Herr Bundesfinanzminister -, daß auch im kommenden Jahr der Artikel 115 des Grundgesetzes keine Schranke sein werde, daß man also die Grenze der investiven Ausgaben überschreiten dürfe. Das heißt auch im nächsten Jahr Rezession. Gleichzeitig sagt man Wieder „Aufschwung". Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sagen das heute schon und weisen schon darauf hin, weil wir nicht zulassen möchten, daß die gleiche Täuschung der Bürger wie im Mai 1975 im nächsten Jahr noch einmal erfolgt.
({17})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme nun zu dem Punkt, den der Kollege von Bülow zum Schluß auch behandelt hat, zu dem sogenannten Polenkredit. Unsere Position in dieser Frage ist klar. Sie brauchen sich keine Sorge über unterschiedliche Auffassungen zu machen.
({18})
Bereits im Bundesrat - von Herrn Stoltenberg und anderen ist das klare Votum abgegeben worden: Bedenken gegen diesen Polenkredit. Im Haushaltsausschuß hat die CDU/CSU diesen Polenkredit abgegelehnt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({19})
Ich werde Ihnen auch begründen, warum wir ihn ablehnen. Eine Milliarde DM mit einem Zinssatz von 2 1/2 %
({20})
und einer Laufzeit bis zum Jahre 2000, rückzahlbar in 20 Jahresraten, beginnend mit dem Jahre 1880.
({21})
- Entschuldigung: 1980; das haben Sie ja wohl verstanden. Rückzahlung also in 20 Jahresraten, meine sehr verehrten Damen und Herren, und dafür soll der Steuerzahler für eine Milliarde Polenkredit 950 Millionen DM an die Kreditanstalt für Wiederaufbau zahlen.
({22})
Da muß muß man doch einige Fragezeichen machen.
Was soll das eigentlich alles bedeuten? Der Herr
Bundeskanzler hat ja letzte Woche hier eine deutDr. Althammer
liche Warnung ausgesprochen. Er hat gesagt, jeder, der sich realistisch und kritisch mit dieser Frage beschäftige, müsse gewärtigen, als Chauvinist, als Nationalist, als Revanchist bezeichnet zu werden.
({23})
Nun, ich begebe mich gerne in diese, wie der Herr Bundeskanzler meint, rechte Ecke, in die er ja schon Franz Josef Strauß und Dregger gestellt hat.
({24})
Wir lehnen diesen Polenkredit ab, weil es erstens skandalös ist, daß zur gleichen Zeit, da überall über die Verträge von Helsinki im Rahmen der KSZE gesprochen wird und wo die SPD-Bundestagsfraktion mit Blick auf Spanien dieses Argument bringt, hier deutschstämmigen Bürgern die Ausreise verweigert wird und wir dafür bezahlen sollen.
({25})
Wir lehnen diesen Polenkredit zweitens ab, weil auch hier wieder genau wie bei den Ostverträgen keine vertragliche Bindung für die Gegenleistung der Polen vereinbart ist.
({26})
Wohl soll unsere Leistung vertraglich erbracht werden, aber das, was dagegen geboten werden soll, nur auf Grund von Protokollabsprachen.
Wir lehnen drittens diesen Vertrag ab, weil von den rund 280 000 Menschen, die ausreisen wollen, überhaupt nur die Hälfte in den Genuß dieser Vorzüge kommen soll. Wir lehnen diesen Vertrag viertens ab, weil wir nicht einsehen, daß ein kommunistisches System, das Tag für Tag und Woche für Woche unsere Staats- und Gesellschaftsordnung als kapitalistisch, als ausbeuterisch beschimpft, herkommen und ein solches Geschenk in Höhe von einer Milliarde DM in Empfang nehmen soll.
({27})
Fünftens lehnen wir diesen Kredit ab, weil wir es für unzumutbar halten, daß unserer Bevölkerung jetzt wegen der Finanzkrise ungeheure Opfer abverlangt werden sollen und in derselben Woche, in der man Milliardenopfer vom deutschen Staatsbürger verlangt, dieser Kanzler hingeht und den Polen eine Milliarde schenkt.
({28})
Ich möchte hier keinen Irrtum aufkommen lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({29})
- Herr Kollege Wehner, wir sind für Geschäftsbeziehungen auch mit Osteuropa.
({30})
- Ja, wir sind für die Ausweitung auch dieser geschäftlichen Beziehungen; aber, bitte schön, zu Bedingungen, wie wir sie auch mit unseren freien Handelspartnern haben.
({31})
Wir sind dagegen, daß man kommunistische Regierungen mit 2,5-Prozent-Krediten bedenkt, während wir von unseren westlichen Handelspartnern Bedingungen verlangen, die marktüblich sind. Das ist der Unterschied, den wir hier sehen.
({32})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Gründe, warum wir den Nachtragshaushalt 1975 ablehnen. Wir stellen fest, daß die Regierung genauso wie bei der Aufstellung des Haushalts 1976, bei der mittelfristigen Finanzplanung und bei den anderen Steuer- und Abgabeerhöhungsplänen die Chance nicht wahrgenommen hat, wenigstens jetzt, sozusagen in letzter Stunde, eine Umkehr herbeizuführen. Wir haben die Hoffnung, nachdem diese Regierung dieses Problem wiederum nicht angepackt hat, daß im kommenden Jahr nach den nächsten Bundestagswahlen eine andere Regierung es endlich wird anpacken können.
({33})
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der letzte Satz Ihrer Rede, Herr Althammer, wirft natürlich die Frage auf, ob das Ganze nicht nur eine Veranstaltung für Sie war, um am Ende zu diesem letzten Satz zu kommen.
({0})
- Er war insofern richtig, als dies das A und O Ihrer Politik ist. Aber damit haben Sie ja schon 1972 keinen Erfolg gehabt.
({1})
Wer sich nämlich in der Hoffnung auf künftige Wahlergebnisse vor den gegenwärtigen Aufgaben drückt, wie es die Opposition tut, der wird auch diese Wahlergebnisse nicht erringen.
({2})
Nun meine ich, daß wir heute - ich glaube, Herr von Bülow und auch Herr Althammer haben dem durchaus entsprochen - keine Wiederholung der Debatte der vergangenen Woche veranstalten und auch keinen Vorgriff auf die kommenden Runden im Oktober /November vornehmen sollten, wenn wir uns mit dem Artikelgesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur und dann in erster Lesung mit dem Haushalt 1976 befassen müssen. Ich möchte aber eine Ausnahme machen: Sollte die Opposition in
den vergangenen acht Tagen zu konkreten Sparvorschlägen gekommen sein, würden wir diese sicher auch gern im Rahmen der heutigen Debatte entgegennehmen, bevor sie die Kollegen von der Opposition möglicherweise wieder vergessen.
({3})
Kollege Althammer, was das weitere Sparen anbelangt, sollten Sie sich weniger die Köpfe der Koalitionspolitiker zerbrechen,
({4})
sondern endlich einmal mit konkreten Vorschlägen kommen. Konkrete Vorschläge haben Sie bis jetzt weder für 1976 noch für den Nachtragshaushalt 1975 gemacht. Sie haben ihn bemängelt, um dem schon vorzugreifen. Sie haben bemängelt, daß der Ausgleich des Nachtrags nicht auch durch Einsparungen erfolgt, haben aber keine konkreten Vorschläge gemacht, um auch nur eine Mark einzusparen. Das muß man doch einmal feststellen.
({5})
- Dann frage ich Sie, Herr Stücklen, wozu Sie eigentlich da sind. Das beruht ja wohl auf Gegenseitigkeit.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger? - Bitte!
Herr Kollege Kirst, würden Sie mir nicht darin zustimmen, daß es eine außerordentlich müßige Frage ist, die Sie an die Opposition richten, angesichts des uns hier vor 5 Minuten demonstrierten demagogischen Verhaltens des Kollegen Westphal, der gezeigt hat, daß die Regierungsparteien jeden konkreten Vorschlag,
({0})
der von der Seite der Opposition oder von Sachverständigen oder von sonstwo herkommt, sofort als soziale Demontage verteufeln?
({1})
Der Herr Kollege Westphal konnte sich gegen konkrete Vorschläge Ihrer Fraktion gar nicht demagogisch wenden, weil es solche nicht gibt. Wo sind Sie denn?
({0})
Herr Althammer, Sie haben die Frage nach dem weiteren Sparen in den Zusammenhang gestellt, daß Sie hier einige Zitate vom Bundeskanzler, vom Kollegen Bülow und von anderen gegeneinander auszuspielen versuchten. Ich glaube, da muß man auch den Zeitfaktor berücksichtigen. Ich bin der Meinung - dies ist sicher die Meinung von Regierung und Koalition insgesamt -, daß wir im Augenblick durch die Kraftanstrengung in der zweiten Hälfte vom August und Anfang September das unmittelbar Erreichbare für das nächste Jahr und für die nächsten vier Jahre erreicht haben. Dies bedeutet aber nicht, daß wir uns nun gemeinsam auf diesem sanften Ruhekissen ausruhen, sondern daß wir weiterarbeiten, wobei ich mir durchaus im klaren bin, daß es jetzt vielleicht nicht konkret um Milliarden geht, sondern daß wir mit bescheideneren Beiträgen - Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist - zufrieden sein müssen, und daß hierbei aber auch zeitliche Momente eine Rolle spielen. Ich sage Ihnen für unsere Fraktion - ich habe den Eindruck, daß auch die Kollegen der SPD, zumindest die Haushaltspolitiker, diese Meinung teilen -, daß mit dem Sparen jetzt kein Ende ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer? - Bitte!
Herr Kollege Kirst, darf ich Sie fragen, ob Sie dann offenbar nicht der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers sind, daß das, was bisher getan worden sei, bis in die achtziger Jahre ausreiche.
Das hat der Herr Bundeskanzler so auch sicherlich nicht gemeint.
({0})
Was dem Herrn Bundeskanzler da unterstellt wurde, habe ich von ihm nicht selbst gehört. Was ich aber von ihm selbst gehört habe, ist die klare Aufforderung, weitere Vorschläge zu machen.
({1})
Herr Althammer, Sie bringen hier zwei Diskussionsebenen durcheinander. Wenn der Bundeskanzler sagt, mit diesen Maßnahmen sei jetzt gesichert, daß wir bis 1980 über die Runden kommen, dann ist das richtig. Das schließt aber nicht aus, daß wir, wenn wir noch mehr sparen, besser über die Runden kommen. Insofern besteht da gar kein Widerspruch.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Nachtragshaushalt setzt - darüber sind wir uns alle im klaren - die Signale für die weitere Haushaltspolitik der kommenden Jahre. Dieser Nachtrag ist auch gewiß kein Grund zum Jubeln. Das hat niemand getan und das wird niemand tun. Der Nachtragshaushalt zieht insbesondere die finanzwirtschaftlichen Konsequenzen aus der wirtschaftlichen Entwicklung des Jahres 1975.
Nun hat der Herr Kollege Althammer in diesem Zusammenhang die Regierung mit ihrer schlechten Wirtschaftspolitik für die Ursachen der Verschlechterung der Haushaltslage verantwortlich gemacht.
Herr Kollege Althammer, Sie erwarten nicht, daß ich mich lange mit diesem falschen Argument auseinandersetze, das durch ständige Wiederholung auch nicht besser wird.
({3})
- Ich bitte Sie, dumme Argumente tun nicht weh. Sie tun höchstens denen weh, die sie gebrauchen, freilich ohne daß sie es zeigen.
({4})
- Der Ordnung halber. Deshalb verweise ich Sie dann auch, Herr Kollege Althammer, auf die diesbezüglichen Ausführungen, die wir in der vergangenen Woche gemacht haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es sind eben im wesentlichen zwei Komponenten, die das Ausmaß der Haushaltsverschlechterung bestimmen. Die Steuermindereinnahmen sind schon dargestellt worden. Von Juni 1974 bis August 1975 haben sich die aus den Steuerschätzungen resultierenden Ansätze für den Bundeshaushalt um 17 Milliarden DM verschlechtert. Hinzu kommen als zweiter großer Posten die Zuschüsse an die Anstalt in Nürnberg und schließlich sozusagen der Restposten der Steuerreform; auch darüber ist hier heute morgen schon gesprochen worden.
In diesem Zusammenhang hat die Opposition im Ausschuß und auch hier, nämlich durch den Kollegen Althammer, den Wunsch geäußert, wir sollten schon im November - ich glaube, das war der Zeitpunkt
- eine neue Steuerschätzung machen. Wir sind der Meinung, daß dies nicht der richtige Weg wäre. Wir sind sicher gemeinsam der Auffassung, daß vor der Verabschiedung des Haushalts 1976 und sogar noch vor seiner zweiten und dritten Lesung, die hier ja nicht vor März durchgeführt werden können, erneut eine Steuerschätzung gemacht werden sollte, die dann auf gesicherteren Basen und Daten erfolgen kann, als es zu dem von Ihnen gewünschten frühen Zeitpunkt möglich sein würde.
Im übrigen müssen wir uns in diesem Zusammenhang - das hat auch im Haushaltsausschuß eine Rolle gespielt - immer wieder dessen bewußt sein, daß alle Prognosen, wer sie in welchem Auftrag und bei welcher Gelegenheit auch immer von sich gibt, seien es Aussagen des Sachverständigenrats, seien es die Steuerschätzungen oder ähnliche Äußerungen, gemeinsam mit dem Geburtsfehler behaftet sind, daß sie letzten Endes verbindlich natürlich immer nur von dem ausgehen können, was bisher an Ergebnissen vorliegt. Es kann sich immer nur um Fortschreibungen unter gewissen - vielleicht auch alternativen - Annahmen handeln. Insofern ist die Situation, die in diesem Augenblick zugrunde liegt, eine Momentaufnahme, die manchmal, bis die Druckerschwärze getrocknet ist, mit der das dann endlich gedruckt wird, vielleicht schon überholt ist. Dies müssen wir als die Problematik von Prognosen sehen, die nie verbindliche Voraussagen, sondern immer nur Abschätzungen auf Grund vorhandener Daten sein können. Das erklärt auch, warum wir - im Grunde ist das hier heute nicht angezweifelt worden - z. B. von Juni 1974 bis August 1975 diesen ungeheuren Rückgang der Steuereinnahmen gegenüber den Steuerschätzungen zu verzeichnen haben.
Nun noch ein paar Bemerkungen zu einigen Streitfragen von heute morgen und aus der Haushaltsausschußsitzung. Die Opposition hat bemängelt, daß der Nachtragshaushalt zu spät vorgelegt worden ist. Wir halten den Zeitpunkt - nach der Vorlage des Sondergutachtens der Sachverständigen, nach der Steuerschätzung vom 23. August - aus verschiedenen Gründen für richtig und vernünftig.
Kollege Althammer hat hier und im Haushaltsausschuß die Frage gestellt, warum denn nicht wenigstens ein Teil dieser 15-Milliarden-DM-Haushaltsverschlechterung - es handelt sich insgesamt ja nicht um eine Haushaltsvergrößerung, sondern um eine Haushaltsverschlechterung - durch weitere Einsparungen aufgebracht werden kann. Nun will ich Ihnen ganz offen ein Geheimnis verraten. Als wir uns vor einigen Monaten einmal mit den sich abzeichnenden Entwicklungen befaßten, haben wir natürlich genau dieselbe Frage gestellt. Nur sind wir leider zu dem Ergebnis gekommen, daß dies aus verschiedenen Gründen nicht geht.
Da ist zunächst einmal, wie Sie nicht vergessen haben werden, doch die Verpflichtung, eine globale Minderausgabe von 700 Millionen DM zu erwirtschaften. Man muß auch sehen, daß der Haushalt 1975 - Sie haben daran ja mitgewirkt - ohnehin sehr eng bemessen, sehr knapp geschneidert ist. Insofern zieht auch der Vergleich mit dem Jahre 1972 nicht. Damals war der Anlaß im übrigen ein ganz anderer. Da ging es nicht darum, daß wir nicht genug Geld hatten, sondern darum, daß man meinte, man dürfe aus konjunkturpolitischen Gründen nicht so viel ausgeben. Das war eine ganz andere Situation. Insofern ist der Vergleich, den Sie, Herr Althammer, mit dem Jahr 1972 gezogen haben, sicherlich nicht zutreffend.
Hinzu kommt, daß wir aus konjunkturpolitischen Gründen an dem investiven Teil des Haushalts in der gegenwärtigen Situation schon gar nichts ändern wollten. Wir haben ja auch die Sparmaßnahmen für 1976 und den Bereich der mittleren Planung von 1976 bis 1979 fast ausschließlich auf den nichtinvestiven Teil bezogen.
Aber gerade diese Sparoperation 1976/79, über die wir uns noch ausführlich hier unterhalten werden - dann werden wir einmal mit Interesse sehen, ob Sie wenigstens mit den Vorschlägen einverstanden sind, welche die Regierung macht, ob Sie vielleicht doch noch etwas Zusätzliches finden oder ob Sie nicht am Ende sogar in der miesen Lage sind, zwar das nicht zu wollen, was wir vorschlagen, aber gar keine Alternativen zu bieten; das ist es nämlich, was wir befürchten müssen -, hat doch auch für alle, die daran beteiligt gewesen sind, bewiesen, daß es sozusagen aus dem Stand heraus nicht möglich ist, eine solche Operation mit großem Erfolg durchzuführen. Sie können sicherlich zu Recht sagen, Herr Althammer: Was 1976 politisch möglich ist, hätte auch 1975 politisch möglich sein können. Das will ich durchaus zugeben. Nur: Wenn Sie sich das im einzelnen ansehen, werden Sie fest13206
stellen, daß hier Gesetze - ich glaube, es sind 44 oder 46 - geändert werden müssen; es muß ein Haufen Rechtsvorschriften geändert werden. Dies alles kann man vernünftigerweise nicht in den Vollzug eines laufenden Haushalts hinein durchführen. Deshalb mußte dies mit Anlauf geschehen, nicht aus dem Stand heraus. Das ist ein Argument dafür, daß es für den Haushalt 1975, wie es geschieht, dabei bleiben muß, den Ausgleich voll über die Erhöhung der Nettokreditaufnahme durchzuführen.
Ich will hier jetzt nicht im einzelnen auf das eingehen, was Sie zur Entwicklungshilfe gesagt haben; wir haben darüber im Ausschuß gesprochen. Interessant ist vielleicht der Hinweis, der von der Regierung dazu gegeben wurde, daß es eben auch ein Ausfluß der wirtschaftlichen Entwicklung ist, daß die Mittel schneller abfließen, z. B. weil die Lieferfristen kürzer werden.
Wir haben uns im Haushaltsausschuß - ich glaube, Sie haben es heute hier nicht angesprochen, aber das Parlament sollte das wissen - über das erhebliche Maß der Ausweitung der Gewährleistungen unterhalten. Nachdem wir im Zuge der Beratung im Ausschuß das Volumen gegenüber dem Regierungsentwurf für 1975 von 36 auf 48 Milliarden DM erhöht haben, schlägt die Regierung jetzt - der Haushaltsausschuß folgt dem - eine Erhöhung von 48 auf 60 Milliarden DM vor. Auch hierin drückt sich natürlich einiges an interessanten wirtschaftlichen Entwicklungen aus.
Der Kollege Hoppe, Herr Althammer, wird auf das eingehen, was Sie zu dem Ansatz der Verpflichtungsermächtigung hinsichtlich der Abmachungen mit der Volksrepublik Polen gesagt haben.
Sie haben sehr richtig, Kollege Althammer, auf die Zinsbelastungen hingewiesen. Wir wissen - Sie können sich das auch ausrechnen -, daß wir im Jahre 1978/79 für die Zinsen und die Tilgung, d. h. für den Schuldendienst, etwa 8,9 % des Haushaltsvolumens einplanen müssen. Dies ist noch gerade erträglich. Das zeigt zum einen, daß wir in dieser Beziehung an Grenzen stoßen, und diese Grenzen zwingen uns zu den Maßnahmen, mit denen wir uns in der nächsten Zeit noch zu befassen haben werden.
Wie ich in der vergangenen Woche schon einmal sagte, können wir uns nach diesen knapp 40 Milliarden DM in 1975 diese Zins- und Tilgungsbelastung auf Grund der zurückhaltenden Schuldenpolitik der vergangenen fünf Jahre relativ bequem leisten. Hätten wir in den vergangenen fünf Jahren nicht diese zurückhaltende Schuldenpolitik betrieben, wäre der Spielraum gar nicht mehr vorhanden, den wir heute so dringend brauchen.
Kollege Althammer hat von dem Widerspruch zwischen der Hoffnung auf Aufschwung und der Inanspruchnahme der Ausnahmebestimmung des Art. 115 gesprochen. Herr Althammer, ich glaube, Sie übersehen dabei einen wichtigen Punkt. Sie übersehen dabei, daß für die Inanspruchnahme der Ausnahme des Art. 115 der Zeitpunkt der Aufstellung des Haushaltsplans entscheidend ist. Wenn also die Regierung im August/September 1975 sagt, wir brauchen 1976 40 Milliarden oder - ich will es nicht aufrunden - 38 Milliarden Kredite, dann unter Berücksichtigung der im Jahre 1975 zum Zeitpunkt der Aufstellung des Haushaltsplans bestehenden wirtschaftlichen Situation. Das bedeutet im Positiven wie im Negativen keine verbindliche Prognose für die Entwicklung des Jahres 1976. Aber weil wir meinen, daß 1977 eine bessere Ausgangsposition vorhanden ist, ist dies neben anderen auch ein Grund, 1977 diese gewaltige Anstrengung zu unternehmen, auf etwa 23 oder 22 Milliarden Kredite herunterzukommen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer? - Bitte!
Herr Kollege Kirst, wenn ich diese juristisch nach meiner Auffassung sehr anzweifelbare Begründung einmal beiseite lasse: Wären Sie nicht bereit, einzuräumen, daß die volkswirtschaftliche Betrachtung entscheidend ist und daß es einfach Wahnsinn ist, noch 40 Milliarden aufzunehmen, wenn gleichzeitig die Privatwirtschaft, um einen Aufschwung zu bewirken, auf den Kapitalmarkt gehen muß?
Herr Kollege Althammer, sicher darf man die Dinge nicht nur juristisch sehen, man muß sie auch wirtschaftlich sehen. Aber wirtschaftlich - und jetzt unterhalten wir uns über den Nachtrag 1975; die Regierung wird sicher nachher sagen, wieviel von der hohen Kreditaufnahme sie, um es einmal so auszudrücken, schon in den Scheuern hat - besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß diese Kreditaufnahme des Bundes und darüber hinaus der öffentlichen Hand insgesamt im Jahre 1975, ohne irgend jemandes anderen Interessen auch nur zu berühren, geschweige denn ernsthaft zu gefährden, im allgemeinen möglich sein wird, und wir gehen davon aus, daß dies auch 1976 weiter möglich wäre.
Sollte nun einmal - Herr Kollege Althammer, man kann sich nach beiden Richtungen täuschen; ich habe vorhin über die Schwierigkeit und über den Wert von Prognosen gesprochen - im nächsten Jahr - ich spekuliere einmal - ein gewaltiger Aufschwung eintreten - ich sage gar nicht, daß er eintritt, ich will nur einmal Ihrer Argumentation entgegentreten -, wäre dies auch verbunden mit einer früher und schneller als von uns kalkuliert eintretenden erheblichen Verbesserung des Steueraufkommens, so daß sich dies per Saldo zum Teil wieder ausgleichen könnte.
Lassen Sie mich noch folgendes sagen, Herr Kollege Althammer. Sie haben hier mangels eigener Masse einige sogenannte Kronzeugen für Sparvorschläge eingeführt.
({0})
Ich habe mir einmal den wissenschaftlichen Beirat
beim Bundesfinanzministerium notiert. Nun, ich
habe das gelesen und war hinterher nicht schlauer als vorher.
({1})
Da sind viele gute Gedanken, aber nicht ein einziger konkreter Vorschlag.
({2})
Da das bei Ihnen genauso ist, merken Sie vielleicht diesen Unterschied nicht so.
({3})
Zum anderen haben Sie auch noch den Bund der Steuerzahler erwähnt. Den sollte man ja eigentlich „Bund einiger Steuerzahler" nennen.
({4})
Das sind Leute, die einen sehr netten Eindruck machen, und sie sind sicher auch ansonsten ehrenwerte Leute. Aber was sie hier betreiben, ist - darüber muli man sich doch im klaren sein - reine GlistrupPolitik.
({5})
Die tun nichts, aber auch gar nichts, um in diesem Lande das nötige Staatsbewußtsein zu fördern. Sie meinen, wenn man die Institutionen dieses Staates, die Opposition eingeschlossen, madig macht, betreibe man schon Sparpolitik.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer? - Bitte sehr!
Herr Kollege Kirst, darf ich Sie fragen: Wollen Sie jetzt wirklich wieder auf diejenigen einprügeln, die Ihnen Vorschläge machen, statt diese konkreten Vorschläge nun wirklich in Zahlen umzuformen, wie es die Aufgabe dieser Regierung wäre?
({0})
Herr Althammer, jetzt zwingen Sie mich, einmal etwas zu sagen. Ich nehme das auf mich. Ich habe mit diesem Verband einmal ein Gespräch geführt Ich sage das hier bewußt - ich habe es in. Gesprächen schon vielen Kollegen erzählt -, damit man einmal die Mentalität kennenlernt. Das war zu der Zeit, als hier über die Erhöhung der Postgebühren einschließlich des Postzeitungsdienstes gesprochen wurde.
({0})
- Das war richtig, daß das gemacht worden ist; ich bekenne mich dazu. Ich fand es einfach erschütternd, wie die Organe der Presse über die Postgebühren geschrieben und dabei den Lesern verschwiegen
haben, daß sie selbst mit 500 bis 600 Millionen DM an diesem Defizit beteiligt sind.
({1})
- Die Sondersitzungen wegen der Postgebühren waren zu anderen Zeiten.
({2})
Aber, Herr Althammer, ich wollte Ihnen dies erzählen, weil ich beim Bund der Steuerzahler war. Wir haben miteinander gesprochen, und da meinten die Herren, man müßte die Subventionen abbauen; das können Sie in dieser Zeitung auf jeder Seite zwanzigmal lesen. Da habe ich sinngemäß gesagt: „Dann fangen wir doch einmal an. Ich möchte gerne wissen, ob Ihre Zeitschrift auch von dieser Vergünstigung für den Postzeitungsdienst profitiert." Da wurde mir gesagt, das sei etwas ganz anderes, das sei selbstverständlich. - Das zeigt doch, wie ernst das gemeint ist, was von dieser Seite kommt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß sagen: Der Ausgleich des Haushalts über das Kreditvolumen ist gesichert, er ist finanzpolitisch vertretbar, und er ist sogar konjunkturpolitisch erwünscht. Das Nein der Opposition zum Nachtragshaushalt ist sachlich nicht begründet, aber politisch verständlich, denn wenn man den eigentlichen Haushalt ablehnt, kann man eigentlich dem Nachtragshaushalt auch nicht zustimmen. Insofern habe ich sogar Verständnis dafür. Nur habe ich kein Verständnis für Ihre sogenannten sachlichen Gegenargumente.
Die FDP stimmt diesem Nachtragshaushalt zu, denn er ist eine vertretbare Lösung für die schwierigen Probleme, die wir uns alle nicht gewünscht haben.
({3})
Das Wort hat Herr Bundesminister Apel.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fand den Vorgang bezeichnend, hochverehrte Kollegen von der Opposition, daß Sie nicht in der Lage sind, eine politische Stellungnahme zur gegenwärtigen Debatte in unserem Lande abzugeben, sondern ein Paket schnüren mit allen möglichen Broschüren und dieses auf den Tisch des Hauses legen. Dies ist Ihr Beitrag zur aktuellen finanzpolitischen Debatte. Ich finde das kümmerlich.
({0})
Sie, Herr Kollege Haase - vielleicht darf ich Sie eben beim Zeitunglesen stören -, tun mir besonders leid, denn bei jedem Schmierentheater darf wenigstens derjenige, der aus der Kulisse hervortritt, sagen: „Herr Graf, die Pferde sind gesattelt."
Sie müssen aus der Kulisse hervortreten und dürfen nur ein Buchpaket überreichen. Dies ist wirklich eines Abgeordneten und eines Teilnehmers an der Debatte nicht ganz würdig.
({1})
Im übrigen werde ich Ihnen einige dieser Bücher zurückgeben, meine hochverehrten Herren der Opposition, weil sie erstens nicht oder nicht genau zum Thema gehören. Sie mußten das Paket natürlich dick machen, damit die Fotografen, die Sie bestellt hatten, das auch aufnehmen konnten.
({2})
Zweitens - und das finde ich besonders komisch - ist hier ein Buch dabei - das ist auch sehr voluminös und hat deswegen den Stapel etwas dicker gemacht - aus dem Juli 1967, das für den damaligen Finanzminister Strauß gedacht war. Ich bitte doch sehr darum, daß Sie die Bibliothek des Bundestages nicht über Jahrzehnte in die Vergangenheit hinein plündern. Wir geben das lieber zurück.
({3})
Dies war wohl doch nicht der Debattenbeitrag, den wir eigentlich von Ihnen erbitten müssen. Denn, meine Damen und Herren, so ist es ja nicht, daß, wenn Sie Vorschläge machen, wir Sie verdächtigen würden. Das käme auf die Vorschläge an. Wir sind nur davon überzeugt - dies sage ich allerdings frank und frei -, daß viel mehr über das hinaus, was wir gespart haben oder, genauer gesagt, sparen wollen, nicht gespart werden kann, wenn wir nicht an die peinlichen Bereiche der inneren und der äußeren Sicherheit oder der Sozialpolitik heranwollen. Insofern bleibt es Ihnen trotz aller verbalen Kraftakte, Herr Kollege Althammer, natürlich nicht erspart, entweder zu sagen: wir wissen nicht mehr, oder aber: wir stimmen diesen Vorschlägen als Opposition zu.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Herr Minister, Sie stellen jetzt wieder fest, daß über das hinaus, was Sie vorgeschlagen haben, nichts mehr gespart werden kann. Welchen Sinn hat es dann eigentlich, daß SPD und FDP eigene Kommissionen für weitere Sparvorschläge eingesetzt haben?
Aber, Herr Kollege Althammer, das ist doch wohl völlig klar. Ich will doch nicht bestreiten, daß es in einzelnen Etatposten in bescheidenem Maße noch Luft gibt. Ich stimme den Koalitionsfraktionen auch ausdrücklich zu, wenn sie uns sagen: Legislative heißt, die
Vorschläge der Regierung überprüfen und notfalls auch verändern. In einem Punkte sind wir uns mit den Koalitionsfraktionen allerdings einig geworden - das ist ganz klar -: Es muß dabei in etwa der gleiche Ertrag herauskommen. Es ist doch fiskalisch für Sie als Haushaltspolitiker und für mich als Finanzminister gleichgültig, ob hier etwas weggenommen und dort dafür etwas mehr belastet wird.
({0})
Ich muß offen sagen: wir können nicht jede Woche die gleiche Debatte führen. Mit dem Überreichen von Broschüren - Broschüren im übrigen aus dem Jahre 1967, an den damaligen Finanzminister Strauß gerichtet - kommen wir doch nun wirklich in der Debatte nicht weiter.
Ich möchte eine zweite Bemerkung machen. Sie haben den wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzminister apostrophiert. Ich will hier beileibe nicht meinen eigenen wissenschaftlichen Beirat kritisieren. Aber eines steht fest: Eine Handlungsanweisung kann sein Gutachten nicht sein. Im übrigen hat der Beirat selber gesagt - Sie haben es zitiert -: Wenn ihr nicht mehr sparen könnt, müßt ihr gegebenenfalls auch Steuern erhöhen und wenn, dann bitte diese. Das heißt mit anderen Worten: auch hier befinden wir uns in Übereinstimmung mit unserem Beirat, soweit man mit Beiräten in Übereinstimmung sein kann; Beiräte machen keine Politik, sondern begleiten sie empfehlend.
Eine dritte Bemerkung. Kollege Althammer, Sie haben gesagt, Sie wollten einen wesentlichen Teil der 15 Milliarden DM für dieses Jahr im konsumtiven Bereich sparen. Ich muß Sie erneut bitten, der Öffentlichkeit dann zu sagen, was konsumtive Ausgaben beim Bund sind.
({1})
- Wenn Sie es jetzt tun wollen, ist es gut, sonst tue ich es sofort.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, wissen Sie, daß für die Durchführung des vom Bundestag bereits verabschiedeten Haushalts 1975 die Regierung zuständig ist, so daß nachträgliche Änderungen und Einsparungen im laufenden Haushaltsjahr von der Regierung und nicht vom Parlament zu machen sind?
Das ist ja alles sehr schön; ich will Ihnen eben nur sagen, daß Sie mit einer Floskel arbeiten. Darum geht es doch nur: deutlich zu machen, daß Sie Politik machen mit Floskeln.
({0})
Wenn Sie sagen, ein wesentlicher Teil dieser 15 Milliarden DM müsse aus den konsumtiven Ausgaben genommen werden, dann stimmt Ihnen vielleicht jemand draußen im Lande, der das hört, zu. Nur
werde ich dann diesen Bürgern sagen, was konsumtive Ausgaben sind - nach unserer Haushaltsdefinition:
({1})
Es sind dies die Verteidigungsausgaben in ihrer Gänze, es sind die Zuschüsse zur Rentenversicherung,
({2})
es sind die Ausgaben für die Sozialversicherung, es sind die Beamtengehälter. - Jawohl, das sind konsumtive Ausgaben.
({3})
Natürlich, es gibt auch noch das Bundesausbildungsförderungsgesetz, und es gibt noch in anderen sozial- und gesellschaftspolitischen Bereichen konsumtive Ausgaben. Konsumtive Ausgaben sind auch die Ausgaben im Bereich der Agrarpolitik, deren Kürzung von Herrn Ritz kritisiert wurde. Dies alles sind konsumtive Ausgaben. Hören Sie doch endlich auf, so zu tun, als wüßten Sie das nicht!
({4})
Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Eine finanzpolitische Debatte unter diesem Vorzeichen ist für mich fast unerträglich, weil Sie in der Tat versuchen wollen, mit Nebelschwaden Ihre eigene Konzeptionslosigkeit zu verdecken.
({5})
Reden wir doch einmal von der Entwicklungshilfe, die Sie hier angesprochen haben! Da haben wir doch wieder einen typischen Fall von doppelter Argumentation, von Doppelstrategie. Sie sagen - Herr Kollege Althammer, ich stimme Ihnen hier ausdrücklich zu -: Die Entwicklungshilfeansätze in der mittelfristigen Finanzplanung lassen das 0,7 %-Ziel nicht erreichbar werden. Da stimme ich Ihnen, wie gesagt, ausdrücklich zu. Gleichzeitig aber sind es doch Ihre politischen Vertreter - bis hin zum gemeinsamen Kanzlerkandidaten -, die in diesem Bereich nicht sparen wollen, sondern die sich außerordentlich betrübt, betroffen und kritisch gezeigt haben, daß wir auch diesen Ansatz reduziert haben.
({6})
- Was heißt denn: mit Recht. Sie fangen doch schon wieder Ihre alte Taktik an! Herr Ritz sagt, Sparbeschlüsse im Agrarhaushalt sind sozial ungerecht und unverantwortlich. Herr Todenhöfer hat gegen Kürzungen im Entwicklungsbereich grundsätzlich außerordentliche Bedenken. Herr Pfeifer sagt, die Abstriche im Bildungsressort fielen kraß aus dem Rahmen. Herr Wörner befürchtet einen realen Substanzverlust der Verteidigungsanstrengungen der Bundesrepublik. Und gestern haben die Sprecher
der Wohnungspolitik Kürzungen in ihrem Bereich kritisiert. Was ist denn nun eigentlich Ihre Konzeption! Zwei mal zwei ist im Deutschen Bundestag vier und nicht 7,8 oder 2,7.
({7})
Wir werden Sie aus dieser Debatte nicht entlassen. Sie werden Farbe bekennen müssen, Sie werden sagen müssen, welches Ihre Konzeption ist. Wenn Sie keine vorlegen, gehen wir davon aus, daß Sie keine haben.
({8})
Lassen Sie mich, weil das auch der Herr Kollege Althammer gemacht hat, einige Bemerkungen über den Bundeshaushalt 1976 machen. Ich denke allerdings, Herr Kollege Althammer, Sie haben diese Aussagen - obwohl dieser Bundeshaushalt nicht auf der Tagesordnung steht - auch deswegen gemacht, weil ja nach Rückkehr von Franz Josef Strauß Sie hier nicht mehr zu Wort kommen werden. Deswegen haben Sie lieber schon heute gesprochen,
({9})
damit Sie Ihre Nummer hier losgeworden sind. Dafür habe ich auch durchaus Verständnis.
({10})
- Na ja, ich meine, sonst könnten wir ja über die Themen dann reden, wenn sie auf der Tagesordnung stehen.
({11})
Aber wenn Sie schon jetzt darüber reden wollen: Ich habe überhaupt keine Hemmungen, darüber zu sprechen.
Bemerkung Nr. 1: Herr Kollege Althammer, wir prognostizieren
({12})
oder - genauer gesagt - wir setzen in unseren Haushaltsansätzen nach dem Prinzip der Vorsicht eine relativ hohe Arbeitslosenzahl und auch eine relativ hohe Zahl der Kurzarbeiter für 1976 ein, weil wir diese Zahlen a) von der Bundesanstalt für Arbeit übernehmen müssen und weil es b) haushaltswirtschaftlich klug ist, dieses zu tun. Wir gehen von dem Erkenntnisstand aus, den wir heute haben, ebenso wie wir im März dieses Jahres bei der Verabschiedung des Bundeshaushaltes von dem damaligen Erkenntnisstand ausgegangen sind. Dieses heißt nicht, daß wir davon ausgehen, daß diese Arbeitslosenzahlen, die wir in den Ansätzen für die Überweisung an die Bundesanstalt im Haushalt haben, auch eintreten müssen. Wir hoffen nicht! Unsere Politik ist auf das Gegenteil ausgerichtet. Nur, das Prinzip der Vorsicht in den Haushaltsansätzen verlangt dieses.
({13})
Herr Finanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Ja.
Herr Minister, gehört es auch zu den Grundsätzen dieser Vorsicht, von denen Sie sprechen, für das nächste Jahr, daß Sie Ihre Propagandaausgaben von 12 Millionen DM auf 15 Millionen DM erhöhen wollen und dafür dann Ausgaben bei der Aufklärung über Sicherheit im Verkehr usw. einsparen wollen, so wie es neulich in der Zeitung zu lesen war?
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Lieber Herr Kollege Althammer, Sie können diese Frage ja wohl nur in Unkenntnis der Tatbestände stellen. Dies will ich Ihnen gerne nachsehen; denn Sie haben den Haushaltsentwurf noch nicht vorliegen. Was wir getan haben, ist: Unter strikter Beibehaltung des Plafonds für das Jahr 1975 - und Kostensteigerungen führen zu einem Abschmelzen dieses Titels selber - die Ausgaben selber umzuschichten. Nun wollen wir doch einmal ehrlich miteinander reden: An jeder Anschlagsäule „Klick" zu lesen, ist ja wohl auch nicht der Weisheit letzter Schluß, mit Steuermitteln umzugehen. Aus diesem Grunde haben wir gesagt: Etwas weniger „Klick" und vielleicht etwas mehr Aufklärung anderswo. So ist der Tatbestand, und so ist er auch zu verantworten.
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Nun sagen Sie: Wenn Ihr eine Arbeitslosenzahl in dieser Größenordnung ansetzt, könnt Ihr kein Wachstum bekommen. Herr Kollege Friderichs hat das hier deutlich gemacht: 5 % reales Wachstum für 1976 heißt nur ein bescheidenes reales Wachstum auf das Jahr 1973 bezogen. So dramatisch hat die weltweite Rezession in das reale Wachstum unseres Bruttosozialprodukts eingeschnitten. Es gibt hier also keinen Widerspruch. Im übrigen werden diese Zahlen in der Konzertierten Aktion vorgetragen, debattiert und kritisch abgeprüft. Es wäre ja wohl merkwürdig, wenn die Zahlen dort durchliefen, ohne daß jemand darüber stolperte.
Herr Kollege Althammer, Art. 115 des Grundgesetzes wirkt 1976 nicht, denn 1976 sind wir noch im wirtschaftlichen Ungleichgewicht. Art. 115 mit der dort gesetzten Grenze, die es uns unmöglich machen wird, mehr als investive Ausgaben über Schulden zu finanzieren, wirkt 1977 - und deswegen 1977 das massive Hineinschneiden in die Einnahmeverbesserungen beim Bund, d. h. Steueranhebungen.
Ich möchte nur noch wenige Bemerkungen zu dem vorliegenden Nachtragshaushalt machen. Das meiste ist dazu bereits gesagt worden. Es ist falsch, wenn die Opposition sagt, wir hätten im März 1975 falsche Angaben über die tatsächliche Entwicklung der Einnahmen und der Ausgaben gemacht. Tatsache ist dagegen, daß wir damals direkt vor Verabschiedung des Bundeshaushalts eine neue Steuerschätzung gemacht haben, und zwar auf Ihren Wunsch hin, meine
Herren von Opposition. Ich habe mich dem Wunsch angeschlossen. Dies war die letzte verbindliche Steuerschätzung. Jetzt haben wir eine neue, die sehr viel schlechter aussieht. Tatsache ist auch, daß wir damals die Zahlen eingesetzt haben, die die Bundesanstalt für Arbeit uns als ihre Annahme für die Arbeitslosenentwicklung mitgeteilt hat.
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- Gut, dann kann nirgends ein solcher Vorwurf entstehen. Dann sind wir uns wenigstens in dieser Frage einig, Herr Althammer: Die Grundlagen für den Haushalt 1975 waren im März in Ordnung. Die Tatbestände haben sich inzwischen verändert - deswegen ein Nachtragshaushalt. Ist dieses auch Ihre Meinung? Stimmen wir darin überein?
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- Ich bitte Sie! Dann bleibe ich bei meiner Behauptung, daß das, was die Opposition zu diesem Thema sagt, unrichtig ist.
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Ich möchte am Ende nur noch auf ein Thema eingehen - wir werden diese Debatte ja fortsetzen, wenn der Bundeshaushalt 1976 vorliegt -: Es ist die Verpflichtungsermächtigung, um die wir Sie bei diesem Nachtragshaushalt bitten, zur Abdeckung der Zinsdifferenz eines Kredits, den die Kreditanstalt für Wiederaufbau an eine polnische Bank gibt. Um was geht es bei diesem Kredit, den die Kreditanstalt an Polen gibt, wirklich? Es geht einmal darum - darauf hat Herr Kollege von Bülow schon hingewiesen und dies muß ganz deutlich werden -, daß dieses ein ungebundener Kredit ist, der aber natürlich zu starken Aufträgen für die Wirtschaft der Bundesrepublik führen wird.
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Das heißt, dies ist ein Kredit, der dazu führt, daß deutsche Arbeitnehmer in größerer Anzahl und auf Dauer Beschäftigung finden werden.
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Dieser Kredit ist also kein Geschenk - dies muß ganz deutlich werden -, sondern liegt auch im Interesse unseres Landes.
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Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?
Ja, bitte sehr!
Wenn dies der großartige Hintergrund ist, muß man fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, dann auch an andere - z. B.
westliche - Handelspartner Kredite zu 2,5 % zu vergeben.
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Wenn Sie den Westen sehr weit definieren, werden Sie wissen, daß die Länder der dritten Welt, die Entwicklungsländer, von uns über die Kapitalhilfe zu ähnlichen Bedingungen bedient werden. Das ist völlig klar.
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- Die dritte Welt, d. h. die Entwicklungsländer.
({1})
- Die Entwicklungsländer, hochverehrter Herr Dr. Jenninger.
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- Soll ich Ihnen nun die gesamte Latte der Entwicklungsländer aufzählen?
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Ich komme damit zu dem zweiten Aspekt dieses Kredits. Herr Kollege Dr. Jenninger, natürlich ist der Aspekt, über den ich gesprochen habe, nicht der einzige Aspekt, unter dem dieser Kredit zu sehen ist.
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- Was heißt: Na also!? Ich sage es doch gerade.
Der zweite Teilaspekt dieses Kredits besteht darin, daß wir Zug um Zug 120 000, 125 000 Menschen, Deutsche, aus Polen zurückführen können. Die Frage, die Sie sich stellen müssen, ist, ob Sie diese 125 000 Deutschen, die in die Bundesrepublik ausreisen wollen, in Polen lassen wollen, weil Sie diesem Kredit, der auch unserer Wirtschaft nutzt, nicht zustimmen wollen. Das ist die Frage, die Sie sich beantworten müssen.
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Herr Minister, gestatten Sie eine weitere - Dr. Apel, Bundesminister der Finanzen: Nein, jetzt möchte ich wirklich einmal ein bißchen weiterreden.
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- Nein, was heißt „peinlich".
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Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz offen: Sie müssen sich fragen lassen,
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ob Sie diese billige, chauvinistische Art und Weise, mit der Sie dieses Thema behandelt haben, angesichts der deutschen Vergangenheit, der Menschen, um die es geht, aber auch der ökonomischen Interessen, um die es geht, durchhalten können, Sie, eine große staatstragende Opposition, die so redet.
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Ich sage Ihnen ganz offen: Meine Überzeugung und meine Hoffnung besteht darin, daß das, was Herr Althammer gesagt hat, nicht der Mehrheitsmeinung der Opposition entspricht;
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denn sonst wäre ich betrübt und machte mir Sorgen
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um die demokratisch legitimierte Debatte in diesem Lande und auch um die Notwendigkeit, daß dieses Land auch in schwierigen Zeiten außenpolitische Verpflichtungen - auch finanzieller Art - wahrzunehmen hat. Ich machte mir sonst wirklich Sorgen um die Basis, um die Einheitlichkeit der Betrachtung von Humanität und Außenpolitik in diesem Hause.
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Lassen Sie mich abschließen. Dieser Nachtragshaushalt paßt und gehört in die konjunkturelle Landschaft des Jahres 1975. Es wäre töricht, es wäre gefährlich, es wäre leichtfertig, es würde den Abschwung vertiefen, folgten wir den Vorstellungen der Opposition nach mehr Einsparungen. Das müßte die Rezession vertiefen.
Allerdings wird an den Größenordnungen dieses Nachtragshaushaltes für unsere Bürger zweierlei deutlich: nicht nur die Tiefe der Rezession, sondern auch - und das ist das Entscheidende ({7})
die Notwendigkeit, in 1976 und in 1977 die Finanzierungsdefizite der öffentlichen Hände - auch der CDU/CSU-regierten Länder und Gemeinschaften - zurückzuführen. Der Kapitalmarkt muß dann befreit werden, der Kapitalmarkt muß dann bereitstehen für den privaten Investor. Wir haben auch dazu ein glaubwürdiges, wirksames und offensives Programm vorgelegt. Auch hier werden Sie sich auf Dauer nicht herausmogeln können, indem Sie mir Bücher und Zeitschriften überreichen. Sie werden hier Rede und Antwort stehen müssen.
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Meine
Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist an sich traurig, daß der Bundestag über ein so wichtiges Thema bei dieser Besetzung diskutieren muß.
({0})
Ich sage das in aller Offenheit. Das betrifft das ganze Haus.
Zu dem, was Sie, Herr Bundesfinanzminister, gesagt haben, möchte ich folgende Feststellung treffen. Manche Ihrer Ausführungen und das Sich-Gebärden mit diesen Ausführungen waren sicherlich unerträglich.
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Manches war auch so, daß es den Eindruck erwecken konnte, als ob Sie der Direktor eines Schmierentheaters wären.
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Das dritte: Lesen Sie sich auch ruhig einmal die Dinge des Jahres 1967 durch. Daraus können Sie vielleicht noch viel lernen. Und schließlich: Daß man noch sparen kann, hat doch Ihr Bundeskanzler in der vergangenen Woche in diesem Hause deutlich gemacht, wenn er auch von Größenordnungen sprach, die nicht auf der Höhe lagen, von der wir als Opposition gesprochen haben.
Meine Damen und Herren, ich bedauere, daß der Herr Bundesfinanzminister auf das nach meiner Meinung schwierigste Problem, das wir in den nächsten Jahren zu bewältigen haben werden, mit nur wenigen Sätzen am Schluß eingegangen ist aber er ist wenigstens darauf eingegangen. Ich meine hier das Problem der Staatsverschuldung insgesamt.
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Herr Kollege von Bülow, Sie haben es sich zu einfach gemacht,
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indem Sie über diese Dinge so leicht hinweggegangen sind.
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Wenn man über diese Fragen sprechen will, muß man vorweg folgende Feststellungen treffen: Als im Oktober 1969 die damalige Regierung die Verantwortung an die sozialliberale Koalition abgab, waren Wirtschaft und Finanzen in Ordnung. Der Bundeshaushalt war ausgeglichen, ja, es waren erhebliche Überschüsse vorhanden. Die Zahlen lassen sich nachprüfen, ich brauche sie jetzt nicht zu nennen. Der Schuldenstand der gesamten öffentlichen Hand war niedrig. Der Schuldenstand des Bundes betrug einschließlich der Altschulden nicht einmal 43 Milliarden DM. An Neuschulden für Zwecke der Haushaltsfinanzierung waren in den 20 Jahren bis 1969 insgesamt nur 14,6 Milliarden DM aufgenommen worden. Die Wirtschaft florierte. Die Preise waren bei einer Steigerungsrate von knapp 2 v. H. relativ stabil. Die Realeinkommen stiegen kräftig, und wir hatten Vollbeschäftigung. An diese Fakten, meine Damen und Herren, muß einmal erinnert werden, wenn wir begreifen wollen, vor welcher Wirtschaftskrise und vor welchem finanziellen Abgrund wir heute nach sechs Jahren sozialliberaler Politik stehen.
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Zugegeben, der Bundesregierung ist es mit ihren Spar- und Steuererhöhungsbeschlüssen meisterlich gelungen - Herr Bundesfinanzminister, Sie sprachen von Paketen; wir haben doch keine Pakete auf den Tisch gelegt, Sie haben doch in diesen paar Tagen drei oder vier auf den Tisch gelegt, auf den Tisch legen müssen, weil es nicht mehr anders gegangen ist , von den wahren Problemen abzulenken. Gleichsam mit der Magie eines Zauberers hat es die Bundesregierung fertiggebracht, ein 3-Milliarden-Sparprogramm aus dem Zylinder herauszuholen und gleichzeitig, vom breiten Publikum nicht bemerkt, jenes 80-Milliarden-Schuldenprogramm darin verschwinden zu lassen.
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Nun ist es nicht unsere Aufgabe, solcher Pfuscherei Applaus zu zollen, sondern unsere Aufgabe ist es, diesen Pfuschern - wenn ich es einmal so ausdrücken darf - auf die Finger zu sehen und sie zu entlarven.
Ich spreche nur zu diesem Thema, weil es wirklich das brennendste in den nächsten Jahren werden wird. 80 Milliarden DM kann man nicht in einem Zylinder verstecken. Dafür brauchen Sie Güterzüge vollbeladen mit gebündelten Banknoten.
Diese unvorstellbare Geldmenge reichte beim Regierungsantritt der Regierung Brandt/ Scheel noch aus, um den gesamten Bundeshaushalt zu finanzieren.
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Die Bundesregierung pumpt diesen Betrag in nur zwei Jahren. Das entspricht - damit man sich überhaupt eine Vorstellung machen kann - den Jahreseinkommen von 4 Millionen Haushalten mit einem durchschnittlichen Einkommen von 20 000 DM pro Jahr, oder, wenn Sie ein anderes Beispiel haben wollen: Die Neuverschuldung in Höhe von 38 Milliarden DM in diesem Jahr, die wir jetzt in diesem Nachtrag beschließen sollen, würde ausreichen, um 190 000 Einfamilienhäuser, die jeweils rund 200 000 DM kosten könnten, zu bauen. Wenn Sie dabei bedenken, daß in einem solchen Einfamilienhaus etwa vier Personen leben, dann ergibt das eine Stadt, die wie Frankfurt 760 000 Einwohner hat, die wir mit diesem Geld, das wir in diesem Jahr pumpen, aufbauen könnten.
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Meine Damen und Herren, hier könnte man umfangreiche Vergleiche zur Weimarer Zeit anstellen. Ich verkneife mir das. Vielleicht kommen wir dazu, wenn wir den Haushalt des Jahres 1976 beraten, einmal aufzuzeigen, wer in den Jahren 1919 bis 1923 die Geschicke geleitet hat und wie parallel die letzLeicht
ten beiden Jahre unserer Tätigkeit hier zu diesen Jahren verlaufen sind.
Meine Damen und Herren, es fehlt nicht an der Erkenntnis - das gestehe ich zu -, sondern es fehlt an der Bereitschaft. Was die Diskussion über den wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs so erschwert, ja, fast unmöglich gemacht hat, ist doch allein die Tatsache, daß sich die Bundesregierung nach und nach von marktwirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen losgelöst hat und glaubt, die allein rational überprüfbaren Lenkungsinstrumente zugunsten von Utopien über Bord werfen zu können.
Der Schuldenberg, den die Bundesregierung in diesem Jahr - 38 Milliarden DM jetzt mit dem Nachtragshaushalt - und im nächsten Jahre - rund 40 Milliarden DM; wahrscheinlich werden wir auch in diesem Jahre 40 Milliarden DM überschreiten, weil wir wissen, daß die Steuerschätzungen, auch wenn sie erst vor kurzer Zeit vorgenommen worden sind, wahrscheinlich heute schon wieder nicht mehr stimmen; ich mache das nicht zum Vorwurf - auftürmt, also in zwei Jahren 80 Milliarden DM, wird zum Ende des Jahres 1976 zu einem Schuldenstand des Bundes in Höhe von 150 Milliarden DM führen. Überlegen wir uns einmal, daß diese 150 Milliarden DM verzinst werden müssen. Ich gehe einmal von einer Verzinsung von 8 % aus. Das ist sicherlich nicht zu hoch gegriffen. Dann haben wir alleine an Zinsleistungen 13 bis 14 Milliarden DM aufzubringen.
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Herr Bundesfinanzminister, sagen Sie mir einmal, wie Sie bei einer Steigerungsrate des Haushalts von 3 %, wie Sie sie vorgesehen haben, diese 13 bis 14 Milliarden DM unterbringen wollen. Das reicht gar nicht. Was wollen Sie dann noch machen?
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Allein die Betrachtung der Verzinsung und der Steigerungsrate des Haushalts widerlegt schon jetzt die Zahlen.
Walter Wannenmacher hat recht, wenn er in der „Deutschen Zeitung" vom 19. September zu folgendem Ergebnis gelangt ({12})
ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Was immer im Kanzleramt derzeit gedanklich experimentiert wird - nichts dürfte das Schuldenproblem so wirkungsvoll und so leise mildern wie dieser Bankrott auf Inflationsraten.
Fürwahr, der Weg in die Inflation ist bereits, wenn Sie wollen, vorprogrammiert und vorbereitet, und zwar durch die lawinenartige Staatsverschuldung. Will man sich ein realistisches Bild von der rollenden Schuldenlawine machen, so muß man aus zwei Gründen auf die Bruttokreditaufnahme abstellen: erstens, weil es in Zukunft keine Rücklagen mehr gibt, die aufgelöst werden könnten, denn die sind alle verbraucht, und zweitens, weil der Staat in
weitaus stärkerem Umfang zu einer kürzerfristigen Kreditfinanzierung übergehen muß. In Zukunft verbirgt sich hinter dem ausgewiesenen Nettokreditvolumen ein weitaus höheres Bruttokreditvolumen, das auf dem Kapitalmarkt oder mit Hilfe der Notenbank beschafft werden muß. Im Haushaltsentwurf 1975 war ursprünglich eine Bruttoneuverschuldung von 21,5 Milliarden DM vorgesehen. Daraus wurden insgesamt 44,7 Milliarden DM, davon gut 31 Milliarden DM langfristig und 13 Milliarden kurzfristig. Darin ist die Schuldenfinanzierung des Konjunkturprogramms, das auch noch zumindest 650 Millionen DM erfordert, nicht enthalten. Von den 44,7 Milliarden DM entfallen 6,8 Milliarden DM - Herr Althammer hat schon darauf hingewiesen - auf Tilgungsleistungen. Die Zinsbelastungen, im Einzelplan 32 veranschlagt, steigen sprunghaft auf 6,2 Milliarden DM. Der Kapitaldienst beträgt somit schon 13 Milliarden DM in diesem Jahr.
({13})
Die Vorstellungen der Bundesregierung gingen noch zu Beginn dieses Jahres, als sie noch im Stande der Unschuld verweilte, dahin, im Jahre 1976 gut 11 Milliarden DM zu tilgen. Ich korrigiere diese Vorsteilungen nur um die tatsächlichen Zins- und Tilgungsleistungen für 1975 nach dem Stand des Nachtragshaushalts, den wir verabschieden sollen. Danach beträgt der voraussichtliche Kapitaldienst für 1976 bereits 17,5 Milliarden DM.
({14})
Dazu kommen die weiteren Zins- und Tilgungsbelastungen aus der Riesenverschuldung des Jahres 1976 in Höhe von knapp 40 Milliarden DM. Die Steigerungsrate des Einzelplans 32 - Bundesschuld - läßt unschwer erkennen, wie es weitergehen wird. Dieser Einzeletat wird auf Jahre der einzige sein, der zweistellige positive Steigerungsraten ausweisen wird; 1976 sind es bereits 31,4 %. In absoluten Zahlen steigt er 1976 sprunghaft auf fast 10 Milliarden DM an. Gegenüber 1974 bedeutet das eine Verdoppelung.
Was die Bruttokreditfinanzierung für 1976 anbetrifft, hüllt sich die Regierung in Schweigen. Sie rechnet uns mit ihren Erklärungen vor, daß sie durch ihre Maßnahmen das Gesamtergebnis der Haushaltsstruktur des Jahres 1977 um 26,9 Milliarden DM verbessern will. Sie sagt uns aber nicht einmal andeutungsweise, wie die Bruttokreditfinanzierung der Jahre 1976 und 1977 aussehen soll, geschweige denn, woher sie das Geld nehmen will.
Herr Pöhl, der Staatssekretär im Finanzministerium, ist auf Reisen gegangen, wenn man den Pressenachrichten vertrauen kann - ich vertraue ihnen -, und hat versucht, ein Kreditvolumen von 10 Milliarden DM dadurch zu erreichen, daß er einen Bankenpool und Versicherungsunternehmungen eingeschaltet hat.
({15})
- Ich weiß, die Sache soll erledigt sein. Nun hat
aber Herr Pöhl in der „Zeit" erklärt, daß er das
Geld im Ausland, und zwar in der Schweiz, wenn
ich es recht im Kopf habe, und in arabischen Staaten holen will.
({16})
Meine Damen und Herren, wenn das stimmt, ist das unglaublich; denn dann holen wir jetzt Geld bei den Staaten, denen wir noch vor kurzem Entwicklungshilfe gezahlt haben oder vielleicht heute noch zahlen.
({17})
Ich komme zum Schluß. Mit diesem Riesenschuldenhaushalt 1975 treten wir in eine neue innenpolitische Entwicklung ein, deren letztes Kapitel noch nicht geschrieben ist. Warum die Bundesrepublik trotz sechs beschlossener Konjunkturprogramme die schwerste Krise seit ihrem Bestehen durchmacht, warum die reale Produktion mit minus 5 % ihren bisherigen Tiefpunkt erreicht hat, obwohl die Staatsausgaben wie noch in keinem anderen Jahr zuvor um fast 20 v. H. steigen, alle diese Fragen bedürfen noch einer Antwort. Einer Antwort bedarf noch mehr die Frage, was die Ursachen und was die Wirkungen dieser Fehlentwicklungen waren und sind.
Wenn Sie den letzten Satz hören wollen: Ich - und ich nehme an, meine Freunde auch -, lehne in Ergänzung dessen, was Herr Dr. Althammer gesagt hat, diesen Nachtragsetat ab, weil die Politik, die darin zum Ausdruck kommt, nicht meine Politik ist.
({18})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Meine Damen und Herren! Mit Annahme der Tagesordnung verfahren wir erstmalig nach dem bei der Neufassung der Geschäftsordnung vom Geschäftsordnungsausschuß gewünschten vereinfachten Verfahren für die Verabschiedung des Nachtragshaushalts.
Ich rufe die Nachträge zu den Einzelplänen 11, 15, 23, 32 und 60, die §§ 1 bis 6, Einleitung und Überschrift des Nachtragshaushalts 1975 auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! ({0})
Stimmenthaltungen? - Keine Stimmenthaltungen!
Meine Damen und Herren! Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung und Schlußabstimmung mit großer Mehrheit angenommen. Es liegt kein weiterer Ausschußantrag vor. Wir stehen damit am Ende der heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 1. Oktober, 13.00 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.