Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/18/1975

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführte Vorlage ergänzt werden. Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich schlage vor, diesen Punkt sofort zu erledigen. - Ich sehe und höre dagegen keinen Widerspruch. Ich rufe also den Zusatzpunkt auf: Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) - Immunitätsangelegenheiten - betr. Genehmigung zur Zeugenvernehung von Mitgliedern des Bundestages gemäß § 50 Abs. 3 StPO - Drucksache 7/4031 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Klein ({1}) Ich frage, ob der Herr Berichterstatter das Wort wünscht. - Das ist nicht der Fall. - Auch in der Aussprache wird das Wort nicht begehrt. Wer dem Ausschußantrag auf der Drucksache 7/4031 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir fahren fort in der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung und die damit verbundenen Punkte 3 bis 5 unserer Tagesordnung: 3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1975 ({2}) - Drucksache 7/4001 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß 4. Beratung des Programms zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen - Drucksache 7/4013 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß ({3}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 5. Beratung des Sondergutachtens zur konjunkturpolitischen Lage im August 1975 - Drucksache 7/3976 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Haushaltsausschuß Das Wort hat Herr Bundesfinanzminister Dr. Apel.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der gestrigen Debatte ist von seiten der Redner der Opposition - auch von Ihnen, Herr Kollege Dr. Barzel - gefragt worden: Welche Perspektive, welche großen Linien, welche Grundannahmen, welche Grundwerte liegen denn nun eigentlich der aktuellen Wirtschafts- und Finanzpolitik in diesen Monaten zugrunde? Ich kann das in einem Satz zusammenfassen und werde Ihnen dann in fünf Einzelpunkten diese Grundelemente darstellen. Die Grundelemente unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik sind darauf ausgerichtet, die bewährte Struktur unserer wirtschaftlichen, unserer gesellschaftlichen, unserer sozialen Ordnung zu erhalten und auch in schwierigen Zeiten - daß wir in schwierigen Zeiten leben, haben alle Redner des gestrigen Tages deutlich gemacht - zu bewahren. Wodurch erreichen wir denn nun diese Grundzielsetzung der Bewahrung der bewährten Struktur unserer Gesellschaft? Wir erreichen sie durch fünf Maßnahmenkataloge, durch fünf Zielsetzungen, die wir uns selber gegeben haben und die in unserer praktischen Politik ihren Ausdruck finden. Wir wollen und werden - und damit bin ich beim ersten Punkt - auch in Zeiten schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse die sozial Schwächeren schützen; wir werden die Probleme, die wir haben, nicht auf ihrem Rücken lösen. ({0}) Natürlich werden die Leistungen aus dem Arbeitsförderungsgesetz verändert. Wenn wir aber hier an dieser Stelle das Artikelgesetz zu diesem Punkt erörtern werden, werden Sie, meine lieben Kollegen, sehen, daß der Kern der sozialen Sicherung in diesem Gesetz, die Leistungen für die Arbeitslosen und auch der Anspruch auf Umschulung, erhalten geblieben ist. ({1}) Natürlich - auch dies werden Sie sehen, wenn der Gesetzentwurf vorliegt - werden wir die Leistungen aus dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ändern. Es gibt hier - das kann ich überhaupt nicht verheimlichen - für den einen oder anderen, der studieren will oder Schüler ist, eine Reduktion in der Leistung, präziser gesagt: keine Anhebung der Leistung, wie er sie erwartet hat. Aber unsere Grundidee, die Grundidee der sozialliberalen Koalition - mehr Chancengleichheit in unserem Lande für alle Jugendlichen, unabhängig von dem Einkommen ihrer Eltern - wird auch nach der Veränderung des BAFÖG nicht beseitigt, sondern bleibt erhalten. ({2}) Meine Damen und Herren, wir erhalten die Leistungen aus dem Wohngeldgesetz, ({3}) wir erhalten die Leistungen in der Sozialversicherung, und auch die Fürsorge für die Angestellten, die Beamten und Arbeiter im öffentlichen Dienst bleibt unsere Pflicht und Aufgabe. Aber auch hier muten wir den Beteiligten zulässige, zuzumutende Opfer zu. Ich meine also, wir müßten dies sehr deutlich sagen: Die Probleme, vor denen unser Land steht, werden von seiten der sozialliberalen Koalition nicht auf dem Rücken der sozial Schwächeren gelöst. Alle Gruppen unseres Volkes werden gleichmäßig herangezogen. ({4}) Zweitens soll die bewährte Struktur unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung durch folgendes erhalten werden. Wir bekennen uns ausdrücklich auch in schwierigen Zeiten zu unserer Zugehörigkeit zur weltweiten Völkergemeinschaft und zu den von uns dazu zu leistenden Beiträgen, allerdings im Rahmen unserer Leistungsfähigkeit. Hier haben wir in den letzten Monaten einige beachtliche Leistungen zusätzlich erbracht. Es war die Bundesrepublik Deutschland, die die Idee eingebracht und wenigstens teilweise durchgesetzt hat, daß ein Teil des Währungsgoldes beim Währungsfonds zu Marktpreisen verkauft wird und damit rund 8 Milliarden DM für die Entwicklungsländer flüssig gemacht werden. ({5}) Wir haben erklärt, daß die Mittel, die der Währungsfonds hat, im Zins so heruntersubventioniert werden, daß der Zinssatz niedrig ist, damit er für die Entwicklungsländer interessant ist und sie diese die Mittel einsetzen können. Wir haben im Rahmen der Vereinten Nationen durch die Rede von Herrn Genscher Vorschläge gemacht, wie die Erlösstabilisierung praktikabel wird. Meine Damen und Herren, damit hier überhaupt kein Mißverständnis entsteht: Wir sind bereit, unseren Teil zur Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft zu erbringen. Wogegen sich der Bundeskanzler zu Recht gewehrt hat und auch ich mich wehre, ist, daß in Brüssel nach unserer Einschätzung das Geld nicht so verwandt wird, wie es verwandt werden sollte. ({6}) Wenn uns morgen gesagt wird, wir müßten ein Milliardenprogramm zur Hilfe der wirklich unterentwickelten Regionen in der Europäischen Gemeinschaft auflegen, sei es in Süditalien, sei es in Schottland, Irland oder anderswo, dann sind wir dazu bereit. Dann muß allerdings die Europäische Gemeinschaft bereit sein, mehr Rationalität in ihre Finanzordnung insgesamt einziehen zu lassen. Zu diesem zweiten Punkt, unseren Verpflichtungen im Rahmen der weltweiten Solidarität zur Sicherung des Friedens, zum Zusammenrücken der Völker, gehört auch das, was der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundesaußenminister gestern hier unter der Überschrift „Kredit an Polen" dargestellt haben. Wer hier Fragen aufwirft, muß sich selber fragen, ob er in dieser Hinsicht nicht dabei ist, in die Phase billigen Chauvinismus' zurückzukehren. ({7}) Schließlich zum dritten Punkt - ich spreche immer noch über das Thema der Erhaltung der bewährten Struktur unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung -: Unser Bekenntnis zur Erhaltung und zum Ausbau der sozialen Marktwirtschaft und der Leistungsfähigkeit unserer Unternehmenswirtschaft. Es ist doch falsch, wenn hier gesagt wird, wir verunsicherten die deutschen Unternehmen. Wenn hier jemand verunsichert, dann sind es diejenigen, die über Verunsicherung reden, meine Damen und Herren von der Opposition. ({8}) - Herr Kollege Dr. Jenninger, wie ist es denn? Praktizieren wir denn nicht das Wettbewerbsrecht selbst in schwierigen Zeiten? Ist es nicht so, daß wir unseren Beitrag dazu leisten, daß der internationale Wettbewerb erhalten wird, nicht zuletzt z. B. durch hohe Zahlungsbilanzkredite an europäische Partnerländer? Ist es nicht so, daß wir erklärt haben, daß es keine zusätzliche Steuerbelastung für die Unternehmen in der vor uns liegenden Periode der mittelfristigen Finanzplanung geben wird? Ist es nicht so, daß wir durch unsere einschneidenden Sparmaßnahmen den Kapitalmarkt derart entlasten, daß die Wirtschaft davon ausgehen kann, daß dieses Geld, wenn sie es braucht, für sie auch zur Verfügung steht? Sie wollen diese Konsolidierung des Kapitalmarkts nicht, indem Sie sich Sparvorschlägen, notfalls auch Steuervorschlägen entziehen. Sie verunsichern. ({9})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Minister, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann. - Bitte!

Dr. Ernst Müller-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ist es nicht so, daß die derzeit bei kurzfristigem Geld günstig erscheinenden Bedingungen auf dem Kapitalmarkt deswegen kaum in Anspruch genommen werden, weil die Unternehmen befürchten müssen, daß wegen des Gedränges auf dem Kapitalmarkt in den nächsten Jahren das Zinsniveau wieder erheblich nach oben klettern wird?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Nein, Herr Dr. Müller-Hermann, dies ist nicht so. Die deutschen Unternehmen investieren deswegen nicht, weil ihre Absatzchancen insbesondere auf dem Weltmarkt ungünstig sind. In dem Moment, wo die Weltmarktkonditionen besser sind, werden sie investieren. Aber wenn Sie mir erlauben, werde ich zu diesem Punkt noch kommen. Weiter führen Sie, meine Damen und Herren, unter dem Rubrum mangelndes Vertrauen das Thema berufliche Bildung und Mitbestimmung in die Debatte ein. Wir wollen und wir werden in dieser Legislaturperiode zu beiden Themen die Antworten der sozialliberalen Koalition geben, damit die Wirtschaft klarsieht, und dann wird auch dieser Bereich, in dem Sie mit Mißtrauen argumentieren, aus der Welt geschafft sein. Schließlich gehört zu unserem Programm des Erhalts der bewährten Struktur unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung unser Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich zu diesem Thema äußerten. ({0}) Ist es denn nicht so, meine Damen und Herren von der Opposition, daß uns die Tarifautonomie die vergleichsweise besten Ergebnisse gebracht hat? ({1}) Ist es denn nicht so, daß alle anderen Länder im Verhältnis Arbeitgeber zu Arbeitnehmer schlechtere Erfahrungen gemacht haben? ({2}) - Gut, hervorragend, Herr Kollege Professor Erhard, wenn Sie sagen: „Seit 25 Jahren" ! Nur, dann hören Sie bitte auf, das Thema Lohnquote, zu dem der Bundeskanzler gestern klare Aussagen gemacht hat, als Thema des Vorwurfs an die sozialliberale Koalition zu benutzen! ({3}) Dann sagen Sie mit uns: Hier hat sich die Tarifautonomie in unserem Lande zu bewähren. ({4}) - Herr Kollege Barzel, Sie sind heute morgen ausnehmend witzig; ich muß Ihnen das bescheinigen. ({5}) Nur, den Witz haben Sie gestern schon gebracht, und Witze lassen sich schlecht wiederholen. ({6}) Herr Kollege Barzel, wenn das so ist, wenn wir uns alle zusammen hier im Saal - ich entnehme das Ihren Zwischenrufen - zur Tarifautonomie bekennen, dann lassen Sie uns die Verantwortung für die Lohnquote und die Lohnentwicklung dorthin legen, wohin sie gehört, nämlich in die Hände der Tarifparteien, ({7}) und dann hören wir in diesem Hause damit auf, aus der Tatsache selber Polemik saugen zu wollen. ({8}) Allerdings stimme ich Ihnen in einem Punkt ausdrücklich zu: Die Arbeitgeber bei Bund, Ländern und Gemeinden haben in der vor uns liegenden Tarifrunde eine besondere Verantwortung zu tragen. Das ist selbstverständlich, und wir Sind uns dieser Verantwortung bewußt. Wir lehnen allerdings auch jeden Vorschlag eines Nullwachstums der Gehälter im öffentlichen Dienst oder einer Lohnpause ab. ({9}) Wir sind der Meinung: die Tarifautonomie wird sich auch im öffentlichen Dienst bewähren; es wird auch hier Lohnerhöhungen geben, allerdings nur in dem Maße, in dem die öffentlichen Kassen dies leisten können. ({10}) - Herr Kollege Leicht, jetzt möchte ich einmal einen Augenblick weiterreden; ich komme ja noch zu den Haushaltsthemen, ({11}) Lassen Sie mich ein fünftes Element in die Debatte einführen. Dieses gehört auch zum Thema Erhaltung der bewährten Struktur unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Für uns ist Sparen kein Selbstzweck. Der Bundeskanzler hat gestern darauf aufmerksam gemacht, daß wir nicht blindwütig durch Sparen die Strukturen unseres Staates zerstören, die Kräfte des Aufschwungs gefährden und die Strukturen unserer Gesellschaft in Frage stellen wollen. Dies, Herr Kollege Barzel, ist, wenn Sie so wollen, in fünf Elementen unter einer Zielsetzung die Blaupause, die Skizze, der Bauplan der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Maßnahmen, die wir in den nächsten Monaten vorhaben, die wir im Kabinett beschlossen haben und die schrittweise diesem Parlament zur Zustimmung vorgelegt werden. ({12}) Ich darf noch einmal wiederholen und zusammenfassen: Wir weichen nicht ab von den Grundprinzipien unserer Politik des schrittweisen Mehr an sozialer Gerechtigkeit und des Abbaus von Privilegien. Wir erhalten die Elemente der Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft, wir erhalten die Marktwirtschaft national wie international, und wir tun das unsrige zur Überwindung der Rezession. Ich gebe zu, daß diese Blaupause, diese Skizze, auch ihre Elemente, ihre Grundpfeiler hier zur Debatte stehen. Zu dieser Blaupause, zu dieser Skizze, zu diesen Elementen, zu diesen Stützpfeilern unseres Konzepts ist uns die Opposition bisher ihre Antwort schuldig geblieben. ({13}) Sie haben mit verschiedenen Begründungen argumentiert. Ich will mich mit den Begründungen, warum Sie sich versagen, eine eigene Konzeption vorzulegen, nicht auseinandersetzen. ({14}) Wichtig ist, daß die Opposition in den vor uns liegenden Monaten herauskommt aus ihrer Polemik, ihrer Negation, ({15}) unsere Maßnahmen prüft und, falls sie zur Ablehnung unserer Maßnahmen kommt, Alternativen entwickelt. ({16}) Es hat keinen Zweck, von Ihnen hier und heute Alternativen zu verlangen. Sie haben durch die Redner, die wir gestern hier erlebt haben, deutlich gemacht, daß Sie sich dazu nicht in der Lage fühlen. ({17}) Aber, meine Damen und Herren, dieses wiederhole ich: Sie werden der Frage nicht ausweichen können, ob Sie nicht doch anstelle ({18}) der Sparvorschläge, anstelle auch der Steuererhöhungen - und diese sind natürlich unpopulär; dies ist mir durchaus bewußt - tief einschneiden wollen in das System sozialer Sicherheit in unserem Lande. Diese Frage werden wir Ihnen stellen, bis Sie uns eine Antwort darauf geben. ({19}) - Aber, meine Damen und Herren, ich merke schon an Ihren Zwischenrufen, im übrigen auch an den Kommentaren der letzten Tage, daß wir wohl noch lange brauchen werden, bis Sie zu dieser einheitlichen, mit einer Zunge vorgetragenen Meinung kommen können. Denn wie ist es denn wirklich bei Ihnen? Ihr Kollege Dr. Ritz erklärt, Sparmaßnahmen, die die deutsche Landwirtschaft treffen, seien abzulehnen und ungerecht.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Bitte schön!

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Bitte, Herr Kollege!

Dr. Burkhard Ritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001859, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Apel, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß von Ablehnung keine Rede war, sondern daß ich nur die Auswirkungen der von Ihnen beschlossenen Kürzung dargestellt habe und daß es das Recht der Opposition sein muß, kritisch die von Ihnen beschlossenen Maßnahmen zu prüfen und die Auswirkungen darzustellen? Sind Sie bereit, dies einzuräumen und einzugestehen, daß Sie hiermit einfach eine falsche Darstellung gegeben haben?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Kollege Ritz, Sie haben wörtlich erklärt, die Maßnahmen seien sozial ungerecht ({0}) - Augenblick! - und die Opposition - dies haben Sie angekündigt - würde diesen Maßnahmen nicht zustimmen. ({1}) Damit ist doch wohl klar, daß Sie in einem Punkte, Herr Kollege Ritz, bereits vom Tische gewischt haben, was das Kabinett mit Schwierigkeiten - das gebe ich zu - beschlossen hat. Herr Kollege Todenhöfer hat „außerordentliche Bedenken" - ich zitiere wörtlich - geltend gemacht gegen die Kürzungen im Bereich der Entwicklungshilfe, und der Parteivorsitzende Kohl hat auf dem entsprechenden Kongreß dies auch so dargestellt, daß die Entwicklungshilfe eigentlich nicht gekürzt werden dürfe. ({2}) - Die Entwicklungshilfe ist ja nicht überproportional gekürzt. Schauen Sie doch in das Tableau, Herr Kollege Kiep! ({3}) Eine Steigerung von 6 % ist immer noch 50 % mehr als die Steigerungsrate im Durchschnitt des Haushalts. Aber ich will Ihnen ja eines zugeben: bei der Entwicklungshilfe zu kürzen, ist auch für einen Sozialdemokraten ein schwerer Schritt. ({4}) Meine Damen und Herren, es hat nur überhaupt keinen Zweck, von Ihnen zu hören: Ihr müßt mehr sparen. Bei der Entwicklungshilfe hören wir von Herrn Todenhöfer, das gehe eigentlich nicht. Wir hören von Herrn Ritz, bei der Landwirtschaft sei das ungerecht. Wir hören von Herrn Pfeifer, die Kürzungen im Bildungsbereich seien kraß. Wir hören von Herrn Wörner, mit den Kürzungen, die den Soldaten beträfen, riskierten wir, unsere Verteidigungsbereitschaft einzuschränken. Sie übertönen bisher - ich muß sagen, mit einem gewissen Erfolg - Ihre Uneinigkeit, Ihre Unentschlossenheit durch Lautstärke. Nur wird das nicht lange vorhalten. ({5}) Ich frage Sie: Wo ist denn Ihre Konzeption von unserer Gesellschaft in der Weltrezession nach dem Ölpreisstopp, nach weiteren möglichen Forderungen der Entwicklungsländer an die Industrienationen? ({6}) - Ich habe schon intelligentere Zwischenrufe gehört. Aber jeder ist so gut, wie er kann, Herr Kollege Jenninger. ({7}) Meine Damen und Herren, wo ist denn Ihre Konzeption? Was wollen Sie denn außenwirtschaftlich anders als wir? ({8}) Die Entwicklungshilfe wollen Sie nicht kürzen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie im westlichen Verbund und in unserem Engagement dort etwas ändern wollen. Damit bleibt für uns die Überzeugung, daß Sie in der Tat - das wäre allerdings tödlich für unsere Gesellschaft - doch an das Netz der sozialen Sicherheit ranwollen, an die Sozialrenten ranwollen, an die Kriegsopferrenten ranwollen. Nur wollen Sie das nicht vor dem Wahltag, sondern nach dem Wahltag exerzieren. Wir werden es nicht dazu kommen lassen. ({9}) Meine Damen und Herren, wie ist es denn mit dem öffentlichen Dienst? Wir muten dem öffentlichen Dienst Opfer zu, zugegeben. Wir nehmen auch die Kritik, die aus dem öffentlichen Dienst kommt, ernst. Wir werden mit den Kolleginnen und Kollegen reden. Aber wie ist es denn bei Ihnen? Haben Sie nicht mehr oder minder deutlich erklärt und durchblicken lassen, daß der öffentliche Dienst, wenn es nach Ihnen ginge, stärker ran müßte? Verkennen Sie denn dabei nicht, welche zentrale Aufgabe der öffentliche Dienst für dieses Land hat? Beamte, Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst arbeiten ja nicht für sich, sondern für uns, für diesen Staat. ({10}) Ich habe in der gestrigen Debatte nur ein Element einer Blaupause von Ihnen gehört: Steuererleichterung für Unternehmer. Das reicht ja wohl als Konzept für die Opposition nicht aus. ({11}) Es bleibt bei dem Konzept, das wir am Ende der Rede von Herrn Professor Carstens gefunden haben. Es geht darum, mit jedem Mittel - jedes Mittel ist recht - in diesem Staat die Macht zu erwerben. Was man dann mit der Macht machen will, bleibt offen, ({12}) damit niemand erschreckt wird, weder außerhalb der Opposition noch innerhalb der Opposition. Damit müssen Sie sich selbst die entscheidende Frage stellen: Wozu Macht in der Demokratie? Diese Frage werden Sie uns zu beantworten haben. ({13}) Herr Kollege Barzel hat dann gesagt, das Konzept - ich verwende Ihren Ausdruck Blaupause - möge ja wohl stimmen, in sich stimmig sein, ({14}) aber die Analyse, die zu diesem Konzept führe, sei fragwürdig und müsse noch einmal debattiert werden. Ich will das tun. ({15}) Meine Damen und Herren, in einem haben wir gestern zumindest einen Teilfortschritt gemacht, nämlich darin, daß auch die Opposition zunehmend einsieht, daß die Rezession, die unser Land getroffen hat, im wesentlichen und vor allem Weltrezession ist. ({16}) - Ist nicht wahr? Gut. Dann allerdings, meine Damen und Herren, habe ich eine Empfehlung an Sie auszusprechen. Wie wäre es denn, wenn der eigent13014 liche Sprecher der Opposition in Wirtschafts- und Finanzfragen weniger oft nach Peking und häufiger nach Washington führe, um sich dort zu informieren, wo man Informationen über unser Problem bekommen kann! ({17}) Aber wenn wir uns über dieses zentrale Element unserer Schwierigkeiten nicht einig sind, dann werden wir über diese Schwierigkeiten hier wohl noch etwas länger zu reden haben, denke ich. ({18}) Der Internationale Weltwährungsfonds, ({19}) meine Damen und Herren, hat uns auf seiner letzten Generalversammlung - Gouverneursratstagung heißt das - in Washington vor wenigen Wochen seine Analyse für diese weltweite Rezession vorgelegt. Diese Analyse besteht aus drei Elementen, drei Ursachen für die weltweite Rezession. ({20}) Element Nummer eins: Wir befinden uns - im Nachgang zum Vietnam-Krieg mit einer beispiellosen Ausweitung internationaler Liquidität und schließlich des Zusammenbruchs des Bretton Woods-Systems fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse - immer noch in einer Phase weltweiter Inflation. Meine Damen und Herren, der Währungsfonds und sein managing director, sein Geschäftsführender Direktor, haben die Bundesrepublik - mit einigen wenigen anderen Ländern - ausdrücklich und nachdrücklich dafür gelobt, daß unser Land vielleicht sogar das einzige Land war, das vor Ausbruch des Ölpreisschocks diese Gefahr der weltweiten Inflationierung erkannt und rigoros gehandelt hat. ({21}) Anders wäre es ja wohl auch nicht zu erklären, meine Damen und Herren - darauf wird noch zurückzukommen sein -, daß wir weltweit das Land mit den stabilsten Preisen sind. Der Währungsfonds hat uns ein zweites Element für die gegenwärtigen Schwierigkeiten dargestellt: die weltweiten Zahlungsbilanzungleichgewichte, die durch den Ölpreisschock verstärkt wurden, aber bereits vorher latent vorhanden waren. Und hier hat dieses Land, die Bundesrepublik Deutschland, wiederum keine Probleme. Wir sind das Land mit den höchsten Devisenreserven in der westlichen Welt. Schließlich Element Nummer drei: Diese Welt ist getroffen von einer Ölpreisexplosion, und diese Ölpreisexplosion hat allerdings auch unser Land getroffen. ({22}) Nun werden Sie sagen - Herr Kollege Barzel hat das gestern gesagt -, es gebe aber auch einen hausgemachten Teil dieser Rezession. ({23}) In einem, Herr Kollege Barzel, stimme ich Ihnen zu, ausdrücklich: Stabilitätspolitik in der Härte, in der Eingriffstiefe, wie sie die Sozialliberalen von Mitte 1973 an gemacht und Ende 1973, als der Ölpreisschock begann, schrittweise aufgegeben haben, hinterläßt ihre Spuren. Es gibt keine Stabilitätspolitik ohne Konsequenzen. Nur, Herr Kollege Barzel, eins ist natürlich an den Konsequenzen, die Sie daraus vielleicht gezogen haben, unrichtig - und diese Konsequenzen werden manchmal international gezogen -, nämlich daß wir mit etwas weniger Stabilitätspolitik heute etwas weniger Probleme mit der Arbeitslosigkeit gehabt hätten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie diese Konsequenzen ziehen; andere ziehen sie. Nur stimmen sie nicht. Die Preissteigerungsrate in unserem Lande lag bei 5,9 %, die Arbeitslosenquote bei 4,5 %. In England betrug die Preissteigerung 26,3 %, die Arbeitslosigkeit 5,4 %. ({24}) Das heißt mit anderen Worten: Alle die Länder, die die Inflation hemmungslos haben laufen lassen, haben heute nicht nur fast unlösbare Zahlungsbilanzprobleme; sie haben insbesondere Arbeitslosenzahlen, die wesentlich höher sind als unsere. Herr Kollege Barzel, Sie haben die Frage gestellt, ob es aber nicht bei den Wachstumsraten des realen Bruttosozialprodukts unserer Partner besser aussehe. Auch das ist nicht der Fall. Schauen wir uns die Arbeitslosenquoten unser Nachbarländer einmal an: Belgien: 6,2 %, Dänemark: 10,2 %, Frankreich - wie wir -: 4,5 %, England: 5,4 %, Italien: 5,7 %, Niederlande: 5,2 %, USA: 8,4 %, Japan: 1,8 %. Japan ist ein Sonderfall. Dort wird man nicht arbeitslos weil man lebenslang in einem Betrieb eingebaut wird. ({25}) - Ich habe hier die wichtigsten Länder genommen. Sie sehen, die Arbeitslosenquote ist bei diesen wichtigen Handelspartnern nirgends geringer als bei uns, sie ist eher höher. ({26}) - Japan ist ein Ausnahmefall. Dort gibt es auf Grund der patriarchalischen Struktur der Unternehmen keine Arbeitslosigkeit. Herr Kollege Dr. Barzel, damit wird doch schon aus den Arbeitslosenzahlen klar, daß die Wachstumsverluste im diesen Ländern genauso groß, wenn nicht größer sind als bei uns. Dieses ist doch das Bedrückende. ({27}) - Herr Kollege Barzel, die Wachstumsstatistik kann ich gerne vortragen. Sie ist eben nur aus dem Jahre 1974. ({28}) - Ich habe mit Herrn Kollegen Fourcade nun wirklich jede Woche einmal zu tun. Er hat im ersten Halbjahr 1975 ein Minus von 3 % zu verzeichnen. ({29}) Damit hat er ein Minuswachstum. Wir haben minus 5 °/o. Na schön! ({30}) - Ich bitte Sie! Frankreich ist nicht in dem Maße vom Verlust im Bereich des Exports getroffen wie wir, weil Frankreich nicht in dem Maße von der Exportwirtschaft abhängig ist wie wir. Dieses ist doch die Erklärung. ({31}) Nun haben Sie, Herr Kollege Dr. Barzel, gesagt, ({32}) die Haushaltspolitik, die Finanzpolitik habe in den letzten Jahren doch deutlich gemacht, daß hier einiges im argen liegt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Ja, bitte schön!

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister, Sie sprechen von einem Minuswachstum. Können Sie mir erklären, wie dies in Wirklichkeit aussieht? Wenn etwas um zwei oder drei Zentimeter kleiner wird, wächst es doch nicht um minus 3 %. ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Kollege Stücklen, es ist besser, ich gebe Ihnen keine Antwort darauf, weil sie sonst etwas schnodderig ausfiele. ({0}) Herr Kollege, Minuswachstum heißt natürlich, daß wir in diesem Jahre 30, 40 Milliarden DM weniger an realem Bruttosozialprodukt haben. Was sollen denn diese semantischen Übungen im Deutschen Bundestag? ({1}) Meine Damen und Herren, wir haben vom Dezember 1972 bis heute - damit bin ich beim Bereich der Haushaltspolitik - im Deutschen Bundestag 37 Gesetze mit sozialpolitischer Wirkung beschlossen. Es wurden also 37 Gesetze verkündet, die mehr oder minder Geld gekostet haben. Diese Gesetze, von denen die Bundesregierung 23 eingebracht hat, sind von diesem Hause fast alle einstimmig oder mit überwältigender Mehrheit - also unter Einschluß der Oppositionsfraktion angenommen worden. Unter diesen 37 Gesetzen hat es nur ein einziges Gesetz gegeben - wir haben das sehr genau nachgeprüft -, dem die Opposition widersprochen hat. ({2}) Dieses war das Gesetz, in dem wir nach den letzten Bundestagswahlen die uns von Ihnen aufgezwungene Regelung rückgängig gemacht haben, nach der man auch nach Erreichen der flexiblen Altersgrenze weiterhin voll erwerbstätig hätte bleiben können, ohne daß dies auf die Rente angerechnet wird. Meine Damen und Herren! Ich sage dies nicht, um Ihnen irgendeinen Vorwurf zu machen, sondern ich sage Ihnen das nur, damit Sie endlich aufhören, in Schlagworten zu reden. Von diesen 37 Gesetzen sind die Gesetze mit sozialpolitischem Inhalt - diese Gesetze kosten Geld; ich werde gleich auf einige eingehen - einvernehmlich von uns allen beschlossen wurden. Nur in einem Falle, als Sie mehr Geld ausgeben wollten als wir, haben wir Sie daran gehindert. So sieht die Vergangenheit aus. Was waren das nun für Gesetze? Es war das 5. Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes, 5. Anpassung der Kriegsopferversorgung vom 19. Dezember 1973. Das Gesetz kostet 1976 1,069 Milliarden DM. Ist die Tatsache, daß die Kriegsopfer mehr bekommen, die sozialistische Mißwirtschaft, von der Sie sprechen? Haben Sie nicht diesem Gesetz zugestimmt? Wo bleiben Sie eigentlich dann mit Ihrer Polemik? ({3}) Ich nehme ein weiteres Gesetz - ich habe die gesamte Liste hier vorliegen, meine Damen und Herren -, das 16. Gesetz zur Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, verbunden mit der Erhöhung der gesetzlichen Unfallversicherung. Dieses Gesetz kostet mehr als 600 Millionen DM. Wollen Sie dies nachträglich als sozialistische Mißwirtschaft bezeichnen, oder sind Sie nicht der Meinung, daß es gerechtfertigt war, diese Leistungen damals zu verbessern? ({4}) Ich nehme ein Gesetz vom 28. April 1975, das einstimmig verabschiedet wurde: die Erhöhung der gesetzlichen Renten um 11,1 % ab 1. Juli 1975, die Erhöhung der gesetzlichen Unfallversicherungsrenten um 11,8 v. H., die Erhöhung der landwirtschaftlichen Altersgelder um 11,1 v. H. Die Kosten für den Bundeshaushalt 1976 betrugen 900 Millionen DM. Sind Sie der Meinung, daß dies sozialistische Mißwirtschaft ist? Sind Sie nicht mit uns zusammen der Meinung, daß diese Maßnahme notwendig war, um den Ärmsten der Armen auch in der Land13016 wirtschaft zu helfen? Wieso haben Sie dann heute diese Vokabeln im Munde? ({5}) Haben Sie diesem Gesetz nicht im übrigen zugestimmt? ({6}) - Ich beschimpfe Sie deswegen, weil Sie gegen früheres Tun heute mit Polemik antworten. ({7}) Ich nehme nun das Gesetz der laufenden Anpassung der Altersgelder in der Landwirtschaft vom 22. Dezember 1973; Kostenpunkt 426 Millionen DM im Bundeshaushalt 1976. Meine Damen und Herren, lehnen Sie diese Maßnahme nachträglich ab? Wollen Sie diese Maßnahme in den Katalog der Beschimpfungen einbeziehen, die Sie hier über die Finanzpolitik der letzten Jahre anstimmen? - Sicherlich nicht! Sie haben im übrigen diesem Gesetz zugestimmt. Nun werden Sie sagen: Dies mag wohl alles so sein, aber die Opposition - so Herr Kollege Barzel - konnte sich kein Bild darüber machen, was das finanzpolitisch bewirken würde. Die Opposition hat dem allem zugestimmt. Die Opposition findet das auch alles sehr richtig. Aber es muß vom Finanzminister verlangt werden, daß er notfalls auch rechtzeitig Warnsignale aufzieht. Da werde ich Ihnen die Rechnung der letzten Jahre aufmachen. Der Bundeshaushalt 1970 hat mit einer Nettokreditaufnahme von 1,1 Milliarden DM abgeschlossen, der Bundeshaushalt 1971 mit einer Nettokreditaufnahme von 1,4 Milliarden, 1972 waren es rund 3,9 Milliarden und 1973 rund 2,7 Milliarden. Wir haben in diesen vier Jahren sozialliberaler Finanzpolitik, in der alle diese Gesetze beschlossen worden sind, 9,1 Milliarden DM Nettokreditaufnahme getätigt. Dem stehen für diese vier Jahre unter Einbeziehung der Stabilitätsanleihe Rücklagen von 8,1 Milliarden DM gegenüber. Das heißt, es ist falsch, es ist unrichtig, es ist demagogisch, wenn Sie behaupten, die Staatsfinanzen seien durch eine Anspruchsinflation in unserem Land in Gefahr geraten. ({8}) Richtig ist, daß die Finanzpolitik, die Gesellschaftspolitik, die Sozialpolitik der sozialliberalen Koalition bis zum Beginn der Weltrezession in Ordnung waren, daß alles das, was wir beschlossen haben, zu finanzieren war und deswegen Ihre Vorwürfe unberechtigt und demagogisch sind. ({9}) Meine Damen und Herren, ab 1974 - und das muß zugegeben werden - verändern sich allerdings die Zeiten dramatisch. ({10}) Wir haben einen Finanzplan aufgestellt - heute vor 13 Monaten -, der in seinen Steuervorausschätzungen durchaus schon durch die beginnende Rezession geprägt war. Schon zu diesem Zeitpunkt mußten wir die Steuervorausschätzungen zurücknehmen. Wenn man sich aber die Zahlen der damaligen und der letzten Steuerschätzung anschaut - und Steuerschätzungen, Herr Kollege Stücklen, macht nicht die Bundesregierung, sondern ein Arbeitskreis, an dem die Länder beteiligt sind; dieses sind also objektive Zahlen auf Grund gegenwärtiger Erkenntnisse -, dann wird die ganze Dramatik deutlich. Gegenüber diesem Finanzplan verlieren wir für 1976 21,9 Milliarden DM, also fast 22 Milliarden DM an Steuereinnahmen. Wir müssen gleichzeitig, obwohl ich dabei die Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bereits einkalkuliert habe, 6 Milliarden DM an die Bundesanstalt geben. Wenn Sie dieses zusammenzählen, sind Sie bei 28 Milliarden DM Steuerausfällen, Mehrbelastungen auf Grund der Konjunktur; und dann bleiben gut 10 Milliarden DM nach. Über diese 10 Milliarden DM, Herr Kollege Stücklen, könnten wir unter dem Schlagwort „Finanzchaos" streiten. Nur umfassen diese 10 Milliarden DM auch die Konsequenzen aus der Steuerreform: 7 Milliarden DM für den Bund. Da frage ich Sie dann allerdings zusammen mit dem Bundeskanzler, ob nicht Sie, was die Verteuerung der Steuerreform anbelangt, eine wesentliche Mitschuld mitzutragen haben. ({11}) Ich lasse das aber beiseite. 10 Milliarden DM Defizit in einem Bundeshaushalt der Größenordnung, wie wir ihn haben, wären auch in einer Hochkonjunktur akzeptabel. ({12}) Nun werden Sie sagen: Wenn das alles im Bereich der Sozialpolitik, der Gesellschaftspolitik so in Ordnung war, warum müßt ihr dann eingreifen? ({13}) Warum müßt ihr dann in Gesetze eingreifen und müßt ein Strukturverbesserungsgesetz vorlegen? ({14}) Dies liegt doch auf der Hand. Damit bin ich bei dem Gremium, das mir gutachtlich zur Seite steht. Wir haben ein strukturelles Defizit, und zwar nicht nur im Bundeshaushalt, sondern auch in den Haushalten der Länder und der Gemeinden. ({15}) - Ja, darüber will ich gerade reden, Herr Kollege Althammer. Es hat im wesentlichen zwei Gründe. Grund Nummer 1: Wir haben ein wohlausgebautes und auch zu erhaltendes Netz sozialer Sicherheit, das natürlich in der Rezession die Kosten explosionsartig steigen läßt. Dies ist auch der Sinn der Sache. Wir haben auf der anderen Seite - das spüren Bund, Länder und Gemeinden gleichzeitig - keine Steigerung in den Steuereinnahmen, ja, wir haben sogar beim Bund über viele Monate gegenüber dem letzten Jahr einen Verlust an Steuereinnahmen gehabt. ({16}) Nun haben wir das Steuersystem so geändert - und dafür spricht ja manches -, daß für mehrere Jahre, wenn die Einkommen wieder schnell wachsen, die Progression aus dem Steuertarif heraus ist. Das heißt also, daß bei jeder Mark mehr an Arbeitnehmereinkommen der gleiche Steuersatz - 22 % -zu zahlen ist und es lange brauchen wird, bis sie in die Progression hineinwachsen. Dies haben wir alle gewollt, dies finden wir alle gut. Nur, das führt natürlich dazu, daß es lange brauchen wird, ehe diese strukturelle Lücke zwischen dem weiteren Wachsen der Sozialausgaben - und die wollen wir ja erhalten; deswegen bekennen wir uns ja auch im Gegensatz zu Ihnen zur Mehrwertsteueranhebung - und dem dann wieder wachsenden Steueraufkommen geschlossen wird. ({17}) So lange können wir nun allerdings nicht warten. Wir können aus mehreren Gründen nicht warten, bis sich diese Schere schließt. Der zentrale Grund liegt darin, daß 1977 der Art. 115 des Grundgesetzes wirkt. Den kennen Sie ja alle. Dieser Art. 115 besagt, daß der Bund nur so viele Schulden machen darf, wie er investive Ausgaben tätigt. Dann - 1977 - wird nach unserer Annahme - ich komme darauf noch zurück - die Rezession vorbei sein. 1976 wirkt dieser Artikel nicht. ({18}) Und es gibt einen zweiten Grund. Sie alle haben mit bewegten Worten darüber Klage geführt, daß die Wirtschaft Vertrauen haben müsse. Und zur Wirtschaft gehört der Kapitalmarkt, zur Wirtschaft gehört die Bankenwelt. ({19}) - Ja, natürlich, Herr Blüm, auch die Arbeitnehmer. Daran brauchen Sie mich doch nicht zu erinnern; erinnern Sie doch hin und wieder Ihre eigenen Fraktionskollegen daran! ({20}) Es war deswegen eine Dreistufenfolge notwendig: volle Hinnahme des Defizits 1975, weil das konjunkturell notwendig ist. Und ich sage Ihnen ohne Übertreibung: Das Defizit des Bundeshaushalts 1975 ist zu einem großen Teil finanziert; der Rest ist finanzierbar, auch ohne daß wir massive Zinssteigerungstendenzen auslösen. Dann: Reduktion der öffentlichen Ausgaben in 1976 und damit Reduktion der Nettokreditaufnahme, obwohl das Jahr 1976 vom Bund und vom Bundesfinanzminister Virtuosität im Schuldenmachen fordert, denn das Jahr 1976 wird kein einfaches Jahr werden, was die Bedienung der öffentlichen Anleihen, der öffentlichen Schulden anlangt. Und dann: Reduktion der öffentlichen Verschuldung in 1977 auf eine erträgliche und akzeptable Größenordnung. Meine Damen und Herren, ich meine also, wir haben überhaupt keinen Grund, die von Ihnen gemachten Vorwürfe bezüglich des „Finanzchaos" zu akzeptieren. Wir würden die Probleme unseres Landes vertiefen, wenn wir Ihren Vorstellungen folgen würden, wenn wir noch tiefer in die öffentlichen Ausgaben einschneiden würden. Wir würden damit in der Tat die Voraussetzungen für den Wirtschaftsaufschwung 1976 echt gefährden. ({21}) Wir werden das deswegen auch nicht tun. Nun hört man weniger hier als draußen im Lande merkwürdige Töne, Töne nach dem Motto, der Bürger würde durch die Mehrwertsteueranhebung in 1977 - und dies muß immer wieder betont werden - überfordert; Glistrup-Effekte werden uns angekündigt; die Steuerlastquote sei zu hoch. Ich habe mir einmal die Tabelle der Steuerlastquote in unserem Lande angeschaut. Ich will sie Ihnen gern vortragen, und zwar zwei Tabellen, eine, die sich aus der realen Steuerlast ergibt, und eine unter Berücksichtigung der Tatsache, daß wir törichterweise das Kindergeld über die Arbeitsämter zahlen und damit einen durchlaufenden Posten in den öffentlichen Finanzen haben, der natürlich die Steuerlastquote nach oben treiben muß. Tabelle Nr. 1: Steuerlastquote, wie sie sich trotz der unsinnigen Regelung der Zahlung über die Arbeitsämter ergibt. 1962: 24,0 %, 1969: 24,0 %. ({22}) - Zwischendurch? Ich kann Ihnen die ganze Tabelle vorlesen, aber was soll's, ich komme ja gleich auf die Jahre, in denen Sie in der Opposition waren. 1970: 22,5 %, 1971: 22,6 %, 1972: 23,6 %, 1973: 24,3 % - da springt es hoch -, 1974: 24,10/0. Dann kommt die Steuerreform: 1975 trotz des Kindergeldes 22,9 %, 22,5 % in 1976, 23,4 % unter Einschluß der Mehrwert-, der Branntwein- und der Tabaksteuer in 1977. Wenn wir dann die richtige Rechnung aufmachen und die richtige Rechnung wäre, das Kindergeld herauszunehmen; denn das Kindergeld ist nur ein durchlaufender Posten; würden wir es über die Finanzämter machen, erschiene es bei den öffentlichen Kassen gar nicht -, sieht es so aus: Steuerlastquote 1974 24,1 %, 1975 21,48 %, 1976 21,26 %, 1977 22,3 %, 1978 22,74 %. Ich warne Sie davor, den Eindruck zu erwecken, als ließen wir den Bürger über die Steuern - ich betone: Steuern - ungebührlich zur Ader. ({23}) Außerdem wollen wir vielleicht doch die Kirche im Dorf lassen, Herr Kollege Stücklen; denn die Mehrwertsteuererhebung, so schmerzlich sie ist, kostet den Arbeitnehmerhaushalt mit zwei Kindern, mittleres Einkommen, weniger als 20 DM im Monat. Da frage ich Sie, was es eigentlich den Arbeitnehmern in unserem Lande, der übergroßen Masse der Bür13018 ger nutzt, wenn wir Ihren Vorschlägen folgen und noch weniger Krankenschwestern haben, die Theater schließen, die Lehrer fehlen lassen, die Straßen schlecht bauen. ({24}) - Jawohl. Der Staat - das sind wir alle, meine Damen und Herren. Was Sie dem Bürger bei Ihrer Spareuphorie verschweigen, ist, daß das, was Sie wollen, entweder dazu führen würde, daß in der Tat die Sozialrentner schlechter gestellt werden - dem werden wir uns entgegenstellen -, oder aber daß wir staatliche Leistungen überall in einem unerträglichen Maße reduzieren müssen. ({25}) Ich möchte Ihnen gerne einmal eine Frage stellen. Einer Ihrer Redner - ich glaube, es war der Herr Dollinger - hat uns gestern gesagt, er sei der Meinung, wir müßten auch staatliche Leistungen privatisieren. Ich höre das nicht zum erstenmal. Eins kann ich für meine Fraktion erklären: In dem hier bereits angesprochenen Orientierungsrahmen 1985 findet sich ein Passus, der wenigstens den Gedanken ausdrücklich aufnimmt und wo gesagt wird, es sei ja wohl gar nicht einzusehen, daß wir überall dort, wo es sozial- und gesellschaftspolitisch verantwortbar sei, staatliche Leistungen über die große Steuerkasse bezahlen. Es sei ja wohl intelligent, dort, wo es gesellschafts- und sozialpolitisch verantwortbar ist, denjenigen, der die staatlichen Leistungen entgegennimmt, auch mit dem Äquivalent der Kosten zu belasten. ({26}) Ich bin sehr dafür, das zu prüfen. Da gibt es eine ganze Reihe von Bereichen. Es ist nicht einzusehen, warum die Kommunen z. B. nicht ihre Müllabfuhr und andere Sektoren auf diese Art und Weise anders organisieren und zu Kostenzurechnungen kommen. ({27}) Nur, darüber wollen wir uns auch im klaren sein: Das kann auch dazu führen, Herr Kollege Dollinger - ich fürchte: wird dazu führen -, daß ein Teil der Subventionierung bei der Abwässerbeseitigung, die jetzt durch den Bürger zugunsten einzelner verarbeitender chemischer oder anderer Industrien stattfindet, aufhört. Wir müssen uns dann auch über die Kehrseite der Medaille im klaren sein. Ich möchte eine weitere Frage an Sie richten. Wenn Sie so von diesem anonymen Staat reden: Wem nützt er denn eigentlich? Wer ist eigentlich Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Airbus AG? ({28}) Und kann nicht dieses Flugzeug nur deswegen weltweit vertrieben werden - ich bin ja dafür -, weil der Bau dieses Flugzeugs massiv mit Milliardenbeträgen subventioniert wird? ({29}) Hieran hängen doch Tausende von Arbeitsplätzen. Reden wir doch nicht immer so oberflächlich über die Dinge hin. ({30}) - Ich finde das hervorragend. Nur, Sie können doch nicht immer mit Doppelstrategie argumentieren. Wenn Sie Staat sagen, müssen Sie auch Airbus sagen, müssen Sie auch Werftbauhilfe sagen, müssen Sie auch regionales Förderungsprogramm sagen, müssen Sie auch Zuschüsse zur Rentenversicherung sagen und und und. Sie können doch nicht so tun, als seien dies nicht zwei Seiten derselben Medaille. ({31}) Meine Damen und Herren, ich muß mich nicht mit den Bemerkungen auseinandersetzen, die gestern hier gemacht worden sind und die wir vorher in den Tageszeitungen gelesen haben, nach denen unsere Rechnung für die künftigen Jahre nicht stimmt. Dort wird argumentiert, als sei es so, daß die öffentlichen Investitionen auf Grund der Haushaltskürzungen nicht so stiegen, wie wir das prognostizieren und für den von uns angenommenen Aufschwung voraussetzen. Aber, Herr Müller-Hermann, wenn Sie es noch einmal hören wollen, will ich es gerne tun: Wir müssen, wenn wir die investiven Ausgaben im Bundeshaushalt berechnen, davon die tatsächlich von den Bundesausgaben geleistete Investition unterscheiden. Dieses hört sich sehr kompliziert und technisch an, erklärt sich aber ganz einfach. ({32}) So ist zum Beispiel die Investitionszulage, so, wie wir sie zahlen, Einnahmeausfall des Staates. Würden wir dagegen dieselbe Investitionszulage, die in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gewährt wurde, über einen Titel des Bundeshaushalts direkt als Zulage zahlen, wären das investive Ausgaben. Wir haben z. B. im Haushaltsjahr 1975 fast 21/2 Milliarden DM als Darlehen an die Bundesanstalt für Arbeit gezahlt. Das ist Investition. Die Zuschüsse, die dann anschließend folgen, weil Darlehen nicht mehr möglich sind, sind keine Investition. Der Kasernenbau bei Herrn Leber ist Konsum und keine Investition. Ferner berücksichtigen wir in unserem Haushaltsentwurf für 1976 nicht die investiven Konsequenzen der Konjunkturprogramme. Auch das Konjunkturprogramm vom Dezember läuft doch noch in das nächste Jahr hinein. Tatsächlich steigen also, wenn Sie Investitionen als das nehmen, was sie sind, und sie so rechnen, wie sie volkswirtschaftlich zu rechnen sind, die staatlichen Investitionen von 41 auf 43 Milliarden DM. Das sind die fraglichen 7 Prozent. Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu der Annahme machen, das Wirtschaftswachstum würde im nächsten Jahr 5 Prozent betragen. Zumindest einer der Debattenredner hat das bezweifelt. Ich glaube, wir sollten uns die Größenordnung einmal klar vor Augen führen: Wirtschaftswachstum in Höhe von 5 v. H. 1976 würde, meine Damen und Herren, angesichts eines Minuswachstums in diesem Jahr von 3 bis 4 Prozent und eines Nullwachstums in 1974 ein reales Wachstum um wenige Prozent, 2 Prozent, gegenüber 1973 bedeuten. Dieses ist angesichts freistehender Kapazitäten, der weiter expansiv wirkenden öffentlichen Defizite, der laufenden Konjunkturprogramme, des zu erwartenden Rückgangs der gegenwärtig überhöhten Sparquote, des Anlaufens des privaten Bedarfs und der Notwendigkeiten des Lagerzyklus und der überall in der Welt beginnenden Maßnahmen zur Stimulierung der Konjunktur keine übertriebene Annahme. Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich bin hier nicht dabei, ein neues Versprechen abzugeben. Ich sage Ihnen nur: Unsere Rechnung, die der Haushaltsrechnung zu Grunde liegt, ist solide, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Der weltwirtschaftliche Aufschwung ist nicht - und da stimme ich Herrn Kollegen Graf Lambsdorff ausdrücklich zu - so dramatisch und spitz, wie es manche für den Fall annehmen, daß er eintritt. Aber er tritt ein. Wir helfen über internationale Mechanismen den Entwicklungsländern und schaffen hier neue Märkte. Wir schaffen Vertrauen in unser Land. Die Haushaltspolitik des Bundes ist ein wesentliches Element zur Rückgewinnung des Vertrauens. ({33}) Wir durchlaufen die tiefste Rezession seit dem letzten Krieg, die tiefste Weltrezession, so sagt der Bundeskanzler - und dem ist wohl nicht zu widersprechen -, seit 1935. Es gibt drei zentrale Unterschiede zu diesen dreißiger Jahren: das hohe Maß an internationaler Zusammenarbeit, die inzwischen verbesserten ökonomischen Instrumente und unser Erkenntnisstand, wozu ökonomische Rezession auch führen kann, nämlich zu politischer Turbulenz. Wir sind in unserem Lande viel besser dran als die meisten unserer Partner. Deswegen erwarten sie ja auch so viel von uns. Deswegen sind sie ja auch enttäuscht darüber, daß wir unseren Haushalt nur um 4,1 % wachsen lassen. Deswegen werden wir in internen Sitzungen auch massiv kritisiert. Man erwartet mehr deficit spending von uns, oder, wie der Bundeskanzler es manchmal sagt: man erwartet auch mehr Inflation von uns. Dies alles tun wir nicht, aber wir leisten unseren internationalen Beitrag. Der Opposition scheint für diese weltweite Perspektive noch die Optik zu fehlen. Ich stelle fest: Es bleibt bei der Arbeitsteilung; die Opposition räsoniert, proklamiert und diffamiert, die Koalition debattiert, projektiert und aktiviert alle Kräfte zur Bewältigung der Probleme. ({34}) Sie, meine Damen und Herren, haben den Wahlkampf eröffnet. ({35}) Wir nehmen die Herausforderung an. Auch in den vor uns liegenden Monaten bis zum Wahlkampf werden wir das Wohl und Wehe unseres Landes über das Wohl und Wehe der Parteien stellen. ({36}) Es bleibt eine Frage offen: Wann wird die Opposition so viel Kraft und Konzeptionsfähigkeit haben wie wir, ({37}) ihr Konzept für die Zukunft unseres Landes dem deutschen Volke zur Begutachtung vorzulegen? ({38})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, der amtierende Präsident hört manchen Zwischenruf und manchen Zuruf leider - gelegentlich auch Gott sei Dank - nicht. Nun hat Herr Kollege Maucher während der Rede des Herrn Bundesfinanzministers einen Zuruf gemacht, bei dem ich das Gefühl habe, daß Herr Kollege Maucher schwäbisch sehr sparsam mit Witz umgegangen ist. Ich will es mit dieser Bemerkung bewenden lassen. ({0}) Das Wort hat Herr Abgeordneter Katzer.

Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich auf die Rede des Herrn Finanzministers komme, möchte ich einige wenige Bemerkungen zum Ablauf des gestrigen Tages machen dürfen. Ich glaube, die Debatte gestern zeichnete sich durch das aus, was nicht bzw. nicht mehr gesagt wurde. Die Vokabel „Schwarzmaler", einst das liebste Kind der SPD, ist gestern überhaupt nicht mehr erwähnt worden. Wir nehmen dies zur Kenntnis als eine wirkliche Veränderung der Situation. ({0}) Zweitens. Der Herr Bundeskanzler - das hat sein Finanzminister gestern offenbar nicht mitbekommen, jedenfalls war davon in seiner Rede kein Wort zu hören - hat gestern, Herr Apel, in einem Nebensatz hier so beiläufig gesagt: nun ja, man könne ja vielleicht noch eine oder anderthalb Milliarden sparen. Entschuldigen Sie, es gibt doch keine bessere Rechtfertigung der Politik der Opposition als dieses Eingeständnis des Bundeskanzlers, während Sie heute sagen: das geht überhaupt nicht mehr. ({1}) Sie müssen sich doch in der Regierung jetzt endlich einmal klar werden, welchen Weg Sie gehen wollen. Was Sie gesagt haben, Herr Kollege Apel, war eine Aneinanderreihung von Tatsachen und Bemer13020 kungen. Aber dem fehlt doch jedes Konzept für eine Überwindung der Krise, in der wir miteinander stecken. ({2}) Aber, meine Damen und Herren, der gestrige Tag hat, glaube ich, in einem Punkt noch nicht die volle Klarheit gebracht. Wenn es gelingt, dies heute nachzuholen - der Wirtschaftsminister wird heute ja wohl noch sprechen -, dann hätten wir vielleicht alle einen Nutzen von der Gesamtdebatte. Es muß uns allen klar sein, meine Damen und Herren: Wenn der Staat, wenn die Wirtschaft kein Geld mehr haben zu investieren, dann ist der Anfang vom Ende gekommen, auch der Anfang vom Ende von solider Finanzierung der Sozialleistungen in unserem Land. ({3}) Wenn wir dies am Ende des heutigen Tages als gemeinsame fundierte Erkenntnis mitnehmen - mir soll es sehr recht sein. Lassen Sie mich nun, meine Damen und Herren, zu Herrn Kollegen Apel wenige Bemerkungen machen. Wenn man den Finanzminister hört, hat man den Eindruck, als wenn wir die Regierung wären; denn er stellt dauernd Fragen an uns, statt Antworten an die Opposition zu geben, wie es seine Aufgabe wäre. ({4}) Zweitens erweckt er den Eindruck, es sei im Grunde zwar schlimm, aber im wesentlichen sei doch alles in Ordnung. Herr Finanzminister, ich glaube, die Regierung sollte sich doch einmal abgewöhnen, Ausdrücke zu verwenden, die kein Mensch in unserem Land versteht. Da wird dauernd vom „Minuswachstun" geredet. Da redet man von „negativen Steigerungsraten". Das verstehen unsere Bürger nicht. „Negative Steigerungsraten", das ist bergab, da geht es runter, und „Minuswachstum" ist eben weniger. ({5}) Das sollten wir aus dem Vokabular herausnehmen. Herr Kollege Apel, wenn ich aus dem, was Sie gesagt haben, ein Fazit ziehe, dann würde ich sagen: Sie haben sich gestern für Reformen feiern lassen. Der Reformer von gestern ist der Erhalter von heute. Heute erwarten Sie dafür wiederum Beifall. Ich meine, Sie können nicht beide Male Beifall erheischen. Sie sprechen, Herr Kollege Apel, von der Verunsicherung der Wirtschaft. Sie sprechen von Mitbestimmung, Vermögensbildung und beruflicher Bildung generell. Aber die Verunsicherung entsteht doch durch das dauernde Hin und Her der Regierung, weil keine Klarheit über die Politik dieser Regierung herrscht. Das ist das, was verunsichert. ({6}) Herr Kollege Apel, Sie gehen mit Worten und Angriffen an die Opposition nicht gerade sparsam um. Aber ich will mit der Münze gar nicht heimzahlen. Wenn ich der Finanzminister einer Regierung wäre, die in dieser schwierigen Lage ist, würde ich mich mit dieser Opposition anders auseinandersetzen, von der Sie wissen, daß Sie sie eines Tages - das wird sehr viel früher kommen, als Sie wahrhaben wollen - brauchen werden, wenn Sie in diesem Lande Politik machen wollen. ({7}) Die Verunsicherung, Herr Kollege Apel, kommt doch von etwas ganz anderem. Der Herr Finanzminister Apel erklärte im August 1974 zur Frage der Mehrwertsteuer, es sei ausgeschlossen - Zitat -, „daß wir zum Ausgleich für die Entlastung durch die Steuerreform andere Steuern, z. B. die Mehrwertsteuer, erhöhen". ({8}) Wörtliches Zitat: Für Sozialdemokraten wäre dies ein schlechter Witz, und schlechte Witze machen wir nicht. Wir denken nicht daran, dem Bürger mit der einen Hand etwas zu geben und mit der anderen zu nehmen. Das wäre nicht nur unsozial, das wäre unseriös. Das haben Sie vor einem Jahr gesagt! ({9}) Und jetzt wundern Sie sich über die Verunsicherung der Wirtschaft. ({10}) Meine Damen und Herren, das nützt uns gar nichts und bringt uns überhaupt nicht weiter. Ich würde uns allen empfehlen, die Polemik weit zurückzustellen. ({11}) - Natürlich. Ich habe bisher kein einziges polemisches Wort gesagt. ({12}) Ich werde mich daran halten. Ich habe mir erlaubt, zu zitieren, was dieser Finanzminister vor einem Jahr gesagt hat. Jetzt darf er sich nicht wundern, daß von diesem Hü und Hott der Regierung die Unsicherheit in die Wirtschaft kommt. Das ist der entscheidende Punkt, den wir beseitigen müssen. ({13}) Das ist keine Polemik, sondern leider Tatsache. Nun hat Herr Kollege Apel, was ich bedaure, etwas tief in die Kiste gegriffen und in der ihm eigenen Sprache unterstellt: Die Opposition - ran an die Rentner, ran an die Kriegsopfer! Ich will Ihnen hier eines deutlich sagen: Die Christlichen Demokraten haben 1957 die bruttolohndynamische Rente nicht geschaffen, um mitzuhelfen, sie unter Ihrer Regierung wieder abzubauen. Das steht nicht auf unserem Programm, meine Damen und Herren. ({14}) Dasselbe gilt für die Kriegsopferversorgung, und ich füge hinzu: dasselbe gilt auch für den VerteidigungsKatzer haushalt; denn innere und äußere Sicherheit sind für uns die beiden Seiten einer Medaille. ({15}) Bisher, Herr Kollege Apel - ich meine, Sie müssen sich allmählich einmal darüber klarwerden, wie Sie es in der Regierung halten wollen -, haben Sie immer gesagt: Die Opposition betreibt Obstruktion, sie spielt die Rolle des großen Bremsers. Heute stellen Sie fest: von 37 Gesetzen hat sie 36 zugestimmt. Sie müssen sich erst einmal darüber klarwerden, welche Rolle Sie der Opposition eigentlich zudiktieren wollen. Jetzt reden Sie einmal so und einmal so, wie es Ihnen gerade paßt. Sie sprechen vom dichten Netz sozialer Leistungen. Nun, dieses dichte Netz sozialer Leistungen, die Grundmatern dazu, haben wir geknüpft, und wir sind stolz darauf. Wir hätten doch nicht diese vernünftige Ordnung, wenn wir nicht beizeiten dieses Netz geknüpft hätten. Wir werden die letzten sein, die daran herumbasteln, Herr Apel. Sie sollten hier nicht mit Unterstellungen arbeiten. Das war eine böse Unterstellung, ({16}) die Ihnen im übrigen in den nächsten Monaten das Leben nicht leichter, sondern schwerer machen wird. ({17}) Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zum gestrigen Tag machen, zu dem, was der Herr Bundeskanzler zur Frage des Arbeitslosenversicherungsbeitrages gesagt hat, als er an das Jahr 1930 erinnerte. ({18}) - Nein, ich will das hier nur klar haben, ({19}) damit hier letzte Klarheit herrscht. Es hätte dem Bundeskanzler gut angestanden, wenn er in seiner zweiten Einlassung gestern hingegangen wäre und gesagt hätte: Ich bitte um Entschuldigung; ich habe mich geirrt. ({20}) Herr Kollege Wehner hatte es vorher ja richtig dargestellt. ({21}) - Also gut! Ihr Einwurf zeigt mir, daß es nötig ist, jetzt doch noch einen Satz dazu zu sagen; denn Sie scheinen noch nicht begriffen zu haben, was gestern vorgegangen ist. Deshalb will ich es noch einmal wiederholen. Der Herr Bundeskanzler hat gestern gesagt - und es macht die Sache nicht leichter, sondern schlimmer, daß das Zitat aus dem Redetext stammt, der hier verteilt worden ist, und nicht nur so in der Rede gebracht wurde; das haben ja Leute aufgeschrieben, die es eigentlich besser wissen müßten -: Die Wirtschaft und die politische Rechte haben das damals abgelehnt. - Genau dies ist nicht wahr. ({22}) Er hat am Abend versucht, das für beide Teile hinzubiegen. Wahr ist, daß die Sozialdemokraten selbst es gewesen sind, die ihren eigenen Reichskanzler im Stich gelassen haben. ({23}) Das ist die Wahrheit, die gestern herausgekommen ist. ({24}) Ich erwähne das nur deshalb, weil mit solchen Bemerkungen ein Klima in unsere Öffentlichkeit getragen wird, das schier unerträglich ist. Es bleibt etwas hängen. Das Ganze ist doch der Versuch, die Christlichen Demokraten in der Ecke der Rechten, der ganz Rechten, hineinzudrücken, damit man auf diesem Popanz herumhauen kann. ({25}) - Herr Bundeskanzler - wo Sie jetzt sitzen, sind Sie ja Abgeordneter -, ich will Ihnen einmal etwas sagen. Ich würde Ihnen gern einmal folgendes vorlesen und Ihnen sagen, wohin das, was Ihnen die Leute in die Rede hineingeschrieben haben, letztlich führt. Wir hatten im Sommer eine Bundestagung der Sozialausschüsse in Kiel. Ich wurde dort auf eine Erklärung des Landesverbandes Schleswig-Holstein der Jungsozialisten vom Januar dieses Jahres in Kiel aufmerksam gemacht. Die Jusos haben diese Erklärung dort verabschiedet. Darin heißt es: Die CDU/CSU gehört zur geistigen Verwandtschaft derjenigen, die einst in Deutschland Mord und Terror in Konzentrationslagern ausführen ließen. ({26}) Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, das ist das, was mich erregt. Durch derartige Behauptungen wird ein unerträgliches Klima gezeugt. Die jungen Leute lebten ja 1944 noch gar nicht, als unsere Männer und Frauen der christlich-sozialen Bewegung mit Sozialdemokraten gemeinsam an dem Galgen in Plötzensee von den Nazis hingerichtet wurden. Die lebten damals noch gar nicht, sondern die verlassen sich auf das, was hier unter der Hand verbreitet wird. Dagegen wehre ich mich mit aller Entschiedenheit! ({27})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Katzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt? ({0})

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist ein Irrtum. Ich habe dem Herrn Haase [Kassel] seine Frage beantwortet. ({0}) Schmidt ({1}) Aber, Herr Kollege Katzer, würden Sie so liebenswürdig sein können, zwei Punkte von mir dazu zur Kenntnis zu nehmen: Ad 1. ({2}) - Ich habe ihn gefragt, ob er bereit ist, zur Kenntnis zu nehmen. Es wird ja wohl noch erlaubt sein, in Frageform eine Aussage zu machen. Das ist ja wohl üblich in diesem Parlament, und ich rede im Augenblick Herrn Katzer an. Ad 1., daß ich das, was Sie zitiert haben, nicht erst in diesem Augenblick mißbillige, sondern seinerzeit ausdrücklich mißbilligt habe und insoweit Ihre Kritik teile; zweitens aber, daß es aus meiner Sicht dabei bleiben muß, daß das, was etwa Herr Dregger und Herr Strauß vertreten, allerdings die rechte Ecke ist, in die man Sie nicht erst zu drücken braucht. ({3})

Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmidt, ich bin Ihnen zunächst einmal dafür dankbar, daß Sie sich hier klar von den Jusos distanziert haben. ({0}) - Nein, das höre ich jetzt zum erstenmal. Ich begrüße das. Ich finde das gut. Das ist ein wichtiger Punkt der heutigen Debatte. Mir lag daran, das zu klären. Dies ist gelungen. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich. Dies ist in Ordnung. Das wird von mir nicht mehr verwendet, sondern, wenn es verwendet wird, ausdrücklich mit dem Bemerken, daß Sie sich davon in aller Form auch im Deutschen Bundestag distanziert haben. Der Punkt ist geklärt. Was das andere angeht, Herr Kollege Schmidt: Ich halte diese Art Einlassung für unerträglich. ({1}) Meine Damen und Herren, wir, die christlichen Demokraten, sind, als unsere Väter aus den Konzentrationslagern und wir aus der Kriegsgefangenschaft kamen, angetreten mit dem Willen, etwas Neues in unserem Lande zu schaffen, und - Herrgott noch mal! - wir haben es doch auch geschaffen in den ersten 20 Jahren des Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland! Da lassen wir uns doch nicht in irgendeine Ecke hineindrängen! Wir sind eine Partei der christlichen Demokraten, eine Partei der Mitte, die ein Spektrum abdeckt, von dem wir hofften, daß Sie es nach links so vernünftig abdecken, wie es uns nach rechts Gott sei Dank gelungen ist. ({2}) Ich will, meine Damen und Herren, diesen Punkt damit beenden. Ich bedanke mich ausdrücklich für die Klarstellung in diesem einen Falle. Das ist für mich wichtig und, so füge ich hinzu, wertvoll. Lassen Sie mich nun den Haushaltsberatungen zuwenden. Lassen Sie mich erst noch eine Bemerkung zur Frage der Verantwortlichkeit machen; denn hier wird der Eindruck erweckt, als hätten alle die Verantwortung, nur diese Regierung nicht. Mit einem halbherzigen Haushaltssicherungsgesetz, das die Bundesregierung etwas verharmlosend „Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur" nennt, kündigt sich doch das Scheitern der Politik dieser Regierung für jedermann sichtbar an. Verantwortlich für diese Fehlentwicklung ist eben nicht nur - auch - die Weltrezession. Es war erstaunlich, Herr Bundeskanzler, die Worte zu hören, die Sie gestern gebrauchten. Ich habe das noch im Ohr. Das ist ein Sprachschatz, der wirklich erstaunlich ist. Sie sagen angesichts dieser Lage: „Wir haben Erfolg gehabt, wenn auch das Ergebnis auf sich warten läßt." ({3}) Ja, ich muß ehrlich gestehen, das ist so wie „Minuswachstum" : „Wir haben Erfolg gehabt, aber das Ergebnis läßt noch auf sich warten." ({4}) Also, meine Damen und Herren, ich muß sagen, das stellt die Wahrheit schlicht auf den Kopf. Bei uns in Köln würde man dazu schlicht sagen: „Wir müssen zugeben, wir haben versagt." Das sind einfache Worte, die versteht doch jeder. Daß Sie sich darum herumdrücken, kann ich zum Teil verstehen. Aber diese Sprachschöpfungen sollten wir wohl nicht durchgehen lassen. Der damalige Bundeskanzler Brandt ist 1969 hier im Bundestag mit einem großen Impetus angetreten. Er ist mit einem großen Versprechen angetreten, insbesondere dem, die öffentlichen Investitionen zu verstärken. Geschehen ist, wie wir alle wissen, das Gegenteil. Der in den letzten Jahren unter Ihrer Verantwortung praktizierte Versuch, den Kampf um den Anteil am Sozialprodukt anonym über den inflationären Prozeß auszutragen, hat - das muß heute als Fazit gesagt werden - für alle beteiligten Gruppen mit einem negativen Ergebnis geendet: für den Staat mit einem verheerenden Schuldenberg, für die Arbeitnehmer mit der höchsten Nachkriegsarbeitslosenquote, für die Unternehmer mit Zusammenbrüchen und der bislang stärksten Reduktion der Gewinne. Das ist die Lage. Das sagt so fast wörtlich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister der Finanzen in seinem jüngsten Gutachten vom 7. August 1975. Meine Damen und Herren, ich will dies jetzt nur noch einmal wiederholen und festschreiben. Für diese Entwicklung trägt die Regierung die volle Verantwortung. Diese Verantwortung können Sie nicht, auch nicht mit Teilen, auf die Opposition abschieben. ({5}) Ich füge hinzu, ohne Rückkehr zu Wachstum, ohne Beseitigung von Arbeitslosigkeit gibt es keine Sanierung der Staatsfinanzen und - machen wir uns alle nichts vor - gibt es auf Dauer auch keine soziale Sicherheit. Nun lassen Sie mich das sagen, was ich in der Rede des Finanzministers vermißt habe. Ich vermißte dort ein Konzept für die Bewältigung der Probleme von morgen. Ich meine, mit den vorgeschlagenen Maßnahmen der Regierung wird ein Weg in die falsche Richtung getan. Angesichts der wirtschaftlichen Situation denken Sie nur finanzpolitisch, erKatzer höhen die Steuern und Abgaben, streichen einige Maßnahmen, um die Arbeitslosen bezahlen zu können. Deshalb möchte ich Ihrer Politik eine klare Alternative gegenübersetzen. Es kann nicht Aufgabe unserer Politik sein, dafür zu sorgen, Arbeitslosigkeit zu bezahlen. Aufgabe unserer Politik muß es sein, Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Das ist die entscheidende Aufgabe, deren Verwirklichung uns gelingen muß. ({6}) - Natürlich, natürlich, entschuldigen Sie höflich. Ich wünschte, Sie hätten aus diesen Sprüchen längst Konsequenzen gezogen. Aber Sie sind ja noch nicht einmal zu dieser Einsicht gekommen. Das bedaure ich doch. ({7}) Es läßt sich doch ganz einfach sagen. 100 000 Arbeitslose erfordern einen Kostenaufwand von 900 Millionen DM. Wenn ich diese in Arbeit bringe, erhalten sie 1,5 Milliarden an Löhnen und Gehältern, erwirtschaften ein Sozialprodukt von 4 Milliarden DM, zahlen davon Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Hier wird doch ganz klar, daß das ökonomisch der vernünftige Weg ist, ganz abgesehen von folgendem, wo ich enttäuscht bin. Herr Bundeskanzler, wenn Sie über Arbeitslosigkeit sprechen, denken Sie in Statistik und in europäischem Vergleich. Wenn wir über Arbeitslosigkeit sprechen, denken wir an das Schicksal der Menschen, die davon betroffen sind, mehr als einer Million Menschen in unserem Land und einer halben Million Kurzarbeiter. ({8}) - Entschuldigen Sie höflich, Herr Kollege, ich bin Ihnen für diesen Zwischenruf dankbar. Von unserer Seite gibt es kein Gerede von der Faulheit. ({9}) Ich bin einmal neugierig, wenn der Herr Arbeitsminister demnächst vorlegt, was hinsichtlich des Arbeitsförderungsgesetzes an Maßnahmen ergriffen werden soll, mit welchen Begründungen das geschehen soll. Darauf warte ich ja noch, da wollen wir einmal hören! ({10}) Sie sitzen jetzt in der verkehrten Partei! Es tut mir leid, wenn ich Ihnen das so deutlich sage. Denn mit den Sprüchen, die Sie jetzt angewandt haben, kommen Sie nicht mehr durch. Denn die kommen genau aus Ihrer Ecke, nicht aus unserer Ecke. ({11}) Meine Damen und Herren, wir müssen hier feststellen, daß die Regierung aus den Fehlern der Vergangenheit leider nicht lernt. Ich will hier nur ein Beispiel anführen: Hier wird doch fiskalistisch und nicht konstruktiv gearbeitet! Wenn ich bedenke, daß die Ausgaben beim Forschungsminister um, glaube ich, 50 Millionen DM gekürzt werden sollen, dann kann ich nur sagen, daß das in eine allgemeine Kürzungswelle hineingerutscht ist. Aber es ist doch töricht, nur weil man an einer Stelle kürzen muß, zu glauben, an einer anderen Stelle auch unbedingt kürzen zu müssen. Dies ist doch eine sträfliche Vernachlässigung der Zukunftsaufgaben, der Zukunftsinvestitionen, von denen wir und unsere Kinder letztlich abhängig sind. ({12}) Das sollten Sie doch weiß Gott noch einmal zu überdenken versuchen! Meine Damen und Herren, ich befürchte, wir haben hier gestern - und das, was ich heute gehört habe, bestätigt das - den ersten Schritt vollzogen; der Sog geht weiter. Ich stelle mir vor, wie die nächste Steuerschätzung im November dieses Jahres aussehen wird. Wenn wir dann nach der neuen Steuerschätzung feststellen, daß es noch nicht reicht, dann will ich einmal hören, was alles an Argumenten, die heute noch gebracht sind, dann morgen schon nicht mehr wahr ist. Dann wird die zweite Rate der Offenlegung beginnen, und dann wird die beängstigende Ratlosigkeit dieser Regierung erneut sichtbar. Denn, meine Damen und Herren, darüber kann doch niemand hinwegsehen: Das, was wir gestern und heute morgen hier erlebt haben, ist eine beängstigende Ratlosigkeit einer Regierung, die voll Staunen vor einem Berg steht, von dem sie gar nicht begreifen kann, daß sie das selbst mit angerichtet hat und auch noch vertreten muß. ({13}) Wer nun sagt, Herr Kollege Apel - der Herr Bundeskanzler hat es auch versucht -: Wer in dieser Lage hingeht und weitere Kürzungen empfiehlt, wer hingeht und sagt, wir machen keine Steuererhöhungen mit, - - Herr Kollege Apel, ich fand es schon bemerkenswert schnodderig, um nicht ein härteres Wort zu gebrauchen, wie Sie so sagen: 20 DM Mehrwertsteuer so am Rande, das kann man ja den Arbeitnehmern wohl zumuten, das ist überhaupt kein Problem. Diese Schnoddrigkeit werden unsere Landsleute draußen nicht verstehen - und das mit Recht. Ich finde das eine unerhörte Sache, daß man dies so nebenherschiebt. ({14}) Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge, der Mehrwertsteuer - nein, dies werden wir ablehnen. Wir haben ja - ich sage es noch einmal - gestern in der Debatte einen großen Erfolg mit unserer Politik gehabt. Dieser Erfolg besteht darin, daß der Herr Bundeskanzler selbst gesagt hat: Eineinhalb Milliarden DM - na ja, die können wir ja vielleicht noch sparen. Bitte schön, dann gehen Sie hin und machen Sie uns Vorschläge! Und dann kommt Ihr Einwand: Warum denn Ihr nicht, bitte! ({15}) - Entschuldigen Sie höflich! Herr Bangemann, Generalsekretär der FDP, geht hin und sagt, wir wollen 7 Milliarden DM sparen. Er sagt aber nicht wo, sondern er sagt: Regierung, mach uns einmal Vorschläge! Wir werden das dann ordentlich prüfen. Verlangen Sie doch nicht von der Opposition mehr als von einem Mitglied einer Regierungsfraktion! Das werden Sie von uns schlechterdings nicht erwarten können. ({16}) Wir haben das getan, meine Damen und Herren, was für eine Opposition bis an die Grenze dessen geht, was möglich ist. Wir haben erstens finanzwirksame Ausgaben zurückgenommen. Da sagen Sie ja nichts! Das war für mich sehr schwer. Wir haben zweitens gesagt, daß wir bereit sind, Sparbeschlüsse nach Prüfung mitzutragen, wenn sie uns sinnvoll erscheinen. Meine Damen und Herren, ich will zwar nicht in der Vergangenheit herumkramen, aber wenn ich mir überlege, wie Sie sich 1966 bei einer vergleichsweise kleinen Delle eingelassen haben, draußen im Lande und auch hier im Hause, dann kann ich nur sagen: Es hat noch nie eine Opposition gegeben, die bereit ist, so konstruktiv an der Beseitigung der Misere mitzuarbeiten, einer Misere, die Sie zu verantworten und zu vertreten haben. ({17}) Die Situation wird schwieriger, und die Geschwindigkeit des Abgleitens ist atemberaubend. Die Regierung sagt nun noch voller Stolz: Wir sind ehrliche Leute; wir machen schon heute auf das aufmerksam, was 1977 sein wird. - Meine Damen und Herren, wie ehrlich ist eigentlich eine Regierung, deren Arbeitsminister noch im August dieses Jahres bei der Eröffnung der Kölner Herrenmodenmesse feststellte, die Grenze der Belastbarkeit der Einkommen sei erreicht, und noch am 21. August in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage den Abbau sozialer Leistungen bestreitet und der wenige Tage später in der Kabinettssitzung der Erhöhung der Steuern und der Arbeitslosenversicherungsbeiträge zustimmt? Wie ehrlich ist denn eigentlich eine Regierung, deren Parlamentarischer Staatssekretär im Arbeitsministerium, Buschfort, noch am 11. August 1975 auf eine Anfrage des Abgeordneten von Kühlmann-Stumm erklärte, eine Erhöhung des Beitrages der Bundesanstalt für Arbeit sei derzeit nicht beabsichtigt? Meine Damen und Herren, dies ist es doch, worunter wir leiden: das Hin und Her der Regierung, die von Tag zu Tag wechselnden widersprüchlichen Aussagen. Das ist doch keine seriöse Politik! Sie müssen anfangen, auf lange Sicht zu planen, und dürfen nicht jeden Tag neue Daten in die Welt setzen. ({18}) Sie tun das doch nur im Vertrauen auf die Vergeßlichkeit des Bürgers. ({19}) Ich glaube aber, auch diese Debatte wird dazu beitragen, die Vergeßlichkeit des Bürgers nicht allzugroß werden zu lassen. Die Alternative der Politik, die die Oppositionsparteien vorschlagen, heißt: Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung. Das Konzept lautet: Zukunftssicherung durch Investitionen. Nur durch dauerhaftes angemessenes wirtschaftliches Wachstum kann die soziale Sicherung auch langfristig gewährleistet werden. ({20}) - Das machen wir. Wir machen Vorschläge dazu auf zwei Ebenen. Ich merke, Sie sind ganz überrascht. Sie haben das offenbar noch gar nicht vernommen. Wir halten zweierlei für erforderlich: Erstens halten wir es in der Tat für erforderlich, daß wir in dieser schwierigen Situation den Unternehmungen auch steuerliche Erleichterungen geben, damit sie wieder investieren können. Wir wollen dies mit einer breiten Vermögensbildung der Arbeitnehmer verbinden. Dann haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. ({21}) - Entschuldigen Sie höflichst! Ich bin ja gefragt worden. Ich gebe Ihnen meine Antwort. Sie müssen in den Eigentumspolitik jetzt doch endlich einmal ein Bekenntnis ablegen, was Sie eigentlich wollen. Wollen Sie breites Eigentum für den einzelnen Arbeitnehmer, oder wollen Sie das nicht? Sie wollen es nicht. Das haben Sie ja ziemlich klar zum Ausdruck gebracht. Wir wollen es hingegen, und wir sehen hier auch ein Instrument, um die Wirtschaft insgesamt zu fördern und weiterzubringen. ({22}) Herr Apel hat vorhin die Opposition gefragt - ich weiß gar nicht, in welchem Raum ich mich hier befinde -: Wie haltet ihr es denn mit der Tarifautonomie? Fragen Sie doch einmal Ihren rechten Nebenmann, wie er es damit hält. Wir haben uns doch nicht in die Tarifautonomie eingemischt. Gestern las ich, daß Herr Friderichs gesagt hat, 8 % seien zuviel. Entschuldigen Sie höflichst, solche Sätze vom Wirtschaftsminister! Das hätte Ludwig Erhard sich seinerzeit als Wirtschaftsminister oder als Bundeskanzler einmal erlauben sollen! Den Sturm der Gewerkschaften draußen im Lande hätte ich hören mögen! ({23}) Ich will ein Zweites sagen. Sie können ja über dies alles hinweggehen. Sie können ja alles anders darstellen, weil Sie dies nicht hören wollen. Ich kann Ihnen nur Ratschläge erteilen. Mein Ratschlag lautet: Wenn wir in die Tarifrunde des Herbstes gehen, kann es nicht unsere Aufgabe als Parlament sein, Leitlinien oder so etwas zu setzen. Es kann wohl aber unsere Aufgabe sein, den Tarifvertragsparteien - wir müssen ihnen, wenn wir es recht betrachten, insgesamt doch bestätigen, daß sie seit 1945, alles in allem genommen, eine vernünftige Politik betrieben haben - den Ratschlag zu geben: Wie wäre es eigentlich, wenn ihr einmal dem Gedanken des Investivlohns, den wir seit 20 Jahren in die Diskussion einzuführen versuchen, nähertreten würdet? Wie wäre es, wenn der Barlohnanteil jetzt etwas niedriger ausfällt, dafür aber - damit nichts unter den Tisch fällt - ein investiver Anteil dazugelegt wird, der dann ausgezahlt wird, wenn die Zeit reif ist? Das wäre doch vernünftig im Interesse der Arbeitnehmer, und es wäre auch vernünftig im Interesse der Unternehmungen und der Wirtschaft. Gehen Sie doch endlich auf diese unsere Vorschläge ein und sehen Sie dies als ein Hilfsmittel zur Belebung der Situation an! ({24})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Katzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Katzer, bin ich falsch informiert oder habe ich die Vorschläge Ihrer Fraktion falsch verstanden, wonach in den letzten Vermögensbildungsplänen der Investivlohn ausdrücklich fallengelassen worden ist?

Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lambsdorff, ich habe das ausdrücklich gesagt. Ich vermute, Sie haben das offenbar bei mir akustisch nicht richtig mitbekommen. Ich habe gesagt, ich würde den Tarifvertragsparteien empfehlen, die Frage des Investivlohns bei der nächsten Tarifrunde mit in ihre Überlegungen einzubeziehen. Ich habe hinzugefügt, ich persönlich hielte dies für einen nicht nur erwägenswerten, sondern, wie ich glaube, vernünftigen Vorschlag.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?

Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sehr gerne.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Katzer, stimmen Sie mir darin zu, daß auch ein tarifvertraglicher Bestandteil Investivlohn betriebswirtschaftlich natürlich eine Kostenbelastung darstellt?

Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er ist eine Kostenbelastung, die aber erst zu einem späteren Zeitpunkt auftritt und nicht jetzt im Augenblick, denn das Geld bleibt ja im Unternehmen stehen und es kann damit gearbeitet werden. Das ist ja auch der Sinn unserer Einlassung. Wir wollen, daß die Wirtschaft wieder floriert und daß sie vorankommt. Dies ist ein Vorschlag, der beiden - ich wiederhole es -, Arbeitnehmern und Unternehmungen, gerecht wird. ({0}) - Das ist ganz sicherlich der richtige Vorschlag. Ich würde Ihnen sehr empfehlen, Graf Lambsdorff, dies noch einmal zu überdenken. Ich halte den Vorschlag nach wie vor für eine ganz wesentliche Komponente, um das zu gewinnen, was wir zur Zeit nicht haben. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung zu den Kürzungsmaßnahmen anschließen, die die Regierung vorschlägt. Wir haben gesagt, wir seien bereit, wenn wir konkrete Vorlagen bekämen, diese zu prüfen. Das gilt auch für das, was im Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes vorgelegt worden ist. Graf Lambsdorff hatte mich gestern auf dieses Arbeitsförderungsgesetz angesprochen. Ich wiederhole hier gerne: Ich bekenne mich ausdrücklich zu diesem Gesetz. Ich halte es für ein fortschrittliches und vernünftiges Gesetz. Ich halte es im übrigen für den einzigen Ansatz, den wir im bildungspolitischen Bereich überhaupt bekommen haben, nachdem Ihre Hochschulpolitik gänzlich gescheitert ist. Hier haben wir einen Ansatzpunkt, den möchte ich nicht verschüttet wissen. Wir werden also gerne prüfen, wenn uns bewiesen wird, daß da oder dort etwas nicht in Ordnung ist. Aber, meine Damen und Herren, an den Intentionen des Gesetzes, an der vorausschauenden Betrachtungsweise, die dieses Gesetz gewollt hat, lassen wir nicht rütteln. Es kann nicht wieder ein Zurück zum alten AVAVG geben. Es kann nicht wieder dazu zurückgehen, daß man sagt, wir wollen Arbeitslosigkeit bezahlen, sondern wir wollen Arbeitslosigkeit verhindern. Dazu gehört das Arbeitsförderungsgesetz mit seinen Möglichkeiten der Fortbildung und der Umschulung für den einzelnen Arbeitnehmer. ({1}) Es gehört schließlich auch dazu, die Mobilität in unserem Lande zu fördern. Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß eine letzte Bemerkung machen. Nachdem der Bundeskanzler selbst gesagt hat, er könnte noch 1,5 Milliarden DM sparen, nachdem wir gehört haben, daß in der Kabinettsitzung am Rande anklang, daß beim Kindergeld noch einmal 30, 40 oder mehr Millionen DM aufkommen, kommen wir doch zu dem Ergebnis, daß diese Regierung nicht mit der Sorgfalt an die Durchforstung des Haushalts herangegangen ist, die nicht nur die Opposition fordern muß, sondern die jeder Bürger in unserem Lande von einer Regierung fordern muß. Deshalb fühlen wir uns bestärkt in unserer Auffassung, Steuererhöhungen abzulehnen und die Regierung zu bitten, auf der Basis dessen, was der Bundeskanzler vorgetragen hat, selbst noch weitere Vorschläge uns hier vorzulegen. Wir versprechen Ihnen dann sehr gern, daß wir bereit sein werden, diese ebenfalls zu prüfen. Meine Damen und Herren, ich sehe aber den November mit einer nicht sehr viel besseren Situation vor uns. Dann werden wir wahrscheinlich nicht daran vorbeikommen, daß der Herr Arbeitsminister sich mit Projekten befaßt, die den Haushalt indirekt berühren. Es hat doch keinen Zweck, nur ständig von der Kostenexplosion in der Krankenversicherung zu reden. Dagegen muß doch vielmehr etwas unternommen werden, und zwar nicht nur in Form von Gesprächsrunden und Absichtserklärungen, sondern da müssen doch wirklich Maßnahmen ergriffen werden. ({2}) - Nein, Herr Kollege, das stimmt nicht. Ich bitte um Entschuldigung, Graf Lambsdorff, Sie haben den Vorteil, noch nicht lange im Parlament zu sein und deshalb nicht alles zu wissen. Dann kann man mit großer Unbefangenheit Behauptungen aufstellen. Das ist natürlich eine großartige Sache. ({3}) Ich will das jetzt nicht vertiefen. Das ist nur so ein Punkt. Lesen Sie einmal nach, was der Kollege Schellenberg und ich in der Großen Koalition in diesem Punkte - ({4}) - Ja, damals haben Sie sich anders verhalten als heute. Aber der alte Hut, den Ihr Fraktionskollege Schmidt ({5}) hier auf den Tisch gelegt hat, nämlich die Kostenbeteiligung: Wir wissen doch alle, das zieht nicht und löst nicht die Probleme. Die Probleme liegen doch an anderer Stelle, und an die müssen wir herangehen. Das ist doch unser Punkt. Es geht hier nicht um eine punktuelle Lösung. Der Kollege Müller ({6}) hatte absolut recht, wenn er das sofort postwendend abgelehnt hat. Dies ist eine detaillierte Betrachtung, wir brauchen aber eine globale Betrachtung. Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, daß man der Krankenversicherung nicht dauernd Fremdlasten auferlegt, wie Sie das in dieser Legislaturperiode permanent getan haben. Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, zu dem Punkt „Vertrauen", den ich mehrmals angeschnitten habe, gerade auch beim Finanzminister, gehört natürlich auch, daß die Verteufelung von einzelnen Berufsgruppen in unserem Lande aufhören muß. Was soll das eigentlich: „Die Beamten, der öffentliche Dienst, die Bauern"? Das hat mal angefangen mit der „Aktion Gelber Punkt", mit dem Maklerbeschluß und dergleichen. Dies ist doch nicht gut für unser Land. Das heißt doch, einen Klassenkampf von oben führen. Wir werden uns daran nicht beteiligen. ({7}) Herr Bundeskanzler, wir werden uns auch nicht daran beteiligen, Funktionäre in zwei Gruppen einzuteilen, in solche, die Ihnen genehm sind, und solche, die Ihnen nicht genehm sind. Beide haben eine Funktion zu erfüllen, und wir sollten ihnen ihre Aufgabe leichter machen. ({8}) Meine Damen und Herren, eine Politik, der die Kraft fehlt, die Wirtschaft in Gang zu bringen und damit die Grundlagen unserer finanziellen Ordnung zu schaffen, eine Politik, in der das Geld fehlt, Investitionen zu finanzieren, eine Politik, die die Arbeitslosen nicht in Arbeit bringt, dies, meine Damen und Herren, ist eine Politik der sozialen Demontage. ({9}) - Ja, natürlich! Sie waren erstaunlich ruhig bis zur Stunde, denn Sie sind ja der Erfinder des Wortes, wenn ich das von 1966 noch recht in Erinnerung habe. ({10}) Ich weiß ja, dieses Wort mögen einige Leute nicht. Das ist ihr gutes Recht. Sie mögen ein anderes dafür finden. Mir ist das ganz egal. An dem Tatbestand selbst, daß wir zu Beginn des Herbstes in diesem Jahre eine Million Arbeitslose und 500 000 Kurzarbeiter haben, können Sie nichts ändern. Ich nenne es soziale Demontage. Sie können es nennen wie Sie wollen. ({11})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Friderichs.

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Am zweiten Tag der Debatte möchte ich die Gelegenheit nehmen, zu den wirtschaftspolitischen Fragen und vielleicht auch zu der einen oder anderen darüber hinausreichenden gesellschaftspolitischen Frage Stellung zu nehmen. Wenn der Abgeordnete Katzer eben mit der Bemerkung geschlossen hat, an Tatbeständen und Tatsachen könne man einfach nichts ändern, die müsse man zur Kenntnis nehmen, dann möchte ich dem nicht nur zustimmen, sondern eigentlich damit auch versuchen, die Art zu bestimmen, in der wir versuchen sollten, uns heute noch einmal mit den ökonomischen Fakten zu beschäftigen. Da ist einfach der Tatbestand, daß wir im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang des realen Wachstums um 5 % haben. Ich streite mich auch nicht um die Begriffe „Minus-Wachstum" oder „Schrumpfung" ; ({0}) meinetwegen können Sie auch von „Null-Schrumpfung" reden. Das ist mir ziemlich gleichgültig. Ich meine, wir sollten wirklich dazu kommen, über Inhalte zu sprechen und nicht über Begriffe, wie es für mich auch relativ gleichgültig ist, ob man etwas „neue soziale Frage" oder „alte soziale Frage" nennt. Ich möchte über den Inhalt diskutieren. ({1}) Ich bin davon überzeugt, daß die bisherigen Maßnahmen, die die Bundesregierung in mehreren Programmen angewendet hat, eines bewirkt haben: nämlich einen stärkeren Konjunktureinbruch zu verhindern. Und nun kommt immer wieder die Frage: Was kommt von außen, was kommt von innen? Diese Frage ist in einer solchen Lage durchaus berechtigt. Ich glaube, daß von der Abnahme des Sozialprodukts um real 5 % im ersten Halbjahr etwa 3,5 bis 4 % auf die drastische Reduzierung der Auslandsnachfrage zurückgehen, also auf jene 40 Milliarden, die entgegen der ursprünglichen Erwartung nicht hereingekommen sind. Das würde, wenn ich quantifizieren müßte, bedeuten, daß etwa i bis 1,5 Punkte der verminderten Binnennachfrage zuzurechnen sind, wobei man jetzt noch einmal darüber diskutieren kann, wieviel davon auf dem Sekundäreffekt wegen verminderter Auslandsnachfrage beruht und wieviel nicht. Ich glaube jedenfalls, daß der Sachverständigenrat bei der Qualifizierung dieses Vorgangs in seinem Gutachten richtig liegt, wenn er sagt: „Will man das, was da geschehen ist an Einbruch von draußen, richtig einordnen und erkennen, wie vollständig die deutsche Stabilisierungsstrategie der beiden vergangenen Jahre durchkreuzt worden ist, so muß man - und dies halte ich für wichtig in seiner Aussage - an dem Grundmuster der Entwicklung seit 1973 anknüpfen." Es wäre nämlich nicht gut, einfach nur das Blitzlicht anzulegen: 1975 oder 1974. Die Wirtschaft entwickelt sich ja nicht in Haushaltsabschnitten oder in Kalenderjahren, sondern mit einer gewissen Kontinuität. Ich sehe - um auch etwas Positives zu sagen, denn sicherlich wird man eine Belebung nicht ausschließlich mit negativen Aussagen erreichen können; aber man soll Positives nur sagen, wenn es auch so ist - an positiven Merkmalen im Augenblick, daß die Inlandsnachfrage nach Investitionsgütern von Januar bis Juli, also in den letzten sieben Monaten, gegenüber den voraufgegangenen sieben Monaten um 17 % zugenommen hat. Bis jetzt - ich bin vorsichtig in der Bewertung - ist das befürchtete Auftragsloch nach Auslaufen der Investitionszulage ausgeblieben. Ich sage bewußt „bis jetzt", weil die Juli-Statistik allein nicht beweiskräftig und aussagekräftig ist. Denn niemand weiß, wie viele Juni-Aufträge rein abwicklungstechnisch in den Juli hinein gebucht worden sind. Wir sehen weiterhin gewisse positive Signale von einigen Messen, auch bei der gerade zu Ende gegangenen, und wir sehen auch positive Akzente in dem jüngsten Ifo-Test, der ja auch die Konjunkturerwartungen in seine Beobachtungen mit einbezieht. Fest steht auch, daß die Auslandsnachfrage in den letzten Monaten nicht weiter zurückgegangen ist. Das reicht allerdings noch nicht aus für den Aufschwung, aber immerhin, sie ist nicht weiter zurückgegangen. Und fest steht auch, daß einige verbesserte Exporterwartungen - noch nicht Aufträge - in den Unternehmungen im Hinblick auf die veränderte Situation in einigen Abnahmeländern, insbesondere wegen der Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika, da sind. Dem stehen andererseits auch Probleme - z. B. bei den Ölländern - gegenüber. Ich glaube deswegen, daß es zu früh ist, mit hinreichender Sicherheit etwas über Anlaufzeit und -stärke einer möglichen Konjunkturbelebung auszusagen. Was aber - und zwar wenn ich das Inland sehe - nach wie vor nicht befriedigend ist, ist die private Verbrauchsnachfrage. Ihre Zunahme betrug in den ersten sechs Monaten ganze 1,9 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres, obwohl die Masseneinkommen in der gleichen Zeit um real etwa 4 % gestiegen sind. Aber wir sollten es uns auch hier nicht so leicht machen, denn es gibt offensichtlich auch veränderte Verhaltensmuster der Verbraucher. Der Kraftfahrzeugmarkt z. B. läuft zur Zeit gut. Wenn ich heute die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" - ich will keine Schleichwerbung für sie machen - lese, dann sagt dort der Vorstandsvorsitzende eines deutschen Automobilunternehmens, „der Inlandsmarkt sei zwar wieder auf der alten Höhe" - wörtlich, und er belegt das mit Zahlen -; „während die Wirtschaft jedoch einen Export von 2 Millionen Fahrzeugen benötige, würden in diesem Jahr voraussichtlich nur 1,5 Millionen ausgeführt." Also: in diesem Sektor Inlandsnachfrage etwa auf altem Niveau, dagegen ein „Loch" noch im Export. Gerade bei diesem Produkt bin ich davon überzeugt, daß das „Exportloch" nicht - mindestens nicht in diesem Zeitpunkt - ein Problem nicht vorhandener Wettbewerbsfähigkeit ist; sondern das Loch beim Export von Kraftfahrzeugen ist mehr ein Problem der weltweiten Nachfragerückentwicklung in diesem Sektor. Ich sehe aber noch ein anderes Problem. Wir müssen nämlich sehr sorgfältig beobachten, ob sich nicht die Verbrauchernachfrage zunehmend anderen Bereichen zuwendet, die weniger produktionsinteressant sind. Der enorme Boom beim Tourismus z. B. zeigt, daß die Verbraucher a) Geld haben, b) auch bereit waren, welches auszugeben; aber nicht nach bisherigem Muster für den Kauf irgendwelcher kurz- oder langlebiger Konsumartikel, sondern für andere Verwendungsstrukturen. Übrigens ein Punkt, mit dem wir uns nach einer Sättigung des Primärbedarfs nach meiner Meinung wahrscheinlich in Zukunft noch häufiger zu beschäftigen haben. Das bedeutet auch: Jede Investition in eine Verbrauchsgüterproduktion ist von daher risikobehafteter, als sie es 1950 oder auch 1960 war. Die Konjunkturindikatoren weisen nach meiner Meinung gegenwärtig auf eine Verschärfung der Lage nicht hin. Ich habe die USA erwähnt, die im zweiten Vierteljahr ein reales Sozialproduktswachstum von 1,6 % hatten und ein dickes Konjunkturprogramm mit rund 21 Milliarden Dollar Steuersenkungen gemacht haben, Japan mit einem vierten Konjunkturprogramm - ({2}) - Ja, die Vereinigten Staaten haben eine massive Steuersenkung vorgenommen, um ihre Probleme lösen zu helfen. ({3}) Frankreich hat ein neues Programm beschlossen; Italien hat ein Rezessionsbekämpfungsprogramm - ich will die Zahlen nicht im einzelnen nennen -, Dänemark, Niederlande, Belgien. Großbritannien ist mit einem besonders kritischen Problem konfrontiert, weil man auf dem dortigen Inflationssockel nun beim besten Willen kaum ein Expansionsprogramm fahren konnte. Die Frage ist nun: Wie ist unter diesen Bedingungen die Perspektive binnenwirtschaftlich und außenwirtschaftlich zunächst einmal für 1975? Ich möchte so formulieren: Wenn man davon ausgehen kann - und man muß nun einmal mit Prämissen arbeiten -, daß sich erstens die Stabilisierung der Auslandsnachfrage fortsetzt - keine Boomentwicklung, sondern Stabilisierung der Nachfrage -, daß zweitens die im Juni angestiegenen Inlandsaufträge für Investitionsgüter teilweise noch in diesem Jahr zu einer Produktionsbelebung führen - das war doch die Idee bei der Investitionszulage, die ja zunächst selbst von Unternehmensorganisationen verteufelt wurde, bis jetzt ein Unternehmen nach dem anderen zugibt, daß es sich bei ihm positiv ausge13028 wirkt habe -, wenn man drittens davon ausgeht, daß die extrem hohe Sparneigung der privaten Haushalte in der zweiten Jahreshälfte etwas nachläßt - dafür spricht eine ganze Menge -, und wenn man viertens davon ausgeht, daß von der Lagerbildung demnächst wieder expansivere Wirkungen ausgehen - denn es ist ja ein Faktum, daß die Läger auf einem extrem niedrigen Stand sind; wir hatten ja im Abschwung durch den Lagerabbau eine prozyklische Entwicklung; irgendwann muß also konsequenterweise auch wieder ein Lageraufbau erfolgen -, dann ist es möglich, daß sich noch im Verlaufe dieses Jahres ein gesamtwirtschaftlicher Wendepunkt in der Entwicklung ergibt. Ich betone noch einmal - nicht in dramatischer Form -: und nur, wenn diese Voraussetzungen sich als realistisch erweisen. Aber auch unter dieser Voraussetzung gehe ich davon aus, daß das Bruttosozialprodukt im zweiten Halbjahr noch unter dem Niveau des Vorjahres bleiben wird, d. h., es wird im zweiten Halbjahr keine Entwicklung geben können, bei der das BSP bereits das des Vorjahres übersteigt. Wenn wir im ersten halben Jahr minus 5 % hatten, dann halte ich eine Entwicklung des realen Bruttosozialprodukts aufs ganze Jahr gerechnet von minus 3 bis minus 4 % für nicht unrealistisch. Wie sieht unter dieser Analyse die Perspektive für 1976 aus? ({4}) Wir haben einen möglichen Wachstumsspielraum von rund 10 %. Er ergibt sich nach meiner Meinung daraus, daß wir einmal um die Jahreswende einen Auslastungsgrad der vorhandenen Kapazitäten haben dürften, der etwa bei 92 % des Auslastungsgrades des Durchschnitts der letzten fünf Jahre liegen dürfte. Ich habe jetzt hier nicht an vorhandener Kapazität und tatsächlicher Auslastung gemessen, sondern an Fünfjahresverlauf zu Status per 1. Januar 1976. Daraus ergibt sich ein Spielraum von rund 8 %. Wenn man das Wachstum des Produktionspotentials noch mit 2 % ansetzt, ergibt das rund 10 %. Nun noch eine entscheidende Frage: Wie wird sich dieses vorhandene Potential mittelfristig verändern? Das ist auch für die Therapiefrage wichtig, nämlich ob man bei der Mehrwertsteuer, bei Einsparungen oder bei Steuererleichterung ansetzen soll. Die Frage, welches Wachstum man mit diesem Spielraum kurzfristig erzielen kann, hängt nach meiner Meinung in erster Linie davon ab, wie sich im nächsten Jahr die Nachfrage entwickelt. Sie werden merken, daß ich für 1977 andere Überlegungen mit dabei habe. Hier ist nun die Frage, ob sich wesentliche binnenwirtschaftliche Impulse ergeben und ein Lageraufbau vorgenommen wird, um den extrem niedrigen Stand dieses Augenblicks zu verändern. Meine Damen und Herren, es ist doch eigentlich grotesk, daß mir der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Automobilindustrie in diesen Tagen sagte - in Klammern: fast mit Stolz -, sie habe im Augenblick den niedrigsten Lagerbestand seit zehn Jahren, in absoluten Zahlen. ({5}) Darauf beruhen vielleicht auch die Briefe, die ich immer bekomme. Die Bürger verstehen das nicht mehr, daß sie von Kurzarbeit lesen, von Krise lesen und freundliche Briefe bekommen, daß sie drei, vier und sechs Monate auf das geliebte Automobil warten müssen. ({6}) Erklären Sie das mal draußen! Das ist ein Faktum. Auch darüber müßten wir mal diskutieren, ob es wirklich vertretbar ist, die Lagerbestände so herunterzufahren. Das müssen wir zusammen mit den Problemen, die wir im Falle eines Aufschwungs bekommen werden, sehen. Wenn wir nämlich gleichzeitig den Anstieg ,der Nachfrage und den Lageraufbau bekommen, gibt es auch wieder Verwerfungsprobleme, die nicht uninteressant sind. Der Aufschwung kann sich nur durch Ausweitung der privaten Verbrauchsnachfrage auf Grund der Verminderung der Sparquote und auf Grund einer mäßigen - ich unterstreiche: mäßigen - Zunahme der Anlageinvestitionen entwickeln. Wenn ich sage: „mäßig", dann deswegen, weil eine große Ausweitung der Anlageinvestitionen in diesem Augenblick nicht erforderlich ist; denn die potentielle Nachfrage kann, global gesehen, vorerst mit dem vorhandenen Produktionspotential in 1976 bewältigt werden. D. h. die Zunahme der Anlageinvestitionen der Unternehmer muß sich in dieser Lage primär auf Rationalisierung und ähnliches und nicht primär auf Kapazitätserweiterung konzentrieren. Ich lasse das Problem der Standortfrage einmal ganz außer Betracht. Aber, wenn diese Voraussetzungen, Lageraufbau, Ausweitung der privaten Verbrauchsnachfrage und - wenn auch zunächst nur ganz mäßig - der auch jetzt schon wichtige Nachfrageeffekt zunehmender Investionen mit Ausweitung der Kapazitäten eintreten, dann, so würde ich sagen, ist im Verlauf des nächsten Jahres ein reales Wachstum von bis zu 5 % möglich. Ich stehe nicht an, zu sagen, daß ich die Projektion des Sachverständigenrates für zu optimistisch halte, der gesagt hat: 6 Prozent! ({7}) - Gut, aber mit solchen Fragen können wir uns doch sachlich auseinandersetzen. In einer Lage, die so kritisch ist, ist doch niemandem geholfen, wenn man, wie Herr Professor Carstens gestern formuliert hat, den Beifall einfach nur noch nach der Summe der Polemik bemißt und das dann phonetisch austariert. Sie haben das auf den Bundeskanzler bezogen, aber das hätte man auf Ihre Rede genau so anwenden können. Lassen wir das! ({8}) Bei dieser Entwicklung kann meines Erachtens mit einer weiteren Stabilisierung des Preisniveaus gerechnet werden; denn auf der Erzeugerstufe z. B. ergeben sich gegenwärtig nur geringe Preissteigerungen. Meine Damen und Herren, als wir vor eineinBundesminister Dr. Friderichs halb Jahren diskutiert haben, haben Sie gesagt, meine Preisprognosen seien alle falsch und viel zu optimistisch. Einer der Herren hat gesagt, daß wir 10 % bekommen würden. Im Moment sind wir bei 5,9 %. Sie haben das damals primär damit begründet, daß Sie gesagt haben: Guckt doch einmal nach, die Erzeugerpreise und die Großhandelspreise steigen ja viel stärker als dein Lebenshaltungskostenindex; da ist doch Druck im Schlauch, und den kriegst du noch zu spüren. - Gut, dann müßten Sie akzeptieren, wenn ich Ihnen jetzt sage: Die Erzeugerpreise steigen im Moment um 3 °/o, die Verbraucherpreise um rund 6'0/o, da muß also eigentlich auch jetzt noch ein Stabilisierungseffekt im Schlauch sein- bei dieser voraussichtlichen Entwicklung. Ich glaube also, daß bei einem solchen Ablaufschema ohne dramatische Aufwärtsentwicklung, die auch ich nicht will, der Stabilisierungseffekt fortschreiten kann und eine Verbraucherpreisentwicklung möglich wäre, die irgendwo zwischen 41/2 und 5 % liegt. Dies wird allerdings davon abhängen, wie sich die Wirtschaft im Falle ihrer Belebung und sich dann ergebender verbesserter Kostenrelationen der Unternehmen verhalten wird. Denn das ist doch wohl keine Frage: wenn ich meine Kapazitäten plötzlich höher auslasten kann als jetzt - zur Lohnentwicklung werde ich mich noch äußern, trotz der Mahnung von Herrn Katzer, weil ich die Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers anders sehe, als er sie in der Tarifpolitik definiert hat -, dann unter der Voraussetzung, daß die Unternehmen sich primär damit zufriedengeben, die notwendigen Ertragsverbesserungen in sinkenden Lohnstückkosten zu suchen und nicht primär in möglichen Ausschöpfungen von Preisüberwälzungsspielräumen. ({9}) Diese Voraussetzung muß man allerdings dann auch sehen. War nun die bisherige Konjunkturpolitik - darüber wollen wir doch sprechen - konsistent, war sie in sich geschlossen, oder sind wir von heute auf morgen immer von dem einen auf das andere Beinchen gehüpft? Was sagt der Sachverständigenrat? - Ich habe heute der Presse entnommen, daß dieser Sachverständigenrat so schlecht doch wohl nicht sein kann, wenn ein von der Bonner Opposition regiertes Bundesland den Vorsitzenden ausersieht, in den Zentralbankrat berufen zu werden. Dann dürften die Gutachten, die von ihm verantwortet sind, so miserabel eigentlich nicht sein. Ich unterstelle das einmal. ({10}) - Herr Abgeordneter Wehner, ich verbeiße mir jetzt eine Bemerkung, die ich am liebsten gemacht hätte. - Der Sachverständigenrat sagt, diese Politik war logisch und richtig. Und er sagt wörtlich unter Ziffer 13: Die deutsche Stabilisierungspolitik war im Prinzip nicht überzogen. Es ist ja ganz putzig, daß wir uns plötzlich in der Lage befinden, daß diejenigen, die uns früher vorgeworfen haben, wir täten nicht genug gegen die Preissteigerungen, jetzt indirekt anmerken, wir hätten eigentlich vielleicht ein bißchen überzogen - ohne es so zu formulieren, aber im Ergebnis sozusagen. ... der späteste Zeitpunkt zur konjunkturellen Umkehr schien noch rechtzeitig gefunden. Danach erst, mit dem Wegfall der Auslandsnachfrage, entfiel die Geschäftsgrundlage. Meine Damen und Herren, ich nehme die Diskussion gerne auf und offenbare hier auch meine damaligen Zweifel, wenn Sie das wollen. Natürlich haben wir in der Bundesregierung darüber diskutiert, ob es richtig war, im Dezember 1973 die Stabilisierungselemente des April/Mai 1973 in einigen Punkten schon außer Kraft zu setzen. Darüber hat es eine lange Diskussion zwischen dem damaligen Finanzminister und dem jetzigen und damaligen Wirtschaftsminister gegeben. Ich verhehle gar nicht, daß ich mich schwergetan habe, schon damals zu lockern, weil, wenn der Wegfall der Auslandsnachfrage nicht so gekommen wäre, wie er kam, die Lockerung möglicherweise sogar ein bißchen zu früh gewesen wäre. Jetzt können wir sagen: Ein Glück, daß wir es getan haben! Im nachhinein ist man sehr leicht klüger. Ich würde auch im nachhinein sagen, der Zeitpunkt war richtig gewählt, obwohl wir fairerweise sagen müssen: Niemand konnte dies im Dezember 1973 beweisen, zwei Monate nach dem Ölschock, in denen sich die Welt verändert hat, unsere Ökonomie und die anderer Länder. Wer so klug ist, sollte nicht nur in den Sachverständigenrat gehen, sondern - gleichgültig, welcher Partei er angehört - sich unverzüglich zum Berater der Bundesregierung erklären lassen, wer auch immer regiert. - Das nur nebenbei. Unter Ziffer 1 sagt der Sachverständigenrat, daß die Wirtschaftspolitik frühzeitig versucht hat, den Weg für einen Aufschwung frei zu machen, .. . Und unter Ziffer 13: ... war es vertretbar, daß die Bundesregierung mit der Verabschiedung eines neuen Konjunkturprogramms zögerte, - auch das ist doch in der Diskussion solange begründete Hoffnung bestand, der erwartete konjunkturelle Aufschwung werde bald einsetzen und eine konjunkturelle Wende am Arbeitsmarkt vor Beginn der Winterarbeitslosigkeit bringen. Erlauben Sie mir in diesem Augenblick einen Sprung zurück auf die Entwicklung 1966/67. Meine Damen und Herren, als damals Karl Schiller und Franz Josef Strauß hier ihr drittes Konjunkturprogramm mit öffentlichen Investitionen, nicht mit der Anregung privater Nachfrage - das nur nebenbei -, auflegten, haben die beiden Fraktionen CDU/CSU und SPD zugestimmt, und die Freien Demokraten haben dagegen votiert, wobei wir den beiden ersten Programmen unsere Zustimmung nicht versagt haben. Ich habe damals von dieser Stelle aus gesprochen und gesagt: „Dies ist zuviel." Ich setze mich damit nachher noch auseinander, wenn ich zu den Ausführungen eines anderen Redners des gestrigen Tages Stellung nehme. Ich könnte so vordergründig, wie gestern jemand argumentiert hat, sagen: Seht ihr, ich habe recht gehabt; denn der Boom ist viel stärker geworden, als er werden sollte, und die Preissteigerungsraten folgten auf dem Fuße. - Meine Damen und Herren, ganz ehrlich wäre ich nicht; denn in Wahrheit ist natürlich der Boom des damaligen Jahres nicht primär durch dieses dritte Konjunkturprogramm ausgelöst worden, sondern primär durch eine sich plötzlich unerwartet entfachende Auslandsnachfrage. In der Tat war dann im nachhinein das dritte Konjunkturprogramm falsch. Ich betone aber: im nachhinein. ({11}) - Herr Müller-Hermann, auch der Vertrauensfrage weiche ich nicht aus, wobei das Vertrauen des Auslands in Deutschland offensichtlich nicht gesunken ist; denn die Nachfrage von draußen ist ja seitdem exorbitant gestiegen. ({12}) Ich will zu unseren Währungsreserven etc. gar nichts sagen. Im übrigen glaube ich, daß die Ausländer nicht allein nach Vertrauen kaufen, sondern nach Qualität und Preis; da haben sie auch ganz recht. ({13}) Ich meine, zurückkommend auf unsere Strategie, daß die Investitionszulage, bei der wir auch in der Regierung lange darüber diskutiert haben, ob sie der richtige Weg sei - glauben Sie nur nicht, daß man sich das so leicht macht, wenn man weiß, daß damit in jedem Fall ein hohes Risiko verbunden ist -, insofern nicht falsch war und daß ein negatives Urteil sehr voreilig ist. Denn die Konjunkturstütze sollte und mußte bei der Schwachstelle ansetzen, bei den privaten Investitionen. Wir sehen an der Entwicklung der letzten sieben Monate, daß das bei der Binnennachfrage nicht ganz ohne Erfolg war. Das Ziel war gleichzeitig, die Initialzündung im Investitionsbereich über breite Teile der Wirtschaft zu ziehen; offengestanden: auch das Ziel, eine Ertragsverbesserung herbeizuführen, die allerdings in den Unternehmen erst 1976/77 ankommen wird, weil erst dann ausgezahlt wird. Aber dann sind es bei den Unternehmungen Einnahmen. Es muß eine Konzentration der Bestellungen im Frühsommer erreicht werden - Ballungseffekt! -, um damit letztlich verbesserte Dispositionsmöglichkeiten der Unternehmen für das zweite Halbjahr zu schaffen. Ich gebe zu, daß die Wirkung der Zulage bei einer nicht so extrem negativen Auslandsnachfrage, mit der ich in diesem Ausmaß in der Tat nicht gerechnet habe, anders verlaufen wäre. Aber bitte, wer das damals alles wußte, sollte sich hier gleich melden, wobei globale Schwarzmalerei ja noch nicht Ersatz für eine fundierte Analyse ist. ({14}) Das sollten wir doch einmal feststellen. Ich würde sagen, daß Stärke und Schnelligkeit der sich weltweit wechselseitig verschärfenden Rezessionstendenzen und der Strukturprobleme das erwartete Ausmaß überstiegen. Ich würde nicht anstehen, zuzugeben, daß es einen gemeinsamen Irrtum von Regierung, internationalen Institutionen, wissenschaftlichen Instituten und Sachverständigen gab. Wenn sich die Opposition von diesem gemeinsamen Irrtum ausnehmen möchte, stelle ich ihr dies natürlich frei. Warum nicht! ({15}) - Herr Stücklen, schon daran merken Sie etwas. Sie haben vorhin in einem spaßigen Zwischenruf gemeint, wir wollten doch wohl nicht die Opposition verbieten. Herr Stücklen, so weit gehen selbst unsere Sparvorschläge nicht. Sie brauchen da keine Sorge zu haben. ({16}) Sie können sich - wenn ich das einmal auf die letzten anderthalb Jahre ausdehne - auf eines in der Tat berufen: auf Kassandrarufe. Solche - das ist unbestritten - sind von Ihnen gekommen. Aber Kassandrarufe sind eben kein Ersatz für eine Analyse, auf deren Basis Sie mir nachweisen können: die Auslandsnachfrage muß sich so und so entwickeln. ({17}) Ich bin jedenfalls der Meinung - und dies wollte ich darlegen -, daß die Investitionszulage zur Konsolidierung der Binnennachfrage beigetragen hat. Dazu äußert sich auch die letzte Ifo-Untersuchung vom August 1975, in der es heißt: Die Entwicklung der Auftragsvergaben wurde maßgeblich durch die Investitionszulage beeinflußt. Über zwei Drittel der Industriefirmen haben wegen der Investitionszulage Aufträge in das erste Halbjahr 1975 vorgezogen. Ifo sagt weiter: Ohne die Investitionszulage hätte die verarbeitende Industrie im ersten Halbjahr 1975 wertmäßig um fast 5 Milliarden DM oder rund 25 °/o weniger Investitionsaufträge vergeben. Das ist eigentlich der Beweis dafür, daß die Investitionszulage richtig war. Hierzu noch eine politische Anmerkung: Mir ist nicht bekannt, daß der Präsident des Ifo-Instituts, Herr Professor Hettlage, meiner Partei je angehört hätte. Daher gibt es also diese Motivation, mich zu loben, sicher nicht. Mir ist auch nicht bekannt, daß er der Sozialdemokratischen Partei angehört haben könnte oder gar noch angehört, so daß von daher das Argument, daß hier etwa zugunsten der Regierung ein Test formuliert worden sei, wohl entfällt. Lassen Sie mich nun etwas zur Problemkonstellation und zum Konzept sagen. Ich erkläre hier in aller Deutlichkeit - und deswegen können Sie auch die an die Öffentlichkeit geratene Rede vom 23. Juli gerne hochhalten -: Die Problemkonstellation, vor der die deutsche Wirtschaftspolitik steht, ist nicht monokausal. Ich würde gerne vier Ursachenkomplexe nennen, die ich für relevant halte. Es gibt sicher noch mehr; aber ich will mich auf diese konzentrieren. ({18}) - Herr Müller-Hermann, Sie können das meinetwegen alles dazwischenrufen. Nur, ich lasse mich nicht davon abbringen, hier das zu sagen, was ich zu sagen beabsichtige. ({19}) Ich wollte mich zur Problemkonstellation und zum Konzept äußern. Ich habe gesagt: es gibt nach meiner Meinung vier Ursachenkomplexe. Nicht nur der Einbruch bei der Auslandsnachfrage, der wohl unbestritten und der nachweisbar ist, war ausschlaggebend. Zu beachten ist auch, daß Ausmaß und Verlauf von Auslandsnachfrage und Export 1974 nicht als Normalmaßstab geeignet waren. Ich glaube, das weiß jeder, der über diese Frage nachgedacht hat. Deswegen sage ich immer wieder: man muß schon bei 1973 ansetzen. Nun lassen Sie mich ein Wort zu der Rede von Ministerpräsident Kohl sagen, der sich am gestrigen Tag mit dieser Frage auseinandergesetzt und auch das Thema Auslandsnachfrage behandelt hat. Sie sehen auch hier wieder, was man mit Zahlen machen kann, wenn man sie richtig wiedergibt. Er hat gesagt: Schon 1974 hattet ihr 1 Million Arbeitslose, damals hattet ihr einen gigantischen Exportüberschuß mit einem hohen Wachstum gegenüber 1973; dies ist doch der Beweis dafür, daß die Arbeitslosigkeit hausgemacht ist. Ich reduziere das; aber das war der Inhalt, wenn ich ihn richtig verstanden habe. - Er hat recht: wir hatten die Arbeitslosen, er hat recht: wir hatten den Exportüberschuß, er hat recht: wir hatten ein Exportwachstum gegenüber 1973. Nur, was er nicht erwähnt hat, ist der Verlauf des Jahres 1974, nämlich daß wir im ersten Vierteljahr ein Wachstum des Exports von 9,7 % hatten, im zweiten Vierteljahr von 5 %, im dritten von 0,5 %, im vierten von minus 6,2 % und dann sogar von minus 12,3 %, und er hat eben nicht gesagt, zu welchem Termin die Arbeitslosen da waren. Sie waren nämlich Ende des Jahres da. ({20}) Sie sehen daran, daß bei einer Globalbetrachtung, die nicht falsch ist - ich unterstelle ihm nicht die Verwendung falscher Zahlen -, zu fragen ist, ob man eine Verlaufskurve darstellt und dieser die Verlaufskurve der Beschäftigung gegenüberstellt, oder ob man eine Globalaufnahme mit einer Blitzlichtaufnahme vergleicht. Hier ergeben sich natürlich unterschiedliche Perspektiven. Ich wünschte mir, daß wir wenigstens. Übereinstimmung über die Fakten erzielen können. Die Therapie wird möglicherweise unterschiedlich zu beurteilen sein. Warum auch nicht in einem Parlament, das auf Wettbewerb beruht? Zweite Bemerkung zu den Ursachen: Ich sehe auch gravierende Strukturveränderungen und Anpassungsvorgänge, die nach meiner Meinung in der öffentlichen Diskussion im Stellenwert weit unterschätzt werden. ({21}) Das Währungsgefüge ist vom Bundeskanzler und vom Finanzminister erwähnt worden. Über die Energiekrise reden wir heute, als ob sie nicht stattgefunden hätte, viele jedenfalls, weil wir alle wieder Energie haben. ({22}) Natürlich, wir haben Strom genug. Wir haben sogar im Moment paradoxerweise 01 „zuviel". Aber als ob mit den Folgen der Krise mit einer phantastischen Verteuerung nicht auch eine Umwälzung bestimmter Produktionsstrukturen einhergegangen wäre, als ob das nicht Anpassungsvorgänge erfordern würde - in Klammern: mit Investitionen, die einen natürlich in einer rezessiven Phase viel schwerer treffen als in einer Boomphase! ({23}) Und - lassen Sie mich hinzufügen - neue Industriestandorte! Es ist doch wohl keine Frage, daß eine Entwicklung, wie wir sie durchgemacht haben, für die eine oder andere Produktion den Standortfaktor Bundesrepublik heute anders ausweist als vor 10 oder 15 Jahren. Da können wir nun lange philosophieren, ob das nur an der Lohnentwicklung, nur an den übertriebenen Sozialleistungen, wie einige behaupten, nur an den bösen Umweltschützern oder an was auch immer liegt. Meine Damen und Herren, eine Gesellschaft, die sich so dynamisch entwickelt wie die deutsche in den letzten 20 Jahren, verändert eben die Standortfaktoren, und der Wirtschaftsminister ist nicht sehr glücklich darüber, daß wir uns diesen veränderten Standortfaktoren partout nicht stellen wollen, sondern sie permanent mit neuen Subventionsforderungen zu verschleiern versuchen. ({24}) Was will ich damit sagen? Ich nenne Ihnen Roß und Reiter. Ich weiß gar nicht, in welcher Welt ich mich befinde. Ich komme gerade aus Peking, und Gegenstand der Verhandlungen waren u. a. die den Chinesen nicht ausreichenden Kontingente für die Einfuhr chinesischer Waren in die Bundesrepublik, sprich heute: in die Gemeinschaft. Ich habe noch im Ohr die ganze Kritik von Abgeordneten - jetzt muß ich das lokalisieren - aus der Opposition, vornehmlich aus bestimmten Standortregionen in Bayern, die mich wegen der zu hohen deutschen Textilkontingente kritisierten. Zu meiner Überraschung lese ich heute, daß der Abgeordnete Dr. Strauß - wie ich finde, gar nicht so dumm - in Peking sagt: „Ich werde dafür sorgen, daß die Bundesrepublik die Kontingente erhöht, denn ihr müßt mehr nach Deutschland exportieren." ({25}) - Ich bitte um Entschuldigung, Herr Ehrenberg, ich habe es nur in der Zeitung gelesen. Ich glaube sogar, daß er es gesagt hat. ({26}) Ich halte auch gar nicht für falsch, was er gesagt hat, denn, meine Damen und Herren, Sie können nicht auf Dauer Exportprodukte im Werte von einer Milliarde DM mit rapide steigender Tendenz z. B. in die Volksrepublik China exportieren - denn die Technogerma haben wir ja wohl nicht nur gemacht, um da mit 1 000 Germanen auftreten zu können, sondern doch wohl auch, um Exponate zu zeigen und zu verkaufen -, ({27}) wenn Sie diesem Land nicht die Möglichkeit geben, über eigene Exporte Devisen zu erwirtschaften, um unsere Güter zu bezahlen. Das ist doch wohl unbestritten. ({28}) Ich ziehe daraus überhaupt nicht die Konsequenz: „Weg mit den Textilkontingenten!" Ich will damit nur sagen: es ist eben sehr viel komplizierter, als mancher von seinem Standort glaubt. ({29})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Ja.

Albert Burger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000310, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, darf ich Sie fragen: Wenn man diesen Ausführungen zustimmen wollte, zu welchen Bedingungen, zu welchen Preisen sollen dann diese Importe bei uns aufgenommen werden? ({0})

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Ich finde die Frage gut. Die Frage ist gut, denn Herr Stücklen hat sie als Zwischenruf gestellt. Sehen Sie, da kommen Sie sofort vor die Frage: Ist das Dumping? Da haben wir ein Preisprüfungsverfahren usw. ({0}) - Vorsicht mit dem „Ja genau" ! Wenn die Leute nicht nur China, sondern auch in Hongkong oder wo auch immer ihre natürlichen Standortvorteile, die z. B. in sehr viel niedrigeren Löhnen, in geringeren Umweltschutzauflagen, in geringeren Bildungskosten, in geringerer Infrastruktur, Krankenhausausstattung usw. beruhen, wenn sie diese ihre Kostenvorteile im Preis weitergeben, dann ist das kein Dumping. Dumping gibt es erst, wenn sie ihre eigenen Kosten im Preis nicht mehr weitergeben und so versuchen, entweder Vernichtungswettbewerb zu betreiben oder nur Marktanteile zu bekommen. ({1}) - Lassen wir es doch einmal. Ich will heute mit Ihnen keine Agrardebatte führen, wirklich nicht. Ich bin dazu zu einem anderen Termin bereit. - Das ist also das Problem. Ich will damit nur eines sagen. Die Standortfaktoren haben sich verändert. Lassen Sie mich hinzufügen, sie hatten sich schon zu einem Zeitpunkt verändert, in dem wir es wegen falscher fester Wechselkurse nicht bemerkt haben. ({2}) Seien wir doch ehrlich! Es ist doch viel zu einfach, dem Vorstand des Volkswagenwerkes die Schuld allein in die Schuhe zu schieben. Ich würde das nicht machen, ich würde auch nicht den ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern die Schuld geben. Der Export von 500 000 deutschen Fahrzeugen eines Modells in die Vereinigten Staaten von Amerika wäre auch 1965/69/70 bei Freigabe der Wechselkurse sicher in dieser Form nicht gelaufen. ({3}) Das ist doch wohl unbestritten. Ich sage Ihnen eines: Die Standortüberlegung, ob VW dort baut oder nicht, wäre zu einem anderen Termin entschieden worden, und sie wäre für das Unternehmen billiger entschieden worden und hätte uns wahrscheinlich die Hereinnahme eines Teils der zwei Millionen ausländischen Beschäftigten erspart. Das sind doch wohl unbestrittene Tatsachen. ({4}) Ich würde zu den Strukturveränderungen nicht nur die Standortveränderungen rechnen. Nein, meine Damen und Herren, auch die Tatsache, daß es Märkte gibt, die ihrer Sättigung entgegengehen, kann doch wohl nicht bestritten werden. Dort gibt es eben nur noch Ersatzbeschaffungen, keinen wachsenden Markt mehr. Die Verbraucherpräferenzen sollten wir nicht außer acht lassen. Es gab auch einen besonderen Einfluß von bereits länger anhaltenden Verschiebungen der makroökonomischen Schlüsselrelation auf den Wirtschaftsablauf. Ich spreche das an. Warum eigentlich nicht? Natürlich ist die Lohnquote gegenüber der Investitionsquote angestiegen. Nennen wir doch einmal die Zahlen. 1970 hatten wir eine bereinigte Lohnquote von 61,7 %, 1974 von 65,3 % und dieses Jahr wahrscheinlich von 65,4 %. Nun mag man sagen: Was sind da lächerliche 3 % bereinigte Lohnquotenverschiebung? Ja, ja, lächerlich! 1 % sind 7,6 Milliarden DM. Wenn ich die Quote von der einen Seite auf die andere Seite um einen Punkt verschiebe, dann heißt das, daß die Einkommen der Unternehmen um 7,6 Milliarden DM zugunsten der anderen weniger zunehmen. Man kann nun lange gesellschaftspolitisch darüber sprechen, ob das nicht sogar gewollt und richtig war. Wenn wir zur Tarifautonomie ja sagen, dann schiebe auch dies niemandem einseitig in die Schuhe. Ich habe in Frankfurt den Unternehmern gesagt: „Eines verstehe ich nicht ganz, ich kenne keinen Tarifvertrag ohne zwei Unterschriften. Das heißt, diese Entwicklung müssen Sie wenigstens quergeschrieben haben. Ich will ja zu Ihren Gunsten annehmen, daß Sie ein Marktungleichgewicht im Boom hatten und in einer schwierigeren Verhandlungsposition waren. Das will ich alles zugeben. Nur: unterschrieben haben Sie. Also wollen wir uns doch bitte einmal gemeinsam dazu bekennen!" Herr Dr. Barzel, ich bestreite überhaupt nicht Ihre Zahlen von gestern, was die Staatsquote anbelangt. Die Zahl ist richtig. Auch darüber muß man nachdenken, ob die Verschiebung dieser makroökonomischen Relation mit ursächlich war oder nicht. Man muß allerdings einen Schritt weitergehen und auch prüfen, wie die Staatsquote in ihrer Verwendungsstruktur aussieht. Lassen Sie mich dazu gleich an dieser Stelle eine Bemerkung machen. Nun haben wir ja eine mittelfristige Finanzplanung gemacht. Ich bin der letzte, der behaupten würde - darf ich Ihren Begriff von gestern aufnehmen -, daß sich die Wirklichkeit nach der mittelfristigen Planung richtet. Daran glauben wir beide nicht. Daran glaubt wohl niemand in diesem Hause. Aber wir müssen sie machen, und wir haben sie gemacht. Man muß zugeben, von den Daten dieser mittelfristigen Finanzplanung aus wird die Staatsquote von jetzt 47,6 % sinken. Sie wird per 1979 auf 42,7 % sinken. Nun können Sie sagen: Eure ganze Planung ist Mist; d'accord! ({5}) Darüber können wir lange streiten. - Mein d'accord bezog sich darauf, daß ich dem Oppositionspolitiker zubillige, dies zu sagen. ({6}) Das doch wohl unbestritten. Sie haben gestern eine so geschliffene und so gut formulierte Rede gehalten, daß ich mir erlaube, in ähnlicher Form mit der Opposition zu sprechen. ({7}) - D'accord, auch da. - Aber das muß man doch sagen und sehen, daß dies mittelfristig so ist. Lassen Sie mich eine letzte Ursachenbemerkung machen. Auch die Folgen einer jahrelangen, weltweiten Inflationsentwicklung, einschließlich der Preissteigerung im Inland, können nicht außer Betracht gelassen werden. Nun sind wir in der Inflationsentwicklung nicht auf den Satz gekommen, der uns prognostiziert worden war. Wir haben sogar einen Rückgang erreicht. Aber, meine Damen und Herren, der Wirtschaftsminister will Ihnen eines nicht vorenthalten, nämlich seine tiefe Besorgnis, wie in Europa Wirtschaftspolitik noch betrieben werden kann, wenn die Spannweite der Inflationsrate von 5,9 % auf der einen, deutschen Seite bis zu 26 % bei den Engländern reicht. Glauben Sie wirklich, daß dies in einer Europäischen Gemeinschaft, in einem zollfreien Markt, in einem Markt, der eine gemeinsame Wirtschaftspolitik erstrebt, ausgeglichen werden kann nur über flexible Wechselkurse? Ich hoffe es nach wie vor. ({8}) - Herr Professor Erhard, ich stimme Ihnen zu, daß wir immer unterschiedliche Raten hatten. Aber Sie werden mir zustimmen, daß nicht nur der relative Abstand wichtig ist, sondern daß auch eine absolute Rate von 26 % die Strukturen eines Landes wie England tiefgreifend verändern muß und auch für uns nicht ohne Probleme bleibt. ({9}) - Herr Professor Erhard, das bestreite ich überhaupt nicht. Nur, die Wechselwirkung müssen wir sehen. ({10}) - Ja, gut, bleiben wir bei dem Punkt. Herr Dr. Barzel hat gestern anklagend gefragt: Wie kommt es eigentlich, daß Euer Wachstum so viel niedriger ist als bei anderen, Frankreich usw.? Herr Apel hat heute morgen etwas dazu gesagt, ({11}) ich möchte etwas ergänzen. Ich habe an dieser Stelle, im Frühjahr 1973, gesagt: Wenn Sie mich fragen, als Mitglied dieser Bundesregierung, wo ich die Priorität setze, dann bin ich bereit, auf den einen oder anderen Punkt Wachstum real zu verzichten, wenn es mir gelingt, den Abstand zwischen real und nominal zu verkleinern. Oder zu deutsch: Ich bin bereit, auf den einen oder anderen Wachstumspunkt zu verzichten, um die Inflationsrate zu dämpfen. ({12}) Das haben wir gesagt, das haben wir getan. Herr Dr. Barzel, es ist bei der Struktur unserer Volkswirtschaft denkbar, in diesem Lande ruckzuck ein reales Wachstum zu produzieren, wenn Sie bereit sind, bei den Inflationsraten die zweistelligen Zahlen zu akzeptieren. Nur, Sie produzieren es nicht dauerhaft, Sie produzieren es verdammt kurzfristig. Und da sehen Sie bei den Franzosen, was passiert ist: Voriges Jahr hat Herr Fourcade noch gesagt, das Wachstum bleibt. Ich habe ihm gesagt: Nein. Entweder Sie bekommen die Inflationsrate in den Griff - dann drücken Sie Ihr Wachstum herunter - oder nicht. Und so ist es gelaufen. Und ich bekenne mich dazu: Mir ist nach wie vor die Differenz zwischen Realem und Nominalem das Wichtigere. ({13}) Und ich bin bereit, eine Einbuße - streiten wir uns nicht über den Begriff - oder auch eine Schrumpfung ganz vorübergehend in Kauf zu nehmen. ({14}) Jedenfalls ist dieser Trend bei uns einigermaßen gekappt worden. Und nun kommt die Frage: Welche Strategie kann man in diesem Augenblick fahren? ({15}) Ich bin der Meinung, daß wir öffentliche und private Nachfrage kurzfristig antizyklisch mobilisieren, um insbesondere Investitionen anzuregen, und daß deswegen der Nachtragshaushalt plus Investitionsprogramm und eine Prozyklik der öffentlichen Haushalte gesehen werden müssen. Diese Konjunkturstützung wird nur tragfähig, wenn jetzt auch Entscheidungen auf mittlere Sicht gefällt werden. An dieser Stelle müssen wir uns ja nun mit einigen Konsequenzen beschäftigen. Was die mittlere Sicht anbelangt, so hat diese Regierung Daten gesetzt, die geeignet sind, die Befürchtungen vieler Unternehmen zu zerstreuen, ihnen bliebe ja überhaupt keine Möglichkeit mehr, ihre zukünftigen Investitionen am Kapitalmarkt zu finanzieren. Das heißt, die mittelfristige Finanzplanung und die dafür erforderlichen Beschlüsse - Ausgabenkürzung plus Mehrwertsteuererhöhung; ich äußere mich dazu und werde Ihnen auch sagen, warum wir das getan haben - bringen eines mit sich, nämlich, daß die Nettokreditaufnahme des Staates zurückgeht und damit Verwendungsspielräume am Kapitalmarkt für die privaten Investoren günstiger werden. Die Sorge der Unternehmen war doch, daß, wenn dies geschähe, sie selbst den Kreditbedarf nicht befriedigen könnten. Eine weitere Sorge war, daß der Staat zu irgendeinem Zeitpunkt gezwungen wäre, die Steuer zu erhöhen, die für sie, die Unternehmen, wachstumshemmend sind, d. h. die ertragsabhängigen oder die ertragsunabhängigen Steuern im Unternehmensbereich. Nun ein Wort zu der Mehrwertsteuer. Sie trifft nicht die Unternehmen, denn sie wird überwälzt, und das soll sie ja auch werden. Gestern ist nun - ich glaube, von Herrn Stoltenberg - gesagt worden: Es ist Wahnsinn, zu diesem konjunkturpolitischen Zeitpunkt die Mehrwertsteuer zu erhöhen! - Wir wollen jetzt einmal darüber sprechen, wann man das eigentlich machen kann. ({16}) Lassen wir einmal den Wahltermin beiseite. Optimal ist es, die Mehrwertsteuer in einem Augenblick zu erhöhen, in dem wir nicht in der Hochkonjunktur sind; ({17}) denn in diesem Augenblick ist die Gefahr, daß bei der Überwälzung noch das eine oder andere Prozent mitgenommen wird, am geringsten. ({18}) - Bei der Einführung im Jahre 1968 ist der optimale Termin gewählt worden. Ich würde sogar - obwohl damals in der Opposition sitzend - zugeben: Auch die Erhöhung um einen Punkt im Juli 1968 war vom Termin her gut gewählt. Daraufhin haben einige Kollegen gesagt: Also machen wir es am 1. Januar 1976. Dieser Termin ist an sich ideal. Wir haben die Mehreinnahmen dann schon in dem Jahr, in dem uns die Haushaltsfinanzierung noch Sorge macht. Der Wirtschaftsminister hat sich dem widersetzt, und das Kabinett hat einstimmig gesagt: nicht am 1. Januar 1976, sondern am 1. Januar 1977. Nun fragen Sie: Warum? Wissen Sie, warum? Weil meine Befürchtung war, daß bei einer Einführung am 1. Januar 1976 die Überwälzung möglicherweise nicht möglich ist - von der Verbraucherpreissituation her ideal -; aber dann wirkt eine überwälzbare Steuer im Unternehmensbereich genauso wie eine ertragsabhängige oder ertragsunabhängige Steuer im Unternehmensbereich. Sie bekommen dann nämlich eine weitere Ertragsschmälerung. Das heißt, der optimale Zeitpunkt ist der, in dem der Aufschwung begonnen hat, sich hinreichend verfestigt hat, aber noch keineswegs seinen höchsten Punkt erreicht hat. ({19}) - Herr Stücklen, hier kommt mit Recht Ihre Frage: Welcher Astrologe hat euch gesagt, daß das am 1. Januar 1977 der Fall ist? Keiner! Ich weiß auch nicht, ob es der richtige Termin ist. Ich wünschte, wir könnten so etwas machen: eine Mehrwertsteuer beschließen und sie mittels Verordnung binnen 14 Tagen in dem Augenblick einführen, in dem das konjunkturpolitisch richtig ist. Das können sie aber nicht. Also müssen Sie darüber diskutieren, welcher Zeitpunkt voraussichtlich - nach normalem Ablaufschema - der günstigste ist. Was dies angeht, so bin ich in der Tat - in Übereinstimmung nicht nur mit meinen Kollegen in der Bundesregierung, sondern auch mit der Öffentlichkeit und den Sachverständigen - der Meinung, daß bei normalem Ablauf wahrscheinlich der genannte Termin der günstigste ist.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Häfele? - Bitte sehr!

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, könnte daraus nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß es eigentlich völlig falsch ist, die Mehrwertsteuer in dieser verfahrenen Situation überhaupt zu erhöhen, und war das nicht die Meinung sehr prominenter FDP-Sprecher - etwa von Graf Lambsdorff - bis in den Hochsommer hinein?

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Die Frage ist berechtigt, ob man es nicht hätte ganz sein lassen sollen. Sie hätten dann zwei Möglichkeiten gehabt. Entweder lassen Sie bei der mittelfristigen Finanzplanung auf der Ausgabenseite alles so, wie es jetzt ist, und Sie fahren Defizite von 40 bis 50 Milliarden DM im Bundeshaushalt bis 1978 durch. ({0}) Dies hätte, abgesehen von der Unmöglichkeit, jedes Vertrauen in die Solidität von Finanzplanung und Finanzstrategie unterhöhlt. Das ist doch wohl unbestritten. ({1})

Dr. Ludwig Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000486, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ist Ihre Darstellung und Ihre Überzeugung von der Wirkung und vom Zeitpunkt der Erhöhung der Mehrwertsteuer mit der Auffassung der ganzen Koalition übereinstimmend?

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Die Frage von Herrn Professor Erhard war, ob meine Meinung bezüglich des Termins usw. mit der Auffassung der ganzen Koalition übereinstimmt. Mit der des Kabinetts stimmt sie überein; ich hoffe auch, mit der der sozialdemokratischen Fraktion. Mit der meiner Fraktion stimmt sie jedenfalls überein. ({0}) Nun kommt die zweite Möglichkeit, Herr Häfele: Hätte man nicht verzichten und einfach diese 7 Milliarden DM auch noch kürzen sollen? Das ist doch die Philosophie der Opposition, wenn sie sagt: Wir machen da nicht mit. Der Herr Dr. Strauß ist ja vorsichtiger. Ich habe von ihm gelesen, daß er sagt „Jetzt nicht, nicht zu diesem Zweck und so nicht!". Das ist nicht uninteressant. ({1}) - Er hat gesagt: „Jetzt nicht, nicht zu diesem Zweck", und dann kam eine dritte Komponente. Er hat das klugerweise alles sehr konditioniert; denn, wenn er das je werden sollte, was er mindestens werden will, ({2}) dann kommt die Frage auf ihn zu. Dann muß er sagen: Damals war „jetzt" nicht richtig, jetzt ist „jetzt" richtig. Wir kennen das ja alles. ({3}) Es gibt ja hinreichend Erfahrungen mit dem „So nicht, jetzt nicht, hier nicht!". Ich will das nicht ausführen. ({4}) Ich will mich mit der ökonomischen Frage beschäftigen. Ich will es gar nicht so einfach machen, Herr Häfele, zu sagen, diese 7 Milliarden können Sie nicht mehr streichen. Ich bin der Meinung, ohne tiefgreifende Einschnitte in ganz problematische Zonen geht es in der Tat nicht mit 7 Milliarden. Aber lassen wir das doch einmal einen Moment weg. Sagen wir doch einmal, es ginge. Lassen wir doch einmal die verehrten Kollegen auf der Länderbank weg, die dann ja auch 3 Milliarden DM weniger bekämen. Lassen wir das einmal alles beiseite. Dann glaube ich, daß es rein ökonomisch nicht vertretbar wäre, die öffentliche Gesamtnachfrage um diesen Teil abzusenken. Ich will Ihnen begründen, warum. ({5}) Bei der jetzigen Datenkonstellation haben Sie ein Wachstum des nominalen Sozialprodukts von 9,5 % im Datenkranz. Bei diesem Wachstum ist eine Ausgabe der öffentlichen Haushalte, jedenfalls des Bundeshaushalts, in Höhe von rund 5 % unterstellt. Lassen Sie die Mehrwertsteuererhöhung beiseite und streichen Sie den öffentlichen Haushalt um diese 7 Milliarden DM progressiv wachsend weiter. Dann kommen Sie noch zu einer Zuwachsrate der Gesamtnachfrage des Staates - ich unterscheide jetzt nicht nach Investition und Konsum - von ganzen 2 bis 3 %. Ich sage Ihnen eines: mit dieser Wachstumsrate werden Sie allerdings das gesamtwirtschaftliche Wachstum von 9,5 % nicht erreichen. Dies ist wohl unbestritten. ({6}) Man muß doch die Dinge sehen, wie sie sind. Die Dinge hängen eben zusammen. Ich gehe deswegen so ungern in den Clinch über die öffentlichen und die privaten Investitionen, weil schon der Begriff der öffentlichen Investitionen ein irrsinnig problematisches Unternehmen ist. Der Finanzminister hat heute morgen gesagt, der Bau einer Kaserne werde statistisch nicht als Investition erfaßt, der Bau einer Schule aber doch. Wo liegt eigentlich der Unterschied? Ich stimme immer zu, öffentliche Investitionen sollten Priorität haben gegenüber öffentlichem Konsum. Wenn ich aber einmal unterstelle, Herr Häfele, wir könnten die öffentlichen Investitionen stark nach oben fahren - ich sehe jetzt Herrn Gaddum an, der ja dankenswerterweise der Öffentlichkeit die Folgekosten mitgeteilt hat -, dann steht doch eines fest, daß Sie nämlich im nächsten Haushalt die Folgekosten zu verkraften haben, die nicht mehr investiven Charakter haben, ({7}) und zwar zum Entsetzen vieler Bürger, die immer geglaubt haben, nur die Rathäuser hätten Folgekosten, vielleicht auch noch die Schwimmbäder. Nein, er sagt, selbst die Kläranlagen mit 19,6 %, und die müssen wir doch wohl bauen, wenn wir an die Umwelt denken. Wir müssen uns doch darüber klar sein, daß zur Standortqualität einer modernen Industrienation auch Umweltschutz gehört. ({8}) Lassen Sie mich gerade an dieser Stelle noch etwas zu der mittelfristigen Seite sagen. Es war seitens der Bundesregierung wichtig, der deutschen Öffentlichkeit darzustellen, daß das Konzept in sich konsistent ist. Pardon, man kann es für falsch halten. Es ist das Recht der Opposition, ein anderes Konzept anzubieten, auch in sich geschlossen; das kann doch niemand bestreiten. Man hat dann zwei Konzepte mit einer unterschiedlichen Philosophie gegeneinander. Natürlich sind andere Datenkonstellationen denkbar, die zu einem ähnlichen Ziele führen. Da muß sich aber die Politik entscheiden. Wir haben uns entschieden. Wir haben das Konzept - in sich konsistent - vorgelegt. Die gestrige Polemik knüpfte sich doch immer wieder daran, daß Sie nicht etwa sagen: Hier ist ein anderes Konzept, sondern nur sagen: Aus diesem Konzept brechen wir die und die Punkte heraus; bitte, substituiere du diese durch andere Dinge, die dir zwar nicht passen, die mir aber passen. Ich gestehe das der Opposition zu. Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, jede Opposition muß sich ihr Selbstverständnis der Oppositionsrolle doch selbst suchen. Das kann ihr die Regierung nicht vorschreiben. Es ist doch wohl nicht unsere Aufgabe, Ihnen das vorzuschreiben. ({9}) Ich entsinne mich aber, daß wir uns, als wir mit 40 Figuren auf der Seite des Hauses gegenüber 90 % in der Opposition saßen, in der Tat bemüht haben, bei einer ganzen Reihe von Punkten auch eine eigene Konzeption anzubieten. Wir wußten, sie wird nicht akzeptiert - das ist eine andere Frage -, aber wir wollten, daß die deutsche Öffentlichkeit wußte, daß die Freien Demokraten nicht nur dagegen waren, sondern auch wußte, wofür sie waren. Ich hoffe nämlich immer noch, daß die Mehrzahl der Bevölkerung gerne etwas Positives wählt statt etwas Negatives. ({10}) Dieser Teil ist also ausdiskutiert. Noch eine Nachbemerkung zu den öffentlichen Investitionen. Ich will offen zugeben, daß es Leute in unseren Parteiungen gibt - wenn ich Parteiungen sage, meine ich: auch am Rande des Spektrums -, die glauben, man könnte durch den Ersatz öffentlicher Investitionen zu Lasten privater in der Beschäftigungssituation dasselbe erreichen. Das ist falsch. Öffentliche Investitionen sind sehr häufig produktivitätssteigernd, sie erhöhen aber meistens nicht das Produktionspotential, es sei denn, der Staat betätige sich im gewerblichen Bereich. Das wollten wir aber wohl nicht. ({11}) Soviel zu diesem Teil. Jetzt kommt natürlich die Frage, die, wie ich glaube, Sie, Herr Dr. Barzel, gestern angeschnitten haben: Wie sieht das mittelfristig aus, brauchst du da nicht steuerliche Erleichterungen, wie du das vor deiner Partei verkündet hast? Ich möchte so sagent: um im Rahmen dieses Zyklus, in dem wir uns jetzt befinden, wieder in einen Aufschwung oder in eine konjunkturelle Belebung zu kommen - wir wollen uns an den Begriffen nicht zu lange aufhalten -, ist eine Ausweitung des Produktionspotentials für das Jahr 1976 an sich nicht erforderlich. Um aber mittelfristig wieder einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen und nachhaltig zu halten, ist eine erhebliche Steigerung der privaten Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland erforderlich. Das heißt also, die „incentives" - ob Sie nun die Vermögensteuer nehmen oder die Abschreibung; lassen wir die Instrumente einmal beiseite - werfen nicht 1975/76 Probleme auf, sondern erst später. Ein kluger Wirtschaftsjournalist in Bonn hat mich vor wenigen Tagen gefragt: Warum fordern Sie eigentlich jetzt investive Anreize, obwohl Sie, Herr Friderichs, genau wissen, daß Sie sie für 1976 nicht brauchen? ({12}) - Ich will Ihnen darauf eine Antwort geben. ({13}) Erstens, weil in diesem Zusammenhang der Nachfrageeffekt und auch die Psychologie eine Rolle spielen, ({14}) und zweitens - nun muß ich ein Wort zur Demokratie sagen -, weil meine Erfahrung mit dieser Demokratie dahin geht, daß in dem Augenblick, in dem die Konjunktur läuft und die strukturellen Schwächen für die gesamte Öffentlichkeit nicht mehr sichtbar sind, in keinem Parlament einer freien Demokratie noch eine Bereitschaft gefunden wird, sich der Strukturprobleme anzunehmen. ({15}) Ich bitte um Entschuldigung, ich muß das sagen. Das habe ich in der Opposition erlebt, das habe ich in der Koaliation unter Ihrer Regierung, Herr Professor Erhard, erlebt, ich habe es im Lande Rheinland-Pfalz erlebt, und ich erlebe es in dieser Regierung. Es ist doch wohl keine Frage, daß rezessive Erscheinungen auch ein Nährboden für überfällige Strukturentscheidungen sind, deren Notwendigkeit in Boomzeiten - hübsch verschleiert, hübsch verpackt - zwar erkannt wird, die aber nicht getroffen werden, weil die Lösung unpopulär ist. Das ist genau der Punkt. ({16}) Das ist der Grund dafür, daß ich es jetzt in die Diskussion gebracht habe, und das ist auch der Grund dafür, daß das Kabinett die beiden zuständigen Minister, nämlich Herrn Apel und mich, beauftragt hat, jetzt nicht nur diese Frage zu prüfen, sondern im Kabinett auch sehr schnell zu sagen, wie das Ergebnis unserer Prüfung ist. ({17}) - Herr Stücklen, ({18}) ich beschäftige mich deswegen wahnsinnig ungern mit Parteitagen anderer Parteien - selbst mit Ihrem nicht -, weil mir mein eigener reicht. ({19}) -Natürlich, einfach deswegen! Das ist doch einfach so, wobei ich allerdings zugebe, Herr Stücklen, daß ich von Ihrem Parteitag in München die Rede mit Genuß und Interesse gelesen habe - und noch einmal nachlesen werde -, die die wenigsten Zuhörer hatte. Das war die von Herrn Professor Engels. Das war nämlich die einzige unpolemische, ({20}) und die war gut. Aber laut Pressemitteilung hatte sie den geringsten Beifall und die geringste Zuhörerschaft. Da sehen Sie schon, daß Phonetik nicht immer der richtige Gradmesser für die Richtigkeit von Politik ist. ({21}) Doch zurück zum ökonomischen Teil: Ich bin in der Tat der Meinung, daß, um mittelfristig einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen, die gesamtwirtschaftlichen Investitionen etwa um 5,5 % pro Jahr und die gewerblichen Investitionen um rund 7 bis 8 % pro Jahr wachsen müssen. Das ergeben alle unsere Modellrechnungen. Und der Prüfungsauftrag lautet ganz korrekt, zu prüfen, ob dies mit der jetzigen Konzeption erreichbar ist oder ob, um dies zu erreichen, zusätzliche Mittel nötig sind. Denn ich möchte die Regierung sehen - gleichgültig, wie sie zusammengesetzt ist -, die nicht die Absicht hat, mittelfristig einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen. Da ergibt sich ein Problem, das ich nicht verhehlen will. Bei der totalen Transparenz unserer Rechenwerke zeigt sich ja immer wieder folgendes, wenn in einer solchen Phase plötzlich die Einkommen einer Gruppe davoneilen. Das haben wir übrigens im Aufschwung 1967/68/69 gehabt; da sind plötzlich im Aufschwung die Unternehmereinkommen davongelaufen, und als dann die Arbeitnehmer und die Öffentlichkeit das gemerkt haben, haben sie einen Nachholeffekt geübt, und zwar immer zum falschen Zeitpunkt. Ich halte es nicht für vertretbar, daß wir das Richtige erkennen, aber einfach nicht in der Lage sind, eine gewisse Parallelität der Entwicklungen zu haben. Oder, anders ausgedrückt, es muß verhindert werden, daß auf Grund einer volkswirtschaftlich richtigen Entwicklung automatisch nicht gewollte Vermögenszuwachsentwicklungen entstehen. Das ist doch die Komponente, vor der wir stehen. Bitte, Herr Professor Erhard!

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Eine Zwischenfrage.

Dr. Ludwig Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000486, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Friderichs, von allen Reden, die hier von der Regierung gehalten worden sind, ist nach meinem Geschmack die Ihre am meisten geeignet, ernsthaft diskutiert zu werden; ich glaube, Sie haben dieses Gefühl bei mir gehabt. Aber wenn das wirklich so ist, wenn das wirklich so ist, wenn Sie alles so gründlich überlegt haben, wenn jeder Schritt durchdacht war, dann müssen Sie sich doch ehrlicherweise auch selbst und vor Ihrem Gewissen fragen: Habe ich mich nicht geirrt? Sie können hier nicht eine Sicherheit mimen, die eben mit den Wirklichkeiten, in denen wir zu unserem Leidwesen leben müssen, nicht in Einklang zu bringen sind. ({0})

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Herr Professor Erhard, ich habe den Irrtum im außenwirtschaftlichen Bereich - ich meine den Wegfall der Exportnachfrage - zugegeben. Ich würde auch nie behaupten, daß sich alle anderen Überlegungen, die man angestellt hat, im nachhinein immer als richtig erweisen. Ich kenne keine Regierung, ich kenne überhaupt keine Menschen, die alles richtig machen. Ich kenne allerdings auch keine Menschen, die alles falsch machen. ({0}) Es hat mir auch an der Debatte gestern nicht gefallen, daß das so aussah. Nun aber noch folgendes. Nachdem ich gesagt habe, wie das Mittelfristige laufen müßte, möchte ich noch eins hinzufügen; und Herr Katzer, jetzt mögen Sie mich wieder einer Verletzung der mir zustehenden Rechte zeihen. Diese Entwicklung - mittelfristig, mit Investitionen, mit höherem Beschäftigungsstand - hängt natürlich nicht nur auch, sondern, ich sage sogar, primär davon ab, ob dem eine parallele Entwicklung im Tarifbereich folgt; das ist keine Frage. Sie können an den anderen Rändern machen, was Sie wollen. Wenn die Lohnquote sie überspielen sollte, wenn also die Tarifvertragspartner das Einsehen in die ökonomischen Zusammenhänge nicht haben, nutzt das andere relativ wenig. Deswegen habe ich das in der Konzertierten Aktion nicht nur gesagt, sondern ich möchte hier ausdrücklich einmal hervorheben, daß es zwei oder drei Gewerkschaftsvorsitzende waren, die in der Konzertierten Aktion im Beisein der Unternehmer offen gesagt haben: Jawohl, auch wir sind der Meinung, die Investitionen müssen wieder steigen, d. h. wir stimmen einer anderen Verteilungsrelation des Bruttosozialprodukts zu. Das heißt aber doch nicht, daß sie jetzt sagen: Wir trimmen alles zurück, was wir für unsere Mitglieder und Mitarbeiter genommen haben. Und, Herr Katzer, wenn Sie mich kritisieren, es sei mit Tarifautonomie nicht vereinbar, daß ich mich zur Forderung der IG Metall geäußert hätte, muß ich Ihnen schlicht und einfach sagen, daß ich von der Funktion des Wirtschaftsministers eine andere Vorstellung habe. Er hat keine Lohnleitlinien zu geben - die werde ich auch nicht geben -, aber er wird doch wohl eine Forderung, die in den Raum gestellt wird, bei der er auch die Vorbelastungen kennt, bei der er die Nebenbelastungen kennt, qualifizieren dürfen. Und ich wiederhole Ihnen, was ich gesagt habe und dann unterhalten wir uns, ob das mit Tarifautonomie vereinbar ist oder nicht. Ich habe gesagt: Auch bei Abzug eines Verhandlungsrabatts ist die Forderung absolut unmöglich in Einklang zu bringen mit der Notwendigkeit, einen fundierten Aufschwung in Gang zu bringen und vor allem die Arbeitslosigkeit abzubauen; die gegenwärtige Lage ist eine Herausforderung an die Mitverantwortung und Solidarität der Gewerkschaften für die arbeitslosen Kollegen. Die Priorität muß bei Arbeitsplatzinvestitionen liegen. In Anlehnung an den Sachverständigenrat habe ich dann gesagt: Es hat keinen Zweck, am Stück - in Klammern: pro beschäftigten Arbeitnehmer - zu gewinnen, was in der Menge - in Klammern: an der Zahl der Arbeitslosen - verlorengeht. Das habe ich gesagt und dazu stehe ich. Wenn Sie anderer Meinung über die Tarifautonomie sind, dann begründen Sie das bitte einmal. Nur eines war an Ihrer Behauptung falsch. Der Herr Professor Erhard hat sich während seiner Zeit in Duisdorf selbstverständlich zu solchen Fragen geäußert und sich nicht, wie Sie behauptet haben, einer Stellungnahme enthalten. ({1}) Es war auch seine Pflicht, sich dazu zu äußern. Nun will ich an diesem Punkt nur noch ganz kurz eine Bemerkung zu dem Programm machen. Das ist ja viel zu kurz gekommen. In diesen Gesamtkontext baut sich das Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen ein. Ich will es nicht mehr im Detail erläutern; Sie kennen die Programmkriterien: schnelle und kurzfristige Auftragsvergabe, Auswahl der Maßnahmen unter Berücksichtigung der Folgekosten, Entlastung der Haushalte 1976. Die Ziele sind doch sehr begrenzt: eine Milderung der Beschäftigungsrisiken primär im Baubereich, um damit mittelfristig einen Kapazitätsabbau zu vermeiden, der über den zukünftigen Bedarf hinausgeht. Beim Programmvolumen sind Sie ja wieder gefragt, Herr Katzer. Sie haben ja permanent getönt, das Programmvolumen mit 5,75 Milliarden DM sei viel zu niedrig, wenn ich Sie richtig verstanden habe. ({2}) - Und zu niedrig; beides haben Sie gesagt. Was ich gelesen habe, betraf Termin und Höhe. Zum Termin habe ich mich geäußert. Zur Höhe sage ich Ihnen: Ich halte es für vernünftig dimensioniert. Wenn Sie es für zu niedrig halten, dann sagen Sie bitte, wo Sie mehr gemacht hätten. Sagen Sie auch, ob Sie vielleicht die jetzige Mehrwertsteuer noch um zwei Punkte gesenkt hätten, um mit den Mindereinnahmen dann mehr zu finanzieren. Das ist vielleicht eine neue Philosophie. Auf diese Idee sind wir allerdings noch nicht gekommen. ({3}) Nun möchte ich noch gerne ein Wort zu den Problemen sagen, die gestern abend in der Rede von Herrn Dr. Barzel angeschnitten worden sind, und zwar zu dem Teil Ihrer Rede, Herr Dr. Barzel, wo Sie mich gefragt haben, ob ich das denn eigentlich alles mitverantworten könne. Es war ohnehin gestern etwas merkwürdig. Ich habe so viel Lob von Rednern der Opposition bekommen. ({4}) Ich möchte heute folgendes sagen: Das Lob, das Sie mir gespendet haben, gilt dem Wirtschaftsminister dieser Bundesregierung, der die Wirtschaftspolitik in dieser Regierung macht, und die Bundesregierung bedankt sich daher für dieses Lob ihrer Politik. ({5}) - Ach so, dann habe ich das falsch verstanden. Nun will ich mich nicht der „neuen sozialen Frage" zuwenden, auch nicht diskutieren, ob es eine alte oder eine neue ist. Gemeint war wohl die Formulierung, daß der Gegensatz von Unternehmern und Arbeitnehmern - alte soziale Frage - abgelöst sei durch den Gegensatz zwischen Produzenten und Nichtproduzenten - wenn ich die Biedenkopfrede vom Mannheimer Parteitag richtig gelesen habe. ({6}) Ob ich sie gelesen habe, kann nur ich beurteilen; ob ich sie verstanden habe, können Sie beurteilen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und mir. ({7}) Ich wiederum kann nicht beurteilen, ob Sie sie gehört oder gelesen haben. Aber vielleicht haben Sie sie trotzdem verstanden. ({8}) Ich will mich damit nicht befassen - weil ich sie nicht verstanden habe, meinetwegen. Ich möchte mich damit befassen, was Herr Dr. Barzel fragte: Haben Sie eigentlich Willgerodt und Müller-Armack gelesen - in Klammern: die Rahmenbedingungen, die Unsicherheit, das nichtvorhandene Vertrauen -? Er hat gesagt: Sie können das bei Müller-Armack nachlesen. Ich habe ihn diese Nacht noch gelesen. Ich habe ihn auch bei mir, weil ich ihn für interessant halte. Da sagen Sie - und sagt er -: Da kommt so ein Haufen Punkte, 23 Stück, die alle beweisen, daß diese Marktwirtschaft nicht auf einen Schlag, aber an den Rändern überall angeknapst wird. Daher kommen Unsicherheit, mangelndes Vertrauen, mangelnde Investitionsbereitschaft. Ich komme darauf gleich zurück. Meine Damen und Herren, ich möchte einmal folgendes sagen: Liegt nicht vielleicht die Ursache viel tiefer? Da stehen deutsche Unternehmer - und hier würde ich die mittleren und kleineren mehr nennen als die großen; die Stimmungslage ist übrigens auch unterschiedlich, nicht nur aus objektiven Gründen -, und plötzlich bricht das Weltwährungssystem zusammen, in Klammern gesagt: für sie die festen Wechselkurse. Da brechen plötzlich Märkte zusammen. Das ist der Nachtrag zu vorhin. Ich äußere mich auch gleich noch zu der Exportfrage. Sie müssen sich nun auf Märkte begeben, auf denen sie bisher nicht tätig waren. Das gilt für die arabischen Staaten, das gilt für die Volksrepublik China, Märkte, auf denen natürlich Unternehmen wie Mannesmann, Daimler-Benz und Bayer längst sind, aber auf die nun plötzlich andere vorstoßen müssen. Lassen Sie es mich mal so ausdrücken: Für diese Menschen in unserem Lande ist eine große Zahl von Daten, die sie als unverrückbar angesehen ha- in den letzten Jahren plötzlich ins Wanken geraten, drinnen, aber insbesondere auch draußen. ({9}) Darüber kann man lange diskutieren. Jedenfalls sind sie ins Wanken geraten. Ich würde es sogar wagen, zu fragen - nicht zu behaupten, denn das könnte die Unternehmer falsch treffen -: Gerade diejenigen, die die sehr komplizierten Zusammenhänge dieser Veränderung der Weltwirtschaft nicht bis zum letzten durchschauen - sei es, weil sie keine Stabsabteilungen wie die Großen haben, um das zu analysieren, sei es, weil sie nicht die Zeit haben, sich ausreichend damit zu beschäftigen -, sind bereit, ein Patentrezept hinsichtlich der Ursachen anzunehmen. Da sind in der Tat die Oppositionellen in einer günstigen Lage: Sie nehmen jetzt einen Scheinwerfer, richten diesen Scheinwerfer auf Randgruppen politischer Parteien - Sie haben Namen genannt - und machen daher glauben, daß dies die alleinige und einzige Ursache für Unsicherheit sei. Das ist ein Problem, vor dem wir stehen. Ich bin der Meinung, es ist komplexer. Damit identifiziere ich mich nicht mit diesen Randgruppen. Meine Meinung zu dieser Frage der Wirtschaftsordnung ist fest und unverrückbar. Aber es ist eben auch nicht gut, alle diese Dinge - Zusammenbruch eines Währungssystems und viel mehr, Niedergang einer riesigen Volkswirtschaft wie der englischen, um es einmal offen auszusprechen - mit unserer eigenen Politik zu vermengen. Es kommt hinzu, daß wegen der Schnelligkeit des Wandels, wegen der teilweisen Sättigung der Märkte, wegen der veränderten Verbrauchsgewohnheiten eigentlich jede Investition heute zu allem Überfluß auch noch riskanter geworden ist - in Klammern: auch im Aufschwung. Das ist doch unbestritten. Jeder Unternehmer, der vernünftig nachdenkt, sagt Ihnen das. Daher der Wunsch, daß der Return ganz kurz ist, weil sie sagen: Wir wissen gar nicht, ob das Produkt in fünf Jahren noch geht. Ich würde gern etwas hinzufügen - ich bin mir des Risikos bewußt -: So, wie wir 1945 angefangen haben, so, wie die Politik nach 1945 angelegt war - in Klammern: mit Zustimmung meiner Partei -, kamen die deutschen Unternehmer in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten automatisch auch in eine wertungsmäßige Vorrangstellung. Produzieren ging über alles, Wohlstand über alles. Wir haben dann einen Prozeß erlebt, in dem diese ihre Vorrangstellung in der öffentlichen Meinung nicht abgebaut, aber eingeebnet wurde. Und wer hat es schon gerne, wenn sein eigenes Image wieder auf das Normalmaß zurückgeführt wird? Wir Politiker kennen das, weil wir immer nach vier Jahren vor die Frage gestellt werden, ob wir auf Null oder jedenfalls in die Nähe von Null gestellt werden müssen - das ist ja auch gut so -, zurück ins normale Glied. Ich glaube, daß diese Frage bei der psychischen Verfassung der Unternehmer eine große Rolle spielt. Daher ist es auch gefährlich, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie diese Gründe - Unsicherheit in der Welt, Einebnung einer Vorrangstellung auf ein Normalmaß - jetzt nutzen, was legitim ist, um Ihre Ausgangsposition für 1976 zu verbessern, gleichzeitig aber wissen, daß Sie damit auch Probleme gesamtwirtschaftlicher Art heraufbeschwören. Nun die Frage: Ist diese Marktwirtschaft tatsächlich in Gefahr durch Einzelentscheidungen? - Ich will mich nicht zu jedem Punkt von Herrn MüllerArmack äußern - ich könnte es gerne tun -, aber unbestritten ist, daß diese Marktwirtschaft auch noch von anderen Seiten einer Gefährdung ausgesetzt ist. Meine Damen und Herren, was glauben Sie wohl, wie die Nachtverhandlungen in Tokio mit unseren Freunden in der Gemeinschaft waren, um beim GATT einen freien Welthandel auch nur leidlich aufrechtzuerhalten? Sind denn nicht in Ihren Reihen genügend Leute, die über Rohstoffkartelle sprechen? ({10}) Sind nicht in Ihren Reihen Leute, die kritisiert haben, daß wir Marktwirtschaft - in Klammern: Preisbindung abschaffen - ein bißchen mehr eingeführt haben? - Um nur ein Beispiel zu nennen! Meinetwegen können Sie sagen: ein läppisches Beispiel, aber es ist eines. Liegt es nicht auch mit daran, meine Damen und Herren, daß Marktwirtschaft 20 Jahre nach dem Krieg nur verstanden worden ist als automatisches Wachstum von Sozialprodukt, Erträgen und Einkommen und nicht als eine harte Veranstaltung von Wettbewerb, aus dem auch hin und wieder einer ausscheiden muß? ({11}) Wer hat denn an einem Abend mit dem Fraktionsgeschäftsführer der SPD und unserem telefoniert, als plötzlich von der Opposition im Deutschen Bundestag beim Erbbauzins die Indexierung beantragt wurde? ({12}) Ja, aber hören Sie mal, ist das alles gar nichts? Wer hat denn ein wissenschaftliches Gutachten über die Indexierung geschrieben? Es war Herr Müller-Armack. Ich will Herrn Professor Ludwig Erhard mit seiner Unterschrift gar nicht zitieren, sondern den Verfasser nennen. Ist das alles gar nichts? Dynamisierung der Betriebsrenten! Wer hat es denn gewollt? Herr Katzer, dazu ist doch etwas zu sagen: Marktwirtschaft und Sie persönlich. Nun sagen Sie: Guckt mal bei Müller-Armack nach! Ich fand das gut, Herr Barzel, wie ich Ihnen überhaupt ein Kompliment für Ihre gestrige Rede nicht vorenthalten kann. In dem Artikel steht auch die Mitbestimmung. Ich will mich dazu äußern. Nirgendwo steht geschrieben, daß Mitbestimmung mit Marktwirtschaft vereinbar ist, und nirgendwo steht geschrieben, daß sie damit nicht vereinbar ist. Es kommt nämlich darauf an, wie man sie macht. Das ist doch wohl keine Frage. Jede der Parteien hier hat ein Konzept. Solange keine die Mehrheit hat, wird keine ihr Konzept reinrassig durchsetzen. Ob Sie Ihres durchsetzen würden, wenn Sie die Mehrheit hätten, wage ich zu bezweifeln; aber Herr Stücklen ist gerade nicht da. ({13}) Aber das ist eine andere Frage. Wir wollen das mal ganz weglassen. ({14}) - Entschuldigung, Herr Stücklen, Sie sitzen nicht auf Ihrem bayerischen Platz, sondern neben Herrn Carstens. Da habe ich Sie nicht vermutet. ({15}) Ich will dazu etwas sagen. Ich halte die Vorstellung der Liberalen über die Mitbestimmung für mit der Marktwirtschaft vereinbar, so wie auch unbestritten ist, daß die Verfassung die Marktwirtschaft nicht als verfassungsmäßiges Ordnungssystem vorschreibt, während sie - da sieht man ja auch die Unterschiede - bestimmte Rechte und Pflichten etc. vorschreibt, z. B. das Eigentum garantiert. Deswegen ist die Diskussion auch viel schwieriger. Deswegen können wir fragen: Ist eine gesetzlich geregelte Mitbestimmung verfassungskonform? Das ist aber noch nicht gleichbedeutend mit ordnungspolitischer Konformität. Nun will ich Ihnen etwas sagen. Ich bekomme eine dpa-Meldung. Da wird von jungen CDU-Arbeitnehmern gesprochen. Das sind also wahrscheinlich die Jünglinge von Herrn Katzer. Da heißt es: „Junge CDU-Arbeitnehmer für Ausdehnung der Montanmitbestimmung auf die gesamte deutsche Wirtschaft." - Das kann Ihre Auffassung sein. Ich möchte Ihnen aber genauso klar sagen: Mit meinem Verständnis von Marktwirtschaft wäre eine Ausdehnung dieses Modells - ({16}) - Nun lassen Sie mich doch bitte nur noch den Satz ausreden! Mit meinem Verständnis von Marktwirtschaft wäre eine Ausdehnung dieses Modells auf die ganze deutsche Wirtschaft nicht vereinbar. Deswegen sage ich nicht, ob das verfassungsrechtlich in Ordnung ist. Ich sage noch nicht einmal etwas darüber, ob man das für einen Sektor nehmen kann. Es gibt nur Dinge, die sich, wenn man sie in der Quantität verändert, automatisch auch in der Qualität verändern. ({17}) Dies wollte ich damit sagen. Herr Dr. Barzel, zu der Diskussion über den Artikel von Herrn Müller-Armack. Ich fand es gut, daß das alles eingeführt worden ist, damit die Debatte auch ihre gesellschaftspolitische und ihre politische Überwölbung kriegt und nicht nur aus Zahlenakrobatik besteht. Nehmen wir doch den nächsten Punkt! Was meinen Sie, wie ich mich gewundert habe. Ich kämpfe in bestimmten internationalen Organisationen nicht nur gegen Kartelle und ähnliches, sondern auch gegen Ladungslenkung. Ich komme nach Hause, mache das „Handelsblatt" auf und lese, daß der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft des Deutschen Bundestages für Ladungslenkung ist. Nun kann ich das verstehen. Wenn ich in Kiel oder Hamburg säße, hätte ich vielleicht auch ein etwas anderes Verhältnis, eine andere Perspektive zu Schifffahrt und Werften. Aber, meine Damen und Herren, diese Liste ist beliebig vermehrbar. Wir müssen den 1 Anfängen wehren. Deswegen bin ich in dem Punkt anderer Meinung als Herr Narjes. ({18})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Narjes?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeswirtschaftsminister, haben Sie nicht mitbekommen, daß der Bundesminister für Verkehr die Ladungslenkung akzeptiert hat und mein Vorschlag auf Erweiterung die Konsequenz des Verhaltens Ihrer Regierung auf Grund eines Programms war, das Sie ebenfalls beschlossen haben?

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Erstens: Herr Narjes, etwas, was ich für falsch halte, halte ich nicht deswegen für richtig, weil das auch andere vertreten, und zwar ganz egal, wo sie sitzen; das interessiert mich dabei relativ wenig, um es ganz klar zu sagen. ({0}) - Ja, natürlich! Entschuldigen Sie bitte, wir werden doch wohl, ob in der Regierung oder in der Opposition, ob in einer Partei oder einer Koalition, noch eine eigenständige Meinung behalten dürfen! Ich bin nicht bereit, meine eigene Identität aufzugeben, weil ich irgendeiner politischen Gruppierung angehöre. Das ist doch wohl lächerlich. ({1}) - Ich gebe Ihnen gleich eine Zusatzantwort und sage Ihnen, was Sie wissen wollten. Ich habe diesem Punkt im Kabinett - ich darf Ihnen das klar sagen -, wie er dort beschlossen worden ist, deswegen zugestimmt, weil ich hoffe, daß damit größerer dirigistischer Schaden an dieser Front vermieden wird; nicht deshalb, weil ich es für richtig gehalten habe, sondern ich habe es als präventive Maßnahme angesehen. Bitte, dies ist die Antwort!

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Narjes?

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Ich wollte eigentlich zum Schluß kommen. Aber, bitte!

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeswirtschaftsminister, in Übereinstimmung mit Ihren Grundsatzerwägungen müßten Sie doch aber auch akzeptieren, daß, wenn einmal von dieser Regierung Fakten geschaffen worden sind, die nicht mehr umkehrbar sind, diese Fakten ein Eigenleben haben.

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Generell ist das richtig; aber bei der Form, die dort beschlossen worden ist, glaube ich das nicht. Ich möchte noch ein Wort zu dem mittelfristigen Aspekt sagen. Herr Dr. Barzel, Ihnen bin ich noch eine Antwort auf eine gute sachliche Frage schuldig, nämlich die Frage: Wie kommt es eigentlich, daß unBundesminister Dr. Friderichs ser Export stärker zurückgegangen ist als der Export anderer Länder? Das hat mehrere Ursachen: Erstens. Wir haben im Vorjahr 1974 eine extreme Ausweitung des Exports - seien wir einmal ehrlich - nicht nur deshalb erreicht, weil wir leistungsfähig waren, sondern auch weil einige unserer Mitbewerber leistungsunfähig waren; ich nenne nur Großbritannien. ({0}) - Ich stelle nur das Faktum fest. Zweitens. Ich führe den überdimensionalen Rückgang unseres Exports darauf zurück, daß wir etwa 60 % unseres Exports in diejenigen Länder lenken, die vom Rückgang der Konjunktur am stärksten betroffen worden sind. Wir exportieren 60 % nach Europa und, ich glaube, 6, 7, 8 % nach USA. Das ist bei anderen Ländern anders: die USA haben eine lächerliche Exportrate von 7 % des Sozialprodukts, wir von fast 25 %, genau, von 23 %. Wenn man nun, gemessen am Sozialprodukt, so viel exportiert und dies auch noch auf Länder konzentriert, die zufällig gleichzeitig in die Rezession gehen, dann muß eigentlich auch der Export überdimensional zurückgehen. Herr Dr. Barzel, er wäre noch viel mehr zurückgegangen, wenn es uns nicht gelungen wäre, in der arabischen Welt und im Ostblock eine Kompensation zu erreichen. ({1}) Lassen Sie mich das hier einmal sagen: Der Warenaustausch in diesem Jahr mit den Ostblockländern, den Staatshandelsländern, ist ungefähr genauso groß wie mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Das muß man sich einmal vorstellen. Dies wäre wahrscheinlich ohne eine solche Politik wie die, für die der Außenminister und der Bundeskanzler die Verantwortung tragen, nicht so gekommen. ({2}) - Das ist keine Frage. ({3}) - Nein, nein, beim Export in den Ostblock haben wir eben nicht umfinanziert. Hier gibt es außer dem Polen-Kredit nichts Derartiges. Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung zum mittelfristigen Teil machen. Ich möchte gern hinzufügen, daß wir mit dem ökonomischen Teil, den wir heute und gestern zu behandeln hatten und der zu entscheiden ist, noch nicht alle Probleme gelöst haben. Dies ist ein Schritt. Ich will gern noch etwas hinzufügen: Meiner Meinung nach gehört in der Tat die Frage, ob es gelingt, die exorbitant steigenden Krankheitskosten in den Griff zu bekommen, ebenfalls in das gesamte ökonomische Paket hinein. ({4}) - Ich sage: die dramatisch steigenden Krankheitskosten. Dazu gehören sowohl die Kosten in der Klinik als auch die beim Arzt und die für Arzneimittel. Darüber muß diskutiert werden. Ich will Ihnen einmal die Größenordnung nennen: 51 Milliarden DM haben wir im vorigen Jahr im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung dafür aufgewendet - nicht wir, sondern die Beitragszahler. Das sind Lohnnebenkosten, und das ist letztlich bei steigender Tendenz eine Schmälerung der Einkommen. Deswegen habe ich in meiner Rede gesagt: Es geht nicht, daß eine kleine Zahl in der Lage ist, eine Solidargemeinschaft derart auszunutzen, daß die Beiträge für die Gesamtzahl ins Unermeßliche steigen. Nur, wenn dann Herr Mischnick sagt: Man muß auch einmal fragen, ob nicht eine Selbstbeteiligung eine Möglichkeit wäre, und von Ihnen sofort nichts anderes als ein knalliges Nein dazu kommt, muß ich einmal eine Gegenfrage stellen. Hier haben wir einen Sektor - ich sitze an der Arzneimittelmarktordnung; das ist doch das Problem - in einer Leistungsgesellschaft, bei dem die Kosten dem Inanspruchnehmer nicht vermittelt werden; er kennt sie überhaupt nicht. Wie soll sich denn jemand kostenbewußt verhalten, wenn er selbst zwar die Kosten tragen muß über anonyme Beiträge, aber nicht einmal den Durchblick hat, welche Kosten er selbst verursacht, ({5}) ja - ich gehe einen Schritt weiter -, wenn über die von ihm verursachten Kosten in Wahrheit ein Dritter, der Arzt entscheidet, ob er das billige oder das teure Medikament verordnet und nicht der Patient, und er merkt es nicht einmal, ob es ein billigeres gibt, denn die Solidargemeinschaft zahlt ja alles. Das war der Einstieg von Herrn Mischnick. Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Eine Zeitung schreibt heute: Mit dem Rechenstift - so schreibt sie zum Schluß und den Manövern der Experten allein ist den gegenwärtigen Schwierigkeiten nicht beizukommen. Was zur Debatte steht, ist nichts Geringeres als ein neues Austarieren der Gewichte, ist das Nachdenken über die Rolle staatlicher Leistung, ist die Frage, was Gesellschaftspolitik wollen soll und tun kann. Ich bin der Meinung, dies ist richtig, und ich bin überzeugt davon - und meine Fraktion und die Bundesregierung werden dafür sorgen -, daß ein Punkt nach dem anderen bei diesem Austarieren bedacht wird, weil es uns darum geht, einen Aufschwung in Stabilität herbeizuführen, weil es uns darum geht, die Staatsfinanzen nicht nur für jetzt, sondern für später solide zu gestalten - darf ich es ganz deutlich sagen -, weil wir auch nach 1976 weiter regieren wollen und weil wir dafür jetzt die Voraussetzungen schaffen wollen. ({6})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort als Vertreter des Bundesrates hat der Staatsminister der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Dr. Gaddum. Staatsminister Gaddum ({0}) : Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Staatsminister Gaddum Herr Dr. Ludwig Erhard hat gerade in einer Zwischenfrage den Bundeswirtschaftsminister gefragt, ob er nach diesem Vortrag nicht eigentlich auch der Meinung sei, daß der Zeitpunkt sei, zuzugeben, daß Fehler gemacht worden seien. Herr Dr. Friderichs hat dies bejaht. Lassen Sie mich eine weitere Frage an diesen - ich darf es einmal so formulieren - wohlmoderierten Situationsbericht jetzt hier anschließen: Inwieweit ist eigentlich das, was hier gesagt wurde, nun wirklich in allen Punkten die Meinung dieser Regierung? ({1}) Ich meine, wir müssen uns doch hier in der politischen Auseinandersetzung jetzt nicht nur - das ist sicherlich interessant und ich habe das auch mit großem Interesse verfolgt - diese Detailformulierungen und die Detailkenntnisse aneignen, um zu einem Urteil zu kommen, sondern wir müssen doch hier in der Stellungnahme zu dem Programm urteilen über die Politik dieser Regierung. ({2}) Hier sehe ich zwischen dem, was hier gesagt wurde, und dem, was Politik dieser Regierung insgesamt ist, nun durchaus nicht diese Harmonie, wie dies in einem Nebensatz - „dies ist auch die Meinung der Bundesregierung" - dargestellt werden sollte. ({3}) Ich habe zwar verfolgt, mit welcher gespannter Aufmerksamkeit der Bundestagsabgeordnete Gansel - er ist jetzt nicht mehr hier im Hause - all ihren Bekenntnissen zur sozialen Marktwirtschaft gefolgt ist und wahrscheinlich gläubig von nun an als ein Bekehrter auch in diesen Punkten die offensichtlich ganz einhellige Meinung der Bundesregierung zu diesen Fragen stützen wird, aber - ({4}) - Oh doch, die passen genau hierher! Es mag sein, daß Sie diese nicht gerne hören wollen, Herr Wehner, aber sie gehören hierhin, und Sie müssen sie, meine ich, schon hören. ({5}) - Recht schönen Dank, aber solche Ämter stehen mir leider nicht zu. ({6}) - Ich gebe zu, daß andere in diesem Hause sicherlich mehr Verdienste haben und vielleicht näher an dieser Würde sind als ich. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu dieser Rede von Herrn Friderichs doch noch einige Fragen stellen. Sie haben eine Feststellung getroffen, von der ich glaube, daß sie so wohl nicht stehenbleiben kann, daß sie doch wohl auf einem Irrtum beruht; ich kann das jetzt materialmäßig nicht nachprüfen. Sie haben gesagt, daß nach den Angaben des Ifo-Instituts ein zusätzliches Investitionsvolumen von 5 Milliarden DM angeregt worden sei. Wenn dies richtig ist, muß ich Ihnen sagen, ist die Erfolgsquote dieser ganzen Maßnahme recht gering gewesen. Ich darf Sie daran erinnern, daß die Ausfallquote auf Grund der Investitionszulage, die hier beschlossen worden ist, nachher über 5 Milliarden DM betragen wird. Dann kann man sich natürlich fragen, ob dies richtig ist. Ich stelle dies als Frage, weil ich mir eigentlich gar nicht denken kann, daß das so sein soll. Wenn es so wäre, muß ich sagen, wäre es ein schlagender Beweis dafür, daß die ganze Aktion völlig ins Wasser gefallen wäre. ({7}) Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. Ich habe natürlich mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen, daß die Stellungnahmen zur Bedeutung der Lohnquote in der Rede von Herrn Friderichs völlig anders klangen als in der Rede von Herrn Apel kurz vorher. ({8}) In der Rede von Herrn Apel wurde praktisch die Frage der Lohnquote weithin aus der Verantwortung unserer Diskussion fortgeschoben. Dagegen spielte sie doch in der Rede von Herrn Friderichs - ich bin der Meinung, zu Recht - mit eine ganz erhebliche Rolle. Mir scheint das doch nicht so ganz ausgekocht zu sein, welche Bedeutung die Bundesregierung diesen Fragen eigentlich beimißt, wenn es der eine so und der andere so interpretiert. Ich habe natürlich mit großer Aufmerksamkeit auch verfolgt, Herr Kollege Friderichs, was Sie zu der Bedeutung auch rezessiver Phasen im Hinblick auf den Strukturwandel in der Wirtschaft sagten. Sie haben die Bereitschaft bekundet, zum Abbau der Inflationsrate auch eine Minderung des realen Wachstums in Kauf zu nehmen. Man kann darüber sicherlich ernsthaft diskutieren, nur ich hätte das eigentlich gern auch einmal von einem sozialdemokratischen Politiker in diesem Hause gehört. Ich könnte mir denken, daß unserem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Schmücker bei dieser Rede die Ohren geklungen haben. Was hier gesagt wurde und was ich durchaus bereit bin, ernsthaft zu prüfen - ich will das nicht in Bausch und Bogen abtun -, ist einmal von Ihrer entscheidenden Koalitionspartei in einer Weise bekämpft worden, die seinerzeit schon an Rufmord grenzte. ({9}) Herr Kollege Friderichs, Sie haben die Ursachen der heutigen Situation von sich aus nicht monokausal sehen wollen. Darin stimmen wir überein; denn dies ist ja genau unser Punkt. Wir sehen die Ursachen dieser Rezession auch nicht monokausal. ({10}) - Nein, nein. Das ist hier eindeutig gesagt worden. Sie haben von Herrn Dr. Kohl und auch von verschiedenen anderen Rednern gehört, daß wir den Einfluß des Auslandes auf diese ganze Entwicklung natürlich nicht leugnen. Ganz andere Leute haben gestern in diesem Hause die These der monokauStaatsminister Gaddum salen Verursachung vertreten. In der Rede des Herrn Bundeskanzlers - das können Sie sogar nachlesen - war doch ausdrücklich von der importierten Rezession die Rede. Das ist doch genau die monokausale Theorie in der einen Richtung. Herr Friderichs hat sich heute mit einem schönen Fremdwort, so daß es nicht allzu viel Leute verstehen, davon distanziert. Wir sind sehr dankbar dafür; nur muß ich Ihnen sagen, daß dies eben deutlich macht, daß die Regierung offensichtlich hier zumindest mit unterschiedlichen Zungenschlägen operiert. ({11}) Ich muß diese Fragen auch aus der Sicht des Bundesrates anschneiden. Wir sind ja gefordert. Wir sollen doch zustimmen. Dann muß ich mich fragen, auf welchem Hintergrund wir einem solchen Konzept, wie es hier vorgelegt wird, zustimmen sollen. Der Herr Bundesfinanzminister hat heute morgen wieder die These von der außenwirtschaftlichen Problematik als der eigentlichen und einzigen Ursache wiederholt und es so dargestellt, als sei bei uns alles richtig gelaufen. Was hier vorexerziert wird, ist genau die Fortsetzung des Versuchs, sich aus der Verantwortung herauszumogeln. Herr Kollege Möller hat gestern - ich finde, völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß wir uns bei der Beurteilung der Aussagen wissenschaftlicher Institute, wissenschaftlicher Gremien, die uns in der Politik beraten, befleißigen müssen, dies objektiv zu tun, sie ernst zu nehmen, auch wenn sie uns einmal nicht passen. Ich bin damit sehr einverstanden. Nur muß ich Ihnen sagen: Wem sagen Sie das? Es hat doch eine ganze Fülle von Aussagen gegeben. Es gibt ja nicht nur die letzten Aussagen. Ich kann mich sehr wohl an die sehr präzisen Aussagen dieser Institute etwa zum Thema hausgemachte Inflation erinnern. Die Institute haben der Bundesregierung sehr eindeutig Dinge gesagt, die sie nie akzeptiert hat. Da waren diese Gutachter nie so gut. Aber jetzt auf einmal, wo einmal etwas herausgekommen ist, was in das Konzept paßt, ist man also der Meinung, daß das eine hervorragende Sache sei. ({12}) - Es ist nicht unser Problem, Herr Kollege Wehner, wissenschaftliche Institute hinsichtlich ihrer Meinung ernst zu nehmen und zu respektieren. Ich habe den Eindruck, daß das die Probleme ganz anderer Leute hier sind. Aus der Sicht des Bundesrates muß zu diesem Thema Stellung genommen werden. Herr Außenminister Genscher meinte gestern, daß die Stellungnahme des Bundesrates eigentlich nur darin bestehen könne, daß hier nicht abgelehnt würde, weil der Bundesrat diese Gesetze weitgehend habe passieren lassen; sonst wären sie nicht zustande gekommen. Hier muß ich nun allerdings daran erinnern - ich spreche jetzt für mein Land bzw. für die anderen CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat -, daß uns doch immer wieder der Vorwurf gemacht wird - und das wurde am gleichen Tag gemacht -, wir würden zuviel Parteipolitik in den Bundesrat tragen, d. h. doch, in Abstimmungsergebnissen die Politik der Bundesregierung konterkarieren. Jetzt wird uns in der gleichen Debatte zum Vorwurf gemacht, wir würden diese Gesetze passieren lassen und seien damit mitverantwortlich. Ja, meine Damen und Herren, was sollen wir denn eigentlich tun? Man kann schon fragen: Wie hätten Sie's denn gerne? ({13}) : Sie Armer!) Es ist doch die Frage gestellt, wie denn das Spiel zwischen Bundesrat und Bundestag nun wirklich verstanden wird. Ich kann Ihnen nach wie vor versichern, daß der Bundesrat nach meinem Verständnis dieses Instituts natürlich zur objektiven, sachlichen und politischen Prüfung berechtigt und verpflichtet ist. Der Bundesrat hat bisher - und das muß in diesem Zusammenhang auch gesehen werden - in besonderer Achtung auch vor der besonderen Rolle des Bundestages einen bestimmten Rahmen von Gesetzen immer ausdrücklich respektiert. Ich darf daran erinnern, daß die Bundeshaushalte den Bundesrat in den letzten Jahren immer ohne jede Verzögerungsprozedur passiert haben, wohl anerkennend, daß dies eben ein Grundgesetz dieses Hauses hier ist. Ich nehme das als selbstverständlich und richtig an. Nur, wenn dies so ist, dann kann man uns hieraus nicht gleichzeitig den Vorwurf machen: Ihr habt das passieren lassen, also seid ihr jetzt schuld, also dürft ihr jetzt nichts dagegen machen. ({14}) Meine Damen und Herren, es ist immer wieder die Forderung nach der Alternative gestellt worden. Lassen Sie mich hierzu noch eine Bemerkung machen. Es ist für uns gar nicht so einfach, eine Stellungnahme abzugeben, weil sich die hier in diesen beiden Tagen abgegebenen Stellungnahmen der Regierung in ganz wesentlichen Punkten widersprechen. Einerseits heißt es: Wir wollen und verabschieden ein hartes Sparprogramm, gleichzeitig wird andererseits von der „Spareuphorie" oder vom „blindwütigen Sparen" geredet, wie der Bundesfinanzminister heute morgen gesagt hat. Meine Damen und Herren, hier kann man wirklich sagen: Wie hätten Sie's denn gerne? ({15}) - Doch, doch! Da liegt in der Tat schon ein Widerspruch, Herr Ehrenberg, selbst wenn Sie ihn nicht wahrhaben wollen. Denn im Grunde genommen war die Rede des Bundesfinanzministers von heute morgen ein deutliches Sich-Absetzen vom Sparen und vom weiteren Sparen. Er hat versucht, dafür aus seiner Sicht die Begründungen zu liefern. Dann allerdings sollte man nicht gleichzeitig ein Programm als ein hartes Sparprogramm ausgeben wollen. Man kann dies so machen; nur sollte man das dann nicht mit diesem Etikett versehen und so verkaufen. Der Bundesfinanzminister hat heute morgen in seiner Rede - das war vielleicht ein Lapsus linguae, aber ich habe es durchaus gehört; vielleicht spricht daraus etwas von der tatsächlichen Situation -, als er erklärt hat, daß man aus diesen oder jenen Gründen nicht mehr sparen könne, den Staatsminister Gaddum Satz angefügt: Und wir werden das nicht tun. Das heißt doch mit anderen Worten schlicht und einfach: Meine Herren, ihr könnt vorschlagen, was ihr wollt, wir werden das nicht tun. Gleichzeitig jedoch wird von der Opposition und vom Bundesrat verlangt, ,daß er seinerseits Vorschläge macht. Wie paßt denn das zueinander? ({16}) Der Herr Bundesfinanzminister hat heute morgen weiter erklärt, daß öffentliche Leistungen erhalten bleiben müßten, daß es hier einen Grundstock gebe, der unverzichtbar sei. Er hat dies mit Beispielen belegt und sagte - ich führe das jetzt an, weil das unser Problem ist -: Wir brauchen die Lehrer. Ich bin mit ihm einer Meinung. Nur würde ich ihn dann bitten, ,den Bundeskanzler darauf hinzuweisen, daß seine gestrige Kritik am Personalzuwachs, etwa im Lande Rheinland-Pfalz im Jahre 1974, dann völlig unangebracht war. Von den genannten 3 700 Stellen entfallen 2 500 auf den Bereich von Schule und Hochschule. Entweder macht man es, oder man macht es nicht. Sicherlich wird es der Opposition in unserem Landtag ein großes Vergnügen bereiten, wenn ich darstelle, daß der Bundeskanzler der Meinung gewesen ist - ich habe das mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen -, das sei schon zuviel gewesen. Meine Damen und Herren, man möge sich doch bitte darüber einigen, was man will. Wie hätten Sie es denn gerne? Es geht nicht an, daß in diesem Bereich der Hebel auf Null gedreht wird, von uns aber gleichzeitig verlangt wird, diese Grundausstattung weiter auszudehnen. Ich bitte herzlich darum, Herr Bundeskanzler, daß dieser Appell, der sich ja im Grunde genommen gegen die personelle Ausweitung - auch im Bildungsbereich - richtete, von Herrn Rohde künftig aufgenommen wird. Damit wird unser Geschäft zweifellos leichter. „Unser Geschäft" - das sage ich jetzt aus der Sicht der Finanzminister. Meine Damen und Herren, die Frage, vor der wir stehen - darauf möchte ich noch einmal kurz zurückkommen -, lautet: Wurde uns denn hier ein in sich schlüssiges Konzept vorgelegt? Dies ist doch eine ganz kardinale Frage, auf die auch der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht eingegangen ist, sondern die er elegant mehr oder weniger überspielt hat. Ist dieses Konzept in sich tatsächlich so schlüssig, daß das, was im Ansatz erreicht werden soll, erreicht werden kann? Meine Damen und Herren, die Grundkonzeption, die darauf hinausläuft, die Beanspruchung des Kapitalmarktes in den nächsten Jahren abzubauen, um der privaten Wirtschaft wieder Spielraum für ihre Investitionen zu geben, wird von uns ja durchaus akzeptiert. Dies trifft ja genau unser Problem. Wer hat solche Maßnahmen öfter gefordert als die CDU/CSU? Allerdings muß man sich den Weg ansehen, auf dem die Bundesregierung diese erreichen zu können glaubt. Dann wird es interessant. Wir müssen die Rechnung auf fünf Jahre anlegen. Es geht nicht, eine auf ein Jahr angelegte gesamtwirtschaftliche Betrachtung vorzunehmen. Man muß die Rechnung auf fünf Jahre anlegen. So wie die Bundesregierung die Zahlen vorlegt, sieht es doch so aus, daß auf der Einnahmenseite die Zahlen der Steuerschätzungen zugrunde gelegt werden, die von ganz bestimmten Verhaltensweisen in der Wirtschaft ausgehen. Diese Steuerschätzungen setzen Wachstumsraten in der Wirtschaft voraus, die 1976 schon ganz massiv zu Buche schlagen. Sie setzen darüber hinaus private und öffentliche Investitionen in einem ganz erheblichen Maße voraus: private Investitionen in einer Größenordnung von real 8 °/o Zuwachs und nominal 13 % pro Jahr sowie geringfügig darunterliegende öffentliche Investitionen. Man kann nun nicht sagen: Öffentliche Investitionen sind wachstumsmäßig eine Quantité négligeable; darauf kann man verzichten. Sie wissen genausogut wie ich, daß die öffentlichen Investitionen in ganz bestimmten Wirtschaftsstrukturbereichen eine entscheidende Bedeutung haben, auch - dies haben Sie allerdings erwähnt - für die Produktivitätssteigerung. Wenn diese Bedeutung der Investitionen gegeben ist, muß man sich doch fragen: Ist nach dem Programm diese Steigerung der Investitionen überhaupt möglich - weil dies ja die Voraussetzung für die Einnahmen ist, die eingesetzt wurden? Ich muß Ihnen sagen: Hier ist das Konzept eben nicht schlüssig. In den Jahren 1976 bis 1979 wird - mit einer Ausnahme - Jahr für Jahr von einem Zuwachs des Bruttosozialprodukts um 91/2 % ausgegangen. Diese 91/2 % sollen sich zusammensetzen aus 5 % realem Wachstum und 41/2 % erwarteter oder befürchteter - je nachdem, wie man es nehmen will -, aber jedenfalls eingerechneter Inflationsquote. Diese Grundannahme muß doch automatisch dazu führen - es wäre völlig utopisch, etwas anderes anzunehmen -, daß wir im personellen Bereich damit rechnen müssen, daß die Kosten etwa im gleichen Rhythmus steigen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es gelänge, das Anwachsen etwa der Personalkosten im öffentlichen Dienst mittel- oder längerfristig etwas unter dieser Rate zu halten. Aber seien wir doch Realisten! Beobachten wir doch einmal die Entwicklung der letzten Jahre. Dann wird man einsehen müssen, ,daß es kaum möglich ist, davon auszugehen, daß die individuellen Einkommen im Grunde genommen nicht im gleichen Rhythmus wachsen werden wie das Bruttosozialprodukt. Gemeint ist: real plus Inflationsrate. Die Wachstumsraten mögen um wenige Prozente differieren. Die Wachstumsrate der individuellen Einkommen wird aber jedenfalls nicht viel unter der Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts liegen. Aber dieses Wachstum der Personalkosten muß ja wieder von den öffentlichen Haushalten gedeckt werden. Nehmen Sie sich doch einmal die Haushalte der Länder, sie bestehen zu über 40 % aus solchen Kosten. Das heißt, wenn Sie einen Zuwachs von 9,5 % haben, dann sind 4 bis 4,5 % des Wachstums des Haushalts schon weg nur für diesen Personalbereich. Wenn Sie dann weiter sehen, dann stellen Sie fest, daß die Gesamtzuwachsrate der öffentlichen Haushalte in den fünf Jahren in diese Perspektive eingesetzt ist praktisch mit 4,5, nachher steigend auf 6 %. Das heißt, daß diese geschätzte Wachstumsrate im günstigsten Fall für den Personalkostenzuwachs ohne Stellenvermehrung ausreichen Staatsminister Gaddum würde, daß in dieser Perspektive nichts drin ist, Herr Kollege Friderichs, für Folgekosten und daß überhaupt nichts drin ist für Investitionssteigerungen. Nun kann man diese Sache unter zwei Aspekten sehen. Der eine Aspekt ist der: Sie müssen davon ausgehen, daß die Grundvoraussetzungen Ihrer Rechnung für die Einnahmen überhaupt nicht mehr stimmen, da die Investitionssteigerungen rechnerisch nicht vorgesehen sind; denn Sie gehen doch selbst davon aus, daß die Investitionsraten nicht so steigen, wie Sie in der Steuerprojektion unterstellt haben. Das ist der Grund dafür, daß ich sage: Dieses Konzept ist in sich überhaupt nicht schlüssig. ({17}) Es geht nicht darum, Opfer zu verlangen oder nicht zu verlangen. Es geht nicht darum, daß wir nicht bereit sind, Opfer und harte Maßnahmen mitzutragen. Aber man muß doch dann ein Konzept vorlegen, das in sich schlüssig und glaubhaft ist. Was hier zu diesem Punkt vorgelegt wurde, ist eben nicht schlüssig, sondern es ist ganz einfach rechnerisch in den Grunddaten nicht aufeinander abgestimmt und von daher falsch. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, weshalb wir - ungeachtet aller Regierungs- und Oppositionssituationen - eben nicht zustimmen können, wenn wir zur sachlichen Prüfung verpflichtet sind. Wir müssen nach sachlicher Prüfung sagen: Was hier vorgelegt wurde, ist in der Perspektive ein ungeeignetes Mittel. Das ist der Ansatzpunkt. ({18}) Herr Kollege Friderichs, ich hatte eigentlich erwartet, daß Sie dieser Frage etwas nachgehen. Sie haben sich in der letzten Zeit verschiedentlich mit der Bedeutung der Investitionen beschäftigt. Aber daß hier in diesem Programm die Steigerung der öffentlichen Investitionen auf Null gesetzt wird, interessiert Sie in diesem Zusammenhang eigentlich nur sekundär. Sie haben es zwar mit angesprochen, aber doch so, als sei das eine nicht besonders gravierende Größe. Daß darin ein Problem dieser ganzen Perspektive liegt, darüber haben Sie kein Wort verloren. Dieses Problem können wir auch nicht lösen, wenn wir neue Interpretationstricks erfinden, was Investitionen im öffentlichen Bereich sind und was nicht. Die Novellierung des Haushaltsrechts war ein Ergebnis der Beratungen der Großen Koalition. Alle die, die heute sagen, das sei alles unzulänglich und nicht vernünftig, was da so etwa zur Abgrenzungsdefinition hineingeschrieben sei, hätten eigentlich damals, Herr Kollege Apel, Gelegenheit gehabt, in diese Richtung einzuwirken, das besser und richtiger zu machen. Ich habe den Eindruck, hier wird jetzt, wie das vorhin in anderen Bereichen auch war, eine andere Sprachregelung gesucht, weil einem die Sache unangenehm ist. Das ist so ähnlich wie mit dem Null-Wachstum. Es werden Dinge zu Investitionen erklärt, die dann keine mehr sind, etwa nach dem Motto: Wie hätten Sie es denn gern? ({19}) - Sagen Sie das nicht. Ich finde das nicht. Das mag individuell für Sie zutreffen, Herr Wehner, aber Sie sind nicht der einzige Zuhörer. Meine Damen und Herren, die ganze Sache hat noch einen anderen Aspekt. Das, Herr Kollege Wehner, ist sicherlich gerade für die sozialdemokratische Fraktion nicht ohne Interesse; denn diese Perspektive, daß die öffentlichen Investitionen im Grunde genommen heruntergesetzt werden und daß die öffentlichen Hände - das betrifft insbesondere die Gemeinden; das sind die Hauptträger der öffentlichen Investitionen - im Grunde zur Nichtinvestitionsfähigkeit verurteilt werden, wenn das hier durchgeführt wird -, ist doch hochinteressant, wenn wir das einmal mit den Perspektiven vergleichen, unter denen die Sozialdemokraten in diesem Hause angefangen haben, Regierungsverantwortung zu übernehmen. ({20}) Sie haben doch einmal genau mit dem Ansatz angefangen - und ich hielt das seinerzeit für einen klugen Ansatz -: Wir müssen die öffentlichen Investitionen steigern. Die Steigerung der öffentlichen Investitionen ist praktisch die Steigerung des privaten Glücks, und was es da alles an schönen Ausführungen gab. Das haben Sie alles viel poetischer gesagt, als ich das jetzt tun könnte. Und jetzt nehmen Sie so mit einem Achselzucken, ohne mit der Wimper zu zucken, hin, daß im Grunde genommen alles das, was Sie seinerzeit gefordert haben, hier praktisch auf Null gesetzt wird. Und dann erklären Sie noch: Das ist kein Bruch unserer Politik. ({21}) Ja, meine Damen und Herren, wo ist denn dann eigentlich Ihre Politik? ({22}) Ich bin der Meinung, man kann sich darüber unterhalten, Herr Kollege Friderichs - mit uns können Sie sich darüber unterhalten -, inwieweit man in bestimmten Situationen gezwungen ist, mit öffentlichen Investitionen kürzer zu treten. Lassen Sie mich aber dazu sagen, man muß dann dies auch so sehen, daß es im Grunde genommen auch ein Zurücknehmen, wenn Sie so wollen, sozialer Leistungen des Staates ist. ({23}) Die Zurverfügungstellung des Kindergartens, die Zurverfügungstellung der Schule, die Zurverfügungstellung der Sportanlage ist eben auch eine soziale Leistung wie manches, was direkt aus dem Bundeshaushalt in den konsumtiven Bereich fließt. ({24}) Man kann sich hier jetzt nicht hinstellen und sagen, wir schonen den sozialen Bereich - die ganze Rede von Herrn Apel heute morgen war darauf ange13046 Staatsminister Gaddum legt -, und gleichzeitig wird mit dem Abbau der Investitionsfähigkeit ganz massiv in den sozialen Bereich eingegriffen ({25}) und gleichzeitig wird natürlich auch unterstellt, daß bestimmte Ausgaben nicht weiter mitwachsen. Es wird z. B. gesagt: Wohngeld wollen wir nicht anpassen. Wahrscheinlich gilt das Gleiche auch für das Kindergeld. Meine Damen und Herren, es kann sein, daß eine Situation dies erfordert, nur geben Sie dann doch bitte zu, daß dies real ein Abbau sozialer Leistungen ist, und stellen Sie dies nicht so dar, als würden Sie in diesem Bereich alles unverändert lassen und bewahren. Ich lasse mit mir durchaus darüber reden, ob es notwendig ist, wehre mich aber dagegen, daß von Ihnen die Situation so dargestellt wird, als seien Sie die einzig Besorgten um das, wie es so schön heißt, „soziale Netz" in diesem Lande. In Wirklichkeit sind Sie massiv dabei, natürlich auch in dieses Netz einzugreifen, weil Sie keinen anderen Weg sehen:

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram? Staatsminister Gaddum ({0}) : Ja, bitte.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wollen Sie mir, der ich auch kommunalpolitische Erfahrungen mitbringe, bestätigen, daß wir gerade in den letzten Monaten und Jahren nicht zuletzt dank der binnenwirtschaftlichen Konjunkturprogramme dieser Bundesregierung eine Menge zusätzlicher kommunaler Investitionen gerade in den Bereichen vornehmen konnten, von denen Sie jetzt behaupten, sie würden gekürzt? Staatsminister Gaddum ({0}) : Herr Abgeordneter, ich habe wohl deutlich darauf hingewiesen, daß es nicht darum ging, was in der letzten Zeit im öffentlichen Bereich investiert wurde. Ich komme aus einem Land, in dem auch sehr viel investiert wurde. Ich muß Ihnen aber sagen, es geht hier um die Zukunftsperspektiven. Wenn Sie nur noch zurücksehen und nicht mehr in die Zukunft schauen, ist das nach meinem Dafürhalten für Ihre Ausgangsposition an diesem Punkt für uns hochinteressant, denn Sie sind dann eigentlich nur noch damit beschäftigt, Ihr bisheriges Verhalten zu rechtfertigen, denken aber überhaupt nicht mehr daran, wie Sie in die Zukunft hinein die Probleme lösen wollen. ({1})

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gestatten Sie noch eine zweite Frage? - Wollen Sie bestreiten, daß das neue Konjunkturprogramm auch darauf angelegt ist, zukünftige Investitionen dieser Art zu machen, und woher nehmen Sie den Mut, zu behaupten, wir würden in Zukunft auf diesem Sektor nicht mehr investieren? ({0}) Staatsminister Gaddum ({1}) : Herr Abgeordneter, erlauben Sie, daß ich Ihnen mit wenigen Zahlen antworte. Wenn ich mir das Investitionsprogramm ansehe - ich will das jetzt nur sachlich darstellen; ich kritisiere das nicht, weil ich ja die Begrenzung der Mittel kenne -, dann entfällt im reinen Investitionsteil auf mein Land eine Bundeshilfe in der Größenordnung zwischen 50 und 60 Millionen DM. Diese Summe verdoppelt sich durch die Landesmittel, das ist aber nicht das Bundesprogramm. Es gibt also 50 bis 60 Millionen DM zusätzliche Investitionsmittel für den gesamten Bereich aller Gemeinden dieses Landes. Muß ich Ihnen sagen, daß praktisch der Bau eines Universitätsinstituts bei uns eine größere Investition darstellt als alles das? Ich sage nicht, daß diese Maßnahmen falsch sind. Daß aber damit der große Durchbruch in den öffentlichen Investitionen erfolgen könnte, stimmt ganz einfach nicht, wenn man die Relationen betrachtet. Das hat auch bisher, soweit ich das sehe, niemand ernsthaft behauptet. ({2}) Lassen Sie mich noch einmal auf die Rechnung auf fünf Jahre hinaus zurückkommen. Hier wird eine Rechnung aufgemacht, von der ich sage, sie ist in sich nicht stimmig. Man darf ihr allein von daher schon nicht zustimmen, wenn man nicht das Unglück von morgen provozieren will. Wir bekommen sonst wieder gesagt: Ja, warum habt ihr denn zugestimmt? I ({3}) Meine Damen und Herren, Sie müssen doch von folgendem ausgehen: Wenn wir realerweise erwarten, daß diese eingeplanten Zuwachsraten der öffentlichen Haushalte in den fünf Jahren nicht durchzuhalten sind, dann ist die Alternative, daß es heruntergeht. Ich unterstelle einmal, Ihre Einnahmeerwartungen gehen in Erfüllung - das ist sehr optimistisch -, dann bedeutet das, daß sich die Kreditmarktbelastung nicht in dem Rahmen halten, sondern wesentlich höher liegen wird. Und wenn die Kapitalmarktbeanspruchung durch die öffentliche Hand höher liegt, gibt es zwei Alternativen. Entweder der private Nachfrager kommt nicht zinsgünstig zum Zuge, und das bedeutet im Ergebnis, daß der Aufschwung durch die Verteuerung auf dem Kapitalmarkt sehr schnell wieder abgebrochen werden wird, oder aber - das ist die zweite Alternative - Sie finanzieren jetzt schon die nächste Inflationswelle auf diese Art und Weise vor. ({4}) Und dies ist eigentlich die einzige Alternative. Ihr Programm führt genau in diese Richtung, aber diese - wenn Sie so wollen - „Alternative" zu übernehmen sind wir nicht bereit. Das führt nämlich dahin, daß man nachher die Wahl hat zwischen dem nächsten Inflationsschub und dem schon frühzeitigen Abbruch der Aufschwungphase. Dies bieten Sie als Programm an, und dazu sagen wir nein. ({5}) Staatsminister Gaddum Herr Kollege Lambsdorff - ich glaube, Sie waren es -, Sie haben gestern davon gesprochen, daß der Vorwurf der Täuschung, der gegenüber der Bundesregierung erhoben wurde, substantiiert werden müßte. Genau dies habe ich hier versucht. Denn das Programm, das hier vorgelegt wird und von dem im Brustton der Überzeugung behauptet wird, es sei in sich stimmig, ist nicht stimmig. Meine Damen und Herren, was ich hierzu weiß, das wissen mit Sicherheit die leitenden Beamten und ebenso die politisch Verantwortlichen in der Bundesregierung auch. Aber dies sagen Sie der Öffentlichkeit nicht, ({6}) sondern Sie wollen sich mit diesem Programm gerade ein, zwei Jahre hinüberretten. Und dies ist eben die Täuschung, die die Bundesregierung auch in diesem Falle und in dieser Sache wieder unternimmt. ({7}) Ich habe die beiden Alternativen aufgezeigt, die bei diesem Programm herauskommen. Herr Kollege Friderichs, Sie haben vorhin sehr akzentuiert dargestellt, wie sehr Ihnen daran liegt, den Unterschied zwischen dem realen Wachstum und dem Bruttowachstum - sprich: die Inflationsrate - gering zu halten. Wir stimmen mit Ihnen darin überein. Aber da Ihnen gleichermaßen an dem Aufschwung liegt - und auch dies nehme ich Ihnen ab -, frage ich: Wie können Sie politisch zu diesem Programm eigentlich ja sagen, zu einem Programm, das Sie in eine Alternative hineintreibt, bei der Sie in beiden Punkten sagen: dies will ich nicht? ({8})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe zu, daß ich hier in einer Versuchung bin, nämlich die Debatte immer noch einmal anzufangen oder ({0}) dafür sorgen zu helfen, daß sie - obwohl sie nur eine Runde war in einer Reihe von Debatten, in denen wir über die Probleme reden, streiten, ringen und manche von ihnen auch lösbar machen werden - weitergeführt wird. Aber wir wollen ja auch Ausschußarbeit. Die soll heute beginnen, und ich hoffe, in der nächsten Woche wird man einiges davon schon wieder im Plenum haben. Angesichts dieser Notwendigkeit ist meine Entscheidung, im Sinne der Versuchung noch einmal von vorn anzufangen und zu zeigen, was man alles von dem weiß, was die anderen eigentlich wollten, aber nicht könnten, also gebändigt. ({1}) Aber erlauben Sie mir bitte, daß ich zunächst etwas Fundamentales sage, denn sonst ist das, was ich darüber hinaus zu sagen habe, natürlich abgewertet. ({2}) Lassen Sie mich jetzt auf die internationalen Dimensionen der gegenwärtigen Krise eingehen. Zu keiner Zeit unserer Geschichte in Friedenszeiten ist die Lage der Nation stärker von der Lage der Welt abhängig gewesen, und selten, wenn je, ist die Lage der Welt stärker von der Lage auch unserer Nation abhängig gewesen. Die wirtschaftliche Notlage ist weltweit. Wir werden sie im eigenen Lande nicht beheben können, wenn wir nicht helfen, die tiefgreifenden wirtschaftlichen Störungen in anderen Ländern zu beseitigen. ({3}) Wissen Sie, ich hatte gedacht, schon wenn ich anfange: „Lassen Sie mich jetzt auf die internationalen Dimensionen der gegenwärtigen Krise eingehen", würden Sie teils schallend lachen, teils protestieren. Ich habe jetzt die Möglichkeit, des Ausbleibens wegen, zu wählen, welches die Erklärung dafür ist: ob Sie genauso wie ich wußten, daß ich hier nur wen zitiert habe? Den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Das haben Sie wohl zum Teil gewußt. Deswegen haben Sie nicht gelacht. Hätte das nämlich ein Sozialdemokrat, unser Bundeskanzler gesagt, hätten Sie den Versuch gemacht: Der alte Dreh, immer wieder dasselbe. Aber bei dem. Präsidenten unseres wichtigsten Verbündeten haben Sie sich dessen enthalten. Jeder enthält sich hier und ist nicht einer Versuchung erlegen. Hier ist der ganze Text; das ist der korrekt übersetzte deutsche Teil. ({4}) - Ja, ja, und wir machen sie uns zu eigen. Das ist es. ({5}) In mancher Hinsicht hat das ja auch Herr Ministerpräsident Kohl, der heute nicht hier sein kann - ich hörte, er wird dennoch irgendwann am Nachmittag mit dem Bundeskanzler sprechen; das ist ja ganz in Ordnung -, gesagt. Das ist hier zitiert worden. Ich bringe das noch einmal in Erinnerung - da werden Sie auch wieder nicht lachen; denn e r sagt ja die Wahrheit -: Seit der Ölkrise und anderen Krisenerfahrungen der letzten Jahre wissen wir besser als zuvor, daß es eine enge und unauflösliche Wechselwirkung zwischen Außen- und Innenpolitik gibt. Viele Probleme - denken Sie an die jetzige Inflationsentwicklung, Inflationskrise, Wirtschaftskrise in unserem Land und überall, vor allem aber in der westlichen Welt - lassen sich auf nationaler Basis gar nicht mehr lösen. Brausender Beifall; denn e r sagt die Wahrheit, Herr Kohl in der Deutschen Welle. ({6}) Da sehen Sie nicht nur Einsteins Relativitätstheorie bestätigt. Auch hier: Alles ist sehr relativ, je nachdem, wer es zuerst sagt, und je nachdem, wer es sich nutzbar macht. ({7}) - Selbst die Geschichte. Das haben wir ja gestern gehört. ({8}) Nur, wenn es wahr ist - und ich nehme an, das hat Herr Kohl gestern ernst gemeint -, daß dieses hier nicht das Schicksal der Weimarer Republik haben soll - und auch nicht haben wird, hat er gesagt; ich komme darauf noch einmal zurück -, dann muß doch der Bundeskanzler im Recht sein, wenn er nach Ihrer Seite sagt: Leisten Sie Ihren Part, während ich in Bremen auf einer Konferenz meinen Leuten gesagt habe: Leisten wir unseren Part, und passen wir auf, daß sich die SPD, aus welchem Doktrinismus immer, in kritischer Situation nicht wieder aus der Verantwortung herauszieht. Ich sage Ihnen: Beide haben recht. Und Herr Carstens, dem das etwas ferner liegt, war nur froh, daß er mit Hilfe eines Papieres für einen Moment recht haben konnte. Es sei ihm gegönnt. ({9}) Er ist eine Übergangsfigur. Nein, daß der Bundestag Gelegenheit bekommen hat - durch die Bundesregierung - und daß der Bundestag die Gelegenheit auch wahrgenommen hat - durch die Auffassung aller drei Fraktionen -, gestern und heute zur Regierungserklärung Stellung zu nehmen, ({10}) - Ja, jeder sagt, was er darüber denkt. Die Gelegenheit hatten Sie. Sie haben ja darüber vorwiegend geschrieben etwas außerhalb des Plenarsaales, Herr Kollege Höcherl. Aber das ist auch jedem unbenommen, einem Abgeordneten selbstverständlich. Jedenfalls hat der Bundestag in dieser Runde Stellung genommen. Und ich sage bei allen Wunden und bei allen Schrammen, die dabei wechselseitig ausgeteilt oder auch entgegengenommen worden sind: Das wird sich bei längerem Nachdenken als für alle vorteilhaft erweisen. Um es vorweg zu sagen: Die Fraktion der SPD wird mit ihren Kräften dafür sorgen, daß das Programm der Bundesregierung verwirklicht wird. Natürlich haben wir nicht nur das Recht, wir alle, Sie, wir, alle - - Sie enthalten sich noch. Sie sagen: Es wird noch eine Weile dauern, ehe Sie sagen, was Sie sagen werden. Das ist in Ordnung. Eigentlich wollten Sie das erst - wie ich gehört hatte - am 17. Oktober sagen, wenn der Bundesrat zusammentritt. So hat es damals Herr Stoltenberg an jenem Freitag angekündigt; große Dinge geschehen ja meist am Freitag. ({11}) Ich wollte also sagen, daß wir nicht nur das Recht haben, sondern uns auch die Pflicht der parlamentarischen Feinarbeit unterziehen werden. Wir haben in unserer Fraktion einige Arbeitsgruppen, die prüfen werden, ob man innerhalb des Rahmens dieses Programms der Bundesregierung einiges noch so austarieren kann, daß dabei der Kern dieses Programms aber nicht zerstört wird. Das ist die übereinstimmende Meinung unserer Fraktion. ({12}) Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Meine Hoffnung ist es, daß in den Ausschüssen ohne Zaudern mit der Arbeit begonnen wird, schon heute nachmittag, und daß wir schon in der nächsten Woche Gelegenheit haben, z. B. bei der zweiten Lesung des Programms zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen - das ist unsere Bundestagsdrucksache 7/4013 - hier einiges nachzuholen, was jetzt in dieser verbundenen Debatte offensichtlich kurz gekommen ist. Da werden sich noch manche melden, manche auch schon in einem inzwischen sachlich gereifteren Stadium ihrer Meinungsbildung. Das, finde ich, ist eine Hoffnung. Zugegeben, man kann nicht alles auf einmal haben, zwar haben wollen - das wollen Sie gerne -, aber man hat es nicht auf einmal. Das ist eine Lebenserfahrung. Die Koalitionsfraktionen haben hier ihre Auffassungen dargelegt, und die Minister dieser Regierungskoalition haben auch deutlich gemacht, wo sie sich in Übereinstimmung befinden. Das geht immer um den Kern dieses Programms. Die Opposition hat es - zugegeben - etwas schwerer als die Koalitionsfraktionen; denn die Regierung hat die Opposition gewissermaßen überrascht. Das muß man sagen. Sie hat sie nicht heute überrascht, sondern als sie z. B. mit bestimmten Einsparungsbeschlüssen, z. B. mit der zeitweiligen Erhöhung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung und anderen Einnahmeverbesserungen herauskam. Sie hatten daraufhin Probleme. Das zeigen ihre Papiere. Ich habe die natürlich auch alle gelesen. Man nimmt gern teil an den Wehen des, sagen wir mal nicht: Partners, aber des Widerparts. Da nimmt man doch gern teil, wenn man es bekommt. Das machen Sie auch. Ich kann mir also vorstellen, in welche Schwierigkeiten Sie durch diese Entscheidungen des Kabinetts gekommen sind. Deswegen war auch ich einer, der dafür gesorgt hat: es muß in den ersten Tagen nach dem Wiederzusammentritt des frei gewählten deutschen Parlaments die Chance gegeben sein, daß die Abgeordneten Stellung nehmen können. ({13}) Ich weiß, daß manche das gar nicht so gern gesehen hatten. Die hätten das lieber etwas aufgespart. Die Opposition hat aber schon im Vorfeld gemerkt, daß das Paket - wie man heute gerne sagt - der Regierung in der Öffentlichkeit durchaus nicht als eine Fehlleistung bezeichnet worden ist, sondern daß es angekommen ist. ({14}) - Natürlich ist es auch kritisch aufgenommen worden, aber es ist ohne Nachporto angekommen. Das hat die Opposition gemerkt. Nun mußte sie versuchen, auf diese Tour auch zu kommen. Sie hat es bisher versucht, wenn sie auch sagt, sie habe ihren Fahrschein bei der Kontrolle diesmal nicht aus der Tasche ziehen können, sie werde ihn aber nachliefern. Schönen Dank! Sie wird ihn nachliefern, und wir werden uns dann darüber aussprechen, ob der für diese Strecke gültig ist, die vor uns allen liegt, oder ob das eine Bahnsteigkarte war, die sie da vorzeigen. ({15}) Das werden wir dann sehen. Das war natürlich nicht einfach. Sie konnten nicht dasselbe sagen wie wir. Was wären Sie denn sonst für eine Opposition, dazu noch mit zwei Parteien, die Sie sind?! Und welche geballte Kraft, mit dem ,;C" vorneweg! ({16}) Deshalb haben Sie erstens einmal gesagt: keine Beitragserhöhungen - und obwohl die gar nicht in diesem Jahr in Kraft treten, sondern 1977, mittelfristig - keine Mehrwertsteuererhöhung, dafür aber jetzt - sagen Sie - doppelt soviel sparen! Bei den Münchener barocken Veranstaltungen, die Sie am letzten Wochenende und bis zum Beginn dieser Woche gefeiert haben- die Fortsetzung soll ja folgen, habe ich gehört; sie werden ja ihre Wellen bis nach hier schlagen; ich gönne es dem, dem es gilt, wie auch denen, die daran teilnehmen dürfen, ich gönne es ihnen allen; es muß ein schönes Gefühl sein, einer solchen Gemeinschaft so angehören zu dürfen -, ({17}) hat man ja gesagt: Mindestens 7 Milliarden DM müssen jetzt, 1976, eingespart werden. ({18}) - Sie werden doch Herrn Bangemann nicht den Tort antun, ihn wichtiger zu nehmen als Herrn Strauß, oder Herrn Strauß den Tort antun, ihn weniger wichtig zu nehmen als Herrn Bangemann. Das wird der auch merken; das hört der sogar in Peking. ({19}) Herr Stücklen, Sie wissen Bescheid. Die Opposition weiß doch - das wissen jedenfalls die meisten von Ihnen, die Gestandenen unter Ihnen, wobei es keinen Unterschied macht, welchen Geschlechts -, sie kann im Ernst keine Brüningsche Deflationspolitik wollen. Dem haben weder die Ministerpräsidenten Kohl und Stoltenberg noch der Kollege Barzel widersprochen. Sie können die weitergehenden Sparabsichten in der Union selbst nicht durchsetzen. Das bedarf einer Zeit. Ich gebe Ihnen da auch gerne Bedenkzeit. Außerdem ist es vergnüglicher, zu sehen, wie Sie es ernst nehmen mit der Meinungsbildung. Sie müssen ja zunächst alles klären, wobei es am schwierigsten ist, die Sache mit den Ländern zu klären, obwohl es jetzt so aussieht, als sei da überhaupt kein Problem. Aber da ist ein Problem, das Problem Ihrer Auffassung von Opposition. Sie haben völlig recht: Hier haben Sie zu wählen und zu entscheiden, wie Sie Ihre Rolle verstehen. Dafür sind Sie selbst verantwortlich. Wir können mit Ihnen streiten, wir können Sie auch daran erinnern, was Sie damit nicht erreichbar machen. Das ist unsere Sache. Andererseits handeln die im Bundesrat tätigen oder sitzenden und dort die Stimmenpakte in der Hand habenden Mitglieder der beiden Parteien mit dem „C" dort auch in der Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und Parlamenten ihrer Länder. Das ist klar. Hier ist für Sie - das gebe ich zu, und das macht Ihre Lage schwierig - ein - um das berühmte Wort zu gebrauchen, das ich sonst gerne nur bei Steinhäger benutze - „echtes" Dilemma gegeben. ({20}) Sie müssen nun nämlich zwar nicht, wie man so gern sagt, irgendein Kleidungsstück herunterlassen, nein, nein, Sie müssen nunmehr in Ihren eigenen Ländern nachweisen, warum Sie in ,der Frage der Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte von 1977 an usw. usw. darauf verzichten, daß die Länder einen nicht unwesentlichen Anteil an dieser notwendigen und unentbehrlichen Veränderung haben. ({21}) Tun Sie das bitte! Ich beneide Sie nicht. Aber Sie haben ja noch ein anderes Problem: Sie müssen - wir haben das heute gehört, obwohl er sehr gemäßigt aufgetreten ist - mit Herrn Katzer - ({22}) - Ich komme noch darauf. Ich weiß, Sie müssen auch am Schluß noch im Protokoll stehen. Das gelingt Ihnen auch. Das gelingt Ihnen deshalb, weil Sie sich nach vorn gesetzt haben, da die anderen, die sonst dort sitzen, nicht mehr da sind. ({23}) Da ist Herrn Katzers Befriedigung herbeizuführen, auch die der Sozialausschüsse und überhaupt dessen, was da an Sozialpolitik betrieben wird. Da ist die Sache mit der Landwirtschaft. Diese Runden werden wir hier ja auch noch lebensnah vorgeführt bekommen. ({24}) - Na, dafür werden Sie ja sorgen. Es wird das erste Mal sein, daß ich von Ihnen, Herr Freiherr von Kühlmann-Stumm, als CDU-Mann eine wirkliche Rede hier hören werde. Das wird ein Ereignis sein. ({25}) Ich gratuliere Ihnen dann. Es wird zwar nicht Ihre Jungfernrede sein, aber immerhin die erste CDU- Rede. Da haben Sie die Klientel Ihres berühmten entwicklungspolitischen Sprechers Todenhöfer, wobei Herr Kohl - ({26}) - Ja, mein lieber Mann, das sind olle Kamellen, die Sie da, bloß weil Sie zur Zeit noch jung aussehen und nichts Besseres wissen, wie einen schon von anderen durchgekauten Kaugummi aufnehmen. ({27}) Guten Appetit, sage ich Ihnen! - Herr Kohl hat dieser Vorstellung bei der Entwicklungspolitik ja beigewohnt. Er wird sich das auch noch einmal durch den Kopf gehen lassen müssen. Dann haben wir das Programm mit der „Neuen Sozialen Frage", auf die hier schon abgehoben worden ist: gesellschaftspolitisches Programm. Bringen Sie das alles einmal unter einen Hut! Ich war doch bewegt, als sich eines der wenigen Mitglieder des Deutschen Bundestages, die hier von Anfang an gewesen sind und noch sind, nämlich auch mein Kollege Professor Dr. Erhard, heute hier tatsächlich sogar noch erhob, um eine Frage, an deren Klärung ihm sehr viel lag, zu stellen. Hoffentlich antwortet ihm Herr Kohl bald, den er ja durch einen Brief gefragt hat. Herr Friderichs hat ihm hier gleich geantwortet. Herr Kohl hat ihm bisher nicht geantwortet. Er hat Herrn Biedenkopf an seiner Stelle antworten lassen. ({28}) - Wunderbar! Aber Sie klären es so, daß die anderen es nicht einsichtig sehen können. Insofern haben Sie also wohl ein Dunkelkabinett für solche Sachen. Ich beglückwünsche Sie dazu. Aber da sind noch die ganzen anderen Fragen, bei denen es auch nicht einen Nenner gibt: Herrn Dreggers und Herrn Wörners Verteidigungsprogramme. Hier muß ich schon den Plural nehmen. Ich habe davon kürzlich gelesen. Ich dachte: vielleicht kommt es in dieser Debatte auf. Aber leider hat es keiner angerührt. So kann es weiter schmoren. ({29}) - Das tue ich auch. Was meinen Sie wohl, was ich alles noch muß, Herr Maucher! Das ist kein Spaß, kein Zuckerlecken. Ich kann nicht so sitzen und etwas sagen, damit auch ich mit irgendwelchen Zwischenrufen mal ins Protokoll komme. ({30}) Ich habe einen härteren Job. Ich habe auch Verständnis dafür, in welcher Lage Herr Kohl ist. Er wird hier ja eines Tages auch Kollege sein. Jetzt ist er Ministerpräsident, und er ist der Vorsitzende der CDU, der Kanzlerkandidat. Er müßte, was die Leistungsfähigkeit betrifft, erheblich größer sein, als sie ein Mensch selbst dieses Gewichts aufzubringen vermag, um diese Vorklärung in bezug auf grün, sozial, Todenhöfer und Biedenkopf usw. in die richtige Gewichtung zu bringen. ({31}) Nein, ich bin ja nicht in einem solchen Laden wie er. Wir haben einen ganz anderen Verein. Sehr schwierig! ({32}) Aber so einen Laden, wie Sie ihn darstellen, ({33}) stellt die SPD nicht dar. Ein Unterschied muß ja sein. ({34}) Herr Kohl muß nun also sagen, daß er sparen will, mehr als die Regierung. Vor allen Dingen soll es die Regierung tun. Er will es also, ehe er die Verantwortung hat, dirigieren. Die anderen haben ihren eigenen Senf zu dieser Wurst hinzugegeben. Das Ergebnis ist zunächst: Herr Strauß ist - der Bundeskanzler hat das in einer Einlassung hier zur Debatte gesagt - mit dem Airbus-Flair nach Peking geflogen. ({35}) - Nein, im Gegenteil! Ich möchte nicht an seiner Stelle sein, Herr Althammer; das gebe ich offen zu. ({36}) Stellen Sie sich das einmal vor! Was bleibt denn dann noch übrig, wenn so viel gefeiert wird auf seine Kosten und von ihm selber? ({37}) Nein, nein, kein Neid! ({38}) - Nein, das wäre keine Paarung, wissen Sie. Schwimmen kann ich auch, aber nicht schauschwimmen. ({39}) Das wollen wir erst einmal sehen, wie es der Herr Strauß damit hält. Nun wollen wir ({40}) - ja, ja - Ihnen gönnen, daß Sie auch Ihren Klärungspozeß, wie wir ihn haben durchmachen müssen, obwohl er einfacher war und konkreter geführt worden ist, noch durchführen. Ich habe so manche Sachen in Erinnerung, wie Sie sich mit den verschiedenen Bewertungen, z. B. der Berufsbildung und all dieser Dinge, abgeplagt haben, und ich habe so manche Sachen in Erinnerung, wie Sie sich damit abgeplagt haben, wo Sie den Schnitt in bezug auf soziale Sicherung machen sollen. Herr Barzel hat gestern hier erhebend geredet. Zugegeben, es war recht gut vorwegberechnet, was er da gesagt hat. So kenne ich ihn, solange er hier im Bundestag ist. Nur, ich habe mir dann in der Nacht eine Rede herausgesucht, die der Herr Kollege Barzel am 26. Februar dieses Jahres gehalten hat. Darin steht folgendes: Auch in der Rezession dürfen wir nicht vergessen: die Bundesrepublik Deutschland steht in manchen sozialen und wirtschaftlichen Fragen besser da als manche andere, weil es uns gelungen ist, hierzulande eine herausragende Sozialqualität des Staates und der Gesellschaft zu schaffen. Unsere bessere Lage wird nur bleiben, wenn wir weiter gesellschaftspolitisch initiativ sind. Ich danke Herrn Barzel für diese Fahrkarte. ({41}) Gestern war das so einfach nicht zu hören. ({42}) Wenn man sich ansieht, was in den Jahren des kontinuierlichen sozialen Absicherns unter verschiedenen Formen der Regierungen, wenn auch mit demselben Grundgesetz geschaffen worden ist, dann werden Sie vor der Geschichte und auch vor den Menschen von heute nicht damit bestehen können, daß Sie sagen: es war alles richtig, soweit Sie es gemacht haben, aber es war alles falsch - soweit Sie am Ende nur noch aufs Trittbrett gesprungen sind und zugestimmt haben -, weil wir es gemacht haben und die Schneisen dazu haben freilegen müssen. ({43}) Hier haben wir ja die Listen; einige der Gesetze sind genannt worden. Jetzt können Sie - das ist die Pluralität in der Union - selber bestimmen, ob, wie lange und inwieweit diese Gesetze als „materielle Gratifikationen, die aufhören müßten, abqualifiziert werden oder ob sie, um mit Herrn Barzel zu sprechen, eine „herausragende Sozialqualität des Staates und der Gesellschaft", die in vielen Jahren geschaffen worden ist, darstellen. ({44}) Ich will dem Herrn Barzel nicht noch eine Bürde aufladen; er wandert jetzt wieder durch die Lande, er ist auch wieder beliebt und wird mit Beifall begrüßt. Das muß schön sein, vor allen Dingen, wenn man nicht unbedingt im Geschirr ist. Das muß sehr schön sein; ich hoffe das auch noch einmal zu erleben. ({45}) - Ja, sicher! ({46}) Ich habe mit Interesse die bisher letzte Rede Ihres so verehrten Kollegen und großen Vorsitzenden der kleineren der beiden Schwester-Unionsparteien gehört. Er hat hier, und zwar doch wohl so, daß es die Leute auch hören, notieren und sich fragen sollten: was steckt denn darin?, gesagt, er gehöre diesem Hause seit dann und dann, seit dem ersten Tag, an. Und dann kam dieser Drittelsatz: wie lange noch, das wisse er jetzt nicht. Ich meine, darin war die ganze Skala der Bescheidenheit und der menschlichen Demut und auch die Möglichkeit, die ihn so auszeichnet. ({47}) Auch da muß man menschlich sein in der Beurteilung eines solchen, so verkörperten menschlichen Kraftmannes. ({48}) Meine Damen und Herren, an dem Tage, an dem er 60 Jahre alt wurde - und wo anders als in der Tageszeitung „Die Welt", wie es immer heißt, damit man das nicht verwechselt, als ob das wirklich in der Welt so sei; nein, in der Tageszeitung „Die Welt" -, hat er in einem Interview mit deren Chefredakteur erklärt: „Die Grenzen des Sozialstaats sind erreicht." Punkt! ({49}) Und dann kam jener schreckliche Satz hinterher: Die Zeiten sind vorüber, in denen gesellschaftliche Konflikte durch materielle Gratifikationen gelöst werden konnten. ({50}) - Das ist schön. Den Punkt setzen hoffentlich Sie und stellen ihn dann zur Rede, was das ist, was alles unter „materielle Gratifikationen" fällt. Da werden die Herren Katzer und Blüm dann ganz konkret werden, nehme ich an, ({51}) um genau zu erfahren, was alles dazugehört. ({52}) - Man muß doch auch einmal lachen können, Herr Katzer. ({53}) Da steht dann hinterher: Man muß den Staat in Ordnung bringen - als ob er in Unordnung sei. Das müssen Sie sich dann - hier wurde ja gestritten, ob einer genügend gewichtig oder nicht gewichtig war, der so etwas gesagt hat - von sehr intelligenten und keineswegs uns, den Sozialdemokraten nahestehenden Zeitungsleuten des Auslands sagen lassen und auch schreiben lassen, daß man manchmal, wenn man die Reden der Opposition hört, den Eindruck hat, die reden über ein ganz anderes Land als dieses hier. ({54}) Da haben die recht. Das hört man vor allen Dingen von Schweizern. Ich weiß, ich muß zum Schluß kommen. Ich will Ihnen nur folgendes sagen, meine Damen und Herren, weil einige hier ihre Sorge zum Ausdruck ge13052 bracht haben, es sei ja alles ganz schön und der Schmidt mache ja einen ganz forschen Eindruck - den Bundeskanzler meine ich. ({55}) Es gibt ja mehrere Schmidts. So eitel ist er nun wieder nicht, daß er unbedingt einen Namen hat, den es nur einmal gibt. Aber so, wie er ist, gibt es ihn nicht doppelt. Das muß ich Ihnen sagen. ({56}) Ich war in Bremen. Warum soll ich nicht auch einmal nach Bremen fahren? Die haben mir verziehen, was ich früher einmal gesagt habe. ({57}) - Das kennen Sie nicht, Herr! Ich gönne Ihnen gerne, daß Sie auch mitreden, aber das wissen Sie nicht, was da vorgegangen war. - Nein, ich war gerührt, als ich in der vorigen Woche im „Vorwärts" einen sehr interessanten Diskussionsartikel Wilhelm Kaisens las, eines aus unserer Sicht - bitte, Sie müssen das nicht teilen - verehrungswürdigen alten Mannes der Politik in Deutschland und unserer Arbeiterbewegung und ihrer Geschichte. Er schrieb da: Es ist keine Frage, daß er - dieser Satz hebt ab auf den Bundeskanzler Helmut Schmidt von uns allen unterstützt werden wird in seinem Bestreben, den krisenhaften Zustand der Währung zu beheben, damit sie ihre Funktion als Antriebsmotor und Regulator der freien Wirtschaft erfüllen kann. Da steckt eine ganze Masse drin, was auch Sie nachdenken lassen wird. ({58}) - Sie hören doch nur, was Ihnen gerade noch durchkommt. ({59}) Lassen Sie mich am Schluß sagen: Wenn es so ist, wenn tatsächlich eine Übereinstimmung darüber vorhanden ist, bei manchen vielleicht ersehnt wird, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht das Schicksal der Weimarer Republik treffen soll und - hier ist es ja gestern mit Gewißheit gesagt worden - auch nicht treffen wird, so haben, meine ich, wohl alle Seiten sich zu bemühen, ihre Gegensätze in dem Rahmen auszutragen, der unsere gemeinsame Bundesrepublik Deutschland sichert. Ich sage noch einmal, die parlamentarische Opposition muß ihre eigene Rolle finden und ausfüllen. Ich bedanke mich, daß der Bundesminister der Finanzen heute morgen in einigen sehr präzisen Fragen dazu Gelegenheit gegeben hat, ohne zu sagen: Sie müßten so und dürften nicht anders, sondern in der Sache vorgehalten hat, wie man sich zu entscheiden habe. Das haben wir inzwischen auch von anderen Mitgliedern des Kabinetts gehört. Vielen Dank dafür. Die Angehörigen von CDU und CSU, die in den Bundesländern Regierungsverantwortung tragen, müssen sich entscheiden, was sie im Rahmen ihrer Verantwortung in den von ihnen regierten Ländern und deren Verhältnis - dem Verhältnis der Länder zum Bund und des Bundes zu den Ländern - nach unserem Grundgesetz diesen Ländern schuldig sind. Die Verantwortung dafür kann ihnen niemand abnehmen. Wir jedenfalls haben in diesen Debattenrunden dargelegt, was wir für erforderlich und auch für möglich halten. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben dazu Ihren Teil noch selber zu finden. Ich wünsche Ihnen eine segensreiche Arbeit. ({60})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, ich habe bekanntzugeben: Der Ältestenrat tritt erst nach dem Ende dieser Debatte zusammen. Auch die Fragestunde wird erst nach dem Ende dieser Debatte durchgeführt. Vorerst liegt nur noch eine Wortmeldung vor. Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn uns der Herr Kollege Wehner das seltene Erlebnis zuteil werden läßt, daß er eine Sache mit Humor und mit freundlicher Miene angeht, dann ist höchste Gefahr. ({0}) Wenn er seiner Sache sicher ist, hören wir die üblichen, ihn ja fast zu 99 % beherrschenden rüden Seiten seines Gemütes. Aber er gebraucht Freundlichkeit, wenn er sich seiner Sache nicht sicher ist. ({1}) Das Konvolut, das uns auf den Tisch gelegt worden ist, wird unter einem sehr eleganten und sprachlich vollendeten Titel verkauft. Es ist eine Vorlage zur Wiederbelebung der Wirtschaft - also war, ist da etwas nicht in Ordnung -, zur Überwindung der Arbeitslosigkeit und zur Sanierung der Staatsfinanzen. Ich kann das Konvolut drehen und wenden, wie ich will, ich finde, abgesehen von der wenig strittigen Vorlage über bauliche Investitionen, über die es vielleicht da oder dort Meinungsverschiedenheiten über technische und sachliche Schwierigkeiten geben wird, nichts, was der wirklichen Milderung oder Beseitigung der Arbeitslosigkeit und der Wiederbelebung der Wirtschaft dienen würde. Aber etwas finde ich: Ein Vergleichsverfahren zur Sanierung der Staatsfinanzen wird angemeldet. Ich habe ganz den Eindruck, daß unter Ihrer Verantwortung seit 1969 bis jetzt dieser Vergleich zur Sanierung der Staatsfinanzen durch Ihre „Regierungskunst" notwendig geworden ist. ({2}) Natürlich konnte es sich Herr Wehner nicht versagen, die Ursachen dieses Wirtschaftsverfalls zu nennen. Aber ein Wort geht nicht über seine Lippen: der Anteil der eigenen Schuld. Wir kennen die Schuld des Investitionsstreikes, der Ölscheichs, der Rohstoffmärkte, der terms of trade bis hin zur weltweiten Rezession. Es wird nicht lange dauern, dann wird Schmidt in seiner Wortgewalt kosmische Ursachen für diesen Verfall nennen. ({3}) Keiner der Redner der Koalition konnte es sich versagen, die Abwesenheit von Herrn Strauß und seine Reise nach Peking zu erwähnen. Ich darf Ihnen folgendes sagen: Seien Sie froh, daß er nicht da ist! Er bräuchte nämlich nur vorzulesen, wie oft er Ihnen vorgehalten hat, daß Sie auf dem falschen Wege sind. ({4}) Vielleicht in diesem Zusammenhang: Herr Bundeskanzler; Sie haben - man hat es gesehen - kein sehr gutes Verhältnis zur Historie, nachdem Ihnen auch in der Wirtschaftsprophetie vieles nicht gelungen ist. Sie haben sich dann mit der jüngeren und der jüngsten Geschichte befaßt. Sie haben es für richtig gehalten, den Kollegen Strauß und den Kollegen Dregger in die rechte Ecke zu stellen. Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr Bundeskanzler: Wenn man aus einer Gruppe kommt wie Sie, die ganz links steht, ist der, der in der Mitte steht, schon rechts. ({5}) Nun, meine verehrten Damen und Herren, es ist ja nicht zum ersten Mal, daß sich die Regierung hier in einer Wiederbelebung der Wirtschaftspolitik versucht, sondern es ist bereits der sechste Ansatz. Ich darf das in Ihr Gedächtnis zurückrufen. Sie behaupten ja immer, es gebe angesichts der internationalen Interdependenz und Verflechtung überhaupt keine Möglichkeit, national etwas zu unternehmen. Aber offenbar ist dem nicht ganz so; denn Sie versuchen es immer wieder. Das erste Mal haben Sie im November 1973 begonnen, und zwar mit Zinsverbilligungsprogrammen usw. im Wohnungsbau; dann am 19. Dezember 1973; dann kam der 6. Februar 1974; dann der 25. September 1974; dann der 12. Dezember 1974, und jetzt haben wir das sechste Programm vor uns. Meine Damen und Herren, ein Programm nach dem andern in weniger als zwei Jahren, immer wieder mit dem Anspruch präsentiert: Jetzt kommt die entscheidende Hilfe, jetzt haben wir ein Mittel, um diesen Dingen zu begegnen! Nicht ein einziges Mal ist es Ihnen gelungen! Noch bevor das letzte Programm ausgelaufen ist, hat die Bundesregierung bereits das neue Programm in aller Heimlichkeit vorgelegt, hat aber in der Öffentlichkeit, vor allem zu Wahlzeiten - das ist oft genug erörtert worden -, immer wieder behauptet: Das ist die endgültige Lösung. Nein, das war sie nicht! Und nun verlangen Sie von uns, daß wir Ihren Kunststücken, Ihren mißlungenen Versuchen eine, so möchte ich sagen, Blankounterschrift geben. Nein, meine verehrten Damen und Herren, so nicht! Wer fünfmal versagt, hat Vertrauen verloren und kann nicht so ohne weiteres und nicht ohne Prüfung eine Zustimmung verlangen. ({6})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Höcherl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja bitte sehr!

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Höcherl, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihnen bei Ihrer fleißigen Aufzählung offenbar entgangen ist, daß es sich zunächst, nämlich vor der Ölpreiskrise, um Programme zur Wiederherstellung der Stabilität und erst anschließend um Programme zur Wiederbelebung des wirtschaftlichen Aufschwungs gehandelt hat und daß Sie dies alles in einen Topf geworfen haben?

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Kollege Lambsdorff, die Sache ist so: Sie haben die Stabilität vernachlässigt. Stabilität und Konjunkturprogramm sind überhaupt nicht zu trennen, sondern sind wesentliche Bestandteile ein und derselben Sache. ({0}) Aber Sie haben damals, in den ersten Jahren Ihres Regierungsglücks, gedacht, auf Stabilität brauche man keine Rücksicht zu nehmen, hier seien inflatorisch alle Wünsche zu erfüllen. Jetzt stehen Sie, wir zusammen und alle Bürger vor den Ergebnissen Ihrer „Künste". So ist es doch gewesen. ({1}) Ich brauche Ihre Ergebnisse gar nicht von dem Gesichtspunkt der Opposition aus zu beurteilen und eine Bilanz zu ziehen. Ich habe noch ganz andere - und zwar sehr prominente - Zeugen. Wir haben heute das außerordentliche Vergnügen gehabt, hier einen Bundeswirtschaftsminister zu hören, der, wie ich feststellen muß, die frühere Arroganz weitgehend abgelegt hat. Er hat diese Arroganz auf einem sehr steinigen Weg verloren, weil alle seine wirtschaftspolitischen Anstrengungen keinen Erfolg gehabt haben. Heute haben die bitteren Tatsachen seine Rede geprägt. Diese Rede hat, wenigstens in ihrem ersten Teil, den Beifall von Professor Erhard gefunden. Der Herr Wirtschaftsminister hat aber eine noch viel bessere Rede zu einem ganz anderen Anlaß gehalten, nämlich am 23. Juli 1975 vor dem Vorstand seiner Partei. Für die Darlegung der wirklichen Erleuchtungen und der wirklichen Erkenntnisse ist das Parlament natürlich zu bescheiden. Man über13054 antwortet sie dem Vorstand seiner eigenen Partei. In dieser Rede findet sich eine sehr harte und entscheidende Kritik der wirtschaftspolitischen Ergebnisse der eigenen Arbeit und der Arbeit der Regierung. Dort steht z. B. - ich will hier nur auszugsweise zitieren -, daß 1974 und 1975 die Entwicklung und die Anlageinvestitionen außerordentlich rückläufig waren und daß zur Sicherung eines hohen Beschäftigungsniveaus dies und das notwendig sei. Dann folgen die Ursachen. Über die Ursachen habe ich heute von Ihrer Seite und auch vom Herrn Bundeswirtschaftsminister nichts gehört. Damals im vertrauten Familienkreise hat der Herr Minister sie freilich ausgebreitet: In dieser Rede werden die längerfristigen Ursachen der schwachen Investitionsneigung der Unternehmer genannt. Es werden die Lohnkosten, die bereinigte Lohnquote, die Staatsquote, die Zwangsabgabequote für Steuern und Sozialversicherung angeführt. Es werden Vorschläge unterbreitet, wie man dem begegnen könnte. Einen sehr interessanten Punkt dieser Vorschläge möchte ich hier doch zitieren: In der Steuerpolitik, in der Finanz- und Sozialpolitik wäre die politische Bereitschaft auszudrücken, die Staatsquote mittelfristig nicht weiter auszudehnen. Das ist noch harmlos. Es geht dann wie folgt weiter: Konkret bedeutet dies unter anderem eine entsprechende Korrektur der mittelfristigen Finanzplanung sowie eine Durchforstung der Sozialausgaben, eventuell mehrjähriges Standstill. Das steht wörtlich in dieser Rede. ({2}) Es heißt weiter, in der Steuerpolitik wäre ein Verzicht auf weitere zusätzliche Belastungen für die Privatwirtschaft, speziell für Klein- und Mittelbetriebe anzustreben. Weitere Forderungen sind die baldige Einführung eines kleineren Carry-backs, eine Überprüfung der Sätze der ertragsunabhängigen Steuern, eine Erhöhung der degressiven Abschreibung für bewegliche Güter. Meine Damen und Herren, das sind großartige Erkenntnisse. Wir übernehmen sie sofort. Es besteht aber ein unbegreifliches Mißverhältnis zwischen der Einsicht und den Taten sowie dem Durchsetzungsvermögen. Das ist doch der entscheidende Punkt. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren der Koalitionsparteien, ich will Ihnen auch sagen, wie weit Sie jetzt sind und wie die wirkliche Lage ist. Sie hätten ganz gerne ein größeres Programm vorgelegt, wenn Ihnen nicht das Geld ausgegangen wäre. So ist es doch. Sie haben die letzten Reserven zusammengekratzt. Die Bundesbank unterstützt Sie in einer Art und Weise, daß fast Bedenken bestehen, ob dies mit der wichtigsten Aufgabe der Bundesbank überhaupt noch vereinbart werden kann. ({4}) Sie konnten sich nur mehr der 5 bis 6 Milliarden DM bedienen, die in der Rücklage waren, wobei einige Länder Schwierigkeiten haben, weil sie die Rücklagen schon auflösen mußten, um überhaupt aus der Haushaltsenge herauszukommen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Höcherl, ohne Sie ärgern zu wollen, möchte ich Sie fragen, ob Sie damit sagen wollen, man könne gar nicht mehr Sparsummen ausfindig machen, als wir, die Koalition und die Regierung, bisher festgestellt haben; nirgendwo gäbe es mehr Sparmöglichkeiten? Ich bin auf Aufklärung geradezu begierig. ({0})

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wehner, Sie bekommen auch die Antwort. Sie brauchen den letzten Pfennig - darauf komme ich noch im einzelnen -, den Ihnen der Sparer aus ganz anderen Motiven, nämlich aus der Unsicherheit der Situation heraus, zur Verfügung stellt, um Ihren Haushalt ausgleichen zu können, dessen Investitionsanteil von Jahr zu Jahr absinkt. Das ist die Wirklichkeit. ({0}) Wenn Sie diese Beträge für Arbeitsbeschaffung im großen Stil verwenden könnten - Sie können es nun nicht mehr -, hätten Sie die Unterstützung des ganzen Hauses. Sie können aber nicht mehr, Sie müssen einen Haushalt ausgleichen, den Sie zu hoch angelegt haben, weil Sie geglaubt haben, das ginge immer munter so weiter. In den ersten Jahren haben Sie sich den ostpolitischen - so möchte ich einmal sagen - Göttern und Götzen geopfert; denn Sie haben gemeint, da kann wirtschaftspolitisch nichts passieren. In der Zwischenzeit ist Ihnen die Basis weggerutscht. Und wir müssen sehen, wie wir gemeinsam aus dieser Sache herauskommen. Aber Sie können keinen einzigen Pfennig aus diesem Sparbereich für konstruktive und produktive Aufgaben mehr zur Verfügung stellen. Das ist die wirkliche Lage. Das ist das Vergleichsverfahren, das Sie zur Sanierung der Staatsfinanzen anstreben über Jahre hinaus. Denken Sie einmal daran, daß Sie allein in zwei Jahren 150 Milliarden DM öffentlichen Kredit in den drei Ebenen und bei Bahn und Post in Anspruch nehmen müssen. Wir haben in 20 Jahren 14,5 Milliarden DM zur Haushaltsfinanzierung verwendet. Sie in zwei Jahren 150 Milliarden DM, 70 in diesem Jahr und 80 im nächsten Jahr, die Sie nicht produktiv einsetzen können, weil Sie sie zum Ausgleich Ihrer investitionsmäßig relativ kümmerlich ausgestatteteten Haushalte verwenden müssen. Und den nachgeordneten Gebietskörperschaften geht es nicht anders. Das ist die Situation, in die Sie uns mit Ihrer Regierungskunst hineingebracht haben. ({1}) Ich darf noch auf einen Punkt hinweisen, damit Ihnen das ganz klar wird. Heute haben Sie auch erkannt, daß private und öffentliche Investitionen für die Arbeitsbeschaffung unerläßlich sind. 1973 hat der Finanzminister erklärt und sich gerühmt - das darf ich Ihnen wörtlich vorlesen -: Wir haben gewußt und gewollt über die öffentliche, über die antizyklische Politik und die Zentralbankpolitik die Investitionsneigung zusammengedrückt. Sie haben sie so zusammengedrückt, daß einem der Atem ausgegangen ist. Jetzt wären Sie froh, wenn eine größere Investitionsneigung bestünde; Sie wissen nur kein Mittel. Schon 1970 haben wir Ihnen vorgehalten, daß dieser Bereich, den Sie mit Steuern und Pressionen belegt haben, auch in Zeiten des Booms einen gewissen Schutz braucht, um ,die Basis zu erhalten und die Modernisierung und die fortlaufende Umstrukturierung der Wirtschaft durchzuführen. Das ist Ihnen alles entgangen. Sie waren im Glücksgefühl angesichts anderer Ereignisse, die sich in der Zwischenzeit auch als sehr leer und wenig gehaltvoll herausgestellt haben. ({2}) Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat es für richtig gehalten, diese Finanznot auf seine Weise zu begründen. Er hat erklärt, er sei in einer Zange. Der eine Teil der Zange seien die EWG-Ausgaben, die ins Ungemessene steigen. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Verwenden Sie dieselbe Vorsicht, die Sie hier bei der EWG anwenden, bei Ausgaben, die in eine andere Richtung, nämlich in den Osten, gehen! Dann, meine ich, sind Sie gut beraten. ({3}) - Ja, meine Damen und Herren, darüber kann man überhaupt streiten. Wir haben es im Verlaufe der ganzen Debatte gesehen. Der Herr Bundeskanzler hat es zum Teil nicht für nötig befunden, bei der Rede des Ministerpräsidenten Kohl anwesend zu sein. Es gibt hier - ich möchte sagen - einen gewissen Fundus von Formen. In einer so entscheidenden Aussprache verschwindet die Regierung und wird nur durch einen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten. Ich meine, das ist ein starkes Stück. Sie meinen es ja gar nicht Ernst. Sie wollen bloß unsere Mithaft und Mitverpflichtung. An einer ehrlichen kritischen Mitarbeit liegt Ihnen nichts. Fünfmal war das so. Sie haben uns immer vor die Entscheidung gestellt: „Vogel friß oder stirb!", weil Sie gedacht haben, es kämen großartige Erfolge, die Sie sich an den Hut heften könnten. Jetzt, wo Sie am Ende Ihrer Weisheit und Ihrer ganzen Kunst sind, jetzt wären wir gut genug. ({4}) Der Kollege Gaddum hat in einer sehr scharfsinnigen Analyse dargestellt, daß der Haushaltsplan und die mittelfristige Finanzplanung, die Sie uns vorlegen, auf Illusionen aufgebaut sind und daß sich diese Zahlen niemals erfüllen können. Wir können nicht über Steuererhöhungen reden, wenn wir noch gar nicht wissen, wie das Zahlenbild 1976 und in den folgenden Jahren ausschauen wird. Was berechtigt Sie denn, nachdem Sie fünfmal angetreten sind und fünfmal Mißerfolg gehabt haben, solch optimistische Zahlen einzusetzen? Damit täuschen Sie doch nur die Öffentlichkeit. ({5}) Sie wollen damit den Nachweis führen, Ihnen sei etwas gelungen. Meine Damen und Herren, wir geben Ihnen diesen Haushalt zurück. Schreiben Sie ihn um, bringen Sie ihn um, bringen Sie ihn auf eine realistische Basis, dann können wir darüber reden, denn dann hätten wir eine Ausgangsbasis für Diskussionen. ({6})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat hat Ihnen Empfehlungen für die Überweisung der Vorlagen gegeben. Ich darf um Handzeichen bitten, wer diesen Überweisungsvorschlägen zustimmt. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Ich rufe nunmehr Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 7/4024 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haar angemeldet, aber er ist noch nicht da. ({0}) Es beginnt mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fern13056 Vizepräsident Frau Funcke meldewesens. Ich sehe aber durchaus die Möglichkeit, daß wir umstellen. Bestehen Bedenken? ({1}) Wir haben an sich die Übung, mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts zu beginnen, aber hier ist eine andere Reihenfolge festgelegt. Ich begrüße Herrn Staatssekretär Haar und bitte ihn, die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl ({2}) zu beantworten: Verweigert die Bundesregierung unter Hinweis auf die Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft nach wie vor Auskünfte über die von ihr selbständig angestellten Ermittlungen der Ursachen des Warngauer Zugunglücks, und gegebenenfalls warum, und ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß dadurch in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, die Deutsche Bundesbahn wolle die wahren Hintergründe dieser Zugkatastrophe verschweigen?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Herr Kollege Dr. Riedl, selbständige und außerhalb ihrer Zuständigkeit liegende Ermittlungen oder Untersuchungen zur Aufklärung der Unfallursache zum Eisenbahnunglück bei Warngau hat die Bundesregierung nicht durchgeführt. Sie kann daher die in Ihrer Fragestellung zum Ausdruck gebrachte Schlußfolgerung auch nicht bestätigen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich gehe doch wohl recht in der Annahme, daß die Deutsche Bundesbahn Ermittlungen zu diesem schweren Zugunglück angestellt hat, und darf Sie deshalb fragen: Sind Sie bereit und in der Lage, die Ergebnisse dieser Ermittlungen bekanntzugeben?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Herr Kollege, natürlich ist die Deutsche Bundesbahn in bezug auf ihre innerdienstlichen Vorschriften zu einer Überprüfung verpflichtet. Sie wurde durchgeführt. Dabei sind keine Mängel festgestellt worden, die mit der vermuteten Unfallursache in einem direkten Zusammenhang stehen würden. Im übrigen ist die Deutsche Bundesbahn an den Ermittlungen zur Feststellung der Unfallursache nur insoweit beteiligt, als sie verpflichtet ist, der die Ermittlungen führenden zuständigen Staatsanwaltschaft, nämlich der Staatsanwaltschaft München II, jegliche Unterstützung, Auskunft und Hinweise zu geben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Die zweite Zusatzfrage.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nun darf ich aber sehr direkt fragen: Wer ist denn an diesem Warngauer Zugunglück wirklich schuld gewesen?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Ich möchte Sie bitten, das dem Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu überlassen, Herr Kollege. Wir können einer solchen Beurteilung wohl nicht vorgreifen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage mehr? - Dann rufe ich Frage 92 des Herrn Abgeordneten Wolfram ({0}) auf: Wie beurteilt die Bundesregierung den Bericht in der „ADAC- motorwelt" 8/1975 über die unterschiedlichen Risiken, die sich aus den verschiedenen zugelassenen Glasqualitäten von Windschutzscheiben ergeben, und hält die Bundesregierung es für notwendig, Verbundglas für Windschutzscheiben von Kraftfahrzeugen gesetzlich vorzuschreiben?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Aus allen bekannten und sorgfältig geprüften Gutachten zur Kontroverse „Verbundglas - VSG - und Einscheibensicherheitsglas - ESG -" läßt sich bisher nicht der Schluß ziehen, an Windschutzscheiben aus VSG entstünden insgesamt weniger und leichtere Verletzungen als an sogenannten ESG-Windschutzscheiben. Beide Glassorten haben hinsichtlich der Verkehrssicherheit nachteilige, wenn auch unterschiedliche Eigenschaften. Windschutzscheibenbauarten, die die Nachteile des ESG und des VSG nicht aufweisen, befinden sich offensichtlich noch in Entwicklungsstadien, die den allgemeinen Einbau in Kraftfahrzeuge nicht gestatten. Forderungen nach Windschutzscheiben in Kraftfahrzeugen, die keine oder nur unbedeutende Verletzungen erzeugen, können zur Zeit technisch nicht realisiert werden. Die Bundesanstalt für Straßenwesen, Herr Kollege, hat inzwischen den Auftrag erhalten, noch in diesem Jahr einen Sachstandsbericht zu erarbeiten, für den auch neue statistische Angaben nach Unfallakten der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherungen herangezogen werden. Sobald dieser Bericht vorliegt, wird über die Möglichkeit des verschiedentlich vorgeschlagenen Verbots der sogenannten ESG-Windschutzscheiben erneut zu beraten sein. Dabei schließen wir auch die in der öffentlichen Diskussion - etwa in Verbindung mit der gerade laufenden Automobilausstellung - vorgetragenen Gesichtspunkte mit ein.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, stimmt es denn nicht, daß der Fachartikel in der „ADAC-motorwelt" zu einem anderen Ergebnis kommt, und wäre es nicht zumindest empfehlenswert, die Automobilhersteller zu fragen, ob sie nicht von sich aus schon Konsequenzen aus vorliegenden Erkenntnissen ziehen würden?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Derartige Anregungen und Gespräche laufen schon seit Jahren, Herr Kollege.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Die Fragen 93 und 94 des Herrn Abgeordneten Seefeld werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe Frage 95 des Herrn Abgeordneten Löbbert auf: Ist die Bundesregierung auch der Auffassung, daß man nach jahrzehntelangem Bau von Autobahnen endlich auch das große Feriengebiet des Bodensees an das Schnellverkehrsnetz anschließen sollte?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Frau Präsident, wegen des Sachzusammenhangs bitte ich, die beiden Fragen des Kollegen Löbbert gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Einverstanden. Dann rufe ich zusätzlich die Frage 96 des Abgeordneten Löbbert auf: Wann kann man in etwa damit rechnen, daß der Ausbau der geplanten Teilstrecke Memmingen-Lindau in Angriff genommen wird, zumal der erste Abschnitt Ulm-Memmingen der Fertigung entgegengeht?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren mit erheblichen finanziellen Aufwendungen den Bau der Bundesautobahn Stuttgart-Singen so weit vorangetrieben, daß mit der Fertigstellung der gesamten Strecke etwa 1977/78 gerechnet werden kann. Zu diesem Zeitpunkt werden voraussichtlich auch die zunächst einbahnigen Weiterführungen in Richtung Konstanz und in Richtung Überlingen bereits im Bau sein, so daß der westliche Bodenseeraum in Kürze einen guten Anschluß an das Autobahnnetz erhalten wird. Die den östlichen Bodenseeraum erschließende Autobahnneubaustrecke Memmingen-Lindau kann nach dem bisherigen Ergebnis der Überprüfung des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen voraussichtlich in eine hohe Dringlichkeit eingestuft werden, so daß mit ihrem Bau gegen Ende des Zeitraumes des nächsten Fünfjahresplanes - der für die Zeit von 1976 bis 1981 gilt - begonnen werden kann. Als erster Abschnitt dieser Verbindung wird in Abstimmung mit der österreichischen Planung die Teilstrecke von der deutsch-österreichischen Grenze bei Lindau bis in den Bereich der Landesgrenze Bayern/Baden-Württemberg schon etwa 1980 verkehrsbereit sein. Eine weitere Anbindung an das Autobahnnetz wird dieses Gebiet auch durch den Ausbau der Bundesstraße 30 zwischen Ulm und Friedrichshafen erhalten. Genauere Angaben über den Bauablauf der oben genannten Maßnahme können aber erst gemacht werden, wenn der zweite Fünfjahresplan, an dem unser Haus arbeitet, vorgelegt wird.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Josef Löbbert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001356, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist die westliche Autobahn Stuttgart-Konstanz, von der Sie gesprochen haben, nicht mehr eine Durchgangslinie für Urlauber, für Reisende, die in die Schweiz oder nach Italien wollen, und hätte man daher nicht der anderen Autobahn von Ulm nach Memmingen/Lindau den Vorrang geben können?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Es gibt hier sehr unterschiedliche Untersuchungen und Varianten. In der Zwischenzeit ist eine Vorentscheidung bezüglich der Linienführung bekannt geworden, deren Begründung Ihnen ja sicher auch bekannt ist, Herr Kollege.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weitere Zusatzfrage. Frage 97 soll auf Wunsch des Fragestellers, des Kollegen Dr. Dübber, schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe Frage 98 des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner ({0}) auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die seit geraumer Zeit laufenden Bestrebungen, die Ausgabe der Kraftfahrzeugkennzeichen den Zulassungsstellen zu übertragen?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Wegen des Sachzusammenhangs bitte ich, Frau Präsident, die beiden Fragen ebenfalls gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner ({0}) auf: Hält die Bundesregierung es für vertretbar, durch eine solche Regelung den zahlreichen mittelständischen Betrieben, die gegenwärtig von der Herstellung und Montage von Kraftfahrzeugkennzeichen leben, durch einen Federstrich ihre Existenzgrundlage zu entziehen?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Die Bundesregierung prüft zur Zeit die Durchführbarkeit und Auswirkung von Maßnahmen zur Eindämmung des Mißbrauchs von Kraftfahrzeugkennzeichen. Die hierfür vorgeschlagenen Maßnahmen liegen auf den Gebieten: Erhöhung der Fälschungssicherheit, diebstahlssichere Anbringung, Herstellung und Vertrieb der Kraftfahrzeugkennzeichen. Eine von mehreren Möglichkeiten, auf die Herstellung und den Vertrieb der Kraftfahrzeugkennzeichen Einfluß zu nehmen, wäre, die Ausgabe der Kennzeichen den Zulassungsstellen zu übertragen. Das würde jedoch - neben den Auswirkungen auf die zahlreichen mittelständischen Betriebe - vermutlich auch erhebliche Personal- und Sachaufwendungen bei den kommunalen Verwaltungen erforderlich machen. Die Bundesregierung wird beiden Gesichtspunkten im weiteren Verlauf ihrer Untersuchungen ganz besonderes Gewicht beimessen und sorgfältig prüfen, ob mit anderen Maßnahmen eine im Interesse der Verbrechensbekämpfung ausreichende Wirkung erzielt werden kann.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Bitte schön, eine Zusatzfrage, Herr Wagner.

Dr. Carl Ludwig Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002404, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß es gerade in der gegenwärtigen Lage der Wirtschaft und der öffentlichen Finanzen besonders angezeigt ist, jedwede Maßnahme zu vermeiden, die zwangsläufig zur Erhöhung des Personalbestandes und zur Erhöhung von Ausgaben für Verwaltungsstellen führen muß. und daß im Gegenteil hier das Bestreben sein müßte, Aufgaben, die von öffentlichen Stellen wahrgenommen werden, möglichst - soweit das überhaupt denkbar ist - zu entstaatlichen?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Herr Kollege, ich denke, schon in der Beantwortung Ihrer Fragen ist deutlich geworden, daß wir bei den weiteren Überlegungen, die natürlich auch noch von anderen besonders vordringlichen Gesichtspunkten getragen werden, gerade diesen Aspekt mit berücksichtigen wollen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Carl Ludwig Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002404, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist die Bundesregierung der Auffassung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß, wenn die Entscheidung doch zugunsten einer amtlichen Ausgabe der Kennzeichen fällt und somit, wie ich es in meiner Frage gesagt habe, zahlreichen mittelständischen Betrieben die Existenzgrundlage entzogen würde, dies dann eine Entschädigungspflicht zugunsten der so geschädigten mittelständischen Betriebe nach sich zöge? ({0})

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Ich kann eine solche Frage ohne Abstimmung mit anderen Ressorts im Augenblick nicht konkret beantworten. Herr Kollege. Sie dürfen aber sicher sein, daß auch die Erwägungen und Überlegungen, die Sie in beiden Zusatzfragen angesprochen haben, bei der Überprüfung des gesamten Sachverhalts und damit bei der Entscheidung berücksichtigt werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Hauser ({0}) auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 101 des Abgeordneten Hauser ({1}). Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragen 102 und 103 des Abgeordneten Dr. Wernitz werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 104 des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 105 des Herrn Abgeordneten Dr. Mende auf: Ist es wahr, daß auf der Genfer Wellenkonferenz Anfang Oktober d. J. die Bundesrepublik Deutschland durch Entzug von Frequenzen und Reduzierung von Sendestärken ihrer Rundfunkstationen technisch benachteiligt werden soll, und von welchen Ländern liegen derartige Anträge vor?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Ich darf auch in diesem Falle darum bitten, wenn der Abgeordnete Dr. Mende damit einverstanden ist, beide Fragen zusammen zu beantworten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 106 des Herrn Abgeordneten Dr. Mende auf: Ist es wahr, daß die DDR mit Unterstützung der kommunistischen Staaten die Frequenz des RIAS Berlin fordert und ferner die Senderkapazitäten der DDR auf Kosten der Bundesrepublik Deutschland erheblich verstärkt werden sollen, und würde ein solches Verhalten den im Grundlagenvertrag vereinbarten „gutnachbarlichen Beziehungen" entsprechen?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Die zur Genfer Wellenkonferenz von den beteiligten Verwaltungen bei der Internationalen Fernmeldeunion eingereichten Frequenzanforderungen lassen erkennen, daß in einer Vielzahl von Fällen Überschneidungen der Frequenzwünsche auftreten. Gezielte Anträge anderer Verwaltungen, die einen Entzug von Frequenzen oder eine Reduzierung von Senderleistungen bei den Anmeldungen der Deutschen Bundespost fordern, liegen nicht vor. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, Herr Kollege Dr. Mende, daß die Verhandlungen im nächsten Monat auf einer internationalen Konferenz stattfinden. Wir sollten, sowohl was die Ansprüche anderer Staaten als auch was unsere eigenen Interessen angeht, unsere Verhandlungsposition nicht vorweg festlegen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Dr. Erich Mende (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001467, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kann die Bundesregierung also dem Deutschen Bundestag mitteilen, daß nach ihrer Überzeugung eine Verschlechterung der rundfunkpolitischen Lage, besonders auch in Westberlin, nach dieser Genfer Konferenz nicht eintreten dürfte?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Herr Kollege Dr. Mende, der Bundesregierung sind natürlich beabsichtigte Veränderungen bei den Rundfunksendern der DDR im Zusammenhang mit den Frequenzanforderungen der DDR zur bevorstehenden Lang-Mittelwellen-Konferenz bekanntgeworden. Außerdem liegen Informationen vor, nach denen die DDR die Zuteilung von bisher nicht von ihr genutzten Frequenzen sowie die Erhöhung von Sendeleistungen bestehender Sender angemeldet hat. Eine Verwirklichung dieser Anmeldungen würde auf Grund der geographischen Lage eine erhebliche Beeinträchtigung verschiedener Sender in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin ({0}), darunter auch RIAS Berlin, mit sich bringen. Die Bundesregierung wird aber alle Möglichkeiten ausschöpfen, um derartige Beeinträchtigungen in den genannten Bereichen während der Verhandlungen zu vermeiden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zusatzfrage.

Dr. Erich Mende (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001467, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist die Bundesregierung auch bereit, das Weiterbestehen von „Radio Europa" in München und „Radio Liberty" mit allen Kräften zu unterstützen und gegebenenfalls von der amerikanischen Regierung eingesparte Mittel angesichts der europäischen Aufgaben dieser beiden Sender durch die Europäische Gemeinschaft erstatten zu lassen?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Herr Kollege, darüber gibt es seit längerem Gespräche. Ich bitte aber, vor Beginn dieser Konferenz nicht Fragen beantwortet haben zu wollen, deren Beantwortung letztlich auch den Konferenzverlauf - hinsichtlich des taktischen Vorgehens - beeinflussen könnten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zunächst eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, stehen nicht die hohen Frequenzforderungen aus Richtung DDR im Widerspruch zum Geist und zum Inhalt des Grundvertrages, durch den es doch zu einem Modus vivendi gekommen ist?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Wenn Sie vergleichen, welche Frequenzanforderungen auch andere Länder gestellt haben, wird klar, daß sich das im Grunde erst feststellen läßt, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind, aber nicht heute, Herr Kollege.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist denn nach Auffassung der Bundesregierung für die DDR ein echter Bedarf für solche von ihr angeforderten Frequenzen gegeben, mit deren Nutzung sie Sender in der Bundesrepublik oder den RIAS beeinträchtigen würde?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Alle Frequenzanforderungen werden auf dieser internationalen Konferenz erörtert und geprüft. Wir maßen uns jetzt nicht an, Berechtigung oder Nichtberechtigung von Einzelwünschen auch anderer Partnerstaaten hier vorab zu be- oder verurteilen, sondern wir werden versuchen, unsere Positionen und Wünsche in Vorgesprächen mit unseren Nachbarstaaten mit deren Vorstellungen in Übereinstimmung zu bringen und zu günstigen Ergebnissen zu kommen, Herr Kollege.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.

Otto Fircks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist nach Ihren Erkenntnissen auch deutlich geworden, ob alle beteiligten Staaten bei der Konferenz nur nach rundfunktechnischen Gesichtspunkten entscheiden werden, oder steht zu befürchten, daß politische Blockbildungen schließlich für die Unterstützung oder Ablehnung von Anträgen entscheidend sein werden?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Nach den Erfahrungen der ersten Sitzungsperiode ist davon auszugehen, daß überwiegend sachliche Gesichtspunkte bei der Entscheidung eine Rolle spielen werden, Herr Kollege. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, könnten Sie mir bestätigen, daß es für den Konferenzablauf ohne jeden Belang wäre, wenn Sie hier erklärten, ob die DDR weitere Frequenzen benötigt oder nicht?

Ernst Haar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000760

Ich kann hier feststellen, daß sich die Bundesrepublik bei ihren Frequenzanforderungen an ihrem Bedarf orientiert hat. Es kann wohl unterstellt werden, daß die DDR ihre Anforderungen nach ihrem Bedarf für ihre Entwicklung - wie sie sie beurteilt - bemessen hat. Das muß aber letztlich den Verhandlungen überlassen bleiben, Herr Kollege.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Dann sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haar, beantwortet. Ich danke Ihnen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarischer Staatssekretär Schlei zur Verfügung. Ich rufe die Frage 110 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf: Vizepräsident Frau Funcke Ist der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Hamburger PRO Verbraucher AG, Dieter Blötz, identisch mit dem Vizepräsidenten des Bundesnachrichtendienstes, und hat gegebenenfalls die Bundesregierung dem Beamten Blötz die Genehmigung zur Ausübung dieses Amtes erteilt?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Reddemann, die Personenidentität besteht. Das ist der erste Teil Ihrer Frage. Zum zweiten Teil: Die erforderliche Nebentätigkeitsgenehmigung wurde erteilt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zusatzfrage.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie kommt es, daß die Bundesregierung eine derartige Genehmigung für den Vizepräsidenten des Bundesnachrichtendienstes erteilt hat?

Marie Schlei (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001979

Das ist deshalb geschehen, weil es den beamtenrechtlichen Bestimmungen entspricht. Eine Versagung wäre nur mit der Begründung möglich, daß die Nebentätigkeit nicht mit dem Amt des Betroffenen vereinbar ist.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zusatzfrage.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, muß nicht, da im Nachrichtendienstwesen immerhin Scheinfirmen und ähnliches von Nachrichtendiensten aufgebaut werden, die Gesellschaft, bei der Herr Blötz nun plötzlich Aufsichtsratsvorsitzender ist, befürchten, ({0}) in der Öffentlichkeit und auch außerhalb der Bundesrepublik Gefahren für sich sehen, da man befürchten könnte, daß diese Firma zu einer Tarnfirma des Nachrichtendienstes wird?

Marie Schlei (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001979

Herr Kollege, Ihre Befürchtungen werden nicht geteilt, weder vom zuständigen Vorgesetzten noch vom Chef des Bundeskanzleramtes und auch nicht vom Präsidenten des Bundesrechnungshofes. Noch in diesem Jahr wurde dort eine Routineüberprüfung vorgenommen, und es wurde nichts an der Genehmigung geändert.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, gehen Sie davon aus, daß derartige Nebentätigkeiten dem Auftrag und den Aufgaben von Angehörigen des Nachrichtendienstes dienen?

Marie Schlei (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001979

Die Angehörigen des Nachrichtendienstes dürfen nicht gegenüber anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes durch eine schlechtere Rechtsstellung diskriminiert werden. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weitere Zusatzfrage. Die Fragen 111 und 112 werden auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Parlamentarische Staatssekretärin. Zur Beantwortung steht jetzt Herr Staatssekretär Bölling zur Verfügung. Ich rufe die Frage 113 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf: Welche Gründe waren für die Bundesregierung maßgebend, die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit im Ausland in den letzten Jahren zu vermindern, sei es direkt durch geringeren Haushaltsansatz, sei es indirekt durch unterlassene Anhebung trotz der gegenwärtigen Inflationsraten, während gleichzeitig für die Öffentlichkeitsarbeit im Innern die Ausgaben laufend erhöht worden sind?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter Dr. Hupka, es trifft zu, daß die Ausgaben der Bundesregierung für die Öffentlichkeitsarbeit Inland, und zwar alle Ressorts zusammengenommen, in den letzten Jahren stärker gestiegen sind als - wie Sie in Ihrer Fragestellung angedeutet haben - die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit Ausland. Die Steigerungsrate für 1972 bis 1975 beträgt für den Inlandsbereich 18,9 %, für den Auslandsbereich 2,5 %. Der Titel „Öffentlichkeitsarbeit Inland" des Presse- und Informationsamtes, für sich allein genommen, ist in diesem Zeitraum von 1972 bis 1975 um lediglich 1,1 Millionen DM gestiegen. Zugleich ist der Titel „Zur Verfügung des Bundeskanzlers zur Förderung des Informationswesens" um rund 550 000 DM verringert worden. Die Erhöhung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit Inland war notwendig, um die Bürger über wesentliche Veränderungen zu unterrichten, die ihre persönlichen Verhältnisse betrafen. So sind Veröffentlichungen für die Verbraucher, für die Mieter, für die Kindergeldberechtigten, für Jugendliche und Frauen - um nur einige Bereiche zu nennen - in hoher Auflage gedruckt und verteilt worden im Sinne eben dieser konkreten, breit gefächerten Information. Was die Öffentlichkeitsarbeit Ausland anbetrifft, Herr Abgeordneter, hat die Bundesregierung dem Haushaltsausschuß, wie Ihnen bekannt ist, kürzlich einen umfassenden Bericht vorgelegt, der eine Bestandsaufnahme und eine Gesamtkonzeption für alle Bereiche der Auslandsarbeit, die der politischen Öffentlichkeitsarbeit zuzurechnen und vom Bundespresseamt zu verantworten sind, enthält. Daraus ergibt sich, daß trotz mancher Ihnen bekannter finanzieller Schwierigkeiten durch Rationalisierung und durch Konzentration von Maßnahmen schwerwiegende Einbußen bei dieser Arbeit vermieden werden konnten. Der Soll-Ansatz 1975 beträgt 70,3 Millionen DM gegenüber den IstAusgaben von 67,3 Millionen DM im vorigen Jahr.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es steht doch wohl fest, daß im Jahre 1975 - auch laut Auskunft der Bundesregierung - die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit im Ausland um 6 % vermindert worden sind.

Not found (Staatssekretär:in)

Ja, das trifft zu, Herr Abgeordneter Dr. Hupka. Aber dies war eine allgemeine Kürzung, und wir haben, wie ich in meiner Antwort auf Ihre eigentliche Frage schon gesagt habe, durch eine Konzentration und Straffung erfolgreich, wie ich glaube, zu verhindern verstanden, daß an den wirklich neuralgischen Punkten unserer Öffentlichkeitsarbeit im Ausland qualitativ, also in der Substanz, irgend etwas negativ verändert werden mußte.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich unterstelle, daß Sie bereit sind, zu konzentrieren um zu straffen, um das verbal auszudrücken. Warum haben Sie dann nur bezüglich der Auslandsaufklärung konzentriert und gestrafft und nicht gleichzeitig bei der innenpolitischen Aufklärung diese Tätigkeit angesetzt? Denn dann wäre es ja nicht notwendig gewesen, gerade für die Inlandsaufklärung die Beträge höher anzusetzen.

Not found (Staatssekretär:in)

Der Inlandstitel, Herr Abgeordneter Dr. Hupka, des Bundespresse- und Informationsamtes ist, wenn Sie ihn in Relation zu den Mitteln setzen, die wir nach wie vor für die Öffentlichkeitsarbeit Ausland einsetzen, ohnehin so schmal, daß wir Mühe haben, solche konkreten Informationsprojekte aus diesem Titel zu finanzieren, die im Interesse des Durchsichtigmachens verschiedener Regierungsprogramme notwendig sind.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist nicht auch festzustellen, daß seit dem Auftreten der DDR vor einem breiten Weltforum, das ja seit dem Jahre 1973 stattfindet, in dem im wesentlichen überall diplomatische Beziehungen aufgenommen worden sind, ein stärkeres Erfordernis für die Bundesregierung besteht, gegenüber den von dort ausgehenden Propagandakampagnen unsere politische Haltung in der Welt besser zu verdeutlichen, und wäre nicht deshalb eigentlich zu erwarten gewesen, daß auch die Informationstätigkeit im Ausland stärker forciert wird?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter Jäger, das wäre sicherlich notwendig, wenn die Ihrer Frage zugrunde liegende Vermutung durch Tatsachen zu belegen wäre. Ich habe mich nicht zuletzt deshalb, weil ich Berliner bin, dieser Thematik schon zu Beginn meiner Tätigkeit besonders intensiv angenommen und dabei festgestellt, daß die hier und da verbreitete Vorstellung nicht zutreffend ist, daß die DDR mit großen Mitteln und großer Intensität dort, wo wir vielleicht finanziell nicht genügend präsent sein konnten, uns Gelände abgenommen hat; dies trifft nicht zu. Wir können im Gegenteil nachweisen, Herr Abgeordneter, daß z. B. in Südamerika, wo die DDR mit Mitteln, die sehr begrenzt zu sein scheinen, Versuche gemacht hat, ihr Deutschlandbild an das Publikum zu bringen, die Resonanz solcher propagandistischen Bemühungen gleich Null gewesen ist. Zum andern haben unsere Untersuchungen, die durch die deutschen Botschaften vorgenommen worden sind, ergeben, daß auch die andere Vorstellung nicht zutrifft, daß die DDR schier unbegrenzte Mittel für ihre Propagandaarbeit einsetzen und dadurch unsere Öffentlichkeitsarbeit erfolgreich konterkarieren kann. Das trifft nicht zu. Wo immer die DDR propagandistische Bemühungen macht, haben wir ein klares Prä. Im übrigen halten wir, womit Sie vielleicht einverstanden sein werden, an dem Stil fest, unser Deutschlandbild in einer sachlichen, auf jederlei Propaganda verzichtenden Manier weiterzuverbreiten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage? - Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär Bölling. Ich rufe nun die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung. Ich rufe die Frage 114 des Herrn Abgeordneten Gierenstein auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im i Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 115 des Herrn Abgeordneten Franz auf. Der Herr Abgeordnete Franz ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 116 des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann auf. Der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann ist auch nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, die Frage 117 des Herrn Abgeordneten Gierenstein ebenfalls. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Sauer auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Regierung der Volksrepublik Polen durch einen Geheimerlaß angeordnet hat, daß aussiedlungwillige Familien nicht mehr ausreisen dürfen, wenn sie durch die „illegale" Ausreise eines Mitglieds getrennt worden sind, und was gedenkt die Bundesregierung gegen diese Maßnahme, die gegen Wortlaut und Geist der Absichtserklärung der KSZE verstößt, zu unternehmen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat die in der Frage wiedergegebene Behauptung überprüft. Sie konnte keinerlei Anhaltspunkte für ihre Richtigkeit finden, d. h., die Bundesregierung hält auch auf Grund ihrer Gespräche mit der polnischen Seite Behauptungen über einen angeblichen Geheimerlaß des erwähnten Inhalts nicht für zutreffend. Sollte es in einzelnen Fällen zu Schwierigkeiten kommen, bitte ich, das Auswärtige Amt zu unterrichten, damit wir diesen Dingen nachgehen können.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie groß ist die Zahl der Personen, die eine Urlaubsreise in die Bundesrepublik Deutschland dazu benutzt haben, endgültig hierzubleiben, und nun bemüht sind, auf dem Wege der Familienzusammenführung ihre Familien aus den Oder-Neiße-Gebieten in die Bundesrepublik Deutschland herüberzuholen?

Not found (Gast)

Ich werde das gern prüfen und Ihnen die Zahl mitteilen. Ich habe sie nicht gegenwärtig, weil das nicht im Zusammenhang mit der Frage steht.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, würden Sie mir darin recht geben, daß bisher die Praxis so gewesen ist, daß gerade diese Anträge auf Jahre hinaus verzögert worden sind?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, Sie haben nach einem Geheimerlaß gefragt. ({0}) - Nein, ich streite sie nicht ab, sondern den gibt es nicht. Daß es hier Schwierigkeiten gegeben hat, haben wir in der Fragestunde wiederholt dargestellt. Ich möchte Sie bitten, Herr Abgeordneter, damit einverstanden zu sein, daß wir das Gesamtthema, das im Bundestag demnächst anstehen wird, nach Unterzeichnung der entsprechenden Vereinbarungen behandeln.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wollen Sie sich nicht in Ihrem eigenen Hause sachkundig darüber machen, daß die Folgen des vom Kollegen Sauer erwähnten Erlasses vom Auswärtigen Amt in zahlreichen amtlichen Schreiben gegenüber Mitgliedern dieses Hauses festgestellt worden sind? Diese Schreiben besagen, daß die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei jeder Intervention zugunsten dieses Personenkreises, also getrennte Ehegatten, unmündige Kinder usw., leider zurückgewiesen wird und derzeit in dieser Sache nichts unternehmen kann. ({0})

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, Sie sprechen von einem Erlaß, von dem ich Ihnen soeben, und zwar auf Grund einer Frage des Abgeordneten Sauer, gesagt habe, daß er nicht existiert. Daß es bei der Familienzusammenführung dann, wenn ein Familienmitglied ohne polnische Ausreisegenehmigung in der Bundesrepublik Deutschland geblieben ist, Schwierigkeiten gibt, ist wiederholt dargelegt worden. Nur, das hat mit diesem angeblichen Geheimerlaß nichts zu tun. Im Gegenteil, ich muß Ihnen sagen, daß durch die Frage und ihre Veröffentlichung eine Fülle von Personen eine falsche Vorstellung bekommen haben, in Unruhe versetzt worden sind und beim Auswärtigen Amt angefragt haben. Wir bedauern, daß hier ein falscher Eindruck entstehen konnte, der zu einer solchen Unruhe geführt hat. Ich hätte es begrüßt, wenn der Tatbestand, der von unserer Vertretung in Warschau aufgeklärt werden konnte, vor einer solchen Veröffentlichung erörtert worden wäre. Ich glaube, das wäre im Sinne der Betroffenen gewesen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, wenn ich sage, daß es längst vor dieser Frage eine sehr starke Beunruhigung in Kreisen der Betroffenen gegeben hat, weil offenbar, wenn es schon keinen Geheimerlaß gibt, zumindest eine einheitliche Praxis der polnischen Behörden den Betroffenen gegenüber besteht?

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Herr Abgeordneter, es ist unbestritten, daß die polnischen Behörden Ausreisegenehmigungen oft nicht erteilt haben, wenn ein Familienmitglied, meistens der Ehemann, in der Bundesrepublik Deutschland verblieben war. Aber ich möchte das Thema doch auf die Diskussion verweisen, die hier noch zu führen sein wird, nämlich daß gerade die Vereinbarungen, die in der Frage angeschnitten worden sind, dazu dienen sollen, daß dies eben künftig im Sinne der Betroffenen geregelt werden kann.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, können Sie, um an diese letzte Äußerung anzuknüpfen, dem Bundestag versichern, daß diese Frage im Rahmen des Protokolls, das zwischen der Bundesregierung und der polnischen Regierung über die Ausreise weiterer Deutscher aus Polen abgeschlossen worden ist, konkret ausgeräumt und erreicht werden konnte, daß die polnische Regierung künftig in diesen längst bekannten Fällen, wie Sie sagten, den Betroffenen keine Schwierigkeiten mehr macht?

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Herr Abgeordneter, ich bin sicher, Sie stimmen mir zu, wenn ich sage: Wir können eine Vereinbarung erst dann behandeln, wenn sie unterschrieben ist. Sie ist noch nicht unterschrieben. Ich kann Ihnen aber sagen, daß diese Frage beim Abschluß der Vereinbarung in Helsinki Gesprächsgegenstand war und dort eine Rolle gespielt hat.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Vizepräsident Frau Funcke Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Conradi auf: Trifft es zu, daß die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland hinter dem Standard der UN-Rassendiskriminierungskonvention von 1965 zurückbleibt, in der sich die Vertragspartner, darunter die Bundesrepublik Deutschland, verpflichtet haben, alle Formen der Rassendiskriminierung zu verbieten und zu beseitigen, insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu Hotels, Gaststätten, Theater usw. und das Recht auf eine Wohnung?

Not found (Gast)

Die Antwort lautet nein.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage, Herr Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, trifft es zu, daß nach geltendem Recht private Gastwirte, Hoteliers, Kinobesitzer und Hausbesitzer keinem Kontrahierungszwang unterliegen, d. h. den Abschluß eines Vertrages allein wegen der Rasse oder Hautfarbe eines Kunden verweigern dürfen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, das ist eine Frage, die sich durch einen Blick in das Gesetzbuch relativ leicht klären läßt. Worum es hier geht - und das war Ihre Frage -, ist, ob wir innerdeutsche rechtliche Regelungen zur Ausfüllung einer internationalen Konvention treffen mußten. Diese Frage habe ich mit Nein beantwortet, und sie ist auch von dem Berichterstatter in dieser Frage, von Ihrem früheren Kollegen Sänger, im Bundestag entsprechend beantwortet worden. Wir haben dreimal dem UN-Ausschuß für die Beseitigung der Rassendiskriminierung berichtet. Die Darstellung unseres Rechts auf diesem Gebiet ist dort als befriedigend anerkannt worden. Was rechtlich unter die Rubrik „Störung der öffentlichen Ordnung" gefaßt werden kann, ist sicher eine Entscheidung, die Gerichten obliegt. Es geht hier nicht um eine zusätzliche Gesetzgebung, sondern um Entscheidungen von Gerichten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, halten Sie angesichts der Tatsache, daß Fälle vorliegen, in denen Gaststätten wegen der Hautfarbe die Bewirtung von Gästen verweigert haben, Gerichte dieses für Rechtens erklärt haben und Stadtverwaltungen solches nicht abstellen können, Ihre Auffassung aufrecht, daß unser geltendes Recht dem Standard, den Forderungen dieser Anti-Rassendiskriminierungskonvention entspricht?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, meine Antwort bezieht sich, wie Sie verstehen werden, auf die Unterlagen der Justizbehörden. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, Ihre Frage so zu stellen, daß die Justiz sie beantwortet. Die konkrete Rechtsanwendung ist übrigens im wesentlichen eine Sache der Länderjustiz. Außerdem würde das Verfassungsgericht Beschwerden nachprüfen, wenn der Beschwerdeführer vorbringt, daß der Grundgesetzartikel 3 oder eine internationale Konvention verletzt worden sind. Wenn Sie im übrigen der Meinung sind, daß unsere Gesetze einer Ergänzung bedürften, haben Sie jederzeit Initiativrecht im Bundestag.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 120 des Herrn Abgeordneten Conradi auf: Welche gesetzgeberischen Maßnahmen plant die Bundesregierung, die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland endlich dem Standard der UN-Rassendiskriminierungskonvention von 1965 anzupassen?

Not found (Gast)

Aus meiner Antwort auf die vorhergehende Frage ergibt sich, daß zusätzliche gesetzgeberische Maßnahmen - ich habe das schon betont - im Zusammenhang mit dem internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung nicht erforderlich sind.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Trifft es zu, Herr Staatsminister, daß andere Vertragspartner dieser UN-Rassendiskriminierungskonvention von 1965 ihre Verpflichtungen ernst genommen haben und diese Verpflichtungen in konkrete innerstaatliche gesetzliche Normen umgeformt haben - beispielsweise England 1968 und Frankreich 1972 - und daß solche konkrete innerstaatliche Normen bei uns fehlen?

Not found (Gast)

Das letztere trifft nicht zu. Wir haben eine andere Rechtsgeschichte als die von Ihnen angeführten Staaten. Bei uns war nach übereinstimmender Meinung des Bundestages und vor allem des damaligen Berichterstatters eine solche Ausfüllung nicht notwendig. Man kann nur Vergleichbares vergleichen. Daß die Bundesrepublik Deutschland in dieser Frage ein vorbildliches Verfassungsrecht hat, das die Grundrechte an den Anfang stellt, ist unbestritten. Daß andere Staaten auf Grund ihrer Tradition - sie haben nicht so oft Verfassungen verabschieden müssen wie wir - eine andere Rechtsordnung haben, ist ebenfalls unbestritten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wollen Sie, Herr Staatsminister, mit Ihrem Hinweis auf unser vorbildliches Verfassungsrecht sagen, daß dem einzelnen Betroffenen aus diesem Grundgesetzartikel 3 gegenüber einem Wirt, der seiner Bewirtungspflicht nicht nachkommt, ein Rechtstitel entsteht?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, in der Tat ist es so, daß unsere Grundrechte unmittelbar wirksames Recht sind. Das können Sie auch in jedem Verfassungsgerichtsurteil in dieser Beziehung nachlesen. Da es Gerichte gibt, die vielleicht nicht in dem Sinne entscheiden, wie Sie das wünschen, gibt es höhere Instanzen, und die höchste in Fragen der Grundrechte ist das Bundesverfassungsgericht. In der Tat gibt es in solchen Fragen natürlich immer ein Prozeßrisiko - das wissen Sie -, sonst bräuchte man nicht so viele Instanzen bei Gericht zu haben. Aber daß der Art. 3 des Grundgesetzes bei der Rechtsprechung heranzuziehen und in diesem Falle unmittelbar geltendes Recht ist, ist nach meiner Auffassung, die allerdings nicht auf dem zweiten juristischen Staatsexamen beruht - das will ich hier hinzufügen -, überhaupt nicht bestritten; aber hier sitzt bei Ihnen ein sachkundiger Kollege, der Ihnen das sicher im einzelnen auseinandersetzen kann.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, könnten Sie zur Beruhigung des Kollegen Conradi beitragen, indem Sie sagen, daß sich das Problem der Rassendiskriminierung bei uns schon deshalb nicht so stellen kann, weil in der Bundesrepublik gerade Lokale von Ausländern, etwa Chinesen, besonders stark frequentiert werden?

Not found (Gast)

Herr Gerster, Sie sprechen natürlich als ein Mitglied des Bundestags, das aus Rheinland-Pfalz kommt. Herr Conradi hat durchaus konkrete Fälle in Stuttgart im Auge, die mir bekannt sind. Da er Vorsitzender seiner Partei in Stuttgart ist und dort eine sehr starke Stadtratsfraktion der SPD besteht, bin ich sicher, daß diese Frage wie bisher in befriedigender Weise im Sinne der Nichtrassendiskriminierung geregelt werden kann. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Die Frage 121 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz ({0}) soll auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 122 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf: Hält sich die Bundesregierung - nicht zuletzt auch wegen des Grundvertragsurteils und nachdem die DDR beim Beitritt zum Übereinkommen über die politischen Redite der Frau nicht nur von einigen westlichen Staaten nicht anerkannte Vorbehalte machte ({1}), sondern auch gegenüber dem UN-Generalsekretär die Geltung des Abkommens für West-Berlin durch eine entsprechende Erklärung der Bundesregierung für rechtsunwirksam bezeichnete - für verplichtet, in Zukunft das Inkrafttreten von Kollektivverträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Staaten zu verhindern, welche den Beitritt für West-Berlin nicht anerkennen?

Not found (Gast)

Die von der Bundesregierung beim Abschluß oder Beitritt zu multilateralen Übereinkommen abgegebene Erklärung über die Geltung des Übereinkommens auch für Berlin beruht auf der Ermächtigung zur Außenvertretung Berlins, die der Bundesrepublik Deutschland von den drei verbündeten Mächten erteilt worden ist. Die Wirksamkeit einer BerlinErklärung ist nicht von der Zustimmung der anderen Vertragsparteien abhängig; derartige Erklärungen haben völkerrechtlich nicht den Charakter von Vorbehalten. Dementsprechend besteht für die Bundesdesregierung auch keine Notwendigkeit im Rahmen eines multilateralen Übereinkommens, vertragliche Beziehungen zu solchen Staaten abzulehnen, die im Einzelfall die Wirksamkeit der Einbeziehung Berlins bestritten haben. Soweit die DDR und osteuropäische Staaten dahin gehende Erklärungen abgegeben haben, ist die Bundesrepublik Deutschland diesen Erklärungen vielmehr zusammen mit den drei alliierten Mächten regelmäßig entgegengetreten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage, Herr Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage war ja für die Zukunft gestellt. Ich fragte Sie, ob in Zukunft das Inkrafttreten von Kollektivverträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Staaten verhindert werden wird, welche den Beitritt für West-Berlin nicht anerkennen.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, für die Bundesregierung ist Berlin in Übereinkommen, zu denen eine Berlin-Erklärung abgegeben worden ist, wirksam einbezogen. Dies gilt gegenüber allen Staaten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe, Herr Staatsminister, gefragt, ob in Zukunft, wenn von Partnern von Kollektivverträgen entgegengesetzte Erklärungen abgegeben werden, die Bundesregierung diese nach dem Grundsatz „Wer sich verschweigt, scheint zuzustimmen" zurückweisen wird.

Not found (Gast)

Ich glaubte, ich hätte dies in meiner ersten Antwort schon eindeutig dargelegt. Die Bundesregierung wird sicher alles tun, damit nichts zu ihrem Nachteil ausgelegt werden kann. Das hat sie bisher so gehalten. Ich sehe keinen Grund, es in der Zukunft anders zu halten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß das Verhalten der DDR im Falle dieser multilateralen Konvention die Befürchtungen bestätigt, die wir seinerzeit beim Abschluß des Grundvertrages geltend gemacht haben, wo wir beanstandeten, daß unser Vertretungsrecht für West-Berlin nicht durch einen ausdrücklichen Vertragsbestandteil in das Grundverhältnis zwischen der DDR und uns einbezogen worden ist?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich teile die Meinung, die Sie hier in Frageform geäußert haben, nicht. Ich meine, ich habe den Sachverhalt selbst hier dargelegt. Wir sollten nicht Dinge zusammenbringen, die so nicht zusammengehören.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 123 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf: Hat die Bundesregierung die Absicht, bei der Unterzeichnung des Protokolls über humanitäre Fragen mit der Volksrepublik Polen im Sinne zwingenden Verfassungs- und Völkerrechts - nicht zuletzt aber um sich an keiner Minderung der Rechtspositionen Deutscher zu beteiligen und sich die Rechtsgrundlage für die Erfüllung ihrer grundgesetzlichen Pflicht zum vollen diplomatisch-konsularischen Schutz für sie zu wahren - die unter mittelbarem oder unmittelbarem Zwang in einer großen Zahl von Fällen erfolgte Verleihung" der Staatsangehörigkeit der Verwaltungsmacht an deutsche Staatsangehörige anzufechten und zu erklären, daß sie die faktische Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit dieser Personen während ihres Aufenthalts in den Oder-Neiße-Gebieten rechtlich nicht anerkennen kann ({0}) und als unwirksam betrachte?

Not found (Gast)

Der Rechtsstandpunkt der Bundesregierung zur Staatsangehörigkeit der in Polen lebenden Deutschen ist der polnischen Regierung durch wiederholte Stellungnahmen und Demarchen seitens der Bundesrepublik Deutschland hinreichend bekannt. Eine erneute Klarstellung anläßlich der Unterzeichnung des Ausreiseprotokolls ist deshalb nicht beabsichtigt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß sie auch nicht durch stillschweigende Übereinkunft die Minderung der Rechtspositionen Deutscher während ihres Aufenthaltes in den Oder-Neiße-Gebieten hinnehmen darf, sondern nach Staatenpraxis und Rechtslehre völkerrechtlich verpflichtet ist, alle deutschen Staatsangehörigen vor fremder Willkür und selbst vor zeitweiser Aberkennung der Rechtsposition als deutscher Staatsangehöriger zu schützen?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß das, was sie zur Klärung im Sinne unserer Rechtsauffassung getan hat, notwendig ist. Sie wird auch künftig das Notwendige tun.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Weitere Zusatzfragen.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, müssen Sie nicht zugeben, daß das bisherige Fehlen der ausdrücklichen Anfechtung der Zwangsverleihung der polnischen Staatsangehörigkeit an Deutsche seitens der zuständigen deutschen Behörden dazu geführt hat, daß die Volksrepublik Polen der Bundesrepublik Deutschland die Erfüllung ihrer Schutzpflicht im diplomatisch-konsularischen Schutz für die Deutschen konstant versagt hat?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, der Gesamtfragenkomplex ist so umfassend, daß ich nicht in der Lage bin, diesen Komplex jetzt auf eine solche Frage hin, die in Wirklichkeit einen Kommentar enthält, im einzelnen darzulegen. Aber ich teile im Kern Ihre Meinung nicht, weil sie von Voraussetzungen ausgeht, die erst noch zu beschreiben wären und die nicht als so gegeben hingenommen werden können, wie Sie sie in der Frage dargestellt haben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Arndt.

Prof. Dr. Claus Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000048, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß das allgemeine Völkerrecht unbestrittenermaßen in Ost und West jedem Staat das alleinige Recht einräumt, über seine Staatsangehörigkeit zu befinden, so daß die Volksrepublik Polen nicht in der Lage ist, die deutsche Staatsangehörigkeit eines deutschen Staatsangehörigen in irgendeiner Weise zu tangieren, und daß es daher erneuter Vorbehalte zur Wahrung dieses Rechts nicht bedarf, wie umgekehrt auch die Bundesrepublik Deutschland die Verleihung der polnischen Staatsangehörigkeit nach Völkerrecht nicht beeinflussen kann und darf.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich sagte vorhin schon in der Zusatzantwort, daß wir hier nicht in eine völkerrechtliche Grundsatzdiskussion eintreten können. Ich meine, daß das, was der Deutsche Bundestag in seinem Bericht zu dem Vertrag gesagt hat, auf Punkt und Komma genau die Sachlage trifft und daß wir in der Fragestunde nicht bestimmte Tatsachen aus der Welt schaffen können, die im Völkerrecht entweder geklärt oder aber in der politisch Materie selbst zwischen Staaten strittig sind.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Sauer.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, könnten Sie mir sagen, welche Kosten den nach hier ausgesiedelten Deutschen entstehen, denen nach 1945 in den Oder-Neiße-Gebieten die polnische Staatsangehörigkeit oktroyiert worden ist, um hier erneut die deutsche Staatsbürgerschaft - Pässe, Namensänderung usw. - offiziell zuerkannt zu bekommen? ({0})

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen das nicht beantworten; das steht auch nicht gerade in engem Zusammenhang mit der Frage. Aber ich kann Ihnen sagen, daß, wenn ich mich nicht sehr täusche, im Haushalt des Bundes Summen eingesetzt sind, die eine Belastung solcher Bürger ausschließen und sie, wenn sie entsteht, auf die Allgemeinheit umlegen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Freiherr von Fircks.

Otto Fircks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sehen Sie es im gegenwärtigen Zeitpunkt als völlig hoffnungslos an, diese politisch kontroverse Frage zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen im Verhandlungswege einer Klärung zuzuführen, die der Schutzpflicht der Bundesrepublik genügt und dem Interesse der Menschen entgegenkommt?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich glaube, daß die gegenseitigen Standpunkte, die Ihnen ja bekannt sind, eine Antwort auf Ihre Frage geben. Ich habe nicht den Eindruck, daß es eine Möglichkeit gibt, in diesem Falle prinzipielle Standpunkte einander anzunähern. Wenn es die gegeben hätte, wäre eine entsprechende Vereinbarung möglich gewesen. Ich glaube, daß sich viele um solche Möglichkeiten bemüht haben, daß aber niemand sie realisieren konnte. Darum ging es ja um eine Politik, Herr Abgeordneter - da bitte ich auch um Ihre Unterstützung -, die es eben unabhängig davon, daß es hier sehr verschiedene Ausgangspunkte und Standpunkte gibt, möglich macht, den betroffenen Menschen zu helfen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Schweitzer.

Prof. Dr. Carl Christoph Schweitzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, darf ich Ihren Antworten auf die Fragen der Kollegen von der Opposition entnehmen, daß Sie meine Auffassung teilen, daß die Erörterung dieses sehr diffizilen Fragenkomplexes besser im Rahmen des Auswärtigen Ausschusses vorgenommen wird und hier beim gegenwärtigen Zeitpunkt auch nationale Interessen auf dem Spiel stehen? (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Dem fällt auch nichts Neues ein! - Dr. Czaja ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Staatsminister, die Beurteilung ob solche Fragen gestellt werden sollten, steht weder den Regierungsvertretern noch dem amtierenden Präsidenten zu. Die Frage sollte nicht beantwortet werden. Ich rufe die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Gerster auf: Wie ist es mit den Schlußdokumenten der KSZE zu vereinbaren, wenn die Konsular-Abteilung der Botschaft der Volksrepublik Polen Anträge auf Erteilung von Einreisevisen in die VR Polen ohne Angabe von Gründen ablehnt, und damit den Kontakt zwischen Bekannten aus Polen und der Bundesrepublik Deutschland unterbindet?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, Statistiken beweisen, daß der Reiseverkehr mit Polen - hier insbesondere auch die Reisen zu Verwandtenbesuchen - in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. Insbesondere sind die Zahlen seit Unterzeichnung des Warschauer Vertrages im Jahre 1973 um ein Vielfaches höher als vor diesem Zeitpunkt. Dennoch bleibt es nicht aus, Herr Abgeordneter, daß hin und wieder ein Sichtvermerkantrag nicht genehmigt wird. Dies entspricht internationaler Gepflogenheit, ebenso wie die Tatsache, daß die Verweigerung eines Einreisevisums nicht begründet wird. Was die Verwirklichung der KSZE-Beschlüsse anlangt, so ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch zu früh, eine Beurteilung abzugeben. Das souveräne Recht jedes Staates, Visa ohne Begründung abzulehnen, ist durch die KSZE-Beschlüsse jedoch nicht berührt. Dies entspricht im übrigen - das muß ich hinzufügen - auch dem Interesse der Bundesregierung.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sind der Bundesregierung im einzelnen die Gründe bekannt, die die polnische Behörde zur Verweigerung der Einreise veranlassen?

Not found (Gast)

Nein, Herr Abgeordneter, das eben ist nicht der Fall. Umgekehrt geben auch wir Gründe nicht bekannt, wenn wir Sichtvermerke verweigern.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist denn der Bundesregierung bekannt, daß diese Anfrage immerhin dazu geführt hat, daß in den von mir zwar nicht namentlich genannten aber gemeinten Fällen eine neue Überprüfung offenbar mit dem Ziel durchgeführt wird, die Einreise zuzulassen, und würde es sich nicht deshalb empfehlen, doch noch eine Vereinbarung mit der polnischen Regierung treffen zu wollen, damit Willkürentscheidungen zukünftig vermieden werden?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich glaube, daß das, was Sie im letzten Halbsatz gesagt haben, sicherlich nicht ganz im Interesse der Betroffenen wäre. Wir haben in jedem uns bekanntgewordenen Fall, in dem ein solcher Antrag abgelehnt worden ist, selbstverständlich Gelegenheit - wie Sie das ja soeben dargestellt haben -, noch eine Überprüfung anzuregen. Ich verschweige nicht, daß es viele Fälle gegeben hat, in denen dies sehr erfolgreich gemacht worden ist. Viele Ihrer Kollegen wenden sich entweder an das Auswärtige Amt, oder die Betroffenen wenden sich selber an uns. Es bleibt aber dabei, daß es hier um Ermessensentscheidungen eines anderen Staates geht - wie umgekehrt auch bei uns. Ich darf nur daran erinnern, daß auch uns von anderer Seite der Vorwurf gemacht wird, daß unsere Visa-Erteilung zu schleppend vorangehe. Ich nehme an, Sie kennen Gründe - sie liegen in unserem Verfassungssystem -, die eben eine so zügige Behandlung gar nicht erlauben, wie es etwa in bestimmten osteuropäischen Staaten bei Anrägen von unserer Seite in der Tat möglich ist.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage? Die Frage 125 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beVizepräsident Frau Funcke antwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 126 ,des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf: Welche Kriterien waren für die Bundesregierung maßgebend, im deutsch-polnischen „Protokoll" über die Aussiedlung der Deutschen jenseits von Oder und Neiße im Laufe der nächsten vier Jahre einer Zahl von „etwa 120 000 bis 125 000 Personen" zuzustimmen, obwohl die Bundesregierung auf Grund der Unterlagen des Deutschen Roten Kreuzes weiß, daß für 280 000 Personen jenseits von Oder und Neiße Anträge auf Aussiedlung vorliegen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, in den Verhandlungen, die zur Einigung über das Ausreiseprotokoll führten, ging es der Bundesregierung darum, einer möglichst großen Zahl von Deutschen die Ausreise aus Polen zu ermöglichen. Die im Protokoll erwähnte Größenordnung ist das Maximum dessen, was zum gegenwärtigen Zeitpunkt erreichbar war. In Kenntnis der Tatsache, daß die Listen des Deutschen Roten Kreuzes eine höhere Zahl enthalten, legte die Bundesregierung Wert darauf, diesem Protokoll nicht den Charakter einer Abschlußlösung zu geben. Dies geschah in der Form einer Offenhaltensklausel, die auch über den im Protokoll angegebenen Zeitraum und die dort festgelegte Zahl hinaus die Möglichkeit zur Stellung von Ausreiseanträgen offenhält.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zusatzfrage!

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, es muß doch aber - Sie haben die Frage, glaube ich, nicht ganz richtig beantwortet - Kriterien gegeben haben, warum man sich deutscherseits darauf eingelassen hat, entsprechend der polnischen Vorstellung nur von 120 000 bis 125 000 auszugehen. Dem muß doch eine Überlegung zugrunde gelegen haben.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich habe den Eindruck, daß diese Frage bereits gestern in der Debatte erörtert worden ist. Ich bin sicher, daß nach der Unterzeichnung - sie ist ja noch nicht erfolgt - eine weitere Erörterung ' stattfinden wird. Ich möchte Sie auf diese Erörterung verweisen. ({0}) - Das ist ein Hinweis.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, darf ich Sie dann vielleicht daran erinnern, daß Sie selbst für die Bundesregierung am 12. Juni hier im Bundestag in der Fragestunde erklärt haben: Die Bundesregierung bemüht sich, allen Personen, auf die die Kriterien der „Information" zutreffen und die in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln wollen, die Ausreise zu ermöglichen. Darf ich daraus schließen, daß Ihre Bemühungen gescheitert sind?

Not found (Gast)

Sie dürfen das nicht. Ich muß Sie auf die Antwort verweisen - den Hinweis auf die Offenhaltungsklausel -, die ich eben gegeben habe.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist die Nennung der Zahl von 125 00 Deutschen in einem für eine zweiseitige Unterzeichnung vorgesehenen Protokoll mit dem im Grundgesetz verankerten grundrechtsähnlichen Rechtsanspruch der übrigen 150 000 Deutschen und mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, die Prüfung der Vereinbarung - und zwar der ganzen -, die ich hier ja nicht vorzutragen habe, wird erweisen, daß die Bundesregierung mit ihrer Auffassung, die Vereinbarung sei mit dem Grundgesetz vereinbar, nicht alleinsteht.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Sauer.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, angesichts der Tatsache, daß die Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten bisher Anträge stellen konnten - sogar 10-, 15-, 20- und 25mal, unter hohen Kosten -, frage ich Sie, ob die von Ihnen dargelegte Offenhaltung nicht sozusagen zu dünn und keineswegs ein Trost für die weiteren 150 000 Deutschen ist, die ausreisen möchten.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich glaube, es ist nicht die Aufgabe der Fragestunde, gegenseitig in Bewertungen einzutreten, wie Sie das von mir wünschen. Ich möchte in diesem Falle nur die umgekehrte Frage stellen dürfen, nämlich die, ob Sie glauben, daß eine Ablehnung dieser Möglichkeiten den Betroffenen geholfen hätte. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie erklären Sie die merkwürdige Diskrepanz zwischen Ihrer Aussage, daß mehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erreichbar gewesen sei, und der am Tage zuvor von der Volkrepublik Polen feierlich unterzeichneten KSZE-Erklärung, wonach auch die polnische Regierung die Grundrechte gemäß Prinzip VII achtet, zu denen doch, wie wir alle wissen, auch das Recht gehört, jedes Land, einschließlich des eigenen, jederzeit verlassen zu können? ({0})

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Herr Abgeordneter, ich werde auch auf Grund dieser Frage nicht geneigt sein, nun eine Debatte zu eröffnen. Eine Debatte können wir sicher zum geeigneten Zeitpunkt führen. Gestern war übrigens Gelegenheit dazu gegeben. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß der Reiz Ihrer Frage in der Verkürzung der Zitate lag.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe Frage 127 des Herrn Abgeordneten Dr. Stavenhagen auf: Treffen Meldungen zu, wonach die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion beabsichtigen, in einem zweiten Atomsperrvertrag festzulegen, daß Urananreicherung und Wiederaufbereitung ausgebrannter Brennelemente für friedliche Zwecke nur in multinationalen Anlagen erfolgen dürfen?

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Derartige Meldungen sind der Bundesregierung nicht bekannt. Sollten sie existieren, wären sie falsch. Richtig hingegen ist, daß die Überprüfungskonferenz zum NV-Vertrag festgestellt hat, daß regionale oder multinationale Brennstoffkreislaufzentren aus Gründen der Sicherheit und der Wirtschaftlichkeit vorteilhaft sein könnten. Diese Konferenz, an der alle 58 NV-Vertragsparteien beteiligt waren - rund die Hälfte davon sind Industriestaaten -, hat auch entsprechende Untersuchungen der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien begrüßt und die Organisation aufgefordert, die praktischen und organisatorischen Schwierigkeiten zu prüfen, die der Verwirklichung derartiger regionaler oder multinationaler Brennstoffkreislaufzentren noch entgegenstehen. Übrigens kann unsere Zusammenarbeit mit Großbritannien und den Niederlanden im Bereich der Anreicherungstechnologie nach dem Gasultrazentrifugenverfahren im Rahmen der regionalen und multinationalen Anreicherungsanlage als wohlfunktionierend gelten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß es keinerlei Bemühungen der USA und/oder der Sowjetunion gibt, durch vertragliche Regelungen zu verhindern, daß ein Geschäft analog dem Brasilien-Geschäft in Zukunft abgeschlossen wird?

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Herr Abgeordneter, ich habe Ihre Frage, wie ich glaube, bereits sehr ausführlich beantwortet. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß hier eine weitere Fortentwicklung internationalen Rechts ins Auge I gefaßt ist. Es wird Ihnen wohl ebenfalls nicht entgangen sein, daß die Abkommen, die wir bisher geschlossen haben, voll mit dem NV-Vertrag übereinstimmen und daß es immer die Politik der Bundesregierung war - übrigens auch die früherer Bundesregierungen -, für die volle Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie auf diesem Gebiet zu sorgen, ohne deswegen irgendwelche Sicherheitsprobleme in der Welt zu vernachlässigen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 128 des Herrn Abgeordneten Dr. Stavenhagen auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Konsequenzen eines solchen Vertrages für die Bundesrepublik Deutschland, welche diplomatischen Aktivitäten hat sie entfaltet zur Verhinderung solch eines Vertrages, und wie beurteilt sie die Chancen für sein Zustandekommen?

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Einen amerikanisch-sowjetischen Vertrag, wie Sie ihn skizziert haben, wird es nicht geben, die Bundesregierung braucht daher auch keine Aktivitäten zu entfalten, um ihn zu verhindern. Im gegenwärtigen Zeitpunkt läßt sich noch nicht ermessen, welche Möglichkeiten für die Errichtung regionaler oder multinationaler Brennstoffkreislaufzentren bestehen. Die Bundesregierung weiß aus der Erfahrung, die sie bei den deutsch-britisch-niederländischen Verhandlungen gemacht hat, daß internationale Absprachen auf einem kommerziell und technologisch außerordentlich sensitiven Gebiet wie der Kernenergie sehr schwierig sind. Es kann daher schon jetzt vorausgesagt werden, daß die Errichtung derartiger regionaler oder multinationaler Zentren in Regionen, in denen zwischenstaatliche Rivalitäten oder sogar Spannungen herrschen, höchst unwahrscheinlich sind.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Frage 73 soll auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatsminister Moersch. Wir sind am Ende der Fragestunde und zugleich am Ende der Tagesordnung. Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 24. September 1975, 13.00 Uhr zu einer Fragestunde ein. Die Sitzung ist geschlossen.