Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich muß Sie um Verständnis bitten für einige Schwierigkeiten der Technik. Die Techniker haben mir sagen lassen, daß die Beschallung - so heißt das - des Plenarsaals nicht ganz korrekt ist. Die elektroakustische Anlage des Plenarsaals wird nämlich im Laufe des Sommers erneuert, und wir konnten den Beginn dieser Arbeiten leider Gottes nicht so lange hinauszögern, weil wir sonst nicht fertiggeworden wären.
Wir haben heute also ein Provisorium. Es werden lediglich in den ersten Sitzreihen vier Zwischenmikrofone aufgestellt, die bei Bedarf durch den Technischen Dienst eingeschaltet werden. Sie können also nicht von den Zwischenmikrofonen dort hinten sprechen, sondern müssen hierherkommen in die ersten Reihen. Die Beschallung des Saales ist wahrscheinlich auch vermindert. Aber ich habe den Eindruck, die Lautstärke ist ausreichend. Wir werden also leider Gottes heute diese Schwierigkeiten hinnehmen müssen.
Ich darf bei dieser Gelegenheit noch ganz schnell mit Freude unserem Kollegen Herrn Peter Josten zum 60. Geburtstag gratulieren, den er am 15. Juli gefeiert hat.
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Ich rufe den einzigen Punkt der Tagesordnung auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! In wenigen Tagen werden sich in Helsinki die Repräsentanten von 35 europäischen und nordamerikanischen Staaten zur dritten und abschließenden Phase der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zusammenfinden, einer Konferenz, deren zweite Phase, also die eigentlichen Verhandlungen, nach eineinhalbjähriger Tätigkeit soeben in Genf zu Ende gegangen ist.
Die Bundesregierung hat in ihrer Sitzung am 23. Juli 1975 die Zustimmung zu den Konferenzergebnissen beschlossen. Sie begrüßt die Gelegenheit, diese Entscheidung vor dem Deutschen Bundestag begründen zu können. Es ist heute das zweite Mal, daß sich der Deutsche Bundestag mit dieser Materie in einer besonderen Sitzung befaßt. Der Auswärtige Ausschuß hat in zehn Sitzungen allein in dieser Legislaturperiode die Konferenzmaterie beraten. Er ist außerdem ständig über den Gang der Verhandlungen eingehend unterrichtet worden.
Wir, die Bundesrepublik Deutschland, haben die Konferenzergebnisse in dreifacher Hinsicht zu bewerten: 1. Welche Bedeutung haben sie für uns als einer freiheitlichen Demokratie, die dem Atlantischen Bündnis angehört? 2. Welche Bedeutung haben sie für uns als Teil der Europäischen Gemeinschaft der Neun? 3. Was bedeuten sie für uns als Deutsche angesichts der anhaltenden staatlichen Teilung?
Wie die Dinge in Mitteleuropa liegen, meine Damen und Herren, muß das Thema Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nach wie vor das zentrale Thema unseres politischen Denkens und Handelns sein. Niemand als wir Deutschen kann ein größeres Interesse daran haben, daß die Konferenz ihr Ziel erreicht, nämlich die Beziehungen und die Kontakte zwischen den Staaten und den Menschen in ganz Europa zu verbessern.
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Niemand, so finden wir, hat mehr Anlaß als wir, Entspannung und Zusammenarbeit über die Grenzen und Blöcke hinweg zu fördern.
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Hier, meine Damen und Herren, liegt die spezifische deutsche Beziehung zu der Konferenz, zu ihren Zielen und zu ihren Möglichkeiten. Ich glaube, daß niemand mehr als wir seine nationale Pflicht versäumen würde, wollte er zögern, auch nur die geringste Chance für eine Entwicklung zu nutzen, die schließlich auch das Schicksal der geteilten Nation erleichtern könnte.
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Denn unverändert gilt fort, was der Bundeskanzler in der Regierungserklärung über die Lage der Nation am 30. Januar 1975 ausgeführt hat. Er sagte damals:
Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen und Schießbefehl haben ihre Unmenschlichkeit nicht verloren. Jeder weiß auch: es wäre Illusion, zu glauben, mit Protesten hier Abhilfe schaffen zu können. Wir finden uns jedoch mit diesen Zuständen nicht ab, sondern wir bemühen uns beharrlich um Änderung.
Wir wissen, daß die Überwindung der jetzigen Lage
- so schließt der Bundeskanzler an dieser Stelle erst am Ende einer sehr langfristigen Entwicklung stehen kann.
Gerade den letzten Gesichtspunkt, meine Damen und Herren, den der langfristigen Entwicklung, haben wir bei den Verhandlungen in Genf von Anfang an in Rechnung gestellt. In unserer Lage ist es nur selbstverständlich, daß auch ein begrenzter Fortschritt große Anstrengungen rechtfertigt. Deshalb sollte jeder von uns das Erreichte allein am real Möglichen messen und sich nicht durch das ideal Wünschenswerte den Blick für das heute Mögliche verstellen lassen.
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Wir haben unsere Rolle bei der Konferenz positiv aufgefaßt. Wir wollten die Entspannung fördern und so zugleich unsere Interessen als Deutsche und als Europäer vertreten. Ich möchte an dieser Stelle den Mitgliedern der deutschen Verhandlungsdelegation, an der Spitze den Leitern - zunächst Dr. Brunner, dann Dr. Blech -, für die Zielstrebigkeit, die Beharrlichkeit und den persönlichen Einsatz, mit dem sie in Genf unsere Belange vertreten haben, hier ausdrücklich danken.
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Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, meine Damen und Herren, ist nicht zu einer Konferenz über Deutschland oder Berlin geworden, auch wenn die Sorge, sie könne es werden, vorher nicht ganz unbegründet erscheinen mochte. Ich denke, angesichts dieser Tatsache sollten wir uns alle bei unseren Äußerungen zu der Konferenz, zu ihren Ergebnissen und auch in der Art, wie wir diese Debatte heute führen, vor der Gefahr hüten, diese Konferenz nun von uns aus und nachträglich noch zu einer Deutschland- oder Berlin-Konferenz zu machen.
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Wir würden damit übrigens zugleich die umfassende
Zielsetzung, die wir stets bejaht haben, verdecken.
Meine Damen und Herren, wir konnten und wir können - gerade wir als Deutsche - aus einer Konfrontation in Europa keinen Nutzen ziehen, wir können aber gewinnen, wenn wir den Prozeß der Entspannung, wie wir ihn verstehen, fördern. Wir können in einem Europa, das durch Unterschiede der politischen Systeme in schmerzhafter Weise geteilt ist, den Menschen den Kontakt und das Zusammenleben erleichtern. Wir können über die Systemgrenzen hinweg die Zusammenarbeit der Staaten und der Menschen zum Nutzen aller fördern. Wir können damit schließlich einen Zustand des Friedens in Europa erreichen, einen Zustand, (( von dem wir erwarten, daß in ihm auch das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann. Ich sage bewußt „wir können", weil wir Entspannung als eine Möglichkeit begreifen, die wir allerdings durch bewußte und zielstrebige politische Gestaltung nutzen müssen. Und, meine Damen und Herren, nutzen wir sie nicht, so könnten wir bei der Entspannung sogar verlieren. Verlieren nämlich dann, wenn sie ohne uns und damit ohne die Berücksichtigung unserer eigenen Interessen von anderen betrieben würde.
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Unsere realistische Entspannungspolitik dient dem Frieden. Wer das bestreitet, muß die Alternative nennen. Realistische Entspannungspolitik ist eine Politik, die auch ihre Grenzen sehr klar erkennt. Entspannungspolitik erfordert das Fundament Sicherheit, und Sicherheit gibt es für uns nicht ohne das Bündnis und seine und damit auch unsere Verteidigungsbereitschaft. Wer glaubt, er könne seine Sicherheit gewährleisten allein durch Bemühung um Entspannung, wäre ein gefährlicher Träumer.
Den Entspannungsprozeß haben wir durch deutsche Beiträge entscheidend mitbestimmt. Ich spreche von den Verträgen mit der Sowjetunion, mit Polen, mit der CSSR, vom Grundlagenvertrag mit der DDR und, verknüpft mit diesen Verträgen, auch vom Viermächteabkommen über Berlin.
Meine Damen und Herren, halten wir uns kurz I die Entstehungsgeschichte der Konferenz vor Augen.
Die Bestrebungen, die Mitte der fünfziger Jahre und dann wiederum Mitte der sechziger Jahre auf eine - wie es damals hieß - gesamteuropäische Sicherheitskonferenz gerichtet waren, konnten mit unseren politischen Positionen und Zielen nicht in Einklang gebracht werden. So konnte es etwa für den Westen nicht akzeptabel sein, durch eine solche Konferenz den durch den Krieg geschaffenen territorialen Status quo in Europa endgültig festzuschreiben und zu legitimieren, die Rolle der Vereinigten Staaten in Europa zu vermindern und durch Schaffung eines sogenannten gesamteuropäischen Sicherheitssystems der Auflösung der Bündnisse - das heißt im praktischen Effekt vor allem der NATO - den Weg zu öffnen.
Die Lage änderte sich wesentlich, als, beginnend mit dem Harmel-Bericht von 1967, das Atlantische Bündnis dem Kozept einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz sein eigenes Entspannungskonzept gegenüberstellte - das übrigens unter Zustimmung der damaligen Bundesregierung und der Opposition. Dieses Konzept setzt den Bestand der engen Bindungen zwischen Westeuropa und Nordamerika als selbstverständliche Grundlage jeder Entspannung in Europa voraus.
Es ging ferner von zwei Grundsätzen aus, nämlich dem Grundsatz, daß politische und militärische Sicherheit untrennbar sind, und dem Grundsatz, daß wirkliche Entspannung den Menschen unmittelbar zugute kommen und von ihnen getragen werden
muß. Entspannung ist nach westlichem Verständnis ein Prozeß, der der Geschichte unterliegt, der den Status quo also nicht auf ewig festschreibt, sondern dynamisch die Möglichkeit neuer Entwicklungen offenhält. Das schließt für uns sowohl die Möglichkeit der deutschen Einheit wie auch die der Vollendung der europäischen Einigung ein.
Es war entscheidend, daß dieses Konzept in der ersten Phase in Helsinki zur Wirkung kam. Als die zweite Phase im Herbst 1973 in Genf einberufen wurde, da trug ihr Mandat den westlichen Vorstellungen Rechnung. Die Teilnahme der Vereinigten Staaten und Kanadas an der Konferenz war sichergestellt; der Bereich der menschlichen Kontakte war als eines der drei Hauptthemen der Konferenz anerkannt. Und parallel zur Genfer Konferenz begannen die Wiener Verhandlungen über beiderseitige ausgewogene Truppenverminderungen.
Deshalb, meine Damen und Herren, waren wir nicht nur berechtigt, sondern - wie die Bundesregierung meint - in Wahrnehmung unserer Interessen verpflichtet, die Konferenz auch als eine Chance für uns zu begreifen und entsprechend zu handeln.
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Wir können heute sagen: die Konferenz hat den Status quo in Europa nicht festgeschrieben, und deshalb sollten wir ihn auch selbst nicht festreden, meine Damen und Herren.
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In Wahrheit hat die Konferenz ausdrücklich und in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht die Möglichkeit friedlicher und einvernehmlicher Grenzänderungen anerkannt. Sie hat damit sowohl die deutsche wie die europäische Option offengehalten.
Die Diskussion über die friedliche Veränderbarkeit der Grenzen, die Beharrlichkeit, mit der wir und unsere Freunde gerade um diese Passagen gerungen haben, hat einen wichtigen und positiven Effekt über den Inhalt dieser Aussage im Dokument hinaus: Wir haben damit der europäischen und darüber hinaus der Weltöffentlichkeit erneut deutlich gemacht, daß wir unbeirrbar an unserer Politik festhalten, wie sie unser Grundgesetz legitimiert, wie sie in den Briefen zur deutschen Einheit niedergelegt ist, und deutlich gemacht, daß wir entschlossen sind, den Prozeß der europäischen Einigung fortzusetzen. Wir haben das in Übereinstimmung und mit Unterstützung aller Partner in der Gemeinschaft und im Bündnis getan - eine Haltung, für die ich an dieser Stelle unseren Freunden ausdrücklich danken möchte.
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Gleiches gilt, wo es auf die Interessen Berlins ankam, die wir in der Konferenz wahrzunehmen hatten. Zwar ist deren Schlußakte kein völkerrechtlicher Vertrag, dessen Geltung auf Berlin nach dem üblichen Verfahren zu erstrecken wäre. Um so mehr mußte auf andere Weise sichergestellt werden, daß alle Teilnehmerstaaten, vor allem diejenigen, die mit Berlin in besonderer Weise zu tun haben, sich dann auch an die politischen Verhaltensregeln halten, zu denen sie sich in der Schlußakte bekennen, wenn es um Berlin geht, wenn es darum geht, daß den Berlinern die Vorteile zukommen, die aus den Konferenzergebnissen hervorgehen; und das ist geschehen. Die Schlußakte macht deutlich, daß jene Vorteile eben nicht nur zwischen den Teilnehmerstaaten selbst gewährleistet sein sollen, sondern diese Staaten die Vorteile auch überall dort in Europa gewährleisten werden, wo man sie in Anspruch nehmen will. Es entspricht der Auffassung aller Teilnehmerstaaten, daß es keine weißen Flekken auf der Landkarte der Entspannung geben kann, soweit es sich um Gebiete handelt, für die sie in der einen oder anderen Weise Verantwortung tragen. Die Regierungschefs der neun europäischen Staaten haben in der gemeinsamen Erklärung des Europäischen Rates vom 17. Juli 1975 ausdrücklich festgestellt, daß die Ergebnisse der Konferenz überall in Europa, also auch in Berlin, zur Geltung kommen sollen.
Die Konferenz hat, das wird heute niemand mehr bestreiten, die Rolle der Vereinigten Staaten und Kanadas in Europa bestärkt. Das Einverständnis aller anderen Staaten mit der Teilnahme dieser beiden Länder an der Konferenz war zugleich das Anerkenntnis der Verantwortung der USA und Kanadas in und für Europa.
Die Konferenz hat das Atlantische Bündnis zum aktiven Partner des Entspannungsprozesses werden lassen. Neben der militärischen Aufgabe, das Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten, übernahm das Bündnis eine zweite, eine politische und dynamische Aufgabe, nämlich: gemeinsam nach Fortschritten in Richtung auf spannungsfreiere Ost-West-Beziehungen zu suchen.
Es ist ein bisher einmaliger Vorgang, daß die Partner eines Bündnisses auf der Grundlage gemeinsam in diesem Bündnis erarbeiteter Positionen multilaral auch mit den Staaten verhandeln, gegen die sie sich zur Verteidigung zusammengeschlossen haben, verhandeln über die Frage, wie die Konfliktgefahr verringert und mehr Stabilität gewonnen werden kann. Diese neue Rolle hat das Bündnis in seinem politischen Zusammenhalt gestärkt und ihm Gelegenheit gegeben, über zwei Verhandlungsjahre hinweg eben diesen Zusammenhalt unter Beweis zu stellen.
Das gleiche können wir von der Europäischen Gemeinschaft sagen. Auch hier hat die Konferenz dem politischen Einigungsprozeß starke Impulse gegeben. Die politische Zusammenarbeit und die Solidarität der Neun haben in Genf ihre Probe bestanden.
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Wenn einer der Neun ein wesentliches Interesse hatte, wurde dies auch zum Interesse der anderen Acht. Die Neun wurden in dieser Zeit zu einer politischen Einheit und zu einer politischen Kraft, die den Gang der Konferenz ganz entscheidend beeinflußt hat. Wir haben während der Konferenz ein Stück gemeinsamer europäischer Außenpolitik definiert und gemeinsam vertreten. Die Ihnen vorliegende Erklärung des Europäischen Rates - abgege12800
ben von den neun Regierungschefs - zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat diese Entschlossenheit erneut unterstrichen. Sie spricht zugleich die Absicht aus, nach der Konferenz und auf der Grundlage ihrer Ergebnisse auch die europäische Entspannungspolitik gemeinsam, d. h. als Politik der Neunergemeinschaft zu gestalten. Die Gemeinschaft ist damit zu einem aktiven Partner des Entspannungdialogs geworden.
Meine Damen und Herren, wir, die Deutschen, die vom gegenwärtigen Zustand in Europa hauptsächlich und schmerzlich betroffen sind, sollten als erste erkennen, was es bedeutet, wenn wir unsere Belange nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit unseren europäischen Partnern und damit auch mit ihrer Unterstützung verfolgen können.
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Auch die Rolle der neutralen und ungebundenen Staaten ist hervorzuheben. Das Konsensprinzip, nach dem die Konferenz arbeitet, hat diesen Staaten ein volles Mitspracherecht gesichert; sie haben es wirksam gebraucht. Sie haben das selbstverständlich im Sinne ihrer durch Neutralität und Ungebundenheit bestimmten außenpolitischen Interessen getan. Es hat sich aber erwiesen, daß überall dort, wo sie und wir dieselben Wertvorstellungen von Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und einer offenen Gesellschaft haben, die Gemeinsamkeit dieser Vorstellungen immer wieder eindrucksvoll zur Geltung kam.
Schließlich sollte noch hervorgehoben werden, daß die 35 Teilnehmerstaaten der Konferenz sich der Probleme bewußt waren, die ihr Verhältnis zur übrigen Welt stellt. Das kommt an mehreren Stellen der Schlußakte zum Ausdruck, nicht zuletzt in dem Teil, der sich mit der Sicherheit und Zusammenarbei im Mittelmeerraum befaßt. Auch die schon zitierte Erklärung des Europäischen Rates nimmt darauf Bezug und hebt nochmals die Entschlossenheit hervor, auch die Beziehungen zu den nichteuropäischen Mittelmeerstaaten weiterzuentwickeln.
Meine Damen und Herren, das Konferenzergebnis liegt Ihnen in Gestalt der Schlußakte vor; es ist bekannt. Ich will deshalb hier nur zu einigen Schwerpunkten Stellung nehmen.
Die Schlußakte umschließt mit einigen einleitenden und Schlußbestimmungen die eigentlichen Sachergebnisse der Konferenz, und zwar in drei Hauptbereichen, die man in Genf „Körbe" genannt hat. Es geht um Fragen der Sicherheit in Europa, die Zusammenarbeit in den Bereichen von Wirtschaft, Wissenschaft, Technik sowie Umwelt sowie die Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen. Hinzu treten noch besondere Texte über Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum und - das ist von besonderer Bedeutung - über die Folgen der Konferenz.
Die operativen Aussagen der Schlußakte beziehen sich einmal auf die Entschlossenheit der Teilnehmerstaaten, den Ergebnissen der Konferenz volle Wirksamkeit zu verleihen und die Vorteile, die aus diesen Ergebnissen hervorgehen, zwischen ihren Staaten und - ich wiederhole dies - in ganz Europa zu gewährleisten. Ich habe schon darauf hingewiesen, was das positiv für Berlin bedeutet.
Zum anderen wird klargestellt, daß die Schlußakte kein völkerrechtlicher Vertrag ist, der nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen registrierbar wäre. Der Text läßt aber auch keinen Zweifel daran, daß die Teilnehmerstaaten das Dokument als ein Dokument von sehr hoher politischer Bedeutung betrachten.
Nun zu den inhaltlichen Bestimmungen, zunächst zur Erklärung über die Prinzipien. Diese Prinzipien, die die Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten leiten sollen, geben zu einem großen Teil geltendes allgemeines Völkerrecht wieder. Zum anderen enthalten sie Verhaltensregeln, wie sie von allen Staaten als angemessen und vernünftig akzeptiert werden. Insgesamt sind diese Prinzipien alle einander gleichgeordnet; jedes muß im Zusammenhang der anderen interpretiert und angewendet werden.
Nach dem Prinzip der souveränen Gleichheit soll jeder Staat selbst über seine inneren Angelegenheiten entscheiden und seine auswärtigen Beziehungen unter Beachtung des Völkerrechts nach seinem Belieben gestalten. Das bestätigt nicht nur seine Freiheit, Verträge zu schließen, internationalen Organisationen beizutreten, auch Mitglied von Bündnissen zu sein, sondern auch sein grundsätzliches Recht - und hier kommt die Bestimmung, die für uns besonders bedeutungsvoll ist -, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht seine Grenzen zu einem anderen Staat einvernehmlich und friedlich zu verändern, also auch aufzuheben. Ich möchte noch einmal auf die Bedeutung dieser Aussage für die deutsche und die europäische Option hinweisen.
Das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen kann von vornherein dem nicht entgegenstehen, da es das Verbot der Grenzänderung unter Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung zum Inhalt hat. Wir bekennen uns in diesem Sinne uneingeschränkt zu diesem Prinzip, so wie wir uns uneingeschränkt zum Gewaltverbot überhaupt bekennen.
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Es ist deshalb auch unserer Haltung in der deutschen Frage nicht entgegengesetzt. Wir sollten uns deshalb auch davor hüten, die in diesem Prinzip enthaltene Absage an jeden Anschlag auf eine Grenze auch nur gedanklich in die Nähe unseres durch die Verfassung gebotenen und völkerrechtlich legitimen Ziels der friedlichen Verwirklichung der Wiedervereinigung zu bringen.
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Von gleicher Bedeutung wie die Feststellung der friedlichen Veränderbarkeit der Grenzen ist für uns das deutlich formulierte Prinzip der Selbstbestimmung und die Aussage über die Unberührtheit bestehender Rechte und Verpflichtungen und der diesbezüglichen Verträge und Vereinbarungen. Damit ist klargestellt, daß die Konferenzergebnisse - einmal ganz abgesehen davon, daß sie keinen
völkerrechtlichen Charakter haben - die Rechtslage in Deutschland nicht verändern können, daß die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes und auf Berlin in keiner Weise beeinträchtigt werden. Hier wird besonders deutlich, daß die Konferenzergebnisse dem Zustand in Deutschland eben keinen definitiven Charakter verleihen. Gleiches gilt für unsere Verträge, von denen ich in diesem Zusammenhang nicht nur die Verträge mit den osteuropäischen Staaten und den Grundlagenvertrag mit der DDR, sondern auch den Deutschland-Vertrag ausdrücklich nenne. In Helsinki werden die Regierungschefs und Staatschefs unserer drei Partner des Deutschland-Vertrages, also der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Großbritanniens, mit dem Bundeskanzler zusammenkommen, so wie das auch vor anderen wichtigen internationalen Konferenzen üblich ist, und damit noch einmal sichtbar vor der ganzen Welt die gemeinsame Verantwortung für die deutsche Sache zum Ausdruck bringen. Namens der Bundesregierung möchte ich die Befriedigung über diesen erneuten Solidaritätsbeweis unserer Freunde hier zum Ausdruck bringen.
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Im zweiten Teil des 1. Korbes findet sich das Dokument über vertrauensbildende Maßnahmen und wichtige Aspekte der Sicherheit und Abrüstung, das ebenfalls besondere Aufmerksamkeit verdient. Es trägt der Tatsache Rechnung, daß politische und militärische Sicherheit voneinander nicht zu trennen sind, auch nicht geographisch. Eine geographische Beschränkung hätte die Gefahr des Mißverständnisses mit sich bringen können, daß die Diskussion von Fragen der militärischen Sicherheit etwa grundsätzlich auf Mitteleuropa beschränkt sein müsse, daß es also in diesen Fragen für Mitteleuropa einen Sonderstatus gebe. Deshalb ist es so wichtig, daß die in der KSZE vereinbarten Maßnahmen zur Vertrauensbildung, etwa die Ankündigung von Manövern, für ganz Europa gelten, mit Ausnahmeregelungen nur für diejenigen Staaten, deren Gebiet über Europa hinausreicht. Sie schließen in ihrem Geltungsbereich einen substantiellen Teil der europäischen Gebiete der Sowjetunion ein.
Im übrigen ist dem Zusammenhang zwischen politischer und militärischer Sicherheit, wie sie das Schwerpunktthema der KSZE war, noch auf andere Weise Rechnung getragen worden. Die Verhandlungen über beiderseitige ausgewogene Truppenverminderung in Europa, die in Wien stattfinden, begannen bewußt in zeitlichem Zusammenhang mit der zweiten Phase der KSZE.
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Neben den Fragen, die in erster Linie mit Sicherheit zu tun haben, stehen in den weiteren Kapiteln des Schlußdokuments die umfangreichen Aussagen über die Kooperation und die menschlichen Kontakte. Die Realisierung dieser Aussagen, die neben allgemeinen Leitlinien eine Fülle von ganz konkreten spezifischen Ansatzpunkten für die Intensivierung der Beziehungen bieten, wird ein integraler Bestandteil des Entspannungsprozesses sein, und gerade hier wird sich zeigen, meine Damen und Herren, wie weit dieser Prozeß geführt werden kann.
In den Aussagen zur wirtschaftlichen, und wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit sowie zur Zusammenarbeit im Umweltschutz wurde zum erstenmal anerkannt, daß die Unterschiede der wirtschaftlichen Systeme die Einführung eines Prinzips der gleichwertigen Gegenseitigkeit notwendig machen. In den an die Leitlinien anschließenden konkreten Vereinbarungen ging es unter anderem darum, für unsere Wirtschaft und unsere Geschäftsleute die zahllosen bürokratischen Hemmnisse zu verringern, wie sie für staatswirtschaftliche Systeme charakteristisch sind. In dieser und einer Vielzahl anderer Fragen sind in Korb 2 konkrete Verbesserungen zugesagt worden. Werden sie Wirklichkeit, so wird damit die wirtschaftliche Zusammenarbeit wesentlich gefördert werden.
Die Ausweitung des Handels, die langfristigen Kooperationsvereinbarungen sowie die Vermehrung der Geschäftskontakte, wie sie in Korb 2 angestrebt werden, können über den unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen hinaus auch eine günstige Auswirkung auf das gesamte politische Klima in Europa haben. Sie schaffen Interdependenz. Je dichter das Netz der Kooperation und damit auch der gegenseitigen Vorteile wird, um so größer wird das Interesse beider Seiten sein, diese Entwicklung nicht durch Verhalten in anderen Bereichen der Politik zu stören.
Korb 3 schließlich befaßt sich mit den Maßnahmen zur Förderung der Kontakte, des Informationsaustauschs und des kulturellen Austausches zwischen den Menschen in Ost und West. Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit, meine Damen und Herren, noch einmal daran, daß die internationale Diskussion dieser Themen vor der Konferenz keineswegs eine Selbstverständlichkeit war. Das Thema der menschlichen Erleichterungen ist jetzt endgültig auf der europäischen Tagesordnung. Die Erklärungen in Korb 3 besagen, daß die Zusammenführung von Familien, persönliche Reisen, Jugendbegegnungen, Sporttreffen usw. gefördert werden sollen. Sie haben das Ziel, den Informationsaustausch zu verbessern und z. B. den Bezug ausländischer Zeitungen in allen Konferenzstaaten in breiterem Umfange als bisher zu ermöglichen und die Arbeitsbedingungen von Journalisten zu verbessern. Sie eröffnen schließlich die Möglichkeit, die kulturelle Zusammenarbeit zu erweitern.
Bei Korb 3, meine Damen und Herren, geht es um Fragen, die das Leben und das Schicksal unzähliger Menschen unmittelbar berühren. Es geht darum, ob Menschen ihre Angehörigen besuchen können, ob Familien, die auseinandergerissen sind, zusammenkommen, ob Menschen, die einander lieben, heiraten können, ob die Menschen überall in Europa mehr voneinander erfahren, ob sie einander besser verstehen können. An den praktischen Auswirkungen gerade dieser Aussagen wird die Bundesregierung den Wert der Konferenzergebnisse messen.
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Und, meine Damen und Herren, sie wird wie ihre Freunde den Willen jedes Teilnehmerstaates zu echter Entspannung danach beurteilen, wie er diese Zusagen erfüllt.
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Konzentrieren wir uns also nach der Konferenz auf die Frage der Durchführung der Konferenzbeschlüsse gerade im Bereich des Korbes III.
Schließlich noch zu den Konferenzfolgen: Ursprünglich war die Schaffung eines permanenten Nachfolgeorgans in der Diskussion; es sollte nach den Vorstellungen seiner Initiatoren Kern und Ansatzpunkt eines künftigen gesamteuropäischen Sicherheitssystems sein. Es wird kein solches Folgeorgan geben. Statt dessen wird 1977 nach entsprechender Vorbereitung ein erstes Treffen von hohen Beamten stattfinden. Bei dieser Gelegenheit werden wir mit den anderen Teilnehmerstaaten zu prüfen haben, ob die Konferenzbeschlüsse in der erwünschten Weise Wirklichkeit geworden sind. Zugleich wird dabei festzustellen sein, wie diese Wirklichkeit das politische Klima in Europa zu beeinflussen vermochte. Wir werden uns dann auch schlüssig werden können, in welcher Form wir den multilateralen Entspannungsprozeß in Europa fortsetzen wollen. Eine Automatik wird es dabei nicht geben; jedes neue Treffen und jede neue Konferenz wird dann nach dem Konsensprinzip von jedem einzelnen der 35 Teilnehmerstaaten gutgeheißen werden müssen. Die praktischen Erfahrungen, die dann vorliegen, werden über die weitere Praxis entscheiden.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Verhandlungsergebnisse bewerten, so ist eine nüchterne Einschätzung des Charakters und des Erfolgswertes der Konferenzergebnisse erforderlich. Die Konferenzergebnisse sind nach Auffassung der Bundesregierung ein wichtiger und notwendiger Schritt innerhalb des komplizierten und Geduld erfordernden Prozesses der Entspannung. Sie in die Wirklichkeit umzusetzen wird nicht minder wichtig sein; das wird nicht weniger Beharrlichkeit erfordern als die Verhandlungen während der Konferenz selbst.
Die Bundesregierung erwartet keine spektakulären Fortschritte in der Phase unmittelbar nach der KSZE, aber sie wird um kontinuierliche Fortschritte auf der Basis des Ergebnisses von Genf ringen. Meine Damen und Herren, hüten wir uns vor der Illusion, es könne eine Politik geben, mit der uns schon am Anfang des Entspannungsprozesses all das in den Schoß fällt, was wir am Ende als sein Ergebnis für möglich halten und wünschen.
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Wenn sich also der Fortschritt nur in kleinen Schritten zeigen sollte, so müssen die Schritte doch konkret sein, d. h. spürbar für die Menschen.
Für die Menschen in unserem Lande ist Entspannung kein abstrakter Begriff. Sie kann sich nur in Fortschritten für ungezählte Einzelschicksale ausdrücken, und das begründet die Pflicht für uns, die Instrumente zu nutzen, die diese Konferenz und ihre Ergebnisse uns bieten. Nicht nur wir, nicht nur die unter der Teilung leidenden Menschen bei uns werden die Formulierungen der Konferenztexte mit der
Wirklichkeit vergleichen, und es gehört keine Phantasie dazu, die Unterschiede festzustellen. Aber gerade dieser Gegensatz zwischen Wirklichkeit und Forderung veranlaßt uns, die Chance von Helsinki zu ergreifen und im Interesse der Menschen auf die Realisierung der Beschlüsse hinzuwirken.
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Meine Damen und Herren, Protest und Klage allein bringen uns nicht weiter; das haben wir lange genug erlebt.
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Die Schlußakte von Helsinki wird kein völkerrechtlicher Vertrag, kein völkerrechtliches Abkommen sein, das eine neue Rechtssituation schafft. Worüber sich die 35 Teilnehmerstaaten geeinigt haben und was sie sich in feierlicher Form zu eigen machen, sind Regeln ihres zukünftigen politischen Verhaltens und damit Regeln von hohem politisch' moralischem Rang.
Mit dieser Qualifizierung des Konferenzergebnisses schmälern wir ihre Bedeutung nicht; im Gegenteil: Wir bekennen uns zu diesen politischen Bindungen, und wir erwarten, daß die anderen es ebenso halten, daß sie diese Regeln als Richtschnur ihres zukünftigen Handelns betrachten. Wir können uneingeschränkt ja sagen zu diesen Regeln. Die jetzt formulierten Absichten verlangen von uns keine Änderung der Grundsätze unserer Politik; im Gegenteil, sie beschreiben die Politik, die wir auf Grund unserer Ideale und unseres Bildes vom Menschen als eines freien Individuums betreiben. Zusammenarbeit auf allen Gebieten, vertrauensbildende Maßnahmen, menschliche Erleichterungen, Gewaltverbot, auch hinsichtlich der Grenzen, aber die Möglichkeit friedlicher Veränderbarkeit: meine Damen und Herren, niemandem in unserem Lande kann eine solche Politik auch nur die geringsten Schwierigkeiten bereiten.
Wie die Konferenzergebnisse keine Charta für ein Gesamteuropa darstellen, so schaffen sie auch kein sogenanntes gesamteuropäisches Sicherheitssystem. Die KSZE hat die Machtstruktur in dieser Welt und in Europa nicht verändert. Die Schlußakte ist kein Ersatz für das atlantische Bündnis. Die Bedrohung durch das militärische Potential der Staaten des Warschauer Pakts besteht ebenso fort wie die gesteigerten Rüstungsanstrengungen der Mitglieder dieses Pakts. Deshalb ist und bleibt die NATO Grundlage unserer Sicherheit.
Das Bündnis ist für uns ebenso unverzichtbar wie die Präsenz der Vereinigten Staaten und Kanadas in Europa. Was es zu sehen gilt, ist der unauflösbare Zusammenhang zwischen Bündnis und Entspannung. Entspannung und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Ost und West sind überhaupt nur bei einem militärischen Gleichgewicht der Kräfte möglich. Das heißt: das Bündnis steht nicht nur nicht im Gegensatz zur Entspannung, es ist seine Voraussetzung und Grundlage. Wer im Westen Entspannung will, muß auch das Bündnis fördern. Von dieser Überzeugung wird sich die Bundesregierung auch in der Nach-KSZE-Phase leiten lassen.
Vor uns liegt ein Dokument, das die Perspektive eröffnet, zu mehr Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu kommen. Kriterium für die endgültige Bewertung der Konferenz ist und bleibt aber die Durchführung der Beschlüsse. Die Konferenz ist für uns nicht Endpunkt, sondern Ausgangspunkt. Es muß sich nun zeigen, ob sich die Teilnehmerstaaten bei der Durchführung von der gleichen Haltung leiten lassen, die den positiven Abschluß der Konferenz ermöglichte. Die Bundesregierung ist bereit, das Ihre zur praktischen Durchführung der Konferenzbeschlüsse beizutragen, und sie ist entschlossen, auf diese praktische Durchführung durch alle Teilnehmerstaaten zu drängen. Sie tut das im Verein mit den anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft und im Verein mit ihren Bündnispartnern.
Meine Damen und Herren, wir werden die Chance, die diese Konferenz bietet, nur dann nutzen können, wenn Klarheit bei der Bestimmung unserer Ziele, Entschlossenheit und Festigkeit bei ihrer Durchsetzung unser Handeln bestimmen. Das Dokument als solches birgt keine Gefahren in sich. Gefahren könnten sich nur dann ergeben, wenn Illusionen und nicht der klare Blick für die Realität unser künftiges Handeln bestimmen, wenn wir die Ziele unserer Politik aus den Augen verlieren, wenn ein trügerisches Sicherheitsgefühl den Verteidigungswillen einschläfert und damit der Sicherheit ebenso wie ausgewogener Leistung und Gegenleistung den Boden entzieht. Hier müssen sich Weitblick und Verantwortung der Demokratien bewähren. Und, meine Damen und Herren, wir sollten uns selbst, wir sollten unseren Partnern diese Fähigkeit nicht absprechen.
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Ebensowenig aber können wir die gebotenen Möglichkeiten der Konferenz nutzen, wenn wir uns aus mangelndem Selbstvertrauen den Konferenzergebnissen und damit auch ihrer Verwirklichung und Durchsetzung verweigern.
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Es würde unseren eigenen nationalen Interessen schaden, wenn wir aus der gemeinsamen Haltung unserer Verbündeten und Partner ausscherten.
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Wir könnten unsere eigenen Interessen als Deutsche und Europäer nicht wahrnehmen, würden wir der Selbstisolierung unseres Landes gegenüber allen anderen Konferenzteilnehmern - einschließlich unserer Verbündeten - den Vorzug geben vor der aktiven Mitgestaltung des Entspannungsprozesses.
Meine Damen und Herren, die zustimmende Haltung der Bundesregierung zu den Konferenzergebnissen steht in der Kontinuität der Politik der Friedenssicherung der Bundesrepublik Deutschland. Diese Politik gebietet, die Entspannung zu fördern. Diese Politik gebietet, die Chance der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa illusionslos und mit Festigkeit für die Menschen im geteilten Deutschland für die Menschen im geteilten Europa und für die Sicherung des Friedens auf dem Kontinent zu nutzen.
Die Bundesregierung stellt sich dieser Verantwortung. Wir werden bei der Unterzeichnung in Helsinki nach dieser Einsicht handeln.
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Ich danke dem Herrn Bundesminister.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Marx.
Frau Präsidentin, meine verehrten Damen und Herren! Diese Debatte, zu der wir aus den Ferien nach Bonn gekommen sind, ist keine Ratifikationsdebatte. Dem Deutschen Bundestag liegt kein Vertrag mit völkerrechtlicher Wirkung und kein Zustimmungsgesetz vor.
Der Bundesaußenminister hat soeben in seiner Rede mit Bedacht noch einmal auf diese Tatsache, die ich für meine Fraktion unterstreiche, hingewiesen. Aber die Texte von Genf, meine Damen und Herren, sind von politischer Bedeutung. Die Bundesregierung selbst weist ihnen politisch-moralische Wirkung zu. Sie nennt sie „Absichtserklärungen".
Dies ist kein harmloser Ausdruck. Das haben wir bei den Absichtserklärungen kennengelernt, die im Frühjahr 1970 in Moskau formuliert worden sind.
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Damals sagte uns der damalige Außenminister, solche politischen Willensbekundungen seien völkerrechtlich nicht bindend. Sie verpflichteten nur jene Regierung, die sie unterschreibe.
Wir halten fest, daß aus den damaligen Absichtserklärungen - den Sätzen 1 bis 4 des ersten Teils - der deutsch-sowjetische Vertrag wurde. Aus dem Satz 10 wurde die Konferenz, über die wir heute debattieren.
Ich erinnere an dieser Stelle noch einmal an den Wortlaut, der, ohne daß auch nur ein Wort vorher mit unseren Verbündeten ausgehandelt und vereinbart worden wäre, damals zwischen Bahr und Gromyko ausgehandelt wurde. Er lautet - ich zitiere -:
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken begrüßen den Plan einer Konferenz über Fragen der Festigung der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und werden alles von ihnen Abhängende für ihre Vorbereitung und erfolgreiche Durchführung tun.
Diese Aktion Bahrs hat die Bundesregierung gebunden, mehr noch: sie hat damals dem jahrelang mit großer Zähigkeit verfolgten sowjetischen Wunsch zum Erfolg verholfen; sie war auslösender Faktor für viele - und zögernde - Europäer und auch für die an der Sache zunächst kaum interessierten Amerikaner, nolens volens mitzumachen. Wir haben also heute - gewarnt durch die damaligen Erfahrungen - Grund genug, die Texte zu prüfen, ihre Bedeutung und Wirkung abzuschätzen. Wir tun es auch, weil wir wissen, wie der große Partner auf
der östlichen Seite die Texte versteht, und weil wir miteinander untersuchen wollen, was er aus den Texten machen kann und machen will.
Für uns, meine Damen und Herren, handelt es sich also nicht um Zustimmung oder Ablehnung völkerrechtlicher Verbindlichkeiten, sondern um politische Wertungen von Abmachungen und sogenannten Absichtserklärungen.
Unserer heutigen Debatte ging eine erste Befassung des Bundestages mit der ganzen weitschweifigen Materie bereits im Oktober des vergangenen Jahres auf Antrag und nach einer Großen Anfrage, die meine Fraktion eingebracht hatte, voraus. Wir knüpfen heute an die damals vorgetragenen Auffassungen und Beurteilungen an.
Die Fraktion der CDU/CSU hat seither besonders lebhaft den Gang der Diskussionen in Genf verfolgt. Wiederholt waren Mitglieder unserer Fraktion am Ort der Konferenz. Dabei konnten wir feststellen, daß einige unserer, auch im vergangenen Oktober geäußerten Bedenken gemindert worden sind. Entscheidende Probleme aber sind nicht befriedigend geregelt worden. Das war offenbar auch gar nicht möglich, nachdem sich die Regierung auf die Konferenz und ihren Mechanismus eingelassen hatte. Trotzdem haben wir uns bemüht, durch kritische Einwände, durch eigene Vorschläge, durch Drängen und Korrigieren, durch Fragen und Mahnen die Verhandlungsposition der Bundesregierung zu unterstützen; so habe ich es für meine Fraktion im Oktober von dieser Stelle aus zugesagt.
Herr Bundesaußenminister, Sie selbst haben unsere Einwände und Anregungen, sagen wir einmal, zumindest zu einem gewissen Teil gehört, aufgenommen, diskutiert und verwendet. Freilich waren Ihnen selbst eine Reihe einengender Grenzen gezogen; denn die deutsche Beteiligung an der Konferenz war für Sie vorgegeben durch die Festlegungen Bahrs in Moskau und wohl auch durch die der deutschen Offentlichkeit noch immer - Herr Kollege Brandt, ich höre, daß Sie nachher sprechen; vielleicht können Sie dazu etwas sagen - weithin unbekannten Festlegungen, die Sie selbst mit Herrn Bahr und Herrn Breschnew auf der Krim eingegangen sind.
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Meine Damen und Herren, für unsere Bewertung des ganzen Unternehmens sind aber nicht nur die Texte wichtig, sondern auch die Lage unseres Landes, die immer erneut gefährdete Situation Berlins und die Entwicklung in Europa, auch die Entwicklung in der militärischen Rüstung im Warschauer Pakt. Bei den Texten kommt es auch auf die Absichten an, mit denen sie redigiert wurden; denn Vieldeutigkeit - das zeigt sich mit aller wünschenswerten Klarheit bei der nachfolgenden Diskussion über die Bedeutung der einzelnen Begriffe, der einzelnen Auslegungen der Ostverträge und des Berlin-Abkommens -, Mehrdeutigkeit führt eben nicht zu Entspannung und Ausgleich, sondern sie ist die neue Quelle neuer Konflikte.
({2})
Dies aber, meine Damen und Herren, „Quelle neuer Konflikte", darf unserer Überzeugung nach die KSZE in Genf keinesfalls werden.
Allerdings gibt es viele Gründe, die uns befürchten lassen, daß sie es trotzdem wird. Man hat uns im Ausschuß gesagt, daß natürlich die verschiedenen Seiten in Genf bei der Abfassung der Texte nicht immer das gleiche, ja, mitunter sogar sehr Unterschiedliches gedacht und gewollt haben, und Diskussionen, die wir mit den Vertretern der einzelnen Delegationen in Genf geführt haben, haben dies in einer eklatanten Weise bestätigt. Deshalb rufe ich jetzt an dieser Stelle noch einmal das in Erinnerung, was der damalige Außenminister Walter Scheel in seiner Rede in Helsinki zu Beginn der ganzen Sache zu dieser fundamentalen Frage der Eindeutigkeit gesagt hat. Ich zitiere:
Wir müssen Klarheit darüber schaffen, was wir tatsächlich meinen. Nur wenn wir die gleiche Sprache sprechen, mit denselben Worten dasselbe meinen, werden wir Erfolg haben. Und schließlich
- so fügte Scheel hinzu müssen wir das gleiche wollen.
({3})
Daß sich die Bundesregierung an diese Maximen gehalten hätte, wird doch nun wirlich niemand behaupten können; denn die Texte haben in weiten Bereichen keinesfalls Klarheit geschaffen. Sie enthalten eben nicht zweifelsfrei, was die Beteiligten tatsächlich meinen. Sie verwenden zwar die gleichen Ausdrücke, die gleichen Wörter, die gleichen Floskeln; aber der Inhalt dieser Begriffe ist - wir wissen es doch aus der Diskussion der letzten Jahre - vielfältiger Ausdeutung fähig, ja, gegensätzlicher, ich sage: gefährlich gegensätzlicher Interpretation.
({4})
Schließlich, meine Damen und Herren: Es wäre ja schön, wenn es so wäre; aber es kann doch niemand behaupten, daß die Hauptkontrahenten, will ich einmal sagen, von einem gleichen Willen ausgegangen seien.
Lassen Sie mich aus der Rede des damaligen Außenministers noch ein Zitat hinzufügen. Er sagte wörtlich:
Wenn im Verlauf unserer Erörterungen klar würde, daß unsere Auffassungen über die Wirklichkeit noch zu weit auseinanderklaffen, dann, meine ich, wäre es ein Gebot der Ehrlichkeit, dies klar zu sagen. Das wäre keine Katastrophe für Europa, es wäre auch nicht das Ende des Entspannungsprozesses.
Und er fährt später fort:
Aber wir sollten der europäischen und der Weltöffentlichkeit deutlich sagen, daß wir noch Zeit benötigen. Wir müßten uns dann, um mit Metternich zu reden,
- und er zitiert ihn -„hinter der Zeit verschanzen und die Geduld zu unserer Waffe machen".
({5})
Das sind wichtige, zeitlos gültige Sätze auch heute und für die künftige Politik.
({6})
Die Bedingungen des ehemaligen deutschen Außenministers, sagen wir einmal, als Maßstab an die Schlußpapiere, die uns vorliegen, gelegt, machen deutlich, daß die Bundesregierung das wichtige von ihr damals selbst formulierte und von uns so geforderte und gestützte Ziel nicht erreicht hat.
({7})
Sie hat den Zusammenhang zwischen der Sicherheitskonferenz und jener Konferenz, die man noch „Konferenz für gegenseitigen ausgewogenen Truppenabzug" nennt, den Zusammenhang, der damals eine Voraussetzung für die Eröffnung der KSZE war, aufgegeben. Herr Bundesaußenminister, dies war ein folgenschwerer Fehler. Denn erst dort, wo es um harte Tatsachen, um militärische Rüstung, um Waffen, Gerät, Soldaten ging, wo man um Einklagbares, Meßbares, Fühlbares miteinander verhandelt, dort hätte sich die Bereitschaft zu faßbarer Sicherheit in Europa erweisen können.
({8})
Aber diese Nagelprobe hat die Bundesregierung nicht verlangt. Sie hat - verzeihen Sie den Ausdruck - mitgebastelt an Formeln, statt konkrete Maßnahmen einer kontrollierten Abrüstung zu ergreifen.
({9})
Herr Bundesaußenminister, Sie sagten soeben, Sie hätten an dem Grundsatz der Verbindung zwischen MBFR, wie es in der Fachsprache heißt, also Konferenz für ausgewogenen Truppenabzug, und Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa festgehalten.
Ja, am Grundsatz festhalten, ohne daß dies real spürbar wird. Dies allerdings ist eine Politik, die diese Fraktion nicht abzudecken bereit ist.
({10})
Meine Damen und Herren, ich sage offen: Hier liegt einer der wichtigen Gründe dafür, daß wir ein Sicherheitsergebnis - ich unterstelle einmal, das, was wir vor uns liegen haben, sei ein Sicherheitsergebnis -, das ohne Fortschritte in der militärischen Rüstung, ohne konkrete Vereinbarungen zur Abrüstung, zustande gekommen ist, nicht bejahen.
Die Hebelwirkung, die Sie auf die Wiener Truppenreduktionsverhandlungen hätten ausüben können, ist nicht genutzt worden. Ein Blick auf diese Konferenz, die sich in Wien so mühsam dahinschleppt, die - wie alle sagen, die von der Sache etwas verstehen - in die Sackgasse gekommen ist, läßt mich einen Satz zitieren, den der Leiter der holländischen Delegation vor einigen Tagen ausgesprochen hat. Er sagte, daß der Osten immer noch nicht in positiver und konstruktiver Weise auf unsere Reduktionsvorschläge geantwortet hat. Dies sei sehr zu bedauern.
Bei den Texten, die uns vorliegen, hat sich die Bundesregierung - der Bundesaußenminister hat dies jetzt noch einmal deutlich vorgetragen - auf das Konsensprinzip eingelassen, d. h. für jeden Satz, für jede Feststellung war der Wille, war die Zustimmung aller beteiligten Regierungen nötig. Ich meinerseits habe im Oktober bei der damaligen Debatte hier darauf hingewiesen, daß dadurch natürlich die Verantwortung der deutschen Bundesregierung besonders groß werde; denn, Herr Bundesaußenminister, Sie haben doch gewiß jede Formulierung, die wir jetzt in diesem umfangreichen Papier vor uns liegen haben, nur dann akzeptiert, wenn Sie mit ihr unter der besonderen Berücksichtigung der deutschen Fragestellung einverstanden waren. Nun, eine Prüfung der Texte ergibt aber, daß diese unsere Belange oft - ich sage: oft; natürlich nicht überall - in einem Schwall von Worten untergegangen sind.
Herr Bundesminister, Sie haben mit großem Nachdruck auf die Zusammenarbeit der neun europäischen Staaten und der 15 NATO-Staaten hingewiesen. Bereits im Oktober hatten wir geantwortet, daß wir dies für einen wichtigen Fortschritt halten, von dem wir glauben, daß eine so entwickelte politische Methode uns in Europa, in wachsender Gefährdung, tatsächlich helfen kann.
({11})
Aber Sie, Herr Bundesaußenminister, haben auch wörtlich gesagt, daß dort, wo einer der neun Staaten etwas ganz besonders Wichtiges hatte, die anderen acht Staaten ihm geholfen haben. Hier schulden Sie uns aber Auskunft darüber - wenn es so war - die deutschen Interessen, die wesentlichen Interessen unseren Landes, nicht stärker und sichtbarer berücksichtigt worden sind.
Meine Damen und Herren, im Text gibt es - so darf ich einmal sagen - Allerweltsweisheiten, langatmige und mitunter kaum genießbare Passagen. Es gibt daneben eine Reihe vernünftiger Regelungen, die wir durchaus positiv würdigen. Manche Sätze sind so schön gelungen und enthalten so treffliche Aussagen, daß man ihnen nur von Herzen zustimmet möchte. Andere scheinen tatsächliche Erfolge westlicher Konferenzfähigkeit zu verbürgen, z. B. folgende Bestimmung, die ich aus dem Prinzip Nr. II zitieren will:
Die Teilnehmerstaaten werden sich ... jeglicher Handlung enthalten, die eine Gewaltandrohung oder eine direkte oder indirekte Gewaltanwendung gegen einen anderen Teilnehmerstaat darstellt. Sie werden sich gleichermaßen jeglicher Gewaltmanifestation, die den Zweck hat, einen anderen Teilnehmerstaat zum Verzicht auf die volle Ausübung seiner souveränen Rechte zu bewegen, enthalten.
Versteht die Bundesregierung diesen Satz - so fragen wir nach seiner Lektüre - als striktes Verbot einer - unter welchem Vorwand auch immer - angewandten Breschnew-Doktrin? Konkret: Wird
dieser wohlformulierte Satz auf dem schönen Papier von Genf stark genug sein, um die Sowjets auch künftig, nach all den bitteren Erfahrungen sage ich: künftig daran zu hindern, einen anderen Staat, z. B. einen brüderlichen Staat des eigenen Lagers, zu überfallen? Wird es nicht mehr möglich sein, daß man behauptet, die leninistische Philosophie lasse einen Rückfall sozialistischer Staaten in die Barbarei bürgerlichen Lebens nicht mehr zu und sie verlange daher - auch aus den Interessen der sowjetischen Macht heraus -, daß der abirrende Bruder mit militärischer Nachhilfe auf den Pfad der allgemeinen sozialistischen Tugend zurückgebracht wird? Ist also - dies ist für uns eine wichtige Frage; hier würden wir gern noch einmal die Interpretation, die verbindliche Interpretation der Regierung hören - mit diesem Satz erreicht, daß die Sowjetunion ihr eigenes Lager durch Gewaltandrohung oder durch Gewalteinsatz nicht mehr knebeln kann? Ist das Papier von Genf hinsichtlich des Gewaltverbots stärker als alle vorher und sogar völkerrechtlich abgeschlossenen und für die Sowjetunion verbindlich gemachten Gewaltverzichtsverträge? Wenn diese Frage von der Bundesregierung mit Ja beantwortet wird, dann ist uns dies sehr recht. Aber, meine Damen und Herren, niemand in diesem Raum kann vergessen, daß sich die Sowjetunion trotz aller Festlegungen, man enthalte sich der Androhung oder Anwendung von Gewalt, im Jahre 1953 in Mitteldeutschland, im Jahre 1956 in Ungarn, im Jahre 1968 in der Tschechoslowakei eben ganz anders verhalten hat, als sie vorher unterschrieben hatte. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen: Wir bleiben natürlich nach all den Erfahrungen skeptisch. Denn wir haben ja auch unseren Lenin gelesen und seine Lehrsätze und Absichtserklärungen über die Verachtung, mit der man, wenn es möglich ist, mit Verträgen umgeht.
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Meine Damen und Herren, es gibt andere Passagen dieser Schlußakte - ich sage: für uns entscheidende Passagen -, die nicht einmal solche Fragen und freundlichen Deutungen zulassen; sie sind nicht akzeptabel. Ich meine jene Regelungen, auf die es vor allem offenbar den Sowjets ankam und die niemand sonst in Europa so sehr wie uns selbst betreffen. Sie werden den vitalen Interessen unseres geteilten Landes und seiner Menschen nicht gerecht.
({13})
Hier liegt, meine Damen und Herren, einer der Konflikte zwischen der Regierung und uns. Und die Regierung muß jetzt - das verstehen wir -, nachdem sie so lange verhandelt hat und nachdem so viel geduldiges Papier beschrieben worden ist, nachdem unsere Delegation in Genf im Rahmen der ihr zugegangenen Weisungen ordentliche Arbeit geleistet hat und sie, die Regierung, sich nun anschickt, nach Helsinki zu gehen, natürlich die ganze Sache loben. Unsere Aufgabe, die Aufgabe der parlamentarischen Opposition, ist eine kritische Begleitung und Beurteilung des Tuns der Regierung. Und wir nehmen für uns durchaus in Anspruch: Mancher
Text ist erträglicher geworden, mancher wurde besser formuliert, weil wir unablässig drängten.
(
Ha, ha!)
- Herr Bundeskanzler, Sie rufen: Ha, ha! -, z. B. in der Frage: Wie kann Berlin gesichert werden? In den Texten steht jetzt, was vorher nicht der Fall war - der Bundesaußenminister beruft sich im Ausschuß und hier darauf, daß dies ein großer Erfolg sei -: Sie gelten in ganz Europa. Niemand kann bezweifeln - Herr Bundeskanzler, auch Sie nicht -, daß wir mit größter Energie darauf gedrängt haben. Wir loben die Regierung, daß sie zumindest dieses Minimum zustande gebracht hat.
({0})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat uns wieder versichert, daß die Konferenz von Genf die deutsche Frage nicht berühre, daß alles offengeblieben sei und daß Berlin gesichert bleibe. Verzeihen Sie, wenn ich sage: Wir sind da skeptischer. Es kann ja sein - darin besteht ja das Wesen der parlamentarischen Auseinandersetzung -, daß man bei der Lektüre der gleichen Texte zu unterschiedlichen politischen Auffassungen kommt. Wir sind skeptischer hinsichtlich all der vielen Hoffnungen, die mit diesen Texten verbunden worden sind, vor allen Dingen dort, wo es unser eigenes Land und wo es Berlin betrifft. Meine Damen und Herren, wir können die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß andere es anders sehen als die Regierung und daß die Sowjetunion diese Konferenz aus Gründen angestrebt und jetzt mit vielerlei Druck zum Abschluß gebracht hat,
({1})
die der Auffassung der Bundesregierung entgegenstehen. Denken Sie doch bitte daran, welchen Reiz die Bundesregierung auf Propagandisten der anderen Seite ausübt, wenn sie, was wir aus unserer eigenen Überzeugung heraus selbstverständlich unterstützen, sagt, die deutsche Frage sei offen geblieben. Die Sowjetunion begreift die Unterschrift von 35 Staatsmännern unter dieses Bündel von Papieren als Besiegelung dessen, was sie als militärische Eroberung und ideologisch-politisch gewaltsame Umformung in Ost-Mitteleuropa erzwungen hat. Für sie ist - man lese in sowjetischen Zeitungen - diese Konferenz ein Ersatzfriedensvertrag, für uns natürlich nicht, weder für irgendeinen in der Opposition noch für die Regierung.
Wir halten fest - und dies ist ein wichtiger Teil, den auch wir, die Opposition, hier in die Ostdebatte, in die Auseinandersetzungen um die Ostverträge eingebracht haben - an jedem Wort des Briefes zur deutschen Einheit, und wir halten fest an jedem Wort der gemeinsamen Entschließung - gemeinsamen Entschließung! - des Deutschen Bundestages, und wir fühlen uns verpflichtet, dem zu folgen, was das oberste deutsche Verfassungsgericht zum innerdeutschen Grundvertrag gesagt hat.
({2})
Aber, meine Damen und Herren, die Sowjetunion hat damals schon die Ostverträge als eine endgültige Festschreibung der Teilung Deutschlands in
Europa verstanden. Und sie hat unsere offiziellen
Schriftstücke behandelt wie lästiges und unnützes
Archivmaterial. Das kann man doch nicht vergessen.
Was mich aber - darf ich das bitte sagen - doch sehr besorgt macht, ist die Tatsache, daß in der sozialdemokratischen Zeitung „Vorwärts" gerade jetzt ein schauerlicher Artikel erschienen ist, in dem, meine Herren, einer Ihrer treuesten journalistischen Freunde die eben genannte Bundestagsresolution, die wir miteinander beschlossen haben, herunter macht, der sie als „schrecklich" bezeichnet und der sagt - hören Sie bitte genau zu -, wer im Geist der Verträge Ostpolitik machen wolle - jetzt zitiere ich -,
muß die Resolution wie das Urteil
- er meint das Bundesverfassungsgerichtsurteil - ignorieren.
({3})
Meine Damen und Herren, um die zynische Gebrauchsanweisung für eine schädliche und unaufrichtige Politik, die ich darin sehe, zu vervollständigen, wird in dem gleichen Artikel von dem gleichen Autor im „Vorwärts" empfohlen, daß man bei dieser Mißachtung aber so geschickt sein solle, daß man weder mit der Entschließung - wie es dort heißt - noch mit dem Urteil von Karlsruhe kollidieren, also zusammenstoßen, dürfe.
Meine Damen und Herren, solche Stimmen werden von dem östlichen Partner gerne gehört. Sie betreiben dessen Politik.
({4})
- Meine Damen und Herren, ich möchte doch an dieser Stelle, weil ich sehe, daß Herr Börner, der sonst die Parolen ausgibt, „unerhört" und „pfui" ruft, sagen: Sie können sich doch nicht auf die Seite eines Mannes stellen, der uns allen vorschlägt, wir sollten eine Ostpolitik treiben vorbei an der Entschließung und in der Negierung der auch von Ihnen, Herr Börner, und Ihrer Fraktion hier unterzeichneten, hier gemeinsam beschlossenen Entschließung des Bundestages. Dies können Sie doch aufrichtigerweise nicht tun.
({5})
Ich habe den Artikel ja nicht geschrieben, aber Sie werden doch zugeben, daß es richtig ist, wenn ich sage und wiederhole, daß man damit die Politik der anderen Seite unterstützt.
({6})
Meine Damen und Herren! Wir wissen, wie die andere Seite - wir sehen schon erste Anklänge; ich komme nachher darauf zurück - die Genfer Papiere interpretieren will und wie sie ihrer Auslegung vieldeutiger Texte den nötigen Nachhall - vielleicht auch dadurch, daß man ein bißchen die militärischen Muskeln spielen läßt - verschaffen will.
„Vieldeutige Texte" habe ich gesagt, vieldeutig deshalb, weil es der anderen Seite gelungen ist, ihre
Behauptungen von der Unverletzbarkeit der Grenzen, auf die keine Anschläge unternommen werden dürfen, gut plaziert in das Prinzip III zu bringen. Herr Bundesaußenminister, Sie haben gesagt, es sollte keiner, auch nicht in Gedanken, der Versuchung unterliegen, die Formulierung „Anschläge" auch nur in die Nähe unserer Wiedervereinigungspolitik zu bringen. Sie haben unsere vollständige Unterstützung. Aber Sie müssen bitte zugeben, daß z. B. die sowjetische Seite für „Anschläge" einen Ausdruck hat, der weitaus schillernder als der deutsche, der englische und der französische ist. Sie werden, wenn Sie Herrn Poljanow in der „Iswestija" von gestern lesen, finden, daß dort die gleiche Formel „Anschläge" verwendet wird, nämlich: eine Politik, die der anderen Seite nicht gefällt, wird als „Anschlag auf Frieden und Fortschritt" bezeichnet. Bitte, Herr Bundesaußenminister, wir sind es nicht, die den Begriff „Anschläge" auch nur in die Nähe unserer Wiedervereinigungspolitik bringen. Das ist doch die andere Seite. Lassen Sie sich doch von den Herren Ihres Hauses die Unterlagen dafür zur Verfügung stellen! Sie sind viel zu reichhaltig, als daß man bereit sein könnte, daran vorbeizugehen.
({7})
Nach langem und zähem Ringen, wobei die deutsche Delegation sich besonders angestrengt hat, ist eine Formulierung fertiggestellt worden, wonach die Teilnehmerstaaten der Auffassung sind - ich zitiere -, „daß ihre Grenzen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht durch friedliche Mittel und durch Vereinbarungen geändert werden können". Als diese Formulierung gefunden und registriert war, wie man in Genf sagt, hat man sich hier gebärdet, als ob dies ein großer Triumph sei. Wir sind zufrieden, daß es eine Formel gibt - eine Formel, die lediglich Selbstverständlichkeiten aussagt. Diese Selbstverständlichkeiten zu wiederholen, war bis in die letzten Konferenztage hinein außerordentlich umkämpft. Aber ich darf noch hinzufügen, daß die friedliche Grenzänderung nun eben doch nicht an das Selbstbestimmungsrecht gebunden wurde. Diese Tatsache kann die Bundesregierung kaum als ihren Erfolg verkaufen.
Meine Damen und Herren, Sie sagen, die Konferenz sei keine Konferenz über Deutschland gewesen. Richtig. Aber sie darf natürlich auch nicht eine Konferenz ohne die gebührende Berücksichtigung unserer deutschen Interessen sein.
({8})
Aber - daran wird hoffentlich niemand in der Bundesregierung zweifeln - sie war, wie das Prinzip III zeigt, in ihrer ganzen Vorbereitung und Durchführung eindeutig auf Deutschland hin gezielt.
({9})
Mit dem ominösen Satz, man müsse sich - ich zitiere wieder - „jeglicher Forderung oder Handlung enthalten, sich eines Teils oder des gesamten Territoriums eines Teilnehmerstaates zu bemächtigen", will die Sowjetunion jede Diskussion über die
deutsche Wiedervereinigung ersticken und, falls sie doch geführt werden sollte, als Verletzung der Prinzipien der KSZE angreifen.
Sprechen wir es offen aus: nach sowjetischer Auslegung - und die ist eben für uns wichtig, weil dies der andere große Partner ist, der bei diesen Verträgen eine sehr wichtige Rolle spielte - wäre eine Wiedervereinigung nur noch im Wege der sogenannten Konföderation beider Staaten in Deutschland möglich. Was Ulbricht im Jahre 1958, wenn ich recht erinnere, in einem Interview mit der „Neuen Ruhr-Zeitung" und der „Neuen Rhein-Zeitung" verlangte, nämlich eine deutsche Konföderation, ist jetzt dank der formidablen Geschicklichkeit dieser und der vorhergehenden Regierung die einzige denkbare Möglichkeit in den Augen der Sowjets geworden. Dieser Gedanke mag für andere bequem sein. Für uns ist er unerträglich.
({10})
Die Genfer Texte haben in sowjetischen Augen aber eine weit über die deutschen Belange hinausgehende Wirkung, nämlich die Endgültigkeit jener durch Zwang hergestellten Ordnung, die von der östlichen Vormacht in Osteuropa gegen das Völkerrecht, sogar gegen viele Abmachungen von Jalta durchgesetzt worden ist.
({11})
Jede nationale und freiheitliche Regung in Osteuropa, die sich gegen die Okkupation z. B. Bessarabiens und der Nordbukowina, der Karpatho-Ukraine, Ostpolens, des nördlichen Ostpreußens, der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen richtet, wäre ein Verstoß gegen die Genfer Übereinkünfte. Dort wird - ebenso wie in Mitteldeutschland - bei Beibehaltung des totalitären Systems niemand sagen können, friedliche Grenzveränderungen seien nach Übereinkunft der Betroffenen möglich. Man weiß doch, daß die Menschen dort schweigen müssen und ihnen jede Chance genommen ist, ihr Selbstbestimmungsrecht auszuüben und ihre Menschenrechte wahrzunehmen.
({12})
Meine Damen und Herren, zwar sind Gewaltverzicht und Okkupationsverbot, rechtliche Gleichheit und territoriale Integrität, Freiheit und politische Unabhängigkeit, Menschen- und Individualrechte, Religions-, Gewissens-, Gedanken- und Überzeugungsfreiheit, Selbstbestimmung und Menschenwürde im Prinzipienkatalog feierlich garantiert. Das Ganze ist damit festlich drapiert. Aber angesichts der harten Tatsachen in einem Teil Europas bringt die Wiederholung dieser schön klingenden Formeln, ohne daß man über Möglichkeiten verfügt, die andere Seite zu veranlassen, nicht nur zu schreiben, sondern sich auch so zu verhalten, wie sie schreibt, keine neue politische Wirklichkeit.
({13})
Was in der Charta der Vereinten Nationen, in den Statuten der UNESCO, in den Menschenrechtspakten bereits als Grundlage menschlichen und staatlichen Zusammenlebens verankert ist, ist leider nur zu einem geringen Teil verwirklicht worden; zum
großen Teil blieb es Papier. Warum? Weil die Sowjetunion alle diese hehren Forderungen, Prinzipien, Erklärungen und Verpflichtungen zwar unterschrieben, aber nicht verwirklicht hat, weder im eigenen Lande noch in den von ihrem System überzogenen Staaten Ostmitteleuropas noch in dem von ihr geschaffenen Teil Deutschlands.
Meine Damen und Herren, der Westen hat dem sowjetischen Konferenzziel mit Nachdruck - der Herr Bundesaußenminister hat vorhin darauf hingewiesen; auch diesen Nachdruck, Herr Kollege Genscher, unterstützen wir - sein eigenes entgegengestellt: Freizügigkeit für Menschen, Informationen, Ideen und Meinungen in ganz Europa. Das haben wir in diesem Hause als Zielvorstellung einer CDU/ CSU-Politik vorgetragen und oft diskutiert. Der Westen hat diese Formulierung dann übernommen, und es lohnte sich, zu dieser Konferenz zu gehen, um darum zu ringen. An dieser Stelle zitiere ich noch einmal den Außenminister, der sagte:
Niemand hat ein größeres Interesse als wir Deutsche daran, daß die Konferenz ihr Ziel erreicht, die Beziehungen und die Kontakte auch zwischen den Menschen in ganz Europa zu verbessern.
Herr Bundesaußenminister, selbstverständlich ist dies ein wichtiges und großes Ziel. Selbstverständlich haben wir dies - auch von uns aus - als die Meinung des ganzen Westens bezeichnet. Um einen Erfolg in dieser Richtung zu erringen, haben wir in der Oktoberdebatte ja gesagt, diese Konferenz sei eine Chance. Erlauben Sie, daß ich aus meiner damaligen Rede jetzt noch einen Satz wiedergebe - ich zitiere -:
Wenn man ... sagen ... müßte, dieses Mehr an Freiheit in Europa ... sei nicht zu erreichen ..., weil die östliche Seite jede Forderung danach ohnehin als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten, als. Infiltration, als Export ideologischer Konterbande diffamiert, dann sollte das ganze Unternehmen rasch und ohne feierliche Unterschrift beendet werden.
Jedes Wort, das wir damals gesagt haben, gilt angesichts der Texte des sogenannten Korbes 3 auch heute noch.
({14})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sagt, die sowjetischen Wünsche seien bei weitem nicht erfüllt worden. Das ist richtig. Manche Hoffnungen, die man in Moskau mit der Konferenz verbunden hatte, sind nicht realisiert worden. Bei einer Konferenz von 35 Staaten unter dem Konsensprinzip kann das ja auch gar nicht anders sein. In der ersten Hälfte des Juni zeigte die Sowjetunion aber, daß sie genügend Vorteile und Zugeständnisse eingesammelt hatte, um auf ein rasches Konferenzende zu drängen. Alles andere, was sie jetzt zwar nicht im ersten Anlauf erreicht, aber keineswegs aufgegeben hat, will sie dann in späteren Konferenzen durchdrücken. Ein wichtges Etappenziel ist erreicht. Die gewünschten Platzvorteile sind gesichert. Nun kann die Propaganda beginnen und zugleich der Versuch des Westens und der Neutralen abgewehrt werden,
konkrete Festlegungen für die Menschen, für ihren unbehinderten Verkehr in Ost und West, für freie Informationen und einem umfassenden gleichgewichtigen Kulturaustausch zu erreichen.
Meine Damen und Herren, als die deutsche Seite dem Drängen nach einem raschen Abschluß, dem, wie wir es genannt haben, Überrumpelungsmanöver Widerstand leistete und unter Ihrer Losung, Herr Kollege Genscher, „Klarheit geht vor Tempo" auf Weiterverhandlungen drängte, da häuften sich sofort die Angriffe auf diejenigen, die, wie der sowjetische Außenminister sagte, künstliche Probleme schüfen. Damit war natürlich die Opposition, aber, Herr Bundesaußenminister, damit waren auch Sie, damit war Ihr Kollege Leber gemeint. Sie, Herr Kollege Genscher, werden in vielen Verlautbarungen der anderen Seite als Bremser bezeichnet, als Mann, der sich, wie es dort heißt, in zunehmende Isolierung hineinmanövriere. Sehen Sie, so rasch können unsinnige Vorwürfe konstruiert werden, so rasch können fingerfertige Propagandisten diejenigen, die sich dem sowjetischen Druck und Sog erwehren wollen, diffamieren und als isoliert abstempeln. Einige in diesem Hause, meine Damen und Herren, und manche draußen sollten sich eigentlich zu schade sein, die dümmliche Formel, daß derjenige sich isoliere, der aus seiner eigenen wohlverstandenen Verantwortung nicht im allgemeinen bequemen Strom mitschwimmt, nachzuplappern.
({15})
Meine Damen und Herren, was ist nun im sogenannten Korb 3 - mehr Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen - herausgekommen? Offen gesagt, der Westen hat das gesteckte Ziel nicht erreicht, der Durchbruch ist ihm nicht gelungen. Die Sowjetunion - ich sage es noch einmal - hat längst unterschriebene, aber nie befolgte Festlegungen aufs neue als humanitäre Erwägungen zum Gegenstand von Verhandlungen und Kompromissen gemacht. Was herauskam - lesen Sie bitte noch einmal die Texte - ist durchweg enttäuschend. Da sind Übereinkünfte über Formeln, aber nicht über Sachverhalte getroffen worden. In unseren Ohren - Herr Kollege Brandt, ich übernehme eine Formulierung von Ihnen, die Sie allerdings in ganz anderem Zusammenhang gebraucht haben - nimmt sich dieser „Formelkram" merkwürdig, ja, mitunter zynisch aus. Meine Damen und Herren, es handelt sich um einen wahren Supermarkt von Attrappen.
({16})
Herr Kollege Stücklen wird zu diesem Korb 3, zu diesen weithin dubiosen und vagen Erklärungen, hier noch sprechen. Ich füge aber noch einmal hinzu, was ich auch öffentlich gesagt habe: Was dabei herausgekommen ist, geht weit hinter die Bestimmungen der Vereinten Nationen zurück. Auch das muß man festhalten.
({17})
Meine Damen und Herren, allein schon die Formel „wohlwollend" ruft bei uns Erinnerungen an den Vertrag mit der CSSR wach, einen Vertrag, den Sie, Herr Kollege Genscher, als einen Teil des
Entspannungsprozesses oder einen Vertrag, der den Entspannungsprozeß gefördert habe, bezeichnet haben. In dem deutsch-tschechoslowakischen Vertrag ist die „wohlwollende Prüfung" von Anträgen auf Reisen und Familienzusammenführungen zugesagt worden. Die Bundesregierung hatte sich das damals als besonderes Verdienst angerechnet. Aber, meine Damen und Herren, leider muß man sagen, es ist unbestreitbar richtig, daß seit der Einführung dieser Formel weit weniger Deutsche aus der CSSR herüber dürfen als früher, bevor es einen Vertrag gegeben hat. Deshalb, meine Damen und Herren, weigern wir uns auch bei dem dritten Hauptteil der KSZE von humanitären Regelungen zu sprechen. Vielmehr sprechen wir - und ich glaube, dies ist viel exakter - von Hoffnungen auf verringerte Unmenschlichkeit.
({18})
Meine Damen und Herren, was von manchen dieser Gelöbnisse zu halten ist, daß man ungehinderter Informationen erhalten könne, haben wir jüngst - und ich nenne nur diese beiden - an zwei Vorfällen wieder deutlich gemacht erhalten. Ich denke einmal an die Weigerung der Tschechoslowaken, unserem Kollegen Kunz, nur weil er Berliner Abgeordneter ist, der, wie jeder von uns, mit Diplomatenpaß reist, ein Visum zu verschaffen. Herr Kollege Mattick, falls Sie nachher sprechen, wäre ich dankbar, wenn Sie vielleicht als Abgeordneter dieses Hauses, als einer der ältesten Abgeordneten, als Sprecher Ihrer Fraktion, als Leiter Ihres Arbeitskreises für Außenpolitik diesem Hause etwas mitteilen könnten, welche Erfahrungen Sie gemacht haben, seit es diese Art von Entspannungspolitik gibt, wenn Sie Anträge gestellt haben, um als Berliner Bundestagsabgeordneter in osteuropäische Staaten zu fahren.
Zum zweiten, meine Damen und Herren, nenne ich die erstaunlichen Zensuren, denen die positiven Stellen in den Reden des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in dem sowjetischen Massenmedien während seines Moskau-Aufenthaltes unterworfen wurden. Aber offenbar, Herr Kollege Brandt, haben die Sowjets Sie richtig eingeschätzt: Sie haben es sich gefallen lassen, daß an Ihnen selbst, obwohl Gast des mächtigsten Mannes der Sowjetunion, obwohl kräftig umworben, ein Exempel statuiert wurde, was man nämlich im Lande Lenins unter Informationsfreiheit versteht und wie man künftig in einer erwünschten Art der Volksfront mit dem ideologischen Gegner und taktischen Partner umzugehen gedenkt.
So wichtig man die Genfer Texte auch nehmen mag: die Konferenz selbst paßt nicht, meine Damen und Herren, zur europäischen Wirklichkeit, denn während man in Genf um subtile Passagen verhandelt, während man Satzteile hin- und herschiebt, den Stellenwert einzelner Formulierungen untersucht und eifrig die Gebetsmühlen der Entspannungsterminologie dreht, während dieser Zeit eilt der Kontinent selbst immer neuen Spannungen entgegen.
In Portugal zum Beispiel - jeder kann das täglich beobachten - wird in praxi das reine Gegen12810
teil der feierlichen Friedens- und Entspannungsbeschwörungen betrieben.
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Dort, an einem wichtigen Scharnier der atlantischen Welt an der Südwestecke Europas, wird sich jetzt erweisen, was diese Entspannung und was alle die vielen feierlichen und hehren Versicherungen von Genf wirklich wert sind.
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Meine Damen und Herren, niemand sollte glauben, wir würden uns in die warmen Tücher der Entspannungsillusion einhüllen lassen, wenn zur gleichen Zeit im Lande eines Verbündeten nach dem Absterben der dortigen Diktatur jetzt die kommunistische Internationale, kräftig mit Geld und Rat und Tat aus dem Ostblock versorgt, zugreift, um die zarte Pflanze demokratischer pluralistischer Entwicklungen zu ersticken. Was in Portugal in den letzten Monaten und Wochen vor sich gegangen ist, widerspricht eklatant den braven Deklamationen von Genf, es bestätigt aber die spezifische, die kommunistische Interpretation der Genfer Papiere. Es zeigt, wie im handgreiflichen Falle Entspannung und Zusammenarbeit in Europa wirklich aussehen können. Es zeigt, daß die Sowjetunion, ihre Freunde und Helfer nicht zögern, während sie in Genf von Friedfertigkeit sprechen, den Bürgerkrieg in einem Lande zu aktivieren, das weit in der westlichen Hemisphäre liegt.
({21})
Meine Damen und Herren, dies ist eine ganz ernste Sache. Wir alle sind ja Zeugen dieser Vorgänge der Ausschaltung demokratischer Parteien in Portugal, der Negierung jener Wahlergebnisse, die trotz erheblichem Druck noch ein relativ verläßliches Spiegelbild des politischen Willens der Portugiesen bilden, der Vernichtung der Pressefreiheit, der partiellen Zerstörung des Eigentums, des Triumphes politischer und ökonomischer Stupidität, mal im Rock des Politfunktionärs, mal in der Uniform des Soldaten vorgetragen. Meine Damen und Herren, das alles macht die Erklärungen von Genf zu einem ganz dubiosen Papier. Das macht sie zu Formeln der Täuschung, und es ist möglich, daß viele das verstehen als Instrumente einer falschen Beurteilung und Beruhigung.
Meine Damen und Herren, es sind die gleichen Hände, die in Genf Papiere mit Friedensformeln beschreiben, in Lissabon aber in den Spalten aller Zeitungen, jetzt auch der sozialistischen Zeitung von Herrn Rego, der „República", den Klassenkampf anheizen. Es sind die gleichen Geister, die in Genf von Gedanken- und Koalitionsfreiheit reden und die das dann in Helsinki unterzeichnen, die in Lissabon westliche Demokraten, Liberale und Sozialisten als Feinde der Entspannung und Zusammenarbeit diffamieren
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und sie mit allen möglichen Formen grober und subtiler Gewalt ausschalten, wenn es um die Ausübung der ihnen zukommenden legitimen Rechte geht.
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Meine Damen und Herren, ich habe mich in diesen Tagen oft gefragt, ob unsere Regierung tatsächlich bereit sein könnte, ihre volle Zufriedenheit mit den Genfer Papieren zu erklären. Ich habe mich gefragt, ob sie frohgestimmt nach Helsinki reist, obwohl sie doch weiß, daß Berlin ständig unter Druck bleibt. Während der Konferenz haben die Sowjets den Westmächten eine Note ins Haus geschickt, in der die Abreden des hier in diesem Hause lange besprochenen und gerühmten Berlin-Abkommens einfach übergangen werden; eine Viermächteverantwortung für Berlin als Ganzes - so sagt diese so, wjetische Note - gebe es schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Er wird also, bevor die Konferenzdokumente unterschrieben sind - damit nur jeder weiß, was er hinterher erwarten kann -, offen das in Frage gestellt, was uns vor einigen Jahren noch als Erfolg geboten wurde.
Es wird auch - Herr Kollege Brandt wird es wohl bezeugen können - die Formel des Petersberger Treffens mit Herrn Breschnew von der „strikten Einhaltung und vollen Anwendung" des Viermächteabkommens auf der anderen Seite nicht mehr wiederholt. Ich weiß, Herr Kollege Brandt, daß Sie diese Formel in Moskau gebraucht haben, wohl auch als Antwort auf eine Rede von Breschnew; aber die Wiedergabe dieser Ihrer Rede in sowjetischen Zeitungen enthält diese Ihre dort gebrauchte Formel so, wie sie die Pressestelle Ihrer Partei, der SPD, hier verbreitet hat, nicht, sondern statt dieser Formel ist eine andere hineingebracht worden, die offensichtlich der Seite Ihrer Gesprächspartner eher paßte.
Meine Damen und Herren, Sie, Herr Außenminister, haben gesagt, Berlin - von dem wir immer gesagt haben, es sei der Prüfstein für Entspannung in Europa - dürfe nicht zu einem weißen Fleck auf der KSZE-Landkarte werden. Aber es steht zu befürchten, daß es zu einer Grauzone wird und daß in Berlin, statt zusätzliche Sicherheit zu gewinnen, zusätzliche Gefährdung möglich wird. Wo - zeigen Sie es uns bitte! - ist für die praktische Berlin-Politik, für die eindeutige Sicherung der Stadt, für die volle Bewahrung des Inhalts - und jetzt übernehme ich einmal die Formel „Buchstabe und Geist" - des Berlin-Abkommens mit den KSZE-Papieren ein Vorteil errungen worden?
Ich habe mich gefragt, ob man übersehen will, daß während des Genfer Spektakulums fertig formulierte Verträge zwischen Bonn und Moskau einfach liegenbleiben, weil Moskau nicht will, daß sie auch auf Berlin erstreckt werden, ob man vergessen machen will, daß bei den Vereinten Nationen die Vertretung West-Berlins durch die Bundesregierung vom Ostblock ständig als unrechtmäßig gerügt wird, ja, daß dort sogar mit geharnischten Sowjetnoten begonnen wurde, den Namen unseres Landes in „Bundesrepublik Deutschlands" - Genitiv: Deutschlands! - umzuändern.
Meine Damen und Herren, in einer Sitzung des Auswärtigen und des innerdeutschen Ausschusses hat gestern - ich nehme nicht an, daß ich damit Vertraulichkeit breche - der Herr Bundesminister Franke treuherzig und gutgläubig
({24})
- dies ist eine versöhnliche Geste, Herr Kollege Franke, daß die Fraktion der CDU/CSU bei „treuherzig und gutgläubig" auch klatscht -, aber, so füge ich hinzu, offenbar durch Erfahrungen nicht belehrbar ausgeführt, jetzt, nach den Unterschriften unter die Genfer Papiere, werde es keiner Seite mehr möglich sein, sich nur jene Teile herauszunehmen, die ihr besonders gefallen.
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Und er hat hinzugefügt, dies gehe auch nicht, weil eine gemeinsame politisch-moralische Bindung vorhanden sei. Verzeihen Sie, ich würde gern ausrufen: O heilige Einfalt!
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Der innerdeutsche Minister, Herr Minister Franke, Sie, der Sie jeden Tag die ganze Fülle des Elends auf dem Tisch haben, der Sie sich jeden Tag mit nichts anderem beschäftigen müssen als mit der Tatsache, daß sich die früher erweckten Hoffnungen eben nicht erfüllt haben, daß Ihnen Tausende von Leuten schreiben, weil sie hoffen, daß das früher hier von dieser Stelle Mitgeteilte nun auch Realität werde, - ausgerechnet Sie, Herr Kollege Franke, können doch nicht wirklich glauben, es gebe jetzt in dieser geschichtlichen Phase eine von der anderen Seite akzeptierte gemeinsame politischmoralische Bindung. Fassen Sie doch bitte einmal in Moskau und in Ost-Berlin nach. Begreifen Sie doch endlich, meine Damen und Herren, daß für viele Leute, die die Koexistenz zur Grundlage ihrer Außenpolitik gemacht haben, die friedliche Koexistenz die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist.
Meine Damen und Herren, nehmen Sie doch bitte die propagandistische Sprachregelung von Radio Moskau, Datum: vorgestern, zur Kenntnis. Dort versucht die östliche Seite, ihre „Teile", Herr Franke, die ihr besonders gefallen, herauszunehmen, und sie sagt nicht, wie es im Text, der uns vorliegt, heißt: Alle Prinzipien werden - ich zitiere - „gleichermaßen und vorbehaltlos angewendet", sondern dort wird gesagt, es gebe ein „Kernstück" dieser Charta der friedlichen Koexistenz in Europa, und daneben, neben dem Kernstück, gebe es „Leitsätze" der Entwicklung politisch-wirtschaftlicher Zusammenarbeit, und - man höre! - daneben gebe es - ich zitiere - „Formeln" auf dem Gebiete der Kultur, des Bildungswesens, der Information und der Kontakte. Und es wird hinzugefügt: „ohne allerdings" - ich zitiere -„die innere Ordnung der Souveränität der Staaten zu berühren."
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Meine Damen und Herren, mit einer solchen Betrachtungsweise sind unsere Vermutungen und Befürchtungen bereits vor der Unterzeichnung bekräftigt, die Meinung der Regierung, repräsentiert durch Herrn Kollegen Franke, ist widerlegt, und Radio Moskau selbst beginnt, die Texte gegen Buchstaben und Geist, gerade erst ausgehandelt, zurechtzustutzen.
Meine Damen und Herren, in Genf wurde auch, und zwar bis zur letzten Stunde, über freiwillige Manöverankündigungen verhandelt. Man nennt das dort „vertrauensbildende Maßnahmen". Ich will über die Einzelheiten dieser Sache nichts sagen, aber ich finde, daß das Wort Vertrauen im Blick auf die deutschen Zustände, im Blick auf die Entwicklung in Europa, im Blick auf die Tatsache, daß in unserem Lande nach all den Beteuerungen von Entspannung und Friedfertigkeit immer noch auf Deutsche geschossen wird , - ich finde die Formulierung des Wortes „Vertrauen" für regelrecht überspannt. Meine Damen und Herren, Vertrauen kann dort begründet werden, wenn die Zusagen der sowjetischen Seite in Berlin z. B. eingehalten werden und wenn man nicht versucht, in Portugal eine kommunistische Diktatur zu errichten.
So zeigt sich hier besonders augenfällig, daß die Konferenz über Sicherheit auch geeignet ist, falsche Hoffnungen zu erwecken; und es zeigt sich ja, daß eine ganze Reihe von führenden politischen Persönlichkeiten, darunter der Außenminister soeben in seiner Rede, vor dem Irrglauben warnen müssen, nach Genf und Helsinki seien Wachsamkeit und Verteidigungsbereitschaft nicht mehr nötig.
Wenn wir die Veränderungen in der Welt und in Europa, wenn wir den Vormarsch der totalitären Macht, die unablässige Steigerung militärischer Machtentfaltung - das muß man ja hinzufügen! - in Europa, in der Mitte, an seinen Flanken, wenn man die gewaltige Rüstung der sowjetischen Flotte, der Luftwaffe, der atomaren Raketen beachtet, wenn wir dies alles als einen Ausdruck imperialer Macht und ideologischer Zielsetzung ansehen und dazu dann die Papiere von Genf legen, dann verstehen wir die Doppelstrategie sowjetischer Politik.
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Aber ich vermute, daß man merkt, wie sehr in westlichen Ländern das Maß von Klarheit und Einsicht in diese Politik wächst.
Nun, meine Damen und Herren, in den letzten Monaten sind manche Stimmen der sonst Stummen aus den Tiefen des östlichen Raumes ans Ohr des erschrockenen Westens gedrungen: Appelle von vielen Tausenden deutscher Deportierter aus weiten Teilen der Sowjetunion, Appelle, adressiert an die KSZE: „Helft uns, und vergeßt uns nicht!", Appelle von Wissenschaftlern, Künstlern, Dichtern und Musikern, Appelle an die KSZE: Helft uns, und vergeßt uns nicht!
Und einer, meine Damen und Herren, nämlich Alexander Solschenizyn, hat die Welt bezüglich der KSZE aufgerüttelt. Da rümpfen, wie ich sehe, einige die Nasen, einige, die im Wohlstand leben.
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Da ist ihnen manche kräftige Erinnerung an die Wirklichkeit in weiten Teilen Europas zu unbequem, da ist ihnen der Aufruf, diese KSZE jetzt nicht zu unterschreiben, zu hart.
Aber, meine Damen und Herren, wir sollten jenen zuhören, die mutiger sind als viele unter uns, auch mutiger als ich. Wir sollten ihre Erfahrungen ver12812
stehen und ihre Kenntnisse nicht in den Wind schlagen.
Deshalb trage ich Ihnen zum Schluß einige Sätze einer Rede von Solschenizyn vor, die jeden von uns auf allen Seiten dieses Hauses, auf den Bänken der Regierung und auf den Bänken der Opposition, angeht. Es handelt sich nicht um Textkritik der KSZE. Es handelt sich - das ist viel wichtiger, viel dringender, drängender und beschwörender - um Bitten, die einer, der herausdurfte, für Millionen ausdrückt:
Es muß abgerüstet werden, nicht nur in bezug auf den Krieg, sondern in bezug auf jegliche Gewaltanwendung. Es darf kein Apparat zur Kriegsführung mehr zurückbleiben, aber auch nicht zur Gewaltanwendung. Das heißt, nicht nur jene Waffen müssen beseitigt werden, mit denen Nachbarn vernichtet werden, sondern auch jene Waffen, mit denen die eigenen Landsleute unterdrückt werden. Das ist keine Entspannung, wenn wir heute hier
- er spricht von Amerika aus mit Ihnen die Zeit angenehm verbringen können, während dort Menschen schmachten und zugrunde gehen ... Entspannung ... darf nicht auf Lächeln begründet sein, nicht auf mündliche Zugeständnisse. Sie muß wie auf einem Felsen ruhen ... Es müssen feste Garantien dafür gegeben sein, daß die Entspannung nicht eines Nachts oder eines Morgens abgebrochen wird. Aber dafür ist notwendig, daß es eine Kontrolle über die andere Seite gibt, die in den Entspannungsprozeß einbezogen ist. Eine Kontrolle durch die Offentlichkeit, durch die Presse, durch ein freies Parlament. Solange es eine solche Kontrolle nicht gibt, gibt es auch keine Garantie.
Ich bedanke mich.
({30})
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Brandt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man zu einer angemessenen Beurteilung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa kommen will, dann darf man sich nicht von Wunschvorstellungen, auch nicht von Vorurteilen leiten lassen.
({0})
Und man darf, meine verehrten Anwesenden und auch mein sehr geschätzter Herr Vorredner, nicht eine kurzatmige, geradezu geschichtslose Betrachtung hier zugrunde legen.
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Mit der Konferenz von Helsinki wird ganz gewiß kein goldenes Zeitalter anbrechen. Die innereuropäischen Gräben werden nicht zugeschüttet, Mauern noch nicht abgetragen, hochgerüstete - ({2})
- Ja, ich sage „noch". Als ob nicht auch Sie hofften, daß es „noch" heißen muß und nicht heißen soll: „überhaupt nicht" !
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Hochgerüstete Armeen werden weiter einander gegenüberstehen, der Streit zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen und weit voneinander abweichenden Grundwerten geht weiter.
Und doch werden wir es mit einem wichtigen Datum zu tun haben,
({4})
wenn Kardinalstaatssekretär Villot, Herr Kollege Strauß, am kommenden Mittwoch in der finnischen Hauptstadt der ersten Sitzung der Staats- und Regierungschefs präsidieren wird.
Um sich die Bedeutung dieser Konferenz klarzumachen,
({5})
muß man sich - ich komme auf meinen zweiten Satz zurück, ob er Ihnen gefällt oder nicht - des geschichtlichen Zusammenhangs erinnern. Und dazu gehört, ob es uns allen miteinander gefällt oder nicht, meine Damen und Herren, in dieser Stunde der schonungslose Hinweis auf den Zustand, in dem Hitler und seine Gehilfen vor 30 Jahren jenes Europa hinterließen, das zu unterwerfen sie sich vorgenommen hatten.
({6})
- Meine Damen und Herren, warten Sie doch einen Augenblick! Mein nächster Satz lautet nämlich: Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewalt und Ausdehnung des sowjetischen Machtbereichs sind ursächlich miteinander verbunden.
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Wir haben dann erlebt, wie die Allianz zwischen den Westmächten und der Sowjetunion den zweiten Weltkrieg nur knapp überlebte, wie der Kalte Krieg in den fünfziger Jahren und noch zu Beginn der sechziger Jahre auch in unserem Teil der Welt mehr als einmal bis hart an die, Grenze einer neuen militärischen Konfrontation führte.
({8})
Wir haben erlebt, wie die beiden Supermächte schon vor Jahren bei aller weiterwirkenden Rivalität darangingen, die Gefahr einer nuklearen Konfrontation zu verhindern, sie nach Möglichkeit unter Kontrolle zu bringen. Auch in anderen Bereichen - und nicht allein auf die Weltmächte bezogen - haben wir gesehen, wie sich Elemente von Konfrontation und Kooperation miteinander vermengten.
Meine Damen und Herren, ich meine, die weitreichenden Veränderungen der politischen Weltkarte gehören mit zu dem, was wir uns in diesem Augenblick bewußt machen sollten. Aber auch aus Europa ist wieder etwas anderes und schon wesentBrandt
lich mehr geworden als ein in russische und amerikanische Einflußzonen geteilter Kontinent.
Dies und anderes, meine ich, gilt es vor Augen zu haben, wenn man die bevorstehende Konferenz in Helsinki richtig einordnen will. Die Tatsache selbst, daß sich - mit Ausnahme Albaniens - alle europäischen Staaten, die westlichen und die östlichen, die bündnisfreien und neutralen, und dazu die beiden nordamerikanischen Staaten zusammenfinden, hat allein ihr Gewicht. Vor zwanzig, vor zehn Jahren wäre das nicht möglich gewesen.
Auch wenn man an die Grundsätze, die Leitlinien und Absichtserklärungen, die in der nächsten Woche in Helsinki verabschiedet werden, mit noch so viel Skepsis herangeht, auch wenn man sie auf Grund bitterer Erfahrungen oder aus welchen Gründen auch immer mit noch so vielen Fragezeichen versieht, - das Schlußdokument der europäischen Konferenz, an dem zweieinhalb Jahre gearbeitet wurde, bleibt ein Dokument von besonderem Rang. Ich habe jedenfalls vor, mich bei passenden Gelegenheiten darauf zu berufen, und ich vermute, ja, ich befürchte, daß es an Gelegenheiten nicht fehlen wird.
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Wenn man sich klarmacht, meine Damen und Herren, wie mühsam um die Texte gerungen werden mußte, da sie in weiten Teilen ja nur auf dem Wege des Kompromisses zustande kommen konnten, ist es eigentlich überraschend, wieviel Substanz - neben den wohl unvermeidlichen Füllseln - zu Papier gebracht werden konnte. Vor zehn, auch vor fünf Jahren wäre das so nicht möglich gewesen.
Wir haben nun gehört, was die Texte, unter die der Bundeskanzler am kommenden Freitag seinen Namen setzen wird, alles nicht bedeuten: daß sie nicht neues Völkerrecht begründen, daß sie Berlin nicht ausklammern, daß sie uns nicht daran hindern, mit friedlichen Mitteln für unsere nationalen Interessen einzutreten, daß sie es den Westeuropäern nicht erschweren, sich in einer Union zusammenzuschließen. Alle diese Feststellungen haben ihre Bedeutung und ihr Gewicht.
Und doch möchte ich, daß wir an diesem Tage die andere Seite der Bilanz nicht ignorieren, daß wir sie nicht übersehen, daß wir also die Chancen nicht übersehen, die mit dem Vorgang von Helsinki verbunden sein können. Ich meine damit, die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - um den genauen Titel noch einmal zu nennen - könnte ein Ausgangspunkt sein, durch den mehr Zusammenarbeit stimuliert werden kann, von dem aus einiges mehr als bisher geschehen kann, damit Menschen in Europa einander begegnen und Ideen aneinander gemessen werden können und damit immer noch vorhandenes Mißtrauen abgebaut werden kann, ein Ausgangspunkt hoffentlich auch, um zügige Fortschritte bei den Verhandlungen über den beiderseitigen ausgewogenen Abbau von Truppen und Rüstungen zu erreichen.
Wenn mir Kollegen aus der Opposition hier entgegenhielten, sie würden es gern schon mit sehr viel mehr als Hoffnungen zu tun haben, so würde ich ihnen nicht widersprechen. Wenn die Kollegen der
Opposition sagten, in den Texten für Helsinki sei der Ansatz zu dem, was man „vertrauensbildende Maßnahmen" nennt, eher bescheiden ausgefallen, so würde ich dem auch nicht widersprechen.
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Wenn Sie, die Kollegen der Opposition, mit uns in einen Dialog eintreten wollten, durch den die vielfache Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen Lage beleuchtet würde, so könnte das vielleicht sogar manchem in unserem Volk weiterhelfen.
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Meine Damen und Herren, Rivalität und partieller Ausgleich, Rüstung und Entspannung nebeneinander, spektakuläre Kooperation im Weltraum bei besorgniserregender Konfrontation auf den Meeren, sich ausweitender Handel bei mangelnder Verständigung über Maßnahmen gegen den Hunger in der Welt, Bekenntnisse zur ideologischen Koexistenz bei unterentwickelter Bereitschaft zur eigentlichen geistigen Auseinandersetzung - nein, nicht nur der Normalbürger hat es schwer, sich in einem solchen Nebeneinander widerstreitender Tendenzen zurechtzufinden.
Aber so ist die Welt, in der wir leben. Sie ist noch komplizierter geworden in den Jahren, die hinter uns liegen. Sie birgt Gefahren, aber auch Chancen.
Diejenigen, die für die Opposition in diesem Hause das Wort führen, machen es sich und anderen unnötig schwer, wenn sie die Widersprüchlichkeiten des internationalen Geschehens beklagen - um nicht zu sagen: bejammern -, vor dem geschichtlichen Prozeß davonlaufen und sich mit allzu einfachen, zumeist engen und deshalb wenig hilfreichen Fragen zufriedengeben.
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So schön, meine verehrten Kollegen, war der Kalte Krieg nicht, daß man ihm nachtrauern müßte.
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So einfach sind auch die deutschen Fragen nicht, daß man sie allein mit Rechtsvorbehalten, durch Sondervoten oder gar durch nationale Isolierung beantworten könnte.
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Nun habe ich den Eindruck, die Kollegen von der Opposition haben sich vor allem anderen vorgenommen, hier einheitlich aufzutreten. Das ist verständlich. Aber man muß befürchten - gestatten Sie mir die Bemerkung -, daß der Einheitlichkeit ein höherer Rang eingeräumt wird als dem Inhalt der Aussagen.
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Ich fürchte, wenn ich mir die Erörterung der letzten Wochen anschaue - es ist manches gesagt und geschrieben worden -: Hier wird nicht viel zu überzeugen sein.
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Trotzdem will ich den Versuch machen, einiges zurechtzurücken. Da gibt es einmal die Zwangsvorstellung, die Sowjetunion sei mit einer Forderung durchgedrungen, die sie vor 20 Jahren erhoben habe. So einfach ist das nun wirklich nicht. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten forderten ursprünglich - so auch noch auf der Bukarester Konferenz des Jahres 1966 - die Auflösung der, wie sie sagten, Militärblöcke und die Entfernung der Amerikaner aus Europa.
Inzwischen hat sich die realistische Auffassung durchgesetzt, daß man von den bestehenden Bündnissystemen ausgehen muß, wenn man sich an das wichtige Thema und Aufgabengebiet der Bedingungen für beiderseitige Truppenreduzierungen - eine westliche Initiative, wenn ich daran erinnern darf - heranarbeiten will. Es ist inzwischen von jedermann anerkannt worden, daß die Vereinigten Staaten und Kanada Partner der europäischen Konferenz sind, d. h., daß der sicherheitsmäßige Zusammenhalt zwischen Westeuropa und Nordamerika bestätigt wird. Das heißt weiter, daß die Amerikaner auf eine neue Weise, zusätzlich zu Siegerrechten und NATO-Bindungen, mit unserem Kontinent verbunden sind und ihm verpflichtet bleiben. Dazu ist es doch nicht von alleine gekommen! Ich kann mich noch gut genug an Unterhaltungen erinnern, in denen von den einen bestritten, von den anderen bezweifelt wurde - was ich wohl verstehen konnte -, was jetzt als selbstverständlich hingenommen wird.
Und etwas anderes: Als wir 1970 den Moskauer Vertrag unterzeichnet hatten, da wurde ich hier bedrängt, ob denn nicht der Weg zur europäischen Einigung, zum westeuropäischen Zusammenschluß verbaut worden sei. Ich habe damals gesagt - der eine oder andere wird sich daran erinnern -, auch an die Realität der Europäischen Gemeinschaft werde man sich gewöhnen. Inzwischen hat sich die politische Zusammenarbeit der Westeuropäer gerade im Vorfeld von Helsinki bewährt. Der Vorsitzende des italienischen Ministerrats wird die Schlußakte zugleich als amtierender Ratspräsident der Europäischen Gemeinschaft unterzeichnen. Auch das war bis vor kurzem noch keine Selbstverständlichkeit.
Dann gibt es, meine verehrten Damen und Herren, die gewissermaßen fixe Idee vom Festschreiben der bestehenden Zustände, also weithin - gerade auch aus deutscher Sicht - unbefriedigender Zustände. Darüber haben wir bei den Verträgen von Moskau, von Warschau, von Prag, bei dem gesamten ostpolitischen Bemühen der letzten Jahre, lange und immer wieder gesprochen. Neue Argumente haben sich seitdem nicht ergeben. Ich bin unverändert davon überzeugt, daß es nur durch ein geduldiges Ringen um den Abbau von Spannungen, das auch weiterhin von Störungen und Rückschlägen nicht frei sein wird, gelingen kann, die Lage in Europa mit friedlichen Mitteln zum Besseren zu wenden.
({17})
Die Lage in Europa ist, wenn wir ehrlich sein wollen, schon etwas weniger schlecht als vor einigen Jahren.
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Es gibt keine vernünftige Alternative zu dem mit Wachsamkeit beschrittenen Weg der Entspannung und Zusammenarbeit.
({19})
Man mußte und muß von den gegebenen Verhältnissen ausgehen, um auf sie einwirken und sie verbessern zu können.
({20})
Und auch dies in aller Offenheit: Man dient nicht den Interessen des eigenen Landes, sondern man schwächt sie, wenn man von anderen Interpretationen und Behauptungen übernimmt, die tatsächlich oder vermeintlich gegen uns gerichtet sind. Herr Kollege Marx, wer betreibt denn hier die Sache der anderen Seite?
({21})
Ich will mich, meine verehrten Damen und Herren, noch mit der Legende auseinandersetzen, die deutsche Politik hätte den Russen gewissermaßen die Sicherheitskonferenz geschenkt. Ebenso abwegig ist, unsere Verbündeten und das eigene Parlament seien überfahren worden. Demgegenüber muß eine deutliche Sprache erlaubt sein. Ich sage deshalb: Die Opposition will sich nicht daran erinnern, also muß sie daran erinnert werden, daß sie - ich komme darauf gleich zurück - hier wie auf anderen Gebieten sogar hinter das zurückfällt, was in der Großen Koalition gemeinsam vertreten worden ist.
({22})
Die Protokolle weisen aus: Nachdem die Budapester Konferenz der Warschauer-Pakt-Staaten vom Frühjahr 1969 andere Akzente setzte als die voraufgegangenen Tagungen von Bukarest und Karlsbad, bin ich als damaliger Außenminister hier vor dem Bundestag am 19. März 1969 auf den stark modifizierten Konferenzvorschlag vorsichtig positiv eingegangen.
({23})
Die Akten weisen weiter aus: Auf der Ministerkonferenz der NATO in Washington im April 1969 habe ich für die damalige Bundesregierung erklärt - und darüber ist exakt berichtet worden -, daß wir wie andere Verbündete nicht a limine gegen eine gesamteuropäische Konferenz seien, sondern ich habe dargelegt, unter welchen Voraussetzungen wir dafür sein würden.
({24})
Eine solche Konferenz müsse sorgfältig vorbereitet sein. Sie werde zustandekommen, wenn die Zeit dafür reif sei. Das war dann auch die Haltung, die sich das Bündnis und auch die europäischen Partner zu eigen machten.
({25})
Um es ganz deutlich zu sagen: Über die westliche Haltung zum Konferenzprojekt ist durch den Ministerrat der NATO entschieden worden und nicht durch Bahr in Moskau oder Brandt in Oreanda.
({26})
Was sollen eigentlich unsere Verbündeten davon halten, wenn sie auf der ganzen Linie - von Jalta bis Helsinki, wie ich lese, in einem Wochenblatt besonders betont - der Unzuverlässigkeit und Nachgiebigkeit geziehen werden?
({27})
Damit führt man nicht nur, meine verehrten Kollegen, ein Nachhutgefecht gegen unsere Ostpolitik - das könnte ich ja verstehen -, sondern man verläßt in Wirklichkeit auch die Bahnen Adenauerscher Westpolitik.
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Mich interessiert jedenfalls nun vor allem, was geschehen soll und geschehen kann, wenn die Konferenz in Helsinki vorüber ist. Ich begrüße es, daß der Vorschlag aufgegriffen wurde, 1977 durch hohe Beamte - Vertreter aller beteiligten Regierungen - in Belgrad, wie inzwischen vereinbart wurde - eine Art Zwischenbilanz zu ziehen. Ich meine, die Völker Europas haben dann einen Anspruch darauf, zu erfahren, was mit den Texten geschieht, die so mühsam ausgehandelt wurden. Was tun - so wird von jetzt an die Frage lauten - die einzelnen Regierungen, um in der Praxis, gerade auch im Kleinen, im Alltäglichen dem gerecht zu werden oder - wenn nicht gerecht zu werden - doch dem nahezukommen, was in den Grundsätzen, Leitlinien und Absichtserklärungen niedergelegt wurde? Das werden wir wissen wollen. Viele andere in vielen anderen Ländern Europas werden es auch wissen wollen.
Was wird aus den vertrauensbildenden Maßnahmen? Was wird aus den menschlichen Kontakten, der Information, der Zusammenarbeit und dem Austausch in den Bereichen Bildung und Kultur? Welche Verbesserungen, und seien es zunächst auch nur bescheidene, werden sich zeigen? Welche werden sich zeigen, wo es um die Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheit geht?
Um ein Beispiel zu nennen: ich habe die Frage aufgeworfen, nicht nur im eigenen Land, wie man eine gesamteuropäische Struktur für Jugendbegegnungen entwickeln kann. Dies interessiert, wie ich weiß, viele junge Menschen in West und in Ost.
Aber meiner Meinung nach dürfen wir auch das nicht gering achten, was mit den wirtschaftlichen Beziehungen und dem technisch-wissenschaftlichen Austausch zusammenhängt. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, nur die östliche Seite sei daran interessiert. Ich sage nicht erst jetzt - unter dem Eindruck der weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten -, sondern ich habe schon als Außenminister von diesem Platz aus gesagt, daß wir am Osthandel ein erhebliches Eigeninteresse haben. Das gilt auch für Möglichkeiten eines Energieverbunds. Es gilt auch für die gemeinsame Bekämpfung der Umweltgefahren.
Wenn die Konferenz von Helsinki vorüber ist, dann werden Russen und Amerikaner, Amerikaner und Russen zunächst miteinander versuchen, ein neues Abkommen über die Begrenzung der strategischen Nuklearwaffen zustande zu bringen. Das wäre vernünftig. Die Aussichten dafür scheinen auch nicht schlecht zu sein. Aber viele von uns hier in Europa erwarten, daß man sich mit größerem Ernst als bisher dem Thema zuwendet, zu dem noch wenig ergiebige Vorverhandlungen in Wien geführt worden sind: der beiderseitigen und ausgewogenen Reduzierung von Truppen und Rüstungen in der Mitte unseres Kontinents. Dort hat sich ein Zerstörungspotential angesammelt, wie es hier in einer gewiß leidvollen Geschichte noch nie angehäuft war.
Es gibt wichtige Teilgebiete, denen wir ebenfalls unsere Aufmerksamkeit widmen sollten. Da gibt es die Studie über die Schaffung nuklearwaffenfreier Zonen, die der 30. Vollversammlung der Vereinten Nationen zugeleitet wird, nachdem sie unter der Mitwirkung unserer Regierung zuvor den Genfer Abrüstungsausschuß beschäftigt hat. Da gibt es die langjährige Diskussion über ein Verbot der C-Waffen, der chemischen Massenvernichtungsmittel. Ich begrüße es - auch wenn davon bisher nicht viel geredet worden ist, aber es muß hier mal gesagt werden -, daß die Bundesregierung hierzu eine Initiative ergriffen hat, zu der wir auch legitimiert sind, weil die Bundesrepublik Deutschland schon vor 20 Jahren auf die Herstellung atomarer, bakteriologischer und chemischer Waffen verzichtet hat.
({29})
Es gibt übrigens auch Vorschläge, wie Rüstungsexporte -auch dies ist ein wichtiges Thema - in der heutigen Welt eingegrenzt werden könnten. Wir sollten uns nicht entmutigen lassen, alle vernünftigen, halbwegs realistischen Bemühungen um konkrete Schritte im Bereich der Rüstungsverminderung nachdrücklich zu unterstützen. Aber mindestens so wichtig ist, was - zumal auf kürzere Sicht - geschehen kann, um auf die Krisengebiete rund um das Mittelmeer mit Mäßigung und Weitblick einzuwirken. Es hieße den Kopf in den Sand stecken, wollte man über den Texten von Helsinki vergessen, daß die uns unmittelbar benachbarte Region voller Gefahren steckt.
Nun kommt der Kollege Marx und sagt „Portugal". Ich sage dazu jetzt nur so viel: Geben wir uns bitte keiner Vereinfachung hin, die der Sache
nicht dient und niemandem hilft! Portugal trägt schwer an seinem unglücklichen Erbe. Mit Belehrungen aus der bundesrepublikanischen Loge ist denen wenig geholfen, die sich an Ort und Stelle - sei es innerhalb der Militärbewegung, sei es innerhalb der Parteien - um einen rechtsstaatlichen demokratischen Kurs bemühen.
({30})
Um es ganz klar zu sagen: Ich war und ich bin dagegen, daß man Portugal abschreibt,
({31})
statt ihm die Perspektive konstruktiver europäischer Zusammenarbeit deutlich zu machen. Es ist schon viel Zeit ins Land gegangen. Ich habe das früher gesagt und sage es heute wieder.
({32})
Im Vorfeld dieser Debatte - ich will auch das nicht übergehen; ich gebe damit auch Kollegen die Gelegenheit, ihrerseits darauf einzugehen, wenn sie es möchten - war viel von dem Gespenst, dem, wie ich meine, Schreckgespenst eines sozialistischen Europa die Rede. Auch die Schlagworte einer Volksfront oder Einheitsfront wurden ins Spiel gebracht. Was das letztere angeht, so soll jeder wissen - ich sage es noch einmal -, daß sich dieses Thema für uns, für meine politischen Freunde und mich, nicht stellt. Die deutschen Sozialdemokraten sind entschiedene Gegner solcher Verbindungen in unserem Lande.
({33})
Wer wollte jedoch bestreiten, daß die Dinge in manchem anderen Land sehr viel komplizierter liegen? Vielleicht erkundigen sich die interessierten Kollegen der Union einmal bei ihren Freunden von der Democrazia Cristiana.
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Nun ein Wort zu den Warnungen vor einem sozialistischen Europa. Die innenpolitische Absicht eines solchen Geredes ist durchsichtig. Manche wollen hier etwas auf einen Nenner bringen, was sich nicht auf einen Nenner bringen läßt. Taktik und Vorurteile ändern jedoch nichts daran - das wissen doch auch die Repräsentanten der Union -, daß Sozialdemokraten, demokratische Sozialisten in zahlreichen Ländern des nichtkommunistischen Europa Regierungen führen, an Regierungen beteiligt sind oder sonst über erheblichen Einfluß verfügen. Man will uns doch nicht etwa von diesen Ländern trennen? Man will doch hoffentlich auch nicht einen Keil in die Reihen derer treiben, die miteinander Stützen des freiheitlichen Europa sind? Das kann doch nicht, das könnte doch nicht eine vernünftige deutsche Politik sein. Es ist schon bedenklich genug, daß die große Opposition dieses Hauses mit ihrem - ich muß es so nennen - Eifern gegen die europäische Konferenz auf einem europäischen Abstellgleis gelandet ist. In der Tat, mit der Haltung der Unionsparteien zu Helsinki stünde die Bundesrepublik Deutschland isoliert da, und dies durfte nicht eintreten.
({35})
Wo landet man denn anders als auf dem Abstellgleis, wenn man mit dem Osten nicht zusammenarbeiten will, weil er zu gefährlich ist,
({36})
und wenn man sich gleichzeitig vom Westen isoliert, weil man ihn für zu schlapp erklärt oder für zu sozialistisch hält?
({37})
Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten uns nicht von dem Weg abbringen lassen, den die Außenminister Scheel und Genscher beschritten haben, als sie in den letzten drei Jahren mit ihren Mitarbeitern die Vorarbeiten zur Konferenz von Helsinki so betrieben und beeinflußt haben, daß wir ja dazu sagen können. Wir möchten den Bundeskanzler wissen lassen, daß jedenfalls die Mehrheit dieses Bundestages eindeutig hinter ihm steht,
({38})
wenn er in Helsinki für die Bundesrepublik Deutschland spricht und unterzeichnet.
Lassen Sie mich mit ein paar Sätzen abschließen, die ich übrigens kürzlich so auch in der Hauptstadt der Sowjetunion gesagt habe: Ein gesamteuropäisches Gespräch über die große Trennungslinie von 1945 hinweg ist möglich geworden. Die, wie man sagt, ideologische Abgrenzung zwischen West und Ost bleibt bestehen, aber in mehr als einem Teil der Welt beginnen manche sich der Einsicht zu beugen, daß der Friede, die Arbeit an ihm, mit anderen Worten die Organisierung des Friedens, höher stehen muß als alle Ideologie. Der Friede wird die große Bewährungsprobe sein, auch für die Wirklichkeitsmacht der Ideologien und Überzeugungen.
({39})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Marx hat seine Rede mit einem Zitat von Solschenizyn geschlossen. Darin werden Idealvorstellungen für Gesellschaftssysteme und ihre innere Ordnung auf unserem Erdball beschrieben. Es sind Ziele, die zu verwirklichen alle Demokraten aufgerufen sind. Genauso begreifen wir den Inhalt unserer Politik. Wir stellen uns dieser Aufgabe, die Opposition aber weicht ihr aus.
({0})
Meine Damen und Herren, die Opposition begnügt sich mit der Beschreibung einer unvollkommenen Wirklichkeit, die Lösung der Probleme überläßt sie anderen.
({1})
Im übrigen hört man aus dem Debattenbeitrag des Herrn Kollegen Marx immer wieder nur das Nein der Opposition zur Ost- und Deutschlandpolitik
({2})
und zum Entspannungskonzept der Bundesregierung. Nun darf, nein, nun muß die Opposition in der parlamentarischen Auseinandersetzung kritische Positionen einnehmen, Gegenpositionen beziehen, aber, meine Damen und Herren, sie müssen doch realistisch und glaubhaft sein. Ich frage mich, ob die Opposition diese Abseitsstellung in Europa, auch abseits vom Heiligen Stuhl, ebenfalls dann einnehmen würde, wenn sie in der Regierungsverantwortung wäre.
({3})
Meine Damen und Herren, diese Frage beantwortet sich dann aber von selbst. Über den „Vorwärts" möchte ich in diesem Zusammenhang genausowenig sprechen wie über den „Bayernkurier".
({4})
Meine Damen und Herren, die Darstellung der KSZE-Beratungen und die Würdigung der Ergebnisse, wie sie der Außenminister soeben für die Bundesregierung hier vorgetragen hat, finden die volle Zustimmung der Fraktion der Freien Demokraten. Diese Haltung meiner Fraktion darf ich mit einigen Bemerkungen kurz erläutern.
Über Sinn und Zweck der zweijährigen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit wird sicher noch lange debattiert und gestritten. Gestritten wird ja auch über das Mißverhältnis zwischen der politischen Substanz ihrer Schlußakte und der hochkarätigen Versammlung von Staats- und Regierungschefs, mit der in Helsinki ein demonstrativer Schlußpunkt unter die langen Verhandlungen gesetzt werden soll. Über diese Fragen mag man in der Tat streiten, ja, sie werden eine gesicherte Antwort tatsächlich erst viel später finden; denn was die KSZE für die beteiligten Länder und für den Frieden in Europa wirklich bedeutet, wird erst die Zukunft erweisen.
Die in der Schlußakte formulierten Grundsätze und Absichtserklärungen zeigen politische Richtpunkte auf und schaffen selbst Bindungswirkungen aus übernommenen Pflichten. In jedem Fall bedürfen die festgehaltenen Prinzipien und erklärten Absichten aber der Konkretisierung durch die praktische Politik. Erfolge werden uns dabei auch künftig nicht in den Schoß fallen. Der Prozeß der Entspannung wird ein mühsames Ringen mit den Staaten des Otsblocks um mehr Menschlichkeit bleiben.
Zähigkeit und Geduld werden unsere Anstrengungen auf diesem Weg gleichermaßen begleiten müssen. Die Aufgabe dürfen wir aber anpacken in dem Bewußtsein einer gestärkten Europäischen Gemeinschaft. In der Zusammenarbeit in der KSZE hat sich die Europäische Gemeinschaft in ihrer politischen Handlungsfähigkeit bewährt, ja sie hat sichtbar an Profil gewonnen. Wie in der Erklärung des Europäischen Rates sichtbar geworden, wird uns diese Geschlossenheit auch bei der Lösung der deutschen Probleme zugute kommen. Dieser Unterstützung bedürfen besonders die Deutschen in ihrer prekären Lage. Wir sollten deshalb dankbar dafür sein, daß sie uns in diesem Entspannungsprozeß zuteil wird.
Meine Damen und Herren, was nun allerdings diese Sondersitzung des Deutschen Bundestages betrifft, so will sie mir im Grunde genauso unnötig erscheinen wie fast alle Sondersitzungen, zu denen dieses Parlament aus den Ferien zusammengerufen wurde.
({5})
Die parlamentarische Behandlung eines rein exekutiven Vorgangs, der keiner Ratifizierung bedarf, ja überhaupt keiner Ratifizierung fähig ist, schafft völlig überflüssigerweise ein politisches Klima mit Quasi-Ratifizierungscharakter.
Aber die Regierung konnte auf diese Sitzung nicht mehr verzichten, nachdem die Opposition ihre ablehnende Haltung im Auswärtigen Ausschuß mit der Behauptung zu rechtfertigen versuchte, das Ergebnis der KSZE sei für die nationalen deutschen Interessen schädlich. Es ist schon ein sehr widerspruchsvolles Verhalten: Auf der einen Seite befürchtet die Opposition, ja bejammert und beklagt sie, daß die Sowjetunion ganz sicher versuchen werde, das Ergebnis der KSZE in den Rang des Völkerrechts hineinzudiskutieren - eine Interpretation, die die Dinge in der Tat auf den Kopf stellen würde.
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Auf der anderen Seite wird dem Vorgang die größtmögliche politische Bedeutung eben dadurch verschaft, daß die Opposition durch den Inhalt ihrer Kritik und eine bereits seit langem angekündigte Entschließung die parlamentarische Behandlung geradezu erzwingt. So leisten wir uns denn - abweichend von allen beteiligten 35 Ländern - eine höchst bedenkliche und, wie ich meine, überflüssige Demonstration, und das auch noch zur Sommerzeit.
({7})
Meine Damen und Herren, nun ist es ja keineswegs abwegig, nach dem „cui bono?" zu fragen. Schließlich war es ein erklärtes Ziel der sowjetischen Politik, durch die Konferenz die territoriale Lage, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa entstanden war, bestätigen zu lassen und so ihre machtpolitischen Interessen abzusichern.
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Sie hätte der Konferenz deshalb am liebsten den Charakter einer Friedeskonferenz beigemessen. Aber genau das ist der Sowjetunion nicht gelungen. Es handelt sich eben um keine Friedenskonferenz, es wird kein Staatsvertrag abgeschlossen, und es entsteht kein neues Völkerrecht, auch kein regionales.
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Erfreulicherweise werden nach Unterzeichnung der Schlußdokumente daraus auch die erforderlichen Konsequenzen gezogen. Die Übersendung der Schlußakte an das Sekretariat der Vereinten Nationen erfolgt mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß die Ergebnisse nach Art. 102 der Charta der Vereinten Nationen dort nicht registrierbar sind.
({10})
Dies kann das Parlament natürlich nicht von der Pflicht entbinden, die Ergebnisse dennoch zur Kenntnis zu nehmen und politisch mit Sorgfalt zu würdigen und zu werten.
({11})
Der Vorgang hätte sich aber doch wohl so nüchtern und distanziert abspielen müssen, daß nicht die den Verhandlungsergebnissen fehlende Vertragsqualität durch eine besondere politische Qualität ausgeglichen wird.
({12})
Es will mir so scheinen, als würde hier ungewollt mitgeholfen, Inhalt, Grenzen und Verantwortlichkeiten zu verwischen.
Meine Damen und Herren, offensichtlich braucht die Opposition diesen Vorgang für ihre innenpolitische Selbstdarstellung. Auf dem Gebiet der Außen- und Entspannungspolitik hat sie nun einmal einen Nachholbedarf, den sie bei dieser Gelegenheit gern decken möchte. Die CDU/CSU hat es auf diesem Felde offenbar nötig, ihr Ansehen zu verbessern. Zugleich erfüllt sie professorale Strategiekonzeptionen und bayrische Forderungen, wenn sie sich von der Stimmenthaltung, dem bisherigen Generalnenner der außenpolitischen Gemeinsamkeiten, jetzt zu einem geschlossenen Nein aufschwingt.
({13})
Das Objekt, an dem die Opposition diesen Gestaltungsprozeß vollzieht, scheint mir dafür allerdings völlig ungeeignet. In einer Welt m it zahlreichen Krisenherden und fortbestehenden Konflikten, in einer Welt voller Spannungen ist Entspannungspolitik noch eine zu zarte Pflanze und das Ringen um gemeinsame Verhaltensnormen noch zu mühevoll, als daß man sie bereits als taktisches Mittel für innerparteiliche Auseinandersetzungen einsetzen dürfte.
({14})
Und doch darf der Dialog zwischen Regierung und
Opposition nicht abreißen, gerade jetzt nicht. Wie
könnten wir vor den internationalen Aufgaben bestehen, wenn es uns nicht gelänge, die aufgerissenen Gräben im nationalen Bereich zu überwinden?
Was nun aber die Sache selbst angeht, so werden wir uns bemühen, die verbale Forderung der Opposition auch tatsächlich zu erfüllen. Wir werden uns hüten, die Konferenzergebnisse zu überschätzen. Wir überbewerten sie nicht, aber wir schätzen sie auch nicht gering.
({15})
Nach unserem Verständnis werden in der Schlußakte Positionen für die Zusammenarbeit im internationalen Maßstab dokumentiert; es werden damit Prinzipien als gemeinsam verpflichtend bestätigt, die bereits an anderer Stelle, wie z. B. in der UNO oder in zweiseitigen internationalen Verträgen, festgelegt und angewandt werden. Damit versuchen die 35 Teilnehmerstaaten in der Schlußakte die Summe der größtmöglichen Gemeinsamkeiten zum Ausgangspunkt ihrer zukünftigen Politik zu machen. Skeptiker werden sagen, es sei ein sehr geringes Maß an Gemeinsamkeit, das bei dem bestehenden Ideologiekonflikt auch noch der Gefahr unterschiedlicher Auslegung ausgesetzt sein werde. Und doch sollten wir das Erreichte nicht negieren. Zu Recht ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß Amerika und Kanada Teilnehmerländer sind. Nicht daß die Sowjetunion die Beteiligung überhaupt akzeptieren mußte, ist wichtig, entscheidend ist vielmehr, daß damit die Kompetenz der Vereinigten Staaten anerkannt worden ist, in und für Europa zu handeln, jetzt und in der Zukunft.
({16})
Die gemeinsame Verantwortung der Vier Mächte für Deutschland und Berlin als Ganzes hat damit eine bedeutungsvolle Entsprechung gefunden.
Neben den wirtschaftlichen Prinzipien ist die Summe der Absichtserklärungen zur Verbesserung des Austauschs von Menschen und Meinungen von besonderem Gewicht. Gewiß sind hier nur Absichten formuliert, gewiß wird niemand übersehen, in wie viele Wenn und Aber das alles eingebettet ist. Und doch liegt in diesen Absichtserklärungen gerade für die Staaten des Ostblocks eine politische Bindung, die hoffnungsvoll stimmen sollte. Und hoffnungsvoll stimmt sie auch die Menschen in diesen Ländern.
Meine Damen und Herren! Wir werden nicht müde werden, die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Pakts hier immer wieder beim Wort zu nehmen.
Verehrter Herr Kollege Marx, in diesem Zusammenhang von einem Supermarkt von Attrappen zu sprechen, ist leider wohl mehr als nur ein bedauerliche Ausrutscher.
({17})
Für Berlin, meine Damen und Herren, bringt das Ergebnis von Genf nicht die Lösung der staatsrechtlichen Problematik. Die staatsrechtliche Sonderstellung, die durch den alliierten Vorbehalt zu Art. 144
des Grundgesetzes entstanden ist, und die nach dem Viermächteabkommen so fortbesteht, wird von dem Ergebnis der KSZE nicht berührt und schon gar nicht verändert.
Mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Art. 23 unseres Grundgesetzes und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1951, wonach Berlin Teil der Bundesrepublik ist, und den alliierten Vorbehalten sowie dem Viermächteabkommen, wonach Berlin kein konstitutiver Bestandteil der Bundesrepublik ist, müssen wir in unserer Tagespolitik nun einmal fertig werden. Wir sind allerdings davon überzeugt, daß dies nach den Ergebnissen der KSZE leichter möglich wird, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Bei dieser Sachlage ist es unnötig und zeugt nicht von politischer Klugheit, die Berlin-Frage ausgerechnet im Zusammenhang mit der KSZE in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu rücken.
({18})
Es trägt fast schon masochistische Züge, in diesem Augenblick eine Berlin-Debatte vom Zaun zu brechen.
({19})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat auf die von der Opposition aufgeworfene Frage, inwieweit die Konferenzergebnisse auch für Berlin wirksam werden, eine allseits befriedigende Auskunft gegeben. Wir sollten es damit genug sein lassen.
({20})
Die KSZE ist in der Tat der umfassendste Versuch einer Kooperation zwischen Ost und West, den es seit dem Ende des zweiten Weltkrieges gegeben hat. Die von der Regierung Brandt/Scheel 1969 eingeleitete neue Ostpolitik hat dazu den notwendigen und längst überfälligen deutschen Beitrag geleistet. Nicht zuletzt durch den Abschluß der Verträge von Moskau und Warschau sowie des Viermächteabkommens über Berlin hat die Bundesregierung die Voraussetzungen dafür mit schaffen helfen, daß die Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zum Konferenzthema wurden. Sie hat auf diese Weise mit Erfolg die Bemühungen der Sowjetunion vereitelt, die Konferenz zu einer Konferenz über Deutschland und Berlin zu machen. Wir sollten die erfolgreich abgewehrten Bestrebungen der Sowjetunion jetzt nicht nachträglich wieder beleben.
Auch bei der prinzipiell positiven Beurteilung der auf dem Feld der Entspannungspolitik in einem zweijährigen Ringen zutage geförderten Ergebnisse darf die in der Welt tatsächlich fortbestehende Bedrohung nicht aus den Augen verloren werden. Die Konferenz kann die Verteidigungsbereitschaft und die Verteidigungsanstrengungen des Atlantischen Bündnisses nicht ersetzen. Wir haben deshalb nicht die Absicht, uns durch die Konferenz oder durch ihren glanzvollen Abschluß blenden zu lassen. Uns kann man nicht schlaftrunken machen, und wir haben schon gar nicht vor, an der Zerstörung unserer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung mitzuwirken. Solange die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Paktes ihre Rüstung in dem unerhörten Ausmaß vorantreiben, wie das gegenwärtig geschieht, leisten auch wir unseren Beitrag zur Friedenspolitik, ohne in unseren Verteidigungsanstrengungen im mindesten nachzulassen. Wir werden deshalb unsere Bündnisverpflichtungen erfüllen und dabei darauf achten, daß das Bündnis seine Schlagkraft bewahrt und dadurch seine abschreckende Wirkung behält.
Meine Damen und Herren, es wäre allerdings gut, wenn sich dieser seltsame Wechselschritt von Entspannung und Rüstung in seinem Widersinn überall auf der Welt endlich auflösen lassen könnte. Erst wenn der Entspannung und der Friedenspolitik tatsächlich Vorrang vor der Rüstung eingeräumt wird, kann Entspannungspolitik glaubwürdig werden.
({21})
Vielleicht bringen das Ergebnis von Genf und die Schlußakte von Helsinki die Bemühungen der Staaten auf diesem Weg der Vernunft einen Schritt weiter. Es wäre jedenfalls zu wünschen, daß die Beteuerung des Willens zur Entspannung mehr ist als nur ein gruppendynamischer Vorgang zur Selbstbestätigung der Staats- und Regierungschefs.
Die Abrüstungsgespräche in Wien werden hier für die beteiligten Länder sehr bald zur Nagelprobe. Wir können es uns jedenfalls nicht leisten, die Verbindung zwischen politischer und militärischer Sicherheit aus dem Auge zu verlieren. Erst praktische Ergebnisse bei den MBFR-Verhandlungen über ausgewogene Truppenverminderungen in Europa können die Voraussetzungen dafür schaffen, daß ein Zustand gegenseitigen Vertrauens in Europa erreichbar wird. Die bloße Wiederholung von Entspannungsabsichten auf Redner-Olympiaden wird uns diesem Ziel keinen Schritt näherbringen. Dazu sind vielmehr vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich. Die Minderung der Rüstung muß Schritt für Schritt durchgeführt und für die Menschen auf unserem Kontinent zur greifbaren Wirklichkeit werden.
({22})
Wenn dieser Zustand einmal tatsächlich erreicht sein sollte, werden sich auch mehr Menschen in unserem Lande unter Entspannungspolitik konkret etwas vorstellen können.
({23})
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Stücklen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zum Eingang meiner Ausführungen, daß ich auf ein paar Bemerkungen des Herrn Kollegen Brandt eingehe, insbesondere auf seine Feststellung, daß Hit12820
ler und seine Gehilfen 1945 in Europa einen Zustand hinterlassen haben, der es erst ermöglicht hat, daß der Bolschewismus diesen Weg in Richtung auf Westeuropa antreten konnte. Sie haben bei dieser Feststellung nur eines außer acht gelassen: daß es ohne den Hitler-Stalin-Pakt am 23. August 1939 nicht möglich gewesen wäre, daß dieser Weg mit dem Ergebnis angetreten wurde, das Sie für 1945 hier bedauert haben.
({0})
Nun, ich hatte auch geglaubt, Herr Kollege Brandt, daß Sie zu den Ausführungen, die mein Kollege Marx hier gemacht hat, und zu dem Zitat aus dem „Vorwärts" Stellung nehmen würden.
({1})
- Nein, jetzt sind wir beim „Vorwärts", nicht beim „Bayernkurier".
({2})
Sie haben diese Ungeheuerlichkeit unwidersprochen stehenlassen.
({3})
Sie haben auch die von Ihnen getragene Regierung und einen Vorgang in diesem Parlament, den Sie mitkonzipiert und mitgetragen haben, desavouieren lassen, wodurch jene zu Handlangern Ihrer Politik werden, von denen Sie sagten, daß sie es nicht sein sollten.
Ich möchte das wiederholen, damit es vielleicht ein nachfolgender Redner
({4}) auch im Interesse des Vorsitzenden der SPD - ({5})
- Nein, nein, wir sprechen über das, was im „Vorwärts" vom 24. Juli 1975 stand. Darüber sprechen wir, ob Ihnen das jetzt gefällt oder nicht.
({6})
Hier steht:
Die Union versichert zwar, sie wolle die Verträge achten, doch nur in der Auslegung des Verfassungsgerichtsurteils zum Grundvertrag und der schrecklichen Bundestagsresolution vom Frühjahr 1972.
({7})
Diese Auslegung grenzt an die Aufhebung der Verträge. Wer in ihrem Geist Ostpolitik treiben will, muß die Resolution wie das Urteil ignorieren,
({8}) ohne mit ihm zu kollidieren.
({9}) Da frage ich, Herr Vorsitzender der SPD: Wer betreibt hier die Sache der anderen Seite, hier im „Vorwärts"?
({10})
- Herr Jahn, das schaffen Sie auch mit so einfachen Zwischenrufen nicht aus der Welt.
({11})
- Andere haben Sie noch nie fertiggebracht. Sie konnten die Nagelprobe noch nicht machen, Herr Jahn. Vielleicht kommen Sie noch dahinter.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn in wenigen Tagen in Helsinki die Abschlußsitzung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa stattfindet, hat Moskau damit ein wichtiges Etappenziel mit Hilfe der Bundesregierung während der Bundeskanzlerschaft Brandts mit seinem Gehilfen Bahr erreicht. Der Schwerpunkt dieser Konferenz ist in erster Linie in Zielrichtung auf Deutschland angelegt, auch wenn es nicht ausdrücklich im Text so beschrieben ist. Der Sowjetunion geht es entscheidend darum, daß die Gebietseinverleibungen und die dadurch von ihr neu gezogenen Grenzen nach dem Abschluß der Ostverträge durch eine feierliche Erklärung der übrigen europäischen Staaten, erweitert durch die USA und Kanada, bestätigt werden, ohne daß sie und die anderen Staaten des Ostblocks verbindliche Zugeständnisse in dem Bereich der Menschenrechte, der Freizügigkeit
von Menschen, des Austauschs von Informationen und Meinungen zu machen bereit sind. Die Sowjetunion wird dieses Ergebnis bestätigt erhalten, ohne daß bei der Konferenz über eine gegenseitige und ausgewogene Truppenreduzierung in Europa in Wien, die derzeit auf dem toten Punkt angelangt ist, auch nur die geringsten Zugeständnisse, die eine wirklich erkennbare Verbesserung der Sicherheitssituation in der Bundesrepublik und in Europa bedeuten würden, gemacht werden. Wir sehen also wiederum einseitige Zugeständnisse des Westens ohne entsprechende Gegenleistungen des Ostblocks.
Deshalb muß erneut festgestellt werden, daß das Ergebnis der KSZE unausgewogen ist und zu Lasten Deutschlands geht. Wenn die Sowjetunion auch nicht alles erreicht hat, so hat sie doch weitere wesentliche Pflöcke in Richtung endgültiger Entscheidungen eingerammt und gleichzeitig über diesen Weg begonnen, ihren Einfluß auf die Entwicklung des freien Teils Europas mit dem Ziel auszudehnen, die politische Einigung Europas zu verhindern und die Truppen der USA aus Europa zu verdrängen. Wovor wir warnen, ist, daß wir uns mit einer nur scheinbaren Sicherheit abfinden, ohne daß die tatsächlichen Voraussetzungen für unsere Sicherheit und die Sicherheit des freien Europas geschaffen sind.
({12})
Die ungeheuren Rüstungen des Ostens, die verstärkte Abgrenzung der DDR gegenüber der BunStücklen
desrepublik auf der einen Seite und die feierlichen Erklärungen, die jetzt in Helsinki vorgesehen sind, auf der anderen Seite stehen in einem unvereinbaren Gegensatz zueinander. Sie sind ein unüberbrückbarer Widerspruch.
Deutschland als ein geteiltes Land hat darüber hinaus besondere Interessen wahrzunehmen, die bei keinem anderen Konferenzteilnehmer vorhanden sind. Nicht die Vereinigten Staaten, nicht Frankreich, nicht England und andere Staaten sind geteilt, sondern Deutschland insgesamt ist in die Bundesrepublik Deutschland und die DDR geteilt und hat das besondere Problem Berlin. Deshalb sind eben die Interessen der Bundesrepublik Deutschland weitergehend als die Interessen der anderen teilnehmenden Staaten an dieser Konferenz.
({13})
Es ist in erster Linie Aufgabe unserer Regierung, mit äußerster Konsequenz unsere nationalen Interessen zu vertreten und sich nicht damit abzufinden, daß die anderen Staaten, die von der Schlußakte kaum berührt werden, ihre Zustimmung dazu geben. Da Einstimmigkeit als Voraussetzung für den Abschluß der KSZE vereinbart war, bestand die Möglichkeit, Dinge richtigzustellen - und zwar unmißverständlich richtigzustellen -, die seit dem Abschluß der Ost-Verträge trotz der gemeinsamen Entschließung vom 17. Mai 1972, die in einem offiziösen Organ der SPD bestritten wird, und des Briefes zur deutschen Einheit gegen uns ausgelegt werden.
Rechtzeitig vor Ende der Konferenz mußte das eingebracht werden, was die Bayerische Staatsregierung zu diesem Fragenkomplex vorgelegt hat. Diese Vorlage verfolgte einen einzigen Zweck: Schaden von Deutschland abzuwenden und sicherzustellen, daß unserer Verfassung gemäß in der Regelung der deutschen Frage durch die Konferenz nichts vorweggenommen wird.
In diesem Entschließungsantrag der Bayerischen Staatsregierung wird nochmals bekräftigt, was unsere Verfassung jeder Bundesregierung und jedem unserer Verfassungsorgane vorschreibt und was das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Grundvertrag nochmal verpflichtend festgestellt hat: daß die Fortexistenz Gesamtdeutschlands von den Ergebnissen der KSZE nicht berührt werden darf, daß im Sinne des weiterhin fortgeltenden Deutschlandsvertrags von 1954 erst eine frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands schaffen kann, daß mit friedlichen Mitteln eine Wiedervereinigung Deutschlands mit freiheitlich-demokratischer Verfassung verwirklicht werden muß, daß die Bindungen zwischen Berlin und der übrigen Bundesrepublik aufrechtzuerhalten und zu entwickeln sind und daß Berlin in die prinzipiellen und praktischen KSZE-Beschlüsse einschließlich der Folgevereinbarungen einzubeziehen ist.
Das war ein Vorschlag, der im Bundesrat von der Bayerischen Staatsregierung vorgetragen worden ist. Es wäre möglich gewesen, weil es Dissens gibt, weil es unterschiedliche Auslegungen gibt, daß man das im nationalen Interesse Deutschlands jetzt gerade vor Unterzeichnung der Ergebnisse der Konferenz von Genf mit der notwendigen Deutlichkeit festgelegt hätte, was man beim Abschluß der Verträge versäumt hat.
({14})
In der Entschließung sollte außerdem das Prinzip der Sicherheitskonferenz - Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Völker - ausdrücklich begrüßt werden. Es sollte darauf hingewiesen werden, daß es dem deutschen Volk bislang versagt blieb, die ihm auferlegte Teilung durch Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts zu überwinden. Eine mit friedlichen Mitteln verfolgte Politik der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts in Freiheit verstößt keinesfalls gegen einen der Grundsätze der KSZE.
Wie schon die Große Anfrage der CDU/CSU vom 8. Juli 1974 hatte auch die von Bayern im Bundesrat eingebrachte Entschließung das Ziel, konstruktive Opposition zu leisten
({15})
- sie hatte das Ziel, konstruktive Opposition zu leisten ({16})
- wir haben dies hier im Bundestag übernommen, Herr Kollege Arndt -, wie dies unsere verfassungsmäßige Pflicht ist und so, wie wir es auffassen, der Bundesregierung in schwierigen internationalen Verhandlungen in grundsätzlichen Fragen unseres nationalen Selbstverständnisses im Interesse Deutschlands den Rücken zu stärken. Das war der Sinn unserer Vorstellungen.
({17})
Mit der Großen Anfrage der CDU/CSU haben wir unsere warnende Stimme erhoben, mit dem Entschließungsantrag der Bayerischen Staatsregierung im Bundesrat haben wir unsere Hilfe angeboten. Sie haben beides in den Wind geschlagen; Sie tragen somit auch allein die Verantwortung für das, was Sie auf dieser Konferenz ausgehandelt haben. Dies möchten wir für heute und für die Zukunft festhalten.
({18})
Wir haben leider schon nachträglich recht bekommen.
({19})
Es wäre gut gewesen, wir hätten vergeblich gewarnt und es wäre die Warnung nicht nötig gewesen.
({20})
- Wir haben gewarnt und haben nachträglich recht bekommen.
({21})
Ich komme noch darauf, Herr Wehner. Es wird Ihnen sehr unangenehm sein, wenn Sie noch einige Wahrheiten von mir erfahren müssen.
Diese Konferenz behandelt Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Ich frage Sie: Wer rüstet denn auf wie nie zuvor, wer bedroht denn die Sicherheit Europas? Wer kapselt sich ab, geistig durch Verhinderung freien Gedankenaustausches und materiell durch Errichtung eines Eisernen Vorhangs? Wer behindert denn die Zusammenarbeit in Europa? - Doch ganz gewiß nicht die Bundesrepublik Deutschland und ebensowenig die mit ihr befreundeten verbündeten Staaten und neutralen Staaten des freien Europas!
Vor wenigen Tagen schrieb die „Neue Zürcher Zeitung", die man wohl kaum als Zeitung des Kalten Krieges bezeichnen kann, Bemerkenswertes zu diesem Thema. In ihrem Aufmacher war die Überschrift: „Taube Nüsse in den KSZE-Körben". Ich bringe einige Stellungnahmen aus dem Westen, weil ich der Mär begegnen will, als ob es nur die böse Opposition sei, die Bedenken äußert, die skeptisch gegenüber dem Ergebnis dieser Konferenz ist. Deshalb bringe ich die Stimmen aus dem westlichen Ausland, meine sehr verehrten Damen und Herren, um Ihrer Legendenbildung schon von Beginn an begegnen zu können.
({22})
Die „Neue Zürcher Zeitung" schreibt - ich zitiere:
In der ,Sicherheitskonferenz', die auf langjähriges sowjetisches Drängen zustande gekommen ist, sitzen auf der westlichen Seite Leute, deren Sicherheit nur durch Machtpolitik der Sowjetunion bedroht ist. Die kommunistischen Herrscher in Osteuropa und der Sowjetunion dagegen fürchten sich vor allem vor der atlantischen Freiheit. Im eigenen Machtbereich, der auf Beherrschung von Untertanen, nicht auf Zustimmung freier Bürger beruht, würde eine ähnliche Freiheit
- wie im Westen Unordnung und Unsicherheit bedeuten. Darum hat man auf dem Genfer Papier mit Worten Kompromisse gefunden und in der Substanz aneinander vorbeigeredet.
({23})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich nehme an, daß wenigstens von der linken Seite hier nun von Anfang an die Objektivität bestätigt wird.
Der Vorsitzende der größten Arbeiterbewegung der westlichen Welt, der Präsident des amerikanischen Gewerkschaftsbundes, George M e a n y, hat vor dem Auswärtigen Ausschuß des amerikanischen Senats erklärt - ich zitiere -:
Wir sind für eine Entspannung, in der die Sowjetunion ihren ideologischen Kampf gegen den Westen einstellt. Nur dann können wir mit einem Abbau der internationalen Spannungen rechnen. Wir treten für eine Entspannung ein,
bei der die Sowjetunion die ehrliche Bereitschaft beweist, das Aufrüsten einzustellen. Wir bejahen eine Entspannung, bei der dem Fluß westlicher Hilfe für den Osten durch einen freien Fluß von Menschen und Meinungen in Osteuropa und in der Sowjetunion entsprochen wird.
Und er fährt fort:
Wir bejahen eine Entspannung, bei der die Sowjetunion ihre Rüstung stoppt und die Guerillabewegungen. und andere Untergrundorganisationen nicht länger unterstützt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Meany hat uns hier völlig aus dem Herzen gesprochen.
({24})
Wird auf der europäischen Sicherheitskonferenz auch nur ein Schritt in diese Richtung getan? Ich fürchte, nein; ich fürchte, daß das Gegenteil eintreten wird. Die Sicherheitskonferenz ist ein Schritt in die falsche Richtung. Sie fördert nicht die Entspannung, sondern sie wird Ursache neuer Spannungen sein.
Während der Westen hofft, menschliche Erleichterungen vom Osten gewährt zu bekommen, sieht Moskau in dieser Konferenz eine internationale Absicherung der Kriegsbeute Stalins, gewährt jedoch im humanitären Bereich außer vagen Inaussichtstellungen keinerlei Zugeständnisse.
So schreibt der Pariser „Figaro":
Man kann ein wenig nachdenklich sein angesichts dieses Tauwetters, das für das Ende des Kalten Krieges gehalten wird.
Und er fährt fort:
Die sowjetischen Gewinne sind rechtlich abgesichert, aber Westeuropa ist mehr denn je zerbrechlich und geteilt.
Italien taumelt, Portugal kippt um ... die Sowjets erreichen in Helsinki einen Erfolg, an dem sie sich viel Mühe gemacht haben und ohne dafür zu bezahlen.
Soweit der „Figaro".
Auch die angesehene Wochenzeitschrift „Economist" sieht in dem bevorstehenden Gipfeltreffen einen klaren Erfolg Moskaus und stellt fest:
Die Zeiten ändern sich. Israel wird gerade aufgefordert, das 1967 durch Krieg gewonnene Territorium wieder herauszugeben, während diese Konferenz die Zustimmung dazu gibt, daß 114 000 Quadratmeilen Land geschluckt werden, die einst zu Polen, Deutschland, Finnland, der Tschechoslowakei und Rumänien gehörten, ... von der riesigen von Polen auf die gleiche Weise erlangte Portion Deutschlands ganz zu schweigen.
Wenn man stark genug ist - schreibt der „Economist" -,
. . . ist man von den Prinzipien ausgenommen, die kleinere Mächte einzuhalten aufgefordert werden . . .
Das ist die doppelte Moral, die von der anderen Seite immer wieder praktiziert wird und der wir nicht rechtzeitig mit aller Entschiedenheit und erfolgreich begegnen.
({25})
Und ich zitiere noch die „New York Times", sicherlich eine Zeitung, die bisher immer zu den entschiedensten Verfechtern einer Entspannung mit Moskau zählte. In der „New York Times" steht:
Die 35-Nationen-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die sich nach 32 Monaten der Wortklauberei ihrem Höhepunkt nähert, hätte nicht stattfinden sollen. Niemals haben so viele Menschen so lange Zeit um so wenig - und doch so viel gerungen ... So wenig, weil die Hunderte von Diplomaten im Schlußdokument festlegen, daß es legal für niemanden bindend sein wird. So viel, weil es die USA, Kanada und 33 Länder Europas zur Unverletzlichkeit der Grenzen verpflichtet und damit die Teilung Deutschlands und Europas sowie den riesigen Gebietserwerb der Sowjetunion ratifiziert.
Sie fährt fort:
Was den Karneval des Gipfeltreffens in Helsinki angeht, so sollten dort alle Anstrengungen unternommen werden, um Euphorie im Westen zu verhindern. Ebenso wichtig ist es, die Sowjetunion davon zu unterrichten, daß eine kommunistische Machtübernahme Portugals nicht hingenommen werden wird.
So weit die „New York Times".
({26}) - Haben Sie gehört!?
Wie bei den Ostverträgen fehlt offenbar bei den gegenseitigen Zugeständnissen der europäischen Sicherheitskonferenz das ausgewogene Verhältnis von Geben und Nehmen zwischen Ost und West. Dies aber ist die Grundlage jeder guten Politik, und dieses Ziel ist hier in keiner Weise erreicht worden.
({27})
Nun wird uns entgegengehalten, es gebe ja die menschlichen Erleichterungen. Leider sind wir durch die Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren mit der von der SPD/FDP-Regierung betriebenen Ostpolitik machen mußten, sehr skeptisch und mißtrauisch geworden.
({28})
Leider zu Recht. Wenn Sie uns hier gleich einen ganzen Korb, nämlich den Korb 3 der Konferenz, voller menschlicher Erleichterungen und humanitärer Regelungen als Konferenzergebnis vorlegen, so müssen wir doch erst einmal wissen: was steht denn da nun wirklich drin, Herr Wehner?
({29})
Sind das nur schöne Worte, oder ist dies wirklich abgesichert? Das Ergebnis einer solchen Konferenz muß man doch nach den Grundsätzen eines ehrlichen Maklers und eines ehrbaren Kaufmanns betrachten können. Man muß nach genauer Untersuchung zu der Feststellung gelangen können: hier hat jede Seite Gleichwertiges gegeben und erhalten. Dies ist bei der KSZE nicht der Fall. Während Moskau die Grenzen Europas, den Status quo, die Kriegsbeute Stalins absichern will, ist im Korb 3 nicht eine einzige menschliche Erleichterung zu finden, zu der der Kreml und die übrigen Regierungen der Warschauer-Pakt-Staaten sich bindend verpflichten. Das heißt, auf der einen Seite wird gegeben, auf der anderen Seite werden lediglich Versprechungen gemacht und Dinge in Aussicht gestellt. Wenn tatsächlich etwas verwirklicht werden sollte, so liegt es doch in der Hand der kommunistischen Machthaber, dieses jederzeit zurückzunehmen oder sich erneut mit Leistungen bezahlen zu lassen.
Hat denn die Bundesregierung aus den traurigen Erfahrungen mit ihren Ostverträgen immer noch nicht gelernt, wie wertlos verschwommene Begriffe und unbestimmte Floskeln sind, die die andere Seite uns als Äquivalent anbietet?
({30})
Hier geht es wirklich um Menschlichkeit und um die Menschen. Ist es nicht bezeichnend, daß gerade diejenigen, die unter der Unmenschlichkeit in kommunistischen Ländern haben leiden müssen, am nachdrücklichsten und deutlichsten vor dem Abschluß der Sicherheitskonferenz warnen? Ist es nicht der Nobelpreisträger Alexander Solchenizyn, der vor kurzem in einer großen Rede in Amerika vor vielen Zuhörern darunter auch der amerikanische Verteidigungsminister Schlesinger, der frühere Verteidigungsminister Laird, der Arbeitsminister und der UNO-Botschafter der Vereinigten Staaten, auf Einladung von Gewerkschaftspräsident Meany mit bewegten Worten vor der schlechten westlichen Entspannungspolitik gewarnt und darin insbesondere die KSZE angeprangert hat? Wir sollten diese Stimme ernst nehmen. Wir sollten solche Stimmen so werten, wie diese Menschen, die diese Unrechts-und unmenschlichen Verhältnisse dort am eigenen Leib erlebt haben, sie uns darstellen.
({31})
Ich hatte geglaubt, daß gerade Herr Brandt für solche Stimmen ganz besonders empfänglich wäre.
Moskau fährt zu rüsten fort. Moskau und der Warschauer Pakt sind nicht zu einer gegenseitigen und ausgewogenen Truppenverminderung auf der Wiener Konferenz über eine gegenseitige und ausgewogene Truppenreduzierung in Europa bereit. Moskau errichtet einen Flottenstützpunkt nach dem anderen, vom Nordmeer bis zum Indischen Ozean, von Afrika entlang der für den Westen lebenswichtigen Ölroute bis ins Mittelmeer. Moskau betreibt und verstärkt seine Unterwanderungspolitik von Portugal bis hin zur subversiven Tätigkeit in unserem Lande. Das ist die offensive sowjetische Politik nach außen. Ihr entspricht eine Politik der Unterdrückung der
Menschen und der Knebelung der Gewissen nach innen. Meine Damen und Herren, dies sind doch die Gründe, die die Sicherheit in Europa gefährden und die eine Zusammenarbeit in Europa erschweren. Wir wollen den Frieden. Wir wollen Sicherheit für alle in Europa. Wir wollen die Zusammenarbeit mit allen in Europa, die guten Willens sind. Durch die Ergebnisse der Genfer Konferenz werden jedoch die Gegensätze zwischen Ost und West mit einem Mantel nicht der christlichen Nächstenliebe, sondern
({32})
der Heuchelei zugedeckt. - Davon verstehen Sie nichts.
Wir dürfen eben gerade keine Politik betreiben, die unmenschliche Systeme stabilisiert und die menschenrechtsfeindliche Politik hoffähig macht, die die Verweigerung grundlegender Menschenrechte in Mitteldeutschland und in allen unseren östlichen Nachbarstaaten „normalisiert" und die die unnatürliche Lage im geteilten Deutschland vor der Weltöffentlichkeit als normal darstellt.
Ich muß Sie, Herr Bundeskanzler, daran erinnern, daß das Bundesverfassungsgericht für alle deutschen. Verfassungsorgane, insbesondere für die Bundesregierung, ausdrücklich die bindende Verpflichtung festgelegt und an die verfassungsmäßige Pflicht erinnert hat, das öffentliche Bewußtsein auch dafür wachzuhalten, welche weltanschaulichen, politischen und sozialen Unterschiede zwischen der Lebens- und Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Lebens- und Rechtsordnung der DDR bestehen. Es muß im Sinne des Bundesverfassungsgerichtes klar sein, daß die gegenwärtige Praxis an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR - also Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen und Schießbefehl - mit Grundvertrag, Selbstbestimmungsrecht und Menschenrechten unvereinbar ist und daß die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer grundgesetzlichen Pflicht alles ihr Mögliche tun muß, um diese unmenschlichen Verhältnisse zu ändern und abzubauen.
In der Schlußakte der Europäischen Konferenz stehen jedoch Aussagen über Menschenrechte, die für den Westen selbstverständlich sind. Der Osten aber verpflichtet sich zu nichts, sondern macht alles von seinem Ermessen abhängig. Hier werden - entgegen den Verpflichtungen unserer Verfassung - Gegensätze verdeckt, aber nicht abgebaut.
Wenn Moskau, Ost-Berlin und die anderen kommunistischen Staaten im Osten wirklich bereit wären, Sicherheit zu gewähren und die Hand zur Zusammenarbeit zu reichen - warum tun sie es nicht seit langem? Wer hat sie denn bisher daran gehindert? Entgegnen Sie mir bitte nicht, daß diese Konferenz und ihre Ergebnisse die kommunistischen Machthaber nun hierzu bewegen werden. Was an Informationen und menschlichen Kontakten in den Endergebnissen der Konferenz enthalten ist, ist mehr als dürftig. Es bringt überhaupt nichts Neues. In dieser Hinsicht ist nichts erreicht worden, denn alles, was dort steht, ist weitaus dürftiger als das, was in der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen bereits steht.
({33})
Ich habe hier vor mir das Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik vom 26. Februar 1975. Darin ist die Bekanntmachung über die Ratifikation der Internationalen Konvention vom 16. Dezember 1966 über zivile und politische Rechte enthalten. In dieser Konvention ist vom Ideal freier Menschen, von allseitiger Achtung und Wahrung der Menschenrechte und Freiheiten die Rede. In Art. 1 steht:
Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung.
In Art. 8 heißt es:
Von niemandem darf verlangt werden, Zwangsarbeit und Pflichtarbeit zu verrichten.
In Art. 9 wird festgelegt:
Jeder hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person. Niemand darf willkürlich festgenommen oder verhaftet werden.
In Art. 12 heißt es:
Es steht jedem frei, jedes Land, auch sein eigenes, zu verlassen.
Jeder soll dorthin auch wieder zurückkehren dürfen. In Art. 19 steht:
Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich um Informationen und Ideen aller Art, ungeachtet der Grenzen, mündlich, schriftlich oder gedruckt, in Form von Kunstwerken oder durch jedes andere Mittel seiner Wahl zu bemühen, diese zu empfangen und mitzuteilen.
So steht es in dieser Konvention. Dieser Konvention ist die DDR beigetreten. Sie hat nicht nur unterschrieben, sondern sie hat diesen Vertrag auch ratifiziert. Von diesen Menschenrechten, die ich hier angezogen habe, ist nichts, aber auch nichts in die Wirklichkeit umgesetzt worden.
({34})
Wir sollten das nicht einfach mit irgendwelchen Bemerkungen abtun. Das ist eine Sorge, die uns alle gleichmäßig belastet. An der Beseitigung dieser Mißstände, an der Beseitigung der Unmenschlichkeit sollten wir alle gemeinsam - ohne Rücksicht, welcher Partei wir zugehören - arbeiten.
An Mauer und Stacheldraht wird weiterhin auf die Menschen geschossen, die das feierlich beschworene Menschenrecht der Freizügigkeit ausüben wollen. Vor wenigen Wochen haben die SED-Machthaber damit begonnen, nun auch an der Zonengrenze gegenüber Bayern Metallgitterzäune mit perfektionierten Mordautomaten zu errichten. So sieht die Wirklichkeit aus.
In den KSZE-Texten stehen aber nicht einmal rechtliche Verpflichtungen. Dort heißt es: „Wollen prüfen", „drücken ihre Absicht aus", „beabsichtigen, Möglichkeiten zu entwickeln", „Vorschriften flexibler zu gestalten", natürlich „unter BerücksichStücklen
tigung von Sicherheitserfordernissen", „Gesuche betreffend Familienzusammenführung, denen nicht stattgegeben wird, können auf entsprechender Ebene erneut eingereicht werden; sie werden . . . in angemessen kurzen Zeitabständen von neuem geprüft". Das kann man also fortführen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.
Meine Damen und Herren, dies alles ist doch kaum mehr als Augenwischerei. Wenn schon die Menschenrechtsbestimmungen der Vereinten Nationen von den kommunistischen Machthabern mit Füßen getreten werden, was wollen Sie dann von der Einhaltung solcher unverbindlicher Floskeln erwarten?! Es wäre besser, wenn statt schillernder Worte über Absichten im Bereich der Menschenrechte und der Freizügigkeit der unter sowjetischer Hegemonie stehende östliche Teil in Europa durch Taten beweisen würde, daß er nun endlich bereit ist, im Sinne der feierlich unterzeichneten Menschenrechtserklärung zu handeln.
Zusammenfassend muß ich feststellen, daß die Ergebnisse der Europäischen Sicherheitskonferenz leider nur zu sehr den Ergebnissen der unglücklichen Ostpolitik dieser Koalitionsregierung ähneln.
({35})
Was vom Westen gewährt wird, wird von Moskau als unwiderruflich betrachtet und eingeheimst; was vom Osten gewährt wird, ist unverbindlich und jederzeit widerruflich. Welche Hoffnungen hat man bei Abschluß der Ostverträge auf Familienzusammenführung und Auswanderungsmöglichkeiten gehegt! Und was ist eingetreten? Noch nie war die Zahl der Umsiedler aus Polen und der Tschechoslowakei so gering wie nach Abschluß dieser Verträge. Selbst wenige Tage vor Unterzeichnung der Schlußakte der KSZE in Helsinki ereignen sich doch so skandalöse Schikanen wie bei dem Paddelbootfahrer Klaus Lange aus Luneburg. Das, meine Herren, sind die Erfahrungen, die das deutsche Volk mit dieser Vertragskunst bei den Ostverträgen hat machen müssen. Es sind bittere Erfahrungen!
Nachdem all dies geschehen ist, können Sie nicht erwarten, daß wir die Ergebnisse, die Sie von der Europäischen Sicherheitskonferenz nach Hause gebracht haben, hoch einschätzen. Wie bei Ihren Ostverträgen werden im Ergebnis der KSZE entscheidende Grundfragen nicht gelöst, sondern durch Formelkompromisse überdeckt. Es sind Doppeldeutigkeiten enthalten, die nicht zu mehr Sicherheit und Zusammenarbeit, sondern zu Unsicherheit und zu neuen Auseinandersetzungen führen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem Grunde können wir der Bundesregierung keinesfalls empfehlen, ihre Unterschrift unter die Schlußakte zu setzen.
({36})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Schmidt Bundeskanzler: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Genscher hat dem Hause die Bewertung der Ergebnisse der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vorgetragen, wie sie durch die Bundesregierung erfolgt ist. Ich habe dieser Bewertung im einzelnen nichts hinzuzufügen. Die Bundesregierung möchte sich auch ausdrücklich dem voll anschließen, was die Herren Brandt und Hoppe für ihre beiden Fraktionen heute morgen vorgetragen haben.
Andererseits erscheint es mir aber angesichts des bisherigen Verlaufs der Debatte von seiten der Opposition angezeigt, einige wenige Punkte noch einmal herauszuheben und zu betonen.
Erstens. Auf dieser Konferenz sind die deutschen Interessen und die Interessen des Westens gut vertreten und gewahrt worden.
Zweitens. Die Konferenz hat den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada ein festes Mitspracherecht in Europa eingeräumt, eine Tatsache, die in der neueren Geschichte ohne Parallele ist. Diese gleichberechtigte Teilnahme der beiden nordamerikanischen Staaten an dem europäischen Konzert ist für uns Deutsche von vitaler Bedeutung, und es liegt in unserem Interesse, dieses durch die KSZE anerkannte Recht Amerikas weiterhin zu festigen.
({0})
Drittens. Ablauf und Ergebnis der Konferenz haben gezeigt, daß der Westen - der Westen allgemein, der Westen im Sinne des atlantischen Bündnisses, der Westen im Sinne der Gemeinschaft von neun Staaten, die gemeinsam die Europäische Gemeinschaft gebildet haben, und dies im besonderen - seine Interessen erfolgreich g e m e ins am vertreten hat. Eine Erklärung, die weder Völkerrecht schafft noch etwa regionales Völkerrecht kodifiziert, die wohl aber Prinzipien wie das Selbstbestimmungsrecht, die Menschenrechte und die Grundfreiheiten enthält, die Fixierung der Möglichkeit friedlicher Änderung von Grenzen im gleichen Range: das sind Ergebnisse, die der Westen und speziell wir nicht nur hinnehmen können, sondern die wir mit Befriedigung als Erfolg unserer Beharrlichkeit verzeichnen dürfen.
({1})
Viertens. Der Grundsatz des „peaceful change", der friedlichen Veränderung von Grenzen also, und die Klausel von der Unberührtheit früherer Rechte und früher eingegangener Verpflichtungen, zum Beispiel der Viermächterechte, der Hinweis auf das Wirksamwerden der Beschlüsse in g an z Europa - ich unterstreiche, was Herr Minister Genscher dazu gesagt hat -, dies alles sind Elemente, mit denen unsere Deutschland- und Berlinpolitik und mit denen das in unseren bilateralen Verträgen Erreichte gestützt und abgesichert wird. Auf der Grundlage dieser Einigung von 35 Staaten über die Prinzipien ihrer Zusammenarbeit in Europa kann der gegenwärtige Status Europas fortentwickelt werden.
Fünftens. Es kann auf der anderen Seite niemand mit Erfolg die Behauptung begründen, diese Konfe12826
renz stelle so etwas wie einen Ersatzfriedensvertrag dar; denn hier wird kein territorialer oder ordnungspolitischer Status unveränderlich festgeschrieben. Jedem Versuch, die KSZE in die Nähe einer Friedensregelung im Sinne eines Friedensvertrages zu rücken, steht im übrigen die Rechtswahrungsklausel entgegen.
Meine Damen und Herren, die Konferenz hat es vermocht, zum erstenmal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch eine allgemeine Erörterung über militärische Aspekte in Europa zu beginnen. Die ersten Ergebnisse in Gestalt der vereinbarten sogenannten vertrauensbildenden Maßnahmen sind im engeren militärischen Sinne gewiß nicht spektakulär. Das hat auch niemand erwartet; wer das erwartet haben sollte, hätte die Wirklichkeit unserer Welt verkannt. Aber sie sind doch ein Fortschritt, ein Fortschritt, den viele, wohl die meisten, vor wenigen Jahren noch für völlig undenkbar gehalten hätten.
Gleichwohl will die Bundesregierung auch diesen von ihr für bedeutsam gehaltenen Fortschritt nicht überschätzen. Es bleibt die Notwendigkeit, in Europa ein militärisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, es bleibt das Bündnis notwendig, und es bleibt die Bundeswehr notwendig.
Auch auf anderen Feldern sind die Fortschritte zum Teil nur sehr mühsam ausgehandelt worden. Einige Fortschritte reichen etwas weiter als andere. Es sind mühsam ausgehandelte Kompromisse, aber es sind insgesamt alles Schritte in die richtige Richtung.
({2})
Dies letztere gilt übrigens auch für die Ergebnisse im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Wir haben jetzt Leitlinien für das Zusammenspiel der Wirtschaft unserer Staaten mit den osteuropäischen Staatshandelsländern, ohne daß wir hiermit etwa die gemeinsame Handelspolitik der Europäischen Gemeinschaft präjudiziert hätten, ohne daß wir etwa das GATT durch andere multilaterale Regelungen ersetzt hätten. Es war zum erstenmal möglich, den Grundsatz - ich zitiere - der ,,ausgewogenen Gegenseitigkeit" zu fixieren und ihn in den Konferenzdokumenten, die nächste Woche in Helsinki unterschrieben werden, zu verankern.
In der Erörterung der Materie des sogenannten 3. Korbes schließlich hat der Westen seine Auffassung durchsetzen können, daß Entspannung nicht allein eine Angelegenheit der staatlichen Beziehungen ist, sondern daß mehr Freizügigkeit, mehr Kontakte zwischen den Menschen, zwischen den Individuen, daß ein stärkerer Informationsfluß integrale Bestandteile der Entspannung sein sollen. Hier sind Formulierungen vereinbart worden, die, wenn in die Tat umgesetzt,
({3})
- sicherlich müssen sie erst noch in die Tat umgesetzt werden, aber wie sollte das geschehen, Ohne
daß man zunächst diese unterschriebenen Ansatzpunkte dafür schafft? ({4})
die also, wenn in die Tat umgesetzt, eine spürbare Verbesserung für viele Bürger bedeuten.
Die Bilanz, die die hohen Beamten im übernächsten Jahr, 1977, nach dem gemeinsamen Willen der Konferenzteilnehmer ziehen sollen, muß ja dann auch bei diesem Korb 3 Erfolge in der Verwirklichung ausweisen. Es müßten sich ja sonst die Teilnehmer jenes Zusammentreffens heute in zwei Jahren einiges vorhalten lassen. Das heißt, alle Beteiligten stehen, auch was den Korb 3 angeht, unter einem gewissen Erfolgszwang.
Ich möchte hier unter dem Gesichtspunkt der Interessen unseres Staates eine allgemeine außenpolitische Betrachtung einfügen. Ich war gestern nachmittag in Hamburg dabei, als auf einer Pressekonferenz - oder war es in einem Fernsehinterview?
- der britische Premierminister gefragt wurde, ob eigentlich die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in Europa und der Welt in letzter Zeit gewachsen sei.
({5})
- Ich verstehe Ihre Heiterkeit nicht ganz.
({6})
Es handelte sich um einen Journalisten, der meinte, eine der allgemeinen Klärung dienliche Frage zu stellen. Sie sollten auch die Antwort abwarten, ehe Sie bewerten.
Herr Wilson hat darauf geantwortet, die Bundesrepublik Deutschland spiele die Rolle, welche ihrer insbesondere wirtschaftlich großen Kraft entspreche, und er hat hinzugefügt: einer Kraft im übrigen, welche im Laufe der Jahre entwickelt worden sei.
Ich habe mir gedacht, dies ist wohl richtig, aber es kommt noch ein Zweites hinzu. Es kommt hinzu, daß wir doch noch vor wenigen Jahren gehört haben - ich glaube, der Abgeordnete Strauß war der letzte, der diesen Vergleich gebraucht hat, aber es haben ihn andere vor ihm gebraucht -, die Bundesrepublik Deutschland sei wirtschaftlich ein Riese, aber politisch ein Zwerg. Dies war in beiden Hälften des Satzes ({7})
- Ich verstehe den Zwischenruf nicht; ich nehme aber nicht an, daß Herr Strauß die Vaterschaft abstreiten will. Es steht in dem Buch, das Sie veröffentlicht haben, Herr Strauß.
({8})
- Ja, sicher, er hat es woanders übernommen. Mir ist völlig klar, wo es ursprünglich herkam. Deswegen sagte ich ja vorhin: er hat es als letzter gebraucht.
({9})
Aber in der heutigen Lage, Herr Abgeordneter Strauß, würde man das wohl etwas anders beurteilen müssen. Damals waren beide Halbsätze
({10})
eine, wie ich annehme, zum Zwecke der Verdeutlichung leicht übertreibende Karikatur; aber es war auch etwas Richtiges daran. Heute würde niemand mehr die gleiche Karikatur verstehen. Denn im Laufe der letzten fünf Jahre ist in der Tat - und die ganze Welt sieht es so, außer der CDU/CSU natürlich ({11})
der außenpolitische Handlungsspielraum der Bundesrepublik Deutschland in aktivem Handeln der Bundesregierungen außerordentlich erweitert worden.
({12})
Diese Erweiterung des eigenen Handlungsspielraums war allerdings nicht der Hauptzweck der Ostpolitik der sozialliberalen Koalition, die vor bald sechs Jahren durch die Herren Brandt und Scheel ins Werk gesetzt worden ist. Aber das Wachstum unserer außenpolitischen Handlungsfähigkeit war auch eine zwangsläufige Folge dieser Ostpolitik,
({13}) und zwar aus mehreren Gründen.
Zum einen haben die von Herrn Genscher heute morgen noch einmal in Erinnerung gerufenen Verträge, die die Bundesrepublik Deutschland geschlossen hat - gegen das Votum der CDU/CSU geschlossen hat -, unser Land zwar nicht vollständig, aber sehr weitgehend von der Rolle des Klienten befreit, der angesichts sich häufig wiederholender kritischer Situationen fast ohne Unterlaß auf die Wiederholung der Versicherung der Schutzmächte und der Hauptverbündeten angewiesen zu sein glaubte oder angewiesen zu sein glauben mußte.
Zum anderen: Unsere Verträge mit Moskau und Warschau, Ostberlin und so fort, das Viermächteabkommen haben die damals häufigen Anlässe, dauernd nach Versicherung zu suchen und darum zu bitten, sehr weitgehend reduziert.
Zum dritten: Wir haben unsere Ostpolitik tatsächlich innerhalb des Rahmens der weltweiten Entspannungspolitik der Weltmächte entfaltet. Ich spreche von einer langen Kette, einer Kette, die ihren Beginn kurz nach der Kuba-Krise Anfang der 60er Jahre nahm. Sie beginnt mit dem Atomteststopp-Vertrag und setzt sich fort über den Nonproliferationsvertrag, über SALT I, über unsere Ostverträge, über das Viermächteabkommen, über diese jetzige KSZE. Demnächst wird diese Kette fortgesetzt werden - Herr Brandt hat darauf hingewiesen - durch SALT II, sodann, wie wir hoffen, durch MBFR. In diesen Tagen hat sie zum Beispiel gemeinsame Weltraummanöver von amerikanischen und sowjetischen Astronauten möglich gemacht.
({14})
Diese Einpassung unserer eigenen Entspannungspolitik
({15})
in den weltweiten Rahmen war einerseits unvermeidlich - anders wäre die Ostpolitik nicht möglich gewesen -, sie war andererseits für uns von großem Nutzen. Sie hat im Westen, aber auch im Osten ebenso wie bei den Neutralen das Vertrauen in die Friedlichkeit des deutschen Volkes, in die Friedlichkeit der Bundesrepublik Deutschland, in die Zuverlässigkeit, in die zuverlässige Friedlichkeit der Bundesrepublik Deutschland ganz ungewöhnlich gestärkt und gestützt.
({16})
Dieser Zuwachs an Vertrauen ist es ganz wesentlich, der unsere Handlungsfähigkeit so erweitert hat, zumal wir von dieser Handlungsfähigkeit einen Gebrauch gemacht haben, der allerdings sowohl in den Augen unserer westlichen Bündnispartner, Freunde und EG-Partner wie auch in den Augen unserer östlichen Vertragspartner ein nützlicher, dem allgemeinen Frieden dienender Gebrauch war.
Diesen Gebrauch von unserer gewachsenen Handlungsfreiheit haben wir nunmehr erneut in Genf gemacht. Das Schlußdokument spiegelt in wichtigen Punkten die positive Rolle wider, die die Bundesrepublik Deutschland in Genf gespielt hat. Sie spiegelt auch den Willen zur Rücksichtnahme aller übrigen Teilnehmerstaaten auf unsere spezifischen Belange, unsere spezifischen Bedürfnisse wider.
Wenn sich nun die Opposition heute abermals, wie eben der Herr Abgeordnete Stücklen gesagt hat, daran nicht beteiligen will - es war für die Vorstellung dessen, was am Ende dieser Debatte stehen soll, ein nicht ganz eindeutiger Sprachgebrauch, Herr Abgeordneter Stücklen, den Sie angewandt haben, und ich versuche, Ihren Sprachgebrauch aufzunehmen -,
({17})
so kann ich das nur als erneuten Ausfluß einer nun schon viele Jahre andauernden egozentrischen Weltbetrachtung ansehen.
({18})
Ich muß hier einmal ein persönliches Wort an die Adresse jemandes einfügen, der heute nicht unter uns ist. Herr Ministerpräsident Kohl, der die Hoffnung hat, binnen 15 Monaten Chef einer neu zu bildenden Bundesregierung zu sein.
({19})
der sich heute leider nicht auf der Bundesratsbank befindet
({20})
und der sich ansonsten außerhalb dieses Hauses auch nicht substantiiert zur Konferenz in Genf und in Helsinki geäußert hat - das gleiche gilt übrigens auch wohl, füge ich vorsichtshalber hinzu, für seinen einstweilen noch außerparlamentarischen Generalsekretär, Herrn Professor Biedenkopf -, Herr Ministerpräsident Kohl muß sich, auch wenn er
heute von seinem verfassungsmäßigen Recht, im Deutschen Bundestag das Wort zu ergreifen, nicht Gebrauch machen will, gleichwohl Fragen vorlegen lassen. Die erste Frage an Herrn Kohl ist diese: Er hat neulich, als Vorsitzender der CDU sprechend, öffentlich erklärt, demnächst würden sich die Vorsitzenden christlich-demokratischer Parteien Europas erstmalig treffen. Ich habe das nicht zu kritisieren, ich frage mich nur: Warum eigentlich hat die CDU - und ich sollte vielleicht aus Höflichkeit von der CDU und der CSU sprechen; denn sie treten ja hier gemeinsam auf, wenn es auch manchmal hinter den Kulissen schwerfällt, wie wir auch gehört haben -,
({21})
warum hat eigentlich die CDU/CSU-Opposition nicht schon bisher die christlich-demokratischen Parteien Europas nach deren Beurteilung dieser Genfer und Helsinki-Konferenz gefragt?
({22})
Warum hat der Kanzlerkandidat der CDU/CSU nicht wenigstens die Vorsitzenden jener christlich-demokratischen Parteien innerhalb der Europäischen Gemeinschaft gefragt, die in ihren Staaten die Regierung bilden oder die Regierung führen?
({23})
Ich denke an den Premierminister Moro in Rom oder an Leo Tindemans, den Premierminister von Belgien.
({24})
Von Herrn Moro wissen Sie ja wohl, daß er in Helsinki sogar in zweierlei Eigenschaft unterschreiben wird, Herr Prof. Carstens, einmal für seinen Staat und zum anderen noch einmal für alle neun EG-Mitglieder. Ein Christdemokrat!
({25})
- Ich verstehe ja, Herr Abgeordneter Stücklen, daß es schwerfällt, an dieser Stelle einen zündenden Zwischenruf zu machen. Das verstehe ich ja. Die Bundesregierung jedenfalls wird gemeinsam mit diesen in Europa regierenden christlich-demokratischen Parteien in Helsinki unterzeichnen.
({26})
Die deutsche christlich-demokratische Partei hat sich von allen übrigen christlich-demokratischen Parteien Europas isoliert. Ich füge hinzu: sie hat sich sogar von allen größeren politischen Parteien Europas isoliert. Die Frage ist, wie Sie eigentlich glauben, an der Spitze der Bundesrepublik Deutschland in Gemeinsamkeit mit unseren Verbündeten und Partnern die Interessen unseres Landes wahrnehmen zu können.
({27})
Ich muß für den Herrn Kanzlerkandidaten der Unionsparteien noch eine zweite Frage hinzufügen, die diesen Tatbestand, von dem ich rede, wohl noch etwas deutlicher macht. Ich zitiere dazu den Kernsatz aus dem Entschließungsantrag, den die CDU/ CSU-Fraktion uns heute morgen kurz nach Beginn der Sitzung hat auf die Tische legen lassen, Drucksache 7/3885. Da heißt es zu Beginn ehe eine Aufzählung aus vier mit einem Anstrich, mit einem tiret, versehenen Einzelabsätzen erfolgt -:
Maßgebliche Inhalte des Schlußdokuments der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
- dann kommt 1., 2., 3., 4. dienen einer weltweiten Täuschung über die wahre Sicherheitslage in der Welt.
({28})
- Ich wundere mich darüber, ,daß Sie selbst in diesem Augenblick noch nicht über das nachdenklich werden, was Sie hier schriftlich von sich gegeben haben, meine Damen und Herren.
({29})
Der eine Satz, den ich hier zitiere, wirft doch die Frage auf, ob es wirklich die Meinung Ihrer Parteiengruppierung ist, die die Regierungsgewalt und die Gesetzgebungsmehrheit in diesem Lande erstrebt, nicht nur der Osten, nicht nur Schweden und die Schweiz und Jugoslawien und Österreich, die Neutralen, nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Regierungen des Herrn Staatspräsidenten Giscard d'Estaing, des Herrn amerikanischen Präsidenten Ford, des englischen Premierministers Wilson hätten sich alle gemeinsam dessen schuldig gemacht, was Sie hier eine „weltweite Täuschung über die wahre Sicherheitslage" genannt haben.
({30})
- Es war den ganzen Morgen bis jetzt nicht üblich,
({31})
und ich würde auch ansonsten, Herr Kollege, an dieser Stelle nicht gern eine Unterbrechung meines Vortrags sehen wollen. In Wirklichkeit meldet sich ja der im übrigen von mir immer mit Respekt betrachtete, weil höchst geschickte Zwischenfrager doch nur deswegen zu Wort, weil Sie versuchen möchten, Herr Kollege, den nächsten Satz nach Möglichkeit unter den Tisch fallen zu lassen, der hier noch folgen muß.
Wie hätten Sie denn eigentlich gestern mit dem Premierminister Wilson gesprochen, wie würden Sie heute abend mit dem französischen Staatspräsidenten Giscard sprechen, wie würden Sie eigentlich am Sonntag mit dem amerikanischen Präsidenten sprechen, wenn dies die Meinung ist, die im Interesse Deutschlands vertreten werden soll?
({32})
Sie werden ja zum Teil Gelegenheit haben, diese ausländischen Staatsmänner hier zu treffen. Sie hatten auch sonst schon Gelegenheit, die politischen Kräfte in den mit uns verbündeten Staaten Ihre Meinung wissen zu lassen.
({33})
Sie haben dort inzwischen auch Gegenmeinungen eingesammelt.
Ich denke, wenn Sie mit Ford oder mit Giscard d'Estaing oder mit Wilson oder mit Moro oder mit allen unseren Freunden und Verbündeten zu reden hätten, daß Sie dann vor die folgende Alternative gestellt wären: Entweder müßten Sie sehr schnell das weglegen und vergessen, was Sie hier heute vortragen und sogar schriftlich vorgelegt haben, oder aber Sie würden, falls Sie an der Regierung wären, die Bundesrepublik Deutschland und unser Volk sehr schnell in die gleiche internationale Isolierung treiben, in der Sie selbst sich heute schon befinden.
({34})
Sie würden die zusätzliche Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland, die drei aufeinanderfolgende Bundesregierungen der sozialliberalen Koalition erworben haben, in einem solchen Fall innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, innerhalb der Atlantischen Allianz und weit darüber hinaus sehr schnell verspielen.
({35})
In diesem Zusammenhang möchte ich - ich weiß, daß es in der Oppositionsfraktion auch viele nachdenklichere Kollegen gibt ({36})
auf meine Weise ein bißchen auch dazu beitragen - Herr Kollege Brandt hat es heute morgen aus der Erinnerung der allerjüngsten Geschichte unseres Staates schon mit einem Beispiel getan -, daß denjenigen unter Ihnen, die etwas nachdenklicher sind als andere, vielleicht doch das eine oder andere Argument für die innerparteiliche Auseinandersetzung noch zur Hand gereicht wird.
({37})
Ich zitiere aus einer Rede, die ein deutscher Bundeskanzler, hier von diesem Pult aus sprechend, vor relativ wenigen Jahren gehalten hat. Damals war auch, genauso wie heute Herr Marx und Herr Kollege Stücklen gesprochen haben, die Rede von Konfrontationen ideologischer, militärischer, strategischer, machtpolitischer Art zwischen Ost und West. In jener Debatte hat der damalige Bundeskanzler gesagt:
Wenn die politischen Positionen sich so hart gegenüberstehen, so müssen wir uns ehrlich fragen, ob Bemühungen um eine friedliche Lösung überhaupt einen Sinn haben, ob wir nicht, statt trügerische Hoffnungen zu wecken, warten müssen, bis der Geschichte etwas Rettendes einfällt, und uns bis dahin darauf beschränken,
das zu bewahren, was uns geblieben ist: nämlich unsere eigene Freiheit und die Verweigerung der Anerkennung eines zweiten deutschen Staates durch die freie Welt. Eine solche rein defensive Politik würde - das ist meine feste Überzeugung und die Überzeugung der Regierung der Großen Koalition -- jetzt merken Sie, wer war es; es war Herr Kiesinger im Jahre 1967 von Jahr zu Jahr in größere Bedrängnis führen. Sie würde uns nicht nur keinen Schritt vorwärtsbringen, sie könnte uns auch das gar nicht bewahren, was sie bewahren will, denn die Zeit wirkt nicht für uns.
Das war vor acht Jahren. Zwei Jahre später wurde die Große Koalition ersetzt durch die sozialliberale Koalition. Diese hat allerdings die Zeit dann genutzt und hat sie nicht verrinnen lassen. Sie hat auch nicht gewartet, bis der Geschichte etwas einfällt, sondern uns ist selbst etwas eingefallen!
({38})
Bei alledem wird niemand, der hier für die Freien Demokraten oder für die Sozialdemokraten oder für die Bundesregierung spricht, verkennen oder gar verschweigen, daß es sich bei diesem Dokumenten-werk genauso wie bei Vertragswerken, die ihm vorangegangenen sind, und anderen Vertragswerken, die folgen werden, um Kompromisse handelt.
({39})
Man muß in Deutschland immer wieder mal sagen: Es ist ein Vorurteil aus wilhelminischer Zeit, daß der Kompromiß grundsätzlich etwas Faules sei. Ich sage: Wer den Kompromiß nicht will oder wer zu ihm nicht fähig ist, der taugt prinzipiell nicht zu einer friedlichen Außenpolitik.
({40})
Das gilt nicht nur im Verhältnis zwischen Ost und West
({41})
- natürlich, das gilt auch zwischen politischen Parteien in diesem Hause, ganz richtig -, es gilt auch zwischen einzelnen Staaten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft oder des Nordatlantischen Bündnisses. Das gilt z. B. auch in solchen Fragen wie dem Fischereistreit, den Island mit Großbritannien und mit der Bundesrepublik Deutschland hat. Nur auf dem Wege des Kompromisses kann der Frieden bewahrt werden.
Lassen Sie mich zusammenfassen, meine Damen und Herren. Die ideologischen Gegensätze, die elementaren Unterschiede im Verfassungs- und Sozialsystem auf beiden Seiten, die Tatsache anhaltender Rüstung, die weiterhin bestehende Notwendigkeit, sich verteidigen zu können, die Gegensätzlichkeit in vielerlei Interessengebieten - all dies bleibt bestehen. All dies kann nur in einem sehr langen und stetigen Prozeß schrittweise eingeebnet
werden, und manches davon wird gar nicht eingeebnet werden können.
Aber nach Jahrzehnten der bloßen Konfrontation, nach gut einem halben Jahrzehnt des beiderseitigen weltweiten Bemühens um einen Abbau - wenn auch nur schrittweisen, aber doch Abbau - dieser Konfrontation stellen die Ergebnisse von Genf und Helsinki noch etwas Erstmaliges dar, nämlich eine Ausformulierung mit beiderseitiger Unterschrift, eine Ausformulierung wichtiger Elemente der Entspannungspolitik. Zum ersten Mal haben Ost und West und Neutrale - und sei es in manchen Fällen auch nur auf einem relativ kleinen gemeinsamen Nenner - gemeinsam die politische Absicht der Entspannungspolitik und ihrer Fortführung formuliert und dokumentiert. Wir wären schlecht beraten, wollten wir dieses Erstmalige, dieses Neue in den Beziehungen der europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg nicht als solch Neues und Erstmaliges werten und würdigen.
Zweimal haben Konflikte in Europa zu Weltkriegen geführt. Der Zweite Weltkrieg hat Europa in jenen Zustand gebracht, den heute Sie und wir - wir alle gemeinsam - beklagen. Jetzt hat dieser Kontinent, jetzt hat Europa mit dieser Konferenz, mit seinem niedergeschriebenen, dokumentierten Willen zum Frieden ein allgemeines, gemeinsames Beispiel gegeben, einen Schritt getan auf einem langen Wege, auf einem Weg, auf dem noch sehr viele Schritte erforderlich sind und auf dem wir auch noch vielerlei Rückschläge erleben werden, Rückschläge, die wir dann auch zu überwinden haben.
({42})
Meine
Damen und Herren, ich unterbreche die Aussprache des Deutschen Bundestages bis 14 Uhr.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Aussprache über die Regierungserklärung fort.
({1})
- Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung für zehn Minuten.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Die zweimal unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Wir fahren in der Aussprache über die Regierungserklärung fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion bedauert, daß der Bundeskanzler in seiner Rede den Boden der sachlichen Argumentation verlassen
({0})
und erneut den Weg der Polemik bei der Auseinandersetzung über eine wichtige Frage der deutschen Politik beschritten hat. Ich will und muß dem mit aller Klarheit entgegentreten. Ich will zunächst nur mit einem Wort die kritischen Bemerkungen zurückweisen, die der Bundeskanzler in dem Sinne an die Adresse unseres Freundes Helmut Kohl gerichtet hat, daß er jetzt nicht auf der Bundesratsbank anwesend sei. Ich glaube, Herr Bundeskanzler, Sie müssen es den Mitgliedern des Bundesrates schon selbst überlassen, wann und bei welchen Gelegenheiten sie hier an den Debatten teilnehmen.
({1})
Herr Bundeskanzler, im übrigen erinnere ich Sie daran, daß Sie bei anderer Gelegenheit ebenso hämisch kritisiert haben, daß eine Reihe der der CDU/CSU angehörenden Mitglieder des Bundesrates auf der Bundesratsbank anwesend war. Ich empfehle Ihnen also wenigstens bei Ihrer Polemik etwas mehr innere Konsequenz.
({2})
Aber nun zu Ihren sachlichen Vorwürfen. Der erste Vorwurf war, die CDU/CSU isoliere sich mit ihrer Position in Europa und überhaupt in der Welt.
({3})
- Meine verehrten Damen und Herren, warten Sie doch erst einmal ab, was ich dazu zu sagen habe; Sie können hinterher dann ja noch weitere Zwischenrufe machen.
Diese Ihre Behauptung, die CDU/CSU isoliere sich mit ihrer Position, ist sachlich falsch, denn unsere Bedenken werden von vielen Freunden in den anderen europäischen Staaten und in anderen Ländern der Welt geteilt. Ich gehe so weit zu sagen: Es gibt überhaupt keinen vernünftigen Menschen - Sie selbst müssen sich hier doch wohl einschließen, Herr Bundeskanzler -, der nicht auch die Gefahren und Bedenken sieht, die mit dieser Entspannungspolitik, so wie sie in den Dokumenten jetzt ihren Ausdruck findet, verbunden sind.
({4})
Kollege Stücklen hat vorhin eine lange Reihe von Zitaten aus maßgeblichen Presseorganen der westlichen Welt vorgetragen, Presseorganen, die für wichtige politische Gruppen in Amerika, in Frankreich, in England und in anderen Ländern sprechen und die haargenau dieselben Bedenken und Einwendungen gegen die Schlußdokumente der Genfer Konferenz vortragen, wie wir, die CDU/CSU, es hier tun. Von einer Isolierung der CDU/CSU kann daher überhaupt keine Rede sein.
({5})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, das Argument, wir isolierten uns mit dieser Politik, die wir hier vertreten, ist auch in sich selbst widerspruchsvoll. Welches andere Land, so frage ich, befindet sich in der Lage, in der sich Deutschland befindet? Welches andere Volk ist so geteilt wie das deutsche Volk, daß es in zwei Staaten leben muß? Ergibt sich daraus nicht zwangsläufig, daß die deutDr. Carstens ({6})
schen politischen Parteien und insbesondere die deutsche Oppositionspartei, die CDU/CSU, Bedenken erheben müssen, wenn nach ihrer Auffassung die Interessen des geteilten deutschen Volkes nicht ausreichend wahrgenommen worden sind?
({7})
Sie haben sich, Herr Bundeskanzler - und das tun ja andere Sprecher Ihrer Regierung und der Regierungskoalition auch bei vielen anderen Gelegenheiten -, des neu gewonnenen Handlungsspielraums gerühmt und zum Ausdruck gebracht, wieviel besser Ihrer Meinung nach die Bundesrepublik Deutschland heute dastehe als vor einigen Jahren. Ja, ergibt sich nicht daraus dann um so mehr die Folgerung, für das Ziel, das, wie ich annehme, unser gemeinsames Ziel ist und bleibt, für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands durch freie Selbstbestimmung des deutschen Volkes aktiv einzutreten und dann, wenn es auf einer solchen Konferenz wie der KSZE in Genf und in Helsinki zu einer großen Dokumentation von Prinzipien über das Zusammenleben der Staaten in Europa kommt, auch dafür einzutreten, daß diese höchste Forderung, die wir für das deutsche Volk erheben müssen, förmlich und schriftlich Eingang in die Dokumente der Konferenz findet? Das ist doch eine ganz verständliche und aus der deutschen Sicht für jedermann, so möchte ich sagen, begreifliche Forderung.
({8})
Herr Bundeskanzler, Sie haben dann gegen den Satz des Entschließungsantrags der CDU/CSU-Fraktion polemisiert, der lautet:
Maßgebliche Inhalte des Schlußdokuments der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ...
- dienen einer weltweiten Täuschung über die wahre Sicherheitslage in der Welt.
Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Genau das ist der Fall! Überlegen Sie sich nur, wenn Sie die Dokumente lesen: Findet sich in diesen Dokumenten ein Wort über Portugal? In den Dokumenten wird davon gesprochen, daß sich jeder Teilnehmerstaat der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Teilnehmerstaates enthalten wird. Ist Ihnen denn entgangen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ist Ihnen entgangen, Herr Bundeskanzler,
({9})
daß in Portugal eine massive Einwirkung auf die inneren Verhältnisse Portugals von außen stattfindet?
({10})
- Ich habe mich nicht mit der Politik von Salazar identifiziert, Herr Kollege Brandt,
({11})
und ich identifiziere mich nicht mit der jetzigen
Politik Portugals, sondern ich stelle fest, daß Portugal ein Land ist, auf das von außen in massiver Form eingewirkt wird,
({12})
und zwar in Form der Unterstützung der kommunistischen Kräfte in diesem Lande, sowohl der kommunistischen Partei Portugals wie auch der kommunistischen Kräfte in den Streitkräften selbst. Es wird gesagt - ich glaube, Herr Kollege Brandt hat es heute in seiner Rede auch wieder gesagt -, wir sollten Portugal nicht verloren geben. Das will niemand; niemand wird Portugal verloren geben, so lange eine Hoffnung besteht,
({13})
daß in Portugal demokratische Verhältnisse wiederhergestellt werden. Aber was wir als eine Täuschung, zumindest als eine Selbsttäuschung bezeichnen müssen, ist die Tatsache, daß man über diese Entwicklung in Portugal, die doch überhaupt erst während der Konferenz eingesetzt hat,
({14})
in den feierlich zu unterschreibenden Schlußdokumenten hinweggehen wird, ohne sich um das zu kümmern, was inzwischen vorgegangen ist.
({15}) Herr Außenminister, - ({16})
- Herr Kollege Brandt, nun reden Sie doch nicht immer von Salazar!
({17})
Ich habe Salazar in meinem ganzen Leben nicht ein einziges Mal gesehen.
({18})
Ich weiß gar nicht, was das mit der Debatte zu tun hat, in der wir jetzt sprechen.
({19})
Wir sprechen über den feierlich bekräftigten Grundsatz der Schlußdokumente von Genf und von Helsinki, daß sich jeder Teilnehmerstaat einer direkten oder indirekten
({20})
- indirekten, Herr Kollege Ehrenberg, hören Sie einmal zu! - Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates enthalten wird, und über das Thema Portugal geht man stillschweigend zur Tagesordnung über. Das ist in der Tat, wenn nicht eine Täuschung, eine schwerwiegende Selbsttäuschung über die Entwicklung in einem Lande, welches ohne Zweifel innerhalb der freien, der westlichen Welt liegt.
({21})
Dr. Carstens ({22})
Werfen Sie doch bitte einen Blick auf Angola, meine Damen und Herren! In Angola findet auch erst, seitdem diese Konferenz im Gange ist, ein erbitterter Freiheitskampf statt zwischen verschiedenen Freiheitsorganisationen und Freiheitsbewegungen. In letzter Zeit hat die kommunistische Freiheitsbewegung in Angola erhebliche Fortschritte gemacht. Die Hauptstadt des Landes, Luanda, befindet sich inzwischen in ihrem Besitz. Die kommunistische Freiheitsbewegung in Angola wird in massiver Form durch Waffenlieferungen von außen unterstützt.
({23})
Das sind alles Dinge, die sich erst, während man in Genf verhandelte, zugetragen haben, und sie werden mit Stillschweigen übergangen. Dies sind schwerwiegende Einwendungen gegen das Unternehmen der Konferenz, gegen die Schlußakte, wie sie uns vorliegt.
({24})
- Verehrter Herr Kollege Arndt, ich schätze Sie eigentlich immer besonders wegen der ausgeprägten Logik ihrer Argumentation, aber in diesem Fall, muß ich sagen, haben Sie mich sehr enttäuscht. Das hat mit dem, was ich hier sage, überhaupt nichts zu tun.
Die Unmenschlichkeiten in der DDR sind während der Verhandlungen in Genf ganz unverändert weitergegangen, und sie werden - dessen müssen wir uns doch wohl leider gewärtig sein - bis zur Unterzeichnung der Schlußdokumente in Helsinki nicht beendet sein. Die Schießanlagen bestehen fort. Verstößt das, was in der DDR geschieht, gegen die so feierlich in der Schlußakte beschworenen Menschenrechte, oder tut es das nicht? Und was bedeutet es, wenn man es trotzdem mit Stillschweigen übergeht? Sehen Sie, das meinen wir, wenn wir davon sprechen, daß diese Schlußdokumente geeignet sind, eine Täuschung über die wahre Lage, in der wir uns befinden, hervorzurufen und zu verstärken.
Der Außenminister hat gesagt, uns kann nicht alles schon am Anfang in den Schoß fallen. Aber, meine Damen und Herren, darum geht es doch überhaupt nicht, sondern dies sind doch Verschlechterungen, von denen ich spreche, die eingetreten sind, während man in Genf verhandelte, während man dort mühsam an den Formeln bastelte, die uns jetzt als Endergebnis vorliegen. Es hat sich herausgestellt, daß sich die östliche Seite durch diese gemeinsamen Bemühungen um mehr Menschlichkeit überhaupt nicht hat beeinflussen lassen.
({25})
Ich vermisse auch, Herr Bundeskanzler, in dem, was Sie, was Kollege Brandt und was andere Redner der Koalition gesagt haben, ein Eingehen auf das meiner Meinung nach schwerwiegendste Problem, welches sich im Zusammenhang mit diesen Genfer Schlußdokumenten stellt: die Tatsache, daß Ost und West unter Entspanung etwas völlig Verschiedenes verstehen. Der Bundeskanzler hat gesagt, hier bestehen ideologische Gegensätze fort. Aber, meine Damen und Herren, mit dem Stichwort „ideologische Gegensätze" wird der Tatbestand überhaupt nicht erfaßt, um den es sich handelt. Wir müssen doch der Tatsache ins Auge sehen, daß für die östliche Seite friedliche Koexistenz eine Modalität, eine Formel zur Fortsetzung des Kampfes mit allen Mitteln außer dem Einsatz von Waffen ist, des Kampfes mit dem Ziel, dem Sozialismus, wie sie es nennen, weltweit zum Siege zu verhelfen. Friedliche Koexistenz, Entspannungspolitik ist also nach östlicher Auffassung ein offensives, ein expansives, ein aggressives Konzept, und dem stellt der Westen nichts entgegen, nichts, was damit vergleichbar wäre.
Um so notwendiger ist es, daß wir uns bei diesen Debatten und im Rahmen der Dokumente, die jetzt in Helsinki unterzeichnet werden sollen, daran erinnern, daß wir aber nicht nur uns, sondern auch die Völker daran erinnern, daß hier mit „Entspannung" auf der Seite des Ostens und auf der Seite des Westens grundsätzlich Verschiedenes gemeint wird. Sonst besteht die Gefahr, daß Illusionen gefördert und Volksfrontbestrebungen ermutigt werden.
({26})
Ich begrüße - das möchte ich ausdrücklich sagen - das, was Herr Kollege Brandt hier heute zum Thema „Volksfront" gesagt hat; ich begrüße die eindeutige Abgrenzung von diesem Konzept, die er für die SPD vollzogen hat. Aber, Herr Kollege Brandt, ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, was das Organ Ihrer Partei, der „Vorwärts", am 10. Juli 1975, glaube ich, geschrieben hat. Dort heißt es - ich zitiere jetzt wörtlich -:
Die Sozialdemokraten werden damit in die Koexistenzpolitik des Kreml mit einbezogen, um eine möglichst breite Basis in Europa zu schaffen und um das kommunistisch-sozialdemokratische Lager gegenüber China zu festigen.
({27})
In bezug auf die SPD hofft der Kreml wohl außerdem, sie durch ihren Vorsitzenden Willy Brandt als Motor in der Ostpolitik benutzen zu können.
({28})
Es ist richtig, daß der „Vorwärts" hier das sowjetische Konzept wiedergibt, aber ich glaube, es wäre dringend notwendig, daß sich die SPD und insbesondere ihr Vorsitzender davon klar distanzieren. Der „Vorwärts" jedenfalls tut das in dem Artikel, aus dem ich vorgelesen habe, nicht.
({29})
Und um das Thema „Illusionen" noch eine Weile fortzuspinnen: Hier liegt mir eine dpa-Meldung vom 4. Juli vor. Danach hat Kollege Brandt in Moskau in einer Rede vor der Gesellschaft UdSSR/Bundesrepublik Deutschland mit Bezug auf die Entspannungspolitik gesagt:
Gewisse Enttäuschungen konnten nicht ausbleiben. Manche hochgespannte Erwartung hat sich
Dr. Carstens ({30})
nicht erfüllt. Wer Illusionen hatte, ist eines anderen belehrt worden. Doch lassen Sie mich hinzufügen: Wir stehen noch immer an einem Anfang.
Herr Kollege Brandt, das ist ein spätes Eingeständnis des Fehlschlagens Ihrer eigenen Ostpolitik.
({31})
Während Sie noch in Moskau waren, sagten Sie, Herr Kollege Brandt, daß Sie meinten, es könne in der nächsten Zeit möglich sein, aus der unfruchtbaren Polemik um Berlin herauszukommen. Aber kaum waren Sie wieder in der Bundesrepublik eingetroffen, erhob die „Prawda" einen geharnischten Protest gegen den Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Rabin in Berlin. Das, was Sie da meinten, war offenbar von der „Prawda" und von Ihren sowjetischen Gesprächspartnern nicht richtig verstanden worden.
Diese Gefahr, daß wir weiterhin Illusionen über die Absichten des politischen Gegners anhängen, ist eine schwere Bedrohung für unsere Sicherheit und unsere Freiheit, und es ist die Aufgabe der Opposition im Deutschen Bundestag, diesen Illusionen mit aller Klarheit und Deutlichkeit entgegenzutreten.
({32})
Meine Damen und Herren, die Konferenz nennt sich „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa". Ja, ich möchte fragen: Ist denn nicht schon der Name, den diese Konferenz hat, in Wirklichkeit eine Täuschung? Was verstehen wir denn unter Sicherheit in Europa? Verstehen wir darunter, daß ein paar unverbindliche Vereinbarungen über Manöverbeobachtungen ausgetauscht werden? Oder verstehen wir darunter, daß die ständige Steigerung des Rüstungspotentials des Warschauer Paktes endlich aufhören, man endlich zu einer geregelten Begrenzung der Bewaffnung kommen müsse? Ist denn nicht das die zentrale Frage der Sicherheit in Europa? Von dieser ganzen Thematik enthält die Konferenz und enthalten die Dokumente der Konferenz nicht ein einziges Wort. Wenn also von Täuschung gesprochen wird, dann, muß man leider sagen, beinhaltet diese Überschrift, dieser Titel schon eine schwerwiegende Täuschung.
({33})
Jetzt wird uns gesagt: Die MBFR-Verhandlungen sollen die Rüstungsbegrenzungen bringen. Aber, meine Damen und Herren, wie war es denn? Am Anfang, als die Konferenz über KSZE in Genf begonnen wurde, war sich der Westen einig, daß zwischen dem Abschluß dieser Konferenz und dem Abschluß der Parallelkonferenz in Wien über Truppenreduzierungen ein Zusammenhang bestehen müsse, daß es zur Erhöhung der europäischen Sicherheit und, damit man überhaupt in Wahrheit von Sicherheit sprechen könne, notwendig sei, gleichzeitig mit dem Abschluß dieser Konferenz in Genf eine Begrenzung der Rüstungen in Ost und West, eine ausgewogene gegenseitige Reduzierung der Streitkräfte in Ost und West herbeizuführen. Davon, meine Damen und Herren, ist nichts übriggeblieben.
Man hat den Zusammenhang zwischen den beiden Konferenzen gelöst. Heute heißt es - der Außenminister hat es ja wohl gesagt -, man hoffe, daß es in der MBFR nun auch weitergehen werde. Hoffnungen, für die niemand eine Gewißheit hat!
Wir sind der Meinung, daß das, was die Bundesregierung als die Erfolge ihrer Politik darstellt, in Wahrheit und bei Licht besehen nur besagt, daß die Sowjetunion nicht alle Ziele, die sie sich zu Beginn der Konferenz gesetzt hat, erreicht hat. Das ist natürlich zu begrüßen. Es wäre sicherlich wesentlich schlechter, wenn die USA und Kanada an der Konferenz nicht teilgenommen hätten. Es wäre sicherlich noch schlechter, wenn die Konferenz dazu geführt hätte, daß die europäischen Staaten, die europäische politische Gemeinschaft dabei auseinandergefallen wären. Das ist alles richtig. Aber das ist doch nicht ein Beweis dafür, daß das, was uns als Konferenzergebnis vorliegt, dem entspricht, was wir als Parlament, als Vertreter des deutschen Volkes von dieser Konferenz und ihren Schlußdokumenten erwarten müssen.
Herr Bundeskanzler, machen Sie sich keine Sorge darüber, wie die CDU/CSU die Interessen unseres Landes nach außen vertreten wird, wenn die CDU/ CSU nach der nächsten Bundestagswahl die Regierung in der Bundesrepublik Deutschland übernehmen wird!
({34})
Die CDU/CSU hat eine aktive Friedenspolitik betrieben, lange bevor es die sozialliberale oder SPD/ FDP-Koalition in der Bundesrepublik Deutschland gab. Der ABC-Verzicht, der hier erwähnt wurde, ist ein Verzicht, den Adenauer, der Kanzler der CDU/CSU, für die Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen hat. Meine Damen und Herren, das ist, ich möchte das noch einmal unterstreichen, ein großer, zentraler Beitrag für den Gedanken des Friedens und der Rüstungsbegrenzung in der Welt gewesen, und bis heute steht die Bundesrepublik Deutschland immer noch allein mit dieser Verpflichtung da, die sie übernommen hat.
({35})
Es waren die von CDU und CSU geführten Regierungen, die 1955 anläßlich des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zur WEU und zur NATO den Gewaltverzicht ausgesprochen haben. Die Friedensnote aus den sechziger Jahren ist von der Regierung Erhard und Schröder abgefaßt und an sämtliche Staaten der Welt gesandt worden. Die CDU/CSU hat während der ganzen Zeit, wo sie in diesem Lande in der Regierung war, immer wieder umfassende Vorschläge zur Abrüstung gemacht. Die CDU/CSU läßt sich in den Anstrengungen um die Erhaltung des Friedens in Europa und in der Welt durch niemanden übertreffen.
({36})
Aber sie fordert eine Politik, die bei allen Bemühungen um eine Verbesserung der Beziehungen
auch zu den osteuropäischen Staaten zugleich ent12834
Dr. Carstens ({37})
schlossen ist, die politische Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Sozialismus zu führen, und zwar so, daß deutlich wird, daß nicht nur ideologische Gegensätze bestehen, sondern daß das Konzept der kommunistischen Parteien in Osteuropa darauf hinausläuft, den Sozialismus in der ganzen Welt, und das heißt in erster Linie in Westeuropa, zum Siege zu führen.
Die CDU/CSU fordert eine Politik, die deutlich macht, daß die deutsche Frage weiterhin ungelöst ist, daß das deutsche Volk das Recht auf Selbstbestimmung nicht ausgeübt hat und daß die Wiederherstellung der deutschen Einheit auf Grund einer freien Selbstbestimmung weiterhin das Ziel deutscher Politik bleiben muß. Die CDU/CSU fordert eine Politik, die wirkliche Sicherheit bringt und nicht nur scheinbare Sicherheit auf Grund von Formeln, die bei Licht besehen unverbindliche Absichtserklärungen sind. Die CDU/CSU fordert eine Politik, die mehr Freiheit für Menschen, für die Informationen, für den Meinungsaustausch über die Grenzen zwischen Ost und West hinweg bringt. Das ist eine alte Forderung, die die CDU/CSU seit Jahren erhoben hat. Diese Forderung ist in die westliche Verhandlungsposition eingegangen.
Aber die Ergebnisse der Konferenz sind - das ist eingehend dargelegt worden - in dieser Hinsicht enttäuschend.
({38})
Die Freiheiten, die dort in Aussicht gestellt werden, sind nicht abgesicherte Freiheiten, sondern unverbindliche Absichtserklärungen.
({39})
Einer solchen Politik, wie ich sie skizziert habe, wäre die CDU/CSU bereit ihre Unterstützung zu geben. Aber mit diesen Grundsätzen steht das, was uns als Konferenzergebnis von Genf vorliegt, nicht im Einklang. Deswegen stellt die CDU/CSU-Fraktion den Antrag, die Bundesregierung aufzufordern, die Schlußdokumente der KSZE nicht zu unterzeichnen.
Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.
({40})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat Herr Abgeordneter Pawelczyk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Nichts Neues!" haben die Kollegen meiner Fraktion in der Rede mehrfach gesagt, und ich denke, dieses kann man unterschreiben. Sie können Außenpolitik nicht betreiben, indem Sie wie das Kaninchen auf die Schlange starren, unfähig für eigene Konzeptionen sind, Alternativen zu einem allmählichen Veränderungsprozeß auf der Basis realistischer Möglichkeiten ausschlagen, ohne hier auch nur den Ansatz einer eigenen Alternative auf den Tisch zu legen.
({0}) Ich sage hier für meine Fraktion: Wir identifizieren uns mit den Ergebnissen dieser Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
({1})
Die Drucksache liegt Ihnen vor. Es handelt sich bei diesem Ergebnis um einen wichtigen Beitrag der sozialliberalen Koalition für die Weiterentwicklung der europäischen Politik. Ich bitte Sie, Ihre Aufmerksamkeit auf die Erklärung der Neun am Schluß dieser Bundestagsdrucksache zu richten. Dort heißt es:
Die Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten in Europa, die vor allem durch den Abschluß des Viermächteabkommens über Berlin und des Vertrages zwischen den beiden deutschen Staaten gefördert worden ist, hat die Einberufung der Konferenz ermöglicht.
Meine Damen und Herren, hier kommt zum Ausdruck, daß die Bundesrepublik Deutschland endlich d e n Beitrag zur Stabilisierung des Friedens in Europa geleistet hat und daß es sich hier um ein erstes Ergebnis handelt. Diesem Ergebnis stimmen zu: alle westeuropäischen Staaten, die Vereinigten Staaten und Kanada. Sie unterschlagen, daß die Vereinigten Staaten durch dieses Ergebnis zum Ausdruck bringen, daß sie näher an Europa herangerückt sind, daß es eine konzeptionelle Übereinstimmung gibt, die es in der Vergangenheit nicht gab. Wann hatte die Rolle der EG je so starkes Gewicht wie jetzt?
({2})
Zeigen Sie mir ein vergleichbares Dokument zu der Erklärung der Neun in dieser Bundestagsdrucksache, die Ihnen hier vorliegt! Wann gab es je eine derart lückenlose Übereinstimmung im entspannungspolitischen Konzept zwischen den europäischen Staaten in der NATO und den neutralen Staaten Europas? Dies ist eine gute Ausgangsbasis für weitere Entwicklungen in Europa.
Sie sehen es natürlich anders. Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen darauf hingewiesen, daß wir in diesen Tagen den englischen Premier, den französischen Staatspräsidenten und den amerikanischen Präsidenten zu Gast haben. Innerhalb einer Woche kommen die Regierungschefs der drei wichtigsten Länder doch nicht in die Bundesrepublik, um fehlende Übereinstimmung in Grundfragen der Politik hier auf dem Boden der Bundesrepublik zu korrigieren, sondern um die bestehende Übereinstimmung ausdrücklich optisch zu bestätigen.
({3})
Meine Damen und Herren, Sie können sich drehen und wenden wie Sie wollen, - Sie werden nicht dazu in der Lage sein, sich davon zu befreien. daß Sie auf der Basis Ihrer Außenpolitik nur Albanien als Partner in Europa haben.
({4})
- Herr Professor Carstens, wer denn außer Albanien wehrt sich gegen die Ergebnisse, wer denn? Sagen Sie es hier!
({5})
- Ja, CDU ist klar; darüber brauchen wir hier nicht zu reden.
({6})
Ihr Kollege Stücklen und auch Sie waren nur imstande, Presseorgane als Zeugen anzuführen. Uns interessieren hier die Stellungnahmen der Regierungen und die der Völkerrechtsexperten, die die Regierungen beraten; hier gibt es nur Zustimmung.
Meine Damen und Herren, im Grunde geht es für Sie darum, zu versuchen, diese Debatte in eine deutschlandpolitische Debatte umzudrehen, weil Sie natürlich spüren, daß das Nein, das totale Nein, das in Ihrer Entschließung zum Ausdruck kommt, Ihnen zunehmend Schwierigkeiten bei Ihren Schwesterparteien in Europa bereitet.
({7})
Wir werden Ihnen diesen Weg verstellen; wir führen hier eine europapolitische Debatte, und wir sind unserer Regierung ausgesprochen dankbar dafür, daß sie es in den zweieinhalbjährigen Verhandlungen verhindert hat, die deutschen Fragen durch die 35 Staaten mitentscheiden zu lassen. Es kann doch nicht in unserem Interesse liegen, daß die Regelung unserer Fragen zu einer 35-Mächte-Verantwortung wird. Nur die Vier Mächte, die Bundesrepublik und die DDR sind verantwortlich.
Etwas zweites ist zu sagen. Wir Sozialdemokraten werden uns auch nicht mit einer rein verteidigenden Interpretation der KSZE-Ergebnisse begnügen. Dieses Ergebnis ist - und ich zitiere die Erklärung der Neun - eine Leitlinie für künftige Beziehungen. Es wird eine Ausgangslage geschaffen. Eine Leitlinie! Lothar Rühl, ein anerkannter Journalist, nennt es: Geschäftsordnung für praktische Politik. Mit diesen beiden Definitionen ist das Ergebnis korrekt umschrieben.
Uns geht es darum, wie nach der Phase 3, also nach der Gipfelkonferenz von Helsinki, die Entwicklung fortgesetzt wird. Wie erhalten und bauen wir die Stellung der Neun weiter aus? Wie lösen wir - wie helfen wir zu lösen - die Fragen, die sich im Mittelmeerraum stellen? Wie erreichen wir erste konkrete MBFR-Ergebnisse? Wir sind realistisch genug, zu wissen, daß in Europa und in der Welt die Entspannung nicht wie eine reife Frucht vom Baum fällt. Wir gehen den Weg, mühsam, Schritt für Schritt, ein Ergebnis nach dem anderen zu erzielen, ohne unsere völkerrechtlichen Grundlagen zu verletzen. Eine Alternative gibt es nicht. Wer diesen mühsamen Weg ausschlägt, der ist nicht fähig, die Regierungsverantwortung zu übernehmen.
({8})
Es hilft auch nicht weiter, daß Sie immer den übernächsten Schritt fordern, aber nein sagen zu dem
davorliegenden, der zunächst einmal gegangen werden muß.
({9})
Schritt für Schritt, das ist die Geschäftsbasis für weitere Fortschritte, das Ergebnis der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Die Bedeutung dieser Konferenz erschließt sich, wenn man den Zusammenhang mit der Entspannungspolitik der letzten Jahre herstellt. Es geht um friedliche Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil. Wir haben es alle gemeinsam geschafft, daß aus jahrhundertelanger Erbfeindschaft ein freundschaftliches Verhältnis unter Bündnispartnern geworden ist. Diese Übereinstimmung beeinflußt auch unsere Möglichkeiten einer offensiven Politik gegenüber dem Osten. Die westlichen Teilnehmer, wir und unsere Freunde, waren sich jeden Augenblick darüber im klaren, daß wir keinen Schritt ohne die Berücksichtigung unserer Sicherheitsinteressen tun können. Wir wissen, daß das Netz gegenseitiger Abhängigkeiten mit dem Osten nicht so stark ist, daß es nicht beschädigt werden könnte.
Deswegen verzichten wir nicht auf das Nordatlantische Bündnis; wir bestätigen es ausdrücklich. Nur auf der Basis unseres Bündnisses ist aktive, realistische Entspannungspolitik möglich. Ich verwehre auch niemandem - warum denn eigentlich? -, eine realistische Haltung zur Entspannungspolitik an den Tag zu legen. Aber, ich finde, jener demonstrative Pessimismus, der den Gegnern der Zusammenarbeit von vornherein die Entschuldigungsgründe mitliefert, kann nicht Basis unserer Argumentation sein.
({10})
Wir müssen uns hier noch einmal gegenseitig klar vor Augen führen: Dieser mühsame Weg setzt voraus, daß jeder Staat die Mittel zur Kontrolle des Veränderungsprozesses selbst in der Hand behält. Wenn es zu Ergebnissen kommt, bei denen der Staat in Gefahr gerät, wird er nicht zustimmen. Die Bereitschaft zur Entspannungspolitik setzt innenpolitische Stabilität in den einzelnen Ländern voraus.
Der Wert, den ein spannungsfreies Europa für unseren Kontinent bedeutet, verpflichtet uns, diesen mühsamen Weg zu gehen, jede Chance wahrzunehmen. Die Opposition lehnt diesen Weg leider ab. Ich finde es hochinteressant - ich gehe davon aus, daß die Überprüfung, die jemand für mich angestellt hat, zutrifft -, daß in der „Alternative '76", die Sie in Mannheim verabschiedet haben, kein Wort über SALT, kein Wort über MBFR, kein Wort über KSZE zu finden ist.
Einige Bemerkungen zu den vertrauensbildenden Maßnahmen. Hier geht es um die freie Disposition über die Streitkräfte im eigenen Land. Diese Disposition ist zentrales Element der Souveränität jedes Staates. Zum erstenmal hat sich der Ostblock auf dieser Konferenz bereit erklärt, Manöver in einer Größenordnung ab 25 000 Mann in einem bestimmten geographischen Raum vorher anzukündigen. Jeder, der die 30jährige Nachkriegsgeschichte kennt, weiß, daß dies ein Durchbruch ist. Jeder weiß, daß dies ein Politikum ersten Ranges ist. Hier ist zum erstenmal eine psychologische Barriere durchbro12836
chen worden. Es geht darum, Barrieren zu beseitigen, gerade in diesem Bereich.
Die Ankündigung von Manövern baut Mißtrauen ab und schafft damit Voraussetzungen für weitere Verhandlungen zur Verminderung von Rüstungen im nuklearen und im konventionellen Bereich. Das Ergebnis der KSZE fordert beide Seiten heraus, ihre Vorschläge zu überprüfen, zu modifizieren, um konkrete MBFR-Ergebnisse zu erreichen.
Herr Kollege Stücklen, ich muß hier eines noch einmal ganz deutlich sagen: Wenn Sie die Ergebnisse der Sicherheitspolitik und die sicherheitspolitischen Leistungen bemängeln, haben Sie hoffentlich nicht die Bundesrepublik gemeint. Die Bundesrepublik leistet einen hohen Beitrag. Die Bundesrepublik, diese Bundesregierung und die Koalition, die sie trägt, haben dafür gesorgt, daß die Bundeswehr intakt ist - mit einem guten inneren Gefüge, mit einem guten Stand von Ausrüstung und Bewaffnung, anerkannt in der Bevölkerung. Das ist ein qualifizierter Beitrag, den wir unseren westlichen Freunden zur Verfügung stellen. Sie werden nicht davon ausgehen, daß wir nachlassende Beiträge der anderen übernehmen können.
({11})
- Dann ist es gut. Wenn Sie aber die sicherheitspolitischen Beiträge kritisieren, dann müssen Sie doch einen Lösungsvorschlag machen.
({12})
Dann müssen Sie doch sagen: Bezüglich der Sicherheitspolitik schlage ich als CSU-Mitglied vor, die Bundesrepublik sollte zusammen mit den Vereinigten Staaten und diesen oder jenen anderen Ländern materielle Anstrengungen unternehmen, auf die anderen verzichten wir; wir sind bereit, dafür den Haushaltsplan der Bundesrepublik in dieser und jener Weise abzuändern.
Sie kritisieren, machen aber keine Änderungsvorschläge und führen Ihre Gedanken auch nicht zu Ende.
({13})
Ich stelle fest, die Bundesrepublik leistet einen wichtigen Beitrag für die Sicherheitspolitik im Bündnis. In der Sicherheitspolitik kann kein Versuch ausgelassen werden, um auf diesem Gebiet zu konkreten Ergebnissen zu kommen.
Gerade wir sind in besonderer Weise auf die Übereinstimmung mit den Staaten in Europa angewiesen. Wir müssen in voller Übereinstimmung mit dem Bündnis handeln. Ihre Politik der Negation katapultiert uns geradezu aus dieser Übereinstimmung heraus.
({14})
Durch westliche Initiative wurde erreicht, daß militärische Fragen Gegenstand dieser Konferenz wurden und damit eine Verbindung zwischen militärischen und politischen Sicherheitserwägungen erreicht wurde. Dies ist ein Element unserer Entspannungskonzeption.
Ein zweites. Wir haben auf den wirtschaftlichen Aspekt Wert gelegt. Es wurden Geschäftsbedingungen ausgehandelt, die über den augenblicklichen Zustand hinausführen. Es gibt konkrete Ansätze, auf der Basis dieser Geschäftsbedingungen vorzugehen. Die wirtschaftliche Kooperation stützt die politische Entspannung und ist als ein Pfeiler dieser Konzeption westlicher Entspannungspolitik gar nicht wegzudenken.
Herr Kollege Stücklen hat in besonderem Maße den Tagesordnungspunkt III - Zusammenarbeit im humanitären Bereich - kritisiert. Es geht um mehr Bewegungsfreiheit, mehr Kontakte zwischen den Menschen
({15})
- ja, unter der Überschrift - und einen verstärkten Fluß von Informationen zwischen den Menschen in Europa. Die westlichen Staaten haben versucht und erreicht, daß die Fragen der Zusammenarbeit im humanitären Bereich zum Gegenstand eines Tagesordnungspunktes der Konferenz werden. Haben Sie die Entwicklung nicht mitvollzogen, daß wir entgegen den Absichten des Ostens diesen Bereich in die Konferenz mit einbezogen haben? Damit ist doch unsere Konzeption klar: Verzahnung militärischer und politischer Fragen im selben geographischen Bereich, wirtschaftliche Kooperation; Hereinnahme der Fragen des humanitären Bereichs. Dies ist ein unauflösbarer Zusammenhang, dies ist Grundlage unserer Konzeption. Wenn Sie das zu kritisieren haben, dann zeigen Sie doch Ihr Konzept!
Ich würde nicht in den Wind schlagen, daß seit der Spaltung Europas in Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung dies die erste Konferenz in Europa ist, auf der die humanen Wertvorstellungen, die sich aus der europäischen Geschichte entwickelt haben, Plattform für eine gemeinsame Willenserklärung geworden sind. Wort für Wort stehen die Kritikpunkte in diesem dritten Tagesordnungspunkt, Wort für Wort sind unsere Überlegungen zur Verbesserung der Lage aufgenommen. Unser Standpunkt hat sich durchgesetzt. Was gibt es daran zu kritisieren?
Hauptpunkt Ihrer Kritik ist der Prinzipienkatalog. Sie geben zwar zu, daß dies kein Vertrag ist, aber Sie argumentieren in Ihrer Kritik ständig so, als ob es einer sei.
({16})
Der Westen hat sich sorgfältig gehütet, auf einseitige Interpretation durch den Ostblock einzugehen, um den Anschein einer übereinstimmenden Rechtsauffassung überhaupt nicht erst entstehen zu lassen. Er hat dafür gesorgt, daß die Konferenztexte der westlichen Auffassung entsprechen. Nur Sie, die
Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Pawelczyk
Opposition, scheren hier aus, und zwar öffentlich, über Wochen und Monate, Herr Kollege Marx.
({17})
Das ist tief bedauerlich. Es unterminiert die westliche Position. Sie stellen sich damit direkt gegen die Interessen des eigenen Landes. Es läßt Sie völlig unbeeindruckt, daß die neun EG-Staaten eine ganz eindeutige Interpretation abgegeben haben; das interessiert Sie nicht.
({18})
Es interessiert Sie auch nicht, daß sich noch in den letzten Tagen der amerikanische Präsident Ford dazu sehr exakt geäußert hat.
({19})
Meine Damen und Herren, die Auffassung, die der Regierung hier vorgetragen hat, ist auch unsere eigene. Es sind keine völkerrechtlichen Vorbehalte verletzt worden. Wir haben in unseren Ostverträgen eine bilaterale Grundlage für praktische Verbesserungen geschaffen, ohne die völkerrechtliche Substanz zu beschädigen. Das KSZE-Ergebnis ist eine Multilateralisierung. Die Fragen der Zusammenarbeit, die praktisch regelbar sind, werden formuliert.
Eine Bemerkung zu den Prinzipien I und III. Meine Damen und Herren! Wenn ich am Beginn meiner Ausführungen sagte, wir stehen hinter diesen KSZE-Ergebnissen, dann gilt das ganz ausdrücklich für den Prinzipienkatalog. Wir wollen uns nicht eine Grenzänderung mit Gewalt offenhalten. Jeder, der argumentiert, sollte nicht den Eindruck erwecken, daß andere eine derartige Interpretation anstellen könnten.
({20})
Meine Damen und Herren! Die KSZE ist durch eine gute westliche Zusammenarbeit zu einer Konferenz geworden, der der Westen, der Osten und die neutralen Staaten zustimmen. Anders kann keine Ausgangsbasis für eine allmähliche Entwicklung zu mehr Entspanung erreicht werden. Und es kann keine Rede davon sein, daß hier, Herr Kollege Stücklen, das sowjetische Konzept der fünfziger Jahre einer europäischen Sicherheitskonferenz übernommen worden ist. Das ist doch einfach nicht wahr.
({21})
- Ja, eine Etappe. Haben Sie denn übersehen, daß die Vereinigten Staaten und Kanada herausgehalten werden sollten? Haben Sie denn übersehen, daß das Ende dieses Dialogs, der über 20 Jahre dauerte, zu unseren Gunsten ausging. Die Vereinigten Staaten sind mehr in Europa integriert als vorher. Ist das ein Ergebnis zu unserem Nachteil? Hat der Westen denn hier daraufgezahlt?
Wir haben dafür gesorgt, daß wir eine Tagesordnung bekommen, die die militärischen Elemente der
Entspannung enthält; das sollte nach dem Willen des Ostens verhindert werden. Wir haben dafür gesorgt, daß humanitäre Fragen Gegenstand der Verhandlungen werden. Auch dagegen wehrte sich der Osten. Wo haben wir denn hier eine Etappe oder alles verspielt?
Ich finde es geradezu beschämend, wenn Ihr Parteivorsitzender die Sicherheitskonferenz bezeichnet - ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung" als einen Versuch, mit Hilfe einer Aktionsgemeinschaft zwischen Sozialdemokraten und KPdSU zu einer von militärischen Machtdemonstrationen unterstützten Diplomatie die europäische Politik aus den Angeln heben.
Das ist die Bewertung Ihres Vorsitzenden Strauß. Wodurch ist diese Beurteilung gerechtfertigt? Was ist denn das für eine Beurteilung?
Sie nehmen auch nicht die Rolle zur Kenntnis, die die Neun gespielt haben. Von der Vorbereitungsphase bis zum abschließenden Ergebnis in Helsinki haben die neun EG-Staaten eine hervorragende Rolle gespielt. Zum erstenmal waren sie im Ost-West-Dialog herausgefordert. Zum erstenmal hatten sie sich zu bewähren. Die Neun haben sich vorzüglich bewährt. Es wurde eine gute Basis für die weitere Entwicklung in Europa geschaffen. Sie wissen, daß der christlich-demokratische Ministerpräsident Moro auch namens der Neun seine Unterschrift unter das Schlußergebnis setzen wird.
Es ist bedauerlich, daß die CDU sich das Nein von der CSU hat abringen lassen.
({22})
Und, Herr Kollege Carstens, ich finde es gar nicht befremdlich, daß der Herr Bundeskanzler hier dieses Nein, diese totale Isolierung in Europa, zum Gegenstand ernster Sorge macht.
({23})
Ich finde es überhaupt nicht eigenartig, daß er nach der Auffassung und der Position seines Gegenkandidaten fragt. Stützt er dieses Nein? Will er Außenpolitik auf der Basis dieser totalen Isolierung mitmachen oder nicht? Warum ist Strauß hier, und warum fehlt Kohl? Es kann doch nicht sein, daß Sie plötzlich der KSZE einen so geringen Wert zumessen, daß es sich für den Kanzlerkandidaten der Opposition nicht lohnt, bei einer Debatte über die Grundfragen westlicher Politik und deutscher Außenpolitik durch Abwesenheit zu glänzen, wo er doch unwichtigere und wichtigere Debatten von der Bank des Bundesrates aus verfolgt.
({24})
Ich finde es bedauerlich, daß wegen dieser Absprache zum totalen Nein eine Differenzierung auf Ihrer Seite nicht möglich ist.
({25})
- Nein, nein, Herr Kollege Mertes. - Sie werden auch mit diesem Nein die unterschiedlichen Auffassungen, die Dissense, die in Ihrer Außenpolitik liegen, nicht los.
({26})
Sie können damit heute eine Abstimmung überstehen. Aber die Risse in Ihrer Fraktionsgemeinschaft, die Sie uns in den letzten fünf Jahren bei allen Abstimmungen vorgeführt haben, werden Sie so nicht los.
({27})
Sie haben kein außenpolitisches Konzept, das die Fraktionsgemeinschaft akzeptiert, und Sie sind, zumindest außenpolitisch, deshalb nicht regierungsfähig;
({28})
daran gibt es nichts wegzudiskutieren.
({29})
- Ja, die Jungsozialisten!
({30})
- Herr Präsident, ich fasse dies als eine Frage des Kollegen Stücklen auf und bitte, das bei meiner Redezeit zu berücksichtigen; an sich wäre ich in zwei Minuten fertig gewesen. - Da werden natürlich wieder die Jusos vorgeführt.
({31})
- Nein, ich möchte ihn erst zu Ende reden lassen.
- Ich will Ihnen folgendes sagen. Wir Sozialdemokraten als demokratische Partei treffen unsere Entscheidungen auf Bundesparteitagen.
({32})
Wir stellen politische Probleme zur offenen Diskussion.
({33})
- Was heißt „Aha" ? Wenn das für Sie ein Aha-Erlebnis ist, dann lernen Sie doch daraus!
({34})
Wir diskutieren politische Grundfragen in aller Offenheit kontrovers, wir treffen auf Bundesparteitagen eine Entscheidung, gehen dann mit einheitlicher Auffassung in die Parlamente
({35})
und tragen die Dissense nicht als Fraktion in den Parlamenten aus, wie Sie es tun.
({36})
Wenn der Bürger Abgeordnete wählt, dann erwartet er, daß innerparteiliche Streitpunkte vorher auf Parteitagen ausgetragen werden. Sonst können politische Versprechen parlamentarisch nicht durchgesetzt werden. Ihre Entscheidungen bei allen Grundfragen der Außenpolitik - Beitritt zur UNO, Atomwaffensperrvertrag - die eine Hälfte dafür, die andere dagegen, sind doch kein Ausdruck gemeinsamer Außenpolitik. Wem wollen Sie denn das einreden?
({37})
- Wieso soll es mir leid tun, daß Sie sich hier nicht verständigen können? Das tut mir überhaupt nicht leid.
Meine Damen und Herren, zu einer tragfähigen Entspannungskonzeption gehört es, mit den befreundeten Staaten ein einheitliches außenpolitisches Konzept zu entwickeln. Dazu gehört erstens, die politischen und militärischen Aspekte der Entspannungspolitik zusammenzuführen, so daß sie gemeinsam von allen unterstützt werden. Das haben wir Ihnen in den zweieinhalb Jahren KSZE-Verhandlungen eindrucksvoll vorgeführt.
Dazu gehört zweitens die Unterstützung durch wirtschaftliche Kooperation und gemeinsame Absprachen über die Zielrichtung. Wir und die uns befreundeten Staaten im Westen haben Ihnen vorgeführt, daß hier Einstimmigkeit besteht.
({38})
Dazu gehört drittens die Einbeziehung der Zusammenarbeit im humanitären Bereich und in anderen Bereichen. Auch das haben wir Ihnen gemeinsam mit den westlichen Freunden und den neutralen Staaten eindrucksvoll vorgeführt.
Vizepräsident von Hassel: Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluß. Ich habe Ihnen schon drei Minuten zugegeben.
Auf diese Konzeption haben wir uns alle verständigt. Wir werden diese Leitlinien benutzen, um, darauf aufbauend, aktiv unsere Entspannungspolitik fortzusetzen. Wir werden weiterhin eine Politik der Stabilisierung des Friedens hier in Europa betreiben. In dieser unsicheren Welt haben wir alle und hätten auch Sie Anlaß, mit uns gemeinsam den mühsamen Weg der Verbesserung der Stabilisierung des Friedens zu beschreiten.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bangemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Präambel der Schlußakte heißt es:
Unter Bekräftigung ihres Zieles, bessere Beziehungen untereinander zu fördern sowie Bedingungen zu gewährleisten, unter denen ihre Völker in echtem und dauerhaftem Frieden, frei von jeglicher Bedrohung oder Beeinträchtigung ihrer Sicherheit, leben können;
({0})
Auch wenn man weiß, daß in Präambeln solche feierlichen Sätze die Regel sind, sollte man nun doch - mit einer gewissen Skepsis und mit einem großen Maß an Realitätssinn - prüfen, was durch eine solche Präambel tatsächlich gedeckt sein kann. Insofern halte ich es durchaus für notwendig, daß wir heute hier in einer gemeinsamen Debatte als erstes einmal den Versuch machen, Maßstäbe zu finden, an denen wir uns orientieren wollen, wenn wir diese Schlußakte, ihre Behandlung in Helsinki und die zu erwartenden Ereignisse gemeinsam beurteilen wollen.
Es gibt dazu eine Reihe von theoretischen Möglichkeiten. Man kann - das haben die Sprecher der Opposition ausführlich getan - auf die gegenwärtigen Verhältnisse abstellen. Man kann also dartun, daß das, was wir heute erleben, was um uns herum Wirklichkeit ist, nicht dem Geist, dem Sinn und auch der Absicht dieser Schlußakte entspricht.
Man kann auch auf die zukünftige Entwicklung abstellen. Man kann versuchen, sich vorzustellen, was nach einer Verabschiedung oder nach einer Ablehnung der Schlußakte eintreten mag.
Letztlich kann man natürlich auch eine ideale Vorstellung, die man von den Zuständen in der Welt haben kann, zum Maßstab seiner Beurteilung machen.
Alle diese drei Maßstäbe sind von den Rednern der Opposition hier ganz offenbar angelegt worden, ohne daß sich der einzelne dazu ausführlich und ausdrücklich geäußert hat. Wenn man einmal prüft, was hier gesagt worden ist, ergibt sich, daß es diese Maßstäbe sind, die Sie ganz offenbar zur Ablehnung des Konferenzergebnisses gebracht haben. Alle drei Maßstäbe sind aber ungeeignet. Mit diesen drei Maßstäben kann man weder das Konferenzergebnis beurteilen noch eine zutreffende Beurteilung der zukünftigen denkbaren Entwicklung abgeben.
Zunächst einmal ist es der erklärte Wille der Konferenzteilnehmer, geradezu die Absicht dieser Konferenz, die gegenwärtigen Verhältnisse, die so sein mögen, wie sie hier dargestellt sind - ich will einmal unterstellen, daß alles so ist, wie es hier gesagt wurde - zu überwinden. Dieses Kolossalgemälde hier auszubreiten, um dadurch die Ergebnisse der Konferenz als nicht ausreichend darzustellen, ist nicht geeignet; das ist schlicht kein geeigneter Maßstab zur Beurteilung dieses Ergebnisses. Die zukünftige Entwicklung heranzuziehen hat, wie Sie sicher zugeben werden, ein großes Maß an Unsicherheit. Es ist nicht so, daß irgend jemand von uns sicher sagen könnte, was die zukünftige Entwicklung, sei es mit, sei es ohne Anerkennung dieser Schlußakte, bringen mag. Eine ideale Vorstellung mag sich bei theoretischen politischen Seminaren gut ausmachen, in der praktischen Politik aber - und das beweisen Sie von der Opposition in diesen außenpolitischen Fragen eigentlich immer wieder - verurteilt eine ideale, naive Vorstellung von der Welt, wie sie sein sollte, das praktische Handeln und damit die Verbesserung der Welt, wie sie ist, zur Wirkungslosigkeit.
({1})
Deswegen geht es auch nicht, daß wir uns hier mit solchen idealen Vorstellungen befassen.
Ich möchte Ihnen empfehlen, die Frage ganz einfach einmal herumzudrehen. Nehmen wir von dem, was Sie in Ihrem Entschließungsantrag vortragen, und zwar nicht, was Sie zur Begründung vortragen - dazu ist schon einiges gesagt worden -, sondern von dem, was Sie uns zur Annahme empfehlen, einmal den ersten Satz:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Schlußdokumente der KSZE nicht zu unterzeichnen.
Es fällt einem ja schwer, wenn man eine solche Aufforderung ablehnt, sich einmal einer solchen Vorstellung hinzugeben. Ich bitte aber die verehrten Kollegen meiner Fraktion und die geschätzten Kollegen der SPD-Fraktion, sich einmal zu überlegen - denn diese Überlegung muß die CDU ja auch angestellt haben -, was es in der Praxis bedeuten würde, wenn sich die Bundesregierung in Helsinki bei einer solchen Konferenz weigern würde, diese Schlußakte zu unterzeichnen.
({2})
Man muß sich das einmal vorstellen, um ganz genau zu erkennen, in welcher Welt Sie eigentlich leben.
({3})
Ich bin gar nicht sicher, ob man das mit dem Ausdruck Idealismus überhaupt noch zutreffend beschreiben kann, ob das nicht schon Naivität in höchstem Grade ist, die Sie hier praktizieren.
({4})
Würde sich an dem, was Sie hier beschrieben haben, auch nur ein Jota ändern, wenn diese Bundesregierung in Helsinki so verfahren würde?
({5})
Würde der Schießbefehl aufgehoben werden? Würde die blutende Grenze, von der Sie immer sprechen, morgen nicht mehr existieren, wenn die Regierung hier sich weigerte? Würde die Sowjetunion oder irgendein anderer Staat, dem Sie immer wieder die finstersten Absichten unterstellen,
({6})
zu einem Lamm des Weltfriedens werden? Würde denn das alles passieren? Nichts von dem würde passieren, überhaupt nichts.
({7})
Nichts würde passieren! Das ist im Grunde genommen Ihr Dilemma, meine Damen und Herren von der Opposition. Im Grunde genommen wissen Sie das auch, jedenfalls einige von Ihnen, die mich ganz nachdenklich anschauen.
({8})
Ich will keinen besonders anschauen; die wissen das.
({9})
Ich biete Ihnen noch einen anderen Maßstab der Beurteilung an. Wie wäre es, wenn Sie einmal versuchten, an Hand des Ergebnisses, das nun vorliegt, die Absichten der Beteiligten zu prüfen, die vor zwei oder mehr Jahren bestanden, als diese Konferenz begann, d. h. jetzt nicht zu philosophieren, was in Zukunft passieren kann, sondern schlicht zu sagen, was die Sowjetunion wollte und was sie erreicht hat, was die Bundesrepublik wollte und was sie erreicht hat?
({10})
Das ist ein hervorragender Maßstab. Wenn Sie das tun, werden Sie nämlich feststellen, daß mit ganz wenigen Ausnahmen - von einer Ausnahme hat Herr Carstens hier gesprochen; das wollte aber nicht die Bundesrepublik, sondern das wollten Sie - das, was wir wollten, erreicht ist und daß das, was die Sowjetunion entweder wollte oder was Sie ihr unterstellt haben, nicht erreicht worden ist.
Es ist nicht erreicht worden, meine Damen und Herren, was am Anfang dieser Konferenz zweifellos von östlicher Seite beabsichtigt war, die Vereinigten Staaten und Kanada an der Konferenz nicht zu beteiligen. Das kann nun kein Mensch bestreiten; das ist so.
({11})
- Bitte sehr, ein Element, Herr Carstens, zu einer rationalen Entscheidungsfindung, das ich Ihnen hier völlig unverbindlich frei Haus ohne jedes Obligo für Sie anbiete in der Annahme, daß Sie über so viel außenpolitischen Verstand verfügen, daß Sie solche Elemente endlich einmal zu einem realistischen Bild der Entspannungspolitik zusammenfügen.
({12})
Wo ist eine völkerrechtliche oder eine - wie Sie einmal gesagt haben - regional europäisch-völkerrechtliche Sanktionierung der Spaltung Europas? Nichts dergleichen ist da. Herr Pawelczyk hat mit Recht darauf hingewiesen: Sie können doch nicht einerseits argumentieren, daß das Ganze hier nicht völkerrechtlichen Charakter habe, und andererseits immer wieder Folgen beschwören, die nur dann eintreten könnten, wenn diese Vereinbarung völkerrechtlichen Charakter hätte.
({13})
Ich bin durch meine natürliche Höflichkeit gehindert, hier einen klinischen Ausdruck zu verwenden, aber das ist ein derartiges Verhalten.
({14})
Wo ist das Ziel der Sowjetunion und anderer osteuropäischer Länder geblieben, diese Konferenz nur zu einer Konferenz der Sicherheit von Staaten zu machen und auszuschließen, was für die Menschen in Europa von Bedeutung sein könnte? Nichts dergleichen ist geblieben. Wir haben in Korb 3, wir haben in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und auch bei den militärischen Maßnahmen viele Elemente, die von Bedeutung werden können für die Menschen in Europa.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({15})?
Ich nehme an, daß, wenn Sie zum zweitenmal abgelehnt werden, Sie darunter sehr leiden. Deswegen darf ich Sie bitten, die Frage zu stellen.
({0})
Herr Kollege Bangemann, wenn ich Ihren Maßstab anlege, würden Sie mir dann zustimmen, daß die Sowjetunion und der Ostblock eine Gipfelkonferenz zum Abschluß dieser Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit als großartiges Entspannungstheater gewünscht haben, um hinter dem Entspannungszauber dieser großen Konferenz ihre entspannungsfeindliche Politik in der Praxis weiterführen zu können, und daß sie genau dieses Ziel auch durchgesetzt hat?
Herr Jäger, das ist nun wirklich eine Fortführung dessen, was ich Ihnen hier gerade als Methode genannt habe, die nicht weiterführt.
({0})
Sie beschwören hier ein Gespenst, das ausgefüllt ist mit Ihren Ängsten, mit all dem, was Sie aus Ihren Erwartungen in die Haltung der anderen Länder projizieren.
Ich will Ihnen einmal sagen, worin Sie jetzt hier eine Denkweise offenbart haben, die eben einfach in der Außenpolitik nicht weiterführt.
({1})
- Nachdem ich nun seine Zwischenfrage zugelassen habe, muß ich Ihnen nun wenigstens insoweit
helfen, zu weiteren Zwischenfragen zu kommen, die ihn dann vielleicht weiterführen können. - Sie reden vom Ostblock, und damit unterstellen Sie eine Vorstellung dieses osteuropäischen Raumes, die mit der Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun hat. Das ist ein höchst differenziertes Gebilde, wenigstens geworden, meine Damen und Herren von der Opposition, und ich kann Ihnen nur dringend raten: Bereisen Sie - nachdem in Helsinki das alles hier verabschiedet ist, haben Sie viel mehr Möglichkeiten ({2})
Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, und von mir aus bereisen Sie auch Albanien, damit Sie alle diese Unterschiede ganz genau feststellen können. Die sind nämlich ungeheuer.
({3})
- Sie wissen, daß ich zu denjenigen gehöre, die sich immer wieder die Mühe machen, sich ernsthaft mit Ihren Vorstellungen auseinanderzusetzen.
({4})
Auf vielen Gebieten haben Sie sich schon entwickelt, aber auf dem Gebiet der Entspannungspolitik ist ja Ihre Enthaltung zum Moskauer Vertrag staatsmännische Weisheit gegenüber dem, was Sie hier vorschlagen!
({5})
Sie gehen immer wieder davon aus, daß die gute alte, heile Welt, die auch eine einfache Welt war, weiterbesteht. Das ist nicht so. Die Beziehungen sind in einem ungewöhnlichen Maße komplex geworden, und die großen Vereinfachungen wie z. B. „der Ostblock" bringen eben nicht mehr eine Basis für vernünftige und rationale Politik, wie wir sie uns alle wünschen müssen. Das muß man denjenigen sagen, die hier davon gesprochen haben, daß sich die Bundesrepublik in einer besonderen Lage befindet und daß wir deswegen vielleicht kritischer, skeptischer gegenüber den Ergebnissen sein müssen. Meine Damen und Herren und vor allen Dingen Herr Carstens, der das noch einmal betont hat: Da wir in einer besonderen Lage sind - und zwar nicht nur wegen der Spaltung in zwei deutsche Staaten, sondern auch wegen einer ungewöhnlich prekären Sicherheitslage -, sind wir diejenigen, die an einer Unterzeichnung dieser Schlußakte in einem höchsten Maße interessiert sind, viel stärker als beispielsweise Kanada. Das ist die Wahrheit!
({6})
Wenn man sich Ihre ablehnende Haltung einmal in der ganzen Breite vor Augen führt, wird im Grunde immer wieder dokumentiert, daß Sie dieses Grundprinzip der Entspannungspolitik entweder bewußt ablehnen oder in Ihre Politik nicht einführen können. Es dreht sich doch, meine Damen und Herren, nicht darum, daß in dieser Ihrer Politik der Versuch gemacht werden soll, die Prinzipien, die wir in unserer demokratischen Welt, in unserem politischen Zusammenleben für richtig halten und die wir so praktizieren - und nicht nur in Worten ausdrücken -, wie wir das bei uns in der Bundesrepublik tun, anderen Ländern vorzuschreiben, die dann durch einen Vertrag - wie auch immer - diesen Prinzipien zu folgen hätten. Das geht eben nicht! Wir müssen vielmehr Versuchen, mit anderen Ländern, mit anderen Staaten mit anderen Auffassungen von politischem Zusammenleben in ein Verhältnis zu kommen, das folgendes gewährleistet: einmal die schlichte militärische Sicherheit, die Möglichkeit des physischen Überlebens. Es darf bei der Entspannungspolitik nicht vergessen werden, daß ein ganz wesentlicher Bestandteil dieser Politik der Versuch ist, dieser Bundesrepublik - wenn wir das schon einmal in einem nationalstaatlich-egoistischen Begriffssystem darstellen wollen - und den Menschen, die in ihr leben, die Möglichkeit zu verschaffen, zu überleben in einer Welt, die nun einmal immer wieder zur Aufrüstung neigt und vielleicht auch durch ihre gegenseitigen Ängste getrieben wird. Es geht also - am Beispiel der Aufrüstung kann man das sehr gut darlegen - nicht darum, hier die Augen vor den Fakten zu verschließen, davor, daß aufgerüstet wird, sondern darum, die Ursachen dafür, daß aufgerüstet wird, zu beseitigen.
({7})
Und diese Ursachen sind z. B. Vorurteile gegeneinander, die unbegründete Angst voreinander - alles das, was zu den spannungsfördernden Elementen dazugehört.
({8})
Über die Friedenspolitik und über die Friedenswissenschaft ist ja schon viel Kritisches gesagt worden. Aber es empfiehlt sich, einiges darüber nachzulesen, was an Erkenntnissen über menschliche Eigenschaften vorhanden ist, wie z. B. Angst oder Furcht oder Mißtrauen, was im Spannungsprozeß, wenn es drinbleibt, eben auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen kann, selbst dann, wenn man das nicht will. Das ist doch das Problem, um das es hier geht.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, entdecken „neue soziale Fragen", aber Sie geben immer wieder die alten Antworten. Und da fragen wir uns natürlich: Wo ist in einem solchen Parlament eine Möglichkeit, über solche wichtigen Fragen so zu diskutieren, daß wir auch von dem profitieren können, was Sie hier an begründeter Kritik vortragen könnten?
Sie haben sich darüber gewundert, daß fast alle Redner von einer Isolation, in die Sie geraten sind, gesprochen haben. Sie haben das abgelehnt. Sie haben auf die „Neue Zürcher Zeitung" verwiesen und auf irgendein anderes Blatt, an dessen Namen ich mich jetzt nicht mehr erinnere.
({9})
- Gut, nehmen wir also die „New York Times" und den „Economist" noch dazu.
({10})
Das ist ja alles ganz schön und gut. Die Frage ist aber doch nicht, ob Sie sich mit einigen Journalisten in deren Bedenken zusammenfinden - da finden Sie sogar noch mehr Leute, die diese Bedenken auch haben -, sondern die Frage ist doch, ob Sie sich mit Leuten zusammenfinden, die diese Bedenken so weit treiben, daß sie die Unterzeichnung der Schlußakte ablehnen. Darum geht es, und da, meine Damen und Herren, befinden Sie sich jetzt sogar schon zu Ihrer eigenen Jugendorganisation in einer Isolation.
Vorhin bin ich aufgefordert worden, zum „Vorwärts" etwas zu sagen. Das kann ich nicht, denn ich habe den Artikel, um den es hier geht, nicht gelesen.
({11})
- Das halte ich nicht für so wichtig. Aber ich will hier einmal zur stillen Freude der SPD, der Sie ja immer die Jusos vorhalten, verlesen - mit der gütigen Genehmigung des Herrn Präsidenten -, was der RCDS zu der Haltung gesagt hat, die Sie heute hier praktizieren. Das ist ganz neu; nicht von vorgestern, wie beim „Vorwärts", das ist von heute. Da heißt es:
Gegen die Ablehnung der KSZE-Ergebnisse
durch die CDU/CSU hat sich der Ring Christlich-Demokratischer Studenten ausgesprochen.
({12})
In Bonn erklärte der RCDS-Bundesvorsitzende, bessere Ergebnisse seien bei realistischer Sicht im Ost-West-Dialog nicht erreichbar. Die Sowjetunion habe ihre ursprünglichen Ziele, insbesondere die Einrichtung eines ständigen europäischen Sicherheitsrates, der ihr Einfluß in Westeuropa verschaffen sollte, keineswegs erreicht. Die KSZE-Ergebnisse garantierten nicht Entspannung in Europa, sondern seien die Maßstäbe, an denen die Verwirklichung der Entspannung gemessen werden müsse.
Sehr richtig!
({13})
- Hören Sie gut zu!
Die Ablehnung der KSZE-Ergebnisse durch die CDU/CSU bedeute einen Rückfall in außenpolitischen Immobilismus, meinte der Student.
({14})
Meine Damen und Herren, Sie erinnern mich an die Geschichte von dem Elternpaar, das bewundernd am Rande einer Straße steht, auf der ein Regiment vorbeimarschiert. Ihr Sohn Werner ist der einzige, der nicht Tritt hält; und beide Eltern sagen: „Schau
mal! Der gute Werner ist der einzige, der im Gleichschritt marschiert!"
({15})
Wobei das Schlimme ist, daß Sie ja nicht einmal diese Eltern haben, die Ihnen das bestätigen. Ihre Söhne verlassen Sie; Sie müssen sich selber bestätigen, daß Sie recht haben.
({16})
Letzten Endes, meine Damen und Herren - und das ist vielleicht im Zusammenhang mit der Tatsache, daß hier die europäische Union zum erstenmal praktiziert worden ist, besonders wichtig -: Wenn man sich einmal den Entspannungsprozeß anschaut, wie er abgelaufen ist, dann kann man sagen, daß dieser Prozeß von 1969 bis 1972 im wesentlichen durch die Vier Mächte und die beiden deutschen Staaten getragen worden ist. In dieser Zeit wurde alles das, was in der Verantwortlichkeit der Vier Mächte und der beiden deutschen Staaten lag, zustande gebracht. Von 1972 bis 1973 ging das Gesetz des Handelns auf die USA und die Sowjetunion über. In 1974 und in diesem Jahr, meine Damen und Herren, lag das Gesetz des Handelns ohne jeden Zweifel beim Europa der Neun, und alle diejenigen, die immer wieder billige Skepsis verbreiten, wenn es um europäische Dinge geht, sind hier ganz eindrucksvoll eines Besseren belehrt worden. Nur so, wie hier die Gemeinschaft gehandelt hat, nur so wird sie zu einer europäischen Identität finden. Das ist nämlich nicht ein Begriff, den man in theoretischen Diskussionen ermitteln kann, sondern das ist eine politische Wirklichkeit, die durch Handeln erreicht wird. Die Europäische Gemeinschaft muß handeln, auch dann, wenn es für sie kritisch ist, auch dann, wenn es vielleicht einmal beschwerlich ist. Dann wird sie zu sich selbst kommen. Diese Zusammenarbeit hat sich bei der KSZE in einem ungewöhnlichen Maße bewährt und hat mit zu den Ergebnissen beigetragen.
Es hat sich auch eines gezeigt, das für die Zukunft der Europäischen Gemeinschaft von großer Bedeutung sein wird. Das, was an politischem Einfluß für diese Gemeinschaft entstanden ist, entstand, weil die Gemeinschaft in der Konferenz in Genf sich leichter getan hat als die klassischen Großmächte mit den neutralen und blockfreien Ländern. Hier ist zum erstenmal, was auch in der Entwicklungspolitik dieser Gemeinschaft anklang, deutlich geworden, daß die europäische Union dann eine Zukunft hat und dann in einem ungewöhnlichen Maße auch politische Einflußmöglichkeiten gewinnt, wenn sie sich von einer Großmachtpolitik fernhält und eine Politik echter Partnerschaft und Aufgeschlossenheit auch gegenüber den Problemen anderer Länder, ohne eigene Interessen, zumindest ohne eigene hegemoniale Interessen, betreibt. Das ist etwas, was auch zur Überwindung der Blockgrenzen beigetragen hat und was ganz sicher bei dem Ergebnis, das wir jetzt diskutieren, nicht vergessen werden darf.
Ein letztes Wort, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu der Frage des, wie man im Neuhochdeutschen sagt, „Follow-up". Ich teile die Meinung der Regierung, daß wir im Augenblick nicht in einen institutionellen Rahmen hätten gelangen dürDr. Bangemann
fen, der politische Möglichkeiten geschaffen hätte, die wir zum Teil nicht voll überblicken, die zum Teil möglicherweise durch den augenblicklichen Zustand, in dem wir zusammen leben, auch gar nicht voll gerechtfertigt gewesen wären.
Andererseits muß ich aber doch ganz deutlich machen, daß, einmal abgesehen von der Frage der Bilanzziehung im Jahre 1977, eine Verankerung der Zusammenarbeit und auch eine Kontrolle und eine Diskussion über die Ergebnisse der Zusammenarbeit dieser Zusammenarbeit nur dienlich sein können. Wir sollten uns vielleicht noch einmal überlegen, ob ein solcher Gedanke nicht im Rahmen der Bilanz im Jahre 1977 sehr viel realistischer und vielleicht sogar notwendiger wird, als er es heute ist.
Auch die Kritik, die heute gegen eine solche Institution laut wird, etwa daß sie der Sowjetunion Möglichkeiten der Kontrolle verschaffte, die ihr heute nicht zustünden, oder daß sie zur Auflösung der NATO beitragen könnte, daß sie möglicherweise den Hegemonieanspruch der Sowjetunion unterstützen könnte, und daß sie den Prozeß der europäischen Einigung wenn nicht ausschließen, so doch behindern könnte, diese Kritik ist vielleicht im Jahre 1977 in einem anderen Licht zu sehen.
Eines ist schon heute in einem anderen Licht zu sehen, und das bekräftigt nach meiner Meinung immer wieder die Position, die die Regierung und die Regierungsfraktionen hierzu einnehmen: Es kam einmal von Ihnen ein Rat, den ich nicht vergessen werde, weil ich ihn schon damals für falsch hielt, und weil ich glaube, daß wir in der Ablehnung Ihres Vorschlags recht behalten haben. Ihr Vorschlag lief darauf hinaus, erst einmal die westeuropäische Einigung voranzutreiben und dann mit irgendwelchen Bemühungen, seien es auch nur Bemühungen der Handelspolitik, nach Osteuropa hinauszuschreiten. Sie behaupteten, dieses beides könne man nicht gleichzeitig tun. Das war falsch.
Es ist in Genf - das ist vielleicht eines der Ergebnisse, die von Dauer sein werden - sehr eindrucksvoll bewiesen worden, daß sich der Entspannungsprozeß nach Osten hin mit einem Integrationsprozeß nach Westen hin in die europäische Union nicht nur verträgt, sondern daß sich beide Prozesse in einem ungewöhnlichen Maße gegenseitig günstig beeinflussen. Je mehr Entspannung wir nach Osten zustande bringen, meine Damen und Herren, um so besser wird der Integrationsprozeß nach Westen in Gang zu setzen sein, und je größer der Zusammenhalt der Neun in der Europäischen Gemeinschaft wird, um so wirkungsvoller werden die Bemühungen sein, den Entspannungsprozeß nach Osten hin zu betreiben.
Aus diesen Gründen stimmt meine Fraktion der Haltung der Bundesregierung in Genf zu und befürwortet und begrüßt, daß die Bundesregierung bereit ist, die Schlußakte in Helsinki zu unterzeichnen.
({17})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat Herr Bürgermeister Oxfort ({18}).
Bürgermeister Oxfort ({19}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß sich Berlin in dieser Debatte zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zum Wort meldet, hat seinen Grund in einigen Feststellungen, die für Berlin zu treffen sind, bevor die Gipfelkonferenz in Helsinki dieses europäische Dokument in wenigen Tagen annehmen wird.
Vorweg dies: Berlin hält das Ergebnis für befriedigend. Das heißt, wir sehen weder Anlaß zur Euphorie, noch tragen wir uns mit Bedenken. Die von der Opposition befürchteten nachteiligen Auswirkungen für Berlin sind gegenstandslos.
({20})
- Ich würde gelegentlich, verehrter Herr Kollege, auch diejenigen fragen, die davon betroffen sind und von denen Sie hier am meisten reden,
({21})
vor allem die in Berlin frei gewählte Regierung.
({22})
- Bitte, Frau Kollegin Berger, nehmen Sie es mir nicht übel: Wenn Sie bei Ihrem Kummerkasten bleiben, machen Sie sich überzeugender.
({23})
Nach all den Erfahrungen, die wir in Berlin in der Vergangenheit machen mußten, wissen wir nur zu genau, daß der Weg zu Verständigungen oder gar zu Regelungen, Abmachungen, Übereinkünften und Abkommen sehr mühsam ist und auch dann, wenn kleinere Schritte gemacht oder größere Ziele erreicht sind, Schwierigkeiten fortdauern und Differenzen auftreten können und daß die Gegensätze im Prinzipiellen unaufhebbar bleiben.
Wir haben darum von vornherein von der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nicht die großen, nicht die durchschlagenden, nicht die überzeugenden Lösungen erwartet, auch nicht die Lösung der deutschen Frage. Aber wir sehen in dem Konferenzergebnis eine brauchbare Grundlage für Verbesserungen in Europa, und das ist sehr viel. Wer sich eine gesamteuropäische Lösung ausmalte, der wird enttäuscht sein. Wer an die europäischen Nachkriegskonfrontationen denkt, der wird zufrieden sein.
Lassen Sie mich einen Vergleich ziehen, meine Damen und Herren. Als die Vereinbarungen zwischen dem Senat von Berlin und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über Erleichterungen und Verbesserungen des Reise- und Besucherverkehrs paraphiert worden waren, bewerteten wir das Ergebnis so: unvollkommen nach dem Ideal hin, befriedigend nach der Wirklichkeit hin. Das meinen wir auch zum Ergebnis der Verhandlungen in Genf.
Ich habe den Vergleich nicht von ungefähr gezogen. Jeder Vertrag, den die Bundesregierung seit 1970 mit der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern sowie mit der DDR schloß, hat selbstver12844
Bürgermeister Oxfort ({24})
ständlich Kompromißcharakter. Das für die Existenz Berlins fundamentale Viermächteabkommen hat selbstverständlich Kompromißcharakter. Wenn wir davor zurückgescheut hätten, würden wir heute noch in den Verhältnissen der fünfziger und sechziger Jahre stecken.
Das Ergebnis dieser Konferenz über Europa unter Einschluß Kanadas und der Vereinigten Staaten von Amerika ist kein Friedensvertrag, es schafft auch kein neues Völkerrecht, und es ist auch kein Ersatz für beides, wie die Bundesregierung hier überzeugend dargelegt hat. Die Schlußdokumente sind das Ergebnis des Bemühens von 35 Staaten, den Entspannungswillen gemeinsam zu formulieren. Dies ist trotz der unterschiedlichen Interessen unter gegenseitigen Zugeständnissen gelungen. Das kann helfen, die Verhältnisse in Europa und damit auch in unserem Lande und in Berlin nach vorn zu bewegen.
({25})
Es kommt nun darauf an, die Absichts- und Willensäußerungen der KSZE mit Leben zu erfüllen, und wir sehen in dem Beschluß, eine neue europäische Konferenz für 1977 nach Belgrad einzuberufen, das allseitige Interesse am Fortgang dieser Politik, die geeignet ist, den Frieden in Europa sicherer zu machen. Maßstab für den Erfolg werden die konkreten Verbesserungen bei der angestrebten Zusammenarbeit auf den verschiedenen Gebieten sein wie bei der gegenseitigen Information und den menschlichen Erleichterungen. Gerade Berlin wird Fortschritte über das bisher Erreichte hinaus sehr aufmerksam verfolgen. Wir stellen fest, daß die Bundesregierung, soweit es nicht wie im ersten Korb um Sicherheit und Status ging, und die Drei Mächte Berlin auf der KSZE vertreten und seine Interessen voll gewahrt haben. Wir danken dafür.
Es ist sichergestellt, daß Berlin an den Ergebnissen der Konferenz teilhat. In der Präambel der Gesamtdokumente bekunden die Regierungen der Teilnehmerstaaten bekanntlich ihre Entschlossenheit, den Konferenzergebnissen Wirksamkeit zu verleihen und die Vorteile, die aus diesen Ergebnissen hervorgehen, in ganz Europa, also auch in Berlin, zu gewährleisten. Die Stellung Berlins ist im übrigen in den Dokumenten voll gesichert durch die Rechtswahrungsklausel, in der die Teilnehmerstaaten feststellen, daß die Dokumente weder ihre Rechte und Verpflichtungen noch die diesbezüglichen Verträge und andere Abkommen und Abmachungen berühren.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie, Herr Bürgermeister, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes ({26})?
Bürgermeister Oxfort ({27}) : Bitte sehr !
Herr Bürgermeister, wie beurteilen Sie die Feststellung der offiziellen DDR-Zeitschrift „Horizont":
Es steht den Vertretern der BRD überhaupt nicht zu, sich über den Status ,der Hauptstadt der DDR zu äußern, denn dies ist eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR, die im KSZE-Schlußdokument verboten ist.
Bürgermeister Oxfort ({0}) : Verehrter Herr Kollege, das ist eine etwas seltsame Frage an den Bürgermeister von Berlin; denn selbstverständlich ist Berlin für uns nicht die Hauptstadt der DDR. Ich stelle aber einmal die Gegenfrage: Wie würden wohl Berlin und die Bundesrepublik Deutschland dastehen, wenn Ihrem Entschließungsantrag entsprechend eines Tages plötzlich 34 Staaten, einschließlich der USA, Kanadas und der DDR, aber ausgenommen die Bundesrepublik Deutschland, diese Dokumente unterzeichnet hätten?
({1})
Ich fahre fort, meine Damen und Herren. Das bedeutet für Berlin: ,der Viermächtestatus und die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für ganz Berlin sowie das Viermächteabkommen bleiben unberührt. Das bedeutet u. a., daß die Sektorengrenzen ihren Rechtscharakter nicht verändern und das Recht, die Bindungen Berlins an den Bund aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln, keine Einbuße erfährt. Wir haben damit für die weitere Entwicklung Berlins die sichere und feste Grundlage mit konkreten vertraglichen Regelungen, die es strikt einzuhalten und voll anzuwenden gilt. Schon deshalb war es entbehrlich, die Konferenz in Genf zu einer Konferenz auch über Berlin zu machen. Es wäre eher schädlich gewesen und hätte den allgemeinen Aufgaben der Konferenz auch nicht entsprochen. Es ging dort ja auch nicht darum, einen Vertrag zu schließen, so daß eine formelle Einbeziehung Berlins, eine Berlin-Klausel etwa, nicht zur Debatte stand.
Berlin, meine Damen und Herren - ich wiederhole es -, sieht also seine Interessen voll gewahrt. Dazu kommt - wir begrüßen und bejahen das ausdrücklich -,
({2})
daß die Bundesregierung in der Konferenz die deutschlandpolitischen Ziele gewahrt hat. - Wenn Sie einen Zwischenruf machen, verehrter Herr Kollege, sollte er eine Beziehung zu dem Text haben, den ich hier vortrage. Sonst wird das etwas unverständlich.
({3})
- Aber es sind ja nicht nur Ihre Zwischenrufe, die heute hier unverständlich bleiben.
({4})
Die Grundsätze der territorialen Integrität und der Unverletzlichkeit der Grenzen sind balanciert durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Feststellung, daß die Teilnehmerstaaten der Auffassung sind, daß ihre Grenzen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht durch friedliche Mittel und durch Vereinbarung verändert werden können. Das Ergebnis der KSZE bildet also kein Hindernis für das politiBürgermeister Oxfort ({5})
sehe Ziel der Bundesregierung, wie sie es beispielsweise im Brief zur deutschen Einheit zum Ausdruck gebracht hat. Damit ist zugleich gesagt, daß die Verantwortung der Siegermächte für ganz Deutschland, die Verträge der Bundesrepublik mit den drei Westmächten, die Verträge der Bundesregierung mit der DDR ebenso unangetastet bleiben wie das Viermächteabkommen über Berlin.
Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen: Auch wenn das Ergebnis der KSZE keine unmittelbaren Auswirkungen bringt, es ist eine Chance mehr zur Verbesserung unserer und der europäischen Lage. Wer sich die Mühe macht und ehrlich sich selbst gegenüber vergleicht, wo wir uns vor wenigen Jahren noch befanden und was wir mittlerweile erreicht haben, der kann zum Ergebnis der KSZE ja sagen. Es ist - ich wiederhole dies - kein völkerrechtlicher Vertrag, es hat keinen rechtsverbindlichen Charakter. Aber hinter dieser Absichts- und Willensäußerung stehen die europäischen Staaten und der nordamerikanische Kontinent, und das ist nicht nichts.
Wir in Berlin verbinden damit die Hoffnung, daß im Prozeß der Entspannung und der Verständigung weitere Fortschritte erzielt werden. Unsere Stadt ist durch die Vertragspolitik der sozialliberalen Koalition und das Viermächteabkommen aus der bedrükkenden Vergangenheit herausgetreten und hat Anschluß an die Entwicklungen in Europa gewonnen. Berlin hat durch die bisherigen Entspannungsbemühungen spürbare Verbesserungen bekommen. Falls sich das bei der Opposition noch nicht herumgesprochen haben sollte, darf ich Sie herzlich einladen, nach Berlin zu kommen und sich von uns die Vorteile, die das Berlin-Abkommen und die Politik der sozialliberalen Koalition mit sich gebracht haben, zeigen zu lassen.
({6})
Es ist für Berlin von elementarer Bedeutung, in vollem Umfang auch an den Entwicklungen teilzuhaben, die aus der KSZE zu unser aller Wohl und Nutzen folgen sollen. Die volle Anwendung der vertraglichen Regelungen, die Berlins Lage sicherer und offener gemacht haben, kann ihrerseits dazu beitragen, die Absichten der KSZE zu verwirklichen.
Wir sagen, meine Damen und Herren, daß Berlin auch in der entspannteren Gegenwart der Prüfstein ist für Gelingen und Glaubwürdigkeit der Entspannung und Verständigung. Berlin wird dies auch sein unter den neueren Aspekten in Europa, wenn die Regierungs- und Staatschefs ihre Unterschriften unter die Dokumente gesetzt haben werden - dann sogar noch mehr.
({7})
Vizepräsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mertes ({8}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eigentlich schade, daß in dieser Debatte immer nur die Opposition den Versuch macht, einiges an dem positiv zu finden, was die Bundesregierung in Genf geleistet hat, daß aber die Regierung immer nur das Bedürfnis hat, die Opposition in der Ernsthaftigkeit ihrer Sorge zu karikieren.
({0})
Es ist doch selbstverständlich so, daß auch wir etliches an Positivem sehen. Ich möchte noch einmal, weil ich der Beauftragte meiner Fraktion für die Beobachtung der KSZE war, sagen, daß unsere Delegation unter der Leitung von Botschafter Dr. Blech vorzügliche Arbeit innerhalb des politischen Rahmens geleistet hat, der ihr vorgegeben war. Aber auch diese Delegation war ja schon durch das präjudiziert, was im April 1974 geschehen war, nämlich das Eingehen auf den sowjetischen Wortlaut über die Unverletzlichkeit der Grenzen. Ich komme gleich darauf zurück.
Ich möchte nochmals betonen, daß wir selbstverständlich - Herr Kollege Pawelczyk, ich verstehe gar nicht, daß Sie das nicht richtig sehen - alle Interpretationen der Bundesregierung, die mit dem Grundgesetz und mit dem Deutschlandvertrag vereinbar sind, vollauf teilen. Ich hatte dank der Vermittlung unserer Delegation Gelegenheit, in Genf mit Vertretern der Sowjetunion und der DDR zu sprechen. Ich habe auf meine Fragen „Teilen Sie die richtige Interpretation dieses und jenes Wortes - z. B. ,Anschläge auf Grenzen' - durch unsere Bundesregierung?" keine befriedigende, keine bejahende Antwort bekommen.
Es ist doch überhaupt keine Frage, daß wir die verfassungskonformen Interpretationen der Bundesregierung voll tragen und stützen. Ich würde mich als Bundesregierung beglückwünschen, wenn ich hinter mir eine staatspolitisch so verantwortungsbewußte Opposition hätte, die in dieser intensiven Form auf unsere nationalen Notwendigkeiten hinweist und sie mitträgt.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, an dem Tage, an dem in Helsinki das Schlußdokument der KSZE unterzeichnet wird, sind genau 30 Jahre seit Potsdam vergangen. Die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz - von der Sowjetunion als das „Potsdamer Abkommen" bezeichnet - haben als Grundelemente die Prinzipien der Demokratisierung und der Denazifizierung Deutschlands. Was ist aus dieser westlich-östlichen Übereinstimmung in Potsdam geworden? Schon auf der Konferenz in London im Herbst 1945 entstand ein Streit über die Auslegung dieser zentralen Begriffe. Es war der Beginn des kalten Kriegs, der im Gefolge der Mehrdeutigkeiten der Schlüsselbegriffe der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz gestanden hat. Es muß uns doch stutzig machen, wenn die Vereinigten Staaten in einer Zeit, in der sie militärisch überlegen waren, in ihrem Verhältnis zur Sowjetunion in einen schweren politischen Konflikt gerieten, den wir den „kalten Krieg in Deutschland" nennen.
Deshalb bleiben wir dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, immer wieder zu betonen, daß die richtige Fragestellung nicht die nach der rich12846
Dr. Mertes ({2})
tigen Interpretation durch die Bundesregierung ist; die Frage muß vielmehr lauten: Kann die Bundesrepublik Deutschland in ein wie auch immer geartetes Verpflichtungs- oder Bindungsverhältnis zur Sowjetunion treten, welches das Risiko in sich trägt, daß uns die andere Seite eines Tages bei Anwendung unserer Auslegung mangelnde Vertragstreue oder - im Fall der KSZE-Schlußakte - mangelnde Treue zum feierlich gegebenen Wort vorwirft?
Einige wenige, aber maßgebliche Prinzipien haben doch die deutsche Außenpolitik von 1949 bis 1969 gemeinsam in diesem Hause beherrscht. Das erste Prinzip war dieses: Unsere Generation hatte nach 1933 die Erfahrung gemacht, daß die langsame Ausschaltung von Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in unserem Lande den Weg zu totalitärer Herrschaftsausübung ebnet und einen Krieg gegen unsere Nachbarvölker möglich macht. Es war nach 1945 das große Ereignis, daß überall dort, wo in Deutschland wieder frei gewählt werden konnte, auch in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, die radikalen, d. h. die nach unser aller Auffassung undemokratischen Parteien, auch die kommunistische Partei, in einer hoffnungslosen Minderheit geblieben sind. Die Kommunistische Partei Deutschlands hat damals - man wird jetzt, wenn man die Dinge in Portugal sieht, an das erinnert, was damals der SPD in der sowjetischen Besatzungszone geschehen ist - diesen freien Willen mit ausländischer Besatzungshilfe niedergewalzt.
({3})
Infolge dieser bösen Geschehnisse, die man heute wertneutral „die Nachkriegsentwicklung" nennt, war es bis 1969 in diesem Hause gemeinsame Überzeugung, daß das Element des Nationalen, daß das Element des Freiheitlich-Rechtsstaatlichen und daß das Element des Europäischen in der deutschen Politik nicht mehr voneinander getrennt werden dürfen.
({4})
Meine Damen und Herren, über dieses Thema hat sehr oft ein Sozialdemokrat gesprochen, den ich persönlich verehrt habe; er war Fritz Erler. Fritz Erler hat in einem Vortrag, den ich gehört habe, dieses Thema mit igrößtem Ernst behandelt und dabei aus einer Rede Stalins zitiert, die für ihn Anlaß war, den deutschen Demokraten, allen in diesem Hause, zu sagen, daß wir das Banner 'der Identität von Freiheit und Nation nicht aus den Händen geben dürfen. Dieses Zitat - es ist aus der Rede Stalins auf dem XIX. Parteitag der KPdSU im Oktober 1952 - lautet:
Früher wurde die Bourgeoisie als das Haupt der Nation betrachtet. Sie trat für die Rechte und die Unabhängigkeit der Nation ein, sie stellte sie über alles. Jetzt ist vom nationalen Prinzip nicht die Spur geblieben.
Er fährt dann fort:
Das Banner der Nation ist über Bord geworfen. Ohne Zweifel werdet ihr Vertreter der kommunistischen Parteien dieses Banner erheben und vorantragen müssen, wenn ihr Patrioten eures Landes sein, wenn ihr die führende Kraft
der Nation werden wollt. Es gibt sonst niemand, der es erheben könnte.
Es ist wesentlich auch eine Leistung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in den 50er Jahren gewesen - selbst wenn sie nach unserer Auffassung die falsche außenpolitische Konsequenz, nämlich gegen unseren Eintritt in 'das westliche Bündnis und in die Europäische Gemeinschaft, gezogen hat -, daß im Bewußtsein unseres Volkes diese unlösliche Verbindung 'des nationalen Interesses und des freiheitlichen Interesses nicht aufgelöst wurde; die SPD wurde dabei im Westen, auch in unsere Reihen, nicht immer verstanden und gewürdigt.
({5})
- Herr Abgeordneter Wehner, Sie stellen die Tatsachen auf den Kopf.
({6})
Herr Abgeordneter Wehner, in der damaligen Situation ging es zwischen Regierung und Opposition nicht um das im Grundgesetz gemeinsam niedergelegte Prinzip, sondern es ging um die konkrete Frage, ob die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland so bedroht ist, daß wir in dieser Situation - ({7})
- Ich habe den Eindruck, der Herr Abgeordnete Wehner bemerkt, daß meine Argumentation ein gewisses Gewicht hat.
({8})
Ich fühle mich durch den Zornesausbruch des Herrn Abgeordneten Wehner außerordentlich geehrt.
({9})
In den 50er und 60er Jahren ist in diesem Hause niemals darüber diskutiert worden, ob etwa die Bundesrepublik Deutschland die DDR anerkennen solle. Wir haben in der Großen Koalition darüber diskutiert, ob man diese oder jene Anerkennung durch einen Staat der dritten Welt, etwa durch Kambodscha oder Indien, also Länder mit einem so besonders hockentwickelten Verständnis für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit, zum Anlaß nehmen soll, z. B. in der Entwicklungshilfe etwas härter zu werden oder die diplomatischen Beziehungen einzufrieren. Es hat überhaupt niemals zur Debatte gestanden, daß das geschehen sollte, was in der Regierungserklärung von 1969 geschehen ist: Ohne vorherige Information oder gar Konsultation der Westmächte, ohne vorherige Beratung im Parlament ist auf dem
Dr. Mertes ({10})
Umweg über einen Nebensatz in der Regierungserklärung von 1969 still und heimlich eine 20 Jahre
lang gemeinsam getragene Politik begraben worden.
({11})
- Eine Legende erzählt etwas, Herr Kollege Wehner, was man nicht nachweisen kann. Was ich gesagt habe, ist nachweisbar; ich stehe Ihnen sehr gerne dafür zur Verfügung.
Herr Kollege Wehner, Sie haben noch im Wahlkampf 1969 eine Broschüre des damaligen Sozialdemokraten Fritz Schenk vertreiben lassen; damals waren Sie gesamtdeutscher Minister. Diese Broschüre argumentierte im Wahlkampf 1969 auch namens der SPD gegen jede Form der Anerkennung der DDR. Auf Ihre Anweisung oder auf die Anweisung der SPD hin ist dann nach dem 28. Oktober 1969 'diese Broschüre - aus gutem Grund, ich verstehe - eingestampft worden.
({12})
- Herr Kollege Wehner, ich hoffe, Sie nehmen bald Gelegenheit, sich wegen dieser Verleumdung zu entschuldigen.
({13})
- Haben Sie noch etwas Wichtiges zu sagen, Herr Kollege Wehner? Dann bitte!
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Postulat der unauflöslichen Einheit der freiheitlichrechtsstaatlichen und der nationalen Komponente in der Deutschlandfrage ist deshalb so schwerwiegend, weil der sowjetische Sicherheitsbegriff auf das engste mit diesem Problem zusammenhängt, d. h. sich ihm entgegenstellt. Die Sowjetunion ist eine rational und diszipliniert kalkulierende Macht, die selbst nicht die Risiken wünscht. Sie ist eine Macht, die an den Primat der Politik glaubt. Sie steht auf dem richtigen Standpunkt, daß es in der Welt nicht Probleme gibt, weil es Soldaten und Waffen gibt, sondern daß es Soldaten und Waffen gibt, weil ungelöste politische Probleme schwelen. Infolgedessen möchte sie die Probleme, die sie bedrängen, auf eine politische - ich sage: friedliche, möglichst gewaltfreie - Weise, über Diplomatie, über Konferenzen, lösen.
Ich verstehe die sowjetische Situation. Die sowjetrussischen Führer bedrängt das Empfinden, daß die politische Basis ihrer Herrschaft in Osteuropa, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Ostdeutschland, in der DDR, nicht genügend gefestigt ist. Im Falle der Grenzmark ihres Imperiums, der DDR, ist es für sie besonders schlimm, daß das deutsche Nationalgefühl sich mit dem freiheitlichen Bewußtsein des Westens identifiziert. Und es sind merkwürdige Vertreter der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit des Westens, die es bedauern, daß die Deutschen für das ganze deutsche Volk die Freiheit wünschen. Gegenüber solchen verständnislosen Kräften im Westen waren und sind wir immer in einer spezifischen, in einer einsamen Situation. Wenn Sie in diesem Sinne einsam als „isoliert" bezeichnen, sind wir in der Tat durch unsere geographische Lage, durch die Hypotheken unserer Geschichte und die Machtverhältnisse besonders belastet.
Die Sowjetunion argumentiert in der Deutschlandfrage nicht legalistisch, ihre Führung ist auch kein „Club von Korinthenkackern", Herr Kollege Wehner. Sie ist vielmehr eine Macht, die erkennt, daß, solange ein Besitzverhältnis nicht endgültig rechtlich, sozusagen notariell, geklärt ist,
({15})
der Eigentümer immer wieder kommen und sagen kann: Diese Sache ist noch offen und bedarf noch der endgültigen Regelung. Infolgedessen ist es für die Sowjetunion ein sicherheitspolitisches Problem, daß die verantwortlichen Regierungen des gesamten Westens - gottlob - sagen: eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland als Ganzes wird durch die KSZE nicht vorweggenommen, und zwar nicht nur nicht formal, sondern auch nicht dem Inhalt nach.
Nur, meine Damen und Herren, diese vermeintlich rein rechtliche, diese angeblich legalistische Betrachtung ergibt sich, ich wiederhole es, aus der spezifischen politischen Sicherheitsproblematik der Sowjetunion. Und sie hat doch nun nicht - ich bitte Sie, meine Damen und Herren - ihr Vokabular über die Unverletzlichkeit der Grenzen, über die angeblich endgültige Natur der Herrschaftsverhältnisse in Deutschland, über die Unumkehrbarkeit der Entspannung, in diesem ihrem Sinne - in Genf eingeführt, um sich hinterher sagen zu lassen: wir haben zwar diese Sprache, liebe Sowjets, mit euch unterschrieben; aber, ätsch, wir meinen damit etwas ganz anderes.
Ich fürchte, meine Damen und Herren, daß auf dieser Überprüfungszusammenkunft von 1977 - oder wie immer wir sie nennen mögen - nicht nur wir kommen und sagen werden, „dieses ist nicht eingehalten worden" ; auch Moskau und seine Verbündeten werden Vorwürfe erheben; denn in der ihr eigenen Offenheit sagt die Sowjetunion doch jetzt schon ganz klar, wie sie bestimmte Dinge interpretiert, wie sie insbesondere den Begriff der Unverletzlichkeit auslegt; weiterhin, daß für sie hier völkerrechtliche Bindungen entstehen. Ich sage das nicht, um die sowjetischen Positionen zu den meinen zu machen. Aber ich nehme die Sowjetunion, entschuldigen Sie diesen offenen Ausdruck, etwas ernster als diejenigen, die sagen: Ätsch, wir haben eben unseren Standpunkt.
({16})
Vor ein paar Wochen hat der Vorsitzende der SPD im österreichischen Fernsehen ein Gespräch
Dr. Mertes ({17})
geführt; dabei hat der Abgeordnete Willy Brandt hinsichtlich bestimmter Äußerungen des Sowjetbotschafters in Ost-Berlin, Abrassimow, über eine Reise von Außenminister Genscher in Begleitung des amerikanischen Außenministers nach West-Berlin gesagt: „Ach, wissen Sie, ich nehme diese Feststellungen des sowjetischen Botschafters gar nicht so ernst; ich kann das einfach nicht ganz ernst nehmen."
({18})
Das eben unterscheidet uns von Ihnen. Nicht daß wir die sowjetischen Positionen teilen! Aber wir sehen die subjektive Interessenlage der Sowjetunion sachgerechter, wir sehen nüchterner ihre spezifischen Interessen in Deutschland, wir sehen den Sinn der Sprache, die sie in diese Debatte eingeführt hat. Wir sehen voraus, daß sie uns bei treuem Festhalten an unseren verfassungs- und völkerrechtsgemäßen Auslegungen sagen wird: Wollt ihr wiederum ein Volk werden, auf das man sich nicht verlassen kann? Denn das zweite große Prinzip der Adenauerschen Außenpolitik beruhte auf einer sehr bösen geschichtlichen Erfahrung, die mit dem deutschen Namen verbunden ist. Das ist nämlich die Vorstellung, daß die Deutschen vertragsbrüchig sind, daß man sich auf sie nicht verlassen kann. Gerade deshalb haben wir in unseren Auslassungen doch weniger die bekannten Vertragsbrüche der Sowjetunion erwähnt, als vielmehr immer erklärt: Deutschland hat unter Hitler nicht nur Verträge mit dem Westen, er hat auch gegenüber der Sowjetunion am 22. Juni 1941 einen Vertrag gebrochen. In der Sowjetunion darf niemals mehr - das hat Adenauer oft gesagt -das Gefühl aufkommen, daß man sich auf die Deutschen nicht verlassen kann. Er hat gesagt: eindeutige Vertragstreue, aber deshalb auch eindeutige Vertragsinhalte. Wir dürfen nicht mehr in die Nähe des Vorwurfs kommen, unberechenbar und unzuverlässig zu sein.
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Da gibt es immer wieder Kollegen aus der SPD und der FDP, die sagen: „Aber liebe Leute, wenn Ihr mit der Sowjetunion alles so klarmachen wollt, dann könnt Ihr eben keine Verträge mit der Sowjetunion abschließen, weil die andere Vorstellungen von Frieden und Entspannung hat." Dies ist falsch. Wir haben in den 20 Jahren der Regierung von CDU/CSU durchaus verschiedene Verträge mit der Sowjetunion abgeschlossen; aber wir haben ein Prinzip beachtet, das immer wieder von erfahrenen Kennern der sowjetischen Vertragspolitik hervorgehoben worden ist, nämlich das Prinzip, daß man mit der Sowjetunion nur Dinge abschließen soll, die eindeutig und nicht gegensätzlich interpretierbar sind und uns Deutsche nicht in die Nähe des von mir eben genannten Vorwurfes bringen können.
Auch wir wissen, daß der Formelkompromiß ein legitimes Institut in den internationalen Beziehungen ist. Ich nenne vor allen Dingen zwei Fälle. Erstens einmal: wenn eine akute Kriegssituation damit beendet werden kann, wie im Nahen Osten 1967. Die Resolution 242 der Vereinten Nationen ist in der Tat in einem entscheidenden Punkt doppeldeutig. Aber sie hatte immerhin das Verdienst, das unmittelbare Blutvergießen zu beenden. Der zweite Fall: wenn in der entscheidenden Streit- oder Sachfrage, in der Substanzfrage eine echte Willenseinigung erzielt worden ist, dann kann man über die Dinge, über die man nicht einig geworden ist, unter Umständen mit einem Formelkompromiß hinweggehen. Wir teilen selbstverständlich die alte Erfahrung jeder Verhandlungskunst und jeder Diplomatie, daß man Formelkompromisse schließen kann. Aber es geht nicht an, daß in der Hauptsache, über die bisher Streit gewesen ist, ein Formelkompromiß entsteht, der in Wirklichkeit kein Kompromiß ist, weil ihn beide Seiten gegensätzlich auslegen.
Der entscheidende Punkt - das ist doch nichts Juristisches, sondern das ist etwas Substantiell-Politisches - ist die These dieses ganzen Hauses, der Bundesregierung und des Westens, daß die Situation in Deutschland heute moralisch, rechtlich und politisch vorläufiger Natur ist. Die Sowjetunion hat 20 Jahre lang gesagt, das sei aggressive Politik, das sei Revisionismus; die Situation in Deutschland sei rechtlich, politisch, moralisch endgültig, Entspannung sei gerade in diesem Sinne unumkehrbar, hier sei nichts mehr zu ändern. Wenn man über diesen fundamentalen Gegensatz mit einem Formelkompromiß hinweggeht, dann riskiert man auf Dauer - ich wollte, ich hätte Unrecht - schwerere Spannungen mit der Sowjetunion, als man sie vorher gehabt hat.
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Die Sowjetunion, dieses große und für unser Schicksal so bedeutende Land, ist risikofeindlich und berechenbar. Wir brauchen nicht immer nur auf die Person des Herrn Breschnew zu schauen; Moskau betreibt keine Ein-Mann-Außenpolitik. Die Absichten der Sowjetunion sind viel klarer erkennbar, als viele Leute meinen, denn ihre Führung gibt die Kriterien und die Ziele ihres Handelns sehr klar bekannt. Man muß dies dann aber auch einmal zur Kenntnis nehmen und darf unangenehme Wahrheiten nicht einfach beiseite schieben.
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Wir wollen ein gutes und geordnetes Verhältnis zur Sowjetunion, für uns gegenüber der Sowjetunion berechenbar und umgekehrt. Vage Texte, deren Interpretation im Laufe der Verhandlungen die sowjetische Seite klipp und klar gesagt hat, tragen jedoch nicht zur Verbesserung dieses Verhältnisses bei. Nur derjenige ist ein kalter Krieger, so sage ich, der einen totalen Interessengegensatz zur Sowjetunion feststellt. Es gibt zwischen der Sowjetunion und dem Staat Bundesrepublik Deutschland, in der Tiefe der Dinge letzten Endes auch zwischen dem russischen Volk und dem deutschen Volk, eine Reihe von Interessenkonvergenzen und -gemeinsamkeiten. Sie herauszufinden, ist große Diplomatie, ist große Außenpolitik. Man darf diese Bereiche aber nicht überschätzen. Wer sie überschätzt und eine Vorstellung von größeren Interessenübereinstimmungen schafft, die sachlich falsch ist, riskiert hinterher den großen außenpolitischen und diplomatischen Kater, die große Enttäuschung; er läuft Gefahr, mit dem Vorwurf beworfen zu werden: Man
Dr. Mertes ({22})
kann mit euch nicht verläßlich reden und verhandeln. Neulich hat mir der Vertreter eines Staates des Warschauer Pakts gesagt: Früher wart ihr Deutsche Anwälte eures Rechtes; in den letzten Jahren seid ihr Winkeladvokaten eures Rechtes geworden. - Daß es dazu kommt, möchten wir eben vermeiden.
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Auf das Ergebnis von Genf angewandt, bedeutet dies: Hier besteht ja nicht nur ein ganz tiefer Dissens über das Wesen der Unverletzlichkeit der Grenzen, der durch die peaceful-change-Formel auch nicht ausgeräumt ist; sondern hier besteht sogar ein tiefer politisch-moralischer Dissens über die Bindungswirkung, über die Natur dieser Abmachung. Die Sowjetunion sagt ebenso wie die Bundesregierung: Es handelt sich bei der Schlußakte der KSZE nicht um einen ratifizierungsbedürftigen Vertrag. So weit, so gut. Die Sowjetunion sagt aber gleichzeitig: Korb 1, also der Katalog der Prinzipien, die Zehn-GeboteTafel, beinhaltet die feierliche, nach Treu und Glauben einzuhaltende Bekräftigung bestehenden Völkerrechtes, angewandt auf die konkrete Situation in Europa. Wenn die Sowjetunion hier von Europa spricht, denkt sie nicht an die finnisch-schwedische Grenze und nicht an die spanisch-französische Grenze, sondern dann denkt sie an die Grenze der Grenzen in Europa, nämlich die Grenze des sowjetischen Machtbereiches, und das ist die Elbe-Grenze.
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Es ist die unmenschlichste Grenze der Erde, aber es ist für die Sowjetunion aus ihrer inneren politischen Ungewißheit heraus die entscheidende Grenze. Infolgedessen konzentriert sich für die Verantwortlichen in Moskau alles - ganz objektiv, nicht vom Willen der Menschen, sondern von der Interessen- und Machtlage in Europa her - so außerordentlich stark auf die Deutschland- und Berlin-Frage. Wir können hier nicht nach der Methode Coué und nach der Methode des Gesundbetens einfach sagen: Das ist keine Konferenz über Deutschland!, wenn diese Konferenz sich von ihrer ganzen Genesis her, von der Substanz der Probleme in Europa her so auf Deutschland und Berlin konzentriert, auch wenn diese nicht beim Namen genannt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Situation ist es wirklich von großer positiver Bedeutung, wenn die Opposition in diesem Hause dem Westen klarmacht, daß es uns aus einer pro-westlichen, d. h. rechtsstaatlich-freiheitlichen Solidarität heraus darauf ankommt, daß die westlichen Positionen und die Glaubwürdigkeit der Demokratie in diesem Lande nicht noch einmal gefährdet werden.
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Die nationale Argumentation darf niemals wieder in die Hände von Nichtdemokraten fallen. Wir sind aus dieser Sicht zutiefst davon überzeugt, daß wir mit unserer Haltung der Glaubwürdigkeit des Westens im deutschen Volk - auch wenn das dieser oder jener im Westen im Tagesgeschäft nicht einsehen mag - einen großen Dienst leisten. Wenn die Deutschen in der Bundesrepublik nicht mehr die Fahne der Freiheit hochhalten, ja, wer in
aller Welt soll es denn tun? Wir sind das einzige Land der Erde, das diese einzigartige Möglichkeit, aber auch diese einzigartige Pflicht hat.
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Wir wollen ehrlich sein: Wären andere Länder gespalten, wie wir es sind, so würden wir uns auch nicht leidenschaftlich für die Wiedervereinigung des Staates XYZ einsetzen, sicherlich nicht für die Wiedervereinigung eines großen Landes, mit dem wir kurz zuvor einen Krieg hatten, den dieses aus unserer Sicht verschuldet hat. Psychologisch verstehe ich auch die westlichen Länder, die sich über jeden Akt der Bundesrepublik Deutschland freuen, der den Eindruck erweckt, als ob man diese lästige deutsche Problematik los wäre.
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Natürlich ist solche Freude kurzsichtig, weil sie die Eigeninteressen des Westens in Deutschland übersieht. Man kann sich als Deutscher im Westen auf eine vordergründige Weise dadurch beliebt machen, indem man politisch angenehmer wird, indem man bequemer wird. Wenn man hier aber einen etwas tieferen und mehr auf das Langfristige gerichteten Blick hat, trifft zu, was ich jetzt mit großem Nachdruck wiederhole: Wir leisten mit unserem Nein zu diesen Texten der Glaubwürdigkeit der Demokratie in diesem Lande einen Dienst. Wenn Sie die Dinge vordergründig darstellen, wie das in außerordentlichem Maße heute morgen der Bundeskanzler gemacht hat, sieht die Sache natürlich ganz anders aus; dann wird die Opposition zur Karikatur: Dann sind wir die verbiesterte entspannungsfeindliche CDU, die die Zeiten nicht verstanden hat, die sich zurückgezogen hat in die Gräben des kalten Krieges, die nicht versteht, was in der Welt eigentlich los ist.
In Wirklichkeit aber müssen Sie doch sehen, was schon mehrfach auch heute gesagt worden ist: uns kommt es darauf an, daß die Entspannung eine Entspannung in der Substanz und nicht nur in ,den Formeln ist. Der sowjetische stellvertretende Außenminister Sorin hat kürzlich dem Sinne nach erklärt: Selbstverständlich bedeutet Entspannung nicht eine Abmachung über die Erhaltung des westlichen Status quo. Die Vorgänge in Portugal sind nach seiner Auffassung eine Krönung des Entspannungsprozesses, weil letzten Endes - und dies ist tiefe kommunistische Überzeugung - die Einheit von Sozialismus, Kommunismus und Frieden eine eschatologische, endzeitliche Erwartung ist, die auf dieser Erde verwirklicht werden kann. Meine Damen und Herren, ich habe Respekt vor kommunistischen Überzeugungen; aber wenn diese Überzeugungen meinen elementaren Interessen widersprechen, muß ich die Kraft zur Selbstbehauptung haben.
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Nach allen Erfahrungen der Geschichte ist es immer ein schweres Ringen gewesen, Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit unter ein Dach zu bringen. Wir wollen uns doch in diesem Hause nicht
Dr. Mertes ({29})
gegenseitig abstreiten, daß wir die Gerechtigkeit und den Frieden und die Freiheit wollen. Worüber wir diskutieren und auch am heutigen Tage diskutiert haben, ist der richtige Weg. Glauben Sie doch nicht, daß nicht auch wir gesehen haben, wie positiv sich die westliche Zusammenarbeit in Genf ausgewirkt hat, wie sich manche Arbeit unserer Beamten hervorragend ausgewirkt hat.
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Ein politisches Abwägen kann aber zu dem Ergebnis führen, daß ich sage: bei aller Würdigung der Gewichte, die auf der Waagschale des Ja der Bundesregierung liegen und die wir sehen, sind die Gewichte auf der Waagschale des Nein der Opposition - aus verantwortlicher Sorge um die Zukunft - erheblich schwerer. Wenn aber in der Politik die Waagschale - ich sage noch einmal: bei Würdigung der Gewichte auf der anderen Seite - auf einer Seite hinuntergeht, darf man nicht, bloß um nicht mißverstanden zu werden, gegen seine Überzeugung handeln und für das leichtere Gewicht sein. Wir haben aus Überzeugung so votiert, wie wir es Ihnen heute dargelegt haben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Mattick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich nicht seit mehreren Jahren Gelegenheit hätte, mit dem Kollegen Mertes im Auswärtigen Ausschuß die Differenz kennenzulernen zwischen politischem Handeln und politischen Begründungen und juristischer Spitzfindigkeit, dann wäre ich jetzt in einer ganz schwierigen Lage.
({0})
- Das braucht er ja nicht zu sein, aber ich weiß, was seine Entwicklung ist; Sie kennen sie ja auch. Wir wollen doch hier dabei bleiben.
Ich sage Ihnen, Herr Mertes, nur eines - eine Wiederholung aus der Ausschußdebatte -: Es gibt keinen Vertrag, der nicht auslegbare Forumulierungen enthält.
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In dem Sinne wird es nie einen Vertrag geben, den Sie unterschreiben könnten, und in dem Sinne komme ich zu der Feststellung, daß Ihre juristische Politik zum Stillstand der Politik führt; das beweisen Sie ja heute. Wenn wir uns danach richteten, würde die Politik unbeweglich werden, und wir würden darin versacken. Insofern ist die Begründung, die Sie eben gegeben haben, mit dieser Formel deutlich geworden: Sie sind durch den Versuch, rechtliche Wege zu überspitzen, unpolitisch geworden.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Ja, bitte!
Herr Kollege Mattick, darf ich Sie fragen, welcher Vertrag der Bundesrepublik Deutschland aus den Jahren 1949 bis 1969 mit der Sowjetunion verschieden auslegbar ist?
Ich glaube, darüber müßten wir lange diskutieren.
({0})
- Was gibt es denn dabei zu lachen? Ich will Ihnen etwas sagen: Sie sind ja immer so erpicht auf den Deutschlandvertrag. Wenn Sie sich jetzt den Deutschlandvertrag mit den drei Westmächten einmal vor Augen halten und Ihre Politik betrachten, dann müssen Sie zu folgender Feststellung kommen: Wir haben die Politik der letzten Jahre mit den Partnern des Deutschlandvertrages entwickelt und sind einen völlig anderen Weg gegangen, als Sie ihn gehen wollten und als Sie ihn mit den Bündnispartnern des Deutschlandvertrages aufgrund Ihrer Politik hätten gehen können.
({1})
Sie haben uns klargemacht, daß der Deutschlandvertrag die beste Voraussetzung für die Lösung der deutschen Frage ist, und ich möchte am Anfang meiner Bemerkungen eine Frage an Sie stellen. Es gibt so oft in dieser Diskussion die Bemerkung der CDU, daß unsere Politik oder ein Schritt in unserer Politik die Lösung der deutschen Frage hemmt oder der Lösung der deutschen Frage nicht näherkommt oder für die Lösung der deutschen Frage nicht sinnvoll ist. Ich habe das im Auswärtigen Ausschuß mehrmals gehört. Ich würde jetzt gerne einmal eine Frage an Sie stellen: Was haben Sie denn für eine Vorstellung von der Lösung der deutschen Frage? Was heißt die Lösung der deutschen Frage in dieser Zeit? Gibt es für Sie irgendeine Formel, mit der Sie der Lösung der deutschen Frage näherkommen können? Gibt es für Sie irgendeine Vorstellung? Sie haben sie nie geäußert. Man sagt, die Unterschrift unter die Schlußakte der KSZE sei kein Beitrag zur Lösung der deutschen Frage. Wenn ich mich recht erinnere, hat Dr. Schröder das noch verstärkt und gesagt: „hilft uns nicht, sondern schadet der Lösung der deutschen Frage." Ich habe mich immer gefragt: Was ist für Sie die Lösung der deutschen Frage in dieser Zeit?
Ich komme zu folgendem Ergebnis: Es gibt zur Zeit keine politische Position, die man als Position der Lösung der deutschen Frage bezeichnen könnte. Sie haben keine, es gibt keine Alternative, es gibt nur eine Erkenntnis: Wir leben in einer Zeit, nämlich in der Nachkriegszeit, in der die deutsche Frage durch die Machtverhältnisse und den Entwicklungsprozeß nach 1945 - ich will jetzt nicht über die Versäumnisse des Jahres 1953 sprechen ({2})
unlösbar geworden ist. Es gibt seitdem keine Plattform, keine Möglichkeit, keine Ansatzpunkte, keine Machtverhältnisse, um die deutsche Frage auf den Tisch zu legen, sondern es gibt Machtverhältnisse, die uns zwingen, unter der Spaltung Deutschlands zu leben und uns in dem Sinne mit der Spaltung Deutschlands abzufinden, daß wir eine Politik betreiben müssen, die den Deutschen hilft, auch wenn eine Lösung der deutschen Frage auf unabsehbare Zeit nicht zu erreichen ist.
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Wenn Sie, Herr Kollege Mertes, von diesem Standpunkt aus Ihre Rede überprüfen, müssen Sie doch zu folgendem Ergebnis kommen: Die KSZE formuliert die Möglichkeiten der Gegenwart zur Entwicklung von mehr Miteinander als Gegeneinander,
({4})
sie formuliert die Möglichkeiten der Gegenwart, und die Möglichkeiten der Gegenwart lassen keine andere Art des Zusammenlebens zu als den Versuch, bei der extremen Gegenüberstellung von Ost und West und bei der Spaltung Europas, mit der wir es zu tun haben, durch schrittweise Politik trotz der Spaltung, trotz der ideologischen Differenz und Spannung Formen zu entwickeln, die Menschen zusammenzubringen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß das Leben in beiden Teilen Europas für die Menschen erleichtert wird, daß sich allmählich ein Zusammenleben entwickelt, daß in diesem Zusammenleben, Herr Kollege Mertes - wobei die Formulierungen in der Schlußakte neue Voraussetzungen schaffen, auf diesem Wege Ordnungen in Europa herzustellen, die auch dann, wenn auf Grund der bestehenden Machtverhältnisse die Lösung der deutschen Frage auf unabsehbare Zeit nicht zu erreichen ist, das Leben erträglich gestalten -, der Frieden so sicher wird, wie es unter diesen Bedingungen nur der Fall sein kann.
({5})
Und ich glaube, dem werden Sie nichts entgegensetzen können.
Ich darf mir erlauben, dazu eingangs mit der Genehmigung der Frau Präsidentin ein Zitat zu bringen:
Es gibt, so scheint mir, da zunächst einmal zwei Ergebnisse, nämlich das eine, daß der Verhandlungserfolg der nichtkommunistischen Staaten der ist, daß in diesem Dokument Ziele angesprochen sind und für wichtig erklärt werden, die früher tabu waren: freie Bewegung, mehr menschliche Kontakte auch auf individueller und privater Ebene, also nicht nur im Kollektiv. Wenn die Sowjetunion und ihre Freunde dieses Grundsatzbekenntnis unterschreiben werden, dann könnte es zum Abbau von Spannungen beitragen. Voraussetzung ist allerdings, daß sich die vereinigte westliche Welt konsequent darauf konzentriert, daß auch
wirklich derartige Unterschriften nachher durch Taten eingehalten werden.
Und das zweite ist unbestreitbar - und das hat auch die Europäische Union der Christlichen Demokraten sehr deutlich gesagt -: daß es ein großer positiver Erfolg ist, daß der Westen fest zusammengestanden hat und daß also nicht die Chance bestand für die Sowjetunion, etwa den einen Staat der freien westlichen Welt gegen einen anderen Staat auszuspielen, zwei etwa voneinander zu trennen.
Das ist ein Zitat des Herrn Vizepräsidenten von Hassel vom Sonntagvormittag im „Interview der Woche".
Ich muß sagen, wenn Sie sich dies vor der Debatte zu Herzen genommen hätten, hätten Sie sich mindestens damit auseinandersetzen müssen, nämlich mit der Frage, ob es nicht auch andere Überlegungen gibt, wie wir diese Schlußakte und die Konferenz beurteilen können, als die, die Sie in dieser Diskussion angestellt haben. Ich bedaure, daß Herr von Hassel das, was er dort gesagt hat, hier in der Diskussion nicht wiederholt hat.
Meine Damen und Herren, ich bedaure den Weg, den die Opposition in dieser heutigen Bundestagssitzung wieder gegangen ist. Denn ich glaube, diese Debatte war eigentlich dazu angetan, mit der Bevölkerung das Gespräch zu führen. Denn Ihre Position war einfach klar, und unsere war auch klar; hier ging es nicht mehr darum, uns gegenseitig zu überzeugen. Herr Mertes, Sie haben das deutlich genug gemacht, daß es darauf gar nicht mehr ankam, sondern daß die Positionen festgelegt waren. Daher wäre es besser gewesen, wir hätten uns Mühe gegeben, darüber zu reden, wie die Bevölkerung unsere Entscheidungen aufzunehmen hat.
Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zur Diskussion machen, weil ich glaube, einiges muß noch beantwortet werden.
Herr Dr. Marx hat in seiner Rede, die die erste Rede der Opposition war, einiges gesagt, was meiner Ansicht nach den Rahmen einer vernünftigen Beurteilung, auch wenn sie skeptisch ist, gesprengt hat. Er sprach von den „gleichen Floskeln, die man schon so oft gehört hat". Er sprach davon, daß die Sowjetunion ein wichtiges Etappenziel erreicht habe. Er hat das nicht näher begründet. Wenn ich aber die Position der CDU richtig einschätze, muß ich sagen: Auch Herr Dr. Marx muß doch wissen, daß das Etappenziel, das er meint, nicht durch die KSZE erreicht worden ist, sondern daß dieses Etappenziel ein Ergebnis des zweiten Weltkriegs ist, und daß wir jetzt nach dreißig Jahren, immer noch in dem Wissen, daß unsere Kriegsgegner nicht vergessen haben, was erst dreißig Jahre hinter uns liegt, und daß die Hälfte der Generation davon noch lebt, den Versuch machen, trotz der Dinge, die der zweite Weltkrieg uns hinterlassen hat, Formen zu entwickeln, die geeigneter sind für eine weitere friedliche europäische Entwicklung, die irgendwann mehr zusammenführt und dazu beitragen kann, daß die Deutschen unter Umständen mal unter einem gemeinsamen europäischen Dach leben.
Nun, meine verehrten Damen und Herren, noch ein paar Bemerkungen zu den Darlegungen des Herrn Dr. Marx. Er nannte die Ergebnisse einen „Supermarkt von Attrappen",
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- ja, Korb 3 -, und er sagte dann, daß dieser Supermarkt von Attrappen noch hinter der Charta der Menschenrechte der UNO bleibe. Hierzu möchte ich eine Bemerkung machen. Ich glaube, es ist ein Fehler, wenn man den Versuch macht, die Menschenrechtskonvention der UNO hier mit ins Gespräch zu bringen. Vergessen Sie eines nicht: Die Menschenrechte der UNO sind Bedingungen, die als Ziel einer geordneten Welt gedacht sind und nicht in die Gegenwart Verpflichtungen hineinbringen.
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Mehr als die Hälfte der Mitglieder der heutigen UNO sind gar nicht imstande, in ihren Ländern nach diesen Menschenrechten Ordnung herzustellen. Außerdem sind die Voraussetzungen in keiner Weise da. Wenn Sie das vergleichen, sage ich Ihnen eines: Diese Formeln, die heute in der Schlußakte stehen, sind zuständig für einen Lebenskreis der Europäer, deren Kultur- und Gesellschaftsstand sich so ähnlich ist, daß man von gleichen Bedingungen der Lebensmöglichkeiten ausgehen kann und auch von gleichen Bedingungen ausgehen kann, wie staatliche Ordnung organisiert werden kann, um diese Menschenrechte wirksam zu machen. Insofern glaube ich, daß es etwas anderes ist.
Das wird sich - das sage ich jetzt an die Führung der DDR gerichtet - auch die DDR-Führung sehr genau überlegen müssen, wenn sie am 31. die Schlußakte unterschreibt, daß in dem Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR sich nach dieser Unterschrift noch einiges verändern muß. Wir denken so, und wir werden das auch sagen. Wir werden darauf achten, daß die Formeln, die anerkannt werden, schrittweise übergeleitet werden zu Lebensbedingungen auch zwischen beiden Teilen Deutschlands. Dabei gehe ich nicht von der falschen Vorstellung aus, daß das morgen geschieht. Wir wissen, daß es sich auch dabei um einen Prozeß handelt, der seine Zeit braucht, der Schwierigkeiten bringt, der Reibungen bringen wird. Niemand glaubt, daß morgen auf diese Art ein neuer Frühling in Europa ausbricht.
Sie müssen nur begreifen: Was in der Schlußakte vereinbart ist, hat eine ganz andere Grundlage, eine andere Ausgangsposition und daher auch andere Verpflichtungen zur Folge, als wenn Sie die UNO zum Vergleich heranziehen.
Ich möchte eine Bemerkung zu Portugal machen, weil diese Frage von mehreren Seiten angesprochen wurde. Meine Damen und Herren, für uns bleibt es immer erstaunlich, daß Ihnen Portugal jetzt so an die Nieren geht - uns geht es an die Nieren -, daß wir aber in der ganzen Zeit, in der Portugal unter einer anderen Herrschaft und unter anderen, schrecklichen Bedingungen gelebt hat, oftmals in den Wind geredet haben.
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Eines sollten wir doch gemeinsam erkennen: Wir haben nach dem Umbruch versäumt, gleich, schnell und vernünftig mitzuhelfen. Daß sich die Kommunisten gegenseitig unterstützen, ist doch nichts Neues. Daß die Kommunisten in den Ländern, in denen Diktaturen herrschen, Untergrundbewegungen aufgebaut haben, ist auch nicht neu.
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Aber der Westen hat lange gezögert, bevor er diejenigen unterstützt hat, die in Portugal der Unterstützung würdig sind.
({10})
Auch heute zögern wir noch, da, wo es nötig ist, schnelle Hilfe zu leisten. Das sollten wir nicht außer acht lassen und sollten daraus Lehren ziehen.
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Herr Stücklen hat auf die Bemerkung, die Herr Brandt gemacht hat, daran erinnert, daß der HitlerStalin-Pakt letztlich vor dem zweiten Weltkrieg geschlossen worden sei. Er wollte damit darauf anspielen, daß das Hitler-Deutschland durch den Stalin-Pakt die sowjetische Politik unterstützt habe. Sie dürfen nicht vergessen, daß der Hitler-StalinPakt ein Angebot des Hitler-Regimes an die Sowjetunion war und die Sowjetunion in der Vorstellung lebte, daß sie damit aus einem Krieg herausbleiben könne, der sich unter den westlichen Mächten ab- spiele.
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Daher, meine ich, wischen wir damit nichts von dem Weg, Herr Stücklen, was das Dritte Reich für die Welt und für unser heutiges Schicksal bedeutet hat. Das haben wir als Deutsche ganz alleine abzutragen. Daher werden wir auch einsehen müssen, daß wir bei 'der Abtragung noch nicht an dem Punkt sind, an dem wir in dieser Beziehung von der Geschichte sprechen können, wenn wir unsere eigene erlebte Vergangenheit meinen. Wir müssen leider zugeben, daß es für 50 °/o der heute Lebenden noch Gegenwart ist, was sie in den zwölf Jahren des Hitler-Regimes erlebt haben, und dürfen davon ausgehen, daß unsere Position im Kreise der westlichen Partner hervorragend geworden ist. Wir müssen uns dabei darüber im klaren sein, daß die 30 Jahre nicht ausreichen, um das alles vergesen zu machen, was unter deutschem Namen angerichtet worden ist.
Man muß es daher, meine ich, hoch anrechnen, daß sich das Bündnis der westlichen europäischen Partner in dieser Phase der KSZE in einem so hervorragenden Maße zu einer Einheit entwickelt hat. Man muß hoch anrechnen, daß sich die westliche Einheit in dieser Konferenz in bezug auf die deutsche Frage einschließlich der Berlin-Frage so fest auf unseren Standpunkt gestellt hat. Die Bemerkung, meine Damen und Herren, die hier immer wieder
hochkommt, daß wir mit dieser Konferenz und der Schlußakte Berlin geschadet hätten, ist eine unglaubliche Behauptung, weil sie einfach nur dazu dienen soll, uns den Vorwurf zu machen, wir achteten nicht genügend auf Berlin.
Meine verehrten Damen und Herren! Was durch diese Schlußakte für Berlin getan worden ist, ist die absolute Festigung dessen, was die Vier Mächte vereinbart haben.
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Die Amerikaner haben sich mit der Unterschrift unter diese Schlußakte mit der Berlin-Vereinbarung noch einmal so fest in Europa verankert, daß Sie, wenn Sie die Wahrheit sagen, erkennen müssen und zugeben müssen: Mehr ist überhaupt nicht zu erreichen gewesen. Ich bedauere, daß Ihrerseits immer wieder der Versuch gemacht wird, den Berlinern einzureden, sie gerieten auf diesem. Wege in Gefahr. Es geht Ihnen nur darum, mit den Berlinern Politik gegen die Regierung zu machen, ohne jede Grundlage.
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Dagegen wehren wir uns.
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Es ist an der Zeit, daß man sich über diese Fragen mit Ihnen so auseinandersetzt, daß die Bevölkerung zumindest begreift: Es sind Irreführungen Ihrerseits, weil nicht sein kann, was nicht sein soll, nämlich daß die sozialliberale Koalition Erfolge hat, die auf die Dauer auch für die deutsche Politik von großer Leistung sein werden.
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Sie bemühen sich dauernd, Berlin in den Schatten zu drängen
({17})
und so zu tun, als wenn hier irgend etwas nicht in Ordnung sei. Mehr Ordnung ist für Berlin überhaupt nicht herzustellen gewesen; das wissen Sie. Wir sind zufrieden als Berliner, daß wir von der Zeit der Mauer bis zum heutigen Tage einen Stand erreicht haben, der es uns möglich macht, in der Gemeinschaft der westlichen Welt und im Rahmen der Entwicklung zwischen Ost und West unseren gesicherten Platz zu haben.
Meine Damen, meine Herren! Ich möchte noch eine Bemerkung zu der Vorbereitung dieser Konferenz machen. Es hat in dieser Zeit zwei Konferenzen der europäischen Parlamentarier im Rahmen der JPU gegeben. Beide Konferenzen - in Helsinki und in Belgrad - haben sich eingehend mit der Problematik und den Fragen der KSZE beschäftigt, haben eindeutige und einstimmige Beschlüsse in Begleitung der Verhandlungen von Genf gefaßt, und die Beschlüsse haben ihren Niederschlag gefunden. Ich denke, daß es gut wäre, wenn wir als Parlamentarier uns dieser Konferenzen erinnerten und den Versuch machten, die Kontakte fortzusetzen, die auf diesem Wege unter den europäischen Parlamentariern im Rahmen dieser KSZE entstanden sind, weil ich glaube, daß die Parlamentarier angesprochen werden können und angesprochen werden müssen auch in allen anderen Ländern, wenn die Vereinbarungen der KSZE sich nicht so entwickeln, wie wir es uns vorstellen. Es hat auch in der Schlußbestimmung dieser letzten Parlamentarierkonferenz einen Beschluß darüber gegeben, daß die JPU zu jeder Zeit in der Lage sein sollte, eine neue Konferenz einzuberufen. Wir müssen auch als Parlamentarier darauf achten, daß der Prozeß, der mit dieser Schlußakte beginnt, beobachtet wird, forciert wird und daß es in der Entwicklung keinen Stillstand gibt.
Die Koalition legt dem Haus eine Entschließung vor, in der der Regierung der Dank ausgesprochen wird und in der wir die Regierung auffordern, diese Schlußakte zu unterschreiben in der Erkenntnis, daß bei den Verhandlungen die Zusammenarbeit der westlichen Mächte in eine Entwicklung hineingekommen ist, die wir alle begrüßen und von der wir hoffen, daß sie fortgesetzt wird, daß die Ergebnisse dieser Konferenz einen großen Beitrag für eine friedliche Entwicklung leisten und die Vertiefung der Entspannung in Europa einleiten können. Wir haben die Hoffnung, daß mit dieser KSZE auch für die deutsche Frage eine Entwicklung eintritt, die uns hilft. Der Deutsche Bundestag, heißt es, stellt fest, daß auf der KSZE die deutschen Interessen gewahrt worden sind. Wir verweisen auf den Beschluß des Europäischen Rates, in dem in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Berlin- und Deutschland-Frage eingegangen und deutlich gemacht wird, in welcher Lage die Berlin- und Deutschland-Frage sich in dieser Schlußakte befindet. Ich bitte das Haus, noch einmal zu überprüfen, ob diese Entschließung nicht auch von der Opposition unterstützt werden könnte,
({18})
angesichts dessen, was Herr von Hassel zu dieser Konferenz gesagt hat.
Meine Damen und Herren, die Konferenz, die heute im Gespräch ist, hat in Europa eine neue Atmosphäre geschaffen. Die Unterschrift wird für europäische Politik zwischen Europa und Nordamerika eine neue Plattform entwickeln, von der aus die Möglichkeit besteht, Friedensverhältnisse in Europa zu schaffen, die stabil sind, Abrüstungsgespräche zu entwickeln, die ins Stocken geraten sind, Beziehungen zwischen den Menschen herzustellen, die schrittweise dazu führen, daß Grenzen anders aussehen, als sie zur Zeit aussehen. Ich bin überzeugt, daß das Gewicht derer, die auf dieser Konferenz mit der Überzeugung wirken konnten, daß sie Politik bereits im Rahmen dieser humanitären Vorstellungen betreiben, groß genug ist, um allmählich auch in dem anderen Teil Europas solche Gedanken zu vertiefen und die Regierenden und die Regierten auf den Weg zu bringen, neue Formen der Zusammen12854
arbeit auch zwischen Ost- und Westeuropa einleiten zu können, weil nur dadurch der Frieden gesichert werden kann und nur darin eine Chance liegt, daß die Deutschen, wenn auch nicht in einem Staat, so doch in einer europäischen Gemeinschaft leben können, in der die Trennung nicht mehr so bitter ist, wie sie jetzt aussieht.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schröder.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte nähert sich ihrem Ende. Ich glaube, daß sie im großen und ganzen verlaufen ist, ohne die notwendige Kontroverse zwischen Regierung und Opposition unnötig zu verschärfen. Alle, die aus den Ferien hierhergekommen sind, werden sicherlich nachlesen, was gesagt worden ist. Wir haben, scheint mir, die große Aufgabe - diese haben wir alle zusammen, besonders die Opposition -, allen Deutschen klarzumachen; worum es hier wirklich geht.
Die Frage, die mich heute am meisten bewegt, ist eine Doppelfrage. Erstens: Wie ist die jetzt bevorstehende Konferenz in Helsinki wirklich einzuschätzen? Zweitens: Wie bekommen wir es fertig, jedermann in unserem Lande Inhalt, Auswirkung, Einschätzung und politische Bewertung der Konferenz am besten nahezubringen?
Ich beginne mit der ersten Frage. Dabei kommt mir der Spottvers des Horaz in den Sinn: Gewaltig kreißen die Berge, zur Welt kommt ein Mäuschen. Wir alle, meine Damen und Herren, kennen die Vorliebe der Kommunisten für überdimensional große, spektakuläre Veranstaltungen. Hier haben sie, wie ich glaube, schon jetzt eine echte Gipfelleistung vollbracht.
({0})
Wenn Breschnew in diesen Tagen eine Zwischenbilanz aufmacht, kann er, wie mir scheint, in der Tat zufrieden sein.
({1})
Eine Konferenz, die von seinen Vorgängern schon seit der Mitte der 50er Jahre verlangt worden ist, hat er zustande gebracht. Und wenn Breschnew in diesen Tagen den Vorsitzenden der SPD, den früheren Bundeskanzler Brandt, in Moskau und in der Sowjetunion gefeiert hat, wie wir es alle gelesen und gesehen haben, dann weiß er genau, warum.
({2})
Brandt ist nicht nur für ihn, sondern auch für viele andere der Mann, ohne den es den Vertrag von Moskau im August 1970 nicht gegeben hätte. Brandt ist der Mann, ohne den es auch diese KSZE nicht gegeben hätte. Ich brauche nicht erst lange darzulegen, daß Breschnew das zu würdigen weiß. Und damit ich hier nicht mißverstanden werde, möchte ich betonen, daß ich das ohne Polemik sage, sondern nur als eine - allerdings sehr notwendige,
geschichtlich notwendige - Feststellung.
({3})
Herr Brandt war so freundlich, mir das Stenogramm seiner Rede zukommen zu lassen. Deswegen stütze ich mich bei dem, was ich jetzt sage, auf dieses Stenogramm. Er hat gesagt:
Ich will mich noch mit der Legende auseinandersetzen, die deutsche Politik hätte den Russen gewissermaßen die Sicherheitskonferenz geschenkt.
Er kommt dann zur Erörterung dessen, was er im Jahre 1969 hier im Hohen Hause und an anderer Stelle gesagt hat.
Brandt hat schon damals - wir wollen das ganz sachlich und absolut fair behandeln - ausgedrückt, daß er für eine solche Konferenz ein beträchtliches Wohlwollen hat.
Festgelegt worden ist das schließlich 1970 in Punkt 10 des sogenannten Bahr-Papiers. In der amtlichen Fassung heißt dieses Papier „Bahr-Papier". Ich habe mich immer gefragt, warum es so heißt; aber es heißt nun einmal „Bahr-Papier".
Damals hat man sich klipp und klar für diese Konferenz ausgesprochen. Die Kontroverse darüber wird irgendwann in der nächsten Zeit sicher noch sehr viel lebhafter werden. Wenn die Regierung der Großen Koalition mit dieser Konferenz sozusagen belastet wird, möchte ich sagen: Als ich zuletzt - damals als Verteidigungsminister - mit dem nachmaligen Bundeskanzler Brandt - damals Bundesaußenminister - in Washington auf der Jubiläumstagung der NATO war, habe ich schon große Sorge darüber gehabt, daß er für ein solches Projekt - Sie erinnern sich an Budapest und die verschiedenen Versionen, die uns vorgetragen worden sind - Vorliebe zeigte. Dagegen habe ich große Bedenken gehabt. Er hat dann das zitiert, was er im März 1969 im Bundestag gesagt hat. Ich will es jetzt nicht im einzelnen wiederholen.
Aber das zeigt, daß er - und daran führt kein Weg vorbei - sicherlich schon eine positive Einschätzung der Sache gehabt hat, bevor er dann 1970 die Marksteine gesetzt hat, von denen ich gerade sprach.
Erlauben Sie mir eine weitere Bemerkung zur Vorgeschichte der Konferenz. Es geht mir hier um die von sowjetischer Seite den USA und der Volksrepublik China zugedachten Rollen. Ich mache diese Anmerkung, weil die Sache oft falsch dargestellt wird. Der erste sowjetische Vorschlag wurde von Molotow am 10. Februar 1954 auf der Berliner Außenministerkonferenz gemacht. Der Vorschlag hatte den Abschluß eines „Vertrages über die kollektive Sicherheit in Europa" als Ziel. Damals wurde von der Sowjetunion vorgeschlagen, daß die USA und die Volksrepublik China als Beobachter teilnehmen sollten. Sieben Wochen später, am 31. März 1954, folgte eine Note der Sowjetunion an die Westmächte mit weiteren Vorschlägen zur Schaffung eines gesamteuropäischen kollektiven Sicherheitssystems. Unter anderem „erklärt sich die
Dr. Schröder ({4})
Sowjetregierung bereit, gemeinsam mit den interessierten Regierungen die Frage der Beteiligung der Sowjetunion am Nordatlantikpakt zu erörtern".
Meine Damen und Herren, Sie werden glauben, daß Sie sich getäuscht haben; aber es ist wirklich so gewesen. Sie haben richtig gehört.
Vier Monate später, am 24. Juli 1954, kommen neue Vorschläge der Sowjetunion: eine Konferenz sämtlicher europäischer Staaten und der USA; dazu die Volksrepublik China wiederum als Beobachter. Es folgen weitere Erklärungen der Sowjetunion. Schließlich, am 13. November 1954, folgt eine Note der Sowjetunion an damals 23 europäische Staaten und die USA mit dem Vorschlag der Einberufung einer gesamteuropäischen Konferenz zum 29. November 1954. Meine Damen und Herren, wenn man das nachliest, wenn man diese Daten in sich aufnimmt, dann kann man nur sagen: Welche Beharrlichkeit, welche Zähigkeit der Sowjetunion!
({5})
Nun, meine Damen und Herren, die Gipfelkonferenz von Helsinki mit 35 Staaten als Teilnehmern - wir können auch getrost von „Breschnews Gipfel" sprechen - ist eine Veranstaltung von gewaltiger propagandistischer Wirkung, jedenfalls in den Augen der Sowjetunion und der ihr nahestehenden Mächte. Nun, der große Propagandaerfolg der Sowjetunion ist für sie sehr viel wert, da er einerseits Verwirrung stiften, andererseits Bewunderung erregen wird. Ich habe mich immer ein bißchen darüber gewundert, wenn die Beobachter und Beschreiber der Genfer Diplomatenkonferenz oft betont haben, daß ja keineswegs, wie offenbar mancher erwartet habe, die Sowjets dort in Genf die Szene beherrschten oder zu beherrschen schienen. Meine Damen und Herren, welch eine trügerische, ich möchte sagen, verblendete Auffassung von dem, was wirklich vor sich ging! Für die Sowjetunion war entscheidend, daß diese Konferenz stattfand,
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selbst wenn das Programm inhaltlich nur mager sein würde. Und, ich sagte es schon, ich möchte keineswegs geringachten, was die Zusammenarbeit von Diplomaten auf westlicher Seite im Verbunde der Europäischen Gemeinschaft, im Verbunde der NATO an westlicher Abstimmung im Ringen um einzelne Formeln erbracht hat. Sicher hat die deutsche Diplomatie hier eine wichtige. Leistung gezeigt. Das sollte man rückhaltlos anerkennen, wie das heute hier geschehen ist.
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Der Kreml aber, meine Damen und Herren, konnte das mit größter Gelassenheit verfolgen. Sicher war dort im Kreml von vornherein klar, daß alles, was die Sowjetunion bisher in zweiseitigen Zusammenkünften und Abmachungen gesagt hatte, von der Konferenz nicht etwa unterdrückt werden könnte. Natürlich würde sich die Sowjetunion im Prinzipien-Teil auf die Formulierungen einlassen, wie sie z. B. im deutsch-sowjetischen Vertrag und darum herum gebraucht worden waren; natürlich würde sie sich auch auf alle anderen Vereinbarungen, z. B. die Viermächtevereinbarung über Berlin, festlegen lassen. Ich unterstreiche aber noch einmal: Dies alles war für sie nicht entscheidend, dies alles waren für sie nicht etwa Konzessionen, sondern das Zustandekommen der großen Propagandaschau selbst war immer ihr Ziel gewesen, und dieses Ziel würde jetzt über Genf zu einer Gipfelkonferenz führen.
({8})
Meine Damen und Herren, um nun die Szenerie, die sich uns heute darbietet, richtig auszuleuchten, erlauben Sie mir ein einziges Breschnew-Zitat vom 15. Juli, also ein Zitat, das erst wenige Tage alt ist. Er hat in einem Telegramm gesagt:
Die Tatsache, daß trotz positiver Veränderungen in ,der internationalen Situation materielle Kriegsvorbereitungen und Rüstungsaufbau weitergehen, ist eine Angelegenheit, die ernste Besorgnis hervorruft.
Nach dem Text von TASS habe ich das zitiert, damit nicht irgendwelche Irrtümer aufkommen können. Meine Damen und Herren, hier kann man nur sagen: Welch eiserne Stirn gegenüber der Wahrheit!
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Und nun die Stimme der DDR. Eine Äußerung des Chefs der politischen Hauptverwaltung der DDR-Streitkräfte, Verner, stammt fast vom gleichen Tage. Er sagt:
Der Frieden wird in dem Maße stabiler, wie sich auch das militärische Kräfteverhältnis weiter zugunsten des Sozialismus verändert.
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Man muß beide Stimmen auf sich wirken lassen, um zu verstehen, welcher Strategie wir uns gegenübersehen.
Nun, glaube ich, müssen wir die Frage stellen: Was haben die Sowjets für den Erwerb dieses Propagandainstruments gegeben? Meine Antwort lautet: Sie haben dafür nichts zu tun und zu geben brauchen als vage, jederzeit zurücknehmbare, einengbare Versprechungen zur wohlwollenden Prüfung von Anträgen, wie sie im Kapitel 3 beschrieben werden, Anträge, die sich auf die Zusammenführung von Familien, auf Heiratserlaubnisse, auf Reisebewegungen, auf Tourismus überhaupt und auf freiere Beweglichkeit von Journalisten usw. beziehen.
Dies überzubewerten wäre ein schlimmer Fehler. Dies etwa, wie das auf Regierungsseite und von anderen Stellen geschieht, als eine Kompensation in der Sache hinzustellen erscheint mir sehr kurzsichtig. Natürlich, man sollte nicht erst sagen müssen, daß wir selbst, die Kritiker dieser Abmachungen, nur zu gerne die Hoffnungen aller jener teilen möchten, die sich von Kapitel 3 eine große humanitäre Entwicklung versprechen.
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Dr. Schröder ({12})
Wir glauben aber, daß nach allem, was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, wenig Anlaß dazu besteht, besonders hoffnungsvoll zu sein.
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Wir glauben im Gegenteil, daß hier Hoffnungen erweckt werden, denen bittere Enttäuschungen folgen werden.
({14})
Deswegen sind wir der Meinung, daß diese Teile der Vereinbarungen oder, sagen wir es richtiger, der Absichtserklärungen sicherlich nachdrücklich verwirklicht werden sollten, daß aber eine skeptische Voraussage eher gerechtfertigt ist als eine optimistische.
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Für die praktische Anwendung der in den Augen der Sowjets sicherlich vor allem wichtigen Prinzipien in Teil 1 gibt es gerade aus diesen Tagen ein schönes Beispiel, das uns den weiteren Fortgang in der diplomatischen und politischen Welt ablesen läßt: Der britische Außenminister Callaghan hat einen Besuch in Warschau gemacht, über den u. a. in der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. Juli 1975 berichtet wird. In einer feierlichen Deklaration, die er dort unterschrieben hat, steht folgendes: Die beiden Parteien haben die Absicht, ihre künftigen Beziehungen gemäß den Prinzipienerklärungen in der KSZE-Schlußakte zu gestalten. Ich will mich nicht lange damit beschäftigen, daß es natürlich völlig ungewöhnlich ist, wenn auf eine Vereinbarung Bezug genommen wird, die einstweilen noch gar nicht unterschrieben ist. Aber dieser kleine Vorgang bestätigt, was seit längerer Zeit und ganz sicher seit dem Abschluß des Moskauer Vertrags zu verspüren ist: das Eindringen der östlichen Vertragssprache, beinahe unbemerkt. Ich habe das auch bei der Lektüre der Reden empfunden, die anläßlich des Besuchs des österreichischen Staatspräsidenten Kirchschläger in Warschau gehalten worden sind. Man ist erstaunt, zu lesen, wie sehr - ich sage es noch einmal -, geradezu als ganz selbstverständlich, die östliche Gedankenführung und Terminologie . in die Texte einfließt. Das sehen Sie bitte nicht als eine literarische Absonderlichkeit an. Die Schlußfolgerung lautet vielmehr, daß derjenige, der die Vertragssprache durch die bei ihm gängige Ideologie und Phraseologie weitgehend beeinflußt, damit die Machtstellung demonstriert, die er erworben hat.
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Für mich und meine Freunde gibt es keinen Zweifel daran, daß sich der Einfluß der Sowjetunion auf die europäische Szenerie im ganzen seit dem Moskauer Vertrag vom August 1970 ganz erheblich verstärkt hat.
Nun, die Mammutveranstaltung in Helsinki, vor den Toren der Sowjetunion, wird in wenigen Tagen stattfinden. Die Sowjets werden dieses Fest feiern, und sie werden sicher nichts unterlassen, was in der Zeit, die vor uns liegt, die propagandistische Ausbeutung angeht.
Ich sage noch einmal: Hier kommt es nicht auf die interessanten Nuancen dieser oder jener Formulierung an, sondern auf die Schlußakte und den Schlußakt.
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Wie aber ist der Vorgang nun einzuschätzen? Ein amerikanischer Diplomat, so nachzulesen in der „International Herald Tribune" vom 2. Juli, hat, nach meiner Meinung zutreffend, bemerkt, der Moskauer Vertrag trage nur die Unterschrift Brandts. Jetzt aber werde ein Nachfolgedokument u. a. vom Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika unterschrieben. Ich will nicht länger ausmalen, was das im einzelnen bedeutet, ob sich die nichtkommunistischen Teilnehmer nicht doch im Grunde darüber klar sind - diese Frage möchte ich gar nicht erst stellen -, was vor sich geht. Sie suchen - vielleicht - ihren Trost darin, daß ja wirklich nichts mit vertraglicher, völkerrechtlicher Wirkung neu festgelegt werde, daß es sich vielmehr um die Wiederholung und die Deklamation weitgehend geltender völkerrechtlicher Prinzipien handelt und daß - vielleicht, vielleicht - in humanitärer Beziehung ein Fortschritt erreicht werden könnte.
Es ist gesagt worden, nur bei uns finde eine parlamentarische Behandlung. der Konferenz statt. Das führe möglicherweise dazu, im Ringen zwischen Regierung und Opposition, die Schlußakte von Helsinki bedeutender, bindender und zwingender erscheinen zu lassen. Ich teile diese Sorge nicht, um das klipp und klar zu sagen.
Ich bin angegriffen worden wegen meiner Meinung, daß die Schlußakte eine Überhöhung bestimmter sowjetischer Positionen bringe.
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Es sei doch so, daß völkerrechtliche Neuigkeiten oder völkerrechtliche Bindungen - hinausgehend über das Bisherige - nicht beschlossen worden seien. Nun, worin ich die Überhöhung sehe, habe ich schon klargemacht. Die öffentliche Klarstellung hier ist aber sicherlich nützlich.
Die Meinung, daß nur bei uns eine parlamentarische Auseinandersetzung über die Schlußakte erfolge, trifft im übrigen nicht zu. Ohne allzuviel internationale Beachtung hat das britische Unterhaus in einer Fragestunde vor wenigen Tagen über dasselbe Thema gesprochen. Dabei ist bemerkt worden, daß nichts in diesem Propagandainstrument stecke, was auch nur die Entlassung eines einzigen Soldaten auf der NATO-Seite rechtfertige. Es wurde hervorgehoben, daß ein einziger Fortschritt auf der etwas in den Windschatten geratenen Wiener Konferenz über ausgewogene Truppenverminderungen - MBFR - wichtiger gewesen wäre als alle Papiere von Helsinki. Genauso liegt es.
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Der entscheidende Fehler, dessen sich die Bundesregierung schuldig gemacht hat, ist gerade der, nicht der Wiener Konferenz den Vorrang erkämpft zu haben, den sie als eine Konferenz über militärische Sicherheit tatsächlich hätte beanspruchen können.
Entscheidenden Wert lege ich aber auf das Vorstadium vor Genf. Für dieses Vorstadium gilt: Wenn
Dr. Schröder ({20})
man den Vorrang der MBFR-Konferenz nicht etablieren konnte, mußte man eben auf das Projekt der KSZE verzichten,
({21})
und zwar bis zu dem Tag, an dem es, hoffentlich nach geglückter MBFR-Konferenz, sinnvoll - vielleicht - durchführbar geworden wäre. Durchführbar aber konnte es nur dann sein, wenn hinsichtlich der MBFR konkrete Fortschritte erreicht wären. Das Ergebnis, das wir jetzt vor uns sehen, ist aber dies: Man gibt sich mit einem großen klingenden Spiel zufrieden, nachdem man eine in westlichen Augen vorrangige Sache nicht durchsetzen konnte.
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Meine Damen und Herren, nun will ich eine Frage aufnehmen, die uns gestellt ist und gestellt werden wird. Wir werden danach gefragt, warum wir gegen eine Veranstaltung seien, an der sich unsere Freunde und Bundesgenossen doch auch beteiligten. Lassen wir ganz offen, welches die wirklichen Gedanken von vielen der Unterzeichner in der nächsten Woche sein werden. Ein bekannter deutscher Publizist, dessen Namen ich nicht nennen möchte, um keine unnötige Propaganda zu machen, hat vor wenigen Tagen in einer Fernsehdiskussion über die KSZE gesagt, für die Amerikaner stelle die KSZE sozusagen die Abteilung „Sport und Spiele" dar, während ihnen an den zweiseitigen Absprachen mit der Sowjetunion, insbesondere über die Begrenzung strategischer Waffen, in erster Linie gelegen sei. Diese Charakterisierung mag vielleicht etwas frivol klingen; dennoch ist sie richtig. Diejenigen von Ihnen, die Gelegenheit haben, mit amerikanischen Politikern darüber zu sprechen und vielleicht auch den Präsidenten am Sonntag danach fragen können, sollten das ruhig tun. Die Amerikaner machen etwas ganz Richtiges, indem sie SALT zweiseitig vorantreiben und den KSZE-Komplex - ich gebrauche jetzt auch diesen frivolen Ausdruck - als „Sport und Spiele" behandeln.
Uns wird nun die Gefahr vorgehalten, daß wir isoliert seien und in die Neinsagerecke gestellt werden könnten. Wir wollen über einen Punkt hier jedenfalls miteinander volle Klarheit haben. Von den in Helsinki teilnehmenden Ländern ist nur unser Land - das ist heute hier zweimal gesagt worden - durch die Bundesrepublik Deutschland und die DDR vertreten. In Helsinki tritt also ein geteiltes Deutschland auf. Dieser Tatbestand kennzeichnet die wirkliche Einzigartigkeit der deutschen Situation. Wir brauchen von niemandem isoliert zu werden; unsere Lage ist ganz exzeptionell, ganz außergewöhnlich.
({23})
Wenn wir unsere Stimme gegen diese Veranstaltung erheben, so geschieht das, weil wir meinen, daß das Schicksal des geteilten Landes es von uns gebieterisch verlangt, in diesem Augenblick unsere Stimme zu erheben.
({24})
Meine Damen und Herren, uns ist es aufgegeben,
an der Überwindung der Teilung unseres Landes zu
arbeiten. Dazu gehört, daß wir uns mit aller Leidenschaft gegen jede Erschwerung dieser Arbeit wehren. Niemandem ist das in ähnlicher Weise aufgegeben, nur den Deutschen selbst. Wir dürfen unter gar keinen Umständen die Hand dazu reichen, daß dieser Tatbestand der Teilung auch nur von Ferne als verharmlost angesehen werden oder erscheinen könnte, weil eben beide Teile Deutschlands an dieser Mammutveranstaltung beteiligt sind.
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Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß hier keine in der Sache neuen Vereinbarungen getroffen werden. Es ist aber, um es vereinfacht auszudrücken, so, daß mindestens für die Welt der Anschein erweckt wird, daß zweiseitige Abreden von gestern heute durch Multilateralisierung erhöht oder überhöht werden. Jeder, der einen Sinn für die psychologischen Auswirkungen dieses Tatbestands hat, wird dem zustimmen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch zwei, drei Worte zum Bundeskanzler zu sagen, der leider nicht mehr da ist.
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Aber die Kontroverse wird ja weitergehen. Der Bundeskanzler ist so freundlich gewesen, mir die Niederschrift aus dem Stenogramm seiner Rede zur Verfügung zu stellen.
({27})
- Ja, natürlich auf meine Bitte. Von sich aus würde er das kaum getan haben. Oder hätten Sie das erwartet?
Der Bundeskanzler hat ein Bild gebraucht, das andere auch gebraucht haben, das Bild von dem Riesen und dem Zwerg. Nun, meine Damen und Herren, ich habe das Bild nie für gut gehalten, egal, wer es gebraucht hat - der Kollege Strauß ist hier, ob es in seinem Buch steht, weiß ich nicht. Wir wollen jetzt einmal offen lassen, ob das Bild zu irgendeiner Zeit richtig gewesen ist: die Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich ein Riese und politisch ein Zwerg. Nun, meine Damen und Herren, was den Riesen angeht, so ist allerdings dafür, wie die deutsche Wirtschaft jetzt aussieht, zu einem großen Teil diese Regierung verantwortlich zu machen.
({28})
Aber nun zu dem politischen Zwerg: Welche Politik hat dazu geführt, diesen Zwerg wachsen zu lassen? Kompromisse? Die sind in sekundären Fragen sicher möglich. Der Bundeskanzler hat gesagt, ohne Kompromisse könne man überhaupt keine auswärtige Politik machen. Nun, das bedeutet, der auswärtigen Politik zuviel Ehre anzutun. Man kann ohne Kompromisse überhaupt keine Politik machen. Aber seien wir uns darüber einig, in sekundären Fragen geht das, in Lebensfragen geht das unter gar keinen Umständen.
({29})
Ich frage nun, meine Damen und Herren: Wie also
ist der Zwerg gewachsen? Durch Verzichte, die er
Dr. Schröder ({30})
ausgesprochen hat? Durch Liquidation, die er vorgenommen hätte? Durch Kapitulation gar? Durch eine Politik des Mitschwimmens? Sie mögen unter diesen Formeln wählen, welche Sie für die richtige halten, ich lasse das im Augenblick einmal offen. Aber glauben Sie denn wirklich, daß die Position des Zwergs ohne Substanzdreingabe hätte erhöht werden können? Nun, ich frage: Welche Substanz ist dreingegeben worden? Ich habe das angedeutet. Ich frage aber nun: Welche Substanz haben Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Vorgängerregierung denn gemehrt, um aus dem Zwerg etwas Größeres werden zu lassen? Die Antwort darauf werden Sie sicher bekommen, und die Kontroverse wird weitergehen.
Meine Damen und Herren, die Opposition würde ihrer Aufgabe und ihrer Verpflichtung nicht gerecht, wenn sie sich von Opportunismus verleiten ließe, ihre ernsten und schwerwiegenden Vorbehalte gegen eine außenpolitische Entwicklung zu unterdrükken. Niemand darf und niemand sollte uns die Zumutung stellen, für die Interessen unseres geteilten Landes und für alle Deutschen anders als nach unserem besten Wissen und Gewissen einzutreten. Die Opposition nimmt dieses Recht in gleicher Weise in Anspruch, wie das die Regierung tut. Unsere Einschätzung der KSZE verdient den gleichen Respekt wie die anderslautende der Bundesregierung. Diese sollte aber nicht der Versuchung unterliegen, für sich und ihren Standpunkt sozusagen ein höheres Maß an Einsicht und Erkenntnis zu reklamieren.
Meine Damen und Herren, dies ließe sich aus den Resultaten der seit Herbst 1969 betriebenen Ost- und Deutschlandpolitik bestimmt nicht begründen.
({31})
Wie ich glaube, läßt sich leichter das Gegenteil begründen, denn die Entwicklungen und Erfahrungen in den vergangenen Jahren rechtfertigen gewiß keinerlei Optimismus auf beiden Seiten des hohen Hauses.
Der Bundesminister des Auswärtigen, der glücklicherweise noch hier ist, hat kürzlich zur KSZE folgendes festgestellt.
({32})
- Herr Bundeskanzler, ich bitte um Entschuldigung, daß Sie mitten im Publikum sitzen.
({33})
Das Hohe Haus bitte ich um Entschuldigung, wenn sich jemand bei dem Ausdruck „Publikum" getroffen fühlen sollte. Zu dem Publikum gehören wir alle, mal mehr, mal weniger.
({34})
- Ich spreche von dem Bundesminister des Auswärtigen. Er hat in seiner Stellungnahme zur KSZE kürzlich festgestellt - ich zitiere nur einen Satz -: „Die östliche Seite wird ihre Ziele nur unter anderen Bedingungen verfolgen." Er hat dabei sicher etwas sehr Richtiges gesagt.
({35})
Ich möchte diese Ausführung von ihm unterstreichen; so ist es in der Tat.
({36})
Aber wir haben allen Anlaß zu der Befürchtung, daß diese Bedingungen für die Sowjetunion nach Helsinki günstiger sein werden.
({37})
Wir sehen - meine Damen und Herren, tadeln Sie uns dafür bitte nicht - die Risiken sehr viel stärker als die Bundesregierung, für die die Chancen, die sie zu sehen glaubt, im Vordergrund stehen.
({38})
Wer aber sollte auf die Risiken, deren Vorhandensein niemand bestreiten kann, hinweisen, wer sollte warnend die Stimme erheben, wenn nicht die Opposition? Sie muß zum Ausdruck bringen, was im Interesse unseres Landes an Einwendungen, Vorbehalten und Warnungen vorgebracht werden muß.
({39})
Meine Damen und Herren, die Opposition tut das im Bewußtsein, daß die Lage der Bundesrepublik Deutschland von der aller anderen Länder, die an der Konferenz beteiligt sind, durch die Teilung Deutschlands und die Existenz West-Berlins grundsätzlich verschieden ist.
({40})
Diese spezielle deutsche Situation und die sich daraus ergebenden besonderen deutschen Interessen finden jedoch im Ergebnis der KSZE, wie wir meinen, nicht die Berücksichtigung, die wir für notwendig gehalten hätten.
({41})
Sie werden vielmehr schon durch die Veranstaltung als solche beeinträchtigt. Das ist unsere Meinung.
({42})
Daher ist unser Einwand, meine Damen und Herren, prinzipieller Natur, unbeschadet der berechtigten Kritik an den Einzelheiten der Dokumente. Unser Nein gründet sich auf unsere Bewertung der deutschen Situation in ihrer Besonderheit und der deutschen Interessen, wie ich eben sagte. Unser Nein ist keine Ablehnung der guten Absichten, wie sie insbesondere in den Kapiteln 2 und 3 der KSZE-Dokumente niedergelegt sind. Die Opposition tritt für Verständigung, friedliche Zusammenarbeit und möglichst vielfältige, intensive Kontakte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Staaten Osteuropas einschließlich der Sowjetunion ein. Wirtschaft und Handel, aber auch Wissenschaft und ForDr. Schröder ({43})
schung, Kultur und Sport bieten zahlreiche Möglichkeiten zu Kooperation und Austausch, die nachdrücklich genutzt werden sollten. Dies wäre zum Vorteil aller Beteiligten, würde aber auch das gegenseitige Verständnis fördern und damit dem Frieden dienen.
Meine Damen und Herren, ich sagte eingangs, es sei der zweite Teil der mich am meisten bewegenden Frage, wie wir jedermann die wirkliche Lage richtig darstellen könnten. Nach meiner Meinung kann das in sieben Punkten zusammengefaßt werden.
Erstens. Wirkliche Entspannung kann nur dadurch herbeigeführt werden, daß die Ursachen der Spannung gemildert, abgebaut und beseitigt werden.
({44})
Zur Erreichung dieses Ziels sind die Verbesserung der politischen Atmosphäre und die Schaffung von Vertrauen nützlich, hilfreich und förderlich.
Zweitens. Die Schlußakte der KSZE beseitigt keine einzige der Spannungsursachen. Wir dürfen uns nichts vormachen, und wir dürfen uns auch nichts vormachen lassen.
({45})
Drittens. Der Wille zur Entspannung kann durch konkrete Maßnahmen gezeigt werden. Solche Maßnahmen hat der Westen bei den Verhandlungen über die MBFR in Wien vorgeschlagen.
Viertens. Daher hätte man erst konkrete Fortschritte auf dem Abrüstungsgebiet in Wien herbeiführen sollen, bevor man sich auf das sowjetische Konzept der KSZE einließ.
Fünftens. Der sowjetische Erfolg liegt im Zustandekommen der KSZE einschließlich des Gipfels in Helsinki. Damit wird ein Eindruck erzeugt, der mit der Wirklichkeit von Mauer, Todeszaun und Minenfeld quer durch Deutschland in schroffem Gegensatz steht.
({46})
Sechstens. In der sowjetischen Sicht liegt der Schwerpunkt der KSZE-Ergebnisse auf dem Prinzipienkatalog. Er bringt der Sowjetunion eine moralisch-politische Überhöhung der Erfolge, die sie in den Moskauer Abmachungen mit der Bundesrepublik Deutschland bereits erreicht hat.
({47})
Siebentens. Hoffnungen auf Fortschritte für die Menschen möchten wir gerne teilen. Es wäre aber falsch, sich Illusionen zu machen. Die bisherigen Erfahrungen erlauben keinen Optimismus, sondern zwingen zu äußerster - ich wollte sagen: Skepsis, ich sage lieber: Sachlichkeit und Vorsicht.
({48})
Wir sind für eine wirkliche Entspannung. Meine Damen und Herren, ich bin sicher, niemand hier in diesem Hause wünscht eine Pseudoentspannung bis zur endgültigen Einführung des Kommunismus.
({49})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zeit ist weit fortgeschritten, und wenn man auch dazu verführt sein könnte, ein Resümee dieses Für und Wider zu ziehen, so wird man sich dessen auch nach diesem letzten Versuch des Herrn Dr. Schröder, noch einmal zu punktieren, was wirkliche Entspannung sei, wohl enthalten.
Die Opposition ist hier angetreten mit dem Satz „Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Schlußdokumente der KSZE nicht zu unterzeichnen" - Punkt, und dann folgt eine seitenlange Begründung.
({0})
Das ist also Ihr Satz, und über den soll heute hier abgestimmt werden. Es ist klar, daß wir den in aller Eindeutigkeit ablehnen.
({1})
Heute morgen ist hier schon mit großer Deutlichkeit und überzeugend dargelegt worden, wohin es führt, wenn man Ihrer Doppelrolle versuchen wollte zu folgen, die darin besteht, daß Sie einerseits als „Warner" auftreten auch gegenüber dem ganzen Westen, weil Sie sagen: „Wir sind ja die einzigen, die wissen, was ein Volk schon leiden muß",
({2})
und andereseits als der eigentliche „Wahrer" des Westens. Sie sind der Wahrer des Westens und haben den Stein des Weisen.
({3})
Sie müssen sich über Ihre eigene Lage noch selber klarwerden. Da können wir Ihnen nicht helfen.
({4})
Es ist Ihre Sache, sich untereinander durch ein System, wenn nicht anders, von kommunizierenden Röhren allmählich abzuklären.
({5})
Heute morgen ist hier gesagt worden, was das eigentlich für eine Unverfrorenheit in unseren kritischen Augen bedeutet, daß unter den Punkten, die als Kennzeichnung der maßgeblichen Inhalte des Schlußdokuments der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa aufgestellt wurden, auch jener tolle Satz steht, jene Wertung, „daß diese Dokumente einer weltweiten Täuschung über die wahre Sicherheitslage in der Welt dienen."
({6})
Dazu ist alles Erforderliche gesagt worden. Nun sage ich Ihnen nur noch etwas umgekehrt. Sie täuschen sich selber. Sie täuschen sich selber auch über Ihre Lage und über Ihre Möglichkeiten. Da haben Sie rundherum Täuschungen; Täuschungen, die Sie denen vorwerfen, die unterzeichnen werden. Hier hat der Bundeskanzler mit Recht gesagt, wer die alles sind. Dagegen sind doch die noch so wortreichen Zeitungszitate - einige der besonders defti12860
gen, aus dem Bayernkurier nämlich, haben Sie, Herr Stücklen, aus angeborener Bescheidenheit gar nicht erst vorgelegt - Tinnef, verglichen mit dem, daß dort die Vertreter der Regierungen antreten und etwas unterschreiben, weil das ein Schritt nach vorn ist.
({7})
- Das wird durch die Ereignisse bewiesen, verehrter Herr, und Sie werden Kommentator der Ereignisse bleiben. Glauben Sie mir das! Sie werden sie nicht gestalten. Sie, der nichts anderes kann als Fragen zu stellen.
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Nur möchte ich Ihnen folgendes sagen. Was immer Sie von dem halten, das sich 1969 mit der Bildung der Regierung Brandt/Scheel auf dem Gebiet, über das wir hier im wesentlichen reden, vollzogen hat: das Wesentliche war, daß damals ein Schritt getan worden ist, um die Beiträge der Bundesrepublik Deutschland - und zwar reale Beiträge der Bundesrepublik Deutschland - zu einer Politik der Friedenssicherung zu leisten statt der Friedensdeklamationen und -deklarationen, an denen es nie gefehlt hat.
({9})
Meine Damen und Herren, ich nehme das Ihnen völlig ab. Sie glauben das wirklich. Sie sind so, Sie schillern so. Heute sagen Sie: „Hätte man doch die Sache mit der Wiener Konferenz für Truppenherabsetzung und Rüstungsbegrenzung" und so weiter und so weiter.
({10})
- Natürlich. Der Beckmesser soll zu seinem Recht kommen. Etwas anderes sind Sie ja nicht als ein Beckmesser. Hans Sachs hätte Sie in seine Mannschaft aufgenommen.
({11})
Sie sagen, wie wichtig das wäre, wie wichtig überhaupt Abrüstung wäre. Aber Sie haben ja in den nächsten Wochen Zeit, genauso wie wir Zeit haben. Gucken Sie mal nach - Sie haben in so vielen Protokollen herumgeschnüffelt -; gucken Sie mal nach, wie negativ Sie, als Sie in der Regierungsführung waren, jeden konstruktiven Anspruch und Versuch der Sozialdemokraten, bundesrepublikanisch-deutsche Abrüstungskonferenzinitiativen einzuleiten, abgelehnt haben. Das ist eine ganze Serie. Sie hatten damals dafür ideologische Begründungen.
({12})
Wenn ich sie wirklich ernstnehmen dürfte, dann würde sich herausstellen, daß Sie sich auch über Ihre eigene Lage in der Vergangenheit fortgesetzt getäuscht haben.
({13})
Meine Damen und Herren, wie sieht das denn in Wirklichkeit aus? Sie haben in den 50er Jahren jede Aufforderung der Sozialdemokratischen Partei in diesem Hause zu gewissen Initiativen in den Fragen, die man später sehr geschäftsmäßig Deutschlandpolitik genannt hat, nämlich Schritte zu tun, die die weitere Trennung und Teilung Deutschlands hätten verringern können, soweit es in unseren und in den Kräften derer lag, die die Verantwortung für Deutschland als Ganzes haben und damals schon hatten, kalt, hochmütig, höhnisch zurückgewiesen und erklärt, daß das gar nicht in Frage komme. Sie haben deutlich gemacht, worauf es ankomme, sei die „Integration Westeuropas"; damals ging es um die Sechs.
({14})
Wir haben doch eine Zeit gehabt, in der von diesem Platze aus gesagt worden ist, warum man einen Vorschlag zu Friedensvertragsverhandlungen im Jahre 1952 nicht einmal zum Gegenstand von Verhandlungen machen lassen werde,
({15})
nämlich weil das nur Betrug sein könne und weil, wenn die Russen damals schon einen solchen Vorschlag gemacht hätten, sie in ein paar Jahren einen noch viel besseren machen würden. Die Geschichte dieser Jahrzehnte ist eine Geschichte auch Ihrer eigenen Irrtümer.
({16})
Wenn es etwas Versöhnliches gibt, meine Damen und Herren, ist es doch nicht das, daß man sich hinterher noch die eine oder andere Rosine aus diesem Geschichtskuchen herausholt.
Es ist heute mit Recht, wenn auch nur von unserer Seite und leider nie von Ihrer Seite, an die dreißig Jahre seit dem zweiten Weltkrieg erinnert worden. Wir alle stehen in dem Bann, daß Deutschland als Folge dieses Krieges und der Kontroversen zwischen den Siegermächten aufgetrennt und geteilt worden ist. Wenn wir aber über die Etappen reden, müssen wir alle in uns gehen, meine Damen und Herren.
({17})
Wenn Sie glauben, es reichte, daß Sie dann irgend etwas herausholten, möchte ich Ihnen entgegnen: Der erste Vorschlag 1952, überhaupt einmal in Friedensvertragsverhandlungen einzutreten, ist von Ihnen als nicht einmal erwägungswürdig und nicht reif für den Verhandlungstisch zurückgewiesen worden.
({18})
So fing es an!
Sie haben doch, meine Damen und Herren, westeuropäische Integration falsch verstanden. Sie meinten, mit einer Addition von Stärken könnte man die andere Seite schließlich nötigen, in das, was Sie die Lösung der deutschen Frage nennen, nämlich die Wiedervereinigung, friedlich und freiheitlich, einzuwilligen. Auch das war ein Irrtum von Ihnen.
In den 60er Jahren, meine Damen und Herren - um das nächste Jahrzehnt zu nehmen -, wollten Sie nicht einmal die unbestreitbar notwendigen Änderungen in dem vornehmen, was sich in den 50er Jahren entwickelt und fehlentwickelt hatte. Sie lehnten damals höhnisch und hochmütig unseren Vorschlag ab, den ich vor 15 Jahren in diesem Hause vortrug, eine Bestandsaufnahme zu machen, in uns zu gehen und zu prüfen, wie wir erreichen könnten, daß die Lage im geteilten Deutschland nicht durch einseitige Veränderungen verhängnisvoll verschlimmert werden könnte.
({19})
Das war ein Jahr, einen Monat und eine Woche vor der Errichtung der Mauer, meine Damen und Herren. Damals haben Sie darüber gefeixt.
({20})
Zu Beginn der 70er Jahre, im darauffolgenden Jahrzehnt, haben wir um die Verträge gerungen.
({21})
Ich weiß nicht, ob ich Herrn Dr. Schröder falsch verstanden habe - das kann auch einmal vorkommen, obwohl man sich lange genug kennt -: Er hat hier erwähnt, daß in den Augen Breschnews Willy Brandt der Mann sei, ohne den es nicht zu den Verträgen gekommen wäre, von denen dann die Rede ist. Das kann ja wohl kein Vorwurf sein.
({22})
- Ach! Ja, dann richten Sie bitte den Vorwurf gegen den Europäischen Rat, in dessen Erklärung über die KSZE steht:
Die Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten in Europa, die vor allem durch den Abschluß des Viermächteabkommens über Berlin und des Vertrags zwischen den beiden deutschen Staaten gefördert worden ist, hat die Einberufung der Konferenz ermöglicht.
Das heißt, hier werden das Viermächteabkommen über Berlin und die Verträge zwischen den beiden deutschen Staaten sowie die weiteren Verträge, die dann noch an einer anderen Stelle genannt werden, deutlich gemacht als Voraussetzung für diese Konferenz, die von dem Rat der Neun ja nicht nur gebilligt, sondern gewollt wird und gewollt worden ist.
({23})
Wenn dann dort steht, daß dieser selbe Europäische Rat der Ansicht ist, „daß der Inhalt der Schlußakte einen Schritt auf dem Weg der Entspannung darstellt, dessen wirkliche Bedeutung aber erst beurteilt werden kann, wenn erkennbar wird, wie alle erneut bekräftigten Grundsätze und vereinbarten Maßnahmen durch die einzelnen Teilnehmerstaaten in die Tat umgesetzt werden", so ist das ja, sowohl was die Voraussetzungen betrifft als was die Folgerungen betrifft, rundherum eindeutig. Und so kann man doch nicht mit etwas süffisantem Unterton sagen: Na ja, der Herr Breschnew, für den ist der Herr Brandt der wichtige Mann, weil es ohne den die Verträge nicht gegeben hätte! - Das sagen Sie
bitte auch denen, die hier als Europäischer Rat der Neun diese Feststellung über die historische Rolle unserer Verträge niedergeschrieben haben!
({24})
Nun noch eine Bemerkung zu Ihrer eigenen Vortrefflichkeit, meine Damen und Herren. Da ist hier wiederholt gesagt worden, daß Sie in der Zeit unter CDU-Regierungsführung nie Verträge abgeschlossen hätten mit jener Seite, die die Ursache in sich gehabt hätten - ({25})
- ja, die mehrdeutig waren - Sie helfen mir glücklicherweise -, Verträge, die keinerlei Auslegungsschwierigkeiten zur Folge gehabt hätten. Nun, hier sitzt und eben hat gesprochen der seinerzeitige Außenminister Schröder. Wie war das mit dem Schiffahrts- und Konsularabkommen, als hier der Kollege Birrenbach als Berichterstatter des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten erklärte
- nachzulesen im Plenarprotokoll -, daß uns versichert worden ist, auf Drängen vor allen Dingen der damaligen Opposition im Auswärtigen Ausschuß, daß alle Dinge, Berlin und die Berliner betreffend, geklärt seien und daß es da keine Schwierigkeiten gebe. Kurz darauf stellte sich heraus, daß das alles nicht stimmte? Das, was als Voraussetzung für die Ratifikation und den dazugehörigen Beschluß unseres Deutschen Bundestages zum Schiffahrts- und Konsularabkommen uns dargestellt worden war, amtlich, regierungsamtlich, das war falsch. Ich nehme zur Entlastung der Regierung an, es war ihr - - Schütteln Sie doch nicht Ihr Haupt! Es war vielleicht ein Irrtum.
({26})
Das ist doch nachweisbar. Das ist genauso nachweisbar wie ,die Beteiligung mancher Dienste an manchen unsauberen Geschäften.
({27})
Das ist ein sehr einfacher Fall. Ich habe viele Monate von dem damaligen Staatssekretär Lahr verlangt, er solle sich dafür entschuldigen, daß er damals lapidar gesagt hat, es sei doch wohl nicht zuviel verlangt von den Berlinern, daß sie einen Zettel in ihren Ausweis legen lassen. Damit war die Sache abgetan für die damaligen Herren unter Herrn Schröder und für seine Staatssekretäre. Wir konnten und damit nicht zufriedengeben.
Es gibt doch eine ganze Reihe solcher Fälle, meine Damen und Herren. Nur, hat das denn Sinn, hier darüber herumzureden, indem Sie so tun, als hätten Sie alles immer auf trefflichste und unter Inanspruchnahme aller Fähigkeiten prüfend zustande gebracht? Sie sind vielseitig. Sie sind auf der einen Seite diejenigen, die den in sein Unheil marschierenden Westen glauben warnen zu müssen, von hoher Warte aus. Sie sind zugleich auch der Westen in seiner besten Inkarnation.
({28})
- Ja, ja, das sind Sie auch: in Ihrem eigenen Denken.
({29})
Heute morgen ist ein Zitat gebracht worden, das nicht untergehen, sondern am Schluß noch einmal hervorgehoben werden sollte, wenn auch nicht so pompös, wie es sich wohl eigentlich gehörte. In einem ,der Wochenblätter, die Ihnen zuzuschreiben sind, war von der „Unzuverlässigkeit von Jalta bis Helsinki" die Rede. So schillern Sie.
({30})
- Im „Vorwärts" steht manches Komische. ({31}) Aber so etwas Stumpfsinniges steht selbst dort nicht.
({32})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Strauß.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heute mit der Regierungserklärung des Herrn Bundesaußenministers eingeleitete Debatte über die Abschlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hätte nach ihrem ganzen Verlauf und nach dem Austausch, um nicht zu sagen, der Erschöpfung aller Argumente, deren Subjektivität zum Teil sehr nachhaltig in Erscheinung getreten ist, mit der Rede des damaligen Bundesaußenministers und Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses des Bundestages zu Ende gehen können. Ich weiß aber seit der letzten Minute, daß wir alle, wenn sie so abgelaufen wäre, um ein Erlebnis ärmer in die nächsten Ferienwochen gegangen wären.
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Es gibt die Sage von der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern, nach der die Leichen der Erschlagenen noch im Himmel weitergekämpft hätten. Es gibt das „Ungeheuer von Loch Ness", ,das in besonders schwülen Sommermonaten in den Tagen der „sauren Zitronen" immer wieder in Erscheinung tritt.
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- So wie Herr Wehner gesprochen hat, brauche ich von dem, was ich in Sonthofen in Wirklichkeit gesagt habe, wahrlich nichts zurückzunehmen.
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Wenn Sie noch dazu das Stichwort „Passau" erwähnen, so müssen Sie sich an Ihren Bundesparteivorsitzenden wenden, dem soeben von einem Gericht Fälschung des Textes bestätigt worden ist.
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Aber wir haben trotz der zeitlichen Placierung dieser Debatte in der Mitte der Bundestagsferien keinen Anlaß, diese Aussprache über ein für die Zukunft nicht nur Europas, sondern weitgehend auch der übrigen Welt entscheidendes Thema ins Kabaretthafte oder Dämonische abgleiten zu lassen. Herr Wehner hat allerdings mit Recht wiederum die Gespenster früherer Jahre heraufbeschworen. Es gab eine Dolchstoßlegende nach dem ersten Weltkrieg. Diese Dochstoßlegende habe ich als damals junger Mensch, später als Student der Geschichte und noch später mehr als Mitleidender denn als Mitgestaltender als einen Beitrag zur Vergiftung der deutschen Innenpolitik empfunden, nämlich die Legende von dem im Felde unbesiegten deutschen Heer, dem die verräterische Heimat, u. a. Friedrich Ebert, der damals als Landesverräter bezeichnet wurde, in den Rücken gefallen sei - eine der groben Geschichtsklitterungen, eine der groben Verfälschungen, mit denen das Innenleben der Weimarer Republik bis zur Zerstörung des Konsensus über die demokratischen Gemeinsamkeitswerte vergiftet worden ist.
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Dasselbe aber, Herr Wehner, ist die Dolchstoßlegende nach dem zweiten Weltkrieg, nach der durch die Schuld der CDU/CSU und durch die Schuld der Regierung Adenauer die von der Sowjetunion für die Wiedervereinigung Deutschlands ausgestreckte Hand mutwillig oder überheblich zurückgewiesen worden sei.
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Das ist, auch wenn sie durch den Mund eines Mannes verbreitet worden ist, der später ein hohes Staatsamt bekleidet hat, nichts anderes als eine vergiftende Dolchstoßlegende, mit der die wahren Verantwortlichkeiten und Schuldverhältnisse in den Augen der Zeit und der Nachwelt verwischt werden sollen.
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Wir alle wissen, wie es zum zweiten Weltkrieg kam. Wir wissen, wie er verlaufen ist, und wir wissen, wie er geendet hat. Wir wissen, daß die Besiegten für den verlorenen Krieg, den sie außerdem noch verschuldet haben, zu zahlen haben. Aber es genügt, diesen Krieg einmal zu verlieren; er muß nicht dauernd immer wieder von neuem verloren werden.
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Herr Wehner hat den Ausflug in die Vergangenheit unternommen. Anscheinend ist das ein Alptraum für ihn,
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zu dem es ihn immer wieder hinzieht. Immerhin, es ist durchaus richtig, den historischen, den zeitgeschichtlichen Bezug herzustellen. Aber wenn man bei gründlicher Prüfung der Dokumente, der Reden, der Akten und der Vorgänge, die man selbst miterlebt, mitbeobachtet oder mitgestaltet hat, die Zeitgeschichte verfolgt, gibt es nicht den leisesten Zweifel daran, daß es für die Deutschland- und EuropaStrauß
politik ,der Sowjetunion eine feststehende, seit Kriegsende mit unerhörter Zähigkeit und Beharrlichkeit und mit - nicht zuletzt durch Ihr Verschulden, Herr Brandt - sichtbaren Erfolgen durchgehaltene Konzeption gibt.
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Das ist es ja, worunter wir im Westen leiden. Ich bin nicht Praeceptor Germaniae oder Praeceptor Europae, aber als Parlamentarier, der mit einer hohen Mehrheit gewählt ist, habe ich das Recht, meine Meinung zu sagen.
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Ich würde sie auch sagen, wenn ich allein stünde. Aber ich stehe hier nicht allein, weil alle meine Freunde diese Auffassung teilen,
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und weit darüber hinaus die öffentliche Meinung in unserem Lande, weit darüber hinaus politische und publizistische Kreise im befreundeten Ausland, im uns wohlwollend und neutral gegenüberstehenden Ausland, weil ein Unbehagen im Zusammenhang mit dieser Schlußakte durch Europa geht, ein Unbehagen, das nicht hier von dieser Opposition erfunden worden ist. Die Opposition gibt dem nur Ausdruck, was hier an Sorgen, Beschwerden und Zukunftsbesorgnissen aufzuzählen ist.
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Wenn Sie aber den historischen Bezug herstellen, Herr Wehner, gibt es nicht den leisesten Zweifel daran, daß die Sowjetunion - die Frage Osterreich ist hier nur eine Bestätigung, aber keine Widerlegung meiner Ausführungen - in ihrer Deutschlandpolitik eine von Anfang an festgelegte und mit größter Zähigkeit durchgehaltene Konzeption verfolgt hat.
Wenige Tage nach der Kapitulation Berlins, nach der Einnahme Berlins durch die Rote Armee, ist - sinnigerweise mit einer amerikanischen Leihmaschine, einer DC 3 - Herr Ulbricht eingeflogen worden, um dort in dem von der Sowjetarmee besetzten und in dem später ihnen von den Amerikanern und Engländern noch überlassenem Teil des ehemaligen Reichsgebiets - Mecklenburg, Thüringen und einem großen Teil von Sachsen - die Gesellschaft und den Staat im Sinne sowjetkommunistischer Vorstellungen zwangsweise zu ordnen und zu gestalten.
In den Außenministerkonferenzen nach dem zweiten Weltkrieg hat Herr Molotow drei Forderungen gestellt. An diesen drei Forderungen sind alle Konferenzen der vier Siegermächte über das Thema, Deutschland als Einheit zu behandeln, gescheitert. Ich darf diese drei Forderungen in kurzer Form, stichwortartig, darstellen:
Erstens Reparationen in Höhe von 10 Milliarden Dollar; das war damals kein aktuelles Thema; das kann man hier übergehen. Zweitens die Beteiligung der Sowjetunion an der Kontrolle über Rhein und Ruhr. Drittens die Herstellung gleicher, friedliebender und demokratischer Zustände in den drei westlichen Besatzungszonen wie in der sowjetischen Besatzungszone. Das heißt, an diesen drei Forderungen ist die Einheit der Siegermächte zerbrochen. Warum hat denn damals der amerikanische Außenminister Byrnes im Herbst 1946 die aufsehenerregende Rede in Stuttgart gehalten? Warum ist die Moskauer Außenministerkonferenz vom Jahre 1947 geplatzt? - Weil die Sowjetunion ihre Hand nach dem Rhein-und Ruhrrevier ausstrecken wollte und weil sie darüber hinaus die Änderung von Gesellschaft und Staat in den drei westlichen Besatzungszonen im Sinne einer Gleichschaltung an die in ihrer Besatzungszone in der Zwischenzeit herbeigeführten Verhältnisse als Voraussetzungen verlangt hat.
Wenn man Geschichte zitiert, dann muß man sie genau zitieren, Herr Wehner, und darf nicht wahlweise ein paar Beispiele herausgreifen, die einem für eine vehemente Darstellung des eigenen subjektiven Standpunktes gerade einfallen.
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Sie sind wie ich seit dem 1. September 1949 Abgeordneter in diesem Hohen Hause. Andere Kollegen waren vorher im Parlamentarischen Rat, andere waren vorher im Wirtschaftsrat. Der Wirtschaftsrat war die erste Einrichtung, in der die Menschen zweier Zonen, der amerikanischen und der britischen Zone, zur Lösung aktueller Notprobleme in Form einer parlamentarischen Vertretung zusammenarbeiten durften, die von den Landtagen aufgestellt worden war. Warum kam es überhaupt zur Bildung des Wirtschaftsrats? - Weil die beiden Westmächte der Tatsache gegenüberstanden, daß sich die Sowjetunion weigerte, einen Beschluß der Potsdamer Konferenz, Deutschland als politische und wirtschaftliche Einheit zu behandeln, ihrerseits auch tatsächlich einzuhalten. Denn als Molotow an diesen Beschluß der Potsdamer Konferenz erinnert wurde, stellte er die von mir vorhin genannten drei Bedingungen auf: Deutschland wird nur als wirtschaftliche und politische Einheit behandelt, wenn diese drei Forderungen - Reparationen, worüber man reden kann, Beteiligung der Sowjetunion an der Kontrolle über Rhein und Ruhr und die Änderung von Staat und Gesellschaft im Sinne volksfrontartiger Verhältnisse auch in den drei westlichen Besatzungszonen - erfüllt werden. Weil der Westen hier, auch im wohlverstandenen Interesse des deutschen Volkes, selbstverständlich auch unter egoistischer Wahrung seiner eigenen Interessen - das ist ja sein gutes Recht -, nein gesagt hat, daraus ist die Teilung erwachsen, sind die Probleme entstanden, mit denen wir heute noch ringen und die mit Ihrer Politik immer unlösbarer werden, so schwer sie ohnehin gewesen sind.
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Dazu eine weitere Bemerkung: Sie haben, Herr Wehner, einen merkwürdigen Mut, aber das haben wir ja bei Ihnen schon mehrfach festgestellt. Wenn Sie an die außen- und deutschlandpolitischen Vorstellungen der SPD in den 50er Jahren anknüpfen und deren Ablehnung durch uns heute zum Gegenstand eines reichlich vehementen, um nicht zu sagen: demagogischen Auftritts machen, so muß ich fragen: Hätten wir denn, Herr Wehner, den Eintritt in die NATO ablehnen sollen?! Sie haben doch später sel12864
ber die NATO als Rahmen und Grundlage unserer Sicherheits- und Außenpolitik bezeichnet. Ich habe Sie einmal einen Wanderer zwischen zwei Welten genannt; da waren Sie sehr beleidigt. Aber mit diesen Ausführungen heute sind Sie wieder zur Vorstellungswelt der SPD der 50er Jahre zurückgekehrt.
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Hätten wir den Deutschlandplan der SPD mit seiner Konföderation unter gleichgewichtiger Besetzung aller Organe annehmen sollen und damit jede Möglichkeit einer westeuropäischen Einheit, jede Möglichkeit einer atlantischen Allianz von Grund auf zerstören sollen? Das war doch damals Ihre Außenpolitik! Sie haben sich doch uns erst später angeschlossen. Daß Sie sich heute auf Verbündete berufen können - ich sage es nur als Fußnote -, verdanken Sie denen, die diese Verbündeten damals gewonnen haben,
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als Sie noch gegen jede Art von Verbündeten gewesen sind.
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Wer hatte denn diese verschrobenen Vorstellungen, daß die Deutschen - obendrein in vier Besatzungszonen geteilt - mit einer Demarkationslinie
- Eiserner Vorhang - quer durch ihr verkleinertes Land ihre Politik allein, neutral zwischen Ost und West, gestalten könnten? Doch nicht wir! Wir haben die erste große Reform - ({18})
- Sie müssen ausgerechnet von Verleumdung reden!
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Wir haben die größte Reform in der deutschen Geschichte auf außenpolitischem Gebiet durchgeführt, indem nicht nur im Grundgesetz, sondern dann auch in der politischen Praxis der Ersatz der nationalstaatlichen Idee durch eine übergreifende europäische Ordnungsidee von uns zur Leitschnur unseres Handelns gemacht worden ist.
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Ich werde es - ganz gleich, wie lange ich noch diesem Hause angehöre - leider wohl nicht mehr erleben, daß man endlich mit dem Unfug aufhört, die sowjetischen Noten der Jahre 1952 und 1954 als ein reales Angebot über die Wiedervereinigung unseres Landes auf der Grundlage freier Wahlen zu betrachten.
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Darüber ist hier schon sehr viel gesprochen worden; ich möchte es nicht mehr wiederholen. Aber diese Scheinangebote sind jedesmal erfolgt, wenn wir in der Bundesrepublik nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen - siehe gesamtdeutsche Wahlen unter UNO-Kontrolle - ein weiteres Stück Anschluß und Verbindung mit dem Westen gesucht haben. Um den Westen gegen uns mit Mißtrauen zu erfüllen, uns durch köderhafte Angebote von
konkreten politischen Entscheidungen abzuhalten, sind diese Noten gekommen, meistens nicht einmal an uns, sondern an die Westmächte,
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und sie sind dann wieder zurückgezogen worden.
Warum reden Sie denn nicht davon, daß in der Genfer Konferenz -- es gibt ja einen Geist von Genf - vom Jahre 1955 bei der Zusammenkunft der vier Großen - das war die letzte Gipfelkonferenz dieser Art - diese vier zusammen - ich habe den Wortlaut jetzt nicht hier, aber Sie kennen doch den Inhalt den Beschluß gefaßt haben, Deutschland auf der Grundlage freier Wahlen im Einklang mit seinen nationalen Interessen wiederzuvereinigen? Herr Bulganin und Herr Chruschtschow sind es meiner Erinnerung nach gewesen. Auf dem Heimweg sind sie über Berlin gefahren und haben die aufgebrachten und beunruhigten Machthaber in Ost-Berlin, Ulbricht und Konsorten, beruhigt, sie sollten sich ja nicht etwa beunruhigt fühlen, ja nicht verunsichert fühlen, sie würden diesen Beschluß schon so auslegen, daß ihrem Kind - der DDR, die ja bei freien Wahlen wie ein Kartenhaus eingefallen wäre -,
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nichts geschehen würde.
Und im Herbst hat Herr Molotow, als er an diesen Beschluß erinnert wurde, gesagt „Ne Ponimaju nitschewo" - ich verstehe nichts. Da war es aus damit. Darum sind wir an Mogeletiketten nicht mehr interessiert.
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Natürlich - und das ist die Schwierigkeit der Opposition, der CDU/CSU, dessen sind wir uns wohl bewußt - entwickelt die Verpackung einer Konferenz, die unter ganz anderen Vorzeichen konzipiert worden ist, die mit Fernzielen geplant worden ist, unter dem Titel „Sicherheit und Zusammenarbeit" von vornherein eine propagandistische, psychologische, verführerische Werbekraft. Würde man z. B. eine Konferenz zur Vermehrung der Krankheit, zur Ausdehnung des Hungers und zur Herbeiführung eines Krieges veranstalten, sie aber gegenteilig benennen, so würde man immer noch eine gewisse Werbewirkung am Anfang erzielen. Mich interessiert der Titel „Sicherheit und Zusammenarbeit" überhaupt nicht, denn wir verstehen unter Sicherheit Sicherheit und nicht Anerkennung durch gewalttätige Aktionen geschaffener Besitzstände.
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Wenn wenigstens in diesen Schlußakten wirklich etwas über Sicherheit enthalten wäre! Es geht doch hier nur darum, daß das im Jahre 1945 begonnene, in den 20 Jahren der CDU/CSU-Regierung - einschließlich einer SPD-Beteiligung in den letzten drei Jahren - von uns durchgehaltene, von der Sowjetunion bekämpfte politische Programm der Nichtanerkennung zweier deutscher Staaten endlich aufgegeben werden soll.
Sie haben in der SPD nach den Vorverhandlungen mit den Kommunisten Italiens, die hinter unserem Rücken in diesen Jahren 1968/69 geführt worden
sind, die Büchse der Pandora geöffnet. Sie haben den Weg für die Durchsetzung imperialer strategischer Ziele der Sowjetunion freigemacht.
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Es ist doch nicht so, daß die Konferenzpartner unter den Methoden und den Zielen der Konferenz etwas Gleichartiges verstanden haben. Das ist heute schon so oft gesagt worden, daß es nicht mehr wiederholt zu werden braucht. Wir, die neun Mächte der EG, die zwei nordamerikanischen Staaten, die demokratischen Staaten Europas, verstehen unter Sicherheit und Zusammenarbeit etwas ganz anderes, als die strategischen Planer des Kreml darunter verstehen. Es ist zwar heute unpopulär und vielleicht sogar gefährlich, so etwas zu sagen, aber es muß in einem freien Parlament noch gesagt werden dürfen, auch gegenüber psychologischem oder akustischem Terror oder publizistischer Verfolgung, der man dann ausgesetzt ist.
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Diese KSZE und ihre Schlußakte sind gleichzeitig Ende einer politischen Entwicklung und werden Auftakt für eine neue, aber in der gleichen Richtung weiter geplante politische Entwicklung werden.
Ich verkenne nicht, Herr Bundeskanzler, Herr Bundesaußenminister, daß aus dem sowjetischen Plan - europäische Sicherheitskonferenz und europäisches Sicherheitssystem in der KSZE - nichts geworden ist. Das habe ich nie bestritten. Die Sowjets haben mit ihren Ideen einer europäischen Sicherheitskonferenz und eines europäischen kollektiven Sicherheitssystems sozusagen den Gesamtplan auf den Tisch gelegt. Wenn man sich heute fragt, wie diese KSZE einzuordnen ist, so bedeutet sie nicht die Erfüllung des Gesamtplanes, nicht zuletzt dank dem Zusammenhalt der neun EG-Mächte, mit gewissen Verdiensten der Bundesregierung - ich sage das auch öffentlich, nicht nur hier -, und nicht zuletzt auch dank dem Verhalten der beiden nordamerikanischen Partner. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, in welche Richtung der Weg führt, der mit dieser KSZE um ein Stück verlängert worden ist. „Ein Schritt auf dem richtigen Wege." Aber für wen ein Schritt auf dem richtigen Wege?
Man soll doch mit dem Aberglauben aufhören, daß die Sowjetunion, mit der wir gute Zusammenarbeit wünschen, aber auf der Basis ehrlicher, klarer, durchsichtiger Formulierungen und nicht doppeldeutiger Phraseologien, etwa die Verfolgung ihrer machtpolitischen Ziele imperialer Expansion und weltrevolutionärer Durchsetzung nunmehr aufgegeben habe. Diese KSZE ist in unseren Augen ein Instrument des Friedens, der Sicherheit, der Zusammenarbeit - oder soll es jedenfalls sein -, in den Augen der Sowjetunion ist es ein Stück Ringen um die Macht in Europa als dem vorrangigen Ziele, das wir nun einmal auf Grund unseres wirtschaftlichen Potentials und unserer geographischen Lage darstellen.
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- Ich möchte Ihnen darauf antworten. Es ist schon
einige Zeit her, und vielleicht haben Sie nicht mehr persönlich in Erinnerung, was weder Ihre Schuld noch ein Verdienst ist, daß wir - die Gruppe kann man nicht genau definieren, es gab solche im Inland und im Ausland - am 1. Oktober 1938 in dem allgemeinen Freudentaumel in der Welt über das Münchner Abkommen tief deprimiert, tief erschüttert und tief verzagt waren. Wer damals das Münchner Abkommen abgelehnt hat, wer damals den Mut hatte, als Alleingänger - wie es einige Parlamentarier in europäischen Parlamenten, in England und Frankreich gab - das Münchner Abkommen nicht als ein Werk des Friedens, sondern als ein Instrument der Hitlerschen Machtpolitik zu bezeichnen, der stand damals genauso allein, wie wir heute dastehen.
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Wer damals zum Münchner Abkommen nein sagte, war im günstigsten Fall noch ein Querulant, das war ein Störenfried, das war ein Feind der Entspannung, das war ein Kriegshetzer. Man sprach vom hundertjährigen Frieden, der in Europa gesichert sei. Meine Damen und Herren, ich denke nicht in den Kategorien, daß die KSZE etwa ein Büchsenöffner für den dritten Weltkrieg sei. So primitiv beurteilen mich höchstens die, die es sind und mich nicht kennen.
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Die KSZE ist nicht der Büchsenöffner zum dritten Weltkrieg, aber die KSZE und ihre Schlußakte helfen, einen Vorhang über die wirklichen Veränderungen der Sicherheitslage in der Welt zu ziehen,
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ein trügerisches Gefühl zu vermitteln, das eines Tages zu einem bösen Erwachen führen wird.
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In einem Zeitalter, in dem es für Nachrichtentechnik, Verkehrstechnik und Zerstörungstechnik - im Blick auf die Zerstörungstechnik kann man nur sagen: Gott sei's geklagt - leider keine Grenzen mehr gibt, was unübersehbare psychologische und politische Folgen hat, gibt es eine spezifische europäische Sicherheit nicht mehr. Wohl ist eines richtig, nämlich daß - darüber streiten wir uns doch nicht - vom Boden Europas aus kein weiterer Krieg, weder ein Weltkrieg noch überhaupt ein Krieg, mehr hervorgehen darf. Dafür haben wir ja gearbeitet. Das ist ja der Sinn der europäischen Einigung. Das war ja die Zielsetzung der atlantischen Allianz. Es war doch unsere Arbeit im Rahmen dieser beiden großen Organisationen, den Frieden in Europa mit handfesten und zuverlässigen Methoden und nicht mit doppeldeutigen Formulierungen und bunt schillernden Lampions der Zukunftsverheißung zu sichern.
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Wenn wir heute die Sicherheitslage in der Welt beurteilen, dürfen wir doch nicht die Augen vor einigen Tatsachen verschließen. Herr Carstens hat dies heute schon gesagt. Wir dürfen doch nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß der Friede über eine große Zahl von Jahren hinweg in Europa selbst am allerwenigsten - mit und ohne KSZE - gefährdet war. Die Sowjetunion verfolgt
ihre Ziele jetzt mit anderen Mitteln, allerdings bleibt die Zielsetzung die gleiche; siehe die neue Strategie des Herrn Ponomarew. Der Friede ist woanders gefährdet, und dort vollziehen sich die Verschiebungen im Machtgleichgewicht der Welt, aber alle in einer Richtung. Am Ende werden die Europäer merken, daß sie den Zug der Geschichte versäumt haben. Sie können ihn nur einholen, wenn sie sich politisch und militärisch innerhalb ganz weniger Jahre einigen. Nur dann werden sie in den Fragen, die über ihr Leben entscheiden werden, am Ende dieses Jahrhunderts noch etwas mitzureden haben.
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Ich nehme zu dem Streit zwischen Israel auf der einen Seite und den arabischen Ländern auf der anderen Seite nicht Stellung. Ein doppelzüngiges Verhalten habe ich allerdings nie für richtig gehalten. Daß dieser Streit, in dem bekanntlich nie eine Partei allein recht hat, die Europäer an ihrer Südflanke aber immer an die Grenze eines heißen Krieges bringt, der wie ein Funke auf sie überspringen kann, ist doch in erster Linie den jahrelangen riesigen Rüstungslieferungen der Sowjetunion in diese Zone zuzuschreiben.
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Wenn die Arbeit in Genf so gut gewesen wäre wie die auf dem Wiener Kongreß, hätte man in Genf genauso tanzen dürfen, wie man es beim Wiener Kongreß getan hat. Damals kam wenigstens noch ein handfestes Werk von Diplomaten heraus.
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- Ja, beim Wiener Kongreß war das so. Ich gebe Ihnen gern Nachhilfeunterricht, aber dafür ist dieses Gremium hier zu kostbar.
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Während die Diplomaten in Genf Tonnen von Papier beschrieben, Hunderte von Redestunden verbracht haben - man kann allerdings sagen, daß die Menge der Papiere in umgekehrtem Verhältnis zum wirklichen Ergebnis dieser Konferenz im Sinne der in der Überschrift ausgewiesenen Ziele steht - ({38})
- Sie müssen mit dem Kopf denken und nicht mit dem Kehlkopf!
({39})
Während die Diplomaten in Genf Tonnen von Papier beschrieben haben, hat doch einer der Hauptpartner in Genf, der an dem Abschluß dieser Konferenz und auch an einer zeitlichen Festlegung noch vor dem 1. August ein geradezu dramatisches Interesse bewiesen hat, an einer Reihe von Krisenherden der Weltpolitik durch sein Verhalten Veränderungen der bestehenden Machtverhältnisse, eine Verschärfung der Kriegsgefahr und nicht zuletzt auch blutige Auseinandersetzungen herbeigeführt. Ich rede einmal vom Nahen Osten. Die Problematik ist Ihnen bekannt. Wie steht es denn in Vietnam? In Vietnam hat sich in diesem Jahre ein ungeheures Drama zugetragen. Ich hatte über die amerikanische Vietnampolitik immer meine eigene Meinung. Ich weiß, daß ich da eine allergische Nervenkonzentration der SPD treffe, denn Herr Leber kann zwar seine Meinung über Vietnam in der FAZ veröffentlichen, weil sie ein liberales Blatt ist, im „Vorwärts" käme er damit nicht zu Wort.
({40})
Ich möchte hier auch nicht ironisch die Äußerungen des Bundeskanzlers, der damals als Praeceptor Americae in den USA eine dramatische Rede gehalten und die Amerikaner abgekanzelt hat, wie sie sich in Vietnam richtig verhalten sollten, noch einmal in ,die Erinnerung zurückrufen. Daß aber der Zusammenbruch der amerikanischen Machtposition einerseits und andererseits dieses ungeheure Elend mit seinen blutigen Massakern von unübersehbarem Ausmaß überhaupt hat stattfinden können, das ist die Handschrift der Sowjetunion und die Folge ihrer Waffenlieferungen in diese Gebiete zur gleichen Zeit, wo in Genf verhandelt worden ist. Hier hat sich doch auf der Welt eine Verschiebung der Machtverhältnisse zugetragen, die wir Europäer mit unserem oft kontinental beschränkten Blick in ihrer Dramatik leider nicht voll wahrzunehmen vermögen oder nur schwer wahrnehmen können.
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- Ja, man kann mit Leuten nur über Literatur reden, wenn sie das Alphabet beherrschen. Das ist meine Schwierigkeit Ihnen gegenüber.
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Ich darf aus einem im Juni dieses Jahres in der „Neuen Zürcher Zeitung" erschienenen Artikel wenige Sätze zitieren. Da heißt es:
Auf Glückwünsche aus Moskau antwortend, haben die nordvietnamesischen Staatsmänner . . .
- hier sind die Namen aufgeführt erklärt, der kommunistische Sieg in Südvietnam sei nicht zu trennen von der gewaltigen Hilfe und Unterstützung durch die kommunistische Partei, die Regierung und das Volk der Sowjetunion sowie andere sozialistische Staaten. Diese nominellen Machthaber im Süden zeigen sich überzeugt, daß der Kreml auch in Zukunft mit Hilfe und Rückhalt fortfahren werde.
Das hat doch erst begonnen. Wie steht es denn mit Laos und Kambodscha? Wie wird es mit Thailand kommen, mit Burma? Was wird die Zukunft Koreas sein? Ist auch dort die Lösung im Sinne von Vietnam in absehbarer Zukunft zu erwarten? So, wie sich die Machtverhältnisse in der anderen Hemisphäre der Welt verschieben, so verändert sich auch die Sicherheitslage der Europäer. Wir müssen ja blind sein, wenn wir an dieses Gespinst von Sicherheitsphrasen glauben und nicht sehen, wie sich die Weltlage in diesen letzten Monaten in dramatischer Weise verändert und verschlechtert hat.
({43})
Über Portugal ist heute mit Recht viel gesprochen worden, anscheinend weniger in Genf. Herr Kollege Carstens hat schon auf einen Vorgang hingewiesen, dessen Dramatik und Bedeutung richtig einzuschätzen man sich hier schwertut, und das sind die Vorgänge in Angola. Man kann sagen: Was geht uns Europäer Angola an? Angola ist nicht nur ein großes afrikanisches Land mit ungeheuren RohstoffvorStrauß
räten. Es hat 1 000 Kilometer Küste am Atlantischen Ozean. Die Frage, wer dieses Land in Zukunft haben wird, ob es eine freie Entwicklung der afrikanischen Freiheitsbewegungen geben wird
({44})
oder ob es zum Sieg einer von Moskau gesteuerten und von dort mit Waffen und Munition versorgten Freiheitsbewegung kommt, wird für unsere Sicherheit in Europa bedeutsamer sein als all das, was in Genf geschrieben und gesagt worden ist.
({45})
Bei mir ist vor einigen Tagen der Führer einer Freiheitsbewegung gewesen, von dem man - ({46})
- Lachen Sie doch nicht! Das ist doch wirklich unter dem Niveau dieses Hauses, mit so dämlichen Zwischenrufen ein ernstes Thema gebührend würdigen zu wollen.
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Sie kennen den Namen. Ich habe die Informationen bekommen, die notwendig waren, um die Entwicklung dort einigermaßen zutreffend beurteilen zu können.
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Sicherlich gibt es bei Ihnen auch eine Reihe von solchen, die darüber informiert sind.
Von den drei schwarzen Freiheitsbewegungen ist eine, die MPLA unter der Führung von Neto, Sitz in Brazzaville, Kongo, diejenige, die im Bunde mit den heutigen kommunistischen Machthabern in Lissabon, auch mit Herrn Gonçalves und der Rolle, die er wirklich spielt, und im Bunde mit der Sowjetunion bis zum 11. November dieses Jahres, wenn die portugiesischen Truppen abziehen, das fait accompli einer moskauhörigen afrikanischen Kolonie schaffen wollen. Mir sagte der Vorsitzende dieser Freiheitsbewegung, mit dem einer Ihrer führenden Politiker gut bekannt bis befreundet ist, mit Tränen in den Augen: „Ich habe nicht 15 Jahre gegen die Kolonialherrschaft der Portugiesen gekämpft, um jetzt in einem blutigen Bürgerkrieg hinnehmen zu müssen, daß aus diesem Lande eine sowjetrussische Kolonie wird." Das sind die Vorgänge, wie sie sich dort vollziehen.
Und was wird mit der Zukunft Jugoslawiens, wenn dort die Führung dieses Staates aus den heutigen Händen abgegeben werden muß? Das sind, um nur Stichworte zu nennen, die wirklichen Fragen der europäischen Sicherheit und nicht diese Aneinanderreihung.
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- Sie würden nicht so laut schreien, wenn Sie a) etwas davon verstünden und b) kein schlechtes Gewissen hätten.
({50})
Sie können mich ruhig mit dem Namen Mao anrufen. Ich habe, wie Sie mir ja immer kritisch vorgehalten haben, seit Jahren die Auffassung vertreten, daß eine sämtliche Zusammenhänge der Weltpolitik erfassende deutsche Politik, die nur in bestimmtem Rahmen - europäischem Rahmen, atlantischem Rahmen - unter Berücksichtigung unserer
geographischen Mittelstellung konzipiert sein kann, nicht in Moskau aufhören darf, sondern auch die Volksrepublik China einschließen muß.
({51})
Diese Meinung habe ich immer vertreten. Wenn die Breschnew-Pilger sich ausgerechnet darüber mokieren, daß Politiker der CDU und CSU sich mit dem Nachbarn der Sowjetunion unterhalten, so ist das entweder Ignoranz in höchster Stufe oder Heuchelei in vollkommenster Perfektion.
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Natürlich interessiert uns die Frage, welche Politik und welche politischen Vorstellungen eine Großmacht hat, die über 800 Millionen Menschen und einen riesigen Raum verfügt und die der östliche Nachbar unserer östlichen Nachbarn ist. Sich darum nicht zu kümmern, wäre doch kurzsichtigste Verblendung. Das heißt noch lange nicht, daß man deshalb ideologische Gemeinsamkeiten hat.
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Von mir wird die chinesische Presse nicht schreiben, daß ich „in die Entspannungsstrategie Pekings einbezogen" worden bin, wie es Herrn Brandt mit Breschnew jüngst in seinem Parteiorgan „Vorwärts" geschehen ist.
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Und wenn ich an Ihre Rolle in Moskau denke, an das Angebot einer außenpolitischen Zusammenarbeit zwischen der KPdSU und der SPD, dann muß ich fragen: Was muß denn eigentlich noch passieren, bis man erkennt, daß diese SPD sich grundlegend gewandelt hat, bis man erkennt, daß sie hier das sowjetische taktische Instrument einer Verbrüderung mit gewissen sozialistischen Parteien, bis diese überflüssig werden - ({55})
Wie war es denn in Portugal?
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Welche Rolle hat denn dort Herr Soares gespielt, bis er auf einmal merkte, wohin die Reise ging, und hat er nicht noch am Tage vor den italienischen Wahlen in Italien zur Unterstützung der Volksfrontpolitik erklärt, daß die italienischen Kommunisten nicht so gefährlich seien wie die portugiesischen Kommunisten?
Herr Brandt, Sie werden nicht nach Ihren Absichten beurteilt - ob ich diese richtig kenne, weiß ich nicht -; Sie werden nach der Rolle beurteilt, die Sie in Wirklichkeit spielen, und den Ergebnissen, die mit dieser Rolle verbunden sind.
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- Ich weiß, Sie vertragen die Wahrheit nicht. Sie reden dann von „Hetze".
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Ich bin das von Versammlungen gewohnt, wo Ihre Hilfstruppen operieren.
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Aber immerhin, im „Vorwärts" stand über Ihre Moskau-Reise, Herr Brandt:
Die Sozialdemokraten werden damit in die Koexistenzpolitik des Kreml mit einbezogen, um eine möglichst breite Basis in Europa zu schaffen und um das kommunistisch-sozialdemokratische Lager gegenüber China zu festigen.
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In bezug auf die SPD hofft der Kreml wohl außerdem, sie durch ihren Vorsitzenden Willy Brandt als Motor in der Ostpolitik benutzen zu können.
Sie sagen mit Recht: Das ist die Darstellung des Kremls, was habe ich damit zu tun? Wenn aber der Kreml diese Darstellung geben kann, müssen Sie durch Ihre Politik und Ihre Verhaltensweisen und Ihre Geheimabsprachen zu dieser Sprachregelung Anlaß geboten haben.
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Und es hieß ja doch in der gleichen Zeitung:
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Die Union versichert zwar, sie wolle die Verträge achten, doch nur in der Auslegung des Verfassungsgerichtsurteils zum Grundvertrag und der schrecklichen Bundestagsresolution vom Frühjahr 1972.
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Sehen Sie, das ist doch der Verbalschwindel, den wir mit unserem Nein bekämpft haben und auch jetzt bekämpfen!
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Sie haben doch erklärt, die Anrufung des Verfassungsgerichts sei überflüssig, denn Sie würden das Urteil und seine Begründung als Grundlage Ihrer Politik betrachten. Einer Ihrer Jubelredner, Herr Brandt - wir kennen ihn vom Fernsehen -, Herr Peter Bender, schreibt doch hier, daß das Urteil des Verfassungsgerichts und die „schreckliche Bundestagsresolution" die Verträge praktisch aufheben würden. Und genau dasselbe Spiel, genau dasselbe Doppelspiel begegnet uns wieder in der Auslegung der Formulierungen der KSZE.
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Sie, Herr Wehner, haben hier in einer gekonnten, Weise mit einer gut zurechtgemachten Erregung darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung ja auch bei früheren Verträgen Auslegungsschwierigkeiten nicht habe vermeiden können. Auslegungsschwierigkeiten bei Verträgen, Fehlbeurteilungen durch Politiker und Beamte wird es immer geben. Man wird sogar bei Verträgen mit Verbündeten oder mit einem Staat, dessen Gesellschaftsordnung mit der unseren in ihrer liberalen Gesamtstruktur übereinstimmt, immer wieder Auslegungsschwierigkeiten haben; ich habe in meiner Amtspraxis unzählige Fälle dieser Art erlebt.
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Das ist aber nicht das Thema!
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Das Thema ist, ob der Dissens, die Doppeldeutung, die gegensätzliche Auslegung schon als Mittel der Vertragsformulierung vorsätzlich auf beiden Seiten benutzt wird.
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Sie werden fragen: Wie kommen Sie denn zu diesen Verleumdungen? Aber wir haben doch vor dem Moskauer Vertrag, vor dem Warschauer Vertrag, vor dem Grundlagenvertrag und auch jetzt vor dem Abschluß der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa den Anschauungsunterricht erlebt, daß man einerseits sagte, diese Verträge seinen keine völkerrechtliche Anerkennung eines zweiten deutschen Staates, aber gleichzeitig eine Politik getrieben hat, die zu einer völkerrechtlichen Anerkennung durch alle Staaten der Welt mit Ausnahme der Bundesrepublik geführt hat. Wenn Sie von Isolierung reden, könnte ich Ihnen sagen: Sie haben sich selbst isoliert; der einzige Staat, der die DDR völkerrechtlich nicht anerkannt hat - Gott sei Dank, wir sind ja nicht für die Anerkennung -, ist jetzt die Bundesrepublik Deutschland. Daß aber der Rest der Welt sie anerkannt hat, ist das Verdienst Ihrer Politik.
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In Moskau hat man doch von vornherein erklärt, was man unter diesen Verträgen versteht. Es ist doch nicht so, daß Sie etwa nach dem Vertragsabschluß auf einmal überrascht, harmlos, edelmütig darauf hingewiesen worden wären, wie arglistig die Formulierungen anders ausgelegt werden können. Nein, das haben Sie gewollt und von Anfang an in Ihre Formulierungsüberlegungen einbezogen, um zu einem trügerischen Abschluß zu kommen.
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Das ist es, was wir meinen, wenn wir hier in unserer Entschließung von „neuem Konfliktstoff" reden. Sie leben doch auch hier auf Pump, genauso wie Sie in Ihrer Staatswirtschaft mehr und mehr auf Pump leben.
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Ich habe aus der Fülle der gegebenen Probleme nur einige herausgreifen können. Fehlentwicklungen in der Innenpolitik - über die wir bei anderer Gelegenheit oft geredet haben und noch zu reden haben werden, nicht zuletzt im Zusammenhang mit den finanziellen und wirtschaftlichen Problemen - können, wenn auch unter großen Opfern, Entbehrungen, Einschränkungen und Anstrengungen, im allgemeinen wieder in Ordnung gebracht werden. Fehlentwicklungen in der Außenpolitik erhalten eine Eigengesetzlichkeit, so daß der Urheber nicht mehr in der Lage ist, die tatsächliche Entwicklung unter Kontrolle zu behalten. Wir wissen natürlich, Herr Wehner, daß wir Ihnen etwas zumuten, was Sie nicht tun können - oder: Herr Bundeskanzler -, wenn wir Sie auffordern, diese Dokumente nicht zu unterzeichnen.
Sie ziehen damit nur die Konsequenzen aus einer Fehlentwicklung, die Sie eingeleitet haben und der Sie jetzt nicht entrinnen können. Wer A sagt, muß auch B sagen, und wie das Z aussehen wird, wenn auf diesem Wege weitergeschritten würde, das können wir uns vorstellen. Und dazu ist diese Opposition ja da; nicht, um als Zustimmungsverein in holder trauter Gemeinsamkeit mit allen anderen oder auch mit unseren Partnern und neutralen Nachbarn in Gemeinsamkeit den falschen Weg zu gehen. Sicherlich ist es gut gewesen, daß die Neun der EG zusammengehalten haben. Aber Gemeinsamkeit allein ist doch noch nicht ein politischer Erfolg. Wenn die Truppe den Marsch ohne Ausfälle überstanden hat, muß man nachher fragen, ob der Marsch notwendig war und ob er in die richtige Richtung unternommen worden ist. Dieser Marsch ist nicht in die richtige Richtung unternommen worden.
({72})
Sie würden dann sagen: „Sie wollten überhaupt keine Verträge." O doch! Man kann sich in der Politik die Hände nicht aussuchen, die man schütteln muß. Man kann sich die Partner nicht aussuchen. Es ist einfach eine Fabel oder eine Lüge, zu behaupten, daß CDU und CSU keine Verhandlungen mit kommunistischen Mächten wollten und zu Vertragsabschlüssen mit Ihnen nicht bereit seien. Das wird draußen im Lande immer wieder zur Irreführung der .öffentlichen Meinung behauptet. Erstens sind solche Verträge zustande gekommen; ich brauche sie hier nicht aufzuzählen. Zweitens wird jede CDU/CSU-Regierung zu solchen Verhandlungen und zum Abschluß von Verträgen bereit und imstande sein. Auch darüber gibt es nicht den leisesten Zweifel. Wir leben doch auf dieser Welt. Wir sind doch keine Träumer. Wir geben uns doch keinen Illusionen hin. Wir können doch den Partner richtig einschätzen.
({73})
Wenn Herr Schmidt die Frage stellt: „Was würden Sie auf dem Rheindampfer am nächsten Sonntag bei dieser KSZE-Vorfeier dem Herrn Ford und dem Herrn Wilson und dem Herrn Giscard d'Estaing denn sagen, wenn Sie an unserer Stelle wären?" - Nun, aus d e m Anlaß wären die nie zu uns gekommen, wenn wir an der Regierung geblieben wären.
({74})
Aber natürlich hätte das andere Verhandlungsmethoden, hätte das Klarheit über die Ziele der anderen Seite und hätte das dieselbe eisenharte Zähigkeit erfordert, mit der die Sowjetunion um die Durchsetzung ihrer politischen Ziele in Europa kämpft.
Immer wieder hören wir, wir seien Schwarzseher, wir unterrichteten das Volk falsch, wiegelten es auf, wir beurteilten den Partner falsch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, strapazieren Sie Ihre Phantasie so ehrlich, wie man in der Lage ist, es zu tun. Wenn Ihnen im Jahre 1949/50, als die Politik der Bundesregierung und der Bundesrepublik begann, jemand gesagt hätte, daß die damals erhobenen Forderungen der Sowjetunion auf völkerrechtliche Anerkennung der DDR, auf Durchsetzung ihres Besitzstandes mit internationaler Verbriefung eines Tages, und zwar durch die deutsche Sozialdemokratie, ermöglicht würden, - Sie hätten damals, wenn ein Unionspolitiker das behauptet hätte, ihn als Verleumder und als Demagogen und als Lügner bezeichnet. Und heute ist es soweit.
({75})
Wir sagen nicht nein zu diesem oder jenem Inhalt der Dokumente; wir sagen zu der Systematik, zu der Konzeption, zu der eingebauten Konsequenz dieses Vertragswerks nein, weil mit derselben Sicherheit, mit der in 25 Jahren die Sowjetunion ein Ziel erreicht hat, das damals, vor 25 Jahren, utopisch schien, sie die nächste Etappe erreichen wird. Und die nächste Etappe beginnt nach der KSZE, mit der Tagung der europäischen kommunistischen Parteien, mit der Tagung der KPdSU, mit der anschließenden Tagung der weltkommunistischen Parteien. Dann wird die nächste strategische Etappe abgesteckt. Und da wären allerdings eine Bundesregierung und ihre parlamentarische Mehrheit sehr gut beraten, wenn sie der Opposition ihr Nein honorieren würden. Denn dieses Nein ist für Sie, so lange Sie an der Regierung sind ({76})
Gott sei es geklagt! -, wertvoller als das ganze entspannungspolitische Gerede, mit dem Sie nur das Volk getäuscht,
({77})
die andere Seite ermutigt und die Bundesgenossen auf die falsche Bahn gebracht haben.
({78})
Meine Damen und Herren! Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß am Ende der Beratung zwei namentliche Abstimmungen durchgeführt werden.
Das Wort als vorläufig letzter Redner hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte ist es geboten, noch einmal die Argumente zu werten, die hier vorgebracht worden sind. Herr Kollege Mertes hat gesagt, es gehe um einen Streit über den Weg und nicht über die Ziele. Ich muß namens der Bundesregierung feststellen: Die Opposition hat uns mitgeteilt, daß unser Weg untauglich sei, aber sie hat es versäumt, zu zeigen, welchen Weg sie beschreiten würde.
({0})
Sie meine Damen und Herren, haben uns beschuldigt, die Interessen der Nation nicht wahrgenommen zu haben, aber Sie haben nicht gesagt, auf welchem Wege Sie die Not der geteilten Nation lindern wollen. Diese Antwort sind Sie schuldig geblieben.
({1})
Herr Kollege Strauß hat gesagt, wenn die Union jetzt regierte, stünde jedenfalls eines fest: Dann würden die Gäste, die wir in diesen Tagen in der Bundesrepublik Deutschland haben, aus diesem Grunde nicht kommen. Ich fürchte, meine Damen und Herren, wenn wir heute Ihrem Votum folgten und in Helsinki nicht unterzeichneten, wären wir bald so isoliert, daß sie gar nicht mehr zu uns kommen würden.
({2})
Ich will der Versuchung widerstehen, nach einmal in den Streit über die Entwicklung in den 50er Jahren einzutreten. Ich meine nur, meine Damen und Herren: Bei ernster Würdigung der Entwicklung sollten wir uns in einem Punkte einig sein: Die Zeit bis zum Bau der Mauer, dem schrecklichsten Einschnitt in der Geschichte unseres Volkes, hat nicht für, sondern gegen uns gearbeitet. Das ist eine historische Tatsache.
({3})
Erlauben Sie mir nun, daß ich mich mit den Argumenten auseinandersetze, die die Opposition zur Begründung ihrer Auffassung vorgebracht hat.
Erstens. Sie hat gemeint, wir hätten die deutschen Interessen nicht wahrgenommen. Was mußten die deutschen Interessen sein, die wir wahrzunehmen hatten? Die Offenhaltung der deutschen Frage. Und niemand, meine Damen und Herren, wird bestreiten, daß mit der Aufnahme der friedlichen Veränderbarkeit der Grenzen die deutsche Frage nicht nur einseitig offengehalten ist, sondern daß dafür erstmalig die Unterschrift aller europäischen Staaten erreicht werden wird. Ich halte das für einen Erfolg.
({4})
Zweitens. Wir mußten die Interessen Berlins wahrnehmen. Es ist unbestritten - Herr Kollege Marx hat das heute bestätigt -, daß das, was als Ergebnis der Konferenz erreicht werden soll, für Berlin gilt.
Drittens. Es ging darum, daß das Bündnis nicht belastet und unsere Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten nicht geschwächt wird. Das ist nicht nur vermieden worden, sondern die Position - ich wiederhole es - der Vereinigten Staaten ist gestärkt.
Schließlich ging es darum, den Weg zur europäischen Einigung offenzuhalten. Das ist geschehen.
Der französische Außenminister hat sich heute zu diesen Fragen erklärt, und er hat gesagt, Befürchtungen, die Sowjetunion könne durch die Ergebnisse der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ihren Einfluß auf Westeuropa verstärken, müßten als vollkommen unrealistisch zurückgewiesen werden. Er hat hinzugefügt, die Vier-MächteRechte für Berlin seien auch in der Schlußakte garantiert. Außerdem werde eine mögliche friedliche Änderung der Grenzen sichergestellt. Er erklärte wörtlich: Wir haben alles, was wir wollten. - Ich denke, wir sollten das Ergebnis nicht geringer würdigen als der Außenminister einer befreundeten Regierung.
({5})
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Mertes hat heute, wie andere Redner, über die Besonderheit der deutschen Lage gesprochen, und er hat
gemeint, er fühle sich einsam wegen der besonderen deutschen Position. Herr Kollege Mertes, der heute hier kritisch apostrophierte englische Außenminister z. B. hat mir gestern zusammen mit dem Premierminister einen Beweis gegeben, daß genau das falsch ist. Als wir gestern mit dem englischen Regierungschef und dem Außenminister zusammensaßen, haben sie uns gefragt, was notwendig sei, was gut sei für die deutschen Belange, daß man es erwähnen könne in der Rede, die der englische Premierminister als erster Redner in Helsinki halten wird. Meine Damen und Herren, entwerten wir nicht das Verhältnis zu unseren Verbündeten! Sie sehen die deutsche Frage nicht als lästige Frage, sondern als eigenes Problem an.
({6})
Treten wir hier nicht in eine Schelte der Verbündeten ein; wir könnten sonst bald einsam sein.
Ich wiederhole noch einmal: Die besondere deutsche Beziehung zu dieser Konferenz ist eine andere. Sie ist, daß ein geteiltes Volk das größte Interesse an jedem Versuch der Entspannung, an jeder Chance der Entspannung hat, und deshalb wollten wir sie wahrnehmen.
({7})
Es ist gesprochen worden über die Unverbindlichkeit der Aussagen in Korb 3 zu den humanitären Fragen. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nicht ersparen, daß ich einmal zitiere, was Herr Kollege Mattick schon zitiert hat, nämlich die Erklärung Ihres eigenen Fraktionskollegen von Hassel, der gesagt hat:
Der Verhandlungserfolg der nichtkommunistischen Parteien ist, daß in diesem Dokument Ziele angesprochen sind und für wichtig erklärt werden, die früher tabu waren: freie Bewegung, mehr menschliche Kontake auch auf individueller und privater Ebene, also nicht nur im Kollektiv. Wenn die Sowjetunion und ihre Freunde dieses Grundsatzbekenntnis unterschreiben werden, dann könnte das zum Abbau der Spannungen beitragen.
Und dann fordern Sie, das müsse auch realisiert werden. In dieser Forderung, Herr Kollege von Hassel, sind wir einig, aber wir sind mit Ihnen auch darin einig, daß man eben diese Chance nicht auslassen darf, und Ihre Fraktion täte gut daran, sich auf den Boden dieser Ihrer Erklärung zu stellen.
({8})
Ein Argument, meine Damen und Herren, das man sicher nicht gering einschätzen sollte, ist die Erklärung, daß viele Begriffe verwendet werden - auch in diesen Dokumenten wie in anderen Verträgen nicht nur mit uns, wie auch in der Charta der Vereinten Nationen -, die unterschiedliche Begriffsinhalte für uns und für kommunistische Staaten haben. Nur, Herr Kollege Mertes, dann müssen Sie sich die Gegenfrage gefallen lassen, ob Sie so lange vertragliche Beziehungen zurückstellen wollen, bis Kommunisten unter bestimmten Begriffen dasselbe verstehen wie wir.
({9})
Ich fürchte, dann werden Sie niemals zu vertraglichen Regelungen kommen können.
Man kann natürlich Klarheit auf eine ganz andere, auf eine ganz besondere Weise schaffen; Herr Kollege Wehner hat das heute schon erwähnt. Sehen Sie, da ist der Kollege Mattick gefragt worden, ob er denn einmal ein Abkommen aus Ihrer Zeit nennen könne, bei dem Unklarheiten aufgetreten seien. Er hätte drei Beispiele nennen können, und da muß man sehen, ob es dort Unklarheiten gibt: das Handelsabkommen von 1958, das Konsularabkommen von 1958 und das Kulturabkommen von 1959, drei Abkommen, die Sie geschlossen haben in einer Zeit, in der Sie hier in Bonn allein regiert haben. Meine Damen und Herren, hierzu kann ich Ihnen sagen: In der Berlin-Frage haben diese Abkommen keine Unklarheit gebracht. Es war eine düstere Klarheit, die Klarheit nämlich, daß diese Abkommen keine Einbeziehung Berlins in die Verträge enthalten haben.
({10})
Ich denke, daß wir auf diese Art der Klarheit verzichten können.
Wenn sich die Opposition oder, ich muß in diesem Zusammenhang sagen: die CDU bei ihrer Entscheidung heute an eigenen Beschlüssen messen lassen will, dann muß es erlaubt sein, den Beschluß des letzten Bundesparteitages der CDU heranzuziehen. Dort heißt es:
Der Bundesparteitag fordert die Bundesregierung auf, die Verhandlungen der KSZE erst abzuschließen, wenn unzweideutig klargestellt ist,
1. daß die Prinzipien der Achtung der Menschenrechte und des Rechts auf Selbstbestimmung keinen geringeren Rang als andere Prinzipien des Konferenzkatalogs haben,
- diese Gleichstellung ist da -2. daß die Ergebnisse der Konferenz auch indirekt kein neues europäisches Völkerrecht schaffen.
Meine Damen und Herren, das ist bestätigt. Drittens heißt es, daß die Forderung nach Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht als Anschlag gewertet werden könne. - Das ist durch die friedliche Veränderbarkeit der Grenzen bestätigt.
({11})
Sinngemäß wird weiter gefordert: Die Konferenztexte dürfen keine friedensvertragliche Regelungen vorwegnehmen. - Das ist unbestritten nicht der Fall.
({12})
Sie dürfen keine Rechtsgrundlagen für bestehende Grenzen und Demarkationslinien schaffen. - Wo wäre das der Fall? Die geltenden Verträge dürfen in keiner Weise berührt werden.
Dann: Die Viermächteverantwortung für Deutschland als ganzes und für ganz Berlin muß unangetastet bleiben. - Sie ist nicht angetastet worden. - Die Konferenzergebnisse müssen für Berlin gelten. - Das ist erreicht. - Die europäische Einigung darf nicht behindert werden. -- Meine Damen und Herren, wenn Sie Ihre Parteitagsentschließung zum Maßstab Ihrer heutigen Entscheidung machen, dann müßten Sie den Ergebnissen der Konferenz zustimmen.
({13})
Für uns ging es darum, die deutsche Frage offenzuhalten, unsere Ziele nicht zu beeinträchtigen. Für uns ging es darum, die Chance zu eröffnen, in der Entspannung einen Schritt voranzukommen. Wir sind der Meinung: beides ist erreicht. Die Debatte, die wir heute geführt haben, hat diese unsere Auffassung nicht beeinflußt. Die Debatte, die wir heute geführt haben, hat uns in unserer Auffassung bestätigt.
({14})
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen dann zur Abstimmung, und zwar ist für beide Entschließungsanträge von den Antragstellern jeweils namentliche Abstimmung beantragt worden. Es ist auch interfraktionell darüber Verständigung erzielt worden, daß zuerst über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und dann über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP abgestimmt wird. Für die namentliche Abstimmung sind drei Urnen aufgestellt. Sie können Ihre Stimmkarte in jede beliebige Urne einwerfen.
Meine Damen und Herren, damit eröffne ich die namentliche Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur Erklärung der Bundesregierung auf Drucksache 7/3885. Ist jemand im Saal, der bei dieser ersten namentlichen Abstimmung seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die erste namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen zur Beschleunigung des Verfahrens vor, daß wir nunmehr, nachdem die Urnen geleert und erneut aufgestellt sind, mit der zweiten namentlichen Abstimmung beginnen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP zu der Erklärung der Bundesregierung auf Drucksache 7/3884 ({0}). Ich bitte Sie, sich an die Urne zu begeben, die Ihnen am nächsten ist.
({1})
Darf ich fragen, ob noch jemand im Saal ist, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen das vorläufige Abstimmungsergebnis zu dem Entschließungsantrag der CDU/CSU bekannt. Insgesamt wurden - einschließlich der Berliner Abgeordneten -421 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 171 Abgeordnete, mit Nein 250 Abgeordnete gestimmt.
Präsident Frau Renger
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 420; davon
ja: 170
nein: 250
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner
von Alten-Nordheim
Dr. Althammer Dr. Arnold
Dr. Artzinger Baier
Dr. Becker ({0})
Frau Benedix Benz
Berger
Bewerunge
Biechele
Biehle
Dr. Dr. h. C. Birrenbach
Dr. von Bismarck
von Bockelberg Böhm ({1})
Braun
Bremer
Bremm
Carstens ({2})
Dr. Carstens ({3})
Dr. Czaja
Damm
van Delden Dr. Dregger Dreyer
Eigen
Eilers ({4}) Engelsberger
Entrup
Dr. Erhard
Erhard ({5}) Ernesti
Ey
Freiherr von Fircks
Franke ({6})
Dr. Franz
Dr. Fuchs
Geisenhofer Gerlach ({7})
Gerster ({8}) Dr. Gölter
Dr. Götz
Haase ({9}) Härzschel
Dr. Hammans von Hassel
Hauser ({10}) Hauser ({11})
Dr. Heck
Höcherl
Hösl
Dr. Hornhues Frau Hürland Dr. Jaeger
Jäger ({12}) Dr. Jahn ({13})
Dr. Jenninger Josten
Katzer
Kiechle
Dr. Klein ({14})
Dr. Kliesing Köster
Dr. Kraske
Dr. Kreile
Freiherr
von Kühlmann-Stumm
Dr. Kunz ({15}) Lagershausen Lampersbach
Lemmrich
Dr. Lenz ({16}) Lenzer
Link
Löher
Dr. Luda
Maucher
Memmel
Dr. Mende
Dr. Mertes ({17}) Mick
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Milz
Dr. Müller ({18}) Müller ({19}) Dr. Müller-Hermann Dr. Narjes
Frau Dr. Neumeister Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt Frau Pack
Pfeffermann
Pfeifer
Picard
Pohlmann
Dr. Prassler
Dr. Probst
Rainer
Rawe
Reddemann
Röhner
Roser
Russe
Sauer ({20}) Sauter ({21}) Dr. Schäuble
Frau Schleicher
Schmidt ({22}) Schmitt ({23}) Schmitz ({24}) Schmöle
Dr. Schneider
Frau Schroeder ({25}) Dr. Schröder ({26}) Schröder ({27}) Schröder ({28}) Schulte ({29}) Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Sick
Solke
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger
Springorum
Dr. Sprung
Stahlberg
Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen
Stücklen
Susset
de Terra
Thürk
Tillmann
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar
Frau Verhülsdonk Dr. Waffenschmidt Dr. Wagner ({30}) Dr. Waigel
Dr. Wallmann
Wawrzik
Weber ({31}) Werner
Frau Will-Feld
Windelen
Wissebach
Dr. Wittmann ({32}) Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Wulff
Zeyer
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Frau Berger ({33})
Dr. Gradl Kunz ({34})
Müller ({35})
Frau Pieser
Dr. Schulz ({36}) Straßmeir Wohlrabe
Nein
SPD
Adams Ahlers Dr. Ahrens
Amling Anbuhl Dr. Apel
Arendt ({37}) Dr. Arndt ({38}) Augstein
Baack Bäuerle Barche Dr. Bardens
Batz
Becker ({39})
Dr. Beermann
Behrendt
Biermann
Dr. Böhme ({40}) Börner
Frau von Bothmer Brandt
Brandt ({41})
Bredl Brück Buchstaller
Büchler ({42})
Büchner ({43})
Dr. von Bülow
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Conradi
Coppik
Dr. Corterier
Frau Däubler-Gmelin
Dr. von Dohnanyi Eckerland
Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Frau Eilers ({44})
Dr. Emmerlich
Engholm
Dr. Eppler
Esters Ewen Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Franke ({45}) Frehsee
Friedrich
Gansel Geiger Gerstl ({46})
Gertzen
Dr. Geßner
Glombig
Dr. Glotz Gnädinger Grobecker Grunenberg Haar
Haase ({47}) Haehser
Halfmeier Hansen
Hauck
Dr. Hauff Henke
Hermsdorf Herold
Höhmann Hofmann Dr. Holtz Frau Huber Huonker
Immer ({48}) Jahn ({49})
Jaschke
Jaunich
Dr. Jens Junghans Kaffka
Kern
Koblitz
Konrad
Kratz
Dr. Kreutzmann Krockert Kulawig Lambinus
Dr. Lauritzen Lautenschlager
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löbbert
Dr. Lohmar Lutz
Mahne
Marquardt Marschall Frau Meermann
Dr. Meinecke ({50}) Meinike ({51}) Metzger
Möhring
Müller ({52}) Müller ({53}) Müller ({54}) Müller ({55})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Neumann Dr.-Ing. Oetting
Offergeld Frau Dr. Orth
Freiherr
Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Dr. Penner Pensky
Peter
Polkehn
Porzner
Rapp ({56}) Rappe ({57}) Ravens
Frau Dr. Rehlen
Reiser
Frau Renger Reuschenbach
Richter
Röhlig
Rohde
Rosenthal Sander
Saxowski
Schäfer ({58})
Präsident Frau Renger Scheffler
Scheu
Frau Schimschok
Schinzel Schirmer
Schlaga Schluckebier
Dr. Schmidt ({59}) Schmidt ({60}) Schmidt ({61}) Schmidt ({62}) Schmidt ({63}) Schmidt ({64})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schonhofen
Schreiber
Schulte ({65})
Schwabe
Dr. Schweitzer
Dr. Schwencke ({66}) Dr. Schwenk ({67}) Seefeld
Seibert Simon
Simpfendörfer
Dr. Sperling
Spillecke
Stahl ({68})
Frau Steinhauer
Dr. Stienen
Suck
Sund
Tietjen
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vahlberg
Vit
Vogelsang
Waltemathe
Walther
Dr. Weber ({69})
Wehner Wende Wendt Westphal
Wiefel Wilhelm
Wimmer
Dr. de With
Wittmann ({70}) Wolf
Wolfram
Wrede Würtz Wüster
Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Dr. Dübber Egert
Grimming
Frau Grützmann Löffler
Männing
Frau Schlei Schwedler Sieglerschmidt
FDP
Dr. Achenbach
Baum
Christ
Engelhard Frau Funcke Gallus
Grüner
Hölscher
Hoffie
Jung
Kirst
Kleinert
Krall
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Logemann
Dr. Dr. h. c. Maihofer Mertes ({71}) Mischnick
Möllemann Moersch
Ollesch
Peters ({72}) Schleifenbaum
von Schoeler Frau Schuchardt Spitzmüller
Dr. Wendig Wolfgramm ({73}) Wurbs
Zywietz
Berliner Abgeordnete Hoppe
Damit ist der Entschließungsantrag der CDU/CSU abgelehnt.
Ich darf Ihnen nunmehr das Abstimmungsergebnis zu dem Entschließungsantrag der SPD/FDP mitteilen. Insgesamt wurden - wiederum einschließlich der Berliner Abgeordneten - 422 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 251 Abgeordnete, mit Nein 171 Abgeordnete gestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 420; davon ja: 250
nein: 170
Ja
SPD
Adams Ahlers
Dr. Ahrens Amling
Dr. Apel
Arendt ({74}) Dr. Arndt ({75}) Augstein
Baack
Bäuerle
Barche
Dr. Bardens
Batz
Dr. Beermann Behrendt
Biermann
Dr. Böhme ({76}) Börner
Frau von Bothmer Brandt
Brandt ({77}) Bredl
Brück Buchstaller
Büchler ({78}) Büchner ({79})
Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Conradi Coppik Dr. Corterier
Frau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi Eckerland
Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Frau Eilers ({80}) Dr. Emmerlich Engholm
Dr. Eppler
Esters Ewen
Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke Franke ({81}) Frehsee
Friedrich
Gansel Geiger
Gerstl ({82}) Gertzen
Dr. Geßner
Glombig
Dr. Glotz
Gnädinger
Grobecker Grunenberg
Haar
Haase ({83}) Haehser
Halfmeier
Hansen Hauck Dr. Hauff
Henke Herold Höhmann
Hofmann
Dr. Holtz
Frau Huber
Huonker
Immer ({84}) Jahn ({85}) Jaschke
Jaunich Dr. Jens Junghans
Kaffka Kern
Koblitz Konrad Kratz
Dr. Kreutzmann Krockert
Kulawig
Lambinus
Dr. Lauritzen Lautenschlager
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius Liedtke
Löbbert
Dr. Lohmar
Mahne Marquardt
Marschall
Frau Meermann
Dr. Meinecke ({86}) Meinike ({87}) Metzger
Möhring
Müller ({88})
Müller ({89})
Müller ({90})
Müller ({91})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Neumann
Dr.-Ing. Oetting
Offergeld
Frau Dr. Orth
Freiherr
Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Dr. Penner
Pensky Peter
Polkehn Porzner Rapp ({92})
Rappe ({93})
Ravens
Frau Dr. Rehlen
Reiser
Reuschenbach
Richter Röhlig Rohde Rosenthal
Sander Saxowski
Schäfer ({94}) Scheffler
Scheu
Frau Schimschok
Schinzel Schirmer
Schlaga Schluckebier
Dr. Schmidt ({95}) Schmidt ({96})
Schmidt ({97})
Schmidt ({98}) Schmidt ({99}) Schmidt ({100})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schonhofen
Schreiber
Schulte ({101})
Schwabe
Dr. Schweitzer
Dr. Schwenke ({102})
Dr. Schwenk ({103})
Seefeld Seibert Simon Simpfendörfer
Spillecke
Stahl ({104})
Frau Steinhauer
Dr. Stienen
Suck
Sund
Tietjen
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vahlberg
Vit
Vogelsang
Waltemathe
Walther
Dr. Weber ({105})
Wehner Wende
Präsident Frau Renger
Westphal Wiefel Wilhelm Wimmer Dr. de With
Wittmann ({106}) Wolf
Wolfram Wrede Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Dr. Dübber
Egert
Grimming
Frau Grützmann
Löffler Männing Mattick Frau Schlei
Schwedler
Sieglerschmidt
FDP
Dr. Achenbach
Baum
Christ Engelhard
Gallus Genscher
Grüner Hölscher
Hoffie Jung
Kirst
Kleinert Krall
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Logemann
Dr. Dr. h. c. Maihofer Mertes ({107}) Mischnick
Möllemann
Moersch
Ollesch
Peters ({108}) Schleifenbaum
von Schoeler
Frau Schuchardt Spitzmüller
Dr. Wendig
Wolfgramm ({109}) Wurbs
Zywietz
Berliner Abgeordnete Hoppe
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. Aigner
von Alten-Nordheim
Dr. Althammer
Dr. Arnold
Dr. Artzinger
Baier
Dr. Becker ({110})
Frau Benedix
Benz
Berger Bewerunge
Biechele Biehle
Dr. Dr. h. c. Birrenbach
Dr. von Bismarck
von Bockelberg
Böhm ({111})
Braun
Bremer Bremm Carstens ({112})
Dr. Carstens ({113})
Dr. Czaja
Damm
van Delden
Dr. Dregger
Dreyer Eigen
Eilers ({114}) Engelsberger
Entrup
Dr. Erhard
Erhard ({115}) Ernesti
Ey
Freiherr von Fircks
Franke ({116})
Dr. Franz
Dr. Fuchs
Geisenhofer
Gerlach ({117})
Gerster ({118})
Dr. Gölter
Dr. Götz
Haase ({119})
Härzschel
Dr. Hammans
von Hassel
Hauser ({120}) Hauser ({121})
Dr. Heck
Höcherl Hösl
Dr. Hornhues
Frau Hürland
Jäger ({122})
Dr. Jahn ({123})
Dr. Jenninger
Josten Katzer Kiechle
Dr. Klein ({124})
Dr. Kliesing Köster
Dr. Kraske Dr. Kreile Kroll-Schlüter
Freiherr
von Kühlmann-Stumm Dr. Kunz ({125}) Lagershausen
Lampersbach Lemmrich
Dr. Lenz ({126}) Lenzer
Link
Löher
Dr. Luda
Maucher
Memmel
Dr. Mende
Dr. Mertes ({127}) Mick
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Müller ({128}) Müller ({129})
Dr. Müller-Hermann
Dr. Narjes
Frau Dr. Neumeister Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt
Frau Pack Pfeffermann Pfeifer
Picard
Pohlmann Dr. Prassler Dr. Probst Rainer
Rawe
Reddemann Röhner
Roser
Russe
Sauer ({130})
Sauter ({131})
Dr. Schäuble
Frau Schleicher
Schmidt ({132}) Schmitt ({133}) Schmitz ({134}) Schmöle
Dr. Schneider
Frau Schroeder ({135}) Dr. Schröder ({136})
Schröder ({137}) Schröder ({138}) Schulte ({139}) Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Sick
Solke
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger
Springorum
Dr. Sprung
Stahlberg
Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen
Susset
de Terra
Thürk
Tillmann
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar
Frau Verhülsdonk Dr. Waffenschmidt Dr. Wagner ({140}) Dr. Waigel
Dr. Wallmann
Wawrzik
Weber ({141}) Werner
Frau Will-Feld
Windelen
Wissebach
Dr. Wittmann ({142}) Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel Dr. Wulff
Zeyer
Ziegler
Dr. Zimmermann Zink
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Frau Berger ({143})
Dr. Gradl Kunz ({144})
Müller ({145})
Frau Pieser
Dr. Schulz ({146}) Straßmeir Wohlrabe
Damit ist der Entschließungsantrag der SPD/FDP angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Tagesordnung angekommen. Ich hoffe, Ihnen nun endgültig einen schönen Urlaub wünschen zu können.
Die Sitzung ist geschlossen.