Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit uns gestern in den Mittagsstunden die Nachricht von einem erneuten verbrecherischen Anschlag einer Terroristengruppe erreichte, haben wir alle in großer Sorge die weitere Entwicklung des Geschehens verfolgt. Wir alle kennen den Ausgang der dramatischen Ereignisse und sind erleichtert über die Rettung der meisten Geiseln und die Festnahme der Gewalttäter.
Unser Dank gilt allen Verantwortlichen, die im Verlauf dieser Ereignisse um eine Entscheidung gerungen, und denen, die in Stockholm unmittelbar ihr Leben eingesetzt haben. Um so tiefer sind wir erschüttert, daß dieser Anschlag, soweit wir heute wissen, wieder unschuldige Menschenleben gefordert hat.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag trauert um Oberstleutnant Andreas von M i r bach, der im Dienst für unser Land sein Leben lassen mußte. Im Namen des Hauses spreche ich seinen Angehörigen unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl aus.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen zuerst noch eine Mitteilung machen. Die Plenarsitzung wird auf Wunsch der Fraktionen um 10.30 Uhr für Fraktionssitzungen unterbrochen. Um 11.15 Uhr wird der Herr Bundeskanzler eine Regierungserklärung abgeben.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Überweisung einer Zollvorlage
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vorn 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen:
Aufhebbare verkündete Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({1})
- Drucksache 7/3535 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um
Vorlage des Berichts rechtzeitig dem Plenum am 19. Juni 1975
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung ({2}) des Rates über den Abschluß eines Interimsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Griechenland infolge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
- Drucksache 7/3509 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({3}) des Rates zur Festsetzung des jeweils einzigen Interventionspreises für Gerste, Roggen, Hartweizen und Mais sowie zur Festsetzung der wesentlichsten Handelsplätze für Weichweizen und der für diese Handelsplätze geltenden abgeleiteten Interventionspreise für das Wirtschaftsjahr 1975/76
- Drucksache 7/3510 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnungen des Rates über die Einführung einer Sonderprämie für die Atomanlagenbediensteten in Deutschland und in den Niederlanden sowie einer vorübergehenden Pauschalzulage für dieses Personal, das in den beiden genannten Ländern sowie in Belgien dienstlich verwendet wird
- Drucksache 7/3525 überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Mitteilung der Kommission an den Rat über die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und dem Staat Israel im Hinblick auf den Abschluß eines Abkommens im Rahmen des Gesamtkonzepts für den Mittelmeerraum
- Drucksache 7/3533 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft ({4}), Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Wir treten in die Beratungen ein. Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ({5})
- Drucksache 7/3441 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Sonderausschuß für die Strafrechtsreform ({6}) Ausschuß für Wirtschaft
Finanzausschuß
Herr Staatssekretär de With, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Öffentlichkeit und der Deutsche Bundestag haben sich in den letzten Wochen auf dem Gebiet des Strafrechts vor allem mit der Bekämpfung terroristischer Aktivitäten beschäftigt und beschäftigen müssen. Dies wird und muß auf Grund des verbrecherischen Angriffs auf die Angehörigen unserer Botschaft in Stock11770
holm auch an diesem Vormittag wieder der Fall sein. Die heutige Vorlage der Bundesregierung macht gleichwohl deutlich, daß unsere Rechtsordnung auch in anderen Bereichen der Verteidigung und der Fortentwicklung bedarf. Gefahren drohen unserer Gemeinschaft nämlich nicht nur dort, wo Täter spektakulär und gewaltsam auftreten, sondern auch da, wo sie eher geräuschlos, geschmeidig und mit einer gewissen Anonymität zu Werke gehen. Eben dies ist aber das Kennzeichen der sogenannten Wirtschaftskriminalität.
Der Breite der Taten im Bereich der Wirtschaftskriminalität entspricht das Ausmaß der Schäden, die einzelnen, aber auch der Gemeinschaft durch Wirtschaftsdelikte zugefügt werden. Zwar stehen gesicherte Zahlen wegen des Fehlens einer ausreichenden Statistik noch nicht zur Verfügung. Fest steht jedoch, daß die Schäden erheblich sind und daß sie eine steigende Tendenz aufweisen. So beläuft sich der Schaden, der 1974 Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Untersuchungen war, in Nordrhein-Westfalen auf 337,5 Millionen DM, in Bayern auf 168 Millionen DM und in Baden-Württemberg auf 125,1 Millionen DM. Beschränkt man sich auf die Fälle, in denen Anklage erhoben wurde, so lauten die entsprechenden Zahlen 140,4, 97 und 39,2 Millionen DM. Zum Vergleich: Der bei Polizeidienststellen angezeigte Schaden durch Diebstahlstaten belief sich 1973 bei denselben Ländern auf 312, 147,5 und 121,3 Millionen DM.
Die Frage, warum die Wirtschaftskriminalität seit einigen Jahren ständig im Steigen begriffen ist, läßt sich gegenwärtig noch nicht abschließend beantworten. Die kriminologische Forschung hat hier noch vieles aufzuklären. Folgende Umstände haben aber mit Sicherheit zu dieser Entwicklung beigetragen:
Erstens. Die wirtschaftliche Betätigung insgesamt hat in der jüngsten Vergangenheit überproportional zugenommen. Allein das Bruttosozialprodukt hat sich von 1960 bis 1974 von 302 Milliarden DM auf 996 Milliarden DM mehr als verdreifacht.
Zweitens. In ähnlicher Weise ist das Volumen der Kredite und Subventionen gestiegen, die offenbar in besonderem Maße deliktträchtige Verhaltensweisen auslösen. Die potentielle Gefährdung nimmt eben zu, wenn sich die Gesamtsumme der Unternehmen und Privaten gewährten Kredite in kurzer Zeit knapp verdreifacht und die der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen gut verdoppelt.
Drittens. Diese Entwicklung hat weiter zu einer erheblichen Einkommensteigerung mit der Folge geführt, daß immer größere Bevölkerungskreise als potentielle Opfer bedenklicher Praktiken in Betracht kamen.
Viertens. Schließlich hat sich aber auch der potentielle Täterkreis erweitert. Er setzt sich nicht mehr nur im wesentlichen aus verkrachten Existenzen und kleinen Betrügern, sondern auch aus Personen zusammen, die planmäßig mit großer Energie und entsprechendem organisatorischen Aufwand die Ansammlung erheblicher Vermögensmassen anstreben und zu diesem Zweck besonders gern in dem Graubereich der Halblegalität operieren.
Ich habe bereits versucht, die Schäden in etwa zu quantifizieren. Es lohnt sich aber auch, der Eigenart der Schäden, also ihrer Qualität nachzugehen. Daraus ergeben sich zusätzliche Anhaltspunkte dafür, mit welchen Mitteln sie verhindert werden können. Der Schaden besteht naturgemäß in erster Linie darin, daß Teile des Sozialprodukts fehlgeleitet - besser gesagt: fehlverteilt - werden. Infolge der kriminellen Handlungen fließen sie Personen zu, denen sie bei korrekter Handhabung der Verteilungsregeln nicht zugute kämen. Das Verteilungsergebnis weicht also von dem Ergebnis ab, das unsere geltende Rechts- und Wirtschaftsordnung gewährleisten will.
Damit werden die Regeln dieser Ordnung, insbebesondere die Wettbewerbsregeln korrumpiert. Vorteile sind dann nicht mehr Prämien für besondere Anstrengungen, eine realistischere Einschätzung des Marktes oder richtigere Unternehmensentscheidungen, sondern Prämien für Täuschungshandlungen oder gar für Rechtsbruch. Dies ist um so gefährlicher, weil von solchen Verstößen eine starke Sogwirkung ausgehen kann. Wer sich durch rechtswidrige Praktiken erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber seinen Konkurrenten verschafft, stellt diese vielfach vor die Alternative, sich ebenso zu verhalten oder aus dem Wettbewerb auszuscheiden. Beides ist mit den Prinzipien einer fairen Wettbewerbswirtschaft unvereinbar.
Geschädigt wird endlich aber auch das Vertrauen in den Rechtsstaat: Denn ein Staat, der wohl den kleinen Dieb, nicht aber den erfolgreichen Subventionsbetrüger zur Rechenschaft zieht, wird sich immer stärker dem Vorwurf ausgesetzt sehen, daß man den Kleinen hänge, den Großen aber laufen lasse.
Erstaunlicherweise hat der Gesetzgeber fast ein Jahrhundert lang das Problem der Wirtschaftskriminalität ignoriert. Selbst der Regierungsentwurf eines Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1962 hielt an der Linie des Strafgesetzbuches von 1871 fest. Erst Gustav Heinemann ergiff als Bundesjustizminister die Initiative. Er erklärte im Mai 1968:
Die Sozialschädlichkeit der Verbrecher im weißen Kragen übertrifft die der kleinen Leute bei weitem. Man muß mit einer hohen Dunkelziffer rechnen, da nur eine geringe Zahl der Opfer die Täter anzeigt und viele Taten außer Betracht bleiben, weil sie nicht aufgeklärt werden oder weil sie nicht unter die traditionellen Straftatbestände fallen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Staat dem nicht länger tatenlos zusehen kann.
Dementsprechend wurden zunächst die Erscheinungsformen der modernen Wirtschaftskriminalität in einzelnen Bereichen untersucht. Sodann wurde eine Sachverständigenkommission zum Zwecke der umfassenden Prüfung gebildet. Die Empfehlungen dieser Kommission, der ich namens der Bundesregierung auch an dieser Stelle für ihre Arbeit danken möchte, waren wiederum die Grundlage für den GeParl. Staatssekretär Dr. de With
setzentwurf der Bundesregierung, der Ihnen heute mit einer durchweg positiven Stellungnahme des Bundesrates zur ersten Lesung vorliegt.
Wo mit außerstrafrechtlichen Mitteln die Gefahren nicht abgewendet werden können, schlägt der Entwurf die Einführung neuer oder die Präzisierung bestehender Straftatbestände vor.
Die wichtigsten Neuerungen stellen dabei die Regelungen über den Subventions- und Kreditbetrug dar. Sie bewirken gegenüber dem geltenden Recht insofern einen wesentlichen Unterschied, als es bei diesen Delikten nicht mehr - wie nach dem Betrugstatbestand des Strafgesetzbuches - auf die Erregung eines Irrtums und den dadurch verursachten konkreten Vermögensschaden ankommt; für die Strafbarkeit sollen vielmehr künftig allein unrichtige Angaben in einem für die jeweilige Entscheidung erheblichen Punkt im Zusammenhang mit einem Subventions- oder Kreditantrag ausreichen. Das Strafrecht erfaßt hier also bereits ein abstrakt gefährliches Verhalten.
Dazu ist noch folgendes anzumerken. Die Ergänzung eines Verletzungs- durch ein Gefährdungsdelikt stellt ohne Zweifel eine Ausweitung des Strafrechts dar. Einige meinen nun, ein solcher Vorgang sei mit den Forderungen einer modernen Strafrechtspolitik unvereinbar. Hier liegt jedoch ein Mißverständnis vor. Es ist das gleiche Mißverständnis, das Strafrechtsreform und Liberalisierung des Strafrechts für identisch hält, und das auch im poli- tischen Bereich von manchen bewußt, ja geradezu polemisch gefördert wird. Demgegenüber muß noch einmal klar herausgestellt werden: Moderne Strafrechtspolitik bedeutet im Verständnis der Bundesregierung den Rückzug des Strafrechts aus Gebieten, deren Gestaltung eine pluralistische Gesellschaft unter Beachtung der Wertvorstellungen des Grundgesetzes nichtstrafrechtlichen Normen oder auch ohne Gefahr für andere dem einzelnen Bürger überlassen kann. Sie bedeutet aber zugleich die strafrechtliche Regelung solcher Bereiche, in denen ohne Strafnormen ein Mißbrauch der Freiheit Platz greift, der Dritte oder die Gemeinschaft in sozialschädlicher Weise gefährdet.
Dieser Entwurf ist kein Gesetz gegen die Wirtschaft, er ist ein Gesetz für Hunderttausende, ja Millionen kleiner Leute, die teils unmittelbar als Geschädigte, teils über die Preise, die Kreditkonditionen und die Steuern für die Schäden aufzukommen haben, die der Staat bisher nicht verhindern konnte. Er ist außerdem ein Gesetz für diejenigen in unserer Wirtschaft, die sich an die Wettbewerbsbedingungen und das Recht gehalten haben und deshalb oft genug gegenüber einzelnen skrupellosen Geschäftemachern das Nachsehen hatten. Folgerichtig ist der Entwurf nicht nur von den Verbraucherorganisationen und den Gewerkschaften, sondern auch von den Verbänden der Wirtschaft begrüßt worden.
Ich bitte den Deutschen Bundestag, ihn intensiv zu beraten und bald zu verabschieden, damit er noch im Jahre 1976 in Kraft treten kann.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Spranger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! CDU und CSU haben in der Vergangenheit keinen Zweifel daran gelassen, daß sie eine wirksame Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität für unbedingt erforderlich halten.
Nach Maßgabe ihrer früher in Parteiprogrammen und auf Tagungen ihrer Arbeitskreise erstellten Forderungen und Vorschläge nimmt die CDU/CSU mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Bundesregierung, gestützt auf Vorarbeiten in der Wissenschaft, in der Strafrechtspraxis und aller Landesjustizverwaltungen, aber auch der vom Bundesjustizministerium einberufenen Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität diesen Gesetzentwurf, den sie ja früher an sich schon für Ende 1973 angekündigt hatte, wenigstens jetzt - mit allerdings eineinhalbjähriger Verspätung - vorlegt.
Wirtschaftskriminalität gefährdet und schädigt in hohem Maße uns alle. Nicht nur der sogenannte kleine Mann, der durch falsche Versprechungen zur Hergabe seiner Ersparnisse veranlaßt und so betrügerisch geschädigt wird, sondern alle Staatsbürger zahlen die Zeche, wenn sie das durch Millionenbeträge hinterzogener Steuern oder zuviel gezahlter Subventionen verminderte Steueraufkommen des Staates wieder ausgleichen müssen.
Es gilt somit, die kriminellen Außenseiter zum Schutze der Volkswirtschaft insgesamt zu fassen, nicht aber die gesunde Entwicklung der freien Kräfte innerhalb der sozialen Marktwirtschaft einzuschnüren oder das unternehmerische Risiko in die Nähe von Straftaten zu rücken. Wenn wiederholt die Dringlichkeit einer solchen gesetzlichen Regelung betont wurde, so kommt man doch an zwei anderen Feststellungen ebenfalls nicht vorbei:
1. Der Gesetzgeber hat bereits eine große Palette von Bestimmungen im Strafgesetzbuch, im Steuerrecht und im Wirtschaftsstrafrecht bereitgestellt, die eine Fülle von Eingriffsmöglichkeiten eröffnen. Allein neue Gesetze zu machen reicht aber nicht aus; nötig ist es auch, schon bestehende Gesetze wirksam anzuwenden, ihnen Geltung zu verschaffen, sie durchzusetzen und die Fähigkeit und den Willen der Behörden dazu zu stärken.
2. Gesetze allein verbessern gar nichts, wenn sie nicht auch in der Praxis angewendet werden können und sich handhaben lassen.
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Das setzt klare, eindeutige und übersichtliche Gesetze ebenso wie ausreichendes, geschultes Personal und eine schlagkräftige Behördenorganisation voraus. Hier liegt bis heute der eigentliche Mangel in der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, meine Damen und Herren.
Ob der Entwurf den von dem Herrn Staatssekretär angedeuteten Zielen gerecht werden kann, muß zur Zeit bezweifelt werden. Bemerkenswert ist allerdings, daß sein Schwergewicht auf strafrechtlichem Gebiet liegt und daß die Bundesregierung offenbar
in der Einführung neuer Strafbestimmungen mit der Strafandrohung bis zu zehn Jahren das geeignete Mittel zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität sieht. Wenn nach der Begründung des Entwurfs die Schädlichkeit dieser Kriminalitätsform, die gefährlichen Sogwirkungen und die Notwendigkeit abschreckender Wirkungen diese Maßnahmen erforderlich machen sollen, dann fühlt sich die CDU/CSU- Fraktion mit großer Genugtuung in ihrer immer wieder und deutlich vertretenen Auffassung bestätigt, daß Abschreckung, Schadenshöhe und die Situation der Opfer eine stärkere Berücksichtigung durch den Gesetzgeber notwendig machen. Wer mit solchen Gründen und mit dem Hinweis auf die hohen Dunkelziffern die Strafandrohung des Entwurfs rechtfertigt, müßte logischer- und redlicherweise für die übrigen Bereiche der Kriminalität ebenso argumentieren. Ein derartiger Sinneswandel bei SPD und FDP wäre im Interesse unserer inneren Sicherheit mehr als wünschenswert.
Auch sonst sind kritische Anmerkungen notwendig. Die Beschränkung des Entwurfs auf Subventionen im Bereich der Wirtschaft, der Forschung und der Bildungseinrichtungen oder sonstiger kultureller Institutionen ist nur einer der Punkte. Mit Nachdruck abzulehnen ist auch die Ausdehnung der Strafbarkeit des Subventionsbetrugs über den Vorsatz hinaus auf den Fall der Leichtfertigkeit. Sinnvoller wäre es, wenn der Gesetzgeber allgemein klare Bedingungen für die Vergabe von Subventionen schaffen würde. Dies gilt besonders für den Dschungel der EG-Subventionen. Welche Tatsachen subventionserheblich sind, sollte möglichst eindeutig bestimmt und nicht in einer Generalklausel festgelegt werden, wie es § 264 Abs. 7 Nr. 3 vorsieht.
Erhebliche Bedenken bestehen gegen die allumfassende Anzeigepflicht für Amtsträger, Gerichte und Behörden. Bisher hat der Gesetzgeber aus wohlerwogenen Gründen die Strafverfolgung auf einzelne Behörden beschränkt. Man sollte davon in diesem Gesetz nicht Abstand nehmen.
Meine Damen und Herren, ein anderer wichtiger Bereich ist schließlich überhaupt nicht erwähnt worden: Der Gesetzentwurf läßt die öffentliche Hand völlig außer acht. Wer Steuergelder durch großzügige Behandlung mißbräuchlich vergeudet und dadurch die Steuerzahler vorsätzlich schädigt, soll weiterhin straffrei bleiben. Angesichts einschlägiger Skandale - ich nenne hier nur die Helaba-Bank, den Steglitzer Kreisel, die Bauunternehmung Kuhn und die Flughafen-AG Frankfurt sowie die bisher unwiderlegten Vorwürfe gegen die Deutsche Bundesbahn ({1})
ist dies eine das Rechtsempfinden nachgerade empörende Unterlassung. Man muß fragen, warum die Regierung aus diesen Skandalen nicht sofort Konsequenzen gezogen hat und für entsprechende Bestimmungen auch in diesem Gesetz eintritt. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet es, meine Damen und Herren, zu diesem Problemkreis ergänzende Überlegungen anzustellen. Alle Probleme bedürfen einer ausgiebigen Erörterung in den zuständigen Ausschüssen.
Weitere Maßnahmen werden nicht entbehrlich sein. So steht im Vordergrund eine breit angelegte Information und Aufklärung der Öffentlichkeit. Wir können den Bürger nicht allein durch staatliche Maßnahmen schützen; wir müssen ihm die Gefahren bewußtmachen. Das wiederum kann nicht geschehen ohne Intensivierung der Rechtstatsachenforschung.
Dem spezialisierten Wirtschaftsstraftäter muß vor allem ein spezialisierter Ermittlungsbeamter, Staatsanwalt oder Richter gegenübergestellt werden, der ihm an Wissen und Können zumindest gleichwertig, besser noch überlegen ist. Die Lösung des Personalproblems ist der Schlüssel für den Erfolg dieser, ja jeder Verbrechensbekämpfung. Ohne Lösung des Personalproblems bleibt jeder Gesetzentwurf ein Wachhund ohne Zähne.
Die internationale Zusammenarbeit bedarf dringender Verbesserungen. Die derzeit praktizierte Rechtshilfe über Interpol ist unzureichend. Unterschiedliche Auslieferungsbestimmungen in den einzelnen Ländern bereiten Schwierigkeiten. Es ist absurd, wenn für den Täter keine Barrieren durch die Grenzen der Länder geschaffen werden, wohl aber für die Verfolger.
Die Entwicklung immer neuer raffinierter Methoden dieser Art von Kriminalität verlangt eine ständige Überprüfung der vorhandenen Gesetze an Hand der Erfahrungen der Strafrechtspraktiker. Klarheit, Eindeutigkeit und Übersichtlichkeit der Gesetze und ihre zahlenmäßige Beschränkung auf ein sachlich vertretbares Maß erschweren ihren Mißbrauch, erleichtern ihre Einhaltung und verbessern die Kontrollmöglichkeiten. Hingegen sind Tausende von Agrarmarkt- und Durchführungsverordnungen, Erlasse und Behördenanweisungen und der ständig weiter perfektionierte Bürokratismus ein Nährboden für sinnwidrige Verschwendung öffentlicher Gelder. Hier eröffnen sich nach meiner Auffassung weite und fruchtbare Betätigungsfelder, vor allem auch im Bereich des Strafverfahrensrechts. Dort gilt es, ohne Aufgabe der überkommenen Sicherung gegen fehlerhafte Verurteilungen eine Beschleunigung der Strafverfahren, namentlich der Großverfahren zu erreichen.
Zusammenfassend ist zu sagen: Der Rechtsstaat muß jede Form von Kriminalität mit allen zulässigen Mitteln bekämpfen. Ob dieser Entwurf die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität verbessern kann, bleibt fraglich. Auch wenn all seine inhaltlichen Mängel ausgemerzt werden könnten, bietet er keine sichere Gewähr dafür, daß in der Praxis entscheidende Verbesserungen eintreten. Denn das beste Gesetz nützt nichts, wenn Verwaltung und Justiz mit ihm nicht arbeiten können. Nur dann aber hat auch der Bürger etwas von einem Gesetz. Dafür Sorge zu tragen ist das hervorragende Ziel der anstehenden Beratungen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Penner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jahr für Jahr werden Tausende von Ladendieben, Kinder, Jugendliche und erwachsene Männer wie Frauen, erwischt und in vielen Fällen auch gerichtlich bestraft. Dagegen ist nichts einzuwenden; denn der durch Ladendiebstähle angerichtete Schaden ist beträchtlich, was nebenbei bemerkt angesichts der immer raffinierter werdenden Methoden der Verführung und der handgreiflichen Zurschaustellung manchmal kein Wunder ist.
Ladendiebstahl bleibt auch nach Inkrafttreten des Ersten Strafrechtsreformgesetzes strafbar. Natürlich hat bei dieser gesetzgeberischen Entscheidung auch der Gesichtspunkt der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität eine Rolle gespielt. Nur, damit ist es ja nicht getan. Ladendiebstahl ist nur ein kleiner Teil jener Wirtschaftskriminalität, über die wir jetzt sprechen. Das Gesamtausmaß der Schäden wird auf jährlich 10 bis 50 Milliarden DM geschätzt.
Hinter dem Begriff „Wirtschaftskriminalität" verbergen sich Aktien- und Börsendelikte, Bestechung, betrügerischer Bankrott, Erschleichung von Steuervorteilen, Subventionen und Krediten, Grundstücksspekulationen, Industriespionage, unerlaubte Kartellbildungen, Versicherungsbetrug und Wucher. Es sind Straftaten, die das Vermögen einzelner und des Staates betreffen; es sind Handlungen, die das Vertrauen in unsere Wirtschafts- und Staatsform erschüttern, und es ist nicht zufällig so, daß gesellschaftsschädigende Praktiken der Wirtschaftsstraftäter bisher kaum mit Strafe bedroht waren.
Das Gesetz verbietet Reichen wie Armen, unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln, Brot zu stehlen. Aber welcher Reiche schläft schon unter Brücken, und - so müßte man fortfahren - welcher Arbeitnehmer kann mit einem Schlag eine ganze Million DM ergaunern! So hoch ist nämlich nach internen Schätzungen des Bundeskriminalamts der Schaden pro Wirtschaftsstraftat.
Schwierigkeiten bei der strafrechtlichen Reaktion auf schwerwiegende Verstöße gegen unsere Wirtschaftsordnung hängen damit zusammen, daß sich Kriminalität in diesem Bereich kaum mit den primitiven Mitteln der Gewalt Vorteile verschafft, sondern mehr mit Intelligenz. Der komplizierte Aufbau gerade des Tatbestandes des Betruges bietet für den Täter mit dem weißen Kragen eine Fülle von Möglichkeiten zur Einlassung, die die Überführung erschweren oder gar unmöglich machen. Bedingt durch die Eigenart der notwendigen Ermittlungen bedeutet ein Strafverfahren in diesem Bereich oft jahrelange Arbeit und dickleibige Anklageschriften und Urteile, wenn es überhaupt dazu kommt.
Mit Recht wird betont, daß für derartige Strafverfahren kaufmännische Spezialkenntnisse erforderlich sind, über die viele Richter und Staatsanwälte zur Zeit leider noch nicht verfügen. Diesem Mangel ist durch die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Sonderabteilungen für Wirtschaftsstrafsachen inzwischen einigermaßen begegnet worden. Aber diese allein reicht natürlich für entscheidende Veränderungen nicht aus und gibt den Strafverfolgungsbehörden nicht alle rechtsstaatlichen Mittel, die sie zum wirkungsvollen Einschreiten benötigen.
Sehr zu Recht weist die Bundesregierung darauf hin, daß die wirksamere Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität auch einem verfassungsrechtlichen Gebot entspricht. Die Rechtsordnung darf um ihrer selbst willen nicht vor dem kriminellen Fehlverhalten wohlhabender Intelligenztäter kapitulieren. Täte sie das, genügte sie sicherlich nicht dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes. „Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen" - das darf in diesem Staat nicht gelten, ganz abgesehen davon, daß das Vertrauen in die Rechtsprechung als einen verfassungsrechtlich vorgesehenen Ordnungs- und Ausgleichsfaktor untergraben wird, und nicht zuletzt würde die im Grundgesetz vorgesehene Eigentumsschutzgarantie in Zweifel gezogen. Wir müssen uns gegen die - zugegebenermaßen - komplizierten Angriffsvarianten der Wirtschaftskriminellen verteidigen.
Ein Beispiel aus dem großen Katalog drastischer Fälle: Eine Exportfirma führt aus der Bundesrepublik Butter nach Rumänien aus. Diese Ausfuhr wird subventioniert, weil ja der Butterberg abgebaut werden soll. In Rumänien wird die Butter gar nicht erst entladen, sondern - immer im Bereich des sonnigen Südens - nach Jugoslawien weiterbefördert und dort durch Zusatz von Essigsäure in Mayonnaise verwandelt. Die Mayonnaise wird in die Bundesrepublik Deutschland wieder eingeführt, zentrifugiert und dadurch wieder in Butter verwandelt, und das Manöver beginnt von vorne; was man auch mit Weizen, Mais und einigen anderen Gütern machen kann. Ich will mich hier auf dieses Beispiel beschränken und auf diesem Gebiet keine „Dienstanweisung" geben.
Unsere komplizierte moderne Wirtschaftsgesellschaft beruht in sehr starkem Maße auf wechselseitigem Vertrauen der Beteiligten. Wenn dagegen ein Unternehmen hohe Kredite erschwindelt, indem fingierte Rechnungen über nie bestellte Maschinen vorgelegt werden, so wird dieses Vertrauen untergraben. Wirtschaftskriminalität bewirkt in erheblichem Umfang Finanzierungslücken in öffentlichen Haushalten, trägt erheblich zur Verknappung gesellschaftlicher Ressourcen bei und hat Urkundenfälschungen und andere Delikte zur Folge. Wirtschaftskriminalität ist sozialschädlich. Vor Verharmlosung oder Desinteresse muß dringend gewarnt werden.
Der Deutsche Bundestag, wir alle werden uns bemühen müssen, gesetzliche Regelungen zu finden, die Aktionen von Wirtschaftsverbrechern wennschon nicht völlig ausschließen, so doch wirksam einengen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hält den von der Bundesregierung eingeschlagenen Weg, durch ein Gremium von Sachverständigen die rechtstatsächlichen Gegebenheiten erforschen und diese schwierige Materie aufarbeiten zu lassen, für richtig und für sachlich geboten; denn die neue Regelungen sol11774
len über den Tag hinaus gelten. Sorgfältiges Durchdenken möglicher Gesetzesinitiativen ist deshalb gerade hier besonders notwendig.
Die SPD-Bundestagsfraktion dankt an dieser Stelle allen Mitgliedern und Beteiligten dieser seit 1972 tätigen Kommission für ihren Fleiß und die vorzügliche Qualität der geleisteten Arbeit. Sie spricht ihre volle Anerkennung aus.
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Der vorliegende Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität basiert auf den Arbeiten dieser Kommission. Er sieht Rechtsergänzungen im Umfeld des Betruges sowie Rechtsänderungen für Wucher und Konkursstraftaten vor.
Besondere Beachtung verdienen die neu geschaffenen Tatbestände der sogenannten Subventions-und der Krediterschleichung. Öffentliche Subventionen dienen bestimmten volkswirtschaftlichen Zwekken. Es liegt im öffentlichen Interesse, daß diese Zwecke auch erreicht werden. Es ist aber bekannt, daß dies in der Vergangenheit nicht immer geschehen ist. Findigen Leuten gelang es in regelmäßigen Abständen immer wieder, Maschen zu finden und Subventionen mißbräuchlich in ihre eigenen Taschen fließen zu lassen. Strafrechtlich konnte dieser Personenkreis kaum zur Verantwortung gezogen werden, weil der einzig einschlägige Betrugstatbestand kaum nachzuweisen war. Das kann jetzt anders werden, weil künftig falsche Angaben zur Erlangung von Subventionen eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen sollen.
Entsprechendes gilt für die Krediterschleichung. Wer durch Verschleierung des wahren Leistungsvermögens Kreditfähigkeit vortäuscht - das ist ja nicht nur bei unseriösen Unternehmen vorgekommen -, zieht in vielen Fällen auch den Kreditgeber in den Sog wirtschaftlichen Niedergangs. Auch in diesen Fällen war Betrug als der einzig in Betracht kommende Straftatbestand kaum zu beweisen. Die sich immer wiederholende, fast stereotype Einlassung, der Verantwortliche habe nach seiner Überzeugung mit einer günstigeren geschäftlichen Entwicklung rechnen können, ist kaum zu widerlegen und macht bisher Strafverfolgung unter diesem Vorzeichen praktisch unmöglich.
Die bisherigen Strafvorschriften über Sach- und Kreditwucher haben sich als stumpfe Waffe im Kampf gegen dieses Problem erwiesen. Verurteilungen blieben verhältnismäßig selten. Im Laufe der Beratungen des Gesetzentwurfs wird besonders darauf zu achten sein, ob mit den neuen Vorschriften den wucherischen Umschuldungsunternehmen besser als bisher das Handwerk gelegt werden kann.
Eine Neugestaltung der Konkursstraftatbestände wird nicht zum erstenmal versucht. Die Bedenken gegen die Vereinbarkeit des geltenden Rechts mit dem Schuldprinzip werden ebenso zu berücksichtigen sein wie die Forderung der Praxis nach Tatbeständen, die die Strafverfolgung erleichtern.
Die sozialdemokratische Bundestragsfraktion geht davon aus, daß dieser Gesetzentwurf ein erstes, wirkungsvolles Zeichen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität setzt, dem sich weitere auch über die jetzige Legislaturperiode hinausanschlie-ßen werden. Das bedeutet nicht etwa nur die Schaffung neuer strafrechtlicher Vorschriften etwa zum Schutz von Subventionskartellen, die z. B. gerade für die Kommunalpolitik ein ernsthaftes Problem darstellen.
Nach unserer Auffassung wird auch geprüft werden müssen, wie für den Strafprozeß eine zügigere Abwicklung dieser meist langwierigen Prozesse ermöglich werden kann. Es ist allerdings nicht zu übersehen, daß im Prozeßrecht auch heute schon die Möglichkeit der Beschränkung von Strafverfolgung auf wirklich gravierende Vorgänge verankert ist.
Im übrigen geht die SPD-Bundestagsfraktion davon aus, daß strafrechtliche Vorschriften allein dem Problem der Wirtschaftskriminalität nicht gerecht werden. Es gilt, durch bürgerlich-rechtliche und verwaltungsrechtliche Möglichkeiten im Vorfeld die Quellen der Wirtschaftskriminalität auszutrocknen. Aber ebenso selbstverständlich muß sichergestellt sein, daß der Wirtschaft durch zu einschneidende Vorschriften keine lähmenden Fesseln angelegt werden. So viel Freiraum wie möglich und so viel Rechtsbindung wie nötig, das ist unser Ziel.
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates zu.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Den wesentlichen Wert der Gesetzesvorlage sehen wir Freien Demokraten darin, daß noch einmal ganz deutlich gemacht wird, daß die Wirtschaftskriminalität in ihrer Bedeutung erkannt wird und daß ein Zeichen dafür gesetzt wird, daß keineswegs von Kavaliersdelikten die Rede sein kann. Dieses Bewußtsein muß allerdings weiter unterstützt und gestärkt werden. Vorhanden ist es seit längerem. Sonst wäre es zu den Vorarbeiten zu diesem Gesetz sicherlich auch nicht so rasch gekommen, wie es angesichts der Schwierigkeit der Materie doch geschehen ist.
Fraglich ist, ob es richtig ist, was Herr Staatssekretär de With gesagt hat, wenn er meint, ein Jahrhundert lang sei die Wirtschaftskriminalität ignoriert worden. Ich meine, der Tatbestand des § 263 StGB hat eine gute Basis dafür gegeben, das meiste, was an Wirtschaftskriminalität auftritt, zu verfolgen. Die Schwierigkeiten liegen da, wo auch die Herren Vorredner sie schon zum Teil gesehen haben, nämlich bei der notwendigen Sachkunde, Ausbildung, personellen und sachlichen Ausstattung im Bereich der Strafverfolger und der Justiz, bei der Verfolgung dieser Delikte. Man hätte dann sicherlich manchen Tatbestand, der nicht zu verfolgen war, doch subsumieren können, wenn die gleiche Sachkunde, die gleiche Intensität beim Nachdenken,
beim Erforschen der Probleme auf seiten der Verfolger gewesen wäre wie auf seiten der Täter.
Der Bundestag hat, wie Sie wissen, in den letzten Jahren auch im Bereich des Verfahrens einiges getan, um die Verfolgung wirksamer zu machen. Wir hoffen, daß die Ausnutzung dieser Möglichkeiten durch die Länder Vorrang bei ihren vielen Aufgaben genießt und daß auch von daher denn sonst wären unsere Bemühungen im materiellen Recht wenig sinnvoll die Verfolgung der Wirtschaftskriminalität weiterhin nachhaltig unterstützt wird.
Einige Tatbestände - die Herren Vorredner haben eindrucksvoll auf die Möglichkeiten hingewiesen sind bisher sicherlich nicht erfaßbar gewesen. Das gilt insbesondere für den Bereich der Subventionen. Ich bin mir zwar nicht ganz im klaren darüber, wie Weizenmajonäse hergestellt werden soll; Herr Penner hat diese Möglichkeit hier erwähnt.
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Aber die anderen Beispiele waren einleuchtend genug. Tatsächlich hat es Lücken gegeben, die mit dem neuen Tatbestand wahrscheinlich sinnvoll ausgefüllt werden.
Schwieriger ist schon einiges, was zum Tatbestand des Wuchers gesagt worden ist, der ja - darauf muß man deutlich hinweisen nicht nur in strafrechtlicher Hinsicht anders behandelt, sondern gleichzeitig auch im Bürgerlichen Gesetzbuch in neuer Fassung eingeführt werden soll. Hier werden wir uns sehr viel sorgfältige Gedanken zu machen haben, ob die vorgeschlagene Fassung wirklich klar genug ist, damit nicht neue Rechtsunsicherheit entsteht. Die Frage, was ein „auffälliges Mißverhältnis" so heißt der neu eingeführte, wie ich meine, recht unbestimmte Rechtsbegriff - zwischen Leistung und Gegenleistung ist, müssen wir genau erörtern. Wir müssen mindestens versuchen, bei unseren Beratungen für die zukünftige Rechtsprechung klare Hinweise zur Auslegung dieses Begriffes zu geben. Wir möchten jedenfalls nicht, daß es zu einem Vorgang kommt, den ich einmal als „staatsanwaltschaftliche Nachkalkulation" bezeichnen möchte. Es wäre sicherlich nicht sinnvoll, in dieser Weise in das Wirtschaftsleben einzugreifen.
Schwierig wird es - die Herren Vorredner haben auch hier schon Beispiele angedeutet -, wenn insbesondere im Bereich der Konkursstraftaten von „fahrlässigen" Begehungsformen die Rede ist. Wir haben ja den interessanten Vorgang z. B. im Verhältnis zwischen Richtern und Rechtsanwälten, daß von Zeit zu Zeit immer wieder Urteile ergehen, in denen zu lesen ist, daß der Rechtsanwalt, wenn er sich nur die nötige Mühe gemacht und die von ihm zu verlangende Sorgfalt angewendet hätte, einen Fehler in der Beratung hätte vermeiden können. Das stellen jeweils Richter fest, für deren Haftung für eigene Fehlurteile weit großzügigere Maßstäbe angewendet werden mit der Begründung - ich kann Ihnen ein Urteil des Oberlandesgerichts Bremen dazu überreichen -, die Richter könnten sich mal irren und wären übrigens so überlastet, daß von ihnen nicht die gleiche Sorgfaltsanwendung wie von den Rechtsanwälten verlangt werden könne.
Wie steht es jedoch, von hier aus geschlossen, mit der Fahrlässigkeit desjenigen, der im Strudel eines abwärts gehenden Unternehmens nicht das tut, was der Klarblickende und Festbesoldete von seinem ruhigen Schreibtisch aus für die „notwendige Sorgfalt" hält? Ich fürchte, daß wir hier zu ähnlichen Mißverhältnissen kommen könnten in der Beurteilung desjenigen, der die Verantwortung aus einer ganz anderen Sicht sieht als derjenige, über den er zu urteilen haben wird, wie in dem eben genannten anderen Bereich.
Ich hoffe, daß es uns in den Beratungen gelingt, auch bei diesem Problem das äußerste zu tun, um Klarheit zu schaffen, um da, wo altes Unrecht bereinigt werden soll, nicht neues Unrecht entstehen zu lassen. Das wird eine der mehreren wichtigen Aufgaben sein. Diese Aufgaben werden uns durch die ausgezeichneten Vorarbeiten erleichtert, für die ich auch im Namen der Freien Demokraten sowohl der Kommission wie der Bundesregierung danken möchte.
Wir stimmen dem Überweisungsvorschlag zu.
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Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung - federführend - an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform und - mitberatend - an den Wirtschafts- und Finanzausschuß vor. Ich höre keinen Widerspruch; dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
- Drucksache 7/3100 Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0})
- Drucksache 7/3499 Berichterstatter: Abgeordneter Urbaniak
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Das Wort hat der Herr Berichterstatter. Bitte schön, Herr Urbaniak!
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hause liegt heute der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zur Abschlußberatung vor. Der Gesetzentwurf war in erster Lesung dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als federführendem Ausschuß und dem Innenausschuß sowie dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform zur Mitberatung überwiesen wor11776
den. Alle Ausschüsse haben ihre Beratungen abgeschlossen.
Als Berichterstatter des federführenden Ausschusses darf ich Ihnen folgendes vortragen. Der Gesetzentwurf ist eine flankierende Maßnahme zu der von der Bundesregierung mit dem Aktionsprogramm vom 6. Juni 1973 eingeleiteten Politik zur Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung. Eine ganze Reihe der damals vom Bundesarbeitsminister vorgetragenen Punkte konnten bereits durch dieses Hohe Haus als erledigt bezeichnet und abgehakt werden.
Die seither getroffenen Maßnahmen, insbesondere der Anwerbestopp, haben verstärkt skrupellose Menschen auf den Plan gerufen, die die hierdurch auf dem Arbeitsmarkt geschaffene Lage zu ihrem Vorteil ausnutzen, indem sie illegal ausländische Arbeitnehmer in das Bundesgebiet einschleusen, vermitteln, überlassen oder zu ausbeuterischen Arbeitsbedingungen beschäftigen. Dies wird auch durch den Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bestätigt. Über diesen Bericht ist im Fachausschuß sehr ausführlich debattiert w orden.
Der federführende Ausschuß und die mitberatenden Ausschüsse haben es deshalb begrüßt, daß die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf die Initiative ergriffen hat, um diese Machenschaften energischer bekämpfen zu können. Die Koalitionsfraktionen stellten den Antrag, keinen Unterschied zwischen dem Arbeitsverhältnis eines deutschen und dem eines ausländischen Arbeitnehmers zu machen, soweit Fragen der Rechtsfindung als Urteilskriterien eine Rolle zu spielen haben. Ich glaube, daß das hinreichend durch die Vorschläge und Anregungen sowie durch die Beschlüsse im Ausschuß gelungen ist.
In den Ausschußberatungen konnte der Gesetzentwurf noch verbessert werden. Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform und - ihm folgend - der federführende Ausschuß schlagen entsprechend einer Anregung des Bundesrates vor, die Strafvorschriften über die Beschäftigung und das Tätigwerdenlassen von ausländischen Arbeitnehmern und Leih-Arbeitnehmern ohne Erlaubnis zu ausbeuterischen Arbeitsbedingungen präziser zu fassen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß wir dazu im Ausschuß eine Debatte geführt und entsprechende Anträge der Koalition zur Abstimmung gebracht haben.
Besonders hat aber der federführende Ausschuß auf Antrag der SPD und FDP eine wichtige Neuerung aufgegriffen. Künftig soll ein Arbeitgeber, der ausländische Arbeitnehmer ohne Arbeitserlaubnis beschaftigt, primär die Kosten ihrer Abschiebung - vielleicht sollte man besser „Heimschaffung" sagen - tragen. Im mitberatenden Innenausschuß hat sich daran eine lebhafte Debatte entzündet, welche Wortwahl eigentlich für die Zukunft hier gefunden werden sollte. Der Arbeitnehmer soll hinsichtlich dieser Kosten nur noch in Anspruch genommen werden, wenn die Kosten vom Arbeitgeber nicht beigetrieben werden können.
Die Vorschrift wird nicht nur viele Arbeitgeber in Zukunft abhalten, ausländische Arbeitnehmer ohne
Arbeitserlaubnis zu beschäftigen, und damit die arbeitsmarktpolitischen Ziele der Bundesregierung fördern. Sie entspricht, wie wir nach unserer Beratung im Ausschuß meinen, auch den sozialen Notwendigkeiten.
Die Ausschüsse haben ihre Beschlüsse nicht nur einstimmig, sondern auch schnell gefaßt; ich möchte das mit Genugtuung sagen und auch darauf hinweisen, daß hiermit ein weiterer Punkt des Aktionspro-grammes zur Beschäftigung der ausländischen Arbeitnehmer erledigt werden konnte.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Fassung der Ausschußdrucksache 7/3499 zuzustimmen.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
In zweiter Beratung rufe ich auf die Artikel 1, 2, 2 a, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion darf ich folgende Erklärung abgeben.
Unsere Fraktion registriert mit Genugtuung die zügige Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs. Die Regierung hat ihn am 21. Januar dem Parlament zugeleitet. Einen Monat später fand die erste Lesung statt. Drei Ausschüsse wurden mit dem Entwurf befaßt; heute soll er Gesetz werden.
Eile war in der Tat geboten. Mit diesem Gesetz wollen wir arbeitsmarktpolitische Fehlentwicklungen korrigieren, wir wollen die sozialpolitischen Schutzzäune besser abstützen, und wir wollen einen besonders häßlichen kriminellen Tatbestand, den Handel mit menschlicher Arbeitskraft im Dunkel der Illegalität, der meist mit der skrupellosen Ausbeutung der „Ware Mensch" verbunden ist, mit schärferen Strafen ahnden.
Ich bekenne offen, daß wir das neuerstandene Gewerbe der Arbeitnehmerüberlasser mit geschärfter Aufmerksamkeit beobachten. Der von der Bundesregierung dankenswerterweise pünktlich vorgelegte Bericht über die Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes hat unserer Skepzis weitere Nahrung gegeben. Indes, der „Probelauf" des Gesetzes reicht wohl noch nicht dazu aus, den Stab über die Leiharbeit in ihrer heutigen Form insgesamt zu brechen. Sicher ist, daß weitere gesetzliche Korrekturen notwendig sind. Die Regierung wird dazu - das ist im Ausschuß deutlich geworden - Vorschläge unterbreiten, und wir werden aufgefordert sein, auch diese Novellierung bei aller Sorgfalt der Beratungen so zügig wie möglich zu verabschieden.
Hier und heute geht es um den besonders gewinnträchtigen, aber auch besonders skandalösen Teilbereich der illegalen Anwerbung, Vermittlung, Weiterverleihung und Beschäftigung ausländischer
Arbeitnehmer, die keine Arbeitserlaubnis besitzen. Um möglichen Mißdeutungen vorzubeugen: Wir Sozialdemokraten sehen diesen Gesetzentwurf nicht nur in der aktuellen konjunkturpolitischen Situation. Die Regierung hätte ihn auch dann eingebracht, wir hätten ihn auch dann verabschiedet, wenn Arbeitslosenziffern im Lande nicht diskutiert würden.
Es ist ein kriminelles Delikt, wenn Überlasser die Zwangslage ausländischer Arbeitnehmer, die keine Arbeitserlaubnis besitzen, rigoros mit der Zahlung von Dumping-Löhnen ausbeuten. Es ist kriminell, wenn man diese Arbeitnehmer auch noch illegal in in die Bundesrepublik einschleust, um sie in eine Zwangslage zu bringen, die der Willkür Tür und Tor öffnet. Und es ist kriminell, wenn man als Entleiher die ausländischen Arbeitnehmer zu Arbeitsbedingungen beschäftigt, die deutlich unter denen vergleichbarer deutscher Leih-Arbeitnehmer liegen.
Damit die genannten kriminellen Delikte von den Gerichten nicht als läßliche Kavalierssünden geahndet werden, haben wir den Strafrahmen deutlich verschärft. Wir haben Haftstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren angedroht, und wir haben festgelegt, daß Bußgelder von 1000 DM bei kleineren Ordnungswidrigkeiten und von 50 000 DM bei schwereren Delikten verhängt werden können. Jetzt liegt es an den Gerichten, mit dem verschärften Strafrahmen dieser modernen Form des Menschenhandels und der Vermarktung billiger Arbeitssklaven zu Leibe zu rücken.
Es wird notwendig sein, aufmerksam zu registrieren, ob die Erwartungen des Gesetzgebers entsprechende Berücksichtigung durch die Rechtsprechung finden. Die neuen Paragraphen sind klar; wir möchten die Gerichte ermuntern, den ihnen gegebenen Rahmen in schweren Fällen auch wirklich auszuschöpfen.
Wie viele ausländische Arbeitnehmer in der Bundesrepublik illegal verliehen und entliehen werden, wissen wir natürlich nicht verläßlich. Die Dunkelziffer der illegal Beschäftigten wird von der Bundesregierung auf insgesamt 200 000 geschätzt. Das ist genau der Kreis, an dem die neuen Menschenhändler nicht nur durch niedrigere Löhne, sondern auch durch Mißachtung unserer üblichen sozialen Gebote und Errungenschaften verdienen.
Das Geschäft ist mit der abflauenden Konjunktur keineswegs zum Erliegen gekommen. In Anatolien, auf der Iberischen Halbinsel und im Maghreb warten Tausende auf ihre vermeintliche Chance. Sie nehmen das Risiko der Illegalität auf sich, weil ihnen selbst ein Leben unter den Bedingungen der modernen Ausbeuter besser erscheint als ihr jetziger Zustand. Das ist die Chance der Verleih-Hyänen. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung ist geeignet, ihnen das Geschäft gründlich zu verleiden und besonders die Entleiher mit Risiken zu konfrontieren, die die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit als Gebot der unternehmerischen Vernunft erscheinen lassen.
Wir haben Grund, Bundesminister Walter Arendt für das schnelle und entschlossene Handeln seines Hauses zu danken. Walter Arendt hat einmal mehr unter Beweis gestellt, daß die Humanisierung der Arbeitswelt, der Schutz vor Ausbeutung, die Abwehr des Versuchs der sozialen Demontage für diese Regierung kein Lippenbekenntnis, sondern permanente Verpflichtung zum Handeln sind.
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Wir erwarten von der Mehrheit der Union im Bundesrat, daß dem Gesetzesvorhaben nach der heutigen Entscheidung keine neuen Stolpersteine in den Weg gerollt werden. Mit unserem Votum unternehmen wird den Versuch, einen relativ jungen Zweig der Wirtschaftskriminalität auszutrocknen. Schärfere Strafdrohungen sollen die schwarzen Schafe im Wirtschaftsbereich auf den Pfad rechtsstaatlicher Tugend zurückführen. Wir wollen einigen cleveren und gewissenlosen Arbeitnehmerüberlassern die Kundschaft rauben. Wir wollen den Entleihern das Risiko, Arbeitnehmer illegal zu beschäftigen, sehr nachdrücklich und ernsthaft vor Augen führen.
Wer den vorliegenden Gesetzentwurf liest, dem wird sofort klar, daß damit kein neuer Graben zwischen bundesdeutschen und ausländischen Arbeitnehmern aufgerissen wird. Wir registrieren dankbar, daß auch in diesem schwierigen Winter die Solidarität zwischen deutschen und ausländischen Arbeitnehmern stärker war als mögliche Versuche, Vorurteile verschiedenster Art zu mobilisieren. Die Arbeitnehmer und ihre Betriebsräte haben in ihrem praktischen Verhalten gezeigt, daß für sie Partnerschaft und Solidarität keine leere Formel war. Wenn wir über die Grenzen blicken, dann wissen wir, daß ein solches Verhalten keineswegs überall eine Selbstverständlichkeit ist.
Die illegale Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer und das Lohndumping, das Angst und Unwissenheit der Illegalen konsequent ausnutzt, sollen verhindert werden. Verhindert werden soll die Tätigkeit einer besonders bösartigen Spezies in unserer Marktwirtschaft: die Tätigkeit des durch keine sozialen oder rechtlichen Bedenken gebremsten Raubfisches im kapitalistischen Karpfenteich. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, uns dabei helfen, werden wir Ihre Zeichen der Zusammenarbeit mit Gewißheit nicht zurückweisen. Zu einem aber möchten wir Sie ermuntern, nämlich selbst einmal initiativ zu werden, wenn sich geradezu asoziale Verkümmerungen der Wettbewerbsgesellschaft zeigen. Die heutige Zustimmung wäre nämlich noch kein Beweis für eine Politik des konsequenten Schutzes der Arbeitnehmerinteressen und der ebenso konsequenten Abwehr schrankenlosen Erwerbsstrebens, das selbst die Illegalität und die Ausbeutung der Illegalen nicht scheut, wäre noch kein Beweis für eine soziale Politik, für die diese Regierung hier in diesem Hohen Hause Woche für Woche Beweise liefert.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht liegt es an dem etwas
barocken Titel des Gesetzentwurfs, über den wir heute entscheiden, daß die eigentliche Bedeutung unseres Vorhabens nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Mit der Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die wir vorzunehmen beabsichtigen und der die CDU/CSU-Fraktion zustimmt, soll eine Verschärfung der Straf- und Bußgeldvorschriften für illegale Ausländerbeschäftigung verbunden werden. Die Zwangslage, in der sich viele ausländische Arbeitnehmer befinden, wurde in der Vergangenheit leider allzuleicht von illegalen Anwerbern, Vermittlern, Ver- und Entleihern für ausländische Arbeitnehmer ausgenutzt. Nutzen aus der Not anderer zu ziehen ist keine Maxime des sozialen Rechtsstaates. Deshalb muß denjenigen, die aus der Not ausländischer Mitbürger Nutzen ziehen, mit Hilfe dieses Gesetzes zu Leibe gerückt werden. Illegale Anwerbung, Vermittlung, Verleihung, Entleih ohne Arbeitserlaubnis - diese so kühle und nüchterne Sprache der Verwaltung, in der diese Begriffe eingesetzt sind, verdeckt sehr häufig die Härte des Schicksals der Arbeitnehmer, die von diesen Vorgängen betroffen werden. Die Begriffe „Menschenhandel" und „plumpe Ausbeutung" würden die Wirklichkeit der Illegalität, mit der wir es hier zu tun haben, wahrscheinlich besser treffen. Wir sind der Meinung, daß es sich bei der unberechtigten Vermittlung und der Überlassung ausländischer Arbeitnehmer, die aus grobem Eigennutz begangen werden, nicht um Kavaliersdelikte, sondern um Kriminalität handelt. Die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer ohne Arbeitserlaubnis - häufig zudem noch unter Arbeitsbedingungen, die man keinem deutschen Arbeitnehmer zumuten würde - ist keine Ordnungswidrigkeit, sondern ein schweres kriminelles Unrecht.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb die Verschärfung der Strafbestimmungen, weil sich das bisherige Ausmaß der Strafe als nicht ausreichend wirkungsvoll herausgestellt hat. Denn dort, wo nur mit Geldstrafen geahndet wurde, liegt der Verdacht nahe, daß manche der modernen Menschenhändler diese Geldstrafen als unliebsame Unkosten ihres Gewerbes kalkuliert haben.
Die Verschärfung der Strafbestimmungen unter Einschluß erhöhter Freiheitsstrafen wird auch - auch - einen Beitrag zur Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung in unserem Lande leisten. Denjenigen, die den Anwerbestopp durch illegale Beschäftigung unterlaufen, wird das Handwerk risikoreicher gemacht. Wir erhoffen uns dadurch eine abschreckende Wirkung, die den Appetit auf Illegalität mindert.
Meine Fraktion begrüßt ebenso, daß die Arbeitgeber in Zukunft als erste für die Kosten der Abschiebung illegal beschäftigter Ausländer haften.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir im Anschluß an das, was der Berichterstatter vorgetragen hat, noch eine kritische Bemerkung zu dem Terminus „Abschiebekosten". Menschen sind keine Eisenbahnwaggons.
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Wo von „Abschiebung" die Rede ist, liegt die Vorstellung eines Rangierbahnhofs nahe.
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Menschen als Sachen anzusehen, schließt die Gefahr ein, daß diese Vorstellung auch die Praxis prägt. Wir wollen keine Wirklichkeit, in der Menschen wie Sachen behandelt werden.
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Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung war einmütig der Meinung, daß der Ausdruck „Abschiebekosten" und „Abschiebung", der ja nicht allein in diesem Gesetz vorkommt, durch ein Wort ersetzt werden sollte, das der unteilbaren Würde des Menschen gerechter wird als dieser diskriminierende Ausdruck.
Wir werden heute mit der Verabschiedung dieses Gesetzes einen großen Schritt vorwärtskommen und damit auch einen Fortschritt auf dem Wege praktischer Humanität erreichen, einen Fortschritt, der sich wahrscheinlich aus vielen kleinen Schritten zusammensetzt.
Doch Gesetze bleiben von papiernem Wert, wenn sie nicht angewandt werden. Auf uns alle aber und besonders auf die Bundesanstalt für Arbeit und die Ausländerbehörden kommt bei der Sorge für die legale Beschäftigung der ausländischen Arbeitnehmer eine große Aufgabe zu. Wenn beispielweise bis zum 31. Dezember 1973 in nur 26 Fällen Strafanzeige wegen Verleihs ausländischer Arbeitnehmer ohne Arbeitserlaubnis erstattet wurde, dann liegt das mit Sicherheit nicht daran, daß wir es mit einem Mangel an Verstößen zu tun hätten - einem „Mangel", den wir ja leicht ertragen könnten -, sondern daran, daß wir die Verstöße nicht ausreichend und nicht wirkungsvoll unter Kontrolle gebracht haben. Die Bundesanstalt für Arbeit bedarf unserer Unterstützung. Sie bedarf ausreichenden und geschulten Personals, und sie bedarf auch der Zusammenarbeit mit den Sozialversicherungsträgern, mit den Finanzverwaltungen und den Strafverfolgungsbehörden.
Wir sind gerade in schlechten Zeiten zu einer besonderen Solidarität mit unseren ausländischen Mitbürgern verpflichtet, die uns in guten Zeiten geholfen haben. Ohne die Mitarbeit der ausländischen Arbeitnehmer wäre das Wachstum unserer Wirtschaft nicht in dem Maße möglich gewesen, in dem es möglich war, und ohne die Beitragszahlung der ausländischen Arbeitnehmer wäre unsere Sozialversicherung in größere Schwierigkeiten geraten. Deshalb gilt es, hier und heute auch die Gelegenheit zu nutzen, den ausländischen Arbeitnehmern Dank zu sagen und sich jeder Diskriminierung unserer ausländischen Mitbürger in den Weg zu stellen.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen. Es wird in letzter Zeit in diesem Hause und auch in der Öffentlichkeit sehr viel gerätselt, philosophiert und spekuliert über Polarisation, Konfrontation und ähnliche politische Konstellationen. DieDr. Blüm
ses Gesetz findet die Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses. Der Bundestag beweist damit, daß er zur Übereinstimmung ebenso fähig ist wie zur politischen Gegnerschaft. Diese beiden Seiten gehören zu der einen Medaille „parlamentarische Demokratie".
Die Opposition wird weiterhin Gesetze ablehnen, wenn sie es für nötig hält, und Gesetzen zustimmen, wenn sie es für richtig hält. Das vorliegende Gesetz ist unserer Meinung nach ein gutes Gesetz; deshalb haben wir daran mitgearbeitet, und deshalb werden wir ihm zustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil dem so ist - um mich gleich dem Kollegen Blüm anzuschließen -, weil dieses Gesetz Gott sei Dank wohl einvernehmlich verabschiedet wird, denke ich, es ist hierzu gesagt worden - auch bereits in der ersten Lesung -, was heute zu sagen ist. Deshalb erlauben Sie mir, daß ich für meine Fraktion nur noch ganz kurz folgendes feststelle.
Wir unterstützen alle Bemühungen, die der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer dienen. Hierzu ist dieser Gesetzentwurf mit der Verschärfung der Strafbestimmungen sicher ein wichtiger Beitrag. Aber ich denke, er kann nur ergänzenden Charakter haben; denn mit Strafen allein beseitige ich natürlich nicht die Ursachen von Problemen. Es bedarf sicher noch verbesserter internationaler Vereinbarungen, und es bedarf sicher auch einer Verbesserung und Fortschreibung der laufenden und von der Bundesregierung auch für die Zukunft beabsichtigten sozial- und arbeitsmarktpolitischen Bemühungen zur Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung.
Wir begrüßen auch die Änderungen, die während der Ausschußberatungen vorgenommen wurden, hierbei insbesondere die primäre Inanspruchnahme des Arbeitgebers für die Kosten des Rücktransports. - Sie haben natürlich recht, Herr Kollege Blüm: „Abschiebehaft" ist für uns alle, die wir nicht in unverständlichem juristischen Formeldenken verhaftet sind, ein höchst makabrer Ausdruck. - Wir begrüßen, daß in Zukunft der Arbeitgeber primär die Kosten des Rücktransports eines illegal beschäftigten Arbeitnehmers zu tragen hat. Solche Arbeitgeber sind ja auch die eigentlichen Übeltäter, weil sie die wirtschaftliche und soziale Zwangslage von Menschen schamlos ausnutzen.
Unsere Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen.
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Wird des weiteren in der zweiten Lesung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich lasse über die aufgerufenen Bestimmungen abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
In der allgemeinen Aussprache erteile ich das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Buschfort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Bundesregierung begrüße ich es, daß der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, der erst vor zwei Monaten in erster Lesung beraten wurde, schon heute zur Verabschiedung ansteht und die Zustimmung aller in diesem Hause vertretenen Parteien. finden wird.
Es ist gut, wenn die Ausländerpolitik der Bundesregierung vom Parlament in seiner ganzen Breite getragen wird. Ich möchte deshalb zunächst die Frage beantworten, die Herr Kollege Müller ({0}) bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs gestellt hat, nämlich wie es in Zukunft mit der Beschäftigung ausländischer Arbeiter bestellt sein wird.
Die Bundesregierung hat bereits mit ihrem Aktionsprogramm zur Ausländerbeschäftigung vom 6. Juni 1973 eine Politik der Konsolidierung eingeleitet, um die große Zahl der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien an die Aufnahmefähigkeit unseres Landes und seiner sozialen Infrastruktur, insbesondere in Ballungsgebieten, anzupassen.
Am 23. November 1973 hat sie den Anwerbestopp verhängt. Diese Maßnahme hat die Erwartungen erfüllt. Seit dem Anwerbestopp ist die Zahl der im Bundesgebiet beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer deutlich zurückgegangen.
Als jüngste Maßnahme wurde am 1. April 1975 der Zuzug ausländischer Arbeitnehmer in Ballungsgebiete beschränkt. Danach werden Gebiete, in denen der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung den Bundesdurchschnitt unverhältnismäßig übersteigt, für einen weiteren Zuzug ausländischer Arbeitnehmer gesperrt.
Von der Zuzugsbeschränkung sind eine Reihe von Stadt- und Landkreisen in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern betroffen, so z. B. Remscheid, Frankfurt, Stuttgart, Ulm und München, um nur einige zu nennen.
Die Länder haben darüber hinaus die Möglichkeit, nach Maßgabe der vorgesehenen Kriterien auch weitere Gebiete zu überlasteten Gebieten zu erklären, für die dann ebenfalls die Zuzugsbeschränkung gilt.
Wir erhoffen uns davon, daß die Infrastruktur in den Ballungsgebieten nicht durch zusätzliche ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien belastet wird.
Falls ein unabweisbares Bedürfnis nach Einstellung weiterer Arbeitskräfte besteht, sollen diese aus arbeitslosen deutschen Arbeitnehmern gewonnen werden.
Schließlich soll die Maßnahme im Interesse einer gesunden Strukturpolitik auch zur Entballung übermäßiger Industrie- und Bevölkerungsansammlungen beitragen.
Sie ersehen daraus, daß die Bundesregierung gewillt ist, im Interesse ,der deutschen Bevölkerung und der Ausländer die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausländerbeschäftigung sozial vertretbar zu gestalten. Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft von diesem Ziel leiten lassen.
Die deutsche Wirtschaft wird zwar auch künftig eine große Zahl ausländischer Arbeitnehmer beschäftigen. Die strukturellen Änderungen, die unsere Wirtschaft zur Zeit durchmacht und die viele ausländische Arbeitnehmer freigesetzt haben, zeigen aber, daß auch bei einem Aufschwung der wirtschaftlichen Entwicklung die derzeitige Ausländerpolitik der Bundesregierung beibehalten werden kann und sicher noch lange fortgesetzt werden sollte. Wir müssen aus sozialen und humanitären Gründen versuchen, die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer nicht mehr ansteigen zu lassen.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt in diesem Zusammenhang erhebliche Bedeutung zu. Die Bemühungen der Bundesregierung um eine Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung erfordern die Verhütung und notwendigenfalls die Ahndung der unberechtigten Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung illegaler ausländischer Arbeitnehmer.
Der Gesetzentwurf bestimmt deshalb, daß die Anwerbung und Vermittlung von Arbeitnehmern im Ausland für eine Beschäftigung im Inland ohne Erlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit in besonders schweren Fällen mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren geahndet werden kann.
Die gleiche Strafandrohung soll für besonders schwere Fälle der unberechtigten Vermittlung und Überlassung von Arbeitnehmern ohne Arbeitserlaubnis gelten. Ein besonders schwerer Fall liegt insbesondere dann vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oder aus grobem Eigennutz handelt.
Arbeitgeber und Entleiher ausländischer Arbeitnehmer ohne Arbeitserlaubnis konnten bisher nur mit einer Geldbuße belegt werden. Künftig können auch sie mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, sofern die Beschäftigung oder das Tätigwerden zu ausbeuterischen Arbeitsbedingungen erfolgt. In besonders schweren Fällen ist auch hier eine Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen.
In den Ausschußberatungen ist der Entwurf noch um eine Vorschrift ergänzt worden, nach der der Arbeitgeber, der ausländische Arbeitnehmer ohne die erforderliche Arbeitserlaubnis beschäftigt, primär - das heißt vor dem Arbeitnehmer - die Kosten -- Herr Kollege Blüm, vielleicht ist dieses Wort schon ein wenig besser - seiner Heimschaffung zu tragen hat.
Ich begrüße diese Regelung sowohl im Interesse der deutschen Arbeitnehmer wie auch der Ausländer, die sich rechtmäßig hier aufhalten. Sie können beanspruchen, daß der deutsche Arbeitsmarkt nicht unkontrolliert von außen überschwemmt wird. Ich begrüße diese Regelung aber auch aus sozialen Gründen; denn das Verschulden des illegalen Ausländers, der hier seine Beschäftigung sucht, wiegt in der Regel geringer als das des Arbeitgebers, der illegale Ausländer beschäftigt.
Ich bitte Sie, dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben.
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Wird in der allgemeinen Aussprache weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versammlungsgesetzes
- Drucksache 7/3419
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0})
Rechtsausschuß
b) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Sicherheitsprogramm
-- Drucksache 7/3356 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({1})
Haushaltsausschuß
Wird der Gesetzentwurf des Bundesrates begründet? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann spricht jetzt zur Begründung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU der Abgeordnete Dr. Miltner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Grundlagen des Rechtsstaates gehört es, daß die Gerichte, denen die Sicherung der Rechtsordnung aufgetragen ist, ihre Entscheidungen unbeeinflußt von jedem äußeren Druck treffen. Es darf nicht einmal der Anschein geduldet werden, als lasse sich ein Gericht in seiner Entscheidung unter Zwang setzen. Für den Fall, daß auf die Entscheidungsfreiheit eines Gerichts in erheblichem Maße Druck oder Zwang ausgeübt zu werden droht, müssen rechtliche Möglichkeiten bestehen, um dieser Gefahr zu begegnen. Deshalb haben die CDU/ CSU-regierten Länder im Bundesrat einen Gesetzentwurf mit dem Ziel eingebracht, die Entscheidungsfreiheit eines Gerichts in solchen Fällen zu sichern, in denen sie durch Demonstrationen gefährdet werden kann.
Nach dem Versammlungsgesetz kann zwar schon jetzt eine Versammlung oder ein Aufzug verboten werden, wenn die öffentliche Ordnung oder die
öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist. Aber die Voraussetzungen für eine einschränkende Verfügung sind zu eng umgrenzt; die Regelung versagt bei echten oder vorgetäuschten Spontandemonstrationen, obwohl gerade damit eine unzulässige Einflußnahme auf gerichtliche Entscheidungen angestrebt werden kann.
Lassen Sie mich hierzu zwei Beispiele für Demonstrationen nennen, auf deren Unterbringung der Gesetzentwurf abzielt. Im „Roten Morgen", dem Zentralorgan der KPD /ML, vom 21. Dezember 1974 wird folgendes berichtet - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Am 4. 12. standen in West-Berlin zwei Rotgardisten vor einem bürgerlichen Klassengericht. Noch zu Beginn des Prozesses wurde die Offentlichkeit für die gesamte Verhandlung ausgeschlossen. Die Zuschauer unterstützten aber die Genossen von draußen weiter, indem sie laut Parolen gegen die Klassenjustiz riefen.
Ein anderes Beispiel: In der gestrigen Ausgabe der FAZ wurde über den Prozeß gegen zwei Vollzugsbeamte in Mannheim folgendes berichtet - ich zitiere wiederum -:
Der Prozeß begann unter Polizeischutz in nervöser Atmosphäre. In der Nacht war das Gebäude des Landgerichts mit Parolen beschmiert worden, in denen den Richtern das gleiche Ende wie dem Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann angedroht wurde. Junge Leute verteilten in der Halle Flugblätter des „Frankfurter Gefangenenrates". Sie entrollten später während der Verhandlung im Sitzungssaal ein Transparent, dessen Aufschrift sich gegen den baden-württembergischen Justizminister Bender richtete.
Angesichts der bevorstehenden Prozesse gegen Baader-Meinhof-Mitglieder ist - so möchte ich sagen - auch aus diesem speziellen Grunde die Gesetzesänderung notwendig. Der Entwurf sieht vor, daß um Gerichtsgebäude befriedete Bannkreise festgelegt werden können, in denen öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge grundsätzlich verboten sind.
Meine Damen und Herren, nun komme ich zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion über das Sicherheitsprogramm. Wir verfolgen damit das Ziel, den Methoden der Verbrechensbekämpfung neue Impulse zu geben. Ausgangspunkt ist das Programm der Konferenz der Innenminister und Innensenatoren des Bundes und der Länder vom Februar 1974. Dieses Programm, das u. a. Absprachen über Stärke, Organisation und Ausrüstung der Polizei enthält, ist nur sinnvoll, wenn es zügig realisiert wird. Dies setzt aber voraus, daß nicht nur die Innenminister selbst, sondern alle Regierungen einschließlich ihrer Finanzminister darauf verpflichtet sind. Außerdem verlangt es die Bereitschaft aller Beteiligten, Organisation und Struktur ihrer Sicherheitseinrichtungen so aufeinander abzustimmen, daß die bestmögliche Zusammenarbeit gewährleistet ist. Unsere Entschließung soll die Bundesregierung auf ihre politische
Führungsaufgabe hinweisen, damit sie in diesen Fragen vorangeht und entsprechende Hilfen gibt.
Gerade die Methoden verschiedener Terrorgruppen haben gezeigt, daß weitere konkrete Maßnahmen erforderlich sind. Mit Recht hat der Präsident des Bundeskriminalamts von der hockentwickelten Technik der Fälschung von Ausweispapieren und Kfz-Kennzeichen gesprochen, die zur perfekten Tarnung beitrage.
Es ist uns bekannt, daß zur Verschleierung der Personenidentität der Bandenmitglieder gefälschte Pässe und Ausweispapiere gebraucht wurden. Die Umrüstung gestohlener Personenkraftwagen mit gefälschten Nummernschildern und Papieren dienten Kriminellen, insbesondere auch im Falle BaaderMeinhof, der Durchführung ihrer Straftaten. Die CDU/CSU-Fraktion macht daher zu zwei Punkten, nämlich zur Fälschung und zum Mißbrauch von KfzKennzeichen und Personalausweisen, konkrete Vorschläge. Es wäre die Pflicht der Bundesregierung gewesen, dazu schon früher geeignete Maßnahmen vorzuschlagen. Sie hat es bisher nicht geschafft, über das Stadium von Vorüberlegungen oder kleinsten Detailverbesserungen hinauszukommen.
Zahlreiche Kriminelle arbeiten mit dem Einsatz moderner technischer Mittel. Hier gibt es nun Gelegenheit, die von der Bundesregierung stets gerühmten Verbesserungen der Technik bei der Verbrechensbekämpfung entsprechend einzusetzen.
Neben den genannten Punkten in unserem Entschließungsantrag gibt es weitere, die geprüft werden müssen. Ich denke z. B. daran, ob das geltende Melderecht ausgeschöpft ist. Die Bundesregierung muß also ihre Führungsaufgabe wahrnehmen, Anstöße geben, und die Möglichkeiten strikterer Anwendung der vorhandenen Gesetze mit den Ländern erörtern.
Da die Bundesregierung gegen den Gesetzentwurf zur Änderung des Versammlungsgesetzes keine Anwendungen erhebt, wird man erwarten dürfen, daß eine rasche Verabschiedung dieses Gesetzes im Bundestag erfolgen kann. Die von uns im Entschließungsantrag beispielhaft genannten Verbesserungen bei der Verbrechensbekämpfung sollen einen Impuls darstellen, weitere Möglichkeiten bei der Beratung zu erörtern und dann auch zu beschließen.
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Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 11.15 Uhr.
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Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern nachmittag und heute nacht stand für zwölf Stunden unser Bundesstaat vor der schwerstwiegenden Herausforderung seiner bis11782
herigen 26jährigen Geschichte. Wir haben diesen ruchlosen Angriff auf den Bestand des Rechts gemeinsam mit allen Landesregierungen, gemeinsam mit der Opposition und in enger Zusammenarbeit mit der schwedischen Regierung abwehren können.
Sechs der Terroristen, welche die deutsche Botschaft in Stockholm überfallen hatten, sind hinter Schloß und Riegel; der siebte ist tot. Zehn der zwölf Geiseln, alles Angehörige unseres Auswärtigen Dienstes, konnten befreit werden.
Aber es trifft uns alle schwer und bedrückend, daß zwei der Geiseln von den Terroristen umgebracht worden sind.
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Es ist dies zum einen der Militärattaché Oberstleutnant Andreas Baron von Mirbach. Ich bitte um Ihr Verständnis, daß ich den Namen des zweiten Toten im Augenblick nicht nennen kann. Wir verneigen uns in Trauer vor diesen Toten, die im Dienst für unseren Staat ihr Leben gelassen haben, und empfinden solidarisch mit ihren Angehörigen. Die Bundesregierung spricht den Angehörigen ihr tiefempfundenes Mitgefühl aus. Zugleich erhoffen wir für die verletzten schwedischen und deutschen Beamten baldige Genesung und begleiten sie mit unseren herzlichen Wünschen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen jetzt über den Hergang der Ereignisse in beiden Hauptstädten, Bonn und Stockholm, zu berichten und Ihnen wie dem deutschen Volk die Gründe für unser Handeln sowie meine Bewertung darzulegen. Was die Darstellung des Hergangs angeht, muß ich den Vorbehalt einfügen, daß sich das eine oder andere wichtige Detail bei genauerer Rekonstruktion später auch noch anders herausstellen könnte.
Der Überfall erfolgte mittags, kurz vor zwölf Uhr. Die Botschaft war von bewaffneten Grenzschützern sowie - das füge ich hinzu - außerhalb des Grundstücks von schwedischer Polizei geschützt. Der Schutz ist mit Waffengewalt überwältigt worden. Ich sollte an dieser Stelle vielleicht einfügen, daß eine Botschaft, die viel Publikumsverkehr hat, natürlich keine Festung sein kann und daß ihre Sicherheitsmaßnahmen, die in diesem Falle in den letzten Wochen verstärkt worden waren, niemals perfekt sein können. Wegen einiger Zeitungsnachrichten und der bei uns in der Presse abgedruckten Meldung, man habe schon vor einigen Wochen von dem Entkommen einiger deutscher Terroristen nach Schweden gewußt, möchte ich ebenfalls hinzufügen, daß damals natürlich deutsche und schwedische Polizeidienststellen miteinander in Kontakt waren. Wir waren über die Erkenntnisse der schwedischen Seite genau informiert. Diese Meldung beruhte auf einem Irrtum; es handelte sich um einen Mann, der dort auch wahrgenommen worden ist.
Die Nationalität der schwerbewaffneten Banditen war zunächst unklar. Die beiden Regierungen nahmen telefonisch Kontakt auf. Daraus hat sich dann im Laufe des Tages in Form von vielen Dutzenden von Telefongesprächen und Fernschreibkommunikationen eine umfassende enge Verbindung entwickelt. Ebenso haben wir gestern im Laufe des späten Nachmittags fachkundige und hohe Beamte nach Stockholm entsandt. Ich muß schon an dieser Stelle den intensiven persönlichen Einsatz und die Kooperation des schwedischen Ministerpräsidenten und seines Justizministers ausdrücklich erwähnen.
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Etwa um 15.50 Uhr erfuhr der schwedische Ministerpräsident die sogenannten „Forderungen" der Verbrecher, die wir inzwischen in der einen oder anderen Form gemeinsam erwartet hatten. Herr Palme selbst hat drei Minuten später den Text dieser Forderungen an mich durchtelefoniert; unmittelbar darauf haben wir die Ministerpräsidenten der Länder, die Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages und die Vorsitzenden der vier politischen Parteien zu einer Besprechung in das Bundeskanzleramt gebeten, die noch in derselben Stunde hat beginnen können.
Die von den Verbrechern gestellten Forderungen muß ich hier nicht im einzelnen wiederholen, da Sie alle inzwischen den Text aus den Nachrichtenmedien kennen. Sie liefen im Kern darauf hinaus, 26 Terroristen, darunter Baader und Meinhof, freien Abzug zu gewähren. Unter den 26 Namen befand sich der harte Kern der kriminellen Baader-MeinhofVereinigung, dem zahlreiche Morde, Mordversuche, Sprengstoffattentate und Banküberfälle zur Last zu legen sind. Die dafür Verantwortlichen hatten bis zu dem Stockholmer Verbrechen mindestens neun Tote und mehr als 100 Verletzte, zum Teil Schwerverletzte, auf dem Gewissen. Eine Freilassung dieser Verbrecher, die ihren Prozeß zum Teil erst noch erwarten, hätte eine unvorstellbare Zerreißprobe für unser aller Sicherheit und für den Staat bedeutet. Alle, die an der Beratung beteiligt waren, haben gleichwohl die gewaltige Last der Verantwortung vor der Entscheidung gespürt, die wir nach gründlicher Abwägung des Für und Wider zuletzt einhellig - unbeschadet unserer unterschiedlichen politischen Standorte - gefällt haben.
Abermals, wie im Falle der Entführer des Berliner Abgeordneten Lorenz, galt es abzuwägen zwischen der Rettung von unmittelbar bedrohtem Menschenleben auf der einen Seite und andererseits der Gefährdung, der Infragestellung der überragenden Aufgabe des Staats, das Leben aller seiner Bürger zu sichern. Es war zwischen sehr hohen Rechtsgütern abzuwägen: Zehn oder elf Menschenleben
der Oberstleutnant von Mirbach war bereits niedergeschossen worden, als die sogenannten Forderungen der Verbrecher mitgeteilt wurden - waren in höchstem Maße bedroht; dagegen stand die lebensschützende, die friedens- und rechtsschützende Funktion unseres Staats.
Der Rechtsstaat kann seine Funktion nur dann erfüllen, wenn die Bürger darauf vertrauen können, daß er seine Gesetze auch durchsetzt. Unsere Verfassung weist allein dem Staat die Verpflichtung und das Recht zu, über Strafe und über Freiheit zu entscheiden. Das hat nach festen gesetzlichen Regeln, nach einem gesetzlich geordneten Verfahren
zu geschehen. Terroristen dürfen Entscheidungen über Freiheit und Leben anderer nicht an sich reißen.
Allen im Bundeskanzleramt Versammelten, welche der Bundesregierung ihren Rat gaben, war vom ersten Augenblick an klar, daß ein Vergleich mit der Entführung des Herrn Abgeordneten Lorenz nicht möglich war. Es mag sein, daß sich einige unserer Bürger heute fragen werden, ob denn den Verantwortlichen das Leben eines Berufspolitikers mehr wert gewesen sei, da sie doch im Falle Lorenz den Terroristen nachgegeben hätten, während die Verantwortlichen in diesem Falle, in dem es sich durchweg nicht um bekannte Personen des öffentlichen Lebens handelte, mehr Härte gezeigt hätten.
Vielleicht sind es in Wahrheit nicht viele, die in gerechter Empörung über das Verbrechen zunächst so empfinden. Diesen, wie ich annehme, nicht vielen Bürgern will ich an dieser Stelle sagen: Im Falle der Lorenz-Entführung hatten wir es mit Verbrechern zu tun, die aus der Dunkelheit der Anonymität handelten. Wir konnten nicht wissen, wo sie sich befanden. Wir wußten nicht, wo sich die Geisel Lorenz befand. Infolgedessen wäre das Leben von Herrn Lorenz in keinem Falle zu retten gewesen, wenn wir auf die Bedingungen seiner Entführer nicht eingegangen wären.
In Stockholm dagegen wußten wir, wo die Täter waren, nämlich im Gebäude der deutschen Botschaft. Wir wußten auch, wo die Geiseln waren, und es gab eine Chance, durch Verhandlungen und/oder durch Polizeimittel die Geiseln zu retten und die Terroristen zu überwältigen. Darüber hinaus hatten die Stockholmer Terroristen Herrn von Mirbach schon ermordet, als sie ihre sogenannten Forderungen bekanntgaben. Zu den weiteren Unterschieden, welche die beiden Fälle unvergleichbar machen, gehört auch die Tatsache, daß der Ort des Verbrechens in Schweden liegt und daß die Verantwortlichkeiten infolgedessen zwischen zwei Staaten und ihren Regierungen geteilt waren.
Die Bundesregierung hat sich deshalb gestern nach Beratungen in dem vorerwähnten großen Kreis - einer Beratung, die in einmütig gegebene Ratschläge ausgemündet war zur Unnachgiebigkeit entschlossen. Jeder von den Beteiligten, von den Ratgeberaden wie von denjenigen, die die Entscheidung zu treffen hatten, hatte vorher sein Gewissen geprüft. Jeder einzelne hat seine Meinung gesagt, und jeder hatte das Risiko eines Scheiterns abgewogen gegen die unübersehbaren Risiken, die eine Freilassung von 26 der gefährlichsten Terroristen für uns alle und für unseren Staat bedeutet hätte.
Es ging dabei nicht um die abstrakte Autorität des Staats. Unsere Entscheidung hat sich vielmehr orientiert an dem Grundsatz, daß unser Staat vor allem anderen die Aufgabe hat, das Leben und die Freiheit aller seiner Bürger zu schützen. Vor dieser Aufgabe hätten wir versagt, wenn 26 anarchistische Banditen freigelassen worden wären, von denen zahlreiche - anders als jene fünf, mit deren Freilassung wir damals für das Leben von Peter Lorenz gezahlt haben - in diesem Falle des mehrfahren Mordes oder des versuchten Mordes und anderer
Gewaltverbrechen angeklagt sind. Diese skrupellosen Gewalttäter, wenn freigelassen, hätten mit Sicherheit versucht, später wieder in die Bundesrepublik zurückzukehren. Wie jedermann weiß, wären wir dann vielleicht schon nach kurzer Zeit am Ende aller Sicherheit gewesen. Im Falle einer Freilassung des harten Kerns der Baader-Meinhof-Bande und der mit ihr von der gleichen verbrecherischen Wahnvorstellung besessenen Nebenorganisationen hätte jeder damit rechnen müssen, daß sie schon sehr bald zu weiteren Verbrechen - möglicherweise zu noch schlimmeren - hätte führen können.
Unsere Entscheidung, die Forderungen der Verbrecher in Stockholm abzulehnen, die von den führenden Männern der Opposition gleicherweise getragen wird, wird jeder einzelne von uns auch gegenüber seinen Freunden, seinen Anhängern und seinen Wählern vertreten. Ich habe sie dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme unverzüglich mitgeteilt. An ihrer Endgültigkeit bestand weder in Bonn noch in Stockholm irgendein Zweifel. Herr Palme und ich gingen davon aus, daß er, seine Regierung und die schwedischen Sicherheitsbehörden nach den dort geltenden Gesetzen und nach dem dortigen polizeilichen Zweckmäßigkeitsurteil vorgehen würden. Die Exterritorialität der Botschaft wurde für diesen Zweck aufgehoben. Es war klar, daß die schwedischen Behörden jede Anstrengung machen würden, um das Leben der Geiseln zu retten und, wenn möglich, die Terroristen zu überwältigen. Um die Operationen der schwedischen Regierung und ihrer Polizei nicht zu beeinträchtigen, haben wir mit der schwedischen Regierung verabredet, uns hier in Bonn zunächst Stillschweigen über unsere Entscheidung aufzuerlegen. Ich nehme an, wenigstens nachträglich wird dies von allen verstanden.
Der schwedischen Regierung, namentlich dem Ministerpräsidenten Olof Palme, möchte ich an dieser Stelle nochmals ausdrücklich für das große Verständnis und für die Unterstützung danken, welche sie der Entscheidung der Bundesregierung entgegengebracht hat. Mein Dank gilt ebenso dem schwedischen Justizminister für sein persönliches Eingreifen, mein Dank gilt insbesondere den schwedischen Polizisten für ihren Einsatz, den einige von ihnen mit Verwundungen bezahlt haben.
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Meine Damen und Herren, am 13. März hatte ich vor dem Parlament gesagt: Wir wollen den freiheitlichen Rechtsstaat, das Bollwerk der offenen, der demokratischen Gesellschaft mit Härte und mit Konsequenz verteidigen. Ich hatte in jenen Tagen auch gesagt, wir werden unsere Pflicht erfüllen. Niemand hat sich gestern abend seine Pflicht leicht gemacht. Ich bin überzeugt, daß wir unsere Pflicht gestern richtig erfüllt haben.
Gewiß sind wir - wie fast alle Staaten der Welt heutzutage - auch zukünftig vor Gewalttaten keineswegs geschützt. Wir müssen deshalb weiterhin wachsam sein und sorgfältig bleiben. Die seit einigen Monaten von den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder eingeleiteten neuartigen Maßnahmen zur offensiven Bekämpfung des Terro11784
rismus beginnen jetzt, Wirkungen zu zeigen. Ich darf heute erstmalig bekanntgeben, daß wir in Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitsbehörden seit der Lorenz-Entführung zehn Gewalttäter ha-. ben dingfest machen können - wenn ich sage: wir, so meine ich alle beteiligten Behörden der Länder und des Bundes , Gewalttäter, die zum Teil führende Rollen in Organisation und Logistik der Terroristen gespielt haben. Dies sowie auch der Einsatz neuentwickelter Fahndungsformen und die Ausschöpfung der von der Strafprozeßordnung eröffneten neuen Möglichkeiten haben unter den Mitgliedern dieser terroristischen Gruppe gegenwärtig einen Prozeß der Entsolidarisierung und der Verunsicherung ausgelöst. Die zuständigen Behörden, denen es gelungen ist, in die anarchistischen Kreise einzudringen, versprechen sich bei konsequenter Verfolgung des eingeschlagenen Weges in absehbarer Zeit weitere Erfolge.
Wir werden auch die ins Ausland entkommenen Verbrecher weltweit verfolgen. Wir wissen uns dabei der Hilfe ausländischer Staaten und Regierungen ebenso gewiß, wie wir ihnen helfen. Die schreckliche Seuche des internationalen Terrorismus bedarf der internationalen Zusammenarbeit der Staaten, die wir praktizieren.
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Aber auch im eigenen Lande bedürfen unsere Sicherheitsbehörden und ihre Beamten und Angestellten weiterhin unserer Hilfe. Dies gilt für die Polizeien, dies gilt für den Grenzschutz, die Verfassungsschutzämter, die Justiz, die Strafvollzugs-behörden. Sie alle bedürfen der Solidarität. Ich meine damit, sie bedürfen der inneren Identifizierung und auch der äußerlich sichtbaren und hörbaren Identifizierung durch uns alle, durch alle gesetzestreuen Bürger unseres Staates.
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Ich will heute keinerlei Rezepte geben; Patentrezepte gibt es nicht, wie wir alle wissen. Ich will aber sagen, daß es mit polizeilichen Methoden - Razzien und alles, was dazugehört - allein nicht genug sein kann. Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, muß innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was vom Rechtsstaat erlaubt und geboten ist.
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In wenigen Wochen wird der Prozeß gegen die Gewaltverbrecher Baader, Meinhof und andere beginnen, den die Terroristen gestern mit ihrer Aktion glaubten vereiteln zu können. Dieser Versuch ist gescheitert. Wir wissen, daß die anarcho-terroristischen Verbrecher jetzt vielleicht alles auf eine Karte setzen möchten. Wir könnten uns dies vorstellen. Unsere gestrige Entscheidung sollte die Terroristen andererseits erkennen lassen, daß wir gemeinsam meinen, was wir am Tage der Befreiung von Peter Lorenz in diesem Hause gesagt haben. Unser Staat hat diese zweite, unvergleichbar größere Herausforderung angenommen. Er wird sich auch in Zukunft neuen Herausforderungen mit der gleichen Entschiedenheit stellen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Carstens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine der terroristischen Verbrecherbanden, die seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland tätig sind, hat gestern erneut zugeschlagen. Wie bei früheren Überfällen kennzeichnen auch diesmal Mord und Brand ihre Spur. Wir alle stimmen in der schärfsten Verurteilung der Verbrechen von Stockholm überein.
Die CDU/CSU-Fraktion spricht ihr tiefes Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer dieses jüngsten Terroranschlages aus. Der Militärattaché Oberstleutnant von Mirbach und ein weiterer Angehöriger der Botschaft haben in Erfüllung ihrer Pflicht auf ihrem Posten in Stockholm ihr Leben hingegeben. Andere Mitglieder der Botschaft sind schwer verletzt worden. Ihnen, den Toten, gilt unsere Ehrerbietung. Ihren Angehörigen gilt unser Mitgefühl. Den Verletzten sprechen wir unsere Genesungswünsche aus.
Die CDU/CSU-Fraktion dankt ebenso wie die Bundesregierung der schwedischen Regierung, den schwedischen Sicherheitsbehörden und der schwedischen Polizei für ihren Einsatz in den letzten 24 Stunden.
({0})
Die schwedische Regierung und der schwedische Ministerpräsident haben mit vorbildlicher Umsicht gehandelt und einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, daß die Mörder dingfest gemacht werden konnten und daß ein noch größeres Unglück und noch mehr Opfer an Menschenleben verhindert wurden.
In den Dank sollen auch die deutschen Beamten einbezogen werden, die in Stockholm und von Deutschland aus gestern der schwedischen Regierung mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben.
Das kann leider jedoch nicht die kritische Frage ausschließen, wie es möglich war, daß sieben schwerbewaffnete Terroristen in die Botschaft eindringen konnten. War, so muß man fragen, wirklich genügend Vorsorge getroffen worden, um die Botschaft zu schützen?
Die Entscheidung, die gestern zu treffen war, ist in dem versammelten Gremium von Mitgliedern der Bundesregierung, der drei Fraktionen des Bundestages, der Parteien und der Ministerpräsidenten der Länder einmütig getragen worden. Dabei hat sich gezeigt, daß die führenden Persönlichkeiten unseres Staates in Bund und Ländern, in allen Fraktionen und in allen Parteien in Stunden der Not bereit sind, Verantwortung auf sich zu nehmen, und daß sie auch zu schnellen Entscheidungen fähig sind.
Dr. Carstens ({1})
Die Entscheidung, die in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Häftlinge nicht auszuliefern, rechtfertigte sich auf Grund von drei Überlegungen.
Erstens. Bevor überhaupt eine Entscheidung über Freilassung oder Nichtfreilassung der Häftlinge in der Bundesrepublik getroffen werden konnte, hatten die Terroristen in Stockholm bereits eine ihrer Geiseln, den Oberstleutnant von Mirbach, ermordet.
Zweitens. Wäre man der Forderung nachgekommen, so hätte man praktisch den gesamten harten Kern der Baader-Meinhof-Bande freilassen müssen, darunter Verbrecher, denen mehrfacher Mord angelastet wird. Die Folge wäre eine allgemeine schwere Erschütterung des Vertrauens in unseren Rechtsstaat gewesen.
Drittens. Die Terroristen waren von der schwedischen Polizei gestellt. Sie konnten nicht mehr entkommen. Damit ergaben sich Möglichkeiten, auf den weiteren Ablauf des Geschehens und insbesondere auf das Verhalten der Terroristen selbst Einfluß zu nehmen. Die Entscheidung - das hat niemand in der gestrigen Nacht verkannt - war mit großen Risiken belastet; sie hat sich als richtig erwiesen.
Aber wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, daß wir gestern nacht eine richtige Entscheidung getroffen haben. Wenn irgendwo bei einer Sturmflut die Deiche brechen, dann ist es gewiß notwendig, alles nur Menschenmögliche zu tun, um den Opfern der Katastrophe zu helfen. Mindestens ebenso wichtig ist es jedoch, die Frage zu stellen, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte, und die weitere Frage, was man in Zukunft tun kann, um ähnliches zu verhindern.
Es ist jetzt nicht die Stunde einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit denen, die es bisher an der nötigen Entschiedenheit bei der Abwehr der unseren Staat bedrohenden Gefahr haben fehlen lassen. Aber wer von uns erinnerte sich nicht an die beschönigenden Darstellungen, die von verschiedenen Seiten gegeben wurden? Uns wurde erklärt, der linke Terror flaue ab, die eigentliche Gefahr sei vorüber. Wieder andere bescheinigten den Terroristen, daß sie sympathische Zielvorstellungen verfolgten, und denen, die zu einer rücksichtslosen Zerschlagung der Terrorbanden aufforderten, wurde vorgeworfen, sie seien hysterisch und riefen Panikstimmung hervor.
({2})
Alles dies hat dazu beigetragen, daß die Verbrecherbanden hier in unserem Lande sich entfalten konnten wie in keinem anderen Lande.
Wir können diesen Zustand nicht länger hinnehmen. Wir müssen erkennen, daß es sich um einen zentralen Angriff auf unseren freiheitlichen Rechtsstaat handelt. Es ist sehr zu begrüßen, daß - wie der Bundeskanzler ausgeführt hat - kürzlich bei einer Großfahndung zehn der dem engeren Kern der Bande angehörenden Verbrecher verhaftet worden sind. Aber zehn bedeutet nach unseren Informationen nur einen Bruchteil der auf freiem Fuß
I befindlichen hochgefährlichen Mitglieder der Bande. Die Gefahr besteht weiter fort.
Wir müssen uns zweitens entschließen, diesen unseren Rechtsstaat mit allen rechtsstaatlich zulässigen Mitteln zu verteidigen und alle rechtsstaatlich zulässigen Mittel einzusetzen, um die Verbrecherorganisation zu zerschlagen.
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Dazu gehört vor allem eine Überprüfung des Vollzugs der Untersuchungshaft und der Strafhaft. Wir sind darüber unterrichtet worden, daß die Häftlinge in ständiger Verbindung miteinander stehen. Nur so ist es zu erklären, daß sie alle gleichzeitig in den Hungerstreik traten, daß sie alle gleichzeitig den Hungerstreik abbrachen und daß sie kurze Zeit darauf alle gleichzeitig ein sogenanntes Fitnesstraining begannen, um sich wieder voll in den Besitz ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit zu setzen. Wir können jetzt erkennen, daß sie dies taten, weil sie von dem Attentat auf die Stockholmer Botschaft vorher wußten und weil sie damit rechneten, daß sie gestern oder heute befreit würden.
Es geht nicht an, daß - wie es ein Sachverständiger vor einiger Zeit gesagt hat - der sicherste Ort, um in der Bundesrepublik Deutschland eine Terrororganisation zu leiten, eine Gefängniszelle ist, weil demjenigen, der in der Gefängniszelle sitzt, nichts mehr passieren kann. Er sitzt dort ja in der Tat in vollkommener Sicherheit. Andererseits ist es ihm möglich, aus der Gefängniszelle heraus seine Organisation weiter zu lenken. Dies muß - und zwar sofort! - ein Ende nehmen.
({4})
Hierzu fordert die CDU/CSU zum wiederholten Male, daß mit sofortiger Wirkung ein Gesetz verabschiedet wird, das die Überwachung des Verkehrs der Häftlinge mit ihren Anwälten ermöglicht.
Zweitens müssen der Strafvollzug und der Vollzug der Untersuchungshaft so gestaltet werden, daß die Kontakte zwischen den Häftlingen unterbunden werden. Dies ist eine notwendige Abwehrmaßnahme, die ein freiheitlicher Rechtsstaat gegenüber solchen Verbrecherbanden treffen muß, wenn er an der Abschaffung der Todesstrafe festhält. Wer in diesem Zusammenhang von Isolationsfolter spricht, tritt in Wahrheit für die ungehinderte Kommunikation von Verbrechern untereinander ein, die sich die Beseitigung unserer freiheitlichen Ordnung zum Ziel gesetzt haben.
Drittens muß der Kreis der Sympathisanten ohne Rücksicht auf die Person der Beteiligten schärfer überwacht und notfalls strafrechtlich schärfer erfaßt werden.
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Wer in dieser Lage und angesichts der erneuten Serie von Verbrechen den Angehörigen der Banden weiterhin offene Sympathie entgegenbringt, wer ihnen Hilfe, Unterschlupf oder andere Unterstützung gewährt, macht sich mitschuldig an den
Dr. Carstens ({6})
gefährlichsten Verbrechen, die zur Zeit in unserem Lande begangen werden.
({7})
Hier kann nur eine scharfe, unzweideutig klare Trennung zwischen den Mitgliedern dieser Bande und der gesamten übrigen Bevölkerung schließlich erreichen, daß diese Art von verbrecherischer Terrortätigkeit ein Ende findet.
Es waren wieder einmal schreckliche 24 Stunden, die wir alle miteinander durchlebt haben. In diesen Stunden haben viele Menschen unsägliche Angst und unsäglichen Schrecken erdulden müssen. Mehrere von ihnen haben ihr Leben verloren.
Wenn wir jetzt nicht endlich begreifen, daß wir energischere Maßnahmen ergreifen müssen, dann verliert dieser unser Rechtsstaat seine Glaubwürdigkeit. Dann könnten Menschen zu der Auffassung kommen, daß sie sich ihr Recht selber suchen müßten, wenn der Staat nicht genügend dafür sorgt, daß Recht und Ordnung in unserem Lande überall und zu jeder Zeit durchgesetzt werden. Eine der höchsten Pflichten des Staates ist es aber, den inneren Frieden zu sichern, Gewalt zu unterbinden, wo immer und unter welchem Gewande sie auftritt. Lassen Sie uns diese Stunde nutzen, um endlich das auf diesem Gebiet Notwendige zu tun! Wir sind gemeinsam mit allen Demokraten dazu bereit.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach meinem Verständnis ist dies nicht die Stunde der Kommentare und der Analysen. Ich versage es mir deshalb auch, auf einige jedenfalls von mir als mehr oder weniger polemisch verstandene Bemerkungen meines Herrn Vorredners jetzt einzugehen.
({0})
Unser Volk, gleich wie es politisch steht und denkt, hat ein Recht darauf, von Regierung und Parlament zu hören, was unmittelbar zu den schrecklichen Vorgängen gesagt werden muß und kann.
Aus diesem Grunde sage auch ich hier: Dank dem Herrn Bundeskanzler!
({1})
Und ich sage allen an den unumgänglich gewordenen Entscheidungen Beteiligten Dank.
({2})
Ich erlaube mit auch, den Dank der Sozialdemokraten an die Regierung und die Organe des Königreichs Schweden von dieser Stelle auszusprechen.
({3})
Im Namen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands erkläre ich: Unser Volk und seine demokratisch gewählten Organe lassen unseren demokratischen Staat nicht durch Terror und Drohung mit Repressalien lähmen und zerstören.
({4})
Wir sind in der Pflicht des Grundgesetzes und wollen diesen unseren Staat und seine Bürgerinnen und Bürger sichern, so, wie wir unserem ganzen Volk den Frieden zu sichern bemüht sind.
({5})
Die Gegensätze über den Ausbau dieses unseres gemeinsamen Staates, der durch seine Verfassung Grundlage und Rahmen für die Austragung dieser Gegensätze ist, die Gegensätze also um die politischen Linien des Ausbaus werden und müssen bei uns - und dafür müssen wir alle uns einsetzen -demokratisch und parlamentarisch ausgefochten werden.
({6})
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und ihre Fraktion im Deutschen Bundestag wenden sich mit Abscheu gegen jede Form von Terror, Gewaltanwendung und Erpressung, die unter der Vorgabe sogenannter politischer Motive vorgenommen wird, welches auch immer die Behauptungen über die Motive und die Ziele sind. Träger und Täter wie Förderer gleichgültig wie motivierter Gewalthandlungen oder zu Gewalthandlungen führender Aktionen dürfen nicht verharmlost werden.
({7})
Von den Fraktionen der SPD und der FDP ist hier am 13. März ein Entschließungsantrag eingebracht worden, in dem es heißt:
Zur Abwehr des Terrorismus gehört neben der vollen Anwendung der staatlichen Machtmittel des Bundes und der Länder auch die geistige Auseinandersetzung mit allen Formen des Extremismus und der Gewalt. Dazu sind alle demokratischen Kräfte aufgerufen. Der Terrorismus kann mit polizeilichen und strafrechtlichen Maßnahmen allein nicht bekämpft werden ... Weder die Anwendung von Gewalt noch die Rechtfertigung von Gewalt dürfen als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele hingenommen werden ...
({8})
Nicht Furcht und Hysterie, sondern demokratischer Bürgersinn bietet die beste Gewähr für die Bekämpfung der Terroristen und für eine erfolgreiche Arbeit der Polizei. Dieses Ziel wird verfehlt, wenn Haß geschürt, Angst verbreitet und dadurch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates untergraben wird.
({9})
Zu diesen unseren Feststellungen, in denen unsere Auffassungen zusammenzufassen versucht wurde, stehen wir unbeirrt, und wir werden uns bei allem, was wir hier - das betrifft die verschiedenen Seiten
Wehner
unseres Parlaments - mit- und gegeneinander auszutragen haben, immer daran halten.
In dieser Stunde sage ich den Sicherheitsorganen des Bundes und der Länder und ihren Angehörigen nicht nur Dank, sondern erkläre auch, daß ihnen die Unterstützung der mündigen Mitbürgerinnen und Mitbürger gebührt.
Und zum Schluß verneigen auch wir uns ein weiteres Mal vor den Opfern der verbrecherischen Anschläge, und wir sprechen ihren Familien unsere Anteilnahme aus. Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Bundestagsfraktion betrauert den Tod von Oberstleutnant von Mirbach und ein weiteres Opfer des verabscheuungswürdigen verbrecherischen Anschlages auf die deutsche Botschaft in Stockholm. Wir sprechen den Angehörigen unser tiefempfundenes Mitgefühl aus. Wir wünschen allen Verletzten eine baldige Genesung.
Wir danken den schwedischen Behörden, insbesondere den Polizei- und Feuerwehrbeamten, für ihren persönlichen Einsatz und für die vorbildliche Kooperation. Wir danken allen deutschen Stellen, allen Sicherheitskräften, Regierungen in Bund und Ländern für ihr vorbildliches Zusammenwirken in dieser Frage.
({0})
Die Ereignisse in Stockholm haben die Offentlichkeit erneut aufgewühlt. Sie stellten nach unserer Auffassung den brutalen Versuch dar, unseren freiheitlichen Rechtsstaat herauszufordern und zu erniedrigen. Es ging nicht nur um die Befreiung von über zwei Dutzend Inhaftierten. Die Verbrecher wollten darüber hinaus unseren Staat treffen - und mit ihm alle, die diesen Staat tragen. Das Ziel war die große und dauerhafte Verunsicherung mit all ihren unabsehbaren politischen, moralischen und rechtlichen Folgen. Diese Rechnung der menschenverachtenden Gewalttäter durfte nicht aufgehen, und sie ist nicht aufgegangen.
Wie in jedem demokratischen Entscheidungsprozeß und bei jedem Akt der Exekutive mußte in den dramatischen Stunden eine besonnene Güterabwägung an erster Stelle stehen. Diese ist erfolgt. Es ging nicht darum, wer sich gegen wen durchsetzte, sondern darum, was im Interesse unserer freiheitlichen Demokratie notwendig ist und was gemeinsam getan werden mußte. Dies ist geschehen.
Auf der einen Seite stand das Leben der Geiseln. Gab es einen halbwegs zuverlässigen Weg, dieses Leben zu schützen? Wer sich die Unmäßigkeit der Bedingungen der Verbrecher und die bewußt offengehaltenen Prozedurfragen der Geiselübergabe mit all ihren einseitigen Risiken vor Augen hielt, mußte zu dem Schluß kommen, daß die Gefährdung der Menschenleben in jedem der denkbaren Fälle bestehen blieb - und dies um so mehr, als die Terroristen zu Beginn ihrer verbrecherischen Aktion kaltblütig einen Menschen getötet hatten. Sie signalisierten damit, daß sie nicht nur die Grenze zur Unmenschlickheit hin überschritten hatten, sondern daß sie und ihre Handlungen auch alle Anzeichen der Unkalkulierbarkeit in sich trugen. Das Leben der Geiseln war also durch ein wie auch immer geartetes Zusammenwirken mit den Verbrechern nicht sicher zu schützen.
Auf der anderen Seite stand bei der Güterabwägung die Frage, ob eine durch Nachgeben möglicherweise - aber eben nur möglicherweise - erreichte Befreiung der Geiseln mittel- oder langfristig eine unverhältnismäßig größere und auf unabsehbare Zeit andauernde Bedrohung und Vernichtung von Menschenleben in unserem Lande heraufbeschworen hätte. Die, die da in den Gefängnissen sitzen und von ihren kriminellen Freunden befreit werden sollten, hatten ja bereits mit Worten und, wie in einigen Prozessen belegt, mit Taten den Beweis geliefert, daß sich ihre Handlungen vor allem zerstörerisch gegen Menschen richten, Die Freilassung solcher Prediger und Praktizierer des Terrorismus hätte unvorstellbare Risiken provoziert. Sie hätte ein Klima ständiger Bedrohung erzeugt. Sie hätte zu einem nicht enden wollenden Alptraum für uns werden können. Das mußte verhindert werden.
Aber mehr noch: Die Regeln unseres Rechtsstaates standen auf dem Spiel - und damit der Rechtsstaat selbst. Ein Staat, der die Wahrung des Rechts und damit der Freiheit und der Menschlichkeit zum obersten Prinzip seines Handelns erhoben hat, hätte sich selbst aufgegeben, wenn er den Einbruch des Unrechts und der Unmenschlichkeit nicht aufgehalten hätte. Gerade wer die liberale Gesellschaft will - wir Freien Demokraten sind die unbedingten Verfechter dieser freiheitlichen Gesellschaftsordnung -, muß mit Entschlossenheit den Angriff auf ihre Fundamente abwehren. Das ist geschehen.
({1})
Meine Damen und Herren, wir haben, wie die französische Zeitung „Le Figaro" heute morgen in einem zustimmenden Kommentar zu der Bonner Entscheidung schrieb, unsere Ordnung nicht irgendwelchen Überfallkommandos überlassen. Wir haben nein gesagt zu einem verbrecherischen Diktat und das Gesetz des Handelns nicht aus der Hand gegeben.
Nun wird, was die Anlage des Verbrechens angeht, von Parallelen zum Fall Lorenz gesprochen. Ich kann dem nur sehr bedingt zustimmen. Der wesentliche Unterschied liegt auf der Hand: wir hatten es diesmal mit einer anderen Dimension des Verbrechens - Mord eingeschlossen - und einer anderen Dimension der Zielabsichten zu tun. Wir hatten einen greifbaren Gegner vor uns. Es wurde, ob von den Verbrechern gesucht oder nicht, die Herausforderung zur Kraftprobe. Sie mußte bestanden werden. Wir wissen nicht, wie viele dieser Proben wir noch zu bestehen haben. Sicher ist, daß das verbrecherische Potential gemindert ist. Jeder
möge daraus seine eigenen Schlußfolgerungen ziehen.
Zu den Konsequenzen muß aber auch gehören, daß es keine Andeutung von Verständnis für Terror geben darf.
({2})
Es muß alles getan werden, um unnötige Solidarisierungen zu verhindern. Um es ganz klar zu sagen: unser Kampf gilt den Kriminellen, den Erpressern, den Mördern. Man täte ihnen eine unbegründete Ehre an, wollte man sie mit politischen Kategorien bedenken.
({3})
Diese Leute, meine Damen und Herren, stehen nicht links und nicht rechts im politischen Spektrum, sondern außerhalb unseres demokratischen Staates und unserer parlamentarischen Demokratie.
({4})
Dem letzten Sympathisanten der Baader-MeinhofBande sollte mit dem Terroranschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm klargeworden sein, daß es sich hier um kriminelle Verbrecher und nicht um politische Überzeugungstäter handelt, auch wenn sie sich ständig bemühen, ihre unmenschlichen Taten politisch zu verbrämen.
Entschlossenheit tut not, aber gleichermaßen auch Besonnenheit. Die so oft und meiner Überzeugung nach zu Recht beschworene Solidarität der Demokraten ist notwendig. Sie darf aber nicht zum hohlen Pathos werden, sondern muß praktizierte innere Überzeugung sein, wenn wir die noch zu erwartenden Herausforderungen durchstehen und wirklich bestehen wollen.
({5})
Meine Damen und Herren, die Aussprache über die Regierungserklärung ist damit beendet.
({0})
- Die Sitzung ist nicht beendet, sondern wir fahren nunmehr fort in den unterbrochenen Beratungen über Punkt 21 a) und b) der Tagesordnung betreffend Änderung des Versammlungsgesetzes und Sicherheitsprogramm.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Baum.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dort anknüpfen, wo der Kollege Miltner vor Unterbrechung der Sitzung geendet hat, und hier aus der Sicht der Bundesregierung auf einige wenige, aber wichtige Fragen aus dem Sicherheitsprogramm eingehen.
Die Bundesregierung hat, und zwar nicht erst auf die Fortschreibung des Sicherheitsprogramms durch die Innenminister im Februar 1974 hin, sondern bereits auf Grund des im Juni 1972 verabschiedeten ersten Teils des Programms die sie betreffenden Forderungen des Programms im Abstimmung mit den Ländern zügig in Angriff genommen. Herr Kollege Miltner, es kann also gar nicht die Rede davon sein, daß wir unsere Führungsaufgabe nicht erkannt und nicht wahrgenommen hätten. Wir haben durch eine Reihe von Gesetzesinitiativen, auf die ich jetzt hier nicht im einzelnen eingehen möchte, weil sie allgemein bekannt sind, diese Entschlossenheit unter Beweis gestellt. Ich möchte nur auf die Fragen eingehen, die Sie in Ihrem Antrag besonders hervorheben.
Zunächst komme ich zu den fälschungssicheren Kennzeichen. Die Lösung dieser Problematik ist von der Bundesregierung bereits seit längerer Zeit in Angriff genommen worden. Die Notwendigkeit solcher Maßnahmen ist längst erkannt worden. Die kriminalpolizeiliche Praxis zeigt, daß in einer Vielzahl von Fällen Kraftfahrzeuge bei der Begehung von Straftaten verwendet werden. Bei einzelnen Deliktgruppen, namentlich bei Raubüberfällen, liegt die Verwendung von Kraftfahrzeugen bei zirka
90 %.
Um die polizeilichen Ermittlungen zu erschweren, sind die Straftäter zunehmend dazu übergegangen, zur Tatbegehung gestohlene Kraftfahrzeuge oder solche mit gestohlenen oder nachgeprägten Kennzeichen zu verwenden. Die Täter unterlaufen damit verhältnismäßig einfach und mühelos die sich am Kennzeichen orientierende Kraftfahrzeugfahndung.
Es geht also darum - was allerdings schon technisch sehr schwierig ist, Kraftfahrzeugkennzeichen herzustellen, die diesen Mißbräuchen nicht ausgesetzt sind.
Für die anstehenden technischen, organisatorischen und rechtlichen Fragen hat die Bundesregierung mehrere Arbeitskreise gebildet, und sie hat dies schon vor einem Jahr getan. Erste Ergebnisse zur technischen Möglichkeit eines fälschungssicheren Kennzeichens, Herr Kollege Miltner, werden für Mai dieses Jahres, also in Kürze, erwartet.
Zur Frage der fälschungssicheren Personalausweise darf ich bemerken, daß die Personalausweise der Bundesrepublik aus einem erst im vorigen Jahr erheblich verbesserten Sicherheitspapier hergestellt werden, das auf Verfälschungen mittels mechanischer oder chemischer Einwirkung mit farblicher Änderung reagiert. Eine unauffällige Verfälschung der eingetragenen Personalien ist somit praktisch unmöglich.
Damit möchte ich es bewenden lassen. Ich möchte mir ausführliche Erörterungen vor dem Innenausschuß dieses Hohen Hauses vorbehalten. Ich möchte nur noch einmal sagen, daß wir uns nicht, Herr Kollege Miltner, im Stadium von Vorüberlegungen befinden, sondern daß wir die uns auch von Ihnen zugeschriebene politische Führungsaufgabe auf diesem Gebiet voll wahrgenommen haben.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Liedtke. - Sie verzichten.
Die Überweisungsvorschläge zu den Tagesordnungspunkten 21 a und 21 b liegen Ihnen vor. - Es erhebt sich kein Widerspruch; die Überweisungen sind so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Personalstruktur des Bundesgrenzschutzes ({0})
- Drucksache 7/3494
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({1})
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Wer wünscht dazu das Wort? - Herr Abgeordneter Gerster!
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion begrüßt, daß die Bundesregierung mit der Vorlage des Gesetzentwurfs über die Personalstruktur des Bundesgrenzschutzes endlich den Versuch unternimmt, strukturelle Konsequenzen aus dem Bundesgrenzschutzgesetz von 1972 zu ziehen.
Nach diesem Gesetz und nach den überwiesenen Aufgaben ist der Bundesgrenzschutz eine Polizei des Bundes. Folgerichtig soll daher seine Personalstruktur an die der Polizei der Länder angeglichen werden. Dieses Vorhaben ist als ebenso notwendig anzusehen, wie einige positive Ansätze, die der Regierungsentwurf enthält, unsere volle Unterstützung verdienen.
Weniger erfreulich ist dagegen die Tatsache, daß der Bundesinnenminister schon im Frühjahr 1974 dieses Gesetzesvorhaben als bereits gefaßten Beschluß der Bundesregierung in einem persönlichen Schreiben allen BGS-Beamten angepriesen hat, der Gesetzentwurf dann allerdings erst nach gründlicher Verspätung das Licht der Welt erblickt hat.
Wer daraus den Schluß ziehen wollte, die Regierung habe die lange Denkpause genutzt, um dem Parlament ein praktikables und ausgewogenes Konzept vorzulegen, sieht sich bei aufmerksamer Prüfung des Regierungsentwurfs nachhaltig enttäuscht.
({0})
Der Bundesgrenzschutz findet seit seinem Bestehen seine wesentliche Aufgabe darin, als Verbandspolizei oder als Polizeitruppe zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in unserem Land beizutragen. Hier ist der Ort, und jetzt ist die Zeit, mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, daß sich der Bundesgrenzschutz bei dieser Aufgabenwahrnehmung bewährt hat. Mit dieser Feststellung ist der Dank an all diejenigen verbunden, die sich in den vergangenen 24 Jahren im Dienst des Bundesgrenzschutzes pflichtbewußt für die Allgemeinheit eingesetzt haben.
In den vergangenen Jahren wurde der Bundesgrenzschutz jedoch durch den Bund, aber auch nach Hilfsersuchen durch die Länder zunehmend im Einzelvollzugsdienst eingesetzt. Sachkenner der Verhältnisse im Bundesgrenzschutz sehen bereits seit längerem die Gefahr, daß der Bundesgrenzschutz im Einzeldienst verbraucht, seine Effektivität als Verbandspolizei und Einsatzreserve unterlaufen wird.
Wenn man dabei berücksichtigt, daß die Bereitschaftspolizeien der Länder mehr und mehr durch ihre Ausbildungsfunktion gebunden werden, die Gefährdungen durch innere Unruhen eher zu- als abgenommen haben, dann kann die Forderung nur lauten, den Bundesgrenzschutz als Verbandspolizei voll einsatzbereit zu halten bzw. auszubauen.
Bei diesem sicherheitspolitischen Konzept schafft die beabsichtigte und von uns gewollte Umstellung des Bundesgrenzschutzes auf Lebenszeitbeamte - ob man dies wahrhaben will oder nicht - neue Probleme. Da eine Verbandspolizei, zusammengestellt aus Lebenszeitbeamten, wegen der dadurch bedingten zukünftigen Überalterung keine Lösung sein kann, sieht der Regierungsentwurf daher den Übergang von Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes in den Polizeivollzugsdienst der Länder und eine Übernahme in andere Laufbahnen im Bereich des Bundes vor.
Zukünftig wird man jährlich mit mindestens 1 500 Beamten rechnen können, die auf diesem Wege den Bundesgrenzschutz verlassen müssen. Gerade dieser Übergang in andere Dienstbereiche wird nach derzeitigen Erkenntnissen in der Praxis kaum durchzuführen sein. Man muß erkennen, daß eine so erhebliche Übernahme durch die Landespolizeien Beförderungsengpässe für die im Landesdienst ausgebildeten Beamten und damit erhebliche Schwierigkeiten bringen wird, daß die Landespolizeien Beamte erhalten werden, die die spezifischen Landesgesetze nicht ausreichend kennen und anwenden können, und daß der Bundesgrenzschutz - was verständlich wäre - geneigt sein wird, vor allem die weniger qualifizierten Beamten abzugeben, die besten aber zu behalten.
Gleichgewichtige Probleme stehen jedoch auch einem Übergang in andere Laufbahnen im Bundesbereich entgegen, wobei bisher nicht einmal gesagt wird, wo in so großem Umfang BGS-Beamte überhaupt im Bundesdienst sinnvoll eingesetzt werden können.
Wenn daher mit der Ausgestaltung des BGS-Dienstes zu einem Lebensberuf die Forderung nach einem gefestigten Berufsbild erfüllt werden soll, muß vor Verabschiedung des Gesetzes genau und verbindlich festgelegt werden, wo die Beamten des Bundesgrenzschutzes, die diesen nach etwa acht bis zehn Jahren verlassen werden, später tatsächlich eingesetzt werden sollen. Die geplante, allgemein gehaltene Vereinbarung zwischen Bund und Ländern reicht hierzu ebensowenig aus wie ein jährlich aufzustellender Stellenvorbehalt des Bundes, zumal heute vorhandene gute Absichten bei Veränderung der Nachfrage jederzeit Veränderungen unterworfen sein werden.
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Der vorgesehene Übergang auf die Landespolizei wird auch die Ausbildung der Bundesgrenzschutzbeamten erschweren. Da ein erheblicher Teil der Beamten von Anfang an damit rechnen muß, später im Einzelvollzugsdienst der Länder eingesetzt zu werden, wird die Ausbildung für den Einsatz im Verband an Bedeutung verlieren. Dies wiederum kann den Stellenwert des Bundesgrenzschutzes als Verbandspolizei reduzieren. Hier muß der Gefahr begegnet werden, daß der Bundesgrenzschutz zur Ausbildungsstation für den polizeilichen Vollzugsdienst in den Ländern denaturiert wird.
Die CDU/CSU-Fraktion wird in der Einzelberatung des Gesetzes daher darauf dringen, daß vor Verabschiedung des Gesetzes konkret und verbindlich geregelt wird,
1. wo die Lebenszeitbeamten des Bundesgrenzschutzes, die diesen verlassen müssen, eine sinnvolle, gleichwertige und ihre Berufsaussichten nicht schmälernde Verwendung finden werden - nur wenn dies sichergestellt ist, wird das Gesetz funktionsfähig sein -,
2. wie vermieden werden kann, daß die erwünschte Umstellung auf Lebenszeitbeamte nicht zu einer Schwächung des Einsatzes als Verbandspolizei führt.
Bei der Bewertung des Regierungsentwurfs wird, wie bereits angedeutet, nicht verkannt, daß für die Beamten des Bundesgrenzschutzes eine Reihe bereits überfälliger Verbesserungen vorgesehen ist. Genannt seien der Fortfall des einfachen Dienstes, Angleichung an Strukturen der Polizeien in den Ländern, einzelne Stellen- und Ämterbewertungen. Hier wird ein Weg fortgesetzt, den die CDU/CSU-Fraktion wiederholt beschritten hat. So sei nur daran erinnert, daß bereits bei der Beratung des Besoldungserhöhungsgesetzes im Jahre 1974 unser Antrag auf Einbeziehung des Bundesgrenzschutzes in die Gewährung der Polizeizulage mit der freundlichen Unterstützung der Koalitionsfraktionen durchgesetzt werden konnte.
Diese Betrachtung bliebe allerdings an der Oberfläche, wenn nicht zur Kenntnis genommen würde, daß durch die Annahme dieses Gesetzes im Einzelfall erhebliche Härten, Ungereimtheiten und Verschlechterungen entstünden. So begegnet der geplante Wegfall der Stabsmeister und Oberstabsmeister größten Bedenken, zumal sich in den Polizeien der Länder eine gegensätzliche Entwicklung anbahnt. Das Argument, daß dieser Personenkreis eine Chance zum Aufstieg in die Offizierslaufbahn haben werde, erscheint lebensfremd, wenn man Ausbildungsstand und Berufswunsch neben der Altersstruktur dieses Personenkreises berücksichtigt. Außerdem bleibt die Frage unbeantwortet, woher der Bundesgrenzschutz zukünftig - um nur ein Beispiel zu nennen - qualifizierte Kraftfahrzeugmeister nehmen soll, wenn ein entsprechender Besoldungsrahmen nicht mehr zur Verfügung steht.
Überprüfungsbedürftig ist auch die vorgesehene Altersgrenze, die ohne Rücksicht auf bestimmte Ämter den Anforderungen des Bundesgrenzschutzdienstes im einzelnen nur schwerlich gerecht wird. Ein Novum des Beamtenrechts, das in dieser Form wohl kaum hingenommen werden kann, ist die vorgesehene Möglichkeit, Beamte bis zum 10. Dienstjahr ohne ihre Zustimmung sogar zu einem anderen Dienstherrn zu versetzen. Problematisch ist weiter die Tatsache, daß die vorgesehenen Strukturverbesserungen nur für Neueinstellungen nach Inkrafttreten des Gesetzes gelten sollen. Auch insofern müssen unbillige Härtefälle - ebenso wie bei weiteren Einzelpunkten, die jetzt wegen Zeitmangels nicht genannt werden können - vermieden und gesondert und angemessen behandelt werden.
Bei der Beratung des Regierungsentwurfs sollten folgende Überlegungen Beachtung finden. Die Angleichung der Struktur des Bundesgrenzschutzes an die Polizeistruktur der Länder als Konsequenz des Bundesgrenzschutzgesetzes sind unser Auftrag und Ziel. Dabei muß allerdings gesehen werden, daß Bedeutung und spezifischer Auftrag als Verbandspolizei eher zu- als abnehmen. Ein Abbau oder ein Unterlaufen dieser Funktion des Bundesgrenzschutzes würde auf den entschiedenen Widerstand der CDU/CSU-Fraktion stoßen. Wenn demgegenüber Kollegen der Koalition die Bedeutung des Personalstrukturgesetzes nicht nur darin sehen, Konsequenzen aus dem Bundesgrenzschutzgesetz vom Jahre 1972 zu ziehen, sondern wenn sie - wie z. B. der Kollege Pensky in einem Artikel - konstatieren, daß in Verfolg der sich in diesem Gesetz widerspiegelnden reinen Polizeikonzeption für den Bundesgrenzschutz auch das Bundesgrenzschutzgesetz einer Korrektur unterzogen werden sollte, dann sollten sie hier offen und deutlich erklären, welche Absicht sie mit dieser Forderung verfolgen. Sollte etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Kommentar vom 12. Februar 1975 recht behalten, wenn sie schreibt, daß bei dem beabsichtigten Funktionswandel des Bundesgrenzschutzes die Ostpolitik „von ferne grüßen" würde, daß man an lokale Übergriffe, die zu bekämpfen der Bundesgrenzschutz geschaffen wurde, nicht mehr denken und daher diese seine Funktionen Schritt für Schritt abbauen wolle?
Im Vertrauen auf die bewährte Leistung des Bundesgrenzschutzes und in Kenntnis der Tatsache, daß unsere Gesellschaft reicher an Konflikten geworden ist und daß daher leider auch auf eine Verbandspolizei weniger denn je verzichtet werden kann, würde eine weitere Beschränkung des Bundesgrenzschutzes auf den Einzelvollzugsdienst Sicherheit abbauen. Sicherheit in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat bedeutet jedoch Freiheit des einzelnen, während Unsicherheit im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat Macht des Stärkeren und damit Unfreiheit des Schwächeren bedeutet.
Der Bundesgrenzschutz als Einsatzreserve in Verbandsform bedeutet daher mit seiner Aufgabenstellung ein Stück Freiheit, das zu erhalten und auszubauen unsere Pflicht ist. In diesem Sinne werden wir an die Beratungen des Personalstrukturgesetzes herangehen. Wir werden an Lösungen mitwirken, die der Verbesserung der Stellung des einzelnen und der
Gerster ({2})
Sicherung der Einsatzbereitschaft des Bundesgrenzschutzes dienen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Pensky.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer den Kollegen Gerster gehört, andererseits aber die gesamte Entwicklung unserer Überlegung miterlebt hat, muß sicherlich sehr bald zu dem Ergebnis kommen, daß Herr Kollege Gerster noch in Kategorien von vorgestern denkt und gar nicht begriffen hat, was sich im Bereich der Gesamtkonzeption für die innere Sicherheit abgespielt hat. Nur, schlimm wird es dann, wenn der Kollege Gerster, was er sowohl schriftlich in einem Artikel einer Zeitschrift, in der auch ich die Ehre hatte, meine Meinung dazu darzulegen, wie auch heute getan hat, seine Darlegungen noch mit faustdicken Unwahrheiten bespickt.
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Unwahrheiten deshalb, weil er beispielsweise in diesem Artikel behauptet -- und er hat das heute wiederholt -, daß bei der Beratung des Besoldungserhöhungsgesetzes Ihr Antrag auf Einbeziehung des BGS in die Polizeizulage durchgesetzt werden konnte.
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Das ist die faustdicke Unwahrheit und, bitte schön, nachzulesen in dem Protokoll der 9. Sitzung des Innenausschusses vom 6. Mai 1973.
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Ich will, weil die Zeit zu knapp ist, das nicht alles wiederholen. Aber ich darf nur eines verlesen. Es heißt in diesem Protokoll:
Hierzu liegen dem Ausschuß der Antrag der Fraktion der CDU/CSU und ein Formulierungsvorschlag des BMI vor, der auf Ersuchen der Koalitionsfraktionen ausgearbeitet worden ist.
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Also schon viel früher! Und dann sagt der Kollege Berger, er begrüße diesen Ergänzungsantrag der Koalitionsfraktionen, und betont, daß damit bezüglich der Polizeizulage auf übereinstimmenden Antrag aller drei Fraktionen eine Lösung gefunden werden könne.
Dann gab es eine Diskussion, und dann wurde der CDU/CSU-Antrag abgelehnt und der Koalitionsantrag angenommen. Damit war die Polizeizulage für den Bundesgrenzschutz geschaffen. So war das. Sie können das nachlesen, und wir können uns darüber später auch noch unterhalten. Aber wir sind ja von Ihnen, Herr Kollege Gerster, inzwischen gewohnt, daß Sie mit Rabulistik dort, wo Sie glauben, damit bei bestimmten Gruppen noch Eindruck schinden zu können, Dinge darlegen, die den Tatsachen nicht entsprechen.
Wir begrüßen als sozialdemokratische Bundestagsfraktion die Vorlage des Gesetzentwurfs insbesondere deshalb, weil er im Rahmen eines Gesamtkonzepts gesehen werden muß, mit dem die sozialliberale Bundesregierung bereits in der 6. Legislaturperiode angetreten ist, und dieser Gesetzentwurf eben nur einen Teil, und zwar einen wichtigen Teil, einer solchen Gesamtkonzeption darstellt.
Mir scheint es deshalb gerade auch auf Grund Ihrer Darlegungen, Herr Kollege Gerster, und weil das offenbar hier und da in Vergessenheit geraten ist, wichtig zu sein, in diesem Zusammenhang noch einmal ganz kurz zu verdeutlichen, daß sich sowohl dieser Gesetzentwurf wie eine Reihe anderer vorausgegangener Maßnahmen haargenau in eine Gesamtsicherheitskonzeption einfügen, an der die Bundesregierung - und hier darf ich sagen: mit tatkräftiger Unterstützung der Koalitionsfraktionen - zielstrebig gearbeitet hat.
Dabei muß auch der Hinweis erlaubt sein, daß es bis zum Jahre 1969, nämlich bis Sozialdemokraten und Freie Demokraten die Regierung übernahmen, an einer solchen Gesamtkonzeption überhaupt gefehlt hat und deshalb die Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses niemals die Gelegenheit hatten, zu einer solchen Gesamtkonzeption im Gesamtzusammenhang überhaupt Stellung zu nehmen. Ich erinnere daran, daß nach gründlicher Vorbereitung bereits im Jahre 1970 von der sozialliberalen Regierung dem Deutschen Bundestag ein solches Gesamtkonzept - es hieß: Sofortprogramm zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung - vorgelegt worden ist, das dann noch durch ein Schwerpunktprogramm ergänzt wurde.
Auf der Grundlage dieser Programme sind Arbeitsergebnisse erzielt worden einschließlich der finanziellen Aufwendungen, die wir durchaus mit Stolz jedem vorzeigen können; denn sie sind ein beredtes Beispiel dafür, mit welcher Entschlossenheit die sozialliberalen Regierungen das Gebiet der inneren Sicherheit zu den vorrangigen Schwerpunkten ihrer Politik gemacht haben.
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Darauf komme ich noch. Aber ich muß Ihnen und auch der deutschen Öffentlichkeit doch einmal deutlich machen, daß dieses Personalstrukturgesetz, wie ich schon sagte, nur ein Teilstück aus einer Gesamtkonzeption ist, die es früher nicht gegeben hat. Zu dieser Gesamtkonzeption gehörte ja beispielsweise das Bundeskriminalamt. Sie wissen doch, was von 1969 bis 1975 geleistet worden ist. So stieg der Personalstand von 939 auf 2 237 Bedienstete; das bedeutet eine Steigerung um 139,8 %. Während des gleichen Zeitraums stiegen die jährlichen Gesamtausgaben von 22,4 Millionen DM auf 130,9 Millionen DM, insgesamt also um 484,4 %. Was mit diesen Mitteln geschehen ist, wissen Sie doch alle: daß wir damit inzwischen ein Bundeskriminalamt geschaffen haben, das in der Welt einzigartig dasteht
({5})
und sich als modernste Kommunikationszentrale für die deutsche Polizei darstellt.
({6})
Wir haben ja auch die Ergebnisse, und diese Ergebnisse werden auch deutlich, meine Damen und Herren, so z. B. darin, daß sich allein seit Inbetriebnahme dieses Kommunikationssystems die Fahndungsergebnisse stark verbessert haben - das drückt sich ja auch in Zahlen aus -, das beispielsweise die Aufgriffe in Grenzbereichen um 40 % erhöht werden konnten, nur über dieses moderne System, das wir uns - das gestehe ich ein - sehr viel Geld haben kosten lassen. Was meinen Sie denn, wie es um die Innere Sicherheit heute aussähe, wenn wir die Situation beim Bundeskriminalamt beim alten Trott gelassen hätten! Ich glaube, dann könnten wir sicherlich ein größeres Chaos verzeichnen, von dem Sie hier und da sprechen zu können glauben.
Wir haben auch - das gehörte auch zu dem Komplex - hinsichtlich des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine enorme Leistung erbracht. Sie wissen, daß es hier darum ging, zunächst einmal eine saubere Rechtsgrundlage zu schaffen und den Verfassungsschutzämtern des Bundes und der Länder die Voraussetzungen zu liefern,
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daß es ihnen möglich ist, extremistische Ausländer,
die wir zu überwachen haben, besser zu überwachen
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und beispielsweise auch die Spionageabwehr zu verbessern.
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Wir haben auch in diesem Bereich das Personal um das Anderthalbfache erhöht, und wir haben auch hier die Mittel um 153,6 % erhöht, um auch hier mit modernen Mitteln eine intensivere Tätigkeit durchführen zu können.
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- Das wollen Sie eben nicht wissen, daß es früher kein Gesamtkonzept gegeben hat und wir nun alles das in eine Gesamtkonzeption eingebaut haben.
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In dieses Gesamtkonzept, meine Damen und Herren von der Opposition, ist auch der Bundesgrenzschutz als dritte Säule der Sicherheitsorgane des Bundes eingereiht. Die Bedeutung, die die Bundesregierung dieser Sicherheitseinrichtung des Bundes beigemessen hat, möchte ich vorweg in einigen Zahlen nur darstellen. In den Jahren 1969 bis 1975 stieg für diesen Bereich das Stellensoll von 20 000 auf 22 110. Während der gleichen Zeit stiegen die Gesamtausgaben von 314,4 Millionen DM auf 673,9 Millionen DM, also um 114,4 °/o. Aber das allein ist nicht das Entscheidende für diesen Bereich. Die neue Konzeption, die für diesen Bereich von der sozialliberalen Regierung entwickelt worden ist, muß offenbar insbesondere den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion in Erinnerung gerufen werden, weil die Dinge von ihren Sprechern draußen und auch hier gelegentlich auf den Kopf gestellt werden.
In welchem Zustand haben wir denn den Bundesgrenzschutz übernommen?! Das waren doch die wesentlichen Fakten: Erstens. Das damals geltende BGS-Gesetz umschrieb in seinen insgesamt nur sechs Paragraphen nur sehr ungenau die Grenzschutzaufgaben und gab damit zu erheblichen Auslegungszweifeln Anlaß. Zweitens. Eine notwendige Anpassung des BGS-Gesetzes an die im Jahre 1968 geänderten Art. 35, 91 und 115 f. des Grundgesetzes war nicht erfolgt. Es fehlte also an einer klaren Aufgaben- und Zuständigkeitsabgrenzung bei Katastrophenhilfe, im Falle eines inneren Notstandes oder im Verteidigungsfalle. Drittens. Zwischenzeitlich waren - was sicherlich notwendig war - dem Bundesgrenzschutz eine Reihe von Aufgaben auf Grund ministeriellen Anordnungen zugewiesen worden, die durch das BGS-Gesetz überhaupt keine Stütze fanden. Viertens. Die Befugnisse der Beamten des BGS waren lediglich in Dienstanweisungen geregelt, die keinen Rechtssatzcharakter haben. Schon aus diesen rechtsstaatlichen Gründen war es zwingend geboten, gesetzliche Klärungen auf diesen Gebieten vorzunehmen.
Dieser Zustand, meine Herren, war aber auch für die Beamten, die im Bundesgrenzschutz Dienst versahen, unerträglich; denn es fehlte ihnen an einem klaren Berufsbild, auf das auch sie, wie alle anderen Beamtengruppen, einen Anspruch erheben konnten. Was die Beamten im BGS bedrückte, wurde immer wieder in Fragen ausgedrückt wie: Sind wir nun Polizei, oder sind wir militärische Truppe? Und wohin geht die Entwicklung überhaupt?
Wir wissen alle, daß die Rechtsverhältnisse der Beamten des BGS von Anfang an im Bundespolizeibeamtengesetz geregelt waren, während sich andererseits - und das war ja die schizophrene Situation - die Strukturen zum Soldatenrecht und zum Militärischen schlechthin entwickelten.
Eine klare politische Entscheidung war daher zwingend notwendig. Diese Entscheidung ist auch nach umfassender Vorarbeit im Jahre 1971 durch die Vorlage des Entwurfs eines neuen BGS-Gesetzes durch die sozialliberale Bundesregierung erfolgt. Die Zielrichtung wurde klar dahin definiert, daß die Aufgaben des BGS, ob an der Grenze oder im Innern des Landes, rein polizeilicher Natur sind. Es ging auch darum, ohne die Polizeihoheit der Länder einzuschränken, den BGS als eine Sonderpolizei des Bundes mit begrenzten polizeilichen Aufgaben in ein Gesamtsicherheitssystem einzubeziehen und ihn zur Wahrnehmung von Schwerpunktaufgaben auf Anforderung auch den Ländern zur Verfügung zu stellen.
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Diese Zielsetzung entsprach aber auch - das möchte ich an dieser Stelle besonders herausstellen - der gemeinsamen Auffassung der für die innere Sicherheit zuständigen Innenminister des Bundes und der Länder, die in ihrem im Jahre 1972 vorgelegten Sicherheitsprogramm den BGS mit einbezogen und sich auf eine klare Aufgabenteilung zwischen den Sicherheitsorganen des Bundes und der Länder festgelegt hatten.
Dies gilt im übrigen auch für die bereits vorher von mir angesprochenen Bereiche des BKA und des Verfassungsschutzes. Wir möchten auch dankbar anerkennen, meine Damen und Herren, daß alle auf dem Gebiet der inneren Sicherheit von seiten des Bundes getroffenen Maßnahmen in enger Kooperation mit den Innenministern der Länder einvernehmlich geregelt werden konnten. Ich bin sicher, daß dies auch weiterhin so der Fall sein wird; denn mit dem Sicherheitsprogramm haben sich Bund und Länder ungeachtet ihrer politischen Konstellation zur gemeinsamen Verantwortung für die innere Sicherheit bekannt.
Mit der Entscheidung der Bundesregierung zu einer Neuorientierung des BGS in eine ausschließlich polizeiliche Einrichtung, die auch die einmütige Zustimmung des Bundestages fand, wurde ein Entwicklungsprozeß eingeleitet, von dem alle mit der Sache befaßten Kollegen wußten, daß das gesteckte Ziel nur stufenweise erreicht werden konnte.
Wer sich den Bericht der Bundesregierung über die Fortentwicklung des BGS auf Drucksache 7/3170 zur Hand nimmt - der heute leider nicht aufgerufen ist -, der muß bei gerechter Beurteilung feststellen, daß die Bundesregierung ein umfassendes Bündel von Maßnahmen in die Wege geleitet hat, um der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 22. 6. 1972 zum BGS-Gesetz gerecht zu werden, indem weitere Maßnahmen gefordert werden, um den BGS, wie es heißt, zu einer leistungsfähigen und stets einsatzbereiten Polizei auszugestalten.
Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist ein Teilstück dieser Maßnahmen, mit dem der Entwicklungsprozeß, von dem ich eben sprach, sicherlich noch nicht als abgeschlossen angesehen werden kann.
Wir Sozialdemokraten nehmen die heutigen Beratungen gern zum Anlaß, dem Herrn Innenminister und seinen Mitarbeitern herzlich dafür zu danken, daß sie in der klaren Zielsetzung, die dem politischen Willen dieses Hauses entspricht, konsequente und saubere Arbeit geleistet haben. Ich bin sicher, daß dies auch weiterhin geschehen wird. Unser Dank gilt aber auch den Beamten des Bundesgrenzschutzes, die in dieser schwierigen Entwicklungsphase sich nicht haben entmutigen lassen und auch durchweg die innere Bereitschaft gezeigt haben, den neuen Weg mit zu gehen.
Die von den Beamten des Bundesgrenzschutzes erbrachten Leistungen und Ergebnisse, ob im grenzpolizeilichen Dienst, ob zur Sicherung der Flughäfen oder der Verfassungsorgane des Bundes oder aber auch bei der Erledigung von anderen Polizeiaufgaben in Zusammenarbeit mit den Polizeien der Länder sind beachtlich und äußerst lobenswert.
Wer sich die sicherheitspolitische Landschaft ansieht - auch heute ist darüber gesprochen worden , der weiß, daß wir auch künftig den Bundesgrenzschutz für die im Bundesgrenzschutzgesetz klar umrissenen Aufgaben dringend benötigen. Denn er stellt ein wichtiges Sicherheitspotential im Rahmen der gesamten Sicherheitskonzeption des Bundes und der Länder dar.
Wir Sozialdemokraten werden deshalb mit Nachdruck, aber auch mit steter Aufgeschlossenheit für die Belange der Beamten des Bundesgrenzschutzes, wie das bisher gewesen ist, an der weiteren Beratung des Gesetzentwurfs intensiv mitarbeiten.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wendig.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine sehr geehrten Herren! Ich möchte mich in meiner Erklärung für die Fraktion der Freien Demokraten auf den Entwurf als solchen in einigen wenigen Sätzen beschränken dürfen.
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Mit diesem Entwurf wird von der Bundesregierung ein wesentliches Werk der inneren Reform im Bereich der Polizei und der inneren Sicherheit vorgelegt. Dies Ganze steht - da kann ich an das anknüpfen, was Herr Kollege Pensky gesagt hat - in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem gesamten Sicherheitskonzept der Bundesregierung. Darauf muß man eingangs hinweisen. Näheres brauche ich dazu jetzt nicht mehr auszuführen. Wir wissen alle, daß neben die traditionellen Aufgaben der Grenzsicherung längst beim Bundesgrenzschutz ,die Funktion einer ständig verfügbaren Eingreif-reserve für Einsätze zur Unterstützung der Länderpolizei getreten ist. Daran wird deutlich, daß nicht nur die alten Aufgaben des Bundesgrenzschutzes angewachsen sind, sondern darüber hinaus völlig neue Aufgaben hinzugekommen sind.
Ein Großteil der Aufgaben ist grundsätzlich mit den Aufgaben der Länderpolizei gleichartig und gleichwertig. Daraus ergeben sich für die Struktur und für die personalrechtliche Situation bestimmte Konsequenzen. Nur darum geht es heute.
Diese Konsequenzen bestehen darin, den Bundesgrenzschutz so weit wie möglich an die Länderpolizei anzugleichen, allerdings unter Beachtung der Besonderheiten, die dem Bundesgrenzschutz eigen sind. Dies alles ist, glaube ich, in diesem Hause unbestritten. Es führt zu Veränderungen bei der Personalstruktur, dem Laufbahnrecht, der Ausbildung und Ausrüstung sowie der Organisation. Der vorliegende Entwurf der Bundesregierung zieht diese Konsequenzen.
Ich möchte noch einmal nur einige Punkte des Entwurfs zusammenfassen, damit wir wissen, worüber wir reden. Das Gesetz hat daher die Angleichung der Laufbahn der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz an die Laufbahn der Polizeivollzugsbeamten der Länder mit den sich daraus ergebenden besoldungsrechtlichen Konsequenzen zum Hauptinhalt. Es sind folgende. Erstens. Die zeitlich begrenzte Dienstzeit entfällt. Zweitens. Der Dienst beim Bundesgrenzschutz wird als Lebensberuf ausgestaltet. Drittens - nicht so wichtig -: die Amtsbezeichnungen werden an die der Länder angeglichen.
Von den wichtigsten Bestimmungen des Entwurfs - viele sind angesprochen, ich möchte sie nicht alle wiederholen - möchte ich nur drei erwähnen. In § 7 soll eine Angleichung der Ausbildung an die Ausbildung der Länderpolizeien erfolgen. Ursache ist - wie schon mehrfach hervorgehoben die insoweit vorhandene Vergleichbarkeit mit den Aufgaben der Länderpolizeien.
Darüber hinaus soll die Übernahme in den Polizeidienst der Länder erleichtert werden. Ich verkenne nicht, Herr Kollege Gerster, daß dies bestimmte Schwierigkeiten in der Praxis mit sich bringen wird; darüber wird man im Detail reden müssen. Das ändert aber an der Brauchbarkeit des Entwurfs im ganzen meines Erachtens keine Spur.
Das gleiche gilt für den § 8, der sich mit der Versetzung in den Polizeidienst der Länder beschäftigt. Dies ist notwendig, weil der Bedarf - das ist der Grundsatz - an älteren Beamten beim Bundesgrenzschutz geringer ist als bei den Polizeien der Länder. Wichtig ist tatsächlich die Vorschrift, daß bei einer Dienstzeit von weniger als zehn Jahren die Versetzung zur Polizei notfalls ohne Zustimmung der Betroffenen wird erfolgen müssen; auch hierüber werden wir im Detail sprechen.
Der dritte und zugleich wesentlichste Punkt, den ich nennen möchte, betrifft § 13 Versetzung in den Ruhestand -. Der Eintritt soll nach § 5 des Entwurfs nunmehr mit 60 Jahren erfolgen - ebenfalls eine Konsequenz dieser Gesamtkonzeption , während dies vorher bereits mit 55 Jahren möglich war. § 13 trifft dafür die erforderlichen Übergangsregelungen.
Alles dies, meine Damen und Herren, ist ein Bestandteil organisatorischer, beamtenrechtlicher und möglicherweise auch einmal besoldungsmäßiger Konsequenzen einer Entwicklung im Rahmen einer Gesamtkonzeption, die von Herrn Kollegen Pensky bereits dargelegt wurde. Meine Fraktion begrüßt den Entwurf ausdrücklich, der dazu beitragen wird, den Bundesgrenzschutz als e i n Sicherheitsinstrument des Bundes in seiner Struktur dem veränderten Aufgabenbereich noch besser anzupassen als bisher.
Am Schluß meiner sehr kurzen Ausführungen möchte ich das gleiche tun wie meine Vorredner, und zwar nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern aus wirklicher Überzeugung: Wir danken nicht allein der Bundesregierung für diesen Entwurf, wir danken allen Beamten, die in den ganzen Jahren des Übergangs im Bundesgrenzschutz ihre Pflicht für unser Land getan haben.
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Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Baum.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ganz wenige Bemerkungen machen, da meine Vorredner schon Wesentliches zu diesem Gesetzentwurf gesagt haben.
Seit seiner Aufstellung im Jahre 1951 haben sich die Aufgaben des BGS in erheblichem Umfang verändert. Das neue BGS-Gesetz hat dem Bundesgrenzschutz einen festen Platz im polizeilichen Sicherheitsverbund zugewiesen und seine Stellung als Polizei verdeutlicht. Die Funktion des Bundesgrenzschutzes als Eingreifreserve zur Unterstützung der Länderpolizeien wurde im Gesetz klar bestimmt. Schon bei der Verabschiedung des BGS-Gesetzes gab es in diesem Hause Einvernehmen darüber, daß diesem Gesetz weitere Maßnahmen folgen müssen, um die Leistungsfähigkeit des Bundesgrenzschutzes für die neuen Aufgaben zu erhöhen; diese liegen vor.
Der zu behandelnde Gesetzentwurf gehört in das Konzept für „Mehr Innere Sicherheit" der Bundesregierung. Der Entwurf bestätigt den Bundesgrenzschutz als Polizei des Bundes. Er bringt die ausschließlich polizeibeamtenrechtliche Struktur des BGS. Die Bundesregierung geht davon aus, daß sich die Aufgaben des Bundesgrenzschutzes nicht von denen unterscheiden, die den Länderpolizeien übertragen sind. Der Gesetzentwurf schafft die dienstrechtlichen Voraussetzungen für ein wirkungsvolles polizeiliches Verbundsystem, ohne das bestehende Polizeibeamtenrecht der Länder einfach zu kopieren; es gibt ihm den bundespolizeilichen Akzent.
Der Entwurf berücksichtigt schließlich die nach wie vor aufgabengerechte Organisation des Bundesgrenzschutzes in Verbänden. Es wird Vorsorge dafür getroffen werden, daß Polizeivollzugsbeamte im Bundesgrenzschutz soweit wie möglich in die sonstige Bundesverwaltung sowie in den Polizeivollzugsdienst der Länder - und zwar laufbahnrechtlich nahtlos -- übernommen werden können. Die notwendigen Kontakte zu den Ländern sind hergestellt worden. Die Bundesregierung bemüht sich, den nahtlosen prüfungsfreien Übertritt von Polizeivollzugsbeamten in die übrige Bundesverwaltung vorzubereiten.
Auch die Ausbildung des BGS wird soweit noch
nicht geschehen angepaßt und grundlegend reformiert. Ferner werden die Amtsbezeichnungen im Bundesgrenzschutz durch die bei den Länderpolizeien gebräuchlichen Bezeichnungen ersetzt.
Es ist eine nicht einfache Umstellungsphase für den BGS, die die Anstrengung aller Beteiligten erfordert. Wir sind sicher, daß uns dieses Gesetz weiter dazu verhilft, daß der Bundesgrenzschutz voll
funktionsfähig als Bundespolizei zur Sicherheit unseres Landes beiträgt.
({0})
Meine Damen und Herren! Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht mehr vor.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Entwurfs an den Innenausschuß und - mitberatend - an den Verteidigungsausschuß sowie nach § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Vogel ({0}), Thürk, Frau Will-Feld, Dr. Wittmann ({1}), Erhard ({2}), Picard, Frau Schleicher und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Allgemeine Geschäftsbedingungen ({3})
- Drucksache 7/3200 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({4})
Ausschuß für Wirtschaft
Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Thürk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir bedauern, daß wir zu so später Stunde hier in der parlamentarischen Arbeit noch einen umfangreichen Gesetzentwurf vorlegen. Aber es war leider nicht möglich, das früher unterzubringen. Wir hatten uns schon längere Zeit bemüht, diesen Gesetzentwurf über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf die Tagesordnung zu setzen. Nun ist das erst für die Zeit nach i Uhr gelungen. Wir bedauern dies sehr. Doch können wir uns leider nicht damit abfinden, daß wir nun um der Stunde willen die Dinge abkürzen. Die Probleme, die auf dem Tisch liegen, müssen angesprochen werden.
({0})
- Herr Kollege Wehner, Verbraucherschutz ist eben nicht nur für Wahlkampfveranstaltungen da. Er sollte auch hier in einer ehrlichen Zusammenarbeit seinen Niederschlag finden.
({1})
Man darf nicht nur davon reden.
({2})
Wenn Sie sich im Ältestenrat Mühe gegeben hätten, Herr Kollege Wehner, dieses Gesetz an eine angemessene Stelle zu setzen, dann hätten wir mit einer vollen Besetzung des Hauses rechnen können.
({3})
Aber bei Ihnen besteht ja kein Interesse daran. Ich bin sicher, daß sich im Laufe dieser Verhandlungen Ihre Reihen noch lichten werden.
In dem Bemühen, den nicht organisierten und deshalb meist auf sich selbst angewiesenen Verbraucher vor Übervorteilung zu schützen und ihm seine eigenen Möglichkeiten deutlich vor Augen zu führen, haben sich in den letzten Jahren Verbraucherorganisationen gebildet. Ihre Aufgabe sehen sie im wesentlichen in der Marktbeobachtung, in der Aufklärung des Verbrauchers, dem Testen von Warenqualitäten, der Preisbeobachtung und der Anregung zum behördlichen Einschreiten gegen gesetzwidriges Verhalten insbesondere auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts.
Neben seriösen Organisationen finden wir leider auch einige Gruppierungen, die den neuen Begriff dankbar mit dem Ziel der Ideologisierung aufgenommen und ohne Sachkunde von diesem neuen Tummelplatz Besitz ergriffen haben. Ergänzt werden sie durch engagierte Gegner der sozialen Marktwirtschaft, deren Bestreben dahin geht, einzelne Mißstände aufzugreifen, aufzubauschen und zur Begründung für systemändernde Manipulationen zu verwenden.
Ein wichtiges Teilgebiet des Verbraucherschutzes, dem in der Vergangenheit vorwiegend die Organisationen - weniger leider die Verbraucher selbst - die nötige Aufmerksamkeit geschenkt haben, sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dabei ist der wirtschaftliche Schaden, der dem Verbraucher durch die AGB,
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wie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen abgekürzt werden, oft genug in der Praxis entsteht, weitaus größer als eine Preisübervorteilung oder ein Qualitätsmangel der Ware im Einzelfall.
AGB sind jenes „Kleingedruckte", das von der Wirtschaft dem Einzelvertrag aus Gründen der Vereinfachung, der Rationalisierung und Beschleunigung des Wirtschaftsverkehrs beigefügt wird und in der Regel mehr das Interesse der Wirtschaft als das des Verbrauches im Auge hat.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich zur Versachlichung der Diskussion um die AGB schon frühzeitig mit der Problematik befaßt und in den Jahren 1972 bis 1974
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unter Berücksichtigung der inzwischen ergangenen Rechtsprechung sowie der hierzu veröffentlichten Literatur einen Entwurf zur Regelung der AGB erarbeitet, der im September des vergangenen Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt und am 31. Januar 1975 als Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde.
Die Kommission, die unter dem damaligen Bundesjustizminister gearbeitet hat, war dazu leider - auf Grund welcher Umstände auch immer - nicht in der Lage, was wir bedauert haben.
Es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle der Bayerischen Staatsregierung und insbesondere ihrem früheren Justizminister Dr. Held einen besonderen Dank für die Initiative auszusprechen, die er bereits
vor Jahren ergriffen hatte, um eine Regelung dieser wichtigen Gesetzesmaterie anzubahnen.
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Auch die Einsetzung einer mit gleichem Auftrag arbeitenden Kommission bei dem Herrn Bundesminister der Justiz ist auf diese bayerische Initiative zurückzuführen. Ich hoffe, daß dies auch dem heutigen Bundesjustizminister noch bekannt ist. Die von der Regierung eingesetzte Kommission hat ihren eigenen Entwurf leider verspätet und dazu noch unvollständig im vergangenen Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt.
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Da Art und Umfang der zu regelnden Materie durch die bisherige Rechtsprechung und Literatur im wesentlichen geprägt waren, stimmen im materiellen Bereich erfreulicherweise viele Regelungen in den beiden Kommissionsentwürfen überein, was das künftige Gesetzgebungsverfahren maßgeblich zu fördern geeignet sein sollte.
Allerdings fällt auf, daß in dem bislang veröffentlichten Kommissionsentwurf der Regierung sämtliche Vorschriften zum Verfahrensrecht fehlen. Vorschriften über das Verfahrensrecht scheinen uns aber ein sehr wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil eines Gesetzentwurfs zu sein, wie nachher noch im einzelnen auszuführen sein wird.
Bedauerlicherweise hat die Bundesregierung die Vorlage ihres eigenen Gesetzentwurfs in ihrer Antwort vom 7. Februar 1975 - das ist die Drucksache 7/3216 - erst für das Frühjahr 1975 angekündigt. Wenn man die heutige Witterung betrachtet, scheint das Frühjahr bereits vorbei und in den Sommer eingemündet zu sein. Hält man sich jedoch an den kalendermäßigen Frühling, so steht der Bundesregierung noch eine Frist bis zum 21. Juni 1975 zur Verfügung. Doch hat die Bundesregierung unverständlicherweise in der eben zitierten Antwort auf eine Anfrage der Fraktionen von SPD und FDP mitgeteilt, daß auch der endgültige Gesetzenwurf keine verfahrensrechtlichen Vorschriften enthalten wird. Allerdings schadet dies glücklicherweise nicht allzu viel, da ja die erforderlichen verfahrensrechtlichen Bestimmungen im Gesetzentwurf der Opposition enthalten sind und damit die gemeinsame Beratung von materiellen und formellen Vorschriften auch ohne die Mitwirkung der Bundesregierung gesichert ist.
Zum Inhalt des Entwurfs muß zunächst festgestellt werden, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht gegen die guten Sitten verstoßen oder verwerflich sind, sondern in der modernen Industriegesellschaft zur Rationalisierung, Kostensenkung und Beschleunigung des Wirtschaftsverkehrs unentbehrlich sind. Öffentliche Hand - soweit sie sich wirtschaftlich betätigt - wie private Wirtschaft mußten sich in den letzten Jahren immer mehr auf Massenverfahren einstellen, wollten sie ihre Betriebe attraktiv und konkurrenzfähig halten. So wurde der individuell abgeschlossene Vertrag mehr und mehr durch den branchentypischen Massenvertrag abgelöst. Verbände und Organisationen der privaten Wirtschaft wie der öffentlichen Hand, aber auch einzelne Unternehmen mußten dazu übergehen, Einheitsverträge zu schaffen oder im Individualvertrag auf bestimmte Geschäftsbedingungen hinzuweisen, die allen Verträgen einheitlich zugrunde gelegt wurden. Das Bürgerliche Gesetzbuch erlaubt dies, da ein großer Teil der für das Vertragsrecht in Betracht kommenden Normen abbedungen werden kann. Ausgenommen von derartigen Regelungen sind selbstverständlich zwingende Vorschriften des BGB.
So praktisch AGB auf der einen Seite sind, so sehr sie das Geschäftsleben sicher auch für beide Vertragspartner vereinfachen, so sehr haben sie doch im Laufe der Jahre eine Ausgestaltung angenommen, die recht einseitig zu Lasten des Verbrauchers geht. Jeder Verwender von AGB sah seinen Stolz darin - oder war auch auf Grund von Rechtsstreitigkeiten dazu genötigt -, seine Geschäftsbedingungen immer weiter zu vervollkommnen und auszufeilen. Daß hierbei der Schutz des Verbrauchers in immer weitergehendem Umfange auf der Strecke blieb, liegt in der Natur der Sache. Gleichwohl ist bei sorgsamer Abwägung der Interessen der Wirtschaft wie der Verbraucher davon auszugehen, daß die Vereinfachung und Beschleunigung, kurz, die Rationalisierung des Geschäftsverkehrs im Interesse des Verbrauchers liegt, daß die große Mehrheit der Regelungen auch unbedenklich oder jedenfalls vertretbar ist, daß andererseits aber einige Beschränkungen der Rechte des Verbrauchers insbesondere auf dem Gebiet des Haftungs- und Gewährleistungsausschlusses das vertretbare Maß überschritten haben, so daß der Gesetzgeber eingreifen muß.
Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit bereits eine Reihe von bestimmten Tatbeständen als absolut oder relativ unwirksam angesehen; dies mußte in den Gesetzentwurf verständlicherweise eingebaut werden. Über die vorliegende Rechtsprechung hinaus wurde aber eine Reihe von weiteren Bestimmungen, die zwar nicht unmittelbar unwirksam sind, aber dem Gedanken des Verbraucherschutzes widersprechen, in sinnvoller Weise geregelt.
Im Ersten Abschnitt des Entwurfes sind die Allgemeinen Bestimmungen zusammengefaßt. Zunächst werden in § 1 Abs. 1 die Allgemeinen Geschäftsbedingungen definiert und wird in Abs. 2 eine entsprechende Anwendung auf Formularverträge zugelassen.
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- Die Karikatur des Parlaments sind Sie, Herr Wehner; dafür haben Sie genügend Beispiele erbracht.
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§ 2 bringt sodann die Einbeziehung der AGB durch denn Individualvertrag, während § 3 den Vorrang des Individualvertrages vor den AGB bestimmt.
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-- Es ist merkwürdig, daß ausgerechnet diejenigen,
die den Verbraucherschutz immer im Munde führen,
nicht in der Lage sind, in einer parlamentarischen
Debatte dazu einige sachliche Beiträge zu leisten.
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- Sie haben ja hinterher die Möglichkeit, zu zeigen, ob Sie dazu etwas auszuführen haben, Herr Wehner, und zwar außerhalb des Wahlkampfes hier im Plenum.
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- Dann hätten Sie dafür sorgen sollen, daß wir dieses Gebiet an einer anderen Stelle der Tagesordnung unterbringen.
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- Sie waren ja derjenige, der dagegen plädiert hat. Halten Sie sich also nächstens im Ältestenrat in einer vernünftigeren Weise an die Probleme, und versuchen Sie, das hier in der Debatte so unterzubringen, wie wir es brauchen. Dann können Sie sich diese Erklärungen sparen.
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Meine Damen und Herren, ich bitte, den Redner sprechen zu lassen.
({0})
Ich bitte Sie, fortzufahren.
Schönen Dank.
Unklarheiten bei der Auslegung der AGB gehen nach § 4 zu Lasten ihres Verwenders.
In den §§ 5 und 6 wird sodann die teilweise oder ganze Unwirksamkeit von AGB und ihre Folgen behandelt und die Konkurrenz mehrerer AGB untereinander geregelt.
Der Zweite Abschnitt mit den §§ 7 bis 25 enthält das Kernstück der Gesetzesvorlage, nämlich die unwirksamen Klauseln. Die Generalklausel des § 7 umschreibt allgemein, unter welchen Voraussetzungen in Zukunft AGB als unwirksam anzusehen sind. Werden künftig von demjenigen, der die AGB dem Vertrag zugrunde gelegt hat, entgegen den Anforderungen von Treu und Glauben die Interessen des anderen Vertragspartners nicht ausreichend berücksichtigt, sondern bieten die AGB ihm einen unangemessenen Vorteil, so müssen diese als unwirksam angesehen werden.
Die anschließenden §§ 8 bis 23 bringen sodann eine Reihe von Einzelfällen, die nicht nur das Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung widerspiegeln, sondern darüber hinaus zum Schutz des Verbrauchers noch eine Reihe zusätzlicher Tatbestände oder Erweiterungen enthalten. An Einzelfällen seien hier lediglich das Verbot des Ausschlusses bestimmter Gewährleistungsansprüche oder die Beschränkung bestimmter Haftpflichten, die Untersagung der nachträglichen einseitigen Leistungsänderung oder die Auswechslung des Vertragspartners genannt. Soweit das Bürgerliche Gesetzbuch diese Beschränkungen nicht untersagt, können sie in Zukunft nur noch im Individualvertrag zwischen den Parteien vereinbart werden. Damit werden sie dem Verbraucher aber sichtbar vor Augen geführt, so daß er sich bei den Vertragsverhandlungen darauf einrichten und sie abwehren kann.
Da nicht auszuschließen, sondern sogar anzunehmen ist, daß das Wirtschaftsleben in Zukunft die Formulierung neuer AGB, die heute noch nicht bekannt sind, notwendig machen kann, ist in § 24 dem Bundesminister der Justiz eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen erteilt worden; mit dieser kann er weitere AGB für unwirksam erklären, wenn durch das Urteil eines Oberlandesgerichtes oder eines Gerichtes höheren Ranges die Unwirksamkeit wegen Unvereinbarkeit mit der Generalklausel des § 7 festgestellt worden ist.
Eine nicht unbeachtliche Streitfrage bei den Beratungen ist gewesen, ob auch Kaufleute in diesen Verbraucherschutz mit einzubeziehen sind. Von seiten der Wirtschaft war darauf hingewiesen worden, daß ein derartig erweiterter Anwendungsbereich den Wirtschaftsverkehr hemmen oder zwangsläufig zu Kostenerhöhungen führen werde. Dieses Argument konnte nicht ohne weiteres ausgeräumt werden.
Auf der anderen Seite war zu bedenken, daß das unbeschränkte Einstehen-Müssen des Verkäufers oder Handwerkers gegenüber dem Verbraucher für Leistungsmängel eine starke Belastung sein würde, während diesen „Wiederverkäufern" mit Rücksicht auf die ihnen vom Großhandel, von Produktionsoder Verarbeitungsbetrieben auferlegten AGB eine Weitergabe der Reklamationen verwehrt wäre. Diese Letztverkäufer würden daher, obwohl sie sicherlich nicht die wirtschaftlich Stärksten sind, eine Pufferzone zwischen Herstellung und Verbraucher bilden, wobei sie dieser Aufgabe voraussichtlich wirtschaftlich nicht gewachsen wären.
Der vorliegende Gesetzentwurf hat deshalb die Kaufleute grundsätzlich mit in die Schutzbestimmungen aufgenommen und insbesondere die Generalklausel des § 7 auch auf Kaufleute für anwendbar erklärt. Hingegen sind einige Bestimmungen in § 25 aufgeführt, die auf ein Handelsgeschäft eines Kaufmannes keine Anwendung finden, um so den Belangen des Wirtschaftsverkehrs Rechnung zu tragen.
Entgegen manchen Vorstellungen hat der Entwurf jedoch AGB, die durch Rechtsvorschrift erlassen sind oder der Genehmigung durch eine oberste Bundesoder Landesbehörde bedürfen, nicht von der Regelung ausgenommen. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß auch die öffentliche Hand bzw. die öffentliche Aufsicht nicht frei von Fehl ist, so daß es gerecht11798
fertigt erscheint, hier keine Ausnahmen zu statuieren.
Im Dritten Abschnitt sind sodann die verfahrensrechtlichen Bestimmungen der §§ 26 bis 32 untergebracht. Es hat in der Vergangenheit die verschiedenartigsten Vorschläge gegeben, wie die Anwendung der AGB in der Praxis am besten gesichert werden könnte. So war von manchen Seiten das Erfordernis der vorherigen Genehmigung Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch die Behörde geplant worden; teilweise sollten bereits erlassene AGB dadurch ihre Sanktion erfahren, daß sie nachträglich einem behördlichen Prüfungsverfahren unterzogen wurden. Auch die Selbstkontrolle der Wirtschaft war als wirksames Mittel gepriesen worden.
Die allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften der ZPO konnten hier nicht ausreichen, da die Rechtskraft einer Unwirksamkeitserklärung von AGB durch ein Gericht die Wirkung auf die Prozeßparteien beschränkt hätte. Wenn die vorgesehenen materiellen Regelungen daher effizient werden sollten, mußte ein Weg gefunden werden, um das Urteil allgemeinverbindlich werden zu lassen, ohne jedoch an dem bewährten prozeßrechtlichen System etwas zu ändern.
In § 26 ist daher zunächst dem Geschädigten das Recht zugesprochen worden, den anderen Vertragsteil auf Unterlassung der Anwendung bestimmter AGB in Anspruch zu nehmen. Ihm kann ferner untersagt werden, gleichartige AGB künftig anzuwenden. Eine beschränkte Außenwirkung kann zweifellos dadurch erzielt werden, daß der obsiegenden Partei die Befugnis zugesprochen werden kann, den erkennenden Teil des Urteils zu publizieren. In Verbindung mit der dem Bundesjustizminister erteilten Ermächtigung, durch Rechtsverordnung neue AGB für unwirksam zu erklären, ist damit ein hoher Effizienzgrad erreicht worden.
Dieser wird noch verstärkt durch die Vorschrift des § 27, die besagt, daß Ansprüche auf Unterlassung auch von Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen oder von Verbänden, die die Interessen der Verbraucher vertreten, geltend gemacht werden können.
Neben der Möglichkeit der Erhebung der Verbandsklage wird den Verbraucherverbänden auch die Prozeßstandschaft, also das Recht, einzelne Mitglieder gerichtlich zu vertreten, in § 28 unter den dort festgelegten Voraussetzungen zugestanden. Damit soll einerseits der Rechtsschutz von Verbrauchern verbessert, andererseits auch die Stellung der Verbraucherschutzverbände gestärkt werden. Um den Verbraucherschutz effizienter zu machen, ist ferner vorgesehen, daß eine Verbindung der Unterlassungsklage mit einer innerlich im Zusammenhang stehenden anderweitigen Klage vor demselben Gericht möglich ist und daß außerdem zur Ermäßigung der Kosten eine Streitwertherabsetzung begehrt werden kann.
Ebenfalls der Vereinfachung der Rechtsverfolgung dient § 33, nach dem auch ein Vertrag, auf den ausländisches Recht Anwendung findet, dann unter die Herrschaft dieses Gesetzes fällt, wenn die kaufmännischen Werbe- und Verkaufsmaßnahmen im Inland zur Abgabe einer Willenserklärung der geschädigten Partei geführt haben.
Mit Rücksicht auf einen störungsfreien Wirtschaftsverkehr ist es nicht möglich, dieses Gesetz sofort in Kraft zu setzen, weil eine weitgehende Umstellung in weiten Bereichen notwendig ist. Erfaßt werden deshalb lediglich Verträge, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen werden. Der privaten Wirtschaft wird eine Übergangszeit von einem Jahr, den Unternehmen, deren AGB behördlich genehmigt wurden, eine Frist von zwei Jahren eingeräumt.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist der Überzeugung, daß sie mit diesem Gesetzentwurf zu den AGB einen wesentlichen Schritt zum Schutz der Verbraucher getan hat. Sie hofft im Interesse der Bürger, daß die Bundesregierung nicht aus Ärger darüber, daß ihr selber eine fristgerechte Vorlage des eigenen Gesetzentwurfes nicht gelungen ist, die Mitarbeit an diesem Gesetzeswerk versagt. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hofft ferner, daß die Koalitionsfraktionen eine zügige Beratung in den Ausschüssen mit dem Ziel, die Rationalisierungsbestrebungen in der Wirtschaft zu fördern, gleichwohl aber den Schutz des Verbrauchers in bestmöglicher Form zu erwirken, unterstützen wird.
Ich danke Ihnen für Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind soeben Zeugen eines unerhörten und schamlosen Versuchs gewesen, das Parlament wieder einmal zu Wahlkampfzwecken zu mißbrauchen. Dies und nichts anderes steckt hinter dem Drängen, hier ein Gesetz einbringen zu können, für das diejenigen, die es einbringen, eine so unerhörte Anteilnahme zeigen, daß dieser Debatte noch ganze zwei Mitglieder der Fraktion einschließlich des Vorlesers beiwohnen.
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Darüber hinaus verdient das, was Sie aus den Vorarbeiten der Kommission der Bundesregierung abgeschrieben haben - und dazu noch miserabel abgeschrieben haben -, an dieser Stelle und zu dieser Stunde keine sachliche Würdigung mehr.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsident! Verehrte Kollegen von den Koalitionsfraktionen! Sehr geehrter Herr Josten, Herr Thürk, Herr Seiters!
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Ich erwähne Sie insbesondere deshalb namentlich, weil sich soeben wieder einmal bestätigt hat, daß eher eine Frau auf einen neuen Frühjahrshut zu verzichten bereit ist als ein Mann auf das Verlesen einer vorbereiteten Rede.
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Lassen Sie mich aber noch einige wenige Bemerkunken anschließen.
Die Vorarbeiten der Bundesregierung sind bekannt. Wie der vorgelegte Entwurf zeigt, waren sie auch der Opposition bekannt. Wir werden in Kürze auch den sicherlich etwas umfangreicheren, jedenfalls aber ausgewogeneren Regierungsentwurf zu behandeln haben.
Heute nur so viel dazu: Wenn wir an den Allgemeinen Verteidigungsbedingungen Einsparungen und Straffungen vornehmen wollen, sollten wir nicht Dinge, die in der Rechtsprechung seit langem unzweifelhaft feststehen, überflüssigerweise in dieses Gesetz schreiben. Das gilt für die §§ 4, 5 und 6, die sämtlich das wiederholen, was in der Rechtsprechung seit eh und je unstreitig war. Ich möchte darauf hinweisen, daß zwar sehr viele Firmen, darunter Firmen, die unzweifelhaft im gesamten Geschäftsverkehr als sehr seriös gelten, sich angewöhnt haben - das ist zum Teil, glaube ich, schon Gleichgültigkeit gegenüber den dort tätigen Fachjuristen und deren Arbeitsergebnissen -, allgemeine Geschäftsbedingungen zu verwenden, die in höchstem Maße unseriös sind, was der eine oder andere Vorstand oder Verkaufschef vielleicht erst dann überrascht feststellte, wenn er sich einmal wieder mit solchen Geschäftsbedingungen befaßte.
Wir haben andererseits aber auch - das möchte ich gleichfalls hervorheben - den Vorgang, daß Firmen bewußt auf allgemeine Geschäftsbedingungen der üblichen Art verzichten oder nur die wenigen, wirklich essentiellen Bestimmungen, die sie in allen Fällen brauchen, vorne auf ihre Verträge in übersichtlicher Form aufdrucken und sich damit geradezu zum Zwecke der Imagepflege von denjenigen absetzen, die diese Geschäftsbedingungen allerdings in einer sehr bedauernswerten Weise verwenden.
Es würde mich freuen, wenn die weiteren Beratungen über den Entwurf der Bundesregierung und den jetzt von Ihnen vorgelegten Entwurf dazu führen könnten, von einer besonderen Behandlung des Reiseveranstaltervertrags abzusehen. Wenn es gelänge, die dort anstehenden Probleme hier mit zu regeln, könnten wir uns vielleicht ein zusätzliches Gesetz ersparen und die Thematik übersichtlicher halten.
Die Frage der Verbandsklage werden wir nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern auch in anderen Zusammenhängen noch zu behandeln haben, nämlich u. a. in Verbindung mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Wie Sie wissen, sind wir der Meinung, daß es in vielen Fällen heute ohne eine Verbandsklage gar nicht mehr geht, daß dieses Instrumentarium ohne die Verbandsklage im Verfahren unvollständig wäre. Wir meinen aber auch: Wenn man den Verbänden derartige Rechte prozessualer Art gibt, sollte man sie sehr sorgfältig anschauen und ihre Zahl klein halten. Wie das im einzelnen zweckmäßig zu regeln ist, muß sicher noch festgestellt werden.
Es fällt auf, daß die Verträge, die unter staatlicher Mitwirkung zustande gekommen sind, in der jetzigen Form nur für eine Übergangszeit von zwei Jahren bestehenbleiben sollen. Ich glaube nicht, daß wir dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen oder dem Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen gerecht werden, wenn die dort mit viel Mühe in jedem Einzelfall ausgehandelten Bedingungen noch einmal einer Überprüfung an anderer Stelle unterworfen werden. Das ist ein Fall, den man noch näher betrachten sollte.
Dasselbe gilt meiner Ansicht nach auch für notarielle Verträge; denn sonst wäre die Rolle des Notars in diesen Fällen schwer verständlich zu machen.
Umgekehrt frage ich mich, ob das Vertragswerk - zum Teil durch Verordnungen oder noch unübersichtlichere Wege zustande gekommen -, das Bundesbahn und Bundespost benutzen und das sich von besonders unseriösen Bedingungen von Wirtschaftsunternehmen in vielen Fällen nicht abhebt, bei dieser Gelegenheit nicht auch angeschaut werden sollte.
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Der Bürger, der auf einmal zum Postbenutzer oder zum Eisenbahnbenutzer gemacht wird, sieht sich hier Haftungsbeschränkungen, Fristen und allen möglichen Eingriffen in eine normale Vertragsgestaltung gegenüber, die, wenn wir uns schon die Dinge im Bereich der Wirtschaft näher anschauen, fairerweise überprüft werden müßten.
Bei diesen Bemerkungen möchte ich es für heute belassen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Seiters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur eine ganz kurze Bemerkung machen. Ich muß gestehen - vielleicht hören Sie mir auch zu -, daß die Einlassung des Kollegen Jahn, aus meiner Sicht jedenfalls, doch ziemlich pharisäerhaft ist. Ich beklage mit Ihnen diese mangelhafte Präsenz hier und auch die mangelhafte Präsenz meiner Fraktion, wie ich auch in der Vergangenheit an anderen Orten gesagt habe, daß wir uns überlegen müssen - auch im Ältestenrat , wie wir die Sitzungen des Parlaments anders gestalten können, damit sich nicht ein solches Bild ergibt.
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11800 Deutscher Bundestag --- 7. Wahlperiode Seiters
- Herr Kollege Wehner, Sie wissen doch genauso gut wie ich, daß auch die Anwesenheit Ihrer Fraktion hier nicht gerade berauschend ist und daß sich bei anderen Debatten auch schon einmal ein umgekehrtes Bild der Präsenz der einzelnen Fraktionen ergeben hat.
Für mich ist entscheidend, daß wir diesen Gesetzentwurf, der leider in der Vergangenheit verzögert worden ist, jetzt durch die Behandlung im Plenum in die Ausschüsse hineinbringen und ihn dort behandeln können.
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Was den Inhalt, Herr Kollege Jahn, dessen angeht, was Herr Thürk vorgetragen hat, und auch, was die Art des Vortrags angeht, so sage ich Ihnen ganz offen: Mir ist es lieber, daß ein gut begründeter Antrag oder eine gut begründete Rede hier vorgelesen wird, als daß jemand sich hinstellt und so tut, als habe er zu diesem ganzen Gesetzentwurf - wie Sie - gar nichts zu sagen.
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Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 14. Mai 1975, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.