Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 16. April 1975 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung ({0}) des Rates zur Durchführung des Beschlusses Nr. 47/74 des Assoziationsrates EWG-AASM über eine his zum Inkrafttreten des Abkommens, das das Abkommen von Yaunde ersetzt, und höchstens bis zum 31. Dezember 1975 geltende Ausnahme von der Begriffsbestimmung für Ursprungserzeugnisse mit Rücksicht auf die besondere Lage von Mauritius bei bestimmten Erzeugnissen der Textilindustrie
- Drucksache 7/3339 Beschluß des Rates über die Anwendung der Verordnung ({1}) des Rates zur Errichtung eines Europäischen Fonds für Regionalentwicklung auf die französischen überseeischen Departements
- Drucksache 7/3375 Mitteilung der Kommission an den Rat über die Übergangsmaßnahmen nach dem 31. Januar 1975 im Rahmen der Beziehungen zu den AKP-Staaten und den ÜLG
- Drucksache 7/3179 Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen üherwiesen:
Verordnung ({2}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({3}) Nr. 766'68 hinsichtlich der Aussetzung der periodischen Festsetzung der Ausfuhrerstattungen bei Melasse und Sirupen
--- Drucksache 7;3476 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({4}) des Rates
zur Festlegung der Grundregeln für die Lieferung von Magermilchpulver als Nahrungsmittelhilfe im Rahmen des Programms 1975 zugunsten bestimmter Entwicklungsländer und internationaler Organisationen
über die Lieferung von Magermilchpulver an bestimmte Entwicklungsländer und internationale Organisationen als der Nahrungsmittelhilfe im Rahmen des Programms 1975
Beschluß des Rates ({5}) über die Erstellung von Modalitäten für die Durchführung der Nahrungsmittelhilfe mit den in vorgenannter Verordnung in Aussicht genommenen Entwicklungsländern und Organisationen
- Drucksache 7/3486 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6}), Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({7}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({8}) Nr. 1397/69 zur Festsetzung der Standardqualitäten für bestimmte Arten von Getreide, Mehl, Grobgrieß und Feingrieß sowie der Regeln für die Festsetzung der Schwellenpreise dieser Arten
- Drucksache 7/3487 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Entschließung des Rates betreffend die Festlegung eines kurzfristigen Zieles im Bereich der Verringerung des Mineralölverbrauchs
- Drucksache 7/3488 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Ich rufe Punkt 20 der gemeinsamen Tagesordnung auf:
Beratung des Jahresberichts 1974 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
- Drucksache 7/3228 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute hier im ersten Durchgang den Jahresbericht 1974 des Wehrbeauftragten, der entsprechend der gesetzlichen Bestimmung dem Hause erstattet wurde. Dieser Bericht wurde noch vom vierten Inhaber des Amtes des Wehrbeauftragten, Herrn Fritz-Rudolf Schultz, vorgelegt. Wir werden uns mit diesem Bericht sehr eingehend zu beschäftigen haben.
Mit dem neuen Wehrbeauftragten, Herrn Karl Wilhelm Berkhan, ist zum erstenmal ein Sozialdemokrat in dieses Amt berufen worden. Ich betone dies deshalb, weil es die sozialdemokratische Bundestagsfraktion war, die seinerzeit den Gedanken einer besonderen parlamentarischen Kontrollinstanz für die neuen deutschen Streitkräfte politisch und rechtlich durchsetzte. Ich erinnere dabei an die damalige Reise einer kleinen Delegation dieses Hauses unter Beteiligung unseres früheren Kollegen, des Abgeordneten Ernst Paul, nach Schweden, wo er während seiner Emigration sich aufgehalten hatte lind wo er das Institut des Ombudsmans kennengelernt hatte. Es ging damals darum, dieses für deutsche Verhältnisse ganz neue Instrument einer parlamentarischen Kontrolle daraufhin zu prüfen, inwieweit es bei einer zukünftigen Wehrverfassung Eingang finden kann.
Entscheidend war und ist wohl auch heute, daß alles das, was man unter Kommiß und Militarismus zu bezeichnen pflegt, in einer neuen deutschen Wehrmacht keinen Platz haben durfte. Darum zeichnete das Konzept der Wehrverfassung von 1956 eine doppelte Blickrichtung vor: Zum einen ging es
Dr. Schäfer ({0})
darum, die bewaffnete Macht in die rechtsstaatliche parlamentarische Ordnung des Grundgesetzes einzubeziehen, und zum anderen mußte auch im inneren militärischen Bereich den Soldaten der Schutz der Grundrechte gewährleistet werden. Die wehrverfassungsrechtlichen Vorstellungen der deutschen Sozialdemokratie sahen aus diesem Grunde die Einrichtung eines Wehrbeauftragten vor. Nur mit einer solchen Institution konnten nach unserer Auffassung die weitgespannten Zielvorstellungen der Wehrverfassung erfüllt werden.
Die Beziehungen zwischen Parlament und bewaffneter Macht sind in Deutschland nicht frei von Belastungen, Verzerrungen und auch von Ressentiments. Stets war die deutsche Armee der parlamentarischen Kontrolle nur schwer zugänglich gewesen. In der konstitutionellen Monarchie war die militärische Kommandogewalt parlamentarisch kaum faßbar, da sie unter dem Oberbefehl des Königs in parlamentsfernen militärischen Immediatbehörden ausgeübt wurde. Auf diese Weise konnte die Krone, was die Armee anbetrifft, bis 1918 nahezu absolutistisch regieren und kommandieren.
In dem mit der Einführung des konstitutionellen Systems in Preußen entbrennenden Kampf zwischen Krone und Parlament um die Macht im Staat spielte die Armee eine besondere Rolle. Der Krone ging es darum, Ansätze parlamentarischer Kontrolle im militärischen Bereich zu unterbinden, um sich die Armee als verläßliche Stütze ihrer Macht auch bei der innenpolitischen Auseinandersetzung erhalten zu können.
Auch in der Weimarer Zeit fanden Parlament und bewaffnete Macht, Reichstag und Reichswehr, nicht so zueinander, wie es im Interesse des Staates und der parlamentarischen Demokratie gelegen hätte. Das ist kein Vorwurf für die beiden, sondern das richtet sich an diejenigen, die die Verfassung gemacht haben und die - rein verfassungsrechtlich -dem Staatsoberhaupt, also dem Reichspräsidenten, die Kommandogewalt übergeben haben. Mit diesem Kommando war auch gleichzeitig die Planung im militärischen Bereich in oberster Instanz dem Parlament entzogen, und man erinnert sich an die Fehlentwicklungen, die nach 1919 damit verbunden waren. Seinen Einfluß konnte das Parlament nur durch die Kontrolle des Reichswehrministers geltend machen. Dieser wurde wiederum von der Generalität durch sogenannte unmittelbare Vortrags- und Entscheidungswege unmittelbar an das Staatsoberhaupt, unmittelbar an den Reichspräsidenten, mehr und mehr von der Entscheidung ausgeschlossen und nur auf die Administration beschränkt. Und auch - das muß man heute ebenfalls betonen - die in weiten Teilen des Offizierskorps unverändert vorhandene monarchische Einstellung hat eine Integration der Reichswehr nahezu unmöglich gemacht.
Mit diesen historischen Hypotheken in den Beziehungen zwischen Parlament und bewaffneter Macht mußte bei der Schaffung der Wehrverfassung unseres Grundgesetzes aufgeräumt werden. Ihr Ansatz war die Regelung des Oberbefehls und die Überweisung seiner verschiedenen Funktionen auf die nach dem Grundgesetz jeweils zuständigen Organe. Die Befehls- und Kommandogewalt wurde nach der Verfassung dem Bundesminister der Verteidigung zugeordnet. Damit ist zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ein dem Parlament verantwortlicher Minister Inhaber der obersten Kommandobefugnisse. Die Ablösung der beim Staatsoberhaupt angesiedelten Kommandogewalt und die Übertragung auf den dem Parlament verantwortlichen Minister kann für die Entwicklung nicht hoch genug veranschlagt werden. Der Minister ist dem Parlament für den gesamten Geschäftsbereich verantwortlich.
Ich darf an zwei Bestimmungen erinnern, die gleichzeitig geschaffen wurden und die in dem Rahmen der Betrachtungen mit angeführt werden sollten. Es wurde Art. 45 a des Grundgesetzes geschaffen, der dem Ausschuß für Verteidigung generell die Rechte eines Untersuchungsausschusses verlieh, und es wurde Art. 87 a des Grundgesetzes geschaffen, der in seiner enormen Bedeutung häufig übersehen wird und der sagt, daß sich Organisation und Stärke der Streitkräfte aus dem Haushaltsplan, der vom Parlament jährlich zu beschließen ist, ergeben müssen.
Von besonderer Bedeutung - etwas ganz Neues - war, eine Regelung für den einzelnen Soldaten zu finden. Das Problem ergibt sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen der grundgesetzlichen Garantie der Grundrechte und der befehlsunterworfenen Stellung des Soldaten. Das war Anlaß, im einzelnen zu gewährleisten, daß - unter Sicherung der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte - die Grundrechte in ihrem Wesensgehalt erhalten bleiben müssen. Die für die Bundeswehr geltenden Grundzüge der Inneren Führung sind daher neben den festgelegten Grundrechten der Maßstab zur Überprüfung des Einzelfalls. Das allgemeine Petitionsrecht, wie wir es in Art. 17 des Grundgesetzes haben, konnte dafür nicht genügen. Der Bundestag mußte sich ein eigenes Inspektionsrecht geben. Ich darf heute daran erinnern, daß die Entwicklung dieses eigenen Inspektionsrechts in einigem Umfang in der zukünftigen Entwicklung der Rechte des Petitionsausschusses seine entsprechende Ausgestaltung erfährt. Es konnte nicht genügen, nur den einzelnen Beschwerden nachzugehen, es genügt auch nicht - so wie § 7 es sagt -, daß jeder Soldat das Recht hat, sich einzeln ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an den Wehrbeauftragten zu wenden; sondern hinzu kam die Aufgabe, allen Vorgängen und allen Umständen nach pflichtgemäßem Ermessen nachzugehen, die auf eine Verletzung der Grundrechte der Soldaten oder der Grundsätze der Inneren Führung schließen lassen können. Damit ist dem Wehrbeauftragten eine sehr umfassende Aufgabe überwiesen.
Das Amt des Wehrbeauftragten ist durch eine wechselvolle Geschichte gekennzeichnet, auch wenn sie noch nicht sehr lang ist. Sie ist durch verschiedene Ausdeutungen seines Verfassungsauftrages, durch Kompetenzstreitigkeiten mit dem Bundesminister der Verteidigung, durch behauptete oder tatsächliche - ich werde darauf nachher einzugehen haben - Vernachlässigungen seitens des Bundestages, aber auch durch persönliche Verstrickungen geprägt, die bekannt sind.
Dr. Schäfer ({1})
Das Amt des Wehrbeauftragten, seine Einrichtung und sein Verfassungsauftrag werden heute nicht mehr in Frage gestellt. Der Verteidigungsminister des Jahres 1970, der heutige Bundeskanzler, hat bei der Einsetzung des vierten Wehrbeauftragten im März 1970 vor diesem Hohen Hause die Einrichtung des Wehrbeauftragten als eine schlechthin unverzichtbare Institution bezeichnet, und die Frau Präsidentin hat bei der Einsetzung des fünften Wehrbeauftragten daran erinnert.
Überblickt man die Entwicklung des Amtes, so wird man nach den Jahren des Aufbaues und der Suche nach einer richtigen Konzeption etwa seit dem Ende der 60er Jahre eine Phase der Konsolidierung konstatieren müssen, in der sich der Verfassungsauftrag des Wehrbeauftragten verfestigt und zunehmend anerkannt wird. Der Verfassungsauftrag umfaßt ich darf das noch einmal formulieren - neben dem Schutz der Grundrechte der Soldaten auch den Schutz der Grundsätze der Inneren Führung. Das Reformkonzept der Inneren Führung stand von Anfang an im Mittelpunkt der Diskussionen und Auseinandersetzung um die Bundeswehr. Die Innere Führung mußte die Spannung zwischen freier Ausübung der Grundrechte und Funktionssicherung der Streitkräfte aushalten, zwischen praxisbezogener schen rechtlicher Normierung und nicht kodifizierbaren Bewußtseins- und Verhaltensweisen.
Gerade das letztere ist entscheidend. Die Durchführung der Aufgaben im Bereich des Bundesministers der Verteidigung ist an sehr viele Einzelpersönlichkeiten geknüpft, an ihr Verhalten, an alle die Vorgesetzten, gleich welchen Ranges, und jeder dieser Vorgesetzten kann mit seinem Verhalten die Grundrechte verletzen. Ohne daß die Institution des Wehrbeauftragten bestünde, könnten daraus keine Folgerungen gezogen werden. Genau das ist der entscheidende Punkt beim Wehrbeauftragten: Es ist die Kontrolle von verschiedenen Seiten, die Kontrolle auch von unten her, die Kontrolle durch den Betroffenen, der sich zu Wort melden kann und der damit eine Überprüfung des Verhaltens durch den Wehrbeauftragten veranlaßt.
Nun, der Wehrbeauftragte versteht sich nicht nur, wie manchmal gesagt wird, als Klagemauer der Soldaten, sondern auch als Sachwalter der Streitkräfte gegenüber Parlament und Öffentlichkeit. Damit kommt man zu einer sehr schwierigen Frage, die es zu prüfen gilt. Zahlenmäßig fallen nicht so sehr die Eingaben ins Gewicht, die sich auf Verletzung der Grundrechte, auf Verletzung der Grundsätze der Inneren Führung stützen, als vielmehr diejenigen, die sich auf den sozialen Bereich beziehen: Fragen der Unterbringung, der Fürsorge für die Familie, der Vermittlung einer Wohnung. Hier kommt der Wehrbeauftragte schon in eine etwas schwierige Situation. Denn er kann ja eine solche Eingabe nicht einfach hinnehmen, er kann nicht nur als Bittsteller bei den entsprechenden Referenten des Ministeriums auftreten, sondern muß insoweit auch ein Sachwalter sein.
Dieser große Bereich des Fürsorgewesens ist aus der Entwicklung entstanden und ist, streng genommen, durch Art. 45 b des Grundgesetzes und durch die Formulierung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten in dieser Weise eigentlich nicht abgedeckt. Der Vorschlag, das Gesetz über den Wehrbeauftragten zu novellieren, ist daher sehr ernst zu nehmen. Ich weiß, daß sich der Verteidigungsausschuß mit diesen Fragen im letzten Jahr befaßt hat. Ich bin aber auch froh, daß er noch nicht zu einer abschließenden Regelung gekommen ist und auch noch nicht abschließende Vorschläge vorgelegt hat.
({2})
Noch nicht Vorschläge an das Plenum gemacht hat, Herr Wörner.
({3})
Er hat also noch keine Vorschläge an das Plenum gemacht,
({4})
aber ich meine, Herr Wörner - ich schließe aus
Ihrem Zwischenruf, daß wir da gleicher Meinung
sind -, daß die Zeit für eine Novellierung reif ist.
({5})
und daß es gut ist, wenn wir jetzt darangehen, diese Fragen zu klären und eine Novellierung vorzunehmen.
Dabei werden der Bericht des Wehrbeauftragten, wie er uns jetzt vorliegt, und insbesondere auch das, was er auf den ersten Seiten gesagt hat, uns, insbesondere dem Verteidigungsausschuß, aber auch dem Parlament im ganzen zu gewissenhafter Prüfung Anlaß sein. Man kann es nicht einfach überschlagen, wenn ein Wehrbeauftragter nach fünf Jahren in dieser Form seine Sorgen über die Entwicklung des Instituts des Wehrbeauftragten ausdrückt.
Lassen Sie mich denn auch ein paar Bemerkungen dazu machen. Es wird die Frage aufgeworfen, ob denn ein Wehrbeauftragter, der mindestens die Stimmen der Mehrheit dieses Hauses erhalten muß, einen Minister der Koalition kontrollieren könne. Ich glaube, daß die Fragestellung so nicht richtig ist. Das Amt des Wehrbeauftragten ist so ausgestaltet, daß sein Inhaber weisungsfrei ist. Das Amt des Wehrbeauftragten ist nicht mit der Legislaturperiode verbunden, sondern geht auf fünf Jahre, und die Arbeit und die Prüfungen, die er macht, sind für alle Verantwortlichen nützlich, für den letztlich parlamentarisch verantwortlichen Minister der Verteidigung ebenso wie für das Parlament, das seine Kontrollfunktion und vielleicht darüber hinaus, wie ich vorhin andeutete, auch seine Fürsorgepflicht deutlich machen muß. Ich habe vorhin den neuen Wehrbeauftragten gefragt, ob es denn symptomatisch sei, daß er hier an einem angesetzten kleinen Tisch sitzt. Vielleicht ist es symptomatisch, daß er auf der Bundesratsbank noch einen kleinen Katzentisch angesetzt bekam und eigentlich gar nicht auf der richtigen Bank, auf dem richtigen Stuhl sitzt.
Ich will damit nur andeuten, daß wir Grund haben, vom Bundestag im ganzen aus zu prüfen, ob wir
Dr. Schäfer ({6})
unser eigenes Hilfsorgan richtig ausgestattet haben und richtig behandeln im Sinne dessen, wie wir den Auftrag von vornherein gedacht haben und wie wir ihn durchgeführt sehen wollen. Wir haben vor bald zehn Jahren dem Wehrbeauftragten hier ein Rederecht im Bundestag eingeräumt. Er ist immerhin der erste nicht zu den Abgeordneten und nicht zur Regierung bzw. zum Bundesrat Gehörende, der hier ein Rederecht hat, aber kein Rederecht von sich aus, sondern nur eines auf Anforderung. Diese Ausgestaltung des Rederechts war schon Vorbild für einige andere Vorschläge, z. B. dem Präsidenten des Rechnungshofes ein ähnliches Recht oder eine ähnliche Pflicht hier einzuräumen. Man wird es prüfen müssen.
Man wird - ich habe das vor einigen Jahren in einer Abhandlung geschrieben - auch prüfen müssen, ob der Bundestag sich seines eigenen Instrumentes nicht stärker bedienen sollte - das Weisungsrecht, Auftragserteilung , aber ich stelle hier nur die Frage, weil ich meine, daß die Kollegen im Verteidigungsausschuß aus ihrer laufenden Arbeit diese Frage richtig beantworten können. Was wir vom Plenum hier erwarten müssen, ist, daß unsere Kollegen im Verteidigungsausschuß sich nicht nur mit den Sachfragen des Berichts befassen, sondern auch mit den ersten Seiten des Berichts - sie haben es schon getan; ich weiß, Herr Rommerskirchen -, und daß konkrete Vorschläge an das Plenum kommen, damit wir dieses Instrument, so umstritten es am Anfang gewesen ist, so unterschiedlich die Unterstützung für dieses Instrument war, so ausgestalten und so für unsere Arbeit nützlich machen, wie wir es von Anfang an gedacht haben, wie es notwendig ist, um die Stellung des Menschen, der als Soldat seine Pflicht in diesem Staat tut, im höchstmöglichen Maße zu sichern, die Grundrechte zu sichern und den Grundsätzen der Inneren Führung, die diesem Ziele dienen, Geltung zu verschaffen.
({7})
Ich hoffe sehr, daß wir gerade jetzt uns mit dieser Frage nicht zu befassen, sondern daß wir auch zu Beschlüssen kommen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Rommerskirchen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Interesse der Verbesserung des gesetzlich geordneten Verhältnisses zwischen dem Deutschen Bundestag und dem Wehrbeauftragten als Institution begrüßen auch wir seitens der CDU/CSU-Fraktion die kritische Überprüfung dieses Verhältnisses. Die diesbezüglichen Feststellungen - ich stimme da ganz mit Herrn Dr. Schäfer überein -, die der Wehrbeauftragte in seinem letzten Jahresbericht festgehalten hat, bedürfen unseres Erachtens tatsächlich einer angemessenen Würdigung. Sie sind insgesamt sicherlich sehr erwägenswert.
Ich muß aber sofort hinzufügen: Wenn eine Verbesserung des derzeitigen Zustandes dabei herauskommen soll, muß die Überprüfung dieses Zuordnungsverhältnisses eine Sache auf Gegenseitigkeit sein. Ohne unfreundlich sein zu wollen, muß ich es dem ausgeschiedenen Wehrbeauftragten, wenn ich so formulieren darf, ins Stammbuch schreiben: In seinem Jahresbericht vermissen wir auch nur einen Ansatz von Selbstkritik. Statt dessen glaubte der Wehrbeauftragte, in der zusammenfassenden Wertung seiner Gedanken feststellen zu müssen, daß „ein allgemeines Desinteresse des Parlaments an der Institution und der Arbeit seines Hilfsorgans bei der Wahrnehmung der Kontrolle im Verteidigungsbereich zu verzeichnen" sei. Ich bin der Auffassung - und das als derjenige, der viele Jahre im Verteidigungsausschuß und damit auch für das Parlament Berichterstatter für den Bereich des Wehrbeauftragten war -, daß diese schwerwiegende Feststellung mit diesem Akzent nicht gerechtfertigt ist.
Die Institution des Wehrbeauftragten steht zumindest im Parlament nicht mehr zur Diskussion. Gerade im Zusammenhang mit der Wahl eines neuen Wehrbeauftragten ist die Bedeutung dieses systemgerechten Instruments zur Wahrung der Grundrechte des im Wehrverhältnis stehenden Staatsbürgers und der Grundsätze zeitgemäßer Menschenführung innerhalb der Streitkräfte auf jeden Fall von seiten der CDU/CSU-Fraktion bekundet worden. Wir wollen auf den damaligen Wahlvorgang nicht mehr im einzelnen eingehen. Aber es ist doch unbestritten, daß das Hickhack in der Fraktion der SPD das Amt des Wehrbeauftragten leider Gottes, Herr Dr. Schäfer, mindestens hat abwerten können; ich befürchte, daß es dadurch abgewertet worden ist.
({0})
Auch die Behandlung der Jahresberichte des Wehrbeauftragten im Verteidigungsausschuß, dem nach parlamentarischem Selbstverständnis die Praktizierung der Zuordnung überantwortet ist, gibt meines Erachtens keinen Anlaß zu einer so pauschalen negativen Kritik. Ich sage das wiederum als derjenige, der auch im Verteidigungsausschuß den jeweiligen Jahresbericht einführen durfte und entsprechende Anregungen dazu gab.
Um die Arbeit im Amt des Wehrbeauftragten mit den gesammelten Erkenntnissen und Erfahrungen optimal fruchtbar zu machen, müssen zweifellos alle diesbezüglichen wesentlichen Feststellungen, die Besorgnisse und die konstruktiven Anregungen sorgfältig daraufhin überprüft werden, wieweit sie zum politischen Willen des Parlaments gegenüber dem Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr zu machen sind und in diese Bundeswehr hinein wirken sollen.
Dabei hat ganz sicher auch der Teil des Fachausschusses wie des Parlaments insgesamt, der die Regierung trägt, also die Koalition, bei aller verständlichen und auch gebotenen Loyalität zu bedenken - der Wehrbeauftragte spricht das im Jahresbericht an und versieht die Kontrollfunktion in dieser Hinsicht auch mit Fragezeichen -, daß notwendige Korrekturen in der Praxis wie von Absichten und PläRommerskirchen
nen nicht durch eine unkritische Solidarität mit dem von ihr getragenen Bundesminister der Verteidigung verhindert werden dürfen.
({1})
Meine Damen und Herren, nicht zuletzt auf Grund der Kritik des Wehrbeauftragten ist es sicherlich angebracht, zu überprüfen, ob der Beratung des Jahresberichts bei der Arbeitsplanung - zumal des Verteidigungsausschusses - tatsächlich der Rang eingeräumt ist, den er verdient. Allerdings kann es von der Sache her und im Interesse einer sinnvollen Arbeitsökonomie sehr wohl geboten sein, besondere Problemkomplexe, statt sie unbedingt im Zusammenhang mit der Beratung des Jahresberichts zu erörtern, um einer gediegenen Klärung und Lösung willen je für sich und damit um so eingehender zu behandeln. Ich meine sagen zu sollen: Jedem Wehrbeauftragten ist zu empfehlen - mit dem Blick auf den neuen ist diese Empfehlung im Grunde sicherlich nicht angebracht -, sich nicht zuletzt lebhafter an dieser ständigen Erörterung zu beteiligen.
Es möge nicht als Unfreundlichkeit oder gar als billige Retourkutsche gewertet werden, wenn ich die Meinung äußere, daß manche Beratungen sowohl der Jahresberichte als gerade auch einzelner Komplexe im Zuständigkeitsbereich des Wehrbeauftragten ganz gewiß gründlicher und sicherlich auch ergiebiger gewesen wären, wenn sich der ausgeschiedene Wehrbeauftragte dabei nicht so sehr zurückgehalten hätte. Wir sind ganz sicher, daß sich der neue Wehrbeauftragte insofern munter am parlamentarischen Ballspiel beteiligen wird, als er selber mehr Bälle zuwirft und die ihm zugeworfenen plaziert dahin weitergibt, wohin sie gehören.
Es will auch den Dank an den ausgeschiedenen Wehrbeauftragten für seine gewissenhafte Arbeit nicht schmälern, wenn wir den Wunsch äußern, daß sein Nachfolger das Parlament mit Anregungen und Herausforderungen weniger schont und den fortwährenden Kontakt selber initiativ mit belebt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was die Behandlung der künftigen Jahresberichte betrifft, möchte ich namens meiner Fraktion einige konkrete Anregungen unterbreiten. Vielleicht verhindert ihre Annahme die zukünftige Wiederholung des berechtigten Teils der Kritik des bisherigen Wehrbeauftragten.
Wir würden es begrüßen, wenn der jeweilige Jahresbericht nach der Vorlage beim Präsidenten des Bundestages, dem die Dienstaufsicht über den Wehrbeauftragten obliegt, möglichst ohne jede Zeitverzögerung durch das Plenum dem zuständigen Fachausschuß überwiesen würde. Da vergeht oft zu lange Zeit, was der Sache nicht dienlich ist. Da vom Wehrbeauftragten der Zeitpunkt der Fertigstellung seines Jahresberichts doch ziemlich genau zu fixieren ist, wäre die vorsorgliche Einplanung in den Beratungskalender des Verteidigungsausschusses sicherlich ohne Schwierigkeit möglich. Die Erörterung des Jahresberichts im Ausschuß sowie seine Abschlußberatung und seine Verabschiedung im Plenum - die Beratung muß so gründlich sein, wie der jeweilige Bericht es gebietet , wo dem Wehrbeauftragten - und das ist ein weiterer Vorschlag unsererseits - auch die Gelegenheit zu mehrmaligem Eingehen auf strittige Fragen, sofern sie im Ausschuß nicht ausgeräumt werden konnten, gegeben werden sollte, könnte so rechtzeitig erfolgen, daß dem Eilbedürfnis von Konsequenzen, die sich aus dem Jahresbericht ergeben, voll Rechnung getragen würde.
Eine andere Anregung betrifft die Gestaltung der Jahresberichte. Wir meinen, es sollte darauf verzichtet werden, ihnen unbedingt den Charakter umfassender wissenschaftlicher Studien zu verleihen. Solche können jederzeit gesondert vorgelegt werden, wenn es sich als ratsam oder als notwendig erweist. Es sollte auch darauf verzichtet werden, die Jahresberichte, zumindest passagenweise, quasi als Tätigkeits- oder Rechenschaftsbericht des Verteidigungsministers abzufassen. Ich könnte dazu Beispiele geben; ich werde das im Ausschuß tun. Statt dessen sollte Wert darauf gelegt werden, konzentriert Tatbestände von symptomatischer Bedeutung aufzuzeigen, Abstellungsvorschläge zu unterbreiten und die Auswirkungen der Beachtung oder Nichtbeachtung vorheriger Anregungen deutlich zu machen.
Die dritte Anregung geht dahin - und da komme ich im besonderen auf Ausführungen meines Vorredners zu sprechen -, möglichst umgehend die Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes vorzunehmen. Der Verteidigungsausschuß hat den diesbezüglichen Vorschlag seiner Kommission, die anzuführen ich die Ehre hatte, gutgeheißen, so daß wir eine unverzügliche interfraktionelle Initiative empfehlen. Durch die Gesetzesänderung - das möchte ich heute schon in Übereinstimmung mit den Kollegen sagen dürfen, die die entscheidende Vorarbeit geleistet haben und denen ich meinerseits dafür danke würde folgendes bewirkt:
Klarstellung, daß der Wehrbeauftragte bei der Wahrnehmung aller seiner Aufgaben als Hilfsorgan des Bundestages handelt. Das war umstritten. Mancher Streit darum war nicht nötig.
Verdeutlichung der Sachkompetenz des Wehrbeauftragten, d. h. seine Zuständigkeit ausschließlich auf dem Gebiete der Verteidigung.
Stärkere Betonung des Initiativrechts gegenüber der Weisungsgebundenheit sowohl im Hinblick auf das Tätigwerden als auch im Hinblick auf das Berichtswesen.
Erweiterung der Befugnisse zur Klärung und Erledigung von Beschwerdefällen einschließlich Verstärkung des Rechts der Inanspruchnahme von Gerichtsunterlagen in Anlehnung an die verbesserte Regelung der Befugnisse des Petitionsausschusses des Bundestages.
Stärkung des Zeugnisverweigerungsrechts im Interesse der Vertiefung des Vertrauens der Soldaten in die Arbeit des Wehrbeauftragten, womit dieses Amt zweifellos steht und fällt.
Schließung einer Lücke im Hinblick auf die Vertretung des Wehrbeauftragten bei längerer Verhin11560
derung sowie im Hinblick auf die Regelung der Amtsbefugnisse bei vorzeitigem Ausscheiden.
Verbesserung der Grundlagen für die Wahrnehmung der Dienstobliegenheiten und der Versorgungsregelung.
Ich füge sehr betont namens meiner Fraktion hinzu: Eine sachliche wie personelle Kompetenzausweitung über den Verteidigungsbereich und den durch ein aktives Wehrverhältnis betroffenen Personenkreis hinaus wird von seiten der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt, weil die geltende Rechtsordnung in diesem unserem Staat deren Mißachtung oder Verletzung in den jeweiligen Bereichen unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens jeweils bereits angemessene Schranken setzt.
Wenn anläßlich der Überweisung des Jahresberichts 1974 von uns darauf verzichtet wird, heute in dieser Überweisungsberatung auf die einzelnen Sachkomplexe näher einzugehen, geschieht das ausschließlich im Interesse einer um so gründlicheren Beratung im zuständigen Fachausschuß. Der Zeitbedarf, den wir dafür ansetzen, sollte sich ausschließlich aus der Sache ergeben, wobei die Erfahrung berücksichtigt werden wollte, daß die Beschränkung auf das Wichtige dem Ganzen sicherlich zugute kommt.
Wir schlagen vor, daß sich der Ausschuß insbesondere auf folgende Komplexe konzentriert: das Einberufungs- und Ausbildungssystem unter Berücksichtigung sowohl der Organisationsschwierigkeiten innerhalb der Bundeswehr als auch infolge mangelnder Übereinstimmung mit den schulischen Gegebenheiten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, alsdann die Neuordnung des Ausbildungswesens, wozu die Erstattung eines Zwischenberichts des Bundesministers der Verteidigung für angebracht gehalten wird, alsdann die Innere Führung. Nachdem die Begriffs- und Prinzipiendiskussion im ganzen als beendet gilt, scheint die Nutzanwendung im Hinblick sowohl auf den lehrbaren Teil als auch auf das durchgehende Führungs- und Ordnungsprinzip um so interessanter zu sein. Wir schlagen noch einmal vor, daß an dieser Beratung Mitglieder des Beirats für Innere Führung, der dankenswerterweise Klärungen vorgenommen hat, unmittelbar beteiligt werden, so wie wir in einem anderen Zusammenhang dem Vorsitzenden des Deutschen Reservistenverbandes die Möglichkeit gegeben haben, sich an den Überlegungen zu beteiligen.
Ich darf noch zwei Komplexe nennen: den Komplex der Wehrgerechtigkeit, der unter Berücksichtigung der Dringlichkeit von Verbesserungen in Anbetracht wachsender Jahrgangsstärken, die das bisherige Problem noch verstärken, zu bedenken ist, und nicht zuletzt die Neuordnung des Anerkennungsverfahrens von Kriegs- bzw. Wehrdienstverweigerern unter Würdigung des verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Zusammenhangs zwischen dem Friedensgebot mit dem Recht und der Pflicht des Staates zu wirksamen Schutzmaßnahmen im Interesse einer freiheitlich-friedlichen Grundordnung einerseits sowie dem Schutz der persönlichen Gewissens- und Überzeugungsfreiheit und Verantwortung des Staatsbürgers andererseits.
Zur sachgerechten Erörterung des Komplexes Bedeutung und Gestaltung der Freizeit, der erstmals ausführlich und aufschlußreich im Jahresbericht aufgerissen wird, könnte vermutlich das Ergebnis einer zuvor durchzuführenden Feldforschung zur Feststellung des diesbezüglichen „Konsumbedarfs" einerseits und des erforderlichen Betreuungs- und Gestaltungsangebots andererseits nützlich sein. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wir regen eine solche Untersuchung für die Beratung im Verteidigungsausschuß und anschließend hier im Plenum an.
Meine Damen und Herren, dem scheidenden Wehrbeauftragten Fritz-Rudolf Schultz haben wir anläßlich der Wahl seines Nachfolgers gedankt. Wir wiederholen gern diesen Dank mit den besten Wünschen für denjenigen, der nun als Winzer hegt und pflegt.
({2})
Dem neuen Wehrbeauftragten, unserem langjährigen Kollegen Karl Wilhelm Berkhan, wünschen wir viel Erfolg für seine verantwortungsvolle Tätigkeit als überparteilicher Sachwalter im Dienst am Soldaten, dem wir alle viel an Pflichterfüllung abfordern, dessen Rechte als Staatsbürger in Uniform wir alle zusammen schützen und stärken müssen.
({3})
Weil der Begriff „Überparteilichkeit" fiel - nun wende ich mich an Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär -, der im Zusammenhang mit den Grundsätzen der Inneren Führung auch für die oberste politische Führung der Bundeswehr unabdingbare Gültigkeit hat, muß ich namens meiner Fraktion eine dringende Bitte an Sie und über Sie an den Herrn Bundesminister der Verteidigung richten. Die Schrift „Die Bundesrepublik Deutschland - unser Staat", dieses Propagandamachwerk,
({4})
ist nachweisbar über den Dienstvorschriftenverteiler an die Truppe zur Auslieferung gebracht worden. Nicht nur die Tatsache ist zu beklagen, daß hier ein fatales Staatsverständnis vermittelt wird, weil nur die Regierung als repräsentatives Organ vorgestellt und die demokratisch-parlamentarische Grundstruktur völlig ignoriert wird.
({5})
Die Schrift enthält mit bösartigen zeitgeschichtlichen Fälschungen auch eine unerträgliche Polemik gegen die derzeitige Opposition.
({6})
Ich stelle sie Ihnen gerne zur Verfügung, wenn Sie sie nicht durchgeschaut haben. Hier kommt die gemeinsame Verantwortung zum Tragen, die wir alle miteinander gegenüber dieser Bundeswehr haben, Herr Kollege Dr. Schäfer. Mein Kollege Franz Handlos hat dem Herrn Bundesminister der Verteidigung den Sachverhalt schriftlich unterbreitet. Wegen der Schwere des Falles müssen wir Sie aber
auch öffentlich auffordern, solche Mißgriffe zukünftig zu unterbinden.
({7})
Sie belasten in einer geradezu gefährlichen Weise die Loyalität von Soldaten der Bundeswehr gegenüber ihrer politischen Führung. Dies wird an zahlreichen uns vorliegenden und auszuweisenden Beschwerden von Bundeswehrangehörigen ganz deutlich, denen - das ist doch das Fatale - das Soldatengesetz bei Strafe parteipolitische Betätigung und Propaganda innerhalb der Truppe und des Dienstes untersagt.
({8})
Sie prangern deswegen die Mißachtung dieser für sie bindenden gesetzlichen Grundlage durch die politische Führung und insofern die für sie unerträgliche doppelte Moral des Befehlenden an.
({9})
Wir bitten den Bundesminister der Verteidigung über Sie, Herr Kollege Schmidt, er möge seines zur Überparteilichkeit verpflichteten Amtes als oberster Befehlshaber der Bundeswehr walten, der Bundeswehr, die die Armee des ganzen Volkes und nicht einer Partei ist.
({10})
Das Wort hat ,der Herr Abgeordnete Krall.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der inzwischen aus dem Amt des Wehrbeauftragten ausgeschiedene Fritz-Rudolf Schultz hat in seinem Jahresbericht 1974 dankenswerterweise ein Resümee der allgemeinen Entwicklung und Tendenzen bei der Wahrnehmung seines gesetzlichen Auftrages während seiner fünfjährigen Amtszeit gezogen. Sein Bericht für das Jahr 1974 geht daher weit über eine normale Jahresbilanz hinaus. Die Tatsache, daß Fritz-Rudolf Schultz heute nicht mehr im Amt ist, macht es mir leichter, ihm an dieser Stelle den Dank der liberalen Fraktion auszusprechen, und zwar nicht nur dafür, daß er fünf Jahre die Last und die Bürde des Amtes des Wehrbeauftragten getragen hat, sondern auch dafür, daß er viele Jahre als Abgeordneter des Deutschen Bundestages, Stellvertretender Vorsitzender der FDP- Bundestagsfraktion und als Mitglied des Verteidigungsausschusses tätig gewesen ist.
Was läßt sich zu diesem Jahresbericht im ersten parlamentarischen Durchgang grundsätzlich sagen? Meiner Fraktion erscheinen die folgenden drei Punkte von besonderer Bedeutung zu sein.
Die Zahl der Eingaben an den Wehrbeauftragten hat sich nach starken Steigerungsraten in den sechziger Jahren nun schon seit 1970 kaum mehr nennenswert erhöht. Nachdem sich das Eingabenaufkommen seit 1970 etwa auf einem gleichbleibenden Wert eingependelt hat, zeigt sich für das Berichtsjahr 1974 sogar ein Rückgang auf weniger als 7 000. Wehrpflichtige, Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten wenden sich etwa zu gleichen Teilen an den Wehrbeauftragten. 1974 stammten etwa 3 000 Eingaben von wehrpflichtigen Soldaten, 2 700 kamen von Zeit- und Berufssoldaten. Ebenso zeigt sich, daß Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere in fast übereinstimmenden Anteilen ihre Anliegen an den Wehrbeauftragten herantragen. Im Berichtsjahr 1974 wandten sich beispielsweise 1,2 % aller Offiziere, 1,4 % aller Unteroffiziere und 1,1 $ aller Mannschaften an den Wehrbeauftragten.
Von den insgesamt 6 748 Eingaben des Berichtsjahres 1974 bezogen sich nur 760 auf Fragen der Grundrechte und nur 515 auf Fragen der Inneren Führung im engeren Sinn. Das sind insgesamt weniger als 20 % des gesamten Eingabenaufkommens. In etwa der Hälfte dieser von mir eben genannten Fälle waren die Klagen berechtigt oder konnte den Eingaben stattgegeben werden. Der Löwenanteil, nämlich 4 330 von insgesamt 6 748 Eingaben - das sind etwa 65 % -, hatte Fragen der Fürsorge im weitesten Sinne zum Gegenstand. Auch hier setzt sich eine Entwicklung fort, die sich seit einigen Jahren beobachten läßt. Herr Kollege Professor Schäfer, Sie haben diesem Komplex eben Ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Ich meine, daß diese Eingaben im weitesten Sinne auch zum Bereich der Inneren Führung zu rechnen sind. Ich meine damit den Gesamtkomplex der Fürsorge. Das ist nach unserer Auffassung, wie ich schon ausführte, eben auch ein Element der Inneren Führung. Deshalb sind diese Eingaben für uns nicht strittig und auch kein Ballast für den Wehrbeauftragten.
({0})
- Natürlich, und hier sind ja auch Ihrerseits Möglichkeiten aufgezeigt worden. Ich gehe davon aus, daß wir gerade diesen Bereich im Ausschuß eingehend beraten werden; darauf hat ja auch der Kollege Rommerskirchen hingewiesen.
Aus all dem läßt sich nach unserer Auffassung folgern: Der Wehrbeauftragte ist zu einem selbstverständlichen Bestandteil des demokratischen Staates geworden. Zu dieser Entwicklung hat nicht zuletzt die besonnene und erfolgreiche Amtsführung des ehemaligen Wehrbeauftragten Fritz-Rudolf Schultz wie auch die politische Gesamtentwicklung in diesem Staat unserer Auffassung nach wesentlich beigetragen. Sicherlich mag es hier und dort noch Vorbehalte gegenüber der Institution des Wehrbeauftragten geben. Es kann aber keine Rede davon sein, daß die Einrichtung des Wehrbeauftragten in den Streitkräften als institutionalisiertes Mißtrauen empfunden wird. Der Wehrbeauftragte ist heute prozentual häufiger mit den Anliegen der Offiziere und Unteroffiziere als mit den Problemen der meist wehrpflichtigen Mannschaften befaßt. Es ist also keineswegs so gekommen, daß sich der Wehrbeauftragte zu einer Klagemauer für entrechtete Wehrpflichtige entwickelt hat. Das ist ein gemeinsames Verdienst von Bundeswehr, Wehrbeauftragtem und Parlament.
Das Amt ist seinerzeit als Kontrollorgan des Parlaments eingerichtet worden, um einem von vielen befürchteten Wiederaufleben von Militarismus und Kommißdenken in den neuen deutschen Streitkräften rechtzeitig begegnen zu können. Der Wehrbeauftragte - das ist hier heute schon gesagt worden - ist nach dem Gesetz tätig als Hüter der Grundrechte und Wächter über die Beachtung und Einhaltung der Grundsätze der Inneren Führung in den Streitkräften. Dieser verantwortungsvollen Aufgabe ist nach Auffassung meiner Fraktion Fritz-Rudolf Schultz vor allem anderen in kritischer Solidarität nachgekommen.
Das Amt des Wehrbeauftragten hat nach seiner Einrichtung lange Zeit gebraucht, um sein Selbstverständnis zu finden. Der Umfang der Berichtspflicht, die Zulässigkeit allgemeiner Wertungen, die Zuständigkeiten und Kompetenzen in Überprüfungsverfahren waren nicht immer unumstritten. Hinzu kamen Schwierigkeiten aller Art, die das Amt zeitweilig ins Gerede gebracht und seine Arbeit beeinträchtigt haben.
Unter Fritz-Rudolf Schultz ist eine Periode der Stabilität und kontinuierlichen Arbeit eingetreten. Das Amt hat fünf Jahre hindurch ohne irgendwelche Querelen erfolgreich gearbeitet. Auch dieser Tatbestand verdient unseres Erachtens einmal erwähnt zu werden.
Die wohl gravierendste Feststellung von Fritz-Rudolf Schultz ist seine Bemerkung über eine mangelnde Unterstützung durch das Parlament. Allerdings ist dieser Hinweis auch am meisten mißverstanden worden. Hier, Herr Kollege Rommerskirchen, lassen Sie mich eine Anmerkung machen: Sie haben, wenn auch in sehr kollegialer Form, dem früheren Kollegen Fritz-Rudolf Schultz gewisse Vorwürfe insofern gemacht, als Sie erwartet hätten, daß er von sich aus, in seinem Bemühen, das Gespräch mit dem Parlament und seinem Fachausschuß zu suchen und zu führen, aktiver geworden wäre. Ich muß dazu sagen, daß Mißverständnisse immer auf Gegenseitigkeit beruhen.
({1})
Ganz sicher wäre es auch sinnvoll gewesen, - das ist mein persönlicher Eindruck - wenn der Ausschuß von sich aus das Gespräch gesucht hätte. Es liegt ja häufig auch an der Mentalität eines Menschen, inwieweit er eigene Initiativen entwickelt. Wir werden zweifelsohne gerade diesem Komplex in der Ausschußberatung unsere besondere Aufmerksamkeit widmen müssen.
Der im Zusammenhang mit der Behandlung des Jahresberichts in der Öffentlichkeit, vor allem seitens der Presse erhobene Vorwurf, das Parament sei an seinem Wehrbeauftragten nicht interessiert - ich sage das jetzt noch einmal ganz besonders deutlich - erscheint uns doch allzu pauschal und undifferenziert.
({2})
Ausweislich der Statistik des Jahresberichts 1974
haben sich im vergangenen Jahr Abgeordnete des
Deutschen Bundestages in immerhin 47 Fällen an den Wehrbeauftragten gewandt. Auch auf diese Weise dokumentiert sich das Interesse des Parlaments an der Arbeit des Wehrbeauftragten. Man sollte diese Zahl deshalb nicht gänzlich unter den Tisch fallenlassen. Sie erscheint uns keineswegs als zu gering.
Meine Fraktion sieht deshalb in der Klage des Wehrbeauftragten weniger eine Rüge für das Parlament als vielmehr einen Denkanstoß. Ich glaube, so sollten wir das alle verstehen. Wir sollten deshalb gemeinsam überlegen, ob der Deutsche Bundestag seinen sachverständigen Wehrbeauftragten nicht auch seinerseits häufiger in Anspruch nehmen und seine Erfahrungen besser nutzen müßte.
Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß sich die Parlamente anderer Staaten bei uns immer wieder aufmerksam über die Institution des Wehrbeauftragten informieren.
Der Wehrbeauftragte hat in allen seinen Jahresberichten für die Entwicklung der Inneren Führung wichtige Impulse gegeben. Auch darauf ist hier von meinem Herrn Vorredner hingewiesen worden. Nicht zuletzt dies hat den Deutschen Bundestag veranlaßt - mir scheint das besonders wesentlich zu sein -, den Bundesminister der Verteidigung aufzufordern, seinerseits in verbindlicher Weise zu erklären, was unter Innerer Führung zu verstehen und wie sie zu praktizieren ist.
Dieser Forderung des Parlaments ist der Bundesminister der Verteidigung dann im August 1972 mit der Herausgabe der ZDV 10/1 „Hilfen für die Innere Führung" nachgekommen.
Die Fraktion der Freien Demokraten betrachtet es als ein besonderes Verdienst des aus ihrer Mitte stammenden ehemaligen Wehrbeauftragten Fritz-Rudolf Schultz, daß er es verstanden hat, die Rechte des einzelnen vernünftig und sachgerecht von den nicht weniger verzichtbaren Pflichten unserer Soldaten abzugrenzen. Fritz-Rudolf Schultz ist aus liberalem Grundverständnis heraus in allen Jahresberichten sowohl für die Sicherung der persönlichen Freiheitsräume der Soldaten als auch für die sich aus dem Verteidigungsauftrag ergebenden Notwendigkeiten eingetreten. Er war nicht nur ein guter Sachwalter der Soldaten, sondern hat daneben auch der Beachtung von Befehl und Gehorsam sowie der in den Streitkräften nun einmal erforderlichen Disziplin entscheidenden Stellenwert eingeräumt.
Schließlich hat er auch immer wieder Parlament und Öffentlichkeit dazu aufgefordert, sich der Probleme der Bundeswehr anzunehmen und die Streitkräfte nicht durch Gleichgültigkeit und Desinteresse in das gesellschaftliche Abseits zu drängen.
Als ein wesentliches Erbe der Tätigkeit von Fritz-Rudolf Schultz betrachte ich seinen Anstoß zur Novellierung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten. Hierauf sind meine Herren Vorredner bereits eingegangen. Ich kann mir daher Einzelheiten ersparen. Die vom Verteidigungsausschuß eingesetzte Kommission zur Erweiterung der Kompetenzen des Wehrbeauftragten hat ausgiebig einen Entwurf beraten. Abschließend hat der Verteidigungsausschuß
den Entwurf einstimmig zur Kenntnis genommen. Es ist jetzt Sache der Fraktionen, das neue Gesetz so bald wie möglich einzubringen, damit es in Kraft gesetzt werden kann. Die FDP-Fraktion wird ihren Beitrag hierzu leisten.
Lassen Sie mich abschließend feststellen, daß dem neuen Wehrbeauftragten, dem bisherigen Parlamentarischen Staatssekretär des Bundesministers der Verteidigung und ehemaligen Kollegen Karl Wilhelm Berkhan, unser volles Vertrauen gehört. Wir zweifeln nicht daran, daß er die Aufgabe meistern wird, in Zukunft den Bereich zu kontrollieren, den er bisher als Parlamentarischer Staatssekretär mitverantwortet hat. Wir wünschen ihm dafür vollen Erfolg.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Schlaga.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Wehrbeauftragten 1974, der natürlich auch Komponenten seiner Erkenntnis aus fünfjähriger Tätigkeit enthält, hat in der Öffentlichkeit ein lebhaftes Echo gefunden. Wie das so ist: die Grundsatzbemerkungen wurden in der Presse am ehesten gelesen, weil sie vorn standen, und entsprechend kommentiert. Dieser Bericht ist zweifellos nicht nur interessant zu lesen; er bringt politischen Gewinn, wenn man ihn liest. Er gibt eine Fülle von Anstößen für die Weiterentwicklung dieses wichtigen Amtes.
Aber dieser Bericht - gerade das, was in den ersten Seiten gesagt worden ist - fordert natürlich auch zur Diskussion und, wie sollte es anders sein, zum Widerspruch heraus. Das betrifft besonders das
- dies ist meine persönliche Auffassung -, was da als eine Zustandsbeschreibung der parlamentarichen Demokratie in der Bundesrepublik geschrieben steht. Ich kann diese Meinung nicht teilen, die der Wehrbeauftragte dort dargelegt hat. Wenn ich heute nicht einem friedlichen Freitag frönen wollte, dann fiele mir dazu sehr vieles ein. Mir ist zumindest ganz warm ums Herz geworden, als Herr Rommerskirchen nun doch nicht so ganz ohne Anmerkungen
- eben als Opposition gegen die Regierungsparteien - argumentierte. Wir haben nämlich ein Parlament, das zweifellos englische Züge trägt und ein ausgesprochenes Arbeitsparlament ist; das wird jeder, der die Ausschußarbeit kennt, wissen; und dem wird er auch nicht widersprechen.
Eine andere Kritik des Wehrbeauftragten ist die - sie wurde vom Herrn Kollegen Krall eben schon zum Ausdruck gebracht -, daß das Parlament und der Verteidigungsausschuß zuwenig Interesse gezeigt haben sollen. Sicher, man kann sich bei allem sehr viel mehr wünschen. Ich bin der Auffassung, daß man gerade der Institution des Wehrbeauftragten noch mehr Beachtung schenken muß. Denn wir sind das einzige westliche Land, daß überhaupt eine solche Institution hat, und wir wissen auch, daß andere Länder uns um diese Institution beneiden. Ich kann nur hoffen, daß sie in dieser Hinsicht bald nachziehen und ähnliche Institutionen einrichten; denn sie hat sich zweifellos bewährt. Es ist also nicht richtig, wenn eine Hamburger Zeitung - nicht die übliche, sondern eine andere - als Überschrift von sich gibt „Nöte der Truppe in Bonn kein Thema". So geht es nicht.
Hier wurde darauf hingewiesen, daß viele Abgeordnete in unmittelbarem Verhältnis zum Wehrbeauftragten stehen, daß sie ihm Tips geben, daß sie ihm Eingaben zukommen lassen, daß sie mit ihm sprechen. Ich bin eher der Auffassung, daß das Amt des Wehrbeauftragten, das er selber hier manchmal etwas strittig darstellt, für die Mehrheit dieser Gesellschaft Gott sei Dank schon soweit selbstverständlich geworden ist, daß nicht immer darüber geredet werden muß.
Natürlich werden wir uns in Zukunft noch mehr Mühe geben als bisher; das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber Kooperation - das sagt schon das Wort -- ist natürlich eine Sache von beiden Seiten. Der Wehrbeauftragte - das ist mein Wunsch besonders an den neuen Wehrbeauftragten Karl Wilhelm Berkhan -- kann und muß, sooft er irgendwie dazu in der Lage ist, an das Parlament und an den Verteidigungsausschuß herantreten.
In diesem Zusammenhang auch von mir im Namen meiner Fraktion Dank an die Unterkommission, die sich mit den eventuell neuen Kompetenzen des Wehrbeauftragten befaßt hat. Ein Ergebnis liegt vor. Natürlich sind weitere Diskussionen in den Fachausschüssen notwendig und werden in absehbarer Zeit erfolgen.
Zum Bericht selbst bleibt einem bei der Fülle der Problemkreise, die da angesprochen werden, nur wenig Zeit, einiges zu einigen wenigen Problemkreisen zu sagen. Da ist, wie sollte es anders sein, wie alle Jahre - und das ist richtig so, weil es das wichtigste Thema ist - der Problemkreis Innere Führung anzusprechen. Es ist richtig, was Helmut Schmidt einmal gesagt hat, was der Wehrbeauftragte auch zitiert hat, daß die Interpretation des Begriffs und natürlich auch des Inhalts des Begriffs Innere Führung kein Glasperlenspiel sein darf.
Natürlich ist Innere Führung weder als Begriff noch als Inhalt ein statischer Begriff. Für uns ist allein wesentlich und entscheidend, daß man - es liegen eine Reihe von Definitionen vor, die durchaus kongruent sind - diese Innere Führung anwendet, daß man aus ihr lernt, daß man grundsätzlich Lernbereitschaft in der Truppe zeigt und daß man sich ununterbrochen bemüht, dem Ideal nahezukommen. Auch die zitierten Befehle im Bericht des Wehrbeauftragten auf Seite 25 und die angesprochene ZDV 10/1 sind Grundsätze, und Grundsätze bedürfen einer ständigen Erprobung, einer ständigen Diskussion, natürlich auch einer ständigen Auslegung. Sie müssen Tag für Tag neu geübt werden. Anders kann ich mir das nicht vorstellen. Meine Erfahrung aus der Truppe besagt jedenfalls, daß man sich nicht nur hinreichend, sondern ernsthaft bemüht --- es gibt eine Reihe von Ausnahmen; dem sei nicht widersprochen -, dem zu folgen und das zu praktizieren.
Da gibt es objektive Schwierigkeiten. Aber das ist nicht neu. Ich denke daran, daß wir - das gehört sowohl in den Bereich des politischen Unterrichts als auch in den Bereich der Inneren Führung - eben eine sehr heterogene Gesellschaft haben, von der z. B. ein Jahrgang Soldat wird. Diese jungen Menschen haben überwiegend einen Hauptschulabschluß. Alterspsychologisch ist es für sie kaum möglich, bereits die Vielschichtigkeit des demokratischen Geschehens zu erfassen. Wohl gelingt es, gegenüber den Problemen einer demokratischen Gesellschaft zu sensibilisieren. Aber in der Regel gelingt es nicht, die Einsicht zu wecken, daß und wie tätige Verantwortung zu übernehmen ist.
Dann kommt die Berufsbildung. Da gibt es „Anweisung" und „Durchführung" von Aufträgen. Das entspricht - ich will niemandem zu nahe treten - natürlich weitgehend dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Hinzu kommen Erscheinungen wie Konkurrenzverhalten, das gefördert wird. Man muß auch an das Geldverdienen, an das Geldausgeben und dergleichen mehr denken.
Schließlich kommen die jungen Leute aus dieser Berufsbildung zur Bundeswehr. Dort gilt nun einmal uneingeschränkt das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Im politischen Unterricht, der häufig unter Zeitmangel leidet -- ich komme darauf noch zurück - und eine schlechte Plazierung hat, werden diese Probleme natürlich zu wenig behandelt. Dann kommt es zu Konflikten. Nicht jeder Vorgesetzte --- sehr viele nicht; da fehlt es oft einfach an der Ausbildung - ist geeignet und in der Lage, Konflikte tatsächlich zu lösen. Dieser Zustand beinhaltet auch rein objektive Schwierigkeiten und führt dann zu dem Unbehagen, das vielfältig zu verzeichnen ist.
So meine ich jedenfalls - um es kurz zu machen -: Das Grundgesetz gehört nicht nur in jede Kaserne, etwa in den Safe des jeweiligen Kommandeurs oder des Chefs, und nicht nur in jeden Spind, sondern es gehört auch oft genug gelesen und diskutiert und muß ein wichtiger und dauerhafter Bestandteil des Lebens in der Truppe sein. Ich bin jedenfalls der Auffassung, daß der Wehrbeauftragte es richtig gesehen und richtig gemacht hat, daß er, was den Bereich Innere Führung angeht, permanent insistiert.
Ein anderer Problemkreis ist die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft. Eine richtig oder weitgehend richtig praktizierte Innere Führung ist schon die halbe Integration. Aber man darf natürlich auch nicht Überempfindlichkeiten begegnen, wie das oft der Fall ist, daß man bei manchen Truppenführern und Unteroffizieren schon dann nicht nur auf Verhaltenheit, sondern auf Beleidigtsein stößt, wenn von irgendwoher vielleicht einmal eine Kritik an der Bundeswehr oder insbesondere an diesem Truppenteil erfolgt. Da gehört mehr Selbstsicherheit, mehr Selbstverständnis dazu; dann ist das leichter zu ertragen und nach außen zu vertreten.
Der Wehrbeauftragte hat in seinen Berichten mehrfach darauf hingewiesen, daß die Zusammenarbeit und Hilfe im Dienst und in der Freizeit von seiten der Truppen gegenüber öffentlichen Einrichtungen, Organisationen, zivilen Vereinen usw. besser, problemloser geworden sind, daß von seiten des BMVg dort mehr getan worden ist. Ich bin sicher, das war notwendig und richtig.
Wie das aussieht, wie ein Truppenteil öffentliche Arbeit leisten, mit einer Gesellschaft, die offen ist, zusammenarbeiten kann, das habe ich an einem Beispiel erlebt. Ich war des öfteren Gast des Panzergrenadierbataillons 51 in Rotenburg /F. Der dortige Kommandeur hat in Zusammenarbeit mit der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung seit einigen Jahren im Winter öffentliche politische Diskussionsveranstaltungen stattfinden lassen, die von der Öffentlichkeit sehr gut besucht worden sind und zu interessanten Ergebnissen geführt haben. Ich habe selber an einer solchen Diskussion als Diskutant auf dem Podium teilgenommen. Ich kann nur wünschen, das würden mehrere Truppenteile so halten. Dann wäre das Problem „Integration in die Gesellschaft" weitgehend abgebaut.
Der politische Unterricht, den ich ansprach, ist ein Problem, das mich persönlich sehr interessiert. Ich habe ihm oft beigewohnt und wünsche mir bei jedem Truppenbesuch, daß ich einer solchen Stunde zuhören kann. Natürlich werden einem dabei des öfteren „Türken" gebaut und sind mir auch gebaut worden; das gehört zum Spiel. Aber allein die „Türken" zu entdecken und dann das verlegene Zugeben und die Diskussion darüber zu erleben, sind doch ein eindeutiges Stück politischer Wirklichkeit. Nur so kann man das doch sehen; nur so kann man eine Weiterentwicklung erreichen.
Aber: Es ist richtig, daß der politische Unterricht in der Truppe schlecht plaziert ist, häufig genug an Freitagnachmittagen. Dann allerdings denken die Soldaten an alles andere als an den kommenden Unterricht. Dann denken sie längst an Zuhause. Ich halte es nicht für gut, daß der politische Unterricht so schlecht plaziert ist.
Hinzu kommt eben das Problem der heterogenen Vorbildung, von der ich sprach, von Begabungs- und Kapazitätsdifferenzen. Hier sollte man - das ist nur eine kurze Anregung - darüber nachdenken, ob man das nicht in Leistungsgruppen, in kleineren Leistungsgruppen durchführen kann. Die „Information für die Truppe" vom Januar dieses Jahres schrieb unter der Überschrift „Schwachstellen der politischen Bildung", daß teilweise überhaupt kein Unterricht stattfindet und teilweise nur 10 bis 15 Mann - die anderen seien unabkömmlich - an diesem politischen Unterricht teilnehmen. Wie ich selbst erlebt habe, gibt es auch den umgekehrten Fall: In einer kleinen Baracke waren 140 Leute mit einem Chef und haben ihren Unterricht machen müssen. Dabei kann natürlich nichts herauskommen. Deswegen mein Vorschlag hier, diesen Unterricht in Gruppen, in Leistungsgruppen durchzuführen. Der Verfasser des soeben genannten Artikels schreibt dann auch:
Die politische Bildung hat einen geringen Stellenwert in der Bundeswehr. Ihr wird kaum Bedeutung zugemessen. Wenn der Dienstplan unvorhergesehen geändert wird, ist es meist der staatsbürgerliche Unterricht, der ausfällt.
Hier im Parlament ist kürzlich eine Anfrage in dieser Richtung gestellt worden, und der Parlamentarische Staatssekretär Schmidt ({0}) hat das aus seiner Sicht relativiert und korrigiert, weil er davon ausging, daß in der Schule für Innere Führung zu diesem Thema nur 230 Unteroffiziere befragt worden sind. Wenn dem so ist - ich halte seine Korrekturen hier und da durchaus für berechtigt -, dann meine ich doch, daß man, wenn im Bereich politischer Unterricht irgendwo Kritik auftaucht, hellhörig sein muß, nichts verharmlosen darf und sofort nachhaken sollte.
Ein weiteres Thema wird vom Wehrbeauftragten angeschnitten: Ausbildung der Ausbilder. Das entspricht dem, was ich eben schon angedeutet habe; selbstverständlich ein langfristiger und wichtiger Prozeß, dem auch gefolgt wird.
Schließlich die wiederholt erhobene Forderung, zivile Pädagogen, die den Belangen der Bundeswehr gegenüber aufgeschlossen bis kritisch aufgeschlossen sind, in die Truppe zu holen, um damit die Chefs und die, die sonst den Unterricht geleitet haben, zu entlasten: Dem sollte man nun tatsächlich endlich folgen und vermehrt davon Gebrauch machen. Ich halte jedenfalls die Darlegungen und die Kritiken des Wehrbeauftragten zum Bereich der politischen Bildung für richtig und sehr, sehr nachdenkenswert.
Es sei mir noch eine Anmerkung erlaubt. Der Wehrbeauftragte schreibt an anderer Stelle, daß zu viele Soldaten ihren Dienst als Job ansehen. Wenn das so ist, dann ist das wohl nur im Zusammenhang mit dem zu sehen, was ich vorher ausgeführt habe, nämlich mit dem richtigen oder falschen oder zu schwachen Praktizieren der Inneren Führung, mit dem richtigen oder falschen oder gar nicht vorhandenen politischen Unterricht und natürlich mit dem, was ich im Moment ausgeklammert habe: dem Problemkreis der Achtung und Beachtung der Menschenwürde. Nur so kann ich mir vorstellen, daß in diesem soziologisch relativ geschlossenen Raum Bundeswehr die Auffassung aufkommen kann, zu viele Soldaten sähen ihren Dienst als Job an. Wenn das so ist, dann allerdings ist mir die Bundeswehr zu teuer.
Wir werden den Bericht des Wehrbeauftragten in dem zuständigen Ausschuß aufmerksam prüfen, werden Anregungen und Kritiken untersuchen und weitere Verbesserungen einleiten. So sei mein Wunsch an den jetzt neu gewählten Wehrbeauftragten, Karl Wilhelm Berkhan, er möge intensiv mit uns zusammenarbeiten und uns seine gesammelten Erfahrungen ständig weitergeben, Kritik üben, so daß ein fruchtbarer Dialog entsteht. Meine besten Wünsche und die Wünsche der Fraktion begleiten ihn.
Aber genauso gilt der Dank - das darf ich namens der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei aussprechen dem scheidenden Wehrbeauftragten, Herrn Schultz, der dieses Amt fünf Jahre lang innegehabt, sich sehr viel Mühe gegeben und sehr viele Akzente gesetzt hat. Wir wünschen ihm Tage der Beschaulichkeit, des Nachdenkens. Vielleicht ergeben sich aus seinen Reflektionen weitere Anregungen für die Führung und Gestaltung des Amtes des Wehrbeauftragten.
({1})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Es ist darauf hingewiesen worden, daß der Kollege Handlos an Minister Leber einen Brief geschrieben hat, und zwar wegen der Verteilung der Broschüre „Die Bundesrepublik Deutschland - Unser Staat". In wenigen Tagen wird er eine ausführliche Antwort auf dieses Schreiben erhalten. Aber ich möchte hier natürlich auch gern, allerdings nur ganz kurz, Stellung nehmen zu dem, was Sie, verehrter Herr Kollege Rommerskirchen, gesagt haben.
Die vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hergestellte Broschüre „Die Bundesrepublik Deutschland - Unser Staat" ist im November 1974 dem Bundesministerium der Verteidigung zur Verteilung in der Truppe angeboten worden. Verteilt wurden 20 000 Exemplare. Das ist weniger als ein Viertel der Auflage der „Information für die Truppe" . Die Einheiten der Bundeswehr haben im Schnitt je drei Exemplare erhalten.
Die Bundesregierung hält es für legitim, daß sie ihre Sicht der Probleme in Staat und Gesellschaft darstellt. Soweit sie über Informationen hinaus Meinungen äußert, sind diese zur Diskussion gestellt. Niemandem wird eine Meinung aufgezwungen.
Die Bundesregierung bekennt sich selbstverständlich zu dem Grundsatz parteipolitischer Neutralität in der Informationspolitik in den Streitkräften. Sie verweist darauf, daß kontroverse Themen normalerweise unter Darlegung der Standpunkte aller Seiten abgehandelt werden. So ist es beispielsweise im jüngsten Heft der „Information für die Truppe" geschehen, in dem die Meinungen aller Fraktionen dieses Hauses zu den Fragen der Wehrstruktur zur Geltung kamen.
Das Bundesministerium der Verteidigung sah einen Vorteil der Broschüre darin, daß sie in ihrer Thematik nicht auf Verteidigung beschränkt war, sondern eine Vielzahl von Problemen aufwies. Die Staatsbürger in Uniform wurden und werden auf diese Weise angeregt, sich auch mit Problemen außerhalb der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu befassen. Dies dient der oft geforderten Integration in Staat und Gesellschaft.
({0})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich benutze die Gelegenheit Ihrer ersten Rede in dem neuen Amt, Ihnen namens des Hauses die besten Wünsche für dieses Amt auszusprechen.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wörner
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht parteipolitische Empfindlichkeit - die in Zeiten von Landtagswahlen sicher verständlich wäre , sondern die Besorgnis um eine Entwicklung, die staatspolitisch verhängnisvoll ist, die meinen Kollegen Rommerskirchen veranlaßt hat und jetzt mich in Antwort auf die Entgegnung des Parlamentarischen Staatssekretärs veranlaßt, hier auf das Podium zu kommen und einen Vorgang zu rügen, der leider Gottes bereits der dritte in einer Serie ist, die darauf hinausläuft, unsere Streitkraft, unsere Streitmacht Bundeswehr zu parteipolitisieren.
({0})
Es ist eine außerordentlich verhängnisvolle Tendenz, mit der Sie hier angefangen haben.
Die Bundeswehr ist - darüber sind wir alle uns doch bisher im klaren gewesen - die Armee nicht der SPD, nicht der CDU und auch nicht der FDP, sondern die Bundeswehr ist die Armee dieses Staates, und das erlegt eben nicht nur den Soldaten, sondern auch den für diese Armee Verantwortlichen besondere Pflichten der Objektivität und der Loyalität auf. Dagegen ist grob verstoßen worden.
Es kommt nicht von ungefähr, daß das Soldatengesetz - und das möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen - in § 15 im ersten Absatz folgende Passage enthält:
Im Dienst darf sich der Soldat nicht zugunsten oder zuungunsten einer bestimmten politischen Richtung betätigen.
Dann heißt es in Abs. 2:
Innerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen findet während der Freizeit das Recht der freien Meinungsäußerung seine Schranken an den Grundregeln der Kameradschaft.
Und es geht weiter:
Der Soldat darf insbesondere nicht als Werber für eine politische Gruppe wirken, indem er Ansprachen hält,
- und jetzt kommt es Schriften verteilt oder als Vertreter einer politischen Organisation arbeitet.
Wenn - wohlgemerkt: durch Entscheidung des gesamten Parlaments - eine solche Pflicht für den Soldaten konstituiert wird, dann deshalb, weil man weiß, was auf dem Spiele stünde, wenn diese Armee einer Parteipolitisierung unterworfen würde. Das hat doch aber nur dann Sinn, wenn auch der Dienstherr dieser Truppe - und das heißt, der Bundesverteidigungsminister - sich bei Schriften, die er auf dem Dienstweg in die Truppe gibt, an das hält, was den Soldaten als Empfängern dieser Schriften gesetzlich vorgeschrieben ist.
({1})
Und dann fängt es damit an, meine Damen und Herren: Da steht auf dieser Broschüre „Unser Staat". Und man schlägt auf: Bundesregierung. Da heißt es: Probleme und wie wir sie lösen werden - „wir". Dann sucht man vergeblich nach irgendeiner Erwähnung irgendeiner anderen Instanz dieses Staates als der Bundesregierung. Und es kommt dann Bundesminister für Bundesminister, und dann jeweils die Sicht der Bundesregierung. Das heißt, es wird der Eindruck erweckt, als setze sich dieser Staat ausschließlich aus der Bundesregierung zusammen.
({2})
Ich glaube, das ist nicht das Verständnis dieses ganzen Hauses - so hoffe ich jedenfalls -, ganz sicher jedenfalls nicht das Staatsverständnis von uns, die wir im Augenblick in der Opposition sind.
({3})
Aber das wäre ja noch nicht der Gegenstand des Streites. Dann geht es erst los, und ich kann Ihnen einige Zitate nicht ersparen:
Die Bevölkerung hat seit Mitte der sechziger Jahre gespürt, daß die politische Führung unter der CDU nicht mehr in der Lage war, diese Probleme zu lösen.
({4})
- Die Tatsache, daß beispielsweise der Herr Conradi klatscht, zeigt, daß in dieser Schrift parteipolitische Tendenzen enthalten sind, die in der Truppe genau das bewirken, was Sie mit Ihrem Klatschen provozieren, meine Herren.
({5})
- Herr Schäfer, Sie müssen sich das anhören, was Sie selbst geschrieben haben, und dann kommen Sie hier herauf und entgegnen Sie, und entgegnen Sie auch vor der Truppe.
({6})
Dann heißt es weiter:
Gerade die Deutschlandpolitik aber wurde zum zentralen Thema der Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition. Jene, die zwanzig Jahre lang nicht verhindern konnten, daß der Graben zwischen den beiden Teilen Deutschlands immer tiefer wurde, nahmen die Politik der Realitäten unter Beschuß. Dies führte zu den heftigsten Kontroversen, die schließlich im Mißtrauensvotum gipfelten, bei dem der Oppositionsführer, Dr. Rainer Barzel, scheiterte.
({7})
Ist das objektiver Beitrag zur politischen Meinungsbildung in dieser Armee?
Das geht weiter. Da heißt es im Kapitel „Innerdeutsche Beziehungen" :
Nach Jahren verpaßter Chancen ging die Bundesregierung 1969 daran, im Interesse der Menschen in Ost und West . . . zu einem . . . Miteinander . . . zu kommen.
Wieder der Ton parteipolitischer Polemik, aber nicht nur im Gebiet der Deutschlandpolitik. Ein weiteres Zitat aus dem Bereich Bildung und Wissenschaft:
Die Bundesregierung der sozialliberalen Koalition hat als erste begonnen, diese gesamtstaatliche Aufgabe
- gemeint sind Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit anzupacken.
Ich meine, das ist allerdings eine Passage, bei der jeder darauf vertrauen kann, daß angesichts der katastrophalen Lage insbesondere auf dem Bildungsgebiet und, soweit der Bund dafür zuständig ist, dem Gebiet der beruflichen Bildung diese Sache sich von selbst widerlegt.
({8})
Ich sage Ihnen nur: Was Sie hier treiben, ist eben weit mehr als parteipolitische Propaganda vor Landtagswahlen. Mit dieser Art des Vorgehens zerstören Sie das Vertrauen des Soldaten in die Loyalität seiner Führung.
({9})
Damit untergraben Sie die Voraussetzungen für seine eigene Loyalität.
Ich will Ihnen -- ich kann Ihnen das nicht ersparen; es ist ja nicht von ungefähr, daß wir dies aufgreifen - aus einigen Schreiben von Soldaten vorlesen, die uns erreicht haben. Sie wissen ja, daß eine ganze Zahl von Beschwerden bei Ihnen dagegen eingegangen ist. Viele haben den Mut nicht mehr dazu, weil auch dazu inzwischen Mut gehört, sich in dieser Armee gegen parteipolitische Bevormundung zur Wehr zu setzen.
({10})
Da heißt es beispielsweise in dem Schreiben des Kommandeurs eines Bataillons:
In dieser reichlich bunt bebilderten Schrift wird unter anderem der Mann, der die Probleme anpackt, Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine Mannschaft, vorgestellt. Die einseitige Darstellung sowie die immer wieder angedeutete Unfähigkeit der CDU/CSU
- das wird dann im einzelnen dargestellt ist haarsträubend. Was aber noch schlimmer ist, ist, daß diese Schrift in einer Zeit der bevorstehenden Landtagswahlen in die Truppe geworfen wird. Es fehlt nur noch der Hinweis, diese Schrift bei der Truppeninformation zu verwenden.
Es geht weiter. Nächster Soldat:
Wenn ich diese Broschüre im staatsbürgerlichen Unterricht benutze ({11}), dann verstoße ich gegen § 33 des Soldatengesetzes.
({12})
Ich bin der Meinung, daß gerade die von mir rot angestrichenen Passagen
- das sind einige, aus denen ich Ihnen vorgelesen habe der Schrift eine unter anderem parteipolitische Beeinflussung der Soldaten bedeuten. Die restlichen Ausführungen sind sowieso nur ein Lob auf die derzeitige Regierung.
Noch einmal ein Schreiben:
Die derzeitige Bundesregierung hat eine Informationsschrift herausgegeben. Falls Sie sie noch nicht kennen, ich füge sie anliegend bei. Diese Schrift ist meines Erachtens keine Schrift mit rein informativem Charakter, sondern eine parteipolitische Reklameschrift. Daß hier Steuergelder für Parteipropaganda ausgegeben wurden, beanstande ich erst in zweiter Linie. Wußten Sie jedoch, daß diese Schrift als offizielle Schrift der Bundesregierung mit 18 900 Exemplaren in der Bundeswehr über den Dienstvorschriften-Verteilerweg bis zu den Kompanien verteilt wird?
({13})
Bisher ist durch Erlasse und Verfügungen versucht worden, die Bundeswehr aus dem Streit der Parteien herauszuhalten.
Ihre Angehörigen sind verpflichtet, in ihren Äußerungen Zurückhaltung zu üben.
Jetzt kommen ein paar Zitate. Und dann:
Soll hier etwas einseitig ausgehöhlt werden?
Das sind Schreiben von Soldaten, die wir nicht bestellt haben.
({14})
- Herr Würtz, Sie als Soldat sollten eines wissen: daß eine Armee nur so lange kampfkräftig bleibt, wie sie weiß, daß sie dem Gesamtstaat und nicht einer Partei verpflichtet bleibt.
({15})
Deswegen sollten Sie mit uns gegen so etwas zu Felde ziehen, auch wenn es Ihre eigene Bundesregierung ist; denn wenn Sie den Anfängen nicht wehren, landen Sie bei dem, was Sie nicht wollen können und wir nicht wollen. Deswegen wird das hier so ausführlich zur Sprache gebracht.
({16})
Herr Schäfer, staatsrechtliche Exkurse über die Bedeutung des Amtes des Wehrbeauftragten sind sicher eine gute Sache. Staatsrechtliche Exkurse über die Bedeutung der Streitkräfte und die Würdigung der schweren Aufgabe des Soldaten sind eine gute Sache. Bloß geht es uns wie auf fast allen Sachgebieten inzwischen so, daß wir eben nicht Lippenbekenntnisse haben wollen, sondern Ihre Aussagen an dem Handeln messen wollen. Wenn wir das Handeln an diesen Beteuerungen messen, stellen wir fest: Sie sagen das, aber in der Praxis tun Sie etwas ganz anderes. Das ist das Entscheidende.
Für mich ist der Gesichtspunkt, der mich in diesem Zusammenhang besorgt macht, der, daß Sie damit ein Beispiel setzen; so wie die Führung, so schlußendlich auch der Soldat. Wir reden ja sehr viel über staatsbürgerliche Bildung. Herr Schlaga hat einiges
sehr Interessante und, wie ich finde, auch sehr Richtige dazu gesagt. Aber staatsbürgerliche Bildung lebt wie jede Art von Bildung in erster Linie vom Beispiel. Sie können doch einen Soldaten, der sich nicht an den Paragraphen hält, nicht mehr zur Rechenschaft ziehen, wenn Sie ihm dieses Beispiel als Dienstherr vor Augen führen.
Deswegen kann das hier nicht so weitergehen. Deswegen wird sich der Bundesverteidigungsminister bequemen müssen, zu dieser Schrift im Parlament Stellung zu nehmen. Ich würde empfehlen, es auch gegenüber der Truppe zu tun.
Dies sei mein letzter Gedanke: Es gibt nicht nur eine Loyalität des Soldaten gegenüber der politischen Führung; es gibt auch eine Loyalität der politischen Führung gegenüber dem Soldaten.
({17})
Wir leben in einer demokratischen Armee. In dieser Armee sind Männer jeglicher politischer Gesinnung innerhalb des demokratischen Spektrums, solche, die Sie wählen, solche, die uns wählen, und solche, die die FDP wählen. Daher hat sich jegliche Führung dieser Armee, die ja im Zuge von Wahlen wechselt, so zu verhalten, daß es auch einem andersdenkenden, politisch anders eingestellten Soldaten nicht schwergemacht wird, seine Loyalität als Soldat diesem Volk und diesem Staat gegenüber zu beweisen.
({18})
Meine Damen und Herren, die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat verlangt, daß der Herr Wehrbeauftragte am Ende dieser Debatte das Wort ergreift. Gemäß § 116 c der Geschäftsordnung erteile ich es ihm.
Berkhan, Wehrbeauftragter des Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Vorgänger im Amt, Herr Fritz-Rudolf Schultz - Herr Präsident, vielleicht gestatten Sie, daß ich etwas aus der Form herausspringe und sage: mein Freund Fritz-Rudolf Schultz -, hat in seinem Bericht neben beschreibenden Inhalten auch kritische Schwerpunkte aufgezeigt. Ich möchte hier teilweise die Kritik unterstreichen und begrüßen.
Zum anderen möchte ich zu den Fragen der Kritik ein paar abweichende Meinungen vortragen. Das ist auch nicht ungewöhnlich; denn der Bericht des Wehrbeauftragten wird sicher sehr von seiner Person beeinflußt, und zwei Personen haben sehr häufig zu dem gleichen Problem unterschiedliche Meinungen. Wir haben das eben in einer Rede des Kollegen Wörner hier zur Kenntnis nehmen können. - Herr Abgeordneter Dr. Wörner, ich bitte um Entschuldigung; Sie werden mir die Anrede nachsehen, nachdem ich so lange auf einem Abgeordnetenplatz gesessen habe.
Zum dritten möchte ich mich zu einigen Punkten erst äußern, nachdem ich mich in meinem neuen Amt mit den Mitarbeitern, insbesondere mit den führenden Mitarbeitern, mit dem Leitenden Beamten und mit den Referenten, ausgiebig besprochen und die Fragen in einer Diskussion abgeklärt habe.
Lassen Sie mich hier zu einzelnen Punkten noch etwas vortragen, insbesondere da die Herren Rommerskirchen, Schäfer und Krall und auch die anderen Abgeordneten, die hier gesprochen haben, hierzu auch Bemerkungen gemacht haben.
Es steht fest, daß mein Vorgänger in seinem Bericht geschrieben hat, das Parlament habe ihm eine ungenügende Unterstützung, eine mangelnde Zusammenarbeit und eine unbefriedigende Verwertung seiner Arbeitsergebnisse angedeihen lassen. Mir selbst sind die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und der Kommunikation des Wehrbeauftragten mit dem Parlament bisher sowohl als Abgeordnetem als auch auf dem Stuhl des Parlamentarischen Staatssekretärs nicht als mangelhaft erschienen. Ich werde jedoch diesen Klagen nachgehen und mich in meinem Amt eingehend darüber unterrichten lassen, was der Anlaß dieser Feststellung war, und besonders auch darüber, ob von den jetzt schon gegebenen Möglichkeiten der Zusammenarbeit von beiden Seiten stets hinreichend Gebrauch gemacht worden ist.
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- Frau Abgeordnete Berger, Sie nicken so verständnisinnig; wir beide haben ja für die nächste Woche einen Termin vereinbart, da wir auf ähnlichem Felde arbeiten, Sie als Vorsitzende des Petitionsausschusses, ich als Wehrbeauftragter. Wir werden uns also bemühen, unsere beiderseitige Zusammenarbeit auf eine tragfähige Basis zu stellen.
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Im übrigen steht für mich außer Zweifel, daß zum Bundestag in seiner Gesamtheit, insbesondere aber zu dem Fachausschuß des Deutschen Bundestages, dem Verteidigungsausschuß, ebenso wie zu den drei Fraktionen und zu den Arbeitsgruppen oder Arbeitskreisen dieser Fraktionen - wie auch immer sie genannt werden - eine ständige Verbindung zu halten ist, ein ständiger Kontakt gepflegt werden muß. Dies wird durch mich selbst oder durch einen von mir beauftragten Mitarbeiter geschehen. Das soll Sie, verehrte Damen und Herren Abgeordnete, allerdings nicht hindern, sich direkt an das Amt oder an mich zu wenden, sofern Sie das für notwendig erachten. Meine Amtsführung ist jedenfalls
- so sehe ich es heute - so konzipiert, daß ich annehme, über mangelnde Zusammenarbeit mit dem Parlament wird künftig weniger geklagt werden können - wobei ich den Zuruf „abwarten" gern entgegennehme und mich auch der Kritik in den kommenden Jahren stellen werde.
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- Ich habe auf ihn gewartet, Herr Abgeordneter Rommerskirchen.
Als um so erfreulicher werte ich allerdings die Tatsache - das werden Sie mir nicht verübeln -, daß in dem Bericht meines Vorgängers die ZusamWehrbeauftragter Berkhan
menarbeit mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung als problemlos dargestellt wird. Ich werte diese Feststellung als eine der wichtigsten Feststellungen des Jahresberichts 1974. Das heißt doch nichts anderes, als daß die zuständigen Fachleute beider Seiten, einerseits des Bundesministeriums der Verteidigung, andererseits des Amts des Wehrbeauftragten, ohne großes Aufheben, ohne großes Klappern mit dem Werkzeug eine Vielzahl von Einzelanliegen der Soldaten geregelt und einer Lösung nahegebracht haben.
Ich muß sagen: Für den einzelnen Soldaten sind seine Kümmernisse und seine Beschwernisse sehr häufig sein Lebensschicksal, wie klein sie uns hier auch aus der Wertung des Gesamtberichts erscheinen mögen. Eine getrennte Familie, eine unzureichende Berücksichtigung beim Urlaub sind keine unheilbaren Wunden, aber für den oder die Betroffenen erscheinen sie als das Schicksal, welches sie allein zu tragen haben. Ich werde jedenfalls in der vor mir liegenden Amtszeit alles tun, damit die erfreuliche und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Ihrem Hause, Herr Staatssekretär, und meinem Hause weiter vonstatten geht, weil diese Zusammenarbeit insbesondere dem Schutz und dem Wohl des einzelnen Soldaten dient. Diese Zusammenarbeit soll ungetrübt bleiben.
Ich werde andererseits keine vornehme Zurückhaltung üben, wenn es darum geht, dem Parlament gegebenenfalls Fälle und Probleme vortragen zu müssen, bei denen der Wehrbeauftragte mit der Exekutive trotz großer Anstrengungen nicht ins reine gekommen ist.
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Ich gehe davon aus, daß sich dann das Parlament bzw. der Fachausschuß des Parlaments der Regelung solcher strittigen Fragen annimmt und dadurch der Notwendigkeit einer Lösung einen besonderen Nachdruck verleiht.
Kritisch wird von meinem Vorgänger die Entwicklung der Inneren Führung, insbesondere die Weiterentwicklung der Grundsätze der Inneren Führung in den Streitkräften, betrachtet. Er stellt fest, daß in den vergangenen Jahren eine Abkehr von der Erörterung der Grundlagen der Inneren Führung deutlich geworden und die Diskussion um die Innere Führung zum Stillstand gekommen sei. Während im praktischen Alltag der Truppe das Bemühen um Innere Führung nicht nachgelassen habe, so führt Herr Schultz weiter aus, sollten auch künftig ausreichende theoretische Grundlagen geschaffen und vermittelt werden, um der Praxis den Boden zu bereiten. In diesem Zusammenhang weist er erneut auf die mangelnde Heranziehung der Schule der Bundeswehr für Innere Führung zur Erarbeitung und Vermittlung der Grundlagen der Inneren Führung hin. Herr Schlaga und Herr Rommerskirchen sind darauf eingegangen.
In dieser Frage bringe ich, verehrte Damen und Herrn Abgeordnete - das möchte ich ganz deutlich machen -, im Vergleich zu meinem Vorgänger ein etwas unterschiedliches Verständnis in mein neues Amt ein. Diskussion sollte nach meiner Meinung weder Selbstzweck noch Pflichtübung sein. Es ist wichtiger, Innere Führung, wie sie in Gesetzen und Vorschriften festgelegt ist, stets und im Alltag zu praktizieren, sich immer wieder darum zu bemühen,
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und es ist weniger wichtig, die Innere Führung stets neu zu definieren,
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wobei ich darum bitte, mich nicht mißzuverstehen. Bei der Ausbildung neuer, heranwachsender militärischer Führer ist selbstverständlich auch die Ausbildung in moderner Menschenführung ein Gebiet, welches nicht vernachlässigt werden darf. Mein Vorgänger im Amt hat zu dieser Frage Beachtliches geleistet, und ich halte mit Fritz-Rudolf Schultz die Definition moderner Menschenführung, die er dort gibt, für richtig. Ich zitiere ihn wörtlich:
Innere Führung ist das Konzept, „das dem Soldaten als Staatsbürger in Uniform unter voller Berücksichtigung der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte ein Höchstmaß an staatsbürgerlichen Rechten und Freiheiten sichern soll".
({6}) Ich bin hier völlig mit ihm einig.
Aber, so meine ich, die Innere Führung lebt von der Praxis. Von dort erhält sie wichtige Impulse, von dort erhält sie ihre Anstöße immer wieder, um sich zu erneuern. Dies ist nach meinem Dafürhalten auch der Hauptgrund, warum der Schule für Innere Führung nicht das geistige Monopol für die Weiterentwicklung der Inneren Führung übertragen werden kann,
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etwa als einer Art von Elfenbeinturm für die Innere Führung. Die Schule für Innere Führung in Koblenz sollte vielmehr eine Begegnungsstätte für Praktiker und Theoretiker bleiben. Sie sollte es gestatten, gegenseitige Auffassungen und Erkenntnisse auszutauschen, und zu einer ungekünstelten, praxisgerechten Fortentwicklung der modernen Menschenführung beitragen, und das alles, meine verehrten Damen und Herren Abgeordneten, in einer einfachen, dem Soldaten zugänglichen Sprache.
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Es hilft doch nichts, wenn wir in großartigen theoretischen, wissenschaftlich gesetzten Aufsätzen die Weiterentwicklung der Inneren Führung betreiben, und der Zirkel derjenigen, die sich an der Diskussion beteiligen können, wird immer geringer. Die Fachsprachen werden immer gekünstelter und immer wissenschaftlicher, und der eigentliche militärische Führer im Alltag, der Unteroffizier, kann mit diesen Dingen sehr wenig anfangen.
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Zum Schutz der Grundrechte: Hier erneuere ich die Warnung meines Vorgängers vor einer Handlungsweise, bei der Vorgesetzte in den Streitkräften unantastbare Grundrechte der Soldaten dadurch zur Disposition stellen, daß sie vorher eine Einwilli11570
Wehrbeauftragter Berkhan
gungserkläung der betroffenen Soldaten einholen, etwa für Mißhandlungen in einer simulierten Gefangenschaft. Dabei kommt doch heraus, daß man dann nach Belieben handelt und ohne jedes Unrechtsbewußtsein in die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte der Soldaten eingreift. Dies ist eine schwierige Frage. Ich kann hier nur fragen: Wo bleibt bei solcher Handlungsweise das uns durch die Verfassung doch wirklich vorgegebene Rechtsstaatsbewußtsein? Den Rechtsstaat erleben heißt doch zu lernen, in einem Rechtsstaat zu leben, und hoffentlich auch den inneren Drang zu haben, für diesen Rechtsstaat einzutreten.
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Ich halte es für möglich, daß die Grenzen zwischen einer Ausbildung der Soldaten zur Härte und Selbstdisziplin einerseits und eindeutigen Verstößen gegen die Grundrechte der Soldaten - insbesondere gegen die Menschenwürde - andererseits durch geeignete Maßnahmen erneut und nachdrücklich deutlich gemacht werden. Ich halte es zugleich für möglich, daß auch in einer im Rechtsstaat lebenden Armee eine dem Dienst gemäße harte Ausbildung Platz greifen kann.
Wenn sich mein Vorgänger im Zusammenhang mit dem Schutz der Grundrechte über das Für und Wider des Prüfverfahrens für Kriegsdienstverweigerer ausläßt, so muß ich aus meinem Verständnis der Aufgaben des Wehrbeauftragten heraus sagen: Die Änderung des Prüfverfahrens für Kriegsdienstverweigerer ist eben ein Beispiel für die Unzuständigkeit des Wehrbeauftragten. Hier sind Sie als Mitglieder des Parlaments aufgerufen. Hier sind Regierung und Parlament aufgerufen. Der Wehrbeauftragte, der sich hier - wie in anderen politischen Fragen - einer persönlichen Meinungsäußerung tunlichst enthält, hat lediglich darüber zu wachen, daß kein im Dienst befindlicher Soldat, gegen sein Gewissen zum Kiregsdienst mit der Waffe gezwungen wird. Dies gebietet der Grundrechtsschutz des Soldaten. Dieses Problem beschäftigt das Amt, wie ich schon nach kurzer Einarbeitungszeit feststellen kann ausreichend und ergiebig.
Im Abschnitt über Fragen des Wehrdisziplinarrechts weist mein Vorgänger auf die positiven Folgen der Neufassung der Wehrdisziplinarordnung hin. Wenn auch die Neufassung dazu geführt hat, daß sich die Soldaten gerechter behandelt fühlen und die Vorgesetzten die Disziplinargewalt sinnvoller ausüben können, so unterstreiche ich doch in besonderer Weise den Hinweis meines Vorgängers, daß diese Wehrdisziplinarordnung in einigen Punkten noch verbesserungswürdig und ergänzungsbedürftig ist. Ich gehe davon aus, daß diese Verbesserungen und Ergänzungen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Ministerien und Ausschüssen vorgenommen werden können.
Schließlich erinnere ich auch in diesem Zusammenhang an die von meinem Amtsvorgänger geäußerte Sorge über die Zunahme von Sachbeschädigung, Diebstahl, Unterschlagung und Veruntreuung von Bundesvermögen. Staatseigentum und staatliche Dienstleistungen genießen wegen ihrer vermeintlichen Anonymität bedauerlicherweise noch geringere Achtung als Privateigentum und private Leistungen. Diese Feststellung muß dem Verteidigungsausschuß zur Beachtung empfohlen werden, und zwar nicht nur deshalb, weil hier unnötigerweise viel Geld verlorengeht, sondern auch deshalb, weil der Umgang mit zugeteiltem Material ein Erziehungsfaktor und damit eine Frage der Inneren Führung von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Es wird nicht nur darauf ankommen, Soldaten immer wieder zu belehren, sondern hier gilt, was in anderem Zusammenhang „beispielhaftes Verhalten" genannt worden ist.
Allerdings will ich als Wehrbeauftragter dieses Parlaments auch dieses nicht verhehlen: Sollten Belehrungen, Beispiele und Erziehung nicht dazu beitragen, daß sich auf diesem Felde im Laufe einer absehbaren Zeit eine Veränderung anzeigt, werde ich darüber nachzudenken haben, ob ich Ihnen nicht andere Vorschläge machen muß, ob nicht schärfere Maßnahmen zu empfehlen sind. Schließlich muß sichergestellt werden, daß durch eine umfassende Kontrolle durch die Vorgesetzten, denen die Verantwortung für Material und Gerät übertragen ist, dem Soldaten die Bedeutung der Erhaltung und Sicherung von Staatseigentum immer wieder vor Augen geführt wird.
Lassen Sie mich abschließen. Ich möchte meinem Vorgänger danken, daß er mir ein in jeder Hinsicht geordnetes Amt überlassen hat. In der Frage der Organisation, in der Frage der Unterbringung und in der Frage der personellen Besetzung ist das Amt geordnet. Es gibt - das will ich nicht bestreiten, das war ihm auch nicht möglich - gewisse Schwierigkeiten in der Stellenauseinandersetzung, weil bei einem solchen Amt - Frau Abgeordnete Berger wird das gut verstehen - der allgemeine Stellenschlüssel für Hilfspersonal nicht angewandt werden kann. Eingaben können halt nur zügig und schnell behandelt und bearbeitet werden, wenn die Apparatur darauf angelegt ist, zügig und schnell zu arbeiten.
Herr Abgeordneter Schäfer, Sie haben mit einer humorvollen Bemerkung von meinem „Katzentisch" gesprochen. Es bleibt abzuwarten, wie gut es sich dort sitzt und wie häufig es sich dort sitzt. Aber ich will Ihnen sagen, Herr Abgeordneter Schäfer - Sie erlauben mir sicher, das alte deutsche Sprichwort hier zu zitieren -: Die Katze läßt das Mausen nicht. - Ich werde die Mäuse dort fangen, wo sie über Gebühr in Bereiche eindringen, wo sie nichts zu suchen haben.
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Aber ich werde die Mäuse dort auch leben lassen, wo sie zum natürlichen Leben und zur Entwicklung unserer Umwelt gehören.
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Lassen Sie mich abschließen mit einem besonderen Dank an das Haus, an das Parlament. Ich bin mir klar, daß ich mit meiner Amtsübernahme und insbesondere mit meinem Amtseid an Gesetz und Recht gebunden bin. Darüber hinaus fühle ich mich aber besonders moralisch verpflichtet, durch ein
Wehrbeauftragter Berkhan
Stimmenergebnis, das mich als Hilfsorgan des Deutschen Bundestages besonders verpflichtet, nicht für eine Fraktion oder gar für eine Partei tätig zu sein, sondern für jeden Abgeordneten, für jeden Arbeitskreis und für jeden Ausschuß. Darum werde ich mich in den kommenden Amtsjahren bemühen.
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Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Ich darf das Ende dieser Debatte dazu benützen, dem scheidenden Wehrbeauftragten Fritz-Rudolf
Schultz den Dank und dem neuen Wehrbeauftragten Karl Wilhelm Berkhan die guten Wünsche des Hauses auszusprechen.
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Ich schlage Ihnen Überweisung des Jahresberichts an den Verteidigungsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 23. April, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.