Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/21/1975

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Die Sitzung ist eröffnet. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt werden: a) Beratung der Sammelübersicht 34 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 7/3306 - b) Beratung der Sammelübersicht 35 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 7/3317 -c) Beratung der Sammelübersicht 36 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 7/3323 Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen. Es liegt Ihnen sodann eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden sollen: Betr.: Bericht der Bundesregierung betr. Europäische Hochschulpolitik Bezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Juni 1971 - Drucksache 7/3331 zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({3}), Auswärtiger Ausschuß, Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Bau eines Tunnels unter dem Ärmelkanal - Drucksache 7/3345 zuständig: Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zu einer Gemeinschaftsregelung für das Fernlehrwesen - Drucksache 7/3346 -zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zum gegenwärtigen Stand der Energiepolitik der Gemeinschaft - Drucksache 7/3347 zuständig: Ausschuß für Wirtschaft ({4}), Ausschuß für Forschung und Technologie Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem von den Herren Amendola und Lemoine im Namen der Fraktion der Kommunisten und Nahestehenden vorgelegten Entschließungsantrag zur Amnestie zugunsten von Kriegsverbrechern - Drucksache 7/3348 -zuständig: Rechtsausschuß ({5}), Auswärtiger Ausschuß Betr.: Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung ({6}) Nr. 907/73 des Rates vom 3. April 1973 zur Errichtung eines Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit - Drucksache 7/3349 -zuständig: Finanzausschuß ({7}), Ausschuß für Wirtschaft Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zu den am 11. Oktober 1974 vom Gemischten Parlamentarischen Ausschuß EWG-Türkei in Istanbul-Tarabya angenommenen Empfehlungen - Drucksache 7/3353 zuständig: Ausschuß für Wirtschaft ({8}), Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Gegen die Überweisungen erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Das vom Deutschen Bundestag in seiner 152. Sitzung am 17. Februar 1975 verabschiedete und dem Bundesrat zugeleitete Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter - Drucksachen 7/1992, 7/3237 - wurde gemäß § 123 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages wie folgt berichtigt: In Artikel 2 § 1 müssen 1. in Nummer 22 Buchstaben a und b in § 1385 Abs. 3 Buchstabe g und in Abs. 4 jeweils hinter den Worten „§ 1227 Abs. 1" die Worte „Satz 1" eingefügt werden; 2. in Nummer 23 ({9}) hinter den Worten „§ 1227 Abs. 1" die Worte „Satz 1" eingefügt werden. Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 19. März 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Pfeffermann, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Roser, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Weber ({10}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Forschungsprogramme der Bundesregierung - Drucksache 7/3328 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/3409 verteilt. Überweisung von EG-Vorlagen Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Beschluß des Rates über die Anwendung der Verordnung ({11}) des Rates zur Errichtung eines Europäischen Fonds für Regionalentwicklung auf die französischen überseeischen Departements - Drucksache 7/3375 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft ({12}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({13}) des Rates zur Aufstellung besonderer Regeln für den Kauf von Zuckerrüben - Drucksache 7/3376 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({14}) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in Geel-Mol ({15}) dienstlich verwendet werden - Drucksache 7/3377 überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Vizepräsident Dr. Jaeger Ich rufe Punkt VI der Tagesordnung auf: Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1975 ({16}) - Drucksachen 7/2440, 7/2525, 7/2830, 7/3141 bis 7/3168 - Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung - Drucksache 7/3405 Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leicht.

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In der vorausgegangenen Auseinandersetzung ist über eine Fülle von wirtschafts-, finanz- und haushaltspolitischen Fragen gestritten worden. Ich möchte nun nicht in der Einzelaussprache fortfahren, sondern versuchen, auf der Grundlage einer nüchternen Bestandsaufnahme und Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung den Bundeshaushalt 1975 in seinem gesamtwirtschaftlichen Bezügen kritisch und zusammenfassend zu würdigen. Bei aller Gegensätzlichkeit in der Einschätzung der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung durch Regierung und Opposition kann dem objektiven Beobachter nicht entgangen sein, daß die Bundesregierung selbst in ihrer Argumentation das zwiespältige Bild eines zarten deutschen Konjunkturfrühlings in einer sonst finsteren Landschaft der Weltwirtschaft vermittelt. Dieser Ausgangspunkt der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung ist von der Bundesregierung nicht ungeschickt gewählt, läßt er doch für die Zukunft Abweichungen nach allen Seiten zu. Sollte so etwas wie ein schwacher Aufschwung zustande kommen, wäre er das Verdienst der Bundesregierung; ginge es weiter abwärts, so wäre dies den Unbilden der Weltwirtschaft anzulasten. ({0}) Das politische Handeln der Bundesregierung erschöpft sich äußerlich in, wie ich es beurteile, aufwendiger Gesundbeterei. Im Grunde aber stehen dahinter banges Warten, Ratlosigkeit und eine gewisse Ausweglosigkeit. ({1}) Der weltwirtschaftliche Befund ist ernüchternd. Was Sozialdemokraten immer weit von sich gewiesen haben, ist - ich sage: leider - eingetreten. Die Rezession ist da, die Arbeitslosigkeit ist da; trotzdem steigen die Preise weiter, und die Arbeitnehmereinkommen stagnieren. ({2}) In der Tat, der Zustand in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen ist- und so nüchtern sollte man sein, das zu sagen - schlimm. ({3}) Dies ist die Wahrheit, die die Bundesregierung - wie ich es einschätze - dem deutschen Volk vorenthält, oder, genauer gesagt, glaubt vorenthalten zu können. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten sind nicht die Folge einer Verkettung unglücklicher Umstände, etwa der Konjunktur, der Steuerreform, der Ölverteuerung und sonstiger außenwirtschaftlicher Einflüsse, wie das gestern und vorgestern hier immer wieder gesagt worden ist. Sie sind, wenn man es nüchtern beurteilt, das Resultat einer verfehlten Wirtschaftspolitik, ({4}) einer leichtfertigen Finanz- und Steuerpolitik und einer Haushaltspolitik ohne Augenmaß. ({5}) Ihre Ursachen liegen in der Grundlage der sozialliberalen Politik. Die Bundesregierung überschätzte nicht nur die Möglichkeiten der außenwirtschaftlichen Absicherung; sie begann vielmehr im Vertrauen darauf eine euphorische Reformpolitik. Wir erinnern uns an die menschheitsbeglückenden Zukunftsbilder der neuen Gesellschaftspolitik. Der Außenbeitrag sollte zugunsten der inneren Reformen reduziert, die Lebensqualität der Bürger gesteigert und die angebliche öffentliche Armut behoben werden. Wir erinnern uns aber auch an die endlose Serie der falschen Signalmeldungen von der Währungsfront, als sich die Dinge nicht so entwickelten, wie es sich die Reformer vorgestellt hatten. Die Bürde der Stabilitätspolitik überließ man ausschließlich der Bundesbank und dem Steuerzahler. Der größte Teil der strukturellen Schwierigkeiten und der wirtschaftlichen Konzentration hat seine Ursachen in der exzessiven Geld- und Kreditpolitik und vor allem in der repressiven Steuerpolitik. Gut ein Dutzend Steuererhöhungen wurden seit 1970 bis zum Inkrafttreten der sogenannten Steuerreform vorgenommen, obwohl die Bundesregierung, wie wir alle noch wissen, Steuererleichterungen versprochen hatte. ({6}) Die Belastbarkeit der vielbemühten Pferde, die heute nicht so recht saufen wollen, wurde getestet. Der Steuerbürger wurde für die verheißene Lebensqualität zur Kasse gebeten. ({7}) Wenn es nicht früher zum Ausbruch der, wie ich meine, und man sollte das Wort heute wirklich gebrauchen, Finanzkrise gekommen ist, dann doch in erster Linie wegen dieser offenen Steuererhöhungen, mehr aber noch durch den Rückgriff auf die inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen zu Lasten der Lohnsteuerzahler. ({8}) Stabilitätswidrig begnügte sich die Regierung damit, die Inflation zu verharmlosen, unaufgefordert und ökonomisch unsinnig immer wieder Vollbeschäftigungsgarantien zu geben. Das alles geschah zu einer Zeit, als die Preisentwicklung im Ausland nicht schlechter war als hierzulande und noch niemand an eine Ölkrise dachte. ({9}) Gehandelt wurde erst, als im Frühjahr 1973 die Inflationsrate von 8 % nicht mehr tragbar erschien. Im Rückblick auf die letzten fünf Jahre stellen wir heute fest: dem sozialliberalen Reformanspruch folgte die Aufblähung der öffentlichen Haushalte, ({10}) und das heißt, der Staatskonsum war der Schrittmacher der Inflation. ({11}) Die Aufgabenstruktur verschlechterte sich ständig. Die Personalausgaben stiegen in diesen fünf Jahren im Bundeshaushalt mit 87 % mehr als doppelt so schnell wie die investiven Ausgaben, die nur um 42 % gestiegen sind. ({12}) Dies unter einer Regierung, die eine Stärkung der zukunftweisenden Aufgaben versprach, heute Sparsamkeit predigt und gegen Arbeitslosigkeit kämpfen muß. Ich habe mich immer gefragt, was die Bundesregierung berechtigt, alles und jedes mit außenwirtschaftlichen Einflüssen, insbesondere mit der Ölverteuerung zu entschuldigen. Niemand wird bestreiten, daß die Ölkrise die weltwirtschaftliche Lage verändert hat. Vor allem hat sich das Verhältnis der Währungsreserven der ölimportierenden Länder zu ihrem Importbedarf erheblich verschlechtert. Noch wichtiger erscheint mir jedoch die Erkenntnis - auch das ist bei der Betrachtung des Haushalts notwendig, weil hier Ausflüsse kommen können -, daß die eigentlichen realwirtschaftlichen Konsequenzen der bisherigen Ölverteuerung überhaupt erst noch verkraftet werden müssen. ({13}) Denn was bisher auf diesem Felde geschah, erschöpft sich im wesentlichen darin, daß man national den Mehraufwand für das 01 über eine Inflationierung der Einkommen und Preise auffängt und man international den erhöhten Devisenbedarf durch großangelegte Kreditaktionen deckt. ({14}) Die eigentliche Lösung des Problems wurde also, wenn Sie so wollen, durch Inflationierung und Verschuldung hinausgezögert. Ich möchte kurz die Zusammenhänge aufzeigen, weil sie teils unmittelbar, teils mittelbar den Bundeshaushalt betreffen und die Neuverschuldung der öffentlichen Hand, meiner Meinung nach das Problem dieses und der nächsten Haushalte, auch von dieser Seite her in ihrer ganzen Fragwürdigkeit deutlich machen, ({15}) auch deshalb, weil ich in dieser Debatte dazu bisher leider noch kein Wort gehört habe. ({16}) Bereits vor der Ölkrise stand die Bundesbank zur Überwindung von Zahlungsbilanzproblemen im Auftrag der Bundesregierung mit gewaltigen Kreditlinien gegenüber dem Ausland bereit: mit Krediten an den Internationalen Währungsfonds im Rahmen der deutschen Quote und der Sonderziehungsrechte in Höhe von rund 9 Milliarden DM, mit allgemeinen Kreditvereinbarungen in Höhe von rund 4 Milliarden DM und mit Krediten im Rahmen des kurz- und mittelfristigen Währungsbestands der EG in Höhe von rund 6 Milliarden DM. Das war vor der Ölkrise. Dazu kommen nun die Hilfsaktionen zugunsten der Defizitländer. Ich werte jetzt nicht, ob das richtig ist oder nicht, sondern ich stelle es jetzt fest, weil die Auswirkungen von uns gesehen werden müssen. So übernahm die Bundesregierung bei der Finanzierung der Gemeinschaftsanleihe eine Bürgschaft in Höhe von 3,4 Milliarden DM. Beim OECD-Fonds trägt sie ein Ausfallrisiko von 7 Milliarden DM. Die Übernahme weiterer Risiken ist im Grundsatz beschlossen. Die Aufstockung der Ölfazilität des Internationalen Währungsfonds wird eine weitere deutsche Bürgschaftshilfe erfordern. Ein riesiges Kredit- und Geldschöpfungspotential ist also installiert worden, das überwiegend der Vorfinanzierung deutscher Exporte dient. Die Inanspruchnahme hat sich 1974 trotz Ölkrise - Gott sei Dank - in relativ bescheidenen Grenzen gehalten. Der Bundesfinanzminister, der erst vor wenigen Wochen großsprecherisch meinte, daß wir hier schnell in Größenordnungen, wie er sagte, „hineinwachsen" - und ich sehe es auch so -, ({17}) die die Vorstellungskraft eines Bundestagsabgeordneten, so sagte er, überstiegen, und daß es überhaupt nicht denkbar sei, hiermit die Zahlungsbilanzprobleme unserer europäischen Partner zu lösen, machte unlängst auf Optimismus, als er auf einer Veranstaltung in Hagen sagte, daß die erwarteten massiven Zahlungsbilanzprobleme bei unseren wichtigsten Partnern nicht eingetreten seien. Ich will die Probleme keinesfalls verniedlichen. In der Zahlungsbilanz ist diese dilettantische Politik längst bitterer Ernst geworden. Trotz Ölkrise erreichte der einstmals von Sozialdemokraten als „Vergötzung" angeprangerte Handelsbilanzüberschuß 1974 mit fast 51 Milliarden DM einen absoluten Rekord. Zu Lasten der inländischen Versorgung kletterte der Außenbeitrag, der, in den 60er Jahren durchschnittlich bei 2 v. H. liegend, nach den Zielvorstellungen der Regierung zugunsten der inneren Reformen auf 1,5 v. H. herabgedrückt werden sollte, über 4 v. H. hinaus. Dank einer Politik, die schon immer den marktwirtschaftlichen Datenkranz zugunsten einer angeblich höherwertigen politischen Verteilungsgerechtigkeit im Innern und nach außen einzuschränken trachtete, erzielte die Bundesrepublik Handelsbilanzüberschüsse gegenüber denjenigen Ländern - auch das ist für die Zukunft wichtig -, denen die Bundesregierung mit großzügigen Krediten entgegenkommt. Gegenüber unseren westlichen Partnern geschieht das mit einer gewissen Großmannssucht, wobei die Bundesregierung die eigenen Schwierigkeiten mit denen unserer westlichen Partner zu entschuldigen versucht, also Schwierigkeiten, zu deren Überwindung die Hilfsaktionen unternommen werden. Gegenüber dem Osten wurde der Ausfuhrwirtschaftsrahmen überwiegend zugunsten der langfristigen Ostgeschäfte um 10 Milliarden auf 50 Milliarden aufgestockt. ({18}) Schon heute stehen die Sowjets mit 6,5 Milliarden DM und die Polen mit 2,2 Milliarden DM bei Hermes in der Kreide, dies auf dem Untergrund eines Handelsbilanzdefizits der Staatshandelsländer gegenüber der Bundesrepublik von 7,5 Milliarden DM. Nur die Hälfte aller Ostimporte wird also durch Einfuhren beglichen. Das kreditierte und staatlich verbürgte Handelsbilanzdefizit des Ostens wächst von Jahr zu Jahr. Ich komme zu einem anderen Thema. Machen Sie dem deutschen Volk, so muß man sagen, nichts vor! Der überwiegende Teil der Arbeitslosigkeit ist - und ich glaube, auch das wird nicht bestritten - struktureller Natur. ({19}) Wie anders kann man sich erklären, daß die Arbeitslosigkeit dieses Ausmaß erreichen konnte, obwohl doch die Bundesregierung schon seit Dezember 1973 eine ganze Reihe beschäftigungsstützender Maßnahmen beschlossen und in Kraft gesetzt hat? Gegen die strukturelle Arbeitslosigkeit ist aber mit einer trotzigen Fortschreibung des schuldenfinanzierten Staatskonsums längerfristig nichts auszurichten, auch dann nicht, wenn sie durch eine nachgiebige Geldpolitik unterstützt wird. Der überzogene Staatskonsum ist die Ursache der Arbeitslosigkeit und nicht das Mittel für ihre Bekämpfung. ({20}) Die expansiven Impulse der Steuerreform beleben zwar den privaten Verbrauch - ich hoffe es zumindest -; sie werden jedoch durch die Teuerung und die gleichzeitig in Kraft tretenden Mehrbelastungen, z. B. bei Bahn und Post, durch Beitragserhöhungen bei der Sozialversicherung usw., rasch wieder aufgezehrt. Das finanzpolitische Konzept der Bundesregierung läuft daher allenfalls darauf hinaus, daß kurzfristig etwas mehr Beschäftigung gegen mehr Inflation eingetauscht, dafür aber ungleich größere Risiken für die Zukunft in Kauf genommen werden. ({21}) Das Alibi läge allerdings bereit: der starke Anstieg der ausländischen Verbraucherpreise.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Leicht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr!

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Leicht, darf ich Sie fragen, ob Sie von der Äußerung des Bundesbankpräsidenten Kenntnis genommen haben, wonach er in diesem Jahr mit einer Preissteigerungsrate von wahrscheinlich 5 °/o rechnet, und wie kommen Sie dann zu der Behauptung, daß wir Beschäftigung über mehr Inflation produzieren wollten? ({0})

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens sind wir noch nicht so weit, aber ich hoffe, daß der Herr Bundesbankpräsident recht behalten wird, Graf Lambsdorff, in unser aller Interesse. ({0}) - Wir sind ja nicht diejenigen, die das anders wollen. ({1}) - Herr Ehrenberg, ich darf doch versuchen, die Dinge kritisch mit Argumenten zu behandeln, ({2}) im Gegensatz zu Ihnen, der hier nur Stuß geredet hat. ({3}) Alles, was ich bisher angesprochen habe, meine Damen und Herren, sind zugleich gewaltige Risiken auf der Einnahmenseite. Auf der Ausgabenseite kommen, wie Sie wissen, weitere hinzu. Risiken liegen im Bereich der EG, insbesondere beim Regionalfonds und bei den Beschlüssen von Dublin. Ein beachtliches Risiko besteht ferner beim Wohngeld. Bereits 1974 stiegen die Aufwendungen beträchtlich. Die Zahl der Wohngeldempfänger wächst ständig. Ein enormes Risiko liegt bei den Hilfen für die Bundesbahn. Weitere Risiken liegen im Bereich der Arbeitslosenversicherung und in den vielen anderen Bereichen, die mein Kollege Dr. Althammer und meine Freunde aus der Fraktion am gestrigen Tage hier zur Genüge vorgetragen haben, weshalb ich mich auf dies wenigen Bemerkungen zu diesem Komplex beschränken kann. Das Knäuel der wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen und Versäumnisse, Irrtümer und Widersprüche der letzten Jahre wird nun gleich dem Gordischen Knoten mit dem Schwert des staatlichen Machtanspruchs durch eine, wie ich meine, abenteuerliche Neuverschuldung gelöst. ({4}) Bezeichnend dafür ist die Tatsache, daß erstmals - auch das muß man in einer solchen Debatte einmal feststellen - in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt eine Regierung zu Beginn des Haushaltsjahres auf Artikel 111 Abs. 2 des Grundgesetzes, der eine Art Notstandsverfahren darstellt, zurückgreifen muß, um ihre laufenden Zahlungsverpflichtungen einhalten zu können. Der Herr Kollege Apel, der Finanzminister, hat gestern, wenn ich es richtig verstanden habe - zumindest war es für mich der Eindruck -, das Hohelied des Schuldenmachens des Staates gesungen. ({5}) Um es ganz klar zu sagen: Auch wir sind nicht dagegen, ({6}) einen Teil der staatlichen Ausgaben durch Schulden zu finanzieren. Wir sind auch nicht dagegen, sondern im Grundsatz ausdrücklich dafür, bei einem wirtschaftlichen Rückschlag, den wir haben, durch deficit spending, auch durch zusätzliche Schulden, zur Ankurbelung der Wirtschaft beizutragen. Aber selbst in der Rezession kommt es auf das Wieviel und auf das Wofür an. ({7}) Zuerst zum Wieviel. Als unser Kollege Strauß am ersten Debattentag darauf hinwies, daß der Gesamtschuldenstand aus der Kreditmarktverschuldung des Bundes in den 20 Jahren von 1949 bis 1969 sich nur auf 31 Milliarden DM belief, wurde diese Zahl von den Bänken der Regierungsparteien und der Regierung selbst zunächst mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis genommen. Ich habe mich dann nochmals mit dem Kollegen Strauß zusammengesetzt und die Zahlen nachgeprüft. Wir haben dabei festgestellt, daß der Kollege Strauß auch hier keineswegs übertrieben hat, was die Solidität der Finanzpolitik in den Jahren bis 1969 betrifft. Ganz im Gegenteil: Aus den damals begründeten Neuschulden am Kreditmarkt, wie sie in der amtlichen Kreditmarktstatistik ausgewiesen werden, sind nicht nur Investitionen finanziert, sondern auch noch ganz erhebliche Tilgungsleistungen auf die im Zusammenhang mit der Währungsreform stehengebliebenen, wenn auch stark reduzierten Altschulden, vor allem auf die Altschulden gegenüber dem Ausland und auf die im Zusammenhang mit der Währungsreform begründeten Umstellungsausgleichsschulden, geleistet worden - alles Zahlungen, die bei Berechnung der sogenannten Nettokreditaufnahme abgerechnet werden müssen. ({8}) Nach den Zahlen des regierungsoffiziellen Finanzberichts - ich nenne den Finanzbericht 1975, und zwar dort für den, der es nicht glauben will, nachzulesen auf den Seiten 136 bis 139 - ergibt sich, daß die Summe der Nettokreditaufnahmen in 20 Jahren, von 1950 bis 1969 einschließlich, also der Betrag, um den in diesem Zwanzigjahreszeitraum die Verschuldung des Bundes anwuchs, auf nur 14,3 Milliarden DM beschränkt werden konnte. ({9}) In insgesamt 20 Jahren, bis einschließlich 1969, verschuldete sich der Bund also nur um zwei Drittel des Betrages, der nach den Zahlen des Haushalts, den wir hier behandeln, mit 22,8 Milliarden DM schon für dieses eine Jahr vorgesehen ist. ({10}) Wofür das alles? Das ist die andere Frage. Doch nicht zur Finanzierung zusätzlicher und einmaliger Investitionsausgaben zur Konjunkturankurbelung! ({11}) Anders als im Jahre 1967 - dieses Jahr ist ja gestern und vorgestern etliche Male genannt worden - wird jetzt gepumpt, um zusätzliche laufende Ausgaben damit zu bezahlen. Im Jahre 1967 wurden die investiven Ausgaben des Bundes gegenüber dem Vorjahr, also gegenüber 1966, um 31 % erhöht, und das bei Preisstabilität, was also auch einen entsprechend stärkeren Anstieg der Investitionen realiter zur Folge hatte. In diesem Jahr dagegen stagnieren im Normalhaushalt 1975, zu dessen Finanzierung die rund 23 Milliarden DM Neuschulden begründet werden, die Investitionen nominal. Das bedeutet real, zu gleichbleibenden Preisen gerechnet, einen Rückgang der Investitionen. Ich muß der Klarheit halber und der Ehrlichkeit halber hinzufügen: Ich habe hier einen Soll-SollVergleich angestellt, da mir die Ist-Zahlen nicht bekannt sind. Ich habe ferner die Darlehen an die Nürnberger Bundesanstalt, die der Sicherstellung der Auszahlung der Leistungen an die Arbeitslosen dienen, nicht hinzugerechnet, da es meiner Meinung nach schlechterdings grotesk wäre, Darlehensgewährungen des Bundes, die der Finanzierung rein konsumtiver Ausgaben dienen, in dieser Betrachtungsweise den Investitionsausgaben hinzuzurechnen. Ich habe schließlich die zusätzlichen Konjunkturprogramme vom Dezember und Oktober nicht eingerechnet, da diese nicht aus den 23 Milliarden DM Neuschulden, sondern den Rücklagen bei der Bundesbank gezahlt werden. Was soll es im übrigen, wenn der Herr Bundesfinanzminister und andere Sprecher der Koalition immer wieder darauf hinweisen, ausländische Staaten hätten eine viel höhere Pro-Kopf-Verschuldung als die Bundesrepublik? Auch gestern ist dies wieder geschehen. ({12}) Meine Damen und Herren, erstens stimmt das nicht für alle Staaten, z. B. nicht für das Nachbarland Frankreich, wo die Pro-Kopf-Verschuldung deutlich geringer ist. Zweitens ist zu fragen - dies ist die Hauptfrage, wenn man die Sachen in diesem Zusammenhang richtig sehen will -: Welcher von den ausländischen Staaten, die Sie zum Vergleich herangezogen haben, Herr Bundesfinanzminister, hat im vergangenen halben Jahrhundert zwei Währungsreformen erlebt, ({13}) in denen sich der Staat auf Kosten der Sparer - wie bei uns - von seinen Schulden befreit hat? ({14}) Ist es nicht in Wirklichkeit so, daß z. B. die von Ihnen erwähnten Vereinigten Staaten, deren ProKopf-Verschuldung zugegebenermaßen dreimal so hoch ist wie die Pro-Kopf-Verschuldung der Bundesrepublik, in ihren Schulden noch die Verschuldung zur Finanzierung der Sezessionskriege aus dem vorigen Jahrhundert, aus dem ersten und aus dem zweiten Weltkrieg mitschleppt? ({15}) Das ist dann die nüchterne und sachliche Betrachtungsweise, mit der hier Politik gemacht wird! ({16}) Drittens kommt es konjunktur- und kapitalmarktpolitisch weniger auf die absolute Verschuldenshöhe als auf das Tempo der Zunahme der Staatsverschuldung an. ({17}) Mancher - auch in diesem Hause - meint, die Bundesbank könne mit ihrer Geld- und Kreditpolitik bei wirksamer außenwirtschaftlicher Absicherung eine Art von eisernem Rahmen für die Geldschöpfung setzen; deshalb sei das Ausmaß der geplanten öffentlichen Verschuldung geldwertpolitisch völlig unerheblich. Meine Damen und Herren, dieses Argument ist nur dann zutreffend, wenn die Zunahme der öffentlichen Verschuldung bestimmte Grenzen nicht übersteigt. Bei einer Übernachfrage des Staates am Kapitalmarkt ergeben sich folgende unmittelbare Auswirkungen. Erstens. Das Zinsniveau steigt an. Die Bundesbank wird damit unter Druck gesetzt, zusätzliche Liquidität freizugeben, also den stabilitätspolitisch erforderlichen Kurs endgültig aufzugeben ({18}) - ich sage: es gibt zwei Möglichkeiten; ich komme gleich auf die zweite Möglichkeit zu sprechen, Graf Lambsdorff - und voll auf eine inflationäre Linie einzuschwenken. Zweitens - die andere Seite -: Die Versorgung der privaten Wirtschaft mit Kapitalmarktmitteln zur Investitionsfinanzierung würde so stark beschnitten, daß schon dadurch ein möglicher Aufschwung verhindert würde. ({19})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Leicht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Leicht, im Anschluß an das, was Sie zu Beginn zur Beschäftigungslosigkeit gesagt haben: Können Sie diesem Hause erläutern, wie inflationäre Wirkungen bei nicht ausgelasteten Kapazitäten zustande kommen?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe im Augenblick von der Verschuldungsmöglichkeit gesprochen, Herr Ehrenberg, ({0}) : Das hängt doch wohl zusammen!) und habe versucht, Ihnen klarzumachen - aber anscheinend können Sie nicht begreifen, daß man so etwas einmal feststellen muß ({1}) daß eine übermäßige Staatsverschuldung zwei Konsequenzen haben kann und muß. Eine von diesen beiden - und das werden Sie doch nicht bestreiten können - ({2}) - Das ist nicht falsch. ({3}) Aber Sie können ja hierherkommen und dann meine Rede widerlegen. Der Bundesbankpräsident klagt in aller Öffentlichkeit, daß die Kreditinstitute die Vorteile aus den vier Zinssenkungen, die seit dem Oktober vorgenommen wurden, noch nicht an die Wirtschaft weitergereicht hätten. Auf der anderen Seite müssen wir feststellen, Herr Bundesfinanzminister - ich werte auch das nicht, ob es richtig ist oder nicht; im Gegenteil, ich sage ja: er muß die Möglichkeiten dort ergreifen, wo er sie hat; aber man muß das einfach sehen -, was seit dem Oktober 1974 an Emissionen festverzinslicher Wertpapiere genehmigt worden ist: von Oktober/November 1974 bis Ende März 1975 voraussichtlich 30 Milliarden DM, und all das zum Teil noch zu sündhaft hohen Zinssätzen. Auch das muß man bei Betrachtung des Haushaltes sehen. ({4}) Was kann man als Maßstab für den Umfang der vertretbaren Verschuldung ansehen? Auch da will ich, ebenfalls von meiner Warte her, versuchen, Ihnen eine Antwort zu geben. Es bietet sich an der gesamtwirtschaftliche Verschuldungsspielraum, der sich aus der laufenden Ersparnis der privaten Haushalte einschließlich Vermögensübertragungen und aus der geldwertpolitisch unbedenklichen Geldschöpfungsrate zusammensetzt. Geldwertpolitisch unbedenklich ist eine Geldschöpfung in einem Tempo, die zur Finanzierung eines inflationsfreien Wachstums notwendig ist und die die Bundesbank, wie wir wissen, für das Jahr 1975 auf 8 % beziffert hat. Geht man von diesen Zahlen aus, so nahm die öffentliche Hand, Bund, Länder, Gemeinden, Bahn und Post, im Jahre 1973 rund 15 % des Verschuldungsspielraums auf; 1975 werden es annähernd 45 % sein, also das Dreifache, und 1976 werden es bei Annahme eines Gesamtdefizits des Staates von rund 60 Milliarden DM - ich glaube, davon kann man ausgehen - ebenfalls 45 % sein. ({5}) Nach dieser Rechnung werden Wirtschaft und Ausland im Jahre 1976 nominal 18 % weniger an Kreditmarktmitteln zur Verfügung haben als 1973; bei Berücksichtigung einer Preissteigerung von nur 5 % pro Jahr real 30 % weniger. Krasser könnte eine inflationäre Finanzpolitik der angestrebten Politik des Aufschwungs, wie ich das beurteile, durch Wiederbelebung der privaten Investitionen nicht zuwiderlaufen. ({6}) Wenn die Regierung immer wieder sagt, daß der Kreditbedarf der Unternehmen bei verbesserter Ertragslage zurückgehen und sich vor allem die Kreditaufnahme der Wirtschaft erneut deutlich verringern wird, so kann dieses Argument überhaupt nicht überzeugen, wenn man die angestrebte Entwicklung nicht nur des Jahres 1975, sondern vor allem die des Jahres 1976 ins Auge faßt. ({7}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch ein kurzes Wort an die Adresse der Bundesbank richten und diese vor einer allzu ängstlichen Rücksichtnahme auf den Kreditbedarf der öffentlichen Hand warnen. ({8}) Das liefe im Ergebnis auf eine erneute inflationäre Wirtschaftspolitik hinaus, die auf Dauer auch die Gefahren für die Arbeitsplätze vergrößert, wie wir ja mittlerweile feststellen können. Eine überhöhte Staatsverschuldung, vor allem wenn sie nicht der Deckung zusätzlicher investiver Ausgaben zur Konjunkturbelebung, sondern der Finanzierung zusätzlicher laufender, regelmäßig wiederkehrender Ausgaben dient, ist, wenn man es untersucht, nichts anderes als eine vertagte Steuererhöhung. ({9}) Die Stundungszinsen für diese Vertagung bezahlt der Bürger zusätzlich durch mehr Inflation, der überhaupt unsozialsten und brutalsten Form der Besteuerung des kleinen Mannes. ({10}) Die eigentlichen Probleme zeigen sich aber erst in den Jahren nach 1975 in voller Schärfe. Um die Frage, ob und welche Steuern erhöht werden und ob und welche Leistungen eingeschränkt werden sollen, schleichen die Politiker der Regierungskoalition, wie die „Bonner Rundschau" gestern schreibt, wie die Katzen um den heißen Brei in der Erwartung herum, nach den Wahlen werde dieser Brei genießbarer sein, zwar nicht für die Bürger, die ihn dann auszulöffeln haben, wohl aber für diejenigen, die ihn angerichtet haben. ({11}) Und die „Rundschau" schreibt weiter: Die mannhafte Debattenthese, - das bezieht sich auf die Debatten dieser Tage solange die sozialliberale Koalition regiere, werde es keine Finanzkrise geben, wird so lange wenig überzeugen, wie die Bundesregierung nicht bereit ist, die Zahlen für 1976 und die Folgejahre - was gestern schon vom Kollegen Althammer und anderen meiner Freunde gefordert worden ist auf den Tisch zu legen. Und ich füge hinzu: jetzt, heute und hier auf den Tisch zu legen, wie es das Gesetz in § 10 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung befiehlt, statt Parlament und Bürger auf den Sommer oder Spätsommer zu vertrösten, also auf die Zeit nach den Landtagswahlen. ({12}) Der Bundesfinanzminister spricht in letzter Zeit des öfteren - was ich anerkenne - von sparen, sparen, sparen, wie er es einmal ausgedrückt hat. Aber wie war es denn nach der neuen Steuerschätzung? Sie, Herr Finanzminister, erklärten zunächst im Fernsehen, daß Sie das vergrößerte Loch ausschließlich durch noch mehr Schulden schließen wollten. Erst unter dem Druck der Haushaltsleute im Parlament - und in diesem Punkt möchte ich ein anerkennendes Wort auch an die Kollegen von der Koalition im Haushaltsausschuß, insbesondere die Kollegen von Bülow und Kirst, richten - wurden Sie auf den Weg der Sparsamkeit gezwungen ({13}) und erklärten sich bereit, wenigstens einen größeren Teil der zusätzlichen Ausfälle durch Kürzungen zu decken. Hier standen Sie jedenfalls nicht in vorderster Reihe, als es um das Sparen ging. Auch in Ihrem eigenen Haus, dem Bundesfinanzministerium, gibt es - wenn ich an so manche Anzeigen und Vervielfältigungen denke - ja auch noch Möglichkeiten, den anderen Ressorts beispielhafte Sparsamkeit vorzuexerzieren. ({14}) Meine Damen und Herren, dies ist die bittere Wirklichkeit, zu der fünf Jahre sozialliberaler Wirtschafts- und Finanzpolitik geführt haben. Ohne Steuererhöhungen und/oder Ausgabenkürzungen geht es nicht mehr. Das ist nicht der Wunsch in den Köpfen und Herzen der Unionspolitiker, sondern die nüchterne Erkenntnis z. B. des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, ({15}) das sicherlich nicht in Verdacht steht, unbedingt der Opposition zuzuarbeiten. Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung glaubte, in Zeiten der Überbeschäftigung Vollbeschäftigungsgarantien geben zu müssen. Als es geboten war, maßzuhalten - ein Wort, das ja früher so arg verschrien war -, gab sie Reformen den Vorrang. In Zeiten steigender Inflationsraten verwies sie auf die Vollbeschäftigung. Die Bundesregierung lieferte mit der causa, dem Grund, stets auch das Alibi für das Scheitern ihrer Politik. Heute haben wir nun Inflation und Arbeitslosigkeit. Mit einer Mammutverschuldung hofft die Bundesregierung, genau die Probleme und Schwierigkeiten zu lösen, die durch die überzogenen Ansprüche des Staates entstanden sind. Mit einem konjunkturpolitisch motivierten deficit-spending hat das nichts zu tun. Die Erfolge und Gewinne, die man in den ersten Jahren im Übermaß genoß, werden heute sozialisiert. Die Sozialisierung erlangt in der öffentlichen Verschuldung des Jahres 1975 historische Dimensionen. Diese Rechnung kann für die Zukunft nicht aufgehen. Die Geschichte jedenfalls kennt keine Beispiele dafür, daß sich unter solchen Voraussetzungen gedeihliche Entwicklungen einstellen. Dem, was Cicero 55 vor Christus - ein schönes Zitat, Herr von Bülow, Sie kennen es -, ({16}) schon vor über 2000 Jahren gesagt hat, hätte ein aufgeschlossener Oppositionspolitiker unserer Tage nicht viel hinzuzufügen. ({17}) Damals forderte Cicero: Der Staatshaushalt muß ausgeglichen werden. Der Staatsschatz sollte wiederaufgefüllt werden. Die öffentlichen Schulden müssen verringert werden. ({18}) Die Arroganz der Behörden muß gemäßigt und kontrolliert werden. ({19}) Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen reduziert werden, wenn der Staat nicht bankrott gehen soll. ({20}) Meine Damen und Herren, die Ergebnisse einer Politik, die sich in diesem Haushalt widerspiegelt - und der Haushalt ist ja das Spiegelbild der Politik einer Regierung -, müssen allein diejenigen tragen, die diese Politik zu verantworten haben. Deshalb stimmen wir gegen diesen Haushalt. ({21}) Ich mache einen Absatz, weil das, was ich jetzt sagen möchte, nicht unbedingt zu meiner Rede gehört. Ich habe erstens im Auftrag meiner Fraktion, was sicherlich die beiden anderen Fraktionen auch tun werden, allen Mitarbeitern in unserem eigenen Hause, aber auch allen Mitarbeitern aus den Reihen der Regierung, die uns bei den Beratungen des Haushaltsausschusses unterstützt haben, zu danken. ({22}) Ich selber habe mich zweitens als Vorsitzender des Haushaltsausschusses bei meinen Kollegen, und zwar aus allen Fraktionen, zu bedanken, weil wir in einem einigermaßen erträglichen Klima einigermaßen sachliche Arbeit geleistet haben. ({23})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bülow. ({0})

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Haushalt 1975 zustimmen. ({0}) Die Zustimmung wird ihr um so leichter fallen, als es Ihnen in der zweitägigen Debatte kaum möglich war, im Detail oder insgesamt irgendeine Alternative aufzuweisen. ({1}) Man hatte draußen die Trompeten von Jericho erwartet. Was dann kam, waren, angefangen bei Franz Josef Strauß, merkwürdig gedämpfte Trommelklänge, die dazu führen sollten, die Reihen in der eigenen Fraktion wieder einigermaßen zu schließen. Es fiel auf, meine Herren von der Opposition, daß sich Herr Stoltenberg zum erstenmal die Gelegenheit nehmen ließt, in einer Haushaltsdebatte aufzutreten. ({2}) Dies muß ja irgendwelche Gründe haben. Ich vermute, daß er sich nicht in die Einheitsfront, die hier plötzlich unter der „Regenschirm"-Taktik aufgebaut wurde, einreihen wollte. ({3}) Dafür stand ein Edelmann, Herr von Weizsäcker, zur Verfügung, der uns großartige Ratschläge gegeben hat, u. a. den, daß der Bürger Maß zu halten habe, daß er sich in seinen Ansprüchen zurückzuhalten habe. Damit sind wir völlig einverstanden. Nur darf das natürlich nicht gleichzeitig wieder mit Forderungen verbunden werden, die zig Milliarden DM kosten. Dies hat er ebenfalls hier vorgetragen. Das Ganze hat einen wenig überzeugenden Eindruck gemacht, und wenn ich dann noch dazu-nehme, daß die erste Garnitur der Sozialausschüsse wie die Herren Katzer und Blüm hier auf dem Rednerpult beim Einzelplan 11 gefehlt hat, dann ist das ein bezeichnendes Bild von der Opposition und ihrer Geschlossenheit. ({4}) Ich will einige Worte zu Herrn Leicht sagen. Herr Leicht, Sie sind ein hervorragender und sehr sachlicher Ausschußvorsitzender. Das Zitat von Cicero kursiert ja nun seit einigen Jahren zu den Abschlußverhandlungen. ({5}) Cicero war ein großer Rhetoriker. ({6}) Mit der Praxis war es bei Cicero wesentlich schlechter bestellt. Ich wundere mich eigentlich, Herr Leicht, der Sie ja mal in diesem Geschäft des Finanzministeriums tätig waren, daß Sie die internationalen Zusammenhänge einfach total negieren wollen. ({7}) Es hat doch gar keinen Sinn, vor unserem Volk nun zu sagen, die Bundesrepublik gebe Währungskredite und würde damit der internationalen Inflation Vorschub leisten. In einem Land, in dem jeder vierte oder fünfte Arbeitsplatz davon abhängig ist, daß die Weltwirtschaft läuft, kann doch ein Staat, der die höchsten Währungsreserven der gesamten westlichen Welt angehäuft hat, seinen Partnern, die in Schwierigkeiten geraten sind, Hilfeleistung nicht vorenthalten. ({8}) Hier müssen wir im Interesse der Aufrechterhaltung unserer Arbeitsplätze und der Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaft den Partnern unter die Arme greifen. Wenn wir das nicht täten, wären diese Partner zu Gegenmaßnahmen gezwungen. Sie müßten sich sperren gegen die deutschen Exporte, und dies würde kräftig in unser Haus zurückschlagen. ({9}) Schauen Sie sich doch bitte die internationalen Veröffentlichungen von OECD an, für wie viele Monate die Devisenreserven von großen Industriestaaten heute noch reichen, nehmen Sie Großbritannien, nehmen Sie Frankreich, nehmen Sie Italien. Hierauf muß die deutsche Politik eine Antwort finden, und ich glaube, sie hat die angemessene Antwort darauf gefunden. Der Haushalt 1975 muß einer schwierigen wirtschaftlichen Ausgangslage gerecht werden, und ich glaube, er gibt die angemessene finanzielle Antwort auf diese Ausgangslage. Die Antiinflationspolitik der Bundesrepublik hat uns eine einsame Spitzenposition in der gesamten westlichen Welt verschafft. Das Preisniveau in der Bundesrepublik liegt an niedrigsten in der westlichen Welt. Wir haben das höchste oder annähernd höchste Lohnniveau der westlichen Welt. Wir haben das höchste Sozialniveau der westlichen Welt. Wir haben Gewerkschaften, die ihren Verantwortungen gerecht werden, ({10}) wie durch die letzten Tarifabschlüsse bewiesen wurde. Auch das ist wohl einmalig in der westlichen Welt, daß Gewerkschaften in dieser Art und Weise verantwortungsbewußt sich der wirtschaftlichen Lage anpassen. Wir sind natürlich von der Rezession der Weltwirtschaft berührt, von der starken Rezession in den Vereinigten Staaten und anderen Industrieländern. Wir selbst haben Problembranchen: Automobil und Bau. Und wir haben natürlich einen Strukturwandel in der Wirtschaft; das ist gar kein Zweifel, Herr Leicht. Aber das Problem ist doch, daß wir vor zehn oder fünfzehn Jahren einen zu niedrigen Wechselkurs der D-Mark gehabt haben mit der Folge, daß die Problematik der Anpassung der deutschen Wirtschaft erst viel zu spät erkannt und angepackt wurde, daß Kapazitäten bei uns aufgebaut worden sind, die langfristig hier in diesem Land gar nicht hätten aufgebaut werden dürfen. Ich glaube, daß der Haushalt die Schwerpunkte richtig gesetzt hat. Die soziale Sicherheit ist in erheblichem Umfang ausgebaut worden. Die Rentenversicherungssysteme werden Zuschüsse von 17 Milliarden DM erhalten, die Kriegsopferversorgung 10,8 Milliarden DM. Für die Arbeitslosenversicherung wird es einen Zuschuß bzw. Darlehen in Höhe von 3,2 Milliarden DM geben. Das Kindergeld in Höhe von 13 Milliarden DM steht zum erstenmal zu Buch. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben sich gestern in der zweiten Lesung merkwürdig verhalten. Sie haben begründet, warum Sie dem Einzelplan 14 - Verteidigung - zuzustimmen bereit sind. Das war eine Rede wert. Ein Wort darüber, warum Sie den Einzelplan 15 mit 13 Milliarden DM Kindergeldausgaben ablehnen, haben Sie nicht für notwendig befunden; darauf haben Sie nicht eine Minute verschwendet. ({11}) Die soziale Sicherheit -

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

O ja, gerne!

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege von Bülow, wenn Ihnen bekannt ist, daß über die Frage der Behandlung und Diskussion der Einzelpläne - also darüber, welche Einzelpläne nicht diskutiert werden sollen - innerhalb der Fraktionen Übereinstimmung erzielt ist, würden Sie dann dieses Argument zurücknehmen, daß man sozusagen in einer Sachwertung diese Frage behandelt hätte? ({0})

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Althammer, wir hatten eine verbundene Debatte zu den Einzelplänen 11 und 15, wenn ich mich recht erinnere, ({0}) und der Einzelplan 15 ist der Haushalt, in dem das Kindergeld ausgebracht ist. Sie haben hier viel gesprochen zu dem Einzelplan 11, ({1}) und zu dem Einzelplan 15 haben Sie kein Wort gesagt. Sie haben den Einzelplan 15 mit dem Kindergeld ohne Begründung abgelehnt, aber Sie haben dargelegt, warum Sie dem Verteidigungshaushalt zustimmen. Dies ist eine völlig unangemessene Art der Darstellung der Opposition. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausgaben des Bundes für die soziale Sicherheit übersteigen in diesem Jahr 50 Milliarden DM. Sie müssen in Vergleich gesetzt werden zu den Ausgaben für die äußere Sicherheit, die Verteidigung, die etwa 30 Milliarden DM umfassen. Ich glaube, daß dieses Netz der sozialen Absicherung ungeheuer wichtig ist in einem Zeitpunkt, wo die Wirtschaft mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat und Einzelschicksale abgefedert werden müssen gegen diese Strukturveränderung in der Wirtschaft. Wir denken nicht daran, dieses Netz der sozialen Sicherung, das diesen Prozeß überhaupt erst ermöglicht und ihn sinnvoll ablaufen läßt, abzubauen, wie das in vielen Kommentaren im Augenblick gefordert wird. Wir haben im Laufe der Jahre einen kontinuierlichen Ausbau unserer Schwerpunkte erzielt: Für die soziale Sicherheit wurden 1969 24,8 Milliarden DM, 1975 werden mehr als 50 Milliarden DM ausgegeben. ({3}) Die wissenschaftlichen Hochschulen wurden im Jahre 1969 mit 714 Millionen DM gefördert, im Jahre 1975 sind es 1,5 Milliarden DM. Die Ausbildungsförderung stand im Jahre 1969 mit 120 Millionen DM zu Buch, 1975 erreicht sie 2,3 Milliarden DM. Der Ansatz für die Forschung außerhalb der Hochschulen - wichtig für die Aufrechterhaltung unserer Spitzenstellung unter den westlichen Industrienationen - ist von 1,6 Milliarden DM auf 4,3 Milliarden DM im Jahre 1975 gestiegen. Zur Energieversorgung ist gestern von meinem Kollegen Kulawig gesagt worden, daß zum erstenmal das Erdölbevorratungsprogramm intensiv mit Mitteln versehen wird. Herr Leicht und auch die Vorredner in der Debatte haben sich wiederum mit dem schönen Thema „Investitionen - gut, Konsumtion - schlecht" befaßt und die Staatsausgaben in gute und schlechte eingeteilt. Da muß man zunächst einmal darauf hinweisen, wie unsinnig die internationale Finanzstatistik ist. Wenn Sie für den Bundesgrenzschutz einen Hubschrauber kaufen, dann ist das eine Investition. Wenn Sie für die Bundeswehr eine Boeing 707 für einige zig Millionen DM kaufen, die die Truppen von Köln-Wahn zur Ausbildung nach Texas fliegt, dann ist das eine konsumtive Ausgabe. Wenn Sie der Bundesanstalt für Arbeit ein Darlehen geben, dann ist das eine investive Ausgabe nach der internationalen Finanzstatistik. Wenn Sie der Bundesanstalt für Arbeit einen Zuschuß geben, dann ist es eine konsumtive Ausgabe. Wenn Sie für die Zollbeamten eine Unterkunftsmöglichkeit schaffen, dann ist es eine investive Ausgabe nach dieser Statistik, und wenn Sie für die Bundeswehr eine Hochschule bauen, dann ist es eine konsumtive Ausgabe. So ist die Festlegung der internationalen Finanzstatistik. Dies müßte man eigentlich erst einmal überarbeiten, um wirklich feststellen zu können: Was ist am Bundeshaushalt investiv und was ist konsumtiv? Und dann ist festzustellen, Herr Leicht, daß wir seit den sechziger Jahren eine sinkende Tendenz der investiven Ausgaben im Bundeshaushalt haben. Das ist schon unter Franz Josef Strauß als Finanzminister so gewesen. Nun kann man das natürlich beklagen, aber ich glaube, daß eine starke Zwangsläufigkeit dahintersteckt. Wir müssen uns ja alle die Frage stellen, ob in den nächsten 20 Jahren auf all den Feldern, in denen in den letzten 20 Jahren investiert worden ist, überhaupt ähnliche Investitionsraten aufgebracht werden müssen. Werden wir in den nächsten 20 Jahren Bauinvestitionen für die öffentliche Hand in demselben Umfang betreiben wie in den letzten 20 Jahren, z. B. im Schulbau? Werden wir 20 Jahre lang fortfahren können, jedes Jahr drei neue Hochschulen mit der Kapazität der Bonner Universität zu erstellen, oder wird es da nicht irgendwann einen Sättigungsgrad geben? ({4}) Dasselbe ist bei nicht schrumpfenden, aber doch stagnierenden Bevölkerungszahlen hinsichtlich des Straßenbaus, des Kindergartenbaus, des Schulbaus - also hinsichtlich dessen, was man zu den investiven Ausgaben zählt - zu fragen. Das wird wahrscheinlich noch 5, 6, 7, 8 Jahre einer starken Ausweitung unterliegen, dann aber sicher in eine noch stärker abflachende Kurve hineingehen. Dann werden die konsumtiven Ausgaben im Vordergrund stehen, nämlich die Personalkosten der Universitäten, das Einstellen von Kindergärtnerinnen, das Einstellen und die Besoldung von Lehrerpersonal. Ich bin also der Meinung, daß die Infrastruktur wahrscheinlich mit Ablauf dieses Jahrzehnts und zu Beginn des nächsten Jahrzehnts bei stagnierenden Bevölkerungszahlen weitgehend abgeschlossen sein wird; dann werden andere Aufgaben an ihre Stelle treten. Aber ich glaube, daß man auf keinen Fall mit Kategorien wie „Investiv ist gut, konsumtiv ist schlecht" an den Bundeshaushalt herantreten kann. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch schnell etwas zur Personalentwicklung sagen, weil das in der öffentlichen Diskussion untergeht. Die Bemühungen des Haushaltsausschusses sind seit Jahren darauf gerichtet, die Personalsituation des Bundes nicht durch Einstellung von mehr Personal zu erschweren. Wir haben dies zusammen mit dem Finanzministerium und der Bundesregierung erreicht. Der Haushaltsausschuß hat seit 1971 eine sehr konsequente Haltung eingenommen mit der Forderung an die Regierung: keine Ausweitung der Stellen unter dem Strich. Es gibt zwar neue Aufgaben, für die zweifellos Personal vorgesehen werden muß - etwa für die innere Sicherheit, den Ausbau des Bundeskriminalamtes, den Ausbau des Bundesgrenzschutzes, den Ausbau des Bundeskartellamtes, den Ausbau des Bundesgesundheitsamtes -, aber die Forderung des Haushaltsausschusses ist, daß für jede neue Stelle eine Stelle an anderer Stelle wieder eingespart werden muß. Das hat dazu geführt, daß wir, mit Ablauf des Jahres 1975, auf den Stellenbestand von 1973 zurückfallen werden. ({5}) Wir werden gegen Ende dieses Jahres eine Reduzierung um 500 Stellen erhalten. Dies ist ein wichtiger Hinweis und auch ein gewisses Erfolgserlebnis für diesen Ausschuß, zeigt es doch, daß, wenn man den Deckel zuhält, die internen Rationalisierungsmöglichkeiten mobilisiert werden. Wenn immer der Weg des geringsten Widerstandes gegangen wird, wird der Personalbestand ausgeweitet. Wenn von einem Ausschuß und vom Parlament Nein gesagt wird, dann regen sich auch in den Ministerien die Kräfte, die auf eine Rationalisierung drängen. Meine Damen und Herren von der Opposition, vor allen Dingen die aus dem Forschungs- und Technologieausschuß der Opposition: Ich kann nur dringend davor warnen, mit diesen ständigen Anfragen fortzufahren, warum der Siemens AG für die Erforschung von Zahnersatz 500 000 DM gegeben worden sind, warum der Firma XYZ für die Entwicklung irgendeines Apparats oder eines Verfahrens Geld gegeben worden ist. Wenn Sie solche Sachen in der Plenarsitzung fragen, dann können Sie sich nicht wundern, daß Beamte tagelang darüber sitzen müssen, um die Anfragen zu beantworten. Dann kommen wir nämlich letztlich dazu, daß für diese Anfragen extra Personal bewilligt werden muß. ({6}) - Herr Stücklen, Sie können fragen, so viel Sie wollen, nur kommt es darauf an, den gesunden Menschenverstand walten zu lassen. ({7}) - Herr Rawe, schauen Sie sich doch einmal an, was die Genossen Lenzer und Anhänger hier ständig einbringen, schauen Sie sich das einmal mit nüchternem Sachverstand an! Das trägt manchmal fast so zur Erheiterung bei, wie das, was in der EWG hinsichtlich des Lärmschutzes vor Traktoren bestimmt wird. Ich würde sagen: Prüfen Sie das und weisen Sie das in die Ausschußarbeit zurück. Es kann da nämlich sehr viel im Ausschuß erledigt werden, so daß es hier nicht über die Plenardebatten laufen muß. Jetzt, Herr Leicht, noch einiges zur Schuldenaufnahme. Die Schuldenaufnahme 1975 ist heiß umkämpft. 22,8 Milliarden DM sind ein stattlicher Betrag, doppelt soviel wie im Jahre 1974. Es sind freilich natürlich nicht die 60 Milliarden DM, die Sie uns in der öffentlichen Diskussion draußen immer an die Beine hängen wollen. Bund, Länder, Gemeinden und dann noch die Wirtschaftsunternehmen des Bundes, Bundesbahn und Bundespost, all das wird dann zusammengerechnet zu einem Globalschreckgemälde aufgebauscht. Das ist nicht die Zahl, die der Bund an Schuldenaufnahme einstellt. Nun, 22,8 Milliarden DM sind immerhin doppelt soviel wie 1974. Wir hatten Jahre der äußerst geringen und sparsamen Kreditaufnahme. Wir haben in den letzten Jahren nicht nur jeweils weniger Kredite aufgenommen, als vorausgesehen und auch in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war, sondern auch noch Rücklagen bei der Bundesbank gebildet. Man muß sich diese Kreditaufnahme von 22,8 Milliarden DM auch einmal genauer anschauen. Da sind 8,3 Milliarden DM, die auf die Steuermindereinnahmen auf Grund der konjunkturellen Entwicklung zurückzuführen sind. Diese konjunkturelle Entwicklung würde, so viel Sie auch immer reden mögen, bei Ihnen genauso zu Buche schlagen, wie sie bei uns zu Buche schlägt. Die Rezession, die aus den internationalen Zusammenhängen auf uns zukommt, können wir nicht auffangen. Diese 8,3 Milliarden DM fehlen im Haushalt, und sie können nicht à la Brüning durch Einsparungen ersetzt werden. Hier muß vielmehr voll durch Kredite durchfinanziert werden. ({8}) Weitere 7,2 Milliarden DM sind Folge der Steuerreform. Wir Haushaltspolitiker haben - das müssen wir ehrlich zugestehen - die Diskussion um die Steuerreform mit etwas beklemmten Herzen verfolgt. Aber alle führenden Finanzpolitiker von Bund und Ländern - einschließlich Franz Josef Strauß, einschließlich Herrn Kohl, einschließlich Herr Stoltenberg, einschließlich Herrn Gaddum - waren der Meinung, diese 14 Milliarden DM, die den öffentlichen Kassen fehlen, seien zu verkraften. Und nun kann ich ja nicht unterstellen, daß diese Finanzexperten, die dort zusammengesessen haben, der Meinung gewesen sein könnten, sie würden ad hoc innerhalb von zwölf Monaten 14 Milliarden DM aus den öffentlichen Haushalten herausschneiden können. Wenn diese Möglichkeit gegeben wäre, hätten wir eine Verschwendungswirtschaft sondergleichen. Dies ist einfach nicht möglich, und deswegen müssen auch Sie diese 7,2 Milliarden DM Mindereinnahmen auf Grund der Steuerreform voll und ganz mittragen. Hinzu kommt noch die Neuverteilung der Umsatzsteuer. Wir haben 2,8 Milliarden DM an Steueranteilen an die Länder abgegeben. Dies alles zusammen macht 18,3 Milliarden DM von diesen 22,8 Milliarden DM aus, und lediglich der Rest von 4,5 Milliarden DM ist das, was an realer Verschuldung - bereinigt um die Steuerreform, bereinigt um die Rezession - vorhanden ist. Und nun können Sie reden, was Sie wollen, Sie finden in der Bundesrepublik praktisch keinen Sachverständigen, der nicht der Meinung wäre, daß diese Verschuldung im Augenblick voll angemessen, ja sogar notwendig ist, um die Wirtschaft auf vollen Touren zu halten, um Arbeitsplätze aufrechtzuerhalten. Ich glaube also, daß man gegen eine Verschuldung in dieser Höhe in diesem Jahr sicher nichts einwenden kann. Nun haben Sie, Herr Leicht, behauptet, es gebe eine Übernachfrage nach Kapital. Das Gegenteil ist der Fall; es ist eine Übermenge von Kapital am Markt. Von daher ist es nur angemessen, daß das, was unsere Bürger im Augenblick sparen - sie sparen ja mehr als je zuvor; die Sparquote liegt bei 15 °/o, das zeigt ein hohes Vertrauen in den Bestand der Deutschen Mark - ({9}) - Herr Zeitel, wenn das anders wäre, wenn die Sparquote auf 11 % herunterginge, würden Sie hier heraufkommen und erzählen: kein Vertrauen mehr in die Deutsche Mark. Das wäre sofort Ihre Schlußfolgerung! ({10}) Das ist doch alles so billig, was von Ihnen hier vorgetragen wird. 15 % des Einkommens werden gespart. Dieses Geld steht zur Verfügung, und es ist sinnvoll, daß es in den Kreislauf zurückgeführt wird. ({11}) - Ja, warum einer spart, auf den nächsten Eisschrank oder auf das nächste Auto oder ob er ein Haus bauen will, das ist doch seine Sache, das ist doch ein normaler Sparvorgang. Ich frage doch nicht jeden einzelnen Sparer, wofür er spart. ({12}) Meine Damen und Herren, jetzt noch zu den internationalen Vergleichen. Ich wollte das eigentlich nicht mehr bringen, weil es genügend erörtert worden ist, aber noch einmal zum Vergleich. Die Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland ist extrem gering. ({13}) Die Schuld der Bundesrepublik besteht in 59 % eines einjährigen Haushalts. Im Vergleich dazu hat die Schweiz 100 % - einen vollen Haushalt -, Großbritannien hat 196 %, die USA haben 161 % eines Jahreshaushalts. Bruttosozialprodukt: die Bundesrepublik hat Schulden, die etwa 18 % des Bruttosozialprodukts ausmachen, die Schweiz 24 %, die USA 54 %, Großbritannien 74 %. Wenn Sie sagen, der Sezessionskrieg sei über die Schuldenaufnahme finanziert worden: daran kann man sehen, daß man Finanzpolitik durchaus sehr langfristig betreiben kann, Herr Leicht. ({14}) - Na ja, ein anderes System, gut, das ist die neue Masche. Pro Kopf der Bevölkerung sieht es doch ähnlich aus: Schuldenlast pro Kopf der Bevölkerung in der Bundesrepublik 2 676, Spitzenreiter USA 8 307, Schweiz 4 057. Jetzt können Sie sagen: gut, das Beispiel Frankreich! Das Beispiel Frankreich beweist, daß man auch besser sein kann. Zugegeben, die haben um einige Prozentpunkte bessere Zahlen als wir. Aber bitte, fahren Sie durch Frankreich mit offenen Augen! Dann werden Sie sehen, was dort an Infrastruktur fehlt außerhalb des Ballungszentrums Paris. ({15}) Und dann bitte ich Sie, auch einmal die Diskussion zu verfolgen, die mindestens seit 50 Jahren in Frankreich anhält, wie man die Provinz Frankreichs durch Infrastrukturmaßnahmen so aufrüstet, daß dort ein modernes Industriesystem möglich ist. Ich bin der Meinung, daß die Bundesrepublik über ein Infrastruktursystem verfügt, das seinesgleichen in der Welt sucht. ({16}) Herr Leicht, ein weiteres Beispiel: nehmen Sie die Postversorgung, Telefonversorgung Frankreichs. Die Firmen gehen aus dem Pariser Raum deshalb nicht heraus, weil sie z. B. in der Bretagne keine Telefonanschlüsse bekommen und ihre Telefonate nicht führen können. Das sind doch alles Beweise dafür, daß Sie eine hochmoderne Infrastruktur und ein entsprechendes Kommunikationsnetz errichten müssen, wenn Sie ein moderner Industriestaat sein wollen, der über die Provinzen hinweg gleichmäßige Einkommensmöglichkeiten schafft. ({17}) - Herr Stücklen? ({18}) - Nein, nein. Telefon erfunden, das wird hier nicht behauptet, nur, daß man Telefon haben muß heutzutage. Nun die große Furcht vor 1976, das Finanzchaos, Steuererhöhungen, Abbau der Sozialleistungen. Das ist das Thema, das Horrorgemälde, das nach dem alten Rezept vorgeführt worden ist. Ich kann nur warnen vor den falschen Propheten der Opposition. Herr Strauß, teilweise auch Herr Leicht haben in den vergangenen Jahren Ankündigungen noch und noch zu Deckungslücken des Haushalts gemacht. 1971 Deckungslücke 6,5 Milliarden DM, so die Behauptung. Das tatsächliche Ergebnis war eine Dekkungslücke von 1,4 Milliarden DM; wir haben also für 1,4 Milliarden DM Kredite aufgenommen im Jahre 1971. Irrtumsquote 400 N. 1972 haben Sie vorausgesagt: 10 bis 12 Milliarden Deckungslücke; tatsächlich: 3,9 Milliarden DM; Fehlerquote 300 N. 1974 17 bis 18 Milliarden DM, tatsächlich: 9,4 Milliarden; Fehlerquote der Schätzungen der Oppositionspolitiker 200 %. Ich gebe Ihnen ja gern zu, Herr Leicht, daß die Fehlerquote leicht zurückgeht - von 400 auf 200 % -, aber 200 % ist immer noch eine beachtliche Zahl. ({19}) Man sollte also auf die Schockgemälde der Opposition nicht ohne weiteres hereinfallen. Gleichwohl, wir geben zu, daß auch wir Sorgen haben mit der Finanzentwicklung. ({20}) Die Steuerreform wird uns dazu zwingen, Sparsamkeit auf viele Jahre zu betreiben, und zwar sehr energisch zu betreiben. Die knappen Kassen haben große Nachteile, kein Zweifel, für Politiker allemal. Aber sie erzwingen und können erzwingen eine Rationalisierung im gesamten öffentlichen Bereich, und die ist dringend notwendig. Die Zuwächse bei allen Leistungen werden geringer werden. Wir sollten aber nicht darangehen, die Grundsätze unseres Sozialstaates anzutasten. Ich sagte schon: Sie sind Voraussetzungen unserer wirtschaftlichen Stärke, sie sind Voraussetzung einer Anpassung der Strukturen an die modernen Notwendigkeiten. Wir sollten allerdings auch an die Bürger appellieren, dieses Sozialsystem verantwortungsbewußt und sparsam zu nutzen. Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Die Opposition hat keine Alternative gezeigt. Ich glaube deshalb, daß wir dem Haushalt 1975 ohne weiteres zustimmen können. Die SPD wird diese Zustimmung geben. ({21})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Herr Abgeordneter Kirst.

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst mich dem Dank anschließen, den Herr Kollege Leicht, wie er es selbst gekennzeichnet hat, im Anhang hier vielfach ausgesprochen hat. Ich glaube, ich darf diesen Dank erweitern, sicher mit Zustimmung aller Seiten, indem ich auch Ihnen persönlich, Herr Leicht, als dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses hier den Dank für Ihre Arbeit ausspreche. ({0}) Aber ich glaube - auch da werden wir noch übereinstimmen; bald wird es kontrovers -, daß man diesen Dank bei der dritten Lesung eines Haushalts, der trotz hoher Kreditaufnahme noch zu über 80 % aus Steuermitteln finanziert wird, auch an die Steuerzahler aussprechen sollte, die diese Steuern aufbringen, und sicher auch an die Sparer, die die Voraussetzungen für die Kreditaufnahme schaffen. ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sehe meine Aufgabe heute einmal mehr darin - zumal ich Sie heute nicht mit allzuviel Zahlen belästigen will, obwohl das in der Haushaltsdebatte sicherlich nötig ist; ich tue es ja sonst auch -, ein gewisses Fazit dieser zweitägigen Redeschlacht um den Etat 1975 zu ziehen. Da darf man doch wohl die Frage stellen: Was war in dieser Auseinandersetzung der Beitrag der verehrten Kollegen der Opposition? Man kann dies in zwei Punkten zusammenfassen. Es kamen keine brauchbaren und keine konkreten Alternativen, wobei unser Erwartungshorizont nicht nur wegen Sonthofen, sondern aus der Erfahrung der letzten Jahre sicherlich schon sehr gering angesetzt war. ({2}) Es klang aber trotz einer gewissen Zurückhaltung in dieser Hinsicht natürlich immer wieder auch das alte erprobte Hexeneinmaleins durch. Es ist dieses Jahr nicht so überkultiviert worden wie sonst. ({3}) - Der ist heute nicht an der Reihe, Herr Althammer. - Es kommt darin zum Ausdruck, daß man überall im einzelnen beklagt, es geschehe zu wenig, aber insgesamt werde natürlich zuviel Geld ausgegeben, daß man selber natürlich mehr Geld und besser ausgeben könne, allerdings mit weniger Steuern und weniger Krediten. Das ist doch so ungefähr die finanzpolitische Linie, auch wenn ich es über viele Jahre sehe. Meine Damen und Herren, wichtiger scheint mir die Feststellung zu sein, daß die Opposition mit einer zugegebenermaßen ungeheuren Variationsbreite personell und argumentativ - in unterschiedlicher Qualität - das Horrorgemälde einer einmal vom Staatsbankrott schon erfaßten oder zumindest bedrohten und zum anderen - hier hat sich der Kollege Carstens besonders hervorgetan - einer auf dem unaufhaltsamen Marsch in den finsteren Sozialismus befindlichen Bundesrepublik zu zeichnen. Das waren so ungefähr die Konturen, die die Opposition von diesem Staat gezeichnet hat. ({4}) Gelungen ist ihr dabei - und Sie waren ja auch ein bißchen daran beteiligt, Kollege Schröder - allenfalls ein Vexierbild ohne Lösung, mehr nicht. ({5}) Man muß der oppositionellen Führung - und ich unterscheide hier einmal zwischen Führung und Gefolgschaft ({6}) eigentlich sehr großen Mut zum Risiko bescheinigen, in dieser Prophetie kurz-, mittel- und langfristig von der Geschichte ad absurdum geführt zu werden. ({7}) Dieser Mut, wenn er nicht der Mut der Verzweiflung ist, ist sicherlich bewundernswert. Ich will allerdings einräumen - man macht ja über die Zeit so seine Beobachtungen, und deshalb die Unterscheidung zwischen Führungsgruppe und Fußvolk -, daß ich beim Fußvolk der Opposition, ich würde sagen: Anzeichen einer erfolgreichen Indoktrination durch die eigene Führungsgruppe in dieser Hinsicht feststellen konnte. Meine Damen und Herren, nun zunächst zum finanzpolitischen Aspekt der Debatte. Ich komme auf das andere auch noch zurück. Hätten wir hier einen Computer, der objektiv nach vorgegebenen eingespeicherten Daten diese Debatte auszuwerten hätte, müßte doch das Ergebnis einer solchen Auswertung sein, daß die Opposition die Argumente von Regierung und Koalition in dieser finanzpolitischen Debatte - und ich rechne in aller Unbescheidenheit auch meine eigenen Ausführungen von vorgestern, die dazu sehr ausführlich waren, dazu - in keiner Weise hat widerlegen können, auch nicht jetzt zuletzt der Kollege Leicht. ({8}) Ich will aber, Kollege Schröder, versuchen, ein bißchen dazu beizutragen, daß wir gemeinsam die Schwierigkeiten dieser Debattenführung sehen. Die Opposition erschwert die Debatte dadurch, daß sie, was sicher ihr gutes Recht ist - ich frage mich nur, ob es zur Klarheit beiträgt -, drei Dinge in der Debatte miteinander vermengt: die Analyse der Lage, die Schlußfolgerungen für die Zukunft und die Schuldfrage. Weil sie falsche Schlußfolgerungen, Prophezeihungen und falsche Schuldzumessungen mehr noch als die Analyse in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt, fällt das, was sie sicher auch an richtiger Analyse bringt, unter den Tisch. Das zerstört die Chance einer gemeinsamen Bestandsaufnahme einer gewiß nicht einfachen Lage. ({9}) Diese Methode dient auch nicht dem Interesse unserer Bevölkerung und der Öffentlichkeit. Trotzdem, jenseits der unbewiesenen Prophetie und der unbewiesenen Schuldvorwürfe der Opposition, glaube ich, hat der Bundestag doch unseren Bürgern und Verbänden - und ich nenne hier nicht nur den einzelnen, sondern auch die Gruppen, in denen er sich organisiert - gemeinsam mit der Regierung in dieser Woche den Eindruck vermittelt, daß jetzt nicht die Zeit neuer oder gestiegener alter Ansprüche an diesen Staat ist. Das sollte, glaube ich, ein gemeinsames Ergebnis dieser Debatte sein. ({10}) Wir, die Koalition, können darüber hinaus feststellen, daß auch kein Zweifel der Bürger in die Bonität dieses Staates erlaubt ist. Lassen Sie mich an diesem Punkt ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Leicht machen. Ich will nicht unbedingt sagen, daß sich zumindest in wenigen Passagen Ihrer Ausführungen das selbst angeführte Gespräch mit Herrn Strauß ausgewirkt hat. Ich hatte nur den Eindruck, daß in der dritten Lesung vor einem Jahr Ihre Rede noch mehr Boden zu gemeinsamer Betrachtung geboten hat, als das heute der Fall war. Herr Kollege Leicht, Sie haben behauptet, wir hätten in fünf Jahren zwölfmal die Steuern erhöht. Sie haben das hier im einzelnen nicht bewiesen. ({11}) Ich erinnere mich an eine massive Steuererhöhung; das war im Jahre 1972 und betraf Zigaretten, Branntwein und Mineralöl. Nur, Kollege Leicht: Warum haben wir das denn damals gemacht - das muß man doch korrekterweise hinzufügen -? Nicht wegen der angeblichen Mißwirtschaft der Regierung, sondern weil wir den Ländern fünf Punkte mehr an der Mehrwertsteuer anräumen mußten. Das war doch der Zusammenhang. ({12}) Sie haben gesagt, wir hätten die Inflation verharmlost, und Sie haben darüber hinaus hinzugefügt, wir hätten sie - zumindest - nicht bekämpft. Da muß ich nur sagen: Wer das behauptet, hat fünf Jahre geschlafen! ({13}) Sie haben richtigerweise, Kollege Leicht, auch noch einmal den Zeitpunkt Frühjahr 1973 angesprochen. ({14}) - Insoweit nicht, Kollege Leicht. - Auch das war leider unvollständig. Ich habe am Mittwoch hier sehr deutlich gemacht, warum erst ab Frühjahr 1973 eine erfolgreiche Bekämpfung des Preisanstiegs möglich war. Dabei haben wir nie mehr als eine Tendenzwende versprochen; Sie werden sich an das alles erinnern. Das muß man dabei auch sehen. Es ist nun wirklich abwegig, den übersteigerten Staatskonsum, zu dessen wirkungsvoller konkreter Einschränkung Anträge der Opposition in den letzten fünf Jahren nicht vorgelegen haben - ich wiederhole: zu dessen wirkungsvoller konkreter Einschränkung. Sie haben ein paar Titel bei der Öffentlichkeitsarbeit einschränken wollen, das war immer die wesentliche Substanz, oder Sie haben Ansätze kürzen wollen, bei denen die Ausgaben von Gesetzen und Verpflichtungen vertraglicher Art abhängen zur Ursache der Arbeitslosigkeit zu erheben. Das ist eine kühne Behauptung ohne jede Beweiskraft. Wir haben in den letzten Tagen hier darüber gesprochen. Sie haben dabei - ich sage das, damit ich Sie nicht falsch zitiere - insbesondere auf die strukturelle Arbeitslosigkeit abgehoben. Sicher haben Sie damit etwas Richtiges angesprochen, daß nämlich ungelöste strukturelle Probleme die konjunkturellen Ausschläge in jeder Phase - gleichgültig ob es nach oben oder nach unten geht - verstärken. Ich frage Sie nur: Warum sind in diesem Lande zum Teil 20 Jahre lang strukturelle Probleme nicht gelöst worden? ({15}) Das ist die eine Seite. ({16}) Ich füge gleich hinzu, verehrter Kollege Katzer: Es gibt ja auch vieles, was man gar nicht staatlicher Verantwortung zuordnen kann, also weder dieser Regierung noch ihren Vorgängern vor 1969. Ich sage dies, weil ich mir selbst nicht untreu werden will in meiner Behauptung, die ich für richtig halte, daß für wirtschaftliche Abläufe in unserer Marktordnung die wirtschaftlichen EntscheiKirst dungen viel, viel wichtiger sind als staatliche Eingriffe. Insofern gilt dies nur begrenzt. Nehmen Sie einmal die Kraftfahrzeugwirtschaft, die Bauwirtschaft. Dort kann man wirklich nicht von staatlichen Fehlentscheidungen sprechen, soweit aus dort vorhandenen Absatzschwierigkeiten als Folge von Fehleinschätzungen der Entwicklungen strukturelle Probleme entstanden sind. Herr Leicht, ich möchte nun ganz kurz noch ein paar Worte zur Kreditaufnahme sagen. Die Bundesbank hat gestern durch den Mund von Herrn Klasen noch einmal ganz ausdrücklich erklärt, daß sie diese Kreditaufnahme für richtig hält. Wer meinte, in den vergangenen Jahren - wenn auch zu Unrecht - immer die Bundesbank gegen die Bundesregierung ausspielen zu können und zu sollen, sollte auch jetzt einmal auf die Bundesbank hören, auch wenn es ihm vielleicht nicht so in den Kram paßt. ({17}) Herr Leicht, Sie haben hier die Frage gestellt: Wofür? Ich bin dem Kollegen von Bülow dankbar dafür, daß er hier einige sehr plastische Beispiele gebracht hat. Ich finde es ebenfalls grotesk, daß die gesetzlichen Regelungen nun einmal so sind, daß die Darlehen an die Bundesanstalt für Arbeit als investive Ausgaben gewertet werden, daß in dieser Staatsverbrauchsrechnung aber - ich fasse einmal zusammen, damit man auch eine Größenvorstellung hat; Sie kennen die Zahlen - 11 Milliarden DM - das sind 50 % der gesamten Nettokreditaufnahme - für Beschaffungen für die Bundeswehr als konsumtive Ausgaben gewertet werden. Da stimmt irgend etwas nicht. Herr Kollege Leicht, Sie haben auch noch den Vergleich zwischen 1949 und 1969 gebracht. Das sieht - entschuldigen Sie! - sehr nach einer Milchmädchenrechnung aus; denn über solche Zeiträume kann man natürlich nicht mit absoluten Zahlen argumentieren. Ich habe die Zahlen jetzt nicht nachsehen können; aber wer 1949 am Anfang mit dabei war, wird mir sicher bestätigen, daß meine Erinnerung richtig ist, daß der erste Bundeshaushalt ein Volumen in der Größenordnung von zirka 13 Milliarden DM gehabt hat. Heute hat der Bundeshaushalt ein Volumen von 155, 156 Milliarden DM. Das ist fast das Zwölffache. Das muß man doch bei solchen Berechnungen berücksichtigen. Selbst in den Jahren 1969, 1970 war der Bundeshaushalt ja schon auf 90, 100 Milliarden DM angewachsen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht? - Bitte sehr!

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nur damit die Milchmädchenrechnung nicht Milchmädchenrechnung bleibt: Geben Sie auch zu, daß die Verschuldung am Anfang der 50er Jahre zum Teil bedeutend höher war als das Volumen der Bundeshaushalte?

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das kann ich im Moment aus dem Kopf nicht beurteilen. Hier spielen natürlich die Umstände eine Rolle. ({0}) - Ja, durch die Ausgleichsforderungen. Vielen Dank für den Hinweis! Es geht darum, daß hier falsche Dimensionen aufstellen, wenn Sie behaupten, wir würden in einem Jahr mehr Schulden machen als in 20 Jahren zuvor. Dies stimmt doch gar nicht. Ich habe Ihnen am Mittwoch doch die Zahlen vorgelegt, die ausweisen, daß Sie - es gab damals zwar eine große Koalition, aber Herr Strauß war Finanzminister - allein in den Jahren 1967 und 1968 zusammen 12 Milliarden DM Schulden gemacht haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine der Standardfragen war und ist in dieser Debatte: Was wird 1976? Nun kann man diese Frage rhetorisch natürlich vielfach deuten. Ich habe manchmal den Verdacht, daß die Hartnäckigkeit, mit der die Opposition gerade diese Frage stellt, auch ein gewisses Maß an Ablenkung von der Frage bedeutet, die wir und die Öffentlichkeit zu Recht an die Opposition stellen, welche, wenn schon nicht sachliche, so doch personelle Alternative sie 1976 einer erstaunten deutschen Öffentlichkeit zu präsentieren hat. Nur ist doch der Unterschied der: Das Warten auf den Kanzlerkandidaten - vielleicht wollen Sie ja gelegentlich noch Fristverlängerung haben - ist Folge politischer Unfähigkeit der Opposition. ({1}) Interessant ist die Beurteilung, die Herr Strauß - gestern abend war es wohl - im Fernsehen dem Herrn Kohl hat zuteil werden lassen, indem er ihm bescheinigt, daß er, weil er nicht im Bundestag sitzt, zuwenig weiß, um es auf eine kurze Formel zu bringen. Aber ich sagte: Das ist politische Unfähigkeit, während das nötige Warten auf eine neue Finanzplanung Folge objektiver Unmöglichkeit ist, wie sie hier vom Finanzminister und von Sprechern der Koalition hinreichend dargelegt worden ist. Kollege Althammer, wenn ich Ihre Einlassung von gestern in Erinnerung zurückrufen darf: Sie möchten eigentlich jeden Morgen zum Frühstück eine neue Finanzplanung haben. So muß man doch Ihre Äußerung interpretieren. Es ist sicherlich unbestritten - das hat niemand von uns bestritten und bestreitet auch niemand -, daß die vorhandene Finanzplanung, die mit dem Haushalt 1975 erarbeitet wurde, mehr oder weniger weitgehend überholt ist. Nur, Kollege Althammer, Sie sollten das doch wissen: Wenn schon der Haushalt eine Momentaufnahme ist, um wieviel mehr ist das dann in der Relation für den Zeitraum, für den sie gilt, die mittelfristige Finanzplanung bzw. die Finanzplanung überhaupt. ({2}) - Sofort. - Und je dynamischer die Zeitläufe sind - daß wir dynamische Zeitläufte haben, darüber gibt es auch keinen Zweifel -, um so mehr trifft diese Kennzeichnung für die Planung zu; das nicht zuletzt deshalb, weil die Entwicklung, was wir sicherlich gemeinsam nicht beklagen, eben nicht programmiert werden kann, sondern von Menschen - nebenbei: in weltweiter Abhängigkeit - gestaltet wird. Deshalb läßt sich das alles nicht so prognostizieren.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr!

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kirst, wenn wir uns beide einig sind, daß von der mittelfristigen Finanzplanung aus dem August 1974 keine einzige Zahl mehr stimmt, frage ich Sie: Welchen Sinn soll dann § 10 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung haben, der in einem solchen Fall ausdrücklich eine Aktualisierung vorschreibt? ({0})

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Althammer, ich möchte mit dem Haushalt 1976 eine Finanzplanung haben, die dann noch stimmt, und nicht jetzt eine Zwischenplanung, die dann vielleicht auch schon nicht mehr stimmt; ganz abgesehen davon, daß, wie hinreichend dargelegt worden ist, gerade im Augenblick - im Augenblick einer wirtschaftlichen Trendwende, wie wir annehmen und hoffen - die Einschätzung der Daten außerordentlich schwierig ist und in einigen Wochen und Monaten sicherlich besser möglich sein wird. Kollege Althammer, ich habe sicher überzeichnet, wenn ich sagte: jeden Morgen zum Frühstück eine Finanzplanung. Aber bitte, bedenken Sie auch - Sie sind immer so für Sparsamkeit -, welcher Aufwand mit einer außerturnusmäßigen Aufstellung einer solchen Planung verbunden wäre. Ich darf noch einmal sagen: Wir müssen immer davon ausgehen, daß die Möglichkeiten, Entwicklungen zu prognostizieren und zu quantifizieren, außerordentlich begrenzt sind. Und ist es nicht eigentlich etwas merkwürdig, Herr Althammer, daß sich diese Planungsgläubigkeit und diese Überforderung an die Planungsqualität nun ausgerechnet in Ihren Reihen so dokumentiert? Das finde ich reichlich merkwürdig. Ich darf ganz offen sagen: Von allen Marxisten hat mich immer Bert Brecht am meisten beeindruckt, der da so schön gesagt hat: Mach' 'nen Plan, und mach' noch 'nen Plan, geh'n tun sie beide nicht. Darin steckt sehr viel Lebensweisheit. Das trifft auch für die Brauchbarkeit von solchen Planungen zu. Ich darf aber festhalten: Die Planungsfetischisten sitzen zumindest in dieser Frage in der konservativen Fraktion dieses Hauses. Die Arbeit des Parlaments - das sollten wir bei dieser Diskussion einmal als sicherlich gemeinsame Überlegung festhalten, wobei für dieses gewachsene Dickicht eigentlich niemand die Schuld trägt - wird sicherlich nicht dadurch erleichtert, daß die Erstellung von Plänen und Berichten aller Art auf unterschiedlichen Zeiträumen basieren. Herr Kollege Althammer, wir haben diese Überlegung ja neulich beim Rentenbericht im Haushaltsausschuß angestellt. Es wäre sicher eine vernünftige Anregung, einmal zu überlegen, ob man hier nicht doch zu einer gewissen Koordinierung der Erstellung dieser verschiedenen Pläne und Berichte, mit denen das Parlament - auf eigenen Wunsch, nebenbei gesagt - meterdick über das ganze Jahr bombardiert wird, kommen könnte. In diesem Zusammenhang unterstütze ich das, was der Kollege von Bülow zur Frage der Belastung des Parlaments mit Anfragen gesagt hat, die nicht unbedingt nötig sind. ({0}) Sicher gehören Anfragen zur Ausübung der parlamentarischen Kontrolle. Aber man muß Grenzen sehen, man muß sehen, wo Dinge sind, die man nur noch einmal schriftlich bestätigt haben will - mit viel Verwaltungsaufwand für den Staat. Ich hatte anfangs gesagt, das Bild, das die Opposition bei dieser Haushaltsberatung von unserem Staat zu zeichnen versucht habe, lasse sich auf zwei Grundmuster zurückführen: Finanzchaos und der unaufhaltsame Weg in den Sozialismus. Herr Carstens, das war ja Ihr Lieblingsthema in Ihrer Rede. ({1}) - Dazu brauchen wir Sie gar nicht, Herr Carstens. ({2}) An sich ist für diese Fachabteilung ja der Koalitionspartner zuständig, ({3}) aber da Sie, Kollege Carstens - ich werde das gleich sagen, und Sie werden feststellen, daß es hier Übereinstimmung gibt - nun die FDP hier in Mitverantwortung und Mitschuld zu nehmen versucht haben - was Ihre ganze Argumentation in diesem Punkte keineswegs glaubwürdiger, dafür aber phantasievoller gemacht hat -, ein paar klare Worte: Wir liberalen Freien Demokraten haben eine bewährte Koalition mit den Sozialdemokraten zur Verwirklichung gemeinsamer, sozialliberaler Ziele, ({4}) nicht aber zur Einführung des Sozialismus in der Bundesrepublik. Das weiß und das respektiert unser Partner; darüber gibt es gar keinen Zweifel. ({5}) - Wir sind hier nicht im Hessischen Landtag, wir sind hier im Deutschen Bundestag. Hessen ist ein schlechtes Beispiel, Herr Carstens. Sie haben in Hessen einen langen Weg gebraucht, Herr Carstens. Hier haben Sie 1946 gemeinsam mit der SPD die Sozialisierung in die Verfassung geschrieben - falls Sie das vergessen haben oder gar nicht wissen sollten, Herr Carstens! ({6}) Ich sagte: Die Sozialdemokraten wissen, daß sie zur Einführung des Sozialismus, wenn und soweit sie dies überhaupt wollten - darüber zu diskutieren, ist, wie gesagt, nicht meine Aufgabe -, hier in diesem Hause die absolute Mehrheit bräuchten. Dabei aber würden sie auch auf unseren Widerstand stoßen. Aber das sind rein theoretische Betrachtungen. Ich habe die Ziele und die Grundlagen dieser Koalition hinreichend umschrieben. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sollten sich, was die Glaubwürdigkeit dieser unserer Aussage anbelangt, dessen erinnern, daß es mit uns in den Jahren, in denen wir mit Ihnen hier gemeinsam Verantwortung getragen haben, keine klerikalen Experimente gegeben hat. Ebensowenig wird es sozialistische Experimente geben. Beide sind nach unserer liberalen Auffassung eben gleichermaßen gefährlich. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Lassen Sie sich aber noch folgendes sagen: Sie haben seinerzeit weniger respektiert, als es unser heutiger Partner respektiert, daß es mit der FDP eben nur liberale Politik gibt, - in der sicherlich Kompromisse nötig sind. Die Grenzen der Kompromisse liegen dort, wo liberale Substanz gefährdet ist. ({7}) - Habe ich etwas anderes gesagt, Herr Wehner? Ich frage aber die Opposition: Was ist denn seit 1969 an Etappen auf diesem angeblichen Wege verwirklicht worden? - Nichts! Da können Sie nichts nennen. Das gilt - ich sage dazu nur ein kurzes Wort; ich will mich sonst nicht in die Geschäfte der Bildungspolitiker einmischen - auch für die Bildungspolitik. Meine Damen und Herren. auch hier haben Sie keine reine Weste. Die Freien Demokraten haben nach dem Krieg nicht jahrzehntelang gegen Kon-fessions- und Zwergschulen überall in der Bundesrepublik gekämpft, um die Kinder heute anderen Indoktrinationen ausgesetzt zu sehen. Aber, Herr Carstens, muß sich nicht die Opposition fragen lassen, ob sie, die CDU/CSU, nicht an dem bildungspolitischen Vakuum, in das sicher Fehlentwicklungen teilweise eingedrungen sind oder einzudringen drohen - es muß ja immer ein Vakuum da sein, damit etwas eindringen kann --, in erheblichem Maße mitschuldig ist, weil sie ihr bildungspolitisches Potential nach dem Zusammenbruch 1945 jahrzehntelang, kann man fast sagen, im Kampf um Erhaltung und Ausbau der Konfessionsschulen geradezu vergeudet hat? ({8}) - Ihre Geschichten hier sind meistens noch älter, Herr Professor Carstens. ({9}) - Ich habe ja gesagt: wir wollen weder diese noch solche. ({10}) : Sie tragen doch dazu bei! Sie haben die volle Mitverantwortung! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) - Dies ist absolut falsch, Herr Dregger. ({11}) Das müßten Sie eigentlich viel besser wissen; Sie kommen ja aus diesem Land. ({12})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Ich bitte um etwas Ruhe.

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ganz kurz noch einmal zurück zum Haushalt. ({0}) - Ich bin gleich am Ende meiner Ausführungen. ({1}) Herr Althammer hat hier gestern in einem Atemzug - das war eine große Leistung diesen Haushalt als nicht stabilitätsgerecht bezeichnet und ihm einen Beitrag zur Überwindung der Beschäftigungslosigkeit abgesprochen. ({2}) - Habe ich Sie insoweit richtig zitiert? - Ich sagte: in einem Atemzug, weil das natürlich ein Widerspruch in sich ist, zumindest vor dem Hintergrund der geltenden Haushaltstheorie der Opposition. Aber die Ignorierung von Zielkonflikten beherrschen Sie ja meisterhaft. Sie sagten, er sei nicht stabilitätsgerecht. Das hieß bisher: der Haushalt ist zu groß. Das haben Sie uns jahrelang gesagt. Sie sagten ferner, er sei nicht auf die Überwindung von Beschäftigungslosigkeit gerichtet. Das heißt nach allgemeiner volkswirtschaftlicher Auffassung: er enthält zu wenig. Nun muß ich Sie fragen: Ist der Haushalt zu groß, oder enthält er zu wenig, oder gilt beides? Letzteres geht ja wohl nicht. Offenbar ist er angesichts dieser sich selbst aufhebenden Kritik doch richtig. Dabei übersehen Sie in der Sache, daß die Konjunkturmaßnahmen vom Dezember 1974 außerhalb des Haushalts laufen. Das wissen Sie. Was ist denn nun der Haushalt 1975 wirklich? ({3}) Er ist sicher wie immer das „Schicksalsbuch der Nation"; so hat es, glaube ich, der Kollege Lenz aus unserer Fraktion vor fast 20 Jahren einmal formuliert. Ich sage das deshalb, weil ich nicht gern Plagiate begehe. Hinter seinen nüchternen Zahlen verbergen sich wie immer vielfache menschliche Lei11260 stungen und menschliche Schicksale, Leistungen als Steuerzahler, als Kreditgeber. Ich habe -ihnen vorhin schon dafür gedankt. Andererseits verbergen sich dahinter aber auch menschliche Schicksale bei den Empfängern wie auch immer gearteter Leistungen dieses Staates. Dieser Haushalt ist - das konnten Sie in der Debatte nicht widerlegen - nicht Ausdruck, sondern gleichsam lebendige Widerlegung der hier vielfach beschworenen Finanzkrise. Denn er garantiert mit seinen Ausgaben, die durch ordnungsgemäße Einnahmen gedeckt sind - auch Kredite sind ordnungsgemäße Einnahmen und kein Defizit; das wird in der öffentlichen Auseinandersetzung schlankweg ein bißchen durcheinandergebracht -, die innere äußere und soziale Sicherheit für unser Land und die Menschen in diesem Lande. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, daß Politik in diesem Hause - und überhaupt - nicht unbedingt tierisch ernst sein muß. Deshalb lassen Sie mich etwas humorvoll schließen und insofern vielleicht auch einen gewissen Beitrag zu einem versöhnlichen Abschluß leisten. Was ich eben über die Qualität und den Zustand des Haushalts und unseres Staates sagte, das kann man auch bildhaft umschreiben, und da fällt mir das Bild vom Staatsschiff ein. Wann wäre es eigentlich angemessener, diesen Vergleich zu bringen, als in einer Situation, in der der Kapitän, der erste Offzier - für die, die es nicht wissen, darf ich sagen, daß der Kollege Genscher immer noch als Bremer gerechnet werden kann - und der Zahlmeister Hanseaten sind? ({4}) Wann wäre es also angemessener, diesen Vergleich zu nehmen? Ich glaube, wir haben hier ein stolzes und schönes Schiff vor uns mit einem ruhigen und festen Kurs auch in stürmischen Zeiten. ({5}) Nur, Kollege Carstens, da gibt es einige unruhige Passagiere an Bord. ({6}) Das sind diejenigen, die die Reederei vor fünf Jahren zur Erlernung moderner Navigationstechniken in den einstweiligen Ruhestand geschickt hat. ({7}) Eines Tages werden sie auch wieder auf der Kommandobrücke stehen; das gehört zu den Gesetzen der Demokratie. Aber das dauert noch. ({8}) - Herr Carstens, ich spreche hier nicht von dem Schiff der Regierung und Koalition, ich spreche von dem Schiff unseres Landes, und dazu gehören Sie doch. ({9}) - Ja. ({10}) Die Hauptsorge dieser etwas unruhigen Passagiere ist es, einen Kapitän zu finden für den Fall der Fälle. Und daran mangelt es. Obwohl diese unruhigen Passagiere es wünschen, wird auf diesem Schiff weder der „Untergang der Titanic" noch die „Meuterei auf der Bounty" gespielt, und es wird auch nicht „Kurs auf Utopia" genommen. ({11}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, weil dieses Schiff den richtigen Kurs hat und damit es weiterhin gute Fahrt hat, stimmen wir Freien Demokraten diesem Etat zu. ({12})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen. ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in einem ersten Abschnitt einige Bemerkungen zu dem machen, was Herr Kollege Leicht zur Wirtschaftspolitik gesagt hat. Sie, Herr Kollege Leicht, haben davon gesprochen, daß sich unsere Wirtschaftspolitik im wesentlichen durch Gesundbeterei auszeichnet. Wenn Sie die Tatsachen zur Kenntnis nehmen, Herr Kollege Leicht, dann müssen Sie zugeben, daß dieser Ausdruck unzutreffend ist. Tatsache ist, daß wir Konjunkturpolitik in diesem Lande in drei Etappen gemacht haben. Etappe Nr. 1: Ab Mai 1973 haben wir den weltweiten Inflationstendenzen massiv widerstanden. Wir werden in allen internationalen Gremien, in denen die Bundesrepublik mitarbeitet, dafür gelobt, weil es eigentlich unter den westlichen Industrienationen nur eine gibt, die in dieser inflationären Phase der Weltkonjunktur vor der Ölpreisexplosion den Mut gehabt hat, massiv zu bremsen. Bremsspuren sind auch heute noch sichtbar, dies gebe ich ohne weiteres zu. Natürlich wäre ohne Brechen der Inflationsmentalität in unserem Land die Wohnungshalde der am Markt vorbeigebauten Wohnungen sehr viel geringer, weil es bei Inflationsraten von 25 °/o, wie sie bei unseren Nachbarn gang und gäbe sind, natürlich klüger wäre, in die Sachwerte zu gehen, auch eine Eigentumswohnung zu kaufen, die man eigentlich nicht braucht, als zu sparen. - Diese Etappe Nr. 1 haben Sie sehr zögerlich mit getragen. Sie haben auch in dieser Phase eigentlich Alternativen nicht angeboten. Dann kam die Etappe Nr. 2, Herr Kollege Leicht. Das war die Phase 1974, als wir vom Februar an bis in den September langsam aber sicher gegengesteuert haben über öffentliche Konjunkturprogramme mit begrenzter Wirkung und mit Aufgabe fiskalischer Begrenzungen bei der Investition. Dann kommt Phase Nr. 3 - in der sind wir -: ein massives Konjunkturprogramm der Bundesregierung, das Ihnen bekannt ist und das Sie nach einigem Hin und Her und einigen politischen Schwierigkeiten akzeptiert haben. Herr Biedenkopf hat gesagt, eigentlich gebe es zu dieser Konjunkturpolitik der Bundesregierung keine Alternative. Ich kann dem Herrn Biedenkopf als dem Generalsekretär der CDU in dieser Frage nur zustimmen. Insofern geht es nicht um Gesundbeterei, sondern um Zurkenntnisnehmen von weltweiten Strukturverwerfungen, die wir Gott sei Dank für unser Land rechtzeitig abgeblockt haben. ({0}) Meine Damen und Herren, wir sollten das auch einmal ganz stolz in diesem Hause sagen: Es gibt nur ein einziges Land unter allen politisch relevanten Ländern des Westens - unter allen Ländern des Westens, kann ich sagen, ohne Einschränkung -, das heute eine niedrigere Preissteigerungsrate hat als vor Eintritt des Ölpreisschocks. Dies ist die Bundesrepublik. Das fällt doch nicht vom Himmel. ({1}) Dies ist nicht Ergebnis der Gesundbeterei, sondern Ergebnis der Politik. Herr Kollege Leicht, wie sehen wir die Dinge heute? Es gibt weder Grund, das Chaos an die Wand zu malen, noch allerdings, und da sind wir mit Ihnen einer Meinung, davon auszugehen, die Probleme seien gelöst. Wir haben nur noch einige schwierige Monate, insbesondere durch Fragezeichen in der Weltwirtschaft, in der Konjunktur der USA, vor uns. Herr Kollege Leicht, ich komme zu einem zweiten Punkt. Sie haben über die Probleme der Preiskrise gesprochen, und Sie haben gesagt, diese Probleme würden im wesentlichen durch Inflationierung und Verschuldung gelöst. - Außerhalb der Bundesrepublik! Innerhalb der Bundesrepublik nicht; ich glaube, darin sind wir uns einig. Wir haben unsere Ölpreisrechnung bezahlt. Bei uns ist die Inflation trotz dieses Schubs rückläufig. Also, wir sind uns einig, wie ich sehe; dies gilt im Außenverhältnis. Da muß man auch, glaube ich, Herr Kollege Leicht, etwas genauer hinschauen, um die Dinge richtig zu sehen. Inflationierung - in der Tat. Ich sage Ihnen als der Minister, der zuständig ist für die internationalen Währungsbeziehungen zu unseren Partnerländern: Mir macht natürlich große Sorge, daß das weltweite Gasgeben bei einer Reihe unserer Partner auf Inflationssockeln beginnt, die bei 25 % liegen. Sie sind eben nicht in der Situation der Bundesrepublik, die erst die Preismentalität gebrochen hat. Wir haben, wenn wir die letzten fünf Monate rechnen, zur Zeit eine Preissteigerungsrate - laut Berechnungen der Bundesbank - von 4,5 %. Wir haben also erst gebremst und dann Gas gegeben. Unsere Partner sind in einer sehr viel schwierigeren Situation; sie geben auf hohen Inflationspreissockeln Gas. Wir können das alles von unserem Lande nur über die flexiblen Wechselkurse abwehren. Deswegen ist es gut, daß wir dieses Instrument haben, so gut es auf der anderen Seite auch ist, wenn wir stabile Länder in Europa, wie z. B. die Schweiz, wie hoffentlich auch eines Tages Frankreich, in den Währungsverbund einbeziehen, weil wir auf Dauer natürlich nicht mit flexiblen Wechselkursen leben wollen. Aber eines stimmt, und wir sollten als Haushaltspolitiker darüber nachdenken: Der Bürgschaftsrahmen - die Gewährleistungen des Bundes, wie wir das nennen - ist beträchtlich angewachsen. Hier sind wir auch vor Probleme gestellt, was unsere europäischen Partner anbelangt. Ich werde am 9. April in Paris den Vertrag über den Kissinger-Fonds - er heißt jetzt OECD-Fonds - unterzeichnen. Er bringt Bürgschaftsverpflichtungen für den Bundeshaushalt. Sie haben, Herr Kollege Leicht, zu Recht über die Europa-Anleihe gesprochen. Nur, Herr Kollege Leicht, hier müssen wir folgendes sehen: Ich denke, Sie von der Opposition wie wir von der Koalition bekennen uns zur internationalen Solidarität. Wir ruhen in dieser internationalen Solidarität, ökonomisch wie politisch. Angesichts dessen müssen wir unseren Partnern Hilfe zur Selbsthilfe geben. Dies ist allerdings die Bedingung: Hilfe zur Selbsthilfe, nichts mehr! ({2}) Im übrigen stimmt es, Herr Kollege Leicht, was ich in einem Zeitungsinterview gesagt habe, das Sie hier etwas kritisch zitiert haben. Es ist ja bemerkenswert, wie wir nach 14 Monaten Ölpreisexplosion feststellen müssen, daß die Devisenreserven unserer wichtigsten Handelspartner nicht so zurückgelaufen sind, wie wir das befürchtet haben. Die Italiener waren sogar in der Lage, das erste Viertel unserer Dollaranleihe - wenn ich „unserer" sage, ist das nicht exakt: einer Anleihe der Deutschen Bundesbank - gegen Verpfändung des Goldes zurückzuzahlen. Die Dinge haben sich besser arrangiert, als wir dachten. Das liegt u. a. auch daran, daß die ölexportierenden Länder, was unsere Exportkraft angeht, eine hohe Absorptionsfähigkeit gezeigt haben. Unsere bundesdeutschen Exporte in diese Länder haben in 12 Monaten um 70 % zugenommen. Aber, Herr Kollege Leicht - dies, meine ich, sollte am Ende der Haushaltsberatungen festgestellt werden -: Wir alle zusammen sollten uns einmal die Liste der Gewährleistungen angucken. Wir werden aus diesen Bürgschaften zwar nur in einem geringen Maße in Anspruch genommen, aber dieses sind Damoklesschwerter, die über künftigen Haushalten hängen. Und als Haushaltsminister sage ich Ihnen hier: Ich betrachte dieses mit Zurückhaltung. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß dieses nicht unendlich ausgeweitet wird. Ich habe auch meinen Kollegen im Ausland gesagt: Bitte schön, es gibt Grenzen der Bürgschaft der Bundesrepublik für internationale Anleihen; wir sind bald an der Grenze. Zu einem weiteren Punkt im Bereich der ökonomischen Betrachtungen. Sie, Herr Kollege Leicht, haben über unseren Exportboom gesprochen und hier Fragezeichen angemeldet. Bitte betrachten wir die Dinge so, wie sie sind. Wir haben seit Monaten einen Außenhandelsüberschuß nicht deswegen, weil unsere Exporte noch so exorbitant klettern, sondern deswegen, weil die Importe in unser Land zurückbleiben und nicht schnell genug wachsen. Von hierher kommt das, was ich gestern in meiner Haushaltsrede gesagt habe: der Druck unserer Partner auf expansivere Politik in unserem Lande, weil sie meinen, daß sie dann, wenn wir noch mehr expandieren - und sie wollen das über noch stärkere Haushaltsverschuldung haben; ich habe Ihnen dazu gestern einiges gesagt -, bei uns besser verkaufen können. Tatsache ist, daß unsere Überlegenheit im Außenhandel an der besseren Leistung, an der Einhaltung der Termine und an dem sozialen Frieden liegt, über den der Herr Bundeskanzler gesprochen hat. Ich möchte Ihnen diese Zahlen noch einmal ins Gedächtnis rufen, damit wir wissen, was uns dieser soziale Friede wert ist. In den drei Jahren von 1971 bis 1973 haben wir pro tausend Arbeitnehmer in unserem Lande 228 Streiktage gehabt. In Frankreich war das 3,3 mal soviel, in den USA 6 mal soviel, in England wurde 9 mal soviel, in Italien 17 mal soviel gestreikt. Hier wird deutlich, was soziale Sicherheit wert ist. Ich glaube also, Herr Kollege Leicht, daß wir - die sozialliberale Koalition -, wenn wir über die Ökonomie reden, keine Gesundbeterei betrieben, sondern unsere Pflicht getan - und mehr als das - und Erfolg gehabt haben. Darauf sollten wir gemeinsam stolz sein. ({3}) Ich komme damit zu den Haushaltsproblemen. Herr Kollege Leicht, Sie haben unter der Perspektive „hohe Kredite, hohe Haushaltsverschuldung 1975" von der Gefahr der Inflation gesprochen. Mein Kollege Herr Dr. von Bülow hat bereits darauf hingewiesen, daß wir das nicht akzeptieren können. Es ist auch ökonomisch falsch. Ökonomisch richtig ist, daß wir in unserem Lande freie Kapazitäten haben; ökonomisch richtig ist, daß wir maßvolle Tarifabschlüsse der Gewerkschaften haben; ökonomisch richtig ist, daß die Zinsen nach unten gegangen sind; ökonomisch richtig ist, daß die D-Mark über flexible Kurse Inflationsschübe von außen von sich weghalten kann, daß im übrigen die Rohstoffpreise - Gott sei Dank! - nicht mehr steigen, vielleicht sogar fallen, so daß deswegen diese Gefahr überhaupt nicht besteht und dieser Haushalt angesichts der Ergiebigkeit der Kapitalmärkte solide zu finanzieren ist. Deswegen besteht diese Gefahr überhaupt nicht, und dieser Haushalt ist angesichts der Ergiebigkeit der Kapitalmärkte solide zu finanzieren. Wichtig ist ein Rat der Bundesbank, den wir befolgt haben und den wir befolgen werden. Dieser Rat heißt: Bitte, Bundesregierung, laß dir nicht zu viel Zeit mit der Kreditaufnahme für 1975, mache schnell, mach' es in der ersten Hälfte. Deswegen, Herr Kollege Leicht, habe ich mir die von Ihnen angesprochenen Ermächtigungen nach Art. 111 des Grundgesetzes geben lassen, weil der Haushalt eben noch nicht verabschiedet war - dies war der Punkt -, weil ich mir gesagt habe: jetzt den Kapitalmarkt ausnutzen, jetzt ist das Geld da - und billig da -, jetzt zupacken, nicht warten, bis der Haushalt Mitte April durch den Bundesrat gelaufen ist. Ich habe hier also nur etwas getan, was, denke ich, im ökonomischen Interesse dieses Hauses ist; denn ich muß ja die 22 Milliarden DM in die Kasse bekommen, und zwar, denke ich, im Interesse dieses Hauses zu möglichst günstigen Bedingungen. ({4}) Sie haben dann das Haushaltsdefizit 1975 auf eine - ich zitiere wörtlich - „euphorische Reformpolitik" zurückgeführt. Herr Kollege von Bülow hat Ihnen klargemacht, wo die wirklichen Probleme liegen. Die Probleme liegen bei 8 Milliarden DM Steuerausfall auf Grund der Rezession und bei über 7 Milliarden DM Steuerausfall wegen der Steuerreform. Darum kann sich keiner herummogeln, auch Sie nicht, denn Sie wollten ebensoviel, vielleicht sogar mehr entlasten, so daß wir doch nun bitte aufhören wollen, mit diesen Schlagworten zu arbeiten. Hier ist eine Kumulierung von Rezession, Steuerreform und anderen Problemen - ich denke z. B. an das Weggeben von Bundeseinnahmen an finanzschwache Länder - zu verzeichnen. Herr Kollege Leicht, wenn Sie davon sprechen, daß bei den Personalausgaben einiges nicht so gelaufen ist, wie Sie sich das vorstellen, kann ich dem zustimmen. Nur bitte ich, sich auch daran zu erinnern, daß bei der Tarifrunde 1974, die uns allen noch unangenehm in Erinnerung ist, Ihr Ministerpräsident Filbinger es war, der gegenüber dem Beamtenbund gesagt hat, eine Lohnerhöhung von 12 % sei eine interessante Zahl, über die man sehr wohl reden könne. ({5}) Bitte dann auch vor der eigenen Haustür kehren, und zwar kräftig! ({6}) Ich habe ja, Herr Kollege Leicht, darauf hingewiesen, wieviel Mühe wir von 1970 bis heute hatten, 27 Milliarden DM Mehrbelastung für die öffentlichen Haushalte, die Sie hier in Gesetzesform vorgelegt hatten, abzuwehren. Ich sage erneut, das hat uns manchen Arger gemacht. Wir haben das im Interesse der Solidität der Finanzen getan. Ich komme mit einem Satz zu 1975 zurück. Das Defizit des Bundeshaushalts ist groß; es ist notwendig, um die Konjunktur zu finanzieren. Es ist falsch, Herr Kollege Leicht, wenn Sie sagen, dieses Defizit sei mit einem unübersehbaren Absinken der öffentlichen Investitionen verbunden. ({7}) Meine Damen und Herren, wir haben uns die Mühe gemacht, die öffentlichen Investitionen einBundesminister Dr. Apel mal real zu berechnen, also die Preissteigerungsraten herauszunehmen. Wie haben sich da die öffentlichen Investitionen entwickelt? Ich vergleiche drei Jahre mit drei anderen Jahren, nämlich die drei im wesentlichen noch christdemokratisch verantworteten Jahre 1965, 1966 und 1967 mit den Jahren 1973, 1974 und 1975. Wie haben sich in diesen Jahren die öffentlichen Investitionen real - unter Ausklammerung der Preissteigerungsraten - entwickelt? 1965: plus 3,3; 1966: plus 2,4; 1967: minus 10,2. Und jetzt die letzten drei Jahre: 1973 minus 0,9; 1974 plus 9,8; 1975 plus 8,0. Ich meine also, wir sollten die Kirche im Dorf und die Zahlen für sich sprechen lassen. Dann bleibt immer noch, Herr Kollege Leicht, das Problem - das ich überhaupt nicht verniedlichen will , daß wir die öffentlichen Investitionen hochhalten müssen. Die Zahlen machen aber deutlich, daß das heutige Bild sehr viel besser ist als in drei vergleichbaren Jahren, in denen die Christdemokraten hier die Verantwortung trugen, die sie dann abgeben mußten. Im übrigen möchte ich Sie, Herr Kollege Leicht, bei dieser Gelegenheit korrigieren. Vom Haushalt 1969 bis zum Haushalt 1975 hat sich das Gesamtvolumen um 87,1 % erhöht, das Volumen der Investitionen um 85,6 %, d. h., es ist leicht darunter geblieben, aber nur leicht. Der Anteil der Personalkosten allerdings um 98,4 %. ({8}) - Ja, sicherlich. Aber hier müssen wir nun gemeinsam ran, und dann ist es doch gut, wenn Herr Filbinger nicht dem Beamtenbund gegenüber Erklärungen abgibt, die im Endeffekt eine Verbeugung vor Forderungen sind. Wir waren es doch diesmal, die den Mut gehabt haben, sehr frühzeitig nein zu sagen. Ich habe dafür sehr viele Kritik bekommen. ({9}) Lassen Sie mich noch einmal zu den Haushaltsproblemen der nächsten Jahre sprechen. Herr Kollege Leicht, wir sind uns sicherlich einig darüber, daß wir uns wegen der vor uns liegenden Haushaltsjahre Sorgen machen. Aber ich bitte doch sehr darum, nun die logische und sachliche Abfolge und damit auch die Aufgaben, die vor uns allen liegen, im Kopf zu behalten. Um was geht es? Es geht uns allen darum, heute und jetzt die Konjunktur anzukurbeln. Es geht uns allen darum, den richtigen Konjunkturaufschwung zu haben, nämlich den binnenländischen, weil der Exportboom uns Devisenprobleme bringt und auch Ausfall an Steuereinnahmen. Dies muß doch wohl Ziel Nummer 1 sein. Ziel Nummer 2 ist - das ist dann im wesentlichen meine Aufgabe, allerdings auch die Aufgabe der Landesfinanzminister und der Kämmerer in den Gemeinden -, eine ganz knappe Ausgabenführung durchzusetzen. Hier werden wir uns alle zu bewähren haben. Das wird schwierig sein, auch für mich. Dann kommt Nummer 3: Durchsetzen der Forderung an die Bundesländer zum Ausgleich der Konsequenzen der Steuerreform. ({10}) Wenn diese drei Fragen beantwortet sind - Wie sieht die Konjunktur aus? Was ist das für ein Typ von Konjunkturaufschwung? Wie sieht das aus auf der Ausgabenseite der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden? Wie sind die Verhandlungen um die Steuerreform ausgegangen? -, dann, Herr Kollege Leicht, können wir einen Saldo ziehen und sehen, was nachbleibt. Dann haben wir darüber zu debattieren, ob wir einen Saldo entweder akzeptieren oder nicht akzeptieren. Ich sage Ihnen: diejenigen, die heute über Steuererhöhungen reden, sind entweder Leute, die das im demagogischen Wahlkampf brauchen, insbesondere um die Vorteile der Steuerreform zu vernebeln, oder aber Leute, denen der Mut fehlt, nun wirklich zu sparen. Ich für meine Person gehöre weder zu den Demagogen noch zu den Mutlosen. Insofern sage ich Ihnen ganz offen: bitte, die richtige Reihenfolge beachten, wir werden im Herbst sehen, wie die Haushaltslage ist. Ich bin da Optimist. ({11}) Lassen Sie mich abschließen! Ich möchte folgende Feststellungen treffen. Erstens. Bei allem Bemühen ist es der Opposition nicht gelungen, weder im Detail noch in der Generallinie des Bundeshaushalts 1975, eine Alternative aufzustellen. Ihre Kürzungsanträge waren Pflichtübungen. Sie bringen in der Sache nichts und können deswegen auch nicht akzeptiert werden. Zweitens. Dieser Haushalt paßt in die konjunkturelle Landschaft und ist solide zu finanzieren. ({12}) Drittens. Er ist die Voraussetzung für den Wiederaufschwung, und das ist unsere zentrale Aufgabe. Schließlich, viertens: Dieses Budget in dieser Form ist ein wesentliches Element unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wir wollen diesen Haushalt, weil wir den Aufschwung wollen. ({13}) Ich möchte nicht versäumen, dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Herrn Abgeordneten Leicht, meinen ausdrücklichen Dank und meine Anerkennung für die geleistete Arbeit auszusprechen. ({14}) Ich möchte mich bei den Herren Althammer, Kirst und von Bülow als den Obmännern der Fraktionen und bei den Mitgliedern des Ausschusses bedanken. ({15}) Ich möchte mich bei allen Beteiligten. bedanken. Trotz kontroverser Meinungen und Polemik hat es hier eine Debatte gegeben - entschuldigen Sie, daß ich das sage; es soll nicht schulmeisterlich klingen -, die Sachverstand und ein Mindestmaß an Loyalität gezeigt hat. Ich bin davon überzeugt, daß wir auch in den nächsten Haushaltsjahren in diesem Geiste im Interesse der Bürger unserer Republik zusammenarbeiten werden. ({16})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Abgeordneter Höcherl.

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So schiedlichfriedlich, wie Herr Apel diese drei Tage abschließen will, waren sie nicht. Wenn ich einen Rückblick auf diese Debatte werfe, so muß ich feststellen, daß Sie zunächst zwei Tage versucht haben, mit einem Derby-Trick die ganze Debatte nach Sonthofen zu verlegen. So war es doch. ({0}) Ich hätte das verstanden, wenn es einige Kampfhähne gemacht hätten, denen es bekanntlich an Argumenten fehlt. Daß sich aber auch der Bundeskanzler und respektable Regierungsmitglieder in eine solche Kampfweise einlassen, spricht für den sehr, bedenklichen Stil. ({1}) wie man den wichtigsten Part abzuhandeln hat, der einem Parlament aufgegeben ist. Schließlich und endlich haben wir es damit zu tun, daß wir über 1,2 Millionen Arbeitslose, über 950 000 Kurzarbeiter, über 7 000 Konkurse in einem einzigen Jahr und über 200 000 Umschüler haben, für die keine Chance besteht. Wir haben es mit der Tatsache zu tun, daß selbst im anhebenden Jahr der Gerichtsvollzieher der einzige überbeschäftigte Beruf in unserem Land ist. ({2}) - Genauso ist es. ({3}) - Nein, das ist die traurige Wirklichkeit. Sie haben im Jahre 1969 eine anständige Situation mit gefüllten Kassen übernommen. Fünf Jahre sind sie dran. Das sind die Fakten. Um diese Fakten geht es. Das interessiert das Volk, nichts anderes sonst. ({4}) Auch während der ganzen unmittelbaren Haushaltsdarstellung haben Sie einen großartigen Trick vorgeführt. Es wird einige geben, die darauf hereinfallen. Da heißt es nämlich: Diese hohe Kreditaufnahme ist nach Keynes notwendig. Das ist eine Volksausgabe von Keynes, die Sie zur Hand genommen haben. Ich will Ihnen etwas sagen: Ihnen ist das Geld ausgegangen, und deswegen müssen Sie Schulden machen. Das wollen Sie jetzt als eine Tugend darstellen. So ist es doch. ({5}) Seit fünf Jahren hören wir folgendes: Kaum kamen die ersten Schwierigkeiten, da sind Sie von einer sehr kompetenten Stelle fortgesetzt gemahnt worden. Es war die Deutsche Bundesbank, die Sie im Bericht vom Januar 1970 gemahnt hat, Ihre Pflichten wahrzunehmen. Sie haben sehr lange gebraucht. In der ersten Phase des wirtschaftlichen Ablaufs - das muß man einmal genau festhalten - haben Sie noch anderen Göttern geopfert. Sie haben gedacht, die Ostpolitik sei das Allerwichtigste. Das ging hektisch. Dort haben Sie Brandopfer gebracht, ({6}) die uns heute noch Schwierigkeiten bereiten. Wie war der Ablauf? Der Ablauf war so, daß die anhebende Inflation zunächst eine angenehme Wärme verbreitete. Da konnte man Reformversprechungen machen. Der Einwand, der von allen Sachverständigen und der Bundesbank gekommen ist, daß hinter der Inflation ja die Arbeitslosigkeit steht, wurde Ihnen von allen Seiten entgegengebracht. Nur Sie haben ihn nicht gehört und wollten ihn nicht hören. Es war eine angenehme Wärme. Dann hat sich die monetäre Inflation in eine Kosteninflation umgewandelt und dazu geführt, daß die heutige Arbeitslosigkeit kam. Sie haben eines übersehen, Sie haben erst im Jahre 1973 nach vorausgegangenen schwächlichen Versuchen zum erstenmal gebremst. Sie haben aber wie ein Anfänger gebremst, nämlich alles. Sie haben nicht gesehen, daß der entscheidende Faktor die Anlageinvestitionen und die Ausrüstungsinvestitionen sind. Daran hängen die Arbeitsplätze von morgen und von übermorgen. ({7}) Ich will Ihnen einmal die Zahlen vorhalten, die Sie übersehen haben. Im Jahre 1971 hatten wir noch ein Wachstum von 4,5 % bei den Anlageinvestitionen. Im Jahre 1972 ging dies schon auf 2,7 % zurück, dann 1973 auf 1,1 % und 1974 auf minus 8,5 %. ({8}) Das ist Ihnen alles gar nicht zum Bewußtsein gekommen. Darüber hinaus haben Sie damals noch die Unternehmer und die Profite und Gewinne verteufelt. Ich will Ihnen einmal vorlesen, was Ihr Regierungschef im Jahre 1972, als er sein Amt als Finanzminister übernommen hat, über Staatsanteile usw. gesagt hat. Da zeigt sich nämlich die innere Gesinnung. Heute ist der Unternehmer wieder interessant, weil sich gezeigt hat, daß Sie gar nicht fähig sind, die Wirtschaft mit staatlichen Maßnahmen in Ordnung zu bringen, sondern daß Sie den Unternehmer an der Front brauchen. ({9}) - Ja, passen Sie auf. Es ist Ihnen sehr peinlich, ich weiß das. Die Wahrheit war Ihnen immer peinlich. Sie stehen vor einem Scherbenhaufen und können die Wahrheit nicht vertragen! ({10}) Am 27. Juli 1972, also nach dem bekannten Wechsel, hat sich Ihr heutiger Bundeskanzler und damaliger Finanzminister dazu geäußert, einer der gelernten Ökonomen; wir haben ja drei davon. Früher hatten wir einen: Professor Erhard. Das genügte, da haben wir die Wirtschaft in Ordnung gebracht. ({11}) Der Bundeswirtschaftsminister hat gestern nicht den Mut besessen - von den Koalitionsmitgliedern will ich das gar nicht erwarten -, am Todestag von Eucken auch der Leistung Erhards zu gedenken. Das hat er nicht über das Herz gebracht. Da sieht man, wie eng Ihre Einstellung ist und daß Sie nicht den Mut haben, Leistungen anzuerkennen, die dort geistig begründet und von Professor Erhard mit unserer Verantwortung in die Wirklichkeit umgesetzt worden sind. ({12}) Jetzt aber zu dem Zitat: Ich bin der Meinung, - so sagte Herr Schmidt daß die Leistung, die der Staat gegenüber dem Bürger erbringt, im Laufe der nächsten Jahre wachsen muß ... Diese wachsenden Leistungen ... ({13}) einen wachsenden Anteil am Bruttosozialprodukt zur Finanzierung dieser Leistung. Daran ist für mich überhaupt kein Zweifel. Das läuft, über eine längere Zeit gerechnet, sicherlich darauf hinaus, daß Steuern erhöht werden müssen. Das gilt aber kaum für 1973. Im übrigen bin ich der Meinung ... daß ... Steuererhöhungen nicht vermieden werden können, und wer etwas anderes sagt, redet unwahr. Ich erinnere hier auch an das neue Gutachten des wissenschaftlichen Beirates vom Finanzministerium, in dem der Finanzierung über Steuern grundsätzlich Vorzug vor der Kreditfinanzierung gegeben wird. Hier wird gesagt: Nein. Jetzt haben Sie einen neuen Glauben erfunden: Schuldenfinanzierung, das ist das moderne. Früher war es anders. Und die Herren haben mit Mehrheit auch gesagt, sie wollten die zusätzliche Belastung im wesentlichen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer verlegt wissen, was mir auch sehr liegen würde. Das haben Sie ja in der Art und Weise versucht, um zu nivellieren, um den Leistungswillen zu brechen. ({14}) - Nicht Wahlkreis, Sie haben diese Debatte unter das Gesetz der Landtagswahlen gestellt, wie Ihre ganzen Maßnahmen nicht auf lange Sicht angelegt werden. Sie sind vielmehr von einer Landtagswahl zur anderen gehüpft und gesprungen, weil Sie nicht den Mut haben, der Öffentlichkeit die Wahrheit zu sagen. ({15}) - Graf Lambsdorff, weil Sie sich gerade melden: Sie haben gestern ein interessantes Wort gesagt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte sehr.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Höcherl, könnten Sie mir vielleicht zustimmen, nachdem Sie gemeint haben, wir hätten die Volksausgabe von Keynes zur Hand genommen, daß Sie uns hier etwas Wirtschaftstheorie im Stil der Lesezirkelmappen angeboten haben? ({0})

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Graf Lambsdorff, Sie haben gestern in Ihrem Beitrag - ich möchte es einmal so ausdrücken - aus dem verwilderten Garten Ihrer konjunkturellen Situation ein paar Gänseblümchen herausgezupft, Dinge, die sowieso nicht bestritten sind - Kartellrecht usw. -, alles Dinge, die wir eingeführt haben. ({0}) So war es doch. Sie haben gestern das bemerkenswerte Wort gesagt, daß die soziale Marktwirtschaft nicht ausreichend in unsere Verfassung eingebaut sei. Sie wurde von Ihnen lange Zeit verdammt, bis Sie sie jetzt wieder brauchen. Bauen Sie sie doch so ein, daß keiner mehr vor Ihren radikalen Flügeln Angst zu haben braucht! ({1}) Sie müssen, wenn Sie Erfolg haben wollen, bei den Ausrüstungsinvestitionen einen anderen Weg gehen, sonst kommen Sie nicht zu einer Änderung der Situation. Was stand denn gestern als Ergebnis der Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin im „Handelsblatt"? - Ein scharfer und dramatischer Einbruch im Bereich der Exporte. Das war doch die Stütze, die wir hatten. Wenn die nachläßt, bleibt Ihnen überhaupt nichts mehr übrig. Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist ein Spiegelbild einer mißlungenen und gescheiterten Konjunkturpolitik. Deswegen können wir ihm nicht zustimmen, und deswegen stimmen wir ihm nicht zu. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Ehrenberg. ({0})

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es war lediglich Höflichkeit gegenüber dem Koalitionspartner, weil ich glaubte, Herr Hoppe habe sich zuerst gemeldet, daß ich nicht gleich dem Ruf der Präsidentin gefolgt bin. Kein Grund zur Schadenfreude, meine Herren! ({0}) - Da wir es gleichzeitig nicht können, machen wir es nacheinander. Ich wollte hier nicht mehr, als sehr kurz zum Ausdruck bringen, daß es bisher in diesem Hause eigentlich nicht üblich war, daß in der Haushaltsrunde nach dem Finanzminister, der abschließend Stellung genommen hat, noch einmal eine Runde eröffnet wurde. Da der Kollege Höcherl das getan hat, verdient er eine Antwort. Herr Kollege Höcherl verdient eine Antwort, weil er hier versucht hat, noch einmal - allen vorgestern, gestern und heute hier vorgebrachten Fakten zum Trotz - die Situation so darzustellen, als sei sie so, wie sie in den inhaltsleeren Beiträgen der Opposition vorgebracht wurde. ({1}) Meine Damen und Herren, so ist die Situation nicht. Es steht eindeutig fest, daß diese Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der westlichen Industrienationen den hervorragendsten Platz in allen ökonomischen Bereichen und auch in den Bereichen der politischen Stabilität einnimmt. ({2}) Herr Kollege Höcherl, zu Ihren Investitionszahlen empfehle ich Ihnen, noch einmal nachzulesen, was der Bundeshaushalt 1967 und was die Bundeshaushalte 1974 und 1975 ausweisen. Sie werden sehen, ) daß der Rückgang der Anlageinvestitionen 1967 stärker war als heute. Lesen Sie bitte die Protokolle nach. ({3}) Eine herzliche Bitte zum Schluß, jenseits von Sonthofen: Lassen Sie uns am Schluß der Haushaltsdebatte die Fakten dieser Debatte sehen. Diese Fakten machen deutlich, daß dieser Haushalt den konjunkturpolitischen Erfordernissen entspricht, daß die mit ihm gegebenen Konjunkturimpulse wesentlicher Bestandteil des kommenden Aufschwungs sein werden. Und dieser Aufschwung kommt, auch wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ihn totreden wollen! ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Der Kollege Höcherl muß selbst wissen, warum er hier noch heraufgegangen ist, um eine Brandrede zu halten. Herr Kollege Höcherl, ich meine, Sie haben das Hamburger Ohnsorg-Theater aber ohne Grund von Bayern hierher getragen. ({0}) Ihre Polemik hat nichts Neues gebracht. Deswegen erübrigt es sich, auf diese - nicht neue - Polemik noch einzugehen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ritz.

Dr. Burkhard Ritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001859, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte 1975 sollte nicht zu Ende gehen, ({0}) ohne einen Vorgang zu klären, der gestern nachmittag hier im Haus die Situation sehr belastet hat. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Herr Arendt, hat in der gestrigen Sitzung des Deutschen Bundestages laut Protokoll zum Thema der Rentenreform, an die CDU/CSU-Fraktion gerichtet, folgendes erklärt: Was haben Sie gemacht? ... Gar nichts haben Sie gemacht! ({1}) Sie haben Schaden angerichtet. Das ist es ... Sie haben die Sockelrente niedergestimmt. ({2}) Es ging um die Frage, ob für alle Rentner ein gleich hoher Sockelbetrag geschaffen werden sollte. Laut stenographischem Protokoll der 99. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 4. Dezember 1972 ({3}) hat Herr Bundesminister Arendt vor dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung folgendes ausgeführt - ich darf zitieren, und zwar in diesem Fall auch ausführlich -: Sie wissen, daß die Koalitionsfraktionen der Öffentlichkeit den Vorschlag unterbreitet haben, so etwas wie einen Sockelbetrag oder einen Grundbetrag einzuführen. Im Prinzip halte ich diesen Vorschlag des Sockelbetrages für nachdenkenswert. Wenn man zuvor einige andere Dinge bereinigte - ich könnte mir vorstellen, daß man das in der nächsten Legislaturperiode tun kann -, wäre dieser Sockelbetrag des Nachdenkens wert. Jetzt aber sollte man sich mit den Realitäten beschäftigen. Jetzt können wir die Vorklärungen nicht vornehmen. Das ist bei der zur Verfügung stehenden Zeit einleuchtend. ({4}) Es ist mein Anliegen, zu erreichen, daß man sich hier in diesem Ausschuß darauf verständigt, eine Einigung in der Weise zu erzielen, daß die Elemente, die in dem Rentenreformprogramm der Bundesregierung enthalten sind, berücksichtigt werden. Ich wiederhole diese Elemente noch einmal: Öffnung der Rentenversicherung für andere Gruppen, Einführung einer Rente nach Mindesteinkommen, Einführung der flexiblen Altersgrenze, Einführung eines Babyjahres und kein Sockelbetrag, ({5}) sondern nur eine allgemeine Leistungsverbesserung im Rahmen der fünfzehnten Rentenanpassung. Ich glaube, daß auch die Regierungsfraktionen jetzt in diesem Augenblick nicht darauf bestehen würden, die Frage des Sockelbetrages zu entscheiden. ({6}) Meine Damen und Herren, für die CDU/CSU-Fraktion stelle ich folgendes fest. Erstens. Nach diesen Ausführungen des Herrn Bundesministers Arendt steht fest, daß über die Sockelrente keine Abstimmung stattgefunden hat, daß sich vielmehr die Fraktionen des Hauses auf Vorschlag von Bundesminister Arendt darauf geeinigt haben, einen solchen Vorschlag zurückzustellen. Zweitens. Bundesminister Arendt hat im Parlament und gegenüber dem Parlament bewußt die Unwahrheit gesagt. ({7}) Obwohl ihm dies gestern vom Kollegen Franke entgegengehalten worden ist, hat es Herr Arendt bisher nicht für nötig befunden, die Sache richtigzustellen. ({8}) Drittens. Wir fordern nunmehr den Bundeskanzler auf, entsprechende Konsequenzen zu ziehen. ({9})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grobecker.

Claus Grobecker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000730, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist ein Versuch, den bei allen Bürgern beliebten und wegen seiner großen Leistungen anerkannten Sozialminister Walter Arendt in Mißkredit zu bringen. ({0}) Es wird bei diesem Versuch bleiben. ({1}) Walter Arendt ist der erfolgreichste Arbeitsminister der Bundesrepublik seit 1949. Das ist so! ({2}) Tatsache ist: Die Opposition hat im Jahre 1972 die Rentenreform mit einer geliehenen Stimme verwässern wollen. Das haben wir nach der Wahl korrigiert. Wir haben mit Walter Arendt die flexible Altersgrenze eingeführt, ({3}) wir haben die Rente nach Mindesteinkommen eingeführt, . ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Grobecker, - Grobecker ({0}): . . . und wir haben mit Walter Arendt die Öffnung für die Selbständigen eingeführt. Dabei bleibt es. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Seiters das Wort.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/ CSU-Fraktion stelle ich nach der Geschäftsordnung den Antrag, den Minister für Arbeit und Soziales ins Plenum zu zitieren. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Abgeordneter Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion widerspricht diesem unverschämten Antrag. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, nach § 46 der Geschäftsordnung bedarf ein solcher Antrag der Unterstützung von so vielen anwesenden Mitgliedern des Bundestages, wie einer Fraktionsstärke entspricht. Das ist der Fall. Über den Antrag wird vom Bundestag entschieden. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! ({0}) Ich bitte, die Abstimmung durch Aufstehen zu wiederholen. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! ({1}) Vizepräsident Frau Funcke Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. ({2}) Wortmeldungen liegen nicht mehr vor? - Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wir kommen jetzt zu den beiden Entschließungsanträgen der Fraktion der CDU/CSU zum Einzelplan 12 und zum Haushaltsgesetz, die auf den Drucksachen 7/3406 und 7/3407 vorliegen. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf für die CDU/CSU-Fraktion die zwei Entschließungsanträge begründen. Ich hoffe, daß diese Anträge nicht auch von seiten der Koalitionsparteien als unverschämt bezeichnet werden. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß Herr Minister Arendt im Restaurant sitzt und ohne weiteres die Möglichkeit hätte, sofort hierherzukommen. ({0}) Ich darf aber nun zur Begründung unserer Anträge kommen. Die CDU/CSU-Fraktion ersucht die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Mai 1975 über Maßnahmen zu berichten, mit denen der bereits heute erkennbare erhebliche finanzielle Mehrbedarf der Deutschen Bundesbahn mit den bereitgestellten Mitteln aus dem Haushalt 1975 ohne weitere Einschränkung der Investitionen der Bahn bewältigt werden kann. Im Jahre 1971 schätzte die Bundesregierung die Qualität ihrer Verkehrspolitik und ihrer allgemeinen Wirtschaftspolitik mit der ihr eigenen Überschätzung offenbar so ein, daß sie in der mittelfristigen Finanzplanung bei der Bahn im Jahre 1975 mit 5 Milliarden DM Zuleistung aus dem Bundeshaushalt auszukommen glaubte. 1974 mußten der Bahn aber bereits 11 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt zugeschossen werden. Ich glaube, das ist ein deutlicher Beweis dafür, daß die Verkehrspolitik dieser Regierung in einer Sackgasse gelandet ist und heute unter dem Diktat der leeren Kassen steht. Der jetzt vor der Verabschiedung stehende Haushalt für 1975 enthält für die Bahn einen Zuschuß von 9 Milliarden DM. Die Mittelanforderung der Bahn war jedoch um 1,9 Milliarden DM höher. Gegen Kürzungen wäre an sich nichts einzuwenden. Damit stehen wir aber vor einem großen Haushaltsrisiko, das ein Parlament, das seine Funktion ernst nimmt, einfach nicht unter den Teppich kehren kann. In den vergangenen Haushaltsjahren hat die Bundesregierung bei der Verabschiedung des Haushalts zunächst durch zu niedrige Ansätze bei der Bahn Stabilitätskosmetik für den Gesamthaushalt zu treiben versucht. Zum Jahrsende wurden aber dann in großem Umfang sogenannte unvorhersehbare außerplanmäßige Ausgaben für die Bahn ohne Zustimmung des Parlaments getätigt - eine Praxis, die vom Bundesrechnungshof mittlerweile zu Recht scharf kritisiert wurde. Nicht nur im Interesse der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit, sondern auch im Interesse des Unternehmens Bahn, das wissen muß, was auf es zukommt, sowie im Interesse der Eisenbahner fordert die CDU/CSU, daß diese bedenkliche Praxis einer falschen Einschätzung der Haushaltsrisiken in diesem Bereich nunmehr aufgegeben wird. Unter den Eisenbahnern herrscht derzeit große Unruhe. In seiner Sitzung vom 4. März 1975 hat der Beirat der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands festgestellt - ich zitiere aus der Gewerkschaftszeitung -, daß die Eisenbahner durch eine ganze Reihe widersprüchlicher Erklärungen über die künftige Bundesbahnpolitik der Bundesregierung wie nie zuvor verunsichert seien. ({1}) Ich meine, diese Verunsicherung haben die Eisenbahner, die tagtäglich ihren Mann stehen, nicht verdient. ({2}) Es steht fest, daß die Bahn mit den vorgesehenen Zuschußmitteln für 1975 nicht auskommen wird. Der Finanzbedarf wird höher sein. Die weitere Schußfahrt der Bahn in die roten Zahlen, die durch die Politik der Bundesverkehrsminister der SPD ein Ausmaß erreicht hat, das nicht nur eine Bürde für die Eisenbahner ist, sondern die Grenze der Verantwortbarkeit erreicht hat, wird leider weitergehen. Auch bei Nutzung aller Marktchancen und Tarifspielräume ist in jedem Fall heute schon erkennbar, daß ein gewaltiger Brocken an Mehrausgaben aus dem Bundeshaushalt übrigbleiben wird. Ein Indiz für diese tatsächliche Situation ist auch, daß die Bahn bereits 1,4 Milliarden DM ihrer Investitionsmittel gesperrt hat, um ihre Liquidität aufrechterhalten zu können. Eine weitere Verschuldung der Bahn für kurzfristige Verbindlichkeiten wird angesichts des gewaltigen Kreditbedarfs der öffentlichen Hände im Jahre 1975 schier unmöglich sein. Die Fremdverbindlichkeiten der Bahn haben im übrigen bereits das Ausmaß von 22 Milliarden DM erreicht. Schließlich und endlich: Wenn von den sogenannten Zielvorgaben des Bundesverkehrsministers Gscheidle an die DB überhaupt haushaltsmäßige Auswirkungen zu erwarten sind, dann werden diese - das hat Herr Minister Gscheidle selbst erklärt - keinesfalls im Jahre 1975 eintreten. Angesichts dieser Situation ist der vorliegende Entschließungsantrag der Opposition eine zwingende Notwendigkeit. Die Verkehrspolitik kann es heute nicht damit bewenden lassen, der Bahn nur Zielvorgaben vorzuschreiben. Gegenwärtig stellt sich die ernste Frage, wie die Bahn finanziell über die Runden kommen und dabei gleichzeitig ihr Investitionsvolumen so bemessen kann, daß mittelfristig und längerfristig ein Ausweg aus der Finanzmisere zu finden ist. Der Bundesverkehrsminister hat in seinen Zielvorgaben für die Bahn den Eindruck erweckt, dieses Unternehmen könne mit seinen gegenwärtigen Problemen allein fertig werden. Das ist ganz und gar nicht der Fall. Deshalb ist der Antrag der CDU/CSU-Fraktion begründet, und ich bitte um Ihre Zustimmung. Ich darf ganz kurz den weiteren Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/3407 begründen. Die vorgenommene Ausweitung der Zweckbindung des Aufkommens der Mineralölsteuer auf „sonstige verkehrspolitische Zwecke" hat dazu geführt, daß immer mehr Mittel des Verkehrsetats in Subventionen geleitet wurden und für Investitionen nicht zur Verfügung standen. Wir sind der Meinung, daß diese zweckgebundenen Mittel der Mineralölsteuer ausschließlich für Investitionen eingesetzt werden müßten. In den vergangenen Jahren ist auch beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur der für eine erfolgreiche Politik notwendige Zusammenhang zwischen Sach und Finanzplanung mehr und mehr verlorengegangen. Als unmittelbare Folge dieser Entwicklung kam es im Verkehrsbereich zu einer Reihe unrealisierbarer Investitionsprogramme. Der vorliegende Antrag soll sicherstellen, daß mittelfristig der enge Zusammenhang von Sach- und Finanzplanung wiederhergestellt wird. Deshalb bitte ich das Hohe Haus, auch diesem Antrag zuzustimmen. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).

Heinrich Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001552, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Meine Fraktion ist empört darüber, ({0}) daß Sie hier unverschämt und frech behaupten, Herr Dr. Jobst, daß sich Bundesminister Walter Arendt im Restaurant befinde. Das trifft nicht zu. Sie wollen wieder die Atmosphäre vergiften. ({1}) Wir weisen diese Unterstellung entschieden zurück. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?

Wilhelm Rawe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001786, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Herr Bundesminister Arendt, wenn hier ausweislich des Protokolls festgestellt wird, daß er gegenüber diesem Parlament die Unwahrheit gesagt hat, sich dann hierher bemühen und das richtigstellen sollte? ({0})

Heinrich Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001552, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe Ihnen gesagt, was dazu zu sagen war. ({0}) Ich komme nun zu den beiden Anträgen. ({1}) Der Antrag auf Drucksache 7/3406 zielt auf weitere Liquiditätszuschüsse für die Deutsche Bundesbahn ab. Wenn wir diesen Antrag ernst nehmen sollen, kann er in der kurzen Frist bis Ende des nächsten Monats, bis Ende April also, nicht anders behandelt werden, als er jetzt bei den Haushaltsberatungen behandelt worden ist. Nach dem Bundesbahngesetz ist der Bund nur insoweit verpflichtet, der Bahn Haushaltsmittel zuzuführen, als es ihre Liquiditätslage erfordert. Im Entwurf des Bundeshaushalts, den wir soeben verabschiedet haben, betragen die Ansätze allein für die Bahn 9 350 Millionen DM. Rechnet man noch die Mittel des konjunkturellen Sonderprogramms vom 12. Dezember 1974 in Höhe von 380 Millionen DM hinzu, so werden der Deutschen Bundesbahn im Jahre 1975 über 9,7 Milliarden DM an öffentlichen Mitteln zufließen. Damit wird die Bahn in die Lage versetzt, ihren Bedarf an zusätzlichen Liquiditätsmitteln voll zu decken.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?

Heinrich Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001552, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, keine Zwischenfrage! ({0}) Die Kreditaufnahme der Bahn ist selbst unter Einrechnung aller jetzt erkennbaren Risiken mit 2,7 Milliarden DM netto durchaus bescheiden und vertretbar. Die Finanzierung der Deutschen Bundesbahn ist danach sichergestellt. Ich darf für meine Fraktion beantragen, den vorliegenden Antrag an den Haushaltsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen - mitberatend - zu überweisen. Zum nächsten Antrag auf Drucksache 7/3407 möchte ich folgendes erklären - ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Heinrich Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001552, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein! Ich spreche jetzt zum Antrag. ({0}) Müller ({1}) Es ist das Bemühen des Bundesverkehrsministers, ({2}) bei der Fortschreibung der Bundesverkehrswegeplanung und bei der Überarbeitung des Ausbauplanes für die Bundesfernstraßen den engen Zusammenhang zwischen Programm und Finanzplanung deutlich zu machen. Diese Aufgabe ist um so notwendiger, als die bekannte Weltwirtschaftssituation und die konjunkturelle Lage eine Überprüfung notwendig machen. Der von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Entschließungsantrag ist deshalb e i n Modell unter mehreren Möglichkeiten eine enge Verzahnung der Investitions- und Finanzplanung herzustellen. Der Bundesverkehrsminister wird die einzelnen Modelle prüfen und eine abgestimmte Meinung der Bundesregierung herbeiführen. Durch die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes unter Einschließung der Straßenbauplanung ist von der Sache her bereits garantiert, daß eine enge Verzahnung zwischen Finanz- und Investitionsplanung hergestellt wird. Auch hier beantrage ich für meine Fraktion: Überweisung an den Haushaltsauschuß - federführend - sowie an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zur Mitberatung. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag zum Einzelplan 12 auf Drucksache 7/3406. Es ist Überweisung beantragt. ({0}) Beratung der Sammelübersicht 34 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 7/3306 - b) Beratung der Sammelübersicht 35 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 7/3317 - c) Beratung der Sammelübersicht 36 des Petitionsausschusses ({3}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 7/3323 Wird das Wort dazu gewünscht? Das ist nicht der Fall. Sind Sie damit einverstanden, daß wir gemeinsam über alle Sammelübersichten entscheiden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann stimmen wir gemeinsam ab. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei vier Enthaltungen so beschlossen. Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich wünsche allen Mitgliedern des Hauses eine geruhsame und erholsame Osterpause. Zur nächsten Sitzung berufe ich das Haus auf Mittwoch, den 9. April 1975, 14 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.