Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/13/1975

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, heute feiert der Abgeordnete Ziegler seinen 60. Geburtstag. Wir gratulieren ihm sehr herzlich. ({0}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um a) die Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, b) die Vereidigung des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Diese Tagesordnungspunkte sollen um 15 Uhr aufgerufen werden. Das Haus ist damit einverstanden? - Danke schön. Dann ist so beschlossen. Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vorn 7. März 1975 eine Ergänzung der Antwort - Drucksache 7'2636 -- auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schröder ({1}), Dr. Warnke, Dr. Marx, Baron von Wrangel, Niegel, Seiters, Dr. Ritz, Dr. Althammer, Biehle, Ey, Nordlohne, Dr. von Bismarck, Dr. Narjes, Dr. Müller-Hermann, Hösl, Dr. Köhler ({2}), Carstens ({3}), Eilers ({4}), Frau Pieser, Schedl und Genossen betr. die wirtschaftliche Situation in den strukturschwachen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 7/2565 - übersandt. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/3351 verteilt. Der Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 12. März 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Dr. Dollinger, Sick, Ey und Genossen betr. Versorgung der Bevölkerung mit Waren des täglichen Bedarfs - Drucksache 7 3263 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/3352 verteilt. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur inneren Sicherheit b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze des Gemeinschaftsfriedens - Drucksache 7/2772 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Sonderausschuß für die Strafrechtsreform ({5}) Innenausschuß c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze des Gemeinschaftsfriedens - Drucksache 7/2854 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Sonderausschuß für die Strafrechtsreform ({6}) Innenausschuß d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetzes - Drucksachen 7/3030, 7/3064 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Sonderausschuß für die Strafrechtsreform ({7}) Innenausschuß e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Vogel ({8}), Kunz ({9}), Dr. Jaeger, Erhard ({10}), Dr. Lenz ({11}), Dr. Wittmann ({12}) und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Rechts- pflege - Drucksache 7/3116 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß f) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Unterrichtung über Fragen der inneren Sicherheit - Drucksache 7/3259 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß g) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland Drucksache 7/3303 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({13}) Rechtsausschuß Es ist eine gemeinsame Debatte vorgesehen. Das Wort zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorweg bekunde ich vor dem Deutschen Bundestag all denen Dank und Respekt, die durch Besonnenheit, durch Mut und durch Verantwortungsbereitschaft mitgeholfen haben, Peter Lorenz zu retten. ({0}) Der Schutzpolizei, der Kriminalpolizei, dem Bundesgrenzschutz, dem Verfassungsschutz in Bund und Ländern sowie allen anderen Sicherheitsorganen spreche ich die Anerkennung der Bundesregierung aus. Ich schließe in diesen Dank Pastor Albertz und die Besatzung des Lufthansa-Flugzeugs ein, die freiwillig in kritischer Situation ein persönliches Risiko eingegangen sind. ({1}) Die Bundesregierung und ich selbst haben im Falle Lorenz politische Verantwortung, politische Mitverantwortung, übernommen, obwohl wir nach dem Grundgesetz weder für die Freilassung der Häftlinge noch für den Einsatz der Polizei in Berlin und an anderen Orten Weisungsrechte hatten oder gesetzliche Verantwortung trugen. Weil wir politische Mitverantwortung tragen wollten, haben wir die vier zuständigen Landesregierungen, die Vorsitzenden der vier großen demokratischen Parteien und die Vorsitzenden der drei Bundestagsfraktionen an einen Tisch gebracht und haben an diesem Tisch die Entscheidungen gemeinsam beraten und getragen. Bei dieser Gelegenheit hat Herr Ministerpräsident Helmut Kohl wörtlich gesagt: „Entweder ziehen wir alle an einem Strang, oder wir können den Staat zumachen." Ich stimme dem ausdrücklich zu, ({2}) und ich gehe davon aus, daß diese Zustimmung für alle Teilnehmer auch der heutigen Sitzung gilt. Sicherlich ist sich der Bundestag dessen bewußt, daß die heutige Debatte für manche Seite auch eine Versuchung darstellen könnte, einseitig, parteilich zu taktieren. Wir sollten uns deshalb noch einmal sorgfältig das Protokoll der Pressekonferenz ansehen, die Herr Lorenz nach seiner Freilassung in Berlin gegeben hat. Ich will an dieser Stelle einfügen, daß ich eine Äußerung, die ich selbst vor längerer Zeit, nämlich zu Beginn des Berliner Wahlkampfes, über Peter Lorenz gemacht habe, ausdrücklich bedauere. Diese Bemerkung war nicht ehrenrührig, sondern sie wollte die im Wahlkampf von der Gegenseite vorgetragenen Zweifel an der demokratischen und sicherheitspolitischen Zuverlässigkeit meiner eigenen Berliner Parteifreunde abwehren. Ich denke allerdings auch heute noch, daß wir uns solche Zuverlässigkeitszweifel gegenseitig nicht unterstellen sollten. Ich würde mich als Sozialdemokrat auch in aller Zukunft mit aller Härte dagegen zur Wehr setzen. In dem Protokoll der Pressekonferenz von Herrn Lorenz werden Sie finden, daß er dort - nach seiner Befreiung - anders gesprochen hat, als einige ihn vielleicht ganz gern hätten reden hören. Trotz allem, was er durchgemacht hatte, antwortete er als ein Politiker, der sich dem demokratischen Rechtsstaat verpflichtet fühlt. Weder hat er denen nach dem Munde geredet, die von ihm womöglich den Ruf nach der Todesstrafe erwarteten, noch hat er jene bestätigt oder gar ermutigt, die uns in Verkennung des Charakters von Terroristenorganisationen polizeistaatliche Rezepte empfehlen wollen. Wenn ich richtig unterrichtet bin, war es ein anderer CDU-Politiker, nämlich der Kollege Rainer Barzel, der in diesen Tagen zutreffend darauf hingewiesen hat, daß sich Rechtsstaat und umfassende Polizeigewalt gegenseitig ausschließen. Das heißt, der Rechtsstaat kann keinen absoluten Schutz vor Terrorismus und vor anarchistischer Gewalttätigkeit bieten. Ich füge hinzu: Auch Militär- oder Polizeidiktaturen sind nicht in der Lage, dagegen einen absoluten Schutz zu bieten; wir haben dafür auch in der Gegenwart - ich will die Beispiele nicht nennen - genug Anschauungsbeispiele. Aber dem Rechtsstaat stehen im Grundgesetz und in den Gesetzen eine große Zahl verschiedenartiger Mittel, auch staatliche Gewalt in vielfältiger Form, zur Verfügung, um sie gegen Rechtsbrecher anzuwenden. So weit die gesetzliche Verantwortung der Bundesregierung und so weit ihr politischer Führungsauftrag reichen, so weit treten wir für volle Ausschöpfung der rechtsstaatlichen Gewalt ein. Unser Auftrag ist, die Verfassung und die Gesetze zu wahren und zu verteidigen; d. h.: die gesetzliche Ordnung zu verwirklichen - nicht anders kann ich den Amtseid verstehen, den die Bundesminister und der Bundeskanzler geleistet haben. Neben der Verteidigung der gesetzlichen Ordnung steht in gleichem Range der Ausbau unseres sozialen, liberalen und demokratischen Rechtsstaates - im Geiste der Solidarität und der Toleranz. Dies ist der beste demokratische Staat, der bisher je in der deutschen Geschichte bestanden hat. ({3}) Wir alle gemeinsam haben diesen Staat in 25 Jahren ausgebaut. Wir setzen diesen Kurs des schrittweisen Ausbaus, des schrittweisen Reformierens fort. Ich bitte die jungen Bürger, sich in der deutschen Geschichte umzusehen, und ich bitte die älteren Bürger, sich in ihrer eigenen Erinnerung umzusehen und sich zu fragen, wann jemals vorher auf deutschem Boden so viel persönliche Freiheit, ein solches Maß an Wohlstand, so viel an sozialem Ausgleich und so viel Toleranz, wann jemals vorher das alles auf deutschem Boden verwirklicht gewesen ist. ({4}) Dieser Staat ist es wert, daß wir uns mit ihm solidarisieren. Wenn wir alle das tun, dann können auch Extremisten und Terroristen, so sehr wir ihre Drohung ernst nehmen, diesen Staat in Wirklichkeit nicht gefährden. Das Grundgesetz - damit komme ich zu einem anderen Abschnitt - hat die Ausübung der polizeilichen Aufgaben und die Wahrnehmung der Justiz weitgehend den Ländern zugeordnet. Aber auch der Bund trägt Verantwortung und will Verantwortung tragen. Daraus ergibt sich, daß die Gewährleistung der inneren Sicherheit eine gemeinsame Aufgabe von Ländern und Bund ist. Jemand, der etwa aus der Zusammenarbeit ausbrechen wollte, der gefährdete den Erfolg der Sicherheitspolitik. Das Grundgesetz und der Gesetzgeber haben für alle, die für die innere Sicherheit zu sorgen haben, aber auch einige gemeinsame Einrichtungen geschaffen. Ich nenne etwa den Bundesgerichtshof, den Generalbundesanwalt, das Bundesamt für Verfassungsschutz oder das Bundeskriminalamt. Darüber hinaus sind in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern insbesondere in der Innenministerkonferenz zusätzliche Arbeitsinstrumente im Laufe der Jahre entwickelt worden. Tatsächlich hat die Innenministerkonferenz der Länder, an der dann ja meist auch der Bundesinnenminister beteiligt ist, im wesentlichen die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern koordiniert - auf den Justizbereich komme ich nachher noch gesondert zu sprechen -, tatsächlich hat die Innenministerkonferenz z. B. auch die Rolle des Bundeskriminalamts bestimmt. Ich halte es für wichtig, vor dem Parlament Punkt für Punkt darzulegen, wie das in der Praxis aussieht. Ich greife dabei vier Jahre zurück. Im Jahre 1971 wurde das Bundeskriminalamt vom damaligen Bundesinnenminister Genscher mit der zentralen Ermittlung und Fahndung nach anarchistischen Gewalttätern beauftragt. Dieser Auftrag ist im Mai 1972 - nach den Sprengstoff- und Bombenanschlägen - noch erweitert worden. Im Mai 1972 hat die Innenministerkonferenz ein neues Modell der Zusammenarbeit entwickelt. Außer den schon bestehenden Sonderkommissionen beim Bundeskriminalamt wurden in den Ländern weitere Sonderkommissionen gebildet und dem Bundeskriminalamt unterstellt. Diese und andere Vorkehrungen haben damals zur Festnahme des sogenannten harten Kerns der Baader-Meinhof-Terroristen geführt. Im Jahre 1973 ist dann das Gesetz über das Bundeskriminalamt geändert worden. Der einheitlichen Auffassung der elf Länder entsprechend ist dabei eine wesentliche Ausweitung der Befugnisse des Bundeskriminalamts nicht erfolgt. Inzwischen hatte sich auf Grund der Terrorakte während der Olympischen Spiele in München, wegen der Ereignisse in München und Fürstenfeldbruck, das Schwergewicht der Tätigkeit der Sicherheitsorgane mehr auf solche Terrororganisationen - Baader und Meinhof saßen ja inzwischen in Untersuchungsgefängnissen verlegt, die ihre Aktionen vom Auslande her in die Bundesrepublik hineintrugen. Im Laufe der letzten Monate sind sodann wiederum neue inländische Terrorgruppen in Erscheinung getreten. In den eingangs von mir schon genannten großen Beratungsgremien - heute vor zehn, zwölf Tagen während der Entführung von Herrn Lorenz - haben wir, die wir dort versammelt waren, uns natürlich auch ein Bild von dem gegenwärtigen Stand der Zusammenarbeit der Polizeien der Länder untereinander, der Zusammenarbeit der Polizeien der Länder mit dem Bundeskriminalamt und mit dem Verfassungsschutz in den Ländern und mit dem Bundesverfassungsschutz verschaffen müssen. Die in jener Runde anwesenden Ministerpräsidenten haben, gestützt auf die Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 28. Februar ausdrücklich erklärt, daß die gegenwärtige Praxis dieser Zusammenarbeit ein Höchstmaß an Kooperation gewährleistet. Ich selber habe zu diesem Punkt sehr insistente Fragen gestellt. Es ist mir dargelegt worden, daß die Beschlüsse der Innenministerkonferenz in Sachen Bekämpfung des Terrorismus jeweils einstimmig ergangen seien. Ich gehe davon aus, daß der Bundesminister Professor Maihofer wie auch Vertreter des Bundesrates diesem Komplex im Verlauf der heutigen Debatte noch Aufmerksamkeit zuwenden und ihn näher beleuchten werden. Ich erwarte, daß dort, wo etwa doch noch Verbesserungen möglich sein sollten, z. B. bei der zentralen Informationssammlung, die Länder dem Bundeskriminalamt zur Seite stehen, das seinerseits ihnen zur Verfügung steht. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die beiden Sicherheitsprogramme von Bund und Ländern vom Juni 1972 und vom Februar 1974 gemeinsam ergangen sind. Ich erwarte von der heutigen Debatte, daß sowohl der Bundesinnenminister als auch die Vertreter des Bundesrates - die Vertreter der Länder also - Rechenschaft über die Verwirklichung dieser beiden Programme geben. Meine Damen und Herren, ich habe am vergangenen Donnerstag in einer Fernsehansprache ausgeführt - und ich wiederhole es hier -: Alle Beteiligten müssen im Lichte der jüngsten Erfahrungen prüfen, ob und gegebenenfalls wo Verbesserungen noch möglich oder notwendig sind, d. h. ob die neue Herausforderung des Terrorismus nicht auch noch neue Vorkehrungen für dessen Bekämpfung erfordern könnte. Es muß immer und unter allen Umständen sichergestellt sein, daß die Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bund so effektiv wie möglich ist. Das gilt genauso für die Zusammenarbeit der Bundesländer untereinander. Es geht um den Schutz unserer Bürger; deshalb ist hier weder für zentrales noch für partikulares Prestigedenken irgendein Raum. ({5}) Auch unsere Bürger müssen wissen - was die Innenminister natürlich schon längst wissen -, daß einerseits öffentliche polizeiliche Fahndungen, wie übrigens auch verdeckte Fahndungen, zweckmäßige Instrumente der Kriminalpolizei sind, daß aber bei der Bekämpfung konspirativen Terrors darüber hinaus auch die übrigen Sicherheitsbehörden in ihrer Arbeit unverzichtbar sind. Es kommt hier auf sorgfältige Observation an. Es kommt - ich spreche es aus auf Infiltration in die Sympathisantengruppen hinein an. Ich spreche auch aus, daß es darüber hinaus auf die Ausschöpfung der gesetzlichen Möglichkeiten ankommt, die das Gesetz nach Art. 10 des Grundgesetzes zur Verfügung gestellt hat und für solche Zwecke hat zur Verfügung stellen wollen. Die neue Herausforderung durch den Terrorismus gibt allen Anlaß, sorgfältig zu prüfen, ob alle die eben angedeuteten Möglichkeiten und Notwendigkeiten überall von den dazu Berufenen wirklich voll genutzt werden; denn z. B. ohne die nachrichtendienstliche Arbeit des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern würden polizeiliche Ergebnisse zu einem erheblichen Teil vom Zufall abhängen. Ich selbst bin einmal vier Jahre lang Innenminister eines Bundeslandes, wenn auch eine kleinen Bundeslandes, gewesen; meine Amtsbezeichnung war damals anfangs sogar Polizeisenator. Ich habe dabei polizeiliche Erfahrungen gesammelt, wenn es auch eine andere Zeit gewesen ist, in mancher Beziehung vielleicht eine leichtere Zeit. Ich möchte hier von zwei miteinander zusammenhängenden Erfahrungen berichten, die ich in jenen vier Jahren gesammelt habe und die mir für die heute zu erörternden Fragen Bedeutung zu haben scheinen. Die erste Erfahrung machte ich im Jahre 1962 während der norddeutschen Flutkatastrophe. Ich erkannte damals, daß in einer akuten Bedrohungssituation die Konzentration der verantwortlichen Entscheidung, d. h. die Konzentration der Führung in einer Hand, eine wesentliche Voraussetzung für einen durchgreifenden Erfolg sein kann. Die andere Erfahrung habe ich unmittelbar darauf anläßlich des schwerwiegenden Mißgriffs der damaligen Bundesregierung gegenüber der Redaktion und einzelnen Redakteuren des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel" gemacht. Bei dieser zweiten Gelegenheit habe ich die Gefahr erkannt, die in einer Konzentration polizeilicher Befugnisse in einer Hand liegen kann. Beide Erfahrungen stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Aber aus dieser zweiten Erfahrung heraus habe ich mich innerlich fast ein Jahrzehnt lang immer wieder dagegen gesträubt - ich spreche jetzt nicht nur von der Polizei -, die Verlagerung von Befugnissen, die bei den Ländern liegen, auf die zentralen Stellen der Bundesrepublik Deutschland zu begünstigen; denn ich betrachtete - und ich betrachte auch heute noch - die Aufrechterhaltung der Machtbalance zwischen dem Bund und den Ländern, wie sie uns im Grundgesetz - übrigens nicht ohne maßgeblichen Einfluß der damaligen Besatzungsmächte - vorgeschrieben ist, als eine wichtige Garantie gegen staatlichen Machtmißbrauch. Wie gesagt: Diese Erfahrung hat mich in meinem persönlichen Denken lange Zeit bestimmt, und zwar besonders auf zwei Feldern, nämlich auf dem Feld 1. der Polizei und 2. der Bildungs-, der Schul-, der Hochschulpolitik, wozu ich hier noch vor sechs Jahren - damals gegenüber dem jetzigen Koalitionspartner FDP, der in diesem Punkte andere Meinungen vertrat - gesprochen habe. Ich muß jetzt bekennen, daß ich inzwischen auf beiden Feldern noch nachdenklicher geworden bin, als ich es schon war. Für mich persönlich sage ich: Ich glaube nicht, daß es immer so bleiben muß, daß wir auch für die nächsten 25 Jahre des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland die Einrichtung einer zentralen Kriminalpolizei, wie sie in fast allen unseren westlichen Nachbarstaaten - von den östlichen ganz zu schweigen - existiert, ganz ausschließen könnten. Die Bundesregierung hat aber nicht die Absicht, nun demnächst, diesem von mir persönlich für die weitere Zukunft vorgetragenen Gedanken folgend, etwa einen Gesetzentwurf vorzulegen. Ich wollte hier nur einen Denkanstoß geben und mich in diesem Punkt mit dem Denkanstoß begnügen. Wichtig bleibt auf jeden Fall jetzt wie in Zunkunft ein enges Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern. Die Länder sind im Sicherheitsbereich unabhängig von den Weisungen der zentralen Regierung hier in Bonn. So hat es uns das Grundgesetz vorgeschrieben. Immerhin haben sich Bund und Länder in Ausführung des gemeinsamen Sicherheitsprogramms im Prinzip aber bereits auf einen wenigstens inhaltlich gleichen Musterentwurf eines Polizeigesetzes geeinigt. Übrigens hat die erste Bundesregierung der sozialliberalen Koalition 1969 die zentralen Einrichtungen auf diesem Feld in einem, wie es uns schien, unzureichenden Zustand vorgefunden. Seitdem hat die gegenwärtige Gesetzgebungskoalition aus Freien Demokraten und Sozialdemokraten erstens mit dem Sofortprogramm vom 29. Oktober 1970 die Verbrechensbekämpfung modernisiert und intensiviert, zweitens mit dem „Schwerpunktprogramm Innere Sicherheit" vom März 1972 die Einrichtungen des Bundes schlagkräftiger gemacht und drittens das Bundeskriminalamt zu einer der modernsten Behörden zur Verbrechensbekämpfung in der Welt ausgebaut und den Polizeien der Länder zur Verfügung gestellt. Auch künftig sind Ausbildung und Ausstattung der Polizeien weiter zu verbessern. Wir benötigen eine ständig präsente und ausreichend starke Kriminalpolizei und Schutzpolizei, die von ihrer Ausrüstung, ihrer Ausbildung und ihrer Moral her auf den rechtsstaatlichen Kampf gegen den Terrorismus eingestellt ist. Ich komme zu einem anderen Abschnitt. Auch auf dem Felde der Justiz haben wir unsere Instrumente geschärft. So haben wir 1971 neue Straftatbestände, z. B. gegen Luftpiraterie und Geiselnahme, in das Strafgesetzbuch hineingeschrieben. Wir haben im Oktober 1972 das Haftrecht so geändert, daß die Bekämpfung von Serien- oder Wiederholungstätern wirksamer gemacht worden ist. Dann haben wir 1973 gegen gewaltverherrlichende und gewaltverharmlosende Schriften die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung geschaffen. Wir haben viertens seit dem 1. Januar ‘dieses Jahres dafür gesorgt, daß Verteidiger von der Verteidigung ausgeschlossen werden können, die unter Mißbrauch ihrer Rechte unzulässige Kontakte zwischen Inhaftierten und Außenwelt herstellen. Wir haben seit Beginn dieses Jahres dafür gesorgt, daß gegen Angeklagte auch dann verhandelt werden kann, wenn sie sich selber absichtlich, z. B. durch Hungerstreik, verhandlungsunfähig machen. Heute schließlich beraten wir über den Entwurf eines 13. Strafrechtsänderungsgesetzes, mit dem auf die neuartigen Erscheinungsformen von Gewaltdrohung, Anleitung zu Gewalt und Propagierung von Gewalt wirksamer soll reagiert werden können. Die Bundesregierung erwartet, daß das ganze Instrumentarium, das uns der Recht gibt, von den dazu Berufenen strikt und konsequent angewendet wird.

Not found (Kanzler:in)

Ich bedaure z. B., daß der Ausschluß eines Verteidigers, der sich, statt Organ der Rechtspflege zu sein, in Wirklichkeit an Konspiration beteiligt, bisher erst in einem einzigen Fall tatlich angewandt worden ist oder hat angewandt werden können. Sollten sich hier neue Erfahrungen und Erkenntnisse ergeben, so wird die Bundesregierung zur Prüfung bereit sein. Bundesjustizminister Vogel wird sich noch im einzelnen zur Rolle der Justiz bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit äußern. Mir scheint, in erster Linie ist die Wirksamkeit der Strafverfolgung, also die Sicherheit, mit der ein Täter seine Bestrafung erwarten muß, für die Sicherheit in unserem Lande entscheidend. Allerdings: Gegenüber Terroristen, die sich in bewußter Willensentscheidung gegen unsere rechtsstaatliche Ordnung auflehnen und ihr eigenes Leben dabei aufs Spiel setzen wollen - und dafür gibt's ja Beispiele im Inland wie im Ausland -, müssen zwei wesentliche Grundgedanken des Strafrechts versagen: gegenüber solchen muß die Abschreckung und muß wohl auch die Resozialisierung versagen; denn der Terrorist will sich ja in unsere Gesellschaft nicht einfügen. Im Gegenteil, er will sie umstürzen, ihr seine totalitären Ansprüche aufzwingen, und er läßt sich auch durch noch so hohe Strafen, auch nicht durch die Todesstrafe abschrecken; denn er ist ja bereit, aus Fanatismus sein Leben wegzuwerfen. Alle Beispiele, auch die internationalen, zeigen das. Auch das israelische, vielfältig zitierte Beispiel zeigt immer wieder, daß selbst härtestes Durchgreifen eines Staates, der in einer Verteidigungssituation sich nicht scheuen kann, selbst zu töten, den Terrorismus nicht bricht, weil eben die Terroristen ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen wollen. Für die Bekämpfung dieser Terroristen bleibt folglich nur der dritte Grundgedanke des Strafrechts wirksam, nämlich die Sicherung. Das heißt, wir müssen sie hinter Schloß und Riegel bringen. ({0}) Ich schließe damit nicht aus, daß gegen die etwa Beihilfe leistenden Sympathisanten - die es auch gibt - Abschreckung und auch Resozialisierung ihre Wirksamkeit behalten werden. Die Grundprinzipien der Strafrechtsreform sind von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, im wesentlichen mitgetragen worden. Ich bin sicher, daß sie diesen Weg nicht verlassen wollen, der uns zu einem modernen, zweckmäßigen, rechtsstaatlichen Strafrecht führt. Ich bin sicher, daß der ganze Bundestag einig ist in der Feststellung, die ich anschließen möchte: Nichts könnte die Rückkehr zu Methoden rechtfertigen, die uns auch nur entfernt in die geistige Nähe zu Gestapo-ähnlichen Praktiken rücken könnten. ({1}) Ich komme zu einem letzten Abschnitt, meine Damen und Herren. Der Bürger erwartet von uns, daß wir den Kampf gegen den Terrorismus auch geistig und politisch führen. ({2}) - Ich habe auch an dieser Stelle den Beifall auf allen Seiten dieses Hauses erwartet, meine Damen und Herren. ({3}) In den rechtsstaatlichen Demokratien der Nachkriegszeit ist Terrorismus international eine relativ neue Erscheinung. Wir beobachten sie bewußt vielleicht seit Beginn der sechziger Jahre mit dem Fanal der Ermordung der beiden Kennedys und der Ermordung Martin Luther Kings. Terrorismus gibt es nicht nur im Mittleren Osten, in Irland, in England, in Holland, in der Schweiz, selbst in Spanien, in vielen anderen Ländern. Es gibt ihn aus den verschiedensten Motivationen - er steckt sich gegenseitig an -, aus nationalen, aus religiösen, aus rassistischen, aus ideologischen Motivationen. Keine Regierung, keines dieser Länder könnte versprechen, daß der Terrorismus schnell getilgt werden könnte. Ich sage hier ganz offen: Durchgreifende Erfolge sind, wenn ich die Landschaft international in den Blick ziehe, kurzfristig nicht zu erwarten. Im Gegenteil! Es wird immer wieder in allen diesen unseren Ländern terroristische Aktionen geben, und wir werden uns in jeder konkreten Situation immer wieder neu zu entscheiden haben, wie wir ihnen begegnen wollen und wie wir ihnen begegnen müssen. Mit Baader-Meinhof ist die Sache nicht ausgestanden. Es gibt Nachfolger und Nachahmer, Terrorgruppen, die sogar miteinander konkurrieren. Nicht nur auf deutschem Boden ist diese Erscheinung erkennbar. Es gibt internationale Verbindungen der Terroristen und internationale Verbindungen ihrer Mitläufer. Die bei uns bevorstehenden Baader-Meinhof-Prozesse werden mit Sicherheit große internationale Kampagnen der Sympathisanten auslösen. Sogenannte Anwälte des Rechts werden aus aller Welt in die Bundesrepublik Deutschland angereist kommen und uns ihre Philosophie verkünden. ({4}) Sie werden angereist kommen, um unseren Rechtsstaat vor unserer eigenen öffentlichen Meinung herabzusetzen, wie es schon geschehen ist, wie es sich gerade auch gegenwärtig anläßlich des Prozesses in Bückeburg schon abzeichnet. Die Bundesregierung muß erwarten, daß - ähnlich wie jüngst in Stuttgart ein Gericht die Zulassung eines solchen Anwalts abgelehnt hat - solchen Kampagnen mit aller Klarheit und Entschiedenheit entgegengetreten wird. So ist z. B. die von den Terroristen und ihren Anwälten angezettelte Kampagne gegen eine angebliche sogenannte Isolationsfolter einschließlich des Hungerstreiks, wie ich denke, falsch, nämlich viel zu nachsichtig, behandelt worden. ({5}) Solche Nachsichtigkeit und solche Hilfslosigkeit sollten sich nicht wiederholen. ({6}) Es ist ein Fehler gewesen, daß die Haftbedingungen der Baader-Meinhof-Häftlinge von den für diese Haftanstalten zuständigen Behörden nicht rechtzeitig und nicht so umfassend der Öffentlichkeit dargestellt wurden, wie sie doch wirklich waren und wie sie wirklich unseren Gesetzen entsprechen. ({7}) Auch einige der Massenmedien, eine gewisse Sensationspresse voran, ({8}) sind in diesen Kampagnen, z. B. der IsolationsfolterKampagne, jenen Leuten auf den Leim gekrochen, und manche Medien tun dies heute noch und täglich mit seitenlangen Schilderungen der Aktivitäten der Terroristen unter Weglassung dessen, was Kriminalpolizei, Schutzpolizei und Verfassungsschutz erfolgreich tun. ({9}) Das Beklagen dieser Mängel soll auf der anderen Seite unseren Blick nicht vor der ganz wesentlichen Erkenntnis verstellen, daß es den Terroristen und ihren Kampagnen nicht gelungen ist, irgendeine Mobilisierung der Massen zu erreichen, von der sie in ihrer Vermessenheit geträumt und geschwatzt haben. ({10}) Sie werden dieses Ziel auch in Zukunft nicht erreichen. Ich bin ganz sicher, daß die Bürger dieses Staates, daß die gesellschaftlichen Gruppen, daß unsere Gesellschaft als Ganzes die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Terrorismus bestehen wird. Dazu ist es erforderlich, daß wir uns auch klar Rechenschaft darüber ablegen, ob wir alle immer alles richtig gemacht haben. Es ist wahr, daß in unserem Lande seit den Tagen der sogenannten APO manches verharmlost oder bagatellisiert worden ist, was nicht hätte bagatellisiert werden sollen, ({11}) manches nämlich, was über die Grenzen des in allen Demokratien notwendigerweise erlaubten Protestes hinausgeht, kunstvolle oder künstliche Unterscheidungen etwa zwischen illegitimer Gewalt gegenüber Sachen und illegitimer Gewalt gegenüber Personen ({12}) - die Zwischenrufer aus den Reihen der Opposition können in den Protokollen des Bundestages von 1968 nachlesen, daß derselbe Sprecher das schon damals mit derselben Klarheit angeprangert hat ({13}) oder Demonstrationen, die in zielstrebige Provokationen des Rechtsstaats und seiner Organe übergingen, ({14}) oder auch nur schlichte Verkennung der anarchistisch-terroristischen Zielrichtung jener Minderheit, die sich in Wahrheit doch über ihre eigenen Sympathisanten lustig macht, indem sie sie als nützliche, schwachsinnige Mitläufer ansieht. ({15}) Ich will niemanden ersparen zu sagen, daß dann dazu auch die von mir selbst immer als recht unecht empfundene, aber von anderen mit Verve vertretene Unterscheidung zwischen „Gruppen" und „Banden" gehört. Hier hat einer dem anderen - und umgekehrt - Etiketten aufzukleben versucht. Und dann ging es schon gar nicht mehr um die Terroristen, sondern nur noch um die Etiketten. ({16}) Seien wir uns dessen bewußt, daß neue Dolchstoßlegenden dort beginnen können, wo man die Taten jener verbrecherischen Gruppen von irregeleiteten Söhnen und Töchtern aus sogenanntem gutbürgerlichem Elternhaus ausgerechnet uns Sozialdemokraten anzulasten versucht. ({17}) - Sie sehen, ich bin heute morgen gern geneigt, dem verehrten Nachredner - sei es nun Professor Carstens oder sei es Herr Dregger - die Stichworte zu liefern, die er übrigens von mir nicht bräuchte, da sie ihm schon längst geläufig und von ihm schon vielfach benutzt worden sind. ({18}) Wer nach den geistigen Ursachen fragt und wer gewissenhaft, zum Beispiel was die Bundesrepublik Deutschland angeht, bis in die Jahre 1967/68 zurückdenkt, findet allerdings manches Mal übertriebene Langmut, übertriebene Duldsamkeit, manches Mal auch ({19}) die Bereitschaft, aus Bequemlichkeit Positionen kampflos zu räumen, und er findet oft mangelhafte Zivilcourage gegenüber den Kräften, die auf die Zerstörung demokratischer Einrichtungen gerichtet sind. Aber auch das ist richtig, was hier notwendigerweise hinzugefügt werden muß: Zu wenig war in den 20 Jahren eines weitgehenden politischen Immobilismus während des wirtschaftlichen Aufbaus unseres Landes getan worden, zu wenig war getan worden, um die Wertvorstellungen des Grundgesetzes in die aktuelle gesellschaftliche Praxis umzusetzen. ({20}) Dies alles gehört zu den vielfältigen Ursachen, die ich hier heute morgen nicht in ihrer Vollständigkeit analysieren kann. Aber wenn hier Schuld und Mitverantwortung festgestellt werden sollen oder können, dann trifft die Mitverantwortung bei uns nicht anders als in den übrigen demokratischen Staaten viele aus der älteren Generation, rechts wie links wie in der Mitte, Liberale wie Konservative, Politiker wie Professoren, Verantwortliche oder Mitverantwortliche für allzuviel Laxheit überall dort, wo man die Auseinandersetzung gescheut und wo man notwendige Autorität nicht verteidigt hat. ({21}) Ich bin allerdings sicher, daß nach der Entführung von Peter Lorenz eine Verständigung über manches leichter sein müßte, was zur gewissenhaften Erfüllung unserer Pflichten gehört. ({22}) - Herr Stücklen, ich muß Ihnen auf Ihren Zwischenruf sagen: Es ist eine geschichtliche Leistung der sozialliberalen Koalition, daß sie nach 1969 die politisch-geistige Auseinandersetzung angenommen hat, die sie unter Anspannung aller Kräfte tatsächlich führt. ({23}) Denn es ist doch wahr, daß die Freien Demokraten und daß die Sozialdemokraten diese schwierige geistige Auseinandersetzung mit dem Teil der Jugend, um den wir hier ringen müssen, praktisch allein führen. Es ist doch wahr, daß wir in vorderster Front bei dem Ringen um die Integration dieser jungen Generation stehen, daß die Opposition uns dabei häufig nicht geholfen hat, sondern häufig genug in den Rücken gefallen ist. ({24}) Ich sage das nicht im Ton des Vorwurfs. Aber ich bitte darum, daß auf seiten der Opposition der Unterschied oder die Unterscheidung zwischen zulässiger, vielleicht sogar notwendiger demokratischer Gesellschaftskritik auf der einen und destruktiver Gesellschaftsverneinung, Staatsverneinung auf der anderen Seite verstande werde. ({25}) Dabei sind wir uns sicherlich einig, daß die grundlegende, die grundsätzliche Fehlhaltung dieser Staatsverneiner, dieser Terroristen darin besteht, daß sie einen totalitären Anspruch erheben und dann auch noch glauben, daß Terror das geeignete Mittel zur Durchsetzung ihres totalitären Anspruchs wäre. Sie stellen sich damit als Gewaltkriminelle selbst außerhalb der Spielregeln, die unser demokratischer Rechtsstaat setzt. Meinungen können nicht durch Terror in politische Willensbildung umgesetzt werden. ({26}) Und wer an die Stelle von Kritik und von politischer Agitation nunmehr Drohung setzt und Gewalt setzt, der hat die Grenze überschritten, die politisches Handeln von Kriminalität scheidet. ({27}) Dies muß auch denjenigen gesagt werden, die es ja auch gibt - es sind nicht so ganz viele Menschen in unserem Lande -, die immer noch glauben, daß die Terroristen eigentlich einen politischen Anspruch erheben könnten, daß sie nur leider die falschen Mittel wählten. Es muß Schluß sein mit solcher Art von versteckter Sympathie. Wer da liebäugelt, macht sich mitschuldig. ({28}) Es muß aber auch Schluß sein damit, daß die Sozialdemokraten, die diesen Staat tragen, von Ihnen zu Sympathisanten gestempelt werden. ({29}) Ich verkneife es mir, ich versage es mir an dieser Stelle, zu den Ungeheuerlichkeiten Stellung zu nehmen, die ich am Montag dieser Woche im „Spiegel" gelesen habe, ({30}) sondern ich sage allen unseren Bürgern und allen sozialen und politischen Gruppen: Der freiheitliche Rechtsstaat und nur der freiheitliche Rechtsstaat ist und bleibt das Bollwerk der offenen, der demokratischen Gesellschaft. Dieses Bollwerk müssen wir mit aller Härte verteidigen. Härte bedeutet hier nicht Rücksichtslosigkeit gegenüber den Bürgern, Härte bedeutet Konsequenz in der Anwendung der Machtmittel, die der Staat denen gibt, die seine Bürger nach Verfassung und Gesetz vertreten sollen. Wir müssen ständig daran arbeiten, daß jeder Bürger sich mit diesem Staat identifizieren kann, daß jeder Bürger die reale Chance bekommt, sich in diesem Staat frei zu entwickeln, sich darin wohlzufühlen, sich mit ihm zu identifizieren. Wir müssen dafür sorgen, daß zwischen Bürger und Staat keine Gräben entstehen können. Der Staat muß die Bedürfnisse und Interessen der Bürger zu einem gerechten Ausgleich bringen, damit sie sich mit ihm identifizieren können. Meine Damen und Herren, Gewalt und Terror haben zum Ende der ersten deutschen Demokratie beigetragen. Sehr viele Bürger haben damals auch aus anderen Gründen die Weimarer Republik nicht mehr als ihren Staat betrachtet. Von solchen Zuständen kann heute weiß Gott keinerlei Rede sein. Insbesondere die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaft in unserem Lande haben kein Verständnis für selbst ernannte Ersatzproletarier als Vorkämpfer der Arbeiterklasse. ({31}) Die Arbeitnehmer fühlen sich in diesem Staate wohl, weil er für sozialen Ausgleich sorgt. Diesen Kurs fortzusetzen, ist das Beste, was wir für die Verteidigung des demokratischen Rechtsstaates tun können. ({32}) Meine Damen und Herren, zum Schluß: Die Bundesregierung ist überzeugt, daß Sicherheitsbehörden und Justiz in schwieriger Situation ebenfalls ihr Bestes tun, um Bürger und Staat zu schützen. In den letzten Jahren sind von terroristischen Gruppen in der Bundesrepublik drei Polizeibeamte und ein Richter ermordet und viele Anschläge verübt worden. Einer dieser Polizeibeamten war ein guter Bekannter von mir; er hat zum Beispiel in Hamburg für die Sicherheit meines privaten Wohnhauses mit gesorgt. Diese Beamten tun trotz unzähliger Drohungen in verantwortungsbewußter Weise ihre Pflicht, in der Justiz sowie bei der Polizei und den übrigen Sicherheitsorganen. Dies erfordert unser aller Dank und unser aller Zuspruch und unser aller Ermutigung. ({33}) Ich schließe in diesen Dank viele Journalisten in Presse, Funk und Fernsehen ein, die ihre Berichterstattung und ihre Kommentierung mit Besonnenheit wahrgenommen haben. Ich bin mir mit dem Deutschen Presserat darüber einig, daß die Berichterstattung über Gewaltverbrechen nicht dramatisiert werden, nicht zur Überdramatisierung führen darf. Ich denke, daß über die Rolle des Fernsehens bei solcher Art von Erpressungsversuchen, wie wir hier erlebt haben, und bei anderen Akten des Terrors noch genauer nachgedacht werden muß. Im Falle der Entführung von Peter Lorenz hat es gute Beispiele der Zusammenarbeit zwischen den jeweils politisch und polizeilich Verantwortlichen und den Fernsehanstalten gegeben. Ich möchte das ausdrücklich anerkennen. Und doch müssen sich die Intendanten und die Chefredakteure und die Mitglieder der Aufsichtsgremien der Fernseh- und Rundfunkanstalten miteinander darüber unterhalten, sie müssen miteinander darüber sprechen, ob nicht auch manche Darstellung der Ereignisse politisch, wenn nicht gar auch journalistisch, mit Fragezeichen zu versehen ist. ({34}) Lassen Sie mich bitte am Schluß das, was ich auszudrücken versucht habe, zusammenfassend in den Worten eines schon lange verstorbenen väterlichen Freundes von mir sagen. Ich zitiere aus dem Englischen: Freiheit und Ordnung erscheinen uns oft wie Gegensätze, aber sie bedingen einander auch. Die Freiheit kann nicht einen einzigen Tag ohne die Ordnung leben, und die Ordnung kann nicht bestehen, wenn sie nicht ständig durch die Freiheit verwandelt und erneuert wird. So Eduard Heimann, ein religiöser Sozialist, der 1933 Deutschland verlassen mußte und der dies aus der Summe seiner Lebenserfahrungen in seinem Buch „Freedom and Order" so niedergelegt hat. Meine Damen und Herren, ich hoffe, das Haus billigt mir zu, daß ich während dieser Regierungserklärung die Sachlichkeit nicht verlassen habe. Ich hoffe, daß diese Sachlichkeit während der Debatte, die wir jetzt führen, erhalten bleiben kann. - Herzlichen Dank! ({35})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich danke dem Herrn Bundeskanzler und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn im Namen der Opposition dem Herrn Bundeskanzler unseren Glückwunsch zu seiner Gesundung nach schwerer Krankheit sagen. Wir hoffen, Herr Bundeskanzler, daß Ihnen die Kräfte zur Verfügung stehen, die Sie für Ihr schweres Amt in den kommenden Monaten benötigen. ({0}) Lassen Sie mich Ihrer Regierungserklärung zwei Zitate anfügen, die nicht aus dubiosen Quellen, nicht aus nicht autorisierten Niederschriften, sondern aus einem gezeichneten Namensartikel und aus einer verabschiedeten Resolution stammen. Das erste Zitat stammt vom Landesvorsitzenden Ihrer Partei in Schleswig-Holstein. Es stammt aus der Zeit des Januar 1975 und lautet wie folgt: Bei den Anarchisten ist nur eines völlig klar. Das ist ihre sympathische Zielvorstellung. ({1}) Ich wiederhole für diejejnigen, die es noch nicht gelesen oder gehört haben: Bei den Anarchisten ist nur eines völlig klar. Das ist ihre sympathische Zielvorstellung. Sie wollen eine auf Recht und Freiheit gegründete Gesellschaft ohne Gewalt. ({2}) Das zweite Zitat stammt nicht von einem Landesvorsitzenden der SPD, sondern von den Deutschen Jungdemokraten, die, Herr Kollege Genscher, selbständig sind, aber Ihrer Partei nahestehen, ihre Nachwuchsorganisation darstellen. In einer Resolution, die vor fünf Tagen gefaßt worden ist, haben sie unter anderem folgendes ausgeführt - ich zitiere -: Auf den Wellen der gezielten Aufputschungen schwimmt der sinnlose Vandalismus der Ordnungskräfte in Berlin, - gemeint ist damit unsere Polizei die die Einrichtungen von Wohnheimen zerstören, wahllos in Wohnungen eindringen und ein Anwaltsbüro widerrechtlich durchsuchen. So diese wirklich Liberalen in all ihrer Differenziertheit. ({3}) Herr Bundeskanzler, wenn Sie diese beiden Aussagen - ich könnte hier weitere hundert vortragen; ich habe diese beiden nur deshalb ausgewählt, weil sie so aktuell sind - zusammenfassen, dann sagt das über die Sicherheitsproblematik dieses Landes mehr aus als Ihre ganze Regierungserklärung. ({4}) Nach dieser Beurteilung begehen die Anarchisten bedauerlicherweise von Zeit zu Zeit einen Mord oder eine Geiselentführung oder andere Verbrechen, aber ihre Ziele sind doch wenigstens sympathisch, während die Polizei und die anderen Sicherheitskräfte, die gegen sie eingesetzt werden, sich - so wird es ganz pauschal gesagt eines sinnlosen Vandalismus schuldig machen. Herr Bundeskanzler, Sie können Regierungserklärungen abgeben, die auf Ihre Partei so wirken, als ob Sie der CDU angehörten. ({5}) Ich hatte heute morgen im Hause diesen Eindruck, und Ihre Juso-Chefin hat Sie ja ausdrücklich in Ihrer Erscheinung als Sozialdemokrat in Frage gestellt, meines Erachtens zu Unrecht. Herr Bundeskanzler, Sie können in noch so wohlformulierten Regierungserklärungen aussagen, erklären und mitteilen, was Sie wollen, - wenn es Ihnen und Ihrem Kollegen Genscher nicht gelingt, in dieser entscheidenden Frage wieder für einen klaren Kurs in Ihren Parteien zu sorgen, dann nützen Ihre Regierungserklärungen ganz und gar nichts, weil sie unglaubwürdig sind und deshalb nicht wirken. Das ist die Lage. ({6}) Innere Sicherheit, das ist nicht nur eine Frage der Macht und ihres Einsatzes; innere Sicherheit hat vor allem auch eine geistige, eine moralische und eine politische Dimension. ({7}) Sie verlangt geistige und politische Führung. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, diese Aufgabe nicht wahrnehmen, dann können auch Polizei, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Justiz ihre Aufgaben nicht wirksam erfüllen. ({8}) Justiz und Sicherheitsorgane müssen getragen sein von der Solidarität der Demokraten - hier ist das Wort wirklich einmal am Platz ({9}) und von der Autorität des demokratischen Staates. Ich bin froh, daß auch Sie das Wort „Autorität" heute morgen in Ihre Regierungserklärung aufgenommen haben. Ein Zweites muß ich Ihrer Regierungserklärung entgegenhalten: Sie kommt spät, in manchem zu spät. ({10}) Ohne die Entführung von Peter Lorenz wäre sie nicht abgegeben worden, obwohl sie zu einer Lage Stellung nimmt, die schon vor dieser Entführung seit langem bestand. ({11}) Weiter: Der einzige gesetzgeberische Beitrag, den Regierung und Koalition zu dieser Debatte leisten, ist der Entwurf eines Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetzes. Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung greift einen Teil des Gesetzentwurfes auf, den die Bayerische Staatsregierung schon im Juni vorigen Jahres in die Gesetzgebung eingebracht hatte, einen Gesetzentwurf, der auf Ihren Widerstand stieß. Sie griffen ihn dann später, viel später nach der Ermordung des Herrn von Drenkmann auf. Dieser Entwurf, der heute in erster Lesung im Bundestag behandelt wird, wurde damals als Eilt-Vorlage dem Bundesrat zugeleitet. Auch das war also, wie die heutige Regierungserklärung, eine nur kurzatmige Antwort auf die Zuspitzung einer Lage, die seit langem andauert. Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, fehlt es leider an Voraussicht und daher auch an Vorsicht. Sie beugen der Gefahr nicht vor, Sie laufen ihr nach; Sie haben das Gesetz des Handelns verloren. ({12}) Die Opposition hat demgegenüber die Sicherheitslage seit Jahren anders und - wie heute nicht mehr bestreitbar ist - zutreffender beurteilt. Wir haben nicht nur kritisiert, sondern auch Vorschläge gemacht. Diese Debatte ist von uns seit langem gefordert. Mit Ausnahme des zuvor genannten Regierungsentwurfs stammen alle Gesetzentwürfe und alle Anträge von uns. Wir haben sie lange vor der Entführung von Peter Lorenz beschlossen und dem Bundestag vorgelegt. Sie werden daher verstehen, Herr Bundeskanzler, daß meine Fraktion diese Anträge und nicht Ihre verspätete Regierungserklärung zum Hauptgegenstand der Debatte machen wird. ({13}) Bevor ich mich dem aktuellen und leider nicht einmal in Umrissen gelösten Problem politisch motivierter Bandenkriminalität zuwende, möchte ich einige Bemerkungen zur allgemeinen Kriminalität machen. Ihr hat sich unser Staat prinzipiell gewachsen gezeigt. Unsere Polizei ist pflichttreu, demokratisch gesonnen, leistungsbereit und leistungs10740 Deutscher Bundestag --- 7. Wahlperiode Dr. Dregger fähig. Ausstattung und Ausbildung sind befriedigend, wenn auch nicht in allen Punkten optimal. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist im großen und ganzen gut; Sie haben das soeben bestätigt, Herr Bundeskanzler. Die Innenministerkonferenz funktioniert. Die zwischen Bund und Ländern geteilten Kompetenzen bringen natürlich Probleme mit sich, aber wenn die Bundesrepublik kein Bundesstaat, sondern ein Einheitsstaat wäre, gäbe es andere Probleme, die ebenfalls gelöst werden müßten. Darüber besteht Übereinstimmung; ich brauche das nicht zu vertiefen. Ich möchte nur warnen, in der jetzt anhebenden Debatte organisatorische Fragen in den Vordergrund zu stellen; denn sie sind nicht die entscheidenden. Diese prinzipiell positive Bewertung unseres Sicherheitskonzepts zur Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität bedeutet aber nicht, daß wir mit den bisherigen Erfolgen zufrieden sein könnten. Die erstmalige Unterbrechung des Wachstums der Kriminalatät und der Rückgang der Aufklärungsquote, wie es aus dem Bericht des Bundesministers des Innern für das Jahr 1973 hervorzugehen schien, haben sich soweit das heute übersehbar ist - im Jahre 1974 leider nicht fortgesetzt. Die vorliegenden Berichte der Innenminister von Nordrhein-Westfalen und Bayern für das Jahr 1974 zeigen, daß in beiden Ländern die Zahl der Mord- und Totschlagsdelikte beträchtlich gestiegen ist: um 8,9 % bzw. 10,1 %. Auch die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen nahm zu. Gleichzeitig sank die Aufklärungsquote ab, in Nordrhein-Westfalen von 46,5 % auf 44,1 %, in Bayern von 57,4 % auf 57,2 %, was der bayerischen Polizei allerdings wieder ein Spitzenergebnis bringen dürfte. Zu Euphorie besteht also auch im Bereich der allgemeinen Kriminalität kein Anlaß. Beunruhigender, meine Damen und Herren, als die allgemeine Kriminalität ist das Auftreten organisierter Politgangster, nicht nur deshalb, weil es sich hier um ein für die Bundesrepublik Deutschland neues Phänomen handelt, sondern mehr noch, weil diese Politkriminalität in der Tat gefährlicher als die allgemeine ist und die Regierung ein überzeugendes und wirksames Sicherheitskonzept gegen sie bis heute nicht gefunden hat. Die Politkriminalität organisierter Banden unterscheidet sich von der allgemeinen Kriminalität durch folgende Umstände. Erstens. Den Politgangstern geht es um die Durchsetzung eines zwar pervertierten, aber doch politischen Ziels. Die sich gegen den einzelnen richtenden Verbrechen sind nicht Selbstzweck, sie werden vielmehr in den Dienst eines verbrecherischen Gesamtziels gestellt. Sie wollen den Staat als hilflos und den Bürger als schutzlos erscheinen lassen. Das soll zur Auflösung der rechtlichen Ordnung führen und einem totalitären Gewaltsystem die Machtübernahme ermöglichen. Zweitens. Die Politgangster sind hervorragend organisiert, verfügen über internationale Verbindungen und verstehen sich selbst als Kriegführende, als Kriegführende allerdings, die sich weder an die Regeln des Kriegs- noch an die Regeln des Friedensrechts halten wollen. Drittens. Den Politgangstern sind Erfolge zugewachsen, die sie selbst sicherlich als einen Triumph über den Rechtsstaat feiern werden. Wir haben den Mord an dem Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann weder verhindern noch aufklären können. Das Leben von Peter Lorenz konnte gerettet werden, und allen, die daran mitgewirkt haben, möchten auch wir dafür nochmals danken. ({14}) Wir haben aber nicht verhindern können, daß eine Handvoll von Terroristen tagelang das öffentliche Leben dieser Republik beherrschte, daß Bundeskanzler, Minister, Polizeichefs, Parteivorsitzende und sogar die Alliierten in Berlin zu einer Dienstleistungsmaschinerie wurden, die sich den Befehlen der Politgangster strikt zu unterwerfen hatte. Die damit erwiesene Erpreßbarkeit des Staates erhält dadurch zusätzliches Gewicht, daß sie von einem Gangsterkomitee ausging, das keineswegs zusammen mit den Geiseln das Weite suchte, sondern sich so stark fühlte, daß es im Lande bleiben konnte, um von hier aus weitere Verbrechen vorzubereiten. ({15}) Neben der legitimen öffentlichen Gewalt gibt es in unserem Lande jetzt nach dem Eindruck der Bürger eine illegitime, die zumindest teilweise die legitime Staatsgewalt in ihren Dienst stellen kann, eine illegitime Gewalt, die unter voller Fernsehöffentlichkeit zum Vertragspartner der Staatsgewalt wurde. Mit weiteren Entführungs- und Erpressungsversuchen ist daher zu rechnen. Viertens. Die Erfolgschancen der Politgangster erscheinen derzeit als groß, ihr persönliches Risiko als denkbar gering. Das Schlimmste, was ihnen droht, ist eine komfortable Untersuchungshaft, die sie selbst als Isolationsfolter bezeichnen, obwohl sie dort höfliche Briefe ehemaliger Präsidenten, Besuche berühmter Philosophen empfangen, obwohl sie dort Interviews, z. B. dem „Spiegel", geben ({16}) und obwohl sie von dort aus mit Hilfe ihrer Anwälte ein engmaschiges Nachrichten- und Befehlsnetz aufrechterhalten, das die Verbindung untereinander und mit ihren Komplizen draußen im Lande herstellt. ({17}) An diese komfortable „Isolationsfolter" - sprich: Untersuchungshaft könnte sich dann nach Jahren wahrscheinlich immer wieder verschleppter Prozesse eine Strafhaft anschließen, wobei es, jedenfalls nach der jetzigen Lage, nicht als allzu schwer erscheinen muß, sie durch Geiselnahme und Erpressung des Staates oder in anderer Weise vorzeitig zu beenden. All das, was ich in meiner nüchternen Analyse bisher vorgetragen habe, ist unschön und paßt ganz und gar nicht in das Weltbild derer, die zwar nicht an Gott und an die Natur des Menschen, dafür aber an die alleinseligmachende Kraft der Gesellschaft und ihren ewigen Fortschritt glauben. ({18}) Sie entspricht aber leider der Wirklichkeit. Es kommt nun darauf an, ein Sicherheitskonzept zu finden, das dieser Wirklichkeit gerecht wird. Wie soll dieses Sicherheitskonzept aussehen? Ich zitiere: „Lieber ein hilfloser Staat als ein herzloser Staat." So stand es im Kommentar einer angesehenen Wochenzeitung. Das ist leider kein brauchbares Sicherheitskonzept und im übrigen eine Scheinalternative, weil ein hilfloser Staat auch ein herzloser Staat ist, herzlos jedenfalls gegenüber denen, die er schützen soll, seine friedlichen Bürger. ({19}) Schutz kann nur ein starker Staat geben. Es ist daher für die deutsche Demokratie die schlechteste Vergangenheitsbewältigung, die überhaupt denkbar ist, die Vergötzung des Staates in den Jahren des Unheils nun zu ersetzen durch eine Aushöhlung und Schwächung des demokratischen Staates. ({20}) Nur ein starker Staat kann das berechtigte Schutzverlangen der Bürger mit voller Rechtsstaatlichkeit und mit jener Liberalität verbinden, die sich ausdrückt in Großzügigkeit, in der Bereitschaft, zu vertrauen, und in der Abneigung, Staatsmacht allzusehr in Erscheinung treten zu lassen - einer Liberalität, zu der wir uns in unserem Entschließungsantrag ausdrücklich bekannt haben. Dabei ist klar - jedenfalls uns klar -, daß jeder auf Rechtsstaatlichkeit Anspruch hat, auf Liberalität aber nur derjenige, der diesen liberalen Rechtsstaat akzeptiert und mitträgt. ({21}) Bei der Suche nach diesem Sicherheitskonzept können wir meines Erachtens nichts ohne Prüfung verwerfen, was rechtsstaatlich denkbar ist. Rechtsstaatlich undenkbar ist allein, daß wir der rechtlich ungebundenen illegitimen Gewalt eine ebenfalls rechtlich ungebundene Staatsgewalt gegenüberstellen, weil diese dann selbst illegitim würde. ({22}) Meine Damen und Herren, bevor ich unsere Überlegungen zum Sicherheitskonzept vortrage, lassen Sie mich vorweg zu zwei Fragen Stellung nehmen, die in den letzten Tagen diskutiert wurden, zur Frage des Vorausverzichts auf Gefangenenaustausch und zur Todesstrafe. Der vorher - ich betone gerade im Hinblick auf Peter Lorenz das Wort „vorher" - festgelegte Vorausverzicht auf Austausch von Geiseln gegen Häftlinge wäre aus zwei Gründen von nur begrenzter Wirkung: Erstens. Das würde allenfalls den Austausch von Geiseln gegen Häftlinge ausschließen, nicht aber den politischen Terror. Den Politbanden geht es nicht in erster Linie darum, ihre Komplizen zu befreien, sondern darum, den Staat als hilflos und die Bürger als schutzlos darzustellen. Das könnten sie auch in der Weise demonstrieren, daß sie z. B. eine größere Zahl von prominenten Politikern entführten, im In-oder Ausland festsetzten und sofort oder später ermordeten. Zweitens. Wahrscheinlich würde nicht einmal der Austausch von Häftlingen gegen Geiseln auf diese Weise verhindert. Selbst wenn alle sogenannten Prominenten zu einem solchen Vorausverzicht bereit wären, so würden sich die Gangster eben andere Geiseln holen, was unseren Staat vor den gleichen Konflikt stellen würde, wie wir ihn im Falle Peter Lorenz erlebt haben. ({23}) Trotz dieser Einwände, meine ich, sollte diese Erwägung keineswegs vorschnell verworfen werden. Sie wirft in der Tat weitergehende Fragen auf, nämlich die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Leben eines einzelnen und dem Leben der Rechtsgemeinschaft, die das Leben der vielen schützt, und die Frage, welche Entscheidungsautorität der Staat in dieser Frage hat. Die Todesstrafe wird von meiner Fraktion nach wie vor abgelehnt. Das ist eine Position, die auch ich bisher nicht aufgegeben habe. Einige Zeitungen haben das sogar zutreffend berichtet, die anderen haben dafür um so längere Kommentare geschrieben; ich habe dafür ein gewisses Verständnis, meine Damen und Herren. Ich habe allerdings auf die Frage eines Journalisten hin erklärt, ich lehnte es nicht von vornherein ab, über eine solche Möglichkeit nachzudenken ({24}) - Nachdenken ist immer gut; ich würde Ihnen empfehlen, auch einmal nachzudenken, meine Damen und Herren von SPD und FDP, ({25}) solange ein wirksames Konzept gegen die neue Politkriminalität nicht gefunden und durchgesetzt sei. Dabei bleibe ich selbstverständlich. Meine Damen und Herren, nur noch eine Zusatzbemerkung. Ich halte die Politgangster nicht für abartige Hang- und Triebtäter, gegen die in der Tat eine gesetzliche Todesdrohung wirkungslos wäre. Ich halte sie auch nicht alle für Anarchisten alter Art. Ich glaube, wir müssen sie ernst nehmen als eine Bande eiskalt entschlossener, nüchtern kalkulierender Leute, die den Willen haben, ihre Vorstellung von Staat und Gesellschaft mit Gewalt und den Mitteln psychologischer Kriegführung den anderen aufzuzwingen. Der ganze Hungerstreik war ein Stück psychologischer Kriegführung. Aber wie gesagt, meine Fraktion lehnt die Todesstrafe nach wie vor ab. Ich selbst habe diesen Standpunkt nicht aufgegeben, und ich bin ziemlich sicher, daß wir auch ohne einen solchen oder einen anderen spektakulären Schritt in der Lage sind, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, wenn wir nur im übrigen entschlossen und wirksam handeln. ({26}) Meine Damen und Herren, die Bürger fragen uns natürlich: Was kann denn sonst eigentlich Wirk10742 sames geschehen? Oder stimmt etwa das, was auch in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers anklang: Das gibt es auch im Ausland, und weil es das auch im Ausland gibt, muß es das auch bei uns geben? Das ist so ähnlich wie mit der Erklärung der Inflation, meine Damen und Herren! ({27}) Ich finde das aber nicht ganz befriedigend. Zu den Vergleichen mit dem Ausland lassen Sie mich bitte folgendes sagen. Erstens. In unserem Lande gibt es keine politische Unfreiheit, auch keine soziale Unsicherheit, wie wir sie aus anderen Ländern kennen. Es gibt bei uns keine nationalen, rassischen oder religiösen Minderheiten, die verfolgt würden. Unser Land ist eines der freiheitlichsten und sozial ausgeglichensten der Welt. ({28}) - Ich nehme ja an, daß nicht ausgerechnet Sie sich das Verdienst daran allein zurechnen wollen. ({29}) Ich meine, dieser Tatbestand schließt jeden Vergleich mit der Politkriminalität im Ausland aus. Zweitens. Unsere Politgangster sind nicht die Vertreter der Enterbten und Entrechteten. Sie sind nicht die Vertreter der Arbeiter und Bauern, die nichts mit ihnen zu tun haben wollen. Unsere Politgangster sind nicht die Opfer der Not, sondern des Wohlstandes, den sie langweilig finden. Ihr Ausgangspunkt ist nicht die Arbeitswelt, die die meisten von ihnen gar nicht kennen. ({30}) Ausgangspunkt sind nicht Werkshallen, sondern Hörsäle und Politzirkel. Die Käseglocke, unter der sie gediehen, setzte sich zusammen aus bürgerlicher Harmlosigkeit, snobistischem Sympathisantentum, regierungsamtlicher Verniedlichung, ({31}) staatlich gedulteter oder gar verordneter Schmähung unseres Systems in Schulen und Hochschulen, ({32}) nachlassender Abwehrbereitschaft demokratischer Parteien gegen linksextreme Einflüsse ({33}) und hier und da festzustellender Verunsicherung der Sicherheitsorgane und der Justiz. Meine Damen und Herren, die Regierung hat wahrscheinlich recht, wenn sie sagt, die Zahl der zur Gewalttat entschlossenen Anarchisten sei klein. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß sie sich auf eine nicht geringe Zahl von Sympathisanten stützen können, auf Sympathisanten, die an wichtigen Schalthebeln in Staat und Gesellschaft sitzen und über großen Einfluß verfügen. ({34}) Isoliert sind sie allenfalls in ihrer Bereitschaft zur Gewaltanwendung; isoliert sind sie aber nicht in der Verachtung unseres Staates und seines freiheitlichen Systems. ({35}) Ihre Beschreibung der Lage in unserem Lande hat zwar mit der Wirklichkeit nichts gemein, aber das, was sie denken und sagen, ist Ausdruck der psychosozialen Vergiftung, die schon seit vielen Jahren von manchen Universitäten und Lehrerakademien ausgeht. ({36}) Hier werden ganze Kader ideologisch fixierter Systemüberwinder und radikaler Neomarxisten herangezogen. Einzelne Universitätsbereiche - nicht zuletzt in Berlin - sind zu Brutstätten des Anarchismus geworden. ({37}) Und das, was dort begonnen wurde, setzt sich nun an unseren Schulen fort, staatlich geduldet, teilweise sogar noch staatlich gefördert durch dazu passende Rahmenrichtlinien. ({38}) Spätestens an dieser Stelle, meine Damen und Herren, beginnt die Verantwortlichkeit der Lehrer, der Wissenschaftler, der Publizisten und der Politiker. Seien wir uns klar darüber: Wer Staat und Gesetz, wer Recht und Moral in Frage stellen läßt, wer es staatlichen Lehrern an staatlichen Schulen erlaubt, unser freiheitliches System zu diskreditieren, der muß damit rechnen, daß aus dem, was er selber vielleicht nur als intellektuelle Spielerei betrachtet hat, einmal blutiger Ernst wird. ({39}) Deshalb tragen nicht nur diejenigen Verantwortung, die die Waffe führen, sondern auch diejenigen, die ihnen geistig und politisch den Weg bereiten. ({40}) Nun unsere Schlußfolgerungen: Wir brauchen ein politisches Gesamtkonzept zur offensiven Bekämpfung der Terroristen und ihres geistigen Hintergrundes. ({41}) Dazu gehören erstens die richtig verstandene Solidarität der Demokraten auf der Grundlage der Verfassung, zweitens die geistige Mobilisierung der Bürger, drittens ein von den besten Sicherheitsexperten erstelltes Programm zur Zerschlagung der Politbanden. Beginnen wir mit uns selbst, mit der richtig verstandenen Solidarität der Demokraten, die ja nur bedeuten kann: Solidarität auf der Grundlage der Verfassung. Solidarität in diesem Sinne heißt nicht, die Regierung der Kritik zu entziehen und die Opposition funktionsunfähig zu machen. Meine Damen und Herren, wer auch immer die Opposition in diesem Lande stellt, unser System braucht die Opposition so notwendig wie die Regierung. Das Vorhandensein einer legitimen Opposition unterscheidet uns von den sozialistischen und den faschistischen Staaten. ({42}) Opposition ist die unentbehrliche Voraussetzung für die Kontrolle, die Machtbegrenzung und den Leistungsantrieb der Regierung. Das gilt in allen Bereichen der Politik, selbstverständlich auch für den Bereich der inneren Sicherheit. Wir werden unsere Verantwortung dementsprechend wahrzunehmen wissen. ({43}) Solidarität der Demokraten auf der Grundlage der Verfassung heißt vielmehr, den anderen nicht vom Prinzip her in Frage zu stellen, weder als legitime Regierung von heute noch als legitime Regierung von morgen; das sind nämlich wir als Opposition, meine Damen und Herren. ({44}) Sie, meine Damen und Herren von SPD und FDP, können uns für unfähig halten. Sie können uns kritisieren, wie Sie wollen, aber drei Dinge können Sie nicht machen: Sie können nicht behaupten, die Opposition sei keine Alternative. Wo leben wir eigentlich? Doch nicht in einer Volksdemokratie, sondern in einer Demokratie! ({45}) - Drücken Sie sich nicht mißverständlich aus, Herr Möller! In einer Demokratie ist die Opposition die Alternative. ({46}) Und die Frage, welche Alternative die bessere ist, die jetzige oder die künftige Regierung, entscheiden bei uns allein die Wähler, und dabei muß es bleiben. ({47}) Sie können ebenfalls nicht sagen, Herr Ministerpräsident Kühn und Herr Kollege Brandt - Sie haben sich dem leider angeschlossen -, dieses Land werde unregierbar, wenn die Wähler nicht Sie, sondern die Opposition wählten. ({48}) Meine Damen und Herren, in einem demokratischen Land steht bei demokratischen Wahlen nicht zur Diskussion, ob das Land regierbar ist - dieses Land ist regierbar -, sondern zur Diskussion steht allein, ob die Regierung regieren kann. Daran sind nach allem, was in Bonn und Düsseldorf geschehen ist, allerdings Zweifel erlaubt. ({49}) Stellen wir uns also nicht prinzipiell in Frage. Regieren Sie! Wir opponieren, und wir werden sehen, wie die Wähler uns in den nächsten Wahlen bewerten. Der zweite Punkt: Auf der Grundlage dieser richtig verstandenen Solidarität brauchen wir die geistige Mobilisierung der Bürger. Das erfordert die volle Information der Offentlichkeit über das Ausmaß der Gefahr, über Strategien und Methoden des Kampfes, den kriminelle Vereinigungen und andere Verfassungsfeinde gegen unseren Rechtsstaat führen. Ohne ein zutreffendes Bild der Lage und ohne frühzeitige und ausreichende Unterrichtung der Öffentlichkeit kann in einer offenen Gesellschaft die Regierung weder Behörden noch Bürger motivieren und zu gemeinsamer Anstrengung zur Verteidigung unserer bedrohten Ordnung zusammenführen. Regierung und Koalition haben leider in den hinter uns liegenden Monaten und Jahren das Gegenteil getan. Sie haben die von den Politgangstern ausgehende Gefahr verharmlost - Zitat Steffen zu Beginn, aber nicht nur Steffen - und dafür die Opposition der Angst- und Panikmache bezichtigt; dazu aus einer großen Reihe nur zwei Zitate. Der Parteivorsitzende der SPD, Herr Kollege Brandt, schreibt noch in der Februar-Ausgabe ausgerechnet in einer Jugendzeitschrift der Polizeigewerkschaft folgendes: Hier wird Angstpropaganda betrieben, die das kriminelle Verhalten einer kleinen Gruppe zur ernsten Bedrohung für den Staat hochstilisiert. ({50}) Ich meine: solche kalkulierte Hysterie kann für unser Land folgenschwerer sein als die zeitweiligen Umtriebe einiger politischer Nihilisten. ({51}) Das heißt doch im Grunde: Die Opposition ist eigentlich gefährlicher als die Baader-Meinhof-Bande. ({52}) Und das Zitat unseres Kollegen Gansel und der schleswig-holsteinischen Jungsozialisten: „Politiker wie Dregger, Carstens, Strauß, Stoltenberg und Löwenthal sind für diese Demokratie gefährlicher als die Terroristen der Baader-Meinhof-Bande ({53}) ist ja im Grunde in anderen Formulierungen dasselbe, was der Parteivorsitzende Brandt ausgeführt hat. ({54}) Ich muß Herrn Gansel und die ganze SPD fragen, ob Sie nicht auch der Meinung sind, daß das geradezu eine Aufforderung zum terroristischen Anschlag gegen die hier diffamierten Politiker ist. Sind Sie sich eigentlich der Verantwortung bewußt, die Sie mit solchen Aussagen übernehmen? ({55}) Der Herr Bundeskanzler hat sich erfreulicherweise für seine Entgleisung im Berliner Wahlkampf gegenüber Herrn Lorenz entschuldigt und davon distanziert. Wir begrüßen das, Herr Bundeskanzler. Wir erinnern uns, daß Sie einige Wochen vorher die Opposition als eine „Bande von Zwischenrufern" bezeichnet haben. ({56}) Wir bedauern es, daß ein Mann in der Stellung des Regierungschefs so unkontrolliert daherredet. ({57}) Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie aus diesen Fehlern lernten und sich in Zukunft der Verantwortung Ihres Amtes voll bewußt sein würden. Das nächste: Es muß Schluß sein mit der Verharmlosung der Gewalt, der Gewalttäter, ihrer Ziele und ihrer Praktiken. In einem freiheitlichen Rechtsstaat mit seiner Koalitionsfreiheit, seiner Parteienfreiheit, seiner Meinungsfreiheit, seiner Pressefreiheit, seiner Religionsfreiheit, seiner rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen Sicherungen gibt es keine Rechtfertigung für Gewalt. Wer Gewalt anwendet, disqualifiziert sich schon allein dadurch, gleichgültig, welche Ziele er verfolgt. Das darf nicht nur hier, sondern das muß auch an den Universitäten und an den Schulen gesagt werden. ({58}) Schließlich brauchen wir ein eindeutiges Bekenntnis aller Demokraten zu diesem Staat und seiner freiheitlichen Verfassung. Unter diesem Aspekt ist es eine schlimme Sache, wenn auf dem letzten Bundeskongreß der Jusos, der wichtigsten und größten Arbeitsgemeinschaft der SPD, die Anhänger der Stamokap-Theorien nur unter Anwendung aller Raffinessen der Sitzungsleitung knapp unterliegen. Wer mit den Stamokap-Anhängern in unserem Staat nichts anderes sieht als - ich zitiere „eine kapitalistische Maschine", der kann diesen Staat nicht als seinen Staat betrachten und ist schon deshalb nicht in der Lage, die Zukunft unseres freiheitlichen Systems zu sichern. ({59}) Statt die Opposition zu beschimpfen, Herr Kollege Brandt, sollten Sie sich mehr um Ihre Parteijugend kümmern ({60}) und dafür sorgen, daß die gesamte SPD wieder einen Kurs verfolgt, den sie zur Zeit Kurt Schumachers hatte. Die Freiheit des öffentlichen Dienstes von Kommunisten und anderen Staatsfeinden war unter der Parteiführerschaft von Kurt Schumacher für sozialdemokratische Landesregierungen überhaupt kein Problem; sie war eine schlichte Selbstverständlichkeit. ({61}) Ich frage Sie: Was hat Sie eigentlich veranlaßt, in dieser für die Aktionsfähigkeit unseres Staates so entscheidenden Frage eine nahezu vollständige Kehrtwendung zu vollziehen? Sind denn die Extremisten heute weniger gefährlich als zur Zeit Kurt Schumachers? Das Gegenteil ist doch der Fall. ({62}) - Herr Wehner, Sie können ruhig aufstoßen, aber es wäre gut, wenn Sie zuhörten. ({63}) Sie sollten doch überlegen, daß die innere Sicherheit unseres Staates heute gefährdeter ist als damals. Damals verfolgten alle Flügel der Jusos einen klaren sozialdemokratischen Kurs, und die Extremisten waren im Bildungswesen, an Hochschulen und Schulen, so gut wie nicht anwesend. ({64}) Wir können Sie daher nur auffordern: Legen Sie den Systemveränderern in den von Ihnen beherrschten Kultusministerien endlich das Handwerk! ({65}) Beenden Sie die psychosoziale Vergiftung, die von einem Teil unserer Hochschulen und Schulen ausgeht! Sorgen Sie dafür, daß nicht Konflikttheorien, Haß und Klassenkampfparolen, sondern Toleranz, Rechtsbewußtsein und Staatsgesinnung die Erziehung unserer Jugend ausmachen. ({66}) Der dritte Punkt: Wir brauchen ein von den besten Sicherheitsexperten erstelltes Programm zur Zerschlagung der Politbanden. Wir Politiker können dazu nur den geistigen Hintergrund geben und den finanziellen Rahmen setzen. Wichtiger noch, als die Zahl der Beamten zu erhöhen und mehr Geld aufzuwenden, ist es, der Justiz und der Polizei, dem Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst, Herr Ehmke, volle moralische Unterstützung zu geben. ({67}) Es gehört zur Strategie der Feinde unseres Gemeinwesens, Polizei und Justiz zu isolieren, ihre Angehörigen unter Druck zu setzen, sie zu bedrohen und zu gefährden. Darauf müssen wir Politiker unser Verhalten ausrichten. Es darf gar keine Frage sein, daß wir alle uns mit Polizei und Justiz solidarisieren und nicht mit denen, gegen die sie eingesetzt werden müssen, ({68}) was Untersuchungen eines Fehlverhaltens im Einzelfall selbstverständlich nicht ausschließt, aber doch darauf hinweist, daß wir nicht so pauschal die Polizei diskriminieren lassen können, wie es von seiten der Deutschen Jungdemokraten vor fünf Tagen im Hinblick auf Berlin geschehen ist. ({69}) - Herr Strauß ist ein Anhänger und Verteidiger unseres freiheitlichen und rechtsstaatlichen Systems, Herr Kollege Schmidt. ({70}) Meine Damen und Herren! Wir haben die Aufgabe, der Justiz und der Polizei Gesetze zur Verfügung zu stellen, die es ihnen erlauben, mit rechtsstaatlichen Mitteln der Gefahr Herr zu werden und das Recht gegenüber jedermann durchzusetzen. Dabei haben wir nicht nur an diejenigen zu denken, die ihren Freiheitsraum ohne Rücksicht auf andere ausdehnen wollen, sondern auch an den Schutz ihrer Mitbürger und nicht zuletzt an den Schutz der Polizeibeamten, die häufig bedroht und gefährdet werden. Zu den von uns vorgelegten Gesetzentwürfen lassen Sie mich nur einge Bemerkungen machen: Neuordnung des Demonstrations-Strafrechts und des Versammlungsrechts auf Grund gemachter Erfahrungen. Keine Bestimmung unseres Gesetzentwurfs beeinträchtigt die politische Aktivität von Personen oder Gruppen, die sich friedlich verhalten und im weitgespannten Rahmen unserer Verfassungsordnung operieren. Daher verstößt keine Bestimmung unseres Gesetzentwurfs gegen liberale Grundsätze. Dieser Gesetzentwurf ermöglicht aber - wenn er Wirklichkeit wird - der Polizei im Gegensatz zum geltenden Recht, ihre Schutzaufgabe wirksam zu erfüllen. ({71}) Es verstößt auch nicht gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, wenn das Propagieren von Gewalt, die Anleitung zum Mord, zum Herstellen von Bomben in Zukunft unter Strafe gestellt wird. Was auf diesem Felde - sei es aus gewissenloser Profitgier oder in bestimmter politkrimineller Absicht - auf dem deutschen Markt erscheint, ist gemeingefährlich und muß unter Strafe gestellt werden. ({72}) Auch gewisse Einschränkungen für Anwälte, die gröblichst ihre Standespflichten verletzen - ich freue mich, Herr Bundeskanzler, daß Sie unseren Standpunkt in dieser Hinsicht inzwischen übernommen zu haben scheinen -, erscheinen uns zwar wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten bedauerlich, aber nach Lage der Dinge unvermeidbar. Es gehört zur Tradition der deutschen Anwälte, sich mit aller Energie für ihre Mandanten einzusetzen, ({73}) aber ohne zu ihren Komplizen zu werden und ohne in anderer Weise das Recht zu verletzen. ({74}) Auf diesem Vertrauen beruhen die außerordentlichen Rechte, die ihnen in unserem Justizverfahren zugestanden werden. Wir möchten sie erhalten wissen. ({75}) Wenn aber neuerdings Anwälte auftreten, von denen einer nach Pressemeldungen gesagt hat ich zitiere -: Der Kampf gegen eine ungerechte Gesellschaftsordnung darf auch mit illegalen Mitteln geführt werden, wenn die Anwendung legaler Mittel nicht zum Ziele führt. Wenn man Revolutionäre verteidigt, dann muß man auch die Revolution verteidigen. sind Konsequenzen leider wir bedauern das unvermeidbar, zumal die Erfahrung gezeigt hat, daß der Aufbau eines lückenlosen Nachrichten- und Befehlsnetzes der Baader-Meinhof-Bande von innen nach außen und umgekehrt ohne die Mithilfe von Anwälten nicht möglich gewesen wäre. Die vierte Aufgabe: Wir müssen die Verbrecher jagen. Wir müssen das Gesetz des Handelns für den Staat zurückgewinnen. Wir müssen ihre Infrastruktur zerbrechen, die sie in der Zeit der Fehleinschätzung seit 1972 aufgebaut haben. Es ist doch ein schlimmer Zustand, daß nach der Entführung von Peter Lorenz das Sympathisantenfeld so breit und wirksam ist, daß die Entführer untertauchen und im Lande bleiben können. Wir müssen in diesen Sympathisantenkreis eindringen; der Herr Bundeskanzler hat es mit Recht gesagt. ({76}) Wir müssen von Zeit zu Zeit auch Großfahndungen unternehmen, nicht nur verdeckte, sondern offene Großfahndungen. Das Beispiel des Jahres 1972 hat gezeigt, daß solche Großfahndungen mit Hilfe der Bürger durchaus Erfolg haben können. ({77}) Wir bedauern, daß sie in der Zwischenzeit nicht unternommen wurden, was den Gangstern erlaubt hat, diese Infrastruktur aufzubauen, deren wir im Augenblick nicht Herr werden können. ({78}) Wir leben in der zweiten deutschen Republik. Schon die erste besaß eine der freiheitlichen Verfassungen der Welt. Sie räumte diese Freiheiten auch denen ein, die sie dann zerstört haben. Daß wir nach der Machtergreifung Hitlers noch einmal die Chance erhielten, eine freiheitliche Republik aufzubauen, wurde mit ungeheuren Opfern für die Welt, insbesondere für unser eigenes Volk und seine nationale Substanz, erkauft. Die Väter des Grundgesetzes haben daraus die richtigen Konsequenzen gezogen, übrigens in Übereinstimmung aller demokratischen Parteien. Die zweite deutsche Republik sollte nicht weniger freiheitlich sein als die erste. Aber sie sollte auch die Mittel haben, sich gegen diejenigen zu verteidigen, die sie abschaffen wollen. Daran müssen wir festhalten. In seinem „Plädoyer für eine liberale Zukunft" hat Karl Steinbuch zur Jahreswende geschrieben - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -: Staat, Recht und Autorität sind keine sinnlosen Konstruktionen einer Hinterwelt, sondern notwendige Voraussetzungen menschlichen Zusammenlebens. Wo Machtausübung nicht das alleinige Recht des von einem frei gewählten Parlament kontrollierten Staates ist, sondern Teilgruppen der Gesellschaft ihre Ziele gewaltsam oder rechtswidrig durchsetzen, gibt es keine Humanität und keine Liberalität mehr, sondern wächst und herrscht der Terror. Aus dieser richtig formulierten Einsicht ziehen wir folgende Konsequenzen: Erstens. In der Auseinandersetzung mit den Anarchisten und ihrem geistigen Hintergrund muß der Staat auf der Grundlage eines offensiven Gesamtkonzepts das Gesetz des Handelns zurückgewinnen. Zweitens. Die Gefahren, die der Freiheit auch heute wieder drohen, dürfen nicht verniedlicht, sie müssen deutlich dargestellt werden. Drittens. Rechtspflege und Polizei dürfen nicht als „Klassenjustiz" und als „Bullen" abgewertet, ihnen muß auch moralisch der Rücken gestärkt werden. ({79}) Viertens. Der Bundestag muß wirksamere Gesetze beschließen. Wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt. Fünftens. Kommunisten und andere Verfassungsfeinde gehören nicht in den öffentlichen Dienst. ({80}) Anwälte, die ihre Verteidigerrechte mißbrauchen, um mit den Terroristen gemeinsame Sache zu machen, müssen daran unter allen Umständen gehindert werden. ({81}) Sechstens. Recht und Ordnung sind unentbehrliche Grundlagen des Friedens, zu denen wir uns bekennen müssen. Nicht Haß und Klassenkampfparolen, sondern Toleranz, Rechtsbewußtsein und Staatsgesinnung müssen die Erziehung unserer Jugend bestimmen. ({82}) Meine Damen und Herren, wenn das alles in die Tat umgesetzt wird, wenn wir also nicht nur hier darüber reden, sondern es auch in unserem Lande praktizieren, werden wir die jetzige Lage wieder in den Griff bekommen. Nicht Verbrechen und Krieg, sondern Recht und Frieden müssen sich durchsetzen. ({83})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Bundesminister Maihofer.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor eben 14 Tagen, kurz nach 9 Uhr, erreichte mich hier in diesem Hause die Nachricht von der soeben geschehenen Entführung von Peter Lorenz. Es fällt schwer, heute über alles, was danach geschehen ist, schon aus dem unpersönlichen Abstand als über eine „hinter uns liegende Sache" zu sprechen. Zu bitter mischen sich noch Abscheu über dieses schändliche Verbrechen und Freude über die gelungene Befreiung. Zu frisch noch sind die Narben, die alle für die Entscheidung in Bund und Ländern Verantwortlichen tragen, für die Rettung des Lebens von Peter Lorenz fünf Häftlinge in Freiheit zu setzen. Unsere Bevölkerung hat diese schwere Entscheidung entgegen anfänglichen Befürchtungen in erstaunlicher Mehrheit mit getragen. Sie hat sich angesichts einer solchen äußersten Herausforderung unseres Rechtsstaates einsichtiger und vernünftiger verhalten, als selbst manche Politiker sie halten. Sie hat sehr wohl verstanden, daß in einem freiheitlichen Rechtsstaat wie ,dem unseren, in dem, wie es im Herrenchiemseer Entwurf zu Art 1. unseres Grundgesetzes heißt, der Mensch nicht um des Staates, sondern „der Staat um des Menschen willen da" ist, in der Güterabwägung zwischen Leben hier und Staatsräson dort der Rettung des Lebens eines einzelnen der Vorrang eingeräumt wurde. Und doch hat auch der, für den die Wertentscheidung durch unser Grundgesetz vorgezeichnet war, die damit unvermeidliche Folge, die Freisetzung von Gefangenen, von Komplicen also eben dieser selben Entführer, nur mit äußerstem Ingrimm vollzogen. Ertragbar letztlich nur aus der nüchternen Einsicht: ein vernichtetes Leben ist auch durch gemeinsame Anstrengungen nicht wieder reparabel; eine verletzte Staatsräson dagegen ist durch gemeinsame Anstrengungen reparabel. Um diese gemeinsame Anstrengung aller Verantwortlichen in Bund und Ländern, die in zähem Ringen am Ende zur glücklichen Rettung von Peter Lorenz geführt hat, geht es nun auch bei der Fahndung nach den Entführern und ihresgleichen. Wir könnten den sicher auch diese Debatte des Parlaments aufmerksam verfolgenden noch in Freiheit befindlichen Terroristen und ihren Sympathisanten wohl keine größere Freude machen als wenn wir die in gemeinsamem Handeln über alle Parteigrenzen hinweg bewährte Solidarität der Demokraten nun nachträglich zerredeten. Das verbietet, um es ganz deutlich zu sagen, jedes schwarze, rote oder auch gelbe Peter-Spiel hin und her zwischen Bund und Ländern in dieser Parlamentsdebatte über innere Sicherheit. ({0}) Ich werde mich jedenfalls daran nicht beteiligen. Gerade, wer einen gesunden Sinn hat für die Nützlichkeit und Förderlichkeit der Kontroversen der Parteipolitik, in Bereichen wie der Gesellschaftspolitik im edlen und gelegentlich auch unedlen Wettstreit um größte mögliche Wohlfahrt und Gerechtigkeit für alle Bürger in unserem sich erst entfaltenden freiheitlichen Sozialstaat, wird auf dem Felde der Staatspolitik, auf dem es um die gemeinsame Bewahrung und Verteidigung der kostbaren Errungenschaften unseres freiheitlichen Rechtsstaates geht, also um größte mögliche Freiheit und Sicherheit aller Bürger, Parteipolitik weder für nützlich noch für förderlich halten. Hier sind alle Demokraten im Gegenteil aufgerufen, das sie gemeinsam Verbindende über alles andere zu stellen, allseits so nach dem Konsens zu suchen, aus dem allein konstruktive Kooperation und nicht sterile Konfrontation auf diesem Felde der inneren Verteidigung des freiheitlichen Rechtsstaates gegen Kriminalität, gegen Extremismus, gegen Terrorismus hervorgehen kann. Ich stehe hier nicht an, zu erklären, daß die von Herrn Dregger zitierte Erklärung der Jungdemokraten in bezug auf den, wie es dort heißt, „sinnlosen Vandalismus der Ordnungskräfte in Berlin" nicht nur für mich selbst, sondern auch in meiner Freien Demokratischen Partei die allerschärfste Ablehnung findet. ({1}) Solche Klarstellungen hin und her, die ich für unerläßlich halte, ({2}) schließen selbstverständlich das Ringen zwischen Regierung und Opposition um die besseren Mittel und Wege, das gemeinsame Ziel, das auch Sie, Herr Dregger - was anzuerkennen ist -, unterstrichen haben: die Freiheit und Sicherheit der Bürger zu wahren und zu mehren, nicht aus, sondern im Gegenteil ein. ({3}) Daß eine Opposition unbeirrbar von sich behauptet, daß sie besser regierte als die Regierung, mit den jeweiligen Schwierigkeiten - das haben Sie ja reichlich getan, Herr Dregger - besser fertig würde als diese, gehört zur Rollenverteilung in einer parlamentarischen Demokratie. ({4}) So verstehe ich auch die vorangehende Kritik des Sprechers der Opposition an der Politik der Bundesregierung. Aber nicht, ob die Opposition eine politische Alternative hat - schon das ist natürlich gelegentlich fraglich -, ist hier die Frage. Entscheidend ist vielmehr, ob sie die bessere politische Alternative hat. ({5}) Für mich ist nicht die Frage, ob die Opposition dieses Land zu regieren vermöchte. Wir haben uns aber sehr wohl von beiden Seiten des Hauses zu fragen, ob sie es besser zu regieren vermöchte. ({6}) Die Kritik der Opposition an der Politik dieser Regierung lautet, vereinfachend dargestellt - ich verkürze das, was Sie gesagt haben, Herr Dregger, jetzt einmal -: Die Regierung und die sie tragende Koalition habe zwar materiell und personell durchaus Beachtliches auf dem Felde der inneren Sicherheit getan ({7}) - darauf komme ich gleich ausführlich zu sprechen, Herr Vogel -, doch fehle es ihr konzeptionell und ideell am richtigen Geist zu solcher Verteidigung unseres freiheitlichen Rechtsstaates gegen seine Gegner und Feinde. „Die Kraft eines Geistes" - um es einmal mit Hegel zu sagen - „ist so groß wie die seiner Äußerung." Blicken wir auf die Äußerungen dieses Geistes - den Sie vermissen -, aus dem die sozialliberalen Koalitionen seit 1969 die Fragen der inneren Sicherheit angepackt haben, dann stellen wir einen stärkeren nicht nur quantitativen, sondern auch qualitativen Ausbau der Sicherheitsorgane des Bundes in diesen wenigen Jahren als in den ganzen davorliegenden Jahrzehnten seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland fest. ({8}) Ich spreche hier zunächst allein von der Ebene des Bundes. Dies gilt für das Bundeskriminalamt, den Bundesgrenzschutz wie für das Bundesamt für Verfasungsschutz. ({9}) Sie wurden sämtlich nicht nur auf verbesserte und erweiterte rechtliche Grundlagen gestellt, sondern auch mit Milliardeninvestitionen auf einen zuvor nie gekannten Leistungsstand gebracht. ({10}) An dieser gewaltigen Anstrengung - Herr Reddemann, das können Sie hier nicht zerreden ({11}) hat mein Vorgänger Hans-Dietrich Genscher gegenüber allem, was davorlag, auch persönlich ein gar nicht hoch genug einzuschätzendes Verdienst. ({12}) Von welchem festen Willen zum weiteren Ausbau dieser drei Sicherheitsorgane des Bundes auch diese Bundesregierung beseelt ist, zeigt ein Blick in ihre Regierungserklärung. Die einzige Stelle, an der in ihr - wohlbedacht! - von Geld die Rede ist - Sie können es nachlesen -, betrifft die innere Sicherheit. Wir haben danach gehandelt. Sicherlich sind diese gesetzgeberischen und haushaltsmäßigen Anstrengungen nur die eine Seite der Sache - das ist zuzugeben -; aber sie sind doch zugleich der äußere Ausdruck der inneren Einstellung, mit der die Innenminister dieser sozialliberalen Regierungen ihre Energie auf die Sache der inneren Verteidigung unseres freiheitlichen Rechtsstaates konzentriert haben. ({13}) Das gilt nun auch für einen Mann - und wenn Sie das nur widerwillig zugestehen -, der wie ich schon zwei Jahrzehnte lang zuvor sich wissenschaftlich mit Passion für Fragen der Strafrechtstheorie und Kriminalpolitik engagiert hat. ({14}) Wir haben heute - ich will nur einiges in knappen Strichen hervorheben - ein Bundeskriminalamt als Informationszentrale unserer Polizei in Bund und Ländern, das sich unter der Leitung seines Präsidenten Dr. Herold zu einer der höchstangesehenen Einrichtungen dieser Art in der Welt überhaupt entwickelt hat. ({15}) Erreicht worden ist das mit einem Mittelaufwand von 130 Millionen D-Mark im Jahre 1975 gegenüber 22 Millionen 1969 und einem Personalbestand von 2 400 Mitarbeitern im Jahre 1975 gegenüber 993 noch 1969, der nach den mittelfristigen Planungen auch in der nächsten Ausbaustufe 1976 vor allem in seiner personellen Kapazität für die Ermittlung und Auswertung noch erheblich erweitert werden soll. Wir haben heute einen Bundesgrenzschutz als eine Polizei des Bundes in der Stärke von mehr als 21 000 Mann, die inzwischen über die ursprünglichen Grenzsicherungsaufgaben hinaus eine Fülle von weiteren Sicherungsaufgaben auch zur Unterstützung der Polizeien der Länder wahrnimmt; im Schutz unserer Verfassungsorgane, in der Sicherung unseres Luftverkehrs, in der Kontrolle unserer Grenzen, die, mit modernsten Datensichtgeräten im Verbund des EDV-Systems des Bundeskriminalamtes arbeitend, allein im vergangenen Jahr zu über 40 000 Fahndungsaufgriffen von gesuchten oder verdächtigten Personen entlang der Grenzen unseres Bundesgebietes - 40 % mehr als vor Einführung der EDV - geführt hat. Dieser im gemeinsamen Sicherheitsprogramm von Bund und Ländern 1972 festgeschriebene Beitrag des Bundes zur inneren Sicherheit im Zusammenwirken von Bund und Ländern hat zusammen mit den vereinten Anstrengungen aller Bundesländer zu einer erheblichen Verstärkung des Kampfes gegen die Kriminalität in unserem Lande geführt. Ich ergreife die Gelegenheit in dieser Sicherheitsdebatte unseres Bundestages, um auch als Bundesinnenminister allen bei der Erfüllung dieses Sicherheitsprogramms in Kriminalpolizei und Schutzpolizei, in Bund und Ländern Tätigen ausdrücklichen Dank für ihre große Leistung zum Schutze unserer Bürger zu sagen. ({16}) Die Kriminalitätsentwicklung hat im Jahre 1973 erstmals fast stagniert. Sie zeigt für das Jahr 1974 nach der polizeilichen Kriminalstatistik, die ich Ihnen in den nächsten Wochen nach Festliegen der endgültigen Länderzahlen vorlegen werde, zwar wiederum einen vor allem durch die Diebstahlsdelikte bedingten Anstieg der Gesamtkriminalität um etwa 7 % - mit Steigerungen bis zu 10,8 % in Baden-Württemberg einerseits, von nur 4,7 bzw. gar nur 3,5 % in Hessen und Hamburg andererseits, also mit ganz unterschiedlichen Steigerungsraten bei der letztjährigen Kriminalitätsentwicklung. Das Bedeutende dabei aber ist, daß auch im Jahre 1974 - und das möchte ich Ihnen, Herr Dr. Dregger, hier ausdrücklich entgegenhalten - der Anteil der Gewaltkriminalität unterdurchschnittlich steigt oder stagniert: Mord und Totschlag insgesamt plus 1,2 %, Raubdelikte plus 3,8 %, Notzucht plus 0,2 %, Brandstiftung minus 9,5 %. Dem steht, bei aller Vorsicht, die bei solchen internationalen Vergleichen der Kriminalitätsentwicklung von unterschiedlich gefaßten Straftatbeständen und Tatbestandsgruppen geboten ist, eine Steigerung der Kriminalitätsrate für dasselbe Jahr 1974, um nur einen einzigen Vergleich hier herauszuheben, in den Vereinigten Staaten von 16 % gegenüber, aus der selbst aus dem Bereich der Gewaltkriminalität Steigerungsraten von 9 % bei Vergewaltigungen und von 8 % bei Raub und schwerer Körperverletzung herausragen. Viel entscheidender jedoch als diese gerade im Bereich der Kapitaldelikte vergleichsweise geringfügige Steigerungsrate der Gewaltkriminalität bei uns, einschließlich der unter das gemeine Strafrecht fallenden politisch motivierten Gewaltverbrechen - denn sie zählen ja mit, und zwar die von Inländern wie von Ausländern - ist nach wie vor die hohe Aufklärungsquote gerade in diesem Bereich der Gewaltkriminalität von weit über 90 % aller Fälle - das ist für die Abschreckungswirkung der Strafdrohungen, wie Sie sicher wissen, wichtiger als die Strafhöhe - gegenüber einer Gesamtaufklärungsquote von allgemein 45,6 %, zu zwei Dritteln durch die besonders schwierige Ermittlungsarbeit im Diebstahlsbereich bestimmt, wie alle Fachleute wissen. Nun, hier gibt es bei den für die Verbrechensbekämpfung in Bund und Ländern Verantwortlichen sicher keinen Anlaß zu selbstgefälliger Zufriedenheit, wie Sie gesagt haben, zu Euphorie. Das ist klar zuzugeben. Es gibt aber doch für alle in der Kriminalpolizei und Schutzpolizei Tätigen, die alltäglich unbemerkt ihre Pflicht tun und mehr als ihre Pflicht tun, Anlaß zu der Genugtuung, daß wir offenbar mit den strukturellen Problemen der heutigen Wohlstandskriminalität auf der einen Seite und der Großstadtkriminalität auf der anderen Seite nicht schlechter, sondern eher besser fertig werden als vergleichsweise andere Länder, und das ist schon sehr viel. ({17}) Diese vergleichsweisen Erfolge werden sich mit dem geplanten entschlossenen Ausbau der polizeilichen Instrumente der sogenannten repressiven Verbrechensbekämpfung in den kommenden Jahren noch weiter steigern lassen, sowohl durch Verstärkung des fahndungsdienstlichen Apparates, wo es noch eine Fülle von Nachholbereichen gibt, als auch durch Verbesserung der erkennungsdienstlichen Technik. Entscheidende Bedeutung wird in nächster Zukunft jedoch nach dem Urteil aller Fachleute dem Ausbau der präventiven Verbrechensbekämpfung zukommen, die bei einer kriminologischen Diagnose der sozialen und ökonomischen Ursachen der Kriminalität ansetzt und von da zu einer auf gesicherten Erkenntnissen beruhenden kriminalpolitischen Therapie kommt. Mit der umfassenden Straftaten- und Straftäterdatei, die das Bundeskriminalamt seit dem vergangenen Jahr auf Beschluß der Innenministerkonferenz aufbaut, werden wir zum erstenmal ein solches kriminalpolitisches Instrument zur präventiven Verbrechensbekämpfung zur Verfügung haben, von dem sich alle Fachleute entscheidende Auswirkungen nicht nur auf die polizeiliche Vorbeugung, sondern auch auf künftige legislative Arbeit erhoffen. Für diese damit aufgeschagene neue Seite der Verbrechensbekämpfung gilt heute mehr denn je der Satz des großen Vorkämpfers der modernen Schule der Strafrechtspflege, Franz von Liszt, der lautet: „Die Kriminalpolitik ist die Ultima ratio" - also das letzte Mittel - „der Sozialpolitik", und nichts sonst. Nicht weniger - damit komme ich zum zweiten Teil meiner Ausführungen , eher mehr gilt dieser Satz umgewandelt auch in dem Sinne: Die Kriminalpolitik ist die Ultima ratio der Politik für den Kampf gegen die politisch motivierte Gewaltkriminalität, deren terroristische Aktionen heute die ganze Welt in Atem halten; ob der verbrecherische Anschlag während der Olympischen Spiele damals 1972 in München oder die Gewalttat palästinensischer Terroristen in Tel Aviv vor noch nicht einer Woche; ob die so tragisch geendete gewaltsame Entführung des deutschen Botschafters Graf Spreti durch guatemaltekische Terroristen oder die mit der glücklichen Freilassung beendete gewaltsame Entführung des Botschafters von Holleben durch brasilianische Terroristen, um nur einige ganz wenige bezeichnende Beispiele herauszuheben. Wir stehen bei diesem modernen Terrorismus - und ich glaube, da stimmen wir überein; das hat ja gerade auch der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung ausdrücklich herausgehoben - ganz offenkundig vor einem internationalen Problem nicht nur in Hinsicht auf die zunehmende Internationalisierung dieser terroristischen Organisationen, sondern auch in Hinsicht auf ihre aus Guerillakampf und Partisaneneinsatz entwickelte terroristische Strategie, vor allem der südamerikanischen Stadtguerilla, nach deren Rezept und Ritual ja auch die Entführer von Peter Lorenz, wie Sie feststellen konnten, bis in die Einzelheiten der Regieanweisungen hinein verfahren sind. Schon in einer 1971 erschienenen Anleitung unter dem Titel „Konzept der Stadtguerilla" heißt es dazu bezeichnend: Stadtguerilla zielt darauf, den staatlichen Herrschaftsapparat an einzelnen Punkten zu destruieren, stellenweise außer Kraft zu setzen, den Mythos von der Allgegenwart des Systems und seiner Unverletzlichkeit zu zerstören. Dabei soll das reformerische Potential in einer Gesellschaft, das diese terroristische Strategie als seinen eigenen Widersacher sieht - Sie brauchen sich nur einmal die bevorzugten Opfer auch in unserem Lande anzusehen - zwischen den Fronten zerrieben und so der Anschein einer „Reformunfähigkeit der Gesellschaft" geschaffen werden, um daraus den Anstoß für einen revolutionären Umsturz der Gesellschaft zu gewinnen. Diese aus einer ganz anderen Welt importierte Strategie spekuliert auf das latente Potential vor allem unter den nachwachsenden Generationen, denen friedliche Veränderungen der Gesellschaft in einer hochtechnisierten Industriegesellschaft als ein zu „langer Weg" auf dem „Marsch durch die Institutionen" erscheinen, um an einen früheren Slogan anzuknüpfen. Kein Zufall - und das ist nun wirklich des Nachdenkens wert -, daß ein nicht geringer Teil dieser aktiven Terroristen auch in unserem Lande nicht etwa aus Proletariermilieu, sondern aus der Schicht der Bürgersöhne und -töchter, jener in der gesamten westlichen Welt 1968 in die Revolte getretenen ungeduldigen Jugend stammt, die sich vor der alltäglichen Mühsal realer Politik als einem „geduldigen Bohren von harten Brettern" in eine pseudorevolutionäre Situation hineingeträumt und damit endgültig den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verloren hat. Am Ende dieser Verirrung stehen mit der erschreckenden Unterscheidung von Menschen und Schweinen die pure Ahumanität und die nackte Kriminalität von Raub und Mord, von Entführung und Erpressung. So große Toleranz unser freiheitlicher Rechtstsaat nach den Artikeln 9, 18 und 21 unseres Grundgesetzes selbst gegenüber extremistischen Organisationen, Parteien und Vereinigungen übt, die nicht mehr auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, weil er auf die durch unsere bisherige Erfahrung, selbst bei der NPD, bestätigte Chance setzt, sogar einen solchen Extremisten in der geistigen Auseinandersetzung wieder auf den Boden unserer rechtsstaatlichen Verfassung zurückzuführen, mit um so entschiedener Intoleranz begegnet er allen solchen terroristischen Aktivitäten, die Gewalt als Mittel der Politik einsetzen. Hier ist eine klare, unverwischbare und unverrückbare Grenze zwischen Toleranz und Intoleranz gezogen. ({18}) Hier tritt für die streitbare Demokratie unseres Grundgesetzes an die Stelle der politischen Auseinandersetzung die innere Verteidigung unserer freiheitlichen Ordnung mit allen rechtsstaatlichen Mitteln. Aus diesem Geiste haben Bund und Länder seit 1971 den Kampf gegen das damals in der Zeit der Großen Koalition auch in unserem Lande aufkommende politische Gewaltverbrechen aufgenommen, für das noch heute die Namen Baader und Meinhof stehen. Durch eine Vielzahl von Beschlüssen der Innenministerkonferenz haben wir ein juristisches Instrumentarium für die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder geschaffen, das sich als Grundlage für die Bekämpfung politisch motivierter Gewalttaten bewährt hat. Die dabei im Mai 1972 beschlossene Form der Zusammenarbeit des Bundeskriminalamtes mit den Polizeien der Länder ist weiter ausgebaut und verfeinert worden. Hiernach stellt der Bund vor allem Dienstleistungen für die kriminalpolizeiliche Arbeit vor Ort durch zentrale Sammlung, Auswertung und Weitergabe der Informationen sowie durch erkennungsdienstliche und kriminaltechnische Expertisen zur Verfügung. Diese gemeinsamen Anstrengungen der Sicherheitsorgane von Bund und Ländern haben vor 21/2 Jahren nicht nur zur Zerschlagung des harten Kerns der kriminellen Vereinigung Baader-Meinhof geführt. Sie können die weitere gemeinsame Erfolgsbilanz der Jahre danach, und zwar 1973 und 1974, in der Regierungserklärung nachlesen, die ich am 13. November 1974 in diesem Hause abgegeben habe. Danach wurden allein in dieser Zeit über 70 weitere kriminelle Terroristen gefaßt. Dem schlie10750 ßen sich ebensolche Erfolge bis in die jüngste Vergangenheit an; ich möchte davon nur zwei herausgreifen. Am 21. Januar 1975 wurde der Verlagsberater Borvin Wulf aus Norderstedt festgenommen, in dessen konspirativer Wohnung Waffen, Material für Sprengstoffsätze sowie der Entwurf eines Rechtfertigungsschreibens für die Sprengstoffattentate auf den Hamburger Justizsenator Professor Klug und auf den Hamburger Gefängnisarzt Dr. Mairose gefunden wurden. Am 26. Februar 1975 wurden die mit Haftbefehl gesuchten Anarchisten Rainer und Ingar Hochstein festgenommen, in deren Hamburger Wohnung ebenfalls umfangreiches Material sichergestellt werden konnte, das weitere Fahndungsansätze bietet. Alle diese offenen und verdeckten Fahndungsmaßnahmen, die heute von der Öffentlichkeit unbemerkt laufen und die zu den hier genannten weiteren Fahndungserfolgen geführt haben, sind von Bund und Ländern einvernehmlich in der Innenministerkonferenz beschlossen worden. Das gilt auch für die von Herrn Dr. Dregger soeben berufenen Großfahndungen, die auf einvernehmliche Beschlüsse ,der Innenministerkonferenz stattfanden oder nicht stattfanden. Es ist darum, Herr Dr. Dregger, einfach nicht wahr - um es Ihnen klar zu sagen -, daß Regierung und Opposition in Bund Ländern die Sicherheitslage unterschiedlich beurteilt hätten. Alle diese Maßnahmen waren jeweils von einer ebenso einvernehmlich getroffenen Beurteilung der Sicherheitslage getragen, bis hin zu der nach der Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann beschlossenen Aktion „Winterreise", deren nachfolgende Ermittlungen noch voll im Gange sind. Um es noch deutlicher zu sagen: Hier wurde jeder Schritt des Erkennens und des Handeins - das kann in einem kooperativen Förderalismus auch gar nicht anders sein - gemeinsam getan, nach ehrlicher Austragung unterschiedlicher Auffassungen, die es natürlich immer wieder gegeben hat, sowohl in der Amtszeit meines Vorgängers als auch in der meinen während der letzten zehn Monate. Es macht die in der Natur der Sache liegende Schwierkeit jeder öffentlichen Erörterung von Fragen der inneren Sicherheit aus, daß über das eigentlich Entscheidende: über die operative Strategie der Polizei in Bund und Ländern, aus begreiflichen Gründen nicht berichtet werden kann. Es läßt sich jedoch nach allen den in enger Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern derzeit laufenden polizeilichen Maßnahmen der verdeckten wie der offenen Fahndung nach den noch gesuchten etwa 30 terroristischen Gewalttätern sagen, daß damit gemeinsame Anstrengungen in fairer Kooperation aller Beteiligten auf den Weg gebracht worden sind, die selbst über den damaligen Fahndungseinsatz im Jahre 1972 gegen den harten Kern der kriminellen Vereinigung Baader-Meinhof hinausgehen. Ich weiß, was ich hiermit sage. Ich sehe keinen Anlaß, diese erreichte Aktionseinheit von Bund und Ländern in der Bekämpfung der terroristischen Gewaltverbrechen durch Kompetenzquerelen über gesetzliche Zuständigkeiten oder Nichtzuständigkeiten zu stören. Darüber mag man in ruhigeren Zeiten nach gründlicher Auswertung aller Erfahrungen in leidenschaftlicher Sachlichkeit sprechen. Hier bin ich nicht nur als Verfassungsminister - das will ich klar bekennen - prinzipieller Föderalist, sondern ich gehe darüber hinaus mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes von einer Organisation der Polizei nach dem Prinzip „zentrale Information und dezentrale Aktion" aus, von dem wir eine größere Leistungsfähigkeit der Polizeiorganisation durch die hier allein mögliche Koordination der Initiativen von unten und von oben in unserem verfassungsmäßig vorgegebenen föderativen System erwarten. Jetzt ist die Zeit zum Handeln und nicht zum Reden. Auch der Bürger hätte für Wortgefechte über Zukunftslösungen ebensowenig Verständnis wie dafür, daß die in der glücklichen Befreiung von Peter Lorenz bewährte Solidarität der Demrokraten von diesen selbst just in dem Augenblick nachträglich zerredet werden würde, in dem es auf nichts anderes wirklich ankommt, als die Entführer und alle noch in Freiheit befindlichen Ihresgleichen hinter Gitter zu bringen. Darauf hoffen unsere Bürger nicht nur, sondern darauf vertrauen sie auch. Dies bestätigt sich jetzt auch - wie ich meine - eindrucksvoll in einer repräsentativen Blitzumfrage des Marplan-Instituts, die nach der Entführung und Freilassung von Peter Lorenz durchgeführt worden ist. Auf die dort gestellte Frage, ob sich die Bürger durch politische Terroristen persönlich bedroht fühlten, antworteten 78 % der Befragten, daß sie sich kaum ({19}) oder gar nicht ({20}) bedroht fühlten. Auf die Frage, ob es in der westlichen Welt Staaten gebe, in denen die Bürger besser gegen Terroristen als in der Bundesrepublik Deutschland geschützt seien, antworteten 79 % klar mit Nein; selbst 74 °/o der CDU/CSU-Anhänger haben dieses Vertrauen in unseren Staat. Das ist, wie ich meine, eine bernerkenswerte Tatsache. Der Bürger weiß dagegen sehr wohl, daß Politiker durch Terroristen bedroht sind. Von den Befragten antworteten 86 %, Spitzenpolitiker seien grundsätzlich gefährdet. In der Tat ist hier - das darf ich schonungslos öffentlich sagen - auch mit den äußersten denkbaren Vorkehrungen immer nur relative und nicht absolute Sicherheit zu schaffen. Da können Sie den persönlichen Begleitschutz - wie wir es im Bund getan haben - verstärken, wie immer Sie wollen, da können Sie den Objektschutz ausbauen, wie immer Sie wollen; daran ändern Sie grundsätzlich nichts. Dem müssen wir klar ins Auge sehen. Die Bemühungen der Verantwortlichen in Bund und Ländern um die Rettung des Lebens von Peter Lorenz hält die Bevölkerung - auch das geht aus dieser Umfrage hervor - für richtig. Nicht weniger als 86 % der Befragten erklärten, die Sicherheitsbehörden hätten im Fall Lorenz das Menschenmögliche getan. Ich komme zum Schluß. Der Kampf gegen Gewalt kann in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht allein durch die Sicherheitsorgane geführt werden. Voraussetzung für eine nachhaltige Bekämpfung der Kriminalität und des Terrorismus sind hier finde ich durchaus gewisse Berührungen mit AusführunBundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer gen meines Vorredners - die geistige Auseinandersetzung mit den Ursachen dieser Erscheiungen und das bewußte Eintreten jedes Bürgers für seinen Staat. Das ist ja die, glaube ich, alle Parteien hier verbindende Vorstellung vom Aktivbürger in einer freiheitlichen Demokratie. Die Bundesregierung wird diese Voraussetzung solcher geistiger Auseinandersetzung durch planmäßige Aufklärungsarbeit weiter stärken, wie sie das schon bisher in ihren Berichten und Dokumentationen getan hat. Gestatten Sie mir hier noch ein besonderes Wort. Was den Verfassungsschutzbericht anlangt, auf den wir im weiteren Gang der Parlamentsdebatte sicher noch kommen, so wird es dabei nicht genügen, rein quantitative Zählungen anzustellen, wie sie in unserem wie in dem von Ihnen vorgelegten Bericht stehen. Hier müssen wir darüber hinaus zu einer geistigen Durchdringung der Erscheinungsformen des politischen Extremismus gelangen - dazu haben wir im Bereich des Bundesinnenministeriums eine großangelegte empirische Untersuchung eingeleitet -, müssen wir nach den politischen Motivationen forschen, die eigentlich dahin führen, daß ein junger Mensch heute dieser oder jener extremistischen Organisation beitritt oder in ihr .verbleibt. Diese Frage ist zumindest ebenso wichtig wie die Frage danach, wie diese Organisationen hier oder dort zahlenmäßig zu- oder abnehmen. Auch darüber will ich - und hier möchte ich über das hinausgehen, was Sie selber in Ihrer Entschließung fordern - in Zukunft regelmäßig das Plenum und nicht nur den Innenausschuß des Bundestages unterrichten. Diese innere und äußere Bereitschaft jedes Bürgers zur Mitverantwortung und zur Mitwirkung an dieser geistigen Auseinandersetzung, ja, selbst an den rechtsstaatlichen Maßnahmen der inneren Verteidigung unserer freiheitlichen Gesellschaft macht die eigentliche Stärke des Rechtsstaats selbst gegenüber jedem Polizeistaat aus. Ebenso kann der Bürger aber auch der inneren und äußeren Bereitschaft aller Verantwortlichen sicher sein, daß dieser gegenwärtigen Herausforderung unseres freiheitlichen Rechtsstaats aus der - ich bemühe dieses Wort absichtlich noch ein letztes Mal - Solidarität aller Demokraten in Bund und Ländern in äußerster vereinter Anstrengung mit Entschlossenheit, aber auch Besonnenheit begegnet wird. ({21}) Vizepräsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Staatsminister Dr. Merk. Staatsminister Dr. Merk ({22}) : Herr Präsident! Hohes Haus! Ich glaube, im Rahmen dieser Aussprache tut es not, sich immer wieder das Ziel derer vor Augen zu halten, deren Bekämpfung wir uns gemeinsam hier vorgenommen und zum Inhalt der Aussprache gemacht haben, das Ziel der anarchistisch operierenden Terroristen, das Ziel, das da ganz schlicht und einfach lautet, dieses unser System zu zerstören, wozu jedes Mittel recht ist. Das ist seit langem klar; darüber haben die Terroristen selbst nie einen Zweifel gelassen. Schon 1970 haben sie nach der Befreiung von Baader damals erklärt: Man kann überhaupt nicht erreichen, was notwendig ist, wenn man nicht gleichzeitig mit der Organisierung des Proletariats, mit der Arbeit im Betrieb und in den Stadtteilen auch die Bewaffnung betreibt. Natürlich kann geschossen werden. Wir haben davon auszugehen, daß die Polizei als Repräsentant des Systems zu bekämpfen ist, natürlich rücksichtslos zu bekämpfen ist, natürlich skrupellos zu bekämpfen ist. Dieses Ziel und dieser Vorsatz gelten nicht nur gegenüber der Polizei, sondern gegenüber allen Repräsentanten dieser unserer parlamentarischen rechtsstaatlichen Demokratie. Darüber müssen wir uns im klaren sein. ({23}) Diesem Ziel der Zerstörung unseres demokratischen Rechtsstaates sind alle Aktionen gewidmet, deren wir in den letzten Jahren vielfältige und zahlreiche erleben mußten: Banküberfälle, Sprengstoffanschläge, Geiselnahmen, Gefangenenbefreiung usw. Wir würden - davon bin ich überzeugt - den Terroristen in die Hände arbeiten, wenn wir etwa kopflos reagierten, wenn wir der Öffentlichkeit das Bild innerer Zerstrittenheit oder der Ratlosigkeit böten. ({24}) Deshalb ist der Appell an die Solidarität aller Demokraten verständlich, ja unerläßlich. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Solidarität darf kein Maulkorb für die Minderheit werden, ({25}) auch kein Redeverbot für diejenigen, die anderer Meinung sind. Erst recht darf es nicht als Narkotikum gebraucht werden, um alles vergessen zu lassen, was unangenehm ist oder was nicht gut und nicht richtig war. ({26}) Solidarität verlangt auch die Ehrlichkeit in der Betrachtung der Realitäten und die Bereitschaft zur Analyse der gesamten Entwicklung bis zum heutigen Tag, um den Weg zu finden, der uns aus der derzeit sicher unbefriedigenden Situation herauszuführen vermag. Zu dieser Ehrlichkeit in der Betrachtung gehört - wenn überhaupt - nur ganz am Rande das Zahlenspiel um die finanziellen Aufwendungen zum Ausbau unserer Sicherheitseinrichtungen. Das ist ganz interessant, darf aber nicht einseitig gesehen werden. Wenn ich das, was in dem Bericht der Bundesregierung der letzten Tage über den finanziellen Aufwand dargelegt worden ist, mit dem vergleiche, was in der gleichen Zeit in den Ländern geschehen ist, dann muß ich sagen: es zeichnet Sie in keiner Weise besonders aus; es entspricht einfach den Erfordernissen der Entwicklung der letzten Jahre. Denn die Landschaft sieht in bezug auf den Sicherheitszustand seit dem Ende der 60er und dem Anfang der 70er Jahre natürlich völlig anders aus als etwa noch in den 50er Jahren und in der ersten Hälfte der Staatsminister Dr. Merk 60er Jahre. Demzufolge haben der Bund und alle Länder ihre Anstrengungen dankenswerterweise vervielfacht. Der Aufwand der Länder ist seit 1969 um hundert Prozent gestiegen. Das darf ich bei dieser Gelegenheit bemerken, um hier den Ausgleich sicherzustellen, der in der Betrachtung gegeben sein muß. Auf keinen Fall, meine Damen und Herren, dulden wir in der Betrachtung der Probleme Ablenkungsmanöver - etwa mit Angriffen auf den Prügelknaben Föderalismus, ({27}) der so langsam der Generalverantwortliche für alles zu werden beginnt, was schwierig oder unangenehm ist. Dankenswerterweise hat der Herr Bundeskanzler hier von sich aus keine Vorwürfe erhoben, allerdings einen Denkanstoß gegeben, ob man nicht doch so langsam zu der Einsicht kommen müsse, daß die bisherige Aufteilung der Kompetenzen unzureichend sei. Wesentlich deutlicher waren da schon der Bundesgeschäftsführer der Sozialdemokratischen Partei, Herr Börner, ({28}) der von der Notwendigkeit sprach, die Schranken des Föderalismus zu überwinden, und Herr Staatssekretär Haack, der in Erlangen gesagt hat: Wir müssen uns überlegen, wie wir irgendwie zu einer Bundespolizei kommen. Von den vielfältigen Kornmentaren und Berichten über tatsächliche oder angebliche Äußerungen maßgeblicher Politiker in den letzten Tagen zum gleichen Thema will ich gar nicht sprechen. Meine Damen und Herren, wenn man mit der Entwicklung bis zum heutigen Tage und mit den bisherigen Ergebnissen der Bekämpfung des Terrorismus unzufrieden ist - und wer könnte eigentlich bei dem gegebenen Stand zufrieden sein? -, gibt es dafür verschiedene mögliche Gründe. Ein Grund: eine etwa unzureichende Kompetenz derer, die die Verantwortung für die Bekämpfung tragen? Ein anderer Grund: daß man die Situation insgesamt nicht richtig erkannt und die aus ihr resultierenden Gefahren nicht ernst genommen und es demzufolge unterlassen hat, Mögliches und Notwendiges zu tun? Eine dritte Möglichkeit: daß man die Gefahren zwar ernst genommen hat, daß aber das taktische polizeiliche Konzept zur Bekämpfung unzureichend oder falsch war? Und eine vierte und letzte Möglichkeit: daß man trotz ausreichender Kompetenz und richtiger Einschätzung der Lage außerstande war, sich des Instrumentariums zu bedienen? Natürlich kann es auch verschiedene Mischformen all dieser möglichen Ursachen geben. Nun zum ersten, der Frage der Zuständigkeit, die, glaube ich, gerade auch von der Länderseite her, einmal beleuchtet werden muß. Wie der Herr Bundeskanzler schon festgestellt hat, hat der Bundesinnenminister dem Bundeskriminalamt bereits am 28. Januar 1971 die polizeiliche Zuständigkeit zur Verfolgung aller von der Baader-Meinhof-Bande im Bundesgebiet und in West-Berlin begangenen Straftaten übertragen. Diese Zuständigkeit wurde am 15. Mai 1972 um den Auftrag erweitert, den ganzen Komplex der Bombenanschläge und -drohungen gegen Einrichtungen der inneren und äußeren Sicherheit sowie dort tätige Personen einzubeziehen, und am 13. November 1974 hat der Bundesinnenminister vor dem Deutschen Bundestag bestätigt, daß die dem Bundeskriminalamt schon in den Jahren 1971 und 1972 erteilten Ermittlungsaufträge zur zentralen Ermittlungsführung fortdauern. Entsprechend diesem Auftrag hatte und hat das Bundeskriminalamt das Recht, Weisungen an die Länder zu geben. Und diese Weisungen umfassend und aufeinander abgestimmt für alle Bundesländer zu erteilen, war ausschließlich Sache des Bundeskriminalamtes. ({29}) Es ist kein einziger Fall bekannt, daß sich auch nur ein Land jemals geweigert hätte, einer erteilten Weisung etwa nicht nachzukommen. Über dieses Weisungsrecht hinaus hat die Innenministerkonferenz mehrfach Konzepte ausarbeiten lassen und sie auch beschlossen - wobei an der Ausarbeitung das Bundeskriminalamt federführend beteiligt war -, Konzepte, die voll ausreichend, aber auch voll geeignet waren, die Fahndungstätigkeit der Länderpolizeien über das Bundeskriminalamt zu koordinieren und in beliebig abgestufter Form zu aktivieren und zu intensivieren. Ich erinnere an die Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom Mai 1972 und vom Februar 1974. Daß allein diese Form dezentralisierter Fahndung erfolgversprechend ist, hat der Präsident des Bundeskriminalamtes vor der Innenministerkonferenz am 7. November 1971, also etwa ein Dreivierteljahr nach der Übertragung der Zuständigkeit zur Fahndung an das Bundeskriminalamt bestätigt. Er hat dort ausgeführt - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -: Es hat sich gezeigt, daß die bisherige Methode der zentralen Bekämpfung der Baader-MeinhofBande untauglich ist. Die Bande läßt sich nicht zentral übersehen und verfolgen. Es ist deshalb für die Zukunft die dezentralisierte Bekämpfung durch regionale Fahndungs- und Ermittlungskommandos mit zentraler Steuerung gewählt worden. Und bereits am 27. Januar 1972 konnte der Präsident des Bundeskriminalamtes vor der Innenministerkonferenz quasi die erste Erfolgsmeldung geben, indem er festgestellt hat - ich zitiere erneut -: Das dezentralisierte Bekämpfungskonzept hat sich in seinen Grundzügen bewährt. Bei einem Festhalten am alten Konzept wäre die Fahndung bereits weitgehend zusammengebrochen. Die Umstellung erfolgte gerade noch so rechtzeitig, daß einige große Ereignisse abgefangen werden konnten. Die Umstellung des Konzepts hat die Informationen verdichtet, der tatortnahe Einsatz der regionalen Kräfte und SonderkomStaatsminister Dr. Merk mandos hat die Ermittlungen intensiviert. Demzufolge hat sich die Zahl der verfolgten Spuren seit der Umstellung des Konzepts bisher verzehnfacht. So weit die Feststellungen des Präsidenten des Bundeskriminalamtes! Noch am 22. November 1974 bzw. am 29. November 1974, also im Herbst letzten Jahres, haben die Arbeitsgemeinschaft Kripo und die Innenministerkonferenz festgestellt, daß Niethoden und rechtliche Grundlagen voll geeignet sind, um terroristische Gewaltkriminalität erfolgreich bekämpfen zu können, und sie haben alle Versuche, diese Zusammenarbeit durch falsche Behauptungen zu diskreditieren, mit Nachdruck zurückgewiesen. Auch der Hinweis auf die Ziffer 3 eines Beschlusses des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz vom 22. März 1973 ändert dieses Bild nicht. Auf diesen Beschluß ist offensichtlich in einem Leitartikel des Herrn Boenisch von „Bild am Sonntag" Bezug genommen, wo er sagt: Warum wurde nach dem gelungenen Schlag von 1972 dem Bundeskriminalamt die zentrale Fahndung nach der Baader-Meinhof-Bande entzogen? Welches politische Genie ist für diese Fehlentscheidung verantwortlich? Deswegen muß ich auf diesen Einwand hinweisen. Dieser Beschluß des Arbeitskreises II vom März 1973 hat die von der Innenministerkonferenz im Mai 1972 beschlossene Unterstellung der Sonderkommandos unter das Bundeskriminalamt nicht aufgehoben, sondern entsprechend der bis dahin geübten Praxis präzisiert. Der Ziffer 3 gehen nämlich eine Ziffer 1 und eine Ziffer 2 dieses Beschlusses voraus, und darin erfolgte die Präzisierung dieser Unterstellung, die nicht beamtenrechtlich, sondern nur verfahrensmäßig zu verstehen war. Sonst wäre ja die Dienstaufsicht über diese Sonderkommandos, aber auch die Kostenlast auf das BKA übergegangen, und außerdem wären eben diese Sonderkommandos aus dem internen Verbund mit örtlicher Kriminal- und Schutzpolizei gelöst worden, was den Wirkungsgrad und Erfolg ihres Einsatzes nach den oben angeführten Erkenntnissen des Präsidenten des Bundeskriminalamtes entscheidend beeinträchtigt hätte. Ich betone also nochmals: an der Praxis hat sich durch diesen inkriminierten Beschluß nichts geändert. ({30}) - Nein, er hat nicht recht, in diesem einen Punkt. ({31}) Alles andere habe ich nicht angesprochen, Herr Abgeordneter Wehner. ({32}) - In diesem Punkt hatte er eindeutig nicht recht. An mangelnden Zuständigkeiten oder an mangelnder Bereitschaft der Länder zur Zusammenarbeit hat es also nicht gelegen, wenn bisher keine befriedigende Erfolge in der Bekämpfung des Terrorismus erzielt werden konnten. Ich bedanke mich auch ausdrücklich beim Herrn Bundesinnnenminister dafür, daß er auch seinerseits diese Feststellungen hier getroffen und bestätigt hat. Wer dessenungeachtet diesen Komplex immer wieder ins Gespräch bringt, und zwar mit Stoßrichtung gegen die Länder, setzt sich dem Verdacht aus, Nebenkriegsschauplätze eröffnen zu wollen, von den eigentlichen Problemen ablenken zu wollen. ({33}) Es bleibt die zweite Frage: Hat man die Situation und die aus ihr resultierende Gefahrenlage richtig erkannt und auch dementsprechend ernst genommen? Schon in der Innenministerkonferenz vom 7. November 1971, also schon vor bald vier Jahren, hat das Bundeskriminalamt auf die Schwierigkeiten in der Bekämpfung der Baader-Meinhof-Bande verwiesen und dabei u. a. geklagt, daß das gesellschaftliche Unbehagen bei einer Minderheit der Bevölkerung, daß gewisse Erfolge der neuen Linken, die ursächlich sind für die Solidarität des Schweigens und die mangelnde Bereitschaft, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, schwerwiegende Hinderungsgründe seien, um in der Bekämpfung erfolgreich zu sein. Weitere sichtbare Erfolge des „Marsches durch die Institutionen", die er hier beklagt hat; die Solidarisierungsbestrebungen durch Autoren der verschiedensten Provenienz, die Anwaltskollektivs - damals schon war von ihnen die Rede -, die zur Kommunikation zwischen den in Freiheit und den in Haft befindlichen Mitgliedern der BaaderMeinhof-Bande beitragen usw. usw. ({34}) Und der damalige Bundesinnenminister hat die Meinung vertreten, daß es eigentlich wünschenswert wäre - und ich habe seine Meinung uneingeschränkt geteilt -, wegen der erheblichen Präventivwirkung, die davon ausgehen könne, Strafverfahren gegen Sympathisanten und deren Ergebnisse bekanntzugeben, weil sie, die Sympathisanten nämlich, letzten Endes durch ihre Unterstützung erst die Erfolge der Terroristen ermöglichen. ({35}) Dies wurde jedoch letzten Ende wie wir meinen, leider und zu Unrecht - nicht für opportun gehalten. ({36}) In der Innenministerkonferenz vom Januar 1972 wurde das Bundeskriminalamt noch deutlicher und stellte fest, daß die Kommunikation innerhalb der Bande und mit Dritten weitgehend von linksradikalen Anwälten vermittelt und getragen wird. ({37}) Staatsminister Dr. Merk Es hat z. B. festgestellt, daß sie Zeugen präparieren, den Transport von Gegenständen übernehmen, die der Ausübung von Straftaten dienen, ({38}) Nachrichten aus den Gefängnissen transportieren, Kassiber vermitteln, Nachrichten über Polizeibeamte und Richter sammeln usw. ({39}) - Januar 1972. ({40}) Das hat sich auch nach der Verhaftung des sogenannten harten Kernes der Baader-Meinhof-Bande im Sommer 1972 nicht geändert, im Gegenteil. In seinem Bericht an das Bundesinnenministerium vom 7. März 1974, der übrigens trotz wertvollster Hinweise und Erkenntnisse den Ländern offiziell nicht zuging, ({41}) hat das Bundeskriminalamt auf verstärkte Aktivitäten der Terroristen verwiesen. Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie, Herr Staatsminister, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt? Staatsminister Dr. Merk ({42}) : Gerne.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie haben auf die Eröffnungen des Präsidenten des Bundeskriminalamtes im Jahre 1972 über die hier in Frage kommenden Anwälte Bezug genommen. Lag es bei den Tatbeständen, die Sie da geschildert haben, wenn Beweise vorhanden waren, nicht in der Macht der Länder, sofort Strafverfahren in entsprechender Art einzuleiten? Was ist auf diesem Gebiet geschehen? Staatsminister Dr. Merk ({0}) : Das Verfahren lag und liegt in Händen des Generalbundesanwaltes, und was aus den Akten umgesetzt wird, ist seine Angelegenheit. ({1}) - Natürlich, aber das ist doch das Problem der Sonderstellung der Anwälte innerhalb der Bande, das niemand eigentlich so recht zur Kenntnis nehmen wollte. ({2}) In Zellenzirkularen und Rundbriefen wurden Taktiken entwickelt und Instruktionen gegeben zur Fortführung des Guerillakampfes, zur Schulung von Kadern, zur Politisierung der Gefängnisse, zur Kampagne gegen die Justiz mit dem Ziel der Verunsicherung - die Schlagworte wurden bereits genannt: Isolationsfolter, Klassenjustiz, Justizterror usw. -. Ferner Anleitungen zur Herstellungen von Sprengstoff und Sprengkörpern, zur Beschaffung von Chemikalien, Regeln über konspiratives Verhalten, Art und Weise der Kodierung von Schriften, Anwendung und Wirkung von Injektionen bei Geiselnahmen und Entführungen, detaillierte Ausbruchspläne, Geiselnahme, Prominentenlisten usw. Dabei wurde in diesem Bericht eindeutig festgestellt, daß es sich um eine einheitlich organisierte Bande handelt, bei der lediglich die Rollen zwischen denen drinnen und denen draußen, denen, die legal, und denen, die illegal arbeiten, verteilt sind, wobei den sogenannten Anwälten eben eine besondere Rolle zukam. Sie konnten in der Rolle des Verteidigers ungestört und ungehindert als Schalt- und Kupplungsstelle für den Gesamtbereich fungieren. ({3}) In diesem Bericht hat das BKA weiter sehr zutreffend festgestellt, daß die offenkundigen Erfolge in der Öffentlichkeitsarbeit der Bande nur durch fehlende staatliche Initiativen in diesem Bereich zu erklären sind. ({4}) Alles in allem kann danach gesagt werden, daß die Verantwortlichen im Polizeibereich die Lage und die daraus resultierenden Gefahren sehr wohl erkannt haben, daß aber nichts Ausreichendes geschehen ist, um dem entgegenzuwirken. ({5}) In diesem Zusammenhang möchte ich mich nach dem, was der Herr Abgeordnete Dregger bereits ausgeführt hat, nur auf einige wenige beispielhafte Anmerkungen beschränken. Bei ausreichender Information der Öffentlichkeit über Zielsetzungen und Taktik dieser revolutionären, im Untergrund operierenden Gruppen wäre es undenkbar gewesen, daß sich beispielsweise der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands noch im Februar dieses Jahres in der Weise geäußert hätte, wie es Herr Dregger bereits zitiert hat. ({6}) - Darauf komme ich sofort noch zu sprechen, Herr Abgeordneter Wehner. Zitate dieser Art, in denen von der Hysterie der Verfolger usw. die Rede ist, ließen sich in beliebiger Folge anführen. ({7}) Zweitens. In den Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes war von den Folgewirkungen .des sogenannten Marsches durch die Institutionen und dem Rückhalt der Terroristen in dem SympathisantenStaatsminister Dr. Merk Bereich die Rede. Was die Behandlung Radikaler, besonders im öffentlichen Dienst, anbelangt - ({8}) - Das ist der dritte Punkt, Herr Abgeordneter. Diesen Punkt werde ich natürlich nicht auslassen, mit Sicherheit nicht! ({9}) Was die Behandlung Radikaler, besonders im öffentlichen Dienst, anbelangt, so gab es eine einheitliche Linie aller demokratischen Parteien, eine einheitliche Linie des Bundes und der Länder, wie sie in dem Erlaß der Regierungschefs vom Februar 1975 zum Ausdruck kommt. Diese gemeinsame Linie wurde nicht von den Unionsparteien verlassen. ({10}) Sie wurde mit den von der Linken, von der linksextremen Seite geschaffenen Schlagworten „Gesinnungsschnüffelei", „Berufsverbot" usw. erfolgreich aufgeweicht. Meine Damen und Herren, man braucht ja nur ein griffiges Schlagwort zu finden - „Justizterror", „Isolationsfolter" usw. -, und schon gerät alles wieder ins Wanken. ({11}) Die zunehmende Zahl der obergerichtlichen Urteile, die die Linie des Erlasses von 1972 bestätigen, sollte den Koalitionsparteien hier ebenso Anlaß zum Nachdenken geben wie die Erkenntnisse aus dem Baader-Meinhof-Komplex, trotz des Störfeuers, das „Panorama" vorgestern schon vorsorglich gelegt hat. ({12}) Nun zu der Rolle der Anwälte - mehrfach reklamiert -, die seit langem bekannt ist; ich zitierte schon: mindestens seit 1972 im Frühjahr. Meine Damen und Herren, ich sage das aus meiner tiefen Sorge - das nehme ich für mich in Anspruch, wie ich das uneingeschränkt jedem Anwesenden hier, der Bundesregierung, den Koalitionsparteien, ebenso uneingeschränkt zubillige entsprechend meiner Überzeugung - um die Abwehrfähigkeit und die Abwehrkraft unseres demokratischen Rechtsstaates: Es ist bisher alles unterblieben, was diesem Übelstand hätte wirksam abhelfen können. ({13}) Die Novellierung der Strafprozeßordnung nach dem Mord an Herrn von Drenkmann hilft nur dem Scheine nach, ({14}) aber nicht in Wirklichkeit. ({15}) Das bestätigt Ihnen jeder Praktiker. Da laufen Sie der Entwicklung hinterher und können allenfalls vielleicht noch reagieren, wenn das Kind längst in den Brunnen gefallen ist. ({16}) Meine Damen und Herren, für jeden normal denkenden Bürger ist es unfaßbar und unglaublich, daß es für die Terroristen keinen sichereren Ort in der ganzen Bundesrepublik gibt als die Gefängniszellen, ({17}) in denen sie mit Hilfe ihrer Anwälte, bewacht und ungestört, konspirativ terroristische Aktionen initiieren und steuern können. ({18}) - Natürlich, Rechtsstaat! ({19}) Die Gesetzgebungskompetenz liegt in dem Falle nicht beim Landesparlament in Stuttgart. ({20}) Der erste Entwurf des Bundesjustizministers hätte hier Abhilfe schaffen können durch die rechtsstaatlich ebenfalls abgesicherte Möglichkeit der Überwachung solchen Treibens. Aber auch hier fand sich bald das Schlagwort von der Gefährdung der Grundlagen unseres Rechtsstaates, wenn die Position des Verteidigers tangiert werde. Übereifrige sprachen sogar von einer Diffamierung des ganzen Berufsstandes. Schräge Vögel, meine Damen und Herren, gibt es überall: in Kirche und Staat, in der Wirtschaft, bei freien Berufen usw. ({21}) - Ich hätte natürlich die Kirche nicht am Anfang nennen dürfen. ({22}) Sich ihrer zu erwehren, hat noch keinen Stand diskriminiert, ganz im Gegenteil. ({23}) Über all diese Punkte muß eine offene Diskussion möglich sein, sonst kann es keine Solidarität geben. Bleibt nach diesen nach meiner Meinung und Überzeugung unbestreitbar festzustellenden Fehlern und Versäumnissen noch die Frage: War das polizeiliche Konzept zur Bekämpfung des politischen Terrorismus richtig? Hier hat es - der Herr Bundesinnenminister hat dankenswerterweise darauf hingewiesen - in der Runde der Innenminister bei einem nahezu uneingeschränkten Konsens in den Grundsatzfragen der Methoden und des Konzepts der Bekämpfung eigentlich nur Meinungsverschiedenheiten über den richtigen Zeitpunkt des Einsatzes der abgestuften Maßnahmen, vor allem im Bereich der Öffentlichkeitsfahndung, gegeben. Hier war nicht immer volle Übereinstimmung in Fragen des Termins, was ich deutlich unterstreichen muß. Staatsminister Dr. Merk Schon im Herbst 1971 und erst recht Anfang 1972 waren einige Länder - z. B. Bayern, Rheinland-Pfalz und noch einige dazu - der Meinung, daß endlich die Öffentlichkeitsfahndung großen Stils betrieben werden müsse. Ich könnte jetzt interessante Zitate über das Pro und Kontra bringen. Ich will es mir versagen; mir ist ein Zeitlimit gesetzt worden. In der Innenministerkonferenz vom Januar 1972 entschloß man sich dann zwar im Prinzip zu dieser Öffentlichkeitsfahndung. Es bedurfte jedoch erst der Sprengstoffanschläge vom Mai 1972, ehe diese Öffentlichkeitsfahndung dann in Gang kam. Und siehe da, sie hatte im Juni 1972 Erfolg. Denn nur - hören Sie bitte wohl zu! - dank der Hinweise aus der Öffentlichkeit ({24}) war letztlich die Verhaftung des harten Kerns der Bande in Frankfurt und in Hamburg möglich. Danach blieb alles wieder still, obwohl es nach den zahllosen und teilweise spektakulären Aktivitäten der Terroristen in der ganzen Bundesrepublik - seit Ende 1972 neu und erkennbar organisiert beginnend - wieder hoch an der Zeit gewesen wäre, Alarm zu schlagen und aktiv zu werden. Bis zum Mordfall von Drenkmann bzw. nach der Entführung von Peter Lorenz ist jedoch in dieser Richtung nichts mehr geschehen. Da besteht ein Dissens, auch in den Reihen der Innenminister. Bleibt also, meine Damen und Herren, in der Tat die Frage: Waren die Polizeiverantwortlichen, vor allem des Bundes, nicht fähig, sich des vorhandenen Instrumentariums zur frühzeitigen und wirksamen Bekämpfung des Terrorismus zu bedienen, oder - die andere Alternative - hat man ihnen hierzu nicht den notwendigen Spielraum gelassen, weil das alles nicht in die politische Wunschlandschaft paßte? ({25}) - Herr Abgeordneter Wehner, das ist ja mit all den heute schon angeführten Zitaten ausreichend deutlich umschrieben worden, ({26}) auch mit den Eingangszitaten des Herrn Abgeordneten Dregger, die er ja dann noch selber interpretiert hat. ({27}) - Genau das! ({28}) - Ich lege keinen Wert darauf. ({29}) Die Bundesregierung wird nicht umhin können, hier bald Klarheit zu schaffen. Für uns ist hier einiges im Dunkeln geblieben. ({30}) Die Bundesregierung wird auch deutlicher werden lassen müssen, worin die Entschiedenheit und Härte besteht, mit denen den Anarchisten entgegengetreten werden soll. Formulierungen dieser Art haben wir nach jedem spektakulären Ereignis zuhauf, markig und wohltuend gehört. Nur, geschehen ist hernach jeweils herzlich wenig, ({31}) und am Ende blieb fast alles beim alten. Wenn es auch diesmal, meine Damen und Herren, nicht wieder nur ein verbaler Kraftakt bleiben soll, der nur Beruhigungszwecke verfolgt, - ({32}) Darf ich fortfahren, Herr Präsident? Vizepräsident von Hassel: Bitte schön, Herr Staatsminister! Staatsminister Dr. Merk ({33}) : Wenn es auch diesmal nicht wieder nur ein verbaler Kraftakt bleiben soll, der nur Beruhigungszwecke verfolgt, müssen die Bundesregierung und die Regierungskoalition endlich Farbe bekennen zu den vielfachen Vorschlägen und Gesetzesinitiativen verschiedener Bundesländer, auch der Opposition hier, wie sie heute vorgetragen wurden. ({34}) Sonst wird es und kann es keine Solidarität der Demokraten geben, ohne die es eine wirksame Sicherung unseres demokratischen Rechtsstaates gegen Systemveränderer jedweder Art nicht gibt. ({35}) Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen, Herr Genscher. ({36}) Vizepräsident von Hassel - Meine Damen und Herren, es steht außer Zweifel, daß ein Mitglied der Bundesregierung jederzeit das Recht hat, sich hier zu Wort zu melden und das Wort zu verlangen. ({37}) - Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen. ({38}) - Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist dem Hohen Hause bekannt, daß ein Mitglied der Bundesregierung jederzeit das Wort begehren kann. Dieselbe Regelung gilt für die Mitglieder des Bundesrates. Daher wird nach dem Bundesminister Genscher der Ministerpräsident Kohl, der gemeldet worden ist, das Wort bekommen. ({39})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mich abweichend von meiner ursprünglichen Absicht, in dieser Debatte das Wort gar nicht zu ergreifen ({0}) - Herr Kollege Haase, ob ich das Wort ergreife, entscheide ich und nicht Sie -, ({1}) zu Wort gemeldet habe, dann nicht nur in Wahrnehmung eines verfassungsmäßigen Rechts, sondern auch unter Berufung darauf, daß die Debatten dieses Hohen Hauses - das haben wir bei den Beratungen über die Parlamentsreform gemeinsam gefordert - aus Rede und Gegenrede bestehen sollen. ({2}) - Meine verehrten Kollegen, wollen Sie mich nicht anhören? Ich finde, es gehört auch zur Demokratie, daß man den politischen Gegner anhören sollte. ({3}) Meine Damen und Herren, ich berufe mich auch darauf, daß nach den Ausführungen des Herrn Staatsministers Dr. Merk, die sich hinsichtlich der Verfolgung der Baader-Meinhof-Bande auch auf einen Zeitraum bezogen, in dem ich die Verantwortung für die innere Sicherheit im Bund getragen habe, eine Entgegnung erforderlich erscheint. ({4}) Wenn Herr Kollege Dr. Merk nach der Feststellung, die Polizei habe die Gefahren erkannt, sodann die Frage aufwirft, ob etwa politische Gründe hinderlich dafür gewesen seien, daß die Verfolgungen nicht entsprechend waren, dann muß ich die darin liegende Unterstellung namens der Bundesregierung zurückweisen, meine Damen und Herren! ({5}) Ich stelle fest, daß die Verfolgung der Baader-Meinhof-Bande wie kein entsprechender Fall daneben oder zuvor nicht nur auf Grund der Weisungsbefugnis des Bundeskriminalamts erfolgte, sondern daß alle einzelnen, über polizeitaktische Erwägungen hinausgehenden Schritte auf dem uneingeschränkten Konsens des Bundesinnenministers und der Innenministerkonferenz der Länder beruht haben. ({6}) Es mag hier ein Redner auftreten und sagen, welche von den Ländern für notwendig gehaltenen Maßnahmen der Verfolgung dieser Bande die Bundesregierung abgelehnt hat, meine Damen und Herren! ({7}) Allerdings gibt es einen Fall, den auch Herr Kollege Merk hier erwähnt hat: Das war nicht etwa eine Diskussion über die Frage, ob eine öffentliche Fahndung stattfinden sollte, sondern eine Diskussion über den Zeitpunkt der öffentlichen Fahndung. ({8}) Darüber ist in der Innenministerkonferenz am 27. Januar 1972 gesprochen worden. Als Grundlage diente uns dabei der Wunsch, die Forderung des Herrn Kollegen Merk, diese öffentliche Fahndung sofort einzuleiten. Aus dem Protokoll der Konferenz ergibt sich ebenso wie aus meiner Erinnerung, daß der Präsident des Bundeskriminalamts, Herr Dr. Herold, der Konferenz damals vorgetragen hat, nicht nur er, der Präsident des Bundeskriminalamts, sondern die Vorsitzenden oder Leiter - so muß ich besser sagen - aller Sonderkommissionen aller Bundesländer hielten in diesem Zeitpunkt die öffentliche Fahndung nicht für gerechtfertigt; ({9}) diese öffentliche Fahndung müsse vielmehr, um ausreichende Beachtung zu finden, an ein spektakuläres Ereignis angeknüpft werden. Wir haben uns dann darauf verständigt, daß wir in einem noch zu findenden Zeitpunkt - und das geschah in voller Übereinstimmung diese öffentliche Fahndung vornehmen. Es hat also über das Ob keine Meinungsverschiedenheiten gegeben, wohl aber eine einstimmige Auffassung des Präsidenten des Bundeskriminalamts und der Ländersonderkommissionen, denen wir uns dann im Grunde angeschlossen haben. Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordnenten Vogel ({10})?

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Genscher, können Sie bestätigen, daß in der Sitzung am 27. Januar 1972 der Präsident des Bundeskriminalamtes, Herr Herold, zur Begründung seiner Auffassung unter anderem folgendes vorgetragen hat - ich darf das zitieren -: Es ist festzustellen, daß eine erhebliche Klimaverschlechterung in den überregionalen Medien eingesetzt hat, während auf der regionalen Ebene der Provinzpresse die Zustimmung für die polizeilichen Maßnahmen ganz erheblich angewachsen ist. ({0}) Ausgehend von den Fällen Rauch und Kaiserslautern, bei denen widersprüchliche Erklärungen am Anfang standen, also vermeidbare Fehler vorliegen, sind Fernsehen, Rundfunk, „Der Spiegel", „Die Zeit", „Vorwärts", „Süddeutsche Zeitung" und „Frankfurter Rundschau" weitgehend zu einer äußerst kritischen Negativhaltung übergegangen. Ende des Zitats. ({1})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Kollege, ich vermag nicht einzusehen, welchen Gegensatz Sie mit diesem Zitat meinen. Ich habe das Protokoll jetzt nicht vorliegen, aber wenn Sie es sagen, wird es richtig sein, und Sie werden Ihren Grund dafür haben, warum Sie es erwähnen. Nur, ich vermag keinen Gegensatz darin zu erkennen, daß trotz dieser Bemerkung der Präsident des Bundeskriminalamts und - ich sage es noch einmal - die Leiter aller Sonderkommissionen der Länder es in diesem Zeitpunkt nicht für richtig hielten, ({0}) wir uns aber voll verständigt haben, diese öffentliche Fahndung zum richtigen Zeitpunkt vorzunehmen, und das ist geschehen. ({1}) Meine Damen und Herren, und nun möchte ich Ihnen etwas sagen: Ich habe in meiner Zeit als Bundesminister des Innern den allergrößten Wert darauf gelegt, die Schlagkraft in den Fragen der inneren Sicherheit für diesen Staat mit allen Kräften herzustellen und durch eine gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern nicht eine fruchtlose Selbstzerfleischung der Demokraten auch nur in den Anfängen möglich zu machen. ({2}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Nein, im Augenblick nicht. ({0}) Ich möchte meinen Gedankengang zu Ende führen. ({1}) Meine Damen und Herren, wollen Sie wirklich diese Debatte in der Weise führen, daß Sie, Zitat hin und Zitat her, anstatt zum Kern der Sache zu kommen, ({2}) Beschuldigungen erheben? ({3}) Mein Nachfolger im Amt, der Kollege Maihofer, hat z. B. in der Frage der Zuständigkeiten des Bundes auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung völlig zu Recht auf die Möglichkeiten des BKA- Gesetzes und die Einsatzmöglichkeiten und Weisungsmöglichkeiten hingewiesen. Hier wird nicht der Versuch unternommen, mit Zuständigkeitsfragen Verantwortung weiterzuschieben. Nur, wenn man sich mit denen auseinandersetzt, die auch im Sinne von Herrn Kollegen Dregger Nachdenken für notwendig halten, ob man neue Zuständigkeiten schafft - ich gehöre nicht zu denen -, ({4}) dann ist es eben nicht in Ordnung, wenn man nur kritische Stimmen zur Frage der Zuständigkeit des Bundes von der einen Seite zitiert. Ich will der Versuchung, Gegenzitate zu bringen, widerstehen und Ihnen nur eins entgegensetzen, damit Sie sehen, daß das auch in Ihren Kreisen diskutiert wird. Heute berichtet die „Quick": Peter Lorenz: Wir brauchen endlich eine Bundespolizei! ({5}) Eine Woche nach seiner Freilassung ... forderte Peter Lorenz ... in einem Gespräch mit Quick „die Errichtung einer schlagkräftigen BundesBundesminister Genscher polizei". Nach Ansicht von Peter Lorenz sind die Polizeiämter der einzelnen Bundesländer straff organisierten Banden nicht gewachsen. „Wir kommen ohne eine moderne Bundeskriminalpolizei, die ohne Schwierigkeiten über alle Landesgrenzen hinweg arbeitet, nicht mehr aus. Ich halte eine Art deutsches FBI für so dringend, daß ich dafür selbst eine möglicherweise notwendige Änderung unserer Verfassung in Kauf nehme." ({6}) Dann heißt es weiter: Schon in den nächsten Tagen will Peter Lorenz seine Parteifreunde für diesen Plan gewinnen und auch mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes . . . zusammentreffen. Ich sage das nicht etwa, weil ich hier den Kollegen Lorenz kritisieren will. Ich kann verstehen, daß er aus schwerer Erfahrung mit uns gemeinsam nach dem richtigen Weg suchen will. Aber halten wir uns doch nicht gegenseitig Gedanken, konstruktive Vorschläge vor, sondern versuchen wir, heute in dieser Debatte uns die Frage zu stellen: Was kann eine solche Debatte über innere Sicherheit leisten, wenn man der Gefahr entgegenwirken will - ich sage es noch einmal -, durch eine Selbstzerfleischung der Demokraten in Wahrheit unsere gemeinsame Handlungsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? ({7}) Deshalb frage ich: Was kann die Debatte leisten? Sie muß Antwort auf die Frage geben, ob die Sicherheitseinrichtungen von Bund und Ländern in ihrer personellen Besetzung, in der technischen Ausrüstung, in der Ausbildung und in der Bewaffnung ausreichend sind, um diese große Herausforderung des Rechtsstaats zu bestehen. ({8}) - Dazu komme ich sofort, Herr Kollege. - Da sage ich Ihnen, daß wir in der Innenministerkonferenz durch die Verabschiedung eines Sicherheitsprogramms von Bund und Ländern für die kommenden Jahre genau das festgelegt haben, was aus unserer gemeinsamen Sicht personell, sachlich und ausbildungsmäßig notwendig ist. Ich füge hinzu: Ich nehme für den Bund in Anspruch, wir haben die aus diesem Programm sich ergebenden Anforderungen erfüllt. Das sollte man auch einmal anerkennen, genauso wie ich bereit bin, anzuerkennen, daß die Bundesländer mit denselben Anstrengungen sich auf den selben Stand gebracht haben. ({9}) Dann kommt die Frage, wie das mit den gesetzlichen Möglichkeiten aussieht, nach denen unsere Polizei arbeiten kann, mit denen sie arbeiten muß. Herr Kollege Dr. Merk hat hier den Bericht zitiert, den Herr Präsident Herold vor der Innenministerkonferenz der Länder über Kontakte und über Bewegungsmöglichkeiten der in Untersuchungshaft befindlichen Angehörigen der Baader-Meinhof-Bande gegeben hat. Ja, meine Damen und Herren, glauben Sie eigentlich, daß Herr Herold diesen Vortrag gegen den verantwortlichen Minister gehalten hat? Er hat diesen Vortrag für mich, in meinem Auftrag gehalten, weil wir nämlich gemeinsam, der Innenminister des Bundes und die Innenminister der Länder, nach Wegen suchen sollten, wie Haftbedingungen geschaffen werden, die solche Möglichkeiten der einsitzenden Angehörigen der Bande unterbinden. ({10}) Nun soll man nicht so tun, als ob für die Sicherheit in den Gefängnissen, d. h. für die Abschnürung der Häftlinge von ihren Bandenmitgliedern der Bund verantwortlich wäre. Das ist unrichtig. ({11}) Ich sage Ihnen: wenn Sie viereinhalb Jahre Verantwortung für die innere Sicherheit getragen haben, wenn Sie mit Polizeibeamten gesprochen haben - dienstlich und außerdienstlich -, dann wissen Sie, was es für diese Beamten heißt, zusehen zu müssen, wie diese Kontaktwege nicht unterbrochen werden konnten. ({12}) - Aber ich bitte Sie jetzt - ({13}) Bitte, hören Sie doch mal zu! Ich bitte aber, jetzt nicht die falsche Vorstellung zu erwecken, ({14}) als ob Ihr Gesetzentwurf über die Einschränkung des Verteidigerverkehrs dieses Problem gelöst hätte. ({15}) Fragen Sie doch einmal die Justizminister der Länder, wie oft sie die zuständigen Behörden der Länder veranlaßt haben auf Grund der jetzt gegebenen Möglichkeiten, deren Anknüpfungspunkte ähnlich wie die in Ihrem Gesetz sind, einen Ausschluß von Verteidigern zu verlangen. Begründete Vermutungen, die wir seit langem haben, so zu verdichten, daß sie für solche gerichtlichen Entscheidungen auch wirklich ausreichen, das war das Problem, mit dem wir über Jahre - ich sage: gemeinsam - zu ringen hatten. Es ist nicht so, daß der Bund hier irgendeine Initiative der Länder abgelehnt hätte. ({16}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich ein Drittes sagen. Herr Kollege Dregger hat heute morgen ein Zitat, das die Sozialdemokratische Partei betrifft, gebracht, und er hat ein Zitat gebracht, das aus einer Entschließung der Deut10760 schen Jungdemokraten - ich habe es zuerst von Ihnen gehört, Herr Kollege Dregger - vor einigen Tagen stammt. Der Bundesinnenminister, Herr Kollege Maihofer, hat sich dazu schon geäußert. Ich will Ihnen in aller Offenheit sagen, damit jedes Mißverständnis ausgeschlossen ist: eine solche Auffassung zur Haltung und den Maßnahmen der Polizei in Berlin steht in totalem Widerspruch zur Auffassung der Freien Demokratischen Partei. ({17}) Herr Kollege Dregger war - möglicherweise abweichend von den Zwischenrufern - zu Recht hier der Auffassung, daß es sich um eine selbständige, von unserer Partei unabhängige Organisation handelt. ({18}) Sie werden mir, meine Kollegen, in dieser Frage, wenn Sie hier wirklich den Konsens der Demokraten suchen, niemals unterstellen wollen, ({19}) daß ich nicht rechtzeitig, und zwar beginnend von meiner Amtseinführung an auf den zentralen Punkt der politischen und der staatlichen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus hingewiesen habe, nämlich daß es in der Frage von Anwendung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung kein Wenn und kein Aber unter Demokraten geben darf. ({20}) Hier liegen die zentralen Fragen. Meine verehrten Kollegen, in dieser Frage allerdings müssen wir jede Relativierung vermeiden. Herr Kollege Merk hat hier mit Recht auf die Sympathiesantenszene hingewiesen, die dem Fisch das Schwimmen im Wasser erst ermöglicht. Ich sage Ihnen ganz klar, meine Kritik richtet sich auch an diejenigen, die glaubten, mit spitzfindigen Formulierungen unterscheiden zu müssen zwischen der Anwendung von Gewalt gegen Sachen und der Anwendung von Gewalt gegen Personen. Wer diesen ersten Schritt tut, öffnet damit dem Terror die Tür in den ersten Hof des Unrechts. ({21}) Ich denke, daß es über diese Grundfragen in dieser Debatte unter uns keinen Streit geben sollte. Deshalb möchte ich im Interesse der Stärkung unseres Rechtsstaates, im Interesse der Stärkung des Vertrauens der Bürger in diesen Staat und im Interesse der Stärkung des Vertrauens unserer Polizei auch in die politisch Verantwortlichen dieses Staates, an alle Seiten des Hauses, an Sie alle, meine Damen und Herren, appellieren: Kehren Sie zurück zu einer sachlichen Debatte über die Fragen, was notwendig ist. ({22}) Aber erliegen wir nicht der Versuchung, direkt oder indirekt den Schwarzen Peter für Verantwortungen hin und her zu schieben! Ich sage Ihnen: Diese Bundesregierung ist bereit, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Sie nimmt die Herausforderung der Terroristen an. Sie erbittet die Unterstützung aller demokratischen Kräfte in Bund und Ländern für diese gemeinsame Haltung. ({23}) Vizepräsident von Hassel: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor wir in der Debatte fortfahren, darf ich zur Geschäftslage kurz folgendes sagen. Wir hatten vor der Wortmeldung des Herrn Bundesministers, die nach § 47 der Geschäftsordnung zu berücksichtigen ist, eine Vereinbarung getroffen. Wir haben inzwischen eine Übereinstimmung dahin erzielt, daß wir gemäß der ursprünglichen Vereinbarung in der Rednerliste wie folgt fortfahren. ({24}) Zunächst erhält das Wort Herr Abgeordneter Brandt, alsdann Herr Ministerpräsident Dr. Kohl. Es gibt keine Mittagspause. Die Fragestunde beginnt nach Ende der Rede des Herrn Ministerpräsidenten Dr. Kohl. Die Wahl des Wehrbeauftragten findet um 15 Uhr statt. Die Fragestunde wird also wahrscheinlich schrumpfen; dahin gehend haben wir die Verständigung erzielt. Das Wort hat der Abgeordnete Brandt. ({25})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde möchte ich vorweg dem Bundeskanzler ausdrücklich für die Regierungserklärung danken, die er heute vormittag hier abgegeben hat. ({0}) Unser Dank richtet sich gleichermaßen an die Adresse des Herrn Bundesinnenministers, Professor Maihofer, wie auch an den früheren Bundesinnenminister, den jetzigen Stellvertreter des Bundeskanzlers. ({1}) Ich selbst - das mag den einen oder anderen überraschen, meine Damen und Herren - stelle bewußt das Wort „Ohnmacht" an die Spitze dessen, was ich hier heute zu sagen habe. ({2}) Wir debattieren heute über alles Mögliche, und ich unterschätze nicht die Bedeutung irgendeiner der Fragen, die hier aufgeworfen werden. Aber dabei begleitet uns doch, wenn wir ehrlich sind, die Vermutung, daß bald ein neuer Terroranschlag hinzukommen könnte. Wir reden über alles Mögliche, und das muß wohl so sein. ({3}) Aber wer von uns hielte das Rezept bereit, mit dem die Unsicherheit zu verscheuchen wäre? Kein Tag vergeht, an dem uns nicht beim Zeitunglesen, am Schreibtisch oder vor dem Fernsehschirm Meldungen über Gewalttätigkeiten aus aller Welt begegnen. Wir fragen uns, unsere Mitbürger fragen sich, und sie fragen uns: Könnte uns, jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland, die Ausbreitung des Terrorismus nicht erspart bleiben? Wir sind auch auf diesem Gebiet - ohne daß wir uns zuviel darauf einbilden sollten - besser dran als die meisten anderen Staaten. ({4}) Aber es besteht kein Zweifel: Die Ereignisse und die Auseinandersetzungen der letzten beiden Wochen seit der Entführung in Berlin haben alle Bürger mit Sorge erfüllt - alle, denen die Zukunft unserer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung am Herzen liegt. Es gibt hier zwei Ursachen, die sich wechselseitig bedingen. Einmal hat eine Handvoll verbrecherischer Terroristen uns alle ohne Unterschied und über alle Parteigrenzen hinweg zu der bestürzenden Erkenntnis gezwungen, daß unser Staat und seine auf der freien Übereinkunft der Bürger beruhende Autorität dann bis in die Ohnmacht getrieben werden können, wenn es darum geht, Menschenleben zu retten. Und da macht es keinen prinzipiellen Unterschied, ob es sich um e i n Menschenleben handelt oder um mehrere. Meine Freunde und ich, wir zusammen - denke ich - mit allen anderen sind froh darüber, daß Peter Lorenz gerettet werden konnte. Wir stehen zu den Entscheidungen, die dazu notwendig waren. Ich sage dies auch deshalb, meine Damen und Herren, weil mir der Rat, um den ich zusammen mit anderen gebeten wurde, schwergefallen ist, und weil ich es auch jetzt ablehne, von einer automatischen Folgewirkung dessen auszugehen, was am 3. März im konkreten Fall entschieden werden mußte. Die Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung hatten allerdings nach jener Entscheidung insofern auch keinen Grund zum Triumph, weil gerade in seiner Ohnmacht - ich wiederhole dieses Wort - unser demokratischer Rechtsstaat doch auch seine Humanität und seine Würde bewiesen hat. ({5}) Das unterscheidet ihn von den meisten Staatssystemen der Vergangenheit und der Gegenwart zu seinem und unser aller Vorteil. Ich sprach, meine Damen und Herren, von der Ohnmacht als der einen Ursache unserer Sorge. Ihr stand gegenüber, was ich die Verlockung nach allzu einfachen Antworten auf ein sehr schwieriges Problem nenne. Dieser Verlockung sind manche in unserem Lande doch allzu leicht erlegen. Und darauf richtet sich die zweite Sorge. Ich nenne den Ruf nach der Todesstrafe, der zu erwarten war, obwohl, von den grundsätzlichen Erwägungen abgesehen, die den Bestimmungen unserer Verfassung zugrunde liegen, niemand guten Gewissens behaupten kann, zwischen Todesstrafe und Sicherheit der Bürger gebe es einen positiven Zusammenhang. ({6}) In einer Hamburger Tageszeitung, die mindestens Weltgeltung beansprucht, ({7}) hat deren Chefredakteur diesem Staat - und das sind wir alle - eine „kaufmännische Mentalität" vorgeworfen, weil ein Leben gerettet werden sollte und gerettet worden ist. ({8}) Meine Damen und Herren, man mag die konkrete Entscheidung, zu der die Länderchefs und der Bundeskanzler gekommen sind, drehen und wenden wie man will: Die Humanität und die Würde unseres Gemeinwesens dürfen nicht in den Dreck gezogen werden. ({9}) Leider ließen sich weitere Beispiele einer solchen Gesinnung leicht anführen. Mit meinen politischen Freunden und vielen engagierten Bürgern im Lande habe ich die eindeutige Distanzierung jener vermißt, die die Parteifreunde des von mir geschätzten Mannes sind, um dessen Leben gerungen wurde - mit „kaufmännischer Mentalität", wie man sie dem Bundeskanzler und den vier unmittelbar zuständigen Länderchefs hat nachsagen wollen. ({10}) Nein, so geht es nicht, meine Damen und Herren. ({11}) Ich erkläre hier und bestätige das, was ich am Wochenende vor einer großen Zahl von Betriebsräten in Dortmund gesagt habe: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands allein und im sozialliberalen Regierungsbündnis setzt besonnene Entschlossenheit und Augenmaß gegen Maschinenpistolen und Bomben ebenso wie gegen die Demagogie, mit der manche Leute die Gefühle in unserem Lande aufzuheizen versuchten. ({12}) Durch beides, Terrorismus wie Demagogie, wird unser Gemeinwesen gefährdet. Die Terroristen hoffen darauf oder rechnen sogar damit, daß das Gefühl der Ohnmacht, von dem ich sprach, in der Abkehr von den freiheitlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen enden könnte, die den Kern unserer demokratischen Ordnung ausmachen. Sie wollen, daß die von ihnen angewandte Gewalt undifferenzierte und emotional gesteuerte Gegengewalt produziert. Sie selbst glauben offensichtlich, sich dieser Gegengewalt entziehen zu können. Das ist absurd. Aber sie spekulieren darauf, daß die von ihnen so genannte Gegengewalt sich gegen alle jene richtet, die in unserem Lande an mehr als einer Stelle als „geistige Wegbereiter des Terrorismus" denunziert werden. Sie rechnen damit, daß es in einer Atmosphäre des Mißtrauens und der Diffamierung zu unheilbaren Auseinandersetzungen zwischen den demokratischen Parteien kommt und daß dabei vor allem jene geschwächt werden, die sie zu Recht als ihre gefährlichsten Feinde betrachten, nämlich die deutschen Sozialdemokraten. ({13}) - Meine Damen und Herren, mich überrascht Ihre Unruhe nicht. ({14}) Sie mögen von der SPD halten, was Sie wollen: ({15}) sie war und ist auch aus meiner Sicht, aus unserer Sicht nicht frei von Fehlern. ({16}) Aber eines kann uns niemand nehmen: Wir sind angetreten gegen Unterdrückung, für Freiheit. Dabei ist es geblieben, dabei wird es immer bleiben. ({17}) Niemals in unserer 112jährigen Geschichte haben wir unserem Volk einen Rat gegeben oder einen Weg gewiesen, der in Krieg oder Knechtschaft oder Terror hätte führen können. ({18}) Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, an diesem 13. März 1975 an eine bittere Stunde des deutschen Parlamentarismus erinnern. Es war eine Stunde im alten deutschen Reichstag, in der die erste deutsche Demokratie bereits zwischen den Extremen der Weimarer Republik zerrieben worden war. Es war der 23. März 1933, auf den Monat genau vor 42 Jahren. Da stand ein anderer Vorsitzender der deutschen Sozialdemokraten, Otto Wels, und sagte im Berliner Reichstag in der Sprache seiner Zeit: Wir haben gleiches Recht für alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen. Wir haben geholfen, ein Deutschland zu schaffen, in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern auch Männer aus der Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offensteht. Wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung des sozialen Rechts. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Soweit Otto Wels im März 1933. ({19}) Hitler, der sein Ermächtigungsgesetz durchpeitschen wollte, brüllte zurück: Ich bin der Überzeugung, daß wir dem deutschen Volk den Geist einimpfen werden, der es auch bei seiner heutigen Wehrlosigkeit, Herr Abgeordneter, nicht ehrlos lassen wird. Zitat Schluß. ({20}) Was daraus wurde, ist bekannt. Es steckt den älteren unter uns tief in den Knochen. Da macht es, meine verehrten Zwischenrufer, überhaupt keinen Unterschied, ({21}) ob sie Christdemokraten, Freie Demokraten oder Sozialdemokraten sind. ({22}) Ich habe auch nicht daran erinnert, um Parallelen zu ziehen, die ganz abwegig wären. Ich erinnere daran, um eine Frage zu stellen und zwei Feststellungen zu treffen. Die Frage, die ich hier stellen möchte, lautet: Welcher Geist soll heute unserem Volk eingeimpft werden, wenn, wie es an mehr als einer Stelle heißt, zum Kampf gegen die „lasche Liberalität", gegen die „Politik der Libertinage", gegen das „larmoyante Gewährenlassen" geblasen und die angeblich „bewußt herbeigeführte Wehrlosigkeit" unseres Staatswesens bejammert wird? Welcher Geist ist es, der einen bekannten und sonst durchaus populären Fernsehfahnder empfehlen läßt, Untergrundgruppen „mit dem Ausnahmerecht des Krieges zu bekämpfen" ? Vom „standrechtlichen Erschießen" war ja auch schon die Rede. Ich verstehe ja, daß die Wut mit manchem durchgeht. Jeder muß sich ja beherrschen, damit dies nicht auf einem solchen Hintergrund mit ihm geschieht. Aber ich warne doch eindringlich davor, den Teufel mit Belzebub austreiben zu wollen. ({23}) Unser Volk hat damit schon mehrfach böse Erfahrungen machen müssen. Wir haben alle die Pflicht, es davor zu bewahren, und niemand sage, das sei Verharmlosung. Ich meine, das Gegenteil sei richtig. Das war die erste Feststellung. Niemand - und da greife ich den Satz auf, den ich vor fünf Minuten sprach - braucht den deutschen Sozialdemokraten Belehrungen darüber zu erteilen, was die Freiheit der Demokratie bedeutet und daß sie kraftvoll zu verteidigen ist. ({24}) Mit Nachdruck füge ich aber hinzu: Niemand sollte auch weiterhin versuchen, wie es in diesen Tagen wiederholt geschehen ist, uns subkutan - ob man nun, Herr Minister Merk, Wunschlandschaften einBrandt führt oder nicht - in die Nähe von Terroristen rücken zu wollen. Das lassen wir uns nicht gefallen! ({25}) Wir deutschen Sozialdemokraten haben in der Geschichte der letzten 100 Jahre mehr als einmal bewiesen und mehr als einmal erfahren müssen, was es heißt, für den demokratischen Rechtsstaat einzustehen. Die Sozialdemokraten sind zu Tausenden und Abertausenden deswegen vertrieben, verfolgt, eingekerkert, umgebracht worden. In dieser Tradition stehen wir. Mit vielen aus den anderen demokratischen Lagern unseres Landes stehen wir gemeinsam in dieser Tradition. Deshalb sind wir dafür, mit ganzer Entschlossenheit die Härte unserer freiheitlichen Ordnung einzusetzen, um ein Wegrutschen unserer Bundesrepublik Deutschland in ein autoritäres System - gleich welcher Herkunft - zu verhindern. ({26}) Die freiheitliche Substanz unserer demokratischen Ordnung lassen wir von niemandem antasten. Ich habe eine zweite Feststellung angekündigt. Gerade die Sozialdemokratie war und ist der Hauptfeind von Extremisten. Warum? Weil wir die Gesellschaft über die ganzen Generationen hinweg, um die es sich jetzt schon handelt, mit besonderem Nachdruck und in ungebrochener Kontinuität, friedlich und mit vernünftigen Schritten gerechter gestalten wollen. ({27}) Weder Terroristen noch ihre demagogischen Gegenspieler sollen insoweit glauben, daß sie uns für dumm verkaufen können. ({28}) Wir bleiben bei unserem entschiedenen Widerstand gegen alle Extreme, auch wenn andere meinen. sie könnten Kapital daraus schlagen oder mit taktischen Finessen Vorteile daraus ziehen. Meine Damen und Herren, vor ein paar Tagen hat der Sprecher der Fraktion der CDU/CSU erklärt, man lasse sich mit der Forderung nach der Solidarität der Demokraten von den Sozialdemokraten keinen Maulkorb umbinden. Das hat Herr Staatsminister Merk aus seiner Sicht aufgegriffen. Ich bin damit einverstanden, aber das gilt natürlich auch umgekehrt. ({29}) Die Opposition wird es dennoch ertragen müssen ({30}) - gerade nach den Qualifikationen, die Herr Staatsminister Merk zum Thema „Solidarität der Demokraten" angebracht hat -, daß wir in dieser Debatte unsere Meinung dazu sagen und daß wir uns selbstverständlich vor den Bürgern in unserem Land an dieser Forderung messen lassen. Meine Damen und Herren, ich bekenne mich heute - wie am 27. Februar in Berlin - dazu. Dort sagte ich übereinstimmend mit Herrn Kollegen Kohl und mit Herrn Kollegen Genscher, angesichts des verbrecherischen Anschlags sei diese Solidarität die vordringlichste Aufgabe. Aber, meine Damen und Herren, ich teile nicht die Auffassung, die ich heute morgen in einer weit verbreiteten Zeitung wiedergegeben gesehen habe unter Bezug auf einen nicht unmaßgeblichen Kollegen dieses Hauses, daß man hier im Grunde nicht, jedenfalls nicht unnötigerweise, Dinge zur Sprache bringen sollte, die außerhalb des Hauses gesagt worden sind. Ich muß etwas zur Sprache bringen, was ich außerhalb des Hauses hierzu gesagt habe; denn sonst ergäbe meine Intervention keinen Sinn. Ich habe nämlich drei Tage nach dem, was ich mit Herrn Kollegen Kohl und mit Herrn Kollegen Genscher im Berliner Rathaus - wenn ich so sagen darf: meinem alten Rathaus - erklärt habe, gesagt - ({31}) - Wer einen solchen Ausdruck der Verbundenheit des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei mit Berlin durch hämisches Gelächter begleiten will, der tut mir leid. ({32}) Ich habe mich auf das bezogen, was wir zu dritt - nein, ich müßte sagen: zu viert, nämlich mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin - gemeinsam am 27. Februar erklärt haben. ({33}) Drei Tage später habe ich gesagt, daß viel von der Solidarität der Demokraten geredet, aber wenig danach gehandelt werde und ich habe gesagt, daß mancherlei Heuchelei anzutreffen sei. ({34}) An jenem 2. März, als ich dies sagte - weiß Gott nicht an die Adresse des Kollegen Kohl, obgleich in technischem Zusammenhang mit einer Befragung von Journalisten nach einem Landtagswahlergebnis -, hatten wir folgendes zu verzeichnen. In Berlin hatte man zwar vereinbart, den Wahlkampf einzustellen, aber die Springer-Presse - in Berlin gibt es ja kaum noch etwas anderes als die Springer-Presse - kümmerte sich nicht den Deut um das, was vereinbart worden war. Einer der stellvertretenden Vorsitzenden Ihrer Fraktion, meine verehrten Kollegen von der CDU/CSU, sagte, noch bevor Peter Lorenz wieder in Freiheit war, der Bundeskanzler werde sich fragen lassen müssen, ob er nicht mittelbar dazu beigetragen habe, was sich in Berlin ereignet habe. ({35}) Das war nicht in Ordnung, und das, meine Damen und Herren, können wir nicht unwidersprochen lassen. Das war mitentscheidend für diese meine Qualifikation. Einer der CDU-Ministerpräsidenten, Herr Kollege Filbinger, sprach von einem Zusammenhang mit der politischen Entwicklung seit 1969, ({36}) also der gemeinsamen Verantwortung von Freien Demokraten und Sozialdemokraten. ({37}) In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Filbinger, haben Sie von einem Sympathiedunstkreis gesprochen, aus dem heraus die Terroristen ihre Aktivitäten hätten entfalten können. ({38}) Ich halte dies nicht nur für abwegig, sondern auch für empörend, Herr Ministerpräsident. ({39}) Mit der Solidarität der Demokraten hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun! ({40}) Meine Freunde und ich haben aufmerksam vermerkt, daß die liberalen Kommentatoren angesichts der von mir zitierten und anderer Äußerungen ohne Zögern eindeutig Stellung bezogen haben. ({41}) So schrieb der Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung" am vergangenen Samstag: Wer den politischen Gegner im demokratischen Meinungskampf in den Geruch des Mittäters am Terrorismus bringt, der manövriert sich selbst in den Dunstkreis der Antidemokraten. ({42}) Ich muß auf diesem Hintergrund die Kollegen der CDU und CSU fragen dürfen: ({43}) Wie stehen Sie nun eigentlich zu der vielbeschworenen Solidarität der Demokraten? ({44}) Wenn Sie das, wie ich weiß - jedenfalls vermute -, mit Ja beantworten, dann füge ich dieser Frage hinzu: Wann werden Sie sich vernehmbar von dem Mitglied ({45}) Ihrer Fraktion, dem CSU-Vorsitzenden Strauß, distanzieren, ({46}) der in seiner am Sonntag einer breiteren Offentlichkeit bekanntgewordenen Version ({47}) seiner Ausführungen in Sonthofen vom Ende vergangenen Jahres gesagt hat - ich zitiere, Herr Präsident -: Jetzt hier in demokratischer Gemeinsamkeit zu sagen, wir Demokraten in SPD /FDP und CDU/ CSU, wir halten also jetzt nun zusammen in dieser Situation, hier müssen wir den Rechtsstaat retten, das ist alles blödes Zeug. Wir müssen sagen, die SPD und FDP überlassen diesen Staat Kriminellen und politischen Gangstern. ({48}) Meine Frage ist: ({49}) Ist Gemeinsamkeit der Demokraten blödes Zeug, meine Damen und Herren? ({50}) Wie stehen die Kollegen der Union zu dieser zynischen Behandlung eines Gegenstandes, von dem Wohl und Wehe unseres Volkes abhängen? ({51}) Wir bitten herzlich darum, ({52}) meine Kollegen und ich und mit uns viele im Lande, daß hierzu in dieser Debatte etwas gesagt wird. ({53}) Wir können und sollten in aller Offenheit darüber reden, was in den letzten Jahren unter Umständen nicht gut genug gemacht wurde ({54}) und deshalb vielleicht verbessert werden muß. ({55}) Dabei können wir mithalten, wenn ich an die Publizitätssucht eines Landesministers erinnern darf, der zu Ihrer Partei gehört, ({56}) oder wenn ich an das Zögern mancher Länder denke, auf dem Gebiet der inneren Sicherheit mit der Bundesregierung noch effektiver zusammenzuwirken. ({57}) Niemand kann bestreiten - da pflichte ich dem Bundeskanzler ausdrücklich bei -, ({58}) daß der Bund in den letzten Jahren nicht weniger, sondern mehr für die innere Sicherheit getan hat. ({59}) Niemand kann auch bestreiten, daß die Innenminister von Bund und Ländern übereinstimmend erklärt haben, sie hätten getan und täten weiterhin, ohne Unterschied der Partei, was im Interesse unseres demokratischen Staates geboten ist. Das war in den vergangenen Jahren so, das ist heute so nach dem, was uns früher berichtet wurde, was dem Bundeskanzler heute berichtet wird. Wenn jemand daraus ausbrechen wollte, dann müßte ich leider noch einmal sagen: Heuchelei. ({60})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Abgeordneter, - Brandt ({0}) : Nein, ich möchte meine Ausführungen, wie der erste Sprecher Ihrer Fraktion, im Zusammenhang vortragen, Herr Kollege. ({1}) Wer nun behauptet, Äußerungen oder Verhaltensweisen der letzten Jahre seien geeignet gewesen, Gewalt und Terrorismus zu verharmlosen, ({2}) der darf nicht im Allgemeinen bleiben, sondern der muß die jeweilige Adresse nennen. Hier sind zwei genannt worden. Auf die gehe ich ein, dies auch als Antwort auf die ungeduldigen Zurufe, die ich schon gehört habe. Ich gehe gleich darauf ein. ({3}) Verbale Kraftakte ({4}) wie die Forderung Ihres Fraktionsvorsitzenden, mit der Verharmlosung der Gewalt und des Terrors müsse Schluß gemacht werden, verwirren nur die Begriffe, und sachlich bewirken sie gar nichts. ({5}) Solche verbalen Kraftakte ({6}) folgen eher der Linie, die in der erwähnten Sonthofener Rede ausgegeben wurde, wenn da steht: Da können wir nicht genug an allgemeiner Konfrontierung schaffen. (Wehner [SPD] : Hört! Hört! - Dr. Marx [CDU/CSU] : Wer hat die denn eingeführt? Und es steht dort auch: Nur anklagen und warnen, aber keine konkreten Rezepte nennen. ({7}) Ich zitiere noch einmal, Herr Kollege, die „Süddeutsche Zeitung" vom Wochenende. ({8}) Dort heißt es, Frau Präsidentin: „Erst die apokalyptischen Reiter übers Land jagen, dann Strauß als neuer Verheißer solider Zukunft." Und weiter heißt es in dem Artikel: Das Rezept des CSU-Vorsitzenden wird die entscheidenden Wählergruppen nicht anziehen, sondern abschrecken. So dumm und dämlich ist das deutsche Publikum nicht mehr. ({9}) Mancher bei uns fragt, ob die CDU das auch weiß, ({10}) die CDU, deren Präsidium am Montag erklärte, man habe keinen Anlaß, sich mit den angeblichen Äußerungen von Herrn Strauß auseinanderzusetzen. ({11}) worauf Ihr früherer Partei- und Fraktionsvorsitzender dann doch schroff eine Ehrenerklärung verlangte, ({12}) obwohl aus der Fraktionssitzung der CDU/CSU offiziell verlautete, alles sei eine Erfindung des innenpolitischen Gegners. ({13}) Der Vorsitzende der CDU, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident, versuchte, sich daran vorbeizumogeln, ({14}) indem er erklärte - nein, erklären ließ -, ({15}) es sei doch alles schon dementiert worden. ({16}) Nun, Herr Kollege Dr. Kohl, das nimmt Ihnen keiner ab. ({17}) Vom Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Union wird in diesem Zusammenhang mehr erwartet. ({18}) Nun hat es natürlich auch bei meinen Kollegen - warum sollte ich dies nicht hinzufügen, weil es unmittelbar mit unserem Thema zusammen hängt? - ({19}) - Beruhigen Sie sich! Sie bringen mich hier nicht aus dem Konzept, da haben Sie sich völlig verrechnet. ({20}) Da gibt es aus der Sonthofener Rede eine ganze Passage darüber, daß in den beiden Fraktionen dieses Hauses, in großer Zahl dazu - das ist aber nicht einmal das Entscheidende -, Sympathisanten dessen, was Herr Srauß die Baader-Meinhof-Verbrecher nennt, gibt. ({21}) Meine Damen und Herren, ich füge das Thema ein, weil es einen Brief gibt, den die Frau Präsidentin den Fraktionsvorsitzenden zugestellt hat; ich glaube, die Kollegen sollten das kennen. In diesem Brief heißt es - ich darf aus der Fassung zitieren, die der Kollege Wehner von der Frau Präsidentin erhalten hat; ich nehme an, sie ist gleichlautend an alle Fraktionsvorsitzenden gegangen - zu einem längeren Antwortschreiben von Herrn Kollegen Strauß an die Bundestagspräsidentin: ({22}) ... hat mir Herr Strauß erklärt, daß er in seiner Sonthofener Rede mit seinem Hinweis auf Sympathisanten des linken Terrorismus und Anarchismus „nicht bestimmte Mitglieder der Bundestagsfraktion der SPD und FDP gemeint habe." ({23}) Meine Damen und Herren, meine Fraktionskollegen und ich - ich vermute, dies gilt auch für die Kollegen von der freidemokratischen Seite -, wir können diese Mitteilung des CSU-Vorsitzenden als in keiner Weise angemessen oder gar befriedigend betrachten. ({24}) Nun ist, meine verehrten Kollegen, heute früh durch den Kollegen Dregger einiges an Zitaten eingeführt worden. Ich komme auf einen anderen Punkt gleich noch einmal zurück, einen möchte ich jetzt versuchen aufzuklären. ({25}) - Kommt noch. Sehen Sie Herr Kollege Dregger, Sie haben einen richtigen Satz zitiert aus einem Beitrag für die Jugendzeitschrift der Gewerkschaft der Polizei. Sie sehen das anders, was in dem Satz gesagt wird; das muß ich respektieren. ({26}) - Haben Sie doch Verständnis dafür, wenn man versucht, zu einem solchen Punkt sachlich mit dem Kollegen, der hier gesprochen hat, zu sprechen! - Nur, Herr Kollege Dregger, wenn Sie die Güte hätten, einmal nachzuschauen, dann würden Sie finden - falls man Ihnen überhaupt den Artikel und nicht nur das Zitat gegeben hat -, daß der Artikel insgesamt eine andere Deutung und Wertung verdient, als Sie sie hier gegeben haben. ({27}) Da ich mich bei Punkt a nicht selbst zitieren möchte, mache ich es jetzt bei dem anderen. ({28}) - Nein, jetzt müssen Sie mich dies darlegen lassen. ({29}) - Sie haben doch gehört, daß ich meine Ausführungen im Zusammenhang darlegen werde. ({30}) Sie haben doch vorhin gerufen, Sie wollen, daß ich auf die Zitate eingehe, die Herr Dregger vorgebracht hat; wenn ich das jetzt tue, dann wollen Sie es wieder nicht hören; Ihnen kann man nicht helfen. ({31}) Der Kollege Dregger hat den Landesvorsitzenden der SPD in Schleswig-Holstein zitiert. ({32}) Herr Kollege Dregger, wenn Sie bitte dort auch noch einmal nachschauten! - Ich helfe Ihnen übrigens gleich mit dem Zitat zu der Sache, die uns hier heute befaßt. Wenn Sie nachlesen, dann finden Sie, daß sich Steffen in diesem Aufsatz mit geschichtlich unterschiedlichen Strömungen dessen auseinandersetzt, was Anarchismus genannt worden ist. Hier sind doch mehr als ich, die wissen, daß es eine Tradition gibt, die auf Rousseau zurückgeht oder die mit dem Namen Tolstoi verbunden ist. Herr Kollege Dregger, jetzt kommt es. Zu der Sache, die uns befaßt, heißt es wörtlich ({33}) - ich zitiere jetzt Steffen -: ({34}) Ich halte Gewalt für schlimm. Sie hat noch nie ein Problem gelöst. Ich weiß aber auch, daß unsere gesellschaftliche Wirklichkeit durch Gewalt erzeugt, bestimmt und auch durch Gewalt erhalten werden kann. ({35}) Trotzdem ist für mich jeder faule Kompromiß besser als der reine Krieg. ({36}) Ich glaube, daß Gewalt die Folge der Unfähigkeit ist, Probleme der Menschen rechtzeitig zu lösen. Tritt Gewalt auf, bedroht sie die Humanität. Soweit der Kollege, den Sie hier in die Debatte eingeführt haben. ({37}) Was ich, meine verehrten Kollegen, an manchen Erörterungen dieser Wochen besonders bemängele, ist die Undifferenziertheit, ist der Mangel an Präzision, ist das Ineinanderrühren von Problemen, die alle für sich genommen ihre Bedeutung haben. Ich möchte eine besondere Form des Ineinanderrührens ansprechen, die ein besonderes Element der Infamie in sich trägt. ({38}) Es ist üblich geworden, von den Terroristen als von „Linken" zu reden. ({39}) Dies ist ein Sprachgebrauch, der nur zu gedankenlos - auch von mir selbst; deshalb kritisiere ich nicht nur andere, auch mich selbst - übernommen worden ist. ({40}) Sicher steckt aber in einigen Fällen auch Absicht dahinter. Deshalb zwei Bemerkungen. Erstens. Wer den Terroristen im Sinne des eigentlichen politischen Spektrums unseres Landes - politischen, sage ich - das Prädikat „links" zuerkennt, tut ihnen eine Ehre an, die ihnen nicht zusteht. ({41}) Er bezieht sie in ein Schema ein - darüber läßt sich natürlich auch sonst streiten -, das dem parlamentarischen Raum entnommen ist. Ich sage mit Nachdruck: die Terroristen sind alles andere als „Linke" im Sinne des politischen und parlamentarischen Parteienspektrums. Sie haben damit nichts zu tun. ({42}) Sie sind vielmehr Leute, die der Reaktion in die Hände arbeiten. ({43}) Zweitens. Wer sie dennoch im doppeldeutigen Sinne als „Linke" bezeichnet, verunglimpft, bewußt oder unbewußt, die parlamentarische Linke, ({44}) um diese wiederum bewußt oder unbewußt - bei Ihnen, Herr Reddemann, wohl eher das erste, bei anderen das zweite -, ({45}) in die Nähe der Terroristen zu rücken. Im Namen der parlamentarischen Linken - und dies ist die Rolle der Sozialdemokratie auch dort, wo sie in das Lager der neuen Mitte hineingewachsen ist ({46}) weise ich diese Versuche entschieden zurück. ({47}) Terroristische Gewalttäter, die den Sozialdemokraten Günter von Drenkmann ermordet haben und die unseren Kollegen Peter Lorenz entführt haben, ({48}) haben mit den Interessen der breiten arbeitenden Schichten unseres Volkes, die durch die linke Seite in diesem Hause gewahrt werden, ({49}) ganz gewiß nichts gemein. ({50}) Im Gegenteil, sie sind unsere erbitterten Feinde. ({51}) - Das sind mir schöne Verbündete! In einem Augenblick, wo der Vorsitzende sagt, die Terroristen seien seine und seiner Partei erbitterte Feinde, versuchen Sie, hiergegen anzugehen, anstatt sich das zumindest in Anstand anzuhören. ({52}) Ich wiederhole: Sie sind unsere erbitterten Feinde, und niemand wird uns davon abbringen, uns dieser und jeder anderen Form von Reaktion mit ganzer Leidenschaft zu widersetzen. ({53}) Nun weiß jeder von uns, daß es einen absolut sicheren Schutz gegen den Terrorismus nicht gibt. Ich möchte Peter Lorenz auch hier noch einmal ausdrücklich dafür danken, daß er am Tage nach seiner Freilassung auf diesen simplen Sachverhalt hingewiesen hat. Darüber sollte es also keinen Streit geben. Er, Peter Lorenz, hat auch sonst einiges gesagt, was, wenn wir uns alle daran hielten, eine Verständigung in diesem Hause leichter machen würde. ({54}) Aber auch, meine Damen und Herren, wenn es eine hundertprozentige Sicherheit nicht gibt, müssen wir zunächst den Staatsdienern in Polizei und Justiz sagen - wir als Deutscher Bundestag -, daß wir mit unserem Vertrauen hinter ihnen stehen. Das ist das eine. ({55}) Wir müssen, wo immer wir in Bund oder Ländern Verantwortung haben, ({56}) unsere Anstrengungen verstärken, damit, wo es möglich ist, der Schutz verbessert wird und die Chancen für eine schnellere Ergreifung von Terroristen erhöht werden. ({57}) Dazu wird es auch erforderlich sein, zu untersuchen, ob Versäumnisse und Fehler vorgekommen sind. So muß zum Beispiel geklärt werden, ob die Terroristen in Berlin durch Indiskretionen gewarnt worden sind. Ich stimme auch dem zu - egal von welcher Seite auch immer das gesagt wurde -: die Kommunikationskanäle zwischen in Haft befindlichen Terroristen, über die neue Gewalttaten vorbereitet werden können, müssen ermittelt und verstopft werden. Ich höre - wenn ich das hier heute morgen richtig verstanden habe -, daß es nicht sinnvoll wäre, jetzt über neue Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zu reden, und ich habe nichts gegen diesen Konsensus einzuwenden. Aber auch in Würdigung dessen, was Herr Staatsminister Merk aus seiner Sicht der Verantwortung hier gesagt hat, darf ich in die Debatte einführen: Ich meine, die Zusammenarbeit der Innenminister und der Polizeibehörden in Bund und Ländern muß, wo immer dies erforderlich ist oder weiterhin dringend erforderlich werden sollte, über das bereits erreichte Maß hinaus verstärkt und verbessert werden. ({58}) Auch dies ist eine Aufgabe, die die verantwortlichen politischen Kräfte dieses Landes miteinander zu bewältigen haben. Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten in Ländern und Bund sind zu der sachlichen Prüfung, die sich logisch aus dem eben entwickelten Gedanken ableitet, zu jeder Zeit bereit. Die lange Geschichte der Sozialdemokratischen Partei - ich habe sie bewußt schon eingeführt - ist wesentlich geprägt durch den Kampf für einen Staat, an dem alle Bürger beteiligt sind und von dem niemand ausgesperrt bleibt. ({59}) Der Staat ist so stark und so kraftvoll, wie seine Bürger sich mit ihm identifizieren; um ein Wort Gustav Heinemanns aufzugreifen. ({60}) Der Staat sind wir alle und jeder einzelne von uns. ({61}) Der Staat ist in unserem Verständnis ein Instrument der Gerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs. Neben der Schutzfunktion für Leben und Eigentum hat er, worauf Kurt Schumacher - Sie hatten ihn heute früh zitiert, Herr Kollege Dregger - schon 1920, also lange bevor er Reichstagsabgeordneter oder dann erst Vorsitzender der SPD wurde, in seiner Dissertation hingewiesen hat, den Zweck, „durch die Vereinigung die einzelnen in den Stand zu setzen, eine Summe von Bildung, Macht und Freiheit zu erlangen, die ihnen als einzelnen schlechthin unerreichbar wäre". Meine Damen und Herren, nach der Aussperrung der sozial schwächeren Schichten unseres Volkes von der politischen Verantwortung im Bismarckschen Reich, nach dem brutal niedergeschlagenen Versuch, die Erste Republik zu einer Heimat für alle zu machen, können Sozialdemokraten heute mit Überzeugung sagen: Diese Zweite Deutsche Republik, diese Bundesrepublik Deutschland ist auch ihr, ist auch unser Staat. ({62}) Sie ist in dem Maße zum Staat aller Bürger geworden, in dem auch diejenigen, die so lange für die demokratischen Rechte der Arbeiter und anderer Rechtloser gekämpft hatten, an der Entscheidung über die gesamtstaatlichen Angelegenheiten beteiligt wurden und darin zeigt sich - ich spreche das unbefangen aus -, vielleicht am deutlichsten, wie sehr die Sozialdemokraten, die noch lange eine Scheu vor der Macht hatten, in ihrer Staatsfreundschaft - wie Dolf Sternberger es genannt hat - gewachsen sind. ({63}) Diesen Staat, mit dem wir uns identifizieren und an dem alle Anteil haben sollen, werden wir mit Leidenschaft und Härte gegen alle verteidigen, die ihn angreifen, geschweige denn zerstören wollen, gegen alle, die seine Substanz als die eines freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats antasten wollen. ({64}) Ich finde, es wäre nützlich, nicht nur zu sagen, wie schon geschehen ist, daß der Terrorismus ein internationales Phänomen ist, sondern auch zu fragen: Kann etwas geschehen, und wenn ja, was kann durch internationale Vereinbarungen gegen Terrorismus geschehen? Mich überzeugt nicht das vielfach vorgebrachte Gegenargument, bei den Vereinten Nationen sei nichts zu machen. Man muß es eben mit denen zusammen machen, die bereit und fähig sind, konkrete internationale Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen. Ich möchte die Bundesregierung ermuntern, trotz mancher Rückschläge auf diesem Gebiet voranzugehen. Wir sagen ja zu der geistigen Auseinandersetzung, von der hier die Rede war. Verehrte Kollegen, wenn Sie den gemeinsamen Entschließungsantrag der Freien Demokraten und der Sozialdemokraten sehen, so schauen Sie sich insbesondere die Ziffern 6, 7, 8 und 9 an. Dort ist in einiger Prägnanz gesagt, was wir uns in diesem Zusammenhang konkret unter geistiger Auseinandersetzung vorstellen. Wir sind empört über terroristische Exzesse. Ich bin es ganz gewiß. Aber ergibt sich nun nicht doch auch noch die Frage: Was ist eigentlich mit den Kindern geschehen, aus denen Terroristen wurden? Sie sind doch nicht als solche vom Himmel gefallen. ({65}) Vermutlich wird man mir sagen, es gebe dringlichere Fragen. Aber zu diesen dringlicheren Fragen gehört dann auch das, was mir junge Menschen für den heutigen Tag mit auf den Weg gegeben haben, und zwar solche jungen Menschen, die von Extremismus nichts wissen wollen und für die Terrorismus ein Greuel ist. Sie fragen doch über den heutigen Anlaß hinaus: Wann trat euer großer Krisenstab, oder was man so nennt, denn schon einmal zusammen, weil sich unsere Zivilisation Jahr für Jahr Zehntausende von Verkehrstoten leistet? Wann habt ihr schon einmal drei Tage und drei Nächte, wenn es so lange war, getagt, weil in unserer Gesellschaft Tausende von Kindern mißhandelt oder sogar getötet werden? Wann eingentlich stellen sich die Politiker aller Parteien bedrückt vor die Kameras ({66}) und rufen nach Solidarität, weil Millionen Menschen in der Welt um uns herum verhungern, dahinsiechen? Wann kümmert sich jemand um das Millionenheer der Kinder in der Welt, die wenig älter werden als fünf oder sechs Jahre? Wann werden auch da Krisenstäbe zusammentreten? ({67}) So fragen viele junge Menschen. Ich gestehe offen: ich weiß keine Antwort. Sie läßt sich auch nicht als dem Ärmel schütteln. ({68}) Ich weiß aber auch, daß Parolen vom gehärteten Staat hier nicht weiterhelfen. ({69}) Über sie wird nicht einmal gelacht, sie werden mitleidlos beiseite gelegt, damit die für die junge Generation brennenden Fragen Platz haben. Der Studentenprotest von 1968 ist ja auch nicht von ungefähr und nicht wie ein Naturereignis über uns gekommen. ({70}) Er war zunächst Werbung und Warnung, später Protest und zum bitteren Ende das leidenschaftliche Aufbegehren einer Generation gegen die erkennbare Gefahr, unser Staat könnte im spießerhaften Mief ersticken ({71}) und durch seine Unbeweglichkeit seine Zukunft und unser aller Zukunft verspielen. ({72}) Kein anderer als Peter Lorenz hat das dieser Tage mit dem Hinweis darauf zum Ausdruck gebracht, seine eigene Partei, die Unionsparteien, hätten sehr wohl auch heute noch Anlaß, darüber nachzudenken, warum ihnen jemals eine ganze Generation junger Menschen den Rücken kehrte. ({73}) Was die Herkunft der aktiven Kräfte jener Jahre angeht, so ist für sie ja schon die treffende Formel geprägt worden, es hätten die Söhne der reichen Leute die Söhne der Arbeiterklasse dazu mißbraucht, Rache an ihren Vätern zu nehmen, Rache wohl eben dafür, daß diese Väter sich ihrer Karriere und der Jagd nach dem Geld hingegeben und dabei menschliches Glück zerstört und Geborgenheit verweigert haben. ({74}) Was ist aus dem Studentenprotest geworden? Ein erheblicher Teil der damals Aufbegehrenden ist zu meiner Partei gestoßen. Ich habe es stets für kurzsichtig und für staatspolitisch bedenklich gehalten, daß die Führung der CDU/CSU bis heute nicht darauf verzichtet hat, aus diesem Umstand parteipolitischen Profit ziehen zu wollen. Mancher hat sich mit Wollust darauf gestürzt, daß dieser Integrationsprozeß, ({75}) der Prozeß der Heranführung junger kritischer Menschen an den demokratischen und sozialen Rechts10770 staat in der SPD nicht gerade geräuschlos vonstatten geht. Ich frage ganz einfach zurück: ({76}) kann ein solcher Prozeß wesentlich anders vor sich gehen? Ich wage zu behaupten, daß das kritische Nachfragen der Jungen in der Union auch noch geräuschvoll wird; ({77}) es ist schon deutlich vernehmbar. Wenn der Sozialdemokratie dieser schwierige Prozeß der Integration weithin gelungen ist, so deshalb, weil wir die damals protestierende Jugend durch unsere Politik zu überzeugen vermochten, daß unser Staat nicht immobil, nicht auf Spießbürgerlichkeit, nicht auf die Durchsetzung der Interessen der Mächtigen hin programmiert ist, sondern daß er reformfähig ist, daß er für die soziale rechtsstaatliche Demokratie offen sein kann und offen sein muß. ({78}) Das zur Integration! Andere sind ins Apolitische abgewandert. ({79}) Wieder andere sind im nichtpolitischen, verwerflichen, zerstörerischen Terrorismus gelandet. Jetzt nehmen Sie bitte noch einmal zur Kenntnis: ({80}) Die Auseinandersetzung damit, die erleichtern Sie nicht, ({81}) sondern die erschweren Sie dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, ({82}) wenn Sie hier genau das durcheinanderbringen, was nicht durcheinandergebracht werden darf. Innere Sicherheit ist und muß bedeuten: innerer Frieden. Der ist in Gefahr, ({83}) wo Terroristen und Demagogen objektiv Hand in Hand arbeiten. ({84})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Brandt, Ihre Redezeit ist abgelaufen!

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihnen gilt unser Kampf, und ich bitte die Bürger im Lande, ({0}) uns dabei nachhaltig zu unterstützen, ({1}) für die freiheitliche demokratische Rechtsordnung unserer Bundesrepublik Deutschland. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, ich möchte noch bekanntgeben, daß die Sitzung des Ältestenrates mit Beginn der Fragestunde anfängt. Das Wort hat jetzt Herr Ministerpräsident Dr. Kohl. Ministerpräsident Dr. Kohl ({0}) : ({1}) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie erlauben mir, daß ich wenigstens in einem kurzen Satz noch einmal auf die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zu Beginn der heutigen Sitzung zurückkomme und daß ich für die CDU und auch für die Schwesterpartei CSU von hier aus ein Wort des Dankes an all jene sage, die in vielerlei amtlicher Verantwortung und durch ihre Leistung in Bund und Ländern, auch auch als private Personen, dazu beigetragen haben, daß unser Freund Peter Lorenz unversehrt in den Kreis seiner Familie, in unseren Kreis zurückkehren konnte. ({2}) Herr Bundeskanzler, auch in der Stunde danach, heute, habe ich keinen Grund, nicht den Satz zu wiederholen, den Sie dankenswerterweise zitiert haben: Wenn wir, die deutschen Demokraten, in den entscheidenden Fragen der Verteidigung der Freiheit und des Rechtsstaats nicht an einem Strang ziehen, dann wird dieser Staat kaputtgehen. ({3}) Und wir als CDU/CSU sehen ganz selbstverständlich unsere Verantwortung, hier in diesem Saal, in dem wir gegenwärtig die Opposition stellen, und in den von uns getragenen Landesregierungen. Ohne hier jetzt fachliche Details ansprechen zu wollen, will ich sagen - und dies gilt -, daß für uns die Verteidigung der Freiheit und der inneren Sicherheit dieses Landes ein so vorrangiges Gut ist, daß auch notwendige Entscheidungen bezüglich der föderalen Struktur dieses Landes unter diesem Gesichtspunkt zu treffen sind, daß es hier kein duodezfürstliches Denken, daß es hier keine kleinliche Eifersüchtelei oder Prestigesucht gibt, sondern daß es allein und ausschließlich um die Notwendigkeit geht, die effektivste und sachlich beste Lösung zu finden, um dieMinisterpräsident Dr. Kohl sem politischen Banditentum in unserem Lande auf Zeit und Dauer den Garaus zu machen. ({4}) Denn - und dies sage ich noch einmal - unser Ziel ist es, diesem unserem Staat, unserer freiheitlichen Demokratie in Pflicht zu dienen. Nun, Herr Kollege Brandt, dies war zu erwarten, daß Sie heute die Stunde wahrnehmen, eine groß angelegte Kampagne, ({5}) die nichts mit der heutigen Debatte in diesem Hause, ({6}) sondern mit der Vorbereitung der Bundestagswahl des Jahres 1976 zu tun hat - ({7}) Meine Damen und Herren von der SPD, ich verstehe, daß Sie vor diesem Ereignis Angst haben. Das hat gute Gründe in diesem Lande. Nur, Herr Kollege Brandt - und dies muß gesagt werden -, es ist die Neuauflage einer Uraufführung, die wir bereits 1972 erlebt haben. ({8}) Ich sage Ihnen: Wir werden diese Auseinandersetzungen, die hier seit Monaten laufen und die ich gleich sehr präzise ansprechen werde, im Jahre 1975 austragen und sie zwingen, im Jahre 1976 mit politischen Argumenten und nicht mit Diffamierungen die Bundestagswahl zu führen. ({9}) Wir alle waren Zeuge heute früh, wie das so läuft. ({10}) - Meine Damen und Herren, ich weiß, daß Sie den „Spiegel" lesen und daß das für Sie eine Offenbarung ist, aber wir sind hier im Deutschen Bundestag, und deshalb genügt das nicht. ({11}) Herr Kollege Brandt, ich zitiere nur aus der heutigen Rede. ({12}) - Ich komme auch zu diesem Thema, seien Sie beruhigt. - Sie sprachen von der Demagogie, die versucht, Gefühle aufzuheizen. Sie haben aber nicht Roß und Reiter genannt. Sie haben Zeitungen zitiert. Herr Kollege Brandt, wie käme ich dazu, von Ihnen zu erwarten, daß Sie sich von allen Zeitungsartikeln distanzieren, etwa von all den Schreibern, die von sich selbst behaupten, daß sie Ihnen nahestehen. Ich denke nicht daran, eine solche Erwartung an Sie zu richten. Aber, wenn Sie hier behaupten, der gefährlichste Feind der Terroristen seien die deutschen Sozialdemokraten, dann frage ich Sie, meine Damen und Herren: Was soll's?-Der Feind der deutschen Terroristen sind die deutschen Demokraten und alle demokratischen Parteien in diesem Hause! ({13}) Herr Kollege Brandt, überlegen Sie einmal, was Sie eigentlich damit anrichten - ich unterstelle jetzt gar nicht, daß Sie das wollen ({14}) wenn Sie hier sagen - ich zitiere wörtlich -: Wir - die SPD - haben in unserer ganzen Geschichte niemals einen Rat gegeben, der in Krieg und Elend endet! - Gibt es in diesem Hause ein Mitglied, gibt es unter deutschen Demokraten ein Mitglied einer demokratischen Partei, das die Lektion der jüngsten deutschen Geschichte, daß Krieg und Terror, brutale Gewalt kein Mittel der Politik sind, nicht genauso begriffen hat wie Sie beispielsweise? ({15}) Und dann ist jener verräterische Satz gekommen, der für das typisch ist, was Sie auch draußen - und zwar noch deutlicher - sagen. Sie warnen hier in diesem Hause, dem deutschen Parlament, vor dem Wegrutschen in ein autoritäres System. Wer will denn das, meine Damen und Herren? ({16}) - Ich finde, Sie sollten bei den Zwischenrufen doch bedenken, daß das, was Sie hier sagen, wenigstens noch einen Funken innerer Überzeugungskraft haben muß. ({17}) Ich kann nur sagen: Wer so spricht, Herr Kollege Brandt, muß sich doch befragen lassen: Wen meinen Sie? ({18}) - Ich komme auf dieses Thema zu sprechen. Warten Sie noch einen Augenblick ab. Die Antwort sind Sie uns schuldig geblieben. ({19}) Was Sie hier tun, ist ein Stück jener Kampagne, denen, die in diesem Lande anders denken als Sie, die nicht Ihre politische Überzeugung haben, die Qualität und den moralischen Anspruch ihrer Position abzusprechen. Darum geht es doch! ({20}) Sie haben uns dann die Frage gestellt, wie wir, die CDU/CSU, zur Solidarität der Demokraten stehen. ({21}) Verehrter Herr Kollege Brandt, wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, eine solche Frage überhaupt aufzuwerfen? ({22}) Diese Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union hat in vielfältiger Weise in Tausenden von Gemeinden und Städten gemeinsam mit Ihren Freunden und gemeinsam mit vielen aus der Freien Demokratischen Partei in vielen Bundesländern seit 1946/ 47 in der praktischen Arbeit des Wiederaufbaus dieser Bundesrepublik bewiesen, was Solidarität ist. Ministerpräsident Dr. Kohl Hier in diesem Saale haben Christliche Demokraten von 1949 bis 1969 unter den Kanzlern Adenauer, Erhard und Kiesinger bewiesen, daß Solidarität der deutschen Demokraten Dienst und Arbeit an der Zukunft dieses Landes bedeutet. ({23}) Herr Kollege Brandt, Sie waren es - niemand anders -, der hier an diesem Pult bei Ihrer ersten Regierungserklärung im Jahre 1969 eine Wende in dieser Frage eingeleitet hat, als Sie davon sprachen, daß die deutsche Demokratie eigentlich jetzt beginne. ({24}) Als ob es von 1949 bis 1969 unter Adenauer, Erhard, Kiesinger, unter Theodor Heuß, unter Heinrich Lübke, unter Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer, unter vielen der großen deutschen Nachkriegspolitiker der ersten Stunde nicht selbstverständlich auch deutsche Demokratie gegeben habe! ({25}) Herr Kollege Brandt, Sie hätten diese Frage besser Ihrem Banknachbarn, dem verehrten Kollegen Wehner, gestellt, ({26}) denn der hat meinen politischen Freunden in diesem Saal jenes schlimme Wort entgegengeschleudert: Wir brauchen keine Opposition. ({27}) - Herr Kollege Wehner, es ist Ihnen ganz unbenommen, meinen für ein so humorvolles Gemüt wie Sie besonders anreizenden Vaternamen in dieser Form in die Debatte einzuführen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn Sie das tun. Das deutsche Fernsehpublikum soll Sie sehen, wie Sie sind. Das ist das Beste, was wir erleben können. ({28}) Wir sind überhaupt nicht die Erfinder der totalen Konfrontation. Jeder von uns, der des Nachdenkens fähig ist - das unterstelle ich Ihnen doch auch -, weiß, daß am Ende dieses Weges nur der Abstieg in die Diktatur stehen kann, daß dies nicht dem Frieden dieses Landes dient. Da meinten Sie, Herr Kollege Brandt, dies sei die große Stunde, um jetzt zwischen Franz Josef Strauß und mich und viele andere einen kräftigen Keil treiben zu können. ({29}) Sie wissen so gut wie ich - meine Damen und Herren, was ist dabei, wenn ich dies sage? -: Wir sind eine Partei, wir sind zwei Parteien ({30}) - meine Damen und Herren, Sie werden ja wenigstens noch zugestehen, daß man einen realen Tatbestand aufzählt. Wir haben natürlich auch in diesem oder jenem Punkte unsere Meinungsverschiedenheiten und tragen sie miteinander aus. Bloß: Wer in dieser Stunde glaubt, daß irgend jemand in der CDU oder CSU jetzt dabei ist, einen, der nun von Ihnen besonders herausgestellt wird, im Regen stehenzulassen, der irrt sich. ({31}) Herr Kollege Brandt, wir versuchen auch gar nicht, uns an etwas vorbeizumogeln, ich schon gar nicht. ({32}) Unsere Antwort zu all dem, was Sie hier gesagt haben, werden Sie bis zur Bundestagswahl täglich erfahren: daß wir nicht die Verteufelung, sondern die klare Alternative in jedem Sachbereich der deutschen Politik herausstellen. ({33}) Herr Kollege Brandt, Sie wissen, daß dies alles auch für Franz Josef Strauß gilt. ({34}) Sie gehören zu denen, die in diesem Saal diesen Mann in 25 Jahren in allen wichtigen Stationen der deutschen Politik entscheidende Verantwortung haben mittragen sehen. ({35}) Was soll es denn, wenn Sie sich nach Art chinesischer Schattenboxer ein Bild errichten, daß mit der Wirklichkeit überhaupt nicht übereinstimmt, nur damit Sie dabei verweilen und von Ihren eigenen Schwierigkeiten, Ihrem eigenen Versagen ablenken zu können glauben! ({36}) Meine Damen und Herren, das ist sie ja, die klassische Überheblichkeit: Sie bestimmen darüber, wann Franz Josef Strauß ein nationaler Buhmann und wann er beispielsweise, Herr Bundeskanzler, der Wunschgegner für die nächste Bundestagswahl ist. Sie bestimmen darüber, ob aus ihm ein Buhmann oder ein Wunschgegner wird. Und Sie glauben, es ist wiederum Zeit, zum großen Halali zu blasen, zur Jagd auf einen unbequemen Mann, der Ihnen sagt, was Sie nicht gerne hören. Das ist die Ausgangsposition. ({37}) Dabei, meine Damen und Herren, unterschlagen Sie schlicht und einfach all das, was Sie selbst über diesen Mann im Laufe der letzten 20 Jahre gesagt haben. Soll ich Sie zitieren, Herr Kollege Brandt, soll ich andere auf der Regierungsbank zitieren, was über den Finanzminister Franz Josef Strauß der Großen Koalition, einer Regierung, der Sie mit anMinisterpräsident Dr. Kohl gehörten, von Ihrer Adresse kam? Dieser Mann, von dem Sie sprechen, ist heute der gleiche wie damals. ({38}) Wir lassen uns auf das Spiel, statt Politik und Argumente Diffamierung vorzutragen, nicht ein. Verehrter Herr Kollege Brandt, wenn Sie am Ende Ihrer Ausführungen - diesen Satz kann ich nur unterstreichen - von der inneren Sicherheit und dem Zusammenhang mit dem inneren Frieden gesprochen haben, wenn Sie die Solidarität der Demokraten beschworen haben, wenn der Herr Vizekanzler uns hier voller Emphase und Leidenschaft zugerufen hat: Kehren Sie zur sachlichen Debatte zurück!, dann, meine Damen und Herren, heißt das, dazu nicht nur in diesem Saal, sondern auch draußen im Lande klar und deutlich das Notwendige zu sagen. ({39}) Herr Kollege Brandt, es ist eben kein Beitrag zum inneren Frieden dieses Landes, wenn Sie Warnungen - und ich bin erstaunt, zu welcher Ehre der Altäre mein Freund Peter Lorenz heute aus Ihrem Munde gediehen ist -, ({40}) wenn Sie draußen im Lande vor diesem Ereignis alles - auch das, was Peter Lorenz sehr sachbezogen und belegt gesagt hat - mit der pauschalen Verdächtigung der Angstpropaganda abtun, wenn Sie von einer kalkulierten, künstlich erzeugten und wirklichkeitsblinden Hysterie sprachen. ({41}) Sie haben diesen Artikel soeben wieder zitiert. Er ist so, wie Alfred Dregger ihn zitiert hat, er liest sich gar nicht anders. Denn wenn Sie es anders gemeint hätten, hätten Sie es sicherlich anders geschrieben. ({42}) Meine Damen und Herren, machen Sie sich doch nichts vor: Jeder von uns weiß, daß es nicht wenige Bürger in unserem Lande gibt, die Angst haben. Die Tatsache an sich spricht doch für sich allein, und sie sollte Anlaß für uns alle sein, darüber nachzudenken, warum dies so ist. Denn Angst ist immer ein Sprengsatz für Demokratie. Für jeden, der in diesem Lande hören kann, ist doch draußen jener schlimme Vergleich mit der Zeit der Nazi-Barbarei zu hören, ein Vergleich, den wir alle gemeinsam in diesem Hause und draußen nicht ertragen können, daß man unter Hitler abends noch allein auf die Straße gehen konnte und heute sei dies nicht möglich. Und, verehrter Kollege Brandt: Wem nützt es eigentlich, wenn Sie - auch heute haben Sie das wieder getan - unter dem Hinweis auf die parteipolitische Zugehörigkeit einiger Opfer von Terroranschlägen die Behauptung konstruieren, daß die besondere Zielrichtung der terroristischen Angriffe sozialdemokratischen und liberalen Repräsentanten gelte? Was soll das in dieser Situation? ({43}) Sollen wir uns jetzt gegenseitig aufrechnen, wer von uns bedroht ist oder entführt wurde? Das führt doch in diesem Land überhaupt nicht weiter. ({44}) Und, meine Damen und Herren: Wer kocht denn sein parteipolitisches Süppchen ({45}) wie dies z. B. in dem zum Ausdruck kommt, was ich in diesen Tagen im Wahlkampf in Rheinland-Pfalz von Ihrer Seite, von prominenten Rednern der SPD hörte: Der Anschlag von Peter Lorenz galt eigentlich der SPD. Lieber Herr Kollege Brandt, was soll das? Was ist das für ein Verfall politischer Sitten in unserem Lande, wenn wir die Demokraten mit solchen Verhaltensnoten belegen, wie Sie das für richtig befinden?! ({46}) Dies alles, meine Damen und Herren, ist dazu angetan, den Frieden in diesem Lande zu stören. Ich meine, die Wahrung des inneren Friedens ist ein ganz wichtiges Gebot, das jeden von uns angeht und in die Pflicht nimmt. Sie sollten, verehrter Kollege Brandt, das, was Sie heute und was Sie draußen zu diesem Thema gesagt haben, auch einmal unter der besonderen Verpflichtung sehen, daß Sie ein Mann sind, der immerhin auch im deutschen Namen für den Frieden ausgezeichnet wurde. ({47}) Was soll es, wenn Sie landauf, landab versuchen, uns moralisch und intellektuell herabzusetzen? Ich will nur einige Ihrer Vokabeln zitieren: verlogen, dümmlich, anmaßend, arrogant, heuchlerisch, Meinungsmache, und wie das sonst noch so heißt. Und wenn mein Kollege Kühn jetzt durch die Lande zieht und vor einem Regierungswechsel warnt, weil ein Regierungswechsel den sozialen Frieden gefährde, die Bundesrepublik unregierbar mache und sich bei einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung der ideale Nährboden für linksradikale Aktivitäten entwickle, ({48}) und wenn - das ist nicht zuletzt der Punkt, der mich heute an dieses Pult gebracht hat, Herr Kollege Brandt - Mitglieder des SPD-Präsidiums die CDU als Sammelbecken von Altnazis, Poujadisten, Reaktionären, Demagogen und Krisenmacher beschimpfen und wenn Jochen Steffen ganz pauschal die CDU- Führungsgarnitur als quasi faschistisch diffamiert! ({49}) Was ist das für eine Sprache, und was ist das für eine Denkweise? Ich frage Sie ganz ruhig: Wer gibt Ihnen, Herr Kollege Brandt, und Ihren Freunden eigentlich das Recht, in einer solchen Form, in einer solchen Art von anderen deutschen Demokraten zu reden? Ich frage Sie im Ernst, gerade vor den vielen, die das jetzt hören und sehen: Was soll das, wenn wir im Jahre 1975, zu einem Zeitpunkt, in dem die Mehrheit der heute lebenden Deutschen nach der Barbarei Ministerpräsident Dr. Kohl Hitlers geboren und aufgewachsen sind, den Geist einer quasi Reentnazifizierung wieder zu einem Mittel der deutschen Politik machen wollen? ({50}) Herr Kollege Brandt, ich habe großen Respekt vor dem großen Beitrag, den Sozialdemokraten in der deutschen Geschichte geleistet haben. Sie haben mit gutem Grund - das gehört in diesen Saal - das Gedenken an Otto Wels beschworen. Nur will ich sagen: Gerade weil wir diesen Respekt haben, erwarten wir von Ihnen, daß Sie vor jenen Gründern der Christlich Demokratischen und Christlich Sozialen Union genauso Respekt haben, die vor fast 30 Jahren das Wagnis dieser neuen Partei unternommen haben, die aus den Konzentrationslagern Hitlers, aus der inneren und äußeren Emigration, als Frontsoldaten des zweiten Weltkriegs und aus unseren zerbombten Städten zuammenkamen und neu anfingen, Männer wie Konrad Adenauer, Andreas Hermes, Jakob Kaiser, Karl Arnold, Josef Müller und Eugen Gerstenmeier, die genauso gegen Hitler standen und ihre Position in unserem Namen bezogen haben. ({51}) Was erreicht werden soll, Herr Kollege Brandt - das meinte ich mit der langfristigen Strategie -, ist, für die Bundestagswahl, vor allem für die SPD, eine Position zu gewinnen, die es ermöglicht, im Rückgriff auf pauschale Diffamierung der Argumentation aus dem Wege zu gehen. Wie törricht das alles ist kann man ja leicht abmessen. Vor ihnen steht der Vorsitzende der CDU, der 1945 15 Jahre alt war, ein Bub. Ich konnte kein Nazi gewesen sein; nicht, weil das damals meine Überzeugung war, sondern weil mich das Lebensalter vor dieser Prüfung bewahrt hat. Ich bin nur in einer Familie aufgewachsen, in der ich so erzogen wurde - und ich habe auch als Junge vieles gesehen und von der Not der Jahre zwischen 1933 und 1945 erfahren -, daß ich überhaupt nicht bereit bin, ein solches pauschales Urteil vor dem Hintergrund unserer Geschichte zu akzeptieren. ({52}) Sehen Sie, Herr Kollege Brandt, das ist das, was ich vorhin mit Hybris meinte: Sie bestimmen ex cathedra darüber, wer ein alter Nazi war und wer nicht. ({53}) Das ist eine einfache Einteilung, die Sie hier vornehmen. Wer im Dritten Reich das braune Parteibuch hatte und nahm dann das rote Parteibuch, der, meine Damen und Herren, hat an sich die Reinigung vollzogen und hat nach Ihrer Vorstellung Anrecht auf himmlische und irdische Glückseligkeit. Darüber bestimmen Sie. ({54}) Herr Kollege Brandt, mit dem Kollegen von der FDP müssen Sie vorerst, solange Sie sie brauchen, noch friedlich umgehen; die haben wenigstens Anrecht auf das Fegefeuer, Anspruch auf ein Stück himmlischer Glückseligkeit. Die Verstockten sind die, die es nur bis zur CDU/CSU gebracht haben. Meine Damen und Herren, was ist das für eine Vorstellung und ein Verhältnis zur jüngsten deutschen Geschichte? Die Last dieser Geschichte liegt auf uns allen. ({55}) Niemand von uns hat das Recht, sich herausstehlen zu wollen und zu sagen, das eine Kapitel paßt mir, das andere nicht. Für mich - dies sage ich Ihnen - gehört Ausschwitz, Maidanek und Treblinka genauso wie der 20. Juli und der Graf Stauffenberg zur einen deutschen Geschichte, der wir uns stellen. ({56}) Sie werden erleben, daß Sie auf diesem Wege einen Graben schaufeln, der zum Grab dieser Demokratie werden könnte - ich nehme einen Satz von Ihnen auf, Herr Wehner -, wenn wir nicht alle begreifen, daß dies ein Spiel mit dem Feuer ist, daß Konsequenzen zu ziehen sind, - hier ist beispielsweise viel über Schulen gesprochen worden, über den geistigen Hintergrund dieses Terrorismus. Das alles hat mit dieser Frage zu tun. Meine Damen und Herren auch das gehört in dieser Stunde dazu, und ich kann es Ihnen, Herr Bundeskanzler, nicht ersparen: Dies ist nicht nur eine Sache der SPD; denn Sie sind ein wesentlicher Repräsentant dieser Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Wenn Sie uns hier - dies ist Ihr Amt und Ihre Pflicht, und ich akzeptiere dies - zur Solidarität aufrufen, dann rufen Sie bitte auch jene auf, die Ihnen politisch nahestehen, um diesem Lande jene zügellose Diffamierung und Polemik für die Zukunft zu ersparen. ({57}) Jeder - auch das sage ich, ob Sie es wünschen oder nicht - muß sich doch klar sein, daß eine solche Entwicklung zu einer bloßen Polarisierung, der Heraufführung eines schlimmen Freund-FeindVerhältnisses sich im Ergebnis gegen uns alle richten wird, daß das System der freiheitlich-parlamentarischen Ordnung darunter Not leidet. Zu diesem System der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehört - Herr Dr. Dregger sprach davon - der Wechsel von Regierung und Opposition. Das ist das Normale in einem freien Land; da kann man nicht mit sozialen Unruhen drohen; das muß man ertragen, wie wir es auch ertragen haben. ({58}) Dazu gehört, daß wir uns gegenseitig nicht den Patriotismus unserer Gesinnung absprechen, daß wir den normalen Ablauf des parlamentarischen Lebens so interpretieren, daß wir jedem im Lande deutlich zurufen: Wer einen Regierungswechsel mit dem Ausbruch sozialer Unruhen gleichsetzt, ist nahe daran - ob es ihm paßt oder nicht -, den Wechsel in der Sache selbst als unerlaubt zu bezeichnen. ({59}) Ich sage noch einmal, wir sind nicht gewillt, eine solche Entwicklung hinzunehmen. Wir erwarten, daß alle in diesem Lande, die demokratische Verantwortung tragen - ich spreche Sie an, Herr Ministerpräsident Dr. Kohl Kollege Brandt als Vorsitzender der SPD, und ich spreche vor allem auch den Herrn Bundeskanzler an - das Notwendige tun, damit wir von dieser dem Land zutiefst schadenden Entwicklung ablassen. Viele in unserer Bürgerschaft sind zutiefst über die Entwicklung beunruhigt; denn letzten Endes geht es in diesen Tagen nicht nur darum, das eine oder das andere gemeingefährliche Verbrechen zu verhindern. Wir müssen uns doch fragen, ob nicht die Maßstäbe des politischen Handelns und der Auseinandersetzung ins Wanken geraten sind. Viele der loyalen Mitbürger fragen sich, warum sie sich bei der Wahrnehmung ihrer Interessen an Gesetz und Ordnung halten sollen, wenn andere im Bereich des politischen Terrorismus und Banditentums für sich unter Berufung auf irgendwelche politischen Ziele alle Mittel der Verunsicherung dieses Rechtsstaates in Anspruch nehmen. Meine Damen und Herren, deswegen ist es wichtig - das ist noch ein Wort an Sie, Herr Kollege Brandt -, daß Sie aufhören, diese unsere Demokratie in Parteilichkeit umzudeuten. Ich glaube nicht, daß es das Normale ist, wenn ein Regierungschef seinen Amtsbeginn sozusagen als ein Stück neuer Zeitrechnung interpretiert. Herr Kollege Brandt, ich unterstelle Ihnen überhaupt nicht - das werden Sie von mir nie hören -, daß Sie damit nicht mehr demokratische Regeln als Methode der politischen Praxis akzeptieren. Aber das, was Sie heute landauf und landab verkünden, heißt doch nichts anderes als das, daß Sie nicht mehr einfach den Sinn der Demokratie darin sehen, daß alle in diesem Staat und in dieser Gesellschaft vorhandenen Kräfte und Interessen im Prinzip politisch gleichwertig legitimiert sind und der allgemeinen Disposition der Macht der Bürger dieses Landes in der Wahlentscheidung unterworfen sind. ({60}) Wir lassen nicht zu, daß eine Umdeutung unserer Demokratie erfolgt, indem das Prinzip der Parteilichkeit eingeführt wird; denn dies würde unseren Verfassungsstaat zerstören. ({61}) Dies führt zur Diskriminierung und zur Privilegierung und schließt demokratische Alternativen aus. Meine Damen und Herren! Wir stehen weder im Abseits, noch stehen Sie allein in der Sonne. Wir ringen um den besten Weg für dieses unser Vaterland. Dies ist unser Auftrag, und das ist auch die Qualität der gegenseitigen Position. ({62}) Es geht uns bei dieser Debatte um die ({63}) innere Sicherheit und noch mehr um die Auseinandersetzung mit den geistigen Hintergründen des Terrorismus. Es geht dabei um das gesamte politische Umfeld, um die politische Kultur - es gibt kein besseres Wort dafür - dieses Landes, die es dem Terrorismus immerhin ermöglicht hat, das zu tun, was wir jetzt erlebt haben. Die innere Sicherheit ist nicht mehr und nicht weniger als das Spiegelbild der politischen Lage in unserem Lande. Deswegen kann man die Auseinandersetzung mit den Gewalttätern auch nicht allein und vordergründig auf ein Problem der Sicherheit beschränken. ({64}) Sicherheit in unserem Sinne, meine Damen und Herren, ist kein eindimensionales Problem. Die Sicherheit des freiheitlichen Rechtsstaates hat viele Dimensionen. Deswegen genügt es nicht - obwohl wir für alles dies dankbar sind und es unterstützen -, wenn wir die Polizei im Technischen, im Finanziellen, im Organisatorischen so ausstatten, damit es besser läuft. Sicherheit, wie wir sie verstehen, setzt voraus, daß wir in diesem Lande eine Regierung haben, die regierungsfähig ist und die auch fähig ist, die notwendigen Veränderungen von Staat und Gesellschaft tatkräftig und mit Vernunft und Augenmaß durchzusetzen. ({65}) Herr Kollege Brandt, Sie sprachen aus gutem Grund - ich bin gar nicht dagegen - von den Fragen vieler unserer jungen Mitbürger an unseren Staat. Sie haben auf den Studentenprotest der sechziger Jahre Bezug genommen. Verehrter Herr Kollege Brandt! Wir waren nie der Meinung, daß der Artikel 21 des Grundgesetzes etwa so interpretiert werden kann, daß Parteien ein Privileg haben, das vielleicht noch zur Parteienfinanzierung bei Wahlen führt. Wir haben auch immer gesagt, daß demokratische Parteien die verdammte Pflicht und Schuldigkeit haben, sich auch um junge Leute zu kümmern, die in ihren Studenten- oder Jugendjahren glaubten, den Weg in den Radikalismus nehmen zu sollen, um aus gähnender Langeweile herauszukommen. Wir bekennen uns zu der Pflicht der Demokraten, junge Bürger, die sich verirrt haben, für die Zukunft dieses Landes wieder zur demokratischen Mitte zurückzuführen. ({66}) Das setzt voraus, daß wir eine Regierung, daß wir staatliche Organe und Institutionen haben, die entscheidungswillig und -fähig sind, und - ich nehme das Wort unseres Freundes Alfred Dregger auf - daß wir einen starken Staat haben, meine Damen und Herren, einen Staat mit Autorität. Das ist das Gegenteil eines autoritären Staates. Wir wollen nicht in den Obrigkeitsstaat von gestern zurück, wir wollen nicht den Staat, der den Bürger in seinem Freiheitsrecht einschränkt. Wir wollen diesen unseren freiheitlichen Rechtsstaat mit Kraft, Entschlossenheit und Autorität versehen, damit er für alle unsere Bürger nach innen und außen im besten Sinne des Wortes Schutz und Schirm in diesem Land ist. ({67}) Dazu gehört, daß die demokratische Loyalität der Parteien, der Demokraten, der Gruppen und Ver10776 Ministerpräsident Dr. Kohl bände in diesem Land außer Zweifel und die Grundprinzipien dieses Staates klar und deutlich und unbestritten bleiben. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben viel zu dieser Unsicherheit in der jungen Generation beigetragen, und zwar - Herr Kollege Brandt, ich nehme auch dieses Wort auf - durch Ihr Unvermögen und die übertriebenen Erwartungshorizonte in bezug auf die Reformfähigkeit unseres Staates. Gerade kritisch denkende und handelnde Bürger - nicht nur der jungen Generation - erwarten von diesem unserem Staat und dieser unserer Gesellschaft, daß sie sich vernünftig fortentwickeln, mit Augenmaß, mit Sinn für das finanziell Machbare, und damit ein Stück mehr Chance auch für das private Glück des einzelnen Menschen bringen. ({68}) Es sind allein die Extremisten, die das Patentrezept einer endgültigen und fertigen Gesellschaft in sich tragen, die eine reformunfähige Gesellschaft brauchen, um ihren Terrorismus legitimieren zu können. Ich will hier, Herr Kollege Brandt, nicht mehr auf die Diskussionen auf dem Juso-Kongreß und auf die Äußerungen der Stamokap-Gruppe in diesen Tagen in Wiesbaden Bezug nehmen. Das alles - das ist eine Tatsache und keine Diffamierung - sind Mitglieder Ihrer Partei, in den Randzonen der deutschen Sozialdemokratie, die an die Reformfähigkeit dieses Staates unter Ihrer Regierung nicht mehr glauben. Das ist die Lage in diesem Land. ({69}) Wir brauchen eine starke Regierung, die Mut hat und handelt. Denn Sicherheit wird eben nicht nur durch das Maß der objektiv vorhandenen Sicherheit vermittelt, sondern ganz entscheidend auch von dem Vertrauen, das der Bürger seinem Staat entgegenbringt. Deswegen ist es gefährlich, wenn wie in diesen Tagen Zweifel aufkommen und sich viele in dieser kritischen Stunde schwertun, Menschlichkeit so zu begreifen, wie wir sie in der gemeinsamen Verantwortung, die zur Befreiung unseres Freundes Peter Lorenz geführt hat, selbstverständlich begriffen haben. Deswegen liegt es an uns allen, aber, wie es die Verfassungsordnung befiehlt, ganz besonders an der Bundesregierung selber, einer sich in frühen Anfängen abzeichnenden Legitimitätskrise unseres Staates den notwendigen Einhalt zu gebieten. Wir wollen niemanden in diesem Land zulassen, der diesen Staat autoritär umfunktioniert. Das wäre eine schlimme Entwicklung für unsere Demokratie. Niemandem mehr als diesen politischen Banditen und Terroristen ist daran gelegen, die Handlungsfähigkeit des Staates herabzusetzen, um gleichzeitig zu demonstrieren, welche Chancen sie für die Zukunft haben. Wir alle wissen, daß dies seit den 60er Jahren ein wichtiger Teil der extremen linken Strategie ist. Und, Herr Kollege Brandt, es tut mir furchtbar leid; ich weiß nicht, wie ich die Leute bezeichnen soll, ({70}) die sich doch schließlich selbst in unserem Lande als linke Extremisten bezeichnen. ({71}) Meine Damen und Herren, zur inneren Sicherheit - dies ist ein zentraler Punkt, der für meinen Geschmack in der heutigen Debatte zu kurz gekommen ist - gehört die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, der Rechtssicherheit und der Rechtsgleichheit. Es muß endlich Schluß damit sein, daß man jeden Versuch, rechtsstaatliche Mittel zu nutzen und einzusetzen, polemisch als „Law-and-order-Politik" abqualifiziert. ({72}) Es muß ein Ende haben, daß manche, die sich zur selbsternannten intellektuellen Elite unseres Landes zählen, in einen - wie sie glauben - akademischen Streit darüber eintreten, ob die Verbrecher der Baader-Meinhof-Bande politische Gefangene seien oder nicht, ohne zu bedenken - und ich hoffe, daß wenigstens an diesem Punkt hier klar und einheitlich gedacht wird -, daß dies eine Beleidigung aller politischen Gefangenen im Leben unseres Volkes ist. ({73}) Herr Bundeskanzler, die Nagelprobe steht an einem Punkt noch bevor: wenn wir, wie ich hoffe, jetzt endlich, nach den Erfahrungen dieser letzten Wochen, dazu kommen, mit der Novellierung des Beamtenrechtsrahmengesetzes überall in deutschen Landen die Tür für den Eintritt von Neofaschisten oder Kommunisten und Radikalen irgendeiner Art in den öffentlichen Dienst zuzumachen. Meine Damen und Herren, dies ist keine akademische Frage. Es ist ein Trauerspiel, und es ist eine Schande für diesen Rechtsstaat, wenn in einem Bundesland eine kommunistische Agitatorin in den Schuldienst nicht aufgenommen wird, wenn sie gegen die Landesregierung pozessiert und verliert und wenn sie dann in einem anderen Bundesland Schule halten darf. ({74}) Und es muß Schluß damit sein, daß unsere Bürger immer häufiger erleben, daß sie bei einem Verkehrsvergehen sofort zur Rechenschaft gezogen werden und mit hohen Strafen und Gebühren bedroht sind, während andere Straftäter Rathäuser stürmen, Universitätsinstitute demolieren, Professoren und Lehrer tätlich angreifen und nur selten wirklich zur Rechenschaft gezogen werden. ({75}) - Aber, verehrter Herr Professor Schäfer, Sie sind ein rechtskundiger Mann. Wie können Sie mir denn in diesem Zusammenhang diese Frage stellen? ({76}) Ministerpräsident Dr. Kohl Doch gerade weil dies alles auch in dieser Stunde gesagt werden muß, glaube ich, daß es wichtig und notwendig ist, das Wort aufzunehmen, das fast alle hier gesagt haben: daß die Solidarität das Gebot der Stunde ist. Wir, CDU und CSU, sind bereit, mit Ihnen allen, die dabei mit die Verantwortung tragen, alle rechtsstaatlichen Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus auszuschöpfen und dort, wo bestehende Gesetze geändert werden müssen - Herr Kollege Schäfer, das wissen Sie so gut wie ich -, hier im Bundestag und drüben im Bundesrat schnell und ohne Verzug zu handeln, damit die Bürger erkennen: Dies ist eine handlungsfähige Demokratie! ({77}) Wir sind bereit und ich sage dies ohne Auftrag für alle Kollegen, die in den Ländern Verantwortung tragen -, auch in den Schwerpunkten und Horten des Terrorismus die notwendigen Polizeikräfte von anderswo auf Zeit zur Verfügung zu stellen, damit diese Nester möglichst schnell ausgeräuchert werden können. ({78}) - Herr Kollege Ehrenberg, ({79}) ich weiß wirklich nicht, ob Sie wenigstens eine Vorstellung von dem haben, was Sie hier reden. ({80}) Aber innere Sicherheit erfordert mehr, als die Sicherheitsorgane dieses Landes in den Stand zu versetzen, mit Terroristen fertig zu werden. Wir brauchen die Sicherung der für jede Demokratie notwendigen Gemeinsamkeit und Loyalität der Demokraten. Das bedeutet, meine Damen und Herren, daß wir die Wertvorstellungen unserer Verfassung, die wir zur Grundlage dieses Staates gemacht haben, überall durchsetzen, im wirtschaftlichen, im kulturellen, im sozialen und im politischen Bereich. Dies schließt blinde Polarisierung und Freund-Feind-Denken als ein Mittel der deutschen Politik aus. ({81}) Dies schließt auch das Denken in Klassengegensätzen aus. Klassenkampf ist weder ein Mittel, die gesellschaftlichen Probleme zu analysieren, noch geeignet, irgendeine Lösung heraufzuführen. Wir wollen auch in Zukunft offen sein für die notwendige theoretische Diskussion der Grundwerte und der Grundsätze unserer freiheitlichen Demokratie. Denn dies ist eine offensive, dynamische, streitbare Demokratie. Die zentrale Aufgabe heißt Sicherung der Autorität und Entscheidungsfähigkeit des demokratischen Staates. Dies setzt voraus, daß diejenigen von uns, die durch das Vertrauen ihrer Mitbürger auf Zeit in wichtige Ämter berufen sind, kraftvoll und mutig handeln und diesen Staat und diese Gesellschaft vor den Feinden dieses Staates schützen und gemeinsam die politischen Wertvorstellungen weiterentwickeln. Meine Damen und Herren, um es ganz klar zu sagen: Wir brauchen nicht mehr Staat, aber wir wollen auch keinen Nachtwächterstaat, der sich alles und jedes gefallen läßt. ({82}) Wir wollen diesen freiheitlichen Rechtsstaat der Verfassungsordnung unserer Bundesrepublik. Für die CDU/CSU sind Loyalität der Demokraten und Autorität des demokratischen Staates zwei Seiten einer Sache. Beides zusammen schafft das Vertrauen in die Solidarität, ohne die keine Demokratie existieren kann. Beides ist Voraussetzung dafür, daß das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen Sicherung des Freiheitsraumes des einzelnen, der Rechte des einzelnen und der inneren Sicherheit in einem erträglichen Zustand erhalten bleibt. Mit einem knappen Wort gesagt: Dies ist keine parteipolitische Frage. Diese deutsche Demokratie, meine Damen und Herren, ist kein SPD-Staat, kein FDP-Staat und kein CDU-Staat; dies ist unser Staat, unsere Demokratie. Und wir in der CDU/CSU stellen uns dieser Aufgabe aus der Loyalität zu diesem unserem Vaterland. Bonn wird nicht Weimar! ({83})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren! Es ist vereinbart, daß wir jetzt in die Fragestunde eintreten. Diese Fragestunde geht genau bis 15 Uhr. Um 15 Uhr wird der Zusatzpunkt „Wahl des Wehrbeauftragten" aufgerufen. Nach Abschluß dieses Punktes fahren wir hier mit der Debatte zu dem aufgerufenen Tagesordnungspunkt fort. Zugleich tritt der Ältestenrat zusammen. Ich rufe nun Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 7/3335 Zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen gibt Staatsminister Moersch die Antworten. Die Fragen 109 und 110 werden auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 111 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf: Was hat die Bundesregierung dazu veranlaßt, die kommunistische Aufstandsbewegung in der Republik Vietnam, bezogen auf das Jahr 1969, als Staat zu bezeichnen, der am völkerrechtlichen Verkehr teilnimmt? ({0}) - Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe, damit die Fragestunde ablaufen kann. Der Herr Staatsminister hat das Wort.

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Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat nichts Derartiges getan. Wenn Sie mit Ihrer Frage auf die schriftliche Antwort abzielen, die ich dem Abgeord10778 neten Dr. Marx am 21. Februar 1975 erteilt habe, so muß ich Ihnen sagen, daß Sie einem Mißverständnis unterlegen sind.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.

Franz Ludwig Schenk Stauffenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002222, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, welches ist das Mißverständnis?

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Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen nicht erklären, was Sie mißverstanden haben. Ich kann Ihnen nur sagen, daß der Text des Protokolls, für die Frage, die Sie gestellt haben, keine Grundlage hergibt. ({0}) Sie müssen präziser formulieren, was Sie meinen; dann kann ich eine Antwort geben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, spricht nicht die Antwort, die das Auswärtige Amt auf die Frage des Kollegen Dr. Marx gegeben hat, ohne Qualifikation schlechthin von den Staaten, die die DDR anerkannt haben, und wird darin nicht der vom Kollegen Graf Stauffenberg erwähnte angebliche Staat genannt?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, Sie haben zum gleichen Gegenstand noch zwei Fragen. Statt Kritik an der Antwort des Auswärtigen Amtes üben zu wollen, sollten Sie Kritik an der Formulierung der Frage üben. Die Antwort des Auswärtigen Amtes mußte sich nach der ihm gestellten Frage richten. Wie sich aus dem Zusammenhang des von Herrn Dr. Marx in seiner Frage präzise angesprochenen Sachverhaltes ergibt, ging es um die wechselseitige Anerkennung der Staatsqualität zwischen der DDR und gewissen anderen Staaten mit oder ohne Anführungsstrichen, und zwar zu einem bestimmten Zeitpunkt. Darauf hat sich meine Antwort bezogen, und sie hat auch nichts anderes ausgedrückt, Herr Abgeordneter Mertes.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 112 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf: Ist der Bundesregierung bekannt und was gedenkt sie dagegen zu tun, daß das polnische Konsulat in Köln Deutsche dazu zwingt ({0}), entgegen der geschichtlichen Wahrheit den deutschen Geburtsort, z. B. Breslau, auf polnisch zu bezeichnen, obwohl zum Zeitpunkt der Geburt es in der standesamtlichen Eintragung und darum auch in den Ausweispapieren nur die deutsche und keine polnische Bezeichnung gegeben hat und geben kann?

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Herr Abgeordneter! Der Bundesregierung ist bekannt, daß im Verkehr mit Polen leider gelegentlich immer noch in der Frage des Gebrauchs von deutschen Ortsbezeichnungen Schwierigkeiten auftreten. Für den wesentlichen Bereich der Presse haben wir schon im Jahre 1970 mit der polnischen Regierung eine Abrede dahin gehend getroffen, daß bei Personen, die vor dem 8. Mai 1945 geboren sind, der deutsche Ortsname Verwendung findet. Die Bundesregierung strebt an, mit der polnischen Seite eine entsprechende Regelung auch für sonstige Papiere und Urkunden zu vereinbaren. Die Bundesregierung geht selbstverständlich davon aus, daß derartige Vereinbarungen den geschichtlichen Gegebenheiten Rechnung tragen müssen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß es eben nicht der Geschichte Rechnung trägt, wenn jemand, der heute 50 Jahre alt ist, gezwungen wird, seinen Geburtsort mit Wroclaw statt mit Breslau anzugeben?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, es ist unbestritten - ich habe das wiederholt dargelegt , daß wir bei den Pässen diese Regelung erreicht haben. Ich habe eben aus. geführt, daß wir mit der polnischen Seite in Gesprächen stehen, mit dem Ziel, diese Regelung auch auf Urkunden und sonstige Papiere auszudehnen. Daß etwa eine Geburtsurkunde in der Form gilt, wie sie bei der Geburt ausgestellt worden ist, ist für unsere Rechtsauffassung ganz klar.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, könnte die Bundesregierung, da sie offenbar Gespräche plant, auch zu erreichen versuchen, daß dann nicht nachträglich bei diesen Anträgen, obwohl der Antragsteller - sagen wir einmal - „Hirschberg" gesagt hat, der polnische Name für Hirschberg eingetragen wird, was ja nicht mit seinen eigenen Erlebnissen und Erfahrungen und seinem Geschichtsbewußtsein übereinstimmen kann?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir nicht nur Gespräche planen. Wir haben vielmehr auch schon solche Fälle zum Gegenstand der bilateralen Erörterungen gemacht. Es ist im internationalen Rechtsverkehr auch üblich, daß bei allen Orten - das weicht vielleicht etwas von unserem Gegenstand ab, aber es gilt als Prinzip -, bei denen es einen überlieferten deutschen Ortsnamen gibt, wie etwa Straßburg oder Mailand, deutsche Staatsbürger, wenn sie einen solchen Ortsnamen eintragen, selbstverständlich den Ortsnamen verwenden, der in unserem Sprachgebrauch geläufig ist. Ich gebe allerdings zu, daß es nach dem Krieg auch in unserer Gegend auf diesem Gebiet merkwürdige Gepflogenheiten, z. B. bei gewissen Rundfunksendern, gegeben hat.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß die polnische Botschaft in Köln selbst bei der offiziellen Delegation des Bundestagsausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, der ich angehört habe, auf den Anträgen des Auswärtigen Amts z. B. „Danzig" gestrichen und „Gdansk" daraufgeschrieben hat, aber „Warschau" und „Krakau" gelassen und nicht „Warszawa" und „Kraków" ergänzt hat?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, mir ist nicht alles bekannt, was auf diesem Gebiet vorgeht. Sie haben mir diese Begebenheit beispielsweise bisher nicht bekanntgemacht. Wenn Sie mir noch sagten, was für ein besonderer Hintergrund bei dieser Sache maßgebend war - das haben Sie sicher bei Ihrer Neugierde erfahren können -, wäre ich leichter in der Lage, Ihnen präzise zu sagen, was wir dagegen tun können.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 113 des Herrn Abgeordneten Czaja auf: Warum sollen auf Grund einer erst am 19. Dezember 1974 und 24. Januar 1975 ergangenen amtlichen Bekanntmachung die Stockholmer Fassung der Pariser Übereinkunft zum Schutze gewerblichen Eigentums und die Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst sowie der Geltungsbereich des Übereinkommens zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum seit dem 24. November 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR gelten und nicht vom Zeitpunkt an, der sich aus den Schlußklauseln der betreffenden Verträge selbst ergibt?

Not found (Gast)

Art. 15 Abs. 2 des Übereinkommens zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum vom 14. Juli 1967 sieht vor, daß das Übereinkommen drei Monate nach dem Zeitpunkt in Kraft tritt, zu dem ein Staat seinen Beitritt erklärt. Die DDR hat ihren Beitritt am 20. Mai 1968 erklärt. Er konnte damals jedoch nicht wirksam werden, weil die DDR nicht die in Art. 14 in Verbindung mit Art. 5 des Übereinkommens im einzelnen aufgezählten Voraussetzungen für die Mitgliedschaft erfüllte. U. a. sehen diese Bestimmungen vor, daß Mitglied der Organisation nur ein Staat werden kann, der Mitglied der Vereinten Nationen oder einer der VN-Sonderorganisationen ist. Diese Voraussetzung erfüllte die DDR erst mit dem Wirksamwerden ihres Beitritts zur UNESCO am 24. November 1972. Daher sieht die Bundesregierung diesen Tag als das Datum an, an dem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR der Beitritt letzterer zu dem erwähnten Übereinkommen wirksam geworden ist. Die Pariser Verbandsübereinkunft und die Berner Übereinkunft in der Stockholmer Fassung sehen im Grundsatz vor, daß der Beitritt eines verbandsfremden Landes drei Monate nach dem Zeitpunkt der Notifizierung seines Beitritts durch den Generaldirektor in Kraft tritt. Die DDR hat ihren Beitritt zu diesen beiden Übereinkommen am 20. Mai 1968 erklärt. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Beitritt der DDR im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht wirksam werden, weil die DDR damals als Staat von der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannt wurde. Die Anerkennung erfolgte erst mit dem Inkrafttreten des Grundvertrages am 21. Juni 1973. Da jedoch die Pariser Union und die Berner Union, die durch die beiden Übereinkommen begründet wurden, zu den von der Weltorganisation für geistiges Eigentum verwalteten Verbänden gehören, nahm die Bundesregierung auch hier den 24. November 1972 als maßgebliches Datum an.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Warum ist, wenn der 24. November 1972 das maßgebende Datum war, die Bekanntmachung erst im Dezember 1974 und im Januar 1975 erfolgt, und warum wurde weder das Parlament noch der Bundesrat über die Geltung auch gegenüber der DDR vorher informiert?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, das für uns maßgebende Datum konnte erst nach Konsultationen mit den uns befreundeten Staaten festgesetzt werden. Dabei kam es zu Verzögerungen, die nicht auf die Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen sind. Irgendwelche Nachteile sind durch den Zeitablauf jedoch niemandem entstanden. Hätte es einer derartigen besonderen Mitteilung bedurft, wäre diese sicherlich vorgenommen worden. Es handelt sich aber offensichtlich nicht um eine Materie, die einer solchen Behandlung bedarf.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage!

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hat es über den Geltungsbeginn dieser Übereinkommen Gespräche, Verhandlungen oder Abkommen mit der DDR gegeben?

Not found (Gast)

Ein Abkommen mit der DDR, Herr Abgeordneter - Sie haben die nächste Frage, die Frage 114, bereits vorweggenommen -, gibt es über diese Frage nicht, und damit beantwortet sich auch Ihre Zusatzfrage.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, könnte nicht die Wahl des Datums des Beitritts zur UNESCO seitens der DDR dazu führen, daß insbesondere in Drittstaaten, aber vor allem auch von der DDR selber, Überlegungen darüber angestellt werden, ob nicht gerade dieses Datum als Anerkennung der DDR als Staat im Sinne des Völkerrechts auch durch die Bundesrepublik Deutschland gedeutet werden könnte?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich glaube, aus meiner Antwort geht hervor, daß zu einer Annahme anderer Art als der hier vorgetragenen kein Anlaß besteht. Ich habe Ihnen gesagt, daß wir befreundete Staaten in dieser Frage konsultiert haben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Ich rufe die Frage 114 des Herrn Abgeordneten Czaja auf: Wurde der andere Zeitpunkt für die Geltung durch ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR festgesetzt, geschah dies gegebenenfalls vor dem Inkrafttreten des Grundvertrages oder danach, und ist in diesem Zusammenhang der Schutz der Bundesrepublik Deutschland auch für die Rechte der im Land Berlin lebenden Deutschen gewährleistet worden?

Not found (Gast)

Die Festsetzung des Datums vom 24. November 1972 erfolgte einseitig durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Ich wiederhole, was ich gesagt habe: Ein Abkommen mit der DDR gibt es über diese Frage nicht. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Dazu eine Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bleiben in dem Berner Urheberrechtsabkommen in dem die 'Staatsangehörigkeit eine ganz besondere Rolle spielt, die Rechte und die Schutzpflicht für die deutschen Staatsangehörigen, die zur Bevölkerung im Lande Berlin gehören, auch nach dem 24. November 1972 und auch gegenüber der DDR in rechtlich wirksamer Form nach dieser Inkraftsetzung gewahrt?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Ratifikation der Übereinkommen die übliche Berlin-Erklärung abgegeben. Diese Übereinkommen gelten daher auch in Berlin. Im Zusammenhang mit den Bekanntmachungen vom 19. Dezember 1974 und vom 24. Januar 1975 ergeben sich keine Berlin-Probleme.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie also, Herr Staatsminister, auf dem Standpunkt stehen, daß in diesem Fall die DDR die eine deutsche Staatsangehörigkeit und die volle Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland für die Berliner Bevölkerung, soweit sie von den Abkommen betroffen ist, akzeptiert hat und respektiert?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich habe hier den Rechtsstandpunkt der Bundesregierung dargelegt. Es ist in keiner Weise ein Anlaß zu der von Ihnen gestellten Frage aufgetreten. Ich glaube, daß die Frage deswegen hier auch nicht gerechtfertigt ist.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 115 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks auf: Auf Grund welcher Tatsachen kann Staatsminister Moersch die im Ostblock auch seitens offizieller Organe üblichen Beschimpfungen der Vertriebenenverbände und ihrer gewählten Vertreter als „deckungsgleich“ mit offenen und in würdigen Formen sich vollziehenden Gesprächen mit namhaften polnischen Exilpolitikern bezeichnen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, aus der stenographischen Niederschrift über die Fragestunde vom 27. Februar 1975 kann die in der Frage enthaltene Unterstellung des Fragestellers nicht hergeleitet werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Otto Fircks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, würden Sie mir recht geben, daß sich diese Frage - Sie weisen in Ihrer Antwort darauf hin, daß von Ihnen in der Frage stehenden Angelegenheit ein marginales Ereignis gesehen wird, weil die Haltungen der Londoner Exilregierung und der Warschauer Regierung gleich seien, und führen später den Begriff der „Deckungsgleichheit" ein und sagen, Sie könnten die Frage nicht beantworten, wo die Deckungsgleichheit der Zielsetzung sei - aus dem Gesamtzusammenhang ergibt und ihre Antwort insofern erstaunen muß, weil die polnische Regierung durch ihr offizielles Organ „Zycie Warszawy" am 7. März 1975 ausdrücklich unterstreicht, daß die Haltungen nicht deckungsgleich sind? Eine offene Aussprache des Präsidenten des Bundes der Vertriebenen war mit der Londoner Exilregierung möglich, nicht dagegen mit der Warschauer Regierung.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich bedaure sehr, daß ich dies eben nicht ganz habe aufnehmen können. Ich habe, nachdem Sie Ihre Frage gestellt hatten, versucht, unbefangene Betrachter noch einmal das letzte Protokoll durchlesen zu lassen. Diese unbefangenen Betrachter, die als Beamte des höheren Dienstes sicher mit einem Mindestmaß an logischer Sprachbildung ausgestattet sind, haben mir bestätigt, daß meine Auffassung, die ich eben als Antwort vorgetragen habe, zutreffend sei.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Noch eine Frage? - Bitte schön!

Otto Fircks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich darf also feststellen, und ich würde sagen, mit Genugtuung feststellen, daß ich einem logischen Irrtum unterlegen bin, wenn ich herausgelesen habe, daß Sie dieses gemeint hätten?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, das gedruckte Protokoll ist von uns widerholt geprüft worden. Ich habe diesem Prokoll nichts hinzuzufügen. Ich habe auch nicht die Absicht, in kommenden Fragestunden früher gegebene Antworten zu interpretieren, wenn sie sachlich richtig waren.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, würden Sie also insofern Ihre Aussage auf Seite 10524 des Sitzungsprotokolls des Deutschen Bundestages korrigieren, die besagt, daß die Grundhaltung und die wesentlichen Grundlagen der Haltung gegenüber den Deutschen bei den Exilgruppen in London und bei der polnischen Regierung die gleichen seien?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, es ist noch eine Frage dazu gestellt, und ich möchte den Fragesteller jetzt nicht um seine Antwort bringen. Ich habe aber nicht die Absicht, freihändig irgend etwas zu korrigieren, was hier im Protokoll steht, zumal sich längst der Brauch herausgebildet hat, aus der jeweiligen Fragestunde Stoff für die nächste zu saugen. Ich möchte die Kollegen nicht um das Vergnügen bringen. ({0}) - Sie müssen ja auch von etwas leben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Ich rufe die Frage 116 des Herrn Abgeordneten Jäger auf: Auf Grund welcher amtlichen Erklärungen der Londoner polnischen Exilregierung behauptete Staatsminister Moersch in der Fragestunde vom 27. Februar 1975, daß die Haltung der Exilregierung „in wesentlichen Fragen des deutsch-polnischen Verhältnisses" von der der Warschauer Regierung nicht abweicht, und warum verkennt er die Tatsache, daß sie in einer amtlichen Erklärung sich gegen die Anerkennung der Teilung und Unterdrückung ebenso der Deutschen wie Polen und europäischer Völker ausspricht?

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Die Fragen 116 und 117, Frau Präsidentin, darf ich vielleicht zusammen beantworten - mit Erlaubnis des Fragestellers?

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Sie sind einverstanden, Herr Jäger? - Dann rufe ich auch Frage 117 auf: Welche berechtigten deutschen Interessen werden nach der Auffassung von Staatsminister Moersch nachteilig berührt, wenn die politische Führung der polnischen Emigration nach einem Gespräch mit einem Mitglied des Deutschen Bundestages öffentlich erklärt, daß die gemeinsame Aufgabe der Deutschen und Polen die Verwirklichung des Rechts auf eine freie Existenz beider Völker, die Entwicklung ihres freien Zusammenlebens und die Verwirklichung der Menschenrechte für Deutsche und Polen ist und bleibt?

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Herr Kollege, zu Ihrer ersten Frage! Ich habe in der Fragestunde vom 27. Februar 1975 gesagt, daß in der Frage der Oder-Neiße-Grenze die Auffassung der polnischen Exilpolitiker mit der der polnischen Regierung übereinstimmt. Das Erfordernis der Festigung der polnischen Westgrenze an Oder und Lausitzer Neiße ist in einer Erklärung enthalten, welche die in der Frage des Herrn Kollegen Friedrich angesprochenen polnischen Exilpolitiker in London am 25. Februar 1974 über ihre Ziele veröffentlicht haben. Weitere Äußerungen dieser Gruppe sind mir nicht bekannt. Mir liegen lediglich die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja vor der Presse nach seiner Rückkehr aus London vor. Zur zweiten Frage! Da, wie ich soeben festgestellt habe, der Bundesregierung der Wortlaut eventuell im Zusammenhang mit dem Besuch von Herrn Dr. Czaja durch polnische Exilpolitiker in London abgegebener Erklärungen nicht bekannt ist, vermag ich hierzu auch nicht Stellung zu nehmen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage?

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wenn ich Ihre eben gegebene Antwort richtig interpretiere, muß ich fragen: Sind Sie der Auffassung, daß es zumindest irreführend war, wenn Sie unterstellt haben, daß durch die Gespräche, die deutsche Parlamentarier in London mit den Vertretern der polnischen Exilregierung geführt haben, Nachteile für deutsche Interessen entstanden sind?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich habe dazu überhaupt nicht Stellung genommen. Ich muß eigentlich die Frage zurückgeben, ob Sie es für vorteilhaft halten, wenn der Eindruck erweckt wird, daß man sozusagen zweigleisig verfährt. ({0}) Aber Sie haben, Herr Kollege, eine Frage im Wortlaut gestellt, die ich sehr bemerkenswert finde. Sie haben nämlich gefragt, auf Grund welcher „amtlichen" Erklärung der Londoner polnischen Exilregierung usw. ich das behauptet hätte. Nun muß ich Ihnen sagen, daß eine Exilregierung per definitonem keine amtierende Regierung ist und daß deswegen der Begriff der amtlichen Erklärung einer Exilregierung an sich eine Contradictio in adiecto sein dürfte. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage?

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, daß es außer dieser einen von ihnen zitierten Frage, nämlich was die Oder-Neiße-Linie betrifft, noch andere wesentliche politische Aussagen gibt, in denen die Haltung dieser polnischen Exilgruppe mit der Haltung der offiziellen polnischen Regierung in Warschau identisch ist?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, das kann Ihnen sicher der Kollege Dr. Czaja beantworten; der hat ja mit den Leuten gesprochen, nicht ich. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wenn Sie sich schon außerstande sehen, diese meine Zusatzfrage zu beantworten, dann frage ich Sie: Wieso kommen Sie dazu, über diesen Spezialpunkt hinaus von wesentlichen Fragen zu reden? Denn das könnten Sie ja nur, wenn Sie tatsächliche Erkenntnisse darüber besitzen, daß in einem breiten Spektrum von politischen Fragen eine derartige Übereinstimmung besteht.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, die Antwort lautet: Ich habe die Erklärung vom 25. Februar 1974 zur Hand gehabt und habe auf Grund der Tatsache, daß sich in der Frage der Oder-Neiße-Grenze Übereinstimmung ergibt, auf Grund der Debatten in diesem Hause und vor allem der Meinung Ihrer Kollegen, die auch meine Meinung ist, daß die Oder-Neiße-Frage eine wesentliche Frage der deutsch-polnischen Beziehungen ist, mich zu sagen erkühnt: Es handelt sich um eine Übereinstimmung in einer wesentlichen Frage. Ich entnehme aus Ihrer Antwort, daß Sie inzwischen offensichtlich in diesem Punkt anderen Sinnes geworden sind.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, muß ich aus dieser Ihrer letzten Antwort schließen, daß die Äußerung, die ich in meiner Frage selber erwähnt habe, nämlich die Äußerung der polnischen Exilpolitiker in London zur Frage der Teilung und der Unterdrückung der Deutschen und der Polen durch die kommunistischen Machthaber, in Ihren Augen weniger wesentlich ist als die Grenzfrage?

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Herr Abgeordneter, wenn Sie das in der Frage so ausgeführt hätten, hätte ich das bei der Beantwortung berücksichtigen können. Sie hatten aber in so allgemeiner Form gefragt - um sich möglicherweise Zusatzfragen aufzusparen -, daß ich exakt auf die von Ihnen gestellte Frage eingegangen bin. Ich bedauere dies, und ich möchte hinzufügen: Sie dürfen keine Umkehrschlüsse aus dem ziehen, was ich nicht gesagt habe. Das ist eine Methode, die ich nicht besonders schätze.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie erklären Sie den Widerspruch zwischen Ihren Ausführungen über die Ansicht zur Oder-Neiße-Linie und über die Deckung in den wesentlichen Grundfragen mit den in den Ostinformationen des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung abgedruckten amtlichen polnischen Warschauer Erklärungen und denen in der gesamten polnischen Presse, die dieses Verhalten der Londoner Exilregierung als nicht deckungsgleich mit der Ansicht der Warschauer Regierung angreifen und die Behauptung aufstellen, daß hier eine neue Entwicklung im Gange ist?

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Das erkläre ich mit dem Wesen der Meinungsfreiheit, Herr Abgeordneter.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer. ({0})

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, auf Grund Ihrer bisherigen Äußerungen darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung nicht zur Kenntnis genommen hat, daß es sich in London um polnische Exilpolitiker handelt, um Demokraten - Christliche Demokraten, Sozialdemokraten, Nationaldemokraten, Liberale Demokraten -, die nur deswegen in England leben, um für ein späteres freies und demokratisches Polen zu arbeiten, weil sie vor den Kommunisten geflohen sind?

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Herr Abgeordneter, das war eine Frage, die hier überhaupt nicht zur Debatte stand. Sie werden auch aus meinen Antworten nichts als Kommentar zu dieser Frage entnehmen können. Aber sie müssen wohl zur Kenntnis nehmen, daß hier in der letzten Fragestunde das Thema zur Debatte stand, wie man die Beziehungen zur Volksrepublik Polen verbessern kann oder ob man sie nicht verbessern kann. Ich gehe davon aus, daß dieses Haus die Beziehungen zur Volksrepublik Polen verbessern will, weil es in der Volksrepublik Polen Menschen gibt, denen wir helfen wollen. Wenn Sie etwas anderes wollen, dann müssen Sie das hier bitte sagen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.

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Die Frage 118 ist noch nicht beantwortet, Frau Präsidentin!

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Es tut mir leid; es gibt noch mehrere nicht beantwortete Fragen. Aber wir hatten vereinbart, daß um 15 Uhr die Fragestunde beendet wird. Die Fragen 65, 66, 82 und 83 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen im Stenographischen Bericht abgedruckt. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages auf. Zum Wahlakt muß ich einige Mitteilungen machen. Nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten vom 26. Juni 1957 in Verbindung mit § 116 a der Geschäftsordnung wählt der Bundestag den Präsident Frau Renger Wehrbeauftragten in geheimer Wahl mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Stimmberechtigt sind bei dieser Wahl alle Mitglieder des Hauses. Eine Aussprache findet nicht statt. Es können deshalb nur Wahlvorschläge gemacht werden. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hat mit Schreiben vom 11. März 1975 den Abgeordneten Werner Buchstaller benannt. Die Fraktion der Christlich-Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union hat mit Schreiben vom 25. Februar 1975 den Abgeordneten Leo Ernesti benannt. Meine Damen und Herren, darf ich fragen: Werden noch weitere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der Fall. Damit liegen dem Hause nur die beiden genannten Wahlvorschläge vor. Ich habe festgestellt, daß die Vorgeschlagenen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten erfüllen. Nach § 54 a unserer Geschäftsordnung werden die amtlichen Stimmzettel nach Aufruf Ihres Namens vor Betreten der Wahlzelle ausgegeben. Zu meiner Rechten und meiner Linken sind jeweils zwei Wahlzellen aufgestellt. An den davorstehenden Tischen erhalten Sie die mit den Namen der Vorgeschlagenen versehenen Stimmzettel. Mit diesem Stimmzettel begeben Sie sich bitte in eine der aufgestellten Wahlzellen und kreuzen dort den Namen des Kandidaten Ihrer Wahl an. Wer sich der Stimme enthalten will, kann dies dadurch zum Ausdruck bringen, daß er keinen der beiden Namen ankreuzt. Die Verwendung anderer als der hier ausgegebenen amtlichen Stimmzettel macht die Stimme unweigerlich ungültig. Das gleiche gilt, wenn ein Stimmzettel den Namen eines nicht vorgeschlagenen Kandidaten oder sonstige Zusätze enthält. Meine Damen und Herren, ich darf nochmals darauf hinweisen, daß Sie den Stimmzettel in der Wahlzelle in den Wahlumschlag legen müssen, und darum bitten, die Wahlumschläge nicht zuzukleben. Wer den Stimmzettel außerhalb der Wahlzelle kennzeichnet oder in den Wahlumschlag legt, muß zurückgewiesen werden. Er verliert allerdings nicht das Recht, seine Stimmabgabe vorschriftsmäßig zu wiederholen. Den Wahlumschlag werfen Sie dann bitte in die hier vorn aufgestellte Urne ein. Bitte, nennen Sie bei Abgabe Ihres Wahlumschlags Ihren Namen, damit die Schriftführer Ihre Teilnahme an der Wahl vermerken können. Dieser Vermerk client als Nachweis im Sinne des § 15 Abs. 2 des Diätengesetzes. Die Schriftführer zu meiner Rechten und zu meiner Linken sie haben bereits Platz genommen werden anschließend die Namen nach dem Alphabet aufrufen. Ich eröffne hiermit die Wahl und bitte, mit dem Namensaufruf zu beginnen. Meine Damen und Herren, ich frage, ob noch ein Mitglied des Hohen Hauses hier ist, das noch nicht seine Stimme abgegeben hat. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich hiermit die Wahlhandlung. Wir kommen zur Auszählung. Ich unterbreche die Sitzung bis zirka 16.15 Uhr. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. Die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen beträgt 486. Davon sind für den Abgeordneten Buchstaller 247 und für den Abgeordneten Ernesti 212 Stimmen abgegeben worden. 24 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten, 3 Stimmen sind ungültig. Gemäß § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages wäre derjenige gewählt, der die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält. Die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages einschließlich der Mitglieder des Landes Berlin beträgt mindestens 260 Stimmen. Damit hat keiner der hier vorgeschlagenen Abgeordneten die ausreichende Mehrheit erhalten. Die Wahl muß zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden. Der bisherige Wehrbeauftragte bleibt bis zu der Wahl im Amt. Wir fahren jetzt im Tagesordnungspunkt 2 fort. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Hirsch. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des Ministerpräsidenten Kohl hat nicht die Antworten gebracht, die wir erwartet und gefordert hatten. ({0}) Das Verhältnis des Vorsitzenden der CDU zu dem Kollegen Strauß ist nicht definiert worden. Die Formulierungen, man wolle sich dagegen wehren, einen Keil zwischen beide treiben zu lassen, oder man dürfe ihn nicht im Regen stehen lassen, sind keine inhaltliche Antwort, die wir erwartet haben, keine inhaltliche Stellungnahme auf die Ausführungen, die Herr Kollege Strauß in seiner Sonthofener Rede gemacht hat. Eine solche Antwort erwarten wir, und einer solchen Antwort kann nicht ausgewichen werden. Die Rede des Ministerpräsidenten Kohl war, so wie ich sie sehe, auch keine Replik auf die Ausführungen des Kollegen Brandt, auf eine Rede, die nicht auf die Bundestagswahl, die nicht auf das Fernsehen, sondern die auf die Herzen der Bevölkerung gemünzt war und so verstanden worden ist. ({1}) Es geht uns nicht um die Bundestagswahl 1976. Es geht uns auch nicht um den Kanzlerkandidaten der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union, sondern es geht uns um das Rechts- und Staatsbewußtsein der Bevölkerung dieses Staates, das durch eine neue Erfahrung belastet worden ist. Der Fall Lorenz hat das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung, ihre Einstellung zum Staat in höherem Maße bewegt als irgendein vergleichbares politisches Ereignis zuvor. Der Staat ist erpreßt worden und damit wir alle; er ist nicht wie in früheren Fällen von ausländischen Terroristen erpreßt worden, denen dieser Staat gleichgültig ist, die andere Ziele verfolgten, sondern von erklärten Feinden unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung. Jedermann hat gesehen, in welchem Maße der moderne, technisch hochentwickelte Staat von innen von wenigen entschlossenen Leuten erpreßbar ist, wenn er sich an die Normen der Menschlichkeit, der Humanität gebunden fühlt, ja, wenn von ihm erwartet wird, daß er sich vorausberechenbar an diese Normen hält. Das ist im Grunde genommen die Frage, die behandelt werden müßte und die unbeantwortet ist: wann nämlich im Interesse der staatlichen Autorität und im Interesse des Rechtsbewußtseins unserer Bevölkerung ein Opfer verlangt werden kann. Jedermann weiß, daß die Wiederherstellung der staatlichen Autorität nicht nur, aber auch davon abhängt, daß diese Täter ergriffen, überführt und bestraft werden können. Wenn zu irgendeinem Zeitpunkt die Forderung nach einer Solidarität der Demokraten angebracht war, dann jetzt. Wenn der Vorsitzende einer der hier vertretenen Parteien dazu erklärt, die Forderung, gemeinsam den Rechtsstaat zu retten, sei „alles blödes Zeug", dann gehört er nicht mehr zu denen, auf die man über Parteigrenzen hinweg als Demokrat zählen kann. ({2}) Der Kollege Strauß hat sich in dieser Rede der Sprache und der Denkformen bedient, die ich in diesem Lande für endgültig verbannt gehalten habe: es ist die Sprache des Dritten Reiches. ({3}) Er kann nun nicht dasitzen wie ein ertappter Bube und Herrn Kohl für sich oder auch nicht für sich reden lassen. Dazu verlangen wir hier und heute eine Erklärung von dem Kollegen Strauß, noch ehe diese Debatte zu Ende geht. Wir wollen und wir müssen wissen, wo er steht. ({4}) - Nein! Die Demokratie und die Solidarität der Demokraten in diesem Lande sind niemals die Angelegenheit einer einzelnen Partei, auch nicht einer bayerischen. ({5})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten - -

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein! Ich möchte, genauso wie die ersten Redner der Fraktionen, meine Ausführungen im Zusammenhang machen. ({0}) Im Kernpunkt einer jeden parlamentarischen Debatte im Bereich der inneren Sicherheit muß das klare und uneingeschränkte Bekenntnis zur Ablehnung jeder Form der Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung stehen. Der terroristische Anschlag auf die Rechtsordnung dieses Staates ist nicht nur eine unerhörte Gefahr, er kann auch eine Chance sein, nämlich eine Chance zur Isolierung dieser Täter, die sich als echte kriminelle Täter dargestellt haben, die sich zum Mord bereit gezeigt haben, die gezeigt haben, daß es keinen Unterschied gibt zwischen schlichter und politisch motivierter oder politisch verbrämter Kriminalität. In dieser Frage kann es in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat keinen Kompromiß geben. In einem freiheitlichen Staat gibt es für die Gewalt weder eine moralische noch eine politische noch eine rechtliche Legitimation. Es ist das Wesen eines solchen Staates, daß er seinen Bürgern ein Maximum an freien Entfaltungs- und Einflußmöglichkeiten, an friedlicher Selbstverwirklichung, selbst einen Machtwechsel in friedlichen, demokratischen Formen sichert, damit alles dieses in den Formen des Rechtes und nicht in den Formen der Gewalt erfolgen kann, die ihrerseits nur wieder Gewalt erzeugen müßte. Wer dem nachgäbe, würde den Staat in einen Strudel von Gewalt und Gegengewalt versinken lassen ohne Hoffnung, eine neue oder gar bessere Rechtsordnung an seine Stelle setzen zu können. Deshalb muß es eine Grundübereinstimmung aller Demokraten geben, nämlich die klare und eindeutige Absage an die gemeinsamen extremistischen Feinde von rechts und links. Ich sage das ohne Wenn und Aber: Es darf für Demokraten keine Zusammenarbeit mit den Feinden der Freiheit geben. ({1}) Man kann nicht Arm in Arm mit den Gegnern der Freiheit die Freiheit verteidigen wollen. ({2}) Die große Toleranzbreite unserer Verfassung, für die die politische Auseinandersetzung mit ihren Gegnern im Vordergrund steht, findet dort ihre Grenze, wo es darum geht, diesen unseren Staat funktions- und handlungsfähig zu erhalten. Es gibt auch keine Gemeinsamkeit mit denjenigen, die Gewalt predigen, ohne sie selbst anzuwenden, die sie geistig zu untermauern versuchen. Denn gerade jene Bemühungen, der Anwendung von Gewalt, sei es gegen Personen oder gegen Sachen, unter irgendwelchen Voraussetzungen den Schein der Rechtfertigung zu geben, haben ein Sympathisantenfeld geschaffen, das die Täter brauchen. Sie haben das Rechtsbewußtsein mancher Menschen verwirrt, selbst solcher, die glauben, damit einer höheren Gerechtigkeit zu dienen, und die in Wirklichkeit zu Handlangern und Wegbereitern des Verbrechens werden. ({3}) - Herr Kollege Jäger, wenn Sie meinen, daß wir das jetzt erst merken, so liegt das daran, daß Sie sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigen und offenbar nicht hören, was andere sagen. ({4}) Zur Abwehrbereitschaft des demokratischen Rechtsstaates gehört in erster Linie die Bereitschaft zur geistigen und politischen Auseinandersetzung. Die bloße oder vorrangige Beschwörung staatlicher Machtmittel, die Vorstellung, man könne mit strafrechtlichen Mitteln, mit dem Abbau oder der Abschwächung rechtsstaatlicher Regelungen dieser Herausforderung beikommen, gehört zu den Grundirrtümern einer Politik, die Autorität mit Macht verwechselt, die markig auftritt, um die innere Unsicherheit zu verbergen, die „Recht und Ordnung" sagt und „Gesetzesbuchstabe und Befehl" meint -wie man nämlich „law and order" auch übersetzen kann. Recht und Ordnung, Herr Kollege Dregger! Man muß sich fragen: Welche Ordnung eigentlich noch neben der Rechtsordnung selbst? Terrorismus ist in unserem Verständnis in erster Linie ein Angriff auf den liberalen und sozialen Rechtsstaat. Wenn der Terror Erfolg haben soll, muß er das Bekenntnis der Bürger zum Staat zerstören. Er muß ihr Rechtsbewußtsein verändern. Er muß sie zu dem Eindruck führen, daß dieser Staat nicht erhaltenswert, sondern eine vom Recht gelöste Herrschaftsmaschine, wenn nicht gar ein Herrschaftssystem zur Aufrechterhaltung bestimmter wirtschaftlicher Machtverhältnisse sei. Terrorismus und Anarchismus sind nicht in demokratischen Rechtsstaaten als Methode des politischen Kampfes entwickelt worden, sondern in Diktaturen und in Staaten mit anachronistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Das klassische Beispiel dafür ist das zaristische vorrevolutionäre Rußland, das zu Reformen unfähig war und zu immer heftigeren Machtreaktionen gebombt wurde, und das sich erst dann zu inneren demokratischen Reformen bereitfand, als es zu spät war. Der Terrorismus in der Bundesrepublik muß sich also, wenn er nicht eine isolierte Minderheit bleiben und sich nicht weiter isolieren will, sein Objekt, nämlich den klassischen Polizeistaat, erst schaffen. Und die Terroristen finden Helfer auch innerhalb anderer politischer Gruppierungen, die sich nichts Besseres einfallen lassen, als Haß und Angst zu schüren und damit das Vertrauen in diesen Staat zu untergraben, Helfer, die seine Freiheit und seine Rechtsgarantien als schlappe Libertinage zu diffamieren und Regierung und Koalition als nicht bereit, für Verfassung und Rechtsstaatlichkeit einzutreten, darzustellen versuchen. Was ist es anderes, wenn der Staatssekretär im bayerischen Innenministerium behauptet hat, das Bundeskriminalamt habe bayerische Sicherungsorgane in den letzten Jahren mehrfach daran gehindert, gegen Terroristen vorzugehen. Wo bleibt -wenn diese Meldung nicht stimmt - die öffentliche Richtigstellung einer solchen ungeheuerlichen Behauptung? ({5}) - Es ist besser, ein solcher Blödsinn würde nicht gesagt; darin brauchten Sie ihn anschließend auch nicht richtigzustellen. ({6}) Es sind in ihrer politischen Wirkung Helfer, die hoffen, selbst an die Macht zu kommen, wenn sie eine Lage nur schwarz genug malen und wenn sie sich nur genügend selbst als Retter in der Not anpreisen können. Herr Dregger hat formuliert - nicht hier, aber in der Öffentlichkeit -, er befinde sich in einem Kriegszustand. Ich frage mich: Mit wem? Wollen Sie etwa wie Herr Zimmermann das Standrecht verhängen? ({7}) Ich meine Herrn Dregger; der gegen seine Überzeugung, Herr Kollege, die Forderung nach der Todesstrafe nicht zurückweist, sie offenbar in Kauf nehmen will, wenn es nur möglichst vielen Wählern gefällt, damit er damit an die Macht kommen kann. ({8}) - Sie nennen mich eine Type. Auch das ist eine Sprache, die ich früher nur im „Stürmer" gelesen habe. ({9}) Ich meine Strauß, der in der ihm eigenen Form der politischen Auseinandersetzung dafür sorgen will, daß von diesen Banditen - wie er formuliert; ({10}) Sie sagen, variationsreich: „Politgangster" - bis zur Jahrtausendwende keiner mehr das Maul aufzumachen wagt ({11}) und der mit der Behauptung, in unseren Fraktionen säßen Sympathisanten der Baader-Meinhof-Gruppe, .auch nicht den Schatten einer Tatsache verbindet. ({12}): Wo sind denn die Verharmloser?) Wenn er glaubt, er könne davon nur in einem stillen Briefwechsel abrücken, ({13}) dann meine ich, daß er das öffentlich tun muß, ({14}) denn sonst bleibt der Vorwurf gegen den Kollegen Strauß bestehen, daß er vorsätzlich verleumdet. ({15}) Und man kann in diese „edle Reihe" auch den Kollegen Professor Carstens aufnehmen, der mit einer Handbewegung das juristische Beiwerk wegwischen möchte. ({16}) Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Kollege Carstens, wenn Sie einmal Gelegenheit nehmen würden, uns zu erläutern, welches Beiwerk Sie im einzelnen wegwischen wollen. Solidarität der Demokraten heißt nicht die Demontage des Rechtsstaates, ({17}) sondern heißt nüchtern zu prüfen, was geschehen ist, ({18}) was zu geschehen hat und was nicht zu geschehen hat. ({19}) Der Herr Innenminister hat dargestellt, daß diese Regierung das Bundeskriminalamt im Jahre 1969 ebenso wie andere Sicherheitsbehörden in einem miserablen Zustand vorgefunden hat, und daß wir alles getan haben, um es auszubauen. Der Schwerpunkt lag auf der Verbesserung des Informations-und Nachrichtenaustauschs zwischen den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern unter Einsatz moderner elektronischer Datenverarbeitung und modernster fernmeldetechnischer Mittel rund um die Uhr. In diesen Datenanlagen werden Straftaten-, Straftäterkarteien erstellt und die Verbindung zwischen den Kriminalämtern von Bund und Ländern aufgebaut. Das hat zu einem hohen Anstieg der Ausgaben und der Personalstellen geführt. Dies ist kein Zahlenspiel, wie Herr Staatsminister Merk meinte, sondern es ist eine politische Leistung, die von den vorhergehenden Regierungen und Innenministern versäumt worden war. Der Bund hat sich - auch das muß man sagen in erheblichem Umfang an der Finanzierung der polizeilichen Einrichtungen auch der Länder beteiligt. Meine Fraktion ist bereit, auch in den kommenden Haushaltsjahren jede Forderung zu billigen, die einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Bundeskriminalamtes und damit der Sicherheit unseres Staates dient. In gleicher Weise sind das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesgrenzschutz in seinen polizeilichen Funktionen ausgebaut worden. ({20}) Darüber hinaus hat es in den letzten Jahren zahlreiche gesetzgeberische Maßnahmen gegeben, die, wie ich annehme, der Justizminister noch im einzelnen vortragen wird. Wir haben neue Straftatbestände eingeführt für Luftpiraterie, Geiselnahme, für Schriften, die zu Gewalttaten anleiten, wir haben prozessuale Reformen beschlossen, den Verteidigerausschluß derjenigen, die konspirativ mit den Beschuldigten zusammenarbeiten, die Durchführung der Hauptverhandlung notfalls in Abwesenheit des Angeklagten, die Haftrechtsnovelle mit der Präzisierung der Haftgründe und vieles andere mehr. Das Ziel dieser Maßnahmen ist die Wirksamkeit des Strafrechts und nicht ungezielte Härte, und für die Wirksamkeit des Strafrechts ist nicht die Härte oder die bloße Abschreckung entscheidend, sondern die Aufklärungsrate, die Sicherheit, mit der der Täter eine Strafe erwarten muß, und die Schnelligkeit, mit der sie der Tat folgt. Wir wissen, daß es keinen absoluten Schutz gegen Wiederholungen terroristischer Anschläge gibt, wenn man nicht den Staat in seinem Grundcharakter verändern wollte. Die Freiheit kann nicht verteidigt werden, wenn man sie aufgibt. Aber wenn auch kein absoluter Schutz möglich ist, so müssen wir doch denen danken, die als Polizei- und Sicherungsbeamte, als Richter, Staatsanwälte, Beamte in vielen Funktionen ihre Existenz und ihr Leben für diesen Staat und seine Rechtsordnung einsetzen. Das bekräftigt uns in unserer Erklärung, daß Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst nichts zu suchen haben. ({21}) - Wir haben in der Debatte zum Beamtenrechtsrahmengesetz ausgeführt, Herr Kollege Gerster, daß der Regierungsentwurf diesem Ziel mit ausschließlich rechtsstaatlichen Mitteln dient. ({22}) Beide Entwürfe, der Entwurf der Opposition und der der Regierung, gehen im Prinzip von der Einzelfallprüfung aus und unterscheiden sich nur in einem Punkt, nämlich in der Frage, ob die Mitgliedschaft in einer noch nicht verbotenen Partei die Beweislast zu Lasten des Bewerbers verschieben sollte. Wir halten an unserem Entwurf fest. Wir sind uns aber auch im Innenausschuß darüber einig - Sie müßten das wissen, Herr Kollege daß wir die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts, die im April zu erwarten sind, abwarten wollen, um das Problem dann zu lösen, wenn es zwischen uns allen in dieser Frage keine anderen Verständigungsmöglichkeiten gibt. Die von der Opposition heute vorgelegten Vorschläge sind, soweit sie von ihr selbst stammen, kein geeignetes Mittel, um die Wiederholung des Falles Lorenz zu verhindern. Ihre konkreten Vorschläge bewegen sich in alten, bekannten Bahnen, in der Verstärkung der strafrechtlichen Mittel, sonst nichts. Der neue Vorschlag, der gestern angekündigt wurde und heute nicht gemacht worden ist, die Pkw-Kennzeichen fälschungssicher zu machen, ist kein Vorschlag der Opposition, sondern jedes MitDr. Hirsch glied des Innenausschusses weiß oder könnte wissen, daß seit Monaten im Bundeskriminalamt darüber konkrete Pläne entwickelt werden. Die geforderte Verschärfung des Versammlungs- und Demonstrationsrechtes steht für mich in keinem unmittelbaren Zusammenhang zur Entführung des Herrn Lorenz. ({23}) Die bisherige Erfahrung mit dem geltenden Recht zeigt einen Rückgang gewaltsamer, unfriedlicher Demonstrationen, weil sich ihre Ursachen gewandelt haben, weil wir uns nicht nur mit strafrechtlichen Mitteln, sondern mit den Ursachen dieser Demonstrationen beschäftigt haben. Die Wiedereinführung, wie Sie es fordern, eines vereinfachten Massendeliktes kann nicht helfen, die Rädelsführer einer Demonstration zu erfassen, die den Versuch unternehmen, die Menge zur Gewalttätigkeit aufzuhetzen. Wenn wir andererseits dazu zurückkehren wollten, alle auch arglosen Mitläufer einer Demonstration zu kriminalisieren, dann müßte man erklären, wie man dann die Auswahl mit vernünftigen Überlegungen treffen wollte zwischen den Demonstranten, die man verhaftet und dem Richter zuführt, und den anderen Demonstranten, die man laufen lassen will. In anderen Teilen stimmen die Gesetzentwürfe zum Schutze des Gemeinschaftsfriedens, die von der Opposition dem Bundesrat vorgelegt worden sind, mit dem 13. Strafrechtsänderungsgesetz der Bundesregierung voll überein, was sich daraus erklärt, daß die Oppositionsentwürfe im wesentlichen auf einem vorläufigen Referentenentwurf des Bundesjustizministers beruhen, von dem sie abgeschrieben worden sind. Diesen Entwurf hat der Bundesjustizminister mit den Landesinnenministern erörtert, und er beruht auf dem gemeinsamen Programm von Bund und Ländern für die innere Sicherheit der Bundesrepublik. Im Regierungsentwurf, den wir begrüßen, sind die Androhung von Straftaten, die Befürwortung und Anleitung zu schweren Gewalttaten, die Billigung von Straftaten, falsche Warnungen über das Bevorstehen bestimmter schwerer Straftaten oder das Vortäuschen des Bevorstehens von Straftaten gegen Privatpersonen unter Strafe gestellt. Zu dem Vorschlag der Opposition, die Verteidiger zu überwachen, haben wir vor wenigen Monaten mit überzeugender Begründung unsere ablehnende Haltung dargestellt. Die rechtsstaatliche Antwort auf einen Mißbrauch der Verteidigerrechte ist der Ausschluß eines Verteidigers, wenn der dringende Verdacht besteht, daß er mit seinem Mandanten unter Mißbrauch seiner Rechte zusammenarbeitet. ({24}) Natürlich, und in Ihrem Kopf stellt es sich anders dar, und wir beide werden nicht entscheiden, wer von uns recht hat. Das wird die Öffentlichkeit tun. ({25}) - So ist es. Von dieser neuen Möglichkeit der Strafprozeßordnung hat nun erstmals der Generalbundesanwalt Gebrauch gemacht. Von der anderen Möglichkeit, der Verhängung des Vertretungsverbots nach den Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung, hat bisher kein einziger Generalstaatsanwalt auch nur eines einzigen Bundeslandes Gebrauch gemacht, obwohl ein Vertretungsverbot mit sofortiger Wirkung verhängt werden könnte und obwohl die Beschwerde gegen ein solches Verbot keine aufschiebende Wirkung hat. Man muß sich doch fragen, warum noch kein Generalstaatsanwalt irgendeines Bundeslandes, auch nicht des Landes Baden-Württemberg, auch nicht des Landes Bayern, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. Was dazu Herr Staatsminister Merk ausgeführt hat, kann ich nicht begreifen. Er hätte sich mit seinem Justizminister in Verbindung setzen und erreichen müssen, daß der Generalstaatsanwalt seines Landes einen Ausschlußantrag stellt, wenn er die erforderlichen Informationen besitzt. Wir müssen fordern, daß zunächst die vorhandenen Rechtsmittel ausgeschöpft werden, ehe man sich nach neuen Mitteln umsieht. Wir fordern aber gleichzeitig auch die Standesorganisationen der Anwälte auf, die Bedrohung zu erkennen, die sich für die freie Advokatur aus dem Mißbrauch der Rechte durch einzelne Anwälte überhaupt ergibt. Wir fordern die Standesorganisationen auf, selbst mit dazu beizutragen, daß diesem Mißbrauch gesteuert werden kann. Es ist eine ureigenste Aufgabe der Kammern, durch eigene Vorschläge dazu beizutragen, daß hier endgültig klare Verhältnisse geschaffen werden. Man muß sich in diesem Zusammenhang aber auch fragen, ob die Landesjustizbehörden alles getan haben, um den Vollzug der Untersuchungshaft sachgerecht zu gestalten. Die Information der Häftlinge untereinander beruht doch, soweit wir wissen, nicht nur auf dem Mißbrauch von Verteidigerrechten. Wenn hier alles in Ordnung ist, täten die Länder gut daran, die Öffentlichkeit zu unterrichten, denn es ist ihre Aufgabe, den Vollzug der Untersuchungshaft sachgerecht zu gestalten. Schließlich muß man die Frage stellen, ob das von Bund und Ländern gemeinsam aufgestellte Sicherheitsprogramm von allen Beteiligten voll erfüllt worden ist. Auch hierzu wären wir für aufklärende Worte der Bundesländer hier oder zu gegebener Zeit dankbar. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf polizeilichem Gebiet, die verschiedentlich angesprochen worden ist, ist ein weites Feld. Ich kann nicht verhehlen, daß ich trotz aller gegenteiligen Erklärungen Zweifel habe, ob die gute Zusammenarbeit, die in den letzten Wochen und Monaten zweifellos bestanden hat, immer in dieser guten Form vollzogen worden ist. Schon die komplizierte Darstellung des Staatsministers Merk muß einen doch nachdenklich machen, ob das Verfahren, das hier praktiziert werden muß, schnell und leistungsfähig genug ist. Wir bedauern es nach wie vor, daß die Opposition uns schon im Bundestag bei der Beratung der Novelle zum Bundeskriminalamtgesetz im vorvergangenen Jahr daran gehindert hat, die originäre Zuständigkeit für Staatsschutzdelikte einzuführen und dem Bundeskriminalamt in seiner Funktion als Informationssammelstelle Weisungsbefugnisse über Art, Umfang und Aufbereitung des Informationsmaterials einzuräumen. Wir haben damals mit Bedauern zur Kenntnis genommen, daß im Bundesrat schon Bedenken gegen die Koordinierungsbefugnisse des Bundeskriminalamtes auf dem Gebiet der kriminaltechnischen Untersuchungen erhoben wurden. Es ist jetzt nicht Zeit, einen Kompetenzstreit zu beginnen oder sogar auszutragen, wenn von allen Seiten versichert wird, daß die Zusammenarbeit nun funktioniere. Aber sobald die aktuelle polizeiliche Situation es ermöglicht, werden sehr sorgsame Tatsachenfeststellungen zu treffen sein, wie die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im einzelnen ausieht, wenn keine Krisensituation auf alle Beteiligten einen heilsamen Zwang ausübt. Hier wird es keine Nachlässigkeiten geben, und hier darf es auch keine föderalistischen Empfindlichkeiten geben. Wir bekennen uns zum Föderalismus. Wir bekennen uns zu seiner gewaltenteilenden, oder besser: zu seiner gewaltenverschränkenden Wirkung. Es muß aber völlig sicher sein, daß elementare Sicherheitsinteressen der Bürger nicht unter Zuständigkeitsfragen und nicht unter dem Prestigebedürfnis weder von Bund noch von Ländern zu leiden haben. ({26}) Es gibt keinen absoluten Schutz gegen das Verbrechen, aber es gibt einen absolut sicheren Weg, es zu provozieren, nämlich den Abbau rechtsstaatlicher Positionen und die Einengung des Freiheitsraums unserer Bürger. ({27}) Der beste Schutz für die innere Sicherheit ist nicht die Beschwörung des Kriegszustandes, sondern der Rechtsstaat. Nur er schafft das Bekenntnis der Bürger zur Verfassung, und nur er begründet das Vertrauen des Bürgers in seine Rechtsordnung. Wir haben versucht, diese Gedanken in einem Entschließungsantrag zu formulieren, den wir Ihnen zur Annahme vorgelegt haben. ({28})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Terroristen haben in unserem Lande in den letzten Jahren Morde, Mordversuche und andere schwere Gewalttaten begangen. Am 10. November 1974 wurde der Präsident des Berliner Kammergerichts, Günter von Drenkmann, ein Demokrat, ermordert. Am 27. Februar 1975 wurde ein anderer Demokrat, der Berliner CDU-Landesvorsitzende Peter Lorenz, entführt und seine Ermordung für den Fall angedroht, daß fünf namentlich benannte Häftlinge nicht bis spätestens 3. März 1975, 10 Uhr, aus der Bundesrepublik ausgeflogen werden. Da die Peter Lorenz unmittelbar drohende Lebensgefahr anders nicht abwendbar erschien, ist der Forderung der Entführer nach sehr gründlicher rechtlicher und staatspolitischer Abwägung entsprochen worden. Diese Vorgänge haben unser Volk mit großer Sorge erfüllt. Diese Sorge und auch die mit ihr verbundene Erregung sind natürlich und durchaus verständlich. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß die im Fall Lorenz notwendig gewordene Entscheidung das Rechtsgefühl unseres Volkes tief angerührt hat. Denn mit der Erleichterung darüber, daß diese Entscheidung Peter Lorenz das Leben gerettet hat, verbinden sich die Sorge vor der Wiederholung solcher Geiselnahmen und die Sorge darüber, daß die Abwehrkraft des Rechtsstaates - und daß heißt: seine Fähigkeit, den Frieden der Gemeinschaft und die ihm anvertrauten Rechtsgüter auch in Zukunft zu schützen - eine fühlbare Einbuße erlitten hat. Diese Sorge in unserem Volk ist ernst zu nehmen. Diese Sorge wird gerade von denen ernst genommen, die die getroffene Entscheidung gemeinsam politisch verantworten und die sich auch in der heutigen Debatte zu dieser gemeinsamen politischen Verantwortung bekennen. Aber die Gemeinsamkeit dieser Entscheidung kann kein isolierter Vorgang sein. Sie hat, ob das den Verantwortlichen bewußt ist oder nicht, unweigerlich Konsequenzen. Eine dieser Konsequenzen ist, daß die für die Entscheidung Verantwortlichen, aber auch diejenigen Parteien und Institutionen, die sie vertreten, jetzt alles tun müssen, um den Schaden, der von den Terroristen unserem Staat mit vollem Vorbedacht zugefügt worden ist, zu mildern und so weit wie nur möglich auszugleichen. Dazu gehört, daß wir die Diskussion über die Fragen der inneren Sicherheit in und außerhalb dieses Hauses mit Nüchternheit, Selbstdisziplin und Verantwortungsbewußtsein und auch mit Würde -mit einem Mindestmaß an Würde in diesem Hause - führen. ({0}) Wer die Emotionen, gewollt oder ungewollt, noch verstärkt, wer selbst seinen Emotionen nachgibt, der vermehrt die Gefahr. Was heißt denn „Solidarität" in dieser Stunde? Solidarität heißt, die Grundübereinstimmung der Demokraten über bestimmte Werte und Prinzipien unseres Staates nicht aufs Spiel zu setzen. Solidarität heißt aber auch, dem Schutz unseres Staates die erste Priorität und dem eigenen parteipolitischen Vorteil - der Chance, die Regierungsmacht zu erringen oder zu erhalten - die zweite Stelle einzuräumen, und das klipp und klar und ohne Wenn und Aber. ({1}) Wer anders handelt, wer Furien der Angst, des Mißtrauens, ja der Panik über unser Land jagt, um dann selbst um so strahlender in der Gloriole des Retters auftreten zu können, mag seine politische Macht, auch sein subjektives Machtgefühl, veilleicht sogar seine Chancen für seinen weiteren politischen Aufstieg festigen, aber er tut es auf Kosten unseres Staates, auf Kosten seiner friedens- und lebensschützenden Funktionen, und das ist ein hoher, ein zu hoher Preis, den wir nicht zahlen dürfen. ({2}) Mit dieser Solidarität voll vereinbar, ja, von dieser Solidarität geradezu gefordert ist jedoch die immer erneute kritische und auch kontroverse Prüfung des jeweiligen Standes der inneren Sicherheit und der Frage, ob die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte das Erforderliche tun und ob unsere Rechtsordnung, ob unsere Gesetze der Justiz im Rahmen unserer Verfassung die notwendigen Handhaben geben. In dieser Prüfung, die für alle Beteiligten auch eine' kritische Selbstprüfung und nicht nur ein Suchen nach dem Splitter oder Balken im Auge des anderen sein muß, und in Ihrer Suche nach konkreten Sachalternativen sehe ich den eigentlichen Sinn der heutigen Debatte. Als Bundesminister der Justiz möchte ich dazu in Ergänzung der Regierungserklärung und in Erwiderung auf Ausführungen der Herren Dregger, Merk und Kohl folgendes feststellen: Erstens. Die Justiz, d. h. die Richter und Staatsanwälte, die übrigen Angehörigen der Gerichte und Staatsanwaltschaften und die Strafvollzugsbeamten erfüllen ihre Pflicht. Sie haben alles getan und tun weiterhin alles, um den Gesetzen unseres Staates auch gegenüber Terroristen Geltung zu verschaffen. ({3}) Seit Beginn der terroristischen Aktivitäten sind in diesem Zusammenhang 37 Personen rechtskräftig verurteilt worden, davon 13 zu Freiheitsstrafen zwischen 4 und 12 Jahren. 63 weitere Personen befinden sich in Untersuchungshaft.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel?

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang vortragen, so wie das auch meine Vorredner getan haben. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Bitte sehr!

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Ich sehe mich dazu um so eher veranlaßt, als Sie, Herr Kollege Vogel, ja bereits auf der Rednerliste stehen. ({0}) : Das waren Sie, der auf der Rednerliste stand! -

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vogel ist nicht Vogel! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) - Herr Carstens, es bereitet Ihnen offenbar Schwierigkeiten, die verschiedenen Vögel auseinanderzuhalten, das liegt aber bei Ihnen. ({0}) 23 Personen sind in erster Instanz verurteilt. Gegen 20 weitere, darunter auch gegen den harten Kern der sogenannten RAF, ist Anklage erhoben. Außerdem sind Ermittlungsverfahren gegen mehr als 200 Personen anhängig. Die meisten der Richter und Staatsanwälte, die in diesem Verfahren tätig sind, arbeiten unter erschwerten Bedingungen. Die Hauptverhandlungen, häufig aber auch schon die Vorverfahren, stellen für die beteiligten Organe der Justiz in aller Regel eine ernste physische und psychische Belastung dar. Eine beträchtliche Anzahl von Richtern und Staatsanwälten ist fortgesetzten Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt. Einer, Günter von Drenkmann, ist ermordert worden, gegen weitere wurden Sprengstoffanschläge oder sonstige Attentate verübt. Auch die Ehefrau eines Richters wurde bei einem Bombenanschlag schwer verletzt. Ich meine, die Haltung der Justiz - ich sehe gar keinen Sinn darin, nur Kontroverses auszusprechen; ich glaube, es kann durchaus Aufgabe des Bundesministers der Justiz sein, bei dieser Gelegenheit auch Feststellungen zu treffen, die die allgemeine Zustimmung des ganzen Hauses finden -({1}) verdient allein schon deshalb Dank und Anerkennung. ({2}) Hier im Bereich der Justiz reden Menschen nicht nur vom Rechtsstaat, hier bringen Männer und Frauen dem Rechtsstaat und damit der Gemeinschaft tagtäglich Opfer, ohne davon Aufhebens zu machen, übrigens nicht nur die Beteiligten selbst, sondern auch ihre Familien, ihre Frauen und Kinder. Ich bin dankbar, daß der Herr Bundeskanzler und auch andere Redner in der bisherigen Debatte dies ausdrücklich gewürdigt haben. Auch diejenigen, die das Engagement der Justiz grundsätzlich anerkennen, erheben gelegentlich Vorwürfe, so den Vorwurf, daß die Verfahren zu lange dauern oder daß die Gerichte einmal erlassene Haftbefehle zu rasch wieder aufheben. Beides mag im Einzelfall zutreffen. Generell sind solche Vorwürfe jedoch unbegründet. Richtig ist, daß beispielsweise das Verfahren gegen Baader und andere seit 1972 anhängig ist. Das ist jedoch darauf zurückzuführen, daß die Anklage den Angeklagten nicht weniger als 6 Morde, 59 Mordversuche, 4 Sprengstoffanschläge, zahlreiche Banküberfälle und Einbruchdiebstähle zur Last legt und daß die Angeklagten jede Einlassung zur Sache verweigern und daß deshalb jedes einzelne Indiz durch Zeugen und Sachverständige bewiesen werden muß. Von einem Zögern oder gar einer Untätigkeit der Justiz kann in diesen Fällen überhaupt keine Rede sein. Haftbefehle sind von den Gerichten dann aufzuheben oder außer Vollzug zu setzen, wenn die Gründe für die Haftfortdauer nicht mehr bestehen. Es mag sein, daß Gerichte hier in früherer Zeit gelegentlich einen weniger strengen Maßstab angelegt haben. Seit 1972 hat sich das durchgehend geändert. Übrigens darf ich bei dieser Gelegenheit die Legende zerstören, die sozialliberale Koalition habe das Haftrecht aufgeweicht und zu einer stumpfen Waffe werden lassen. Wahr ist demgegenüber, daß die Haftrechtsnovelle 1964, die das deutsche Haftrecht in Einklang mit der internationalen Entwicklung gemildert hat, von allen Parteien gemeinsam verabschiedet wurde; Bundeskanzler war damals Ludwig Erhard. Die Verschärfung des Haftrechts im Jahre 1972, die die Konsequenz praktischer Erfahrungen war, wurde wiederum von allen Parteien getragen; Bundeskanzler war zu diesem Zeitpunkt Willy Brandt. Ich verstehe nicht, was die gegenseitige Verteufelung mit dem Argument der Aufweichung des Haftrechts in den Diskussionen bei dieser klaren Sachlage eigentlich bedeuten soll. ({3}) Unsere Justiz ist also in Ordnung. Ebenso ist aber auch unsere Gesetzgebung in allen wesentlichen Punkten in Ordnung. Ich wiederhole: unsere Gesetze reichen in allen wesentlichen Punkten zur Abwehr terroristischer Gewalttaten aus. Dabei kann ich mich unter anderem auf Peter Lorenz berufen, der am 8. März 1975 in einem Interview ausgeführt hat, es komme nach seiner Auffassung nicht in erster Linie auf gesetzgeberische Konsequenzen an, Zunächst: der Entführungsfall Lorenz selbst ist nicht ein Problem der Gesetzgebung, sondern eine Frage der richtigen staatspolitischen Entscheidung. Das Gesetz hätte auch die gegenteilige Entscheidung erlaubt. Alle jene, die in den dramatischen Stunden dabei waren, wissen, warum in diesem Fall staatspolitisch so und nicht anders entschieden wurde. Dann ein Wort zu dem schon fast stereotypen Vorwurf, die Reform des Strafrechts habe ein Klima geschaffen, das Straftaten begünstige. Dies ist eine Verzerrung der Strafrechtsreform und ihrer Ziele, ({4}): Und Sie reden von Buhmännern!) die sich nur Böswillige oder Ignoranten oder solche zu eigen machen können, die meinen, es könne nicht genug an allgemeiner Konfrontation und Polarisierung getan werden. ({5}) Einer sachlichen Prüfung hält der Vorwurf in keiner Weise stand. Sicher ist richtig, daß die Strafrechtsreform den Gedanken der Sozialschädlichkeit als Gesichtspunkt für die Strafbarkeit einer Tat und auch den Gedanken der Resozialisierung stärker in den Vordergrund gerückt hat. Daneben hat die Reform sicher auch die Möglichkeit der Strafaussetzung erweitert und die kurzfristige Freiheitsstrafe zugunsten der Geldstrafe zurückgedrängt. Aber das sind doch Zielsetzungen, die schon ein Franz von List vor fast 100 Jahren umrissen hat und die in anderen demokratischen Ländern schon seit Jahrzehnten in die Wirklichkeit umgesetzt worden sind. ({6}) Verglichen mit der englischen und skandinavischen Gesetzgebung und mit der niederländischen Resozialisierungspraxis ist die deutsche Strafrechtsreform eher zurückhaltend gewesen. Vor allem, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben doch all diesen Reformgesetzen in allen wesentlichen Punkten zugestimmt. Sie haben doch ja gesagt zum Wegfall der Zuchthausstrafe, zur Zurückdrängung kurzer und mittlerer Freiheitsstrafen, zur Abschaffung des Arbeitshauses, zur Beschränkung der Sicherungsverwahrung, zur Beschränkung der Sicherungsverwahrung auf die wirklich gefährlichen Rückfalltäter. ({7}) - In Ihre interne Auseinandersetzung, Herr Stücklen, zwischen CSU und CDU brauche ich mich nicht einzumengen; das ist eine Frage, die Sie bitte unter sich ausmachen. ({8}) Sie haben ja gesagt beispielsweise auch zu der jetzt so häufig zitierten Umgestaltung der Diebstahlsvorschriften. Alle Parteien haben ja gesagt zu der Bestimmung des § 46 Abs. 1 des Strafgesetzbuches, in der es heißt: Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. ({9}) Warum soll das jetzt alles nicht mehr wahr sein? Müssen sich denn diejenigen der Opposition, die zugestimmt haben, ihrer Mitwirkung schämen? ({10}) - Herr Kollege Jäger, wir stellen fest, daß die Meinungsverschiedenheiten unter Ihnen sogar jetzt hier noch andauern. ({11}) Tatsache ist: Die Kriminalität ist infolge dieser Strafrechtsreform in den Jahren 1970 bis 1973 langsamer gestiegen als in früheren Vierjahresperioden, von 1972 auf 1973 ist sie sogar gesunken. Wieso begünstigt die Strafrechtsreform, wie draußen ständig in Interviews und in Diskussionen behauptet wird, torroristische Gewalttäter? Bei diesen Tätern stehen natürlich die Abschreckung, der Schutz der Gemeinschaft und die Verteidigung der Rechtsordnung im Vordergrund. Welche neue Bestimmung steht denn dem entgegen? Warum haben denn wohl Gerichte gegen Terroristen acht, zehn und zwölf Jahre Freiheitsstrafe verhängt? Das ist doch aus Gründen der Generalprävention und des Schutzes der Gemeinschaft vor weiteren Anschlägen der Verurteilten geschehen. Außerdem - und das wissen Sie doch ganz genau - bedeutet Reform durchaus nicht automatisch Milderung. Wo das auf Grund neuer Erkenntnisse notwendig war, sind wir neuartigen Herausforderungen auch mit neuartigen und verschärften Bestimmungen begegnet. Eine Vielzahl von Änderungen ist demgegenüber in den letzten Jahren Gesetz geworden. Im materiellen Strafrecht haben wir die Luftpiraterie mit Freiheitsstrafen zwischen fünf und fünfzehn Jahren, den erpresserischen Menschenraub und die Geiselnahme mit Freiheitsstrafen zwischen drei und fünfzehn Jahren bedroht. Die Verherrlichung und Verharmlosung von Gewalt in Bild und Schrift ist seit 1973 strafrechtlich verboten. ({12}) Wenn Herr Dr. Kohl hier die mangelnde Verfolgung von Hausfriedensbrüchen oder von Körperverletzungen beklagt, dann richtet er diesen Vorwurf an die falsche Adresse. Es gibt keine Hinderungsgründe für die Staatsanwaltschaften in den Ländern, gegen derartige Straftaten und Delikte einzuschreiten. Wer hindert denn die Landesjustizverwaltungen, hier tätig zu werden? ({13}) Auch im Verfahrensrecht haben wir durch das erste Reformgesetz und das Ergänzungsgesetz den Strafprozeß beschleunigt und gestrafft und dem Mißbrauch der Verteidigerrechte entgegengewirkt. Die Initiative zu all diesen Gesetzen hat die Bundesregierung lange vor dem Anschlag auf Günter von Drenkmann vorbereitet, ({14}) ergriffen oder unterstützt. Was soll da der Vorwurf der Untätigkeit? ({15}) Jetzt, meine Damen und Herren, liegen neue Vorschläge auf dem Tisch. Diese Vorschläge gilt es zu prüfen. Dabei zeichnet sich ab, daß wir in der Beurteilung einzelner Vorschläge übereinstimmen, daß wir andere Vorschläge noch weiter untersuchen müssen und daß bei einer dritten Gruppe die Auffassungen auseinandergehen. Einigkeit besteht in diesem Hause - von einzelnen Ausnahmen abgesehen - in der Ablehnung der Wiedereinführung der Todesstrafe. Die Gründe für die Ablehnung sind überzeugend. Die Abschaffung der Todesstrafe ist ein Bestandteil des Grundkonsenses, den die demokratischen Kräfte unseres Landes bei der Schaffung des Grundgesetzes hergestellt haben. Es ist ein Zeichen von Verzagtheit, nicht ein Zeichen von Stärke, wenn an einem solchen elementaren Grundsatz unserer staatlichen Ordnung bei jeder ernsteren Herausforderung unseres Staatswesens gerüttelt wird. ({16}) Erfahrungen und Forschungen im In- und Ausland geben im übrigen nicht den geringsten Hinweis darauf, daß die Todesstrafe zur Verbrechensbekämpfung wirklich taugt. Terroristen würden durch die Todesstrafe eher zu noch größerer Brutalität getrieben. Auch Länder, die unter dem Terrorismus mehr als wir zu leiden haben, verzichten deshalb auf die Todesstrafe. Sie befinden sich damit - wie auch die Bundesrepublik - in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Mehrzahl der demokratischen Staaten Europas. Einigkeit besteht umgekehrt hinsichtlich der Notwendigkeit, neue Strafbestimmungen gegen die Anleitung zur Gewalt, die falsche Warnung und die Androhung von Gewalt zu schaffen. Hier hat das Bundesministerium der Justiz auf Grund einer Anregung der Innenministerkonferenz die Vorarbeiten geleistet, die in dem Regierungsentwurf, der heute zur ersten Lesung vorliegt, ihren Niederschlag gefunden haben. Auch die Entwürfe des Bundesrats und der Opposition haben sich diese Vorarbeiten zu eigen gemacht. Prüfen muß man den nordrhein-westfälischen Vorschlag, das Institut des sogenannten Kronzeugen einzuführen. Es gibt Gründe dafür, es gibt Gründe dagegen. Man sollte diese Gründe in den weiteren Beratungen sorgfältig abwägen. Uneinigkeit besteht hinsichtlich des richtigen Weges zur Verhinderung des Mißbrauchs, den Terroristen und einzelne Verteidiger mit ihren Rechten treiben, und hinsichtlich des Demonstrationsstrafrechts. Daß Verteidiger den Verkehr mit Untersuchungsgefangenen mißbraucht haben und daß dieser Mißbrauch gefährlich ist, bestreitet niemand. Verdachtsmomente, Herr Kollege Merk, die in diese Richtung gingen, waren übrigens nicht nur dem Bundeskrimi10792 nalamt, sondern ebenso den Ländern - diesen auf Grund ihrer Zuständigkeit und Verantwortung für die Justizvollzugsanstalten schon früher bekannt. Meinungsverschiedenheiten herrschen nicht über diese Tatsache, sondern über die Frage, auf welchem Weg dieser Mißbrauch verhindert werden kann. Die Bundesregierung hat zunächst unter bestimmten Voraussetzungen - trotz nicht unerheblicher Bedenken gegen die Wirksamkeit - die Überwachung dieses Verkehrs durch einen Richter vorgeschlagen, weil sie dieses Mittel nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für das mildere hielt. Die Bundestagsmehrheit ({17}) hat ihrerseits zum schärferen Mittel gegriffen und für diese Fälle den Ausschluß vorgesehen. Meine Damen und Herren, sicherlich ist der Ausschluß das wirksamste Mittel. Ein ausgeschlossener Anwalt kann keine Information mehr weitergeben, ein überwachter Anwalt kann dies bei einiger Geschicklichkeit - das bestätigen alle Praktiker -ohne weiteres. Nun greifen Sie den Gedanken der Überwachung von neuem auf. Aber die Voraussetzungen, unter denen nach dem jetzigen Gesetz der Ausschluß zulässig ist und unter denen Sie die Überwachung für zulässig erklären wollen, unterscheiden sich nur wenig. Der Hauptunterschied liegt doch darin, daß in den Fällen, in denen das geltende Recht für die Ausschließung den dringenden Verdacht fordert, Ihre Überwachungsregelung. von einem auf bestimmten Tatsachen gegründeten Verdacht spricht. Für die Praktiker laufen die Vorschläge der Opposition darauf hinaus, daß die Überwachung nicht neben den Ausschluß, sondern de facto an seine Stelle tritt. Nachdem sich der Gesetzgeber erst vor wenigen Wochen für die schärfere Ausschlußlösung entschieden hat, kommt es jetzt darauf an, von diesem Instrument entschlossen Gebrauch zu machen. ({18}) Der Generalbundesanwalt hat das getan. Er hat zunächst in zwei Fällen Ausschlußanträge gestellt. ({19}) - In zwei Fällen, Herr Kollege Vogel! - Auf Grund eines dieser Anträge hat ein Gericht bereits vorläufig einem Verteidiger mit sofortiger Wirkung jeden Verkehr mit dem Beschuldigten verboten. Über den zweiten Antrag wird in wenigen Tagen entschieden. Ich meine, andere sollten im Rahmen ihrer Zuständigkeit von dieser Regelung einen ebenso entschlossenen Gebrauch machen, wie das im Bereich des Bundes geschieht. ({20}) Übrigens sind die meisten Verfahren gegen Terroristen nicht beim Generalbundesanwalt, sondern bei den Landesstaatsanwaltschaften anhängig. Wenn sich trotz bewußter und nachdrücklicher Anwendung dieser Regelung Lücken ergeben sollten, sollten wir gemeinsam nach Wegen suchen, die Ausschlußmöglichkeit noch zu verbessern. Herr Kollege Hirsch hat die Möglichkeit, mit dem Instrument des vorläufigen Vertretungsverbots zu arbeiten, bereits angedeutet. Ich glaube, hier liegen Möglichkeiten, über die man ein sachliches Gespräch führen sollte. Gegen die Überwachungsregelung, die Sie vorschlagen, spricht weiter, daß die richterliche Überwachung des Verkehrs und des Kontakts zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger während der laufenden Hauptverhandlungen, wie Sie es vorschlagen, in der ganzen Welt ohne Beispiel wäre und unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nahezu unerträglich erscheint. Ich spreche von der Überwachung des schriftlichen Verkehrs zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger in der Hauptverhandlung. ({21}) Ich empfehle, Herr Kollege Vogel, daß Sie Ihre eigenen Entwürfe lesen. Es gibt keine Beschränkung für die Hauptverhandlung. Nach dem Wortlaut Ihres Vorschlags sehen Sie die Überwachung des schriftlichen Verkehrs auch während der Hauptverhandlung vor. ({22}) - Ich glaube, daß diese Zwischenrufe, meine Herren, Sie selbst qualifizieren. ({23}) Ein weiterer Grund liegt darin, daß die praktischen Schwierigkeiten bei der richterlichen Überwachung schlechterdings nicht auszuschließen sind. Im übrigen ist es interessant, auch hier festzustellen, daß in der sachlichen Atmosphäre des Rechtsausschusses diese praktischen Schwierigkeiten auch von Ihren Vertretern gesehen und eingeräumt werden, während man sie hier mit einer Handbewegung vom Tisch wischt. Außerdem sollten wir bedenken: Keiner unserer westlichen Nachbarstaaten kennt eine derart weitgehende Ausschließungsregelung, wie sie vom Bundestag in Kraft gesetzt worden ist. Auch eine Überwachungsregelung, wie sie von Ihnen vorgeschlagen wird, ist in allen vergleichbaren Ländern ohne Vorbild. Ich füge ganz offen hinzu: Wir sollten uns auch davor hüten, bewußt oder unbewußt die Anwaltschaft in dieser Republik zu einer Art Prügelknaben zu machen. ({24}) Sie hat an der Ausschließungsregelung konstruktiv mitgearbeitet und die weitere Mitarbeit zugesagt. Im übrigen gibt es, meine Damen und Herren, für die Inhaftierten ganz offenbar doch auch noch andere Kommunikationsmöglichkeiten, die raschestens und ohne jede Gesetzesänderung unterbunden werden werden. könnten und sollten. So konnte beispielsweise der Strafgefangene Pohle in der Strafanstalt Landsberg am Lech noch vor seinem Abflug ganz unbehelligt ein Tonbandinterview geben, das mit Hilfe eines kurz darauf entlassenen Strafgefangenen an eine Tageszeitung gelangte und dort exklusiv veröffentlicht wurde. ({25}) Ich glaube, diejenigen, die hier kritisieren und zusätzliche gesetzliche Regelungen fordern, sollten ihre Aufmerksamkeit gerade auch solchen Vorgängen mit allem Nachdruck widmen. ({26}) Meinungsverschiedenheiten bestehen weiter in der Frage des Demonstrationsstrafrechts. Schon nach geltendem Strafrecht macht sich wegen Landfriedensbruchs strafbar, wer sich an Gewalttätigkeiten, die aus einer Menschenmenge begangen werden, mit eigener Hand beteiligt. ({27}) Ferner macht sich jeder strafbar, der solche Gewalttaten in irgendeiner Weise fördert; schließlich auch derjenige, der etwa als Anheizer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten zu fördern. Alle diese Fälle - das ist unter ernst zu nehmenden Juristen unstreitig -sind vom geltenden Recht erfaßt. Wer diese Tatbestände nicht erfüllt, die ich gerade beschrieben habe, aber trotz dreimaliger polizeilicher Aufforderung, sich zu entfernen, weiter in der Menschenmenge verharrt, begeht eine Ordnungswidrigkeit und kann mit fühlbarer Geldbuße belegt werden. Die Opposition und der Bundesrat - das ist der Kern Ihrer Vorschläge - will auch den bloß passiv Anwesenden mit Vergehensstrafe bedroht wissen. Hierfür sieht die Bundesregierung keine durchgreifenden Gründe. Es würde durch eine solche Regelung für die Polizei keineswegs leichter, in der oft nach Hunderten und Tausenden zählenden Menschenmenge die gewalttätig Gewordenen dingfest zu machen. Im Gegenteil, sie wäre überfordert, weil sie nach dem Gesetz gegen jeden passiv Anwesenden strafrechtlich ermitteln müßte, tatsächlich aber immer nur einzelne Personen herausgreifen könnte. Das würde ihr den Vorwurf der Willkür eintragen. Schließlich erbringt die von Ihnen vorgeschlagene Regelung auch für den Polizeieinsatz nichts; denn mit dem zur Auflösung unerlaubter Ansammlungen gebotenen Mitteln - Wasserwerfer, Tränengas, unmittelbarer körperlicher Zwang - schreitet die Polizei zulässigerweise schon jetzt ein. Andere Mittel stehen ihr auch nach einer Gesetzesänderung nicht zur Verfügung. Der Vorschlag setzt sich dem Verdacht aus, daß man von einer in ihrer Wirksamkeit untauglichen Maßnahme eine Entlastung der eigenen Verantwortung erwartet, die Schwierigkeiten für die Polizei aber in keiner Weise vermindert oder erleichtert. ({28}) Das, was ich hier vortrage, ist auch die Meinung des Bundesministeriums des Innern; das Bundesministerium der Justiz hat keinen Anlaß, diese Beurteilung zu korrigieren. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, das waren nüchterne, sachbezogene Ausführungen. Demagogie, Beschimpfungen, gegenseitige Kanonade mit Zitaten sind nicht die Waffen des Rechts. ({29}) - Lieber Herr Kollege Stücklen, ich glaube nicht, daß Ihre Erinnerung so schwach ist, daß Sie schon wieder vergessen haben, daß die ersten Zitate der heutigen Debatte von Herrn Dregger in die Diskussion eingeführt worden sind. ({30}) - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es für Ihre innere Verfassung spricht, daß Sie sachliche Feststellungen nicht anders als mit einem Chor mehr oder weniger qualifizierter Zwischenrufe beantworten können. ({31}) Ich überlasse das Urteil über den Eindruck, der dadurch hervorgerufen wird, durchaus dem Publikum, das uns zusieht und zuhört. ({32}) Diese Debatte - ({33}) - Es bleibt bei meiner früheren Feststellung, Herr Kollege Vogel. ({34})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner. ({0})

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Meine Damen und Herren, es geht nicht an meiner Redezeit verloren, was Sie jetzt durch Ihre Zwischenrufe an zeitlicher Verzögerung bewirken. Diese Debatte - gerade auch Ihr Beitrag, den Sie jetzt mimisch und akustisch leisten - wird mit Sicherheit auch von solchen verfolgt, die diesem Staat den Kampf angesagt haben. Ich meine, wir sollten diesen Leuten nicht ein weiteres Erfolgserlebnis verschaffen. Wir sollten sie desillusionieren, indem wir deutlich machen: Dieser Staat weiß als Rechtsstaat um seine Gefährdung. Er verspricht keine absolute Sicherheit, weil er den Preis der Freiheit kennt und weil er die Freiheit und die Grundrechte nicht opfern will, auch nicht unter dem Druck von Terroristen, die gerade dies als ihr Ziel anstreben. ({0}) Zweitens. Dieser Staat verfügt über Machtmittel, und er wird diese Machtmittel einsetzen. Die Justiz weiß, wir alle wissen, was wir zu schützen haben: den freiesten, sozialsten und demokratischsten Staat, den es bislang auf deutschem Boden gab. Die Angehörigen der Justiz wissen auch, daß es sich lohnt, für diesen Staat Opfer zu bringen. ({1}) Der äußere Eindruck der Diskussion, die in diesen Tagen innerhalb und außerhalb dieses Hauses geführt wird, trügt. Der Riß geht in dieser Frage - und davon lasse ich mich nicht abbringen - nicht quer durch unser Volk. Die Risse verlaufen an den Rändern. Sie schließen diejenigen aus, die an den Enden des politischen Spektrums die Grundordnung unseres Staates bekämpfen. Quer durch unser Volk würde der Riß von denen getrieben, die etwa die Aktivitäten der Terroristen - unter welchem Aspekt auch immer - als förderliches Moment in ihr politisches Kalkül einbeziehen wollten. ({2}) Die erdrückende Mehrheit unseres Volkes ist mit diesem Staat solidarisch, und sie ist auch solidarisch mit Justiz und Polizei - solidarischer noch als vor Beginn des Terrors und bereiter noch, Unbequemlichkeiten hinzunehmen, die mit intensiven Fahndungs- und Kontrollmaßnahmen zwangsläufig verbunden sind. Und noch eine Bemerkung, meine Damen und Herren. Ich sprach von Würde. Zu dieser Würde gehört auch, daß wir bei aller Sorge und aller Beunruhigung das Gefühl für Proportionen nicht verlieren. Andere Völker bieten den Herausforderungen, mit denen wir es jetzt zu tun haben, schon seit Jahren die Stirn. Diese Völker beobachten uns. Sie haben unsere Aufbauleistung, unsere Friedenspolitik, unsere wirtschaftliche und soziale Stabilität aufmerksam und mit Achtung zur Kenntnis genommen. Wir sollten diesen Völkern jetzt nicht ein Schauspiel der Zwietracht, der Ratlosigkeit, der Mutlosigkeit und erst recht nicht ein Schauspiel der Selbstzerfleischung bieten. ({3}) Wir sollten in unserem Reden und in unserem Tun deutlich machen, daß wir uns unserer Sache in dieser Republik sicher sind, weil eben unser Staat nicht ein abstraktes Machtgebilde und schon gar nicht ein Unterdrückungssystem, sondern eine Heimstatt unseres Volkes ist, eine Heimstatt, die wir uns nach bitteren geschichtlichen Erfahrungen in einer großen Anstrengung geschaffen haben und die wir alle - gerade auch meine Generation - von niemandem zerstören lassen wollen. ({4})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Ministerpräsident Dr. Filbinger ({0}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Gestatten Sie einem Mitglied des Bundesrates ein Wort zum Thema „innere Sicherheit" nicht allein deshalb, weil von der Zuständigkeit her die Länder hierbei mit in Rede stehen, sondern auch, weil die Länder aus ihrer Mitverantwortung für die Bundesrepublik Deutschland und für deren allgemeine Politik hier gefordert sind. Lassen Sie mich zunächst ein Wort zu dem sagen, was der Herr Bundesjustizminister soeben ausgeführt hat. ({1}) Ich bin im Besitz des Katalogs über gesetzliche Maßnahmen im Bereich des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts zum Schutz der inneren Sicherheit seit 1969. Ich habe soeben mit Ihnen gehört, wie der Herr Bundesjustizminister auf einzelne Gesetze als Leistung seines Hauses und der Koalition besonders abgehoben hat. Dabei ist mir aber einiges aus der Tätigkeit des Bundesrates aufgefallen, etwa die unter Ziffer 2 aufgeführte Verbesserung des Haftrechtes. Das ist uns doch damals im Bundesrat begegnet. Wir haben hier eine Initiative der CDU/CSU-Fraktion mit Mehrheit im Bundesrat unterstützt. Aber wenn ich recht unterrichtet bin, ist diese Initiative in der ersten Lesung am 2. Februar 1972 an der Koalition gescheitert, ({2}) und es gab damals scharfe Rügen vom damaligen Bundesjustizminister, daß bei diesem Gesetz Geschäfte mit der Angst gemacht würden. ({3}) Erst nach der Baader-Meinhof-Sache ist dann dieses Gesetz über die Bühne gegangen. Vorher wurde der Vorwurf erhoben, es handele sich um Vorbeugehaft und um Schutzhaft. Solche und ähnliche diskriminierende Ausdrücke sind damals gefallen. ({4}) Ich wollte damit nur erwähnen, daß es sich hie' ebenso wie bei dem Gesetz zur Schaffung von Wirtschaftsstrafkammern - § 74 c GVG - um eine Initiative aus der Mitte des Bundesrates gehandelt hat, nämlich des Freistaates Bayern. ({5}) Ministerpräsident Dr. Filbinger Ich glaube, daß man das in diesem Zusammenhang erwähnen darf. ({6}) Ich möchte an das anknüpfen, was der Herr Kollege Brandt, der jetzt leider nicht da sein kann, ({7}) heute vormittag zum Selbstverständnis seiner eigenen Partei ausgeführt hat, seiner Partei, die er als eine in allen Zeiten kämpferisch für den sozialen Rechtsstaat eintretende Partei geschildert hat. Das ist auch von keinem in diesem Hohen Haus .während dieser Debatte und auch früher nicht und nirgendwo bestritten worden. Gerade der Herr Kollege Dregger hat das nicht bestritten; auch Kollege Merk hat das nicht bestritten, und Kollege Kohl hat anschließend der SPD ausdrücklich in dieser Richtung bestätigt, was sie in ihrer Geschichte für diesen Staat geleistet hat, und er hat Namen maßgeblicher SPD-Politiker genannt. Wenn also der Kollege Brandt darauf in solcher Breite abgehoben hat, dann war das sicherlich nicht durch ein Bestreiten seitens der Opposition dieses Hohen Hauses veranlaßt ({8}) oder etwa durch CDU/CSU-regierte Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Ich hatte - wie andere auch den Eindruck, daß diese Rede eher im Blick auf die Wahl am 4. Mai und auf die Wahl des Jahres 1976 gehalten worden ist. ({9}) : So ist es! Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Das steht den Mitgliedern aus dem Bundesrat nicht zu!) Aber eines lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zu dem, was der Herr Kollege Brandt ausgeführt hat, sagen: Die Opposition kann sich natürlich nicht deshalb, weil die Sozialdemokratische Partei Deutschlands eine geschichtlich ausgewiesene demokratische Partei ist, hier in dieser Debatte das Recht nehmen lassen, diese Regierung und diese sozialliberale Koalition dort zu kritisieren, wo im Bereich der inneren Sicherheit Versäumnisse vorliegen, wo Halbherzigkeiten vorliegen, wo etwa mangelnde Abgrenzungen gerade an den Rändern unseres parteipolitischen Spektrums vorgekommen sind. Dazu muß die Legitimation bestehen. ({10}) Es darf dann auch nicht vom Herrn Kollegen Brandt gesagt werden, daß man die Geschäfte der Terroristen besorge - das ist sinngemäß von ihm so gesagt worden -, wenn man auf diese Dinge abhebe, weil damit ein Keil zwischen die demokratischen Parteien getrieben werde. Denn wenn diese Debatte einen Sinn haben soll, dann soll sie doch gerade eine echte und nicht nur eine verbale Gemeinsamkeit in der Abwehr von Staatsfeinden bewirken. Dazu gehört auch, daß der Finger kritisch auf die Wunden gelegt wird, die wir bei dieser Koalition und in der SPD eben offen sehen. ({11}) Der Herr Kollege Brandt hat einmal mehr Demokratie gefordert. Dann sollte er doch wenigstens das übliche Maß an Kritik ertragen können. ({12}) Raymond Aron, ein französischer Soziologe, hat einmal gesagt - ich glaube, dieser Satz gehört in diesen Zusammenhang, und wir bekennen uns dazu -, daß die Demokratie die Kritik, die Diktatur aber den Enthusiasmus organisiere. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf dann im Verlauf meiner Darstellung auch auf das Zitat eingehen, das Herr Brandt von mir gebracht hat, allerdings im Zusammenhang und nicht vergröbert und aus dem herausgerissen, was diesem Zitat zugrunde lag; denn zugrunde lag der Zusammenhang der politischen Erschütterungen, die sich in den späten 60er Jahren durch das Heraufziehen des politischen Radikalismus ergeben haben, und zwar des linken ebenso wie des rechten Radikalismus. Aber hier dürfen wir doch eine Feststellung treffen: Wir sind mit dem Radikalismus von rechts nicht zuletzt wegen der entschlossenen Abwehr durch die Unionsparteien fertig geworden, die die Auseinandersetzung mit den reaktionären Kräften überall gesucht und erfolgreich bestanden haben. ({14}) Der Radikalismus von links aber ist nach wie vor ein Kernproblem für unseren Staat und für unsere Gesellschaft, ein Problem insbesondere für die innere Sicherheit. Dieses Problem hat seine ganz besondere Gefährlichkeit durch das Auftreten - lassen Sie mich das ansprechen - jener sogenannten Sympathisantenszene erhalten. Diese Szene ist heute von mehreren Sprechern beider Seiten des Hauses angesprochen worden. Meine Damen und Herren, hätten wir es lediglich mit jenem harten Kern der pseudopolitischen Kriminellen zu tun, so könnten wir wohl verhältnismäßig schnell Recht und Gesetz wieder Geltung verschaffen; hier stimme ich mit dem Herrn Bundesjustizminister durchaus überein. Um diesen harten Kern gibt es jedoch einen merkwürdigen Bereich politischer Sympathie. Er geht von Leuten aus, die selber die Schwelle zur nackten Gewalt noch nicht überschritten haben, die aber durch Gewährung von Unterschlupf und durch Verschweigen mitgewußter Verbrechen die Aktivität der Terroristen auf längere Sicht erst möglich machen. ({15}) Diese Sympathisantenszene ist bewußt oder unbewußt durch das gefördert worden, was sich als Ministerpräsident Dr. Filbinger neue Linke in den letzten Jahren entwickelt hat. Dort, wo die Systemveränderer ({16}) - oh, ich komme darauf; ich bleibe Ihnen keine Auskunft schuldig -, ({17}) die Systemüberwinder und die Systemsprenger zu Hause sind, dort, meine Damen und Herren, verschwimmen die Unterschiede, verfließen die Übergänge im Zwielicht einer halbherzig und unentschieden betriebenen Abgrenzung zur Gewalt. ({18}) Auf dem Bundeskongreß der Jungsozialisten der SPD ist zwar letztlich nach zähem Ringen dem Stamokap-Flügel eine vorläufige Absage hinsichtlich einer gewaltsamen Gesellschaftsveränderung erteilt worden. Das aber ändert nichts an der anderen Tatsache, daß auf demselben Kongreß ein Papier des Stamokap-Flügels zeitweise eine Mehrheit fand, bis zum Abend nämlich, indem von einer Systemgrenze des Staates die Rede war, die auch durch antikapitalistische Strukturreformen nicht mehr zu überwinden sei und einen qualitativen Sprung unabweislich mache. Nun stelle ich die Frage, meine Damen und Herren: Was ist denn gemeint mit dem „qualitativen Sprung" nach vorne? Auf gut Deutsch heißt das, wenn man das Juso-Deutsch richtig übersetzt, nichts anderes, als daß mit Gewalt nachgeholfen werden müsse. Dies ist nicht das Papier geworden, was letztendlich beschlossen wurde. Aber, meine Damen und Herren, nur durch äußerste Anstrengungen ist es verhindert worden, daß das eine Mehrheit gefunden hat. Das ist eine Tatsache. ({19}) Machen wir uns nichts vor! In der Vorstellungswelt nicht weniger Linker ist zumindest jene Mißdeutung anzutreffen, ({20}) wonach die parlamentarische Demokratie nur ein sehr unreifes, rohes Rahmenkonzept für die Herstellung klassenloser Gesellschaft ist, zur Realisierung eben der Sozialisierung. Wer solches sagt, der versteht Demokratie nicht mehr als Staatsform und politische Lebensform, sondern er mißversteht sie als eine Heilsveranstaltung zur Vollendung der sozialistischen Gesellschaft. ({21}) Damit betreibt er, bewußt oder unbewußt, das Geschäft derer, die sich zu totalitären Anwälten der „wahren" Bedürfnisse des Volkes aufschwingen und sich zu diktatorischen Vollstreckern eines angemaßten Gemeinwohls überheben. ({22}) Der Sinn der Demokratie ist es aber, weder zur totalitären Diktatur überzuleiten noch Herrschaft überhaupt abzuschaffen. ({23}) Ihr Sinn ist es vielmehr, Herrschaft durch Öffentlichkeit, durch Kontrolle und Auswechselbarkeit erträglich zu machen und vor allem sie an Gesetz und Recht zu binden. ({24}) Demokratie ist kein Mittel, die menschliche Unvollkommenheit zu überwinden, ({25}) sondern ein Mittel, deren Folgen in erträglichen Grenzen zu halten. Es ist nicht verwunderlich, daß solche Einsichten gar leicht in Vergessenheit geraten bei Leuten, die ihre Ursprünge aus dem sogenannten wissenschaftlichen Sozialismus ableiten, . ({26})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer ({0})? Ministerpräsident Dr. Filbinger ({1}) : Nein, ich möchte so wie meine Herren Vorredner meinen Gedankengang zu Ende bringen. ({2}) ... also von einer Theorie, welche sich einen Alleinvertretungsanspruch für alle politische und ökonomische Wahrheit anmaßt. Wer aber glaubt, in der Politik eine objektive Wahrheit verfolgen zu müssen, der gerät leicht in die Nachbarschaft jener, die sich anmaßen, im Namen dieses alle Mittel heiligenden Zwecks sich über Recht und Gesetz erheben zu können. ({3}) Im Umkreis solcher Vorstellungen gedeihen dann auch die Verteufelungen des politischen Gegners als des Vertreters eines schlechthin Bösen, des Kapitals etwa oder des Unternehmers. ({4}) - Herr Kollege Wehner, Sie stellen sich selbst vom Platz, wenn Sie nicht einmal zuhören können. ({5}) Nicht alles, was Ihnen unbequem ist, ist deshalb nicht richtig. ({6}) Das Gegenteil ist richtig. Ich glaube, das können wir hier mit Fug und Recht feststellen. ({7}) Meine Damen und Herren, in dieser Sicht erscheinen dann auch die am weitesten links stehenden Radikalen immer noch als irregeleitete Schafe, die Ministerpräsident Dr. Filbinger unter die Wölfe gefallen sind. Sie kämpfen zwar mit falschen Mitteln, ({8}) aber sie kämpfen doch gegen den richtigen Feind und gegen das wahre Übel, gegen das Kapital und gegen die Unternehmer. ({9}) Hier treffen wir - hören Sie einen Moment zu! ({10}) auf jene geistigen Gründe für die Sympathisantenszene, die bis zum heutigen Tag eine feinsinnige Unterscheidung zwischen Baader-Meinhof-Gruppe und Baader-Meinhof-Bande vornimmt. ({11}) Und das ist auch genau derjenige Dunstkreis von Sympathie, den ich meine und den ich angesprochen habe - und davon nehme ich kein einziges Wort zurück! ({12}) Hier liegen auch die Wurzeln für jene politisch unbedarften Verharmloser bis hin zu dem Wahlkämpfer Heinrich Böll, ({13}) die vor kurzem das Wort „Verbrecher" für die Baader-Meinhof-Extremisten weit von sich gewiesen und statt dessen von fehlgeleiteten Idealisten gesprochen haben. ({14}) Ich glaube doch, daß das auch von denen, die es nicht gerne hören, nicht bestritten werden kann. Die weitaus schlimmeren Verfälscher der Wirklichkeit sind freilich jene, die maßgebliche Politiker der CDU/CSU nicht nur mit den Baader-Meinhofs in einen Topf werfen, sondern sich sogar zu der Ungeheuerlichkeit versteigen, dies seien für die Demokratie die weitaus gefährlicheren Terroristen. ({15}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute früh einen in der Selbstverteidigung überaus empfindsamen Kollegen Willy Brandt erlebt. Ich frage: Was hat der Parteivorsitzende der SPD zur Distanzierung von dieser Ungeheuerlichkeit bis heute getan? ({16}) Ist es nicht eine doppelbödige Art der politischen Ausdrucksweise, ({17}) wenn man CDU-Politiker anprangert, aber diese Diffamierung stehenläßt? Das ist so stehengelassen worden, und in der heutigen Sitzung haben wir alle vergeblich darauf gewartet, daß hiervon etwas zurückgenommen wird. ({18}) - Der Herr Gansel hat zur Vervollständigung des Katalogs ja noch den Namen „Stoltenberg" hinzugefügt. ({19}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Verharmlosung hat sich bis in die jüngsten Tage hinein fortgesetzt. Ein sinnfälliger Beleg ist die Aussage des Vorsitzenden der SPD in der Jugendzeitschrift „Kontakt" vom Februar /März dieses Jahres. Hier sind bereits Passagen zitiert worden, in denen die zeitweiligen Umtriebe einiger politischer Nihilisten verharmlost worden sind. Ich glaube, daß es unerlaubt ist, von politischer und von kalkulierter Hysterie bei denjenigen zu sprechen, die sich zu einer solchen Verharmlosung nicht bereit finden können. Es ist notwendig ({20}) - das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen -, daß in unserem Land wieder ein anderes, ein geistiges Klima herrscht. ({21}) Es ist notwendig, daß die Verharmlosung von Unrecht und Gewalttätigkeit aufhört. ({22}) Es ist notwendig, daß die großen Verharmloser sich eines besseren besinnen. ({23}) Wenn diese Debatte das bewirkt, dann hat sie ihren Sinn erreicht, ({24}) Auch vor diesem Hintergrund, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß man die in diesen Tagen hier und vor diesem Hause immer wieder beschworene Gemeinsamkeit der Demokraten sehen. Es ist keine Frage, daß diese Gemeinsamkeit notwendig ist; denn die Verteidigung des Rechtsstaates muß gemeinsame Sache aller Demokraten sein. Gemeinsamkeit - dies muß zur Klarstellung hervorgehoben werden - soll und darf aber nicht bedeuten, daß Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit Ministerpräsident Dr. Filbinger jetzt unter den Teppich einer fragwürdigen Solidarität gekehrt werden. ({25}) Gemeinsamkeit darf auch nicht heißen, daß jetzt eine Art Allparteienkoalition in Fragen der inneren Sicherheit geschlossen wird, wodurch wesentliche Unterschiede zwischen den Parteien zugekleistert werden, und davon hat niemand etwas, am wenigsten die innere Sicherheit. Gemeinsamkeit, die sich in bloßen Worten und in markigen Reden vor Parlamenten und Fernsehkameras erschöpft, ist wertlos, ({26}) wenn sie sich, meine sehr verehrten Herren von der Koalition, nicht draußen vor Ort bewährt. Was wir von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, verlangen, ist nicht mehr und nicht weniger, als daß Sie draußen im Lande die unentbehrliche Solidarität in die Tat umsetzen; denn dort gilt es, den Rechtsstaat zu verteidigen und für Recht und Ordnung zu sorgen. ({27}) Wäre diese vielbeschworene Gemeinsamkeit der Demokraten in den letzten Jahren mit demselben Nachdruck praktiziert worden, mit dem sie heute gefordert wird, so sähe doch manches anders und besser aus. ({28}) An der Festigkeit, unsere Verfassung so zu verteidigen, kämpferisch, wie das die Väter dieser Verfassung gemeint haben, hat es gerade im politischen Alltag der letzten Jahre häufig gefehlt. An dieser Festigkeit, meine Damen und Herren von der SPD, gebrach es Ihnen schon, als der Sturm der Radikalen auf die deutschen Universitäten eingesetzt hat. Als es die Radikalen an den Universitäten immer bunter trieben, waren Sie noch immer nicht bereit, dagegen einzuschreiten. Sie haben es so dazu kommen lassen, daß ganze Universitäten zur Arena für radikale Systemveränderer umfunktioniert worden sind. Als wir dann in den Ländern - hier spreche ich auch wieder von der politischen Praxis draußen vor Ort - angefangen haben, ein Hochschulrecht mit einem griffigen Ordnungsrecht zu schaffen, da haben wir Ihre Gegnerschaft draußen in den Ländern gefunden. ({29}) Wir können aber damit dienen, daß unsere Universitäten wieder Stätten geworden sind, wo gelehrt und geforscht und studiert wird, statt daß randaliert wird, so wie das an manchen Universitäten in SPD-regierten Ländern der Fall ist. ({30}) Meine Damen und Herren, an der nötigen Festigkeit lassen Sie es bis zu dieser Stunde noch fehlen, wenn es um die Radikalen im öffentlichen Dienst geht. Ich habe heute Worte vom Herrn Abgeordneten Hirsch gehört, die ich in mich aufgenommen habe und die mich in einer gewissen Weise in der Hoffnung bestärkt haben, daß es doch noch zu einem gemeinsamen Vorgehen kommen könnte. Aber bisher hat es das leider nicht gegeben. Das, was bis zur Stunde als Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt, geht hinter den Rechtszustand zurück, den die Regierungschefs von Bund und Ländern geschaffen haben. ({31}) - Wir haben einen Rechtszustand praktiziert, verehrter Kollege Professor Schäfer, ({32}) und dieser Rechtszustand hat dazu geführt, daß zwar nicht viele, aber doch einige Radikale nicht in den öffentlichen Dienst gekommen sind, daß wir Dinge verhindert haben, die in SPD-regierten Ländern - nicht in allen, aber in einigen - leider eben doch über die Bühne gegangen sind, was wir bedauern müssen. ({33}) Wir bleiben dabei, daß Mitglieder der DKP und anderer kommunistischer Parteien im Staatsdienst ebensowenig etwas zu suchen haben wie Rechtsradikale; wir haben beides praktiziert. Es kann von Ihnen kein einziger bestreiten, daß hier nicht mit gleicher Entschiedenheit - nach rechts wie nach links - vorgegangen worden ist. ({34}) - Der Fall Kossick und vor drei Tagen der Fall Deckert in Heidelberg - das waren zwei Fälle. Bitte, ganz eindeutig! ({35}) Es hieße den Rechtsstaat auf den Kopf stellen, wollte man ihn dazu verpflichten, Kandidaten der DKP einzustellen, die sich seine revolutionäre Umgestaltung, die Umgestaltung von Staat und Verfassung zum Ziel gesetzt haben. Draußen vor Ort ist nicht das Erforderliche dagegen getan worden, daß Stalinisten und Maoisten an unseren Schulen jenen Konflikt lehren, zu dem etwa die Hessischen Rahmenrichtlinien aufrufen. ({36}) - In Hessen die hessische Landesregierung, und wir beklagen das. ({37}) - Wir haben, Herr Kollege Matthöfer, keine Rahmenrichtlinien, und wir haben keine Stalinisten und Ministerpräsident Dr. Filbinger Maoisten als Lehrer in unseren Schulen; nehmen Sie das doch bitte zur Kenntnis! ({38}) Es ist schlimm genug, meine Damen und Herren, daß es in unserem Staat Radikale gibt, aber daß wir auch noch wehleidige Radikale haben, die sich darüber beschweren, daß sie in diesem Staat, den sie umstürzen wollen, nicht als Beamte mit Pensionsberechtigung aufgenommen werden, ({39}) ist doch allerhand, das schlägt dem Faß die Krone ins Gesicht. ({40}) In meinem Lande Baden-Württemberg ({41}) - das ist kein Possessivpronomen, meine Damen und Herren, Sie brauchen keine Angst zu haben - vergeht beispielsweise keine Woche, kaum ein Tag, an welchem nicht das energische Bemühen der Landesregierung gegen das Eindringen von Radikalen in den öffentlichen Dienst von Ihren Parteifreunden als Berufsverbot denunziert wird. Das geschieht in Podiumsdiskussionen, in Protestkundgebungen unter Beteiligung Ihrer Parteifreunde, und es erweist sich manchmal eine ganz merkwürdige Solidarität draußen vor Ort: ({42}) daß nämlich in Podiumsdiskussionen Sozialdemokraten zusammen mit Vertretern der DKP und KPD auf den Vertreter der CDU einprügeln. ({43}) Wenn wir von der Gemeinsamkeit sprechen, müssen wir die vor Ort meinen. Wir müssen diese Dinge dann ansprechen und sie im Sinne einer Besserung ankreiden. Dann haben Sie uns, meine Damen und Herren, in der Zukunft ganz auf Ihrer Seite. ({44}) Meine Damen und Herren, es genügt nicht, auf die ständig steigenden Aufwendungen für das Bundeskriminalamt hinzuweisen. Die Qualität der inneren Sicherheit läßt sich nicht einfach auf die Quantität der Polizeistärke reduzieren. Sie ist notwendig, aber auch eine noch so große Stellenvermehrung beim Bundeskriminalamt und bei der Polizei kann nicht das ersetzen, was wir für unerläßlich halten: eine feste Haltung und die Bereitschaft, dafür auch einzustehen. ({45}) Meine Damen und Herren, der Prüfstand für die von uns bejahte und von Ihnen heute vielfach beschworene Solidarität und Gemeinsamkeit ist die Praxis. ({46}) Verbale Beteuerungen hier im Parlament und vor dem Fernsehen nutzen gar nichts, wenn sie draußen nicht praktiziert werden. ({47}) Sie können nicht bestreiten, daß die Unionsparteien nicht erst heute damit anfangen, das Thema innere Sicherheit groß zu schreiben und mehr innere Sicherheit zu verlangen. Das haben wir in all den zurückliegenden Jahren getan. Aber wir waren wie die Prediger in der Wüste allein gelassen, ja vielmehr von Ihnen bekämpft und oftmals verhöhnt als Leute, die das Geschäft mit der Angst betreiben. ({48}) Ich stehe gar nicht an, das Angebot, das heute vielfach gemacht worden ist, draußen gemeinsam zu agieren, auch von meiner Seite aus in aller Ernsthaftigkeit zu äußern. Aber dann Bewährung im Prüfstand der Praxis und nicht nur in den Beteuerungen hier im Parlament! ({49})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. ({0}) Ministerpräsident Kühn ({1}) : Herr Kollege Haase, ich werde Ihnen keine Auskunft schuldig bleiben. ({2}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist nicht mehr die Stunde ausführlicher Reden. Herr Kollege Kohl hat hier weniger in ministerpräsidentieller Staatsmännischkeit als in polemikgeladener Parteilichkeit gesprochen, teils für das Fernsehen, teils als eine Kandidatenrede, was für die innerparteilichen Ausscheidungskämpfe verständlich ist. ({3}) Ich bin dafür nicht undankbar; denn auch mir ist es damit gestattet, wenn ich hier als Ministerpräsident rede, die artige Camouflage beiseite zu lassen ({4}) und sehr offen und sehr direkt zu Ihnen zu sprechen und auch die Flagge meiner Partei - der Partei, für Ministerpräsident Kühn die ich stehe - zu zeigen, wie das die anderen getan haben. ({5}) Ich werde das auch ohne Zitatenfurcht tun. ({6}) Sowohl Ihre als unsere Zitate werden dabei eine Rolle spielen. Ich bitte um Nachsicht, aber Herr K o h 1, der nicht mehr hier sein kann, der sich bei mir entschuldigt hat - es gehört normalerweise zu den Höflichkeitsformeln, daß man sich die Antworten anhört; ich will ausdrücklich sagen, daß ich das nicht kritisiere; Herr Kohl hat eine andere Verpflichtung -, wird es mir nicht übel nehmen, wenn ich nach seiner Rede insgesamt und seiner Polemik an unsere Adresse nicht unlustig war, einmal an eine abendliche Lesefrucht aus einem Kochbuch des Jahres 1641 zu denken, wo ich gelesen habe: „Kohl erzeugt Blähungen und treibt schwarze Dämpfe ins Gehirn". Es war eine ganze Menge, was in diese Richtung zeigt. ({7}) - Er hat hier eine ganze Menge Dämpfe ins Gehirn gebracht, und darüber werden wir uns auseinanderzusetzen haben. ({8}) - Ich werde mich dennoch bemühen, - ({9})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Ministerpräsident, ich glaube nicht, daß die Auslegung eines für jeden Menschen unverschuldet erlittenen Personennamens zur Hebung des parlamentarischen Niveaus beiträgt. ({0}) Ministerpräsident Kühn ({1}) : Ich biete den meinen zur Revanche an. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nunmehr um Ruhe. ({0}) - Meine Damen und Herren, der Zuruf Flegel geht nun aber auch nicht, ({1}) ebensowenig wie der vorhin laut Stenogramm des Hauses gefallene Zwischenruf des Abgeordneten Gansel zum Herrn Ministerpräsidenten Filbinger: „Sie sind ein Fälscher und ein Heuchler!" Alle diese Äußerungen von Abgeordneten rüge ich hiermit. ({2}) Ministerpräsident Kühn ({3}) : Ich sage noch einmal: Ich werde mich bemühen, ({4}) die Sachsubstanz dieser Debatte nicht vergessen zu lassen, ({5}) die auf das gerichtet ist - seien Sie doch froh, wenn ich Ihnen so weit entgegenkomme -, was wir in gemeinsamer Verantwortung gemeinsam zu tun haben, ({6}) um unseren gemeinsamen Staat gegen Terror zu verteidigen, ({7}) gegen eine Handvoll von Anarchisten, die versuchen, den Staat demütigend in die Knie zu zwingen. ({8})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nun aber um Aufmerksamkeit für einen Vertreter des Bundesrates. Ministerpräsident Kühn ({0}) : Was wir mit der Ermordung des Sozialdemokraten von Drenkmann und mit der Entführung des Christdemokraten Peter Lorenz erlebt haben, ist eine bedrückende Mischung auf politischer Krankheit und kriminellem Verbrechen, eine politisch-geistige Degeneration, für die es auch nicht die winzigsten Spurenelemente in der Denktradition und in der Geistesentwicklung der deutschen Arbeiterbewegung - weder der sozialdemokratischen noch der gewerkschaftlichen - gibt, wenn sich auch Herr Filbinger erneut angestrengt hat, uns hier durch seinen Lieblingsbegriff - er hat ihn auch im Landtag gebraucht - in den „Dunstkreis" ({1}) dieser Terroraktivitäten, in die „Sympathisantenszene" mit einzubeziehen. ({2}) Schon im Jahre 1873, also vor mehr als einem Jahrhundert, haben Friedrich Engels und Karl Marx, als sich die Anarchisten damals mit ihren Zielsetzungen zu Wort meldeten, gesagt: Ministerpräsident Kühn Alle Schändlichkeiten, die dem Leben Entgleister, aus den höheren sozialen Schichten Stammender anhaften, versuchen sie zu ultrarevolutionären Tugenden zu machen, um die Gesellschaft umzustürzen. Sie locken die Jugend mit falschen Vorstellungen, und sie landen in allvernichtenden Taten von Galgenschwengeln. ({3}) Seit damals ist immer wieder in der Tradition sozialdemokratischen Denkens mit aller Entschiedenheit gegen den Terror Stellung genommen worden. In der Auseinandersetzung geistiges Klima verbessern, hat Herr Kollege Filbinger gesagt. Ja, geistiges Klima! Aber, Herr Kollege Filbinger, ich möchte ganz kollegial an Ihre Adresse sagen: Vieles von dem, was Sie hier vorgetragen haben, gehört mehr zum Ungeist der Diffamierung des politischen Gegners als zum Geist! ({4}) Das dient nicht der Gemeinsamkeit, die von Ihnen draußen beschworen wird, sondern es dient der Separation der demokratischen Parteien untereinander. ({5}) - Wir haben das Ritual eben noch einmal von Herrn Filbinger bestätigt bekommen, aber wenn Sie mir eine Frage stellen wollen, dann bitte, stellen Sie sie! - Nun gut. Der politisch motivierte Terrorismus und Anarchismus hat viele Gesichter in der Welt unserer Tage, ob das die „Neue Ordnung", wie sie sich nennt, in Italien ist, die neofaschisistische Züge trägt und gesagt hat, sie würde die Demokratie in einem Blutbad der Gewalt begraben, ob es die lateinamerikanischen terroristischen Guerillas sind, ob es die konservativ-konfessionell und national geprägte Bewegung in Nordirland ist. Vor zwei Jahren - und nehmen Sie dies nicht als eine Selbstzitiersucht - habe ich dazu im Landtag von Nordrhein-Westfalen gesagt: Eine Welle von Terrorismus geht um die Welt, und die politische Geographie des Terrorismus ist bunt. Manche stehen extrem links, manche extrem rechts, und nach dem Grundsatz, daß sich die Extreme berühren, begegnen sie sich in ihren Ideologien. ({6}) Für uns bleibt Terror Terror, auch wenn er sich ein politisches Mäntelchen umhängt, und Mord bleibt Mord, auch wenn er sich politisch zu motivieren und rechtfertigen sucht. Ich füge heute hinzu: auch wenn ein Philosoph wie Jean-Paul Sartre sich bemüht, ihnen die höheren philosophischen Weihen zu geben. ({7}) Es ist sechs Jahre her, daß ich im Landtag von Nordrhein-Westfalen in Erinnerung an das Wort des deutschen Historikers Theodor Mommsen gesagt habe - ich darf auch das zitieren -, daß die Toleranz, das Geltenlassen auch des anderen, das Hinnehmen auch des Gegners der Demokratie in der Demokratie selbst, die glorreiche Tugend der Demokratie sei, daß sie aber leicht zur glorreichen Schwäche werden könne. Ich habe weiter gesagt, daß die Demokratie schon oft in der Geschichte daran zugrunde gegangen sei, daß sie zugelassen habe, daß man ihr Prinzip an ihr selbst sich bis zum äußersten habe vollziehen lassen. ({8}) Ich habe hinzugefügt: Wir werden dem Versuch, die Erosion des Staates - darauf ist ja das Ziel dieser extremistischen Minderheit gerichtet -, die Zerbröckelung seiner Autorität herbeizuführen, mit aller Verantwortlichkeit und allen legalen Mitteln entgegentreten. Nun frage ich mich in der Tat - wenn ich es etwas salopp formulieren darf, weil ich kein Jurist bin und mich deshalb unzulänglich ausdrücken könnte; ich bitte die Herren Juristen um milde Beurteilung - an Hand zweier Probleme, die mir im Alltag begegnen, ob sie mich nicht bedrücken müssen und warum dies so sein muß. Wenn ich die Fernsehübertragungen aus den Zellen der RAF- Mitglieder optisch verfolge, dann frage ich mich, ob die Untersuchungshaftzellen der Terroristen, ausgestattet mit ganzen Revoluzzer-Bibliotheken, Schreibmaschinen, Rundfunkapparaten und Tonbandinterview-Aufnahmemöglichkeiten, die komfortabelsten Orte für die abgeschirmte Konspiration gegen den Staat sein müssen. ({9}) Muß dies so sein? Aber diese Frage ist an alle gerichtet, wo auch immer wir Verantwortung tragen - im Bund und in den Ländern -, welche politische Farbe wir auch immer tragen. Und ich frage mich auch, ob es die Funktion von Presse und anderen Massenmedien - von Springer bis zu ARD und ZDF - sein muß, das Sensationsbedürfnis so beflissen zu befriedigen, daß auch bei der Abwicklung des Entführungsvorganges immer noch Meldungen wiederholt wurden, als sie längst keinen Neuigkeitswert mehr besaßen. Wenn einer von den Terroristen einen Pup ließ, gab es gleich eine Großwetterberichterstattung. Muß dies so sein? ({10}) Das frage ich mich und frage ich uns alle, wo wir auch immer Verantwortung tragen. Meine Damen und Herren! Im objektiven historischen Sinne - dies sage ich gerade an Ihre Adresse, Ministerpräsident Kühn meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion! - sind die politischen Terroristen immer noch die Helfershelfer des konservativsten politischen Konservatismus gewesen, indem sie die durch Terror verängstigten Bürger in die Wahlurnen der Ultra-Konservativen getrieben haben. ({11}) Das ist der alte historische Vorgang. ({12})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Ministerpräsident, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel ({0})?

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ministerpräsident Kühn! Würden Sie, nachdem Sie jetzt von „Ultra-Konservativen" gesprochen haben, Ihren Ausspruch von neulich zurücknehmen, in dem Sie von „Konservativen" - ohne diese Einschränkung! - sprachen? Ministerpräsident Kühn ({0}) : Von Konservativen bis zu Ultra-Konservativen! Da Sie sich ja als eine konservative und nicht als eine ultrakonservative Partei bezeichnen, muß ich davon ausgehen, daß - und sicherlich ist dies die Absicht der terroristischen Aktionen gewesen - die Terroristen zunächst einmal die Wahlentscheidung der verängstigten Bürger soweit wie möglich nach rechts drängen wollten. ({1}) Auch heute wieder ist als ein roter Faden - meinetwegen auch nicht als roter Faden - durch die Manuskripte aller Ihrer Redner der Versuch gegangen, uns mit in den „Dunstkreis" dieser terroristischen Bewegung mit einzubeziehen - bei gleichzeitiger Beteuerung, daß Sie uns als Partei damit nicht meinen. Herr Kollege Filbinger hat alles getan, um in der Grenzzone zu diskutieren, nicht die Sozialdemokratische Partei als solche zu belasten, aber auch sicherlich auf Schwierigkeiten hinzuweisen, die wir in der Integrationsdiskussion damit haben - ich gebe dies hier zu -, daß in den Jahren nach 1968 mehr als 300 000 junge Menschen zu uns gekommen sind, damals als Antwort auf die Große Koalition, als sie keine Opposition im Parlament mehr erleben konnten und eben entschlossen waren, nach der Apo-Aktion den Weg in den Parteien zu gehen. Daß die 300 000 jungen Menschen vor allen Dingen zu uns kamen, ist Risiko und Chance zugleich. Wir haben damit eine besondere Integrationsaufgabe zu erfüllen, und dabei gibt es gelegentlich auch Ausuferungen. Aber selbst wenn Sie den Wiesbadener Kongreß der Jungsozialisten nehmen, so werden Sie nicht bestreiten können, daß er dort eine einhellige und nachdrückliche Zurückweisung des Terrorismus ausgesprochen, ihn schärfstens verurteilt hat. Manches, was dort formuliert wird, gefällt auch mir nicht, aber statt daß Sie dankbar anerkennen, daß in der Sozialdemokratischen Partei ein großer Integrationsprozeß an der jungen Generation im Sinne des Hineinführens in die demokratischen Institutionen vollzogen wird, versuchen Sie uns nach draußen wegen dieser Aufgabe auch noch zu verdächtigen. Das ist Ihre Strategie. ({2}) Schon am Tage nach der Entführung von Peter Lorenz erschienen in Bonn Flugblätter mit ausdrücklichem Bezug auf den 4. Mai, auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, und der Wortlaut hieß: „Was ist das für ein Stil der politischen Auseinandersetzung, wenn man wie hier den Spitzenkandidaten der CDU entführt?" Was heißt denn „wenn man wie hier den Spitzenkandidaten der Berliner CDU entführt"? ({3}) Mit Blick auf den 4. Mai wird ausdrücklich formuliert: „Was ist das für ein Stil der politischen Auseinandersetzung?" ({4}) Es handelte sich doch um einen Akt kriminellen Terrors und nicht um eine Stilfrage der politischen Auseinandersetzung, über die wir unter uns auch im Rahmen der Demokratie zu diskutieren haben. In der Wahl des Begriffs wurde aber deutlich, wem das subkutan im Unterbewußtsein der Menschen draußen angehängt werden sollte. ({5}) Zahlreich sind die kaum getarnten Verdächtigungen, die die Sozialdemokraten an die Peripherie und in den „Dunstkreis" des politischen Extremismus manipulieren möchten, und der Strauß hat uns dafür eine zusätzliche Sonthofener Fundgrube geliefert. ({6}) Ich habe noch eine andere Bemerkung an die Adresse von Herrn Windele n. Ich bin gar nicht einmal undankbar, daß der Kollege Dregger dies heute morgen aufgegriffen hat. Er hat davon gesprochen, daß Frau Meinhof höfliche Briefe ehemaliger Präsidenten empfangen habe. ({7}) Ministerpräsident Kahn - Eines ehemaligen Präsidenten. Herr Windelen hat Altbundespräsident Hein e m an n einen Briefpartner von Ulrike Meinhof genannt. ({8}) Empfinden Sie nicht, daß das genauso demagogiegeladen ist, wie es demagogiegeladen wäre, wenn wir sagten, Herr Lorenz war ein Gesprächspartner der Terroristen, ({9}) der eine sicherlich unter äußerem Zwang; aber lassen Sie mich sagen, die Zwangssituation des anderen war genauso, der andere hat aus innerer Not geschrieben. ({10}) Wo wollen Sie sich Christen nennen, wenn Sie nicht sehen wollen, ({11}) daß es auch in einem solchen verirrten Menschen eine Seele gibt, um die sich ein Christ mühen will? Aus dieser inneren Not, aus dieser inneren Verantwortung, ({12}) einen Menschen auf den richtigen Weg zurückzuführen, hat Herr Heinemann geschrieben. Als Kollege Filbinger als Ministerpräsident von Baden-Württemberg sich verdienstlicherweise - und ich finde das dankenswert -, darum bemüht hat, eine in der DDR verhaftete junge Frau, ein Mädchen, freizubekommen - die Verhandlungen waren schon zum Ergebnis gediehen, aber das ändert nichts an den Motiven seines Handelns, die ich anerkenne -, da hat er Herrn Honecker einen Brief geschrieben. Er wird ihm auch nicht geschrieben haben „Tiefverachteter Herr Mauermörder", sondern er hat genauso „Sehr geehrter Herr Soundso" geschrieben wie Heinemann „Sehr geehrte Frau Meinhof" geschrieben hat. ({13}) Herr Windelen hat natürlich genau gewußt - wie es auch Herr Dregger gewußt hat -, daß in dem sicherlich angemessen honorierten Interview der Baader-Meinhof-Leute aus ihren Zellen - ({14}) - Bande, natürlich Bande. Unterstellen Sie mir doch nicht, daß ich nicht wie jeder andere Sozialdemokrat linken Terrorismus mit aller Leidenschaftlichkeit ablehne, ob Gruppe, ob Bande, ob Terror. Hier wissen wir, daß das Menschen sind, die sich außerhalb des Gesetzes und außerhalb der Demokratie und außerhalb des Staates gestellt haben und die wir gemeinsam mit allen tauglichen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen haben. Da ist kein philologischer Streit am Platze. ({15}) Aber, Herr Windelen, Sie genauso wie Herr Dregger haben ja doch gewußt, was in diesem Interview Herr Baader über den Brief von Gustav Heinemann an die Frau Meinhof gesagt hat. Er hat dort gesagt, daß Heinemann nichts anderes gewollt habe, als sie zu bewegen, sich der Gehirnwäsche zu unterwerfen, und die Todesurteile der Bundesanwaltschaft „gegen uns propagiert" habe, wie es dort heißt, daß er nur vor seinen Menschen, vor seinen Anhängern sein Gewissen habe entlasten wollen, und daß seine eigentliche Aufgabe gewesen sei, das Terrain für die Morde vorzubereiten. Nun, es ehrt Herrn Franz Josef Strauß - ich habe von seiner Sonthofener Rede gesprochen -, daß er nicht versucht hat, die intellektuelle Gedankenführung dieser seiner Sonthofener Rede zu leugnen. Sie ist auch nach Sprache und Geist so sehr seine geistige Blutgruppe, daß sich die Vaterschaft gar nicht leugnen ließe. ({16}) Gewiß ist sie, wie er selbst gesagt hat, ein alter Hut, und die Rede erinnert mich ja auch an vielen Stellen an seine Ausführungen in Nordrhein-Westfalen 1966 von der „Gnade der Stunde", der Angst, damals in der Zeit der Rezession, von dem „Saustall", den die Bundesrepublik darstelle, aus seiner Nibelungenhallenrede. Der ewige - ({17}) - Ja, den „Saustall", den die Bundesregierung angerichtet hätte, oder in welcher verbalen Verkleidung auch immer er diesen Terminus „Saustall", der an die Bundesrepublik geheftet worden ist, gebraucht hat. ({18}) Das ist der ewige alte Fusel aus immer neuen rhetorischen Schläuchen. ({19}) Das ist - wenn ich die Rede insgesamt lese, und Herr Strauß hat sie ja auch nicht zurückgezogen und hat sie nicht bestritten - die Rede eines Mannes, dem ein Staat keine Macht anvertrauen darf, meine Damen und Herren. ({20}) Wenn es da heißt, daß in der Lage der Bundesrepublik wir nicht genug an allgemeiner Konfrontation schaffen können, dann frage ich mich: Was soll denn das ganze Gerede von der Solidarität der Ministerpräsident Kühn Demokratie? „Nicht genug an allgemeiner Konfrontation"? ({21}) Hier wird mit biedermännischem Augenaufschlag von der Solidarität der Demokraten geredet. ({22}) Solidarität ist, so haben Sie gesagt, kein Maulkorb. Das ist sie ganz gewiß nicht. Aber sie ist auch keine Maske, hnter der man das Gesicht des Machtwillens verbergen darf. ({23}) Wieviel Glaubwürdigkeit sollen wir dieser Forderung nach Solidarität der Demokraten beimessen? Herr Strauß hat ja darauf selbst die Antwort gegeben Willy Brandt hat sie heute morgen zitiert - in jenem Satz in seiner Rede: „Und jetzt hier in demokratischer Gemeinsamkeit", so sagt Strauß, „zu sagen, wir Demokraten in SPD /FDP und CDU/ CSU, wir halten also jetzt nun zusammen in dieser Situation, hier müssen wir den Rechtsstaat retten." - Und dann sagt er: „Das ist alles blödes Zeug." Die Bürger in der Bundesrepublik fassen Mut; Herr Strauß provoziert mutwillig den Mißmut in all den Dingen, die er vorträgt. ({24}) Er entwickelt die Strategien. Ich sage den Bürgern dieses Landes: Nicht Mißmut und nicht Verzagtheit! Sie werden erleben, daß die Maßnahmen dieser Bundesregierung, verbündet mit den Maßnahmen der Landesregierung, so rechtzeitig greifen, daß Ihre Träume an der Wahlurne nicht in Erfüllung gehen. Dies ist das Problem. ({25}) Denn das ist doch die Strategie, die Sie haben: die Hoffnung, steigende Stimmenzahlen der Union aus steigender Arbeitslosigkeit herauszudestillieren. ({26}) Und so wird beschwört und beschimpft, die Existenzangst der Menschen wird wachgerufen ({27}) und das Lebenselixier der Union aus der Existenzangst der Menschen gemacht. Es ist doch ein apokalyptisches Untergangsgemälde des Schreckens, ({28}) wenn es heißt - lassen Sie mich daraus zitieren, zu den Wahlergebnissen von morgen -: Die Emotionalisierung der Bevölkerung, und zwar -- so sagt Strauß die Furcht, die Angst und das düstere Zukunftsbild sowohl innenpolitischer wie außenpolitischer Art gilt es zu entwickeln. Dies ist das Ziel. ({29}) Die Bundesrepublik schildern Sie so, daß kein deutscher Unternehmer und kein ausländischer Unternehmer mehr zur Investition bereit sein kann. Und die Weltsituation pinselt Herr Strauß in denselben grellen Farben der Apokalypse, wenn er sagt: Man weiß schon bald nicht mehr, welches Land auf der Welt man zur Emigration empfehlen soll. Die apokalyptischen Reiter als die Haustiere der Union, ({30}) das ist es, was Sie dort betreiben. Das ist die einzige Alternative. Denn sonst sagt ja Herr Strauß, daß eine Alternative von der CDU lieber nicht angeboten werden sollte, weil sich jeder CDU-Kandidat mit einer solchen Alternative selber totlaufen würde. ({31}) Ich würde sagen: Nehmen Sie den Radikalen außerhalb des öffentlichen Dienstes, Herrn Strauß aus dem Wahlkampf heraus, wenn Sie als Union nicht Ihre Glaubwürdigkeit verlieren wollen! ({32}) Franz Josef Strauß hat eine doppelte Schwächung der Demokratie durch die Polarisierung nach beiden Seiten im Sinne, die eine absichtlich vollzogen, indem er die Union nach rechts ziehen will, ({33}) und die andere zwangsläufig bewirkt; denn Polarisation ist nie ein Vorgang nur nach einer Seite. ({34}) Ja, Franz Josef Straußens Rede war eine Bilderbuchrede für meine Befürchtung von der Unregierbarkeit, wenn die Union unter Franz Josef Strauß als Bundeskanzler an die Macht kommen sollte. ({35}) Ministerpräsident Kühn - Lassen Sie mich meine These entwickeln! ({36}) - Meine Damen und Herren, Sie haben, als ich hier heraufkam, gesagt, Sie möchten von mir ein aufklärendes Wort über meine Interpretation der Unregierbarkeit haben. ({37}) - Warten Sie, bis ich sie gegeben habe; dann werde ich gerne Ihre Frage annehmen. ({38}) Drei demokratische Parteien haben wir. Ich habe auch in meiner Rede gesagt - und ich habe das an vielen Stellen gesagt, ({39}) und es liegt an vielen Stellen gedruckt vor, meine Herren, Sie wissen dies -, ({40}) daß es meine Überzeugung ist: Alle diese drei Parteien sind regierungsfähig, sogar untereinander bündnisfähig. ({41}) - Sie können uns ja davon ausschließen, wenn Sie die Gunst der Wähler gewinnen. Aber diese grundsätzliche Feststellung können Sie überall nachlesen. Was ich in meiner Rede nicht gesagt habe, ist - etwa in Umkehr von Konrad Adenauer, der einmal gesagt hat, daß der Sieg der SPD der Untergang Deutschlands wäre -, der Sieg der CDU sei der Untergang Deutschlands. Das habe ich keineswegs gesagt. ({42}) Ich habe auch nicht gesagt die Herren aus Nordrhein-Westfalen werden sich dieses Ausspruchs erinnern -, wie es einmal Herr Dufhues als Stellvertreter Adenauers gesagt hat: Die CDU ist zum Regieren da - das ist ein Ausspruch, der bei der CDU Nordrhein-Westfalens noch sehr lebendig ist -, die SPD ist zur Opposition da. ({43}) Nehmen Sie dies wirklich als meine Überzeugung, daß ich glaube, daß eine Demokratie nur funktionieren kann mit der Möglichkeit des Wechsels und der permanenten Möglichkeit der Alternative. ({44}) Das hat nie zur Diskussion gestanden. Ich habe auch nicht etwa gesagt, wie es heute morgen einer Ihrer Sprecher an den Horizont zu malen versucht hat, daß es im Falle eines CDU-Sieges einen gewerkschaftlichen Streik geben könnte. Es kann ihn nicht geben; denn es gibt keinen politischen Streik gegen eine freie politische Wahl in unserem demokratischen Staat, nicht nur nicht nach der Verfassung, sondern auch nach den Grundüberzeugungen aller Sozialdemokraten und aller Gewerkschaftler. ({45}) Die deutsche Gewerkschaftsbewegung ist kein politischer Erfüllungsgehilfe der Sozialdemokraten, ({46}) und die Sozialdemokraten sind kein Hilfsorgan der Gewerkschaftsbewegung. ({47}) Beide stehen sie unabhängig voneinander, manchmal in einer kritischen Beziehung zueinander, in der Grundsubstanz ihrer Überzeugung miteinander verbunden und in einem geschichtlichen Schicksal aufeinander zugewachsen, aber unabhängig voneinander ihre Entscheidungen treffend; in einem aber sind sie beide unverbrüchlich einig: Es kann in der Demokratie, in einem freien Staat keinen politischen Streik gegen eine freie Wahlentscheidung der Bevölkerung geben. ({48}) Politischer Streik war in zwei Fällen der deutschen Geschichte möglich; er war berechtigt und ist durchgeführt worden im Jahre 1921 beim Kapp-Putsch; ({49}) er wäre berechtigt gewesen beim Papen-Putsch im Jahre 1932 gegen die rechtmäßige Regierung in Preußen. In einer ordentlichen, freien, demokratischen Wahl hat jede der drei Parteien die Wahlentscheidung hinzunehmen und die Aufgabe zu erfüllen, die ihr die Wähler an der Wahlurne geben, sei es die Aufgabe der Regierung, sei es die Aufgabe der Opposition. Darum geht es doch gar nicht. In dem einen kurzen Satz meiner Rede, der von Ihnen so hochstilisiert wird und zu dem ich deshalb so ausführlich spreche, steht nicht: Ich will und drohe mit einer Unregierbarkeit, sondern es heißt da: Ich fürchte, daß es zur Situation der Unregierbarkeit kommen könnte, ({50}) wenn die CDU/CSU unter der Führung eines Mannes wie Strauß - und ich habe hinzugefügt, um auch Ihnen die Ehre zuteil werden zu lassen: und Herr Dregger; ({51}) ich habe nicht gesagt: unter Kohl und unter anderen -, unter Führung dieser konservativen Elemente ({52}) so sehr nach rechts polarisiert, daß die zwangsläufige Konsequenz eine Polarisierung nach links ist. Ministerpräsident Kühn Ich habe gesagt, wenn die zentrifugalen Kräfte im Spektrum der Meinungen ({53}) der deutschen Politik stärker werden als die zentripetalen, auf Konsensus und Gemeinsamkeit orientierten Kräfte, dann kann leicht eine italienische Situation entstehen. ({54}) Dies war es, was ich gesagt habe, und nichts anderes. ({55}) Es ist meine feste Überzeugung, daß dies eine Gefahr ist; wenn die Gedanken, die in der Sonthofener Rede, in der Nibelungenhallenrede ausgesprochen wurden, einen Niederschlag in der Regierung fänden, dann könnte es sehr leicht zu einer solchen Entwicklung kommen. ({56}) Herr Kollege Dregger, Sie haben heute morgen - wie auch Kollege Filbinger - an die Schulsituation erinnert. ({57}) Ich will Ihnen dazu kein Wort schuldig bleiben. Es war in der Vergangenheit so - wenn Sie die Schulbücher angesehen haben -, daß die Kinder zu einer Art Konfliktscheu erzogen werden sollten; sie sollten so gelehrt werden, ins Leben hinauszugehen und die Dinge, die sie dort antrafen, für gut zu befinden. ({58}) - Ja, das glaube ich. Das war in der Vergangenheit so. Sie brauchen die alten Schulbücher, die wir alle gehabt haben, nur anzusehen. ({59}) Es gibt nun natürlich Pädagogen, die darauf antworten ({60}) - nein, Sie haben auf die „Richtlinien für den politischen Unterricht" und auf alle diese Dinge abgehoben, ({61}) und ich will Ihnen dazu ein Wort sagen -: Das Ziel muß sein, die Kinder nicht zur Konfliktscheu, aber auch nicht zur Konfliktsüchtigkeit, sondern zur Konfliktfähigkeit zu erziehen, ({62}) daß sie in der Schule lernen, daß sie in ein Leben hinausgehen, in dem sie Konflikten, sozialen, geistigen, politischen Konflikten begegnen. Sie müssen lernen, in diesem Leben ihre Interessen zu erkennen und zu vertreten. ({63}) Die Erziehung zur Konfliktfähigkeit ist die Aufgabe der Schule. ({64}) - Das mag Ihnen unbequem sein, weil es bedeutet, daß Sie uns nicht in das Schema hineinpressen können, in dem Sie uns haben wollen. ({65}) Das bedeutet, daß die Schule die Kinder zur Toleranz, zur Fähigkeit, Kompromisse zu wählen, zur Erkenntnis, daß die Wahrheit immer nur aus Teilwahrheiten besteht und fast nie nur auf einer Seite ist, erziehen muß. Deshalb ist die Erziehung zur Kompromißfähigkeit und zur Toleranz die Hauptaufgabe der Schule, sei es bei den Richtlinien für den politischen Unterricht, sei es auch für den Geschichtsunterricht, in dem es zu erkennen gilt, ({66}) daß man nur aus der Erkenntnis des Verwurzelt-seins in der ganzen Geschichte seines Volkes leben und daß nicht der eine etwa den Geschichtsunterricht bei Karl dem Großen und der andere bei Karl Marx beginnen kann, sondern daß wir leben aus dem Verwurzeltsein in Tradition und Gesamtgeschichte unseres Volkes. ({67}) - Dies steht darin. Zitieren Sie aus den nordrhein-westfälischen Richtlinien - Sie heben doch jetzt auf dieses Datum ab - eine Stelle - das wird der Herr Kollege Waffenschmidt nachher zu versuchen haben -, die durch diese meine hier vorgetragene Grundauffassung nicht gedeckt wird, nämlich daß es darauf ankommt, zur Toleranz-, zur Kompromißfähigkeit zu erziehen, ({68}) zu der Einsicht, daß Freiheit auch immer die Freiheit des anderen ist, daß man dazu erzogen werden und die Fähigkeit erwerben muß, auf die Argumente des anderen zu hören, um in gemeinsamer Anstrengung die Wahrheit zu finden. Ministerpräsident Kühn So sind auch unsere Hochschulen Stätten der wissenschaftlichen Forschung und Lehre. ({69}) Sie sind keine Exerzierfelder pseudorevoluzzerischer Unreife. Sie sind weder Kaderschmieden, noch sind sie Brutstätten alter Privilegien. Wir haben aus dieser Grundüberlegung gehandelt, daß Universitäten nicht Kaderschulen und nicht Elfenbeintürme sein dürfen. Nennen Sie mir ein Bundesland, in dem die Landschaft an den Universitäten so ruhig und so konsolidiert ist wie im Lande Nordrhein-Westfalen! ({70}) Wir, die wir als die Älteren die Selbstpreisgabe der Weimarer Republik an ihre Totengräber miterlebt und miterlitten haben, wissen um die notwendige Verteidigung der Freiheit mehr als manche, die uns heute schulmeistern möchten, die damals am Grabe der Demokratie wacker mitgeschaufelt haben und sich heute als ihre Gralshüter aufspielen. ({71}) - Niemanden von Ihnen, der hier gesprochen hat. ({72}) Aber viele von denen, die uns draußen schulmeistern, gehören in diese Kategorie, wenn sie die Kraft aufbringen, in ihre eigene personale Vergangenheit zu schauen. ({73}) Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ist bereit, zur Solidarität der Demokraten, zu jeder notwendigen Verteidigungsmaßnahme des demokratischen Rechtsstaates und zu jeder rechtsstaatlichen Sicherung von Freiheit und Leben seiner Bürger beizutragen. Die Vereinbarungen zwischen der Innenministerkonferenz der Länder und dem Innenminister des Bundes und seinen Behörden sichern nach übereinstimmender Überzeugung aller, welcher Partei auch immer wir angehören, daß die Kooperation des Föderalismus voll funktioniert. Sollten aus den Notwendigkeiten der Entwicklung und aus den Erkenntnissen der Diskussion, die wir in Bundestag und Bundesrat führen, die Akzente der Kooperation gestärkt werden müssen, und zwar selbst um den Preis der Schwächung der föderativen Akzente, würde die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen nicht über die Zwirnsfäden der Föderalismus stolpern. Wir haben dies in unserer Regierungserklärung 1970 angekündigt und stehen auch heute zu unserem Wort, ob es sich um Gesetzesnovellen oder notwendige Verfassungsänderungen handelt. Sicher sind wir in Sachen Föderalismus kompetenzabgabebereiter als der Freistaat Bayern und manche andere. Sicher ist aber auch eines: daß der Zentralismus an sich keine Lösungsformel für alle Probleme ist. Worauf es ankommt, ist, die gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Wir werden nicht dadurch zum machtorientierten Polizeistaat, daß wir uns eine wirkungsmächtige Polizei schaffen. Theo Sommer hat in der „Zeit" geschrieben, es sei besser, daß die Obrigkeit hilflos ist als daß sie herzlos ist. Das ein schönes Wort aufrichtiger Humanität, zweifellos. ({74}) Aber was wird, wenn die Obrigkeit in Hilflosigkeit zerbröckelt und die Herzlosigkeit in Kriminalität und Terror ihr Haupt erhebt? Wir haben in Nordrhein-Westfalen in den Jahren der sozialliberalen Koalition die Leistung des Landes für den Ausbau und die Modernisierung der Polizei verdreifacht. 1974 wurden die Einstellungszahlen gegenüber 1973 verdoppelt. ({75}) Die Gesamtausgaben für die Polizei stiegen von 1965 bis 1975 um das Dreifache. ({76}) - Das mag Ihnen nicht gefallen, weil Sie uns gerne in der Position derjenigen sähen, die für die Sicherheit nicht genug tun. ({77}) Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, dessen Fachrechenzentrum der Polizei im Verbund mit dem Bundeskriminalamt arbeitet und per Datenfernverarbeitung mit 80 Datenstationen im Lande verbunden ist. ({78}) - Ich spreche hier für den Bundesrat und für das Land Nordrhein-Westfalen, meine Herren! ({79}) Ein entscheidender Erfolg für die schnellen Fahndungszugriffe, mit denen, wie wir glauben sagen zu können, daß Land Nordrhein-Westfalen an der Spitze steht: Die Staatsschutzkriminalität in Nordrhein-Westfalen ist seit 1971 rückläufig. 1971 waren es noch 1 610 Fälle, 1974 waren es 788, 1971 gab es bei uns 53 % aller Staatsschutzfälle in der Bundesrepublik, 1974 waren es nur noch 28,9 %, und das, obwohl wir die Bundesorgane in Bonn in unserem Bundesland haben, bei denen sich normalerweise natürlich mehr Staatsschutzdelikte zusammenbinden. Die Koordinierungs- und Lenkungsbefugnisse des Bundeskriminalamtes sind vom Lande Nordrhein-Westfalen stets voll unterstützt worden, ja, Nordrhein-Westfalen hat das BKA gedrängt, diese Befugnisse voll auszuschöpfen. Und Herr Kollege Filbinger und meine Damen und Herren, wenn ich feststelle, wie viele Links- und Rechtsextremisten es im Landesdienst in den einzel10808 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Ministerpräsident Kühn nen Bundesländern gibt, dann kann ich sagen: Dies sind bei uns in Nordrhein-Westfalen 0,03 %, 84 im Jahre 1974 von 330 000 öffentlichen Bediensteten. Weitgehende Änderungen im strafrechtlichen Bereich sind gerade in den letzten vier Jahren von den Bundesgesetzgebern auf Initiativen von Nordrhein-Westfalen vorgenommen worden. Als es im Winter 1969/70 wiederholt in allen Teilen der Welt zu Flugzeugentführungen und Attentaten kam, da haben wir, Nordrhein-Westfalen, die Initiative ergriffen, für die strafrechtliche Ahndung der Luftpiraterie auf Grund neuer Strafvorschriften mit strenger Strafe. Wir haben im Dezember 1970, als die bayerische Landesregierung - Verzeihung, die bayerische Staatsregierung - die Erhöhung des Strafrahmens für erpresserische Kindesentführung beantragte, nicht nur die Erhöhung für Entführungsfälle von Kindern unter 18 Jahren vorgeschlagen und im Falle von Lösegeld, sondern auch bei der Entführung Erwachsener und wenn nicht etwa geldliche Leistungen, sondern auch andere erpresserische Leistungen gefordert werden. Die anarchistischen Terroraktionen intelligenter Fanatiker konfrontieren den Staat in unseren Tagen mit einem neuen Verbrechenstatbestand, der uns neue Überlegungen aufzwingt. Der harte Kern dieser elitär organisierten kriminellen Vereinigungen, die gewissermaßen einen Numerus clausus praktizieren, die ja nur wenige Mitglieder umfassen und sich als eine elitäre kleine Zelle betrachten, kann gewiß nicht - wie im Falle anderer krimineller Vereinigungen - penetriert, gespalten und aufgebröckelt werden. Dennoch, es gibt unter ihnen solche - wie der Verurteilte Mahler zeigt, der ja den Fememord befürchtet hat, wie die Verurteilte Kröcher, die in unseren Gefängnissen einsaß, zeigt, die offenbar unter den Einfluß der Mutter zurückzukehren begann -, die Anlaß zu solchen Überlegungen geben, die die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen veranlaßt haben, dem Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozeßordnung vorzulegen, der es den Staatsanwaltschaften ermöglichen soll, einzelnen Mitgliedern krimineller Vereinigungen als Kronzeugen Strafverfolgungsfreiheit zuzusichern, wenn sie zur Tataufklärung oder Täterergreifung beitragen. Diese Generaldebatte hier ist nicht der Ort der Spezialerörterung einer Spezialmaßnahme. Ich kenne auch sehr wohl - der Herr Bundesjustizminister hat dies eben ja auch zum Ausdruck gebracht - die Argumente der Reserve gegen das Rechtsinstitut des Kronzeugen, das, dem angelsächsischen Strafrecht entlehnt, dem deutschen Strafrecht bisher fremd war. Wir glauben aber, daß dies in dem Mosaik der Maßnahmen, die es zu ergreifen gilt, sehr wohl ein helfendes Mittel sein kann. Die Möglichkeit des Absehens von der Strafverfolgung sollte allerdings an enge Voraussetzungen geknüpft werden. Erstens soll es sich um die Verfolgung einer kriminellen Vereinigung handeln, die Straftaten des Mordes, des Totschlags, des Völkermordes, des erpresserischen Menschenraubs oder der Geiselnahme begangen hat oder plant. Zweitens muß der Täter zur Aufklärung der Tat und zur Ergreifung der Rädelsführer und Hintermänner Wesentliches beitragen. Drittens muß im konkreten Fall ein Ermittlungsnotstand vorhanden sein, d. h. ohne die Mitwirkung eines Mitglieds der kriminellen Vereinigung muß die Aufklärung der Tat aussichtslos oder wesentlich erschwert erscheinen. Wir werden nicht nur in dieser Diskussion, sondern auch in den Ausschüssen des Parlaments - des Bundestages und des Bundesrates - die ganze Fülle der Vorschläge zu erörtern haben; denn wir stehen in dem niederdrückenden Erlebnis einer Demütigung des Rechtsstaates. Wir haben in der Vergangenheit erfahren, daß man den Staat als Hilfsinstrument des Terrors mißbrauchen kann. Zwölf Jahre unserer Geschichte war dies ein furchtbares und niederdrückendes Erlebnis, wenn auch nur von einer Minderheit unseres Volkes bewußt erlebt und erlitten. Das war so unter Hitler, und es wurde unter Ulbricht nicht viel anders. Nun erleben wir unseren Staat in einer anderen Situation der Bedrängnis, den freiesten Staat unserer Geschichte, den wir uns errichtet haben. Bleibt es ein singulärer Fall, den wir in den hinter uns liegenden dramatischen Tagen erlebt haben? Ist es kein Präzedenzfall, falls eine weitere Entführung folgen sollte? Können wir uns in einem Fall, in dem eine Mutter von drei kleinen Kindern als Geisel genommen wird, anders verhalten als im Falle der Entführung eines Politikers? Wird das nächste Opfer ein Politiker, ein Wirtschaftler, ein Publizist oder gar ein Kind sein? Wird der nächste Preis wieder Häftlingsbefreiung oder Ministerrücktritt oder Sendezeit für Terroristen - oder was auch immer - sein? Das sollte unserer Debatte die Dimension und die Verantwortung geben. Mögliche Integration unseres Handelns, dies sollte unser gemeinsames Ziel sein, aber nicht die Spaltung der Demokraten. Die Verantwortung, die Integration unserer gemeinsamen Anstrengungen bei allem, was uns sonst trennt, muß unser Ziel sein. ({80})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Waffenschmidt. ({0})

Dr. Horst Waffenschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002403, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Kühn, dieser Auftritt, den Sie hier gezeigt haben, war beschämend für dieses Land Nordrhein-Westfalen. ({0}) Heute ist soviel von der Solidarität der Demokraten gesprochen worden. Ich muß Ihnen sagen: Insbesondere das, was Sie am Anfang zu der Rede von Helmut Kohl und zu weiteren Erklärungen meiner Freunde in diesem Hause gesagt haben, war alles andere als Solidarität der Demokraten. Das war ein Tiefschlag gegen die Solidarität der Demokraten. ({1}) Das, was Sie über die Ausführungen von Ministerpräsident Kohl gesagt haben - ich meine die Aussagen vom Kochbuch und was Sie hinzugefügt haben -, das disqualifiziert Sie so sehr, daß es sich nicht lohnt, ein Wort darüber zu verlieren. Das richtet sich selbst, was Sie da gesagt haben. ({2}) - Bleiben Sie doch ganz ruhig, meine Kollegen von der SPD. Es ist das bestätigt worden, was ich gestern las, als ich mir einige Zeitungsmeldungen gerade zu dem, was der Ministerpräsident Kühn in den letzten Monaten von sich gegeben hat, ansah. Nach seiner Rede finde ich eigentlich das bestätigt, was die „Deutsche Tagespost" im Dezember 1974 sehr deutlich so formulierte: Dieser Mann gehört aufs Altenteil. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die künftige Arbeit in diesem Hause - darum geht es ja heute, was wir für die vielmals angesprochene Solidarität der Demokraten miteinander einbringen können - muß einiges aufgearbeitet, einiges deutlich gemacht werden; denn echte Solidarität der Demokraten kann es nur von einer unzweideutigen Ausgangsposition her geben. Deshalb ist es so wichtig, daß wir in dieser Debatte Klärungen herbeiführen. Wir fangen ja nicht beim Nullpunkt an, sondern müssen auf dem aufbauen, was gewesen ist. Ich möchte mich in meinem Beitrag insbesondere mit einigem auseinandersetzen, was Ministerpräsident Kühn als der Ministerpräsident des größten Bundeslandes und als stellvertretender Parteivorsitzender der SPD in der letzten Zeit zu diesem Ringen um Freiheit und Gerechtigkeit in diesem Lande beigetragen hat. Herr Ministerpräsident Kühn, von Ihnen als dem Ministerpräsidenten des größten Landes und dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD stammt das böse und vergiftende Wort von der Unregierbarkeit dieses Landes bei einem Wahlsieg der Union. Leider waren Sie es, der dies immer wieder in die politische Auseinandersetzung der letzten Wochen hineingetragen hat. Sie haben mit dieser Aussage, von der Sie auch heute hier leider nicht abgewichen sind, der freiheitlichen Ordnung in diesem Lande schweren Schaden zugefügt. ({4}) Das Schlimme besteht gerade für mich als einem der jüngeren Abgeordneten in diesem Hause darin, daß hinter einer solchen Aussage, wie Sie sie getroffen haben, im Grunde eine ganz große Überheblichkeit und eine Art von politischem Alleinvertretungsanspruch steht, den Sie quasi für Ihre Partei erheben. Dies ist ein schwerer Schlag gegen die parlamentarische Demokratie. ({5}) Im übrigen muß man doch sagen: Wenn ein Ministerpräsident und stellvertretender Parteivorsitzender so etwas gerade mit Blick auf die CDU ausspricht, ist das eine Herabsetzung auch der immer größer werdenden Zahl der Bürger unseres Landes, die sich in freier und geheimer Wahl für die CDU als ihre Partei entscheiden. ({6}) Auf jeden Fall - ich muß Ihnen das leider sagen, Herr Ministerpräsident Kühn - ist diese Ihre Haltung mit der Solidarität der Demokraten völlig unvereinbar, und solche Aussprüche, wie Sie sie getroffen haben, schaffen dann mit die Dunstzonen, in denen sich politischer Radikalismus bildet, den wir doch gemeinsam, meine Damen und Herren, kompromißlos bekämpfen müssen. ({7}) Es wäre ein guter Beitrag zur Solidarität der Demokraten gewesen, wenn Sie, Herr Kühn, in dieser Debatte den unqualifizierten Vorwurf zurückgenommen hätten. Sie haben das nicht getan, und alles, was Sie bisher als Interpretation oder Begründung vorgebracht haben, hat im Grunde dies alles, was Sie gesagt haben, nur noch schlimmer gemacht, wie es Georg Reißmüller in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" im Januar 1975 deutlich ausgesprochen hat. Es ist alles nur noch schlimmer geworden, meine Damen und Herren. ({8}) Demokraten dürfen sich in diesem Lande eben nicht gegenseitig verketzern, sondern sie müssen unserem Volke ihre Leistungen und Vorstellungen vorweisen, wie wir das mit unseren Anträgen, die der Kollege Dregger heute morgen hier begründet hat, tun.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Horst Waffenschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002403, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, im Augenblick möchte ich es genauso halten wie meine sozialdemokratischen Vorredner und erst einmal meine Gedankengänge hier vortragen. ({0}) - Herr Wehner, gucken Sie doch nicht so grimmig drein! Die Kinder am Fernsehschirm werden wieder weglaufen und sagen: Wir kriegen Angst vor dem bösen Onkel. Seien Sie doch etwas nett! ({1}) Als Unionsparteien dürfen wir sagen, meine Damen und Herren: Wir haben diese Bundesrepublik 20 Jahre lang als führende Regierungspartei mit an10810 erkanntem Erfolg geführt, sicherlich nicht immer fehlerfrei; aber in Zusammenarbeit mit den Bürgern wurde in diesen Jahren - das sage ich gerade mit Blick auf das, was heute morgen hier von dem Kollegen Brandt anklang - der freiheitliche und soziale Rechtsstaat gefestigt und ausgebaut. Das lassen wir uns von niemandem streitig machen, meine Damen und Herren. ({2}) In Nordrhein-Westfalen - Herr Ministerpräsident Kühn nehmen Sie dies zur Kenntnis - sind wir stolz auf Männer wie Karl Arnold, die eine anerkannte Aufbauleistung in diesem Lande vollbracht haben. Dies ist der schlagende Gegenbeweis gegen all Ihr Gerede von der Unregierbarkeit bei CDU-Wahlsiegen, meine Damen und Herren. ({3}) Nehmen Sie, weil Sie hier so viele Zwischenrufe machen und auch ständig der Name Strauß fällt, auch gleich zur Kenntnis: Wir lassen uns, Herr Wehner, von Ihnen und Ihren Helfershelfern unseren Kollegen Franz Josef Strauß nicht zum Buhmann der Nation machen. Nehmen Sie dies zur Kenntnis! ({4}) Wenn wir hier von Regierbarkeit reden, meine Damen und Herren, dann muß doch einmal deutlich ausgesprochen werden - dies gehört doch zur Bilanz, die heute fällig ist -: Wer nicht mehr regieren konnte, das waren doch ganz andere. Bundeskanzler Brandt mußte doch schließlich abtreten, ({5}) weil ihn politische Skandale letztlich regierungsunfähig gemacht hatten, meine Damen und Herren. ({6}) Ein anderes muß hier leider hinzugefügt werden: Die Zusammenarbeit der Demokraten wird auch durch Äußerungen wie die folgende erheblich geschädigt: Nach Meinung Kühns - so lesen wir in der „Rheinischen Post" vom 6. März 1975 - hatten die Lorenz-Entführer auch die Absicht, auf die Wahlen in Berlin einzuwirken. ({7}) Anarchistische Verbrecher wie die Mitglieder der „Bewegung des 2. Juni" seien an der Herrschaft von möglichst konservativen Regierungen in Bund und Ländern interessiert. Das haben Sie heute hier sogar noch einmal wiederholt, Herr Kühn. Es muß Ihnen gesagt werden, daß es eine unverantwortliche Art und Weise ist, zu versuchen, aus diesen grauenvollen Tätigkeiten der Anarchisten parteipolitisches Kapital zu schlagen, meine Damen und Herren. ({8}) - Ich würde Ihnen raten, daß Sie sich einmal mit Ihrem Parteifreund Kühn darüber unterhalten, daß er künftig solche Äußerungen unterläßt. Das wäre sicherlich ein besserer Beitrag für die heutige Debatte. Das wäre besser als der ganze Redefluß des Herrn Kühn. ({9}) Wir wollen ein Drittes betrachten. Manches, was der Ministerpräsident dieses Landes in den letzten Tagen zur aktuellen Sicherheitspolitik beigetragen hat, war nun ganz gewiß kein Meisterstück. Das darf sich auf keinen Fall wiederholen. Ich spreche an, was da geschehen ist: Wer der Öffentlichkeit ohne sichere Gründe neue Terrorakte gegen bestimmte Personen und in bestimmten Gebieten ankündigt, der läßt auf diesem schwierigen Aufgabenfeld der Politik das notwendige Augenmaß vermissen. ({10}) Mit Recht hat mein Kollege Friedrich Vogel am 6. März 1975 erklärt: Herr Kühn gerät immer stärker in die Rolle des angeschlagenen Preisboxers, der seine Reaktionen nicht mehr unter Kontrolle bringen kann. ({11}) Man muß sich das doch einmal von dem Regierungschef des größten Bundeslandes vorstellen: Zunächst hat er selbst vor Hysterie gewarnt. Dann gab es allerlei Ankündigungen von ihm, es lägen entsprechende Tatsachen vor, daß sich in Nordrhein-Westfalen ganz böse Akte in Kürze vollziehen würden. Herr Ministerpräsident Kühn, als Sie dann gefragt wurden - und mein Freund Köppler hat ja mit Ihnen über diese Fragen gesprochen -, da wurde von all diesen angeblich vorhandenen Tatsachen nur sehr wenig zutage gefördert. Ich muß Ihnen sagen: Sie setzen sich dem Verdacht aus, sich auf einem politischen Feld wichtig zu machen, wo die Bürger der Union eindeutig die höhere Leistungskraft zumessen. ({12}) In diesem Zusammenhang nun noch ein Wort zum letzten Bundeskongreß der Jungsozialisten. Herr Kühn, Sie haben das ja eben auch noch einmal angesprochen, daß Sie integrieren wollten. ({13}) Es wäre ja schön gewesen und man könnte Ihnen wirklich gratulieren, wenn es Ihnen gelungen wäre, Herr Kühn, unruhige junge Leute - ich sprach von unruhigen jungen Leuten, nicht von unruhigen SPD- Abgeordneten im Deutschen Bundestag -, ({14}) wie Sie sie oft nannten, in die demokratische Arbeit zu integrieren. Aber dieses Bemühen hat ja gerade auf dem letzten Juso-Kongreß eine entscheidende Schlappe erlitten. Es waren doch gerade die Jusos aus dem Lande Nordrhein-Westfalen, die unserer Bundesrepublik die Reformfähigkeit abgesprochen haben und praktisch revolutionäre Initiativen verlangten. ({15}) Es muß heute festgestellt werden, daß diese Kräfte im Landesverband Nordrhein-Westfalen herangewachsen sind. Aber gerade auf diesem Feld kommt es doch im Interesse unserer freiheitlichen Ordnung nicht nur auf das Bemühen an, das Sie vielfach angesprochen haben heute morgen Herr Kollege Brandt und jetzt Herr Kühn -, sondern auf das Ergebnis. Und da muß man sagen: Inzwischen ist manche Parteigruppierung der SPD eher von den Jusos integriert worden, als daß die SPD die Jusos integriert hätte. ({16}) Ich kann Ihnen aus meinem Heimatbereich sagen, daß dort gerade noch in den letzten Wochen Parteifreunde der SPD, die 20 und mehr Jahre in der SPD waren, allein deshalb aufgetreten sind, weil sie das nicht mehr mittragen können. Das wird ja auch verständlich, wenn man die Vorlagen aus dem Juso-Bezirk Westliches Westfalen liest. Ich zitiere nur zwei: Der Staat ist eine wesentlich kapitalistische Maschine. ({17}) Wie will man noch echte Autorität für den Staat beanspruchen, wenn man die staatliche Ordnung so herabsetzt? ({18}) Hören Sie mal weiter zu. Daß Sie das beunruhigt, kann ich verstehen. ({19}) Im Gegensatz zum Reformismus - so heißt es in einem weiteren Antrag geht eine sozialistische Reformstrategie davon aus, daß der praktische Kampf um Reformen ein entscheidendes Mittel ist, um den Kampf der Lohnabhängigen voranzutreiben und auf das Ziel einer grundlegenden gesellschaftlichen Umgestaltung hinzuarbeiten. Ein Antrag nach dem anderen, um revolutionäre Initiativen voranzubringen. Das war kein Beitrag zur Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. ({20}) Wir bejahen das, was der Herr Bundeskanzler heute morgen im Hinblick auf die politisch-geistige Diskussion, die zu führen sei, angesprochen hat. Man muß aber leider feststellen: Die politischgeistige Diskussion, die Sie mit Ihren jungen Leuten in diesem Bereich geführt haben, hat doch gerade auf diesem Bundeskongreß nun weiß Gott schlechte Früchte gezeigt. Dies muß man doch einmal deutlich aussprechen. ({21}) Sie müssen sich bei der SPD die Frage gefallen lassen, was de facto und praktisch mit diesen revolutionären Kräften vom letzten Juso-Kongreß wird. Sollen sie weiterarbeiten, bis sie dann beim nächsten Kongreß eine ganz sichere Mehrheit haben und beim nächsten SPD-Bundesparteitag noch mehr Delegierte haben? ({22}) Hier sind im Sinne der heutigen Debatte klare Tatsachen notwendig und nicht nur verbale Kraftakte. Ich wiederhole für Sie, weil Sie so laut schreien: Sie müssen klare Tatsachen bringen, wie Sie mit diesen revolutionären Kräften in Ihrer Partei fertig werden, meine Damen und Herren! ({23}) Ich sage Ihnen: Ihre Aufgabe ist es, den langen Marsch durch die Institutionen nun endlich zu stoppen. Sonst wird der Tag kommen, wo Sie nicht mehr Herr über diese Leute werden, meine Damen und Herren. ({24}) Wir werden jedenfalls das Unsere dafür tun, daß das Wort von der anderen Republik nicht doch noch Wirklichkeit in diesem Lande wird. Ich unterstreiche das, was Helmut Kohl am Ende seiner Rede sagte: Bonn darf eben nicht Weimar werden. Dafür müssen wir alle miteinander kämpfen, meine Damen und Herren! ({25}) - Weil Sie diese Leute nennen, muß ich sagen: Wir werden es tun mit unseren Kollegen Strauß und Dregger, die für die freiheitlich-demokratische Ordnung eintreten. ({26}) Aber ich will Ihnen ein anderes nennen, damit Sie Ihr Arbeitsfeld besser kennenlernen: Es ist entscheidend, daß Verfassungsfeinde - dies muß in dieser Debatte immer wieder ausgesprochen werden - nun nicht Richter, Lehrer und Verwaltungsbeamte werden. Ich sage das gerade, nachdem Ministerpräsident Kühn gesprochen hat; denn in seinem Einflußbereich, in Ihrem Einflußbereich, Herr Kühn, sollte doch ein aktiver DKP-Mann Richter werden. ({27}) Ich erinnere an den Fall Götz. Wie war das denn? Erst durch die politischen Initiativen der anderen demokratischen Parteien konnte doch der Ministerpräsident Kühn davon abgehalten werden, einen aktiven DKP-Funktionär zum Richter im Lande Nordrhein-Westfalen zu machen. ({28}) Dieser DKP-Funktionär und wahrscheinlich nach ihm noch weitere, denen man dann den Zugang zum öffentlichen Dienst auch nicht mehr hätte versperren können, würden doch heute in Amt und Würde sitzen, wenn nicht die anderen demokratischen Parteien hier ein klares Stopp gesagt hätten. Welch ein Skandal im Hinblick auf die Sicherheitsaufgaben wäre es, wenn nun auch die DKP-Leute in den führenden Richterfunktionen säßen! ({29}) Man muß es leider aussprechen, Herr Ministerpräsident Kühn: Eine Dokumentation über jene entscheidenden Tage im Juli 1973 zeigt Sie bis zur letzten Möglichkeit auf der Seite Ihres Justizministers, der Götz einstellen wollte, und das, obwohl die Experten des Innenministeriums in Düsseldorf klare Rechtsgutachten hatten, die das verboten und sagten: Das darfst du nicht machen. Kühn setzte sich weiter dafür ein. Ich kann nur sagen: Es ist notwendig, daß dieses Land Nordrhein-Westfalen eine Landesregierung bekommt, die nicht wochenlang darüber hin- und herberät, ({30}) ob Kommunisten in diesem Lande Richter werden können, meine Damen und Herren. ({31}) Der dauerhafteste Schutz für unsere freiheitliche und soziale Ordnung aber ist neben den Sicherheitsorganen am besten durch die offensive Kraft der Herzen unserer Bürger für diese demokratische Ordnung zu leisten. Eine glaubwürdige Erziehung für diese Gesellschaft und für diesen Staat ist aber ausgehöhlt worden und wird durch Schulbücher und Lehrmethoden unterwandert, die gerade unter SPD- geführten Landesregierungen, insbesondere auch unter der von Nordrhein-Westfalen, angewendet werden. Man muß es doch noch einmal sagen: Wer Klassenkampf ins Klassenzimmer trägt oder tragen läßt, wer Polizisten in Schulbüchern herabsetzen läßt, wer Gewinn nur als „Profit" verketzern läßt, wer Keile zwischen Eltern und Kinder treiben läßt, der schafft die giftige Atmosphäre, in der allzu leicht Revolution und Umsturz gedeihen. ({32}) Ich muß den hier anwesenden Ministern der Landesregierung und dem Ministerpräsidenten sagen, daß die sogenannten Drucksachen in Düsseldorf doch eine beredte Sprache sprechen. ({33}) Die schmutzige, aufwiegelnde Sprache dieser Schulbücher müßte doch jedem dafür zuständigen Minister die Schamröte ins Gesicht treiben, meine Damen und Herren! ({34}) Im Lande Nordrhein-Westfalen haben sich Eltern und Lehrer und die CDU-Opposition im Landtag so tatkräftig gegen diese Mißstände gewehrt, daß die Landesregierung jetzt auf einigen Gebieten den Rückzug angetreten hat. Aber, meine Damen und Herren, die Art und Weise, wie das geschieht, zeigt deutlich, daß hierbei mehr die Angst vor den Wahlen das Handeln regiert als die Erkenntnis, zu einer anderen geistigen Grundordnung kommen zu müssen. ({35}) - Herr Kollege Schäfer, wenn der Ministerpräsident Kühn sich hier in dieser Form einläßt, dann ist es geradezu die Pflicht eines nordrhein-westfälischen Abgeordneten, ({36}) die Dinge hier in dieser Weise einmal beim Namen zu nennen und richtigzustellen. ({37}) Aber gerade um zu solider Kritikfähigkeit zu kommen, zu gesunder Reformbereitschaft und zur geistigen Verteidigung des freiheitlichen Staates, müssen eben die unausgegorenen Utopien und die Hetzpassagen in den Schulbüchern aus Überzeugung in den Papierkorb geworfen werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Herr Kühn, Sie und Ihre politischen Mitarbeiter haben auf den genannten Aufgabengebieten so viel aufzuarbeiten, daß Sie eine ganze Reihe von Jahren hinweg die Chance der Selbstbesinnung in der Opposition erhalten sollten. Dann würden danach vielleicht einige Dinge besser werden. Wir als Unionsparteien wollen jedenfalls - dies gilt ganz besonders für das Land Nordrhein-Westfalen - alle Fragen, die heute in dieser Debatte anstehen, ({38}) in der Bundesrepublik Deutschland klar und unzweideutig nach dem Leitsatz bearbeiten: Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit; keine Sympathie für Gedanken, die Freiheit aushöhlen, und seien sie noch so philosophisch verpackt! Wir rufen Sie von der SPD und von der FDP auf, dies mit uns gemeinsam zu tun. Wenn wir die Basis klar haben, werden wir auch in der Strategie erfolgreich sein können. Zu dem, was Herr Kollege Brandt hier heute am Schluß seiner Rede sagte, will ich sagen: Der beste Dienst auch für die Menschen, die auf Hilfe warten, ist der, daß wir einen klaren Einsatz für Recht und Freiheit in diesem Lande leisten; denn gerade das Recht ist der Anwalt der Schwachen, und das Recht und die Ordnung sind die beste Garantie dafür, daß auch die Menschen, die Hilfe brauchen, diese Hilfe in unserem Staat erfahren. Recht und Ordnung in einem wohlverstandenen Sinne, nicht im Sinne des Polizeistaates, sondern im Sinne der Freiheitssicherung sichert auch, daß wir im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben solide weiterarbeiten können, um das als Voraussetzung zu schaffen, was wir für solide Reformen brauchen. ({39}) Wir rechnen auf das solide Urteil unserer Mitbürger, die wissen, daß der Arbeitsplatz und das Leben überhaupt nur in gesicherter Freiheit wirklich sicher sind. Auch die jüngere Generation - das möchte ich hier für sie sagen weiß, daß solide Reformen für mehr Gerechtigkeit nur in gesicherter Freiheit gedeihen können. Darum, meine Damen und HerDr. Waffenschmidt ren, erfordert dauerhafte Solidarität der Demokraten für die freiheitliche Ordnung eine klare Analyse, das Ausmerzen der begangenen Fehler und dann einen neuen gemeinsamen Anfang. ({40}) Nur auf dieser Basis können der Einsatz und die notwendige überzeugende geistige Offensive für den freiheitlichen Rechtsstaat auf Dauer erfolgreich sein. ({41})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Regierende Bürgermeister Schütz. Regierender Bürgermeister Schütz ({0}) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Trotz der späten Stunde und trotz mancher Beiträge zu der Debatte will ich hier noch einiges sagen; ich versuche, es in aller Ruhe zu tun. Auch ein beträchtlicher Teil dieser Debatte hat gezeigt, daß viele von uns noch unter dem Eindruck der Geschehnisse um die Entführung in Berlin stehen, und dies nicht nur, weil wir tief betroffen waren und um das Leben eines Mitbürgers bangen mußten, sondern auch, weil niemand versprechen kann, daß so ein Verbrechen nicht wieder geschieht. Das gibt dieser Debatte für denjenigen, der genau hinsieht, eine bedrückende Aktualität. An den leidenschaftlichen Diskussionen in unserem Land ist erkennbar, wie ernst es den meisten mit diesem Thema ist. Ich habe, meine Damen und Herren, nicht die Absicht, den Versuch zu machen, hier zu allen Problemen Stellung zu nehmen, vor die uns das Verbrechen in Berlin wirklich oder vielleicht auch nur vermeintlich stellt. Ich gebe zu, es reizt, sich zu vielem zu äußern. Aber ich will mich allein auf die Frage konzentrieren: Was haben wir - wir alle zusammen - an Erkenntnissen sammeln können, als es darum ging, Peter Lorenz freizubekommen? Die erste Erkenntnis ist, daß wir Fragen von „law and order", also von Recht und Ordnung, nicht mehr so abstrakt wie bisher erörtern können. ({1}) Wir alle haben ganz konkret eine Entscheidung getroffen, in deren Konsequenz der Entführte freikam. Hinter diese Entscheidung - das sage ich mit großem Nachdruck - kann keiner mehr zurück. Vor allem aber sollte keiner so tun, als läge es in unserem staatlichen Interesse, den Fall Peter Lorenz vergessen zu machen, weil unser Staat, wie manche es nennen, nachgiebig und erpreßbar gewesen sei. Diese Scham ist überflüssig und diese Scham ist falsch; denn wir haben Recht und Ordnung nicht verlassen, nicht pervertiert, nicht verletzt. Ganz im Gegenteil, Recht und Ordnung wurden in einer Weise angewandt, wie es den Prinzipien entspricht, die sich unsere Gesellschaft selber gegeben hat. ({2}) Als zu entscheiden war, meinten einige - und die Diskussion darüber hält an und wird auch fortdauern -, wir müßten uns zwischen Grundsätzen entscheiden, die sich unvereinbar als Gegensätze ausschließen: zwischen Rechtsstaat und Individuum, zwischen polizeilichem Berufsethos und dem Leben eines einzelnen. Aber das ist nicht die Alternative. Unser demokratischer Rechtsstaat hat - darin unterscheidet er sich grundsätzlich von anderen Staatsformen - Platz für den einzelnen und sein unbedingtes Lebensrecht. Wir haben so ganz praktisch und nicht ideologisch und nicht theoretisch erfahren können, daß es allein unsere Gesellschaft und allein unsere Staatsform ist, die dem Recht auf Leben und der Freiheit des einzelnen die absolute Priorität sichert und dem nichts überordnet, keine Staatsauffassung, keine Ideologie, kein Interesse, keine Weltanschauung oder noch anderes. Ich täusche mich nicht darüber und mache mir nichts vor, meine Damen und Herren, daß die Entscheidung, die wir getroffen haben, auch belastend ist. Ich sage dies, weil manche wegen meiner Auffassung annehmen, ich ließe die Gefahr außer acht oder hätte sie außer acht gelassen, daß hier der Rechtsstaat kaputtgemacht werden soll. Ich habe das nicht vergessen. Das stand in der Praxis dieser Tage klar vor uns, ebenso auch klar vor mir. Aber ich sage: Dieser unser Staat hätte zutiefst Schaden genommen, wenn er Peter Lorenz allein wegen eines Prinzips geopfert hätte. Dann hätte sich ein Abgrund in unserem Staat aufgetan, der dann auch nur ein Staat wie viele andere wäre. ({3}) Hier war ein Mitbürger einer Gruppe sehr entschlossener Verbrecher ausgeliefert. Helfen konnte nur der Staat, zugegeben: um den Preis der Nachgiebigkeit und der Erpreßbarkeit. Unser Staat hat diesen Preis gezahlt und dafür den entführten Mitbürger freibekommen. Für mich ist das keine Schwäche unseres Rechtsstaats. Es ist vielmehr die Handlungsweise eines zivilisierten Staates, dessen oberstes Rechtsprinzip es ist, das Leben jedes einzelnen seiner Bürger zu schützen. Unser Staat hat dies getan; ich bin - lassen Sie mich das ohne Pathos sagen - darum stolz auf ihn. Ich bin dankbar, in einem Staat zu leben, der das Leben eines einzelnen so schützt, wie er es in diesem konkreten Fall getan hat. ({4}) Wenn man sich der Auffassung anschließen kann, daß wir mit der gemeinsamen Entscheidung unserem rechtsstaatlichen Prinzip gefolgt sind, Leben zu schützen, dann erweisen sich die gängigen Ratschläge und Empfehlungen, die es zu diesen Entscheidungen gibt, als überwiegend vordergründig. Da heißt es: Bleibt hart und unnachgiebig! Oder: Der Rechtsstaat darf nicht kapitulieren! Oder: Man darf Täter dieser Art nicht gewähren lassen! Oder: Nehmt euch ein Beispiel an anderen, etwa an den Israelis! Oder: Das lädt ein zu Folgetaten. Mit den Erfahrungen aus diesen Tagen ist - wie ich meine - darauf zu antworten: Wir waren hart und unnachgiebig, was die unversehrte Rückkehr des Entführten betraf. Hart und unnachgiebig sind im übrigen keine Werte in sich; es kommt auf den Regierender Bürgermeister Schütz richtigen Ort und die richtige Zeit an. Staatliches Imponiergehabe allein hätte einige Seelen vielleicht befriedigt, aber dem Menschen Peter Lorenz nicht geholfen. Dann: Dieser Rechtsstaat hat nicht kapituliert, sondern seinem obersten Prinzip entsprochen und Leben bewahrt. Weiter: Man darf Täter dieser Art nicht gewähren lassen. - Ich weiß nicht, wo und wann unser Staat dies getan hätte. Mit allen legalen Mitteln versuchen wir jetzt, ihrer habhaft zu werden und sie dann ihrer Strafe zuzuführen. Und: Nehmt Euch ein Beispiel - lassen Sie mich das ganz offen sagen, um das auch aufzugreifen - an den Israelis. Dazu: Ich stehe ganz bewußt und wohlüberlegt - sicherlich wie die meisten von uns - an der Seite des Staates Israel, eines Staates, der im Krieg ist; im Krieg, bei dem es um seine Lebensfähigkeit, um seine Freiheit und um seine Existenz in Frieden geht. Wir - die Bundesrepublik Deutschland und mit ihr West-Berlin - befinden uns, im Unterschied zu Israel, nicht im Kriegszustand. Wer diesen Unterschied nicht sehen will, der sieht nicht, wie die Lage bei uns wirklich ist und - das wäre sehr viel schlimmer - der versteht nicht den Existenzkampf unserer Freunde dort, den Existenzkampf der Bürger des Staates Israel. Schließlich die Feststellung: Das lädt ein zu Folgetaten. - Ja, das mag stimmen. Eine offene, eine demokratische, eine rechtsstaatliche Gesellschaft ist aus ihren innersten Gründen leichter zugängig und leichter erpreßbar als alle anderen Gesellschaftsordnungen. Aber der Preis für die Aufgabe und den Verzicht auf diese innersten Gründe wäre die Aufgabe und der Verzicht auf die offene, die demokratische, die rechtsstaatliche Gesellschaft. Dieser Preis ist - wie ich wohl für alle sagen kann - wohl für alle unbezahlbar. Ich möchte, meine Damen und Herren, an dieser Stelle auch darauf aufmerksam machen, daß es nicht nur die Logik gibt, nach der unsere Entscheidung zu Folgetaten einlädt. Hätten wir umgekehrt entschieden, dann wäre die Logik, daß die Verbrecher diesen Gefangenen getötet hätten und dann weitere, bis ihre Rechnung - ihre wirkliche Rechnung - aufgegangen wäre. Wenn ich das so sage, bin ich mir durchaus bewußt, daß es in einer Frage von prinzipieller Bedeutung, wie dieser, bei uns sehr wohl Raum gibt für unterschiedliche Auffassungen auch innerhalb aller drei Parteien. Aber es gab und es gibt in dieser Frage eben auch Übereinstimmung quer durch die Parteien. Ich meine, daß wir dies nicht ungenutzt lassen sollten. ({5}) Dies scheint mir eine wichtige Erfahrung zu sein, wenn es gilt, die so viel beschworene Einheit und Solidarität aller Demokraten zu begreifen und dann auch zu verwirklichen. Hier kann sehr wohl der Grund dafür liegen, daß wir hoffen dürfen, daß es Chancen gibt für mehr Gemeinsamkeit zwischen den Parteien in den Angelegenheiten der inneren Sicherheit. Ich meine, daß diese Gemeinsamkeit notwendig ist, und ich hoffe, daß die folgenden Überlegungen, die ich noch beitragen will, dazu hilfreich sind. Viele fragen - und wer die Debatte hört, weiß, wir fragen uns ja selbst -: Sind das Verbrechen mit politischem Charakter? Ist dieser Typus von Verbrechen nur erklärlich aus unserer Art von Gesellschaftsordnung, etwa einer Art von, wie die Engländer oder die Amerikaner sagen, „permissive society"? Oder: Gibt es bei uns so etwas wie einen Nährboden für Verbrecher und Verbrechen dieser Art? Ich weiß, daß von mancher Seite Hohn und Spott auf den niedergehen, der meint, man müsse nach den Hintergründen dieser Verbrechen fragen. Aber, meine Damen und Herren, die machen es sich zu einfach, die sagen, Verbrecher wie die Entführer hier hätten sich außerhalb unserer Gesellschaft gestellt, und es dabei dann belassen. Übrig bleibt in jedem Falle die erschreckende Tatsache, daß diese jungen Menschen unserer Gesellschaft entstammen und daß sie noch dort, wo sie diese Verbrechen begehen, mit uns zu tun haben. Es ist kein Widerspruch, wenn ich zugleich sage, daß dies ein Verbrechen war, gemein und gewöhnlich wie jedes andere. Und es gehört auch zur Solidarität der Demokraten, daß wir allen Tendenzen widerstehen, die gemeine Verbrecher wie diese - gewollt oder ungewollt - stilisieren oder heroisieren ({6}) oder mit einer politischen Scheinlegitimation umgeben. ({7}) Die Verbrecher - so pervers, meine Damen und Herren, ist die Lage hier - danken es allen, die sich - von welcher Richtung her auch immer - so betätigen. Darum sollten wir auch beispielsweise in Wahlkämpfen oder in Parlamentsdebatten wie dieser - sehr vorsichtig damit sein, radikale oder extreme Auffassungen irgendwelcher Provenienz über unsere Staats- und Gesellschaftsordnung so quasi automatisch in einen direkten Bezug zu Verbrechen dieser Art zu setzen. ({8}) Um es auch hier ganz deutlich zu sagen: Ein Gegner unserer Verfassung, auch ein Feind unserer Verfassung - sei es ein Kommunist, sei es ein Mann der NPD - ist das, was er ist, aber ein Verbrecher in diesem Sinne ist er eben nicht. Es steht unserem Staat gut an, die Grenze zwischen Andersdenkenden einerseits, Verbrechen und Verbrechern andererseits nicht zu verwischen. ({9}) Wir müssen uns mit den Gegnern und den Feinden unserer Verfassung auf unsere Weise auseinandersetzen. Wir müssen ihrer unkontrollierten Betätigung dort, wo sie die Grenzen unserer freiheitRegierender Bürgermeister Schütz lich-demokratischen Rechtsordnung überschreiten, entschlossen entgegentreten. ({10}) Und wir müssen gemeinsam den Gegnern und Feinden unserer Verfassung den Zugang und die Mitarbeit im öffentlichen Dienst überall in der Bundesrepublik verwehren. Aber - und diesen Unterschied müssen wir auch sehen - wir müssen daneben das gemeine Verbrechen bekämpfen, ohne Unterschied, ob sich die Täter dabei ein sogenanntes politisches Mäntelchen umhängen. ({11}) Gerade wer beispielsweise meint, es handele sich um eine Bande und nicht um eine Gruppe, muß auf diesem Unterschied bestehen. Für mich ist dies eine kriminelle Vereinigung, die mit allen Mitteln, über die unser Rechtsstaat verfügt, bekämpft werden muß. ({12}) Meine Damen und Herren, ich möchte hier übrigens vor einer neuen Form der Milieutheorie warnen, ({13}) so als hätte unsere demokratische Gesellschaft den Nährboden für Verbrechen dieser Art abgegeben. ({14}) Ich widerspreche dem ausdrücklich. Sehen wir uns nur den Lebenslauf und die Herkunft jener vermutlichen Täter an. Sie sind alle zusammen groß geworden und geprägt worden in den 50er Jahren und zu Beginn der 60er Jahre hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Auf das Milieu, aus dem viele dieser Täter tatsächlich kommen, ist in der Debatte schon mehrfach hingewiesen worden. Ich will bei meinem Stil bleiben, sonst würde ich dazu einladen, einmal die Schulbücher zu untersuchen, die Baader oder Meinhof zu ihrer Verfügung haben. Ich zweifle insgesamt - auch in diesem Falle zweifle ich -, daß darin eine Erklärung gesehen werden kann, wie auch in dem, was heute in diese Debatte eingeführt wird, eine Erklärung, eine Erläuterung, gar nicht zu sprechen von einer Entschuldigung für das, was sie dann getan haben. Ich sage das mit aller Zurückhaltung, meine Damen und Herren; denn ich halte nicht viel von den gängigen Theorien über Milieu oder von dem Vorwurf, daß die demokratische Gesellschaft unserer Prägung den Nährboden für gemeine Verbrechen dieser Art abgibt. In diesem Zusammenhang ein Wort zu Berlin, dem Tatort des jüngsten Verbrechens und dem Tatort des Verbrechens davor! Da ist in diesen Tagen viel Vernünftiges und Besonnenes gesagt und geschrieben worden; aber so manches ist auch leichtfertig, töricht, ja sogar falsch dargestellt worden. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen: Verbrechen dieser Art sind nicht das Produkt einer Großstadt wie Berlin; aber sie sind dort leichter möglich als anderswo. Diejenigen, die diese Verbrechen begehen, sind nach Herkunft und Werdegang nur in den seltensten Fällen aus Berlin. Es ist nicht das Milieu unserer Stadt, das sie geprägt hat und zu dem werden ließ, was sie heute sind. Jeder hier im Saale und draußen im Lande wird sich darüber im klaren sein, daß Verbrechen dieses Typs überall und in jedem Teil unserer Bundesrepublik möglich waren und auch weiterhin möglich sind. Das soll und darf nicht ablenken von der Notwendigkeit, unsere Universitäten und unsere Schulen von den Feinden unserer verfassungsmäßigen Ordnung freizuhalten. Das soll und darf uns nicht abhalten, beispielsweise gemeinsam den Staatsdienst von Feinden und Gegnern der Verfassung freizuhalten. Dazu liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, den ich nachdrücklich unterstütze. Ich habe jenen Beschluß der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers über Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst übrigens damals nicht nur mit-gefaßt, sondern ich habe mich dazu auch immer bekannt, und ich bekenne mich auch heute noch dazu. ({15}) Wir sollten aber - so meine ich - eine so wichtige Frage wie diese gesetzlich regeln. Wir müssen das gemeinsam tun, und wir sollten es schnell tun. ({16}) Wir haben uns heute und in dieser Situation zu fragen, wie wir mit diesem Typus von Verbrechen besser fertig werden als bisher. Ich habe auch gerade nach meinen Erfahrungen in jenen sehr schwierigen Tagen großen Respekt vor dem, was unsere Polizei geleistet hat und immer noch leistet. Aber gerade dieser Respekt zwingt mich zu sagen: Die Bekämpfung dieser Art von Verbrechen überfordert nicht selten die Polizei, übrigens nicht nur in den Ländern, sondern auch im Bund. Wir haben 1972 - das ist heute schon öfters beschworen worden - bei der Behandlung jener kriminellen Vereinigung, die unter der Bezeichnung „Baader-Meinhof" wohl nur unvollkommen benannt ist, Erfahrungen gemacht, die wertvoll sind und die genutzt werden müssen. Die Erkenntnis von damals bietet sich noch heute an: Bund und Länder sollten ihre Möglichkeiten zusätzlich zusammenfassen zu einer gemeinsamen Anstrengung, vielleicht sogar zu einer einheitlichen Arbeitsgruppe besonderer Art, die nicht allein von Rang und Seniorität in der Polizei bestimmt wird oder von den partikularen Interessen der Länder, und der auch Repräsentanten der Politik angehören, und dies nicht nur, um die Polizei - wie es so schön heißt - politisch abzudecken, sondern auch um mitzudenken und die tatsächlichen Aktionen mitzuplanen. Hier geht es also nicht um billige Kritik an Erscheinungen der Vergangenheit, sondern darum, Erfahrungen für die Zukunft zu nutzen. Und gerade darum sage ich: Es muß zu einer Solidarität des Handelns kommen, die die Partikularinteressen und das Prestigedenken in dieser Frage hinter sich läßt und sich ganz und gar auf die Sache, auf die Arbeit, auf das Notwendige konzentriert. Regierender Bürgermeister Schütz Wenn wir das gemeinsam tun wollen, meine Damen und Herren, müssen wir denen widersprechen und auch danach handeln, die von der Schwächung unserer rechtsstaatlichen Ordnung sprechen und nach dem starken Staate rufen. Ich warne vor diesem Ruf. Er ist nicht nötig. Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben Rechts- und Ordnungsprinzipien, die wohl durchdacht, kräftig genug und durchsetzbar sind. Niemand sollte unsere gesamtstaatliche Ordnung für unzulänglich erklären, weil dieses Verbrechen geschah und weil vergleichbare Verbrechen geschehen. Die Mittel unseres Rechtsstaates sind dazu da, Verbrechen zu bekämpfen und die Voraussetzungen für Verbrechen, soweit es möglich ist, zu verhindern. Aber die Vorstellung zu haben oder zu nähren, wir könnten einen Staat haben, in dem solche und andere Verbrechen nicht oder kaum mehr geschehen, wäre der Staat nur stärker und hätten wir nur den starken Mann dazu, diese Vorstellung ist illusionär und verantwortungslos und, ich bin überzeugt, auch verderblich. ({17}) Diese Tendenz ist uns bekannt; sie läuft gegen unsere rechtsstaatliche Ordnung, und da kann es nur ein klares Nein geben. Meine Damen und Herren, eine Grunderfahrung aus diesen schlimmen Tagen für mich ist die: Die Bundesrepublik Deutschland - und damit auch wir in Berlin - hat sich als ein Staatswesen dargestellt, dem jeder Bürger voll vertrauen kann. Es bedarf nicht mehr nur der theoretischen Erkenntnis; dieser Staat hat es in der Praxis bewiesen. Das ist ein unschätzbarer Gewinn für unser Land aus einem verabscheuungswürdigen Verbrechen. Eine zweite und letzte Grunderfahrung aus diesen Tagen ist mir nicht weniger wichtig. Als es darauf ankam, ist es sehr schnell und ohne Wenn und Aber möglich gewesen, über Parteigrenzen hinweg gemeinsam zu handeln. Ich bin entschlossen, im Bereich meiner Verantwortlichkeiten alles zu tun, um diese Gemeinsamkeit und um diese Solidarität stärker als bisher zu nutzen, nicht nur als schöne Floskel für Reden hier und anderswo, sondern im praktischen Handeln dort, wo es auf uns alle und wo es möglicherweise auf jeden von uns ankommen wird. ({18})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Minister Theisen. Staatsminister Theisen ({0}) : Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie zu später Stunde noch einem Mitglied des Bundesrates einige Ausführungen, die ich als Vorsitzender der Justizministerkonferenz heute vortragen muß. ({1}) Zunächst möchte ich, und zwar sicher kompetenterweise, den Richtern und Staatsanwälten in allen Bundesländern den Dank für die Mühen und Lasten und die Übernahme von Gefährdungen aussprechen. Ich möchte aber sagen, daß dieser Dank, mit dem ich mich an manchen Vorredner anschließe, wenn er so für sich allein steht, uns gar nichts nützt. Es ist notwendig, daß wir die funktionsfähigen Instrumentarien zur Verfügung halten, die vorhanden sein müssen, damit wir in der Lage sind, unsere Verfahren abzuwickeln. Ich darf daran erinnern, daß wir, seit im Juli 1973 die Zellenpapiere festgestellt worden sind, reaktionslos zunächst eine Zeitlang - nämlich bis zum Dezember 1974 - zugewartet haben. ({2}) Es ist auf die Verantwortung der Länder hingewiesen worden. Dies, was notwendig gewesen wäre, hat von den Ländern nicht beachtet werden können, weil die Justizminister der Länder bis zum 14. November über die Voraussetzungen in Unkenntnis gelassen worden waren. ({3}) Dies darf ich doch hier einmal feststellen. Das ist wichtig für die weitere Entwicklung. Wir haben dann in unmittelbarem Anschluß an die Information durch das Bundeskriminalamt den einstimmigen Beschluß gefaßt - das ist keine parteipolitische Frage -, bestimmte gesetzliche Maßnahmen zu fordern. In einem wesentlichen Punkt ist uns nicht Rechnung getragen worden: das ist die Frage der Verteidigerüberwachung. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Ihnen nicht eine Liste von Maßnahmen, von gesetzlichen Regelungen vortragen, die wir in der Vergangenheit geschaffen haben. Ich möchte nur die Frage stellen dürfen, ob denn der Informationsfluß von Zelle zu Zelle, aus der Zelle heraus nach draußen, von draußen in die Zelle hinein abgeschnitten ist oder ob er noch fortbesteht. Da ist doch die politische Frage, vor der wir stehen. Wenn wir feststellen müssen, daß die bisherigen Maßnahmen nichts genutzt haben, dann müssen wir doch endlich bereit sein, jetzt die gesetzliche Regelung folgen zu lassen, die die Möglichkeit - mehr ist es ja nicht - der Verteidigerüberwachung eröffnet, wenn Tatsachen den Verdacht begründen. Daß dies etwas völlig anderes ist als der dringende Tatverdacht, davon können wir, glaube ich, doch ausgehen. Zweitens. Für den Fall der Verfahrenssabotage gibt es bisher keine Regelung. Es nützt uns doch nichts, nur festzustellen, wie große Schwierigkeiten die Richter haben, ihre Verfahren abzuwickeln, wenn wir nicht bereit sind, auf Verfahrenssabotagen - wie jetzt wieder in Niedersachsen oder in Hamburg - damit zu reagieren, daß wir die Möglichkeit schaffen, den Verteidiger auszuschließen. Diese Möglichkeit haben wir zur Zeit nicht. Ich ringe deshalb darum, daß wir in Gemeinsamkeit der Demokraten die Lösungen nachliefern, die wir in der Vergangenheit unterlassen haben. Staatsminister Theisen Dann noch ein weiterer Punkt, der mir wichtig zu sein scheint. Herr Bundesminister Vogel hat darauf hingewiesen, daß die Dauer des Verfahrens gegen Baader und Meinhof von 1972 bis heute einen bestimmten Grund hat. Er hat es richtig so ausgeführt: Jedes einzelne Glied muß mit Zeugen und Sachverständigen erhärtet werden; es muß nachgewiesen werden. - Das ist ganz klar. Dafür hat, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bevölkerung mit Recht kein Verständnis. Wir müssen einen verfahrensrechtlichen Weg eröffnen, wie wir in Großverfahren uns auf den Kern der Sache beschränken. Dazu müssen wir die Gemeinsamkeit reklamieren, die wir doch wohl bekommen werden. Ich hoffe, daß wir uns in der morgigen Konferenz darauf verständigen können. Eine letzte Bemerkung. Ich bin persönlich immer ein Gegner der Todesstrafe gewesen und bin es auch jetzt. Ich gehe auch davon aus, daß keine politische Gruppierung sich im Deutschen Bundestag für die Todesstrafe erwärmt. Aber, dies feststellen und das Gegenteil initiieren, nämlich die lebenslange Freiheitsstrafe dadurch zu unterlaufen, daß im Regelfall daraus eine 15jährige Freiheitsstrafe gemacht wird, worauf eine Initiative des Bundesjustizministeriums hinausläuft, kann auch nicht das Ziel unserer gemeinsamen Bemühungen sein. ({5})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst auch von mir aus, für mich und diejenigen meiner politischen Freunde, die an diesem politischen Spitzengremium teilgenommen haben und an jenem Freitag und Sonntag dreimal zusammengekommen sind, die Erklärung abgeben, daß wir trotz verständlicher Kritik, die auch ihre berechtigte Seite hat, uns mit diesen Maßnahmen, wie sie getroffen worden sind, politisch, moralisch voll identifizieren. Es ist die Frage gestellt worden, ob man in jenem Kreise, entweder zustimmend oder durch Schweigen, an der Meinungsbildung nicht teilnimmt, aber draußen politisches Kapital schlägt, davon konnte und kann überhaupt keine Rede sein. Ich habe das in meinem Interview mit der „Welt" oder mit der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" und bei einigen anderen Gelegenheiten unmißverständlich zum Ausdruck gebracht und sage es auch hier. Das Wort von der Solidarität der Demokraten auf das hier noch einzugehen sein wird, kann und darf aber nicht die parlamentarische Kritik an den Fehlern und Versäumnissen, von denen die Opposition zu sprechen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, ausschalten, ({0}) genausowenig wie die kritische Stellungnahme zu der Frage, ob nach diesem bitteren Ereignis alles getan worden ist oder in Zukunft getan werden wird, und zwar mit dem Ziel, um solche Untaten mit einer höchstmöglichen Gewißheit - eine völlige gibt es nie - zu verhindern. Man sollte gerade deshalb nicht von der Solidarität der Demokraten reden, weil die Solidarität der Demokraten in diesen Fragen - also in der Verantwortung für eine gemeinsam getroffene Maßnahme oder in der Verteidigung des Rechtsstaates - keiner dauernd wiederholten verbalen Deklamationen bedürfen sollte. ({1}) Wir erleben aber immer wieder, daß hier intellektuell die Grenzen so verschoben werden, als ob die Kritik an der Vorgeschichte und die Kritik an der möglichen Nachgeschichte nunmehr auch ein Verstoß gegen das Gebot der Solidarität der Demokraten sei. ({2}) Vor kurzem hat der Fernsehjournalist Johannes Gross als Nichtparlamentarier in vorbildlicher Weise geäußert, wie gefährlich es für die rechtsstaatliche Demokratie und die Auseinandersetzung, die in einer offenen Gesellschaft notwendig und berechtigt ist, wäre, wenn unter diesem Stichwort die Auseinandersetzung und die Kritik dann unter denselben Teppich, genannt „Solidarität der Demokraten", gekehrt werden sollten. Ich hoffe, daß ich damit die Grenzen zwischen dem, was Solidarität in dem vorliegenden Falle und Selbstverständlichkeit auf der einen Seite ist, und dem, was Recht und Pflicht der parlamentarischen und politischen Auseinandersetzung auf der anderen Seite ist, in verständlicher Weise aufgezeigt habe. Ein zweiter Punkt. Der Kollege Brandt hat heute von einem Brief gesprochen, den ich an die Frau Präsidentin geschrieben habe. Er hat aus diesem Brief einen halben Satz zitiert, wie er im Brief der Frau Präsidentin an die Fraktionsvorsitzenden dann enthalten ist. Er kannte aber offenbar, wie mir bei philologischem Vergleich einiger von ihm gebrauchter Redewendungen deutlich wurde, doch den ganzen Text. Ich möchte hier, gerade weil ich heute darauf angesprochen worden bin, den ganzen Text bekanntgeben: Sehr geehrte Frau Präsidentin! In Ihrem Brief vom 12. März 1975 fragen Sie mich, ob ich die von der Zeitschrift „Der Spiegel" mir zugeschriebene Äußerung, daß es in den Bundestagsfraktionen der SPD und FDP Sympathisanten der Baader-Meinhof-Verbrecher gäbe, gemacht habe. Die im „Spiegel" wiedergegebenen Formulierungen sind das willkürliche Ergebnis der Zusammenfassung eines sich auf zwei Seiten belaufenden Diskussionsbeitrages in rund 20 Seiten. Ich habe bereits mehrmals in der Öffentlichkeit erklärt, es handle sich hier nicht um eine genaue Wiedergabe und schon gar nicht um eine autorisierte Wiedergabe. Ich halte es deshalb für unverantwortlich, eine derartige Fassung, die offentsichtlich und eindeutig nicht die zuverlässige Wiedergabe meiner Worte darstellen kann, zum Gegenstand einer Diskussion zu machen, das um so mehr, als in dem abgedruckten Text nicht die Auslassungen durch Punkte kenntlich gemacht werden, wodurch der Zusammenhang noch mehr entstellt wird. Im übrigen muß es möglich sein, in Klausurtagungen von Fraktionen und Parteien auch Meinungen und Informationen zu erörtern, die nicht dazu bestimmt sind, veröffentlicht zu werden. Abweichend vom Brieftext möchte ich sagen: Ich würde gerne alle Protokolle über Fraktionssitzungen, Arbeitskreissitzungen und Klausurtagungen der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Organisationen lesen, ({3}) und zwar im besonderen Wortlautprotokolle über das, was Herr Wehner zur geistigen Meinungs- und Stilbildung in unserem Lande beigetragen hat. ({4}) Ich fahre weiter im Text: Zu der von Ihnen angeschnittenen Frage sage ich - und das gilt auch für Sonthofen - immer meine gleichbleibende Meinung, daß nämlich die Bewegung des linken Anarchismus und Terrorismus aus der sogenannten Neuen Linken herausgewachsen ist und daß die nicht unerhebliche Zahl ihrer Sympathisanten in diesem Dunstkreis angesiedelt ist. Ich habe damit nicht bestimmte Mitglieder der Bundestagsfraktionen der SPD und FDP gemeint, kann aber in diesem Zusammenhang die Verwunderung darüber nicht unterdrücken, ({5}) - es ist sinnlos, Herr Kollege ({6}) daß z. B. Kollege Gansel, Mitglied des Deutschen Bundestages, ein führender Jungsozialist, auf dem Kongreß der Jungsozialisten in Büsum im Januar dieses Jahres eine Entschließung gebilligt hat, in der Personen wie Dregger, Carstens und Strauß für die Demokratie weitaus gefährlicher eingestuft werden als anarchistische Gewalttäter, und daß er durch einen Zusatzantrag dafür gesorgt hat, daß der Name Stoltenberg in diese Liste mit aufgenommen wird. ({7}) Ferner muß ich darauf hinweisen, daß an dem Bundeskongreß der Jungsozialisten in München im Januar 1974, auf dem die Jungsozialisten die Aufhebung der sogenannten Isolationsfolter an den politischen Gefangenen in den Haftanstalten der Bundesrepublik forderten - wobei erklärt wurde, man müsse in der Öffentlichkeit behaupten, es werde gefoltert, weil die Eigentumsverhältnisse bleiben sollen - einige bekannte Bundestagsabgeordnete der SPD, nach zuverlässigen Informationen mindestens die Herren Gansel, Hansen und Dr. Wichert teilgenommen haben. Ich muß sagen: das ehemalige Mitglied des Bundestages Dr. Wichert; mir war gestern bei der Abfassung des Briefes nicht bekannt, daß er in der Zwischenzeit ausgeschieden ist. ({8}) Ich darf hier nebenbei bemerken, daß gerade der Sprachgebrauch „Isolationsfolter" und die Forderung nach ihrer Aufhebung eine wörtliche Übernahme und Wiedergabe der von den Baader-Meinhof-Häftlingen mit Hilfe ihrer Anwälte in der Öffentlichkeit betriebenen Hetzkampagne gegen die Justiz darstellen. ({9}) Das Ziel der Kampagne war es, die Justiz in Unsicherheit zu versetzen, an der Erfüllung ihrer Aufgabe zu hindern und die konspirative Zusammenarbeit aus den Zellen heraus zum Zwecke weiterer Anschläge zu erleichtern. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran, daß der damalige Bundesminister der Finanzen Alex Möller in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 23. September 1970, auf die CDU/CSU deutend, sagte: „Diejenigen, die diese Weltkriege und die darauffolgenden Inflationen zu verantworten haben, stehen Ihnen" -gemeint waren CDU und CSU - „geistig näher als der SPD". Das Protokoll vermerkt: ,,Lebhafter Beifall bei der SPD". ({10}) - Ich würde an Ihrer Stelle jetzt lieber nicht Beifall klatschen. Meine Äußerungen gingen nicht annähernd soweit gegenüber SPD und FDP, wobei ich nicht von „Fraktion" gesprochen habe - nebenbei erwähnt -, wie damals das Pauschalurteil eines führenden SPD-Ministers. Auch Herr Möller erklärte damals, daß er selbstverständlich niemanden aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion oder aus den beiden Parteien CDU und CSU in die Nähe des Nationalsozialismus habe rücken wollen. Ein solcher Eindruck, der von ihm nicht beabsichtigt war, könne auch aus dem Protokoll nicht hergeleitet werden. Nebenbei bemerkt: Die Fraktion der CDU/CSU hat sich mit dieser der philologischen Deutung sicher nicht ganz entsprechenden Erklärung, Herr Kollege Möller, seinerzeit zufriedengegeben. Ich kann in diesem Zusammenhang auch nicht unerwähnt lassen, daß der „Spiegel"-Herausgeber und im November 1972 in den Deutschen Bundestag gewählte ehemalige FDP-Abgeordneten Rudolf Augstein das Blatt zunehmend zu einem Forum der Verbreitung der Terrorphilosophie der Baader-Meinhof-Bande gemacht hat; ({11}) denn in den letzten Jahren sind etwa 20 Beiträge von einsitzenden oder noch nicht festge nommenen Bandenmitgliedern veröffentlicht worden. ({12}) In diesem Zusammenhang dürfte Ihnen genauso wie mir -- die Frau Bundestagspräsidentin ist gemeint sicher der letzte spektakuläre Fall aus einer Fernsehsendung bekanntgeworden sein. Danach hat der „Spiegel" gegen 15 000 DM Honorar ein Interview der in Stuttgart einsitzenden Häftlinge auf sechs Druckseiten veröffentlicht. ({13}) Der gleichen Quelle habe ich entnommen, daß es eine schriftliche Abmachung zwischen diesem Magazin und dem bekannten Rechtsanwalt Croissant gibt. Sie enthält eine Verschwiegenheitsklausel, nach der sich beide Seiten verpflichten, über das Zustandekommen dieser Publikation Stillschweigen zu bewahren, ansonsten eine Konventionalstrafe von 50 000 DM zu zahlen ist. ({14}) Das sind nur - ich lege Wert auf den letzten Absatz - einige Hinweise. ({15}) Bei systematischer Untersuchung des Komplexes oder bei einer gründlichen gerichtlichen Beweisaufnahme dürften noch mehr Zusammenhänge und umfassende Materialien zutage kommen. Mit freundlichen Grüßen, Ihr ... ({16}) In diesem Zusammenhang möchte ich dem Herrn Bundesminister des Innern, nicht in seiner Eigenschaft als FDP-Politiker, sondern in seiner Eigenschaft als Bundesminister des Innern, der sich auch nach meiner Überzeugung des Ernstes und der Verantwortung seiner Aufgabe bewußt ist und nach seinen Kräften versucht, ihr gerecht zu werden -- das war auch unser Eindruck bei diesen drei Beratungen, die wir gemeinsam hatten -, ({17}) die Frage stellen, ob ihm aus unterstellten Dienststellen Erkenntnisse über die Zusammenarbeit zwischen den Komitees zur Beseitigung der Isolationsfolter in den Gefängnissen der Bundesrepublik Deutschland und Organisationen der SPD und der FDP vorliegen. ({18}) Bevor Sie eine Antwort geben, bitte ich Sie, sich sehr genau zu informieren und dann dieses Haus exakt zu informieren. Wir wären dann auch sehr dankbar, wenn wir den Inhalt eines solchen Berichts oder Ihre Erkenntnisse erfahren würden. ({19}) Jedenfalls dürften diese Bemerkungen, mit denen noch nicht alles gesagt ist, immerhin beweisen, daß es sich hier nicht um leichtfertige Diffamierung anderer politischer Parteien handelt, ({20}) deren demokratische Substanz von mir immer respektiert und trotz aller Schärfe der Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit anerkannt und bestätigt worden ist, ({21}) in denen es aber auch Gruppierungen am Rande gibt, die ich in dieses positive Urteil nicht mit einbeziehen darf. ({22}) Nunmehr darf ich einen weiteren Problembereich anschneiden, und zwar auf Grund des Beitrages, der heute hier vom Parteivorsitzenden der SPD geleistet worden ist. Er hat heute sozusagen nach einer gewissen Zeit der Abstinenz seine zweite Jungfernrede gehalten. ({23}) - Nein, ich meine Ihren Parteivorsitzenden Willy Brandt, und zwischen den beiden besteht ein erheblicher Unterschied. ({24}) - Wir legen Wert auf die gleiche Feststellung, wenn auch aus anderen Motiven. ({25}) Man hat sich auch die Frage gestellt, ob er vielleicht der Nachfolger seines Nachfolgers werden oder sich mit dieser Rede dafür in Empfehlung bringen will. ({26}) Auf die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten Kühn gehe ich hier nicht ein, ({27}) weil sie unter dem Niveau dieses Hauses liegen, ({28}) ohne daß in diesem Hause immer ein sehr strenger Maßstab angelegt worden ist. Wenn er aber von den Apokalyptischen Reitern spricht, die von der CDU/CSU über das Land geschickt würden, gewissermaßen als Haustiere der CDU/CSU ({29}) - ein dramatischer Vergleich -, dann kann ich sagen: Der Ministerpräsident des volkreichsten und wirtschaftlich bedeutendsten Landes der Bundesrepublik sollte sich auch hüten, die Karnevalskappe als Dienstkleid des Ministerpräsidenten in Empfehlung zu bringen. ({30}) Ihr Beitrag heute, Herr Kollege Brandt, war in mancherlei Hinsicht bedeutsam für den, der Ihren politischen Weg - und zwar so, wie er sich offen darbietet, und so, wie er uns bekanntgeworden ist systematisch verfolgt. Der hat nichts Neues entdeckt, aber die Fortsetzung einer Linie, über die, da es sich ja immerhin um den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands handelt, zu reden lohnt. Es ist ja eine Regierungspartei, und deren Innenleben ist eine Angelegenheit nicht etwa allein der Partei, sondern natürlich auch anderer Parteien und der gesamten politischen Informations-und Willensbildung. Herr Brandt hat sich heute mit Leidenschaft dagegen gewendet, daß man Täter der heute behandelten Art der Linken zurechnen könnte. Herr Brandt, niemand denkt daran, die demokratische Linke in diesem Lande etwa in eine Verbindung mit diesen Tätern zu bringen. ({31}) Aber ich scheue mich auch nicht, zu sagen, daß dieser Täterkreis eine Randerscheinung der sogenannten Neuen Linken ist, ({32}) wie sie sich Ende der 60er Jahre herausgebildet hat. ({33}) - Sie sollten überlegen, bevor Sie törichte Zwischenrufe machen. ({34}) Aber ich weiß: Das Denken ist allen erlaubt, aber manchen bleibt es eben erspart, Herr Kollege. ({35}) Man sollte das Buch eines der bekanntesten deutschen Erziehungswissenschaftler in diesem Zusammenhang erwähnen, dessen parteipolitische Einordnung mir unbekannt ist, der mir auch persönlich unbekannt ist, aber der über die Pädagogik der Neuen Linken vor kurzem etwas geschrieben hat. Es ist ja jetzt von ihm ein umfassenderes Buch im Reinhardt-Verlag erschienen. Aber in dem letzten Buche schreibt er ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin wörtlich -: Man muß von der totalen Gesellschaftskritik, die die Neue Linke vertritt, ausgehen, um ihre wahren Ziele erkennen zu können. Sie lehrt die „totale Negation" jeder bestehenden Gesellschaftsordnung: „das einzige revolutionäre Erfordernis" ist für sie das „Ende der Herrschaft". Die angestrebte „sozialistische Gesellschaft" ist nach Marcuse eine „förmliche Negation der bestehenden Gesellschaften". „Der Sozialismus ist tatsächlich die Sprengung der Geschichte, der radikale Bruch, der Sprung in das Reich der Freiheit, also etwas völlig Neues". - Hier zitiert Brezinka einen der Propheten der Neuen Linken, nämlich Herrn Marcuse. Dieses Denken ist hinsichtlich der Zukunft utopisch, hinsichtlich der Gegenwart aber anarchistisch. ({36}) Man kann nicht bestreiten, daß der große Kreis der Sympathisanten, der die Infrastruktur der Bandenmitglieder sicherstellt, in dem Dunstkreis der Neuen Linken angesiedelt ist. ({37}) Ich glaube, daß ich auch im Namen meiner Freunde sagen darf: Niemand von uns behauptet, daß dieser Dunstkreis etwa in dem Milieu der Arbeiter und Bauern anzutreffen sei, der Angestellten, der freien Berufe, der zahlreichen arbeitenden Mitglieder unserer Gesellschaft. Der Dunstkreis ist in einem anderen Milieu anzutreffen. Aber - und das wollte ich dem Regierenden Bürgermeister von Berlin sagen -: Natürlich, wenn er sich hier gegen eine Milieu-Theorie wendet - die marxistische Milieu-Theorie von der Verelendung oder davon, daß sich das Bewußtsein durch das Milieu qualitativ gestalte; eine alte marxistische Lehre, die er mit Recht ablehnt -, stimmen wir mit Ihnen völlig überein. Niemand von uns hat ja behauptet, daß der Dunstkreis der Neuen Linken und das Milieu der Neuen Linken etwa in der Klasse der Arbeiter und Angestellten zu finden seien, daß sie bei denen, was wir unter gestandenen alten Sozialdemokraten verstehen, zu finden seien. Ich muß Sie einmal fragen: Was würden Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sagen, wenn einer aus unseren Reihen - was mir wahrlich fernläge Herrn Ebert als einen Verräter an der Arbeiterklasse bezeichnen würde, weil er die Räterepublik nicht eingeführt hatte? Wer hat das denn gesagt? Der Vorsitzende der Jungsozialisten, Herr Karsten Voigt, aber niemand von meinen Freunden. ({38}) Wenn einer von meinen Freunden so vermessen oder so ahnungslos über den geschichtlichen Ablauf der Ereignisse nach dem ersten Weltkrieg wäre, Herrn Ebert so zu titulieren, Herrn Ebert, den ich für einen großen Patrioten des deutschen Volkes im 20. Jahrhundert halte, genauso wie Gustav Noske, -Sie können sich darauf verlassen, daß ich mit der mir eigenen Diktion mich dieses Kollegen annehmen würde. Da liegt die Trennungslinie. ({39}) Ich muß einmal fragen: Zu welchem Milieu gehören denn Persönlichkeiten wie Professor Seiffert oder Professor Brückner? Wohin gehören denn andere Sympathisanten, die heute Gegenstand von Ermittlungsverfahren sind, die Mitarbeiter bestimmStrauß ter Rundfunk- und Fernsehanstalten? Wohin gehören denn die, die Unterschlupf und Hilfe gewährt haben, damit die Polizei vor einer hoffnungslosen Aufgabe steht? Die können Sie doch nicht irgendwo im Nirwana definieren, die gehören leider in den Bereich der Neuen Linken hinein. ({40}) Bevor man mit Spiegelfechtereien das Gegenteil sagt, lege man einmal die Listen dieser Persönlichkeiten auf den Tisch und erkläre ihren politischen Hintergrund. Man nehme einmal die den Kriminalpolizeien des Bundes und der Länder bekanntgewordenen Sympathisanten und untersuche ihren Hintergrund. Herr Brandt, dann ist Ihre These nicht mehr haltbar, die Sie heute als Hilfskonstruktion für Alibifunktionen der gesamten Linken hier aufgestellt haben. ({41}) Ich möchte hier einmal die Frage stellen - manchmal soll ja eine politische Debatte nicht als theatrum hypocriticum absurdum ablaufen, und hypocriticum heißt heuchlerisch -: ({42}) Wie wäre es denn, wenn es in der Bundesrepublik eine Organisation horribile dictu, sage ich jetzt, ich bin dafür bekannt, auch heiße Eisen, selbst wenn es mir schadet, anzufassen -, einen Traditionsverband Heinrich Himmler „In Treue fest" gäbe, der Sprengstoffattentate gegen amerikanische Einrichtungen, durch Ermordung amerikanischer Offiziere, Ermordung deutscher Polizisten und durch Entführung deutscher Politiker die Freilassung von lebenslänglich inhaftierten, wegen Nazi-Kriegsverbrechen verurteilten Häftlingen erzwungen hätte? Was würden Sie dann sagen, wenn es eine solche Organisation gäbe? Dann würden Sie die Konservativen in diesem Lande anklagen, daß aus ihnen heraus eine solche Gesinnung erwachsen sei und daß daraus diese Taten zu erklären seien. ({43}) Wenn Sie ehrlich sind, dann leugnen Sie das doch nicht. Dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich, um das in der Vergangenheit zu verdeutlichen, meine Meinung ganz deutlich sagen: Die Feme-Mörder nach dem ersten Weltkrieg, die Rathenau und Erzberger ermordet haben, sind im Dunstkreis der Dolchstoßlegende und ihrer rechtsradikalen Agitatoren seinerzeit zu ihren Taten angestiftet worden. ({44}) Es gab auch eine unverantwortliche und undemokratische Rechte, die damals solche Organisationen erzeugt und solche Täter zu ihren Verbrechen befähigt und ihnen die Durchführung derselben erleichtert und sie noch mit einer gewissen Gloriole ausgestattet hat. Ich habe mich als Kenner der deutschen Geschichte gegen dieses törichte Wort von der Dolchstoßlegende gegen die im Felde unbesiegte deutsche Armee ausgesprochen, gegen dieses vergiftende Wort von den November-Verbrechern, die damals kapituliert hätten, weil die Heimat die Front verraten habe, und ähnliche törichte, die Innenpolitik der Weimarer Republik vergiftende Redensarten. Aber was damals mit dem Ende 1933 auf Rechts gespielt wurde, wird heute auf Links gespielt. ({45}) Das sollten wir uns als Mitglieder dieses Hohen Hauses - gleichgültig, ob man auf der Seite der demokratischen Rechten, der demokratischen Mitte, der demokratischen Linken steht -, wenn Gemeinsamkeit einen Sinn haben soll, ehrlicherweise gegenseitig eingestehen. Diese Vernebelungs- und Verwischungsversuche, Herr Kollege Brandt, haben keinen Sinn. Ich darf aber auch einmal folgendes sagen. Wer hat denn zur psychosozialen Vergiftung, von der, glaube ich, der Kollege Dregger heute gesprochen hat, beigetragen? Von wem stammte denn der Verdacht, Herr Kollege Brandt, daß die CDU/CSU im Gespräch mit den Unternehmern durch Aufruf zur Härte in Lohnverhandlungen einen Generalstreik habe provozieren wollen? Von Ihnen stammt dieser Verdacht, Herr Brandt. Sie haben ihn dann zurückgenommen. ({46}) Von wem kommen denn die Aufforderungen - sobald man glaubt, die eigenen Wahlchancen seien in Gefahr - zum Holzen? Woher kommt das unglückselige Wort vom Schreibtischtäter? Wer hat davon gesprochen, die Betriebe zu mobilisieren, ({47}) den Druck der Straße zu verstärken usw.? Von wem kommt denn die Einteilung der Nation in anständige und in unanständige Deutsche? ({48}) Dabei waren Sie der Meinung, daß die anständigen Deutschen hinter Ihnen stehen, was automatisch heißt: Wer nicht hinter Ihnen steht, gehört zu den unanständigen Deutschen. ({49}) Ich habe hier schon einmal, Herr Kollege Brandt, von diesem Platze aus auf eine Veröffentlichung von Ihnen hingewiesen, die Sie autorisiert und mit Ihrer Unterschrift versehen haben. In dieser Veröffentlichung - es ist ein Nachwort zu dem Buch „Chancen und Aufgaben deutscher Politik" - heißt es: Es ist wahr, daß die Bundesepublik Deutschland dem ihr anvertrauten Teil der Nation eine freiheitliche Ordnung mit allen Möglichkeiten positiver Fortentwicklung gegeben hat. Ich lasse dann einige gute Sätze der Kürze halber aus. Danach fahren Sie fort: Sie setzte die Kräfte frei zu einem beachtlichen Wiederaufbau, aber einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit wich sie aus. Gerade des10822 halb ist sie gegen Rückfälle in ein SchwarzWeiß-Rot-Braun-Denken nicht völlig gefeit. ({50}) Das, Herr Kollege Brandt, ist ein Beitrag zur politischen Vergiftung der Atmosphäre in unserem Lande. ({51}) Was heißt denn „radikaler Bruch mit der deutschen Vergangenheit"? Kollege Dregger hat heute dieses Thema in sehr klaren und eindringlichen Worten behandelt. Für uns gehört der bedauerliche und makabre Teil der deutschen Geschichte auch zu unserer Vergangenheit. Wir haben keinen Grund, uns etwa vor ihm zu drücken und ihn als ein ungutes Kapitel aus dem Buch unserer Geschichte zu reißen. Wer das tut, handelt geschichtswidrig, intellektuell unehrlich und politisch irreführend. Aber Sie, Herr Kollege Brandt, folgen einer geganklich-geistigen Linie, nach der die besseren Seiten der deutschen Geschichte eigentlich erst mit Ihrer Amtsübernahme als Kanzler eingesetzt haben. ({52}) Von Ihnen wird das Wort berichtet, Hitler habe jetzt erst, nachdem Sie Kanzler geworden seien, den zweiten Weltkrieg verloren. ({53}) Wir, die wir damals gesagt haben, wir wollten den zweiten Weltkrieg nicht noch einmal verlieren, wir müßten soviel an Gebiet, an Menschen, an materieller Substanz und an Gestaltung eines erträglichen irdischen Daseins, an gesichertem Frieden wieder aufholen, sind damals von gewissen Propagandisten Ihrer Partei - über deren viele Sie ja verfügen - als rechtsradikale Hetzer verschrien worden. Sie haben zu dieser deutschen Geschichte kein Verhältnis! ({54}) Denn radikaler Bruch mit der Vergangenheit heißt in Ihrer Diktion und Ihrer geistigen Vorstellungswelt nicht nur Überwindung des Nationalsozialismus, seiner Denkkategorien und seiner Vorgeschichte. Wenn Sie das gemeint hätten - -({55}) - Die deutsche Vergangenheit besteht nicht aus den zwölf Jahren und die Zukunft nicht aus der sozialliberalen Regierung in diesem Lande. ({56}) Dahinter steckt schon mehr in Ihrer Vorstellungswelt. Der sozialdemokratische Orientierungsrahmen bis 1985 beweist ja, daß Sie sich um die geistige Klärung gewisser Begriffe - z. B.: was ist das Verhältnis von Marxismus und demokratischem Sozialismus? - auch heute noch wortreich herumdrücken. Ihre Interpretation des Godesberger Programms beweist uns doch das gleiche; ich habe allerdings nicht die Zeit, hier im einzelnen darauf einzugehen. Sie leiden einfach unter der Vorstellung, daß ein demokratischer Staat, der in diesem Hause, wenn auch erst durch Ihre Kanzlerschaft vollendet und erfüllt, entstanden ist, von einer nichtdemokratischen Gesellschaft überlagert werde. Sie sehen es als Ihre Aufgabe an, durch Ihre Art Gesellschaftspolitik diese Gesellschaft so zu ändern, daß sich demokratischer Staat und demokratisierte Gesellschaft Ihrer Vorstellung gegenseitig entsprechen sollen. Das ist leider ein Zeugnis einer, ich darf sagen, weitgehenden, wenn nicht profunden Verwischung und Verwirrung und Vermengung der geistigen Kategorien und der Problembereiche. Demokratie in Staat und Gesellschaft ist nicht das gleiche. Der Staat ist nicht ein Feind der Freiheit, er muß auch - darüber reden wir doch heute - ein Garant, Retter und Schützer dieser Freiheit sein. ({57}) Ihre Vorstellungen, ich darf auch sagen: die arrogante Gleichsetzung von Sozialismus und Demokratie ist ja genau das Gegenteil von dem, was Toleranz und Liberalität bedeuten. ({58}) Ihre Vorstellungen von der Demokratisierung der Gesellschaft führen zum Ende der Demokratie im Staat und zur schrittweisen Auslöschung der individuellen Freiheit durch Funktionsherrschaft und kollektive Organisationsformen. ({59}) Wenn man dieser Entwicklung ein hartes Nein entgegensetzt, dann verletzt man die Solidarität der Demokraten. ({60}) Dann verunglimpft man den politischen Gegner und verstößt man wider die politischen Spielregeln. Was ist denn das, was in diesem Hohen Hause seit einigen Jahren eingerissen ist? Daß wir alle - vor allen Dingen in den Außenbereichen - nicht mehr in den Kategorien derselben Wertordnung denken! Wir halten die Wertordnung, wie sie im Grundgesetz niedergelegt ist, wenn sie auch nicht perfekte Gerechtigkeit und totale Glückseligkeit auf Erden bringen kann, immer noch für das relativ Beste, was man als Staat und Gesellschaft machen kann. Aber ist es denn nicht bei Jungsozialisten und Jungdemokraten so, daß genau diese Gesellschaft einer marxistischen Zukunftsutopie geopfert werden soll? Dagegen kämpfen wir, und dagegen lehnen wir uns leidenschaftlich auf. ({61}) Das ist, wenn Sie wollen - ich sage es nicht erbittert oder mit Schaum vor dem Mund -, für uns Anlaß zur Konfrontation, wo es um unvereinbare Gegensätze geht, nicht wo es um die bessere LeiStrauß stung in der Erfüllung gemeinsamer Wertordnungskategorien geht. ({62}) Wenn wir nicht dauernd mit politischen Prädikaten belegt würden - Herr Carstens, Herr Dregger, ich; ({63}) Herr Kohl wird bald das gleiche Vergnügen haben, wenn es sich nicht mehr als besonders wertvoll erweisen sollte, mich anzugreifen; Stoltenberg nicht zu vergessen, damit keiner der Kandidaten hier unerwähnt bleibt , ({64}) würde ich nicht sagen, Herr Brandt und Herr Wehner, daß Sie mit solchen Werturteilen - und das sollten Sie auch denen sagen, die sie mit Ihrer Duldung verbreiten - sehr vorsichtig sein sollten; denn wer in seinem Leben Etappen volksfrontartiger Einstellung hatte, der soll Demokraten, die damals zu jung waren, auf der einen oder anderen Seite zu stehen, die aber auf Grund ihres Milieus und ihrer Tradition zur bürgerlichen Mitte gehörten, heute nicht mit dem Stempel des Rechtsradikalen beschimpfen, diffamieren, denunzieren und zum allgemeinen Haß freigeben. ({65}) Wer hat denn die Weimarer Republik ruiniert? ({66}) Aus dem politischen Hintergrund, aus dem ich komme, mit den Eltern in der Bayerischen Volkspartei, mit meinem Vater als politisch Verfolgten, bestimmt nicht. Die Weimarer Republik ist in Idealkonkurrenz und Komplicengemeinschaft von den Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Kommunisten seinerzeit ruiniert worden. ({67}) Und damals, Herr Wehner, waren Sie nicht an der Seite von Otto Wels, der heute so strapaziert worden ist. ({68}) Und Sie, Herr Brandt? Ich bin kein Kenner der Parteienlandschaft des Jahres 1933. Aber die SAP, der Sie damals angehört hatten, war auch weit links der damaligen SPD angesiedelt. ({69}) Ich liebe diese Auseinandersetzung nicht. Aber angesichts der heuchlerischen Töne und der diffamierenden Unterstellungen muß darüber einmal ein klares Wort gesagt werden. ({70}) Sie - die älteren Würdenträger der SPD - mögen nach Ihrer politischen Erfahrung und bei Ihrer politischen Intelligenz, über die Sie ohne Zweifel verfügen, Ihre eigenen Vorwürfe dieser Art gegen uns gar nicht so ernst nehmen. Aber merken Sie denn nicht, welche verheerenden Vergiftungserscheinungen Sie in der nächsten politischen Generation mit dieser Art des Umgangs mit dem politischen Gegner bereits herbeigeführt haben? Nicht wir, Sie! ({71}) Wenn wir einmal hart zurückschlagen, ({72}) dann ist ein großes Wehklagen und Tränenvergießen über den Mangel an demokratischer Solidarität. ({73}) - Wenn's Ihnen gut geht, Herr Wehner, dann brüllen Sie im Lande: „Wir brauchen keine Opposition!" ({74}) Wenn Sie ins Wasser gefallen sind, verlangen Sie von der Opposition, daß sie reinspringt, mit Ihnen das kalte Bad nimmt, und Sie beschimpfen die als politische Übeltäter, die nicht bereit sind, reinzuspringen, sondern dann auf Konfrontation gehen. ({75}) - Wenn Sie es noch einmal hören wollen, aber dann nicht zu Lasten meiner Redezeit. Es ist nicht zu bestreiten, daß Herr Wehner im Lande - so habe ich in der Erinnerung -, nicht in diesem Hause, einmal aus gegebenem Anlaß erklärt hat: „Wir brauchen keine Opposition." ({76}) - Wenn es stimmt, daß Sie das hier gesagt haben, dann ist es noch empörender, daß Sie heute auf diese Bemerkung Kohl's hin den Zwischenruf „Feiger Verleumder!" gemacht haben. Aber ich sage nur, daß Sie einmal davon gesprochen haben: Wir brauchen keine Opposition, wir brauchen die Opposition nicht. ({77}) Wenn Sie aber in Schwierigkeiten geraten, wenn sich der Unmut der Öffentlichkeit wegen Ihrer Fehler und Versäumnisse gegen Sie wendet, dann verlangen Sie unter dem Stichwort „Solidarität der Demokraten", daß die Opposition mit Samtpfoten mit Ihnen umgeht, ihre Kritik einstellt, um des gemeinsamen Wohles der SPD willen - nicht des Staates willen - dann einen Maulkorb erträgt und mit Ihnen die gleichen Lieder singen soll. Nein, Herr Wehner! ({78}) Wenn schon, singen wir gute deutsche Haus- und Volkslieder. Herr Kollege Brandt, wenn Sie von „Dunstkreis" sprechen oder mich hier angreifen, darf ich Ihnen einmal einige ungute Tatsachen in Erinnerung rufen. Sie wissen doch, daß eine einsitzende Gewalt10824 verbrecherin, Gudrun Ensslin, Mitarbeiterin im Wahlkontor von Günter Grass und anderen Schriftstellern war, die damals die Reden Ihres Wahlkampfes im Jahre 1965 geschrieben haben. ({79}) Sie wissen doch, daß der jetzt durch Ausfliegen in die Freiheit entlassene - im Consensus; ich bekenne mich nach wie vor zu dieser Verantwortung - Rolf Pohle Mitglied der Münchener SPD war. ({80}) Und als er wegen Gewalttätigkeit bei Demonstrationen zu 15 Monaten verurteilt war, wurde er von der Münchener SPD noch immer nicht mit einem Partei-ordnungsverfahren verfolgt. Es wurde nur später dann erklärt, da er keine Beiträge mehr zahle, werde er nicht mehr als Mitglied geführt. ({81}) Herr Kollege Brandt, ich schätze - ich habe Sie gelegentlich erleben dürfen - Ihre menschliche Bonhomie und Ihre personale Jovialität; das unterscheidet Sie von Herrn Wehner. ({82}) Aber - ich rede hier nicht heuchlerisch; Pech kann ein jeder haben, und keinem steht es an, über einen anderen die Nase zu rümpfen, wenn der andere selber oder mit seiner Familie einmal in Schwierigkeiten gerät - wir waren sehr überrascht, seinerzeit und noch mehr später, als der Knabe sich weiterentwickelte, zu vernehmen, daß Herr Mahler ein Familienmitglied von Ihnen verteidigt hat, der damals von den „Scheißbullen der Polizei" gesprochen hat. Hier spricht man der Polizei den Dank aus, aber man hat dann Anwälte in der Nähe, die damals schon mit ihrem anarchistischen Treiben begonnen haben. Diese Doppelstrategie, Herr Brandt, können wir hier, wenn Sie glauben, uns so behandeln zu können, nicht unerwähnt lassen. ({83}) Ich habe in meinem Interview in ,der „Welt" am letzten Samstag ausdrücklich erklärt, daß ich weder die neue Linke für kriminell halte noch die Jungsozialisten damit identifiziere und daß ich es für selbstverständlich halte damit meine Kriktik hier nicht verwischt oder falsch verstanden wird -, daß weder Herr Brandt noch Herr Wehner noch Herr Schmidt irgend etwas mit Sympathie für Gewalttätigkeiten zu tun hat. Das habe ich in der „Welt" erklärt. Damit niemand sagen kann: das ist ein Interview, das verklungen ist, wiederhole ich es hier. ({84}) - Das sollten Sie nicht zum Gegenstand gehässiger Zwischenrufe machen, sondern Sie sollten in intellektueller Redlichkeit anerkennen, wo ich die Grenzlinie ziehe. ({85}) Aber dazu sind Sie ja offensichtlich unfähig. ({86}) Ich möchte die Vielzahl der möglichen Zitate hier nicht noch vermehren. Aber wenn wir den Vorwurf erheben, daß hier verharmlost, daß beschönigt, daß idyllisiert worden sei in der Darstellung der Gefahr - oder in ihrer Nichtdarstellung -: Herr Brandt, von Ihnen hört oder liest man doch, es handle sich um eine kleine Schar kriminell gewordener Phantasten. Sie sprechen vom Verhalten einer kleinen Gruppe, die von uns zur ernsten Bedrohung für den Staat hochstilisiert werde. Hat nicht der Justizminister der heutigen Bundesregierung - und das ist keine Indiskretion - die Gefahren, die aus der Erfüllung der Forderungen der Erpresser - die wir trotzdem aus den genannten Gründen erfüllt haben - resultieren, sehr eindringlich aufgezeigt? Es ist doch Schizophrenie, wenn es auf der einen Seite heißt, wir stilisierten das Treiben einer kleinen Gruppe zu einer ernsten Bedrohung für den Staat hoch, und wenn uns dann wieder - nicht zu Unrecht vorgehalten wird, welche unübersehbaren Konsequenzen für den Rechtsstaat aus einem solchen Vorgang erwachsen können. Dagegen wenden wir uns. Das ist moralische Schizophrenie! ({87}) Es ist die Rede von einer „wirklichkeitsblinden Hysterie" und ähnlichem. Deshalb, Herr Kollege Brandt, kann ich Ihnen den Vorwurf wirklich nicht ersparen: Auch Sie waren - jetzt allerdings mit verminderter Wirkungskraft und Ausstrahlungsfähigkeit - ein Idol und ein Prophet der Schwarmgeister in unserem Lande ({88}) und gleichzeitig einer der großen Verharmloser und Simplifizierer ({89}) in der Aufzeigung der wirklichen Zusammenhänge und der echten Gefahrenhintergründe. ({90}) Ich wollte, unter denen, die heute in der SPD das große Wort führen, gäbe es mehr vom geistigen, moralischen und politischen Schlage eines führenden Sozialdemokraten mit dem Namen Professor Weichmann. Er hat doch erlebt, wie er in Kiel von der radikalen Linken an der Durchführung seiner Rede gehindert worden ist; er hat doch Worte geprägt, die Sie nicht kritisieren können, weil sie ein Sozialdemokrat gesagt hat, ({91}) die aber sofort, wenn sie aus unserem Munde kommen, ({92}) zum Gegenstand gehässigster Angriffe und finsterster Verdächtigungen werden. ({93}) Ich danke dem Herrn Bundeskanzler dafür, daß er sich heute von seiner Rede in Berlin oder von einem Teil dieser Rede distanziert hat. Herr Bundeskanzler, hier liegen die Dinge etwas anders. Nicht, daß wir diese Distanzierung nicht honorierten - darum geht es gar nicht -, und nicht, daß wir - und das gilt selbstverständlich für mich - nicht wüßten, daß auch ein Mann in hohem Rang, wenn er Vollblutpolitiker ist wie Sie und wenn ihm einmal das Temperament durchgeht, wie Ihnen auch, einmal einen lapsus linguae begeht und sich im Ausdruck vergreift; ich wäre der allerletzte, der Ihnen das vorhält. ({94}) - Ja, ich wäre der allerletzte, der ihm das vorhält! ({95}) Aber eines darf der Bundeskanzler nicht tun. Es geht hier nicht um einen Fehlgriff im Ausdruck. Der ist ihm im Wahlkampf einmal erlaubt; da soll man nicht hyperkritisch oder pingelig sein. Aber eines ist dem Bundeskanzler nicht erlaubt, und das ist der Hintergrund, der daraus spricht, nämlich das Problem der inneren Sicherheit Berlins mit dieser nonchalanten Schnoddrigkeit zu behandeln, wie es hier in dieser Rede geschehen ist. ({96}) Nicht wegen des Ausdrucks, aber wegen der Bewertung der Situation! Und hier möchte ich wissen: Hatten Sie denn wirklich keine Erkenntnisse darüber, daß nach der Einstellung des Hungerstreiks und auf Grund weiterer Indizien ein Anschlag - wenn auch nicht lokalisierbar, aber immerhin, ich drücke mich sehr vorsichtig aus, in gewissen Umrissen möglicherweise ahnbar - unmittelbar bevorstand? Ich habe hier nicht über die Verwaltung Berlins zu reden und habe nicht den Berliner Wahlkampf nachträglich zu gestalten. Aber die Zustände, wie sie an vier Berliner Institutionen herrschen, Herr Regierender Bürgermeister, an der sogenannten Freien Universität, an der Technischen Universität, an der Pädagogischen Hochschule und an einem evangelischen Predigerseminar, sind eine ernste Gefahr für die Sicherheit Berlins, für die Freiheit seiner Bevölkerung, und sie sind ein Nährboden krimineller Umtriebe. ({97}) Man braucht ja nur den Bericht der ÖTV - und das ist wahrlich keine faschistische Organisation - zu lesen, nach dem es den öffentlichen Bediensteten an dieser Universität nicht mehr zuzumuten ist, dort ihre Arbeit zu verrichten, weil dort Dinge geschehen, über die man selbst bei Anlegen großzügigster Maßstäbe in diesem Parlament wegen ihrer Obszönität und Scheußlichkeit nicht sprechen kann. ({98}) Das ist doch das Problem. Was uns seit Jahren an der ehemaligen Reichshauptstadt beunruhigt - das darf ich auch als Münchener sagen -, ist die Tatsache, daß eine durch die Gesetzgebung der Mehrheit dieses Hauses in Sachen Landfriedensbruch und gewalttätige Demonstrationen hilflos gemachte Polizei bei Gewaltanwendung gegen Sachen überhaupt nichts mehr tun kann und bei Gewaltanwendung gegen Personen gerade noch im äußersten Notfall einzugreifen in der Lage ist; siehe Kurfürstendamm und ähnliches. ({99}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, man sollte in diesem Hause über solche Dinge leidenschaftlich - ich sage es ohne Gehässigkeit - reden dürfen. Auch Redner der FDP haben sich - das ist natürlich ihr gutes Recht - an diesem Tage beteiligt. Ein Redner der FDP, MdB Burkard Hirsch, hat am 14. Februar 1974 im Deutschen Bundestag gesagt: „Ich frage mich immer, was Systemveränderer eigentlich sind." Dazu brauchen Sie nur Ihre Jungdemokraten zu fragen; da brauchen Sie gar nicht weit zu gehen! ({100}) Herr Detlef Kleinert, auch Mitglied der FDP-Fraktion, sagte am 7. Juni 1972: „Seit heute befinden sich von den Mitgliedern des Kerns der BaaderMeinhof-Gruppe - bitte, zur Auswahl, der BaaderMeinhof-Bande - nur noch zwei Personen auf freiem Fuß. Das sind Dinge, die man vorzeigen kann." - Herr Maihofer sagte am 11. Juli 1974 - damals war er schon Innenminister -: Wir haben einen erheblichen Rückgang an terroristischen Aktivitäten, sowohl der schweren wie der leichteren Gewalttätigkeit von terroristischen Organisationen. Was die für die Sicherheit dieses Staates nicht machen dürfen, ist selbstverständlich Hysterie zu erzeugen, indem man hinter jeder Ecke einen Bombenleger vermutet. ({101}) Aber es ist auch Ihnen einfach nicht erlaubt, bei vorliegenden Erkenntnissen kriminalpolizeilicher und verfassungsschutzmäßiger Art aus Gründen der politischen Zweckmäßigkeit die Dinge so harmlos darzustellen, wie sie nun leider einmal nicht sind. ({102}) Ich möchte mich auf diese Bemerkung beschränken. Selbst der sonst so kluge Wirtschaftsminister, Herr Friderichs, sagte am 23. Februar als „Weihnachtswort" : Bei der Diskussion über die Baader-MeinhofHäftlinge spielen inzwischen Töne eine Rolle, die nur auf rechte Emotionen Rücksicht nehmen. Ein anderes Mitglied dieses Hohen Hauses, die Kollegin Helga Schuchardt, sagte: Teile der CDU/CSU-Politiker und der Springer-Presse unterstützen die Anarchisten dabei, den Boden für einen neuen Faschismus vorzubereiten. ({103}) So lautete jedenfalls eine Meldung in der „Welt" vom 8. März 1975. Das ist nur eine kleine Blütenlese aus der Vielzahl der möglichen Zitate. Diese Blütenlese sollte nicht als Ausdruck politischer Gehässigkeit gewertet werden, wie es leicht geschieht. ({104}) - Es sind Originalzitate mit Angabe der Fundstellen, und nicht obskure Quellen, auf die man sich soundso oft gegen mich beruft. ({105}) Man sollte das vielmehr als Ausdruck unserer ernsten Sorge um die Solidarität der Demokraten sehen, um was, was Demokraten im Kampf um eine gemeinsame Wertordnung und in der Verhinderung uns gemeinsam bedrohender Gefahren gemeinsam denken, gemeinsam sprechen und gemeinsam tun sollten, und zwar unbeschadet der Schärfe der parlamentarischen, politischen Auseinandersetzung ({106}) - mit Ihnen rede ich über Demokratie nur sehr ungern, Herr Kollege Wehner -, ({107}) die nun einmal ein Wesenselement der parlamentarischen Demokratie ist. Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen. Herr Bundesinnenminister, wir haben heute viel von Ihnen und vom Innenminister eines Landes gehört. Wir haben Beiträge vernommen - zum Teil waren es Verteidigungsreden -, daß man alles getan habe. Finanzielle Größenordnungen spielen keine Rolle; der Erfolg ist das Entscheidende. ({108}) - Dazu kommen die Kandidatenreden, Herr Ehrenberg; das ist ausnahmsweise einmal ein gescheiter Beitrag von Ihnen. ({109}) Die Kandidatenreden waren mehrseitig verteilt. ({110}) Herr Kollege Maihofer, ich weiß sehr wohl aus eigener Amtstätigkeit, daß man manche Dinge nicht im Detail, auch wenn es von neugierigen Parlamentariern erfragt wird, hier im Hohen Hause und damit leider auch Kreisen zugänglich machen kann, die aus diesem Wissen für sich einen bösen Nutzen ziehen können. Aber was ich, Herr Kollege Maihofer, vermisse, was sicherlich im Stadium der Überlegungen ist, aber bestimmt nicht mit Abschluß und im Beginn der Durchführung, das ist ein innerhalb der Mittel unseres Rechtsstaates durchaus mögliches offensives Konzept zur Bekämpfung des verbrecherischen Anarchismus. ({111}) Dafür, Herr Kollege Maihofer - das sage ich nicht, um Sie anzugreifen, sondern um Sie zu entlasten oder zu unterstützen - reicht Ihre Amtsvollmacht und Ihre Kompetenz allein nicht aus. Sie haben einen wesentlichen Teil dieser Verantwortung, aber man kann nicht die gesamte Verantwortung auf Sie und das Bundeskriminalamt schieben. Man muß selbstverständlich die Länder dafür mitverantwortlich machen. Darüber habe ich heute nicht mehr zu reden. Das reicht aber auch in den Bereich der Geseztgebung hinein, und da läßt es sich nach dem, was wir heute gehört haben, gerade nach dem letzten Beitrag von Herrn Theisen, nun einmal nicht leugnen, daß die in diesem Hause seit 1969 regierende Mehrheit - siehe Änderung des Demonstrationsrechtes, siehe totale Verwischung des Delikts des Landfriedensbruchs oder im Versäumnis auf dem Gebiete eines ausreichenden Haftrechtes, im Versäumnis auf dem Gebiete der Änderung der Strafprozeßordnung zur Kontrolle verbrecherischer Kontakte zwischen Anwälten und Häftlingen - schlechterdings aus weiß Gott welchem Grunde, aber sicherlich auch wegen der Schwierigkeiten und Widersprüche in den eigenen Reihen oder im Hinblick auf befreundete Presseorgane im kommenden Wahlkampf ihre Pflicht für diesen Staat und die Freiheit seiner Menschen nicht voll erfüllt hat. ({112}) Dieses offensive Konzept muß die Gesetzgebung und einen verbesserten Verfassungsschutz einschließen. Sie muß personell und materiell unterstützt werden durch die Dienste der Kriminalpolizeien des Bundes und der Länder, der uniformierten Polizei, der Schutzpolizei, der Bereitschaftspolizei, des Grenzschutzeinzeldienstes, auch des Zolles, ({113}) der bayerischen Grenzpolizei, ({114}) des Bundesgrenzschutzes, ({115}) der Fahndungsdienste der Bundesbahn und der Bundespost, ({116}) der Öffentlichkeitsfahndung, und zwar sowohl der Personenfahndung wie der Sachfahndung, und der Öffentlichkeitsarbeit gegen die Public-RelationsTätigkeit höchst wirksamer Art, die aus den Zellen heraus mit Hilfe ihrer verlängerten Arme unternommen wird. Dies ist nicht oder unzulänglich geStrauß schehen. Es ist die Aufgabe einer demokratischen Opposition, in Solidarität zu den Maßnahmen zu stehen, wie heute am Eingang meiner Rede dargestellt worden ist. Aber im Interesse der Bürger, im Interesse ihrer Sicherheit und ihrer Freiheit, im Interesse der Erhaltung des Rechtsstaates auf diesem Gebiete eine klare Konzeption, ein zügiges Vorgehen und eine von politischen Tellerranderwägungen freie Gestaltung der Gesetzgebung im Rahmen rechtsstaatlicher Normen vorzunehmen, dazu ist dieses Haus und ist vornehmlich seine regierende Mehrheit verpflichtet. Wenn hier Versäumnisse vorgekommen sind, dann sage ich Ihnen sehr deutlich: das können Sie doch nicht der Opposition anlasten. Wir haben doch nicht die Mehrheit, und wir haben doch nicht die Initiative. ({117}) Wir sollen doch nicht immer die Regierung anschieben. - Wenn Sie sagen: „Aber gehabt", dann antworte ich Ihnen, ohne daß der zeitliche Zusammenhang „post hoc, ergo propter hoc" eine Ursache bedeutet: in der Zeit, in der wir regiert haben, gab es diese Erscheinungen nicht, aus welchem Grunde auch immer. ({118}) Wenn hier mein Nachredner, Kollege Schäfer, erklärt: „ganz neu", und dies in ironischem Tone: Man sollte doch erwarten, daß bei einer Debatte über die Verbesserung der inneren Sicherheit, um Maßnahmen der inneren Sicherheit auch mehr über das offensive Konzept der Verfolgung verbrecherischer Anarchisten und ihrer Unschädlichmachung gesprochen wird. Das ist wichtiger als gegenseitige Schuldzumessung, ({119}) als Kompetenzstreitigkeiten und wichtiger als Alibireden, man habe ja alles getan, aber trotzdem leider keinen Erfolg erzielt. ({120}) Das offensive Konzept ist eine Sache der Fachleute. Soweit es die Mitwirkung der Opposition erfordert, können Sie sich darauf verlassen, daß wir hier in diesem Hause, in der Öffentlichkeitsarbeit draußen und in den von CDU und CSU regierten Ländern Sie in jeder Weise unterstützen werden, wenn Sie endlich einmal das tun, was getan werden muß. ({121})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um mit der letzten Bemerkung des Abgeordneten Strauß zu beginnen: die Behauptung, Herr Strauß, zu der Zeit, in der Sie regiert haben, hätte es derartige Erscheinungen - aus welchen Gründen immer, so haben Sie eben gesagt - nicht gegeben, ist, wie Sie sich leicht erinnern werden, unzutreffend. Ich darf Sie an das Jahr 1968 erinnern. Es hat diese Erscheinungen zu Beginn der 60er Jahre nicht gegeben; das ist wahr. Aber ebenso ist wahr, daß sie sich in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, zur Zeit der Großen Koalition und zur Zeit der Notstandsdebatte, auch in unserem Lande zu entwickeln begonnen hatten. ({0}) Sie haben in Ihrer Rede, Herr Kollege Strauß, bis auf die letzten 10 oder 8 Minuten, das Feld der inneren Sicherheit relativ weit verlassen. Das galt auch schon für die Rede des Herrn Ministerpräsidenten Kohl, der nicht zu den Gesetzentwürfen, auch nicht zu Baader-Meinhof und relativ wenig zur inneren Sicherheit, sondern zur allgemeinen Politik geredet hat, ({1}) genauso wie inzwischen eine ganze Menge anderer auch. ({2}) Das gibt mir das Recht, auf einige dieser Punkte wenigstens gegen Ende dieser Debatte zurückzukommen, zumal der Herr Ministerpräsident Kohl an verschiedenen Stellen ausdrücklich an mich appelliert hat und ich auch ansonsten angesprochen worden bin. Ich möchte aber zunächst eine Bemerkung zu dem gleichfalls nicht mehr anwesenden bayerischen Staatsminister Merk machen. Es scheint ein großer Unterschied zu sein zwischen dem, was dieser Staatsminister im Kreise der Innenminister und der Polizeifachleute redet, und dem, was er hier vor dem politischen Forum redet. ({3}) Es tut mir leid, daß ich Herrn Merk jetzt, da er nicht mehr anwesend ist, nicht mit der Schlußbemerkung des Herrn Strauß konfrontieren kann, wonach es nicht auf den guten Willen, sondern nur auf das Ergebnis, auf den Erfolg ankomme, - so haben Sie gesagt. Der Erfolg in Fürstenfeldbruck hat Sie ja wohl nicht überzeugt, Herr Strauß. Ich mache Herrn Merk dafür nicht verantwortlich; ich billige ihm den allerbesten Willen zu. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundeskanzler - ({0})

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Ich billige außerdem ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Ich bitte, Frau Präsidentin, doch einige dieser Zwischenrufe zu registrieren; sie scheinen mir einen Ordnungsruf wert zu sein. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundeskanzler - -

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Ich billige nicht nur dem Staatsminister Merk, sondern auch den beiden anderen Politikern, Spitzenpolitikern, die an Ort und Stelle beteiligt waren, ({0}) obwohl sie selber gesetzliche Verantwortung insoweit nicht trugen, nämlich dem Abgeordneten Strauß und dem damaligen Bundesinnenminister Genscher, zu, daß sie sich nicht nur die größte Mühe gegeben, sondern auch großen persönlichen Mut dabei bewiesen haben. Ich führe dieses nur aus, Herr Strauß, ({1}) um die Bemerkungen zurückzuweisen, allein sein Erfolg entscheide über die Gesinnung eines Mannes, den sie abqualifizieren wollen. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Nein, es ist den ganzen Tag nicht üblich gewesen. ({0}) Nun hat der Ministerpräsident Kohl ausgeführt, innere Sicherheit bestehe nicht nur in ihren objektiven Gegebenheiten, sondern auch darin, wie sie sich dem Bürger darstelle. Das mag wohl so richtig sein. Ich füge hinzu: oder wie sie dem Bürger dargestellt wird, z. B. von Herrn Kohl und seinen Parteifreunden, z. B. von dem Abgeordneten Strauß. Ich muß Sie, Herr Abgeordneter Strauß, daran erinnern, daß Sie, während der Herr Lorenz noch entführt war, und in dem Zeitpunkt, in dem dieses Gremium, das Sie vorhin Ihrerseits mit Respekt in seiner Arbeit und seinen gemeinsamen Entscheidungen hervorgehoben haben, seine Beratungen abhielt, gleichzeitig in einem Zeitungsinterview gesagt haben - Sie waren nicht der einzige , weder das Bundeskriminalamt, das hilflos sei, noch die Berliner Polizei wisse, was zu tun sei. Es hilft nichts, heute hier die Polizei zu loben und sich zu bedanken, die Polizei aber in dem Augenblick, wo es auf sie ankommt, so zu schelten, wie Sie es getan haben. Das ist doppelte Zunge! ({1}) Ich kann leider den Ministerpräsidenten Kohl nicht mehr zum Zeugen dafür rufen, der dabei war, aber ich könnte den Justizminister Theisen zum Zeugen rufen, der dabei war, daß ich Sie in jenem Gremium auf dieses Zeitungsinterview hin angesprochen habe, weil es doch im Widerspruch zu der dort gemachten Bemerkung des Parteivorsitzenden der CDU stand, daß wir hier alle an einem Strang ziehen müßten. Ich habe Sie also auf dieses Ihr Zeitungsinterview angesprochen und habe Sie gefragt: Jetzt seien insgesamt in zwei oder drei Sitzungen sechs oder sieben Stunden Beratungen vergangen, Sie hätten bisher einen Ratschlag für das Verhalten der Polizei noch nicht gegeben, ob Sie ihn jetzt geben könnten. ({2}) Sie haben darauf geantwortet: Wieso, bin ich der Polizeipräsident von Deutschland? ({3}) Das war alles, was Sie in dieser Stunde zur Sache selber beitragen konnten. ({4}) Aber öffentlich haben Sie zum selben Zeitpunkt die Organe der öffentlichen Sicherheit angegriffen. Dazu steht das, was Sie heute abend hier gesagt haben, im Widerspruch, so, wie vieles, was Sie hier reden, im Widerspruch zu Ihrer wirklichen inneren Gesinnung steht. ({5}) Der Herr Ministerpräsident Kohl hat heute morgen gesagt, er lasse den Kollegen Strauß nicht allein im Regen stehen. ({6}) Ich glaube, wir verstehen alle, was der Herr Kohl mit dem Wort „Regen" gemeint hat. Ich komme darauf noch zurück. ({7}) Mir liegt daran, herauszustellen, daß diese Solidaritätserklärung des Herrn Ministerpräsidenten Kohl und das Gesamtverhalten der CDU/CSU-Fraktion in diesem Augenblick von außerordentlicher politischer, innenpolitischer Bedeutung für unser Land sind. ({8}) Herr Kohl hat mich darauf angesprochen, angeblich sei ja der Herr Abgeordnete Strauß der WunschBundeskanzler Schmidt gegner - so hat er sich ausgedrückt - des Bundeskanzlers. Ich glaube nicht, daß ich Anlaß zu dieser Bemerkung gegeben habe. Aber ich will gern offen hinzufügen: Ich fände es, was die innenpolitische Situation in diesem Lande anlangt, der Klarheit und der Wahrheit wegen schon richtig, wenn sich die CDU/CSU endlich dazu durchringen würde, den Mann, der in Wahrheit ihr geistiger Führer ist, auch zum Kanzlerkandidaten zu nominieren. ({9}) Ich komme auf die Bemerkung über den Regen zurück, die der Herr Ministerpräsident Kohl gemacht hat. Der Kollege Strauß hat ja soeben in seiner Rede die „Spiegel"-Veröffentlichung als nicht autorisiert bezeichnet. ({10}) - Er hat sie auch als nicht authentisch und unzulässig gekürzt bezeichnet. ({11}) Es hätte nur gefehlt, Herr Abgeordneter Strauß, Sie hätten gesagt, Sie hätten mit der ganzen Rede nichts - im wahrsten Sinne des Wortes: nichts - zu tun; nur das hat noch gefehlt. ({12}) Es stimmt, Herr Abgeordneter Strauß, soweit ich es übersehen kann, daß allerdings in jenem Nachrichtenmagazin der Redetext gekürzt ist. Aber Sie übersehen offenbar, daß die volle Nachschrift - 20 Seiten - Ihrer Rede hier im Umlauf ist. Ich z. B. besitze auch ein Exemplar. ({13}) - Wenn Herr Strauß der Rede abschwören will, soll er doch gegen diejenigen klagen, die sie veröffentlicht haben. ({14}) Er hat doch sonst viele Prozesse mit dem „Spiegel" geführt! ({15}) Herr Strauß hat heute abend eine Ablenkungsrede gehalten. ({16}) Er hat gesagt, er wolle das mit den Sympathisanten, was er da in Sonthofen von sich gegeben hat, nicht im allgemeinen auf die beiden Koalitionsfraktionen beziehen, auch gar nicht auf die Linke im Sinne meines Freundes Willy Brandt, aber doch auf die Neue Linke, und dann kam zwanzig Minuten lang im Tone des Vorwurfs - ({17}) - Durchaus ein präziser Begriff, Herr Dregger. Nur, das, was diesen Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß charakterisierte, war doch der unterschwellige Versuch, beim Hörer in Wahrheit eben doch die Neue Linke in dem Sinne, in dem er sie meinte, mit meinem Freund Brandt und mit meiner eigenen Partei in einen geistigen Zusammenhang zu bringen; das war der wahre Sinn. ({18}) Mit viel Aufwand von Witz, mit Zitaten aus einigen zwölf oder zwanzig verschiedenartigen Quellen haben Sie hier, Herr Strauß, die Spuren verwischen wollen. Mir scheint, es ist für das Protokoll des Deutschen Bundestages notwendig, daß wenigstens zwei oder drei - wenn die Zeit schon nicht für mehr reicht - der bemerkenswertesten Teile jener Rede hier ins Protokoll kommen, damit man erkennen kann, was der Unterschied zwischen dem ist, was Sie hinter verschlossenen Türen wirklich bewegt, und dem, was Sie hier in der Öffentlichkeit darbieten. ({19}) Ich zitiere, Herr Strauß: Jetzt hier in demokratischer Gemeinsamkeit zu sagen, wir Demokraten in SPD, FDP und CDU/ CSU, wir halten also jetzt nun zusammen in dieser Situation, hier müssen wir den Rechtsstaat retten - das ist alles blödes Zeug! ({20}) Sie haben vorhin in viel vorsichtigerer verbaler Form versucht, diesen Gedanken hier neu einzuführen. Sie haben nur übersehen, daß Sie sich damit in vollständigen Gegensatz zu den Ausführungen gebracht haben, die der Ministerpräsident Kohl, der Vorsitzende Ihrer Schwesterpartei, am selben Pult, am selben Tage hier heute gemacht hat. ({21}) Es geht ja weiter. Sie haben kurz nach dem Falle Drenkmann und vor dem Falle Lorenz - so alt ist ja die Sonthofener Rede - gesagt, wie Sie z. B. bei Gelegenheiten wie heute im Bundestag reagieren wollten. Sie haben damals gesagt: Wir müssen sagen, die SPD und FDP überlassen diesen Staat kriminellen und politischen Gangstern. Und zwischen kriminellen und politischen Gangstern ist nicht der geringste Unterschied, ({22}) sie sind alle miteinander Verbrecher. Und wenn wir Bundeskanzler Schmidt - die CSU hinkommen und räumen so auf, - ({23}) - Nun hören Sie doch zu. Sie werden immer dann unruhig, wenn es für Sie unbequem wird! ({24}) Diese Passage in der Rede des Herrn Kollegen Strauß endet so: Und wenn wir hinkommen und räumen so auf, daß bis zum Rest dieses Jahrhunderts von diesen Banditen keiner es mehr wagt, in Deutschland das Maul aufzumachen. Selbst wenn wir es nicht ganz halten können. Aber den Eindruck müssen wir verkörpern. Diesen Eindruck, Herr Abgeordneter Strauß, haben Sie in der Tat heute verkörpert. ({25}) Sie haben ja auch damals schon, kurz nach dem Falle Drenkmann und vor dem Falle Lorenz, zur Taktik gesagt: Nur anklagen und warnen, aber keine konkreten Rezepte etwa nennen. Das war ja damals schon Ihre erklärte Strategie! ({26}) Sie können ja auch keine Konzepte nennen, Herr Strauß. Ich will auch noch ein Drittes sagen. Das Haus wollte ja gern um 21 Uhr aufhören. Deswegen fasse ich mich kurz. Wir haben sehr viele überflüssige Reden, von Herrn Theisen und von was weiß ich von Leuten gehört, die mit der Sache nichts zu tun haben. ({27}) Deswegen kriegen Sie aus der Rede von Sonthofen nur noch ein Zitat. In diesem Zitat brüstet sich Herr Strauß mit dem Ergebnis des Landtagswahlkampfes in Bayern. Dann sagt er: Aber die vielen nüchternen harten Fragen der Landespolitik, also der Strukturpolitik, der Regionalpolitik usw., wo man viel Sachkunde braucht, viel Detailkunde braucht, unendliches Maß an Fleiß aufwenden muß und trotzdem keine rauschenden Feste damit feiern kann, all das macht nicht die Wahlergebnisse für morgen aus, sondern die Emotionalisierung der Bevölkerung, und zwar die Furcht, die Angst und das düstere Zukunftsbild sowohl innenpolitischer wie außenpolitischer Art. ({28}) Sehen Sie, das ist genau der Punkt, den meine Freunde den ganzen Tag gemeint haben, als sie Ihnen sagten, daß Sie mit Fleiß und mit Vorsatz Angst in Deutschland verbreiten. Und das tun Sie. ({29}) Um Ihnen ein Wort von vor 20 Minuten zurückzugeben, Herr Abgeordneter Strauß: Gegenüber dem, was Sie da in Sonthofen gesagt haben, war Ihre heutige Rede zwar nur ein schwacher Aufguß. Aber sie war gleichwohl eine suada hypocritica, zu deutsch: eine täuscherische Rede. ({30}) Am heutigen Tage ist mir durch einen glücklichen Zufall, Herr Strauß - das sage ich dann auch Herrn Kohl, der gemeint hat, für eine regierungsfähige Regierung käme es an auf Tatkraft, auf Augenmaß, auf Vernunft; ({31}) er wollte sich damit selbst empfehlen, das ist deutlich - -({32}) - Sie haben sich auf Ihre Art selbst empfohlen. ({33}) - Ich habe heute morgen eine sehr sachliche Rede zur Sache gehalten, auf die Sie leider nicht eingegangen sind. ({34}) Aber Sie werden sich doch nicht in mir täuschen und annehmen, daß ich auf unsachliche Unverschämtheiten nicht antworten würde, meine Damen und Herren von der Christlich Demokratischen Union! ({35}) Am heutigen Tage ist mir, veröffentlicht über Associated Press, eine Umfrage eines unserer Meinungsforschungsinstitute in die Hand gekommen. ({36}) - Das tut mir leid, Sie werden es noch ein zweites Mal hören müssen. Denn, Herr Kollege Carstens, diese Umfrage beweist, daß Sie mit Ihrer Angstkampagne in Wirklichkeit nicht einmal bei der Mehrheit Ihrer eigenen Wähler ankommen. ({37}) Auf die Frage, ob es in der westlichen Welt Staaten gebe, in denen die Bürger besser gegen Terroristen geschützt seien als in der Bundesrepublik, haben 73,6 °/o der CDU/CSU-Wähler geantwortet: Nein. Naturgemäß haben die Wähler der beiden anderen Parteien noch etwas vernünftiger votiert als die Wähler der CDU/CSU. Aber ich will deren Zahlen hier gar nicht zitieren. ({38}) Auf die spätere Frage, wer denn am meisten gefährdet sei, war sich die überwiegende Mehrzahl der Bundesbürger in der Einschätzung einig, daß die Spitzenpolitiker stärker gefährdet seien. Dazu gehören sicherlich auch Herr Strauß, auch Herr Carstens. Auch wenn es mir schwerfällt, das zuzugeben, gehören Sie, Herr Carstens, der äußeren Form nach dazu. ({39}) - Es läßt sich doch nicht wegleugnen, daß der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion gestern hat sagen lassen, er werde reden; heute redete dann Herr Dregger. Dann hatten wir gehört als zweiter käme Herr Kohl, der aber dann noch nicht kam. Herr Carstens kommt jetzt erst; ich sehe ihn eifrig notieren. Deswegen werde ich ihm noch ein paar Stichworte dazu geben dürfen. Aber Sie, Herr Carstens, werden nicht der letzte sein; es gibt dann immer noch andere Kollegen in diesem Hause. Auf die Frage, wer am stärksten gefährdet sei, war sich die Mehrheit der Bundesbürger einig, daß die Spitzenpolitiker durch die Terroristen stärker gefährdet seien als Normalbürger, und zwar waren 90 °/o der CDU/CSU-Wähler dieser Meinung. Wahrscheinlich mit Recht. Deswegen denke und hoffe ich, daß Sie auch in Zukunft keinen Erfolg dabei haben werden, diesen Ihren eigenen Wählern Angst zu machen, die sie eigentlich nicht zu haben brauchten. Sorgen müssen wir haben, ({40}) und wir müssen uns Mühe geben. Aber das Verbreiten von Angst allein und die Antwort auf eine entsprechende Frage: Ich habe auch nichts weiter an Ratschlägen, denn ich bin ja nicht der Polizeipräsident von ganz Deutschland, - dies zusammen ist kein politisches Konzept, sondern es ist eine politische Bankrotterklärung in Sachen innerer Sicherheit. ({41}) Ich will nachtragen, daß ich dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Herrn Kohl, persönlich abnehme und es gut verstehe, daß er sich z. B. keine Nazi-Vorwürfe gefallen lassen will. ({42}) - Aber er hat es besonders erwähnt. Ich verstehe das. Aber ich möchte eines hinzufügen, Herr Abgeordneter Marx: ({43}) Wenn man eine solche Trennungslinie ziehen will und muß, dann wäre es gut, diese Trennungslinie auch bei den publizistischen Helfershelfern zu ziehen, die einem selbst oder der Schwesterpartei das Material aufbereiten, die es früher zu anderen Zeiten schon für andere aufbereitet haben. ({44}) Ich komme am Schluß noch einmal ({45}) auf den Vorsitzenden der CSU zurück. Sie haben den SPD-Vorsitzenden, meinen Freund Willy Brandt, ein Idol der Schwarmgeister genannt. Das war keine Beleidigung, Herr Strauß! Aber wenn Sie wissen wollen, wie der Mann wirklich - nicht nur in unserem Volke, sondern auch in den übrigen Völkern dieser Welt beurteilt wird, dann erkundigen Sie sich doch dort einmal danach - ob in West- oder in Osteuropa oder in Amerika -, und auch danach, wie Sie selber draußen in der Welt beurteilt werden. ({46}) Sie haben außerdem Anspielungen auf den Lebensgang Willy Brandts gemacht, und Sie haben diesen Mann, der wegen Gefahr für Leib und Leben am Ende der ersten deutschen Demokratie das Vaterland verlassen mußte und der nach dem Ende der Nazizeit 1945 - wiedergekommen ist, um mit seiner Kraft am Aufbau der zweiten deutschen Demokratie mitzuhelfen, vorgeworfen, er habe kein Verhältnis zur deutschen Geschichte. Wissen Sie: Angesichts dieses Lebensweges, Herr Strauß, finde ich, daß der Vorwurf „kein Verhältnis zur deutschen Geschichte" in der Tat jenes Wort verdient, das Sie hier mehrfach ausgesprochen haben: Arroganz. ({47}) Herr Strauß hat sodann außerdem von Toleranz geredet. ({48}) Ich darf Ihnen versichern, Herr Kollege Strauß, nach solchen Reden wie in Sonthofen und heute abend auch hier - und nach dem Vergleich dieser Reden miteinander - haben Sie auf diesem Felde Toleranz nicht verdient. ({49})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Carstens. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000321, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich eben diese zweite Rede des Bundeskanzlers gehört habe, fiel mir das alte lateinische Sprichwort ein: Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben. ({0}) Herr Bundeskanzler, wenn Sie geschwiegen und diese zweite Rede nicht gehalten hätten, wäre der Eindruck einer gewissen staatsmännischen Haltung, den Sie in der ersten Rede gemacht haben, erhalten geblieben; der ist jetzt leider verlorengegangen. ({1}) Es wurde ja auch ganz deutlich, daß diese erste Rede, die Sie gehalten haben, bei Ihrer eigenen Partei, bei Ihrer eigenen Fraktion nicht den richtigen herzhaften Beifall fand, daß jedenfalls die Rede Ihres Parteivorsitzenden Brandt, der übrigens mittlerweile wieder gegangen ist, einen weit stärkeren Beifall fand. Ich finde es deshalb aus Ihrer Sicht ganz verständlich, daß Sie einen gewissen Nachholbedarf spürten ({2}) und nun glaubten, auch Ihrerseits noch einmal kräftig auf die altbewährte demagogische Pauke, zu der Sie ein so inniges Verhältnis haben, schlagen zu müssen. ({3}) Sie behaupten, einen Gegensatz zwischen dem zu sehen, was Herr Kohl und was Herr Strauß gesagt haben. - Nicht den Schatten eines Beweises haben Sie dazu erbracht. Sie sprachen von einer täuscherischen Rede, die Kollege Strauß hier gehalten habe. Nicht den Schatten eines Beweises brachten Sie dazu! ({4}) Sie sprachen von überflüssigen Reden, die der Minister Theisen hier gehalten habe. Damit maßen Sie sich über ein Mitglied des Bundesrats ein Urteil an, das Ihnen nicht zusteht, Herr Bundeskanzler! ({5}) Und was die Reihenfolge der Redner meiner Fraktion anbelangt, Herr Bundeskanzler, ({6}) so überlassen Sie getrost uns in der Fraktion die Entscheidung hierüber. Ich finde, daß mein Kollege Dregger Ihnen heute morgen in einer hervorragenden Weise geantwortet hat. ({7}) Diese Rede sollten Sie sich hinter den Spiegel stekken, Herr Bundeskanzler; das könnte vielleicht eine günstige Wirkung auf Sie haben. ({8}) Sie haben eben gesagt, 1968 seien Unruhen ausgebrochen. Sie haben das gesagt, um meinen Kollegen Strauß zu widerlegen, der davon gesprochen hatte, daß dieses Phänomen der politischen Bandenkriminalität ein neues Phänomen sei. Das ist ein neues Phänomen; denn die Unruhen des Jahres 1968 haben, wie wir alle wissen, nicht zu dieser Art politischer Terrorkriminalität mit Entführungen und allem, was dazu gehört, geführt. Insofern ist das alles, was von Strauß zu diesem Punkt gesagt worden ist, vollkommen richtig. Herr Bundeskanzler, Ihr Hinweis auf Fürstenfeldbruck ist eine Ihrer schweren Entgleisungen, deren Sie sich in diesem Parlament immer wieder schuldig machen. ({9}) Das ist doch angesichts der Tatsache, daß wir alle miteinander hier die Entscheidung im Fall Peter Lorenz gemeinsam vertreten und gemeinsam verteidigen, das Unfairste, was Sie sich überhaupt haben leisten können. ({10}) Dann sagen Sie, was mein Kollege Strauß gesagt habe, stehe im Widerspruch zu seiner Gesinnung. Was ist das denn für eine armselige Art der Argumentation: Wenn einem die Argumente fehlen, das zu widerlegen, was ein Kollege des Bundestages von dieser Stelle aus gesagt hat, dann zweifelt man seine Gesinnung an! Das ist kein parlamentarischer Stil. ({11}) Herr Bundeskanzler, ich greife auch noch einmal das Stichwort von der Solidarität und der Gemeinsamkeit der Demokraten auf, das von Rednern der Koalition heute so kräftig gebraucht und mehrfach strapaziert worden ist. Ich bestreite gar nicht, daß es eine gewisse Solidarität und Gemeinsamkeit aller Demokraten gibt. Aber ich möchte Ihnen doch vorhalten dürfen, meine Damen und Herren, was Herr Kollege Wehner und der Bundeskanzler in den Jahren 1966 und 1965 zu diesem Thema gesagt haben. Herr Kollege Wehner hat am 23. November 1966 im Deutschen Bundestag gesagt: Hier ist ein großes Wort, das Wort von der „Solidarität des Parlaments", gesprochen worden ... jetzt ist nicht die Zeit, an irgendwelche Solidarität zu appellieren . . . Für wen halten Sie uns denn? Wir sind doch anständige Leute; ({12}) wir waschen doch nicht anderer Leute Wäsche ... Sie müssen den politischen Konkurs, den Sie erlitten haben, und seine Begleiterscheinungen selbst verantworten. ({13}) Dr. Carstens ({14}) Das, Herr Kollege Wehner, waren Sie, als Sie in der Opposition saßen. Sehen Sie, ich bin ja für Argumente jeder Art offen. Aber was mich zutiefst empört, ist die Unredlichkeit, die darin liegt, daß dieselben Leute heute so und morgen genau entgegengesetzt sprechen. ({15}) Und Sie, Herr Bundeskanzler Schmidt, sagten ein Jahr vorher, am 30. November 1965 damals als Abgeordneter dieses Hohen Hauses -: Es steht nirgendwo geschrieben, daß die Opposition dabei helfen soll, eine Regierung aus der Zwickmühle herauszuholen, in die sie sich selbst hineinmanövriert hat. ({16}) Das waren Ihre damaligen Kommentare zu diesem Thema. Wir machen sie uns nicht zu eigen. Ich sage das ausdrücklich. Aber Ihnen steht es am allerwenigsten zu, Vorwürfe gegen uns zu erheben, wenn wir Sie kritisieren. ({17}) Ich will nicht alles wiederholen, was zu der Fülle der Versäumnisse in der Vergangenheit gesagt worden ist. Ich will nur auf einen Punkt noch einmal mit größtem Nachdruck hinweisen. Hier ist ein katastrophales Versäumnis zu verzeichnen, und hier hat die Regierung schwer versagt. Hier nützt das ganze Gerede des Innenministers und des früheren Innenministers Genscher über die Vergrößerung des Kriminalamts usw. usw. überhaupt nichts. Das schwere Versäumnis, das wir Ihnen vorwerfen müssen, ist, daß Sie bis heute nicht dafür gesorgt haben, daß der Verkehr von Anwälten, die Komplicen ihrer Klienten sind, in den Gefängnissen überwacht werden kann. Was ist denn das für ein Staat, der seit 1972, wie wir vorhin gehört haben, weiß, daß die Anwälte Kassiber herausschmuggeln und auf diese Weise die Terrororganisationen außerhalb der Gefängnisse organisieren, kontrollieren und mit Weisungen versehen, und der es nicht fertigbringt, innerhalb von drei Jahren ein Gesetz zu erlassen, daß das unterbindet. Das allerdings, meine Damen und Herren, macht diesen Rechtsstaat zum Gespött der Terroristen, und das wollen wir verhindern. ({18}) Warum wird dieses Gesetz nicht erlassen? Weil sich die Herren von der SPD und FDP an falsche, irrige Vorstellungen vom Rechtsstaat klammern. Der Rechtsstaat ist kein schwächlicher Staat. Der Rechtsstaat ist sehr wohl in der Lage, sich seiner Feinde und seiner Gegner wirksam zu erwehren. Man muß nur den Mut haben, die notwendigen Schritte zu tun, und der fehlt Ihnen. ({19}) Der Mut fehlt Ihnen nicht zuletzt deswegen, weil Sie es in Ihren beiden Parteien mit linken Gruppen zu tun haben, die Sie daran hindern, das zu tun, was der Rechtsstaat zu tun von Ihnen verlangt. ({20}) Ja, Herr Kollege Hirsch, die Einsicht kommt bei Ihnen mit der Zeit. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, daß Sie, als ich vor Monaten die Frage aufwarf, ob es vernünftig wäre, die Zwangsernährung der Baader-Meinhof-Häftlinge fortzusetzen, gesagt haben, ich wäre kein christlicher Politiker, und ein Professor der Rechte wäre ich schon ganz und gar nicht. Und heute erläßt die nordrhein-westfälische Regierung eine Weisung, wonach die Zwangsernährung aufgehoben und eingestellt werden soll. Wo bleiben Sie, Herr Hirsch? ({21}) Das ist eben die Armseligkeit der Argumentation, mit der Sie diesem Problem und diesen Phänomenen nicht Herr werden. ({22}) Und dann noch ein Wort zu dem Thema -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000321, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte ohne Unterbrechungen sprechen. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, noch ein Wort zu dem Thema „geistiger Nährboden". Der Bundeskanzler hat in seiner ersten, mehr staatsmännisch orientierten Rede gesagt: „Noch nie hat es auf deutschem Boden so viel Freiheit für uns Deutsche gegeben." Ja, Herr Bundeskanzler, wenn das nur Ihre politischen Freunde, die Herren Osswald, Kühn und Girgensohn in den Rahmenrichtlinien für den Schulunterricht auch gesagt hätten, dann wäre uns vieles erspart geblieben. ({0}) Aber statt dessen lesen wir in diesen Rahmenrichtlinien davon, daß unsere Gesellschaft eine durch Konflikt und Klassenkampf bestimmte Gesellschafl sei und daß Konflikt in der Schule, in der Familie, im Betrieb die Form der Auseinandersetzung sein müßte. Sehen Sie, das ist der geistige Nährboden, auf dem der Terrorismus gedeiht. Ich meine das nicht in einem strafrechtlich relevanten Sinne. Ich beschuldige die Herren Osswald, Kühn und Girgensohn nicht, strafrechtlich für die Terrorverbrecher mitverantwortlich zu sein. Aber der geistige Nährboden, auf dem diese Dinge gewachsen und gediehen sind, der allerdings ist durch diese hochgeehrten Herren mitgeschaffen und mitverantwortet worden. ({1}) Aber das geht ja bis zur glatten Sympathie für die Terroristen. Mein Kollege Dregger hat heute morgen Jochen Steffen zitiert, der von den „sympathischen Zielvorstellungen" der Anarchisten gesprochen hat. Herr Kollege Brandt hat dann einen historischen Exkurs versucht, aber, soweit ich sehe, vor dieser entscheidenden Feststellung nicht ein Jota weggenommen. Nun weiß auch ich, daß Jochen Stef10834 Dr. Carstens ({2}) fen das Enfant terrible der SPD ist. Aber er hat den einen Vorzug: er spricht das aus, was die anderen bloß denken. ({3}) Deswegen sollte man Jochen Steffen ernst nehmen. Deswegen muß man ihn und die SPD-Mitglieder, die zu ihm halten und ihn weiter als den Landesvorsitzenden der SPD in Schleswig-Holstein bestätigen, beschuldigen, hier als Sympathisanten der Terrororganisationen aufgetreten zu sein. ({4}) - Ich weiß, wenn Ihnen etwas unangenehm ist, dann fangen Sie an zu schreien. Aber wenn ich aus der Feststellung, daß die Anarchisten sympathische Zielvorstellungen hätten, die Schlußfolgerung ziehe, daß hier mit den Anarchisten sympathisiert werde, dann können Sie das doch nicht als falsch bezeichnen. ({5}) Und dann hat der Bundeskanzler gesagt, man solle Respekt vor der Polizei haben. Auch das ein großes Wort, Herr Bundeskanzler, in Ihrer ersten, mehr staatsmännisch angehauchten Rede. Aber wie war es denn mit dem Respekt vor der Polizei? Wer hat denn in Frankfurt am Main die Polizei diffamiert, ({6}) daß sie an den Zusammenstößen mit den Demonstranten schuld sei? Das war der Bezirksverband der SPD in Frankfurt am Main. ({7}) Wer hat denn landauf, landab die Polizei mit den übelsten Schimpfworten - „Bulle" und was weiß ich alles - belegt? Das waren doch in großem Umfang Jungsozialisten und Sozialdemokraten. ({8}) Wer hat denn in Niedersachsen ein Lernspiel veranstaltet, in dem die Polizei gegen Arbeiter eingesetzt wird? ({9}) Ja, Donnerwetter, das hören Sie nicht gern, aber Tatsachen sind Tatsachen, und mit denen müssen Sie sich befassen. ({10}) Herr Bundeskanzler, Sie haben in dieser ersten Rede auch gesagt, man müsse den Verfassungsschutz unterstützen. Sehr einverstanden. Aber wer hat denn die Mitglieder des Verfassungsschutzes als Spitzel bezeichnet? Das war doch der hessische Ministerpräsident, Herr Osswald. ({11}) Die Volksfrontbewegungen in der SPD und in der FDP sind so oft dargestellt worden; die will ich hier nicht alle wieder aufwärmen und Ihnen noch einmal vorführen. ({12}) Aber ich möchte doch ein Wort an die Adresse des Kollegen Brandt sagen. ({13}) - Ja, was die FDP angeht: Wenn Sie noch einen Beleg für die FDP hören wollen, möchte ich Sie auf die Entschließung der Jungdemokraten in Dortmund hinweisen, die ausdrücklich eine Volksfront mit allen antikapitalistischen Kräften gefordert hat. ({14}) Aber ich möchte doch noch ein Wort zu dem Auftritt des Kollegen Brandt heute hier sagen. Dieser Auftritt war ein seltsames Gemisch, fand ich, von teilweise akzeptablen, teilweise unklar verschwommenen und teilweise verfälschend-demagogischen Elementen. ({15}) Ich fand durchaus akzeptabel, was Brandt über die Geschichte der SPD gesagt hat. Ich unterstreiche jedes Wort, das Strauß soeben zu Ebert gesagt hat. ({16}) - Nein, das ist nicht heuchlerisch; das ist eine Auffassung, die ich vertrete. Als ich persönlich Ebert als Reichspräsidenten erlebt habe, haben Sie selbst noch nicht gelebt, Herr Kollege. Und Wels ist sicher ein Mann, der unseren Respekt verdient. Ich finde es auch durchaus sympathisch, wenn Brandt davon spricht, daß das Berliner Rathaus sein Rathaus war. Ich finde, daß die Zeit, in der Brandt Regierender Bürgermeister von Berlin war, vielleicht die beste Zeit seiner politischen Karriere gewesen ist. ({17}) Aber ich wende mich gegen die verfälschend-demagogischen Züge seiner Ausführungen, in denen er die Sache so darstellt, als wenn es auf der einen Seite den Terror gäbe und auf der anderen Seite diejenigen, die den Terror härter bekämpfen wollten, als er, Brandt, selber es für richtig hält; das sind dann die Panikmacher, die Hysterie verursachen. Und jede dieser beiden Gruppen, die Terroristen auf der einen Seite und die sogenannten Panikmacher auf der anderen Seite, stellen eine in etwa gleich große Gefahr für die Demokratie dar. - Sehen Sie, das ist eine demagogische Verfälschung der Wirklichkeit, gegen die ich mich entschieden verwahren muß. ({18}) Und vielleicht noch ein Wort über Herrn Kollegen Brandt. Er leistet ja auch seine kräftigen Beiträge zur Vergiftung der Atmosphäre in unserem Lande, ({19}) Dr. Carstens ({20}) z. B. dann, wenn er davon spricht, daß man den Privilegierten ans Leder gehen müsse. Nun frage ich mich immer, wieso eigentlich ;ausgerechnet Brandt dazu kommt, sich zum Vorkämpfer gegen die Privilegierten zu machen. Ich finde, wenn man das Leben des Herrn Brandt - ich sage das ohne Kritik an ihm ({21}) über die letzten Jahre hin betrachtet, so ist das ein Leben gewesen, um das ihn vielleicht mancher Renaissance-Fürst beneidet hätte. ({22}) Ich sage das ohne Kritik; jeder von uns soll das Leben führen, das zu führen er für richtig hält. ({23}) Nur daß sich ein solcher Mann zum Anwalt der angeblich Unterprivilegierten gegen die angeblich Privilegierten macht, ({24}) das allerdings, meine Damen und Herren, empfinde ich als grotesk, ({25}) und die deutschen Bürger und die deutschen Wähler sollten doch vielleicht einmal hören, daß diese Art von Verbindung eines großzügigen Lebens auf der einen Seite und eines Kampfes gegen die sogenannten Privilegierten auf der anderen Seite zwei schwer miteinander zu vereinbarende Züge ({26}) in ein und demselben Manne sind. Sie, Herr Bundeskanzler, haben in der sprachschöpferischen Art, die Ihnen ja eigen ist und die ich durchaus als ein positives Element Ihres Wesens betrachte, in Ihrer ersten Rede von den selbsternannten Ersatzproletariern gesprochen. ({27}) Meine Damen und Herren, ich habe mich im Moment gefragt, ob Herr Schmidt damit vielleicht den Herrn Brandt gemeint haben könnte. ({28}) - Ja, gut, schön, ich schenke Ihnen alle Zwischenrufe. ({29}) Ich lege den Finger auf eine Wunde, und das tut immer etwas weh, das weiß ich. Aber nun beruhigen Sie sich mal wieder, Herr Schäfer; ich komme jetzt zum nächsten Punkt. ({30}) Sehen Sie, was mir an der ersten Rede des Bundeskanzlers und an der sich dann anschließenden Rede des Herrn Brandt aufgefallen ist, ist der krasse Unterschied, ist der krasse Widerspruch zwischen dem, was der eine, und dem, was der andere sagt. Der Bundeskanzler warnt davor, den politischen Terror zu verharmlosen. Zu Recht tut er das; ich unterstreiche das. Der Herr Brandt tadelt mich, weil ich vor einigen Tagen dasselbe gesagt habe. Der Bundeskanzler erklärt, die Ausschreitungen von 1968/69/70 hätte der Staat nicht hinnehmen dürfen. Auch das ist richtig, auch diese Auffassung teile ich. Der Herr Brandt stellt sich hier hin und wirbt wieder - auch heute wieder - um Verständnis für diejenigen, die die Ausschreitungen begangen haben. ({31}) - Doch, er spricht davon, unser Staat sei in der Gefahr gewesen, in einem spießerhaften Mief zu ersticken, und daher hätte man Verständnis für die jungen Leute haben müssen, die diesen Staat endlich einmal hätten durchlüften wollen. ({32}) Sehen Sie, meine Damen und Herren, das sind die Formulierungen des Herrn Brandt, die wir kennen, die zweideutigen - ({33}) - Nein, das sind keine Verdrehungen; es sind zweideutige Formulierungen des Herrn Brandt, mit deren Hilfe er das Kunststück fertigzubringen versucht, einerseits den linken Flügel seiner eigenen Partei bei der Stange zu halten, weil der ihm sonst abzuspringen versucht, und andererseits dieser ganzen Partei noch ein einigermaßen respektables Aussehen zu geben. ({34}) Damit allerdings können wir die SPD und ihren Vorsitzenden nicht durchlassen. Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen, der in den bisherigen Reden angeklungen ist, aber vielleicht noch einmal etwas stärker unterstrichen werden muß. Was ich SPD und FDP in Bund und Ländern in besonderem Maße vorwerfe, ist, daß die beiden Parteien und die von ihnen gestellten Regierungen es geduldet haben, daß an einzelnen Stellen in unserem Lande - ich möchte es einmal so nennen - rechtsfreie Räume entstanden sind, in denen das Faustrecht gilt, in denen sich der Rechtsstaat nicht mehr durchsetzt, in denen der Terror herrscht. ({35}) - Ich zitiere Ihren eigenen Parteifreund Nipperdey, der von Universitäten in sozialdemokratisch regierten Ländern spricht, ({36}) die in wesentlichen Teilen erobert und zum Teil ruiniert sind, in denen die Freiheit des Lehrens, Ler10836 Dr. Carstens ({37}) nens und Forschens, das Klima des wissenschaftlichen Arbeitens und die Geltung der akademischen Standards entscheidend beeinträchtigt sind. ({38}) Wie ist es möglich, so möchte ich Sie fragen, Herr Bundeskanzler, daß an der Universität Frankfurt am Main im November des vorigen Jahres der Studentenführer Cohn-Bendit vor etwa 1 000 dort versammelten Zuhörern mit Bezug auf die Mitglieder der Baader-Meinhof-Bande erklären konnte - ich zitiere ihn wörtlich -: Wir werden unsere Zeitungen und Schriften den Berliner Genossen zur Verfügung stellen, wenn sie die Gründe für ihr Handeln darlegen wollen. Wir werden uns nicht von ihnen distanzieren. Wie ist es möglich, so frage ich Sie, Herr Bundeskanzler, daß am Eingang zum Hauptgebäude der Frankfurter Goethe-Universität die Parole prangt: „Es lebe die RAF", die Rote Armee Fraktion? ({39}) Wie ist es möglich, daß dies alles geschieht, ohne daß Sie, Herr Bundeskanzler, ohne daß Herr Osswald, der Ministerpräsident des Landes Hessen, dagegen Stellung nehmen? Alles das wird leider weit übertroffen durch die Verhältnisse an der Universität Berlin. Denjenigen, die soeben Zwischenrufe gemacht haben, möchte ich einmal den Brief vorlesen, den das Sozialistische Assistentenkollektiv des Fachbereichs Rechtswissenschaft in Berlin an einen Professor gerichtet hat, der von der Universität Münster nach Berlin berufen worden war. Dieser Brief hat folgenden Wortlaut: Stell' Dir vor, Du gehst mit Deiner Frau und Deinen Kindern auf dem Kurfürstendamm spazieren, ({40}) und plötzlich bist Du von einer Tränengaswolke eingenebelt und bekommst vielleicht noch eins mit dem Gummiknüppel ab. Es wäre doch vielleicht besser - das mußt Du verstehen -, im schönen Münster zu bleiben mit seinen vielen Fachwerkhäusern und den großen gotischen Kirchen, dem Prinzipalmarkt und der Kneipe „Pinkus Müller". Dies, Herr Bundeskanzler, ging durch alle Zeitungen. Was haben Sie dagegen unternommen, was hat der Berliner Senat - ({41}) - Ja, das meine ich, wenn ich davon spreche, daß es in diesem Lande rechtsfreie Räume gibt. Das finden Sie offenbar komisch, meine Herren. ({42}) Wenn Sie diese Dinge komisch finden, leugnen Sie - lassen Sie sich das sagen - das Wesen des Rechtsstaates ({43}) - nein, das habe ich nicht getan -, das darin besteht, daß er sich überall, auch an den Universitäten, durchsetzen muß. ({44}) Das, meine Damen und Herren, ist der große Jammer in diesem Lande, daß es den beiden in Bonn, in Düsseldorf und auch an anderer Stelle regierenden Parteien nicht gelingt, in dieser Auseinandersetzung eine wirklich klare und eindeutige Position zu beziehen. Anstatt das zu tun, reden Sie sich auf Hysterie und Panikmache hinaus und rufen und hetzen die Wähler gegen einzelne Politiker der CDU/CSU auf. ({45}) Aber die Wähler werden das durchschauen, und ich vertraue darauf, daß sie Ihnen die Quittung dafür erteilen werden. ({46}) Das alles gilt ungeachtet der Tatsache, Herr Bundeskanzler, daß Sie hier heute manches gesagt haben, was die Lage richtig wiedergab und womit Sie die Lage richtig geschildert haben. Aber Ihre Führungskraft wird nicht an Ihren Reden gemessen werden, Herr Bundeskanzler, sondern daran, ob Sie zu handeln imstande sind ({47}) und ob es Ihnen gelingt, Ihre Partei hinter die von Ihnen vertretene Linie zu bringen, oder ob Ihre Partei weiter den Vorstellungen ihres Vorsitzenden Biandt folgt, daß nämlich diejenigen, die den Terror mit größerer Entschiedenheit bekämpfen wollen als er selbst, eine ebenso große Gefahr für den freiheitlichen Staat darstellen wie die Terroristen. Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfassend für die CDU/CSU einige klar formulierte Forderungen stellen; erstens: Überwachung, und zwar sofortige Überwachung des Verkehrs der Anwälte mit den Mitgliedern der Terrororganisationen und ähnlicher Organisationen, um zu verhindern, daß aus den Gefängniszellen heraus die Terrortätigkeit mit Hilfe der Anwälte weiter fortgesetzt und geleitet werden kann, ({48}) zweitens: Verschärfung der Bestimmungen über das Demonstrations- und das Versammlungsrecht, drittens: offensives Vorgehen der Bundesregierung und der Sicherheitsorgane gegen die Terrororganisationen, eine viel stärkere Einwirkung auf die Gruppe der Sympathisanten, denen in deutlicher Weise klargemacht werden muß, daß sie dadurch, daß sie mit diesen Gruppen sympathisieren, den Rechtsstaat und unsere rechtsstaatliche Ordnung gefährden, viertens: Unterbindung der vergiftenden Propaganda an Schulen und Hochschulen, der Propaganda, die besagt, daß wir in einem Lande leben, in Dr. Carstens ({49}) dem wenige die große Masse der Bevölkerung ausbeuten, daß wir in einem Lande leben, das durch Klassenkampf im marxistischen Sinne gekennzeichnet ist, daß wir in einem Lande leben, in dem nur mittels Konflikt, und das heißt doch letztlich, mittels Klassenkampf, gerechtere Verhältnisse hergestellt werden können! Sagen Sie nicht nur, Herr Bundeskanzler, daß dies der freiheitlichste Staat ist, den die Deutschen in ihrer Geschichte jemals gehabt haben, sondern sorgen Sie dafür, daß in Ihren eigenen Reihen dieses unsinnige Gerede von Ausbeutung und Klassenkampf aufhört! Wir müssen zusammenstehen ({50}) und uns nicht im Klassenkampf zerfleischen, wenn wir die schwere wirtschaftliche Rezession, durch die wir hindurchgehen, überwinden wollen und wenn wir den Arbeitslosen helfen wollen und wenn wir die notwendigen Reformen durchführen wollen. ({51}) Fünftens. Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich durchzugreifen und klar Farbe zu bekennen in der Frage der Einstellung von Mitgliedern kommunistischer Parteien und Organisationen in den Staatsdienst! ({52}) Sechstens. Sorgen Sie dafür, Herr Bundeskanzler, daß an den Universitäten wieder Recht und Ordnung einziehen, daß sich Forschung und Lehre wieder frei entfalten können, und entschuldigen Sie sich nicht damit, daß der Bund auf diesem Gebiet keine Kompetenzen habe! Sie haben es für richtig gehalten - obwohl Sie selbst sagen, daß Sie keine Zuständigkeit besaßen -, die Regierungschefs der Länder, die Parteivorsitzenden und die Fraktionsvorsitzenden zu Besprechungen über den Fall Peter Lorenz einzuladen. Ich sage noch einmal: Das Ergebnis dieser Besprechungen tragen wir mit und trage auch ich mit. Aber nun ergreifen Sie bitte die Gelegenheit und laden Sie die Regierungschefs der von SPD und FDP regierten Länder ein und machen Sie ihnen klar, wie endlich ein Zustand herbeigeführt werden kann, bei dem einige der Universitäten dieser Länder aufhören, Stätten des Faustrechts und des Terrors zu sein! Siebentens. Hindern Sie endlich in wirksamer Weise Ihre eigenen Parteifreunde, sich auf Volksfrontexperimente einzulassen! Führen Sie, Herr Bundeskanzler, uns keine kurzfristigen Kraftakte vor! Erkennen Sie das Problem in seiner vollen Schwere, in seiner vollen Schärfe! Tun Sie etwas, damit dieses Land seinen inneren Frieden wiederfindet und damit das Recht, welches der Garant unserer Freiheit ist, endlich wieder den Respekt erhält, den es verdient, und zwar überall! ({53})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Minister des Landes Rheinland-Pfalz, Theisen. ({0}) Staatsminister Theisen ({1}) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat meine kurze Rede, die ausschließlich sachbezogen war und die ich als Mitglied des Bundesrates gehalten habe, als - wörtlich - „überflüssig" bezeichnet. ({2}) Damit hat der Herr Bundeskanzler in für mich unerträglicher Arroganz die verfassungsmäßigen Rechte eines Mitglieds des Bundesrates verletzt. ({3}) Ich bin mir gewiß, im Namen des Bundesrates zu handeln, ({4}) wenn ich hiermit die Einmischung des Herrn Bundeskanzlers in meine eigenen Angelegenheiten zurückweise. ({5}) Auch ein Mitglied des Bundesrates entscheidet selbst, ohne Zensur des Bundeskanzlers, ob sein Beitrag angebracht ist. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es fällt dem, der spricht, ebenso wie denen, die den Eindruck erwecken möchten, daß sie zuhören, natürlich schwer, zu später Stunde und nach der Debatte des heutigen Tages - wobei man noch nicht einmal weiß, ob die Debatte schon zu Ende ist -, einiges darüber zu sagen, daß Sie anders werten mögen, als es sich heute fast während des ganzen Tages in Ihren Diskussionsbeiträgen gezeigt hat. Wenn ich mir das vor Augen führe, was Sie, Herr Carstens, hier am Schluß als zusammenfassende Forderungen und Vorschläge gebracht haben, ({0}) so ist das, gemessen an dem, was den Anlaß zu dieser langen Debatte gegeben hat - es waren jene schrecklichen fünf Tage und Nächte - ({1}) - Ja, sicher, die waren es. ({2}) -- Ach so, es ist Ihnen gar nicht nahegegangen, was in diesen fünf, sechs Tagen geschehen ist! ({3}) - Wir brauchen uns nicht darüber zu unterhalten, wie Sie es gerne möchten. Es ist ganz klar, wie Sie es gerne möchten. ({4}) Sie haben ja immer recht. Dazu haben Sie auch jenen bestimmten Buchstaben in Ihrem Parteinamen. Sonst sind Sie ja überhaupt keine Partei. Es war eigentlich dürftig, Herr Carstens, was da am Schluß angesichts des Aufwandes zum Vorschein gekommen ist. Wir haben immerhin den Versuch gemacht, mit einem Entschließungsantrag der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten Anregungen zu geben. ({5}) - Ja, sicher. Wir haben uns Ihre Vorlagen sogar angesehen. Wir sind sogar auf einige davon zu sprechen gekommen, was man von Ihnen, unser Erzeugnis betreffend, nicht sagen kann. Aber natürlich, das ist nicht jedermanns Geschmack. ({6}) Ziffer 3 unseres Entschließungsantrages lautet: Unsere Rechtsordnung ist den Bedürfnissen unserer Zeit angepaßt worden. ({7}) Alle gesetzlichen Möglichkeiten unseres Rechtsstaates müssen voll angewandt werden. Ich möchte angesichts von Ihnen sagen, was mich an dieser Debatte heute eigentlich besonders bedrückt. ({8}) Mich hat besonders bedrückt, daß die eigentlichen Fragen hier nur noch sozusagen die Kulisse dargestellt haben. Das ist es, worum es geht. ({9}) Das geht auch daraus hervor, daß Sie sagen, Sie hätten Ihre Anträge ja viel früher gestellt. Nein, das, was unser Staat und die Menschen in diesen Tagen und Nächten erlebt haben, ist für Sie in Wirklichkeit gar nichts. ({10}) Hier haben wir etwas durchgemacht, an das wir noch häufig denken werden. Sie werden dann irgendwo sein, meine sehr verehrten Damen und Herren von jener Seite des Hauses; aber Sie werden sich ja nicht stellen. Das haben wir erlebt. Herr Strauß war heute, als es um diese drei Gespräche ging, die ja sicher für keinen der Beteiligten ein Vergnügen waren, bemüht, sachlich zu sein. Das war aber auch die einzige Stelle, an der er sich bemüht hat, sachlich zu sein. Das zeugt wohl davon, daß auch ihm bewußt war und wohl noch irgendwo bewußt ist, was das eigentlich für eine Prüfung war, die uns auferlegt worden ist. ({11}) Sie sagen „oh". Sie merken irgendwann auch noch einmal, was das für eine Prüfung war. ({12}) Sie sind ja nicht zu beschreiben, weil Sie meinen, Sie seien der Staat. ({13}) - Ja, sicher! Und dann die Unbefangenheit, mit der z. B. ein Herr wie der Herr Carstens hier einen Vergleich gezogen hat, indem er eine Äußerung von mir vom November 1966 zitierte! Ist Ihnen, sehr verehrter Herr Vorredner, als Ihnen dieser Zettel untergeschoben wurde, eigentlich ganz bewußt gewesen, daß es damals hier eine Regierung gab, die eine Minderheitsregierung war, die in diesem Hause keine Mehrheit mehr hatte und deren Minderheitspartei uns auferlegen wollte, wie wir es eigentlich machen sollten? Das war eine andere Lage. ({14}) Natürlich, Sie waren eine Minderheitspartei, und die Minderheitsregierung, die keine Mehrheit mehr im Hause hatte und es auch nicht wagte, die Vertrauensfrage zu stellen, obwohl wir eine Mehrheit des Hauses gehabt haben, die die Regierung aufforderte, die Vertrauensfrage zu stellen, wollen Sie heute vergleichen mit unserer gesetzlichen Mehrheit und einer Regierung, die sich auf eine Koalition der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten stützen kann! Da ist ja Ihre Roßtäuscherei ganz deutlich. ({15}) - Nein, nein. Da kommt aber auch Ihre Methode zum Vorschein: Sie sind Leute, die Situationen „als ob" herbeiführen wollen, als ob es so sei. ({16}) Nur eines sind Sie wirklich, jedenfalls die, die sich das ausdenken: Sie sind wirklich Reaktionäre. Alles andere ist bei Ihnen „als ob". Alles andere ist bei Ihnen „als ob". ({17}) Dann kommen Sie hierher und wollen uns für bestimmte sogenannte rechtsfreie Räume verantwortlich machen, in denen sich der Terror ausbreitet. Natürlich haben Sie ein einziges Anliegen: das, was mit dem Namen Baader, Meinhof und der anderen Terroristen verbunden ist, immer in eine Beziehung zu uns zu bringen und immer Bindestriche zu uns herzustellen. Das ist die einzige Originalität an Ihrer ganzen sogenannten Strategie. ({18}) Der Herr Strauß hat heute eine interessante Freudsche Fehlleistung gemacht. Die Frau Präsidentin war ihm doch wohl eigentlich entgegengekommen, als sie - - seine langatmige Antwort war im Grunde genommen ein Erguß auf die kurze sachliche Anfrage der Bundestagspräsidentin, ({19}) was er eigentlich mit gewissen Äußerungen meine. Er hat angesichts der bevorstehenden Debatte mit einer Suada darauf geantwortet. Und wenn der mit einer Suada antwortet, dann ist es bei ihm klar: Hier kommst du nur mit viel Schaum weg, sagt er, anders geht es nicht. ({20}) Er hat ja heute den Brief selbst vorgelesen. Ich brauche ihn nicht vorzulesen; es wäre mir auch schwergefallen. Aber ich hätte ihn beinahe im Ton imitiert. Herr Strauß hat den Brief ja selbst vorgelesen, und das alles, weil er hier sagen sollte, wen er und was er meint mit jenem „ganzen Haufen von Baader-Meinhof-Verbrecher-Sympathisanten" in den beiden Bundestagsfraktionen der FDP und der SPD. Sie, Herr Strauß, haben sich auch mit der Suada jetzt nicht davon befreien können, daß das, was Sie gegen die beiden Fraktionen ausgesprochen haben, bewußte verleumderische Hetze ist. ({21}) Sie sagen: Was nach dem ersten Weltkrieg - da komme ich auf Ihre mehr philosophisch-historischen Ausflüge, kann es aber nur ganz kurz machen ({22}) mit der Dolchstoßlegende gemacht und bezweckt gewesen sei, sei jetzt sozusagen mit dem, was Sie „Neue Linke" nennen, gemeint. Ihnen, Herr Strauß, und Ihresgleichen - sowohl den Semantikern unter Ihnen als auch den Krisenorganisatoren und -herbeirufern unter Ihnen, die ja zusammenarbeiten - kommt es nicht darauf an, daß Terroristen lahmgelegt und unschädlich gemacht werden, sondern so vieldeutig wie möglich die Tatsache, daß es solche Terroristen gibt, dazu auszunützen, Dunstkreise zu beschreiben und möglichst viele als in diesem Dunstkreis befindlich zu verdächtigen. ({23}) Das ist alles, was Sie am Kampf gegen den Terrorismus interessiert; denn Sie sind selber geistig Terrorist! ({24}) - Der Herr Strauß ist geistig ein Terrorist, habe ich gesagt - geistig! ({25}) Der Herr Strauß hat hier heute deutlich gesagt, daß der Text aus der Sonthofener Klausur sein Stil ist wie seine Aschermittwochs-Rede in der Nibelungen-halle. Nur können weder Sonthofen noch, wie früher, Vilshofen dafür; das sind alles nur Anhaltspunkte. Wir machen daraus keinen Dunstkreis. Wo Herr Strauß hinkommt, da ist ein Dunstkreis, den bringt er mit. ({26}) - Jedenfalls keinen Bart, wie Sie ihn haben. - Wenn Sie das Wort „Marxist" hören, geht es Ihnen so, wie Goebbels damit operiert hat, nicht anders. Sie sind nämlich in dieser Frage genauso dumm, wie es jener war. Nur war er ganz jesuitisch raffiniert. ({27})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, ich rufe Sie dafür zur Ordnung.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wer herausgeht, muß auch wieder hereinkommen. ({0}) Das ist der Nachteil derer, die herausgehen: sie müssen wieder hereinkommen. ({1}) Ich sage Ihnen Prost, weil Sie wahrscheinlich dahin gehen. ({2}) - Sie Grünschnabel! ({3}) Nein, nein, der Herr Strauß hat auch aphoristisch gesprochen ({4}) - machen Sie das draußen auch mit der Hosentasche weiter - und hat Herrn Brandt vorgeworfen, daß der demokratische Staat in unserer Vorstellung überwölbt sei von einer Gesellschaft. Lassen Sie uns das einmal ganz einfach erklären. Wir haben einen demokratischen Staat, der nach dem Grundgesetz ein demokratischer und sozialer Bundesstaat zu sein hat. In diesem demokratischen Staat, der, wie gesagt, sozialer und demokratischer Bundesstaat zu sein hat, gibt es gleiche staatsbürgerliche Rechte für jede Frau und für jeden Mann. Unsere sozialdemokratische Auffassung ist - und dafür kämpfen wir in diesem Staat, der auch unser Staat ist - völlig im Sinne dessen, was die Verfassung erlaubt. Wir wollen, daß die, die die gleichen staatsbürgerlichen Rechte haben, soweit sie unseren Vorstellungen Geschmack abgewinnen und sich in uns vertreten sehen, mit uns gemeinsam für die Verwirklichung der gleichen sozialen Chancen für jede Frau und für jeden Mann streiten. ({5}) Das heißt, wir transformieren gleiche staatsbürgerliche Rechte auf demokratische Weise mit Hilfe dieser staatsbürgerlichen Rechte in gleiche soziale Chancen um, um damit den Staat in den Stand zu versetzen, das zu leisten, was er für die breiten Schichten des Volkes eigentlich leisten müßte. Dazu sind vor 112 Jahren, woran Brandt erinnert hat, die Sozialdemokraten von Lassalle aufgerufen worden. Zugleich sind sie, nachdem sie durch das Sozialistengesetz erstmals 12 Jahre verboten gewesen sind, versehen worden mit der Erfahrung durch das, was August Bebel ihnen mit auf den weiteren Weg gegeben hat, nämlich, daß das wichtigste Recht derer, die arbeiten, das Recht ist, sich in eigenen freien Organisationen zu vereinigen, zusammenzuschließen und durch diese frei zu wirken. Das ist unser Beitrag für die Menschen, die die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie alle - gleichgültig ob sie Besitzende oder Nichtbesitzende sind - haben und mit denen zusammen wir diesen Staat zu dem machen wollen, wozu der einzelne, wenn er aus den arbeitenden Schichten kommt, nie imstande wäre: das Maß an Bildung, das Maß an Wohlstand und das Maß an dem, was sonst menschenwürdig ist, zu bekommen. Wenn heute von Terroristen geredet werden muß, sage ich hier in aller Deutlichkeit: Mit Verachtung wenden sich die Arbeiter und Angestellten gegen jene, die mit terroristischen Anschlägen unsere Bundesrepublik angreifen und sich den Anschein geben möchten, sie hätten etwas mit der Arbeiterbewegung zu tun. ({6}) Ich habe ja bemerkt, wie genüßlich solche Herren wie der Papen-Verschnitt oder andere das Wort „Genosse", wenn es in einem dieser VerbrecherKassiber vorkommt, lesen. Ich kann nichts dagegen machen, daß sich auch Verbrecher solcher Bezeichnungen bedienen. Übrigens steht das Wort sogar auch auf Gesetzesvorlagen, die man einbringt: die und die, und die „und Genossen". ({7}) - Es steht ja da. Natürlich. Ich bin nun 25 Jahre in diesem Parlament; ich habe das schon oft gelesen. Aber noch einmal zurück zu den Teroristen. Terroristen und Extremisten waren stets Zutreiber und viele von ihnen auch Zuhälter der Reaktion und der dunkelsten Reaktionäre. ({8}) Das ist unsere Position. Wir haben nichts für die übrig. Wir wissen, daß sie lebensgefährlich für die Arbeiterbewegung sind und gewesen sind in der ganzen Geschichte. Das erste große Verbot der Sozialdemokratie wurde ja ausgelöst durch solche Terroristen und ihre Erschießung eines Menschen, der jetzt im Moment nicht interessant ist genannt zu werden. Die Sozialdemokraten mußten dafür in die Gefängnisse, die Sozialdemokraten mußten dafür ins Exil, die Sozialdemokraten mußten dafür ihre Partei aufgeben. Und so ist die Machart jetzt auch hier, wobei Sie dann Persönlichkeiten haben wie einige derer, die heute geredet haben, die das Ganze mit uns zusammen vermischen möchten. Nein, nein, die Arbeitnehmer brauchen den demokratischen und sozialen Bundesstaat. Wir haben auf unserer Betriebsrätekonferenz gesagt: Seine Feinde und Verderber sind zuerst unsere Feinde, weil wir uns ihnen stellen. ({9}) Nun noch einmal zurück zu dem Herrn Strauß. Der Herr Strauß hat 1969 in jenem Buch „Finanzpolitik - Theorie und Wirklichkeit" das so beschrieben: Man kann einem Volke, auch wenn es ihm gut geht, die Gegenwart als schwer erträglich und durch düstere Prophezeiungen die Zukunft als gefährdet vorgaukeln, bis sogar Anwandlungen von Hysterie auftreten und durch Angstreaktionen erst die Gefahren heraufbeschworen werden, vor denen angeblich nur gewarnt werden soll. Dazu gehört auch der leichtfertige, das Gesetz der Dimension verletzende Gebrauch der Begriffe „Krise", „Depression", „Inflation" und ähnliches. So Strauß damals als Autor jenes Buches „Finanzpolitik - Theorie und Wirklichkeit" 1969, als er sich über die „üblichen Kassandrarufe von der großen Krise, die auch einen Gesunden halb krank machen könnten" , ausließ. Und nun kommt das Instrumentarium dazu. Das ist der Inhalt dessen, was als Sonthofener Rede in die Geschichte eingehen wird. Das sind schöne Geschichten, die der Herr Strauß macht. Man hat ihn sozusagen direkt mit angehört. „Wir brauchen keine Oppostion", hätte ich gesagt, hat der Herr Strauß gesagt. Das ist sozusagen seine Rechtfertigung. Ich hatte mich heute morgen angelegt, als einer derer, die damals überhaupt nicht im Parlament waren und bisher eigentlich nur kurze Zeit hier Gastrollen gegeben haben, behauptet hat, ich habe das in diesem Parlament gesagt. Nie habe ich das im Parlament gesagt. Es gibt einen wissenschaftlichen Dienst. Den möge die Opposition beauftragen, und sie wird bei aller Akribie des Suchens sehen: Es gibt dieses Wort nicht. Aber ich will Ihnen behilflich sein. Ich habe hier eine Fotokopie, nämlich des „Spiegels". Da erscheinen ja manche Sachen, so auch am Montag die Geschichten von Sonthofen. Das war der „Spiegel" vom 26. Januar 1970, überschrieben mit ein paar Worten von mir aus diesem Gespräch: „Es gibt kein Scheitern". Da ging es um die Verträge, da ging es um den Polnischen Vertrag, da ging es um den bevorstehenden angestrebten Grundlagenvertrag. Da stand die Frage: Ja, wird denn das überhaupt gehen, wird das zeitlich gehen? Ich habe gesagt: Ja! Dann gebe ich dem, der darauf hingewiesen hat, insofern recht, als davon, ob wir das so sehen und ob es die Mühe wert ist, fast alles andere abhängt von diesem Vertrag und von dieser Frage mit der Oder/ Neiße. Dafür möchte ich der Regierung den Weg mit freihalten helfen, nachdem sie sich entschlossen hat, das zu machen. Es war die erste Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die sich entschlossen hat, diesen Weg zu gehen. Vorher gab es das nicht. Da gab es nur immer Bedenken bzw. nur graduelle Möglichkeiten. Ich habe betont: das hat nämlich nichts zu tun damit, ob man anerkennt oder nicht anerkennt, was man Oder /Neiße nennt, sondern das hat damit zu tun, in die Verhandlungen zu gehen und deutlich zu machen, daß man nicht ausweicht, sich nicht in die Büsche schlägt, sondern in diesem Punkt eine Antwort gibt, die in Polen befriedigen kann und die hier politisch zu tragen ist. Das ist die Kunst. Da wurde ich gefragt: Sie sagen „politisch zu tragen" würde das auch gegen die Opposition möglich sein, oder brauchen Sie dazu die Opposition, nämlich zu diesem Durchsetzen, daß wir einen Vertrag haben müssen mit Warschau und schließlich auch mit Ost-Berlin? Da habe ich erklärt: „Nein, ich brauche die Opposition nicht. Es hängt von der Opposition ab, wie sie sich in diesen Lebensfragen verhält. Sehen Sie, es gibt große Auseinandersetzungen. Es wird auch staatliche Auseinandersetzungen geben, ob es um Menschen geht oder um Quadratkilometer. Aber da bin ich nicht dafür, daß die Regierung sämtliche Karten vorher auf den Tisch legen soll. Ich bin nicht für Geheimpolitik in jedem Fall, aber ich finde, daß eine Regierung machen darf, was ihres Amtes ist, und daß da nicht jeder mitreizt". Es ging darum, ob diese Regierung überhaupt verhandeln dürfe, in Verhandlungen eintreten dürfe, und da habe ich gesagt: Dazu brauche ich - jedenfalls als der Fraktionsvorsitzende im Namen dieser Fraktion - die Opposition nicht, weil die Regierung diese Handlungsfreiheit haben muß. ({10}) Im übrigen, wie unsere und meine Stellung zur Opposition war und ist, da gibt es viele Beispiele. Am 29. Oktober 1969 in der Debatte zur Regierungserklärung der Regierung Brandt /Scheel: Die Bundestagsfraktion der SPD macht sich zu eigen, was Bundeskanzler Brandt zum Stil und zum Inhalt der bevorstehenden Debatten um die Probleme unseres Volkes und unseres Staates Bundesrepublik Deutschland erklärt hat - ich zitiere das wörtlich -: Im sachlichen Gegeneinander und im nationalen Miteinander von Regierung und Opposition ist es unsere gemeinsame Verantwortung und Aufgabe, dieser Bundesrepublik eine gute Zukunft zu sichern. Das halte ich für eine ehrenwerte Absichtserklärung des Bundeskanzlers und seiner Regierung, die wir voll unterstützen. Das betrifft auch und nicht zuletzt die Verhältnisse hier in unserem Parlament. Denn wenn der Bundeskanzler am Schluß seiner Erklärung betont hat: Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an, wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden im Innern und nach außen, so sollten diese Zuversicht und diese Absicht alle Seiten dieses Parlaments teilen und auch teilen können; denn diese Auffassung trennt nicht, sondern sie verbindet; ungeachtet der Gegensätze, um die zu ringen ist. Das ist das Gegenteil von dem, was Sie mir gerne anhängen wollen und ohne das Sie nicht leben können, wenn Sie Ihre Krisenmacher, Ihre Krisenschürer, Ihre Krisenerfinder und Ihre totalen Konfrontationisten abdecken wollen gegen die Vorwürfe, die ihnen gemacht werden. Nun sagen Sie, hier im Bundestag habe ja z. B. - da bin ich eben anders als der Herr Strauß - ich ihn angesprochen, am 26. April und am 27. April des Jahres 1972. Das waren zwei sehr schwere Tage für uns, die sozialdemokratische Fraktion und auch die Fraktion der FDP. Da habe ich ihn angesprochen. Er war damals nicht so mutig. Er hat gekniffen. Ich habe nämlich gesagt: Hier habe ich, was der Abgeordnete Strauß in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der CSU hineingerufen hat, z. B.: „Bei der heutigen Regierungskoalition handelt es sich nicht um eine normale Wachablösung, sondern um einen Wandel, ja, um den Beginn eines Umsturzes unserer Gesellschaftsordnung". Da gab es nur Unruhe bei Ihnen. Zum zweiten Punkt! Ich habe dann also darauf hingewiesen, daß noch am Sonntag vor dieser Debatte in demselben bemerkenswerten Blatt - Sie werden es erraten, was es für ein bemerkenswertes Blatt ist, mit jenem Herrn, der auch heute früh hier genannt worden ist - wieder vom Abgeordneten Strauß in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der CSU gesagt wurde, daß die Regierung, über die ja in jener Woche abgestimmt werden konnte - damals war der Termin noch nicht festgelegt -, sich auf frischer Tat „ertappt" fühle bei dem „Versuch, ihren kalten Staatsstreich zu vertuschen" . Und da habe ich noch einmal betont: Sie nennen den Vertrag von Moskau einen kalten Staatsstreich. Herr Strauß, wie man in den Wald hineinruft - lächeln Sie jetzt, dann werden wir auch lächeln -, so schallt es manchmal wieder wild zurück. Sie erfinden alle diese Konfrontationen und versuchen dann, sie anderen anzuhängen. Das ist ihre eigene und einzige Originalität. ({11}) Im übrigen leben Sie vom Aufputschen von Konfliktstimmungen. Wenn ich jetzt in der Stimmung wäre, die man dazu braucht, dann würde ich zu allem auch noch - denn der Bundeskanzler hat Sie ein bißchen kurz wegkommen lassen - die seltsamsten Sätze aus diesem Referat des Landesvorsitzenden Dr. h. c. Franz Josef Strauß auf der Tagung der CSU-Landesgruppe in Sonthofen am 18. und 19. November durcheilen, damit Sie es wenigstens genauer hören. Aber das mag heute unterbleiben. Nun aber zuletzt noch zu einer ernsten Frage. Der Herr Strauß hat sich hier anheischig gemacht, weil er noch erheblich jünger ist als ich. Ich höre manchmal, er wird in diesem Jahre 60, und das erklärt mir manches. Denn ich habe in diesen meinen Lebensjahren manche getroffen, die, ehe sie 60 wurden, ganz unleidlich waren. Das ist ein kritisches Alter für manche Männer. Die waren ganz unleidlich. ({12}) - Ja, ja, das ist ein kritisches Alter für manche Männer. So verstehe ich den Herrn Strauß auch, daß er so unleidlich ist. Man sieht es ihm auch an. Das muß man ihm zugute halten. ({13}) Da hat er nun wieder so ein Kraftwort. Weil hier Otto Wels zitiert worden ist, hat er zu mir gesagt, damals hätte ich nicht neben Otto Wels gestanden. Das ist wahr. Jeder weiß - ich habe es nämlich zum Unterschied von anderen nie geleugnet -, daß ich Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands - der richtigen Kommunistischen Partei Deutschlands, nicht irgendeiner nachgemachten von heute - gewesen bin und daß ich vom ersten Tage an, an dem die andern mit ihren Fackeln aufmarschierten - das war mein Auftrag damals -, die Überführung des organisatorischen Teils des zentralen Komitees in die Illegalität zu verantworten hatte. Das habe ich gemacht. Ich war steckbrieflich gesucht und verfolgt, viele Jahre, auch damals schon, als Otto Wels, vor dem ich nicht nur wegen dieser Rede hohen Respekt hatte, obwohl ich einer anderen Partei angehörte, gesprochen hat. Nein, nein, natürlich stand ich damals nicht neben ihm. Wir hatten aber hier in unserem Bundestag noch einige, die mit ihm zusammen gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben. Es waren ja nicht sehr viele, die damals gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben. Wir, Leute wie ich, waren damals schon gejagt; die anderen wurden von da an gejagt. So ging es, das war das Gesetz. Ich bitte nicht um nachträgliches Beileid. So ist das Leben. Ich weiß ganz genau, ich hätte nie - und das war ja auch mein Wille - mich in einen Bundestag wählen lassen sollen. Kürzlich hat ja jener Ehrenmann, an der Schwelle der 60er Jahre stehend, gesagt, ein Mensch wie ich gehöre zu denen, die nie legitimerweise in einem demokratisch gewählten Parlament sein dürften. Das ist ein tolles Ding, das ist hier nicht gerügt worden. Ein Kollege, wenn auch nicht des Bundestages, so der Regierung, der Wirtschaftsminister, hat sich nicht direkt an meine Seite gestellt, aber doch wie ein Kavalier sich gegen diese Unverschämtheit ausgesprochen. Aber aus einem anderen Grund hätte ich hier nicht sein sollen: Wer einmal Kommunist war, den verfolgt Ihre gesittete Gesellschaft bis zum Lebensende, und wenn es geht, läßt sie ihn auch noch durch Terroristen umbringen. Das weiß ich, das ist so, und deswegen habe ich damals Kurt Schumacher gesagt: Die werden mir doch die Haut vom lebendigen Leibe abziehen. Da hat er mir gesagt: Und du bist einer, der das aushält, und du mußt hier sein. Ich will das nicht weiter wichtig nehmen, ich will Ihnen nur sagen, ich halte noch einen Teil aus, auch wenn ich schon die Schwelle der 60 ein ganzes Stück überschritten habe. Ich hatte solche Schwierigkeiten wie Ihr Herr Strauß nicht, weil ich da zuviel Lebenserfahrung hatte und zuviel Prügel schon hatte einstecken müssen während vieler Jahrzehnte eines Lebens, das wechselvoll war. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, auch der beiden Horchposten der CDU/CSU. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Jenninger.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001025, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Kollegen Wehner beantrage ich für die CDU/CSU eine halbe Stunde Unterbrechung dieser Sitzung. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, es ist üblich, daß wir einem solchen Wunsch in diesem Hause nachkommen, wenn er im Hinblick auf eine Fraktionssitzung ausgesprochen wird. Ist die Meinung, daß wir diesem Brauch folgen sollten? - Wir unterbrechen die Sitzung bis 23 Uhr. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, wir setzen die Sitzung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Allzu lange möchte ich es nun nicht mehr machen. Die Fraktion der CDU/CSU hat ja zwischenzeitlich eine gewisse Stärkung benötigt. ({0}) Ich will gar nicht vom Thema des heutigen Tages abweichen, sondern ich ziehe eine ganz gerade Linie zwischen dem Verhalten der CDU/CSU-Fraktion vor einer Dreiviertelstunde und dem, was dieses Land etwa von einer von Ihnen gestellten Regierung in bezug auf Nervenstärke, auf Härte, Ausdauer und Durchsetzungsfähigkeit in Auseinandersetzungen zu erwarten haben würde. ({1}) Das kann doch wohl nicht wahr sein, ({2}) daß Sie den ganzen Tag Ihre verschiedenen Kanzlerkandidaten hochschicken, um andere Leute mehr oder weniger subtil zu beleidigen. ({3}) und dann ({4}) - Herr Amrehn, ich teile Ihnen hier nur ganz sachlich mit, was sich als logische Schlußfolgerung aus Ihrem Verhalten ergibt. So war es nun mal. Wer austeilen will und austeilen kann, sollte doch mindestens auch einstecken können. ({5}) Das hat man so im Sport, und das sollte man, zumindest nach dem, was zwischendurch von Ihnen zu hören war, auch in der Politik so halten, zumal nach so hervorragenden Ausführungen wie z. B. denen von Herrn Filbinger ({6}) über die feste Haltung und die Bereitschaft, auch bei Gefahr für die eigene Person für eine solche feste Haltung einzustehen. Ich habe darüber nachgedacht - nicht erst, seit Herr Filbinger das gesagt hat. Ich hatte früher schon Veranlassung, darüber nachzudenken, wie das mit dieser festen Haltung ist. Wir haben sehr viel darüber gehört. Wir haben sehr Eindrucksvolles heute abend von Herrn Bürgermeister Schütz darüber gehört. Das war wirklich überlegt und abgewogen. Andere haben genauso überlegt und abgewogen, bevor sie die schweren Entscheidungen der letzten Wochen getroffen haben. ({7}) Eines steht fest: Was der einzelne in der Stunde der Gefahr, im Ernstfall zu leisten in der Lage ist, wie sehr er persönliche Haltung beweisen wird oder nicht, wie sehr er in der Lage sein wird, seine Selbstbeherrschung zu wahren, um in jeder Situation wirklich kühl zu reagieren - wie Leute mit viel Verantwortung das tun sollten - das kann man mit Sicherheit nicht an seinen Reden, auch nicht an seinen Reden im Deutschen Bundestag, ablesen. ({8}) Das zeigt sich erst in der Stunde der Gefahr - bei uns allen! Ich erinnere mich z. B. an den Fall eines Ritterkreuzträgers, der in der letzten Legislaturperiode die kämpfende Truppe unter Mitnahme von Waffen und Munition verlassen hat, ({9}) um in Ihrer Fraktion freundliche Aufnahme zu finden. Das waren doch wohl nicht der Mannesmut und die Härte und Standfestigkeit ({10}) in der Stunde, in der es gefährlich wurde. ({11}) Ich möchte ganz kurz noch einmal, da ja heute über die Sache doch furchtbar wenig gesprochen worden ist, ({12}) in dem Bemühen, weiter diesen Nebel abzublasen, der über die notwendigen sachlichen Diskussionen gelegt wird, damit eben Furcht und Angst im Volk entstehen und damit Sie darauf nach dem Rezept von Sonthofen Ihr Süppchen kochen können, auf die Genesis dessen, über was wir heute zu sprechen haben, zurückkommen. Herr Dregger sprach - die Auswahl der Vokabeln ist ja jedermanns Angelegenheit - von einer „Käseglocke", unter der die Herrschaften herangewachsen sind, mit denen wir uns hier unter anderem zu befassen haben. Dies mit der Käseglocke, nun ja, es erinnert etwas an das von Ihnen kritisierte Wort von gewissen häuslichen Verhältnissen, die einmal gelüftet gehören. ({13}) Aber dies hat doch das Wesentliche ausgelassen, es hat nämlich die Tatsache ausgelassen, daß durch einen leichtfertig gewordenen, einen zu selbstsicher gewordenen Umgang mit der Macht durch die CDU/ CSU Ende der 50er und bis Mitte der 60er Jahre ({14}) eine derartige Mißstimmung unter der jungen Generation gegenüber diesem Staat und seinen demokratischen Einrichtungen - sei es zu Recht oder zu Unrecht - entstanden ist. ({15}) Daraus erklärt sich die Unruhe, die seit 1965 in immer stärkerem Maße ({16}) und kulminierend vor Bildung dieser Regierungskoalition entstanden ist. Das ist überhaupt nicht bestreitbar, wenn man sich mit den Tatsachen und nicht mit wechselseitigen Verdächtigungen beschäftigt. Wir haben in diesem Hause 1970 gegen den erbitterten Widerstand der Fraktion der CDU/CSU z. B. ein neues Demonstrationsstrafrecht durchgesetzt. ({17}) Wir haben gleichzeitig ein Demonstrationsstraffreiheitsgesetz beschlossen. ({18}) Und völlig unbestreitbar ist, daß sich infolgedessen die Stimmung im Lande - die Stimmung insbesondere in der jungen Generation - im Verlaufe dieser Jahre ganz wesentlich beruhigt hat. ({19}) Ich glaube, bei vernünftiger Betrachtungsweise kann niemand bestreiten, ({20}) was Herr Zundel in der heutigen Ausgabe der „Zeit" geschrieben hat. Er sagt nämlich, der wesentliche Teil derjenigen, die damals die Unruhe in den Hochschulen verursacht haben, die diese Unruhe auch auf die Straße getragen haben und sich dabei bedauerlicherweise zunehmend radikalisiert haben, ist inzwischen wieder integriert. Wir wollen uns da nicht um die Palme streiten; ich habe schon bei einer früheren Gelegenheit hier in diesem Hause gar nicht angestanden, ({21}) zu erklären, daß die CDU/CSU das große Verdienst hat, das heute von einem Ihrer Herren Redner auch wieder betont worden ist, die Kräfte rechtsaußen, die Kräfte außerhalb Ihrer Partei, die sich radikalisiert hatten und die eine Gefahr für die Demokratie waren, wieder integriert zu haben. Das habe ich hier vor zwei oder drei Jahren schon einmal gesagt, und dazu stehen wir heute noch ganz genauso. Ich kann nur nicht verstehen, warum Sie umgekehrt nicht die gleiche Fairneß walten lassen gegenüber der nach Lage der Dinge - so, wie sie interessanterweise auch von Ihnen beschrieben wird - mindestens Bleichgroßen, wahrscheinlich aber doch erheblich größeren Integrationsleistung, der sich die große Zahl der seit langen Jahren staatstreuen Sozialdemokraten in diesen Jahren unterzogen hat und die sie geleistet hat. ({22}) Übrig geblieben sind - so schreibt Herr Zundel mit Recht - zwei Gruppen, eine etwas größere, leider eine erheblich größere, die sich den verschiedenen kommunistischen Gruppierungen zugeschlagen hat, und dann eine erheblich kleinere, die man als einen Rest bezeichnen kann und die aus der Erfolglosigkeit der Umtriebe der späten 60er Jahre in den Terrorismus geflüchtet ist. ({23}) Ich glaube, daß das eine angemessene Betrachtungsweise für das Phänomen ist, das Sie als Hintergrund benutzen, um hier einmal mehr zu erklären, die liberalsoziale Koalition sei ihrer Regierungsverantwortung nicht gewachsen, Sie aber wären es. Wenn ich mir die Rede Ihres Vorsitzenden, Herrn Carstens - einiges davon war ja direkt spaßig -, noch einmal in Erinnerung zurückrufe - er hat eine Dreiviertelstunde über alles Mögliche gesprochen, aber keineswegs über konkrete Vorschläge -, ({24}) so hat er zum Schluß ausdrücklich angekündigt, er werde jetzt konkrete Vorschläge seitens der Fraktion der CDU/CSU machen. ({25}) Diese Vorschläge waren natürlich von beeindrukkender Art. So etwas Beeindruckendes wäre uns bei allem Nachdenken nicht eingefallen. ({26}) Man sollte, so sagte Herr Carstens, die Sympathisanten doch einmal darüber aufklären, was für böse Dinge sie da eigentlich unterstützen, damit sie das schnell bleiben lassen. ({27}) Das ist natürlich ein Vorschlag: Wir machen jetzt ein gescheites Flugblatt, verteilen es an den Universitäten und wo Sie sonst den Unrat vermuten, und dann sagen die alle: wir wollen wieder lieb sein. Das kann doch nicht Ihre Sicherheitspolitik sein. ({28}) Vor dieser Sorte Sicherheitspolitik haben wir nun allerdings echt Angst. Damit können Sie sich nicht zur Ablösung empfehlen. ({29}) Das nächste ist, daß Sie sich mit einem Berufsstand anlegen, der sich um den Rechtsstaat genauso erhebliche Verdienste erworben hat wie die anderen im Laufe des heutigen Tages mehrfach angesprochenen Berufsgruppen in Justiz und Polizei, nämlich mit den !Rechtsanwälten. ({30}) Wieso kommen Sie denn auf den Gedanken, wenn etwa 20 bis 30 - von insgesamt über 25 000 - Rechtsanwälte in der Bundesrepublik ihre Pflichten allerdings nicht nur nicht ernst nehmen, sondern ihre Rechte gröblich mißbrauchen, den ganzen Stand in Mißkredit zu bringen, in ein schlechtes Licht zu setzen ({31}) und das Institut des fair trial, eines sauberen, anständigen und chancengleichen Prozesses, durch Vorschläge ad absurdum zu führen, die mit Sicherheit nicht geeignet sind, zu einer Besserung dieser Konspiration zu führen, die hier zu beklagen ist? ({32}) Ich frage Sie: Wo ist denn das Hauptquartier? Herr Dregger sprach eindrucksvoll davon, mit welchem Komfort die Spitzen der Baader-MeinhofBande untergebracht sind, wie sehr man dafür sorgt, daß sie jede Art von Kommunikationsmöglichkeit haben, daß sie Fachliteratur, politische Literatur, vielleicht auch die berühmten Wagenbach-Bändlein über die Herstellung von Bomben usw. recht zahlreich zur Hand haben, daß sie es dort also eigentlich viel besser haben als im Untergrund. Wo halten sich denn diese Herrschaften auf? Unter Verschluß des Bundesjustiz- oder des Bundesinnenministers? Nein, sondern unter Verschluß des Herrn Ministerpräsidenten Filbinger und seines zuständigen Justizministers. ({33}) Herr Dregger, wir haben noch nicht verstehen können, warum diese Sorte Komfort sein muß. Auch wir sind gegen den Haftterror. ({34}) Auch wir sind dagegen, daß diese Leute in Einzelhaft verblöden müssen. Wir sind allesamt human. ({35}) Aber, die können sich vielleicht auch mit ornithologischer Fachliteratur befassen, ({36}) anstatt mit all dem ausgerüstet zu werden, was sie zu ihren Umtrieben erst befähigt, und zwar unter ausdrücklicher alleiniger Zuständigkeit Ihrer Parteifreunde. Das ist doch der entscheidende Punkt. ({37}) Darüber reden Sie hier hinweg, als wäre das alles gar nichts, und verlangen Schritte von der Bundesregierung, die überhaupt nicht zuständig ist. ({38}) ({39}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir wollen das mal wieder einführen. Bitte schön! ({0})

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kleinert, nachdem Sie in dem Gesetzentwurf der CDU/CSU einen Anschlag auf den freien Anwaltstand vermuten, frage ich Sie: Wie erklären Sie sich folgende zwei Tatsachen, daß erstens dieser Vorschlag ursprünglich vom Bundesminister der Justiz gemacht worden ist, und wieso zweitens der Herr Bundeskanzler heute morgen ausweislich der Niederschrift in diesem Zusammenhang erklärt hat: „Sollten sich hier neue Erfahrungen und Erkenntnisse ergeben, so wird die Bundesregierung zur Prüfung bereit sein"? Sie wollen doch der Bundesregierung nicht unterstellen, prüfen zu wollen, wie man den freien Anwaltstand beseitigt! ({0})

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Lenz, das hat man ganz selten, daß Sie solche Mißverständnisse haben. ({0}) Erstens hat die Bundesregierung die ursprüngliche Vorlage - wie wir von Herrn Theisen gehört haben - in loyaler Ausführung eines Beschlusses der Justizministerkonferenz vorgelegt. Sie hat Formulierungshilfe gegeben. ({1}) Anschließend sind wir in die Beratung eingetreten, wie der Bundesminister der Justiz das heute erklärt hat, und haben in dieser Beratung festgestellt, daß uns allerdings diese Umtriebe so gefährlich erscheinen, daß wir zu einem schärferen Mittel greifen müssen, daß wir nicht mit der weißen Salbe des Überhörens arbeiten dürfen, sondern daß wir hier wirklich zum Ausschluß kommen müssen. Das ist die härtere Maßnahme. Danach hat sich bedauerlicherweise ereignet, daß von diesem Mittel in ganz unzulänglichem Maße, wiederum von Länderbehörden außerhalb der Kompetenz des Bundes, Gebrauch gemacht worden ist, aber nicht so, wie wir uns das gewünscht hätten. ({2}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kleinert, wenn nach Ihrer Auffassung das schärfere Mittel die Freiheit der Advokatur nicht beeinträchtigt, wieso können Sie dann behaupten, daß das weniger scharfe Mittel diese Freiheit beeinträchtigt? ({0})

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Lenz, ich habe es heute wirklich ungewöhnlich schwer mit Ihnen. ({0}) Ich habe mich gerade bemüht, darzulegen, daß man nicht wegen etwa 25 sogenannter Rechtsanwälte, die ihre Rechte mißbrauchen, die riesengroße Überzahl aller anderen in der angemessenen Verteilung be10846 hindern darf - oder zumindest dieses Risiko heraufbeschwören darf. ({1}) Die 25 hätten wir gern draußen, ganz und gar - damit da kein Mißverständnis entsteht! Das haben wir gewollt. Da müssen mal die ran, von denen Sie dauernd sprechen, die Härte und Konsequenz bei der Durchsetzung des Rechtsstaates zeigen wollen. Das muß mit rechtsstaatlichen Mitteln, aber gezielt auf die richtige Gruppe, gezielt auf den richtigen Sachverhalt und so, daß es wirklich greift, geschehen. Es darf aber nicht einfach mit den Anträgen, wie Sie sie hier bei diesen Gelegenheiten in diesem Hause vorzulegen pflegen, wie mit einer streuenden Flinte so umhergeschossen werden. ({2}) Ich glaube, wir sollten es uns nicht allzuschwer machen. Sie haben ja mittlerweile noch eine schwierige Zwischenberatung gehabt. Das Ergebnis interessiert uns alle. ({3}) Deshalb möchte ich Ihnen zum Schluß in allem Ernst noch eines sagen. ({4}) Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß die Bürger dieses Landes über längere Zeit hinweg den ungeheuren Widerspruch übersehen werden, der darin liegt, daß Sie sich einerseits als die einzige zur Erhaltung des Staates geeignete Partei darzustellen versuchen und bei diesem Versuch andererseits den Staat - so wie in der heutigen Debatte und insbesondere so wie kürzlich in der Guillaume-Debatte - immer wieder verächtlich machen und in seiner Existenz und Funktionsfähigkeit geradezu gefährden. ({5}) Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stücklen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Heren! Der Ernst der Situation, in die wir durch die Ausführungen des Herrn Wehner gekommen sind, erlaubt es mir leider nicht, die humorvolle letzte Viertelstunde des Kollegen Kleinert fortzusetzen. Die CDU/CSU-Fraktion hat die Plenarsitzung verlassen, weil sie nicht bereit war, sich die Haßtiraden des Abgeordneten Wehner weiter anzuhören. ({0}) Die CDU/CSU-Fraktion weist die unqualifizierten, diffamierenden und beleidigenden Ausführungen mit aller Schärfe zurück. ({1}) Zu solchen Ausfällen, die eines Parlaments unwürdig sind, ist nur ein Abgeordneter von der Geisteshaltung eines Herrn Wehner fähig. ({2}) Herr Wehner ist zu einer unerträglichen Belastung unserer Demokratie und dieses Parlaments geworden. ({3}) Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Sozialdemokratischen Partei weise ich die Erklärung des Herrn Abgeordneten Stücklen energisch zurück. ({0}) Es ist eine Anmaßung und eine verleumderische Art, den Abgeordneten Wehner in dieser Weise zu charakterisieren. ({1}) Ich stelle fest, daß sich heute trotz Aufforderung kein Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und kein CDU- bzw. CSU-Mitglied von der Bundesratsbank von der Rede des CSU-Vorsitzenden Strauß in Sonthofen distanziert hat. ({2}) Wir stellen fest, daß die CDU/CSU-Fraktion sich damit mitschuldig macht. ({3}) Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. ({4}) - Einen Augenblick! Nehmen Sie bitte noch einmal Platz. Sie haben noch nicht das Wort. Meine Damen und Herren, wir haben zunächst diesen Tagesordnungspunkt abzuwickeln. Alsdann bekommt der Abgeordnete Gansel wie angemeldet das Wort zu einer Erklärung nach § 35 der Geschäftsordnung. Ich habe zunächst folgendes zu erledigen. Wir haben zu Punkt 2 a der Tagesordnung - Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung - über den gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 7/3357 abzustimmen. Wird ein Überweisungsantrag gestellt? - Ist klar, an welchen Ausschuß überwiesen werden soll? ({5}) - Einwandfrei Innenausschuß. Vizepräsident von Hassel Wir haben außerdem über die Überweisungen zu den Punkten 2 b bis 2 g zu entscheiden. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der gedruckten Tagesordnung. Können wir über die Überweisung des Entschließungsantrags und der Punkte 2 b bis 2 g gemeinsam abstimmen? - Dann bitte ich diejenigen, die der Überweisung der Punkte gemäß der ausgedruckten Tagesordnung und des Entschließungsantrags zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen. Bevor wir mit der Tagesordnung fortfahren, hat zu einer persönlichen Bemerkung nach § 35 unserer Geschäftsordnung der Abgeordnete Gansel das Wort.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine persönliche Bemerkung abgeben, nachdem mir, obwohl ich das seit heute morgen versucht habe, nicht erlaubt wurde, eine andere Erklärung als diese in Form einer tatsächlichen Erklärung abzugeben. Ich glaube, ich bin es dem Selbstverständnis dieses Parlaments, dem Selbstverständnis meiner Partei, den Jungsozialisten und auch mir selbst schuldig, darauf einzugehen, was die Abgeordneten Dregger, Filbinger und Strauß über Sympathien für die Baader-Meinhof-Verbrecher gesagt haben. Der Abgeordnete Dregger hat in seiner Rede heute morgen folgendes Zitat „unseres Kollegen Gansel und der schleswig-holsteinischen Jungsozialisten" benutzt: Politiker wie Dregger, Carstens, Strauß, Stoltenberg und Löwenthal sind für diese Demokratie gefährlicher als die Terroristen der Baader-Meinhof-Bande. Herr Filbinger sprach von „gefährlicheren Terroristen als die Baader-Meinhof-Verbrecher". Die Herren beziehen sich damit auf eine Resolution der Jungsozialistenlandeskonferenz von Schleswig-Holstein Anfang Januar dieses Jahres, die ich auf dieser Konferenz in Büsum mündlich begründet habe. Ich stelle dazu fest: 1. Der von Politikern der CDU/ CSU, ihren publizistischen Hilfstruppen und heute von den Herren Dregger, Strauß und Filbinger benutzte Satz kommt so in der Resolution überhaupt nicht vor. ({0}) 2. Die Resolution enthält eine scharfe Verurteilung der Terroristen. Sie nennt Terror Terror und die Taten der Baader-Meinhof-Anarchisten „menschenverachtende Verbrechen". ({1}) 3. In der Resolution distanzieren sich die Jungsozialisten von der Behauptung, die Baader-MeinhofHäftlinge seien einer Isolationsfolter ausgesetzt. Auch dies festzustellen ist nach der Rede des Abgeordneten Strauß wichtig. ({2}) 4. In der Resolution heißt es wörtlich: Für die Jungsozialisten gibt es keine politische Solidarität mit anarchistischen Terroristen. Anarchistische Gewalttäter sind keine Linken, sind vielmehr objektive Handlanger und willige Werkzeuge der äußersten Reaktion. Die Resolution zeigt dann auf, daß die anarchistischen Anschläge von reaktionären Teilen der CDU/ CSU zum Abbau von Demokratie und Rechtsstaat benutzt werden können, ({3}) und enthält in diesem Zusammenhang die Passage: „Personen wie Dregger, Carstens, Strauß, Löwenthal und Stoltenberg sind für die Demokratie weitaus gefährlicher". Punkt! Kein „als"! ({4}) Gemeint sind aber nicht Personen als Personen, sondern politische Vertreter einer politischen Strategie, die seit langem erkennbar war, die seit Sonthofen offenbar geworden ist ({5}) und die heute auch in diesem Hause ausgesprochen worden ist. ({6}) Ich wäre bereit gewesen, an dieser Stelle, wenn dies nicht deutlich genug geworden wäre, ein Wort des Bedauerns zu sagen. Die Äußerungen, die der Abgeordnete Stücklen über unseren Fraktionsvorsitzenden Wehner gemacht hat, machen mir das leider nicht möglich. ({7}) 5. Von der Sachaussage der Resolution habe ich nichts zurückzunehmen. ({8}) Die Anarchisten können den demokratischen Rechtsstaat verunsichern - deshalb sind sie eine so große Gefahr ({9}) aber reaktionäre Politiker können den demokratischen und sozialen Rechtsstaat tatsächlich Stück für Stück demontieren. Deshalb bleiben sie die Hauptgefahr für unseren Staat. ({10}) Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dregger hat die Frage aufgeworfen, ob das von ihm benutzte Zitat - Vizepräsident von Hassel: Herr Abgeordneter Gansel, Sie überschreiten ganz entschieden die Möglichkeiten, eine persönliche Erklärung nach § 35 der Geschäftsordnung abzugeben. Ich darf Sie bitten, einen Schlußsatz zu sagen, sonst entziehe ich Ihnen das Wort. ({11}) Ich habe gesagt, daß Ihre Ausführungen eine persönliche Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung ganz entschieden überschreiten. Kommen Sie zu einem Schlußsatz, sonst entziehe ich Ihnen das Wort. ({12})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Strauß hat sich zur Begründung seiner Äußerung über angebliche Sympathisanten der Baader-Meinhof-Terroristen in diesem Hause in seinem vorhin vorgelesenen Brief an die Präsidentin auf jene falsch zitierte Büsumer Resolution bezogen. Nach meinen Ausführungen ist es nicht möglich, von Antipathien gegen die CDU auf Sympathien für die Baader-Meinhof-Bande zu schließen. ({0}) Im übrigen weise ich daraufhin, daß der Versuch der Beweisführung von Herrn Strauß schon deshalb scheitern muß, ({1}) weil die Juso-Resolution vom 12. Januar 1975, ({2}) die Sonthofener Rede von Herrn Strauß dagegen vom 18. November 1974 stammt. ({3}) Herr Präsident, ich danke Ihnen dafür, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, zu erleben, daß der Abgeordnete Dregger einem Abgeordneten zurufen kann: Verschwinden Sie hier!, ({4}) ohne daß ich erleben mußte, daß Sie das gerügt haben. ({5}) Vizepräsident von Hassel: Herr Abgeordneter Gansel, ich darf für das Hohe Haus vielleicht darstellen, wie es heute morgen zwischen uns beiden einen Disput gegeben hat, nämlich in der Form, daß Sie eine Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung abgeben wollten und mich dieserhalb monierten, daß ich Ihnen dazu das Wort nicht gab. Der Präsident ist nach freiem Ermessen in der Lage, dieses Wort zu erteilen oder nicht. Ich glaube, das Hohe Haus ist sich darüber im klaren - auch nach der jetzt abgegebenen Erklärung nach § 35 der Geschäftsordnung, die das richtige gewesen wäre -, daß es gut gewesen ist, ({6}) diese Erklärung heute mittag nicht zu hören. ({7}) - Verehrter Herr Kollege, ich rufe Sie zur Ordnung, wenn Sie hier die Amtsführung des Präsidenten kritisieren. Im übrigen haben wir darüber im Ältestenrat gesprochen. Sie können sich beschwerdeführend an die Präsidentin wenden. Dieser Tagesordnungspunkt ist erledigt. Die Tagesordnung wird damit fortgesetzt, daß wir noch in zweiter und dritter Beratung über eine Reihe von Tagesordnungspunkten abstimmen, wobei ich mich bemühen werde, das möglichst zügig zu machen, damit wir zu einem Ende dieser späten Sitzung kommen. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Börsengesetzes - Drucksache 7/101 Bericht und Antrag des Finanzausschusses ({8}) - Drucksache 7/3248 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Vohrer ({9}) Ich danke dem Berichterstatter. Wünschen Sie das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht? - Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe die Art. 1, 2, 3, 4 und 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung. Ich eröffnete die Ausprache. - Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache. Vizepräsident von Hassel Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes und des Vertrauensmänner-Wahlgesetzes - Drucksache 7/1968 Bericht und Antrag des Verteidigungsausschusses ({10}) - Drucksache 7/3324 Berichterstatter: Abgeordneter de Terra ({11}) Ich danke dem Berichterstatter. Wünschen Sie das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir treten in die Aussprache ein. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Dann kommen wir zur Einzelberatung. Ich rufe die Art. 1, 2, 2 a, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - In zweiter Beratung so beschlossen. Wir kommen zur dritten Beratung. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig so angenommen. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 15. Juli 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Haschemitischen Königreich Jordanien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 7/3264 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({12}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Das Wort wird nicht gewünscht. - Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit - mitberatend - zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 28. November 1974 zur Änderung des Vertrages vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel - Drucksache 7/3277 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen In der Aussprache wird das Wort nicht gewünscht. - Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses ({13}) zu dem Bericht der Bundesregierung betr. NATO-Truppenstatut und Zusatzvereinbarungen hier: Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Kanada und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland über die Durchführung von Manövern und anderen Übungen im Raum SoltauLüneburg ({14}) vom 3. August 1959 - Drucksachen 7/2443, 7/3300 -Berichterstatter: Abgeordneter Freiherr von Fircks Ich danke dem Berichterstatter. - Sie wünschen das Wort nicht. Wird das Wort gewünscht? - Wir kommen dann, da das Wort nicht gewünscht wird, zur Abstimmung über den Ausschußantrag. Wer diesem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig so angenommen. Meine Damen und Herren, ich rufe alsdann die Tagesordnungspunkte 8 bis 11 auf: 8. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({15}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung ({16}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 366 /67 /EWG über die Grundregeln für die Gewährung von Erstattung bei der Ausfuhr von Reis und über die Kriterien für die Festsetzung der Erstattungsbeträge - Drucksachen 7/2975, 7/3293 - Berichterstatter: Abgeordneter Marquardt 9. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({17}) zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine Verordnung ({18}) des Rates zur Aufstellung der Grundregeln für die Lieferung von Rindfleischkonserven an bestimmte internationale Organisationen und Entwicklungsländer im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe einen Beschluß des Rates zur Eröffnung von Verhandlungen mit dem Welternährungspro10850 Vizepräsident von Hassel gramm über eine Nahrungsmittelhilfe in Form von Rindfleischkonserven, wie in der obigen Verordnung vorgesehen, sowie über die vorzeitige Durchführung des ausgehandelten Abkommens eine Entschließung des Rates über die Finanzierung der durch die Lieferung von Rindfleischkonserven im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe verursachten Ausgaben - Drucksachen 7/2651, 7/3292 Berichterstatter: Abgeordneter Sauter ({19}) 10. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({20}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EK-Kommission für eine Verordnung ({21}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({22}) Nr. 2737/73 zur Festlegung der im Falle von Störungen auf dem Reismarkt anzuwendenden Grundregeln - Drucksachen 7/2976, 7/3294 - Berichterstatter: Abgeordneter Marquardt 11. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({23}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel - Drucksachen 7/277, 7/1517, 7/3295 Berichterstatter: Abgeordneter Egert Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich die Aussprache eröffnen. - Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen dann zur Abstimmung über die Ausschußanträge. Sie haben dazu folgende Drucksachen: 7/3292, 7/3293, 7/3294, 7/3295. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen. Wir sind dann am Ende der heutigen Beratung. Ich berufe die nächste Sitzung, die 156., des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 14. März, morgen früh, 10 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.