Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/20/1975

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist eröffnet. ({0}) Zu Beginn der vergangenen Woche kam die Nachricht, daß die Bundeswehr von einem besonders schweren Unglück betroffen worden ist. Am Sonntag, dem 9. Februar, ist ein deutsches Transportflugzeug auf der Insel Kreta, nicht weit vom Zielflughafen entfernt, am Abhang eines Gebirgskammes zerschellt. Was schon beim Eintreffen der ersten Meldung vermutet werden mußte, wurde zur traurigen Gewißheit: Alle 42 an Bord befindlichen Bundeswehrangehörigen, die siebenköpfige Flugbesatzung sowie 35 Angehörige eines Flugabwehrraketenbataillons hatten bei diesem Unglück den Tod gefunden. Diese Nachricht läßt uns einen Augenblick innehalten. Sie ruft uns allen ins Bewußtsein, daß auch in Friedenszeiten der Waffendienst seine Opfer fordert. Tag für Tag leisten Soldaten der Bundeswehr ihren Dienst für uns und unser Land, für unsere Freiheit und Sicherheit. Sie tun das nicht nur mit großem Pflichtbewußtsein, sondern sie setzen auch ihr Leben ein. Die Soldaten der Flugabwehr befanden sich auf dem Weg zu einem Übungseinsatz, der notwendig ist, um den Schutz unseres Luftraumes gewährleisten zu können. Sie starben zusammen mit der Besatzung in Ausübung ihres Dienstes. Ihr jäher Tod hat in ihre Familien Schmerz und Trauer gebracht: Eltern verloren ihre Söhne, Kinder ihren Vater, Frauen wurden Witwen. Den Angehörigen, Freunden und Kameraden der Soldaten, die Opfer dieses Unglücks wurden, spreche ich namens des Deutschen Bundestages unsere tief empfundene Anteilnahme aus. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung - Drucksache 7/3191 Berichterstatter: Abgeordneter Jahn ({2}) Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Bitte schön, Herr Berichterstatter!

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwischen Bundestag und Bundesrat war streitig, an welches Gericht sich der Bewerber um einen Studienplatz wenden muß, wenn er von der Dortmunder Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen einen Bescheid erhält, gegen den er gerichtlich vorgehen will. Der Bundestag hatte' beschlossen, daß das Verwaltungsgericht des Wohnsitzes des Bewerbers zuständig sein sollte. Er sollte sein Recht möglichst leicht und einfach geltend machen können. Der Bundesrat strebte dagegen die zentrale Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts in Gelsenkirchen für alle Klagen aus dem Bundesgebiet an. Er wollte die einheitliche Verwaltungspraxis der Zentralstelle durch eine einheitliche Gerichtspraxis ergänzt wissen und damit zugleich die bisher umstrittene tatsächliche Regelung durch eine klare gesetzliche Bestimmung klären. Der Vermittlungsausschuß schlägt eine Regelung vor, die beiden Überlegungen angemessen Rechnung trägt: Für eine geräumig bemessene Frist bis zum 31. Dezember 1978 wird die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, in dessen Bezirk die zentrale Zulassungsstelle der Länder über die Vergabe von Studienplätzen ihren Sitz hat, festgelegt. Danach wird die Regelung wirksam, die der Bundestag ursprünglich angestrebt hat und die dem Grundsatz entspricht, daß das jeweils zuständige Gericht für den Bürger einfach und leicht erreichbar sein soll, d. h., ab 1. Januar 1979 wird bei einem Streit über die Vergabe von Studienplätzen der Bewerber das Gericht seines Wohnsitzes anrufen können. Ich bitte, diesem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, können wir über die beiden Änderungen gemeinsam abstimmen? - Ich höre keinen Widerspruch. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/3191 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Präsident Frau Renger - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft ({1}) - Drucksache 7/3192 Berichterstatter: Abgeordneter Kleinert Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das vom Deutschen Bundestag am 14. November 1974 beschlossene Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft war nach übereinstimmender Meinung dieses Hauses in seiner damaligen Fassung geeignet, einen Durchbruch zu einem besonders fortschrittlichen Verständnis von der Nutzung des Waldes als eines Gutes der Allgemeinheit zu schaffen. Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuß angerufen, um in einer Reihe von Fragen, die seinerzeit geregelt worden waren, seine etwas anderen Ansichten durchzusetzen, insbesondere deshalb, weil hier von einer Rahmenkompetenz des Bundes im einzelnen zu weitgehender Gebrauch gemacht worden wäre. Der Vermittlungsausschuß ist in der Ihnen vorliegenden Form zu einem Ergebnis gekommen, das, wie ich meine, einen guten Kompromiß darstellt. Es ist nicht so, wie der zuständige Bundeslandwirtschaftsminister gesagt hat: daß der Wald ein besonders wichtiges Gut des ganzen Volkes ist und das Nähere Ländergesetze regeln. Diese Äußerung hat er einmal in einem privaten Gespräch im Zorn darüber getan, daß die Regelungen hier nicht so weitgehend durchgesetzt werden konnten, wie das sicher wünschenswert gewesen wäre. Wir haben uns einerseits den verfassungsrechtlichen Realitäten gebeugt und andererseits versucht, soviel wie möglich an richtungweisenden Elementen des ursprünglich beschlossenen Gesetzes bestehen zu lassen, damit diese dann durch die Länder, d. h. durch die zu erlassenden Ländergesetze möglichst sachgerecht ausgefüllt werden können. Wir hoffen, daß das im Geiste der Kooperation geschieht, die Basis eines wohlverstandenen Föderalismus sein soll, und daß im Ergebnis eine weitgehend gleiche Behandlung in allen Bundesländern zustande kommt. Wir werden dann auf Grund dieser Rahmenvorschriften nicht nur, aber insbesondere ein neues, möglichst einheitliches Recht für die Regelung des Betretens des Waldes haben, und zwar - um das zum Schluß dieser manchmal sehr auf den einen Punkt abgestellten Diskussion noch einmal zu sagen - für alle Bürger dieses Landes - zu Fuß und zu Pferde. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/3192 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. ({0}) - Bei einer Enthaltung. Herr Gallus, das wird vermerkt. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um wenige Minuten Geduld; anscheinend ist der Bundesminister für Wirtschaft im Verkehr steckengeblieben. Er ist aber schon im Hause und wird jeden Moment kommen. Ich bitte um Entschuldigung. ({1}) - Herr Kollege Jenninger, ich dachte, daß wir die Unterbrechung für ein paar Minuten akzeptiert haben. ({2}) - Er kommt gerade. ({3}) - Meine Damen und Herren, es gibt manchmal Momente, in denen es eben nicht so geht, wie man sich das vorstellt. ({4}) Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: a) Beratung des Jahresgutachtens 1974 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - Drucksache 7/2848 - b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1975 der Bundesregierung - Drucksache 7/3197 Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich bitte zu entschuldigen, daß ich jetzt erst kam; mir wurde gesagt, dieser Punkt würde nicht vor 9.15 Uhr aufgerufen. Ich bitte daher um Verständnis. Die Bundesregierung hat den Jahreswirtschaftsbericht 1975 termingerecht am 30. Januar vorgelegt. In aller Nüchternheit hat sie die Ausgangslage für dieses Jahr, die Risiken auf dem Wachstumspfad der Wirtschaft, die gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten, die Verantwortungsbereiche in unserer Volkswirtschaft und ihre eigenen wirtschaftspolitiBundesminister Dr. Friderichs schen Entscheidungen und Absichten dargestellt sowie ihre Stellungnahme zum Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abgegeben. Die Bundesregierung hat damit ihre Karten offen auf den Tisch gelegt. Es gibt also nichts zu entschleiern, weil erst gar nichts verhüllt worden ist. In dieser Debatte geht es einzig und allein darum, eindeutig erkennbare Fakten und eventuell unterschiedliches wirtschaftspolitisches Kalkül für die Zukunft unvoreingenommen und mit politischem Sachverstand gegeneinander abzuwägen. Für die Bundesregierung und wohl auch für die kritische Öffentlichkeit ist der Jahreswirtschaftsbericht jedenfalls kein Poesiealbum, wie er bezeichnet wurde, sondern ein ganz nüchternes Werkbuch. Dabei wissen wir natürlich, wie problematisch gerade in einer solchen Lage wie heute quantitative Zahlenangaben sind; aber dazu verpflichtet uns das Gesetz. Niemand kann um diese Jahreszeit bereits statistische Beweise für einen neuen Konjunkturanstieg vorlegen oder Belege für die exakte Wirkung der Konjunkturförderungsmaßnahmen verlangen. Dazu ist die Zeit zu kurz. Außerdem hinken Statistiken immer ein bis zwei Monate hinter der jeweiligen Entwicklung her. Es wäre daher absurd, heute bereits Zahlen darüber zu erwarten. Wir müssen auch jetzt noch Nerven behalten. Die gesamte Weltwirtschaft befindet sich - dies sei hier offen und unzweideutig ausgesprochen - in der schwierigsten Problemkonstellation seit 25 Jahren. Die Herausforderung der Industriestaaten durch die Erdölländer hat zu den gegenwärtigen Schwierigkeiten in der Weltwirtschaft sicherlich erheblich beigetragen. Ich stelle aber ebenso unmißverständlich fest: Für die Bundesregierung hat diese Entwicklung keine Alibifunktion. Sie darf nicht von Schwierigkeiten ablenken, die wir in unserem Land selbst zu vertreten haben. Die Krise des letzten Winters hat die Inflationstendenz und die Strukturprobleme der Industriewirtschaft nicht verursacht, sondern nur zum Überlaufen gebracht. Dadurch ist das bis dahin primär im nationalen Rahmen beobachtete Phänomen eines übersteigerten Verteilungskampfes zwischen Sozialpartnern auf die internationale Ebene zwischen ganzen Gruppen von Volkswirtschaften übertragen worden. Der damit weltweit in Gang gesetzte Umverteilungsprozeß erzwingt tiefgreifende Strukturveränderungen. Wer bisher geglaubt hatte, die gravierenden sozio-ökonomischen Strukturprobleme ließen sich im Schatten leichter Inflation einfacher lösen als unter harten Stabilitätsbedingungen, muß jetzt die große Gefahr der anhaltenden Inflation für eben diese sozio-ökonomischen Bedingungen erkannt haben. ({0}) Die Entwicklung in den meisten Ländern zeigt: Arbeitsplätze können auch durch Inflation nicht gesichert werden - im Gegenteil. Die Lage der Weltwirtschaft zu Beginn dieses Jahres bietet außerhalb unseres eigenen Landes fürwahr kein erfreuliches Bild: trotz leichter Verbesserung gegen Jahresschluß 1974 eine anhaltend hohe Inflation, Preissteigerungsraten zwischen 10 und 25 % und eine wachsende Arbeitslosigkeit mit Arbeitslosenquoten zwischen 5 und über 8 %. Wegen der unterschiedlichen nationalen Berechnungsmethoden der Arbeitslosenquoten ist ein durchgängiger Niveauvergleich zwischen den einzelnen Ländern leider nicht ohne weiteres möglich. Für den, der dennoch Wert auf einen solchen Vergleich legt, darf ich auf die Arbeiten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hinweisen. Es arbeitet an einem Bereinigungsverfahren, das wenigstens einen ungefähren Vergleich in Anlehnung an amerikanische Verfahren zuläßt. Nach den dabei umgerechneten Arbeitslosenquoten zeigt sich, daß die Bundesrepublik Deutschland die niedrigste Arbeitslosenquote unter den westlichen Industrieländern aufweist. ({1}) Die noch günstigere, nur geringen konjunkturellen Schwankungen unterliegende Arbeitslosenquote Japans findet in den westlichen Ländern keine Entsprechung; sie erklärt sich nicht zuletzt aus den patriarchalischen und auf lange Zeit angelegten Beschäftigungsverhältnissen. Weltweit befindet sich die Konjunktur also noch im Abschwung. Von den Folgen dieser weltweiten Problematik kann auch die Bundesrepublik nicht voll abgehängt werden. Auch hierzulande haben nicht immer alle am gleichen Strang gezogen. Daß Irrtümer über Preiserhöhungsspielräume und Kostenüberwälzungsmöglichkeiten mehr Arbeitsplätze als sonst nach der Energiekrise gefährden mußten, war schon vor Jahresfrist in den Beratungen der Konzertierten Aktion erörtert worden. Die Warnungen, meine Damen und Herren, daß eine Fortsetzung eines scharfen Verteilungskampfes die strukturellen Anpassungsschwierigkeiten verstärkt, und entweder in dramatisch beschleunigte Inflation oder in Beschäftigungsrückgang mündet, wurden leider nicht überall ausreichend respektiert. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat die wirtschaftlichen Zusammenhänge des vergangenen Jahres in seinem Jahresgutachten eingehend analysiert. Er hat dabei auch die Ursachen unserer heutigen Probleme offengelegt. Die Bundesregierung hat ihm auch in diesem Jahr für seine Arbeit und seinen Beitrag zur Versachlichung der Meinungsbildung über die komplexen Probleme und Aufgaben der Wirtschaftspolitik zu danken. Auch die Bundesregierung nimmt nicht für sich in Anspruch, in ihrer Wirtschaftspolitik und Vorausschätzung der Wirtschaftspolitik unfehlbar zu sein. Sie sieht sich jedoch auch durch den Sachverständigenrat in ihrer Überzeugung bestätigt, einen konsequenten und richtigen wirtschaftspolitischen Kurs verfolgt zu haben. In der heutigen Debatte stehen wir noch vor dem erwarteten Wendepunkt der Wirtschaftsentwicklung. Es ist deshalb die vorrangige Aufgabe der Wirtschaftspolitik, im Jahre 1975 eine inflationsfreie Belebung des Wirtschaftswachstums und eine Verbesserung des Beschäftigungsstandes in Gang zu bringen. Dazu ist erforderlich, daß sich nach der sehr schwachen Investitionstätigkeit in den letzten Jahren das Investitionsklima spürbar verbessert und die Investitionen vor allem der gewerblichen Wirtschaft deutlich überproportional ansteigen. Wenn eine entsprechende Verwendungsstruktur des Bruttosozialprodukts erreicht werden soll, dann müssen natürlich die damit verbundenen Finanzierungsprobleme gelöst werden, wobei insbesondere die Einkommenspolitik auf diese notwendige Entwicklung Rücksicht nehmen muß. Die Bundesregierung hat mit ihren Sonderprogrammen vom Frühjahr und Herbst 1974 sowie vor allem mit ihrem Programm zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum bei Stabilität vom 12. Dezember 1974 zügig und angemessen der Entwicklung Rechnung getragen. Je mehr sich der Zahlenspiegel über die Wirtschaftsentwicklung zum Jahreswechsel komplettiert, um so deutlicher wird, daß die Bundesregierung die Lage richtig eingeschätzt hat. Zu erinnern ist daran, daß der Sachverständigenrat noch in seinem Jahresgutachten Mitte November gemeint hatte, die Verkrampfung der Investitionsneigung ließe sich nicht ohne eine unmittelbare Investitionsförderung durch den Staat lösen. Ein Zuwarten, das mancherorts empfohlen wurde, um vor allem die Tarifvertragsparteien zu disziplinieren, wäre kaum zu verantworten. Genauso abwegig wäre es aber auch, bereits weitere Maßnahmen zu diskutieren, bevor die Wirkungen des Dezemberprogramms und der monetären Lockerung auch nur annähernd zu überblicken sind. Wir wollen nicht wieder in einen Inflationsstrudel der anderen Industrieländer geraten; und ich bin sicher, die beschlossenen Maßnahmen werden wirken. Das Konjunkturprogramm, meine Damen und Herren, ist eine Offerte der Wirtschaftspolitik an die Wirtschaft. Wann und in welchem Ausmaß die Investitionszulage und die Kreditverbilligungen in Anspruch genommen werden, hängt davon ab, wieviel Vertrauen die potentiellen Investoren in die Zukunft setzen. Es liegt aber auch an uns, auch in dieser Debatte dieses Vertrauen zu stärken. In der Konzertierten Aktion am 15. Januar 1975 haben mir die Vertreter der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften übereinstimmend ihre volle Bereitschaft versichert, hierzu nach Kräften beizutragen und das Konjunkturprogramm der Bundesregierung voll zu unterstützen. Dies ist nach meinem Eindruck auch weithin der Fall. Ich frage mich allerdings, zu wessen Nutz und Frommen sich ausgerechnet der Deutsche Industrie- und Handelstag, der sich immer sehr viel auf seine Funktion als Hüter des gesamtwirtschaftlichen Interesses zugute gehalten hat, gedrängt fuhlte, zu behaupten, eine Wiederbelebung sei nicht in Sicht und die dubiose Investitionszulage werde nicht wirken. ({2}) Ich halte diese Aussage weder für sehr sachverständig noch für wirtschaftlich verantwortbar. ({3}) Zu wünschen ist doch wohl ein rasches Zugreifen der Investoren. Ein Attentismus, den man durchaus auch herbeireden kann, bis kurz vor dem Auslaufen der Investitionszulage Ende Juni hätte doch zur Folge, daß die Investitionsnachfrage dann erst im zweiten Halbjahr produktionswirksam werden könnte. Das Kernproblem der Wirksamkeit der Investitionszulage ist jedoch nicht, ob die Masse der Bestellungen im ersten oder im zweiten Vierteljahr vorgenommen wird. Es ist auch nicht ausschlaggebend, ob unmittelbar zusätzliche Investitionen initiiert werden, wie häufig behauptet. Wichtig ist vielmehr - und dies war und ist der Zweck des Konjunkturprogramms -, daß möglichst viele Investitionen in den Begünstigungszeitraum vorgezogen werden und daß von dieser Ballung von Bestellungen Anstoßwirkungen auf die Produktion ausgeübt werden und positive Folgedispositionen auf allen Ebenen der Wirtschaft ausgehen und so das gesamte Klima der Wirtschaft nachhaltig verbessert wird. Noch wäre es verfrüht, von ersten Wirkungsspuren des Konjunkturprogramms im Auftragseingang der Investitionsgüterindustrie und vor allem im Fahrzeugbau sowie von der noch zaghaften Verbesserung der Geschäftserwartungen schon auf einen früheren und bereits gesicherten Konjunkturanstieg zu schließen. Auch erste Investitions- und Auftragsschwalben sind schon da, aber sie machen natürlich noch keinen Konjunktursommer. Wir brauchen zweifellos noch eine Weile Geduld und, wie immer im Wirtschaftsleben, auch einen Schuß Zuversicht. Bundesregierung und Bundesbank haben ihre Politik offengelegt, und sie haben die gesamtwirtschaftlichen Orientierungsdaten gesetzt. Aber die Mehrzahl potentieller Investoren hat mit größeren Investitionsentscheidungen sicherlich zunächst den Ausgang der jetzigen Tariflohnverhandlungen abwarten wollen, um erst Klarheit über die weitere Kostenentwicklung zu erlangen. Die unabdingbare Weichenstellung in der Einkommenspolitik durch die Tarifvertragsparteien ist inzwischen zu einem guten Teil vollzogen. Unsere Erwartung, daß sich in großen Bereichen der Wirtschaft die Sozialpartner von gesamtwirtschaftlicher Vernunft und von der Notwendigkeit leiten lassen, zur Belebung der Investitionstätigkeit und des Wirtschaftswachstums und damit zum Abbau der Arbeitslosigkeit beizutragen, scheint weitgehend erfüllt. Nach den jüngsten Abschlüssen kann heute wohl gesagt werden, daß der Einstieg in die Lohnrunde 1975 durchaus den gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten entspricht. Er zeigt ein erhebliches Maß an Mitverantwortung der Tarifvertragsparteien. ({4}) Insbesondere auch die letzten Abschlüsse beweisen, wenn auch erst nach Irrtümern des letzten Jahres, daß die autonome Lohnfindung in unserem Land noch immer genügend flexibel auf eine wesentlich veränderte Konjunktur- und Arbeitsmarktsituation reagiert. Dazu hat aber entscheidend beigetragen, daß die Inflationserwartungen durch die Politik von Bundesbank und Bundesregierung gebrochen worden sind und die Arbeitnehmer unangenehme Überraschungen an der Preisfront nicht befürchten. Der Wille von Bundesbank und Bundesregierung, eine erneute Beschleunigung der Preis- und Kostensteigerungen nicht zuzulassen, hat sich bei allen Beteiligten herumgesprochen und wird offensichtlich nunmehr auch honoriert. Dazu war eine klare Politik von Bundesregierung und Bundesbank mit klassischen Mitteln nötig. Hierzu bedurfte es keiner Patentrezepte oder gar dirigistischer Eingriffe in die freie Preis- und Lohnbildung. Patentrezepte brauchen wir auch nicht für die Wiederbelebung unserer Konjunktur. Vertrauen in die Tarifautonomie ist unverändert berechtigt und geboten. Unbekümmerte, grenzenlose Handlungsfreiheit räumt auch sie niemandem ein. Ihr Sinn ist, durch gleichberechtigte Vertragsparteien die Untiefen sozialer Konflikte sorgfältig auszuloten und die Möglichkeiten des Interessenausgleichs zu finden. Genau dies ermöglicht uns das im Vergleich zu vielen anderen Ländern so vorbildliche und stabile soziale Klima in der Bundesrepublik Deutschland. ({5}) Die Aufforderung des CSU-Vorsitzenden an den Herrn Bundeskanzler am Aschermittwoch, den Gewerkschaften vorzuschreiben, wieviel Lohnerhöhung sie jetzt höchstens fordern dürfen, erscheint deshalb in mehrerer Hinsicht deplaciert. ({6}) Regierung, Gewerkschaften ({7}) Regierung, Gewerkschaften - ({8}) - Doch. Darum ging es aber nicht; die waren ja längst gegeben, Herr Abgeordneter Dr. Strauß. Orientierungsdaten zu geben brauchten Sie den Bundeskanzler nicht aufzufordern; die lagen vor und waren allen Beteiligten bekannt. Nehmen Sie das zur Kenntnis! ({9}) Sie sollten sich vielleicht eher überlegen, ob es zur Verbesserung des sozialen und wirtschaftlichen Klimas zweckmäßig ist, diese Republik mit solchen Titeln zu belegen, wie Sie es glaubten in Passau tun zu müssen. ({10}) Sie müssen sich selbst fragen, Herr Dr. Strauß, ob Sie mit der Bezeichnung, die Sie für diesen Staat gefunden haben, den Menschen in diesem Lande einen Dienst erwiesen haben, ({11}) und wie das Ausland auf uns schaut, das der Meinung ist, wir hätten die Probleme besser gemeistert. Und Sie nennen dies alles - mit Genehmigung der Frau Präsidentin darf ich das vielleicht wiederholen - einen „Saustall"! ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Fahren Sie fort, Herr Bundesminister!

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Regierung, Gewerkschaften - ({0}) - Meine Damen und Herren von der Opposition -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, fahren Sie doch in Ihrer Rede fort! ({0})

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Ich darf um Entschuldigung bitten: wenn Sie jetzt das Zuspätkommen noch einmal ansprechen, dann bitte nehmen Sie zur Kenntnis - ({0}) - Ich wollte Ihnen nur zugestehen, meine Damen und Herren von der Opposition - nun seien Sie doch froh, wenn ich Ihnen ein Zugeständnis mache-, ({1}) daß ich in der Tat heute vormittag keine Zeitungen gelesen habe, weil Sie vielleicht merken - bitte nehmen Sie das zur Kenntnis -, daß gestern abend und diese Nacht noch nicht klar war, ob ich das Bett verlassen konnte, um wenigstens heute morgen hier anwesend zu sein, und ich heute morgen den Arzt aufgesucht habe; ob Ihnen das paßt oder nicht. ({2}) Regierung, Gewerkschaften und Unternehmer sind darüber nämlich seit langem in einem intensiven und sachlichen Dialog. Jeder Verantwortliche weiß auch längst genau, welcher Beitrag von seiner Seite für die Gesamtwirtschaft optimal wäre. Der Interessenausgleich ist in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat zwischen den Sozialpartnern in freien Verhandlungen herbeizuführen und nicht durch ein Kanzlerdekret. So sieht es die Bundesregierung, und, Herr Dr. Strauß, so schreibt es auch die Verfassung vor. Anläßlich des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst hat die Opposition durch Herrn Jenninger mäkeln lassen, es gehe „anscheinend nichts mehr unter 6" - Prozent war gemeint. Dazu muß nun noch einmal gesagt werden, meine Damen und Herren, daß Löhne neben Kosten- auch eine Nachfragefunktion haben. Im Blick auf die notwendige Investitionsfinanzierung und Ertragslage muß zweifellos in der derzeitigen Konjunkturphase die Kostenseite im Vordergrund der ökonomischen Beurteilung stehen. Dies hat die Bundesregierung in den vergangenen Monaten immer wieder gepredigt. Daneben bleibt aber doch zu beachten, daß auch ein Mindestmaß an Verbrauchsbelebung für die gesamtwirtschaftliche Aufwärtsentwicklung erforderlich ist. Ich meine also, die sich zur Zeit abzeichnende Einkommensentwicklung liegt ziemlich optimal auf der Mitte zwischen Kosten- und Nachfrageeffekt. Den Bundeswirtschaftsminister beunruhigt zudem die Unbekümmertheit, mit der mancherorts, z. B. auch in Passau, mit der Wirtschaftsordnung umgegangen wird, wenn der Anschein einfacher, schneller Lösungen für komplexe wirtschaftspolitische Probleme erweckt werden soll. Mit ihrer Projektion im Jahreswirtschaftsbericht hat die Bundesregierung die nach ihrer Auffassung für die weitere Wirtschaftsentwicklung unter den gegebenen Ausgangsbedingungen bestmögliche Setzung gesamtwirtschaftlicher Rahmendaten gegeben, nicht lediglich eine Prognose. ({3}) Damit hält sie sich exakt an das, was ihr das Stabilitätsgesetz vorschreibt. - Herr Müller-Hermann, über Ihren Zwischenruf „trotzdem falsch!" werden wir ja heute Gelegenheit haben zu debattieren. Ich habe eingangs deutlich gemacht: auf der Basis der verfügbaren Daten. Wenn die Opposition in der Lage ist, einen anderen Datenrahmen als Projektion anzubieten, steht ihr dies frei. ({4}) Die Behauptung „falsch" allein genügt wohl nicht, um zu beweisen, wie es anders ist. ({5}) Die Realisierungschancen der Jahresprojektion hängen davon ab, inwieweit unbeeinflußbare Faktoren wie z. B. die Lieferbereitschaft der Erdölproduzenten oder der Versuch mancher Länder, ein Rohstoffkartell einzugehen, richtig eingeschätzt werden und inwieweit Gebietskörperschaften, Unternehmen, Tarifvertragsparteien und Verbraucher für eine entsprechende Verhaltensstrategie gewonnen werden können. Die Risiken der diesjährigen Projektion, Herr Müller-Hermann, hat die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht hinreichend deutlich gemacht. Es wäre aber falsch, deshalb der Jahresprojektion 1975 ihre Orientierungsfunktion für die Wirtschaft abzusprechen. Für das reale Bruttosozialprodukt hat die Bundesregierung ein Wachstum um rund 2 % angesetzt. Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß der bisherige Produktionsrückgang schon bald gestoppt wird ({6}) und danach ein sich beschleunigendes Wirtschaftswachstum einsetzt. - Ich habe gesagt, das liegt dem zugrunde, und es ist vielleicht nicht uninteressant, wenn ich, obwohl noch keine Statistik vorhanden ist, hinzufüge, welches Bild sich auf der Basis der Schilderungen meiner Länderkollegen in der letzten Länderwirtschaftsministerkonferenz ergab, die einfach sehr hautnah mit den einzelnen Unternehmen in Kontakt sind. Hier gibt es durchaus Anzeichen dafür, daß in bestimmten Sektoren - Sie finden das übrigens auch, wenn Sie die Presse von heute vormittag zur Hand nehmen - eine Belebung des Auftragseinganges festzustellen ist. Zusammengenommen stellen ja doch die beiden teilweise erst 1975 wirksam werdenden strukturellen Sonderprogramme, die Steuer- und Kindergeldreform, die expansiv wirkenden Finanzierungsdefizite der öffentlichen Haushalte, das Konjunkturprogramm vom Dezember sowie die vorgesehene Geldmengenexpansion und Zinssenkungstendenz sowie nicht zuletzt die Stabilisierung bei den Rohstoffpreisen einen ganz erheblichen Konjunkturimpuls dar. Wenn der Konjunkturwendepunkt allerdings verzögert werden sollte, z. B. durch Arbeitskämpfe, die wohl nach den jüngsten Tarifrunden nicht mehr zu erwarten sind, oder eine ungünstige Kostenentwicklung oder aber durch negative Einflüsse der weltwirtschaftlichen Entwicklung, würde dies die Zuwachsrate im Jahresdurchschnitt zwangsläufig schmälern. Ich bin aber der Meinung, daß es in der jetzigen Situation letzten Endes nicht so sehr auf das Erreichen bestimmter Jahresdurchschnittsraten ankommt. Wichtig scheint mir vielmehr zu sein, daß im Jahresverlauf eine deutliche konjunkturelle Belebung erreicht wird. Daran zweifelt im Augenblick keines der bedeutenden Konjunkturforschungsinstitute. Es ist zu bedauern, daß durch permanent laut vorgetragene Zweifel aus bestimmten politischen Kreisen eher ein höheres Maß an Unsicherheit als ein gewisses Maß an Sicherheit erreicht wird. ({7}) An dieser Stelle will ich für die mittel- und langfristige Wirtschaftsentwicklung eines klar sagen: Mit dem neuen Aufschwung wird zugleich auch eine neue Phase für unser mittel- und langfristiges Wirtschaftswachstum eingeläutet. Wir müssen Abschied nehmen, meine Damen und Herren, von den hohen realen Wachstumsraten der Vergangenheit. Wir werden uns voll zufriedengeben müssen mit realen Wachstumsraten von 3 bis 4% jährlich, also weder Wachstumsfetischismus noch „Grenzen des Wachstums" à la Club of Rome; etwas weniger, aber dafür mehr qualitatives Wachstum in unserer weiteren Zukunft. Ein Überziehen unserer Wachstumsvorstellungen würde auch bedeuten, daß wir weiterhin auf eine Zunahme der Zahl ausländischer Arbeitnehmer angewiesen wären. Dies kann jedoch, wenn man die gegenwärtigen Probleme der Ausländerbeschäftigung bedenkt, nicht unser Ziel sein. Wir müssen vielmehr mittelfristig deren Umfang begrenzen oder doch zumindest versuchen, ein weiteres Anwachsen zu beschränken. Wenn wir unsere Preissteigerungsraten weiter reduzieren wollen, heißt dies nicht nur kurz-, sondern auch mittelfristig von den in den letzten Jahren gewohnten nominalen Ansprüchen an das Bruttosozialprodukt Abschied nehmen, nach Adam Riese also: deutlich unter 10 %. ({8}) Nicht nur die autonomen Gruppen, sondern auch die staatliche Politik und insbesondere die Finanzplanung müssen sich auf eine Änderung der Verwendungsstruktur des Bruttosozialprodukts einrichten. Wirtschaftliches Wachstum setzt Investitionen voraus. Erst wenn sie ständig ansteigen, wird ein Wirtschaftsprozeß in Gang gesetzt, der zu stetigen und angemessenen Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts führt. Mit der Inflationstendenz und der Vervielfachung der Erdölpreise sind wir auf Grund unserer Stabilitätspolitik 1974 besser als erwartet fertig geworden. In der Debatte über den vorjährigen Wirtschaftsbericht am 29. März 1974 hatte der Wirtschaftssprecher der Opposition und CSU-Vorsitzende unsere damalige Zielvorstellung von 8 bis 9% Verbraucherpreisanstieg - ich zitiere wörtlich aus dem Bundestagsprotokoll der damaligen Sitzung - als reine Wunschvorstellung abgetan. Eine Projektion von 8 bis 9% wurde von Ihnen, Herr Dr. Strauß, als reine Wunschvorstellung bezeichnet. Ich zitiere nur diese eine Passage. Die Nachlektüre dieser Debatte ist aus vielerlei anderen Gründen ohnehin hochinteressant. Wir konnten den Anstieg der Lebenshaltungskonsten auf rund 7 % im Jahresdurchschnitt begrenzen. Sie wissen selbst, Herr Dr. Strauß, was Sie mit dem Anzweifeln der Projektion von 8 bis 9 %, zu deutsch: mit der unterlegten Meinung von mehr als 10 % auch in der tarifpolitischen Auseinandersetzung bewirkt haben. ({9}) Es ist doch keine Frage, daß die tarifpolitische Auseinandersetzung des vergangenen Jahres in der Motivation von einer höheren Preissteigerungsrate als 7 %, die wir am Ende erreicht haben, ausgegangen ist. Wir alle wissen, daß der Kostenbelastungseffekt schon im Jahre 1974 ohne diese Erwartungen und die daraus gezogenen Konsequenzen ein anderer gewesen wäre. ({10}) Wir geben uns nicht damit zufrieden. Den erreichten Stabilisierungserfolg wollen wir 1975 bewahren und verbessern, und den Inflationstrend wollen wir weiter nach unten wenden, auch wenn in anderen Ländern mit doppelt und dreimal, ja, heute muß ich leider sagen: fast viermal so hohen Preissteigerungsraten unser jetziger Stabilitätserfolg bereits als ein sagenhaft gutes Ergebnis empfunden wird. Wir streben 1975 eine weitere Reduzierung der Verbraucherpreisrate auf 6% im Jahresdurchschnitt an, was auf etwa 5 bis 5 1/2 % im Jahresverlauf hinauskommt. Ich weiß, daß dieses Ziel ehrgeizig ist, aber ich halte es angesichts des Einstieges in die Runden der Tarifverhandlungen für realisierbar. Voraussetzung ist allerdings auch hier, daß sich nicht plötzliche und unerwartete Mehrbelastungen - z. B. beim Mineralöl oder wegen schlechter Ernten und ähnlichem - ergeben. Zentrales Anliegen aller konjunktur- und strukturpolitischen Bemühungen in diesem Jahr sind jedoch die Verbesserung der Beschäftigungslage und der Abbau der Arbeitslosigkeit. Im äußeren Bild der aus Jahresdurchschnittszahlen bestehenden Jahresprojektion wird dies nicht hinreichend deutlich; denn da aus vorwiegend saisonalen Gründen die Arbeitslosenquote am Jahresanfang erwartungsgemäß noch angestiegen ist, ergibt sich auch bei einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit im weiteren Jahresverlauf im Jahresdurchschnitt dann immer noch eine Erhöhung der Arbeitslosenquote. ({11}) Wer mit diesen Zahlen umgeht, sollte dies beachten und andere nicht damit scheu zu machen versuchen. Ich möchte daran erinnern, daß die Bundesregierung mit ihrer Wirtschaftspolitik frühzeitig die Beschäftigungsentwicklung abgestützt hat. Bereits im Dezember 1973 hatte sie die restriktiven Maßnahmen der Stabilitätspolitik wegen der Sorge über die Auswirkungen der Erdölpreiskrise auf Struktur und Beschäftigung unserer Wirtschaft aufgehoben und einen Anwerbestopp für ausländische Arbeiter verfügt. Meine Damen und Herren, ich möchte an diesen Dezember 1973 deswegen erinnern, weil wir damals, unter anderem von Ihnen, kritisiert worden sind, wir hätten die Stabilitätmaßnahmen zu früh aufgehoben. Es ist damit nicht deckungsgleich, jetzt zu sagen, alles sei zu spät, falsch und nicht ausreichend geschehen. ({12}) Mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1974 hatte die Bundesregierung ein Sonderprogramm für Gebiete mit speziellen Strukturproblemen beschlossen und rasch durchgeführt sowie im September ein weiteres Sonderprogramm folgen lassen. Die Bundesregierung hat all dies getan, obwohl ihr von der Opposition Inflationspolitik vorgeworfen wurde; wie wir nachträglich auch an den Zahlen sehen konnten, nicht mit Recht. Ich gebe offen zu, daß es uns dennoch nicht gelungen ist, die durchschnittliche Arbeitslosenquote 1974 auf die im vorigen Jahreswirtschaftsbericht angesetzten 2 % zu begrenzen. ({13}) Wir mußten 2,6 % hinnehmen und konnten in diesem Winter eine Kumulation der saisonal üblichen Zunahme der Arbeitslosigkeit mit der durch die Strukturveränderungen und die konjunkturelle Schwäche bedingten Arbeitslosigkeit nicht verhindern. - Was soll, wenn man sagt: Die Projektion war 2 %, die tatsächliche Zahl war 2,6 %, der Zwischenruf „Aha"? Meine Damen und Herren, wenn wir Gefangene unserer eigenen Projektion gewesen wären, dann hätten wir Mitte des Jahres Vollgas geben müssen mit der Folge, daß wir die Projektion bei der Arbeitslosenzahl erreicht hätten, wir aber selber die Ursachen für einen neuen Inflationstrend gelegt hätten. Sie können eben nicht beides haben, den Groschen und den Weck, aber offensichtlich glauben Sie das. ({14}) Wie uns auch die Wirtschaftsforschungsinstitute bestätigt haben, hätten wir dies auch nicht bei Inkaufnahme inflationär forcierter Expansionspolitik wenden können. Sie müssen nun einfach die Daten, wie sie sind, zur Kenntnis nehmen, einschließlich der Dinge, die von außen auf uns zugekommen sind. Ein jeder weiß, daß ein Teil dieser auch die Bundesregierung bedrückenden Arbeitsmarktentwicklung durch unvermeidliche weltwirtschaftliche und auch heimische Strukturschübe verursacht worden ist. ({15}) Nachdem Sachverständigenrat und Forschungsinstitute dies hinreichend analysiert und begründet haben, ist aber ebenso klar, daß ein anderer ansehnlicher Teil auf Irrtümer der Tarifpartner über die Möglichkeiten einer kräftigen Nominallohnpolitik und auch über die Realisierungschancen der Stabilitätspolitik zurückzuführen ist. Ich sage dies hier ohne jeden Vorwurf. Wir sollten auch nicht den Schwarzen Peter hin und her schieben, sondern ich glaube, wir sollten dafür sorgen, daß die Dinge in Ordnung kommen. ({16}) - Herr Professor Carstens, ich nehme Ihren Zwischenruf, wir täten so, als ob wir in der schönsten aller Welten lebten, gerne auf. Ich bin in der Tat der Meinung, daß die deutsche Volkswirtschaft derzeit von den westlichen Industrienationen die objektiv besten Daten aufweist, die es überhaupt irgendwo gibt. ({17}) Wir haben - das paßt Ihnen nicht, ich weiß das - die niedrigste Preissteigerungsrate. Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote im Vergleich aller westlichen Industrieländer. ({18}) - Ich habe vorhin versucht, darzulegen, daß das Kieler Weltwirtschaftsinstitut den Versuch gemacht hat, die Arbeitslosenquoten der westlichen Industrienationen auf einen einheitlichen Rechner umzustellen. ({19}) Bei dieser Umrechnung liegt ein Industrieland günstiger als wir. Das ist Japan. Alle anderen liegen nicht günstiger. ({20}) Ob Sie das wollen oder nicht, das ist nicht das Ergebnis der Bundesregierung, sondern das eines unabhängigen Instituts. ({21}) Festzuhalten bleibt aber, daß 1974 alle eine neue Erfahrung mit der monetären Politik machen konnten. Sie, die monetäre Politik, ist seit dem Übergang zum Blockfloating im März 1973 infolge der außenwirtschaftlichen Absicherung in der Lage, die Geldmengenexpansion wirksam zu begrenzen und zu steuern. Der Sachverständigenrat hat den hohen ordnungspolitischen Rang dieser neuen Akzentuierung eingehend und meines Erachtens zutreffend gewürdigt. In diesem Zusammenhang bedarf eines der Klarstellung. Die Bundesbank hat mit Unterstützung aller Mitglieder der Bundesregierung beschlossen, die Zentralbankgeldmenge in diesem Jahr um 8 % auszudehnen. Damit soll eine Steigerung des nominalen Bruttosozialprodukts von 8 bis 9% monetär ermöglicht werden. Die stärkere monetäre Expansion und die Diskontsenkungen der Bundesbank haben die erwünschte Zinssenkung auf allen Märkten unterstützt und so eine Voraussetzung für die Konjunkturbelebung ohne neue inflatorische Impulse geschaffen. Damit sind aber auch für die Zinsentwicklung bestimmte Grenzen gezogen. Beides ist nun einmal nicht machbar: die Fixierung eines extrem niedrigen Zinsniveaus und die Begrenzung der Geldmengenvermehrung auf ein Maß, das unsere bisherigen Stabilitätsbemühungen nicht wieder zerstören würde, Darüber hinaus möchte ich davor warnen, heute ein Zinsniveau zu fordern, das in wenigen Monaten bei zunehmender Gesamtnachfrage wieder einen Anstieg der Zinsen impliziert. Ich weise besonders auf diesen Punkt hin, weil ich weiß, daß die Wünsche der Kreditnehmer nach niedrigen Zinsen populär sind und daß nichts populärer ist, als ihnen zu sagen: auch wir sind für niedrige Zinsen. Nur muß man eines sehen: Wenn die Bundesbank mit ihrer monetären Politik den Zinssenkungsprozeß stärker forcieren würde, als sie dies jetzt getan hat, liefen wir Gefahr, bei starker Nachfrage der Investoren der privaten Wirtschaft und der öffentlichen Hand einen nach oben gerichteten Zinstrend in einem Augenblick zu bekommen, in dem er einfach als Trend die konjunkturelle Belebung gefährden könnte. Daher scheint mir die Politik der kleinen Schritte in die richtige Richtung auch das richtige Maß zu haben. Andernfalls könnten wir auch selbst unsere Politik eines Aufschwungs in Stabilität hintertreiben, nämlich dann, wenn die Geldmengenexpansion sofort die Überwälzung über die Preise ermöglicht. Die positiven Konsequenzen dieser neuen Qualität der Geld- und Kreditpolitik für die Einkommenspolitik haben sich 1974 gezeigt. Die wiedergewonnene volle Effizienz der monetären Politik ist die beste Reallohngarantie, die es in einer Marktwirtschaft für Arbeitnehmer geben kann. Wir sollten diese Erfahrung daher voll beherzigen. Die Kritik eines Wochenmagazins ist daher unangemessen. Die Bundesbank hat ihre Politik im letzten Jahr und bis heute in vollem Einvernehmen mit der Bundesregierung betrieben. Eine Begrenzung der Preiserhöhungen durch die Kreditpolitik war notwendig, gerade um dauerhaft Wachstum und Beschäftigung zu sichern. Die Entwicklung in anderen Ländern beweist, daß das Galoppierenlassen von Preisen und Löhnen dauerhafte Unterbeschäftigung und Stagnation oder gar Rezession produziert. Wir sind in unserem Lande bisher gut - jedenfalls besser als andere Länder - damit gefahren, daß die Bundesbank autonom handeln konnte. Deshalb wird es dabei auch bleiben. Nicht zuletzt ist es das Ergebnis dieser Politik, daß die Einsicht in die Notwendigkeit in letzter Zeit schon merklich zugenommen hat, bei Einkommensforderungen die Grenzen der Belastbarkeit des gegesamtwirtschaftlichen Rahmens zu beachten. Ich glaube, wir sollten den Verhandlern beider Seiten insbesondere im öffentlichen Dienst für das danken, was in dieser Woche möglich war ({22}) und was auch ein Signal für die gesamte gewerbliche Wirtschaft gesetzt hat. Übrigens hält sich diese Vereinbarung auch exakt im Rahmen der Jahresprojektion des Jahreswirtschaftsberichts. Diese Erkenntnis bestärkt uns in der Zuversicht - und nur deshalb habe ich dieses Kapitel von 1974 noch einmal aufgeschlagen -, die jetzige Arbeitslosigkeit Zug um Zug deutlich verringern zu können. Als eine weitere wichtige Aufgabe unserer Wirtschaftspolitik sehe ich es an, mit dafür zu sorgen, daß die notwendigen Umstrukturierungsprozesse in unserer Wirtschaft nicht einseitig zu Lasten kleiner und mittlerer Unternehmen gehen. Gegenwärtig wird eine im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft vom Prognos-Institut vorgenommene Analyse und Prognose der Unternehmensgrößenstruktur ausgewertet, um daraus Folgerungen für die zweckmäßigste Ausrichtung unserer weiteren Politik zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen zu gewinnen und in entsprechende Maßnahmen umzuformen. Eine ermutigende Aussage der Untersuchung ist die Feststellung, daß die Unternehmensgrößenstruktur der deutschen Wirtschaft, d. h. das Verhältnis von großen und kleineren Unternehmen zueinander, insgesamt in den letzten 15 Jahren eine erstaunliche Konstanz aufweist. Diese nüchterne Feststellung führt meines Erachtens die aus durchsichtigen Absichten aufgestellte These vom Untergang des Mittelstandes ad absurdum. Nach den Vorausschätzungen von Prognos werden bis 1985, selbstverständlich unbeschadet unterschiedlicher Entwicklungen in einzelnen Wirtschaftsbereichen, kleinere und mittlere Unternehmen des produzierenden Gewerbes und des Dienstleistungsbereichs insgesamt ihre Marktposition behaupten können. Die dafür genannten Gründe, daß nämlich die Tendenz zur spezialisierten Produktion mit „highly sophisticated technology" und der Wunsch nach Berücksichtigung möglichst spezifischer Interessen der Kunden, d. h. nach Individualisierung, vor allem kleine und mittlere Größenklassen begünstigen, stimmen mit unserer Analyse überein. Auch der Einfluß konzentrationsfördernder Faktoren auf die Unternehmensgrößenstruktur, wie z. B. Kosteneinsparung durch Massenproduktion, verliert nach Aussagen von Prognos zukünftig an Bedeutung. Der insgesamt geringe Rückgang der Selbständigen in unserem Lande in den letzten Jahren hängt im wesentlichen mit der Verschiebung des allgemeinen Wirtschaftsgefüges zusammen, wie z. B. mit dem Rückgang an Handwerks- und Einzelhandelsbetrieben mit nur lokalem Einzugsbereich. Prognos sieht darin einen normalen marktwirtschaftlichen Vorgang. Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage ist für Unternehmen aller Größenklassen schwierig. Im allgemeinen aber sind gerade kleine und mittlere Unternehmen wegen ihrer größeren Anpassungsfähigkeit und Spezialisierung verhältnismäßig gut in der Lage, sich trotz mannigfacher Schwierigkeiten auch in der jetzigen Schwächephase der Konjunktur gut zu behaupten. Gefährdet sind im Verlauf der jetzigen Strukturveränderungen insbesondere Unternehmen mit unzureichender Kapitalbasis, mangelnder Flexibilität und schwachem Management. Aber auch gesunde Unternehmen könnten an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Großbetrieben einbüßen, wenn sie wegen der derzeitigen relativen Ungewißheit über die künftige Ertragsentwicklung wichtige Investitionen unterlassen oder aufschieben. Bei der Ausgestaltung der bisherigen Sonderprogramme und des Konjunkturprogramms vom Dezember hat die Bundesregierung bewußt dafür ge10284 sorgt, diese Mittel vorrangig für kleine und mittlere Unternehmen verfügbar zu machen. Durch verstärkte Bereitstellung von zinsgünstigen Krediten, durch Aufstocken und Vorziehen von Mitteln des ERP-Haushalts und der Kreditanstalt für Wiederaufbau sowie vorübergehende Einbeziehung auch von Rationalisierungskrediten in das ERP-Umstellungsprogramm gibt sie ihnen von der Kreditseite her nun die Voraussetzungen für eine verstärkte Investitionstätigkeit in die Hand. Eine weitere ermutigende Aussage der Untersuchung ist die Feststellung, daß in Zukunft eine Verschiebung der Unternehmensgrößenstruktur zum Nachteil kleiner und mittlerer Unternehmen nicht zu erwarten ist. Eine Begründung dafür ist die zunehmende Spezialisierung und Individualisierung sowohl im produzierenden Gewerbe als auch im Dienstleistungsbereich. Eine wesentliche zusätzliche Absicherung wird die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung für diese Unternehmen darstellen. Die gerade für kleine und mittlere Unternehmen und für ihre Investitionsfähigkeit interessante Frage eines begrenzten Verlustrücktrags wird, wie das der Bundeskanzler bereits am 13. Dezember angekündigt hat, derzeit sorgfältig geprüft. Auf ihrer Konferenz am 13. Februar in Lübeck sind die Wirtschaftsminister und -senatoren übereingekommen, diese Maßnahme als eine strukturelle Verbesserung der Gewinnbesteuerung zu befürworten. In weiten Kreisen werden gegenwärtig wegen der in wichtigen Ländern anhaltenden Konjunkturabschwächung die Aussichten für die deutsche Warenausfuhr mit einer gewissen Sorge betrachtet. Dies scheint meines Erachtens nur auf den ersten Blick plausibel. Bei eingehender Analyse kann die deutsche Wirtschaft der Entwicklung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit guten Mutes entgegensehen. Zwar ist mit einer Abschwächung der Ausfuhrexpansion zu rechnen, nicht jedoch mit einem Rückschlag auf breiter Front. Nach den Rekordergebnissen im vergangenen Jahr ist eine solche Mäßigung durchaus gerechtfertigt, ja ich meine sogar, notwendig und auch tragbar. Die deutsche Ausfuhr stieg im Jahre 1974 real um 12 %, also doppelt so stark wie der Welthandel. Unser Ausfuhrüberschuß erreichte die Rekordmarke von 50 Milliarden DM, der Anteil des Außenbeitrags am Bruttosozialprodukt 4 %. In dieser Größenordnung sind, vermindert um die Übertragungen an das Ausland, Leistungen der deutschen Volkswirtschaft netto an das Ausland abgegeben, ist also letztendlich Stabilität exportiert worden. Das Wirtschaftswachstum wird sich zwar in diesem Jahr weltweit auf einem wesentlich langsamer steigenden Pfad bewegen; auf Grund der gestiegenen Bedeutung der Erdölländer und der Staatshandelsländer rechnen die internationalen Organisationen dennoch insgesamt mit einer Ausweitung des Welthandels real um etwa 4 N. Für die Bundesrepublik darf wegen der international bedarfsgerechten Angebotsstruktur der deutschen Wirtschaft und ihrer elastischen Anpassung an die veränderten Welthandelsströme eine etwa gleich große Steigerungsrate der Ausfuhr als gesichert angesehen werden. Die Terms of Ti ade werden sich in diesem Jahr erheblich verbessern. Im übrigen sei nur angemerkt: Die vorsichtige Erwartung, die deutsche Ausfuhr werde 1975 nur entsprechend dem Welthandelswachstum zunehmen, setzt voraus, daß maßgebliche Partnerländer ihren bisherigen inflationären Importsog beseitigen können. Uns muß aber auch selbst daran gelegen sein, die deutsche Exportschwemme der letzten Jahre nicht ausufern zu lassen. Protektionistische Abwehrmaßnahmen der von Zahlungsbilanznöten besonders geplagten Länder könnten sonst die Konsequenz sein. Eben solche Risiken für den freien Welthandel gilt es sorgfältig zu vermeiden. Daß in der gegenwärtigen Lage der Weltwirtschaft die Verhandlungsrunde im GATT mit der Zielsetzung weiteren Zollabbaus und der Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse aufgenommen worden ist, kann als ermutigendes Zeichen für die Zukunft des Welthandels angesehen werden. Trotz aller Schwierigkeiten und Ungewißheiten, mit denen wir es gegenwärtig zu tun haben, können wir nach meiner Meinung ohne Übertreibung und Schönfärberei zusammenfassend heute doch wohl feststellen: Die Voraussetzungen für einen allmählichen, sich verstärkenden Anstieg der Konjunktur sind durchaus gegeben. Denn die Konstitution unserer Volkswirtschaft ist gut; begründete Stabilitätserwartungen verdrängen die bisherige Inflationsmentalität; die Einsicht, daß die Einkommenspolitik stabilitätspolitische Grenzen beachten muß, ist gewachsen; die Anpassung der Wirtschaft an die welt- und binnenwirtschaftlichen Strukturveränderungen ist bereits weit fortgeschritten; Sorgen hinsichtlich der internationalen Zahlungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft gibt es nicht; die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auf den Weltmärkten ist nicht in Frage gestellt; für die Entfaltung der Binnennachfrage und die Verbesserung der Investitionsbereitschaft sind kräftige Impulse gesetzt; die Finanzierungsbedingungen der Wirtschaft verbessern sich zusehends; unsere Wirtschaft hat gegenüber allen Partnerländern einen deutlichen Vorsprung im Konjunkturverlauf, in der Strukturanpassung und in der Inflationsbekämpfung; in unserem Lande ist ein gesundes soziales Klima zuverlässig gesichert; alle maßgeblichen politischen Kräfte dieses Landes stehen auf den Grundlagen unserer freiheitlichen und sozialen Wirtschaftsordnung nach marktwirtschaftlichen Prinzipien. All dies zusammen bietet der deutschen Wirtschaft im Rahmen der weltwirtschaftlichen Problemkonstellation meines Erachtens ein Optimum an guten Voraussetzungen dafür, daß die Offerte der Wirtschaftspolitik ergriffen wird. ({23})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Strauß.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr BundesStrauß minister für- Wirtschaft, bei dem ich bedauere - und das ist ernst gemeint -, daß er sich nicht in einer besonders guten Verfassung befunden hat, hinterläßt bei all seinen Reden im Parlament den allmählich sich festigenden Eindruck, daß er mit seiner immer schwieriger werdenden Aufgabe mühelos wächst. Er macht nämlich einen auf jeweils höherer Ebene jeweils verwirrteren Eindruck. ({0}) Das Zahlenwerk des Jahreswirtschaftsberichtes ist doch nichts anderes als das quantifizierte Eingeständnis einer gescheiterten Politik. ({1}) Dabei hat gerade dieser Bundeswirtschaftsminister, der sich so gerne zum Praeceptor des Parlamentes ({2}) und zum moralischen Korrektor der Nation aufwirft, ({3}) das ihn persönlich kennzeichnende und politisch disqualifizierende Wort zwischen der letzten und der heutigen Debatte gesprochen, CDU/CSU seien nicht regierungsfähig, und sich damit zum Vorgänger und Vorsänger der Recklinghausener Kakophonie gemacht, ({4}) zu deutsch: der Verleumdungsmelodie, die in diesen Tagen nach Pressewidergaben mit dem Text verbreitet worden ist: die Union sei nicht regierungsfähig, sie würde die soziale Spannung steigern und die weltpolitische Stellung der Bundesrepublik erschüttern. ({5}) So der Bundesparteivorsitzende der SPD. ({6}) Wenn Regierung und Regierungsparteien unter Regierungskunst allerdings d e n Zustand der Wirtschaft und der Finanzen verstehen, wie sie ihn angerichtet und zu verantworten haben, dann haben sie recht. Dazu wäre die Union nicht fähig gewesen. ({7}) Außerdem darf man eine Politik weitverbreiteter außenpolitischer Gefälligkeit und Leisetreterei noch lange nicht mit weltpolitischer Stellung verwechseln. ({8}) Entscheidend für die Beurteilung der Wirtschaftspolitik einer Bundesregierung ist die Antwort auf eine Frage, nämlich wieweit sie die vier entscheidenden wirtschaftspolitischen Ziele erreicht hat: hoher Beschäftigungsstand, Preisstabilität, stetiges und angemessenes Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Hier kann man nur zusammenfassend vorweg sagen: Alles, was die Regierung erreichen oder erhalten wollte, hat sie verfehlt oder verloren. Alles, was sie vermeiden wollte, oft großspurig angekündigt, hat sie erreicht. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vom Arbeitsmarkt gesprochen und merkwürdige Zahlen verkündet, ({9}) auf die man nur mit einem Schütteln des Kopfes wegen der Antwort des Kandidaten Jobses antworten kann. ({10}) Er sprach nämlich davon, daß die Bundesrepublik Deutschland unter allen europäischen Industrieländern auf dem Gebiete der Arbeitslosigkeit die niedrigsten Zahlen aufzuweisen habe. Herr Bundeswirtschaftsminister, die Regierung hat an Abgeordnete des Haushaltsausschusses am 24. Januar 1975 folgende Statistik - am 24. Januar! - über die Arbeitslosensituation Ende 1974 gegeben: USA 7,1 %, Italien 5,2 %, Bundesrepublik 4,2 %, Niederlande 3,5%, Frankreich 3,3 %, Großbritannien 2,8 %, Japan 1,9 %, Schweiz 0,1 %. ({11}) Ich weiß nicht, ob Sie in Ihrer Verwirrung vielleicht zufällig die Zahlen des Jahres 1973 erwischt haben. ({12}) In den aktuellen Beiträgen zur Wirtschafts- und Finanzpolitik des Bundeswirtschaftsministeriums vom 13. Februar dieses Jahres, also drei Wochen - ({13}) - In meinen Unterlagen steht „13.", Herr Müller-Hermann sagt „18.". ({14}) - Wenn Sie sich schon am Datum moralisch emporranken müssen! ({15}) Ich meine jedenfalls die Zahlen, und zwar aktuell, des Bundeswirtschaftsministeriums von Mitte Februar. Was Herr Friderichs sagte, war Nostalgie, dazu noch romantisch frisiert. ({16}) Das Bundeswirtschaftsministerium selbst gibt an - aktuell, Mitte Februar -: USA 8,2, Bundesrepublik Deutschland 5,1, Italien 3,1 - Oktober 1974 steht allerdings daneben -, Belgien 3,1 - Oktober -, Niederlande 4,4 - Dezember -, Frankreich 2,2 - August -, Großbritannien 2,8 - November -, Österreich 2,2 - Dezember. Dann kommen Schweden, Japan, Norwegen jeweils darunter. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir haben uns in der Zwischenzeit bemüht, in diesen Datensalat der Bundesregierung, der durch Ihre Ausführungen ja nur noch mit besonderer Majonäse garniert worden ist, ({17}) einigermaßen Einblick zu kriegen. Dabei ist es eine Zumutung, wenn das Parlament nicht die jeweils aktuellsten Zahlen bekommt. ({18}) In dem Fall können wir allerdings darauf verzichten, denn wir haben folgende verblüffende Auskunft bekommen: Die vom Herrn Bundeswirtschaftsminister genannten Zahlen sind eine Hochrechnung für das Jahr 1974, ({19}) und zwar angestellt auf Grund der Zahlen des Auslandes, die zum Teil bis Dezember, zum Teil bis November vorliegen und dann auf das Jahr umgerechnet worden sind. ({20}) - Für den Fall, daß Sie es nicht wissen sollten: Wir schreiben Februar 1975, Herr Bundeswirtschaftsminister, und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die Tendenz November-Dezember-Januar-Februar sowie der weitere Verlauf der Kurve sind das Entscheidende, nicht aber archäologische Erinnerungen an den Arbeitsmarkt des Jahres 1973 oder 1974, wie Sie sie hier geboten haben. Die Zahl der Bundesrepublik, die Sie hier mit 2,6 0/o als am niedrigsten zugrunde legen, ({21}) bezieht sich auf das ganze Jahr 1974. Zur Zeit aber haben wir 5,1 % Arbeitslose und fast 4 % Kurzarbeiter. Das ist doch die aktuelle Zahl, darüber reden wir doch an dem Tage, an dem der Jahreswirtschaftsbericht behandelt wird. Es interessiert die zuhörende und zuschauende Öffentlichkeit, wie es jetzt aussieht und wie es auf diesem Gebiet weitergehen soll. ({22}) Das ist die höchste Arbeitslosigkeit, seit es in den 50er Jahren gelungen ist, die Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge unterzubringen. Dazu haben wir die höchste Zahl von Kurzarbeitern, die wir je hatten. Dabei darf ich auch erwähnen, daß eher, als die Zahl der Arbeitslosen abnimmt, die Kurzarbeiter wahrscheinlich wieder zur Vollbeschäftigung übergehen können. Die Hoffnung, daß es so läuft, wie Sie es sich vorgestellt haben, steht also genauso wie Ihre früheren Prognosen auf tönernen Füßen. Von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit ist mittlerweile jeder zehnte Arbeitnehmer in der Bundesrepublik betroffen. Noch mehr Arbeitnehmer leben in der Sorge um ihre Arbeitsplätze. Unter einer Regierung, die versprochen hat, bei ihr gebe es weder Rezession noch Arbeitslosigkeit, erleben wir jetzt die schwerwiegendste Arbeitslosigkeit und gefährlichste Rezession seit der Währungsreform. Es hat keinen Sinn, immer zu sagen, im Ausland sei es noch schlimmer - siehe SPD-Parteivorstand am 11. November 1974: Dank der Politik der sozialliberalen Koalition wird die Bundesrepublik mit den Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Entwicklung besser fertig als fast alle anderen Industriestaaten. Das gilt auch für die Beschäftigungssituation. Die Bundesrepublik gehört heute zu den Industrieländern mit der größten Arbeitslosigkeit in Europa, nur noch vergleichbar - auf Grund der besonderen, hier nicht näher zu schildernden Verhältnisse - mit Italien. Irland kann mangels Vergleichbarkeit nicht als Beispiel herangezogen werden. Alle anderen Länder liegen nach dem gegenwärtigen Stand und nach dem voraussichtlichen Verlauf der Kurve günstiger. Außerdem: Was hat der deutsche Arbeiter davon, wenn er weiß, daß es seinem Kollegen in San Francisco, in Los Angeles, in Montreal oder in Sizilien noch schlechter geht als ihm? ({23}) Ich wende mich auch dagegen, daß immer wieder die falsche Behauptung verbreitet wird, das Ausland sei allein schuld, und daß dabei alles unter einen Teppich gekehrt wird. Sie haben selbst, Herr Bundeswirtschaftsminister, als Sie noch größeren Mut zur Wahrheitsliebe hatten, in einer der letzten Debatten gesagt, es gebe einen hausgemachten Teil der Unstabilität und es gebe einen importierten Teil. Sie haben damals gesagt, Sie würden den Anteil vielleicht halbe-halbe verteilen. Wir haben Ihnen dafür unseren Beifall bekundet, weil wir nie der Demagogie Raum gegeben haben, daß man totale Preisstabilität herbeiführen könne - ich habe das von diesem Platz aus unzählige Male gesagt -; wir haben nie verkündet, daß wir uns vom Ausland so abhängen könnten, daß keinerlei Rückwirkungen ausländischer Verhaltensweisen auf die Wirtschaft der Bundesrepublik möglich seien. Es ist aber schlechterdings unzulässig, wenn man auch die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und die verheerende Entwicklung des Wachstums, auf dem doch der ganze soziale Leistungsstand aufgebaut ist, unter denselben Teppich kehren will. ({24}) Der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Professor Kloten, hat am 16. Oktober 1974 in einem Vortrag in Köln folgende Feststellungen getroffen. Erstens. Die heutigen Arbeitslosenzahlen waren ebenso vermeidbar wie die sehr niedrige Zuwachsrate des realen Bruttosozialprodukts von knapp einem halben Prozent im Jahre 1974. Zweitens. Die gegenwärtige Situation ist die Auswirkung des Beginns einer Vertrauenskrise in Willen und Fähigkeit der Regierung, angesichts der neuen Daten nach der Ölkrise am Stabilitätsprogramm festzuhalten. Drittens. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967, das als Magna Charta der Globalsteuerung gefeiert wurde und international als vorbildlich gilt, ist weder für die Finanzpolitik noch für die Einkommenspolitik zur tragenden Basis geworden. So Professor Kloten am 16. Oktober 1974 in seinem Vortrag in Köln. Was hat dein eigentlich gestern in seiner sehr anerkennenswerten Rede der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers und Bundesaußenminister gemeint, ({25}) als er vor einschlägigem Publikum sagte, man brauche jetzt Ruhe an der Ideologie- und Experimentierfront? ({26}) Wen hat er denn gemeint, als er sagte, Politik und Wirtschaft müßten eine Partnerschaft eingehen und man müßte von der Konfrontation zur Kooperation übergehen? War das vielleicht eine Verbeugung vor den Kapitalisten, Herr Bundesminister? Bisher haben wir doch immer gehört - Aktion „Gelber Punkt" -, die Unternehmer seien schuld; wir haben von der „Konfrontation mit den Mächtigen", mit den „Inhabern der dicken Brieftaschen" gehört, wie es noch in Recklinghausen gesagt worden ist. Hier heißt es auf einmal vor einschlägigem Publikum, wo der Beifall sicher ist: Man soll nicht die Konfrontation predigen, sondern zur Kooperation übergehen. Danke schön; wir stimmen dem zu. Aber zur Klärung des Stils ist das bezeichnend. ({27}) Dann - wenn wir das auch noch gleich aufräumen wollen -, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat Herr Friderichs, der sicherlich keine Zeit hatte, die Zeitung zu lesen, eine Agenturmeldung zitiert, die in dieser Form irreführend ist. Ich rechne es ihm zugute, da uns dies allen schon passiert ist. Ich meine die Agenturmeldung, ich hätte die Bundesrepublik einen „Saustall" genannt. Ich habe gesagt, man solle den Zustand, in dem wir nach 20 Jahren Wirtschaft und Finanzen übergeben hätten, mit dem Zustand vergleichen, den wir jetzt vorfinden; was die Nachfolger daraus gemacht hätten, das würde ich so bezeichnen wie geschehen. ({28}) Es kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, daß wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und soziale Stabilität der Bundesrepublik mehr auf die Zeit der ersten zwei Jahrzehnte gegründet sind als auf die Zeit der Experimente an der Ideologie- und Experimentierfront in den folgenden Jahren. ({29}) Aber man darf ja auch einmal eine Anleihe im Vokabular machen. Ich habe sie nicht einmal bei Herrn Wehner gemacht. ({30}) Ich weiß, daß Herr Wehner für vorbildliche Stilpflege anerkannt wird und deshalb Maßstäbe gesetzt hat, die für uns natürlich schwer einstellbar sind. ({31}) Aber der Bundeskanzler persönlich, den ich heute nicht weiter strapazieren werde - weil er nicht da ist, ich hätte es auch hier nicht getan -, hat doch nach der Veröffentlichung in einem Organ, das sehr häufig für die Bekundung regierungseigener Meinungen verwendet wird, nämlich (leni „Stern", gesagt, und zwar über seinen Vorgänger Willi Brandt, der sich damals in Portugal aufhielt: „Der sollte besser zu Hause bleiben und den Saustall ausräumen." ({32}) Ich komme zum nächsten Punkt, und das ist die außenwirtschaftliche Lage, das außenwirtschaftliche Gleichgewicht nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz. Die riesigen Exporte, von denen nach den eigenen Worten des Bundeskanzlers jeder fünfte Arbeitsplatz in der Bundesrepublik abhängig ist, sind doch früher von der SPD und Teilen der FDP verteufelt worden. Es war doch eines der Hauptziele in der ersten Regierungserklärung vom Herbst 1969, das Güterangebot - so verkündete Willy Brandt - „graduell auf den Binnenmark hin umzuorientieren". ({33}) Wir hatten damals einen Exportüberschuß der etwa bei 15 bis 16 Milliarden DM lag, und der Export machte etwa 18% des Sozialproduktes aus. Heute haben wir einen Exportüberschuß von 50 Milliarden DM, und der Export macht über 23 % des Sozialproduktes aus. Das ist doch nicht außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Ich habe Ihnen immer gesagt und sage es auch hier, daß es wünschenswerter ist, man hat einen Exportüberschuß als ein Exportdefizit. Darum geht es ja nicht. Wenn aber die ohnehin schon in Brüche gegangene Beschäftigungslage von diesem ungesunden Exportüberschuß, der doppelt so hoch ist, wie er schon im Jahre 1969 als unerträglich bezeichnet worden ist, abhängt, hätte doch der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht ein so rosiges Bild einer romantischen Wirtschaftslandschaft hier malen dürfen, sondern darauf hinweisen müssen, daß diese Exportüberschüsse - die ja gleichzeitig Defizite in den Zahlungsbilanzen anderer Länder sind - auf die Dauer nicht eine solide Stütze auch des Grades der Beschäftigung sind, den wir noch haben. Das wäre viel wirklichkeitsnäher und realistischer gewesen als dieses - entschuldigen Sie - Poesiealbum, das heute vor allen Dingen im Schlußteil Ihrer Rede nach den Darbietungen der falschen Zahlen zu finden war. ({34}) Ich habe überhaupt heute so den Eindruck, wenn ich die Verlautbarungen der Herren Friderichs und Apel - - Ja, ich habe mich zwar nie für einen sehr bedeutenden Politiker gehalten, wenn ich aber an Plisch und Plum denke, fühle ich mich in besondere Dimensionen erhoben, wenn ich die beiden mit denen vergleiche. ({35}) Aber Wirtschafts- und Finanzminister beteiligten sich doch nach Kräften an den Versuchen, die Wirtschaftslage und die Gefahren zu verniedlichen und zu verharmlosen, vor allem und verstärkt vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern. So erklärte Herr Friderichs am 6. Juli 1974 gegenüber der „Münchener Abendzeitung" : „Wir gehen keinen schweren Zeiten entgegen". Im August 1974 stellte die Bundesbank in ihrem Monatsbericht einen deutlichen Rückgang von Produktion und Nachfrage fest. Herr Friderichs im Deutschen Fernsehen am 12. August: „Die Wirtschaft steht nicht vor einer Talfahrt." Ich wäre mit Zitaten an Ihrer Stelle sehr, sehr vorsichtigt, Herr Friderichs. Wer so im Glashaus sitzt wie Sie, der sollte lieber die anderen mit Watte behandeln als mit Steinen zu werfen. ({36}) Herr Apel assistierte mit der Bemerkung, die konjunkturelle Situation sei „alles in allem befriedigend". Das war die Zeit, als ihn noch kein Pferd getreten hatte. ({37}) Damals hatten wir indessen in den günstigsten Beschäftigungsmonaten des Jahres schon 2 % Arbeitslose. Das heißt, die Arbeitslosenquote, die früher von Bundeskanzler Schmidt, als er noch Finanzminister war, als Grund zu schwersten innenpolitischen Verwerfungen gekennzeichnet war, eine Quote, die deshalb nie erreicht werden dürfte, die hatten wir schon in der Zeit, als Herr Apel sagte, „alles in allem befriedigend". Bundesminister Friderichs sagte am 26. August gemäß „Frankfurter Rundschau", die Situation sei kein Anlaß zu Schwarzmalerei, und vor nervösen Propheten müsse gewarnt werden. Derselbe Bundesminister Friderichs am 12. September 1974: „Ein weiterer Anstieg der Arbeitslosenzahl ist allerdings unvermeidlich." Am 16. September versprach Herr Friderichs laut ddp, die Zahl der Arbeitslosen werde auf keinen Fall über 800 000 steigen. ({38}) Endlich Apel am 7. Oktober 1974: „Bei uns wird es keine Massenarbeitslosigkeit geben." Als Grund für den Optimismus gab Herr Friderichs sogar die Ostpolitik an. ({39}) Laut dpa sagte er: „Die Sicherung der Arbeitsplätze sowie der Energie- und Rohstoffversorgung durch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit auch mit der Sowjetunion muß Ziel der Bundesregierung sein." Wir wissen, welch großen Wert Moskau auf Stabilität unserer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse legt. ({40}) Einen Tag später, am 21. Oktober 1974, bezeichneten die Wirtschaftsforschungsinstitute 1 Million Arbeitslose als Folge der bisherigen Inflationspolitik als möglich. Damals hieß es „Wahlhilfe für die CDU, Schwarzmalerei, Demagogie". Herr Friderichs, schnell bei der Hand, am 22. Oktober in der „Bild-Zeitung" : „Eine Massenarbeitslosigkeit werden wir nicht zulassen. Das ist auch nicht zu befürchten." Herr Friderichs bezeichnete die Prognose der Institute ausdrücklich - das war vier Tage vor den Wahlen in Hessen und Bayern - als fragwürdig. Immerhin eine vornehme Kennzeichnung. Herr Apel - er geht da eher in die Vollen - sprach am 5. November, leichtsinnig hätten die Institute geurteilt und prognostiziert. Schon am 27. Oktober hatte allerdings Herr Friderichs die Million nicht mehr ganz ausgeschlossen. Man baut vor als weiser Mann. Er sagte im Südwestfunk, wieder einmal verharmlosend, die Arbeitslosenzahl könne im Laufe des Winters irgendwann einmal vorübergehend in die Nähe von 1 Million rücken. ({41}) Gegenüber der „Bild-Zeitung" mußte er am 17. Januar zugeben: „Der Herbstaufschwung, mit dem wir im vorigen Sommer noch gerechnet hatten, ist ausgeblieben. Die Ausgangslage zu Beginn des Jahres ist also schlechter, als wir noch vor einigen Monaten angenommen hatten." Mittlerweile hat er selbst Zweifel an seiner eigenen prognostischen Fähigkeit. Er läßt zwar zu, daß das Bundespresseamt in Millionenauflage am 13. Februar 1975 eine Anzeige verbreitet: „Im Sommer werden wir über den Berg sein." So das Bundespresseamt. Auf die ihm gestellte Frage der „BildZeitung" vom 19. Februar sagt er: „Skeptiker rechnen mit einer echten Konjunkturbelebung frühestens im Herbst." - „Sie auch?" - Er erwiderte: „Solche Aussagen sind Prophetie. Die Konjunkturbelebung wird dieses Jahr kommen, aber in welchem Monat, dafür gibt es heute noch zu wenig gesicherte Erkenntnisse." ({42}) So spricht der Mann von Welt. ({43}) Wenn man die Rolle der beiden für die Wirtschafts- und Finanzpolitik Verantwortlichen in ein plastisches Bild kleiden wollte, dann möchte ich sagen, daß sie abwechselnd den grünen Rock des Wetterfrosches und dann auch wieder den beruhigenden Cut des Grafen Baldrian zu tragen pflegen. ({44}) Ein Wort zum Wachstum! Die wesentlichsten Zielwerte der Jahresprojektion 1975 halten einer Nachprüfung nicht stand. Sie ist ein „Album voll wirtschaftlicher Poesie" genannt worden. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich heute nach Kräften bemüht, diesen Titel zu rechtfertigen. Sie erinnert sehr stark an Zweckoptimismus, Gesundbeterei und Verharmlosung unserer wirklichen Situation. Wir haben nur sehr an den Club von Rom erinnernde Aussagen über die Fragwürdigkeit des Wachstums gehört. Wir sollten eigentlich gerade diesen Anlaß benutzen, um einmal uns eine durch nichts aus der Welt zu schaffende Tatsache wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, nämlich die Tatsache, daß stetiges und angemessenes Wachstum - wobei es nicht auf ein halbes Prozent ankommt, aber wir gingen früher immer von 4 °/o real aus; das einzige, was uns hier in dem Zusammenhang interessiert, ist das reale Wachstum und nicht das nominale, in dem die Preiserhöhung sich niederschlägt -, ({45}) die unerläßliche Voraussetzung, die conditio sine qua non ist, nicht nur für die Verbesserung unserer Lebensverhältnisse - davon wollen wir jetzt gar nicht reden; ich gebe den Herren der Regierung recht, wenn sie sagen, daß wir mit einer Besserung noch warten müssen -, nein, die unerläßliche Voraussetzung auch für die Erhaltung des gesetzlich beschlossenen Leistungsstandes, ({46}) ganz zu schweigen von allem Wünschbaren und Zugesagten, was als Reform - in unscharfer Trennung -, als scheinsachliche Utopie und ohne Finanzplanung in den Erwartungshorizont der Menschen in Deutschland gesetzt worden ist. Wir haben jetzt im Jahr 1974 ein Wachstum von praktisch Null, und die Wachstumsprojektion des Jahreswirtschaftsberichtes ist falsch, Herr Bundeswirtschaftsminister. Es kann doch keine Rede davon sein, daß 2 % in diesem Jahr erreicht werden. Auch das wäre noch jämmerlich genug. Selbst das Ifo-Institut hat zur gleichen Zeit, als Sie mit Ihrem Bericht herauskamen, davon gesprochen, daß im günstigsten Fall 1 % erreicht werden könnte. Ich liebe es sonst nicht, in Prozenten und Promillen und Tarifprozenten und -promillen usw. zu reden, denn da wird mit Zahlen manipuliert und jongliert, aber an einem kommen wir nicht vorbei: Stetiges und angemessenes Wachstum ist die Voraussetzung für die Erhaltung unseres gesellschaftlichen Gefüges, ist die Voraussetzung für die Erhaltung des sozialen Friedens. ({47})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr!

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Strauß, müßte man nicht, wenn Sie diesen Komplex anschneiden, auch die Frage stellen, ob die Art und Weise, wie wir herkömmlich Wachstum messen, eigentlich noch angemessen ist? Oder anders ausgedrückt: Muß man nicht die Frage stellen, ob wir Wachstum neu definieren müssen, wenn z. B. die Erhöhung der Friseurpreise in das Bruttosozialprodukt eingeht, nicht aber die Verbesserung des Umweltschutzes? Würden Sie nicht auch darüber Betrachtungen anstellen müssen?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben einen Satz nicht mitbekommen, den ich vorhin gesagt habe, nämlich daß es um die Zunahme des realen Sozialproduktes geht. Haarschneiden ist eine Dienstleistung, und wenn Haarschneiden in den Jahren 1974 und 1975 gleich viel kostet, ist sie ein Bestandteil des realen Wachstums. Wenn sie aber im Jahre 1975 mehr kostet, dann ist, da die Qualität des Haarschneidens - das werden Sie sicherlich, Graf Lambsdorff, bestätigen - nicht verbessert werden kann, ({0}) der Zuwachs von 1974 auf 1975 rein nominal und deshalb insoweit bedeutungslos. ({1}) Außerdem bitte ich Sie, eine Verwechslung zu unterlassen. Wir in der Opposition verfügen weder über den Apparat noch über die Institution, um eine Änderung der offiziellen Kriterien für die Wachstumsberechnung zu veranlassen. ({2}) Das wäre die Angelegenheit der Bundesregierung, des Statistischen Bundeamts, ihrer zahlreichen wissenschaftlichen Beiräte, ihres Sachverständigenrates und all der anderen Apparaturen, die ihr zur Verfügung stehen. ({3}) Aber ich bleibe trotzdem bei der Behauptung - diese gilt auch für die bisherige Berechnungsmethode -: Wenn sich das reale Wachstum nicht stetig und angemessen wieder einstellt nach den zwei Jahren, die wir schon verloren haben, wenn wir das Jahr 1975 dazurechnen müssen und auch frühere Wachtumsverluste, ist der gesetzliche Leistungsstand, den dieses Parlament beschlossen hat - von dem Mehr, daß die Regierung verkündet hat, gar nicht zu reden -, nicht aufrechtzuerhalten. Darum geht es und um nichts anderes. ({4}) Die Steigerung des realen Wachstums um 2 % ist eine politische Wunschvorstellung, aber keine begründbare Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Die Talfahrt kommt doch nicht vor Mitte des Jahres - da bin ich noch sehr vorsichtig, wenn ich das sage - zum Stillstand. Dadurch entsteht doch ein erheblicher Ausfall an realer Leistung. Da müßte im zweiten Halbjahr ein raketenhafter Aufstieg erfolgen. ({5}) Der zeichnet sich doch in keiner Weise für die zweite Jahreshälfte ab! Alle wirklich kompetenten Konjunkturforscher - wozu ich allerdings die Herren der Bundesregierung nicht rechne -, ({6}) die Autorität und Kompetenz aufzuweisen vermögen, sprechen doch eindeutig in ihrer Beurteilung gegen diese Annahme. Gegen die Schätzung der Bundesregierung sprechen vor allen Dingen folgende Gründe: Das Kernstück des Konjunkturprogramms, die Investitionszulage, kostet immerhin 8 Milliarden DM. Sie wird konjunktur- und beschäftigungspolitisch nicht die erhoffte Wirkung haben. Ich habe seinerzeit von „Strohfeuerwirkung" gesprochen; sie wird eine gewisse Wirkung haben. Ich warte jetzt bloß noch darauf, Herr Bundesminiser Apel, daß Sie, wenn sich die Erwartungen nicht einstellen und die Kritik an dem Konjunkturprogramm beginnt, der Opposition wegen ihrer Zustimmung wieder die Schuld geben und die Beamten wegen mangelnder Information der Minister dafür verantwortlich machen. ({7}) Für den Fall, daß Sie schnell eine Formulierung brauchen, möchte ich sie Ihnen liefern: Sagen Sie dann, Sie seien von der Tarantel gestochen oder vom Zeppelin gestreift worden. ({8}) Wir haben unsere Bedenken gegen diese Investitionszulage doch ausdrücklich formuliert; wir wollten aber nicht durch ein Nein zu diesem von uns für nicht ausreichend und nicht sinnvoll gehaltenen Konjunkturprogramm den Vorwurf rechtfertigen oder nur scheinbar rechtfertigen, daß wir durch Panikmache und durch ewige Neinsagerei den von der Regierung sonst mit Sicherheit herbeiführbaren Erfolg verhindert hätten. ({9}) Das war doch die Begründung, wie sie alle Redner, auch ich, damals hier in diesem Zusammenhang gegeben haben. Dieses Konjunkturprogramm ist doch deshalb schon fragwürdig, weil zur gleichen Zeit, wo es in Kraft trat, die Wirtschaft durch eine Reihe von Steuererhöhungen, die ihre Erträge, ihre Liquidität und ihre Investitionsmasse erheblich beeinträchtigt haben, gleichzeitig stärker belastet worden ist. Das ist doch der Unfug dieser Konjunkturpolitik, daß man einerseits durch eine immer drastischer werdende Besteuerung oder eine immer drastischer werdende Belastung mit sozialen Abgaben Liquidität, Erträge, langfristige Zukunftsaussichten belastet und dann wieder durch gezielte Subventionen, wenn das Wasser bis zum Hals steht, schnell wieder eine kurzfristige Erleichterung herbeizuführen versucht. Wir haben doch hier gesagt, wir wollen eine langfristige Sanierung unserer Wirtschaft und nicht dieses hektische Hin und Her: im Jahre 1973 Investitionssteuer, eineinhalb Jahre später Investitionszulage, dieses Rein-in-die-Kartoffeln, Raus-aus-die-Kartoffeln, einerseits die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft erproben bis an die Grenze, bis die Arbeitslosen in Millionen auf der Straße stehen, und dann wieder Steuer herum, Mut, kühner Blick voraus, jetzt geht es wieder aufwärts. Mit Anzeigen wird die Wirtschaft angekurbelt, ({10}) und dann werden wiederum Investitionszulagen gewährt, um den Eindruck zu erwecken, daß die Bundesregierung die Sache nunmehr kühn und entschlossen angepackt habe. Ja, bis heute sind doch die Durchführungsvorschriften für den Antrag auf Investitionszulage noch nicht einmal erlassen! Der Entwurf des Einführungserlasses hat einen Umfang von 24 Seiten. Die Großen mit ihren riesigen volkswirtschaftlichen und juristischen Stäben sind in der Lage, sich schon heute darauf einzustellen. Von den Kleinen, von den Industrie- und Handelskammern, vor allem von den Handwerkskammern werden wir, wohin wir kornmen, darauf angesprochen: Wir haben noch nicht einmal die Formblätter, auf denen wir den Antrag stellen sollen. ({11}) Und das macht eine Regierung, sehr verehrter Herr Friderichs, die doch immer den Eindruck erweckt hat: Wir sind Herren der Lage, wir haben die Kontrolle nicht verloren, wir haben alles unter fester Kontrolle. Sie wissen doch, was ein Kritiker, der sicherlich nicht bösartig ist, nämlich Herr Mundorf, im „Handelblatt" dazu geschrieben hat: Monatelang vertröstete die Bundesregierung eine über den Konjunkturverlauf beunruhigte Öffentlichkeit mit dem Hinweis auf ihre wohl vorbereiteten „Schubladengesetze", die im Fall der Krise nur beschlossen und angewandt zu werden brauchten, um die Wirtschaft wieder ins Lot zu bringen. Der Eindruck wurde erweckt, als gäbe es einen minutiös vorbereiteten Fahrplan, nach dem der Bonner Mann mit der roten Mütze den Zugverkehr bei Pannen unverzüglich auf andere Strecken umleiten könne. Wir wissen heute, daß es diese exakten „Schubladenprogramme" gar nicht gab, sondern allenfalls konturenhafte Vorstellungen der Ministerialbürokratie. Das beweist das Trauerspiel um das Kernstück des Konjunkturprogramms vom Dezember 1974, die Investitionszulage. Das erforderliche Gesetz, das innerhalb einer Woche durch die drei Lesungen des Bundestages gepeitscht wurde und das auch der Bundesrat mangels Zeit ... nur konstatierend beschließen konnte, ist praktisch, wenn man rechtsstaatliche Prinzipien zum Maßstab nimmt, gar nicht anwendbar. Nur weil die mit der Auslegung des Gesetzes überforderten Finanzämter nicht gerade pingelig sind, können überhaupt erst Anträge bearbeitet werden. Kaum war das Gesetz beschlossen, ist doch der Regierung ein großes Versäumnis eingefallen, daß sie nämlich Investitionen aus dem Leasing-Verfahren vergessen hat, weshalb wieder im Holterdiepolter-Verfahren, wieder im Galopp eine Novelle beschlossen werden mußte, um eine abermalige regierungsamtliche Panne auszubügeln. Die Öffentlichkeit sollte einmal merken, daß es schlechterdings irreführend war, als man in großspurigen Anzeigen, mit Millionen auf Kosten der Steuerzahler finanziert, immer verkündet hat: Wir sind Herren der Lage, wir haben zehn Milliarden auf der hohen Kante, wir sind allen Eventualitäten gewachsen, diesem Volk kann nichts passieren im Gegensatz zum Ausland usw. Dazu hätten Sie heute einen Offenbarungseid ablegen sollen statt der poesievollen Ausführungen. ({12}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Zusammenhang schließlich noch mit dem von mir verwendeten Begriff des Wachstums: Wenn laut Angaben des Sozialbudgets diese Bundesregierung Zahlen nennt, die nachweislich schon längst überholt sind, zum Teil Makulatur sind, daß nämlich die Sozialausgaben in den nächsten Jahren schneller wachsen als das Bruttosozialprodukt, wenn sie sich nach Angaben im Sozialbudget 1974 von 250 Milliarden DM im Jahre 1973 um 72 % auf 430 Milliarden DM im Jahre 1978 erhöhen, ihr Anteil am Bruttosozialprodukt, die sogenannte Soziallastquote, von 27,1 % im Jahre 1973 auf 29,1 % im Jahre 1978 ansteigen soll, wie soll denn das verkraftet werden, wenn nicht ein angemessenes und stetiges Wachstum bei ruhigem, aufwärtsgehendem Wirtschaftsverlauf die Voraussetzungen dafür liefert? ({13}) Es ist doch eine Binsenwahrheit, daß einzelne Sektoren des Verbrauchs, des Sozialproduktes auch dann, wenn kein Wachstum vorhanden ist, überproportional anwachsen können, während andere während dieser Zeit schrumpfen oder stagnieren können. Dann bricht doch aber das ganze Gebäude ein, weil es in der statistischen Auslegung auf Gleichgewicht angelegt ist und nicht auf einseitige Kopflastigkeit des einen oder anderen Sektors hin orientiert sein kann. Über die Arbeitslosenquote habe ich schon gesprochen. Die Bundesregierung schätzt sie auf 3 % im Jahresdurchschnitt. Herr Friderichs, Sie müssen viel Glück haben, wenn Sie am Jahresende mit 3,5 % durchkommen. Dabei haben Sie im Winter noch Glück gehabt. Wir haben seit Jahren keinen saisonal so günstigen Winter erlebt, wie wir ihn gerade um die Jahreswende 1974/75 zu verzeichnen haben. Das Ifo-Institut rechnet sogar mit 4 %, d. h. 900 000 Arbeitslosen. In diesen Zahlen sind die Kurzarbeiter nicht enthalten. Die Umschüler schlagen ebenfalls zu Buch, obwohl sie in der Statistik nicht erscheinen. Der Parlamentarische Staatssekretär Haehser hat am 14. Februar 1975 bei Berechnung der Mehrausgaben der Bundesanstalt für Arbeit im Haushaltsjahr 1975 davon gesprochen, daß die Bundesregierung von folgenden Zahlen ausgehe: Es werde im Durchschnitt der Monate Januar bis April des Jahres 1,1 Millionen Arbeitslose und rund 800 000 Kurzarbeiter geben. Für den Durchschnitt der Monate Mai bis Dezember 1975 sprach er von 520 000 Arbeitslosen - i. e. 2,3 vom Hundert - und rund 200 000 Kurzarbeitern. Auch diese Zahlen setzen doch voraus, daß in der zweiten Hälfte dieses .Jahres ein außerordentlicher, boomartiger Konjunkturanstieg eintritt. Was hier an falschen Zahlen über die Arbeitslosenquote geboten wird, findet auch seine Bestätigung in der miserablen Prognose hinsichtlich der für Nürnberg erforderlichen Finanzmittel. Was sich die Bundesregierung hier erlaubt hat, ist ein unglaubliches Stück von Leichtsinnigkeit und Schlamperei auf diesem Gebiete. ({14}) Bei dieser Ausgangslage schätzen Sie, Herr Friderichs, die jährliche Arbeitslosenquote auf 3 %. Die Zahl der Arbeitslosen des Jahres 1975 soll bis Ende des Jahres auf weit unter 500 000 herabgedrängt werden. Auch das ist unrealistisch. Sie haben vom Außenbeitrag gesprochen. Es ist mehr als fraglich, ob der Außenbeitrag in dem von der OECD geschätzten Maße für die Bundesrepublik wachsen kann. Sie haben es selbst bestritten. Aber selbst wenn er nur um 2 % gesteigert werden kann, ist das nach wie vor ein Beweis für unsere Behauptung, daß unsere restliche Konjunktur und die noch erhaltene Beschäftigungsquote auf den unsicheren Füßen eines Exportüberschusses stehen, der in dieser Form in keiner Weise noch längere Zeit anhalten kann. Ich möchte nicht von den Projektionen über die Verteilung des Volkseinkommens - Sie haben das in Ihrem Vortrag Gott sei Dank auch nicht getan - sprechen. Die Bundesregierung erwartet für 1975 bei den Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen einen Anstieg um 8 bis 10 %. Im Vorjahr betrug diese Größe laut Statistik null. Herr Friderichs, Sie wissen mindestens genausogut wie ich, daß die Statistik deshalb nicht brauchbar ist, weil bei der Ermittlung dieser Einkünfte zwei nicht vergleichbare Einkunftsarten zusammengeworfen werden, nämlich Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und Einkünfte aus Kapitalvermögen. Wenn Sie die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nicht mit Einkünften aus Unternehmertätigkeit identisch sind, aus dieser Berechnung einmal ausklammern, ergibt sich bei den Einkünften aus Unternehmertätigkeit für das Jahr 1974 - gegenüber dem Jahre 1973 - ein Minus von 7 bis 8 % nominal und etwa 2 % real. Deshalb sagt selbst der Anstieg, den Sie prognostizieren, nicht allzuviel aus. Aber selbst dieser Anstieg kann nicht erreicht werden, wenn für die Ertragslage der Wirtschaft nicht langfristig durch eine maßvolle Steuerpolitik, Sozialpolitik, Gesellschaftspolitik und durch eine maßvolle Tarifpolitik, für die jetzt die ersten erfreulichen Ansätze vorliegen, die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Herr Friderichs, Sie haben einfach wieder die Unwahrheit gesagt, wie Sie es häufig in der Maske der Wissenschaftlichkeit zu tun pflegen, als Sie sagten, ich hätte die Bundesregierung aufgefordert, den Gewerkschaften zu sagen, wieviel Lohn sie verlangen dürften. Ich habe die Bundesregierung daran erinnert, daß es ihre Pflicht ist, die Orientierungsdaten nachdrücklich den beiden Tarifpartnern in Erinnerung zu rufen. ({15}) Ich weiß, daß hier mit der Behauptung hausiert wird, ich hätte die Abschaffung der Tarifautonomie verlangt. Das ist eine glatte Verleumdung. Das ist eine reine Lüge. Die Regierung muß sagen, was sie als inflationsunschädlich und als arbeitsmarktunschädlich, d. h. konjunkturunschädlich, für richtig hält. Das sagen alle. Dann muß auch die Regierung es sagen; denn sie hat eine verfassungsmäßige Verantwortung. ({16}) Was die Tarifpartner dann daraus machen, ist deren Sache. Hier endet die Zuständigkeit der Regierung. Aber durch ein solches Verhalten wird die Verantwortlichkeit allen, auch der Öffentlichkeit, nachdrücklich zum Bewußtsein gebracht. Ich habe diese Bemerkung hier gemacht, weil ich in der Zeitung gelesen habe, wie erstaunlich die Rollen verteilt waren. Der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Herr Armin Grünewald, hat einen moralischen Appell an die Tarifpartner gerichtet. Ich bin nicht der Meinung, daß es die Sache eines stellvertretenden Pressesprechers der Bundesregierung ist, einen moralischen Appell an die Tarifpartner zu richten. Der Bundeskanzler, hieß es in der gleichen Erklärung, habe erklärt, nunmehr sei die Talsohle erreicht. Er hatte ja schon vorher im Winter erklärt, die Inflationsspekulation sei gebrochen - das wollen wir mal mit einem Fragezeichen versehen - und jetzt sei die Talsohle erreicht. Anscheinend verfügt der Bundeskanzler über mehrere Talsohlen; ({17}) denn er hat schon mehrmals solche Erklärungen abgegeben, wann es aufwärtsginge, wann wir über den Berg wären - der Vergleich ist unter Umständen doppeldeutig - und wann wir die Talsohle erreicht hätten. Sie haben ein auswechselbares Sortiment von Talsohlen. Das reicht von der BrandtSohle seinerzeit bis zur Schmidt-Sohle heute. ({18}) Sie erinnern sich doch noch: „4 % Preissteigerung dürfen es nicht werden! Zu einer Million Arbeitslosen darf es nicht kommen!" Dann erklärt man dem Volke jeweils, das zur Abnahme solcher obrigkeitlicher Meldungen verpflichtet ist, daß nunmehr die Talsohle erreicht sei. Wir wollen hier nicht in Worten, sondern in Taten die Ergebnisse dieser Politik sehen. Darauf kommt es an. ({19}) Wenn Sie sich auf die Inflationsrate und auf Schätzungen berufen - Sie haben auch falsch geschätzt, wir haben alle zu hoch geschätzt -, dann vergessen Sie dabei nicht, daß der Preis für diese niedrige Inflationsrate 8 000 Insolvenzen im Jahre 1974 sind! ({20}) Davon sind hauptsächlich die Kleineren und Mittleren betroffen worden. Das hat nichts mehr mit Gesundschrumpfen oder mit den heilsamen Pleiten zu tun, von denen maßgebende Regierungsmitglieder gesprochen haben. Das ist eine sehr, sehr unerfreuliche Entwicklung. Diese niedrige Inflationsrate hat auch damit zu tun - was allerdings jetzt zu Ende geht und zu Ende gehen muß -, daß der Teil Lebensmittel und Genußmittel zu Lasten der Erzeuger trotz Steigerung der Produktionskosten eine Verminderung der Erzeugerpreise hinnehmen mußte. ({21}) Darüber habe ich mich ein anderes Mal schon geäußert. Darauf brauche ich heute nicht zurückzukommen. Ich möchte hier aber auch - worauf Sie aus gutem Grunde nicht eingegangen sind, weil man schlafende Hunde nicht wecken soll - von den fragwürdigen Annahmen im Zusammenhang mit der Steuerreform sprechen. Die Vorhersagen des Jahreswirtschaftsberichts gehen doch sämtlich von der Annahme aus, daß die sogenannte Steuer- und Kindergeldreform die Kaufkraft insgesamt um 16 Milliarden DM stärkt. Es heißt: Auf Grund der Steuer- und Kindergeldreform wird 1975 die Kaufkraft breiter Schichten der Bevölkerung um zirka 14 Milliarden DM gestärkt. .. Hieraus können zusätzliche Impulse für den privaten Verbrauch, aber auch für die Investitionstätigkeit erwartet werden; ... Diese Berechnung, Herr Bundeswirtschaftsminister, hat sich in der Zwischenzeit schlechterdings als falsch herausgestellt. ({22}) Im Jahre 1975 kann von 14 Milliarden DM Kaufkraftsteigerung überhaupt nicht die Rede sein, im günstigsten Fall könnten es 10 Milliarden DM sein. Ihr Parteifreund, Herr Apel, der Vorsitzende des Bundes der Steuerbeamten, spricht sogar von nur 4 Milliarden DM. Diese Analyse enthält allerdings eine Reihe von Faktoren, die man nicht unmittelbar dazu heranziehen kann. Aber von 14 Milliarden DM zu reden ist überhaupt sinnlos. Es sind im äußersten Fall für 1975 10 Milliarden DM. Und wenn man dann diesen 10 Milliarden DM - noch eine optimistische Annahme - die Summe der Mehrbelastungen entgegenhält, die nicht allein von den Arbeitnehmern, sondern von der gesamten Wirtschaft aufgebracht werden muß, so kommt man auf einen Betrag von 20 Milliarden DM, was durch Steuern, Gebühren und durch Erhöhung von Abgaben für die gesetzlichen Versicherungen an Mehr herausgeholt wird. Erwarten Sie sich von dieser Steuerreform an objektiver Entlastung genausowenig, wie Sie sich an subjektiver Wirkung heute noch erhoffen können! ({23}) Aber - das ist ein bedenkliches Kapitel, und darauf muß ein Sprecher der Opposition zu sprechen kommen - es ist schlechterdings unmöglich und unzulässig, es grenzt an parlamentarischen Skandal, wenn der verantwortliche Ressortminister - der hier auch die Last seines Vorgängers, in diesem Falle Bundeskanzler Schmidt, damals Finanzminister, und dessen Versagen zu übernehmen hat - der Opposition vorwirft, sie habe sich ja durch ihre Zustimmung ebenfalls an diesem Irrtum beteiligt und müsse ihn verantworten, und wenn er, um auch noch das letzte Restehen von Eigenverantwortung loszuwerden, den Beamten mangelhafte Information vorwirft. ({24}) Diesen letzteren Vorwurf haben Sie in der Zwischenzeit zurückgenommen. - Sie können es einfach nicht so machen, daß Sie der Opposition, wenn sie aus guStrauß tem Grunde nein sagt, obstruktives Verhalten, starre Neinsagerei, Sabotage der Regierungsmaßnahmen, Verunsicherung, Panikmache und Hetze vorwerfen und daß Sie dann, wenn sie trotz vorgebrachter Kritik unter Aufweisung der Fehler schweren Herzens ja sagt, sagen: Die sind ja schuld daran, daß wir ein so schlechtes Gesetz verabschiedet haben. Das können Sie doch einfach nicht machen! ({25}) Sie wissen doch ganz genau, daß ein Bundesminister die Verantwortung für Maßnahmen seines Vorgängers zu tragen hat, auch wenn er sie persönlich gar nicht eingeleitet hat. Sie wissen, daß er für das Verantwortung zu tragen hat, was er selbst angeordnet hat, daß er die Verantwortung für das zu tragen hat, was in seinem Hause geschehen ist, auch wenn er es selbst nicht weiß, und daß er die Verantwortung für das zu tragen hat, was ihm von seinem Hause auf Grund sachverständiger Beratung nun auferlegt worden ist. All das müssen Sie nach alten parlamentarischen Grundsätzen einer Demokratie als parlamentarischer Minister selbst verantworten. ({26}) Und wenn Sie das nicht verantworten zu können glauben, dann bleibt der Rücktritt, der Ihnen von vielen Seiten nahegelegt worden ist, als die einzige Möglichkeit. Und ich habe es nicht geglaubt, als ich las, Sie hätten erklärt, Rücktritt käme nicht in Betracht, denn eine Rücktrittsdrohung wäre eine Erpressung eines Fachministers gegenüber der Regierung. ({27}) Wenn Sie gehen, hält das niemand für eine Erpressung, sondern jeder für eine Erlösung. Das ist der Unterschied. ({28}) Sie haben außerdem erklärt, an der Spitze des Bundesfinanzministeriums gebe es gewisse Einsichten. Sie haben gesagt, Sie hätten sich vorgenommen, künftig alle Probleme, für die Sie zuständig seien, gegenwärtig zu haben. - Ich war schon einmal - bei einer Ihrer ersten Reden - der Meinung, daß für Sie eigentlich noch ein berufsgestaltender Fortbildungslehrgang vor Übernahme des Ministeriums notwendig gewesen wäre. ({29}) Aber wenn Sie sagen, an der Spitze des Finanzministeriums gebe es Einsichten, und Sie hätten sich vorgenommen, künftig alle Probleme, für die Sie zuständig sind, gegenwärtig zu haben, ({30}) dann sagt ein Kommentator des Südwestfunks dazu, des Dr. Hans Apels Bedürfnis nach Problembewußtsein schaffe die Probleme nicht aus der Welt; den Millionen Steuerzahlern, die enttäuscht oder gar wütend über die Auswirkungen der Steuerreform sind, wird statt Hilfe lediglich Aufklärung angeboten und ein zu früh gedrucktes Flugblatt im Landtagswahlkampf von Nordrhein-Westfalen sagt: Die Steuerreform, das ist die Politik der SPD für Arbeitnehmer. ({31}) Die SPD hat eine gerechtere Steuergesetzgebung durchgesetzt. Ab 1. 1. 1975 erhalten Millionen von Arbeitnehmern ein höheres Nettoeinkommen. Das sieht jeder. An seinem Lohn, an seinem Gehalt. Spätestens wenn das Kindergeld vom Arbeitsamt kommt. Das war ein langer Weg. Denn die CDU/CSU mißbrauchte mit ihrer 21-zu-20-Mehrheit den Bundesrat als Neinsagemaschine. ({32}) Und jetzt werfen Sie uns vor, daß wir nicht durch weiteres Neinsagen die Steuerreform verhindert haben, weil sie von der Regierung falsch vorgelegt worden ist! ({33}) Ich habe leider nicht mehr die Zeit, das in Einzelheiten darzustellen. Aber diese Methode ist für das Vorgehen der Bundesregierung geradezu charakteristisch, beispielhaft und, ich darf sagen, in jeder Hinsicht skandalös. ({34}) Sie hatten ein Steuerreformgesetz vorgelegt, das diesen Namen verdiente, auch wenn es in vielen Punkten falsch angelegt war. Über dieses Gesetz haben wir im Januar 1974, noch als Brandt Kanzler und Schmidt Finanzminister war, hier diskutiert. Herr Häfele hat damals den Antrag gestellt, dieses Gesetz abzusetzen, weil die Regierung gar nicht mehr vorhatte, es zu behandeln, ({35}) weil sie in der Zwischenzeit eine geheime Vorlage an die Mitglieder der Regierungsparteien im Finanzausschuß nachgeschoben hatte. Mit dieser nachgeschobenen Vorlage sollte das erste Gesetz lautlos abgelöst und ein kleines Änderungsgesetz mit dem großspurigen Namen „Steuerreform" lautlos nachgeschoben werden. Weil Herr Häfele das hier sagte und weil er den Antrag auf Absetzung stellte und begründete, ist ihm damals von der Frau Präsidentin das Wort entzogen worden. ({36}) Haben denn wir nicht, habe denn ich nicht damals, haben nicht danach Herr Zeitel und Herr Köhler hier und in der Öffentlichkeit unser Urteil und unsere Kritik an diesem unmöglichen Verhalten der Bundesregierung mehrmals laut und öffentlich geäußert? Der Vorwurf, den ich vorher im Zusammenhang mit dem Konjunkturprogramm erhoben hatte, gilt hier noch mehr. Jahrelang haben Sie von großen Taten geredet; „Jahrhundertwerk" hieß es, „Steuerreform". Dann wurde Miguel beschworen, der große Steuerreformer aus der Geschichte des Deutschen Reiches und Preußens, dann kamen Erzberger und Popitz, und dann kam die neue Reihenfolge; sie hieß Möller, Schiller, Schmidt, Apel, - auch eine Art der Deszendenz natürlich. ({37}) Und was dann herauskam, war diese Mißgeburt. Und das ist das „Jahrhundertwerk"! Merken Sie denn nicht, welchen Anspruch auf unsterbliche Lächerlichkeit Sie damit erworben haben? ({38}) Wir werden, obwohl sich die Zeit und der Rahmen auch heute dafür eigneten, wegen der Abwesenheit des Bundeskanzlers und wegen der Beschränkung der Debatte auf die großen Stichworte des Jahreswirtschaftsberichts über die finanzielle Situation, über die Haushaltslage der drei Gebietskörperschaften Bund, Länder und Gemeinden, ihr unglaublich wachsendes Finanzierungsdefizit, die damit drohende Verschuldung, die Unausweichlichkeit drastischer Einschränkungen der öffentlichen Leistungen und noch erheblicher weiterer Steuererhöhungen, lauter Unvermeidbarkeiten, vor deren Eingeständnis sich die Bundesregierung mit allen möglichen fadenscheinigen Redensarten und drückebergerischen Ausflüchten immer noch davonschleichen will, beim Haushalt zu sprechen kommen. Dazu gehören auch Bahn und Post, und dazu gehört die rapide Verschlechterung der finanziellen Situation der gesetzlichen Versicherungsträger. ({39}) Was die Bundesregierung hier an Hypotheken für die Zukunft aufgebaut hat, ist so unglaublich, daß man dahinter, wenn überhaupt noch Verstand am Werke ist, nur noch die Hoffnung erblicken kann, daß sie möglichst bald abgelöst werden will, um das anderen zu überlassen. Anders kann man die finanzielle Situation nicht mehr erklären, die sie trotz gegenteiliger Beteuerungen eingebrockt hat, laufend verteidigt, weiter gedeihen läßt und durch ihr Verhalten sogar noch weiterhin fördert. Ich möchte mich heute auf diese Bemerkungen beschränken, um nicht die Haushaltsdebatte heute schon in diesem Zusammenhang vorwegzunehmen. Herr Genscher hat gestern gewußt, was er sagte. Er kann es hier nicht wiederholen; dafür haben wir Verständnis. Das hängt zum einen mit den inneren Überlebenskämpfen der Koalition, zum anderen mit den Schwierigkeiten innerhalb seiner Partei zusammen. Aber wenn er von „Ruhe an der Ideologie- und Experimentierfront", von „Kooperation statt Konfrontation" sprach, so zeigt dies doch, daß wir uns nicht nur in einer materiellen, sondern auch in einer psychologischen Krise befinden. Die Überforderung des Sozialprodukts auf allen Gebieten, sowohl bei privater Nachfrage am Anfang als auch durch eine übernormale Steigerung des Staatsverbrauchs, hat zu diesem Zustand geführt. Die uferlosen Versprechungen, die Inflation der Versprechungen, haben eine Inflation der Erwartungen herbeigeführt. Die Inflation der Erwartungen hat zu einer Inflation der Forderungen der gesellschaftlichen Gruppen geführt, und diese Inflation der Forderungen hat zu einer Inflationierung des Geldwertes geführt. Da Inflation ein Tandem ist, ist Arbeitslosigkeit auf dieses Tandem gestiegen. Das haben wir hier jahrelang gesagt. Dafür sind wir ausgelacht, verhöhnt, denunziert und als Demagogen, Verunsicherer, Hetzer und Panikmacher diffamiert worden. Wenn wir das heute zurückweisen, ist es unser gutes Recht, auch in diesem Hohen Hause die Dinge wieder einmal ins rechte Lot zu bringen. ({40}) Ich sage Ihnen, den Herren der Bundesregierung, noch einmal: Hätten Sie unsere Vorschläge - es ist immer die Rede, wir hätten keine Alternative -, hätten Sie unsere Vorschläge ({41}) - ich sag's Ihnen gleich! - zur Weckung der selbstheilenden und selbsthelfenden Kräfte in der Wirtschaft, die auf materiell langfristige und psychologisch dauerhaft beruhigende Wirkung abgestellt waren, nicht abermals, so wie damals unser Steuerentlastungsgesetz - das einfach war, schnell hätte durchgeführt werden können und natürlich gerade wegen der Einfachheit auch einige Kritik hervorgerufen hätte, aber nicht mit diesem hochtrabenden, hochstaplerischen Titel „Steuerreform", mit dem Mogeletikett ausgezeichnet worden wäre - abgelehnt, sondern angenommen, sähe es heute zwischen Regierung und Opposition in der materiellen und psychologischen Lage in der deutschen Öffentlichkeit anders aus, als es leider der Fall ist, was auch durch Ihre Redensarten, Herr Friderichs, nicht beschönigt werden kann. ({42}) Wir haben vorgeschlagen, die vermögensabhängigen Steuern nicht zu erhöhen, weil ihre Erhöhung in dieser Konjunktursituation Gift ist. Ich habe es doch wörtlich dem Herrn Bundeskanzler in jener Nacht gesagt. Wie lange wollen Sie denn den Verlustrücktrag noch prüfen? Entscheiden Sie sich doch endlich einmal! Im Jahreswirtschaftsbericht steht: „prüfen". Heute reden Sie wieder von Prüfen. Die Länderfinanzminister sind dafür, weil sie wissen, warum. Die Verbände der Wirtschaft sind dafür. Die Gewerkschaften haben wohl jetzt auch nichts dagegen. Der Verlustrücktrag ist gerade für die kleinen und mittleren Betriebe von erheblicher Bedeutung. Denken Sie an eine Abschreibungsverbesserung in absehbarer Zeit, um die gestiegenen Wiederbeschaffungspreise mit den zur Verfügung stehenden Abschreibungssätzen in eine bessere Übereinstimmung zu bringen! Denken Sie an die Angleichung der Steuerbilanz an die Handelsbilanz, und denken Sie auch einmal darüber nach, daß bei d e r Kapitalausstattung unserer Wirtschaft, der rapiden Abnahme des Eigenkapitals die Hinzurechnung der Dauerschulden auf das Gewerbekapital und die Hinzurechnung der Erträge auf den Gewerbeertrag endlich einmal beendet werden sollte. ({43}) Das heilt die Wirtschaft von innen heraus. Das gibt ihr die Beruhigung. Morgen ist die Investitionszulage verpufft, verpulvert, verschwendet, verraucht und verschossen, und dann geht's wieder mit den hohen Belastungen der Wirtschaft munter und unverändert weiter. Hier muß die Wende einsetzen! Ich möchte zum Schluß meiner Ausführungen auf das zurückkommen, was ich am Anfang gesagt habe. Der Bundeshaushalt weist heute ein Defizit von 22 Milliarden DM aus, ({44}) - Minimum. Die Arbeitslosigkeit beträgt 5 %. Dazu kommen 4 % Kurzarbeiter. Die Preissteigerungsrate liegt ungebrochen bei über 6 %, und der Zuwachs des realen Bruttosozialprodukts in der zweiten Hälfte 1974 negativ - die Tendenz ist hier wichtig -, über das ganze Jahr hinweg plus 0,4 % wegen der besseren Ergebnisse im ersten Halbjahr; für das Jahr 1975 zur Zeit noch unter Null, und wie weit über Null, ist mit mehr als vielen Fragezeichen zu versehen. ({45}) Im Jahre 1969 ist diese Regierung und ihre Vorgängerin in die Nachfolge einer CDU/CSU-Regierung eingetreten, deren Partei man als regierungsunfähig bezeichnen will. Ich gehe darauf nicht ein, das wird zur rechten Zeit in gebührender Form sowohl hier wie anderswo erfolgen. Damals wies der Bundeshaushalt einen Überschuß von 1,7 Milliarden DM aus, statt 22 Milliarden DM neue Schulden. Damals lag die Arbeitslosigkeit unter 1 %; ein Arbeitsloser und 10 offene Stellen. Damals betrug die Preissteigerungsrate weniger als 2 %, und das Bruttosozialprodukt war im Jahre 1968 real um 7 % und 1969 um beinahe 9 % gewachsen. Wenn man da die Stirne hat, von „Regierungsunfähigkeit" zu reden, und dabei diese Bilanz vorweisen muß, dann muß man schon ein seltenes Maß auch an Unverfrorenheit haben, um in diesem Lande Wort und Wahrheit in einer so unerträglichen Weise in Gegensatz zueinander zu setzen. ({46}) Sie haben ein Reformparadies versprochen. Sie haben ein Reformparadies mit höherer Lebensqualität versprochen. Das ist doch ein sozialistischer Irrgarten geworden, in dem sich keiner mehr zurechtfindet und die meisten Angst haben, wie die jüngsten Umfragen zeigen. Jetzt ist die Zeit der Besinnung auch für die Bundesregierung. Folgen Sie Ihrem Freunde Haferkamp, der vor kurzem gesagt hat: „Jetzt ist die Stunde der Wahrheit und der Offenlegung der Wahrheit gegenüber der Öffentlichkeit gekommen." Jetzt ist die Zeit des Offenbarungseides gekommen. Ist denn die Regierung mit Blindheit geschlagen? Wenn ich manche regierungsamtlichen Äußerungen höre, dann möchte ich Münchhausen noch für einen Wahrheitsfanatiker halten. ({47}) Sie täuschen sich doch über Ihre eigene Situation hinweg. Wo ist denn, Herr Friderichs, der große Wurf? Wo ist denn das Zukunftsprogramm? Wo ist die Frage nach den Grundlagen unseres Lebens, z. B. auf dem Gebiete der Sicherung einer langfristigen Energieversorgung? Das ist doch alles nur Flickwerk. Das ist doch alles nur ein Fleckerlteppich, würde ich sagen. In welchem Zustande haben wir Wirtschaft und Finanzen übergeben? Wie sehen sie heute aus? Das ist doch der Grund. Von der Hoffnung zur Erwartung, vom Versprechen zur Forderung, von der Enttäuschung zur Empörung - das ist doch der Zustand, der durch die Entwicklung der materiellen Umstände und der psychologischen Verhältnisse und nicht durch die Propaganda der Opposition eingetreten ist, die über viel weniger Lautsprecher als Sie verfügt. Darum wird über Ihre Rede heute, Herr Friderichs, über die Ihrer Kollegen und die des Bundeskanzlers der Bürger die Antwort geben, und diesem Judizium unterwerfen wir uns getrost. ({48})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Bundesminister Apel. ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) Was haben wir denn in der hinter uns liegenden Stunde gehört? Eine Handlungsanweisung der Opposition, wie sie mit den zweifelsohne schwierigen Problemen der Weltwirtschaft und unseres Landes fertig werden will? Sicherlich nicht! ({1}) Eine Alternative zu unserer Regierungspolitik? Nun, Herr Kollege Strauß, Sie haben in einer Ihrer letzten Reden darauf hingewiesen, daß wir auf eine Frage nach der Alternative der Opposition zur Regierungspolitik keine Antwort verlangen könnten. Also eine Alternative zu unserer Politik auch nicht! ({2}) Haben wir denn wenigstens, meine Damen und Herren, eine Perspektive gesehen, wie die Opposition die dringlichen Probleme anpacken würde? ({3}) Ich sage Ihnen, Herr Kollege Strauß - das wird zu beweisen sein : Sie haben auch keine Perspektive, ({4}) denn innerhalb von einer Stunde haben Sie sich mehrfach sachlich widersprochen. ({5}) Das Ganze war eine der üblichen Reden, die wir in diesem Bundestag schon mehrfach erlebt haben, mit den üblichen Argumenten, mit Kraft und Temperament vorgetragen, zugegeben. Aber der Witz ist langsam abgegriffen. Die Attacken gehen daneben, und sie verletzen nicht einmal mehr, Herr Kollege Strauß. ({6}) Das einzige, was Sie wiederholt tun - ich habe mir Ihre Reden der letzten Jahre durchgelesen -, ist, die schwarze und die finstere Krise an die Wand zu malen. Das tun Sie, solange Sie hier in der Opposition sitzen. Davon leben Sie. Dieses schwarze Klima brauchen Sie, um politisch existieren zu können. ({7}) Ich bin der Meinung, daß der Deutsche Bundestag nicht der Ort für Schmierentheater und Theaterdonner ist, sondern für sachliche Auseinandersetzung. ({8}) - Damit meine ich den, der vor mir gesprochen hat. ({9}) Meine Damen und Herren, eine Bemerkung zu dem, was der Herr Kollege Strauß zu unserer Recklinghausener Tagung und zu der Sozialdemokratie meinte sagen zu sollen. Herr Kollege Strauß, auch hier die alte Masche, erneut nach dem Motto: Wenn man nur lange genug jemanden mit Dreck bewirft, dann bleibt schon etwas hängen. Sie sind ja in dieser Technik Meister. ({10}) Ich bitte nur darum, daß Sie nun wenigstens in einer zentralen Frage dafür sorgen - und das müßten Sie ja auf Grund Ihrer Rolle in der Opposition schaffen -, eine einheitliche Sprachregelung zu finden hinsichtlich dessen, ({11}) was die Sozialdemokratie in diesen Wochen der Öffentlichkeit vorgelegt hat, nämlich hinsichtlich unseres Orientierungsrahmens '85. Wir sind stolz darauf, daß wir eine Perspektive für die zehn Jahre vor uns entwickelt haben. ({12}) Sie müssen sich nun einmal darüber klarwerden, wie Sie sich dazu äußern wollen. Herr Stoltenberg am 3. Januar: „Zeichen eines deutlichen Linksrucks gegenüber dem Godesberger Grundsatzprogramm". Herr Biedenkopf am 14. Januar: es gebe in diesem Programm weite Passagen, die einem CDU-Programm ähneln. ({13}) Beides ist natürlich Unsinn. Tatsache ist, daß Sie aufgefordert sind, ähnliche Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln, damit uns Reden des Kollegen Strauß, wie wir sie soeben gehört haben, in Zukunft erspart bleiben. ({14}) Herr Kollege Strauß, wenn man sich die politische Landschaft der fünfziger, der sechziger und der siebziger Jahre ansieht, wird man feststellen, daß Sie sich in Ihrer Art zu argumentieren, in der Art und Weise, Personen zu diskreditieren, in der Art und Weise Probleme darzustellen, nicht geändert haben. Es gibt allerdings ein Problem für unsere Demokratie: Sie sind inzwischen in einer anderen Machtposition. ({15})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zu den Problemen kommen, die Herr Kollege Strauß angesprochen hat. Ich beginne mit den Fragen der Steuerreform. Ich persönlich gestehe ohne weiteres zu, daß ich als Politiker auch Fehler mache. ({0}) Nur, Herr Kollege Strauß, Sie sind nicht mein moralischer Lehrmeister, von Ihnen lasse ich mir keine Lehren erteilen. ({1}) Wie war das denn im Juli 1974? Franz Josef Strauß - ich zitiere -: Und ich finde, daß die Steuerreform eine gute Sache ist, ein alles in allem vernünftiger Kompromiß. Parteivorsitzender Kohl sagt kürzer, weil er weniger von den Dingen versteht: „Ein vernünftiges Ergebnis." ({2}) Vor drei Wochen zieht die CDU/CSU ein Flugblatt zurück, das wir Ihnen gerne überreichen können - wir haben natürlich Exemplare davon -: die CDU/ CSU habe den Weg zu einer echten Steuerreform freigemacht. Und nun Herr Strauß am 4. Februar: Er - Strauß, so die Süddeutsche Zeitung - weise jede Mitverantwortung der CDU/CSU für die Steuerreform zurück. ({3}) Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Strauß, ich bitte Sie sogar darum, bei dieser Haltung zu bleiben. ({4}) Sie sind am Ende des Steuerreformzuges als Trittbrettfahrer aufgesprungen, haben uns zugegebenermaßen einige Kompromisse abgezwungen, die die Steuerreform erschwert und verschlechtert haben ({5}) - dies werde ich Ihnen gleich unter Beweis stellen -, und Sie sind dann wieder von dem Trittbrett der Steuerreform abgesprungen. ({6}) -- Ach, lieber Herr Zoglmann! - Ich frage mich immer wieder, was Sie in den nächsten Wochen und Monaten machen werden, wenn Sie sehen, daß bei der übergroßen Masse der Arbeitnehmer die Steuerreform trotz einer entsprechenden Gegenkampagne gut ankommt. Was werden Sie dann machen, um wieder auf das Trittbrett der Steuerreform aufzuspringen? Dies wird ein interessanter Vorgang werden. ({7}) Wir Sozialliberalen sagen: dies ist unsere Reform, auch wenn uns die Opposition Zugeständnisse abgetrotzt hat, die wir so gut nicht finden. Wir sagen: Wir lassen uns durch die Argumente unserer Gegner in dieser Überzeugung nicht schwankend machen. Wir wissen auf Grund vielfältiger Briefe und Untersuchungen in den Fabriken und in den Lohnbüros, daß die überwältigende Mehrheit der Bürger weniger Steuern bezahlt. ({8}) Dieses gilt auch für die beiderseits verdienenden Ehepaare. ({9}) Natürlich heißt „Steuerreform" auch „steuerliche Nachteile". Dieses haben wir gewußt. Wenn wir über einige Nachteile hier gern sprechen wollen, lieber Herr Kollege Stücklen ({10}) - ich komme sofort zu Herrn Fredersdorf -, möchte ich Sie daran erinnern, daß die Zuschneidung der Steuerklassen bei beiderseits verdienenden Ehepaaren, die zweifellos ein Ärgernis war und auch bleibt, am 20. Dezember 1973 vom Bundesrat, in dem bekanntlich die Opposition die Mehrheit hat, einstimmig folgendermaßen beschieden worden ist: „Der Bundesrat begrüßt auch die im Entwurf vorgesehene Neugestaltung der Lohnsteuerklassen, weil sie zu einer Verminderung der Nachforderungsfälle führt." Ich will jetzt nicht alles im einzelnen aufblättern. Ich sage Ihnen: Ich bekenne mich zu diesem Kompromiß. Wenn Herr Strauß draußen von Drückebergerei gesprochen hat, dann muß ich sagen: Sie haben sich dabei gedrückt. Aber bitte, bleiben Sie bei Ihrer Haltung; uns ist sie recht. ({11}) Ich erkläre hier, daß es für uns keine Reform der Reform geben wird. ({12}) Wir lehnen es auch ab, eine unabhängige Kommission einzusetzen, weil wir uns davon nichts versprechen. Damit sind wir uns im übrigen einig mit Herrn Fredersdorf, der dazu gestern etwas gesagt hat. Die Opposition hat durch den Mund von Herrn Häfele angekündigt, sie sei unzufrieden mit der Sonderausgabenregelung. Herr Kollege Häfele, es ist Ihnen unbenommen, auf unsere Vorschläge einzugehen. Wir hatten - nicht zuletzt dank eines Kompromißmodells der Frau Funcke - im Vermittlungsausschuß eine Lösung, die alle zufriedengestellt hätte. Sie können auf unsere Vorschläge eingehen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie etwas anderes wollen, müssen Sie hier einen Gesetzesantrag einbringen; wie überhaupt auch der Bundesrat jederzeit eingeladen ist, Gesetzentwürfe zur Steuerreform einzubringen. Sie werden dann allerdings sich selbst und der Öffentlichkeit und mir nachweisen müssen, wo das Geld herkommt. ({13}) - Und sich selbst korrigieren müssen, Herr Wehner. Ich sage Ihnen: Mein Eindruck von vier Wochen Steuerreform ist folgender. Die Opposition ist eine Gruppierung ohne politische Skrupel zur Erringung der politischen Macht ohne eigene Konzeption. ({14})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger? ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde einige wenige Sätze zu Herrn Fredersdorf sagen. ({0}) Herr Fredersdorf hat - dieses hat Herr Strauß selbst zugestanden - Äpfel und Birnen zusammengezählt. Insofern ist es natürlich falsch, wenn Herr Fredersdorf von einer Entlastungswirkung von 4 Millarden DM spricht; es sind wesentlich mehr. Ob, Herr Kollege Strauß, die 14 Milliarden DM, die wir ausgerechnet haben und die stimmen, die eher etwas mehr als weniger geworden sind, in diesem Jahr oder im nächsten Jahr anfallen werden, bleibt offen. ({1}) - Ein bis zwei Milliarden DM können sich in das nächste Jahr verschieben. Kassenmäßig bleibt es bei diesen Ausfällen. Im übrigen, Herr Kollege Häfele, wissen Sie das genau so gut wie ich: ({2}) Wir haben auf Grund der Vorsorgepauschale beträchtliche Ausfälle auch schon in diesem Jahr. Wir werden am Ende dieses Jahres sehen, daß die Ausfälle beträchtlich sind. Sie werden zwischen 13 und 15 Milliarden DM pendeln. Wir können das Verhalten der Steuerzahler heute nicht voraussehen. Ich möchte jetzt zu dem zweiten Thema sprechen, zu dem der Herr Kollege Strauß, der den Saal verlassen hat, etwas sagte. ({3}) - Er ist da, sehr schön! Herr Strauß auf dem linken Flügel des Hauses zu sehen, ist wirklich ungewohnt; das müssen Sie zugeben. ({4}) Herr Strauß hat auch über die Verschuldung des Bundes gesprochen, und zwar in einer interessanten Weise. ({5}) Sie haben gesagt, Sie wollten über die Sache jetzt nicht reden, sondern das wollten wir bei der Haushaltsdebatte tun. Dann haben Sie aber doch dieses Thema sehr massiv eingeführt, und deswegen werde ich es Ihnen nicht ersparen, meine Damen und Herren von der Opposition, über die Finanzpolitik des Bundes, der sozialliberalen Koalition seit 1970 und auch die Perspektiven 1975 und 1976 hier mit Ihnen zu reden. ({6}) Ich beginne mit einem Zitat, und ich möchte Sie von der Opposition dann fragen, ob Sie diesem Zitat zustimmen: Funktion der öffentlichen Kreditpolitik im Zeitpunkt des wirtschaftlichen Abschwungs ist es, brachliegende Liquidität wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückzuführen. Stimmen Sie dem zu, ja oder nein? Ich würde dem zustimmen; dieses und alle weiteren Zitate, die eine hohe Nettokreditaufnahme 1967 und 68 begründet haben, stammen nämlich von Herrn Strauß. ({7})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller-Hermann?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Müller-Hermann, bitte!

Dr. Ernst Müller-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Apel, würden Sie dann bitte auch als Weisheit von sich geben, was die öffentliche Hand in der Phase der Hochkonjunktur zweckmäßigerweise tun müßte?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Ja, darauf will ich gerade zurückkommen, Herr Kollege Müller-Hermann. ({0}) Denn ich möchte mich sehr gern mit der Haushaltspolitik der sozialliberalen Koalition von 1970 bis heute beschäftigen. ({1}) Das war ja wohl das Petitum Ihrer Frage. Denn von der Opposition wird hier der Eindruck erweckt, als sei dieses alles ein großes Chaos auf Grund von Reformillusionen. Nun werden wir uns die Zahlen ansehen und dann feststellen, ob hier von Ihnen die Wahrheit gesagt wird oder nicht. 1970 Nettokreditaufnahme beim Bund 1,1 Milliarden DM, stillgelegte Steuereinnahmen auf Grund unserer damaligen Konjunkturpolitik 1,5 Milliarden DM; 1971 Nettokreditaufnahme des Bundes 1,4 Milliarden DM, stillgelegte Steuereinnahmen auf Grund der konjunkturellen Situation 1,0 Milliarden DM; 1972 Nettokreditaufnahme des Bundes 4,0 Milliarden DM; 1973 Nettokreditaufnahme des Bundes 2,7 Milliarden DM, stillgelegte Steuermehreinnahmen 1,2 Milliarden DM. ({2}) Dieses heißt mit anderen Worten, daß wir in vier Jahren bundesdeutscher Haushaltspolitik 9,2 Milliarden DM Nettokreditaufnahme hatten. Dem stand die Stillegung von Steuerüberschüssen in Höhe von 3,7 Milliarden DM gegenüber. Das ergibt einen Saldo von 5,5 Milliarden DM, und in diesem Saldo habe ich die 2,5 Milliarden DM Stabilitätsanleihe nicht eingerechnet. Da sprechen Sie vom beispiellosen Finanzchaos! Dieses Chaos muß anscheinend in Ihren Köpfen herrschen. ({3}) - Ich bin jetzt beim Jahre 1974, und dann werde ich dem Wunsch des Herrn Fraktionsvorsitzenden folgen und über 1975 reden. Sie müssen mich nur reden lassen und nicht die Nerven verlieren. ({4}) 1974: Neuverschuldung 9,4 Milliarden DM. Ich habe Sie vorher gefragt, ob Sie dem Zitat des KolBundesminister Dr. Apel legen Strauß zustimmen, daß in einer Rezession, die 1974 begonnen hat - ({5}) - Ja, wir haben eine Rezession, natürlich haben wir eine Rezession; darüber streiten wir uns doch wohl nicht. ({6}) Wir hatten also 9,4 Milliarden DM Nettokreditaufnahme, und, lieber Herr Kollege Strauß, von diesen 9,4 Milliarden DM gehen 5,6 Milliarden DM auf Grund konjunkturell bedingter Steuerausfälle ab. Nun sind wir uns wohl hoffentlich in diesem Hause darüber einig, daß wir nicht wie weiland Brüning, wenn die Konjunktur uns weniger Steuern beschert, öffentliche Ausgaben kürzen oder Steuern erhöhen. Also mußten wir dieses Defizit hinnehmen. Dann haben die Bundesländer - alle Bundesländer - uns für 1974 1,8 Milliarden DM bei der Umsatzsteuerneuverteilung abgenommen. Sehen wir uns also den Haushalt 1974 realistisch an! Lassen wir die Konjunktur außer Betracht, und rechnen wir uns mit an, daß wir rund 2 Milliarden DM den Ländern zur Verbesserung ihrer Finanzausstattung gegeben haben, dann bleiben 2,0 Milliarden in der Tat echte Neuverschuldung nach, die wir auch sonst gehabt hätten. Dieses Ergebnis konnten wir im Endeffekt nur durch massives Sparen erreichen. ({7}) - Herr Schröder, Sie können das nicht begreifen, ich kann mir das vorstellen; wir kennen uns ja auch schon länger. ({8}) Nun lassen Sie uns zu 1975 kommen. Sie legen ja Wert auf 1975. Der Bundeshaushalt 1975 ist im Haushaltsausschuß verabschiedet. Leider kommen wir in dieser Woche nicht zu seiner Lesung. Wir werden diese Lesung nachholen. Wir werden im übrigen eine neue Steuerschätzung anstellen, damit wir genau wissen - ({9}) - Ja, das ist doch klar. ({10}) - Endlich haben Sie mal einen Punkt, über den Sie sich aufregen können; das ist ja hervorragend. So einfach kann man Sie unterhalten. Aber nun zur Sache selbst! Die Neuverschuldung stellt sich - ich gehe davon aus, daß die neue Steuerschätzung nichts wesentlich anderes bringen wird - auf 22,3 Milliarden DM. Wie stellt sich diese Neuverschuldung in ihren Elementen dar? Das müssen wir uns doch angucken, damit wir uns ein Bild machen können, ob Ihre Vorwürfe berechtigt sind: ({11}) 7 Milliarden DM konjunkturell bedingte Steuerausfälle, 7,3 Milliarden DM Steuerreform, 2,5 Milliarden DM an die Bundesländer, damit diese ihre Haushalte finanzieren können, so daß ein echtes Defizit von 5,5 Milliarden DM nachbleibt. Da sprechen Sie von illusionärer Reformpolitik! Diese Bundesregierung hat über sechs Jahre solide Haushaltspolitik betrieben. ({12}) Es sei denn, Sie wollten in dieser rezessiven Entwicklung, in dieser unübersehbaren Schwierigkeit unserer Wirtschaft von Steuererhöhungen sprechen oder Leistungen kürzen. Dann allerdings könnten Sie sich so verhalten und so reagieren, wie Sie reagieren. ({13})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel, Bundesminister der Finanzen: Nein. Meine Damen und Herren, Ende 1968, am Ausgang der letzten Rezession, als der Herr Kollege Strauß Finanzminister war - und der Herr Kollege Strauß hat in der Großen Koalition genau die gleiche Politik betrieben, wie wir sie heute betreiben, ({0}) antizyklische Haushaltspolitik -, betrug, Herr Kollege Strauß, der Anteil der gesamten Schulden des Bundes - der gesamten Schulden, nicht nur der Schulden eines Jahres, sondern der gesamten Schulden - an den Ausgaben des Jahres 1968 genau 60,5 %. ({1}) Ende 1975, nach Abwicklung dieses Haushalts, wird die Gesamtschuldenlast des Bundes, wieder gemessen an seinen Ausgaben, 57,5 % sein. Herr Kollege Strauß, „Quatsch" - wie Sie sagen - ist kein Argument, Zahlen sind Argumente. ({2}) Wir werden auch nach Ende des Jahres in einer vergleichsweise besseren Situation sein, als Sie es damals waren.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Bitte!

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß die Gesamtnettoneuverschuldung des Bundes in 20 Jahren von 1949 bis 1969, 17,5 Milliarden DM betragen hat, und wenn man noch Tilgung gegenrechnet, 14 Komma soundsoviel Milliarden, und daß Sie fast in einem Jahr das Doppelte aufnehmen müssen? ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Kollege Leicht, haben Sie eben zur Kenntnis genommen, daß ich dargestellt habe, daß auch Ende 1975, bezogen auf das jeweilige Volumen des Budgets - und das sind doch die Maßstäbe; Sie können doch nicht Äpfel und Birnen zusammenzählen - die Verschuldungsrate niedriger sein wird? ({0}) - Nein! ({1}) - Nun hören Sie mal zu, meine hochverehrten Herren von der Opposition! Ich lasse mir meine Rede nicht durch permanente Fragen stören. ({2}) Sie können in einigen Minuten wieder fragen, jetzt werde ich einige Zeit argumentieren. ({3}) Sie bestimmen nicht meinen Debattenstil, sondern den bestimme ich selber. So ist es! ({4}) Meine Damen und Herren, auch im internationalen Vergleich bleibt die Bundesrepublik, was die Verschuldung pro Kopf der Bevölkerung anbelangt, was die Verschuldung, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, anbelangt, was den Zinsendienst anbelangt, den wir 1976 zu tragen haben werden, am untersten Ende der Skala der westlichen Industrienationen. ({5}) Oder ist Ihnen nicht bewußt, daß der amerikanische Präsident Ford am 3. 2. 1975 dem amerikanischen Kongreß einen Haushalt vorgelegt hat mit einer Neuverschuldung von 120 Milliarden DM? Weswegen denn? Weil alle westlichen Industrienationen - darüber sind Sie sich anscheinend nicht im klaren - weltweit in der Gefahr sind, in eine tiefe Rezession abzurutschen. ({6}) Die Alternative ist doch nicht, hier Haushaltsdefizite vergangener und heutiger Zeiten einander gegenüberzustellen, sondern den Mut zu haben zum „deficit spending", zur Überwindung der Rezession und zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. ({7}) Wenn ich Herrn Strauß reden höre, habe ich das Gefühl, er fühlt sich wohl bei der Arbeitslosigkeit, er spannt sie ein in sein politisches Kalkül. ({8}) Meine Damen und Herren, wie wird es 1976 sein? Sie stellen uns diese Frage. Ich sage Ihnen: die Bundesregierung wird rechtzeitig, wie es ihre Pflicht ist - möglichst vor der Sommerpause -, ihren Bundeshaushaltsentwurf 1976 vorlegen. Sie wird dann auch die mittelfristige Finanzplanung fortschreiben. Dann werden Sie informiert werden. Aber ich sage Ihnen nun vorweg folgendes: Ich bin nicht in der Lage, heute abzuschätzen, wie dieser Bundeshaushalt sein wird. Warum nicht? ({9}) - Mit „Aha" ist auch nichts gesagt. Hören Sie doch einmal zu! - Warum nicht? Erstens ist es unsicher, welche Steigerungsraten der Bundeshaushalt haben wird, und ich sage Ihnen, die Steigerungsraten der mittelfristigen Finanzplanung werden nicht eingehalten werden können. ({10}) Zweitens ist es nicht klar, wie die Konjunktur sich entwickeln wird. Wenn ich Ihnen sage, daß wir allein über 7 Milliarden DM Steuern wegen der Rezession verloren haben, so liegt hier ein weiterer Unsicherheitsfaktor. Der entscheidende Unsicherheitsfaktor für den Bundesfinanzminister liegt aber bei den Ausgleichsverhandlungen mit den Bundesländern über die Konsequenzen der Steuerreform. Wir meinen, wir hätten von den Ländern - und wir halten unsere Berechnungen für exakt - 5,3 Milliarden DM zu bekommen. Die Bundesländer verhalten sich hier sehr zurückhaltend. Gerade das Land Schleswig-Holstein, das für seinen Landesetat jede sechste Mark vom Bund bekommt und damit Wahlpropaganda betreibt, hat bisher in seinen Etat null Pfennige eingesetzt - null Pfennige; so solide ist die Haushaltspolitik des Herrn Stoltenberg! - zur Erstattung der Kosten der Steuerreform an die Bundesregierung. Ich kann mich über dieses unsolide Verhalten nur sehr wundern. ({11}) Herr Kollege Strauß, Ihr Alternativprogramm zur Konjunkturpolitik hat im wesentlichen darin bestanden, weitere Milliarden von Steuermitteln weggeben zu wollen. Wenn ich die Liste, die ich hier schon oft von Ihnen gehört habe, zusammenrechne, dann kostet das wohl rund 10 Milliarden DM, was Sie zusätzlich ausgeben wollen bzw. worauf wir zusätzlich verzichten sollen. ({12}) Hören Sie dann aber bitte auf, über Schuldenlawinen zu reden, wenn Sie dabei sind, sie selbst zu erzeugen! ({13}) Damit wir in diese Debatte endlich einmal ein Mindestmaß an Rationalität hineinbekommen ({14}) - jawohl, damit Herr Strauß endlich einmal mit seinen eigenen Zahlen konfrontiert wird -, ({15}) habe ich rechnen lassen - und hier liegt zweifelsohne eine Überlegenheit eines Finanzministers - bei uns, was die finanzwirksamen Gesetzentwürfe und Anträge der CDU/CSU im Bundestag in der 6. und in der 7. Legislaturperiode gekostet hätten, wenn sie verwirklicht worden wären. Meine Damen und Herren, von 1970 bis 1976 aufgerundet 27,708 Milliarden DM. ({16}) Dazu kommen noch 2,38 Milliarden DM aus dem Bundesrat. Hätten Sie regiert oder sich durchgesetzt, dann wäre allerdings die Schuldenlawine auf die öffentlichen Hände zugerollt, dann wären 30 Milliarden DM mehr ausgegeben worden. ({17}) Der Herr Kollege Strauß hat über die Investitionszulage gesprochen und hat sich dabei eines Artikels des „Handelsblatts" bedient. Herr Kollege Strauß, die Frist für die Inanspruchnahme der Investitionszulage läuft bis zur Mitte des Jahres. Am Freitag wird der Bundesrat die Einführung des Leasing ({18}) und eine Änderung der Verweildauer beschließen. Die Broschüren sind draußen. Wir müssen hier genau arbeiten, weil in der Tat die Abgrenzungsprobleme die entscheidenden sind. Ich sehe überhaupt nicht ein, wie aus genauer und sorgfältiger Arbeit von Beamten ein Vorwurf zu konstruieren ist. Im übrigen, Herr Strauß, wenn Sie meinen, ich würde einmal später von einer Tarantel gestochen sein: ({19}) Ich fürchte, Sie werden im Stall dann von einer Wildsau gestochen sein. ({20}) Meine Damen und Herren, ich kann die Bemerkungen zur internationalen Lage kurz halten, weil Herr Kollege Friderichs sehr umfassend auf unsere internationale Verpflichtung und auf die Problematik hingewiesen hat, die sich daraus ergibt, daß wir Teil des Welthandels sind, Teil des Welthandels bleiben wollen. Es ist nur redlich, hier vor Ihnen eines zu sagen, und dies sagen wir unseren Partnern auch: Wir sind Teil des internationalen Welthandels, wir leisten unseren Beitrag zur Überwindung der Probleme unserer Partner. Aber wir müssen unseren Partnern in aller Freundschaft und in aller Solidarität sagen: Es gibt Grenzen der Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, und diese Grenzen sind nach unserer Teilnahme am mittelfristigen Währungsbeistand, nach einer Gewährung eines 2-Milliarden-Dollar-Kredits der Bundesbank gegen Verpfändung von Gold an Italien, nach der Übernahme einer Garantie für eine 3-MilliardenEG-Anleihe und angesichts des Abschlusses der Verhandlungen zum Kissinger-Plan - und hier haben wir uns weitgehend durchsetzen können, es kommen keine Forderungen auf den Bundeshaushalt zu -, erreicht; wir sind mit all den Dingen, die wir im übrigen auch in der Europäischen Gemeinschaft zu leisten haben, an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit gestoßen. Wir müssen unseren Partnern sagen, daß die unübersehbaren sozialen Notwendigkeiten in unserem Lande, Ausbau der sozialen Sicherheit und die Einleitung des Wiederaufschwungs, uns dazu verpflichten, als deutsche Politiker nicht zuletzt auch an die Deutschen zu denken. ({21}) Insofern gibt es hier Grenzen. Allerdings werden wir weiterhin unser Möglichstes tun. Hier stellt sich natürlich dann sofort die Frage, hochverehrter Herr Kollege Strauß, wieso eigentlich unsere Partner in diesem Umfange bei uns anklopfen, um Hilfe zu bekommen. Aus einem Saustall kann man normalerweise wohl keine Hilfe holen. ({22}) Der Kollege Friderichs hat die Zahlen dargestellt. Unser Bruttosozialprodukt pro Kopf ist dreimal so hoch wie das in Italien. Bei uns sind die Streiktage auf Grund des sozialen Friedens, die wiederum Ergebnis unseres sozialen Netzes und sozialer Sicherheit sind, wesentlich geringer als bei unseren Partnern. Das sieht folgendermaßen aus. In Frankreich ist die Zahl der Streiktage pro 1000 Beschäftigte dreimal so hoch, in England achtmal so hoch und in Italien siebzehnmal so hoch wie bei uns. Wir haben die stabilsten Preise. Unsere Wirtschaft ist konkurrenzfähig. Die D-Mark hat sich gegenüber dem französischen Franc in zwei Jahren um 18 % aufgewertet, gegenüber dem US-Dollar um 30 %, gegenüber der italienischen Lira um 49 % und gegenüber dem Pfund Sterling um 31 %. ({23}) - Der Schweizer Franken ist gegenüber der D-Mark leicht gestiegen, aber er schwankt mit uns mit. Die Schweiz macht ja auch eine solide Politik. Herr Kollege Barzel, es ist ja nicht so, daß nur wir die Muster10302 knaben sind. Es gibt noch zwei, drei andere, zugegeben! ({24}) All dies muß zusammengefaßt werden: Wir haben den höchsten Lebensstandard. Wir haben einen vorbildlichen Arbeitsfrieden. Wir haben die größten Währungsreserven. Die Steigerung der Lebenshaltungskosten bei uns ist die weitaus geringste in der Welt. Unsere Wirtschaft ist konkurrenzfähig. Unsere D-Mark wird immer härter. Und dann wagen Sie, Herr Kollege Strauß, so zu argumentieren, wie Sie es getan haben. Ich empfehle Ihnen, einmal weniger in eine chinesische Kommune und statt dessen einmal mehr in die Zentren der Weltwirtschaftspolitik zu fahren, damit Sie endlich über die tatsächlichen Probleme der Welt und über die beneidenswerte Lage unseres Landes unterrichtet werden. ({25}) Weder in der Innenpolitik noch im Bereich der Binnenwirtschaftspolitik gibt es in Westdeutschland nennenswerte Instabilitäten. Wenn auch die wirtschaftliche Lage angespannt ist, so ist sie doch, verglichen mit der Lage anderer Industrieländer, beneidenswert. Diese Aussage stammt nicht von mir, sondern sie stammt von der „Financial Times" und wurde Ende 1974 vom amerikanischen Handelsministerium wiederholt. Ich komme zur Konsequenz meiner Ausführungen. ({26}) Der Herr Kollege Strauß argumentiert doppelzüngig, was die Verschuldung des Bundes anbelangt. Wir haben eine solide Haushaltspolitik betrieben und werden sie weiter betreiben. Wäre es nach Herrn Strauß und der Opposition gegangen, hätten wir 30 Milliarden DM mehr ausgegeben, die wir nicht haben. ({27}) Herr Kollege Strauß spricht von einem Saustall, obwohl das Gegenteil stimmt. ({28}) Herr Kollege Strauß drückt sich um die Steuerreform herum, obwohl sie nicht zuletzt wegen der Obstruktionspolitik der Opposition mit Problemen beladen ist. Wir bekennen uns zur Steuerreform. ({29}) Herr Kollege Strauß macht mit Angst und Krise Geschäft, ({30}) obwohl er weiß, daß alle politisch Verantwortlichen in diesem Lande - ich hoffe, ich kann die Opposition hier mit einbeziehen alles in ihren Kräften Stehende tun wollen und tun werden um mit der gegenwärtigen Rezession fertig zu werden. Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Strauß hat sich nicht geändert. Als der Herr Kollege Strauß im Oktober/November 1962 aus der damaligen Bundesregierung ausscheiden mußte, wurde beim Landgericht Bonn ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Es wurde 1965 mit folgenden Bemerkungen eingestellt: Herr Strauß habe „unrichtig", „unzutreffend", „der Wahrheit zuwider" Erklärungen abgegeben. Dieses tut Herr Kollege Strauß auch heute noch. ({31}) Heute vor zwölf Jahren, am 20. Februar 1963, schrieb unser heutiger Bundestagskollege Wolfgang Vogt in der „Ketteler Wacht": Nach dem Studium des Spiegel-Berichts der Bundesregierung können sich alle nur an den Kopf fassen und fragen: Wie konnten wir uns so mißbrauchen lassen? Diese Frage stelle ich mir heute auch. ({32}) Meine Damen und Herren, mit Ressentiments, mit Verdächtigungen, ({33}) mit Haß und Skandalen, Unbedenklichkeit im Auftreten ({34}) läßt sich in unserem Lande keine Politik machen. ({35}) Bei seinem letzten Wahlauftritt in Berlin in der Deutschlandhalle hat der Herr Kollege Strauß den Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal der Opfer des Gettos in Warschau zum Anlaß genommen, Willy Brandt anzulasten, daß er sich nicht auch vor einem Ehrenmal deutscher Soldaten ebenso verhalten habe. Herr Strauß hat darauf von Heinz Galinski, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, die richtige Antwort erhalten. Galinski schreibt: „Mit Befremden nehmen wir zur Kenntnis, daß ein Politiker sich zu Äußerungen hinreißen läßt, die uns nicht erstaunen würden, wenn sie aus dem Munde eines rechtsradikalen Demagogen kämen." ({36}) Wir alle, meine Damen und Herren, vergreifen uns mal im Ton. Parlamentarische Demokratie erträgt auch scharfe Debatten, wenn ein MinimalkonBundesminister Dr. Apel sens an gegenseitiger Achtung und Anerkennung erhalten bleibt. Sie dagegen, Herr Kollege Strauß, zertrampeln durch solche Äußerungen außerhalb des Parlaments die demokratische Basis. ({37}) Sie verhalten sich national würdelos, wenn Sie unser Land als einen Saustall bezeichnen. ({38}) Herr Kollege Strauß, Sie haben sich seit den 50er und 60er Jahren charakterlich leider nicht verändert. ({39})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Ministerpräsident Stoltenberg. Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich an sich darauf vorbereitet, zum Jahreswirtschaftsbericht und den mit ihm verbundenen Problemen zurückzukehren. Ich will als Mitglied des Bundesrates zu den Kontroversen und Stilfragen dieses Hauses natürlich auch nicht näher Stellung nehmen. Ich stelle hier nur fest, daß es mir jetzt zum zweitenmal geschieht, daß ich als Mitglied des Bundesrates in massiver Weise persönlich polemisch angegangen werde, bevor ich eine Äußerung in einer Debatte gemacht habe: einmal vor einem Jahr von dem Herrn Abgeordneten Wehner und heute von dem Bundesfinanzminister. Ich muß feststellen, daß das im Verhältnis der Verfassungsorgane unüblich und bedauerlich ist. ({1}) Im übrigen wird es sicher Aufgabe der Abgeordneten dieses Hauses sein, den Schlußteil der Rede des Herrn Bundesfinanzministers zu bewerten. Zu dem sachlichen Vorwurf, der in seiner Polemik gegenüber dem Land Schleswig-Holstein und seiner Regierung erhoben wurde, werde ich an einer anderen Stelle meiner Ausführungen zurückkehren. Aber ich möchte doch zu etwas grundsätzlicheren Fragen hier folgendes bemerken. Herr Bundesfinanzminister Apel, wenn Sie einerseits mit dieser außerordentlichen Härte die CDU/CSU nicht nur als Fraktion, sondern als Partei ansprechen und andererseits von Minimalkonsens und gemeinsamer Verantwortung reden, dann müssen Sie eine klarere Logik und eine überzeugendere Argumentation in Übereinstimmung dieser Gegensätze entwickeln. Auf der einen Seite haben Sie gesagt, die Opposition sei eine Gruppierung ohne Skrupel zur Erringung der Macht und ohne Konzeption. Und dann haben Sie von der Notwendigkeit gesprochen, daß es in den entscheidenden Fragen Zusammenarbeit und Verständigung geben müsse. Die Bundesregierung muß sich für eine dieser beiden Verhaltensweisen gegenüber der Opposition in allen ihren Exponenten entscheiden; sonst würde unser Stadt Schaden nehmen. ({2}) Zum wirtschaftspolitischen Teil der bisherigen Debatte scheint mir eines wesentlich zu sein: Zu keinem Zeitpunkt ist ein ungeschminktes Bild der Lage so dringend notwendig wie in der Situation der Krise, und daß wir uns in einer Rezession befinden, hat ja auch der Bundesfinanzminister mit einem Nebensatz als selbstverständlich bezeichnet. ({3}) Ich halte es nicht für gut, wenn die Bundesregierung im Zusammenhang mit einem wichtigen Teilproblem sagt: Wir lassen uns durch die Argumente unserer Gegner nicht schwankend machen. Sie haben das, Herr Bundesfinanzminister, im Hinblick auf die Diskussion über die Folgeprobleme der Steuergesetzgebung gesagt, aber das war ja auch die Maxime Ihrer Freunde während der gesamten Verhandlungen über die Steuergesetzgebung bis zur Schlußphase. ({4}) Sie wären besser beraten gewesen, in den Fragen der Steuergesetzgebung ebenso wie der Konjunkturpolitik auf die Argumente Ihrer politischen Gegner, der Sachverständigen und auch vieler Freunde in den eigenen Reihen zu hören, statt eine einmal festgesetze Konzeption unbeirrbar gegen Sachverstand durchzusetzen. ({5}) Im übrigen zu diesem Teilbereich: Es sind ja nicht nur Ihre politischen Gegner, die Ihnen empfehlen, bestimmte Härten in der Auswirkung der Steuergesetzgebung noch einmal durch Sachverständige prüfen zu lassen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, hat diesen Vorschlag im Deutschen Fernsehen ausdrücklich als gut bezeichnet ({6}) und gesagt, er werde ihn unterstützen, und auch der Herr Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten, Herr Mischnick, hat, wenn die Presseberichte stimmen, in einem Interview mit der „Augsburger Allgemeinen" gesagt, jawohl, man müsse an dieses Problem herangehen und die Frage prüfen, wie man bestimmte Härten dieser Gesetzgebung mildern kann. Es sind also nicht nur Ihre Gegner, sondern zum Teil - zur Zeit jedenfalls noch - Ihre Koalitionsgefährten, Herr Finanzminister. ({7}) Aber ich möchte hier zur Grundsatzfrage zurückkehren. Mein Eindruck ist bei der Lektüre des Jahreswirtschaftsberichts, der sicher viele beachtliche Einzelinformationen und -überlegungen beinhaltet, und ist auch bei der Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers, daß die Bundesregierung den Fehler fortsetzt, ständig ein zu optimistisches Bild der Lage zu zeichnen. Der Bundeswirtschaftsminister verteidigt die, wie auch ich glaube, zu günstige Annahme eines Wachstums von 2 °'°, und der Bundesfinanzminister sagt dann zur Notwendigkeit neuer Ministerpräsident Dr. Stoltenberg Steuerschätzungen - die bisherigen basieren auf 2 % Wachstum -, es sei nicht klar, wie sich die Konjunktur entwickele, und damit impliziert er, daß wir bereits in Kürze eventuell von einer anderen - niedrigeren - Wachstumsrate ausgehen müssen. Das sind nur zwei Schlaglichter auf den bisherigen Verlauf dieser Debatte. ({8}) Niemand wird erwarten, daß eine Bundesregierung gerade in einer psychologisch so schwierigen Zeit bewußt pessimistisch schätzt. Aber sie ist auch nach den hier schon gebrachten Äußerungen gut beraten, Realismus in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen und Zahlen zu stellen. Zu diesem schonungslosen und ungeschminkten Bild der wirklichen Lage gehört nun auch eine sachgerechtere Behandlung der internationalen Situation der Bundesrepublik Deutschland, gemessen an den vier Zielen und Verpflichtungen des Stabilitätsgesetzes. Die Opposition wäre schlecht beraten, wenn sie bestritte, daß wir etwa im internationalen Inflationsvergleich eine relativ günstige Stellung einnehmen, um einen der Punkte zu nehmen, obwohl das bei einer Steigerung der Lebenshaltungskosten von 7 % im eigenen Lande und ihren schweren sozialen Folgen für die Wirtschaft, für die Sparer, für die Bürger unseres Landes keine Beruhigung sein kann. Hinzu kommt die Tatsache, daß in Schlüsselbereichen bei den industriellen Erzeugerpreisen die Inflationsraten noch höher sind. Aber genauso - dies muß ich sehr offen sagen - ist es ein wirklich schlechter Versuch der Bundesregierung, zu bestreiten, daß wir in anderen Kernbereichen der Ziele des Stabilitätsgesetzes, nämlich in der Frage des Wachstums und in der der Arbeitslosigkeit, in keiner Weise mehr eine bewunderte Spitzenstellung an Stabilität einnehmen, wie das heute morgen hier zum Teil mit sehr erstaunlichen Wendungen behauptet wurde. ({9}) Es hat doch keinen Sinn. Ich habe das Original der Mitteilung des Wirtschaftsministeriums vom 13. Februar - es war der 13. und nicht der 18., Herr Kollege Müller-Hermann - hier. In diesen „Aktuellen Informationen" hat der Bundeswirtschaftsminister vor wenigen Tagen die neuesten Arbeitslosenzahlen bekanntgegeben. Darin wird deutlich, daß wir leider international auf einen schlechten Mittelplatz, was die Sicherung der Vollbeschäftigung anbetrifft, abgerutscht sind, daß wir im Vorjahresvergleich gegenüber fast allen anderen Ländern überdurchschnittlich hohe Steigerungsraten bei den Arbeitslosen hatten. Und daß er dann hier in der Regierungserklärung mit einer neuen Berechnungsmethode eines Instituts den gegenteiligen Eindruck erwecken will, wobei mich interessieren würde, Herr Bundeswirtschaftsminister, und zwar einfach aus fachlichem Interesse, nicht nur wegen der räumlichen Nähe zu dem Kieler Institut, wenn Sie Ihre Formulierung noch einmal erklärten. Sie haben gesagt: „Kiel arbeitet an einer Berechnungsmethode für ein neues, besseres internationales Vergleichsverfahren." Das bedeutet sprachlich für mich - ich zitiere Sie -, daß die Arbeiten noch gar nicht abgeschlossen sind. Sie haben nicht gesagt: Kiel hat ein solches neues Verfahren entwickelt. Aber wenn Ihre Aussage sprachlich richtig ist, nehmen Sie zu einem Zeitpunkt, in dem die Methoden noch erarbeitet werden, die Ergebnisse für die politische Diskussion bereits vorweg. Dies halte ich nun in der Tat nicht für angemessen, um mich hier vorsichtig auszudrücken. ({10}) Wir müssen uns hier auf die amtlichen Statistiken der Bundesregierung, Ihres Hauses, der Europäischen Gemeinschaft und der OECD beziehen. Sie ergeben übereinstimmend, auch wenn die internationalen Daten im Monatsvergleich etwas schwanken, daß leider von einer Spitzenstellung der Bundesrepublik in punkto Vollbeschäftigung überhaupt nicht mehr die Rede sein kann, ({11}) sondern daß wir auf einen wenig befriedigenden Mittelplatz abgerutscht sind. Das gilt - ich möchte es noch einmal deutlich sagen - auch für den dritten Bereich, das Wachstum. Im Bereich des Wirtschaftswachstums - seine Bedeutung ist hier zu Recht schon hervorgehoben worden - war es nach der letzten Veröffentlichung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Jahre 1974 wahrscheinlich so, daß alle Länder der Europäischen Gemeinschaft außer Großbritannien und fast alle außereuropäischen Länder der OECD ein günstigeres reales Wachstumsergebnis erreicht haben als die Bundesrepublik Deutschland. Damit haben wir gleichsam einen dritten Eckwert für die objektive, nicht propagandistisch gefärbte Beurteilung der realen Lage unseres Landes. Zweifellos ist die Bilanz beim vierten Punkt - außenwirtschaftliches Gleichgewicht - günstiger. Niemand bestreitet das. Es ist ein Aktivum, daß wir noch nicht die enormen Zahlungsbilanzschwierigkeiten haben, die andere Partnerländer außerordentlich bedrücken. Aber wir wissen natürlich in der gegenwärtigen konjunkturpolitischen Debatte alle miteinander, daß die sehr hohen, sogar noch gesteigerten Exportüberschüsse ein zweischneidiger Tatbestand in einer Zeit sind, ({12}) in der sich leider in großen und wichtigen Partnerländern eine Rezession in gleichem Umfang - in den Vereinigten Staaten jetzt vielleicht sogar noch stärker - abzeichnet wie in der gegenwärtigen Lage in der Bundesrepublik Deutschland. Die gesteigerte Exportabhängigkeit ist, wie ich glaube, für das Jahr 1975 die größte Unbekannte und das größte Risiko in dieser Situation, wenn wir einmal von rein politischen Faktoren absehen. Hier zeigen die letzten Berichte, daß in der Zeit, für die der Aufschwung vorhergesagt wird, gerade in wichtigen Bereichen der Exportindustrie der Abschwung einsetzen kann. Damit komme ich zu einem anderen Thema, das diese Debatte und - zum Teil in etwas grobMinisterpräsident Dr. Stoltenberg schlächtiger Form - die Diskussion draußen im Lande auch unter dem Vorzeichen von Wahlen bestimmt: Chancen für den Aufschwung. Natürlich ist es der Wunsch aller tragenden politischen Kräfte unseres Landes, daß wir einen dauerhaften Aufschwung erreichen. ({13}) Ich kann es nur bedauern, wenn es regional schon wieder mit den berühmten Unterstellungen von der „gewollten Arbeitslosigkeit" losgeht. Ich kann davor nur warnen, wie auch vor einigen anderen Tönen, die teilweise in einigen Diskussionsbeiträgen heute morgen anklangen. Nur, die Bundesregierung, die anderen sehr leicht Panikmache und Verunsicherung vorwirft, muß hier in einer Sprache sprechen. Eines Ihrer Mitglieder, das neuerdings auch stärker mit wirtschaftlichen Fragen befaßt ist, der Herr Bundesminister Egon Bahr, erklärt gegenwärtig im Lande Schleswig-Holstein so die Schlagzeilen -: „Der Aufschwung kommt im März." Solche Schlagzeilen sind keine 14 Tage alt. Das Presseamt sagt in den schon zitierten Anzeigen: „Der Aufschwung kommt im Sommer." ({14}) Der Herr Bundeswirtschaftsminister sagt: Er kommt. Aber er fügt hinzu, es sei leichtfertig, sich in diesem Jahr gleichsam auf einen Monat oder ein Quartal festzulegen. Das sind nur drei Äußerungen aus diesen Wochen, bei denen sich die Bundesregierung nicht wundern darf, wenn diese Unterschiede in ihren Feststellungen, Prognosen und Erwartungen in den Lebensfragen der Menschen und der Wirtschaft Unsicherheit erzeugen, jene Unsicherheit, für die sie andere verantwortlich machen will. ({15}) Es gibt dann neben den Tönen des forcierten, zum Teil auch, wenn ich das sagen darf, etwas krampfhaften Optimismus, die im Ergebnis gar nicht hilfreich sein werden - psychologisch! -, auch ganz andere Äußerungen. Der Herr Bundeskanzler hat nach Berichten von Zeitungen vor etwa vier Wochen auf einer Hamburger Veranstaltung seiner Partei folgendes gesagt: Es wäre eine große Leistung, wenn wir Ende 1975 noch so gut dastehen wie heute. ({16}) Die Menschen, die das im Januar 1975 gelesen haben, wußten natürlich, daß wir 1,2 Millionen Arbeitslose, 700 000 Kurzarbeiter und eine Rezession haben. Wenn der Herr Bundeskanzler dies gesagt hat - er kann es hier nicht interpretieren; es gibt ja auch, nebenbei bemerkt, entgegengesetzte Äußerungen von ihm -, dann mag das aus einer pessimistischeren Einschätzung weltwirtschaftlicher und auch nationaler Zusammenhänge kommen, vor allem auch der weltwirtschaftlichen Risiken - aus seiner Sicht -, die man ernst nehmen muß. Nur ist eine solche Feststellung, die ich im Augenblick gar nicht weiter bewerten will, eine dringende Warnung an die Mitglieder der Bundesregierung, an die bestellten Herren des Presseamtes und auch an die Abgeordneten der Koalition, draußen ständig etwas vorherzusagen, was eben bis heute leider nicht gesichert ist, nämlich der stabile Aufschwung, für den noch ein Stück mehr politischer Anstrengung, vor allem auch dieser Bundesregierung und dieser Koalition, in Bereichen notwendig ist, auf die ich noch zu sprechen komme. ({17}) Und damit zu den Sachfragen der Konjunkturpolitik. Meine Damen und Herren, ich möchte hier aus meiner Sicht das unterstreichen, was von meinem Vorredner in einem der ganz wenigen Punkte der Übereinstimmung festgehalten wurde: grundsätzliche Zustimmung zum Kurs der Bundesbank. Ich möchte hierbei allerdings der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Entscheidungen über die Begrenzung des Geldmengenzuwachses, die von der Bundesregierung begrüßt wurden, auch im weiteren Verlauf des Jahres von niemandem außerhalb der Bundesbank in Frage gestellt werden. Ein ausdrückliches Ja auch - wir haben es seit langem gesagt - zu einer kontrollierten Zinssenkung unter Berücksichtigung der Aspekte des Marktes. Ich will die Debatte über die Konjunkturprogramme der Bundesregierung nicht weiter vertiefen, sondern nur an zwei, drei Punkten in einen größeren Zusammenhang stellen. Obwohl es nahelag, hatte doch der Bundesrat bei dem hier schon geschilderten Verfahren praktisch überhaupt keine Zeit für eine gründlich vorbereitete Stellungnahme, da ein Verfahren von einer Woche Dauer für beide gesetzgebenden Körperschaften nicht ausreicht. Das gehört zum Thema, Herr Finanzminister, auf das ich bei meinem Eingehen auf Ihren Beitrag zur Steuergesetzgebung noch einmal zurückkomme, nämlich die Frage, wie denn in diesen Jahren bedeutsame Gesetze in der Bundesrepublik Deutschland gemacht werden: mit Fristen, Terminen bei der Meinungsbildung und der Konsultation. Aber ich unterstreiche hier noch einmal, was schon gesagt wurde: Der Ansatzpunkt, Förderung der privaten Investitionen, war richtig, wenngleich die Maßnahmen im einzelnen recht problematisch sind, z. B. die siebenmonatige Investitionszulage. Das Verfahren war in der Tat insofern besorgniserregend, als schon jetzt eine Novellierung notwendig war und die Ausführungsverordnungen noch nicht vorliegen. Ich erwähne es nur mit Stichworten, weil es hier schon zu Recht beleuchtet wurde. Meine Damen und Herren, so richtig der Ansatzpunkt, nämlich die Belebung der privaten Investitionen der Wirtschaft ist: Diese konkret getroffenen Maßnahmen für den privaten und den staatlichen Sektor werden noch nicht ausreichen, einen wirklich dauerhaften Aufschwung zu garantieren. Eine saisonale Belebung, durch öffentliche Maßnahmen verstärkt - das, was hier mit dem Begriff Strohfeuer bezeichnet wurde -, genügt nicht. Der Test kommt im nächsten Winter. Dann werden wir sehen, ob es ein dauerhafter oder nur ein saisonaler Aufschwung ist. Deshalb müssen die grundlegenden Probleme angepackt werden. Hier kommt man eben nicht daran vorbei, daß wir nicht erst in den letzten zwölf Monaten oder seit Ministerpräsident Dr. Stoltenberg der vielzitierten Ölversorgungskrise, die ja nun nach einer bestimmten Sprachregelung neben der Opposition für alles Schlechte in diesem Lande verantwortlich ist, sondern bereits vorher eine entscheidende strukturelle Verschlechterung sowohl in der Investitionstätigkeit, im Investitionsvermögen der Wirtschaft als auch der öffentlichen Hand erlebt haben. In den 60er Jahren hatten wir, mit geringen Schwankungen, eine durchschnittliche jährliche Steigerung der Investitionen der Wirtschaft um etwa 7 % zu verzeichnen, in den Jahren 1972 und 1973 ein Stagnieren bei 0,5 bzw. 0 %. Und das war eben, Herr Finanzminister, Herr Wirtschaftsminister, vor dem November 1973, vor der Ölversorgungskrise. Bereits zu dieser Zeit waren die Dinge fundamental verändert und verschlechtert. Daraus ist 1974 -wir haben die endgültigen Zahlen nicht - nach den Schätzungen des Berliner Instituts eine Verminderung der realen Investitionen um etwa 6 bis 7 %, vielleicht etwas über 7 %, erwachsen. ({18}) Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sagt in seinem Bericht vom 23. Januar 1975, daß die Investitionen 1974 real unter denen von 1971 lagen. Das ist nach meiner Überzeugung, wenn wir über Arbeitslosigkeit und Existenzsorge der mittelständischen Betriebe und Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunftsperspektive sprechen, in der Tat die Schlüsselzahl neben bestimmten Fakten, die sich im Bereich des Steuersystems und der Abgabenbelastung ergeben. ({19}) Das Schlimme ist nun, daß wir eine ähnliche Tendenz auch im Bereich der öffentlichen Investitionen haben, obwohl gerade hier die Versprechungen der gegenwärtigen Koalition seit 1969 programmatisch einen großen Sprung nach vorne - um diesen aus einem anderen Land bekannten Ausdruck einmal einzuführen - vorhergesagt haben, einen großen Sprung nach vorne im Bau des modernen Deutschlands, in der Steigerung der Gemeinschaftsleistungen und der Lebensqualität. Es hat ja auch nicht an ehrgeizigen Programmen in den verschiedensten Bereichen gefehlt. Aber der Finanzplan der Bundesregierung sagt eben, daß der Investitionsanteil an den Gesamtausgaben des Bundes seit 1970 leider ständig rückläufig ist und nach der geltenden Finanzplanung auch weiterhin sein soll: von knapp 20 % im Jahr 1970 auf 16,5 % im Jahr 1974 und auf 12,8 % im Jahr 1978. Der Finanzminister fügt hinzu, der Ausgabenzuwachs müsse geringer sein als in diesem Finanzplan. Wenn er aber keine Eingriffe in geltende Verordnungen und Gesetze machen will - und so habe ich ihn verstanden , dann befürchte ich, daß dieses geringere Wachstum leider zu einer weiteren Verringerung des Anteils der Investitionen gegenüber dem jetzt eingeplanten Stand führen wird. Das ist das Fundamentalproblem, Herr Bundesfinanzminister. Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Was sind nun wirklich die 1,3 Milliarden DM zur Verstärkung der öffentlichen Investitionen, die zweite Säule Ihres Konjunkturprogramms vom Dezember 1974, gegen diese fundamentale Veränderung und Verschlechterung der Qualität und der Quantität der gesamten öffentlichen Investitionen? ({20}) Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ist in Teilen gut, in Teilen schlecht. Sie ist nicht ganz so schlecht, wie Herr Conrad Ahlers vor einigen Tagen im „Stern" gemeint hat; denn es gelingt ihr noch immer wieder, den Eindruck zu erwecken, daß sehr begrenzte Maßnahmen eine enorme Wirkung hätten. Wir haben viele Wochen von der enormen Bedeutung dieser 1,3 Milliarden DM gehört. Das wirkte sich bei uns so aus - ich spreche jetzt auch einmal über Schleswig-Holstein, Herr Kollege Apel -, daß bis zum Stadtrat von Heiligenhafen und Wilster die Herren alle der Meinung waren: Jetzt können endlich die großen Schwimmbäder gebaut werden, die man schon lange geplant hat. Wir mußten ihnen dann erst auseinandersetzen, daß wir davon nur etwa 20 oder 30 Millionen DM bekamen das andere ist ja im wesentlichen aus ökonomischen, vielleicht auch außerökonomischen Gründen in andere Bundesländer geflossen - und daß das nicht ausreichte, um nun überall zu bauen. So werden die Erwartungen geweckt. Aber mir kommt es auf eine andere Zahl an. Ich habe während meines Weihnachtsurlaubs in Österreich, versteckt auf der Mittelseite einer überregionalen Zeitung, eine kleine Meldung gelesen, die wenig verbreitet wurde: daß nach einer Mitteilung der Bundespost sie ihre regulären Investitionen um eine Milliarde kürzen müsse auf Grund der verschlechterten Ertragslage. ({21}) Das heißt: hier wird im Rahmen dieses Prozesses der zunehmenden Investitionsunfähigkeit der öffentlichen Hand eine Milliarde DM weggenommen mit einer Meldung auf Seite 6 -, und über 1,3 Milliarden DM reden wir sechs Wochen lang in allen Variationen. ({22}) Deswegen müssen Sie sich diesem fundamentalen Problem zuwenden, wenn Sie nicht nur für vier oder sechs Monate eine sehr bescheidene ergänzende Hilfe für die Bauwirtschaft geben wollen, die natürlich an sich zu begrüßen ist, sondern wenn Sie die langfristigen Voraussetzungen für Investitionsfähigkeit auch im öffentlichen Bereich durch eine anders strukturierte Finanzpolitik wiederherstellen wollen. ({23}) Das ist das Problem. Nach Berechnungen von Sachverständigen bedeutet nämlich Ihre Finanzplanung his 1978, daß Sie bei einer in Ihrer Projektion zugrunde gelegten Preissteigerungsrate real weniger investieren können als im Jahre 1974. Wie soll es dann eigentlich mit der verbesserten Lebensqualität aussehen? Meine Damen und Herren, diese Zahlen zeigen: die tieferen Gründe für Rezession und Arbeitslosigkeit lagen vor der Energieversorgungskrise, ohne Ministerpräsident Dr. Stoltenberg ihre Wirkungen zu verkennen. Sie sind nun auch einmal nicht ausschließlich im internationalen Bereich anzusiedeln, sondern liegen in Fehlentwicklungen der nationalen Politik, die wir auf die Jahre 1969 und 1970 zurückführen müssen. Die steuerlichen Entwicklungen kommen hinzu. Wir haben nach Veröffentlichungen von Sachverständigen heute in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich mit den westlichen Industrieländern die höchste Belastung mit ertragsunabhängigen Steuern, und wir haben auch die Kehrseite eines weiteren - im Grundsatz zu begrüßenden - Ausbaues der Sozialgesetzgebung, eben massiv steigende Sozialabgaben für Betriebe und für Arbeitnehmer. Hier stimmen übrigens zweifellos die vor wenigen Wochen in diesem Hause diskutierten Angaben des Sozialberichts überhaupt nicht mehr. Der Herr Bundesarbeitsminister, die Bundesregierung hat damals einen Beitragssatz für die Krankenversicherung für 1978 angenommen, der von einem Teil der Krankenkassen bereits zum 1. Januar 1975 durch ihre autonomen Beschlüsse überschritten worden ist. Das Problem der Finanzierung der Arbeitslosenversicherung ist ja bereits in diesem Hohen Hause behandelt worden. Dies alles gehört zu einer, wie ich glaube, dringend notwendigen ehrlichen Bestandsaufnahme, und das ist die wichtigere Aufgabe der Bundesregierung, als gegen Länder oder Abgeordnete oder irgendwelche anderen Politiker und Kritiker - auch der Industrie- und Handelstag ist hier zu erwähnen - in der Art zu polemisieren, wie wir das leider heute morgen erlebt haben. ({24}) Wiederherstellung des Investitionsklimas und des Vertrauens, ökonomische, finanzielle und psychologische Daten spielen eine Rolle. Auch psychologische! Es ist interessant, wie sich die Sprache mancher verändert. Zunächst sprach man von „Profiten". Dann sprach man von „Erträgen". Jetzt kann man sogar wieder etwas unbefangener von Gewinnen und ihrer zentralen Funktion sprechen. Einige von Ihnen ({25}) - ja, lieber Herr von Dohnanyi, Sie hätten sich lieber um die hessischen Rahmenrichtlinien kümmern sollen, als Sie noch Bundesminister waren. ({26}) In den jetzt noch gültigen hessischen Rahmenrichtlinien müssen bereits die elfjährigen Kinder lernen, daß - ich zitiere - „in dieser unserer kapitalistischen Gesellschaft die Unternehmer die Arbeiter ausbeuten, indem sie ungerechtfertigte Profite erzielen". Das ist sozusagen das Grundgesetz des Kapitalismus. Nach dieser Konzeption des Herrn von Friedeburg, der SPD und FDP in Hessen ist es etwas schwer, den Eltern dieser Kinder klarzumachen, daß Gewinne und Erträge in den Unternehmen notwendig sind, wenn Arbeitsplätze gesichert werden sollen. ({27}) Aber entscheidend ist, daß die langfristigen ordnungspolitischen und gesellschaftspolitischen Ziele der Bundesregierung und vor allem auch der sie tragenden Parteien deutlicher werden. Das ist nicht nur - wie es immer wieder heißt - ein Problem von Randgruppen. Ich verweise darauf, daß der Herr Bundeskanzler sich im Oktober hier im Deutschen Bundestag während der Haushaltsdebatte in einem Beitrag erneut nachdrücklich für die erhebliche Erhöhung des Staatsanteils, die erhebliche Ausweitung des „öffentlichen Korridors" ausgesprochen hat. Jedermann weiß - Herr Apel hat ja etwas erstaunliche Ausführungen über Verschuldung gemacht -, daß das wohl nicht mehr durch zusätzliche Kreditaufnahme über das heutige Maß hinaus geschehen kann, sondern daß diese Äußerung des Bundeskanzlers, was immer die Bundesregierung in den nächsten 18 Monaten auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung tut oder nicht tut, das programmatische Bekenntnis zu weiteren Steuererhöhungen darstellt; denn anders kann es überhaupt gar nicht gemacht werden. Und hier müssen wir uns die Situation sehr kritisch ansehen. Die Dynamik der beschlossenen Sozialgesetzgebung führt unter dem Vorzeichen einer verschlechterten wirtschaftlichen Lage ohne einen einzigen neuen Paragraphen für zusätzliche Leistungen zu einer permanenten Steigerung der Sozialabgaben für Betriebe und Arbeitnehmer. Wir überschreiten ohne Zweifel - die Zahlen der Bundesregierung sind veraltet - jetzt in Kürze die 40Prozent-Grenze in der Gesamtbelastung an Steuern und Sozialabgaben gegenüber knapp 35 % im Jahre 1968/69. Wir kommen damit in eine Größenordnung hinein, bei der uns das Beispiel anderer Länder warnend zeigt, daß diese Belastungen in ihren Auswirkungen einmal von den breiten Schichten der Bevölkerung, vor allem den Arbeitnehmern, nicht mehr als zumutbar empfunden werden und daß sie auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines solchen Landes gefährden. Wir haben am Beispiel Dänemarks gesehen, wie eine 20jährige sozialdemokratisch-sozialistisch bestimmte Politik, gelegentlich auch dort mit Unterstützung der Linksliberalen, diese Grenze mit dem Ergebnis einer schweren Erschütterung des gesamten politischen und Sozialsystems überschritten hat. Diese krisenhafte Zuspitzung in einer alten traditionsreichen Demokratie eines unserer Nachbarländer sollte alle nachdenklich stimmen, die meinen, die weitere erhebliche Ausweitung des „öffentlichen Korridors", um in dieser Sprache zu bleiben, sei das Gebot der nächsten Jahre. Ich föchte, daß wir bei dieser Ausweitung des öffentlichen Korridors, die auch Herr Schmidt hier gefordert hat, schließlich für die Menschen unseres Landes und die produktiv tätigen Betriebe nicht mehr den nötigen Wohnraum in dem Haus der Bundesrepublik Deutschland behalten werden. ({28}) Das ist, wie ich glaube, sehr wohl und sorgfältig miteinander abzuwägen. Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu dem Thema: Wenn man die Steuern nicht erhöhen Ministerpräsident Dr. Stoltenberg will, jedenfalls nicht kurzfristig, so Herr Apel heute wieder - langfristig offenbar doch -, welche Aufgaben stellen sich dann im Hinblick auf diese Finanzkrise? Prozentvergleiche des Herrn Bundesfinanzministers ändern ja nichts daran, daß wir jetzt in einem Jahr eine höhere Verschuldung des Bundes bekommen als in den ersten 20 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Da kann man noch so viele Statistiken vorführen - dieser Tatbestand spricht für sich selbst. Länder und Gemeinden befinden sich natürlich bei ihrer stärker angewachsenen Ausgabensituation in einer teilweise sogar noch kritischeren Lage. Ich sage zu den Bemerkungen des Herrn Bundesfinanzministers über Steuerverteilung nur eines -ich will hier jetzt darüber gar nicht weiter sprechen; wir haben dafür wie auch in den früheren Jahren Kommissionen gebildet, in denen wir uns ja immer einig geworden sind -: Ich empfinde als einer der Beauftragten der Ministerpräsidenten die Bemerkung des Herrn Bundesfinanzministers, das Land Schleswig-Holstein, das jede sechste Mark vom Bund bekommt und damit Wahlpropaganda betreibt, habe sich unmöglich benommen, als eine besonders gute psychologische Vorbereitung des Verhandlungsklimas von seiner Seite. Er ist allmählich ein Meister darin, meine Damen und Herren, seine Verhandlungspartner und seine Mitarbeiter einzustimmen. ({29}) In diesem Falle, sehr geehrter Herr Apel, wollen Sie ja einen Rechtstitel der Länder zu Ihren Gunsten ändern, ({30}) wobei ich Ihnen gleich sage, daß wir uns grundsätzlich zu Verhandlungen bereit erklärt haben. Wenn Sie uns aber wegen unserer Haushaltsveranschlagung hier etwas anrempeln, dann lassen Sie sich von Ihren Beamten, zu denen das Verhältnis hoffentlich wieder etwas gebessert wird, in diesen Fragen genauer unterrichten. Das schleswig-holsteinische Kabinett hat, wie es die Haushaltsordnung vorschreibt, den Etatentwurf für 1975 im Juni verabschiedet, also vor Abschluß der Verhandlung über die Steuergesetzgebung ({31}) und unsere prophetische Kraft reichte nicht aus, um das Ergebnis zu kennen. Der souveräne Landtag hat - es gab auch keine anderen Anträge der sozialdemokratischen Opposition - im Dezember bei der Verabschiedung des Etats gesagt - wir sind ein paar Monate diesem Hohen Haus voraus, das es aber auch schwerer hat -: Da die Vorstellungen der Länder insgesamt, d. h. aller elf Länder, und des Bundes - deshalb ist die Polemik gegen ein Land auch so abwegig, es sei denn, daß meine Anwesenheit Sie hier geärgert hat; anders kann ich das nicht verstehen -, über das Ergebnis so weit auseinandergehen, warten wir ab, wie es ausgeht, und wir werden dann - so habe ich es mitgeteilt; auch das wissen Ihre zuständigen Referenten - entsprechend das Ergebnis in einen Nachtrag einbauen. Das ist ein vollkommen korrektes Verfahren und kann hier nicht Gegenstand irgendwelcher gereizter, sachunkundiger Randbemerkungen sein, die für Ihre Verhandlungsziele zweifellos nicht förderlich sind. ({32}) Ich möchte Ihnen das doch einmal in diesem Zusammenhang sagen. Ich komme nun - das ist insofern ein Exkurs - von der Erörterung der Sachprobleme zu dem, was an Mitteln vom Bund gekommen ist. Ich will Ihnen das nur sagen, falls Sie das in den nächsten Wochen in Ihr Wahlkampfrepertoire aufnehmen wollten. Sie haben ja, so scheint mir, ein bißchen geübt. Herr Wehner übte vor zwei Tagen auch schon in Norderstedt; über seine Art werde ich mich noch an anderer Stelle äußern. Wenn Sie das hier aufnehmen wollen, will ich Ihnen nur sagen: Die Leistungen des Bundes für Landesaufgaben beruhen auf gesetzlichen Verpflichtungen. Das sind die Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben, in denen wir mit den Bundesressorts sachlich und gut zusammenarbeiten, auf Grund der Gesetze nach Art. 104 a GG und der von uns mühsam in den Auseinandersetzungen mit Ihrem Vorgänger - wenn Sie so wollen - erstrittenen Regelung über die Bundesergänzungszuweisungen. Das sind gesetzliche Verpflichtungen. Und solange die schleswig-holsteinischen Steuerzahler 40 % ihrer Steuern nach Bonn abliefern, hat auch der Bund Verpflichtungen, die Aufgaben im Land entsprechend seinem gesetzlichen Auftrag zu fördern. Das will ich nur einmal zu dieser Art der Behandlung sagen. ({33}) Also, prüfen Sie noch einmal, ob das die richtige Form der Behandlung der Fragen im Lande und in der deutschen Öffentlichkeit ist. ({34}) Zu Ihren Bemerkungen über die Steuergesetzgebung möchte ich hier noch folgendes anführen. Ich weiß nicht, ob es Ihrem Ansehen als Finanzminister zuträglich ist - das nach Meinung mancher einer gewissen Konsolidierung bedarf -, wenn Sie die Rolle der CDU/CSU in Bundestag und Bundesrat hier so mit Ihrer Sprache als die eines Trittbrettfahrers bezeichnen, der da aufgesprungen sei und sich nachher wieder absetze. Wir sind keine „Trittbrettfahrer", Herr Bundesfinanzminister, die auf- und abspringen, sondern wir sind gewählte Vertreter im Verfassungsorgan, in Bundestag und Bundesrat, die ihre verfassungsmäßigen Pflichten ausüben. Ich bitte das nicht zu übersehen. ({35}) Ich glaube, daß die Herren Minister von Bund und Ländern und die Herren Abgeordneten hier insoMinisterpräsident Dr. Stoltenberg weit auch eine staatspolitische Aufgabe haben, wenn sie die komplizierten Probleme der Gesetzgebung und der unterschiedlichen Aufgaben behandeln. Wir sind nicht aufgesprungen und abgesprungen, sondern wir haben von Anfang an einen Fundamentalgegensatz - und das gilt gerade auch für die Mehrheit des Bundesrates, für die ich hier insoweit ohne Bedenken sprechen kann - zwischen Ihrer und unserer Auffassung gehabt. Wir haben Sie in unseren Stellungnahmen und Anträgen nach dem Scheitern des ersten Vermittlungsverfahrens noch einmal durch Anträge von fünf Bundesländern Anfang Juli in der Debatte des Bundesrates nachdrücklich aufgefordert, sich auf den Inflationslastenausgleich zu beschränken und nicht in diesem Eilverfahren unter dem von Ihnen zitierten Motto „Wir lassen uns durch die Argumente nicht schwankend machen" - da füge ich hinzu: Wir lassen uns durch die Argumente der Sachverständigen, von Fredersdorf und Haubrichs bis hin zum wissenschaftlichen Beirat, nicht beirren, dies alles auf Biegen und Brechen durchzusetzen. ({36}) Dieser Fundamentalgegensatz ist klargeworden, weil - ich sage Ihnen das ganz offen - es für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wie aber auch für die am Vermittlungsverfahren beteiligten Vertreter der Länder unzumutbar war, in diesem Tempo eine dann noch von Ihnen zum Zeitpunkt der Einbringung wieder geänderte Vorlage vollkommen angemessen zu beraten. Es lohnt sich wirklich für jedes Mitglied des Bundestages und des Bundesrates, einmal zu vergleichen, mit welcher Akribie in etwa der dreifachen Zahl von Sitzungen des Finanzausschusses des Bundestages im Jahr 1966 die Mehrwertsteuerreform behandelt wurde, bei der es ja unter der Führung des von mir besonders geschätzten früheren Abgeordneten Otto Schmidt ({37}) und des von mir besonders geschätzten früheren Bundesfinanzministers Dahlgrün auch möglich war, in einer so grundlegenden Frage der Reform einer wichtigen Steuer einen breiten überparteilichen Konsensus zu finden. Auch das war ja eine Qualität. (Dr. Barzel ({38}) Das war eben eine Steuergesetzgebung noch unter einer anderen politischen Ägide und auch mit einer etwas anders strukturierten Freien Demokratischen Partei - wenn ich die Beiträge Ihrer Abgeordneten zur Steuergesetzgebung von damals und heute vergleiche -, in der man den Ausdruck „Reform" sparsam verwandte, aber in diesem Fall verwenden konnte, während man ihn mittlerweile inflationiert hat. ({39}) Hier, Herr Finanzminister, möchte ich-weil ja Ihre öffentlichen Bemerkungen wie die des Herrn Bundeskanzlers und anderer ein bißchen auch mich kritisiert haben - Ihnen einmal ganz klar sagen, und zwar anhand der Texte: Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, wie meine Kollegen, die an diesen Verhandlungen beteiligt waren, ebenfalls, daß wir die von uns erzielten Verbesserungen als einen Teilerfolg ansahen. ({40}) Wir haben den Ausdruck „Teilerfolg" gebraucht unter Aufrechterhaltung der fundamentalen Bedenken gegen das gewählte Verfahren und bestimmte Elemente des Kompromisses, die Sie durchgesetzt haben. Rückblickend gesehen, sage ich gerade auch zu dem Herrn Bundeswirtschaftsminister: Sehr geehrter Herr Friderichs, daß Sie gegen unsere öffentlichen und internen Bedenken als Koalition die Vermögensteuer mit Wirkung vom 1. Januar dieses Jahres um rund 2,5 Milliarden DM erhöht haben und kurz darauf genau denselben Selbständigen und Betrieben, mit Wirkung vom 1. Dezember vorgezogen, 7,2 Milliarden DM Investitionsanreiz für sieben Monate geben, das kann nun wirklich nicht als Weisheit der Logik der Konjunktur- und Wirtschaftspolitik angesehen werden, ({41}) nebenbei bemerkt: auch nicht der Steuerpolitik. Das wird von vielen Menschen im Lande so empfunden. Deswegen sollte man davon absehen, Herr Kollege Apel, immer nur von der Hetze und Kampagne der Opposition zu reden. Wir haben die kritische Position in diesen Fällen aufrechterhalten; im übrigen haben wir unter Aufrechterhaltung der kritischen Position im Bundesrat zugestimmt, weil dies, zumindest kurzfristig - da sind wir uns übrigens gar nicht uneinig -, für eine Mehrzahl der Steuerzahler die dringend wünschenswerte Entlastung bedeutet. Der große Fehler, den Sie gemacht haben, wie so oft - nicht Sie allein, sondern auch Ihre Vorgänger -, ist, den Eindruck zu erwecken, dies gelte für alle außer einigen Reichen. Es stellt sich eben heraus, daß sehr wichtige große Gruppen, die gar nicht zu den Reichen gehören, wie Doppelverdiener, diejenigen, die den Altersfreibetrag verloren haben, und andere mehr, eben auch im Ergebnis - jedenfalls zunächst einmal - schlechter abschneiden. Da liegt der Fehler der Informationspolitik. Aber es war nicht allein ein Fehler der Informationspolitik, sondern auch der Art, wie leider zum Teil in diesen Jahren Gesetze im Deutschen Bundestag gemacht werden. ({42}) Herr Bundesfinanzminister, ich kann Ihnen nach Ihren harten Aussagen auch hier den Vorwurf nicht ersparen - Sie haben ihn neulich in der Fernsehdebatte unwillig quittiert -: eine Bundesregierung, die ein Gesetz dieser Bedeutung und dieses Anspruchs im Eilverfahren durchbringen will und die dann nach der Neubildung - Sie sind ja in der Tat erst in lezter Minute aufs Trittbrett gesprungen; da paßt das Bild ein bißchen besser, von der Person, nicht von der Institution her; Sie sind in den letzten vier Wochen hinzugekommen - für das erste Vermittlungsverfahren, in dem drei Finanzminister der Länder, darunter zwei Sozialdemokraten, ein Ministerpräsident sich vier Tage Zeit nehmen zu verhandeln, nicht in der Lage ist, für eine Stunde den Ministerpräsident Dr. Stoltenberg Finanzminister oder einen kompetenten anderen Minister als Partner zur Verfügung zu stellen, weil die Herren keine Zeit haben, ({43}) muß ihre Gesetzgebungspraxis ändern. ({44}) Das will ich nun auch noch hier einmal in aller Deutlichkeit sagen. Das zweite Vermittlungsverfahren bestand aus einem fünfstündigen Abendgespräch beim Herrn Bundeskanzler, bei dem er zweimal - zu Beginn und zum Schluß, Herr Kollege Strauß-um strengste Vertraulichkeit bat und sagte, daß alles offen besprochen werden könne, um dann kurz darauf im Deutschen Bundestag den Anwesenden von unserer Seite Zensuren zu erteilen, noch einmal vor 14 Tagen in „Panorama". Ich vertiefe das hier nicht, weil der Herr Bundeskanzler nicht hier ist. Nur: wenn das üblich wird, nachdem strengste Vertraulichkeit auf Wunsch des Regierungschefs vereinbart wurde - wir haben uns daran gehalten -, anschließend Zensuren zu erteilen, dann behalte ich mir vor, meine Aufzeichnungen über dieses Gespräch eines Tages zu veröffentlichen. Und das wäre vielleicht für einige Anwesende nicht so angenehm. ({45}) Aber dies nur als eine Randbemerkung. Im übrigen können wir diesen Streit über die Verantwortung gern noch ein bißchen fortsetzen. Eines der sachkundigsten sozialdemokratischen Mitglieder dieses Hohen Hauses, Herr Conrad Ahlers, Mitglied des Steuer- und Finanzausschusses des Bundestages, hat dazu das Erforderliche gesagt. ({46}) Er hat im Berliner „Abend" am 4. Februar geschrieben - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -: Damit die Steuerreform 12 Monate vorgezogen werden konnte, peitschten Sie, die Herren Schmidt und Apel, dieses Reformwerk durch den Bundestag und ließen sich nur noch von denjenigen Modellrechnungen leiten, die für den Steuerzahler Vorteile versprachen. Die Steuernachteile, die mit jeder Umstellung verbunden sind, ließ man außer acht. Herr Ahlers fügt dann zum Bundeskanzler und zum Finanzminister hinzu, daß ihnen jede öffentliche Kritik und vor allem auch die öffentliche Meinung lästig und gleichgültig sind. Man könnte dies hier noch etwas fortsetzen. Ich glaube, dies spricht für sich selbst, weil er nicht nur ein wegen seines Nichtkonformismus bekannter Abgeordneter ist, sondern auch ein Mitglied des federführenden Bundestagsausschusses, in dem der Herr Bundesfinanzminister in dieser Zeit nach meiner Kenntnis kein einziges Mal war. ({47}) Ich will diesen Teil der Debatte beenden und mit meinem Beitrag zum Schluß kommen. Entscheidend ist in der Tat für den von uns allen gewünschten stabilen, dauerhaften Aufschwung, daß die langfristigen ordnungs- und gesellschaftspolitischen Ziele der Regierung wieder klarwerden. Das gilt auch für Bereiche für Mitbestimmung, berufliche Bildung und Presserecht. Das gilt für die Notwendigkeit, die politische Antwort auf die Finanzkrise der öffentlichen Hände nicht von Wahl zu Wahl zu verschieben, sondern von der Bundesregierung ein Sanierungs- und Stabilisierungskonzept vorzulegen, das wir dringend brauchen. Denn ich glaube nicht, daß eine Bundesbank auf Dauer in der Lage sein wird, in jeder Konjunkturlage eine Kreditfinanzierung der öffentlichen Hände von 60, 70 Milliarden DM zu ermöglichen. In diesem Jahr kann es als Übergangslösung vertretbar sein, als Dauerlösung ist es, wie ich glaube, undenkbar. Sie müssen, Herr Finanzminister, an Verordnungen, an Programme und gegebenenfalls auch an einzelne gesetzliche Bestimmungen heran. Daran führt kein Weg vorbei, auch wenn Sie das hier, falls ich Sie richtig verstanden habe, abgelehnt haben. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Wir haben unter Federführung der Bundesregierung mit den Ländern mit Vorbehalten und Verringerungen von unserer Seite, die uns viel Kritik eingetragen haben, vor gut einem Jahr ein anspruchsvolles Bund-Länder-Programm zur Bildungsplanung und Bildungsentwicklung verabschiedet, an dem sich natürlich Lebensentscheidungen von Eltern, Kindern und Lehrern orientieren. Um die Ziele dieses Programms zu erreichen, müßten die Länder in den nächsten vier, fünf Jahren die Lehrerzahl noch einmal um etwa 25 % steigern. Der von SPD und FDP gestellte Hamburger Senat hat soeben beschlossen, auf Grund der Finanzkrise die Lehrerzahlen in Hamburg in dieser Zeit um 4 % abzusenken. ({48}) Auch wir in unserem Land, das als zweites Land Sparbeschlüsse gefaßt hat - nicht sechs Monate nach einer Wahl, sondern zwei Monate vor einer Wahl; das macht den Unterschied zu unseren Hamburger Nachbarn aus -, ({49}) auch wir, meine Damen und Herren, können diese Ziele nicht auch nur annähernd erreichen. Es hat wirklich keinen Sinn, wenn die Herren Ressortminister - gestatten Sie mir diese offene Bemerkung - und auch die jeweiligen Gruppen im Parlament über diese Programme gleichsam wie Besitzstände wachen wie zu einer Zeit, wo die reale politische Entwicklung, wie das Beispiel Hamburgs zeigt, bereits in eine entgegengesetzte Richtung geht. Hier muß die Bundesregierung ihre verfassungsmäßigen Pflichten wahrnehmen, genauso wie die Länder; ich füge das sofort hinzu. ({50}) Es hat keinen Sinn, daß wir in Proklamationen und Zieldiskussionen immer weiter an der Wirklichkeit vorbeireden. Meine Damen und Herren, es ist hier von Konfrontation und Kooperation gesprochen worden. Ich Ministerpräsident Dr. Stoltenberg glaube, daß es in einer Zeit wie der jetzigen ganz unvermeidbar ist, zu einer weiten Zone auch der entschiedenen Auseinandersetzung zu kommen, und daß alle hier, Bund und Länder, Regierung und Opposition, ihre staatspolitische Aufgabe haben. Aber ich sage genauso deutlich, daß die Bürger unseres Landes von uns auch erwarten, daß wir in der Lage sind, anspruchsvoll miteinander zu diskutieren und das Stück gemeinsamer Verantwortung für unser Land nicht aus dem Auge zu verlieren. ({51}) Vizepräsident von Hassel: Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Carstens. ({52}) - Ich darf die Ordner bitten, die Dame von der Tribüne zu entfernen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000321, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! ({0}) Vizepräsident von Hassel: Bitte fahren Sie fort, Herr Abgeordneter Dr. Carstens!

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000321, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister der Finanzen, Herr Apel, hat sich durch die Rede, die er hier vor einigen Minuten gehalten hat, selbst disqualifiziert. ({0}) Er hat sich als Fachminister disqualifiziert. Das hat der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein soeben im einzelnen ausgeführt; das brauche ich hier nicht zu wiederholen. Aber der Herr Bundesfinanzminister hat sich auch als Politiker disqualifiziert, und darüber möchte ich einige Worte sagen. Der Finanzminister hat gegen Schluß seiner Rede das Mitglied der CDU/CSU-Fraktion, unseren Kollegen Strauß in einer Weise angegriffen, die eines Mitglieds der Bundesregierung, ja, eines Mitglieds dieses Hohen Hauses in jeder Hinsicht unwürdig ist. ({1}) Ich kann es verstehen, Herr Finanzminister Apel, daß Sie unruhig sind und daher das Bedürfnis haben, um sich zu schlagen. Aber es hat alles eine Grenze, und diese Grenze haben Sie in Ihrer Rede vorhin eindeutig überschritten. Sie haben die Diskussion des Jahreswirtschaftsberichts dazu benutzt, um einen Kollegen unserer Fraktion in einer persönlichen Weise anzugreifen und zu diffamieren, wofür überhaupt nicht der mindeste Anlaß vorhanden war. ({2}) Sie setzen die Taktik und Technik Ihrer Partei fort, in der Auseinandersetzung in den Wahlkämpfen, die jetzt in verschiedenen Ländern stattfinden, die CDU/CSU zu diffamieren, weil Sie keine andere Chance mehr sehen, sich beim Wähler noch durchzusetzen und zu behaupten. ({3}) Ihre Ausführungen lagen hier auf die Linie des Parteivorsitzenden Brandt, der es gewagt hat, zu sagen, wenn die CDU die Regierung übernähme, würden in diesem Lande soziale Unruhen ausbrechen. Meine Damen und Herren, das bedeutet doch nichts anderes, als daß Herr Brandt und Sie von den Sozialdemokraten für diesen Fall solche sozialen Unruhen schüren würden. ({4}) Hier wird mit den primitivsten Mitteln der Täuschung und der Demagogie gearbeitet. ({5}) Die CDU/CSU weist diese Vorwürfe zurück. Ich habe seit 1949 an sehr vielen Sitzungen dieses Hohen Hauses teilgenommen: Es ist das erstemal, daß ein Mitglied der Bundesregierung so entgleist ist, wie der Herr Bundesminister Apel heute entgleist ist. ({6}) Die CDU/CSU-Fraktion fordert den Bundeskanzler auf, den Finanzminister wegen seines Verhaltens zu rügen. ({7}) Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Wehner. ({8})

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden vergeblich ({0}) diese Möglichkeit zu provozieren versuchen, eine Auseinandersetzung in der Sache zu einer Herabwürdigung von Personen werden zu lassen. ({1}) Die sozialdemokratische Fraktion wird Ihnen diese Gelegenheit nicht bieten. Und Sie können sich auf den Kopf stellen, Herr Carstens, wir werden Ihnen in dieser Frage keine Möglichkeit geben, sich hier anders zu verhalten und charakterisiert zu werden, als Sie draußen sind. ({2}) Es ist eine Taktfrage, ob der Vorsitzende einer Fraktion sich erkühnt, einem Bundesminister so ungefähr sämtliche Qualifikationen abzusprechen. ({3}) Das entspricht Ihrem Stil und wohl auch der Art, in der Sie aus der früheren Zeit gewöhnt sind mit Parlamentariern umzugehen. ({4}) Auf diese Ebene gehen wir nicht. Und daß Sie nun versuchen, hier mit „Demagogie" zurückzugreifen: nun, der Herr Strauß ist zur Zeit nicht mehr hier, von ihm können Sie einiges lernen. ({5}) Vizepräsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg. ({6})

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der präzisen Zurückweisung dieser etwas merkwürdigen Intervention des Fraktionsvorsitzenden der CDU 'CSU durch den Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei können wir ja wohl zur Sache zurückkehren, auch wenn es etwas merkwürdig anmutet, daß die CDU/CSU dann, wenn die Schimpfkanonade des Herrn Strauß durch entsprechend deutliche Ausführungen beantwortet wird, plötzlich den Beleidigten spielt. ({0}) Kehren wir zur Sache zurück! Der Bundeswirtschaftsminister hat hier sehr nüchtern, sehr realistisch, sehr konkret seine Einschätzung der Wirtschaftslage und die notwendigen wirtschaftspolitischen Konsequenzen dargestellt. Ich glaube, wir haben Anlaß, dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein dankbar dafür zu sein, daß er, nachdem Herr Strauß 61 Minuten lang zur Sache nichts gesagt hat und ganze drei Minuten auf eigene Vorschläge verwendet hat, hier wenigstens zur Sache gesprochen hat und somit den ersten Beitrag - ich fasse jetzt einmal die Verfassungsorgane hier in diesem Hause nach der Parteizugehörigkeit zusammen - der Opposition zur Sache geliefert hat. Es lohnt sich, glaube ich, zu diesem Beitrag vorweg einige Anmerkungen zu machen. Herr Stoltenberg, ich kann Ihnen nur zustimmen, wenn Sie eingangs gesagt haben, es sei notwendig, ein ungeschminktes Bild der Lage zu geben. Ich hätte Ihnen noch mehr zugestimmt, wenn Sie sich hätten bereit finden können, zu sagen, daß der Jahreswirtschaftsbericht genau dieses ungeschminkte Bild der Lage gibt. ({1}) Aber Respekt davor, daß Sie - in Gegensatz zu Herrn Strauß - wenigstens gesagt haben, daß der Ansatz der Konjunkturpolitik der Bundesregierung richtig ist. Sich über Details zu streiten lohnt sich in einer parlamentarischen Demokratie. Diese Anerkennung des richtigen Ansatzes aus Ihrem Munde legitimiert uns, glaube ich, dazu, zu sagen, daß die Konjunkturpolitik überhaupt, rundherum auf dem richtigen Wege ist. Gestatten Sie mir einige Anmerkungen zu dem, was Sie zur Steuerpolitik gesagt haben. Sie sprachen von einem fundamentalen Gegensatz, der zwischen dem Bundesrat bzw., korrekter gesprochen, der Bundesratsmehrheit und der Opposition in diesem Hause auf der einen Seite und der Bundesregierung auf der anderen Seite bestanden habe. Sie lobten in diesem Zusammenhang die durch Sie, durch die Bundesratsmehrheit erzielten Verbesserungen. Es hätte der hier so oft beschworenen Wahrheitsliebe gutgetan, Herr Ministerpräsident Stoltenberg, wenn Sie genauso deutlich gesagt hätten, daß es genau jene durch den Bundesrat bewirkten Veränderungen, die Sie „durch uns erzielte Verbesserungen" genannt haben, sind, die den großen Unwillen in der Öffentlichkeit erregt haben. ({2}) Verehrter Herr Stoltenberg, die Neueinteilung der Steuerklassen, die ja wohl den größten Unwillen hervorruft, ist auf Antrag des Landes Rheinland-Pfalz - Ihr Parteivorsitzender ist dort Ministerpräsident - erstmals ins Gespräch gekommen. ({3}) - Aber auf Grund Ihres vorherigen Antrags. -Die Sonderausgabenregelung, die ebenfalls erhebliche Unruhe verursacht hat - vor allen Dingen bei den über 50jährigen -, geht ebenfalls auf die durch Sie erzielten „Verbesserungen" zurück. Daß das Kindergeld umständlich und kostenwirksam über die Arbeitsämter ausgezahlt wird, ist ebenfalls nicht der Bundesregierung anzulasten. Im Regierungsentwurf war die viel vernünftigere, rationellere Regelung über die Finanzämter enthalten. ({4}) Wenn man das berücksichtigt, wäre es, glaube ich, gut, wenn die Bundesratsmehrheit sich dazu bequemen könnte - das hat der Finanzminister zu Anfang sehr richtig gesagt -, sich wieder hinter diese Steuerreform zu stellen. Sie wird es rechtzeitig tun, wenn die Erfolge der Steuerreform bei den vielen positiv betroffenen Arbeitnehmern die Öffentlichkeit erreicht haben. Es schreien ja immer nur die, die sich ernsthaft oder auch nur vorgeblich belastet fühlen. Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wagner ({5}) ?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr!

Dr. Carl Ludwig Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002404, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehrenberg, ist Ihnen entgangen, daß es nicht nur die Bundesratsmehrheit, sondern die Gesamtheit des Bundesrates war, die die Auffassung vertreten hat, daß die von Ihnen gepriesene Lösung - Kindergeldauszahlung über die Finanzämter - nicht oder jedenfalls nicht zum 1. Januar 1975 möglich und durchführbar ist?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist mir keineswegs entgangen. ({0}) Aber der Herr Ministerpräsident Stoltenberg hat es der Bundesregierung mit angelastet. Das ist ihr eben nicht anzulasten. ({1}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine gestatte ich noch, dann ist erst mal Schluß. Dann möchte ich erst einmal weiterreden. Vizepräsident von Hassel: Bitte schön, Herr Kollege Kroll-Schlüter!

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr. Ehrenberg, ist Ihnen bekannt, daß Ihre Fraktion zwei Jahre lang eine angemessene Erhöhung des Kindergeldes als Vorbereitung dafür abgelehnt hat, die Finanzamtsregelung durchzuführen? ({0})

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber ich bitte Sie, kommen Sie doch jetzt nicht mit Kamellen von irgend woher! ({0}) Kommen Sie nicht mit alten Geschichten, mit einer angemessenen Erhöhung des Kindergeldes im alten System. Es war der erklärte Wille der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien, eine gerechtere, durch Sie erst im allerletzten Moment akzeptierte Kindergeldregelung herbeizuführen. Was Sie damals vorgeschlagen haben, war eine Veränderung im alten System, aber nicht diese. ({1}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein! Vizepräsident von Hassel: Im Augenblick nicht.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist sachlich richtig und nachlesbar. ({0}) - Ich bin vorläufig noch nicht bei Herrn Nordlohne aus Südoldenburg, sondern beim Ministerpräsidenten Stoltenberg. Mit dem habe ich mich zu beschäftigen. ({1}) Herr Stoltenberg, bei aller Sie von Herrn Strauß unterscheidenden wohltuenden Sachlichkeit: ({2}) Eine Anmerkung muß ich hier noch machen. Meine Partei hat bisher darauf verzichtet, Ihren christlich-demokratischen Freunden in Italien die Unordnung dort anzulasten. Sie sollten uns hier auch nicht mit den sozialdemokratischen Mühen in Dänemark behelligen. ({3}) Sonst könnten wir aus christlich-demokratisch regierten Ländern sehr viel mehr und sehr viel bösere Beispiele hier zitieren. Ich glaube, das sollten wir gegenseitig unterlassen. ({4}) Aber noch eine Anmerkung zu der Revisionsklausel, die der Bundesfinanzminister erwähnt hat und dessen Bemerkung Sie zurückgewiesen haben: Der zeitliche Ablauf ist richtig, wie Sie ihn schilderten. Trotzdem wird wohl niemand sagen können, daß es den Grundsätzen der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit entspricht, wenn Sie - auch wenn die Größenordnung heute noch nicht exakt erfaßbar ist - in den Haushalt von Schlesweg-Holstein eine Veränderung von Null einsetzen. Das macht das Finanzwerk in Schleswig-Holstein nicht gerade zu einem überzeugenden Dokument solider Finanzpolitik. Wenn der Finanzminister und der Ministerpräsident genau wissen, daß eine Veränderung zu Lasten des Landes Schleswig-Holstein - wie aller anderen Länder gegenüber dem Zustand Null, nicht zu Lasten gegenüber der Verteilung vorher - notwendig ist, und dann die Revisionsklausel mit Null ansetzen, kann man von diesem Standort, glaube ich, den Bundeshaushalt nicht als unsolide bezeichnen. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir dann noch einen Hinweis, um dem Bundeswirtschaftsminister zu ersparen, hier noch einmal das Wort nehmen zu müssen: Diejenigen, die so massiv gegen seine Darstellung der Arbeitslosenzahlen opponiert haben, die würde ich doch gern bitten, das in Kiel erscheinende Heft „Die Weltwirtschaft", Heft 2, 1974 zu lesen. Der Leiter dieses Instituts dort, ein sehr angesehener Nationalökonom, ist sozialdemokratischer Neigungen sicher nicht verdächtig, sondern sehr eindeutig Ihrer Parteicouleur zuzuordnen und darum vielleicht für Sie glaubwürdiger. Dort bitte ich Sie nachzulesen, was Herr Professor Giersch in seinem Institut über die Nichtvergleichbarkeit der Arbeitslosenstatistiken geschrieben hat. Daran wird dort gearbeitet. Wenn man die Vergleichbarkeit herstellt, dann hat die Aussage des Bundeswirtschaftsministers wieder ihre solide Basis. Ich glaube, wir sollten die Diskussion vielleicht auch bei uns im Ausschuß wiederaufnehmen, nachdem alle miteinander die Arbeiten des Kieler Instituts gelesen haben. Ich darf nach diesen notwendigen Vorbemerkungen auf Grund der vorausgegangenen Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht zurückkommen und für die SPD-Bundestagsfraktion erklären, daß wir diese realistische Einschätzung und die wirtschaftspolitischen Konsequenzen, die der Jahreswirtschaftsbericht enthält, voll unterstützen. Wir sind der Meinung, daß es richtig ist, wenn im Jahreswirtschaftsbericht festgestellt wird, daß sich die Wirtschafts- und Finanzpolitik jetzt darauf konzentrieren muß, erreichte Erfolge zu sichern, bestehende Risiken weiter zu vermindern und die Aussichten für ein inflationsfreies Wachstum und einen erhöhten Beschäftigungsstand zu verbessern. Diese Konzentration entspricht den Intentionen des Konjunkturprogramms, dessen Maßnahmenkombination darauf abgestellt war und ist, einen stabilitätsgerechten Aufschwung zu gewährleisten. Und wir werden an dieser Aufgabenstellung festhalten. Die Regierungsparteien werden sich durch kein Hin und Her und kein Hü und Hott und durch kein unterschiedliches Lamento bei der Opposition von diesem Kurs abbringen lassen. Allerdings muß man auch feststellen: Die Vernebelung der Fakten - gleichgültig, ob sie in Passau oder Peking, in Kiel, Mainz oder Bonn versucht wird - erschwert den Kurs; es sind deutlich sichtbare Positionslampen notwendig, denn gerade verschiedenfarbiger Nebel macht die Kurssteuerung besonders schwierig. Diese Positionslampen aber gibt der Jahreswirtschaftsbericht. Und wer dem, was Bundeswirtschaftsminister und Bundesfinanzminister hier an Fakten auf den Tisch gelegt haben, nicht glaubt, dem sei - da weise Professoren in diesem Lande ja immer mehr gelten als Politiker - die Lektüre des Sachverständigengutachtens vom November 1974 empfohlen, und zwar gründlich empfohlen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein kleines Stück daraus zitieren, weil ich glaube, daß dort sehr konkret und sehr genau die Lage geschildert wird, wie sie im November aussah und sich inzwischen bestätigt hat. Der Sachverständigenrat schreibt in Nr. 32 der Kurzfassung: ... es wäre ein fatales Mißverständnis mit vermutlich schlimmen Folgen, käme es dahin, daß der stabilitätspolitische Kurs wegen der gegenwärtig und noch für einige Zeit ungünstigen Beschäftigungslage als gegen die Interessen der Arbeitnehmer gerichtet angesehen wird ... Das Ordnungssystem in der Bundesrepublik und die Autorität ihrer staatlichen Institutionen haben sich als belastbar erwiesen. Durch die gegenwärtigen Schwierigkeiten hindurch kann man sehen, daß die Wirtschaft unseres Landes in einem guten Zustand ist. All dies sollte ausreichen, die Belastungsprobe auch in ihrem Höhepunkt, der im kommenden Winter zu erwarten ist, mit Erfolg zu bestehen. Und auch wenn Herr Strauß versucht hat, seine Passauer Schimpfkanonaden mit ihren merkwürdigen Ausdrücken hier hinwegzuinterpretieren, ja sie sogar durch seinen Generalsekretär Tandler durch eine Presseerklärung dem Bundeskanzler anzulasten - das Bundeskanzleramt wird diese Anlastung dementieren -, auch wenn er das versucht hat: er kann diese nüchterne und objektive Darstellung des Sachverständigengutachtens nicht aus der Welt reden. Nach der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts gibt es keinen Zweifel daran, daß der im Sachverständigengutachten schon angeklungene Kurs richtig ist. Die Bundesregierung unterstreicht in ihrem Jahreswirtschaftsbericht nachdrücklich noch einmal die Bedeutung, die der Sachverständigenrat den Investitionen als dem Fundament des künftigen Wachstums beimißt. Die Maßnahmenkombination des Konjunkturprogramms mit den gezielten Maßnahmen zur Stärkung der Investitionskraft der Unternehmen, den direkten Hilfen zur Wiedereinstellung beschäftigungslos gewordener Arbeitnehmer, den strukturverbessernden und energiesparenden öffentlichen Investitionen sowie den Hilfen zur Rationalisierung der Bundesbahn und den zusätzlichen Maßnahmen zur Modernisierung der Wohnungswirtschaft und des Hochbaubereichs entspricht genau dem, was die Konjunkturlage erfordert. Und allem polemischen Nebel und all dem, was an Schwarzmalerei in die Welt gesetzt wird, zum Trotz: Es gibt eine Vielzahl von - vorläufig naturgemäß nur sehr schüchternen; das Konjunkturprogramm ist ja auch noch keine acht Wochen alt - deutlichen, wenn auch verteilten Anzeichen dafür, daß dieses Konjunkturprogramm zu greifen beginnt. Wenn das jemand von der Opposition nicht glaubt, möchte ich hier gern einen unserer Bundestagskollegen zitieren, nämlich aus dem Geschäftsbericht der Firma Pieroth, die gerade erst erklärt hat, daß sie damit rechne, die „sehr hohen Zuwachsraten" des Jahres 1974 auch im Jahre 1975 zu erreichen. ({5}) - Meine Herren von der Opposition, wenn Sie darüber lachen, verstehe ich Ihre Einstellung nicht. Sie sind es gewesen, die jahrelang voller Stolz ({6}) von der Wohlstandsgesellschaft gesprochen haben. Und jetzt wollen Sie den Anstieg des Sekt- und Weinverbrauchs bei Ihrem Kollegen Pieroth nicht als konjunkturpolitisch positives Indiz gelten lassen? Ich verstehe die Welt nicht mehr. ({7}) Meine Herren, es gibt dafür aber auch ernsthaftere und sehr viel deutlichere Indikatoren als nur den begrüßenswerten Umsatzerfolg des Herrn Pieroth. Ich begrüße ihn jedenfalls; ich schätze Herrn Pieroth und schätze auch seine Erzeugnisse, Aber ich will Sie gern mit ein paar Fakten mehr hier konfrontieren. So lautet z. B. die Überschrift im „Industriemagazin" vom 1. Februar 1975: „Investitionszulage greift doch." Aber auch die „Wirtschaftswoche", die sicher niemand in diesem Raum und anderswo besonderer Vorliebe für die Sozialdemokratische Partei bezichtigen wird, ({8}) dieses nicht ganz so angesehene Nachfolgeblatt des einst sehr angesehenen „Volkswirt", schreibt nach einer Umfrage, bei der sie großes Interesse für die Investitionszulage festgestellt hat, über die Stimmung in der Konjunkturpolitik folgendes - ich bitte vor allem die Kollegen aus Bayern, falls noch welche da sind, sehr genau zuzuhören -: Dennoch ist die Konjunkturstimmung in der Republik veränderlich bis heiter. Genauso wie die Firmenchefs verspürte in München auch Bayerns Wirtschaftsminister Anton Jaumann ({9}) eine Besserung dank der Bonner Spritze. Eine schönere Bestätigung als die eines CSU-Wirtschaftsministers dafür, daß die Konjunkturpolitik der Bundesregierung richtig ist und das Programm zu greifen beginnt, können wir uns nicht wünschen. Eine kompetente sachliche Feststellung noch hinterhergeschoben: Die Stellungnahme von Hans-Günther Sohl zum Jahreswirtschaftsbericht sollte in diesem Hause ebenfalls zur Kenntnis genommen werden. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten das zitieren, was Herr Sohl dazu schreibt: Es kommt jetzt alles darauf an, unsere Inlandskonjunktur zu beleben. Wir unterstützen und fördern das Konjunkturprogramm der Bundesregierung. Aber wir sind auch mit der Bundesregierung darüber einig, daß nachhaltig eine Belebung der Konjunktur nur erreicht werden kann durch eine Förderung der privaten Investitionen. ({10}) Genau das tun wir. - Die Spannweite unserer Wirtschaft ist weit, Herr Köhler, vom Stahl bis zum Wein, und ich kann darin kein Manko sehen. Wenn die Wirtschaft selber die Konjunkturpolitik der Bundesregierung so beurteilt, so stünde es, glaube ich, auch der Opposition gut an, sich nicht nur in wilder Polemik zu ergeben, sondern ebenso sachlich zur Konjunkturpolitik der Bundesregierung Stellung zu nehmen. ({11}) Dann wäre vieles besser. - Herr Apel hat Herrn Strauß deutlich geantwortet und sehr viel sachlicher gesprochen, als Herr Strauß hier 61 Minuten lang nicht zur Sache gesprochen hat. Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nordlohne?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr!

Franz Josef Nordlohne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001624, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehrenberg, wären Sie unter Einbeziehung dessen, was Sie soeben gesagt haben, bereit, auch einmal zu prüfen, wie das Konjunkturprogramm regional greift? Ich stelle fest, daß wir beispielsweise im Oldenburgischen heute auf eine Arbeitslosigkeitsquote von 20 % zugehen. Sie wissen das ganz genau, auch was die Verhältnisse in Ostfriesland angeht.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß das für Ostfriesland sicher genauso gut ich hoffe, sogar etwas besser - und kann Ihnen von den ostfriesischen Zahlen sagen, daß sie exakt so hoch sind wie 1967. Das heißt, daß - da der Bundesdurchschnitt höher ist - die regionale Strukturpolitik die Ausschläge erfolgreich eingeebnet hat, die früher größer waren. Das können Sie bitte in den Veröffentlichungen des Regierungspräsidenten, des Landesarbeitsamtes nachlesen, Herr Nordlohne. Ich empfehle Ihnen diese Lektüre, dann reden wir weiter, von mir aus in Oldenburg. (Beifall bei der SPD - Nordlohne [CDU CSU] : Wir sollten uns einmal über das Förderungsprogramm unterhalten! Es waren exakt die Auswirkungen des regionalen Förderungsprogramms, die dazu geführt haben. Aber kehren wir zurück zur Wirtschaftspolitik der Opposition. Denn ich glaube, es ist notwendig, daß hier in diesem Hause nicht nur die nüchterne, objektive, den Realitäten entsprechende Darstellung des Jahreswirtschaftsberichts gegeben wird, sondern dieses Haus muß sich, weil die publizistischen Hilfstruppen der Opposition so groß sind, auch mit der Wirtschaftspolitik der Opposition beschäftigen. Tut man das, dann wird man allerdings dazu kommen, feststellen zu müssen, daß eine wirtschaftspolitische Linie der Opposition nicht erkennbar ist, sondern nur ein ständiges Hin und Her. Und auch die heutigen Ausführungen - die von Herrn Strauß schon gar nicht, aber auch nicht die von Herrn Stoltenberg - haben keine Klarheit über die Wirtschaftspolitik der Opposition gebracht. Ich muß Sie mit ein paar Beispielen aus diesem Hin und Her behelligen. damit mir hinterher nicht gesagt wird, ich hätte das nur so behauptet. Wie gesagt, dieses Hin und Her ist nachweisbar, und diese Nachweise sind um so dringlicher - ich glaube, aber auch für die Öffentlichkeit überzeugender wenn sie vor dem Hintergrund dessen, was Herr Strauß heute früh hier gesagt hat, gesehen werden: sein Zu-Spät, sein Zu-Wenig und was sonst noch alles kam. Am 15. November 1974 noch hat Herr Biedenkopf in der „Zeit" folgendes Urteil abgegeben: Jetzt wird eine Konjunkturspritze den Umfang der Arbeitslosigkeit nicht wesentlich verändern. Wir sollten deshalb erst einmal abwar10316 ten, wie sich die Vermehrung der Nachfrage durch die Steuerentlastung im Januar auswirkt. Zwei Tage später warnte Herr Kohl vor einem überstürzten Durchstarten in der Konjunkturpolitik, also am 17. November, während dagegen Herr Stoltenberg am 15. Dezember das Konjunkturprogramm vom 12. Dezember als verspätet bezeichnet hat. Am 15. Dezember schon verspätet, was der Generalsekretär und der Vorsitzende dieser Partei vier Wochen früher für zu früh hielten! ({0}) Herr Stoltenberg, so schnell kann selbst diese Bundesregierung nicht sein, um noch schneller als in vier Wochen diese Veränderungen mitmachen zu können. ({1}) - Der Generalsekretär ist der einzige in dieser Partei, der langfristige Perspektiven hat; ({2}) auf den werde ich noch zurückkommen. Es ist auch nachweisbar, woher er sie hat und wo sie ihre Parallelen finden; in der CDU nicht. Sehr viel mehr Beiträge der CDU zur konjunkturpolitischen Diskussion, außer einem ständigen Wiederholen dieses Hin und Her, hat es nicht gegeben. Aber da es zumindest zwei Überschriften gab, die suggerieren, als ob dort Konjunkturpolitik gemacht würde, will ich hier kurz darauf hinweisen, nämlich auf das Drei-Punkte-Programm des Herrn Stoltenberg vom 19. Januar - jedenfalls wurde es in der „Bild"-Zeitung als Drei-Punkte-Programm bezeichnet; ich weißt nicht, ob Sie selber es so bezeichnet haben; da muß ich gleich um Nachsicht für die Berichterstattung in diesem Lande bitten; ich war auf diese Berichterstattung angewiesen - und auf die Erklärung des Bundesvorstandes der CDU vom 20. Januar in Berlin. Dort werden sechs Punkte der Wirtschaftspolitik angeführt. Nimmt man diese sechs Punkte aus Berlin und die drei Punkte des Herrn Stoltenberg: alle neun zusammen geben nirgendwo konkrete Hinweise dafür, was die Bundesregierung nun wirklich hätte anders machen sollen. Allein, wie in den Berliner Punkten, der Hinweis auf die bewährten Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft, auf die Möglichkeiten des geltenden Preis- und Wettbewerbsrechts ({3}) und die Anerkennung der kreditpolitischen Linie der Bundesbank - da kann man nur sagen: Diese kreditpolitische Linie der Bundesbank ist in voller Abstimmung mit der Bundesregierung so gemacht worden und nirgends anders. Folglich fordert das Sechs-Punkte-Programm aus Berlin das, was die Bundesregierung tut. Herzlichen Dank. ({4}) Zu dem, was Herr Stoltenberg in seinem DreiPunkte-Programm gefordert hat: gesellschafts- und finanzpolitische Ergänzungen des Konjunkturprogramms, Rücknahme der Verunsicherung durch Reformpolitik - wobei die Mitbestimmung mit erwähnt wurde, die die Bundesregierung zurückziehen sollte, um damit die Verunsicherung in der Wirtschaft zu beenden - und die Aufforderung zum sparsamen Haushalten - ({5}) - Ich zitiere nicht falsch. Lesen Sie selber die „Bild-Zeitung" nach. Dann stand es dort falsch. ({6}) Auf die Revisionsklausel, die mit dem sparsamen Haushalten so wenig übereinstimmt, bin ich schon eingegangen. Aber ich glaube, es ist notwendig, noch einmal, auch wenn sich Herr Strauß mit seiner heutigen Rede eigentlich sehr wenig als sachkundiger wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher ausgewiesen hat, über diese Widersprüche hinaus auf die hemmungslose und völlig verantwortungslose Demagogie, die von ihm betrieben wird, hinzuweisen, die für das Klima in diesem Lande gefährlicher ist, als es diese Widersprüche in zwei Parteien, wie sie bei der CSU und der CDU vorherrschen, schon sind. Ich will nur ein Beispiel aus dem vielen herausnehmen, was Herr Strauß in den letzten Wochen von sich gegeben hat. Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie es einem mit den gesetzlichen Grundlagen wenig vertrauten, beschäftigungslos gewordenen Arbeitnehmer wohl zumute sein muß, wenn er in der Presse auf Grund einer Presseerklärung von Herrn Strauß - ich zitiere jetzt die Presseerklärung, damit niemand sagen kann, hier wäre falsch berichtet worden - folgendes lesen muß, In der Presseerklärung des Herrn Strauß, „CDU/CSU- Mitteilungen" vom 1. Februar 1975 warnt Herr Strauß - jetzt zitiere ich wörtlich - „vor der schon lange vorhersehbaren drohenden Zahlungseinstellung der Nürnberger Bundesanstalt". ({7}) Wenn das nicht pure, hemmungslose Demagogie ist, ({8}) die geeignet ist, die Existenzangst bei vielen Leuten in diesem Lande hervorzurufen, dann frage ich Sie, was das wohl sonst ist. ({9}) Denn eigentlich sollte Herr Strauß wissen, daß die Bundesanstalt für Arbeit über mehr als 2 Milliarden DM Rücklagen verfügt und daß sie nur auf Grund des Arbeitsförderungsgesetzes, auf Grund der ausdrücklichen Intentionen des damals federführenden Bundesarbeitsministers Katzer verpflichtet worden ist, diese Rücklagen so langfristig anzulegen, daß sie sie zur Zeit nicht liquidisieren kann. ({10}) Aus diesem Tatbestand heraus die Bevölkerung und vor allen Dingen die davon betroffenen ArbeitDr. Ehrenberg nehmerkreise zu verschrecken mit der Behauptung von der vorhersehbaren drohenden Zahlungseinstellung der Nürnberger Bundesanstalt geht weit über die Grenzen der Verantwortung hinaus. ({11}) - Das bezweckt er, wobei mich, verehrter Herr Wehner, nicht wundert, daß Herr Strauß das bezweckt. Aber was mich wundert, was mich eigentlich sogar verschreckt: daß aus der CDU, dieser zahlenmäßig größeren Partei, niemand dem CSU-Chef widerspricht, wenn so etwas getan wird. ({12}) Das ist das eigentliche Problem dieses Parlaments, daß eine viel kleinere, aber lautstärkere Partei die größere in jeder Frage majorisiert. ({13}) - Das ist die CSU im Verhältnis zur CDU. Ich komme auf dieses Verhältnis zu sprechen, da es eines der Kernprobleme ist. ({14}) - Wir haben ein ausgewogenes Koalitionsverhältnis, um das gerade Sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Ständen Sie sich mit der CSU so gut wie wir mit der FDP, dann wäre in diesem Lande alles in Ordnung. ({15}) Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen die Feststellung nicht ersparen - der Finanzminister hat sie schon gemacht; ich will das noch einmal etwas ausführlicher darlegen, weil ich glaube, es ist notwendig, das vor allen Dingen der Öffentlichkeit immer wieder zu sagen, da Sie ständig versuchen, den umgekehrten Eindruck zu erwecken -, daß alles das, was Sie veranlaßt, hier Verunsicherung in die Bevölkerung zu tragen, in den Hauptstädten der Welt völlig anders beurteilt wird. ({16}) In der ganzen Welt gilt die Bundesrepublik als eine Insel der Stabilität, als ein Garant weiterer positiver wirtschaftlicher und politischer Entwicklung und als ein Musterbeispiel erfolgreicher Wirtschafts- und Finanzpolitik. ({17}) - Sie dürfen sitzenbleiben, Sie dürfen sich auch hinlegen; wie Sie das hören, ist mir völlig gleich, Hauptsache, Sie hören es und nehmen es vielleicht auch zur Kenntnis. ({18}) Herrn Strauß möchte ich empfehlen - leider spricht er immer nur und ist dann, wenn er gesprochen hat, weg - ({19}) - Die gesprochen haben, sind da. Mir würde es auch genügen, wenn Herr Strauß da säße und Sie gingen. Das würde mich gar nicht stören. Aber es ist leider nicht so. - Herr Strauß sollte sich nicht darauf beschränken, in Peking bayerische Kraftworte auszustoßen; er sollte sich in den Hauptstädten der Welthandelsnationen einmal umschauen, wie dort die Bundesrepublik beurteilt wird. Ich will Ihnen hier nicht alle Zitate vorlesen - sie wären so lang, daß ich meine Zeit damit verbrauchen könnte -, aber einige der wichtigsten. Die „New York Times" beurteilt am 1. 12. 1974 die Situation bei uns wie folgt. - Ich würde Ihnen sehr empfehlen, sich genau das anzuhören, damit Sie es endlich wissen, Herr Kollege auf der ersten Bank hier; hören sie einmal zu, damit Sie wissen, wie die Bundesrepublik in der Welt beurteilt wird! - Die „New York Times" sagt am 1. 12. 1974: Westdeutschland ist ein besonderer Fall. Es hat in schwierigen Zeiten wieder einmal seine immense Spannkraft und die straffe Disziplin seiner dynamischen Gesellschaft unter Beweis gestellt. Und „The Economist" in London, nebenbei angemerkt, auch keine sozialistische Zeitschrift, am 7. 12. 1974: Deutschlands Reserven sind fast so groß wie die der übrigen Neun zusammengenommen. Seine Zahlungsbilanzstatistiken sind weiterhin klar in schwarzen Ziffern - trotz der Ölpreiserhöhungen. Die Richtung in Deutschland zeigt also nach oben. Dann vielleicht noch - ich will Sie hier nicht mit Rom aufhalten - eine Stimme aus Paris, „Le Monde" am 22. Januar 1975: Nach dem Wunder des Wiederaufbaus nach dem Kriege stehen wir hier - nämlich in der Bundesrepublik vor einem zweiten: der unglaublichen Fähigkeit der Deutschen, in jedem Sinne des Wortes zu kassieren. Wie machen sie das, und welche Lehren kann man aus den Leistungen des Nachbarn ziehen? Im bestmöglichen Zeitpunkt umzuschwenken, ist eines der Geheimnisse des Erfolgs der deutschen Wirtschaftspolitik. In Paris hält man also das Konjunkturprogramm nicht für zu spät, auch nicht für zu früh, sondern meint, hier sei die Richtung im bestmöglichen Zeitpunkt neu bestimmt. Als letzte Stimme - um Sie hier nicht mehr aufzuhalten - die „Japan Times" aus Tokio am 7. Januar 1975: Westdeutschland vollbringt ein Wirtschaftswunder durch seine erfolgreiche Antiinflationspolitik. Trotz steigender Preise für Öl und andere Rohstoffe hat Westdeutschland einen Außenhandelsüberschuß von 17,5 Milliarden Dollar erwirtschaftet - ein Rekord, fast so viel wie die Überschüsse von 1972 und 1973 zusammen. Die Devisenreserven sind größer als die jedes anderen Landes. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, täten gut daran, sich gelegentlich ausländische Pressestimmen ausführlich anzusehen, um für Ihre Meinungsbildung nicht allein auf die „Passauer Nachrichten" und den „Bayern-Kurier" angewiesen zu sein. ({20}) Doch nicht nur, Herr Köhler, die Weltpresse, sondern auch die internationale Investitionsstatistik bestätigen, wie falsch Ihr Bild von der deutschen Wirklichkeit, wie falsch Ihr Bild von den Zukunftsaussichten dieses Landes ist. 1973 und 1974, in beiden Jahren, war ein Rekordanstieg ausländischer Investitionen in der Bundesrepublik zu verzeichnen. Das heißt doch nichts anderes, als daß sich klug rechnende Kapitalanleger in diesem Lande größere, zuversichtlichere Entwicklungsaussichten versprechen als anderswo. ({21}) Das tun sie, obgleich Sie ständig behaupten, wir hätten die Unternehmer verteufelt, die Mitbestimmung würde die Unternehmer verschrecken und anderes mehr. Ein paar Anmerkungen zu dieser Verteufelung. Wo hat sie denn stattgefunden? Doch nicht nur bei einigen Gruppierungen der Jungsozialisten; sie hat stattgefunden in Presseorganen, deren Verleger als Unternehmer an dieser Verteufelung gut verdient haben. Sie hat stattgefunden in Rundfunk- und Fernsehanstalten, wo Sie in den Verwaltungsräten handfeste Mehrheiten haben. Auch dort fand das statt, was Sie „Verteufelung der Unternehmer" nennen. Es war in erster Linie ein literarisches Problem, kein faktisches. Der Bundesregierung jedenfalls und den sie tragenden Parteien können Sie diese Verteufelung nicht anlasten. Wie sehr diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien auf das dynamische Element der Marktwirtschaft und auf die Unternehmerinitiative gesetzt haben, beweist ja wohl die Handhabung der Ölkrise. Ob Sie sie „Ölpreiskrise" oder „Ölversorgungskrise" nennen, ist dabei völlig gleichgültig. Diese Handhabung beweist eindeutig, wer es hier mit der Marktwirtschaft ernst gemeint hat. ({22}) Wenn Sie mir nicht glauben, sei wiederum ein Blick in das Sachverständigengutachten empfohlen. Dort heißt es ausdrücklich zu diesem Thema: „Die Marktwirtschaft hat ihre Anpassungsfähigkeit bestätigt. Das Errreichte sollte der Wirschaftspolitik Mut machen, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen." Genau das tut die Bundesregierung, und der Erfolg wird ihr recht geben. Aber gestatten Sie mir auch noch eine Anmerkung zu dem Thema Mitbestimmung. Herr Stoltenberg hat es vermieden, dieses Problem hier anzusprechen, aber in seinen drei Punkten hat es als angeblicher Verunsicherungstatbestand gegenüber den Unternehmern eine große Rolle gespielt. Ich glaube, hier ist es notwendig, die Dinge etwas zurechtzurücken. Mehr als ein Vierteljahrhundert paritätischer Mitbestimmung in der Montanindustrie haben das Selbstbewußtsein und das Engagement der Unternehmer dort nicht erschüttert, in keiner Weise, und auch die Investitionsentscheidungen in diesem paritätisch bestimmten Sektor können ja nicht so falsch und auch nicht so schwerfällig gewesen sein, wie oft dargestellt wird. Die Stahlkonjunktur war die beste Stütze der Wirtschaftskonjunktur im Jahre 1974. ({23}) - Herr Köhler, zumindest hat die Mitbestimmung sie nicht verhindert, um in Ihren Sprachgebrauch zu gehen. ({24}) Ich kann mir nicht vorstellen - ich kenne jedenfalls einige, die anders sind -, daß die Manager in den anderen Wirtschaftszweigen aus so sehr viel zarterem Holz geschnitzt sind als die Stahlbosse an der Saar und an der Ruhr. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die mit der Mitbestimmung nicht ihre vernünftige Koordination finden sollten. Im Gegenteil: Ich glaube, es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob nicht die Vorgänge um die Aktienpakete bei Daimler-Benz sogar viele Vorstandsmitglieder großer Unternehmen eines Besseren belehren werden. Wenn deutsche Anteilseigner sich so bedenkenlos von ihrem seit Jahrzehnten gewachsenen Eigentum trennen und ihre ihnen ebenfalls seit langem dienenden Vorstandsmitglieder nicht einmal darüber informieren, müßte es bei objektiver Würdigung der eigenen Situation für Vorstandsmitglieder geradezu eine Beruhigung sein, zu wissen, daß in Zukunft die Hälfte der Aufsichtsratsmandate von in der gewerkschaftlichen und Betriebsrätearbeit bewährten Arbeitnehmern besetzt wird und nicht verändert werden kann. ({25}) Noch einige Bemerkungen neben dieser Darstellung des ganz kurzfristigen Hin und Her, des sich ohne Konzeption abspielenden Wirtschaftspalavers bei der CDU/CSU, zu dem, was zu differenzieren ist zwischen dem Generalsekretär der CDU/CSU und dem sonstigen Erscheinungsbild. Das fängt damit an, daß Herr Strauß noch im November die gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten als ohne Zusammenhang mit der Energiekrise bezeichnete, während Herr Biedenkopf sehr massiv der Bundesregierung und dem Bundeskanzler einen Vorwurf daraus machte, daß wir - und jetzt zitiere ich wörtlich mit der Genehmigung des Präsidenten - „bisher nicht die Verdeutlichung der Zeitwende erkennen lassen. wie sie sich seit Ende 1973 abzeichnet". Wir haben das sehr deutlich getan. Wer es nicht mehr weiß, dem sei empfohlen, die Regierungserklärung von Bundeskanzler Schmidt nachzulesen. Aber einiges an den Ausführungen von Herrn Biedenkopf - was ich zitierte, stammt aus dem ZDF-Gespräch vom 2. Januar - schien mir doch so sehr interessant, daß ich es Ihnen zur Kenntnis geben wollte. ({26}) Herr Biedenkopf stellt fest, „daß die mittelfristigen und die längerfristigen Perspektiven unserer wirtschaftspolitischen Entwicklung aufgezeigt werden müssen, daß gesagt wird, was die Funktion und die Rolle dieses Landes zum Beispiel im Verhältnis zu den europäischen Nachbarn sein soll und wie unser Verhältnis zu den Entwicklungsländern, zu den Ölländern aussehen soll. Das ganze Problem der Rückführung der Öldollars ist noch völlig ungelöst, die Folgen für unser Land sind völlig ungeklärt." Und Herr Biedenkopf stellt weiterhin fest: Die Bundesrepublik und ihre Probleme lassen sich nicht auf rein wirtschaftspolitische oder Aufschwungfragen reduzieren. Wir haben eine Fülle von langfristigen Schwierigkeiten vor uns: das Verhältnis zu den Entwicklungsländern, die Weiterentwicklung der Entwicklungspolitik, unsere Hilfe für die hungernde Teile der Bevölkerung, die tiefgreifenden Strukturveränderungen der deutschen Wirtschaft - ausgelöst durch die enorm hohen Arbeitslöhne in der Bundesrepublik -, die Notwendigkeit, im Ausland zu investieren; alle diese Fragen, die großen Schwierigkeiten in Europa. Meine Damen und Herren, richtige Fragen, drängende Fragen, Fragen, die einer Antwort bedürfen. Herr Biedenkopf hat die richtigen Fragen gestellt; nur: wer in der CDU/CSU hat zu diesen Fragen bisher auch nur eine einzige konkrete Antwort gegeben? ({27}) Ich finde dort keine. Aber ich kann, wie es der Bundesfinanzminister schon getan hat, auf den Orientierungsrahmen 1985 der Sozialdemokratischen Partei verweisen. Da gibt es Antworten auf diese Fragen. Und es gibt sie auch aktuell. In der heute schon zitierten Recklinghauser Erklärung der Führungsgremien der SPD heißt es in Ziff. 20: Es kommt darauf an, das Erreichte zu bewahren. Aber auf Dauer reicht es nicht aus, lediglich das Bestehende zu sichern. Richtiges Handeln erfordert eine vorausschauende Orientierung der Politik. Sozialdemokraten haben schon vor dem weltwirtschaftlichen Umbruch die Überbewertung des bloßen quantitativen Wachstums als falsch erkannt. Sie füllten den Begriff Lebensqualität mit konkreten Inhalten für die Menschen in unserem Lande. ({28}) Meine Damen und Herren, es wäre sehr viel gewonnen, für die Demokratie und die Wirtschaftssituation in diesem Lande, wenn es Herrn Biedenkopf gelingen würde, seine Erkenntnisse bei Ihnen durchzusetzen, deutlich zu machen, daß wir vor langfristigen, aber lösbaren Schwierigkeiten stehen, und gelegentlich auch aus Ihren Reihen Antworten auf diese Fragen zu hören, Antworten, die man dann mit den langfristigen sozialdemokratischen Vorstellungen vergleichen könnte. Dann hätten die Bürger die Möglichkeit zu sagen, welche Vorstellungen sie bevorzugen. Vorläufig tasten sie bei Ihnen mti der großen Stange im Nebel, nur ist der Nebel verschiedenfarbig. ({29}) Herr Biedenkopf betont auch, daß in erster Linie strukturelle Schwierigkeiten gegenwärtig die Wirtschaftssituation bestimmen. Das ist richtig. Doch Strukturen verändern sich langsam. Diese strukturellen Schwierigkeiten gehen in erster Linie darauf zurück, daß zwei Jahrzehnte falsche Wechselkurse die Anpassung verhindert haben; sie wurde auch durch den jetzt nicht mehr anwesenden Herrn Strauß in Verbindung mit Herrn Kiesinger - hinausgezögert. Diese falschen Wechselkurse haben die Kostenrelationen nicht widergespiegelt. Das hat zu einseitiger Exportorientierung geführt. Dahinter ist diese schwierige Wirtschaftsstruktur gewachsen, die zu beseitigen wir in der nächsten Hochkonjunktur viel Mühe haben werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einen Ihrer verehrten Kollegen zitieren, einen Kollegen, den ich wirklich verehre. Zu den Konjunkturproblemen hat Herr Kollege Höcherl am 5. Februar 1975 u. a. gesagt: „Deshalb bin ich der Meinung, daß rücksichtslose Wahrheit die richtige Medizin ist, die uns hilft, die eigenen Kräfte zu moblisieren." Diesen Ausspruch von Herrn Höcherl kann ich voll unterschreiben. Er geht allerdings an Ihre Adresse, meine Damen und Herren, und Sie sind aufgefordert, sich diesen Ausspruch des Kollegen Höcherl zu Herzen zu nehmen. Denn so wie jetzt Ihr Erscheinungsbild sich darstellt, müßten Sie, wenn die Medienstruktur dieses Landes das nur richtig widerspiegeln würde, landauf, landab als die größte Verunsicherungspartei aller Zeiten gelten. ({30}) In Ihrer Parteiensymbiose bestimmt der kleinere, aber viel lautere die Handlungsmöglichkeiten des größeren Partners, streben viele nach der Würde eines Kanzlerkandidaten, aber bisher weiß niemand, wen der große Oberchef aus Bayern auszuerwählen gedenkt. ({31}) Nicht einmal auf der Wallfahrt nach Passau konnte festgestellt werden, wen er auswählen wird, ({32}) und niemand in diesem Lande weiß, was eigentlich aus den Beschlüssen Ihres Hamburger Parteitages jemals werden wird. ({33}) Sie haben der Planungsgruppe ja sogar das Nachdenken über die Realisierung dieser Beschlüsse bei Ihnen verboten. ({34}) Wir werden trotz dieses Nebels, den Sie verbreiten, den wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs unverändert fortsetzen. Dieser wirtschafts- und finanz-, politische Kurs wird uns über eine sehr schwierige Phase, die vor uns liegt, zu einem neuen, stabilitätsgerechten Aufschwung führen. Zwei Grundvoraussetzungen sind dafür notwendig: erstens, daß außenwirtschaftliche Einbrüche administrativer Art nicht stattfinden - das wird großer internationaler Anstrengungen bedürfen -, und zweitens, daß die Bundesbank ihre expansionsorientierte Linie der Geld- und Kreditpolitik so fortsetzt, wie sie mit der Verabschiedung des Konjunkturprogramms eingeschlagen worden ist. Ich hoffe - und damit möchte ich schließen -, daß der Zentralbankrat sich bei diesem richtigen Bemühen einer expansionsorientierten und gleichzeitig stabilitätsbewußten Geld- und Kreditpolitik nicht allzusehr von den wissenschaftlich fragwürdigen Ideen des Milton Friedmann beeindrucken läßt. Ich traue der Mehrheit des Zentralbankrates zu, sich nicht allzu eng an die Intentionen der volkswirtschaftlichen Abteilung dort zu klammern. ({35}) Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt wird unterbrochen. Sie wird um 15 Uhr fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung für zwei Minuten. Um 13.30 Uhr beginnt die Fragestunde. ({36}) Vizepräsident von Hassel: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Punkt 1 auf: Fragestunde - Drucksache 7/3227 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Schweitzer wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Dr. Wittmann ({37}) auf. Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Jäger ({38}) auf: Welche politischen Erwägungen haben die Bundesregierung veranlaßt, das rechtsstaatliche Gebot der strafrechtlichen Verfolgung von Schwerstverbrechen zurückzustellen und den zu einem Besuch beim DGB eingeladenen früheren Chef des sowjetrussischen KGB, Herrn Alexander Scheljepin, dessen Beteiligung an zwei in der Bundesrepublik Deutschland vom KGB verübten Morden durch höchstrichterliches Urteil festgestellt ist, in Anwendung von § 153 b der Strafprozeßordnung von der Strafverfolgung freizustellen? Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With zur Verfügung.

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Die Frage beruht auf der unrichtigen Voraussetzung, die Bundesregierung habe den sowjetischen Gewerkschaftschef Scheljepin von Strafverfolgung freigestellt. Aus Anlaß des Besuchs von Scheljepin in der Bundesrepublik Deutschland hat ein Teil der Presse derartige unrichtige Meldungen verbreitet. Der Bundesminister der Justiz ist im Namen der Bundesregierung mit einer Pressemitteilung vom 29. Januar 1975, die Ihnen eigentlich bekannt sein sollte, diesen unrichtigen Meldungen entgegengetreten. Die Bundesregierung bedauert deshalb, daß ihr trotz dieser Richtigstellung nach wie vor eine Maßnahme unterstellt wird, die nach dem Gesetz allein in die Kompetenz der zuständigen Strafverfolgungsbehörden fällt. Ich wiederhole deshalb, daß alle Meldungen, der Bundesminister der Justiz habe den sowjetischen Gewerkschaftschef Scheljepin von jeglicher Strafverfolgung freigestellt, unrichtig sind. Die Bundesregierung hat den Landesjustizverwaltungen vielmehr lediglich mitgeteilt, daß überwiegende öffentliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland einer Einleitung und Durchführung von Ermittlungsverfahren entgegenstehen. Daraus ergibt sich, daß die Bundesregierung die Voraussetzungen des § 153 c Abs. 2 der Strafprozeßordnung in der ab 1. Januar 1975 geltenden Fassung für gegeben hielt. Nach dieser Vorschrift kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung von Straftaten absehen, wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahren eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Die Staatsanwaltschaften sind dabei an die Auffassung der Bundesregierung nicht gebunden. Im übrigen hat die Bundesregierung bereits im Jahre 1970 eine gleiche Erklärung abgegeben, als aus Anlaß eines geplanten Besuchs von Scheljepin eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft München erstattet worden war. Diese Staatsanwaltschaft hat daraufhin von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 153 b Abs. 2 StPO alter Fassung - beide Fassungen sind identisch - abgesehen. Nach der zitierten Vorschrift der Strafprozeßordnung oblag es allein dem pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Strafverfolgungsbehörden, die Vorschrift des § 153 b StPO alter Fassung unter Berücksichtigung der Erklärung der Bundesregierung anzuwenden. Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Sie bitten, nachdem Sie nun mit sehr vielen Worten um den Kern des Problems herumgeredet haben, mir doch auf die Frage Antwort zu Jäger ({0}) geben, welche politischen Erwägungen es waren, die die Bundesregierung veranlaßt haben, diese Mitteilung an die Bundesländer zu machen, von der ja ersichtlich war, daß sich die Landesregierungen daran halten würden?

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Wenn von dem Fragesteller - das darf ich zunächst sagen - in die Frage eine Feststellung gekleidet wird, die von der Bundesregierung längst klargestellt ist, bedarf es einiger Worte, um das aus der Welt zu schaffen. Zum zweiten: Es ist ganz offenkundig, daß die Bundesregierung eine Abwägung vorgenommen hat, nämlich welche Nachteile entstehen könnten, wenn sie gemäß der angezogenen Vorschrift keinen Hinweis gibt. Diese Abwägung hat ergeben, daß die Gefahr für das Wohl der Bundesrepublik größer gewesen wäre, hätte sie diese Erklärung nicht abgegeben, wenn sie also unterblieben wäre. Ich glaube, jeder von uns im Saal kann sich vorstellen, welcher außenpolitische Schaden eintreten würde, wenn es zu Weiterungen gekommen wäre. Vizepräsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß bei Abwägung aller Gesichtspunkte der außenpolitische Schaden, der insbesondere für die Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland im Ausland - ich denke vor allem an die Vereinigten Staaten von Amerika und ihren großen Gewerkschaftsbund - entstanden ist, wesentlich größer war, indem man Herrn Scheljepin ungehindert einreisen ließ und keine Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn durchführte, statt ihm vorher zu sagen, er müsse mit solchen Maßnahmen rechnen, weil er dann wahrscheinlich gar nicht gekommen wäre?

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Ich sage hier klar und deutlich nein, zumal da überhaupt nicht feststeht, was eine Strafverfolgung ergeben würde. Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Spranger.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn es nach Ihrer Auffassung allein in der Zuständigkeit der Landesjustizbehörden lag, ob strafverfolgt wird oder nicht, und wenn man davon ausgeht, daß diese durchaus in der Lage sind, § 153 c angemessen zu interpretieren, warum hat dennoch die Bundesregierung diesen Brief an die Landesjustizbehörden geschrieben?

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Um zur Kenntnis zu geben, welche Auffassung die Bundesregierung hat. Das ist ihr legitimes Interesse, und es ist die Pflicht der Bundesregierung, gemäß den Gesetzen Schaden von der Bundesrepublik abzuwenden. Vizepräsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe nachträglich noch einmal die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf: Waren alle in Frage kommenden Gerichte und Behörden mit den Texten der zu Anfang des Jahres 1975 in Kraft tretenden Gesetze versorgt, und warum wurden - verneinendenfalls - im Hinblick auf die kurze Frist zwischen Verabschiedung und Verkündung der Gesetze keine Sonderdrucke des Bundesgesetzblattes verteilt? Er kam eine Minute nach dem Aufruf vorhin. Ich habe Verständnis dafür. - Bitte schön, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung der Frage 57 des Abgeordneten Dr. Wittmann.

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Es ist in erster Linie Aufgabe der Landesverwaltungen, die Gerichte und Behörden ihres Geschäftsbereichs rechtzeitig mit dem Wortlaut neu in Kraft tretender Gesetze zu versorgen. Aufgabe der Bundesregierung ist es, nach dem Zustandekommen des Gesetzesbeschlusses für eine unverzügliche Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt Sorge zu tragen. Das ist in allen hier in Frage stehenden Fällen geschehen. Dabei wurde dem erhöhten Bedarf der Gerichte und Behörden durch entsprechende Steigerung der Auflage des Bundesgesetzblatts Rechnung getragen. Soweit Gerichte und Behörden nicht unmittelbar Bezieher des Gesetzblattes sind, ist den Landesverwaltungen auf Anforderung die gewünschte Anzahl von Exemplaren des Bundesgesetzblatts zur Verfügung gestellt worden. Sonderdrucke des Bundesgesetzblatts vor der Verkündung von Gesetzen sind nicht zulässig, da sie mit dem Wesen des Bundesgesetzblatts als Verkündungsorgan nicht vereinbar sind. Ein großer Teil der am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Gesetze ist bereits mehrere Monate vorher verkündet worden. So ist das sehr umfangreiche Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch bereits am 19. März 1974 erschienen, das Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters am 8. August 1974. Das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts wurde am 11. Dezember 1974, und das Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz am 21. Dezember 1974 verkündet. Bei einem Teil der am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Gesetze verzögerte sich die Verkündung dadurch, daß das Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat erst am 19. Dezember 1974 abgeschlossen war. Diese Gesetze - das Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und das Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts - wurden am 20. Dezember 1974 ausgefertigt und sind am 24. bzw. 28. Dezember 1974 verkündet worden. Damit bestand die Möglichkeit, daß sie am 2. Januar 1975 bei allen Gerichten und Behörden vorlagen. Ob dies tatsächlich der Fall gewesen ist, entzieht sich der Kenntnis der Bundesregierung. Die zuständigen Bundesministerien haben bei einer Reihe von besonders wichtigen Gesetzen den Landesverwaltungen darüber hinaus - zur Weiterleitung an die Praxis - frühzeitig zusätzliche Materialien zugeleitet. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst möchte ich mich bei Ihnen, Herr Präsident, und bei Ihnen, Herr Staatssekretär, sehr bedanken, daß meine Frage hier noch behandelt wird. Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekanntgeworden, daß der Großteil der Gerichte nicht im Besitz der Gesetzblätter war, und hätte es angesichts der Daten 24. und 28. Dezember bei so wichtigen Gesetzen wie dem Gesetz betreffend Strafverfahrensrecht und dem Gesetz zur Entlastung der Landgerichte nicht nahegelegen, den Gerichten vorweg einige Abdrucke mit dem Hinweis zuzuleiten, daß diese Gesetze normal verkündet würden? Es war schließlich nicht zu erwarten, daß die Gerichte am 2. Januar schon alle im Besitz der Gesetzblätter sind. Wir wissen ja alle sehr genau, wie langwierig der Postverkehr gerade in diesen Tagen ist.

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Herr Kollege Wittmann, ich habe darauf hingewiesen, daß dies nur - was die genannten Daten 24. und 28. Dezember anlangt -zwei Gesetze betraf. Die Bundesregierung hat insoweit alles getan, was ihr möglich war, um dafür Sorge zu tragen, daß die entsprechenden Gesetze rechtzeitig in den Händen der Betroffenen sind. Es ist der Bundesregierung aber nicht möglich, die Gesetzblätter vor der Verkündung der Gesetze herauszugeben. Das verbietet die Form der Verkündung im Bundesgesetzblatt an sich. Darüber hinaus möchte ich darauf verweisen, daß alle diese Gesetze den Bundesrat durchlaufen haben und es in erster Linie Sache der Länder ist, dafür Sorge zu tragen, daß die neuen Gesetze den Betroffenen rechtzeitig zur Verfügung stehen. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, verzeihen Sie, daß ich insistiere. Die Länder können den Gerichten die Gesetze nicht zur Verfügung stellen, wenn sie die Texte vom Bund nicht haben. Gerade bei diesen zwei wichtigen Gesetzen, die in den Gesetzblättern vom 24. und 28. Dezember stehen, war es eben nicht möglich, sie zur Verfügung zu stellen. Hätte es nicht nahegelegen und würden Sie in Zukunft daran denken lassen - daß Sie selbst daran denken, möchte ich gar nicht verlangen -, daß in solchen Fällen des kurzfristigen Inkrafttretens den Gerichten Vorabdrucke zugeleitet werden, damit man sich zumindest darüber orientieren kann, welche Vorschriften von einem bestimmten Zeitpunkt an gelten?

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Herr Kollege Wittmann, die Bundesregierung, deren Vertreter und alle, die dieser zuzurechnen sind, denken immer darüber nach, was unternommen werden kann, um den Ländern behilflich zu sein. Weiter zeigen die genannten Daten klipp und klar, daß die Möglichkeit bestand, die Betroffenen bis zum 2 Januar mit den entsprechenden Gesetzesmaterialien zu versorgen. Wenn die Gesetzblätter nicht bis zu diesem Termin in die Hände der Betroffenen hätten gelangen können, wäre es ja möglich gewesen, durch die Landesvertretungen, die es hier beim Bund gibt, Fotokopien der Gesetze anfertigen zu lassen und diese zu verbreiten. Ich betone noch einmal: Die Bundesregierung hat alles, was ihr möglich war, getan, um den Ländern rechtzeitig entsprechendes Material zukommen zu lassen. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Spranger auf: Warum hat die Bundesregierung dafür gesorgt, daß von der Strafverfolgung des ehemaligen Chefs des Staatssicherheitsdienstes KGB wegen Mordes an Exilukrainern abgesehen wird, und hat sie dabei die Meinung des amerikanischen Gewerkschaftsvorsitzenden, George Meany, demzufolge es keinen plausiblen Grund zu Gesprächen oder zu irgendwelchen anderen Kontakten zwischen freien Gewerkschaftsbewegungen und dem von der kommunistischen Partei der Sowjetunion ernannten Boß einer sogenannten Arbeiterorganisation gibt, mit in Betracht gezogen? Bitte, zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With!

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Die Frage beruht auf der unrichtigen Voraussetzung - insoweit muß ich mich wiederholen, weil die Frage praktisch mit der Frage von Herrn Jäger ({0}) identisch ist -, die Bundesregierung habe den sowjetischen Gewerkschaftschef Scheljepin von Strafverfolgung freigestellt. Aus Anlaß des Besuchs von Scheljepin in der Bundesrepublik Deutschland hat ein Teil der Presse derartige unrichtige Meldungen verbreitet. Der Bundesminister der Justiz ist im Namen der Bundesregierung diesen unrichtigen Meldungen mit einer Pressemitteilung vom 29. Januar 1975, die Ihnen bekannt sein dürfte, entgegengetreten. Die Bundesregierung bedauert daher, daß ihr trotz dieser Richtigstellung nach wie vor eine Maßnahme unterstellt wird - ich wiederhole das vorhin Gesagte -, die nach dem Gesetz allein in die Kompetenz der zuständigen Strafverfolgungsbehörden fällt. Im übrigen beziehe ich mich auf die Ausführungen, die ich soeben in Beantwortung der Frage des Herrn Kollegen Jäger ({1}) gemacht habe. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spranger.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der Bundesgerichtshof diese Attentate, über die er damals verhandelt hat, als von Herrn Scheljepin in mittelbarer Täterschaft begangen betrachtet und daß das Verhalten von Herrn Scheljepin allen internationalen und diplomatischen Gepflogenheiten ins Gesicht schlug?

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Das Urteil, auf das Sie anspielen, ist der Bundesregierung selbstverständlich bekannt. Es betraf nicht Herrn Scheljepin, sondern zwei andere Personen als Angeklagte. Vizepräsident von Hassel: Bitte schön, eine zweite Zusatzfrage!

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Muß ich davon ausgehen, daß Sie, Herr Staatssekretär, die Gründe des Urteils nicht gelesen haben, in denen ausdrücklich auf das Bezug genommen wird, was ich soeben gesagt habe?

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Sie können davon ausgehen, daß mir das Urteil auch in den Gründen, soweit es veröffentlicht wurde, bekannt ist. Aber ich habe vorhin schon anzudeuten versucht, daß damit keineswegs gesagt ist, daß eine Strafverfolgung zu einer Verurteilung führen würde. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, haben Sie sich jetzt bei der Antwort auf die Frage des Kollegen Spranger nicht selber widersprochen, nachdem Sie formalrechtlich richtig vorhin auf meine Frage geantwortet haben, die Bundesregierung habe nicht selber eine Freistellung von einer Strafverfolgung veranlaßt? Hat sie nicht doch entsprechend der Frage des Kollegen Spranger durch einen Rundbrief an die Länder de facto dafür gesorgt, daß Herr Scheljepin ungehindert und, ohne einer Strafverfolgung ausgesetzt zu sein, in die Bundesrepublik Deutschland einreisen konnte?

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Ich habe mir erstens nicht widersprochen und zum zweiten, so meine ich, war die Antwort formell und materiell korrekt, die ich insoweit gegeben habe. Sie entspricht dem Gesetz. Ich betone nochmals: Allein zuständig sind die jeweils betroffenen Staatsanwaltschaften. Das sollte klar sein. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Freiherr von Fircks!

Otto Fircks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung in ihre Überlegungen die Möglichkeit mit einbezogen, den Einladenden, den Deutschen Gewerkschaftsbund, darauf aufmerksam zu machen, in welche Verlegenheit er durch diese Einladung die Bundesregierung bringt, und deswegen anzuregen, davon Abstand zu nehmen?

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Die Bundesregierung hat überhaupt keinen Anlaß, Spitzenorganisationen jedweder Verbände in diesem Land zu kontrollieren. Pflicht und Aufgabe der Bundesregierung ist es, Schaden von diesem Land abzuwenden. Das hat sie mit ihrer Erklärung zu tun versucht. Vizepräsident von Hassel: Wir sind am Ende der Fragen Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich danken Ihnen für die Beantwortung. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf. Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Klein ({0}) auf. Gedenkt die Bundesregierung, das Experiment einer vom Bundespresse- und Informationsamt herausgegebenen und im Boulevard-Stil aufgemachten Zeitung zu wiederholen, und ist in diesem Experiment der Anfang des Versuches zu erblicken, zum Ausgleich für die abnehmende Zahl regierungsfreundlicher Blätter eine in regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen erscheinende, aus Steuermitteln finanzierte Regierungszeitung zu etablieren? Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär Bölling!

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter Professor Klein, ich darf zunächst eine grundsätzliche Bemerkung machen, nämlich die, daß das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung kontinuierlich entsprechend seiner Aufgabenstellung, die sich da nie geändert hat, und damit auch ohne Rücksicht auf Wahlkämpfe, Informationsmaterial zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herstellt und verteilt. Hierbei handelt es sich ausschließlich um Informationsmaterial, das die Leistungen, Maßnahmen und Vorhaben der Bundesregierung darstellt und erklärt. Mit der Informationsschrift „WIR", nach der Sie in besonderem Zusammenhang gefragt haben -- „WIR", das meint Wirtschaft, Information und Reportagen -, sollen die Arbeitnehmer vor allem in wirtschaftlichen Schwerpunktgebieten angesprochen werden. Da es sich bei dieser Schrift um Informationsmaterial der Bundesregierung handelt, also weder um eine Zeitschrift noch um eine Zeitung, kann ich den ersten Teil Ihrer Frage deshalb mit einem klaren Nein beantworten. Damit erledigt sich auch, so scheint mir, eine Antwort auf den zweiten Teil Ihrer Frage. Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klein?

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, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie viele Ausgaben dieser oder einer ähnlichen Informationszeitung oder -zeitschrift beabsichtigt die Bundesregierung bis zum Herbst 1976 noch herauszugeben?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, in diesem Augenblick ist nicht daran gedacht - sonst hätte ich Ihnen eine nicht sachgemäße Antwort gegeben -, eine weitere, eine dritte oder eine vierte herauszugeben. Ich sagte vorhin schon, daß dies eine Informationsschrift ist. Die Vermutung, daß hier ein Substitut für eine Zeitung vorge10324 legt werden sollte, beruht auf einer falschen Annahme. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klein.

Prof. Dr. Hans Hugo Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001115, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie dieses Blatt als ein Blatt zur Information über die Tätigkeit der Bundesregierung bezeichnet haben, möchte ich Sie fragen: Halten Sie es für notwendig, den Staatsbürger auf diesem Wege darüber zu informieren, daß der Herr Bundeskanzler mehr als acht Stunden am Tag zu arbeiten pflegt, oder sind Sie nicht vielmehr mit mir der Meinung, daß dies eine Selbstverständlichkeit ist, von der der Staatsbürger ausgehen kann, ohne darüber informiert werden zu müssen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich halte es für durchaus in der Ordnung, daß dem Bürger ein Eindruck davon vermittelt wird, wie der Mann an der Spitze der Regierung seinen Tag einteilt und daß er nicht so wie viele andere im öffentlichen Dienst nach acht Stunden Schluß macht, ({0}) wie sich ein solcher Tag dramaturgisch gliedert. Im übrigen erinnere ich mich aus meiner journalistischen Zeit daran, Herr Dr. Klein, daß ähnliche Schriften mit der gleichen Thematik zur Zeit des großen Konrad Adenauer in Hülle und Fülle vertrieben und interessiert gelesen wurden. ({1}) Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer.

Prof. Dr. Carl Christoph Schweitzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir in diesem Zusammenhang darin zustimmen, daß ganz generell die jahrelange Inanspruchnahme des seinerzeit von Konrad Adenauer, den Sie schon erwähnt haben, geschaffenen Reptilienfonds für ganz ungenierte parteipolitisch motivierte Sonderaktionen von CDU geführten Bundesregierungen wirklich bedenkliche quantitative und qualitative Dimensionen aufwies, ohne daß wir hier in die Einzelheiten einsteigen könnten?

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Nein, in die Einzelheiten können wir, Herr Abgeordneter, schon deshalb nicht einsteigen, weil, wie Ihnen bekannt ist, die Berichterstattung über Einzelposten dieses sogenannten Reptilienfonds dem Unterausschuß des Haushaltsausschusses vorbehalten ist. Aber mein Eindruck ist, daß über sehr viele Jahre über die Mittel dieses Fonds großzügig oder, anders ausgedrückt, nicht gerade kleinlich verfügt worden ist. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedrich.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Trifft es zu, daß Sie deshalb heute das Parlament korrekt informieren können, was früher nicht möglich war?

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Ich bin in der Lage, jedwede Frage - selbstverständlich außer denen, die unter der Kontrolle des Unterausschusses ressortieren - in jedem Detail zu beantworten. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({1}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, stellen Sie dem Bundeskanzler nicht eigentlich ein Armutszeugnis aus, wenn Sie auf die Frage des Kollegen Professor Klein antworten, es bestehe ein Bedürfnis danach, daß der Bürger wisse, daß der Bundeskanzler anders als so mancher andere Staatsdiener länger als acht Stunden arbeitet?

Not found (Staatssekretär:in)

Nein, da haben Sie mich mißverstanden, Herr Abgeordneter. Mein eigentliches Argument war, daß der Bürger ein legitimes Interesse daran hat, zu wissen, wie die Dramaturgie eines solchen Arbeitstages verläuft, und daraus zu erkennen, daß sich der Bundeskanzler mit wesentlichen Dingen beschäftigt, die im Interesse des ganzen Landes sind. Das ist, glaube ich, völlig in der Ordnung. Warum sonst hätte z. B. die Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise über viele Jahre solche Artikel über den damaligen Bundeskanzler Adenauer veröffentlicht, die im Sinne Ihrer Fragestellung vielleicht auch nach Heldenkult ausgesehen hätten? Da wurden Leistungen dargestellt, und es wurde gezeigt, wie er diese Leistungen vollbracht hat. ({0}) Dies ist, glaube ich, völlig in der Ordnung. Vizepräsident von Hassel: Die Fragen 11 und 12 des Herrn Abgeordneten Reddemann werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe Frage 13 des Herrn Abgeordneten Nordlohne auf: Treffen nach Auffassung der Bundesregierung die in dem Informationsblatt des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom Herbst 1972 „Politik ist gut, wenn es den Menschen besser geht" u. a. aufgeführten Tatsachen „Arbeitsplätze sind sicher wie nirgendwo sonst", „die Sicherheit der Arbeitsplätze hat die Bundesrepublik Deutschland zu einer Insel des sozialen Friedens gemacht", „die Staatsfinanzen sind in Ordnung" sowie „unsere Wirtschaft leistet mehr denn je" jetzt nach einem Zeitablauf von nur 26 Monaten noch zu? Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Bölling, bitte.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, die in dem Faltblatt der Regierung aus dem Jahre 1972 unter dem Titel „Politik ist gut, wenn es den Menschen besser geht" gemachten Aussagen stützen sich auf die amtlichen Statistiken jener Jahre, wie Ihnen seinerzeit Herr von Wechmar auf Ihre Anfrage zum nämlichen Thema in der Fragestunde vom 25. April 1974 bereits gesagt hat. Die Wirtschaftslage zu Beginn des Jahres 1975 ist, wie jedermann weiß, mit der Lage im Herbst 1972 nicht vergleichbar. ({0}) Ich brauche nicht zu sagen - ich trage damit sicher nur Eulen nach Athen -, daß die weltweite Inflation und die Folgen der Ölpreisvervierfachung die ganzen wirtschaftlichen Daten, wie wir alle wissen, in der ganzen Welt entscheidend verändert haben. Dennoch gilt auch heute noch, daß insbesondere im Vergleich mit dem Ausland - und dies ist ja heute vormittag von mehreren schon im Hohen Hause gesagt worden - die Arbeitsplätze bei uns auf Dauer sicher sind und daß die Bundesrepublik ein Land des sozialen Friedens ist. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.

Franz Josef Nordlohne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001624, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, in einem neuen Faltblatt des Presse- und Informationsamtes die Tatsachen des Jahres 1972 denen des Frühjahrs 1975 gegenüberzustellen?

Not found (Staatssekretär:in)

Alles, was nötig ist, um ein realistisches Bild zu vermitteln, Herr Abgeordneter, wird von uns getan bzw. ist von uns getan worden, z. B. in diesem Informationsblatt „WIR", in dem wir uns schon mit dieser Situation auseinandergesetzt haben. Vizepräsident von Hassel: Keine zweite Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Nordlohne auf: Welches sind die Gründe dafür, daß entgegen der erfolgten Zusage des damaligen Staatssekretärs und Chefs des Presse- und Informationsamtes, von Wechmar, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 25. April 1974 bis heute das von mir seinerzeit beanstandete vorerwähnte Informationsblatt noch nicht in aktualisierter Form erschienen ist? Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!

Not found (Staatssekretär:in)

Ebenfalls Herr von Wechmar war es, der damals die Absicht angekündigt hat, das Faltblatt zu aktualisieren. Es war, wenn ich den Text richtig verstanden habe, nicht eine verbindliche „Zusage", wie Sie es angedeutet haben. Richtig ist allerdings, daß damals die Herausgabe einer neuen Auflage beabsichtigt gewesen ist. Von einer Neuauflage des Faltblatts wurde jedoch abgesehen, weil sich in der Zwischenzeit - das war soeben schon das Thema - für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung auf diesem Gebiet andere Prioritäten ergeben haben. Die Thematik mußte in anderer Weise erläutert werden. Der Sachstand an sich ist unverändert. Zur Zeit besteht jedenfalls nicht die Absicht, eine Neuauflage zu drucken. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Nordlohne.

Franz Josef Nordlohne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001624, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welchen Standpunkt nimmt die Bundesregierung heute gegenüber der in der Fragestunde vom 25. April 1974 geäußerten Auffassung ein? Damals wurde auf die Frage nach einer aktualisierten Auflage des Informationsblattes, das eine Darstellung der Regierungspolitik enthielt, gesagt, die Bundesregierung sehe keine Notwendigkeit, der Bevölkerung, wenn es ihr gut gehe, das Gegenteil einzureden. Hat die Bundesregierung heute nicht die Pflicht, der Bevölkerung den augenblicklichen Zustand sehr deutlich vor Augen zu führen? Ich meine, daß das notwendig wäre.

Not found (Staatssekretär:in)

Ich sagte Ihnen schon, Herr Abgeordneter: All die Fakten, die sich mittlerweile dramatisch verändert haben, fließen in alle Informationsmaterialien ein, die vom Bundespresse- und Informationsamt ediert und gedruckt werden. Auch in der Informationsschrift, die einigen von Ihnen unangenehm aufgefallen ist, werden Sie nicht den Versuch finden, etwas anderes zu tun, als Fakten mit dem Ziel darzustellen, das Ministerpräsident Stoltenberg heute vormittag als legitim bezeichnet hat, nämlich aus psychologischen Gründen und im politischen Interesse der gesamten Bevölkerung die Fakten so darzustellen, wie sie sind, also nicht in Pessimismus zu machen. Vizepräsident von Hassel: Zu einer letzten Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Nordlohne.

Franz Josef Nordlohne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001624, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß, um die Bevölkerung wirklich objektiv aufzuklären, die Fakten des Jahres 1972 mit denen des Jahres 1975 in einen konkreten Vergleich zueinander gestellt werden müssen?

Not found (Staatssekretär:in)

Dies geschieht in jeder Tageszeitung. Also warum sollen wir Eulen nach Athen tragen? Es ist ja nicht so, daß der Öffentlichkeit die dramatischen Veränderungen der Weltwirtschaftssituation mit den Konsequenzen für unsere Situation verborgen geblieben wären. Vizepräsident von Hassel: Wir sind am Ende des Geschätfsbereichs des Bundeskanzlers und des Vizepräsident von Hassel Bundeskanzleramtes angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen, Herr Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf, zunächst die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Schweitzer: Beabsichtigt die Bundesregierung, darauf zu drängen, daß der Beschluß des Europäischen Parlamentes zur Abhaltung von Direktwahlen zu diesem Parlament 1978 so bald wie möglich auf die Tagesordnung des EG-Ministerrates gesetzt und positiv entschieden wird? Zur Beantwortung Herr Staatsminister Wischnewski.

Not found (Gast)

Herr Kollege Professor Schweitzer, die Bundesregierung hat sich für den von der Konferenz der Regierungschefs im Dezember 1974 gefaßten Beschluß zur Einführung der Direktwahlen zum Europäischen Parlament mit Nachdruck eingesetzt. Sie tritt dafür ein, daß der dort vereinbarte Zeitplan, der eine Beschlußfassung im Rat im Jahre 1976 vorsieht, eingehalten wird. Die Bundesregierung begrüßt, daß das Europäische Parlament so schnell einen neuen und der Entwicklung seit 1960 angepaßten Entwurf zur Einführung der Direktwahl in der Gemeinschaft ausgearbeitet, am 14. Januar 1975 verabschiedet und dem Rat zugeleitet hat. Die Bundesregierung glaubt, daß dieser Entwurf für eine Behandlung im Rat eine gute Diskussionsgrundlage bildet, und wird sich mit ihren Partnern im Rat so bald wie möglich um eine positive Entscheidung in dieser Frage bemühen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Schweitzer.

Prof. Dr. Carl Christoph Schweitzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Chancen, in Verbindung mit dem vom Europäischen Parlament gefaßten Beschluß - der ja dann erfreulicherweise, wie Sie mitteilen, von der Bundesregierung im Rat unterstützt werden wird - zu einer effektiven Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments zu kommen, und welche Schritte würde die Bundesregierung in dieser Richtung gegebenenfalls weiterhin unternehmen?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hat die Frage der Direktwahlen immer in engem Zusammenhang mit der Frage der Erweiterung der Kompetenz des Europäischen Parlaments gesehen. Die Bundesregierung ist insbesondere während der Zeit ihrer Präsidentschaft, während der ersten sechs Monate des vergangenen Jahres, sehr eindeutig für die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments eingetreten. Ich muß bedauerlicherweise sagen, daß nicht von allen Vertretern im Rat die Haltung eingenommen worden ist, die dazu geführt hätte, die Kompetenzen des Parlaments schon jetzt so auszudehnen, wie wir alle das für notwendig halten. Die Bundesregierung wird auch für die Zukunft darum bemüht sein, die Kompetenzen des Parlaments zu erweitern. Denn nur für ein Parlament mit echten Kompetenzen scheint auch die direkte Wahl gerechtfertigt zu sein. Dies bleibt also für uns ein aktuelles Thema. Sie wissen, daß es in der Frage des Haushaltsrechts in der Zwischenzeit erfreulicherweise einige Kompetenzerweiterungen für das Europäische Parlament gegeben hat, die wir, die Bundesregierung, jedoch bei weitem noch nicht als ausreichend betrachten. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Sieglerschmidt.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung, daß die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments in wesentlichem Maße auch davon abhängt, daß dieses Parlament ein kompetentes Gegenüber auf der exekutiven, der Regierungsseite - oder wie immer man es nennt - hat?

Not found (Gast)

Ich glaube, wir müssen davon ausgehen, daß mit Sicherheit die Zweiteilung in Kommission und Rat auch weiterhin Probleme aufwerfen wird. Dies ist aber ein Bestandteil der Römischen Verträge. Ich glaube, wir sollten die Frage der Kompetenzen unabhängig von dieser Situation sehen und in jedem Fall dafür eintreten, dem Europäischen Parlament mehr Kompetenzen einzuräumen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung die Schwierigkeiten verfassungsrechtlicher Natur, die bei der Realisierung dieses Plans 1978 erwachsen werden, wenn sich bis dahin die internationale respektive die nationale Rechtslage nicht verändert, da bei dem derzeitigen Rechtszustand die Vornahme von Direktwahlen im Jahre 1978 eine wesentliche Einschränkung des passiven Wahlrechts bedeuten würde, weil die Parteien dann eben nur solche Kandidaten aufstellen könnten, die zu diesem Zeitpunkt Angehörige des Deutschen Bundestages sind, und ist die Regierung bereit, die Konsequenzen daraus zu ziehen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Kliesing, die Bundesregierung ist im Augenblick dabei, die Gespräche mit den Partnern innerhalb des Rates vorzubereiten und alle Fragen zu prüfen, auch diese Fragen. Sie hat in dieser Frage noch keine Entscheidung gefällt. Ich darf sagen, das Kabinett hat sich mit dieser Frage - und das ist eine bedeutungsvolle politische Frage - bis zur Stunde noch nicht beschäftigen können. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Wagner ({0}) auf: Ist die Bundesregierung gewillt, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, daß entsprechend den Beschlüssen der Gipfelkonferenz in Paris und unter Berücksichtigung des vom Europäischen Parlament im Januar 1975 verabschiedeten Vertragsentwurfs die ersten allgemeinen und direkten Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 1978 stattfinden?

Not found (Gast)

Herr Präsident, wenn Sie einverstanden sind, darf ich die Beantwortung der beiden Fragen zusammenziehen, zumal, Herr Kollege Dr. Wagner, Ihre erste Frage durch die Antwort abgedeckt ist, die ich Herrn Professor Schweitzer bereits gegeben habe. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe also auch die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner ({0}) auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussicht, daß die Mitgliedstaaten sich rechtzeitig über einen Vertrag für die Direktwahl im Jahr 1978 einigen?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hofft zuversichtlich, daß sich die Mitgliedstaaten im Laufe des Jahres 1976 über einen Vertrag für die Einführung der Direktwahl einigen. Da sich der Entwurf des Europäischen Parlaments auf das Wesentliche und heute Durchsetzbare beschränkt, glaubt sie, daß für eine fristgerechte Realisierung der Direktwahl in der Gemeinschaft eine gute Chance besteht. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wagner ({0}).

Dr. Carl Ludwig Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002404, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Vertragsentwurf des Europäischen Parlaments zwar, so wie Sie das vorhin sagten, eine gute Diskussionsgrundlage für die Debatten im Rat ist, aber nicht unbedingt in allen Punkten schon das letzte Wort für den endgültigen Beschluß sein muß, und daß das namentlich für das Problem der Verteilung der Sitze auf die Staaten der Gemeinschaft gilt?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Wagner, wir sind im Augenblick dabei, wie ich eben schon sagte, die Vorstellungen des Europäischen Parlaments sehr genau zu prüfen, um uns auf die sicher nicht ganz einfachen Verhandlungen vorzubereiten, die wir im Rat der Gemeinschaft haben werden. Ich hoffe, daß wir uns zu einem frühen Zeitpunkt mit der Vorlage des Europäischen Parlaments beschäftigen werden. Ich gehe davon aus, daß das, was dort als Vorschlag vorgelegt worden ist, noch nicht überall das letzte enthält. Im übrigen wird die Bundesregierung selbstverständlich, bevor sie ihre Entscheidung fällt, auch mit den Mitgliedern des Europäischen Parlaments, aus allen Fraktionen des Deutschen Bundestags, Rücksprache nehmen, um die Erfahrungen, die es dort gibt, voll einbeziehen zu können. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wagner.

Dr. Carl Ludwig Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002404, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da bekannt ist, daß bei der Gipfelkonferenz in Paris insbesondere zwei Regierungen von Mitgliedstaaten Vorbehalte gegenüber dem Projekt einer Direktwahl im Jahre 1978 geltend gemacht haben, möchte ich noch fragen: Wäre die Bundesregierung für den Fall, daß diese Vorbehalte aufrechterhalten würden, bereit, das Projekt einer Direktwahl, die nicht in allen Mitgliedstaaten gleichzeitig zustande käme, zu unterstützen, also das Projekt einer Direktwahl auf Grund von nationalen Gesetzen, aber abgestimmt unter einer Reihe von Ländern, die bereit wären, diesen Schritt dann zu tun?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung geht davon aus, daß es zuerst möglich sein sollte, die Vorbehalte Großbritanniens und Dänemarks aufzuheben. Wenn im Juni das Referendum - was die Bundesregierung erhofft und erwartet - ein positives Ergebnis haben wird, dann wird mit Sicherheit auch die Möglichkeit bestehen, daß die Vorbehalte dieser beiden Länder aufgehoben werden. Falls nicht, werden neue Überlegungen anzustellen sein. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, auch ihrerseits das dem Bundestag vorliegende Gesetz über die Direktwahl der Abgeordneten zum Europäischen Parlament, das aus der Mitte des Bundestages gekommen ist, mit zu fördern, um vielleicht die anderen europäischen Staaten, insbesondere diejenigen, die Vorbehalte gemacht haben, unter einen gewissen Zugzwang zu setzen, zumal dieser Gesetzentwurf ja vertragskonform ist?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung wird bei der Entscheidung, welche Haltung sie im Rat der Europäischen Gemeinschaft einnimmt, alle parlamentarischen Vorlagen in diesem Zusammenhang prüfen und mit Sicherheit auch diesen Vorschlag. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Freiherr von Fircks.

Otto Fircks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung ihre Entscheidungen und die abklärenden Gespräche, die Sie andeuteten, so beschleunigen, daß erkennbar ist, eine wie hohe Priorität der Deutsche Bundestag der Verwirklichung der europäischen Direktwahl gibt?

Not found (Gast)

Ich darf daran erinnern, daß die Bundesregierung ihre Haltung bei der Gipfelkonferenz ganz besonders deutlich gemacht hat und daß sie ihre Zustimmung für bestimmte andere Regelungen, die auf der Gipfelkonferenz zur Diskussion gestanden haben, ausdrücklich von der Regelung dieses Problems abhängig gemacht hat. Ich glaube, damit kommt ganz klar und eindeutig zum Ausdruck, welche Priorität die Bundesrepublik diesem Problem beimißt. Selbstverständlich sind wir an einer zügi10328 gen Behandlung dieser Frage interessiert. Aber ich hoffe, Sie werden Verständnis haben, daß sich dazu Kontakte mit anderen Regierungen, insbesondere aber der Kontakt mit dem Bundestag und vor allem mit den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments, als zwingend notwendig erweisen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mattick.

Kurt Mattick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich hätte gern gefragt, ob die Bundesregierung bei der Vorbereitung dieser Wahlen und bei den Gesprächen mit England und Dänemark über die Frage, ob sie bereit wären, dies mitzumachen, auch schon mit der Vorklärung der Frage begonnen hat, wie dabei der Fall Berlin aussehen wird. Und ich würde doch bitten, einmal die Opposition zu fragen, ob sie auch dann, wenn die Alliierten in der Frage Berlin ihren Standpunkt behalten, den sie von Anfang an eingenommen haben, daß Berlin nicht mitwählen kann, sagen würde: Trotzdem machen wir es.

Not found (Gast)

Herr Kollege Mattick, die Bundesregierung wird diese sicher schwierige Frage zum gegebenen Zeitpunkt in der Vierergruppe prüfen und wird die Mitglieder des Deutschen Bundestages dann über ihre Entscheidung rechtzeitig informieren. Daß dies dann in der Vierergruppe und völliger Abstimmung mit den Alliierten erfolgt, ist eine Selbstverständlichkeit. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mertes ({0}).

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, welche Auffassung vertritt denn die Bundesregierung im jetzigen Zeitpunkt zu der vom Kollegen Mattick angesprochenen Frage?

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Die Bundesregierung befindet sich im Augenblick in der Klärung der Frage. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({1}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, darf ich diesen beiden Antworten auf die Fragen der Kollegen Mattick und Mertes entnehmen, daß die Bundesregierung im Augenblick noch kein mit den drei Westmächten abgestimmtes Konzept ({0}) über die Einbeziehung Berlins in ein Europäisches Parlament besitzt?

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Ich habe gesagt: Die Bundesregierung wird bald in der Lage sein, in der Vierergruppe die notwendigen Gespräche zu führen. In dieser Stunde ist das noch nicht geschehen; das stimmt. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wieso ist die Bundesregierung erst in der Klärung der Sache begriffen, obwohl es unbestritten ist, daß sich die EG-Verträge auch auf das freie Berlin erstrecken?

Not found (Gast)

Die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage ist ganz klar und eindeutig. Sie kennen die Haltung der Bundesregierung in der Frage des Berufsbildungszentrums. Dennoch muß in dieser Frage mit den Verbündeten über die Regelung dieses Problems gesprochen werden, und das wird zum richtigen Zeitpunkt geschehen. Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Sieglerschmidt.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, muß man im Hinblick auf die Fragen einiger Fragesteller hier nicht sehr genau unterscheiden zwischen dem, was rechtlich möglich ist, und dem, was die in Berlin omnipotenten Schutzmächte für politisch opportun halten?

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Ich teile Ihre Auffassung. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Die Frage 18 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Dr. Mertes ({1}) auf: Trifft es zu, daß die Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle sowie bei dem Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen aus den Jahren 1961 bis 1963 Erklärungen über den Begriff „Staatsangehörige" im Sinne von Artikel 116 GG abgegeben hat, die von den Vertragspartnern entgegengenommen wurden? Zur Beantwortung Herr Staatsminister Moersch.

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Herr Abgeordneter, die Antwort lautet: Nein, das trifft nicht zu. Solche Erklärungen sind seinerzeit nicht abgegeben worden. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mertes.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, gibt es bilaterale oder multilaterale Verträge oder Abkommen, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt war und bei denen die Frage der Staatsangehörigkeit von Belang war, bei denen Dr. Mertes ({0}) in irgendeiner Weise Art. 116 GG bzw. die Frage der gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit eine Rolle spielte, und wenn ja, welches sind diese Verträge und Abkommen?

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Herr Abgeordneter, es gibt z. B. den deutsch-britischen Konsularvertrag. Hier ist die Staatsangehörigkeit unter Hinweis auf das Grundgesetz definiert. Das geschah auf britischen Wunsch, weil die britische Staatsangehörigkeitsdefinition für die britische Seite eine bedeutsame Rolle spielt. Es ist eine Staatsangehörigkeitsdefinition, die ich gern vortragen kann, die aber nicht unbedingt zur Präzisierung der Gesamtthematik führt. Vizepräsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Mertes.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß, wenn solche Klärungen der Staatsangehörigkeitsfrage mit den Vertragspartnern erfolgt sind, diese Vertragspartner damit eine völkerrechtliche Bindung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland in dieser Frage eingegangen sind?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich werde nachher Gelegenheit haben, auf Fragen Ihrer Kollegen, die ich hier nicht vorwegnehmen möchte, dies noch in präziser Form darzustellen. Ich will aber nicht verschweigen, daß Ihre Nachfrage nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Wiener Übereinkommen insofern einen vielleicht falschen Eindruck erwecken könnte, als in diesen Dokumenten die von Ihnen gebrachte Fragestellung überhaupt nicht auftritt und deswegen auch keine Erklärungen notwendig gewesen sind. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, bestreiten Sie, daß zur Menschenrechtskonvention und zu den einzelnen Protokollen, aber auch zu anderen Europaratsverträgen entsprechende Interpretationserklärungen über die Staatsangehörigkeit und über den personellen Geltungsbereich abgegeben und sogar von neutralen europäischen Staaten wie von Schweden und Österreich entgegengenommen worden sind, und zwar entsprechend den Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge, die dann, wenn es erforderlich ist, entsprechende Formeln für den personellen Geltungsbereich und eine entsprechende Klausel amtlich vorschreiben?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich bin, offen gestanden, nicht in der Lage, Ihnen ganz zu folgen. Ich habe die Frage von Dr. Mertes hier, und ich habe sie mit Nein beantwortet. Ich darf Ihnen vielleicht sagen, warum. Im übrigen ist die damalige Entscheidung, keine solchen Erklärungen abzugeben, nach Prüfung der Sachlage von einer Bundesregierung getroffen worden, der Sie sicherlich sehr verbunden gewesen sind, Herr Abgeordneter Dr. Czaja. Bei der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihren Zusatzprotokollen bestand keine Veranlassung für die Abgabe von Erklärungen zu dem Begriff der Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 116 des Grundgesetzes. Die durch die Europäische Menschenrechtskonvention völkerrechtlich geschützten Rechte sollen nämlich grundsätzlich nicht allein den Staatsangehörigen der Vertragsparteien zugute kommen, sondern allen Menschen, die der Jurisdiktion einer der vertragschließenden Parteien unterstehen. In diesem Zusammenhang ist vor allem auf Art. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention Bezug zu nehmen, der besagt, daß die Hohen Vertragschließenden Parteien allen ihrer Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zusichern. Die beiden Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen verwenden nur die Begriffe „Angehörige des Entsendestaates" und „Angehörige des Empfangsstaates" ohne jede weitere Definition. Auch hier bedurfte es deshalb keiner zusätzlichen Erklärung. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist nicht eine solche Erklärung notwendig geworden im Zusammenhang mit der Europäischen Konsularkonvention, die allerdings noch nicht in Kraft ist, die aber doch in bilateralen Verhältnissen als Auslegungsinstrument für zweiseitige Verträge eine bestimmte Rolle spielt?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, wenn ich eine präzise Vorlage habe, aus der hervorgeht, auf welchen Text sich Ihre Frage bezieht, bin ich bereit und auch in der Lage, sie zu beantworten. Ich bitte darum, Verständnis zu haben, wenn ich sage, daß das hier keine unmittelbare Zusatzfrage ist. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes ({0}) auf: Wer sind die Vertragspartner der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Wiener Übereinkommen? Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister!

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich möchte zum ersten Teil Ihrer Frage folgende Staaten nennen: Belgien, Dänemark, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz, Türkei, Vereinigtes Königreich und Zypern. Was den zweiten Teil der Frage betrifft, so gibt es zwei Möglichkeiten: daß ich diese Namen als An10330 lage gebe oder daß ich etwa zehn Minuten Zeit in Anspruch nehmen müßte. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, können Sie bestreiten, daß nach dem neuesten Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention von Guradze durch diese Konvention nicht nur Personen und Staatsangehörige der Mitgliedstaaten, die sich in der Herrschaftsgewalt dieser Mitgliedstaaten befinden, sondern alle Personen, darunter auch Deutsche, geschützt sind, die sich im Ausland befinden? Können Sie bestätigen, daß im Falle eines deutschen Studienrats an der Schule in Barcelona die Europäische Menschenrechtskommission festgestellt hat, daß der Schutz für die Angehörigen in den Mitgliedstaaten auch gegenüber Nichtmitgliedstaaten gilt?

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Herr Abgeordneter, ich habe weder etwas bestritten, noch habe ich diese Frage im einzelnen erwähnt, sondern ich bin auf die Frage eingegangen, die der Abgeordnete Dr. Mertes gestellt hat. Ich bitte diese damit nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehende Frage so zu formulieren, daß ich Gelegenheit habe, den genauen Text zu prüfen. Sie werden verstehen, daß ich eine schriftlich vorbereitete Zusatzfrage nicht mündlich zusätzlich beantworten kann, wenn ich die Unterlagen nicht genau gelesen habe. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Simpfendörfer auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß es seit 1968 eine Deutsch-Rhodesische Gesellschaft mit Hauptsitz in Stuttgart gibt, die laut Satzung ({0}) die Einwanderung nach Rhodesien fördert und dafür in deutschen Zeitungen ({1}) und in ihrem Vereinsorgan „Rhodesische Rundschau" wirbt, und daß - laut Reutlinger General-Anzeiger vom 13. Dezember 1974 - eine Delegation dieser Gesellschaft bei einem Besuch in Rhodesien Gespräche mit Vertretern deutscher Firmen geführt hat, daß also diese Gesellschaft durch ihre satzungsmäßige Zielsetzung und ihre Aktivitäten der Verpflichtung der Bundesregierung, die Sanktionen gegen Südrhodesien wirksam durchzusetzen, entgegenwirkt? Zur Beantwortung, Herr Staatsminister, bitte!

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Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß es diese Gesellschaft gibt und welche Ziele sie nach ihrer Satzung verfolgt. Die Bundesregierung mißbilligt die Ziele und Aktivitäten dieser Gesellschaft. Von den erwähnten Anzeigen hat die Bundesregierung erst durch Ihre Anfrage Kenntnis erhalten. Ich möchte anregen, uns diese Anzeigen zu einer näheren Prüfung zuzuleiten. In den lokalen Blättern, die Sie in der Frage genannt haben, waren sie jedenfalls der Bundesregierung nicht zugänglich. Nach der Sicherheitsrats-Resolution 253 besteht keine bindende Verpflichtung, jede Auswanderung nach Rhodesien zu verhindern. Die Regierungen werden durch sie lediglich aufgefordert, zur Unterbindung der Auswanderung Maßnahmen zu treffen, die möglich sind. Was für uns rechtlich möglich ist, richtet und beurteilt sich allein nach dem Grundgesetz. Gespräche zur Vermittlung von Handelsgeschäften wären rechtswidrig, andere Gespräche wären zwar zu mißbilligen, aber zulässig. Die Bundesregierung wird auch weiterhin keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie das Regime Smith für illegal hält und alle Bestrebungen zu seiner Unterstützung ablehnt. Dabei sind jedoch die durch das Grundgesetz gezogenen Schranken zu beachten. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Simpfendörfer.

Hansmartin Simpfendörfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist gewährleistet, daß die Aktivitäten der DeutschRhodesischen Gesellschaft nicht in der Weise gefördert werden, daß beispielsweise Spenden im Sinne der Gemeinnützigkeitsverordnung steuerbegünstigt sind?

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Herr Abgeordneter, ich habe die Satzung dieser Gesellschaft durchgesehen. Eine Gemeinnützigkeitsmitteilung findet sich jedenfalls in den Unterlagen nicht, die offensichtlich Firmen zugegangen sind. Diese Anfrage müßte an die Landesregierung von Baden-Württemberg gerichtet werden, denn dort hat die Gesellschaft ihren Sitz. Die Finanzbehörden dieses Landes entscheiden über die Gemeinnützigkeit. Mir ist keine Unterlage bekannt, nach der es sich um eine gemeinnützige Gesellschaft handelt. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, worauf sich der Gemeinnützigkeitscharakter gründen sollte. Vizepräsident von Hassel: Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Simpfendörfer.

Hansmartin Simpfendörfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung geprüft, ob die Aktivitäten dieser Gesellschaft auf irgendeine Weise aus Bundesmitteln gefördert werden, z. B. dadurch, daß Zuwendungen aus dem Kap. 15 02 Tit. 684 05, aus dem Zuschüsse zur Auswandererberatung gegeben werden, unter anderem für Informationstagungen, gewährt werden?

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Herr Abgeordneter, ich kann nur sagen, daß aus den Unterlagen, die ich eingesehen habe, etwas Derartiges nicht hervorgeht. Wenn Sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, daß in einer indirekten Weise hier eine Förderung stattfindet, wäre ich Ihnen für eine Angabe dankbar, denn dies zu tun wäre sicherlich nicht die Absicht der Bundesregierung. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Arndt.

Prof. Dr. Claus Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000048, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Sie bereit, in diese Prüfung, die Sie eben zugesagt haben, den Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von heute morgen einzubeziehen, in dem davon die Rede ist, daß der Allgemeine Deutsche Automobilclub und eine Reihe von Reiseunternehmen sanktionswidrige Handelsbeziehungen nach Rhodesien unterhalten?

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Herr Abgeordneter, ich habe in der ersten Antwort auf die Frage des Kollegen Simpfendörfer festgestellt, daß die Bundesregierung Aktivitäten dieser Art mißbilligt, daß aber die Vereinten Nationen in ihrer Resolution sehr wohl unterschieden haben zwischen dem, was wünschenswert, und dem, was möglich ist. Jede Prüfung dieser Art wird ja auf strafrechtliche Sanktionen hinauslaufen müssen. Ich glaube, das brauche ich Ihnen als Jurist nicht zu sagen. Dann müßten Sie mir bitte sagen, welche strafrechtlichen Sanktionen die Bundesregierung einleiten könnte. Für diesen Hinweis wäre ich Ihnen dankbar. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Meinike ({0}).

Erich Meinike (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie mir verbindlich versichern, daß es gewährleistet ist, daß sich die von Ihnen genannten gutwilligen Auswanderer nicht morgen oder in der nächsten Zeit in Rhodesien als Söldner wiederfinden werden?

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Herr Abgeordneter, eine Bundesregierung ist zwar in vielen Dingen mächtig, aber sie ist keineswegs in der Lage, in die Herzen der Menschen zu sehen, vor allen Dingen nicht, ihre Entscheidungen für die Zukunft vorauszusehen. Diese Fähigkeit besitzen wir nicht. ({0}) Deswegen können Sie überhaupt nicht garantieren, daß irgend jemand, der ins Ausland geht, dort nicht Dinge tut, die uns mißfallen. Das gilt natürlich auch für Rhodesien. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus. Aber ich darf darauf aufmerksam machen, daß wir auf die Grundfrage zu sprechen kommen müssen.

Uwe Lambinus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001271, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie mir sagen, wie viele Auswanderungen seit 1968 nach Südrhodesien stattgefunden haben?

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Nein, Herr Abgeordneter. Vizepräsident von Hassel: Diese Frage hat nichts mit der Grundfrage zu tun. Die Grundfrage fragt nach der Deutsch-Rhodesischen Gesellschaft und nicht allgemein nach der Auswanderung, sondern nur nach dieser Gesellschaft. Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Dr. Czaja auf: Ist und bleibt - ohne Rücksicht auf neuere Verträge Italiens mit Dritten - der im Freundschaftsvertrag mit der Italienischen Republik vom 21. November 1957 und in dessen wesentlichem Protokollbestandteil vom gleichen Tag der Bundesrepublik Deutschland auch auf dein Hoheitsgebiet Italiens zugesicherte besondere Schutz für einen jeden deutschen Staatsangehörigen im Sinne von Artikel 116 GG völkerrechtlich auch weiterhin gewahrt, der eine „von den Behörden der Bundesrepublik Deutschland ausgestellte Bescheinigung darüber, daß er Inhaber der deutschen Staatsangehörigkeit oder Deutscher ist", vorlegt ({0})? Zur Beantwortung bitte, Herr Staatsminister!

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Herr Abgeordneter, der Vertrag ist für beide Seiten völkerrechtlich verbindlich. Er kann durch Verhandlungen eines Vertragsteils mit einem dritten Staat und einen sich hieraus ergebenden Vertrag mit diesem Staat nicht beeinträchtigt werden. Die Bundesregierung hat keinen Grund zu bezweifeln, daß Italien die Verpflichtungen aus dem mit uns geschlossenen Vertrag weiterhin erfüllen wird. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, bestätigen Sie also, daß Sie es für gesichert ansehen, daß die Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland, wie sie ihn deutsch-italienischen Freundschaftsvertrag verankert ist, für alle deutschen Staatsangehörigen auf der Grundlage der einen deutschen Staatsangehörigkeit auch in Italien gesichert bleibt?

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Herr Abgeordneter, ich versichere Ihnen nochmals, daß die Bundesregierung keinen Grund hat, zu bezweifeln, daß Italien sich an die vertraglichen Abmachungen hält, die es mit der Bundesrepublik Deutschland getroffen hat. Ich glaube, daß hypothetische Erörterungen darüber, was ein Land eventuell tun könnte, wenn ..., unserer Position nicht dienen und außerdem Verbündete in einen Verdacht bringen, den sie nicht verdienen. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da ich nicht nach hypothetischen Gefahren gefragt habe, sondern die Bundesregierung frage, ob sie nach ihrer Kenntnis der Sachlage diese Angelegenheit für gesichert ansieht, erbitte ich darauf Ihre Antwort.

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Herr Abgeordneter, ich bin nur in der Lage, meine vorher gegebene Antwort zu wiederholen, weil jede andere Antwort meine vorher gegebene Antwort in Zweifel ziehen könnte. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe Frage 23 des Abgeordneten Dr. Czaja auf: Kann die Bundesregierung den Fortbestand des gemeinsamen Vertragswillens des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und der Bundesrepublik Deutschland gemäß dem Konsularvertrag vom 30. Juli 1956 dahin gehend bestätigen, daß ohne Rücksicht auf andere schwebende Verhandlungen die Botschaft und die konsularischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland weiterhin „alle Deutschen im Sinne des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland" ({0}) für den Entsendestaat in Großbritannien werden schützen können ({1}), was im übrigen auch im Einklang mit Sinn und Wortlaut des Deutschlandvertrages und der Verantwortung Großbritanniens für Deutschland als Ganzes ist?

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Herr Abgeordneter, meine Antwort auf diese Frage ist wörtlich identisch mit der Antwort auf die vorhergehende Frage. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage dazu? - Der Abgeordnete Dr. Czaja!

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können Sie also bestätigen, daß einer unserer wichtigsten Verbündeten von dem bestehenden Band der einen deutschen Staatsangehörigkeit, die auch die in der Bundesrepublik lebenden Deutschen besitzen, ausgeht und sie zur Grundlage aller seiner politischen und rechtlichen Entscheidungen macht?

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Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen bestätigen, daß in dem Abkommen mit dem Vereinigten Königreich folgende Definition der Staatsangehörigkeit enthalten ist - und dieses Abkommen ist verbindlich -, nämlich in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland - ich lese das vor -: alle Deutschen im Sinne des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sowie, wenn der Zusammenhang es zuläßt, alle juristischen Personen, Gesellschaften des Bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts, die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ihren Sitz haben und nach deren Gesetzen zu Recht bestehen. In bezug auf die Staatsangehörigen Ihrer Britischen Majestät, wie das hier heißt - ich zitiere -: alle Staatsbürger des Vereinigten Königreichs und der Kolonien, alle Staatsbürger von Südrhodesien und alle unter britischem Schutz stehenden Personen sowie, wenn der Zusammenhang es zuläßt, alle juristischen Personen, die nach dem Recht eines Gebietes, auf das dieser Vertrag Anwendung findet, zu Recht bestehen. Soweit die Definition im Abkommen. Das ist der amtliche Text. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mißt die Bundesregierung also diesem offensichtlich auch in Gesprächen mit Großbritannien bestätigten Festhalten Großbritanniens an der einen deutschen Staatsangehörigkeit eine eminente Bedeutung in der deutschen Frage bei?

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Die Bundesregierung hält es für eine bedeutsame Frage. Deswegen hat sie auch mit ihren Verbündeten darüber, wenn es ihr notwendig erschien, jeweils Gespräche geführt und wird das auch in Zukunft tun, wenn es notwendig ist. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe Frage 24 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf: Hat die Tatsache, daß der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland bei der Republik Österreich ein langjähriger persönlicher und politischer Berater führender Persönlichkeiten der SPD war, bei der Behandlung der sich aus den konsularischen Vertragsverhandlungen Wien-Ost-Berlin für die Bundesrepublik Deutschland ergebenden Fragen zu irgendeinem Zeitpunkt irgendeine Rolle gespielt? Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister!

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Die Frage beantworte ich mit Nein. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Wohlrabe.

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, hat Botschafter Grabert in diesem Zusammenhang über jedes darauf möchte ich sehr großen Wert legen, ich betone das Wort -, über jedes Gespräch, jedes wichtige Gespräch mit österreichischen Regierungsmitgliedern pflichtgemäß dem Auswärtigen Amt berichtet und dabei auf die rechtlich wie politisch wesentlichen Gesichtspunkte hingewiesen?

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Herr Abgeordneter, ich bin äußerst verwundert darüber, daß Sie dieses Hohe Haus benutzen, um einen Angehörigen des Auswärtigen Amtes in einen solchen Verdacht - auch durch eine Fragestellung - zu bringen. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem diese Frage kein Ja oder Nein erfahren hat - Moersch, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Es ist ein klares Nein. Selbstverständlich hat der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Österreich pflichtgemäß gehandelt, und zwar in allen Teilen. Ich finde, daß eine Verdächtigung ins Blaue hinein eine ungeheuerliche Beleidigung eines solchen Mannes ist. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hat Botschafter Grabert in seinen Gesprächen mit österreichischen Regierungsmitgliedern daran erinnert, daß die Republik Österreich auf Grund der von ihr entgegengenommenen deutschen Erklärung zum Art. 116 des Grundgesetzes weiterhin zur vorrangigen Respektierung der allen deutschen Staatsangehörigen verbindenden einen deutschen Staatsangehörigkeit völkerrechtlich verpflichtet ist, und wenn nicht: ist auszuschließen, daß der Botschafter Verbindungen, die nicht unmittelbar mit dem Auswärtigen Amt zusammenhängen, unterlegen hat?

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Herr Abgeordneter, ich muß auch den zweiten Teil Ihrer Frage unter die Qualifikation stellen, die ich schon gegeben habe. Ich kann Ihnen zum ersten Teil sagen, daß er wie jeder andere Botschafter und jeder andere Botschaftsangehörige weisungsgemäß handelt, daß die Bundesregierung in dieser Frage ganz klare Weisungen an alle Botschaften gegeben hat und daß niemand davon ausgenommen werden darf. Ich glaube, Sie sollten nicht einen Botschafter, weil er zufällig aus Berlin stammt, in dieser Frageform in Zweifel ziehen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Friedrich.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, gibt es einen glaubwürdigen Grund oder Anschein, der diese Fragestellung berechtigt, und ist es nicht so, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag ausdrücklich darauf hinweist, daß die Frage der Staatsbürgerschaft für den Geltungsbereich des Grundgesetzes gilt?

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Herr Abgeordneter, unabhängig vom zweiten Teil Ihrer Frage stelle ich hier fest, daß es nicht den geringsten Anlaß gibt, an der korrekten Amtsführung des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Wien zu zweifeln, gerade auch in dieser Frage. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist, Herr Staatsminister, in den eben von Ihnen angesprochenen Weisungen auch darauf abgehoben worden, daß in Hunderten von Verträgen - Abkommen wie Sozialversicherungsabkommen, Finanzabkommen, Handelsabkommen, Abkommen über Auslieferung usw. -, die seit 1949 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der westlichen Welt und der Dritten Welt abgeschlossen wurden, so z. B. auch in Verträgen mit Österreich auf Art. 116 des Grundgesetzes abgehoben worden ist, so daß diese Staaten dadurch vertragsrechtlich an diese Bestimmung gebunden sind?

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Herr Abgeordneter, die geltenden Verträge sind unseren Vertretungen bekannt und müssen nicht einzeln in Weisungen aufgezählt werden. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Wittmann ({1}) auf: Welche Auswirkungen hat die Anerkennung einer „DDR"-Staatsbürgerschaft seitens der Republik Osterreich, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung treffen, um negative Auswirkungen einer solchen Anerkennung auszuschließen und weitere solche Anerkennungen durch andere Staaten zu verhindern? Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister Moersch!

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Herr Abgeordneter, wenn dritte Staaten zur Sicherung der Interessen ihrer Staatsangehörigen mit der DDR Konsularverträge schließen wollen, so ist dies eine Angelegenheit des bilateralen Verhältnisses dieser Staaten zur DDR, in die sich die Bundesregierung nicht einmischt. Im übrigen geht die Bundesregierung davon aus, daß sich auch nach dem Abschluß eines Konsularvertrages Österreich-DDR an der Praxis der konsularischen Betreuung von allen Deutschen, die dies wünschen, durch unsere Auslandsvertretungen in Österreich nichts ändern wird. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, hat man nach Abschluß des Grundvertrages, wie es in den Ausschüssen erbeten worden ist, ein Zirkular gerichtet an alle Staaten, die es betrifft - ich denke hier besonders an Österreich -, daß sich an der Praxis des Art. 116 GG in Zukunft seitens der Bundesregierung nichts ändern wird und auch bezüglich dieser anderen Staaten nichts ändern könnte?

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Die in Betracht kommenden Staaten sind von unserem Standpunkt in dieser Frage unterrichtet worden, und wir haben speziell bei der Darlegung der Bedeutung des Grundlagenvertrages darauf hingewiesen, daß in der Frage der Staatsangehörigkeit keine Regelung zwischen den beiden Staaten in Deutschland getroffen worden ist, genau wie das hier in diesem Hohen Hause dargelegt worden ist. Eine entsprechende Information ist, wie gesagt, zu allen, die es betraf, gelangt. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wäre die Bundesregierung bereit, angesichts dieses Ereignisses mit Österreich nochmals klarstellend auf die Bedeutung des Art. 116 GG für die Schutzpolitik der Bundesrepublik und damit auch für die Beziehungen zu anderen Staaten hinzuwei10334 Dr. Wittmann ({0}) sen, weil da offenbar Mißverständnisse eingetreten sind, insbesondere in Österreich?

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Herr Abgeordneter, ohne diesen letzten Teil Ihrer Frage werten zu wollen, darf ich Ihnen sagen, daß die Bundesregierung überall dort, wo es ihr notwendig erscheint, diesen ihren Standpunkt nicht nur dargelegt, sondern auch gründlich erläutert und dies auch weiterhin tun wird. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Arndt.

Prof. Dr. Claus Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000048, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß anläßlich eines von mir in Wien vor wenigen Wochen gehaltenen Vortrages über die Deutschlandfrage in den Ost-West-Beziehungen Mitglieder der österreichischen Regierung und der Präsident des Obersten Gerichts von Österreich mir im persönlichen Gespräch versichert haben, daß diese Rechtslage ihnen völlig klar ist und daß sich nichts ändern wird an der Behandlung der deutschen Staatsangehörigen durch diplomatische Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland?

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Herr Abgeordneter, ich nehme dies gerne zur Kenntnis. Im übrigen war nie ein Zweifel bei uns vorhanden, daß die doch zweifellos hervorragenden österreichischen Diplomaten die Position der Bundesregierung in diesem Punkt und auch die entsprechenden Dokumente juristischer Art in diesem Lande sehr genau kennen, zumal sie auch die gleiche Sprache verwenden wie wir, so daß nicht einmal Übersetzungsschwierigkeiten auftreten. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werden Sie, Herr Staatsminister, bei den angekündigten Hinweisen und Notifizierungen gegenüber dritten Staaten, mit denen wir amtliche Beziehungen haben, auch eindeutig darauf hinweisen, daß nach dem Grundvertragsurteil, auf das sich Herr Friedrich, allerdings in einer ihm entgegengesetzten Auslegung, berufen hat, für die Bundesrepublik Deutschland ein Deutscher die Staatsangehörigkeit nicht verliert dadurch, daß sie ein anderer Staat aberkennt, und daß es keinen Unterschied zwischen den deutschen Bürgern der Bundesrepublik und den anderen Deutschen im Sinne des Staatsangehörigkeitsrechts gibt, was auch alle deutschen Auslandsvertretungen über den Geltungsbereich des Grundgesetzes hinaus pflichtgemäß zu vertreten haben?

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Herr Abgeordneter, ich glaubte, Ihre Frage implizite vorhin schon beantwortet zu haben. Aber ich möchte ausdrücklich klarstellen, daß die Bundesregierung in solchen Fällen immer nur eindeutige Hinweise gibt. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Engelsberger auf. Sie wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Dr. Marx auf. Sie wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Kliesing auf: Wird die Bundesregierung angesichts der Äußerung von UNO- Generalsekretär Waldheim im ZDF am 5. Februar 1975 zur Frage einer einzigen deutschen Staatsangehörigkeit: „In den Vereinten Nationen gibt es nur souveräne Mitgliedstaaten" und „jedes Mitglied vertritt seine eigenen Staatsbürger und hat auch das Recht dazu" und der Tatsache, daß die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik und die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik Mitgliedstaaten der UNO sind, aber ihre Einwohner nur eine Staatsangehörigkeit, nämlich die der UdSSR haben, bei der UNO und in der Öffentlichkeit in geeigneter Weise darauf hinweisen, daß es Fälle sui generis gehen kann, in denen die Einwohner zweier Mitgliedstaaten der UNO aus besonderen völkerrechtlichen, verfassungsrechtlichen und nationalen Gründen nur eine Staatsangehörigkeit haben? Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung bitte, Herr Staatsminister Moersch!

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Herr Kollege Dr. Kliesing, die Bemerkung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen ist so, wie sie in der Frage zitiert wird, nicht gefallen. Nach der Tonbandniederschrift, die uns zur Verfügung steht - glücklicherweise -, hat er vielmehr folgendes gesagt - ich zitiere wörtlich -: 138 Staaten sind Mitglieder der Vereinten Nationen, zwei davon deutsche Staaten. Es ist selbstverständlich, daß jeder dieser Staaten nach seiner Art unabhängig in den Vereinten Nationen vertreten ist, und das trifft selbstverständlich auch auf die Staatsangehörigkeit zu. Für uns bedeutet dies doch, Herr Kollege Kliesing, daß auch die Bundesrepublik Deutschland als einer der 138 Mitgliedstaaten dort unabhängig vertreten ist, und zwar unabhängig auch im Hinblick auf unser Staatsangehörigkeitsrecht. Die Bundesregierung sieht deshalb keine Notwendigkeit, die Angelegenheit in den Vereinten Nationen aufzugreifen oder auf Fälle sui generis hinzuweisen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich erstens die Sendung im Fernsehen selbst angesehen und angehört habe und zweitens mich vergewissert habe, indem ich mir den Text noch einmal habe vorlegen lassen in der Form, wie er vom Presseamt der Bundesregierung formuliert worden ist? Aber das ist ja vielleicht nebensächlich. Welche Konsequenzen würden Sie aus der Tatsache ziehen, daß es eben drei Mitgliedstaaten der UNO gibt, deren Bürger ein und dieselbe Staatsangehörigkeit haben?

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Herr Abgeordneter, um hieraus Konsequenzen ziehen zu können, müßte man jetzt die Frage in ihrer rechtlichen, politischen und allgemeinen Bedeutung hier würdigen. Ich möchte Ihnen sagen: ich habe das auf Grund Ihrer Frage sehr genau geprüft, und ich habe keine Anhaltspunkte gefunden, die es uns notwendig erscheinen lassen, hier Zusammenhänge zu sehen oder Zusammenhänge zu beurteilen. Ich glaube, wir sollten dies als eine andere Position, als einen anderen Fall betrachten. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da ich nicht Zusammenhänge behauptet habe, die nicht existieren, möchte ich Sie fragen, ob Sie die von mir soeben zitierte Tatsache als einen Beweis dafür ansehen, daß Fälle sui generis grundsätzlich und in der Praxis existieren und daher möglich sind und daß deshalb auch der Fall, der uns angeht, als ein Fall sui generis angesehen werden muß, auch wenn keine unmittelbare Parallele zu dem Problem Sowjetunion, Ukraine und Weißrußland besteht.

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Herr Abgeordneter, es ist völlig unverkennbar, daß es, gerade auch was die deutsche Frage betrifft, Themen im Völkerrecht und etwa bei internationalen Organisationen gibt, die im Lehrbuch ohne Beispiel sind, und daß man deshalb sagen kann, sie seien besondere Fälle. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, haben Sie bei der Beantwortung und bei der Anführung der Selbständigkeit der Staaten berücksichtigt, daß das Bundesverfassungsgericht in V. 3 ausdrücklich festgestellt hat, daß der Art. 6 über die Beschränkung der Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten, mit dem Grundgesetz nur dann vereinbar ist, wenn die Basis, der anzuerkennende Fortbestand Deutschlands als Staat, gesichert ist und wenn diese Bezugnahme auf die Hoheitsgewalt ihren Bezug auf das besondere Verhältnis hat, in dem beide Staaten als Teilstaaten Deutschlands zueinander stehen, und haben Sie berücksichtigt, daß das beim Eintritt der Bundesrepublik in die Vereinten Nationen ebenfalls vorbehalten worden ist?

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Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat bei der Formulierung der von mir gegebenen Antwort alle notwendigen Gesichtspunkte berücksichtigt und sehr gründlich nach allen Seiten hin geprüft. Sie hat außerdem die Gesamtproblematik dieser Frage bei der Ratifizierungsdebatte zum Beitritt zur UNO hier dargelegt. Wenn ich es recht sehe, gab es da abweichende Meinungen in Ihrer Fraktion über die rechtliche Bewertung der Frage, und zwar ziemlich halb und halb. Sie hat drittens - das habe ich nun selbst noch in sehr guter Erinnerung - berücksichtigt, was die Väter des Grundgesetzes etwa zu dieser Frage nicht nur gemeint, sondern auch im Parlamentarischen Rat dazu gesagt haben und was sicherlich auch den Verfassungsrichtern als Material für ihren Urteilsspruch und für ihre Urteilsbegründung gedient hat. Aus dieser Gesamtkenntnis der Lage, so wie sie sich entwickelt hat und heute ist, hat die Bundesregierung diese Antwort gegeben. Sie hat dieser Antwort materiell nichts hinzuzufügen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Frage des Kollegen Dr. Kliesing insofern ein besonders nützlicher Hinweis für die Bundesregierung ist, als sie einer oft falsch unterrichteten Öffentlichkeit klarmachen kann, daß es durchaus zwei Staaten in der UNO nebeneinander geben kann, die trotzdem eine gemeinsame Staatsangehörigkeit haben?

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Herr Abgeordneter, ich hatte vorhin gesagt, daß die Thematik unter Umständen durch Zitate von Staatsangehörigkeitsdefinitionen diffuser werden kann. Ich habe das vorhin am englischen Beispiel kurz darzulegen versucht; ich weiß nicht, inwieweit das aufgefallen ist. Ich bin jedem Abgeordneten dankbar für jede Fragestellung, weil jede Fragestellung erstens mir die Möglichkeit gibt, zu erkennen, welchen Denkvorgang der Fragesteller möglicherweise zu einem bestimmten Problem in Gang gesetzt hat, und zweitens der Bundesregierung immer die Gelegenheit gibt, durch Antworten Mißverständnisse aus der Welt zu räumen, die möglicherweise bei den Fragestellern vorher vorhanden gewesen sind. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schweitzer.

Prof. Dr. Carl Christoph Schweitzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, würden Sie mir nochmals ausdrücklich darin zustimmen, daß staatsrechtlich und politisch gesehen der Versuch, eine Analogie zwischen der UdSSR und der derzeitigen Situation in Deutschland zu konstruieren, leider von völlig falschen Prämissen ausgehen müßte? ({0})

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Herr Abgeordneter, ich muß den Kollegen Dr. Kliesing hier in Schutz nehmen. Er hatte sich differenzierter ausgedrückt als mit dem Wort „Analogie". ({0}) Ich habe versucht, ihm klarzumachen, daß es Unvergleichbares gibt. Z. B. ist der zweite Weltkrieg mit seinen Folgen - leider muß man auch dies sagen - historisch und, wie ich meine, sogar völkerrechtlich ziemlich unvergleichbar. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist nicht der Fall Sowjet-Ukraine und Weißrußland deswegen entscheidend anders zu sehen als der Fall, den wir hier verhandeln, so daß er nicht geeignet ist, auch nur als Beispiel herangezogen zu werden, weil in dem einen Fall die Beteiligten, soweit sie sich überhaupt artikulieren können, damit einverstanden sind, die gleiche Staatsbürgerschaft zu haben, im anderen Falle aber leider nicht?

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Herr Abgeordneter, Sie haben am Schluß natürlich auf einen nicht unbedeutenden Punkt hingewiesen. Aber ich möchte es einfach ablehnen, hier Vergleiche irgendwelcher Art anzustellen, obwohl ich es verstehen kann, daß es geradezu reizt, die Komplikationen, die ja in den Vereinten Nationen auf vielen Gebieten bestehen, hier einmal auch der Öffentlichkeit deutlich zu machen. Es zeigt eigentlich nur - das möchte ich allen Kollegen in diesem Haus noch einmal nachdrücklich in Erinnerung zurückrufen -, daß es nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein kann, politische Entscheidungen dadurch unsichtbar machen zu wollen, daß man sie in Rechtsform oder auch in Rechtsfragen kleidet. Damit würden wir uns sicherlich keinen guten Dienst tun. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Berger.

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, unter Berücksichtigung Ihrer bisherigen Darlegungen möchte ich Sie fragen: Wie beurteilt die Bundesregierung eine in den „Stuttgarter Nachrichten" vom 15. Februar 1975 abgedruckte Äußerung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Wehner vor der Presse in Andernach, daß er im wesentlichen mit der Haltung von UNO-Chef Waldheim und der österreichischen Regierung übereinstimme, wonach es zwei deutsche Staatsbürgerschaften gebe, ({0}) daß mit Abschluß des Grundvertrags in dieser Frage eine Entscheidung getroffen worden sei und daß Entscheidungen wie die in Österreich nötig seien, um Realitäten zu sehen? ({1})

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Frau Abgeordnete, da mir diese Äußerung weder im Zusammenhang noch im einzelnen bekannt ist, möchte ich sagen, daß die Bundesregierung die Äußerungen von Herrn Waldheim so beurteilt, wie ich das eben in der Antwort zu Herrn Dr. Kliesing gesagt habe. Im übrigen ist es nach der Geschäftsordnung auch gar nicht möglich, etwa von der Bundesregierung her Äußerungen von Abgeordneten zu beurteilen. Aber ich bin ganz sicher, daß innerhalb dieses Hauses diese Probleme noch lange diskutiert werden. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({1}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, nachdem wir über die Frage des Sonderfalles, des Falles sui generis, anscheinend einer Meinung sind, frage ich Sie: Wäre es nicht seitens der Bundesregierung notwendig gewesen, dem UNO-Generalsekretär Waldheim vorzuhalten, daß seine Antwort auf dieses spezielle Problem eben den Umstand des Spezialproblems nicht berücksichtigte, sondern daß er aus der allgemeinen Gleichheit der Staaten Schlüsse herleitete, die unseren Fall hier in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR nicht richtig erfassen?

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Herr Abgeordneter Jäger, ich habe gesagt, wie die I Bundesregierung diese Äußerungen sieht. Aus meiner Antwort geht hervor, daß für Ihre Frage keine Grundlage besteht. Vielleicht darf ich Ihnen - falls Sie das nicht wissen sollten, Herr Kliesing weiß das sicherlich - den Zusammenhang der Äußerungen von Generalsekretär Waldheim ins Gedächtnis zurückrufen. Das war nicht eine vorbereitete Erklärung des Generalsekretärs der UNO, sondern das war eine Bemerkung im Rahmen einer Frage, die nur im Zusammenhang - wie das hier auch von uns dargelegt wurde - mit dem allgemeinen Standpunkt gesehen werden kann. Dem UNO- Generalsekretär ist z. B. unsere Erklärung beim Beitritt zu den Vereinten Nationen bekannt. Ich fände es nicht gut, wenn wir Ihrer Anregung folgten und den Generalsekretär auf etwas hinwiesen, was ihm einfach unterstellt worden ist. Ich halte mich an das, was er gesagt hat, und das, was man für uns logisch daraus schließen kann. Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da durch Ihre Antworten erfreulicherweise klargeworden ist, daß es bei den Vereinten Nationen mehrere Fälle gibt, in denen mehrere Staaten die gleiche Staatsangehörigkeit haben - wenn auch aus verschiedenen Ursachen heraus; auch das ist, so glaube ich, klargeworden -, darf ich fragen, da Sie in der Antwort auf die Frage des Kollegen Kliesing die Sui-generis-Qualität für die Bundesrepublik ausdrücklich bestätigt haben, worin die Ihrer Meinung nach besteht?

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Herr Abgeordneter, Sie haben mir jetzt etwas unterstellt, was ich so wiederum nicht gesagt habe. Ich habe gesagt, das Leben sei ungewöhnlich vielfältig - wenn ich mich so ausdrücken darf -, und das gelte auch für die einzelnen Migliedstaaten bei den Vereinten Nationen. Ich kann mir z. B. vorstellen, daß es, wenn wir diese Europäische Union haben, die wir alle anstreben, innerhalb dieser Union im Gegensatz zu dem, was Sie vorher von der Sowjetunion gesagt haben, verschiedene Staatsbürgerschaften gibt und trotzdem einen zentralen politischen Willen. Sie sehen: Man sollte doch der Entwicklung durch Vorausdefinitionen nicht gewisssermaßen Einhalt gebieten, sondern man sollte ihr freien Lauf lassen. Ich sage das hier nicht nur als Vertreter der Bundesregierung, sondern auch als Liberaler. Ich bitte, mir darin zu folgen. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Kunz ({1}) auf. Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 31 des Abgeordneten Kunz ({2}). Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Abelein auf. Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Frage 33 des Abgeordneten Dr. Abelein wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Jäger ({3}) auf: Welche Staaten, mit denen die DDR über den Abschluß von Konsularverträgen oder -abkommen verhandelt, haben sich bisher in zwei- oder mehrseitigen Verträgen oder sonstigen Vereinbarungen mit der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar oder mittelbar auf Art. 116 des Grundgesetzes bezogen und damit die einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit anerkannt, und wie gedenkt die Bundesregierung, diese Staaten an der rechtlichen Verpflichtung zur Respektierung der einen deutschen Staatsangehörigkeit gegen alle Versuche der DDR festzuhalten, die weltweite Anerkennung zweier verschiedener deutscher Staatsangehörigkeiten durchzusetzen? Zur Beantwortung bitte, Herr Staatsminister Moersch!

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Herr Abgeordneter, die DDR verhandelt zur Zeit über den Abschluß von Konsularverträgen außer mit Großbritannien und Österreich auch noch mit einigen anderen mit uns befreundeten westlichen Staaten. Auch soweit sich diese Staaten nicht, wie zum Beispiel Großbritannien es im deutsch-britischen Konsularvertrag von 1956 getan hat, ausdrücklich auf Artikel 116 des Grundgesetzes bezogen haben, haben sie doch in der Praxis unseren Rechtsstandpunkt in Fragen der deutschen Staatsangehörigkeit stets respektiert und unseren Auslandsvertretungen die Befugnis zugestanden, alle Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, die dies wünschen, konsularisch zu betreuen. Die Bundesregierung hat keinen Anlaß zu der Annahme, daß die Regierungen dieser Staaten in Zukunft eine andere Haltung einnehmen werden. Sie sieht auch keinen Grund zu der Annahme, daß die konsularischen Betreuungsbefugnisse ihrer Auslandsvertretungen, so, wie sie dem Rechtsstandpunkt der Bundesregierung in der Staatsangehörigkeitsfrage entsprechen, durch den Abschluß von Konsularverträgen dritter Staaten mit der DDR geschmälert werden könnten. Auch in Zukunft werden alle Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, die sich an unsere Auslandsvertretungen wenden, von diesen ebenso wie bisher betreut werden. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sehen Sie nicht die Notwendigkeit, die Frage bei all diesen Staaten deswegen noch einmal ganz besonders in Erinnerung zu rufen, weil die DDR ihrerseits, zuletzt durch ihre offizielle Note an die Bundesregierung, in dieser Frage einen unserer Rechtsauffassung diametral entgegengesetzten Standpunkt vertritt, und zwar mit der Aggressivität, die nach aller Erfahrung eben auch bei manchen Nachbarstaaten Eindruck macht?

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Herr Abgeordneter, der unterschiedliche Standpunkt in dieser Frage hat keinen Neuigkeitswert. Den haben wir anläßlich des Vertrages damals sowohl dem Hohen Hause als auch den in Frage kommenden interessierten Staaten mitgeteilt. Insofern ist hier eine Frage gestellt worden, die sich in der Praxis für unsere Tätigkeit nicht besonders stellt, weil wir unablässig auf unsere Position hingewiesen haben. Aber ich darf Ihnen doch sagen, daß es auch - die Frage war vorher gestellt - Konsularverträge der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten gibt, in denen die Staatsangehörigkeitsdefinition nach Art. 116 des Grundgesetzes nicht enthalten ist. Vizepräsident von Hassel: Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, zeigt die Praxis im Falle Österreichs nicht, daß die Anerkennung einer eigenen DDR-Staatsangehörigkeit durch solche Nachbarstaaten es außerordentlich schwermacht, die Vertretungs- und Schutzbefugnis der deutschen diplomatischen und konsularischen Vertretungen, wie sie von Ihnen eben dargestellt und anerkannt worden ist, nachher auch wirklich in der Praxis noch durchzuhalten?

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Herr Abgeordneter, wenn Sie dies unterstellen, müßten Sie mir einen praktischen Fall nennen. Mir ist keiner bekannt. Aber ich darf Ihnen auch sagen, daß z. B. eine Bundesregierung 1958 einen Konsularvertrag mit der Sowjetunion abgeschlossen hat, in dem das, was Sie für erforderlich halten, nicht steht. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich möchte Sie, auf den ersten Teil der ausgedruckten Frage zurückkommend, fragen, ob Sie nicht der Auffassung sind, daß es für die völkerrechtliche Vertretung Ihres eben dargelegten berechtigten Standpunkts sehr wertvoll wäre, wenn wir erfahren könnten, mit welchen Staaten Vereinbarungen oder wirksame verbindliche Interpretationserklärungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen bestehen, die auf Art. 116 des Grundgesetzes abheben, und ob Sie wenigstens im Auswärtigen Ausschuß ein Verzeichnis dieser Vereinbarungen bzw. Interpretationserklärungen abgeben können?

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Herr Abgeordneter, ich habe das Verzeichnis hier; ich kann das gern vortragen. Ich habe Großbritannien erwähnt. Wir haben fast keine neuen Konsularverträge; der älteste, der noch in Kraft ist, ist vom Jahre 1872. Im übrigen richten sich unsere konsularischen Beziehungen zu den meisten Staaten nach dem Wiener Übereinkommen. Aber ich habe auch erwähnt, mit wem wir ein Konsularabkommen haben, in dem das nicht steht, nämlich mit der Sowjetunion. Ich bin gern bereit, Ihre Kenntnisse im Auswärtigen Ausschuß durch eine genaue Vorlage dieser Verträge zu ergänzen. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({1}).

Johannes Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001554, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, was hat die Bundesregierung bisher getan oder was gedenkt sie zu tun, damit wenigstens die uns befreundeten westlichen Staaten nicht eventuell auch noch durch einen solchen Konsularvertrag eine besondere Staatsbürgerschaft der DDR anerkennen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, das habe ich im einzelnen in den Ausschußsitzungen dargelegt. Und ich habe hier betont, daß die Bundesregierung, seit sie die Verantwortung trägt, das Notwendige getan hat, um diesen unseren Rechtsstandpunkt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß im Vergleich zum Jahre 1958 ein erheblicher Unterschied besteht, nämlich der, daß - bei voller Würdigung der völker- und staatsrechtlichen Vorbehalte - inzwischen von der Bundesrepublik Deutschland die Zweistaatlichkeit Deutschlands anerkannt worden ist und daß außerdem die DDR inzwischen die gemeinsame Staatsangehörigkeit aufgekündigt hat?

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Herr Abgeordneter, ich stimme Ihnen in einem Punkte zu: darin, daß sich die Verhältnisse seit 1958 verändert haben. Aber dann wäre hier die Frage von Ursache und Wirkung zu untersuchen. Ich bedaure, daß nicht alle Ihre fragenden Kollegen heute anwesend sind, so daß ich nicht alle Fragen mündlich beantworten konnte. Es ist z. B. überhaupt keine Frage, daß dies, was uns heute hier beschäftigt, uns nach meiner festen Überzeugung in jedem Falle beschäftigt hätte, gleichgültig ob wir die Verträge abgeschlossen hätten oder nicht. Ich meine aber, daß die Tatsache, daß wir Verträge geschlossen haben, uns in den Stand gesetzt hat, die Interessen der gesamten Nation besser zu vertreten, als dies möglich gewesen wäre, wenn wir die politische Entwicklung weiterhin so hätten laufen lassen, wie das ganz offensichtlich von anderen Teilen des Hauses gewünscht wird. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Staatsminister. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Dr. Jens auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, der Flick-KG die Vergünstigungen des § 6 b EStG einzuräumen, oder beharrt sie darauf, daß der beim Verkauf des Daimler-Benz-Aktienpaketes an die Deutsche Bank entstandene Buchgewinn wie üblich ordnungsgemäß versteuert wird? Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Offergeld, bitte!

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Herr Kollege Jens, das Steuergeheimnis verbietet die Offenbarung steuerlicher Verhältnisse im Einzelfall. Ich weise aber zu Ihrer Frage auf folgendes hin. Die Anwendung des § 6 b des Einkommensteuergesetzes steht nicht im Ermessen der Bundesregierung: Der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen aus Kapitalgesellschaften kann nur dann steuerfrei auf Anteile an Kapitalgesellschaften übertragen werden, wenn der Bundesminister für Wirtschaft im Benehmen mit dem Bundesminister der Finanzen und der von der Landesregierung bestimmten Stelle bescheinigt, daß der Erwerb der Anteile unter Berücksichtigung der Veräußerung der Anteile volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig und geeignet ist, die Unternehmensstruktur eines Wirtschaftszweiges zu verbesParl. Staatssekretär Offergeld sern oder einer breiten Eigentumsstreuung zu dienen. Nach dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung wird auch bei der Anwendung des § 6 b Abs. 1 Ziffer 5 des Einkommensteuergesetzes jeder Steuerfall streng an den gesetzlichen Vorschriften gemessen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, halten Sie § 6 b des Einkommensteuergesetzes dann nicht zumindest für äußerst bedenklich, wenn man davon ausgehen kann, daß nach meinen Informationen bisher etwa hundert Großaktionäre auf Grund dieses Paragraphen gefördert wurden, während Millionen von kleinen Aktienverkäufern diesen Paragraphen häufig aus Unwissenheit nicht in Anspruch nehmen?

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Herr Kollege Jens, § 6 b enthält eine Fülle von Einzelregelungen, nicht nur den hier von Ihnen angesprochenen Fall. Die Bundesregierung hält die Vorschrift des § 6 b mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für vereinbar. Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, ob ich Sie ganz richtig verstanden habe; aber irgendwann wird diese Entscheidung im Bundesministerium für Wirtschaft fallen. Könnten Sie dann dafür sorgen, daß man vorher, natürlich ohne daß das Steuergeheimnis verletzt wird, diese Entscheidungsgründe einmal erfährt?

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Herr Kollege Jens, das Steuergeheimnis verbietet die Darlegung der Umstände in einem Einzelfall. Daran muß sich die Bundesregierung halten. Sie können sicher sein, daß sich die Bundesregierung streng an die gesetzlichen Voraussetzungen, die in § 6 b genannt sind, halten wird. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Meinike ({0}).

Erich Meinike (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für angezeigt, in eine Überprüfung des § 6 b des Gesetzes einzutreten, und würden Sie dabei möglicherweise die gutachtliche Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister der Finanzen aus dem Jahre 1967 berücksichtigen, der davon ausgeht, daß die gegenwärtige Regelung des § 6 b viel zu weit gefaßt ist?

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Herr Kollege Meinike, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, in absehbarer Zeit eine Änderung dieser Vorschrift vorzuschlagen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ist meine Anahme richtig, daß § 6 b in dieser Form seinerzeit auch aus kapitalmarktpolitischen Überlegungen eingeführt worden ist, um nämlich aus steuerlichen Gründen festgefrorene Aktienpakete wieder aufzulösen und an die Börse bzw. an den Kapitalmarkt wieder zurückzubringen, und wird dieser Gesichtspunkt bei allfälligen Entscheidungen - ich will nicht auf eine Entscheidung abstellen - in Ihrem Hause berücksichtigt?

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Wir werden alle Gesichtspunkte, die nach dieser Gesetzesvorschrift zu beachten sind, berücksichtigen. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Picard auf. Sie wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Zeitel ist vom Fragesteller zurückgezogen worden. Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Dr. Sprung auf. - Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Dr. Fuchs auf: Mit welchen Tatsachen kann die Bundesregierung die Äußerungen begründen, die laut Pressemeldungen von Regierungsseite gemacht wurden, „die Einhaltung von Diät führe angesichts der modernen Lebens- und Essensgewohnheiten zu keiner Mehrbelastung", und der Steuerfreibetrag für Mehraufwendungen bei Diätkost sei „vielfach ungerechtfertigt in Anspruch genommen worden"? Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung, bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Offergeld!

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Herr Kollege, ich weise zunächst darauf hin, daß mir keine Äußerung der Bundesregierung bekannt ist, daß die Einhaltung einer Diät angesichts der modernen Lebens- und Eßgewohnheiten nie zu einer Mehrbelastung führe. Die Bundesregierung hat vielmehr nur zum Ausdruck gebracht, daß nicht in allen Fällen, in denen bisher Diätaufwendungen steuermindernd berücksichtigt werden konnten, tatsächlich Mehraufwendungen erwachsen. Das gilt z. B. für verschiedene Magen-, Darm-, Leber- und Galleerkrankungen. Die diätetischen Maßnahmen in diesen Fällen bestehen lediglich in einer Schonkost oder einer Einschränkung der Nahrungsaufnahme. Der Bundesrat, in dem, wie Ihnen bekannt ist, andere Mehrheitsverhältnisse als in diesem Hause herrschen, hat diese Auffassung der Bundesregierung ausdrücklich bestätigt. Er hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes vom 20. Februar 1974 überdies gefordert, daß auch die Berücksichtigungsfähigkeit von Diät10340 aufwendungen bei Zuckerkrankheit und multipler Sklerose entgegen dem Vorschlag der Bundesregierung zu beseitigen ist. Dieses Haus hat sich der Auffassung des Bundesrates angeschlossen. Die Feststellung, daß diätetische Maßnahmen nicht in allen Fällen zu Mehraufwendungen führen, bedeute zugleich - damit komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage -, daß die bisher nach den Einkommensteuerrichtlinien zulässigen Pauschbeträge in derartigen Fällen ihren Sinn verfehlten. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Haben also Äußerungen der Bundesregierung nicht besagt, daß diese Steuerfreibeträge häufig ungerechtfertigt in Anspruch genommen worden sind?

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Sie sind teilweise ungerechtfertigt in Anspruch genommen worden. Das war Ansicht der Bundesregierung und auch des Bundesrates. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie können Sie dann der Auffassung, die geäußert worden ist, widersprechen, daß die angeführte Begründung von vielen Diätkranken als eine Diskriminierung betrachtet wird?

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Das ist keine Diskriminierung vieler Diätkranker, Herr Kollege. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Abzugsfähigkeit nur in den Fällen verfehlt war, in denen tatsächlich keine Mehraufwendungen entstanden sind. Deswegen auch der Vorschlag der Bundesregierung, weiterhin bei Zukkerkrankheit und multipler Sklerose eine Abzugsfähigkeit zuzulassen. Dieser Auffassung der Bundesregierung ist der Bundesrat entgegengetreten. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Josten.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, angesichts der so zahlreichen Klagen aus unserer Bevölkerung, besonders von den Diätkranken, möchte ich Sie fragen: Beabsichtigt die Bundesregierung nicht eine Erweiterung ihrer jetzigen Stellungnahme, damit insbesondere hart betroffene Diätkranke - wie bisher - noch zu einer Steuererleichterung kommen?

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Herr Kollege, es geht hier nicht um eine Stellungnahme der Bundesregierung, sondern um einen Beschluß des Bundesrates und um einen Beschluß dieses Hauses, die - abweichend vom Vorschlag der Bundesregierung - die völlige Beseitigung der Abzugsfähigkeit beschlossen haben. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Dr. Franz auf: Wie beantwortet die Bundesregierung angesichts der zu erwartenden langen Bearbeitungsdauer von Anträgen auf Lohnsteuerjahresausgleich die Frage nach der Verzinsung der Beträge an zu viel bezahlten Steuern?

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Herr Kollege, die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit der Reform der Abgabenordnung zum Ausdruck gebracht, daß eine steuerliche Zinsregelung, nach der sowohl für Steuererstattungen als auch für Steuernachzahlungen Zinsen zu entrichten sind, die gerechteste Lösung des Zinsproblems im Steuerrecht darstellen würde. Sie hat gleichzeitig betont, daß die Finanzämter gegenwärtig nach einhelliger Auffassung der Finanzminister der Länder nicht in der Lage sind, eine derartige Regelung zu praktizieren. Im übrigen weise ich darauf hin, daß der sogenannte Arbeitnehmerfreibetrag, der im Rahmen der Steuerreform verdoppelt worden ist, bereits eine Art pauschalierte Bonusregelung für die Arbeitnehmer enthält. Der Finanzausschuß befaßt sich demnächst mit den Fragen der Verzinsung im Rahmen seiner Beratungen des Entwurfs einer Abgabenordnung. Das Ergebnis dieser Beratungen bleibt abzuwarten. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Franz.

Dr. Ludwig Franz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, könnte man die soziale Seite der Angelegenheit nicht auch dadurch berücksichtigen, daß man einen der Überzahlung entsprechenden Freibetrag schafft?

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Ich habe schon darauf hingewiesen, daß eine pauschalierte Bonusregelung im Arbeitnehmerfreibetrag zu sehen ist, den wir ja im Rahmen der Steuerreform verdoppelt haben. Vizepräsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen? - Wir sind am Ende der Fragestunde angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich. Ich gebe folgendes bekannt. Folgende Fragen sind von den jeweiligen Fragestellern zurückgezogen worden: Die Fragen 73, 76, 77, 87, 88, 100, 101, 105, 108, 110, 111 und 131. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir fahren in der Aussprache über das Jahresgutachten und den Jahreswirtschaftsbericht fort. Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Verlautbarungen der zahlreichen wirtschaftspolitischen Sprecher der Opposition zur KonjunkturDr. Graf Lambsdorff und Wirtschaftspolitik sind widersprüchlich wie eh und je. Wir haben heute morgen schon-der Kollege Ehrenberg hat darauf hingewiesen-ein Zitat des Generalsekretärs der CDU gehört, und wir hören von einem angeblich existierenden Papier, wonach man doch - so die Meinung von Professor Biedenkopf - diesen Konjunkturaufschwung nicht zerreden möge, da wir im Interesse der Bevölkerung unseres Landes alle ein eigenes Interesse daran hätten, den Aufschwung zu fördern. Auch der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, der heute an der Nachmittagssitzung - er hat es jedenfalls in Aussicht gestellt - hoffentlich noch teilnehmen kann und wird, hat zunächst einmal bei der Verabschiedung des Konjunkturprogramms die Unterstützung der Opposition für die Konjunkturpolitik und die Wirtschaftspolitik in Aussicht gestellt. Beides, auch seine heutigen Äußerungen zur Konjunkturpolitik, sind verantwortungsbewußte Stellungnahmen gewesen. Ich möchte Herrn Stoltenberg allerdings gern eines sagen: Sein Hinweis auf die FDP und die Steuerreform sollte jedenfalls nicht dahin verstanden werden, daß wir mit der Lösung des Sonderausgabenabzuges, die er ja letztendlich durchgesetzt hat, einverstanden wären. Wenn in der Bevölkerung inzwischen eines klar geworden ist, so wohl hier die Tatsache, daß eine unglaubliche Begünstigung eines bestimmten Personenkreises, nämlich der Beamten, der pensionsberechtigten Beamten, durch diese Regelung zustande gebracht worden ist, und zwar auf Betreiben der Opposition. ({0}) Dies hat, wie wir alle wissen, Herr Stoltenberg nach der Januar-Besprechung, die er zitiert hat, selber auf seine Kappe zu nehmen. Wenn man sich ansieht, auf welchem beruflichen Hintergrund die Akteure der CDU/CSU die Steuerreform betrieben haben, wundert einen dieses Ergebnis nicht. Neben diesen beiden Äußerungen, die ich zitiert habe, steht aber z. B. die Äußerung des Parteivorsitzenden der CDU, wonach der Stimmzettel in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation die richtige Waffe sei. Das ist natürlich ökonomisch Unsinn. Politisch ist das für einen Möchtegernkandidaten wohl verständlich. Der Landesvorsitzende der CDU in Rheinland-Pfalz, Dr. Vogel, der ja von Herrn Ministerpräsidenten Kohl nicht weit entfernt ist, hat auf einer Veranstaltung kürzlich erklärt: Lieber drei Prozent mehr CDU als drei Prozent mehr Arbeitslose. Ich überlasse es jedem selber, diese Äußerung zu qualifizieren. Ich will die Debatte nicht verschärfen. Dagegen - der Kollege Strauß ist noch nicht erschienen; ich hoffe, er wird noch erscheinen ({1}) - Doch, ich hoffe, er kommt wohl, Herr Kollege Möller, weil man die Gelegenheit haben muß, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Ich will auch das nicht in Verschärfung dessen tun, was er vorgetragen hat, und will nicht alles das zitieren, was schon vorgetragen worden ist. Aber zwei Dinge. Der Kollege Strauß hat in letzter Zeit -- schon in der vorigen Debatte ist uns das aufgefallen einen Hang zu modischen Vergleichen entwickelt. Damals waren es Ballonmütze und Zylinder, und heute war es die Bekleidung des Bundeswirtschaftsministers. Er sprach vom schwarzen Cut des Grafen Baldrian. Ich habe in der Mittagspause keine Gelegenheit gehabt, einmal im Gotha nachzusehen. Davon verstehe ich ein bißchen. Ich habe den Eindruck, da hat er in selbsternannter landesherrlicher Willkür eine Beförderung vorgenommen, die er gar nicht vornehmen kann. Aber lassen wir das. Er sprach vom schwarzen Cut des Grafen Baldrian und vom grünen Rock des Wetterfrosches, eine Kleidung, die der Bundeswirtschaftsminister zu wechseln pflege. Ich kann nur sagen, mir sind diese beiden Kleidungsstücke lieber als der kleinkarierte Narrenkittel des Passauer Harlekins. ({2}) - Nun, wenn er 60 Minuten redet und man nicht bei allem zuhören muß, kann einem ja zwischendurch etwas einfallen, Herr Kollege. ({3}) Ein Zweites. Was das „Poesiealbum" anbelangt, so möchte ich nur feststellen: Dieser Jahreswirtschaftsbericht ist eine fleißige, sachkundige und gründliche Arbeit vieler Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums und anderer Dienststellen des Bundes. Ich halte es für eine Verächtlichmachung der Arbeit derjenigen, die daran beteiligt sind, wenn man das schlicht als „Poesiealbum" abtut. So sollten wir mit den Ergebnissen der Tätigkeit unserer Mitarbeiter nicht umgehen. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Berger?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Graf Lambsdorff, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich die Kennzeichnung „Poesiealbum" auf die Ausführungen des Wirtschaftsministers heute früh und nicht auf den Wirtschaftsbericht bezog?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gnädige Frau, Sie haben leider die Ausführungen des CSU-Vorsitzenden in Passau nicht gelesen. Ich habe sie im Wortlaut dabei. Da steht drin, daß der Jahreswirtschaftsbericht ein „Poesiealbum" sei. ({0}) - Nein, in den Ausführungen in Passau. Dort steht drin, dieser Jahreswirtschaftsbericht sei ein „Poesiealbum". Da steht auch weiter drin: „Mit ihrem ganzen großen Apparat haben sie nichts als diesen Mist zuwege gebracht." Aber ich will das gar nicht alles im einzelnen zitieren. Das gehört eben in die Harlekinszene von Passau. Ich meine, wir sollten eine Debatte nach Möglichkeit nicht in diesem Ton führen. Ich glaube, daß das auch nicht der Geist ist, in dem wir die weltweite Herausforderung an die Wirtschaftspolitik bestehen können. ({1}) Das ist nicht Geist, das gerät dann in die Nähe von „Esprit". Für die FDP lautet das Fazit: Die Opposition hat keine andere und sie hat schon gar keine bessere Alternative zur Konjunkturpolitik, es sei denn, man hält sich an den „Bayernkurier" vom 8. Februar 1975 - also relativ neuen Datums -. Ich darf die zwei oder drei Sätze mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Es heißt dort: Zu diesem Zweck sollen die 1974 verschärfte Vermögensteuerbelastung wieder abgebaut, die degressive Abschreibung auf höhere Sätze angehoben und ein Verlustrückgang eingeführt werden. Außerdem fordert die Opposition Steuerbegünstigung für Forschung und die steuerliche Anerkennung des Lifo-Verfahrens bei der Lagerbewertung sowie die Herausnahme der Dauerschuldzinsen bei der Gewerbekapitalsteuer. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Jenninger, da haben wir ihn also wieder: den „Handelsblatt"-Artikel von Herrn Strauß vom 11. Dezember mit dem bei bescheidener Betrachtung zusätzlichen Einnahmenausfall von 6 Milliarden DM im Jahr; bei wirklich bescheidener Berechnung. Wie war das denn in der Debatte am 13. 12., Herr Jenninger? Sie und Herr Strauß haben laut protestiert, als ich diesen Artikel zitierte, und erklärt, das sei nicht kumulativ, davon kämen höchstens Einzelheiten in Frage, dies könne man nicht als ein geschlossenes Alternativprogramm betrachten. Lesen Sie bitte das Protokoll noch einmal nach, um sich dann die Frage mit einiger Gelassenheit anzuhören, wer hier eigentlich täuscht: der Bayern-Kurier die Öffentlichkeit oder der Kollege Strauß - wie gehabt - das Parlament? ({2}) Meine Damen und Herren, 'raus aus den Kartoffeln, 'rein in die Kartoffeln! Ein sehr schöner Slogan, den Herr Strauß hier für Investitionssteuern und Investitionszulage vorgebracht hat. Ist ihm eigentlich gar nicht eingefallen, daß zwischendurch der November 1973 liegt und daß seither die Weltwirtschaft ein anderes Aussehen bekommen hat, daß es damals darum ging, Stabilitätspolitik zu betreiben, und daß es heute darum geht, konjunkturbegünstigende Politik zu betreiben? Wenn Konjunkturpolitik wirklich mit den Mitteln betrieben werden soll, die Herr Strauß seinerzeit in das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz hineingebracht hat, wie denn dann anders als mit gelegentlichem Umschalten, wie 2s die Wirtschaftslage erfordert? Nun zu der Frage, Herr Jenninger, ob wir heute nicht von der Überzeugung, die hinter dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz bei seiner Verabschiedung gestanden hat, längst weg sind, es sei alles machbar, man könne alles regulieren. Erinnert sich noch jemand des Wortschatzes des damaligen Partners von Herrn Franz Josef Strauß? - Wir sind alle, wie mir scheint, etwas bescheidener geworden. Zum Glück gab es aber auch eine gute Reihe - zwei habe ich schon zitiert, und zwar aus den Reihen der Opposition - anderer, ernst zu nehmender Kommentare zum Jahreswirtschaftsbericht. Ich will einige erwähnen, und zwar nicht nur solche, die unserer Meinung, der Meinung der FDP, entsprachen. So hat z. B. der Deutsche Gewerkschaftsbund das Sachverständigengutachten kräftig kritisiert, zu dem Jahreswirtschaftsbericht hingegen seine vorbehaltlose Zustimmung erklärt. Der Deutsche Industrie- und Handelstag - der Bundeswirtschaftsminister hat dies heute morgen bereits zitiert - hat zunächst kräftig kritisiert, er hat aber dann, Herr Bundeswirtschaftsminister, in denselben Trippelschrittchen, die Herr Wolff gestern der Bundesbank zugute gehalten hat, sich von der negativen Beurteilung zu einer immer positiveren Haltung durchringen können. In der zweiten Stellungnahme hieß es: eine anspruchsvolle Zielsetzung, und gestern in der Rede klang das alles schon ganz vernünftig und gut, was der Präsident des Industrie- und Handelstages über das Konjunkturprogramm zu sagen hatte. Und der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Professor Kloten: Das Zweite Stabilitätsprogramm vom Mai 1973 ist eines der besten Beispiele der Nachkriegszeit für konjunkturpolitischen Gestaltungswillen. Lassen Sie mich als letzte Stellungnahme eine, wie ich meine, parteipolitisch sicherlich ganz unverdächtige Quelle zitieren; denn die Sparerschutzgemeinschaft hat letztlich nur ein Interesse, und zwar genau dasselbe Interesse, das wir hier verfolgen: denjenigen vor den Auswirkungen von Inflation und Konjunkturabschwung zu schützen, der auf der schwächsten Seite dieser Volkswirtschaft steht, den Sparer. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitiere ich: Bundesregierung und Bundesbank haben durch ihre Maßnahmen ihrerseits die wirtschaftspolitischen Voraussetzungen für einen stabilitätsgerechten Aufschwung geschaffen. Um die Konjunktur in Schwung zu bringen, fehlt es augenblicklich nicht an zusätzlichen Spritzen oder Stimulantien. Es fehlt vielmehr an der Rentabilität der Investitionen und an Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung. Sie aber lassen sich nicht durch weitere Konjunkturprogramme wiederherstellen, sondern nur durch stabilisierungsgerechte Lohnabschlüsse und eine geradlinige Wirtschaftspolitik. Die Konjunkturpolitik ist daher gut beraten, wenn sie am eingeschlagenen Kurs festhält, bis sich die weitere Entwicklung deutlich übersehen läßt. Dies ist keine vorbehaltlose Lobhudelei, aber es ist die Anerkennung durch Sachverständige, daß politischer und wirtschaftspolitischer Gestaltungswille vorhanden ist. Eines scheint heute doch wohl klar: Das Sachverständigengutachten des Jahres 1974 ist - ohne daß man die Vorgänger kränken möchte - wahrscheinlich das methodisch und wissenschaftlich beste Gutachten, das uns bisher vorgelegt worden ist. Und der Jahreswirtschaftsbericht ist - ich wiederhole das - die Darstellung einer in sich geschlossenen marktwirtschaftlichen Konzeption, wie die Bundesregierung die Absicht hat, mit den außen- und binnenwirtschaftlichen Schwierigkeiten fertig zu werden. Im Namen meiner Fraktion möchte ich den Sachverständigen für zwei Gesichtspunkte besonders danken. Sie haben in der wirtschaftspolitischen Diskussion die Kette Gewinne-Investitionen-Arbeitsplätze klargemacht, diese Diskussion versachlicht, diesen Erkenntnissen zum Durchbruch verholfen. In diesem Zusammenhang darf ich noch einmal erwähnen, daß meine Freunde und ich die Einführung eines begrenzten Verlustrücktrags - begrenzt auf ein Jahr und auf 5 Millionen DM - nach wie vor für richtig halten. Der Vorschlag des Landes Bayern ist zu teuer, und außerdem ist die fehlende Begrenzung natürlich nicht geeignet, gerade dem Bereich der Wirtschaft zu helfen, den Herr Kollege Strauß, der von dem Prognos-Gutachten, weil es nicht in das Konzept paßt, keine Notiz nimmt, als besonders förderungs- und unterstützungsbedürftig bezeichnet hat. Wir wollen dies. Herr Kollege Möller, ich bin mit Ihnen einig: Der Verlustrücktrag ist mehr als nur Konjunkturpolitik. Deswegen, Herr Ministerpräsident Stoltenberg, ist es richtig, diesen Verlustrücktrag als eine Frage der steuerlichen Strukturpolitik zu beurteilen; sonst hätten wir ihn natürlich konsequenter- und logischerweise schon im Konjunkturprogramm selber verabschieden müssen, was richtigerweise nicht geschehen ist. Ein weiterer Dank an die Sachverständigen gilt ihrer Argumentation und der Klarstellung der Zusammenhänge über die Einführung des Floatens, über die Möglichkeiten der Geldmengenpolitik und über die Stabilitätspolitik, die erst auf dieser Basis möglich wurde. Darüber haben wir oft genug gesprochen. Herr Kollege Müller-Hermann ist nicht hier; er wollte es am wenigsten glauben. Aber auch der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein hat immer Zweifel daran gehabt. Ich wollte den Kollegen Müller-Hermann bitten, Seite 279 ff. des Sachverständigengutachtens zu lesen. Lassen Sie sich bitte einen Sonderdruck anfertigen; stellen Sie dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein auch einen zu, und legen Sie ihn immer auf Ihren Schreibtisch! Ohne dies geht Stabilitätspolitik nicht. ({3}) Ich komme zu einem anderen Thema, und zwar zu den unterschiedlichen Prognosen, den unterschiedlichen Projektionen im Jahresgutachten, in der Konzertierten Aktion vom September 1974 und im Jahreswirtschaftsbericht. Der Jahreswirtschaftsbericht hat in Erkenntnis dessen, was sich in der Weltwirtschaft inzwischen vollzogen hat, die Projektionen vom Herbst nach unten korrigiert. Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang einen kurzen Satz: Wer glaubt, hier auftreten zu können und sagen zu müssen: „Eure Projektionen waren falsch; hier gibt es Abweichungen, dort ist alles anders gekommen", der muß uns dann auch gleichzeitig sagen, daß wir doch jede Projektion und jede Prognose fahren lassen sollten. Konjunkturpolitik ohne Vorausschätzung der konjunkturellen Entwicklung mit dem ganzen Risiko, das eine solche Vorausschätzung mit sich bringt, ist nicht möglich. Wenn Sie das kritisieren, dann kommen Sie bitte und sagen Sie, warum die jetzt ausgesprochene Zahl falsch ist. Kommen Sie nicht in einem Jahr und sagen, die ist falsch gewesen, Sie hätten es damals besser gewußt. ({4}) Natürlich liegt der Grund für eine solche Entwicklung weitgehend in der Abhänggkeit von der Weltwirtschaft. Es bleibt doch dabei, daß wir in außenwirtschaftliche Zusammenhänge eingebunden sind. Ich glaube, dies ist inzwischen klar und wird auch nicht mehr bestritten. Daß die Exportziffern des Jahres 1974, die Herr Strauß heute morgen behandelt hat, in dieser Situation eine willkommene Beschäftigungsstützung gewesen sind, wer wollte das bestreiten? Andererseits: Wer sieht nicht die Gefahr, die in einer solchen von äußeren Einflüssen abhängigen Stützung der Beschäftigung - gegebenenfalls ohne unsere Mitwirkung - liegen kann? Wie wird das im Jahre 1975 sein? Auch hierzu hat sich gestern der Deutsche Industrie- und Handelstag geäußert, schon wieder ein Stückchen positiver in der Prognose. Ich sage: Ich hoffe - vielleicht muß man etwas sagen: ich befürchte - daß wir am Ende eine ähnliche Entwicklung wie im Jahre 1974 erleben werden. Die Terms of Trade - der Bundeswirtschaftsminister hat kurz davon gesprochen -, die sich 1974 erst verschlechterten, haben sich seit Oktober 1974 rapide zu unseren Gunsten verändert. Ich glaube, für 1974 müssen und dürfen wir festhalten, daß die Bundesrepublik zu den wenigen Überschußländern gehört und daß sie wohl das einzige westliche Industrieland ist, das unter diesem Aspekt den Angriff auf sein Sozialprodukt hat zurückweisen können. Die Terms of Trade unseres Außenhandels verschlechterten sich 1974 im Jahresdurchschnitt um 8,9 %. Im Dezember 1974 waren sie schon um 3 % besser als im Dezember 1973. Mit anderen Worten: Die Minderung der Kaufkraft unserer Exportpalette, die durch die Öl- und Rohstoffpreiserhöhungen entstanden war, konnte sukzessive wieder abgebaut werden. Einfacher ausgedrückt: Unsere Importe wurden wesentlich billiger, und unsere Exportpreise konnten im Schnitt etwas erhöht werden. Dies dürfte 1975 so bleiben, allerdings unter einer Reihe von Voraussetzungen; ich komme darauf noch zurück. Es dürfte so bleiben, weil wir unseren Handel mit den Staatshandelsländern - hier ist der Hinweis auf die Ostpolitik natürlich erlaubt; hier gibt es einen Sachzusammenhang verbessern konnten und weil wir einen überproportionalen Anteil an Investitionsbestellungen der ölproduzierenden Länder in die Bundesrepublik geholt haben. Unser Anteil an deren Bestellung ist erheblich größer, als er unserem Anteil an der Ölabnahme entspricht. Und ich stehe nicht an, auch hier zu erklären, daß die Bemühungen des Bundeswirtschaftsministers, der deutschen Industrie beim Erschließen dieser völlig neuen Märkte zu helfen, ganz offensichtlich ihre Früchte getragen haben. ({5}) Weniger erbaulich ist natürlich der Umstand, daß die Inflation anderer Länder uns die Möglichkeit, Preiserhöhungsspielräume auszunutzen, zur Verfügung stellt. Aber auf der Habenseite stehen die ungewöhnliche Leistungsfähigkeit, die Flexibilität und die Anpassungsfähigkeit der deutschen Industrie. Denn, meine Damen und Herren, wir haben diese Zahlen 1974 ohne Konditionenwettbewerb etwa bei Zinsen und Krediten erwirtschaftet. Ich kann nur sagen, ich habe mit einigem Erstaunen von der jüngsten Krediteinräumung Großbritanniens an die Sowjetunion Kenntnis genommen. Aber ich habe auch mit Beruhigung davon Kenntnis genommen, denn alles Gerede über einen zweiten Italienkredit in Richtung England dürfte damit wohl erledigt sein. ({6}) Für diese außenwirtschaftliche Entwicklung, meine Damen und Herren, bedarf es allerdings einer Reihe von Voraussetzungen. Zunächst einmal: Handelsbeschränkungen dürfen nicht auftreten. Wir begrüßen deshalb noch einmal ausdrücklich, was der Bundesfinanzminister im .Januar nach der Rückkehr von den Besprechungen in Washington festgestellt hat, daß nämlich die Witteveen-Faszilität des Internationalen Währungsfonds nur solchen Ländern zur Verfügung steht, die sich handelspolitisch - darf ich es einfach so nennen - manierlich betragen, die keine Importbeschränkungen vornehmen. In diesem Zusammenhang möchten wir die Bundesregierung nachdrücklich bitten, sich in den bevorstehenden GATT-Runden dafür einzusetzen, daß auf der Grundlage der jetzt endlich vom amerikanischen Kongreß verabschiedeten Trade Bill soviel liberaler Welthandel wie nur irgend möglich erhalten und durchgesetzt werden kann. Dies wird immer schwieriger, Herr Bundesfinanzminister. Sorgen Sie bitte dafür, daß die düstere Seite dieser Trade Bill, die wir sehr genau zur Kenntnis nehmen müssen und die in der deutschen wirtschaftspolitischen Diskussion beinahe untergegangen ist, nicht etwa zur Wirklichkeit und zur Praxis wird. In dem Zusammenhang von Freizügigkeit von Kapitalverkehr, Dienstleistungen und Gütern ein Wort zu Kapitalanlagen in der Bundesrepublik. Die Freien Demokraten sind seit Bestehen dieser Bundesrepublik immer für den denkbar freiesten Kapitalverkehr über die Grenzen eingetreten. Und wir fragen uns heute - sehr zu unserem Leidwesen -, ob wir das eigentlich aufrechterhalten können. Ich will die Antwort vorwegnehmen: Wir fürchten, daß Einschränkungen unvermeidlich sind. Aber nicht etwa deswegen - um das ganz klar zu machen -, weil wir plötzlich nationalistisch geworden wären, nicht etwa deswegen, weil wir Überfremdungsfurcht hätten - das hätten wir alles in den fünfziger Jahren auch entwickeln können -, sondern deswegen, weil es heute im Vergleich völlig unterschiedliche Investitionsmotive für die Anlage von Kapital in der Bundesrepublik gibt. Dort, wo industrielle Kooperation, wo geschäftliche Kombination die Grundlage einer solchen Transaktion ist, werden wir auch in Zukunft ja sagen. Dort, wo sie reine Vermögensanlage ist, die sehr schnellem Wechsel unterworfen werden kann, dort, glaube ich, werden wir prüfen müssen. Deshalb begrüßen wir die Gesprächsbereitschaft der Wirtschaft, aber wir sagen auch: Reicht sie bei allem guten Willen nicht aus, sind die Umgehungsmöglichkeiten zu groß, wird der Gesetzgeber tätig werden müssen. Der Gesetzgeber muß aber dabei deutlich machen - und wir wollen das hier klar sagen -: Sinnvolle industrielle Zusammenarbeit wird auch zukünftig in diesem Lande möglich sein müssen, gleichgültig, woher das Geld kommt. Es gibt keine Lex Kuwait und es gibt auch keine Lex Saudi-Arabien. Es darf dann auch in der praktischen Handhabung so etwas nicht geben. Im übrigen, meine Damen und Herren, haben wir ein bißchen den Eindruck, daß es ja gar nicht so sehr die vielzitierten und vielkarikierten Araber sind, die hier umherlaufen und Anlagen suchen; wir haben gelegentlich mehr den Eindruck, daß es deutsche Banker sind, die in Dschidda und Abu Dhabi umherlaufen und versuchen, von dort Kapital zu bekommen. Der „Economist'' hat kürzlich einen saudiarabischen Minister zitiert mit dem Ausspruch: „Die Straßen von Dschidda sind voll von Bankern und Räubern, und wir können die gar nicht auseinanderhalten". ({7}) - Vorn äußeren Aussehen schon; so hoffe ich jedenfalls; es kommt natürlich auf die Tageszeit an, zu der man ihnen begegnet. Ich will aber nichts gegen Banker sagen, ich war lange genug selber einer. Meine Damen und Herren, ein Kommentar vielleicht noch zu der Daimler-Transaktion Nr. 2. Meine Freunde und ich haben immer gegen die industriellen Beteiligungen der Banken erhebliche Bedenken gehabt. Wir sehen nun mit Verwunderung, daß plötzlich eine Lage entstanden ist, in der man einer Bank am liebsten den höchsten Orden mit Lorbeerbäumen auf Selbstfahrlafette verleihen möchte, weil sie eine übergroße industrielle BeteiDr. Graf Lambsdorff ligung übernommen hat. Erst einmal sei gesagt: dies geht natürlich nur einmal, jedenfalls bei dieser Bank; wir können sie wohl nicht alle der Reihe nach durchprobieren. ({8}) - Ja, Herr Kollege Möller, da müssen wir natürlich mal mit dem Bundesfinanzminister über die Frage der Großkredite des Kreditwesengesetzes sprechen, wenn das dann die öffentlichen Banken machen sollen. Die kommen da wohl etwas ins Gedränge. Wir wollen aber alle nicht wünschen, daß das geschieht. Aber die industriellen Beteiligungen sollten so bald wie möglich in möglichst breiten Streubesitz des Publikums umgesetzt werden; dies muß die Zielrichtung sein. ({9}) Hier können wir nur noch einmal daran erinnern: das Anrechnungsverfahren in der Körperschaftsteuer ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, daß auch der Kleinaktionär gerecht besteuert wird und daß auch der Kleinaktionär einen wirtschaftlichen Nutzen und eine Rentabilität im Aktienbesitz haben kann. Wir sind bei dieser Arbeit. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben es noch einmal bestätigt: der 1. Januar 1977 sollte wirklich das letzte Datum dafür bleiben. ({10}) Es gibt natürlich für die außenwirtschaftliche Entwicklung weitere Voraussetzungen. Eine davon ist zweifellos die Wirtschaftslage in unserem größten nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch politischen Partnerland, in den Vereinigten Staaten. Die „New York Times" hat vor wenigen Wochen eine Projektion für die Vereinigten Staaten und deren Wirtschaftslage entwickelt, die ich hier nicht im einzelnen wiedergeben will: allein für 1975 jahresdurchschnittlich 8,1 % Arbeitslosigkeit das kann man nicht ganz mit Deutschland vergleichen; 1,5 % müßten wir abziehen -, 11,3% Verbraucherpreissteigerung, minus 3,3 % reales Bruttosozialprodukt. Diese Zahlen sind alles andere als ermutigend. Aber ich glaube, man kann inzwischen sagen, daß die etwas differenzierter gewordene Beurteilung auch in den Vereinigten Staaten positiver geworden ist. Auch dort wird über ein hohes Budgetdefizit diskutiert, aber auf einer sehr maßgeblich unterschiedlichen Grundlage verglichen mit uns: auf einem Inflationssockel von 11 %, und bei uns auf einem Inflationssockel von unter 7% dank der Stabilitätspolitik dieser Regierung. ({11}) - Auf den Kapazitätsausgleich komme ich gleich zurück, Herr Kollege Sprung. - Wir sollten uns nach meiner Meinung darauf einstellen, daß die Rezession in den Vereinigten Staaten, von der wir nicht mehr so unmittelbar abhängig sind wie noch vor zehn Jahren, die aber natürlich über die viel unmittelbarer daranhängenden Partnerländer schnell auf uns zurückschlägt, noch nicht zu Ende ist, auch noch nicht am Endpunkt nach unten angelangt ist, daß man aber, wenn man einige Faktoren berücksichtigt - ich kann das hier im einzelnen nicht tun, stehe aber zu einem Privatgespräch, Herr Sprung, natürlich gern zur Verfügung -, im dritten oder vierten Quartal den Beginn eines Wiederaufschwungs absehen kann. Ich rechne auch für die Bundesrepublik - ich weiß, daß dies eine Behauptung ist, die jeder kritisieren kann, aber dann müssen wir uns in einem halben oder in einem Jahr neu darüber unterhalten nicht mit einer sehr viel längeren Rezessionsdauer. Ich gestehe ganz offen - dies mag natürlich daran liegen, daß ich mich allzu lange in diesem Metier bewegt habe -, daß die sehr nachhaltige und sehr zuversichtliche und sehr konstante Börsenentwicklung sowohl in den USA wie bei uns mich in dieser Annahme bestätigt oder mindestens bekräftigt. Die ersten Meldungen etwa aus dem Bereiche der Bau- und Automobilindustrie sollte niemand überbewerten. Eine Schwalbe - und schon gar nicht Mitte Februar macht keinen Sommer. Wenn Opel/Bochum die Kurzarbeit absagt, können wir das als eine erfreuliche Tatsache zur Kenntnis nehmen. Wenn wir 20 % mehr Neuzulassungen im Kfz-Amt in Flensburg gegenüber dem Januar 1974 haben, so ist dies eine erfreuliche Tatsache. Ich rechne damit, daß wir in den nächsten Tagen aus der Automobilindustrie weitere positive Meldungen hören werden. Natürlich war eine der Voraussetzungen für diese Entwicklung - und ist es auch weiterhin -, daß Liquidität angereichert worden ist und daß die Zinssenkung uns geholfen hat. Die Bundesrepublik hat jetzt nahezu das niedrigste Zinsniveau, mindestens bei den mittel- und kurzfristigen Zinsen, aller westlichen industrialisierten Länder. Ich kann nur wiederholen, was gestern hier in Bonn gesagt wurde: dies ist von der Bundesbank schrittweise und mit viel Geschick und mit viel Anpassungsfähigkeit getan worden. Wir begrüßen das; denn es sind drei Kostenfaktoren, die im wesentlichen über die Rentabilität der Wirtschaft entscheiden: Es ist der Materialeinsatz; Feststellung: die Rohstoffe werden billiger. Es sind die Löhne; Feststellung: die Tarifabschlüsse passen in die Landschaft. Und es sind die Zinsen; Feststellung: die Zinsbelastung geht zurück. In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Ehrenberg, schließen wir uns Ihnen an. Wir begrüßen die Festlegung der Zentralbankgeldmengenvermehrung um 8 % im Jahre 1975 durch die Deutsche Bundesbank. Wir sind, wie Sie wissen, nicht ganz einig mit Ihrem letzten Schlenker an die volkswirtschaftliche Abteilung der Bundesbank, obwohl auch ich der Ansicht bin, daß man Milton Friedman zu Tode exerzieren kann, aber so weit sind wir noch lange nicht. Jeder weiß jedenfalls bei dieser Aussage, die in Übereinstimmung zwischen Bundesregierung und Bundesbank getätigt worden ist, womit er zu rechnen hat. Jeder weiß, daß Schlendrian, der darüber hinausgeht, von der Bundesbank nicht finanziert werden wird. Dies gilt für alle am volkswirtschaftlichen Prozeß Beteiligten. Es ist mir sehr wesentlich, darauf hinzuweisen, meine Damen und Herren, daß Bundesbank und Bundesregierung in dieser und in vielen anderen Fragen immer in den vergangenen Jahren übereingestimmt haben. Die Zusammenarbeit zwischen der Bundesbank und der Bundesregierung klappt hervorragend. Ich kann den Spannungszustand, der etwa zwischen dem Federal Reserve System und dem Parlament in den USA besteht, nicht zur Nachahmung empfehlen. Und wer, meine Damen und Herren, wie der „Spiegel" die Zeiten der Reichsbank unter Havenstein bemühen muß, um die Unabhängigkeit der Notenbank zu kritisieren, der übersieht, was uns danach eine abhängige Notenbank beschert hat. So schwarzweiß kann man das wohl nicht zeichnen. Bundesregierung und Bundesbank ziehen am gleichen Strick und zum Erstaunen mancher sogar am selben Ende. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein aktuelles Thema, das mit der Bundesbank zusammenhängt, erörtern. Können wir - Herr Kollege Ehrenberg, Sie haben einmal diese Möglichkeit angeregt - die Bevorratung von Mineralöl, von Rohöl aus den Währungsreserven der Bundesbank finanzieren? Mir schien dieser Gedanke, Herr Ehrenberg, attraktiv ich gebe das ohne weiteres zu -, wenn ich die ganzen Unebenheiten eines Mineralölbevorratungsgesetzes, mit dem wir uns plagen, betrachte. Aber ich kann mich dem Argument der Bundesbank nicht widersetzen, daß die Reserven da sind, um Verbindlichkeiten zu decken, auch wenn ich diese Verbindlichkeiten heute noch nicht bestimmen kann, und ich kann mich auch nicht dem Argument entziehen, daß man damit Präzedenzfälle nationaler und internationaler Art schafft, von Entwicklungsländern, von anderen Rohstoffen, von Lebensmitteln und ähnlichem angefangen. Ich glaube, wir müssen hier bei einer sauberen Behandlung der Bundesbankpositionen bleiben, und wir werden uns diesen - ich wiederhole es noch einmal: attraktiven - Ausweg vermutlich nicht leisten können. Nach dieser Bemerkung ein paar Worte zum Thema Energie, zur aktuellen wirtschaftspolitischen Energiediskussion. Thema Nr. 1 wird, meine Damen und Herren, auch in den Folgejahren die Energiepolitik bleiben, Thema Nr. 1 a die aus ihr folgenden monetären Probleme, die noch nicht gemeistert sind, auch wenn das Jahr 1974 uns alle in der Welt glimpflicher hat davonkommen lassen, als wir erwartet hätten. Natürlich spielt hier die Minimumpreis- oder Floor-Price-Thematik eine Rolle. Ich darf vielleicht daran erinnern, daß ich für die FDP-Fraktion am 2. April 1974 in diesem Haus erklärt habe - und ich bitte den Herrn Präsidenten um Genehmigung, dies verlesen zu dürfen -: Bei Einsatz aller unserer Mittel - unserer finanziellen und technischen Mittel - werden wir die Substitutionsentwicklung schaffen. Dabei muß allerdings einmal gesagt werden, daß wir auch Wege finden müssen, um uns gegen Dumping-Preise zu sichern. Ich warne schon hier und heute davor, daß wir dies auf dem Wege der Schutzzölle tun, die immer nur üble Folgen haben werden. Ich glaube, wir müßten uns eher überlegen, ob wir es über staatliche Subventionen absichern. Dies aber wiederum hat zur Folge, daß wir die Entwicklung neuer Energien so diversifizieren, daß nicht übermächtige Forderungen aus einem Energieträger und seiner Absicherung auf uns zukommen, d. h.: die Größenordnungen müssen verteilt werden. Meine Damen und Herren, in diese Problematik zielt natürlich der Vorschlag des amerikanischen Außenministers. ({12}) Ich meine, die Europäer täten gut daran, zunächst einmal zu sagen: Ja, aber wir müssen über viele Details miteinander reden. Ich sage ausdrücklich: die Europäer. Wir sollten nicht, nachdem wir erst nein gesagt haben, nach einem Jahr wie Rumpelstilzchen aus Europa kommen und sagen: Nun war es unsere Idee, nun ist sie doch gut. Das ist beim 25-Milliarden-Fonds so gelaufen. Damit haben wir die politische Wirkung geschmälert. Eines ist klar, und darüber gibt es auch bei unserem Partner in Washington keinen Zweifel: Hier sind viele Details zu behandeln und zu erörtern. Lassen Sie mich nur einige aufzählen - man kann das hier in gar keiner Weise erschöpfend tun -: Soll man einen Minimumpreis nennen? Wie sieht es mit der Preishöhe aus? Sichern wir uns durch Quoten, Subventionen, Grenzausgleich, Zölle? Schaffen wir etwa eine garantierte Differentialrendite für Mineralölgesellschaften? Dies ist, glaube ich, ein Punkt, zu dem man der Öffentlichkeit sagen muß: Das werden wir natürlich nicht tun und nicht wollen; denn auch eine Mineralölgesellschaft, deren Produkt plötzlich nicht mehr da ist oder nicht mehr stimmt, muß aus eigenen Kräften ein neues Produkt entwickeln, um am Markt zu bleiben. Aber stoßen wir nicht in Größenordnungen vor, die eine so einfache und so übliche Antwort vermissen lassen? Wir haben eine völlig unterschiedliche Ausgangsposition vieler Länder, je nach dem Eigenversorgungsgrad. Dann kommt der Gesichtspunkt des berühmten Guthabenteilens oder benefit sharing - leider alles englische Ausdrücke. Wie wird das sein? Werden diejenigen, die über Ölvorkommen verfügen, denn auch die daran teilhaben lassen, die solche Reserven nicht haben, oder wird sich, was ich gelegentlich befürchte, jeder, der über solche Vorkommen verfügt, auch alsbald benehmen wie ein - karikierter -Scheich? Sollen wir bei diesen Überlegungen projektbezogen anfangen? Wir müssen in der Internationalen Energieagentur eine gemeinsame Haltung der Verbraucherländer entwickeln. Die Bundesrepublik kann aber kein Interesse daran haben, daß hieraus eine unfruchtbare Konfrontation mit den Produzenten wird. Diese Linie, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben Sie immer verfolgt, und diese Linie unterstützen wir. Natürlich muß man die Frage stellen - und ich stelle sie gar nicht gerne -, ob das eigentlich alles noch mit marktwirtschaftlichen und ordnungspolitiDr. Graf Lambsdorff schen Grundsätzen in Übereinstimmung zu bringen ist. Ich fürchte, daß man zu der Erkenntnis gelangen muß: Die Schwäche liberaler Wirtschaftspolitik liegt einfach darin, daß sie dann nicht mehr durchsetzbar ist, wenn sich einer der wesentlichen Marktbeteiligten in flagranter Weise nicht mehr an die Spielregeln hält. Eine Verteidigung gegen ein massives Kartell - und dies ist das massivste Kartell, das ich mir jedenfalls vorstellen kann - geht vermutlich nur mit Mitteln, die wir eigentlich nicht in unserem ordnungspolitischen Werkzeugkasten haben sollten. Dennoch - und ich komme zurück auf das, was ich zur GATT-Runde sagte, Herr Bundeswirtschaftsminister - größte Vorsicht beim Einsatz von Mitteln, die wir eigentlich nicht wollen, weil sie dort natürlich in einer Weise auf uns zurückschlagen können, die dieses vom Welthandel so abhängige Land nicht gebrauchen kann. Ich weiß, dies klingt nach dem berühmten viereckigen Ei. Ich gebe auch zu, ich beneide den Bundeswirtschaftsminister um diese Aufgabe nicht. Sie ist reizvoll, aber sie erscheint sehr, sehr schwer lösbar. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort zur Arbeitsmarktsituation sagen und anknüpfen an das, was der Herr Kollege Strauß vorhin zur Frage des Wachstums geäußert hat. Darüber scheint man sich in der volkswirtschaftlichen Diskussion einigermaßen einig zu sein, daß ein reales Wachstum von etwa 3 bis 4 obo durchschnittlich und auf längere Sicht gesehen das ist, was die deutsche Industrie und die deutsche Wirtschaft braucht, damit sie Arbeitsplätze zur Verfügung stellt und damit die Investitionsbereitschaft gesichert wird, die wiederum Voraussetzung für die Arbeitsplätze ist. Aber - Herr Strauß ist nicht da, sonst hätte ich diese Diskussion gern etwas vertieft - wie wir nun eigentlich Bruttosozialprodukt messen, in welcher Form wir zu neuen Quantifizierungen des Bruttosozialprodukts kommen, dies ist natürlich eine Frage, die auch mit dem großen Apparat und den vielen Sachverständigen und Gremien einer Bundesregierung nicht beantwortet werden kann, weil wir es mit international vergleichbaren, mit internationalen Messungen zu tun haben. Dennoch glaube ich, es ist des Schweißes der Edlen wert und hier insbesondere, Herr Kollege Professor Zeitel, natürlich Ihrer Disziplin. Es ist das Schweißes der Edlen wert, über diese Frage nachzudenken, und - wenn ich das hier anfügen darf - es ist auch des Schweißes der Edlen wert, darüber nachzudenken, wie lange wir in den modernen Volkswirtschaften, in den parlamentarischen Demokratien wirtschaftspolitisch mit Keynes allein noch leben können. Was die Arbeitslosigkeit anbelangt, so sagen wir hier noch einmal: Dies sind Einzelschicksale, und wir werden und dürfen diese Einzelschicksale nicht in statistischen Zahlen und irgendwelchen Größen und Vergleichen untergehen lassen. Dies wollen wir auch nicht. ({13}) - Ich würde nicht sagen, daß das Melancholie ist. Das ist realitätsbezogen. Ich halte nichts davon, in übertriebenem Optimismus und in Verschönerung der Lage zu machen; ich halle aber auch nichts davon, fortgesetzt Schwarzmalerei zu betreiben. Ich komme darauf noch zurück. Die Arbeitsplätze kommen jedenfalls nicht durch Inflation und weiteres Ankurbeln wieder. Wir könnten das heute sehr schnell bewerkstelligen. Wenn es das ist, was Herr Strauß uns empfehlen möchte, müssen wir eine sehr viel höhere Inflationsrate in Kauf nehmen. Vor zwei Jahren war die Zielrichtung aber doch noch ganz anders, und wir wollen im Grundsatz bei dieser Zielrichtung bleiben, weil wir wissen, daß langanhaltende Inflation auch langanhaltend Arbeitsplätze gefährdet. ({14}) Deswegen brauchen wir eine stabilitätsgerechte Konjunkturpolitik. Deshalb brauchen wir den Aufschwung in Stabilität, den wir hier vorgelegt haben. Ich wundere mich immer nur, warum Sie von einer Stunde Redezeit 55 Minuten dafür verwenden, um dies zu kritisieren, um dann in den letzten fünf Minuten den Schlenker zu einer Erklärung zu finden, warum Sie zustimmen. ({15}) Für die Unterstützung dieser Politik sollte heute, an diesem Tage und zu dieser Stunde nach den Ergebnissen der Tarifrunden, insbesondere im öffentlichen Dienst, von dieser Stelle aus dem Herrn Bundesinnenminister, aber auch den beteiligten Gewerkschaften der ausdrückliche Dank für ihre Einsicht in die Situation ausgesprochen werden. ({16}) Meine Damen und Herren, der Kollege Strauß kann einem Interview, das Herr Professor Erhard vor wenigen Tagen der ,,Bild"-Zeitung gegeben hat, einige Belehrungen im Hinblick auf sein Verhältnis zur Tarifautonomie entnehmen. Dies wird bei Ihnen schwesterparteiintern geregelt. Ich hoffe, der Kollege Strauß nimmt dies zur Kenntnis. Wir möchten allerdings sagen, daß dieser Disziplin an der Lohnfront auch die Disziplin der Unternehmer an der Preisfront entsprechen sollte und entsprechen muß. ({17}) Wir möchten in diesem Zusammenhang eines mit aller Deutlichkeit betonen und anerkennen und uns dabei von der Sicht der Dinge distanzieren, wie man sie in der vorigen Woche in einer großen Illustrierten lesen konnte. Die Haltung der deutschen Gewerkschaften gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern, die Haltung der deutschen Arbeitnehmer gegenüber den ausländischen Kollegen ist unter den gegebenen Umständen vorbildlich. ({18}) Für uns, für die Freien Demokraten gibt es auch jetzt kein Rotationssystem. Meine Damen und Herren, als Gesamturteil halte ich folgendes fest. Die Bundesrepublik hat eine klare und konsequente Konjunkturpolitik betrieben. Die Bundesregierung hat sich den Aufgabenstellungen der Weltwirtschaft gewachsen gezeigt. Die Bundes10348 regierung genießt wegen dieser erfolgreichen Wirtschaftspolitik die Anerkennung unserer Verbündeten. ({19}) Die Bundesregierung ist besonders in den USA ein ernstgenommener Gesprächspartner, ja, Ratgeber in Sachen Wirtschaftspolitik und die Bundesregierung verdient für ihre Wirtschaftspolitik das Vertrauen dieses Hauses und der Bevölkerung dieses Landes. ({20}) Herr Köhler, ich will auf Ihren Zwischenruf gern antworten. Ich weiß sehr genau, daß es dem arbeitslosen Stahlarbeiter in Bochum nicht hilft, wenn ich ihm sage, daß in Pittsburgh oder in Detroit gleichzeitig zwei arbeitslos sind. ({21}) Aber es liegt auch in Ihrer Verantwortung, diesem arbeitslosen Stahlarbeiter in Bochum klarzumachen, daß - insgesamt gesehen - unsere Position und damit seine Chancen, wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen, besser sind als in allen anderen Ländern der Welt. ({22}) Meine Damen und Herren, der amerikanische Präsident Roosevelt hat in der großen Depression einmal das Wort geprägt - ich will es auf deutsch sagen : Wir haben nichts zu fürchten als die Furcht. Wer Furcht verbreitet, versündigt sich an unserer Volkswirtschaft und vor allem an den Arbeitnehmern. Wir vertrauen auf die Leistungskraft und den Leistungswillen von Arbeitnehmern und Unternehmern, und wir vertrauen auf die Entschiedenheit der wirtschaftspolitischen Führung. Das Jahr 1975, Herr Bundeswirtschaftsminister, wird Sie und uns alle erneut vor große und schwierige Aufgaben stellen. Ich versichere Sie der Unterstützung und des Vertrauens der FDP-Fraktion dieses Hauses. ({23})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie Matthöfer.

Hans Matthöfer (Minister:in)

Politiker ID: 11001439

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der gesetzliche Auftrag zur Erstellung eines Jahreswirtschaftsberichts bestimmt seinen verhältnismäßig kurzen Betrachtungszeitraum. Der Bericht setzt sich deshalb vor allem damit auseinander, wie wir im letzten Jahr wirtschaftlich zurechtgekommen sind und welche Mittel der Wirtschafts- und Finanzpolitik wir hierfür eingesetzt haben. Auch die Diskussion im Parlament oder draußen in der Presse konzentriert sich verständlicherweise auf die kurzfristigen und konjunkturellen finanzpolitischen Fragen, soweit sie sich nicht in gefährlichen Politclownerien erschöpfen, wie weite Strecken der Rede des Herrn Kollegen Strauß. Der nicht weniger wichtige Strukturteil des Berichts steht deshalb eher im Schatten der aktuellen Meinungsbildung. Auch dieser Teil ist auf Grund des beschränkten Berichtszeitraums eher ein Zwischenbericht oder eine Momentaufnahme denn eine ins einzelne gehende Darstellung eines weiter ausgreifenden, die längerfristige Entwicklung mit ihrer voraussichtlichen strukturellen Verschiebung einbeziehenden Programms. Die wechselseitige Beeinflussung struktureller und konjunktureller Entwicklung ist sehr eng. Konjunkturschwächen legen regelmäßig verborgene Strukturmängel offen. Ein konjunktureller Nachfragerückgang trifft strukturschwache Sektoren, die unzureichend an die längerfristigen Kosten- und Nachfragebedingungen angepaßt sind, naturgemäß sehr viel stärker und in der Regel zuerst. Strukturmängel verstärken andererseits den konjunkturellen Abschwung, weil Freisetzungen von Arbeitskräften wegen der verzögerten Anpassung nunmehr zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem auch stärkere Sektoren weniger aufnahmefähig sind. Konjunkturpolitische Maßnahmen müssen daher, wenn sie nachhaltig wirken sollen, auch die strukturelle Entwicklung einbeziehen, weil - übrigens in Zukunft noch stärker als bisher - nur über eine vorausschauende, die voraussichtliche Entwicklung einbeziehende Strukturpolitik die notwendige stabilisierende Wirkung erreicht werden kann. Wir haben daher in unserem Jahreswirtschaftsbericht mehrfach auf diese Wirkungskombination wirtschaftspolitischer Maßnahmen hingewiesen. Als Schritt in diese Richtung haben wir im Rahmen des Konjunkturprogramms vom Dezember 1974 Maßnahmen beschlossen, die - neben der Konjunkturbelebung der sektoralen Umstellung und Modernisierung vor allem im Energiebereich dienen, z. B. die Fristenverlängerung bis 1978 für die Inanspruchnahme der Investitionszulage bei energietechnischen Großprojekten, die Einführung einer zusätzlichen, zeitlich unbefristeten Investitionszulage für Entwicklung und Erprobung neuer technischer Lösungen zur rationellen Energienutzung - also Heizkraftwerke, Müllkraftwerke, Anlagen zur Wärmerückgewinnung usw. -, Zuschüsse in Höhe von 50 % der Gesamtkosten für die Entwicklung der Wärmeschiene Ruhr - eines zukunftsweisenden Fernheizverbunds - sowie für die Inbetriebnahme und Modernisierung einer Kohlevergasungsanlage als wichtiges Demonstrationsprojekt für die Kohleveredelung. Wir haben andererseits einer Konjunkturpolitik eine klare Absage erteilt, die Strukturmängel verfestigen würde. Ein stetiges wirtschaftliches Wachstum ist nicht denkbar ohne ständige Strukturwandlungen. Strukturpolitik muß daher erreichen, daß notwendige Umstellungen sich möglichst reibungslos vollziehen und nicht den Betroffenen unzumutbare Belastungen aufbürden. Die jüngsten weltwirtschaftlichen Ereignisse haben die Richtigkeit dieses Gesichtspunktes erneut bestätigt und sogleich für alle deutlich erkennbar die Richtung für eine schrittweise zu vollziehende Umorientierung der Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik gezeigt. Die sprunghafte Anhebung des Ölpreises, aber auch der bis Mai 1974 anhaltende Anstieg der Rohstoffpreise hat den Industrieländern insgesamt im ersten Halbjahr 1974 eine Verschlechterung der realen Austauschpositionen im Außenhandel gebracht. Ich glaube, daß zumindest der gegenwärtige Erdölpreis im großen und ganzen die längerfristigen Knappheits- bzw. Machtverhältnissen - das muß man bei diesem Markt wohl sagen - bei diesem Rohstoff entsprechen dürfte; es ist deshalb mit einer deutlichen Umkehrung der für die Industrieländer ungünstigen Entwicklung der terms of trade in naher Zukunft nicht zu rechnen. Für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland heißt dies, daß sie es mit industriellen Standardprodukten schwer haben wird, die auf Grund des verlangsamten Einkommensanstiegs in den Industrieländern und auf Grund einer sich verändernden Nachfragestruktur auf Sättigungserscheinungen treffen. Soweit es sich um Exportindustrien handelt, deren Technologie im Grundsatz konventionell ist und weltweit angewandt und nachgeahmt werden kann, dürfte sich die Situation eher noch verschärfen. Die Austauschbedingungen für solche Erzeugnisse werden sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf Grund der mehr und mehr aufkommenden Konkurrenz aus den bisher weniger industrialisierten Ländern in Zukunft noch weiter verschlechtern, so daß die hieraus zu erzielenden Realeinkommen kaum noch im gewohnten Maße Einkommensverbesserungen für die Beschäftigten zulassen und längerfristig auch Arbeitsplätze in den Bereichen gefährdet werden, die diese Erzeugnisse produzieren. Gerade für ein rohstoffarmes, bevölkerungsreiches und industriell erfahrenes Land wie die Bundesrepublik wird daher der Export von technologischen Kenntnissen über entsprechende fortschrittliche Industrieerzeugnisse oder als Ingenieurleistung für das Ausland die sicherste Basis für die langfristige Entwicklung der Wirtschaft sein. Diese Zusammenhänge verdeutlichen, daß von der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland vor allem der Technologiewettbewerb bestanden werden muß. Die frühzeitige Beherrschung der jeweils besseren Technologie entscheidet zunehmend über unseren wirtschaftlichen Erfolg auf den Weltmärkten. Selbstverständlich kann es hierbei nicht darum gehen, einen chronischen Exportüberschuß zu verteidigen, der uns reale Ressourcen kostet, unseren Lebensstandard und die Möglichkeiten der Zukunftsvorsorge vermindert und die Zahlungsbilanz unserer Handelspartner belastet. Es geht vielmehr darum, langfristig ein strukturelles Gleichgewicht zwischen einem hohen, wettbewerbsfähigen Technologie- und Investitionsgüterexport und einem entsprechend hohen realen Rohstoff- und Konsumgüterimport herzustellen. Daß dies nicht selbstverständlich ist, zeigt die Entwicklung des letzten Jahres, in dem unsere Importe real abgenommen haben und weniger zu unserer Güterversorgung beigetragen haben als 1973. Vor diesem Hintergrund ist es auch nachrangig, ob der Anteil der Industrie am Zustandekommen des Bruttoinlandsprodukts bei uns um einige Prozente höher liegt als in anderen Ländern. Wichtiger ist, ob wir in Zukunft, vor allem soweit wir auf Exporte zur Deckung unseres Importbedarfs angewiesen sind, die richtigen Produkte und Dienstleistungen anbieten können, wobei der Umstellung auf fortgeschrittene Technologien größte Bedeutung zukommen wird. Die Bundesregierung weist daher in ihrem Jahresbericht auf die Rolle der Forschungs- und Technologiepolitik für die Modernisierung der Wirtschaft hin, und sie versteht sie als wichtiges Element einer zukunftsorientierten Strukturpolitik. Die Bundesregierung hat die Bedeutung einer ständigen Modernisierung der Volkswirtschaft durch Entwicklung und Einführung wichtiger Schlüsseltechnologien und einer insgesamt technologieintensiven Ausrichtung der Wirtschaft frühzeitig erkannt und hierfür vor allem im Rahmen der Forschungs- und Technologiepolitik entsprechende finanzielle Hilfen bereitgestellt. Im Haushalt des BMFT werden seit 1969 mit hohen jährlichen Zuwachsraten Fördermittel bereitgestellt, die die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der Industrie bei der Entwicklung und Einführung von Schlüsseltechnologien im Rahmen gezielter Förderprogramme ergänzen. Der BMFT hat an die Industrie im Jahre 1969 231 Millionen DM an Zuschüssen vergeben können, und sie bis zum Jahre 1974 auf 1,2 Milliarden DM erhöht. ({0}) Hier erhalten die neueren Förderungsprogramme, z. B. für die Bereiche Optik und Meßtechnik, Halbleitertechnik, Material- und Rohstoff-Forschung sowie für das Rahmenprogramm Energieforschung, zunehmend Gewicht, ohne daß hierdurch die klassischen Förderungsprogramme in den Bereichen Datenverarbeitung und Atomenergie eingeschränkt wurden. Vor allem für den Bereich der Grundlagenforschung, aber auch verstärkt für die anwendungsorientierte Forschung wurden die staatlichen und staatlich geförderten Forschungseinrichtungen weiter ausgebaut. Sie stehen, vor allem die FraunhoferGesellschaft, zunehmend auch der industriellen Auftragsforschung offen. ({1}) - Ich will Ihnen mal etwas sagen, mein lieber Herr Kollege. Heute morgen haben Sie aufmerksam zugehört, als lächerliche Dinge von Herrn Strauß vorgetragen wurden. ({2}) Wenn hier jedoch etwas vorgetragen wird, was für Entscheidungen über lebenswichtige Bereiche unserer Wirtschaft von großem Interesse ist, sagen Sie: „Das Fernsehen ist abgeschaltet." Ich rede hier nicht für das Fernsehen, sondern ich rede für Sie als Abgeordneter, und Sie täten besser daran, zuzuhören. ({3}) Unabdingbar für eine bessere strukturpolitische Orientierung sind Untersuchungen über die zukünftigen technischen Entwicklungslinien, über ihre voraussichtliche sektorale und gesamtwirtschaftliche Bedeutung und über das notwendige und den neuen Anforderungen entsprechende Forschungs- und Entwicklungspotential. Wir werden solche Studien in Auftrag geben und auswerten. So sehr wir auch in Zukunft auf die schnelle Anpassungsfähigkeit der Unternehmen in der Marktwirtschaft angewiesen sind, so sicher wissen wir auch, daß manche Um10350 Stellungen und Strukturanpassungen unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten zu spät eingeleitet werden und dann sehr hohe volkswirtschaftliche Kosten verursachen können. Der Staat kann daher die wirtschaftliche Entwicklung nicht sich selbst überlassen. Hier stehen Arbeitsplätze und Existenzsicherheit einer großen Zahl von Arbeitnehmern und unser aller Wohlstand auf dem Spiel. Er muß ein unabhängiges Analyse-, Prognose- und Sachverständigenpotential für diesen Fragenkreis aufbauen und erproben, das zumindest für die staatlichen Aktivitäten einen wissenschaftlich begründeten Datenrahmen setzen kann, Widersprüche aufdeckt und strukturpolitische Vorschläge macht. Bis zu einer wirkungsvollen, stimmigen, von der Zustimmung der Allgemeinheit getragenen Strukturpolitik ist daher noch ein langer Weg, den zu gehen allerdings angesichts der Aufgaben der Zukunft im Interesse einer zielgerichteten Modernisierung unserer Wirtschaft unabdingbar sein wird. Die Bundesregierung wird auch auf diesem Gebiet der langfristigen Vorsorge durch Forschung und Entwicklung neuer Technologien ihrer Verantwortung nachkommen. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Köhler ({0}).

Dr. Herbert W. Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich wieder zum Jahreswirtschaftsbericht zurückkehre, erlauben Sie mir zwei Bemerkungen zu dem, was Minister Apel heute morgen gesagt hat - ich werde dann noch im Verlauf meiner Ausführungen das eine oder andere hinzufügen -, nämlich erstens zu der Ankündigung des Ministers, nun doch eine neue Steuerschätzung vornehmen zu wollen. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß meine Freunde und ich darüber sehr froh sind. Das entspricht einem Antrag von uns. Überrascht bin ich nur über den schnellen Meinungswechsel. Ich habe mir noch einmal die Antworten Ihres Parlamentarischen Staatssekretärs, Herr Minister, angesehen. Erst vor drei Wochen hat er auf eine entsprechende Frage meines Kollegen Häfele gesagt - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident -: Dank der vorherzusehenden und erwarteten Folgen dieses Programms können wir indessen davon ausgehen, daß keine ins Gewicht fallenden Abweichungen gegenüber den Schätzungen vom November eintreten werden. - Ich wünsche Ihnen viel Glück für das Ergebnis. -Auf eine Frage, die ich selbst gestellt habe, hat der Staatssekretär geantwortet: Eine neue Steuerschätzung würde uns keine neuen Erkenntnisse und keine Grunddaten liefern. Ich finde es erfreulich, daß Sie innerhalb von drei Wochen etwas dazugelernt haben. Hoffentlich bleiben Sie dabei. ({0}) Das zweite, Herr Minister, betrifft die Milchmädchenrechnung, die Sie in bezug auf die möglichen Kosten der verschiedenen Initiativen der CDU/CSU- Fraktion aufgemacht haben. Ich möchte dazu sagen: Bisher war ich es gewohnt, die Kosten von realisierten Gesetzen zu addieren. Das tue ich natürlich auch fleißig. Sie haben mir heute erklären wollen, daß man das auch bei Gesetzentwürfen tun muß. Das werde ich nun natürlich auch bei Ihren Entwürfen tun. Dabei werden Ihnen noch ganz andere Zahlen um die Ohren kommen, als Sie sie uns heute vormittag vorgeführt haben. Nun aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich mit einer Vorbemerkung zum eigentlichen Thema kommen. Ich werde mich, Graf Lambsdorff, zum größten Teil mit binnenwirtschaftlichen Fragen beschäftigen, also die hochinteressanten außenwirtschaftlichen Bezüge meinem Kollegen Narjes überlassen. Wenn ich dazu also im Moment nichts sage, so hat das nur diese und keine andere Bedeutung. Ich gehe dabei nach wie vor davon aus, daß Herr Minister Friderichs, was die Ursachen für die schwierige Lage in unserem Lande betrifft, zu seinem Worte steht: Halbe-halbe, also zur Hälfte von dieser Regierung selber zu verantworten. Ich bin natürlich mit Passagen des Berichts - da geht es mir durchaus ähnlich, wenn auch erheblich gespaltener, wie meinem Vorredner, dem Grafen Lambsdorff - durchaus einverstanden, eigentlich immer dann, wenn sich darin der Sachverstand wohlerfahrener Beamter aus diesem Ministerium zeigt. Ich bekomme die Bauchschmerzen und Schwierigkeiten immer nur, wenn da politische Intentionen hineingewickelt werden; dann stimmt das Ganze in seinem Zusammenhang nicht mehr. Ich stimme aber zu, daß es gegenwärtig gilt, die wohl schwierigste Phase zu bewältigen, die wir seit 20 Jahren in diesem Lande haben. Natürlich muß ich auch damit einverstanden sein, daß die Verfasser dieses Berichts - vermutlich mit allem gebührenden Respekt - dem Bundeskanzler eine Ohrfeige verpaßt haben, und zwar in bezug auf den berüchtigten Satz, 5 % Inflation seien besser als 5 % Arbeitslosigkeit. Graf Lambsdorff, es ist nun einmal so: Die für Sie unangenehmen Seiten werden von Ihnen nicht angesprochen; das muß ich nun übernehmen. ({1}) - Ob für Sie, das wird sich noch herausstellen. - Da steht in Ziffer 9 - zunächst ganz verschämt, wie es sich gehört - unter Bezugnahme auf andere Länder: Die Erfahrungen anderer Länder zeigen deutlich genug, daß eine dauerhafte Sicherung der Vollbeschäftigung bei anhaltend hohen Preissteigerungen nicht erreicht werden kann. Dr. Köhler ({2}) Schließlich heißt es dann ganz unverblümt und ohne jede Deckung, bezogen auf die Bundesrepublik, in Ziffer 55: Es hat sich gezeigt, daß die inflationäre Entwicklung der vergangenen Jahre letztlich mit einer Sicherung von Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum nicht vereinbar war. Ich kann nur sagen: Wie wahr, wie wahr! Aber mit welchen Opfern - Opfern, die diese Regierung zu verantworten hat - mußte diese Erkenntnis bezahlt werden! ({3}) Heute morgen sind ja einige dieser Opfer hier schon deutlich angesprochen worden; ({4}) aber es ist eine Gelegenheit, das noch einmal zu wiederholen: Zwei Millionen Arbeitslose und Kurzarbeiter und die hieraus entstehenden menschlichen Probleme. Ich hatte im Jahre 1966 noch nicht die Ehre, diesem Hohen Hause anzugehören. Aber ich habe mir durchgelesen, was z. B. Sie, Herr Möller, hier gesagt haben, als damals 600 000 Arbeitslose in diesem Lande zu verzeichnen waren. Ich kann das, was Sie damals gesagt haben, nur wiederholen potenziert und bezogen auf die zwei Millionen, die heute nicht mehr voll oder überhaupt nicht in Arbeit stehen. Diese Tatsache sollten wir nicht verniedlichen. ({5}) Ich möchte auch sagen, daß daraus noch eine Reihe von finanziellen Folgen entstehen werden, die heute noch nicht im einzelnen angesprochen wurden. Ich denke an die zusätzlichen Kosten, die dem Bundeshaushalt durch die Überweisung von vorerst 3,4 Milliarden DM entstehen werden, um wenigstens die laufende Zahlungsfähigkeit der Bundesanstalt für Arbeit sicherzustellen. Aber man muß auch heute schon aussprechen, daß wir noch, wenn nicht gravierende Änderungen auf diesem Gebiet erfolgen, mit den Folgelasten dieser Erscheinung zu tun haben werden. Ich denke nur an den Beitragsausfall bei 700 000 Arbeitslosen in der Größenordnung von fast jeweils 3 Milliarden DM.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?

Dr. Herbert W. Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber natürlich!

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege, würden Sie diesem Hause den Zusammenhang zwischen Ihrer Warnung vor den Folgekosten und Haushaltsbelastungen und der Tatsache deutlich machen, daß sowohl Herr Strauß und Herr Stoltenberg hier heute früh ein weitgehendes Konzept von Steuerentlastungen und damit Steuermindereinnahmen auf Dauer - im Gegensatz zu der beschränkten Ausgabe der Investitionszulage - vertreten haben? Ich würde Sie sehr bitten, diese Zusammenhänge hier doch einmal darzustellen.

Dr. Herbert W. Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie können sich darauf verlassen, daß ich das tun werde. Ich komme aber zu dem zweiten Punkt, der nochmals erwähnt werden muß, obwohl er heute morgen schon angesprochen wurde, nämlich zur sogenannten „Totenstatistik der Marktwirtschaft" mit 8 000 Konkursen und 7 Milliarden DM notleidenden Forderungen. Das ist eine Verdoppelung gegenüber dem Jahre zuvor. Ich darf in diesem Zusammenhang zum erstenmal erwähnen: mit überproportionalen Steigerungen im Lande Nordrhein-Westfalen. Wir werden uns auch damit abfinden müssen, daß das nicht nur das Ergebnis sogenannter instrumentaler fehlerhafter Politik ist, sondern auch das Ergebnis jahrelanger gewinnfeindlicher Politik und einer Kostenexplosion, die nicht nur aus dem Auslande gekommen ist, sondern zumindest zur Hälfte auch aus diesem Lande. Das dritte, was ich sagen möchte, betrifft den höchsten Schuldenzuwachs, den wir zu verzeichnen haben. Ich habe heute große Aufmerksamkeit dem gewidmet und zu verstehen gesucht, was Herr Minister Apel uns vorgerechnet hat. Ich habe mir über Mittag noch einmal ein objektives Bild dadurch zu verschaffen versucht, daß ich die Ifo-Untersuchung über diesen Gegenstand nachgelesen habe. Ich bin überzeugt davon, daß diese Untersuchung recht hat, wenn sie sagt, daß das Defizit im Jahre 1975 allein doppelt so hoch sein wird wie praktisch die Summe aller Defizite der Vergangenheit dieser Republik. ({0}) Viertens aber muß man von der dramatischen Umverteilung der öffentlichen Ausgaben vom investiven auf den konsumtiven Bereich sprechen. Heute vormittag wurden Zahlen genannt. Ich habe mir die Zahlen der Jahre 1969 und 1974 als Gegenüberstellung aufgeschrieben. Der investive Teil ist von 17 auf 11 bis 12 % gesunken - ich will mich da nicht genau festlegen -, der Anteil der konsumtiven Aufwendungen inzwischen auf über 45 % gestiegen. Herr Minister Friderichs, ich gehe natürlich davon aus, daß Sie genau über das informiert sind, was Ihre Amtskollegen sagen und tun. Aber für den Fall, daß das nicht so ist, rate ich Ihnen, einmal mit Ihrem Amtskollegen Gscheidle zu sprechen und ihn zu fragen, wann noch in diesem siebenten Jahrzehnt die Bundesbahn bei der Investitionsquote Null angekommen sein wird, wenn alles nur so unverändert weiterläuft wie bisher. Ich bitte Sie, das mit in Ihr Kalkül einzubeziehen, wenn es um die Zukunft dieses Landes geht, für das wir uns mindestens so verantwortlich fühlen wie Sie. Nun möchte ich mich aber fünftens in diesem Zusammenhang der Ausdrucksweise der Sachverständigen bedienen und sagen: Worunter wir außerdem leiden, ist die „Verkrampfung der Investitionsneigung der privaten Investoren". Herr Kollege Ehrenberg, wie Sie die Schrumpfung dieser privaten Investitionsrate, die 1974 real nicht höher ist als 1971, durch den Hinweis verschleiern wollen, daß Dr. Köhler ({1}) dabei aber die ausländischen Investitionsanteile größer geworden seien, ist mir absolut rätselhaft. ({2}) Sechstens. Ich spreche jetzt von dem realen Wachstum. Sie bringen ja immer gerne solche internationalen Vergleiche, von denen Sie glauben, daß sie für Sie ganz bequem seien. Aber vergleichen Sie einmal die realen Wachstumsraten der großen Industrieländer, deren Preisentwicklung und Arbeitslosenquote in der Diskussion heute vormittag verglichen wurden. Dann werden Sie sehen, daß wir bei diesem Vergleich weit, weit abgeschlagen am Ende stehen. Diese Vergleiche ließen sich natürlich auch noch durch einen Vergleich der Eckdaten erweitern. Dabei wären die unterschiedlichen Einschätzungen gegenüberzustellen, die die Institute in Deutschland zum realen Wachstum, zur Arbeitslosenquote usw. jeweils vorgenommen haben. Ich erspare mir das; das ist Ihnen ja alles geläufig. Ich möchte nur sagen: Der Bericht ist in Teilen durch seine realistischen Einsichten ein Fortschritt, aber er ist immer noch beschönigend. Das gilt insbesondere auch für den Vergleich der internationalen Arbeitslosenquoten. Dort haben Sie sich für meine Begriffe etwas geleistet, was ich bisher von Ihnen nicht gewöhnt bin: Untersuchungsergebnisse vorwegzunehmen, die noch nicht vollständig gesichert existieren. Auch meine Nachfragen heute in der Pause beim Institut haben darüber jedenfalls keine Klarheit schaffen können. Die beschönigte Ausgangslage und die Aussichten, diese Lage zu verbessern, sind für meine Begriffe nicht so gut, wie sie hier geschildert wurden. Auch hat noch keinen in diesem Lande Ihr Programm vom Stuhl gerissen. Dabei muß ich ausdrücklich sagen: Es wäre eine Verkennung der Tatsachen, wenn Sie aus dem, was wir hier sagen, heraushörten, wir wünschten uns nicht von Herzen, daß sich in diesem Lande die Beschäftigungsverhältnisse schnell und durchgreifend wieder ändern. ({3}) Wenn ich aber schon bei der Aufzählung solcher Gemeinsamkeiten bin, möchte ich auch die anderen nicht unterdrücken, insbesondere deswegen nicht, weil sie immer weniger selbstverständlich geworden sind. Das wundert mich gar nicht, wenn ich die Diskussionen verfolge, die innerhalb der SPD geführt wurden. Ich habe gelesen - ich weiß nicht, ob das, was in den Zeitungen steht, richtig ist -, daß ja Ihre Diskussionen sich inzwischen in feindseliger Manier und nach den Methoden der Apo-Subkultur abspielen. ({4}) Deswegen ist es um so wichtiger, die wenigen Gemeinsamkeiten deutlich hervorzuheben, die ich in dem Bericht gefunden habe. Lassen Sie mich diese Gemeinsamkeiten nennen. Es ist erstens, Herr Minister, die Ablehnung nichtmarktwirtschaftlicher Alternativen zur Globalsteuerung, zweitens die Beibehaltung der Bemühungen um mehr Preisstabilität, drittens die Ablehnung von Lohn- und Preiskontrollen und viertens auch die Definition der Strukturpolitik als Begünstigung des Strukturwandels und nicht der Strukturerhaltung wenn wir darunter gemeinsam nicht den Ausschluß von Maßnahmen zur Mäßigung, zum Ausgleich und zur zeitlichen Streckung verstehen wollen, Herr Minister. - Ich sehe an Ihrem Nikken, daß wir auch in diesem Punkte einig sind. Natürlich möchte ich mir wünschen, daß es nicht bei verbalen Lippenbekenntnissen auf diesem Gebiete bleibt, die beim nächsten Koalitionshader Schritt für Schritt, in kleinen Schritten, vielleicht auch in Trippelschritten, in ordnungspolitisch bedenklicher Weise preisgegeben werden. Herr Minister, Sie würden sich wahrscheinlich wundern, wenn ausgerechnet ich nicht auch noch ein Wort zur Energiepolitik - oder - noch spezieller - zu einem der Punkte der Energiepolitik sagte: zu dem Angebot für 3 Millionen t KokskohleImportkontingente einzuführen. Ich will dazu natürlich auch etwas sagen. Sie kennen mich als eingefleischten Freihändler. Diesen Schritt in die richtige Richtung kann ich nur begrüßen, und ich kann Sie zu Ihrem Entschluß beglückwünschen. Aber ich bin auch mit meinem Kollegen Springorum einer Meinung, der neulich von diesem Platz aus gesagt hat, daß das sicher nur ein Anfang sein kann. Ich habe heute noch einmal nachgelesen, was der Energieministerrat am 13. Februar einschlägig beschlossen hat. Ich habe mich über diese Formulierung hinsichtlich der Öffnung gefreut und möchte das hier unterstreichen. Tatsächlich glaube ich, daß es noch niemals eine so gute Chance gegeben hat, das Schicksal des deutschen Kohlebergbaus zu sichern und gleichzeitig freihändlerische Handelspolitik zu betreiben. Wer mir das letztemal zugehört hat, weiß, daß ich gern etwas mitbringe. Diesmal ist es - wie ein von einem Juwelier verpacktes Juwel - ein wunderschönes Stück Kokskohle. Seien Sie nicht überrascht: Es ist amerikanische Kokskohle aus einer der Beteiligungen der Ruhrkohle AG, die mir ein Journalist mit dem Rat mitgebracht hat, doch einmal die Qualität prüfen zu lassen. Ich habe das getan. Meine Fachleute haben gesagt, es sei ausgezeichnete Kokskohle, allerdings mit dem außergewöhnlichen Vorteil, daß sie zu den halben Kosten gefördert wird. Ich möchte Ihnen also raten, sich dieser Sache weiterhin anzunehmen. Wohlgemerkt: Wir müssen dafür sorgen, daß daraus keine zusätzlichen, neuen Schwierigkeiten für den einheimischen Kohlebergbau erwachsen. Ich glaube, daß Sie sich dieser Sache auch noch aus einem anderen Motiv heraus werden widmen müssen. Ich nehme an, daß Ihre Beamten Sie gut über das unterrichtet haben, was sich inzwischen bei einer der wenigen Stützen der guten Konjunktur im letzten Jahr ereignet hat, nämlich in der Stahlindustrie. Die Talfahrt ist bisher ungebremst, mit unbekannDr. Köhler ({5}) tern Ende. An der Saar trägt diese Industrie mit 27,5 %, in Nordrhein-Westfalen noch immer mit 10 % zum Nettoproduktionswert der Industrie in diesen Ländern bei. Inzwischen gibt es den Abbau von Überstunden, vorgezogenen Urlaub und erste Kurzarbeit. In bezug auf die Kurzarbeit hat die Stahlindustrie in der Bundesrepublik inzwischen den Durchschnittswert der Industrie von 4 % erreicht. Das ist aber regional sehr verschieden und geht in einzelnen Regionen bis zu 23 % der Belegschaft. Sie sollten damit rechnen, daß dieser Prozeß in den nächsten Wochen und Monaten noch eskaliert. Nach dieser kleinen Abschweifung möchte ich darauf hinweisen, daß Ihre Durchschnittszahlen in diesem Jahr noch mehr die sektoralen und regionalen Unterschiede verdecken werden als bisher. Ich habe meine Zweifel, ob es der Politik, wie sie bisher angelegt ist, gelingen kann, diese sehr großen Unterschiede zu kompensieren. Bisher habe ich von Gemeinsamkeiten gesprochen. Was ich aber umgekehrt der Bundesregierung vorzuwerfen habe, betrifft zum einen die offensichtliche Tendenz, die Wirtschaftspolitik auf Konjunkturpolitik zu reduzieren. Mein Vorwurf gilt zum anderen der Überschätzung der instrumentalen Aspekte und damit zugleich der Unterschätzung der psychologischen und moralischen Aspekte. Zwar wird in Ziffer 51 der Stellungnahme zum Jahresgutachten des Sachverständigenrats eingesehen, daß eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit der üblichen Expansionspolitik versagt, „wenn die Inflationsraten so hoch sind, daß immer mehr Investoren und Verbraucher Fehlentscheidungen treffen". Aber die Schlußfolgerung, die Sie daraus ziehen, erschöpft sich in einer reinen Meditation über die Akzentverlagerung von Keynes zu Friedman. Ich will hier nichts über die Qualität der Sachverständigen sagen. Ich halte das Gutachten, wie es hier eben gesagt wurde, für eines der besten, das es jemals auf diesem Gebiet gegeben hat. ({6}) Aber was mir aufgefallen ist - Herr Kollege Ehrenberg, Sie kommen zur rechten Zeit -, ({7}) ist folgendes. Sie sagten hier an dieser Stelle - das hat mir inzwischen klargemacht, warum nur meditiert und nicht klar Stellung bezogen wird -: Bitte nicht zuviel Friedman, bitte ein bißchen mehr Keynes. Ich habe genau in Erinnerung, was Graf Lambsdorff hier gesagt hat: Bitte etwas weniger Keynes. ({8}) Das heißt, hier zeigt sich etwas, was ich jetzt besser verstehe als vorher, nämlich, daß Sie sich noch nicht darüber einig sind, was Sie auf diesem Gebiet für die richtigere, auch im Akzent richtigere Politik halten.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Dr. Ehrenberg?

Dr. Herbert W. Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich dadurch nicht in meiner Redezeit geschmälert werde, unbedingt!

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Köhler, würden Sie mir bestätigen, daß Sie nicht zugehört haben: Ich habe den von mir sehr verehrten Konjunkturpolitiker Keynes in meiner Rede nicht erwähnt, sondern ich habe nur gesagt: Nicht soviel Friedman, sondern dafür praktische Politik des Zentralbankrates wie bisher?

Dr. Herbert W. Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bestätige Ihnen gern, daß Sie Keynes nicht genannt haben. Man kann es auch anders ausdrücken: Sie haben Friedman gesagt und dann hinzugefügt: Ungefähr das, was man heute füglich darunter verstehen kann. ({0}) - Wir können uns aber privatim noch einmal darüber auseinandersetzen. Es geht mir nämlich gar nicht um diesen Punkt, also um diese Auseinandersetzung; denn es würde ein Parlament weit überfordern, wenn wir hier ein Kolleg über Keynes und Friedman absolvieren wollten. Es geht um zweierlei. Einmal, daß in den vergangenen fünf Jahren ein verhängnisvoller Versuch wie ich behaupte; ein gescheiterter Versuch - unternommen worden ist, die Wirtschaft gewissermaßen mit ständig überdrehter Tourenzahl und einer Art staatlichen Beschäftigungsgarantie laufen zu lassen mit der Folge, daß sich in diesen fünf Jahren kein allmählicher Strukturwandel wirklich durchsetzen konnte, sondern ein Strukturwandlungsstau entstanden ist, der sich jetzt auf eine hocheruptive Weise einen Ausweg sucht. ({1}) Das ist das eine. Und das zweite, was unter Fachleuten ganz normal sein müßte, ist die sorgfältigere Unterscheidung der zwei Krankheitserscheinungen, mit denen wir es heute zu tun haben, und der unterschiedlichen Therapie für diese beiden Erkrankungserscheinungen. Die eine ist, daß wir kein reales Wachstum mehr im Investitionsbereich haben - ich habe die Zahlen vorhin genannt -, und die zweite ist, daß der vorhandene Produktionsapparat nicht voll ausgenutzt ist. Der mangelnden Auslastung des vorhandenen Produktionspotentials kann man mit den klassischen instrumentalen Methoden der Einkommenspolitik, der Steuerpolitik, der Geldpolitik beikommen, vor allen Dingen, wenn sie mit dem Ziel einer Ertragsteigerung der Unternehmen durch Kostensenkung bei Löhnen, Steuern und Zinsen betrieben wird. Zur realen Steigerung des Produktionspotentials braucht man dagegen ganz erheblich mehr: nämlich zusätz10354 Dr. Köhler ({2}) lich das Vertrauen der privaten Investoren in die mittel- und langfristige Entwicklung dieser Wirtschaft. Aber beschäftigen wir uns mit den beiden Seiten der Sache etwas näher. Im instrumentalen Teil sind die Dinge im Einkommensbereich - also, was das Tarifpartnerverhalten und was die Zinsentwicklung anbetrifft; Graf Lambsdorff, hier stimmen wir überein - auf der richtigen Spur. Ich bin der Meinung, daß durchaus für die Abschlüsse der Tarifpartner ein allgemeines Verständnis in diesem Lande vorhanden ist, auch obwohl wir alle wissen, daß wir noch einen Überhang von 2 1/2 % in das Jahr 1975 mit hineinnehmen. Auch dann ist das Verständnis groß, denn der Weg zur Selbstbescheidung ist ein harter Weg. Und deswegen kann man hierfür Verständnis haben. Aber mir wäre es natürlich lieber, das würde künftig weniger mit den Drohgebärden und den Klassenkampfparolen des 19. Jahrhunderts verbunden werden; sie könnten gut und gerne in der Mottenkiste bleiben. ({3}) Hier möchte ich allerdings an Sie beide, meine Herren Minister, eine Mahnung richten: Natürlich muß diese richtige Politik nun durch die richtige Haushaltspolitik unterstützt werden und sich nicht etwa durch die Politik der öffentlichen Hände in eine Richtung bewegen, die das ganze wieder zunichte macht. Denn uns droht ja schon bei der Zinsentwicklung einiges. Ich gehöre zu denen, die sich große Sorgen machen, wenn sich in der zweiten Hälfte dieses Jahres Ansprüche der öffentlichen Hände und der möglichen privaten Investoren auf dem Kapitalmarkt kumulieren und die jetzt richtige Zinsentwicklung wieder in einen Zustand von Stagnation oder gar Schlimmerem versetzen. Wenn ich das richtig verstanden habe - ich bitte da eventuell um Bestätigung, wenn es so war - haben Sie das, Herr Minister Friderichs, glaube ich, auch so ausgedrückt. Ich kann außerdem sagen, Graf Lambsdorff: ich stimme mit Ihnen überein, was die Stützung der Selbständigkeit der Bundesbank betrifft. Wir haben verschiedene Erfahrungen historischer Art mit Selbständigkeit und Unselbständigkeit der Zentralbanken. Ich habe eine Erfahrung von 25 Jahren. Diese 25 Jahre der Vergangenheit sind mein Hauptmotiv, weshalb ich weiter für eine unabhängige Bundesbank kämpfen werde. Das, was bezüglich einer richtigen Entwicklung bei den Zinsen und bei den Löhnen zu sagen ist, die übrigens ja nur zu einem geringeren Teil von der Bundesregierung zu verantworten sind - immer dann, wenn's hoch geht, wird das bestätigt von der Regierung, wenn es heruntergeht, wird natürlich der Anspruch erhoben, man habe kräftig seinen Beitrag dazu geleistet -, trifft nun bei den Steuern überhaupt nicht zu. Ich muß Ihnen sagen - wir werden ja darüber ausführlich in der Haushaltsdebatte noch sprechen -: den Abgeordneten, der der Steuerreform, Herr Minister, auch noch in der allerletzten Lesung einsam, wie ich weiß, seine Zustimmung verweigert hat, reizte es natürlich, hier die persönlichen Erklärungen nochmal zu verlesen. Ich gehe davon aus, daß Sie sie doch noch nachgelesen haben; ich möchte es Ihnen jedenfalls empfehlen. Ich bin erschreckt, in welcher Weise sich diese Erklärungen meines Kollegen Zeitel und von mir inzwischen bewahrheitet haben. Ich werde also dieser Verlockung nicht unterliegen. Die folgende Bemerkung kann ich mir aber nicht verkneifen. Im Juli haben Sie die Unternehmen mit einer Erhöhung der Vermögensteuer geschockt, im November haben Sie sie dann mit der 7,5%igen Investitionszulage für konjunkturelles Wohlverhalten verlocken wollen. Wie können Sie erwarten, daß nach einem solchen Wechselbad diese Unternehmer ohne langfristige Sicherheiten wieder mit vollen Segeln das tun, was Sie erwarten? Was sie tun werden, ist folgendes: Sie werden das in Angriff nehmen, was sie ohnehin vorhatten, sie werden auch die Hand aufhalten - sie haben erklärt, das reiche ihnen schon - für einige vorgezogene Maßnahmen. So lange aber noch von 100 im Unternehmen verdienten Mark 70 in der Staatskassse landen, so lange werden Sie diese Sache nicht vollkommen in Ordnung gebracht haben. Ich rate Ihnen dringend, daß Sie wenigstens in dem Punkt, in dem wir offenbar völlig einer Meinung sind, nämlich in der Einführung des „carry back", nun aus dem koalitionsverlegenen Prüfungsverfahren in den Zustand der Realisierung übertreten. Wir werden Ihnen jedenfalls gern dabei behilflich sein. Ich sage das deswegen, weil auch das, was auf der Nachfrageseite zur Konjunkturbelebung angeboten wird, nicht ohne Tücken ist. Mißverstehen Sie das nicht! Wir haben das mitgetragen. Sie finden hier also nicht etwa jemanden, der sagt, das sollte alles rückgängig gemacht werden, und es sei nicht das Richtige gewesen. Wir haben es mit Ihnen zusammen gemacht. Wir hätten es allerdings etwas besser gemacht, wenn wir an der Reihe gewesen wären. Aber ich meine folgendes. Sie selbst haben wohl beklagt, daß die Pferde - so haben Sie das wohl genannt - immer noch nicht so recht saufen wollten. Ich war - ich habe das im Börsenblatt nachgelesen - von diesem Wandel der zoologischen Betrachtungsweise sehr angetan. Früher sprach man von den Kühen, die gemolken und nicht geschlachtet werden dürften. Nun sind also daraus Pferde geworden, die nicht saufen wollen. Und jetzt weiß ich auch, warum sie nicht saufen: Die sind dauernd dabei, den Minister zu treten. ({4}) Ich hoffe, daß Sie nicht allzusehr leiden, und hoffentlich werden auch nur die richtigen Körperteile getroffen. ({5}) Meine Damen und Herren, in Wahrheit will ich folgendes sagen: An dem Programm ist zu bemerken - das gilt auch für die Länderprogramme -, daß offensichtlich zwischen der politischen Entscheidung und ihrer Umsetzung in die Praxis immer längere Fristen entstehen. Ich muß tief beklagen, daß wegen dieser Leasing-Angelegenheit noch Dr. Köhler ({6}) heute keine Durchführungsbestimmungen zu dem Investitionszulagengesetz vorhanden sind. Ich kann hier nur Heinrich Köppler zitieren, der in der letzten Haushaltsdebatte des Landtags von Nordrhein-Westfalen am 28. Januar darüber sehr laut hat klagen müssen, weil sowohl Bundes- wie Landesmittel nicht dort ankommen, wo sie hingehören. Ich möchte das hier zum Anlaß nehmen, Ihnen zu raten, da sehr hinterher zu sein, denn es hängt ja ein bißchen auch Ihr Erfolg davon ab. Nun komme ich aber wirklich ({7}) zu dem Punkt, den ich konjunkturpolitisch, Herr Kollege Ehrenberg, für eine Zumutung und einer seriösen Berichterstattung unwürdig halte. Dort steht wörtlich - darf ich das zitieren, Herr Präsident -: Auf Grund der Steuer- und Kindergeldreform wird 1975 die Kaufkraft breiter Schichten der Bevölkerung um ca. 14 Milliarden DM gestärkt. Ich nenne das eine Zumutung und einer seriösen Berichterstattung unwürdig. Ich habe noch vor 14 Tagen von Herrn Offergeld gehört: 14 Milliarden DM fehlen dieses Jahr in der Kasse. Heute haben Sie, Herr Minister Apel, hier das schon ein bißchen zurückhaltender formuliert: es sei noch offen und vielleicht 2 Milliarden DM im nächsten Jahr. Ich habe mir die Mühe gemacht, das einmal etwas genauer auszurechnen und habe mit den Zahlen der gegenwärtigen Lohnsteuerausgleichsfälle angefangen. Das waren, wenn ich das richtig gelesen habe, 13 Millionen Fälle, und ich habe mich sachverständig gemacht: pro Fall 625 DM. Die Steuerbeamten haben gesagt: Wenn das neue Gesetz in Kraft ist, wird sich die Zahl der Fälle um 8 Millionen erhöhen. Das sind dann 21 Millionen. Das ist die eine Methode der Berechnung, mit der man auf glatte 5 Milliarden DM kommt. Die andere bezieht sich auf die Ermittlungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftserforschung, wo für 5 Millionen betroffene Ehepaare allein 2 1/2 Milliarden DM Steuerstundung anfallen werden. Das heißt, konjunkturpolitisch sind im Jahre 1975 von den 14 Milliarden DM maximal 9 bis 10 Milliarden DM überhaupt im Rennen. Aber dem muß man noch einiges entgegenhalten. Ich will das nicht auf alle Zahlen ausdehnen, nur auf die Erhöhung der Versicherungsbeiträge - Krankenversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung -, die Erhöhung der Bemessungsgrundlagen. Wenn Sie das alles addieren, ergibt das einen Betrag von 17,5 Milliarden DM, davon die Hälfte von den Arbeitnehmern zu tragen. Herr Minister, ich frage Sie allen Ernstes: Was bleibt dann eigentlich nach diesem grandiosen Umverteilungsprozeß auf den Lohnabrechnungsstreifen - da spielt sich dieser Prozeß ab - an Kaufkraftwirksamem noch übrig? Ich mußte eingangs feststellen, daß Ihre Analyse die gegenwärtige Lage trotz größer gewordenen Realismus beschönigte. Das Beispiel der angeblichen Kaufkraftstärkung um 14 Milliarden DM zeigt, daß sich darüber hinaus die Politik der Bundesregierung auf Illusionen stützt. Wenn ich beides zusammennehme, dann verstehe ich auch die Kritiker, die festgestellt haben, daß ihre Prognosen allzusehr auf das Prinzip Hoffnung bauen. Nun müssen wir uns alle - ich habe das schon einmal gesagt -, gleich auf welcher Seite des Hauses, wünschen, daß sich die Lage möglichst schnell wieder bessert. Herr Ehrenberg, tun Sie nicht so, als ob dieser Wunsch nur bei Ihnen beheimatet sei. Sie haben das vorhin so ausgedrückt. Diese Opposition fühlt sich für dieses Land und seinen Zustand mindestens so verantwortlich wie Sie. Das nehmen Sie bitte zur Kenntnis. ({8}) Wenn Sie - das hat der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein schon gesagt, deswegen mache ich es ganz kurz - einmal feststellen, was vorausgesagt wird, was wann kommt, dann schwankt das von März dieses Jahres - in vier Wochen - bis zum Winter. Das ist die letzte sachverständige Äußerung, die ich gehört habe. Woran liegt das wohl? Nun, ich habe schon gesagt, es liegt daran, daß Sie unabhängig von den Fehlern in der instrumentalen Politik die Bedeutung der psychologischen und moralischen Aspekte der Wirtschaftspolitik fundamental verkennen. Private Investoren lassen sich Investitionen nicht befehlen. ({9}) - Sie haben sich aber in den vergangenen fünf Jahren so verhalten. Soll ich Ihnen das alles einmal aufzählen? Ich will nur zwei Fälle - nur zwei! - nennen; die reichen mir. ({10}) Ich sage Ihnen dann auch etwas zu dem, was unser Kollege Ehrenberg an Einschläferndem hierzu beigetragen hat. Hat die Regierungskoalition wirklich genügend dagegen getan, die Denunziation des Leistungswillens einer Millionenbevölkerung fleißiger Arbeiter zu verhüten oder zu verhindern? ({11}) Wie war es denn, was hat sie getan, als Systemveränderer als ihren Beitrag zur beruflichen Bildung Anleitungen für die Lehrlinge gaben wie: „Laß doch ein kostbares Werkstück dem Meister auf die Füße fallen, wenn er dir nicht paßt"? Das hören Sie alles nicht gerne. Haben Sie noch in Erinnerung, was sich zwei respektable Gewerkschaften, Eisenbahner- und Postgewerkschaft, als Antwort auf notwendige Rationalisierungsmaßnahmen in diesen beiden Unternehmen ausgedacht haben? Die Einführung der 32- und 35-Stunden-Woche. Als Beitrag dazu sagte vorhin Herr Kollege Ehrenberg: Aber das mit der Verteufelung der Unternehmen braucht ihr nicht so ernst zu nehmen, das ist ein rein literarisches Problem. ({12}) Ich kann Ihnen nur sagen: Beschäftigen Sie sich einmal mit den Grundkenntnissen eines ersten Se10356 Dr. Köhler ({13}) mesters der Psychologie, dann wird Ihnen bald deutlich werden: ({14}) Wenn Sie das weiter so unterschätzen, werden Sie Pech haben mit Ihrer Erwartung. Es geht nur dann, wenn die Investoren wieder Vertrauen, und zwar in die mittel- bis langfristige Entwicklung unserer Wirtschaft haben werden. ({15}) Meine Damen und Herren, ich habe ja einen Kronzeugen: Herr Genscher hat da gestern wörtlich auf völlig überzeugende Weise - ich sage das mit Ihrem Beifall; ich hoffe, ich bin mir des Beifalls auch weiterhin sicher - erklärt: Wir brauchen, wenn wir in diesem Lande wieder Investitionen wachsen lassen wollen, ({16}) Ruhe an der Ideologie - Und was noch? An der Experimentierfront! ({17}) Meine Damen und Herren, ich glaubte, Ansätze hierfür auch innerhalb der SPD gefunden zu haben. ({18}) - Ja, zweimal haben Sie den Orientierungsrahmen 1985 erwähnt. Ich hoffe, einer meiner Kollegen hat sich das Thema ausführlich vorgenommen. Ich kann nur eines sagen. Ich glaubte vorübergehend, daß sich bei Ihnen - wenn auch nicht aus eigener Einsicht, sondern nur als Folge schrecklich verlorener Landtagswahlen ({19}) tatsächlich eine Neubesinnung aus eigner Einsicht breitmachte. ({20}) Seit Recklinghausen bin ich leider eines Besseren belehrt worden. Sie haben die alte Methode der Verteufelung Ihrer politischen Gegner wiederaufgenommen. ({21}) - Herr Kollege Wehner, ich bin ganz entzückt, daß Ihnen nicht mehr eingefallen ist. Ich habe Sie immer für schlagfertiger gehalten. Das läßt nach; lassen Sie es sich sagen. ({22}) Ich sage das mit allem Respekt. Das bitte ich Sie mir abzunehmen. ({23}) Meine Damen und Herren, ich glaube aber nicht - dies sei im Sinne einer Mahnung an den Wirtschaftsminister gesagt -, daß Sie Erfolg haben werden, wenn es so weitergeht mit der Unterschätzung des Aspektes der Psychologie, des Aspektes der Moral, d. h. des Aspektes, den Leistungswillen in dieser Gesellschaft wieder zu erhöhen und bei den privaten Investoren wieder Vertrauen zu erwecken, mittel- bis langfristig Investitionen zu tätigen. Nun kann ich natürlich nicht ausschließen - das soll meine letzte Bemerkung sein -, ({24}) daß Ihnen überraschende Hilfe, vielleicht nicht erwünschte Hilfe zuwächst, wenn nämlich im Frühjahr saisonale Impulse, mit denen wir alle aus Erfahrung ja rechnen können, mit einem neuen politischen Frühling kumulieren, wenn es also zu einem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen kommt und sich aus diesem Grunde von da ab ein größeres Vertrauen unter den privaten Investoren in die Zukunft unserer Wirtschaft ausbreitet. ({25}) Ich wünsche mir das, auch wenn Sie darüber nicht glücklich sind. ({26})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfram.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Köhler, ich und manche meiner Kollegen haben Sie bisher immer für einen ernst zu nehmenden Kollegen dieses Hauses gehalten. Ich glaube, diesen Eindruck unterstreicht man nicht, wenn man in einer Debatte eine Münze, in einer anderen Debatte ein Stückchen amerikanischer Kokskohle und das nächste Mal irgendein anderes Präsent verteilt und im übrigen dann doch sehr an der Oberfläche bleibt. Man sollte sich vielmehr mit den sachlichen Diskussionsbeiträgen der Minister Friderichs und Apel, der Kollegen Ehrenberg und Lambsdorff und vor allem mit den Fakten auseinandersetzen. Sie müßten es eigentlich besser wissen. Zumindest hätten Sie den Apparat dazu, der Ihnen die wirtschaftspolitischen Daten liefert, um die Lage objektiver zu beurteilen. Sie müßten als Geschäftsführer eines bedeutenden Wirtschaftsverbandes wissen, daß die wirtschaftlichen Probleme, vor denen wir stehen und mit denen wir fertigwerden müssen und im übrigen bislang besser fertiggeworden sind als alle anderen, weltweite Probleme sind und daß es Probleme sind, mit denen wir uns, Herr Dr. Köhler, wirklich ernster auseinandersetzen müssen, als es bislang in den Debattenbeiträgen der Kollegen von der Opposition heute geschehen ist. Sie haben stark den Aspekt der Psychologie unterstrichen. Ich möchte einmal fragen: Wer ist eigentlich für die psychologische Situation in unserem Lande verantwortlich? Die Bundesregierung mit Sicherheit nicht. ({0}) - Herr von Bismarck, die Bundesregierung hat die Lage mit Sicherheit immer ernst und verantworWolfram ({1}) tungsbewußt analysiert und die notwendigen Schritte getan. ({2}) Wenn jemand psychologisch verunsichert hat, dann waren es Herr Strauß und die CDU/CSU-Opposition. ({3})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gleich gestatte ich eine Frage. Im übrigen möchte ich eine zweite Bemerkung machen: Ich glaube, viele unserer Unternehmer wären gut beraten, wenn sie ihre Einstellung zu dieser Bundesregierung überprüften und sich kooperativer verhielten, als uns das aus manchen Unternehmerlagern fast täglich entgegentritt. ({0}) Bitte, Herr Dr. Köhler! ({1})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, wenn Sie Ihrem Kollegen die Frage ermöglichen würden!

Dr. Herbert W. Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wollen Sie bestreiten, daß Minister Friderichs im September in der Haushaltsdebatte ausdrücklich anerkannt hat, daß mindestens 50 0/o der Ursachen für die gegenwärtig schwierige Lage in diesem Lande home-made - wie er sich ausdrückte -, auf gut deutsch: hausgemacht seien?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Köhler, ich bin sicher, Minister Friderichs wird auf diese von Ihnen wiederholt gestellte Frage noch persönlich antworten und sie interpretieren. Nun warten Sie doch ab! Ich geben Ihnen eine Antwort. Ich persönlich bin der Meinung - ich werde es nachher noch nachzuweisen versuchen -, daß möglicherweise Fehler gemacht worden sind. Ich schließe nicht aus, daß auch von uns welche gemacht worden sind. Aber ich lasse auch diejenigen nicht aus der Verantwortung und Mitverantwortung, die als autonome Gruppen und Kräfte in unserer Wirtschaft ein großes Maß an Verantwortung tragen, vielleicht ein größeres, als man leichthin und schnell der Regierung unterstellt. ({0}) - Ja, sicher! Herr Dr. Narjes, wenn Sie noch ein bißchen Geduld haben, werden wir uns noch mit dieser Frage befassen können. Ich hatte mir vorgenommen, gerade dazu ein Wort zu sagen. Ich wollte nämlich in meinem Debattenbeitrag zum Ausdruck bringen, daß man zu leicht und zu oft versucht - das zeigt auch der bisherige Verlauf der Debatte, wie er von Oppositionssprechern geführt worden ist -, die Verantwortung für die wirtschaftliche und konjunkturelle Lage ausschließlich dem Staat und der Regierung zuzuschieben. Vor allem Sprecher der Opposition werden nicht müde, für die derzeitige Lage und für aktuelle Probleme allein und ausschließlich die Bundesregierung verantwortlich zu machen, ohne ihre eigenen Widersprüchlichkeiten in Fragen der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik aufzuklären, ohne konkrete Alternativen zu bieten und aufzuzeigen. Folgendes ist nun sehr interessant: Ihrem Parteivorsitzenden Kohl wurde dieser Tage in einem Interview des ZDF folgende Frage gestellt: Herr Dr. Kohl, wie ist es denn nun mit der Alternative? Gibt es nicht in der Tat manche Bürger, die außer Kritik an der Regierung konkreter wissen möchten, was die Union besser machen würde? Darauf hat Herr Kohl geantwortet: Wir haben, um ein Beispiel zu nennen, seit Jahren die Bundesregierung und vor allem die sie tragende Sozialdemokratische Partei darauf hingewiesen, daß ihre sozialistischen Experimente, das Weit-über-die-Verhältnisse-Leben im Bereich unserer Wirtschaft mit Sicherheit uns alle in eine sehr gefährliche gesamtwirtschaftliche Lage bringen. Das war die einzige Alternative, die die Opposition zu bieten hatte. ({1}) Deshalb verstehe ich auch, weshalb sich heute im Kanzlerkandidatenreigen neben Herrn Stoltenberg nicht auch noch Herr Kohl gemeldet hat; denn mit diesen wirtschaftspolitischen Erkenntnissen und Alternativen kann man sich diesem Hause wahrlich nicht präsentieren. ({2}) Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn man Sie im übrigen hier im Hause - und noch mehr draußen im Lande - reden hört, dann meint man, wir lebten in einem Staat mit einer zentralen Kommandowirtschaft und nicht in einem Staat mit marktwirschaftlicher Ordnung. ({3}) Dann wird immer so getan, als wäre es nur die Regierung, die für alles verantwortlich und zuständig sei und alles beeinflussen und ändern könne. ({4}) - Herr Dr. Köhler, nein, nein, so ist es nicht! Sie wissen es doch auch. Sie wollen es nur vor der Öffentlichkeit nicht wahrhaben. Wir dürfen die Zuständigkeiten nicht verwischen ({5}) - Nein, nein, Herr Windelen, das hat mit Schelte nichts zu tun. Das hat nur etwas mit dem Versuch zu Wolfram ({6}) tun, einmal die Zuständigkeiten und die Verantwortlichkeiten abzugrenzen. Wer für eine marktwirtschaftliche Ordnung ist, der soll auch wissen, welche Rolle eine Regierung zu spielen hat, welche Rolle die Unternehmer zu spielen haben, welche Aufgabe und Funktion die Gewerkschaften und welche Rolle die Verbraucher wahrzunehmen haben. Darum geht es. Wer sich im einzelnen korrekt und richtig verhalten hat, können wir ja einmal in einer sachlichen Diskussion prüfen und feststellen. ({7})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Köhler? - Bitte!

Dr. Herbert W. Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie sprachen also von der Verantwortung der autonomen Gruppen; so habe ich Sie verstanden. Bestreiten Sie, daß die Tarifpartner und die Bundesbank - wenn ich einmal die zwei autonomen Gruppen ansprechen kann, die zugestandenermaßen für Zinsen und Löhne die Hauptverantwortung tragen ({0}) ihrer Pflicht nicht Genüge getan haben, oder wie soll ich Ihre Bemerkung verstehen?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die werden Sie gleich verstehen, wenn Sie mir Gelegenheit geben, in meiner Rede fortzufahren, denn das ist ja Teil des Inhalts meiner Rede. Ich wollte Ihnen nur sagen: Sie dürfen nicht so vereinfachen, wie Sie es auch heute wieder getan haben, und Sie dürfen nicht immer die Verantwortlichkeiten verschieben. Ich will mich jetzt nicht über die außenwirtschaftlichen, über die welthandels- und weltwährungspolitischen Aspekte verbreiten, die sicherlich für die derzeitige Lage eine außerordentliche Bedeutung haben. Ich will nur darauf hinweisen, daß die Gewerkschaften - und Sie haben es ja zum Teil heute auch selbst bestätigen müssen - gerade mit den jüngsten Tarifabschlüssen ihr Verantwortungsbewußtsein unter Beweis gestellt haben. Sie werden bestätigen müssen, daß die Tarifabschlüsse, wie sie jetzt getätigt worden sind und wie sie zu erwarten sind, absolut in die konjunkturpolitische Landschaft passen und daß sie mit Sicherheit die Kosten- und Ertragslage der Unternehmen nicht nachteilig beeinflussen werden. Im übrigen hatte, glaube ich, mein Kollege Ehrenberg oder Graf Lambsdorff schon auf die Doppelfunktion des Lohns und des Arbeitseinkommens hingewiesen; denn Löhne und Gehälter sind ja nicht nur Kosten, sondern auch Kaufkraft, und sie sind für eine florierende Wirtschaft von großer Bedeutung, Die Bundesregierung hat alles getan, was für eine konsequente Stabilitätspolitik notwendig war. Die Erfolge zeigen sich in der niedrigsten Preissteigerungsrate im internationalen Vergleich. Die Bundesregierung hat zum jeweiligen Zeitpunkt die Weichen richtig gestellt. Wenn man überhaupt etwas in Frage stellen könnte, dann wäre vielleicht die Frage berechtigt: Hat man möglicherweise nicht etwas zu spät umgeschaltet, hätte man nicht etwas früher Gas geben sollen? Diese Frage ist von uns eingehend diskutiert worden, und wer vor allem auch die Ratschläge der Sachverständigen berücksichtigt hat, wird zugeben müssen, daß der Zeitpunkt dann wohl eben doch der richtige war. Im übrigen kam aus Ihren Reihen nie der Vorschlag, anders zu handeln und zu entscheiden - bis auf widersprüchliche Äußerungen -, wobei Sie, meine Damen und Herren, sicherlich anerkennen, daß es für die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen immer sehr schwer ist, abzuschätzen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um diese oder jene Maßnahme und in der richtigen Dosierung zu ergreifen. Sicher ist aber, daß die CDU/CSU-Opposition im Spätherbst 1974 widersprüchlich und falsch auf die konjunkturelle Lage reagiert hat; Minister Friderichs hat das bereits nachgewiesen. Richtig aber ist, wenn man das allgemeine Klima sieht und wenn unternehmerische Entscheidungen dadurch beeinflußt werden, daß die CDU/CSU mit ihrer Verunsicherungskampagne, mit ihrer permanenten Panikmache Schaden anrichtet und die Hauptverantwortung dafür trägt, daß sich autonome Wirtschaftskräfte oft nicht konjunkturgerecht verhalten. Wenn Sie einmal mit kleinen und mitleren Selbständigen, mit Handwerkern sprechen, die politisch auf Ihren Rat hören, werden Sie feststellen: sie lassen sich leider von Ihren düsteren Prognosen beeinflussen. Statt daß Sie zu Investitionsentscheidungen Mut machen, ({0}) statt daß Sie empfehlen, jetzt zu investieren, die Möglichkeiten, die die staatliche Wirtschafts- und Konjunkturpolitik bietet, zu nutzen, ({1}) verunsichern Sie nach wie vor weiter. Sie sollten sich das einmal vor Augen führen und sollten die Konsequenzen daraus ziehen. Im übrigen glaube ich, Sie von der Opposition können froh sein, daß Sie in einer so schwierigen weltwirtschaftlichen Lage nicht selbst die politische Verantwortung tragen, denn geistig und politisch wären Sie dafür nicht gerüstet gewesen; ({2}) den besten Beweis hat Herr Strauß heute wieder geliefert. Wenn Herr Strauß als eines der einzigen Rezepte uns den Hinweis auf selbsthelfende und selbstheilende Kräfte der Wirtschaft bietet, dann ist das eben zu wenig. Sie wissen ganz genau, wie notwendig es ist, daß sich die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen gegenseitig ergänzen und unterstützen. Herr Strauß glaubte, im Zusammenhang mit der Energiepolitik und der Sicherung der zukünftigen Energieversorgung Kritik an der Bundesregierung üben zu müssen. Sie, Herr Dr. Köhler, haben auch Wolfram ({3}) noch in diese Kerbe geschlagen, allerdings mit einer anderen Motivation und Zielsetzung. Ihnen geht es ja, wenn sie von Energiepolitik reden, eigentlich nur darum, für die Stahlindustrie freie Importkontingente zu bekommen. Das ist Ihr primäres Interesse. Das hat aber nichts mit Energiepolitik zu tun. Wenn uns Herr Strauß vorwirft, wir hätten nicht genügend für eine langfristige Energiesicherung getan, dann muß man einmal fragen: Was ist denn in 20 Jahren CDU/CSU-Regierungen zur Sicherung der Energieversorgung geschehen? Wo liegen denn die Versäumnisse? Wo sind denn die eigentlichen Ursachen dafür, daß das 01 eine solche Position auf unserem Energiemarkt erreichen konnte? Hier ist eindeutig die Verantwortung bei Ihnen. Wenn Herr Strauß den ungesunden Exportüberschuß kritisiert, dann muß man ihn fragen: Was will er denn damit zum Ausdruck bringen? Will Herr Strauß denn als Alternative anbieten, weniger zu exportieren, d. h. weniger zu produzieren und weniger Beschäftigte zu haben, oder was soll diese Kritik am Export bedeuten? Selbstverständlich wäre ein ausgewogeneres Verhältnis, auch im Interesse der Zahlungsbilanzen, gut und notwendig. Aber jeder weiß, daß das von heute auf morgen nicht zu erreichen ist. Meine Damen und Herren, ich will nicht auf die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge eingehen. Ich will nur darauf hinweisen, welche großen Gefahren sich uns da noch bieten. Kein Mensch weiß heute, was von außen auf uns zukommt, auch mit Risiken für die Beschäftigungssituation. Ich will nur darauf hinweisen, daß die autonomen Kräfte in unserem Lande ein großes Maß an Verantwortung tragen. Ich würde mir wünschen, daß gerade die Unternehmensleitungen und auch die Selbständigen erkennen, daß diese Bundesregierung eine Politik auch in ihrem Sinne betreibt. Wenn man einmal überlegt, daß die Zinsen heute ein relativ niedriges Niveau erreicht haben, daß kaum damit zu rechnen ist, daß weitere wesentliche Zinssenkungen erfolgen, wenn man berücksichtigt, daß von der Lohnkostenseite her die Daten gut sind, wenn man überlegt, welche finanziellen Hilfen die Bundesregierung bietet, dann fragt man sich, warum nicht heute schon in einem stärkeren Maße investiert wird. Es wäre gefährlich, zu warten und den Run auf Kredite zu beginnen, wenn die große Nachfrage entsteht, weil dann zwangsläufig die Zinsen wieder steigen müssen. Für mich ist es immer wieder erschütternd festzustellen, daß auch in den Unternehmensleitungen nicht genügend antizyklisch gedacht wird, daß man im Boom, in der Hochkonjunktur immer noch fleißig investiert und daß man dann, wenn es vom Konjunkturzyklus her richtig wäre zu investieren, zu lange Zurückhaltung übt. Ich möchte also unsere Unternehmensleitungen ermuntern, jetzt die günstige Lage auf dem Kapitalmarkt, den zu erwartenden Aufschwung der Konjunktur, die günstige Kosten- und Ertragslage, wie sie vor uns steht, zu nutzen und zu investieren. Für Investitionsentscheidungen steht das Licht auf Grün. Im übrigen muß man doch zur Kenntnis nehmen, daß jeder Auftrag und jede Investition, die herausgehen, auch für andere Wirtschaftsbereiche, für Handel und Gewerbe Beschäftigung bedeuten. Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung zur Situation auf dem Arbeitsmarkt machen. Meine Damen und Herren, kein verantwortungsbewußter Politiker kann und darf die Lage auf dem Arbeitsmarkt bagatellisieren. Sicherlich erfüllt uns die Sorge bezüglich der Arbeitslosen. Kein verantwortungsbewußter Politiker darf aber mit dem Schicksal der Arbeitslosen politisch Schindluder treiben. Meine Damen und Herren, nicht die Bundesregierung stellt ein und entläßt, nicht die Bundesregierung ist für Personalplanung und Personalpolitik verantwortlich! Hier kann man auch nur wieder an die Wirtschaft die Bitte richten: Wenn jedes Unternehmen in dieser Situation die vom Arbeits- und Sozialminister gebotenen sozialen Hilfen in Anspruch nähme, wenn die Unternehmen den Mut hätten, zu investieren und auch Arbeitslose einzustellen, dann würden wir sehr bald eine spürbare Entlastung auf dem Arbeitsmarkt bekommen. ({4}) Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung hat die wirtschafts- und konjunkturpolitischen Weichen richtig gestellt und zielstrebig gehandelt. Die autonomen Gruppen haben zum Teil das Ihre getan; weitere Maßnahmen aus diesem Bereich sind zu erwarten. Wenn wir die Aufgaben, die vor uns stehen, gemeinsam und vertrauensvoll anpacken, wenn die autonomen Kräfte die Bundesregierung unterstützen, dann wird es uns gelingen, diese Probleme im Laufe des Jahres zu meistern. Ich persönlich habe nur die Zweifel, ob die Opposition bereit sein wird, ihren Beitrag in diesem Sinne zu leisten. ({5})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Narjes.

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf an den Anfang meiner Ausführungen ein Wort des herzlichen Dankes der Opposition an den Sachverständigenrat stellen, ({0}) der mit seiner hervorragenden Arbeit einmal mehr einen unverzichtbaren Beitrag ({1}) zur Versachlichung der konjunkturpolitischen Diskussion in Deutschland geleistet hat. Alle, die Verantwortung in der Wirtschaftspolitik tragen, schulden seinen Arbeitsergebnissen, auch soweit sie mit ihnen nicht übereinstimmen, Aufmerksamkeit, Beachtung und, wenn nötig, eine an der Sache orientierte Kritik. Wer die Arbeit des Sachverständigenrats nur an den engen Kriterien des verbands- oder parteipolitischen Nutzens bewertet, dekuvriert nur seinen eigenen Mangel an Verantwortungsbewußtsein und an Gemeinsinn. ({2}) Ich glaube auch, daß die Sachverständigen unbefangener und mit mehr Genugtuung auf ihre früheren Berichte zurückschauen können als die Bundesregierung - nicht etwa ihre sachverständigen Beamten -, wenn sie die früheren Jahreswirtschaftsberichte und ihre jeweiligen Projektionen, Hoffnungen und Verheißungen mit der Wirklichkeit vergleichen. Wenn ich den bisherigen Verlauf der Debatte überschaue, so habe ich den Eindruck - das ist für mich das wichtigste Ergebnis -, daß Regierung und Koalition bisher keine befriedigenden Antworten auf die Fragen gegeben haben, die sich hier in der Debatte im wesentlichen gestellt haben. Erstens. Wie stellt sich die Bundesregierung den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit konkret vor? Meint sie im Ernst, mit dem auf kurzfristige Effekte angelegten und viel zu teuren Programm vom 12. Dezember das Nötige getan zu haben? Welches sind die nachprüfbaren Tatsachen, die sie zu der Annahme bringen, daß wir im späten Frühjahr, im Sommer - oder wann immer es kommen soll - mehr als ein konjunkturpolitisches Strohfeuer, um einen Modeausdruck aufzugreifen, haben werden? Will die Bundesregierung im Ernst den hohen Anteil struktureller Arbeitslosigkeit leugnen und den strukturpolitischen Problemen, die wir haben, strukturpolitische Lösungen verweigern? Zweitens. Ist die Bundesregierung wirklich davon überzeugt, daß die Verpflichtung der Bundesbank, den Geldmengenzuwachs zu begrenzen, ausreicht, um das Stabilitätsziel weiter wirksam zu verfolgen? Ist sie insbesondere bereit, auch alles in ihrer Kraft Stehende zu tun, damit die Bundesbank ihr Ziel der Zuwachsbegrenzung auf 8 % auch tatsächlich erreichen kann? Oder folgt sie mehr der Linie Ehrenberg, den ich heute morgen so interpretiert habe, es könnten auch einige Prozente mehr sein, wenn die praktische Politik das nötig macht? ({3}) - Ich habe Sie also richtig verstanden. Drittens. Mit welchen Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung das Wachstum auf längere Sicht zu beleben und insbesondere die Konsequenzen des jahrelangen, durch die Politik verursachten, besorgniserregenden Rückganges der Investitionstätigkeit der Wirtschaft wie der öffentlichen Hände zu beheben? Ist sich die Bundesregierung insbesondere darüber klar, daß als Folge der schon in den letzten vier Jahren unterlassenen Investitionen das deutsche Produktionspotential heute so weit gesunken ist, daß die allen unseren Finanzplänen zugrunde liegenden mittelfristigen Wachstumserwartungen wahrscheinlich überhaupt nicht mehr erreicht werden können? Ist sich die Bundesregierung weiterhin darüber klar, daß eine fortgesetzte Investitions- und Wachstumsschwäche auch die sozialen Besitzstände unserer Arbeitnehmer auf mittlere Sicht gefährden müßte? Viertens. Der Jahreswirtschaftsbericht erkennt zwar an, daß der Anregung der privaten Investitionstätigkeit eine Schlüsselrolle zukommt; wir stimmen damit voll überein. Ist die Bundesregierung aber wirklich der Meinung, daß sie mit ihrer Politik, so wie sie im Jahreswirtschaftsbericht und im Programm vom 19. Dezember 1974 niedergelegt ist, alles in dieser Situation Mögliche getan hat, um diese Investitionstätigkeit im notwendigen, möglichen und erlaubten Umfange wieder anzuregen? Will der Bundeswirtschaftsminister tatsächlich in Übereinstimmung mit dem Kollegen Ehrenberg leugnen, daß die vielen durch das Verhalten der Sozialdemokratischen Partei bis in die jüngste Zeit hinein ausgelösten Zweifel in die Stabilität und Kontinuität unserer staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung - dazu gehört auch Ihr Orientierungsrahmen '85 -, die sämtlich der bewährten sozialen Marktwirtschaft widersprechen, ({4}) ohne Einfluß auf die Wagnisbereitschaft der Unternehmer bleiben? ({5}) Wenn nein: Was wird sie tun, um diesen behebbaren Mangel abzustellen?

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Narjes, darf ich davon ausgehen, daß Sie den wirtschaftspolitischen Teil des Orientierungsrahmens gelesen haben, und darf ich Sie, wenn ich davon ausgehen kann, bitten, dem Hause doch in wenigen markanten Punkten diese von Ihnen soeben dargestellten Widersprüche klarzulegen? ({0})

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie eine Kurzfassung Ihres Berichtes von mir haben wollen, überschreitet selbst das bei den mehreren Hundert Seiten Ihres Berichtes die mir zur Verfügung stehende Zeit. Ich will es in einem Satz wagen: Das Endziel dieses Programmes oder, wenn es nicht das Ziel ist, das zwangsläufige Ergebnis einer nach den Grundsätzen dieses Programmes geführten Gesellschaft und gesteuerten Staates ist ein kollektivistischer Staat mit einer kollektivistischen Gesellschaft. ({0}) - Nein. ({1}) - Ihre Parteifreundin, Frau Wieczoreck-Zeul, hat mir vor dem Mikrophon eines Senders praktisch diese Sorgen in den Details bestätigt. Unterhalten Sie sich erst einmal mit den Jusos, wie sie das auslegen. Dann können wir weiter darüber reden. ({2}) Wir haben heute den Jahreswirtschaftsbericht 1975 in der wohl schwierigsten finanz- und wirtschaftspolitischen Situation zu diskutieren, die Deutschland außer in Zeiten des Krieges, galoppierender Inflation oder anderer Notstände erlebt hat. Gleiches gilt für die Beschreibung der weltwirtschaftlichen Umstände. Wenigstens im letzteren Punkt stimme ich mit dem Bundeswirtschaftsminister überein. In dieser außergewöhnlichen Lage wird die Bundesregierung mit diesem Jahreswirtschaftsbericht der ihr obliegenden wirtschaftspolitischen Führungspflicht nicht gerecht. Er ist technokratisch, er ist zu technokratisch und deshalb zu blaß und läßt nach innen und außen den notwendigen politischen Gestaltungswillen vermissen. Er hört vielfach dann auf, wenn die eigentlichen Probleme beginnen. ({3}) Lassen Sie mich an dieser Stelle schon vorausschicken, daß auch wir alle unsere Probleme in Deutschland in diesem Zeitpunkt für lösbar oder noch für lösbar halten, nicht zuletzt weil die überwältigende Mehrheit unseres Volkes bereit ist, in gemeinsamen, mehrjährigen Anstrengungen - diese wären unverzichtbar - geordnete und stabile Verhältnisse in Staat und Wirtschaft wiederherzustellen, sofern eine handlungsfähige Bundesregierung den Weg einer solchen entschiedenen Politik der Vernunft zu weisen vermag. Einen solchen nationalen Consensus können wir weder auf der Grundlage von Schönfärberei und Zweckoptimismus noch auf der Basis allgemeiner Schwarzmalerei erreichen. Verharmlosungen würden kurzfristig zu Enttäuschungen und deshalb um so größeren Rückschlägen führen, abgrundtiefer Pessimismus würde uns ebenfalls unnötig lähmen. Was nottut, ist ein gemeinsames Ringen um die ungeschminkte Wahrheit, um die Lage so zu erfassen, wie sie ist, und nicht nur die Lage, sondern auch die Bedingungen des dornigen Weges, der vor uns liegt. Weder spekulieren wir auf die Baisse, noch möchten wir uns etwas in die Tasche lügen. Gemessen an diesen Kriterien fährt in den entscheidenden Aussagen der Jahreswirtschaftsbericht in Schlangenlinien zwischen Wahlkampf und Wahrheit hin und her. Noch vor einigen Jahren - wenn ich dieses Stichwort der beiden vorletzten Redner aufnehmen darf - hat die Sozialdemokratische Partei in einer etwas naiven Wissenschaftsgläubigkeit und in deutscher Perfektion an die totale Machbarkeit und Steuerbarkeit der wirtschaftspolitischen Abläufe geglaubt und gemeint, die Appelle Ludwig Erhards an Einsicht und Augenmaß aller Verantwortlichen überheblich verspotten zu können. Gemessen an dieser Vergangenheit ist es zweifellos ein Fortschritt, wenn auch ein teuer erkaufter Fortschritt, daß diese Bundesregierung wieder einräumt, daß Wirtschaftspolitik auch etwas mit Psychologie zu tun hat. ({4}) Nur vermissen wir die aus dieser Einsicht zu ziehenden Konsequenzen. Wir suchen vergeblich nach einer alle Teile der Bevölkerung wirklich überzeugenden Darstellung dieser Politik und der dazugehörenden Führungskraft. Psychologie hat nämlich Adressaten: Arbeitnehmer, Unternehmer, Verbraucher, Sparer. Alles das sind Menschen aus Fleisch und Blut und keine Computer, die damit zufrieden sein könnten, wenn man ihnen irgendein Zahlenwerk einspeist; sie wollen informiert und müssen für die Richtigkeit einer Politik gewonnen werden. Was heute hier diskutiert oder was als Datum im einzelnen technokratisch erörtert wird, ist für 90 % unserer Mitbürger unverständlich. Das sind Informationen, die für sie keinen greifbaren Inhalt haben. Sie kennen nicht die Theorie der Geldmengensteuerung, ihren experimentellen Charakter, kennen auch nicht die Grenzen, die sie hat. Sie wissen auch nicht, ob die Inflation nachhaltig bekämpft ist, wenn wir uns allein auf dieses Instrument verlassen. Sie wissen auch nicht um die langen Fristen und die Wirkungszusammenhänge zwischen wirtschaftspolitischen Folgen und ihren Ursachen oder zwischen dem „Sündenfall" und seinem Konsequenzen. Meine verehrten Damen und Herren, die Risiken der Lage, die wir vor uns haben, werden von Ihnen meines Erachtens sowohl im nationalen wie im internationalen Bereich untertrieben. Die Zweifel hinsichtlich der Risiken, die im nationalen Bereich da sind, haben meine Kollegen vorgetragen; sie haben die Natur der Krise anders beurteilt, als Sie sie beurteilen. Denn wir sind der Ansicht, daß es sich um mehr handelt als um die Bekämpfung einer rezessiven Phase. Wir sind der Ansicht, daß die strukturellen Verwerfungen, die wir als Folge des besorgniserregenden Nachlasses der Investitionstätigkeit und als Dauerschäden aus halbherziger und deshalb zu langer Inflationsbekämpfung haben, einen viel größeren Umfang haben, als Sie zugeben, und dementsprechend auch ernster bekämpft werden müssen. Desgleichen meinen wir, daß das Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit bei Ihnen zu kurz kommt. Schließlich sind wir der Ansicht, daß Sie die Wirkungen der Steuerreform als konjunkturpolitischen Tatbestand weit überschätzt haben. Auf die Rechnung, die der Kollege Köhler Ihnen aufgemacht und vorgerechnet hat, haben Sie bisher keine Antwort gegeben. Darauf käme es doch entscheidend an, wenn wir beurteilen wollen, ob von dieser Steuerreform tatsächlich die Kaufkrafterweiterung ausgeht, die Sie, der Sachverständigenrat und im letzten Quartal des Jahres 1974 auch wir noch unterstellt hatten, bevor wir die Gegenrechnung im einzelnen ausführen konnten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Narjes, müssen Sie nicht jetzt diesem Hause sagen, daß entweder Herr Köhler sich irrt - dann kann es dabei bleiben - oder aber Herr Strauß sich irrt? Denn wenn Herr Köhler sich nicht irren sollte, Herr Kollege Narjes, müßte doch die Rechnung des öffentlichen Defizits eine ganz andere sein, als Sie sie darzustellen belieben.

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, die Frage ist nicht so alternativ im Sachverhalt, wie Sie unterstellen. Die Rechnung, die der Kollege Köhler aufgemacht hat, zeigt, wohin die den Staatsfiskus belastenden Ausfälle wandern, ({0}) und zwar nicht zum Bürger für weitere Konsumausgaben, sondern in die Sozialversicherung, in die Krankenversicherung und in andere Steuertöpfe. ({1}) Das ist ein gigantischer Umverteilungsprozeß. Es ist den Rednern Ihrer Fraktion freigestellt, diese entscheidende Rechnung zu korrigieren, wenn Sie andere Zahlen haben. Ich darf darauf hinweisen, daß Kollege Höcherl diese Rechnung schon vor drei, vier Wochen in einem Aufsatz aufgemacht hat. Ich habe auch auf diesen Aufsatz hin von Ihnen keine Antwort gesehen. Die Bundesregierung mißt offensichtlich auch dem Tempo, mit dem sich aus dem Zusammenwirken unserer Lohnkostenexplosion in den letzten Jahren und der Wechselkursveränderung der D-Mark nach außen in relativ kurzer Zeit unser Durchbruch in die Spitzengruppe der Höchstlohnländer vollzogen hat, eine zu geringe Bedeutung bei. Der damit verbundene rapide Ertragsverfall auf lohnintensiven Arbeitsplätzen erfordert einen mehrjährigen beschleunigten intensiven Strukturwandel bei sehr hohen Investitionen. Die Anwort auf die in dieser Herausforderung liegende Problematik steht aber noch aus. Auch die internationalen Risiken unserer konjunkturellen Entwicklung dürften größer sein, als sie dem Leser des Jahreswirtschaftsberichts vielleicht erscheinen. Die Lage der Leitwirtschaft des Westens, der Wirtschaft der Vereingten Staaten, ist keinesfalls so, daß wir schon im Sommer 1975 in Europa mit belebenden Impulsen von drüben rechnen können. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Graf Lambsdorff, sagten Sie, daß Sie die Ansätze der Belebung dort im dritten oder vierten Quartal 1975 erwarten. Wenn man dann hinzufügt, daß zwischen dem Beginn der Belebung dort und deren Durchschlagen auf die deutsche Situation eine Zeitverzögerung von vier, sechs, acht Monaten liegt, dann sind wir beim Jahresende oder später. ({2}) Sie können kaum unterstellen, daß mit den ersten Zeichen einer Belebung dort aus einer tief rezessiven Phase heraus sofort ein nennenswertes Durchschlagen der Belebung auf unsere Volkswirtschaft kommt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Narjes, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es im Gegensatz zu früheren Situationen diesmal gerade umgekehrt ist, daß nämlich unsere konjunkturelle Entwicklung phasenmäßig der amerikanischen vorhergelaufen ist und auch im Wiederaufschwung vorherlaufen kann?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist nicht der Gegenstand meines Satzes gewesen. Meine Überlegung ging dahin, Graf Lambsdorff, zu ermitteln: Wann können auf Grund der Belebung in den Vereinigten Staaten zusätzliche Impulse in Deutschland erwartet werden? Ich stimme mit Ihnen überein, daß man drüben mit dem Anfang einer Belebung im dritten und vierten Quartal rechnen kann, aus einem sehr tiefen Tal heraus. Nach den Erfahrungen aus allen früheren entsprechenden Situationen werden wir mit einem Zeitabstand von vier, sechs, acht Monaten - darüber kann man sich streiten; diese Zahlen werden genannt - mit Wirkungen bei uns rechnen können. Das würde bedeuten, daß Impulse aus den Vereinigten Staaten kaum vor Jahresende hier angekommen sein dürften. Auch in den meisten der uns enger verbundenen Volkswirtschaften in Europa oder in der OECD sehe ich keine Entwicklung, die unserem Export schon im Sommer dieses Jahres eine Zusatzstütze größeren Umfangs sein könnte. Vielmehr dürften die Zahlungsbilanzprobleme vieler unserer großen Märkte in der Europäischen Gemeinschaft und in Übersee diese auch während des ganzen Jahres 1975 so sehr in ihrer inneren Entwicklung und ihrem Außenhandel beeinträchtigen, daß der sich seit dem Ende des letzten Jahres abzeichnende Einbruch in unsere Exportaufträge nicht kurzfristig verschwinden wird. Dazu dürfte insbesondere beitragen, daß in vielen Staaten Maßnahmen der verstärkten - ich möchte fast sagen, der verschleierten - administrierten Protektion und einer mehr oder minder offenen zusätzlichen Exportförderung und andere Waffen des Außenhandelsdirigismus die Wettbewerbslage und damit Absatzchancen unserer Wirtschaft erheblich beeinträchtigen können. Bei dem harten Wettbewerb über Preise, Mengen, Konditionen wird angesichts des Produktionsrückgangs unser Vorteil der schnellen Lieferfähigkeit an Gewicht verlieren, während die andere Seite, die mit der Aufwertungstendenz der D-Mark verbundene Verteuerung, die Ertragsaussichten unserer Exporteuere zum Teil beeinträchtigen dürfte. Die entsprechende Verbesserung unserer Importpreise, auf die Graf Lambsdorff auch anspielte, werden diese Nachteile meines Erachtens nicht voll ausgleichen können. Es ist nun nicht zu bestreiten, daß bisher jede normal verlaufene Aufschwungphase der deutschen Konjunktur in der Nachkriegszeit von der EntwickDr. Narjes lung des Exports maßgebend getragen oder mitgetragen worden ist. Nach alledem, was ich anzudeuten mich bemühte, können wir davon in diesem Jahr nicht reden. Woher nimmt gleichwohl dann die Bundesregierung die Zuversicht, daß der von ihr herbeiersehnte Aufschwung in diesem Sommer stattfinden wird? Die Entwicklung des Binnenmarktes jedenfalls und insbesondere der in ihm liegenden Risiken, von denen hier gesprochen worden ist, kann diese Hoffnung kaum nachhaltig stützen. Sie werden sich deshalb vorsorglich schon jetzt überlegen müssen, welche Politik Sie im Spätsommer betreiben werden, wenn die mit den vielen - von Ihnen zugegebenen - Unwägbarkeiten belasteten Prognosen nicht aufgehen. Sie werden feststellen müssen, daß Sie mit der teuren Investitionszulage Haushaltsmittel verwirtschaftet haben, die Ihnen dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Und Sie werden dann erneut nicht um die Frage herumkommen, wie Sie mit Maßnahmen arbeiten können, die dem Ziele einer dauerhafteren Entlastung der investierenden Unternehmer dienen, die Sie im Dezember noch verweigert haben

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

-nach Ende des Satzes, eine Sekunde bitte -, und zwar werden Sie nicht darum herumkommen im Interesse der Arbeitslosen, die auf neue und sichere Arbeitsplätze warten. In diese Richtung ist das Steuerrücktragverfahren - Carry-back-Verfahren - ein erster Ansatz - wie mir scheint - in die richtige Richtung.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Narjes, wollen Sie damit sagen, daß Sie die Investitionszulage oder -prämie nicht gewährt hätten?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die war viel zu teuer. Die Masse der Investitionszulagen - ({0})

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich Sie noch einmal konkret fragen: Sie sind also gegen die Gewährung einer Investitionsprämie zu diesem Zeitpunkt? ({0})

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe gesagt, die Investitionszulage, so wie Sie die Tatbestände formuliert haben - mit den 8 Milliarden DM Kosten zu Lasten eines Staates, der nicht weiß, wie er seine Schulden bezahlen soll -, trifft zumindest - die Ergebnisse werden es uns zeigen - zu 70 bis 80 % Unternehmen, die ohnehin dasselbe Investitionsprogramm abgewickelt hätten, das im Dezember schon mehr oder weniger beschlossen war. ({0}) Der Vorziehungseffekt kann Ihnen unter Umständen im zweiten Halbjahr dieses Jahres zusätzliche Schwierigkeiten bereiten. Drittens sind das überwiegend größere Betriebe, die den Vorteil davon gehabt haben. Die breite mittelständische Wirtschaft ist nur für einige Produkte und sehr begrenzt in den Genuß dieser Investitionszulage gekommen. Aufwand und wirtschaftspolitischer Ertrag stehen hier in einem recht unangemessenen Verhältnis. Um es noch hinzuzufügen, Herr Kollege, es ist sogar so, daß die 2%ige Zinsentlastung, die wir seit November/Dezember haben, der Zinsrückgang, wahrscheinlich das Investitionsklima weit besser befruchtet hat als die 3,5 %, die ohnehin erst 1976 ausgezahlt werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten van Delden?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber meine Zeit wird ein bißchen knapp. van Delden ({0}): Herr Kollege Narjes, würden Sie vielleicht dem Kollegen Wolfram noch erklären, daß ein weiteres Kuriosum gerade bei der mittelständischen Industrie hinzukommt: daß nämlich die Fabrik A eine Maschine bekommt und noch Investitionssteuer zahlen muß und die Fabrik B zum gleichen Zeitpunkt eine Maschine bezieht und Investitionszulage erhält. Das ist eine Differenz von 18,5 °/0. Dies macht schon deutlich, daß die Regelung der Investitionszulage zu eilig und zu ungenau formuliert wurde.

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich bin gern bereit, die Frage an Herrn Wolfram weiterzuleiten, möchte aber nicht unbedingt noch seine Antwort hören; davon würde meine Redezeit noch weiter beeinträchtigt werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Narjes, würden Sie die Freundlichkeit haben - ich hätte das eigentlich auch schon Herrn Köhler fragen sollen -, uns einmal zu sagen, was Sie anstelle der Investitionszulage oder an genauerer Ausformung der Investitionszulage getan hätten, ohne gleichzeitig das Prinzip der Globalsteuerung zu verlassen?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zum Beispiel wissen Sie, Graf Lambsdorff, daß das von Ihnen jetzt geförderte Carry-back-Verfahren durchaus von uns ernsthaft in der Diskussion war. ({0}) Zweitens waren bei uns Möglichkeiten der Begrenzung der Investitionszulage ernsthaft diskutiert, damit sie insbesondere, ohne die Globalsteuerung zu verletzen, doch in ihrer Breitenwirkung nicht auf Programme stößt, die ohnehin beschlossen und finanziert sind, sondern nur dort anreizt, wo Anreizchancen bestehen. Aufwand und Nutzen wären in eine bessere Relation gekommen als andersherum.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darf ich dann aber doch wohl darauf aufmerksam machen, daß - wie Sie genauso gut wissen wie ich - die Frage des Verlustrücktrages nur eine Liquiditätsglättung darstellt und keine echte, nachhaltige steuerliche Entlastung, und daß eine Unterteilung in Größenordnungen bei der Investitionszulage, Herr Kollege Narjes, natürlich bedeutet, daß man die spiegelbildliche Handhabung zur Investitionssteuer hätte verlassen müssen?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Graf Lambsdorff, wir haben doch an der Jahreswende vor der Lage gestanden, mit einem Minimum an finanziellem Aufwand ein Maximum an konjunkturellem Erfolg zu erzielen. Gemessen an dieser Aufgabe war die Investitionszulage schierer Luxus.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das dürfte aber die letzte sein.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Narjes, wollen Sie dann diesem Hause auch sagen, was das von Ihnen vorgeschlagene Verfahren kosten würde bzw. welche Steuerausfälle dadurch eingetreten wären?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Beim Carry-back-Verfahren gehe ich aus von - je nachdem, wie man es ausstattet zwischen 300 und 800 Millionen. Verglichen mit den 8 Milliarden wäre das also leicht zu erwirtschaften gewesen. ({0}) - Graf Lambsdorff, entscheidend ist der konjunkturpolitische Effekt. Manch eine Anschaffung wäre bei sofortiger Liquiditätsentlastung viel leichter getroffen worden, als wenn statt dessen die Hoffnung besteht, daß nach einem bürokratischen Verfahren, das im einzelnen nicht feststeht, 1976 7,5 %, in Anspruch genommen werden, die zwischenzeitlich noch - damals war das die Aussicht - mit 10 % verzinst werden mußten. ({1}) - Graf Lambsdorff, ich schlage vor, wir setzen unsere Unterhaltung im Ausschuß fort, sonst kommen wir mit unserer Geschäftslage hier durcheinander. Ich möchte einige Worte noch zu einigen Problemen der Außenwirtschaftspolitik sagen. Es ist unbestritten in diesem Hause, daß wir wie keine Volkswirtschaft unserer Größe in einer existentiellen Abhängigkeit vom Export stehen und damit einen Verflechtungsgrad eingegangen sind, der für uns eine permanente Aufgabe, Sorge Nr. 1, sein muß, weil die Dinge jenseits der Grenzen in wesentlich geringerem Maße von uns beeinflußbar sind als alles, was in Deutschland geschieht. Wenn ich den Jahreswirtschaftsbericht richtig lese, geht auch er davon aus, daß die Verminderung der Exportabhängigkeit oder die Umorientierung unserer Strukturen nicht kurzfristig erfolgen kann. Ich stimme dem zu unter Hinweis darauf, daß diese Aufgabe aber auch schon vor fünf, sechs Jahren aktuell war. Unser Interesse an der liberalen Weltwirtschaft ist schlechthin vital, und dementsprechend stimme ich allem zu, Graf Lambsdorff, was Sie über unsere Zielsetzung bei den kommenden GATT-Verhandlungen gesagt haben. Nur sollten wir uns keine Illusionen über den Zustand der beiden Teile der Weltwirtschaftsordnung machen. Sowohl GATT wie auch das System von Bretton Woods sind schwer angeschlagen, haben erhebliche Funktions- und Autoritätsverluste zu beklagen. Immer mehr Produkte kommen aus dem Anwendungsbereich des GATT hinaus, immer mehr Produkte werden stillschweigend nach Sonderregeln außerhalb der Meistbegünstigung behandelt und gehandelt, und es gibt keinen Kläger, es gibt keine Stelle, die dagegen irgendwelche Sanktionen erhebt. Hier ist regional und sektoral ein schwerer Einbruch des GATT festzustellen, und wenn die Konferenz dazu beiträgt, diese Einbrüche nicht nur abzuriegeln, sondern auch wieder rückgängig zu machen, hätte sie einen großen Erfolg. Zölle werden zunehmend durch nichtnegoziable außertarifliche Hindernisse ersetzt, und das letzte und für uns vielleicht auf lange Sicht Bedeutendste sind die zunehmenden Exportverbotpraktiken, die aus allen möglichen Gründen eingeführt werden. Schließlich - das sollte auch bedacht werden - wird die Grauzone der ungeklärten Zuständigkeiten zwischen UNCTAD und GATT, zwischen - wenn Sie so wollen - der Welthandelsordnung der Entwicklungsländer und der Welthandelsordnung der Industrieländer, zunehmend undurchsichtiger und gefahrbringender für den liberalen Welthandel. Ähnlich oder vielleicht noch schlimmer ist der Zustand der Weltwährungsordnung. Ihre Unfähigkeit, überhaupt sich zu regenerieren, ist schon der zu beklagende Tatbestand. Der vergebliche Zeitaufwand der Jahre 1969 bis 1972 spricht dafür. Die Weltwährungsinstitutionen sind praktisch nicht in der Lage gewesen, irgendeines der seit 1968/69 anstehenden Probleme in ihrem Bereich auch nur halbwegs lösen zu können. Letztes Problem ist die immer noch nicht - damit stimme ich Graf Lambsdorff zu dauerhaft gelöste Frage des sogenannten Wiedereinschleusens, des Recyclings der PetroDollars. Auch hier gibt es noch erhebliche Gefahren. Dem Zustand beider Ordnungen-das sollte man deutlich unterstreichen - liegt gleichermaßen eine erschreckende allseitige Abnahme der Bereitschaft zum verantwortlichen Handeln für die Weltwirtschaftsordnung zugrunde. Staat für Staat hat sich in den 60er Jahren aus binnenwirtschaftlichen Gründen der außenwirtschaftlichen Disziplin entzogen und die Weltwirtschaftsordnung sich selbst überlassen. Sie haben sich Handlungsfreiheit für nationale Inflationsprozesse verschafft, um über ihre Verhältnisse leben zu können, weil sie nicht die Kraft haben, innerhalb wie außerhalb der Grenzen länger verantwortlich zu handeln, ein Verhalten, das sich auch in der Eilfertigkeit dokumentiert, mit der zusätzliche Inflationierungs- und Liquiditätsaufblähungsprozesse im Weltwährungssystem nicht nur hingenommen, sondern teilweise sogar angestrebt worden sind. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zum Thema der außenwirtschaftlichen Absicherung sagen. Ich stimme dem Jahreswirtschaftsbericht zu, was er in seinem Abschnitt über die Beibehaltung des gemeinschaftlichen Währungssystems der sogenannten „kleinen Schlange" sagt. Wenn ich diesen Absatz richtig verstehe, ist mit ihm nicht prinzipiell ausgeschlossen, daß dieses innergemeinschaftliche System zu späteren Zeitpunkten allseitig befriedigender wirtschaftlicher Entwicklung auch wieder ausgeweitet werden kann. Ich urteile aber vorsichtiger, zurückhaltender, abwartender, was die Eignung oder Tauglichkeit des Floatens, des Systems der sich frei bildenden Wechselkurse anlangt. Soweit ein späterer Abschnitt so verstanden werden sollte, daß Sie sich schon entschlossen haben, einer künftigen Weltwährungsordnung ein solches Floating als Regel- oder Daueroder Normalfall zum Inhalt zu geben, wage ich zu bezweifeln, ob wir so weit gehen können. - Danke, ich entnehme Ihrem Kopfschüttteln, daß Sie noch meine Vorbehalte teilen. Dazu muß sich das Floaten erst noch bewähren, dazu gibt es noch zu viele ungelöste Probleme, die in dieser Form noch nicht abschließend behandelt werden können. Jedenfalls meine ich, daß wir als wohl zweitgrößte oder drittgrößte Welthandelsmacht, als einer der größten Industriestaaten, als die größte Volkswirtschaft der Europäischen Gemeinschaften unsere Interessen in der Welthandels- wie in der Weltwährungsordnung nicht ausreichend vertreten, wenn wir jeweils nur brav im zweiten Glied das jeweils Schlimmste zu verhüten und zu verhindern versuchen. Wenn die Europäische Gemeinschaft die ihr ihrer Größe nach zukommende Rolle als Faktor der weltwirtschaftlichen Verantwortung nicht zu spielen vermag, halte ich es für eine unabdingbare Pflicht der deutschen Außenwirtschaftspolitik, mit einem hohen Maße an Konzeptionskraft und zähem Durchsetzungsvermögen eine sichtbarere Rolle zu spielen als bisher. Ich darf an den unermüdlichen und letztlich erfolgreichen Einsatz erinnern, mit dem Ludwig Erhard in den 50er Jahren gegen Protektionismus und Bilateralismus im Welthandel und für die Konvertibilität der Währungen gekämpft hat. Was damals aus einer relativ schwächeren Position heraus möglich war, sollte erst recht heute gelten, wo unsere Position, insgesamt gesehen, stärker geworden ist. Dies gilt um so mehr, ais zunehmend ein irrationales, ein emotionales Element sich auf dem Umwege über Vollversammlungsbeschlüsse der Vereinten Nationen in diese Lücken der Weltwirtschaftsordnung hineinzuschieben bemüht. Das einzige, was bisher zu diesem Versuch, Weltwirtschaftspolitik in der Vollversammlung zu machen, gesagt werden kann, ist meines Erachtens, daß sich die Vereinten Nationen auf diesem Wege jedenfalls als völlig unfähig erweisen würden, den weltwirtschaftspolitischen Teil einer Weltfriedensordnung in einer zufriedenstellenden Weise zu formulieren. ({2}) Leidenschaften, Haß und Mißgunst können weder geschichtliches Unrecht gut machen noch nüchterne Analysen oder die Kraft der Fakten ersetzen. Phantasiereiche Umverteilungsforderungen ohne konstruktiven Gehalt verfälschen die Erwartungshorizonte und vergeuden Zeit. Ich trete insoweit einigen kritischen Sätzen zu diesem Thema ausdrücklich bei. Auffallend erscheint mir dabei die geringe Einschätzung des unter großen Entbehrungen in vielen Generationen in Europa und Deutschland aufgebauten technischen Bildungsstandes unserer Facharbeiter, Ingenieure und Naturwissenschaftler. Er ist aufgebaut in längeren Fristen und unter stärkeren Entbehrungen, als die Masse derjenigen heute für sich selbst hinzunehmen bereit ist, deren eigener Entwicklungsbeitrag sich manchmal nur darin erschöpft, eine utopische weltweite Umverteilung der Güter zu postulieren. Wenn schon von gerechten Austauschrelationen zwischen den Rohstoffen, die zu erschließen und zu produzieren wir der Dritten Welt vielfach erst möglich gemacht haben, und unseren Maschinen und Anlagen gesprochen wird, dann verdient unser Bildungsstock, unser technischer Fleiß und unsere technische Leistung ebensoviel Berücksichtigung wie der sich aus der Begrenztheit vieler Rohstoffe ergebende Anspruch der Dritten Welt auf eine Knappheitsrente vor allem zum Aufbau der eigenen Wirtschaft, die zu fördern auch wir jederzeit bereit sein müssen. Im übrigen „weltweite Verteilungskämpfe": Ich akzeptiere die Formel, nur sollten wir uns darüber klar sein, wir stehen erst am Beginn einer Epoche, die durch solche Kämpfe gekennzeichnet wird, und auch das hätte ich gern schon im Ansatz, im Gerüst wenigstens als Gegenstand einer geschlossenen deutschen Gegenposition gesehen. Wenn der Regierungsapparat - was möglich ist - dazu nicht ausreicht, hätte man sich jedenfalls einmal über ein Verfahren auf breiterer Grundlage Gedanken machen müssen, wie man zu einer deutschen Gegenposition zu diesen Plänen kommt, denn die weltweite Auseinandersetzung, das Ringen um Ansprüche, Rechte und Tatbestände hat begonnen. Nur wer zuerst formuliert, kann sich mitgestaltend einschalten, nicht aber der sich nur auf Reaktionen beschränkende Vertragspartner. Niemals zuvor - lassen Sie mich auch dieses deutlich sagen ist der wirtschaftliche Nutzen sichtbarer gewesen, den eine funktionsfähige Europäische Gemeinschaft für jeden einzelnen euro10366 päischen Bürger, Arbeitnehmer und Unternehmer, für Vollbeschäftigung, Wachstum und Wohlstand aller Europäer haben könnte, wäre sie vertragsgemäß entwickelt worden. Es war ja gerade ihr wirtschaftspolitisches Ziel, durch Verschmelzung der europäischen Teilmärkte zu einem großen Binnenmarkt zu kommen, in dem jedem Produzenten der Zugang zu allen Teilmärkten so unverbrüchlich garantiert ist, daß er bei seinen Investitionen ohne Einschränkung darauf vertrauen sollte. Aber die Erreichung dieses Zieles setzt den Abbau aller Grenzen und letztlich auch die Abschaffung der Währungsgebiete voraus. Solange es diesen großen Markt nicht gibt, ist der Zugang zu den anderen Währungsgebieten nicht so sicher, daß die Investitionen ohne weiteres gewagt werden könnten. Jedenfalls stellt sich die Situation in vielen Branchen so dar. Daß es diesen Markt nicht gibt, ist nicht nur die bekannte Folge des altväterlichen Nationalismus des Herrn de Gaulle. Es ist auch ein Versäumnis der Ara Pompidou/Brandt, daß es schlicht unterlassen wurde, die gemeinsame Strategie der wirtschaftlichen Integration wieder so konsequent aufzunehmen, wie das der Sache und den Verträgen gemäß nötig gewesen wäre. Es gibt auch heute keine Alternative zum wirtschaftlichen Zusammenschluß der Europäer. Allerdings ist die Zeit knapper geworden, die uns die Geschichte noch gibt, um diesen Zusammenschluß zustande zu bringen, ohne etwa die Sowjetunion fragen zu müssen. Ich habe nicht den Eindruck, daß dieser historische Zeitdruck bei allen Entscheidungen Pate gestanden hat, die zur Europapolitik getroffen oder - meistens - unterlassen worden sind. Bei voller Einheit wären 50 % unserer heutigen Ausfuhren, die in die Europäische Gemeinschaft gehen und uns heute als Risikofaktor Sorgen bereiten, kein Export mehr, sondern Binnenmarktverkäufe wie zwischen Nordrhein-Westfalen und Bayern. Mehr noch: Wäre dieser Zusammenschluß vertragsgemäß zustande gekommen, hätte der Ordnungsfaktor „Europa" ein viel größeres Gewicht zur Erhaltung und Fortentwicklung der liberalen Welthandelsordnung in die Waagschale werfen können und hätte auch unsere Interessen in der Ölkrise nachhaltiger geltend machen können, als dies in den vergangenen 18 Monaten mit den Rumpfinstitutionen möglich war. Meine Herren Bundesminster, Präsident Ortoli hat vor drei Tagen eine aufrüttelnde Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg gehalten. Diese Rede darf nicht ohne ein Echo, ohne ein, wie ich meine, positives Echo von deutscher Seite bleiben. Sämtliche europapolitischen Schwüre und Bekundungen von Ihnen werden daran gemessen werden, wie ernst Sie die Kommission und ihren Präsidenten nehmen. Wenn er in seinem Aktionsprogramm so dramatische Töne anschlägt und dies wie in Watte verpufft und als Zweizeilenmeldung den Gang in den Papierkorb nimmt, ist das europäische Engagement dieser Regierung - wie überhaupt aller Regierungen der neun Mitgliedsländer - nichts mehr wert. Dann müssen wir von einer neuen Lage aus verhandeln und auch deutlicher verhandeln. In diese Richtung gehen auch meine Vorbehalte gegen die deutsche und europäische Politik nach der letzten Ölkrise. Herr Kollege Wolfram, dies sage ich, um ein Element der Geschichtsklitterung, das ich in Ihren Ausführungen gehört zu haben meine, zu korrigieren, ob Sie es nun absichtlich oder unabsichtlich gebracht haben. Obwohl spätestens im Herbst 1969 in der OECD an die europäischen Partner die Warnung erging, daß die amerikanische Seite in einem künftigen Israel-Krieg die europäischen Versorgungslücken wegen gestiegenen Eigenbedarfs nicht mehr füllen könne, obwohl das Problem der arabischen Kapitalmacht in den ersten der 70er Jahre, also 1971 und 1972, ein regelmäßiges Thema der volkswirtschaftlichen Abteilungen der New Yorker Großbanken war und obwohl die Arbeitsergebnisse der amerikanischen Ölsonderstäbe schon veröffentlicht waren, bevor die Krise ausbrach, haben wir uns alle überraschen lassen. In diesem Tatbestand - ich könnte ihn noch mit peinlichen Einzelheiten aus dem deutschen Lager ergänzen - kann ich nicht das Geringste entdecken, von dem Sie meinen könnten, daß es in punkto Ölabhängigkeit der CDU anzulasten sei.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich habe ihn dazu herausgefordert.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Narjes, ich habe zwei Fragen. Gestatten Sie zunächst die erste: Wollen Sie bestreiten, daß diese Bundesregierung der sozialliberalen Koalition schon vor der Ölkrise das erste Energiekonzept vorgelegt hat, das der Sicherung der Energieversorgung größte Beachtung schenkt? ({0}) Zweitens: Wollen Sie bestreiten, daß das Öl die dominierende Markt- und damit auch Machtstellung auf dem deutschen Energiemarkt in der Zeit bekommen hat, wo Sie in der Regierung waren und wo es einen ruinösen Wettbewerb gegen jeden anderen Energieträger, vor allem gegen die heimischen Energien gegeben hat? ({1})

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wolfram, die erste Antwort: Ich habe gesagt, im Herbst 1969 ist die Warnung erfolgt. Zwischen dem Herbst 1969 und dem Energieprogramm Ende 1973 sind vier Jahre verstrichen. Das waren drei Jahre zuviel. ({0}) Das ist die erste Antwort. Die zweite Antwort: Die zunehmende Ölabhängigkeit ist als kalkuliertes Risiko von allen Beteiligten in den Jahren 1961 und 1962 in der Erwartung eingegangen worden, daß uns Anfang bis Mitte der 70er Jahre hinreichende Verfahren zur AtomenergieDr. Narjes gewinnung zur Verfügung stünden, die den Energieträger Öl ablösen könnten. Die neuen Tatbestände sind gewesen, daß im Verfolg des Ölkrieges von 1967 sich neue politische Komplikationen ergeben haben, auf die dann 1969 die Warnung erfolgt ist, auf die nicht reagiert wurde. Wenn Sie es genau wissen wollen: Der zuständige Minister, für den Sie politisch geradezustehen haben - das war die erste Regierung Brandt/Scheel -, hatte für den zuständigen Abteilungsleiter für dieses Thema 15 Minuten Zeit. Das nur nebenher. Daraus haben Sie keine Konsequenzen gezogen. Der zweite Hinweis: Nachdem klar war, daß die Atomprognosen der Jahre 1961 und 1962 nicht so schnell in Erfüllung gehen würden, wie damals angenommen, hätte auch aus diesem Grunde Ende der 60er Jahre eine Terminkorrektur erfolgen müssen. Auch die ist nicht erfolgt. Das sind die beiden Tatbestände, für die die Schuld, wenn Sie überhaupt nach Schuldigen suchen, sicher nicht bei den Regierungen vor 1965 zu suchen ist, sondern in der Zeit danach. Das waren meine Bemerkungen zu den Gründen. Ich habe das nur gebracht, Herr Kollege Wolfram, damit Sie nicht meinen, hier könnte nach dem alten Schema F, 20 Jahre CDU, ein weiterer Tatbestand aufgehängt werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne!

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Narjes, wollen Sie wirklich ernsthaft bestreiten, daß Sie und Ihre politischen Freunde viel zu lange der These vom billigen und beliebig vorhandenen 01 gehuldigt haben? Zweite Frage: Würden Sie, wenn Sie jetzt schon diese energiepolitische Erkenntnis verkünden, sagen, wie Sie dem deutschen Energieverbraucher die Umstellung vom 01 zu anderen Energien hätten auferlegen wollen? ({0})

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist eine Frage, die unter drei hypothetischen Voraussetzungen gestellt wurde. Es stimmt nicht, so habe ich Ihnen gesagt, daß vor dem Jahre 1965/66 Entscheidungen getroffen worden sind, die in punkto Ölabhängigkeit nicht vertretbar waren. Das sind allgemeine europäische Entscheidungen gewesen. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie in den Ministerräten der Jahre 1964 und 1965 sogar die Sicherheitsvorkehrungen in punkto Vorratshaltung heruntergespielt wurden, die damals als minimale Kompensation der Risiken in der Ölversorgung vorgesehen worden waren. Und im übrigen, zu erwarten, daß die Umstellung auf Atomenergie schon 15 Jahre im voraus - von 1961 bis 1975/76 - geplant war, das ist doch wohl kein seriöses Unterfangen. Wenn ich mit diesen Maßstäben heute Ihre Politik messe, müßten wir uns jetzt über das Jahr 1990 unterhalten. ({0}) Aber ich möchte jetzt weiterkommen. Was schlimmer ist, ist, daß auch, seitdem die Ölversorgungsund die Ölpreiskrise eingetreten sind, 17 Monate vergangen sind, in denen immer noch nicht alles getan ist, um die Gefahr einer Wiederholung des Ölboykotts so gut, wie es unter den Umständen möglich ist, auszuschließen. Zwar ist die Verbrauchereinschränkung über den Markt, soweit dieses Instrument reicht, in Deutschland vollzogen, aber die durchgreifenden gesetzgeberischen Maßnahmen, etwa die Änderung des Baurechts oder der Baunormen, stehen immer noch aus, liegen noch im Bereich der politischen Absichtserklärungen. Unverzichtbar ist es auch, in der Auseinandersetzung mit den Ölproduzenten von den Verbrauchseinschränkungen aller Verbraucherstaaten im Rahmen einer gemeinschaftlichen Strategie einen politischen Gebrauch zu machen, und hierzu fehlt auch ein nachhaltiger deutscher Beitrag. Ich glaube, Sie, Graf Lambsdorff, haben anklingen lassen, daß wir erst nein sagen, wenn drüben etwas kommt, daß wir zwölf Monate mosern und dann zu 80 %doch akzeptieren, was vorgeschlagen wird. Dies ist auch so ein Fall. Wir haben es in Europa, aber auch speziell in Deutschland vermissen lassen, die notwendigen Maßnahmen in ihrem gesamtpolitischen Zusammenhang zu sehen, sie als Teil einer Strategie zu begreifen und dementsprechend auch unsere Kritik oder unsere Änderungswünsche strategiekonform zu formulieren und vor allen Dingen schnell vorzubringen. Es wird Zeit vertan in einer Situation, in der die Zeit gegen uns arbeitet, und zwar von den monetären Konsequenzen der Ölpreisexplosion her. Ich versage es mir, hier die Ölpreisexplosion noch im einzelnen anzusprechen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß sämtliche Maßnahmen, die davon ausgehen, daß dieser Ölpreis unveränderlich und nicht absenkbar ist, für sich schon einen defätistischen Zug tragen und in unnötiger Weise die eigentliche Operation, das eigentliche und erste Ziel jeder Politik verwässern oder in Frage stellen, das immer noch sein müßte, den Ölpreis auf eine Größenordnung zu senken, die beiden Seiten gerecht wird. Und Ölpreissenkung und Ölpreisfixierung hängen dann eng zusammen mit der Frage des „floor price", des Minimumpreises oder des Referenzpreises. Graf Lambsdorff, ich hätte von der Bundesregierung erwartet, daß sie dieses Thema schon vor einem Jahr auf den Tisch gelegt hätte. ({1}) Seit diesem einen Jahr und länger ist es bekannt. Und solange diese Entscheidungen nicht getroffen sind, werden die großen Investitionen nicht erfolgen. Und da wir uns in einem Wettlauf gegen die Uhr befinden, ist dieses Jahr schlicht vertan, wobei ich die materiellen oder sachlichen Schwierigkeiten des Problems keine Minute untertreibe oder verschweige. Es muß nur entschieden werden, damit in10368 vestiert werden kann. Sonst haben wir nicht die Versorgungssicherheit.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff? - Bitte!

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Narjes, soll ich Sie dahin verstehen, daß Sie. der Ansicht sind, dies wäre auf nationaler Ebene möglich? Oder sind wir darin einig, daß dies nur in internationaler Abstimmung geschehen kann und damit natürlich nicht allein von Entscheidungen der Bundesregierung abhängt?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sind uns völlig darüber einig - ich glaube, ich habe es auch im Ausschuß gesagt -, daß unsere Wettbewerber soweit wie möglich in etwa gleichem Niveau eingebunden sein sollen. Aber die internationalen Lösungen kommen auch nur zustande, wenn sie aktiv betrieben werden; sie fallen nicht vorn Himmel. Gerade weil die Führungsmacht eine Schwächeperiode durchlaufen hat, wäre es um so wichtiger gewesen, daß von europäischer Seite dieses heikle Problem mit den verschiedenen Lösungsalternativen möglichst schnell auf den Tisch gelegt worden wäre. Ich stimme Ihnen im übrigen, was die Technik anlangt, zu, wenn Sie sagen wenn ich Sie dahin gehend verstehen dürfte -, daß nur die Lösung in Aussicht genommen werden sollte, die ein Minimum an wenn Sie so wollen - Ordnungsverstößen oder Ordnungseinschränkungen zum Inhalt hat. Aber ganz werden wir nicht darum herumkommen. Ich fürchte nur, daß Haushaltslösungen, wie immer sie aussehen, mangels Masse und von dieser Seite her in irgendeiner Form so belastet sind, daß der Sicherheitseffekt, den wir haben wollen, nicht herauskommt. Im übrigen hat die Europäische Kornmission jetzt auch dazu Vorschläge gemacht. Das wäre erneut ein Anlaß, dieses Thema möglichst schnell und abschließend zu behandeln. Ich darf nur darauf hinweisen, daß der Energiebericht über das Energieprogramm kein Wort zu diesem zentralen Thema enthält. Was die Ölpolitik betrifft, sollte noch ein Satz zu der Frage gesagt werden, wie es eigentlich damit steht, unsere Versorgung von potentiellen Boykottstaaten auf Staaten zu verlagern, die sich im Fall der Wiederholung einem Boykott nicht anschließen würden. Insoweit kann ich nur wenig Aktivität feststellen. Ich meine sogar, daß der große Abschluß mit Saudi-Arabien jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt keine zusätzliche Versorgungssicherheit gebracht hat. Wer sich daran erinnert, wie das letzte Boykottkartell zustande gekommen ist, wird sicherlich nicht behaupten können, daß allein eine Klimaverbesserung ausreichen könnte, um etwa diesen Produzenten aus der arabischen Front herauszubrechen. Die Sicherheit der Energieversorgung könnte auch noch unter dem Gesichtspunkt angesprochen werden, ob es wirklich in unserem Interesse liegt, die Gaslieferungen aus Persien durch die Sowjetunion zu leiten. Ich melde jeden Zweifel an, und ich meine auch, daß das Problem der Stromversorgung Berlins aus Kraftwerken in Ostpreußen angesichts der jüngsten Entwicklung um Berlin erneut unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit der Versorgung überprüft werden müßte. Sicher ist die Versorgung Berlins nur insofern, als an Ort und Stelle produziert wird. Jede andere Versorgung ist nicht so krisenfest, wie sie sein müßte, um im Vorspannungsfall Schutz zu verleihen. Aber darüber werden wir noch an anderer Stelle sprechen. Schließlich ist noch die außenwirtschaftliche Frage zu erörtern, wie es eigentlich mit unserer Rohstoffpolitik bestellt ist. Wäre es nicht an der Zeit, soweit tatsächlich Vorräte in Deutschland angesammelt werden müssen darüber erwarten wir Informationen von seiten der Regierung -, diese Vorräte möglichst jetzt bei relativ niedrigen Preisen zu beschaffen, und wäre das nicht ein Grund, die Planung der Rohstoffpolitik zu beschleunigen, damit man nicht erst damit fertig ist, wenn wieder eine neue Hausse die Rohstoffpreise in einer Weise hochjagt, daß für uns unnütze und zusätzliche finanzielle Belastungen entstehen? Auch insoweit hätte ich gern schon seit längerer Zeit einen Gesamtvorschlag der Regierung auf dem Tisch gesehen. Graf Lambsdorff!

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Narjes, darf ich Sie trotz allen Respekts für Ihren Hang zur Vorratshaltung, der ja nicht unbekannt ist, einmal fragen: Wie weit wollen Sie das eigentlich nach den Erfahrungen, die wir jetzt mit der Mineralölbevorratung machen, treiben? Wollen Sie die Bundesrepublik zu einem Superwarenhaus und -lagerhaus machen? Wo fängt das an, wo hört das auf, und wer soll das denn um alles in der Welt bezahlen? ({0})

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Graf Lambsdorff, ich höre gerade von der Frau Präsidentin, ich sei von der irrigen Annahme ausgegangen, daß meine Antworten auf die vielen Zwischenfragen zeitlich honoriert würden. Ich muß es deshalb sehr kurz machen. Ich möchte auch keine weiteren Fragen mehr zulassen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, ich habe Ihnen bereits zehn Minuten zugegeben. ({0})

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte um Nachsicht. Die Frage der Finanzierung - darauf wollte ich noch im Zusammenhang mit Ihren Bemerkungen zur Finanzierung durch die Bundesbank eingehen - spielt bei diesen Rohstoffen, wie ich es formuliert habe, im Grunde zunächst noch keine Rolle. Bei welchen Produkten die Bundesregierung überhaupt eine Rohstoffbevorratung für nötig hält, dazu erwarte ich Ihre Vorschläge. Das kann nur Produkt für Produkt geklärt werden. Wenn sie dann zu der Überlegung kommt, daß eine gewisse Vorratshaltung notwendig wäre, ist damit noch keineswegs gesagt, daß das eine Vorratshaltung des Staates sein muß. Das kann durchaus auch eine Vorratshaltung des Handels oder der Verbraucher sein. ({0}) - Ja, natürlich! Dabei stellt sich aber die Frage, ob man solchen Unternehmen jetzt die Chance gibt, sich einzudecken, oder erst zu einem Zeitpunkt, wenn die Rohstoffpreise wieder oben sind. ({1}) -- Ja, wahrscheinlich erwarten sie auch staatliche Finanzierungshilfen. Dazu erwarte ich von Ihnen einen Gesamtvorschlag. Das ist es, was ich bemängele: Wir haben keine Rohstoffpolitik, sondern lesen nur gelegentlich Zeitungsmeldungen über erfolglose Staatssekretärskonferenzen. Ich möchte gern Ergebnisse sehen. ({2}) Frau Präsidentin, ich darf zum Schluß noch einen Gedanken vortragen, um diesen Teil der Außenwirtschaft abzuschließen. Die außenwirtschaftlichen Zusammenhänge erfreuen sich nämlich besonderer Beliebtheit bei der Bundesregierung, vor allen Dingen bei der Koalition, wenn es darum geht, die Ursachen unserer Inflation schuldfrei zu erklären und dennoch gleichzeitig die möglichen Erfolge der Bekämpfung der Inflation sichtbar herauszustellen. Ersteres geschieht durch die besonders in Wahlzeiten beliebte These und den Slogan von den großen unbekannten und unkontrollierbaren Mächten außerhalb unserer Grenzen, die uns einfach Inflation aufzwingen und denen wir nicht entrinnen können. Letzteres, der Erfolg, wird in Statistiken aller Art nachgewiesen. Beides steht miteinander in Widerspruch. Denn wenn ersteres zwingend ist und wir dem nicht entrinnen können, dann können wir auch keine Erfolge haben, die sich in Statistiken ausweisen. Haben wir aber Erfolge - und das ist der Fall, wie die Statistiken ausweisen , dann muß die erste These falsch sein. Aber das hindert Sie nicht, diese Außenwirkungen zweigleisig, je nach Wahlkampfthema, zu verwenden. Statistisch ist nicht nur der Preisvergleich, sondern auch der Lohnvergleich von Interesse. Dazu ein letztes Wort an den Kollegen Ehrenberg. Herr Kollege Ehrenberg, Sie haben heute morgen, zusammen mit dem Bundeswirtschaftsminister, neue Statistiken, statistische Methoden des Arbeitslosenvergleichs auf den Tisch gelegt. Mir ist bekannt, daß daran gearbeitet wird. Es ist wohl unstreitig, daß die Mängel der vergleichenden Arbeitslosenstatistik seit 20 Jahren und länger Gegenstand von Untersuchungen sind. Die Frage ist nur, ob das Ergebnis in Kiel und anderweitig eine bessere Ausgangsbasis für die Beurteilung gibt oder nicht. ({3}) Nicht besser, für Sie nützlicher! - Ich kann Ihnen aus meinen Erfahrungen nur sagen: Vor 15 Jahren habe ich mich darum in Amerika gekümmert. Da wurde mir auf Grund englischer Untersuchungen gesagt, daß man am besten die amerikanische Rate halbiert, um auf den europäischen Durchschnittssatz zu kommen. Im Kongreß wurde in den Stäben nach dieser Methode jahrelang gearbeitet. Vor drei Jahren hat mir der Nobelpreisträger Samuelson zu diesem Thema mitgeteilt: Ziehen Sie immer zwei Prozent bis zweieinhalb Prozent ab; dann liegen Sie etwa in europäisch vergleichbaren Maßstäben. Ich freue mich deshalb, daß Graf Lambsdorff jedenfalls nicht Herrn Friderichs gefolgt ist, sondern nach dieser Methode-nur mit einem Prozentsatz von einem halben Prozent weniger-mit 1,5 Prozent Abzug von der 8,1-Prozent-Grenze operiert hat. Das scheint mir der Wirklichkeit näher zu stehen als die sehr vagen Hoffnungen aus dem Kieler Institut, mit einer neuen Methode neu rechnen zu können. Ich habe auf den ersten Blick wissenschaftliche Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Methode. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schachtschabel.

Dr. Hans Georg Schachtschabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001929, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der vorgerückten Stunde - und wir sind ja fast unter uns - wäre es es sehr reizvoll, wie ich meine, einmal zu überprüfen, was die Redner der Opposition zu den Tagesordnungspunkten an konstruktiven Vorschlägen vorgebracht haben. Ich glaube, da würde nicht viel übrigbleiben, und im Endergebnis wäre es so, daß man wohl sagen könnte: das war heute morgen - so war wenigstens mein Eindruck, und die paar Bemerkungen darf ich mir eingangs erlauben - so ein Festival von christ-demokratischen Meistersingern für die Nominierung des Kanzlerkandidaten der Opposition; so schien es mir jedenfalls. ({0}) - Zwar waren noch nicht alle dabei - Sie haben ja völlig recht -, aber zumindest so einige Hauptmatadoren waren hier doch wohl aufgetreten, um sich zu produzieren. Na ja, wir haben das zur Kenntnis genommen, wir wollen da auch gar nicht in Ihre Angelegenheit en hineingreifen. ({1}) Nur, ich hätte lieber etwas mehr Substanz zu dem gesehen, was hier an Tagesordnungspunkten vorgesehen war. Eben aus diesem Anlaß möchte ich noch zu .einem Punkt Stellung nehmen, der ein bißchen zu kurz geraten ist, obwohl die Opposition, wie mir scheint, außerhalb dieses Hohen Hauses, außerhalb unserer parlamentarischen Arbeit mit gewissen Ansprüchen, ja sogar mit Unterstellungen und Behauptungen doch recht lebhaft auftritt, die sehr wohl im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung angespro10370 chen worden sind, die man aber kühn, munter und völlig falsch der Öffentlichkeit immer wieder serviert. Ich habe dazu eine Unterlage mitgebracht und verweise im übrigen auf den entsprechenden Part im Jahreswirtschaftsbericht. Da heißt es sehr frohgemut: Die Bundesregierung ist mittelstandsfeindlich. Das ist nicht nur in dieser Zeitschrift zu lesen, das ist auch in anderen Zeitschriften zu lesen. Man geht landauf, landab mit dieser Parole umher und behauptet, diese Bundesregierung sei mittelstandsfeindlich, obwohl in dem Jahreswirtschaftsbericht - es gibt ja einige unserer Kollegen, die immer nachlesen: ({2}) auf Seite 20, Ziffer 40, unter der Überschrift „Mittelstandspolitik" ; genau zitiert - dazu eine ganze Menge steht. Aber damit nicht genug. Es ist noch auf etwas anderes aufmerksam zu machen. Ich wage das an Hand einiger weniger Punkte zu demonstrieren, obwohl ich mir bewußt bin, daß Sie dieses und jenes eigentlich genauso wissen müßten wie ich. Nur: offenbar ist es so, daß Sie das entweder nicht in der Erinnerung haben oder nicht wissen wollen oder so tun, als ob das nie ausgesprochen worden wäre. Ich will das nicht auf Dummheit zurückführen, ich will das auch nicht auf Unkenntnis zurückführen. Machen Sie sich selber Ihr Urteil darüber. Zwei Punkte darf ich herausgreifen. Erstens geht es doch sicherlich für uns alle, besonders für die, die das Wort Marktwirtschaft nicht nur als eine Parole im Munde führen, sondern darum bemüht sind, sie wirklich funktionsfähig zu halten, um die Ordnungspolitik. Erinnern wir uns doch daran, daß die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 3. August 1973 aus diesem Anliegen heraus für die Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsfähigkeit des gewerblichen Mittelstandes ja bewußt jene notwendige Form der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit eingeführt hat, um damit die Marktposition der mittelständischen Betriebe zu stärken und ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, sich gegenüber Großunternehmen zu behaupten. Leider ist davon - hier wende ich mich mit meinen Worten gar nicht an Sie, sondern an die Öffentlichkeit - bis zur Stunde wenig Gebrauch gemacht worden, wie das auch die Angaben des Bundeskartellamtes bestätigen. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, als ob die dafür zuständigen Organisationen der mittelständischen Wirtschaft, wie etwa die Verbände und die Kammern, auf diesem Gebiete bislang wenig aktiv geworden sind. Vielmehr scheinen diese Organisationen das Schwergewicht mehr auf gesellschafts- oder auf parteipolitische Argumentationen zu legen - natürlich im Sinne der CDU/CSU -, anstatt sich ihren eigentlichen Aufgaben zu widmen, ihre Mitglieder selbstverwalterisch zu unterstützen und zu beraten. Oft ist es so, daß diese Verbände und damit natürlich auch die Kammern regelrecht zu parteipolitischen Festungen ausgebaut worden sind, von denen aus der mittelstandspolitische Grundsatz dieser sozialliberalen Bundesregierung, Hilfe zur Selbsthilfe, bewußt oder unbewußt torpediert wird. Auch hier sei dahingestellt, in welchem Umfang das dabei bewußt gemacht wird. Manchmal hat man den Eindruck, daß diese Festungen gerne gebraucht werden. Aber im Jahreswirtschaftsbericht wird an einer anderen Stelle als der, die ich eben zitiert habe, erfreulicherweise festgestellt, daß im ersten Halbjahr 1975 doch eine Neuauflage der Kooperationsfibel sowie ein Merkblatt über Kooperationserleichterungen herausgebracht werden werden. Hoffentlich werden diese Materialien auch von den Organisationen gelesen, und nicht nur gelesen, sondern auch zur Grundlage entsprechender Aktivitäten gemacht. Wir würden das sehr begrüßen. Einen zweiten Punkt darf ich in der mir zur Verfügung stehenden Zeit in aller Kürze hervorheben. Von der Opposition wird immer wieder betont, wie ich schon sagte, die Bundesregierung wäre mittelstandsfeindlich. Das stimmt einfach nicht. Auch wenn Sie den anderen Teil unserer Wirtschaftspolitik, die Prozeßpolitik, die Konjunkturpolitik, überprüfen, werden Sie sehr leicht feststellen, daß das gar nicht zutreffend ist. Aber was soll's denn in der Opposition? Man überprüft ja eben gar nicht, sondern man behauptet nur und meistens fälschlich. ({3}) - Darauf kann ich auch noch etwas sagen; warten Sie ab! Meine Damen und Herren, ich betone noch einmal: Das stimmt einfach nicht, sondern das sind schlechtweg demagogische Behauptungen. Es ist doch nachzuweisen, daß allein die Fördermittel für kleinere und mittlere Unternehmen laufend angehoben worden sind. Ich habe nicht die Zeit, Ihnen das an Hand der Zahlen nachzuweisen. Zahlen sind ja auch immer ermüdend. Aber ich verweise hier auf die Berichterstattungen des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, in denen gerade für 1974 aufgezeigt wird, wie stark sich im Unterschied zu 1970 die Haushaltsmittel des Bundes erhöht haben: von 61 Millionen DM auf 114,4 Millionen DM. Die ERP-Mittel - ich nehme, wohlgemerkt, nur die Zahl für 1974 - sind von 1970 rund gerechnet 399 Millionen DM auf 581 Millionen DM angehoben worden. Und die Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau - M 1, M 2, M-Ergänzung, Sonderkredite und was es da alles gibt - haben sich, zusammengefaßt, von 47,9 Millionen DM, also rund 48 Millionen DM, im Jahre 1970 auf 1,163 Milliarden DM gesteigert. Ich glaube, wenn man das sieht, kann man weder von einer Mittelstandsfeindlichkeit sprechen noch irgend etwas anderes behaupten. Das sind doch Zahlen, die in der mittelständischen Arbeit dieser Bundesregierung im Vergleich zu denjenigen Regierungen, die unter CDU/CSU-Einfluß gestanden haben, enorm sind und einen Beweis für das liefern, was auf diesem Gebiet gemacht worden ist, welch enorme Leistungen hier sichtbar geworden sind. ({4}) Ich will das nur kurz in die Erinnerung bringen und gar nicht auf das eingehen, was wir hier vor kurzer Zeit miteinander besprochen und auch beschlossen haben. ({5}) Aber auch das scheint bei der Opposition gar nicht aufgenommen zu werden; das wird so beiseite geschoben. Das nimmt man nicht zur Kenntnis. Das ist unangenehm, und das könnte ja die Mittelstandspolitik dieser Regierung besonders betonen. Ich verweise nur - ohne daß ich dazu im einzelnen Stellung zu nehmen gedenke - auf den ERP-Wirtschaftsplan 1975, in dem kürzlich - Sie erinnern sich, es war Ende Januar 1975 - der mittelständischen Wirtschaft ein Kreditplafonds von insgesamt 635 Millionen DM zu Zinssätzen von 6,5 % im Zonenrandgebiet und 7,5% in allen übrigen Fördergebieten zur Verfügung gestellt worden ist. Damals ist völlig zu Recht von meinem Kollegen Haase gesagt worden, daß ein derart hoher Betrag zu keiner Zeit, solange diese Bundesrepublik besteht, für mittelstandspolitische Förderungsaufgaben ausgegeben worden ist. Ich bin der Meinung, daß das einfach nicht weggewischt werden darf. Die Opposition hat das auch aus diesem Anlaß zur Kenntnis zu nehmen. Wir wissen doch ganz genau, daß gerade auch der gewerbliche Mittelstand für die Konjunkturbelebung von maßgeblicher Bedeutung ist. Lassen Sie mich dazu noch eine letzte Bemerkung machen. Ich darf dabei vielleicht auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Narjes eingehen. Ich meine, daß da, gelinde gesagt, Mißverständnisse vorliegen. Er hat sich gegen die Investitionszulage ausgesprochen. Das können Sie, das dürfen Sie. Aber dann muß man auch einmal nachdenken, warum die Investitionszulage genommen worden ist. Herr Narjes, schließlich waren Sie ja als Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft bei diesen Beratungen dabei. Diese Investitionszulage ist doch absichtlich genommen worden und nicht etwa die Investitionsprämie, die steuerabhängig ist, weil damit gerade auch den kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden soll und muß, die im Jahre 1974 in eine gewisse Verlustzone oder gar schon in den Verlust geraten sind, mit Hilfe der Zulage zu investieren. ({6}) - Herr Narjes, jetzt kommt es nicht auf Ihre Begrenzung an - ich wollte das nicht persönlich meinen -, sondern es kommt wesentlich und entscheidend darauf an, daß man den konjunkturpolitischen Effekt sieht und auch die entsprechenden Wirkungen erwarten kann. Lassen Sie mich zum Schluß darauf hinweisen, daß Bundeskanzler Schmidt in der Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 die besondere Bedeutung hervorgehoben hat, die den kleinen und mittleren Betrieben in unserer Wirtschaft zukommt. Abgesehen davon, daß dafür das Zitat vorliegt, darf ich darauf aufmerksam machen, daß ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister sehr dankbar dafür bin, daß er heute morgen auf das, glaube ich, uns allen zumindest den Mitgliedern des Ausschusses für Wirtschaft - zugestellte Prognos-Gutachten „Über Analyse und Prognose der Unternehmensgrößenstrutktur von 1961 bis 1985" verwiesen hat. Einige von uns - ich bin darunter - haben Gelegenheit gehabt, in dieses Gutachten Einblick zu nehmen. Ich begrüße sehr dankbar, was der Herr Bundeswirtschaftsminister gesagt hat, nämlich daß in seinem Hause nun die Auswertung der Ergebnisse dieses Gutachtens erfolgt. Aber soviel darf man, ohne dem vorgreifen zu wollen, schon sagen: daß auch in diesem Gutachten für die mittelstandspolitische Arbeit dieser Bundesregierung nach meiner Auffassung, soweit ich das bis jetzt habe einsehen können, wesentliche und fruchtbare Grundlagen vorliegen, die zugleich beweisen, daß die mittelstandspolitische Ausrichtung dieser Bundesregierung durchaus in der Richtung liegt, wie das von den Gutachtern prognostiziert worden ist. An einem Punkt darf und möchte ich nicht vorbeigehen. Es handelt sich um den Punkt, bei dem in dem Gutachten mit guten Argumenten und gesicherten Unterlagen nachgewiesen wird, daß es für eine Abnahme der Bereitschaft zur Selbständigkeit keine empirischen Belege gibt. Wenn das so ist - auch ich bin der Meinung, daß da eine wesentliche Aussage getroffen worden ist, was im übrigen nicht ausschließt, daß auch durch den allgemeinen und sozialen Strukturwandel gewisse Veränderungen im Aufbau auftreten und vor allen Dingen auch Schwierigkeiten bei der Neugründung von selbständigen Existenzen gegeben sind -, liegen wir mit der mittelstandspolitischen Arbeit und mit den mittelstandspolitischen Maßnahmen dieser Bundesregierung genau in der richtigen Linie, beginnend mit dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe, wie ich eingangs sagte. Wir müssen aber auch erwarten, daß zum einen die für die Organisation des Mittelstands zuständigen Verbände aktiv werden und daß zum anderen - das lassen Sie mich noch einmal zur Opposition sagen - mit dieser Form der Verunsicherung, wie Sie es dort betreiben, Schluß gemacht werden sollte, weil Sie damit gerade dem Mittelstand, den Sie sicherlich für sich gewinnen wollen - vielleicht auch wahlenmäßig -, am ehesten Schaden zufügen. Ich glaube, das ist nicht im gesamtwirtschaftlichen Sinne verantwortlich. ({7})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat in seiner heutigen Sitzung vereinbart, die Tagesordnung um einen Punkt, den Antrag betr. Änderung des Verteilungsschlüssels der Beschäftigungshilfen, zu erweitern. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist die Tagesordnung entsprechend erweitert. Der Punkt soll in Verbindung mit den bereits aufgerufenen Punkten 4 a und 4 b behandelt werden. Ich rufe deshalb als Punkt 4 c der Tagesordnung auf: Antrag der Abgeordneten Stücklen, Dr. Warnke, Dr. Dollinger, Dr. Zimmermann, Höcherl, Vizepräsident Frau Funcke Dr. h. r. Wagner ({0}), Schmidhuber, Ziegler, Spilker, Röhner, Dr. Althammer, Dr. Fuchs, Gierenstein, Dr. Jobst, Dr. Kunz ({1}), Gerlach ({2}) und Genossen betr.: Änderung des Verteilungsschlüssels der Beschäftigungshilfen Drucksache 7/3207 - Das Wort hat Herr Dr. Warnke.

Dr. Jürgen Warnke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002428, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herern! In der Beschäftigungsschlacht des Jahres 1975 sind wir Zeugen eines Kampfes mit verkehrten Fronten. General Winter kämpft dieses Jahr auf der Seite der Bauarbeiter. Das ist auch gut so, und das möge so bleiben, denn wir können jeden Verbündeten gebrauchen. Die Bataille steht ohnehin schlecht genug. Mit 1,15 Millionen Arbeitslosen im Januar, mit 900 000 Kurzarbeitern und mehreren Hunderttausend abgewanderten ausländischen Arbeitskräften haben wir - im Klartext gesagt - fast 2 1/2 Millionen Arbeitsplätze jetzt im Februar, die nicht mehr existieren oder nicht mehr voll ausgelastet sind. Da der saisonale Anteil an dieser Entwicklung verhältnismäßig gering ist, müssen wir neben den konjunkturellen Gründen die Ursachen in Strukturveränderungen suchen. Eine Reihe von Strukturdaten hat sich in den letzten 25 Jahren grundlegend gewandelt, ohne daß der Jahreswirtschaftsbericht davon Kenntnis nimmt. Erstens: Die Bundesrepublik Deutschland hat seit dem vergangenen Jahr die niedrigste Geburtenrate Europas. Bereits 1973 trat ein fataler Trendumschlag ein; statt des Geburtenüberschusses ist nunmehr die Zahl der Sterbefälle in der Bundesrepublik Deutschland höher als die Zahl der Geburten. Und 1985 wird es nach der letzten Prognose des Statistischen Bundesamtes 2 300 000 Deutsche in der Bundesrepublik weniger geben als heute. Das bedeutet: der Nachholbedarf in der Infrastruktur des öffentlichen Hochbaus ist sicher vorüber, zumindest anders zu beurteilen als bisher. Das bedeutet: Gefahr der Entvölkerung in der Fläche. Und das Bundesraumordnungsprogramm, meine Damen und Herren, das diese Zahlen nicht zur Kenntnis nimmt, ist Makulatur, kaum eine Woche, nachdem es veröffentlicht worden ist. Zweitens: Die fortschreitende Konzentration führt zur Veränderung der Wirtschaftsstruktur, zu einer Verringerung der Selbständigenzahl und damit zu einer Auslaugung des Mittelstandes. Drittens: Die Arbeitskosten, Löhne und Nebenkosten, haben das amerikanische Niveau erreicht oder überschritten und Spitzenstellung im Weltmaßstab. Die Exportfähigkeit muß davon auf Sicht berührt werden. Viertens: Bei weiterhin rückläufiger Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft wächst nunmehr auch die Zahl der Industriebeschäftigten in Zukunft nicht mehr. Es findet eine Umschichtung zugunsten des Dienstleistungsbereichs im privaten wie iosbesondere auch im öffentlichen Sektor statt. ({0}) Die goldenen 60er Jahre, meine Damen und Herren, sind vorüber, das Flittergold der frühen 70er Jahre auch. Die Traumraten des Wachstums sind vorbei. Wir haben jetzt die Wahl zwischen der Konsolidierung auf hohem Niveau mit der Chance, stetigen und angemessenen Wachstums in der weiteren Entwicklung oder der Stagnation, wenn nicht gar dem Rückschlag. Ein großer Teil der zwei Millionen verlorener Arbeitsplätze - wie groß er ist, vermag niemand genau zu sagen - wird aber nicht mehr nachwachsen, selbst dann nicht, wenn die Konjunktur wieder anzieht. Der Jahreswirtschaftsbericht zieht es vor, sich mit dieser strukturellen Komponente der Arbeitslosigkeit und der zukünftigen Beschäftigung nicht abzugeben. ({1}) Das gilt für die Automobilindustrie und die Bauwirtschaft, das gilt genauso für die traditionellen Verbrauchsgüterindustrien, für Textil, Bekleidung, für Leder und Schuhe. Die Bundesregierung ist mit diesen Industrien nicht zimperlich umgegangen. Die zusätzlichen Einfuhrkontingente im Mai 1973 bedeuteten für die hier Beschäftigten bewußte und gewollte Vernichtung von Arbeitsplätzen. Unangebrachte Nachgiebigkeit der deutschen Seite - ein Grundmerkmal der sogenannten neuen Ostpolitik - war auch gegenüber den Dumping-Einfuhren aus dem Osten zu beobachten. Nach dem Verlust von 130 000 Arbeitsplätzen in der Textil- und Bekleidungsindustrie in den beiden letzten Jahren haben wir heute 40 000 Arbeitslose, d. h. etwa 6 % der Beschäftigten. Darunter, meine Herren von der Regierung, sind viele Frauen. In diesem Zusammenhang sollte uns der Ausspruch des Leiters eines Arbeitsamtes zu denken geben, der sagte: „Ich hoffe, 50% der arbeitslosen Frauen in den nächsten drei Jahren in anderen Berufen unterbringen zu können, die restlichen 50 % fallen unter langfristige strukturelle Arbeitslosigkeit." Die Union fordert schnellere Eingriffe der Bundesregierung bei dumpingartigen Fällen unter Einsatz auch vorläufiger Begrenzungsmaßnahmen, sofern die endgültige Klärung des Dumping-Sachverhaltes längere Zeit erfordert. Das ist international zulässig, und wir sagen der Bundesregierung: es ist Zeit, daß wir mit den Arbeitsplätzen und den Menschen in der Textil- und Bekleidungsindustrie, in der Leder- und Schuherzeugung sowie in anderen traditionellen Verbrauchsgüterindustrien behutsamer umgehen! Pauschale Empfehlungen zur Verlagerung gesamter Industrien ins Ausland, wie dies von Bundesminister Egon Bahr wieder ausgesprochen worden ist - am 7. Februar -, lehnt die Union ab. Der Staat hat nicht zu entscheiden, welche Industrien in der Bundesrepublik bleiben und welche in die Entwicklungsländer abgedrängt werden sollen. Das ist Sache des Marktes, eines Marktes allerdings, auf dem auch Chancen- und Wettbewerbsgleichheit herrschen müssen. ({2}) Notleidend geworden, Herr Kollege Schachtschabel, ist auch der Mittelstand. Unter der dreifachen Belastung von Kostenexplosion, Sozialkostenlawine und Steuerlast hat er dem Würgegriff der Hochzinspolitik nicht widerstehen können. Mit 7 700 Konkursen steht die Bundesrepublik mit den USA und mit Japan an der Spitze der internationalen Konkursliste. Ich kann Herrn Kollegen Wolfram, wenn er auffordert, jetzt zu investieren, wo die Kosten doch so günstig seien, ({3}) nur sagen: dann hat er keine Ahnung, was sich abspielt in mittelständischen und, anderen Bereichen der deutschen Wirtschaft. Aber diese Insolvenzen waren nur die Spitze eines Eisbergs. 17 000 Unternehmen sind still aus dem Markte ausgeschieden. Herr Minister Friderichs, Sie vertrösten auf 1985; dann sei, wie eine Prognos-Studie Ihnen sagt, alles wieder so weit, wie es heute ist. Glanz und Elend der Prognose haben wir gerade bei dem PrognosGutachten erlebt, das, noch von Kiesinger in Auftrag gegeben, zu Beginn Ihrer Regierungszeit abgeliefert wurde und dann das Wachstum in einem Maße verherrlichte und zur Grundlage aller wirtschaftspolitischen Entscheidungen machte, wie es heute nicht mehr angemessen ist. Zukunftsmusik kann uns nicht von den Schwierigkeiten und gerade, was den Mittelstand angeht, vom Elend der Gegenwart ablenken. Das Wort von Helmut Schmidt, der am 9. September 1973 sagte: „Wenn ein paar Unternehmen pleite gehen, ist es jedenfalls ein Beweis dafür, daß noch Marktwirtschaft existiert", war genausowenig angetan, Vertrauen des Mittelstandes zu erwecken, wie die Mittelstandsbeschimpfung in der Aktion „Gelber Punkt" der Sozialdemokratischen Partei - stellvertretender Vorsitzender wieder der Bundeskanzler Helmut Schmidt. In allen Geschäften hat das Plakatt gehangen, in den kleinen, in den mittelständischen, in den Tante-Emma-Läden, wo man sich zur Wehr setzte gegen diese Verleumdung. ({4}) Bei dieser Einstellung ist es kein Wunder, daß sich die Mittelstandsförderung in der Bundesrepublik Deutschland nicht so glanzvoll entwickelt hat, wie Professor Schachtschabel dies darzustellen versucht hat. Er nimmt den Ausgangspunkt 1970. Ja sicher, vor 1970 ({5}) wurden diese Kredite aus dem Regionalen Förderungsprogramm mitgewährt, und dann haben wir umgestellt auf das ERP-Sondervermögen. ({6}) Aber mit den nur drei Monaten, die diese Programme offen sind, können wir doch wirklich keinen Staat machen. Daß sie notwendiger geworden sind, bitter notwendig geworden sind, seitdem durch Ihre Wirtschaftspolitik und die Inflation gleichzeitig der Hochzinsdruck auf den Mittelstand gekommen ist, das ist von Ihnen zu verantworten. Sie leisten hier nur Teilwiedergutmachung - und das noch unzulänglich - eines Schadens, den Sie selber angerichtet haben. ({7}) Die CDU/CSU-Fraktion wünscht, daß im Rahmen des ERP-Sondervermögens die Mittel zur Existenzsicherung und Entfaltung des Mittelstandes stärker eingesetzt werden. Wir rügen die Bundesregierung, daß sie entgegen ausdrücklicher Zusage dem Parlament nicht die Gelegenheit gegeben hat, den ERP- Wirtschaftsplan 1975 entsprechend umzugestalten. ({8}) - Wir rügen die Bundesregierung, daß sie uns entgegen ausdrücklicher Zusage nicht die Gelegenheit gegeben hat, im Wirtschaftsausschuß so sorgfältig zu beraten, daß wir den ERP-Wirtschaftsplan, wie es alle Parteien ins Auge gefaßt hatten, ({9}) für dieses Jahr 1975 mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsförderung umgestalten konnten. ({10}) Für die Strukturreform mit dem Schwerpunkt Mittelstandsförderung haben wir im Wirtschaftsausschuß wieder ein Jahr vertrödelt. Die Unionsfraktion fordert, Herr Ehrenberg ({11}) - na, dann lachen Sie mal! -, daß wir unverzüglich die Neuordnung des ERP-Wirtschaftsplans 1976 in Angriff nehmen. Wir gehen davon aus, daß der Zuwachs aus Zins- und Rückflußmitteln voll für die Mittelstandsförderung eingesetzt wird. Zusätzlich - das ist dieses Jahr eben nicht geschehen, obwohl alle Parteien schriftlich ihren Willen dazu bekundet hatten - sollen solche Programme umgeschichtet werden, durch die normale Haushaltsmittel lediglich ergänzt werden. Wir brauchen dauernde Schwerpunktverlagerungen in der Größenordnung von dreistelligen Millionenzahlen zugunsten des Mittelstandes im Jahre 1976. Wenn ich an dreistellige Millionenzahlen bei dieser Umschichtung denke, dann denke ich an Größenordnungen von 300 und 400 Millionen. Schluß mit den Pflästerchen, Herr Ehrenberg, auf die Sie so stolz sind, und den Einmalmaßnahmen, die dieses Jahr aushelfen mußten und deren Sie, Herr Minister Friderichs, sich hier gerühmt haben! Das waren konjunkturelle Maßnahmen, und wenn es nach unseren Vorstellungen gegangen wäre, dann wären sie noch obendrauf gekommen auf eine Umschichtung in der von mir genannten dreistelligen Millionengrößenordnung. Als Schwerpunkte schlagen wir vor: 1. Hilfe für Existenzgründungen im mittelständischen Bereich, 2. die Förderung von Handel, Handwerk, Kleingewerbe in den strukturschwachen Gebieten, 3. die allgemeine Kreditversorgung des Mittelstandes im Rahmen der bewährten Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau und 4. außerhalb des ERP-Wirtschaftsplans die unverzügliche Einführung eines Verlustrücktrages. Aber, Herr Professor Schachtschabel, ({12}) die großen Probleme der Liquiditätshilfe durch Betriebsmittelkredite und der Konsolidierung mittelständischer Unternehmen, die keine Investitionen vorzunehmen haben, sind auf Bundesebene völlig ungelöst.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Warnke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schachtschabel?

Dr. Jürgen Warnke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002428, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr!

Dr. Hans Georg Schachtschabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001929, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Warnke, ich frage Sie, ob Sie wissen, daß gestern im Kabinett der Verlustrücktrag beraten worden ist und daß eine gewisse Möglichkeit eines modifizierten Carry-back durchaus gegeben ist? Schließlich darf ich noch dazu fragen, auch weil mich mein Kollege Ehrenberg darauf anspricht, ob Sie eigentlich den Antrag hier begründen oder ob Sie zur Debatte sprechen. ({0})

Dr. Jürgen Warnke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002428, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schachtschabel, ich kläre Sie gerne auf: Ich spreche zur Debatte und werde bei dieser Gelegenheit den Antrag begründen. ({0}) Was Sie uns aus dem Kabinett erzählen: Nun ja, das mag ja so sein; aber wer den Eiertanz erlebt hat, den die Bundesregierung hier auf dieser Tribüne aufgeführt hat, als wir zu einem früheren Zeitpunkt dieser Debatte nach dem Verlustrücktrag gefragt haben, dem ist völlig klar, daß man wieder einmal geschwätzt und nichts Konkretes beschlossen hat. ({1}) - Genau, und die Investitionszulage dient nicht der Liquidität. Sie wissen doch, wie beengt die Liquidität der mittelständischen Betriebe ist. Viele würden investieren, wenn sie mehr Liquidität hätten, und können sich nichts dafür kaufen, daß sie in anderthalb Jahren vielleicht einmal 7,5 % zusätzlich bekommen sollen, während sie in der Zwischenzeit teuer zwischenfinanzieren müssen. Aber, Herr Kollege Schachtschabel, bei den Liquiditätshilfen durch Betriebsmittelkredite und der Konsolidierung in Finanzschwierigkeiten geratener mittelständischer Unternehmen ist doch völlige Fehlanzeige. Das müßte nicht so sein. Länderkreditprogramme wie z. B. die Baden-Württembergs oder die Bayerns beweisen das. Wir machen der Bundesregierung dennoch nicht den Vorwurf, daß sie den Stein der Weisen für die Mittelstandsförderung noch nicht gefunden hat. Es ist aber bezeichnend, daß das Problem im Jahreswirtschaftsbericht verschwiegen und daß keinerlei Initiative ergriffen wird. Mittelstandsförderung ist für weite Bereiche der diese Regierung tragenden Koalition reines Lippenbekenntnis. Meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr haben wir einen Schlagererfolg erlebt. Vicky Leandros hatte ungeahnte Erfolge mit dem Lied, in dem sie ihren Schwächling Theo kommandierte: „Wir fahr'n nach Lodz!" Sie tat dies mit der Begründung: „Dies gottverdammte Nest gibt mir den Rest!" Der besondere Erfolg dieses Liedes erklärte sich möglicherweise daraus, daß hier zwei Grundströme gesellschaftlicher Entwicklungen in wenige Worte zusammengerafft wurden: ({2}) die Forderung nach moderner Lebensqualität in allen Teilen des Landes und auch gewisse massive Tendenzen der Gleichberechtigung, um nicht zu sagen der Dominanz der Frau. Das geht uns im Parlament nichts an, aber für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, Herr Kollege Schachtschabel, sind wir hier zuständig, und der Jahreswirtschaftsbericht gibt auf dem Gebiet nicht allzuviel her. Ich glaube, wenn wir - und damit komme ich zu dem Antrag der CDU/CSU - ({3}) - Die Freude mache ich Ihnen nicht so schnell, Herr Ehrenberg. - Wenn wir sehen, daß die Eingliederungshilfen für Arbeitslose im dritten Konjunkturprogramm in Höhe von 600 Millionen DM zwar in der Hälfte aller nordrhein-westfälischen Arbeitsamtsbezirke eingesetzt werden können, dann haben wir nichts dagegen einzuwenden, wenn die Arbeitslosenzahl dem entspricht. Wenn wir aber sehen, daß in Bayern, dem Land mit der höchsten Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik, ganze vier Arbeitsamtsbezirke von 27 Arbeitsamtsbezirken zum Zuge kommen, dann merken wir, daß hier Wahlmanipulation getrieben worden ist, daß diese Gelder nicht nach sachlichen Gesichtspunkten, sondern zum Stimmenkauf gelenkt worden sind. Für derlei Scherze, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben die betroffenen Arbeitslosen in Bayern und anderswo, wo man ihnen die Gelder vorenthält, wenig Verständnis. Die Union hat deshalb aus ihren Reihen einen Antrag vorgelegt - es ist der Antrag auf DruckDr. Warnke sache 7/3207 -, der die Bundesregierung zur gerechten Verteilung der Beschäftigungshilfen auffordert. Wir haben - hier muß ich Ihnen, Herr Minister Friderichs, widersprechen - schließlich nicht als erste Partei dieses Hauses im Dezember 1973 ein Arbeitsplatzsicherungsprogramm für die bedürftigen Regionen und Sektoren vorgelegt, um den Effekt dieses Programms jetzt durch eine sachwidrige und parteipolitisch motivierte Verteilung von hohen Millionenbeträgen zuschanden werden zu lassen. ({4}) Meine Damen und Herren, was sonst in dem Wirtschaftsbericht unter dem Stichwort „regionale Strukturpolitik" ausgeführt wird, ist zwar unschädlich, aber es hilft auch nicht. Eine bessere Koordinierung von Regionalpolitik und Verkehrspolitik wird nicht genügen, wenn die Verkehrspolitik - so wie in den letzten Jahren - der Regionalpolitik diametral zuwiderläuft. Sie verteilt Mineralölsteueraufkommen aus den ländlichen Räumen in die Ballungsgebiete. Sie macht den Verkehr in der Fläche dicht, und -sie treibt und trieb die Menschen aus den ländlichen Räumen heraus. Not tut nicht eine bessere Koordinierung, sondern eine neue Verkehrspolitik, die diese Gegenläufigkeit beendet. ({5}) Eines noch: Im Zeichen einer sinkenden Zahl von Industriebeschäftigten und einer wachsenden Zahl von Dienstleistungsbeschäftigten fordern wir, die Dienstleistungen in die Strukturförderung mit einzubeziehen. Dabei geht es um den modernen Dienstleistungsbereich. Es geht um Datenverarbeitungszentren, um Ausbildungsstätten, um Forschungseinrichtungen, um Verwaltungen, und zwar des privaten wie insbesondere auch des öffentlichen Sektors. Bei der Bedeutung dieses Dienstleistungsbereiches für Zahl und insbesondere für Qualität der Arbeitsplätze bedeutet es ein Verbrechen an der Zukunft der Regionen und ein Verbrechen an der Zukunft der Fläche, wenn die Bundesregierung es ablehnt, eine Bestandsaufnahme künftig notwendiger Einrichtungen des öffentlichen Dienstleistungssektors mit dem Ziel der ausgewogenen Verteilung auf Verdichtungsräume und Fläche durchzuführen. Die Union wird sich dafür einsetzen, und zwar nicht nur aus verfassungsrechtlichen, sondern auch aus gesellschafts- und staatspolitischen Gründen. Eine Zielvorstellung, daß 80 % der Einwohner der Bundesrepublik Deutschland in den Verdichtungsräumen leben, wie sie insbesondere aus Reihen der Sozialdemokratischen Partei immer wieder geäußert wird, entspricht nicht unserem Willen. Wir wollen dem Verfassungsauftrag ausgewogener Lebensverhältnisse in allen Räumen dieser Bundesrepublik gerecht werden. ({6})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase ({0}).

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! ({0}) - Nachdem der Kollege Warnke so lange gesprochen hat, werden Sie mir doch noch zwei Minuten zuhören können. ({1}) Herr Kollege Warnke, dieser Hammer, den Sie hier geklopft haben, war, wie ich meine, ein Hammer ohne Stiel und ohne Kopf. Es bleibt die Frage, was da noch übrig ist. Mit dem Stil hat Ihre Fraktion sowieso Probleme, und den Kopf suchen Sie, glaube ich, immer noch. Ich kann mich nur erinnern, daß Sie im Augenblick einen Kohl haben. ({2}) - Dies entspricht ungefähr dem Stil, den Sie bei Franz Josef Strauß heftig beklatscht haben. ({3}) Sie haben hier einen Antrag begründet. Ich dachte zunächst, Sie begründen einen Antrag der CSU auf Erhöhung der Geburtenrate; so hat sich das angehört. Daß dies nicht im Jahreswirtschaftsbericht steht, hat wahrscheinlich nur einen einzigen Grund, nämlich den, daß man Papier sparen wollte. Sie können diese Zahlen sicher jährlich im Statistischen Jahrbuch und in anderen Quellen nachlesen. Ich will Ihnen das hier nur noch einmal sagen, Herr Warnke. Vielleicht geht es dann leichter. ({4}) Die Frage nach der Strukturänderung ist in der Tat eine wichtige Frage. Der Appell, den Sie hier eröffnet haben, richtet sich allerdings, meine ich, vor allen Dingen an Ihre eigene bayerische Staatsregierung, die immer noch mit weit zurückgebliebenen Methoden aus den 50er Jahren die Probleme zu lösen versucht, deren Lösung wir mit der Bundesregierung bereits erfolgreich angegangen haben. Das ist der Unterschied. Kommen wir nun auf die Arbeitslosenzahl zu sprechen: In Gebieten, in denen bayerische Strukturpolitik gemacht wird, finden Sie dann Arbeitslosenzahlen von 19,7 % in Passau und 17,7 % in Deggendorf usw. Aber nun muß ich sagen: Dies ist nicht etwa eine Anklage gegen die Bundesregierung. Ihr eigener Landesvorsitzender hat, ich glaube, in München erst vor einigen Tagen gesagt, daß man dieses Problem nicht so schnell in die Hand bekommen könne und daher der Staatsregierung doch eigentlich keinen Vorwurf machen könne. Er selber hat also auf diese Frage bereits Bezug genommen. Sie sollten es sich hier nicht so leicht machen, zu sagen, dies sei eine Tatsache, durch die Haase ({5}) nachgewiesen würde, wie schlecht hier Strukturpolitik gemacht werde. Strukturpolitik ist in vielen Bereichen der Bundesrepublik gut gemacht worden, vor allen Dingen immer dann, wenn es eine Abstimmung zwischen den Landesregierungen und der Bundesregierung gegeben hat. Ich weiß jedenfalls, daß in dem Bereich, aus dem Sie kommen, bereits im Antragsverfahren Konkurrenz gemacht wird. In diesem Antragsverfahren um verbilligte Mittel wird Konkurrenz zwischen bayerischen Anträgen und Anträgen, die den Bund angehen, gemacht. Wenn Sie allerdings damit beginnen, dann brauchen Sie sich über den Erfolg dieser Maßnahmen hinterher hier auch nicht noch zu beklagen. Zu den Dumpingpreisen, die Sie hier angesprochen haben, Herr Warnke, eine Bemerkung, die doch gemacht werden muß, damit das wieder geradegerückt wird: Sie wissen genauso wie ich, daß es gerade in der Textilbranche, aber auch in anderen Bereichen viele Unternehmen gibt, die Veredelungen in den osteuropäischen Ländern durchführen lassen. Wenn Sie von Dumpingpreisen sprechen, dann müssen Sie allerdings auch diese Frage in Ihre Überlegungen einbeziehen. Es sich so einfach zu machen, zu sagen, daß dies der Tod der mittelständischen Industrie sei, schien mir ein schlechter Weg. Nun noch einmal zum Problem der Alternativen: Welche Alternativen würden Sie denn hier vorschlagen? Zurück zu nationalen Zollschranken? Oder haben Sie hier andere Vorstellungen zu verkünden? ERP-Mittel; Herr Warnke, auch hier muß ich Ihnen bescheinigen -

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Warnke?

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Warnke.

Dr. Jürgen Warnke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002428, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Haase, ist Ihnen bekannt, daß wir ein Preisprüfungsverfahren haben, eben um diese Einfuhren unter Kontrolle bekommen zu können, und dieses Verfahren oft so bürokratisch und langwierig arbeitet, daß es keine Wirkung hat? Wären Sie, wenn Ihnen das bekannt ist, bereit, zuzustimmen, daß man hier sehr wohl Schritte unternehmen kann, ohne in protektionistische Praktiken zurückzuverfallen?

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Warnke, wenn Sie diese Detailfrage zum Aufhänger dafür machen wollen, daß Osteuropahandel Dumpingpreise zur Folge hat, dann, meine ich, ist Ihre Argumentation von vorhin sehr schwach gebaut gewesen, wenn Sie jetzt solche Ausflüchte machen müssen. Lassen Sie mich aber noch einiges zum ERP-Plan sagen und zu den Hilfen für Existenzgründungen! Herr Warnke, ich bitte Sie sehr herzlich: Schauen Sie noch einmal im Tit. 862 01 des ERP-Plans nach! Dort können Sie das alles nachlesen und sehen, daß wir hier gewaltig aufgestockt haben. Wenn Sie den ERP-Haushalt aus dem Jahre 1965 unter der CDU- Regierung Erhard mit dem jetzigen vergleichen, dann werden Sie feststellen, daß damals für die gesamte Mittelstandsförderung 100 Millionen DM zur Verfügung standen. Und wenn Sie das Rezessionsjahr 1967 nehmen, in dem es ja dem Mittelstand auch nicht so besonders gut ging, in dem die Verhältnisse nicht wesentlich anders waren als jetzt, so sehen Sie, daß es damals ganze 240 Millionen DM für die mittelständischen Unternehmen gab. Und das vergleichen Sie bitte mit dem, was jetzt die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten als Anträge vorgelegt haben und was im Ausschuß und hier im Parlament - letztlich auch mit Ihrer Zustimmung - beschlossen worden ist: Die ERP-Mittel sind auf 635 Millionen bzw. - unter Einschluß der Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau von 1 Milliarde DM - auf 1,635 Milliarden aufgestockt worden. Dies ist eben die Tatsache, und das, Herr Warnke, hätten Sie wissen müssen, bevor Sie hier Kritik übten; denn Sie mußten ja damit rechnen, daß man Sie dann hier auch eines Besseren belehrt. Auch beim Osthandel, Herr Warnke, geht Ihre Rechnung nicht auf. Ich verstehe nicht Ihre Argumentation, in der Sie rufen und schreien und sich gegen diesen Osthandel wenden, wenn Sie im gleichen Atemzuge den Exportrückgang beklagen. Herr Warnke, wir haben im Osthandel im letzten Jahr eine Ausweitung des Exports in die Sowjetunion um 50 %, nach Polen um 44 %, nach Ungarn um 63 % und nach Rumänien um 53 % gehabt. Dies dient der Sicherung deutscher Arbeitsplätze hier im Inland, und dies wollen Sie kaputtmachen. So sieht es doch aus! ({0}) Lassen Sie mich nun zum Schluß noch einiges zu Ihrem Antrag sagen. Sie verlangen eine Änderung des Verteilungsschlüssels. Dieser Verteilungsschlüssel, Herr Warnke, sieht vor, daß diejenigen begünstigt werden, die damals, im Zeitpunkt der Verabschiedung der Gesetze, die dem Bundestag vorlagen - und die sind einstimmig verabschiedet worden, auch mit den Stimmen der CDU/CSU -, in Frage kamen. Dieser Verteilungsschlüssel ist damals auf die Fakten gegründet worden, die bekannt waren, nämlich auf die Fakten des Zeitraums September bis November. Inzwischen mag sich einiges geändert haben, und dies hat sich sicher geändert. Nur, was ist die Konsequenz? Sie sagen: Änderung des Verteilungsschlüssels. Was heißt das auf Deutsch - und dies muß dann ausgesprochen werden -? Es heißt, anderen jetzt etwas wegnehmen von dem, womit sie fest gerechnet haben. Das ist Ihre Absicht, und das muß man dann auch deutlich sagen. Das andere ist, daß Sie natürlich auch die Technik des Apparates sehen müssen und daß Sie sich wohl die Frage gefallen lassen müssen: Wie soll dies zuwege gebracht werden? Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob nicht in manchen Bereichen jetzt Bundeshilfen erwartet werden, nachdem eigene Landesregierungen hier absolutes Fehlverhalten gezeigt haben und die Folge - z. B. diese 19 % Arbeitslosen in Passau oder die 30 % Jugendarbeitslosen in Pirmasens - eigentlich den Landesregierungen anheimfällt. Bitte, wir sind offen für eine Beratung im Ausschuß; wir wollen dies Haase ({1}) alles genau prüfen. Nur, Sie müssen wissen, es geht hier nicht nur um die Frage, daß man zugunsten anderer denen etwas wegnimmt, die jetzt damit fest rechnen. Das ist eine Frage, die man sehen muß. Und wir werden überlegen müssen, wie - wenn überhaupt hier Lösungen gefunden werden können. Ihr Vorschlag jedenfalls, den Sie hier vorgelegt haben, ist sicher so, wie er da liegt, keine besonders gute Lösung. Lassen Sie mich nun schließen, um auch dem Drängen, dem Unruhigwerden der Opposition nachzukommen, die nun, nachdem sie einen ganzen Tag für diese Debatte Zeit gehabt hat, ({2}) an dieser letzten Minute sparen will. - Ich weiß, das ist unangenehm, was ich jetzt gesagt habe, ({3}) aber, Herr von Bismarck, diese zwei Minuten werden Sie dann auch noch zulegen können. ({4}) - Wir können es ja einmal an dem messen, was Ihre Redner vorher so lichtvoll ausgeführt haben. Lassen Sie mich abschließend und wohl auch zum Abschluß der Debatte, die auch von Sozialdemokraten mit bestimmt worden ist, sagen: Wir meinen, daß das, was die Bundesregierung hier vorgetragen und auch im Wirtschaftsbericht vorgelegt hat, und das, was an Erklärungen hinzugefügt worden ist, einen befriedigenden Ausblick gibt, auch wenn Sie immer wieder versucht haben, diesen Ausblick zu vernebeln, und zwar befriedigend in vier Punkten: hohe Devisenreserven, geringe Preissteigerungsraten, keine sozialen Erschütterungen im Lande und ein starkes Ankurbelungsprogramm der Bundesregierung. Dieses gibt auch in den nächsten Monaten eine echte Chance für eine gute Zukunft. ({5})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Bundesminister Friderichs.

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen, meine Herren! Ich möchte mich zunächst dafür bedanken, daß der Deutsche Bundestag den wirtschaftspolitischen Fragen eine überaus lange Zeit zur Diskussion gewidmet und auch eine Reihe von Tatbeständen angesprochen hat, die im Jahreswirtschaftsbericht - wie könnte es anders sein? kürzer wegkommen, als es ihnen eigentlich gebührt. Denn bei dem Versuch, den Bericht auf eine bestimmte Länge zu bringen, ist es notwendig - ich habe dies heute morgen in meiner Einbringungsrede auch bewußt getan - bestimmte Teile, wie beispielsweise die Energiepolitik, wegzulassen oder nur zu streifen. Denn wollte man sie wirklich darlegen - das gilt auch für die Rohstoffpolitik , bedürfte dies sicher eines eigenen Berichts und auf die Dauer gewiß auch einer eigenen Diskussion. Was ich ein wenig bedaure - bitte, verstehen Sie dies nicht falsch -, ist daß eigentlich der größte Teil der relevanten Fragen erst am späten Nachmittag aufgekommen ist. ({0}) Ich denke, wenn ich nur die Opposition nennen darf, an die Rede von Herrn Narjes, der sehr viel mehr Fragen aufgeworfen hat als beispielsweise der sogenannte Spitzenredner heute morgen, der im wesentlichen mit Polemik den Versuch gemacht hat, die Lage zu umschreiben. ({1}) Ich bedaure dies, weil sich gerade bei einem Teil Ihrer Ausführungen, Herr Dr. Narjes, zu denen ich noch einige Bemerkungen machen möchte, eine Diskussion weiß Gott lohnen würde, weil sie im Verlauf des Tages zu kurz gekommen sind. Herr Warnke, zur Mobilitätszulage möchte ich, damit nicht auch noch der Arbeitsminister, der zuständig ist, zu dieser Stunde das Wort ergreifen muß, sehr klar sagen: Den Vorwurf einer regionalen Streuung nach parteipolitischen Gesichtspunkten weist die Bundesregierung zurück. Sie wissen sehr genau, daß die Kriterien auf der Basis einer bestimmten Referenzperiode festgelegt worden sind und daß die sich dadurch ergebenden Schichtungen auf der Landkarte einfach auf der damaligen Situation in bezug auf die Arbeitslosigkeit beruht haben. Ich möchte allerdings hinzufügen, daß offensichtlich Mobilitätszulage und Lohnzuschuß so schlecht, wie sie ursprünglich gemacht worden sind, nicht sein können; denn sonst wäre ja wohl das Drängeln, dies auf andere Gebiete auszuweiten, nicht so groß. ({2}) Ich möchte ebenfalls nur sehr kurz auf die Frage der Textilkontingente eingehen, die im Rahmen der Mittelstandspolitik eine Rolle gespielt haben, und zwar deswegen, weil ich weiß, daß diese Frage immer wieder angesprochen und leider sehr häufig einer nicht ganz sachlichen Diskussion zugeführt wird. Der Gesamtumsatz bei Textilien in der Bundesrepublik beträgt rund 44 Milliarden DM. Davon entfielen auf die Einfuhr 1973 12,5 Milliarden DM. - Für 1974 habe ich nur die Zahlen vom ersten Halbjahr. Hier zeigen sich aber keine wesentlichen Veränderungen. - Aus den Staatshandelsländern beziehen wir für 700 Millionen DM Textilien. Das sind 5,6 % insgesamt. Von diesen 5,6 % oder 700 Millionen DM entfällt noch einmal die Hälfte auf sogenannte passive Lohnveredelung, an der die deutschen Unternehmen ein unmittelbares und direktes Interesse haben. Ich möchte das nur einmal klarstellen. Trotzdem wird, da die Ostpolitik immer wieder damit in Zusammenhang gebracht wird, so getan, als ob wir dies alles nicht allein wegen eines läppischen Importanteils von rund 2,5 % täten. van Delden ({3}) : Herr Minister, würden Sie mir zugeben, daß nicht allein die absolute Summe der Einfuhr ausschlaggebend ist, sondern daß der Schneeballeffekt einer Niedrigpreis-Offerte schon verheerende Wirkungen haben kann?

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Ich bin Ihnen für die Frage dankbar, wäre aber sonst selbst auf dieses Thema gekommen. Ich weiß, daß man aus Globalzahlen nicht unbedingt auf den tatsächlichen strukturellen Effekt schließen kann. Das war der Grund für die Einführung des Preisprüfungsverfahrens. Ich weiß aus einer Reihe von Gesprächen mit der Textilwirtschaft, daß Unzufriedenheit über das Tempo der Verfahren und die Ausgestaltung besteht; wir sind hier in der Diskussion. Nur, ich wollte deutlich machen, daß es nicht eine Dimension hat, wie sie draußen leider häufig dargestellt wird. Ich möchte allerdings hinzufügen, Herr Warnke, daß jede Medaille ja zwei Seiten hat. Wenn ich in Ungarn oder in Polen bin, dann sagen mir letztere z. B.: Ihr exportiert sogar noch mehr Textilien zu uns, als wir zu euch exportieren. Das ist bei einem Teil der Staatshandelsländer der Fall. Andere aber sagen: Guckt Euch mal - weil's modern ist, lasse ich jetzt einmal die Staatshandelsländer weg - die Gesamtbilanz an. Der Volksrepublik China - sie ist ja übrigens zu einem begehrten Reiseland geworden - haben wir meines Wissens - ich bin jetzt auf mein Gedächtnis angewiesen - im letzten Jahr ein Kontingent von 60 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Die Volksrepublik China hat allein in den ersten acht oder neun Monaten Aufträge in die Bundesrepublik Deutschland für Maschinen und Ausrüstungsinvestitionsgüter von 750 Millionen DM gegeben. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn diese Länder eines Tages sagen: Wenn Ihr uns für unsere Produkte - wir haben nun einmal nichts anderes zum Exportieren - Euren Markt verschließt, dann dürft Ihr Euch nicht wundern, wenn wir unsere Aufträge dorthin vergeben, wo wir auf offene Märkte stoßen. Man muß also beide Seiten der Medaille sehen. Ich verkenne die Probleme der Textilwirtschaft nicht, möchte aber auch einmal deutlich sagen, Herr Warnke: Warum eigentlich dieses dauernde Jammern? Warum sagen wir nicht einmal, daß die deutsche Textilindustrie in ihrem Produktivitätszuwachs in den letzten Jahren über dem Durchschnitt der deutschen Industrie gelegen hat? Warum immer jammern, jammern: Ach, wie schlecht? ({0}) Das zeigt doch, daß wir recht hatten, wenn wir sagten, lohnintensive Fertigungen von Einfachprodukten - und nicht, weil Herr Bahr das mit Regierungsdekret will, sondern weil das marktwirtschaftlich ist - werden eben auf Dauer in Länder abwandern, in denen sie besser möglich sind. Wie anders sollen denn die Zahlungsbilanzen anderer Länder ausgeglichen und damit ein freier Welthandel aufrechterhalten werden können? Wir werden das hier substituieren durch kapitalintensive Produktionen bei einfachen Produkten und - worauf ich viel mehr Wert lege - durch Ausweitung dei' Produktion technisch-wissenschaftlich hochwertiger Produkte, auch dann, wenn sie einen hohen Lohnkostenanteil haben, weil dies nämlich unserem hiesigen Bildungsniveau entspricht und wir dann in der Lage sind, auch auf dem Weltmarkt den dafür erforderlichen Preis zu erzielen. Was den Mittelstand angeht: Ich hoffe, daß wir auf der Basis der Prognos-Studie und unserer Auswertung endlich einmal eine rationale Mittelstandsdiskussion bekommen. Niemand verkennt, daß es für die Mittleren und Kleineren im letzten Jahr schwieriger war, sich zu finanzieren, als für manche Große, insbesondere als für die Multinationalen - ob deutscher oder sonstiger Herkunft. Aber es ist auch nicht richtig, so zu tun, als ob die letzten zwei Jahre den Mittelstand insgesamt so hart getroffen hätten. Fragen Sie doch die Unternehmer! Es ist branchenmäßig verschieden. Es ist ganz verschieden, ob sie Zulieferanten oder Produzenten von Investitionsgütern waren. Da gibt es doch z. B. Mittelständler, die Werkzeugmaschinen machen, die im Maschinenbau, die in der Elektronik engagiert sind und die in den letzten zwei Jahren hervorragende Geschäfte getätigt haben, auch in Staatshandelsländern, auch in anderen. Ich will nur auf eines hinaus: Wollen wir auch dieses Thema, das sich so wunderbar emotional diskutieren läßt, auf der Basis von Prognos - bei allen Vorbehalten gegen jede Prognose - diskutieren, und zwar mit dem Ziel, daß wir eine Vielzahl unterschiedlicher Unternehmensgrößenstrukturen brauchen, wenn wir ein freiheitliches Wettbewerbssystem behalten wollen. Ich glaube, darin sind wir uns ja wohl einig. Ihren Vorwurf, daß der ERP-Plan nicht hätte ausreichend beraten werden können, habe ich nicht verstanden. Es ist doch wohl Sache des Ausschusses selbst, den Plan zu beraten. Ich selbst habe schon in der letzten Debatte darauf hingewiesen, daß wir dabei seien, den ERP-Plan zu überprüfen und umzuschichten mit dem Ziel, das Sie in etwa umschrieben haben. Ich möchte mich nicht auf Darlehen zur Existenzgründung festlegen, sondern man muß sehen, wo die Dinge wirklich drücken. Das werden wir auf der Basis des Prognos-Berichts sicher eher feststellen können. Zu Herrn Dr. Köhler möchte ich nur sagen: Erstens bedanke ich mich für die mitgebrachte Kohle. Aber die hätte heute nichts genutzt; die Krankheit ist anderer Natur. Also, Kohle hilft da nicht. Aber lassen Sie mich nach dieser Bemerkung folgendes sagen. Ich teile Ihre Meinung bezüglich der begrenzten Freigabe von Einfuhren von Kokskohle. Aber auch hier ist der zweite Satz zu sagen. Dazu gehört auch, daß die deutsche Stahlindustrie, die bei der Gründung der Ruhrkohle und allen Folgeverträgen nicht gerade schlecht weggekommen ist - ich drücke mich da sehr vorsichtig und sehr zurückhaltend aus -, bereit ist, den Hüttenvertrag in eine zeitgemäße Form umzugießen; denn indirekte Methoden wollen wir ja nicht einführen. Ich hoffe, daß das gelingt. Zu der Frage home made oder nicht: Damit da keine Geschichtsklitterung erfolgt, will ich zitieren, was ich gesagt habe. Ich habe damals gesagt: Er - Emminger meinte kürzlich, in einem Vortrag darstellen zu sollen, daß man im Augenblick - das war am 19. September 1974 sagen könne, das sei etwa halbe, halbe. Ich füge hinzu: Wenn Sie das bei 7 % rechnen und sich in der Welt umschauen, dann stehen wir zwar nicht zufrieden da, aber unstreitig besser als alle anderen miteinander. Dem Bundestagsprotokoll zu entnehmen. Lassen Sie mich wegen der fortgeschrittenen Zeit nur noch auf einige wenige Punkte eingehen. Herr Dr. Narjes, Sie glauben, daß wir die Risiken, die von außen auf uns zukommen können, im Jahreswirtschaftsbericht nicht hoch genug bewertet hätten. Ich muß Ihnen offen sagen: Diese Risiken sind nicht quantifizierbar. Wir haben eine lange Diskussion im Ministerium und im Kabinett gehabt: Wie setzen wir Export, Import, wie setzen wir Außenbeitrag ein? Risiken à la Nahostkonflikt sind nicht im voraus festzulegen, weder dem Termin oder der Menge nach, noch hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Terms of trade und ähnliches. Wir waren der Meinung: Wenn die OECD sagt, der Welthandel wächst insgesamt real um 4 %, dann wäre es bescheiden anzunehmen - und nur das haben wir unterstellt -, daß der deutsche Export in diesem Umfang auch wächst, weil die Struktur unseres Exports eher dazu geeignet ist, stärker zu wachsen als der Durchschnitt des Welthandels. Das hat sich im letzten Jahr auch gezeigt. Davon sind wir ausgegangen. Es kann sein - und da sehen Sie die Risiken -, daß die OECD ihre Prognose in den nächsten Tagen - wenn, dann - leicht nach unten korrigieren kann. Wir haben natürlich diskutiert: Sollen wir auch nach unten korrigieren? Aber wir sind der Meinung, daß das ohnehin alles voraussetzt, daß die anderen tatsächlich Stabilitätspolitik machen. Je weniger sie es tun, desto größer wird die Nachfrage nach deutschen Gütern sein, weil sie ganz einfach vom Liefertermin, Preis und von all den Dingen her einen Vorsprung haben. Zweite Bemerkung: Wir haben eine Steigerung der Einfuhr um real 6 % unterstellt. Nur ergibt sich dann im Wertmäßigen ein anderes Bild, weil wir eben glauben, daß die Preise für Exportgüter stärker steigen werden als die Preise für Importgüter. Ich wäre bereit, eine Wette einzugehen, daß wir auch in diesem Jahr einen Außenhandelsüberschuß von 50 Milliarden DM erzielen werden; ob wir es wollen oder nicht, hätte ich beinahe gesagt. Wir sollten es uns bei der Diskussion dieser Frage doch nicht so leichtmachen. Niemand will im Augenblick den Export kappen zu Lasten der Beschäftigungslage hier. Aber wir sollten unter Wirtschaftspolitikern doch auch bereit sein zu sagen, daß wir auf Dauer eine solche Verwendungsstruktur des Sozialprodukts in diesem extremen Ausmaß nicht haben wollen - und uns auch nicht leisten können -, ohne irgendwann von der Welt zur Kasse gebeten zu werden. Das will ich damit sagen, und ich glaube, wir sind uns in diesem Bemühen einig. Seien wir ehrlich, daß wir in den 60er Jahren - ich will gar nicht prüfen, wer mit wem regiert hat; ich glaube, es waren alle beteiligt, jedenfalls im wesentlichen - durch nicht realistische Wechselkurse einen Teil dieser Verwendungsstruktur leider mit produziert haben. Und seien wir ehrlich, daß ein Teil des Problems des größten deutschen Automobilunternehmens - ich meine seinen US-Markt - nicht gekommen wäre, wenn man nicht unter dem Vorhang oder unter der Subvention - wie auch immer Sie das ausdrücken wollen - falscher Wechselkurse in einem Ausmaß auf diesen Markt exportiert hätte, wie es nun plötzlich, bei realistischen Wechselkursen und bei einem vergleichbaren Kostenniveau, einfach nicht mehr darstellbar ist. Die Dinge aus der Vergangenheit sollten wir nicht vertuschen. Wir sollten sie offen ansprechen. ({1}) Ich will zur Investitionszulage hier nicht mehr viel sagen. Wir kennen die Argumente, sie sei zu undifferenziert. Ich weiß, daß wir hier bei der Einführung darüber diskutiert haben, man hätte sie begrenzen sollen. Ich will zur Begrenzung etwas sagen. Wenn es sich bei der Investitionszulage um eine strukturpolitische Maßnahme von Dauerwirkung gehandelt hätte, wäre ich nie bereit gewesen, sie so einzuführen. Wenn es aber darum geht, in sechs bis sieben Monaten einen konjunkturellen Impuls auszulösen, dann muß man im Grunde genommen an jeder Investition interessiert sein. Lassen Sie mich es einfach sagen: Wenn sich Mannesmann entschließt, ein Großröhrenwerk zu bauen, kassieren die natürlich die Investitionszulage; aber wollen wir doch nicht so tun, als ob daraus nicht eine Fülle von Aufträgen auch an mittelständische Maschinenfabrikanten, Elektrobetriebe etc. ausgingen! Das war die Überlegung. Ich habe den Eindruck, daß anders als viele Verbände die Finanzvorstände der Unternehmen sehr wohl rechnen können. Ich habe dieser Tage mit einem renommierten Automobilunternehmen - nicht Daimler-Benz - gesprochen. Ich habe gehört, wie sich die Aufträge im Januar bei den Fahrzeugtypen entwickelt haben, die investitionszulageverdächtig sind. Daran zeigt sich, daß die Wirkung sehr wohl eintritt. Nun zu Europa. Dies wird sicherlich Gegenstand einer gesonderten Debatte sein müssen. Daß wir hier Sorgen haben, ist unbestritten. Herr Dr. Narjes, um eines bitte ich: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß in erster Linie wir und die Amerikaner in der Energieagentur getrieben und konstruktive Vorschläge gemacht haben. Ich will kein Hehl daraus machen, daß dem wegen völlig unterschiedlicher Interessen ein ungeheuer schwieriger Abstimmungsprozeß in10380 nerhalb der Europäischen Gemeinschaft gegenübersteht. Die Engländer glauben sich schon als Scheich des Jahres 1985 und OPEC-Land - wenn ich das etwas salopp formulieren darf -, die Franzosen haben eine andere Grundauffassung - bis jetzt - von Energiepolitik. Aber ich höre aus Amerika - Graf Lambsdorff hat es mir noch einmal bestätigt -, daß das Zusammenspiel des Amerikaners Anderson mit meinem Staatssekretär Rohwedder offensichtlich sehr hervorragend sei, daß die Amerikaner jedenfalls von der Zusammenarbeit in dieser Agentur bis jetzt sehr angetan seien. Ich will dazu sagen: Bei dem Problem der Absicherung von Ersatzenergieinvestitionen tut sich der Wirtschaftsminister wahnsinnig schwer. Denn wenn Sie als garantierten Mindestpreis zur Abschottung nach draußen einen Floor-Preis festsetzen von meinetwegen 9 Dollar - das ist die Vorstellung von Herrn Kissinger, irgendwo in der Richtung -, dann machen wir dort im Grunde genommen das, was wir in Europa mit den Marktordnungen machen: wir stabilisieren das Preisniveau von unten. Daran habe ich eigentlich kein Interesse. Das sage ich ganz offen. Auf der anderen Seite weiß ich: wir brauchen einen Mechanismus. Sehen Sie sich aber den Preis einmal in der Höhe an, in der wir ihn in Paris diskutiert haben - sehr viel tiefer! Was machen Sie dann mit denjenigen Ersatzinvestitionen, die in der Rentabilität dazwischen liegen? Ich persönlich glaube - auch ordnungspolitisch -, daß wir am Ende dahin kommen müssen, daß wir uns den konkreten Investitionen zuzuwenden und zu prüfen haben, mit welcher Methode wir die konkrete Investition gegen mögliches Öl-Dumping absichern können. Denn ich habe auch kein Interesse daran, hier einen geheimen Subventionsmechanismus oder aber ein Ölpreissystem von den Verbraucherländern her einzuführen, das von den Erzeugerländern lächelnd aufgegriffen wird mit der Begründung: Ist ja herrlich, so bestätigt ihr endlich, daß das alte Preisniveau viel zu tief war; nun habt ihr den Mindestpreis, und darüber wollen wir jetzt einmal reden. Das Schlimmste, was uns nach meiner Meinung passieren könnte, wäre ein hoher Floor-Preis - ich habe ihn soeben in etwa genannt - und wenn die Erzeugerländer womöglich noch sagten: wir kommen euch ja entgegen, wir senken also jetzt von 10,50 Dollar pro Barrel auf meinetwegen 9 Dollar und wir indexieren. Eine Indexierung des Ölpreises, meine Damen und Herren, angesichts unserer Preissteigerungsrate und der der anderen wäre ein von außen eingebauter Inflationsmotor für unsere eigene Volkswirtschaft. ({2}) Um diese Dinge geht es. Ich kann hier keine Patentrezepte auf den Tisch legen, aber Sie sehen bitte, woran wir sind. Es gibt Dinge, die auch Zeit brauchen. Ich bin überzeugt davon: Wenn ich mich im Dezember hätte entscheiden müssen in der Frage der Behandlung von Auslandsinvestitionen, hätte ich mir eine andere Meinung gebildet, als ich sie mir in der vergangenen Woche gebildet habe und mit der jetzt meine Mitarbeiter in die Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung eingetreten sind. In der Zwischenzeit haben wir aber auch etwas getan. Ich halte den Aufschluß des Hambacher Forstes hier bei Köln mit doch immerhin nicht unerheblicher staatlicher Unterstützung - auf Grund von steuerlichen Maßnahmen - für einen typischen Fall einer gigantischen Ersatzenergieinvestition, und zwar sogar auf rentabler Grundlage. Es wäre eben falsch, eine solche Investition, die schon aus sich heraus rentabel ist, noch einmal in den Mechanismus mit einzubeziehen, wenn das das Preisniveau dieses Kostenträgers nach oben schiebt. Gas aus Persien durch die UdSSR: Ich kann dazu nur sagen, daß der Schah mir am 5. Oktober 1973, also an dem Tag, an dem der Konflikt im Nahen Osten ausbrach, eine bestimmte Gasmenge für Europa offeriert hat, die sehr viel größer ist, und unmißverständlich gesagt hat, er wünsche, daß ein bestimmter Teil dieses Gases - allerdings auch nur ein bestimmter - in einem Verbundsystem durch die Sowjetunion nach Europa komme - er, nicht ich -, weil er damit eine ganz bestimmte, auch politische Philosophie verbunden hat. Angesichts der angepeilten Menge und der verbleibenden Restmenge, die zur Diskussion stand, hielt ich dies für vertretbar, weil wir auch damit unsere Abhängigkeit von nur einem Land oder durch ein Land verringern könnten. Die Durchleitung durch ein Land ist in ihrem Sicherheitsrisiko nicht wesentlich anders zu bewerten als der Bezug. Strom für Berlin: Sie sagen, nur eine Versorgung in Berlin ist sicher. Meine Damen und Herren, wer muß es dann bezahlen? Die insulare Lage Berlins verursacht notwendigerweise Stromkosten, die wesentlich höher sind als die Stromkosten in der Bundesrepublik Deutschland. Auf der anderen Seite müssen wir nach Berlin auch weiterhin Industrien mit Arbeitsplätzen bringen, und gerade für hochveredelnde Industrien bedeutet der Strom entscheidende Kosten. Ich glaube auch nicht, daß man damit alles sichern kann. Ich habe dem Regierenden Bürgermeister gesagt - und der Berliner Senat tut dies -: Macht beides; plant in Berlin bis zur letzten Perfektion den Standort für ein eigenes Kraftwerk, aber laßt uns getrost parallel mit den Sowjets verhandeln. Denn wenn es gelingt, West-Berlin über die Frage des Atomkraftwerks und der Leitung unmittelbar ohne Zwischenstation an das Verbundnetz Westeuropas anzuschließen mit der Folge, daß bei einem Defizit auf der anderen Seite der Strom automatisch auch in die andere Richtung fließt - deswegen waren doch die Verhandlungen in Moskau schwierig, nicht wegen der Lieferung des Stroms nach West-Berlin, das hätten wir in fünf Minuten unterschreiben können; nein, wegen der Frage des ungehinderten Rückflusses des Stroms -, bedeutete dies nach meiner Meinung eine zusätzliche Sicherheit für Berlin, die wir dringend brauchen, um die Existenz dieser Stadt auch auf Dauer sicherzustellen. Ich will zur Rohstoffpolitik heute und hier nichts sagen. Ich hoffe, daß wir im März, spätestens im April, mit dem Konzept der beteiligten Ressorts ins Kabinett gehen können und dann in der Lage sind, auch dieses Haus damit zu befassen. Auch hier gibt es nicht nur Finanzprobleme - die Frage des Kollegen Finanzminister „Was kostet das?" -, sondern auch gravierende ordnungspolitische Probleme: Was macht der Staat, was macht die private Wirtschaft? Welche Rohstoffe beziehe ich in ein solches System ein? Ich hatte es mir ursprünglich auch ein wenig einfacher vorgestellt, insbesondere dann, wenn man gleichzeitig beachten muß, daß die Kosten dafür - mindestens derzeit - kaum vom Bund oder jedenfalls nicht in nennenswerter Höhe, in welcher Form auch immer, getragen werden können. Damit möchte ich einige Schlußbemerkungen machen. Zunächst möchte ich mich für die Debatte bedanken. Lassen Sie mich nur noch kurz auf den heutigen Vormittag, auf den ersten Redner der Opposition zurückkommen, der sich über einige volkswirtschaftliche Fragen ausgelassen hat. Ich wollte ihm nur sagen - er ist leider nicht mehr da : Mit dem Friseur, das -war falsch. ({3}) - Herr Kollege Narjes, es ist völlig gleichgültig, ob ihm der Friseur dieses Jahr mehr oder weniger Haare abschneidet, die Koteletten länger wachsen läßt oder nicht zum höheren Preis -, es geht in jedem Fall der geforderte Preis in voller Höhe unmittelbar ins Sozialprodukt ein. So ist das nun einmal bei Dienstleistungen. Deswegen war das, was er sagte, der alte Preis wäre real, der neue nominal, schlicht und einfach volkswirtschaftlich falsch. Im Hinblick darauf, daß Herr Warnke hier noch ein kleines Lied mit angeführt hat, möchte ich mir erlauben, mit Genehmigung der Frau Präsidentin ({4}) - Sie sehen, wozu man im Jahr der Frau fähig ist mit einem Teil aus einer Wahlrede zu schließen, die in meinem Wohnort Mainz vom Präsidenten des Karnevalklubs Kastel gehalten worden ist, wobei man betonen muß, daß Rolf Braun, den Sie alle aus dem Fernsehen kennen, im Hauptberuf Beschäftigter der Staatskanzlei in Mainz für die Öffentlichkeitsarbeit von Herrn Kohl ist, und er sagte dort im Schluß: Bevor der Tag zu Ende geht, sprech ich das Bonner Nachtgebet: Komm, lieber Herr, schütz dieses Haus, und schütz auch den Franz Josef Strauß. Laß ihm soi Weißworscht und soi Bier, laß ihm das Genick von einem Stier, laß ihm Gesundheit bis ans Ende, laß ihm soi Wähler und Prozente, laß ihn noch viele Siege feiern, aber laß ihn auch in Bayern. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, daß keine Präsidentin mehr hinter Ihnen saß, haben Sie gemerkt; ich darf Sie darauf hinweisen, daß der Aschermittwoch schon vorüber ist. Meine Damen und Herren, wünscht noch jemand das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Punkte 4 a) und b) an den Wirtschaftsausschuß -federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend zu überweisen, außerdem den Zusatzpunkt c) an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes - Drucksache 7/2468 Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}) - Drucksache 7/3219 Berichterstatter: Abgeordneter Egert ({1}) Ich danke dem Abgeordneten Egert für seinen schriftlichen Bericht und rufe in zweiter Leisung die Art. 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift, auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Ich komme zur dritten Beratung. In der allgemeinen Aussprache wird das Wort nicht begehrt. Wer dem Gesetzentwurf im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen. Der Ausschuß schlägt Ihnen vor, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Eingaben für erledigt zu erklären. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1970 über den bezahlten Jahresurlaub ({2}) - Drucksache 7/2394 Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3}) - Drucksache 7/3174 Berichterstatter: Abgeordneter Bredl ({4}) Ich danke dem Abgeordneten Bredl fur seinen schriftlichen Bericht und rufe in zweiter Lesung die Vizepräsident Dr. Jaeger Art. 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift, auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, da das Wort auch zu einer allgemeinen Aussprache nicht mehr gewünscht wird, kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. -- Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - Drucksache 7/3100 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({5}) Innenausschuß Rechtsausschuß Wird eine Begründung durch Herrn Bundesminitser Arendt gegeben? - Bitte sehr!

Walter Arendt (Minister:in)

Politiker ID: 11000044

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Bundesregierung lege ich Ihnen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vor. Der Titel dieses Gesetzentwurfs entspricht der üblichen Form, läßt aber die Bedeutung dieses Gesetzentwurfs nicht ohne weiteres erkennen. Deshalb möchte ich gleich eingangs betonen, daß die Bundesregierung der mit diesem Entwurf vorgeschlagenen Neuregelung große Bedeutung beimißt. Es geht hier um die verstärkte Bekämpfung der illegalen Ausländerbeschäftigung. Die Gesetzesvorlage ist ein wichtiges Teilstück des Programms der Bundesregierung zur Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung. Die illegale Beschäftigung der ausländischen Arbeitnehmer belastet schon seit jeher den Arbeitsmarkt, und ich übertreibe wohl kaum, wenn ich sie als ein Schandmal unseres Arbeitsmarktes bezeichne. Diese Auffassung wird von allen Verantwortlichen geteilt. Trotzdem ist es bisher nicht gelungen, die illegale Beschäftigung von Ausländern zu unterbinden. Immer wieder finden sich Arbeitgeber, die Ausländer illegal beschäftigen, und vor allem finden sich skrupellose Geschäftemacher, die die Zwangslage der Illegalen ausnutzen. Immer wieder werden diese Praktiken als moderner Menschenhandel und als Ausbeutung gebrandmarkt. Diesen rechtswidrigen und menschenunwürdigen Praktiken wollen wir einen Riegel vorschieben. Deshalb wollen wir die illegale Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern mit aller Härte bekämpfen. Wir handeln damit sowohl im Interesse der betroffenen ausländischen Arbeitnehmer als auch im Sinne der angestrebten Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht folgende Strafvorschriften vor. Erstens. Wer ohne vorherige Genehmigung und Zustimmung der Bundesanstalt für Arbeit ausländische Arbeitnenhmer anwirbt oder vermittelt, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bedroht. Bei besonders schweren Verstößen ist eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen. Als besonders schwerer Verstoß gilt, wenn der Täter gewerbsmäßig oder aus grobem Eigennutz handelt. Zweitens. Dieses Strafmaß ist auch vorgesehen für unberechtigte Überlassung ausländischer Arbeitnehmer, die keine Arbeitserlaubnis haben, durch einen Verleiher. Die Strafandrohung soll damit gegenüber dem geltenden Recht erheblich verstärkt werden. Nach bisherigem Recht sind Verstöße gegen die unberechtigte Anwerbung, Vermittlung oder Überlassung von Arbeitnehmern nur mit einer Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr bedroht. Drittens. Auch die Strafandrohungen für Arbeitgeber, die ausländische Arbeitnehmer ohne Arbeitserlaubnis illegal beschäftigen, sollen erheblich verschärft werden. Bisher ist die vorsätzliche oder fahrlässige Beschäftigung eines Arbeitnehmers ohne Arbeitserlaubnis mit einer Geldbuße bis zu 50 000 DM bedroht. Diese Bußgeldvorschrift soll durch folgende Strafvorschriften ergänzt werden: Die Beschäftigung eines nichtdeutschen Arbeitnehmers ohne Arbeitserlaubnis zu Arbeitsbedingungen, die in einem auffälligen Mißverhältnis zu den Arbeitsbedingungen anderer vergleichbarer Beschäftigungen stehen, soll mit einer Freiheitsstraße bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden. In besonders schweren Fällen ist eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen. Auch hier gilt als besonders schwerer Fall, wenn der Arbeitgeber gewerbsmäßig oder aus grobem Eigennutz handelt. Das ist der wesentliche Inhalt des Gesetzentwurfs, den ich Ihnen hier vorlege. Die Bundesregierung hofft, daß diese verschärften Strafandrohungen entscheidend dazu beitragen, die illegale Ausländerbeschäftigung zu unterbinden. Damit wird zugleich ein Beitrag zur Entlastung unseres Arbeitsmarktes geleistet. Arbeitsplätze, die jetzt illegal mit Ausländern besetzt sind, werden für deutsche Arbeitnehmer oder auch für ausländische Arbeitnehmer frei, die sich legal bei uns aufhalten. Wir wissen nicht, wie viele Arbeitsplätze das sind, da es über das Ausmaß der illegalen Ausländerbeschäftigung nur grobe Schätzungen gibt. Aber in der gegenwärtigen Situation ist jeder neu gewonnene Arbeitsplatz von großem Gewicht. Bei der Arbeitsvermittlung haben deutsche Arbeitslose und ihnen gleichgestellte Ausländer absoluten Vorrang. Dieser Grundsatz ist im Arbeitsförderungsgesetz verankert. Die Arbeitsverwaltung handelt dementsprechend. Diese Bemühungen können aber durch die illegale Beschäftigung von Ausländern unterlaufen werden. Noch ein weiteres! Sie wissen, daß wir schon im November 1973 einen Anwerbestopp für ausländiBundesminister Arendt sehe Arbeitnehmer aus den sogenannten Drittländern verfügt haben. Dieser Stopp hat sich bewährt. Wir werden ihn auch weiterhin beibehalten. Er verhindert, daß die Lage auf unserem Arbeitsmarkt durch die Anwerbung neuer ausländischer Arbeitnehmer zusätzlich erschwert wird. Aber auch hier besteht die Gefahr der illegalen Zuwanderung, so lange sich noch Arbeitgeber oder Verleiher finden, die illegal Eingereiste beschäftigen. Die verschärfte Bekämpfung der illegalen Ausländerbeschäftigung ist daher unter verschiedenen Gesichtspunkten von erheblicher Bedeutung. Ich möchte Sie deshalb im Namen der Bundesregierung herzlich bitten, den Gesetzenwurf zügig zu beraten, damit die neuen Strafvorschriften möglichst bald in der Praxis zur Anwendung kommen können. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Der Antrag ist von der Bundesregierung begründet. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).

Adolf Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß der Zugang ausländischer Arbeitnehmer zum deutschen Arbeitsmarkt eines geregelten Verfahrens bedarf. Wir haben das mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz am 7. August 1972 gemeinsam versucht, und wir müssen jetzt feststellen, daß die Bestimmungen offensichtlich doch nicht zu dem Erfolg geführt haben, den wir uns damals vorgestellt haben. Sie haben uns am 9. Juli des vergangenen Jahres einen Bericht vorgelegt, der auf einem Erfahrungsbericht der Bundesanstalt für Arbeit basiert. Ich darf hier zunächst einmal sagen: Wir werden für die zügige Beratung des jetzt vorgelegten Gesetzentwurfs sein. Wir sind aber der Meinung, daß dieser von Ihnen vorgelegte Bericht dann auch noch mit diskutiert werden und vielleicht auch einige Anregungen bringen sollte, weil die für notwendig gehaltenen Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Arbeitsmarktes hier doch nur unvollkommen aufgegriffen worden sind. Ich meine, gerade dieses Problem ist sowohl für den Arbeitsmarkt als auch für die betroffenen ausländischen Arbeitnehmer selbst von Bedeutung. Denn wir wissen zu genau, daß bei den illegal Beschäftigten in aller Regel die Sozialversicherungsbeiträge, aber auch für den Staat die Steuern nicht abgeführt werden. Das ist insbesondere bei der angespannten Lage der Finanzen der Sozialversicherungsträger, aber vor allen Dingen für die betroffenen ausländischen Arbeitnehmer selbst von Bedeutung, und zwar von einer sehr negativen Bedeutung. Von daher werden wir den Bestimmungen dieses Gesetzentwurfs sicherlich zustimmen. Aber wir werden in der Beratung auch die Frage aufwerfen, wie sich die Beziehungen des Leiharbeitnehmers zum Entleiher eigentlich entwickelt haben. Wie sieht das in den verschiedenen Arbeitsverhältnissen im Betrieb konkret aus? Können wir da nicht auch noch etwas positiv ändern? All das sind Fragen, die wir dabei sicherlich geklärt wissen wollen. Die Bundesregierung hat in der Zielsetzung zum Gesetzentwurf gesagt: Der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer kommt im Rahmen der von der Bundesregierung verfolgten Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung große Bedeutung zu. In einer Pressemitteilung der Bundesanstalt für Arbeit ist davon die Rede, daß Ende September 1974 die Zahl der in der Bundesrepublik beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer etwa 2,35 Millionen beträgt. Das ist ein Rückgang gegenüber September 1973 um 245 000 = 9,4 %. Es sind dann dort die Zahlen aufgeführt, wie sich das nach den Nationalitäten aufsplittert. Ich schenke mir, das jetzt hier im einzelnen vorzutragen. Aber wir werden, wenn die Frage der Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung auch unabhängig von der illegalen Beschäftigung der ausländischen Arbeitnehmer betrachtet wird, auch einmal die Frage aufwerfen: Wieviel ausländische Arbeitnehmer wird die Wirtschaft innerhalb der Bundesrepublik in den nächsten Jahren überhaupt beschäftigen? Da sind meines Erachtens dann solche Äußerungen nicht gerade dienlich, wie sie von Minister Bahr vor der Auslandspresse im Januar gemacht worden sind, die dann zu den Schlagzeilen in der Zeitung geführt haben, allerdings mit einem Fragezeichen: „Schickt Bonn Gastarbeiter nach Hause?" Das bringt Unruhe in die Reihen der ausländischen Arbeitnehmer und verstärkt unter Umständen - aus diesem Grunde sage ich es hier - auch den Zug, in die Illegalität zu gehen, insbesondere dann, wenn ein Daueraufenthalt hier nicht mehr möglich ist. Daher werden wir auch diese Frage noch einmal aufwerfen, und wir bitten Sie, dann für die Beratungen im Ausschuß auch zu sagen, wie die Konzeption für diese Konsolidierung der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer in der Zukunft aussehen wird; denn wir können - ich glaube, Herr Minister Arendt, da sind Sie sicherlich mit mir einer Meinung - die Menschen, die vor Jahren schon zu uns gekommen sind, um hier Arbeit zu suchen und zu finden, um uns bei dem Aufbau unserer Wirtschaft zu helfen, nicht behandeln, wie wir Ware behandeln, wenn wir sie nicht mehr gebrauchen, und sie nach Hause schicken. Da muß man schon ein Verfahren entwickeln, nach dem man das in einer menschenwürdigen Form macht und wo man auf Dauer weiß, wieviel ausländische Arbeitnehmer bei uns zu beschäftigen sind. Damit ist natürlich auch die Frage aufgeworfen, ob man nicht in der Vergangenheit bei der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer ein bißchen zu rasch gewesen ist. Aber wenn es beim Anwerbestopp bleibt, wird sich das sicherlich - da bin ich mit Ihnen der gleichen Meinung - auch von daher etwas verringern. Sicherlich wird, wenn schärfere Müller ({0}) Strafbestimmungen kommen, auch die Frage der Illegalität dabei eine Rolle spielen. Wir möchten aber gerne wissen, wie es in der Zukunft mit der Beschäftigung der ausländischen Arbeitnehmer überhaupt aussieht. Das müssen wir wissen, das müssen aber auch unsere ausländischen Kollegen draußen in den Betrieben wissen. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Herr Abgeordneter Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion begrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf. Meine Partei hält es seit je für ihre vornehmste Aufgabe, die Schwachen in unserer Gesellschaft vor Ausbeutung zu schützen. Wir alle wissen, daß ausländische Arbeitnehmer, die, aus Not getrieben, in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten wollen, leicht zu gewinnen sind, auch unter Umgehung der bestehenden Rechtsvorschriften Arbeit anzunehmen. Wer diese Notlage ausnutzt, noch dazu gewerbsmäßig oder aus grobem Eigennutz, begeht schweres Unrecht und muß streng bestraft werden. Der Gesetzentwurf kommt angesichts der jetzigen arbeitsmarktpolitischen Lage im richtigen Zeitpunkt. Kollege Müller, die Bundesregierung hat sich am 6. Juni 1973 mit ihrem Aktionsprogramm bereits einer Konsolidierung der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zugewandt und dies in ihrem Programm festgelegit. Sie hat darüber hinaus einen ganz entscheidenden Punkt, den Sie angesprochen haben, ebenfalls in diesem Programm dokumentiert, nämlich die Ablehnung des Rotationsprinzips. Sie wissen, daß in süddeutschen Regionen heute die Worte „Bürger auf Zeit" oder „Wie kann man sie schneller loswerden?" nicht von sozialdemokratischen Politikern in die aktuelle Diskussion geworfen werden. Die Bundesregierung ist mit ihrem Aktionsprogramm immer auf Linie geblieben und hat die Punkte ganz klar konkretisiert. Es geht bei diesem Gesetzentwurf auch nicht nur um das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, sondern auch um das Arbeitsförderungsgesetz. In beiden gesetztlichen Bereichen müssen die Strafbestimmungen entsprechend ausgestaltet werden, um mit diesem Grundübel fertig zu werden. Das hat die Bundesregierung seinerzeit angekündigt. Heute haben wir den konkreten Entwurf vor uns liegen und werden ihn sicherlich im Ausschuß beraten. Ich bin allerdings auch der Ansicht, daß man sich nicht damit begnügen sollte, dem Unrecht durch Strafen auf den Leib zu rücken. Vielmehr sollten wir uns bemühen, unrechtmäßige Zustände zu verhindern und, wo sie eingetreten sind, nach Möglichkeit zu verkürzen, zu beseitigen. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat bereits darauf hingewiesen, daß die mit der Ausländerbeschäftigung befaßten Stellen beschlossen haben, in einer konzertierten Aktion zu einer besseren Aufdeckung der Ausbeutung und Beschäftigung von illegal tätigen Ausländern beizutragen. Wir begrüßen diesen Beschluß außerordentlich und hoffen, daß dem guten Willen auch die Ausführung folgen wird. Ich möchte den Gesetzentwurf aber nicht nur als isolierte Maßnahme betrachten. Wie auch Walter Arendt ausführte, ist er ein Teil einer umfassenden politischen Konzeption, er ist in eine Konzeption zur Ausländerbeschäftigung einzuordnen, die wir bereits Mitte 1973 im Aktionsprogramm niedergelegt haben. Am 23. November 1973 wurde der Anwerbestopp verhängt. Die Bundesregierung hat damals, wie ich meine, weitschauend gehandelt. Die zunächst rigoros erscheinende Maßnahme hat sich als richtig erwiesen. Die der Bundesrepublik Deutschland benachbarten Staaten haben inzwischen ähnliche Maßnahmen ergriffen. Sie wissen, Kollege Müller, wieviel Verbände uns angegangen sind, um noch im vorigen Jahr Ausnahmen von dem Anwerbestopp eingeräumt zu bekommen. Auch hier hat die Bundesregierung ihre Linie durchgehalten. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt eine flankierende Maßnahme für den Anwerbestopp dar. Er wird durch die vorgesehene strengere Ahndung der unerlaubten Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer der Tendenz entgegenwirken, den Anwerbestopp zu unterlaufen. Er trägt damit auch dazu bei, daß die vorhandenen Arbeitsplätze mit deutschen Arbeitnehmern und legal erhaltenen ausländischen Arbeitnehmern besetzt werden können. Der Gesetzentwurf trägt aber auch dazu bei, daß ausländische Arbeitnehmer nicht unterbezahlt, sondern zu Arbeitsbedingungen beschäftigt werden, die deutschen Rechtsvorschriften entsprechen, z. B. den geltenden Tarifverträgen oder sonstigen Gesetzen, die für deutsche Arbeitnehmer geschaffen worden sind. Die Fraktion der SPD begrüßt den Gesetzentwurf deshalb als einen integrierenden Bestandteil der politischen Konzeption für die Ausländerbeschäftigung, die den berechtigten Interessen der deutschen Bevölkerung, insbesondere der deutschen Arbeitnehmer, gerecht wird und auch gegenüber dem ausländischen Arbeitnehmer verantwortet werden kann. Diese Politik zielt darauf ab, die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland zu begrenzen, die hier beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer aber an der Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur der Bundesrepublik Deutschland voll teilnehmen zu lassen. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Herr Abgeordneter Hölscher.

Friedrich Hölscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Müller, ich bin Ihnen sehr dankbar für ihre Rede. Weil Sie sich, glaube ich, im Adressaten geirrt haben, werde ich mir erlauben, das Protokoll Ihrer Rede dem Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, Herrn Filbinger, der Ihrer Partei angehört, zuzustellen. Ich glaube, daß er zu denjenigen gehört, die die von Ihnen beschworene Unruhe mit verursacht haHölscher ben, wie sie leider - ich bedaure das - in den Kreisen der ausländischen Arbeitnehmer nun einmal zu spüren ist. ({0}) Die Vorschläge, die er gemacht hat, liefen im Effekt so möchte ich es einmal umschreiben; es sind nicht seine Worte - auf die freiwillige Zwangsrotation hinaus. Meine Damen und Herren, ich möchte in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes nun zur Sache sprechen. ({1}) Wir Freien Demokraten unterstützen vorbehaltlos alle Bemühungen, die der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer dienen. Die FDP hat dabei selbst in mehreren Parteitagsbeschlüssen die Verschärfung der Strafvorschriften für diese Fälle - so möchte ich sagen üblen Menschenhandels gefordert. Hier handelt es sich wahrlich nicht um Kavaliersdelikte, sondern um kriminelles Verhalten unter oft schamloser Ausnutzung der Zwangslage ausländischer Arbeitnehmer. Gerade die Illegalität des Aufenthalts in der Bundesrepublik, gerade die Angst vor der Entdeckung führen ja oft dazu, daß diese Menschen nicht nur materiell - in der Entlohnung z. B. - schlechter gestellt sind, sondern auch ohne jeden arbeitsrechtlichen und sozialen Schutz sind. Sie sind in der Regel völlig der Profitsucht und Willkür dubioser Vermittler und verantwortungsloser Arbeitgeber ausgeliefert. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Strafverschärfungen für die Beschäftigung illegaler ausländischer Arbeitnehmer dienen daher nicht nur dem Schutz der anderen in- und ausländischen Arbeitnehmer, denen Arbeitsplätze weggenommen bzw. vorenthalten werden, sie sind auch im wohlverstandenen Interesse dieser als billiges Arbeitsmaterial gehandelten Menschen selbst. Da die bisherigen Bemühungen offensichtlich nicht ausreichten, der Illegalität wirksam zu begegnen, begrüßen wir die Verschärfung der Strafvorschriften im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Nach der Regierungsvorlage soll der Strafrahmen für die Anwerbung sowie die Vermittlung von Arbeitnehmern im Ausland für eine Beschäftigung im Inland ohne Erlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit und die unberechtigte Vermittlung oder Überlassung, die Beschäftigung und das Tätigwerdenlassen ausländischer Arbeitnehmer ohne Arbeitserlaubnis gegenüber dem geltenden Recht erhöht werden. In besonders schweren Fällen soll eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren verhängt werden können. Wenn hierbei Arbeitsbedingungen, die in einem auffälligen Mißverhältnis zu denen anderer vergleichbarer Arbeitnehmer stehen, besonders strafverschärfend gewertet werden, so ist das unserer Meinung nach konsequent; denn was nützen alle unsere gesetzlichen Regelungen und anderen Maßnahmen, z. B. Bestimmungen über die Unterbringung ausländischer Arbeitnehmer, wenn sie immer wieder durch die bekannten Praktiken unterlaufen werden! Der Anregung des Bundesrats, das vorausgesetzte Mißverhältnis zu den Arbeitsbedingungen vergleichbarer Arbeitnehmer zu verdeutlichen, sollten wir in den Ausschußberatungen nachkommen. Meine Damen und Herren, die vorgeschlagenen Strafverschärfungen sind nach unserer Auffassung nur zum Teil geeignet, die illegale Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer wirkungsvoller als bisher zu bekämpfen. Sie können letztlich nur ergänzenden Charakter haben, wenn es darum geht, den Schutz aller ausländischen Arbeitnehmer und einen geregelten Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Das von der Bundesregierung 1973 verabschiedete Programm zur sozial verantwortlichen Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung, nach dem der strafrechtlichen Bekämpfung der Illegalität nur eine flankierende Bedeutung zukommt, macht das deutlich. Die FDP wird dieses auf Integration der in unserem Lande arbeitenden ausländischen Arbeitnehmer und auf Steuerung der künftigen Entwicklung der Ausländerbeschäftigung abzielende Gesetz auch im Interesse einer gesunden sozialen Infrastruktur wie bisher nicht nur mittragen, sondern sich dafür einsetzen, daß es der jeweiligen Gesamtsituation flexibel angepaßt wird. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen mit dem Satz: Sklaverei ist jedenfalls seit langem abgeschafft und darf in diesem Rechtsstaat auch nicht in einer modernen Form fröhliche Urständ feiern. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. In teilweiser Änderung der Ihnen übermittelten Vorlage schlage ich Ihnen auf Grund einer neuen Einigung im Ältestenrat vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend und an den Innenausschuß und an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform zur Mitberatung zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten ({0}) - Drucksache 7/3113 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Soll der Gesetzentwurf begründet werden? - Das ist nicht der Fall. Dann können wir gleich in die Aussprache eintreten. Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hoffe, in Ihrem Interesse zu handeln, wenn ich während dieser ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf nur eine kurze Erklärung abgebe. ({0}) Damit ist nichts darüber ausgesagt, welche Bedeutung wir diesem Gesetz beimessen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Vorlage dieses Entwurfs durch die Bundesregierung. Mit diesem Gesetz wird das Ziel verfolgt, die Zulassung zu diesem immer mehr an Bedeutung gewinnenden Beruf erstmalig bundeseinheitlich zu regeln. Der Bedarf an fachlich gut ausgebildeten Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten ist, auch wenn die Bundesregierung keine offiziellen Schätzungen vorlegen konnte, als steigend anzusehen. Beschäftigungs- und Arbeitstherapie sind aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Nicht nur in der Psychiatrie - wenn auch dort von besonderer Bedeutung -, sondern auch in der Orthopädie, der Chirurgie, der Kindermedizin und der Geriatrie werden Beschäftigungs- und Arbeitstherapie zunehmend angewendet. Die Bemühungen, die diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien auf eine umfassende Eingliederung von Kranken und Behinderten in Gesellschaft und Beruf richten, finden auch in diesem Gesetzentwurf sichtbaren Ausdruck. Hiermit wird ein weiteres Glied in die Rehabilitationskette eingefügt, oder, korrekter gesagt, ein Glied dieser Kette wird verstärkt. Um dem wachsenden Bedarf bei diesem nichtärztlichen Heilberuf Rechnung zu tragen, ist eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich. Für die qualifizierte Ausbildung, die im Gegensatz zu den meisten Regelungen auf Länderebene die Arbeitstherapie in den Tätigkeitsbereich einbezieht, ist eine dreijährige Ausbildung in staatlich anerkannten Schulen vorgesehen. Auf diese dreijährige Ausbildung kann nach unserer Auffassung nicht verzichtet werden. Sie schließt mit einer staatlichen Prüfung ab. Wir werden bei der parlamentarischen Beratung dieses Gesetzes ernsthaft zu prüfen haben, ob angesichts der besonderen Voraussetzungen, die jene, die diesen Beruf ausüben wollen, erbringen müssen, nicht die Einsetzung einer Altersgrenze in diesem Gesetzentwurf als erforderlich anzusehen ist. Im übrigen folgt dieser Entwurf dem bei den übrigen bundeseinheitlich geregelten nichtärztlichen Heilberufen bestehenden System, wonach der Zugang zum Beruf durch die Erteilung einer Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung geregelt wird. Das heißt, die Tätigkeit als Beschäftigungs- und Arbeitstherapeut kann auch von anderen Personen ausgeübt werden; diese dürfen allerdings nicht die durch das Gesetz geschützte Berufsbezeichnung führen. In diesem Zusammenhang wirft die vom Bundesrat in seiner Stellungnahme geforderte Eingrenzung des Gesetzes auf den Beschäftigungstherapeuten besondere Probleme auf. Wir werden daher im weiteren Gesetzgebungsgang sorgsam zu prüfen haben, ob wir dieser Anregung des Bundesrats entsprechen können. Einig sollten wir allerdings darin sein, daß die Tätigkeit des Beschäftigungstherapeuten immer auch Elemente des Arbeitstherapeuten einbeziehen muß. Mit einer gewissen Enttäuschung müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß von einem gemeinsamen beruflichen Grundbildungsjahr im ersten Jahr der Ausbildung, das wir für mehrere nichtärztliche Heilberufe anstreben, noch abgesehen werden muß, da nicht in allen Bundesländern die Voraussetzungen hierfür geschaffen sind. Wir bitten die Bundesregierung, in dieser Richtung weiter tätig zu sein, damit in absehbarer Zeit eine Neuordnung der Ausbildungsgänge auf der Grundlage einer gemeinsamen Grundbildung erfolgen kann. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird sich für eine zügige, aber sorgfältige Beratung dieses Gesetzentwurfes einsetzen. Sie wird für Anregungen aus dem Kreis derjenigen, die sich für diesen Beruf entschieden haben, aber auch für Anregungen aus anderen Kreisen jederzeit offen sein. Die im Gesundheitswesen Tätigen können sich darauf verlassen: Wir Sozialdemokraten sind bereit, die für die Erfüllung der Aufgaben im Gesundheitswesen erforderlichen Maßnahmen auf dem Felde der Berufsbildung und -weiterbildung zu ergreifen. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hürland.

Agnes Hürland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000976, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU- Bundestagsfraktion gebe ich folgende Erklärung ab. Die Erkenntnisse über die Rehabilitation und die Bedeutung der Sozialisationsfaktoren für die Entfaltung der Persönlichkeit machen es notwendig, daß sowohl den geistig, körperlich und seelisch Behinderten als auch den Menschen mit sozialem Fehlverhalten ein breiter Fächer von therapeuthischen Hilfen angeboten wird. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt, daß das Berufsbild des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten bundeseinheitlich geregelt werden soll. Die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs durch das zuständige Ministerium läßt jedoch erkennen, daß die Bezüge zu anderen sozialpolitischen Ressorts nicht genügend berücksichtigt sind. Der Schwerpunkt der Ausbildung der Therapeuten scheint nach dieser Vorlage nur auf den Personenkreis der körperlich und geistig Behinderten begrenzt zu sein, ohne daß auf andere, bereits verabschiedete Gesetze, z. B. auf das Arbeitsförderungsgesetz, das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation und das Schwerbehindertengesetz oder auf das in Beratung befindliche Gesetz über den Strafvollzug, Bezug genommen würde. Die Beratungen im federführenden Ausschuß können nur dann sachgerecht durchgeführt werden, wenn die Grundzüge der zu erlassenden Rechtsverordnung bekannt sind. Wie sollen junge Menschen für diesen Beruf motiviert werden, wenn das Berufsbild, die Prüfungsbestimmungen, die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen im Gesetz nicht klar umrissen sind? Die Beschäftigungs- und Arbeitstherapie sollte im Bereich der Medizin bei gestörten Funktionen körperlicher und geistiger, wie es der Entwurf vorsieht, aber auch seelischer Art - dies steht leider nicht im Entwurf - einsetzen. Die Therapie ist nicht nur für die Wiedereingliederung, sondern in vielen Fällen zur Eingliederung in das Gesellschafts- und Arbeitsleben erforderlich. Dieser Beruf kann nicht auf das Gebiet der Medizin beschränkt sein; er muß sozialmedizinische und sozialtherapeutische Aspekte berücksichtigen. Seine Aufgabe ist auch, im Vorschul- und Sonderschulbereich, in der Heimerziehung, in Jugenddörfern, im Strafvollzug, bei verhaltensgestörten Kindern und Jugendlichen Sozialisationsdefizite abzubauen. Wir stimmen mit der Regierung darin überein, daß die Grenzen zwischen Beschäftigungs- und Arbeitstherapie fließend sind. Wenn das aber der Fall ist, dann muß auch anerkannt werden, daß die in diesem Beruf Tätigen nicht nur bei der Wiedereingliederung in das Arbeitsleben Hilfe zur Selbsthilfe geben sollen, sondern den Personenkreis einbeziehen müssen, der in seiner persönlichen Entwicklung durch besondere Lebensumstände überhaupt noch nicht die Fähigkeit erlangt hat, die Gesellschaft und das Arbeitsleben zu akzeptieren und sich in ihr einzugliedern. Meines Erachtens ist es am Aufgabengebiet des Therapeuten vorbeigedacht, wenn in der Begründung zu dieser Gesetzesvorlage angeführt wird, daß seine Leistungen in erster Linie ärztlich überwachte Behandlungen umfassen. Wenn dies in bestimmten Bereichen notwendig ist, dann muß es auch Mediziner geben, die etwas von der Sache verstehen, und es muß Universitäten geben, die angehenden Medizinern das notwendige Fachwissen vermitteln. Aus welchem Grunde hält es die Regierung für erforlich, daß die Aufgabe des Therapeuten in der Sonderschule, in Berufsgrundlehrgängen Jugendlicher nach dem Arbeitsförderungsgesetz, bei Verhaltensgestörten, in der Heimerziehung und im Strafvollzug ärztlich überwacht wird? Die ärztliche Überwachung ist wohl nur im klinischen Bereich möglich und wohl auch nur dort notwendig. Sollte die Neigung bestehen, den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten auch freiberuflich zuzulassen, wäre die ärztliche Überwachung ebenfalls problematisch. Die CDU/CSU-Fraktion vermißt gerade in diesem Punkt den Bezug auf das Rehabilitationsangleichungsgesetz, in dem in § 10 auch die Leistungen der Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten aufgezeichnet sind. Kassenrechtliche Vorstellungen fehlen vollständig. Der Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten ist immer einem anderen Zweck zuzuordnen: der Medizin, der Rehabilitation, der Sozialisation, der Eingliederung oder der Wiedereingliederung. Der Verband der Beschäftigungstherapeuten hat uns mitgeteilt, daß in diesem Gesetzentwurf die Aufgabenstellung des Beschäftigungstherapeuten nicht dem heutigen Stand der Praxis entspricht. Ich habe im Gesetzentwurf über die Aufgabenstellung des Therapeuten überhaupt nichts gelesen. Die §§ 4 und 5 lassen lediglich ahnen, daß gewissen an die Persönlichkeit des Auszubildenden gestellten Anforderungen auch eine qualifizierte Ausbildung folgen soll, was zur Zeit vielfach noch nicht der Fall ist. Sicher wird man sich im federführenden Ausschuß auch noch über die Eingangsvoraussetzungen bei der Ausbildung, wie etwa schulische und berufliche Qualifikation, über die Form der Ausbildungsstätten, ob Berufsfachschule oder Akademie, unterhalten müssen. Bei allen Beratungen muß berücksichtigt werden, daß an die Personen, die diesen Beruf ausüben wollen, hohe Anforderungen an die Persönlichkeit des einzelnen, an seine menschliche Reife und an sein Bewußtsein zur sozialen Verantwortung in der Gesellschaft gestellt werden. ({0}) [CDU/CSU] : Sehr richtig!) Inwieweit abgeschlossene Ausbildungen in anderen, nichtärztlichen Fachberufen im Gesundheitswesen auf die Ausbildung als Beschäftigungs- und Arbeitstherapeut angerechnet werden können, muß ebenfalls sorgfältig geprüft werden. Dieser Gesetzentwurf läßt sehr viele Fragen offen. Er erfordert von den Parlamentariern noch eine Menge Detailarbeit. Das Problem jedenfalls scheint von der Regierung nicht erkannt zu sein. Darum wird die CDU/CSU-Fraktion besonders auf die Bekanntgabe ihrer Vorstellungen in der geplanten Rechtsverordnung drängen. Gerade dieser Beruf ist in seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung nicht zu überschätzen. Wir werden alle bemüht sein müssen, daß dieses Berufsbild, die Ausbildung zum Beruf und die vielfältigen Aufgaben in der Praxis klar und deutlich aufgezeigt werden. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Lüdemann.

Barbara Lüdemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001389, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Alsbald nach dem Beginn der Arbeit der sozialliberalen Koalition hat die Bundesregierung im April 1970 mit dem Aktionsprogramm zur Förderung der Rehabilitation der Behinderten den Grundstein und den Rahmen für ihre Behindertenpolitik gelegt. Für diese wichtige Minderheitsgruppe in unserer Gesellschaft ist zuvor von den früheren Bundesregierungen leider vieles versäumt worden. Seit Vorlage dieses Aktionsprogramms haben die Fraktionen der FDP und der SPD - meist auch mit Hilfe der konstruktiven Mitarbeit der Opposition - zahlreiche Gesetze zur Verbesserung der Leistungen für Behinderte verabschiedet. Ich erinnere hierbei besonders an das neue Schwerbehindertengesetz und an das Rehabilitations-Anpassungsgesetz. Ein wichtiger Punkt des Aktionsprogramms ist die Aus- und Fortbildung von Fachkräften der Rehabilitation. Der gewaltige Ausbau der Rehabilitationseinrichtungen in den letzten Jahren wäre auf Sand gebaut, wenn diesen zahlreichen Einrichtungen nicht eine genügende Anzahl von fachlich ausgebildeten Betreuungskräften zur Verfügung gestellt werden könnte. Wir wissen, daß durch eine frühzeitige und fachkundige Betreuung Behinderter zahlreiche Behinderungen entscheidend gemildert, manche sogar ganz verhindert oder beseitigt wer10388 den können. Als eines der deshalb zu schaffenden neuen Berufsbilder auf dem Gebiet der Rehabilitation nennt das Aktionsprogramm bereits den Arbeitstherapeuten. Bei dem nun von der Bundesregierung dem Bundestag vorgelegten Entwurf für ein Beschäftigungs- und Arbeitstherapeutengesetz handelt es sich um den ersten Versuch, ein ausschließlich für Rehabilitationsfrachkräfte bestimmtes Gesetz zu schaffen. Wir müssen daher bei den nun beginnenden Beratungen des Entwurfs ständig den sachlichen Zusammenhang dieses neuen Berufsbildes mit den von uns verabschiedeten Behindertengesetzen im Auge haben. Besonderes Augenmerk werden wir auch auf die Antworten der Bundesregierung zu richten haben, die sie auf Anfragen aus dem Bundestag zur Wiedereingliederung Behinderter allgemein und zur Aus- und Fortbildung von Rehabilitationsfachkräften im besonderen gegeben hat. Wir wollen uns heute, meine Damen und Herren, hier nur mit dem grundsätzlichen Gehalt des vorliegenden Entwurfs befassen. Lassen Sie mich daher auf die Einwendungen des Bundesrates zu sprechen kommen, der den Gesetzentwurf schon in seiner Überschrift auf die bloße Beschäftigtentherapie beschränken will. Dieser Abtrennung der Arbeitstherapie von der Beschäftigungstherapie möchte ich jedoch nachdrücklich widersprechen. Zunächst einmal erscheint es widersprüchlich, wenn der Bundesrat einerseits die Arbeitstherapie aus der Bezeichnung des Gesetzes streichen will, andererseits aber den Lehrgang und die Prüfung auch auf die Arbeitstherapie ausgedehnt wissen will. Mit einer modernen Auffassung von Rehabilitation ist es jedoch nicht vereinbar, wenn der Bundesrat in seiner Begründung die Auffassung vertritt, es handele sich bei beiden Gebieten um völlig unterschiedliche Berufsbilder. In Wirklichkeit sind die Grenzen der Beschäftigungstherapie und der Arbeitstherapie fließend - das haben Sie, Frau Hürland, eben auch gesagt -, ohne daß eine ganzheitliche Therapie das eine vom anderen trennen könnte. Die großen Erfolge der Rehabilitation, insbesondere in den Berufsförderungswerken, haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bewiesen, zu welcher früher nie geahnten Leistung und Selbstbestätigung auch der Schwerbehinderte bei rechtzeitiger und entsprechender Anleitung und Motivierung gerade in der beruflichen Rehabilitation fähig ist. Aus diesem Grunde sollte die Beschäftigungstherapie von vornherein in Richtung auf die Arbeitstherapie offengehalten werden. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Das hat nichts mit Leistungsdruck auf den Behinderten oder gar mit dessen Ausbeutung zu tun. Ich möchte vielmehr gerade auf Grund meines liberalen Verständnisses von Rehabilitation sagen, daß dem einzelnen Behinderten durch die Ermöglichung des Erfolgserlebnisses in der beruflichen Rehabilitation eine wesentliche Hilfe zur Selbstbestätigung seiner Persönlichkeit gegeben werden kann. Bei der Einzelberatung des Entwurfs im Ausschuß werden wir uns noch einer ganzen Reihe wichtiger Fragen zuzuwenden haben. Ich möchte hier nur die Frage der Dauer der erforderlichen Ausbildung und des maßgeblichen Eintrittsalters in den Beruf ansprechen. Ohne den Erörterungen vorgreifen zu wollen, möchten wir Freien Demokraten jedoch schon hier zum Ausdruck bringen, daß uns die von dem zuständigen Fachverband geforderte vierjährige Ausbildung als nicht gerechtfertigt erscheint. Wir werden gerade die Dauer der Ausbildung sorgfältig auf vergleichbare Berufsbilder abzustimmen haben. Wir werden auch stets im Auge behalten müssen, daß sich die Dauer und inhaltliche Ausgestaltung der Ausbildung zwangsläufig auf die Ausbildungskosten und später auch auf die Gehaltskosten in diesem Berufszweig auswirken wird. Auch die Befürchtungen, daß das Gros der jungen Interessenten an diesem Beruf die Ausbildung bereits mit 16 Jahren beginnen wird, ist unserer Ansicht nach nicht gerechtfertigt. Bei der nach dem Entwurf geforderten abgeschlossenen Realschulbildung oder einer anderen, gleichwertigen Ausbildung ist vielmehr damit zu rechnen, daß die jungen Leute immerhin mindestens 17 Jahre alt sein werden und damit fast die neue Volljährigkeitsgrenze erreicht haben. Beim Eintritt in den Beruf werden sie sogar im Durchschnitt über 20 Jahre alt sein. Bei der Beratung des Entwurfs für ein neues Berufsbild auf dem Gebiet der Rehabilitation sollten wir uns meines Erachtens auch Gedanken darüber machen, auf welchen anderen Teilgebieten der Rehabilitation ein dringender Bedarf nach bundeseinheitlichen Regelungen für neue Berufsbilder besteht. Wir Freien Demokraten denken vor allen Dingen an den vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit in Aussicht gestellten Gesetzentwurf über den Beruf des Logopäden. Bei der Betreuung sprach- und stimmgestörter Patienten scheint uns in der Bundesrepublik ein besonderer Mangel an fachlich qualifizierten Kräften zu bestehen. Wie aus allem von mir Gesagten hervorgeht, begrüßt es die FDP-Fraktion, daß der Entwurf eines Beschäftigungs- und Arbeitstherapeutengesetzes vorliegt und die Beratungen in den Ausschüssen nun beginnen können. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wird das Wort weiterhin gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf soll an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend - überwiesen werden. Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung soll er zur Mitberatung nicht, wie in der Ihnen vorliegenden Tagesordnung ausgedruckt, an den Wirtschaftsausschuß, sondern an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft überwiesen werden. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 21. Februar, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.