Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Überweisung von Zollvorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Fünfundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksache 7/151 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um
Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 24. Mai 1973
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dein Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie Nr. 65/269/ EWG zur Vereinheitlichung gewisser Regeln betreffend die Genehmigung für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
- Drucksache 7/87 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Sicherheitsscheiben für Kraftfahrzeuge
- Drucksache 7/89 -überwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Brot
Drucksache 7/136 überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}), Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorsdiriften über den passiven Veredelungsverkehr
Drucksache 7/137
überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung irn Rat
Richtlinie des Rates zur Änderung des Anwendungsbereichs des ermäßigten Satzes der Gesellschaftssteuer, der zugunsten bestimmter Umstrukturierungen von Gesellschaften in Artikel 7 Absatz I b der Richtlinie des Rates betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital vorgesehen ist
- Drucksache 7/138 überwiesen an den Finanzausschuß ({1}), Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung ini Rat
Dritte Richtlinie ({2}) des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorsdiriften über die Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern im Reiseverkehr
Richtlinie ({3}) des Rates über Steuerbefreiungen bei der Einfuhr von Waren in Kleinsendungen an Privatpersonen
- Drucksache 7/139 überwiesen an den Finanzausschuß ({4}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die vollständige Aussetzung von Zöllen des Gemeinsamen Zolltarifs, Abgaben gleicher Wirkung und Abschöpfungen für in Form unentgeltlicher Zuwendungen aus Drittländern eingeführte Waren, die dazu bestimmt sind, unentgeltlich an Katastrophenopfer weitergegeben zu werden
- Drucksache 7/140 überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({5}) des Rates über die zolltarifliche Behandlung von Waren, welche Reisende in den Verkaufsstellen der Flughäfen sowie in Flugzeugen, auf Schiffen oder Luftkissenfahrzeugen erwerben, die zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten verkehren
- Drucksache 7/141 überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 79/ 65/ EWG hinsichtlich des Erfassungsbereichs und der Zahl der Buchführungsbetriebe, die belm Informationsnetz landwirtschaftlicher Buchführungen der EWG zu berücksichtigen sind
- Drucksache 7/143 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Entscheidung des Rates zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Übereinkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dritten Ländern betreffend die Regelung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs mit Kraftomnibussen
- Drucksache 7/144 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Entscheidung des Rates zur Einführung einer gemeinschaftlichen Garantie für Investitionen in Drittländern
- Drucksache 7:145 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates
zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über gemeinsame Vorschriften für Druckbehälter und ihre Kontrollmethoden
zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für nahtlose Gasflaschen aus Stahl
- Drucksache 7/149 überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Befreiung von Zöllen innerhalb der erweiterten Gemeinschaft für Gemeinschaftswaren in Kleinsendungen ohne kommerziellen Charakter
- Drucksache 7/150 -überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({6}) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in Belgien dienstlich verwendet werden
- Drucksache 7/152 -überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({7}) Nr. 1675/72 für die Festsetzung der Beihilfe auf dem Saatgutsektor für das Wirtschaftsjahr 1972/73 für Dänemark
- Drucksache 7/160 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis von Fahrrädern mit Hilfsmotor
- Drucksache 7/161 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Beridits rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({8}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({9}) Nr. 827/68 sowie der Verordnungen 1009 /67/ EWG, ({10}) Nr. 950/68 und ({11}) 2358/71
- Drucksache 7/162 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({12}) des Rates zur Änderung der Verordnungen Nrn. 134 /67 /EWG und 137 /67 EWG über die Einschleusungspreise und über das sogenannte „System von Leit- und Folgeerzeugnissen" auf dem Schweinefleischsektor, insbesondere die Nomenklatur der Erzeugnisse
- Drucksache 7/163 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({13}) des Rates über die Finanzierung der Beihilfe für die Seidenraupenzucht
- Drucksache 7/164 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({14}) des Rates über die Durchführung der Entscheidung Nr. 2/72 des Gemischten Ausschusses zur Festlegung der Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen auf dem Zollsektor zum Zweck der Durchführung des Interimsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich
- Drucksache 7/165 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Änderung des im Anhang der Entschließung des Rates vom 20. Juli 1972 enthaltenen Entwurfes einer Verordnung ({15}) des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Ausgleichsbeträge für Getreide ({16})
- Drucksache 7/166 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Änderung des Anhangs der Verordnung ({17}) Nr. 2358/71 zur Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Saatgut und zur Änderung der Verordnung ({18}) Nr. 1674/72 zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung und die Finanzierung der Beihilfe auf dem Saatgutsektor
- Drucksache 7/167 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({19}) des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Ausgleichsbeträge für Eier
- Drucksache 7/168 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({20}) des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Ausgleichsbeträge für Geflügelfleisch
- Drucksache 7/169 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({21}) des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Ausgleichsbeträge für Reis und zur Festsetzung dieser Ausgleichsbeträge für einige Erzeugnisse
- Drucksache 7/170 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({22}) des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Ausgleichsbeträge für Schweinefleisch
- Drucksache 7/171 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Entscheidung des Rates zur Errichtung eines Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit
- Drucksache 7/172 überwiesen an den Finanzausschuß ({23}), Ausschuß für
Wirtschaft, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Entscheidung des Rates über die Sanierung der Situation der Eisenbahnunternehmen und über die Harmonisierung der Vorschriften, die die finanziellen Beziehungen zwischen diesen Unternehmen und den Staaten regeln
Verordnung des Rates zur Änderung bestimmter Vorschriften der Verordnung ({24}) Nr. 1192/69 des Rates vom 26. Juni 1969 über gemeinsame Regeln für die Normalisierung der Konten der Eisenbahnunternehmen
- Drucksache VI/ 2544 -überwiesen an den Ausschuß für Verkehr ({25}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über verstärkte Kunststofftanks für die Beförderung gefährlicher Stoffe auf der Straße
- Drucksache V1/3036 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr ({26}), Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({27}) des Rates zur Ergänzung der Verordnung ({28}) Nr. 543/69 des Rates vom 25. März 1969 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr
- Drucksache VI/ 3761 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr ({29}), Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates über die Harmonisierung der Rechtsvorschriften betreffend die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und Anhänger
- Drucksache VI/ 3766 -überwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Erste Richtlinie des Rates zur Anpassung der nationalen Systeme der Steuern für Nutzfahrzeuge
- Drucksache V/3206 überwiesen an den Finanzausschuß ({30}), Ausschuß für Verkehr und an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen und die Einbringung von Unternehmensteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen
- Drucksache V/3774 überwiesen an den Finanzausschuß ({31}), Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates ({32}) über die Angleichung der spezifischen Steuern auf zur Verwendung als Brennstoffe bestimmte flüssige Kohlenwasserstoffe
- Drucksache VI/ 1704 überwiesen an den Finanzausschuß ({33}), Ausschuß für Wirtschaft, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Entscheidung des Rates über die Einführung eines gemeinsamen Systems der Abgeltung der Benutzung der Verkehrswege
- Drucksache VI/ 2089 überwiesen an den Finanzausschuß ({34}), Ausschuß für
Verkehr, Haushaltsausschuß mit der Bitte uni Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie über die Einzelheiten der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für einige selbständige Tätigkeiten auf dem Gebiete des Steuerwesens
Richtlinie über die Einzelheiten der Übergangsmaßnahmen für einige Tätigkeiten auf dem Gebiete des Steuerwesens
Empfehlung des Rates betreffend das Großherzogtum Luxemburg
- Drucksache VI /2568 überwiesen an den Finanzausschuß ({35}), Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie de> Rates über die Verbrauchsteuern und die anderen indirekten Steuern als die Mehrwertsteuer, die mittelbar oder unmittelbar den Verbrauch von Erzeugnissen belasten
Richtlinie des Rates über die Harmonisierung der Verbrauchsteuern auf Alkohol
Richtlinie betreffend eine harmonisierte Verbrauchsteuer auf Wein
Richtlinie des Rates über die Harmonisierung der Verbrauchsteuern auf Bier
Richtlinie über die Verbrauchsteuerregelung für Mischgetränke
Entscheidung des Rates über die Einsetzung eines „Ausschusses für Verbrauchsteuern"
- Drucksache VI/ 3256 überwiesen an den Finanzausschuß ({36}), Ausschuß für
Wirtschaft, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates ({37}) zur Änderung der Verordnung ({38}) Nr. 803/68 des Rates vom 27. Juli 1968 über den Zollwert der Waren
- Drucksache VI/ 3681 -überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Durchführung der Artikel 13 und 14 der Richtlinie des Rates vom 4. März 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über den aktiven Veredelungsverkehr
- Drucksache VI/ 3691 überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Satzung einer Europäischen Aktiengesellschaft
- - Drucksache VI 1109 überwiesen an den Rechtsausschuß ({39}), Ausschuß für
Wirtschaft, Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endqülligen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({40}) des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Äthylalkohol landwirtschaftlicher Herkunft und ergänzende Bestimmungen für Äthylalkohol nichtlandwirtschaftlicher Herkunft sowie bestimmte alkoholhaltige Erzeugnisse
- Drucksache VL/ 3609 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({41}), Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({42}) des Rates über das auf Arbeitsverhältnisse innerhalb der Gemeinschaft anzuwendende Konfliktrecht
- Drucksache VI/ 3239 überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte uni Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({43}) des Rates über die Erstellung gleichartiger Statistiken über die ausländischen Arbeitskräfte
- Drucksache V L3591 -überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
({44}), Innenausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Gründung von gemeinsamen Unternehmen im Geltungsbereich des EWG-Vertrages
- Drucksache VI/ 2611 -überwiesen an den Rechtsausschuß ({45}), Ausschuß für
Wirtschaft, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Vierte Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Abs. 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter bei Fusionen von Aktiengesellschaften vorgeschrieben sind
Drucksache V1,2875 überwiesen an den Rechtsausschuß ({46}), Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({47}) des Rates
zur Änderung der Verordnung Nr. 1009 /67/ EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker
zur Änderung der Verordnung ({48}) Nr. 431/68 über die Bestimmung der Standardqualität für Rohzucker und des Grenzübergangsorts der Gemeinschaft für die Berechnung der cif-Preise für Zucker
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines
Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Verordnung ({49}) des Rates
über die Umrechnungskurse, die im Agrarsektor für die Währungen der neuen Mitgliedstaaten zu verwenden sind zur Änderung der Verordnung ({50}) Nr. 974/71 im Hinblick auf die für die neuen Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Währungslage zu treffenden Maßnahmen in der Landwirtschaft
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Verordnung ({51}) des Rates zur Festlegung der Grundregeln für den Bestandteil zum Schutz der Verarbeitungsindustrie und zur Festsetzung dieses Bestandteils für die neuen Mitgliedstaaten
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Verordnung ({52}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({53}) Nr. 1349/72 des Rates vom 27. Juni 1972 über die Erzeugung von und den Verkehr mit Bruteiern und Küken von Hausgeflügel
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn ins Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Verordnung ({54}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 371 /67 /EWG zur Festsetzung der Erstattung bei der
Erzeugung von Getreide und Kartoffelstärke und Quellmehl
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Verordnung ({55}) des Rates mit der die neuen Mitgliedstaaten ermächtigt werden, einzelstaatliche Unterteilungen für einige landwirtschafliche Erzeugnisse in das Schema des Gemeinsamen Zolltarifs zu übernehmen
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Verordnung ({56}) zur Ergänzung der Verordnung Nr. 371/ 67/ EWG des Rates vom 25. Juli 1967 zur Festsetzung der Erstattung bei der Erzeugung von Getreide- und Kartoffelstärke und Quellmehl
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte uni Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Verordnung ({57}) des Rates zur Änderung des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte Fischereierzeugnisse
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Verordnung ({58}) des Rates
Nr. 182 73 vom 23. Januar 1973 zur Aussetzung der Abgaben bei der Einfuhr und der Ausgleichsbeträge für Rindfleisch
Nr. 183/73 vom 23. Januar 1973 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Äpfel für den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Mai 1973
Nr. 184/73 vom 23. Januar 1973 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Birnen für den Zeitraum vom 1. Februar bis 30. April 1973
Nr. 185/73 vom 23. Januar 1973 über die Grundregeln für die Anwendung von Ausgleichsbeträgen für zugesetzte Zuckerarten bei Verarbeitungserzeugnissen aus Obst und Gemüse als Folge des Beitritts der neuen Mitgliedstaaten zur Gemeinschaft
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Wir treten in die weitere Abwicklung der gemeinsamen Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 4 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
- Drucksache 7/153-Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der ersten Erklärung vor diesem, dem 7. Deutschen Bundestag am 15. Dezember vergangenen Jahres hatte ich angekündigt, daß die Bundesregierung den „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" noch vor Weihnachten unterzeichnen werde. Die Unterzeichnung erfolgte, wie Sie wissen, am 21. Dezember 1972.
In meiner Regierungserklärung vom 18. Januar dieses Jahres habe ich hierauf Bezug genommen und gesagt, wir seien entschlossen, den Vertrag mit der DDR politisch und rechtlich konsequent durch -z u f ü h r en und ihn im Interesse der Menschen in beiden Staaten a u s z u f ü lle n. Dabei wies ich aus meiner Sicht der Dinge auch darauf hin, daß es sich um einen langen und steinigen Weg handeln werde. Gleichwohl vertrat ich die Auffassung, daß für den Ausgleich in Europa, zwischen Ost und West, bessere Voraussetzungen geschaffen worden seien, und zwar „mit den Verträgen von Moskau und Warschau, dem Berlin-Abkommen der Vier Mächte, den dazu gehörenden Vereinbarungen auf der deutschen Ebene und dem Grundvertrag", oder, wie andere ihn abkürzen, Grundlagenvertrag mit der DDR.
Dies, meine Damen und Herren, ist also aus der Sicht der Regierung die Beurteilung, die man bei den hier anstehenden Gesetzen zugrunde legen sollte. Herr Präsident, wenn ich sage „bei den hier anstehenden Gesetzen", dann meine ich damit sowohl das soeben durch Sie aufgerufene wie das andere, das den vorgeschlagenen Beitritt zu den Vereinten Nationen zum Gegenstand hat. Zu beiden Gesetzen
- also auch dem über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen
- liegen schriftliche Begründungen vor, auf die ich mich beziehen kann.
Vielleicht darf ich dies gleich hinzufügen: Die außenpolitischen und die deutschlandpolitischen Fragen, die uns in den vergangenen Jahren so oft beschäftigt haben, werden sicher noch lange im Streit der Meinungen stehen, aber ihre Klärung wird ja nicht notwendigerweise durch die Länge der Debatten oder die Wiederholung von Diskussionsbeiträgen gefördert werden. Das Votum der Wähler ist ohnehin bekannt; aber wir werden uns nach den Ausschußberatungen und vor der Beschlußfassung hier im Plenum des Bundestages noch einmal zu äußern haben.
Bei allen Meinungsverschiedenheiten, meine Damen und Herren, ist im übrigen, wenn ich es richtig verstanden habe, nicht umstritten gewesen, daß die einzelnen Stationen und Elemente unserer Ost-West-Politik - oder wie ich auch sage: unserer Politik der aktiven Friedenssicherung - im Zusammenhang miteinander gesehen werden müssen. Unser Verhältnis zur DDR kann gewiß nicht losgelöst von den Beziehungen mit den übrigen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes betrachtet werden. Ich möchte dazu, was die bilateralen Aspekte angeht, vier Feststellungen treffen.
Erstens. Der Vertrag mit der UdSSR, den der vorige Bundestag gebilligt hat, zeigt bereits seine positiven Auswirkungen, ohne daß er irgend jemanden benachteiligt. Die Beratungen der Wirtschaftskommission, die in diesen Tagen in Moskau geführt wurden, haben den Willen beider Staaten unterstrichen, realistisch, aber konsequent die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten zu entwickeln. Herr Kollege Friderichs, der Bundeswirtschaftsminister, der gestern auch mit dem Vorsitzenden des Ministerrats, Herrn Kossygin, zusammentraf, hat mich noch aus der sowjetischen Hauptstadt wissen lassen, daß er, der Bundeswirtschaftsminister, beträchtliche Möglichkeiten sieht, auf den Gebieten des Austauschs und der Kooperation Fortschritte zu erzielen. - Das war die eine Feststellung, die ich treffen wollte.
Die zweite ist folgende. Die Konsultationen auf hoher Beamtenebene, die Anfang dieses Monats in Warschau, in der Hauptstadt der Volksrepublik Polen, stattgefunden haben, weisen aus, daß beide Regierungen selbst über sehr schwierige und komplizierte Punkte sachlich und in großer Offenheit miteinander sprechen können. Das ist nicht alles, aber es ist etwas anderes als früher. Dies läßt uns hoffen, meine Damen und Herren, daß im beiderseitigen Interesse Fortschritte erzielt werden können. Aus unserer Sicht behält die Familienzusammenführung dabei besondere Bedeutung.
({0})
Drittens. Mit Aufmerksamkeit haben wir Äußerungen aus Prag verfolgt, die das Verhältnis der CSSR und der Bundesrepublik Deutschland betreffen. Nun ist bekannt, daß wir uns politisch und moralisch von der Politik, der Hitlerscheu Aggressionspolitik, distanzieren, die zum Münchener Abkommen geführt hat. Wir sind auch bereit, das Münchener Abkommen für ungültig zu erklären. Wir hoffen - und ich meine, bei gutem Willen auf beiden Seiten sollte dies möglich sein , daß eine gemeinsame Formulierung für diese Feststellung gefunden werden kann.
({1})
Viertens. Es ist bekannt - aber ich möchte es hier ausdrücklich unterstreichen -, daß die Bundesregierung seit geraumer Zeit daran interessiert ist, diplomatische Beziehungen auch mit Ungarn und Bulgarien aufzunehmen.
In der Regierungserklärung vom 18. Januar hatte ich nun auf die inzwischen eingeleitete multilaterale Phase der Ost-West-Beziehungen hingewiesen. Lassen Sie mich hierzu drei weitere Feststellungen treffen.
Erstens. Das Abkommen der Vier Mächte vom Frühsommer vergangenen Jahres hat für die Lage in und um Berlin eine fühlbare Entlastung gebracht. Schwierigkeiten im einzelnen wollen wir nicht übersehen, auch nicht gering schätzen, aber sie sollten, so denke ich, uns nicht den Blick für die unvergleichlich verbesserte Gesamtsituation verbauen.
({2})
Mit dem routinemäßigen Aufgreifen früherer Vorschläge und Erwägungen ist den neuen Problemen hier zumeist nicht beizukommen.
({3})
Die Bundesregierung möchte jedenfalls dazu beitragen, daß das Berlin-Abkommen in jedem einzelnen seiner Punkte reibungslos funktioniert.
Zweitens. Die positive Einschätzung, die der Bundesaußenminister - er kann, wie Sie wissen, bei dieser Debatte nicht dabei sein, wird ihr aber, wie ich annehme, am Fernsehschirm folgen; ich glaube, daß ich nicht fehlgehe, wenn ich sage, daß wir ihm alle miteinander gute Besserung wünschen ({4})
Ende Januar bei seinem Bericht über seine Besprechungen in Paris auch über die Vorbereitungen auf die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa deutlich werden ließ, hat sich durch die inzwischen weitergeführten Vorverhandlungen bestätigt. Unsere Delegation in Helsinki war und ist aktiv und konstruktiv beteiligt. Wir halten es für möglich, daß die Konferenz der Außenminister im Sommer stattfindet.
Drittens. Bei den anderen europäischen Entspannungsbemühungen, nämlich den Vorgesprächen über Fragen einer gleichmäßigen und ausgewogenen Reduzierung von Truppen, Vorgesprächen, die vor kurzem in Wien begonnen haben, zeigen sich - wen überrascht es eigentlich?! - von Anfang an die großen Schwierigkeiten dieser Materie. Wir sind in engem Kontakt mit den Beteiligten, insbesondere den Vereinigten Staaten, entschlossen, diese Gespräche zu fördern, und wir hoffen, daß durch die beiden Konferenzen mehr Sicherheit und bessere Zusammenarbeit in Europa erreicht werden kann.
Meine Damen und Herren, ich habe auf diese Faktoren hinweisen wollen, weil der Vertrag mit der DDR meines Erachtens nicht isoliert beurteilt werden kann.
({5})
Selbstverständlich gibt es eine ausgesprochen nationale Dimension dieses Problems und damit des Vertrages, dessen Beratung ich hier einleite. Aber wir haben es eben auch mit jener anderen Dimension zu tun, die sich daraus ergibt, daß die Supermächte ebenso wie die Staaten Europas den Kalten Krieg hinter sich gelassen haben.
Nun stellt sich die Frage, meine Damen und Herren: War und ist eine Entspannung in Europa organisierbar, ohne daß die beiden deutschen Staaten, was immer sie voneinander halten und was andere von ihnen halten, ihren Beitrag dazu leisten? Ich meine, die Antwort ist Nein.
({6})
Die Deutschen - wir Deutschen - das war und ist meine feste Überzeugung seit Jahren - wären mit einem Hauptstrom des weltpolitischen Geschehens in Konflikt geraten, hätten sie sich - hätten wir uns - in einem Europa, das trotz aller weiterbestehenden Differenzen auf Kooperation aus ist, als Inseln oder
auf Inseln einer erstarrten Feindseligkeit etablieren wollen.
({7})
Entspannung in Europa ist ohne Mitwirkung der beiden deutschen Staaten nicht möglich; sie ist zumal ohne aktive Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich, es sei denn um den Preis der Zerstörung der freundschaftlichen Bindungen zu unseren Partnern und Verbündeten im Westen.
({8})
Dies kann nicht deutlich genug gesagt werden: Unsere Politik, wie sie auch im Vertrag vom 21. Dezember 1972 ihren Niederschlag findet, entspricht einer der Grundentscheidungen in der Nachkriegsgeschichte, an die keine der Weltmächte rührt: nämlich von dem auszugehen, was der zweite Weltkrieg - der Krieg Hitlers und des Dritten Reiches - an veränderter europäischer Landkarte hinterlassen hat.
({9})
Das heißt aber, ob es uns gefällt oder nicht, daß gegenwärtig alle entscheidenden und auf uns einwirkenden Faktoren von der Teilung Deutschlands und davon ausgehen, daß aus Demarkationslinien Staatsgrenzen geworden sind.
Nun kann man gewiß auch im Jahre 1973 geltend machen, daß es 1953 - oder zu einem anderen Zeitpunkt nach 1945 - richtig gewesen wäre, dem deutschen Volk das Recht einzuräumen, über seine staatliche Einheit zu entscheiden und ihm auf diese Weise die Möglichkeit zu geben, sich in seiner Gesamtheit für den Frieden und die Wohlfahrt Europas zu engagieren. Ich würde einem solchen Hinweis schon deshalb nicht widersprechen und widersprechen können, weil ich dies selbst aus guter Überzeugung vertreten habe. Ich verschweige das nicht, und ich schäme mich dessen nicht.
({10})
Aber ob etwas richtig ist oder nicht, ob etwas richtig wird oder bleibt, darüber wird in der Politik, zumal in der internationalen Politik, bekanntlich nicht auf Grund von abstrakten Kategorien entschieden. Das tatsächliche Geschehen, der historische Prozeß beeinflußt und verändert die politischen Positionen, auch die Meinungen darüber, was politisch für richtig gehalten wird. Tatsache ist heute, daß es keinen kurzen Weg zur deutschen Einheit gibt und daß wir Deutschen uns aus unseren europäischen Abhängigkeiten nicht lösen können - es wohl, was uns hier im konkreten angeht, auch nicht mehr wollen.
Meine Damen und Herren, der Vertrag, der Ihnen heute vorliegt - das wissen die Partner -, soll nicht einem solchen Zustand des Friedens in Europa im Wege stehen, in dem auch die Deutschen in ihrer Gesamtheit frei darüber befinden könnten, wie sie ihr Zusammenleben organisiert sehen wollen. Im Gegenteil, der Vertrag soll, wenn es geht, wenn es irgend geht, ein weiteres Auseinandergleiten, ein weiteres Auseinanderleben unserer Nation verhindern helfen. Und er soll die Kommunikation zwischen den Menschen in Deutschland erleichtern und ver536
bessern helfen; er soll in unserem Verständnis sicherstellen, daß Wille und Bewußtsein der Zusammengehörigkeit als Voraussetzung für den Fortbestand der Nation nicht verlorengehen.
({11})
Ohne daß dies eine gemeinsame Zielsetzung der Vertragspartner genannt werden kann, darf man sagen: Der Vertrag soll und wird unserer Überzeugung nach den Menschen in Deutschland und dem Frieden in Europa zugute kommen. Er ist zwischen Gleichberechtigten ausgehandelt worden; anders hätte er nicht zustande kommen können.
({12})
Und er hat weder der einen noch der anderen Seite zur Durchsetzung von Maximalpositionen verholfen. Selbstverständlich konnte es sich nur um einen Kompromiß handeln.
({13})
Wenn ich dies nicht für einen tragbaren Kompromiß hielte, würde ich den Vertrag nicht vertreten.
Meine Damen und Herren, ganz gewiß entläßt uns dieser Vertrag nicht aus der Frage, was aus der deutschen Nation werden soll.
({14})
Durch den Text ist immerhin festgestellt, daß es sie gibt - beides, die Frage und die Nation.
({15})
Eine gemeinsame Antwort hat mit der DDR nicht gefunden werden können. Das dürfte nicht überraschen und wird in aller Offenheit klargelegt. Daraus den Schluß zu ziehen, hier würde, wie ich es gelesen habe, die Teilung „besiegelt", führt jedoch am tatsächlichen Sachverhalt vorbei.
({16})
Und, meine Damen und Herren, es bedeutet nicht, von der bedrückenden Realität einer Teilung, die nun schon über 25 Jahre andauert, abzulenken, wenn man fragt: Hat die Nation nicht in ihrer Geschichte weitaus längere Frontlinien überdeckt, die Deutschland durchschnitten, als daß sie innerhalb gemeinsamer Grenzen lebte? Existierte sie nicht über Jahrhunderte in der Mitte dieses Kontinents in Übergängen und Fragmenten und blieb doch - oder wurde doch wieder - Nation?
({17})
Manche haben - auch hier im Bundestag - die Geschichtslosigkeit der Deutschen oder von Deutschen beklagt, und sie haben dem Geschichtsbewußtsein anderer Völker vergleichsweise gute Noten ausgestellt. Ich will dazu heute nur sagen: Aus unserer Geschichte Lehren zu ziehen, heißt meiner Meinung nach auch zu erkennen und die Zuversicht zu hegen, daß ein Grundvertrag mit der DDR die Geschichte der Nation nicht abschneidet. Der Vertrag eröffnet ihr, der Nation, im Gegenteil, ohne daß wir uns in die Tasche lügen würden, neue, wenn auch begrenzte Möglichkeiten, nachdem die
Jahrzehnte der bloßen Feindseligkeit ohne jeden Zweifel nationale Substanz zerstört haben.
({18})
Im übrigen - erst gestern nachmittag war hier in anderer Verbindung davon die Rede - hat uns unser Weg in die Europäische Gemeinschaft geführt, die nach unserem Willen und dem unserer Partner noch in diesem Jahrzehnt zur Europäischen Union werden soll. Wenn man das nicht nur sagt, sondern auch meint und will, so hilft es nicht, den Kopf in den Sand zu stecken, statt gleich hinzuzufügen: Die DDR ist mit ihrer Staatsordnung, mit ihrem Gesellschaftssystem fest in das Bündnissystem osteuropäischer Staaten eingegliedert worden, und es entspringt nicht deutschem Hochmut, wenn ich ergänzend darauf hinweise, daß der andere deutsche Staat sowohl im RGW - Comecon pflegt man bei uns im Westen zu sagen - wie im Warschauer Pakt eine gewichtige Rolle spielt.
Meine Damen und Herren, was aus Deutschland wird, aus dem Verhältnis zwischen den Staaten in Deutschland, zwischen den Teilen des deutschen Volkes, das hängt in hohem Maße - und ich sage das hier nicht zum erstenmal - vom künftigen Verhältnis zwischen den Teilen Europas ab. Und deshalb können wir Deutsche es nur begrüßen, wenn von einem Teil Europas zum anderen Brücken gebaut werden, zwischen den Staaten, vielleicht sogar zwischen Bündnissen, jedenfalls zugunsten der Menschen und des Friedens. Deshalb auch mein einleitender Hinweis hier heute auf die bilateralen und multilateralen Aspekte der Entspannungspolitik.
Meine Damen und Herren, Abbau von Spannungen, aktive Friedenssicherung vollziehen sich auf zahlreichen Ebenen, und diese Ebenen sind miteinander verbunden, ineinander verzahnt. Der von den spezifischen Bedingungen ausgehende und ihnen Rechnung tragende Vertrag mit der DDR stellt in diesem Geflecht der Verhandlungen, Vereinbarungen und Verträge einen wichtigen Faktor dar, der durch andere nicht zu ersetzen war und ist.
Es gab, meine Damen und Herren, Zeiten, in denen viele befürchteten, es würde wegen Deutschland einen Dritten Weltkrieg geben können. Nun, der Moskauer und der Warschauer Vertrag, das Berlin-Abkommen der Vier Mächte, die deutschen Zusatzvereinbarungen und jetzt der Grundvertrag wollen - das gesamte Vertragswerk will - verhindern, daß der Frieden in Europa noch einmal wegen Deutschland und vom deutschen Boden aus gefährdet wird.
({19})
Aber, meine Damen und Herren, ich kann nicht wissen - und wer hier wollte sicher sein! -, wie es im einzelnen um die Zukunft der „deutschen Frage" steht. Aber ich hoffe, die Welt wird in unseren Antworten auf die „deutschen Fragen" - und ich verwende bewußt den Plural - dieser Jahre Einsicht, guten Willen und Fortschritte in Richtung auf Europa erkennen können. Hier in Deutschland, im
Nebeneinander und erwünschten Miteinander wird sich der Frieden bewähren müssen. Hier kann er immer noch gestört, hier könnte er schlimmstenfalls immer noch zerstört werden.
({20})
Deshalb - ohne Pathos, aber in allem Ernst -: Das Versprechen des Gewaltverzichts nehmen wir ganz wörtlich, ohne jedes Wenn und Aber.
({21})
Nun lassen Sie mich, meine Damen und Herren, auch bei dieser Gelegenheit hier heute vormittag vor Wunschvorstellungen warnen, die keine Verankerung in den wirklichen Gegebenheiten haben. Ich habe gesagt vorigen Monat und auch heute -, der Weg sei lang und er sei steinig. Wenn ich im vorigen Monat davon sprach, wir wollten einen Zustand erreichen, in dem nicht mehr geschossen wird, so ist auch ein solcher Zustand leider nicht von heute auf morgen zu erreichen.
Auf der anderen Seite: Wenn in einigen Wochen der angekündigte Bericht über die Entwicklung der Beziehungen zur DDR vorliegt, dann mag manchem in unserem Volk erst klar werden, auf wie vielen Gebieten und zugunsten wie vieler einzelner Menschen sich doch eine etwas positivere Entwicklung zu vollziehen beginnt. Und dies - was man ja auch nicht übersehen sollte -, obwohl der Grundvertrag noch nicht in Kraft ist. Es ist - lassen Sie mich dies hinzufügen - durchaus nicht überzeugend, wenn einige, die den Vertrag besonders heftig kritisieren, gleichzeitig beklagen, daß die von ihm zu erwartenden Wirkungen noch nicht festzustellen seien.
({22})
Den Verantwortlichen im anderen Teil Deutschlands, der DDR, möchte ich wünschen, daß sie jenes Maß an Sachlichkeit gewinnen, das ihnen den Verzicht auf Kleinlichkeit und Schikanen erlaubt.
({23})
Wie sonst übrigens könnten sie hoffen, in der Welt die angesehene Rolle zu spielen, die zu spielen sie sich vorgenommen haben?
Die Postverhandlungen mit der DDR, die einige Wochen unterbrochen waren, werden heute in Bonn weitergeführt. Zum Vertragswerk selbst gehört der inzwischen in Kraft getretene Briefwechsel über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten. In den vor kurzem begonnenen Gesprächen von Regierungsvertretern geht es darum, die Rahmenvereinbarung im einzelnen auszufüllen. Die Bundesregierung hat sämtliche Vorbereitungen getroffen - ich unterstreiche: Vorbereitungen -, um den Korrespondenten aus der DDR jene Arbeitsmöglichkeiten zu gewährleisten, wie sie allen Journalisten hier zur Verfügung stehen.
({24})
Die DDR hat begonnen, die Anträge unserer Journalisten auf Zulassung in Ost-Berlin zu beantworten. Ich gehe davon aus, daß nach dem etwas zögerlichen Beginn auf beiden Seiten - ({25})
- Meine Damen und Herren, ich würde, wenn ich auf eine solche Serie von Mißerfolgen in der Deutschlandpolitik zurückblicken müßte wie Sie, im Augenblick den Mund halten.
({26})
- Sie dürfen sich, nachdem Sie hier eine Viertelstunde lang herumgemosert haben, nicht wundern, wenn Ihnen einmal jemand die Wahrheit sagt.
({27})
Wir arbeiten uns mühsam aus Positionen heraus,
({28})
von denen wir alle miteinander bedauern müßten, daß es so negative Positionen geworden waren.
({29})
Deshalb sage ich noch einmal: Ich gehe davon aus, daß nach dem etwas zögerlichen Beginn auf beiden Seiten den berechtigten journalistischen Erwartungen Rechnung getragen werden wird.
Bei uns in der Bundesrepublik stößt man nun nicht selten auf die Sorge, daß unsere offene Gesellschaft durch mehr Austausch und Kontakt mit dem - wie man sagt - „Osten" Schaden leiden könnte, daß sie dem - wie man sagt - ideologischen Wettbewerb mit dem Kommunismus nicht gewachsen sei. Ich meine in allem Ernst, dies ist ein Mangel an Selbstsicherheit,
({30})
der meiner Überzeugung nach nicht angebracht ist. Ich will hier mit Nachdruck feststellen: Unsere Demokratie, unsere politische und gesellschaftliche Ordnung ist stark genug, um den Wettbewerb zu bestehen und auch mit der Kritik extremer Gruppen, die die DDR bekanntlich nicht aussparen, fertig zu werden. Der weitere zielstrebige Ausbau des sozialen Rechtsstaates, die Vertiefung und Verteidigung unserer freiheitlichen Demokratie, - das ist der Weg, von dem wir uns nicht abbringen lassen dürfen.
Meine Damen und Herren, unsere politisch-gesellschaftliche Ordnung und die der DDR sind miteinander natürlich nicht zu vereinbaren. Sie lassen sich nicht auf einen Nenner bringen.
({31})
Dennoch gibt es, so wie z. B. sogar zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, gemeinsame Interessen und auch Möglichkeiten der Begegnung, des Austausches, der jedenfalls partiellen
Zusammenarbeit. Dabei muß man den Mut haben, sich dem gegenseitigen Einfluß auszusetzen. Wer sich das nicht zutraut, braucht eigentlich über die Nation nicht mehr viel zu reden.
({32})
Es geht - ich muß das hier immer wieder betonen - um friedenssichernde Aufgaben diesseits des Feldes, auf dem erst noch über die Einheit der Nation entschieden wird. Unter den 20 Punkten, die ich im Mai 1970 dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR bei der Begegnung in Kassel übergab, stand als letzter die Aufnahme beider Staaten in die Vereinten Nationen. Heute liegt diesem Hause der Entwurf des Gesetzes zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland vor.
Im Grunde war es ja kein normaler Zustand, daß wir zwar seit vielen Jahren in den Sonderorganisationen der UN Mitglied waren, für sie beträchtliche Mittel aufwendeten und in vielerlei Hinsicht zu ihrer Arbeit beitrugen, zugleich aber wegen der ungeklärten Lage in Deutschland, wegen des ungeregelten Verhältnisses zwischen den beiden deutschen Staaten nicht ordentliches Mitglied der UN-Organisation werden konnten. Die Politik, für die wir uns 1969 entschieden und die wir seitdem entwickelt haben, gibt uns nun auch in diesem Bereich Handlungsfreiheit.
Die Bundesrepublik Deutschland wird künftig ihre Stimme auch in der Vollversammlung der Vereinten Nationen zur Geltung bringen können, wenn dort weltweite politische, wirtschaftliche, kulturelle Probleme in offener Aussprache zu behandeln sind. Die Tatsache, daß unsere Politik des Ausgleichs und der Versöhnung in den Vereinten Nationen nachhaltige Anerkennung gefunden hat, wird uns die Mitarbeit erleichtern. Auf der anderen Seite steht die Notwendigkeit, auch hier dem Wettbewerb mit der DDR nicht auszuweichen. An den Verantwortlichkeiten und Pflichten, die die Vier Mächte übernommen und in Verbindung mit diesem Vorgang bestätigt haben, ändert sich nichts.
Meine Damen und Herren, aktive Friedenssicherung und wirklicher Interessenausgleich zählen zu den bedeutendsten und zugleich schwersten Aufgaben dieser Zeit. Sie müssen durch eine ständig intensivierte Zusammenarbeit aller oder möglichst vieler Staaten bewältigt werden. Das erfordert gemeinsame Anstrengungen, nicht zuletzt auch im Verhältnis zwischen den reichen und den armen Ländern. Bei diesem Werk, das sich zunehmend der Instrumente der Vereinten Nationen bedient, soll es an unseren Anstrengungen nicht fehlen.
Die Gesetze, die dem Hause zur Ratifizierung vorliegen, sollen aus der Sicht und nach der Überzeugung der Bundesregierung den Willen der Bundesrepublik Deutschland unterstreichen, nicht nur zur momentanen Friedenssicherung, sondern zu einer Epoche guter Nachbarschaft beizutragen: weltweit, in Europa, auch im Verhähltnis beider deutscher Staaten zueinander. Der Titel „Ostpolitik" wird - ich betonte es schon früher diesem Kapitel unserer friedensbewahrenden Arbeit und unserer diplomatischen Aktivität nicht ganz gerecht, denn sie sind ihrer Natur, ja, ihren Ursprüngen nach zugleich Westpolitik.
Meine Damen und Herren, unsere Politik hat die Allianz, in der unsere Sicherheit verankert ist, nicht gelockert, sondern gefestigt, weil unsere deutschen Interessen in die unserer Alliierten einmünden. Der Abschluß der Verträge von Moskau und Warschau, das Viermächteabkommen über Berlin und der Grundvertrag haben die Übereinstimmung im Bündnis gestärkt.
Die Europäische Gemeinschaft hat diese Politik als Ermutigung aufgenommen. Es haben sich daraus sogar Impulse für die Arbeit an der Europäischen Union ergeben, nämlich für die Erprobung einer westeuropäischen Außenpolitik.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe durch die Ausschüsse prüfen zu lassen, um dann die fällige politische Entscheidung zu treffen.
({33})
Das Haus hat die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zur Kenntnis genommen. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Erlauben Sie mir zunächst aus der Einführungsrede des Herrn Bundeskanzlers zwei Punkte herauszunehmen und dazu unsere Auffassung zu sagen. Es sind zwei Punkte, die, wie ich fürchte, den unterschiedlichen Denkansatz bei der Koalition und bei der Opposition in der Frage, die hier zu entscheiden steht, deutlich machen.
Sie haben soeben, Herr Bundeskanzler, an die Verantwortlichen in der DDR den Wunsch gerichtet, sie möchten wegkommen von „Schikanen" und „Kleinlichkeiten". Dies, Herr Bundeskanzler, ist uns zu dürftig
({0})
und ist uns zu wenig, denn das, was uns trennt, drückt sich darin aus, daß wir von denen drüben zumindest die Herstellung der Freizügigkeit in diesem Deutschland, das doch weiter existiert, erwarten müssen.
({1})
Das zweite. Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, es habe in den letzten Jahren international eine Sorge wegen eines möglichen dritten Weltkrieges gegeben, und er sagte: wegen Deutschland. Herr Bundeskanzler, dies ist eine bemerkenswert unpräzise Äußerung. Niemand hat eine Sorge gehabt wegen eines dritten Weltkrieges wegen der Politik der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Diese Sorge gab es und dieses Bündnis entstand
doch nur wegen der aggressiven Nachkriegspolitik
der Sowjetunion in Europa, z. B. in Prag, z. B. in Berlin, z. B. in Deutschland.
({3})
Von hier aus ist doch diese Sorge nie zu begründen gewesen. Niemand hat sie in diesen Jahren von hier aus begründet. Und hier hat sich keiner beteiligt wie die drüben - und vielleicht sogar angeregt; das wird man nie genau wissen - beim Einmarsch in die Tschechoslowakei; das haben die drüben gemacht.
Ich meine, es sollte deshalb klar sein, daß hier in diesem Hause, so wie dies seit der Gründung dieser Bundesrepublik Deutschland der Fall ist, seit es dieses Haus gibt, alle für den Frieden sind. Hier ist nie eine andere Politik gewollt, hier ist nie eine andere Politik konzipiert und hier ist nie eine andere Politik betrieben worden.
({4})
Es sollte, Herr Bundeskanzler, in dieser Debatte kein Streit darüber sein, daß in diesem Hause alle für Gewaltverzicht sind - das steht nämlich auch in unserer Verfassung -, daß wir alle für die Entspannung sind, für die Zusammenarbeit, für die menschlichen Erleichterungen und für die europäische Einordnung der Lösung des deutschen Problems. Dies alles sollte in der Solidarität der Demokraten hier keinen Streit begründen.
Das, um was es heute geht, ist der von Ihnen vorgelegte Grundvertrag. Über diesen Vertrag ist hier jetzt zu reden. Dazu haben Sie, Herr Bundeskanzler, bemerkenswert wenig gesagt.
({5})
Wir haben es mit einem Vertrag zu tun, der nach einer Untersuchung des Europaarchivs in einem sehr bemerkenswerten Beitrag bezeichnet wird als „kein gelungener Vertrag", als „kein besonders ehrlicher Vertrag", als ein „Vertrag, der tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten durch Formelkompromisse notdürftig überdeckt",
({6})
- das sind alles Zitate aus dieser Untersuchung -({7})
- Ja, ist es vielleicht verboten, daß im Europaarchiv ein CDU-Mann seine Meinung sagt, Herr Kollege? So weit wird es hier ja wohl nicht kommen.
({8})
Er sagt - und dies ist völlig klar -, daß in diesem Vertrag nur die Stellen besonders klar und eindeutig sind, an denen es um die Fixierung wesentlicher Forderungen des anderen Vertragspartners geht. - Wir teilen dieses Urteil. Wir glauben, daß dieses Vertrag flüchtig, unter Zeitdruck ausgearbeitet und schlecht ist. Wir können uns deshalb den Vorwurf der Opposition an die Regierung nicht ersparen: diese Bundesregierung hat den Standpunkt des freien Deutschlands in diesem Vertrag ungenügend durchgesetzt.
({9})
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Geßner?
Aber gerne, Herr Kollege!
Herr Dr. Geßner!
Herr Kollege Barzel, zurückkommend auf den Zwischenruf, der eben gemacht worden ist, möchte ich Sie fragen, ob Sie es nicht auch als ein Zeichen Ihrer eigenen Schwäche betrachten, wenn Sie sich jetzt schon gegenseitig zitieren müssen und dabei den Eindruck erwecken, als habe jemand anders diesen Beitrag geschrieben.
Aber verzeihen Sie, ich habe diesen Eindruck überhaupt nicht erweckt; das war auch nicht meine Absicht. Ich nehme an, daß ein so wichtiger Beitrag, der an einzelnen Stellen zu Auffassungen kommt, die völlig quer durch dieses Haus gehen, natürlich allen Kollegen im Haus bekannt ist.
({0})
Der Vertrag, um den es hier geht, und die Debatte, die hier eine Rolle spielt, sollten, wie ich glaube, von keiner Seite etwa den Eindruck erwecken, als gäbe es hier irgend jemanden, der nicht bereit wäre, zu vertraglichen Vereinbarungen mit der DDR zu kommen.
Wir haben am 17. Mai des vergangenen Jahres fast einstimmig eine völkerrechtlich relevante Resolution verabschiedet, die ein Dokument der Bundesrepublik Deutschland geworden ist. In Ziffer 10 dieser Resolution des Bundestages heißt es - ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten -:
Die Bundesrepublik Deutschland tritt für die Normalisierung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ein. Sie geht davon aus, daß die Prinzipien der Entspannung und der guten Nachbarschaft in vollem Maße auf das Verhältnis zwischen den Menschen und Institutionen der beiden Teile Deutschlands Anwendung finden werden.
Das heißt, am 17. Mai war dieses Haus einig, daß hier nicht irgendein politischer Vertrag entstehen sollte, sondern ein Vertrag mit ganz bestimmten Inhalten, mit der Zielrichtung, mit den Merkmalen, mit den Konsequenzen und Kennzeichen: Normalisierung, Entspannung, gute Nachbarschaft.
Also heißt, so meine ich, Herr Bundeskanzler, in einer ersten Lesung die Frage: Sind diese drei Kategorien erfüllt, die wir hier einmütig aufgestellt haben, durch diesen Vertrag, dem wir auf Ihre Bitte zustimmen sollen?
Sehen wir uns die drei Merkmale an, und fangen wir mit der guten Nachbarschaft an! Meine Damen
und Herren, zu guter Nachbarschaft gehört doch die Möglichkeit, daß Nachbarn einander wirklich begegnen, gehört doch z. B. - das muß in dieser Debatte gesagt werden, gerade weil es auch die Philosophie dieser Politik ist, die Nation lebendig zu halten, selbst dann, wenn es nicht möglich ist, in diesem Augenblick die staatliche Einheit herzustellen -, die Nation durch das lebendig zu halten, was Sie Kontakte nennen, durch das, was wir die Freiheit der Begegnung nennen. Nun ist hier diese gute Nachbarschaft gefragt. Was sagt Ihr Vertrag dazu? Er enthält irgendwo die Zusage, daß beim Inkrafttreten des Grundvertrags „in besonderen Ausnahmefällen" z. B. die „Genehmigung zur Eheschließung" erteilt werden kann. Das widerspricht ganz klar dem Menschenrechtskatalog der Vereinten Nationen. Wenn nicht einmal dies normal ist, dann kann man doch von guter Nachbarschaft, die dieser Vertrag herstellen soll, auf gar keinen Fall sprechen.
({1})
Sehen Sie sich das andere Wesensmerkmal an, das wir hier miteinander genannt haben, die Entspannung! Wir glauben, daß zur Entspannung nun einmal die Freizügigkeit für Menschen, für Informationen und Meinungen gehört. Dies vertreten wir doch seit Jahren. Als ich das von dieser Stelle aus zum erstenmal sagte, hielt man mir doch von der Koalition entgegen, was da die Opposition verlange, sei unmöglich. Inzwischen kehrt genau dieser Satz in den NATO-Kommuniqués von Sitzung zu Sitzung wieder. Und über genau diesen Satz kämpft man in Helsinki mit so unterschiedlichem Erfolg und mit so unterschiedlicher Kraft, Herr Bundeskanzler.
({2})
Aber wie soll eigentlich der Delegierte der Bundesrepublik Deutschland in Helsinki eine kraftvollere Haltung in dieser Frage einnehmen, wenn der Herr Bundeskanzler hier im Hause an die DDR nur die Bitte hat, von „Kleinlichkeiten" und „Schikanen" abzusehen, meine Damen und meine Herren!
({3})
Dies ist der Maßstab des Westens und nicht nur der Opposition. Das zweite Wesensmerkmal für dieses ganze Haus, nämlich die Entspannung, ist durch diesen Vertrag nicht erreicht.
Das dritte: Wie ist es mit der Normalisierung? Normalisierung ist nur möglich - das sage ich als ein Beispiel; es gehört dazu, und das haben wir immer gesagt, und es bleibt unsere Meinung; auch damit stehen wir ja keineswegs allein -, wenn mit Schießbefehl ebenso wie mit automatischen Tötungsanlagen Schluß ist.
({4})
Meine Damen und Herren, auch dies ist durch diesen Vertrag nicht erreicht, wird durch diesen Vertrag nicht gesichert.
So entspricht der Vertrag nicht den drei Maßstäben, die der letzte Bundestag für einen solchen Vertrag fast einstimmig hier aufgestellt hat.
Die nächste Frage, die nun zu stellen ist, lautet, ob der Vertrag den Maßstäben gerecht wird, welche die CDU/CSU in dieser Beziehung in ihrem Programm festgelegt hat; denn wir halten uns an das dem Wähler gegebene Wort, wir machen da keine Verbalismen mit „Wahrheit". Ich will die Debatte hier nicht wiederholen. Aber ich möchte gern für diese so wichtige Aussprache unsere Position ganz unmißverständlich nach unserem Programm in diese Debatte einführen. Wir sagen:
Wir wollen Entspannung in Deutschland durch Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen. Der DDR muß zugemutet werden, der Realität der Einheit unseres Volkes in dem Maße Rechnung zu tragen, in dem w i r der Realität ins Auge sehen, daß die staatliche Einheit Deutschlands zur Zeit nicht verwirklicht werden kann. Wir sind bei allen grundsätzlichen Unterschieden, die wir nicht verwischen, im Interesse der Menschen in dem Maße zum Miteinander mit der DDR bereit, in dem diese Schritt um Schritt den Weg für die Freizügigkeit freigibt. Wir haben dazu einen Stufenplan vorgelegt, den wir fortentwickeln werden. Wir bejahen Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands, die das Leben im geteilten Land erleichtern, die Fundamente künftiger Einheit erhalten und den Weg zu einer friedlichen Ordnung in Europa ebnen.
So weit diese uns verpflichtende Auffassung. Der vorliegende Vertragstext entspricht - das ist offenkundig - diesem Programm nicht. Der Versuch, die Einheit der Nation bei Existenz von zwei Staaten in Deutschland zur Grundlage des Vertrages und des Verhältnisses zwischen beiden Staaten in Deutschland zu machen, ist nicht gelungen. Gleichwohl - und es war doch Ihre erklärte Absicht, dies zu erreichen - haben Sie unterschrieben und wollen, daß dieses Haus zustimmt.
Wir vermissen die Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung. Was die DDR wollte, steht überwiegend im Vertrag. Das, worauf w i r Wert legten und was die Bundesregierung selbst wollte, ist weitgehend - und das auch nur zum kleinen Teil - in Absichtserklärungen enthalten. Eine unmenschliche Trennungslinie wird zu einer unmenschlichen Grenze. Wir fragen: Warum haben Sie nicht mit mehr Geduld und mehr Festigkeit und mit mehr Bemühung um eine gemeinsame Auffassung des ganzen Hauses, die sich doch nach der Ziffer 10 dieser gemeinsamen Entschließung anbot, hier verhandelt oder verhandeln lassen - Herr Kollege Wehner?
({5})
Meine Damen und Herren, wir haben, wie gesagt, der Herstellung der Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen und der Verwirklichung entscheidender menschlicher Erleichterungen stets besondere Bedeutung beigemessen, auch für den Abschluß des Grundvertrages. Der Grundvertrag selbst enthält über diese wichtigen Punkte
keine Aussage. Gewisse menschliche Erleichterungen sind in einigen Absichtserklärungen außerhalb des eigentlichen Vertrages, also in Protokollnotizen, in Briefwechseln und in einseitigen mündlichen Erklärungen, lediglich in Aussicht genommen; das heißt, sie sind rechtlich nicht hinreichend und verläßlich abgesichert. Da das politische Selbstverständnis und die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in keiner Weise ein Hindernis für die Schaffung menschlicher Erleichterungen darstellen noch irgendwann in der Vergangenheit dargestellt haben, mußte es das Ziel der Verhandlungen mit der DDR sein, vertragliche Garantien der DDR für unsere menschlichen Zielsetzungen zu erreichen. Solche Garantien enthält der vorliegende Grundvertrag jedoch nicht. Einseitige Absichtserklärungen vermögen sie nicht zu ersetzen.
Der Vertrag sollte - und dies ist ein anderer Punkt - verläßliche Grundlagen für das Verhältnis zwischen beiden Teilen Deutschlands schaffen.
Statt dessen sind Grundfragen, die die Einheit der Nation, Freiheit, Menschenrechte, entweder gar nicht berührt, oder sie wurden so formuliert, daß unterschiedliche Auslegungen Anlaß ständigen Streites sein können.
Wir wollten - weiter -, daß der Vertrag die deutsche Frage politisch und rechtlich eindeutig offenhält.
({6})
In der Welt ist er jedoch, ohne deutlichen und ohne wirksamen Widerspruch der Bundesregierung, weitgehend - eben weil dieser Widerspruch ausblieb - als das Einverständnis der Deutschen mit der ihnen aufgezwungenen Spaltung aufgefaßt worden. Wir haben jedoch den Auftrag, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Der Vertrag sollte weiter - so war auch Ihre Einlassung - in politisch und rechtlich wirksamer Weise den Friedensvertragsvorbehalt sichern. Das enthält er nicht. Er wird die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes für das ganze deutsche Volk nicht erleichtern, sondern erschweren. Er erwähnt nicht die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes und Berlin. Er ist geeignet, Geist und Buchstaben des Deutschlandvertrages auszuhöhlen. Und: Dieser Grundvertrag bezieht das Land Berlin nicht in der für Berlin unerläßlichen Weise ein. Auch aus diesen Gründen werden wir diesen Vertrag ablehnen.
In diesen Zusammenhang aber gehört, meine Damen und Herren, daß hier einige Fragen nicht nur gestellt, sondern auch beantwortet werden, die die Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Aspekt dieses Vertrages betreffen. Ich möchte die Vertreter der Regierung doch bitten, alle die Fragen zu beantworten, die in der Bundesratsdebatte nicht beantwortet worden sind, z. B. die Fragen, die der Ministerpräsident Filbinger dort im einzelnen sehr präzise und sehr konkret gestellt hat. Wir behalten uns vor, im Laufe dieser Debatte und in den Ausschußsitzungen darauf zurückzukommen.
In diesem Zusammenhang gehört noch ein anderes, Herr Bundeskanzler, damit greife ich Debatten auf, die wir in diesem 7. Bundestag schon gehabt haben, aber das muß hier noch verdeutlicht werden. Wir haben alle lesen können, daß es Meinungsumfragen in der Bundesrepublik Deutschland gibt, nach denen sich der Kreis der Mitbürgerinnen und Mitbürger, die glauben, dieser unser freiheitlicher Rechtsstaat könne sich eine neutralistische Politik leisten, vergrößert.
({7})
Herr Bundeskanzler, vor der Bundestagswahl 1969 gab es folgende Antworten auf die Fragen: Was wäre nach Ihrer Ansicht die bessere Außenpolitik? Sollten wir uns weiter mit den Amerikanern fest verbünden, oder sollten wir versuchen, ganz neutral zu sein? Vor der Bundestagswahl 1969 waren 50% der Befragten dafür, daß wir uns mit den Amerikanern verbünden sollten, vor der Bundestagswahl 1972 waren es 37 °/o. Dafür, daß wir ganz neutral sein sollten, waren vor der Bundestagswahl 1969 38 %, 1972 43 N. Herr Bundeskanzler, da muß doch in diesen drei Jahren durch politische Führung durch diese Regierung etwas passiert sein, was die Wertvorstellungen hier, im freien Deutschland, in Frage stellt.
({8})
Das Verschweigen von Unrecht, das Herunterminimalisieren dieser Sachen auf „Schikanen" und „Kleinigkeiten", das führt doch dazu. Ich wiederhole unseren Satz: Es ist Sache der Zukunft der Freiheit hier in der Bundesrepublik Deutschland, nicht über dieses Unrecht zu schweigen, das in Deutschland immer noch geschieht.
({9})
Wir fügen hinzu: Sollte nun oder in Zukunft - das gehört in diese Debatte, wenn auch nur mit einem kurzen Hinweis - die DDR oder sollten andere die Frage der Einheit, und zwar unter ihrer Flagge, also die Wiedervereinigung im kommunistischen Sinne, vorschlagen, anstreben, auf welchen Wegen auch immer, so werden wir uns dem ebenso widersetzen wie jedem Versuch, unsere Gesellschaftsordnung hier etwa den Vorschlägen und Vorstellungen von drüben anzupassen.
({10})
Hierher gehört ein Weiteres - und diese Debatte hatten wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, und auch dem Kollegen Wehner angekündigt -: Sie hatten in Ihrer Regierungserklärung gesagt: „Frieden vor Nation", und haben dies als einen Beitrag zur europäischen Entspannung bezeichnet. Wir haben dies in der Debatte aufgenommen und am 26. Januar davon gesprochen, daß es für uns hier nach wie vor drei Begriffe gibt, die „Freiheit", „Frieden" und „Einheit" heißen. Dann hat der Kollege Wehner in seiner Antwort auf diese Replik von mir gesagt, an diesem 26. Januar 1973 - man lese das Protokoll nach -, ich gebrauchte hier „morsche Formeln aus dem Parolenausverkauf der fünfziger Jahre".
({11})
) Herr Kollege Wehner, für uns sind Freiheit, Frieden und Einheit hohe Werte, für die wir einstehen und einstehen werden, ob bequem oder nicht.
({12})
Für uns steht eben - und dies muß hier deutlich sein - Freiheit vor Einheit.
Ich möchte in dieser Diskussion ein Zitat anführen. Einige meiner Kollegen aus meiner Fraktion werden das längst erwarten, weil sie wissen, daß ich mich seit einigen Wochen mit Ferdinand Lassalle beschäftigte
({13})
und einigen bei uns schon auf die Nerven falle mit
Zitaten und Fragen, wie sie dies und jenes beurteilen. Da Sie sich so darüber freuen, möchte ich Ihnen
aus der großen Rede, die Lassalle vor den Berliner
Arbeitern gehalten hat, drei Sätze vorlesen. Er sagt: Allen einzelnen aber durch die großen Gesamteinrichtungen des Staates in einer den jedesmaligen Zeitbedürfnissen entsprechenden Weise die reale Möglichkeit zur Selbsthülfe und Selbstentwicklung zu gewähren, das ist gerade der innerste Sinn der Freiheit. Das ist der wahre Inhalt aller gesellschaftlichen Ordnung. Das ist der letzte Grund und Zweck des Staates. Das ist gerade der wahrhafte Grund, weshalb Staaten überhaupt bestehen.
Ist das auch eine morsche Parole aus dem Parolenausverkauf? Meine Damen und Herren, diese Frage muß doch hier gestellt werden.
({14})
Und hierher gehört ein anderes. Der Bundeskanzler selber hat vor drei Monaten uns allen gesagt - und er hat dies sehr markant verkündet -, wir sollten „stolz sein auf unser Land". Herr Bundeskanzler, wie definieren Sie dieses „unser Land"? Die Bundesrepublik Deutschland oder Deutschland? Wie definieren Sie dies, wenn Sie stolz sein wollen auf „dieses Land" ? In Ihrer Regierungserklärung sagen Sie:
Niemals lebte ein deutscher Staat in einer vergleichbar guten Übereinstimmung mit dem freien Geist seiner Bürger, mit seinen Nachbarn und den weltpolitischen Partnern.
Wenn Sie dies sagen, reduzieren Sie doch Ihren Stolz und damit „unser Land" auf die Bundesrepublik Deutschland. Wenn Sie dies sagen, können Sie doch nicht behaupten, Sie lebten in guter Übereinstimmung mit den Nachbarn. Oder wollen Sie dies von der DDR etwa sagen? Was ist nun das, was Sie mit „unser Land" hier meinen? Wir, meine Damen und Herren, werden uns der Einengung des vaterländischen Bewußtseins auf die Bundesrepublik Deutschland widersetzen.
({15})
Ich habe nicht die Absicht - und ich denke, keiner von uns hat die Absicht -, ein Bundesrepublikaner zu werden. Wir sind Deutsche und gedenken dies zu bleiben.
({16})
Bei der Vertragsdebatte im Bundesrat am 6. Februar hat sich der Herr Bundeskanzler vertreten lassen - dies aus guten Gründen - und erklären lassen: Die Bundesregierung sieht „keine Alternative" zu der Politik, wie sie in dem vorliegenden Vertrag zum Ausdruck kommt. - Das haben wir heute zwar nicht so direkt, aber indirekt auch wieder gehört. Ich glaube, dies ist nicht nur eine Sprache rechthaberischer Diskussionsfeindlichkeit, die mehr dem Übermut der Mächtigen entspricht als der Diskussionsfreudigkeit des Demokraten, der doch durch Gespräch und Alternative klüger werden will.
({17})
Die Behauptung, es gebe keine Alternative, ist schlechthin unwahr, nicht nur im Blick auf die Alternative der Opposition, sondern vor allem im Blick auf das, was die Bundesregierung selbst wollte. „Keine Alternative" - das heißt doch nur von dem ablenken, was die Regierung hier selber erreichen wollte.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in den 20 Kasseler Punkten, von denen Sie gesprochen haben, folgendes formuliert - und dies gehört in diese Debatte zur ersten Lesung -; ich zitiere jetzt nur den grundsätzlichen Teil:
Unsere Vorstellungen über Grundsätze und Vertragselemente für die Regelung gleichberechtigter Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik lauten wie folgt:
1. Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik, die in ihren Verfassungen auf die Einheit der Nation ausgerichtet sind, vereinbaren im Interesse des Friedens sowie der Zukunft und des Zusammenhalts der Nation einen Vertrag, der die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland regelt, die Verbindung zwischen der Bevölkerung und beiden Staaten verbessert und dazu beiträgt, bestehende Benachteiligungen zu beseitigen.
Die beiden Seiten sollen ihren Willen bekunden, ihre Beziehungen auf der Grundlage der Menschenrechte, der Gleichberechtigung, des friedlichen Zusammenlebens und der Nichtdiskriminierung als allgemeinen Regeln des zwischenstaatlichen Rechts zu ordnen.
Herr Bundeskanzler, dies haben Sie nicht erreicht. Vielleicht war dies nicht zu erreichen, aber warum haben Sie gleichwohl unterschrieben? Das ist doch die Frage, die hier zu stellen ist.
({18})
Sie haben dies ja auch selbst gemeint, nicht nur in diesen Kasseler Punkten, die vielleicht ein Koalitionspapier gewesen sein mögen. Sie selbst haben am 21. Mai in Kassel zur Ergänzung folgendes gesagt - ich zitiere noch einmal -:
Wie ich schon in Erfurt hervorgehoben habe,
sind die Verfassungen beider deutscher Staaten
auf die Einheit der Nation begründet. Sie sehen beide vor, daß die Spaltung kein Dauerzustand bleiben soll. Ich meine, wir können unsere Beziehungen zueinander nicht sinnvoll regeln, ohne diese Verfassungsgrundsätze zu berücksichtigen.
({19})
Warum, Herr Bundeskanzler, haben Sie gleichwohl etwas unterschrieben, das nach Ihren eigenen Worten keine sinnvolle Regelung ist?
Und dem sollen wir nun zustimmen?! Nein! Dieser Vertrag bleibt zurück hinter den ursprünglichen Vorstellungen der Regierung, er bleibt zurück hinter dem, was dieses Haus wollte, und er bleibt zurück hinter dem, was unverzichtbar in einen solchen Vertrag gehört hätte.
({20})
Meine Damen und Herren, ich möchte in diese Debatte schließlich noch die besorgte Stimme eines Mannes einführen, den die meisten unter uns kennen und, quer durch die Parteien, in seinem sachlichen, neutralen Urteil schätzen. Fred Luchsinger, der Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung" schreibt anläßlich der Paraphierung dieses Vertrages:
Die Abmachungen bringen die Angehörigen dieser einen Nation in Ost und West einander in der Praxis ihrer Verbindung bei weitem nicht so nahe, wie es Westdeutsche und Ausländer im freien Teil Europas sein können, und die Wortklammer der Nation ist im Vertragstext geradezu zu ihrem Gegenteil geworden, nämlich zum Objekt der Meinungsverschiedenheit.
({21}) Er fährt fort:
Tempi passati? Ob das, was unter der Wirkung der „normativen Kraft des Faktischen" nun als Schritt zur Normalisierung empfunden wird, wirklich das Modell einer haltbaren Normalität für Deutschland abgibt oder ob man damit in Ost und West das deutsche Problem glücklich und endgültig vom Halse hat, das wird sich erst noch erweisen müssen. Es könnte da einmal ein großes Augenreiben geben.
Es könnte da einmal ein großes Augenreiben geben, vielleicht auch bei manchem in diesem Hause, wenn er sich die ganzen Texte und alles, was dazu gehört, noch einmal präzise ansieht, sich die Augen reibt, bevor er diesen Ablenkungen folgt und aus allgemeinen Gründen diesem schwerwiegenden Vertrag etwa seine Zustimmung gibt.
Unser Nein zu diesem Vertrag ist zugleich ein Nein zu Unrecht, Unfreiheit und Diktatur in Deutschland. Das so begründete Nein sollte drinnen und draußen jedermann ernsthaft erwägen. Respektieren aber muß es insbesondere, wer die jüngste deutsche Geschichte kennt. Von deutschen Boden - das ist doch der zweite Satz, der hier gesagt werden muß, Herr Bundeskanzler - sollte nie mehr Unrecht und Gewalt ausgehen.
({22})
Wenn dies geschieht, obwohl wir das nicht ver- 1 ändern können, dann muß man manchmal manches eine ganze Weile hinnehmen. Aber schweigen dazu und nur noch von „Schikanen" und „Kleinlichkeiten" reden, das ist uns zu wenig.
({23})
Weil wir ein Ja sagen zu den Prinzipien, die wir zuletzt am 17. Mai 1972 hier gemeinsam gefunden haben, weil wir ein Ja sagen zum Selbstbestimmungsrecht und ein Ja sagen zu einer stufenweisen, geduldigen Politik unter der Überschrift Frieden durch Menschenrechte, sagen wir zu diesem Vertrag nein. Dem Regime in der DDR schulden wir nichts, dem Volk dort, den Menschen dort alles.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU gibt mir Anlaß, zu dieser Zeit dem Herrn Bundeskanzler ausdrücklich für die gesamte Fraktion der Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag dafür zu danken, wie er heute den Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik eingebracht und begründet hat.
({0})
Wir danken insbesondere dafür, daß mit dieser Rede der Grundlagenvertrag seinen Platz im Gerüst der Verträge, die zu den Notwendigkeiten dieses Jahrzehnts gehören, gefunden und beschrieben bekommen hat. Das ist das Wesentliche, und insofern weisen wir den Tadel daran, daß nicht nur über den Vertrag über die Grundlagen, seine Artikel und Paragraphen, sondern mit Recht über das Gesamtgefüge gesprochen wird, weil das für unser aller Entscheidung entscheidend werden wird, zurück.
({1})
Der Herr Bundeskanzler hat mit seiner Begründung - er wird mir es wohl nicht übelnehmen, wenn ich eine Bezugsstelle aufzeige, die mir auch bedeutungsvoll erscheint - aus einer Rede des Bundeskanzlers Kiesinger zum 17. Juni des Jahres 1967 die Konsequenz nicht nur gezogen, sondern nachgewiesen. Dort ging es darum, daß die deutsche Frage nur lösbar werden kann - und lösbar gemacht werden muß -, wenn es gelingt, zu einem Interessenausgleich zwischen den Bündnissen von West und Ost zu kommen. Und wenn Sie, meine Damen und Herren, dies nachlesen und nicht nur andere Sachen bei dieser Gelegenheit lesen, dann werden Sie finden, daß das damals sehr eindrucksvoll begründet worden ist.
Und nun, meine Damen und Herren, nur eine ganz kurze Bemerkung zu der Kritik des Sprechers der Opposition an der Bundesregierung und ihrer Politik, zu der dieser Vertrag gehört: Herr Dr. Barzel, Sie machen es sozusagen der Bundesregierung zum
Vorwurf, daß die DDR die DDR ist und nicht ein Phänomen ({2})
als ob ein Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden in der Nachfolgezeit des Hitler-Krieges entwickelten Staaten erst geschlossen werden dürfte, wenn beide nach unseren Prinzipien leben würden!
({3})
Und genau das ist der Irrtum, dem manche von Ihnen unterliegen;
({4})
das ist die Fehlvorstellung, die Sie anderen in unserem Volke beibringen.
Ich will mich hier nicht darüber auslassen, daß natürlich in Ihren eigenen Reihen - und wie könnte das anders sein; bei uns ist das in entsprechenden Situationen auch nie anders gewesen - heftig gerungen wird um die Ausgangsposition und um die Ausgangssituation, die Sie insgesamt - ganz verständlich - als eine so große Fraktion einnehmen müssen in dieser Periode, die nun eben, meine Damen und Herren, unter anderen Vorzeichen begonnen hat. Das ist die Situation!
({5})
Und nun noch eine einzige Bemerkung zu dem, was Sie da wieder in Anlehnung an Ihren geliebten Begriff von der Solidarität der Demokraten gesagt haben:
({6})
Ich habe kürzlich gesagt, womit sie anfangen muß. Und, Herr Dr. Barzel, ich muß Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen, daß man dann auch mit einer Zunge im selben Munde reden muß - hier und in Berlin!
({7})
Ich zitiere, weil auch Sie angefangen haben zu zitieren. Mir hat ein von mir sehr verehrter Kollege, der diesem Bundestag nicht mehr angehört, mit aller Empörung, die in ihm zitterte, geschrieben, daß er in der Zeitung „Die Welt" am 7. Februar eine Reportage über Herrn Barzels letzten Berlin-Besuch gefunden habe. Und dann kommen folgende Zeilen, die ich auch noch einmal nachgeprüft habe:
Der Applaus brandete im Saal der Hochschulbrauerei auf,
({8})
als Barzel den CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß energisch verteidigte und sein Kurzplädoyer mit den saloppen Worten schloß: Und wenn Ihnen das noch nicht genügt - er hat
immer noch dieselbe Frau und dieselbe Staatsbürgerschaft.
({9})
Mir vergeht das Lachen, mir vergeht der Spott! - Nein, nein, es lohnt nicht, „Pfui" zu sagen, es lohnt sich nur dies: Sprechen Sie immer mit derselben Zunge, entweder mit der von Berlin oder mit der von hier, aber mit derselben Zunge, und reden Sie nicht von „Solidarität der Demokraten" !
({10})
Und da Sie angefangen haben zu zitieren: Ich wünsche Ihnen, Herr Dr. Barzel, und ich wünsche allen Ihren Kollegen, und ich wünsche es Ihnen ohne Arg, weil Sie Sowohl-als-auch-Stellen sowohl bei Lassalle als auch bei anderen finden werden
({11})
- ich zitiere jetzt nicht Lassalle; ich hoffe, Sie studieren ihn weiter und zitieren ihn nicht nur, wenn es Ihnen gerade zu passen scheint - -({12})
- Moment! Darüber reden wir ja nach Ihren Vorstellungen heute und bis morgen. Ich habe hier nur gesagt, daß ich repliziere, und das werden Sie mir ja nicht verbieten können!
({13})
Ich denke daran, was Sie überhören, woran Sie meinen sich nicht stoßen zu brauchen und was Sie gelegentlich glauben - die meisten von Ihnen - sozusagen überspielen zu können, manche mit einem gewissen eigentümlichen Unterton, nämlich daß man sowieso immer aufpassen müsse, wenn westliche Vertragspartner oder Verbündete sagen: Ja, diese Fragen der, wie Brandt sie qualifiziert hat, „Ostpolitik" sind auch in unserem Interesse. Da gibt es ja von Herrn Schröder über Herrn Barzel bis hin zu Herrn Strauß alle erdenklichen Bewertungen der Vertragspartner.
Ich zitiere hier auch einmal, und zwar den holländischen Herrn Norbert Schmelzer, mir vertraut aus vielen Jahren seit 1955,
({14})
als wir das Aktions-Komitee für die Vereinigten Staaten von Europa unter der Präsidentschaft von Jean Monnet mitbegründeten. Herr Schmelzer hat in einem Interview, das man am besten ganz kennt, im Mai letzten Jahres in unserer Zeitschrift „Die neue Gesellschaft" erklärt:
Darf ich vorausschicken, daß ich volles Verständnis für all diejenigen habe, die noch immer tief
beeindruckt und auch betrübt sind darüber, daß
diese Grenze zwischen den zwei Deutschlands besteht. Aber es ist natürlich nicht genügend, sich niederzusetzen, wie Johann Sebastian Bach in der Matthäus-Passion sagt, mit Tränen. Es sind Tatsachen, und keiner wünscht im Westen, und ich hoffe auch im Osten, die Lage mit Gewalt zu ändern.
Was ist dann die Antwort? Zuerst einmal glaube ich, daß realistische Politik von uns verlangt wird, daß wir einsehen, daß so, wie die Dinge jetzt sind, die politischen Ziele, wie sie verwurzelt sind in den politischen Systemen, wie sie jetzt bestehen im Ostblock, andere Ziele, andere Ideale sind, als wie wir sie im Westen haben. Aber doch müssen wir zusammen in Frieden und Sicherheit leben.
Ich bin persönlich - ich darf das vielleicht hier ganz offen sagen,
- sagte Herr Schmelzer und Sie wissen es - Christlicher Demokrat. Aber ich anerkenne das Leben und die Politik natürlich mit all ihren praktischen Konsequenzen. Für mich hat Politik mit Menschen zu tun, und Menschen stammen nach meiner Überzeugung - ob sie jetzt westlich oder östlich von einer gewissen Grenze leben - von demselben Schöpfer und haben auch dasselbe Endziel. Menschen sind nicht gleich, aber sie sind gleich würdig, unabhängig von Rasse, sozialer Gruppe, aus der sie kommen,
({15})
geistiger Überzeugung, Nationalität. Und Sie haben - ich wiederhole es - also gewisse gleiche Elemente in sich, die durch die Schöpfung bedingt sind. Und wenn man die Dinge langfristig sieht: Es ist nie in der Weltgeschichte vorgekommen, daß Diktaturen und totalitäre Systeme endlos dagewesen sind. Es ist also eine Veränderung möglich; aber das ist ein Prozeß des langsamen Wachstums, den man geduldig und konkret,
({16})
vielleicht nicht spektakulär, aber mit Geduld und mit Klugheit und Realismus, aber auch mit einem gewissen Idealismus ins Auge fassen muß. Daher glaube ich, daß es möglich sein muß, zumindest in Frieden zu leben, wenn der Westen
a) ehrlich arbeitet an seiner eigenen Verbesserung, des eigenen sozialen Systems, des wirtschaftlichen Systems, des geistigen Lebens usw.,
b) die Opfer bringt, die für ein defensives Gleichgewicht notwendig sind, so daß die aggressiven Kräfte an der anderen Seite nicht provoziert und nicht stimuliert werden, und
c) auf all den Gebieten, wo es möglich ist, politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell, touristisch, sportlich Kontakte fördert und intensiviert.
Ich hoffe aber,
-- so schloß Herr Schmelzer daß wir auch auf längere Zeit einander besser verstehen, und dann finde ich auf lange Sicht gesehen eine Entwicklung nicht unmöglich, wo wir entdecken, daß doch eine gewisse Veränderung in den Menschen aufgetreten ist. Nochmals: ich habe keine Illusionen, aber hoffnungslos dürfen wir nicht sein.
Ich danke für Ihre Geduld, meine Damen und Herren.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Achenbach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freien Demokraten sind dem Herrn Bundeskanzler dankbar dafür, daß er angesichts der Bedeutung der uns vorliegenden Gesetzentwürfe zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik und zu unserem Beitritt zur Charta der Vereinten Nationen selbst diese Texte hier eingebracht hat und sie in den Zusammenhang der aktiven Friedenspolitik der Bundesregierung gestellt hat. Es wird mit Sicherheit darauf zurückzukommen sein.
Ich habe mir anschließend natürlich mit großer Aufmerksamkeit die Ausführungen des Herrn Oppositionsführers und auch die Replik des Herrn Fraktionsvorsitzenden der SPD angehört. Meine Damen und Herren, der Herr Vorsitzende der Opposition hat beklagt, daß über den Inhalt des Vertrags nicht genügend gesagt worden sei. Er hat allerdings diesem Mangel selbst auch nicht abgeholfen,
({0})
so daß ich das jetzt gern tun will. Ich würde nunmehr also - sosehr mich die Zitate von Herrn Lassalle und auch von Herrn Schmelzer interessieren; beide haben mich echt befruchtet - gern auf den Vertrag zurückkommen. Das ist auch deshalb zweckmäßig - ich folge hier einer gewissen Tradition -, weil den Leuten, die uns draußen zuhören, die Texte j a nicht vorliegen und weil sie daher auf diese Weise besser begreifen, worüber wir hier reden.
In den ersten beiden Absätzen der Präambel zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären die vertragschließenden Parteien, daß sie sich ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Erhaltung des Friedens bewußt und von dem Bestreben geleitet gewesen seien, einen Beitrag zur Entspannung und Sicherheit in Europa zu leisten, - sicher546
lich eine Geisteshaltung, die jeder verständige Mensch nur begrüßen kann. Im dritten und vierten Absatz bekunden die vertragschließenden Parteien - eben weil sie einen Beitrag zur Entspannung leisten wollen - die unzweifelhaft richtige Erkenntnis, daß sich die beiden deutschen Staaten in ihren Beziehungen der Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten haben und daß diese löbliche Enthaltsamkeit naturgemäß auch für alle Grenzfragen in Europa gelten soll.
Wenn dann die vertragschließenden Parteien in den beiden letzten Absätzen der Präambel erklären, sie seien, ausgehend von den historischen Gegebenheiten und unbeschadet der bedauerlicherweise noch sehr unterschiedlichen Auffassungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu grundsätzlichen Fragen und gerade auch zur nationalen Frage, von dem Wunsch geleitet gewesen, „zum Wohle der Menschen in den beiden deutschen Staaten die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu schaffen", so wird dieser Wunsch, etwas zum Wohle der Menschen in den beiden deutschen Staaten zu tun, und zwar auch dann, wenn man sich in vielen, ja, in entscheidenden Fragen noch nicht einig ist, doch wohl von allen in diesem Hause geteilt, was Herr Barzel eigentlich soeben auch noch einmal gesagt hat. Und wenn man etwas für die Menschen tun will, dann geht das eben nur dadurch, daß man zusammenarbeitet und miteinander spricht. Es geht nicht mit Polemik und Streit - der wird nur auf dem Rücken der Menschen ausgetragen , und es geht natürlich schon gar nicht, wenn man nicht wenigstens laufend miteinander spricht.
Wenn nun der von den Vertragspartnern gemeinsam verkündete Wunsch, etwas für das Wohl der Menschen in den beiden deutschen Staaten zu tun, im Text von Art. 1 des Vertrages dazu geführt hat, daß sich die Vertragspartner verpflichten, normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander zu entwickeln, wenn sich die Vertragspartner in Art. 2 verpflichten, sich von den von diesem Hause einmütig gebilligten Zielen und Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen leiten lassen zu wollen - dieser Charta wollen wir ja alle, wie ich gehört habe, beitreten , wenn sich die Vertragspartner in Art. 3 des Vertrages entsprechend der Charta der Vereinten Nationen feierlich verpflichten, ihre Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mtteln zu lösen und sich der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt zu enthalten und diesen Grundsatz selbstverständlich auch hinsichtlich der zwischen ihnen leider bestehenden Grenzen gelten zu lassen, so muß man doch wirklich sagen, daß in den ersten drei Artikeln des Vertrags nur Vernünftiges enthalten ist und man beim besten Willen nichts dagegen haben kann.
Nun komme ich zum Art. 4. Dort steht drin, daß die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik davon ausgehen, daß keiner der beiden Staaten den anderen international vertreten oder in seinem Namen handeln kann. Unbefangen, wie ich Texte zu prüfen pflege, habe ich
mich über diesen Artikel, der eigentlich etwas ganz Selbstverständliches enthält, eher etwas gewundert. Denn daß wir nicht für die Deutsche Demokratische Republik handeln können, zeigt doch ein einfaches Beispiel. Glauben Sie, daß Sie irgendwo bei einer Bank einen Kredit bekommen, wenn Sie ein Papier etwa folgenden Inhalts vorweisen:
Die Deutsche Demokratische Republik verpflichtet sich, dem Inhaber dieses Papiers am 1. Juli dieses Jahres 10 Millionen Mark - oder Rubel - zu bezahlen.
Bonn, den 14. Februar 1973
gezeichnet Brandt, Bundeskanzler
({1})
oder wenn Sie umgekehrt ein Papier vorweisen, in dem drinsteht:
Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich, dem Inhaber dieses Papiers 10 Millionen Mark - oder Rubel - zu zahlen.
Ost-Berlin, den 14. Februar 1973
gezeichnet Stoph, Ministerpräsident
Nun, meine Damen und Herren, der Herr Bundesminister Bahr wird sicherlich erklären können, warum dieser Artikel in dem Papier steht. Vielleicht ist es wegen der Sonderverhältnisse in Deutschland. Ich sage: er wird es sicher erklären können; denn für Bundesminister - da stimmen Sie sicher mit mir überein - gilt die Vermutung besonders entwickelten Scharfsinns.
({2})
Ich komme nun zu dem Art. 5 des Vertrages, bei dem ich beim besten Willen gar keinen Vorbehalt habe und dem meine politischen Freunde aus vollem Herzen zustimmen. Warum das so unmittelbar einleuchtend ist, das sieht man ganz einfach, wenn man ihn nur vorliest. Dieser Art. 5 -
({3}) - Ja, ja, ich habe ihn schon.
Die Bundesrepublik Deutschland -- so lautet der Art. 5 und die Deutsche Demokratische Republik werden friedliche Beziehungen zwischen den europäischen Staaten fördern und zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beitragen. Sie unterstützen die Bemühungen um eine Verminderung der Streitkräfte und Rüstungen in Europa, ohne daß dadurch Nachteile für die Sicherheit der Beteiligten entstehen dürfen.
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik werden mit dem Ziel einer allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle der internationalen Sicherheit dienende Bemühungen um Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, insbesondere auf dem Gebiet der Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen, unterstützen.
Ich finde, wir sollten doch zufrieden sein, daß die beiden deutschen Staaten diese vernünftigen Absichten haben und sich hier auch dazu verpflichten.
Nun komme ich zu dem Art. 6. Dort steht folgendes drin:
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik gehen von dem Grundsatz aus, daß die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Staatsgebiet beschränkt.
Auch hier würde ich in aller Unbefangenheit sagen, daß das doch wohl etwas Selbstverständliches ist. Denn wenn jemand sagte „Die Hoheitsgewalt eines Staates erstreckt sich auch auf das Staatsgebiet anderer Staaten", würde man eine solche These doch nur mit einem gewissen ungläubigen Erstaunen zur Kenntnis nehmen.
({4})
Auch der zweite Satz dieses Artikels, nämlich daß die Vertragspartner die Unabhängigkeit und Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten respektieren, enthält ein Element der Selbstverständlichkeit. Es bleibt einem ja kaum etwas anderes übrig, wenn man nicht den anderen mit Gewalt zu einem bestimmten Verhalten zwingen kann und will. Daß man das nicht ohne Friedensgefährdung kann, wird doch jedem einleuchten, und daß wir es auch gemeinsam nicht wollen, ergibt sich aus dem Gewaltverzicht, den wir gerade im Begriff sind zu unterschreiben.
Ich muß jedoch hinzufügen: dieser Satz bedeutet selbstverständlich nicht, wie einige Leute zu meinen scheinen, daß das, was ein Staat und seine Regierung auf Grund seiner Unabhängigkeit und Selbständigkeit tun, in jedem Falle gebilligt wird. Wenn die Regierung der DDR Goethe und Schiller als große deutsche Schriftsteller feiert, so billigen wir das. Wenn sie erklärt, auch diese Schriftsteller seien schon immer für den Klassenkampf gewesen, so stimmt das nicht, und wir billigen das nicht. Aber selbst wenn es stimmte, wären wir immer noch gegen den Klassenkampf. Wenn die DDR morgen erklärt, alle ihre Staatsbürger könnten von nun an frei und unbehindert, was wir alle wollen, und ohne besondere Erlaubnis in alle Länder der Welt reisen, so billigen wir das und freuen uns darüber.
({5})
Wenn die DDR auch in Zukunft, wie sie es jetzt tut, die Freizügigkeit ihrer Bürger nicht zuläßt, so billigen wir das heute nicht und werden es auch in Zukunft nicht billigen. Das liegt doch auf der Hand.
Wir meinen aber in diesem Zusammenhang, daß der Briefwechsel zwischen Herrn Bahr und Herrn Kohl vom 21. Dezember 1972 zur Familienzusammenführung, zu Reiseerleichterungen und Verbesserungen des nichtkommerziellen Warenverkehrs und die dazu gehörenden Erläuterungen, die in der Drucksache abgedruckt sind, einen Schritt in eine zu billigende Richtung darstellen.
In Art. 7 erklären die Vertragspartner ihre Bereitschaft, „im Zuge der Normalisierung ihrer Beziehungen praktische und humanitäre Fragen zu regeln". Sie erklären weiter, daß sie Abkommen schließen werden, „um auf der Grundlage dieses
Vertrages und zum beiderseitigen Vorteil die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Wissenschaft und Technik, des Verkehrs," - einem Verkehrsvertrag haben wir ja bereits zugestimmt -„des Rechtsverkehrs, des Post- und Fernmeldewesens, des Gesundheitswesens, der Kultur, des Sports, des Umweltschutzes und auf anderen Gebieten zu entwickeln und zu fördern". Im einzelnen darf ich auf das Zusatzprotokoll verweisen. Ich meine, wir alle sollten hier unseren ehrlichen Wunsch zum Ausdruck bringen, daß dieser in die Zukunft weisende Art. 7 mit seinem weitgespannten Programm zum Wohle der Menschen diesseits und jenseits der Elbe reiche Früchte trägt. Unter loyalen Partnern enthält dieser Artikel die echte Verpflichtung zu nachhaltigen und konstruktiven Bemühungen mit gutem Willen auf beiden Seiten. Es dient sicher nicht den Interessen der Menschen, gerade diesen Artikel durch allzu laut verkündete Skepsis hier und heute zu entwerten. Die Zukunft wird zeigen, was er bringt. Er ist eine gute Ausgangsbasis für eine vernünftige Entwicklung.
({6})
Was nun die Art. 8 und 9 angeht, so kann ich in bezug auf Ihre Interpretation vollinhaltlich die Darlegungen der Denkschrift der Bundesregierung unterschreiben. Sie wissen, es geht darum, daß sich die Vertragspartner geeinigt haben, ständige Vertretungen zu errichten. Es geht aber insbesondere um den sehr entscheidenden Art. 9, der dem Art. 4 des Moskauer Vertrages entspricht und in dem eindeutig und klar mitgeteilt ist, daß dieser Vertrag die früher abgeschlossenen Verträge nicht berührt.
Meine Damen und Herren, wenn ich nunmehr noch einmal den Text des Vertrages durchgegangen bin und mich, Herr Kollege Gradl, der gemeinsamen Diskussion im Kontaktausschuß erinnere, in dem wir den Gang der Verhandlungen auf Grund der Berichte von Herrn Bahr genau verfolgen konnten, so komme ich zu dem Ergebnis, daß ich Herrn Bahr bescheinigen möchte, daß er zäh und geschickt verhandelt hat.
({7})
Er hat nicht alles erreicht, was er erreichen wollte. Aber bei sorgfältiger Abwägung aller Umstände verdient das erreichte Ergebnis der Verhandlungen unsere Billigung. Kein Mensch kann ernsthaft bestreiten, daß dieser Vertrag für die nächsten Jahre einen besseren Modus vivendi zwischen den beiden deutschen Staaten schafft als den, den wir in den letzten Jahren hatten.
({8})
Ich weiß nicht, ob der Herr Kollege Blumenfeld anwesend ist. Sie sprachen von Helsinki, Herr Kollege Barzel. Wenn Sie dagewesen wären, dann hätten Sie festgestellt, daß eigentlich alle Vertreter der verschiedensten Staaten aus Ost und West diesen Vertrag so empfunden haben, wie ich ihn eben vorgetragen habe.
Dann möchte ich noch einmal folgendes unterstreichen. Eines ist ganz sicher und juristisch klar: dieser Vertrag, wie es in dem Brief der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zur deutschen Einheit an
den Vertragspartner vom 21. Dezember 1972 heißt, „steht nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesregierung, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt".
({9})
Dieses Ziel bleibt unverändert unser aller Ziel. Ihm mit aller uns zu Gebote stehenden Willenskraft und Intelligenz zu dienen, ist mehr denn je unser aller Aufgabe. Daß nur die Erreichung dieses Zieles, bei dem wir für unser Volk nicht mehr verlangen, als wir auch jedem anderen Volk zu geben bereit sind, den Frieden in Europa und ein glückliches und entkrampftes Zusammenleben der europäischen Völker auf die Dauer sichert, haben unsere westlichen Verbündeten begriffen. Sie haben uns deshalb in Art. 7 des Deutschland-Vertrages zugesichert, daß dieses Ziel auch das ihre sei. Dieser Art. 7 ist ja nach wie vor gültig.
Dieses Ziel konnte, wie ich seinerzeit als Berichterstatter zum Moskauer Vertrag vor diesem Hohen Hlause ausgeführt habe, bis heute nicht erreicht werden, weil infolge des kalten Krieges in West und Ost die Zustimmung der Sowjetunion dazu nicht zu erhalten war und damit auch nicht die Zustimmung der mit der Sowjetunion verbündeten DDR.
Diese Zustimmung ist natürlich nur dann zu verwirklichen - die Zustimmung, die wir im Westen haben und im Osten noch brauchen -, wenn die Bemühungen der Weltmächte um Entspannung und Ausgleich Erfolg haben und wenn statt des totalen Mißtrauens zwischen Ost und West eine Vertrauensgrundlage geschaffen werden kann. Zu dieser Vertrauensgrundlage zwischen Ost und West - der Herr Bundeskanzler hat es ausgeführt - gehört elementar auch eine Vertrauensgrundlage zwischen den beiden deutschen Staaten. Wer sein Mißtrauen und die sich daraus naturnotwendig entwickelnde schizophrene Verkrampfung nicht überwinden kann, wer nicht den Mut zum Vertrauen hat, der kann keine Vertrauensgrundlage schaffen. So ist das nun einmal in der Welt. Das gilt ebenso für unsere Landsleute in der DDR wie für uns.
({10})
Diese von der FDP und der SPD getragene Koalition, diese Bundesregierung, der Bundeskanzler, der Außenminister haben bei aller selbstverständlichen Wachsamkeit und Vorsicht diesen Mut zum Vertrauen. Ich wünsche und hoffe, daß die Herren Stoph und Honecker, der ja auch seinerseits mehrfach von den Wunsch zum friedlichen Miteinander gesprochen hat, diesen Mut zum Vertrauen ebenfalls aufbringen und daß ihre Freunde in der Sowjetunion, denen wir sie weder abspenstig machen wollen noch können, sie in dieser Haltung bestärken werden.
Die von der sozialliberalen Koalition getragene Bundesregierung wird die so notwendige Politik des konstruktiven Miteinanders zwischen den beiden deutschen Staaten - davon sind meine politischen Freunde und ich überzeugt, und wir werden
darüber hinaus darüber wachen - redlich, zuver-
lässig und beharrlich in den nächsten Jahren fortführen. Ich appelliere an die Regierung der DDR, das gleiche zu tun. Ich unterstreiche mit Befriedigung in diesem Zusammenhang die Vereinbarung über die zukünftige ständige Konsultation zwischen den beiden deutschen Staaten über Fragen von beiderseitigem Interesse, insbesondere über solche, die für die Sicherung des Friedens in Europa von Bedeutung sind.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß - damit komme ich indirekt auch auf das zu sprechen, was Herr Kollege Barzel hier vortrug - einige Worte zur Stellungnahme des Bundesrats sagen, der ich bei allem Respekt gegenüber diesem Gremium beim besten Willen nicht zu folgen vermag. Ich schließe mich im Gegenteil in vollem Umfang der Gegenäußerung der Bundesregierung zu dieser Stellungnahme an. Ich will hier nicht auf alle Einzelheiten eingehen; dazu wird später Gelegenheit sein. Aber ich fühle mich getrieben, zu zwei Punkten in den Formulierungen des Bundesrats etwas zu sagen.
Die Mehrheit des Bundesrats erklärte, der Vertrag könne in der Weltöffentlichkeit als ein Einverständnis der Deutschen mit der ihnen aufgezwungenen Teilung verstanden werden. So etwas ähnliches haben eben auch Sie gesagt, Herr Barzel. Meine Damen und Herren, eine solche Vermutung zu haben ist abwegig und sie auszusprechen noch abwegiger.
({11})
Aber nachdem sie ausgesprochen worden ist, lassen Sie mich wenigstens von dieser Stelle aus der Weltöffentlichkeit schlicht und klar mitteilen, daß sich die Deutschen mit der ihnen aufgezwungenen Teilung nicht einverstanden erklären.
({12})
Ich nehme an, daß dies die einmütige Meinung dieses Hohen Hauses ist. Es gehört nun einmal zu den Realitäten dieser Zeit, daß sich die Deutschen - das habe ich auch in Moskau immer erklärt -nicht selber gespalten haben, sondern ihnen diese Spaltung aufgezwungen worden ist. Ihre Überwindung mit friedlichen Mitteln dient dem Frieden und ist darüber hinaus ein Gebot elementarer Selbstachtung, die auch wiederum dem Frieden dient.
Die Mehrheit des Bundesrats erklärte weiter, der uns vorliegende Vertrag sei geeignet, die Verpflichtung der drei Westmächte im Deutschland-Vertrag, auf ein wiedervereinigtes Deutschland auf freiheitlich-demokratischer Grundlage hinzuwirken, auszuhöhlen. Diese Behauptung ist angesichts des Art. 9 des Grundvertrags, der Art. 4 des Moskauer Vertrags entspricht, schlicht absurd. Der DeutschlandVertrag und die darin enthaltenen Verpflichtungen der Westmächte werden weder durch den Moskauer Vertrag noch durch diesen Vertrag berührt. Wir haben das Vertrauen zu unseren Verbündeten, daß wir uns auf ihr gegebenes Wort verlassen können. Hier gibt es nichts auszuhöhlen.
Lassen Sie mich schließlich, meine Damen und Herren, noch ein Wort zu einer Bemerkung sagen,
die der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Dr. Kohl, in seiner Rede im Bundesrat zur Begründung der Stellungnahme der Mehrheit des Bundesrats gemacht hat. Herr Kohl behauptete, die Bundesregierung beraube sich durch die starke Betonung der Rechte und Verantwortlichkeiten aller vier Siegermächte in weiten Bereichen der eigenen Handlungsfreiheit in der deutschen Frage. Die wiederholte Bestätigung der Siegermächte der Vier Mächte als völkerrechtlicher Instanz erwecke den Eindruck, daß wir dieser Instanz gegenüber die deutsche Einheit möglicherweise selber zur Disposition stellen werden oder wollen.
Wie ich annehme, weiß Herr Kohl so gut wie ich, daß wir bis heute, nunmehr fast 28 Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten des letzten Weltkriegs, immer noch nicht die in Art. 7 des Deutschland-Vertrags als Ziel angesprochene, zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland haben, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Daß es bis heute nicht möglich gewesen ist, eine Friedensregelung in Europa zu finden, die kein Volk diskriminiert, die allen Völkern, auch dem deutschen, die Selbstbestimmung gewährt und bei niemandem, auch bei uns nicht, den Stachel verletzten Rechts zurückläßt, ist nicht Schuld der Deutschen und sicherlich nicht Schuld der jetzigen Bundesregierung.
({13})
Wir Deutsche wurden Opfer der Tatsache und sind
) es bis heute geblieben, daß bald nach Beendigung der Feindseligkeiten des zweiten Weltkriegs die Spannung zwischen Ost und West und das wechselseitige Mißtrauen zwischen den Blöcken so groß wurden, daß für die Völker, die von der Trennungslinie zwischen Ost und West gespalten wurden, eine konstruktive und grechte Lösung ihrer Probleme nicht zu verwirklichen war.
Die Politik der Entspannung zwischen Ost und West ist allein geeignet, den gespaltenen Völkern diese gerechte Lösung ihrer Probleme möglich zu machen. Wenn die Bundesregierung in aller Redlichkeit bei der jetzt noch geltenden Rechtslage von den Rechten der Verantwortlichkeiten der Vier Mächte spricht und sie sogar betont, dann doch nicht, um diese zu verewigen, meine Damen und Herren, sondern um die Vier Mächte aufzufordern, nach nunmehr fast 30 Jahren auch dem deutschen Volk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ihm in absehbarer Zeit auf Grund eines frei ausgehandelten Friedensvertrags die volle Souveränität zurückzugeben, die die Charta der Vereinten Nationen grundsätzlich für alle Völker vorsieht.
Hierüber sollte es in diesem Hause keine Meinungsverschiedenheiten geben, und in Wahrheit gibt es auch keine. Herr Kohl täte gut daran, Herr Kollege Barzel, diese Einmütigkeit zu unterstreichen, statt durch solche Äußerungen wie die von mir zitierten den Eindruck zu erwecken, wir seien uns weniger einig, als wir es in Wahrheit sind.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
({14})
Auch wir, das sage ich freimütig, könnten uns einen besseren Vertrag denken als den, der uns vorliegt. Aber so, wie er ist, ist er nach unserer Auffassung ein guter Anfang. Hier und heute war eben beim besten Willen nicht mehr zu erreichen. Nicht umsonst sagt man: Das Bessere ist des Guten Feind. Wir müssen in der Zukunft vereint dafür sorgen, den Vertrag zu verbessern. Die Freien Demokraten jedenfalls werden diesem Vertrag zustimmen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Carstens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte des Deutschen Bundestages gehört nach meiner Auffassung zu den wichtigsten Debatten, die in diesem Flohen Hause seit seiner Konstituierung im Jahre 1949 geführt worden sind.
({0})
Ich habe die Ehre gehabt, auf den verschiedenen Bänken dieses Hauses an den meisten großen Debatten teilzunehmen. Es geht darum, in einer sich wandelnden Welt und angesichts großer Veränderungen im Verhältnis der Staaten zwischen Ost und West unser eigenes Verhältnis zu unserem Volk, zur deutschen Nation richtig zu bestimmen.
In diesen Wochen ist in ausländischen Zeitungen und an anderer Stelle viel davon die Rede gewesen, daß jetzt - hundert Jahre nach seiner Gründung - das Birsmarcksche Reich untergegangen sei. Meine Damen und Herren, dies empfinde ich als eine unvollständige und bis zu einem gewissen Grade auch irreführende Bezeichnung des Sachverhalts, um den es geht. Das Bismarcksche Reich, der Bund - wie er sich nannte - souveräner Fürsten und freier Städte mit seinen sozialen und politischen Strukturen, in seinen Grenzen hat im ersten Weltkrieg sein Ende gefunden und ist durch die Weimarer Republik abgelöst worden.
Es geht heute um etwas viel Grundlegenderes noch als das Bismarcksche Reich: es geht um die deutsche Nation mit ihrem weit über das Jahr 1870 hinausgehenden Wurzeln,
({1})
die im hohen Mittelalter ihre ersten Ursprünge haben, als das Heilige Römische Reich Deutscher Nation entstand. Ich kann die Geschichte des deutschen Nationalbewußtseins hier nicht bis in das 19. Jahrhundert nachzeichnen, als in den Freiheitskriegen und vor allen Dingen in der 1848er Bewegung das moderne deutsche Nationalbewußtsein entstand. Herr Kollege Flach hat hier in der Debatte zur Regierungserklärung dem Sinne nach gesagt, daß er und seine politischen Freunde ihre politischen Wurzeln stärker im Jahre 1848 als im Jahre 1871 sehen. Ich möchte ihm darin, was meine Person betrifft, voll zustimmen. Aber ich möchte auch daran erinnern dürfen, daß die Bewegung von 1848 von einem großen, starken, das ganze Deutschland um550
Dr. Carstens ({2})
I fassenden Nationalgefühl erfüllt war, dessen wir
uns heute ganz gewiß nicht zu schämen brauchen.
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Erlauben Sie mir, Herr Präsident, aus einer Resolution der Heidelberger Versammlung vom März 1848 hier nur einen einzigen Satz vorzulesen:
Heute waren hier in Heidelberg 51 Männer versammelt, aus Preußen, Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Nassau und Frankfurt, um in diesem Augenblick der Entscheidung über die dringendsten Maßnahmen für das Vaterland sich zu besprechen, einmütig entschlossen in der Hingebung für Freiheit, Einheit, Selbständigkeit und Ehre der deutschen Nation.
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Mehr noch an diese 1848er Tradition als an die Bismarcksche Reichsgründung knüpft die Weimarer Reichsverfassung an, wenn sie in ihrem bekannten Vorspruch sagt:
Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben.
Die gleiche Sprache finden wir un unserem Grundgesetz wieder, wenn es in den uns alle bis heute verpflichtenden Sätzen der Präambel heißt:
von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen,
hat sich das Deutsche Volk in den dann im einzelnen genannten Ländern dieses Grundgesetz gegeben.
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Meine Damen und Herren, das deutsche Nationalbewußtsein hat, wie wir alle wissen, extreme Schwankungen durchgemacht. In unserer jüngeren Geschichte entwickelte es exzessive Formen, die viele Menschen in der Welt und auch in unserem Lande noch in der Erinnerung mit Schrecken erfüllen. Das Pendel ist dann nach dem Zweiten Weltkrieg weit in die entgegengesetzte Richtung ausgeschlagen. Zugleich entstand ein neues Bewußtsein: die europäische Idee. Die Erkenntnis der weltweiten Interdependenz aller Staaten und Völker und das Bekenntnis zum Frieden verbanden sich darin miteinander. Aber wenn in diesem Sinne von Frieden gesprochen wird, dann nicht nur so, daß die Armeen der Staaten nicht aufeinander losmarschieren sollen und dürfen, sondern daß überhaupt friedliche Verhältnisse in Europa und besonders in unserem Lande eintreten. Frieden bedeutet in diesem Sinne auch, daß innerhalb unseres Landes an seiner Grenze nicht mehr geschossen werden soll.
({5})
Wenn wir davon sprechen, daß das vereinte Europa Franzosen, Engländer, Italiener, Deutsche
sowie eine Reihe anderer Völker umfassen soll, so meinen wir damit, daß diese großen europäischen Nationen ihr eigenes Bewußtsein behalten sollen, und wir meinen, wenn wir von Deutschen sprechen, die Deutschen insgesamt und nicht nur die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn wir nicht wissen, wann und wie die getrennten Teile unsere Volkes sich wieder zusammenfinden werden.
({6})
- Nein, die brauchen nicht aufgehoben zu werden, denn durch entsprechende Zusatzprotokolle zu den Römischen Verträgen, Herr Kollege Wehner,
({7})
hat sich die damalige Bundesregierung die Möglichkeit einer gesamtdeutschen Politik auch im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften offengehalten.
({8})
In jedem Fall kann und wird dies nach unserer Überzeugung nur auf friedliche Weise geschehen, und in jedem Fall soll nach unserer Vorstellung unser Volk in einer freiheitlich-rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung leben.
Es scheint mir wichtig zu sein, dies auch in diesem Augenblick noch einmal ausdrücklich hervorzuheben. Keiner von uns weiß, was uns die Zukunft bringt. Aber wir sehen vor unser aller Augen revolutionäre Gruppen in unserem Lande, die darauf aus sind, unsere freiheitliche Ordnung zu zerstören. Werden sie sich eines Tages - so müssen wir fragen - mit kommunistischen Kräften in unseren östlichen Nachbarstaaten, deren Ziel ja auch der ideologische Kampf gegen unser System ist, zusammentun, und wird dann unsere Freiheit durch eine Art Zangenbewegung von außen und innen gleichzeitig bedroht werden?
({9})
Ich glaube, niemand von uns wird diese Gefahr bagatellisieren.
Man muß das Spannungsverhältnis zwischen unseren politischen Zielen, der Bewahrung unserer Freiheit, der Erhaltung des Friedens, der Einheit der Nation und der europäischen Integration klar erkennen. Aber diese Schwierigkeit darf uns nicht dazu verleiten, eines dieser Ziele preiszugeben. Wir können aus der geschichtlichen Lage, in die wir gestellt sind, nicht entfliehen.
Wenn ich dies alles sage, so könnte es scheinen, als befände ich mich in Übereinstimmung mit der Auffassung der Bundesregierung. In der Denkschrift, die uns heute zum Grundvertrag vorgelegt wird, vermitteln gleich die ersten Sätze den Eindruck, als gehe es der Bundesregierung bei diesem Vertrag - auch der Bundeskanzler hat dies heute morgen in seinen einleitenden Worten wieder zum Ausdruck gebracht - in erster Linie darum, die Einheit und den Fortbestand der deutschen Nation zu sichern.
Dr. Carstens ({10})
Meine Damen und Herren, uns liegt aber nicht die Denkschrift zur Beschlußfassung vor, sondern der Vertrag.
({11})
Und in diesem Vertrag ist nun sehr viel die Rede von den beiden Staaten, der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Sie bekräftigen einander die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen, sie erklären, daß keiner den anderen international vertreten kann. Herr Kollege Achenbach hat das hier alles vorgetragen.
Der Vertrag vermittelt den Eindruck, daß er auf die Dauer angelegt ist. „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen" lautet seine Überschrift. Herr Bundesminister Bahr hat gesagt, dieser Vertrag sei das Fundament, auf dem die Beziehungen dieser beiden deutschen Staaten zueinander wachsen sollen. „Jetzt und in der Zukunft" heißt es in Art. 3. Keine Kündigungs- oder Revisionsklausel deutet auch nur von ferne die Möglichkeit einer Beendigung an. Aber im Vertragstext findet sich kein Wort und kein einziger Hinweis darauf, daß diese beiden deutschen Staaten noch ein einigendes Band verbindet.
({12})
Die Begriffe „Deutschland", „deutsche Nation", „deutsche Einheit" suchen Sie in diesem Vertrag vergebens. Ja, da, wo offenbar dem Sinne nach von Deutschland als Ganzem die Rede ist, wenn nämlich von den Verantwortlichkeiten und Rechten der Vier Mächte gesprochen wird, wird sorgfältig vermieden, zu sagen, um welche Verantwortlichkeiten und Rechte es sich handelt, nur damit das Wort „Deutschland" in diesem Vertrag nicht erscheint.
({13})
Darin, meine Damen und Herren, in der Nichterwähnung unseres politischen Zieles der deutschen Einheit in diesem Vertrag, liegt ein schweres, möglicherweise nicht wieder gutzumachendes historisches Versäumnis.
Das ist nicht der einzige Mangel, der diesen Vertrag und die mit ihm verfolgte Politik kennzeichnet. Andere Redner meiner Fraktion werden die verschiedenen Aspekte dieser Politik beleuchten. Ich will mich hier nur auf den deutschlandpolitischen Komplex beschränken.
Weil der Vertrag über die deutsche Nation und Deutschland als Ganzes kein Wort enthält, ist in der Welt, Herr Kollege Achenbach, weitgehend der Eindruck entstanden, daß nach dem Willen der Bundesrepublik nunmehr unter die deutsche Frage der Schlußstrich gezogen worden sei. Ich bedaure das ebenso wie Sie, aber ich muß es zur Kenntnis nehmen. Ich halte fast in jedem Monat einen Vortrag im Ausland, und ich setze mich ebenso wie Sie, Herr Kollege Achenbach, dafür ein, daß die Welt in ihrem Bewußtsein die Tatsache weiter registriert, daß hier ein Volk in Europa lebt, das seine Einheit sucht und wiederzugewinnen erhofft. Aber ich muß Ihnen sagen: Ich stoße bei sehr vielen
meiner ausländischen Zuhörer auf Widerspruch, auf ein mitleidiges Lächeln. Man sagt mir: Das ist ja die Sprache des kalten Krieges, die du da führst; das ist doch alles längst vorbei. Man hält mir den Grundvertrag und die früheren Verträge entgegen, die für die Bundesrepublik Deutschland durch die Bundesregierung geschlossen worden sind. Dann fange ich an - ebenso wie Sie, Herr Kollege Achenbach -, darauf hinzuweisen, daß es einen Brief zur deutschen Einheit gibt, der ja gut ist, der aber eben nicht Bestandteil des Vertrages ist
({14})
und der eben die andere Seite zu nichts verpflichtet. Ich weise auf Art. 9 hin und fange mit aller juristischen Akribie, deren ich fähig bin, nachzuweisen an, daß in diesem Art. 9 auf den Deutschland-Vertrag und über den Deutschland-Vertrag auch auf das gemeinsame Ziel zur Wiederherstellung der deutschen Einheit verwiesen wird. Dabei stoße ich - ich muß es Ihnen leider sagen - durchweg auf völlige Verständnislosigkeit. Die Leute sagen mir: Herrgott noch einmal, wenn das wirklich ein so hohes und wichtiges und großes Ziel ist, für das du kämpfst und für das nach deiner Behauptung dein ganzes Land, dein ganzes Volk und deine Regierung kämpft, wie ist es dann möglich, daß dieses dein Land einen Vertrag nach dem anderen schließt, worin diese Worte, von denen du hier so viel sprichst, überhaupt nicht vorkommen?
({15})
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zum Brief zur deutschen Einheit, von dessen Inhalt ich nochmals sage, daß er gut ist. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, daß Herr Kohl, als die Unterzeichnungszeremonie in Ost-Berlin uns allen im Fernsehen vor Augen geführt wurde, auf eine entsprechende Frage sagte, er kenne diesen Brief nicht.
({16})
Er war ihm auch nicht bei der Unterzeichnung des Vertrages übergeben, sondern wohl ungefähr gleichzeitig in seinem Büro zugestellt worden. Trotzdem figuriert er in der Denkschrift, in den Materialien und Annexen zum Vertrag an erster Stelle.
({17})
Die Regierung, die diesen Tatbestand ja im Grunde auch nicht bestreitet, sagt nun, mehr wäre nicht erreichbar gewesen. Meine Damen und Herren, ich habe selbst zu lange in der Diplomatie und in der Außenpolitik gestanden, um nicht zu wissen, wie schwer es für einen Außenstehenden ist, genau zu ermessen, was ein Unterhändler in Verhandlungen erreichen kann und was nicht. Aber in diesem Falle liegt ja die Verhandlungstaktik der Bundesregierung ganz klar vor unseren Augen. Die Bundesregierung hat in den ersten sieben Monaten ihres Bestehens, von Oktober 1969 bis Mai 1970, die wichtigsten bis dahin von uns allen gemeinsam und von unseren westlichen Verbündeten
Dr Carstens ({18})
vertretenen deutschlandpolitischen Positionen preisgegeben.
({19})
Sie hat die DDR als zweiten deutschen Staat anerkannt. Sie hat auf das Recht der Bundesrepublik Deutschland, in gewissen Fragen für ganz Deutschland zu sprechen, verzichtet. Sie hat die Grenzen anerkannt, sowohl die Westgrenze Polens wie die innerdeutsche Grenze als Staatsgrenze. Sie hat der Aufnahme der DDR in die UNO zugestimmt, und sie hat grünes Licht dafür gegeben, daß die DDR weltweit anerkannt wurde. Damit erfüllte die Bundesregierung die von der Sowjetunion und der DDR seit vielen Jahren erhobenen Forderungen, ohne sich überhaupt irgend eine Gegenleistung verbindlich zusagen zu lassen.
({20})
Es lohnt sich auch jetzt noch nach Ablauf von drei Jahren, das sogenannte Bahr-Papier, also den Text, auf den sich der sowjetische Außenminister Gromyko und der damalige Staatssekretär Bahr einigten, genau zu lesen. Es finden sich darin alle die von mir genannten deutschen Konzessionen, es findet sich kein Wort von menschlichen Erleichterungen oder größerer Freiheit im Verkehr zwischen Ost und West,
({21})
kein Wort über Deutschland als Ganzes und über die Einheit der deutschen Nation und übrigens auch kein Wort über die Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik.
({22})
Der Schock, den dieses Papier damals in der Bundesrepublik auslöste, ist noch in allgemeiner Erinnerung. Die Bundesregierung suchte die Öffentlichkeit zunächst dadurch zu beschwichtigen, daß sie sagte, es handele sich um einen unverbindlichen Text, und die eigentlichen Vertragsverhandlungen würden erst später beginnen. Aber als dann die Verhandlungen kurz danach in Moskau begannen, stellte sich heraus, daß die sowjetische Regierung in diesem Punkte ganz anderer Ansicht war. Sie war nämlich nicht bereit, über den Text dieses Papiers neu zu verhandeln. Und so finden wir denn nahezu wortwörtlich den Inhalt des Bahr-Papiers im Moskauer Vertrag wieder. Es gelang der Bundesregierung, es gelang den Bemühungen des Außenministers, dem Vertrag eine Präambel hinzuzufügen, und es gelang ihm mit großer Mühe, die sowjetische Seite zur Annahme eines Briefes zu bewegen, des gleichen Briefes zur deutschen Einheit, den die Bundesregierung jetzt am Tage der Unterzeichnung des Grundvertrages an die DDR gerichtet hat.
Meine Damen und Herren, wenn ich diesen Sachverhalt zusammenfasse und ein Urteil darüber abgeben soll, so möchte ich sagen: In der entscheidenden Verhandlungsphase im Frühjahr 1970 hat die Bundesregierung darauf verzichtet, ihren Standpunkt in der Deutschlandfrage zu wahren. Sie hat dieses von ihr selbst erkannte Versäumnis niemals wettmachen können. Es findet seinen deutlichen Niederschlag in dem uns vorliegenden Vertrag.
({23})
- Ich komme auf Sie noch zurück, Herr Wehner,
({24})
-- Herr Kollege Marx, lassen Sie mich doch darauf zurückkommen, wenn das in den Text meiner Vorstellungen besser hineinpaßt.
({25})
Herr Kollege Wehner nennt mich abwechselnd Buchhalter und Bankrotteur. Da kann ich mir aussuchen,
welcher dieser beiden Ausdrücke mir besser gefällt.
({26})
Der Herr Bundeskanzler reagiert nun, wie wir wissen, außerordentlich empfindlich, wenn jemand gegen ihn oder seine Regierung den Vorwurf ungenügender Vertretung nationaler Interessen erhebt. Er sieht darin, wie er hier gesagt hat, eine unerträgliche Zumutung. Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren, wie anders soll denn der Sachverhalt, den ich soeben dargelegt habe, gekennzeichnet werden. ich unterstelle ja, daß die Einheit der Nation, die Sicherung der Lebensfähigkeit West-Berlins und menschliche Erleichterungen von der Bundesregierung angestrebt werden. Aber wie ist es dann möglich so frage ich Sie , daß der Bundeskanzler einem Verhandlungsergebnis zustimmt, welches sein Beauftragter in Moskau erzielt hatte und in dem von allen diesen Dingen kein Wort steht?
({27})
Die Opposition in einem demokratischen Staat ist - jedenfalls nach meinem Verständnis - kein Jubelchor, der die Schritte derer, die da auf der Bühne agieren,
({28})
mit anschwellendem oder abflauendem Applaus zu begleiten hätte, sondern die Aufgabe der Opposition ist es, zu kritisieren. Dies ist ihre Pflicht und, wie ich meine, keine unerträgliche Zumutung.
({29})
Die Bundesregierung sagt nun weiter, sie habe nichts weggegeben, was nicht schon vorher verloren gewesen sei.
({30})
Aber diese Behauptung ist falsch. Als die Regierung Brandt/ Scheel 1969 ihr Amt antrat, war die deutschlandpolitische Position der Bundesrepublik im wesentlichen intakt;
({31})
die Bemühungen der DDR um weltweite Anerkennung als zweiter deutscher Staat waren bis dahin erfolglos geblieben.
({32})
- Meine verehrten Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, tun Sie doch bitte nicht
Dr. Carstens ({33})
so, als ob das nicht Ihre Bemühungen gewesen wären! Es hat tatsächlich - Sie werden sich vielleicht noch daran erinnern - eine Zeit gegeben, in der beide Seiten dieses Hauses diesen Kampf heftig und gemeinsam miteinander geführt haben!
({34})
Wir wollen doch hier die Dinge in der richtigen Reihenfolge aufeinander stehenlassen!
Und wenn der Herr Kollege Wehner mit Bezug auf das, was der Herr Kollege Barzel ausgeführt hatte, vorhin gesagt hat, er appelliere an uns, immer mit derselben Zunge zu reden,
({35})
dann muß ich sagen: Herr Kollege Wehner, nehmen Sie es mir nicht übel, aber da ist mir auch Verschiedenes eingefallen.
({36})
Ich hatte vor einer Reihe von Jahren die Aufgabe,
({37})
die damalige Bundesregierung auf dieser Tribüne zu vertreten, und ich habe seinerzeit Ausführungen zur Oder-Neiße-Frage und zu den Ostgebieten gemacht - wie ich glaubte, maßvolle Ausführungen, die man vertreten konnte. Sie, Herr Kollege Wehner, haben mich in der Ihnen eigenen Weise heftig attakkiert; Sie haben mir vorgeworfen, ich gäbe hier heilige Rechte, Heimatrechte preis,
({38})
ich genügte der Fürsorgepflicht der Bundesrepublik für die Vertriebenen nicht.
({39})
Das, verehrter Herr Kollege Wehner, kam aus Ihrem Munde.
Ich will damit nicht sagen - damit wir uns nicht falsch verstehen, meine Damen und Herren -, daß ich jemals der Auffassung gewesen wäre, die Bundesrepublik könne unverändert auf den Positionen stehenbleiben, die sie in den 50er Jahren vertreten habe.
({40})
Ich bin immer der Meinung gewesen, daß eine Anpassung dieser Positionen an die sich verändernde Weltlage notwendig wäre. Aber ich habe mir doch nicht vorgestellt, daß man diese Positionen Hals über Kopf und ohne irgendeine vernünftige Gegenleitung aufgeben würde.
({41})
Der Herr Bundeskanzler hat nun heute morgen von einigen der positiven Auswirkungen der Ostpolitik gesprochen. Er hat z. B. die wirtschaftliche Kooperation mit der Sowjetunion hervorgehoben. Das ist ja auch ein Ziel, bei dem wir alle miteinander übereinstimmen. Aber meine Damen und Herren, ich möchte doch daran erinnern dürfen, daß es eine gute wirtschaftliche Kooperation mit der Sowjetunion schon lange, lange gegeben hat, bevor die Bundesregierung anfing, ihre neue Ostpolitik zu entwickeln. Das sind eben zwei verschiedene Ströme. Merkwürdigerweise
- das ist eines der auch für mich schwer verständlichen Phänomene der neueren Geschichte ist der
deutsche Handel mit der Sowjetunion, in Prozenten gerechnet, nie so groß gewesen wie im Jahre 1961, als die Berliner Mauer gebaut wurde.
({42})
Hier zwischen wirtschaftlichem Austausch und Handelsverkehr einerseits, Entspannung andererseits eine Parallele zu ziehen, das ist etwas kühn.
Was die sachlichen Gespräche mit Warschau anlangt
- die in großer Offenheit geführten Gespräche; so hat es wohl der Herr Bundeskanzler gesagt , so
möchte ich doch darauf hinweisen, daß in der Zeit, als Heinrich von Brentano noch Außenminister war, der damalige Botschafter Duckwitz - von dem ich glaube, daß der Herr Bundeskanzler und ich ihn gleichermaßen hoch schätzen solche vertraulichen
und offenen Gespräche mit Polen geführt hat, und zwar mit voller Billigung der damaligen Bundesregierung. Dies als Erfolg der jetzigen Ostpolitik hinzustellen, meine Damen und Herren, scheint mir zuwenig.
({43})
Die Bundesregierung sagt schließlich, um ihre Politik zu rechtfertigen, sie habe sich in die allgemeine Entspannungspolitik unserer Alliierten einfügen und Deutschland vor einer Isolierung bewahren müssen. Das ist sicherlich ein Gesichtspunkt, den jeder, der sich mit den auswärtigen Belangen unseres Landes beschäftigt, ernst nehmen wird. Aber, meine Damen und Herren, in dem von mir hier erörterten Zusammenhang sticht dieses Argument nicht. Keiner unserer Verbündeten hat jemals von uns verlangt, einen Vertrag mit der DDR zu schließen, in dem die Worte „deutsche Nation", „Deutschland" und -deutsche Einheit" nicht vorkommen.
({44})
Ich darf Sie daran erinnern, daß General de Gaulle noch 1966, als er in Moskau war
({45})
- in Moskau! -, die Wiederherstellung der deutschen Einheit in den jetzigen Grenzen, wie er hinzufügte, als notwendig bezeichnet hat. Es kann also keine Rede davon sein, daß unsere Alliierten einen Druck auf uns ausgeübt hätten, diese Politik zu betreiben. Dies zu tun war der freie Entschluß der Bundesregierung.
Jetzt allerdings, nachdem die Verträge geschlossen sind, ist es zutreffend und richtig, daß unsere westlichen Verbündeten diesen Verträgen weitgehend zustimmen. Wenn man sie fragt, so antworten sie einem, sie hatten den Eindruck, sie bräuchten für deutsche Interessen nicht stärker einzutreten als die deutsche Bundesregierung. Meine Damen und Herren, das ist auch eine bittere Antwort, die man da zu hören bekommt.
({46})
Aber es beginnt sich bei unseren westlichen Verbündeten doch zugleich auch eine doppelte Sorge einzuschleichen: Zum einen die Sorge, über den offenkundigen Machtzuwachs, den die Sowjetunion und die
Dr. Carstens ({47})
DDR als Folge der deutschen Ostpolitik erfahren haben. Wird, so fragt man sich in westlichen Ländern, die deutsche Bundesregierung nun auch bei den gerade beginnenden Verhandlungen über Sicherheit, Zusammenarbeit und Truppenabbau in Europa in dem Maße auf sowjetische Wünsche eingehen, wie sie das in ihren Ostverträgen getan hat?
({48})
Zum anderen die Sorge, die im westlichen Ausland spürbar wird - sie klang hier schon an - und die ihren Ausdruck in der Frage findet, ob nicht eines Tages der Osten das Thema der deutschen Wiedervereinigung unter östlichen Vorzeichen aufgreifen könnte,
({49})
nachdem - jedenfalls nach einer im Westen weit verbreiteten Meinung - die Bundesrepublik Deutschland die Verfolgung dieses Zieles, wenn nicht zurückgestellt, so doch in den Hintergrund gestellt hat.
Auf alle diese Bedenken antwortet die Bundesregierung schließlich, indem sie auf die Reihe menschlicher Erleichterungen hinweist, die im Verhältnis zwischen den beiden Teilen Deutschlands zueinander durchgesetzt worden seien. Darüber wird ein anderes Mitglied meiner Fraktion sprechen.
Ich möchte hier nur soviel sagen: Es ist niemand unter uns, der nicht das Ziel der Verstärkung menschlicher Begegnungen zwischen Deutschen unterstützen würde; darüber gibt es keinen Streit. Unsere Vorwürfe und unsere Kritik gehen dahin, daß die entsprechenden Verpflichtungen von der DDR nicht einwandfrei und klar genug im Vertrag übernommen und präzisiert worden sind und daß der Vertrag deswegen unausgewogen ist.
Aber zur Wiederherstellung der Einheit der Nation ist doch zweierlei nötig - darüber werden wir uns ja auch alle einig sein der Wille der Deutschen und die Bereitschaft der Welt, dieses Ziel, daß die Deutschen aus eigener Kraft nicht erreichen können, zu unterstützen.
Wenn eine dieser Vorbedingungen entfällt, ist unsere Deutschlandpolitik gescheitert. Zur Erhaltung der Bereitschaft der Welt zur Unterstützung dieses Zieles genügt es nicht, einseitige Briefe zu schreiben, genügt es nicht, noch so gute Denkschriften an Bundestag und Bundesrat zu richten, genügen auch NATO-Kommuniqués, so gut sie sein mögen, nicht, sondern es muß für dieses Ziel an den Stellen gerungen werden, auf die es in erster Linie ankommt, nämlich in Moskau und Ost-Berlin.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Schweitzer?
Bitte schön!
Herr Kollege Carstens, könnten Sie dem Hause vielleicht noch einmal kurz erläutern, warum die CDU/CSU-Fraktion trotz Ihrer
hier gebotenen Analyse dem Beitritt beider deutschen Staaten zu den Vereinten Nationen zustimmt
({0})
und warum eine solche Zustimmung der Anerkennung eines zweiten deutschen Staates als eine schmerzliche Realität sowie der Preisgabe der sogenannten Hallstein-Doktrin, die Sie ja vorhin auch angesprochen haben, nicht gleichkommt?
Die Entscheidung über den Beitritt zur Charta der Vereinten Nationen, Herr Kollege Schweitzer, ist bei der CDU/CSU-Fraktion noch nicht gefallen.
({0})
Spätere Redner meiner Fraktion werden hier unseren Standpunkt dazu darlegen. Wir glauben aus der Sicht der CDU/CSU-Fraktion, daß im Zusammenhang auch mit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen gewisse Positionen gewahrt werden müssen, und wir werden das hier im einzelnen noch vortragen.
({1})
Meine Damen und Herren, es muß mit den diplomatisch-politischen Mitteln, die wir haben, auch in Moskau und Ost-Berlin um das Ziel der deutschen Einheit gerungen werden. Das ist keine leichte Aufgabe. Aber hier sind wir in der Tat alle aufgerufen und gefordert. In dieser Beziehung - dies muß ich feststellen - hat die Bundesregierung das, was wir von ihr erwarten mußten, was viele, viele Menschen in unserem Volk von ihr erwartet haben, nicht getan. Die Folge davon sind die Mängel des Grundvertrags, von denen ich einige gekennzeichnet habe.
Dies ist einer der Gründe neben anderen, weswegen die Fraktion der CDU/CSU -den Grundvertrag ablehnt.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer heute morgen das Kampfblatt der CDU gelesen hat, der ist über den Ablauf dieser Diskussion nicht überrascht. Dort steht - ich möchte das gern noch einmal in Erinnerung rufen -:
Aber die Irrtümer, die an der Grenze bluten und in Berlin auf der Seele lasten, zwingen die Verantwortlichen
- damit ist unsere Regierung gemeint zu einem komplicen- und kumpelhaften Verhalten gegenüber der „anderen Seite",
({0})
nur um den Schein des Erfolges zu wahren.
Dann heißt es am Schluß:
Damit gefährdet sie aber nicht nur den Bestand der Nation. Sie gefährdet unsere Würde.
Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren: Das ist eine schöne Würde, mit der wir es heute hier zu tun haben.
Ich habe bei Herrn Professor Carstens den Eindruck gehabt,
({1})
daß die Pause, die er hier im Deutschen Bundestag hat einlegen müssen, ihm nicht geholfen hat, über die Vergangenheit hinwegzukommen.
({2})
Der Zwischenruf, der gemacht worden ist, ist nicht von mir, aber er ist gar nicht so falsch: „Der Herr Professor Hallstein des 7. Bundestages!"
({3})
Lassen Sie mich hier zunächst ({4})
- Herr Reddemann, der Zwischenruf konnte nur von Ihnen kommen; geschenkt, kann ich nur sagen. - Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst einmal einige grundsätzliche Bemerkungen zu der Auseinandersetzung machen. Wir haben hier wieder geschichtliche Reminiszenzen gehört und den Versuch erlebt, die Brücke zum Bismarckschen Reich zu schlagen.
({5})
- Herr Dr. Marx, für mich ist immer eines besonders erstaunlich bei diesen Diskussionen: daß Sie niemals bei Ihren Betrachtungen über die Frage der Nation, wie sie geworden ist und was daraus wird, einen entscheidenden Punkt in Ihre Betrachtungen mit einbeziehen, nämlich den - jetzt werde auch ich in diesem Zusammenhang einmal geschichtlich -, daß im Jahre 1917 das deutsche Kaiserreich Herrn Lenin gestattete, durch Deutschland zu fahren, um in Rußland den Widerstand aufzubauen, damit der Krieg gegen Rußland leichter gewonnen werden konnte. Die Antwort darauf hat die Geschichte gegeben. Wahrscheinlich wäre die kommunistische Entwicklung auch ohne diese Reise Lenins erfolgt. Aber immerhin hat das deutsche Kaiserreich eine ganze Menge dazu beigetragen, daß der Prozeß so abgelaufen ist.
({6})
Und nun, meine Damen und Herren, verstehe ich eines nicht. Diese Welt, von der Sie reden, von Bismarck bis heute, ist seit 1917 gespalten. Dieses Europa ist gespalten, und nicht in Nationen, sondern in Weltanschauungen, die eine machtpolitische Trennungslinie schufen, dies ist nun in der Geschichte seit
Bismarck. Dies hat wahrscheinlich Herr Strauß besser begriffen als Sie, die Sie hier heute bisher diskutiert haben. Herr Strauß hat am 5. Februar in einem aktuellen Interview des Rundfunks gesagt:
Ich glaube, daß niemand, der ein überzeugter Demokrat ist, und niemand, der sein Land und sein Volk liebt, die Einheit an die oberste Stelle rücken kann.
Niemand, so fuhr er fort, könne eine Wiedervereinigung im Zeichen einer kommunistischen Gesellschaftsordnung der Unterdrückung und des Kollektivs wünschen. In der Deutschlandpolitik besteht nach seiner Ansicht zwischen der Bundesregierung und der Opposition ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit, wenn es darum geht, aus dem Moskauer und dem Warschauer Vertrag das Beste zu machen.
Nun darf ich einmal mit Ihnen gemeinsam eine Überlegung anstellen. Wenn wir uns einig darüber sind, daß die weltanschauliche Grenze zwischen beiden Teilen Europas maßgeblich für die heutige Lage ist und es ohne Einbeziehung dieser Überlegungen auch keine nationale Überlegung geben kann, dann werden Sie mir doch in folgendem zustimmen; hoffe ich jedenfalls. Ich bitte auch Professor Carstens, sich das einmal zu überlegen. Was steht im Vordergrund, wenn wir heute Politik machen, die Frage der Einheit der Nation im staatlichen Sinne oder die Frage des Zusammenhalts der Nation in einer Periode, in der infolge der weltanschaulichen, ideologischen und damit machtpolitischen Grenze durch Europa eine nationale Wiedervereinigung, solange es diese ideologische Machtposition gibt, nicht möglich ist? Sie lassen doch bei Ihrer Propagandarede hier völlig außer acht, daß es, bevor es nicht als Folge einer neuen Politik auf langem Wege zwischen den beiden Teilen Europas - und praktisch auch der Welt - Brücken der Verständigung gibt, die die ideologischen Machtpositionen in ihrer heutigen Härte überwinden, überhaupt keine Möglichkeit der Wiedervereinigung der Nation gibt.
Was steht also im Vordergrund unserer Politik? Nicht der Gedanke - wie Herr Strauß mit Recht sagte -: Wie kommen wir zur staatlichen Einheit, zur nationalen Einheit?, sondern doch einzig und allein die Frage: Welche Politik muß es geben, um auf langem Wege zwischen dem westlichen Europa und dem östlichen Europa, in das der Teil Deutschlands einbezogen ist, der sich DDR nennt, etwas zu erreichen? Solange es zwischen diesen beiden Teilen keine politischen und keine gesellschaftspolitischen Brücken gibt, die die ideologische Spannung überwinden, gibt es überhaupt keine Chance, in der deutschen Frage einen Schritt weiterzukommen. Solange Sie das nicht in Ihre Überlegungen einbeziehen und immer auf dem Standpunkt bleiben, Sie hätten recht und die Deutschen hätten recht, wenn Sie Einheit fordern, und nicht in Rechnung stellen, daß die Frage des Rechts bei den machtpolitischen Entwicklungen nach dem zweiten Weltkrieg überhaupt keine Bedeutung hat, reden Sie an den Wirklichkeiten der heutigen politischen Lage total vorbei. Darüber sollten Sie sich erst einmal klar werden. Alles, was hier heute in dieser Beziehung von der Opposition gesagt worden ist, was wir tun wollen,
wovon wir ausgehen sollten, bezieht sich immer noch auf die alte Formel, die Sie so gerne in Erinnerung rufen, die in den Pariser Verträgen einmal lose vereinbart worden ist, daß nämlich die Einheit Deutschlands das gemeinsame Ziel ist,
({7})
wobei übersehen wird, daß der Westen Europas und auch die Vereinigten Staaten inzwischen längst begriffen haben, daß wir es mit einer Trennung durch Europa zu tun haben, die nichts entscheidend mit nationalen Interessen, sondern mit der Frage zu tun hat, welche Chancen es in einer Welt, in der wir den Frieden sichern wollen, gibt, gleichzeitig schrittweise zwischen diesen beiden Teilen Europas Brükken zu schlagen, um die politischen Spannungen zwischen Ost und West, die aus der Ideologie, machtpolitisch untermauert, entstanden sind, zu überwinden. Darin liegt die Aufgabe, die meiner Ansicht nach unsere Generation hat, wenn sie die Frage der nationalen Einheit in einem neuen Europa, das sich einmal einheitlich bilden kann, überhaupt noch im Auge behalten will. Meiner Ansicht nach ist daher in der Gesamtbetrachtung der Politik zwischen uns und Ihnen ein Graben, der im Augenblick nicht zu überbrücken ist. Davon müssen wir ausgehen, das hat die Einleitung der heutigen Debatte noch einmal gezeigt.
Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte, ist folgende: Herr Barzel hat hier heute wieder Forderungen aufgestellt, die als sogenannte absolute Forderungen unserer Seite angesehen werden müssen. Ich verstehe dies nicht. Auf der einen Seite geht seine Darstellung der DDR, des kommunistischen Regimes davon aus, daß wir es immer noch mit einer absoluten Feindschaft zu tun haben. Auf der anderen Seite verlangt und erwartet Herr Barzel, daß die Regierung mit diesem Partner, den Herr Barzel nicht als Partner, sondern mehr als Feind sieht, Verträge aushandeln kann, die in die Wirklichkeit der Landschaft des sowjetischen Systems heute noch lange nicht hineinpassen. Ich sage Ihnen eines, meine Damen und Herren, der Grundvertrag beinhaltet einen Modus vivendi, enthält das, was zu dieser Zeit erreichbar ist, und ist ein Werkzeug für die weitere Politik auf dem Wege der schrittweisen Überwindung der Spannungen. Die Forderungen, die Herr Barzel hier wieder an einen solchen Vertrag geknüpft hat, könnten selbst dann, wenn sie auf dem Papier stünden, in dem Sinne von der anderen Seite gar nicht so schnell realisiert werden. Mir ist ein Vertrag lieber, der Bedingungen, die von der anderen Seite noch nicht realisiert werden können, nicht festschreibt, weil sich nämlich mit diesem Festschreiben die Spannungen verstärken und keine Brücken geschlagen werden können. Ich sehe den Grundvertrag als eine vertragliche Vereinbarung, die, von der jetzigen Situation ausgehend, Bedingungen festlegt, unter denen es möglich ist, mit der DDR Gemeinsamkeiten zu entwickeln, die auf den Weg zu einem besseren Kontakt und zu einer Zusammenarbeit führen können. Andere Verträge kann man gar nicht erwarten unter den Bedingungen zwischen Ost und West, wie sie heute sind.
Nun hat Herr Dr. Barzel einige Bemerkungen gemacht, die ich damit beschreiben möchte, daß er dieser Regierung den Vorwurf gemacht hat, sie habe sich bei dem Wertrag nicht genügend bemüht, Konkretisierungen festzulegen. Herr Dr. Barzel, die Regierung hat damals gesagt und sagt es heute auch - und wir auch -: Wir können nur Vereinbarungen treffen, um einen schrittweisen Prozeß einzuleiten, der dazu führt, daß die kommunistischen Länder durch Gemeinsamkeiten, die wir entwickeln, letzlich auch Konsequenzen aus diesen Gemeinsamkeiten ziehen.
Sie haben von Helsinki gesprochen. In Helsinki hatten wir unter anderem auch eine Parlamentarierkonferenz, in der der Versuch gemacht wurde, eine gemeinsame Plattform aller europäischen Parlamentarier unter Einbeziehung der USA und Kanadas zustande zu bringen. Wir haben auf dieser Konferenz eine Reihe von Beschlüssen gefaßt, die nach langer Vorarbeit in den Ausschüssen zu einer einheitlichen Haltung aller Beteiligten geführt haben.
Lassen Sie mich hier einiges darstellen, um Ihnen zu zeigen, wie weit man auf solchem Wege kommen kann. Ich kenne jetzt schon die Einwände; darauf komme ich noch zu sprechen. Es heißt da u. a.: zwischenmenschliche Kontakte: Verbesserung der Bestimmungen und Verfahren für die Grenzüberschreitung europäischer Staatsbürger, Bemühungen um eine humanitäre Führung der Verhandlungen auf Regierungsebene über die Beseitigung der Probleme im Zusammenhang mit der Trennung von Familienangehörigen, die ihre Wiedervereinigung anstreben, Entwicklung des Austausches von Touristen und Berufstätigen, insbesondere von jungen Leuten, zum besseren Verständnis und gegenseitigen Nutzen.
Im Punkt „Informationen" haben wir beschlossen: freier Informationsfluß durch die Beseitigung von Hindernissen für den Austausch von Gedanken, Büchern, Zeitungen sowie Radio- und Fernsehprogrammen, wobei das Recht jedes Landes auf Schutz seiner kulturellen und politischen Werte anerkannt wird, Maßnahmen, die darauf abzielen, ausländischen Journalisten ihre Tätigkeit zu erleichtern und die Sicherheit von Medienberichterstattern in allen Ländern zu gewährleisten, Nutzung der Massenmedien zum Zwecke einer umfassenden gegenseitigen Verständigung.
Unter „Menschenrechte" heißt es: ... fordert die Mitglieder der teilnehmenden interparlamentarischen Gruppen auf, in ihren jeweiligen Ländern auf der Notwendigkeit zu bestehen, die Grundsätze der allgemeinen Menschenrechtserklärung verstärkt anzuwenden, die Ratifizierung der internationalen Konventionen über die Menschenrechte zu beschleunigen. - Dies sind Beschlüsse, die einstimmig, also auch mit den Stimmen aller Mitglieder der Ostblockstaaten einschließlich der DDR, gefaßt worden sind.
Ich möchte jetzt daraus folgende Schlußfolgerungen ziehen. Natürlich gehen diese Parlamentarier nach beiden Seiten Europas nach Hause und wissen, daß in einigen Ländern solche Forderungen noch nicht erfüllbar sind. Aber es werden einige MenMattick
sehen dabei sein, die sich das, was wir da beschließen, auch noch etwas mehr überlegen und allmählich auch zu Hause darüber reden. Wir bringen mit diesen Beschlüssen das Gespräch in Europa über diese Probleme, die hier anstehen, in Fluß. Wir sorgen mit diesen Zusammenkünften dafür, daß es in allen Ländern Europas Menschen gibt, die durch die Teilnahme an diesen Konferenzen, durch die Mitberatung auf diesen Konferenzen und durch die Beschlüsse, die sie dann mit uns fassen, letztlich auch dazu veranlaßt werden, in ihren Heimatländern an diesen Fragen zu arbeiten, zu diskutieren und ihnen unter Umständen auch auf langem Wege näherzutreten.
Ich sehe nun wieder - ich muß das immer wieder feststellen, Herr Reddemann - Ihre freundliche Geste dabei, so mit den Gedanken, die Sie haben: Dies ist alles Schein. Nun frage ich Sie, was dann, wenn das Ihrer Auffassung nach alles Schein ist, was die DDR-Abgeordneten und die russischen Abgeordneten und andere da mit uns beschließen, Ihre ganze Diskussion hier soll. Wir machen einen Grundvertrag, in dem wir in der Formulierung nicht weiter gehen, als wir wissen, daß auch die DDR es zur Zeit realisieren kann, sogar auch noch schrittweise. Dies halte ich für eine logische und reale Politik. Ihre Forderungen gehen weit darüber hinaus und verlangen von uns einen Vertrag, den die DDR noch nicht abschließen kann; wenn sie es machen würde, würde sie es eben scheinheilig tun.
({8})
Wenn man sich diese Diskussion von Anfang an hier vor Augen hält, dann müßte man doch einmal fragen: Was ist eigentlich eine zweckmäßige reale Politik? Ich halte den Grundvertrag, wie er abgeschlossen worden ist, nach all dem, was wir davon wissen, wie der Ablauf war, für das Ergebnis der Ausschöpfung aller Möglichkeiten, die sich zu der Zeit angeboten haben.
Herr Carstens hatte sich hier hingestellt und gesagt: Wir haben überall klein beigegeben. Da darf ich doch an die illegale Veröffentlichung der „Quick" über die Forderungen erinnern, die die DDR zum Beginn dieser Verhandlungen aufgestellt hat. Wenn Sie das mit dem Ergebnis von heute vergleichen, dann sehen Sie die tiefe Veränderung dessen, mit dem die DDR in die Verhandlungen gegangen ist, in das, was auf dem Wege der Verhandlungen daraus geworden ist. Das wünschen Sie nicht zu hören, obwohl Sie damals Wert darauf gelegt haben, daß die „Quick" das Papier in die Hand bekam und veröffentlichte. Es ist sehr interessant, heute diesen Vergleich zu ziehen, um einmal festzustellen, wie der Ausgangspunkt der Gespräche war und was das Ergebnis in diesem Grundvertrag ist.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir die Debatte von heute morgen vor Augen halte, komme ich zu folgendem Schluß. Die CDU sagt zu diesem Vertrag nein.
({9})
Sie kann es sich diesmal erlauben, weil sie weiß,
daß eine ausreichende, gute Mehrheit in diesem
Hause vorhanden ist. Sonst würde sie in der gleichen Schwierigkeit wie im April des vergangenen Jahres stehen.
({10})
- Warum nicht? Ich kann das sagen, weil es so ist und weil wir es erlebt haben. Sie würden heute vor derselben Schwierigkeit stehen, weil Ihre ganze Argumentation hier und auch das Ja zum Beitritt zur UNO deutlich gezeigt haben, wie Ihre Mampehalb-und-halb-Situation liegt.
({11})
Sie wissen, daß der Grundvertrag im Hause eine ausreichende Mehrheit hat. Deswegen können Sie sich aus Ihrer inneren Schwierigkeit heraus erlauben, dazu nein zu sagen. Sonst würde Ihre innere Schwierigkeit Sie wieder dazu bringen, „jein" zu sagen. Das ist Ihre in dem Sinne günstigere Lage, in der Sie sich nach der Wahl vom 19. November befinden. Sie haben etwas mehr Zeit, mit diesen Problemen fertigzuwerden.
Dies ist doch der Widerspruch: Sie, Herr Professor Carstens, wissen ganz genau, daß die Frage des UNO-Beitritts mit dem Grundvertrag eng verbunden ist und nicht getrennt werden kann. Folglich ist es eine Schizophrenie, wenn Sie auf der einen Seite zum Grundvertrag nein, aber zum Beitritt zur UNO ja sagen, obwohl Sie - -({12})
-Wieso? Das ist mit im Gespräch, Herr Dr. Marx. Es steht nämlich mit auf der Tagesordnung.
({13})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mertes?
Herr Kollege Mattick, ist Ihnen bekannt, daß im Jahre 1966 die Sowjetunion die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in die UNO ohne jede Vorbedingung verlangt hat und daß dieses Verlangen von allen Staaten des Warschauer Pakts, die in den Vereinten Nationen vertreten sind, geteilt worden ist? Und sind Sie mit mir der Meinung, daß es also historisch falsch ist, zu sagen, die Aufnahme in die Organisationen der Vereinten Nationen sei an den Grundvertrag gebunden?
({0})
Sie lassen hier eines völlig außer acht; ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen.
({0})
Das Verlangen der Sowjetunion steht doch in keinem Verhältnis zu unserer Position. Wir haben damals nein gesagt, weil es keine Voraussetzungen gab, mit der DDR gemeinsam in die UNO zu gehen, und wir würden auch heute, Herr Dr. Mertes, dazu nein sagen müssen, mit der DDR gemeinsam in die
UNO zu gehen, wenn nicht der Grundvertrag die Voraussetzungen dafür geschaffen hätte.
({1})
Aber das kann doch für Sie nicht unklar sein; das haben Sie doch genauso durchdacht wie wir. Insofern ist doch Ihre ganze Behauptung völlig unsinnig in diesem Zusammenhang. Für uns ist der Grundvertrag die Voraussetzung dafür, daß wir und die DDR gemeinsam in die UNO gehen. Das wissen Sie, und das ist auch Ihre Position, sonst hätten Sie doch längst ohne Grundvertrag hier einmal beantragen können, daß wir mit der DDR gemeinsam in die UNO gehen.
Herr Abgeordneter Mattick, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ({0})?
Ja, bitte!
Herr Kollege Mat-tik, ist Ihnen nicht bekannt - oder, wenn nicht, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen -, daß die Fraktion bereits beschlossen hat, diesem Grundvertrag nicht zuzustimmen, noch bevor bei uns überhaupt darüber diskutiert wurde, ob wir dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen zustimmen werden oder nicht?
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Das nehme ich gern zur Kenntnis. Aber als Sie das beschlossen, wußten Sie auch schon, daß der Grundvertrag angenommen wird. Das bestreiten Sie doch nicht?
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Meine Damen und Herren, ich gehe also davon, aus, daß der Grundvertrag Voraussetzung für den Beitritt zur UNO ist. Ich glaube, daß es gut ist, daß wir diesen Schritt jetzt tun; denn wenn ich mir die Konferenzen von Helsinki und auch die IPU-Konferenz von Helsinki vor Augen halte, die dort geführten Debatten und die Tatsache, daß wir in diesem Rahmen mit der Vertretern des Ostblocks gemeinsam mit unseren westlichen Partnern diskutiert haben, und wenn ich daran denke, wie das gelaufen ist, dann bin ich der Auffassung, daß die beiderseitige Mitgliedschaft in der UNO in der Diskussion in diesem Rahmen auch dazu beitragen kann, die Verhältnisse zwischen beiden Teilen Deutschlands aufzulockern.
Ich möchte ein paar Bemerkungen zu der gegenwärtigen Situation an der Grenze machen, weil das hier immer wieder angeführt wird. In allen Erläuterungen der Bundesregierung und auch unserer Fraktion sind wir davon ausgegangen, daß unsere Politik eine Entwicklung einzuleiten hat, in der am Ende zwischen beiden Teilen Deutschlands auch
Freizügigkeit steht. Niemand von uns - auch Sie nicht - konnte erwarten, daß mit dem Vertrag die DDR schlagartig in der Lage sein werde, Freizügigkeit zu gewähren, die Grenzen abzubauen und alles das, was uns stört, praktisch mit einem Schlage zu beseitigen. Das hat niemand von uns erwartet. Das steht auch in keinem Papier, sondern es heißt immer, daß ein Prozeß eingeleitet werden soll. Anders kann man die Entwicklung auch gar nicht sehen. Wer einigermaßen logisch denkt, der weiß, daß in dieser Welt überhöhte Forderungen Propagandafabeln sind, die sich mit der Wirklichkeit nicht in Übereinstimmung bringen lassen.
Insofern, meine Damen und Herren, gehen wir mit dem Grundvertrag in einen neuen Prozeß, der uns weiterbringen wird in bezug auf die Beziehungen zwischen beiden Teilen Deutschlands in dem gespaltenen Europa, in dem der nationale Gedanke nur durch die Entwicklung erhalten werden kann, die wir mit diesen Verträgen einleiten, und in dem die Frage der staatlichen Einheit solange nicht zur Debatte steht, wie die ideologische, machtpolitische Trennung Europas mitten durch Deutschland geht, und das wird der Fall sein, solange es diese Trennung Europas gibt. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, ist der Grundvertrag ein entscheidender Schritt, um unsere Positionen zu verbessern.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Flach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich Herrn Kollegen Professor Carstens in einigen wesentlichen Punkten widersprechen möchte, will ich ihm in zwei Punkten zustimmen: einmal in der Feststellung, daß diese Debatte mit der Entscheidung, die mit ihr verbunden ist, eine der wesentlichsten und wichtigsten ist, die der Deutsche Bundestag im Verlauf seiner Geschichte geführt hat. Wenn die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und auch die Aufmerksamkeit in diesem Hohen Hause dem politischen Stellenwert dieser Debatte leider nicht ganz entspricht, so beruht das nach meiner Auffassung darauf, daß wir immer wieder in der Gefahr stehen, die Gefechte von gestern mit den Argumenten von vorgestern zu führen.
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Solange das so geschieht, werden wir nicht herauskommen, hier rückwärts gerichtete Debatten zu führen, und so lange werden wir nicht diese Aufmerksamkeit erzielen, die geboten erscheint. Ich hoffe sehr, daß mit der abschließenden Lesung dieses Grundvertrages endlich das letzte Gefecht aus diesen veralteten Positionen heraus gefochten worden ist und daß dann die Voraussetzungen dafür bestehen, sich auch einmal ernsthaft darüber zu unterhalten, wie auf der Grundlage der dann gegebenen Tatsachen wieder Ansätze zu einer etwas mehr gemeinsamen Politik zu finden sind.
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Ich möchte dem Herrn Kollegen Carstens auch in dem zweiten Punkt zustimmen, daß die Tatsache, daß
Flach wir hier unsere historischen Wurzeln im Jahre 1848 sehen, sich natürlich nicht nur darauf beschränkt, daß in diesem Jahre für die Freiheit des deutschen Volkes gekämpft wurde, sondern auch für die Einheit des deutschen Volkes. Obwohl es gut ist, daß wir auch ein wenig eine solche historische Dimension erhalten, können wir diese historischen Debatten hier nicht in voller Konsequenz zu Ende führen. Ich möchte mir aber erlauben, eins zu sagen: wenn das deutsche Volk seinerzeit auf demokratische Weise seine Einheit erhalten hätte, hätte es sie vermutlich nicht auf undemokratische Weise verloren.
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Nun zu dem hier häufig zitierten Begriff der Nation. Wir müssen feststellen, daß sich eine Nation in verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Systemen präsentieren kann. Bisher war es üblich, daß das im Verlauf einer geschichtlichen Zeitfolge geschah. Neuerdings erleben wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Teilen der Welt, daß dieses auch gleichzeitig geschehen kann. Wenn man diese Tatsache zur Kenntnis nimmt und wenn man weiß, daß sich politische und gesellschaftliche Systeme leichter verändern, als etwa die Nation sterben könnte, dann ist damit der Inhalt der Diskussion gegeben, die wir natürlich auch mit denen führen werden und führen müssen, die drüben in der DDR politische Verantwortung tragen. Ich darf in Klammern sagen: man kann diese Diskussion sogar von unserer Seite teilweise mit marxistischen Argumenten führen, wenn man das will; denn der Nationalitätenbegriff hat sehr verschiedene Auslegungen und Varianten. Aber dieses werden wir unabhängig davon tun, ob wir bestimmte Formeln in einen Vertragstext hineinschreiben konnten oder nicht.
Ich will einmal davon ausgehen, es wäre gelungen, den Begriff „deutsche Einheit" oder „deutsche Nation" und den Begriff „Selbstbestimmungsrecht" in den Text dieses Vertrages hineinzubekommen. Was wäre dann geschehen? Dann hätte sich die Debatte auf die unterschiedliche Interpretation dieser Begriffe verlagert. Dann hätten wir wahrscheinlich einen Brief der DDR bekommen, in dem gestanden hätte, daß vor der Einheit der Nation die Einheit der Arbeiterklasse stehen muß und daß man unter Selbstbestimmungsrecht das Recht der Werktätigen auf Selbstbestimmung über die Produktionsmittel versteht. Dann wären wir keinen einzigen Schritt weitergekommen als jetzt. So haben wir in einem einseitigen Akt unsere Auffassung dazu geäußert, und das ist nicht mehr auslegbar, interpretierbar, sondern das ist ganz klar auf der Grundlage der Interpretation, die wir diesen Begriffen geben. Ich weiß nicht, ob das auf lange Sicht nicht sogar vernünftiger war. Es war immer der Irrtum der Deutschlandpolitik auch dieses Hauses, daß die Lösung der deutschen Frage von bestimmten juristischen Formeln und juristischen Begriffen abhängig wäre. Wir haben doch lange Zeit Juristerei als Ersatzhandlung für Politik betrieben.
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Die Lösung der deutschen Frage im Sinne von mehr Einheit oder - was das Wünschenswerteste wäre - im Sinne der Einheit hängt von vielen Faktoren ab. Sie hängt davon ab, ob eines Tages eine historische Situation entsteht, in der die Entwicklung der weltpolitischen Kräfteverhältnisse diese Lösung zuläßt. Sie hängt davon ab, wie sich die Lage in Europa auf beiden Seiten weiterentwickelt. Sie hängt sicher auch ab von der inneren Entwicklung der beiden Blöcke, die sich jetzt allmählich auflockern, und auch von der Entwicklung innerhalb der beiden deutschen Staaten. Sie hängt von allen diesen und noch viel mehr Dingen ab. Sie hängt nicht davon ab, ob in der Zwischenzeit ein Modus vivendi getroffen worden ist oder ob in der Zwischenzeit einmal statt eines zwei deutsche Botschafter in den verschiedenen Hauptstädten der Welt gewesen sind.
Das war meiner Meinung nach auch der Irrtum der Hallstein-Doktrin, die im tiefsten - die Historiker werden eines Tages darüber befinden -, ungewollt, wie ich glaube, in ihrer politischen Auswirkung ein Beitrag zur Konsolidierung der Herrschaftsverhältnisse in der DDR gewesen ist, weil nämlich hier unangefochten von internationalen Bindungen, internationalen Verbindungen und internationalen Verpflichtungen in der Isolierung eine solche Politik gedeihen konnte. Wir sollten eben von den juristischen Betrachtungen wegkommen, die am Ende dazu geführt haben, daß wir uns immer weiter auseinandergelebt haben. Darin liegt die ganze Schwierigkeit, auch die Schwierigkeit der Opposition, über bestimmte Positionen hinwegzukommen.
Was ist denn in den fünfziger Jahren geschehen? Wir haben in den fünfziger Jahren eine Politik betrieben, die in erster Linie der Konsolidierung der Bundesrepublik Deutschland und ferner der Einfügung und Integration dieser Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnissystem diente, die darüber hinaus getragen war von den Fortschritten in der westeuropäischen Integration und von dem Gedanken, daß man eine Sicherheitspolitik betreiben müsse, weil man die Freiheit durch kommunistische Aggression in Gefahr sah. Diese Politik wurde so betrieben. Sie ist auf weite Strecken von uns mitgetragen worden. Ich will über diese Politik nicht rechten. Der Irrtum besteht darin, daß wir geglaubt haben, diese Politik sei Wiedervereinigungspolitik.
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Sie hat uns der Wiedervereinigung nicht nähergebracht, sondern weiter von ihr weggeführt, weil sie einfach Isolierung hervorrief und die menschlichen Kontakte und Verbindungen nicht beförderte, sondern weiter durchschnitt.
Diese Politik ist dann im Verlauf der weltpolitischen Entwicklung immer mehr erstarrt und immer mehr in die Gefahr einer Isolierung der Bundesrepublik am Ende auch von wichtigen politischen Strömungen ihrer eigenen Verbündeten geraten. Ich glaube, in diesen Jahren ist das entstanden, was Herr Kollege Professor Carstens beklagt hat, näm560
lich die Einengung des vaterländischen Bewußtseins auf die Bundesrepublik Deutschland.
Jetzt geht es doch darum, aus dieser Politik, die doch defensiv war - es war doch eine Politik, die sich auch „die Verteidigung der Freiheit" nannte, was ich nicht tadele -, aus dieser defensiven Position, aus diesem Maginot-Denken in der Politik herauszukommen und tatsächlich Fortschritte für die Menschen und für den Zusammenhalt der Nation zu erzielen.
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Man sollte sich denjenigen gegenüber, meine Damen und Herren, die unter den Trümmern dieser Deutschland-Politik nach Erfolgansätzen gekratzt und bescheidene Erfolge erzielt haben - wesentlich mehr würde ich gar nicht behaupten -, die in einem harten Prozeß Schritt für Schritt bescheidene Erfolge erzielt haben, etwas bescheidener verhalten, wenn die eigene Deutschland-Bilanz nun einmal völlig negativ ist.
Ich möchte auch auf eines noch hinweisen. Es besteht doch ein vollkommener Zusammenhang zwischen allen diesen Verträgen, dem Vertrag von Moskau, dem Vertrag von Warschau, dem Grundvertrag, und dem Beitritt zu den Vereinten Nationen. Ich glaube, es ist nicht möglich, die Früchte einer solchen Politik mit ernten zu wollen, wenn man nicht bereit ist, auch die Lasten dieser Politik mit zu tragen.
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Wir werden eines Tages dazu kommen, daß man beides zugleich tun muß, oder aber wir werden in diesen Fragen uneinig bleiben. Dies ist doch keine Stunde des Triumphs. Dies ist auch keine Stunde des Jubels, sondern eine Stunde der bitteren Wahrheiten, in der Illusionen zerstört werden mußten und in der Hoffnungen, zum Teil sogar verständliche Hoffnungen zuschanden geworden sind. Aber dies in einer entscheidenden Stunde auf sich zu nehmen, ist am Ende eine größere patriotische Tat, als die Nation weiter in Illusionen zu wiegen.
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Stellen wir uns einmal die Entwicklung der Weltpolitik und die Entwicklung innerhalb der Blocksysteme der letzten Jahre vor und gehen davon aus, die Bundesrepublik befände sich auf dem Stand ihrer Politik der 60er Jahre oder gar der 50er Jahre. Diese Vorstellung führt einem plastisch vor Augen, in welch ganz gefährliche Position die Bundesrepublik geraten wäre. Ich stelle immer wieder fest: Man kann über Einzelergebnisse dieser Politik zwar rechten, man kann darüber reden, man muß darüber diskutieren, aber es gibt keine realistische Alternative zu dieser Politik, bei der die Position der Bundesrepublik nicht Schaden erlitte.
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Das wird sich in zunehmendem Maße herausstellen.
Meine Damen und Herren, ich glaube eines. Die Politik auf den Grundlagen, die jetzt geschaffen worden sind und geschaffen werden, wird eines Tages - ich sagte es schon vorhin -- gemeinsame Grundlage der Politik in diesem Hause sein, und
derjenige Politiker der Opposition, der das hier als erster klar und öffentlich feststellt, wird von der deutschen Öffentlichkeit als der große Realist gefeiert werden - wie teilweise der Kollege Franz Josef Strauß mit seinen Bemerkungen über die Ostverträge.
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- Die „Frankfurter Rundschau" ist nicht die deutsche Öffentlichkeit, obwohl sie ein wichtiges Organ im Spiel der veröffentlichten Meinung ist.
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Aber das Bemerkenswerte an dieser Reaktion der Öffentlichkeit ist eben, daß sich die Zustimmung in diesen deutschlandpolitischen Fragen nicht auf Organe wie die „Frankfurter Rundschau" beschränkt, sondern auch weit in die Presse hineinreicht, die Ihnen innerlich nahesteht.
Ich möchte noch auf zwei Punkte hinweisen. Der Herr Kollege Barzel sagte, das Nein der Opposition zu diesem Grundvertrag bedeute ein Nein zu Diktatur und Unfreiheit. Ich hoffe, daß man das nicht so verstehen soll, als würde hier unterstellt, das Ja zu diesem Vertrag bedeute ein Ja zu Diktatur und Unfreiheit. Auf dieser Basis sollten wir nicht miteinander reden. Sie haben es selber als schmerzlich empfunden, daß der Eindruck entstanden ist, als seien Sie - die Opposition - nicht für den Frieden. Ich gehe davon aus, daß jedermann in diesem Hause für den Frieden ist. Es geht darum, die richtigen Wege dazu zu finden und die richtigen Taten einzuleiten, um diesen Frieden sicherer zu machen. Ich gehe davon aus, daß jedermann in diesem Hause gegen Diktatur und Unfreiheit ist. Auch das sollten wir in aller Klarheit feststellen.
({11})
Es ist dann gesagt worden, daß eine gewisse Gefahr darin bestehe, daß wir in unserem Volk zunehmend Strömungen finden, die auf eine Neutralität hindrängen. Ich glaube, daß hier zum Teil ein Mißverständnis bei jenen Menschen vorliegt, die nicht genau wissen oder nicht genau definieren, was Neutralität ist. Daß es aber überhaupt solche Tendenzen gibt, ist doch eine Folge der Tatsache, daß wir in den deutschen und europäischen Fragen über Jahrzehnte hinweg nicht weitergekommen sind, daß die bisherige Politik eben nicht als Erfolg empfunden wurde und man nun nach Auswegen sucht, die in dieser Form für uns natürlich nicht gangbar sind.
Ich habe mich gefreut, daß der Kollege Professor Cartens eine Reihe positiver Bemerkungen über die menschlichen Erfolge dieser Politik, über die Entwicklung des Handels mit dem Osten gemacht hat. Ich habe da immer noch ein gewisses Röhrenembargo in Erinnerung, das uns ja zu seiner Amtszeit eine Reihe von Schwierigkeiten gemacht hat. Ich glaube, wenn man die Akten des Auswärtigen Amtes aufmerksam studiert, wird man auch feststellen, daß in bezug auf Vorschläge zur Lösung der Berlin-Frage und dessen, was in diesem ZusammenFlach
hang noch akzeptabel ist, teilweise Dinge erwogen und diskutiert worden sind, denen gegenüber das Viermächteabkommen heute einen ganz entscheidenden Erfolg darstellt.
({12})
Wir führen eine wichtige Debatte. Wir haben einen wichtigen Abschnitt in der Behandlung unserer nationalen Fragen. Wir sollten uns davor hüten, diese von uns abgeschlossenen Verträge immer aus der Sicht unserer politischen Gegner zu interpretieren. Indem man alle die negativen Möglichkeiten und Aspekte herausstreicht, leisten wir nur denjenigen, die unsere Lösungen nicht wollen, Argumentationshilfe.
Wenn man den Grundvertrag als Abschluß einer Kette von Verträgen sieht, wenn man die Gesamtfolgen der Vertragspolitik berücksichtigt, dann ist hier, glaube ich, durchaus eine ausgeglichene Bilanz von Leistung und Gegenleistung gegeben. Wie war es denn in Berlin noch vor wenigen Jahren? Wie war es mit den Begegnungen der Menschen noch vor wenigen Jahren? Hier ist man Schritt für Schritt auf einem - wie der Herr Bundeskanzler sagte - steinigen Weg weitergekommen. Wir sollten auch - das möchte ich in aller Offenheit sagen - dem Herrn Bundesminister Bahr dafür dankbar sein; denn das, was er führen mußte, waren die schwierigsten Verhandlungen, die ein deutscher Unterhändler in dem letzten Jahrzehnt überhaupt hat führen müssen.
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Das Ergebnis verbaut nichts, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir sind einige Schritte vorwärtsgekommen. Wir wissen ganz genau, daß ein wirklicher Ausbau dieser Kontaktpolitik vom Gegeneinander zum Nebeneinander und vielleicht einmal zu einem Miteinander in der einen oder anderen Frage natürlich von der Entwicklung der gesamten weltpolitischen Landschaft abhängt und daß Maximalerfolge in wenigen Monaten oder Jahren nicht erreichbar sind. Aber die Tendenz der defensiven Politik, des Nichtstuns, des Sich-Erschöpfens in juristischen Formeln und in Durchhalteparolen für die Menschen drüben ist umgekehrt worden. Hier ist ein Weg beschritten worden, der zu einem guten Ende führen kann. Wir stimmen diesem Vertrag und der damit verbundenen Politik aus vollem Herzen zu.
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Das Wort hat der Bundesminister Franke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte und vorher sind von der Opposition bestimmte Argumente gegen den Grundvertrag vorgebracht worden. Lassen Sie mich zu einigen dieser Vorwürfe Stellung nehmen. Ich denke, es geht darum, die Argumente zu prüfen und zu wägen, um so auf eine sachliche Debatte kommen zu können, die ja schließlich von uns allen gemeinsam vor der Entscheidung gesucht werden sollte.
Der Hauptwiderspruch in Ihrer Argumentation,
meine Damen und Herren von der Opposition, scheint mir in folgendem zu liegen. Einerseits wird gesagt, der Vertrag bringe zu wenig menschliche Erleichterungen und die wenigen konkreten Verbesserungen, die er bringe, seien mangelhaft abgesichert bzw. zu wenig verbindlich. Ich verstehe das so: Bei mehr Verbesserungen und - in ihren Augen - besserer Absicherung könnte die Opposition dem Vertrag mit der DDR unter Umständen doch zustimmen. So werte ich jedenfalls diese Ihre Einwände.
Andererseits aber folgen dann in der Argumentation wieder Einwände von sehr grundsätzlicher Natur, Einwände, die im Grunde genommen Staatsverträge mit der DDR auf der Basis der Gleichberechtigung ausschließen. Aus dem „so nicht" wird dann ein „Am besten überhaupt nicht".
Einerseits wünscht und verlangt auch die Opposition Verbesserungen für die Menschen, einerseits bekundet auch sie Bereitschaft zu vertraglichen Vereinbarungen mit der DDR; andererseits ist es aber noch heute ein Kernpunkt ihrer kritischen Feststellungen, daß die 1969 gebildete Bundesregierung ihre Vertragspolitik damit begann, daß sie den möglichen Verhandlungspartner als gleichberechtigt akzeptierte. Das war und ist aber nun einmal die Voraussetzung für Gespräche und Verhandlungen.
({0})
Bundeskanzler Kiesinger wollte 1968 - so wörtlich - „mit der Regierung in Ost-Berlin" verhandeln. Es gelang ihm nicht, wie wir alle wissen; denn er stieß an das von der Union gesteckte Limit, von dem Herbert Wehner hier vor zwei Wochen gesprochen hat. Diese Grenzlinie war: Die Regierung, mit der man verhandeln und kontrahieren wollte, sollte nicht als Repräsentantin eines zweiten deutschen Staates auftreten können.
Und da sind wir an einem Kernpunkt in der Betrachtung des Möglichen: Vereinbarungen zugunsten der Menschen in diesem Lande kommen nur zustande und haben nur Erfolg, wenn wir bereit sind, den Grundsatz der Gleichberechtigung zu verwirklichen. Und dann ist diese DDR eben ein zweiter deutscher Staat.
Von hier aus komme ich zum zweiten zentralen Vorwurf Ihrer kritischen Argumentation. Sie sagen, es sei nicht gelungen, die Einheit der Nation bei Existenz von zwei Staaten in Deutschland zur Grundlage des Vertrages zu machen, oder anders: es fehle die ausdrückliche beiderseitige Verpflichtung auf die Einheit der Nation.
Ich frage, wie das konkret hätte aussehen sollen. Der Herr Kollege Flach hat hier eben an einem Beispiel Ähnliches erläutert. Sollte es etwa so aussehen: Beide Seiten, also Bundesrepublik und DDR, betrachten die nationale Frage als ungelöst, und sie verpflichten sich, auf die Wiederherstellung der Einheit eines deutschen demokratischen Staates hinzuwirken? Meine Damen und Herren, mit Recht hätte man uns dann entgegengehalten, die DDR habe völlig andere Vorstellungen als wir von einem deutschen demokratischen Gesamtstaat. Oder auch: Unter „Lö562
sung der nationalen Frage" verstünden die Kommunisten der SED ein kommunistisches Gesamtdeutschland. Oder: Die Bundesregierung, die solches unterschriebe, lade die Kommunisten zur Verwirklichung dieses ihres nationalen Zieles geradezu ein. Oder man hätte schließlich gefolgert, der Vertrag sei grundgesetzwidrig, denn er erschwere die Erfüllung des Auftrages des Grundgesetzes, die Einheit und Freiheit Deutschlands - und zwar die Freiheit in unserem Sinne - zu vollenden.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen die vorstellbare Formel eines solchen Vertrages zur nationalen Frage genannt. Die daran geknüpften Einwände sind keineswegs unernst und bestünden nicht einmal zu Unrecht, obwohl - dies nebenbei gesagt - sich die versuchte Formel eng an einen entscheidenden Satz aus dem Briefwechsel zwischen Adenauer und Bulganin vom 13. September 1955 anlehnt.
In der Tat ist es so: Unsere Auffassungen und die der DDR zur nationalen Frage gehen auseinander. Und genau das wird in der Präambel des Grundvertrages festgehalten.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jäger?
Bitte sehr!
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß sich die DDR in ihrer eigenen Verfassung als einen Staat deutscher Nation bezeichnet, und können Sie uns hier sagen, warum die DDR-Regierung bei den Verhandlungen über den Text des Grundvertrages nicht bereit war, dieser Tatsache bei der Formulierung des Vertrages Rechnung zu tragen?
Meine Damen und Herren, ich will diese Frage gern beantworten, und zwar in folgender Weise: Gerade weil es keine Übereinstimmung darüber geben konnte, in welcher Weise die Frage der Nation gemeinsam beantwortet werden könnte, ist ausdrücklich in diesem Vertrag vermerkt, daß diese Frage offengeblieben ist.
({0})
Und sehen Sie, meine Damen und Herren, so wird einerseits die Existenz der nationalen Frage und andererseits das Bestehen des Auffassungsunterschiedes hierzu festgestellt. Das ist klar und offen, und, Herr Dr. Barzel, ich meine, es ist ein redlicher Vertrag, wenn das, was nicht gemeinsam vereinbart werden kann, offenbleibt. Diese Klarheit scheint mir nützlich und dem Ernst der Sache, um die es geht, angemessen zu sein.
Die Lösung, die das Vertragswerk bietet, ist eindeutig. Zusammen mit der DDR wird die Nichtübereinstimmung in der nationalen Frage festgestellt, und damit wiederhole ich meine Antwort auf Ihre Frage. Für sich selbst bekundet die Bundesrepublik
in dem Brief zur Unterzeichnung ihren politischen
Willen, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
Ein anderer Einwand besagt, der Vertrag sei ungleich, er sei nach Leistung und Gegenleistung nicht ausgewogen. Während die DDR alle ihre seit langem gestellten Forderungen erfüllt bekomme, würden wir uns mit unzureichenden und unverbindlichen Zusagen zufriedengeben.
Zunächst zu den angeblich erfüllten Forderungen. Eine dieser Forderungen war bekanntlich die: Vor jedem Gespräch und vor jeder Verhandlung über konkrete Sachfragen und Kommunikationserleichterungen müsse die Bundesrepublik die DDR im völkerrechtlichen Sinne vorbehaltlos anerkennen. Bevor ich auf den letzten Punkt näher eingehe, lassen Sie mich in Erinnerung rufen: Der tatsächliche Verhandlungsprozeß verlief anders.
Vor dem Grundlagenvertrag schlossen wir das Postabkommen vom 30. September 1971, das Transitabkommen vom Dezember 1971 und den Verkehrsvertrag mit der DDR, der am 17. Oktober letzten Jahres in Kraft trat. Als wir den Grundvertrag am 21. Dezember 1972 unterschrieben, war also schon einiges und nicht Unerhebliches an Reise- und Kommunikationsverbesserung auf dem Tisch - nicht nur ausgehandelt, sondern in der praktischen Anwendung. Die Zahlen, die ich hier kürzlich genannt habe, weisen das unmißverständlich aus. Es war also nicht die erfüllte Vorbedingung der DDR, die den Verhandlungsprozeß bestimmte.
Nun zu der Forderung der DDR nach völkerrechtlicher Anerkennung. Der Vertrag bringt sie nicht; im Gegenteil!
({1})
Im Vertrag gibt es einen Art. 9, und zu Art. 9 gibt es einen Briefwechsel. Aus beidem geht eindeutig hervor, daß beide deutsche Staaten eben nicht in der Lage sind, etwa mittels einer gegenseitigen völkerrechtlichen Anerkennung endgültig über Deutschland zu verfügen.
Eine weitere frühere Forderung der DDR war die nach dem Austausch von Botschaftern. Lesen Sie bitte Art. 8 des Vertrages, in dem der Austausch von ständigen Vertretungen vereinbart ist. Daß dieser Unterschied nicht die spitzfindige Auslegung der Bundesregierung ist, daß die DDR sich über diesen Unterschied nicht einfach hinwegsetzen kann, beweist die Antwort Honeckers auf die Frage des amerikanischen Journalisten Sulzberger, die im „Neuen Deutschland" vom 25. November 1972 wiedergegeben worden ist. Hier wird international keineswegs von diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik gesprochen.
Schließlich verweise ich noch auf die langjährige Forderung der DDR, die Bundesrepublik solle oder müsse ihre Staatsangehörigkeitsrechte und -grundsätze ändern. Auch das ist, wie bekannt, nicht geschehen. Nein, meine Damen und Herren, es ging nicht um bestimmte zu erfüllende Forderungen, sondern es ging und geht um spezifische AnforderunBundesminister Franke
gen, denen dieser Vertrag zwischen den beiden deutschen Staaten gerecht werden mußte.
Im einzelnen wie im ganzen macht das Vertragswerk deutlich, daß es um Beziehungen eigener Art geht. Zwar handeln beide Vertragsseiten nicht aus dem gleichen Verständnis der nationalen Verantwortung und der nationalen Situation - auch das drückt ja die Formel der Präambel aus; das muß man sehen. Aber dennoch wurde ein Vertrag geschlossen, dessen Partner ebenfalls laut Präambel - von den historischen Gegebenheiten ausgehen. Die ganze Anlage des Vertragswerkes kennzeichnet die besondere Lage, in der sich die beiden Staaten befinden. Es mußten eben die besonderen Gegebenheiten und Erfordernisse berücksichtigt werden. Ein solcher Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem anderen Staat -sagen wir, Dänemark oder Belgien - wäre undenkbar, eben weil diese Besonderheiten nur bei uns und der DDR gegeben sind.
Nun wird gesagt, der Vertrag erfülle die langjährigen Forderungen der DDR, wenn auch nicht aus sich heraus, so doch durch seine politischen Auswirkungen. Dazu möchte ich in großem Ernst sagen: Es liegt auch an uns, uns allen gemeinsam, daß der Name „Grundlagenvertrag" wirklich eine Plattform kennzeichnet,
({2})
von der aus die Stufen zur Besserung und zur Zusammenarbeit führen. Wer von Auswirkungen spricht, meine Damen und Herren, der muß auch an mögliche Auswirkungen der eigenen Rede denken. Man sollte sich hüten, eine Endgültigkeit zu beschwören, die in dem Vertragswerk selbst keine Stütze findet.
Betrachten wir nun weiter die Gegenleistungen, die nach den geäußerten Ansichten der Opposition ungenügend und zu wenig abgesichert sind.
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Ungenügend in dem Sinne, daß mehr Möglichkeiten für unmittelbare Kontakte zwischen den Menschen denkbar und zu wünschen wären,
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ungenügend in dem Sinne, daß nicht ab sofort das Schießen und Töten an der Grenze aufhört, - in dem Sinne ist der Vertrag gewiß ungenügend, darüber sind wir uns einig.
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Das braucht uns aber wirklich niemand zu sagen; das wissen auch wir. Aber wer könnte sagen -und jetzt komme ich zu der Frage, die Sie bitte beantworten mögen -, wie man zu jenem besseren und genügenden Vertrag kommen kann, und das ohne die ausdrückliche Respektierung der Hoheitsgewalt der DDR-Regierung nach innen und ihrer Vertretungsgewalt nach außen? Ein solcher Vertrag,
meine Damen und Herren, ist, auch wenn wir noch soviel darüber diskutieren, nicht möglich. Das muß ausgesprochen werden, damit wir nicht Illusionen nachhängen. Die Nation ist leider nicht in der Lage, etwas zú erreichen, das unseren Idealvorstellungen entspricht, wenn wir nicht einen Partner dafür finden können, wie es hier der Fall ist.
Was die mangelhafte Absicherung betrifft, so sind mit dieser Feststellung die Zusammenhänge des Vertrages nicht richtig erkannt worden. Ich hoffe, daß das in den Auschüssen klar werden wird. Diese Feststellung läßt außer acht, daß die Erleichterungen und Verbesserungen, die das Vertragswerk bringt, bindend vereinbart sind.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Bitte!
Herr Bundesminister, können Sie bestätigen, daß die Zusagen zum Thema menschliche Erleichterungen nicht im Vertrag stehen und deshalb eine andere, eine geringere Rechtsqualität haben als der Vertrag?
Meine Damen und Herren, wir sind dabei, diesen Grundlagenvertrag hier zu erörtern, und wir werden ihn im Ausschuß bis ins letzte Detail erörtern.
({0})
- Entschuldigen Sie! Trotzdem ist Ihnen wie uns allen bekannt, daß dieses Vertragswerk
({1})
in seiner Gesamtheit zusammen mit den anderen Verträgen politische Wirkungen haben soll, die wir gemeinsam anstreben.
({2})
Dazu gehört der Brief, dazu gehören auch die unterschiedlichen Wertungen. Uns kommt es letztlich darauf an, daß wir für jetzt lebende Menschen Erleichterungen und Verbesserungen erwirken können. Wir sollten uns nicht über Dinge streiten, die bei anderen Erörterungen interessant sein mögen. Hier geht es um das, was jetzt möglich und erreichbar ist.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Marx.?
Bitte sehr!
Herr Bundesminister, wäre es Ihnen möglich, uns kurz und präzise zu sagen, ob die menschlichen Erleichterungen mit gleicher Rechtsqualität Teil des Vertrags sind und was Sie eigentlich meinen, wenn Sie immer den sehr verwaschenen und in meinen Augen nicht genau definierbaren Begriff „Vertragswerk" verwenden? Was ist „Vertragswerk"?
Ich meinte sämtliche Vertragswerke. Nicht nur ich habe hier zum Ausdruck gebracht, sondern auch andere haben in der Diskussion deutlich gemacht, daß das ganze System der Verträge in seiner politischen Wirkung zu sehen ist und daß wir nicht mit einem Vertrag das erreichen können, was wir wollen. Daraus haben sich die verschiedensten Vereinbarungen und Verträge ergeben, die ich hier aufgezeigt habe und deren Wirkungen allgemein ablesbar sind.
({0})
Ich lasse mich durch Ihre Fragen in keiner Weise irritieren, sondern bleibe dabei, daß mit uns die große Masse unseres Volkes klar erkannt hat, daß diese Politik nicht ein Streit um Worte ist, sondern Ergebnisse bringt, die von vielen jahrzehntelang vergeblich erwartet wurden.
({1})
Meine Damen und Herren, auch diese Ausführungen müssen bei der ersten Lesung gemacht werden, damit die Positionen sehr deutlich werden.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Berger?
Bitte sehr!
Frau Berger (Berlin ({0}): Herr Minister, in der uns vorliegenden Drucksache 7/153 ist auf der Seite 8 der Briefwechsel vom 21. Dezember 1972 abgedruckt. Ich würde mich dafür interessieren, ob Sie Auskunft geben können, ob dieser Briefwechsel mit den Vertragsunterlagen auch der Volkskammer zugeleitet worden ist.
Die Behandlung der Verträge, der Texte und der Unterlagen, geschieht im Bereich der DDR in den dortigen Institutionen nach den dort gegebenen Geschäftsordnungsmöglichkeiten und in den dort üblichen Formen mit der Beigabe all der Materialien, wie das auch hier geschieht. Das wird insgesamt durchleuchtet und bewertet. Das werden wir auch bei den Beratungen in den Ausschüssen ganz konkret und im einzelnen erläutern können.
({0})
Meine Damen und Herren, wir sind hier dabei, uns nach unseren Voraussetzungen mit diesem Grundlagenvertrag zu beschäftigen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß das mit Leben erfüllt wird, was dort vereinbart ist. Im Zuge der weiteren Normalisierung der Beziehungen der beiden Staaten zueinander werden die beiden auch praktische und humanitäre Fragen regeln. Das geht eindeutig aus dem Art. 7 Satz 1 hervor, der in die Zukunft weist und deutlich macht, daß hiermit Grundlagen vereinbart sind, auf deren Basis weitere Einzelheiten, die vielschichtig gelagert sind, ausgehandelt werden und die beide Seiten verpflichten.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Bitte!
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir einer Meinung darüber, daß die Geringschätzung juristischer Festlegungen der Positionen der Bundesrepublik, die sowohl in Ihren Worten als auch in den Worten Ihres Vorredners zutage getreten ist, in krassem Gegensatz zu dem großen Wert steht, den die andere Seite auf die juristische Absicherung ihrer Positionen in diesem Vertrag wie überhaupt in internationalen Verträgen legt?
({0})
Herr Kollege, auch wir legen großen Wert darauf, daß wir Verträge abschließen, die insgesamt gesichert sind und Inhalte aufweisen, die auch erfüllt werden können. Damit ist auch die notwendige juristische Wertung durchaus gegeben. Ich messe dem die Bedeutung bei, wie das üblich ist. Aber es geht auch um die politischen Prinzipien und Fragen, und dazu habe ich mich eindeutig geäußert.
Meine Damen und Herren, was konkret unter weiterer Normalisierung zu verstehen ist, das findet sich ebenfalls im Art. 7 sowie in den Zusatzprotokollen niedergelegt, nämlich Abkommen und Verträge auf der Grundlage dieses Vertrages zur Förderung der gegenseitigen Zusammenarbeit auf einer Vielzahl von Gebieten. Die Aufzählung will ich mir hier ersparen; jeder kann das nachlesen.
Ich habe bedauert, daß schon vor dieser Debatte gesagt wurde, der Gegensatz in der Frage des Grundvertrages sei fundamental. Das ist mir unbegreiflich, und das sollte von Ihnen sehr reiflich überdacht werden. Wie kann von „fundamental" gesprochen werden, wenn es möglich war, sich beim Verkehrsvertrag zu einigen? Dies war ein Vertrag, in dem von den beiderseitigen Hoheitsgebieten die Rede war, in dem die Rede war von - ich zitiere -„normalen gutnachbarlichen Beziehungen beider Staaten zueinander wie sie zwischen voneinander unabhängigen Staaten üblich sind." Weder die Natur der vertragschließenden Seiten noch die Erwartungen in bezug auf den zukünftigen Zustand ihrer BeBundesminister Franke
ziehungen waren anders als in dem vorliegenden Vertragswerk umschrieben und beschrieben.
Wenn ich mich im übrigen nicht täusche, haben berufene Vertreter der Opposition, was ich sehr begrüße, die Mitarbeit der Opposition bei den Folgeverträgen dieses Vertragswerks angekündigt. Diese Ansätze sollten meines Erachtens auch schon in die Entscheidungen zum Grundvertrag mit eingebracht werden. Die Entscheidung muß nicht heute getroffen werden. Wir haben Gelegenheit, die Einzelheiten in den Ausschüssen sehr ausführlich zu erörtern. Erst dann sollten wir uns entscheiden.
Vor uns liegt die Arbeit in den Ausschüssen, bei der noch einmal alles gründlich überdacht und geprüft werden kann, auch das jetzige Nein der Opposition; denn ich kann auch dem von Herrn Kollegen Professor Carstens geäußerten Argument nicht folgen, wonach die Ablehnung des Vertrages durch die Opposition die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und andere Entspannungsprojekte nicht gefährde. Ich vermag diesem Argument nicht zu folgen.
({0})
Es wäre für unser Volk besser, wenn es hier wie beim Verkehrsvertrag eine vernünftige, in großer Breite getragene deutliche Entscheidung für den Weg der Vertragspolitik gäbe und damit konkrete Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensbedingungen für die Menschen in beiden Staaten in Deutschland gestaltet würden.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Zuhörer dieser Debatte fällt auf, daß von seiten der Vertreter der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition von vielen Dingen die Rede ist: von menschlichen Erleichterungen, von der Einheit der Nation, von einem Brief, von Folgeverträgen; nur von dem, worüber wir heute eigentlich zu entscheiden haben, ist nur am Rande die Rede, nämlich von diesem Vertrag.
({0})
Das ist die entscheidende Frage. Natürlich sind wir gern bereit, bei Folgeverträgen immer mitzuarbeiten, die geeignet sind, die deutsche Spaltung, die Trennung zu überwinden, die Menschen zusammenzubringen. Aber die Folgeverträge stehen heute nicht zur Debatte, sondern dieser Vertrag.
Herr Minister, schon das Wort „Folgeverträge" macht mich etwas mißtrauisch; denn das heißt doch, daß diese Fragen dann wohl auch in Verträgen geregelt werden sollen. Die Frage, die sich uns aber stellt, lautet: Wieso stehen sie denn nicht in diesem
Vertrag? Denn über diesen Vertrag haben wir zu befinden.
({1})
Uns würde gerade interessieren, wieso sie nicht in diesem Vertrag stehen. Denn wenn ich Sie recht verstanden habe - auch das, was in zurückliegenden Jahren von Ihnen geäußert wurde, etwa in Kassel -, dann hatten Sie doch ursprünglich die Absicht, das ebenfalls in den Vertrag aufzunehmen. Das ist für uns ein Beurteilungskriterium auch für diesen Vertrag. Sie werden uns doch bitte nicht vorwerfen wollen, daß wir die Kriterien bei der Beurteilung dieses Vertrages anwenden, die Sie selbst in den 20 Kasseler Punkten aufgestellt haben. Dieser Vertrag genügt doch den Kasseler Punkten, Ihren eigenen Beurteilungsmaßstäben, nur in höchst unvollkommener Weise.
Lassen Sie mich den Blick auf das lenken, wovon wir heute eigentlich reden sollten, nämlich auf diesen Vertrag. Wer den Vertrag liest, kommt eigentlich schon bei der ersten Lektüre zu dem Ergebnis: dieser Vertrag ist kein guter Vertrag, weil er den Grundsatz der Gegenseitigkeit bei Verträgen verletzt. Im übrigen gilt hier genau das gleiche wie das, was an dieser Stelle bereits zu den Ostverträgen ausgeführt wurde.
({2})
Im Vertrag werden die Wünsche der DDR nach internationaler Anerkennung erfüllt, aber die Gegenleistungen fehlen im Vertrag.
({3})
Auch die menschlichen Erleichterungen, die als eigentliche Gegenleistung herausgestellt werden, und die wir alle begrüßen und unterstützen, stehen nicht im Vertrag, auch nicht in Art. 7, sondern sie bilden den Gegenstand von Absichtserklärungen; Sie meinen: von verbindlichen Absichtserklärungen, aber eben von Absichtserklärungen; denn diese ganzen Dinge, die menschlichen Erleichterungen, Familienzusammenführung, die wenn auch bescheidenen, aber dennoch begrüßenswerten menschlichen Erleichterungen, stehen eben nicht unter dem Grundsatz der vertraglichen Verbindlichkeit.
({4})
- Eben nicht, sie stehen nicht darin. Das ist das, was Sie wünschen und wobei auch wir nach Ihrem Wunsch mitmachen sollen, wie Herr Minister Franke gerade sagte. Er verlangte, daß das in Zukunft dann erfüllt wird. Natürlich unterstützen wir Sie dabei, diese Inaussichtstellungen und Hoffnungen dann schließlich auch zu realisieren. Aber im Vertrag - und darüber stimmen wir heute ab -steht nichts darüber.
({5})
- Nun, dann werden wir uns im Ausschuß darüber ja noch einmal unterhalten.
({6})
Aber wir werden im Ausschuß diese Dinge, die im Vertrag nicht drinstehen, in einer noch so intensiven Beratung natürlich auch nicht entdecken können.
({7})
Der Haupteinwand von unserer Seite - im übrigen nicht nur von unserer Seite, sondern von jeder Seite - gegen diesen Vertrag: ein Teil steht drin als Vertragsinhalt, ist verbindlich, das andere ist nicht verbindlich. Wir machen uns hier abhängig vom guten Willen der Gegenseite, den ich in vielen Einzelheiten gar nicht bestreite; aber ich werde doch mißtrauisch, wenn dieser gute Wille angeblich vorliegt, die Bereitschaft aber nicht so weit ausgereicht hat, diese menschlichen Erleichterungen zum Gegenstand einer verbindlichen Vereinbarung zu machen. Sie sind jederzeit zurückzunehmen.
({8})
Sie sind einseitig aufkündbar, und sie werden dann mit Sicherheit in bestimmten Fällen auch aufgehoben werden.
Ich möchte noch etwas anderes anfügen. Die Bundesregierung begibt sich hier in eine gefährliche Abhängigkeit von der DDR-Regierung. Denn es besteht zumindest das Risiko, daß diese menschlichen Erleichterungen, ihre Gewährung und auch ihre Wiederaufhebung, zu einem Mittel für die Honorierung des jeweiligen Wohlverhaltens von Bundesregierungen gemacht werden. Von einer Erweiterung des politischen Aktionsradius, von dem diese Bundesregierung immer redet, kann überhaupt nicht die Rede sein, sondern genau das Gegenteil ist der Fall.
({9})
Die eine Leistung - das gehört noch hinzu - tritt mit der Ratifizierung des Vertrages in Kraft, die andere Leistung steht in der Hoffnung der Zukunft. Jedenfalls Zug um Zug wird nichts geleistet. Es tut mir leid, es wiederholen zu müssen - es wurde schon einmal zu den Ostverträgen gesagt -, aber es ist nicht weiter verwunderlich, denn es kennzeichnet eben den Stil dieser Vertragsabschlüsse. Es handelt sich hier um keine solide Arbeit. Ich würde fast entschuldigend hinzusagen: es konnte sich auch gar nicht um eine solide Arbeit handeln,
({10})
denn die Verhandlungen über diesen Vertrag sind ebenfalls gekennzeichnet durch Eile, Hektik und den Erfolgszwang, in den sich die Bundesregierung selbst gesetzt hat, weil sie ja den Abschluß der Verträge zu brauchen glaubte, um mit ihm gerade noch rechtzeitig vor den Wahlen vor die deutsche Bevölkerung zu kommen,
({11})
um damit ein weiteres Stück - ich würde die Bezeichnung „Stückwerk" vorziehen - der Friedenspolitik dieser Bundesregierung vorzuweisen.
Wenn die menschlichen Erleichterungen in Kraft treten, ist das in Zukunft - wir werden es ja sehen - eine in meinen Augen - wenn ich mir die Ankündigung vor Augen halte - bescheidene Erleichterung der menschlichen Beziehungen in Deutschland. Davon wird mein Kollege Reddemann im Laufe des heutigen Nachmittags noch sprechen. Von dem, was wesentlicher Bestandteil und Zweck des Vertrages sein sollte - der Überbrückung der Trennung der Deutschen, der Wiederherstellung der Freizügigkeit, so wie man sie international versteht, für Menschen, Informationen und Ideen -, kann leider keine Rede sein.
Mehrfach wurde ja schon an dieser Stelle heute vormittag darauf hingewiesen, daß von der deutschen Einheit in diesem Vertrag nichts steht. Im Gegenteil, im Vertrag bekräftigt die Bundesregierung die Unabhängigkeit und Selbständigkeit eines zweiten deutschen Staates neben sich. Sie respektiert die Unabhängigkeit in inneren und äußeren Angelegenheiten. Alles trennende Begriffe!
Ich möchte noch einen anderen Punkt anschneiden, zu dem ich hier ganz gern eine Erklärung von seiten der Bundesregierung hätte; denn die Bundesregierung sagte - im Zusammenhang mit dem Grundvertrag ist diese Erklärung wieder aufgetaucht -, von einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR sei dennoch nicht die Rede. Ich gebe zu, aus den Erklärungen dieser Bundesregierung konkrete Schlußfolgerungen zu ziehen ist eine zunehmend gewagte Sache.
({12})
Mir ist auch nicht einmal klar, ob diese Bundesregierung wenigstens ihre eigenen Erklärungen anders qualifiziert als die Entschließungen dieses Bundestages, denen Mitglieder dieser Bundesregierung ja allenfalls eine gewisse Tagesaktualität zugebilligt haben.
({13})
Doch bleibt die Frage bestehen: Wie bewertet denn die Bundesregierung den Vertragsinhalt auch in seiner rechtlichen Bedeutung? Das Wort „rechtlich" - das gebe ich zu - hören Sie nicht gern, obwohl Recht und Politik kein Gegensatz sind. Das Recht ist die präzise Ausbildung politischer Entscheidungen.
({14})
Am Recht kann man dann messen, was auch politisch passiert ist. Deswegen scheuen Sie natürlich solche Diskussionen.
({15})
- Lieber Herr Wehner, ich weiß nicht, wie der Herr Präsident diese Äußerung qualifiziert.
({16})
- Ich nehme sie von Ihnen nicht ernst.
({17})
- Lieber Herr Wehner, auf einen Punkt wollte ich
die Sprache heute eigentlich gar nicht bringen. Es
gibt eine weitere Äußerung aus höchstem Munde,
die mir nicht in den Begriffszusammenhang des Parlamentarischen zu passen scheint: Parlament kommt von „parlare", von „parler", von „reden". Das bezeichnen Sie als Frechheit! Außerdem wurde heute schon gesagt, man solle den Mund halten. Das ist keine gute Auffassung von den Funktionen des Parlaments.
({18})
- Sie, Herr Wehner, zeichnen sich bestimmt nicht durch besondere persönliche Zimperlichkeit in diesem Parlament aus. Deswegen müßten Sie eigentlich auch eine in der Sache harte Sprache akzeptieren; denn ich tue es auch.
({19}) Doch Sie werden sich dazu noch äußern.
Jedenfalls versteht das Ausland einschließlich unserer westlichen Partner den Grundvertrag offensichtlich anders, als die Bundesregierung im Inland vorgibt. Das ist ein Beitrag zu der Forderung, die Sie gestellt haben, man dürfe nicht mit verschiedenen Zungen reden.
({20})
Denn immerhin hat eine Welle der Anerkennungen, der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR bereits eingesetzt, ehe der Grundvertrag überhaupt in Kraft getreten ist. Die Bundesregierung hat da- gegen keine Vorstellungen mehr erhoben, obgleich sie doch in der letzten Legislaturperiode die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR, wenn ich es recht sehe, eigentlich noch als gegen ihre Ost-und Deutschlandpolitik gerichtet sah. Will denn - das ist die Frage nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen - die Bundesregierung diesmal in voller Absicht andere Staaten das vollziehen lassen, was sie sich im Inland zu verkünden und zu vertreten noch nicht traut, nämlich die völkerrechtliche Anerkennung der DDR, um hernach achselzuckend zu erklären, jetzt könne man nichts mehr machen, jetzt sei die völkerrechtliche Anerkennung eben durch andere vollzogen worden?
({21})
Wie steht es denn mit der Überwindung der deutschen Spaltung? Das ist doch das entscheidende Kriterium für diesen Vertrag. Aus dem Vertrag selbst - und der steht zur Debatte - ergibt sich eigentlich nur das Gegenteil; denn der Vertrag redet von zwei deutschen Staaten, der Unverletzlichkeit der Grenzen, der territorialen Integrität, der Gleichberechtigung dieser Staaten. Das ist alles das Gegenteil von Einheit. Hier wird die Zweiheit, die Differenzierung, die Trennung fixiert. Das wenigstens ergibt die objektive Lektüre des Vertrages.
Inhaltliche Hinweise auf Gemeinsamkeiten, die zu wahren oder wiederherzustellen sind, die unser aller Ziel sind, hören wir zwar verbal im Umkreis der Bundesregierung, auch im Parlament, doch dort, wo
sie hingehören, nämlich im Vertrag, sind sie nicht zu finden.
({22})
Im Gegenteil, das Vorwort des Vertrages stellt das Trennende selbst noch in den grundsätzlichen Fragen, u. a. in der nationalen Frage, heraus. Darauf werde ich später noch kommen; denn das scheint mir das interessanteste Thema in diesem Zusammenhang zu sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schweitzer?
Ja, gern!
Herr Kollege Abelein, würden Sie dem Hause gegenüber Ihre Vorlesung noch ein wenig dahin gehend erweitern, daß Sie uns klarmachen
({0})
Herr Kollege Schweitzer, Sie haben die Möglichkeit, Zwischenfragen ohne Wertungen zu stellen.
Herr Kollege Abelein, würden Sie dem Hause klarmachen, inwieweit der Grundvertrag einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland, völkerrechtlich gesehen, gleichkommt?
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte doch freundlichst um Ruhe. Hier haben sich zwei Kollegen Professoren untereinander Fragen gestellt.
({0})
Bitte, Herr Kollege Abelein!
Lieber Herr Kollege, ich habe natürlich hier meine Ausführungen in Stichworten vor mir, ohne sie Ihnen vorzulesen, wie das selbst bei höchsten Regierungsmitgliedern üblich ist.
({0})
Ihnen möchte ich aber wenigstens noch eines sagen, an Ihre Adresse gerichtet: Wenigstens spreche ich frei, wenn ich Fragen stelle; dazu brauche ich nicht auch noch ein Papier!
({1})
568 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode -14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den l5. Februar 1973
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Brief zur deutschen Einheit hier nichts sagen; denn hierzu hat Herr Staatssekretär Carstens das Notwendige bereits gesagt. Es erübrigt sich im übrigen auch, dazu hier etwas zu sagen. Ich weigere mich, auf alle diese Dokumente, Briefe, Äußerungen noch einzugehen, die doch nur einen Nebel über den Kern der Sache, nämlich diesen Vertrag, legen. Deswegen bedarf es dazu keines Wortes, und, ich meine, im übrigen ist auch hinreichend klar, wie die andere Seite diesen Brief hinsichtlich seiner Verbindlichkeit qualifiziert, und zwar aus diesem Vorgang anläßlich des Journalistengesprächs der beiden Staatssekretäre Ost-Berlins und Bonns.
Herr Professor Abelein, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Flach?
Gerne.
Herr Kollege Abelein, könnten Sie sich nicht eine Situation vorstellen, in der Sie oder Ihre politischen Freunde eine politische Position haben, eine Position der Verantwortung, in der Sie auf diesen Brief Bezug nehmen und von ihm ausgehen müssen und es bedauern würden, wenn er vorher abgewertet wäre?
({0})
Lieber Herr Kollege Flach, hier schneiden Sie ein ganz schwieriges Problem an. Ich gehe gerne darauf ein; denn wir von der Opposition haben überhaupt kein Interesse, hier irgendeinen Beitrag zu leisten, der es der anderen Seite nachher erleichtern könnte, das Trennende aus diesen Verträgen in der Form einer Art authentischer Interpretation herauszulesen. Aber -
({0})
- Nein, genau das Gegenteil mache ich gar nicht, das werden Sie gleich sehen. Sie bringen uns doch immer absichtlich
({1})
durch ein völlig vernebeltes sogenanntes Vertragswerk in eine solche Situation, daß man dann zum Kern der Sache nicht vorstößt. Tut man es mit Fragen, die Ihnen unangenehm sind, dann kommt gleich der Einwand: Ihr stört ja die eigene Position! Wir hatten genau die gleiche Situation bei den Ostverträgen,
({2})
und diese Ausführungen von mir sind ausschließlich so zu verstehen, daß die Bundesregierung durch die Beantwortung dieser Frage die Möglichkeit erhalten soll, diese Fragen so herauszustellen, daß wir beide gemeinsam in künftigen Regierungen die Dinge dann im Sinne einer gemeinsamen Politik
in der Richtung der Wiederherstellung der deutschen Einheit interpretieren können.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geßner?
Ja, gerne.
Herr Kollege Abelein, sind Sie sich nicht darüber im klaren, daß Sie soeben die ganze Zeit keine Fragen gestellt, sondern Behauptungen aufgestellt haben?
({0})
Herr Kollege, ich bin mir nicht darüber im klaren.
In einigen ihrer Verlautbarungen hebt die Bundesregierung hervor, dieser Vertrag sei eigentlich nur Ausdruck des gegenwärtigen Zustandes in Deutschland. Er regele den Modus vivendi oder, mit anderen Worten, er habe vorläufigen Charakter. Leider kommt auch dieser Vorbehalt im Vertrag nicht, allenfalls indirekt, höchst verklausuliert und mit Hilfe juristischer Kunstgriffe zum Ausdruck. Es erweckt den Anschein, als ob man diese Frage in einer optimistischen Interpretation wenigstens offengelassen habe. Auch dazu wurde bereits das Notwendige gesagt. Die Formulierungen des Vertrages - ich wiederhole sie jetzt nicht - weisen nämlich genau auf das Gegenteil hin. Aber diese Tatsache des Fehlens einer Revisionsklausel oder eines Hinweises auf die Vorläufigkeit fällt um so mehr auf, als gerade die sogenannten Freundschaftsverträge der DDR mit der Sowjetunion immer solche Revisionsklauseln beinhalten: etwa die Verträge vom 20. September 1955 oder vom 12. Juni 1964. Sie sind zeitlich begrenzt, und sie enthalten selbst dann noch eine Möglichkeit der Kündigung für den Fall der Wiedervereinigung.
Ich finde, es ist im hohen Maße nachdenkenswert, daß wir das Element der Vorläufigkeit und die Zielrichtung der Wiedervereinigung zwar in Verträgen der DDR mit ihren östlichen Partnerstaaten haben, aber nicht mehr in Verträgen der Bundesrepublik Deutschland. Hier ergeben sich Fragen über Fragen. Heißt das denn, daß das dynamische Element einer Wiedervereinigung, einer Herstellung der nationalen Einheit der östlichen Seite überlassen bleibt und daß die Bundesrepublik Deutschland - diesen Verdacht legt dieses Vertragswerk wenigstens nahe - davon Abstand nimmt?
({0})
Aber lassen Sie mich zu den hochinteressanten Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers von heute früh kommen. Er spricht von der deutschen Einheit, dargestellt in der deutschen Nation. Das Grundgesetz geht vom Begriff der nationalen und staatlichen Einheit aus. Es wäre interessant, von der Bundesregierung einmal zu erfahren, was sie eigentDr. Abelein
lich noch unter „Einheit des deutschen Volkes" versteht. Wenn man die Bundesregierung richtig versteht, soll die Deutschland umfassende Einheit die Nation bilden. Das hat diese Bundesregierung bereits im Oktober 1969 gesagt, als sie die Formel von der Existenz zweier Staaten in Deutschland und den zwischen ihnen bestehenden besonderen Beziehungen durch den Begriff der Nation umschrieben hat. Während die Deutschlandpolitik vorangegangener Bundesregierungen von dem Ziel bestimmt war, das gespaltene und zerrissene Volk wieder in einer staatlichen Einheit zusammenzuführen, geht die gegenwärtige Bundesregierung von der fortexistierenden Nation aus, deren Einheit es zu wahren gelte. Aber auch dieser Nationbegriff des Herrn Bundeskanzlers wird täglich unschärfer und unpräziser; auch dadurch markiert er eine Wende.
Bundeskanzler Brandt nimmt Abschied von der nationalstaatlichen Bewegung, von der nationalen Einheitsbewegung, die ein bedeutendes Stück deutscher Verfassungsgeschichte darstellt. So wird dieser Vorgang leider nicht nur von mir, sondern auch von kühleren Beobachtern der deutschen Szenerie beurteilt, die die Vorgänge aus größerer Distanz betrachten. Ich nehme für viele die Londoner „Times". Sie schreibt, der Grundvertrag besiegele die Liquidierung des Bismarck-Reiches nach nur 101jährigem Bestehen. Auch die Zahl ist höchst aufschlußreich; denn diese gewichtige Stimme geht offensichtlich davon aus, daß das Deutsche Reich bis zum Abschluß des Grundvertrages bestanden hat und durch den Grundvertrag untergeht.
({1})
- Hier liegt gar kein Widerspruch vor. Wir können gern miteinander darüber debattieren. Als Zeit des Bismarck-Reiches kann man nehmen 1871 bis zum Beginn der Weimarer Republik. Damit gehe ich völlig einig. Aber die deutsche staatliche Einheit wurde durch die Reichsgründung Bismarcks herbeigeführt. Davon habe ich gesprochen, und so interpretiere ich auch die „Times".
({2})
Wenn dem so ist, dann irrt die Bundesregierung, wenn sie sagt, sie akzeptiere nur von anderen gesetzte Tatsachen. Ich bestreite gar nicht, daß von anderen wichtige Tatsachen gesetzt wurden. Aber die Bundesregierung setzt mit dem Grundvertrag selbst eine wichtige Tatsache, und ich vermute: gegen die Einheit, gegen „Deutschland als Ganzes". Darauf deutet leider auch hin, daß die Formel von Deutschland als Ganzem und von der deutschen Einheit im Grundvertrag nicht mehr erscheint.
Statt dessen taucht nun die „Kulturnation" auf - wieder auf, sage ich; denn diese Formel ist uns nicht neu. Wir kennen sie aus dem 19. Jahrhundert. Selbst wenn der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung nicht ausdrücklich von Geschichtsbewußtsein gesprochen hätte: an dieser Stelle müßte man es ihm attestieren. Hier tut er einen Griff in die deutsche Geschichte, aber keinen kühnen
Griff. Der Blick ist nicht nach vorn gerichtet, sondern zurück, zurück auf das Bild der hoffnungslos gespaltenen Nation Deutschland, auf die Welt der Kleinstaaterei, als in der Unverbindlichkeit des Kulturellen die Sehnsucht des deutschen Volkes nach Einheit eine Art Ersatzbefriedigung gefunden hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horn?
Herr Kollege Abelein, wenn Sie so schwere verfassungsrechtliche Bedenken haben, dann frage ich mich nur, weshalb die Opposition den Weg nach Karlsruhe nicht beschritten hat.
Lieber Herr Horn, von Verfassungsrecht rede ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht.
({0})
Obwohl das in meine Disziplin gehört, habe ich mich den ganzen Tag bemüht, hier nicht verfassungsrechtliche Kategorien vorzutragen. Ich rede von politischen Kategorien. Ich glaubte, Sie seien Historiker. Augenblicklich rede ich von historischen Dingen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horn?
Ist Ihnen nicht bekannt, daß ein grundgesetzlicher Auftrag besteht, die staatliche Einheit durch Wiedervereinigung wiederherzustellen? Davon haben Sie doch wohl die ganze Zeit gesprochen, Herr Kollege Abelein.
({0})
Herr Kollege Horn, ich bin gerne bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren - aber angesichts der knappen Zeit nicht jetzt -, ob der Grundvertrag diesen Anforderungen des Grundgesetzes entspricht. Wenn Sie mich persönlich fragen: Ich habe erhebliche Zweifel. Aber wollen wir es an dieser Stelle dabei belassen!
Zumal, Herr Kollege Abelein, Ihre Redezeit inzwischen schon abgelaufen ist.
Ich komme zum Ende, aber mir wurden so zahlreiche Zwischenfragen gestellt, daß ich immer wieder im Fluß meiner Ausführungen unterbrochen wurde.
Ich hatte Ihnen natürlich auch eine entsprechende zusätzliche Zeit eingeräumt.
Ich jedenfalls kann in diesem Bild der Kulturnation keine Zukunftsvision erblicken - das möchte ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen -, wenn ich auch zugebe, daß dieser Begriff in Deutschland häufig eine Rolle, eine auch faszinierende Rolle, gespielt hat. Er hatte die Funktion eines Auswegs. Doch ein Beitrag zur politischen Bewußtseinsbildung des deutschen Volkes oder zur Herausbildung des sogenannten „mündigen Bürgers" ist die Kulturnation - in der Konfrontation zur politischen und zur Staatsnation - sicher nicht.
({0}) - Ich rede wie ich, Herr Moersch.
Die Aufgabe der präzisen Konturen in der Deutschlandpolitik und die Einführung schwer definierbarer Begriffe wie „Kulturnation" machen diese Politik vielleicht für viele akzeptabler, weil sie nicht mit dem randschärferen und präziseren Begriff der politischen Nation konfrontiert werden. Doch darin liegt - wie im 19. Jahrhundert - die Gefahr einer Entfremdung des deutschen Volkes von der Aufgabe, die Einheit Deutschlands zu bewahren.
Manchmal entsteht der Eindruck, daß im gleichen Ausmaß, in dem unsere eigenen politischen Positionen konturenloser werden, die Positionen der DDR an Schärfe gewinnen. Dieser Vorgang drückt sich dann zuerst in den Begriffen aus. In zunehmend zahlreichen Dokumenten der DDR ist von dem „sozialistischen deutschen Nationalstaat" die Rede. Dahinter wartet die Proklamierung des Alleinvertretungsanspruchs für die ganze Nation von der anderen Seite, den Sie aufgeben.
({1})
- Nein, ich habe davor keine Angst.
({2})
- Herr Kollege Schäfer, wenn Sie mich schon zwischenfragen: Mich erfassen leichte Bedenken, solange ich Bürger in diesem Staat bei diesem Wettkampf unter dieser Bundesregierung bin.
({3})
Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich das sage; ich wurde danach gefragt. Sie sind gefragt, wie Sie Ihre Positionen hier klären, z. B. den Begriff der Nation.
({4})
Ich füge noch folgendes hinzu: Alle diejenigen, die glauben, dieser Grundvertrag erlaube ihnen so etwas wie eine ruhige Status-quo-Existenz, in der sie in Ruhe und in Frieden ihren Geschäften nachgehen können, irren, denn den Status quo gibt es in der Geschichte nicht. Es hat ihn nie gegeben, schon gar nicht für eine sozialistisch-sowjetische Auffassung.
({5})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Eine Frage zur Klärung der Begriffe, über die wir hier diskutieren. Sind Sie wirklich der Meinung, daß das Deutsche Reich von 1871 die deutsche Nation insgesamt umfaßt hat? Wollen Sie sich bei Ihrem Kollegen Carstens in dieser Hinsicht nicht einmal unterrichten?
Es kommt darauf an, wie Sie den ethnischen und kulturellen Begriff der Nation fassen. Herr Moersch, ich bin bei der Beantwortung Ihrer Frage; bitte hören Sie mich noch an. Ich wäre ja bereits zufrieden, wenn Sie den Begriff der Nation, ihre Einheit und deren Organisation wenigstens so umschrieben, wie das im Bismarck-Reich der Fall war.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Teilweise mögen Meinungsumfragen ergeben darauf stützen Sie sich ja -, daß ein großer Teil der deutschen Bürger diesem Grundvertrag zustimmt. Diese Meinungsumfragen sind, wie fast alle Meinungsumfragen, wenig aufschlußreich. Ich sage: Die deutsche Geschichte war über Jahrhunderte hinweg durch die Sehnsucht der Deutschen nach Einheit gekennzeichnet. Diese Geschichte läßt sich nicht unterdrücken. Man kann sie vielleicht vorübergehend nicht zur Kenntnis nehmen, wie es ein Teil der jungen Generation heute tut. Doch diese Geschichte ist immer da. Sie ist in uns, vielleicht unbewußt, aber immer bereit, ins helle Bewußtsein zu treten. Hier wird auch die junge Generation keine Ausnahme machen. Die junge Generation wird sich eines Tages mit Sicherheit des großen Themas der deutschen Geschichte, der deutschen Einheit nämlich, erinnern. Dann wird sie uns alle, die wir hier sitzen und politische Verantwortung tragen, danach fragen: Was habt ihr unternommen, welche Anstrengungen habt ihr trotz noch so großer Widerstände geleistet, um dies Ziel zu erreichen, um die deutsche Einheit, um Deutschland als Ganzes, wie es im Grundvertrag nicht angesprochen ist, wiederherzustellen?
({1})
Das ist die historische Dimension, in der wir heute stehen, Herr Wehner. Das sind keine großen Worte, sondern ich meine, das sind Sätze, die der Situation dieser Stunde angemessen sind.
Gerade deswegen sehen wir uns auch nicht aus taktischen Rücksichten oder wegen Berücksichtigung eventuell irgendwo heranstehender Wahlen in der Lage, eine andere Haltung einzunehmen, als zum Grundvertrag nein zu sagen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde wiederaufgenommen.
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages.
({0})
Die Sitzung wird fortgesetzt. Wir beginnen mit Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
-- Drucksache 7,156
Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Staatssekretär von Wechmar anwesend.
Ich rufe Frage 12 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Hat die Bundesregierung einen Forschungsauftrag über die Monopolstellung lokaler Zeitungen erteilt?
Herr Abgeordneter, im Rahmen eines kommunikationswissenschaftlichen Forschungsprogramms sind zwei Aufträge zum Problem der lokalen Alleinanbieterstellung von Tageszeitungen erteilt worden. Eine Untersuchung ist abgeschlossen; der Bericht liegt vor. Die Ergebnisse der zweiten Untersuchung werden im Frühjahr dieses Jahres erwartet.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß beide Berichte dann veröffentlicht werden und vor allem den entsprechenden Vereinigungen der Verleger und Journalisten zugeleitet werden können?
Herr Abgeordneter, eine endgültige Entscheidung darüber ist noch nicht getroffen worden. Sie hängt natürlich auch von der Vorlage des von mir erwähnten zweiten Gutachens ab. Ich kann hier nur sagen, daß die Bundesregierung in ihrem ohnehin vorgesehenen Bericht über die Lage der Presse, der Ihnen möglicherweise im Herbst dieses Jahres vorgelegt werden wird, auf diese Gutachten eingehen wird. Aber das Bundespresseamt wird in der interministeriellen Arbeitsgruppe die Frage einer Veröffentlichung dieser beiden Gutachten wie auch anderer Gutachten, die im kommunikationspolitischen Bereich von uns angefordert worden sind, wohlwollend prüfen.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie in diesem Zusammenhang weitere Gutachten auch im Hinblick auf die Stellung des Rundfunks und des Fernsehens anfordern werden?
Das ist der Fall.
Keine Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich Frage 13 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Wann wird die Bundesregierung das Ergebnis dieses Auftrages veröffentlichen?
Herr Abgeordneter, nach den mit den Gut-achtern getroffenen Vereinbarungen können die Veröffentlichungsrechte durch die Bundesregierung oder - mit Zustimmung der Bundesregierung auch durch die Autoren wahrgenommen werden. Entscheidungen hierüber sind jedoch noch nicht getroffen worden. Die Bundesregierung wird in jedem Fall bei ihrem in Arbeit befindlichen Bericht über die Lage von Presse und Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland die Ergebnisse beider Gutachten berücksichtigen.
Vielen Dank; ich habe keine Zusatzfrage.
Keine Zusatzfrage. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hermsdorf zur Verfügung.
Ich rufe Frage 43 des Herrn Abgeordneten Schedl auf:
Welche Doppelbesteuerungsabkommen mit Ostblockstaaten hat die Bundesregierung in letzter Zeit abgeschlossen?
Frau Präsidentin, gestatten Sie, daß ich die Fragen 43 und 44 zusammen beantworte, weil sie dasselbe Thema behandeln?
Bitte! Dann rufe ich zusätzlich Frage 44 des Abgeordneten Schedl auf:
Hat die Bundesregierung bei den bereits abgeschlossenen bzw. vorbereiteten Doppelbesteuerungsabkommen mit Ostblockstaaten, in diesem Falle mit Rumänien bzw. Polen, beabsichtigt, daß u. a. den staatlichen Baufirmen dieser Ostblockstaaten Wettbewerbsvorteile in der Bundesrepublik Deutschland eingeräumt werden?
Die Bundesrepublik hat, was die Ostblockstaaten betrifft, bisher nur mit der Volksrepublik Polen ein Doppelbesteuerungsabkommen unterzeichnet, und zwar am 20. Dezember 1972. Mit Rumänien sind die Verhandlungen abgeschlossen, jedoch steht die abschließende Stellungnahme der rumänischen Stellen noch aus.
Sowohl im Abkommen mit Polen als auch im Entwurf eines Abkommens mit Rumänien ist entsprechend dem OECD-Musterabkommen vorgesehen, daß Bauausführungen und Montagen, die ein Unter572
nehmen eines bestimmten Staates in einem anderen Staat unterhält, in diesem anderen Staat erst dann besteuert werden dürfen, wenn die Dauer ihrer Unterhaltung 12 Monate überschreitet. Diese Frist ist aber nach den Protokollen zu den Abkommen für eine Übergangszeit von 5 Jahren auf 18 Monate verlängert worden. Die Regelung ist jedoch nicht einseitig. Sie gilt nicht bloß für polnische bzw. rumänische Unternehmen, die in der Bundesrepublik tätig werden, sondern umgekehrt auch für deutsche Unternehmen, die in Polen und in Rumänien - insbesondere auf dem Sektor des Anlagenbaues - tätig werden.
Wünschen Sie eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, darf ich daraus entnehmen, daß die Frist von 12 Monaten generell, also in all diesen Abkommen für eine Übergangszeit von 5 Jahren auf 18 Monate verlängert werden soll?
Bei diesen beiden Verträgen j a, aber generell kann man das nicht sagen.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich Frage 45 des Herrn Abgeordneten Dr. Nölling auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Diese Frage sowie Frage 46 werden daher schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme ({0}) auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Leicht auf:
Weshalb hat die Bundesregierung die im Haushaltsausschuß am 18. Dezember 1972 ausdrücklich abgegebene Versicherung nicht eingehalten, die im Haushaltsplan 1972 vorgesehenen Gesamtausgaben von 108,9 Milliarden DM nicht zu überschreiten?
Frau Präsidentin, darf ich die Fragen 48 und 49 auf Grund ihres Sachzusammenhanges zusammen beantworten?
Ja, bitte schön! Ich rufe also auch die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Leicht auf:
Welche bedeutsamen neuen Erkenntnisse hat die Bundesregierung nach der Beratung des Bundeshaushaltsplans 1972 im Haushaltsausschuß am 18. Dezember 1972 und nach der Verabschiedung des Haushaltsplans 1972 im Bundestag am 20. Dezember 1972 gewonnen, die sie veranlaßt haben, noch zum Jahresende 1972 eine durch den Haushaltsplan nicht gebilligte Sonderzahlung von 1170 Millionen DM an die Deutsche Bundesbahn und von weiteren 230 Millionen DM zur Ablösung der Zwischenfinanzierung der VEBA-Bezugsrechte zu leisten?
Bei der Beratung des Haushaltsentwurfs 1972 im Haushaltsausschuß habe ich im Zusammenhang mit Bemerkungen über die Haushaltsführung 1972 u. a. erklärt, daß der Ausgaberahmen von 108,9 Milliarden DM eingehalten wird. Aus damaliger Sicht traf diese Erklärung zu.
Der Ausgaberahmen 1972 ist wegen später notwendig gewordener Sonderzahlungen an die Deutsche Bundesbahn sowie zur Ablösung der Zwischenfinanzierung junger VEBA-Aktien um insgesamt 0,7 Milliarden DM überschritten worden. Für diese Mehrausgaben waren die Voraussetzungen des Art. 112 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 37 Abs. 1 der Bundeshaushaltsordnung erfüllt.
Die Sonderzahlung an die Deutsche Bundesbahn war unabweisbar, um deren Liquidität zu sichern und den Verlustvortrag zu vermindern. Die Zahlung an die Deutsche Bundesbahn war auch unvorhergesehen, weil sich ihr Liquiditätsbedarf zum Jahresende entgegen den ursprünglichen Annahmen stark erhöht hatte, insbesondere wegen der zurückgebliebenen Erträge beim Güterverkehr.
Mit der Ablösung der Zwischenfinanzierung der jungen VEBA-Aktien wurde bis zum 20. Dezember 1972, dem Tag der Verabschiedung des Bundeshaushalts 1972 durch dieses Hohe Haus, ebenfalls nicht gerechnet. Sie war aus finanzwirschaftlichen Gründen unabweisbar. Ich gehe davon aus, daß diese Maßnahme auch von der Opposition als notwendig angesehen wird, zumal die Opposition selbst die Zwischenfinanzierung „als zinsaufwendig und vermutlich verlustbringend" kritisiert hat.
Wenn ich die mehrfach durch die Opposition geäußerte Kritik an den in ihrem eigenen Sprachgebrauch so genannten Schattenhaushalten in Betracht ziehe, so ist mir die heute geäußerte Kritik allerdings nicht recht verständlich. Denn die Ablösung der Zwischenfinanzierung der VEBA-Bezugsrechte war eine Kredittilgung im Sinne der Beseitigung eines sogenannten „Schattenhaushalts". Und die Zahlung an die Bundesbahn machte eine Kreditaufnahme der Bundesbahn, die ansonsten in dieser Höhe notwendig geworden wäre und die dann in der Opposition als Ausweitung eines von ihr sogenannten „Schattenhaushalts" kritisiert worden wäre, entbehrlich. Beide Zahlungen waren volkswirtschaftlich wie finanzwirtschaftlich vernünftig.
Eine Zusatzfrage.
Ich möchte gleich an das letzte anknüpfen. Habe ich es richtig verstanden, Herr Kollege Hermsdorf, daß Sie mit den Sonderzahlungen an die Bundesbahn und zur Ablösung der Zwischenfinanzierung für die VEBA-Aktien hier die Existenz eines echten Schattenhaushalts und nicht nur die Vornahme einer konjunkturneutralen Transaktion zugestehen?
So bin ich zweifellos nicht zu verstehen gewesen, Herr Kollege Leicht. Ich habe
in meinen Ausführungen vom sogenannten „Schattenhaushalt", wie er von der Opposition bezeichnet wird, gesprochen. Nachdem nun einmal diese Zahlungen, für die alle Rechtsvoraussetzungen gegeben waren, erfolgt sind, ist man hiermit doch auch der Opposition wohl ein wenig entgegengekommen, indem man die von ihr als sogenannten „Schattenhaushalt" bezeichneten Dinge etwas verminderte. Um so unverständlicher ist mir Ihre heutige Kritik an diesen Vorgängen.
Eine Zusatzfrage.
Da aus meiner Fragestellung und der dazu gegebenen Erklärung, Herr Kollege Hermsdorf, sicherlich klargeworden ist, daß es sich hier nicht um Kritik an den Maßnahmen selbst, sondern um die Kritik an der Form -- 18. Dezember: Haushaltsausschuß, 20. Dezember: Plenum des Bundestages - handelt, darf ich die Frage stellen, ob die Regierung demnächst im Haushaltsausschuß, auch in Verbindung mit dem, was gestern dort besprochen worden ist, in der Lage sein wird, Angaben darüber zu machen, was von den fast 10 Milliarden DM Mehrausgaben gegenüber dem Vorjahr auf gesetzliche und rechtliche Verpflichtungen, die in früherer Zeit entstanden sind, und was auf Lohn-, Gehalts- und Preissteigerung zurückzuführen ist?
Herr Kollege Leicht, wir werden dem Haushaltsausschuß selbstverständlich über die von Ihnen soeben angeschnittene Frage ausführlich Auskunft geben.
Ich möchte aber noch einmal auf Ihre Bemerkung zurückkommen, daß dieser Vorgang in der Form nicht in Ordnung gewesen sei. Wir haben den Haushalt am 18. Dezember verabschiedet. Die letzte Sitzung des Haushaltsausschusses war vor den Wahlen.
({0})
- Ich meine die letzte Sitzung, in der wir über die Lage gesprochen haben. Nachdem der Haushalt verabschiedet worden war, stellte sich heraus, daß die Illiquidität der Bundesbahn inzwischen ein Ausmaß angenommen hatte, das man beim besten Willen nicht länger verantworten konnte. Wir hätten sonst die Bundesbahn in eine außerordentliche schwierige Situation gebracht und darüber hinaus auf dem Kapitalmarkt noch eine gewisse Unruhe hervorgerufen. Aus diesem Grunde erschienen uns die Voraussetzungen des Art 112 des Grundgesetzes absolut gegeben, nämlich hier einzugreifen und entsprechende Zuweisungen an die Bundesbahn vorzunehmen.
Zu der Zeit, als wir das erkannten, waren das Parlament und der Haushaltsausschuß nicht hier. Ich hielt es aber für dringend geboten, etwas zu tun und das Parlament sofort darüber zu unterrichten, sobald es dazu eine Möglichkeit gab, weil wir sonst allein in diesem Bereich einen Zinsverlust von 100 Millionen DM gehabt hätten.
Weitere Zusatzfrage?
Herr Kollege Hermsdorf, handelt es sich bei der Sonderzahlung an die Bundesbahn in Höhe von 1,17 Milliarden DM um Liquiditätshilfen für das laufende Jahr, und wann sind sie geleistet worden?
Ich kann mich nicht auf den Tag genau festlegen. Aber ich würde sagen, sie sind zwischen Weihnachten und Neujahr und, wenn ich es richtig sehe, gleich noch einmal Anfang Januar geleistet worden.
Noch eine Zusatzfrage?
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Haehser.
Herr Staatssekretär, auch wenn es sich bei der Leistung für die Deutsche Bundesbahn nur darum gehandelt hätte, die vom ganzen Hause immer wieder beklagte hohe Verlustvorfinanzierung abzubauen, wäre es dann nicht richtig gewesen, schon aus einem solchen Grund derartige Zahlungen zu leisten?
Selbstverständlich, Herr Kollege Haehser, wird niemand in diesem Hause bezweifeln - das hat auch der Kollege Leicht nicht bezweifelt -, daß diese Maßnahme notwendig war. Herr Kollege Leicht hat nur die Form kritisiert. Wir haben uns, bevor wir die Zahlungen leisteten, genauestens an die Richtlinien des Art. 112 gehalten, d. h. wir stehen mit dieser Zahlungsleistung nicht im Widerspruch zu Art. 112.
({0})
Nein, immer nur eine.
({0})
Ich bin mit dem Austausch einverstanden.
Wir wollen jetzt keinen Handel mit Fragerechten betreiben. Sie können ja einmal eine eigene Frage stellen.
Die Fragen 50 bis 52 sind von den jeweiligen
Fragestellern zurückgezogen worden. Damit, Herr Staatssekretär, sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich erledigt. Ich danke Ihnen.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär von Manger-Koenig zur Verfügung.
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe die Frage 83 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Notwendigkeit von Gesundheitsvorsorgemaßnahmen und ihre umfassende, praktikable Durchführung auf dem Gebiet der Zahnpflege bei Kindern und Jugendlichen zwischen 3 und 18 Jahren ({0})?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hält eine umfassende Gesundheitsvorsorge auf dem Gebiet der Zahnpflege für alle Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 18 Jahren für dringend geboten. Die Maßnahmen der hierfür zuständigen Bundesländer auf diesem Gebiet sind jedoch unterschiedlich. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß auf Grund von Vereinbarungen zwischen den Zahnärzten und den gesetzlichen Krankenkassen von allen Kassenzahnärzten als Leistung der Sozialversicherung auch bei Kindern und Jugendlichen Früherkennungsuntersuchungen im Zahnbereich vorgenommen werden.
Im wesentlichen scheinen die Schwierigkeiten der unterschiedlichen Handhabung der Jugendzahnpflege in den Ländern dadurch begründet zu sein, daß die für Gesundheitsvorsorgemaßnahmen und für die Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten im Zahnbereich benötigten Jugendzahnärzte nicht in genügender Anzahl zur Verfügung stehen. In bezug auf die Vorsorge sollte auch darauf hingewiesen werden, daß das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit als gesundheitliche Modellaktion ein Projekt „Kariesprophylaxe" eingeleitet hat, das neue präventive Methoden durch lokale Verabreichung von Fluoriden erproben soll.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Eine Zusatzfrage: Wären Sie bereit, diese Prophylaxe und auch die Vorsorgeuntersuchungen auf behinderte Kinder auszudehnen, wie es z. B. in Niedersachsen praktiziert wird, auf geistig oder körperlich behinderte Kinder, die z. B. in Heimen oder in beschützenden Werkstätten erfaßt werden?
Frau Abgeordnete, soweit diese Altersjahrgänge ohnehin aufgerufen sind, müssen die Gesundheitsämter dafür sorgen, daß auch diese Institutionen von der Jugendzahnpflege erreicht werden.
Noch eine Zusatzfrage? - Dann rufe ich die Frage 84 der Frau Abgeordneten Frau Dr. Neumeister auf:
Erwägt die Bundesregierung gesetzgeberische Schritte - u. U. auch grundgesetzändernder Art -, um, wie z. B. in Osterreich und der Schweiz, bundeseinheitlich eine moderne Prophylaxe auf dem Gebiet der Jugendzahnpflege zu gewährleisten, nachdem bisher trotz langjähriger Bemühungen nur in einigen wenigen Bundesländern ({0}) unterschiedliche landesrechtliche Bestimmungen getroffen worden sind?
Gesetzgeberische Schritte, Frau Abgeordnete, sind der Bundesregierung zur Zeit nicht möglich. Ein von den Fraktionen dieses Hohen Hauses eingebrachtes und vom Bundestag auch beschlossenes Gesetz über die Jugendzahnpflege ist vom Bundesrat im Jahre 1963 aus Gründen fehlender Zuständigkeit des Bundes abgelehnt worden. Zwischenzeitliche Bemühungen der Bundesregierung um entsprechende Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes haben nicht zum Erfolg geführt. Eine bundeseinheitliche Regelung wäre gleichwohl wünschenswert.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bestände nicht die Möglichkeit, etwa in der Art, wie man es beim Krankenhausfinanzierungsgesetz gemacht hat, den Art. 74 des Grundgesetzes etwas weiter auszulegen?
Ich hatte eben versucht, das zu erläutern, Frau Abgeordnete. Wir haben uns 1967/68 um eine Erweiterung der Zuständigkeiten des Bundes insbesondere für Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten bemüht. Damit wäre auch die Jugendzahnpflege - Bekämpfung der Karies - abgedeckt gewesen. Aber dieser Entwurf ist schon im ersten Durchgang im Bundesrat abgelehnt worden und ist nachher hier in diesem Hohen Hause nicht weiter verfolgt worden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit, eventuell auf dem Verordnungswege eine Rahmenkompetenz des Bundes auf diesem Gebiet zu erreichen?
Frau Abgeordnete, ich darf darauf hinweisen, daß der Bund keine Verordnungen erlassen kann, wenn er keine Gesetzgebungskompetenz hat. Wir haben indes -- und das ist dem Bund immer unbenommen - die Möglichkeit, Anregungen zu geben, und hiervon machen wir gegenüber den Ländern erneut im Interesse einer Einheitlichkeit der Leistungen Gebrauch.
Keine Zusatzfrage. - Dann rufe ich die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Geldner auf:
Welche Behörden haben an der Zulassung des Konservierungsmittels Baycovin mitgewirkt, und was haben die damaligen Untersuchungen hinsichtlich der gesundheitlichen Unbedenklichkeit dieses Mittels ergeben?
Herr Abgeordneter, der unter der Markenbezeichnung Baycovin im Verkehr befindliche KonStaatssekretär Dr. von Manger-König
servierungsstoff ist durch die 9. Verordnung zur Ausführung des Weingesetzes vom 27. Juli 1965 zur Entkeimung von Wein und weinähnlichen Getränken zugelassen worden. Diese Verordnung wurde vorn damaligen Bundesminister für Gesundheit, dem heutigen BMJFG, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und mit Zustimmung des Bundesrates erlassen.
Die Zulassung stützte sich auf die in der Begründung zur Verordnung genannten gutachtlichen Stellungnahmen des Bundesgesundheitsamtes und der Fremdstoff-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Diese Gutachten schlossen Schädigungen der menschlichen Gesundheit infolge der Verwendung des Stoffes aus, sofern die in der Verordnung festgelegten Mengenbeschränkungen und Reinheitsanforderungen eingehalten würden.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat sich auf meine Bitte hin erneut, und zwar schon im Jahre 1969, mit der Angelegenheit befaßt, nachdem tschechoslowakische Wissenschaftler den Verdacht geäußert hatten, daß das als Umsetzungsprodukt und als Verunreinigung festgestellte Diäthylcarbonat eine gewisse karzinogene und auch teratogene Wirkung habe. Sie teilte als Ergebnis der neuer-, lichen Prüfung mit, daß die Zulassung des Konservierungsstoffes zur Entkeimung von Wein und weinähnlichen Getränken aufrechterhalten werden könne. Auch das Bundesgesundheitsamt hatte nach erneuter Prüfung keine Bedenken gegen die weitere Verwendung.
Im Rahmen der Prüfung des Antrages auf Aufnahme des Stoffes in die EWG-KonservierungsstoffRichtlinie haben Sachverständige der Wissenschaftlichen Kommission der EG in ihrem 12. Bericht vorn 19. November 1965 festgestellt, daß keine Gründe erkennbar seien, die es geboten erscheinen ließen, den Stoff von der Aufnahme in die Liste der zugelassenen Konservierungsstoffe auszuschließen. Ebenfalls positiv hat sich das gemeinsame Expertenkomitee für Lebensmittelzusatzstoffe der Welternährungsorganisation und der Weltgesundheitsorganisation in seinem Bericht über die Sitzung vom 13. Dezember 1965 in Rom in bezug auf einen mengenmäßig begrenzten Zusatz von Baycovin in Lebensmitteln geäußert.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß damit die Bedenken der amerikaschen Behörden widerlegt sind und keine Gesundheitsschädigung vorliegen kann?
Nein, davon können Sie nicht ausgehen, und davon gehen auch wir nicht aus. Baycovin als Konservierungsstoff wird durch eine Änderung der Weinordnung in Kürze aus dem Verkehr gezogen. Das ist eine vorsorgliche Maßnahme - ich betone: vorsorgliche Maßnahme -, denn in der Zwischenzeit sind schwedische Untersuchungen veröffentlicht worden, die den vorhin zitierten Verdacht noch einmal aufgriffen. Diese Untersuchungen sind von uns nachgeprüft worden; sie konnten allerdings nicht erhärtet werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß dieses Baycovin aus dem Verkehr gezogen wird. Können Sie mir in etwa den Zeitpunkt sagen, wann das geschehen soll?
Das wird bis zum Sommer dieses Jahres fällig sein. Wir haben allerdings der Weinwirtschaft gewisse Umstellungszeiten einräumen müssen, weil zum Teil erhebliche apparative Veränderungen notwendig sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht gewisse Parallelen zu jenen Meldungen, wie wir sie vor einiger Zeit beim Süßstoff gehabt haben, die aus den Vereinigten Staaten kamen und später wieder zurückgenommen werden mußten?
Es gibt leider sehr oft solche Meldungen, die die Bevölkerung beunruhigen. Das darf uns indes nicht hindern, Herr Abgeordneter, all diesen Meldungen gewissenhaft nachzugehen und möglichst durch eigene Nachuntersuchungen den Verdacht auszuräumen oder im Falle seiner Bestätigung unverzüglich die notwendigen Maßnahmen zu treffen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Geldner auf:
Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus den amerikanischen Bedenken gegen Baycovin zu ziehen, und welche Hemmnisse stehen einer sofortigen Verwirklichung dieser Konsequenzen entgegen?
Nach dem deutschen Lebensmittelrecht ist es grundsätzlich verboten, fremde Stoffe Lebensmitteln zuzusetzen, es sei denn, sie sind ausdrücklich zugelassen. Diese Zulassung erfolgt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, nachdem wissenschaftliche Untersuchungen die gesundheitliche Unbedenklichkeit des jeweiligen Stoffes ergeben haben. Das gleiche Verfahren muß auch eingehalten werden, wenn gesundheitliche Bedenken gegen einen fremden Stoff nach seiner Zulassung erhoben werden und die Zulassung zurückgenommen werden soll. Auf Grund der Delaney-Klausel in den Vereinigten Staaten sind dagegen Stoffe automatisch zu verbieten, bei denen kanzerogene Wirkungen
Staatssekretär Dr. von Manger-König
festgestellt oder möglich sind. Wie ich bereits ausführte, gilt dieses Verbot selbst dann, wenn die in den Lebensmitteln enthaltenen Mengen des Stoffes gesundheitlich unbedenklich sind. Die in der Bundesrepublik geltenden Fremdstoffregelungen scheinen mir daher praxisgerechter zu sein.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 87 der Frau Abgeordneten Stommel auf:
Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um auf der Grundlage der Ersuchen des Deutschen Bundestages vorn 1. März 1972 eine Neuordnung der Krankenpflegeausbildung in Angriff zu nehmen?
Frau Abgeordnete, beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ist eine „Kleine Kommission zur Überprüfung des Krankenpflegegesetzes" eingesetzt, die sich mit der Ausbildung in der Krankenpflege befaßt. Diese Kommission, der Vertreter der beteiligten Verbände, der Bundesministerien - insbesondere auch des Bildungsministeriums - und der Länder angehören, hat bisher siebenmal getagt und dabei zahlreiche Grundsatz- und Sachfragen ausführlich behandelt. Darüber hinaus sind den Kommunen zahlreiche Vorschläge und Stellungnahmen weiterer Stellen zugeleitet worden, die eingehend geprüft werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie einen annähernden Zeitpunkt für die Vorlage einer Novelle zum Krankenpflegegesetz im Bundestag abschätzen?
Frau Abgeordnete, damit komme ich auch gleich zur zweiten Frage nach dem Stand der Vorbereitungen, wenn Sie damit einverstanden sind.
Die Zusatzfrage zielt auch auf meine beiden Fragen.
Dann rufe ich auch die Frage 88 der Abgeordneten Frau Stommel auf:
Wie ist der Stand der Vorbereitung eines Gesetzentwurfs, und welche Schwerpunkte zeichnen sich bisher ab?
Mit den vorbereitenden Arbeiten für einen Gesetzentwurf für ein Änderungsgesetz zum Krankenpflegegesetz ist begonnen worden. Dabei wird - das darf ich unterstreichen - den Fragen eine besondere Bedeutung zukommen, die sich auf die Vorbildung, auf die Beibehaltung der bisherigen Berufe im Bereich der Krankenpflege, die Einordnung der Ausbildungsvorgänge in einen Gesamtbildungsplan, das Alter für den Zugang zur Ausbildung, die Einführung eines Berufsgrundbildungsjahres und die Dauer der Ausbildung und schließlich auch ihre inhaltliche qualitative Verbesserung beziehen. Die Arbeiten sind zügig im Gange, ohne daß ich Ihnen jetzt schon einen übersehbaren Zeitraum für die Beendigung der Arbeiten nennen könnte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich fragen, Herr Staatssekretär, welche Vorstellungen bestehen zugunsten eines Abbaues der durch das Gesetz zu dem europäischen Übereinkommen vom 25. Oktober 1967 über die theoretische und praktische Ausbildung von Krankenschwestern und Krankenpflegern übernommenen Vorbehalte der deutschen Ausbildungsvorschriften gegenüber dem im europäischen Übereinkommen geforderten Standard?
Frau Abgeordnete, wir brauchten natürlich für unsere Krankenschwestern-Ausbildungsstätten eine angemessene Übergangsfrist. So sind zum Teil auch diese Vorbehalte zu verstehen. Das Ziel der Reform der Krankenpflegeausbildung aber ist nicht nur die qualitative Verbesserung, sondern auch die Anpassung an den internationalen Standard.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist auch die Bundesregierung der Auffassung, daß die Besonderheiten der qualifizierten Krankenpflege heute und weiterhin Praxisnähe als Grundforderung der Ausbildung verlangt, und ist sie somit der Auffassung, daß die Notwendigkeit der Krankenpflegeausbildung am Krankenbett als Lern- und Erfahrungsbereich allen strukturellen Verschulungstendenzen gegenüber in den neuen Ausbildungsüberlegungen behauptet und durchgesetzt werden muß?
Die Bundesregierung ist sich darüber klar. Sie erörtert mit den Verbänden gerade diese Frage des rechten Maßes zwischen theoretischer Ausbildung und der praktischen Ausbildung im Krankenhaus, in den Pflegeeinheiten und in den Stationen. Ich stimme Ihnen zu, daß auch in Zukunft die Krankenpflegeausbildung nicht auf solche praktischen Unterweisungen vor Ort, am Krankenbett, verzichten kann.
Noch eine Frage?
Ja. - Herr Staatssekretär, welche Grundgedanken bestehen für die Eingliederung der Krankenpflegeausbildung in das allgemeine Bildungssystem? Ich erinnere an unsere Beratungen in der vergangenen Legislaturperiode.
Frau Abgeordnete, wir können auch die Krankenpflegeausbildung nicht isoliert sehen, isoliert von den allgemeinen bildungspolitischen Überlegungen, der Planung von anderen Bildungseinrichtungen in den verschiedenen Bereichen. Wir sind bemüht, durch enge Fühlungsnahme auch mit den Kultusministern und dem Bundesministerium für Bildung dafür zu sorgen, daß diese Adaptation an die Bildungsplanung in jeder Weise gewährleistet ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär von Manger-König, sind bei den Planungen in Ihrem Hause Überlegungen mit eingeschlossen, die das Berufsgrundbildungsjahr betreffen?
Das wird einer der Gesprächspunkte sein. Dabei stellt sich die Frage, ob ein solches Grundbildungsjahr nicht für alle Gesundheitsberufe in gleicher Weise geplant werden sollte.
Meinen Sie auch die ärztlichen?
Für alle Gesundheitsberufe. Ich möchte hier den etwas abwertenden Begriff „Heilhilfsberufe", Herr Abgeordneter, nicht mehr verwenden. Wir sollten hier Gesundheitsberufe im großen sehen. In Ihrem Sinne möchte ich verdeutlichen: die nichtärztlichen Gesundheitsberufe.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Braun.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen im Zusammenhang mit der Vorbildung davon, daß hier einige Dinge berücksichtigt werden müßten. Besteht die Absicht, eventuell einen gesonderten Ausbildungsgang für Abiturientinnen zu schaffen?
Zusammen mit dem Wissenschaftsrat werden Überlegungen angestellt, inwieweit neben der Ausbildung in der Krankenpflege auch ein besonderes Berufsbild etwa für bestimmte Sonderfunktionen der Krankenpflege mit der Reifeprüfung als Vorbildung vorgesehen werden soll.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 89 und 90 sollen auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Ämterhäufung des Präsidenten der Bundesärztekammer es zuläßt, noch im Sinne seiner Aufgabenstellung im Bundesgesundheitsrat beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, im Wehrmedizinischen Beirat beim Bundesminister der Verteidigung und in der Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenkassenversicherung beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung tätig zu sein?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, die Berufung von Herrn Professor Dr. Fromm in die von Ihnen genannten Beiräte ist in jedem einzelnen Fall durch den jeweils federführenden Bundesminister nach gewissenhafter Prüfung erfolgt. Der Sachverstand und die langjährige berufspolitische Tätigkeit von Herrn Professor Fromm gaben dabei mit einen Ausschlag. Herr Professor Dr. Fromm arbeitet in allen von Ihnen genannten Gremien nach wie vor aktiv mit. Im übrigen, Herr Abgeordneter, ist die Beurteilung, ob Nebentätigkeiten zugestimmt wird, Sache des Dienstherren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist etwa zu befürchten oder - je nach Standort - zu hoffen, daß diese Aufgabenstellungen noch erweitert werden?
Das vermag ich nicht zu übersehen. In dem von mir zu übersehenden Gremium, dem Bundesgesundheitsrat, hat Herr Professor Fromm bisher aktiv und, ich glaube, auch nutzbringend mitgewirkt.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 92 des Abgeordneten Rollmann wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 93 des Abgeordneten Kiechle auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, jenen Altenheimbewohnern, deren Aufenthaltskosten die Sozialfürsorge trägt, das derzeit gewährte Taschengeld von 45 DM monatlich angemessen zu erhöhen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat keinen Einfluß auf die Höhe des Taschengeldes für Sozialhilfeempfänger in Altenheimen. Da die Länder das Bundessozialhilfegesetz gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheit ausführen, obliegt die Festsetzung der monatlichen Taschengeldbeträge den Sozialhilfeträgern. Soweit verschiedene Sozialhilfeträger die Taschengelder noch nicht erhöht haben - das ist in einer ganzen Reihe von Fällen schon geschehen -, ist hiermit demnächst zu rech578
Staatssekretär Dr. von Manger-König
nen. Eine Anzahl von Sozialhilfeträgern möchte noch die diesbezüglichen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge abwarten. Diese unmittelbar bevorstehenden Empfehlungen werden eine Lücke schließen und für die Harmonisierung der Taschengeldsätze im Bundesgebiet sorgen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben in einem anderen Zusammenhang vorhin den Ausdruck „Anregungskompetenz" gebraucht. Teilen Sie meine Auffassung, daß es hilfreich wäre, wenn die Bundesregierung davon auch in dieser Frage in freundlicher Form gegenüber den Ländern Gebrauch machen würde?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat davon Gebrauch gemacht. Wir stehen im Gespräch mit den Ländern. Wir stehen auch im Gespräch mit dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge und wirken darin aktiv mit. Wir hoffen, daß die Harmonisierung, die auch wir für notwendig halten, unmittelbar bevorsteht.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir noch sagen, welches Ausmaß die, wie Sie selber sagen, nun bald abgeschlossene harmonisierte Erhöhung haben wird?
Im Augenblick, Herr Abgeordneter, haben wir durchschnittlich 45 DM. Das ist sicher ein recht bescheidener Betrag. Der Deutsche Verein wird eine höhere Summe empfehlen. Genaueres kann ich hier zur Zeit noch nicht sagen. Ich möchte den Überlegungen dieses Gremiums nicht vorgreifen. Es gibt eine Vorstellung, daß der Satz 55 DM betragen müßte. In einigen Länder - das referiere ich hier nur - meinen die Sozialhilfeträger jedoch, nicht über 50 DM hinausgehen zu können.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 94 des Abgeordneten Dr. Sperling wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 95 und 96 des Abgeordneten Dr. Enders auf:
Teilt die Bundesregierung die Befürchtung der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher, daß insbesondere Kinder und Gastarbeiter Spülmittel mit Zitronenabbildungen auf dem Etikett für ein Getränk halten und mißbräuchlich verwenden können?
Hält die Bundesregierung Maßnahmen für erforderlich, um der von der Werbung hervorgerufenen Bedrohung der Gesundheit zu begegnen?
Einige flüssige Spülmittel in Flaschen geben auch nach Auffassung der Bundesregierung durch ihre äußere Aufmachung mit Zitronenabbildungen Anlaß zu Verwechslungen und mißbräuchlicher Verwendung, zumal kleine Kinder und Gastarbeiter angebrachte oder geplante Warnhinweise nicht lesen können. Schleimhautreizungen sind bei mißbräuchlicher Verwendung nicht auszuschließen. Bei einem der Mittel das allerdings stark nach Salmiakgeist riecht - kann bei versehentlicher Aufnahme auch Erbrechen eintreten. Bei Schaumentwicklung im Mund kann Schaum aspiriert werden.
Die Bundesregierung hält es deshalb für erforderlich, daß über die Verwendung von Sicherheitsverschlüssen hinaus durch Änderung der äußeren Behältnisaufmachung jede Gefahr einer Verwechslung mit Erfrischungsgetränken ausgeschlossen wird. Sie ist jedoch nach geltendem Recht zur Zeit nicht in der Lage, entsprechende Rechtsvorschriften zu erlassen, da die Schutzvorschrift des derzeitigen Lebensmittelgesetzes auf Geschirrspülmittel keine Anwendung findet. Wohl aber sieht der dem Bundestag vorliegende Gesetzentwurf für die Gesamtreform des Lebensmittelrechts deren Einbeziehung vor. Damit wird dann auch der Verbraucherschutz bei Verwendung von Spülmitteln endlich zu verbessern sein.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß von seiten der Bundesregierung bestimmte Methoden der Werbung kritisch beobachtet werden und unter Umständen mit Hilfe der angedeuteten Gesetzgebung untersagt werden können?
Herr Abgeordneter, Sie können davon ausgehen. Wir haben uns bereits vor einigen Monaten wegen der werblichen Aufmachung dieser Mittel mit dem zuständigen Industrieverband ins Benehmen gesetzt, ohne daß wir die Herstellerfirmen von der Zweckmäßigkeit einer Änderung der Aufmachung hätten überzeugen können. Wir haben jetzt einen erneuten Anlauf genommen. Wir stehen in Verhandlungen. Ich hoffe, daß diese Verhandlungen ein besseres Ergebnis bringen. Wir haben darüber hinaus die obersten Gesundheitsbehörden der Länder gebeten, auch unter den Gesichtspunkten des Polizeirechts der Sache nachzugehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär von Manger-Koenig, weiß die Bundesregierung, wieviel Fälle tatsächlich vorgekommen sind, in denen Kinder dieses Spülmittel getrunken haben?
Herr Abgeordneter, wir haben versucht, in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit der Sache nachzugehen. Wenn wir davon ausgehen, daß diese Spülmittel einen pH-Wert von 7, in einem Fall von 6,5 bis 7 haben, so ist die Gefahr von Verätzungen nur sehr gering, die Gefahr von Schaumaspirationen dagegen größer. Bezug genommen wird auf eine Äußerung der Verbraucherpolitischen Korrespondenz, die davon berichtet hat, daß verzweifelte Mütter bei ihr angerufen hätten. Ich bin der Sache nachgegangen. Keiner dieser Anrufe bezog sich auf die tatsächliche Aufnahme solcher Spülmittel, sondern nur auf die Möglichkeit einer Aufnahme.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, wird in dem Gesetzentwurf zur Gesamtreform des Lebensmittelrechts auch in ausreichendem Maße sichergestellt, daß die sogenannte gesundheitsbezogene Werbung, die ja auch eine gewisse Möglichkeit der Gefährdung des Verbrauchers bietet, ausgeschlossen werden kann?
Herr Abgeordneter, wie Sie dem Ihnen vorliegenden Entwurf entnehmen können, ist gerade der Frage der Werbung, insbesondere der gesundheitsbezogenen Werbung, in dem Entwurf sehr viel Raum gewidmet.
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Staatssekretär, beantwortet. Ich danke Ihnen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rohde.
Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Dr. Evers auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Ebenfalls die Frage 73. Die Frage 74 wird auf Bitte des Fragestellers Dr. Slotta schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Schröder ({0}) auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die ärztliche Versorgung in den strukturschwachen Gebieten zu verbessern?
Herr Kollege Schröder, ich gehe davon aus, daß sich Ihre Frage vor allem auf die ärztliche Versorgung der versicherten Bevölkerung in den Zonenrandgebieten bezieht.
Ich möchte hierzu zunächst darauf hinweisen, daß die Bundesregierung im September 1972 eine Kleine Anfrage beantwortet hat, die sich mit der ärztlichen Versorgung in den Zonenrandgebieten befaßte. In dieser Antwort wird im einzelnen auf die kassenärztliche Versorgung in diesen Gebieten der Länder Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein und insbesondere auf die konkreten Maßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigungen dieser Länder, der Länder selbst sowie der Bundesregierung eingegangen, um regional auftretenden Engpässen in der Versorgung entgegenzuwirken. Dabei möchte ich zur Klarstellung anmerken, daß die Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung in erster Linie die gesetzliche Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen der einzelnen Länder ist. Wegen der Einzelheiten darf ich Sie, Herr Kollege, auf die erwähnte Antwort in der Drucksache VI/3787 vom 12. September 1972 hinweisen.
Im übrigen hat die Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung inzwischen eine - auch schon veröffentlichte - Empfehlung vorgelegt, die Vorschläge für mögliche weitere Verbesserungsmaßnahmen enthält. Die Bundesregierung wird zu gegebener Zeit auch in Zusammenarbeit mit den Ländern erörtern, welche weiteren Schritte unternommen werden können, um die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung insbesondere in Stadtrand- und Landgebieten auch langfristig zu garantieren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich die Anfrage, auf die Sie Bezug nehmen, im Moment nicht kenne, darf ich die Zusatzfrage stellen: Welche Möglichkeiten sehen Sie bzw. die Bundesregierung, um zumindest von der informativen Seite verstärkt auf dieses Problem aufmerksam zu machen, um dadurch insbesondere auch den medizinischen Nachwuchs auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten, auch in strukturschwache Gebiete hineinzugehen, hinzuweisen?
Herr Kollege, zunächst darf ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen gern alle Unterlagen, die ich hier genannt habe, zustellen werde, weil Sie daraus ersehen können, daß es auch innerhalb der Regionen unterschiedliche Gewichte bei der Beurteilung der Situation im einzelnen gibt.
Es kommt aber - das darf ich unterstreichen - neben den informativen Möglichkeiten, die eröffnet werden könnten und auch sollten, darauf an, eine Reihe von institutionellen Hilfen zu geben. Das wird insbesondere in der Ausarbeitung der Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der Krankenversicherung deutlich, etwa im Hinblick auf die Kassenärztlichen Vereinigungen, denen empfohlen wird, Maßnahmen zur Sicherstellung der kassenärztlichen Vesorgung zu treffen bzw. zu intensivieren, z. B. durch Gewährung von Umsatzgarantien, Praxiseinrichtungsdarlehen, Bau und Förderung der Errichtung von Arzthäusern usw. Ich wollte das hier nur andeuten, um klarzustellen, daß es sich nicht nur um ein Informationsproblem handelt, sondern auch um eine Aufgabe von institutionellen Hilfen ,der verschiedensten Art.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das zweite ist sicher das entscheidende; darin stimmen wir überein. Ich möchte aber die weitere Zusatzfrage stellen: Bezieht die Bundesregierung in ihre Überlegungen zu dieser Frage ein, im Rahmen der regionalen Strukturförderung oder im Rahmen der Zonenrandförderung gegebenenfalls zu erwägen, auch steuerliche Präferenzen oder Anreize für Mediziner zu schaffen, um sich in den Zonenrand- und strukturschwachen Gebieten niederzulassen bzw. in diesen Gebieten zu bleiben?
Herr Kollege, das ist eine mehrere Komplexe umfassende Frage. Zunächst handelt es sich bei der Regionalpolitik auch um die Planungen und die rechtzeitige Einbeziehung der ärztlichen Versorgung in diese Planungen. Darauf geht das von mir zitierte Papier ein. Zum anderen darf ich darauf hinweisen, daß, soweit ich mich erinnere, auch in den Förderungsrichtlinien für die freien Berufe dieser Gesichtspunkt der Niederlaslung der Ärzte in solchen Gebieten besonders mit berücksichtigt wird.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, nachdem sich die Bundesregierung für eine Verbesserung der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung in den strukturschwachen Gebieten ausspricht, möchte ich Sie fragen, wie diese hier jetzt gegebene Antwort der Bundesregierung in Einklang zu bringen ist mit der Gesetzesvorlage der Landesregierung Niedersachsen zum Bundesgesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze, nach dessen § 3 Abs. 4 künftig ein Krankenhaus der Grundversorgung mit einer Kapazität von 200 bis 250 Betten lediglich über Abteilungen für innere Krankheiten, Chirurgie sowie Geburtshilfe und Gynäkologie verfügen soll, jedoch keine Fachabteilungen - z. B. für Urologie, Hals, Nasen, Ohren, Augen und andere - mehr umfassen darf, sondern diese Fachabteilungen nur noch einem überörtlichen Krankenhaus der Regelversorgung mit einer Kapazität von 400 bis 600 Betten oder einem Krankenhaus der Zentralversorgung mit einer Kapazität von über 600 Betten nach Maßgabe des Krankenhausbedarfsplanes zugestanden werden können?
Herr Kollege, Sie haben ein ungemeines Vertrauen in die Kapazität des Herrn Staatssekretärs, eine solche Frage sofort zu begreifen; aber ich nehme an, er wird es schaffen.
Herr Kollege, ich habe den Eindruck, daß Sie das Problem einseitig
und verkürzt darstellen; denn ich weiß, daß gerade Niedersachsen viel früher als andere Länder der Bundesrepublik mit einer Krankenhausplanung begonnen hat. Sie können nicht nur diese Grundstruktur des Krankenhauses der besonderen Größe, die Sie genannt haben, sehen, sondern müssen auch die darüber hinausgreifenden Strukturen sehen. Wenn ich mich recht erinnere, hat Niedersachsen eine Krankenhausplanung entwickelt, die sich nach Krankenhausschwerpunkten ordnet, um eine optimale Versorgung der Bevölkerung zu erreichen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser ({0}) auf:
Wie kann einem heute verrenteten Bergmann, der während seiner knappschaftlichen Tätigkeit in der DDR bis zu seiner Flucht stets Deputatkohle - zum Ende fünf Tonnen jährlich - zugewiesen erhielt, dieser Lohnbestandteil abgegolten werden, nachdem die Ausgleichsämter unter Berufung auf einen Erlaß des Bundesausgleichsamtes vom 26. Juni 1968 die Zuständigkeit verneinen, aber auch die Bundesknappschaft eine Anrechnung auf die Rente zurückweist mit dein ausdrücklichen Vermerk, hierfür seien allein die Ausgleichsämter zuständig?
Herr Kollege Hauser, im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern möchte ich Ihre Frage wie folgt beantworten. Da der Bezug von Deputatkohle dem laufenden Arbeitsentgelt im Sinne des Steuerrechts nicht anzurechnen ist, wird der Verlust des Anspruchs auf Deputatkohle - wie allgemein der Verlust laufender Einkünfte - nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz nicht bei der Schadensermittlung berücksichtigt. Ein Entschädigungsanspruch nach dem Lastenausgleichsgesetz kann daher nicht entstehen.
Dagegen kann ein Schaden nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz dann festgestellt werden, wenn der Anspruch auf Lieferung der Deputatkohle im Zeitpunkt der Schädigung - also bei der Flucht - nach Grund und Höhe bereits entstanden war. Hierbei ist aber Voraussetzung, daß in diesem Zeitpunkt der Versicherungsfall bereits eingetreten war. Welche der hier genannten Alternativen in dem von Ihnen geschilderten Fall durchgreifen, vermag ich ohne die Kenntnis des genauen Sachverhalts nicht zu sagen.
Zur rentenrechtlichen Seite, mit der unser Haus nun insonderheit befaßt ist, darf ich noch folgendes anfügen. Vertriebene und ihnen gleichgestellte Personen wie z. B. Flüchtlinge aus der DDR oder Aussiedler aus Vertreibungsgebieten werden rentenrechtlich genauso behandelt, als ob sie die in diesen Gebieten ausgeübte Beschäftigung in der Bundesrepublik verrichtet hätten. Da Deputatkohle nach dem Reichsknappschaftsgesetz nicht zum versicherungspflichtigen Entgelt gehört und daher nicht rentensteigernd angerechnet wird, bleibt ihr Wert auch bei Rentenfeststellungen für Flüchtlinge aus der DDR außer Betracht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, schien es Ihnen nicht geboten, von seiten der obersten Bundesbehörden wenigstens eine entsprechende Sprachregelung an die einzelnen ausführenden Organe herauszugeben, damit die Bevölkerung nicht den Eindruck gewinnt, sie werde nur von einer Stelle zur anderen geschoben?
Herr Kollege, ich weiß nicht, ob das in der Sache so zutrifft. Aber ich werde dem Herrn Innenminister Ihre Befürchtung mitteilen, da sich Ihre Frage, wenn ich es recht sehe, insbesondere auf seinen Kompetenzbereich bezieht.
({0})
Eine weitere Frage.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Staatssekretär, sagten Sie, im Rentengesetz sei dafür keine gesetzliche Regelung vorgesehen. Wird die Bundesregierung irgendwann das Knappschaftsgesetz entsprechend erweitern und diesen Sachverhalt in das Rentenrecht einbeziehen?
Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß die Bestimmungen des Rentenrechts für diejenigen, die dauernd im Bereich der Bundesrepublik gewohnt haben, und für Flüchtlinge und Vertriebene gleich sind. Und wenn ich mir die Anmerkung erlauben darf: Sie wissen sicher auch, Herr Kollege, daß diese Gleichstellung hinsichtlich der Rentenberechtigung und der Rentenzahlung ein ganz beachtliches Ergebnis unserer sozialpolitischen Entwicklung in den letzten Jahren gewesen ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, diese Frage spielt in vielen Kreisen eine Rolle. Deshalb meine weitere Frage dazu. Sie sagten vorhin, daß der Verlust des Anspruchs auf Deputatkohle nur dann geltend gemacht werden kann, wenn zu dem Zeitpunkt schon ein Rentenanspruch bestand. Was geschieht mit denen, die vertrieben wurden, Anspruch auf Deputatkohle haben und erst jetzt rentenberechtigt werden? Verlieren sie ihren Anspruch überhaupt, oder ist die Bundesregierung bemüht, den Anspruch gegenüber demjenigen, der die Kohle jetzt nutzt, geltend zu machen, sei es Polen, sei es die DDR?
Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß die Regelung dieser Frage nach dem Gleichheitsgrundsatz erfolgt, wie er auch hier in der Bundesrepublik gilt. Wir haben hier keine unterschiedlichen Bestimmungen im Rentenrecht.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, daß die landwirtschaftlichen Krankenkassen die ihnen vorliegenden Befreiungsanträge auch jetzt noch nur sehr schleppend bearbeiten, und welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um eine umgehende Befreiung aller Antragsteller zu erreichen, um damit die doppelten Beitragszahlungen der betroffenen Landwirte zu beenden?
Herr Kollege Niegel, der Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen hat uns am 16. Januar 1973 mitgeteilt, „daß einer großen Anzahl von Befreiungsanträgen bereits vor Ablauf des Jahres 1972 von den landwirtschaftlichen Krankenkassen entsprochen worden ist". Über weitere Anträge habe u. a. deswegen noch nicht entschieden werden können, weil die Antragsteller zunächst um weitere Aufklärung gebeten hätten.
Ich habe die Aufsichtsbehörden der bundesunmittelbaren und der bayerischen landwirtschaftlichen Krankenkassen befragt, ob ihnen bekannt sei, daß die Befreiungsanträge schleppend bearbeitet würden. Dies ist nicht bestätigt worden.
Nachdem nunmehr die Frist zur Antragstellung abgelaufen ist, werde ich den Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen bitten, mir mitzuteilen, über wie viele Anträge noch nicht entschieden werden konnte. Von dem Ergebnis werde ich Sie, Herr Kollege, selbstverständlich unterrichten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, rührt die Tatsache, daß die Anträge noch nicht bearbeitet werden konnten, weil noch Rückfragen sind, nicht daher, daß die landwirtschaftlichen Krankenkassen die Antragsteller immer wieder fragen, ob sie denn ihre Entscheidung in bezug auf den Antrag nicht noch einmal überprüfen wollen, und daß sie eine Erklärung beilegen, in der es z. B. - ich zitiere wörtlich aus einer solchen - heißt: „Hiermit erkläre ich, meinen Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Krankenkasse vom ... als nicht gestellt zu betrachten"?
Herr Kollege, ich kann das nicht in jedem Einzelfall prüfen und hier bestätigen oder verneinen, ob die Befürchtungen zutreffen, die Sie hier angedeutet haben. Mein Eindruck ist, daß die Schwierigkeiten in der Sache liegen, nämlich in der Entscheidung, die der einzelne zu treffen hat. Ich habe Verständnis dafür, daß er sich über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Entscheidung, die er im Auge hat, genau informieren will.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist ein anderer Grund vielleicht, daß die landwirtschaftlichen Krankenkassen personell noch nicht imstande sind, diese Anträge zu bearbeiten?
Rohde, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, darüber möchte ich hier jetzt nicht das letzte Wort sprechen. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Frist jetzt abgelaufen ist. Damit wird eine Bestandsaufnahme möglich. Ich werde Ihnen die Zahlen geben, sobald sie uns mitgeteilt worden sind. Mein Gesamteindruck ist, daß die landwirtschaftlichen Krankenkassen in der kurzen Frist, die ihnen bisher zur Verfügung stand, alle Mühe daran gesetzt haben, mit den Aufgaben auch tatsächlich fertig zu werden.
Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haar zur Verfügung.
Die Frage 97 ist von dem Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) eingebracht. - Der Abgeordnete ist nicht im Saale. Dann werden die Frage 97 und auch die Frage 98, die ebenfalls von dem Herrn Abgeordneten Schmidt ({1}) eingebracht worden ist, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Ausbau der Verkehrswege im Zonenrandgebiet den Notwendigkeiten einer Verkehrserschließung als wesentlichen Bereich der Infrastruktur anzupassen?
Herr Kollege Schröder, die Bundesregierung sieht nicht nur geeignete Möglichkeiten zur Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes, sondern arbeitet auch seit langem auf der Grundlage eines erweiterten Verkehrswegeplans an einer ständigen Fortentwicklung der Verkehrserschließung. Diese Politik der Bundesregierung ist in mehreren Berichten an das Hohe Haus dokumentiert worden. Nach einem ersten Bericht im Jahre 1967 berichtet der Bundesminister für Verkehr seit 1968 alle zwei Jahre über den Fortgang der Arbeiten. Der letzte Bericht ist Ihnen am 26. Januar dieses Jahres als Bundestagsdrucksache 7/64 zugeleitet worden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ergibt sich aus der Aussage in der Regierungserklärung, die Verteilung der Verkehrsmittel stärker unter dem Gesichtspunkt der Verkehrsbelastung vorzunehmen, nicht die Gefahr einer Benachteiligung der strukturschwachen Gebiete?
Die Bundesregierung hat die Prioritäten für die Investitionen der nächsten Jahre deutlich gemacht. Voraussetzung ist natürlich ein entsprechendes Steueraufkommen. Sie denkt nicht daran, die strukturschwächeren oder wirtschaftsschwächeren Gebiete dadurch zu benachteiligen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich möchte noch einmal konkret nachfragen: Es wird also innerhalb der für den Verkehrswegeausbau zur Verfügung stehenden Mittel keine Umschichtung zugunsten der verkehrsstarken Gebiete und zu Lasten der verkehrsschwächeren Gebiete geben?
Die strukturschwächeren Gebiete werden - wie bislang - auch in der Beurteilung nach Dringlichkeitsstufen günstiger eingestuft, als das z. B. schon im Bundesfernstraßenbedarfsplan geschehen ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Franke.
Herr Kollege, (1 wie sind diese Ihre Ausführungen mit der Regierungserklärung in Einklang zu bringen, der man entnehmen konnte, daß der Bundeskanzler hier einen anderen Schwerpunkt sah?
Wenn Sie im Augenblick Unterschiede in der Gesamtentwicklung sehen, so gehen Sie bitte davon aus, daß die Darstellung, die ich Ihnen heute in Beantwortung Ihrer konkreten Frage geben konnte, auch in der Realität berücksichtigt wird.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Löffler auf:
Trifft es zu, daß der sogenannte Umlandverkehr mit Schiffen von Hamburg zum Rhein von den Behörden der DDR trotz des Artikels 1 Abs. 1 des Verkehrsvertrages strenger kontrolliert wird, als es vor Abschluß dieses Vertrags der Fall war?
Dem Bundesminister für Verkehr liegen keine Informationen darüber vor, daß die im Binnenschiffsverkehr zwischen Hamburg und dem Rhein über Elbe und westdeutsche Kanäle eingesetzten Schiffe durch die DDR strenger kontrolliert werden als vor Abschluß des Verkehrsvertrages.
Es trifft jedoch zu, daß die Binnenschiffe im Transitverkehr von Berlin ({0}) nach der Bundesrepublik Deutschland und umgekehrt auf Grund des Viermächteabkommens und des Transitabkommens nach einem wesentlich vereinfachten Verfahren abgefertigt werden. Ich habe Verständnis dafür, daß diese unterschiedliche Behandlung zur Kritik Anlaß gibt. Sie beruht jedoch darauf, daß der Berlin- Verkehr auf der Grundlage des Viermächteabkommens besonders privilegiert ist. Die Bundesregierung prüft, Herr Kollege, ob Abfertigungserleichterungen in Verhandlungen mit der DDR in der Kommission erreicht werden können.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 101 des Abgeordneten Picard auf:
Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zum Verbot des Überfliegens der Bundesrepublik Deutschland mit Überschallflugzeugen, die nicht nur eine unerträgliche und gesundheitsschädliche Lärmbelästigung verursachen, sondern auch die turbulenzfreie Zone oberhalb der Atmosphäre zunehmend verschmutzen, ohne daß diese Bestandteile wegen der dort herrschenden Windstille je wieder entfernt werden, wie namhafte Wissenschaftler aussagen?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat ihre Auffassung zum Verbot von zivilen Überschallflügen wiederholt klargestellt. Ich darf deshalb auf die Antworten zu diesen Fragen schon zu früheren Zeitpunkten verweisen.
Die Bundesregierung ist aber bereit, auch ein ausdrückliches Verbot von Überschallflügen durch eine entsprechende Vorschrift in der Luftverkehrsordnung zu erlassen. Das ist bisher nicht geschehen, weil gegenwärtig noch kein ziviler Überschallverkehr stattfindet und sich das Verbot nur auf solche Flüge erstrecken soli, die Schäden oder erhebliche Belästigungen zur Folge haben, d. h. Flüge, deren negative Auswirkungen auf die Bevölkerung größer sind als die von Flügen mit herkömmlichen Luftfahrzeugen. Wenn die Aufnahme eines entsprechenden Flugverkehrs den Schutz der Bevölkerung durch ein entsprechendes Verbot erfordert, dann werden wir auch handeln.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da die Haltung der deutschen Regierung zur Frage des Flugverbots für Überschallflugzeuge über dem Staatsgebiet der Bundesrepublik sicher von Interesse ist für Entwicklungen solcher Flugzeuge in anderen Ländern, frage ich Sie: Ist diese Haltung und die von Ihnen soeben genannte Bereitschaft der Bundesregierung, gegebenenfalls ein solches Verbot zu erlassen, international bekannt?
International gibt es Regelungen, wobei ich darauf hinweisen darf, daß es auch Ausnahmebestimmungen gibt - das gilt auch für die skandinavischen Staaten -, die ein grundsätzliches Verbot nicht einschließen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 102 des Abgeordneten Picard auf:
Trifft es zu, daß andere Staaten das Überfliegen ihres Staatsgebiets verboten haben? Wenn ja, welche?
Die Bundesregierung hat sich durch Anfragen bei anderen Regierungen bemüht, deren Haltung zum Verbot von Überschallflügen zu erfahren. Nach unserer Kenntnis sind in folgenden Staaten Verbote ausgesprochen worden: Dänemark, Finnland, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz.
Die Verbote - darauf habe ich bereits in meiner Antwort auf Ihre Zusatzfrage hingewiesen - sehen im allgemeinen die Möglichkeit für Ausnahmen vor. Ich darf das an folgendem Beispiel, Herr Kollege, deutlich machen. In § 2 a der seit dem 1. Juli 1972 in Kraft befindlichen Änderung zum schwedischen Luftfahrtgesetz ist folgendes formuliert: „Die Luftfahrt über schwedischem Gebiet darf nicht im Überschallflug stattfinden. Bei Vorliegen besonderer Gründe kann die Regierung oder das hierfür ermächtigte Reichsamt für Zivilluftfahrt Ausnahmen von dieser Vorschrift zulassen und dazu die Einzelheiten festlegen." Ähnliche Regelungen enthalten die Vorschriften der übrigen skandinavischen Staaten und auch der Niederlande.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob die deutsche Regierung gegebenenfalls in gleicher Weise verfahren würde. Sie ist ja, wie Sie auf meine erste Frage antworteten, bereit, ebenfalls ein Verbot zu erlassen.
Wir würden das prüfen und auch vorher im zuständigen Fachausschuß eingehend erörtern.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 103 des Abgeordneten Heyen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 104 und 105 müssen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 106 des Herrn Abgeordneten Schulte auf. Ist der Abgeordnete im Saal? - Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 107 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Deutsche Bundesbahn die verbilligten Fahrten für Rentner bereits im Januar dieses Jahres eingestellt hat?
Bitte schön!
Herr Kollege Kiechle, die Bundesregierung enthält sich hier eines Urteils. Die Aktion „Mitfahren - Mitsparen", die Männern über 65 und Frauen über 60 Lebensjahren verbilligte Reisen ermöglichte, war von der Bundesbahn, die solche Sonderangebote selbständig durchführt, von vornherein auf die Zeit vom 16. Oktober 1972 bis zum 14. Dezember 1972 begrenzt worden. Die Zeitspanne vom 8. bis zum 17. Januar 1973 war lediglich für die Rückfahrt vorgesehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie, wenn Sie diese Aktion der Bundesbahn nicht beurteilen wollen, mit mir der Auffassung, daß hier den alten Menschen in unserem Lande ein sehr gutes Angebot gemacht wurde, daß diese Zeitspanne früher wesentlich länger war, und daß es wünschenswert wäre, diese längere Zeitspanne für unsere alten Mitbürger wieder einzuführen?
Herr Kollege, ich beurteile lediglich den kritisch-politischen Inhalt Ihrer Fragestellung nicht; denn es ist Sache des Bundesbahnvorstandes, solche Angebote in etwas verkehrsärmeren Zeiten zu machen, und das ist in den letzten Jahren auch auf Grund von Hinweisen aus diesem Hause immer wieder geschehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich dem entnehmen, Herr Staatssekretär, daß Sie einen solchen positiven Hinweis an die Bundesbahn auch für kommende Zeiten wieder zu geben bereit sind?
Das hat der Herr Bundesverkehrsminister bereits getan, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Haehser.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht eine Diskrepanz zwischen der ständigen Forderung, daß sich die Bundesbahn wirtschaftlich verhalten solle, und deni ständigen Versuch, hier im Bundestag in ihre Bemühungen hineinzureden?
Herr Kollege, ich überlasse das bei solchen Fragen der sachlich-kritischen Überlegung der Zuhörer hier im Hohen Hause.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mursch.
Meinen Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß es sich hier nicht um
eine Frage des Hineinredens in die Aufgaben und Probleme der Bundesbahn handelt, sondern vielmehr darum, zu bestimmten verkehrsschwachen Zeiten eine bessere Auslastung der Bundesbahn dadurch zu gewährleisten, daß auch Rentnern die Möglichkeit verbilligter Reisen geboten wird, wodurch eine bessere Ertragslage herbeigeführt wird?
({0})
Herr Kollege, ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß ich über Motivationen zu Fragestellungen dieser Art hier nicht entscheiden möchte.
({0})
Keine Zusatzfrage. Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der Fragestunde.
Wir kehren zur Aussprache über den Tagesordnungspunkt 4 - Grundvertrag - zurück. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Metzger. Für ihn sind 30 Minuten Redezeit beantragt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte heute vormittag, insbesondere auch die Rede des Vorsitzenden der Oppositionsfraktion, hat, glaube ich, eines deutlich gemacht oder, besser gesagt, bestätigt: In der Deutschland- und Ostpolitik gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Grundlage für ein gemeinsames Handeln oder auch für gemeinsame Erklärungen
({0})
zwischen der Bundesregierung, dieser Regierungskoalition und der Opposition.
({1})
Dabei geht es nicht um Unterschiede in Sachfragen, nicht um Unterschiede in der rechtlichen Bewertung des Vertragswerkes; es geht auch nicht - das hat heute morgen ja eine große Rolle gespielt - um die unterschiedliche Bewertung geschichtlicher Vorgänge. Vielmehr geht es darum, daß immer wieder von der Opposition, auch von Herrn Dr. Barzel, die ungeheuerliche Behauptung aufgestellt wird, der Abschluß und die Ratifikation dieses Vertragswerkes bedeute die Anerkennung von Unrecht, Unfreiheit und Diktatur, der Abschluß dieses Vertragswerkes bedeute Schweigen zu den politischen Verhältnissen in der DDR.
({2})
Hier wird mit Fleiß und Vorbedacht der Versuch unternommen, die Negativbilanz, die die Bundesregierungen der CDU nach 20jähriger Regierungszeit in der Deutschlandfrage hinterlasen haben, dieser Regierung und dieser Koalition anzulasten.
({3})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Was haben Sie in den 20 Jahren Ihrer Regierungszeit getan, um dieses Unrecht zu beseitigen? Was haben Sie in den 20 Jahren Ihrer Regierungszeit getan, um menschliche Erleichterungen zu
erreichen? Was haben Sie getan - um mit den Worten von Herrn Abelein zu sprechen , um die nationale und staatliche Einheit sicherzustellen?
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, mit großen Reden und auch mit hohlen Phrasen allein wird den Menschen weder hier bei uns noch drüben in der DDR geholfen. Niemand weiß das besser als die Bevölkerung in der DDR.
Herr Dr. Barzel, Sie haben heute morgen erneut von einem Angebot zu gemeinsamen weiteren Verhandlungen gesprochen. Setzt das aber nicht voraus, daß Sie selbst Klarheit über den einzuschlagenden Weg finden müssen?
({5})
Wo ist denn in Ihrer Fraktion die gemeinsame Grundlage in den Schicksalsfragen der Nation?
({6})
Wo ist denn bei Ihnen die Bereitschaft vorhanden,
({7})
in Schicksalsfragen der Nation auch eine Entscheidung zu treffen?
({8})
Wir können, wenn das Redemanuskript vorliegt, auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen, Herr Kollege Barzel. Nach meinen Notizen haben Sie diese Aussagen hier gemacht.
({9})
- Ich weiß, daß Ihnen das sehr unangenehm ist.
({10})
Wir haben ja alle noch das klägliche Schauspiel vor Augen, wie Sie bei der Beratung der Ostverträge innerhalb weniger Tage von einem „Nein" über ein „So nicht!" zu einem „Ja" kamen, um hier schließlich in die Enthaltung zu flüchten - in einer, wie Sie immer wieder betonen, Schicksalsfrage unserer Nation.
({11})
Wir erleben immer wieder, wie von der Opposition mit Fleiß der Eindruck erweckt und auch sorgsam gepflegt wird - nicht nur in Zeiten des Wahlkampfes, sondern auch hier in diesem Haus -, die Teilung Deutschlands und das Auseinanderleben der Menschen in beiden Teilen Deutschlands sei das Ergebnis der SPD, oder besser gesagt, das Ergebnis der Politik der sozialliberalen Koalition.
({12})
Es gibt immer wieder Oppositionspolitiker, die wider besseres Wissen an der nicht nur absurden, sondern auch böswilligen und infamen Legende basteln, der SPD oder führenden Vertretern in dieser Partei gehe es mit der Ratifizierung des Grundvertrages gar nicht um eine Überwindung der Spaltung,
({13})
um menschliche Erleichterungen, um eine Sicherung des Friedens, sondern um eine Öffnung, eine Annäherung oder eine Verbrüderung - der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt - mit dem kommunistischen System.
Eine Kostprobe solcher Verleumdungen haben wir erst wieder vor einigen Tagen erhalten. Der Kollege Dr. Lenz, der leider im Augenblick nicht im Saale ist, hat am 2. Februar dieses Jahres im Deutschland-Union-Dienst berichtet, er habe, verborgen im „Blätterwald" der Regionalpresse, eine kleine Meldung gefunden, von der er dann schreibt:
In dem gleichen Gespräch hielt Wehner eine Annäherung der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik und der DDR im Gefolge des Grundvertrages für möglich.
Nachdem Wehner diese böswillige Unterstellung richtiggestellt hatte, erklärte der Vorsitzende der CSU, Franz Josef Strauß, nach einer Meldung der „Frankfurter Allgemeinen" vom 7. Februar einige Tage später in einer Rede in Berlin, Herbert Wehner solle kürzlich gesagt haben, daß eine gewisse Annäherung zwischen dem kommunistischen System Osteuropas und den westlichen Demokratien jetzt nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert sei. Ich frage Sie: Können wir auf dieser Grundlage, auf der Grundlage von Verleumdungen, zu Gemeinsamkeiten kommen?
Lassen Sie mich hierzu drei klare und eindeutige Feststellungen treffen. Es scheint mir notwendig zu sein, daß das in dieser Debatte noch einmal klargestellt wird.
Erstens. Die Teilung Deutschlands und das Vordringen des Kommunismus nach Mitteleuropa sind das Ergebnis einer verbrecherischen Politik Hitlers und seiner Helfershelfer und die Folge eines schrecklichen Krieges, der nicht nur von 1939 bis 1945, sondern bis in die heutigen Tage viel Not und Elend und auch viel menschliches Leid und Schrecken über die Menschheit brachte. Es gibt - auch das sollte man hier sagen - nicht wenige dieser Helfershelfer, die gestern und heute selbstgerecht und selbstgefällig mit erhobenem Zeigefinger und viel Pathos über diejenigen zu Gericht sitzen wollen, die sich in den vergangenen drei Jahren darum bemüht haben und heute darum bemühen,
({14})
28 Jahre nach Beendigung dieses schrecklichen Weltkrieges zu einem Ausgleich und zu einer Normalisierung der Beziehungen mit unseren östlichen Nach586
barn zu kommen, und die in den vergangenen drei Jahren den Versuch unternommen haben und jetzt noch unternehmen, nicht nur durch große Worte, sondern auch durch konkrete Handlungen den Graben, der mitten durch Deutschland geht, nicht noch tiefer werden zu lassen, sondern, wenn möglich, nach und nach wieder aufzufüllen.
Zweitens. Ich gehöre zu den jüngeren Mitgliedern dieses Hauses, die auf der einen Seite die letzten Jahre der Nazi-Zeit noch mit Bewußtsein erlebten, auf der anderen Seite aber interessierte und kritische Beobachter der Nachkriegszeit waren und sowohl das Entstehen der Bundesrepublik als auch das Entstehen der DDR miterlebten. Wir waren auch Zeugen der Errichtung des Stacheldrahtes entlang der Zonengrenze, wir waren Zeugen, wie der Todesstreifen nach und nach geschaffen wurde, wir haben die Ausführung des Schießbefehls erlebt, und wir haben auch den Bau der Berliner Mauer miterlebt.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, dies alles geschah nicht unter einer SPD-Regierung, nicht unter einem SPD-Bundeskanzler. Dabei liegt es mir fern, den Eindruck zu erwecken, die früheren Bundesregierungen hätten diese Entwicklung verschuldet.
Mir geht es 'um etwas anderes: In den großen außen- und deutschlandpolitischen Debatten der 50er Jahre in diesem Hause, die ich und viele meiner Altersgenossen damals mit großem Interesse und auch mit innerer Erregung am Radio verfolgten, wurde von der damaligen Regierung und den damaligen Regierungsparteien nicht nur der Eindruck erweckt, sondern die sichere Gewißheit verbreitet, die Politik der Stärke und die Politik der Konfrontation mit dem Osten, die Politik des Alleinvertretungsanspruchs und die Politik der Hallstein-Doktrin würden uns die Wiedervereinigung bringen. Ich frage Herrn Kollegen Carstens, der leider auch nicht hier im Saal ist
({15})
- oh ja, ich bitte um Entschuldigung -, wo damals die Regierung, wo damals die Regierungsparteien das „einigende Band der Nation", von dem Sie heute morgen gesprochen haben, festgeschrieben oder verankert haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Carstens?
Ja.
Bitte schön.
Herr Kollege Metzger, sind Ihnen die Erklärungen bekannt, die anläßlich des Besuches von Bundeskanzler Adenauer in Moskau im Jahre 1955 zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik ausgetauscht wurden und in denen ganz klar und unzweideutig auch von sowjetischer Seite das Ziel der Wiederherstellung der deutschen Einheit bejaht wurde?
({0})
Herr Kollege Carstens, wenn Sie aufmerksam zugehört hätten, hätten Sie von mir vorhin gehört, daß ich sehr wohl unterschieden habe zwischen verbalen Erklärungen und dem, was tatsächlich erreicht werden konnte. Da müssen wir feststellen, daß im Jahre 1969, als Sie die Regierung abgeben mußten, in der Frage der Wiedervereinigung nicht nur nichts erreicht wurde, sondern daß wir dem Ziel der Wiedervereinigung ferner waren denn je.
({0})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle?
Ja: bitte, wenn mir das nicht angerechnet wird.
Nein, das wird nicht angerechnet. - Bitte schön.
Herr Kollege, können Sie sich noch daran erinnern, daß Herr Bundeskanzler Brandt anläßlich einer Rede hier im Deutschen Bundestag von dem tiefen Respekt sprach, den er gegenüber den zahllosen nicht in der Öffentlichkeit sich abspielenden Bemühungen von Herrn Bundeskanzler Adenauer hinsichtlich genau dieser Frage empfinde?
Herr Kollege, ich bestreite gar nicht, daß auch von früheren Regierungen der Versucht unternommen worden ist. Aber es ist doch die Frage, ob die Mittel, die eingesetzt wurden, die richtigen waren. Denn das Ergebnis, das erzielt wird, zeigt doch, daß diese Mittel nicht geeignet waren, um das von Ihnen, um das von Herrn Carstens angesprochene Ziel zu erreichen.
Wenn ich auf diese Debatten der fünfziger Jahre und auch der ersten Hälfte der sechziger Jahre noch einmal zurückkommen darf, so muß ich feststellen, daß damals nicht nur die politische Ausgangslage und auch die politische Entwicklung falsch eingeschätzt wurden, sondern daß auch bei den Menschen in unserem Lande, hier und drüben in der DDR Hoffnungen geweckt wurden, die niemals erfüllt werden konnten.
({0})
Wir müssen heute feststellen - und das wird von der großen Mehrheit der Bevölkerung erkannt und anerkannt -, daß diese Politik der fünfziger Jahre - ich möchte es noch einmal betonen - die Wiederherstellung der deutschen Einheit, die Wiedervereinigung, nicht nur nicht erreichte, sondern daß der Graben, der mitten durch Deutschland ging und geht,
von Jahr zu Jahr tiefer wurde und daß die Entfremdung der Menschen hier und in der DDR mehr und mehr zunahm.
Dabei war die DDR schon vor vielen Jahren, nicht erst nach Übernahme der Regierung durch die sozialliberale Koalition, von einer ganzen Reihe von Staaten des Ostblocks und auch von sogenannten neutralen Staaten völkerrechtlich anerkannt worden, es waren diplomatische Beziehungen aufgenommen worden. Auch in anderen Bereichen - ich brauche nur an die Praxis der internationalen Sportverbände zu erinnern - wurde die DDR von Jahr zu Jahr von einer großen Mehrheit als eigenständiger Staat behandelt. Es gab und gibt auch keinen Zweifel daran, daß die DDR nicht erst seit gestern und heute, sondern schon seit vielen Jahren Völkerrechtssubjekt ist und daß diese Tatsache nicht das geringste mit der Politik dieser Bundesregierung zu tun hat.
Das - und damit komme ich zu der dritten Feststellung - war und ist die Ausgangslage für die neue Deutschland- und Ostpolitik dieser Bundesregierung. Wir befanden uns im Jahre 1968/69 in einer Sackgasse. Die Wiedervereinigungspolitik der CDU/CSU war gescheitert. Es mußten neue Mittel und Wege gefunden werden, um aus dieser Sackgasse herauszukommen. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind die politischen Realitäten, die bei der rechtlichen Beurteilung des Grundvertrages berücksichtigt werden müssen. Da helfen auch, Herr Kollege Carstens, keine Beschwörungen, da helfen auch keine historischen Rückblicke, so interessant sie sein mögen. Unsere Aufgabe muß es sein - unsere Aufgabe im Parlament, unsere Aufgabe als Regierungskoalition und als Opposition -, Mittel und Wege zu finden, wie wir diesen Übelstand beseitigen können. Die Bundesregierung hat in den vergangenen drei Jahren die ersten Schritte getan, um zu einer Verbesserung der Beziehungen, um auch zu einer Überwindung der Spaltung zu kommen.
Noch ein anderes möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen. Es gibt immer wieder „kluge Leute" in den Unionsparteien,
({1})
aber auch darüber hinaus, gerade in den Vertriebenenverbänden, die fordern, wie es heute morgen auch wieder geschehen ist, den Grundvertrag erst dann zu ratifizieren,
({2})
wenn er den Vorstellungen der Bundesrepublik, wenn er den Vorstellungen dieses Parlaments entspricht.
({3})
Sie wollen den Vertrag erst dann unterschreiben oder unterschrieben haben - das haben Sie heute morgen erklärt, Herr Dr. Barzel -, wenn das und das und das noch hineingeschrieben worden ist und wenn die DDR diese und jene Bedingung noch akzeptiert hat. Ich warne solche Maximalisten davor, das
Mögliche, das im gegenwärtigen Zeitpunkt erreicht werden kann, abzulehnen, weil das Unmögliche gefordert wird.
Das Ziel der Deutschland- und Ostpolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Parteien - ich möchte das noch einmal betonen - ist der Abbau der Spannungen zwischen den Machtblöcken, gutnachbarliche Beziehungen zu den Staaten im Osten, menschliche Erleichterungen im Verhältnis der Bewohner in beiden Teilen Deutschlands, Sicherung Westberlins, Überwindung der Spannungen in Ost und West und in diesem Rahmen auch und nicht zuletzt das Bemühen um die Erhaltung der deutschen Einheit in freier Selbstbestimmung. Allein diesen Zielen soll und wird der Grundvertrag und die Aufnahme der Bundesrepublik in die Vereinten Nationen dienen.
Wir erleben nicht zum erstenmal, daß politische Entscheidungen, die das Parlament zu treffen hat, zu einer Verfassungsfrage hochgespielt werden. Das ist auch heute morgen wieder der Fall gewesen.
({4})
Bereits in der Debatte über die Regierungserklärung am 24. Januar 1973 hat der Vorsitzende der CSU, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, eine entsprechende Begründung zu geben, ex cathedra festgestellt, daß Verkehrsvertrag und Grundvertrag eindeutig gegen das Wiedervereinigungsgebot verstoßen.
({5})
Auch in den heutigen Beiträgen der Opposition nehmen die rechtlichen Ausführungen einen breiten Raum ein,
({6})
nachdem die Frage einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts in der CDU/ CSU-Fraktionheftig umstritten war und trotz der Abstimmung am vergangenen Dienstag in Ihrer Fraktion wohl auch weiterhin umstritten sein wird. Natürlich müssen wir im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Grundvertrages und des Beitritts der Bundesrepublik zu den Vereinten Nationen über Rechtsfragen sprechen und dort, wo es notwendig ist, auch streiten. Im Rechtsausschuß werden wir hierzu ausreichend Gelegenheit haben. Ich wehre mich aber mit Nachdruck dagegen, daß die Opposition Fragen des Staats- und Völkerrechts als Mittel dazu benutzt, um politische Entscheidungen, die hier zu treffen sind, zu unterlaufen oder sich politischen Entscheidungen zu entziehen,
({7})
die nicht in Ihr parteipolitisches und parteitaktisches Konzept passen, Herr Kollege Reddemann.
({8})
Es ist ja interssant, was heute morgen die „Frankfurter Allgemeine" geschrieben hat zur Frage der innerparteilichen Richtungskämpfe um dieses Thema in der Fraktion der CDU/CSU. Unter der Überschrift „Schaukämpfe" wird in der „Frankfurter Allgemeinen" ausgeführt, daß eine - ({9})
- Herr Kollege Dr. Lenz, ich nehme an, daß Sie nachher auch noch reden. Ich mache Ihnen ja auch keine Vorschriften, was Sie hier sagen. Das gehört sehr wohl zum Vertrag, weil in dieser Sitzung, Herr Kollege Lenz, sich Ihre Fraktion mit diesem Vertrag beschäftigt hat und, wenn ich es richtig gelesen habe, auch erhebliche Meinungsverschiedenheiten über seine Behandlung bestanden.
({10})
Deshalb bin ich der Meinung, daß wir sehr wohl, auch wenn Ihnen das sehr unangenehm ist, die Fraktionssitzung vom vergangenen Dienstag hier mit in unsere Betrachtungen und Überlegungen einbeziehen können.
Nun zu dem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen", der Ihnen offensichtlich sehr auf dem Magen liegt; sonst würden Sie nicht versuchen, zu verhindern, daß ich das hier vorlese. Unter der Überschrift „Schaukämpfe" wird ausgeführt:
Daß eine beträchtliche Anzahl von Unionsabgeordneten gegen ihre Fraktionsführung, gemeint ist Barzel, aufsteht, wird sich wohl kaum zum letzten Male ereignet haben.
({11})
Der Anlaß war durchaus zweitrangig: Ob man das Bundesverfassungsgericht gegen den Grundvertrag mobilisieren soll oder nicht, interessierte im Grunde die wenigsten der prominenten Kombattanten. Ohne ihre Nachhilfe wäre dies sicherlich ein Thema der Fraktionsjuristen und vielleicht der Vertriebenengruppe in der Union geblieben. Aufschlußreich waren auch gewisse Frontwechsel: Strauß hatte in den Vorstandsgesprächen von Mitte Dezember noch zu erkennen gegeben,
({12})
daß von der Anrufung des Verfasungsgerichts nicht viel zu halten sei; jetzt votierte er unter Berufung auf prinzipielle Gründe plötzlich dafür. Auch Dregger hat die Frage nach Ansicht mancher Fraktionskollegen früher schon anders beurteilt. Kurzum: Es ging um das Politikum Barzel, nicht um das Politikum Grundvertrag.
({13})
Das, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, ist das Entscheidende: daß Sie heute morgen auch hier wieder juristische Fragen in den Mittelpunkt Ihrer Diskussion gestellt haben, um von Ihren eigenen Schwierigkeiten und den politischen Entscheidungen abzulenken.
({14})
Herr Kollege Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?
Reddemanner CDU/CSU : Herr Kollege Metzger,
steht auf der Tagesordnung der Grundvertrag oder die innere Situation der CDU/CSU-Bundestagsfraktion?
({0})
Herr Kollege Reddemann, ich bin der Auffassung, daß man die Frage und die Behandlung des Grundvertrages von der inneren Situation der CDU überhaupt nicht trennen kann,
({0})
weil die CDU sich nämlich hier als Hüterin der Verfassung aufspielt und selbst in ihren eigenen Reihen zerstritten ist,
({1})
ob man wegen dieser Frage das Bundesverfassungsgericht anrufen soll oder nicht.
({2})
- Herr Kollege Reddemann, ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind, wenn ich Fragen behandle, die Ihnen unangenehm sind, wenn ich Fragen behandle, die auch in der Öffentlichkeit eine Bewertung erfahren - nicht nur heute, sondern auch bereits bei der Auseinandersetzung um die Ostverträge -, die Ihnen unangenehm sein muß.
({3})
Ich bin überzeugt davon, daß die CDU/CSU, hätte sie am 19. November eine Mehrheit in diesem Bundestag erhalten,
({4})
die Ratifizierung des Vertrages selbst betrieben hätte und die hier heute morgen geäußerten rechtlichen Bedenken nicht nur zurückgestellt, sondern auch in einem ganz anderen Licht betrachtet und bewertet hätte.
({5})
Von Herrn Kollegen Abelein wurden zwei Punkte genannt, die nach seiner Auffassung schwere rechtMetzger
liche Bedenken hervorrufen müssen: das Problem der deutschen Einheit und das Problem der völkerrechtlichen Anerkennung.
Nun betreten wir auf diesem Gebiet keineswegs Neuland. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit diesen Fragen bereits beschäftigt, wenn auch die politische Ausgangslage für eine Regelung der deutschen Frage damals, als die Entscheidungen getroffen wurden, eine andere war als heute.
In der Literatur werden die Rechtsprobleme in Zusammenhang mit dem Grundvertrag eingehend erörtert. Dabei ist die Zahl der Autoren, auf sie sich die Opposition - mit Einschränkungen - stützen könnte, klein. Selbst ein Mann wie Kewenig - er ist heute morgen von Herrn Dr. Barzel hier als „Leumundszeuge" zitiert worden -, der ja politisch wohl der Opposition und nicht der Bundesregierung zuzurechnen ist, kommt in der letzten Ausgabe des Europa-Archivs, das hier bereits zitiert worden ist, zu dem Ergebnis, daß durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht geltend gemacht werden können. Das gilt auch für die Frage der völkerrechtlichen Anerkennung. Kewenig kommt in diesem Artikel in Übereinstimmung mit anderen Autoren zu dem Ergebnis, daß eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik nicht erfolgt ist. Das ist auch die Auffassung der Bundesregierung und der Regierungskoalition.
Es ist unstreitig, daß die völkerrechtliche Anerkennung eines Staates eine Willenserklärung voraussetzt. Eine Willenserklärung ohne den entsprechenden Willen des Erklärenden ist nicht denkbar. Ein solcher Wille der Bundesregierung war niemals, zu keinem Zeitpunkt, vorhanden, auch nicht bei Abschluß des Grundvertrags. Im Gegenteil, die Bundesregierung hat in den letzten Jahren immer wieder erklärt, daß eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR für sie nicht in Frage kommt. Das wird durch Inhalt und Begriffsbestimmung in dem genannten Vertragswerk erneut bestätigt.
Dieses Vertragswerk macht deutlich, daß es sich bei den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR um Beziehungen besonderer Art handelt, die über die Regelung normaler völkerrechtlicher Beziehungen hinausgehen. Bereits in der Präambel des Vertrages ist von den historischen Gegebenheiten und von der noch ungelösten, beide Seiten umfassenden nationalen Frage die Rede. Hier wird doch - das kann man nicht in Abrede stellen - auch von der DDR anerkannt, daß das Problem der nationalen Frage vorhanden ist und einer Lösung zugeführt werden muß.
Professor Kewenig kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß in diesen Formulierungen deutliche Hinweise auf ein atypisches und wohl auch ein besonders enges Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR enthalten sind.
Darüber hinaus enthält der Vertrag die Anerkennung der Viermächteverantwortung für Gesamtdeutschland und Berlin und die Anerkennung der Verpflichtung der drei Westmächte aus dem Deutschland-Vertrag, die Einheit Deutschlands anzustreben. Das ergibt sich eindeutig aus Art. 9 des
Vertrags, der auch in anderer Hinsicht von Bedeutung ist: Die Festlegung, daß von den Vertragsparteien früher abgeschlossene Verträge durch den Grundvertrag nicht berührt werden, bestätigt in Verbindung mit Abschnitt II Nr. 1 des Zusatzprotokolls, in dem die Entwicklung des Handels zwischen der Bundesrepublik und der DDR auf der Grundlage des bestehenden Abkommens geregelt wird, die Fortsetzung des sogenannten innerdeutschen Handels.
({6})
Zollgrenzen, wie sie zwischen zwei selbständigen Staaten üblich sind, werden nicht errichtet.
Der Grundvertrag muß auch im Zusammenhang mit dem Brief der Bundesregierung vom 21. Dezember 1972 gesehen werden, in dem unsere auf die Wiedervereinigung des deutschen Volkes in freier Selbstbestimmung gerichtete Zielsetzung jedes politischen Handelns eindeutig und unmißverständlich dokumentiert wird. Dabei handelt es sich bei diesem Brief sehr wohl um einen Bestandteil dieses Vertragswerks. Dieser Brief ist ein Dokument im Sinne des Art. 31 Abs. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention und ist für die Beurteilung und auch für die Auslegung des Vertragstextes selbst von Bedeutung.
Auch der Verzicht auf den sogenannten Alleinvertretungsanspruch löst insoweit keine Rechtsfolgen aus. Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verankerte Wiedervereinigungsgebot entfällt schon deshalb, weil hier nur auf ein Instrument verzichtet wird, dessen Untauglichkeit zum Zwecke einer Wiedervereinigung sich in der Vergangenheit eindeutig und klar erwiesen hat. Der Bundesrepublik ist es auch nach Abschluß und nach Ratifizierung dieses Vertrags nicht verwehrt, weiterhin im internationalen Bereich und auch gegenüber der DDR für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit einzutreten und auch für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit entsprechende Verhandlungen zu führen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion, die Regierungskoalition und die Bundesregierung sind der Überzeugung, daß der Grundvertrag Ausfluß einer Politik ist, die, um mit den Worten der Regierungserklärung hier zu sprechen, „konkret den Menschen dient". Von dieser Politik werden wir uns auch nicht durch unhaltbare oder zweifelhafte oder an den Haaren herbeigezogene rechtliche Argumentation abhalten lassen, die von verfassungsrechtlichen Rigorismen strotzen, durch die um des Unmöglichen willen das Mögliche verhindert werden soll, eine Argumentation, meine Damen und Herren von der Opposition, die nach unserer Auffassung nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes steht und die auch die Frage aufwirft, wem sie am meisten dient, den deutschen Menschen, den Menschen in der Bundesrepublik und in der DDR, oder aber der Regierung in Ost-Berlin. Wir sind der Meinung, daß wir diesen Weg, den die Bundesregierung in den letzten drei Jahren eingeschlagen hat, konsequent fortsetzen sollen, im Interesse der Menschen hier bei uns in der
Bundesrepublik und im Interesse der Menschen in der DDR.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Pappkameraden zu verteidigen, die Herr Kollege Metzger hier aufgebaut hat;
({0})
denn ich vertrete nicht deren Politik, sondern die der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union.
({1})
Wer heute vormittag die ausgezeichnete Jungfernrede unseres Freundes Dr. Carstens gehört hat, der weiß, was unsere Politik zu diesen Fragen sagt.
({2})
Herr Kollege Metzger, ich kenne Sie ein wenig und bezweifle keineswegs die Aufrichtigkeit dessen, was Sie hier sagen. Aber ich kann mich, um mich ganz zurückhaltend auszudrücken, des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie Ihre Rede mindestens 48 Stunden, bevor Sie sie gehalten haben, bereits fertiggestellt hatten;
({3})
denn vor 48 Stunden etwa hat die Fraktion der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union darüber debattiert, ob man nach Karlsruhe gehen soll oder nicht. Ich persönlich war dafür; die Mehrheit hat anders entschieden. Demgemäß hat keiner der Redner des ganzen Vormittags sich auf das Grundgesetz, auf die Verfassung und auf rechtliche Gesichtspunkte berufen.
({4})
Alles, was Sie dazu gesagt haben, mag ja ganz interessant sein, und ich könnte mich mit Ihnen darüber natürlich auch vorzüglich streiten, wenn ich das wollte, aber es ist jedenfalls in die Luft geschossen, nicht gegen die Argumente gerichtet, die hier vorgebracht wurden.
({5})
- Das will ich nicht annehmen. Auch ich werde dabei bleiben, diesen Grundvertrag hier mit politischen Argumenten zu bekämpfen.
Aber ich darf vielleicht doch zuerst einmal daran erinnern, daß er eigentlich auf recht merkwürdige Weise zustande gekommen ist. In jenem Informationsausschuß aller Parteien, in dem ich teilzunehmen die Ehre hatte, hat uns noch am 27. Oktober und noch in den späten Abendstunden des 5. November der damalige Staatssekretär Bahr erklärt, er könne uns keine Texte vorlegen, weil es noch keine
Texte gebe und die Meinungsverschiedenheiten schier unüberbrückbar seien.
({6})
Am 8. November wurde dann bereits paraphiert. Allerdings hatte der Herr Bundeskanzler dies schon am 2. November angekündigt; er wußte wahrscheinlich mehr als sein Staatssekretär, der verhandelt hat.
Meine Damen und Herren, ich frage mich, wenn man offensichtlich den Vertrag möglichst noch vor dem Wahltermin unter Dach und Fach bringen wollte, ob das eigentlich zum Nutzen unseres Landes ist. Die „Frankfurter Allgemeine" wurde soeben zitiert. Ich darf sie auch zitieren, und zwar vom 8. November, an dem sie schreibt:
Angesichts der Bedeutung der Sache, um die es ging, hat man seinerzeit gezögert, die Verhandlungen vorwiegend unter dem Gesichtspunkt einer genialen prozeduralen Regieleistung zu betrachten. Aber genauso ist es nun gekommen. Die Peinlichkeit besteht im Zusammenwirken der beiden Partner.
Ich spreche nicht davon, weil das die Wahl beeinflußt haben kann. Sie ist entschieden, und wir als Demokraten erkennen jedes Wahlergebnis an. Aber ich frage mich: Wenn man einen Vertrag unter dem Gesichtspunkt, daß er schnell verabschiedet werden muß, um eine Wahlentscheidung zu beeinflussen, verabschiedet, ist dann das Interesse unseres Landes so gewahrt, wie man es hätte wahren können, wenn man sich Zeit gelassen hätte?
({7})
Ich könnte mir vorstellen, daß manche Ungereimtheiten dieses Vertrages auf die allzuschnelle Art seiner Verhandlung zurückzuführen sind.
Der Merkwürdigkeit des Zustandekommens entspricht auch eine Merkwürdigkeit des Einbringens. Es ist schon ein besonderer Stil - um mich wieder ganz zurückhaltend auszudrücken -, wenn der Regierungschef auf Zwischenrufe der Opposition meint, daß diese herummosere.
({8})
Aber noch bedeutender ist es, wenn er ihr zuruft, den Mund zu halten. Ich habe die Ehre, die 23 Jahre, die dieses Hohe Haus existiert, ihm anzugehören. Noch nie habe ich einen Regierungschef gehört, der der Opposition zugerufen hat, sie solle den Mund halten.
({9})
Das habe ich zuletzt vor etwa 35 Jahren in Augsburg auf einem Kasernenhof gehört, als ich von einem Rekruten zu einem zackigen Soldaten ausgebildet werden sollte. Schon das ist nicht recht gelungen. Aber ich würde sagen: das ist ein merkwürdiges Demokratieverständnis eines Regierungschefs.
({10})
Nun wird uns gesagt, dieser Grundvertrag ist Teil, Frucht, Ergebnis einer Friedenspolitik. Herr Kollege
Flach hat nicht heute, aber vor acht oder vierzehn Tagen in seiner Jungfernrede hier behauptet, es sei tief bedauerlich, daß der Hauptwiderstand gegen eine Friedenspolitik von einer christlichen Partei ausgehe. Mir kommt das so vor, als wenn das Wort und die Wirklichkeit der Friedenspolitik von dieser Regierung erfunden worden sei und als ob der Friede in den Beratungen dieses Hauses vor dem Jahre 1969 niemals eine Rolle gespielt habe. Ich darf Sie einmal daran erinnern: wer hat denn die VerVersöhnung zwischen Deutschland und Frankreich, den beiden Erbfeinden, zustande gebracht, wenn nicht ein Kanzler dieser Union?
({11})
War das keine Friedenspolitik? Wer hat denn die Einigung Europas begonnen mit dem Beitritt zum Europarat, mit dem Schumann-Plan, mit der dann nicht an uns gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, mit der Westeuropäischen Union, mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft? Wer hat die NATO mit begründet bzw. unseren Beitritt dazu erklärt? Wer hat die Friedensnote hinausgesandt? Wer hat sich als Kanzler der Großen Koalition bereit gefunden, sogar mit dem anderen Teil Deutschlands zu verhandeln? Friedenspolitik ist wahrhaftig eine Politik, die bereits 20 Jahre betrieben worden ist, bevor Willy Brandt deutscher Bundeskanzler wurde.
({12})
Ich spreche doch heute der Politik diesen Namen nicht ab; ich betone nur, daß das hier schon immer so gewesen ist. Und, meine Damen und Herren, es waren ja die Sozialdemokraten, die gegen den Beitritt zum Europarat, den Schuman-Plan, die EVG, die WEU und die NATO gestimmt haben.
Ich sage das nicht, um Sie an Ihre alten Fehler zu erinnern, die wahrscheinlich sogar wir schon vergessen hätten, wenn nicht in der Neuzeit Erinnerungen an alte Deutschland-Pläne wach würden.
({13})
Ich sage es deshalb, meine Damen und Herren, weil wir Ihnen, obwohl Sie zu unserer Friedenspolitik Nein gesagt haben, nie vorgeworfen haben, Sie seien gegen den Frieden überhaupt.
({14})
Und so verbitten wir es uns energisch, uns den Friedenswillen und die Friedensfähigkeit abzusprechen, weil wir einen Vertrag ablehnen, von dem wir glauben, daß er letzthin zwar nach dem Willen seines Schöpfers hier dem Frieden dienen soll, aber ihm objektiv nicht ausreichend dient.
({15})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Flach hat in der Jungfernrede, die ich noch einmal zitieren darf, gesagt, Argumente, wie wir sie vorbrächten, seien zweitrangig gegenüber dem christlichen Versöhnungsgebot, Argumente machtpolitischer, nationalpolitischer und sogar sicherheitspolitischer Art. Das ist ja eine sehr merkwürdige Theologie! Wenn ich Herrn Kollegen Flach nicht kennen und das
ohne Autor hören würde, würde ich sagen: Das ist
die typische Theologie eines Schwarmgeistes.
({16})
Meine Damen und Herren, ich bin ja mit Ihnen einig darin, daß Machtpolitik zurückzutreten hat gegenüber den Gesichtspunkten, die Sie hier angesprochen haben. Aber schon bei Nationalpolitik mache ich ein großes Fragezeichen und unterscheide, ob Sie hier Nationalismus meinen, der sicherlich mit christlichem Glauben nicht vereinbar ist, oder ob Sie Fragen der nationalen Existenz meinen, von denen niemand dispensiert ist. Aber gefährlich wird es, wenn ich Fragen der Verteidigung dieses unseres Landes als zweitrangig erkläre. Das ist ja nun eine wirklich schwärmerische Vabanque-Politik, die hier betrieben wird, die am Ende jedem den Zutritt zu diesem Territorium öffnet, der ihn haben will und den wir nicht zu sehen wünschen. Ich bin sogar ganz im Gegenteil der Meinung, daß man, wenn man der Entspannungspolitik eine Chance geben will, die Anstrengungen auf dem Gebiet der Sicherheit nicht verringern darf, sondern sie sogar vermehren muß, damit diese Politik glaubwürdig ist und nicht als Zeichen der Schwäche angesehen wird.
({17})
Was die Versöhnung betrifft, so bedarf es zur Versöhnung bekanntlich zweier Leute. Sie müssen sicherlich nicht die gleiche Sprache sprechen, obwohl sie das im Falle dieses Vertrages sogar tun, sondern sie müssen die gleichen Begriffe haben.
Unter den sieben Punkten einer deutschen Friedenspolitik, die das Institut für Gesellschaftswissenschaften in Walberberg herausgegeben hat, steht auch der Satz:
Voraussetzung für den Frieden ist ... nicht zuletzt Aufrichtigkeit und gegenseitiges Vertrauen. Vor allem aber eine zuverlässige Einhaltung von Abmachungen.
Der Herr Bundeskanzler hat vor wenigen Tagen hier im Hohen Hause wieder einmal gesagt, wir seien im Grunde der Meinung, Abmachungen dürfe man mit kommunistischen Staaten im allgemeinen und mit der DDR im besonderen nicht treffen - aus moralischen Gründen. Dieser Meinung sind wir nicht. Ich will es ganz drastisch sagen. Von Papst Pius XI. wird berichtet, er habe sich geäußert, er würde selbst mit dem Teufel einen Vertrag schließen, wenn er damit Seelen retten könne. Das ist Aufgabe der Kirche. Aber ich glaube, ein demokratischer Staat darf auch mit einem totalitären Staat einen Vertrag schließen, wenn er damit dem internationalen Frieden und seinem eigenen Interesse dient.
({18})
Aber es ist ja schon im Privatleben ein Unterschied, ob ich in Geschäftsverbindungen trete mit einem bewährten Geschäftsfreund, mit einem Unbekannten oder mit einem Mann, der sich durch mehrfachen Konkurs nicht den allerbesten Ruf erworben hat - um hier von wirtschaftlichen Dingen
zu sprechen, wie es heute früh Herr Kollege Dr. Achenbach getan hat. Ich meine, auch in der Politik ist es ein Unterschied, ob ich einen Vertrag mit einem alten und bewährten Freund wie z. B. der Regierung der Französischen Republik, mit einem neuerstandenen Staat irgendwo in der Welt oder aber mit totalitären Regierungen abschließe, deren Vertragspraxis sich doch wohl herumgesprochen haben sollte. Wir lehnen solche Verträge nicht ab, aber wir sind der Meinung, daß man sie mit Vorsicht abschließen sollte und daß man nicht unwiderrufliche Leistungen gegen widerrufliche Versprechungen hingeben darf. Lesen Sie doch den „Spiegel" der letzten Woche. „Der Spiegel", der durch seinen wichtigsten Mann, der ja zeitweise sogar der Fraktion der Freien Demokraten angehörte, und durch seinen zweitwichtigsten Mann, der als Staatssekretär nach Ost-Berlin gehen soll, dieser Regierung eng verbunden ist, erklärt, daß Polen vor der Ratifizierung des Warschauer Vertrages im Jahre 1971 über 25 000 Deutsche in den Westen entlassen hat, im letzten Jahr aber nur 13 000, kaum mehr als die Hälfte. Da sieht man, was aus Versprechungen wird, auf die man sich im Ausschuß und im Plenum des Bundestages berufen hat. „Der Spiegel" schreibt: Monat für Monat werden es weniger.
Dort hat man ein Entgegenkommen in der Frage der Grenzen gezeigt. Hier zeigt man ein Entgegenkommen in der Frage der Einheit. Ich frage mich: Wie sieht es denn mit den menschlichen Erleichterungen aus? Sie sind doch, wie Sie am polnischen Beispiel sehen und wie Sie an der Tatsache erkennen können, daß Verlobte nur in Ausnahmefällen zueinander reisen dürfen, nichts anderes als höchstens ein geringes Maß von weniger Unmenschlichkeit.
Wenn Sie das Trauerspiel um unsere Journalisten ansehen - die unseren drüben, die von drüben hier -, fragen Sie sich auch, wie diese Regierung eigentlich verhandelt hat. Ich habe da die Stimme von einem Kommentator namens Dieter Gütt. Er galt bisher als ein Linksaußen der deutschen Kommentatoren. Er schrieb in der „Münchener Abendzeitung" vom 10. Februar:
Ein Journalist der DDR ist in erster Linie Staatsdiener, an zweiter Stelle Agitator und ideologischer Transmissionsriemen der Partei. Diesen Unterschied zu den Aufgaben und Verpflichtungen des journalistischen Berufs in unserer Lebensordnung haben die Bonner Unterhändler
- ich füge ein: also der Journalist Egon Bahr für den Grundvertrag offenbar nicht hinreichend berücksichtigt. Sie stehen heute vor dem Dilemma, den Propagandisten der volksdemokratischen Massenmedien alle Rechte gewähren zu müssen, die bei uns zu Lande dem journalistischen Berufsstand zustehen. Von Gegenseitigkeit ist keine Rede.
Ein gewiß unverdächtiger Kronzeuge!
Meine Damen und Herren, wenn ich nun sehe, daß das Wort „Einheit" nicht mehr vorkommt, daß aber dafür das Wort „Nation" verwendet wird, wenn ich mir den Vertrag anschaue, der, wie gesagt, das Wort „Deutschland" gar nicht enthält, so kann ich nur feststellen, daß die nationale Frage doch nicht in den Konsens gestellt ist, sondern in den Dissens, nicht in die Einmütigkeit, sondern in die Verschiedenheit der Meinungen. Es heißt: „unbeschadet der unterschiedlichen Auffassungen ... zu grundsätzlichen Fragen, darunter zur nationalen Frage". Und die Regierung ist noch stolz darauf, daß man das betont und ausspricht! Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wieder ein Beispiel aus dem Wirtschaftsleben nehmen. Wenn sich zwei Männer darüber streiten, ob der eine dem anderen 1000 DM schuldet und der Gläubiger will einen Schuldschein, der Schuldner aber erklärt, er gebe nur ein Papier her, auf dem zu lesen steht, er sei uneins mit dem Gläubiger, ob er ihm 1000 DM schulde, wird doch der Gläubiger auf diesen Schuldschein verzichten, denn er verdient diesen Namen nicht. Ein solches Schriftstück ist nicht einmal das Papier wert, auf das die Worte geschrieben werden. So ist es mit der Präambel dieses Vertrages!
({19})
Der Grundvertrag schreibt den gegenwärtigen Zustand fest, und in der Denkschrift der Bundesregierung wird von zwei voneinander unabhängigen Staaten gesprochen. Meine Damen und Herren, Zweistaatlichkeit ist aber nun ein Widerspruch zur Einheit eines Landes; das, so glaube ich, läßt sich schon aus Adam Riese folgern.
Nun hat ein freidemokratischer Redner heute früh erklärt, uns habe Juristerei als Ersatz für Politik gedient. Nein, meine Damen und Herren! Wir wissen genau, daß die Rechtswissenschaft - so bedeutend sie ist - nicht die verwickelten Probleme des Lebens und der Politik zu lösen vermag. Nur: Ohne die Rechtswissenschaft geht es auch nicht. Uns ging es jedoch nicht um eine Doktrin und um irgendwelche Theorien. Ich stelle gegenüber dem Kollegen Metzger folgendes richtig: Bis 1969 haben alle nichtkommunistischen Staaten der Welt - mit der einzigen Ausnahme von Kambodscha, das die Welt aber sicher nicht bewegt - der DDR die Staatsqualität abgesprochen. De Gaulle selbst hat noch 1966 die DDR „une création artificielle", eine künstliche Schöpfung, genannt.
({20}) Das wird jetzt jedenfalls anders.
Lassen Sie mich meine Sorge darüber, wie es anders wird, einmal mit einem Zitat von Herrn Henry Nannen aus der „Stern" vom 21. Mai 1972 zum Ausdruck bringen. Er schrieb über den Warschauer Vertrag:
Der Warschauer Vertrag war von vornherein ein Grenzvertrag, und jeder wußte das. Da aber das Grundgesetz für Gebietsverträge eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments fordert und da man annehmen mußte, daß eine solche Mehrheit unter den gegebenen Verhältnissen nicht zu erreichen war, kleidete man die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze in den Mantel des Gewaltverzichts.
({21})
Ich habe die große Sorge, daß alsbald nach der Schlußabstimmung über den Grundvertrag Herr Nannen schreibt: „Der Grundvertrag war von vornherein ein Teilungsvertrag und jeder wußte das. Aber man kleidete ihn in den Mantel eines Gewaltverzichts". Darin bestehen unsere Sorgen, daß Ihre eigenen Anhänger und Kommentatoren etwas hinein- und herausinterpretieren, das diese Regierung im Rechtsausschuß, im Auswärtigen Ausschuß und im Plenum des Bundestages leugnet.
({22})
Das sind keine juristischen, das sind höchst politische Überlegungen. Nachdem Herr Nannen dort die Katze aus dem Sack läßt und wir die Katze wahrscheinlich auch aus diesem Sack zu sehen bekommen, besteht die Gefahr, daß die Bundesrepublik, daß Deutschland mit diesem Vertrag seine Identität verliert.
Herr Dr. Achenbach hat heute früh gesagt, die Deutschen haben sich nicht selbst gespalten. Man mußte die Spaltung hinnehmen als das Diktat einer Siegermacht. Aber meine Damen und Herren, hier wird doch nach der Meinung der Weltöffentlichkeit - denken Sie an das Zitat von heute früh aus der „Times" - die Spaltung der Deutschen durch die Deutschen frei vereinbart. Wenn das das Bewußtsein der Welt ist und als solches bleibt, dann hat das vielleicht noch mehr Wirkung als eine rechtlich einwandfreie Teilung hätte.
Diese Bedenken müssen wir dieser Regierung deutlich sagen, die offenbar die Zeitungen nicht liest, in denen der Vertrag als Schlußstrich unter die deutsche Einheit aufgefaßt wird, und die offenbar auch den französischen Staatspräsidenten Pompidou nicht hört, der die Frage aufgeworfen hat: Warum soll ich die Deutschen tadeln, wenn sie die Teilung anerkennen? - Meine Damen und Herren, auch ein Beitrag zu dem Kapitel, das keiner unserer Verbündeten deutscher sein kann und deutscher zu sein braucht als die eigene Regierung!
Herr Kollege Wehner - davon wurde heute schon gesprochen hat es fertiggebracht, die alte Zielvorstellung der Christlich-Demokratischen Union von Freiheit, Frieden und Einheit zu bezeichnen als aus dem Parolenausverkauf der 50er Jahre, also dem kalten Krieg stammend.
({23})
Wieso denn, meine Damen und Herren? Diese Regierung spricht nur von Friedenspolitik. Ist Frieden also eine Parole aus dem kalten Krieg?
Bundeskanzler Brandt sagte vor vierzehn Tagen in diesem Hause: „Unser Begriff von Freiheit lebt nicht von der Unfreiheit anderer. Er lebt - wie sollte es anders sein - aus sich selbst." Da kann doch Freiheit auch kein Begriff des kalten Krieges sein. Bleibt also offenbar die Einheit als Begriff des kalten Krieges. Das müßte doch jeden Deutschen zutiefst erschrecken.
Zwei meiner Vorredner aus meiner Fraktion haben heute sehr deutlich über die Tradition der Einheit und ihren Zusammenhang mit dem Freiheitsbegriff gesprochen. Ich brauche das nicht zu wiederholen.
Aber ich möchte feststellen: Für uns ist die Einheit nicht eine Formel aus dem kalten Krieg, aus einem Ausverkauf, für uns ist sie auch kein Vorbehalt der Alliierten, sondern für uns ist sie eine Forderung der Vernunft und des Herzens und des Willens des ganzen deutschen Volkes.
({24})
Das hat mit Nationalismus und preußischer Renaissance nicht das mindeste zu tun. Mein Urgroßvater hat als bayerischer Landtagsabgeordneter und Herausgeber einer Pfälzer Zeitung mit der Feder und mit dem Wort gegen den preußischen Führungsanspruch in Deutschland und für das, was man damals die großdeutsche Lösung der deutschen Frage nannte, gekämpft. Auch ich halte das Ergebnis von 1866 für eine der vielen Fehlentscheidungen unserer Geschichte.
({25})
Aber welches Volk hat nicht Fehlentscheidungen in seiner Geschichte? Diese ist zumindest irreversibel, und kein Geringerer als der große Mainzer Bischof Ketteler, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und des ersten Deutschen Reichstages, hat in seinem Buch mit dem Titel „Deutschland nach 1866" festgestellt, daß nunmehr deutsche Politik eben nur in diesem Rahmen des neugegründeten Reiches geführt werden kann, das völkerrechtlich bis zum heutigen Tage fortbesteht.
Was immer deutsche Patrioten 1848 erhofft, 1871 erlebt, 1918 erduldet und nach 1933 erlitten haben - am Ende ist uns als einziges von Deutschland doch das geblieben, was selbst die Alliierten uns zuerkannt haben: das Deutschland in den Grenzen von 1937, das wir vertreten und verteidigen und das die Resolution vom 17. Mai anerkennt.
({26})
Wenn diese Regierung Nation und Einheit als dasselbe ansieht, können wir darüber sprechen. Wenn sie einen Bedeutungswandel vornimmt, sind wir bedenklich, denn alle Reden über die Nation sind ein leeres Gerede, wenn dahinter nicht die Zielvorstellung und der Wille zur staatlichen Einheit der Deutschen stehen.
Meine Damen und Herren, es ist vom Bundeskanzler gesagt worden, der Friede stehe vor der Nation, und das sei ein Dienst, den Deutschland den anderen europäischen Völkern erbringe. Ich wundere mich über diese Formulierung, denn „Freiheit, Frieden, Einheit" - in dieser Reihenfolge - ist unsere Parole seit langem gewesen. Unser Freund Eugen Gerstenmeier hat bereits auf dem 5. Bundesparteitag der CDU in Köln 1954 erklärt.
Daß der Friede und seine Bewahrung vor der Erlangung der Einheit steht, das hat sich, wenn nicht aus sittlicher Einsicht, so doch aus Furcht, allgemein durchgesetzt. Für den Charakter der deutschen Politik aber ist und bleibt es von Bedeutung, daß sie nicht nur im Gedanken an Atom- und Wasserstoffbomben, sondern schon aus freier Einsicht dem Krieg und jedem kriegsähnlichen Mittel absagt. Selbst um der Einheit
Deutschlands willen darf kein Krieg geführt werden.
Daß der Friede den Vorrang vor der Nation hat, ist hier doch klar ausgesprochen und ist keine Erfindung dieses Bundeskanzlers,
({27})
ist aber kein Dienst an den anderen Völkern, sondern Dienst an unserer eigenen Existenzerhaltung.
({28})
Sollte es sich aber um einen Dienst handeln, den wir nur anderen leisten, dann muß hier im Begriff „Nation", im Unterschied zum Begriff „Einheit" damals, ein Wandel vorgegangen sein, und dann soll der Bundeskanzler sagen, was er darunter nun versteht.
({29})
Meine Damen und Herren! Die Freiheit hat nach unserer Auffassung den ersten Rang, den Rang vor Frieden und den Rang vor Einheit - die Freiheit, von der der Bundeskanzler sagt, sie lebt aus sich selbst heraus. Sie lebt a u s sich selbst - ich stimme ihm zu -, aber sie lebt nicht f ü r sich selbst.
Der Herr Bundeskanzler hat vor 14 Tagen die Frage aufgeworfen, ob unser Freund Dr. Werner Marx, als er hier sprach, für die Fraktion gesprochen hat. Er hat diese Frage sogar zweimal gestellt. Ich darf sie ein für allemal beantworten: Dr. Werner Marx ist der Leiter des außenpolitischen Arbeitskreises dieser Fraktion. Er spricht immer für die Fraktion, zumal dann, wenn er an diesem Rednerpult steht und nicht zufällig einmal eine persönliche Erklärung abgibt.
({30})
Aber ich möchte auf das Wort von Dr. Marx verweisen:
Europa ist für uns mehr als bloß sein westlicher Teil. Das geographische und geschichtliche Europa weist über die Linie hinaus, die Ost und West trennt. Wir vergessen nicht, daß, abgesehen von unseren Landsleuten drüben, die Polen und die Ungarn, die Tschechen, die Slowaken und die Ukrainer, die Letten, die Esten, die Litauer - ich nenne damit fast vergessene Namen -, die Bulgaren, die Rumänen und die Russen alle europäische Völker sind und daß in ihnen der Drang nach Freiheit als unverwechselbarer europäischer Auftrag lebt.
Jenes Europa, die Menschen dort, ihre kulturelle und geschichtliche Leistung werden wir in unserer politischen Alltagsarbeit keinen Augenblick vergessen dürfen. Wir wissen, daß sie schweigen müssen, daß sie eingepfercht sind von den Doktrinen des Eroberers, von seinen Soldaten und Waffen.
Meine Damen und Herren, und auf diese klare Erklärung eines deutschen und europäischen Demokraten sagte der Bundeskanzler am 26. Januar:
Auch wenn wir in die andere Himmelsrichtung,
also in die östliche, schauen, muß ich doch fragen ob hier ernsthaft jemand glaubt, der besondere Umgang des Herrn Marx mit der osteuropäischen Landkarte
- ich bemerke, daß es gar kein besonderer Umgang ist, sondern das Ablesen der Namen der Länder, die auf jeder europäischen Landkarte mindestens seit 1919, wenn nicht länger, verzeichnet sind könnte einem Verhandlungsklima dienen, das uns Chancen gibt, Europa zwischen Ost und West offener werden zu lassen. Nein, in der von Herrn Marx aufgerissenen Kluft
- ich dachte, sie wäre von den Sowjets aufgerissen ist Raum für all die Illusionen, die von Teilen der Opposition ... produziert werden.
Meine Damen und Herren: Raum in dieser Kluft ist für die Idee der Freiheit!
({31})
Und ich frage mich, ob diese Freiheit vielleicht bereits, wenn es über unsere Grenzen hinausgeht, abgeschrieben ist, oder ob man von Freiheit nur für Griechenland fordert, aber nicht für Lettland, Estland, Litauen und andere osteuropäische Staaten.
({32})
Eine solche Politik aber wäre keine Politik, die einen moralischen Anspruch erheben kann.
({33})
Es soll uns keiner sagen, solche Äußerungen seien, wie man auf der Seite der Regierung zu sagen pflegt, ein primitiver Antikommunismus. Sicher mag es auch einen primitiven Antikommunismus geben; ich bin hier wie anderswo für Differenzierung. Aber, meine Damen und Herren, der primitivste Antikommunismus ist immer noch unendlich besser als der primitive Kommunismus, der 17 Milionen Deutschen sein Joch aufgedrückt hält.
({34})
Wenn wir aber das, was unser Freund Marx gesagt hat, etwa nach der Meinung der Regierung nicht mehr sagen sollen, dann frage ich mich, ob wir nicht dorthin gegangen sind, wovon unser Freund Franz Josef Strauß so oft gesprochen hat - ob wir uns nicht schon auf dem Weg der „Finnlandisierung" der Bundesrepublik befinden.
({35})
Unser so früh vollendeter Freund Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg hat in seiner letzten Rede am 27. Mai 1970 in diesem Hause u. a. erklärt:
Es kann nur wie ein schleichendes Gift im Körper unserer Demokratie wirken, wenn einerseits führende Männer ... sich immer wieder der verbalen Verwischung der fundamentalen Unterschiede zwischen drüben und hier schuldig machen, und wenn andererseits jene, die das aussprechen, was ist, die also Terror Terror und Mord an der Mauer Mord an der Mauer nennen, als unbelehrbare kalte Krieger verschrien werden. Die deutsche Demokratie ist schon einmal
zugrunde gegangen, ... weil damals unter Deutschen eine geistig-moralische Verwirrung angestiftet und die Grenze zwischen demokratischer Rechtsstaatlichkeit und totalitärem Verbrecherregime verwischt wurde. Es gibt leider Grund, davor zu warnen, daß diese Grenze erneut vernebelt werden könnte, und diesmal durch Demokraten.
Wir,
- so schließt Guttenberg die CDU/CSU, sind nicht bereit, sogenannte Realitäten zu achten, zu respektieren oder gar anzuerkennen, die den Namen „Unrecht" tragen.
Ich habe heute nur einen Satz hinzuzufügen: Darum lehnen wir den Grundvertrag ab.
({36})
Das Wort hat Herr Bundesminister Bahr.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Barzel hat die Freiheit heute morgen höhergestellt als die Einheit. Die Ausführungen, wie Herr Dr. Jaeger soeben gemacht hat, und die Ausführungen von Herrn Kollegen Carstens, Einheit und Freiheit gleich hoch zu setzen, richten sich also auch an oder gegen den Vorsitzenden der CDU.
({0})
Herr Kollege Carstens hat ein brillantes Plädoyer für eine Politik gehalten, die er selbst mitgeformt hat.
({1})
Diese Politik ist seinen Maßstäben in der Tat insoweit gerecht geworden,
({2}) als sie die deutsche Einheit,
({3})
die deutsche Nation in einem Vertrag nach dem anderen, allerdings nur mit dem Westen, unangetastet und unversehrt ließ - jedenfalls den Worten nach. Diese Politik konnte nicht verhindern, daß die deutsche Frage, die deutsche Nation in der Sache, in der Realität für die Menschen, jenen erbärmlichen Zustand erreichte, mit dem wir es alle zu tun haben.
Herr Kollege Cartens formulierte, unsere Positionen seien bis 1969 im wesentlichen intakt gewesen. Das stimmt völlig; aber eben nur noch auf dem Papier, nur noch den Worten nach. Für die Menschen galt etwas ganz anderes. „Deutschland war nie so tief geteilt wie zu der Zeit, als Bonn sich
weigerte, die Spaltung anzuerkennen", dieses Zitat aus der Londoner „Times", die heute schon so oft bemüht worden ist, hätte man wohl auch anführen sollen; denn dieses Zitat entspricht unserem Interesse eher als die von Ihnen angeführten, meine Damen und Herren von der Opposition; denn es wäre besser, von Ihnen zu hören, daß Sie die Regierung unterstützen, wenn sie sagt: Es ist kein Schlußstrich unter die deutsche Frage gezogen worden.
Daß unsere Position im wesentlichen intakt gewesen sei, bedeutet natürlich nicht, daß irgend jemand die Schikanen auf den Zugangswegen nach Berlin oder die Schüsse an der Grenze als Beweis einer intakten Deutschlandposition bezeichnen wollte. Denn wir waren uns alle einig in der Ablehnung dieser Realitäten, die in einem eklatanten Gegensatz zu unseren Worten standen. Nur die Worte waren wirklich völlig intakt.
In einem Punkt möchte ich dem Kollegen Carstens den Vorwurf entweder einer erstaunlichen Unkenntnis oder aber eines bloßen Verbalismus nicht ersparen.
({4})
- Ich darf das begründen. Herr Kollege Carstens, Sie haben moniert, daß in dem sogenannten Bahr-Papier kein Wort über die Bindungen Berlins an die Bundesrepublik enthalten gewesen sei.
({5})
Ich glaube, Sie haben dies sogar auf den Grundvertrag ausgedehnt. Es muß dem früheren Staatssekretär des Auswärtigen Amtes doch bekannt sein, daß die Drei Mächte gerade wegen ihrer originären Rechte in und für Berlin die größten Bedenken dagegen hatten, daß wir, die Bundesregierung, mit der Sowjetunion oder gar mit der DDR über Berlin auch nur reden, geschweige denn Papiere darüber veröffentlichen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, daß frühere Bundesregierungen, wenn sie Verträge mit der Sowjetunion und mit anderen osteuropäischen Staaten schlossen,
(
Konsularverträge!)
um die Einbeziehung Berlins gerungen haben, daß dies mit voller Zustimmung der Westmächte geschah und daß eine Reihe von Abkommen daran gescheitert sind, daß die andere Seite die Einbeziehung Berlins nicht akzeptiert hat?
Herr Kollege Cartens, hier liegt bei Ihnen eine
Verwechslung zwischen der Einbeziehung Berlins in Verträge und grundsätzlichen Regelungen über Berlin mit der Sowjetunion vor. Was die Einbeziehung Berlins in Verträge angeht, so ist durch eine Bundesregierung, der anzugehören ich nicht die Ehre hatte, die Frage der konsularischen Vertretung Berlins und der Bundespässe fallengelassen worden.
({0})
- Sowohl Herr Kollege Cartens als auch Herr Kollege Jaeger haben überhaupt nicht zur Kenntnis genommen - oder es ist ihnen jedenfalls nicht bewußt geworden -, daß der größte Teil ihrer Entrüstung gegen ihre eigene Fraktion gerichtet war; denn daß es sich bei der Bundesrepublik Deutschland und bei der Deutschen Demokratischen Republik um zwei voneinander unabhängige Staaten handelt, die ein eigenes Hoheitsgebiet haben, haben Sie, die CDU/CSU, doch im Verkehrsvertrag mitbeschlossen und waren sogar noch stolz darauf.
({1})
Die CDU/CSU ist jedenfalls viel moderner geworden, als die Herren Jaeger und Carstens es glauben.
Wer Verhandlungen über einen derartigen Vertrag wie den vorliegenden zu führen hat, unterliegt in besonderem Umfang der Gefahr der Subjektivität.
({2})
- Stimmt, ja. Ich sage es ja selbst. Ich darf dennoch versuchen, aus der Kenntnis der Verhandlungen einige Bemerkungen zu machen.
Die ursprüngliche Forderung der DDR nach völkerrechtlicher Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland als Voraussetzung jeder Verhandlung überhaupt ließ sich nicht aufrechterhalten. Erfurt und Kassel hatten stattgefunden, die Bundesregierung hatte in den Absichtserklärungen zum Moskauer Vertrag ihre Position gegenüber der DDR klar abgesteckt. Die Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland ist denn auch in den Verhandlungen über den Grundlagenvertrag nicht mehr gestellt worden.
Hier wurde die exzeptionelle Situation deutlich, wenn man so will: die Unvergleichbarkeit, in der gerade diese beiden Staaten ihre Beziehungen zu regeln hatten. Zwischen allen Staaten der Welt, auch solchen verschiedener Gesellschaftssysteme, ist dies einfach, kurz und klar zu machen. Man erkennt sich an und tauscht Botschafter aus. Damit sind die Beziehungen etabliert. Exakt dies war hier nicht möglich. Die Repräsentanten beider deutscher Staaten waren ehrlich genug, in einem verhältnismäßig umfangreichen Vertragswerk, schon insoweit unvergleichbar mit anderen Verträgen im internationalen Leben, nicht etwa von der Herstellung normaler Beziehungen zu reden. Sie haben die Grundlagen vereinbart, auf denen sich ihre Beziehungen mit dem Ziel der Normalität entwickeln sollen. Bei der besonderen Lage der beiden Staaten und ihrer Vergangenheit war es eben erforderlich, das Außergewöhnliche ihres Verhältnisses festzuhalten, um danach ihre Beziehungen entwickeln zu können, wie es zwischen Staaten üblich ist.
Es handelt sich um die einzigen beiden Staaten der Welt, die sich als deutsch bezeichnen, die es nötig gefunden haben, sich an die Geschichte zu erinnern, die eine Gegebenheit für beide ist. Es gibt die nationale Frage für beide. Sie gehört zu den historischen Gegebenheiten. Und dennoch sind die Meinungsverschiedenheiten über die Nation wie über die Fragen des Gesellschaftssystems tief und bleiben es auch nach diesem Vertrag.
Es gehört zu den Widersprüchlichkeiten unserer Zeit, daß Ost und West Gegensätze haben und behalten und dennoch ihre Zusammenarbeit zu organisieren versuchen, letztlich allein aus der Einsicht, daß Gewalt zur Lösung von Streitfragen ausscheiden muß. Dies gebieten Vernunft und Wille zum Überlegen.
Die Frage ist, ob dieses Prinzip auch auf zwei Staaten einer gespaltenen Nation anzuwenden ist. Die Antwort der Bundesregierung lautet: Ja, obwohl es gerade hier am schwersten ist und obwohl die Bewährungsprobe hier schwieriger sein wird als anderswo. Was für Ost und West im allgemeinen gilt, gilt auch für unsere Nation: der Friede rangiert höher.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Darf ich diesen Gedankengang zu Ende führen?
({0})
Die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Achtung der territorialen Integrität der Staaten gehören dann eben unabweislich dazu, wenn man einen Beitrag zur Entspannung und Sicherheit in Europa leisten will. - Bitte sehr!
Herr Bundesminister, stimmen Sie mir zu, daß bereits Bundeskanzler Kiesinger in seinem Brief an Stoph im Juni 1967 der Regierung in Ost-Berin Verhandlungen über Gewaltverzicht zwischen den beiden Teilen Deutschlands angeboten hat?
Es wäre töricht, wenn man eine Tatsache leugnen wollte.
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- Eben! - Ich darf nur darauf hinweisen, daß das Angebot dadurch nicht zustande kam, daß man sich weigerte, dem Vorsitzenden des Ministerrats die drei Buchstaben anzuhängen: „der DDR". Dies ist exakt der Punkt, an dem die Sache gescheitert ist.
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Die politischen Grundsatzfragen in der Präambel haben mit die größten Anstrengungen erfordert. Dabei zeigte sich auch, daß die DDR, ein Staat, desBundesminister Bahr
sen Existenz wir lange bestritten haben, einen besonders großen Wert auf die Anerkennung seiner Gleichberechtigung als Vertragspartner legte. Dies war erstaunlich und verständlich zu gleicher Zeit; denn die Gleichberechtigung ist Grundlage jedes Vertrages zwischen Staaten, sofern es sich nicht um ein Diktat handelt, und diktieren konnten wir nicht.
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Die Gleichberechtigung zum tragenden Prinzip für das Verhältnis beider Staaten zu machen, ist etwas, was es wohl allein zwischen diesen beiden deutschen Staaten gibt.
Wir mußten es jedenfalls ablehnen, das Prinzip der friedlichen Koexistenz, wie es zwischen allen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung gilt - wenn man sich z. B. an die Erklärung des amerikanischen Präsidenten und des Generalsekretärs der KPdSU halten will -, zur alleinigen Grundage der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu machen.
Es handelt sich um die einzigen beiden Staaten, die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte, d. h. von vier anderen Staaten, zu respektieren haben und dies auch, soweit es die DDR angeht, zum erstenmal bestätigt haben.
An dieser Stelle möchte ich eine Bemerkung zum Komplex Berlin machen, der hier angesprochen worden ist. Das Abkommen der Vier Mächte hatte die Frage der Einbeziehung Berlins in Vereinbarungen zwischen den beiden deutschen Staaten nicht geregelt. Dementsprechend sagte auch das Transitabkommen nichts zu diesen Fragen aus. Erst im Verkehrsvertrag, der eine sehr breite Zustimmung gefunden hat, ist unter erheblichen Schwierigkeiten schließlich eine befriedigende Regelung erzielt worden. Die DDR nahm allerdings den Standpunkt ein, sie habe sich damit in keiner Weise für die Zukunft gebunden, während die Bundesregierung den Regelungen des Verkehrsvertrages Modellcharakter zumaß. Es bedurfte großer Anstrengungen in den Verhandlungen über den Grundvertrag, um die DDR von der Notwendigkeit einer grundsätzlichen Entscheidung zu überzeugen. Daß diese schließlich auf der Basis des Viermächteabkommens erreicht wurde, war ein Erfolg, der für die Zukunft prinzipielle Bedeutung hat. Im Viermächteabkommen ist auf die Notwendigkeit einer Vereinbarung in jedem einzelnen Falle abgestellt. Die Bundesregierung wollte und konnte den Wortlaut des Viermächteabkommens in ihrem Vertrag mit der DDR nicht ändern. Sie wird aber entsprechend der prinzipiellen Einigung Abkommen, die ihrer Natur nach auf Berlin übertragbar sind, nur unter dieser Voraussetzung mit der DDR schließen.
In einem Punkt, und zwar dem wichtigsten überhaupt, war die entsprechende Vereinbarung unmittelbar zu schließen, nämlich für unsere ständige Vertretung, die die Interessen West-Berlins wahrnehmen wird. Dies ist geschehen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat die gefundenen Regelungen als optimal bezeichnet.
Bei der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik handelt es sich um
die einzigen beiden Staaten, die zwei verschiedenen Organisationen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit angehören und die dennoch ein besonderes System des Handels untereinander haben. Die DDR hatte nicht die Absicht, diese Vereinbarungen in dem Vertrag zu fixieren. Wir hatten darauf hinzuweisen, daß bei der Regelung der Grundlagen unserer Beziehungen ein so wichtiges Gebiet wie das des Handels nicht fehlen dürfe. Die Bundesregierung hatte den begründeten Eindruck, daß es der letztmögliche Zeitpunkt war, an dem mit der Vereinbarung der beiden Staaten Struktur und Sondercharakter ihrer Handelsbeziehungen entsprechend dem Römischen Protokoll zeitlich unbegrenzt festgeschrieben w erden konnten.
Die Bundesregierung hat auch nicht die Absicht, daran etwas zu ändern oder ändern zu lassen, da es sich um ein nationales Interesse besonderer Bedeutung handelt.
Andererseits möchte ich nicht verschweigen, daß es nicht gelungen ist, auch nur jene Vereinbarungen auf kulturellem Gebiet zu erzielen, wie wir sie etwa mit der Volksrepublik Polen erreicht haben. Der Versuch, sich die Schulbücher anzusehen, um über die Geschichte, ich weiß nicht, bis zu welchem Zeitpunkt, gemeinsam tolerierbare Auffassungen zu finden, die der Jugend vermittelt werden, blieb erfolglos. Die Besonderheit der Lage in Deutschland führte hier zu einer Haltung der DDR - eben anders als alle anderen Staaten -, ein derartiges Vorhaben abzulehnen. Wenn man so will, zeigt sich hier die Besonderheit unseres Verhältnisses in der Negation.
Damit sind wir bei einem Punkt, der viel tiefer reicht als jener äußere Ausdruck des nicht Üblichen, des nicht zwischen ausländischen Staaten Üblichen, nämlich daß es keinen Botschafteraustausch gibt, sondern ständige Vertretungen eingerichtet werden.
Die Wurzeln, aus denen beide Staaten stammen und sich entwickelt haben, zu denen sich die Bundesrepublik Deutschland bekennt, werden von dem anderen deutschen Staat sehr ambivalent gesehen. Man würde es drüben ablehnen, wenn jemand der DDR die Eigenschaft des Deutschen absprechen wollte.
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Andererseits wird versucht, das Deutschtum in einen Klassengesichtspunkt zu zwingen. Die bei uns auch heute wieder gehörte Sorge, die DDR werde ihre Art von Alleinvertretung, ihr Ziel eines einheitlichen deutschen Staates, kommunistisch gefärbt, verfolgen, diese Sorge kann man niemandem nehmen. Zunächst einmal ist sie nicht neu. Denn die DDR hat schon immer den Anspruch erhoben, das bessere, demokratischere, modernere Deutschland zu sein. Die ideologische Auseinandersetzung bleibt uns nicht erspart. Interessant ist nur, daß sich in den zurückliegenden Jahren alle Versuche der DDR als untauglich erwiesen haben, sich von der Nation abzuwenden. Auch wenn in diesem Hause die politische Priorität der Europäischen Union nicht umstritten ist, sind wir uns sicher in dem Wunsche
einig, daß es der Nation guttun wird, nicht nur aus der Substanz der Vergangenheit zu leben, sondern ihre Chance aus den Erfahrungen der neuen Begegnungen zu gewinnen.
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Obwohl es also in diesem einen Punkt eine überraschende Übereinstimmung zwischen den Parteien dieses Hauses und den politischen Kräften drüben gibt - darüber nämlich, daß die Wirklichkeit der beiden Staaten entscheidend durch ihren politischen Standpunkt und nicht durch die Nation geprägt wird -, erzeugt eben doch gerade die Tatsache, daß diese beiden Staaten deutsch sind, jenen unverwerchselbaren Charakter unserer Schwierigkeiten, Probleme, Komplexe, Fragen, die nur langsam und allmählich mit Geduld und Toleranz, soweit es um uns geht, behandelt werden können. Denn ob sie jemals lösbar sind, solange es diese beiden Staaten gibt, mag man bezweifeln. Jedenfalls wird die Herstellung eines Einverständnisses in diesen Fragen wohl länger brauchen, als die Kommission benötigen wird, die sich mit den vielen wichtigen kleinen drängenden Problemen entlang der Grenze und ihrer Markierung zu beschäftigen begonnen hat.
Es ist kein Widerspruch dazu, daß es gemeinsame Interessen gibt, etwa das, unsere Sprache zu einer internationalen Konferenzsprache zu machen. Bei den Zusammenkünften zur Vorbereitung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und für eine beiderseitig ausgewogene Truppenreduktion, also in Helsinki und Wien, ist dies bereits praktisch geworden.
Angesichts des Ganges der Verhandlungen und dessen, was während dieser Zeit von Repräsentanten der DDR öffentlich gefordert worden ist, muß darauf verwiesen werden, daß die endgültige Anerkennung der gegenwärtigen Grenzen nicht ausgesprochen wurde und nicht ausgesprochen werden konnte. Die Grenze zwischen beiden Staaten unterliegt dem Gewaltverzicht, wie er zwischen Staaten einzugehen ist. Sie kann nicht für immer anerkannt werden, wenn wir nicht die Forderung auf die Verwirklichung des deutschen Selbstbestimmungsrechts aufgeben wollen.
Die Frage der Nation und die Frage der staatlichen Einheit bleiben bestehen. Sie friedlich zu stellen ist nicht gegen Buchstaben und Sinn eines Vertrages, der Frieden und Entspannung höher-stellt. Aus diesem Grund war jener Brief zu schreiben und von der DDR entgegenzunehmen, wie er analog zum Moskauer Vertrag geschrieben worden ist.
Es gibt im übrigen keine internationalen Vergleichsmöglichkeiten für den Wunsch der DDR zu Beginn der Verhandlungen, unser Recht, insbesondere das über die Staatsbürgerschaft, zu ändern. Das Ergebnis ist, daß der Vertrag Fragen der Staatsbürgerschaft nicht berührt, es also bei unserem Recht bleibt.
Die Lage zwischen diesen beiden Staaten ist tatsächlich so einmalig, daß sie eine große Anzahl von Vereinbarungen erfordert, die dieser Situation Rechnung tragen. Umgekehrt handelt es sich um zwei
Staaten, deren Vereinbarungen völkerrechtlichen Charakter haben müssen, weil es andersartige Vereinbarungen zwischen voneinander unabhängigen Staaten eben nicht gibt. Ihre Vereinbarungen müssen also insofern so normal sein wie die zwischen allen anderen Staaten der Welt auch. Auch hier galt es wieder, die scheinbare Widersprüchlichkeit aufzulösen. Ohne die Besonderheit kommt man nicht zur Normalität, und ohne die Formen des zwischen Staaten üblichen gibt es keine Aussicht für die Erhaltung des Besonderen. So ist das zwischen den beiden deutschen Staaten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Jawohl.
Herr Bun-minister, nur eine Frage zum Verständnis. Ist Ihre Aussage über die Protokollerklärung der Bundesrepublik Deutschland betreffend Staatsangehörigkeitsfragen so zu verstehen, daß es eine Änderung des deutschen Rechtes in dieser Frage nicht gibt und nicht geben wird?
- - und daß wir auch keine Verpflichtung übernommen haben, dieses unser Staatsbürgerrecht zu ändern. Exakt ja.
Das ist etwas anderes. Meine Frage war: Wird es das nicht geben? Es geht nicht darum, ob es eine Verpflichtung gibt, sondern darum, ob Sie hier die Aussage getroffen haben, daß es eine Änderung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts nicht gibt und nicht geben wird.
Ich habe diese Aussage genauso getroffen.
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Die Bundesrepublik Deutschland will auf keinen Fall ihre freiheitliche Ordnung aufgeben. Der Staat drüben will auf keinen Fall sein System aufgeben. Die Einführung von Ideenfreiheit und voller Freizügigkeit ist nicht zu vereinbaren mit dem Charakter eines solchen Staates. Der freie Austausch von Ideen und Menschen würde jedenfalls heute gleichbedeutend mit dem Ende des Systems sein, das es in der DDR gibt. Gerade wer diese Auffassung teilt, kann sich nicht wurdern, daß die DDR den unbegrenzt freien Austausch von Ideen und Menschen nicht zuläßt.
Im übrigen muß ich einen Punkt richtigstellen, den Sie, Herr Dr. Barzel, heute morgen in Ihrer Ansprache genannt haben. Unsere Verbündeten formulieren bei der Beschreibung des gleichen Problems „freer movement", also „freiere Bewegung" und nicht „Bewegungsfreiheit". Die Forderung des Alles
oder Nichts wird nicht zum Verhandlungsziel erhoben.
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- Aber selbstverständlich. Ich habe mich bezogen auf Ihr Abstellen auf die Äußerungen unserer Verbündeten, und sie fordern nicht die Bewegungsfreiheit, sondern freiere Bewegung. Die Auseinandersetzung geht also darum, ob das Erreichte gut oder sicher genug ist.
Sie werden verstehen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung die Bezeichnung „Rinnsal" nicht akzeptieren kann, weil dieser Ausdruck der Bewegung von Zehntausenden und künftig von Millionen Menschen nicht gerecht wird.
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Die Genugtuung, für sehr viele Menschen sehr viel erreicht zu haben, gemessen an dem Zustand vorher, sollten wir ebenso teilen wie die Einstellung, daß sich niemand mit dem Erreichten zufriedengeben darf.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Jawohl.
Herr Minister, da das Wort „Rinnsal" für die Bewegung von Ost nach West galt, möchte ich Sie fragen, ob Sie mit Ihrer jetzigen Aussage klarmachen wollen, daß bereits unmittelbar nach dem Grundvertrag Millionen von Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik kommen können.
Ich bin dankbar für diese Frage. Es wird sich um Millionen im Rahmen des Rentenalters handeln.
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Es wird sich um Zehntausende handeln, die unterhalb des Rentenalters sind, und es wird sich um Millionen handeln, die zusätzlich in Gebiete, die uns bisher verschlossen waren, reisen dürfen.
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Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Ja.
Herr Minister, um es klarzustellen: Heißt das, daß Sie damit rechnen, daß Millionen Menschen aus den Zonengrenzgebieten, aber auf der anderen Seite der Grenze, in die Bundesrepublik kommen können?
Nein. Der sogenannte grenznahe Verkehr wird sich zunächst nur von West nach Ost entwickeln.
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- Aber ich bitte sehr um Entschuldigung, Herr Reddemann! Dann hätte ich erwartet, daß Sie diejenigen Ihrer Kollegen korrigieren, die von „Rinnsal" gesprochen haben, ohne zu unterscheiden, ob das von Ost nach West oder von West nach Ost ist.
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Hier ist außerdem zu unterstreichen, daß das Verständnis für die Schwierigkeiten, die für die DDR auf manchen Gebieten größer sind als für uns, sich auf eine neue Entwicklung einzustellen, uns nicht davon abhalten kann und wird, darauf zu sehen, daß Vereinbarungen in vollem Umfange gehalten und nicht administrativ ausgehöhlt werden.
Beim Abschluß des Verkehrsvertrages hatte die Opposition besonders stark die Herabsetzung des Alters von Besuchern aus der DDR unter das Rentenalter gefordert. Sie stand mit dieser Forderung nicht allein. Dieser Punkt konnte bedauerlicherweise nicht erreicht werden, weil die Bundesregierung dem Personenverkehr im grenznahen Gebiet, besonders in dem Umfang, in dem er vereinbart wurde, eine höhere Priorität gab, zumal es sich dabei wesentlich um Menschen und Gebiete handelt, die unter der Trennung besonders zu leiden haben. Hier gilt im besonderen Maße, daß gerade auf diesem Gebiet des Verkehrs in beide Richtungen die Entwicklung nur Schritt für Schritt vor sich gehen kann, daß sie aber nach Auffassung der beiden Vertragspartner Schritt für Schritt auch über das jetzt Vereinbarte hinausgehen soll.
Es gehört zu den scheinbaren Widersprüchlichkeiten unserer Zeit, unserer Situation, daß ideologische Abgrenzung die Kehrseite zunehmender Begegnung ist. Je mehr Menschen in beiden Richtungen die Möglichkeit von Begegnungen bekommen, desto wichtiger ist es, daß sie dies im Bewußtsein der Tatsache der zwei bestehenden Staaten und der in ihnen geltenden Gesetze tun. Dies gilt in beide Richtungen. Unterwanderung wird hier wie dort abgelehnt. Die Erleichterungen für die Menschen können und, wie ich zuversichtlich hoffe, werden in dem Maße zunehmen, in dem die Illusion abgebaut wird, als könne es eine ideologische Konvergenz in die eine oder andere Richtung geben. Es kann nicht klar genug gesagt werden, daß der Vertrag die Staatsformen nicht ändert, hier nicht und drüben nicht, und daß an die Stelle der bisherigen Feindseligkeit, der Nicht-Beziehungen schwierige Beziehungen treten; das ist der Fortschritt, der uns die Aufgabe stellt, daraus gute Beziehungen zu entwickeln.
Ich habe jenes Wort im Ohr, das im Laufe des heutigen Tages fiel, daß Einheit und Freiheit keine abgegriffenen Vokabeln seien. Sie sind es nicht.
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Aber unsere Freiheit und unsere Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft haben zwischen den Parteien dieses Hauses unbestritten Vorrang vor der Frage der Einheit. Drüben gibt es trotz aller Unterschiedlichkeiten etwas Ähnliches. Man sieht die Zusammengehörigkeit im Warschauer Pakt, im RWG als wichtiger an als die nicht geleugnete Tatsache, daß die DDR ein deutscher Staat ist.
Trotz aller Gegensätze, die niemand verkleinert und verkleinern kann, und nachdem dieses Volk in den zurückliegenden Jahren fast ausschließlich von seinen Gegensätzen gelebt hat und sie mit der ihm eigenen Gründlichkeit bis zur Feindseligkeit hochstilisierte, haben beide Staaten den Wunsch, zum Wohle ihrer Menschen die Voraussetzung für eine Zusammenarbeit zu schaffen. Es gehört zu den Widersprüchlichkeiten hier, daß dies bescheiden und vermessen im gleichen Maße erscheint - vermessen, weil man gerade in den zurückliegenden Wochen sieht, wie ungeheuer schwer das ist und wie falsch es wäre, so zu tun, als ob es morgen reibungslos gehen könnte. Es ist schrecklich zu sehen, aber es ist so: Niemand hier kann ausschließen, daß an der Grenze noch Schüsse fallen, solange die Feindseligkeit anhält.
Dieser Vertrag ist der einzige Weg, den wir zu gehen vermögen, um jene ebenso empörenden wie unwürdigen Ereignisse zu beenden, die unser gemeinsamer berechtigter Protest in den zurückliegenden Jahren nicht aus der Welt zu schaffen vermocht hat. Zum Wohle der Menschen die Zusammenarbeit mit dem Ziel zu organisieren, zu einem Miteinander zu kommen, darin sind sich die Führungen beider Staaten einig. Die Absicht allein könnte ein neues deutsches Wunder genannt werden, wenn nicht der Vollzug im Alltag noch ausstünde.
Herr Dr. Barzel hat erklärt, er könne dem Grundvertrag nicht zustimmen, weil sein Begriff von Volk und Staat und auch sein historisches Empfinden ganz anders seien. Er nahm eine moralische Kategorie hinzu und sagte: Anders als bei der Sowjetunion oder Polen, wo noch etwas in Ordnung zu bringen sei, sei für ein solches Gefühl kein Platz gegenüber der DDR: „Dem Regime schulden wir überhaupt nichts, dem Volk dort alles." Wenn der Grundvertrag aus dieser Gesinnung abgelehnt wird, so ist das zu respektieren, aber es macht die Unterschiedlichkeit der Standpunkte deutlich; denn die konsequente Ablehnung des Regimes könnte dazu führen, daß man dem Volk dort alles schuldig bleibt.
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Die Frage ist zu stellen, ob die Ablehnung des Regimes höhergesetzt wird als die Schuldigkeit dem Volk gegenüber. Hier kann man die moralische Kategorie anders sehen.
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Die Ablehnung eines Regierungssystems darf nicht zur Entschuldigung dafür werden, das Mögliche für die Menschen zu unterlassen.
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Eine andere Regierung zu beschimpfen ist leicht, ganz besonders dann, wenn ich von ihr nichts will.
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Aber wenn sie mein Vertrags- und Gesprächspartner ist und bleibt - unauswechselbar -, so tue ich gut daran, sie so zu behandeln, wie ich von ihr behandelt zu werden wünsche.
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Feindseligkeit abbauen zwischen den beiden Staaten heißt praktisch auch, Feindseligkeiten abbauen zwischen den beiden Regierungen. Und dies ist sehr schwierig bei der fortdauernden Gegnerschaft in grundsätzlichen Fragen.
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- Ich habe nicht die Macht, sie auszuwechseln.
Aber es ist erforderlich, ja, man könnte sagen, es ist eine Schicksalsfrage der Nation, ob es zwischen den beiden deutschen Staaten, ihren Regierungen, ihren Institutionen, zu einem Klima der Zusammenarbeit kommt. Denn nur so ist die mit dem Vertrag eingegangene gemeinsame Verpflichtung einzulösen, etwas zum Wohle der Menschen zu tun.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An einem Punkt der heutigen Aussprache ist nach meinem Verständnis die Differenz in der Beurteilung der deutschlandpolitischen Situation, ihrer Möglichkeiten und ihrer Grenzen, ganz besonders deutlich geworden. Dieser Punkt ist soeben von Herrn Minister Bahr schon einmal kurz angesprochen worden. Ich erwähne ihn noch einmal, weil mir dafür eine Reihe von Gründen zu sprechen scheint.
Unser Kollege Herr Professor Carstens hat gesagt, die deutschlandpolitische Situation sei bis 1969 intakt und klar gewesen. Dazu muß man feststellen - und das ist nun nicht eine Unterstellung, Herr Professor -, daß bei Ihnen mit diesem Satz der unüberhörbare Unterton des Bedauerns verbunden war. Daß das nicht nur eine Unterstellung von mir ist, ergibt sich daraus, daß Sie an anderer Stelle dargelegt haben, die sozialliberale Koalition habe in den ersten sieben Monaten ihres Bestehens einen Teil Ihnen sehr wesentlich erscheinender Verzichte ausgesprochen und dadurch diese Klarheit beseitigt. Ich glaube, es lohnt sich, die These, bis dahin sei deutschlandpolitisch alles klar und intakt gewesen, doch noch einmal etwas genauer zu untersuchen.
Wie war denn die Situation? Ich schildere das nur, weil ich noch einen Schritt weiter gehen möchte, als Herr Minister Bahr es soeben getan hat. Wie war die Situation? Ich will sie nur ganz kurz umreißen. Berlin ({0}), der freie Teil Berlins, war weder vertraglich noch juristisch in seiner Existenz
gesichert. Seine Zugangswege waren dem Zugriff der Regierung der DDR ausgesetzt. Wir alle haben immer wieder erlebt, was das in der Praxis bedeutete. Den Westberlinern war der Zugang nach Ost-Berlin und in die DDR versperrt, ja sogar die Telefonverbindungen für sie waren unterbunden. Die Reisemöglichkeiten aus der Bundesrepublik in die DDR waren minimal. Umgekehrt konnten ohnehin nur Menschen im Rentenalter fahren. Die Kontrollen und Einschränkungen auf den Reise- und Gütertransportwegen waren unvergleichlich schärfer und hindernder, als sie es heute sind. Nur am Rande sei erwähnt, um deutlich zu machen, was dieser Grundvertrag bedeutet: Es gab damals - nach dem Grundvertrag wird es ihn geben - keinen kleinen Grenzverkehr, der übrigens, meine Damen und Herren von der Opposition, in dem Katalog Ihrer Forderungen an keiner Stelle erschienen ist und trotzdem durchgesetzt wurde.
Was mir an der so geschilderten Situation besonders bedenklich erscheint, ist die Tatsache, daß man sie mit der kurzen Bemerkung kennzeichnen kann: Tendenz fallend. Es war nicht etwa so, daß wir in einer Situation waren, in der es besser wurde. Wir befanden uns vielmehr in einer Situation, in der die Mauer undurchdringlicher und die Grenze unübersteigbarer wurde.
Wenn wir heute also sagen, es sei bedauerlich, daß wir die Klarheit, die uns bis 1969 in der deutschlandpolitischen Situation gegeben war, nicht mehr haben, so bedeutet das doch, daß wir ausgesprochen oder unausgesprochen eingestehen, daß wir bereit wären, auf alle diese Verbesserungen zu verzichten, die sich inzwischen bereits vollzogen haben. Ohne daß ich etwa sagen will, der Zustand wäre befriedigend, den wir heute haben, weise ich doch mit allem Nachdruck darauf hin, daß er besser ist, als er 1969 war.
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Hier, so meine ich, zeigt sich der Unterschied zwischen Illusion und Hoffnung, der von der Opposition heute morgen schon einmal angesprochen worden ist, denn hier haben sich bereits Hoffnungen - wenn auch nicht in befriedigendem Maße - erfüllt. Illusionen dagegen haben es eben an sich, daß sie nicht in Erfüllung gehen.
An diesem Punkt sehen Sie den Unterschied. Hier bemerken Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, daß wir von der Regierungskoalition, wie deutlich gezeigt worden ist, uns mit dieser Situation von 1969 nicht abfinden wollten, einer Situation, die nach unserer Meinung und Überzeugung gegen das Grundgesetz und seinen Auftrag auf Wiedervereinigung verstieß. Wir haben den Willen gehabt, Rechtsvorbehalte durch praktische Verbesserungen zu ersetzen.
({2})
Herr Professor Carstens, Sie haben gesagt, in den ersten sieben Monaten habe die Regierung auf sehr wesentliche Gemeinsamkeiten in der Deutschland-und Ostpolitik und auf Unaufgebbares, nicht Wiedergutzumachendes verzichtet. Sie haben sich dabei insbesondere auf den Alleinvertretungsanspruch
und auf die Anerkennung der DDR als zweiten deutschen Staat konzentriert. Es erhebt sich jetzt doch in aller Nüchternheit die Frage, ob diese sogenannten Verzichte die tatsächliche Situation verändert haben. Konnte denn die Bundesrepublik Deutschland damals die deutschen Menschen, die Bürger der DDR, vertreten? War die DDR zu diesem Zeitpunkt ein Staat, oder war sie es nicht?
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Ronneburger, ist Ihnen entgangen, daß ich heute morgen den Akzent meiner Ausführungen darauf gelegt habe, daß die Bundesregierung alle diese Positionen in den ersten sieben Monaten ihrer Regierungstätigkeit ohne jede Gegenleistung preisgegeben hat?
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Nein, Herr Professor, das ist mir nicht entgangen. Ich meine aber, es ist heute in dieser Diskussion nun schon so viel von der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung und von den drängenden Lebensinteressen des deutschen Volkes die Rede gewesen, daß sich das, was Sie über die fehlenden Gegenleistungen gesagt haben, einfach nicht aufrechterhalten läßt.
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- Bitte sehr, Herr Professor!
Herr Kollege Ronneburger, welche Gegenleistungen hat die Bundesregierung in den ersten sieben Monaten ihrer Regierungstätigkeit von der anderen Seite erhalten?
Herr Professor, Sie wissen, daß es sich bei diesen ersten sieben Monaten um jene Zeit gehandelt hat, in der die Verhandlungen über den Moskauer Vertrag stattgefunden haben. Ich meine, wenn Sie diesen Vertrag einmal mit allen seinen Auswirkungen - etwa auf die Frage der Ausgewogenheit eines beiderseitigen Gewaltverzichts - betrachten, so kann, gerade auch angesichts der Tatsache, daß aus den Reihen der Opposition immer wieder die Gefahr an die Wand gemalt wird, die von der Sowjetunion für das freie Europa ausgeht, die Frage der Ausgewogenheit gar nicht aufkommen.
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Meine Damen und Herren, viel wesentlicher erscheint mir aber das zu sein, was sich insgesamt aus dieser Politik ergeben hat. Ist es denn in Deutschland nicht besser geworden, als es damals gewesen ist?
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Zur anderen Frage, die im Bundesrat von seiten der Opposition gestellt worden ist: Ist denn die Lage von heute durch die Verträge, durch die Ostpolitik geschaffen? Allerdings will ich genau zitieren, um keinen Widerspruch hervorzurufen. Es heißt dort: auch durch die Verträge geschaffen. Ich meine, daß man das nicht sagen kann, sondern hier ist die Entschlossenheit sichtbar geworden, aus einer sich immer mehr verhärtenden Situation wieder Bewegung werden zu lassen, Bewegung zwischen den beiden Teilen des deutschen Volkes, und in der deutschen Nation Leben zu schaffen - nicht nach rückwärts gewandt -, zu erhalten und für die Zukunft wieder zu wecken.
Warum man eine solche Bewegung - wie das übrigens im Bundesrat geschehen ist - als einen Machtzuwachs der Sowjetunion oder gar der DDR bezeichnet, ist mir allerdings unverständlich. Daß es sich hier - wie auch Zitate aus dem Bundesrat beweisen - um eine Sicherung der Balance und damit um eine Sicherung der friedlichen Entwicklung gehandelt hat, soll allerdings nicht bestritten werden.
Herr Cartens, an dieser Stelle noch ein Wort zu Ihren abermals geäußerten Befürchtungen in bezug auf die „revolutionären Gruppen allenthalben in der Bundesrepublik". Im Gegensatz zu Herrn Kohl im Bundesrat sind diese Befürchtungen von Ihnen erfreulicherweise nicht mit der Unterstellung verbunden worden, hier handele es sich um eine Wirkung, die möglicherweise auch auf den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen dieses Hohen Hauses beruhe. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß die Opposition in diesem Hause nicht gerne eine Argumentation in die Debatte bringt, die sich auf den 19. November des vorigen Jahres zurückführen läßt. Aber übersehen wir doch nicht - wie immer wir das Wahlergebnis beurteilen mögen -, daß das Wahlergebnis vom 19. November 1972 eine so deutliche Absage des bundesrepublikanischen Bürgers an radikale Gruppen jeder Art gewesen ist, wie wir das noch nie gehabt haben.
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Von daher einen Schluß dahin zu ziehen, die innere Entwicklung der Bundesrepublik könnte mit der Entspannung dem Osten gegenüber in irgendeinem zu Befürchtungen Anlaß gebenden Zusammenhang stehen, scheint mir abwegig zu sein.
Herr Bahr hat soeben auch schon auf den Wettbewerb der Systeme hingewiesen, den wir bei uns in der Auseinandersetzung mit radikalen Gruppen haben. Natürlich, der Wettbewerb der Systeme geht auch zwischen Ost und West weiter. Aber lassen Sie mich auch das in aller Nüchternheit sagen: Unsere Position in diesem Wettbewerb ist gut. Dafür ist nach meiner Meinung deutlicher Beweis die Bemühung der DDR-Regierung um Einschränkung des Kreises derjenigen, die in den Genuß der besseren Besuchsmöglichkeiten kommen sollen, die auf zwei Wegen erfolgt. Sie kennen das: Erweiterung des Kreises der Geheimnisträger und zum anderen die freiwillige Verpflichtung. Ein weiterer Beweis ist auch die Weigerung der Regierung der DDR, die Grenzen in beiden Richtungen voll zu öffnen.
Das deutlich zu nennen, auch den Schießbefehl deutlich Schießbefehl zu nennen, und unsere Bundesregierung immer wieder aufzufordern, für weitere Erleichterungen zu sorgen und für die Einhaltung des Vertrages nach dessen Geist und Buchstaben einzutreten, ist eine Aufgabe, die nicht nur die Fraktion der CDU/CSU vor sich sieht, sondern die auch von den Koalitionsfraktionen in gleicher Weise wahrgenommen wird.
Herr Kollege Jaeger hat gesagt, er wolle keine Pappkameraden verteidigen, die andere aufgebaut haben. Die Opposition hat heute aber mit Sicherheit einen Pappkameraden aufgebaut, nämlich die immer wieder vorgetragene Unterstellung, diese Regierung, diese Koalition sage, die CDU/CSU sei nicht für den Frieden. Wenn Sie die Debatte des heutigen Tages aufmerksam verfolgt haben, werden Sie kein Zitat anführen können, das der CDU/ CSU so etwas unterstellt. Im Gegenteil: Es hat eine Reihe von Rednern gegeben, die ausdrücklich erklärt haben, selbstverständlich streite man der CDU/CSU den Willen zum Frieden nicht ab.
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- Ich darf Ihnen sagen, es hat geheißen, daß diese Politik der Bundesregierung eine Politik für den Frieden sei, aber es hat von offizieller Stelle nicht geheißen, daß die CDU/CSU gegen den Frieden sei.
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Aber lassen Sie mich dazu noch eines anschließen, meine Damen und Herren: So wenig die Koalition für sich in Anspruch nimmt, sie habe das Alleinvertretungsrecht für Frieden, so wenig allerdings sollte auch die Opposition den Versuch unternehmen, hier Einheit und Freiheit für sich zu pachten.
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Wir nehmen das genauso für uns in Anspruch, und ich meine, es wäre für die Interessen des gesamten Hauses und unseres Staates gut, wenn wir diese drei Positionen gemeinsam verteidigten, ohne hier derartige Versuche zu unternehmen.
Und lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch zu Herrn Kollegen Jaeger kurz eines sagen. Herr Kollege Flach hat seinerzeit in der Aussprache über die Regierungserklärung kein Wort gegen die Pflicht zur Verteidigung gesagt, und er hat im übrigen die nationalen und die anderen herangezogenen Dinge legitime Argumente genannt. Er hat allerdings hinzugefügt, daß sie in dem Moment, wo es um Frieden gehe, hinter der christlichen Motivation zurücktreten müßten.
Ich kann mir eine Reihe von anderen Punkte, die Herr Bahr eben in seinen Ausführungen angesprochen hat, sparen. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu dieser Frage sagen, die merkwürdigerweise heute wieder aufgetaucht ist, zur Frage der diplomatischen Anerkennung der DDR. Kann denn dies nicht endlich einmal aus der
Debatte heraus? Ich meine, wir konnten nach der Äußerung von Herrn Kohl im Bundesrat im übrigen annehmen, daß das erledigt sei, denn er hat ja selbst erklärt, daß diese Anerkennung im Vertrag nicht enthalten sei. Aber worauf kommt es denn eigentlich an? Ist es nicht viel wichtiger, die deutsche Frage offenzuhalten und friedensvertragliche Regelungen nicht vorwegzunehmen? Und diese Position der Bundesregierung entspricht einer Willenserklärung der Koalition, z. B. ständige Vertreter auszutauschen und nicht Botschafter und das Gebiet der DDR unsererseits - und entsprechend umgekehrt - nicht als Ausland zu betrachten.
Hier liegt die Frage nach den zwei Voraussetzungen für die Wiedervereinigung. Ich meine, wir sollten uns darüber im klaren sein, daß eines Tages, wenn das Tor zur Wiedervereinigung offen sein sollte, die entscheidende Frage die sein wird, ob sich die deutschen Menschen in Ost und West für diese Wiedervereinigung aussprechen werden und ob sie dafür mit allem Nachdruck eintreten werden.
Es ist allerdings unsere Aufgabe, nun diese zweite von Herrn Professor Carstens genannte Voraussetzung zu schaffen: daß nämlich in der Welt deutlich bleibt, daß das unser gemeinsames Ziel ist. Und daß die Welt diese Politik und diesen Grundvertrag nicht nur, wie von der Opposition dargestellt, als eine Anerkennung der Teilung ansieht, möchte ich mit einem Zitat aus der Fernsehsendung „Pro und Contra", die sich mit dieser Frage des Grundvertrages beschäftigte, belegen. Und wenn hier schon
i Henri Nannen als Kronzeuge der Opposition auftaucht, was immerhin etwas verblüffend wirkt, dann sei mir gestattet, Herrn Professor Grosser aus Paris zu zitieren. Er hat in dieser Sendung auf die Frage „Wie sehen Sie und die Freunde, mit denen Sie zusammenkommen, nun das Verhältnis der beiden deutschen Staaten?" geantwortet:
Das ist das Merkwürdige, und das sieht man in Frankreich, in England und vielleicht auch in Amerika, daß neue Ängste auftauchen, die genau das Gegenteil sind von dem, was Herr Walden vorhin gesagt hat. In Frankreich
- so heißt es hier wörtlich wird immer lauter: Sind wir nicht am Beginn einer neuen deutschen Wiedervereinigung? Ist nicht der Vertrag der Beweis, daß in Wirklichkeit jetzt die deutsche Wiedervereinigung wieder begonnen hat?
Ich zitiere das hier nicht, weil ich das für eine sichere und unwiderlegbare Aussage hielte, genauso wie Sie vorsichtig sein sollten mit der Unterstellung von Herrn Nannen, der Moskauer und besonders der Warschauer Vertrag seien Grenzverträge gewesen.
Ich meine, in diesem Vertrag und in den Möglichkeiten, die er eröffnet, liegt allerdings eine Verpflichtung für uns, und diese Verpflichtung möchte ich mit einem letzten Zitat aus dem Informationsblatt des Bundes der Mitteldeutschen belegen, der sicherlich nicht in dem Verdacht steht, unbedingt regierungsfreundlich zu sein. Dieser Bund der Mitteldeutschen hat zur Frage des Grundvertrags einen
Katalog von Forderungen aufgestellt. Ich zitiere die ersten drei:
1. Die Deutschen sind nach wie vor eine Nation. Die deutsche Nation ist noch existent und lebendige Wirklichkeit.
2. Die Deutschen, insbesondere die Bürger der Bundesrepublik, sind jetzt aufgerufen, diese Einheit der Nation vor aller Welt sichtbar zu machen.
3. Das Abenteuer unserer Zeit heißt, Deutschland wieder zu entdecken. Wir Mitteldeutschen müssen unsere alte Heimat wieder besuchen. Die Westdeutschen haben die Möglichkeit, zum erstenmal Mitteldeutschland kennenzulernen. Sie sollen aufgefordert werden, davon Gebrauch zu machen.
Das, meine Damen und Herren, halte ich für das Entscheidende an diesem Vertrag: seine Möglichkeiten und allerdings die Aufforderung an jeden in der Bundesrepublik, von diesen Möglichkeiten in dem angegebenen Sinne Gebrauch zu machen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mertes ({0}). Für ihn ist eine Redezeit von 35 Minuten beantragt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Präsidentin des 7. Deutschen Bundestages hat aus Anlaß ihrer Amtsübernahme am 13. Dezember 1972 vor diesem Hohen Hause erklärt:
Der Rolle der Opposition kommt eine entscheidende Bedeutung zu; denn sie trägt durch ihre prinzipielle Gegenposition zur Regierungspolitik zu jener Transparenz der politischen Verhältnisse und Verdeutlichung der politischen Alternativen bei, auf die der Bürger einen berechtigten Anspruch hat und die ihm erst die Entscheidung ermöglichen.
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In der Tat, eine Regierung hat jedes Land der Welt, eine Opposition in Ihrem Sinne, Frau Präsidentin, haben nur die Länder, in denen das Recht und die Freiheit herrschen.
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Also war und ist die Opposition das Zeichen der Herrschaft, des Rechtes und der Freiheit im westlichen Teil Deutschlands.
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Diese ihre Bedeutung verleiht der Opposition nicht nur Rechte; sie erlegt ihr auch wesentliche Pflichten auf. Die Erfüllung dieser Pflichten wird dadurch noch schwerer, daß in unserem Lande eine „prinzipielle Gegenposition zur Regierung" - Zitat der Frau Präsidentin - allzuoft als Neinsagerei - ich erinnere mich an Zwischenrufe aus den Reihen der SPD von heute morgen - oder als Nörgelei
Dr. Mertes ({3})
oder als fehlender Gemeinschaftssinn mißverstanden wird.
Zwar äußert sich die kritische Rolle der Opposition in weiten Bereichen der Gesetzgebung sozusagen greifbar positiv. Aber, meine Damen und Herren, es gibt Situationen, in denen die Opposition wirklich opponieren, d. h. sich dagegenstellen muß. Zum Beispiel dann, wenn die Regierung behauptet, sie habe in großen nationalen Fragen gegenüber einer in diesem Hohen Hause 20 Jahre gemeinsam getragenen Politik eine bessere Alternative, ja, wie Herr Minister Bahr soeben wieder erkennen ließ, die bessere Alternative schlechthin zu der bisherigen Politik; und wenn demgegenüber die Opposition meint, der Weg der Regierung sei sachlich falsch oder mit zu schweren Risiken belastet. Mit anderen Worten: wenn die Regierung behauptet, sie führe uns vom Regen in den Sonnenschein, während die Opposition mit guten Gründen sagt, die Regierung führe uns vom Regen in die Traufe. Die Bundesregierung trägt ihrerseits in der Deutschland- und Ostpolitik die volle Beweislast für eine bessere Alternative, nicht die Opposition.
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Die Bundesregierung selbst leugnet im übrigen nicht, daß auf ihrer Ost- und Deutschlandpolitik durchaus ernsthafte Risiken lasten. Sie rechtfertigt ihre Risikobereitschaft mit wachsender Entspannung und stabilerem Frieden, ohne jedoch zu sagen, meine Damen und Herren, welches die verbindlichen, die konkreten Maßstäbe dieser Entspannung und dieses sicheren Friedens sein werden.
Niemand in diesem Hohen Hause kann beweisen, ob Zukunftserwartungen solcher Art tatsächlich eintreten und fairerweise möchte ich hinzufügen: auch das Gegenteil kann nicht zwingend bewiesen werden. Aber es gibt sehr gute, sehr handfeste Argumente für unsere Befürchtung, daß auf die Dauer eine gegenteilige Situation, eine gegenteilige Wirkung eintritt: nämlich die Festschreibung der Ursachen der bisherigen Spannung, insbesondere der widernatürlichen Spaltung Deutschlands, die Schaffung zusätzlicher Spannungsursachen durch mehrdeutige Verträge und damit das Gegenteil der Friedensstärkung.
Ich möchte hier den Begriff „nationale Frage" herausgreifen. Die Regierung betont, daß hier ein Dissens offen ausgesprochen wird. Dazu muß ich sagen: In diesem Vertrag gibt es sehr viele Dissense; aber sie sind durch den Schein der Worte verdeckt. Was die „nationale Frage" angeht, so möchte ich im übrigen daran erinnern, daß dies ein Begriff aus den Lehrbüchern des Kommunismus ist. Schon Lenin hat einen berühmt gewordenen Aufsatz „Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage" geschrieben, Stalin hat darüber geschrieben; es ist daher keineswegs sicher, daß der Ostberliner Partner, wenn er von der „nationalen Frage" spricht, damit die Deutschlandfrage in dem Sinne meint, in dem wir hier davon sprechen.
Herr Kollege Flach er ist leider nicht da - hat
uns, die Christlichen Demokraten, allen Ernstes
eines Mangels an Friedens- und Versöhnungsethos
angeklagt. Kann er sich wirklich nicht vorstellen, daß verantwortungsvolle Frauen und Männer in diesem Hause, die sich mit leidenschaftlichem Engagement für Völkerverständigung und Abbau des Nationalismus eingesetzt oder die sich in langen Jahren von Amts wegen mit Fragen der praktischen Friedenssicherung befaßt haben, nach bestem Wissen und Gewissen zu dem Ergebnis kommen, diese Politik, diese konkrete Politik, schaffe schwerwiegende Elemente der Gefährdung des Gleichgewichts in Europa und damit des Friedens; und zwar nicht deswegen, weil sie ideologisch verblendet sind, sondern weil sie die Kräfteverhältnisse und die politischen Willensbewegungen unserer Zeit anders sehen als Sie, meine Herren von der Koalition.
In solcher Ungewißheit muß eigentlich jeder, dem an demokratischer Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland und an der inneren Einheit unseres deutschen Nationalbewußtseins mit Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und europäischer Tradition gelegen ist, ein Interesse daran haben, daß die Kritik an den Gefahren der Regierungspolitik in nüchterner und eindeutiger Weise von der parlamentarischen Opposition geäußert wird,
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und zwar, wenn es der Gegenstand erfordert, auch mit Leidenschaft. In solchen Fällen kann die staatspolitische Gemeinsamkeit durchaus die Form eines sehr tiefgreifenden Sachstreits haben, in dem jeder für die Durchsetzung seines Standpunktes kämpft. Ein solcher Fall liegt beim Grundvertrag vor.
Für unser Nein sind auch außenpolitische Zusammenhänge und Wirkungen des Grundvertrags, zu denen ich jetzt Stellung nehmen will, maßgebend. Zwar ist dieser Vertrag - so versichert uns die Bundesregierung - ein innerdeutsches Vertragswerk, eine Modus-vivendi-Regelung, also eine Übergangsregelung zwischen den beiden Teilstaaten in Deutschland, das nach dem Willen unseres Volkes, aber auch als Gegenstand der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte trotz aller Spaltung von außen ein Ganzes ist und bleibt, so wie unsere Nationalhymne das Deutschlandlied ist, in dem wir Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland als das Ziel unseres Strebens bezeichnen,
({6})
so wie für mich, Herr Kollege Wehner, Ihre Partei, die aus der Geschichte unseres Volkes als eine große Partei nicht wegzudenken ist, nicht nur historisch, sondern auch programmatisch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und nicht die „SPBRD" ist.
Dem innerdeutschen Charakter tragen wir also Rechnung; übrigens auch dadurch, daß wir damit einverstanden sind, den Grundvertrag im Auswärtigen Ausschuß nicht zu behandeln. Denn auch wir wollen der leider gegenteiligen Auffassung Ost-Berlins, nämlich wir seien Ausland, sogar imperialistisches Ausland, keinesfalls Wasser auf die Mühle geben.
Gestatten Sie mir hier einen Hinweis. Ost-Berlin wertet die Formel „beide Staaten in Deutschland" neuerdings als eine „neorevanchistische These". Demgemäß ist also, Herr Bundesminister Bahr, die
Dr. Mertes ({7})
I Bundesregierung bereits neorevanchistisch. Denn sie eröffnet den Gesetzentwurf zum Grundvertrag mit dem Satz:
Dieser Vertrag hat das Ziel, über das organisierte Nebeneinander der beiden Staaten in
Deutschland zu einem Miteinander zu kommen.
Und damit nur ja kein Zweifel darüber besteht, was das Wort „Miteinander" nicht heißen darf, kritisiert das Zentralorgan der SED, das „Neue Deutschland", den innerdeutschen Teil Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler; vor allem, daß die Bundesregierung unter Miteinander offenbar die Verwirklichung der dem Frieden widersprechenden Parole von freier Bewegung von Personen, Informationen und Ideen versteht.
({8})
Meine Damen und Herren, machen wir uns also darauf gefaßt: Schon diese Bundesregierung wird, wenn sie ihrer jetzigen Auslegung des Grundvertrages und der Entspannungskonzeption unseres Bündnisses wirklich treu bleibt, in Zukunft des Neorevanchismus angeklagt werden.
Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß in unserem Lande bald einige Kluge auftreten werden, die dafür eintreten, daß wir uns dieser neuen Buhmannfunktion des Neorevanchismus aus nationalem Interesse schnellstens entledigen, indem wir der OstBerliner Regierung zusätzliche Beweise unseres guten Willens liefern. Die monumentalen Beweise guten Willens in den Jahren 1969 bis 1972 werden
) dann recht bald Schnee von gestern sein. Hier sind doch seit dem 28. Oktober 1969 diplomatische, ich möchte sagen: Erpressungsmechanismen in Gang gesetzt worden, von denen ich gern wüßte, wann sie eigentlich enden.
Im übrigen sagt Ost-Berlin schon jetzt, damit nur ja kein Zweifel über die Selbstverständlichkeit der bisherigen Leistungen entsteht: „Willy Brandt hat nichts anderes getan als die Realitäten anerkannt, und man kann sogar sagen, daß die Evolution der Situation ihn dazu gezwungen hat." Nicht einmal einen Hauch von Dankbarkeit ernten Sie, Herr Bundeskanzler.
Neben der schwerwiegenden, ja, entscheidenden Frage, ob dieser Vertrag unseren außenpolitischen Handlungsspielraum ausweitet oder einengt, auf die ich jetzt nicht näher eingehen werde, gibt es drei konkrete Anlässe, den Grundvertrag auf seine außenpolitischen Wirkungen zu überprüfen. Ich lasse dabei wichtige Fragen der praktischen Politik beiseite, etwa, wie unsere amtlichen Vertretungen im Ausland, wie die Goethe-Institute, vor allen Dingen in der Dritten Welt, in Zukunft darauf reagieren werden, wenn sich die amtlichen Vertretungen und Kulturinstitute der DDR als die Vertreter des wahren Deutschlands ausgeben werden, eines Deutschlands, das die humanistischen Traditionen Deutschlands in den Sozialismus übergeführt habe. Hier kommen schwerwiegende Personal- und Sachfragen auf unsere auswärtigen Vertretungen zu, die wir in keiner Weise unterschätzen sollten. Es wäre interessant, einmal hier im Parlament zu erfahren, was dafür an Vorbereitungen geleistet wird.
Drei konkrete Gründe sehe ich, die es nahelegen, den Grundvertrag auch außenpolitisch anzuleuchten. Erstens, die mit dem Vertrag verbundene Konsultationsvereinbarung zu Fragen, „die für die Sicherung des Friedens in Europa von Bedeutung sind" ; zweitens die deutsch-sowjetischen Absichtserklärungen von 1970, die praktisch einer Vorvereinbarung zwischen Bonn und Moskau über den Vertrag zwischen Bonn und Ost-Berlin gleichkommen; drittens die Wirkungen des innerdeutschen Gegeneinander, Nebeneinander und Miteinander in der UNO, wenn beide deutsche Teilstaaten einmal ihre Mitglieder sein sollten.
Meine Damen und Herren, zunächst einige Bemerkungen zum Thema „Konsultationsvereinbarung", das auch im Licht der Präambel und des Art. 3 des Grundvertrages gesehen werden muß, in dem sich beide Partner verpflichten - ich zitiere -, „friedliche Beziehungen zwischen den europäischen Staaten ({9}) fördern und zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bei({10})tragen". Ich fürchte, hier sind mit sehr allgemeinen Worten, die im Westen gut klingen, denen aber Ost-Berlin sehr konkrete Inhalte zugrunde legt, die uns allen in diesem Hohen Hause nicht passen können, Fundamente für manchen künftigen schweren Streit und manche Spannung gelegt worden.
Ost-Berlin qualifiziert z. B. den britischen EWG-Beitritt als eine „weitere Bedrohung der europäischen Sicherheit". Werden wir in Zukunft die weiteren Stufen der politischen Einigung Europas jeweils mit der DDR konsultieren müssen, weil dies zum Themenkreis des Artikels 5 des Grundvertrages, nämlich Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, gehört?
Was heißt es eigentlich, wenn Ost-Berlin am 9. Februar 1973 verkündet: „Unter Berücksichtigung des Primats der Politik wird ein echtes Wechselverhältnis spürbar zwischen friedlicher Koexistenz und europäischer Zusammenarbeit" ? Das ist doch wohl jener Koexistenzbegriff, der unter den Bedingungen des Nicht-Krieges in offensiver Weise - ich unterstreiche: in offensiver Weise - das europäische Kräfteverhältnis langsam, aber stetig und mit ideo- logischer Siegesgewißheit zugunsten der kommunistischen Staatengruppe verändern will.
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Immer noch gilt dem Vertragspartner und der hinter ihm stehenden Sowjetunion die NATO, gilt unsere Zugehörigkeit zum westlichen Verteidigungsbündnis als Faktoren, die den Interessen des Friedens nicht dienen. Nach den politischen Kriterien der Kampfgemeinschaft des Warschauer Paktes - der Ausdruck steht fast täglich im „Neuen Deutschland" - ist dies sogar konsequent. Welches sind die Kriterien, die Sie der Gegenseite mit gleicher Zähigkeit und mit gleicher Klarheit entgegensetzen? Ein sehr namhafter und kenntnisreicher Journalist, den ich für sehr vertrauenswürdig halte, Günther Gillessen von der FAZ, weiß neulich in der FAZ zu berichten: „Der europäischen Entspannung stünden, so meinte Bahr weiter, einstweilen noch drei große Hindernisse im Wege: die Militärbündnisse, die ,Gesellschaftsfrage' und die ,Machtfrage'. Über die Mili606
Dr. Mertes ({12})
tärbündnisse könne man vielleicht in ein paar Jahren verhandeln."
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Dazu fragt Herr Gillessen - und ich habe das ernst genommen, deshalb sage ich es hier -: „Wie die deutsche Entspannungspolitik weitergehen soll, als weitere Anpassung oder als Ringen um Freiheit, das wird sich nun an den nächsten Schritten Bonns zeigen. Es wird höchste Zeit, im Parlament ein paar gründliche Fragen zu stellen." Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Aufforderung eines verantwortungsbewußten Beobachtern stelle ich heute diese Frage.
Auch die Bundesregierung betont immer wieder, daß unser Volk hüben und drüben in gegensätzlichen politischen Ordnungen lebt. Es fällt aber auf, wie sehr sie es vermeidet, die offensiven Elemente der anderen Seite zu erwähnen, die diese übrigens nicht verheimlicht - im Gegenteil! Hier ist eben von gegenseitiger Feindseligkeit gesprochen worden. Wenn ich täglich das „Neue Deutschland" lese, so stelle ich fest, daß der Gedanke und die Praxis der Feindseligkeit eine ausgesprochen einseitige Angelegenheit ist.
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Von gegenseitiger Feindseligkeit kann hier keine Rede sein.
Im übrigen liegt es in der Natur der Sache, daß sich jeder politische Wille die Mittel sucht, mit denen er sich - ohne Krieg - durchsetzt. Ist es denn auszuschließen, daß für die DDR-Regierung, für die SED und die KPdSU, der Grundvertrag ein Instrument zur Durchsetzung von Zielen ist, die den unseren entgegengesetzt sind? Auf diese Frage lege ich großen Wert, denn der instrumentelle Charakter solcher Verträge für die Politik der anderen Seite wird in der deutschen Öffentlichkeit verhältnismäßig wenig behandelt.
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Es hat wenig Sinn, meine Damen und Herren, diesen schwerwiegenden Fragen mit der Beschwörung der eigenen Entspannungshoffnungen oder dem Vertrauen auf eine ansteckende Kraft des eigenen Friedenswillens zu begegnen. Meine Damen und Herren, eine vertragliche Ansammlung von dissensbelasteten Allgemeinheiten, und sei es die Charta der Vereinten Nationen - Herr Bahr, Sie haben am 26. Oktober im „Flensburger Tageblatt" daran erinnert - ist das Gegenteil einer berechenbaren Außenpolitik.
Bei der außenpolitischen Würdigung des Grundvertrages darf ich weiterhin an einen wichtigen Sachverhalt erinnern, der leider schon vergessen oder geflissentlich übersehen wird. Der politischrechtliche Kern des Grundvertrages ist zwischen Bonn und Moskau, d. h. zwischen dem damaligen Staatssekretär Bahr und Außenminister Gromyko, bereits im Frühjahr 1970 in der Substanz vorweg ausgehandelt worden. Die deutsche Öffentlichkeit
hat damals übrigens monatelang eine andere Variante des neuen politischen Wahrhaftigkeitsbegriffes erlebt, nämlich die wiederholte Versicherung unseres Moskauer Unterhändlers, er führe mit dem sowjetischen Außenminister lediglich einen Meinungsaustausch.
({16})
Der Deutsche Bundestag, die deutsche Öffentlichkeit und die Westmächte erfuhren erst nach dem Vollzug der vollendeten Tatsachen die Wahrheit oder, wenn Sie die Ausdrucksweise des Herrn Bundesminister des Auswärtigen vorziehen, „die zutreffende Bezeichnung der Wirklichkeit".
({17})
Die deutschsowjetische Vorabsprache zum Grundvertrag ergibt sich aus den Leitsätzen 5, 6 und 7 des sogenannten Bahr-Papiers, dessen erste vier Leitsätze praktisch den Moskauer Vertrag vorwegnahmen. Vergleichen Sie die Texte bitte selbst; es gibt einige Verbesserungen dank der Bemühungen des Bundesministers des Auswärtigen und des Auswärtigen Amtes. Die Leitsätze 5 bis 10 wurden zu Absichtserklärungen, die Moskau und Bonn als bindende Übereinkunft betrachteten, wie sich aus dem Kommuniqué von Oreanda vom September 1971 ergibt.
Ich tippe darauf, daß die Sowjetregierung die Bundesregierung auf die Durchführung dieser Absichtserklärungen vor dem 19. November 1972 gedrängt hat. Sagen Sie mir es, wenn ich mich irre!
({18})
Wußte die klug beobachtende Sowjetbotschaft doch, daß die Bundesregierung der CDU/CSU-Fraktion und den CDU/CSU-geführten Ländern im Frühjahr 1972 öffentlich versichert hatte, die Absichtserklärungen gehörten nicht zum Ratifizierungsverfahren und bänden eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung nicht. Das politische Interesse der Sowjetregierung an der politisch-rechtlichen Substanz des Grundvertrages und das Wahlkampfinteresse der Bundesregierung an spektakulären, telegenen Verhandlungserfolgen im Bereich der menschlichen Erleichterungen ergänzten sich sozusagen auf das glücklichste - eine unheimliche Konvergenz, muß ich sagen.
Während schon der Moskauer Vertrag die deutsch-polnische Grenzlinie auf eine Stufe mit der innerdeutschen Demarkationslinie anhob und andere gefährliche Mehrdeutigkeiten schuf, deren deutsche Auslegung durch den Brief des Bundesaußenministers an die Sowjetregierung und durch die Entschließung von Bundestag und Bundesrat vom Mai 1972 verbindlich gesichert werden konnte, gehen die Absichtserklärungen 6, 7 und 10 erheblich weiter.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß in diesem Bahr-Papier eine Formulierung gestanden hat - sie kam dann auch in den Moskauer Vertrag -, die die Frage meines Kollegen Professor Carstens zur Nichtberücksichtigung Berlins durchaus rechtfertigt. Ich meine die Formulierung, die
Dr. Mertes ({19})
Bundesrepublik Deutschland erhebe keine Gebietsansprüche gegen irgend jemanden und werde solche auch in Zukunft nicht erheben. Nach sowjetischer Auffassung aber sind nicht nur die friedlichen Ziele unserer Deutschlandpolitik sowie unser Rechtsstandpunkt zur Grenzfrage und zur Wiedervereinigung, sondern auch die Berlin-Präsenz des Bundes Ausdruck eines völkerrechtswidrigen territorialen Anspruchs. Moskau hat Bonn ausdrücklich rechtswidrige Anschläge auf West-Berlin und eine „Linie der Annexion dieser Stadt, die nicht zur BRD gehört", vorgeworfen. Wenn aber der mehrdeutige Begriff „Gebietsansprüche" im Wissen um die sowjetische Auffassung vom deutschen Unterhändler ins Bahr-Papier übernommen wurde, dann mußte geklärt werden, ob ausgeschlossen ist, daß die Sowjetunion darunter auch unsere Rechtsauffassung. zu Berlin fallen läßt.
({20})
Wenn wir jetzt sehen, daß die Regierung der DDR die Frage der Verbindung Berlins mit der Bundesrepublik Deutschland restriktiv interpretiert - ich würde mich nicht einmal wundern, wenn sie in Zukunft fordert, daß die Bezeichnung „Land Berlin" wegfällt -, dann kann ich nur sagen: in der Substanz war und bleibt die Frage von Herrn Professor Carstens durchaus gerechtfertigt.
({21})
Ich komme, meine Damen und Herren, auf die Erklärungen des Bahr-Papiers zurück, die ich als Vorvertrag zum Grundvertrag bezeichnet habe.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung unter Herrn Bundeskanzler Kiesinger im Jahre 1968 in einem Memorandum an den sowjetischen Botschafter einen Bleichlautenden Verzicht auf Territorialforderungen ausgesprochen hat?
Herr Kollege, das ist mir genau bekannt. Aber alles, was unter der Regierung Kiesinger geschehen ist, ist diesseits des Rubikon des 28. Oktober 1969, geschehen; d. h. als unsere Ein-Deutschland-Rechtsposition noch absolut intakt waren. Das ist der große, der entscheidende Unterschied.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die Westmächte den Begriff „Land Berlin" auch noch nie benutzt haben?
Ich spreche hier vom deutschen Recht und von dem, was unsere Praxis bis heute ist.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Mertes, sind Sie mit mir der Auffassung, daß in den uns vorliegenden Dokumenten die regierende Behörde von Berlin - ich muß es mal so ausdrücken - als Senat und als Senat von Berlin bezeichnet ist? Ist Ihnen ferner bekannt, daß in der sogenannten Erklärung der Vier Mächte, die sich angeblich auf die Aufrechterhaltung von Rechten bezüglich Deutschlands bezieht, das Wort „Deutschland" überhaupt nicht vorkommt? Und sind Sie, Herr Kollege, drittens mit mir der Meinung, daß es ein Unterschied ist, ob Alliierte oder Deutsche über dieses Thema reden?
({0})
Herr Kollege, Sie werden nicht überrascht sein, wenn ich Ihre drei Fragen mit Ja beantworte.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Mertes, würden Sie bitte dem Berliner Kollegen Mattick sagen, daß der Begriff „Land Berlin" ein Bestandteil der Verfassung des Landes Berlin ist und daß er deswegen von uns benutzt werden sollte?
Ich nehme an, daß Herr Kollege Mattick das weiß, Herr Reddemann.
({0})
Gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?
Würden Sie so freundlich sein, Ihrem Kollegen Reddemann zu sagen, daß die Regierung in der jetzigen Vorlage den Begriff „Land Berlin" ebenso wieder verwendet?
Über diese Tatsache habe ich mich sehr gefreut, Herr Kollege Mattick.
({0})
Ich sehe nur einen gewissen psychologischen Widerspruch zwischen Ihrer ersten und Ihrer zweiten Frage.
({1})
Meine Damen und Herren, die Absichtserklärungen 6 und 7 müssen in das Protokoll des Parlaments.
Dr. Mertes ({2})
Deshalb lese ich sie vor. Zunächst die Absichtserklärung 6:
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland erklärt
- wohlgemerkt, gegenüber der Sowjetunion ihre Bereitschaft, mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ein Abkommen zu schließen, das die zwischen Staaten übliche gleiche verbindliche Kraft haben wird wie andere Abkommen, die die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik mit dritten Ländern schließen. Demgemäß will sie ihre Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik auf der Grundlage der vollen Gleichberechtigung, der Nichtdiskriminierung, der Achtung der Unabhängigkeit und der Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in Angelegenheiten, die ihre innere Kompetenz in ihren entsprechenden Grenzen betreffen, gestalten.
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland geht davon aus, daß sich auf dieser Grundlage, nach der keiner der beiden Staaten den anderen im Ausland vertreten oder in seinem Namen handeln kann, die Beziehungen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland zu dritten Staaten entwickeln werden.
Die Absichtserklärung 7 lautet:
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken bekunden ihre Bereitschaft, im Zuge der Entspannung in Europa und im Interesse der Verbesserung der Beziehungen zwischen den europäischen Ländern, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Schritte zu unternehmen, die sich aus ihrer entsprechenden Stellung ergeben, um den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Organisation der Vereinten Nationen und zu deren Sonderorganisationen zu fördern.
Dieses schwerwiegende Versprechen, das der deutsche Unterhändler Egon Bahr gegenüber der Sowjetregierung einging, kann gar nicht deutlich genug in unsere Erinnerung gerufen werden. Denn daraus ergibt sich, daß wir im Deutschen Bundestag zwar einen innerdeutschen Vertrag beraten, dessen Kern aber die Bundesregierung zunächst mit einer ausländischen Großmacht vereinbart hat.
({3})
ein besonders drastischer Beweis für das, was die „souveräne Gleichheit aller Staaten" oder die „Achtung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit", von denen im Art. 2 des Grundvertrages die Rede ist, für die verschiedenen Staaten in der konkreten Wirklichkeit bedeutet.
({4})
Um aber nur ja keinen Zweifel über die wahren Machtverhältnisse zu lassen, stellt die erste Absichtserklärung Bahr-Gromyko fest, zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der UdSSR bestehe Einvernehmen darüber, daß das von ihnen zu schließende Abkommen und entsprechende Abkommen mit anderen sozialistischen Ländern, insbesondere die Verträge mit der DDR, der Volksrepublik Polen und der CSSR, ein einheitliches Ganzes bilden.
Was heißt hier, meine Damen und Herren „ein Ganzes"? Doch ganz offensichtlich die politische und rechtliche Geschlossenheit unserer Verträge mit der Sowjetunion und ihren Verbündeten. Das aber wiederum bedeutet - Herr Mattick, ich freue mich über Ihre Aufmerksamkeit -: Auch gegenüber der Sowjetunion bewirkt der Vertrag eine Verpflichtung. In der Rückschau erweist sich die Absprache Bahr-Gromyko als der große umfassende Vorvertrag in der Sache zum Moskauer Vertrag, zum Warschauer Vertrag und zum innerdeutschen Grundvertrag. Meine Damen und Herren, spektakulärer konnte die Bundesregierung die Anerkennung - ob gewollt oder nicht - der sowjetischen Völkerrechtsthese von der begrenzten Souveränität ihrer Verbündeten, die sogenannte Breschnew-Doktrin, nicht vollziehen.
({5})
So schmerzlich mich diese meines Wissens einmalige förmliche westliche Bestätigung des sowjetischen Herrschafts- und Kontrollanspruchs berührt, so kann ich nicht verhehlen, daß die russische Diplomatie hier eine Meisterleistung ersten Ranges zugunsten der sowjetischen Interessen vollbracht hat.
({6})
Die wohl erstaunlichste und mir schwer begreifliche Leistung aber besteht in der Schaffung des Eindrucks in unserer öffentlichen Meinung, diese Leistung sei ein echter Kompromiß, und das gelte insbesondere für die Deutschlandpolitik.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle, meine Damen und Herren, ein Wort zur sowjetischen Deutschland-und Europapolitik; denn der Grundvertrag, seine politisch-rechtlichen Inhalte sowie seine künftige Funktion sind aus diesem außenpolitischen Zusammenhang nicht herauszulösen.
Erstens. Niemand kann der Sowjetunion den Vorwurf machen, sie sage nicht, was sie meine, oder sie meine nicht, was sie sage. Die Sowjetunion macht unmißverständlich klar, wie sie ihre Staats- und Bündnisinteressen, ihre politischen Ziele, ihre Rechtstitel, ihre ideologischen Maßstäbe sieht. Das gleiche gilt für Ost-Berlin, den Partner des Grundvertrages.
Zweitens. Dieser respektablen - ich sage: respektablen - östlichen Eindeutigkeit steht auf westlicher, insbesondere auf westdeutscher Seite, weithin eine Öffentlichkeit gegenüber -
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- Oh, Sie unterschätzen Herrn Jaeger!
Dieser respektablen Eindeutigkeit steht auf westlicher, insbesondere westdeutscher Seite eine ÖffentDr. Mertes ({8})
lichkeit gegenüber, die ihr außenpolitisches Urteil offensichtlich weithin nur noch auf subjektive Friedensgefühle, genährt durch telegene Szenen, gründet, aber nicht in der Lage ist, ja nicht einmal gewillt ist, durch geistige Anstrengung den Kern der Dinge zu erfassen. Hier kann man den Verantwortlichen in Regierung, Rundfunk, Fernsehen und einen großen Teil der Presse einen schweren Vorwurf nicht ersparen: In der deutschen Öffentlichkeit werden die Leistungen Ost-Berlins, die ja außerhalb des eigentlichen Grundvertrages liegen und die rechtlich gesehen samt und sonders widerruflich sind, in einem sachlich irreführenden Maß herausgestellt. Es wird aber nicht genügend in der Öffentlichkeit erläutert, worin die unwiderruflichen Leistungen Bonns bestehen und was eigentlich den Grundvertrag in östlicher Sicht zu einem so großen Sieg und - ich zitiere - zu einer „Voraussetzung des wachsenden Einflusses des sozialistischen Friedenslagers in Europa" macht. Wenn der Herr Bundeskanzler kürzlich hier an unsere Adresse von einem Galopp der Irrationalität gesprochen hat - mein Empfinden ist, daß in der Frage der Friedenssicherung der Galopp der Irrationalität in Deutschland noch nicht aufgehört hat.
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Die Opposition hat in dieser Lage die Pflicht, auf die schwerwiegenden und möglicherweise einmal verhängnisvollen Leistungen hinzuweisen, welche die Bundesregierung erbracht hat, selbst dann, wenn Minister Bahr auch diese Leistungen wieder als Ausdruck, wie er sie versteht, der Wahrheit werten sollte, womit er für mich mein Empfinden unser Übersoll an Leistungen außerdem noch selbst abwerten würde, genauso wie er den deutschen Interessen nach meinem Empfinden einen Bärendienst erwies, als er die Erfüllung der sowjetischen Zwei-Deutschland-Forderung als sprachlichjuristische Wahrheitsliebe, nicht aber als das, was sie in Wirklichkeit war, bezeichnet hat: die folgenschwerste Konzession an die Sowjetunion und Ost-Berlin, und zwar noch ehe die eigentlichen Verhandlungen begannen.
Drittens. Es kann einfach nicht geleugnet werden, daß Sowjetregierung und Ost-Berliner Regierung seit der Bukarester Deklaration von 1966 in eindrucksvoller Beharrlichkeit ihre wesentlichen Forderungen - nach Wortwahl und Inhalt - erhoben haben. Ich bitte Sie, zeigen Sie mir einen wesentlichen Punkt des sowjetischen Forderungskatalogs, der nicht erfüllt wurde! Wie immer Sie dies werten, als Realismus, als Opfer für den Frieden oder als Kapitulation: in der Sache hat der granitene Immobilismus einer durchdachten, zielstrebigen, ihrer eigenen Gefahren und Chancen sehr bewußten Macht obsiegt. Ich kenne keine einzige wesentliche Formel des Bahr-Papiers und des Grundvertrages, die nicht die sowjetische Handschrift trägt. Wir haben die Sprache der anderen Seite übernommen.
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Ich sage nicht: ihre Inhalte; aber wir haben die Sprache dere anderen Seite übernommen, und ich halte dies für eine geistige Niederlage ersten Ranges.
Zwar ist es richtig, daß wir nicht gezwungen sind, die kommunistischen Interpreteationen der Schlüsselbegriffe des Grundvertrages zu übernehmen: Erhaltung des Friedens, Entspannung, Sicherheit, Unverletzlichkeit der Grenzen, nationale Frage. Das Problem besteht nur darin, daß wir es hier mit Vertragspartnern zu tun haben, die in aller Offenheit und tausendfach erläutert haben, welche konkreten Inhalte sie diesen Worten geben, während auf unserer Seite ein merkwürdiger begrifflicher Nebel die Landschaft der politischen Willensbildung kennzeichnet. Die Klarheit des Ostens und die Unklarheit auf unserer Seite schaffen hier ein geistig-moralisches Ungleichgewicht eigener Art, das weder unserer Glaubwürdigkeit, noch unseren Interessen, noch unserem inneren demokratischen Frieden dient, der von klaren Aussagen lebt.
Aber wir sind heute so weit, daß manche bereits die Forderung nach solcher Klarheit als reaktionäre Einstellung und Unbeweglichkeit betrachten. Ich halte für meinen Teil nach allen Erfahrungen der Geschichte die Forderung nach eindeutigen Vertragsinhalten und nach eindeutiger Vertragstreue -beides ist unlösbar miteinander verbunden - für eine elementare Voraussetzung einer guten deutschen Außenpolitik.
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Beim Studium unseres Ost-Vertrags-Systems habe ich oft an den berühmten Dialog zwischen Mephisto und dem Famulus denken müssen.
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Gestatten Sie, daß ich Goethe frei zitiere? Mephisto sagt dem Famulus:
Mit Worten läßt sich trefflich streiten, mit Worten ein Vertragssystem bereiten.
Der Famulus widerspricht:
Doch ein Begriff muß bei dem Wort sein! Und Mephisto sagt empört:
Willst du ein CDU-Mann sein?
Da ich in diesem Fall der Famulus bin, würde ich sagen: ja.
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Meine Damen und Herren, wenn Friedenspolitik hierzulande bedeutet, daß wir uns in die Nebel der mehrdeutigen Sprache begeben, daß doppelbödige Kompromißformeln nicht diplomatische Notlösungen sind - das gibt es natürlich, das weiß ich aus eigener Berufserfahrung -, sondern geradezu zum Prinzip erhoben werden, dann ist das auf die Dauer, ob gewollt oder ungewollt, eine Politik des Scheinfriedens. Wir aber wollen den Frieden der Klarheit, der gegenseitigen Verläßlichkeit und der gegenseitigen Berechenbarkeit, auch im Verhältnis zwischen Ost und West.
Der dritte Punkt, auf den ich jetzt nicht näher eingehen will, ist die außenpolitische Problematik, die sich aus dem Grundvertrag ergibt, wenn wir einmal in der UNO sein sollten. Sie wissen, daß schon 1966 der sowjetische Delegierte ausdrücklich
Dr. Mertes ({14})
erklärt hat, daß auch nach Aufnahme der beiden Staaten in die UNO der Artikel 107 weiter gelte. Es wird zu prüfen sein, ob es überhaupt möglich ist, in der UNO unsere Auffassungen zur Deutschlandfrage zu vertreten; denn sehr lange hat der Osten sein Veto gegen die Behandlung der Deutschlandfrage vor den Vereinten Nationen eingelegt.
Es gibt andere Dinge, die ich hier jetzt nur kurz antippen möchte, beispielsweise die Auffassung der Sowjetunion und der DDR, die bereits dokumentarisch vor den Vereinten Nationen liegt, wonach die DDR die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen erfüllt, weil sie nach Buchstaben und Geist skrupelhaft genau die Demokratisierungsbestimmungen des Postdammer Abkommens erfüllt, während das bei uns noch ausstehe. Hier stellt sich, vererhrter Herr Staatssekretär Moersch, beispielsweise die Frage: Ist geklärt, ob die Bundesregierung auch jetzt noch auf dem Standpunkt steht, daß das Pots-dammer Abkommen trotz des Art. 9 des Grundvertrage für uns eine res inter alios acta, eine Sache ist, die nicht von uns verhandelt und abgeschlossen worden ist und die wir deshalb nicht - auf keinen Fall aber in der Interpretation des Ostens - einzuhalten haben? Sie wissen, welche schwerwiegenden Ansprüche in bezug auf die Mitbestimmungsansprüche der Sowjetunion in den Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland in der Potsdam-Frage stecken.
Meine Damen und Herren, es ist hier von den Voraussetzungen gesprochen worden, unter denen die verschiedenen Seiten ihre Politik betreiben. Lassen Sie mich versuchen, am Schluß ein Wort zu sagen, das uns vielleicht einander näherbringt. Wir gehen letzten Endes von verschiedenen Prämissen, von verschiedenen Voraussetzungen in der Einschätzung der Maßstäbe und der künftigen Politik der Sowjetunion aus. Niemand kann in Zukunftsfragen dem anderen nachweisen, daß er im Unrecht ist. Die bona fides sollte unter uns nicht in Frage gestellt werden. Aber wir sollten uns gegenseitig attestieren - Sie bitte auch der Opposition -, daß man gute Gründe haben kann, die Einschätzung der DDR-Entwicklung und die Einschätzung der Sowjetunion anders zu sehen, als Sie es tun. Wenn wir uns wenigstens dahin verständigen können, daß wir auf beiden Seiten eine verschiedene gedankliche Voraussetzung haben, daß wir die Sowjetunion in ihrer künftigen Entwicklung verschieden einschätzen, daß jeder gute Argumente für seine Hoffnungen oder für seine Befürchtungen hat, dann könnte, so finde ich, das Gespräch über diese Fragen in Zukunft besser gehen, dann könnte in Zukunft vielleicht auch ein Weg gefunden werden, aus dem Vertrag, wenn er durchgeht, zusammen tatsächlich doch noch das Beste herauszuholen. Ich bitte Sie nur, alles das, was ich verantwortungsbewußt an außenpolitischen Sorgen hier geäußert habe, nicht als einen polemischen Beitrag anzusehen, sondern trotz, ja sogar wegen der Deutlichkeit der Sprache als einen Versuch, doch zu einer vertretbaren Gemeinsamkeit im Interesse der deutschen Völker zu kommen.
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Das Wort hat Herr Staatssekretär Moersch.
({0})
- Meine Damen und Herren, damit hier keine Mißverständnisse entstehen: Das Präsidium hat beschlossen, Jungfernreden nicht mehr besonders zu erwähnen.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Präsidium wird aber sicherlich gestatten, daß ich dem Kollegen Dr. Mertes zu seiner Jungfernrede gratuliere,
({0})
gerade weil ich einige kritische Anmerkungen dazu anzubringen habe.
Herr Dr. Mertes, ich möchte hier jetzt nicht ein Gesellschaftsspiel beginnen: unsere so oft schon ausgetauschten Argumente hier einfach noch einmal durch Nennung von Nummern auszutauschen; das wäre für die anderen Kollegen ganz unverständlich. Die Fragen, die Sie hier gestellt haben, haben wir uns schon wiederholt gegenseitig beantwortet.
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- Nein, aber zum Potsdamer Abkommen und vieles andere. Ich kenne Ihre profunde Sachkenntnis. Aber ich glaube auch, daß Sie gelegentlich Argumente dann heranholen, wenn diese in eine bereits vorgefaßte Entscheidung passen, daß Sie also gelegentlich - und gerade eben wieder - eine Reihe von Argumenten nachträglich eingeschoben haben, nachdem Sie schon das Nein gekannt haben.
Sie haben, wenn ich es recht sehe, Goethe zitiert. Ich darf es auch tun:
Man spricht vergebens viel, um zu versagen; der andere hört von allem nur das Nein.
Oder:
Mir wird von alledem so dumm,
als ging' mir ein Mühlrad im Kopf herum.
({2})
Sie haben ein bißchen, Herr Dr. Mertes, glaube ich, die Proportionen durcheinandergebracht. Ich weiß genau, daß Sie unter keinen Umständen die Position eines Vertrags-Partners auf Kosten unseres Staates aufwerten wollen. Aber ich fürchte, Sie sind bei Ihrer Betrachtung der Absichtserklärungen dieser Gefahr nicht ganz entgangen. Wir werden darauf im Verlaufe dieser Debatte noch eingehen. Ich werde mir den Text noch einmal genau ansehen; Sie werden verstehen, daß das Thema zu heikel ist, als daß man das jetzt ex tempore behandeln sollte.
Aber eines möchte ich Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen: Sie haben zwei wesentliche Elemente vergessen. Und die gehören dazu. Das eine ist, daß diese Absichts-Erklärungen abgegeben wurden, weil sie auch in der Wirkung auf das, was wir in Deutschland an Beseitigung von Konfliktstoff erreichen wollten, in unserem Interesse lagen. Das ist das eine.
Ein Zweites. Sie haben vergessen, die Bindung etwa des Moskauer Vertrages an ein befriedigendes Berlin-Abkommen, die wir vorgenommen haben, auch nur zu erwähnen. Das ist, so finde ich, eine entscheidende Lücke in Ihrer Argumentation, die die Argumentation in sich selbst verändert.
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Das Berlin-Thema hat das wissen Sie genau, Herr
Dr. Mertes - in den Absichtserklärungen deswegen nicht gestanden, weil die Vier Mächte - das ist in Zwischenfragen hier schon zum Ausdruck gekommen - eben diesen Berlin-Vorbehalt allesamt haben. Das war also nicht unsere Sache. Es war aber unser politischer Wille, und wir haben diesen politischen Willen durchgesetzt. Wenn Sie diese Erklärungen ohne den Hinweis darauf, daß unser Wille in Berlin zu einem Faktum geworden ist, zitieren, sagen Sie eben nur eine Teilwahrheit und eine Teilwahrheit politisch zu qualifizieren, überlasse ich jedem einzelnen hier im Saal.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Haben Sie mich nicht recht verstanden? Ich habe in meiner Rede gefragt, ob die Absichtserklärungen eine bindende Übereinkunft und damit eine Art Vorvertrag zum Grundvertrag gewesen seien. Zu der Begründung dieser Absichtserklärungen habe ich nichts gesagt. Es bestand keine Veranlassung dazu, und ich weise den Vorwurf der halben Wahrheit in aller Freundlichkeit zurück.
Das zweite, was ich sagen wollte - ({0})
Haben Sie mich nicht recht verstanden, als ich
sagte, daß der Frage von Professor Carstens eine Berechtigung in der Sache nicht abzusprechen sei, denn in den Absichtserklärungen sei von der Nichterhebung von territorialen Forderungen die Rede gewesen und die Sowjetunion habe bis dahin unseren Rechtsanspruch in der Berlin-Frage als das Erheben eines territorialen Anspruch hingestellt?
Herr Dr. Mertes, wir haben ja darüber lange gesprochen. Ich müßte jetzt die Protokolle der Bundesratsberatungen heraussuchen.
Das würde hier sicher zu weit führen. Wir sollten darauf noch einmal in aller Ruhe eingehen.
({0})
- Ich halte den Vorwurf aufrecht, daß man über die Politik im Gesamtzusammenhang hier nicht sprechen kann, wenn man unsere Forderung nach einem befriedigenden Berlin-Abkommen nicht mit erwähnt
({1})
und auch weiß, aus welchem Grund genau dieser Punkt in den Absichtserklärungen nicht angesprochen sein konnte. Herr Dr. Mertes weiß das.
({2})
Das hätte nämlich der Argumentation eine andere Tendenz gegeben, Herr Dr. Mertes. Deswegen sage ich das.
({3})
Doch, das Berlin-Abkommen ist ein entscheidender Punkt in diesem ganzen Geflecht. Es lag in unserem Interesse; es war eine Leistung uns gegenüber. Darüber besteht kein Zweifel. Sie sehen den Ausgangspunkt anders als wir. Sie meinen, man hätte dadurch, daß in der Regierungserklärung am 28. Oktober damals von zwei Staaten in Deutschland die Rede war, eine Verhandlungsmöglichkeit aus der Hand gegeben. Wir meinen demgegenüber
- die Geschichte spricht inzwischen für uns; das möchte ich hier gleich sagen -, daß das die Voraussetzung dafür war, daß man zu einer Modusvivendi-Regelung kommen konnte. Diesen Widerspruch werden Sie hier nicht auflösen. Ich werde im Laufe meiner Darlegungen noch auf einige Punkte zurückkommen.
({4})
- Entschuldigen Sie, ich habe „Teilwahrheit" und nicht „Halbwahrheit" gesagt. Das ist ein Unterschied, ein zwar sehr feiner, aber wichtiger Unterschied.
({5})
Ich könnte auch sagen: Wer halb zitiert, hat ganz gewonnen. Aber das ist dasselbe.
({6})
- Nein, das ist zum Beispiel von Herrn von Guttenberg.
({7})
- Eben! Sehen Sie, Herr Dr. Marx, wenn Sie einen Zweck verfolgen, heiligt der Zweck offensichtlich die Mittel.
({8})
Lassen Sie mich noch ein paar Worte sagen.
({9})
- Herr Reddemann, Sie können sicher zwischen der Welt und der Halbwelt unterscheiden; das ist keine Frage. Wir könnten die Reihe fortsetzen. Diese Darlegungen gelten aber an sich einem anderen Thema.
Ich möchte noch einmal auf Professor Carstens und einige Einlassungen eingehen. Herr Dr. Mertes, wir werden über dieses Thema in der Tat noch oft zu reden haben. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie in dieser betonten Einseitigkeit eine Position dargestellt haben, weil uns das Gelegenheit gibt, vielleicht noch einmal die Frage auszuloten, wie Politik überhaupt gesehen wird und wo die eigentlichen Denkansätze liegen.
({10})
Es könnte sein, daß Ihr Denkansatz schon seit 15 Jahren falsch ist. Dann kann er heute in der Konsequenz nicht richtig sein.
({11})
Das will ich hier mit aller Offenheit sagen. Eine lange Beschäftigung mit einer Materie hindert einen ja nicht daran, von einem falschen Denksatz ausgegangen zu sein. Dann wird es immer sehr schwierig.
({12})
Herr Dr. Jaeger - darauf muß ich ein Wort verwenden - hat ein Wort aufgegriffen, das in diesem Hause besser nicht gefallen wäre. Er hat von der Finnlandisierung gesprochen. Herr Dr. Jaeger, Sie haben hier das Wort von Franz Josef Strauß variiert. Ich finde es bemerkenswert, daß Sie Ihren Vorsitzenden zitieren. Aber es wäre besser gewesen, Sie hätten dieses Zitat - ich sage das ebenso offen - in diesem Zusammenhang unterdrückt, und zwar nicht wegen des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung, sondern weil ich glaube, daß in Finnland - ich habe eine entsprechende Erfahrung bei einem Besuch dort gesammelt - dieser Ausdruck als eine unwürdige und unberechtigte Herabsetzung eines tapferen Volkes empfunden wird. Das sollten wir nicht tun.
({13})
Lassen Sie mich zu einer Bemerkung von Herrn Dr. Barzel ebenfalls noch etwas sagen. Dr. Barzel hat in vorsichtiger Form, aber deutlich genug, wie ich meine - sozusagen angesichts der Bundesregierung und der Regierungskoalition und nicht nur alleine zu Freunden sprechend -, wiederum den Eindruck erweckt, als führe diese Bundesregierung - und habe geführt - irgendeine Politik zur Verschlechterung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses. Solche Behauptungen widersprechen eklatant den Tatsachen.
Im Jahre 1969 war die Bundesrepublik Deutschland, Herr Kollege Kiesinger, in der Tat in der Gefahr, daß die amerikanische Seite eventuell zu einer einseitigen Entscheidung aus ihren Interessen heraus auch in der Frage ihrer Präsenz in Europa hätte kommen können. Diese Gefahr ist durch die Entwicklung unserer Politik beseitigt worden. Unsere eigene Interessenlage, die Interessenlage der europäischen Staaten und die der Vereinigten Staaten ist kongruent. Wir haben deshalb eine erfolgreiche Entwicklung dieser gemeinsamen Politik erreicht. Wäre das so, wie die Opposition der deutschen Öffentlichkeit darlegen möchte, dann wäre weder in dieser Woche die Währungsentscheidung so gefallen, wie sie gefallen ist, ({14})
- Ja, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie können zwar Ihren Gefühlen Ausdruck geben, aber deswegen werden es noch keine Tatsachen, die Sie fühlen.
({15})
Es ist doch völlig unbestritten, daß das so ist. Ich hatte Gelegenheit, das an Ort und Stelle zu prüfen im Gegensatz zu denen, die neuerdings durch Handauflegen politische Erfahrungen machen. Wir haben letzte Woche Erfahrungen und Informationen an Ort und Stelle sammeln können. Ich kann das mit gutem Grund behaupten. Es ist auch völlig unbestritsen - Sie werden das gar nicht wegdiskutieren können -, daß gerade Sie und einige Ihrer Sprecher es noch vor nicht allzu langer Zeit für ziemlich ausgeschlossen angesehen haben, daß man etwa in dieser Form eine westliche Zusammenarbeit vorbereiten könne, auch und gerade mit den USA, wie sie sich jetzt in Helsinki bei der Vorbereitung einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit bewährt und wie sie sich auch in Wien bei dem Vorbereitungsgespräch über MBFR bewährt.
Man sollte sich an Tatsachen halten und nicht so tun, als habe die Opposition irgendeine Art Monopol auf deutsch-amerikanische Zusammenarbeit und deutsch-amerikanische Beziehungen. Das ist eine Sache des ganzen Deutschen Bundestages und der Bundesregierung.
({16})
Ich spreche damit nicht gegen die Opposition, ich spreche nur gegen die Einseitigkeit des Anspruches, der durch Tatsachen nicht gerechtfertigt ist.
Herr Professor Carstens - darauf möchte ich im Zusammenhang noch ein bißchen eingehen - ist heute wohl, wenn ich das als eine Art Zwischenbilanz so sagen darf, als der eigentliche Sprecher der Opposition aufgetreten, oder ich müßte vielleicht sagen: als der Sprecher der eigentlichen Opposition.
({17})
Das war in vieler Weise bemerkenswert. Herr Professor Carstens, man kann sich unter Vernachlässigung vielerlei Aspekte auf eine bestimmte Linie und ein Argument beschränken, man kann den Eindruck der Logik erwecken und gleichwohl die wesentlichen anderen Tatsachen aus dem Auge verlieren. Eine Rede wirkt dadurch viel geschlossener. Das ist das Vorrecht der Opposition.
Aber es ist unsere Pflicht, dann die anderen wirksamen Gewichte ebenfalls sichtbar zu machen. Sie haben am Schluß - das fand ich aufschlußreich - die Frage offengelassen, ob Sie dem Gesetz über den UNO-Beitritt zustimmen wollen. Darüber werden wir sicherlich noch einiges von der Opposition hören. Ich hatte mich offen gestanden darauf verlassen, daß bei einem einstimmigen Votum im Bundesrat und bei einem Verzicht auf eine weitere Diskussion im entsprechenden Ausschuß des Bundesrates, weil ja Konsensus bestehe, - ({18})
- Natürlich, Herr Dr. Marx, wir warten ab. Aber Sie haben das heute morgen selbst eingeführt. Sie werden mir schon erlauben, daß ich darauf hinweise.
({19})
- Das Thema war in den Reden, auch von Herrn Dr. Barzel und auch in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, angeschnitten. Wir wollen doch nicht die Dinge deswegen nicht zusammenbringen, weil Sie das so nicht wünschen, sondern ich will den politischen Zusammenhang herstellen, der wichtig ist für die Beurteilung dessen, was eines Tages zur Abstimmung stehen wird. Sie können über den Grundvertrag nicht sprechen, ohne die Aspekte des UNO-Beitritts zu berücksichtigen. Das ist doch völlig klar. Das war bisher bei Ihnen auch unbestritten. Sie haben zunächst die elegante Wende gefunden, zu sagen: Wir sagen einmal ja und einmal nein, das ist dann nicht eine Enthaltung, obwohl man mathematisch zu dieser Meinung kommen könnte.
({20})
- Herr Dr. Marx, Sie können sagen, es sei Algebra: a + b=c.
({21})
- Ich kann leider Ihre bemerkenswerten Äußerungen akustisch nicht verstehen, Herr Reddemann. Das bedaure ich außerordentlich, denn ich bin sicher, das war eine wertvolle Einlassung.
({22})
Aber, meine Damen und Herren, der enge Zusammenhang zwischen unserem Beitritt zu den Vereinten Nationen und dem Grundvertrag ist doch in dieser Debatte wiederholt angesprochen worden. Ich habe Verständnis dafür, daß es der Opposition offensichtlich schwerfällt, für sich selbst die logische Konsequenz aus dieser Erkenntnis zu ziehen.
Ich möchte aber hier gerade nach den Gesprächen, die ich vor wenigen Tagen mit einer ganzen Gruppe von Botschaftern bei den Vereinten Nationen in New York führen konnte, hinzufügen, daß die Mitglieder der Vereinten Nationen - gleichgültig, ob sie einer Mächtegruppierung angehören, und gleichgültig, welcher -- mit großen Erwartungen der 'Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland als Vollmitglied der Vereinten Nationen entgegensehen. Sie wünschen nämlich, daß ein Staat von der Bedeutung und dem Einfluß der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar an der Willensbildung in der Völkergemeinschaft beteiligt ist. Er soll es sein, damit er seiner Verantwortung sichtbar auch nach außen gerecht werden kann.
Wir haben schon in der Vergangenheit - darauf ist hier von der Bundesregierung wiederholt hingewiesen worden - nicht nur in den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen aktiv mitgearbeitet, sondern haben uns auch wichtige Entscheidungen der Vollversammlung der Vereinten Nationen für die deutsche Politik zu eigen gemacht, obwohl wir dazu formal nicht verpflichtet gewesen wären. Das ist mit großem Respekt auch von denen vermerkt worden, die - und das ist der Natur der Sache gemäß - mit solchen Entscheidungen der UNO nicht in vollem Umfange einverstanden waren.
Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß die deutsche Außenpolitik mit unserem Beitritt zu den Vereinten Nationen in vielen Fragen sich zu Konflikten wird äußern und wird Stellung nehmen müssen, die sie zunächst nicht unmittelbar berühren. Da wir aber wissen, wie in sich selbst verflochten die Weltpolitik und die politische Verantwortung heute sind, gibt es tatsächlich kaum irgendeinen Konflikt in der Welt, der nicht auch unsere Interessen berührte.
Wir können als Mitglieder der Vereinten Nationen mehr als bisher zur Sicherung des Friedens beitragen, und zwar auch durch eine stärkere Einflußnahme und Verantwortung in den Bereichen, die etwa das Nord-Süd-Gefälle und den Ausgleich sozialer Spannungen betreffen, und nicht nur bei den offensichtlichen Fragen der direkten Friedenssicherung wie etwa der Abrüstung.
Ich kann mich im Augenblick auf diese wenigen Hinweise beschränken, möchte aber gleich hinzufügen, daß es sicher eine Verkennung unserer eigenen Möglichkeiten, aber auch der Erwartungen, die an uns gestellt werden, wäre, wenn aus dem hier Gesagten der Schluß gezogen würde, wir, die Bundesrepublik Deutschland, wollten uns mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen gleichsam selbst in den Mittelpunkt des Weltgeschehens rücken. Das wollen wir nicht. Es wäre zudem auch höchst unrealistisch. Ich sage das betont auch deshalb, weil ich aus dem Verlauf der Debatte - nicht zuletzt beim Überdenken einiger Ausführungen des Kollegen Professor Carstens und anderer Sprecher der Opposition - den Eindruck gewonnen habe, den ich gern von der Opposition aufgeklärt wissen oder berichtigt sehen möchte, daß uns nämlich in der Beurteilung des Politischen, vor allem des politisch Möglichen, offensichtlich Erhebliches trennt. Ich sage das ganz ohne Vorwurf, Herr Professor Carstens. Mir liegt lediglich daran, die Ausgangspositionen zu klären, weil sonst ein Dialog in der Tat sinnlos wäre.
Sie, Herr Kollege Carstens, haben mit Blick auf die deutsche Frage und die Erhaltung der deutschen
Nation von dem Willen der Deutschen als einer Voraussetzung und von der Bereitschaft der Welt als einer anderen Voraussetzung gesprochen.
Was die Bereitschaft der Welt betrifft, so müssen sich gerade die Politiker, die lange Jahre die Verantwortung für die deutsche Politik mitgetragen haben, fragen lassen, ob nicht gerade sie selbst diese Bereitschaft der Welt, unsere speziellen deutschen Probleme zu berücksichtigen, überstrapaziert haben und ob sie nicht selbst entscheidend dazu beigetragen haben, daß die Welt um uns herum am Ende einen falschen Eindruck von dem Willen der Deutschen bekam.
({23})
- In der Tat, auch das ist ein Beispiel, auf das man zurückkommen muß. - Ich will das im einzelnen erläutern, Herr Professor Carstens. Die Entscheidung der Bundesrepublik Deutschlands nämlich, Teil des westlichen Bündnisses zu sein, sich als Partner einer Integrationspolitik des Westens nicht nur zur Verfügung zu halten, sondern eine aktive Rolle in der Entwicklung dieser Integration zu spielen, ist schon in den 50er Jahren in aller Welt so verstanden worden, als ob diese Bundesrepublik Deutschland ihr Sicherheitsbedürfnis - als Teil des westlichen Bündnisses - wesentlich höher veranschlage als das Wiedervereinigungsgebot in der Präambel des Grundgesetzes.
({24})
Mit anderen Worten: Wir selbst haben uns entschieden und, wie ich aus Überzeugung hinzufügen möchte, entscheiden müssen - möglicherweise viel eher, als wir die Entscheidung dann Mitte der 50er Jahre formal getroffen haben, nämlich schon mit der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland -, unsere Sicherheit als Bundesrepublik Deutschland höher zu bewerten, wichtiger zu nehmen als die Möglichkeit, etwa einen deutschen Gesamtstaat zwischen Ost und West bilden zu können.
Es ist heute in der Debatte von Sprechern der Opposition und von anderen gesagt worden: Freiheit vor Einheit. Weniger pathetisch hieße das doch in der politischen Praxis: Sicherheit vor Einheit. Mein Kollege Flach hat darauf bereits hingewiesen.
Es ist für mich erstaunlich, daß so erfahrene und scharfsinnige Mitwirkende an dieser Entwicklung, wie z. B. Professor Carstens es ist, heute die Zwangsläufigkeit der damals entwickelten Politik offensichtlich nicht in vollem Umfang und in ihren Auswirkungen erkennen wollen.
({25})
Ich hatte früher nie den Eindruck - aber der mag falsch gewesen sein; Sie mögen das berichtigen - daß etwa die maßgebenden Kräfte in der CDU/CSU-Führung wirklich angenommen haben, daß der Weg zur nationalen Einheit - und das hieß doch wohl die Rückkehr zum Nationalstaat - über die Westintegration führe. Wenn Herr Professor Carstens dies also heute tut und hier in seinen Darlegungen noch einmal bekräftigt hat, muß
ich ihm schon die Frage stellen, ob er denn ersthaft glaubt, daß es in unserem Interesse hätte liegen können, den Konfliktstoff in Mitteleuropa n i c h t zu beseitigen, eine Modus-vivendi-Regelung auf der Basis des Status quo n i c h t herbeizuführen, weil nämlich nur auf diese Weise möglicherweise die Bereitschaft der Welt, uns bei der Lösung unserer nationalen Frage zu unterstützen, aufrechterhalten werden könne. Das war doch eine Position in den 50er Jahren, auch wenn sie so nicht ausgesprochen wurde. Das stand doch oft hinter dieser Politik des Abwartens.
Herr Professor Cartens hat es hier auch so dargestellt, als ob die Römischen Verträge eine besondere Klausel enthielten, die die Zusammenfassung der Deutschen in einem Gesamtstaat durchaus möglich mache. Das ist insofern richtig, als ein deutscher Gesamtstaat weiterhin Mitglied in der Europäischen Gemeinschaft bleiben kann. So sehen es diese Verträge vor. Professor Hallstein hat es damals hier in diesem Hause mit erläutert. Die Frage, ob das aber politisch realistsch ist, wird Herr Professor Carstens wohl selbst beantworten können. Denn das heißt doch im Klartext nichts anderes, als daß eine Verschiebung der Einflußgebiete zugunsten des westlichen Bündnisses auf Kosten des Einflußgebietes von Sowjetrußland stattfinden müßte. Das wäre in der Tat eine gewaltige Veränderung.
Sollte dies in der Tat ein politisches Konzept gewesen sein oder noch sein, was ich hier soeben mit der Nichtbeseitigung von Konfliktstoffen und dem daraus resultierenden Zwang der Welt, die Deutschen in den Mittelpunkt ihrer Entscheidungen zu stellen, angesprocheen habe, so ist ein solches Konzept durch die Entwicklung schlagend widerlegt worden. Es ist dazu noch ein gefährliches Konzept und wäre es jedenfalls auch die ganze Zeit gewesen. Entgegen nämlich dem, was Herr Professor Carstens hier über die Bereitschaft unserer Partner unseren nationalen Zielen gegenüber erklärt hat, ist doch erwiesen, daß diese Partner viele Jahre lang bei ihren regelmäßigen Ministerratstagungen im Atlantischen Bündnis nur noch wenig Bereitschaft gezeigt haben, unsere politischen Ziele in ihre gemeinsamen Verlautbarungen so aufzunehmen, wie wir das nach dem Auftrag des Grundgesetzes wünschen mußten. Es ist bemerkenswert und sollte auch die Sprecher der Opposition nachdenklich machen, daß erst die letzte NATO-Ministerratstagung dazu wieder bereit war, nämlich die im Dezember 1972. Sie hat unser Modus-vivendi-Konzept nicht nur ausdrücklich bestätigt, sondern auch unseren Willen zur Selbstbestimmung ausdrücklich unterstützt. Es ist bemerkenswert, daß unsere Partnerstaaten dies auch bei der Aufnahme ihrer Beziehungen zur DDR zum Ausdruck bringen, übrigens auch Staaten, die nicht dem NATO-Bündnis angehören. Es ist also nicht nur so, daß uns eine Isolierung gedroht hätte, wenn wir uns nicht in die allgemeine weltpolitische Entwicklung mit eingeschaltet hätten, sondern wir waren offensichtlich schon mitten in einer Isolierung.
Herr Cartens, Sie sollten dem Bundestag vielleicht doch einmal sagen, wie dem Sie, als Sie noch im Amt
waren - im Kanzleramt oder im Auswärtigen Amt, vor allem damals im Kanzleramt -, etwa die Aussichten für eine Berlin-Regelung der Vier Mächte eingeschätzt haben, und Sie sollten dann vergleichen
darüber gibt es Dokumente -, wie das Berlin-Abkommen jetzt aussieht, nachdem eine Bundesregierung erklärt hat - was Herr Dr. Mertes soeben als eigentlichen Sündenfall bezeichnet hat -, daß sie von der Existenz zweier Staaten in Deutschland ausgeht. Da liegt der Dissens zwischen unseren Auffassungen, Herr Dr. Mertes, der Dissens über die Zweckmäßigkeit. Aber der Erfolg gibt uns recht, und Sie können nicht beweisen, daß Sie recht gehabt haben.
({26})
-- Nein, das ist keine Frage. Diese Frage ist durch die Geschichte inzwischen beantwortet. Wenn wir schon von Vergangenem reden müssen, dann muß das Bild umfassend sein. Aber, wie gesagt, ich fürchte, wir haben in der Tat verschiedenartige Vorstellungen vom Politischen und damit auch verschiedene Vorstellungen darüber, wie man tatsächlich zur Sicherung des Friedens beitragen kann.
Hier ist übrigens nicht, wie uns der Kollege Abelein glauben machen wollte, von unserer Seite ein Unterschied zwischen Recht und Politik gemacht worden, keineswegs, sondern es ist zum Ausdruck gekommen - und das ist nicht ganz neu -, daß man sich in der Vergangenheit aus gutem Glauben - das soll gar nicht bestritten werden -, aus Furcht vor der Politik, d. h. aus Furcht vor schmerzhaften politischen Entscheidungen, wiederholt in eine sterile Juristerei geflüchtet hat,
({27})
daß man bestimmte juristische Formeln als Schutzschild gegen politische Veränderungen glaubte nutzen zu können. Das war Selbstbetrug in der deutschen Politik, keine auf das Recht gegründete Politik.
({28})
Gerade weil es bei den Rechtsfragen in der Tat auf Exaktheit ankommt, muß sich die Opposition hier einige Fragen gefallen lassen. Will sie denn ernsthaft behaupten, daß eine rechtliche Notwendigkeit bestanden hätte, im Grundvertrag den Fortbestand der Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten durch die beiden deutschen Staaten regeln oder feststellen zu lassen?
({29})
Als ob diese beiden Staaten über diese Rechte und Verantwortlichkeiten überhaupt hätten disponieren können!
({30})
- Ist es nicht vielmehr so, Herr Dr. Mertes, daß der Modus vivendi sehr viel deutlicher hervorgehoben und jedenfalls rechtlich einwandfrei unterstrichen wird, wenn die Vier Mächte selbst den Fortbestand
dieser Rechte und Verantwortlichkeiten in aller
Form feststellen, und zwar dort, wo ihr eigenes Verhalten vielleicht so gedeutet werden könnte, als ob sie damit von jenen Rechten und Verantwortlichkeiten abrücken oder ihnen einen anderen Inhalt geben wollten?
({31})
- Bei scharfem Nachdenken möglicherweise doch!- Das heißt: im Zusammenhang mit dem UNO-Beitritt der beiden deutschen Staaten, über den die Vier Mächte in sehr maßgeblicher Funktion in den Vereinten Nationen, nämlich als vetoberechtigte Mitglieder des Sicherheitsrates, mitentscheiden. Mit der Erklärung der Vier Mächte vom 9. November haben diese Vier Mächte nichts anderes festgestellt, als daß die rechtlichen Besonderheiten der Lage in Deutschland so bleiben, wie sie sind. Das bedeutet übrigens, daß die Bundesrepublik auch nach dieser Erklärung so souverän ist, wie sie es bisher war.
Ebenfalls unverändert blieben die Verpflichtungen, die die Drei Mächte der Bundesrepublik Deutschland gegenüber im Deutschlandvertrag
({32})
hinsichtlich der Ausübung ihrer besonderen Rechte und Verantwortlichkeiten bezüglich Deutschlands übernommen haben.
({33})
- Sicher! Es ist unerfindlich, wie von einer Aushöhlung gerade dieser Verpflichtungen nach dem Deutschlandvertrag von seiten der Oppositionssprecher geredet werden kann, wenn unsere Verbündeten selbst ausdrücklich die unveränderte Weitergeltung dieses Vertrags bestätigt haben. Wir können Ihnen im Ausschuß dazu noch einige Dokumente vorlegen, die Sie möglicherweise noch nicht kennen. Auch hier dürfte ein Blick in das Kommuniqué der letzten NATO-Ministerratskonferenz allein schon aufschlußreich sein.
Ich möchte es bei diesen Hinweisen zunächst einmal bewenden lassen und Sie noch einmal bitten, doch hier anläßlich der Debatten über Grundvertrag und UNO-Beitritt nicht den Versuch zu machen, die Geschichte der letzten 20 Jahre, die eine Geschichte vieler Irrungen und Wirrungen war und vielleicht auch sein mußte, sozusagen noch einmal als nachträgliche Rechtfertigung umzuschreiben. Alle die, die hier in diesem Hause sitzen, haben einen Prozeß des Lernens mitgemacht. Aber man muß auch die Kraft haben, Positionen nicht mehr zu verteidigen, die sich als politisch unrealistisch erwiesen haben. Man muß auch die Kraft haben, zuzugeben, daß etwa das, was von unseren Freunden noch 1958 gesagt wurde - in einer Debatte mit umgekehrten Vorzeichen -, schon damals eine Art historische Betrachtung war, daß die Tatsachen, die gerade Konrad Adenauer und die Alliierten und vielleicht vor ihm schon diejenigen gesetzt hatten, die die Währungsgebiete geschaffen hatten, von keiner Bundestagsmehrheit hatten aus der Welt geschafft werden können.
Unsere Aufgabe ist es, diese Tatsachen so zu entwickeln, daß in der deutschen Frage die Entscheidungen offenbleiben, die wir dem Grundgesetz gegenüber offenhalten müssen, daß aber nicht mit dein Hinweis auf diese zukünftigen möglichen Entscheidungen das, was gegenwärtig an Friedenssicherung und an Sicherung der Freiheit erreicht werden kann, versäumt wird. Vergessen wir also den Streit des Vergangenen; arbeiten Sie bitte mit an einem realistischen Konzept deutscher Politik!
({34})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Höhmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Begründung der Besatzungszonen für den Anfang der deutschen Spaltung hält, dann befinden wir uns jetzt im 28. Jahr der deutschen Spaltung und halten immer noch die gleichen Reden, die der Herr Kollege Jaeger schon vor 23 Jahren gehalten hat.
({0})
In diesen 28 Jahren ist doch ein Prozeß abgelaufen, der diese Teilung nicht gemildert hat oder erträglich gemacht hat, sondern der zu ihrer ständigen Komplettierung geführt hat. Das war kein naturnotwendiger Prozeß, das haben Menschen und Mächte vollbracht, und die Deutschen sind daran beteiligt gewesen. Aber eines sei zugestanden: Die Deutschen waren nicht die Hauptbeteiligten, sondern waren im Anfang sehr viel mehr Spielball, sehr viel mehr Objekt als handelndes Subjekt in diesem Spannungsverhältnis der Weltmächte.
Die Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR ist ja auch gleichzeitig die Trennungslinie zwischen zwei Westmächten und deren Einflußsphären zwischen dem freiheitlich-demokratischen atlantischen Block und dem kommunistischen Ostblock. Es stoßen zwei voneinander völlig verschiedene Systeme aufeinander. Daß wir auf der westlichen Seite dieser Trennungslinie die kommunistischen Ordnungsvorstellungen nicht übernehmen wollen und die Deutschen östlich der Grenze die unseren nicht übernehmen können, das ist es doch, was die Erfüllung unseres Verfassungsgebotes so ungeheuer schwierig macht, des Verfassungsgebotes, an dem alle Parteien in diesem Hause unbeirrbar festhalten. Der Streit, der sich erhebt, geht nicht daraum, ob das Verfassungsgebot in Frage gestellt wird, sondern es ist lediglich eine Auseinandersetzung um den Weg dahin.
Aus diesem Grunde ist manche Äußerung hier als etwas seltsam zu werten, wenn hier noch Positionen aufgebaut werden, die in den Anfangsjahren nach der Gründung dieser Bundesrepublik wohl ihren Wert gehabt haben mögen, die aber heute keineswegs mehr am Platze sind. Es huldigt doch wohl niemand mehr der Vorstellung, meine Damen und Herren, wir könnten auf irgendeinen günstigen politischen Zeitpunkt warten, zu dem uns die Siegermächte die Wiedervereinigung praktisch auf silbernem Tablett servierten.
Wenn es richtig ist, daß in Deutschland die Welt gespalten ist, dann müssen die Deutschen eine Politik betreiben, die von der Unversöhnlichkeit in dieser Welt, von der Feindseligkeit über Koexistenz und gute Nachbarschaft schließlich zur Kooperation in ganz Europa führt. Im Zustand der Unversöhnlichkeit und der Feindseligkeit zu verbleiben würde jegliche Hoffnung auf Verbesserung des jetzigen Zustandes zunichte machen. Denn die Verantwortung für Deutschland als Ganzes haben nicht drei Siegermächte, sondern deren vier, und die vierte Siegermacht ist. die Sowjetunion. So ist der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik nicht isoliert zu sehen. Er ist ein Teil der mit von der Bundesregierung initiierten Entspannungsbemühungen zwischen Ost und West. Er ist eingebettet in den deutsch-sowjetischen und den deutsch-polnischen Vertrag. Das Viermächteabkommen über Berlin und der Verkehrsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR haben diese Dinge gestützt und gingen voraus.
Wenn wir dies alles als Einheit betrachten, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist hier doch eine Politik aus einem Guß und mit Weitblick gemacht worden, deren Früchte wir heute schon mit größter Selbstverständlichkeit ernten, denkt man nur an die Erleichterungen, die das Viermächteabkommen über Berlin gebracht hat. Das Ziel dieser Politik wurde einmal so umschrieben es wäre vielleicht für die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU ganz gut, dieses noch einmal in Erinnerung zu bringen :
Wir wollen, soviel an uns liegt, verhindern, daß die beiden Teile unseres Volkes sich während der Trennung auseinanderleben. Wir wollen entkrampfen und nicht verhärten, Gräben überwinden und nicht vertiefen. Deshalb wollen wir die menschlichen, wirtschaftlichen und geistigen Beziehungen mit unseren Landsleuten im anderen Teil Deutschlands mit allen Kräften fördern.
Als diese Sätze gesprochen wurden, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, haben Sie alle begeistert Beifall geklatscht. Das hat Bundeskanzler Kiesinger in seiner Regierungserklärung zur Begründung der Großen Koalition gesagt.
({1})
Wir haben damals diesen Worten ebenso großen Beifall gezollt. Herr Kiesinger hat unseren Beifall auch gehabt. Der Unterschied zwischen uns und Ihnen liegt offensichtlich darin, daß wir das in die Tat umsetzen und Sie versuchen, an dem, was in der Tat an realer Politik gemacht wird, herumzumäkeln, diese Bemühungen mit der Drohung bekämpfen, bis zum Kadi zu gehen.
Dabei hat es doch schon ganz andere Änderungen gegeben. Manche Vorstellung über das, was die Nation zusammenhalten könnte, nimmt sich gegen-
über dem, was heute wirklich ist, relativ bescheiden aus. Lassen Sie mich einmal zitieren:
Eine innerdeutsche Entspannung ist Bestandteil und Funktion der europäischen Entspannung. Beides ist unlösbar miteinander verbunden. Wäre denn eine europäische Entspannung denkbar ohne eine Aufhebung der Spannungen innerhalb Deutschlands? Wäre eine innerdeutsche Entspannung denkbar ohne eine Verbesserung der Beziehungen innerhalb Europas?
Eine Menge Vorbereitungen sind zu treffen, um die Entspannung in Deutschland zu schaffen:
Dafür gibt es viele Möglichkeiten ...
I. Maßnahmen zur Erleichterung des täglichen Lebens für die Menschen in den beiden Teilen Deutschlands, wie
a) verbesserte Reisemöglichkeiten vor allem für Verwandte ...
b) Passierscheinregelungen in Berlin und zwischen den Nachbargebieten beider Teile Deutschlands,
c) Erleichterungen des Zahlungsverkehrs ...
d) Erleichterung des Empfangs von Medikamenten .. .
e) Ermöglichung der Familienzusammenführung, insbesondere der Kinderrückführung,
II. Maßnahmen zur verstärkten wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Zusammenarbeit, wie
a) Ausweitung und Erleichterung des innerdeutschen Handels, . . . Einräumung von Kreditlinien,
b) Austausch zwischen den beiderseitigen Energiemärkten, .
c) gemeinsamer Ausbau oder Herstellung neuer Verkehrsverbindungen, . .
d) verbesserte Post- und Telefonverbindungen,...
e) Erörterung wirtschaftlicher und technischer Zweckgemeinschaften, ..
Das alles, meine Damen und Herren, sind Dinge, die zum Teil bereits erreicht sind, zum Teil durch den Grundlagenvertrag erreicht werden sollen. Diese Aufzählung der möglichen Maßnahmen schließt ab:
Die Bundesregierung ist bereit, auch andere Vorschläge zu prüfen. Ihr kommt es darauf an, alles zu tun, um die Spaltung Europas und Deutschlands im Wege der Verständigung zu beenden.
12. April 1967, Regierungserklärung der Großen Koalition.
Ich frage mich nun, nachdem auch der Bundeskanzler festgestellt hat - ich glaube, daß keiner in diesem Saal dem widersprechen kann -, daß es keinen kurzen Weg zur deutschen Einheit gibt, ob denn das, was wir damals festgelegt hatten, heute
mit einemmal falsch ist, weil es die sozialliberale
Koalition praktiziert. Dieses kann doch nicht so sein.
Ich denke, wenn einmal die ersten Runden hier im Bundestag und in den Ausschüssen über den Grundvertrag und seine Folgegesetze verhandelt worden sind, dann werden wir ganz sicher wieder zu jener Gemeinsamkeit zurückkehren, die wir gehabt haben in jenen Zeiten und die eigentlich alle Fraktionen dieses Hauses umfaßt hatte. Was wir heute hier noch tun - gestatten Sie mir die etwas schulmeisterliche Bemerkung -, ist ungefähr das, was man im schönen Bayernland das „Nachtarocken" nennt: daß immer der Verlierer noch einmal das ganze Spiel im Geiste durchgehen muß, um darzutun, daß es gar nicht an ihm und seiner schlechten Spielweise gelegen haben könnte, daß er verloren hat. Nun machen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, von diesem Nachtarocken etwas reichlich Gebrauch. Wir sollten uns darauf verständigen, damit so bald wie möglich aufzuhören, um wirklich zur konkreten Arbeit übergehen zu können.
({2})
Wenn man die Erklärungen der Jahre 1966 und 1967 zur Hand nimmt und auch das zur Hand nimmt, was es inzwischen an Verträgen gibt, welche Erleichterungen geboten werden, wird jeder zugeben müssen, daß es eine gewisse Kontinuität gibt zwischen Konzept und Tat, aber auch in der Fortschreibung des Konzeptes. Was in den Grundsätzen dieser Erklärung festgehalten wurde, ist heute noch Bestandteil der Politik der sozialliberalen Koalition. Diese Grundsätze sind ja auch nicht deshalb nur einfach falsch, weil Herr Bundeskanzler Kiesinger sie einmal verkündet hat. Wenn wir zu diesen Grundsätzen gemeinsam zurückkehrten, würden wir uns sehr viel leichter tun bei allen Auseinandersetzungen um die Methode, um die Sache und selbst um die Zielvorstellungen, die es hier im Deutschen Bundestag geben mag.
Sehr häufig ist die Methode der Verhandlungen kritisiert worden. Es wird gesagt: Das ist alles viel zu schnell gegangen, viel zu hastig, man hat es nur mit Blick auf den Wahltermin getan, das Ganze ist eine recht schlampige Arbeit, weil bestimmte Rechtspositionen da nicht festgehalten worden sind. Ich erinnere mich, daß über die Methode der Verhandlungen zum Moskauer und zum Warschauer Vertrag ähnliches gesagt worden ist. Dazu ist erklärt worden: Die Bundesrepublik hat eigentlich alles gegeben, die Sojetunion und Polen haben alles genommen, aber die Bundesrepublik hat nichts bekommen.
({3})
Nun muß ich doch sagen: seitdem der Moskauer Vertrag und der Vertrag von Warschau ratifiziert worden sind, haben wir ein Viermächteabkommen erhalten. Dieses kommt expressis verbis in den Verträgen mit Moskau und Warschau nicht vor. Aber - und das haben uns alle diejenigen bestätigt, die darüber verhandelt haben, nämlich im wesentlichen auch die drei westlichen Botschafter - diese Viermächteverhandlungen über Berlin mit dem bekannten Ergebnis des Abkommens waren überhaupt nicht möglich, ohne daß die Verträge von Moskau und Warschau
vorausgegangen wären. Sie sind nur auf der Grundlage dieser Verträge möglich gewesen.
({4})
Wenn Sie heute sagen: Da wird eine Menge gegeben von der Bundesrepublik, und die DDR hat alle Maximalziele erreicht - darauf werde ich noch zu sprechen kommen, was deren Maximalziele waren -, und wir haben nichts bekommen, so werden Sie eines Tages von den politischen Ereignissen wieder genauso überrollt werden wie seinerseits mit dem Viermächteabkommen über Berlin.
Es ist eigentlich schade, daß die Opposition sich beim Grundvertrag genauso verhält wie bei jenen Verträgen, die wir abgeschlossen und zur Grundlage für die Entspannung mit dem europäischen Osten gemacht haben. Eigentlich könnte es uns nur recht sein. Ein kluger Historiker hat mal gesagt: „Aus der Geschichte kann man nur lernen, daß die Menschheit bisher nichts daraus gelernt hat". Der Mann muß die Schwierigkeiten der Opposition sehr gut vorausgesehen haben.
({5})
Wenn ich also die bisher gehaltenen Reden - mit wenigen Ausnahmen - noch einmal an meinem Ohr vorüberziehen lasse, muß ich folgern, daß aus den Verhandlungen des Deutschen Bundestages über jene Verträge, die ich vorhin angesprochen habe, bis heute zum Grundvertrag die Opposition noch nicht gelernt hat, sich richtig einzustellen und zu verhalten.
Aber wenn schon gesagt wird, die Verhandlungsführung sei sehr eilig und schlampig gewesen, so muß man doch einmal sagen, was die DDR denn eigentlich an Maximalvorstellungen hatte. Kein Mensch ist heute darauf gekommen, einmal jenen Vertragsentwurf herauszuziehen, den Herr Ulbricht im Jahre 1969 dem Bundespräsidenten Heinemann geschickt hat. Er ist doch die Grundlage dessen gewesen, was sich die DDR unter normalen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR vorgestellt hatte. Darin heißt es unter Art. III:
Beide Seiten verpflichten sich, alle den Festlegungen in Artikel I entgegenstehenden und den Vertragspartner diskriminierenden Maßnahmen zu unterlassen, ohne Verzögerung diesem Vertrag entgegenstehende Gesetze und andere Normativakte aufzuheben sowie die Revision entsprechender Gerichtsentscheidungen zu veranlassen. Sie werden auch in Zukunft jegliche Diskriminierung des Vertragspartners unterlassen.
Das hätte doch eine Regelung der Staatsbürgerschaft im Sinne der DDR-Vorstellungen bedeutet. Was sagt der Vertrag, den wir nun vor uns haben, in einem Protokollvermerk dazu? Er sagt:
Die Bundesrepublik Deutschland erklärt: Staatsangehörigkeitsfragen sind durch den Vertrag nicht geregelt worden ...
Herr Sonderminister Bahr hat in aller Deutlichkeit
noch einmal klargestellt, daß aber auch nichts von
den Rechtspositionen unserer Seite auf diesem Gebiet aufgegeben worden ist.
({6})
- Es gibt noch mehrere; ich komme noch auf einige weitere.
Oder nehmen wir Art. V des Ulbricht-Entwurfs! Er lautet so:
Die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik nehmen miteinander diplomatische Beziehungen auf. Sie lassen sich gegenseitig in den Hauptstädten Berlin und Bonn durch Botschaften vertreten. Die Botschaften genießen alle Immunitäten und Privilegien entsprechend der Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961.
Auch dies ist eine Maximalposition der DDR. Nur ist deren Erfüllung durch diesen Grundvertrag auch nicht geregelt.
Oder betrachten wir Art. VII! Da heißt es:
Die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland verpflichten sich, den Status West-Berlins als selbständige politische Einheit zu achten und unter Berücksichtigung dieses Status ihre Beziehungen zu West-Berlin zu regeln.
Auch dies ist nicht in der Weise geschehen, wie es die DDR gewünscht hat. Wenn da also gesagt wird, wir seien allen Maximalforderungen der DDR nachgesprungen, so ist das einfach falsch dargestellt, und man sollte sich beeilen, dies wieder ins rechte Licht zu rücken.
({7})
Man darf davon ausgehen, daß auch wir uns einen besseren Vertrag vorstellen könnten, in dem auch gleich in einem bestimmten Artikel festgehalten würde: Am Soundsovielten werden gesamtdeutsche freie Wahlen stattfinden; wir werden ein frei gewähltes Parlament haben; es wird uns eine Verfassung geben; wir werden danach eine frei gewählte Regierung haben, und die Wiedervereinigung ist vollzogen. Dies kann man auch als Maximalforderung unserer Seite aufstellen. Allerdings kann man dies, wenn man es will, nur per Diktat machen, ebenso wie die DDR ihre Vorstellungen uns nur per Diktat in einen solchen Vertrag hätte hineinschreiben können.
Wir wollen kein Diktat und können auch gar keines den andoren auferlegen, wie es ebenfalls umgekehrt nicht möglich ist. Man muß seine Vorstellungen mit dem jeweiligen Partner abklären. Man muß auch die Vorstellungen des Partners kennen.
Wenn es ein Geben und Nehmen ist, so haben wir, das muß ich sagen, über diesen Grundlagenvertrag und besonders über das, was er an Reiseerleichterungen im engeren Grenzgebiet ermöglichen soll, sehr viel mehr zum Zusammenhalt der Nation und für den Aufbau eines Bewußtseins, zu einer Nation zu gehören, bei vielen getan, die es schon gar nicht mehr haben oder noch nicht haben
können, als alle Paragraphenreiterei und sämtliche Klimmzüge an Paragraphen, die die bisherigen Bundesregierungen in der Vergangenheit immer veranstaltet haben und die sie auch noch für gesamtdeutsche Politik ausgaben.
({8})
Der Herr Kollege Dr. Jaeger hat die Zweistaatlichkeit im Vertrag so scharf gegeißelt. Wer einen Vertrag machen will, und wer zur Aufrechterhaltung der Nation und des Bewußtseins und des Willens, eine Nation zu sein, die Begegnung möglichst vieler Menschen in Deutschland herbeiführen will, der kann nicht daran vorüber, daß er mit der Regierung des zweiten deutschen Staates zu verhandeln hat, oder er zieht sich wieder zurück und vertagt alle diese Bemühungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Dann wird sehr die Frage sein, meine sehr verehrten Damen und Herren, ob man in weiteren 28 Jahren, die auf die hinter uns liegenden der deutschen Spaltung folgen könnten, überhaupt noch davon sprechen kann, daß das Bewußtsein, einer Nation anzugehören, bei allen deutschen Menschen noch vorhanden ist. Die meisten von denen, die hier im Saale sitzen und die dafür kämpfen, werden dann schon nicht mehr da sein, sondern es wird eine neue Generation herangewachsen sein, die sehr wahrscheinlich Mallorca und Teneriffa und die italienische Adria und die Cote d'Azur besser kennt, sich dort besser auskennt, sich dort eher zu Hause fühlt als im Thüringer Wald oder im Ostharz oder in der Mark oder in Mecklenburg. Diese Generation wird mit Spaniern, Italienern, Griechen viel eher ins Gespräch kommen als mit Sachsen, Mecklenburgern, Pommern und Ost-Berlinern. Auf welche Weise - sehr wahrscheinlich nur noch durch Kreidegeographie in der Schule einmal zwei Jahre lang - dann das Bewußtsein, einer Nation anzugehören, noch wachgehalten werden soll, das müßte uns erst einmal jemand sagen.
Und auf welche Weise die abgeschlossenen Verträge besser hätten ausgefüllt werden können mit Zustimmung des Partners, mit dem man es zu tun hat, das müßte doch auch einmal dargelegt werden. Bisher haben Sie nur gesagt, was Sie nicht wollen. Es wäre außerordentlich hilfreich, wenn einmal gesagt würde, was Sie denn nun wirklich wollen. Wie soll der Vertrag denn aussehen? Beim Vertrag mit der Sowjetunion hatte sich der Herr Kollege Strauß einmal die Mühe gemacht und hatte einen Vertragsentwurf eigener Art ausgearbeitet. Da wußte man, welches die Position der Opposition war und was man eine Politik des Unmöglichen nennen könnte. Das hat man da gewußt; denn dieser Vertragsentwurf wäre in der Tat nur per Diktat durchzusetzen gewesen. Wir haben ihn im Ausschuß des öfteren behandeln wollen, aber die Kolleginnen und Kollegen der CDU haben ihn wohlweislich auch gleich in der Schublade gehalten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, solche Verträge werden doch nicht auf dem Mond abgeschlossen, sondern hier auf der Erde und in diesem Falle in diesem gespaltenen Deutschland. Wir können uns doch keine Mondverträge ausdenken,
({9}) sondern müssen sehen, was möglich ist.
({10})
Es wäre, Herr Kollege Dr. Mertes, ganz sicher einmal an der Zeit, daß wir uns über das unterhielten, was denn nun in Wirklichkeit sich schon in Deutschland erfüllt hat. Wieweit unsere Positionen schon erreicht worden sind durch das Berlin-Abkommen und durch den Verkehrsvertrag, das sollen einige Zahlen doch einmal darstellen, damit nicht immer davon geredet wird, es gebe da „Rinnsale". Herr Kollege Reddemann, ich bin noch nicht einmal der Meinung, daß die Bewegung von Ost nach West lediglich ein Rinnsal wäre. Selbst da unterscheide ich mich also von dem Herrn Sonderminister Bahr, der gesagt hat, das sei zwar noch wenig. Ich halte das schon für eine außerordentlich bedeutende Bewegung, gemessen an dem, was früher war. Vom Nichts ({11})
- Ich mache es Ihnen jetzt gleich klar. Vom Nichts bis zu dem, was jetzt ist, ist ein ungeheuer weiter Schritt. Sie wissen, daß durch den Berlin-Vertrag und durch die Absicherung der Verkehrswege zwischen der Bundesrepublik und Berlin dieser Weg jetzt endlich sicher geworden ist und daß in einem Jahre allein 1,8 Millionen Menschen mehr gefahren sind, nämlich im Jahre 1972, als im Jahre 1971 und daß wir zwischen Berlin und der Bundesrepublik Deutschland jetzt endlich den Verkehr haben, der normal ist, auf der Schiene und auf der Straße und daß die Leute nicht in den Luftverkehr ausweichen müssen. Den Luftverkehr nach Berlin hat das selbstverständlich sehr getroffen. Ich kann nur sagen: das ist eine politische Folge, an der ich sogar Freude habe; denn es war nirgendwo geschrieben, daß sich viele Menschen in diesem Berlin-Verkehr überhaupt nur durch die Luft bewegen dürfen.
Hatte der Transitverkehr bereits während der Sonderregelungen zu Ostern und Pfingsten zugenommen, so stieg er nach der Berlin-Vereinbarung sprunghaft an. Wir hatten im Juni 1971 rund 385 000 Fahrten zwischen Berlin-West und der Bundesrepublik, im Juni 1972 waren es 413 000. 401 000 Fahrten waren es im Juli 1971, 635 000 im Juli 1972. Diese Zahl erhöht sich bis zum August 1972 auf 693 000, um dann infolge der Witterung auf 350 000 im Dezember 1972 abzuflauen. Insgesamt sind 1,8 Millionen Personen mehr als im gleichen Zeitraum des Jahres 1971 gefahren.
Nun sollten wir hier auch noch sagen, was sich an Reiseverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vollzogen hat. Wir haben immerhin 104 000 Reisen in die DDR im Oktober 1972 gehabt, gegenüber 81 000 im Jahre 1971, 37 000 waren es im November 1971 gegenüber 62 000 im November 1972. Im Dezember war von 1971 zu
1972 eine Steigerung von 89 000 auf 197 000 zu verzeichnen.
Gestiegen sind auch die Zahlen in umgekehrter Richtung. Rentnerbesuche stiegen von 1,04 Millionen im Jahre 1971 auf 1,06 Millionen im Jahre 1972. Nun kommt das berühmte Rinnsal. Seit Inkrafttreten des Verkehrsvertrages am 17. Oktober bis zum 31. Dezember sind 11 800 DDR-Bewohner wegen dringender Familienangelegenheiten in die Bundesrepublik gereist, außerdem noch etwa 3700 Frührentner. Das sind pro Monat über 4000 Leute, die gekommen sind, gegenüber nur ganz wenigen, die auch früher in dringenden Familienangelegenheiten kommen durften.
({12})
Solche Zahlen haben wir in keinem Jahr gehabt.
({13})
Nun ist bestritten worden, daß das Wort „Rinnsal" hier überhaupt gefallen sei. Ich habe mich da noch einmal sachkundig gemacht: am 18. Januar 1973 hat der Kollege Barzel tatsächlich davon geredet, daß es ein Rinnsal ist, das nur in einer Richtung fließt. Er hat also das, was nach Osten fließt, schon als Rinnsal bezeichnet. Gerade die Zahlen über die Reisen von Ost nach West machen den Verhandlungserfolg unserer Seite deutlich. Dies war noch vor wenigen Jahren als eine praktisch nicht erreichbare Zielsetzung angesehen worden, ähnlich auch dem Nachbarschaftsverkehr im Grenzgebiet.
Es gibt selbstverständlich bestimmte Schwierigkeiten bei all diesen neu eingerichteten Möglichkeiten. Das ist ganz selbstverständlich; denn jetzt ist irgendwo ein Recht gesetzt, das von Menschen in Anspruch genommen wird. Das ist ein Recht, das es vorher nie gab. Wenn es da einmal eine Zurückweisung gibt, werden wir einen allgemeinen empörten Aufschrei über die eine Zurückweisung hören. Wir haben eine Maschine in Gang gesetzt, deren Getriebe in der Tat noch erheblich knirscht, aber die Maschine hat ja auch zwanzig Jahre vor sich hin gerostet. Wir wissen, daß wir es mit einem schwierigen Partner zu tun haben, und wir müssen dem in allem Ernst auch sagen, daß Inhalt und Geist von Verträgen nicht durch innerstaatliche Mätzchen unterlaufen werden dürfen. Das wurde hier heute mehrmals gesagt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe gedacht, bei der CDU/CSU bekomme ich dafür auch Beifall.
({14})
- Für Sie war „Mätzchen" zu wenig, für mich ist es schon der Gipfelpunkt politischer Mißachtung, weil ich nicht so sehr geübt bin wie vielleicht der eine oder andere, mich in Verbalinjurien zu ergehen. Aber ich würde sagen, auch wenn es dort Schwierigkeiten gibt, verbietet es sich doch, aus solchen bestimmten Vorkommnissen den Schluß zu ziehen, daß es deshalb ohnehin keinen Zweck hätte, überhaupt etwas zu versuchen. Ebenso verbietet es sich meiner Meinung nach, daß man, weil bis zur Wiedervereinigung viele Meilen einer Strecke zu gehen sind, auf den ersten Kilometer, den wir jetzt hinter uns bringen wollen, von vornherein verzichtet, weil
man die meilenlange Strecke nicht mit einem Sprung überspringen kann. Wenn der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen einmal gesagt hat, man müsse bereit sein, nach jedem Stück deutscher Verklammerung mit den Nägeln zu kratzen, so kennzeichnet dies die Schwierigkeit der Aufgabe, aber auch die zähe Methode, die man in der Verhandlungsführung braucht, um überhaupt etwas zu erreichen.
Zu Beginn meiner Ausführungen hatte ich gesagt, daß wir uns im 28. Jahr der deutschen Spaltung befinden. Wir wollen mit diesem Grundvertrag darauf hinwirken, daß Menschen in Deutschland wieder zueinander finden, daß der Wille, einen Staat mal wieder insgesamt für alle Deutschen zu haben, ebenso nicht erlahmen darf wie das Bewußtsein, zu einer Nation zu gehören. In diesen 28 Jahren ist ja schon eine ganze Menge verschüttet worden, ist überwachsen, verunkrautet. Vieles müssen wir erst wiedererwecken, und manches muß man neu pflanzen. Ein Instrument dafür ist der Grundlagenvertrag.
(Abg. Dr. Mertes ({15})
Nun will ich zum drittenmal Wilhelm Kewenig zitieren, nachdem er heute schon zweimal dran war. Es ist ja mit den Zitaten und Teilzitaten immer eine außerordentlich schwierige Sache. Herr Kollege Mertes, ich sehe schon, Sie haben Kewenig ganz gelesen und nicht nur das Stück, das Herr Dr. Barzel heute morgen vorgetragen hat.
({16})
- Ich bin sehr dankbar, daß ich auf Verständnis stoße.
({17})
Kewenig hat nicht nur gesagt:
Insgesamt ist der Grundvertrag kein ,,gelungener" Vertrag. Ob er bei längerem Zuwarten besser hätte werden können, ist eine müßige Frage.
Und weiter: Es ist auch kein ehrlicher Vertrag. Sondern Kewenig hat auch gesagt -- und darauf wollte ich hinweisen, und das könnte die Grundlage für uns sein, nachdem immerhin dieses 102 : 83-Ergebnis bei Ihnen erzielt werden konnte
Er ist jedoch ein Vertrag, der aller Voraussicht nach eine aktivere Deutschland-Politik möglich, ja geradezu unumgänglich macht und der die deutsche Frage zwar nicht für alle Zukunft offen hält, sie aber auch nicht endgültig ausräumt und damit die Teilung zwangsläufig perpetuiert. Auf keinen Fall aber macht er es für die Bundesrepublik rechtlich oder faktisch unmöglich, das politische Kernziel einer Zusammenführung des geteilten Deutschlands weiterhin mit aller Kraft zu verfolgen.
Und er meint, es ergebe sich aus diesen Gründen auch gar keine Möglichkeit, verfassungsrechtlich dagegen vorzugehen.
Zu dieser nüchternen Beurteilung hätte man sich durchringen können. Das wäre wenigstens eine Basis gewesen, auf der man hätte miteinander diskutieren können. Aber man braucht noch nicht alle Hoffnung fahren zu lassen. Herr Kollege Mertes, Ihre Ausführungen haben immerhin dazu geführt, daß man auch auf unserer Seite überlegt, in welcher Weise wir denn in Zukunft zusammenarbeiten könnten. Vielleicht gilt bei einem Teil Ihrer Fraktion auch das, was Herr Dr. Kohl in der Bundesratssitzung gesagt hat. Er hat nämlich ausgeführt, daß ihm das nicht passe und daß er ein Nein dazu sagen wolle. Aber dann fuhr er fort:
Damit wollen wir uns - und dies sei deutlich ausgesprochen - in gar keiner Form der künftigen gemeinsamen Verantwortung entziehen ... Wir sind deshalb bereit, künftig auf der Grundlage der Verträge mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten, um die wenigen Chancen, die sich aus den Verträgen ergeben und unabhängig davon existieren, gemeinsam und optimal zu nutzen. Dies liegt im deutschen gemeinsamen Interesse, wenn wir weiterhin an dem Ziel der Selbstbestimmung festhalten wollen.
Ähnlich hatte sich auch Herr Kollege Strauß hier in der Debatte zur Regierungserklärung geäußert.
Ich könnte mir daher vorstellen, daß in künftigen Zeiten, wenn das Nachtarocken vorüber sein wird, der Groll über eine verlorene Wahl heruntergeschluckt werden kann und
({18})
wir dann noch zu anderen Überlegungen kommen und wir uns gemeinsam bemühen könnten, das, was durch den Vertrag möglich ist an deutscher Verklammerung und deutscher Verzahnung, zu versuchen, gemeinsam auszufüllen. Wir jedenfalls begrüßen diesen Vertrag, Wir danken ausdrücklich allen, die am Zustandekommen der Vorlage beteiligt waren. Wir werden dem Ratifizierungsgesetz zustimmen, Herr Kollege Reddemann, weil wir aus der passiven Rolle des geschichtlichen Sandsacks heraus müssen, der wir lange für viele Mächte in Europa gewesen sind. Wir wollen endlich selbst etwas bewirken.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wallmann.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich will einige wenige Bemerkungen zu dem machen, was meine unmittelbaren Vorredner gesagt haben. Zunächst ein Wort zu einigen Bemerkungen von Ihnen, Herr Kollege Höhmann. Sie haben im Zusammenhang mit der Diskussion, die wir über den Grundvertrag hier führen, davon gesprochen, wir von der Opposition machten Klimmzüge an Paragraphen. So drückten Sie sich aus. Sie sagten, es gehe dieser Opposition um Paragraphenreiterei. Herr Staatssekretär Moersch sprach vorhin von einer sterilen Juristerei, die wir betrieben.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz offen: Dieses macht mich nachdenklich, da es sich ja nicht darum handelt, etwa darüber zu befinden, ob der Verkehr morgen irgendwo links- oder rechtsherum geführt werden soll. Es geht vielmehr um grundlegende Verfassungsfragen dieses Landes.
({0})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Abelein hat auf die Interdependenz von Politik und Verfassung hingewiesen und ist in diesem Zusammenhang auf all das eingegangen, was uns bewegt. Wir wissen uni die Schwierigkeit der Materie. Wir haben es uns nicht leicht gemacht.
({1})
Wenn Sie von Juristerei, von Klimmzügen an Paragraphen und dergleichen sprechen,
({2})
meine Damen und Herren, so wirft das kein sehr überzeugendes Licht auf die innere Verfassung und auf die Kraft Ihrer Argumentation.
({3})
Ich will eine Bemerkung zu dem machen, was Herr Minister Bahr hier gesagt hat. Ich habe folgenden Satz mitgeschrieben: Die konsequente Ablehnung des Regimes könnte dazu führen, daß man dem Volk alles schuldig bleibt. - Er hatte damit auf den Schlußsatz der Erklärung unseres Fraktionsvorsitzenden angespielt.
({4})
Herr Minister Bahr, vielleicht sind Sie so freundlich, mit mir auch einmal folgendes zu bedenken. Vielleicht gilt dieser Satz: Das Unterlassen der konsequenten Ablehnung des Regimes im anderen Teile unseres Landes könnte dazu führen, daß die Unfreiheit für 17 Millionen Landsleute festgeschrieben wird und daneben die Bundesrepublik ihre freiheitliche Ordnung verliert.
({5})
Herr Minister Bahr, ich meine, wenn man schon o denken muß, wie Sie es getan haben, ist es immerhin geboten, darüber nachzudenken, ob diese Gegenposition, die ich Ihnen fragend entgegenhalte, angesichts der politischen Situation nicht vielleicht die wahrscheinlichere ist.
Herr Minister Bahr, Sie haben über die innere Situation, über die innenpolitischen Konsequenzen, das innere Verständnis hier bei uns in der Bundesrepublik ni Zusammenhang mit diesem Grundvertrag gesprochen. Das ist ein Thema, dem ich mich auch zuwenden möchte, denn selbstverständlich hat die Regierung Brandt seit 1969 mit. ihrer Deutschlandpolitik nicht nur weltpolitische, nicht nur europäsche Folgewirkungen ausgelöst. Vielmehr wird diese Politik bei vielen Menschen in der Bundesrepublik zu einer Veränderung des Bewußtseins führen, bis die unheilvollen Ergebnisse dieser Politik, von denen ich überzeugt bin, für jedermann sichtbar sind. Diese Politik wirkt also auch innenpolitisch. Sie schafft damit eine neue Realität.
Das Wort vom Wandel durch Annäherung erfährt angesichts dieser Tatsache einen Inhalt, an den die meisten bis 1969 vermutlich nicht einmal gedacht haben. Diese Entwicklung ist aber vielleicht verständlich, wenn man nämlich an die Menschen in unserem geteilten Land denkt. Denn die Menschen in Ost und West hoffen auf Möglichkeiten zu Begegnungen und auf Freizügigkeit über die Grenzen hinweg. Indem allerdings der Eindruck erweckt wird, die Bundesrepublik Deutschland sei in der Lage, durch Anerkennung der Realitäten und vertragliche Abmachungen einen Zustand des Friedens und der Entspannung herbeizuführen - sie selbst sei dazu in der Lage -, macht sich diese Regierung für ihre Politik Hoffnung und Sehnsucht der Menschen zunutze. Ob sie das verantworten kann, muß sie sich selbst ernsthaft fragen. Damit wird sie vor der Geschichte entweder bestehen können oder ein vernichtendes Urteil erfahren.
({6})
Die Folgen dieser Politik sind heute sicherlich noch nicht in allen Punkten übersehbar. Aber eines ist sicher: Die kommunistische Seite erreicht das wichtigste Etappenziel ihrer Westpolitik dadurch, daß die Bundesrepublik zumindest für eine ungewisse Zukunft die Teilung Deutschlands akzeptiert, von zwei deutschen Staaten spricht und damit zumindest den Eindruck hervorruft, sie anerkenne die DDR in vollem Umfange als einen eigenständigen, völkerrechtlich bedeutsamen Staat.
Bei der Beurteilung der Kehrseite dieser Deutschlandpolitik, der Kehrseite des Grundvertrages, nämlich der innenpolitischen Wirkung, darf ja nicht übersehen werden, daß sich die Bundesrepublik einer andauernden und zunehmenden ideologischen
- und ich füge hinzu: intellektuellen - Herausforderung und Offensive durch das sozialistische Lager gegenübersieht. Der Verlust an politischem Selbstwertgefühl heute in der Bundesrepublik ist unbestreitbar und liegt offenkundig zutage. Das alles müssen wir beklagen.
({7})
- Wenn ich dabei aus dieser Richtung des Hauses Gelächter höre, sehen Sie entweder nicht die Wirklichkeit oder Sie wollen sie in diesem Zusammenhang nicht sehen.
({8})
Natürlich hat dabei auch der Vertragstext seine eigene Bedeutung. In verschiedenen Formulierungen geht er ja von der Gleichwertigkeit der Bundesrepublik Deutschland und - wie es dort heißt - der Deutschen Demokratischen Republik aus. Der Bundeskanzler hat diesen Begriff heute morgen, als er die Begründung gegeben hat, ausdrücklich gebraucht: Gleichwertigkeit. Diese Gefahr wird sicher auch dadurch gefördert, daß weite Teile der SPD bestimmte Vokabeln der anderen Seite leichtfertig übernehmen. Herr Kollege Dr. Mertes hat darüber gesprochen.
Ich darf noch einmal sagen: Diese Sprache hat prägende Kraft, sie macht Denkgegenstände sichtbar, sie schafft politisches Bewußtsein. In dem Maße,
meine Damen und Herren von der SPD, indem etwa der Begriff sozialdemokratisch verdrängt und durch den Begriff sozialistisch ersetzt wird, schwindet die Fähigkeit zur erfolgreichen Abgrenzung gegenüber dem marxistischen Sozialismus.
({9})
Besonders verhängnisvoll für die geistige Auseinandersetzung mit der kommunistischen Seite ist die leichtfertige Übernahme des Begriffs der friedlichen Koexistenz. Kommunisten hüben wie drüben verstehen darunter etwas ganz anderes als wir hier in diesem Hohen Hause. Und wer es nicht gewußt hat, meine Damen und Herren, der muß doch in einer für ihn erschreckenden Weise etwa von Herrn von Schnitzler in der berühmt-berüchtigten Sendung des niederländischen Fernsehens belehrt worden sein.
({10})
Diese Bundesregierung macht nicht hinreichend deutlich, worum es Ost-Berlin geht. Ich habe das vorhin erlebt, als hier Herr Minister Franke gesprochen hat und nicht bereit war, auf ganz schlichte, einfache Fragen
({11}) eine Antwort zu geben.
({12})
Meine Damen und Herren, da ist nicht zum Ausdruck gebracht worden, welche Ziele die SED-Führung nach wie vor verfolgt.
Vorhin ist in der Rede von Herrn Kollegen
Abelein in diesem Zusammenhang auf Art. 8 Abs. 2 der Verfassung des anderen Teiles unseres Landes hingewiesen worden. Erstes Ziel ist es danach - und Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, sollten das nicht unterschätzen und nicht unterschlagen -, normale Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung, wie es dort heißt, herzustellen. Nächstes Ziel: Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands und die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus.
({13})
Meine Damen und Herren, die Aussage ist deutlich, sie ist klar, und niemand kann sagen, Ost-Berlin habe seine Ziele nicht eindeutig erklärt. Herr Kollege Dr. Mertes hat vorhin darauf hingewiesen, daß es geradezu ein Zeichen der Politik der Ostblockstaaten - von der Sowjetunion bis hin zu irgendeinem anderen sogenannten sozialistischen Land - ist, mit aller Deutlichkeit zu sagen, was man vorhabe, ideologisch und aktuell-politisch, und das Schlimme sei, daß hier in diesem Teile unseres Landes, in der Bundesrepublik Deutschland, das, was dort nachlesbar ist, nicht ernst genommen werde, obwohl wir doch furchtbare Beispiele dafür kennen,
({14})
in welchem Umfange die andere Seite bereit ist, gegebenenfalls auch diese zuvor proklamierte und angekündigte Politik in die Tat umzusetzen.
Wir kennen ja auch Erklärungen von Herrn Honecker aus der jüngeren Zeit nach Abschluß des Moskauer Vertrages und nach Aushandlung des Grundvertrages. Zum Beispiel heißt es in der Wochenzeitung der Nationalen Volksarmee, Nr. 51,
({15})
wörtlich:
Der ideologische Kampf nimmt an Umfang und Intensität zu, und zwar nicht trotz der Politik der friedlichen Koexistenz, sondern gerade in ihrem Gefolge.
({16})
Und, meine Damen und Herren, vielleicht haben Sie es nicht gehört, aber da wurde eben gerufen: Warum zitieren Sie denn das? Dies ist das beste Beispiel dafür, daß man auf der anderen Seite dieses Hauses die tatsächliche Gefahr heute noch immer nicht erkannt hat!
({17})
Solche Formulierungen finden Sie auch bei anderen Gelegenheiten. Z. B. gibt es in der SED-offiziösen „Berliner Zeitung" vom 4. Dezember vergangenen Jahres eine sehr interessante Formulierung:
({18})
Friedliche Koexistenz ist eine Form des Klassenkampfes. Sie wird naturgemäß mit vorwiegend friedlichen Mitteln durchgesetzt.
({19})
Und wenn Sie rufen „Lieber den ,Vorwärts' lesen!", dann will ich dabei nicht unterstellen, daß Sie meinen, daß dort Aussagen gemacht werden, die man in gleicher Weise etwa im „Neuen Deutschland" oder in der „Berliner Zeitung" lesen könnte.
({20})
Meine Damen und Herren, wir wissen also, was wir von den kommunistischen Machthabern zu halten haben. Wir hören das nicht nur flüchtig; wir können es nachlesen. Wie aber ist es um uns bestellt, wenn diese Regierung gleichwohl so tut, als komme es auf diese Fakten weniger an, entscheiden sei vielmehr die Anerkennung der Realitäten, um zu einem Zustand des Friedens zu kommen?
Meine Damen und Herren, ich erinnere mich sehr genau an die Zeit unmittelbar nach 1945. Es wurde doch damals über die Deutschen gesagt, sie alle, die Deutschen, seien schuldig geworden, sie alle trügen Verantwortung für das Furchtbare, was im deutschen Namen geschehen war, also nicht nur die, die durch persönliche Handlung mitgetan hatten, sondern auch die, die das alles nur geduldet, vielleicht sogar schweigend erduldet hatten.
Ich glaube, deswegen, daß wir Anlaß haben, unsere Lehren zu ziehen. Und es kann für uns heute
keine Ausrede geben, wir hätten etwa nicht gewußt, was von der anderen Seite nach wie vor trotz oder vielleicht gerade wegen einer Politik der friedlichen Koexistenz gewollt ist.
({21})
- Es gibt sicherlich Mitglieder dieses Hauses, die sich in diesen Fragen besser auskennen als ich; dies will ich nicht bestreiten. Aber das, was mich besorgt macht, werde ich in dieser Stunde so aussprechen, wie ich es aus meiner Sicht hier sagen muß. Daran wird mich niemand von Ihnen hindern können, meine Damen und Herren.
({22})
Uns geht es hier heute darum, meine Damen und Herren, klarzumachen, daß diese Opposition, die CDU/CSU, die 45 % der Wähler vertritt, entschlossen ist, zu ihrer Überzeugung von Freiheit, Recht und Menschlichkeit zu stehen, auch wenn wir wissen, daß Sie mit Ihrer Mehrheit Ihre Politik gegen uns durchsetzen können und auch durchsetzen werden. Wir wollen nicht den leisesten Eindruck erwecken, als würden wir Gewalt und Unmenschlichkeit in anderen Teile unseres Landes und an der Zonengrenze auch nur indirekt tolerieren.
Hier ist vorhin vom Herrn Kollegen Höhmann Herr Ministerpräsident Helmut Kohl zitiert worden. Ich will ihn dann auch zitieren. Er hat im Bundesrat gesagt:
Wer in seinem Verhalten, in seiner Politik gegen Unmenschlichkeit auch nur den Eindruck mangelnder Festigkeit hervorruft, macht die eigene Position für Freiheit und sozialen Rechtsstaat unglaubwürdig.
Ich bin davon überzeugt, eine nicht zu ferne Zukunft wird lehren, daß die Politik dieser Regierung und der Koalitionsfraktionen zu einer Einbahnstraße von Ost nach West werden wird. Und die Frage, die an Sie, insbesondere an die Hauptregierungspartei und an die Bundesregierung nun zu stellen ist, lautet: Sehen Sie nicht mögliche Konsequenzen, sehen Sie nicht wahrscheinliche Konsequenzen, zumindest Gefahren? Schliddern Sie - möglicherweise unbewußt - in eine verhängnisvolle Entwicklung, oder erkennen Sie die möglichen Folgen dieser Politik? Nehmen Sie sie möglicherweise in Kauf? Diese Fragen müssen Sie sich nicht nur selbst stellen, Sie müssen sie sich auch von uns stellen lassen.
Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß nicht wenige Sozialdemokraten den Gesamtzusammenhang sehen. Ich weiß, daß viele SPD-Mitglieder gerade die Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung mit größter Besorgnis verfolgen.
({23})
Um so gefährlicher ist diese Tatsache, daß das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt geschieht, die dem andere Sozialdemokraten zu beachtlichen Zugeständnissen an die Kommunisten, und zwar nicht
nur auf der staatliche Ebene der beiden Teile Deutschlands, bereit sind.
({24})
Gerade angesichts der risikoreichen, der, wie wir meinen, gefährlichen Deutschlandpolitik dieser Regierung, müßte die feste und entschlossene Haltung gegen Kommunisten und gegen alle anderen Radikalen innerhalb der Bundesrepublik die gemeinsame Sache aller Demokraten sein. Wie oft hat der Oppositionsführer in diesem Hohen Hause, Herr Dr. Barzel, von der Notwendigkeit der Solidarität aller Demokraten gesprochen! Haben Sie, meine Damen und Herren, diesen Aufruf, haben Sie diesen Appell ernst genommen?
({25})
Haben Sie erkannt, in welchem Umfange es heute nötig geworden ist, sich darauf zu besinnen?
({26})
Ich kann leider die Feststellung nicht treffen, daß es in dieser Frage die zweifelsfreie Solidarität aller Demokraten oder aller Mitglieder in demokratischen Parteien gibt. Innerhalb der SPD gewinnen diejenigen Gruppen an Gewicht, die Aktionsbündnisse mit Kommunisten pflegen, die keinen unmißverständlichen Trennungsstrich zu Linksradikalen ziehen oder die das sozialistische System an die Stelle unserer Staats- und Gesellschaftsordnung rücken wollen.
({27})
- Es kennzeichnet Ihre Bewußtseinslage, daß Sie meinen, dies sei nur ein Gegenstand von Auseinandersetzungen im Wahlkampf. Wir nehmen die heutige Situation sehr, sehr ernst.
({28})
Wir sind nicht der Meinung, daß etwa mit dem Hinweis darauf, die Radikalen hätten beim letztenmal eine Absage bekommen - das wurde vorhin gesagt -, bereits festgestellt werden darf, die Radikalen in der Bundesrepublik seien keine relevante Kraft mehr. Die radikalen Kräfte nehmen vielmehr zu. Lassen Sie sich nicht dadurch täuschen, daß - ich füge hinzu: Gott sei Dank - der Stimmenanteil der radikalen Parteien, die offiziell als solche firmieren und auftreten, gering geblieben ist.
({29})
Meine Damen und Herren, ich muß mich in diesem Zusammenhang ein wenig mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Wehner, auseinandersetzen. Ich muß das deshalb tun, weil es sich bei dem, was ich hier ansprechen möchte, um einen Vorgang handelt, den ich sehr, sehr ernst nehme. Ich meine, daß dieser Sachverhalt vor diesem Hohen Hause behandelt werden muß und nicht, beispielsweise von mir oder irgendeinem meiner Kollegen, in einem Zeitungsartikel abgehandelt werden sollte. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion sollte vielmehr Gelegenheit haben - wir wollen fair sein und ihm diese Gelegenheit verschaffen -, vor diesem Hohen
Hause zu dem Stellung zu nehmen, was ich jetzt ausführen werde.
({30})
Meine Damen und Herren, es „trieft" in der Tat
bei dem, worum es ich hier handelt, nämlich um einen Artikel, den Herr Kollege Wehner am 8. Februar in der „Esslinger Zeitung" veröffentlicht hat. Der Inhalt muß uns, meine ich, alarmieren. Herr Wehner äußerte sich darin zu dem Thema „Radikale im öffentlichen Dienst", und er kritisierte darin - übrigens im Gegensatz zu seinem Fraktionskollegen Professor Schäfer - den von den Ministerpräsidenten und dem Bundeskanzler einstimmig gefaßten Beschluß, wonach Links- und Rechtsradikale nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt werden dürfen.
Herr Abgeordneter Wallmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage, bitte?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Wallmann, könnten Sie sich nicht entschließen, zu dem Gegenstand zu sprechen, der auf der Tagesordnung steht?
({0})
Ich kann verstehen, Herr Kollege, daß es Ihnen etwas unangenehm ist,
({0})
wenn wir über diese Aspekte dieser Politik reden. Wir haben z. B. soeben von Herrn Kollegen Höhmann eine historische Rückschau auf die frühere Politik von CDU und CSU gehört.
({1})
Das war interessant für uns, insbesondere für mich, der ich neu in diesem Parlament bin. Ich hatte immer gedacht, man könne zwar fragen, ob diese Politik richtig gewesen sei, hatte es aber für problematisch gehalten, daß man eine Politik, die man selbst über lange Jahre hinweg mit getragen oder zumindest für richtig gehalten hat, als eine furchtbar schlechte Politik bezeichnet.
({2})
Wir haben hierzu Ausführungen von Herrn Staatssekretär Moersch gehört. Offenbar ist es seit heute morgen, seit nämlich Herr Kollege Professor Carstens seine ausgezeichnete Rede gehalten hat, für notwendig erachtet worden, darauf sehr, sehr gründlich und mit unendlich viel Sachverstand zu antworten. Dabei war der Grundvertrag im unmittelbaren Sinne nicht Gegenstand der Erörterungen.
Da ich nun der Auffassung bin, daß hier ein un- mittelbarer Konnex besteht - ich werde versuchen, ihn klarzumachen; vielleicht gelingt mir das nicht hinreichend, aber ich werde mich darum bemühen -, daß die Gefahren in dieser Republik angesichts der innenpolitischen Entwicklung durch die gegenwärDr. Wallmann
tige Deutschlanclpoltik größer werden, werde ich mich davon abhalten lassen, das, was ich mit großer Besorgnis sehe, hier auch vorzutragen, und ich bitte dabei um Ihre Geduld.
({3})
Ich war dabei, etwas über einen Aufsatz von Herrn Wehner zu sagen. Herr Wehner hat darin geschrieben, daß die formale Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation keine verläßlichen Anhaltspunkte für das tatsächliche Verhalten - ich füge hinzu: eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst oder eines im öffentlichen Dienst Stehenden - biete.
({4})
Wenige Zeilen später, meine Damen und Herren, kommt der politisch bedeutsame Kernsatz: Der Beschluß der Ministerpräsidenten unterstelle, es gebe - wörtlich - Organisationen, die im Widerspruch zum Grundgesetz sehr wohl vom Dienstherrn, nicht aber vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig angesehen werden könnten. Was bedeutet diese Argumentation?, frage ich in allem Ernst.
({5})
Meine Damen und Herren, auf diesen Zuruf sage ich Ihnen: Ist Ihnen eigentlich klar, daß diese Argumentation zumindest objektiv eine Schützenhilfe für die Kommunisten bietet, die mit eben diesem Argument gegen den Ministerpräsidentenbeschluß und damit in Wirklichkeit gegen die entsprechenden Verfassungs- und Beamtenrechtsbestimmungen Sturm laufen? Das ist der Hintergrund, um den es sich handelt.
({6})
Herr Abgeordneter Wallmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte schön, gern!
Ist Ihnen bekannt, daß in diesem Artikel, auf den Sie verweisen wollen, z. B. steht:
Mir scheint es darauf anzukommen, daß beide Seiten Roß und Reiter nennen. Wer einen Bewerber für den öffentlichen Dienst ausschließen will, sollte dartun, welche konkreten Anhaltspunkte für mangelnde Verfassungstreue er hat, und er soll sich nicht hinter dem Argument verstecken, seine Zweifel in die Verfassungstreue rührten aus der Mitgliedschaft des Bewerbers zu einer Organisation, die er aus eigener Machtvollkommenheit und eigentlich etwas außerhalb der Legalität für verfassungswidrig hält.
Dies, Herr Kollege Wehner, habe ich in der Tat gelesen.
({0})
Nur fürchte ich, Herr Kollege Wehner, daß Sie dabei bewußt übersehen, daß das, was Sie an dieser Stelle gesagt haben, niemals Gegenstand irgendwelcher Streitereien gewesen ist. Alle, ob CDU-, CSU- oder SPD-angehörig, haben erklärt, daß selbstverständlich die Zugehörigkeit allein noch nicht ausreiche, sondern daß es im Einzelfall Untersuchungen geben müsse. Die entscheidende Frage, um die es dabei gegangen ist, war dann und auch dies ist bis jetzt unstreitig gewesen - die der Beweislast. Sie wissen doch ganz genau, daß ein Unterschied zu machen ist
({1})
- einen Augenblick bitte - zwischen demjenigen, der bereits Angehöriger des öffentlichen Dienstes ist, und demjenigen, der in den öffentlichen Dienst eintreten will. Ich frage mich: Sie können angesichts dieser Situation - ich gehe davon aus, daß Sie den Sachverhalt und die juristische Seite des Problems kennen; von Ihnen kann ich nicht annehmen, Herr Kollege Wehner, daß es Ihnen hier um die Korrektur eines vielleicht juristisch etwas angreifbaren, etwas wenig klaren Beschlusses geht ({2})
Herr Abgeordneter Wallmann, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte!
Daß es mir darum geht, würde ich Ihnen, wenn ich jetzt das Wort hätte, beweisen, auch durch den Hinweis auf vorhergegangene Artikel. Aber ich frage Sie nur noch einmal, ob Sie übersehen haben oder vielleicht nicht nennen wollen, daß ich in bezug darauf ausdrücklich geschrieben habe, daß es nicht genügt, die Mitgliedschaft in einer Oragnisation anzuführen, weil dies leicht umgangen werden könnte. Denn es gibt - ist damit gesagt - Verfassungsfeinde, die wissen, warum sie nicht zu einer Organisation gehen.
Herr Kollege Wehner, darauf muß ich Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen, daß Sie doch genauso gut wie ich wissen, daß der Beschluß der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers nicht die Grundlage für die Entfernung eines Angehörigen des öffentlichen Dienstes aus seinem Amt ist. Das ist eine politische Interpretation in einer für uns gefährlichen Situation, um klarzumachen, daß die Gesetze, die Beamtenrechtsrahmengesetze, die Beamtengesetze der Länder und die Verfassungsbestimmungen gegen Feinde der Freiheit anzuwenden sind.
({0})
Wir wollen nach all unseren Erfahrungen klarmachen, Herr Kollege Wehner, daß Feinde der Freiheit in dieser Demokratie nicht die Freiheit zugebilligt bekommen sollen. Ich sage Ihnen - ich komme aus Hessen , wir haben Anlaß, darüber nachzudenken. Wenn ich Mitglieder des öffentlichen Dienstes in öffentlichen Versammlungen als Kreisvorsitzende der DKP auftreten sehe,
({1})
dann allerdings scheint es mir allerhöchste Zeit zu sein, klarzumachen, daß wir zu diesem Beschluß stehen.
Herr Abgeordneter Wallmann -- Dr. Wallmann ({0}) : Augenblick bitte, Herr Präsident! - Von Ihnen möchte ich wissen - und ich habe gesagt, ich gebe Ihnen die Gelegenheit dazu hier in diesem Parlament -, wie Sie diese Aussagen, die ich zitiert habe, verstehen.
Ich sagte schon, ich gebe Ihnen die Gelegenheit zu dieser Erklärung hier im Parlament. Wenn Sie darauf verzichten, ist das Ihr gutes Recht.
Herr Abgeordneter Wallmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wienand?
({0})
Verzeihen Sie, Herr Präsident, darauf möchte ich gerne antworten. Ich bin eben von Herrn Wehner in einer Art angesprochen worden, die ich hier schon mehrfach erlebt habe. Darauf möchte ich gerne eine Antwort geben.
Herr Abgeordneter Wallmann, Sie haben jetzt die Möglichkeit, auf den Zwischenruf zu antworten und dann auf die Frage des Herrn Abgeordneten Wienand. Bitte!
Danke schön, Herr Präsident.
Herr Kollege Wehner, ich möchte Ihnen sagen, daß mir die Lautstärke Ihrer Interventionen hier mehrfach aufgefallen ist.
({0})
Ich muß Ihnen sagen, Herr Wehner, daß ich es nicht für nachteilig für die CDU und die CSU halte, wenn Sie sich in dieser Weise der deutschen Öffentlichkeit vorstellen. Nur frage ich Sie, Herr Kollege Wehner, ob Sie wirklich der Auffassung sind, daß diese Art von Intervention irgendeinen Eindruck auf denjenigen aus dieser CDU/CSU-Fraktion machen kann, der hier steht. Seien Sie versichert, dies beeindruckt uns
gar nicht. Kommen Sie bitte mit Sachargumenten; damit werden wir uns auseinandersetzen.
({1})
Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wienand? - Bitte!
Verstehe und interpretiere ich Sie richtig, Herr Kollege, wenn ich annehme, daß Sie mit Ihrer Argumentation gegenüber dem Kollegen Wehner in Wirklichkeit Ihren CDU-Freund Hahn im Zusammenhang mit der Einstellung eines bestimmten Mannes aus einem anderen Lager in Baden-Württemberg meinen?
Nein, mir ist dieser Sachverhalt nicht bekannt.
({0})
Ich habe Sachverhalte zur Kenntnis nehmen müssen, die mir räumlich näher lagen, z. B. daß ein Lehrer in Rheinland-Pfalz wegen Zugehörigkeit zur DKP nicht in den öffentlichen Dienst aufgenommen wurde - wie auch übrigens, um das hinzuzufügen, ein Mitglied der NPD nicht aufgenommen wurde. Das Mitglied der DKP ist dann im Lande Hessen in den Schuldienst übernommen worden.
({1})
Wissen Sie, meine Damen und Herren, darüber denkt man dann nach. Das werden Sie sicherlich verstehen. Aber Sie sind ja nicht in Hessen, Herr Kollege, und wissen nicht, was sich dort vollzieht. Darüber werde ich vielleicht bei anderer Gelegenheit noch etwas sagen.
Meine Damen und Herren, ich will es kurz machen und nur folgendes sagen: Herr Kollege Wehner, Sie wissen doch ganz genau - das ist mir das Entscheidende in diesem Zusammenhang -, daß nicht in jedem Falle - rufen Sie jetzt bitte nicht dazwischen - ein Verfassungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht angerufen werden muß, um die Verfassungswidrigkeit einer Partei festzustellen, nämlich dann nicht, wenn es sich um eine sogenannte Nachfolgeorganisation einer bereits durch Bundesverfassungsgerichtsurteil verbotenen Partei handelt. Ich brauche Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, die Sie viel länger in diesem Hause sind als ich - ich bin erst drei Monate hier --, doch nicht zu erklären, daß im Innenausschuß längst nachgewiesen worden ist, daß die DKP eine Nachfolgeorganisation der KPD ist. Wenn es nun, Herr Kollege Wehner, - -
Herr Kollege Wallmann, ich lasse eine solche Diskussion an einem relativ langen Bande laufen und habe auch bei den Vorrednern im Hinblick auf den Grundvertrag und die Materien, die hier behandelt werden, eine gewisse Großzügigkeit walten lassen. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie im Laufe
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
der Ausführungen umgehend wieder auf das eigentliche Thema zurückkommen könnten.
({0})
Ich bedanke mich für den Hinweis, Herr Präsident.
Ich darf nur noch einmal sagen, wenn es auf den äußeren Umstand des Verbots ankommt, Herr Kollege Wehner, kann diese Regierung im Falle der DKP einen solchen Verbotsbeschluß herbeiführen. Ich frage Sie: Wenn dieses so wichtig ist, warum verlangen Sie es nicht von der Regierung, die doch von Ihrer Partei gestellt wird? Oder, meine Damen und Herren und dieses muß gefragt werden -, gibt es zu diesem Komplex irgendwelche Vereinbarungen mit der anderen Seite?
({0})
Ich frage als Abgeordneter der Opposition im Angesicht einer bestimmten Entwicklung in dieser Bundesrepublik Deutschland. Dieses Recht lasse ich mir von niemandem in diesem Hause streitig machen.
({1})
Ich möchte deswegen von Ihnen wissen, ob es darüber irgendwann Absprachen gegeben hat. Ist darüber geredet worden in Oreanda, ist darüber geredet worden in Moskau, hat es darüber Verhandlungen aus Anlaß der Geheimgespräche gegeben, Ende 1967/Anfang 1968, als sich Vertreter der Kommunistischen Partei Italiens und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands getroffen haben? Da ist doch auch über die DKP gesprochen worden?
({2})
Ob Ihnen das gefällt oder nicht, wir möchten von Ihnen hier heute klar und zweifelsfrei eine Antwort bekommen. Wenn Sie uns mit aller Deutlichkeit sagen: „Diese Ihre Befürchtungen sind absolut unbegründet", sind wir dankbar dafür, weil damit ein möglicher Zweifel ausgeräumt ist.
({3})
Im übrigen hätte ich natürlich von Herrn Kollegen Wehner gern gewußt, warum diese Aussage in diesem Artikel vom 8. Februar erst nach dem
19.
Herr Kollege Dr. Wallmann, ich muß Sie offensichtlich doch noch einmal mit mehr Nachdruck bitten, auf das Thema des Grundvertrages zurückzukommen und sich nicht über die sicher für Sie interessante Frage des Aufsatzes zu verbreiten. Ich habe Ihre Redezeit, wie Sie wahrscheinlich gemerkt haben, ohnehin schon im Hinblick auf die Zwischenfragen etwas verlängert.
Bei allem Respekt, Herr Präsident, darf ich aber darauf hinweisen, daß ich in beachtlichem Umfang hier mit Fragen überschüttet worden bin, und ich bitte, mir diese Zeit gutzuschreiben.
({0})
Herr Kollege, das habe ich bereits einkalkuliert.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, dann lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen, daß wir diese Entwicklung heute mit großer Sorge beobachten und uns auch fragen, welche Reaktionen beispielsweise innerhalb der SPD zu verzeichnen sind, wenn bestimmte Handlungen oder bestimmte Erklärungen in den Reihen dieser Partei etwa in Richtung auf die Kommunisten vorgenommen bzw. abgegeben werden.
Ich darf Sie mit einem Zitat vertraut machen, das der Vorsitzende des Juso-Unterbezirks Dillenburg vor einiger Zeit - ({0}) - Meine Damen und Herren, ich darf ({1})
Herr Kollege Wallmann, Ihre Redezeit war schon abgelaufen. Bitte, kommen Sie jetzt zum Ende.
({0})
Herr Präsident, ich nehme dieses zur Kenntnis. Ich darf aber hinzufügen, daß ich dies bedauere. Denn ich rede ja über Mitglieder der SPD und über eine Entwicklung
({0})
im Angesicht einer Deutschlandpolitik, die ich für gefährlich halte, weil ich der Auffassung bin, daß diese Deutschlandpolitik innenpolitische Konsequenzen hat. Dieser Frage haben Sie sich zu stellen, meine Damen und Herren.
({1})
Sie alle wissen, daß wir eine Fülle von Volksfrontbündnissen erleben. Sie alle wissen das von Universitäten. Sie wissen das aus Ihren eigenen Reihen. Ich kann Ihnen beispielsweise sagen, daß an der Universität Marburg ({2})
- Ja, das möchten Sie nicht hören, daß eine Volksfrontkoalition gebildet worden ist aus Sozialisten - ({3})
Herr Kollege Wallmann, ich habe Sie nun zweimal gebeten, sich an das Thema zu halten. Ich bitte Sie nunmehr, in der nächsten Minute endgültig zum Schluß zu kommen.
Vielen Dank, Herr Präsident, ich werde mich daran zu halten haben und darf deswegen zum Schluß folgendes sagen. Angesichts dieser innenpolitischen Entwicklung gewinnen für uns manche Erklärungen und Handlungen gar nicht weniger Sozialdemokraten natürlich einen neuen Hintergrund. Wir fragen uns, wie ernst es beispielsweise gemeint ist mit manchem Abgrenzungsbeschluß, in welchem Umfange diese Partei bereit ist, einer gefährlichen Entwicklung an Universitäten entgegenzutreten.
({0})
Herr Kollege Wallmann, ich bitte Sie, nunmehr wirklich zum Ende zu kommen. Sie haben die Möglichkeit, sich zu diesem Thema bei anderer Gelegenheit zu äußern. Im Augenblick wird hier der Grundvertrag behandelt.
Ja, richtig.
Ich entziehe Ihnen in der nächsten Minute das Wort.
({0})
Ich darf deswegen sagen, Herr Präsident und meine Damen und Herren, daß im Zusammenhang mit diesem Grundvertrag nach unserer Auffassung und Beobachtung z. B. in der Sprache Gleichstellungen erfolgen, die für die innenpolitische Entwicklung in höchstem Maße gefährlich sind. Wir von der Union wollen eine offensive Gesellschaftspolitik. Wir glauben nicht -
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist schon lange abgelaufen!
Ich bedanke mich, Herr Präsident. Ich muß diesem Votum selbstverständlich folgen.
({0})
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wallmann sagt, er sei ein Neuling. Deshalb möchte ich mich nicht an ihn, sondern an die CDU/CSU-Fraktion wenden. Wollen Sie diese Fragen, die heute und morgen hier zur Debatte stehen, im Stil des Neulingskollegen Wallmann abhandeln lassen, oder legen Sie Wert auf eine sachliche Diskussion mit uns als Koalitionsparteien und mit dieser Regierung? Das wäre die erste Frage, die ich an Sie als Opposition zurückgebe.
({0})
Herr Kollege Wienand, ich muß Sie bitten sich an die Geschäftsordnung zu halten.
({0})
Wir haben hier Vereinbarungen({0})
Ich muß Sie bitten, Herr Kollege Wienand, sich daran zu halten, daß Sie sich zur Geschäftsordnung gemeldet haben.
Dann möchte ich, wenn die CDU/CSU-Fraktion nicht in der Lage ist, ihre Gedanken anders als auf solche subkutane Art und Weise von Leuten verbreiten zu lassen, bitten, daß die 15 Minuten eingehalten werden.
({0})
Herr Kollege Wienand, ich bedaure, daß auch das kein Beitrag zur Geschäftsordnung im eigentlichen Sinne war; ebenso hat Herr Kollege Wallmann das Thema hier zu weit strapaziert.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte nach den sicher nicht unberechtigten Ausführungen des Kollegen Wallmann, die durchaus auch zur Sache und zum Thema,
({0})
zu den innenpolitischen Dimensionen und den möglichen innenpolitischen Konsequenzen dieser Vertragspolitik gehörten, wieder zum Thema im engeren Sinne zurückkehren.
({1})
Ich hatte in der Debatte am 24. Januar dieses Jahres die Bundesregierung gefragt, was sie konkret meine, wenn sie von „Deutschland" spreche. Sonderminister Bahr hatte sich dazu geäußert, allerdings ohne die Frage exakt zu beantworten. Wir stellen diese Frage und viele andere Fragen, die im Zusammenhang mit dieser Debatte hier erhoben worden sind, nicht deswegen, um die Schlachten der
Vergangenheit zu wiederholen, sondern um Klarheit über die Positionen der Zukunft und auch darüber zu schaffen, ob und wo es Gemeinsamkeiten für unsere künftige Arbeit geben kann.
({2})
- Nun, die hat Ihnen doch nicht gefallen. Ich versuche jetzt, zu dem Thema im engeren Sinne zurückzukehren. Aber das gefällt Ihnen auch wieder nicht. Es ist wirklich nicht leicht, es Ihnen recht zu machen.
({3})
Auch der Grundvertrag wirft die Frage auf, was die Bundesregierung unter Deutschland versteht und in welcher Beziehung die Bundesrepublik Deutschland und die DDR zum ganzen Deutschland stehen. Der Rechtsstandpunkt des Bundesverfassungsgerichts war ebenso wie der des Bundestages, Deutschland bestehe rechtlich in seinen Grenzen vom 31. Dezember 1937 fort und sei identisch mit der Bundesrepublik Deutschland.
Künftig wird es nun zwei Staaten in Deutschland geben, deren Rechtsstatus in bezug auf Deutschland als Ganzes bisher jedenfalls noch ungeklärt ist. Die Bundesregierung hat uns auf diese Frage bisher eine konkrete Antwort noch nicht erteilt.
Diese Unklarheit wird auch an einem Satz deutlich, den der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Kühn am 2. Februar dieses Jahres in der Bundesratsdebatte zum Grundvertrag sagte. Ich zitiere:
Ein Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, das von Begriffen wie „Alleinvertretungsanspruch", ,,Hallstein-Doktrin" und „Identitätstheorie" geprägt war, ist abgeschlossen.
Dieser Satz rechtfertigt doch nicht nur die Frage nach „Deutschland", sondern dieser Satz macht diese Frage geradezu zur Pflicht des Parlaments, und ich meine, es wäre die Pflicht der Regierung, hier nun Klarheit zu schaffen.
Das Kapitel der Identitätstheorie, so also sagt Ministerpräsident Kühn, sei abgeschlossen. Dagegen stellte das Bundesverfassungsgericht am 26. März 1957 fest:
Das Deutsche Reich, welches nach dem Zusammenbruch nicht zu existieren aufgehört hatte, bestand auch nach 1945 weiter; wenn auch die durch das Grundgesetz geschaffene Organisation vorläufig in ihrer Geltung auf einen Teil des Reichsgebiets beschränkt ist, so ist doch die Bundesrepublik Deutschland identisch mit dem Deutschen Reich.
Die Bundesregierung hat diese Auffassung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage am 11. November 1971 noch einmal ausdrücklich bestätigt.
Meine Damen und Herren, welche grundgesetzkonforme Rechtsgrundlage ist denn nun an die Stelle der Identitätstheorie getreten? Was gilt denn nun? Die Aussage von Herrn Kühn, daß die Identitätstheorie inzwischen abgeschlossen sei, oder die entgegengesetzte Antwort der Bundesregierung vom 11. November 1971? Und die zweite Frage ist: Was
hat sich denn nun zwischen dem 11. November 1971 und dem 2. Februar 1973 entscheidend geändert?
Bereits 1970 sprach der Herr Bundeskanzler in seinem Bericht zur Lage der Nation von einer „bedingungslosen Kapitulation des Hitler-Reiches". Der Unterschied zwischen der Kapitulation der Wehrmacht und der nicht vollzogenen Kapitulation des Reiches ist entscheidend, wie 1945 sowohl die alliierten Siegermächte wie auch die amtierende Reichsregierung wußten. Ist also nach der Auffassung der Bundesregierung Deutschland 1945 durch Kapitulation rechtlich untergegangen, geht es erst jetzt mit dem Wirksamwerden des Grundvertrages unter, oder besteht es wenigstens als Rechtsvorbehalt der Alliierten noch fort?
Was also ist „Deutschland als Ganzes"? In den Materialien zum Bericht zur Lage der Nation von 1970 wird Deutschland - nachdem auch hier von der „bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches" gesprochen wird - auf seine „tatsächlichen Grenzen von 1970" begrenzt. Was gilt jetzt? Die Grenzen von 1937, die von 1970 oder zwei deutsche Staaten an Stelle des untergegangenen Deutschen Reiches? Wir bitten, uns endlich eine eindeutige und klare Definition zu liefern.
({4})
Tm Art. 4 des Grundvertrages heißt es, „daß keiner der beiden Staaten den anderen international vertreten oder in seinem Namen handeln kann". Daneben gilt aber auch die Formulierung in den NATO-Verträgen weiter, daß die NATO-Partner „die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als die einzige deutsche Regierung betrachten, die frei und rechtmäßig gebildet wurde und die daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreter des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen.
Das war die Wahrheit, die bis 1969 galt, weil es dagegen keine Mehrheit gab. Heute steht beides unvereinbar nebeneinander, und man empfindet die Frage, wer künftig für Deutschland als Ganzes und für unsere in der Unfreiheit lebenden Landsleute spricht, als Provokation.
Ist es nicht vielmehr eine Provokation, daß die Bundesregierung dem Parlament die Antwort auf sachlich begründete Fragen schuldig bleibt?
({5})
Die Bundesregierung sagt, die DDR sei für sie kein Inland, was im übrigen die logische Folge der Aufgabe der Identitätstheorie wäre; sie sei aber auch kein Ausland, sondern irgend etwas Besonderes, was aber im Grundvertrag nicht definiert ist. In Art. 1 des Grundvertrages wird die Entwicklung normaler gutnachbarlicher Beziehungen vereinbart. Unter „normal" versteht doch alle Welt wohl völkerrechtliche Beziehungen. Es fällt deswegen schwer ins Gewicht, daß keinerlei Vorbehalte im Hinblick auf Beziehungen besonderer Art gemacht wurden. Man überläßt die Klärung also wohl der Zukunft, oder man trägt den Streit z. B. auf dem Rücken der Auslandspresse aus, die sich deutscher als die Deutschen selber vorkommen muß.
Klaus Schütz zeigte dieses Dilemma in einem Aufsatz schon um die Jahreswende 1970 in aller Deutlichkeit auf. Er wies darauf hin, daß die Formel „nicht Inland, nicht Ausland" zerrieben werde, und er kommt zum Schluß - ich zitiere-:
In der Praxis also fällt die Formel „weder Inland noch Ausland" zusammen. Sie kann als Regulativ eine Weile die deutsche Frage offenhalten, mehr nicht.
Offenbar hat die Mehrheit vor der Bundestagswahl 1972 nicht ausgereicht, um das zu sagen, was Herbert Wehner bereits vor Jahren für notwendig hielt. Immer wieder hat er auch in den letzten Jahren darauf hingewiesen, daß die „Fisematenten", wie er sagt, auf die Dauer nicht wirksam seien. Irgendwann, so sagte er, werde genug des „Spiels mit Worten" sein, und wir könnten eines Tages auch zur völkerrechtlichen Anerkennung gezwungen sein.
Vieles deutet darauf hin, daß eine solche Entwicklung mit dem Grundvertrag angesteuert wird, damit man dann die Mehrheiten findet, die es heute noch nicht gibt. Ich habe den Eindruck, daß dies auch das Konzept des Sonderministers Bahr ist. Er wird aber auch hier von seinem Bundeskanzler gedeckt, der schließlich bei seinem Treffen mit Herrn Stoph in Kassel vormittags noch die völkerrechtliche Anerkennung ablehnte, um nach dem Essen mitzuteilen, daß sich im Laufe der Zeit auch diese Frage werde lösen lassen. So reiht sich Widerspruch an Widerspruch, und trotzdem verweigert die Bundesregierung bis heute eine klare Stellungnahme.
Ein Wort zum Thema „Wiedervereinigung". Im Ausland - das ist hier mehrfach gesagt, mehrfach belegt und dokumentiert worden - empfindet man den Grundvertrag allgemein als eine Besiegelung der Teilung Deutschlands. Andererseitis haben unsere westlichen Verbündeten im Deutschland-Vertrag ein wiedervereinigtes Deutschland mit einer freiheitlich-demokratischen Verfassung zu ihrem gemeinsamen Ziel erklärt. Sie könnten sich aus dieser Verpflichtung aber entlassen fühlen, wenn die Deutschen selbst nicht mehr daran festhalten.
Nun hat der Herr Bundeskanzler ausgerechnet vor seiner Abreise zum Treffen mit Herrn Stoph in Erfurt erklärt:
Wir haben die Einheit verloren, und es gibt bestimmt keinen Weg zurück.
Warum - so wird man sich im verbündeten Ausland doch fragen - sollten wir denn an der Wiedervereinigung Deutschlands festhalten, an die doch der deutsche Bundeskanzler offenbar selbst nicht mehr glaubt? Es wird sehr schwierig sein, unsere Verbündeten davon zu überzeugen, daß wir alle gemeinsam an der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit festhalten. Die Opposition jedenfalls wird die Bundesregierung bei solchen Bemühungen gern und rückhaltslos unterstützen.
In Art. 3 des Grundvertrages wird die Zonengrenze jetzt und in der Zukunft zur unverletzlichen Staatsgrenze erklärt. Wir wissen alle, was man im Osten darunter versteht. Deswegen möchte ich dazu hier ein klares Wort sagen. Und damit das niemand als Provokation empfindet, möchte ich Willy Brandt zitieren. Er geht bei seiner Aussage von der kommunistischen Interpretation des Begriffs „unverletzlich" aus und fragt dann wörtlich:
Was heißt das? Die Sowjetunion würde jeden, der die Wiedervereinigung unseres Volkes verlangt, als einen gefährlichen Revisionisten anprangern.
Und Willy Brandt fährt dann fort:
Ich möchte in allem Ernst und in voller Offenheit darauf aufmerksam machen, daß wir in diesem Sinne Revisionisten sein würden und sein müßten. Wir können und wir würden diese Grenze nicht wie die eines fremden Staates respektieren. Wir müßten sie zu überwinden suchen, weil wir die Wiedervereinigung unseres Volkes fordern und nie aufhören werden, das Selbstbestimmungsrecht zu fordern. In diesem Sinne
- so fährt Willy Brandt fort -Revisionist zu sein, kann über Tod oder Leben der Demokratie in Deutschland entscheiden.
So weit der Regierende Bürgermeister Willy Brandt. Ich stimme ihm nachdrücklich zu, auch heute noch.
Ich will zum Schluß noch auf die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte eingehen, über die im Grundvertrag selbst - hier ist zu den Gründen, weswegen das so ist, einiges gesagt worden - nichts steht. Sie sind, wenn Deutschland als Ganzes völkerrechtlich untergegangen ist oder untergehen sollte, der einzige, der letzte Anker, der den Ostverträgen und nunmehr dem Grundvertrag noch den Charakter eines Modus vivendi verleiht, also einer vorläufigen und nicht endgültigen Regelung. Aber dies scheint mir ein äußerst zerbrechlicher Anker zu sein. Keiner kann doch garantieren, daß diese Rechte nicht eines Tages aufgegeben oder zerstört werden. Dann wäre also die getroffene Grenzregelung doch endgültig. Schon jetzt müssen wir feststellen, daß die Vier Mächte sich zwar auf ihre Rechte berufen, daß sie aber nicht einmal mehr imstande sind, diese Rechte einvernehmlich zu formulieren, zu formulieren, worauf sich diese gemeinsamen Rechte beziehen, nämlich auf Deutschland als Ganzes und auf Berlin. Deswegen, meine Damen und Herren, hätte wenigstens die Geltungsdauer des Grundvertrages an den Fortbestand eindeutig formulierter Vier-Mächte-Rechte gebunden werden müssen. Diesem Mangel kommt bei der Beurteilung des Vertrages ganz entscheidende Bedeutung zu.
Ich habe in der Debatte am 24. Januar von der Bundesregierung eine aktuelle Interpretation des Begriffs „Deutschland" erbeten. Deutschland, so sagte ich damals für meine Fraktion, ist für uns mehr als nur ein zeitlich begrenzter allierter Vorbehalt. Minister Bahr hatte dem zugestimmt und auf meine Zwischenfragen, was Deutschland denn nun konkret sei, wörtlich folgende Antwort gegeben:
Nein, nein. Aber Kinder! Zunächst einmal: Wir haben eine Situation, in der die juristische Klammer in der Tat in den Vorbehalten der Vier Mächte existiert. Und dann haben wir einen Auftrag des Grundgesetzes. Und dann
haben wir von Deutschland Geschichte, und zwar eine Geschichte sehr verschiedener Art, wie wir wissen. Und dann ist Deutschland das, was in den Menschen hier und drüben an Willen lebendig gehalten werden kann; ...
Meine Damen und Herren, diese Definition eines deutschen Chefunterhändlers in Sachen Deutschland mag, da er sich ja an Kinder gewandt hatte, für Kinder ausreichend sein. Für mich ist diese Stellungnahme in ihrer Verschwommenheit ungenügend.
({6})
Ich meine, es muß der Bundesregierung zugemutet werden - deswegen wiederhole ich diese Frage hier -, die deutschen Rechte und die deutschen Interessen eindeutig zu formulieren. Die Bundesregierung steht wie wir unter dem Auftrag des Grundgesetzes, nicht nur die Einheit der Nation zu wahren - darin mögen wir uns einig sein -, sondern auch in freier Seltbsbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
({7})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Wallmann hat in seiner Rede in Form der Frage Behauptungen und Unterstellungen über angebliche Geheimabmachungen, was die Zulassung der DKP betrifft, gegenüber der Bundesregierung vorgetragen. Diese Behauptungen und Unterstellungen weise ich mit Entschiedenheit zurück.
({0})
Ich möchte dem Kollegen empfehlen, sich einmal um die Darlegungen der Bundesregierung zu kümmern und sich darüber zu informieren, wie die Fragen der Zulassung der DKP erörtert worden sind. Der Bundesminister hat sich dazu im Bundestag ausführlich geäußert. Der Vorgang fällt zum Teil noch in die Zeit der Großen Koalition. Hätte sich der Kollege Wallmann um eine solche Aufklärung bemüht, wäre es unmöglich gewesen, diese Rede in dieser Form hier zu halten. Ich bedaure, daß dies geschehen ist.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kreutzmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die beiden letzten Reden hier in diesem Saal angehört hat, fühlte man sich um 20 Jahre zurückversetzt.
({0})
Ich hatte den Eindruck, daß der Kollege Dr. Wallmann noch nachträglich danach strebt, die Rolle eines deutschen McCarthy zu übernehmen.
({1})
Seine Ausführungen waren ein Teil der Strategie der Opposition, uns die Verantwortung für das zuzuschieben, was sie mit der Politik der letzten 20 Jahre weitestgehend zu verantworten hat. Der Grundvertrag ist für sie dabei Vehikel. Sie, meine Damen und Herren von der Oposition, haben schon in der letzten Phase des Bundestagswahlkampfes versucht, mit der Verketzerung des Grundvertrages als Teilungsvertrag Emotionen gegen uns zu wekken. Man kann nicht bestreiten, Sie lassen sich das etwas kosten. Sie haben heute ja nicht nur Herrn Wallmann und Herrn Windelen auf das Podium geschickt; Sie haben die ganze Equipe Ihrer Professoren ins Treffen geführt.
({2})
Sie haben aber dabei das Pech mit typisch deutschen Professoren: Jeder von ihnen hat eine andere Meinung vertreten. Herr Carstens ist gegen den UNO-
Vertrag; Herr Klein, den wir noch hören werden, ist dafür. Herr Carstens bezieht sich lieber auf 1848; Herr Abelein will zurück zum deutschen Nationalstaat von 1871.
Die Opposition hat sehr viel von staatlicher Einheit gesprochen. Eines haben wir allerdings vermißt, nämlich daß sie konkrete Vorschläge gemacht hätte, wie in dieser Zeit ein einheitlicher deutscher Nationalstaat zu verwirklichen sein soll.
({3})
Daß dieser deutsche Nationalstaat für viele ein Schreckgespenst ist, läßt die Opposition dabei ebenso außer acht wie die Tatsache, daß der andere deutsche Staat diese staatliche Einheit zumindest im jetzigen Zeitpunkt nicht will. Das ist nicht unsere Schuld, auch wenn die Opposition manchmal so tut, es hätte die Regierung und nicht andere die Lage geschaffen, wie sie nun einmal sind.
Diese Regierung versucht doch nur, aus der deutschen Situation unserer Tage zu machen, was unter den gegebenen Umständen daraus gemacht werden kann. Dabei sind Verhandlungen und Verträge der einzige Weg. Wir können doch der DDR unser Konzept und unsere Vorstellungen nicht einfach aufzwingen.
({4})
Wir müssen versuchen, auszuhandeln, was zu erreichen möglich ist.
({5})
Dazu schein uns der Grundvertrag ein gangbarer Weg gewesen zu sein.
Sie kritisieren, meine Damen und Herren von der Opposition, daß er in ein Rankenwerk von Briefen und Erklärungen eingebettet ist. Ich gestehe freimütig: Auch mir wäre lieber, wenn der Inhalt dieser Briefe in den Vertrag selber hätte aufgenommen werden können. Aber Sie vergessen bei der Be632
urteilung der Annexe und des Vertrags, daß die DDR mit diesem Vertrag genau wie seinerzeit mit dem Berlin-Abkommen einen politischen Salto mortale schlagen mußte, den sie eben teilweise nur in Raten und Dosen an ihre Funktionäre und Bürger verkaufen kann. Was diese Erklärungen und Annexe wert sind, sehen Sie doch an jenen Auswirkungen der Briefe, die in der Zwischenzeit in die Praxis umgesetzt wurden: von der Freilassung der politischen Häftlinge an bis zur Familienzusammenführung.
Noch etwas: Sie haben in Ihrer Propaganda immer wieder jeden Fortschritt in der Annäherung der deutschen Staaten mit der Forderung auf Zugeständnisse im menschlichen Bereich verknüpft. Nun haben wir ein breites Spektrum an Zusicherungen menschlicher Erleichterungen, und da passen Sie. Herr Abelein hat heute in seinen Ausführungen erklärt, die Welt der Deutschlandpolitik sei 1969 noch in Ordnung gewesen. Sie war so in Ordnung, daß man die letzte Wasserleitung über die Zonengrenze und das letzte Stromkabel abgebaut hatte. Es ist also in Ihren Augen eine Bagatellsache, was mit diesem Vertrag und seinen Annexen erreicht wurde?
Ich möchte hier ein persönliches Erlebnis einflechten. Ich habe im Frühjahr 1970 einmal in einem Referat gesagt, man müsse sich benmühen, einen kleinen Grenzverkehr im Zonengrenzgebiet zu schaffen, daß man neue Grenzübergänge suchen sollte, daß man etwa an die Errichtung einer Freihandelszone denken sollte. Ein heute in diesem Hause sitzender Kollege nahm das zum Anlaß, den hessischen Ministerpräsidenten im Landtag zu fragen, was er von diesen Hirngespinsten hielte. Das Blatt Ihrer hessischen Landespartei hat Hohn und Spott über mich ergossen, was ich für illusionäre Vorstellungen kultivierte, ob mir nicht längst klargeworden sei, daß es an dieser Grenze kein Herüber und Hinüber gäbe.
Das, was Sie damals als Hirngespinste bezeichneten, hat diese Regierung durch ihre Politik möglich gemacht.
({6})
Statt nun diese positive Entwicklung zu begrüßen und alles zu tun, um den Spalt der Menschlichkeit zu erweitern und auszubauen, fahnden Sie mit einer Akribie, die einer besseren Sache wert wäre, nach jedem Blatt Papier, nach jedem eigenmächtigen Übergriff lokaler Parteiprominenzen, um damit den Nachweis zu führen, daß wir Sozialdemokraten entweder böswillig den anderen in die Hände arbeiten oder uns in unsere Illusionen einspinnen.
Wir haben niemals daran geglaubt, daß alle diese Verträge von Anfang an reibungslos laufen würden. Allzu leicht wird aber bei entstehenden Schwierigkeiten übersehen, daß wir erst am Anfang stehen, an dem sich naturgemäß Schwierigkeiten ergeben müssen. Wie dem auch sei, wir haben Erleichterungen durch den Vertrag erlangt und durch die mit dem Vertragswerk verbundenen Briefe Titel in die Hand bekommen, die wir vorher nicht hatten. Wir werden uns mit Geduld und Zähigkeit bemühen, aus diesen Titeln Fakten werden zu lassen. Die DDR wird nicht umhinkommen, sich an den Text der Abmachungen zu halten, wenn sie auf dem von ihr so heftig angestrebten Zielfeld der internationalen Politik glaubwürdig sein will. Dabei sollten wir nicht überall nur bösen Willen und eiskalte politische Strategie sehen.
Die Schaffung von Grenzübergängen in Gebieten, die bisher hermetisch abgeriegelt waren, erfordert ebenso Zeit, wie die Umstellung auf einen Tourismus, den man nicht gefördert hat. Auch die psychologische Umschulung des Behördenapparates, das Einschwören der Funktionäre auf die neue Lage muß, auch wenn es uns gegen den Strich gehen mag, mit in Rechnung gestellt werden.
Wie die Dinge auch anlaufen mögen, die Tatsache, daß junge Menschen in unserem Land Stätten deutscher Geschichte sehen können, die sie bisher nur aus Geschichtsbüchern kannten, Verwandte aufsuchen können, die sie teilweise nie in ihrem Leben gesehen haben, ist doch ein Fortschritt gegenüber dem, was war. Es ist nicht zu leugnen, selbst dann, wenn es zunächst nicht jedem möglich sein sollte zu reisen.
Sie sagen nun aber, der Schießbefehl besteht ja weiter. Ich kann nur sagen, daß ich mit Bedauern feststelle, daß Sie Schießbefehl und Todesanlagen an der Zonengrenze in der Zeit, in der Sie die Verantwortung trugen, nie so häufig erwähnt haben wie heute, obwohl sie ja gerade damals geschaffen worden sind.
({7})
Sie klagen uns nur an. Doch niemand von uns wird in Frage stellen wollen, daß uns dieser Schießbefehl wie ein Stachel im Herzen sitzt. Aber wir werden dieses System, das da aus nackter Existenzangst schießt, nicht von diesem Schießbefehl abbringen, indem wir alles dafür tun, diese Existenzangst zu schüren.
({8})
Herr Abgeordneter Dr. Kreutzmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger? - Bitte!
Sind Sie nicht der Auffassung, daß die Bundesregierung bei den Verhandlungen über das Zustandekommen dieses Grundvertrages doch auch einmal über die Möglichkeit hätte nachdenken sollen, sich die Zustimmung zum Eintritt der DDR in die Vereinten Nationen durch gewisse Zugeständnisse der anderen Seite auch auf diesem Gebiet abkaufen zu lassen und insbesondere einmal die Frage zu stellen, ob die Machthaber der DDR nicht bereit wären, als Zugeständnis etwa den Wegfall der automatischen Tötungsanlagen an der Zonengrenze in Betracht zu ziehen?
Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung hat ja für diese Zustimmung zum
Einzug der DDR in die Vereinten Nationen zum großen Teil diese wesentlichen Erleichterungen durchgesetzt. Das war ja mit das Moyens, das sie dabei benutzt hat.
({0})
Was ich hier sage, mag manchem sehr nüchtern klingen, der in Emotionen denkt. Aber uns geht es doch wohl hier nicht um Agitation, sondern um Hilfe für die Menschen. Dann aber müssen wir so handeln, wie diese Regierung handelt.
Herr Abgeordneter Dr. Kreutzmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert? - Bitte!
Sind Sie der Meinung, daß Herr Jäger mit seiner gegenüber dem ZDF bekanntgegebenen Ansicht, die CSU sei zu einer Verfassungsklage gezwungen, damit sie in ihrer Ablehnung dieses Vertrages überhaupt glaubwürdig bleibe, eine politische Grundhaltung gezeigt, die es nützlich erscheinen läßt, daß er sich hier jetzt noch ein Weilchen in die Praxis einarbeitet?
({0})
Ich kann das nur unterstreichen, Herr Kollege.
Die durch diesen Grundvertrag erzielten Erleichterungen und Bewegungsmöglichkeiten im innerdeutschen Verkehr können viel dazu beitragen, in der Begegnung Angst und Vorurteile abzubauen. Denn nur durch diese Begegnungen können Vorurteile auf beiden Seiten vermindert werden. Wer einmal mit Vertretern des östlichen Systems zusammenkam, der weiß, wie lange es oft gedauert hat, die ideologisch geprägten Vorstellungen voneinander abzubauen.
Ich meine, dazu gehört auch die Frage nach dem Begriff „Nation". Herr Abelein hat heute der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe die staatliche Einheit Deutschlands preisgegeben und flüchte sich in den unverbindlichen Begriff der Kulturnation, statt die Einheit der politischen Nation zu wahren. Ich habe vermißt, daß Herr Abelein den Begriff der politischen Nation definiert hätte. Sein historisches Beispiel jedenfalls hinkt nach. Ohne die Existenz einer deutschen Kulturnation nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wäre es wohl niemals zu der Gründung eines deutschen Einheitsstaates unter Bismarck gekommen. Diese Kulturnation hat das die Kleinstaaterei überwölbende Dach gebildet und deren Überwindung ermöglicht.
Aber der Begriff der Nation ist ja bis zum heutigen Tage noch niemals definiert worden. So, wie Sie ihn heute interpretiert haben, kommt er nach meinem Gefühl jedenfalls eher den Vorstellungen
Treitschkes nahe als denen irgendeines anderen Historikers.
({0})
Ich meine, der Bundeskanzler hat eine Definition dieses Begriffes der Nation gegeben, die durchaus den Begriff der politischen Nation im Sinne hat. Er hat in seiner Rede zur Lage der Nation gesagt:
Jede Politik, die der nationalen Einheit dienen will, muß jene Wirklichkeit erhalten helfen, die nicht erst 1871 anfing, dazusein, und die 1945 oder 1949 nicht aufhörte. Sie ist auch heute noch da, jene Wirklichkeit der deutschen Nation, die auf dem Bewußtsein der Deutschen als einer geschichtlich gewordenen Gemeinschaft beruht.
Dieses Bewußtsein und die auf ihm beruhende Wirklichkeit sind jedoch nicht ungefährdet. Deshalb kommt viel darauf an, der Jugend drüben und hüben das Gefühl für und das Wissen um das, was ihr trotz aller Teilung bleibt, zu erhalten und wiederzugeben und damit ihr Verständnis dafür zu wecken, daß die gemeinsame Geschichte deutscher Leistungen, deutscher Irrungen und deutschen Leides mehr umfaßt, als irgendeine enge Doktrin auszuschöpfen vermag. Diese Geschichte hat die charakteristischen Eigenschaften unseres Volkes geprägt und wird unser aller Zukunft mitbestimmen.
Ich meine, der Bundeskanzler hat mit diesen Ausführungen zugleich den Nationsbegriff, wie wir ihn verstehen, deutlich gegen den der DDR abgegrenzt. Er hat klargemacht, daß dieser Begriff nicht ausschließen, sondern einschließen will, daß er sich zu der Schicksalsgemeinschaft mit den Deutschen im anderen deutschen Staat bekennt und daß diese Schicksalsgemeinschaft erhalten werden muß.
Aber die Nation ist kein statisches Element, und sie steht auch nicht unantastbar im luftleeren Raum. Sie muß von uns jeden Tag neu errungen und gefestigt werden. Das aber erreicht man nicht, wenn man sich an die Grenze stellt, anklagt und nur mit dem Finger auf die andere Seite zeigt,
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sondern nur, wenn man sich ständig um die Erhaltung dieser Nation müht. Dabei kann ich auch die nicht ausschließen, die andere Vorstellungen von dieser Nation haben. Im Gegenteil, meine ich: wir müssen immer wieder versuchen, sie für die Einheit der Nation, die ja keineswegs nur eine staatliche Einheit sein muß, zu gewinnen. Die Voraussetzungen dafür können wir nur schaffen, wenn jeder Weg gesucht wird, die menschlichen Begegnungen zu vermehren und sich gegenseitig vom guten Willen zu überzeugen.
Die Frage, die wir nun in bezug auf diesen Vertrag stellen müssen, ist die, ob der Grundvertrag dieser Nation schadet oder nützt. Ein sehr renommierter Völkerrechtler, Professor Eberhard Menzel von der Kieler Universität, hat in seiner Kommentierung laut einem deutschen Nachrichtenmagazin erklärt - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten .
Das hat der Bahr grandios gemacht. Er hat kodifiziert, was faktisch ohnehin schon galt, und konserviert, was noch einmal gebraucht werden könnte: die Nation.
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Aber das ist ja nicht die einzige positive Einschätzung für das, was uns von der Einheit der Nation übriggeblieben ist. In den Briefen an die Botschafter der USA, der Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs haben die Bundesrepublik und die DDR ausdrücklich die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte und damit das Fortbestehen einer besonderen Bindung der Deutschen in den beiden Staaten bestätigt.
In vielerlei vertraglichen Verpflichtungen haben beide deutsche Staaten ausdrücklich diese Möglichkeit einer deutschen Wiedervereinigung kodifiziert. Die DDR wehrt sich zwar, wo sie kann, gegen die Idee des Fortbestehens eines besonderen Verhältnisses zwischen beiden deutschen Staaten, und sie kommt dabei oft zu den groteskesten Verrenkungen. Aber sie kann nun einmal, ob sie will oder nicht, nicht aus der deutschen Geschichte entfliehen. Zu ihr gehören nun einmal die Krupps und Krauses. Man kann sich aus der Geschichte nicht nur die guten Seiten auswählen und die schlechten den anderen zuschieben. Das nimmt der DDR im eigenen Lager niemand ab, noch viel weniger tut das die übrige Welt. Die Verhandlungen, die sie zur Zeit über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen führt, haben ihr das ja eindringlich klargemacht.
Aber wir sollten nicht glauben, daß das immer so bleiben muß. Wir erhalten die Zusammengehörigkeit der Nation nur dann, wenn wir ständig Wege zueinander suchen und uns nicht nur gegenseitig anklagen. Das heißt nicht, wie Sie immer behaupten, daß man das Unrecht nicht mehr Unrecht nennen dürfe; das heißt aber, daß wir nicht nur schwarzweiß sehen dürfen und uns eingestehen müssen, daß viele der Schwierigkeiten, die zwischen den beiden deutschen Staaten vorhanden sind, auch durch uns mit verschuldet wurden. Vor allem sollten wir daran denken, daß die Entstehung eines anderen deutschen Staates nicht ganz ohne unser Dazutun geschehen ist.
Unter diesem Aspekt ist auch die Diskussion um den „Bericht zur Lage der Nation" zu sehen, ein Thema, das heute nicht angeschnitten wurde, das mir aber doch sehr wesentlich erscheint. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, tun so, als ob Sie den Gedanken, einen solchen Bericht zu geben, erfunden hätten. Sie meinen aber auch über seinen Sinn allein bestimmen zu können. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich einmal folgendes sage. Ich habe manchmal den Eindruck, daß Sie der Meinung sind, der „Bericht zur Lage der Nation" müsse so etwas wie ein gesamtdeutsches Scherbengericht in Permanenz sein. Anders kann ich es mir nicht erklären, daß Sie immer wieder, noch ehe Sie die Materialien in die Hände bekommen hatten, davon geredet haben, sie seien instinktlos. Sie haben sie angeprangert, Sie haben kritisiert, daß man sie nicht sofort mit Kommentaren versehen habe. Ich meine, das zeugt davon, wie wenig politischen Instinkt Sie diesem Volk zubilligen. Ich meine weiterhin, damit ist auch Ihre Behauptung, Sie wollten ebenfalls Gespräche und Verhandlungen mit dem Osten, dahin zu verstehen, daß Sie solche Gespräche und Verhandlungen vorzugsweise unter propagandistischen Aspekten sehen.
Damit möchte ich zum Schluß kommen. Wir Sozialdemokraten sind nicht der Meinung, daß dieser Vertrag alle Probleme löst, die zwischen den Deutschen in beiden Teilen Deutschlands offenstehen. Wir sind aber der Ansicht, daß er Grundlagen schafft, auf denen man weiter an der Lösung der deutschen Probleme arbeiten kann. Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, solange die Menschen im geteilten Deutschland miteinander reden können, so lange bleibt uns der wichtigste Teil der Einheit der Nation gesichert, nämlich die menschliche Bindung, das menschliche Verstehen. Sie können auch durch die ideologische Abgrenzung nicht nachhaltig zerstört werden. Wir Sozialdemokraten meinen, daß eben, wenn auch das Werk dieser Begegnungen erst allmählich anzulaufen beginnt, 11 000 Begegnungen von Menschen unter 60 Jahren mit ihren Verwandten im Westen in einem Jahr doch mehr sind als 100 im Jahr zuvor. Wir haben die Hoffnung - wir werden das Unsere dazu tun, diese Begegnungen auszubauen -, daß ihr Volumen ständig anwächst, anstatt zurückzugehen.
Wir sollten noch ein Weiteres bei der Beurteilung des Vertrages sehen und berücksichtigen. Dieser Vertrag schafft zwischen einem Staat des Westens und einem Staat, der im östlichen Bündnissystem steht, Verbindungsmöglichkeiten, Besuchsmöglichkeiten, Kontaktmöglichkeiten, wie sie zwischen keinem anderen westlichen Staat und einem anderen Staat Osteuropas bestehen.
Ich meine daher, daß die positiven Seiten des Vertrages überwiegen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben - es war immer die These der Opposition, daß unser Verhältnis zur DDR von Zugeständnissen im menschlichen Bereich abhänge -, daß Verbesserungen erreicht worden sind. Auf diese Zugeständnisse haben wir nun einen Anspruch. Das ist für den Anfang das Äußerste, was wir erreichen konnten. Wir sollten daher dem Vertrag unsere Zustimmung geben, weil er den Menschen in Deutschland, im ganzen Deutschland nützt und damit zur Festigung des Friedens in der Welt beiträgt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Lassen Sie mich zu Beginn eine kurze Korrektur anmelden. Der Herr Kollege Ronneburger hat vorhin gesagt, der Bund der Mitteldeutschen habe einen Beschluß gefaßt, der praktisch einer Unterstützung der Politik dieser Bundesregierung gleichkomme. Ich darf Herrn Ronneburger darauf aufmerksam machen, daß hier kein Beschluß, sondern die Stellungnahme eines sozialdemokratischen Präsidiumsmitglieds vorliegt. Ich
glaube, es ist nicht verwunderlich, daß dieses sozialdemokratische Präsidiumsmitglied der Politik der Bundesregierung zustimmt.
Ein zweites, meine Damen und meine Herren. Es ist hier eben in einer, wie ich glaube, nicht ganz fairen Weise über den Herrn Kollegen Wallmann hergefallen worden, als er versuchte, seine Fragen an die Bundesregierung anzubringen. Herr Staatssekretär Moersch, wenn Sie sagen, der Bundesminister des Innern habe doch wohl zweifelsfrei alle diese Fragen geklärt, so darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Bundesregierung, und zwar auch der Herr Bundesinnenminister - uns, wie ich glaube, damals sicher guten Glaubens -, zunächst bestritten hat, daß bei den Gesprächen mit der Kommunistischen Partei Italiens und den Kontakten zur SED ein Mitglied der Bundesregierung dabei war. Daß heute noch in der Öffentlichkeit zahlreiche merkwürdige Versionen und kritische Versionen über diese Phase sozialdemokratischer Politik verbreitet sind, das liegt doch nicht an uns, sondern liegt daran, daß man es zunächst vertuschen wollte, dann hinterher ein wenig zugab und zum Schluß, als es sich nicht mehr vermeiden ließ, endlich mindestens so viel bekanntgab, wie auch in der Öffentlichkeit bereits bekanntgeworden war. Ich meine, wenn man von vornherein deutlich gesagt hätte, um was es sich handelte, wäre sicher manche Frage nicht mehr gestellt worden.
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Herr Kollege Wehner, Sie haben dann hier von
einem „Feind der Freiheit" gesprochen. Es lohnte vielleicht, in eine Replik einzusteigen. Aber ich möchte das heute abend nicht tun, sondern ich möchte noch ein Thema anschneiden, das der Herr Kollege Kreutzmann eben bereits angesprochen hat
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und von dem ich meine, daß es eigentlich möglichst früh in diese Debatte hätte eingeführt werden müssen, nämlich die Frage der menschlichen Erleichterungen. Dabei sage ich allerdings in aller Deutlichkeit: Es stört mich, daß man mit dem Begriff der menschlichen Erleichterungen von seiten der Bundesregierung und auch von seiten des Herrn Kollegen Kreutzmann in einer Weise hantiert, als sei es eine Keule, mit der man Kritiker des Grundvertrages mundtot machen könne.
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Diese Methode, geringfügige oder größere Lockerungen eines von der Ost-Berliner Regierung verhängten menschenrechtswidrigen Zwanges als parteipolitische Waffe einzusetzen, ist leider - und das muß hier einmal gesagt werden - nicht neu. Wir haben es erlebt, daß der heutige Bundesminister Egon Bahr während des Wahlkampfes plötzlich im Fernsehen so tat, als sei die Übersiedlung von 25 Bräuten zu ihren Verlobten in die Bundesrepublik etwas sensationell Neues, und wir haben erlebt, daß er tapfer verschwiegen hat, daß solche Übersiedlungen kleinerer Gruppen längst vor der Konzipierung seiner Ostpolitik praktiziert wurden; nur daß frühere Regierungen nicht daran dachten, derartige humanitäre Leistungen als parteipolitische Wahlkampfwaffe in den Tageskampf einzuführen.
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Wir haben in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, daß auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes plötzlich behauptet wurde, 3000 Gefangene des SED-Regimes würden amnestiert und kämen in die Bundesrepublik. Jeder, der hier im Saal ist, weiß doch, wie die Koalition diese Erklärung der anderen Seite im Wahlkampf ausgenutzt hat. Und dann stellt sich heraus, daß nicht einmal die Hälfte gekommen ist und daß die SED nach der schäbigen, bewährten Methode der NSDAP neben den wirklichen Regimegegnern auch Kriminelle entlassen hat, um die wirklichen Regimegegner hier in der Bundesrepublik zu diskriminieren. Mit einem Male jetzt nach der Wahl spricht keiner derer, die damals so lautstark so getan haben, als sei die Koalition für die Entlassung der angeblich 3000 verantwortlich, mehr davon. Als ich die Bundesregierung fragte, wie es denn aussieht, habe ich schwarz auf weiß bekommen, diese Amnestie sei nie Gegenstand von Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der DDR-Regierung gewesen.
Wenn meine Worte bei dieser Problematik etwas bitter klingen, so nicht zuletzt deswegen, weil ich buchstäblich am eigenen Leibe erfahren habe, welche Unmenschlichkeit vor menschlichen Erleichterungen steht. Ich möchte deswegen davor warnen, die Rationierung von Menschlichkeit durch die SED-Regierung als innenpolitische Waffe in der Bundesrepublik zu mißbrauchen.
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Jeder, der das tut, schlittert sicher ungewollt, aber doch in eine faktische Komplizenschaft mit der anderen Seite hinein.
Ein zweites in diesem Zusammenhang. Wenn die Bundesregierung weiter die Sorgen der Opposition wegen der Konsequenzen des Grundvertrages durch eine falsche Akzentuierung des Themas der menschlichen Erleichterungen bekämpft, wird sie morgen auf dem Boden ihrer eigenen Logik von der Ostberliner Regierung vor die fatale Frage gestellt werden, in lebenswichtigen Fragen Konzessionen machen zu müssen oder eine leicht vergrößerte, aber immer noch viel zu geringe Dosierung menschlicher Erleichterungen aufs Spiel zu setzen.
Das auszusprechen bedeutet für mich nicht, die Freude jedes einzelnen Menschen über ein heute mögliches Wiedersehen mit Freunden oder Verwandten im anderen Teil Deutschlands gering einzuschätzen.
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Nein, gerade weil ich reale Verbesserungen für die Menschen in Deutschland schätze, gerade deswegen, weil ich selbst für größere menschliche Erleichterungen eintrete, widerspricht es meiner Auffassung von Menschlichkeit, das Kapitel der menschlichen Erleichterungen wie eine Waschmittelreklame einzusetzen.
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Es widerspricht auch meinem Begriff der Menschlichkeit, wenn man dieses Kernproblem in den Vertragsgesprächen und beim Vertragsabschluß in der Form behandelt hat, wie es geschehen ist.
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Selbst die kritiklosesten Verfechter der Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung werden doch nicht die Tatsache bestreiten können, daß die Zwangsmaßnahmen, die menschliche Erleichterungen in Deutschland überhaupt erst notwendig machen, typische Produkte kommunistischer Politik sind, mit Parallelen in sämlichen anderen Staaten des Warschauer Paktes.
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Wer nun zusätzlich aus seinen durch Fakten offenbar nicht zu korrigierenden Vorurteilen gern die Politik früherer Bundesregierungen mitverantwortlich machen möchte, wie das leider auch der Bundeskanzler heute in seiner Einbringungsrede versuchte, der müßte konsequenterweise den Herrn Bundeskanzler mit dafür verantwortlich machen, daß während seiner Amtszeit die Selbstschußanlagen an der Zonengrenze errichtet worden sind.
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Ich meine aber, wir sollten uns in diesem Hause - und hier schließe ich den Bundeskanzler ein - nicht auf ein derartiges Niveau begeben, wir sollten nicht versuchen, die Schuld beim Ermordeten zu suchen, sondern beim Mörder, genauer gesagt, bei den Schreibtischmördern aus der SED, den Machthabern in der DDR.
Wenn wir uns aber über die Schuld dieser Machthaber einig sind, wenn wir darüber hinaus wissen, in welcher eisigen Abwehrhaltung die SED-Führung jeder wirklichen menschlichen Erleichterung gegenübersteht, dann hätte es zu den ersten Pflichten des Verhandlungsleiters der Bundesrepublik, nämlich des Herrn Kollegen Bahr, gehört, darauf zu drängen, die von allen geforderten menschlichen Erleichterungen auch im Vertrag abzusichern.
In diesem Zusammenhang muß einmal gesagt werden, daß die westlichen Alliierten bei den Verhandlungen über das Berlin-Abkommen die Verbesserungen für die Berliner aus guten Gründen in den Vertragstext haben aufnehmen lassen, denn sie wollten nicht unwiderrufliche vertragliche Leistungen erbringen, während die andere Seite jederzeit widerrufbare Leistungen nur ankündigt. Die Bundesregierung - das ist heute in der Debatte schon gesagt worden - hat leider auf die Aufnahme der menschlichen Erleichterungen in den Vertragstext verzichtet.
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Es ist geradezu peinlich, aber es muß festgehalten werden: Die drei westlichen Alliierten haben die menschlichen Erleichterungen für Deutsche vertraglich besser abgesichert als die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland.
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Diese Tatsache ist für mich um so unverständlicher, als die Bundesregierung ja vor der Unterzeichnung des Vertrages Beispiele dafür hatte, wie andere kommunistische Regierungen mit nicht im Vertrag enthaltenen, sondern nur in Zusatzerklärungen zugesicherten menschlichen Erleichterungen umgehen. Ich darf an den Warschauer Vertrag erinnern. Bei den damaligen Verhandlungen verzichtete die Bundesregierung darauf, als Gegenleistung für die Festschreibung der Oder-Neiße-Linie das Recht der unter polnischer Hoheit lebenden Deutschen, in die Bundesrepublik auszureisen, auch durchzusetzen. Statt dessen begnügte sie sich mit einer sogenannten Information der polnischen Regierung, die wohl deswegen „Information" heißt, weil sie in Polen nie veröffentlicht worden ist. Sie begnügte sich mit einer Information, in der es hieß: Einige zehntausend Deutsche könnten ausreisen, - obwohl sie ebensogut wie wir wußte, daß beim Deutschen Roten Kreuz in Hamburg nicht weniger als 200 000 Anmeldungen für die Ausreise vorlagen. Die Bundesregierung hoffte damals einfach, der Geist der Zusammenarbeit werde die polnische kommunistische Regierung dazu bringen, nun die gegen ihren Willen zurückgehaltenen Deutschen in die Bundesrepublik ausreisen zu lassen.
Wer die Zahlen der letzten Monate sieht, dem ist klar, daß nichts davon in Erfüllung ging, sondern daß statt dessen die Zahl derer, die in die Bundesrepublik durften, zurückgegangen ist. Mit anderen Worten: die erhofften, aber im Vertrag nicht enthaltenen menschlichen Erleichterungen werden wir nun - und das haben die Verhandlungen des Herrn von Staden in den letzten Tagen in Warschau zweifelsfrei erwiesen - noch einmal bezahlen müssen.
Herr Kollege, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Sicher, mit Vergnügen.
Herr Kollege Reddemann, sind Sie bereit, das Haus darüber zu informieren, daß diese Information der Volksrepublik Polen nach deutscher Auffassung eine Voraussetzung für den Abschluß des Vertrages war, und sind Sie bereit, das Haus darüber zu informieren, daß diese Voraussetzung offenbar inzwischen in Wegfall geraten ist?
Herr Kollege Lenz, ich danke Ihnen für diese Frage. Vielleicht sollte man in einer weiteren Debatte einmal erörtern, welche Konsequenzen sich aus der Tatsache des Wegfalls dieser Voraussetzungen für uns bieten.
Wenn wir die Situation überblicken, wenn wir uns darüber im klaren sind, wie die Entwicklung auf der polnischen Seite war, dann sollten wir nicht etwa in den Glauben verfallen, das sei eine polnische Spezialität. Diese Art Politik zu treiben, ist die Methode von Diktaturen, ist auch die Methode der SED.
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Im Gegensatz zu vielen Träumern innerhalb und außerhalb des Hauses müssen wir dem heutigen Bundesminister Egon Bahr sicher bescheinigen, daß er das sehr genau gewußt hat. Denn er hat ja versucht, die menschlichen Erleichterungen in den Vertrag mit einzubauen. Aber auf die Schnelle, mit der man plötzlich verhandeln mußte, war sein Kontrahent aus Ost-Berlin, der dortige Staatsekretär Michael Kohl, nicht bereit, die menschlichen Erleichterungen in den Vertrag aufzunehmen.
Deswegen - auch das weiß man ja heute - hat Herr Bahr verlangt, die DDR solle in dem jetzt bekannten Brief wenigstens mitteilen, daß sie unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Vertrages menschliche Erleichterungen in Kraft setzen will. Aber auch hier hat die SED-Regierung, auch hier hat Herr Kohl auf Weisung des Politbüros nicht mitgezogen. Deswegen haben wir jetzt einen noch schwammigeren Brief, in dem die merkwürdige Formel lautet, daß erst im Zuge der Normalisierung der Beziehungen nach Inkrafttreten des Vertrages überhaupt diese menschlichen Erleichterungen ins Auge gefaßt werden. Meine Damen, meine Herren, substanzloser geht es wirklich nicht mehr.
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Ich weiß, daß jetzt von seiten der Koalition der Einwand kommt: Es war eben nicht mehr herauszuholen. Das ist der übliche Einwand für jemanden, der nicht das erreicht hat, was er möchte.
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Aber niemand verlangt von uns in diesem Hause oder überhaupt in der Opposition Wunder von Herrn Bahr. Nur muß man doch ganz nüchtern eines feststellen: Zum erstenmal seit 1949 war die Sowjetunion überhaupt bereit, auf Kosten der DDR-Regierung einen Vertrag mit der Bundesrepublik abschließen zu lassen, und zwar nicht etwa deswegen, weil die Sowjetunion uns gegenüber plötzlich sehr freundlich war, sondern einfach weil sie diesen Grundvertrag als Voraussetzung für die von ihr gewünschte europäische Sicherheitskonferenz ansieht, weil sie hofft, daß nach einem solchen Grundvertrag das Deutschlandproblem auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nicht mehr erscheinen kann.
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Wenn die Bundesregierung schon meint, auf die sowjetischen Vorstellungen einschwenken zu müssen - ich will dazu heute abend nichts mehr sagen -, dann hätte sie nach meiner Auffassung die Pflicht gehabt, in notfalls langandauernden und zähen Verhandlungen das Bestmögliche für die Menschen herauszuholen und nicht nur das, was augenblicklich vorliegt. Aber - auch das ist heute schon gesagt worden, nur muß ich es in diesem Zusammenhang noch einmal verdeutlichen - die Bundesregierung hat sich selber unter Zugzwang gesetzt, weil sie den Grundvertrag als einen wichtigen Teil ihrer Wahlkampfkonzeption ansah.
Jeder, der in Bonn ein bißchen mehr weiß als das, was im „Vorwärts" steht, wußte ja z. B., daß das Presse- und Informationsamt für den Tag, an dem der Grundvertrag tatsächlich paraphiert wurde, bereits Mittel zur Werbung für den Grundvertrag beim damaligen Finanz- und Wirtschaftsministerium angefordert hatte, und zwar schon Wochen vorher,
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schon zu einer Zeit, als Herr Bahr noch so tat, es existiere allenfalls das leere Papier, nicht aber ein Text. Wenn wir das gewußt haben, um wieviel schneller hat es die Regierung in Ost-Berlin gewußt! Herr Kohl und seine Auftraggeber wären schlechte Sachwalter ihrer Politik gewesen, wenn sie angesichts dieser Situation mehr als unbedingt notwendig zugestanden hätten.
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Das Ergebnis liegt nun vor. Wir haben der SED-
Regierung die Tore zur weltweiten Anerkennung aufgestoßen. Weitere menschliche Erleichterungen werden erst im Zuge einer von der SED dosierten Normalisierung vorbereitet.
Zugleich - auch das gehört zu dem Kapitel menschliche Erleichterungen - schafft die andere Seite in der DDR Tatsachen. Sie vergrößert in extensiver Weise den Kreis derer, die keine Westkontakte mehr haben dürfen. Die Bundesregierung weiß ebenso wie wir, daß der Pförtner einer Kreisverwaltung genauso wie ein Feuerwehrmann heute nicht nur nicht nach dem Westen reisen darf, sondern daß er sich verpflichten muß, seinen Verwandten nicht mehr zu schreiben, mit ihnen nicht mehr zu telefonieren, geschweige denn, sie einzuladen.
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Die Bundesregierung weiß ebenfalls, daß in letzter Zeit das, was wir früher als Sippenhaftung bezeichnet haben, in der DDR in geradezu erschreckender Weise zugenommen hat.
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Mit anderen Worten: Von der anderen Seite wird die Möglichkeit menschlicher Erleichterungen schon an der Basis systematisch beschnitten. Dessenungeachtet tut diese Bundesregierung, tut die Koalition vor diesem Hause so, als habe sie wirklich großartige menschliche Erleichterungen geschaffen.
Meine Damen, meine Herren, es könnten, ja es müßten noch einige weitere Themen in diesem Zusammenhang behandelt werden. Es müßte die Frage der Staatsbürgerschaft, die eine eminente Frage in dieser gesamten deutschlandpolitischen Auseinandersetzung darstellt, auch im Parlament besprochen werden. Wir müßten uns über die Vermögen von Flüchtlingen,
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über die Zwangsverwaltungen, die man drüben durchführt, unterhalten. Aber da ich davon überzeugt bin, daß diese Probleme nach dem Inkrafttreten des Grundvertrages in geradezu erschreckender Weise auf uns zurollen und ich im Augenblick mit einer Intervention hier auch keine Besserung erreichen könnte, werde ich dieses Thema zu einem späteren Zeitpunkt aufgreifen.
Ich möchte zum Schluß auf einen Punkt hinweisen, der das Thema der menschlichen Erleichterungen nur
mittelbar streift, der aber symptomatisch ist für die Politik dieser Bundesregierung, vor allem symptomatisch für die Art, wie man in Ost-Berlin verhandelt hat. Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der ausländische Gäste in Deutschland betrifft, nämlich die in der Bundesrepublik akkreditierten ausländischen Journalisten, die im „Verein der ausländischen Presse in der Bundesrepublik Deutschland e. V." organisiert sind. Ihnen wollte die Bundesregierung nicht nur zumuten, die laut Aussagen der Bundesregierung nicht als Ausländer anzusehenden DDR-Journalisten aufzunehmen, obwohl die beim Registergericht genehmigte Satzung des Vereins nur Ausländer als Mitglieder zuläßt, sondern der Verein sollte anschließend noch durch eine Erklärung der Bundesregierung desavouiert werden, in der die Bundesregierung den Standpunkt vertreten wollte,
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trotz der Aufnahme der DDR-Journalisten in diesen ausschließlich Ausländern vorbehaltenen Verein handele es sich eben nicht um Ausländer.
Nachdem der Herr Bundeskanzler deutschen Journalisten das Etikett „Schreibtischtäter" aufgeklebt hatte, verfügte jetzt sein Sonderminister über ausländische Journalisten, als seien sie verfügbare Figuren eines Polit-Schachspiels Kohl-Bahr.
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Mir ist das nicht nur als deutschem Staatsbürger gegenüber ausländischen Gästen peinlich, sondern mir ist es als Journalist doppelt peinlich, wenn ich sehe, wie die ehemaligen Journalisten Brandt und Bahr mit ihren Kollegen anderer Nationalität umspringen.
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Lassen Sie mich zum Schluß kommen, meine Damen, meine Herren. Das Kampforgan dieser Regierung, das vom Kurzzeitabgeordneten Rudolf Augstein geleitete Nachtrichtenmagazin „Der Spiegel", hat in seiner jüngsten Ausgabe einen, wie ich meine erschütternden Bericht über die Nichteinhaltung der polnischen Versprechen auf dem Gebiet der menschlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dieser Bericht sprach von Selbstmorden, von Nervenzusammenbrüchen und von Dingen, die auf dieser Seite der Grenze einfach nicht vorstellbar sind. Dieses Blatt zitiert einen Beamten des Auswärtigen Amtes, der nach eigener Aussage die Ostpolitik der Bundesregierung von Anfang an befürwortet hat. Dieser Mann sagte wörtlich über die Art, wie man sich im Gefolge des Warschauer Vertrages an einer Kodifizierung der menschlichen Erleichterungen vorbeigeschlichen hat: „Hier ist schlampig und hastig verhandelt worden."
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Ich kann zu dem Teil der Bahr-Kohl-Verhandlungen, der hier ebenfalls ohne vertragliche Absicherung zur Debatte steht, nur hinzufügen: Kürzer und präziser ist auch diese Verhandlung samt ihrem Ergebnis nicht zu charakterisieren.
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Meine Damen und Herren! Nach den interfraktionellen Vereinbarungen unterbreche ich die Sitzung für heute bis morgen früh und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Freitag, den 16. Februar 1973, 8 Uhr, zur Fragestunde ein.
Die Sitzung ist geschlossen.