Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt werden:
1. Zweite Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl ({0}), Schmidhuber, Dr. Wittmann ({1}), Dr. Kreile, Dr. Müller ({2}), Dr. Probst, Höcherl, Orgaß, Damm, Rollmann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften in der kreisfreien Stadt München und im Landkreis München sowie in der Freien und Hansestadt Hamburg
- Drucksache 7'1576 Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({3})
- Drucksache 7/2634
Berichterstatter: Abgeordneter Polkehn
Abgeordneter Orgaß
({4})
2. Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schöfberger, Schmidt ({5}), Bredl, Marschall, Vahlberg, Frau Dr. Riedel-Martiny, Staak ({6}), Dr. Apel, Pawelczyk, Glombig, Engelhard, Frau Schuchardt und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften in der kreifreien Stadt München und im Landkreis München sowie in der Freien und Hansestadt Hamburg
- Drucksache 7/1671 Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({7})
-- Drucksache 7,'2634 Berichterstatter: Abgeordneter Polkehn
Abgeordneter Orgaß
({8})
3. Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften in der kreisfreien Stadt München und im Landkreis München sowie in der Freien und Hansestadt Hamburg
- Drucksache 7/ 2069
Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({9})
--- Drucksache 7/2634 Berichterstatter: Abgeordneter Polkehn
Abgeordneter Orgaß
({10})
Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das Haus ist einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Die Mündlichen Anfragen für den Monat August ({11}) werden zusammen mit den dazu erteilten schriftlichen Antworten als Drucksachen 7/2535 und 7/2642 verteilt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 1. Oktober 1974 mitgeteilt, daß sie ihre Vorlagen
Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs ({12})
Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung von Inflationsschäden bei der Einkommen- und Lohnsteuer ({13}) ({14})
als erledigt zurückzieht.
Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom
9. Oktober 1974 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben
hat:
Beschluß des Rates betreffend einen Briefwechsel über die Zollregelung für bestimmte Fischereierzeugnisse mit Ursprung in Norwegen
Verordnung ({15}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({16}) Nr. 3609/73 des Rates vom 27. Dezember 1973 über die Zollregelung für bestimmte Fischereierzeugnisse mit Ursprung in Norwegen
- Drucksache 7/1960 Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 11. Oktober 1974 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung ({17}) des Rates
zur Festsetzung der einheitlichen Interventionspreise für Gerste, Roggen, Hartweizen und Mais sowie der wichtigsten Handelsplätze für Weichweizen und zur Festsetzung der entsprechenden abgeleiteten Interventionspreise für das Wirtschaftsjahr 1974/75
zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge zu den Preisen für Getreide und Mehl, Grütze und Grieß von Weizen oder Roggen für das Wirtschaftsjahr 1974/75
- Drucksache 7/1764 - Verordnung ({18}) des Rates
zur Änderung der Verordnung Nr. 145/67/EWG zur Festsetzung der Vorschriften für die Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für Eier
- Drucksache 7/2335 - Verordnung ({19}) des Rates
zur Änderung der Verordnung Nr. 146/67/EWG zur Festsetzung der Vorschriften für die Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für Geflügelfleisch
- Drucksache 7/2337 -Verordnung ({20}) des Rates
zur Änderung der Verordnung Nr. 120/67/EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide
- Drucksache 7/2385 - Verordnung ({21}) des Rates
über allgemeine Regeln für die Destillation von Tafelwein in dui Zeit vom 1. Juli 1974 his zum 30. September 1974
- Drucksache 7/2359 - Verordnung ({22}) des Rates
über die Destillation der Nebenerzeugnisse der Weinbereitung
- Drucksache 7/2360 - Verordnung ({23}) des Rates
zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge zum Richtpreis und zum Interventionspreis für Ölsaaten für das Wirtschaftsjahr 1974/75
- Drucksache 7/2362 - Verordnung ({24}) des Rates
über den Pauschbetrag für nicht raffiniertes Olivenöl, das vollständig in Griechenland erzeugt wurde und aus diesem Land unmittelbar in die Gemeinschaft befördert wird
- Drucksache 7/2386 8308
Vizepräsident Schmitt-Vockenhausen
Verordnung ({25}) des Rates
zur Änderung der Verordnung Nr. 139/67/EWG betreffend die Festsetzung und Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Getreide
- Drucksache 7/2392 Verordnung ({26}) des Rates
über eine Beihilfe iur den Transport von Qualitätsweinen bestimmter Anbaugebiete in der Weinbauzone A.
- Drucksache 7/2444 Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich zunächst den Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum
- Drucksache 7/2011 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({27})
- Drucksachen 7/2629, 7/2633 Berichterstatter: Abgeordneter Gnädinger Abgeordneter Dr. Hauser ({28})
({29})
Ich frage, ob von den Herren Berichterstattern eine Ergänzung Ihrer Berichte gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern.
Ich rufe in der zweiten Beratung die Art. 1, 2 und 3 auf. Zu Art. 3 liegt ein Änderungsantrag auf Ergänzung des § 2 Abs. 2 - Drucksache 7/2659 - vor. Ich frage, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hauser ({30}).
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! In der Vergangenheit hat die Vorschrift des § 3 Abs. 2 des Wohnraumkündigungsschutzgesetzes, die annähernd wörtlich mit der neuen Bestimmung des § 2 Abs. 3 übereinstimmt, entscheidend zu den oft beklagten außerordentlichen Schwierigkeiten bei den Mieterhöhungsklagen beigetragen. Deshalb hat der Gesetzgeber heute die Aufgabe, bei der neuen Vorschrift von vornherein solche Schwierigkeiten auszuräumen und eindeutig klarzustellen, daß zu hohe Anforderungen nicht mehr aus dem Gesetzestext herausgelesen werden können. Der Sachverhalt ist, kurz gesagt, folgender:
Der Vermieter hat mit seinem schriftlichen Mieterhöhungsverlangen die Gründe geltend zu machen, die sein Begehren rechtfertigen sollen. So sieht es das Gesetz vor. Wenn der Mieter nicht zustimmt, bleibt dem Vermieter der Gang zum Gericht. Er kann dann auf Zustimmung zu seiner Erhöhungsforderung klagen. Hier war nun die Rechtsprechung weitgehend zu der Auffassung gekommen, der Vermieter müsse bereits in seinem allerersten Aufforderungsschreiben alle Beweise, vor allem die mehrfachen Vergleichsobjekte, auf die er zurückgreifen will, genau aufführen und schon da in allen Einzelheiten nach Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage umschreiben. Wenn nun dieses Aufforderungsschreiben neben der sonstigen Rechtfertigung der verlangten Mieterhöhung diese Angaben nicht
enthielt, wurde die Klage in vielen Fällen schlankweg abgewiesen, weil angeblich eine schlüssige Klagebegründung fehle. Es wurden also, obwohl der Gesetzestext dies so gar nicht verlangt, schon alle detaillierten Angaben im Erhöhungsschreiben als unabdingbare Prozeßvoraussetzung gefordert. Ob die verlangte Miete dem üblichen Entgelt vergleichbarer Wohnungen entsprach, wurde also im Rechtsstreit überhaupt nicht mehr geprüft.
Diese ausgeuferte Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht zurechtgerückt. Es ginge nicht an, so das Bundesverfassungsgericht, daß in der Wirkung materielles Recht durch verfahrensrechtliche Hürden geändert würde, so daß dann ein im Gesetz nicht angeordneter Mietpreisstopp eintreten würde. Mit dem Schutzbedürfnis des Mieters ließe sich auch nicht begründen - so wörtlich das Karlsruher Gericht -, daß jede spätere Ergänzung oder Berichtigung ungenügender Angaben unbeachtlich sein soll.
Angesichts der so verworrenen Rechtsprechung, wie wir sie leider auf diesem Gebiet zu beklagen haben, ist eine solche Feststellung unseres obersten Gerichtes unweigerlich ein Auftrag an den Gesetzgeber, hier klare Vorschriften zu treffen, um auf diese Weise ähnliche Schwierigkeiten von vornherein für die Zukunft auszuschalten. Dieser Forderung nach präzisen Weisungen des Gesetzgebers entgegenzuhalten - ich darf gleich einen Einwand aufgreifen, der im Rechtsausschuß gebracht wurde -, eine solche Verdeutlichung des Gesetzes sei nicht erforderlich und was hier das Verfassungsgericht als Maßstäbe gesetzt habe, werde sowieso von allen Gerichten beachtet, läßt meines Erachtens den notwendigen Respekt vor unserem obersten Gericht vermissen.
Darüber hinaus halten wir eine Klarstellung für um so dringlicher, ja geradezu zwingend, als der neue Gesetzestext für die Abfassung des Erhöhungsschreibens noch ein weiteres Merkmal, noch eine weitere Voraussetzung hinzufügt. Verlangt er doch nun nicht nur wie bisher, daß der Vermieter seinen Erhöhungsanspruch - wie es wörtlich heißt -„unter Angabe der das Erhöhungsverlangen rechtfertigenden Gründe" geltend zu machen habe, vielmehr steht jetzt zusätzlich und nach meiner Überzeugung, Herr Minister, völlig überflüssig im Text, der Vermieter habe diesen Anspruch auch zu begründen. Wenn also schon der alte Text eine derart restriktive Ausdeutung gefunden hat, besteht die außerordentliche Gefahr, daß die Gesetzesinterpreten bei einem Gesetzesvergleich sofort fragen: Wollte hier der Gesetzgeber eine neue, eine besondere Hürde aufbauen, wenn er nun noch ausdrücklich von „begründen" spricht? Dem, Herr Minister, gilt es vorzubeugen und für das Verfahren eindeutig in der Vorschrift selbst klarzustellen, daß etwas Derartiges nicht gewollt ist, sondern im Gegenteil, wie es in der Entscheidung des Verfassungsgerichts als Richtlinie gegeben wurde, die etwa erforderlichen Klagerechtfertigungen auch noch im Prozeß selbst vorgebracht werden können.
Dies allein bezweckt unser Antrag, den wir mit der Drucksache 7/2659 stellen.
({0})
Meine Damen und Herren, damit ist der Antrag begründet.
Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herrn! Wir bitten, diesen Änderungsantrag abzulehnen, denn die im Änderungsantrag verlangte Einfügung ist unnötig, mißverständlich und daher schädlich.
Im bisherigen Recht hieß es, der Mieterhöhungsanspruch müsse durch die den Antrag rechtfertigenden Gründe geltend gemacht werden. Das heißt: bisher mußte der Antrag begründet werden, und zwar so begründet werden, daß allein durch diesen Antrag sich die Waagschale schon zugunsten der Vermieter geneigt hat. Das hat Schwierigkeiten in der Rechtsprechung gegeben.
Deshalb haben wir mit Absicht dieses bisherige Recht geändert. Jetzt heißt es: „Der Anspruch ist zu begründen." Das ist keineswegs überflüssig. Es gelten hier die allgemeinen prozeßrechtlichen Vorschriften, etwa die des § 268 der Zivilprozeßordnung, wo es heißt, daß tatsächliche und rechtliche Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden können, solange es keine Klageänderung darstellt, außerdem die Vorschrift, daß nachträgliches Vorbringen, das die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, bei Verschulden der Partei zurückgewiesen werden kann.
Bei dieser Geltung der allgemeinen Vorschriften auch in diesem speziellen Punkt wollen wir es belassen. Damit ist klargestellt, daß nachträgliches Vorbringen nicht ausgeschlossen ist. Zur Beruhigung, Herr Kollege Hauser: Es ist nicht nur dadurch klargestellt, sondern auch durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Wir sollten nicht den Eindruck erwecken - den wir erweckten, wenn wir den Änderungsantrag annähmen -, als sei bei diesem speziellen Punkt allgemeines Prozeßrecht teilweise außer Kraft gesetzt. Wir erwiesen uns einen sehr schlechten Dienst, wenn wir diesen Änderungsantrag annähmen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf der Drucksache 7/2659. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Art. 3. Wer diesem Artikel in der zur Abstimmung vorgelegten Fassung zustimmt, gebe bitte das Zeichen. - Gegenprobe! - Eine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? - Bei einer Gegenstimme angenommen.
Ich rufe nunmehr Art. 4, 5, 5 a, 6, 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Bestimmungen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht,
gebe bitte das Zeichen. - Gegenprobe! - Eine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? - Bei einer Gegenstimme angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rechtsnormen, die der Deutsche Bundestag in so dichter Folge verabschiedet, sind von sehr unterschiedlicher Tragweite. Viele Gesetze betreffen jeweils nur eine geringe Anzahl unserer Mitbürger; andere sind für unser ganzes Volk von unmittelbarer Bedeutung.
Der Entwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung behandeln, gehört ohne Zweifel zur zweiten Gruppe; denn seine Regelungen berühren das tägliche Leben von mehr als 40 Millionen Menschen., die in unserem Lande zur Miete wohnen, aber auch von Millionen von Vermietern, unter denen sich übrigens nicht nur große Unternehmer und Eigentümer, sondern durchaus auch kleine Leute befinden.
Mietrecht, das ist nichts Abstraktes, Theoretisches; das ist Interessenausgleich in einem zentralen Lebensbereich. Schließlich ist ja die Wohnung keine Ware, sondern der Lebensmittelpunkt für den einzelnen und die Familien, der Ort, an dem er Schutz und Geborgenheit sucht. Die Wohnung ist somit eine der elementarsten Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein. Jede rechtliche Regelung dieses Bereichs muß sich daher in besonderem Maße an den Grundprinzipien unserer Verfassung orientieren. Sie muß sicherlich die vom Grundgesetz geschützte Institution des Eigentums respektieren, sie muß aber nicht minder mit der Sozialbindung des Eigentums Ernst machen und das Recht des Mieters auf freie und ungestörte Entfaltung beachten.
Die Gesetzgebung darf indes auch die wirtschaftlichen Aspekte nicht aus den Augen verlieren. Immerhin stellt der Mietwohnungsbestand der Bundesrepublik einen Wert von Hunderten von Milliarden DM und damit einen erheblichen Teil unseres Volksvermögens dar. Diese Werte bedürfen gerade auch im Interesse der Mieter der Erhaltung, der Pflege und der Erneuerung in dem Sinne, daß neue Wohnungen auch in Zukunft aus privater Initiative nach Maßgabe des Bedarfs geschaffen werden.
Oberstes Ziel jeder Mietgesetzgebung ist demgemäß die dauernde Sicherung des sozialen Friedens zwischen Vermieter und Mieter, der Schutz der
rechlstreuen Verlragspartner vor Willkür, ein vernünftiger Interessenausgleich und die Erhaltung einer angemessenen Wirtschaftlichkeit. Die Erreichung dieses Ziels ist in der Bundesrepublik bisher nicht in vollem Umfang gelungen. Die rasche Aufeinanderfolge von nicht weniger als acht substantiellen Änderungen unseres Mietrechts seit 1949 ist dafür der beste Beweis. Insbesondere hat das im Jahre 1960 verabschiedete sogenannte Abbaugesetz, das seinerzeit von seinen Befürwortern als der große und abschließende Wurf bezeichnet wurde, die Erwartungen nicht erfüllen können.
Die Bundesregierung hat deshalb im Februar 1974 einen Entwurf vorgelegt, der - gestützt auf die Erfahrungen der Vergangenheit - rechtliche, soziale, und wirtschaftliche Sicherheit auf Dauer schaffen will. Erfreulicherweise sind seine inhaltlichen Grundprinzipien heute unumstritten. Sie lauten:
Erstens. Der vertragstreue Mieter soll seine Wohnung nur aufgeben müssen, wenn der Vermieter daran ein berechtigtes Interesse hat und dies im Streitfalle vor Gericht beweisen kann.
Zweitens. Mieterhöhungen dürfen nicht mit Kündigungsdrohungen erzwungen werden; sie sind vielmehr in einem gesonderten Verfahren zu behandeln und dürfen die ortsübliche Vergleichsmiete grundsätzlich nicht übersteigen.
Ich begrüße es, daß die Opposition heute auch dem Prinzip der Dauerregelung zustimmen will. Jede Befristung bewirkt Unsicherheit für die Beteiligten und steht deshalb der sozialen Befriedung im Wege. Auch die künftige Planung wird durch Befristungen nur erschwert.
Es ist bereits vorgetragen worden, in welchen Punkten der Entwurf während der Ausschußberatungen geändert wurde. Namens der Bundesregierung möchte ich einige dieser Änderungen ausdrücklich begrüßen: so die Beseitigung der sogenannten Kappungsgrenze bei den Modernisierungskosten, weil sie den zeitgemäßen Ausbau von Wohnraum erleichtert; weiter auch die Streichung der Möglichkeit, die Zinsen für das Eigenkapital in wechselnder, dem jeweiligen Marktzins entsprechender Höhe auf die Mieten umzulegen, weil dies zu Berechnungsschwierigkeiten und in der Folge zu einer Vielzahl von Streitigkeiten geführt hätte.
Die erleichterte Kündigungsmöglichkeit für Vermieter, die mit ihren Mietern in der eigenen Wohnung oder in einem Zweifamilienhaus zusammenwohnen, läßt sich im Rahmen einer Gesamtverständigung im Hinblick darauf vertreten, daß die Vertragsparteien hier in besonders enger Tuchfühlung miteinander leben. Vor Mißbräuchen sollen die Mieter die verlängerte Kündigungsfrist und auch die Überlegung schützen, daß solche Mißbräuche die Vermietbarkeit von Einliegerwohnungen nachhaltig gefährden würden.
Noch ein Wort zur Übergangsregelung für Hamburg und München. Hier habe ich, offen gesagt, die Haltung derer, die gegen die vom Ausschuß beschlossene Fassung Bedenken erhoben haben, nicht ganz verstanden. Die von diesen Opponenten geforderte Lösung wäre darauf hinausgelaufen, daß die Mieten für alle Altbauwohnungen mit einem Federstrich um 15 °/o erhöht werden, und zwar auch für diejenigen, bei denen die Vergleichsmiete eine solche Erhöhung gar nicht gerechtfertigt hätte. Warten wir doch einmal ab, was die Anwendung der Vergleichsmietvorschriften in Hamburg und München in den beiden nächsten Jahren ergibt! Vor übermäßigen Steigerungen sind die Mieter durch die 10%ige Höchstgrenze ja ohnehin geschützt. Sicher ist nur so viel: Bei der von den Opponenten vorgeschlagenen Lösung müßte jeder Altbaumieter ab 1. Januar 1975 15 % Miete mehr zahlen, nach der
Regelung des Entwurfs, die jetzt Gesetz werden soll, werden viele Mieter in diesen beiden Städten - ich behaupte sogar: die meisten - unter dieser Spanne bleiben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mit Genugtuung feststellen, daß die Vorlage der Bundesregierung im Ausschuß in allen wesentlichen Punkten nahezu einmütige Zustimmung gefunden hat.
Es bleibt mir im übrigen, allen Mitgliedern dieses Hauses zu danken, die innerhalb und außerhalb des Ausschusses an dieser Arbeit beteiligt waren. Wenn ich, stellvertretend für alle Beteiligten, meinen Amtsvorgänger Gerhard Jahn namentlich nenne, so deshalb, weil er sich in ganz besonderer Weise für das Zustandekommen dieses Gesetzes engagiert hat.
({0})
In meinen Dank schließe ich auch die Verbände ein.
Es besteht allerdings Anlaß, auch von dieser Stelle aus an den Haus- und Grundbesitzerverband zu appellieren, nicht in unfruchtbarer Ablehnung des Gesetzeswerkes zu verharren. Die Vermieter werden mit den neuen Bestimmungen nicht nur leben müssen, sondern auch leben können, und zwar besser als mit den bisherigen. Dies wird um so mehr zutreffen, wenn sich die Vermieter- und die Mieterorganisationen auf breiter Ebene zu einer vernünftigen Zusammenarbeit bereitfinden. Diese Zusammenarbeit, die in manchen Orten schon iseit längerem funktioniert, wäre vor allem bei der gemeinsamen Aufstellung sogenannter Mietspiegel wünschenswert. Solche Mietspiegel können entscheidend zur Versachlichung der Auseinandersetzungen um die Mieterhöhung beitragen und den Beteiligten in vielen Fällen den Weg zum Gericht ersparen. Derartige Anstrengungen würden ,den Beteiligten mehr nützen als noch so laute vordergründige Polemik oder gar die Drohung mit der Gründung einer Hausbesitzerpartei, die sicherlich auch bei den Anhängern einer „vierten Partei" nicht unbedingt auf Zustimmung stoßen wird.
({1})
Die Bundesregierung begrüßt schließlich auch den Entschließungsantrag, in dem eine Bereinigung und Zusammenfassung des Wohnraummietrechtes verlangt wird. Beides ist in der Tat dringend, und wir werden uns bemühen, den geforderten Bericht schon vor Ablauf von vier Jahren vorzulegen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gesetze sollen der Rechtssicherheit, der materiellen Gerechtigkeit und dem inneren Frieden dienen. Ich bin überzeugt, daß die vorliegende Mietrechtsnovelle diesen Postulaten entspricht, daß sie Millionen von Menschen das tägliche Leben leichter und erträglicher machen wird.
Ich bitte Sie deshalb auch hier im Plenum um eine möglichst breite Zustimmung, um eine Zustimmung, die ein gemeinsam erarbeitetes Werk des inneren, des sozialen Friedens verdient.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hauser ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits in der ersten Lesung haben wir das Ziel deutlich abgesteckt, das meine Freunde und ich mit der Neufassung dieser jetzt zur Verabschiedung anstehenden Novelle verfolgten. Wir sagten damals, dieses Wohnraumkündigungsschutzgesetz muß für Vermieter wie Mieter wirklich überschaubar und praktikabel sein; es muß für beide Teile eine ausgewogene, für beide Seiten eine sichere, aber auch angemessene Regelung bringen, die dem Mieter seine Wohnung als Heimstatt sichert, aber auch dem Vermieter seine ihm zukommenden Rechte erhält, ohne ihm unzumutbare Belastungen aufzubürden, was das Zusammenleben mit den Mietern und die Wirtschaftlichkeit seines Mietobjektes betrifft.
Diese Maxime hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom April dieses Jahres voll und ganz bestätigt, sagte es doch:
Das Gesetz muß dem Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung in gleicher Weise Rechnung tragen. Es muß die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Eine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung
- so wörtlich weiter steht mit den verfassungsrechtlichen Vorstellungen eines sozialgebundenen Privateigentums nicht in Einklang.
Das sind die Maßstäbe, die wir bei diesem Gesetz anlegen.
Dies klar voranzustellen ist um so dringlicher, als das bisherige Gesetz diese Anforderungen kaum erfüllt hat. Immer wieder wurde entgegen den vielen kritischen Stimmen aus allen Kreisen der Wohnungswirtschaft beschwichtigend behauptet, das Gesetz habe sich bewährt, sei doch die Zahl der Räumungsprozesse zurückgegangen.
Dieses Argument, meine Damen und Herren, sticht nicht. Allein hier in Bonn sind in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres 292 Mietverfahren anhängig geworden; das sind 41 % aller Verfahren des ganzen Jahres 1973. Aber nicht nur hier, auch sonst in der Bundesrepublik hat die Zahl der Mietprozesse entscheidend zugenommen. Für 1973 lagen die Steigerungszahlen gegenüber dem Vorjahr wenigstens bei 22 bis 28 %, ob Sie Dortmund nehmen oder Frankfurt, Saarbrücken oder Wiesbaden, um nur ein paar Beispiele aufzuführen.
Es stimmt einfach nicht, daß ,das Gesetz die erhoffte Beruhigung gebracht hätte. Sicher, mit der Neufassung sollen nicht mehr zu überhörende Beschwerden ausgeglichen, notwendige Verbesserungen vorgenommen werden, damit so dem Vorwurf begegnet wird, das alte Gesetz habe praktisch eine Rechtssperre ausgelöst und so einen Ausgleich verhindert.
Aber dem, was ständig gefordert wurde - ich will nur den Brief eines gequälten Richters zitieren,
({0})
der sich mit den Unzulänglichkeiten dieses Gesetzes tagtäglich herumschlagen muß -, nämlich bei einer Neuregelung die Bestimmungen so klar und eindeutig zu formulieren, daß Mißverständnisse und Auslegungsschwierigkeiten nach Möglichkeit ausscheiden, wird auch das vorliegende Gesetz noch nicht gerecht.
An welchen Gesetzesstellen soll sich z. B. ein Vermieter oder eine Vermieterin bei der Frage orientieren, ob er oder sie bei erheblicher Belästigung durch den Mieter nun zu einer fristlosen Kündigung berechtigt ist oder nur auf die neuen Kündigungsbestimmungen zurückgreifen kann, nachdem sich der Gesetzestext für beide Fälle kaum unterscheidet? Wenn die Vermieterin dann gar noch, wie dies in Mönchengladbach der Fall war, in einem Urteil gesagt bekommt, selbst übelste Beschimpfungen mit unqualifiziertesten Ausdrücken, die sich ein randalierender, oft betrunkener Mieter geleistet hat, seien weit verbreitet und würden nicht mehr besonders ernst genommen, dann ist es Aufgabe des Gesetzgebers, hier im Gesetz einen klaren Kurs vorzuzeichnen.
Es fehlt auch eine Klarstellung, daß Alters- und Alterspflegeheime ebenso wie Studentenheime und Lehrlingsheime von diesem Gesetz ausgenommen sind, wie das gemeinsam mit dem Bundesrat die freien Wohlfahrtsverbände und das Studentenwerk empfohlen haben. Mit vollem Recht machten diese gemeinnützigen Unternehmen, nachdem sich auch bei ihnen Schwierigkeiten eingestellt hatten, geltend, die Wohnraumüberlassung werde nur zusammen mit der Pflege, der Betreuung und Wartung gewährt; es handele sich hier gar nicht um Mietverträge allein, sondern um sogenannte gemischte Verträge, weshalb das neue Gesetz gar nicht auf sie angewandt werden könne.
Vergeblich suchen wir in der Vorlage auch nach einer Sonderbestimmung, nach der das Freimachen von Wohnraum, der im Zusammenhang mit einem Arbeits- oder Dienstverhältnis zur Verfügung gestellt ist, auf eine einfachere Weise geschehen kann, wenn nach Auflösung dieses Arbeitsverhältnisses die Räume für einen anderen Bediensteten benötigt werden.
Selbst wenn diese Sonderfälle - auch sie sind nur beispielhaft angeführt - im Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses angesprochen sind, so ist die dort wiedergegebene Meinung über ihre Behandlung keineswegs rechtsverbindlich. Nur eine eindeutige Gesetzesformulierung könnte bewirken, wie hier Bestimmungen zu handhaben und streitige Fragen im Mietrecht zu klären sind, - wie dies im übrigen der Gesetzgeber des Mieterschutzrechts nach dem ersten Weltkrieg auch schon für richtig gehalten hat.
Vor allem die Kündigungsbestimmungen in das Bürgerliche Gesetzbuch einfach so einzufügen, wie sie im Wohnraumkündigungsschutzgesetz bestehen, ist problematisch. Diese Bedenken auszusprechen, ist keineswegs altväterlich, wie dies der Herr Kol8312
Dr. Hauser ({1})
lege Engelhard im Rechtsausschuß meinte. Niemand will im Wohnmietrecht eine schrankenlose Kündigungsmöglichkeit des Vermieters. Niemand will auch dem Mieter einen gesetzlichen Schutz für seine Wohnung absprechen. Nur, wenn dieses Mietrecht nun so ausgestaltet wird, daß nur noch Kündigungsbestimmungen zugunsten des Mieters festgelegt werden, dann entwickelt sich damit aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch heraus ein gesondertes Wohnrecht, das aus dem Rahmen des allgemeinen Mietrechts herausfällt. Müssen wir doch bedenken, daß die allgemeinen Mietbestimmungen des BGB nicht nur die Wohnungsmiete, sondern auch die Miete beweglicher Sachen umfassen, daß das Mietrecht im BGB - um einen alten Zivilrechtler zu erwähnen - die Miete eines Esels ebenso beinhaltet wie die Miete einer Wohnung. Auch Sie, Kollege Schöfberger, bestätigten ja im Rechtsausschuß, daß es sich bei den neu einzufügenden Vorschriften nicht mehr um ein reines Vertragsrecht handele.
Hier bedarf es wirklich einer sauberen systematischen Ordnung. Dies um so mehr, als neben diesen eng begrenzten Kündigungsmöglichkeiten dem Vermieter die Einhaltung langer Kündigungsfristen aufgegeben ist, während der Mieter sich auf kurze Kündigungsfristen berufen kann. Zudem hat der Mieter ein Widerspruchsrecht, wobei ihn der Vermieter so, als wäre er eine Art öffentliche Verwaltung, darüber noch zu belehren hat. Ferner kann der Mieter auf die Sozialklausel bauen und schließlich noch mit einer Härteberücksichtigung im Vollstreckungsverfahren zu seinen Gunsten rechnen. Dazu bringt ihm das neue Recht die weitere Chance, daß er ein befristetes Mietverhältnis durch einseitige Erklärung auch über den vereinbarten Endtermin hinaus nach seinem Willen fortsetzen kann.
Dies alles zwingt zu dem Eingeständnis, daß mit dieser Novellierung noch nicht der letzte Schritt zu einem endgültigen abgerundeten Mietrecht vollzogen ist. Ein für unsere Zeit und für unsere gesellschaftliche Struktur allseits anerkanntes und verbindliches Mietrecht fehlt uns auch nach dieser Verabschiedung, Herr Minister. Das, was auf diesem Feld bis dahin geleistet wurde - viel Arbeit und Mühe wurde schon darauf verwandt, angefangen bei dem, was Paul Lücke in den 60er Jahren erreicht hat -, sind aus der heutigen Sicht nur Stationen auf dem Weg zu einem Mietrecht, das allen Anforderungen gerecht wird, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinen Leitsätzen uns ausgewiesen hat. So ist die Aufforderung an die Bundesregierung, mit der nunmehr in dritter Lesung zu verabschiedenden Entschließung - Kollege Orgaß wird hierzu noch sprechen - einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem alle weit zerstreuten Vorschriften, die mit Wohnen und Bauen zu tun haben, zusammengefaßt sind, nicht nur eine platonische Empfehlung dieses Hauses an Sie, Herr Minister, sondern ein Auftrag, mit einem solchen Wohngesetzbuch bereits morgen zu beginnen. Es ist dies schon eine Sisyphus-Arbeit, wobei auch mit bedacht werden muß, wie man rein verfahrensrechtlich Anwendungsregeln in der Rechtsprechung durch obergerichtliche Entscheidungen erreichen kann, nachdem die bisherige Rechtsfindung auf diesem Gebiet heillos auseinanderflattert. Gerade dieser Mißstand hat meine Fraktion veranlaßt, hierzu einen wohldurchdachten Vorschlag in der letzten Woche dem hohen Hause vorzulegen.
Weil somit diese Novelle nur einen Schritt weiter darstellt, keineswegs einen Abschluß bedeuten kann, sondern spätestens in vier Jahren die nächste Etappe geschafft werden muß, andererseits mit der heutigen Verabschiedung Bemühungen um einen notwendigen Interessenausgleich der Vertragsparteien doch ihren Niederschlag in diesem Gesetz gefunden haben - ich erinnere an die Sonderregelungen mit der Einliegerwohnung, ich erinnere weiter an die Bestimmung über die Modernisierungskosten oder wie man der außerordentlichen Bürde eines Vermieters durch allzu hohe Zinsbelastung zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit im Interesse des gesamten Volkes gerecht zu werden versucht -, dieser positiven Punkte wegen wird meine Fraktion, wenn auch mit nicht geringen Bedenken, dieser Gesetzesvorlage zustimmen.
({2})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen wird das Godesberger Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 15 Jahre alt. Ein Kernsatz dieses Programms besagt, daß das private Eigentum Anspruch auf Schutz und Förderung genießen soll, Schutz und Förderung jedoch nur, soweit es nicht den Aufbau einer gerechten Sozialordnung hindert. Das zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz steht in der Tradition dieser Auffassung. Es ist auch die Auffassung des Grundgesetzes. Sein Artikel 14 sichert das Eigentum und sichert ferner, daß das Eigentum zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen muß.
In Abwägung dieser Prinzipien ist der vorliegende Gesetzentwurf entstanden. Er ist kein Programm gegen die Vermieter, er macht nur Ernst mit der Sozialbindung des Eigentums.
({0})
Wo sich Vermieter auf berechtigte Interessen berufen können, wird ihnen geholfen: eine gesicherte wirtschaftliche Verwertung der Wohnung einerseits, andererseits Schutz des Mieters vor Willkür und Gewinnsucht. Grundgesetz und Godesberger Programm gehören solchermaßen zum Hintergrund des neuen Rechts.
Mit einem anderen Ideenhorizont freilich bricht das Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz endgültig, ich meine, mit der Wohnungspolitik der CDU/ CSU in den 60er Jahren. Der Lücke-Plan bescherte den Vermietern die Befugnis, den Mietzins bis zur Grenze des Wuchers frei zu bestimmen und dem Mieter jederzeit zu kündigen. Nur in Härtefällen durfte sich der Mieter auf den Schutz der Sozialklausel berufen. Das war eine sehr freie Marktwirtschaft. Diese Politik übersah, daß sich das Eigentum an einem Tisch grundsätzlich von dem Eigentum an
Wohnungen unterscheidet. Wo das Eigentum in das Leben anderer Menschen eingreift, muß es seiner sozialen Aufgabe gerecht werden.
Erst die sozialliberale Koalition machte aus der freien Marktwirtschaft über Wohnungen wieder eine soziale Marktwirtschaft. Schutzgesetze für den Mieter wurden durchgesetzt. Sie haben sich bewährt. Die Zahl der Mieträumungsprozesse wie auch die Mieterhöhungen sind nachhaltig zurückgegangen.
Nun zu dem, was Kollege Dr. Hauser hierzu gesagt hat. Freilich hat die Zahl der Mieterhöhungsprozesse zugenommen, und zwar deshalb, weil es vor dem Ersten Wohnraumkündigungsschutzgesetz überhaupt keine solchen Prozesse gegeben hat. Das Erste Wohnraumkündigungsschutzgesetz war allerdings zeitlich befristet. Es läuft mit dem Ende dieses Jahres aus. Bundeskanzler Willy Brandt hatte in seiner Regierungserklärung vom Januar 1973 angekündigt, daß die Befristung des Kündigungsschutzes im sozialen Mietrecht überprüft werde. Dieses Versprechen ist eingelöst. Der Mieterschutz wird über den 1. Januar 1975 hinaus andauern, d. h. die rund 40 Millionen Menschen, die in unserem Land zur Miete wohnen, können nun endgültig Abschied vom LückePlan nehmen. Dieser Abschied wird ihnen leichtfallen.
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Kern des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes ist das Recht des Mieters, in seiner Wohnung frei von willkürlichen Eingriffen des Vermieters zu leben. Um dieses Recht zu schützen, wird das soziale Mietrecht unbefristet gelten. Für den einzelnen Mieter ist es gleichgültig, wie die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist. Auch Meldungen über Halden von leerstehenden Wohnungen, über die es übrigens keine verläßlichen Statistiken gibt, interessieren ihn da nicht. Er will nicht nur ein Dach über dem Kopf haben; er will in seiner Wohnung bleiben und keine unvernünftig hohe Miete zahlen. Übrigens: Wer auf die leerstehenden Wohnungen hinweist und meint, der Mieter könne ja notfalls in eine andere zumutbare Wohnung umziehen, sollte einmal kinderreiche Familien, ältere Menschen und Körperbehinderte dazu befragen. Er wird dann eine richtige und anschauliche Antwort erhalten. Deshalb wird Mieterschutz Dauerrecht. Der Kündigungsschutz kommt in das Bürgerliche Gesetzbuch.
Kündigungen sind unzulässig, wenn der Vermieter keinen triftigen Grund vorbringen kann. Insbesondere kann der Vermieter über die Kündigung keine Mieterhöhung durchsetzen. Dabei ist es unerheblich, ob das Mieterhöhungsverlangen berechtigt oder unberechtigt ist. Der Mieter muß nicht auf gepackten Koffern verhandeln. Ferner sind Mieterhöhungen unzulässig, wenn sie sich nicht im Rahmen der Mieten für vergleichbare Wohnungen halten. So wird dem Wildwuchs bei den Mieten von vornherein entgegengetreten. Die Steigerung der Mieten blieb 1973 erstmals unter der Steigerung der Lebenshaltungskosten. Das ist ein Erfolg des Ersten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes. Auch Wohnheime und Altenheime -- alle Wohnheime, die auf längere Wohnnutzung angelegt sind und bei denen nicht die Fürsorge oder Betreuung der Heiminsassen überwiegt
-- fallen unter den Schutz des neuen Rechts, ohne (1 daß dafür ein besonderer Paragraph im Gesetz steht. Auch die Belange der Vermieter bei Dienst- und Betriebswohnungen sind berücksichtigt. Daß wir dies nicht noch in eine besondere Gesetzesvorschrift zur Verlängerung des Gesetzes hineingeschrieben haben, entspricht der Bemühung, unnötigen Perfektionismus zu vermeiden. Dies sollte anerkannt werden.
Schließlich erhalten München und Hamburg eine Übergangsregelung. Bis Ende 1976 dürfen bei Wohnungen, die bis zur Währungsreform bezugsfertig geworden sind, nur Mieterhöhungen von höchstens 10 % der Grundmiete verlangt werden. Damit wird der Nachholbedarf der dortigen Vermieter langsam abgebaut werden. Soweit die Mieter.
Was die Vermieter anbelangt, so können sie dem Mieter kündigen, wenn ihnen ein berechtigtes Interesse an der Kündigung zur Seite steht. Die Angriffe des Zentralverbands der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer gegen diese Regelung sind nicht recht verständlich. Will denn der Zentralverband tatsächlich, daß Mieter ihre Wohnungen verlieren sollen, ohne daß der Vermieter ein berechtigtes Interesse daran hat? Eine solche Meinung paßt jedenfalls nicht mehr in unsere heutige Landschaft. Ein berechtigtes Interesse liegt vor, wenn der Mieter seine Pflichten aus dem Mietvertrag schuldhaft in beträchtlichem Umfang verletzt hat, ebenso wenn der Vermieter die Wohnung für sich oder seine Angehörigen selbst benötigt.
Desgleichen wird der Vermieter durch den Kündigungsschutz nicht an der angemessenen anderweitigen Verwertung des Grundstücks gehindert.
Außerdem wird zugunsten des Vermieters die Feststellung der Miethöhe vergleichbarer Wohnungen, vor allem durch die Zulassung von Mietwerttabellen, Mietspiegeln und Sachverständigengutachten, erleichtert. Begründete Mieterhöhungsverlangen werden sich leichter durchsetzen lassen. Entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom April dieses Jahres kann das neue Recht nicht mehr so gehandhabt werden, daß der Vermieter an einer gesetzlich zulässigen Mieterhöhung aus verfahrensrechtlichen Gründen gehindert wird.
Allerdings wird die angestrebte verstärkte Anwendung von Mietspiegeln und anderen Zusammenstellungen von ortsüblichen Mieten künftig auch dazu beitragen, den Mietwucher wirksamer zu bekämpfen. So stellt § 2 b des Wirtschaftsstrafgesetzes darauf ab, ob Mieten für vergleichbare Wohnungen nicht unwesentlich vom Vermieter überstiegen werden. Die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder im Februar 1973 hat beschlossen, in allen Ländern einheitliche Richtlinien zur wirksamen Bekämpfung überhöhter Mieten anzuwenden. Danach liegt eine Mietpreisüberhöhung vor, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 °in überstiegen wird. Dieser Beschluß wird erst in Zukunft seine volle Kraft entfalten können.
Kündigungen bei berechtigtem Interesse, angemessene Mieterhöhungen, bessere Bedingungen für Modernisierungsarbeiten, Umlage der Erhöhungen von Betriebs- und Fremdfinanzierungskosten, das
sind die Pluspunkte auf dem Vermieterkonto. Mein Kollege Walter Polkehn wird hierzu noch näher Stellung nehmen.
Ich möchte noch das Thema Einliegerwohnung ansprechen. Gemeint ist die Mietwohnung in einem vom Vermieter selbst bewohnten Zweifamilienhaus. Der Vermieter kann diese Mietverhältnisse bei einem berechtigten Interesse kündigen, aber auch dann, wenn er kein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses geltend macht. Im letzteren Fall, also bei der Kündigung ohne berechtigtes Interesse, verlängert sich jedoch die gesetzliche oder vertragliche Kündigungsfrist um drei Monate. Dies gilt auch bei befristeten Mietverhältnissen, wenn der Mieter rechtzeitig die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangt und der Vermieter daraufhin kündigt. Das Mietverhältnis verlängert sich sodann um drei Monate.
Ich weiß, daß über eine Million Mietverhältnisse von der Regelung über Einliegerwohnungen betroffen werden. Ich gebe aber den Kritikern dieser Regelung folgendes zu bedenken.
Erstens. Gesetze mit der sozialen Brisanz des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes werden nicht in Festsälen gemacht. Sie stellen immer Kompromisse dar.
Zweitens. Eigentümer von Zweifamilienhäusern sind keine typischen Kapitalisten.
Drittens. Die Forderung, diese Mietverhältnisse anders zu behandeln, ist nicht unverständlich. In Zweifamilienhäusern wie bei Untermietverhältnissen ist der Kontakt der Mietparteien nun einmal enger, als es sonst üblich ist.
Viertens. Die Ausnahme gilt lediglich für den Kündigungsschutz des § 574 b Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die Möglichkeiten der Mieterhöhungen sollen wie bei allen anderen Mietverhältnissen begrenzt sein. Die Rechtsprechung wird die schwierige Aufgabe bewältigen müssen, hier Umgehungsversuche zu vereiteln.
Fünftens. Wir sollten nicht vergessen: es gibt nicht nur eine Million Mietverhältnisse, es gibt insgesamt 21 Millionen.
Ohne das Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz wären die Mieten und die Kündigungen ab 1. Januar 1975 freigegeben worden. Das sollte sich jeder einmal klarmachen. Hinweise auf die sonstigen Schutzrechte des Mieters können nicht verfangen. Die langen Kündigungsfristen des § 565 des Bürgerlichen Gesetzbuches, die von der SPD und FDP verbesserte Sozialklausel, der Räumungsschutz im Prozeß sind notwendige Ergänzungen des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes. Ersetzen können sie dieses Gesetz nicht. Die Mietverhältnisse sollen ebenso grundsätzlich bestehenbleiben, auf eine Güterabwägung soll es nicht ankommen, und die Mieten sollen uns nicht wegspringen.
Mit dem Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetz haben wir ein Stück Sozialstaat im Zivilrecht mehr. Sozialstaat ist nicht mehr länger eine ausschließlich öffentliche Aufgabe, die durch Verwaltungsgesetze und Vergrößerung des Behördenapparates durchgesetzt wird. Sozialstaat geht auch den Privatmann an, den Arbeitgeber wie den Vermieter. Die entstehenden Kosten sollen nicht mehr allein aus den öffentlichen Kassen beglichen werden. Die Vorstellung, soziale Forderungen verlangten erst einmal die Sozialisierung ihrer Unkosten, muß ergänzt werden. Zum Wohngeld und zum sozialen Wohnungsbau müssen der Kündigungsschutz und die Begrenzung der Miethöhe hinzutreten.
Sozialstaat im Zivilrecht heißt hier, um es an einem Beispiel anschaulich zu machen, daß durch die Begrenzung des Mietanstiegs die vom Steuerzahler aufzubringenden Aufwendungen für Wohngeld und die Verwaltungskosten dafür nicht ins uferlose wachsen. Insoweit kann das Zivilrecht seinen Beitrag dazu liefern, den inneren Frieden in unserem Lande in einem wichtigen Bereich zu festigen und gerechter auszugestalten.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Miete eines Esels der Miete einer Wohnung rechtlich gleichkommt. Daran schließt sich für uns, Herr Hauser, die Frage an, wer in diesem Lande denn einen Esel mieten will. Eine Wohnung hingegen wollen nicht nur, sondern müssen unglaublich viele Menschen mieten. Das ist der Grund, aus dem uns die Geschichte mit dem Esel nicht so recht weiterhelfen kann. Wir haben also doch übereinstimmend erkannt, daß es sich bei der Wohnung um einen ganz besonderen Mietgegenstand handelt. Deswegen müssen wir uns hier zum wiederholten Male mit dieser Materie befassen.
Wir sind in dieser Koalition der Meinung gewesen, daß es sehr wichtig ist, das Funktionieren des Marktes bei allen berechtigten sozialen Anliegen in diesem Bereich nicht zu stark zu stören. Diese Auffassung ist bei der Opposition ungewöhnlich unterschiedlich ausgeprägt.
Wir hatten in den letzten Wochen die große Freude und Genugtuung, daß sich der Haus- und Grundbesitzerverein erstmals an die Koalitionsparteien und deren Abgeordnete, nicht aber an die Abgeordneten der Opposition, mit dem dringenden Anliegen gewandt hat, wir mögen doch bitte dafür sorgen, daß die Änderungsanträge der Opposition, die auf eine Tabellenmiete hinauslaufen, auf gar keinen Fall angenommen werden, und wir mögen bitte dafür sorgen, daß die freie richterliche Beweiswürdigung, ein ganz wesentliches Stück bei der Vergleichsmiete, erhalten bleibt. Das hat uns gefreut. Es ist etwas spät, daß wir von dieser Seite her wieder so angegangen werden, als ob wir gleichermaßen Vermieter- wie Mieterinteressen berücksichtigen könnten. Wenn es nun im Zusammenhang mit der Bitte um Hilfe gegen die schändlichen Änderungsanträge der Opposition erfolgt ist, dann tut das natürlich nach all dem, was in den letzten
Monaten in den Zeitungen der Haus- und Grundbesitzervereine über unsere sozialistischen Absichten zu lesen war, ausgesprochen wohl. Es hat uns wohlgetan.
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Wenn man die Wohnung als den Mittelpunkt des familiären Lebens, und zwar nicht nur als das Dach über den Kopf, sondern auch als den Ort, von dem aus man Nachbarn hat, die Leute, mit denen man spricht, die man im Laufe der Jahre kennengelernt hat, wenn man also die Wohnung einfach als den Mittelpunkt des Lebens in einem sehr weiten und sehr wichtigen Sinne begreift, dann kann man von daher versucht sein, in der Vernachlässigung der Marktwirtschaft hinsichtlich der sozialen Belange etwas zu weit zu gehen.
Das Stadtbild ist im Osten Deutschlands, in der DDR, und in den östlichen Ländern für den flüchtigen Betrachter sicherlich sehr viel erfreulicher als das Bild unserer Großstädte. Das ist eine Anmerkung zu den Leistungen unserer Stadtbauräte. Aber in diesen so anheimelnd anzusehenden Städten zu wohnen ist, wie ich mir habe sagen lassen, gar nicht so angenehm, sondern äußerst beschwerlich, weil drinnen fast nichts mehr funktioniert. Das zeigt, daß man mit dem Mietstopp und mit der Vernachlässigung der, wenn Sie so wollen, kapitalistischen Komponente dem Mieter letzten Endes auch keinen Gefallen tun kann.
Deshalb haben wir seinerzeit die Vergleichsmiete eingeführt, und deshalb schreiben wir sie mit dem vorliegenden Gesetz fort. Wir schreiben sie u. a. aus dem Grund fort, weil einige Richter folgendermaßen gehandelt haben. - Ich kenne nicht die Personen, die da gehandelt haben; ich habe nur so gewisse Vorstellungen davon, was da in Frankfurt vor sich gegangen sein mag. Da war ein Richter, der nach zwanzig Vergleichsmieten auch noch zehn weitere sehen wollte und damit den ganzen Prozeß unmöglich gemacht hat. Dies ist nur eine Nebenbemerkung, für mich aber ein Beispiel dafür, wohin eine mehr soziologisch und psychologisch ausgerichtete Juristenausbildung führen kann.
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Volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Komponenten wären sicherlich genauso wichtig, wenn schon der Ausbildungsgang nach mehreren Seiten, was ich für vernünftig halte, erweitert wird.
Wenn es nicht recht verstanden wurde, was wir mit der Vergleichsmiete gemeint haben, dann haben wir es jetzt klarer gemacht. Wir haben die Zahl der Beispiele auf drei beschränkt. Insbesondere haben wir auf die Möglichkeit hingewiesen, Mietkataster einzurichten. Dabei sind wir auch wieder ganz locker und entspannt zu Werke gegangen und haben nicht gesagt, das müßten die und die Institutionen machen, sondern wir haben gesagt: Es ist gleichgültig, wer ein Vergleichskataster aufstellt, ob der Mieterverein oder der Haus- und Grundbesitzerverein oder eine dritte Vereinigung.
({2}): Eselbesitzer!)
- Das müssen sie mal mit Herrn Hauser in Ruhe
besprechen. Wie sich das fortsetzt, entzieht sich
meiner Kenntnis. - Das kann aufstellen, wer will. Was dann kommt, ist die freie richterliche Beweiswürdigung, ob dieses Kataster für die Feststellung einer Vergleichsmiete ausreichend ist oder nicht.
Wir haben da eine Fülle von Entwicklungen möglich gemacht. Wir werden sehen, was sich davon am vernünftigsten entwickelt. Ich glaube, daß mit der Vergleichsmiete der richtige Mittelweg zwischen der Tabellenmiete und einer sich am Markt völlig frei entwickelnden Miete gefunden ist.
Wir haben auch - ich habe das bei ,der ersten Lesung hier schon einmal gesagt - zwischen den gar nicht wirtschaftlichen, nämlich den psychologischen Bedürfnissen einerseits der Vermieter und andererseits der Mieter abzuwägen gehabt; über die wirtschaftlichen Bedürfnisse haben wir hier inzwischen einiges gesagt und uns im wesentlichen wohl auch verständigt. Zunächst fallen die Bedürfnisse der Mieter viel deutlicher ins Auge. Ich hatte dazu auch schon einiges gesagt. Aber uns ist mit Recht entgegengehalten worden: Auch der Vermieter hat Bedürfnisse, die ganz abseits von seinem wirtschaftlichen Interesse liegen. Das hat zu der hier bereits mehrfach angesprochenen Regelung hinsichtlich der Einliegerwohnung geführt. Denn da, wo nur zwei Familien in einem naturgemäß verhältnismäßig kleinen Haus wohnen, ist natürlich die Möglichkeit, sich so auf die Nerven zu fallen, daß man sich einfach nicht mehr ausstehen kann, ohne daß das für einen Prozeß genügend substantiierbar wäre, am größten. In diesem Bereich - der Meinung waren wir allerdings - sollte man ohne das Scheidungsverfahren mit der schmutzigen Wäsche auseinandergehen können, zu dessen Abschaffung wir uns in dem anderen Bereich gerade anschicken. Deshalb haben wir gesagt: hier muß auch ohne einen besonderen Grund die Trennung möglich sein, und dann kann die Trennung allerdings so verstehen wir das Eigentum - nur vom Vermieter ausgehen. Das ist nun einmal die Mindestfolge der Tatsache, daß der eine das Haus gebaut, dafür erhebliche Mittel und Arbeit aufgewendet und der andere dann lediglich die Miete gezahlt hat. Nur in diesem Bereich haben wir deshalb eine Ausnahme gemacht. Wir haben diese Ausnahme, um Mißbräuchen zu wehren, mit der Sonderregelung versehen, daß hier die Kündigungsfrist um weitere drei Monate verlängert wird. Zusammen mit den ohnehin geltenden Fristen ergibt das einen Zeitraum, innerhalb dessen man sich ähnlich wie in ,dem anderen soeben angesprochenen Bereich, noch einmal überlegen kann, ob man sich wirklich voneinander trennen muß oder ob die Dinge sich wieder einrenken. Ich glaube, auch das ist für die Fortschreibung dieses Wohnraumkündigungsschutzgesetzes eine sehr ausgewogene Lösung.
Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß der Streitwert bei Mieterhöhungsstreitigkeiten sehr zum Nachteil der Anwälte - aber ich habe noch keinen Rechtsanwalt, noch keinen Kollegen, um es deutlich zu sagen, gesprochen, der darüber auch nur ein Wort 'des Bedauerns verloren hätte - nicht mehr von der vollen Miete bestimmt wird, wie das bei der früheren Regelung mit der Kündigung der Fall war, sondern lediglich von dem Differenzbetrag, um
den gestritten wird. Das ist immerhin ein erheblicher wirtschaftlicher Unterschied. Ich habe niemanden getroffen, der dazu auch nur ein Wort des Bedauerns gesagt hätte. Vielmehr ist jeder, auch der wirtschaftlich so betroffene Rechtsanwalt, sehr zufrieden, daß die Schärfen aus den früheren Prozessen nicht mehr da sind, sondern daß man sich in diesem Prozeß lediglich ganz sachlich über die Frage zu unterhalten hat: wird nun erhöht oder wird nicht erhöht? Liegen diese Voraussetzungen vor oder nicht? Damit ist das Moment herausgekommen, das der Kollege Dürr vorhin, wie ich meine, sehr bildhaft und zutreffend damit bezeichnet hat, daß der Mieter verhandeln muß, wenn er auf seinen gepackten Koffern sitzt. Das wollten wir alle nicht; das wollten auch die wenigen nicht, die da in gewisser Weise wirtschaftlich betroffen sind. Das hat sich in der Vergangenheit sehr bewährt.
Deshalb - ich möchte das noch einmal unterstreichen - ist die Zahl der Mieterhöhungsprozesse zwar angestiegen, weil es diese erstmals gibt; aber die Zahl der Prozesse, die sich überhaupt mit der Miete befassen, ist sehr deutlich zurückgegangen. Ich glaube, das wird sich so fortsetzen, erstens weil das Gesetz, schon als wir es erstmals hier verabschiedet haben, bedeutend besser als sein Ruf war, zweitens weil sich inzwischen gezeigt hat, daß es besser war als sein Ruf, und drittens weil wir es jetzt weiter verbessert haben. Das ist das eine.
Das ist aber meiner Ansicht nach nicht das einzige. Man wird, wenn man durch die Vorstädte und die Außenbezirke fährt, sehen, daß dort eine Fülle von leider nicht so sehr preiswerten, sondern eher etwas teureren Wohnungen leerstehen und daß deshalb, sei es auch zunächst mehr psychologisch als wirtschaftlich, ein Druck ausgeht, den Markt im Bereich der Wohnungswirtschaft wirklich wieder zur Geltung kommen zu lassen. Diese Entwicklung wird sich rapide verstärken, und wir werden deshalb bemerken, daß das Gesetz zwar nach wie vor notwendig ist, aber in der Praxis an Bedeutung verlieren wird, weil wir endlich dahin gekommen sind, daß auch im Bereich der Wohnungen der Markt wieder eine stärkere Geltung bekommt.
Deshalb haben wir zwar die Regelungen über die besonderen Gründe der Kündigung gern in das BGB übernommen, weil wir nicht einsehen, wie der Vermieter in einem Mehrfamilienhaus benachteiligt sein soll, wenn er nur bei Vorliegen solcher Gründe kündigen kann und im übrigen seine Miete in angemessener Weise - im Rahmen der Vergleichsmiete nämlich - erhöhen kann. Wir haben aber ebenso bewußt das Institut der Vergleichsmiete nicht in das BGB übernommen, sondern in einem Sondergesetz belassen, und zwar ausdrücklich deshalb - jedenfalls aus der Sicht der Freien Demokraten -, um es zur leichteren Disposition des Gesetzgebers zu halten und, wenn die Marktlage es erlaubt, wenn die Lage sich wirklich allenthalben entspannt hat, ganz einfach abzuschaffen. Das ist unser Ziel, und daran wollen wir nach wie vor festhalten. Deshalb ist die Vergleichsmiete nicht in das BGB aufgenommen, sondern in dem besonderen Gesetz belassen worden.
Deshalb wundere ich mich so sehr, Herr Kollege (1 Hauser, daß Sie hier noch einmal so dringlich die Forderung unterstreichen, ein Wohngesetzbuch nicht nur zu überdenken und in Betracht zu ziehen, sondern nun unbedingt zu schaffen. Wir glauben, es ist sehr schön, daß wir ein Gesetz unseres Zivilrechts haben, in dem die meisten Dinge verhältnismäßig kurz und übersichtlich geregelt sind. Deshalb, so meinen wir, bedarf es hier nicht eines besonderen Wohngesetzbuches, sondern wir wollen hoffen, daß die wenigen wirklich wichtigen Regelungen über die Mietverhältnisse im BGB jetzt richtig eingefügt sind und daß alles andere möglichst bald entfallen kann.
Das ist weiterhin unser Ziel, und insofern haben wir es hier nicht nur mit Rechtspolitik, sondern in ganz erheblichem Maße mit Wohnungsbaupolitik und mit Wirtschaftspolitik zu tun. Wir hoffen, daß alle, die dafür zuständig sind, helfen werden, den Markt so stark zu machen, daß wir weitere gesetzliche Hilfen in absehbarer Zeit nicht mehr notwendig haben. Das ist ein wichtiger Wunsch von uns Freien Demokraten bei Verabschiedung dieses Gesetzes.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Orgaß.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Mit dem Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetz, wie es in der Kurzfassung nach der Vorstellung des Rechtsausschusses künftig genannt werden soll, verabschieden wir einen Gesetzentwurf, der in seiner sozial-und gesellschaftspolitischen Bedeutung überhaupt nicht überschätzt werden kann, und damit setzen wir uns schon einmal von den letzten Ausführungen des Herrn Kollegen Kleinert ab. Gehört doch das Gut Wohnen zu den elementarsten Bedürfnissen des Menschen, und nur ein geringer Personenkreis unserer Bevölkerung ist von den Problemen der Wohnungsmiete nicht berührt, da er quasi Selbstversorger ist. Der überwiegende Teil in unserer Bevölkerung benutzt Mietraum, den Vermieter zur Verfügung stellen. Für den Mieter sind es Kosten, für den Vermieter Erträge. Beides sind Seiten ein und derselben Medaille.
Die Sicherung des sozialen Friedens in der Bevölkerung verlangt daher eine Mietrechtspolitik, die zwischen den Interessen des Mieters nach Schutz vor ungerechtfertigten Kündigungen und Mieterhöhungen sowie den Interessen des Vermieters nach Erhaltung des Wirtschaftsgutes Wohnung einen sozial gerechten und wirtschaftlich vernünftigen Ausgleich herstellt. Der Gesetzgeber hat nun die schwierige Aufgabe, auf einen vernünftigen Ausgleich des in der Natur der Sache liegenden Konflikts hinzuwirken durch klare, unmißverständliche Gesetzesnormen, die dem einzelnen, sei er Mieter oder Vermieter, und im Streitfalle auch den Gerichten die Möglichkeit bieten, eine gerechte Abwägung zu finden. Das um so mehr, als wir erkennen müssen, daß sich das marktwirtschaftliche GeOrgaß
schehen für das Gut Wohnen nicht ohne weiteres so vollzieht wie bei anderen Warengütern.
Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es im wesentlichen um zwei Komplexe: einmal um das Problem des Kündigungsschutzes des Mieters und zum anderen um eine vernünftige Regelung der Mietpreishöhe. Beides ist im Jahre 1971 von dieser Koalition schon einmal versucht worden, jedoch mit mehr als zweifelhaftem Erfolg.
Wenngleich auch der Kündigungsschutz, dem wir seinerzeit ausdrücklich zugestimmt haben, ein Schritt nach vorn war, hat sich die Vergleichsmietenregelung als das bewahrheitet, als was ich es seinerzeit bei der abschließenden Beratung im Plenum des Deutschen Bundestages von dieser Stelle aus bezeichnet habe, nämlich als ausgesprochener Murks.
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- Bitte Herr Kollege.
Herr Kollege, bitte schön, Sie haben die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Orgaß, darf ich Sie fragen, warum Sie denn dieser Vergleichsmietenregelung heute zustimmen werden, wenn das ausgesprochener Murks ist?
Herr Kollege Henke, weil das zweite Gesetz durch eine Reihe flankierender Maßnahmen besser ist und weil es sich hier bei der Kritik um das erste Gesetz handelte, dem wir nicht zugestimmt haben. Hören Sie zu!
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Daß sich die Koalition mit diesem seinerzeit in einer Nacht-und-Nebelaktion zusammengeschusterten Kompromiß nicht mit Ruhm bekleckert hat, dürfte inzwischen außerhalb jeder Diskussion stehen;
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denn nicht von ungefähr hat das Bundesverfassungsgericht in der Zwischenzeit mit Urteil vorn 23. April 1974 den damaligen Gesetzesmachern denkbar schlechte Noten erteilt. Es spricht doch für sich, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Leitsatz 2 ausdrücklich hervorhebt:
Rechtsstaatliche Grundsätze gebieten, mietpreisrechtliche Vorschriften und Voraussetzungen so zu gestalten, daß Vermieter und Mieter in der Lage sind, in zumutbarer Weise die gesetzlich zulässige Miete zu ermitteln.
Die Kritik, die dann an den Gerichten geübt wurde, ist doch der Ausfluß der schwammigen Rechtsbegriffe, vor denen wir seinerzeit - wie sich inzwischen herausgestellt hat: mit vollem Recht -gewarnt haben.
Um so erstaunter kann man nur sein, daß es dieser Koalition nicht gelungen ist, aus den negativen Erfahrungen des bis Ende 1974 befristeten ersten Kündigungsschutzgesetzes mehr zu lernen und es
durch ein qualitativ wesentlich besseres Gesetz zu ersetzen, jedenfalls für den Teil, der die Vergleichsmietenregelung zum Inhalt hat.
Um es unmißverständlich zu sagen: Ich habe als Berichterstatter des mitberatenden Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau für meine Freunde und für mich erklärt, daß wir für den Kündigungsschutz als Dauerrecht sind - und ich wiederhole das hier ausdrücklich -, weil er nach unserem Sozialverständnis am besten der besonderen Bedeutung der Wohnung als Lebensmittelpunkt des einzelnen wie auch der Familie Rechnung trägt.
Uns bewegte jedoch bei der Ausschußberatung ein entscheidender Gedanke, dem wir durch einen Entschließungsantrag und die entsprechende Begründung im Ausschuß Ausdruck verliehen haben, der Gedanke nämlich, daß das geltende Recht über die soziale Sicherung des Wohnens durch seine Zersplitterung in zahlreiche Rechtsvorschriften für die Betroffenen nicht verständlich und nicht überschaubar ist und daß dies in der Praxis zu Rechtsunsicherheit und Rechtsunklarheit führt. Wir haben deshalb die Bundesregierung aufgefordert, bis zum 31. Dezember 1978 einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Vorschriften auf dem Gebiet des Wohnrechts bereinigt, aufeinander abstimmt, einheitlich und klar und übersichtlich zusammenfaßt.
Ein solches Wohngesetzbuch, meine Damen und Herren und auch Herr Minister, dürfte nach unserem Verständnis natürlich nicht nur eine Neuauflage einer Beckschen Taschenbuchausgabe sein. Hier geht es um eine Bereinigung. Das bedeutet unter anderem auch - so haben wir uns im Ausschuß eingelassen -, daß die mietrechtlichen Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs einer gründlichen Prüfung unterzogen werden müssen, da dort noch immer von der ursprünglichen und inzwischen längst überholten Grundkonzeption der Grundstücksmiete ausgegangen wird und die inzwischen viel relevantere Form der Wohnraummiete daran-, darein- und dazwischengeflickt wurde. Es geht uns auch um eine saubere Verzahnung der Kündigungsvorschriften mit anderen mietrelevanten Gesetzesnormen.
Herr Kollege Orgaß, ich will mich nur vergewissern: Begründen Sie jetzt auch gleichzeitig den Entschließungsantrag?
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Dafür wird er nachher nicht extra begründet.
Ich bin damit einverstanden.
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Insofern hätten meine Freude im Rechtsausschuß und wir alle es für sinnvoller gehalten, wenn der Kündigungsschutz als Dauerrecht nicht gleich etwas verklemmt und verquer ins BGB übernommen worden wäre, sondern so lange in einem eigenen Gesetz fortgelebt hätte, bis die vom Parlament geforderte Kodifikation unter Berücksichtigung auch der Erfahrungen des heute zu verabschiedenden Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes vollzogen wäre. Das wäre in seiner Auswirkung für den Bürger völlig unschädlich, hätte aber sowohl der Regierung als auch dem Gesetzgeber mehr Luft, mehr freie Hand für eine umfassende Neugestaltung gelassen und das Vorhaben möglicherweise erleichtert.
Wenngleich man auch den Wortlaut unseres Antrages nicht voll übernommen hat, so sind wir doch froh, daß die Koalition unserem Grundanliegen in einer etwas veränderten Form gefolgt ist und unser Begehren im Antrag des federführenden Rechtsausschusses weitgehend seinen Niederschlag gefunden hat. Dennoch möchten wir unseren Antrag, der Ihnen auf der Drucksache 7/2660 vorliegt, noch einmal ausdrücklich stellen und um Zustimmung bitten.
Kommen wir zu einem weiteren Punkt. Die Bundesregierung hat in die Begründung ihres Gesetzentwurfs mit der ihr stets eigenen Bescheidenheit schlicht hineingeschrieben: Die Regelungen des Wohnungskündigungsschutzgesetzes haben sich bewährt. Dabei bezog sie sich ausdrücklich auch auf die Vergleichsmietenregelung. Welch ein Sendungsbewußtsein! Es gehört schon mehr als Mut dazu, eine solche Behauptung aufzustellen, obwohl dieses Gesetz von der ganzen Fachwelt als schlecht und nicht praktikabel gegeißelt wurde. Der Entwurf des Art. 3 des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe ist nämlich in seinem § 2, der die Vergleichsmiete zum Inhalt hat, nicht wesentlich besser gelungen und kann der Weisheit letzter Schluß darum nicht sein. Eine Flut von Äußerungen der Fachverbände hat die Unpraktikabilität ,dieses Entwurfs verdeutlicht. Wir haben daraufhin ein gemeinsames Hearing des Rechtsausschusses und des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau durchgesetzt und veranstaltet.
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Bitte, Herr Kollege, Sie haben die Möglichkeit einer weiteren Zwischenfrage.
Herr Kollege Orgaß, können Sie bestätigen, daß alle Sachverständigen, 'die im Hearing die Vergleichsmiete kritisiert haben, auf die konkrete Frage, welche Regelung sie denn anzubieten hätten, keine Antwort gewußt haben?
Herr Kollege, Sie haben insofern recht, als sie zwar Wege gewiesen, aber keine konkreten Normen vorgelegt haben. Das war nicht ihre Aufgabe, und das kann auch niemals Aufgabe der Sachverständigen sein. Dafür haben wir
eine Administration mit Dutzenden und Hunderten von Beamten.
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In diesem Hearing, Herr Kollege Henke, haben mit Ausnahme des Mieterbundes, der zuvor in einer gemeinsamen Eingabe mit dem Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen und dem Gesamtverband Freier Wohnungsunternehmen diesen Entwurf ebenfalls hart kritisiert hatte, alle Beteiligten, darunter auch der Richterbund und der Deutsche Anwaltverein, auf das heftigste bestritten - und dies durch ihre Ausführungen belegt -, daß sich das bisherige Gesetz bewährt habe. Sie führten aus, daß auch das neu vorgelegte Gesetz in 'dieser Fassung nicht praktikabel sei und statt Rechtssicherheit neue Rechtsunsicherheit bringe. Ich berufe mich hierbei ausdrücklich auf das Wortprotokoll des Hearings der dort befragten Wohnungsfachverbände und der Vertreter des Richterbundes und des Deutschen Anwaltvereins. Wen es interessiert, kann dieses Protokoll nachlesen. Es ist unter dem 18. Juni 1974 erstanden.
Herr Kollege, gestatten sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte, Herr Kollege Henke.
Herr Kollege Orgaß, ist es richtig, daß Sie sich offenbar von diesem Argument nicht haben sehr überzeugen lassen? Denn sonst könnten Sie dem Gesetzentwurf ja heute nicht zustimmen.
Nein, Herr Kollege Henke, so ist es nicht. Nur haben wir auch durch die besseren Argumente der Sachverständigen natürlich im Parlament keine Mehrheit finden können. Wir wollten ein in sich geschlosseneres und konsequenteres Gesetz durchbringen. Aber wir müssen als Opposition mit diesem Gesetz leben.
Es wurde festgestellt, daß die Vergleichsmietenregelung durch die Aneinanderreihung verschiedener unbestimmter Rechtsbegriffe nicht etwa zu mehr Klarheit und mehr Rechtssicherheit führen würde, sondern daß die Rechtsunsicherheit genauso erhalten bliebe. Es wurde ausdrücklich bestätigt, Herr Kollege Henke, daß die Gesetzesnormen in dem vorliegenden Text im wesentlichen auf ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Justiz hinauslaufen. Das haben neben den Wohnungswirtschaftlern insbesondere die Vertreter der Rechtspflege in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. Der Vertreter des Anwaltvereins sagte dabei wörtlich: Man kann etwas böswillig sagen, das Gesetz ist von Anwälten für Anwälte gemacht worden; die Praxis der Anwälte steigt auf Grund dieses Gesetzes erheblich.
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Das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle Heiterkeit; das können Sie nachlesen.
Trotzdem waren weder die Bundesregierung noch die Koalitionsvertreter im Ausschuß bereit und in der Lage, aus diesem Befragungsergebnis ihre Erkenntnisse und geeignete Konsequenzen zu ziehen. Die Koalitionsvertreter wie auch die Regierung haben trotz Kenntnis der Problematik im wesentlichen an dem Gesetzestext zu Art. 3 § 2 festgehalten und dies unter anderem auch damit begründet, daß diese Norm das marktwirtschaftliche Prinzip am ehesten widerspiegele. Dem ist jedoch keineswegs so, und zwar deshalb nicht, weil dieser Vergleich zumal auf Grund von Zufälligkeiten und Unverbindlichkeiten - Herr Kollege Kleinert hat die Unverbindlichkeiten noch besonders unterstrichen, unter denen dieser Vergleich zustande kommt - den Wohnwert häufig in gar keiner Weise widerspiegelt. Der Wohnwert aber wäre Ausdruck des Marktwertes. Der einfache Vergleich dagegen spiegelt die gesamte Verzerrung der Wohnungsmieten wider, die auf Grund langer und sehr unterschiedlicher Wohngesetzgebung und Wohnungsbaufinanzierung zustande gekommen ist.
Gerade die berühmte Mannheimer Studie zeigt in aller Deutlichkeit, daß häufig Wohnungen mit geringem Wohnwert einen wesentlich höheren Mietertrag bringen als andere Objekte. Hier sei beispielsweise nur an Massenquartiere für Gastarbeiter erinnert.
Andererseits aber ist die Vergleichsmietenregelung generell auch nicht in der Lage, die Wirtschaftlichkeit der Wohnung zu sichern. Das haben wir im Hearing sehr deutlich vorgeführt bekommen. Daraus ziehen wir ja auch Konsequenzen in den §§ 3, 4 und 5.
Die steigenden Inflationsraten, verursacht durch die Politik dieser Regierung, haben auf dem Wohnungsmarkt die nachhaltigsten und schlimmsten Folgen und führen insbesondere durch die Baukosten zu immer größer werdenden Verzerrungen auf dein Wohnungsmarkt. Die Anhaltspunkte für einen Vergleich sind in diesem uns vorgelegten Gesetzentwurf so unbestimmt, daß keiner weiß, was er eigentlich vergleichen kann. Demzufolge sind keine festen Bezugspunkte gegeben. Es wird zwar gesagt, daß Bezug genommen werden kann auf eine Ubersicht über die „üblichen Entgelte" in einer Gemeinde oder in einer vergleichbaren Gemeinde, soweit diese Ubersicht von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt wird; ferner jedoch - das ist gleichrangig zu sehen - auf ein Gutachten oder drei vergleichbare Wohnobjekte. Das ist jedoch so vage, daß damit niemand einen gültigen Maßstab in der Hand hat. Es ist. Z W dr ein scharfes Schwert, aber eines ohne Heft und ohne Klinge.
Wenn es schon nicht möglich ist, die absolut gerechte Miete zu bestimmen - und die werden wir nie finden -, so ist es um so notwendiger, Rechtsklarheit zu finden, damit die Betroffenen, ob Vermieter oder Mieter, von sich aus erkennen können, ob eine Mieterhöhung um einen zu fordernden oder geforderten Betrag gerechtfertigt ist oder nicht.
Es ist wenig befriedigend, darauf hinzuweisen, daß die Zahl der Klagen bzw. der obsiegenden Mieterhöhungsurteile zurückgegangen ist, weil nämlich im ersten Falle viele Mieter ihr Recht aus dem Gesetz nicht ablesen konnten und deshalb selbst ungerechtfertigte Mieterhöhungen hingenommen haben - da kam es also nicht zu Klagen - und im zweiten Falle viele - auch berechtigte - Klagen an der Unmöglichkeit der prozessualen Vorschriften bereits im Vorfeld gescheitert sind bzw. solche Klagen nicht erhoben wurden. Deswegen ist das kein Beweis.
Auch die neue Vergleichsmietenregelung beinhaltet wieder eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe, die es den Betroffenen außerordentlich erschweren, sich über ihre Rechtsmöglichkeiten von vornherein im klaren zu sein. Das führt wieder zu Prozessen mit völlig unkalkulierbarem Risiko, so daß schließlich nicht mehr die Fragen des Wohnwertes, des objektiven Vergleichs und die Kosten das entscheidende Kriterium für eine Miethöhe bilden, sondern vielleicht der Zufall des Anfangsbuchstabens eines Familiennamens, weil es davon abhängig ist, ob man sein Recht bei der einen oder bei der anderen Kammer sucht oder findet, je nachdem, wie der einzelne Richter die Dinge persönlich beurteilt, weil ihm objektive Kriterien nur sehr geboten sind.
so sind doch die ganzen so widersprüchlichen Urteile zu verstehen, die in der letzten Zeit auf Grund dieses Gesetzes zustande gekommen sind.
So mogelt sich der Gesetzgeber aus der Verantwortung und überläßt es den jeweiligen Gerichten, Ersatzgesetzgeber zu spielen. Das ist keine böswillige Unterstellung; denn der Vertreter des Deutschen Anwaltvereins hat uns im Hearing von Fällen berichtet, wo man nicht vorhandene Beklagte mit einem Buchstaben für eine günstige Kammer an die erste Stelle des Prozesses setzte, denen dann nicht zugestellt werden konnte - die gab es ja auch nicht -, womit man die Zuständigkeit der gewünschten Kammer erreichte. Und er fügte ausdrücklich hinzu: Das - und ähnliche Dinge mehr - wird auch jetzt wieder vorkommen. Man lese das nach.
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Meine Damen und Herren, diese Unklarheiten der Vergleichsmietenregelung in diesem Entwurf wollten wir durch unseren Antrag beseitigt wissen, den wir im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau gestellt haben. Er stellt in erster Linie auf die Verbindlichkeit eines Mietspiegels ab, der von den Gemeinden im Benehmen mit den Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter aufgestellt, jährlich überprüft und, wenn notwendig, fortgeschrieben werden soll, der vor allem einen repräsentativen Querschnitt der Durchschnittsmieten der Gemeinde nach Art, Lage, Größe, Ausstattung und Beschaffenheit beinhaltet, so daß sich ein jeder, ob Vermieter oder Mieter, daran orientieren kann.
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Herr Kollege, im Hinblick auf die interfraktionellen
Vizepräsident Schmitt-Vockenhausen
Vereinbarungen darf ich Sie auf den Zeitablauf aufmerksam machen.
Vielen Dank, Herr Präsident, ich werde mich bemühen.
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Dies greift insbesondere bei großen Städten, ({1})
weil nämlich drei willkürlich herausgegriffene Vergleichsobjekte in einer Großstadt einfach kein befriedigendes Kriterium sein können. Dort aber, wo kein Mietspiegel ist oder wo überschaubare kleinere Siedlungseinheiten sind, genügen hilfsweise die anderen Kriterien. Das würde bedeuten, daß wir durch diese Klarstellung eine Flut von Prozessen vermeiden würden; und das scheint mir mit ein notwendiger Sinn einer Gesetzgebung zu sein.
Meine Damen und Herren, wir müssen das sehen, und zwar um so deutlicher, als nach diesem Gesetz bei Neuvermietung oder Wiedervermietung grundsätzlich Vertragsfreiheit besteht. Das schließt nicht aus, daß es deswegen Scheinverträge geben kann oder auch Absprachen im Sinne von Frühstückskartellen mit dem Ergebnis, daß wucherisches Vorgehen einiger weniger - was nicht auszuschließen ist - die Bemessungsgrundlage für viele ist. Das kann von uns nicht gewollt, das kann von uns nicht hingenommen werden.
Herr Kollege, ich bitte Sie, nunmehr zu Ende zu kommen.
Ich werde mich daran halten, Herr Präsident.
Herr Kollege, es bleibt Ihnen nach der Geschäftsordnung nichts anderes übrig.
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Ich bin deshalb nicht mehr in der Lage, auf den § 5, der die Kosten für Kapitalzinserhöhungen regelt, noch einzugehen. Ich möchte nur sagen, daß wir dem zwar zustimmen, daß er aber ebenfalls ein Systembruch in der marktorientierten Vergleichsmiete ist.
Im übrigen darf ich sagen, daß wir trotz Bedenken, die wir gegen dieses Gesetz haben, der Fassung zustimmen werden,
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insbesondere im Hinblick darauf, daß - interfraktionell getragen eine Aufforderung an die Bundesregierung kommt, innerhalb von spätestens vier Jahren eine Kodifikation des Wohnrechtes zu bringen. Wir gehen davon aus, daß dann viele der Ungereimtheiten beseitigt werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Polkehn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe heute die dankbare Aufgabe, zu einem Gesetz zu sprechen, für das viele meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen sich seit Jahren engagiert haben, engagiert in der Überzeugung, daß die Verpflichtung auf den Sozialstaat, den unser Grundgesetz gebietet, den Gesetzgeber und das Parlament verfassungsmäßig bindet, den Mieter von Wohnraum vor dem unberechtigten Verlust seiner Wohnung zu schützen. Wohnen - das ist hier mehrmals gesagt worden - gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Der Mieter muß sich in dem gebotenen Umfange in seiner Wohnung sicher fühlen können. Der vertragstreue Mieter muß von Rechts wegen vor willkürlichen und unmotivierten Kündigungen gesichert werden.
Mit Genugtuung, die keinen negativen Unterton hat, nehmen wir zur Kenntnis, daß auch die Opposition sich diesem Gesetzentwurf - zugegeben: nach harten Diskussionen im Ausschuß - angeschlossen hat. In den früheren Jahren konnte sie sich nicht immer unseren Vorstellungen von sozialem Kündigungsschutz anschließen. Ich will heute nicht auf den Lücke-Plan eingehen - er ist mit diesem Gesetz endgültig gestorben -, aber daran erinnern, daß das erste Wohnraumkündigungsschutzgesetz der sozialliberalen Koalition von 1971 gegen den erbitterten Widerstand der Opposition durchgesetzt werden mußte. Wenn heute, wo es um Gerechtigkeit und soziale Sicherung und Schutz für die Schwächeren unserer Gesellschaft geht - und die Mieter gehören zu den Schwächeren -, die breite Zustimmung dieses Hauses zu erreichen ist, dann werden wir das dankbar anzuerkennen wissen.
Das erste und zur Zeit geltende Wohnraumkündigungsschutzgesetz hatte nur einen, aber entscheidenden Schönheitsfehler: es ist zeitlich befristet und würde Ende dieses Jahres außer Kraft treten. Das wollen wir heute mit dem zweiten Gesetz verhindern. Der Kündigungsschutz soll Dauerrecht werden.
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Dies allein war das ursprüngliche und ist das vorrangige Ziel des Gesetzentwurfs. Im Laufe der Beratungen ergaben sich eine Reihe von Forderungen auf Änderung des Wohnraummietrechts, die, soweit sie uns berechtigt erschienen oder zur Verbesserung beitragen, in diesen Gesetzentwurf aufgenommen wurden. Ich darf einige dieser Regelungen erwähnen.
Erstens. Der Kündigungsschutz soll künftig auch für alle möblierten Wohnräume gelten, die außerhalb der vom Mieter selbst bewohnten Wohnung liegen. Dadurch wird eine noch bestehende Lücke im Kündigungsschutz geschlossen. Hiervon werden insbesondere auch die vielen ausländischen Arbeitnehmer Nutzen haben, die ja in besonderem Maße Anspruch auf diesen Schutz haben.
Zweitens. Maßstab für die Mieterhöhungen bleibt die ortsübliche Vergleichsmiete, die sich im GrundPolkehn
satz, auch gegen die Äußerung von Herrn Orgaß, bewährt hat, auch wenn sie harter Kritik ausgesetzt ist. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, daran sei erinnert - Kollege Henke hat es heute schon getan -, auch das Hearing vom 18. Juli dieses Jahres hat keine anderen brauchbaren Lösungsvorschläge zutage gefördert.
Wissen Sie, meine Damen und Herren, Herr Orgaß muß natürlich so argumentieren, wie er es heute getan hat. Wie anders wollte er sonst die späte Einsicht verschleiern, daß sich unser Kündigungsschutzgesetz bewährt hat!
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Es wäre ja auch zu einfach für ihn, einmal zuzugestehen, daß sich etwas bewährt, was von der CDU/CSU bisher abgelehnt worden ist. Der Mietanstieg wurde durch das Erste Wohnraumkündigungsschutzgesetz deutlich begrenzt, Herr Orgaß. 1972 und 1973 betrug er 5,8 %. Die Zahlen machen deutlich, daß der Mietanstieg hinter der Entwicklung der Lebenshaltungskosten zurückgeblieben ist. Die Voraussage Ihres früheren Kollegen Erpenbeck, die Vergleichsmiete würde zu einer Mietexplosion führen, war falsch.
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Der Nachweis der ortsüblichen Vergleichsmiete wird allerdings erleichtert werden. Im Gesetz wird klargestellt, daß die Begründung einer Mieterhöhung durch Bezugnahme auf Mietwerttabellen oder Mietspiegel erfolgen kann. Das bringt nicht nur Erleichterungen für den Mieter, sondern auch für den Vermieter und sollte auch von seiten des Hausund Grundbesitzervereins einmal anerkannt werden.
An dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren, sei erwähnt, daß auch wir uns gerne dem Wunsch der Opposition auf Festschreibung der Tabellenmiete und des Mietspiegels, die von den Gemeinden im Zusammenwirken mit den Mieter- und Vermieterverbänden erstellt werden sollten, angeschlossen hätten. Sie wissen, Herr Orgaß, daß wir dementsprechend argumentiert haben. Diese Frage wird und muß die Regierung gründlich mit den Ländern und den Vertretungen der Gemeinden erörtern. Ohne Einvernehmen mit Bundesrat und kommunalen Spitzenverbänden sollte man eine solche grundsätzliche Neuregelung nicht normieren.
Drittens. Wir haben ferner in diesem Gesetz eine Regelung geschaffen, die nach Modernisierung von Wohnungen und beim Steigen von Kapitalkosten - Eigenkapital ausgeschlossen - Mieterhöhungen in vertretbarem Rahmen zuläßt. Der Vermieter kann die Kosten für die Modernisierung einer Wohnung in angemessenem Umfang auf Mieter umlegen. Wir meinen und hoffen, daß mit der Regelung der Mieterhöhung bei Modernisierung um nicht mehr als 14 % der Modernisierungskosten einmal der Anreiz zu verstärkter Modernisierung gegeben ist, zum anderen aber auch die Mieterhöhung noch in vertretbarem Rahmen bleibt. Viele Wohnungen müssen renoviert werden. Das liegt auch im wohlverstandenen Interesse der Mieter. Wenn der Mieter dafür eine höhere Miete zu zahlen hat, so erhält er ja
dafür auch einen entsprechenden Gegenwert, nämlich eine bessere, modern ausgestattete Wohnung.
Natürlich haben wir auch die Kappungsgrenze diskutiert, die bei 10 % über der Vergleichsmiete zum Zuge kommen sollte. Aber auch in dieser Frage brachte das Hearing keine klare Aussage. Niemand der Beteiligten konnte uns eine überzeugende Auskunft geben, ob eine um 14 % erhöhte Miete nach Modernisierung weit über der Vergleichsmiete liegen werde oder ob eine Kappungsgrenze die Vermieter vor Modernisierung zurückhalten würde. Dies sind Fragen, die offengeblieben sind und die erst einmal den Erfahrungen der Praxis überlassen bleiben müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Koalitionen bringen Kompromisse.
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Auch dieses Gesetz ist an wenigen Stellen ein Kompromiß. Der Kompromiß gehört zu einer Koalition wie das Salz zum Brot. Das wissen wir alle. Wir hätten gerne für die Einliegerwohnungen den vollen Kündigungsschutz gehabt.
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Das sage ich sehr offen. Aber die verlängerte Kündigungsfrist, die bestehende Sozialklausel, das mögliche Widerspruchsrecht gewähren doch einen - wenn auch abgeschwächten - Kündigungsschutz. Ein Teil der Wohnungen ist überdies aus Mitteln des Lastenausgleichs oder mit Familienheimdarlehen des öffentlichen Dienstes finanziert und unterliegt - wenn auch zeitlich begrenzt - einer Finanzierungsbindung. Auch sind viele dieser Wohnungen - das sollten wir nicht verkennen - von Verwandten bewohnt. Entweder haben die Eltern gebaut, und die Kinder wohnen oben, oder es ist umgekehrt: Die Kinder haben gebaut, und die Eltern wohnen in der Einliegerwohnung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden mit dem Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes eine wichtige Etappe in der Gesetzgebung des weitgefächerten Bereichs des Wohnens erreicht haben. Der nächste Schritt muß sein, das Wohnraummietrecht und andere Gesetze der Wohnungspolitik zu ordnen und verständlich zusammenzufassen. Hierzu haben wir eine Entschließung eingebracht, in der die Bundesregierung ersucht wird, einen Gesetzentwurf - gegebenenfalls in Form eines Wohngesetzbuches - vorzulegen, der die Vorschriften auf dem Gebiete des sozialen Wohnrechtes einheitlich und übersichtlich zusammenfaßt und damit für die Betroffenen verständlich und überschaubar macht.
Lassen Sie mich zum Schluß nun noch kurz zu der Regelung für Hamburg und München Stellung nehmen. Ich glaube, in allen Fraktionen dieses Hauses war sich eine Mehrheit darüber einig, daß es an der Zeit ist, Sonderregelungen für bestimmte Gebiete in der Bundesrepublik fortfallen zu lassen, weil sich die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt in allen Großstadtbereichen weitgehend angeglichen haben. Deshalb ist der Vorschlag der Bundesregierung zu begrüßen, nach dem das Gesetz grundsätz8322
lieh für das gesamte Bundesgebiet gilt, für die beiden betroffenen Großstädte jedoch noch eine Übergangsregelung bis 1976 vorgesehen ist. Ich meine, daß dies für München und Hamburg ein brauchbarer und auch nützlicher Kompromiß zu den drei uns vorliegenden Gesetzentwürfen ist.
Ich möchte mit einem Zitat schließen. Wenn wir ein gutes Wohnraumkündigungsschutzgesetz gemacht haben - so Herbert Wehner -, dann muß es auch den Verhältnissen in München und Hamburg gerecht werden und auch dort den gewünschten Schutz vor überhöhten und ungerechtfertigten Mieterhöhungen gewähren, oder es ist kein gutes Gesetz. - Dem ist von unserer Seite nichts hinzuzufügen. Wir, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, sind davon überzeugt, daß wir heute ein gutes Gesetz verabschieden werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böger.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Neben dem Rechtsausschuß als dem federführenden Ausschuß hat sich auch der Städtebauausschuß eingehend mit dem vorliegenden Gesetz befaßt. Lassen Sie mich aus diesem Grunde aus dieser Sicht, im wesentlichen also aus der wohnungswirtschaftlichen Sicht im Namen der Freien Demokraten Stellung nehmen.
Zunächst möchte ich mit Nachdruck feststellen, daß entgegen manchen doch wohl allzu heftigen Vorwürfen von seiten einiger Organisationen dieses Gesetz einen abgewogenen, d. h. einen sicherlich nicht vollkommenen, aber doch vernünftigen Interessenausgleich zwischen den berechtigten Belangen sowohl des Mieters wie auch des Vermieters darstellt. Ein solcher Ausgleich ist aus der Sicht meiner Fraktion aus zwei Gründen notwendig.
Zum einen muß anerkannt werden, daß die Wohnung für den Mieter im allgemeinen mehr ist als nur eine mehr oder weniger vorübergehende Behausung. Die Wohnung ist vielmehr in den meisten Fällen für den Mieter und für seine Familie der Mittelpunkt seines Lebenskreises. Die Beziehungen zu seiner täglichen Umwelt - Arbeitsplatz, Schule, Einkäufe, Bekanntenkreis, um nur einige Faktoren zu nennen - hängen mit seiner Wohnung zusammen. Die Notwendigkeit, aus dieser Wohnung vielleicht in ein anderes Stadtgebiet umziehen zu müssen, würde nicht nur seine Behaglichkeit stören, sondern - und dies ist das Wesentliche - auch seine Lebensgewohnheiten und die seiner Familie, um mich salopp auszudrücken, mehr oder weniger „umkrempeln". Deshalb legt das Gesetz fest, daß der vertragstreue Mieter - und auf „vertragstreu" möchte ich Wert legen - nur auf Grund berechtigter Interessen des Vermieters aus seiner Wohnung herausgekündigt werden darf.
Auf der anderen Seite stehen die Vermieter, die Hauseigentümer, darunter die sehr, sehr vielen Privatleute, die oft lange Zeit gearbeitet und gespart haben, um ein Haus oder auch deren zwei zu
bauen. Sie wollten sich damit einen Vermögenswert schaffen, der möglichst wertbeständig ist, und sie wollen aus diesem ersparten Gut auch Einkünfte beziehen. Häufig sind sie darauf mehr oder weniger angewiesen. Wir wollen uns, meine Damen und Herren, freuen, daß es solche Leute gibt; denn ohne sie sähe es mit dem notwendigen Wohnbedarf in unseren Städten und Gemeinden schlecht aus.
Wir als Gesetzgeber müssen deshalb nach unserer Auffassung darauf achten, daß den Hauseigentümern die finanziellen Möglichkeiten gegeben sind, einmal den Wert ihres Hauses zu erhalten - durch Reparaturen - und zum anderen nach Möglichkeit zu mehren - durch Modernisierung. Ein guter, modernen Ansprüchen genügender und differenzierter Wohnungsbestand ist nicht nur für die Hauseigentümer von Bedeutung, sondern er ist es auch für die Mieter und für die Allgemeinheit.
Eines der Hauptprobleme dieses Gesetzes - das ging aus den Ausführungen meiner Herren Vorredner, aus dem Hearing und aus den zahllosen Zuschriften, die wir bekommen haben, hervor - ist das der Vergleichsmiete. Ich mache keinen Hehl daraus, daß die Lösung, die Eingang in das Gesetz gefunden hat, keine Ideallösung darstellt. Doch sie ist - und das möchte ich den Kritikern entgegenhalten - praktikabler und gerechter als die Lösungen, die im Hinblick auf die Wahrnehmung doch nur ganz bestimmter Interessen vorgeschlagen worden sind.
Die von der Opposition verlangte Einführung eines Mietpreisspiegels in das Gesetz ist zwar in der vorgeschlagenen Form abgelehnt worden. Doch wir erkennen gerne an, daß gegen Mietpreisspiegel grundsätzlich nicht nur keine Bedenken bestehen, sondern ihre vermehrte Einführung durchaus wünschenswert ist. Gegen die gesetzliche Verankerung im augenblicklichen Zeitpunkt sprach aber aus unserer Sicht, daß es in den meisten Städten solche Mietpreisspiegel noch gar nicht gibt, das Gesetz aber bereits am 1. Januar des nächsten Jahres in Kraft tritt.
Weiterhin darf nicht übersehen werden, daß es, falls Mietpreisspiegel eingeführt werden, eine ganze Zeitlang dauern wird, bis sie den Bürgern zur Verfügung stehen. Darüber hinaus würden den Gemeinden dadurch Aufgaben übertragen, die sie nicht ohne erheblichen finanziellen und personellen Mehraufwand durchführen können. In einer Entschließung wird die Bundesregierung gebeten, über diesen Punkt mit den Gemeinden Verhandlungen aufzunehmen.
Im übrigen glauben wir, daß dadurch, daß grundsätzlich das Prinzip der freien Beweiswürdigung für die Festlegung der Mieterhöhungen gilt, d. h. daß eine Reihenfolge oder eine unterschiedliche Wertung der Beweismittel in Übereinstimmung mit dem hier schon mehrfach zitierten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts im Gesetz nicht vorgesehen ist, die möglichen Unzulänglichkeiten der Vergleichsmiete zu einem guten Teil ausgeschaltet worden sind. Daß sich die FDP dabei für die Festlegung der anzugebenden Vergleichsobjekte auf drei ausgesprochen hat, beruht auf den Erfahrungen der VerDr. Böger
gangenheit, die in den entsprechenden Prozessen gemacht worden sind. Denn damit werden einerseits nicht zu hohe Anforderungen an die Zahl der zu benennenden vergleichbaren Objekte gestellt, die möglicherweise gar nicht herbeigeschafft werden können; andererseits gibt die Zahl von drei Vergleichsobjekten dem Richter aber hinreichend Gelegenheit, festzustellen, ob das Verlangen nach Mietpreiserhöhung gerechtfertigt ist oder nicht.
Mieterhöhungen sind nach dem Gesetz u. a. dann zulässig, wenn der Hauseigentümer Geld in die Wohnung hineinsteckt, um Maßnahmen durchzuführen, die den Gebrauchswert der Mietsache nachhaltig erhöhen oder die allgemeinen Wohnverhältnisse auf die Dauer verbessern, oder wenn er bauliche Veränderungen vornehmen muß, die er nicht zu vertreten hat. Eine Erhöhung des jährlichen Mietzinses um 14 % der für eine Wohnung für diese Zwecke aufgewendeten Kosten ist als angemessen anerkannt.
Ursprünglich war vorgesehen, eine Höchstgrenze für solche Mieterhöhungen festzusetzen. Die Beschränkung sollte darin bestehen, daß der um den
4%igen Kostenanteil erhöhte Mietzins den üblichen
Mietzins für den nach Durchführung der Maßnahme vergleichbaren Wohnraum - Vergleichsmiete um nicht mehr als 10 % übersteigen dürfte. Die FDP hat sich mit Erfolg dafür eingesetzt, daß diese Beschränkung, „Kappungsgrenze" genannt, weggefallen ist. Grund dafür war für uns, daß es vor allem darauf ankommt, den vorhandenen und zum Teil recht alten Wohnungsbestand zu verbessern und zu modernisieren. Der Wille des Hauseigentümers zur Verbesserung oder Modernisierung wird aber gehemmt, wenn der Eigentümer von vornherein weiß, daß er die Maßnahmen finanzieren muß, ohne die Kosten dann in entsprechendem Umfang auf den Mieter, dem diese Verbesserungen ja in erster Linie zugute kommen, umlegen zu können. Deshalb erschien es uns verfehlt, die Umlegung der Verbesserungs- bzw. Modernisierungskosten auf eine höchstens 10%ige Erhöhung gegenüber der Vergleichsmiete zu beschränken. Gründliche Verbesserungen oder Modernisierungen würden dadurch in vielen Fällen unterbleiben.
Die in das Gesetz aufgenommene anteilige Umlegung der Fremdkapitalkosten auf den Mieter war auf Grund der in der Vergangenheit infolge der Zinspolitik erhöhten Zinssätze unumgänglich. Dabei war es für die FOP wesentlich, den ursprünglich für die Berücksichtigung der Zinserhöhungen vorgesehenen Stichtag vom 30. Juni 1973 auf den 1. Januar 1973 vorzuverlegen, da gerade in diesem Zeitraum eine starke Steigerung der Zinssätze zu verzeichnen war.
Ein CDU/CSU-Antrag, daß die für die Betriebskosten vorgesehenen Vorauszahlungen vom Vermieter einseitig erhöht werden können, hat die Koalition abgelehnt, und zwar deshalb, weil wir aus allgemeinen vertragsrechtlichen Prinzipien jede einseitige Änderung eines Vertrages nicht für zulässig halten. Eine Schlechterstellung des Vermieters ist damit nicht verbunden, denn die Betriebskosten werden ohnehin voll umgelegt und jährlich abgerechnet.
Für einen langfristigen Mietvertrag unterschiedliche Miethöhen festzusetzen, wie es ein Antrag vorsah, hielten wir nicht für notwendig. Nach § 1 des Gesetzes hindert nichts die Vertragsparteien daran, z. B. einen Fünfjahres-Mietvertrag zu schließen und einen Gesamtmietpreis festzulegen, wobei eine sukzessive Mieterhöhung in der Weise möglich ist, daß im ganzen der Gesamtmietpreis erreicht wird. Ein solches Verfahren darf allerdings nicht zu der Konsequenz führen, daß die Einzelrate über der Vergleichsmiete liegt; damit würde nämlich der . Sinn des Gesetzes - das Prinzip der Vergleichsmiete wurde ja eingeführt, um übermäßige Mieterhöhungen zu verhindern - aus den Angeln gehoben.
Eine Mietpreisgleitklausel einzuführen - auch das ist beantragt worden -, haben wir schon deshalb abgelehnt, weil das nicht gerade dazu beitrüge, die gegenwärtigen Bemühungen um Stabilität zu unterstützen.
Der von der CDU/CSU im Laufe der Beratungen gestellte Antrag, ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses über die gegenwärtige gesetzliche Regelung hinaus auch bei Dienst= und Genossenschaftswohnungen anzunehmen, erschien uns angesichts der Tatsache überflüssig, daß die Rechtsprechung in diesen Fällen bisher stets dem Verlangen des Vermieters entsprochen hat. Wir haben aber auch Bedenken gegen eine Aufzählung zu vieler Einzelgründe, bei denen ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses anzuerkennen ist. Man müßte dann neben Dienstverhältnissen auch - um nur ein Beispiel zu nennen - Arbeitsverhältnisse aufführen. Wie steht es außerdem mit Ausbildungsverhältnissen der verschiedensten Art? Je mehr Einzelgründe man im Gesetz aufführt, um so größer ist die Gefahr, daß alles, was nicht wortwörtlich darunterfällt, nicht als berechtigtes Interesse gilt. Das ist die Gefahr der enumerativen Aufzählung. Die Generalklausel „Insbesondere gilt" und die beispielhafte Angabe nur der wichtigsten Interessen scheinen uns zweckmäßiger und klarer zu sein.
Herausgenommen aus dem sehr weitgehenden Kündigungsschutz des Gesetzes sind auf Betreiben der FDP die Zweifamilienhäuser, in deren einer Wohnung der Vermieter selbst wohnt. Diese Häuser sind übrigens überwiegend von Bausparern errichtet. In solchen Zweifamilienhäusern - das war unser Anliegen - ist das harmonische, zumindest das störungsfreie Miteinanderwohnen von ausschlaggebender Bedeutung.
Persönliche, vom Verschulden oft unabhängige Unwägbarkeiten können das Klima zwischen beiden Parteien viel stärker und viel nachhaltiger zerstören, als es in einem Haus mit vielen Mietparteien der Fall ist. Um hier eine Kündigung durchsetzen zu können, genügt der Tatbestand der „Zerrüttung". Nachzuweisen sind aber nicht die Ursachen einer solchen Zerrüttung.
Wir glauben, mit diesem Vorschlag, der akzeptiert worden ist, auch ein Stück sozialen Friedens zu wahren. Wir sind uns dabei darüber 'im klaren, daß es
in der Bundesrepublik etwa 1,2 Millionen Häuser gibt, die unter diesen Kreis fallen. Dem Vorschlag unseres Koalitionspartners, die gesetzlichen Kündigungsfristen bei Kündigungsverlangen des Vermieters in diesen Fällen um drei Monate zu verlängern, haben wir zugestimmt, um möglicherweise auftretende Härten zu vermeiden.
Meine Damen und Herren, bei Gesamtwürdigung der heute vorgetragenen Lösung erscheint uns das vorliegende Gesetz als ein recht abgewogener Ausgleich zwischen dem Bestreben, ausreichende und den verschiedenen Ansprüchen genügende Wohnungen zu schaffen - wobei private Investitionen angeregt werden sollen, auf die wir im übrigen ja angewiesen sind -, einerseits und der Erkenntnis andererseits, daß Wohnungen kein Gut wie jedes andere ist, sondern zentraler Mittelpunkt des Familienlebens und damit ein gesellschaftspolitisch wichtiger Faktor.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen in der Aussprache liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu einer, wie es in der Geschäftsordnung heißt, „kurzen mündlichen Erklärung" hat das Wort Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem vorliegenden Entwurf eines Wohnraumkündigungsschutzgesetzes kann ich meine Zustimmung nicht geben. Um Mißverständnissen und Mißdeutungen vorzubeugen, sehe ich mich veranlaßt, eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben und mein Nein zu begründen.
Erstens. Das Gesetz wurde 1971 eingeführt, um den seinerzeit angenommenen „Nachfrageüberhang auf die weithin feststellbare Mangellage auf dem Wohnungsmarkt sowie die dadurch aufgetretenen besonderen sozialen Probleme zu beheben". So sagt es der Bericht des Rechtsausschusses. Dann wurde ein befristetes Notrecht eingeführt. Frau Kollegin Meermann von der SPD sprach sich seinerzeit „für eine begrenzte Zeit aus, solange der Wohnungsmarkt schlecht funktioniert". Herr Kleinert von der FDP sagte wörtlich:
Wir wollen nämlich den 31. Dezember 1974 verbindlich als Schlußtermin des Geltens dieses Gesetzes einsetzen.
Der seinerzeitige Bundesjustizminister Jahn sprach von einem Ziel der Bundesregierung: langfristig die Beseitigung der Wohnungsnot, kurzfristig der Schutz des Mieters. Wörtlich sagte er weiter:
Die Bundesregierung hält es daher für erforderlich, bis zur Herstellung ausgeglichener Marktverhältnisse die Stellung des Mieters durch besondere Schutzmaßnahmen so weit zu verstärken, daß die sich aus der mangelnden Angebotskonkurrenz ergebenden Nachteile ausgeglichen werden.
Haben wir noch die Situation von 1971? Nein! Denn die derzeitige Lage ist wesentlich ausgeglichener als 1971. 22,5 Millionen Haushaltungen stehen 22,6 Millionen Wohnungen gegenüber.
Man könnte nun darüber reden, das seinerzeit befristete Gesetz nochmals zu verlängern. Aber generelles Dauermietrecht scheint mir von der Wohnungsmarktlage her nicht vertretbar zu sein.
Zweitens. Gründe der sozialen Marktwirtschaft sprechen gegen ein Dauerrecht. Ich halte mich jedenfalls an das gebunden, was der wohnungspolitische Sprecher meiner Fraktion, Herr Abgeordneter Ferdinand Erpenbeck, 1971 in der Beratung zum Ersten Kündigungsschutzgesetz mit Überzeugung ausführte:
Wir vertreten nach wie vor die Meinung, daß eine befriedigende Ordnung des Wohnungswesens nur erreicht werden kann, wenn die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft auch für diesen Bereich gelten.
Im übrigen verweise ich auf das seinerzeitige Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums, der von dem SPD-Wirtschaftsminister berufen wurde, das von einem Abweichen von der marktwirtschaftlichen Ordnung sprach. Wenn schon 1971 bei einem befristeten Gesetz davon gesprochen werden mußte, daß dieses Gesetz die Spielregeln der Sozialen Marktwirtschaft außer Kraft setzt, so gilt es erst recht für das folgende Gesetz als Dauerrecht.
In diesem Zusammenhang muß ich leider auf die Schwierigkeiten mit der Mineralölversorgung von vor einem Jahr hinweisen. Auf allen Seiten dieses Hauses und von der Regierung - das möchte ich hier anerkennen - wurde die marktwirtschaftliche Ordnung beschworen und gegen gewisse Forderungen von SPD-Seite auch durchgesetzt.
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Der Ölmarkt funktionierte nach kurzer Zeit wieder, weil eben die Kräfte der Sozialen Marktwirtschaft nicht ausgeschaltet wurden. Warum soll das nicht für das Wirtschaftsgut Wohnung, von dem auch die Herren der Neuen Heimat sprechen, gelten?
Herr Abgeordneter Niegel, ich mache Sie auf die Bestimmungen der Geschäftsordnung aufmerksam, wonach Sie sich zur Abstimmung nur in einer kurzen mündlichen Erklärung äußern können. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.
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Bitte bedenken Sie, daß eine noch so sinnvoll gestaltete Zwangswirtschaft keine einzige zusätzliche Wohnung schafft, sondern daß sie den Mangel nur mehr schlecht als recht verteilen kann.
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Drittens. Ich darf stichwortartig noch darauf hinweisen, daß dieses Gesetz zu einer Abkehr von privaten Investitionen auf dem Wohnungsmarkt fühNiegel
ren, den Bauwillen und die private Initiative lähmen wird, weil es so zu einer Verknappung von Wohnungen kommen wird, die dann langfristig den Mieter benachteiligt.
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Meine Damen und Herren, das Ende bestimmt der Präsident.
Viertens. Ich spreche mich genauso wie Sie alle gegen motivlose, willkürliche Kündigungen aus. Aber diese sind ohnehin durch das fortgeltende soziale Mietrecht ausgeschlossen. Dieses Gesetz schafft ja einen doppelten Kündigungsschutz.
Herr Abgeordneter Niegel, kommen Sie nun zum Ende.
Fünftens. Außerdem stehen diesem Gesetz verfassungsrechtliche Gründe entgegen zum Beispiel im Umkchrschluß aus dem Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes 1 BVR 562/72. Ich darf abschließend sagen:
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Zweifellos könnte noch eine Reihe von Gründen zur Begründung des Nein angeführt werden, die ich aus den bekannten Gründen jetzt nicht bringen kann. Dieses Gesetz - unbefristet - bringt ein Stück Systemveränderung in die falsche Richtung, die ich nicht mitmachen kann.
Herr Abgeordneter, ich bitte, nunmehr Ihre Ausführungen abzuschließen.
Meine Damen und Herren, ganz sicher müssen wir einmal bei einer Änderung der Geschäftsordnung folgendes überlegen: Bei anderen Erklärungen habe ich die Möglichkeit, sie vorher vorlegen zu lassen. Diese Möglichkeit besteht bei § 59 nicht. Aber wir müssen das im Geschäftsordnungsausschuß überprüfen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung in der dritten Beratung. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Keine Stimmenthaltungen. Damit ist das Gesetz in der dritten Beratung gegen eine Stimme angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu den Abstimmungen über die Ausschußanträge. Ich kann davon ausgehen, daß der Ausschußantrag II, die zum Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären, angenommen wird. - Kein Widerspruch.
Ich rufe den Antrag des Ausschusses unter III auf. Hierzu liegt in der Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Drucksache 7/2660 vor. Dieser Antrag ist von meinem Kollegen Orgaß bereits in der Aussprache
zur dritten Beratung begründet worden. Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann - ich nehme an, daß Sie einverstanden sind - zur Abstimmung über den gesamten Ausschußantrag. Oder muß ich auf Wunsch der Antragsteller ziffernweise abstimmen lassen? - Nein, das können wir geschlossen tun. Wer dem Antrag des Ausschusses unter III zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag des Ausschusses einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr die Zusatzpunkte zur Tagesordnung 1, 2 und 3 auf:
1. Zweite Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl ({1}), Schmidhuber, Dr. Wittmann ({2}), Dr. Kreile, Dr. Müller ({3}), Dr. Probst, Höcherl, Orgaß, Damm, Rollmann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften in der kreisfreien Stadt München und im Landkreis München sowie in der Freien und Hansestadt Hamburg
- Drucksache 7/1576 Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({4})
- Drucksache 7/2634 - Berichterstatter:
Abgeordneter Polkehn Abgeordneter Orgaß
({5})
2. Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schöfberger, Schmidt ({6}), Bredl, Marschall, Vahlberg, Frau Dr. Riedel-Martiny, Staak ({7}), Dr. Apel, Pawelczyk, Glombig, Engelhard, Frau Schuchardt und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften in der kreisfreien Stadt München und im Landkreis München sowie in der Freien und Hansestadt Hamburg
- Drucksache 7/1671 Bericht und Antrag des Ausschusses für
Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
({8})
- Drucksache 7/2634 - Berichterstatter:
Abgeordneter Polkehn Abgeordneter Orgaß
({9})
3. Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften in
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
der kreisfreien Stadt München und im Landkreis München sowie in der Freien und Hansestadt Hamburg
- Drucksache 7/2069 Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({10})
- Drucksache 7/2634 Berichterstatter:
Abgeordneter Polkehn Abgeordneter Orgaß
({11})
Meine Damen und Herren, wir hätten hier die Möglichkeit, nach dem Antrag des Ausschusses, diese Vorlagen für erledigt zu erklären, zu verfahren oder sie in der zweiten Beratung aufzurufen und sie dann abzulehnen. Ich würde vorschlagen, daß wir der Einfachheit halber alle drei Gesetzentwürfe gemeinsam für erledigt erklären.
Der Antrag des Ausschusses lautet: „Der Bundestag wolle beschließen, die Gesetzentwürfe - Drucksachen 7/1576, 7/1671, 7/2069 - für erledigt zu erklären." Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Meine Damen und Herren, damit sind die Zusatzpunkte 1, 2 und 3 von dem Hause für erledigt erklärt worden.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ({12})
- Drucksachen 7/2354, 7/2616, 7/2643 Das Wort hat zu der Großen Anfrage der Abgeordnete Marx.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat nach sorgfältigen Vorbereitungen am 3. Juli dieses Jahres eine Große Anfrage eingebracht, um, da die Bundesregierung bis zu diesem Zeitpunkt sich ausschwieg, von dieser jetzt eine umfassende Auskunft über jene Konferenz der 35 Staaten zu erhalten, auf der Entscheidungen vorbereitet werden, die für uns, für Europa große Auswirkungen haben.
({0})
Wir haben damit die heutige Debatte ausgelöst, weil wir es als unsere Pflicht erachten, noch bevor die Entscheidungen in Genf gefallen sind, hier unsere Meinung zu sagen, die Antworten und Absichten der Bundesregierung auf die Waage der Diskussion zu legen und der deutschen Öffentlichkeit den Sinn zu schärfen für die ganz außerordentliche und weittragende Bedeutung dieser Konferenz.
Es handelt sich schließlich bei ihr um Sicherheit und Zusammenarbeit. Das ist keineswegs nur eine technische Sache, die von Diplomaten sozusagen unter sich in ihrer eigenen Sprache abgehandelt wird und daher wenig Interesse beansprucht, im Gegenteil - ich sage das mit allem Nachdruck -: die
europäische Konferenz geht jeden von uns an, jedes europäische Volk. Sie betrifft unsere Selbständigkeit und Selbstbestimmung, unsere Freiheit, unsere Sicherheit und die Zukunft des Kontinents.
Wer die Entstehungsgeschichte dieser Konferenz, das jetzt seit zwei Jahrzehnten hindurch dauernde Drängen der Sowjets beobachtet, wer die Aussagen beider Seiten und auch jene der Neutralen beurteilt und wer die massive begleitende Propaganda der kommunistischen Staaten, ihre Strategie und Taktik bei den Verhandlungen, ihre Formulierungsvorschläge und deren Doppelbödigkeit, ihre Anträge, ihre ablehnende Haltung gegenüber vielen konstruktiven westlichen Aufforderungen kennt, der wird den alarmierenden Umfang und die geschichtliche, politische und prinzipielle Bedeutung dieser Konferenz kaum unterschätzen können. Hier wird, meine Damen und Herren, über künftiges europäisches Schicksal gesprochen, oder wie es Radio Warschau am 17. Juli dieses Jahres formulierte - ich zitiere -, es „werden die neuen Grundsätze des internationalen Zusammenlebens aller Staaten kodifiziert". Das wollen wir festhalten für den weiteren Verlauf der Debatte. Warschau und die Ostblockstaaten sagen „kodifiziert".
Meine Damen und Herren, das kommunistische Lager zeigt sich jetzt ungeduldig; es will den Westen veranlassen, endlich zum Abschluß zu kommen und nicht mehr soviel über die Sache nachzudenken. Für uns aber gibt es keinen Grund, zu eilen und ohne die nötigen Prüfungen jenen Formelkram zu übernehmen, den die sowjetische Seite uns vorsetzt. Wir fordern daher, Herr Bundesaußenminister, die Regierung auf, sich bei dieser Sache in der notwendigen Geduld zu üben, zäh zu verhandeln und endlich jene Sorgfalt walten zu lassen, die wir in den letzten Jahren - besonders bei den Bahr-Verhandlungen - vermißt haben und wofür wir leider mit vielen schwerwiegenden Nachteilen haben büßen müssen.
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Unsere Anfrage, meine Damen und Herren, ist von der Sorge diktiert, daß wir statt Sicherheit Unsicherheit einhandeln könnten, daß statt Zusammenarbeit die Regeln des sowjetischen Völkerrechts sich durchsetzen, daß die westliche Welt diese Konferenz mit der Unterzeichnung von Dokumenten beenden würde, die den Menschen in Europa nicht mehr Freiheit und mehr Rechte bringen, sondern vorhandene Unfreiheiten pragmatisch verbrämen, unsere eigene Freiheit aber einzuengen geeignet wären, und, meine Damen und Herren, daß Ungeduld uns wieder einmal in Verpflichtungen führe, die das Parlament kaum kennt und unser Volk nicht ahnt.
Die Große Anfrage, Herr Bundesaußenminister, ist nicht als eine Streitschrift gegen die Bundesregierung zu verstehen; so hat sie wohl auch niemand verstanden. Sie ist ganz dem höchst komplizierten Konferenzgegenstand zugewendet. Sie fragt die Regierung, um in der Sache zu helfen. Bei dieser vielschichtigen Konferenz, die, wie ich glaube, mannigfache Gefahren für Europa enthält, wollen wir, wenn die Regierung bereit ist, auf unsere Gedanken
einzugehen, die Verhandlungsposition der Bundesregierung stützen. Dies tun wir aus wohlverstandenem Interesse für unser Land.
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Wenn wir die leider mit sehr langer Verzögerung vorgelegte Antwort der Bundesregierung prüfen
das ist eine Kritik, Herr Bundesaußenminister, die ich hier anbringen muß , dann scheint uns, daß unser Anliegen und unsere Motive im Auswärtigen Amt verstanden wurden, daß wir aber in vielen wichtigen Fragen doch noch recht weit voneinander entfernt sind. Wir finden, daß die Bundesregierung in ihrer jetzt vorgelegten Antwort - sie tut es ganz anders, als es ihre Vorgängerin tat eine alte Weisheit beherzigt, daß nämlich die Intelligenz einer Regierung auch an ihrer Fähigkeit abgelesen werden kann, wie sie die Argumente der demokratischen Opposition für die Außenpolitik einsetzt und fruchtbar macht.
Aber auch in dieser Antwort steht die Bundesregierung offenbar die gewollte Sache nicht gant durch. Da gibt es so manche Frage, die gar nicht, andere, die mit Allerweltsformulierungen beantwortet wurden. Bei anderen Fragen dient der Hinweis, man befinde sich eben in laufenden Verhandlungen und könne deshalb nur andeuten und nichts Substantielles sagen, als Erklärung für die Verweigerung von Antworten. Natürlich, Herr Kollege Genscher, verstehen wir gut, daß man hier nicht alles ausbreiten kann, daß die Regierung nicht gerne jeden, der zusieht, in ihre Karten sehen läßt; aber wir als Opposition haben zumindest den Vorteil, unsere Auffassung deutlich zu sagen, und das werden wir tun. Was die Regierung in diesem Hause partout nicht behandeln kann, das, aber nur das, soll dann im Auswärtigen Ausschuß hinter verschlossenen Türen weiter besprochen werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier Wiederholungen der ausführlichen Darlegungen in Fragen und Antworten vermeiden. Es gilt zunächst festzuhalten, daß diese Konferenz, der 33 europäische Staaten und auch die USA und Kanada angehören, vor allem dem Willen der sowjetischen Politik entspringt. Das ist wichtig, weil der Verlauf der Vorkonferenz in Helsinki und der jetzigen, bald ein Jahr währenden Verhandlungen in Genf erst dann recht verstanden und beurteilt werden kann, wenn niemand den zielgerichteten, zähen und auf die Durchsetzung seiner Ziele unentwegt ausgerichteten sowjetischen Willen auch nur einen Augenblick vergißt.
Die Konferenz verhandelt über die Aufstellung eines Prinzipienkatalogs für die Beziehungen der Teilnehmer untereinander und über das, was man sich angewöhnt hat, vertrauensbildende Maßnahmen im militärischen Bereich zu nennen. Sie spricht über Fragen des Handels, der Wirtschaft, der Technik und der Umwelt sowie über jene wichtigen Probleme, die diese riesige Veranstaltung erst lohnen, wenn ihnen offen Rechnung getragen wird: ich meine das, was man heute, wie ich glaube, unscharf und auch in der Sache ungenügend mit „humanitäre Maßnahmen" überschreibt. Das meint aber in Wirklichkeit ein größeres Maß an Freiheit für die Menschen in ganz Europa, mehr Bewegungsfreiheit zwischen Ost und West, ungehinderter, freier, also nicht manipulierter Austausch von Ideen und Informationen, dauerhafte Fortschritte beim Kulturaustausch, Zusammenarbeit in Wissenschaft und Bildung.
Die Bundesregierung bewertete in ihrer Antwort das Ziel der Konferenz als positiv. Sie nennt sie ein „Forum", um Entspannung und Zusammenarbeit in Europa zur Geltung zu bringen. Die Einfügung solcher nüchterner Formulierungen dieser und ähnlicher Art zeigt, daß die Zeit von Überschwang, Fehlkalkulationen und naiver Hoffnung zwar noch nicht ganz vorbei ist, daß aber eine skeptischere Betrachtung Platz gegriffen hat. Und Skepsis, meine Damen und Herren, ist bei einer Mammutsitzung in der Tat am Platze, bei einer Sitzung, in der die Sowjets ihr Lager eisern disziplinieren, ihre eigenen Positionen mit aller Energie aus der Debatte herauszuhalten suchen und danach streben, den westlichen Staaten ein Zugeständnis nach dem anderen abzuringen und wegzuformulieren.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß wir uns trotz dieser Skepsis und obwohl wir uns durch den Verhandlungsverlauf und die Verhandlungsergebnisse der Ostverträge in unseren immer wieder ausgesprochenen Mahnungen und Warnungen zutiefst bestätigt und gerechtfertigt finden, nicht feindselig auf diese Konferenz eingestellt haben. Wir sehen in ihr eine gewisse Chance - mehr nicht -, eine Chance zu offener Diskussion mit den Regierungen der ostmitteleuropäischen Staaten, eine Chance, unsere eigenen Gedanken, Vorstellungen und Handlungen mit den freien Europäern und im Rahmen der NATO abzustimmen.
Daß vor allem dieses, nämlich die Zusammenarbeit im Rahmen der NATO und im Rahmen der europäischen Neun, nötig sei, hatten wir von Anfang an betont und gefordert. Wenn die Regierung uns jetzt in der Antwort mitteilt, daß die westliche Solidarität in der bisherigen Konferenzphase bereits gestärkt worden sei, dann empfinden wir darüber besondere Genugtuung.
Herr Bundesaußenminister, halten Sie diese Art der engen Zusammenarbeit durch! Denn nur dann kann auch die Chance genutzt werden, einen Weg - vielleicht sage ich zunächst nur: einen Pfad - für einen ungehinderten, nichtkanalisierten, freien Austausch von Menschen, Ideen, Informationen und Meinungen zu eröffnen.
Ich sage das auch deshalb, weil jedermann in diesem Hause weiß, daß diese Formulierung „Wir wollen in ganz Europa einen stärkeren Kontakt, einen größeren Austausch, ein Wegnehmen der vielen bürokratischen und politischen Hemmnisse zugunsten von Menschen, Ideen, Meinungen und Informationen" den Meinungen unserer eigenen Fraktion - Ihren eigenen Formulierungen, Herr Kollege Barzel, die, wenn ich das recht sehe, viele Jahre zurückgehen entspringt. Insoweit sind wir froh, einen der urtümlichen, eigenen Gedanken der CDU in dieser Diskussion zu finden. Deshalb bitten wir Sie und fordern wir Sie auf, Herr Bundesaußenminister, diese Sache nie aus den Augen zu lassen.
Aber ich muß, weil wir Zeitungen lesen und dabei andere Auffassungen und manch' anderen Geschmack
feststellen, hinzufügen: Wenn man heute sagen würde oder sagen müßte, dieses Mehr an Freiheit in Europa - ich sage dabei nicht nur: mehr Freizügigkeit - sei nicht zu erreichen, ja, man solle es überhaupt nicht anvisieren, weil die östliche Seite jede Forderung danach ohnehin als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten, als Infiltration, als Export ideologischer Konterbande diffamiert, dann sollte das ganze Unternehmen möglichst rasch und ohne feierliche Unterschrift beendet werden. Denn, meine Damen und Herren, wenn für die Menschen nichts herauskommt, dann hat diese ganze Sache weder Sinn noch Wert.
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Die Antwort der Bundesregierung hat manche unserer Befürchtungen vermindert, z. B. über den Charakter der Schlußdokumente, die am Ende der Konferenz auf hoher Ebene unterschrieben werden sollen. Die sowjetisch geführte Seite hat immer wieder darauf hingewiesen, daß es sich bei diesen Dokumenten um völkerrechtliche Festlegungen und bindende Bestimmungen handelt. Nun sagt die Bundesregierung, sie werde sich weigern, ein regionales - und das soll doch wohl heißen: ein sowjetisch geprägtes - und mit dem allgemeinen und umfassenden Völkerrecht nicht übereinstimmendes Völkerrecht zu schaffen. Es wird uns von der Regierung versichert, daß es sich bei den Schlußformulierungen lediglich um solche politisch-moralischer Qualität handele.
Herr Außenminister, es wird auf die Festigkeit der Europäer und insonderheit auf die Ihrer Regierung ankommen, daß sich der sowjetische Wille nicht doch durchsetzt, wonach die sogenannten Prinzipienerklärungen eine bevorrechtigte Geltung und Wirkung vor allen anderen vereinbarten Prinzipien haben sollen.
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Wir begrüßen daher die Feststellung, daß - ich zitiere aus der Antwort der Regierung - „sämtliche Aussagen der Konferenz die gleiche politisch-moralische Wirkung" haben sollen. Wir werden den Ernst und das Durchhaltevermögen der Regierung in dieser Sache daran messen, ob sich dieser Gedanke am Ende der Konferenz durchgesetzt haben wird oder nicht.
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Meine Damen und Herren, die Bundesregierung weist in ihrer Antwort darauf hin, daß es in Genf keine endgültigen Formulierungen geben werde, die nicht den Konsens, das heißt die Zustimmung und das Einverständnis aller an der Konferenz beteiligten Staaten erhalten habe. Ich mache aber darauf aufmerksam: diese Praxis erhöht natürlich die Verantwortlichkeit der Bundesregierung; denn, meine Damen und Herren, alles, was aus der Konferenz herauskommt, jede Formulierung, auch zur Möglichkeit friedlicher Grenzänderungen, auch zur Offenhaltung der deutschen Frage, auch zur ungeschmälerten Weitergeltung der Viermächterechte für Deutschland als Ganzes und für Berlin, auch zu der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung zwischen West und Ost, auch zu dem überall fortgeltenden
Prinzip des Selbstbestimmungsrechtes, auch zu den unteilbaren Menschenrechten, die auch für die Menschen und Völker jenseits der Europa immer noch durchfurchenden Linie gelten, jede Formulierung also, die aus der Konferenz herauskommt und unterschrieben wird, enthält dann die politischen Bekenntnisse, Wünsche und Zielvorstellungen der Bundesregierung.
Weil dies so sein wird und weil man nur dann Kompromisse schließt, wenn man mit ihnen nicht lediglich Hoffnungen befriedigt, sondern versucht, ein Maximum eigener politischer Auffassungen konkret zu erhalten, deshalb werden und müssen wir darüber wachen, daß diese Regierung auch in den nächsten Wochen und Monaten ihre in der Antwort auf unsere Große Anfrage dargelegten Prinzipien aufrechterhält.
Meine Damen und Herren, wir halten aus der Antwort der Regierung folgenden Satz besonders fest - ich zitiere -:
Wenn der Konferenz die von uns angestrebten und erwarteten konkreten Absprachen gelingen, sind wichtige Ansätze für eine Entkrampfung des Ost-West-Verhältnisses geschaffen.
Es heißt dann direkt anschließend - ich zitiere wieder -:
Sie soll nicht zuletzt denjenigen Deutschen zugute kommen, die an sich selbst und an ihren Angehörigen spüren müssen, daß die Teilung Deutschlands durch die Maßnahmen einer Seite tief und schmerzhaft in den persönlichen Bereich des einzelnen Menschen einzuschneiden vermag.
Meine Damen und Herren, bitte verstehen Sie mich recht, ich will gar nichts von dem, was dem einzelnen Menschen, der unterdrückt und gequält ist und von seinen Freunden und Verwandten getrennt leben muß, helfen kann, verkleinern. Aber ich muß Ihnen sagen, daß wir Formulierungen dieser Art, wie ich sie eben zitiert habe, im Zusammenhang mit den Verträgen von Moskau, Warschau und Prag und dem innerdeutschen Grundvertrag zu oft gehört haben, daß sich dann aber leider zu oft zeigte, daß die andere Seite trotz aller feierlichen Zusagen, trotz aller propagandistischen Beschwörungen alles in ihrer Hand behielt, einer Hand, die nach eigenem Gutdünken und nach Willkür heute gab und morgen verweigerte.
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Ich sagte schon, meine Damen und Herren, daß ich nichts verkleinern will. Wir sind dankbar für alles, was man zugunsten der Menschen herausholen kann. Wenn aber von mehr Freiheit für die Menschen in Europa die Rede ist, dann meinen wir damit doch nicht nur, Herr Bundesaußenminister, die Familienzusammenführung, nicht nur Verwandtenbesuche, nicht nur Eheschließungen, nicht nur ermäßigte Antragsgebühren und vereinfachte Formulare. Wir wissen alle, daß dies sehr wichtig ist, aber es können doch nicht nur diese Dinge gemeint sein, wenn solch eine riesige Konferenz zusammenkommt, wozu die Bundesregierung ihre Vorschläge früh einDr. Marx
gebracht hat, um einen ganz konstruktiven und dauerhaften Beitrag zu leisten, damit sich in Europa die Grenzen - wie wir es früher genannt haben - ein Stück öffnen und durchlässig werden.
Wenn wir Europa sagen, so meinen wir - ich spreche jetzt einmal hypothetisch: nach einer gelungenen Konferenz für Zusammenarbeit - ein Kommen und Gehen der Menschen nach ihrem eigenen Willen, so wie es ihnen die UNO-Charta verbürgt, lange bevor es überhaupt einen Gedanken an die KSZE gab. Aber trotz der UNO-Charta, meine Damen und Herren, haben die osteuropäischen Führer ihren Menschen dieses Kommen und Gehen weithin verweigert, obwohl sie sich sogar immer auf diese UNO-Charta berufen.
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Es ist ja ohnehin hinzuzufügen, daß niemand in der westlichen Welt und niemand in unserem Teil Europas eine Zusammenarbeit je verhindert, behindert oder abgelehnt hätte. Niemand bei uns hat die Sicherheit des Nachbarn bedroht. Aber offenbar haben diejenigen diese Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit mit einem so großen Eifer entworfen und gewollt, die alle erdenklichen Sperren, Mauern, Stacheldrähte, Schießanlagen und Minenfelder selbst errichtet haben. Wir haben doch hier in Deutschland das bedrückende Beispiel: Mitten durch unser Land zieht sich der tiefe Graben, den man durch den Grundvertrag und die Ostverträge zuschütten wollte. Aber dieser Graben ist heute tiefer als vorher. Die Sperrsysteme sind, meine Damen und Herren, leider tiefer und breiter gestaffelt als 1969; von Entkrampfung in Deutschland kann doch, wenn wir uns nicht etwas vormachen, wirklich keine Rede sein.
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Wir sollten uns also hüten, fundamentale und substantielle Zugeständnisse ins Auge zu fassen und zu machen, um bei Beibehaltung aller Sperren und Abgrenzungen jetzt einige jener Erleichterungen zugesagt zu erhalten, die man uns schon zwei-, drei-und viermal versprochen hat. Wir müssen endlich aufhören, für die gleiche Sache mehrmals zu zahlen.
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Meine Damen und Heren, vielleicht ist es erlaubt, zu fragen: was erwartet nun eigentlich die andere starke, die sowjetisch geführte Seite von dieser Konferenz? Ihre Erwartungen sind langfristiger politischer und strategischer Natur. Die Sowjets wollen ihre Eroberungen, ihre Kriegsbeute und die von ihnen erzwungene Umstüpung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Ostmitteleuropa, sie wollen ihre dortige hegemoniale Rolle von den freien Europäern und von den Amerikanern bestätigt erhalten. Sie wollen das, was sie als einen Irrtum der Geschichte bezeichnen, nämlich die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, gründlich korrigieren, abbremsen, unwirksam machen. Sie wollen, weil sie sich niemals mit einem politisch geeinten, handlungsfähigen freien Europa abfinden wollen, die von ihnen als abgespaltenes Kleineuropa diffamierte Gemeinschaft auseinanderbröseln und im sogenannten großen Europa vom Ural bis zum Atlantik verdauen.
In dieses Konzept gehört auch - das wird auch ganz offen gesagt - der Versuch, die Amerikaner aus dem Kontinent hinauszudrängen und die NATO mehr und mehr aufzulösen.
Meine Damen und Herren, die auf das sogenannte Gesamteuropa angelegte Konferenz soll nach den Verträgen von Moskau, Warschau und Prag und nach dem innerdeutschen Grundvertrag diese für Moskau so erfolgreiche Westpolitik fortsetzen und sie sozusagen multilateral - über die bilateralen Verträge hinweg - ergänzen. Sie soll festschreiben, sie soll eine Basis bilden für neue Fischzüge in westliche Gewässer, und sie soll in den Augen der Sowjets - daran kann es keine Zweifel geben -ein Ersatz für einen Friedensvertrag sein.
Im Grunde geht es auch bei dieser Konferenz -diesmal in anderer und umfassender Weise - um Deutschland, um die von den Sowjets erwünschte europäische Absegnung der Zerstückelung unseres Landes. Aber wir möchten gern jedem sagen: Was heute in dieser Form den Deutschen zugedacht ist, wird morgen auf die Europäer angewendet.
Meine Damen und Herren, die Sowjetunion trifft in dieser geschichtlichen Stunde auf eine europäische Situation, die ihr manches Vergnügen bereiten mag, denn heute ist Europas Lage schwieriger, sein innerer Zusammenhalt leider brüchiger, sind Vertrauen und Verständigung - die Grundlagen einer engen Übereinstimmung - durch neu aufgelebte Nationalismen gefährdet. Zu viele Kräfte hat die Bundesregierung, zu viele Kräfte hat die vorhergehende Bundesregierung von Europa abgewandt und dem riskanten Unternehmen ihrer Ostpolitik zugewandt, einer Ostpolitik, über die die Enttäuschung nun ringsum im Lande umgeht.
Meine Damen und Herren, während man der Öffentlichkeit - ich erinere auch daran, wie der gegenwärtige Bundeskanzler die Aussagen seines Vorgängers nach der Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 behandelt - damals ein buntes, fast heiteres Bild von Europa
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und seinem stetigen Fortschritt vormachte, hat man es politisch in der Tat vernachlässigt.
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Diese Bundesregierung sagt in ihrer Antwort, daß sie auch bei den Diskussionen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit - ich zitiere - ein vorrangiges Interesse an der Stärkung des Zusammenhalts Westeuropas und des Atlantischen Bündnisses habe. Dies ist ein sehr guter Satz, und diese Maxime muß auch weiterhin die Grundlage der deutschen Politik auf der Genfer Konferenz bleiben.
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- Immer gesagt, aber selten getan, verehrter Kollege Corterier!
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Wir möchten, daß es jetzt getan wird und daß Sie das jetzt auch beibehalten. Ich bin sehr dankbar, wenn Sie sich damit selbst die Möglichkeit verschaffen, in Ihrer eigenen Fraktion auf dieses Thema sehr stark hinzuwirken, stärker, verehrter Herr Kollege Corterier, als es Ihnen selbst in den letzten Jahren möglich war.
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Wir jedenfalls werden darüber wachen. Denn bei der Konferenz in Genf geht es wirklich nicht um eine permanente Klima- und Imagepflege, sondern um eine ganz nüchterne Vertretung unserer vitalen Interessen. Diese unsere wohlverstandenen Interessen haben uns bewogen, Bedenken gegen jene Absichten anzumelden, die nach Abschluß der Konferenz eine eigene, neue Institution mit politischen Zuständigkeiten schaffen wollen. Soweit ist die Regierung mit uns einig.
Herr Bundesaußenminister, wenn Sie es vermögen, sagen Sie uns dazu etwas! Wir haben den Eindruck, daß die Bundesregierung sich dann doch mit dem Gedanken zu befreunden scheint, im nachhinein nach der Konferenz Expertengremien und internationale Gutachterstellen einzurichten. Wir fürchten, daß auf diesem Wege dann doch - wie Herr Wehner sagen würde „Kommt Zeit, kommt Rat" - das sogenannte ständige Organ der KSZE eingerichtet wird. Dies wollen wir nicht,
({15})
weil es in voll ausreichendem Maße europäische
Gremien gibt, die alle aufgeworfenen Fragen prüfen,
alle erklärten Absichten auf ihre Verwirklichung hin untersuchen, alle Handlungen registrieren, politisch und ökonomisch einordnen können.
Wir wollen auch nicht, daß ein neues Propagandainstrument geschaffen wird, und vor allem nicht, daß ein neuer Kontrollrat ersteht, der der Natur der Sache nach 'das westliche Europa mehr und mehr beeinträchtigen und schließlich manipulieren könnte.
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Wir wollen auch nicht, daß sich jemand durch ein solches gesamteuropäisches Gremium verführt fühlen könnte, in dem - darüber gibt es 'doch keine Illusion - die sowjetische Stimme sehr wirksam eingesetzt würde, wir wollen nicht, daß in einem solchen gesamteuropäischen Gremium Kompetenzen anderer, westlicher, westeuropäischer Gremien angetastet bestritten, beschnitten werden und daß die bei uns im Westen gefaßten Beschlüsse denaturiert werden.
Eine permanent arbeitende Institution, so wie sie die Sowjets in der Prager Erklärung vom 26. Januar 1972 und wie sie die Tschechen im Projektentwurf, den sie für alle Warschauer-Pakt-Länder am 4. Juli 1973 abgegeben haben, gezeichnet haben, eine solche Institution würde natürlich bestrebt sein, z. B. unter der Überschrift „Sicherheit" gewisse Aufgaben der so verschiedenartigen Bündnisse zu übernehmen, unter der Überschrift „Zusammenarbeit" eine aushöhlende Wirkung gegenüber den westeuropäischen Gremien entfalten und am Ende deren Entscheidungen zu überspielen versuchen. Hier besonders bei der Frage, ob ein solches sogenanntes Organ von der Bundesregierung tatsächlich abgelehnt wird, ob sie nicht in jener bemühmten letzten Stunde, von der Gromyko während der Bahr-Verhandlungen sagte, daß in ihr, der letzten Stunde, die eigentlichen Entscheidungen fallen, doch nachgeben werde. Hier melden wir ausdrücklich unsere Bedenken an. Wir erneuern unsere Forderung, die Bundesregierung solle sich nicht auf eine Sache einlassen, die dann ihre Eigengesetzlichkeit gegen unsere Interessen und gegen die Interessen Europas entwickelt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal und zum Abschluß zum Grundproblem dieser Konferenz zurückkehren und einige Fragen zur Bedeutung fundamentaler Begriffe aufwerfen, Begriffe, ,die in der Sprache der Konferenz und in den vorbereitenden Papieren immer verwendet werden. Welche Einschätzung sowjetischer Politik liegt eigentlich unserer eigenen Strategie zugrunde? Meinen die Sowjets das gleiche wie wir, wenn sie „Sicherheit" sagen oder „Entspannung"? Es mag sein, daß die Regierung sagt: Nein, sie meinen etwas 'anderes. Aber wenn die Regierung diese Einsicht mit uns teilt, soll sie dies doch auch dem Volk offen sagen und nicht Verträge als große Erfolge verkaufen, wo beide Seiten die Formulierungen „Entspannung" und „Sicherheit" verwenden und doch jedermann weiß, daß die abschließenden Partner etwas Gegensätzliches meinen.
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Meine Damen und Herren, man könnte sagen, die Frage stellen, ob die Sowjets das gleiche meinen wie wir - auch in den Grundbegriffen, auch was z. B. den Frieden anlangt, auch was den weiteren Fortschritt in Europa anlangt -, diese Frage stellen, heißt für denjenigen, der die Lehren der Geschichte, der die Erfahrungen der letzten Jahre nicht vergessen hat und der sich vor lauter Beschwörungsformeln nicht die wachen Sinne hat taub machen lassen, sie zu verneinen.
Meine Damen und Herren, so ist es aber nicht nur bei den hochrangigen, den großartigen Formeln, sondern auch hier bei unserer Konferenzmaterie, etwa Kollege Zimmermann wird dazu eigens sprechen - bei den vertrauensbildenden Maßnahmen, also z. B. bei der Ankündigung von Manövern, ihrem Umfang, ihrem Zeitpunkt und ihrem Ort. Offen gesagt, ich persönlich bewerte diese Dinge nicht sehr hoch. Wie sollte ich auch, da ich sehe, daß man sich wohl darauf einigt, daß man bei „gegenseitiger Freiwilligkeit" Manöverbeobachter installiert. Bitte, man kann eine solche Politik machen; man darf doch aber nicht daran glauben, meine Damen und Herren, daß solche Mitteilungen tatsächliches, bleibendes Vertrauen in einer Welt schaffen, in der die eine Seite, trotz all ihrer Abrüstungsgelöbnisse, mitten in der Zeit der Entspannung ihre eigenen militärischen Einheiten in einem besonders hohen Maße umrüstet, modernst ausrüstet und in Europa keineswegs reduziert, sondern noch zusätzlich verstärkt hat. Auf diesem Hintergrund und auch auf dem Hintergrund der Verträge findet die Sicherheitskonferenz statt.
Meine Damen und Herren, das deutsche Volk ist durch die Verträge - hüben und drüben ein gebranntes Kind. So leichtgläubig wird das deutsche Volk dieses Mal auf all die Formeln, die eine bessere Welt, eine harmonischere Welt, eine größere Verständigung versprechen und die dauerhafte sowjetische Zugeständnisse in Aussicht stellen, nicht mehr hereinfallen. Das sage ich besonders im Hinblick auf eine Passage in der Antwort Ihres Hauses, Herr Bundesaußenminister, die wie ein Fremdkörper wirkt und die noch einmal all die Zeichen der Illusion und Selbsttäuschung trägt. Ich meine jene Stelle, wo auf die Tatsache hingewiesen wird, daß eine Reihe von Begriffen und Formulierungen im Prinzipienkatalog der Konferenz in gleicher Form auch bei den Ostverträgen vorgekommen seien. Das ist an sich schon bedauerlich und bezeichnend. Daß dann aber in der Antwort auch noch hinzugefügt wird, all diese Begriffe seien damals sorgfältig abgewogen und in einer Weise gebraucht worden, die den Interessen der Bundesrepublik Deutschland gedient habe, meine Damen und Herren, dies scheint mir blanker Zynismus zu sein.
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Jetzt, nachdem jedermann in unserem Lande weiß, daß es bei all den Verträgen, auch beim Viermächte-abkommen über Berlin, viele Begriffe und Vertragsbestimmungen gibt, die was wir von Anfang an immer gesagt hatten; wir hatten auf jede einzelne Sache hingedeutet mehrdeutig sind, vielsinnig sind, und daß darüber jetzt der Streit ausgebrochen ist, was richtig ist, wie man diesen oder jenen Schlüsselsatz interpretiert, wird doch nun wirklich niemand mehr im Ernst behaupten wollen, solche Begriffe seien sorgfältig abgewogen und dienten unseren Interessen, und deshalb übernehme man sie wieder in die Verhandlungssprache und in die Dokumente der Konferenz in Genf. Meine Damen und Herren, das Gegenteil von all dem - sorgfältig abgewogen und unseren Interessen dienend - ist leider der Fall.
Folgenden Gedanken möchte ich einfügen, um den Versuch zu machen, ganz gerecht zu sein: Man kann natürlich vermuten, die Autoren der Antwort hätten eine List angewendet, um uns nämlich auf diesem verschlungenen Wege darauf aufmerksam zu machen, daß die hier bei der KSZE verwendeten Schlüsselbegriffe ebenso wie bei den Verträgen, der Fachmann sagt: dissensbelastet seien, also widersprüchlicher Auslegungen fähig, ja, daß man diese widersprüchlichen Auslegungen geradezu eingebaut habe.
Meine Damen und Herren, da wir uns mitten in einer Debatte befinden, kann niemand von uns etwas Abschließendes sagen. Es ist aber unsere Aufgabe, hier mit dem Finger auf jene Dinge zu deuten, von denen wir glauben, daß sie geklärt werden müssen. Ich sage es noch einmal: Jedermann verstehe bitte, daß wir, ,die Opposition in diesem Hause - weil die Bundesregierung auf dieser großen Konferenz für alle spricht -, ihr durch unsere Kritik helfen und ihre Verhandlungsposition unterstützen wollen.
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Bei dieser Konferenz werden, wenn es so bleibt, wie es in der Antwort angedeutet worden ist, leider wiederum Papiere formuliert und massenweise produziert, die hinterher von den Partnern, von beiden Seiten ganz gegensätzlich verstanden werden. Insoweit wird es hübsche Formulierungen, ernste Sätze, bedeutende Versicherungen geben, aber die in Europa weiterlebenden Unterschiede und Gegensätze sollen sie nur verdecken. Wer glaubt, daß das Verdecken die Wirklichkeit korrigiere, wird sich sehr täuschen. Ich frage mich: Wem ist mit solchen Formulierungen wirklich gedient? Herr Bundesaußenminister, niemandem von uns, auch Ihnen, auch dieser Bundesregierung nicht. Ich wäre dankbar, wenn Sie uns sagten, wem damit gedient ist, wenn Sätze und Formeln verwendet werden, von denen - man spreche nur mit den einzelnen Kommissionen - viele eh vorher wissen - ich gebe zu, da ist ein gewisser Zynismus in der Stimme -, daß sie an den Inhalt dieser Sätze und Formeln nur in ihrer eigenen ganz spezifischen Weise glauben.
Ich wäre auch dankbar, wenn Sie auf meine Behauptung antworteten, daß diese Widersprüche bewußt hingenommen, bewußt in den Text eingebaut worden sind und daß dies für uns schädlich ist.
Ich bitte auch auf die Behauptung zu antworten, daß am Ende, wenn es um die Interpretation solcher Vereinbarungen geht, wenn es dann eines Tages sozusagen hart auf hart geht, welche Interpretation die richtige ist, sich der durchsetzen wird, der dazu die größere Macht hat - und das sind allemal nicht wir.
({20})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat die Hoffnung, die Konferenz werde Kompromisse erarbeiten, und sie werde befriedigende Ergebnisse erreichen. Nun weiß jeder von uns, daß es ganz selbstverständlich ist, daß bei einer solchen Konferenz keine Seite mit dem Kopf durch die Wand kann. Letztlich werden Kompromisse herauskommen. Wir sollten jedoch, meine ich, wissen, wie diese Kompromisse aussehen. Wenn uns nämlich unisono seit vielen Monaten alle Verlautbarungen aus dem Ostblock auffordern, die kapitalistischen Staaten sollten doch die Illusion - „Illusion" sagt man dort - aufgeben - ich zitiere die ungarische Parteizeitung vom 5. August dieses Jahres -, „von ihren sozialistischen Verhandlungspartnern Konzessionen hinsichtlich prinzipieller Dinge zu verlangen", und wenn weiterhin zugefügt wird, man sei im europäischen Osten nicht bereit - ich zitiere Radio Prag vom 13. Juli dieses Jahres ---, „in den wesentlichen Punkten Kompromisse einzugehen", - um welche Kompromisse kann es sich dann, wenn man in den wesentlichen Punkten keine Kompromisse eingehen will, eigentlich handeln? Offenbar denkt man an Kompromisse, die aus der Substanz des Westens herausgeschnitten werden. Davor können wir allerdings nur sehr warnen. Meine Damen und Herren, dafür dürfen wir unsere Hand nicht bieten. Dafür darf die Bundesregierung nach den großen substantiellen Opfern, die sie in den Ostverträgen gebracht hat, ihre Hand nicht bieten.
Wir haben am Ende unserer Großen Anfrage aus der Rede des damaligen Außenministers Scheel auf der Helsinki-Vorkonferenz zitiert. Ich w wiederhole die, wie ich glaube, entscheidenden Sätze. Sie lauten:
Wenn im Verlauf unserer Erörterungen klar würde, daß unsere Auffassungen über die Wirklichkeit noch zu weit auseinanderklaffen, dann, meine ich, wäre es ein Gebot der Ehrlichkeit, dies klar zu sagen. Das wäre keine Katastrophe für Europa. Es wäre nicht das Ende des Entspannungsprozesses. Es würde nichts anderes bedeuten, als daß die Bedingungen noch nicht reif sind, um das ehrgeizige Ziel, das wir uns gesetzt haben, auf dieser Konferenz zu erreichen.
({21})
Dies sollten wir alle beherzigen.
Wir sollten aber, meine Damen und Herren, auch jenes Zitat beherzigen, mit dem ich schließen will. Es lautet:
Kein Staat läßt sich auf etwas ein, und er kann sich auch auf nichts einlassen, wovon er annimmt, daß es aus irgendwelchen Gesichtspunkten seine Sicherheit bedroht.
Dieses Zitat stammt nicht von irgend einem unter uns, sondern ebenfalls von Radio Prag. Wir allerdings sehen es genauso. Die Regierung - das ist Bitte, Aufforderung, Hoffnung und der Ausdruck unseres politischen Willens zugleich - möge dies ebenso sehen und danach handeln.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Pawelczyk.
Prau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst einige Vorbemerkungen machen.
Herr Kollege Marx, wir begrüßen die Gelegenheit, in dieser Debatte den Standpunkt unserer Fraktion und auch den unserer Partei zur KSZE deutlich zu machen, und auch die Gelegenheit, hier miteinander zu untersuchen, wer besser imstande ist, außenpolitische Perspektiven und Möglichkeiten zu erahnen und in realistische Politik umzusetzen.
({0})
- Sie haben ja noch Zeit.
Sie sagten, daß Sie gewisse Chancen in der KSZE sähen. Das begrüßen wir. Nur waren Sie lange Zeit ganz anderer Auffassung. Auch darüber werden Sie hier gleich noch zu sprechen haben. Sie sagten aber ziemlich bald danach in einer recht ausführlichen Passage, als Sie von Verbesserungen sprachen: Wir meinen nicht nur dies, wir meinen nicht nur das, wir meinen nicht nur drittens, viertens usw.; Sie erinnern sich an diese Passage. Dazu kann ich nur sagen: wenn Sie alles auf einmal wollen, zerschlagen Sie den Ansatz der Friedenspolitik und sind dann
nicht mehr für die KSZE, sondern im Grunde dagegen.
Meine letzte Vorbemerkung. Sie wiesen auf den Beitrag Ihres Kollegen Zimmermann hin. Ich persönlich würde es bedauern, wenn diese Debatte eine Art militärtechnische Veranstaltung würde. Ich gehe von vornherein nicht davon aus, daß sie es wird. Ich würde es jedenfalls sehr bedauern.
({1})
Im übrigen sind Sie mit den Leistungen, die die Bundesregierung für die Verteidigung aufbringt, einverstanden. Sonst würden Sie nicht seit Jahren für den Verteidigungsetat stimmen. Ich sage dies vorweg, bevor Herr Zimmermann spricht, damit wir nicht wieder erleben, daß zwar im Parlament dem Etat zugestimmt, draußen aber der Eindruck erweckt wird, als ob Sie sich mit den Leistungen unserer Regierung für die Verteidigung nicht zufriedengeben könnten.
({2})
- Ja, ja. - Das als Vorbemerkungen.
({3})
- Nein, nein, wenn Sie zustimmen, heißt das noch lange nicht, daß Sie einverstanden sind. Das ist natürlich CSU-Terminologie, Herr Kollege.
({4})
Meine Damen und Herren, die KSZE ist der umfassendste Versuch europäischer und amerikanischer Staaten in diesem Jahrhundert, die politische Zusammenarbeit auf allen wichtigen Gebieten vertrauensvoller zu gestalten.
({5})
Sie ist eine westliche Entspannungskonzeption. Wir begrüßen diese Debatte, weil sie Gelegenheit gibt, hier zum Ausdruck zu bringen, was die KSZE leisten kann und was sie nicht leisten kann.
({6})
Worum geht es? Die KSZE ist ein Element des multilateralen Entspannungsprozesses. - Herr Dr. Becher, ich sage das, auch wenn es Ihnen nicht paßt. Ihnen paßt ja die ganze Richtung nicht. Ihnen paßt auch nicht die Richtung Ihrer eigenen Fraktion.
({7})
In der zweiten Hälfte der 60er Jahre begannen neue Faktoren auf die östlichen und westlichen Zielsetzungen einzuwirken und Einfluß zu gewinnen. Auf beiden Seiten wurden Begrenzungen in der ZielPawelczyk
setzung erkennbar. Die östliche Seite modifizierte ihre Vorstellungen über eine europäische Konferenz, die nach den Vorstellungen der Sowjetunion immer ohne die Vereinigten Staaten stattfinden sollte; wenn Sie so wollen, auch gegen die Vereinigten Staaten.
({8})
Der erste, der das erkannt hat, war der damalige Außenminister Brandt. Es würde sich lohnen - für Sie und für alle anderen auch -,
({9})
noch einmal die Debatten, die wir im Frühjahr 1969 zu den Fragen der Außenpolitik und zu den Möglichkeiten einer Kooperation hören konnten, nachzulesen.
({10})
Der damalige Außenminister Brandt hat sich unmittelbar nach der Budapester Erklärung von März 1969 hier im Plenum mit einer Analyse festgelegt. Sein Die Teilnahme der USA an einer europäischen Konferenz wird vom Warschauer Pakt akzeptiert. Indem dies akzeptiert wird, wird automatisch die Teilnahme der Bündnisse akzeptiert. Die logische Folgerung, die sich daraus ergibt, ist doch, daß die Auflösung der Bündnisse als Ziel zurückgedrängt worden ist, in den Hintergrund getreten ist. Außerdem zeichnete sich - das ergibt sich aus der Analyse des damaligen Außenministers - eine differenziertere Haltung hinsichtlich des Verhältnisses zur Bundesrepublik, zur Berlin-Frage und zum Verhältnis Bundesrepublik-DDR ab. Wenn Sie so wollen, zeichnete sich eine Art Interessenkonvergenz ab, aber natürlich keine Systemkonvergenz.
Deshalb bestehen - um jetzt auf den konkreten Gegenstand - Erfolgsaussichten für die KSZE nur - ich will hier sehr wohl ausdrücklich die Grenzen und die Möglichkeiten nennen -, wenn jeder Staat die Mittel zur Kontrolle des Prozesses in der Hand behält. Die Erfahrungen von mehr als 25 Jahren Nachkriegsgeschichte in Europa haben bewiesen, daß Erfolge anders nicht zu erreichen sind. Die Bereitschaft zur Entspannungspolitik setzt also innenpolitische Stabilität voraus.
Ziel dieser Konferenz ist nicht Systemüberwindung, jedoch die allmähliche Verbesserung bestehender bürokratischer Verhaltensweisen in bestimmten Bereichen. Beide Seiten beteiligen sich an der Suche nach Bereichen, über die Einverständnis erzielt werden kann.
Für uns kam es bei der Weiterentwicklung, also bei den Gesprächen in Helsinki, entscheidend darauf an, die Tagesordnung so zu erweitern, daß wir den sogenannten Korb III einbauen konnten mit sehr detaillierten Mandaten für menschliche Kontakte, Information, Zusammenarbeit und Austausch im Bereich von Bildung und Kultur.
Abmachungen bei der KSZE können nach allem, was ich bisher gesagt habe, zunächst nur den Charakter - Sie sprachen es auch an - politisch-moralischer Absichtserklärungen ohne Rechtsverbindlichkeit haben. Sie haben dem auch nicht widersprochen; dies ist, glaube ich, unsere gemeinsame Auffassung. Von 35 Regierungschefs unterzeichnet, sollen sie bei allen Staaten Veränderungen vorbereiten helfen. Ich spreche hier immer von allen Staaten, nicht nur von einem Teil. Wer die Konferenz und die ausführlichen Diskussionen verfolgt hat, auch die Diskussionen, die westliche Staaten vorbereitend untereinander geführt haben, der weiß, daß es Probleme natürlich nicht nur über die Blockgrenzen hinweg gibt, sondern auch innerhalb des eigenen Bündnisses. Innenpolitische Veränderungen müssen von innen ausgehen. Sie gelingen nicht, wenn versucht wird, sie von außen zu bestimmen.
Viertens. Tabus müssen beseitigt werden. Die Konferenz hat nur Zweck, wenn offene Gespräche über innerstaatliche Praktiken in dieser Konferenz geführt werden können.
({11}) Das ist erreicht. Dem stimmen sie auch zu.
Bis vor wenigen Jahren wurden Gespräche dieser Art sehr schroff als innerstaatliche Einmischung abgewehrt. Dieser Zustand ist überwunden.
({12})
- Dieser Zustand ist überwunden, und ich halte das für einen Erfolg.
({13})
Fünftens. Die KSZE ist ein Instrument zur Lösung multilateraler Probleme. Die KSZE darf nicht dadurch in Gefahr gebracht werden, daß bilaterale Probleme in den Vordergrund gedrückt werden. Das heißt für uns - dies ist auch eine Begrenzung -: deutschlandpolitische Probleme können nicht multilateralisiert werden. Das kann auch nicht unser Interesse sein. Aus der Viermächteverantwortung darf keine 35-Mächte-Verantwortung werden. Das kann auch nicht unser Interesse sein.
Probleme, die zwischen der Bundesrepublik und der DDR gelöst werden müssen, können nicht Gegenstand von Erörterungen unter allen Fündunddreißig werden. Auch das kann nicht unser Interesse sein. Das heißt also: Bestimmte Bereiche entziehen sich auch aus unserem ureigenem Interesse dieser Konferenz.
Entspannungspolitik ist nur mit Selbstvertrauen möglich. Die Außenpolitik der CDU/CSU mußte deshalb, weil es Ihnen gefehlt hat und - wie ich meine - immer noch fehlt, in Erstarrung enden.
Sie haben die Chancen, die sich in der ersten Hälfte der 50er boten, vertan. Ich meine nicht so sehr die Stalinschen Initiativen, sondern die Vorschläge der Sowjetunion unmittelbar nach Stalins Tod. Im Sammelband „Die Zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz." finden Sie hierzu beachtliche Analysen.
({14})
Ich habe es für richtig gehalten, daß Gustav Heinemann vor kurzem noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen hat.
({15})
- Nein, er sprach nicht von etwas ganz anderem. Kein Staat, der an einer Konferenz teilnimmt, ist imstande, den Erfolg vorauszusagen. Ich weiß nur, daß wir jede Gelegenheit ergreifen müssen, die Chancen der Spannungsminderung vermuten läßt.
Wir tun es. Wir wagen einen mühsamen Weg. Auf diesem Weg geht es auch nicht ohne Enttäuschungen ab. Wir wissen auch, daß diejenigen, die um eines billigen politischen Tageserfolges willen auch Nachteile für die Deutschen in Kauf nehmen, dabei ein ergiebiges Betätigungsfeld finden.
Meine Damen und Herren, diese Entspannungsgegner gibt es auf beiden Seiten. Die gibt es in Ost und West.
Herr Strauß ist für mich ein Entspannungsgegner.
({16})
Er sagte im August 1974 bei der Kundgebung des Bundes Freies Deutschland in Berlin - ich habe den Text mehrmals durchgelesen, weil ich es nicht für möglich hielt, daß der Vorsitzende der CSU sich in dieser Form äußern kann.
({17})
Er sagte zur Frage der europäischen Einigung - ich zitiere -:
Dies heißt für mich ganz deutlich, daß die Finanzkraft der Bundesrepublik Deutschland zur Einheit Europas und nicht zur Erschließung Sibiriens eingesetzt werden darf!
Diese Einseitigkeit der Argumentation macht ihn - und vielleicht auch die eine Hälfte der CDU/ CSU-Fraktion - unfähig, sich an der Entspannungspolitik zu beteiligen.
Er sagte an einer anderen Stelle:
({18})
Eine Versöhnung mit den „Machthabern und Henkersknechten" der osteuropäischen Staaten bedeutet noch lange keinen Ausgleich mit den Völkern.
({19})
Dieses Vokabular dürfen wir alle nicht benutzen. Das ist das Vokabular der NPD. Keiner von uns sollte sich in diese Ecke drängen lassen.
({20})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Gleich. Ich meine, das sollten Sie Ihrem Kollegen Strauß sagen. Damit hilft er sich nicht, damit hilft er niemandem. Schließlich ist er einer Ihrer Kanzlerkandidaten.
({0})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Ja.
Herr Kollege Pawelczyk, wenn Sie Argumente wie die unseres Kollegen Strauß, die Sie soeben zitiert haben, als der NPD zuzurechnende Argumente bezeichnen, gehört dann, so frage ich Sie, der Bundesverteidigungsminister dieser Regierung, der Mitglied Ihrer Partei ist, auch in die Ecke der NPD, wenn er erklärt, daß es keinen Pfennig Kredit an Moskau geben dürfe, solange nicht sichergestellt sei, daß die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht weiterhin durch eine übertriebene Aufrüstung in Moskau bedroht ist?
({0})
Ich gebe ja zu, daß Presseerzeugnisse mißverständlich berichten.
({0})
Herr Kollege Leber hat seine Äußerung klargestellt. Die Klarstellung der Äußerung des Herrn Strauß fehlt; vielleicht wird sie jetzt kommen. Formulierungen dieser Art sind im übrigen ein Hinweis dafür, daß Sie nicht mehr spüren, in welchem Ausmaß Sie sich damit außenpolitisch isolieren. Es gibt niemanden im Westen, der die außenpolitische Konzeption der Opposition teilt. Im übrigen gibt es bei Ihnen keine Konzeption.
({1})
Sie gerieten am Anfang der 60er Jahre bereits in die Isolierung.
({2})
- Als Sie die Verantwortung an SPD und FDP abgeben mußten, befand sich Deutschland in einem Zustand der Teilung, der nicht schrecklicher sein konnte. Herr Dr. Carstens, das wissen Sie doch auch.
({3})
Als wir die Verantwortung übernahmen, gab es bereits Mauer und Schießbefehl. Das scheinen Sie inzwischen vergessen zu haben. Wir versuchen,
Mauer und Stacheldraht durchlässiger zu machen und den Schießbefehl abzumildern.
({4})
Sie hätten allen Anlaß, uns dabei zu helfen; denn die Ergebnisse der Politik haben wir doch von Ihnen geerbt.
({5})
Wir haben es mit einem neuen Ansatz versucht.
({6})
Ich darf zitieren, was der Kollege Wehner am 25. April 1969 hier im Zusammenhang mit einer Debatte sagte, die sich mit der deutschen Frage beschäftigte, aber sehr wohl auch die europäische Lage berücksichtigt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gleich. Ich zitiere:
Meine Damen und Herren, solange unser ganzes deutsches Volk nicht in der Lage ist, an den Umständen etwas Grundlegendes zu ändern, müssen wir zu unserem Teil und bescheiden in unserem Teil tun, was in unserem Vermögen steht, damit dieses Volk nicht mit sich selbst zerfällt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Werner? - Bitte!
Herr Kollege Pawelczyk, nachdem Sie gerade von Mauerbau und Stacheldraht im Zusammenhang mit den Ergebnissen unserer Politik sprachen, nämlich der Politik der CDU/CSU, frage ich Sie: Sind Sie nicht der Auffassung, daß Sie, wenn Sie hier fortfahren, so zu argumentieren, dem Anspruch dieses Hohen Hauses und auch Ihrem eigenen, den Sie an sich stellen sollten, nicht gerecht werden?
({0})
Nein, jetzt legen Sie etwas hinein, was ich überhaupt nicht gesagt habe.
({0})
Ich habe gesagt: Wir haben diesen Zustand, in dem
sich Deutschland befindet, von Ihnen übernommen.
({1})
Das Problem ist nur, daß es natürlich für Sie wahnsinnig schwierig ist, sich in ihrer Fraktion außenpolitisch zu verständigen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Nein. Es ist schade, daß es Herrn Kiep in Fragen der Außenpolitik genauso geht wie dem Kollegen Katzer in Fragen der Sozialpolitik in Ihrer Fraktion. Das ist das große Dilemma, in dem Sie stecken, solange sie in der Opposition sind.
({0})
Nehmen Sie die großen außenpolitischen Entscheidungen, um die es hier seit 1969 geht. Es ging um die Ratifizierung des Moskauer und des Warschauer Vertrages. Sie haben sich in die Enthaltung geflüchtet, um die Zerrissenheit zu überdecken. Sie
haben dem Verkehrsvertrag zugestimmt mit der Begründung, daß er den Interessen der Menschen diene, daß er menschliche Erleichterungen bringe, daß er keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR bedeute und der Viermächteverantwortung nicht schade. Der Grundvertrag erfüllt auch diesen Anspruch. Aber bei ihm versagen Sie sich.
Sie haben beim UNO-Beitritt mit 99 Kollegen zugestimmt, einschließlich Herrn Carstens, und 121 Kollegen Ihrer Fraktion haben dagegen gestimmt. Herr Strauß fehlte.
({1})
Sie haben beim Nichtverbreitungsvertrag dieselbe Haltung eingenommen.
Meine Damen und Herren, dies waren entscheidende Abstimmungen. Hier ging es darum, wichtige außenpolitische Entscheidungen für die Bundesrepublik zu treffen. Bei all diesen Entscheidungen haben Sie sich zur einen Hälfte dafür und zur anderen Hälfte ihrer Fraktion dagegen ausgesprochen. Es kann doch nun wirklich im Ernst niemand davon ausgehen, daß Sie zur Zeit außenpolitisch handlungsfähig sind.
Ihre innen- und außenpolitischen Prognosen waren im übrigen auch falsch. Das beweist Ihre Bewertung der „KSZE-Chancen". Seit November 1972 sind 35 Staaten im Gespräch über alle Fragen der Politik. Das Verständnis für das jeweils Mögliche wächst. Überforderung des anderen, die oft Grund für Mißtrauen und Auseinandersetzung waren, nehmen ab. Auch bilaterale Regelungen wurden erleichtert. Die Zusammenarbeit innerhalb der EG-Staaten konnte, zum Erstaunen aller, erheblich verbessert werden. Die Befürchtung, die ja vor allem Sie äußerten, die Zusammenarbeit in Europa werde unter dem Druck der Warschauer-Pakt-Staaten auseinanderfallen, ist unbegründet. Genau das Gegenteil ist eingetreten.
Meine Damen und Herren, in einer CDU-Broschüre, die Herr Kiep verantwortet, heißt es:
Die Hauptgefahr besteht in einer Verstärkung der sowjetischen Einflußmöglichkeiten, die mit einem Zerfall der westlichen Gemeinschaften Hand in Hand gehen würden.
({2})
Im einzelnen könnte eine Sicherheitskonferenz bewirken oder mitbewirken: Stagnation und Rückbildung des westlichen Zusammenschlusses zugunsten gesamteuropäischer Kooperationen.
({3})
Verstärkung der neoisolationistischen Tendenzen in den USA und dadurch Schwächung der Bindungen zwischen den westeuropäischen Demokratien und der USA. Eine KSZE könnte in vielen westlichen Staaten zur außenpolitischen Ergänzungsformel einer innenpolitischen Volksfrontstrategie werden und ein Zusammenspiel prosowjetischer, antiamerikanischer und pazifistischer Kräfte vorbereiten.
({4})
Damit könnte sie die innenpolitische Stabilität der westlichen Staaten gefährden.
({5})
- Das ist doch Quatsch!
Herr Kiep, Sie verantworten diese Broschüre. Sie haben inzwischen eine neue Position bezogen.
({6})
Sie sagen wörtlich: „Weil der Westen sehr präzise Vorstellungen der Entspannung entwickelt hat, ist die KSZE kein sowjetisches, sondern ein europäisches Forum unserer Interessen geworden. Das muß so bleiben." Dem stimmen wir zu. Das ist richtig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Ich will diesen Gedanken nur noch zu Ende führen. Der damalige Außenminister Brandt, der die Chancen der Entwicklung, die im Signal von Budapest angedeutet wurden, richtig erkannt hat, hat recht behalten. Das ergibt das Zwischenergebnis dieser Konferenz. Die Einschätzung, die aus Ihrer Broschüre spricht, hat sich als falsch erwiesen. Wir Sozialdemokraten haben von Anfang an den Entspannungsversuch unterstützt.
({0})
Die CDU/CSU setzte sich um so weiter ab, je näher
der Wahltag 1969 rückte.
Sie sehen überall nur die Gefahren, aber nirgends die Chancen.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep? - Bitte!
Herr Kollege Pawelczyk, würSie die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, welche in der zitierten Broschüre angeführten Gefahren, die dem ganzen Unternehmen KSZE innewohnen, heute als völlig ausgeräumt gelten können?
({0})
Es geht doch zunächst darum, sich die Frage zu beantworten, ob eine Chance -ich sprach von der Budapest-Erklärung wahrgenommen wird, ob wir selbstbewußt das Gespräch aufnehmen, oder ob wir die Gefahren, die in den Chancen auch liegen, so überbewerten, daß wir uns nicht zu einem Gespräch durchringen können. Darum geht es hier doch, und hier gingen die Auffassungen auseinander.
({0})
Inzwischen sehen Sie es anders; das ist in Ordnung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mikat?
Nein.
Einschätzungen, wie die in der CDU-Broschüre drücken Mißtrauen gegenüber den Bürgern unserer Bundesrepublik aus. Der Rang der Werte unserer Demokratie wird im Bewußtsein der Bürger so gering angesetzt, daß es eines Feindbildes von außen bedarf, um Solidarität zu erreichen. Sie glauben, ohne diese Volksfronttheorie nicht auskommen zu können.
({0})
Meine Damen und Herren, diese außenpolitische Konzeption, die SPD und FDP seit Herbst 1969 verantworten, trägt, sie ist innenpolitisch akzeptiert, und sie vollzieht sich nicht in einem außenpolitischen Vakuum. Sie unterstellen uns ständig falsche Erwartungen. Wir haben weder damals, bei den Diskussionen über die Ostverträge falsche Erwartungen geweckt, noch haben wir gesagt, daß mit Hilfe der KSZE alle Probleme lösbar seien.
({1})
- Was hat das denn damit zu tun?
Unsere 30jährige Nachkriegsgeschichte hat für uns alle zwei Dinge deutlich vor Augen geführt.
Erstens. Die Ost-West-Konfrontation ist vor allem für uns Deutsche gefährlich. Der kalte Krieg, der Zustand, in dem Entspannungsversuche nicht unternommen werden, veranlaßte NATO und Warschauer Pakt, in Deutschland, also auf dem Boden der Bundesrepublik und der DDR, Waffen und Soldaten in einer Stärke unterzubringen, die es sonst nirgends und zu keiner Zeit auf der Welt gegeben hat.
({2})
Zweitens. Die totale Abgrenzung teilt und entfremdet uns Deutsche, sonst kein europäisches Volk. Das sehen wir alle. Deswegen müssen wir alle versuchen, diesen Zustand zu überwinden.
Entspannungspolitik bedeutet für uns zunächst, diese Entwicklung und die Gefahren, die in ihr für uns enthalten sind, zu stoppen und zu versuchen, einen Weg in entgegengesetzter Richtung zu finden und zu beschreiten. Um dieses Ziel zu erreichen, sind wir auch bereit, innenpolitische Schwierigkeiten und einen überaus komplizierten Abstimmungsprozeß mit unseren befreundeten Staaten in Kauf zu nehmen. Die Abstimmungsprozesse sind von 1969 bis heute immer gut gelungen.
Die Zwischenbilanz der KSZE zeigt, daß für die Bundesrepublik und ihre Partner kein Anlaß zur Selbstunsicherheit besteht. Niemand von uns übersieht z. B. - das wissen wir auch gemeinsam -, daß NV-Vertrag, KSZE- und MBFR-Abmachungen und SALT-Vereinbarungen natürlich Bindungen zur Folge haben können, die wir alle nicht wollen. Für uns hat der westeuropäische Einigungsprozeß Priorität.
Die KSZE ist Hauptthema der europäisch-politischen Zusammenarbeit geworden. Die Bundesrepublik steht fest in der Solidarität mit dem Westen. Wir sind nicht in die Gefahrenzone hineingeschliddert. Die Gefahr war groß, daß die Probleme Deutschlands in das Zentrum der Verhandlungen geraten. Jeder, der von uns in Genf Gelegenheit genommen hat - Herr Kollege Mertes war auch in Genf , mit den Delegationen aus West und Ost zu sprechen, hat feststellen können, daß sich unsere eigene Delegation eines hohen Ansehens erfreut.
Aber ohne das Lob zu schmälern, muß ich hier auch sagen, daß die Bundesrepublik ohne die Ostverträge bei der KSZE in eine schwierige Situation geraten wäre.
({3})
Die Oppositionsparteien, die sich durch Befangenheit auszeichnen, sollten doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen, daß die Wünsche - und sagen Sie meinetwegen: Wunschträume - des Warschauer Paktes nicht mit den Realitäten der Zukunft gleichgesetzt werden können. Alle Ergebnisse der Politik, die wir gemeinsam erzielt haben, im Westen gemeinsam abgestimmt haben, beweisen das.
Wir werden keiner Regelung zustimmen, die beispielsweise die deutsche und die europäische Option beschädigt. Die Substanz dessen, was wir im Moskauer Vertrag erreicht haben, wird auch - natürlich! - in den KSZE-Ergebnissen wiederzufinden sein: Friedliche Grenzänderungen müssen möglich bleiben; die Viermächteverantwortung darf nicht durch Korb I relativiert werden; es kann und wird keine Ober- und Unterprinzipien geben.
Die Diskussion über vertrauensbildende Maßnahmen ist eine Diskussion, die keine militärtechnischen Probleme behandelt. Es gibt einige, die KSZE mit MBFR verwechseln. Ich wiederhole noch einmal: Bei der KSZE geht es nicht um militärtechnische Einzelheiten, sondern es geht vielmehr um rein politische Absprachen. Im Wege der Freiwilligkeit sollen Manöver angekündigt und Manöverbeobachter eingeladen werden, weil mehr zunächst nicht möglich ist; das müssen wir auch offen sagen. Keine Seite darf sich bei dieser Konferenz im Dickicht militärtechnischer Einzelheiten verirren.
Zur Vertrauensbildung gehört jdeoch, daß wir von einem großen geographischen Anwendungsbereich ausgehen. Die Sowjetunion als stärkste europäische Macht muß mit einem angemessenen Teil ihres Territoriums einbezogen sein. Es handelt sich ja schließlich um eine multilaterale Konferenz. Alle Vereinbarungen - von Korb I bis Korb IV - gelten für ganz Europa. Die Manöverankündigung darf hierbei keine Ausnahme bilden. Jeder Staat muß an den Ergebnissen der Vertrauensbildung teilhaben können.
Ich habe den Eindruck - gewonnen aus Gesprächen in Genf -, daß die Delegationen einen akzeptablen Kompromiß zwischen Raumgröße, Verbandsstärke und Ankündigungsfrist erzielen können. Um diese drei Elemente geht es bei den vertrauensbildenden Maßnahmen. Wir wissen alle, meine Damen und Herren, daß der Korb III ein schwieriges Aufgabengebiet umschreibt. Trotzdem müssen dort neben allgemeinen Grundsätzen zu jedem der vier Mandate konkrete Maßnahmen, die die Verbesserung des derzeitigen Zustandes bewirken, aufgenommen werden. Nicht alle Probleme können jetzt geregelt werden. Welche und wie viele es sein können, muß am Konferenztisch entschieden werden.
Ich hoffe, daß die einsichtigen Kräfte bei Ihnen sich von jenen absetzen, die die Konferenz durch Überforderung der Ostblockstaaten platzen lassen wollen. Oberforderungen provozieren neue Spannungen, und jeder von uns weiß, daß die Vereinigten Staaten, aber auch die westlichen Partner, nicht daran denken, auf diese Weise neuen Konfliktstoff im Verhältnis zur Sowjetunion aufbauen zu lassen. Auch dies ist eine Begrenzung unserer Möglichkeiten bei der KSZE.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Bangemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich nicht ohne Risiko, eine solche Debatte zu veranstalten, während der Kongreß tagt; denn man kann einiges Porzellan zertrümmern, das man sich dort zusammen mühsam aufgebaut hat. Deswegen möchte ich darum bitten, daß jeder, der sich an dieser Debatte beteiligt, versucht, wie es auch Herr Marx für seine Person und die Opposition zum Ausdruck gebracht und nach meiner Meinung auch getan hat, sich „intelligent" zu verhalten. Herr Marx, Sie haben ja gesagt, daß sich die Intelligenz einer Regierung daran erweise, wie weit sie in der Lage ist, die Vorschläge der Opposition anzuwenden oder aufzugreifen. Man kann das natürlich auch umdrehen und sagen: eine Opposition ist um so intelligenter, je mehr sie Argumente liefert, die in dieser Weise von einer intelligenten Regierung verwandt werden können.
({0})
Wenn wir uns auf dieser Basis einigen können und in dem gegenseitigen Bemühen, intelligent zu sein, nicht nachlassen, kann vielleicht aus dieser Debatte für die KSZE noch etwas werden.
({1})
-- Ich habe dies als allgemeine Vorbemerkung gemeint, nicht aber als eine Wertung oder Kritik dessen, was vor mir gesprochen worden ist. Das will ich nicht tun, denn jeder Redner spricht hier für sich selbst. Die Wertung haben andere vorzunehmen.
({2})
Lassen Sie mich für meine Fraktion zunächst einmal festhalten, welche grundsätzlichen Ziele für uns und für die Bundesrepublik bei der KSZE Vorrang haben müssen. Denn wenn wir uns in diesem Stadium der Dinge über die Konferenzsituation unterhalten, so kann es dabei - darin, so glaube ich, müßten wir uns alle einig sein - nicht um die Einzelheiten der Formulierungen gehen; schon allein deswegen nicht, weil die Regierung in diesem Bereich ja durch die Gebote der Konferenz außerstande ist, Einzelheiten mitzuteilen. Das ist auch, so glaube ich, gar nicht kritisierbar. Davon müssen wir alle ausgehen. Wir sollten also versuchen, uns noch einmal über die wichtigsten Prinzipien gemeinsam zu vergewissern.
Nach meiner Auffassung gehört zum Prinzip eins, daß die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa die Entspannung in Europa dauerhaft machen soll. In diesem Prinzip liegt zweierlei: Einmal eine gewisse Vorgabe, wenn Sie so wollen, daß überhaupt Entspannung möglich ist und daß überhaupt Entspannung bis zu einem gewissen Grade bereits erreicht ist.
In diesem Punkt werden wir uns über das Maß der Entspannung streiten können, möglicherweise auch noch in dieser Debatte. Ich denke jedoch, daß auch von Ihnen zumindest in den Ansätzen durchaus gesehen wird, daß Entspannung mindestens möglich ist und daß auch die Konferenzergebnisse bisher in einigen konkreten Dingen zu Hoffnungen Anlaß geben.
Wenn ich Ihre Rede richtig verstanden habe, Herr Kollege Marx, so sind Sie dabei, von einer Tonart in die andere überzugehen. Sie haben das dunkle Moll bereits verlassen, ohne aber schon in das strahlende Dur gekommen zu sein. Insofern ergeben sich gewisse Dissonanzen, weil Sie im Augenblick noch zwischen zwei Tonarten wechseln.
({3})
- Ja, dazwischen ist eben nichts, und in dieser schwebenden Lage befindet sich wohl im Augenblick die Opposition. Ich will das nicht als Kritik verstanden wissen. Das ist sicherlich ein Weg zu einer Tonart, die wir ja als Fraktion, die die Regierung in diesem Bereich unterstützt, wünschen.
({4})
- Ja, in diesem Bereich, den wir heute diskutieren, wenn Sie so wollen, Herr Leisler Kiep. Dies war in gar keiner Weise eine sachliche Einschränkung unserer Unterstützung.
Dabei muß man natürlich sehen - Herr Pawelczyk hat mit Recht darauf verwiesen -, daß ohne Ostpolitik die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ja nicht denkbar wäre. Das ist, glaube ich, ein Ausgangspunkt, den man bei aller unterschiedlichen Interpretation und Wertung der Ergebnisse der Entspannungs- und Ostpolitik und auch der Deutschlandpolitik zunächst einmal festhalten muß. Ich halte es in der Tat für undenkbar, sich vorzustellen, daß es diese Konferenz gäbe, ohne daß zuvor der Prozeß der Entspannung von uns bilateral eingeleitet worden wäre, und daß wir diesen bilateralen Prozeß auch im Verhältnis zur DDR mit Entschiedenheit betrieben hätten. Wenn Herr Marx über die Ergebnisse des bilateralen Entspannungsprozesses enttäuscht war und wenn er gesagt hat, die Ostpolitik habe nicht alles das gebracht, was er erwartet habe, so ist eben das seine persönliche Einschätzung. Daß diese Konferenz jedenfalls stattfinden kann und die Ergebnisse gehabt hat, von denen wir hier sprechen, ist mit ein Ergebnis jener Entspannungs- und Ostpolitik, die die Regierung gegen den Widerstand der Opposition betrieben hat.
Zwischen den Zeilen scheint mir das auch die Meinung der Opposition zu sein. Wegen des Wechsels der Tonart muß man ja auch zwischen den Zeilen lesen. Ich habe bei der Begründung der Frage 2 a gelesen, daß Sie sich darum sorgen, daß etwa durch die Ziele der Sowjetunion und bei Durchsetzung dieser Ziele der Modus-vivendi-Charakter der bilateralen Ostverträge aufgegeben werden könnte.
({5})
Das ist natürlich eine ganz positive Würdigung der Verträge.
({6})
- Ich sehe gar keinen Anlaß zur Aufregung, Herr Marx. Ich stelle ja nur fest, daß Sie in diesem Punkt die Verträge positiv gewürdigt haben und daß sie offenar selbst zum Ausdruck bringen, daß ein solcher Charakter möglich ist und das man deswegen diese Dinge auch nicht vergessen und durch die Ergebnisse der Konferenz überdecken lassen sollte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Age-ordneten Marx? - Bitte!
Herr Kollege Bangemann, wären Sie bereit, hinzuzufügen, daß der Begriff von dem Modus-vivendi-Charakter der Verträge in der gemeinsamen Entschließung des Bundestages vom 17. Mai 1972 steht, daß es meiner Fraktion viel Mühe kostete, den anderen beiden Fraktionen diese Sache abzuringen, und daß wir dies dann hier gemeinsam beschlossen haben
Daß wir das hier gemeinsam beschlossen haben, brauche ich Ihnen nicht zu bestätigen, weil das Geschichte ist. Das übrige ist eine Wertung, die Sie jetzt persönlich bei den Bemühungen Ihrer Fraktion vornehmen. Ich kann mich dieser Wertung nicht anschließen, denn wir haben immer wieder den Modus-vivendi-Charakter betont.
({0})
Ich möchte jetzt einmal nur für meine Fraktion sprechen. Sehen Sie, das alte Argument, daß die Ostpolitik im Grunde genommen deswegen so wenig Widerhall finde, weil man zu große Erwartungen damit verbunden habe, gilt für uns von der FDP weiß Gott nicht, denn wir haben hinsichtlich dieser Erwartungen immer gesagt, man solle nicht davon ausgehen, daß innerhalb eines halben Jahres der Frühling ausbreche, das ganze Eis beseitigt werden könne, daß nun die munteren Bächlein flössen, an deren Rand die Blümlein blühten und daß sich dann nun alles zu fröhlichem Tun da versammle. Diese Meinung haben wir nie geteilt.
({1})
Wir haben immer auf den steinigen Weg hingewiesen, der beschritten wird. Nur, Herr Marx, hatten wir manchmal den Eindruck, daß Sie in dem Punkt wohl mit uns einig waren, daß Sie aber nichts getan haben, um die Steine beiseite zu rollen, sondern daß Sie sogar manchmal einige da hineingerollt haben. Das war doch die Auseinandersetzung, die wir hatten.
({2})
Das mag jetzt anders sein. Wir sind ja froh, daß das jetzt anders ist. Wir begrüßen Sie herzlich im Kreise derjenigen, die diese Steine aus dem Weg rollen, um zu einer wirklichen Entspannung zu kommen.
({3})
Das haben wir nun bei der KSZE als neues Moment, nämlich das Moment der multilateralen Basis der Entspannungsbemühungen, also des Versuchs, von der rein bilateralen Fundamentierung einer solchen Entspannungsbemühung fortzukommen und daraus Ergebnisse zu erzielen, die sich nicht nur auf zweiseitige, sondern auch auf multilaterale Verträge stützen lassen.
Das bedeutet zweierlei für uns. Zum einen: Wir dürfen auf gar keinen Fall in den alten Fehler zurückfallen, daß wir mit unseren bilateralen Problemen etwa multilaterale Lösungen und Ergebnisse blockieren oder sabotieren. Das wäre sehr schlecht. Unsere bilateralen Probleme werden nur dann und in dem Umfang gelöst, wenn bzw. wie sie in solche multilateralen Lösungen eingehen können. Das heißt, wir sind in der Methode und in dem, was wir erstreben wollen, an den Stil dieser Konferenz gebunden. Wir müssen versuchen, zusammen mit allen Teilnehmerstaaten zu Ergebnissen zu kommen, und wir müssen versuchen, zu Ergebnissen zu kommen, die von allen auch getragen werden, und dürfen eben nicht nur sozusagen knurrend das akzeptieren, was wir von unseren bilateralen Problemen dort einbringen. Das wäre ein schlechtes Ergebnis der Konferenz.
Der dritte wichtige Grundsatz scheint mir zu sein, daß wir von dem Prinzip des „Do ut des" bei dieser Konferenz in Genf etwas abrücken müssen.
({4})
- Ich werde das sagen. Diese Bemerkung von Herrn Marx, wir müßten aufhören, für dieselbe Sache zweimal zu zahlen
({5})
- oder dreimal -, scheint mir noch ein bißchen von dieser positiven Einstellung zum Prinzip des „Do ut des" geprägt zu sein. Ich halte das in der Tat, vor allem bei der Konferenz in Genf, nicht für eine angemessene Haltung diesen Problemen gegenüber, weil Sie nämlich auf diese Weise sich nicht aktiv und vor allen Dingen gestaltend in all das einschalten können, was 35 Leute nun mal machen, Sie können nicht 34mal „Do ut des" praktizieren, sondern das Prinzip des „Do ut des", meine Damen und Herren von der Opposition, ist ein Prinzip bilateraler Verhandlungen, nicht ein Prinzip multilateraler Verhandlungen - bei allen Versuchen, seine eigenen Interessen einzubringen.
({6})
Das heißt natürlich auch, daß die KSZE selbstverständlich nicht zu einer Konvergenz der Systeme führen kann, aber eine Konvergenz der Methoden und eine Konvergenz der dabei denkbaren Ziele aufweisen muß. Wenn wir nicht die Ziele dieser Konferenz, die letztlich dann ja formuliert vorliegen werden, als gemeinsame Ziele definieren können, und zwar schon im Ansatz, dann können wir die Konferenz in der Tat bleiben lassen und können sagen: „Es hat gar keinen Zweck, weitere Bemühungen auf uns zu nehmen."
Diese ganze Frage: „Kann es solche konvergenten Ziele geben?", ist, glaube ich, als einzige noch ein wenig strittig übriggeblieben. Denn wenn ich mir anschaue, was Sie als Katalog der denkbaren sowjetischen Ziele in Ihrer Anfrage - in der Begründung, glaube ich, zu Frage 2 -- auch aufzählen, dann steckt natürlich ein wenig das Mißtrauen dahinter, daß diese Ziele nun von der Sowjetunion strikt und unabänderlich durchgesetzt werden könnten. Gegen Skepsis in diesem Bereich ist nichts einzuwenden. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn man das sehr skeptisch betrachtet. Ich bin aber nicht der Meinung, daß mit einer Einstellung des Mißtrauens diese Probleme besser gelöst werden können. Vielmehr sollte man - ich darf mal den Fachausdruck verwenden - zunächst einmal registrieren, was die denkbaren anderen Ziele sind, und seine eigenen Ziele registrieren. Dann sollte man ganz nüchtern versuchen, eine gemeinsame Definition gemeinsamer Interessen vorzunehmen. Das halte ich nicht für ausgeschlossen, vor allen Dingen angesichts der bisherigen Ergebnisse, die die Konferenz gehabt hat.
Ich will mal ein Beispiel bringen. Wenn wir z. B. in der Begründung Ihres Antrages lesen, daß die multilaterale Anerkenung des territorialen Status quo in Europa und der sowjetischen Position in Osteuropa ein denkbares Ziel der Sowjetnuion bei dieser Konferenz sei, dann ist das sicher für den Beginn der Konferenz zu bejahen. Es läßt sich aber durch den weiteren Ablauf der Konferenz kaum mehr aufrechterhalten, vorausgesetzt daß es gelingt, etwa in der Frage des „Peacefull chance" der Grenzen, also in der Frage einer friedlichen Übereinkunft über Änderungen der Grenzen, zu einer vernünftigen, am richtigen Platz auch placierten Erklärung zu kommen, die deutlich macht, daß ein solches Bemühen, territoriale Status-quo-Probleme der Sowjetunion zu lösen, eben auf dem Wege der friedlichen Änderung der Grenzen durchbrochen werden kann, wenn das in der Tat irgendwann einmal zu einem politischen Problem werden sollte. Es geht ja hier nur darum, daß man diese Vorbedingungen und Voraussetzungen genügend abklärt.
({7})
Das zeigt sich auch an der Position der osteuropäischen Länder. Ich bin nicht der Meinung, daß etwa der Hegemonialstandpunkt der Sowjetunion sich auf dieser Konferenz so eindeutig durchgesetzt habe, wie Sie das vielleicht am Anfang befürchtet haben. Es ist im Konferenzablauf sehr deutlich geworden, daß hier Artikulationen möglich sind, auch innerhalb des osteuropäischen Lagers, die man vielleicht am Anfang gar nicht für möglich gehalten hätte. Dies meine ich nicht im Sinne eines Versuches des Aufbrechens dieses Lagers, sondern ich meine es als schlichte Feststellung, daß dort offenbar Differenzen vorhanden sind, die zu ganz interessanten Ergebnissen, auch zu ganz interessanten Ergebnissen für uns führen können.
({8})
- Ich denke da beispielsweise an die Meinung und
an die Haltung der rumänischen Delegation. Sie
müssen doch zugeben, Herr Kollege Mertes, daß das ein ganz dezidiert wichtiger Beitrag zum Verhandlungsablauf war und daß das vielleicht von dem einen oder anderen nicht erwartet worden ist.
Ein weiteres Beispiel - wir können das beliebig erweitern-: Nehmen Sie die Frage der wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit. Hier ist natürlich auch der Soupçon möglich, daß Sie sagen: Hier ist sozusagen eine Stärkung der wirtschaftlichen Position der Sowjetunion das Ziel der Sowjetunion; dabei kann nur dieses Ziel herauskommen; unsere Interessen sind dabei nicht zu wahren. Das ist eine Möglichkeit, aber nicht die einzige Möglichkeit der Interpretation. Ich hoffe, daß das, was die Regierung auch auf diesem Gebiet bilateral macht, dazu führt, daß man ganz klar erkennt: Wenn die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa überhaupt ein Ziel haben kann, dann das, gemeinsame Interessen auch konkret zu verwirklichen. Gerade im Bereich wirtschaftlicher und technischer Zusammenarbeit läßt sich ganz definitiv sagen, daß da sogar unsere eigenen Partikularinteressen, wenn Sie so wollen, wahrgenommen werden können und durchaus auch Berücksichtigung finden.
Eine Schlußfolgerung zu diesem Prinzip: Ich bin der Meinung, daß in einer nicht nur technisch, sondern auch politisch hochkomplizierten Welt die Methode des Sacro egoismo, die vielleicht im 19. Jahrhundert Positionen von nationaler Außenpolitik zureichend definieren mochte, heute eine Methode ist, die ein Staat, der auf außenpolitischen Erfolg setzen will, verlassen muß. Es ist eine Methode, die einfach nicht mehr zieht, die schon in der Methode selbst an den denkbaren Verhandlungsergebnissen vorbeizielt, ganz zu schweigen davon, daß die Ergebnisse eben nicht Ergebnisse sein können, die eindeutig durch den Sacro egoismo eines der Teilnehmerstaaten bestimmt sind. Solche Ergebnisse wird es nicht geben, kann es nicht geben, und die Position der Bundesregierung ist ganz klar, - von Ihnen auch anerkannt -, daß wir auf dem Wege sind, solche Ergebnisse nicht zuzulassen.
({9})
- Ich komme auf dieses Problem gleich noch gesondert, Herr Carstens. Im Augenblick versuche ich, sechs Prinzipien aufzuzählen. Ich werde mich einigen Problemen der verschiedenen Körbe noch zuwenden.
Viertes Prinzip. Ich glaube, darüber sind wir uns wohl alle einig. Die KSZE ist insofern auch ein interessanter Versuch, einmal von der relativen Wirkungslosigkeit des bisherigen klassischen Völkerrechts wegzukommen und Instrumente zu entwickeln, die zwar nicht völkerrechtlichen Charakter haben, gleichwohl im Zusammenleben der Staaten aber konkrete politische Auswirkungen haben müssen, auch, wenn Sie so wollen, Auswirkungen im politischen Verhalten haben müssen. Ich finde diesen Ansatz außergewöhnlich interessant, weil er vielleicht ein altes Problem überwindet, nämlich das Problem, wie man solche völkerrechtlichen ReDr. Bangemann
geln verbindlich machen kann, wie sie Eingang finden können in das konkrete existentielle politische Verhalten von Staaten und nicht eben nur Gegenstand juristischer Erörterungen werden.
({10})
- Ich habe nicht von verbindlichem Recht gesprochen, Herr Mertes, ich habe von dem anderen Ansatz gesprochen, daß man eben gerade wegkommt von der Frage, wie man Völkerrecht verbindlich machen kann, daß man vielmehr einen ganz anderen Ansatz sucht, daß man sagt: In der konkreten Verhaltensweise von Staaten kommt es darauf an, wie sie diese politisch-moralischen Gebote, wie es bezeichnet worden ist, in ihre Praxis aufnehmen. Von daher beurteile ich beispielsweise ihr Entspannungsbemühen. Ich mache sozusagen nicht ein juristisches Gutachten zum Gradmesser politischen Wohlverhaltens, sondern ich orientiere mich an dem, was konkret geschieht.
({11})
Dieses ist ein neuer Ansatzpunkt, den ich für bemerkenswert halte.
Fünftens. Wir sind uns alle darüber einig, daß die KSZE kein neues europäisches Sicherheitssystem schaffen soll. Diese Befürchtungen, die ja auch einmal geäußert worden sind, sind durch die Zusammenarbeit der NATO-Partner auf dieser Konferenz, glaube ich, ganz gegenstandslos. Das ist eine Tatsachenfeststellung, der sich jeder anschließen kann. Sechstens. Die KSZE ersetzt auch nicht eine Einigung Europas, ersetzt nicht Einigungsbemühungen der europäischen Partner insbesondere, die sich jetzt in der Gemeinschaft der Neun an der Bildung der politischen Union beteiligen. Es hat sich sogar erwiesen, daß ganz neue Felder der Europapolitik hier aufgebrochen worden sind, z. B. in der Frage der vertrauensbildenden Maßnahmen, bis zu einem gewissen Grade verteidigungspolitische Überlegungen, die auch im Rahmen der Neun behandelt werden, was bisher ja, wie Sie wissen, nicht expressis verbis Gegenstand dieser Überlegungen zur politischen Union war. Das scheint mir auch ein bemerkenswerter Punkt zu sein, wo Sie sich vielleicht, Herr Carstens, wenn ich das sagen darf, in Ihren etwas dunklen Befürchtungen korrigieren müßten, die Sie, glaube ich, am Anfang des letzten Jahres äußerten, als wir schon einmal eine Diskussion über die KSZE hatten. Sie waren damals ja der Meinung, daß sich zwischen der europäischen Einigung und den Bemühungen der Bundesregierung auf der KSZE ein Dilemma auftun könnte, daß man zunächst einmal die europäische Einigung voranzutreiben habe und sich erst auf der soliden Basis der europäischen Einigung in dieses gefährliche Abenteuer der KSZE zu begeben hätte, weil dieses Abenteuer nur auf einer solchen Basis zu bewältigen sei. Ich habe den Eindruck, daß sich diese Ihre Befürchtung nicht bewahrheitet hat und daß wir von der KSZE in der Tat sogar einen neuen Impetus für die europäische Einigung erfahren haben, der uns auch in diesem Punkt voll bestätigt.
Lassen Sie mich nun noch etwas zu einzelnen konkreten Ergebnissen aus den verschiedenen Körben sagen. Es ist sicher so, daß der militärische Aspekt der Sicherheit nicht ein militärtechnischer Aspekt sein darf. Die vertrauensbildenden Maßnahmen sind aber ein sehr bedeutsamer Bestandteil von Korb 1. Ich bin nicht der Meinung, daß man in der Formulierung dieser Prinzipien allein das Schwergewicht dieses Korbes sehen sollte. Ich bin in der Tat der Meinung, daß hier, selbst wenn am Schluß keine Verbindlichkeit aus den vertrauensbildenden Maßnahmen abzulesen ist, ein entscheidender Schritt auch zur Überwindung eines solchen militärischen Gegensatzes mindestens eingeleitet worden ist.
({12})
Was in Korb 1 sicher noch zu erreichen ist, ist, daß die Interpretation aller Prinzipien aus dem Zusammenhang heraus zu erfolgen hat. Dies ist insbesondere deswegen wichtig, weil nur auf diese Weise ein fundamentaler Gegensatz überwunden werden kann, der, wie Sie alle wissen, im Korb 3 aufgebrochen ist, nämlich bei der Frage der humanitären oder menschlichen Erleichterungen, die in der Frage der Durchsetzung von Menschenrechten in diesem Bereich zu Kontakten führen sollen. Das setzt natürlich voraus, daß eine Interpretation aller Prinzipien im Zusammenhang möglich ist. Wenn das nicht möglich ist, wenn man hier bestimmte Vorrangstellungen einführt, wird man auch im Korb 3 nur zu einer Erklärung kommen, die dann nicht in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann. Dies ist sehr wichtig.
Nach meiner Meinung ist es im Korb 3 - damit gehe ich auf diesen Korb 3 gleich näher ein - wichtig, daß der Gegensatz zwischen den unterschiedlichen Systemen bestehenbleiben kann, also nicht dazu führt, daß humanitäre, menschliche Erleichterungen unmöglich gemacht werden. Dies muß aber in voller Konsequenz auch einmal von denjenigen erkannt werden, die diesen Gegensatz zwischen den Systemen heute noch bei jeder denkbaren Gelegenheit hervorheben. Meine Damen und Herren, es ist ganz eindeutig, daß alle Fraktionen dieses Hauses diesen Gegensatz nicht dadurch überwinden wollen, daß wir uns im Wege eines konvergierenden Prozesses etwa an sozialistische Systeme angleichen, nur um dadurch menschliche Erleichterungen in der gegenseitigen Information zu erreichen. Wer diesen Gegensatz aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit markigen Worten, manchmal auch begleitet von Krokodilstränen über das Böse in der Welt, hervorhebt, muß natürlich auch wissen, daß damit die menschlichen Erleichterungen, die wir hier erreichen wollen, nicht gerade begünstigt werden. Ich bin nicht bereit, unser System zugunsten eines sozialistischen Systems aufzugeben.
({13})
Ich bin aber auch nicht bereit, wieder in die Tonart
des kalten Krieges zu verfallen und gleichzeitig
nach menschlichen Erleichterungen zu suchen, weil
ich das in der Tat nicht nur für ein schizophrenes, sondern auch für ein unredliches Verhalten halte.
({14})
Lassen Sie mich ganz zum Schluß noch zwei Worte zu dem alten Problem der verschiedenartigen Interpretation gleicher Begriffe sagen. Herr Marx, wenn das wirklich die Conditio sine qua non ist, mit der Sie an diese Verträge herangehen, verfallen Sie einem Irrtum, der zur Konsequenz hätte, daß ganze Berufsstände - beispielsweise Juristen und Theologen - arbeitslos würden.
({15})
Dieses würde mich nicht weiter stören, selbst wenn ich zu einem solchen Berufsstand gehöre.
({16})
- Dann beschränke ich das ausdrücklich auf die Juristen. Es stört mich nicht, wenn die Juristen aussterben.
Dahinter steht aber ein ernsthaftes politisches Problem, nämlich das Problem, daß die Forderung nach eindeutigen Begriffen, die eben nicht mehr politisch verschieden interpretiert werden und dadurch politisch verschieden verwandt werden, im Grunde genommen die Forderung nach der heilen Welt der heilen Wörter ist.
({17})
Dieses, Herr Kollege Marx, kann nicht die Position einer Regierung, einer Opposition oder irgendeiner Fraktion sein,
({18})
die ernsthaft daran interessiert ist, in Verhandlungen, in denen man von einer unterschiedlichen Interessenlage ausgeht, gleichwohl zu Ergebnissen, zu gemeinsamen Zielen zu kommen, in denen man in der Methode konvergieren und auch in den Worten ein Minimum, einen Kern an Gemeinsamkeit erzielen muß, bei denen man sich aber nicht in der Weise binden kann, daß man sagen muß: nur das, was wir unter einem Wort verstehen, dürft auch ihr darunter verstehen. In dieser Weise kommt man in Genf nicht zu einem Ergebnis, was ja auch Sie, wie ich Ihren Worten entnommen habe, wollen.
Lassen Sie uns auch in diesem Bereich zusammenarbeiten. Geben Sie Ihren Standpunkt bezüglich der heilen Wörter auf,
({19})
weil nämlich, wenn Sie an diesem Standpunkt festhalten, ein Ergebnis der Konferenz nicht erzielbar ist.
({20})
Das Wort hat der Bundesaußenminister.
Frau Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Gelegenheit, daß wir hier gemeinsam eine Art Zwischenbilanz über den Stand der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geben können. Ich denke, Herr Kollege Marx, es ist für uns alle ein Gewinn, daß die schriftliche Antwort der Bundesregierung den letzten Stand der Beratungen in Genf wiedergibt.
({0})
Mit dieser Genfer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit - auch das wollen wir hier feststellen - haben viele Menschen in unserem Land und wohl auch außerhalb unseres Landes noch nicht die Vorstellung verbunden, daß es dort um sie selbst geht, um ihre Interessen und ihre Rechte, und deshalb ist es notwendig, gerade dieses Konferenzziel aus unserer Sicht herauszustellen. Denn die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa soll Sicherheit für die Menschen in Europa schaffen, und sie bedeutet die Chance, den Frieden in Europa sicherer zu machen. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa kann uns der Verwirklichung einer großen Hoffnung ein Stück näher-bringen, der Hoffnung nämlich, die die Menschen in Europa auf Begegnungen, mehr Kontakte und mehr Austausch hegen. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa muß erkennbar eben diesen Interessen der Menschen in Europa dienen. In dieser Zielsetzung sollten sich alle Gruppen in diesem Hause voll einig sein können.
Es würde die Bundesregierung und ihre Position in Genf stärken, wenn sie in ihrer grundsätzlichen Haltung von allen Seiten des Hohen Hauses unterstützt würde. Ich meine, der Nutzen dieser Debatte könnte darin liegen, daß sich eine solche Übereinstimmung in wichtigen Punkten ergibt.
({1})
Die folgenden Positionen sollten deshalb von allen Seiten des Hauses akzeptiert werden können.
Erstens. Die Konferenz soll zu einer dauerhaften Verständigung beitragen, einer Verständigung, die gegen Störungen, die sich aus politischen Tagesschwankungen ergeben, abgesichert sein soll. Deshalb ist diese Konferenz nützlich.
Zweitens. Wenn die Bundesregierung auf dieser Konferenz und für diese Konferenz eine aktive Rolle eingenommen hat, dann hat sie das im wohlverstandenen eigenen Interesse unseres Volkes getan. Sie hat das nicht isoliert, sondern gemeinsam mit ihren westlichen Verbündeten, besonders aber im Rahmen der Neunergemeinschaft, getan, und wir sollten unseren Spielraum in Genf voll nutzen.
Drittens. Die Ergebnisse der Konferenz sollen den Menschen unmittelbar zugute kommen.
Viertens. Sicherheit und Zusammenarbeit werden am besten gefördert, wenn Menschenrechte, SelbstBundesminister Genscher
bestimmungsrecht und Grundfreiheiten überall beachtet werden.
({2})
Fünftens. Die Konferenz darf keine Hindernisse für die erklärten Ziele deutscher Politik aufrichten, wie sie z. B. im Brief zur deutschen Einheit zum Ausdruck kommt, nämlich auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt, und sie darf keine Hindernisse für die Politik aufrichten, die auf die Einigung Europas gerichtet ist.
Sechstens. Ein wie immer geartetes Ergebnis dieser Konferenz ist kein Ersatz für das Atlantische Bündnis.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, daß ich über diese Feststellungen hinaus einen Blick auf die Hintergründe der Konferenz werfe und zugleich den Versuch unternehme, diese Konferenz in den Gesamtzusammenhang unserer Politik einzuordnen.
Grundlage der gesamten auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland ist der Gedanke des Verzichts auf Gewaltanwendung und Gewaltandrohung im Verkehr der Völker untereinander. Gerade die besonderen deutschen Erfahrungen in diesem Jahrhundert haben uns gelehrt, daß es keinen anderen Weg gibt als den des friedlichen Interessenausgleichs und der Verständigung. Deshalb war die Bundesregierung bereit - diese und ihre Vorgängerinnen -, den deutschen Beitrag zur weltweiten Entspannungspolitik nicht zu verweigern, sondern ihn in Europa in praktischen Verhandlungen zu leisten.
Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist ein Instrument multilateraler Entspannungspolitik und - darüber müssen wir uns alle im klaren sein - als solches zweifellos ein außergewöhnliches Unternehmen; denn wir alle betreten dabei Neuland. Die Tatsache, daß sich 35 Staaten, darunter die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten und Kanada, zu einer solchen Konferenz zusammenfinden und dort über wirklich substantielle Fragen verhandeln, kennzeichnet aus der Sicht der Bundesregierung, daß es ein Klima der Entspannung in Europa bereits gibt, daß diese Konferenz eben auf dieser Voraussetzung aufbauen konnte.
Für die Bundesrepublik Deutschland ist dabei von ganz entscheidender Bedeutung, wie multilaterale Entspannungspolitik definiert wird.
({3})
Wir verstehen sie nicht als die Fortsetzung klassischer Bündnis- und Sicherheitspolitik an einem größeren Tisch, sondern es geht darum, eine neue, eine zusätzliche Dimension zu gewinnen, eine Dimension der Zusammenarbeit, die von den Menschen selbst gestaltet werden kann und die ihnen unmittelbaren Nutzen bringt. Das hielten wir und
das halten wir für eine zeitgemäße Form internationaler Beziehungen.
Für uns waren die Bedingungen für die Mitwirkung an der Konferenz gegeben, als sich in den Vorgesprächen in Helsinki erwies, daß darüber Einverständnis zwischen den Beteiligten herrschte. Unsere Beteiligung war auch deshalb notwendig, weil angesichts der Lage im geteilten Deutschland niemand mehr an einer solchen Entwicklung interessiert sein kann als gerade wir Deutschen. Niemand kann von einer organisierten Zusammenarbeit über Systemgrenzen hinweg mehr Nutzen ziehen als wir.
In dieser Stunde, bei dem jetzigen Verhandlungsstand, ist das - das sagen wir in aller Offenheit - nicht mehr als eine Hoffnung, aber wir würden unsere Pflicht gegenüber unserem Volk verletzen, wenn wir nicht den Versuch unternähmen, diese Hoffnung in die Tat umzusetzen.
Wir geben uns keinen Illusionen hin. In Genf wird nicht ein Zustand erreicht werden können, in dem alle spezifischen deutschen Probleme sozusagen über Nacht gelöst sind oder lösbar werden. Aber die Genfer Konferenz kann einen Rahmen schaffen, kann Verhaltensregeln entwickeln, die unsere spezifischen Probleme einer Lösung zugänglicher machen, zumindest was das allgemeine politische Klima angeht. Meine Damen und Herren, dafür allein lohnt es sich für uns schon, an dieser Konferenz teilzunehmen.
Wir können in die Konferenz gehen, weil wir in den vorangegangenen Jahren durch eine zielstrebige Politik eine internationale Basis dafür geschaffen haben. Durch das System unserer Verträge mit Osteuropa, durch das Berlin-Abkommen ist ein Zustand geschaffen worden, der die Aussicht auf Ergebnisse, wie wir sie in Genf anstreben, tatsächlich eröffnet.
({4})
- Ich habe manchmal den Eindruck gehabt, Herr Kollege Marx, daß bei vielen konstruktiven Ansätzen in Ihren Ausführungen bei der Behandlung der Ostverträge eher der Versuch im Vordergrund stand, der Nachhut Ihrer Fraktion noch den Anschluß offenzuhalten mit dem, was Sie hier gesagt haben.
({5})
Wir sollten, wenn wir hier in eine sicher nützliche Diskussion über Ergebnisse der Ostpolitik eintreten, nie übersehen - ich habe manchmal den Eindruck, daß diese Gefahr bei manchem vorhanden ist -, daß diejenigen die größten Hoffnungen an die Ergebnisse der Ostpolitik zu knüpfen scheinen, die sie vorher am stärksten bekämpft haben.
({6})
- Herr Kollege Marx, jede Partei in diesem Parlament hatte in der Zeit, in der sie die Regierung
stellte, die Chance, ihre Vorstellungen von Ostpolitik zu verwirklichen.
({7})
Durch diese Verträge ist der Gleichklang in der Politik der westlichen Länder einschließlich der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Osteuropa hergestellt worden. Unsere spezifischen deutschen Fragen sind jetzt eingebettet in den Gesamtprozeß der Entspannung.
({8})
Sie sind nicht vergessen. Sie haben ihren Platz in der westlichen Ostpolitik ebenso wie in der globalen Entspannungspolitik.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, einige Anmerkungen zu dem bisherigen Verlauf der Konferenz machen.
Zunächst möchte ich eine Erfahrung nennen, die wir als ein Positivum von hohem Wert verbuchen sollten. Die Konferenz ist ein Kristallisationspunkt für die Harmonisierung und die Koordinierung der Außenpolitik der Staaten der Europäischen Gemeinschaft geworden. Die oft erhobene Forderung, die Gemeinschaft sollte mit einer Stimme sprechen, ist in Genf tägliche Praxis. Die Neun geben durch ihre Sprecher gemeinsame Erklärungen ab, sei es durch den Vertreter der Präsidialmacht, sei es in bestimmten Fragen durch die Kommission. Die anderen Teilnehmer haben sich an dieses Verfahren gewöhnt. Die Geschlossenheit der Neun ist ein Erfolg, den wohl kaum jemand vor Beginn der Konferenz erwartet hatte. Manche mahnende Stimme beruhte ja gerade darauf, daß man Sorge hatte, hier könnten die westlichen Staaten zu unterschiedlichen Positionen kommen.
Was diese Geschlossenheit angeht, Herr Kollege Marx, so bezieht sie sich auch auf die Ablehnung eines ständigen Folgeorgans der Konferenz.
Ich finde, diese Zusammenarbeit hat sich gerade in den Zeiten bewährt, in denen die Welt nur die Krisen der Gemeinschaft sah und um ihren Fortbestand bangte. Die politische Zusammenarbeit der Neun hat sich als ein eigenständiges Element neben der wirtschaftlichen Integration für einen wichtigen Bereich multilateraler Politik etabliert.
Zu allen Themen der Tagesordnung stimmen wir unsere Haltung ab, so bei den Fragen im Wirtschaftsbereich, auch bei der friedlichen Streiterledigung, den militärischen Aspekten der Sicherheit, humanitären Fragen, den Fragen des kulturellen und des Informationsaustausches. Die ausgewogene Position der Neun hat auch die Abstimmung im Kreis der NATO-Staaten gefördert, und sie hat, was ich für besonders bedeutungsvoll halte, den Ungebundenen und Neutralen die Suche nach Kompromissen erleichtert.
Eine weitere positive Erfahrung: Auch das westliche Bündnis hat in Genf von neuem seine Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit bewiesen. Die NATO bezieht aus Genf mehr innere Festigkeit, weil
sich Solidarität und Loyalität der Bündnispartner in dieser Konferenz bewähren.
Aber auch andere Erfahrungen sind festzuhalten. Die KSZE eignet sich nur zur Behandlung von Fragen gemeinsamen Interesses aller Teilnehmerstaaten. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Bilaterale Probleme lassen sich nicht durch allgemeine Absprachen unter 35 Staaten lösen. Das bedeutet jedoch nicht, daß einmal gefundene, von der Konferenz beschlossene, gemeinsame Maßstäbe nicht etwa ihre positiven Auswirkungen auf spezielle Situationen haben könnten. Wenn die Konferenz etwa das Prinzip der Menschenrechte und Grundfreiheiten gemeinsam formuliert oder konkrete Maßnahmen im humanitären Bereich, z. B. der Familienzusammenführung beschließt, dann gelten diese selbstverständlich auch im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sowie in unseren Beziehungen zu Polen und anderen Teilnehmerstaaten. Wenn einmal feierlich festgestellt ist, daß die Achtung der Menschenrechte ein wesentlicher Faktor für den Frieden, freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit ist, dann kann sich davon keiner mehr ausnehmen.
Einseitige Vorteile sind bei dieser Konferenz - wie wohl nirgends in Verhandlungslagen - nicht zu erwarten. Wer sie dennoch sucht, meine Damen und Herren, verkennt die Aufgabe der Konferenz. Wir wollen eine Konvergenz der Interessen, aber nicht eine Konvergenz der Systeme.
({9})
Die Konferenz kann nicht der Ort sein - auch das sollten wir in aller Klarheit sagen, um falsche Hoffnungen nicht erst entstehen zu lassen -, das politische, wirtschaftliche oder soziale System eines der beteiligten Länder zu ändern. Wer sich das vornähme, müßte scheitern.
Die Konferenz schafft kein neues Völkerrecht.
({10})
Sie soll Maßstäbe für das Verhalten der Teilnehmerstaaten setzen. Sie baut dabei auf schon vorhandenem allgemeinen Völkerrecht auf. Das machen wir in der Antwort besonders deutlich, da die Opposition hier wohl auch nicht von ganz zutreffenden Prämissen ausgeht. Die Konferenz ist keine Kodifikationskonferenz, sondern sie ist eine politische Konferenz. Entsprechend werden am Ende politische Absichtserklärungen stehen, deren moralische Verbindlichkeit durch die Unterschrift hoher Vertreter bekräftigt wird.
({11})
Grundlage der Prinzipienerklärung und der anderen von der Konferenz zu verabschiedenden Texte sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, wie sie vor allem in den Zielen und Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen, der Menschenrechtsdeklaration sowie der Erklärung über freundschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten zum Ausdruck kommen.
Die KSZE schafft auch kein gesamteuropäisches Sicherheitssystem. Gewiß dient sie auch unserer Sicherheit; aber wesentliche Voraussetzung unserer Sicherheit ist und bleibt gerade angesichts eines hochgerüsteten Paktsystems auf der anderen Seite das Bündnis, dem wir angehören und an dessen Wirksamkeit wir unverändert mitarbeiten. Das unsere Sicherheit wahrende westliche Bündnis war ja gerade eine natürliche Voraussetzung für unsere Teilnahme an dieser Konferenz. Aus der Atlantischen Allianz sind mit dem Harmel-Bericht von 1967 die Denkansätze entwickelt worden, die schließlich zu den Konferenzen von Helsinki und Genf geführt haben. Sie postulierten schon vor sieben Jahren, daß politische und militärische Sicherheit einander ergänzen und nicht isoliert voneinander bestehen können.
({12})
Auch unter den praktischen Bedingungen der Konferenz selbst hat sich die Abstimmung unter den Bündnispartnern bewährt. Die Konsultationen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten waren eine Zeitlang - wer wüßte das nicht? - Gegenstand theoretischer Erörterungen über das zweckmäßigste und gleichzeitig politisch annehmbarste Verfahren. Auf dieser Konferenz wurden aus der Praxis fast zwanglos Konsultationsmechanismen entwickelt, die wir als beispielhaft bezeichnen können.
Nun ein Wort zur Prinzipiendeklaration. Sie steht
nicht zu Unrecht im Zentrum der Großen Anfrage. Über sechs von zehn Prinzipien sind Texte vorläufig registriert: die souveräne Gleichheit, der Gewaltverzicht, die Unverletzlichkeit der Grenzen, gleichzeitig damit eine Formel über friedliche Grenzänderungen, auf die ich noch zu sprechen komme, die territoriale Integrität, friedliche Streitregelung, Nichteinmischung. Die Formulierung des Prinzips der Menschenrechte und Grundfreiheiten, dessen gleichberechtigte Aufnahme in den Dekalog der Westen in Helsinki durchsetzte, steht kurz vor ihrem Abschluß. Zum Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker begann soeben die Redaktionsarbeit. Anschließend werden wir das Prinzip der Zusammenarbeit zwischen den Staaten sowie die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben gemeinsam definieren.
Ich möchte an dieser Stelle, weil das ein ganz wichtiges Problem für uns als Deutsche und Europäer ist, ein klares Wort über die Unverletzlichkeit der Grenzen sagen. Dieses Prinzip ist stets Maßstab unseres Handelns gewesen und folgt logisch aus dem Gewaltverzicht, auf dem Ostpolitik und Ostverträge aufbauen. Niemand denkt daran, diese Verträge auf der Genfer Konferenz neu auszuhandeln oder zu revidieren. In seiner Resolution vom 17. Mai 1972 zu den Verträgen von Moskau und Warschau hat der Deutsche Bundestag bekräftigt Mit der Forderung auf Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts erhebt die Bundesrepublik Deutschland keinen Gebiets- oder Grenzänderungsanspruch. Daran hat sich nichts geändert. Diesen Standpunkt vertreten wohl auch heute noch alle
Fraktionen dieses Hauses. Niemand in der Bundesrepublik Deutschland will eine Politik der Gewalt, niemand will daher eine Politik, die auf die Verletzung von Grenzen hinzielt. Einigkeit besteht hier gewiß auch über das politische Ziel, das wir in den Briefen zur deutschen Einheit im Zusammenhang mit dem Moskauer Vertrag und dem Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bekräftigt haben. Wir müssen uns ferner den Weg zur westeuropäischen Einigung offenhalten. Deshalb haben wir keinen Zweifel daran gelassen, daß eine Klarstellung über die unveränderte Zulässigkeit friedlicher und einvernehmlicher Grenzänderungen unentbehrlich ist.
({13})
Derartige Grenzänderungen sind und bleiben nach allgemeinem Völkerecht ebenso erlaubt, wie gewaltsame Grenzänderungen verboten sind. Es besteht schon jetzt Einverständnis unter allen Konferenzteilnehmern, daß diese Klarstellung in die Prinzipienerklärung aufgenommen wird. Wir verhandeln zur Zeit über die genaue Formel und den Platz, an dem sie stehen soll. Gerade auf diese wichtige und - wie ich ausdrücklich feststelle - heikle Frage geht die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage besonders ausführlich ein. Ich bitte die Opposition, die Detaildiskussion dazu im Auswärtigen Ausschuß zu führen.
Schließlich, meine Damen und Herren, wird der Westen auf einer zusätzlichen Klarstellung bestehen - und auch das ist von großer Bedeutung -, daß die Prinzipien gleichwertig sind und daß sie nur im Gesamtzusammenhang interpretiert werden können.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0})?
Bitte schön!
Herr Bundesminister, wird die Bundesregierung bei der Formulierung des Grundsatzes der friedlichen Veränderbarkeit der Grenzen, die Sie eben erwähnten, auch dem 7. Leitsatz im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag Rechnung tragen, wonach wir uns mit einer solchen Formel nicht in eine vertragliche Abhängigkeit von der DDR in bezug auf die deutsche Einheit begeben dürfen?
Die Bundesregierung wird sich nicht nur hier, sondern an keiner Stelle in eine vertragliche Abhängigkeit zur DDR in einer solchen Frage begeben, Herr Kollege.
({0})
Meine Damen und Herren, wir können nicht über Sicherheit sprechen, wenn wir nicht auch die mili8346
tärischen Aspekte einbeziehen. Genf soll und kann die Gespräche in Wien nicht ersetzen.
({1})
Dort geht es vor allem um verbindliche Vereinbarungen über die Reduzierung von Truppen und Rüstungen; militärische Detailfragen beherrschen dort die Debatte. In Genf kommt es vielmehr darauf an, sichtbar zu machen, daß es Sicherheit in Europa ohne Maßnahmen im militärischen Bereich nicht geben kann. Daher sollten dort politische Absprachen über ein vertrauensförderndes Verhalten im militärischen Bereich getroffen werden. Solche Absprachen sind für uns und unsere Verbündeten befriedigend, wenn sich alle Teilnehmer der Konferenz einschließlich der Sowjetunion gleichermaßen daran beteiligen und die Maßnahmen ausreichend klar definiert sind, um keine Mißverständnisse zuzulassen. Es gibt trotz aller Schwierigkeiten Anlaß zu der Hoffnung auf ein ausreichend konkretes Ergebnis.
In Korb 2 geht es um einen Rahmen für die Zusammenarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie und Umwelt. Die Bundesrepublik Deutschland ist auch daran besonders interessiert. Das gilt mehr und mehr auch für unsere Beziehungen zu den Staaten Osteuropas. In letzter Zeit ist es in zunehmendem Maße zu großen langfristigen Kooperationsvereinbarungen, vor allem auch mit der Sowjetunion, gekommen. Solche Projekte setzen Sicherheit und Kalkulierbarkeit voraus. Die KSZE kann dabei
helfen, Vertrauen zu stärken, und hier ist unser Hauptanliegen Stabilität und Kontinuität.
Neben den allgemeinen Leitsätzen wollen wir auf der KSZE Beschlüsse über konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen verabschieden. Die Konferenz zeigt, daß die osteuropäischen Staaten bereit sind, Geschäftskontakte zu erleichtern und mehr Informationen über Märkte und Produktionsbedingungen zu liefern. Vor einigen Jahren waren solche Themen noch nicht zu bewältigen. Heute sprechen wir auf der Konferenz über Maßnahmen zur Verbesserung von Marktforschung und Werbung, zur Errichtung von Lagern, zur Ermöglichung eines leistungssfähigen Kundendienstes.
Von besonderem Gewicht sind die humanitären Fragen. Noch mehr als in den beiden anderen Sachbereichen hat die Konferenz hier Neuland betreten. Themen - das sollte niemand vergessen, meine Damen und Herren -, die noch vor drei Jahren tabu waren, weil sie als Einmischung in die inneren Angelegenheiten galten, sind jetzt Gegenstand von Verhandlungen zwischen Staaten geworden.
({2})
Für die Deutschen stehen humanitäre Probleme und mehr Freizügigkeit selbstverständlich im Vordergrund. Wir werden auch mit dieser Konferenz Europa nicht in ein Paradies verwandeln - Kollege Bangemann hat das schon gesagt -, aber wir wollen einen Mindeststandard setzen. Das gilt insbesondere für Verwandtenbesuche, Familienzusammenführung und Heiraten zwischen Bürgern aus verschiedenen Ländern. Hier kommt es uns darauf an, eine Reihe von allgemeinen Regelungen für die Behandlung konkreter Anträge zu vereinbaren. Dazu gehört zunächst einmal, daß diese Anträge wohlwollend in erster Linie unter humanitären Aspekten entschieden werden. Weiter sollen die Gebühren so beschaffen sein, daß sie kein Hindernis für den Antragsteller darstellen. Die Anträge sollen zügig bearbeitet werden. Der Antragsteller soll keine nachteiligen Folgen aus seiner Antragstellung erleiden. Er soll bei der Familienzusammenführung in der Lage sein, seine persönliche Habe und sein Haushaltsgut mitzunehmen; denn, meine Damen und Herren - ich wiederhole es -, Entspannung darf nicht Abstraktes für den einzelnen Menschen bleiben, sie muß ihm dienen.
({3})
Auf der KSZE besteht jetzt gute Aussicht, gerade auch in diesen Fragen zu einem befriedigenden Abschluß zu kommen. Wir haben damit - ich möchte das mit aller Deutlichkeit sagen - noch nicht die konkreten Probleme von vielen tausend Menschen gelöst. Aber wir haben die Grundlage dafür geschaffen, daß ihr Los erleichtert wird.
Neben den humanitären Problemen soll die Konferenz eine Verbesserung der Bewegungsfreiheit als allgemeine Zielsetzung beschließen. Außerdem soll auch der Austausch von Informationen über die Grenzen hinweg verbessert werden. Dazu gehört eine größere Verbreitung von ausländischen Zeitungen, ein größerer Austausch von Rundfunk- und Fernsehsendungen. Dazu gehören auch bessere Arbeitsbedingungen für Journalisten, die im Ausland tätig sind.
Gerade bei diesen Fragen - wen erstaunt das? - erweist sich der Unterschied der Systeme als Hindernis. Der zunächst erhobene Einwand, der Westen wolle sich mit seinen detaillierten Vorschlägen in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen, konnte ausgeräumt werden. Damit ist der Weg für einen befriedigenden Abschluß in diesen Bereichen geebnet.
Wie die Staaten die Konferenzbeschlüsse ausführen werden, wird sich nach der Konferenz erweisen. Auch hier gilt: Wer diese Konferenzbeschlüsse nicht einhält, stellt damit das ganze Ergebnis der Konferenz in Frage.
({4})
Zusammenfassend läßt sich mit Blick auf Genf jetzt sagen: Es ist dort ordentlich gearbeitet worden. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, wollen zügig und gründlich weiterverhandeln. Es geht uns um die Qualität des Ergebnisse. Um es klar zu sagen: Wir ziehen dauerhafte Erfolge einem raschen, aber nicht fundierten Abschluß vor.
({5})
Meine Damen und Herren, wir wollen die Schwierigkeiten nicht übersehen, vor denen wir noch stehen. Die Bundesregierung knüpft an die Entwicklung der Beziehungen zwischen Ost und West keine übertriebenen Erwartungen. Sie stellt auch nicht kurzfristig umfassende Ergebnisse in Aussicht. Die seit dem Ende des zweiten Weltkriegs vorhandene gesellschaftliche, ideologische und politische Spaltung Europas kann nur in einem längeren Prozeß allmählich überbrückt werden. Wer mehr verspricht oder mehr in Aussicht stellt, täuscht diejenigen, die ihm zuhören.
({6})
Dabei kann es sich nicht um einen einseitigen, sondern nur um einen wechselseitigen, nicht um einen selektiven, sondern nur um einen alle Bereiche umfassenden Vorgang handeln, zu dem alle Beteiligten beitragen müssen.
Für den weiteren Verlauf des Entspannungsprozesses kommt es multillateral entscheidend darauf an, daß sich die verschiedenen Auffassungen in Ost und West über die Voraussetzungen der Entspannung annähern. Ich meine, Herr Kollege Marx, das, was Sie über Interpretationsverschiedenheiten, über die unterschiedliche Ausfüllung von Begriffen gesagt haben, gilt gerade hier. Eine solche Konferenz muß auch leisten, daß man sich in der Auslegung näherkommt. Wer aber zur Voraussetzung von Verhandlungen die Übereinstimmung im Gebrauch von Begriffen macht, würde damit sagen, daß er nie in Verhandlungen eintreten kann.
({7})
Ein Versuch, auf multilateraler Ebene eine breitere Fundierung für die Zusammenarbeit in Europa zu schaffen, wird auf dieser Konferenz gemacht. Ein Erfolg wird nur möglich sein, wenn sich ausgewogene Kompromisse mit möglichst vielen praktikablen Ergebnissen auf möglichst vielen Teilgebieten erzielen lassen.
Die Frage nach den Aussichten dieses Erfolgs läßt sich heute noch nicht abschließend beantworten. Ich muß noch einmal betonen, daß die besten Vereinbarungen nur soviel wert sind wie der Wille der Beteiligten, sich daran auch zu halten.
({8})
Der amerikanische Außenminister hat in einer ähnlichen Situation, als man ihn nach den Zukunftsaussichten über Vereinbarungen zwischen Ost und West gefragt hat, mit einem einprägsamen Bild geantwortet; ich möchte es hier wiederholen. Er sagte damals: Wir sind jetzt dabei, ein gemeinsames Netz von Autostraßen zu bauen und Verkehrsregeln zu entwickeln. In Zukunft soll jeder wissen, wo und wie er fahren kann. Aber das Ganze kann nur funktionieren, wenn sich jeder an diese Regeln hält.
Wir, meine Damen und Herren, vertrauen darauf, daß dies geschieht. Wir jedenfalls sind dazu bereit.
({9})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche nunmehr die Aussprache zu Punkt 2 der heutigen Tagesordnung.
Wir treten dann um 13.30 Uhr in die Fragestunde ein.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir treten in die Fragestunde
- Drucksachen 7/2631, 7/2661 ein.
Zunächst liegen zwei dringliche Fragen des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}) für den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf Drucksache 7/2661 vor. Für die Beantwortung der Fragen steht der Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung.
Ich rufe die erste Frage auf:
Treffen Pressemeldungen ({1}) zu, wonach der Bundeskanzler Schmidt bei seinem bevorstehenden Besuch in Moskau die staatliche Unterstützung von erheblichen kreditfinanzierten Investitionen der deutschen Industrie in der Sowjetunion zusagen will, ohne zugleich darauf zu bestehen, daß die sowjetische Regierung ihre Zustimmung zur Einbeziehung West-Berlins in verschiedene deutsch-sowjetische Abkommen gibt?
Herr Abgeordneter, die Frage bezieht sich offensichtlich auf die staatliche Unterstützung von Ausfuhrgeschäften deutscher Unternehmungen mit der Sowjetunion, die auch in dem von Ihnen zitierten Artikel des „Spiegel" vom 14. Oktober gemeint sind. Investitionen der deutschen Industrie sind in der Sowjetunion bekanntlich nicht möglich und können daher von der Bundesregierung auch nicht gefördert werden. Ausfhrgeschäfte der deutschen Industrie dagegen fördert die Bundesregierung durch die Übernahme von Bundesbürgschaften, die ihrerseits Voraussetzung für die Refinanzierung der auf Kreditbasis abgeschlossenen Exportgeschäfte sind. Dies geschieht auf der Grundlage der üblichen kommerziellen Bedingungen auch im Handel mit der Sowjetunion bereits seit vielen Jahren.
Die langfristige Entwicklung und positive Gestaltung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion liegt im wohlverstandenen deutschen Interesse. Das gilt sowohl
für die Einbeziehung Berlins in den vertraglich vereinbarten Austausch als auch für die Gestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen. Die Bundesregierung wird diesen Zusammenhang nicht außer acht lassen. Unverändert gilt, was die Bundesregierung wiederholt erklärt hat, daß Berlin für uns der entscheidende Gradmesser der Entspannung ist.
Zusatzfrage?
Herr Staatsminister, darf ich dieser Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung nur bei einer befriedigenden Lösung des anstehenden Problems „BerlinKlausel" in zu treffenden Abmachungen mit der Sowjetunion diese langfristige wirtschaftliche Kooperation, von der die Rede ist, eingehen wird?
Herr Abgeordneter, Sie dürfen meiner Antwort das entnehmen, was ich eben ganz genau gesagt habe. Sie haben ja noch eine zweite Frage.
Herr Staatsminister, nachdem Sie mir auf diese erste Frage ausweichend antworten, frage ich Sie erneut: Bedeutet diese Ihre Antwort, daß die Bundesregierung die Möglichkeiten, die ihr aus dem Interesse der Sowjetunion an dieser langfristigen Zusammenarbeit erwachsen, auch dazu einzusetzen bereit ist, bei den Gesprächen des Bundeskanzlers, die bevorstehen, die Berlin-Klausel zur Sprache zu bringen und in diese Abkommen hineinzubringen?
Herr Abgeordneter, ich verweise nochmals auf die nächste Frage. Aber ich darf vielleicht auch bei dieser Gelegenheit auf die Feststellung Ihres Kollegen Dr. Marx heute morgen in der Debatte verweisen, wo er davon sprach, daß die Bundesregierung die Intelligenz der Opposition sich zunutze machen solle. Ich werde gern bereit sein, dies zu tun, wenn man mir dazu Gelegenheit gibt.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}) aus der Drucksache 7/2661 auf:
Gedenkt der Bundeskanzler, die von Generalsekretär Breschnew vor 11/2 Jahren zugesagte „strikte Einhaltung und volle Anwendung" des Viermächteabkommens über Berlin zum Gegenstand der bevorstehenden Gespräche mit der sowjetischen Regierung zu machen mit dem Ziel, entsprechend dem Berlin-Abkommen der Vier Mächte die Zustimmung der Sowjetunion zur Aufnahme einer Berlin-Klausel in die anstehenden deutsch-russischen Abkommen zu erreichen?
Herr Abgeordneter, die Frage der Einbeziehung Berlins in die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit wird ohne jede Frage bei dem Besuch des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers in der Sowjetunion vom 28. bis 31. Oktober dieses Jahres eine vordringliche Rolle spielen. Die Bundesregierung hat gerade in letzter Zeit immer wieder hervorgehoben, daß sie
sich um eine befriedigende Einbeziehung von Berlin in den deutsch-sowjetischen Austausch im Rahmen der geplanten Abkommen bemüht. Dabei geht es im übrigen nicht um die Aufnahme einer Berlin-Klausel als solcher. Solche Klauseln finden sich bereits in den zahlreichen in letzter Zeit mit der Sowjetunion abgeschlossenen Abkommen. Es geht vielmehr darum, auch die Einzelfragen der Einbeziehung Berlins in die praktische Zusammenarbeit mit der sowjetischen Seite zu klären. Entsprechende Bemühungen werden auch Gegenstand der Gespräche in Moskau sein.
Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß zur strikten Einhaltung und vollen Anwendung des Viermächteabkommens über Berlin auch die Einbeziehung West-Berlins in diese anstehenden Abkommen mit der Sowjetunion - und zwar in all den Einzelfragen, die Sie eben angesprochen haben - gehört?
Herr Abgeordneter, ich habe, glaube ich, Ihre Frage beantwortet. Ich habe darauf hingewiesen, daß nicht die generelle Frage dabei wichtig ist, sondern daß es um die Klärung von Einzelfragen geht. Ich habe also meiner Antwort nichts hinzuzufügen. Ich muß offen gestehen: ich kann Ihrer Zusatzfrage kein neues Element entlocken.
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie würde sich denn nach Ihrer Auffassung - d. h. nach der Auffassung der Bundesregierung - eine weitere sowjetische Weigerung, West-Berlin in die zur Unterzeichnung anstehenden Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland einzubeziehen, auf die Bereitschaft der Bundesregierung auswirken, eine langfristige wirtschaftliche Kooperation, so wie sie geplant ist, einzugehen?
Herr Abgeordneter, ich verstehe nicht ganz den Zusammenhang dieser Frage mit dem, was ich vorher schon geantwortet habe. Ich befürchte fast, Sie haben meine erste Antwort nicht zur Kenntnis genommen. Ich habe Ihnen erklärt - das ist der unveränderte Standpunkt der Bundesregierung -, daß wir keine vertragliche Vereinbarungen abschließen, in die Berlin nicht in befriedigender Weise einbezogen ist. Das unterscheidet diese Bundesregierung von früheren Bundesregierungen, die darauf verzichtet hatten, Berlin in befriedigender Weise einzubeziehen. Ich denke da etwa an das Kulturabkommen im Jahre 1958. Das ist ganz wesentlich.
Was die langfristige Kooperation betrifft, so habe ich hier dargelegt, daß dort, wo private Firmen die
Deutscher Bundestag --- 7. Wahlperiode Staatsminister Moersch
Handelspartner der Sowjetunion sind, die Bundesregierung in der gleichen Weise wie überall auf der Welt mit Ausfuhrbürgschaften zur Verfügung steht. Wenn es sich dagegen um vertragliche Abmachungen handelt, gilt das, was ich eben gesagt habe. Aber ich denke, Sie sollten doch wirklich zwischen Privatgeschäften und vertraglichen Abmachungen von Staaten unterscheiden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Werner.
Herr Staatsminister, obwohl Sie so großen Wert auf diese Unterscheidung gelegt haben, möchte ich Sie dennoch fragen, ob Sie und damit Ihr Ressort eigentlich heute noch zu der Auffassung stehen, die der Bundesaußenminister Genscher am 28. Mai im „Bulletin" der Bundesregierung von sich gegeben hat, als er ausführte, daß Wirtschaftsbeziehungen als Mittel zur Lösung der noch offenen Fragen im Verhältnis zur Sowjetunion zu bezeichnen seien.
Ich habe eben dargelegt, Herr Abgeordneter - es ist offensichtlich schwer, sich verständlich zu machen -, daß es auf die Gesamtheit der Beziehungen ankommt und daß alle diese Beziehungen natürlich auch für uns einen Wert in der Verbesserung der allgemeinen Beziehungen haben, daß also ein stärkerer wirtschaftlicher Austausch ein Element der Entspannungspolitik sein kann. Das war Gegenstand der Debatte heute morgen in diesem Hause. Ich verstehe nicht, was da noch nachträglich zwischen dem, was Sie eben zitiert haben, und dem, was hier eben gesagt worden ist, zu interpretieren sein sollte.
Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister. Ich unterbreche zunächst die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes und rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen stehen die Staatssekretäre Dr. Schüler und Bölling zur Verfügung.
Die ersten beiden Fragen sind vom Herrn Abgeordneten Wohlrabe eingebracht. Er hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nun die Frage 107 des Herrn Abgeordneten Ahlers auf:
Treffen Meldungen zu, daß der Bundesnachrichtendienst bei seiner sogenannten „Inlandsaufklärung", über die der Bundestagsabgeordnete und frühere Kanzleramtsminister Dr. Ehmke vor dem Guillaume-Untersuchungsausschuß berichtet hat, auch westdeutsche Journalisten als Mitarbeiter beschäftigt hatte, und ist die Bundesregierung bereit, die Namen dieser Journalisten bekanntzugeben und auch die Höhe der Honorare, die an diese Personen in dem Zeitraum von 1960 bis 1970 gezahlt worden sind?
Herr Präsident, wegen des engen sachlichen Zusammenhanges würde ich gerne die Fragen 107 und 108 zusammen beantworten.
Der Herr Fragesteller ist offensichtlich damit einverstanden. Sein Zusatzfragerecht wird dadurch nicht geschmälert. Ich rufe dann noch die Frage 108 auf:
Treffen Meldungen zu, daß die oben erwähnten Berichte auch an andere Organisationen als den Bundesnachrichtendienst oder an im öffentlichen Leben stehende Personen weitergegeben wurden, sei es durch den Bundesnachrichtendienst, sei es von den Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes, die hauptberuflich als Journalisten tätig waren oder sind?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hält das Interesse des Parlaments an der Aufklärung Ihrer Fragen ohne Einschränkung für berechtigt, bittet Sie aber um Ihr Einverständnis, daß die Antwort darauf im Parlamentarischen Vertrauensmännergremium für die Nachrichtendienste gegeben wird. Bei der Beantwortung Ihrer Fragen und der unvermeidlichen Zusatzfragen müßte auf Interna des Bundesnachrichtendienstes eingegangen werden, die zwar für einen geheimen Nachrichtendenst nicht atypisch sind, deren konkrete Darlegung in der Öffentlichkeit aber dennoch dem öffentlichen Interesse an der Leistungsfähigkeit des Dienstes widersprechen würde. Die Bundesregierung wird dafür Sorge tragen, daß das Parlamentarische Vertrauensmännergremium unterrichtet wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich bin damit einverstanden.
Ich habe eine Zusatzfrage. Können Sie mitteilen, ob unter den Journalisten, die für den BND gearbeitet haben, Mitglieder der Bundespressekonferenz waren oder sind, und ob unter den Unterlagen in den „Tratschakten", wie sie Präsident Gehlen inzwischen nennt, die über Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vom BND angelegt worden sind, auch Informationen sind, die von Mitgliedern der Bundespressekonferenz stammen?
Herr Abgeordneter, den ersten Teil Ihrer Frage kann ich nicht beantworten. Der zweite Teil Ihrer Frage betrifft einen Sachverhalt, der gegenwärtig auch im Untersuchungsausschuß eine Rolle spielt. Wir sind dabei, die Akten aufzuarbeiten. Ich bin im Augenblick nicht in der Lage, hier eine konkrete Antwort zu geben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Fragen 109 und 110 des Herrn Abgeordneten Kunz ({0}) auf. - Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe dann die Frage 111 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Welche sogenannten Informationsmaterialien bzw. Propagandaschriften der Bundesregierung sind in den letzten drei Monaten bis einschließlich 27. Oktober 1974 in die Bundesländer Bayern und Hessen über welchen Verteiler verschickt worden
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
bzw. werden noch verteilt, und wie hoch belaufen sich diese Kosten?
Ihre Frage, Herr Abgeordneter beantworte ich wie folgt. Ich darf zunächst feststellen, daß sowohl das Presse-und Informationsamt der Bundesregierung als auch die Ministerien ständig und ohne Rücksicht auf Wahlkämpfe Informationsmaterial im gesamten Bundesgebiet auf Anfrage zur Verfügung stellen. Es handelt sich dabei um Material, das die Leistungen, Maßnahmen und Vorhaben der Bundesregierung darstellt und sich nicht mit speziellen Problemen der jeweiligen Wahlkämpfe befaßt.
So wurden z. B. in den letzten drei Monaten folgende Publikationen auf Grund von Anforderungen auch in die Länder Hessen und Bayern versandt: Arbeitsbericht '74 der Bundesregierung, Faltblatt „Wußten Sie eigentlich ...", die Broschüre „Unser Staat", eine Jugendzeitschrift, ein Sonderbulletin zum Thema Steuerreform 1975, eine Broschüre „25 Jahre atlantische Partnerschaft", eine Wohngeldfibel, eine weitere Broschüre „Das neue Mietrecht", „109 Tips für die Frau", Faltblatt zum Thema Bodenrecht, Faltblatt zum Thema Deutschlandpolitik, ein Faltblatt zum Thema Renten und Alterssicherung und ein Faltblatt zu dem Komplex Sicherheitspolitik.
Das sind Publikationen des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. An zwei Beispielen, Herr Abgeordneter, möchte ich dies konkret erläutern. Von dem „Arbeitsbericht '74" gelangten auf Anforderung etwa 3000 Exemplare nach Hessen und etwa 2000 Exemplare nach Bayern. Die Gesamtauflage der dritten Auflage beträgt 150 000 Stück. Die Gesamtkosten sind mit rund 198 000 DM zu beziffern, während die anteiligen Kosten für die nach Hessen und Bayern verschickten Exemplare rund 6 600 DM betragen.
Die Broschüre „Unser Staat" wurde in einer Auflagenhöhe von 1 Million zu einem Kostenbetrag von 461 000 DM verlegt. Nach Hessen gelangten etwa 325 000 Exemplare, während für Bayern 232 000 Exemplare ausgeliefert worden sind. Die anteiligen Kosten belaufen sich auf etwa 240 000 DM.
Herr Abgeordneter, Entsprechendes gilt sowohl für die anderen Publikationen unseres Amtes als auch für die Publikationen der Bundesministerien. Einschränkend ist jedoch festzuhalten, daß zahlreiche Informationsmaterialien nur in begrenzter Stückzahl zur Verfügung stehen. Im übrigen liegt es in der Natur der Sache, daß von dem zur Verfügung stehenden Material in den vom Wahlkampf betroffenen Regionen mehr Gebrauch gemacht wird. Die Verteilung erfolgt, von Einzelanforderungen abgesehen, im wesentlichen über Organisationen, Institute, Verbände wie z. B. Gewerkschaften und Bildungseinrichtungen, Jugendorganisationen, Berufsverbände und nicht zuletzt natürlich durch die Abgeordneten dieses Hohen Hauses. Durch diese Art der Verteilung werden einerseits nicht unerhebliche Kosten gespart und andererseits die interessierten Bürger unmittelbar erreicht.
Was die Kosten angeht, so muß ich mich auf die näher bezeichneten Publikationen unseres Amtes beschränken, weil die anteiligen Kosten in den verschiedenen Ressorts in Gesamtrechnungen enthalten sind und sich meist nicht auf einzelne Bundesländer aufschlüsseln lassen. Von den genannten Publikationen, die ich vorhin zitiert habe, wurden nach Hessen insgesamt zirka 842 000 Exemplare und nach Bayern zirka 761 000 Exemplare mit anteiligen Kosten von insgesamt rund 400 000 DM verschickt. Die Gesamtauflage dieser Publikationen beträgt für die Bundesrepublik Deutschland 7,3 Millionen. Die Gesamtkosten sind mit rund 1,5 Millionen DM zu beziffern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind unter den Organisationen, die Sie genannt haben, auch Parteien; wenn ja, von welchen Parteien sind hier die Anforderungen an die Bundesregierung schwerpunktmäßig gekommen? Sind die Anforderungen über bestimmte Parteien nicht aus den Ländern gekommen, in denen gerade Wahlkämpfe stattfinden.
Ich glaube, es gehört zur Normalität des politischen Lebens, daß Sachdarstellungen der Regierung natürlich in besonderem Maße von denen angefordert werden und bei denen besonderes Interesse finden, die Landtagswahlen vor sich haben. Es handelt sich hier aber um Sachdarstellungen der Bundesregierung, so daß ich daran nichts auszusetzen finde.
Herr Abgeordneter Niegel, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind auch eigens Broschüren angefertigt worden, die speziell in die Wahlkämpfe eingreifen sollen, ähnlich der Darstellung des Verkehrsministeriums bezüglich der Leistungen des Bundes für den Freistaat Bayern oder auch für das Land Hessen?
Mir ist nur bekannt, Herr Abgeordneter Niegel, daß die Bundesregierung in einige Zeitungen Bayerns Anzeigen in der Absicht eingerückt hat, das richtig-zustellen, was in einer Anzeigenserie der bayerischen Staatsregierung wohl nicht mit einem äußersten Maß an Sachlichkeit behauptet worden war.
({0})
Hier handelte es sich um Richtigstellungen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort zu Recht entnehmen, daß sich die
Bundesregierung bei ihren Ausgaben in den Ländern nicht, soweit es um Bayern geht, an den Ausgaben der bayerischen Staatsregierung mißt, die in diesem Jahr 14 Millionen DM für die Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben und angekündigt hat, daß sie dem Nachtragshaushalt weitere Millionen für die Öffentlichkeitarbeit entnehmen wolle?
Auch ich habe, Herr Abgeordneter, mit einigem Erstaunen zur Kenntnis genommen, daß der Etat dort eine solche Ausgabe ermöglicht hat.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hösl.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Exemplare an interessierte Bürger gegeben wurden, und wie darf ich dann den Schlüssel verstehen? Richtet sich das nach den Einwohnerzahlen ,indem man die Summe der Einwohner in Hessen und Bayern einander gegenüberstellt, oder gibt es in Bayern wesentlich weniger interessierte Bürger als in Hessen?
Ich glaube, es ist seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland immer üblich gewesen, denjenigen, die Gründe haben, die nämlich einen Landtagswahlkampf bestehen, die Materialien, die sie zur Darstellung auch der Regierungsarbeit benötigen, zur Verfügung zu stellen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höcherl.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß sich eine gute Politik von selbst verkauft und daß dieser unerhörte Propagandaaufwand eigentlich gegen die Qualität der Politik spricht?
({0})
Es liegt natürlich bei Ihnen, Herr Abgeordneter, die Qualität dieser oder jener Anzeigen zu beurteilen. Ich zögere nicht zuzugeben, daß vom rein professionellen Standpunkt aus gesehen die mit beachtlichen Summen gedruckten Anzeigen der bayerischen Staatsregierung gar nicht so übel waren. Aber sie hielten es mit der Wahrheit nicht so ganz genau, weshalb wir es für richtig gehalten haben, einige
Fakten, die dort sicherlich nicht ganz zufällig weggeblieben sind, nachzureichen.
({0})
Jetzt rufe ich erst einmal die Frage 112 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Wieviel Anzeigen der Bundesregierung sind im gleichen Zeitraum in beiden Bundesländern zu welchen Kosten veröffentlicht worden bzw. werden noch bis zum 27. Oktober 1974 veröffentlicht?
Bitte, Herr Staatssekretär!
({0})
Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Abgeordneter Niegel: Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung veröffentlicht in der Zeit vom 3. Oktober bis 20. Dezember 1974 in den sechs Wochenzeitschriften „Frau im Spiegel", „Hör Zu", „Neues Blatt", „Neue Post", „Bunte" und „Bild und Funk" zu den Themen Krankenversicherung, Rente, Gesundheitsfürsorge, Rehabilitation, Kindergeld und Verbraucherschutz sechs Anzeigen. Die Kosten dafür bis einschließlich 27. Oktober 1974 belaufen sich auf rund 467 000 DM.
({0})
Stören Sie bitte nicht!
Eine Anzeige mit dem Thema „Die Bundesregierung stellt richtig" wurde am 5. Oktober 1974 - wir sprachen soeben schon davon - ausschließlich in den bayerischen Tageszeitungen mit einem Kostenbetrag von rund 76 000 DM gestartet. Dies war die Antwort auf eine Anzeigenserie der bayerischen Staatsregierung, in der die Leistungen Bayerns für seine Bürger dargestellt wurden, ohne mit einem Wort die beträchtlichen Hilfen des Bundes für das Land Bayern zu erwähnen.
Außerdem hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit in der Zeit vom 7. August bis zum 7. Oktober 1974 in der gesamten Bundesrepublik eine Anzeigenaktion zum Thema Kindergeld durchgeführt. Die Länder Hessen und Bayern waren davon wie folgt berührt:
In Hessen wurden vier Anzeigen in elf Regionalzeitungen und in einer überregionalen Zeitung mit einem Kostenaufwand von rund 122 000 DM veröffentlicht. Außerdem wurde eine Beilage zum Thema Kindergeld über die neun Regionalzeitungen mit einem Kostenaufwand von rund 72 000 DM vertrieben.
In Bayern wurden die vier Anzeigen in 13 Regionalzeitungen und zwei regionalen Boulevard-Zeitungen veröffentlicht. Hier beliefen sich die Kosten auf rund 182 000 DM. Die genannte Beilage
wurde über 12 Regionalzeitungen mit einem Kostenaufwand von rund 140 000 DM gestreut.
Hierbei unberücksichtigt mußten die anteiligen Kosten der in der überregionalen Boulevard-Zeitung erschienenen Anzeigen bleiben.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat sich mit vier Anzeigen in Verbandsorganen mit einem Kostenaufwand von 14 500 DM eingeschaltet, wobei die anteiligen Kosten für Bayern und Hessen etwa 3 700 DM betragen. Außerdem ist bundesweit in der Regionalpresse die Zeitungsbeilage „Sozialpolitik aktuell" in einer Auflage von 13 Millionen Exemplaren beigefügt worden; die Gesamtkosten dafür betragen 1,7 Millionen DM. Von der Gesamtauflage entfallen ca. 2,4 Millionen Exemplare auf die Bundesländer Bayern und Hessen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, welche Anzeigen beabsichtigt die Bundesregierung bis zum 27. Oktober in den Tages- und Wochenzeitungen in Hessen und Bayern noch aufzugeben, zu welchen Themen und wann?
Mir ist nicht bekannt - und mir müßte es bekannt sein -, daß solche Anzeigenkampagnen von uns geplant sind, Herr Abgeordneter.
({0}) : Gute Anregung!)
Im übrigen darf ich, weil meine Antwort Sie nicht zu überzeugen schien - dieses hatte ich mir auch nicht erhofft -, vielleicht noch anmerken, daß die Regierung des Saarlandes erst vor kurzer Zeit unter der Federführung des Finanzministers einige Anzeigen aufgegeben hat, in denen den Bürgern dieses Bundeslandes der Eindruck suggeriert wird, als hätten die Koalitionsparteien mit der Steuerreform schlechterdings gar nichts zu tun gehabt.
Herr Kollege Niegel, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit den Anzeigen, aber auch mit Ihrer Antwort vorhin frage ich: Sind Sie mit mir der Meinung, daß der Ausdruck „Unwahrheit", den Sie gegenüber Veröffentlichungen der bayerischen Staatsregierung gebraucht haben, für einen Staatssekretär vor diesem Hohen Hause nicht der richtige Ausdruck ist, und sind Sie bereit, ihn zurückzunehmen gerade im Hinblick darauf, daß die Leistungen sowohl des Bundes wie der Staatsregierung in einer entsprechenden Relation dargestellt wurden und daß die Leistungen des Bundes immer weiter zurückgegangen sind?
Herr Abgeordneter Niegel, es wird sich im Protokoll feststellen lassen: Ich habe mit Gewißheit - sonst müßte mir mein Gedächtnis einen dicken Streich spielen - nicht davon gesprochen, daß in diesen Anzeigen die Unwahrheit gesagt wird; ich habe nur gesagt, daß in diesen Anzeigen nicht die ganze Wahrheit enthalten sei.
Herr Abgeordneter Fuchs hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie auch offensichtlich den Wahrheitsgehalt der Anzeigen der bayerischen Staatsregierung jetzt wieder in Zweifel gezogen haben, darf ich Sie fragen, wie Sie denn in diesem Zusammenhang die Aussage des Bundeswirtschaftsministers, Dr. Friderichs, beurteilen, der im wesentlichen gerade die Aussage der bayerischen Staatsregierung bestätigt hat.
Herr Kollege, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Frage nur in einem sehr mittelbaren Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage steht.
({0})
Aber wenn der Herr Staatssekretär die Frage beantworten will, will ich das im Hinblick auf die Gesamtsituation - Fragen der Öffentlichkeitsarbeit sind ja keine Staatsgeheimnisse - zulassen.
Herr Abgeordneter, ich kenne diese Äußerung des Bundeswirtschaftsministers nicht, werde sie mir aber nachher sofort besorgen. Das ändert aber nichts daran, daß ich nach einer - das kann ich sagen - gewissenhaften Prüfung des Textes der Anzeigen der bayerischen Staatsregierung zu dem Schluß gekommen bin, daß die nachzuweisenden Leistungen der Bundesregierung dort weggefallen sind - und dies vielleicht nicht ganz zufällig.
Herr Abgeordneter Lambinus, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß sich die Bundesregierung gezwungen sehen könnte, bis zum 27. Oktober weitere Annoncen in Bayern und in Hessen aufzugeben, wenn dort
({0})
- in Bayern - falsche Sachdarstellungen von der Landesregierung gegeben werden?
({1})
Herr Abgeordneter, ich habe vorhin schon auszuführen versucht, daß hier keine propagandistische Absicht beStaatssekretär Bölling
stand, keine Schützenhilfe für die Koalitionsparteien beabsichtigt war, sondern daß etwas richtigzustellen war. Wenn die Notwendigkeit für solche Richtigstellungen entsteht, muß tatsächlich überlegt wer- 1 den, ob solche Korrekturen in Anzeigenform erfolgen sollten.
Herr Abgeordneter Höcherl, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß Sie dem in großer Finanznot befindlichen Kollegen Finanzminister helfen könnten, wenn Sie mit Ihren Mitteln etwas sparsamer umgingen?
({0})
Herr Abgeordneter Höcherl, auch von Mitgliedern Ihrer Fraktion ist dieser Tage anerkannt worden, daß gerade das Bundespresseamt im neuen Haushalt eine ganz bemerkenswerte Kürzung hinnimmt. Ich glaube, dies ist ein überzeugender Beitrag zur Politik der Sparsamkeit der Bundesregierung.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lemmrich.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie von den beträchtlichen Hilfen des Bundes an den Freistaat Bayern gesprochen haben, hätte ich von Ihnen gern gewußt: Welche beträchtlichen Steuermittel liefern denn die Bürger Bayerns an den Bund ab, z. B. bei der Mineralölsteuer, der Einkommen- und Lohnsteuer und sonstigen Bundessteuern? Vielleicht können Sie mir die Beträge nennen.
Herr Kollege, Sie sind sich wohl darüber im klaren, daß diese Frage von mir nicht zugelassen werden kann. Zur letzten Zusatzfrage gebe ich das Wort Herrn Abgeordneten Friedrich.
({0})
- Herr Kollege, das Ziel, das Sie erreichen wollten, haben Sie damit doch erreicht.
({1})
Wir wollen uns nicht weiter darüber unterhalten.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht sehr gut, wenn die Anregung des Herrn Kollegen Höcherl dahin aufgenommen würde, daß die bayerische Staatsregierung ihre 14 Millionen DM für Öffentlichkeitsarbeit in diesem sehr reichen Land Bayern reduzieren würde, damit die Bundesregierung nicht so viel Geld ausgeben müßte, um die
falschen Aussagen der bayerischen Staatsregierung richtigzustellen?
({0})
Meine Damen und Herren, ich sehe, daß wir im Augenblick das Schlachtfeld nach München verlegt haben. Herr Staatssekretär, ich überlasse es Ihnen, eine Antwort zu geben. Aber das war die letzte Zusatzfrage, damit die anderen Kollegen, die hier im Saal auf die Beantwortung ihrer Fragen warten, zum Zuge kommen.
Ich möchte dem Herrn Abgeordneten Friedrich nur antworten, daß es mir nicht schwerfällt, die Logik seiner Bemerkungen nachzuvollziehen.
Ich rufe die Fragen 113 und 114 des Abgeordneten Sieglerschmidt auf:
Welche Schritte hält die Bundesregierung für möglich und erforderlich, um, entsprechend dem Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz vom 5. Juli 1973, allen in Rundfunkanstalten beschäftigten Journalisten ein Wahlrecht zwischen betrieblicher Altersversorgung und einer solchen durch das Versorgungswerk der Presse zu verschaffen?
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die einheitliche Altersversorgung für alle Journalisten, die bei Presse und Rundfunk beschäftigt sind, zu schaffen oder mindestens doch zu fördern?
({0})
In ihrem Bericht über die Lage von Presse und Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland hat die Bundesregierung am 15. Mai dieses Jahres, wie Sie wissen, Herr Abgeordneter, dem Bundestag auch über die Alterssicherung für Jounalisten berichtet. Sie konnte dabei auf eine Reihe von Maßnahmen verweisen, die Verbesserungen der Alterssicherung in den verschiedenen Medienbereichen zur Folge gehabt haben. Soweit die Bundesregierung unmittelbare Zuständigkeiten für die Regelung der in Frage stehenden Probleme hat, wird sie diese Möglichkeiten im Rahmen ihrer Kompetenzen auch in Zukunft ausschöpfen. So wird das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung nach Inkrafttreten den Redakteuren die Unverfallbarkeit ihrer Versorgungsanwartschaften sicherstellen. Auf die soziale Stellung der freien journalistischen Mitarbeiter von Presse und Rundfunk wird sich diese Änderung zweifellos günstig auswirken.
Zu Ihrer ersten Frage: Das Wahlrecht zwischen betrieblicher Altersversorgung und dem Presseversorgungswerk für die bei den Rundfunkanstalten im Angstelltenverhältnis Beschäftigten ist nach Mitteilung der Arbeitsgemeinschaft deutscher Rundfunkanstalten inzwischen allgemein mit Ausnahme von zwei Anstalten tatsächlich eingeführt worden. Die Ausnahmen sind ,der Norddeutsche Rundfunk und
der Sender Freies Berlin. Bei diesen beiden Anstalten konnten die Verhandlungen bisher noch nicht abgeschlossen werden. Es ist aber damit zu rechnen, daß zwischen den Beteiligten demnächst eine Regelung verabredet werden kann, die für die festangestellten Redakteure dieses Wahlrecht begründet.
Auf Ihre zweite Frage, Herr Abgeordneter, darf ich wie folgt anworten: Das Ziel der Schaffung einer einheitlichen und zugleich gleichwertigen, zusätzlichen Altersversorgung für die Redakteure aller Medien wird zwar von den Beteiligten im allgemeinen, wie Ihnen bekannt ist, bejaht, aber seine Verwirklichung stößt - auch dies ist Ihnen bekannt - immer noch auf erhebliche Schwierigkeiten. Neben rechtlichen Problemen sind es dabei natürlich vor allem finanzielle Probleme. Dessenungeachtet hat die Bundesregierung nach Zuleitung ihres Berichts über die Lage von Presse und Rundfunk an den Bundestag mit den Organisationen der Journalisten, mit der ARD und dem ZDF und dem Presseversorgungswerk erneut Gespräche über diesen Gegenstand aufgenommen und Übereinstimmung darüber erzielt, daß das Problem der beruflichen Mobilität von Journalisten in einer Enquete zu untersuchen sei. Eine Vorstudie zu diesem Thema ist inzwischen erarbeitet worden. Ein wissenschaftliches Institut wird bis März kommenden Jahres einen weiteren Bericht vorlegen. Dabei wird das soeben angsprochene Mobilitätsproblem nicht nur unter dem Gesichtspunkt der unterschiedlichen Regelungen auf dem Gebiet der Alterssicherung gesehen werden. Auch die anderen mobilitätshemmenden Faktoren sollen in diese Untersuchung einbezogen werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen - das ist selbstverständlich - stehen Ihnen dann zur Verfügung, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben die sogenannten ständigen freien Mitarbeiter erähnt. Wie sieht es mit ihrer Versorgung im Blick auf die Änderung des Tarifvertragsgesetzes aus? Ergeben sich daraus eventuell Möglichkeiten, auch in diesem Bereich einen Schritt weiterzukommen?
Herr Abgeordneter, ich habe darüber vor wenigen Tagen mit dem Intendanten einer der größeren deutschen Rundfunkanstalten gesprochen. Er sagte mir, dieses sei eine Möglichkeit. Im übrigen ist bei dieser Frage, wie Sie selber als Kenner der Materie wissen, auch zu bedenken, daß immer mehr von den sogenannten festen freien Mitarbeitern in Konsequenz der für das ganze Bundesgebiet wichtigen Arbeitsgerichtsurteile in das feste Anstellungsverhältnis übernommen werden und in großer Zahl schon übernommen worden sind.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
({0})
- Ja, ich meinte damit auch nur die nächste.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Gesetz über die betriebliche Altersversorgung mit der Anrechenbarkeit erwähnt. Gilt diese Anrechenbarkeit auch für den Wechsel vom Rundfunk zur Presse und zurück?
Da muß ich mich in der Tat sachkundig machen, Herr Abgeordneter Sieglerschmidt; das kann ich Ihnen in diesem Moment nicht beantworten.
Herr Kollege, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, eine letzte Zusatzfrage: erwägt die Bundesregierung in Richtung auf eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung der Altersversorgung für Journalisten und ihre Sicherung weitere Schritte? Ich sagte „erwägt". Gibt es Überlegungen darüber, in welche Richtung man über das hinaus, was Sie gesagt haben, noch weitergehen möchte?
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß die Möglichkeiten der Bundesregierung, dieses wichtige Thema im Sinne einer positiven Konkretisierung weiter zu bewegen, sehr limitiert sind. Aber wenn das Ergebnis der Enquete, von der ich vorhin sprach, vorliegt, wird das für uns sicherlich ein Grund sein, die Möglichkeiten dieses Themas in Zusammenarbeit mit den anderen, die da die eigentliche Federführung haben, zu besprechen und ihnen entsprechende Vorschläge zu machen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes beantwortet. Ich danke den Herren Staatssekretären Schüler und Bölling.
Nun rufe ich wieder den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung. Die erste Frage ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) eingebracht. Ich sehe den Fragesteller nicht im Saal, so daß die Frage 115 und die Frage 116 schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 117 des Herrn Abgeordneten Dr. Evers auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die finanziellen Mittel für die Förderung binationaler Institute zur Vertiefung der Zusammenarbeit mit westlichen befreundeten Nationen im BunDeutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
deshaushalt 1975 und in den folgenden Jahren uneingeschränkt, bzw. in Anpassung an das gestiegene Preisniveau angemessen erhöht, weiter zur Verfügung zu stellen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung fördert gegenwärtig nur einen Typ binationaler Institute, nämlich die deutsch-amerikanischen. Die neun Institute, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt, erhalten alle - allerdings in unterschiedlichem Umfang - Zuschüsse aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes. Daneben finanzieren die Vereinigten Staaten allein weitere sieben Amerika-Häuser.
Ich bin nicht sicher, Herr Abgeordneter, ob der Bund sein finanzielles Engagement in der Zukunft in der bisherigen Weise aufrechterhalten kann. Das ist sehr fraglich. Wir können künftig nicht mit expansiven Haushalten rechnen. Trotzdem stellen sich neue Aufgaben für die auswärtige Kulturpolitik. Als Beispiel darf ich erwähnen, daß wir planen, unsere kulturellen Verbindungen mit den Vereinigten Staaten auszubauen, wo wir zur Zeit nur drei Kulturinstitute, allerdings allein, unterhalten, ohne Zuschüsse von irgendwelchen amerikanischen Stellen.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß der Haushaltsausschuß wiederholt auf den Abbau der hier angesprochenen Förderung gedrängt hat.
Zusatzfrage.
Heißt Ihre Antwort konkret, Herr Staatsminister Moersch, daß für 1975 eine Kürzung gegenüber den Haushaltsansätzen für 1974 zu erwarten ist?
Herr Abgeordneter, das hängt jetzt von den Entscheidungen des Haushaltsausschusses und des Plenums ab. Die Bundesregierung hat ihre Vorlage gemacht, und sie hat den Wünschen nicht Rechnung tragen können, die an sie herangetragen worden sind.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Dann interpretiere ich richtig, daß Sie eine verringerte Zuschußgewährung in Ihren Vorschlägen an Parlament und Ausschuß vorgesehen haben?
Herr Abgeordneter, ich habe die Zahlen jetzt nicht im Kopf, weil das nicht Gegenstand der Frage war, aber das läßt sich ja leicht aus den Drucksachen ersehen.
Dann rufe ich Ihre nächste Frage, Herr Abgeordneter Dr. Evers, die Frage 118, auf:
Treffen Informationen zu, daß die Zuwendungen für diese Institute 1974 pauschal gekürzt werden und daß die entsprechenden Mitteilungen den Instituten erst jetzt, im letzten
Quartal des Etatjahrs, ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Störungen des Institutsbetriebs zugehen?
Herr Abgeordneter, die Informationen, die Sie erwähnen, treffen zu. Es ist Ihnen sicher bekannt, daß die Bundesregierung besondere Titelgruppen in den Einzelplänen aller Bundesministerien pauschal um 10 0/o kürzen mußte. In diese Titelgruppen fallen auch die Positionen, aus denen wir die deutschamerikanischen Institute fördern. Wir haben in den letzten Monaten noch versucht, gewisse Milderungen zu erreichen, leider vergeblich. Daher konnten wir nicht umhin, die pauschale Kürzung weiterzugeben, wohl wissend, daß damit Schwierigkeiten und Störungen verbunden sein würden. Solche Probleme sind jedoch bei allen unseren Zuwendungsempfängern und Projekten aufgetreten.
Zunächst die Zusatzfragen des Fragestellers. Bitte!
Können Sie mir mitteilen, wieviel Zeit vergangen ist zwischen der erkennbaren Notwendigkeit, einzelne Etatansätze um 10 % zu kürzen, und der Information der betroffenen Zuschußempfänger, in diesem Fall der deutschamerikanischen Institute?
Herr Abgeordneter, das kann ich in der Tat feststellen. Ich darf hier zur Erklärung folgendes mitteilen: Wir haben uns in allen Fällen bemüht, diese Kürzungen anderweitig auszugleichen, weil wir wußten, wie schwierig das bei den Instituten ist, und wir haben dieses Bemühen so lange fortgesetzt, bis wir zu dem Ergebnis kommen mußten, das wir ihnen dann schließlich mitgeteilt haben. Wir wollten jedenfalls nichts unversucht lassen, von diesen Kürzungen Abstand zu nehmen. Daß das nicht gelungen ist, bedauere ich, aber es war nicht zu ändern. Das erklärt die Zeitspanne zwischen der Inkraftsetzung des Haushaltes und der Mitteilung. Wenn Sie aber der Meinung sind, daß man das hätte sofort mitteilen sollen, so muß ich Ihnen sagen, daß das zwar die Sachlage nicht geändert, aber den Eindruck erweckt hätte, daß sich die Bundesregierung gar nicht bemühe, einen solchen Ausgleich zu schaffen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ich möchte das Bemühen der Bundesregierung nicht in Zweifel ziehen, möchte Sie aber fragen, ob sich nicht nach Ihrer eigenen Beurteilung die eingetretene Verzögerung insgesamt, da Ihre Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt gewesen sind, doch nachteilig für diese Institute ausgewirkt hat.
Herr Abgeordneter, das ist eine subjektive Ermessensfrage. Ich kann nicht umhin, festzustellen, daß
die betroffenen Institute über die Beschlüsse dieses Bundestages sehr wohl im Bilde gewesen sind. In dem Augenblick, in dem die Beschlüsse gefaßt wurden, wurde mitgeteilt, daß die 10 %ige Haushaltskürzung stattfindet.
({0})
- Wir haben eine Globalkürzung bei diesen Titeln im Haushaltsgesetz vorgenommen; ich darf Sie doch darauf hinweisen. Entschuldigen Sie, wenn ich mich da irren sollte. Das kam vom Finanzministerium. Es ist jedenfalls im Haushaltsgesetz eine entsprechende Klausel enthalten. Die Leute, die diese Zuschüsse bekommen, sind ganz alte Hasen im Haushaltsrecht und haben längst rückgefragt gehabt, ehe hier ein Beschluß gefaßt wurde, was möglicherweise komme, und sie sind nie im Zweifel darüber gelassen worden, daß es zu solchen Kürzungen kommen kann. Hier kann also nicht vorgeschützt werden, es seien irgendwelche Überraschungen eingetreten; davon kann gar keine Rede sein.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da der Finanzminister im Einzelplan 60 Verstärkungsmittel für Preissteigerungen bei Zuwendungsempfängern vorgesehen hat, darf ich Sie fragen, ob diese Verstärkungsmittel nicht auch für den Ausgleich von Preissteigerungen bei den binationalen Instituten genutzt werden können.
Ja, wenn sie dafür ausreichen. Herr Abgeordneter, ich darf Sie als Mitglied des Haushaltsausschusses doch auf die Beschlüsse dieses Ausschusses aufmerksam machen. Dort ist mit Recht moniert worden, daß es ein völlig ungewöhnliches Verfahren sei, überhaupt Institute im Inland zu fördern, die einem anderen Staat gehören und von ihm gebildet worden sind, vor allem aus dem Titel des Auswärtigen Amtes. Ich zitiere lediglich die absolut übereinstimmende Meinung aller Haushaltsexperten dieses Hauses, die übrigens mit der Gesetzeslage sicherlich in Einklang steht. Wie also können Sie jetzt von mir erwarten, daß ausgerechnet diese Dinge, die Sie selbst moniert haben, von uns gegen Ihren eigenen Willen hätten gehandhabt werden sollen?
Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf :
Sind der Bundesregierung folgende Äußerungen des polnischen Ministerpräsidenten Jaroszewicz bekannt, „wir glauben nicht, daß alle deutschen Auswanderer in die Bundesrepublik auch wirklich Deutsche sind" und „Polen erhebt keine Einwände, wenn verwandtschaftliche Beziehungen nachgewiesen werden können"?
Ich frage Sie, Herr Staatsminister, ob gegebenenfalls die beiden Fragen des Fragestellers bei der Beantwortung verknüpft werden, wenn der Fragesteller einverstanden ist.
({0})
- Der Fragesteller ist damit einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 120 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung diese Äußerungen, und welche Schritte wird sie gegebenenfalls unternehmen?
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung liegen mehrere Agenturmeldungen vor, darunter eine AP-Meldung, welche die ausführlichste ist. Ich darf sie zitieren, weil es im Zusammenhang offensichtlich doch ganz wichtig ist. Hier heißt es:
Ministerpräsident Jaroszewicz erklärte vor der Presse in Wien, man suche zur Zeit in Verhandlungen nach Möglichkeiten, den toten Punkt in den Beziehungen zwischen Bonn und Warschau zu überwinden. Gewisse Fortschritte seien gemacht worden. Nach seiner Überzeugung trage Polen keine Schuld an der gegenwärtigen Situation. Eine Auswanderung Deutscher aus Polen in die Bundesrepublik finde ununterbrochen statt. In diesem Jahr seien einige Tausend ausgewandert. Er hege Zweifel, daß es sich bei allen Auswanderern tatsächlich um Deutsche handele. Bei einigen Auswanderern liege sicherlich Emigration zu Erwerbszwecken vor. Polen wolle jedoch keine Schwierigkeiten machen, selbst wenn es sich in einigen Fällen um pseudofamiliäre Zusammenführung handeln könne. Auf keinen Fall aber stelle Warschau Kausalverbindungen her zwischen diesem Problem und anderen, auch wirtschaftlichen Fragen.
Soweit der Wortlaut der Meldung, die hier vorliegt und die Sie offensichtlich zum Gegenstand Ihrer Frage gemacht haben.
Sie werden sehen, daß der Text dieser Meldung nicht genau mit den von Ihnen dem polnischen Ministerpräsidenten zugeschriebenen Äußerungen übereinstimmt. Der sachliche Gehalt der Äußerungen des polnischen Ministerpräsidenten, wie sie von den Nachrichtenagenturen verbreitet werden, entspricht der Information der Regierung der Volksrepublik Polen, die neben der Ausreise von Personen deutscher Volkszugehörigkeit unter bestimmten Voraussetzungen, z. B. bei gemischten Familien, auch die Ausreise von Personen nichtdeutscher Volkszugehörigkeit vorsieht. Angesichts dieser Sachlage sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, irgendwelche Schritte zu diesen Äußerungen zu unternehmen.
Herr Abgeordneter, Sie haben Zusatzfragen. Bitte!
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Meinung, daß zahlreiche deutsche Mitbürger, die Verwandte in Polen haben und die einmal oder mehrmals vergeblich den Antrag gestellt haben, eine Ausreisegenehmigung zu erhalten, durch diese Meldungen in große Bestürzung versetzt worden sind?
Herr Abgeordneter, ich vermag das im einzelnen nicht zu bewerten. Ich stelle nur fest, daß Sie in dem, was Sie in der Frage zitiert haben, nicht korrekt zitiert haben. Das mag zu Irrtümern geführt haben.
({0})
- Es war ein ganz anderer Punkt drin.
Herr Abgeordneter, wollen Sie noch eine weitere Zusatzfrage stellen? - Bitte!
Herr Staatsminister, selbst wenn ich jetzt das Ganze zitiert hätte, was Sie eben noch einmal vorgetragen haben, und Sie dann fragte, ob das nicht eine große Beunruhigung für viele unserer Staatsbürger darstellt, wie würden Sie darauf antworten?
Herr Abgeordneter, das Problem selber ist in diesem Hause völlig unbestritten. Ich muß auf das verweisen, was ich gesagt habe. Aber ich darf doch auf Grund der Zurufe hier richtigstellen, was Sie wirklich gefragt haben. Sie haben nämlich - was unrichtig war - zitiert:
Wir glauben nicht, daß alle deutschen Auswanderer in die Bundesrepublik auch wirklich Deutsche sind.
Das hat Herr Jaroszewicz eben so nicht gesagt.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie darauf hinweisen, Herr Staatsminister, daß der am meisten beunruhigende Teil dieser Ausführungen des polnischen Ministerpräsidenten der ist, in dem festgestellt wird, daß diejenigen, die verwandtschaftliche Beziehungen nachweisen können, eben tatsächlich ausreisen dürfen, was ja in offensichtlichem Widerspruch zu der Tatsache steht, die allgemein bekannt ist?
Herr Abgeordneter, es ist ganz ohne Zweifel so, daß unsere Meinung über die Familienzusammenführung mit der polnischen Praxis nicht übereinstimmt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Ich bestreite ja nicht, daß hier eine Beunruhigung stattgefunden hat und weiterhin stattfindet. Ich bestreite aber, daß die Äußerung, wie Sie sie in der Frage zitiert haben, Grund zu dem gegeben hat, was Sie eben ausgeführt haben. Sie haben mit Ihrer Frage den Eindruck erweckt - ich bitte Sie, Ihren eigenen Text zu überprüfen -, als habe Herr Jaroszewicz gesagt:
Nicht alle deutschen Auswanderer sind wirklich Deutsche. Das hat er nicht gesagt.
Herr Abgeordneter, Sie haben eine vierte Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, halten Sie es angesichts dieser ganzen Problematik, die Sie auch selber dargelegt haben, nicht doch für zwingend erforderlich, daß die Bundesregierung, um die Deutschen, die betroffen sind, irgendwie zu beruhigen, eine offizielle Richtigstellung dieser Darstellung und eine offizielle Demarche bei der polnischen Regierung vornimmt?
Herr Abgeordneter, es ist Ihnen sicher nicht entgangen, daß in den letzten Tagen von den Sprechern der Bundesregierung dargestellt wurde, daß wir mit der polnischen Seite deswegen in Gesprächen stehen.
Ich lasse eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja zu.
Herr Staatsminister, bezüglich Ihrer Antwort auf die Frage 120, daß die Bundesregierung keine Schritte unternehmen werde - mit Rücksicht auf das korrigierte Zitat -, frage ich Sie, ob die Bundesregierung nicht dann, wenn es sich um deutsche Staatsangehörige handelt, die sehr oft durch Zwang hervorgerufene, völkerrechtswidrige Inanspruchnahme deutscher Staatsangehöriger als polnische Staatsangehörige anfechten wird, nachdem unmittelbar aus der Grundbeziehung der Staatsangehörigkeit der Anspruch auf Schutz seitens der Bundesrepublik gemäß einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwächst?
Herr Abgeordneter, ich vermag nicht zu erkennen, in welchem Zusammenhang diese Ihre Frage mit dem Zitat steht, das hier zur Grundlage der Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs gemacht wurde. Dort ist weder von deutschen Staatsangehörigen noch von polnischen Staatsangehörigen die Rede gewesen.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger zu.
Herr Staatsminister, abgesehen davon, daß ich die Form Ihrer Antworten als höchst ungewöhnlich bezeichnen möchte,
({0})
Frau Kollegin, Sie haben sich bei Zusatzfragen jeder Wertung zu enthalten!
- - möchte ich Sie fragen, ob Sie die Richtigkeit der von Ihnen zu Frage 119 zitierten AP-Meldung haben nachprüfen lassen und ob Sie es nicht für möglich halten, daß das Zitat, wie es uns hier in der Frage 119 vorliegt, nicht doch zutreffend sein könnte.
Frau Abgeordnete, ich habe die Originalunterlagen hier; ich bitte Sie, das selbst zu vergleichen.
({0})
Der Abgeordnete Fuchs hat sich ja auf Pressemeldungen bezogen.
({1})
- Entschuldigen Sie, ich habe keinen Stenographen bei dieser Pressekonferenz gehabt. Ich kann hier nur die Agenturmeldungen selbst in korrekter Form zitieren, die mir in der Frage zitiert worden sind. Ich habe nach alter Gewohnheit diese Zitate einmal nachprüfen lassen, weil ich wiederholt festgestellt habe, daß Kollegen Ihrer Fraktion angebliche Pressezitate nicht in korrekter Weise wiedergeben. Deswegen habe ich mir die Originalunterlagen verschafft; die habe ich hier.
({2})
Die Fragen 121 und 122 sind vom Fragesteller, dem Herrn Abgeordneten Jäger ({0}), zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 123 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat die Bundesregierung die völkerrechtswidrigen Akte polnischer Behörden gegen das in den Oder-Neiße-Gebieten belegene private Vermögen Deutscher im Zusammenhang mit der beabsichtigten Normalisierung der Beziehungen im Warschauer Vertrag stillschweigend hingenommen bzw. anerkannt, oder hat sie in völkerrechtlich wirksamer Weise ihre Schutzpflicht und ihr Schutzrecht für privates Vermögen Deutscher wahrgenommen?
({1})
- Herr Kollege Hösl, Sie irren, das ist eine Berufung!
({2})
Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, hat in den letzten Monaten und auch während der Debatte über die Ostverträge wiederholt Gelegenheit gehabt, auf Fragen aus dem Bundestag ihre Stellung zum Rechtsproblem des deutschen Vermögens in den Gebieten östlich der Oder-Neiße darzulegen. Es ist daher eine Wiederholung früherer Äußerungen, wenn ich den ersten Teil Ihrer Frage dahin beantworte, daß die Bundesregierung die Enteignung des privaten Vermögens Deutscher in den
Ostgebieten niemals anerkannt oder auch nur stillschweigend hingenommen hat.
Was die Frage nach der Wahrnehmung der von Ihnen erwähnten Schutzpflicht für privates Vermögen Deutscher betrifft, verweise ich auf die Antworten, die ich Ihnen, Herr Abgeordneter, auf Ihre verschiedenen, ähnlich formulierten Fragen erteilt habe, so auf die schriftliche Antwort auf Ihre Frage während der Sommerpause vom 1. August 1974, auf die Antwort auf Ihre Frage vom 26. September 1974 - vgl. Protokoll der 119. Sitzung am 26. September, Seite 7985 -.
Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Czaja.
Herr Staatsminister, da Sie soben auf frühere Antworten hingewiesen haben, in denen Sie immer wieder auf die Erklärung des damaligen Bundesaußenministers Scheel zurückkamen, frage ich Sie, ob die Bundesregierung durch den Mund von Herrn Scheel nur Erklärungen zum Bestand der Rechte im Geltungsbereich des Grundgesetzes gemacht hat oder ob diese Erklärungen auch den völkerrechtlich zulässigen Schutz von Eigentumsrechten Deutscher gegen völkerrechtswidrige Willkür anderer Staaten mit legalen Mitteln zum Gegenstand hatten.
Herr Abgeordneter, die Qualität dieser Erklärungen ist hier in der Ratifikationsdebatte eingehend dargelegt worden. Sie selbst aber haben dazu bei der Beantwortung Ihrer zweiten Frage noch eine Antwort zu erwarten. Ich darf Sie bitten, zunächst einmal diese Antwort abzuwarten; ich werde dort ausführlich auf diese Frage eingehen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn sie knapp und kurz, wie die Richtlinien der Fragestunde es vorsehen, gehalten würde.
Ich bitte dafür um Verständnis, meine Damen und Herren, weil erst wenige Fragen beantwortet werden konnten. Ich sehe zahlreiche Fragesteller, die von anderen Ressorts Antworten erwarten. Ich würde diesen Kolleginnen und Kollegen hier gern die Wohltat einer mündlichen Beantwortung ihrer Fragen ermöglichen. Ich bitte dafür um Verständnis.
Bitte!
Hat sich die Bundesregierung bezüglich der Eigentumsfragen - wie andere Staaten bei der Anknüpfung diplomatischer Beziehungen mit Ostblockstaaten - Abmachungen vorbehalten?
Herr Abgeordneter, ich darf auf die Beantwortung der Frage 124 verweisen. Ich glaube, Sie haben
soeben eine Zusatzfrage gestellt, die Sie als Frage eingebracht haben.
({0})
Herr Kollege, Sie haben Anspruch darauf, daß die Frage beantwortet wird. Ob Sie damit zufrieden sind, ist bekanntlich eine andere Sache.
({0})
- Herr Kollege, auch das können Sie an sich nur in Form eines Zwischenrufs machen.
Ich gebe dem Herrn Staatsminister das Wort zur Beantwortung Ihrer zweiten Frage, der Frage 124:
Womit widerlegt die Bundesregierung die in der Rechtslehre vertretene und das Eigentum von Millionen Deutscher berührende Auffassung, daß ein lediglich verbaler, innerstaatlicher Hinweis auf das unbestimmte Offenhalten der Eigentumsfragen bis zu einem Friedensvertrag bei sonstigem passiven Verhalten und allgemeiner Untätigkeit zuständiger deutscher Behörden bereits für sich allein zu einem Verzicht auf diplomatischen und konsularischen Schutz für enteignungsfähige Rechtspositionen Deutscher in den Oder-Neiße-Gebieten führt?
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist die von Ihnen erwähnte, in der Rechtslehre vertretene Auffassung nicht bekannt. Der Herr Bundesaußenminister hat bekanntlich bei Abschluß der Warschauer Verhandlungen erklärt, daß keiner Person Rechte durch den Vertrag verloren gehen, die ihr nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetzen zustehen. Ich verweise hierzu auf die Veröffentlichung im Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung vom 18. Dezember 1970, Seite 1819.
Dabei handelt es sich nicht nur um einen „innerstaatlichen Hinweis". Vielmehr haben wir in den Verhandlungen unterstrichen ich zitiere -, „daß die Bundesregierung durch den Abschluß dieses Vertrages die Vertreibung der deutschen Bevölkerung und die damit verbundenen Maßnahmen nicht als rechtmäßig anerkennt". Die polnische Seite hat diese Erklärung widerspruchslos zur Kenntnis genommen.
Im übrigen darf ich Sie auf Artikel 4 des Warschauer Vertrages verweisen, wonach die von den Parteien früher geschlossenen oder sie betreffenden zweiseitigen oder mehrseitigen internationalen Vereinbarungen durch den deutsch-polnischen Vertrag nicht berührt werden. Zu diesen unberührt bleibenden Verträgen gehören der Deutschlandvertrag und das Londoner Schuldenabkommen, die ihrerseits die endgültige Regelung vermögensrechtlicher Fragen im Verhältnis zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Kriegsgegnern einem Friedensvertrag vorbehalten.
Wenn auch die Bundesregierung aus Ihnen bekannten Gründen davon absieht, die Frage des deutschen Vermögens in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße in genereller Weise zur Verhandlung zu stellen, ist es doch nicht berechtigt, von einem „passiven Verhalten und allgemeiner Untätigkeit zuständiger deutscher Behörden" in diesen Dingen zu sprechen. Noch weniger kann von einem Verzicht auf „enteignungsfähige Rechtspositionen" gesprochen werden, da die Bundesregierung ihre Rechtsauffassung auch der polnischen Regierung gegenüber niemals verschwiegen hat.
Herr Kollege, Sie haben eine Zusatzfrage.
Wieso ist die Bundesregierung angesichts dessen, was Sie soeben als die polnische Auffassung dargelegt haben, nicht auch der Auffassung, daß gerade deshalb das Geltendmachen des Schutzrechtes für Eigentumsrechte geboten sein muß?
Herr Abgeordneter, ich habe soeben dargelegt, welche Auffassung die Bundesregierung hat. Ich habe aber nicht die polnische Auffassung dargelegt.
Sie haben Zusatzfrage
Wollen Sie also nunmehr, Herr Staatssekretär,
({0})
bestreiten, daß bisher die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes den Standpunkt vertreten hat, daß es sich um völkerrechtswidrige Eingriffe in das Eigentum Deutscher handele, die sicherlich einer Entschädigung bedürfen?
Herr Abgeordneter, meine Antwort gibt keinen Anlaß zu dieser Zusatzfrage. Ich habe Ihnen auch schriftlich geantwortet, und Sie haben einen Schriftwechsel mit dem Auswärtigen Amt geführt. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll wäre, dies alles in der Fragestunde noch einmal vorzutragen.
Ich rufe als nächste Frage die Frage 125 des Abgeordneten Dr. Mertes auf:
Welche DM-Beträge hat die Bundesrepublik Deutschland für die UNO-Friedensstreitkräfte ({0}) vor und nach ihrem Beitritt zur UNO - aufgeschlüsselt nach Jahren -geleistet?
({1})
- Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis, Sie haben hier nur die Möglichkeit, Zusatzfragen an den Herrn Staatsminister zu richten.
Damit hat der Herr Abgeordnete Mertes die Möglichkeit, daß seine Frage beantwortet wird. Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
({2})
Der Herr Abgeordnete hat ja eine Frage gestellt, die ich gar nicht so beantwortet hatte.
Meine Damen und Herren, ich muß einmal ganz klar sagen, daß ich nach den Richtlinien für die Fragestunde nur die Möglichkeit habe, gegen Wertungen bei Zusatzfragen aus dem Hause etwas zu sagen. Über die Antwort, die gegeben wird, jedoch nicht. Es ist in das Ermessen jedes einzelnen gestellt, wie er die Antwort jeweils bewertet. Dies obliegt dann der Kritik außerhalb des Hauses oder der Kritik in der Plenardebatte.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich darf Sie daran erinnern, daß wir regelmäßig Debatten über Angelegenheiten des Auswärtigen haben. Dort haben Sie die Möglichkeit, sich darüber zu unterhalten.
Herr Staatsminister, Sie haben das Wort zur Antwort auf die Frage des Abgeordneten Dr. Mertes.
({1})
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich bisher an
zwei friedenssichernden Operationen der Vereinten Nationen finanziell beteiligt: An der VN-Friedensgruppe für Zypern und an der VN-Friedensgruppe für den Nahen Osten.
Für den ersteren Teil hat die Bundesrepublik Deutschland schon seit 1964 dem Jahr der Aufstellung der Truppe, folgende freiwillige Zahlungen geleistet: 1964 6 Millionen DM, 1965 8 Millionen DM, 1966 8 Millionen DM, 1967 4 Millionen DM, 1968 4 Millionen DM, 1969 4 Millionen DM, 1970 3,666 Millionen DM, 1971 3,669 Millionen DM, 1972 3,220 Millionen DM und 1973 2,627 Millionen DM.
Insgesamt hat die Bundesrepublik somit bisher 46,9 Millionen DM gezahlt. Bis zum Jahresende wird der Beitrag für 1974 in Höhe von ca. 2,7 Millionen DM überwiesen. Seit 1967 entspricht unsere jährliche Leistung dem DM-Gegenwert von 1 Million US-Dollar.
An den Kosten für UNEF beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland entsprechend dem Beitragsschlüssel für den allgemeinen VN-Haushalt mit 7,1%. Im ersten Operationsjahr der VN-Truppe - vom 25. Oktober 1973 bis zum 24. Oktober 1974 - haben wir 11,2 Millionen DM oder 4,26 Millionen US-Dollar des auf 60 Millionen US-Dollar festgesetzten Jahresbudgets gezahlt.
Mit dem Transport von UNEF-Truppenkontingenten aus Ghana und dem Senegal nach Kairo hat die Bundesrepublik Deutschland freiwillig eine Sonderleistung erbracht, deren Kosten sich auf 1,74 Millionen DM belaufen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, leiten sich aus diesen Beiträgen Rechte der Bundesregierung beim politischen Einsatz dieser Truppen ab, und wenn ja, in welcher Form?
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß der Generalsekretär der Vereinten Nationen die Hauptverantwortung dafür trägt. Im Rahmen unserer Mitwirkung in den Vereinten Nationen haben wir natürlich Mitwirkungsmöglichkeiten.
Sie wollen eine weitere Zusatzfrage stellen? - Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Staatsminister, da es in den Vereinten Nationen einen Streit über die Einsatzweise und über die Befehlsverhältnisse für diese Truppen gibt - er resultiert aus gravierenden politischen Unterschieden -, darf ich Sie fragen, welchen Standpunkt die Bundesregierung in dieser Frage einnimmt.
Die Bundesregierung wird im Zweifel den Standpunkt einnehmen, daß die Truppen so eingesetzt werden sollen, daß die höchstmögliche Effektivität erreicht wird.
({0})
Und das kann natürlich sehr verschieden beantwortet werden; je nachdem, welche Gefechtslage etwa gerade in Zypern ist, ist eine Rückfrage in New York sicherlich nicht im Interesse der betroffenen Zivilbevölkerung.
Ich rufe Frage 126 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes ({0}) auf:
Welchen Anteil ({1}) am Gesamtbudget der UNO-Friedensstreitkräfte hatte in diesen Jahren die Bundesrepublik Deutschland, und wie hoch waren die Anteile ({2}) der übrigen beteiligten Mitgliedstaaten sowie der DDR vor und nach deren Beitritt zur UNO in den gleichen Jahren?
Der Anteil der Bundesrepublik Deutschland an den bis zum 1. Juli 1974 aufgebrachten Mitteln für UNFIZYP in Höhe von insgesamt 144 Millionen US-Dollar beträgt 8,7 %
An UNFIZYP beteiligen sich auf freiwilliger Basis 57 Länder. Die Anteile der sechs größten Beitragszahler lauten: USA: 40 %, Großbritannien: 24,1 %, Bundesrepublik Deutschland: 8,7 %, Griechenland: 8,4 %, Schweden: 2,7 % und Italien: 2,6 %. Norwegen, Dänemark, die Schweiz, die Türkei, Belgien, Australien und Österreich folgen mit Leistungen zwischen 1,8 und 1,1%. Der Anteil der anderen Länder beläuft sich insgesamt auf 3 %.
Auf Beschluß der VN-Generalversammlung sind die UNEF-Beitragsanteile der ständigen Mitglieder
des Sicherheitsrates gegenüber dem VN-Beitragsschlüssel erhöht, die der Entwicklungsländer ermäßigt worden. Die Gruppe der Industrieländer mit
Ausnahme der fünf Großmächte-zahlt entsprechend ihrem Anteil am allgemeinen VN-Budget. Die Bundesrepublik Deutschland ist daher mit 7,1% der Gesamtkosten beteiligt.
Die UNEF-Beitragssätze der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates lauten: USA: 28,8 statt bisher 25%, Sowjetunion: 15,02 statt bisher 12,97 %, Frankreich: 6,76 statt bisher 5,86 %, Volksrepublik China: 6,29 statt bisher 5,5 % und Großbritannien: 6,13 statt bisher 5,31 %.
Die DDR hat sich vor ihrem Beitritt zu den Vereinten Nationen an Friedensoperationen der Vereinten Nationen nicht beteiligt. Für die nach ihrem Beitritt aufgestellte UNEF wird sie als Industriestaat entsprechend ihrem Budgetanteil bei den Vereinten Nationen mit einem Beitrag von 1,22 °/o der Gesamtkosten herangezogen.
Herr Abgeordneter Mertes, haben Sie keine Zusatzfrage?
({0})
Der Herr Abgeordnete Dr. Schweitzer hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 127 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Glotz zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 31 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister auf:
Hält die Bundesregierung die Einführung eines neuen Schulfachs „Gesundheitskunde" für wünschenswert oder gar notwendig, nachdem z. B. in den USA „Health Science" zum Standardprogramm der High Schools gehört?
Die Frau Kollegin wartet schon. Bitte, Herr Staatsekretär!
Dr. Glotz, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident, würden Sie das Einvernehmen darüber herstellen, ob ich die beiden in einem Sachzusammenhang stehenden Fragen gemeinsam beantworten darf?
Die Fragestellerin ist offensichtlich damit einverstanden. Dann rufe ich zusätzlich Frage 32 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister auf:
Verfügt die Bundesregierung über Vorschläge oder Vorstellungen zum Inhalt eines solchen neuen Unterrichtsfachs, insbesondere in den allgemeinbildenden Schulen, vor allem in den Grund- und Hauptschulen, und welcher Lehrstoff sollte demnach in der Gesundheitskunde vermittelt werden?
Frau Kollegin, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit beantworte ich Ihre Fragen wie folgt. Ich muß Ihnen im ersten Satz eine Antwort geben, die im Zusammenhang mit der Bundesbildungspolitik sozusagen klassisch ist: Für die inhaltliche Entwicklung im Schulbereich, nämlich für die Entwicklung neuer Lehrpläne, für die Erstellung von Unterrichtsmaterialien und für die Einführung neuer Fächer sind die Bundesländer zuständig.
Die Bundesregierung hat sich zusammen mit allen Ländern im Bildungsgesamtplan für eine „wissenschaftsorientierte Grundbildung" in der Sekundarstufe I eingesetzt. Sie ist der Meinung, daß Fragen der Gesundheitskunde durchaus Teil dieser Grundbildung sein sollen; sie ist jedoch sehr skeptisch in der Frage, ob dies im Rahmen eines eigenen Faches geschehen sollte. Vielleicht sollte man vorsehen, dies in den dafür geeigneten Lernbereichen, beispielsweise im Fach Biologie, zu tun. Der Bundesregierung ist bekannt, daß in einzelnen Ländern bereits so verfahren wird. Ich darf Ihnen noch zusätzlich sagen, daß die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Materialien erstellt hat, die hierfür im Unterricht verwandt werden können.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welchen Einfluß würde denn die Bundesregierung in dieser Angelegenheit auf die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder nehmen, vor allem in Anbetracht der Tatsache, daß die gesundheitserzieherischen Belange-die sexualpädagogischen vielleicht ausgenommen-in den Lehrplänen der Schulen bisher kaum Beachtung gefunden haben?
Frau Kollegin, die Bundesregierung könnte dies nur am Rande anderer Verhandlungen, etwa in der Bund-LänderKommission für Bildungsplanung, tun. Aber ich muß Ihnen sagen, daß, wie ich auch in meiner Antwort schon auszuführen versuchte, angesichts der Explosion des Wissens und auch der Zwänge, die dadurch oft für unsere Kinder entstehen, das ständige Erfinden ganz neuer Schulfächer eben doch skeptisch zu beurteilen ist. Die Kompetenzen der Bundesregierung sind im übrigen dabei nicht nur beschränkt, sondern sie sind für diese inhaltlichen Fragen de facto nicht gegeben.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß sich die Bundesregierung angeblich sehr für die Belange der Gesundheitserziehung und -aufklärung einsetzt, darf ich Sie fragen: Welchen Stellenwert würde sie eventuell der Gesundheitserziehung beimessen? Auch das würde die Länder ja letztlich beflügeln.
Sicherlich ist es ganz wichtig, daß in den Schulen auch eine vernünftige Gesundheitserziehung betrieben wird; daran kann es gar keinen Zweifel geben. Wenn Sie eine derartige Erklärung der Bundesregierung wünschen,
so kann sie mit Sicherheit gegeben werden. Aber über die Frage, wann und wie dies in den Schulen, für die nun einmal die Länder zuständig sind, eingeführt wird, mache ich von seiten des Bundes keine Aussagen. Ich bitte Sie, dafür Verständis zu haben; denn Sie kennen wahrscheinlich auch die große Sensibilität der Bundesländer, wenn von seiten des Bundes in der Bildungspolitik der Anschein erweckt wird, wir würden in ihre Kompetenzen eingreifen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, um auf die Kompetenzen der Bundesregierung zurückzukommen: Würde die Regierung eventuell eine Möglichkeit sehen, die Angehörigen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, also Amtsärzte und Angestellte, in die Gesundheitserziehung - z. B. in Kindergärten und Schulen - miteinzubeziehen, um dem öffentlichen Gesundheitsdienst dadurch eine etwas größere Attraktivität zu verleihen?
Wenn das Thema Gesundheit im Rahmen des praktischen Unterrichts in den Schulen als Unterrichtsfach bzw. im Rahmen anderer Unterrichtsfächer noch stärker berücksichtigt wird, wäre dies sicher, wie es ja auch in anderen Fachbereichen - Rechtskunde und ähnlichem - der Fall ist, eine Möglichkeit.
Dann gebe ich hier noch die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da in einer Reihe von Bundesländern schon jetzt die Zahl der Lehrer nicht ausreicht, um die klassischen Unterrichtsfächer zu lehren, darf ich fragen, ob die Bundesregierung in ihrer Zuständigkeit für die Schaffung neuer Berufsbilder unter Umständen daran denkt, das Berufsbild eines Gesundheitsberaters zu schaffen, um durch diesen neuen Beruf die Möglichkeit zum Unterricht dieses so wichtigen Faches in Schulen zu geben?
Herr Staatssekretär, ich glaube, wir sind uns einig, daß diese Zusatzfrage den notwendigen unmittelbaren Zusammenhang zu den beiden eingereichten Fragen nicht hat. Aber wenn sich der Herr Staatssekretär zur Beantwortung in der Lage sieht, bitte schön!
Herr Kollege, ich bin gern bereit, in einem Satz zu antworten. Sie wissen, daß das Problem der Lehrer durch das Abflachen der Geburtenjahrgänge in absehbarer Zeit etwas anders zu sehen sein wird, als Sie es in Ihrer
Frage soeben dargestellt haben. Das sagen verschiedene Prognosen aus. Ich bin aber angesichts der Finanzverhältnisse von Bund und Ländern noch etwas skeptisch, ob die Einführung eines, wie Sie sagen, Gesundheitsberaters auf breiter Front möglich sein wird. Dies kann aber keine abschließende Antwort sein.
Ich rufe die nächste Frage Frage Nr. 33 - des Herrn Abgeordneten Flämig auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die nächste Frage - Frage Nr. 34 - ist vom Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke eingebracht:
Hält die Bundesregierung die in der Monitor-Sendung der ARD vom 23. September 1974 gemachten Angaben über freie, ungenutzte Kapazitäten an den Hochschulen für richtig?
Herr Kollege, der Bundesregierung sind die in der fraglichen Sendung gemachten Angaben über die Kapazitätsauslastung in den Hochschulen bekannt. Diese Angaben treffen, soweit es sich um die Wiedergabe reiner Tatsachenfeststellungen zur Kapazitätsfrage in den Hochschulen handelt, im wesentlichen zu.
Ich darf dazu folgende Bemerkungen machen:
1. Es ist in der Tat zur Zeit im Einzelfall möglich, auch ohne ordnungsgemäße Zulassung in einem bestimmten Studiengang in diesem Scheine zu erwerben bzw. Vorprüfungen abzulegen.
2. Die Bundesregierung selbst hat bereits vor Jahren Untersuchungen veranlaßt, um festzustellen, in welchem Umfange die räumlichen Kapazitäten an den Universitäten unter Umständen nicht ausgelastet sind. Dabei hat sich, abgesehen von ganz offensichtlichen Überlastungen etwa im Bereich der Labor- und Praktikumsplätze, gezeigt, daß eine optimale Nutzung eben dieser Raumkapazitäten der Hochschulen, bezogen auf die jährliche wie auch auf die wöchentliche Nutzungszeit, aus sehr unterschiedlichen Gründen noch keineswegs erreicht ist.
3. Die Verbesserung der Beziehung zwischen Studenten und wissenschaftlichem Personal war in den 60er Jahren eines der bildungspolitischen Hauptziele zur Verbesserung der Hochschulsituation, Die in dieser Monitor-Sendung zitierten Untersuchungen zur Personalkapazität deuten allerdings darauf hin, daß die zusätzlichen Stellen nicht in dem erhofften und in dem erwarteten Umfang zu einer Verbesserung des Lehrangebots geführt haben.
Die Bundesregierung, Herr Kollege, ist der Ansicht, daß neben mangelndem Problembewußtsein für Kapazitätsfragen an den Hochschulen in der Vergangenheit vor allem das Fehlen einheitlicher Grundsätze und Maßstäbe für die Quantifizierung der Lehrstoffe in den Studiengängen, für die Lehrverpflichtung der Hochschullehrer und damit für die Ermittlung der Ausbildungskapazität Ursache der,
I wie ich betonen möchte, sehr unterschiedlichen Kapazitätsauslastung gewesen ist und teilweise heute noch ist. Sie erwartet, daß die bundesweite versuchsweise Anwendung des von den Ländern im Rahmen des Staatsvertrags über die Vergabe von Studienplätzen entwickelten Kapazitätsmodells wichtige Verbesserungen zur Folge haben kann und wird. Die Bundesregierung ist an diesen Arbeiten zum Vorlauf der Kapazitätsverordnung beratend beteiligt.
Herr Abgeordneter, Sie haben Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, welche Bedeutung und Aussagekraft mißt die Bundesregierung den in der Monitor-Sendung zitierten Angaben der Landesrechnungshöfe bei, wenn diesen Berechnungen möglicherweise ganz unterschiedliche Kriterien zugrunde liegen und somit die Richtigkeit oder die Unrichtigkeit der Aussage in dieser Sendung, nämlich: „Wir glauben nicht mehr an das Märchen von den überfüllten Hochschulen“ weder beweisbar noch widerlegbar ist?
Herr Kollege, das „Märchen von den überfüllten Hochschulen" ist sicher ein Begriff, der allzusehr in eine Richtung geht. Es kann gar kein Zweifel sein, daß einzelne Hochschulen in einzelnen Fachbereichen echt überfüllt sind und daß dort keine Kapazitätsspielräume mehr sind. Die Frage aber ist, ob dies überall in dem Maße der Fall ist, wie dies behauptet wird, wie es auch an den Hochschulen behauptet wird. In der Tat gibt es nicht nur die in der Monitor-Sendung zitierten Belege, sondern auch noch andere Belege dafür, daß das eben nicht an allen Hochschulen der Fall ist. Ich möchte also betonen, meine Aussagen sollen nicht pauschal so gedeutet werden, als gäbe es dieses Kapazitätsproblem an der Hochschule gar nicht, wie der von Ihnen auch zitierte Satz erwarten ließe. In der Tat ist es aber wohl so, daß in einer Reihe von Hochschulen und in einer Reihe von Bereichen die Knappheit nicht in dem Ausmaß vorhanden ist, wie sie geschildet wird und daß es noch Luft gibt und man auch darum kämpfen muß und daran arbeiten muß, um diese „Luft" auszunutzen zugunsten derer, die vor den Hochschulen warten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit Ihrer Äußerung, daß eine optimale Nutzung der Raumkapazitäten aus unterschiedlichen Gründen nicht erreicht ist, frage ich Sie nach diesen unterschiedlichen Gründen.
Herr Kollege,
dies kann an den verschiedensten und jetzt im einzelnen nicht darzustellenden Gründen liegen. Wir haben beispielsweise neuere Untersuchungen vorliegen, die bestätigen, daß es solche Kapazitätsreserven im räumlichen Bereich gibt. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele: Bei 25 Stunden Nutzungszeit pro Woche gibt es 10 % Reservekapazität, in der die Räume leer stehen, bei 35 Stunden pro Woche 53 % Reserve; bei Praktikumsräumen sind zum Teil noch größere Reserven da.
Es gibt da ganz verschiedene Kriterien und auch verschiedene Verhältnisse an den verschiedenen Hochschulplätzen. Starke Schwankungen in bezug auf die Hauptnutzfläche pro Student lassen ebenfalls auf Kapazitätsreserven schließen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Engholm.
Herr Kollege Dr. Glotz, trifft es zu, daß die Abschaffung der Kolleggelder für Professoren zu einer Verminderung ihrer Lehranstrengungen geführt haben kann?
Herr Kollege Engholm, dies wird von vielen Stellen behauptet. Es gibt dafür auch eine Reihe von Indizien, wenn auch keine letzten, schlüssigen wissenschaftlichen Beweise. Ich möchte Ihnen hierzu einen Satz zitieren, den der bisherige Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz gesagt hat. Herr Professor Roellecke hat ausgeführt, daß der Mannheimer Kanzler ihm neulich vorgerechnet habe - ich zitiere wörtlich -.
Der Staat hätte mit geringerem finanziellem Aufwand eine größere Lehrkapazität erreicht, wenn er, statt ständig neue Stellen zu schaffen, für jede über das Lehrdeputat hinaus geleistete Semesterwochenstunde 1 000 DM gezahlt hätte.
Dies zeigt, daß auch in den Hochschulen selbst die Theorie vertreten wird, daß wir, wenn es sozusagen größere Leistungsanreize gäbe, auch mehr Lehrkapazität hätten, ohne daß wir so viele Stellen hätten schaffen müssen.
Lassen Sie mich in der Antwort auf Ihre Frage noch ein interessantes Zitat - ebenfalls von Herrn Roellecke - anführen. Er schildert, daß Max Weber, der berühmte deutsche Soziologe, als außerordentlicher Professor in Berlin im Jahre 1892 19 Wochenstunden gelesen hat Er zitiert Hann die Frau Max Webers:
Er liest zugleich 12 Stunden Kolleg und hält zwei Seminare. Als im zweiten Semester der befreundete Fachkollege Urlaub nimmt, fühlt er sich verpflichtet, noch einen Teil von dessen Pensum zu übernehmen.
Ich schließe an dieses Zitat von Herrn Professor Roellecke die Feststellung an, daß die deutsche Soziologie am Anfang dieses Jahrhunderts nicht schlechter war als die deutsche Soziologie zur Zeit.
Herr Abgeordneter Dr. Wagner, Sie möchten noch eine Zusatzfrage stellen.
({0})
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß zwischen der Entwicklung des Volumens der öffentlichen Mittel für den Hochschulbereich in den letzten 10, 12 Jahren und der Entwicklung der Studienkapazitäten - etwa im Bereich der Medizin - ein Mißverhältnis besteht, das als skandalös bezeichnet werden muß, und daß, weil sich bisher keine durchgreifende Besserung abzeichnet, die Bundesregierung zusammen mit den Landesregierungen darüber nachsinnen sollte, wie sie eine bessere Relation von eingesetzten öffentlichen Mitteln und Studienplätzen herbeiführen könnte?
Herr Kollege, den Begriff „skandalös" möchte ich als Wertung hier nicht übernehmen, vor allem nicht pauschal für alle Bereiche. Daß ein solches Mißverhältnis aber existiert, d. h. daß der Staat in der Tat sowohl für wissenschaftliches Personal als auch für Räumlichkeiten im Verhältnis zu dem, was dann an Kapazität --trotz der Erhöhung der Studentenzahlen - herausgekommen ist, sehr viel mehr ausgegeben hat, muß ich Ihnen voll und ganz bestätigen.
Welche Maßnahmen die Bundesregierung im Rahmen ihrer Kompetenz hier ergreifen kann, möchte ich gleich in der Beantwortung der zweiten Frage des Kollegen Meinecke ausführlich begründen.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Was tut oder gedenkt die Bundesregierung zu tun, um eine
volle Kapazitätsauslastung der Hochschulen sicherzustellen?
Herr Kollege Meinecke, die Bundesregierung ist seit Verabschiedung des Hochschulbauförderungsgesetzes sowohl im Planungsausschuß für den Hochschulbau als auch im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung darum bemüht, zu einer möglichst günstigen Ausnutzung der Hochschuleinrichtungen beizutragen. Durch die Vergabe von Forschungsaufträgen hat sie schon seit Jahren versucht, die überaus schwierigen Fragen im Zusammenhang mit der Auslastung von Hochschuleinrichtungen und der Kapazitätsbemessung durchschaubar und damit beeinflußbar oder auch steuerbar zu machen. Sie hat insbesondere nach ausführlichen Verhandlungen mit den für die Nutzung zuständigen Ländern erreicht, daß in den 4. Rahmenplan nach dem Hochschulbauförderungsgesetz ein ausführlicher Katalog aufgenommen worden ist, der unter anderem konkrete Maßnahmen für die intensivere Nutzung der Hochschulen, für die optimale Nutzung der Lehrkapazität, für die Verkürzung der Verweildauer und für die Verkürzung der Studiendauer enthält. Darüber hinaus sieht die Bundesregierung in dem Entwurf für ein Hochschulrahmengesetz durch entsprechende Vorschriften vor, daß Hochschulen und Staat zu einer vollständigen Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten verpflichtet werden.
Die Bundesregierung muß darauf hinweisen, daß ihre Bemühungen angesichts der Zuständigkeiten von Hochschulen und Ländern überwiegend nur begrenzten Widerhall gefunden haben.
Bei der Fortschreibung des Rahmenplans für den Hochschulbau wird die Bundesregierung weiterhin auf eine intensive Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazität drängen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie die von Ihnen geschilderten Tatsachen, daß die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung auf Grund der verschiedenen Zuständigkeiten nur begrenzten Widerhall fanden und die Bundesregierung an der Kapazitätsbemessung nur beratend beteiligt ist, nicht als weiteres schwerwiegendes Argument für eine bundeseinheitliche rahmengesetzliche Regelung halten?
Selbstverständlich, Herr Kollege Dr. Meinecke. Ich bin der Auffassung, daß dies ein weiteres wichtiges Argument dafür ist, daß das Hochschulrahmengesetz, wie es sich jetzt auch im Wissenschaftsausschuß abzeichnet, noch in diesem Jahr im Plenum des Deutschen Bundestages verabschiedet werden muß.
Eine weitere Zusatzfrage.
Teilen Sie meine Auffassung, Herr Staatssekretär, daß in Anbetracht des wachsenden Unmuts über die nicht ausgenutzten Kapazitäten der Hochschulen in der Bevölkerung die Einstellung des Bundesrates oder, besser gesagt, einiger Bundesländer gegenüber einer bundeseinheitlichen Rahmenregelung positiver wird, oder bleibt man bei dem Standpunkt, das betreffende Kapitel ganz zu streichen?
({0})
Herr Kollege Meinecke, der Bundesrat hatte noch keine Gelegenheit, sich neuerdings offiziell zu den Fragen der Zulassung zu äußern. Nach meinem Eindruck sind in den Fachberatungen der letzten Monate alle Parteien, alle Fraktionen des Bundestages zu einer neuen Einschätzung der Frage gekommen, ob auch die Zulassung im Hochschulrahmengesetz geregelt
werden sollte. Dies bezeugen auch öffentliche Äußerungen etwa des bildungspoltischen Sprechers der Opposition. Ich erhoffe mir von diesen sehr sachkundigen, sehr fairen und auf der Basis der Beratungen stehenden Äußerungen einen gewissen Einfluß auf die von der CDU/CSU regierten Länder im Bundesrat. Man kann das nur hoffen; ich kann es noch nicht endgültig wissen.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Sauter ({0}) auf:
Wieviel Studienplätze hat Baden-Württemberg über seinen eigenen Bedarf für Landeskinder hinaus für Studenten aus anderen Bundesländern geschaffen, und wie hoch sind die Aufwendungen und die laufenden Kosten hierfür?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Sauter, die rechnerische Ermittlung der Zahl der Studienplätze und der Hochschulkosten, die über den Bedarf für Landeskinder hinausgehen, ist sehr problematisch, da sie je nach der gewrählten Bezugsgröße zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Die
Wahl der Bezugsgröße ist aber ohne eine ich
sage das Wort vorsichtig gewisse Willkür kaum
möglich.
Als Bezugsgrößen bieten sich u. a. an das Verhältnis der Zahl der Studienplätze nun nenne ich drei mögliche Kategorien - zu der Zahl der Studenten auf dem Land, der Landeskinder, zur Bevölkerungszahl des Landes, gegebenenfalls gegliedert nach Altersgruppen, und drittens zum Bedarf an Hochschulabsolventen im Lande.
Wird von der erstgenannten Bezugsgröße, dem Verhältnis der Zahl der Studienplätze zu der Zahl der Studenten aus dem Land, ausgegangen, ergibt sich für das Land Baden-Württemberg folgendes Bild: im Wintersemester 1971/72lag die Zahl der Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen in Baden-Württemberg, die aus anderen Bundesländern kamen, um 9600 höher als die Zahl der Studenten aus Baden-Württemberg, die in anderen Ländern studierten. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Es wird jedoch geschätzt, daß sich der „Importsaldo", wie dieses ökonomische Wort dafür lautet, von 9600 Studenten bis heute kaum verändert hat. Angesichts der seit 1971/72 stark steigenden Studentenzahlen bedeutet dieser gleichbleibende Saldo einen relativen Rückgang der Hochschulkapazität, die Baden-Württemberg für Studenten aus anderen Ländern zur Verfügung stellt. Diese Entwicklung haben Bund Länder seit 1970 im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau zielstrebig verfolgt, um dem Auftrag des Hochschulbauförderungsgesetzes gerecht zu werden, ein ausgeglichenes Angebot an Studienplätzen zu schaffen.
Nun, Herr Kollege, verweise ich nochmals darauf, daß keineswegs nur das Land Baden-Württemberg einen solchen hohen „Importsaldo" aufweist. Dies gilt genauso für andere Länder, beispielsweise für Hamburg. Unter dem Vorbehalt, daß mir derart isolierte Rechnungen unter Außerachtlassung der Steuerkraft des jeweiligen Landes, die ja sehr verschieden ist, nur bedingt sinnvoll erscheinen, gebe ich deshalb jetzt die gewünschte finanzielle Darstellung.
Nach einer Berechnung des Kultusministeriums Baden-Württemberg betrugen die laufenden Kosten - ohne Ausbildungsförderung - für einen Studenten im Jahre 1973 10 700 DM. Bei Zugrundelegung eines „Importsaldos" von 9 600 Studenten wurden also rund 103 Millionen DM Kosten für Studenten aus anderen Ländern aufgewandt. Der Betrag von rund 103 Millionen DM erhöht sich auf rund 135 Millionen DM bei Hinzurechnung der Kosten für Investitionen und Ausbildungsförderung. Diese Investitionen finanziert jedoch der Bund zu 50%; die Kosten der Ausbildungsförderung trägt er zu 65 °/o mit.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter!
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es sich hier um eine sehr eindrucksvolle Zahl, um eine sehr eindrucksvolle Leistung handelt, die das Land Baden-Württemberg für andere erbringt, und darf ich Sie fragen, welche Konsequenzen sich für die Politik der Bundesregierung gegenüber dem Bundesland Baden-Württemberg insgesamt daraus ergeben könnten?
Herr Kollege Sauter, ich glaube, daß die Leistungen aller Gebietskörperschaften, aller Bundesländer im Hochschulausbau in den letzten Jahren gewürdigt werden müssen. In der Tat hat der Staat sehr viel mehr für Hochschulkapazitäten getan, als dies in früheren Jahren der Fall war. Ich muß Ihnen nur sagen - ich habe das auch schon in meiner Antwort zu sagen versucht -, daß der Importsaldo verschiedener Länder eben sehr hoch ist. Ich nenne noch einmal die Länder Berlin und Hamburg, die einen noch höheren Importsaldo haben als etwa das Land Baden-Württemberg. Dies ist nicht nur auf die Tatsache zurückzuführen, daß die jeweiligen Länder darauf achten, Hochschulkapazitäten auszubauen, sondern es ist auch beispielsweise auf die unterschiedliche Steuerkraft der jeweiligen Länder zurückzuführen. Baden-Württemberg ist ein steuerstärkeres Land. Ich glaube nicht, daß die Bundesregierung daraus die Konsequenz ziehen kann, ein Land vor einem anderen in irgendeiner Weise zu bevorzugen. Aber das haben Sie auch sicherlich nicht verlangen wollen.
Sie haben noch eine Frage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in der Bevölkerung Baden-Württembergs eine wachsende Verärgerung über die Politik der Bundesregierung herrscht
Sauter ({0})
was bei deren Qualität niemanden wundert -, insbesondere über die Politik, die diese Bundesregierung gegenüber dem Lande Baden-Württemberg betreibt?
Die Unruhe, von der Sie sprechen, ist mir nicht bekannt. Sie wäre mir im übrigen auch nicht verständlich; denn der Bund benachteiligt keines der einzelnen Länder und kann dies auch gar nicht tun. Sie wissen, daß die Beratungen gerade zu dem Problem, das Sie hier ansprechen, in einer Weise stattfinden, die weitgehend gesetzlich festgelegt ist. Zu einer solchen Unruhe ist sicherlich kein Anlaß.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Baum zur Verfügung. Die Frage 37 ist von Herrn Abgeordneten Dr. Wagner ({0}) eingereicht:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Höherbewertung zahlreicher Dienstposten im mittleren technischen Dienst des Bundes nach der Funktionsgruppenverordnung deswegen in vielen Fällen zu Ungerechtigkeiten führt, weil nach den bestehenden Richtlinien die Inhaber der höher bewerteten Dienstposten auch dann zu befördern sind, wenn bei derselben Dienststelle andere Beamte vorhanden sind, die nach Dienstalter und Leistung einen vorrangigen Anspruch auf Beförderung haben?
Darf ich beide Fragen zusammen beantworten?
Ich nehme an, daß der Herr Fragesteller damit einverstanden ist. - Ich rufe also noch die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse der Gerechtigkeit ein elastischeres Verfahren, bei dem die üblichen Kriterien für Beförderungen besser zur Geltung kommen müßten, zuzulassen?
Nach dem Bundesbesoldungsgesetz darf der Anteil der Beförderungsstellen in den einzelnen Laufbahngruppen bestimmte Vomhundertsätze nicht überschreiten. Es handelt sich insoweit um eine provisorische Regelung, durch die ein Mindestmaß an Einheitlichkeit in den Stellenverhältnissen erreicht werden soll.
Durch die Verordnung zu § 5 Abs. 6 Satz 3 des Bundesbesoldungsgesetzes ist für Beamte in Bereichen mit einem erhöhten Anteil an hochwertigen Funktionen ausnahmsweise eine Überschreitung der genannten gesetzlichen Stellenobergrenzen zugelassen worden. Hierdurch sind zusätzliche Beförderungsstellen zur Verfügung gestellt worden, die nur für Beamte in derartigen Funktionsgruppen in Anspruch genommen werden dürfen. Dies kann zur Folge haben, daß die Beförderungschancen von Beamten in Funktionsgruppen besonders günstig sind.
Ungerechtfertigte Vorteile sind hiermit nicht verbunden, da auch Beförderungsstellen für Beamte in Funktionsgruppen nur nach Maßgabe sachgerechter Bewertung ausgebracht werden dürfen. Es ist Sache der einzelnen Ressorts, durch eine entsprechende Steuerung, insbesondere bei der Dienstpostenvergabe, auch nach Erlaß der Funktionsgruppenverordnung auf möglichst gleichmäßige Beförderungsverhältnisse bei Inhabern gleichwertiger Funktionen hinzuwirken.
Es ist selbstverständlich, daß alle Beförderungen nur nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorgenommen werden dürfen. Das Allgemeine Dienstalter kann dabei stets nur als zusätzliches Auswahlkriterium im Verhältnis zwischen gleich beurteilten Beamten von Bedeutung sein.
Im übrigen ist beabsichtigt, auf der Grundlage des dem Deutschen Bundestag vorliegenden Entwurfs eines Zweiten Besoldungsvereinheitlichungsund -neuregelungsgesetzes durch besondere Rechtsverordnungen Funktionen den Ämtern zuzuordnen und damit die bisherige Funktionsgruppenverordnung zu § 5 Abs. 6 des Bundesbesoldungsgesetzes abzulösen. Hierdurch wird das angesprochene Problem, wie ich meine, Herr Kollege, seine Bedeutung verlieren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, inwiefern folgt aus der Funktionsgruppenverordnung, daß Beamte, die nicht Inhaber einer der betroffenen Stellen sind, auch nicht auf eine derartige Stelle versetzt werden dürfen, was ihnen dann ja die Möglichkeit gäbe, von den besonderen Vorteilen dieser Gruppe ebenfalls betroffen zu werden?
Herr Kollege, die Funktionsgruppenverordnung knüpft eben eng an die besondere Funktion an, die in der entsprechenden Verordnung auch im einzelnen umschrieben ist. Ich habe schon ausgeführt, daß es deshalb durchaus passieren kann, daß jemand, der unter diese Funktionen fällt, einen Vorteil gegenüber einem anderen erhält, der nicht diese Funktion hat.
Herr Staatssekretär, ich habe mich vielleicht noch nicht deutlich genug ausgedrückt. Ist Ihnen bekannt, daß es Dienststellen mit Beamten gibt, die durchaus bereit wären, eine Funktion, wie sie in der Funktionsgruppenverordnung erwähnt ist, zu übernehmen, sich also auf eine derartige Stelle versetzen zu lassen, daß diesen Beamten die Möglichkeit aber mit der Begründung verweigert wird, aus der Funktionsgruppenverordnung folge, daß von diesen Beförderungsmöglichkeiten nur diejenigen Beamten profitieren dürften, die schon zuvor eine derartige Funktion bekleidet, also auf einer solchen Stelle gesessen hätten?
Es ist durchaus möglich, Herr Kollege, daß eine solche Regelung praktiziert wird, die in der Tat zu den Ungerechtigkeiten führt, die Sie hier meinen. Aber ich glaube, durch die beabsichtigten gesetzlichen Änderungen, die wir anstreben, wird dieser Mißstand beseitigt.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Immer auf:
Inwieweit wird bei der Einrichtung von Notrufanlagen bzw. der Zuteilung von Notrufleitungen ({0}) im Fernmeldebereich der Umstand berücksichtigt, daß durch die planmäßig vorgenommene Konzentration von Polizeistationen und von Schwerpunktfeuerwehren im ländlichen Raum die Meldung von Unfällen, Katastrophen und akuten Bedrohungen erheblich verzögert und erschwert wird?
Herr Kollege, nach längeren Auseinandersetzungen über die Finanzierung sind Bund und Länder im letzten Jahr übereingekommen, die Notrufnummer 110 für die Polizei und die Notrufnummer 112 für die Rettungsdienste im ganzen Bundesgebiet einzuführen, Notrufabfragezentralen für größere Bereiche zu bilden, auch über die Grenzen von Fernsprechortsnetzen hinweg, und den münzfreien Notruf aus Fernsprechzellen einzuführen. Die Arbeiten an der Verwirklichung dieser Konzeption laufen weiter. Der gegenwärtige Stand ergibt sich aus dem Bericht der Bundesregierung vom 3. Oktober 1974.
Die Bundesregierung mißt der Einführung des einheitlichen Notrufs wegen der zunehmenden Zahl von Unfällen aller Art sowie anderer Ereignisse, die ein polizeiliches Eingreifen erforderlich machen, große Bedeutung zu.
Durch die Einrichtung von Notrufabfragestellen für größere Bereiche wird sichergestellt, daß der Anrufer stets die zuständige, einsatzbereite Polizeidienststelle oder Rettungsleitstelle erreicht. Dabei tritt durch die automatische Weiterleitung des Anrufs von einer vorübergehend unbesetzten auf eine einsatzbereite Dienststelle nur eine Verzögerung von Sekundenbruchteilen ein; der Meldeweg wird demnach nicht verlängert.
Eine andere Frage ist, inwieweit sich organisatorische Veränderungen auf die Einsatzmöglichkeiten von Polizei und Rettungsdiensten auswirken. In manchen Fällen werden sich durch die Zusammenlegung von Dienststellen die Wege zu den Einsatzorten verlängern. Dies ist aber kein mit der Einführung einheitlicher Notrufnummern zusammenhängendes Problem, sondern eine Frage der Organisation der Polizei, für die die Länder zuständig sind.
Ich gehe davon aus, Herr Kollege, daß die Länder hierbei die Forderungen der inneren Sicherheit jederzeit voll berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage.
Gibt es einen Bewertungsmaßstab, der für einen Dringlichkeitsplan herangezogen wird, und gibt es einen Stufenplan, der in einer ganz bestimmten Frist verwirklicht werden soll, und zwar gerade im etwas schlecht versorgten ländlichen Raum?
Herr Kollege, ich habe eben den Bericht zitiert, den die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag über den Stand der Einrichtung von Notrufanlagen abgegeben hat. Er ist jüngsten Datums, nämlich vom 3. Oktober 1974. Sie werden daraus schon entnehmen, welchen Stand die Angelegenheit hat und welchen Fortgang sie nehmen soll. Die Bundespost geht dabei davon aus, daß gewisse Dringlichkeiten vorrangig zu befriedigen sind.
Ich rufe die Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Reddemann auf:
Auf welche gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse oder Umfrageergebnisse gründete sich die in den Fragestunden vom 25. September und 10. Oktober 1974 vertretene Meinung der Bundesregierung, über Verbrechen von und an Deutschen im Zusammenhang mit dem II. Weltkrieg sei „unsere junge Generation ... hinreichend informiert", und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, eine entsprechende Umfrage in Auftrag zu geben?
Ist die Bundesregierung bereit, eine wissenschaftliche Kommission einzusetzen oder der privaten Forschung die entsprechenden finanziellen Mittel bereitzustellen, um die vorhandenen Quellen zum Komplex der von Deutschen und an Deutschen im Zusammenhang mit dem II. Weltkrieg begangenen Verbrechen in der Verantwortung der Autoren - soweit möglich - auszuwerten und das Ergebnis zu publizieren?
Herr Kollege, zu diesem Komplex hat die Bundesregierung bereits in den Fragestunden vom 25. September und 10. Oktober dieses Jahres Stellung genommen. In der Fragestunde vom 10. Oktober hatte der Kollege Dr. Kunz nach dem Informationsstand der deutschen Jugend über den Komplex der „Verbrechen an Deutschen" gefragt. Sie weiten die Frage heute wieder auf die Verbrechen aus, die von und an Deutschen im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg begangen worden sind. Die Meinung der Bundesregierung hat sich seitdem nicht geändert.
Es ist zunächst, wie ich bereits in der Fragestunde vom 25. September in der Antwort auf die Frage des Kollegen Windelen erklärt habe, so gut wie unmöglich, den von Ihnen verwendeten Terminus „Verbrechen von und an Deutschen" überhaupt korrekt zu definieren. Dies würde die Entscheidung außerordentlich schwieriger, international umstrittener Rechtsfragen, etwa nach der rechtlichen Zulässigkeit bestimmter Kriegsmaßnahmen, voraussetzen. Eine solche Entscheidung kann nicht einfach nach dem deutschen Strafrecht getroffen werden. Sie hängt vielmehr in vielen Fällen von völkerrechtlichen Regelungen ab. Da das Völkerrecht in bestimmten Situationen auch an sich unzulässige Maßnahmen als Repressalien rechtfertigt, ist eine generelle Entscheidung ohne Berücksichtigung der vielen Einzelfälle nicht möglich. Eine auch nur annähernd wissenschaftlichen Darstellungen genügende Definition des von Ihnen verwendeten Begriffs ist daher nicht möglich.
Unabhängig von dieser Definition kann es nach Ansicht der Bundesregierung auch nicht darauf an8368
kommen, die leidvolle und schreckliche Vergangenheit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft allein unter dem Gesichtspunkt der von und an Deutschen verübten Verbrechen zu sehen. Bei dieser Betrachtungsweise würde man sehr leicht zu einer Verbrechensbilanz gelangen, die, ob man es nun will oder nicht, zu der Aufrechnungsdiskussion führen würde, Herr Kollege, die von niemandem gewollt sein kann. Gerade wenn es um die Unterrichtung der jungen Generation geht, wäre dies auch ein ganz ungeeigneter Ansatzpnkt. Die junge Generation ist in die Lage zu versetzen, diese Zeit sachgerecht zu beurteilen. Voraussetzung dafür ist eine umfassende Information über die Ursachen des zweiten Weltkrieges, seinen Verlauf und seine Folgen, und zwar nicht verengt auf die von und an Deutschen begangenen Verbrechen, um den von Ihnen genannten Terminus noch einmal zu gebrauchen.
Die Bundesregierung geht im übrigen davon aus - hier nehme ich auf die Antwort zur Frage 45 vom 10. Oktober Bezug -, daß die Jugend der Bundesrepublik durch Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht in den Schulen hinreichend über diesen Komplex unterrichtet wird, wie die Lehrpläne und Richtlinien dies in allen Bundesländern vorsehen. Die Bundesregierung verfügt dabei nicht über gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse oder Umfrageergebnisse, sie geht vielmehr von einer Vielzahl ihr vorliegender Informationen und dem allgemeinen Erfahrungsstand aus.
Herr Kollege, ich möchte vorschlagen, daß Sie noch zwei Zusatzfragen stellen.
Herr Staatssekretär, da Sie im wesentlichen nur das wiederholt haben, was Sie bereits am 25. September bzw. am 10. Oktober ausführten, möchte ich Sie fragen. Darf ich annehmen, daß die Bundesregierung, für die Sie damals gesprochen haben, in der Tat nicht über die notwendige Breiteninformation verfügt, sondern, wie der frühere Bundeskanzler sagen würde, nur ihre subjektive Überzeugung wiedergibt?
Nein, Herr Kollege. Die Bundesregierung ist nicht bei jeder Antwort, die sie gibt, darauf angewiesen, das auch vor dem Hintergrund einer wissenschaftlichen Untersuchung zu tun. Im Grunde geht die Bundesregierung davon aus, daß die Bundesländer ihre Lehrpläne erfüllen, und in diesen Lehrplänen ist ganz klar davon die Rede, daß über den zweiten Weltkrieg, seine Ursachen und seine Folgen, eingehend informiert wird. Herr Kollege, eine Umfrage darüber würde im Grunde darauf hinauslaufen, den Schulunterricht der deutschen Bundesländer durch die Bundesregierung kontrollieren zu lassen. Wir sehen uns dazu nicht in der Lage und sehen dazu auch politisch keine Notwendigkeit.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung z. B. neuerdings auch Zeitschriften für Jugendliche herausgibt, möchte ich mir die Frage erlauben, ob sie nicht von sich aus völlig unabhängig von den Ländern den jungen Deutschen „Schützenhilfe" für ihre Meinungsbildung dadurch geben kann, daß sie entsprechendes wissenschaftlich fundiertes Material herausgibt, damit nicht das entsteht, was Sie befürchten, nämlich Aufrechnungsoder Rachegefühle.
Herr Kollege, ich glaube, daß nach dem Kriege - dafür gibt es ja eine Fülle von Material - ausreichend wissenschaftliches Material über den zweiten Weltkrieg, seine Ursachen, seinen Verlauf und seine Folgen, zur Verfügung steht. Ich lehne es aber ab, diese Zeit der deutschen Geschichte ausschließlich unter dem Aspekt der an und von Deutschen begangenen Verbrechen zu sehen.
({0})
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis. Sie wissen, ich habe die Zeit für die Fragestunde schon überzogen. Ich habe Ihre zweite Frage aufgerufen.
Die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Windelen ist vom Fragesteller zurückgezogen worden. Die Fragen 44 und 45 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich zunächst Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 7/2630
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lenz ({1})
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er noch zur Berichterstattung oder zu einer Ergänzung des Berichts das Wort wünscht. - Das Wort hat der Herr Berichterstatter Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da meine Stimme heute kein reiner akustischer Genuß ist, werde ich es sehr kurz machen.
Es handelt sich hier um zwei streitige Punkte; die unstreitigen erwähne ich nicht.
Das erste war die Frage, wer Parkverbote in der Art und Weise, wie es hier in der Drucksache steht, erlassen sollte. Der Bundestag hatte sich seinerzeit entschlossen, den Gemeinden diese Zuständigkeit zu geben. Der Bundesrat, die Bundesregierung und im Ergebnis dann auch der Vermittlungsausschuß waDeutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Dr. Lenz ({0})
ren der Auffassung, daß diese Befugnis der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates zustehen sollte. Diese Frage muß hier erneut entschieden werden.
Zweitens geht es um zwei Fälle des sogenannten Regelfahrverbots, d. h. Ordnungswidrigkeiten, deren Begehen in der Regel den Entzug der Fahrerlaubnis zur Folge haben sollen. Das eine, meine Damen und Herren, ist die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 40 oder 50 km/h, und das andere ist das Überholen an unübersichtlichen oder gefährlichen Stellen. Hier war der Verkehrsausschuß und mit ihm der Bundestag mit Mehrheit der Auffassung, daß in diesen beiden Fällen kein Regelfahrverbot ausgesprochen werden sollte, während der Bundesrat, die Bundesregierung und, meine Damen und Herren, auch der mitberatende Rechtsausschuß im Bundestag der Auffassung waren, es sollte ein Regelfahrverbot ausgesprochen werden. Es hat - daran darf ich erinnern - eine sehr lebhafte Diskussion in diesem Hause gegeben, bei der sich eine Koalition zwischen dem Kollegen Erhard, dem Kollegen Wehner und der Bundesregierung gegen den Verkehrsausschuß gebildet hat. Um diese Frage handelt es sich bei der zweiten Abstimmung
Ich darf noch drittens, meine Damen und Herren, darauf hinweisen, daß im Gegensatz zu der allgemein üblichen Praxis heute über die einzelnen Punkte des Antrages des Vermittlungsausschusses getrennt abgestimmt werden muß. Es gibt keine verbundene Abstimmung.
({1})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Herr Berichterstatter, wenn ich Sie richtig verstehe, wünschen Sie zu allen sieben Punkten gesonderte Abstimmung?
({0})
Ich rufe Ziffer 1 zur Abstimmung auf. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Meine Damen und Herren, der Antrag unter Ziffer 1 ist abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 2 auf. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. Danke. Gegenprobe! Danke. Stimmenthaltungen? - Das gleiche gilt zu
Ziffer 2.
Ich rufe Ziffer 3 auf. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Es gilt das gleiche.
Ich rufe Ziffer 4 auf. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Das Abstimmungsergebnis ist dasselbe wie bei den vorhergehenden Ziffern.
Ich rufe Ziffer 5 auf. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 6 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ebenfalls abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 7 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Meine Damen und Herren, damit sind sämtliche sieben Punkte des Vermittlungsantrags vom Hause abgelehnt worden.
({1})
Wir treten nunmehr erneut in die Beratung zu Punkt 2 der Tagesordnung ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann.
({2})
Meine Damen und Herren, offensichtlich war das ursprünglich angenommene große Interesse an der weiteren Aussprache nicht bei allen Mitgliedern des Hauses vorhanden. Ich wäre Ihnen aber dankbar, soweit Sie nicht daran teilnehmen, nunmehr dem Redner die Möglichkeit zu geben, hier verständlich zu sprechen.
({3})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man muß natürlich die Bewegung nach solchen Abstimmungserfolgen, wie sie gerade stattgefunden haben, verstehen und darauf Rücksicht nehmen.
Zur Sache zurück! Ich darf zunächst mit einem gewissen Bedauern feststellen, daß schon die Besetzung der Regierungsbank, von heute vormittag und die Besetzung seitens der Koalitionsfraktionen bei einem objektiven Beobachter den Eindruck erwecken mußte, als wolle man diese Debatte eigentlich zu einer Debatte unter Fachleuten für Außenpolitik herabstufen.
({0})
Der Herr Bundeskanzler war nicht anwesend. Heute nachmittag ist offenbar nicht einmal mehr der Herr Bundesaußenminister anwesend. Ich würde es ganz besonders bedauern, wenn sich dies im Laufe des nachmittags nicht änderte.
Herr Kollege Pawelczyk erklärte am Anfang seiner Ausführungen, er würde es bedauern, wenn sich die Debatte etwa in eine militärtechnische Veranstaltung verwandelte. Wie er wohl gesehen hat, war zu dieser Befürchtung kein Anlaß. Ich allerdings werde nicht darauf verzichten können, über die Komponente „Sicherheit" einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit einiges zu sagen.
Herr Kollege Pawelczyk bedauerte nachher, daß wir manchmal zu pointiert über die militärische Seite dieser Angelegenheit sprächen. Das müssen wir ab und zu deshalb tun, weil die Koalitionsfraktionen
8370 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode
- besonders die SPD - darauf verzichten, diese Komponente auch nur zu erwähnen. Deswegen müssen wir manchmal mehr sagen, als wir sagen müßten, wenn hier objektiv argumentiert würde.
({1})
Was die Beurteilung des Zitierens von Parteibroschüren betrifft, die der Kollege Pawelczyk unternommen hat, kann ich mich ganz dem anschließen, was der Kollege Bangemann am Anfang seiner Ausführungen über die intellektuelle Nivellierung der Debatte gewünscht hat. Aber auch ihm muß ich in einem Punkt widersprechen, nämlich darin, daß er meinte, wir müßten in Genf aufhören, nach dem Grundsatz „do ut des" vorzugehen.
({2})
Hier möchte ich fragen, wann denn in den letzten Jahren die' Bundesregierung bei ihren Verträgen und Verhandlungen den Grundsatz des „do ut des" wirklich beachtet hat.
({3})
Meine verehrten Damen und Herren, wir mußten diese Große Anfrage einbringen, um über den Gang der Konferenz, über die Vorstellungen der Bundesregierung bei den Verhandlungen und über die Konferenzziele der Verhandlungspartner heute eine Bilanz ziehen zu lassen und selbst zu ziehen. Ein Maßstab für die Beurteilung kann dabei nicht nur die Antwort sein, welche die Bundesregierung uns jetzt vorgelegt hat, sondern Maßstab müssen auch die wirklichen Verhältnisse der Sicherheit in Europa sein, wie sie sich in den letzten Jahren und besonders seit Beginn dieser Konferenz entwickelt haben.
Wir können es nämlich nicht zulassen, daß die deutsche und europäische Wirklichkeit, die nach wie vor leider durch Mauer, Stacheldraht, Unmenschlichkeit, Abgrenzung und Unterdrückung der Völker östlich des Vorhangs gekennzeichnet ist, durch den Mantel des Schweigens oder den Schleier der Beschwichtigung und durch faule Kompromisse verdeckt wird. Manchem mag das nicht angenehm sein, so z. B. der „Prawda", die am 12. Juli unsere Große Anfrage als ein schändliches Dokument des Kalten Krieges bezeichnete.
({4})
In einigen Punkten der Antwort des Außenministers stimmen wir überein, z. B., wenn er sagte, den KSZE-Beschlüssen werde keine völkerrechtliche Geltungskraft zukommen, wenn er sagte, eine Schlußdeklaration dürfe nicht im Widerspruch zum Deutschlandvertrag stehen, und wenn er meinte, daß keines der Konferenzergebnisse im Widerspruch zu einer Politik stehen dürfe, die auf die Wahrung der nationalen Einheit der Deutschen und auf die Wiederherstellung der politischen Einheit Deutschlands mit friedlichen Mitteln gerichtet sei.
Befriedigt hat uns auch - mein Kollege Marx hat es ausgedrückt -, was zu der gemeinsamen Institution der Teilnehmerstaaten gesagt wurde: daß
es ihrer nämlich nicht bedürfe. Das wollen wir noch einmal unterstreichen.
({5})
- Ah, die Regierungsbank ist leer; das unterstreicht meine Feststellungen zu Beginn der Debatte. Auch die Staatssekretäre haben bereits die Flucht vor einer der wichtigsten außenpolitischen Debatten dieses Jahres ergriffen.
({6})
Der Außenminister schrieb in seiner Antwort auf die Große Anfrage:
Die Bundesregierung teilt die Bedenken der Opposition gegenüber der Schaffung eines KSZE-Organs, das nach Abschluß der Konferenz generelle politische Zuständigkeiten wahrnehmen soll.
Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, sind Sie der Meinung, daß Ihre Ausführungen zu dem Teil der Sicherheitsfrage der KSZE-Verhandlungen in Genf in völliger Abwesenheit ,der Bundesregierung angebracht sind?
Herr Abgeordneter Stücklen, dazu darf ich Ihnen sagen, ,daß ich mich nicht erinnern kann, daß eine Bundesregierung in den 17 Jahren meiner Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag bei einer solchen Debatte je ein solches Verhalten an den Tag gelegt hat.
({0})
Aber am Tage nach dem Eintreffen der Antwort auf unsere Große Anfrage, meine Damen und Herren, war ein Artikel des Leiters der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Ministerialdirektor van Well, im „Europa-Archiv" zu lesen, in dem Ministerialdirektor van Well von der Schaffung eines etwaigen gesamteuropäischen politischen Organs und den Voraussetzungen hierzu schrieb und in dem er dieses Organ als - ich zitiere „eine für ganz Europa ordnungspolitisch wichtige Regionalinstitution" bezeichnet.
Nun, meine verehrten Damen und Herren, es war Leonid Breschnew, der anläßlich seines Besuches in Bonn im Mai vergangenen Jahres die Errichtung dieses gemeinsamen Organs als wichtigstes sowjetisches Ziel der Genfer Konferenz bezeichnet hat.
Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Sobald ich meinen Gedankengang beendet habe, gerne. Der polnische KP-Chef Gierek hat dies in der vergangenen Woche in seiner Rede vor den Vereinten Nationen, am 10. Oktober in New York, nochmals betont. Der Außenminister teilt, wie er uns mitteilt, unsere Bedenken gegen ein solches Organ. Der politisch verantwortliche Leiter der wichtigsten Abteilung seines Hauses geht jedoch gleichzeitig öffentlich und positiv auf die sowjetische Forderung ein. Was ist nun richtig? Entweder hat sich der Außenminister hier eine Hintertür offengehalten, oder er sollte seinen leitenden Beamten den Rat geben, sich in ihren fachlichen Veröffentlichungen so auszudrücken wie der verantwortliche Minister selbst.
({0})
Und der Herr Außenminister wird erlauben, auch in seiner Abwesenheit die Frage zu stellen: Ist dieser offenbare Widerspruch eine Panne, ein Zufall ode! Absicht?
Bitte, Herr Abgeordneter Wehner, wenn Sie jetzt Ihre Zwischenfrage stellen wollen!
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Vorsitzende der Fraktion der SPD im Bundestag beantragen würde, diese Debatte so lange zu unterbrechen, bis die Regierungsbank anständig besetzt ist?
({0})
Er würde ihn stellen, wenn Sie nicht inmitten Ihrer Rede wären.
({1})
Meine Damen und Herren, ich darf für den Redner feststellen, weil er es vielleicht nicht gesehen hat, daß der Herr Bundesaußenminister gerade gekommen ist.
Auf Ihre Frage, Herr Kollege Wehner, darf ich feststellen, daß ich mit Ihnen ganz und gar der gleichen Auffassung bin.
Damit sind wir bereits, meine Damen und Herren, beim zentralen Punkt der Konferenz angelangt. Es handelt sich bei mir nicht etwa, wie Herr Kollege Pawelczyk heute versuchte darzustellen, und zwar geschichtswidrig darzustellen, um eine westliche Absicht, es handelt sich vielmehr um einen uralten Plan der sowjetischen Westpolitik. Bereits Molotow hat vor nunmehr 20 Jahren in einer an 34 Staaten gerichteten sowjetischen Note vom 15. November 1954 folgendes vorgeschlagen - ich zitiere -:
Die sowjetische Regierung ist der Meinung, daß die Notwendigkeit der unverzüglichen Einberufung einer Konferenz aller europäischen Staaten existiert, auf der die Frage der Errichtung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa behandelt werden soll.
Dieser Versuch, der auf nichts anderes abzielte, als die Einigung des freien Europa zu unterlaufen und zu verhindern sowie einen Keil zwischen das freie Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika zu treiben, um diese zum Abzug ihrer Truppen zu veranlassen, dieser sowjetische Versuch wurde damals von Bundeskanzler Konrad Adenauer unverzüglich und entschieden zurückgewiesen. Daraufhin lehnten ihn auch alle westlichen Regierungen ab. Das ist die Vorgeschichte der Konferenz.
({0})
- Die Konsequenzen, Herr Kollege Horn, werden sich erst nach dieser Konferenz erweisen.
({1})
Die Sowjetunion hält aber an den Zielen dieser Westpolitik fest. Sie hat, nachdem sie 15 Jahre lang mit ihren Plänen gescheitert war - durch die Haltung der CDU/CSU-geführten Regierungen -, sofort nach dem Jahre 1969 begonnen, ihre Initiative neu aufzuzäumen.
Außenminister Gromyko hat auf Anhieb mit seinen Verhandlungen mit Herrn Bahr erreicht, was seinem Vorgänger nicht gelungen war: In Punkt 10 des Bahr-Papiers, dem die Regierung Brandt sich durch Paraphierung als politische Absichtserklärung verpflichtete, begrüßt die Bundesregierung den Plan einer Konferenz über Fragen der Festigung der Sicherheit und der Zusammenarbeit in Europa und verspricht, alles von ihr abhängende für die Vorbereitung und erfolgreiche Durchführung zu tun. Das war im Mai 1970.
({2})
Hiermit stellte Herr Bahr das Signal auf Grün für die jahrzehntelangen Bestrebungen der sowjetischen Westpolitik.
Wir haben in diesem Hause schon wiederholt auf die unserer Ansicht nach gefährlichen Vorstellungen von Herrn Bahr hingewiesen, wie er sie in seiner im vergangenen Jahr veröffentlichten „Geheimstudie" und in seinem Gespräch mit dem amerikanischen Wissensrhaftler Professor Hahn zum Ausdruck gebracht hat, die unseres Erachtens auf Abbau der NATO und Errichtung eines europäischen Sicherheitssystems abzielen. Es muß hier noch einmal betont werden, daß Bahr es war, der nicht nur theoretische Gedankenspiele zum besten gab, sondern der der sowjetischen Westpolitik den Weg bereitete.
So stellte denn auch konsequent der Berichterstatter in der Politischen Kommission des Europarates, der österreichische Abgeordnete Karasek, in
dem Bericht vom 22. August dieses Jahres fest - ich zitiere -:
daß die Abhaltung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa den Kulminationspunkt der unablässigen Bemühungen der Sowjetdiplomatie darstellt, von den Staaten des Westens, das heißt von den Vereinigten Staaten und ihren europäischen Partnern, die offizielle Anerkennung des Status quo in Europa und die Garantie für eine mehr oder minder neutrale Pufferzone im Vorfeld des sowjetischen Imperiums zu erhalten.
Der Berichterstatter im Europarat kommt zu dem Schluß, daß diese Zielsetzungen - ich zitiere wieder -:
. mit den europäischen Einigungsbestrebungen unvereinbar sind, die den Integrationsbemühungen der Neun zugrunde liegen.
Ebenso wie Bahr forderte Breschnew wiederholt ein europäisches Sicherheitssystem, so etwa in seiner Rede vom 7. Juni 1969 vor der Moskauer Konferenz der Kommunistischen Partei. In dieser erinnerte er an die Karlsbader Kommunistenkonferenz vom April 1967, die die Forderung nach einer europäischen Sicherheitskonferenz mit dem Kampf um eine gesellschaftliche und politische Umwälzung Westeuropas verband.
({3})
Zwar hatte Bundeskanzler Brandt in seinem Bericht zur Lage der Nation am 14. Januar 1970 vor diesem Hause noch beteuert:
Klarheit sollte allerdings auch darüber herrschen, daß unsere, der Bundesrepublik Teilnahme an einer solchen Konferenz wenig sinnvoll wäre, wenn sich bis dahin kein positiver Ansatz im zwischendeutschen Bereich gezeigt hätte.
Aber auch dies war wie so viele ostpolitische
Versprechungen dieser Regierung - nichts anderes als eine Irreführung der Öffentlichkeit. Denn ohne jeden positiven Ansatz in der deutschen Frage verpflichtete sich die Bundesregierung zu einer Herbeiführung der von Moskau gewünschten Sicherheitskonferenz und unterzeichnete gleichzeitig den deutsch-sowjetischen Vertrag.
({4})
Bereits einen Monat später ließ der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Obersten Sowjet, Jurij Schukow, die Katze aus dem Sack und stellte unserer Vorstellung von einer Einigung des freien Europa das sowjetische Ziel eines sogenannten Großeuropa gegenüber, das allein von Moskau abhängig sein würde, indem er erklärte:
Die gesamteuropäische Zusammenarbeit muß eine Antwort auf die amerikanische Herausforderung darstellen. Spricht man ernsthaft von einer wirksamen Antwort auf diese Herausforderung, so kann sie nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf gesamteuropäischer Basis verwirklicht wird. Bereits ein Vierteljahrhundert versuchen die sogenannten Kleineuropäer,
({5})
einen politischen, finanziellen und wirtschaftlichen Block der kapitalistischen europäischen Staaten zusammenzuschustern, der dem sozialistischen Europa gegenüberstünde und den berüchtigten europäischen Flügel der NATO mit eigenen integrierten Streitkräften bilden würde.
({6}) Und er schließt seine interessante Betrachtung:
Die besonders ausgeglichenen und nüchternen westeuropäischen Politiker sehen sich jetzt aber veranlaßt, die Konzeption eines abgesonderten Kleineuropa einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und in der neuartigen Perspektive einer lange währenden Koexistenz auf der Grundlage der Anerkennung der Nachkriegssituation zu betrachten.
Hier haben Sie in ein paar Sätzen das zusammengefaßt, was ein prominenter maßgebender sowjetischer Politiker für Gedanken und Ideen zu dieser Konferenzstrategie unverblümt und unverhüllt entwickelt.
Um eine Anerkennung der Nachkriegssituation ging es Moskau also, d. h. um nichts anderes als um die internationale Anerkennung der einseitigen Moskauer Interpretation auch der deutschen Ostverträge. Noch vor einer Woche, am 8. Oktober 1974, erklärte der Ostberliner Rundfunk:
Der Sowjetunion geht es um die Schaffung eines neuen Europa. Eine wesentliche Bedingung ist die Anerkennung der Realitäten, wie sie gegenwärtig in Europa bestehen.
Dies diene auch der „Durchsetzung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz".
Das, meine Damen und Herren, bedeutet nichts anderes als die sowjetische Vorstellung vom Klassenkampf, als den Versuch der Herbeiführung einer pax sovetica für ganz Europa.
Einem wahren Frieden kommen wir nach unserer Auffassung nur näher durch gezielte Abrüstungsmaßnahmen in Europa, insbesondere durch eine gegenseitige und ausgewogene Verringerung der Streitkräfte. Hierzu liegen seit Jahr und Tag die westlichen Vorschläge auf dem Tisch. Die Antworten, die uns die Bundesregierung zu diesem Punkte auf unsere Große Anfrage gibt, sind jedoch alles andere als befriedigend. Es gibt keine Sicherheit ohne militärische Maßnahmen, und darum wurden auf der NATO-Konferenz im Frühjahr 1972 hier in Bonn die Genfer Sicherheitskonferenz und die Wiener Konferenz über gegenseitige ausgewogene Truppenverminderung miteinander verknüpft.
({7})
Auf die Frage „Kann es eine Konferenz über Sicherheit geben ohne Gespräche über Truppenreduzierung?" antwortete der damalige Außenminister und
heutige Bundespräsident Walter Scheel am 31. Mai 1972 mit „Nein". Und am 29. Mai 1972 erklärte der damalige Verteidigungsminister und heutige Bundeskanzler:
Ich kann mir keine Konferenz über die Sicherheit Europas vorstellen, wenn über beiderseitige Truppenverringerung überhaupt nicht geredet wird.
({8})
Damals erklärte die Bundesregierung: Truppenverringerung ohne Sicherheitskonferenz: j a, aber Sicherheitskonferenz ohne Truppenverringerung: nein. Genau das geschieht aber heute.
({9})
Auf der Sicherheitskonferenz wird verhandelt, während die Wiener Konferenz über die Truppenverminderung auf der Stelle tritt. Die vor zwei Jahren beschworene Parallelität wurde aufgeweicht. Das entscheidende Wort „ausgewogen" im Namen der Wiener Konferenz fiel auf sowjetisches Betreiben unter den Tisch. Ungarn wurde aus dem Bereich des zu behandelnden Gebietes ausgeschlossen.
Uns muß es um die Herstellung des Gleichgewichtsprinzips in Europa auf konventioneller Ebene und um den Abbau des sowjetischen Überhangs an Offensivpotential gehen. Deswegen müssen wir die Frage stellen, Herr Außenminister: Was haben Sie, was hat Ihre Regierung, was hat der Westen auf diesem Gebiet bis jetzt auf dieser Konferenz erreicht? Wir müssen uns heute die Antwort geben: Wir sehen nicht, was erreicht worden ist. Während der Verteidigungsminister dabei ist, auf dem kalten Wege die Wehrpflicht de facto abzuschaffen,
({10})
stehen wir einer sowjetischen Rüstung gegenüber, die sich, wie Sie selbst am besten wissen, wie nie zuvor gesteigert hat.
Im strategischen Bereich ist die Sowjetunion in einen Rüstungswettlauf mit den Vereinigten Staaten eingetreten mit dem Ziel, diese zu überholen. Vor wenigen Tagen konnten wir erfahren, daß sowjetische U-Boote erstmals Raketen auf eine Entfernung von 9 000 km abgefeuert haben. Sie haben damit die amerikanischen Reichweiten bei weitem übertroffen. Alarmierend ist die hektische Beschleunigung der massiven sowjetischen Flottenrüstung. Es darf hier wohl darauf hingewiesen werden, daß die traditionelle Landmacht Rußland eine so starke Flottenrüstung gewiß nicht zu defensiven Zwecken benötigt. Der amerikanische Admiral Cousins warnte vor kurzem, daß die Sowjetunion bereits 1980 über 30 U-Boote der Delta-Klasse verfügen werde, noch ehe die Vereinigten Staaten ein einziges Trident-U-Boot eingesetzt haben werden.
Mit ihrer Seerüstung kann die Sowjetunion nicht nur in allen Weltmeeren präsent sein, sondern insbesondere Europa an seinen Flanken vom Mittelmeer, von der Ostsee und vom Nördlichen Eismeer aus umfassen, die Verbindungslinien zu den Vereinigten Staaten im Atlantik und die Transportwege auch für Rohstoffe, wie z. B. für Erdöl, abschneiden. Bereits heute passiert alle 25 Seemeilen ein Tanker das Kap der Guten Hoffnung. Wer soll diese Lebenslinie unserer Wirtschaft schützen?
Um einen regionalen Bereich in der sowjetischen Seerüstung herauszugreifen: die sowjetische Nord-meerflotte im Bereich des eisfreien Hafens Seweromorsk bei Murmansk umfaßt alleine etwa 100 000 Mann mit 450 Kriegs- und Hilfsschiffen, darunter sechs Raketenkreuzer, eine hochmotorisierte Brigade Marineinfanterie, mehrere ausgebildete motorisierte Divisionen auf der Kola-Halbinsel.
Wie steht es mit der sowjetischen Rüstung zu Land? Nach den neuesten Angaben des eben erschienenen Jahrbuchs des Londoner Instituts für strategische Studien haben die Vereinigten Staaten ihre Streitkräfte um weitere 78 000 auf 2 174 000 Mann reduziert, während die Sowjetunon ihre Truppen um 100 000 Mann aufgestockt hat und jetzt über dreieinhalb Millionen Mann unter Waffen hält.
({11})
Allein im letzten Jahr hat die Sowjetunion drei weitere Armeedivisionen aufgebaut. Die sowjetische Panzerwaffe wurde weiter verstärkt. Neue Modelle ersetzen ältere Typen. Dazu kommt die Fähigkeit des Warschauer Pakts zum Angriff aus dem Stand, nicht nur durch neue Ausrüstung, sondern auch durch eine neue Dislozierung, durch die Erprobung von Einsatzmöglichkeiten, wie sie am vierten Kriegstag des Nahostkrieges von Moskau erfolgreich mit Lufttransportmanövern und gemeinsamer Logistik erprobt worden sind.
Angesichts dieser Tatsache ist es unseres Erachtens unverantwortlich, die Genfer Sicherheitskonferenz losgelöst von institutionellen Fortschritten auf der Wiener Truppenverminderungskonferenz weiterzuführen.
({12})
Die Klammer zwischen KSZE und MBFR muß erhalten bleiben, d. h. einer Abschlußkonferenz der KSZE kann nur zugestimmt werden, wenn gleichzeitig annehmbare Ergebnisse in Wien auf dem Tisch liegen.
Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pawelczyk?
Sobald ich mit dem Gedankengang zu Ende bin, gern.
Annehmbare Ergebnisse - das bedeutet insbesondere auch, daß für die Bundesrepublik Deutschland im Gegensatz etwa zu unseren westlichen Nachbarn Frankreich und England kein Sonderstatus vereinbart wird.
({0})
Bitte sehr, Herr Kollege Pawelczyk.
Soll ich aus Ihrer Bemerkung, die Sie vor etwa einer Minute gemacht haben, schlie8374
ßen, daß die KSZE wegen der augenblicklichen Verhandlungssituation in Wien zu unterbrechen sei?
Ich hoffe, es ist Ihnen noch im Ohr, wie ich formuliert habe. Ich habe mehrfach geschrieben und heute gesagt, was wir für annehmbare Ergebnisse halten würden, und ich habe gerade eben gesagt, einer Abschlußkonferenz der KSZE könnte nur unter den von mir genannten Bedingungen zugestimmt werden. Nur so konnte ich verstanden werden.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Abgeordneter Zimmermann, sind Sie im Zusammenhang mit der letzten Frage nicht mit mir der Meinung, daß es über den Korb 3, die Fragen der Menschenrechte, in Genf weiß Gott noch genug zu unterhandeln und zu verhandeln gibt, als daß von einem Abbruch dieser Konferenz überhaupt die Rede sein könnte?
Ich bin völlig dieser Meinung. Dazu wird mein Kollege Dr. Heck nachher ausführlich Stellung nehmen.
Entscheidend für den Fortgang der Entspannungspolitik sind aber auch die amerikanisch-sowjetischen Gespräche über die Beschränkung der strategischen Waffen, SALT. Diese Gespräche sind auch für Europa entscheidend,
({0})
weil hier bei Fehlentscheidungen unwiderrufliche weltpolitische Veränderungen eingeleitet werden können. Die Sowjetunion, die nach weltweiter nuklearer Überlegenheit strebt, will durch diese Verhandlungen die Entstehung eines multipolaren Systems verhindern oder doch wenigstens verzögern und auf lange Jahre bilaterale Politik auf höchster Ebene treiben. Tatsache ist jedoch, daß SALT nicht zu neuer Vertrauensbildung, sondern zu einem neuen Rüstungswettlauf geführt haben. Durch SALT sind wir auf dem Gebiet der sogennannten „forward based systems" unmittelbar betroffen. Hier gilt es, enge und klare Konsultationen mit unseren amerikanischen Freunden zu führen.
Angesichts der einseitigen und massiven sowjetischen Aufrüstung fehlt es an einer Vertrauensgrundlage gegenüber der Sowjetunion. Darum ist für die Genfer Konferenz auch die Verwirklichung der sogenannten vertrauenbildenden Maßnahmen erforderlich. Aber auch auf diesem für den Westen entscheidenden Gebiet kann die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage keinerlei befriedigenden Fortschritt melden. Wie steht es mit der Mitteilung von Manövern, wie steht es mit der Ankündigung größerer militärischer Bewegungen?
Überall hier bei diesen Fragen tritt die Konferenz leider auf der Stelle.
Ich fasse zusammen: In allen für uns entscheidenden Fragen der Sicherheit ist weder in Wien noch in Genf bis jetzt irgend etwas uns Befriedigendes erreicht worden.
Lassen Sie mich mit aller Deutlichkeit sagen: Es ist für uns undenkbar und unannehmbar, daß eine deutsche Bundesregierung etwa ein Schlußdokument einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unterzeichnet, wenn nicht zwei entscheidende Fragen auf dieser Konferenz mit gelöst werden können: Abschaffung des unmenschlichen Schießbefehls durch das SED-Regime und die Gewährung einer Selbstbestimmungsgarantie für alle Deutschen.
({1})
Diese Regierungskoalition hat immer wieder beteuert, mit ihrer Ostpolitik diene sie dem Ziel der Erreichung von mehr Menschlichkeit.
({2})
Bisher ist die Koalition auf der ganzen Linie in dieser Absicht gescheitert. Der Schießbefehl wird weiter durchgeführt, Mauer und Stacheldrahtsperre wurden verstärkt, die Abgrenzungspolitik wird verschärft, die Einheit der deutschen Nation wird geleugnet, der Besucherverkehr von West nach Ost wird behindert. Das ist das Ergebnis.
Wir treten für die Durchsetzung der Menschenrechte überall in der Welt ein. Wir haben aber keinerlei Verständnis dafür, wenn die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien für die Belange der Frelimo in Schwarzafrika oder für die Interessen kommunistischer Flüchtlinge aus Chile eintreten, zu der Unmenschlichkeit mitten in diesem Lande aber schweigen.
({3})
Uns muß es wohl doch in erster Linie um die Durchsetzung der Menschlichkeit in unserem eigenen Lande gehen. Wenn wir an andere Länder denken, so vergessen wir bitte nicht die Menschen in den Schweigelagern und Irrenanstalten der Sowjetunion, denken wir an den Exodus sowjetischer Künstler und Schriftsteller, an die Unterdrückung der baltischen Nationen, an die Kirchenverfolgungen in der CSSR und in Ungarn, um nur einige Tatsachen zu erwähnen, die man doch immer wieder einmal sagen muß, weil sie von anderer Seite gar nicht angesprochen werden. Denken wir auch an diese Dinge!
({4})
Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Corterier?
Ich komme zum Ende, und deswegen bitte ich, davon Abstand zu nehmen.
Es geht um die Entwicklung eines klaren Konzepts für die Verwirklichung der Menschenrechte
und des Selbstbestimmungsrechts in Europa. Ich habe hier das Ostberliner Gesetzblatt vom 26. 2. 1974 mit der Bekanntmachung über die Ratifizierung der Internationalen Konvention vom 16. 12. 1966 über zivile und politische Rechte vor mir liegen.
({0})
Dieser Konvention ist das SED-Regime beigetreten.
({1})
In der Konvention heißt es unter anderem, sie erstrebe das „Ideal freier Menschen", wolle die „allseitige Achtung und Wahrung der Menschenrechte und Freiheiten fördern". In Artikel 1 heißt es wörtlich: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung." In Artikel 12: „Jeder, der sich rechtmäßig auf dem Territorium eines Staates aufhält, hat auf diesem Territorium das Recht, sich frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Es steht jedem frei, jedes Land, auch sein eigenes, zu verlassen."
({2})
Die wirkliche Lage im Bereich des Regimes spricht dieser feierlichen Erklärung hohn. Das läßt sich nur durch die Umkehrung aller Werte durch Lenin erklären, der im Jahre 1918 gesagt hat, daß die Interessen des Sozialismus höher stehen als die Interessen des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Er sagte am 2. Oktober 1920, daß unsere Sittlichkeit völlig den Interessen des proletarischen Klassenkampfes untergeordnet ist. Dementsprechend verwahrte sich Breschnew auf dem sogenannten Friedenskongreß in Moskau gegen alle Versuche, unter mißbräuchlicher Berufung auf die Menschenrechte etwa mit demagogischen Forderungen nach menschlichen Erleichterungen oder menschlichen Kontakten antisozialistische Diversion zu betreiben. Das ist die konsequente Fortsetzung dieser Gedankengänge.
Wir haben es bei den Ostverträgen erleben müssen, wohin schlecht ausgehandelte und doppeldeutige Vertragstexte führen. Das darf auf der Genfer Konferenz nicht noch einmal wiederholt werden. Durch faule Formelkompromisse werden kommunistische Unrechtsregime nur stabilisiert, und durch doppeldeutig auslegbare Vertrags- und Entschließungstexte wird lediglich der Grundstein zu neuen Auseinandersetzungen und Auslegungsschwierigkeiten gelegt. Dies gilt für den gesamten Bereich der Genfer Konferenz, insbesondere aber für die Frage der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts. Hier darf nichts verkleistert oder verschleiert werden.
Ich erinnere daran, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundvertragsurteil die Bundesregierung auf die verfassungsmäßige Pflicht hingewiesen hat, das öffentliche Bewußtsein „auch dafür wachzuhalten, welche weltanschaulichen, politischen und sozialen Unterschiede zwischen der Lebens- und Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Lebens- und Rechtsordnung der DDR bestehen". In diesem Urteil heißt es auch, daß „die gegenwärtige Praxis an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR - also Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen und Schießbefehl -" mit dem Grundvertrag, dem Selbstbestimmungsrecht und den Menschenrechten unvereinbar ist.
Die „Neue Zürcher Zeitung" schreibt am 4. September dieses Jahres über die Genfer Sicherheitskonferenz: „Besser ein Null-Resultat als weitere Konzessionen, die nachher bereut werden müssen."
({3})
Ich füge hinzu: Besser ein Null-Resultat als faule Kompromisse. Ich erinnere an das Wort des damaligen Außenministers Scheel anläßlich der Eröffnung der Konferenz im Sommer vergangenen Jahres. Er sagte:
Wenn im Verlauf unserer Erörterungen klar würde, daß unsere Auffassungen über die Wirklichkeit noch zu weit auseinanderklaffen, dann wäre es ein Gebot der Ehrlichkeit, dies klar zu sagen. Es würde nichts anderes bedeuten, als daß die Bedingungen noch nicht reif sind, um das ehrgeizige Ziel, das wir uns gesetzt haben, auf dieser Konferenz zu erreichen.
Nach dem gegenwärtigen Stand der Konferenz und nach dem Wortlaut Ihrer Antwort, Herr Bundesaußenminister, auf unsere Große Anfrage sind die Bedingungen noch nicht reif. Die Ehrlichkeit, die der frühere Außenminister forderte, sollte von dem heutigen Außenminister und dieser Bundesregierung in dieser Debatte weiter unter Beweis gestellt werden.
({4})
Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Wagner ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU ist mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD der Meinung, daß angesichts dieser gewichtigen Debatte die Regierungsbank nicht angemessen besetzt ist. Der Herr Bundeskanzler wird Ende dieses Monats in Moskau sein, und es ist mit Sicherheit damit zu rechnen, daß in seinen Gesprächen das Thema KSZE einen breiten Raum einnehmen wird. Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, und wir sind der Meinung, daß es nicht nur nützlich, sondern notwendig ist, daß der Herr Bundeskanzler die Auffassung dieses Hauses zu dieser Frage kennt.
Gemäß § 46 unserer Geschäftsordnung beantragen wir deshalb, den Herrn Bundeskanzler herbeizurufen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich frage, ob zur Geschäftsordnung noch das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke! Gegenprobe! - Danke! Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist gegen 2 Stimmen bei einer Reihe von Enthaltun8376
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
gen angenommen. Ich werde veranlassen, daß das dem Herrn Bundeskanzler übermittelt wird.
({0})
- Ich gehe davon aus, Herr Abgeordneter Wagner, daß Sie eine Unterbrechung der Beratungen wünschen.
({1})
- Ich unterbreche die Sitzung bis 16.15 Uhr.
({2})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen.
Das Wort in der Aussprache hat der Abgeordnete Mattick.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Nach der eigenartigen Unterbrechung möchte ich - ({0})
- Ich wußte, daß Sie rufen. Ich wollte ein bißchen Echo haben; dann läßt es sich nach einem solchen Ausstand leichter anfangen.
({1})
- Also, den rufen Sie nun. Ich will nun die Debatte fortsetzen.
({2})
Einleitend möchte ich sagen, man hört bei allem nur immer wieder das Nein.
({3})
Ich habe mir ein paar Notizen über die Ausführungen von Herrn Dr. Marx gemacht. Er sagte, die Sowjets wollen die USA aus Europa verdrängen, um neue Fischzüge in westeuropäische Länder zu machen. Herr Kissinger sagt, die Sowjetunion ist von einer revolutionären Macht zu einer Ordnungsmacht in der Welt geworden. Herr Marx sagt, wir müssen aufhören, für die gleiche Sache zweimal zu bezahlen.
({4})
- Zweimal, hat er heute gesagt. Aber ich habe hier etwas von Herrn Strauß, der sagt, viermal; darüber kann man noch reden. Herr Strauß hat in Berlin in einem neuen rechtsrevolutionären Klub gesprochen
({5})
und dort gesagt: Gerade weil wir die Kleineren damit meinte er sicher Bayern - und die Sehwacheren sind, dürften wir keine Geschenke denen gegenüber machen, die Geschenke für Dummheit halten.
({6})
Und dann kommt er zu folgender Feststellung, die meiner Ansicht nach hochinteressant ist. Er sagt:
Wir hätten diesen schmerzlichen Schritt vielmehr erst vollziehen dürfen, wenn Freiheit für Menschen, für Informationen und Meinungen in einem Ausmaß gesichert und praktiziert worden wäre, daß es erlaubt wäre, diese schwerwiegende Leistung als Gegenleistung dafür zu erbringen.
Daß das nicht geschehen ist, ist die historische Schuld der Geschichtsblinden in Bonn. So sind wir
- und jetzt kommen interessante Bemerkungen in eine Serie von Lügen gekommen. Zuerst die Geschichtslüge, die zweite Lüge ist die Notlüge. Zur Geschichtslüge kommt die Notlüge und die Zwecklüge.
Und dann:
Alles, was wir tun, ist also Lüge und Unwahrheit.
Dies sagt der Mann in Berlin in einer Situation - er meint damit die Ostverträge und auch die Berlin-Vereinbarung -, in der er auf der Straße in Berlin mit jedem darüber reden kann, ob die Berliner die Veränderungen erleben oder nicht erleben. Ich meine, das paßt zu dem, was heute Herr Dr. Marx und Herr Zimmermann in bezug auf ihr Nein zur Konferenz und zum Ergebnis der Konferenz, dem sie dabei vorgreifen, gesagt haben.
({7})
- Ich habe zugehört; ich weiß, daß Sie in Ihren Ausführungen auch ein paar Schlenker hatten.
({8})
- Lassen Sie mich doch ausreden, ich habe bei
Ihnen auch zugehört. Ich weiß nur, daß Sie - wie immer - zu der Konferenz im Grunde genommen nein sagen; denn Ihre Begründungen und Ihre Gegenargumente landen bei dem Nein.
({9})
Es ist sicherlich Ihr gutes Recht, ja, es ist Ihre Pflicht, der Regierung harte Fragen zu stellen - Große Anfragen z. B. - , aber ist meiner Ansicht nach auch Ihre Pflicht, der deutschen Öffentlichkeit in einer solchen Debatte zu sagen, was denn nun nach Ihrer Meinung gelten soll: Ob Sie die KSZE nicht wollen, ob Sie sie so nicht wollen oder ob Sie sie mittragen wollen, diese Frage ist offengeblieben. Meine Damen und Herren, gilt denn nun bei Ihnen das, was Herr Zimmermann gesagt hat, oder gilt, was Herr Leisler Kiep geschrieben hat,
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode
das man nachlesen kann? Wir stehen also vor der Frage: was will die CDU? Das ist bei Ihnen letzten Endes auch ein Streit um den Kurs Ihrer Politik. Dieser Streit um den Kurs der Politik wird ausgetragen in einem Streit um Personen, um den Kanzlerkandidaten usw.
({10})
Insofern sind Sie so offen in Ihrer Politik, daß wir Ihnen die Frage stellen müssen: Wohin wollen Sie gehen?
({11})
Der Gegensatz der Systeme in Ost und West war die Grundlage eines gemeinsamen Konfliktes der Westmächte und der Deutschen der Bundesrepublik mit den Sowjets, bei dem die Freiheit und Sicherheit der inneren Entwicklung diesseits der Systemgrenze den Vorrang hat. Die Forderung nach Wiedervereinigung der Deutschen in Freiheit und durch Grenzrevision im Osten war die Grundlage eines Sonderkonflikts der Bundesrepublik mit der Sowjetunion und dem Sowjetblock, in dem nur bedingt und mit der Zeit in abnehmendem Maße auf die Unterstützung der Westmächte gerechnet werden konnte.
Die Geschichte des Wandels der bundesdeutschen Ostpolitik im Laufe eines Vierteljahrhunderts ist die Geschichte der zunehmenden Erkenntnis dieses Unterschieds und der notwendigen Entschärfung des deutschen Sonderkonflikts mit dem Osten als Folge der wachsenden Eingliederung der Bundesrepublik in das wirtschaftliche, politische und militärische System des Westens sowie der zunehmenden Beschränkung der Formeln des allgemeinen Systemkonflikts im Zuge der Entspannung. - Dies sagt Richard Löwenthal in seinem neuesten Buch.
Dies ist auch im Kern die Lektion, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Sie noch nicht haben lernen wollen! Sie haben uns allen vormachen wollen, daß Sie wer weiß was mit Ihrer Politik erreichen könnten. Aber Sie konnten es nicht, und das wußten Ihre führenden Kräfte ganz genau. Dennoch haben Sie nicht den rechten Augenblick gefunden, um mit der Illusion Schluß zu machen. Das haben wir ja heute auch wieder gemerkt.
({12})
Sie haben während der Großen Koalition nicht den Mut gehabt; je näher der Wahltermin 1969 rückte, desto verkrampfter und illusionärer wurde Ihre Ostpolitik.
(Dr. Marx ({13})
Sie haben 1972 auch nicht den Mut dazu gehabt, weil Sie sich vor der Öffentlichkeit in einer solchen Schicksalsfrage mit der Stimmenthaltung davonschleichen wollten. Und Sie haben auch heute noch
nicht den Mut und die Kraft als Partei Ihren Frieden mit der Wirklichkeit der 70er Jahre zu machen.
({14})
- Ich darf Ihnen dazu sagen, Herr Professor Carstens: erst die Geschichte wird ganz deutlich machen, was die SPD/FDP-Koalition außenpolitisch für dieses Land geleistet hat.
({15})
In den Zusammenhang der heutigen Debatte gehört die Einsicht, daß es eine SPD-geführte Regierung war, die diesem Land den inneren und den äußeren Ausgleich,
({16})
das innere und das äußere Selbstvertrauen durch Verarbeitung der Realitäten wiedergegeben hat.
({17})
- Überall auf dieser Welt, Herr Dr. Marx, überall auf dieser Welt ist dies anerkannt und honoriert worden nur nicht von Ihnen!
({18})
Deshalb sage ich Ihnen, daß weder wir noch die Öffentlichkeit es zulassen werden, wenn Sie auf (I billige Art und Weise versuchen wollen - so, wie Sie es ja im Grunde bei der Ostpolitik im allgemeinen gemacht haben -, die Erwartungen künstlich hochzuschrauben
({19})
und sich dann im entscheidenden Augenblick aus der Verantwortung zu stehlen.
({20})
Fangen Sie doch bitte endlich an, eine vor sich und vor den anderen ehrliche Politik zu entwickeln!
({21})
Ihre Position besteht im Kern darin, die Früchte der
KSZE ernten zu wollen, ohne wirklich mitzumachen.
({22})
- Später!
({23})
Es ist gar nicht so einfach und schon gar nicht in so naiver Weise durchsetzbar, wie es in einem Teil der Fragen anklingt, wenn man unter 35 Staaten nach einer gemeinsamen Basis politischen Verhal8378
tens sucht. So formulieren Sie z. B. in Ihrer Frage 11 a:
Wie gedenkt die Bundesregierung die westliche Hauptforderung nach Gewährleistung der Menschenrechte für alle Europäer insbesondere nach Freizügigkeit für Menschen, Ideen und Informationen auf der KSZE durchzusetzen?
Durchzusetzen! So einfach ist das, meine Damen und Herren, für die Opposition! Was es heißt, auf den Trümmern der vergangenen Außenpolitik früherer Regierungen deutsche Interessen und Ziele durchzusetzen, das haben wir in den vergangenen Jahren sehr deutlich gespürt. Es ist eine verdammt schwere Aufgabe. Niemand nimmt Ihrem Kanzler Adenauer und Ihnen die Anerkennung dafür, was er für die Bundesrepublik im Verhältnis zu den Westmächten geleistet hat.
({24})
- Bundeskanzler Adenauer, habe ich gesagt. Aber zu den unerledigten Aufgaben der Erben Adenauers gehört der Ausgleich mit dem Osten.
({25})
Und diesen Ausgleich haben wir mit der Zustimmung des Westens und gegen Ihre illusionär defensive Einstellung begonnen. Wären wir Ihrem Kurs gefolgt, meine Damen und Herren von der Opposition,
({26})
wäre die Bundesrepublik heute in Ost und West hoffnungslos isoliert, denn zur Entspannung gibt es im Nuklearzeitalter keine Alternative.
({27})
Lesen Sie einmal ausführlich die Erklärung, die der amerikanische Außenminister Kissinger vor dem auswärtigen Ausschuß des Senats am 19. September dieses Jahres abgegeben hat. Dort finden Sie die entscheidenden Überlegungen zur Unausweichlichkeit der Entspannung und zur Notwendigkeit der Vereinbarung von Konkurrenz und Koexistenz.
Wir müssen - so sehe ich es - von folgenden Fragen ausgehen. Können wir die Interessen unseres Volkes wahrnehmen, ohne die Interessenlage des Partners im wesentlichen zu berücksichtigen?
({28})
Können wir von der Bundesregierung eine Außen-und Sicherheitspolitik fordern, die die eigenen Interessen höher stellt als das Interesse aller Völker, den Frieden zu erhalten? Ist die Entspannungs- und Friedenspolitik möglich, wenn wir der Sowjetunion immer nur Hinterhältigkeit unterstellen?
({29})
Ist eine erfolgreiche Außenpolitik denkbar, die dem
anderen keine Alternative läßt? Kann eine Außenpolitik erfolgreich sein, die dem anderen keine Möglichkeit gibt, sein Gesicht und seine Eigentümlichkeit zu wahren?
({30})
Ist eine Außenpolitik tragbar, frage ich, die den bestehenden Realitäten nicht Rechnung trägt, die den Status quo einer sich wirtschaftlich verflechtenden Welt in Frage stellt?
Die Große Anfrage der CDU/CSU zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zeigt uns, daß die Opposition eine Politik fortgesetzt sehen will, die über viele Jahre alte Feindschaft nährte, die Last der deutschen Teilung nicht minderte, sondern sie verstärkte, die Gefahren nicht beseitigte,
({31})
die nur eigenen Interessen dient, die der Sowjetunion jeden eigenen Vorteil verweigert, die das sowjetische System unter Druck setzen wollte, die weder dem Ausgleich der Interessen noch der Erhaltung und der Sicherung des Friedens diente und die letzten Endes an ihrer eigenen Zielsetzung zugrunde gegangen ist.
Niemand zieht das Recht der Opposition in Zweifel, die außenpolitischen Schritte der Bundesregierung kritisch zu begleiten. Nur fällt es uns schwer, in der Anfrage einen echten konstruktiven Beitrag der Opposition zur Außenpolitik der Bundesregierung zu finden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({0})?
Etwas später. Einen kleinen Moment noch!
Der destruktive Gehalt dieser Anfrage ergibt sich aus der Tatsache, daß die CDU/CSU das Hauptziel jeder außenpolitischen Aktivität in unserer Zeit nicht voraussetzt und die neuen Dimensionen der modernen Außenpolitik nicht sieht. - Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Jäger ({0}), bitte!
Herr Kollege Mattick, ich darf Sie angesichts Ihrer Ausführungen fragen, ob Sie es der Qualität Ihrer Argumentation zuschreiben, daß der herbeigerufene Herr Bundeskanzler den Saal wieder verlassen hat?
({0})
Ich habe volles Verständnis, daß Ihnen diese Ausführungen nicht gefallen. Aber ich habe mir vorgenommen, heute einiges zu sagen, was Ihnen nicht gefällt.
({0})
Wer nicht sieht, daß seit dem Anbruch des Nuklearzeitalters - wie der amerikanische Außenminister
Henry Kissinger am 19. September 1974 erklärte - die Frage von Krieg und Frieden heute von einer bisher nie dagewesenen Dringlichkeit ist, der wird wie ein Oberbuchhalter der Nation nur die eigene Haben-Seite und immer nur die Soll-Seite des anderen sehen. Wir wollen nicht noch einmal all die Konsequenzen aufzählen, die wir hätten tragen müssen, wären wir nicht dem Schritt der Vereinigten Staaten gefolgt, hätten wir die gerade von der CDU-Regierung forcierte antisowjetische Politik nicht durch die Politik des Ausgleichs der Interessen ersetzt, der Entspannung, der friedlichen Koexistenz und Sicherung des Friedens.
Sie sind nicht in der Lage, abzuwägen, was den Vorrang haben muß. Für Sie ist die Entspannung kein Prozeß und die friedliche Koexistenz kein auf der Basis dieses Prozesses zu erstrebender Zustand. Für Sie sind beides Instrumentarien der sowjetischen Außenpolitik nur zur Absicherung ihrer eigenen Interessenlage.
({1})
Bei der Abwägung des Vorrangs der Werte lassen Sie sich von einem Paradox verwirren, das von Außenminister Kissinger wie folgt charakterisiert wird: Wenn der Frieden bis zum Anschluß aller anderen Ziele angestrebt wird, dann werden andere Werte aufs Spiel gesetzt und vielleicht geopfert; wenn aber unbeschränkte Rivalität zu einem nuklearen Konflikt führt, dann werden diese Werte mit allem anderen zusammen in der resultierenden Katastrophe vernichtet werden. - Die Rede ist am 19. September gehalten worden und ging an uns alle.
Wir bestreiten keinesfalls, daß die Sowjetunion im Zusammenhang mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa selbstverständlich Sonderinteressen wahrnimmt
({2})
und auch auf eigenen Vorteil selbstverständlich aus ist. Auch bestreiten wir nicht, daß es zwischen den Mächten und vor allem den Nuklearmächten ein konkurrierendes Verhältnis gibt. Aber aus diesen Tatsachen und der Kenntnis eines für alle Staaten gemeinsamen Interesses ziehen wir im Gegensatz zu Ihnen die einzige realistische Schlußfolgerung: daß die Herausforderung unserer Zeit darin besteht, die Realität der Konkurrenz mit dem Imperativ der Koexistenz zu vereinbaren. Dies sagt Kissinger.
Die beiden Supermächte haben sehr früh damit begonnen, aus dem kalten Krieg und der nuklearen Dimension die für die Erhaltung des Friedens notwendigen Folgerungen zu ziehen. Zum erstenmal tauchte der Vorschlag für eine Konferenz europäischer Staaten am 10. Februar 1954 während der Berliner Deutschlandkonferenz auf. Nach den Vorstellungen des sowjetischen Außenministers sollte das Ziel einer solchen Konferenz ein Vertrag der europäischen Staaten und der USA über den Frieden und die Zusammenarbeit sein. Der Vorschlag zur Gestaltung eines europäischen Sicherheitssystems wurde am 6. Juli 1966 in Bukarest vom Politischen Beratenden Ausschuß des Warschauer Pakts detailliert. Fast zur gleichen Zeit forderte Präsident Johnson einen Zustand des Vertrauens und der Versöhnung in Europa. Wir Sozialdemokraten haben dieser Bestrebung zugestimmt.
({3})
Für beide Großmächte ist der zu erstrebende Zustand ein Verhältnis der friedlichen Koexistenz, gerade wegen der bestehenden Gegensätzlichkeiten. Wir sind uns darüber im klaren, daß die Gegensätze zwischen den beiden gesellschaftlichen Systemen in der Welt noch lange fortbestehen werden. Wir werden diese Gegensätze nicht außer acht lassen und niemals versuchen, sie zu verschleiern. Wir werden aber den Versuch unternehmen, die Gefahrenzone abzubauen. Die Zeit der unbeschränkten Rivalität und des puren Gegensatzes haben wir durchlebt und anschaulich die daraus erwachsenden Gefahren für den Frieden vor Augen geführt bekommen. Wir wissen, daß ein Zustand der äußeren Harmonie nur ein Grenzfall ist, der nur zu verwirklichen wäre, wenn eine der Seiten gezwungen würde, sich selbst aufzugeben. Die totale Gegensätzlichkeit und die totale Übereinstimmung sind nur ideologisch relevant in dieser Welt, aber nie politisch. Nur die Erkenntnis des Zusammenhangs gemeinsamer und gegensätzlicher Interessen, nur die Kenntnis von der inneren Verflochtenheit unterschiedlicher und gemeinsamer Interessen verschafft der Außenpolitik den notwendigen Spielraum und realistische Handlungsperspektiven.
({4})
Nur insoweit wir bereit sind, nüchtern den Widerspruch zwischen Konkurrenz und Kooperation zwischen Gegensatz und Koexistenz als Voraussetzung des Zusammenlebens der Völker und Systeme zu akzeptieren, nur insofern wird es gelingen, Entspannungspolitik mit dem Zieleiner dauerhaften Friedenslösung zu betreiben.
({5})
Die von Henry Kissinger beschriebene Herausforderung unserer Zeit, die Einheit der Konkurrenz mit dem an alle Völker gerichteten Imperativ der Koexistenz zu finden, ist die einzig denkbare Alternative zum nuklearen Konflikt. Das Zusammenleben unterschiedlicher Systeme und Interessenlagen ist nur möglich, wenn man in aller Offenheit bestehende Gegensätze beschreibt und sie akzeptiert. Nur so kann Außenpolitik wirklichkeitsnah und konstruktiv sein, nur so ist der Begriff der Entspannung zu verstehen als die Suche nach einem konstruktiven Verhältnis zueinander. Die östliche Seite hat ihre Auffassung von der friedlichen Koexistenz, die sich keinen Deut von der Henry Kissingers unterscheidet, immer offen dargelegt. Wir sind der Meinung, daß
8380 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode -
es kein friedliches Zusammenleben unter Verwischung der Gegensätze geben kann. Auch wir haben besondere kulturelle Werte, auch wir haben unser Bewußtsein von der Gesellschaft, auch wir konkurrieren ideologisch mit dem kommunistischen Gesellschaftssystem, und die deutschen Sozialdemokraten sind der Meinung, daß sich der demokratische Sozialismus mit der Ideologie Lenins nicht vereinbaren läßt.
Aber
- so sagt wieder Kissinger -
wir müssen reif genug sein, um zu erkennen, daß eine Beziehung, wenn sie stabil sein soll, beiden Seiten Vorteile bieten muß und daß die konstruktivsten internationalen Beziehungen jene sind, in denen beide Beteiligten ein Element des Gewinns sehen. Moskau wird aus bestimmten Maßnahmen Nutzen ziehen, so wie wir aus anderen Maßnahmen Nutzen ziehen werden.
Hier kann man nicht, meine Damen und Herren, an jedem Einzelfall jeden Tag Bilanz ziehen, sondern nur für den gesamten Bereich der Beziehungen und über eine ganze Zeitspanne hinweg.
Alle CDU/CSU-Bundesregierungen einschließlich der Regierung Erhard nahmen an dem Konkurrenzkampf der Systeme, der politischen und militärischen Blöcke teil. Für den Westen hatte dieses konkurrierende Verhältnis das Ziel, das politische und wirtschaftliche Leben in den Ländern des Ostblocks in-
) stabil zu halten, es in Richtung auf seine Auflösung zu beeinflussen. Aus der Sicht der damaligen Bundesregierung war der von Ihnen forcierte Gegensatz zum Sowjetblock nichts weiter als das deutsche Abbild des konkurrierenden Verhältnisses zwischen dem Westen insgesamt und dem Sowjetblock.
({6})
-- Herr Kollege, bereits die Strategie des Friedens des Präsidenten Kennedy hätte der damaligen Bundesregierung klarmachen müssen, daß der latente gesellschaftliche Konflikt, in dem sich der Westen gegenüber dem Sowjetblock befindet, qualitativ ein völlig anderer ist als der, der das deutsche Verhältnis zur Sowjetunion und den übrigen sozialistischen Ländern bestimmt. Damals verkannte die Bundesregierung die vor allem durch die Politik der Vereinigten Staaten, aber auch die Politik Frankreichs stimulierten neuen Dimensionen in der Außenpolitik gegenüber dem Ostblock. Wir haben ja oft über das Verhalten de Gaulles gegenüber der DDR gesprochen, um nur noch einmal an diesen einen Punkt zu erinnern.
Die Regierung Erhard scheiterte außenpolitisch letztlich an der völligen Unterschätzung der Interessenlagen der westlichen und östlichen Anlehnungsmächte. So mußte denn auch der letzte Versuch der damaligen Regierung im Frühjahr 1966, ihr Ansehen in der Welt und vor allein im Ostblock durch die deutsche Friedensnote zu verbessern, scheitern. Dieser Tage hat der Altbundespräsident Gustav Heinemann mit der ihm eigentümlichen Offenheit auf die
verhängnisvolle Politik der CDU/CSU unter Konrad Adenauer hingewiesen. Er sagte:
Es war ein Spiel mit dein Risiko, weil der Einsatz der Gewalt nicht auszuschließen war.
Am 5. März 1952 erklärte Konrad Adenauer:
Erst wenn der Westen stark ist, ergibt sich ein wirklicher Ausgangspunkt für friedliche Verhandlungen mit dem Ziel, nicht nur die Sowjetzone, sondern das ganze versklavte Europa östlich des Eisernen Vorhangs zu befreien.
({7})
Ende 1954 versuchte die Sowjetunion, die Bundesregierung auf die Gefahren hinzuweisen, die sich für die Wiedervereinigung Deutschlands aus der Ratifizierung der Pariser Verträge ergeben. Ich will die Note nicht verlesen; Sie kennen den Prozeß.
({8})
Ich will auch die Bemerkungen nicht zitieren, die Konrad Adenauer am 15. Dezember 1954 machte - sie liegen alle auf der gleichen Linie - und denen sich Kiesinger angeschlossen hat. Ich möchte aber gern noch einmal wiederholen, was Erich Ollenhauer dann im Auftrage unserer Fraktion zu dieser Debatte gesagt hat. Er sagte:
Täuschen Sie sich nicht darüber, daß, wenn die Sowjetunion in der DDR die Konsequenzen aus der Ratifizierung der Verträge hier zieht - ich fürchte, das wird sie tun -, das sehr fühlbare und unmittelbare Folgen für die Möglichkeiten der Beziehungen zwischen den Menschen in der Bundesrepublik und der SBZ haben wird. Ich möchte Ihnen das heute am Sonntag gesagt haben, damit niemand hinterher sagen kann, er habe es nicht gewußt. Meine Damen und Herren, es gibt auf Ihrer Seite das Argument - bitte, das kann man haben -, die Sowjets werden mit uns auch später reden. Der Herr Bundeskanzler hat es in die Form gebracht: Bangemachen gilt nicht. Darum handelt es sich gar nicht. Sie haben genausowenig eine Garantie dafür, daß Ihre Vorstellung richtig ist, wie für unsere Befürchtung, daß Ihre ein nicht begründeter Optimismus ist. Aber Sie alle tragen mit uns das Risiko, daß übermorgen die Sowjets nicht mit uns über die Frage der Wiedervereinigung verhandeln, Sie alle mit uns. Da liegt doch der Kern unserer sehr konkreten politischen Forderung. Laßt uns mit den Sowjets und den drei Westmächten reden, ob es heute eine bessere Möglichkeit für die Wiedervereinigung gibt als im Jahre 1954.
Die CDU/CSU sollte heute ralistische Schlußfolgerungen aus dem ziehen, was durch ihre Unterlassungen entstanden ist.
Spätestens seit der Kuba-Krise und der Berlin-Krise und dem Bau der Mauer hätte aller Welt klar sein müssen, daß die beiden Supermächte beMattick
reit sind, den bestehenden Status quo hinzunehmen und ihre Interessengebiete zu respektieren.
Aber diese Realität will die Opposition immer noch nicht wahrhaben. Indem sie dem Ostblock Unehrlichkeit und taktische Manöver unterstellt, beraubt sie sich der Möglichkeit, das Wesen des Entspannungsprozesses zu erfassen. Ich will nicht noch einmal Kissinger zitieren, der sich auch darüber ausgelassen und deutlich gemacht hat, daß sich die Sowjetunion von einer revolutionären Macht zur Ordnungsmacht gewandelt hat und zum Partner der Amerikaner geworden ist und daß man allein mit dieser Partnerschaft in der Lage ist, den Frieden in der Welt zu sichern, wenn das überhaupt möglich ist. Dies erlaubt es aber dann auch nicht, von einer vielfachen Lüge zu sprechen und die gesamte Ostpolitik madig zu machen, wie es Herr Strauß - ich habe es hier vorgelesen - getan hat, sondern es heißt, etwas realistischer zu denken.
({9})
Meine Damen und Herren, die von mir gestellten Fragen an die CDU werden Sie sicher nicht beantworten. Hier aber blieb heute der längst fällige Nachweis des Fehlverhaltens der CDU in der Außenpolitik nicht erspart. Die KSZE, an deren Arbeit sich die Bundesregierung beteiligt und an der auch wir uns beteiligen, ist der Versuch und das Bemühen, 33 europäische Nationen sowie Amerika und Kanada zu einer Übereinstimmung in der Erkenntnis der Gegensätzlichkeiten zu bringen, um darauf den Frieden in Europa festzumachen. Dies ist die Aufgabe, und da wird es nicht so sein, daß wir beim ersten Abschluß dieser Konferenz alles bekommen, was wir uns vorstellen und was die CDU als Katalog aufgestellt hat. Aber wir werden die Voraussetzung dafür schaffen können, daß sich der Prozeß weiterentwickelt.
Lassen Sie mich zum Schluß eine Bemerkung machen, die eigentlich mit der KSZE nichts zu tun hat, aber mit der Lage, in der wir uns befinden. Gestern war ein manchen bekannter Mann aus Zypern hier. Er hat uns berichtet, daß auf Zypern effektiv 230 000 Menschen im Wald leben und keine Chance haben, im kommenden Winter dort herauszukommen. So sieht die Welt aus, so sieht die NATO aus, so sieht die UNO aus. Wir sollten darüber nachdenken, welchen Beitrag wir leisten, um all diese Kräfte wenigstens so zusammenzuführen, daß die Menschheit nicht so zu leben hat wie die 230 000 Zyprioten.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mertes ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Kürze wird der Herr Bundeskanzler nach Moskau fahren. Es ist gut, daß wir vorher hier den Versuch machen, das Ausmaß der Übereinstimmung zwischen den Fraktionen und das Ausmaß der Nichtübereinstimmung festzuhalten. Ich will zu diesem Versuch einen Beitrag leisten. Ich glaube trotz mancher polemischer Töne an unsere Adresse, daß es hier in den wirklich essentiellen Fragen doch mehr Gemeinsames gibt, als es bisweilen der Fall zu sein scheint. Ich will das deutlich machen, indem ich einige der Fragen aufgreife, die von der Koalition hier aufgeworfen worden sind.
Zunächst einmal, verehrter Herr Kollege Mattick aus Berlin, ich wundere mich etwas über die Logik Ihrer geschichtlichen Ausführungen. Sie haben dem Bundeskanzler Adenauer ein sehr großes Lob wegen seiner Politik gespendet, weil sie die Voraussetzung der Entspannungspolitik, also unsere Sicherheit durch das westliche Bündnis, erst möglich gemacht habe. Dann aber sind Sie auf die alte, historische Diskussion von 1952 zurückgekommen und haben Adenauer wegen eben dieser Politik massiv getadelt. Entweder - oder! Entweder hatte Adenauer recht, als er die Voraussetzung für eine machtpolitisch realistische Politik schuf, oder aber seine Politik war falsch.
({0})
Im übrigen hat der Kollege Mattick neben manch Ungereimtem und Fehlern auch einiges gesagt, auf das ich positiv eingehen könnte.
Herr Kollege Pawelczyk, Sie haben sich darüber gewundert, daß der Kollege Marx eine positive Äußerung in dem Sinne getan hat, wir begrüßten die Konferenz, wenn ... Diese unsere Haltung ist doch seit langem bekannt. CDU und CSU haben bereits im Herbst 1972 in ihrem gemeinsamen Wahlprogramm gesagt: „Wir sind bereit, die internationalen Vorhaben einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie einer Konferenz über die ausgewogene gegenseitige Truppenverdünnung in Europa in dem Maße zu unterstützen, in dem auf diesem Wege zur Entspannung beigetragen werden kann - nicht nur mit Worten, sondern in den Realitäten."
Herr Kollege Pawelczyk, Sie haben Äußerungen des damaligen Außenministers Brandt aus dem Jahre 1969 zitiert. Herr Brandt hat damals keineswegs ein volles Ja zur KSZE gesagt, sondern er hat sie von ganz kräftigen Bedingungen abhängig gemacht, die allerdings hinterher durch den Verlauf der Ostpolitik entfielen. Auch wir begrüßen wie Sie, daß die Amerikaner und die Kanadier dabei sind, daß im Prozeduralen einiges erreicht worden ist.
Aber Sie können doch weiß Gott nicht sagen, SPD und FDP seien immer für diese Konferenz gewesen. Sie haben lediglich Bedingungen aufgegegen, die wir aufrechterhalten haben.
Zweitens haben Sie gesagt, wir sollten die Konferenz nicht mit der deutschen Frage belasten. Ich möchte dazu folgendes fragen, Herr Kollege Pawelczyk: Wer wollte denn jahrelang diese Konferenz? Das war die Sowjetunion. Die Deutschlandfrage ist ---an sowjetischen Interessenmaßstäben gemessen-in Gestalt der Frage nach der Unverletztlichkeit der
Dr. Mertes ({1})
Grenzen - ein zentrales sowjetische Motiv für diese Konferenz.
({2})
- Sie wollte - wenn Sie die Texte ab 1966 nachlesen, sehen Sie das - diese Konferenz. Es sind Verbesserungen hinsichtlich Teilnehmerkreis, Methoden und Prozeduren im Sinne unserer Wünsche eingetreten,
({3})
aber die Sowjetunion war immer in allererster Linie an einer abschließenden Lösung der deutschen Frage mit Hilfe dieser Konferenz interessiert, die ihren Interessen, so wie sie diese sieht, entspricht. Infolgedessen müssen wir als Partner der Sowjetunion in dieser Frage sehen, was die Sowjetunion mit der deutschen Frage auf der KSZE will. Wir stimmen hier doch wohl in hohem Maße darin überein, daß die Sowjetunion kaum an die spanisch-portugiesische Grenze denkt, wenn sie von der Unverrückbarkeit der Grenzen spricht, auch -nicht an die finnisch-russische. Ich bin gewiß: es gibt eine Grenze in Europa, die nach sowjetischen Interessenmaßstäben von essentieller Bedeutung für die Sowjetunion ist: das ist die innerdeutsche Grenze. Über den rechtlichen, politischen und moralischen Charakter dieser Grenze gibt es einen ganz tiefen Dissens zwischen der Bundesregierung und der Sowjetunion. Das ist doch bekannt aus der Zeit der Ratifikationsberatungen hier in diesem Hause, als Herr Gromyko im April 1972 noch einmal ausdrücklich sagte, Unverletzlichkeit dieser Grenze bedeute nicht nur Gewaltverzicht gegenüber dieser Grenze, sondern völkerrechtliche Endgültigkeit. Sie können alle Texte des Sowjetblocks zur KSZE nachlesen, Sie können alle einschlägigen Texte im Ostblock, die von Rang und Relevanz sind, nachlesen: immer wieder ist es die innerdeutsche Grenze, die im Zentrum der rechtlichpolitischen Offensive steht. Ich verstehe, aus der subjektiven sowjetischen Interessenbetrachtung und mit den Maßstäben der Sowjetunion gesehen, dieses Beharren auf der endgültigen Schließung dieser Frage, auf der endgültigen Tötung der Hoffnung auf eine Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pawelczyk?
Bitte sehr!
Stimmen Sie mir zu, daß die Forderungen, die der damalige Außenminister Brandt als Vorbereitung zu dieser Konferenz gestellt hat, erfüllt worden sind? Ich lese sie vor: Erstens. An eine Europäische Sicherheitskonferenz dürfen keinerlei Vorbedingungen geknüpft werden. Zweitens. Eine solche Konferenz muß grundsätzlich vorbereitet werden. Drittens. Unsere nordamerikanischen Bündnispartner müssen an einer solchen Konferenz als vollberechtigte Partner teilnehmen.
({0})
Viertens. Es muß begründete Aussicht dafür beste- hen, daß auch auf einer solchen Konferenz einige Fortschritte erzielt werden.
Darauf antworte ich sehr gern, Herr Kollege Pawelczyk. Mit dem, was Außenminister Brandt damals Vorbedingungen nannte, war die von der Sowjetunion geforderte vorherige Anerkennung der DDR und die Zustimmung zur vollberechtigten Teilnahme der DDR an dieser Konferenz gemeint. Zur Erfüllung dieser Vorbedingung war die Regierung Kiesinger/ Brandt nicht bereit.
({0})
Ich wende mich nun dem geschätzten Kollegen Bangemann zu und möchte ihm folgendes sagen. Herr Kollege, Sie haben Ihrerseits ein in der Tat sehr wichtiges Problem wieder aufgerollt, das der Doppeldeutigkeit. Herr Kollege Bangemann, ich darf Ihnen eine Stelle aus einer Antwort der Bundesregierung Brandt/Scheel auf eine Große Anfrage der CDU im Frühjahr 1970 vorlesen, d. h. während der Vertrags-Vor-Verhandlungen von Herrn Bahr in Moskau. Damals haben wir uns schon nach der Bedeutung der Mehrdeutigkeit - in der Sicht der Regierung - erkundigt. Die Bundesregierung antwortete:
Die Bundesregierung wünscht, mit der Sowjetunion Erklärungen über einen Gewaltverzicht auszutauschen, die zugleich ein ausgewogeneres gegenseitiges Verhältnis mit wachsendem Vertrauen auf beiden Seiten herstellen. Ein offener oder versteckter Dissens müßte dieses Verhältnis weiter erheblich belasten.
({1})
Über den Inhalt der Begriffe muß deshalb volle Klarheit bestehen.
({2})
Unsere erklärten friedlichen Ziele dürfen nicht als territoriale Ansprüche und als Verletzung des Gewaltverzichtabkommens hingestellt werden können.
({3})
Herr Kollege Bangemann, dieses Problem wird uns noch lange begleiten. Ich darf Sie daran erinnern, daß unser Kollege Kunz ({4}) neulich ein Zitat vorgetragen hat, das mir anzuzeigen scheint, worum es in der KSZE auch jetzt wieder geht.
Bereits vor der Ratifikation der Ostverträge sagte 1972 eine polnische Pressestimme - es war sicherlich nicht die private Meinung eines Redakteurs -:
Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann vorausgesetzt werden, daß die Regierung von Bundeskanzler Brandt und Vizekanzler Scheel unter dem Druck der Opposition und in Übereinstimmung mit der politischen Philosophie, die wir nicht teilen, versuchen wird, die Verträge auf ihre Weise zu interpretieren. Der Kampf um die eindeutige Auslegung dieser Verträge wird
Dr. Mertes ({5})
das nächste Stadium des diplomatischen Ringens in Europa sein.
({6})
Verehrter Herr Kollege Bangemann, ich habe große Sorge, daß Sie in diesem Zusammenhang unseren mächtigen Vertrags-Partner, die Sowjetunion, nicht ernst genug nehmen. Es ist unmöglich, mit einer solchen Macht in so essentiellen Fragen monatelang zu verhandeln, einen Text zu erarbeiten und dann zu sagen: Wie wir das auslegen, das ist eine ganz andere Frage; vor allen Dingen dann, wenn es der anderen Macht darauf ankommt, daß wir bisherige Positionen aufgeben. Ich verstehe Sie aus diesem Grunde nicht.
Im übrigen ist es eine Erfahrung aller, die sich in Vertragsverhandlungen mit der Sowjetunion begeben haben, daß die Sowjetunion hier in sehr großer Ehrlichkeit ihre Interpretationen schon während der Verhandlungen klarmacht. Sie können der Sowjetunion vieles vorwerfen; und ich sehe sie als eine Macht an, die die vitalen Interessen unseres Volkes mißachtet und verletzt. Aber eines können Sie ihr nicht vorwerfen: daß sie ihre strategischen Ziele und das, was sie auf dem Wege zu diesen Zielen will, nicht in aller Deutlichkeit sagt. Sie praktiziert in dieser Frage kaum Doppeldeutigkeit. Ich glaube, es ist besser, wir erhalten uns ein Klima der Klarheit, das aufrichtig dieses oder jenes Element der Spannung in Kauf nimmt und schätzt, als daß wir eine Pseudoentspannung auf solchen unklaren Begriffen aufbauen, die dann zu einem Streit zwischen einem Mächtigen und einem Schwachen führen müssen, den wir dann nicht bestehen können.
({7})
Es gibt ein klassisches Werk in Amerika, das sich mit der russischen Vertragspolitik befaßt. Dort heißt es:
Ein Kardinalpunkt, dessen man sich stets bewußt bleiben muß, ist das Erfordernis präziser Formulierung jeglicher Vereinbarung mit den Sowjetführern. Das bedeutet in der Praxis eine fast totale Ächtung von Abmachungen, die in sich die Möglichkeit verschiedener Interpretationen tragen.
Uns wird immer entgegengehalten: Dann können Sie eben praktisch mit kommunistischen Ländern keine Verträge abschließen. Das ist falsch. Ich bin der Auffassung - ich sage das, damit wir uns hier klar verstehen -, daß es zwischen der Sowjetunion und uns durchaus Zonen der Interessenübereinstimmung gibt. Es gibt zwei Fehlhaltungen: die Marge der Interessenübereinstimmung zu unterschätzen und in einem total negativen Verhältnis zur Sowjetunion zu stehen. Ich halte das für das Ende der Außenpolitik und für das Ende der Diplomatie. Aber es gibt auch die andere Gefahr, Herr Kollege. Sie beherrschte die letzten Jahre: die Überschätzung des Ausmaßes der Interessenübereinstimmung. Genau auf diesen Punkt kommt es in diesem Zusammenhang an.
Meine sehr verehrten Kollegen, auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geht es nicht um ein billiges „do ut des", wie es Herr
Kollege Bangemann darzustellen versucht hat. Ich möchte vielmehr sagen, daß die Formulierung des Kollegen Mattick etwas näher an der Wirklichkeit ist: nämlich daß es darauf ankomme, eine Übereinstimmung in der Erkenntnis auch der Gegensätzlichkeiten zu finden. Wenn man aber die Erkenntnis der Gegensätzlichkeiten hat, Herr Kollege Mattick, muß man sie auch aussprechen. Man darf dann nicht versuchen, falsche Übereinstimmungen verbaler Art zu finden. Genau das ist doch unsere Sorge.
Was ist denn mit den Ostverträgen wirklich gewesen? Mir liegt sehr daran, hier noch einmal klarzumachen, wie die CDU/CSU zu diesen Verträgen steht. Ich bitte Sie, hier einmal aufmerksam zuzuhören und nicht etwas hineinzuinterpretieren, was nicht gesagt ist. Diese Verträge waren nur dadurch möglich, daß die CDU/CSU-Fraktion sich am 17. Mai 1972 enthalten hat. Die damalige CDU/CSU-Fraktion hat aber, um dies tun zu können, etwas für unser Land erreicht - ich möchte hinzufügen: für die Klarheit und die Sauberkeit unserer Beziehungen zur Sowjetunion -: daß nämlich die entscheidenden Vertragsbegriffe, die doppeldeutig sind, eindeutig und verbindlich entsprechend unserer Verfassung als Kennzeichnung des Modus-vivendi-Charakters interpretiert werden. Jede deutsche Regierung ist verpflichtet, sich daran zu halten.
Verehrter Herr Kollege Mattick, ich bitte Sie aber auch zu verstehen, daß, wenn eine Fraktion schon ein Jahr nach diesen Verträgen feststellen kann: Unsere Warnungen vor diesen Doppeldeutigkeiten haben sich im Berlin-Abkommen, im Warschauer Vertrag und im Moskauer Vertrag als richtig erwiesen, wir jetzt mit Entschiedenheit sagen: Nun darf dasselbe aber nicht noch einmal auf der KSZE passieren.
({8})
Diese Verträge sind gültig - das ist hier oft bestätigt worden -, wenn eine Mehrheit für ihre Annahme entschieden hat. Aber die Verträge haben eben alle einen doppelten Boden: den deutschen und den des kommunistischen Partners. Den deutschen Interpretationsboden haben wir gemeinsam bestimmt und formuliert. Herr Kollege Mattick, wenn die CDU/CSU im Frühjahr 1970 nicht so eindeutig auf diese Gefahr der Doppeldeutigkeit hingewiesen hätte, dann hätte es auch nicht den Brief zur Deutschen Einheit gegeben; denn es ist doch ganz offenkundig, daß die Position der CDU/CSU die Verhandlungsführung von Außenminister Scheel in Moskau gestärkt hat. Dieser Brief ist doch offenkundig der Versuch, den verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und politischen Sorgen der Opposition Rechnung zu tragen. Ich halte dies für ein Verdienst und nicht für eine negative Politik. Dies ist ein perfektes Beispiel des faktischen Zusammenspiels zwischen Regierung und Opposition in der Demokratie.
Meine sehr verehrten Kollegen, in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wird immer wieder von zwei zentralen politischen Begriffen gesprochen, auf die ich jetzt einmal etwas näher eingehen möchte, um Ihnen auch zu sagen, wie positiv wir hier eigentlich versuchen, die ge8384
Dr. Mertes ({9})
ureinsamen Interessen unseres Landes herauszukristallisieren. Im übrigen ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung - sie wird von Ihnen zum Teil gereadezu konterkariert, indem Sie die positive Bewertung unserer Großen Anfrage durch die Bundesregierung gar nicht teilen ,
({10})
daß uns doch eine ganze Reihe von Dingen gemeinsam ist.
Mir liegt daran -- wir sagten es schon-, hervorzuheben, daß unsere Einstellung zur Politik der Bundesregierung in dieser Frage Elemente der Übereinstimmung, aber auch Elemente der Wachsamkeit und der Warnung enthält. Wir haben eben nicht vergessen, daß die Sowjetunion diese Konferenz aus sehr präzisen und offen dargelegten Gründen jahrelang gefordert hat, und wir wissen auch, welchen Rang sie ihr gibt. Kürzlich hat Herr Gromyko vor der Vollversammlnug der Vereinten Nationen in New York erklärt - ich zitiere -:
Die Sowjetunion mißt der erfolgreichen Beendigung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit vorrangige Bedeutung bei. Das ist gegenwärtig die Frage Nr. 1 im europäischen politischen Leben.
In bezug auf Korb 3, d. h. auf das westliche Verhandlungsziel größerer Freizügigkeit von Menschen, Ideen und Meinungen fügt er hinzu:
Die Praxis hat gezeigt, daß solche Fragen gelöst werden können, wenn man sie zu dein Hauptproblem der Sicherung des Friedens in Europa in das richtige Verhältnis setzt, wenn das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten strikt eingehalten wird.
Ich möchte noch einmal betonen, daß diese Antwort auf unsere Anfrage und unsere Intentionen positiv eingegangen ist, daß es aber einen Bereich gibt, in dem wir noch sehr große Bedenken haben müssen; die sollten im einzelnen wohl zunächst einmal im Auswärtigen Ausschuß erörtert werden.
Die Frage, die sich mir vor allen Dingen zu stellen scheint, ist: Was heißt eigentlich Sicherheit auf dieser Konferenz?
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Begriff der Sicherheit wird von der Sowjetunion vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der politischen Sicherung der eigenen Interessen mit a 11 e n zur Verfügung stehenden Mitteln gesehen. Er ist ein viel umfassenderer Begriff in der sowjetischen Diktion, als er es im Westen ist. Wenn der Westen an Sicherheit denkt, so meint er vornehmlich die militärischen Elemente und Instrumente der Sicherheit. Für die Sowjetunion sieht das anders aus und ich sage das nicht einmal kritisch -; Sicherheit heißt, in der Lage zu sein, mich dem Willen des politisch gegen mich Denkenden nicht beugen zu müssen. Der andere hat, um seine Interessen durchzusetzen, Instrumente militärischer Art in der Hand. Aber es gibt durchaus auch andere Formen der Aggressivität und deshalb auch andere Elemente der Sicherheit.
Gegenüber den Reformen in der Tschechoslowakei erklärte die UdSSR, diese Politik sei ein gesellschaftspolitischer Anschlag auf die Sicherheit der Sowjetunion. Unsere Rechtsauffassung bis zur Stunde zu Berlin, Herr Kollege Mattick aus Berlin, ist nach sowjetischer Auffassung ein Element juristischer Aggressivität und bedroht die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion.
({12})
Die Abwanderung der Menschen bis zum 13. August 1961 wurde durch die Berliner Mauer gestoppt, und die DDR wird nicht milde, den Bau der Mauer als eine Leistung zugunsten der Sicherheit in Europa hinzustellen.
Ich habe den begründeten Eindruck, daß es der Sowjetunion auf der KSZE darum geht, daß ihre politische Sicherheitsinteressen befriedigt werden. Worin bestehen diese politischen Sicherheitsprobleme der Sowjetunion? Sie haben mit Recht, Herr Kollege Mattick, die Rede Kissingers vor dein Auswärtigen Ausschuß des amerikanischen Senats zitiert. Sie haben mit Recht über die Wirkung der nuklearen Waffe auf die internationalen Beziehungen gesprochen. Wegen der - ich möchte sagen - Unmöglichkeit der nuklearen Auseinandersetzung sind die konventionellen Kräfte ohnehin wieder stärker geworden. Aber stärker geworden ist auch das sowjetische Bedürfnis nach ihrer politischen Sicherheit, d. h. nach Ausschaltung potentieller Rechtsansprüche auf Überwindung des Status quo. Wenn die Sowjetunion nach Westen schaut, so hat sie vor sich europäische Länder liegen, die sehr tief in den westlichen Traditionen wurzeln, die zu Freiheit und Rechtsstaatlichkeit geführt haben. Ich glaube, die Sowjetunion sieht sehr klar, daß ihre politische Basis in Polen, in der Tschechoslowakei, in der DDR und in den übrigen Teilen Europas, wo sie die Hegemonialmacht ist, nicht gefestigt ist.
Im deutschen Falle sieht sie durchaus, daß der Wille zur Einheit der deutschen Nation eine ständige Infragestellung ihrer politischen Herrschaftsausübung ist; und aus sowjetischer Sicht und mit kommunistischen Maßstäben gemessen die ich natürlich nicht teile -, verstehe ich es, daß sie diese Einwirkung auf die politischen Grundlagen ihrer Sicherheit uns aus der Hand nehmen will. Die Offenhaltung der Deutschlandfrage, die Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Mächte für Deutschland als Ganzes, der Wille des deutschen Volkes zur Zusammengehörigkeit und Einheit, die Forderung nach Selbstbestimmungsrecht im Sinne des westlichen Freiheitsethos - all dies ist nach sowjetischer Auffassung gegen die zentralen Interessen der Sowjetunion gerichtet. Ich sehe hier, wenn man redlich sein will, zur Zeit keine Möglichkeit, im Kern dieser Frage zu einer Übereinstimmung mit der Sowjetunion zu kommen. Das haben Sie auch in einer Bemerkung über die KSZE gesagt.
Hier aber spielt nun das Element der Grenze zwischen den beiden Teilen Deutschlands eine entscheidende Rolle. Wenn die Sowjetunion von den Grenzen spricht, denkt sie meines Erachtens nicht
Dr. Mertes ({13})
einmal an die Oder-Neiße-Linie. Stalin hat de Gaulle im Dezember 1944 bestätigt, es sei ganz gut, wenn Polen und Deutsche auch künftig wegen einer Grenze miteinander im Streit lägen. Was die Sowjetunion aus ihrer Interessenlage heraus will, das ist die Endgültigkeit der Spaltung Deutschlands und damit genau das Gegenteil von dem, was wir unter Entspannung verstehen. Ich komme darauf nachher noch zurück.
In diesem Zusammenhang spielt natürlich auch Berlin eine entscheidende Rolle. Sie können über Berlin nicht sprechen, ohne an die gesamtdeutschen Rechtswurzeln der westlichen Position in Berlin zu denken. E i n Deutschland hat den Krieg angefangen, e i n Deutschland hat den Krieg verloren, e i n Deutschland mit einer Hauptstadt; und mit diesem einen Deutschland wird es einmal einen gesamtdeutschen Friedensvertrag geben. Das ist die westliche Position. Während dieser Zeit sind die drei Mächte in Berlin, nicht weil das eine von ihnen okkupierte Insel innerhalb der DDR ist, sondern weil Berlin an die Ungelöstheit der deutschen Frage erinnert, lebendig erinnert.
({14})
Die Sowjetunion verteidigt, wenn Sie so wollen, ihre Sicherheitsinteressen, wenn sie die Funktion, die Berlin nach unser aller Auffassung - so darf ich doch wohl annehmen - hat, so nachdrücklich in Frage stellt.
Hier - ich hoffe, daß wir in den wesentlichen Punkten bezüglich der Berlin-Frage einig sind -wird es auch eine Rolle spielen, ob in Zukunft die Sowjetunion auf der Basis doppeldeutiger Prinzipientexte sagen kann: Diese Rechtsgrundlage, von denen ihr ständig sprecht, gibt es nicht mehr; das Leben selbst hat das alles geändert, das ist nur noch Formelkram. Das Traurige ist, daß wir im Westen die Bedeutung, die diese rechtlichen Positionen für die Politik der Sowjetunion haben, unsererseits herunterspielen und lächerlich machen. Für die Sowjetunion ist der Besitz einer Rechtsposition, eines Vertrages, den sie interpretieren und verwenden kann,
({15})
durchaus eine politische Waffe in dem, was sie den nicht aufhörenden Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus nennt. Das sagt sie selbst - ich betone es - in aller Redlichkeit. Ich bitte Sie, möglichst oft auch die Texte des Ostens zu lesen; wir tun das gar nicht genug.
Warum dies alles im Zusammenhang mit der KSZE? Sehen Sie, die Sowjetunion hat den Prinzipienkatalog etwa in der Form, wie er jetzt verhandelt wird, schon im Prager Papier des Warschauer Paktes von 1972 vorgebracht. Neun der im Genfer Prinzipienkatalog aufgeführten Prinzipien sind bereits geltendes Völkerrecht, stehen schon in der Charta der Vereinten Nationen. Was die Sowjetunion aber neu einführt, ist das Element der Unerschütterlichkeit, der Unverletzlichkeit der Grenzen. Ich teile sehr gern und unterstütze die Auffassung der Bundesregierung, die auch in der Antwort zum Ausdruck kommt, daß „Verletzung der Grenzen" bedeutet: gewaltsames Antasten dieser Grenzen. Aber wir müssen doch in Redlichkeit sehen, meine sehr verehrten Kollegen, daß Ost-Berlin bereits Flüchtlinge aus der DDR als Grenzverletzer bezeichnet, um damit auch dort die Unverletzlichkeit deutlich zu machen. Wir müssen doch sehen, daß sie bereits die aktive diplomatische Geltendmachung unseres Selbstbestimmungsrechts, die aktive Geltendmachung der Offenhaltung der deutschen Frage als einen Akt politischer Agression ansieht. Ich glaube, wir haben die Verpflichtung, zu sagen, daß sie dies falsch sieht. Aber das wird uns kaum gelingen. Denn die Sowjetunion ist eine Macht, deren verantwortliche Männer meines Erachtens einen sehr tiefen Sensus für langfristige geschichtliche Entwicklungen haben.
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Die Treue des deutschen Volkes zu sich selbst und zu seiner Freiheit, zu seiner Rechtsstaatlichkeit und zu seiner Einheit sind eine Sache, für welche die Sowjetunion sogar Verständnis hat, intellektuell Verständnis hat, wenn Sie so wollen. Aber angesichts ihrer politisch schwachen Situation in Osteuropa - dies hat durchaus etwas mit ihrer politischen Machtentfaltung zu tun - glaubt die Sowjetunion - in der Logik ihrer Gedankenführung -, die Erfüllung dieser Forderungen ablehnen zu müssen.
Nun kann es deshalb durchaus möglich sein - das ist auch in der Großen Koalition versucht worden -, daß man zwischen der Aufrechterhaltung grundsätzlicher Positionen und der Notwendigkeit zwischenmenschlicher innerdeutscher Regelungen einen Mittelweg geht, wo beide Seiten ihre grundsätzliche Position aufrechterhalten können; dies ist durchaus möglich. Adenauer ist oft wegen seines Burgfriedensplanes und wegen anderer Bemühungen zitiert worden; doch hat er alle seine Vorschläge für innerdeutsche Beziehungen und menschliche Erleichterungen immer so gesehen, daß es eine Zeit der Erprobung, eine Zeit der Auslotung geben muß. Wenn ich an den jetzigen Bundeskanzler und seine Äußerungen in der Zeit der Vertragsverhandlungen in Moskau zurückdenke, so war sein Hauptwort immer: Dieses ist eine Auslotungsoperation. Herr Bundeskanzler, wie schön wäre es gewesen, wenn es eine Auslotungsoperation gewesen wäre mit der Möglichkeit, Dinge, die sich als falsch erwiesen haben, zu redressieren! Aber es ist eben nicht nur ausgelotet, sondern es ist fixiert worden, und nach den Gesprächen Bahr-Gromyko sind wir nach Treu und Glauben ein Verhältnis der Bindungen zur Sowjetunion eingegangen. Es ist bei allem Bedauern über die Mehrdeutigkeit der Verträge ein Segen, daß wir heute sagen können Auch
wir, die Opposition, stehen zu den Verträgen, aber auf der Basis eindeutiger Auslegung der Begriffe, die für uns von ausschlaggebender Bedeutung sind.
Meine verehrten Kollegen, machen wir uns doch nichts vor: Es ist doch derjenige, der in diesem Lande 1972 auf diese Dinge hingewiesen hat, als Korinthen-Kacker, als jemand, der am Formelkram hängt, hingestellt worden. Ich habe den Eindruck, daß manche unserer Kollegen, die uns kritisiert haben, unter sich vielleicht sagen: So falsch war das, was
Dr. Mertes ({17})
CDU und CSU gesagt haben, nun doch nicht. Es ist natürlich eine Versuchung, wenn jemand in wesentlichen Dingen recht behalten hat - und das haben wir -, die Position des „Ätsch" zu beziehen: Wir haben es besser gewußt. Das ist ganz natürlich und menschlich. Sie können es dem, der in jenen Jahren mit innerstem Engagement vor diesen Gefahren gewarnt hat und nun die Richtigkeit dieser Warnung bestätigt sieht, nicht verübeln, daß er sagt: Haben wir es euch nicht gesagt! Es hat keinen Zweck, das dann herunterzuspielen, aber eines können wir doch tun: Wir können doch aus den gemeinsamen Erfahrungen, aus den Fehlern und Übertreibungen der Jahre von 1969 bis 1972 lernen. Und ich finde, die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa mit ihren tiefgreifenden Implikationen für das politische Kräfteverhältnis in Europa, für die Zukunft unseres deutschen Volkes, für die Stellung Berlins, sollte uns die Möglichkeit geben, hier vielleicht zu dem inneren Frieden zurückzufinden, der nach den Ostverträgen, so glaube ich, kommen muß.
Aber es muß auch hier ein Friede der Redlichkeit sein. Es kann nicht ein Friede auf der Grundlage nie endender Anklage wegen der Jahre 1969 bis 1973 sein - von keiner Seite, wie ich allerdings sagen möchte. Ich bitte Sie, die Koalitionsfraktionen, nun auch mit uns zu gehen und zu sagen: Jetzt aber wollen wir den Warnungen der Opposition in der Frage der KSZE Rechnung tragen. Wenn Sie diese Konsequenz mit uns ziehen, dann ist in diesem Hause in Zukunft vieles möglich.
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Es wird uns immer gesagt, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Genfer Prinzipienkatalog sei von moralisch-politischer Verbindlichkeit - das sei zwar sehr wichtig -, aber er sei nicht neues, regionales Völkerrecht. So weit, so gut; ich teile diese Auffassung der Bundesregierung. Aber ich frage auch hier: Wie hältst du es denn mit der Meinung der Sowjetunion, die immerhin die stärkste Kontinentalmacht in Europa ist und mit der wir in Zukunft zusammenleben müssen und die auf diesen Katalog drängte? Ich möchte nicht, daß die Sowjetunion in Zukunft sagen kann: Wir sind doch nicht mit euch in jahrelangen Verhandlungen gewesen, um von euch zu erfahren, das sei nur ein Stück Papier, Protokollnotizen, eine moralische Erklärung, aber ohne verbindliche Kraft. Ich befürchte, die Sowjetunion wird sagen - wie im Falle des Potsdamer Abkommens gegenüber den Westmächten -: Dieses ist die Magna Charta, dieses sind die Zehn Gebote für Frieden und Sicherheit in Europa, und wer sie nicht einhält, der begeht aggressive Politik, so wie es in der Charta der Vereinten Nationen steht.
Um uns nicht in diese Situation zu bringen, sehr verehrte Kollegen, müssen wir auf saubere Texte und auf klare Absprachen in diesen Dingen drängen. Wir dürfen uns hier nichts vormachen: Für die Sowjetunion ist dieser Katalog von fundamentaler Bedeutung. Wir dürfen gegenüber dieser unserer Partnermacht, die, wie gesagt, in wesentlichen Fragen gegen die Interessen unseres Volkes steht, eines nicht tun: nämlich die Gegensätze verwischen; das aber könnte die Mehrdeutigkeit auch hier wieder bewirken. Ich habe von dieser Stelle aus schon mehrfach daran erinnert, daß diese Mehrdeutigkeit ein altes Problem ist. Schon Mephisto sagte: „Mit Worten läßt sich trefflich streiten, mit Worten" - ich hätte jetzt beinahe gesagt: „ein Vertrags-System bereiten". Aber der Famulus erwiderte zu recht: „Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein!"
({19})
Es ist gut, daß der Herr Außenminister angekündigt hat, er sei gerne bereit, diese Kernfragen, vor allen Dingen das Element der Grenzen und des peaceful change, des friedlichen Wandels, im Auswärtigen Ausschuß zu besprechen.
Ich habe heute nur versucht, zu diesen Punkten die Grundlinien und Kriterien unserer Politik darzulegen. Das einzelne werden wir dann im Ausschuß sehen.
Nun noch eine Bemerkung zum Korb 3. Sehen Sie, wir haben auch die Konferenz in dem Sinne begrüßt, daß sie die Möglichkeit gibt, einen unumkehrbaren Prozeß menschlicher Erleichterungen in Deutschland und in Europa zu bewirken. Aber was ist seitdem daraus geworden? Was ist daraus geworden, seit wir dieses Wort im Herbst 1972 schrieben? Von diesem unumkehrbaren Prozeß ist nicht mehr die Rede; es gibt nur noch den unumkehrbaren Prozeß nach der einen Richtung. Sie haben, Herr Bundesaußenminister, vor einigen Tagen dazu ausgezeichnete Worte gefunden, nachzulesen im Bulletin der Bundesregierung vom 24. August. Es handelt sich um ein Interview, das Sie dem „Generalanzeiger" gegeben haben. Sie sagen darin: „Es ist notwendig, den Begriff der Entspannungspolitik eindeutig zu definieren". - Die heilen Worte, Herr Kollege Bangemann! - „Es kommt also darauf an, den Begriff der Entspannung eindeutig zu definieren." Sie fahren fort, Herr Außenminister: „Entspannungspolitik darf keine Einbahnstraße sein, sie verlangt Gegenseitigkeit."
({20}) Das sind Worte des Bundesaußenministers!
({21})
„Zur Entspannungspolitik gibt es keine Alternative." - Und jetzt kommt etwas, das könnte in seiner klassischen Formulierung von der CDU stammen: „Die Alternative heißt in Wahrheit realistische oder illusionäre Entspannungspolitik.
({22})
Wir wollen eine realistische Entspannungspolitik."
({23})
Was den Korb 3, die menschlichen Erleichterungen, angeht, so scheint mir hier etwas sehr Schwerwiegendes zu geschehen. Unsere Unterhändler, die in Genf sicherlich agil und fleißig und geschickt arbeiten, werden einzelne menschliche Erleichterungen definierter Art zugestanden bekommen, ähnlich wie wir Erleichterungen im Zusammenhang mit dem WarDeutscher Bundestag 7. Wahlperiode Dr. Mertes ({24})
schauer Vertrag und mit dem innerdeutschen Grundvertrag bekommen haben. Aber was zeichnet denn diese Dinge aus? Ich bitte Sie, verehrte Kollegen, dieses mein Argument jetzt sehr ernst zu nehmen: Was die andere Seite gibt, ist der Natur der Sache nach revokabel, kann zurückgezogen und mit Vorwänden unterlaufen werden. Ich brauche an die innerdeutschen Vorgänge auf diesem Gebiete hier gar nicht zu erinnern.
({25})
- Ich könnte noch einige schwerwiegende Beispiele hinzufügen, Herr Kollege Stücklen.
Was wir aber gegeben haben, ist sehr abstrakt - so scheint es -, ist sehr theoretisch und sehr juristisch. Es greift jedoch in Wirklichkeit in die politische Substanz unserer Interessen ein und ist unwiderruflich dahin. Wir können nicht sagen: Wenn ihr die Verträge und die Abmachungen nicht einhaltet, dann nehmen wir das zurück, was wir gegeben haben! -- Dies ist eben nicht mehr möglich. Ich fürchte sogar im Zusammenhang mit dem Korb 3 das ist geradezu diabolisch -, daß wir auf indirekte Weise ein Prinzip mit unterstreichen und unterschreiben, das wir ablehnen, nämlich den Vorrang der staatlichen Souveränität vor den individuellen Rechten der Menschen.
({26})
Herr Kollege Wehner, Sie haben sich zu dieser
Frage geäußert. Glauben Sie uns bitte, daß wir auch in dieser Sache durchaus die Verhältnisse so sehen, wie sie sind. Aber wir glauben auch, daß das Rechtsbewußtsein auf lange Sicht immer auch eine Kraft ist! Wenn Messali Hadsch im Jahre 1926 nicht die Befreiungsbewegung für Algerien eingeleitet hätte, und wenn die Algerier nicht über Jahrzehnete hinweg diesen ihren Forderungen treu geblieben wären, sondern gesagt hätten: Wir müssen doch realistisch sein und die Souveränität der französischen Republik anerkennen!, dann wäre es nie zu einer historischen Bewegung gekommen. Und ich sage Ihnen hier in aller Offenheit und Redlichkeit: Ich glaube, es ist möglich, daß die Sowjetunion im Laufe der Jahre oder sogar Jahrzehnte ihre Interessenlage neu überdenkt. Wenn wir von Langfristigkeit sprechen, meine Damen und Herren: Die Langfristigkeit liegt nicht bei unseren Landsleuten; von uns aus könnte morgen eine Volksabstimmung in beiden Teilen Deutschlands gemacht werden. Aber offensichtlich ist es so, daß die Sowjetunion ihrerseits nach ihren Kriterien und Maßstäben nationaler, imperialer und ideologischer Art dazu noch nicht in der Lage ist.
Die Frage ist, ob eine Politik, die wir betreiben, die starken Männer oder ich möchte sagen: die hardliners, die Falken - in Moskau und in der DDR und in Warschau fördert oder diejenigen, die sagen: Genossen, wir können das so nicht weiter machen. Ich fürchte, daß die letzten Jahre die Falken bestätigt haben, die sagen: Genossen, warten wir, warten wir; auf die Dauer werden die in Bonn
({27}) irgendwie doch nachgeben.
({28})
Das will alles überlegt werden. Ich bin gar nicht der Meinung, daß einer in diesem Saale für sich in Anspruch nehmen kann, zu wissen, wie man es denn nun genau macht. Aber die Vorstellung, daß das Nachgeben im Gewande verbaler Kompromisse der richtige Weg ist, kann ich, weil ich ein redliches Vertragsverhältnis zur Sowjetunion und ein redliches politisch-moralisches Verhältnis - wenn ich an die zehn Punkte des Kataloges von Genf denke - haben will, nicht akzeptieren. Dies ist, verehrte Kollegen, der Grund dafür, daß wir sagen: Hier kann nichts anderes helfen als eine geduldige Haltung. Dies gilt auch für die KSZE.
Sie selbst haben - das läßt sich nicht bestreiten, wenn Sie auch salvatorische Einschränkungen machten - im Jahre 1972 durchaus den Eindruck erweckt, daß nun eine Wende eingetreten ist, daß in der Substanz der menschlichen Verhältnisse in Deutschland etwas völlig Neues kommt. Sie selbst sind - und das sage ich, glauben Sie es mir bitte, nicht mit Schadenfreude - inzwischen desillusioniert.
Man soll nicht - von historischer Forschung und nüchterner Analyse abgesehen - immer über die Vergangenheit sprechen. Mit der KSZE - ich betone es mit großem Nachdruck - bietet sich mit dem Gang nach vorn, mit dem Vorsatz, vergangene Dinge sich nicht wiederholen zu lassen, die Gelegenheit, in den essentiellen nationalen Fragen wieder zu einem Konsens zu kommen.
Noch ein paar Worte zum Begriff „Entspannung", verehrte Kollegen. Herr Mattick, ich habe die Rede von Henry Kissinger vor dem Auswärtigen Ausschuß des Senats sehr genau gelesen. Aber es ist auch Ihnen sicher aufgefallen, in welchem Ausmaß die Entspannungspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika erstens geprägt ist durch deren bilaterales Verhältnis zur Sowjetunion und sich zum anderen sehr auf das Ziel der Verhinderung des nuklearen Krieges konzentriert. Wer kann diesem Ziel und wer kann dieser Politik widerstehen wollen? Kein vernünftiger Mensch!
Aber es liegt ein Problem in der Tatsache, daß die Sowjetunion neben diesem Ziel, das sie auch verfolgt - und ich glaube mit Adenauer in diesem Sinne, daß die Sowjetunion den Nicht-Krieg, den Frieden will -, mit ihrer Politik der Verhinderung des nuklearen Krieges gleichzeitig unter dem Dach solcher Verträge und unter dem Dach dieser amerikanisch-sowjetischen Bipolarität in Europa ihre politischen Ziele durchsetzen will. Und ich betone noch einmal: In aller Offenheit sagt sie es.
Die amerikanische Entspannungskonzeption ist, meine Damen und Herren, konzentriert auf die Waffenfrage, auf die nukleare Frage. Aber es muß immer wieder gesagt werden: Es gibt in der Welt nicht Spannung und Streit, weil es Waffen und Soldaten gibt, sondern es gibt Soldaten und Waffen
Dr. Mertes ({29})
in der Welt, weil es ungelöste politische Probleme
git, weil die Mächte und die Völker mit gegensätzlichen Interessen mißtrauisch gegeneinanderstehen.
Die Sowjetunion hat ihre Vorstellungen, wie die politische Entspannung in Europa aussehen soll. Wir haben immer gesagt - und das ist eine Regel der Logik, meine verehrten Kollegen -, daß Entspannung Beseitigung der Ursachen der Spannung bedeutet. Das ist eine bare Selbstverständlichkeit. Dies sagt im übrigen auch die Sowjetunion - nur ganz anders herum. Wir sagen: Die tiefste Ursache der Spannung ist die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts, die Teilung des deutschen Volkes, die Teilung Europas gegen seinen Willen. Und die Sowjetunion sagt: Ursache der Spannung ist die Nichtanerkennung dieser Tatsache. Und die Sowjetunion wird diese ihre Interpretation der Entspannung durchzusetzen versuchen; sie tut es meines Erachtens in Genf bei ihrem eindrucksvollen Insistieren in der Frage der Unverletzlichkeit der Grenzen.
Die Vereinigten Staaten haben, wenn sie mit der Sowjetunion verhandeln, im übrigen eine völlig andere Ausgangslage als wir. Wenn die Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion verhandeln, so tun sie es von Gleich zu Gleich. Es sind gleich Mächtige, die hier einander gegenüberstehen. Die können sich unter Umständen auch einmal den Luxus einer Doppeldeutigkeit erlauben; sie können es, weil sie im Falle des Auslegungsstreites in völliger Unabhängigkeit voneinander interpretieren können. Zweitens: Die Vereinigten Staaten sind von der Sowjetunion durch zwei Ozeane getrennt, Dies bedeutet psychologisch enorm viel für die Amerikaner. Drittens: Die Vereinigten Staaten von Amerika haben nicht jenes Gepäck, jene Hypothek historisch-moralischer Natur, das wir haben.
Bei uns ist das alles anders. Wir verhandeln mit der Sowjetunion als Einzelland aus der Position der militärischen Schwäche.
({30})
- Im Bündnis sind wir verteidigungspolitisch stark, Herr Kollege, ich übersehe nicht das Bündnis. Aber in spezifischen bilateralen Fragen sind wir in unserer Position gegenüber Moskau unvergleichlich schwächer als die Sowjetunion.
({31})
- Nein. Wir sind in einer multilateralen Phase, aber unter dem Dach der Multilateralität von Genf spielt dennoch wieder diese sowjetische Interessenlage in Europa die entscheidende Rolle, die Interessenlage, die wegen der Geteiltheit Deutschlands sich insbesondere auf Deutschland bezieht. Das ist nicht Germanozentrik, die ich hier betreibe, sondern das ist der Versuch des Verstehens, was eigentlich für die Sowjetunion in Deutschland und in Europa relevant ist.
({32})
Wir sind im übrigen nicht von der Sowjetunion durch zwei Ozeane getrennt, sondern sie teilt praktisch unser Volk und Land auf Grund ihrer Interessenlage, so wie Stalin ihr diese Interessenlage
aufoktroyiert hat. Drittens haben wir ein großes Gepäck historisch-moralischer-psychologischer Hypotheken. Das macht vieles ganz anders.
Deshalb ist Entspannungspolitik, die wir treiben, auch unter folgendem Gesichtspunkt zu sehen: Versucht nicht die Sowjetunion, unsere militärische Schwäche im bilateralen Verhältnis, unsere geographische Nähe, unser nationales Problem und unsere historische Vergangenheit auszunnutzen - wir haben dieses Land überfallen, das steht fest, ich weiß auch, was dieses Land uns angetan hat -, versucht sie nicht, uns in eine Situation des politischpsychologisch-moralischen Nachgebens hineinzudrängen, das ihren Interessen entspricht?
Nun frage ich allerdings - deshalb wird ja heute in der Öffentlichkeit, dem Parlament, der Administration Amerikas auch über die Kissingersche Konzeption sehr diskutiert -, ob die Vereinigten Staaten, diejenigen, die das Konzept der amerikanischsowjetischen Entspannung so bilateral vollziehen, sich über diese Wirkung des Bilateralismus Washington/Moskau auf das psychologische Klima in diesem Land völlig im klaren sind. Es gibt keine Hauptstadt in der Welt, wo man so offen seine abweichende oder besorgte Meinung zum Ausdruck bringen kann, auch gegenüber hohen und höchsten Regierungsvertretern, wie Washington. Ich glaube, wir haben die Pflicht - ich nehme an, daß auch die Bundesregierung das getan hat -, auf bestimmte Aspekte der Auswirkungen amerikanisch-sowjetischer Entspannungspolitik hinzuweisen. Ich frage mich, ob alle Amerikaner in den letzten Monaten - das scheint sich jetzt geändert zu haben - sehen, welche Implikationen diese Konferenz für das politische Gleichgewicht in Europa haben wird, wenn einmal hier in Deutschland die große Frustration gegenüber dem Westen kommen sollte, wenn dann Wogen des Neonationalismus hochschlagen und gesagt wird: Auf diese Leute kann man sich nicht verlassen! Wir haben ein Interesse daran, den Amerikanern zu erklären: Entspannung ist nicht nur die Minderung der militärischen Mittel der Konfliktpartner, sondern Entspannung ist die faire wirkliche Kompromißlösung im politischen Kernbereich.
({33})
Herr Abgeordneter, ich erinnere nur an Ihre Redezeit!
Frau Präsidentin, darf ich noch wenige Sätze sagen? Ich bin mehrfach gefragt worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß die Diskussion über den präzisen Inhalt von Begriffen wie Sicherheit und Entspannung, die heute in den Vereinigten Staaten ein beherrschendes Thema ist, etwas Nützliches ist. Ich würde es begrüßen, wenn wir in diesem Hohen Hause - im Auswärtigen Ausschuß, aber auch außerhalb des Auswärtigen Ausschusses - von den Vereinfachungen, zu denen der Politiker neigt und wegen der Öffentlichkeit wohl auch neigen muß, etwas herunterkämen und uns über die Vielschichtigkeit unserer InDr. Mertes ({0})
teressen klarer würden. Die Kriterien sind in unserem Lande in der Verfassung fixiert. Recht und Verfassung sind nicht Papiere, sondern sind die Kodifikation unseres politischen Willens und unserer moralischen Maßstäbe. Ich habe keineswegs die Hoffnung aufgegeben, daß wir hier zusammenkommen können, stärker zusammenkommen können als bisher.
Vielleicht dar ich im Blick auf das, was uns nach bitterer geschichtlicher Erfahrung gemeinsam ist, zum Schluß ein Zitat von wirklich geschichtlichem Rang vortragen, nämlich einen kurzen Ausschnitt aus der Rede des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion am Tage des unglückseligen Ermächtigungsgesetzes, vom 23. März 1933. Mutig rief Otto Wels Hitler zu:
Wir Sozialdemokraten wissen, daß man machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrung nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache Ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbewußtsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden nicht aufhören, an dieses Rechtsbewußtsein zu appellieren.
({1})
- Ja.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bangemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Mertes hat sehr recht daran getan, das Problem der KSZE einmal vor einem sehr grundsätzlichen Hintergrund zu beleuchten, wenngleich ich sein letztes Zitat, mit dem er schloß, als ein ein wenig weit hergeholtes Beispiel angesehen habe; denn ich kann nicht sehen, wo in dieser Konferenz, weder in den bisherigen Ergebnissen noch in den Absichten, die sowohl Opposition als auch Regierung verfolgen, etwa eine Verletzung des Rechtsbewußtseins unseres oder irgendeines anderen Volkes angestrebt wäre.
({0})
Aber das ist nur eine Klarstellung.
Im übrigen, Herr Mertes, bin ich der Meinung, daß
gehören, zu den Beamten gehören, deren Wechsel in das Parlament von jedem Parlamentarier begrüßt wird; denn sie sind zweifellos eine Bereicherung des Parlaments. Dieses kann man sagen, auch wenn Sie Ihre Ausführungen, wie ich glaube, in einigen Punkten etwas mißverständlich gefaßt haben.
Lassen Sie mich versuchen, noch einmal von der Ausgangslage auszugehen, denn es ist wichtig, Herr Mertes, daß wir versuchen, den Unterschied ganz klar herauszuarbeiten, der besteht zwischen den zivilrechtlichen Begriffen des Dissenses etwa - das ist ja ein Begriff aus dem Zivilrecht- und der denkbaren Gefahr, in der jede internationale Vertragsverhandlung steht, zu Ergebnissen zu kommen, die nicht halten. Die Ausgangslage ist unterschiedlich, wenn man den zivilrechtlichen Begriff des Dissenses verwendet, denn es handelt sich hier erstens urn Staaten. Zweitens handelt es sich um Staaten, die unterschiedliche Interessen in die Verhandlungen einbringen. Drittens handelt es sich - das ist das ganz wesentlich Neue gegenüber anderen geschichtlichen internationalen Verhandlungen - um Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, die nun in der Tat mit ihren unterschiedlichen politischen Voraussetzungen und damit auch mit ihrer unterschiedlichen politischen Sprache in diese Verhandlung hineingehen. Hinzu kommt, daß das durch einige spezifische Probleme belastet wird, zu denen ganz ohne jeden Zweifel das Deutschlandproblem gehört.
Wenn man nun dieses alles voraussetzt, dann geht es sicherlich darum, das Ziel, nämlich die Entspannung und die Sicherheit, gemeinsam zu definieren. Dieses würde ich auch, so wie es der Herr Bundesaußenminister ausgedrückt hat, als eine realistische und reale Politik ansehen, d. h. man darf nicht darauf verzichten, diese beiden grundlegenden Begriffe so einzugrenzen, daß ein Minimum an Gemeinsamkeiten da ist, auf das man sich gemeinsam verläßt. Dabei kommt es natürlich von unserer Position aus darauf an, klarzumachen, daß beides nur miteinander geht, daß also eine Entspannung, isoliert betrachtet, etwa ohne eine Sicherheit, die sich in einer militärischen Sicherheit, in Abmachungen über Rüstungsbegrenzungen ausdrückt, wahrscheinlich nicht halten wird, wie umgekehrt solche Sicherheitsabmachungen ohne eine Entspannung auch im Menschlichen, in bezug auf menschliche Erleichterungen, sicher kein politisches Ziel sein können. Beides gehört also zusammen.
Ich halte es also in der Tat für möglich, daß im Bereich der grundsätzlichen Ziele und auch der Methoden der Konferenz Übereinstimmung in den Begriffen zu erzielen ist. Es bleibt dann noch ein ganz anderer, weiter Bereich übrig, in dem man, wenn Sie so wollen, mit einem Dissens leben muß. Wir haben uns darüber ja schon einmal sehr lange unterhalten. Ich will es einmal an einem Beispiel deutlich machen. Nehmen wir den Begriff der Presse-und Informationsfreiheit. Dieser Begriff wird ja nicht als technischer Begriff definiert. Ein Meter können Sie definieren. Ich glaube, in Paris gibt es irgendwo das Ur-Meter. Wenn zwischen Moskau und New York eine Divergenz darüber entstehen sollte, was ein Meter ist, geht man halt dorthin und stellt fest, was ein Meter ist. Was aber Presse- und
Informationsfreiheit ist, Herr Mertes, ist eben nicht so einfach zu definieren. Dies ist ja, wenn Sie so wollen, gerade das Faszinierende an der Politik, daß es kein politisches Meter gibt.
({1})
Der Begriff der politischen Presse- und Informationsfreiheit wird von sehr vielen sozialistischen Staaten so aufgefaßt: Sie sagen, der liberale Begriff der westlichen Staaten, unter dem auch die Zulassung
anderer Meinungen verstanden wird, sei im Kern eigentlich ein kranker Begriff von Presse- und Informationsfreiheit, denn damit würden ja auch schädliche Äußerungen zugelassen. Sozialisten gehen also in diesem Zusammenhang davon aus, daß es ein zulässiges absolutes Urteil über Schädlichkeit gibt, und können deswegen dann sagen: Jede Äußerung in der Presse oder in der Öffentlichkeit, die schädlich ist, die also nicht nützt, muß ausgeschlossen werden; sie erfüllt nicht den Begriff der Presse- und Informationsfreiheit. Das sind zwei ganz unterschiedliche Voraussetzungen, so daß Sie, selbst wenn Sie das Wort jetzt definieren, eben an dieser Barriere scheitern müssen, daß von den gesellschaftlichen Voraussetzungen her Unterschiedlichkeiten hineingetragen werden. Deswegen kann man Klarheit der Begriffe und Worte nur in dem Bereich erreichen, in dem auch die Sachen gemeinsam definiert wurden. Das ganze Problem der Verhandlungen besteht darin, ein gemeinsames Interesse so zu definieren, daß man dann ohne Schwierigkeiten auch ein klares Wort dafür findet.
Nun will ich Ihnen an einem Beispiel aus den Berlin-Vereinbarungen zeigen, wie schwierig das ist und daß Ihre Vorwürfe, soweit sie - von Ihnen aus gesehen - als gerechtfertigt angesehen werden mögen, sich gar nicht gegen die Bundesregierung allein, sondern sogar gegen alle anderen Teilnehmerstaaten richten. Sie wissen, daß sich im Berlin-Abkommen der Begriff „residents" findet. Bei diesem Begriff hatte man an sich nicht über Mangel an Klarheit zu klagen, denn der Begriff „residents" war im internationalen Völkerrecht und sogar im sozialistischen Völkerrecht nach dessen eigenen Definitionen völlig eindeutig und klar. Dieser Begriff umfaßte z. B. auch die juristischen Personen. Niemand - auch die drei Westmächte nicht - haben, als dieser Begriff in das Abkommen eingeführt worden ist, daran gezweifelt, daß dieser Begriff die notwendige und zureichende Klarheit besaß. Dennoch ist an diesem Punkt ein politischer Streit ausgebrochen. Das ganze Problem zwischen der Regierung, der Koalition, die die Regierung trägt, und der Opposition liegt darin, daß die Opposition -über das notwendige Maß an Klarheit hinausgehend - etwas verlangt, was illusionär ist, was nicht erfüllbar ist.
Ich will dies einmal an einem Beispiel verdeutlichen. Wir stehen gemeinsam vor einer Lokomotive, die den Entspannungszug transportieren soll. Nun geht die Regierung um die Lokomotive herum, klopft mit einem Hammer an die Räder und stellt fest: Es geht. Wir tun das dann auch. Dann kommen Sie und klopfen auch erst noch einmal, was Ihr gutes Recht als Opposition ist, weil Sie der Regierung ja nicht trauen dürfen. Aber dann sagen Sie nicht: Es geht! und steigen mit auf, sondern Sie sagen: Jetzt wollen wir die Achse erst einmal auseinandernehmen und feststellen, welche Legierung verwendet worden ist. Dann demontieren Sie die Lokomotive in einem übertriebenen Sicherheitsbedürfnis so weit, daß der Zug nicht abfahren kann.
({2})
Das ist das ganze Problem, über das wir mit Ihnen hier dauernd diskutieren müssen.
({3})
- Herr Kollege Mertes, ich weiß, daß jedes Beispiel natürlich auch seine Schwächen hat, aber man soll die Dinge ganz drastisch und vielleicht auch ein bißchen blumig ausdrücken, wenn Sie so wollen, chinesisch. Diese Art, Politik zu machen, ist natürlich besonders bei denjenigen beliebt, die Sie zu den guten Sozialisten oder Kommunisten zählen, nämlich bei den Chinesen. Es wäre übrigens auch einmal ganz interessant, zu erfahren, wieso Sie eigentlich Ihre verschiedenen Kanzlerkandidaten nach China entsenden. Das ist sehr gut; wenn einer in China ist, können die anderen sich zu Hause inzwischen wieder aufbauen; wenn er dann zurückgekommen ist, schicken Sie die anderen hin.
({4})
Diese Kanzlerkandidaten kommen zurück und erklären uns dann: Es besteht eine hervorragende, exzellente Übereinstimmung zwischen den Positionen, die wir in China gehört haben, und unseren eigenen; wir können uns nur freuen, daß die Chinesen uns in diesen Positionen so kräftig unterstützen. - Jetzt frage ich Sie: Haben Sie sich dort auch über die Klarheit der Begriffe vergewissert? Was machen Sie denn mit diesen Leuten? Das sind doch auch Kommunisten.
({5})
- Bitte!
Bitte, Herr Dr. Mertes!
Herr Kollege Bangemann, sind Sie sich darüber im klaren, daß nicht nur Juristen - Sie nehmen deren Aussterben ja gerne hin - einen Vertrag als eine wesentlich bedeutendere Sache ansehen als eine politische Äußerung bei einem Besuch dieser Art?
Ich bin mir darüber im klaren. Ich würde sogar noch etwas weiter gehen als Sie: Ich halte politische Äußerungen bei Besuchen dieser Art überhaupt nicht für wesentlich.
({0})
Lassen Sie mich jetzt bitte zu der Frage Stellung nehmen, wie man zu realistischen Ergebnissen bei dieser Konferenz kommen kann. Ich finde, es gibt auch in dem, was Sie hier gesagt haben, einige Ansätze, und wir sollten vielleicht einmal gemeinsam versuchen, diese Ansätze auszuarbeiten.
Ansatz Nummer eins ist, daß sowohl die klassischen Mittel als auch die klassischen Zieldefinitionen jedenfalls bei der KSZE nicht ausreichen. Ich habe übrigens nicht gesagt, daß wir hier zu einem einDr. Bangemann
fachen do ut des kommen sollten, sondern ich habe das geradezu abgelehnt.
({1})
- Ach so! Ich habe das abgelehnt, weil ich der Meinung bin, daß dieses Prinzip, das in bilateralen klassischen Verhandlungen seinen Platz hat, bei diesen multilateralen Verhandlungen im Grunde genommen in die Irre führen muß, und zwar einfach deswegen, weil Sie in der Konferenz sowohl in der Methode als auch bei der Definition dessen, was Sie als Ergebnis erreichen wollen,
({2})
diesen Bilateralismus ich habe das als sacro
egoismo bezeichnet - nicht einführen können, ohne daß Sie die ganze Konferenz sprengen.
Das gilt übrigens auch für das gesamte Problem der Wiedervereinigung im Verhältnis zur Entspannung. Sie greifen im Grunde genommen das alte Problem auf: Ist das Streben nach Wiedervereinigung , negativ ausgedrückt, ist die Spaltung der beiden deutschen Staaten oder etwa die Nichtanerkennung der Spaltung dieser beiden deutschen Staaten Ursache der Spannung oder nicht? Ich sage Ihnen, Herr Mertes: Weder das eine noch das andere ist Ursache der Spannung,
({3})
und es kann insofern auch bei der KSZE nicht darum gehen, daß wir nun in der einen oder anderen Weise dieses Problem bilateral lösen.
({4})
- Die Ursache der Spannung ist zunächst einmal die Gegensätzlichkeit der Gesellschaftssysteme. Daß sich diese Gegensätzlichkeit der Gesellschaftssysteme durch den Raum hindurch erstreckt, der früher die deutsche Nation beherbergt hat und in dem die eine Hälfte jetzt sagt: wir sind nicht mehr die deutsche Nation, das ist eine zusätzliche Komplikation, die uns besonders betrifft, weil wir darunter leiden. Das ist aber nicht die Ursache der Spannung. Infolgedessen ist auch nicht anzunehmen, daß bei einer wie auch immer gearteten Regelung diese Spannung beseitigt werden kann.
Das gleiche gilt für das Dilemma: erst Europa und dann Entspannung, das ich schon heute morgen behandelt habe. Auch das ist ein selbstgeschaffenes Dilemma. Herr Barzel, Sie schütteln den Kopf. Ich habe es heute morgen bereits Herrn Carstens gesagt. Er hat nicht den Kopf geschüttelt, sondern er hat mich nachdenklich angesehen.
({5})
- Dann haben Sie mich besonders nachdenklich angesehen; jedenfalls hatte ich diesen Eindruck. Ich habe Ihnen heute morgen gesagt - ich möchte noch einmal wiederholen -: Ich kann mich sehr wohl an die Worte erinnern, die Sie vor etwa einem
Jahr - bitte, nageln Sie mich nicht auf den Termin fest - geäußert haben. Sie haben uns hier beschworen, die KSZE nicht fortzusetzen bzw. nicht zu beginnen, solange wir nicht die europäische Einigung zustande gebracht hätten, denn dieses sei ein Abenteuer, bei dem wir isoliert auftretend eigentlich nur in die Fallen rennen könnten, die die Sowjetunion aufgebaut habe, als da sind: Entzweiung der NATO-Partner, Auseinanderreißen des europäischen Einigungsprozesses, Trennung der Vereinigten Staaten von Europa. Dieses haben Sie uns als Gemälde sozusagen vorgestellt und gesagt: Geht um Gottes Willen nicht in die Verhandlungen hinein, bevor Ihr
nicht diese Probleme erledigt habt! Ich habe damals gesagt und ich wiederhole es jetzt vor dem
Hintergrund dessen, was wir erreicht haben -: dieses Gemälde war zwar schwarz; es war aber nichtsdestoweniger falsch,
({6})
denn die Ergebnisse zeigen eindeutig, daß Europa durch die Konferenz sogar gewinnt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Professor
Carstens?
Herr Kollege Bangemann, würden Sie mir zugeben, daß ich mehrfach in Reden, die ich vor dem Bundestag gehalten habe, just dies gesagt und begrüßt habe, daß es zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den neun EWG-Staaten in Fragen der KSZE gekommen ist, und würden Sie mir zweitens zugeben, Herr Kollege Bangemann, daß in dieser Frage noch nicht aller Tage Abend ist und daß sich noch herausstellen wird, ob die KSZE und die mit ihr eingeleitete Entwicklung für die Einigung Europas nützlich oder schädlich sind, und daß wir alle die Gefahr, daß sie schädlich sein könnten, nicht ausschließen können?
({0})
Daß wir noch nicht am Ende dieses Prozesses stehen, ist ganz selbstverständlich; denn wir sind ja noch nicht am Ende der Konferenz angelangt. Aber nach alledem, was wir bis jetzt wissen, was sich auch in der Haltung der Sowjetunion ganz deutlich zeigt, kann man diese Gefahr, von der Sie gesprochen haben, mit ziemlicher Sicherheit ausschließen. Es war doch am Anfang dieser Konferenz auch die Haltung der Sowjetunion gegenüber der Europäischen Gemeinschaft eine ganz andere, als wir sie jetzt vorfinden.
Ich will Ihnen das ja gar nicht vorhalten im Sinne einer Ätsch-Position, von der Herr Mertes gesprochen hat, sondern ich sehe diesen Prozeß, in dem Sie sich offenbar befinden, den Prozeß des Umdenkens - wobei Sie alte Positionen durch Herrn Zimmermann noch einmal fixieren lassen und dann andere Leute vorschicken wie Herrn Mertes und Herrn Marx, die die etwas neueren Positionen fixieren. Insofern sind Sie, wenn man das richtig sieht, in einer Position, die damals die SPD ganz anders gesehen hat, als sie bestimmte grundsätzliche Positionen gerade im Außen- und Sicherheitsbereich aufgegeben
hat. Die haben das mit einem Schlag gemacht. Sie haben sich hingestellt und gesagt: Das, was wir vorher gesagt haben, müssen wir in einem neuen Zusammenhang interpretieren; wir machen das jetzt so. Sie machen das sozusagen in homöopathischen Raten. Das ist ja auch für den Zustand Ihrer Partei im Augenblick vielleicht viel besser und angemessener. Denn mehr Belastungen, als Sie sie im Moment schon haben, kann Ihnen ja wirklich niemand zumuten, der Ihnen wohl will.
({0})
- Wieso? Da geht es hervorragend.
({1})
Ich weiß gar nicht, was Sie wollen.
Die neuen Ansätze, zu denen wir bei der KSZE kommen, sind beispielsweise die, daß wir uns auch von der Frage der Auslegung der Verträge insoweit entfernen können, als es tatsächlich, Herr Mertes, mehr auf die konkrete Praxis ankommen wird, die die Teilnehmerstaaten nachher praktizieren, als auf das, was nun sozusagen völkerrechtlich in den alten klassischen Formen niedergelegt ist.
({2})
Denn Sie werden einige Begriffe haben, die Sie nur beurteilen und auslegen können, wenn Sie die Praxis derjenigen beurteilen, die nachher auf diesem Gebiet, zu dem sie sich zunächst einmal in Absichtserklärungen geäußert haben, verwirklicht werden wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0})?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Bangemann, sind Sie, wenn Sie betonen, daß es auf die nachfolgende Praxis ankommt, dann nicht mit uns der Meinung, daß die Praxis der Sowjetunion nach den bisher geschlossenen Ostverträgen - denken Sie nur etwa an die Praxis in der Frage Berlin
- uns mißtrauisch machen muß und uns, wie es der Kollege Mertes ausgeführt hat, zu ganz besonderer Sorgfalt bei der Formulierung der gemeinsamen Begriffe dieser Schlußdokumente veranlassen müßte?
Ich würde nicht „mißtrauisch" sagen; ich würde das Wort „skeptisch" akzeptieren. Selbstverständlich ist es eine notwendige Voraussetzung vernünftiger Politik im Interesse eines bestimmten Staates, das man skeptisch ist, was die Haltbarkeit solcher Vereinbarungen angeht. Wenn Sie sich aber etwa das noch einmal anschauen, was der sowjetische Botschafter heute im Westdeutschen Rundfunk zu der Position Berlins
gesagt hat, wo er angedeutet hat, daß bei einem entsprechenden Ergebnis der Moskauer Gespräche, die der Herr Bundeskanzler führen wird, auch hier durchaus eine offensive, also vorwärts gehende Position der Sowjetunion denkbar sei ({0})
- Meine Damen und Herren, lassen Sie uns das doch einmal ganz offen - so, wie Herr. Mertes zu sprechen pflegt - betrachten! Herr Jäger, Sie werden mir da wahrscheinlich sogar zustimmen: Die Schwierigkeit dieser Entspannungspolitik ist ja nicht unsere starke demokratische Position, ist ja nicht die Stärke, die sich Demokratien auf dem Gebiet der Entspannung nicht zu eigen machen müssen, weil sie sie haben, sondern die Schwierigkeit der Entspannungspolitik gerade im humanitären Bereich - Korb 3 - ist doch die Schwäche der sozialistischen Staaten. Das ist doch deren ständiges Bemühen; sie müssen sich sozusagen darum kümmern, daß sie nicht in dem Moment von innen her auseinanderfallen, wo sie in den frischen Wind der Klarheit und Wahrheit kommen, von dem wir hier sprechen. Aber das ist doch nicht. ein Grund etwa zum Jubeln, es ist auch kein Grund, das einfach beiseite zu schieben, denn die Entspannung ist eben auch mit ein Sicherheitsproblem, ist auch mit ein Problem militärischer Bedrohung.
({1})
Gerade weil es das auch ist, müssen Sie die Schwäche der anderen mit einkalkulieren, wenn Sie auf einem Gebiet vorgehen, bei dem den anderen die Dinge nun wirklich auf den Nägeln brennen.
Ich darf einmal ein Beispiel aus dem Bereich der Deutschlandpolitik bringen. Sie sprechen davon, die Entspannung zwischen den deutschen Staaten wäre eigentlich erst dann wirklich erreicht und auch realistich annehmbar, wenn die Grenze so wäre, wie eine normale Grenze. Heute morgen hat das jemand formuliert - ich glaube, Herr Marx war es -: Wenn jedermann frei und nach Belieben gehen kann, wohin er will, wie es die Menschenrechtscharta der UNO vorschreibt. Meine Damen und Herren, gibt es denn einen Zweifel, daß, wenn wir das heute erreichten - unterstellen wir es einmal -, in der Tat die Hälfte der Bevölkerung der DDR dieses Recht in der UNO-Charta nicht nur als ein Blatt Papier empfinden, sondern sich aufmachen und weggehen würde? Und gibt es denn einen Zweifel darüber, daß dies für einen solchen Staat ein schweres politisches Problem ist?
Um nicht wieder mißverstanden zu werden, sage ich: Ich rechtfertige damit moralisch überhaupt nichts, was an dieser Grenze geschieht.
({2})
- Nein, das ist genau das Mißverständnis, das nun bei einem Teil Ihrer Fraktion auftritt, der von mir aus gesehen rechts sitzt. Es ist nämlich das Mißverständnis, das man mit einer moralischen Verurteilung definitiv und realistisch etwas erreichen könne.
Sie wollen die realistische Entspannungspolitik. Dann nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß das die realen Probleme der Staaten sind, mit denen wir die Entspannungspolitik betreiben müssen, und daß Sie stundenlang moralische Krokodilstränen weinen können, ohne dieses Problem gelöst zu haben. Dazu muß ich sagen, Herr Becher: Das ist die Unredlichkeit, die in manchen Äußerungen der Opposition steckt, nicht in allen. Da stellen Sie sich hin und sagen: Da sterben Menschen an der Grenze; was tut die Regierung zur Entspannungspolitik? Ich muß Ihnen sagen: Wenn Sie diese Alternative aufstellen, müssen Sie in Kauf nehmen, daß man Ihnen entgegenhält, daß das eine bloße moralische Fiktion ohne jeden realistischen Hintergrund ist, so gar ohne jeden menschlichen Hintergrund; denn die Menschen dort würden genauso sterben, wenn sie etwa den Begriff der Falken für sich akzeptierten.
({3})
Ich denke so, weil es mir wie der Regierung um diese Menschen geht und weil die Entspannungspolitik dieser Regierung realistisch ist und sich an dem Schicksal dieser Menschen orientiert.
({4})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Becher?
Herr Kollege Bangemann, würden nicht auch Sie der Meinung sein, daß es eine bessere Logik wäre, anzunehmen, daß die Beherrscher der DDR in Wirklichkeit gar keine Entspannung in Ihrem Sinne wollen, sondern daß sie nur Entspannung sagen, aber Penetration der Bundesrepublik meinen? Das ist doch das Problem:
({0})
Nein, der Meinung bin ich nicht. Da hat Ihnen aus Ihrer eigenen Fraktion nur Herr Jäger ({0}) Beifall gegeben. Das muß ich mal festhalten. Ich halte das auch nicht für eine realistische Position; denn wenn das so wäre, könnten wir jetzt alle nach Hause gehen. Dann hätte Herr Marx nicht sprechen müssen, und dann hätte Herr Mertes seine Ausführungen nicht machen müssen. Dann könnten wir aus Genf nach Hause gehen. Dann brauchten wir überhaupt nichts mehr zu machen.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Marx?
Ja, eine letzte.
Danke, Herr Kollege Bangemann. Ich möchte nur noch eine zusätzliche Frage stellen, damit wir vielleicht in dieser einen Sache Klarheit gewinnen. Würden Sie uns bitte sagen, wie in Ihrem Kopf die Entspannungsmethoden und Ziele der Führung der SED aussehen und
was diese für die Bundesrepublik und für Deutschland insgesamt bedeuten können?
({0})
Wie ich mir das vorstelle?
({0})
- Gut, das kann ich Ihnen gern beantworten. Ich bin der Meinung, daß bei dieser Konferenz wie überhaupt bei allen Entspannungsbemühungen mit Sicherheit gesagt werden kann, daß die SED-Führung der DDR die schwierigste Position hat, weil sie sich eigentlich in der gefährdetsten Situation befindet.
({1})
- Ja, das ist positiv. Da münzt man eine Schwäche positiv um. Das halte ich in der Tat für eine Entschuldigung. Dies würde ich nicht als eine richtige Beschreibung der Lage der DDR sehen. Aber wir müssen doch, wenn wir jetzt realistische Entspannungspolitik betreiben wollen, von diesen un terschiedlichen Situationen ausgehen und sie in unser Kalkül einbeziehen. Darum ging es mir. Deswegen ist eben das, was Herr Becher gesagt hat, nach meiner Meinung nicht richtig.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja, aber dann bitte die letzte. Ich möchte ja auch zum Schluß kommen.
Herr Kollege Bangemann, in der Annahme, daß Sie meine Auffassung teilen, eine moralische Verurteilung durch die Vereinten Nationen sei ein schwerwiegendes Politikum, frage ich Sie: Wäre es nicht eine gute Sache, wenn wir erreichen könnten, daß mit gleichem Maß die Rassen-Apartheidspolitik in Südafrika und die Klassen-Apartheidspolitik der DDR gegenüber uns durch die Vereinten Nationen verurteilt würden?
({0})
Das ist im Prinzip in beiden Fällen natürlich mit Ja zu beantworten. Die Frage ist nur - und das ist eine Frage, die im gleichen Atemzug mit beantwortet werden muß -: Was erreichen Sie, da Sie ja eine politische und
nicht eine moralische Antwort haben wollen, mit dieser politischen Antwort?
Nun lassen Sie mich folgendes sagen. Was mich an der Position insbesondere der Opposition immer ein bißchen gestört hat - wenn wir einmal ein ganz naheliegendes Beispiel wählen, nicht Südafrika, sondern Portugal und Spanien -, ist beispielsweise die Frage: wird die NATO hier geschwächt? Bei dem Entspannungsbemühen in der Genfer Konferenz hat jeder von Ihnen gesagt: Um Gottes willen, das
schwächt die NATO! Aber ich frage Sie: haben Sie Mitglieder Ihrer Fraktion gefragt, die nach Griechenland, Portugal und Spanien gegangen sind und dort sehr intensive freundschaftliche Gespräche mit denjenigen gepflogen haben, die nun weiß Gott nicht demokratisch waren,
({0})
ob das denn die NATO gestützt und das etwa den demokratischen Prozeß dort in Gang gesetzt hat?
({1})
- Entschuldigen Sie doch bitte einmal, wenn Sie das richtig in Erinnerung haben, so müßten Sie wissen, daß Herr Scheel nicht nach Griechenland gefahren ist.
({2})
Die Schwierigkeiten, die wir in diesen Ländern haben und die dort mit der NATO aufgetreten sind - das gibt sogar Herr Kissinger jetzt in seiner Äußerung selbstkritisch zu; deswegen brauchen Sie sich gar nicht zu erregen - ({3})
- Nein, Sie heißen nicht Kissinger. Manchmal kann man sagen „Gott sei Dank", manchmal „schade".
({4})
- Das kommt darauf an, in welchem Zusammenhang man das sieht. Aber Herr Kissinger hat selber gesagt - das ist das Problem: lassen Sie es mich als das Selbstverständnis der NATO definieren, damit Sie sich jetzt nicht persönlich angesprochen fühlen -, was meine tiefe Überzeugung seit Jahren gewesen ist: Man hat dadurch einen ganz eminenten Fehler begangen, daß man in außenpolitischen Beziehungen, insbesondere was die NATO angeht, einem übertriebenen Pragmatismus anhing, daß man innerhalb dieses Bündnisses unter Machtgesichtspunkten diejenigen gestützt hat, die demokratischen Ansprüchen eben nicht gerecht geworden sind. Dadurch sind nicht nur Schwierigkeiten für das Demokratieverständnis, sondern sogar Schwierigkeiten in der pragmatischen Virulenz des Bündnisses aufgetreten. Das ist meine Meinung. Wenn Sie das auf die Entspannungsbemühungen übertragen, werden Sie vielleicht etwas anders darüber denken und nicht mehr nur mit diesen Kategorien moralischer Verurteilung vorgehen, statt sich politisch zu überlegen, was dabei entsteht.
({5})
Lassen Sie mich noch ein Letztes zu den Rechtspositionen sagen, weil das damit zusammenhängt. Herr Mertes, ich glaube, Sie haben in einem Gespräch erwähnt, daß irgendein Zar - ich weiß nicht mehr, welcher das war - an einen Chinareisenden
die Frage richtete: Welche Rechtstitel haben wir dort?
({6})
- Ja, Sie können daran ablesen, mit welcher Aufmerksamkeit ich Ihre Äußerungen aufnehme und behalte, um sie dann zu widerlegen. Denn das ist eine Position zaristischer Politik, die natürlich unter dem Genfer Aspekt nichts bedeutet und nichts besagt; denn Rechtspositionen als Ergebnis der Genfer Konferenz wären im Grunde genommen nichts anderes als ein europäisches Völkerrecht bei den zehn Prinzipien, das Sie ablehnen. Nein, es sollen Regeln des menschlichen Zusammenlebens zwischen Staaten entstehen. An der Beachtung dieser Regeln - das ist eine reine Faktizität; da brauchen Sie kein Rechtsurteil - werden Sie auch ablesen können, in welchem Maße sich ein solcher Staat entspannungsfreundlich verhält.
({7})
Das ist der entscheidende Unterschied zwischen der Position einer klassischen Politik und dieser Position der Genfer Konferenz. Ich kann verstehen, daß es einige Schwierigkeiten macht, sich in einen solchen neuen Gedankengang hineinzudenken;
({8})
aber wenn Sie wirklich keine illusionäre Politik, sondern eine realistische Politik wollen, Herr Dr. Marx, dann müssen Sie doch sehen, daß es bei der Genfer Konferenz darauf ankommt,
({9})
in dem Sinne, in dem heute morgen der Außenminister das Beispiel von Herrn Kissinger zitiert hat, Regeln des Zusammenlebens zu finden, die nicht mit dem Rang einer Rechtsnorm auftreten müssen, geradezu nicht auftreten können, weil sie nämlich dann wieder zu diesen juristischen Problemen werden, von denen Herr Mertes gesprochen hat, sondern die ein ganz konkretes ablesbares Instrument bieten, an dem man sehen kann, wie kalt oder wie heiß die Beziehungen zwischen Ost und West sind.
Wenn das nicht realistische Entspannungspolitik ist, wenn wir nicht auf diesem Weg wirklich dazu kommen zu sagen: hier haben wir ohne juristische Auseinandersetzungen, ohne Interpretationsschwierigkeiten, ohne Herbeiziehung von juristischen Gutachten ein Mittel, an dem wir ablesen können, wie die Verhältnisse zwischen Ost und West sind, dann weiß ich nicht, was wir noch gemeinsam erreichen wollen.
({10})
- Lieber Herr Kollege, das ist doch nun wirklich völlig klar.
({11})
- Dann muß ich noch einmal sagen, wie meine
Wertmaßstäbe dabei sind. Ich gehe davon aus, daß
Entspannung ohne ein Zusammenleben der Menschen, das sich so gestaltet, daß menschliche Grundbedürfnisse in würdiger Form auch im staatlichen Verkehr befriedigt werden können, nicht Entspannung ist.
({12})
Wenn ich in den Fragen der Familienzusammenführung nicht zu einer unbürokratischen Lösung komme, bei der eine solche Familienzusammenführung möglich ist, wenn dieses schreiende menschliche Elend eine Blockade darstellt, um zwischen Staaten zu einer vernünftigen Regelung ihrer Beziehungen zu kommen, dann akzeptiere ich das nicht. Das sind meine Maßstäbe, aber mein Maßstab ist nicht det - und den verwechseln Sie eben -, daß diese grundsätzliche moralische Position nicht zum Instrument und zum Mittel all dessen werden kann, was ich politisch tue, und das tun Sie eben.
Ich will das Beispiel mit dem Zug noch einmal aufgreifen. Sie stehen vor dem Zug, und Sie wissen ganz genau wie wir, daß die ersten zwei oder drei Kilometer sehr gefährlich sein werden, weil möglicherweise Einsturzgefahr bei einer Brücke, über die man fahren muß, besteht. Es gibt keine andere Brücke; Sie sagen selbst: es gibt keine Alternative. Und dann sagt ein Teil von Ihnen: Weil die Brücke einstürzen kann, besteigen wir den Zug nicht. Das ist, Herr Becher, wenn Sie gestatten, daß ich Sie jetzt einmal als Vormann nehme, die Gruppe, die Ihnen folgt.
({13})
Dann gibt es eine Gruppe Mertes - Barzel, die sagt: Wir besteigen den Zug, wir warnen aber jetzt schon, daß die Brücke einstürzen wird. Und wenn sie dann eingestürzt ist, dann stellen sie sich unten hin und sagen: Wir haben immer schon gewarnt, daß das nicht gutgehen wird. Meine Damen und Herren, es ist dann nur noch eine dritte Möglichkeit.
({14})
- Herr Stücklen, „Augen zu" reimt sich nun wirklich nicht auf FDP.
({15})
Sie wollen die Politik dieser Regierung doch ganz offenbar nicht. Ich weiß nicht, warum Sie dem widersprechen, was ich jetzt sage. Ich versuche nur, die Quintessenz all dessen zu ziehen was Herr Mertes und Herr Marx heute hier gesagt haben.
Wenn das auch Ihre Position ist, dann geben Sie Ihre verbalen Vorbehalte auf und folgen Sie uns auch verbal und nicht nur in der Sache, und sagen Sie nicht hinterher, wenn Schwierigkeiten auftauchen: Wir haben schon immer gesagt, daß es nicht klappen wird. Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Politik auch mit Ihrem Risiko wollen realistische Entspannungspolitik heißt auch Politik des Risikos -, dann mogeln Sie sich um das Risiko nicht
herum, sondern nehmen Sie es mit uns gemeinsam auf sich!
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Debatte zeigt einen interessanten Vorgang bei der Opposition. Wer aufmerksam die Diskussionsbeiträge des Kollegen Marx und des Kollegen Mertes in einigen wesentlichen Passagen verfolgt hat, stellt einen bemerkenswerten Mangel an Übereinstimmung mit jenem Grundton fest, von dem der Text der Anfrage, die Sie eingebracht haben, erkennbar noch getragen ist.
Das ist gut so, und Sie haben auch allen Grund dazu, denn, meine Damen und Herren, die eindeutige Antwort, die Sie von der Bundesregierung auf diese Große Anfrage erhalten haben, und die Erklärung des Bundesaußenministers, die er heute hier noch einmal ergänzend gegeben hat, machen deutlich, daß all jenes, was an versteckten Unterstellungen, an Verdächtigungen im Text dieser Großen Anfrage teilweise enthalten ist, sich nicht aufrechterhalten läßt, daß Sie so die Auseinandersetzung um die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nicht fortführen können.
({0})
Aber da stellt sich nun eine für Sie zugegebenermaßen schwierige Frage, die in einer Bemerkung, die Herr Mertes am Ende seiner Rede hier gemacht hat, deutlich wird. Wenn es richtig ist - und ich hoffe, ich habe Sie an dieser Stelle nicht falsch verstanden -, daß auch Sie der Überzeugung sind, eines Tages könne es gelingen, den Punkt zu erreichen, wo über wesentliche Fragen eine Annäherung oder eine Begegnung der Interessen zwischen der Sowjetunion und uns erreicht werden kann, dann müssen Sie doch bitte auch die Frage beantworten: Was wollen Sie denn dazu tun, damit wir - die Bundesrepublik Deutschland - und der Westen nun helfen, diesen Punkt zu erreichen? Auf diese Frage sind Sie uns die Antwort noch schuldig geblieben.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Herr Kollege Jahn, haben Sie zugehört, als ich sagte, daß wir eine Politik treiben müssen, welche die Immobilisten in Moskau schwächt und denjenigen Auftrieb gibt, die im Kreis der führenden Genossen sagen: Wir müssen uns langsam etwas anderes überlegen, denn unsere Interessen gebieten uns das?
Ich habe das natürlich gehört, Herr Kollege Mertes. Das ist auch eine nicht so sehr überraschende Feststellung von Ihrer Seite, Nur ist das nicht meine Frage an Sie. Meine Frage lautet: Was wollen Sie denn tun, damit wir eine Position herbeiführen, durch die auf der anderen Seite ein stärkerer Mobilismus erreicht werden kann? Das ist doch die Schwierigkeit Ihrer Position, die ich durchaus sehe und bei der ich sage: Lassen Sie uns weiter darüber sprechen. Das, was in den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses dazu noch in den Details gesagt werden kann, mag da vielleicht weiterhelfen.
Die Frage an Sie lautet, wie Sie nun Ihre eigene außenpolitische Situation in dieser Auseinandersetzung bestimmen wollen. Sie wenden, damit Sie hier in dieser Debatte nicht in allzu große Schwierigkeiten geraten, einen Kunstgriff an, der einmal beim Namen genannt werden muß. Sie haben nämlich in Ihrer ganzen Rede so argumentiert, als hätten wir nicht eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - diese haben wir tatsächlich -, sondern als hätten wir eine Konferenz, in der ein Vertrag geschlossen werden soll, mit dem bindende rechtliche Verpflichtungen eingegangen werden sollen. Sie haben hier ständig den Zeigefinger gehoben und gesagt: Davor müssen wir uns aber hüten!
Mit dieser Art der Argumentation kommen Sie aus Ihren Schwierigkeiten nicht heraus, kommen Sie insbesondere nicht zu einer glaubhaften Antwort auf die Frage, was eigentlich Ihre Position ist. Sie müssen die Frage beantworten, was nach Ihren Vorstellungen das Ziel der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland sein soll.
Sie müssen sich wohl noch etwas ernsthafter mit einer Ihnen nicht zu ersparenden Feststellung auseinandersetzen, nämlich daß das, was man bisher aus Ihrer Position herauslesen kann, ja mit niemandem im Kreise unserer Verbündeten im entferntesten in Übereinstimmung gebracht werden kann. Ihre, um es vorsichtig und freundlich auszudrücken, undeutliche, um nicht zu sagen: im Kern ablebende Haltung - von verbalen Zugeständnissen einmal abgesehen - zum Grundtenor unserer Politik erfährt doch durch niemanden in der westlichen Welt eine Bestätigung. Damit stehen Sie völlig allein.
Wenn Sie meinen, dies sei eine Politik, welche die Bundesrepublik Deutschland verantwortlich vertreten könne, dann müssen Sie auch über die Konsequenz nachdenken, die sich daraus ergibt, daß wir damit wieder in jene Isolierung hineingerieten, der wir 1969 Gott sei Dank haben ausweichen können, die aber doch als eine konkrete und von Ihnen nicht ernsthaft zu bestreitende Gefahr für die deutsche Politik bestand.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Mertes?
Herr Kollege Jahn, teilen Sie meine Auffassung, daß eine
parlamentarische Opposition in Fragen der Außenpolitik keine eigentliche operative Aufgabe hat, es sei denn, etwa eine Große Anfrage wie die, die wir gestellt haben, und ist Ihnen bekannt, daß ein großer Teil der Argumente der CDU/CSU in der inneramerikanischen Diskussion über das Wesen der Entspannung übernommen worden ist?
({0})
Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, so meine ich, daß es immer nützlich ist, wenn sich Politik unseres Landes an dem ausrichtet, was die amtliche amerikanische Außenpolitik ist, und sich nicht irgendwelche einzelne Punkte, die gerade ins Konzept passen, aus einer inneramerikanischen Diskussion heraussucht.
Aber wenn sie nun schon nach der Rolle der Opposition in der Außenpolitik fragen, Herr Kollege Mertes, dann möchte ich Ihnen doch ganz gern mit einem Zitat antworten:
In allen funktionierenden Demokratien der Erde gibt es eine parlamentarische Diskussion um die Wege der Außenpolitik. Sie wird hier schärfer und dort weniger erbittert geführt. Die Opposition aber sollte dabei niemals so weit gehen, der legitimen Vertretung ihrer Regierung bei der Vertretung ihrer Politik gegenüber anderen Mächten in den Arm zu fallen oder sie gar zu verdächtigen, in Wahrheit das Gegenteil von dem zu wollen, was sie erklärt. Denn nach dem Grundgesetz ist der Kanzler Vollstrecker der deutschen Politik. Alles Gerede über eine gemeinsame Außenpolitik bleibt daher so lange leer und unglaubwürdig, wie die Opposition dem ersten Bevollmächtigten der deutschen Demokratie das persönliche Vertrauen verweigert.
Das können Sie auf den Bundeskanzler wie auf die ganze Bundesregierung beziehen. Dies hat vor mehr als 10 Jahren, vor fast 15 Jahren, der Baron von Guttenberg geschrieben, der in diesem Hause lange Zeit gerade für Ihre Seite eine Außenpolitik vertreten hat, mit der wir uns sehr intensiv haben auseinandersetzen müssen.
({0})
Aber er macht mit dieser Bemerkung eines sehr deutlich, was mir gerade für Ihre gegenwärtige Position bezeichnend zu sein scheint: Sie kommen nicht länger darum herum, nun endlich einmal Farbe zu bekennen und zu sagen, was Sie selber wollen.
({1})
- Ich habe die Große Anfrage sehr aufmerksam gelesen.
Ich möchte Sie gerade nach der Lektüre dieser großen Anfrage noch einmal nach folgendem fragen: Ist es denn nicht so, daß Ihre ganze Auseinandersetzung mit dieser Außenpolitik im Grunde von einer Voraussetzung ausgeht, von der Sie selber
Jahn ({2})
längst zugestehen müssen, daß es sie nicht mehr gibt?
({3})
- Sagen Sie nicht „falsch", bevor Sie wissen, was ich meine. - Sie tun so - man kann es tagtäglich im „Bayernkurier" und ähnlichen bedeutenden Presseorganen lesen, und es ist ja auch der Kern dessen, was in Ihrer Großen Anfrage steht -, als sei uns diese Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von der Sowjetunion aufgenötigt worden, als befänden wir uns in einer defensiven, in einer Verteidigungsstellung und müßten uns sozusagen nun unserer Haut wehren.
({4})
Dies ist eine Voraussetzung, die Sie bei genauer Prüfung nicht aufrechterhalten können.
({5})
Ich möchte heute, da wir ja dabei sind, eine Zwischenbilanz zu ziehen - mehr können wir nicht tun;
({6})
wir wissen alle, daß diese Konferenz noch eine Menge Arbeit vor sich hat und zu leisten hat -, gerade dazu noch einige Bemerkungen machen. Denn wenn wir hier Zwischenbilanz ziehen, dann müssen wir damit auch die Antwort auf die Frage verbinden - wir, von unserer Seite, und Sie sollten dazu Stellung nehmen; das habe ich in der Debatte bisher vermißt -: Sind wir, ist die Bundesrepublik Deutschland, ist die Bundesregierung, die dort die Verhandlungen für dieses Land führt, auf dem richtigen Wege, so, wie sie sich in dieser Konferenz verhält, daß sie sich an ihr beteiligt und welche Positionen sie dort einnimmt, Positionen, die heute in der Schriftlichen Antwort der Regierung deutlich gemacht worden sind?
Meine Antwort auf diese Frage ist ein eindeutiges und unmißverständliches Ja. Die Bundesregierung ist nach dem, was sie bisher sagen und berichten kann, auf dem richtigen Wege mit ihren Entscheidungen, mit ihren Verhaltensweisen, mit ihrem Vorgehen; mit der Art ihres Verhandelns tut sie das, was in Wahrung unserer Position in dieser Debatte und Auseinandersetzung notwendig ist, in der richtigen Form mit den richtigen Mitteln und in der Sache richtig.
({7})
Hier muß ich einmal sehr deutlich werden. Sie sagen als Opposition, daß die Sowjetunion hiermit eine Konferenz herbeigeführt habe, die sie wollte und die wir nicht verhindert hätten.
({8})
- Nein, nein, diese Auffassung ist falsch. Wir wollten diese Konferenz und wir wollen diese Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa!
({9})
Lassen Sie mich übrigens eine kurze Anmerkung über die merkwürdige Abkürzung „KSZE" machen, die ich auch in dieser Debatte immer wieder höre und überall lese. Ich halte solche Abkürzungen nicht für hilfreich, auch wenn sie manchmal einen gewissen Aufwand an Worten und Schreibarbeit ersparen. Sie sind aber gerade gegenüber den Bürgern unseres Landes ein Mittel, das eher zur Verschleierung als zur Klärung beiträgt.
({10})
Ich bin dafür und werde mich selbst darum bemühen, diesen Fehler zu vermeiden und jeweils den vollen Titel der Konferenz nennen; es handelt sich um eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, deren Thematik uns von niemandem aufgezwungen werden kann. Es handelt sich um eine Thematik, die wir aus ureigenstem Interesse aufgreifen, die wir verfolgen, mit der wir uns auseinandersetzen und bei der wir versuchen müssen, so viel wie möglich in jene Richtung, die schon in der Bezeichnung der Konferenz angedeutet ist,
selbst zu bewirken.
({11})
Diese Konferenz - das ist meine zweite Feststellung in der Zwischenbilanz, die ich für notwendig halte - ist ein notwendiger Schritt in der Verfolgung unserer eigenen Politik. Hier liegt auch ein Grund dafür - Sie haben dies wiederholt als ein problematisches Nachgeben kritisiert oder wie Sie es sonst immer bezeichnet haben -, daß wir im Zusammenhang mit dem Moskauer Vertrag diese Auffassung bereits zum Ausdruck gebracht haben, weil es sich dabei um ein Element der politischen Bemühungen handelt, die wir für notwendig und unerläßlich halten, wenn wir den vergangenen früheren Zustand überwinden wollen. Wenn dies also ein notwendiger Schritt unserer eigenen Politik ist, dann ist die ganze Argumentation, die Sie bisher und heute vorgetragen haben, wenig hilfreich, um zu erkennen, was denn nun eigentlich demgegenüber die Rolle der Opposition in dieser Frage ist; denn hier bleibt Ihnen - wenn Sie die Frage annehmen und ihr nicht ständig ausweichen wollen, so wie Sie es getan haben - doch nichts anderes übrig, als nun einmal selbst deutlich zu sagen, wie Sie diesen nach unserer Auffassung notwendigen Schritt in Ihre Vorstellungen über mögliche Erwartungen der weiteren Entwicklung, wie Sie sie hier bezeichnet haben, einordnen wollen.
Wir sind in dieser Konferenz - dies scheint mir die dritte notwendige Feststellung zu sein - ein Partner, der mit gleichem Recht und in gleicher Stellung wie alle 34 anderen Teilnehmer handelt, selber mitgestaltet und mitverantwortlich daran wirkt, daß hier ein Versuch unternommen wird, innerhalb Europas eine andere Entwicklung möglich zu machen, als sie in der Vergangenheit gewesen ist.
({12})
Das heißt, wir reagieren nicht bloß, sondern wir handeln - und das ist eine der Folgen der bisherigen Politik dieser und der vorherigen Bundesregierung - hier in eigener Verantwortung und haben uns aus
Jahn ({13})
jenem Zustand des bloßen Reagierens längst herausgearbeitet, haben längst eine eigenständige Position erwerben können.
({14})
Das war bekanntlich lange Zeit nicht mehr die Rolle der deutschen Politik. Und dies ist im Rahmen einer Zwischenbilanz - ich nehme kein Ergebnis vorweg - eine nach meiner Überzeugung notwendige und wichtige Feststellung.
({15})
Diese Konferenz wird, Herr Kollege Mertes -- und dies sei noch einmal mit aller Klarheit und Deutlichkeit gesagt -, kein neues Völkerrecht schaffen; sie ist keine Vertragskonferenz. Aber diese Konferenz unternimmt einen interessanten Versuch, mit dem Sie sich ernsthafter auseinandersetzen sollten, als Sie es bisher getan haben, den Versuch nämlich, eine neue Dimension, eine neue Richtung internationalen Handelns und internationalen Vorgehens zu entwickeln.
Ich bin unbefangen genug, hier zu sagen: Niemand ist am heutigen Tage in der Lage, mit Sicherheit zu sagen, ob dieser Versuch, in eine neue Dimension vorzustoßen, gelingen wird oder nicht. Aber das enthebt uns doch nicht der Notwendigkeit - und dazu hören wir von Ihnen ja auch leider gar nichts -, den Versuch zu machen, mit eigener Kraft so viel dazu zu tun, daß dieser neue Versuch gelingt,
({16})
daß das Vordringen in die neue Dimension erfolgreich sein kann.
({17})
Sie messen das an dem von Ihnen gesetzten Maßstab, der sich in dieser Landschaft etwas eigenartig - um dies, wie gesagt, nicht allzu unfreundlich auszudrücken - ausnimmt. Sie sagen: Hoffentlich wird die Regierung nun auf die Warnungen der Opposition hören. Und ich sage Ihnen: Ganz ernst können Sie das nicht gemeint haben, weil Sie der Antwort der Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage längst entnommen haben müssen, daß diese Ihre Warnungen in allen entscheidenden Positionen nicht notwendig sind, da die Bundesregierung z. B. in der Frage der friedlichen Änderung von Grenzen eine klare, unmißverständliche, auch von Ihnen nicht zu kritisierende Position eingenommen hat. Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie meinen, Ihr Beitrag zu den Bemühungen der Bundesregierung, zu den Bemühungen der Mehrheit dieses Hauses könne allein darin bestehen, bei einzelnen Positionen Warnungen anzubringen
({18})
und nicht darüber hinaus eine eigene Position zur Grundfrage zu beziehen, ob Sie diese Konferenz wollen
({19})
- Sie haben ja viele Zugänge dazu, das zu sagen -, unter welchen Voraussetzungen Sie sie wollen und wozu Sie sie benutzen wollen. Die Antwort auf diese Frage bleiben Sie uns schuldig.
({20})
Ich meine, Sie haben allen Grund, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Denn auf die Seite der Erfolgsbilanz gehört noch einiges mehr. Es ist das erstemal - das sollten Sie nicht übersehen -, daß wir in diesem Teil der Welt, in Europa, von dem ja niemand bestreiten kann, daß er zu den politisch schwierigsten Gebieten überhaupt gehört, gemeinsam über Möglichkeiten der Zusammenarbeit sprechen, nach Wegen suchen, diese Möglichkeit der Zusammenarbeit zu finden, und daß wir uns daran versuchen, sie zu organisieren.
Sie versuchen immer einen Streit vom Zaune zu brechen über die Frage, mit wieviel Vorschußlorbeeren und optimistischen Erwartungen die Ostpolitik der Bundesregierung eigentlich behaftet war. Ich halte diesen Streit deswegen zwar für propagandistisch wahrscheinlich ganz ergiebig, in der Sache aber doch für reichlich an den Haaren herbeigezogen.
({21})
- Nein, weil im Grunde in keiner ernsthaften Auseinandersetzung von uns ein Zweifel darüber gelassen worden ist, daß dieser Prozeß, diese Politik der Entspannung und des Ausgleichs, des Bemühens um eine stärkere Sicherung des Friedens ein ganz mühseliger, ein ebenso steiler wie steiniger Weg ist und daß man ihn nur beschreiten kann - und wir ihn nur beschritten haben - im Wissen darum, daß er so ist, daß wir auf ihm auch nur so langsam und sehr allmählich Schritte vollziehen können, die vielleicht die Chance bieten, daß wir zu einer Weiterentwicklung des früheren Zustandes kommen werden.
({22})
Das klang auch 1970 nicht anders.
({23})
Ich gebe ja zu, daß Sie es gerne anders verstehen wollten
({24})
oder daß Sie einem propagandistischen Bedürfnis nachgebend, andere Interpretationen von sich aus hineingelegt haben.
({25})
Hier ist immer sehr deutlich gesagt worden,
({26})
der Durchbruch, den wir für uns in Anspruch nehmen, war der entscheidende Schritt, um das möglich zu machen, was ich dann als den folgenden schwierigen Weg bezeichne. Uns darauf etwas zugute zu halten, war nicht nur unser gutes Recht, sondern dies
Jahn ({27})
war einfach notwendig, um allen Beteiligten, auch Ihnen, klarzumachen, daß wir hier tatsächlich eine wesentliche Veränderung und eine wesentliche neue Orientierung der deutschen Außenpolitik vorgenommen haben.
({28})
Zum erstenmal - auch dies gehört in die Zwischenbilanz - haben wir in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ein Forum, in dem wir über die Menschenrechte sprechen können und in dem wir den Versuch machen können, dafür Erklärungen zu finden, die die Zustimmung aller Beteiligten finden. Nur derjenige, der in der Frage der Durchsetzung der Menschenrechte keine Ahnung davon hat, wie unerhört schwierig das ist, das, was wir im nationalen Bereich uns zugute halten und längst erreicht und gesichert haben, nun auch zu übersetzen in die Beziehungen der Völker untereinander. Gewiß, wir haben die Menschenrechtserklärung, die Europäische Menschenrechtskonvention.
({29})
- Was wir in der Bundesrepublik Deutschland erreicht haben.
({30})
- Gut.
Sie wissen aber selber, wie schwierig es ist, dieses nun über die Grenzen eines Landes hinaus wirksam werden zu lassen. Ist das nicht eine ganz wichtige Sache - wenn Ihnen daran liegt, das nicht immer nur mit freundlichen Worten zu fordern -, sich deutlich zu machen, daß wir hier einen ganz wichtigen Ansatz gefunden haben, der manche Chancen gibt, Chancen, die wir bisher eben nicht hatten? Niemand darf einen Zweifel darüber haben, daß natürlich, selbst wenn es gelingt, dort bestimmte Übereinstimmungen in den Festlegungen der Konferenz zu finden, damit in der Sache selber noch manche Streitfrage und noch manche unterschiedliche Interpretation bestehenbleiben werden.
Aber machen Sie sich doch bitte einmal klar, wie groß die Schwierigkeiten sind, heute unter den gegebenen Verhältnissen etwa bilateral mit einem der anderen Länder über dieses Thema zu sprechen, und überlegen Sie einmal, welche Chance darin liegt, unter Berufung auf eine entsprechende Formulierung der Konferenz in Genf in Zukunft dafür eine völlig neue, bisher nicht gegebene Plattform zu haben.
Meine Damen und Herren, gleiches gilt ebenso im Rahmen der Zwischenbilanz für die Tatsache, daß wir zum erstenmal über das Thema vertrauenbildender Maßnahmen miteinander reden. Das kann man so angehen, wie das Kollege Zimmermann hier heute getan hat. Nur muß man sich dann darüber im klaren sein: wenn man nicht sorgfältig darauf achtet,
die Diskussion in Genf dadurch nun völlig unmöglich zu machen, daß man im Grunde auch die Wiener Konferenz voll einbeziehen will, dann kann man Ansatzpunkte so nicht finden. Wir müssen wissen, daß gerade auf dem militärischen Gebiet die Ansätze, vertrauenbildende Maßnahmen zu finden, besonders schwierig sind. Ich glaube, es stünde uns ganz gut an, an diesen Abschnitt der Verhandlungen bescheiden in unseren Anforderungen und bescheiden in unseren Erwartungen heranzugehen und uns klarzuwerden, daß hier allererste und sehr kleine Schritte schon ein unendliches Mehr gegenüber dem bisherigen Zustand wären.
Zum erstenmal schließlich ist in einem solchen Kreis und nicht nur in einem sehr viel begrenzteren Rahmen die Möglichkeit gegeben, auch humanitäre Fragen zum Gegenstand der Verhandlungen zu machen und - wenigsten in spürbaren und meßbaren Ansätzen; der Herr Bundesaußenminiser hat das heute hier noch einmal sehr deutlich gemacht - auch einen gemeinsamen Rahmen für die Behandlung dieser Fragen zu finden, auch etwas, was es, bis diese Konferenz schließlich verabredet werden konnte, in dieser Form nicht gab.
Es kann nicht oft genug betont werden, und es gehört in die Zwischenbilanz eben auch die Feststellung, daß diese Konferenz uns in Europa einen Gewinn gebracht hat, den wir nicht unterschätzen sollten: daß sich nämlich die Fähigkeit zur aktiven politischen Zusammenarbeit sowohl im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft wie im Rahmen des Atlantischen Bündnisses in der Praxis nicht nur in hervorragender Weise bewährt hat, sondern darüber hinaus auch ein Element wirksamerer politischer Zusammenarbeit überhaupt geworden ist.
Ich meine, bei aller Vorsicht in der Wertung des weiteren Verlaufes sollte uns die Sorge, nicht überschwenglich zu werden die wir alle ganz nüchtern haben müssen und wollen -, nicht daran hindern, auch zu sehen, was bisher erreicht werden konnte, es zu würdigen und es richtig einzuordnen. Ich meine, diese Debatte darf nicht vorübergehen, ohne daß wir hier feststellen: Aus der Antwort der Bundesregierung, aus dem Verlauf dieser Debatte, gerade auch aus den Beiträgen der Opposition ist abzuleiten und festzustellen: Die Bundesregierung hat gute Arbeit geleistet, sie verdient Dank und Anerkennung für das, was die Beamten in Genf in den verschiedenen Phasen der Konferenz geleistet haben.
({31})
Dies kann sich sehen lassen. Die Interessen der Bundesrepublik Deutschland sind in dieser Konferenz in einer überzeugenden Weise gewahrt worden. Sie sind geltend gemacht worden. Es ist erfolgreich der Versuch gemacht worden, unsere Politik in dieser Konferenz wirksam werden zu lassen und zur Geltung zu bringen. Das kann nur zu der Schlußfolgerung führen, die Aufforderung an die Regierung zu richten -- wir sollten dies, meine ich, hier tun -, daß sie auf diesem Weg, so wie sie bisher in dieser Konferenz gearbeitet hat, bitte wei8400
Jahn ({32})
termachen möge. Sie wird unsere Unterstützung dafür auf jeden Fall haben.
({33})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Narjes.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich die Rede des Herrn Kollegen Jahn in ihrem ersten Teil richtig registriert habe - es war ein Teil der polemischen Vergangenheitsbewältigung -,
({0})
hat es in der Geschichte der Konferenz niemals irgendwelche Schwierigkeiten, Probleme oder gar Gefahren für Deutschland gegeben. Erst im zweiten Teil Ihrer Rede, Herr Kollege Jahn, konnte man erkennen, daß es in diesem achtjährigen Irren und Wirren der Entwicklung zu dieser Konferenz auch für uns existenzielle Gefahren gegeben hat.
Ich stimme mit Ihnen darin überein: In die Zukunft hinein wird der Weg auch noch steinig sein. In diesem Sinne möchte ich einiges zum Korb 2 sagen, dem Kern der Themen betreffend die Zusammenarbeit, die ja in der Zukunft den europäischen Alltag ganz wesentlich mitbestimmen sollen. Zur Bewältigung dieser Themen der Zusammenarbeit könnte eine erfolgreiche KSZE einen erheblichen Beitrag leisten, wenn sie nämlich die politischen Rahmenbedingungen setzt, ohne die der Wunsch nach wirtschaftlicher Zusammenarbeit auf die Dauer an Grenzen stoßen muß, die wir nicht wollen.
Nach ihrer Antwort verfolgt die Bundesregierung in Genf im Hinblick auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit offensichtlich ebenso das Ziel der dauerhaften Verständigung wie im Hinblick auf die Themen der anderen Körbe. Dem können wir zustimmen, wenn wir darunter das Bemühen um sorgfältig ausgehandelte, solide Beziehungen verstehen, die nicht unter irgendeinem Zeitdruck ausgehandelt und über das Knie gebrochen werden sollen. Eine dauerhafte Verständigung kann nur auf der Basis der Gegenseitigkeit erreicht werden, und diese ist nur gegeben, wenn alle Beteiligten davon überzeugt sind, daß ihre Leistungen und ihre Gegenleistungen einander gleichwertig sind.
Wir dürfen uns von keinem Partner des Ostens seine Sicht unserer Vorteile aufdrängen lassen. Wo immer so etwas versucht worden ist, hat es zu einem schlechten Klima, zu einem Abbruch von Gesprächen und letzten Endes zu Zuständen geführt, die diejenigen, die meinten, drängen zu können, vielleicht gar nicht gewünscht haben. Die Wirtschaftsbeziehungen zum Osten werden auf die Dauer nur dann solide sein, wenn sie so ausgehandelt sind, daß sie auch in Perioden des politischen Schlechtwetters von allen Seiten als in ihrem Interesse liegend durchgehalten werden.
Was nun die Verhandlungen des Korbes 2 anlangt, so haben wir nicht nach dem Beratungsstand aller Themen gefragt, die in Helsinki dem Korb 2 überantwortet worden sind. Nach unseren Informationen gibt es z. B. im Bereich der Wissenschaft und der Technik und auch des Umweltschutzes schon auf Grund der realistischen Zielsetzungen von Helsinki keine Probleme, die hier in einer Zwischenbilanz erörtert werden müßten. Die heutige Antwort der Bundesregierung scheint eben dieses zu bestätigen.
Schwieriger sind die Probleme der Handelsbeziehungen und der industriellen Zusammenarbeit. Beide Themen stehen in Genf in verschiedener Form zur Diskussion. Sie sind sehr wichtig, und es sind deshalb einige allgemeine Bemerkungen hier in dieser Debatte dazu nötig.
Die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost- und Westeuropa sind entscheidend durch den Umstand geprägt, daß neun der Konferenzmitglieder aus Westeuropa in unauflösbaren Europäischen Gemeinschaften miteinander verbunden sind, während die Staaten Osteuropas eine Verbindung anderer Qualität in dem RGW, im Comecon, eingegangen sind.
({1})
Die Europäischen Gemeinschaften verfolgen das Ziel einer europäischen Union, der die Mitgliedstaaten Kompetenzen übertragen haben und weiterhin übertragen wollen und deren Organe durch direkte Wahlen demokratisch legitimiert werden sollen. Wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, daß die Bundesregierung in Genf dem Prozeß der Einigung Westeuropas Vorrang vor anderen Zielen und Interessen gegeben hat und geben will.
Das muß dann aber auch heißen, daß der ohnehin schwierige Einigungsprozeß im freien Europa auch später weder direkt noch indirekt zur Disposition der KSZE stehen kann. Die Schlußdokumente dieser Konferenz dürfen zu keinem späteren Zeitpunkt irgendwelche Bezugspunkte enthalten, die es den östlichen Partnern erlauben könnten, auf den Integrationsprozeß heute oder bei einer künftigen Erweiterung der Gemeinschaft in die Bereiche der Politik oder Verteidigung hinein mit Forderungen oder Vorbehalten einzuwirken. Wir wären heute übrigens in einer besseren Position, wäre nicht die Einigung in den letzten zehn Jahren durch die verschiedensten Einflüsse gelähmt worden. Im Wettlauf der Terminkalender hat die östliche Seite im Vergleich zu ihrem Ausgangsjahr 1966 ganz erheblich an Boden gewonnen.
Von ganz anderer Art ist die Verbindung, die die osteuropäischen Staaten miteinander eingegangen sind. Der RGW, geschweige denn sein Sekretariat, hat keine außenwirtschaftlichen Zuständigkeiten. Er ist nach außen weder vertrags- noch verhandlungsfähig. Er beeinträchtigt in der Theorie nicht einmal die außenwirtschaftliche Souveränität seiner Mitgliedstaaten. Gleichwohl ist die Spannung offenkundig - und damit auch für Genf ein Thema -, die zwischen dem Anspruch auf souveräne Gleichheit der kleineren Mitglieder des RGW auf der einen Seite und der erdrückenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Übermacht der
Führungsmacht, der Sowjetunion, auf der anderen Seite besteht.
Insoweit ist dort schon blockintern eben die Gleichheit der Staaten ein Problem, die in Genf in der KSZE für die Beziehungen aller europäischen Staaten untereinander postuliert werden soll. Es gibt deshalb manche Beobachter, die aus diesen Ergebnissen heraus den RGW in erster Linie als das wirtschaftspolitische Instrument der Breschnew-Doktrin betrachten. Jedenfalls ist dieser Zusammenschluß völlig anders strukturiert als die Europäische Gemeinschaft. Es kann nur zu groben Mißverständnissen führen, wenn - wie es gelegentlich in den Medien geschieht - beide Institutionen über einen Kamm geschoren werden und eine Gleichartigkeit konstruiert wird, die tatsächlich nicht existiert. Ich denke dabei vor allem an die irreführende Formel von der Ost-EWG.
({2})
Seinem ökonomischen Wesen nach handelt es sich beim RGW eben um die Koordinierung von Planwirtschaften und Interventionsinstrumenten ohne Konvertibilität der Währungen und bei nur begrenzter Multilateralität der Handelsbeziehungen.
Wenn wir diese Unterschiede nicht klar erkennen, könnten wir leicht zu einer irreführenden Bewertung der kürzlich vom Generalsekretär des RGW an die EG-Kommission veröffentlichten Einladung kommen. Beide Institutionen sind miteinander nicht vergleichbar. Es findet deshalb unsere volle Zustimmung, daß die Europäische Kommission beabsichtigt, nur den zuständigen Spitzenbeamten für Außenbeziehungen nach Moskau zu senden und nicht etwa eines ihrer Mitglieder. Anderenfalls käme sie auch hier in die Gefahr, eine außenwirtschaftliche Vormundschaft der von der Sowjetunion beherrschten RGW-Bürokratie über die anderen Mitgliedstaaten zu fördern.
Es trifft sich in dieser Situation nun gut, daß diese Debatte wenige Tage nach den Luxemburger Ratstagungen der Außenminister der EWG, während des Besuches des Bundeswirtschaftsministers und vor dem Besuch des Bundeskanzlers in Moskau stattfindet. Alle drei Konferenzen und Begegnungen sind ganz wesentlich mit den künftigen Wirtschaftsbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den Staaten des Ostblocks befaßt. Es geht um eine entscheidende Weichenstellung für die künftige gemeinschaftliche Handelspolitik der Europäischen Gemeinschaft. Ihr Anwendungsbereich ist leider beschränkt auf den gemeinsamen Außenzoll, l, die
Kontingente und ihre Liberalisierung, die Vertretung im GATT und einige Harmonisierungsaufgaben. Ihr materielles Gewicht ist deshalb geringer, als es nach Geist und Buchstaben der Verträge sein sollte.
Das Instrument übrigens, mit dem die Gemeinschaftszuständigkeit fortlaufend ausgehöhlt worden ist, ist das der zweiseitigen Kooperationsverträge vieler Mitgliedstaaten mit den Staatshandelsländern des Ostblocks. Ein ganzes Netz solcher Kooperationsabkommen verbindet heute die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft mit den Mitgliedern des RGW,
wobei eine Reihe dieser Abkommen auch Themen betrifft, die in die Gemeinschaftszuständigkeit fallen oder fallen sollten.
Die Kommission hat ihrerseits schon Ende 1973 ein Konsultationsverfahren vorgeschlagen, durch das nicht zuletzt die Mitgliedstaaten daran erinnert werden sollten, ihren Gemeinschaftspflichten nachzukommen. Es ist zu begrüßen, daß diese Konsultationsentscheidung im Juli gefallen ist, nachdem nunmehr der 1. Januar ins Haus steht, der Termin, an dem die gemeinschaftliche Handelspolitik in Kraft treten soll. Es wird jetzt darauf ankommen, daß diese Gemeinschaftsverfahren auch peinlich beachtet werden. Dies wird eine Frage der Selbstachtung der Gemeinschaft werden. Ihre eindeutige Beachtung wird weit stärker und besser als jedes Kommuniqué darüber Auskunft geben, ob sich diese Gemeinschaft selber noch ernst nimmt, ob sie noch über einen Respekt erheischenden Lebenswillen verfügt.
Um so notwendiger erscheint es mir, schon hier und heute, Herr Bundeskanzler, lediglich auf Grund von Pressemeldungen bereits deutliche Reserven gegen den Gedanken „langfristiger Konkretisierungsabkommen" anzumelden, über die anscheinend in diesen Tagen auch vom Bundeswirtschaftsminister in Moskau gesprochen wird. Wenn - ich sage: wenn - mit dieser neuen Formel das unwürdige Spiel der Kooperationsabkommen wiederholt werden sollte, würde damit die gemeinschaftliche Handelspolitik endgültig zu einer Farce. Die Bundesregierung würde sich auch dann mitschuldig am Ende dieser gemeinschaftlichen Handelspolitik machen, wenn ein anderer Vertragspartner ähnliche Überlegungen hegen sollte. Jetzt käme es darauf an, innerhalb der Gemeinschaft unverzüglich und, wenn nötig, im Klartext miteinander zu sprechen, bevor man sich in Moskau gegeneinander ausspielen läßt.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, noch in dieser Debatte klarzustellen, daß eine solche Entwicklung nicht ihrer Absicht entspricht und daß sie bei den Ratsbeschlüssen von Luxemburg bleibt.
Was ist dort beschlossen? - Ein Doppeltes. Einmal ist dort ein Mustervertrag, ein Rahmenvertrag für bilaterale Handelsverträge mit dem Ostblock beschlossen worden, und alles, was wir von dem Inhalt kennen, ist akzeptabel und kann von jedem, der konstruktiv denkt, akzeptiert werden. Aber auch für den Fall, daß sich die andere Seite nicht zu Handelsabkommen bereitfinden sollte, sind Grundsätze einer autonomen Handelspolitik beschlossen worden, die auch ihrerseits als fair angesehen werden können, wenn auch der Zustand für den anderen Partner unangenehmer sein dürfte.
Welchen dieser beiden Wege die einzelnen Staaten des Ostens gehen werden, ist allein ihrer Entscheidung überlassen. Das Gesprächsangebot der Gemeinschaft liegt auf dem Tisch. Wenn demgegenüber in den letzten Tagen - so jedenfalls heute die Presse - von sowjetischer Seite erklärt worden sein soll, daß die Gemeinschaft sie nichts angehe und daß sie nach wie vor auf bilateralen Abkommen be8402
stehe, so muß sie wissen, daß ein solches Verhalten all den Skeptikern der Entspannungspolitik recht gibt und von ihnen in einer auch für mich nicht widerlegbaren Weise als Bestätigung eben der Interventionsabsichten herangezogen wird, die in ihrer Fülle den Vorwurf einer künftigen Finnlandisierung - oder wie Sie es sonst bezeichnen wollen - begründen. Gerade diese Meldung zeigt schon, wie leichtfertig Herr Bangemann - er ist nicht mehr da - in seiner Prophetie das künftige Verhalten der Sowjetunion zur Europäischen Gemeinschaft hier formuliert hat.
({3})
Wir erwarten im Grunde nur, daß sich die Sowjetunion in ihrem Verhalten gegenüber der Europäischen Gemeinschaft genau der Grundsätze befleißigt, die im Korb I der KSZE mit großer Sorgfalt und zeitlich unbegrenztem Geltungsanspruch formuliert werden. Hier haben wir einen Testfall für den politischen Geist, in dem die Sowjetunion im Zeichen der Entspannung ihre Außenwirtschaftspolitik in Richtung Westeuropa tatsächlich betreiben will. Dies gilt um so mehr und ist um so notwendiger, als sie in den vergangenen 15 Jahren mit einer Fülle von Aktionen ohnehin versucht hat, ihre Abneigung gegen ein autonomes wirtschaftspolitisches Entscheidungszentrum in Westeuropa zum Ausdruck zu bringen.
Wir müssen auch in Zukunft in der Erkenntnis handeln, daß es der Europäischen Gemeinschaft nur in dem Maße gelingen wird, sich nach außen durchzusetzen, wie sie nachhaltig und überzeugend ihren Lebenswillen dokumentiert und damit nach allen Seiten ihre Identität wahrt. Dazu benötigt sie allerdings auch nicht die sowjetische Hilfe, wenn man, wie vor wenigen Tagen in der Prawda zu lesen war, in Moskau nun meint, daß die Europäische Gemeinschaft von japanischem oder USA-Kapital bedroht sei. Hinter dieser völligen Fehleinschätzung der Lage steht immer wieder ein Unverständnis der Funktionszusammenhänge in einer arbeitsteiligen liberalen Weltwirtschaft, die auf der Basis konvertibler Währungen betrieben wird.
Diese Feststellung verliert nicht dadurch an Gewicht, daß der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herr Vetter - was ich jetzt sage, Herr Bundeskanzler, bezieht sich nicht auf ein Gutachten, das ich nicht kenne, sondern nur auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen -, vor einigen Tagen in Hamburg in einer offenkundig von Unkenntnis der rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge gekennzeichneten rhetorischen Eskapade gemeint hat, Europa gegen einen amerikanischen Kolonialismus verteidigen zu müssen. Es wäre gut, wenn sich die Bundesregierung im Interesse der deutsch-amerikanischen Beziehungen noch vor dem Kanzlerbesuch in Moskau von den Äußerungen Vetters distanzierte.
({4})
Ein Thema von großer und grundsätzlicher Bedeutung in Beziehung zu den Staatshandelsländern ist das der Exportkredite, wie schon ein Rückblick auf die letzten Jahre beweist. Die deutsche Position
kann nur sein: weder Privilegierung noch Diskriminierung der östlichen Handelspartner gegenüber allen unseren anderen Partnern außerhalb der Gemeinschaft mit Ausnahme der Entwicklungsländer. Diese Position schließt insbesondere jede Kreditsubventionierung zu Lasten des Haushalts und der Steuerzahler aus. Diese Milliarden haben wir nicht. Hätten wir sie, dann könnten wir sie in Deutschland sogar noch sinnvoller verwenden.
Wir stimmen nachdrücklich dem Bundeswirtschaftsminister zu, wenn er diese Position jetzt in Moskau erneut bekräftigt hat. Wir hoffen auch, daß die Bundesregierung sie auch dann durchhält, wenn sie politisch bedrängt werden sollte oder im üblichen Gegeneinanderhochspielen mit angeblichen oder wirklichen Präferenzbedingungen anderer Staaten konfrontiert wird.
Die langfristige Heilung dieser Krankheit, als die sich der Wettlauf der Finanzminister um die großen Steuergeldgeschenke an den Ostblock mir darstellt, kann nur darin bestehen, daß der Westen mit mehr Solidarität als bisher auf eine Gleichheit seiner Kredit- und Bürgschaftsbedingungen hinarbeitet.
({5})
Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, und wir dürfen nichts unversucht lassen, um diesem Übel ein Ende zu bereiten. Es geht nämlich letztlich um mehr als um den Wettlauf der Finanzminister und um Verhandlungen über Einzelgeschäfte und Einzelkredite. Insgesamt haben wir es mit einem Zustand der einseitigen Systemöffnung des Westens gegenüber dem Osten zu tun, der z. B. bis zum Jahresende 1973 eine Gesamtverschuldung des Ostens in Höhe von fast 10 Milliarden Dollar ohne vergleichbare Gegenleistung zur Folge gehabt hat. In diesen 10 Milliarden Dollar liegt eine erhebliche wirtschaftliche Hilfe für den Osten, die nicht ohne einen Blick auf die immer noch steigenden Rüstungsanstrengungen des Ostblocks gesehen werden können, die ihrerseits uns wieder zu entsprechenden weiteren Ausgaben veranlassen.
Die Kreditprobleme sind nun untrennbar mit der wachsenden Zahl der Fälle industrieller Zusammenarbeit für große Projekte verbunden, nicht zuletzt mit dem Ziel einer Verbesserung unserer Rohstoffund Energieversorgung. So erfreulich diese Entwicklung insgesamt sein kann - auf die Problematik der Kooperationsabkommen zwischen den Unternehmen kann ich hier nicht eingehen -, so notwendig ist es aber auch, darauf hinzuweisen, daß dieser Art von Geschäften Grenzen gesetzt sind, namentlich mit den Ländern, die über keine eigenen Rohstoffaufkommen verfügen. Andere Hindernisse ergeben sich aus fehlenden oder jedenfalls bis heute unvollständigen Niederlassungsmöglichkeiten in den Ostblockstaaten und all den Dingen, die dazu gehören, wenn man dauerhafte Geschäftsbeziehungen unterhalten will. Es wäre bedauerlich, wenn die jüngste Entwicklung auf den Rohstoffmärkten dazu führen würde, daß sich unsere Wirtschaftsbeziehungen zum Osten schwerpunktmäßig auf die Sowjetunion konzentrieren. Die Beziehungen zu den anderen Staaten des Ostblocks sind für uns von gleichrangigem Interesse.
Einen Fortschritt auch für die Wirtschaftsbeziehungen würde es bedeuten, wenn die KSZE zu wirklichen Entspannungsfortschritten führt, also auch zu einem Klima, das es erlaubt, schwierige Probleme anzupacken und gegenseitiges Vertrauen zu bilden. Vertrauensbildung heißt nicht nur Mißtrauensabbau, sondern das ist auch das gegenseitige Abtasten auf die Verläßlichkeit von Zusagen und Verpflichtungen. Nach der Ölkrise des letzten Winters hat sich in dieser Hinsicht für unsere Energie- und Rohstoffversorgung eine neue Dimension des politischen Denkens erschlossen. Wir stehen vor großen Anstrengungen, um unsere Abhängigkeit von den Ölquellen des Nahen Ostens zu mindern. Es kann deshalb nicht in unserem Interesse sein, neue Abhängigkeiten an die Stelle alter Abhängigkeiten zu setzen und Beziehungen in dieser Richtung nach Osteuropa bis zu einem Punkt auszuweiten, an dem diese Abhängigkeiten ausgelöst werden. Das heißt: es muß politische Obergrenzen, die im einzelnen großzügig fixiert sein können, für unsere Energiebezüge geben.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie diesen Punkt auch dann im Auge behält, wenn die politische Alltagswetterlage dieses Thema nicht als
bedeutsam erscheinen läßt. Der Punkt der Sicherheit der Versorgung eignet sich nicht immer für die öffentliche Diskussion. Allein der Hinweis auf privatrechtliche Vertragstreue kann jedenfalls allein kein Unterpfand für eine sichere Versorgung sein. Auch Dreiecksgeschäfte mit Gasdurchleitungen durch die Sowjetunion können problematisch sein.
Was unsere Vorbehalte gegen die Gefahren von Nachfolgeorganen der Sicherheitskonferenz anbelangt, so habe ich meinen Freunden, die darüber gesprochen haben, nur zwei Punkte hinzuzufügen. Das eine ist die Aufforderung, daß die technischen Konferenzen, die möglich bleiben, sich tatsächlich auch nur in dem Rahmen halten, die ihrem technischen Mandat entsprechen und nicht umfunktioniert werden, und das andere bezieht sich auf einen Artikel eines der führenden Beamten unserer Delegation, in der von einer „ersten KSZE" die Rede war. Soll das heißen, daß zweite, dritte und vierte Konferenzen kommen können und daß diese jetzt schon ins Auge gefaßt sind? Wenn das der Fall ist, dann haben wir auf diese Weise auch eine Regelung der politischen Nachfolgeorganisation, ohne daß wir dieses Wort noch gebrauchen.
({6})
Unabhängig von ihrem weiteren Schicksal haben die KSZE-Verhandlungen in den letzten beiden Jahren in allen beteiligten Staaten und Milieus auf beiden Seiten, wie mir scheint, der europäischen Demarkationslinie vielfältige Erkenntnisse über die Bedingungen und Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer Entspannungspolitik, über ihre Chancen, aber auch die Risiken einer künftigen Kooperation vermittelt. Diese Erkenntnisse sollten wir nicht geringschätzen. Zu ihnen gehört nicht zuletzt die Notwendigkeit, Ostpolitik als eine Politik des langen Atems, der großen Geduld und auch der skeptischen Umsicht zu betrachten, also als eine Politik, bei der wir besser in Dekaden als in
Wahlterminen zu denken haben, wenn wir es ernst meinen mit einem friedensfördernden Ausgleich zum Wohle aller Europäer.
({7})
Die andere Erkenntnis ist das Gebot größter Festigkeit und einer konsequenten Politik der wirklichen Gegenseitigkeit.
In dieser Perspektive der langen Geduld sind es neben den Themen des Korb III vor allem die Möglichkeiten der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit, der gemeinsamen Infrastrukturen, der Rohstoff- und Energieversorgung, die die ökonomische Basis für einen Ausgleich abgeben können.
Unabdingbare Voraussetzung dieser wirtschaftlichen Chancen ist aber eine absolute Störungsfreiheit in den Bereichen von Politik und Sicherheit, und d. h., in erster Linie, daß die Sowjetunion im Geiste der von ihr selbst jetzt mit ausgehandelten KSZE-Grundsätze ihre Westpolitik in den Punkten überprüft, in denen wir ihr vertrauen sollen, es aber angesichts immer wiederkehrenden interventionistischen und auch manchmal expansionistischen Verhaltens nicht ohne weiteres können.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die überaus überzeugende Besetzung dieses Hauses ermutigt mich nicht gerade, auf eine Reihe von Bemerkungen einzugehen, aber da Sie schon die Güte hatten, mich hierher zu bitten, will ich mir doch wenigstens auf zwei oder drei Punkte eine Antwort nicht verkneifen. Im übrigen will ich zur Sache selber dem Außenminister, der im Namen der Bundesregierung heute gesprochen hat, nicht vorgreifen, soweit er noch den einen oder anderen Akzent anzubringen hat.
Ich habe die Rede von Herrn Kollegen Zimmermann interessant gefunden, insbesondere im Kontrast vom Inhalt und auch vom Ton her zu anderen Reden, die hier für die Opposition gehalten worden sind. Sie hatten offenbar den Wunsch, uns die ganze breite Palette Ihrer Möglichkeiten vorzuführen;
({0})
das ist Ihnen gelungen. Ich kann allerdings auch bei Herrn Zimmermann positive Ansätze erkennen. Langsam und mühsam nährt sich das Eichhörnchen; auch Herr Zimmermann vertritt heute Positionen, die noch vor wenigen Jahren von ihm bekämpft worden sind. Ich begrüße das und sage das ohne jede Ironie.
Herr Zimmermann hat sich beschäftigt mit dem Zusammenhang von Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa auf der einen Seite und gegenseitiger ausgewogener Verringerung der Streitkräfte auf der anderen Seite, und zwar in einem positiven Sinne.
Hier spricht ein Sprecher der CSU deutlich für die gegenseitige und ausgewogene Verringerung der Streitkräfte in Europa. Ich quittiere das ausdrücklich als einen großen Fortschritt. Ich könnte auch aus dem Kopf noch die Reden zitieren, die zu diesem Thema vor zwei Jahren hier für Ihre Fraktion gehalten worden sind. Ich will das nicht; ich will Ihnen diesen Wandel nicht erschweren. Herr Zimmermann geht ja sogar so weit, uns vorzuwerfen, daß wir dieses Projekt der beiderseitigen, ausgewogenen Verringerung der Streitkräfte nicht genug förderten. Wie anders soll ich die beiden Zitate verstehen, die in seiner Rede, Herrn Scheel - den damaligen Außenminister - und mich - den damaligen Verteidigungsminister - betreffend, vorgekommen sind?
Er war liebenswürdig genug, mir im Vorwege ein Stenogramm seines tatsächlich gesprochenen Textes zukommen zu lassen. Da heißt es, der damalige Verteidigungsminister habe am 29. Mai 1972 erklärt: „Ich kann mir keine Konferenz über die Sicherheit Europas vorstellen, wenn über beiderseitige Truppenverringerung überhaupt nicht geredet wird". Dann verzeichnet das Protokoll einen Zwischenruf von Herrn Dr. Marx: „Hört! Hört!". Weiter wird die Frage gestellt „Wie sieht das heute aus?".
Nun, Herr Dr. Marx, Sie sind ja ein fleißiger Leser und wissen daher, wie das heute aussieht. In der Tat wird gleichzeitig in Genf in einer gesamteuropäischen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit gesprochen und in Wien über die beiderseitige und ausgewogene Verringerung der Truppen.
Das heißt: das, was ich damals als Verteidigungsminister - für die damalige Regierung sprechend
- gesagt habe, nämlich ich könnte mir nicht vorstellen, daß man auf der einen Seite die KSZE macht und auf der anderen Seite über eine beiderseitige und ausgewogene Truppenverringerung nicht spricht, hat sich - nicht zuletzt, weil wir es zu einem Zeitpunkt betrieben haben, als Sie es noch hintertrieben haben - bewahrheitet.
({1})
Ich will nicht polemisieren.
({2})
- Wenn Herr Kollege Zimmermann hier wäre, würde ich eine andere Tonart benutzen. Aber er ist bereits im Wahlkampf in Bayern, wie ich vermute.
Ich möchte dann auch noch auf Herrn Kollegen Narjes eingehen dürfen. Aber in der Mitte zwischen diesen beiden Bemerkungen gestatten Sie mir eine andere. Ich verstehe den Prozeß Ihres Nachdenkens, und ich begrüße ihn.
({3})
- Sicher. Ich nehme an, daß der Außenminister noch ein besonderes Zeugnis dieses Nachdenkensprozesses hier zur Verwendung bringen wird. Solche Zeugnisse liefern Sie ja zum Teil auch in gedruckter Form. Die sind dann manchmal gerade wegen des Kontrastes zu dem, was etwa der Abgeordnete Mertes aus Gerolstein sagt, besonders interessant. Aber ich will dem Außenminister nicht vorgreifen.
Ich begrüße diesen Prozeß des Nachdenkens. Ich verstehe auch die kritischen Fragen, die Sie hier an uns richten. Nur seien Sie sich bitte über das, was in der schriftlichen Antwort auf Ihre Große Anfrage steht, und über das, was der Herr Außenminister heute morgen noch einmal mit anderen Worten ganz deutlich ausgesprochen hat, völlig im klaren, über die Tatsache nämlich, daß wir in jeder Phase dieser Genfer Konferenz in voller Übereinstimmung mit den acht übrigen Partnern der Europäischen Gemeinschaft handeln und darüber hinaus in Übereinstimmung mit den Vereinigten Staaten. Das wollen Sie bitte bei allen Ihren kritischen Bemerkungen nicht aus Ihrem eigenen Bewußtsein verdrängen. Ich kann mir gut vorstellen, daß Sie zugleich die ganze westliche Politik angreifen wollen, aber nur uns nennen. Das ist Ihr gutes Recht, und es liegt in Ihrem Habitus.
({4})
- Gut. Das hätte man ja ein bißchen kürzer machen können als bis abends viertel nach sieben.
Das haben wir schon
heute morgen gesagt! Da waren Sie nicht
da!)
- Ich hatte heute morgen ausländischen Besuch. Es ist die Pflicht des Bundeskanzlers, auch wenn Plenartage sind, seinen Geschäften nachzugehen.
({0})
Schließlich und endlich war hier heute kein Beschluß zu fassen, sondern es handelte sich um eine Antwort auf eine Große Anfrage. Diese Antwort ist Ihnen gegeben worden. Es tut mir sehr leid
({1})
- das ist mir beides recht , aber wenn ich schon darauf angezapft werde, werde ich es hier wohl sagen dürfen: Ich bin kein Faulpelz; ich arbeite hart.
({2})
Es gibt manchmal die Gleichzeitigkeit von drei Pflichten auf einmal.
({3})
- Er ist jetzt gekommen; er hat es oben am Radio gehört .Ich begrüße Sie, Herr Zimmermann.
Ich möchte es noch einmal sagen dürfen, Herr Marx: Wenn Sie das für einen Fortschritt halten, daß sich die neun EG-Staaten in dieser Sache so einig sind, dann ist es gut, dann sind wir uns darin einig. Sie müssen uns nicht ermahnen und ermutigen, darin fortzufahren, denn wir haben es ja herbeigeführt.
({4})
Zu der Zeit, als Herr Carstens noch Staatssekretär
im Auswärtigen Amt oder im Bundeskanzleramt
oder im Verteidigungsministerium war, war von
solcher Gemeinsamkeit überhaupt keine Rede. Wir haben Sie ja herbeigeführt.
({5})
Ich war als Verteidigungsminister sogar ein ganz klein bißchen daran beteiligt, daß dies herbeigeführt wurde.
Als wir 1970 im NATO-Rat nach großer Vorbereitung mit unseren Verbündeten einen Beschluß zustande brachten - Brandt hatte ihn als Außenminister 1968 in Reykjavik vorbereitet -, der darauf hinauslief, den östlichen Nachbarn Verhandlungen über eine beiderseitige ausgewogene Truppenverringerung anzubieten, die von Herrn Zimmermann heute so positiv gefordert werden, da haben Sie zunächst gesagt, das sei alles ganz falsch. Dann haben Sie etwas später gesagt, die Russen würden nie darauf eingehen. Jetzt sind sie aber darauf eingegangen. Ich sage Ihnen voraus, die Verhandlungen in Wien dauern noch Jahre - es ist ein ganz langes und schwieriges Thema -, und dazu gehört Geduld, wie Geduld zu allen Verhandlungen gehört, insbesondere mit den östlichen Verhandlungspartnern.
({6})
Und da wird es viele Rückschläge geben, und es wird dann auch Fortschritte geben.
Einer der Punkte, den Sie im Zusammenhang mit der Gemeinsamkeit der neun Partnerstaaten in der EG bitte nicht übersehen wollen, ist die Tatsache, daß, so wie die geschichtliche Entwicklung nun einmal gelaufen ist, Frankreich an den Verhandlungen in Wien bisher nicht beteiligt ist. Ich sage das ganz leise und gebe keinen vertiefenden Kommentar dazu.
Nun einige Bemerkungen zu den Ausführungen von Herrn Narjes. Mindestens in einem Punkte, Herr Kollege Narjes, haben Sie einen deutlichen Widerspruch provoziert. Sie haben von der „unwürdigen Praxis der Kooperationsverträge" gesprochen. Ich weiß nicht, ob Sie wirklich genau gemeint haben, was Sie damit sagten: Meinen Sie damit Frankreich, meinen Sie damit die Bundesrepublik Deutschland, oder wen meinen Sie eigentlich? Ich würde bitten, daß Sie sich das etwas genauer überlegen. Außenpolitik und auch Außenhandelspolitik können nicht nur mit den institutionellen Kategorien jemandes gesehen werden, der zu lange in Brüssel gelebt hat, um die Welt ganz zu verstehen.
({7})
Die Institutionen der EG sind wichtig, und die EG bekommt ab 1. Januar nächsten Jahres die Kompetenz für die Handelspolitik aller Neun. Aber so weit zu gehen, die bisher abgeschlossenen Kooperationsverträge - und der weitestgehende ist der französisch-sowjetische - als „unwürdige Praxis" anzuprangern, mag vielleicht einem Beamten der Kommission in einem privaten Background-Gespräch
erlaubt sein, nicht aber, so denke ich, einem offiziellen Sprecher der Opposition in diesem Hause.
({8})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes?
Unabhängig von den Zensuren, die Sie erteilen, zur Sache. Herr Bundeskanzler, ist Ihnen bekannt, daß der Gemeinschaftsbeschluß - ich glaube, vom Dezember 1973 -, den der Ministerrat im Juli 1974 angenommen hat, über die Minimalkonsultationen, die nötig sind, damit - so heißt es, glaube ich, wörtlich - die Vertragsstaaten an ihre Vertragsverpflichtungen erinnert werden, schon durch seine Existenz nachweist, daß hier die Mitgliedstaaten, die solche Kooperationsabkommen - sicher mit wechselndem und unterschiedlichem Inhalt - abgeschlossen haben, ihrerseits an ihre Vertragspflichten erinnert werden müssen, und sind Sie nicht mit mir der Ansicht, daß die Verletzung von Vertragspflichten ei Zustand ist der einer Nation, die ein Rechtsstaat sein will, nicht unbedingt würdig ist?
Ich bin der Meinung daß, wenn Veranlassung besteht, alle zur Vertragstreue angehalten werden müssen. Ich bin nicht der Meinung, daß die Kooperationsverträge, die Sie mit dem Werturteil „unwürdig" belegt haben, gegen den Römischen Vertrag verstoßen hätten; ich kann das nicht erkennen.
({0})
Ich kann das weder für Frankreich noch für die Bundesrepublik Deutschland noch für irgend jemanden erkennen. Es ist das erste Mal, daß ich höre, daß jemand behauptet, diese Kooperationsverträge seien vertragswidrig.
({1})
Vertragswidrig waren einige Maßnahmen, die einige Regierungen für sich auf dem Felde der Agrarpolitik ergriffen hatten. Das haben wir angemahnt, und Sie haben sich aufgespielt und gesagt, das sei deutscher Chauvinismus;
({2}) aber die waren wirklich vertragswidrig.
Auf dem Felde der Kooperation mit der Sowjetunion mag man an dem Inhalt der Abmachungen, die das eine oder andere Land mit der Sowjetunion getroffen hat, materielle Kritik üben. Aber die Behauptung der Unwürdigkeit oder jetzt sogar die der Vertragswidrigkeit, Herr Kollege Narjes, sollten Sie noch einmal in Ruhe überprüfen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber bitte!
Herr Bundeskanzler, zu dieser Überprüfung: Würden Sie dann vielleicht den Auftrag geben, die Vereinbarkeit aller Kooperationsverträge - ich habe von allen Kooperationsverträgen der Mitgliedstaaten mit allen Oststaaten gesprochen - mit dem Art. 113 des EWG-Vertrages überprüfen zu lassen, in dem der Inhalt der gemeinsamen Handelspolitik als geltendes Vertragsrecht weit über das hinausgeht, was von den Regierungen jetzt tatsächlich praktiziert wird und - wenn Sie so wollen - in einer Gewöhnung an einen minderen, ausgehöhlten Zustand jetzt schon als normal angesehen wird?
Ich bin gerne bereit, dafür zu sorgen, daß diese Ihre letzte Bemerkung sorgfältig geprüft wird. Im übrigen bitte ich, mir abzunehmen, daß diese Bundesregierung genauso wie ihre Vorgängerin und wie deren Vorgängerin die feste Absicht hat, nicht nur die Substanz und die Ratio des Vertrages, sondern auch seine Buchstaben nicht nur durch uns selbst, sondern auch durch unsere Partner befolgt zu sehen.
Aber, Herr Narjes, Sie sind eben mit Ihren Worten nicht ganz sorgfältig gewesen; denn Sie haben von einem Wettlauf der Finanzminister uni Steuergeschenke an den Osten gesprochen. Ich hatte mich nicht zu Wort gemeldet, aber dieses Wort hat mich herausgefordert und ich habe an dieser Stelle gedacht: das kann man doch so wohl nicht stehenlassen, das ist eine Unverschämtheit, eine krasse Unverschämtheit.
({0})
Nennen Sie mir bitte die Finanzminister Hollands oder Dänemarks oder Englands oder Frankreichs oder Deutschlands oder Italiens, die miteinander in einen Wettlauf getreten wären, uni Steuergeschenke an östliche Handelspartner darzubringen! Ich kann mir nur vorstellen, daß diese Ihre Bemerkung auf zwei gegenwärtig stattfindende Landtagswahlkämpfe gezielt war.
({1})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Narjes.
Gern.
Erstens habe ich nicht vom deutschen Finanzminister gesprochen, sondern einige Sätze zuvor die Bundesregierung gebeten, bei ihrer Position zu bleiben, denn sie hat sich bisher nicht daran beteiligt. Zum zweiten, ist Ihnen denn nicht aus den diplomatischen Berichten aus den Ostblockstaaten bekannt, daß man sich dort die jeweiligen Exportkreditbedingungen im Wege des Gegeneinanderausspielens und Hochbietens gegenseitig vorhält mit der Bitte, daß der andere Partner immer noch einmal ein oder zwei Prozent heruntergehen möge? Ist Ihnen diese ganze Praktik nicht bekannt und wissen Sie nicht, daß diese Art Angebote letztlich immer nur zu Lasten der Steuerzahler der einzelnen Staaten geht?
({0})
Herr Kollege Narjes hat seine im ersten Satz ausgesprochene ausdrückliche Ausnahme des deutschen Finanzministers von der Kollektivbeschuldigung in seinem letzten Satz leider wieder zunichte gemacht. Ich muß feststellen, daß Sie sich hier nicht fair benehmen, Herr Narjes.
({0})
Was den zweiten Punkt angeht, so ist mir natürlich bekannt, daß die östlichen Handelspartner - ({1})
- Also lieber Herr Becher, ich würde an Ihrer Stelle, nachdem Herr Mertes gesprochen hat, doch keine völlig falschen Töne in die Debatte bringen! Sonst müßten wir annehmen, ihr seid immer noch auf dem Dampfer von 1968. Hören Sie doch auf damit!
({2})
Lassen Sie die Debatte einmal so laufen, daß diejenigen für ihre Fraktion sprechen, die, wie ich denke, mit Sorgfalt ihre Rede vorbereitet haben und die eine andere Kontur liefern wollten als die, wie wir sie von Ihnen, lieber Herr Kollege Becher, gewohnt sind. Ich nehme das ernst.
Die Tatsache, daß ich auch Herrn Narjes antworte, zeigt ja wohl, daß ich das, was er sagt, nicht als gleichgültig und sorglos gemeint auffasse. Er muß sich noch einmal genau überlegen, was er gesagt hat. Natürlich ist es mir bekannt, Herr Narjes, daß nicht nur in der östlichen Himmelsrichtung, sondern überall in der Welt Leute, die über Geschäfte verhandeln, dem andern, der liefern soll, sagen: Ich kann von dem Lieferanten X oder Y das gleiche Zeug zu besseren Bedingungen kriegen oder besseres Zeug zum selben Preis bekommen! Das ist etwas ganz Normales und das ist auch im Osten so. Aber ich habe über dieses Zurkenntnisnehmen und Beklagen im Deutschen Bundestag hinaus auch dazu beigetragen, daß etwas getan wurde. Als ich Finanzminister war, haben wir zum ersten Mal die Finanzminister der fünf großen westlichen Industrienationen zu einer Vereinbarung gebracht, bei langfristigen Exportgeschäften an die Sowjetunion und andere Osthandelspartner bestimmte Zinssätze nicht zu unterschreiten. Der gegenwärtig im Amt befindliche Bundesfinanzminister hat vor wenigen Tagen, ich glaube vor etwa 14 Tagen, im Gespräch mit denselben Industriestaaten des Westens eine nach oben gehende Korrektur des gemeinsam verabredeten Mindestzinssatzes herbeigeführt. Sie sehen, wir nehmen es nicht nur zur Kenntnis, sondern wir tun sogar etwas.
Übrigens hat es Bemühungen dieser Art früher nicht gegeben, jedenfalls nicht mit Erfolg, Herr Narjes! Ich sehe Ihren offenen Mund, ja, es ist das erste Mal!
({3})
- Ich freue mich aber, daß Sie im Grunde ja doch wohl zugeben müssen, daß hier nicht nur etwas versucht, sondern auch etwas erreicht wurde.
Was nun den Wettlauf mit den Steuergeschenken angeht -
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich wollte doch nur drei Minuten reden und möchte nicht dauernd unterbrochen werden. Es tut mir leid.
({0})
- Dies hat mit der EWG nichts zu tun. Denn die Zinsmanipulationen, von denen Herr Narjes mit einem gewissen Recht spricht, beziehen sich doch nicht bloß auf die EG; sie beziehen sich auf Japan und Kanada und Amerika ganz genauso.
({1})
Und diese Länder muß man natürlich mit einbinden. Das hat doch nichts mit EG und Übergangsrecht zu tun.
({2})
- Ich weiß doch, wovon ich rede, und Herr Narjes nickt doch die ganze Zeit mit dem Kopf. Drehen Sie sich doch einmal um, damit Sie sehen, wie er reagiert.
({3})
Ich möchte eine letzte Bemerkung an die Adresse von Herrn Narjes machen. Sie haben den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes zitiert; ich will einmal unterstellen, daß Sie ihn korrekt zitiert haben. Ich denke nicht im Traum daran, das zu tun, was Sie von mir erbeten haben, Herr Narjes. Ich bin im Gegenteil der Meinung, daß es sich gewisse Leute, die diese Äußerung von Herrn Vetter provoziert haben, selber zuschreiben müssen, wenn aus dem Walde das Echo so herauskommt, wie man vorher hineingerufen hat. Und ich zweifle nicht daran, daß dieses Gutachten jener amerikanischen Handelskammer in Frankfurt initiiert worden ist von Stellen innerhalb dieses Landes, die im Zusammenhang mit der von Ihrer Fraktion, aber auch von anderer Seite geführten Kampagne gegen die Ausdehnung der Mitbestimmung in den Unternehmen stehen.
({4})
Ich denke, daß es von daher initiiert wurde. Im übrigen habe ich gar keinen Zweifel, daß die amerikanische - ({5})
- Ich habe gesagt, ich zweifle nicht. Wenn Sie die Leute verteidigen wollen, dann beweisen Sie doch nur, daß ich recht habe, wenn ich sage: Ihr seid dieselben Leute, die dieselbe Kampagne entfesseln!
({6})
Der eine versucht, sich das Deutsche Industrieinstitut vorzuschnallen; der andere versucht, sich eine amerikanische Handelskammer vorzuschnallen. Es wird Ihnen nicht gelingen, sich die amerikanische Regierung vorzuschnallen. Diese Hoffnung sollten Sie fahren lassen!
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Carstens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland kontrolliert der Bundestag die Bundesregierung und ist es nicht umgekehrt.
({0})
Infolgedessen ersparen Sie sich bitte die Zensuren, die Sie bei jeder Ihrer Reden an einzelne Mitglieder dieses Hohen Hauses zu erteilen pflegen.
({1})
Ich muß Ihnen außerdem sagen, Herr Bundeskanzler, daß ich noch keine Rede von Ihnen als Bundeskanzler in diesem Parlament gehört habe, in der Sie nicht mehrfach entgleist wären. Und dies ist sehr zu bedauern, nicht nur wegen der Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und der Bundesregierung, sondern auch im Hinblick auf das Ansehen der Bundesregierung selbst.
({2})
Da wir gerade von den Entgleisungen des Herrn Bundeskanzlers sprechen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Vor mir liegt eine Zeitschrift, die „Europäische Gemeinschaft" vom Oktober 1974. Da ist unter der Rubrik ;;Worte zu Fiiropa" zitiert:„Das Beste wäre, die Hälfte der Beamten totzuschlagen"
- Helmut Schmidt, Bundeskanzler, laut „Westfälische Nachrichten" vom 17. August 1974
({3})
über das wünschbare Schicksal der EG-Beamten.
({4})
Meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, daß
mit solchen Erklärungen den außenpolitischen Be8408
Dr. Carstens ({5})
ziehungen der Bundesrepublik Deutschland gedient
ist, dann irren Sie sich gewaltig. Ich kann nur wieder
sagen, mich erfüllt es mit Unruhe und Beklemmung,
({6})
wenn ich mir vorstelle, daß der Bundeskanzler auf internationalen Konferenzen so oder ähnlich auftritt, wie er hier auftritt.
({7})
- Ich glaube, Herr Kollege Wehner, etwas Selbstbeherrschung tut uns allen gut und tut auch dem Bundeskanzler ganz gut, nicht?
({8})
Aber ich möchte doch - ({9})
- Herr Kollege Wehner, die Maßstäbe, die Sie an andere Menschen anlegen, mache ich mir nicht zu eigen, und darüber bin ich froh.
({10})
Diese Art von Verachtung, mit der Sie zu Kollegen dieses Hauses zu sprechen pflegen, Herr Kollege Wehner, fällt auf Sie selbst zurück. Verachten Sie sich selbst, wenn Sie das können.
({11})
- Dazu bin ich durchaus in der Lage. Aber verachten Sie sich auch mal selber, Herr Kollege Wehner, das täte Ihnen ganz gut.
({12})
Ich bedauere sehr, daß durch die Intervention des Bundeskanzlers die Debatte eine solche polemische Wendung genommen hat. Wir hatten diese Debatte begonnen, Herr Bundeskanzler, in einem Zeitpunkt, als Sie nicht anwesend waren, mit der Erklärung unseres Kollegen Marx, daß wir, die CDU/CSU-Fraktion, bereit sind, die Verhandlungsposition der Bundesregierung in Genf zu unterstützen, wenn und soweit die Bundesregierung bereit ist, unsere Gesichtspunkte bei diesen Verhandlungen zu berücksichtigen. Das ist ein Angebot, auf das einzugehen Ihnen besser angestanden hätte als die Erklärung, die Sie hier soeben abgegeben haben.
({13})
Ich möchte. ein paar der Grundpositionen der CDU/CSU-Fraktion noch einmal wieder in die Erinnerung zurückrufen und damit die Debatte auf ihr eigentliches Thema zurückzuführen versuchen. Zum Thema Zeitfaktor sind wir uns anscheinend alle einig, daß wir uns nicht unter Zeitdruck setzen lassen wollen. Auch der Bundeskanzler hat hier von der Notwendigkeit gesprochen, mit Geduld zu verhandeln. Dies ist zu begrüßen. Es ist allerdings neu, neunachgewiesenermaßen unserem Lande einen beträchtlichen Schaden zugefügt hat.
in der Politik der Regierung, die von SPD und FDP gestellt wird. Die vergangenen Jahre standen im Zeichen eines Zeitdrucks, den die Regierung der sozialdemokratischen und freidemokratischen Koalition auf sich selbst ausgeübt hatte und womit sie
({14})
Der zweite Grundsatz, den wir hier in unseren verschiedenen Erklärungen hervorgehoben haben, betrifft die Notwendigkeit, die friedliche Veränderung der Grenzen auf Grund des Selbstbestimmungsrechts offenzuhalten. Herr Kollege Mertes hat dies doch in einer außerordentlich eindrucksvollen Weise vorgetragen. Er hat doch darauf hingewiesen, daß, wenn das nicht ausdrücklich vorbehalten wird, die Gefahr besteht, daß die Sowjetunion unser Eintreten - wie ich immer noch annehme und hoffe: unser gemeinsames Eintreten - für die Einheit der deutschen Nation als Verletzung dieses Vertrages ansehen könnte. Deswegen ist dies ein entscheidender, ein wichtiger Punkt.
Wir sind uns darüber einig - so entnehme ich aus dem Verlauf der Debatte , daß der Korb 3, die Verwirklichung von mehr Freiheit in Europa, ein wesentliches und unverzichtbares Ziel des Westens in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit sein muß.
Herr Kollege Bangemann - er ist leider nicht mehr da - hat gesagt - - Ich bitte um Entschuldigung, ich bitte sehr um Entschuldigung; Sie waren durch das Mikrofon verdeckt.
({15})
Herr Kollege Bangemann, Sie sind der Meinung, daß man in solchen multilateralen Verhandlungen nicht das „Do ut des"-Prinzip anwenden könne, sondern daß die Verhandlungen ganz anderer Art seien. Das klingt theoretisch ganz schön, so wie Sie das sagen. Aber ist es Ihnen wirklich entgangen, daß in diesen multilateralen Verhandlungen ein geschlossener Block steht, der bestimmte Forderungen erhebt, und daß es daher sehr wohl sinnvoll ist, diesen Forderungen gegenüber Gegenforderungen zu erheben, mit anderen Worten: daß das Prinzip der Ausgewogenheit auch für diese multilateralen Verhandlungen und Verträge gelten muß. Das ist es, was gemeint wird, wenn man von dem Prinzip „Do ut des" spricht.
({16})
Wir sind uns darüber einig, daß die westeuropäische Einigung Prioirität gegenüber den gesamteuropäischen Bestrebungen haben muß. Ich erkenne an - ich habe das schon in einer Zwischenfrage, die ich dem Herrn Kollegen Bangemann gestellt habe, anerkannt --, daß während der Verhandlungen über die KSZE eine enge Konsultation zwischen den neun EWG-Staaten stattgefunden hat. Ich begrüße das, ich finde das gut, das ist etwas Positives. Damit ist aber das Thema nicht beendet. Wir müssen doch ganz klar erkennen, daß zumindest die sowjetische Seite mit diesen Verhandlungen und mit dieser Konferenz Ziele verfolgt, die der westeuropäischen Einigung eben nicht förderlich, sondern ihr geradezu entgegengesetzt sind. Deswegen ist es so wichtig, daß wir die sowjetische Forderung nach Schaffung eines gesamteuropäischen Organs nicht akzeptieren.
({17})
Dr. Carstens ({18})
- Jawohl, ich wollte das nur noch einmal in diesen Zusammenhang hineinstellen, Herr Kollege Bangemann. - Das ist der Grund dafür, daß wir uns dieser Forderung widersetzen müssen, denn in sowjetischer Sicht ist dies ein Instrument zur Verhinderung oder zumindest Behinderung der weiteren westeuropäischen Einigung.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal sagen, was hier von verschiedenen, auch von meinem Kollegen Mertes gesagt worden ist. Gewöhnen Sie sich doch bitte die Vorstellung ab, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von SPD und FDP, wenn wir hier von sowjetischen Zielsetzungen sprechen, daß das aus einer Gesinnung der Feindschaft gegenüber der Sowjetunion geschehe. Davon ist überhaupt keine Rede.
({19})
Wir sind allerdings der Meinung, daß zu einer Politik, zu einer realistischen Politik, von der Sie immer mit soviel Emphase sprechen, gehört, daß man sich über die Ziele Klarheit verschafft, die der jeweilige Verhandlungspartner in diese Verhandlungen verfolgt. Mehr wollen wir nicht.
({20})
Dann haben wir gesagt - und ich wiederhole es , daß wir die Aufhebung des Schießbefehls an der Mauer fordern. Dazu wird nun gesagt, das sei doch unrealistisch. Wenn die DDR ihre Grenzen freigäbe, hat einer der Sprecher der Koalition gesagt -- ich zitiere ihn -,
({21})
- Kollege Bangemann dann würde die Hälfte der Bevölkerung der DDR die DDR verlassen. Ich nehme Sie beim Wort, Herr Kollege Bangemann, wenn wir uns wieder einmal über das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und über die fortbestehende Einheit der deutschen Nation unterhalten. Das ist doch aber kein Grund für uns, uns mit dem Schießbefehl an der Mauer abzufinden. Und wenn Sie sagen, wir können daran nichts ändern, Herr Kollege Bangemann, darf ich Ihnen entgegenhalten, daß es einen Unterschied macht, ob man Verhältnisse, die man im Augenblick nicht ändern kann, stillschweigend hinnimmt oder ob man wenigstens mit der Macht des Wortes diesen Verhältnissen und diesen Zuständen entgegentritt. Das verlangen wir, und das entbehren wir und vermissen wir in den Erklärungen der Bundesregierung und auch der Koalitionsfraktionen, daß sie endlich einmal klar das Unrecht, das Unmenschliche, welches in diesen Zuständen liegt, beim Namen nennen.
({22})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Bangemann?
Bitte schön, Herr Kollege Bangemann!
Aber Herr Carstens, sehen Sie denn nicht den Widerspruch, der zwischen
dem besteht, was Sie jetzt als die einzige Alternative darstellen, und dem, was ich als die mögliche Alternative angedeutet habe? Sie sagen, es besteht eine Alternative nur zwischen dem Anprangern dieses Zustandes einerseits und dem Schweigen zu diesem Zustand andererseits. Ich habe gesagt und habe Sie dazu aufgefordert, nicht zu schweigen, sondern Ihre Worte durch Taten realistischer Entspannungspolitik zu ergänzen. Dieses ist doch das Problem.
({0})
Herr Kollege Bangemann, die Frage ist, was realistische Entspannungspolitik ist. Zur realistischen Entspannungspolitik gehört eben nach unserer Auffassung -- es mag sein, daß wir uns hier voneinander unterscheiden -, daß man die fundamentalen Tatbestände des Unrechts zu beseitigen versuchen muß.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte nun noch auf einen Punkt eingehen, den der Bundeskanzler in seinen Ausführungen über das Verhältnis von
KSZE und MBFR angesprochen hat.Der Bundeskanzler und verschiedene Sprecher der Koalition versuchen immer wieder, den Eindruck zu erwecken - das ist auch so eine Art Legende, die hier in Deutschland gewoben wird -, als wenn die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1969 oder davor in Gefahr geraten wäre, mit ihrer Politik in völlige Isolation zu geraten. Meine Damen und Herren, dies ist eine falsche, dies ist eine unsinnige Behauptung. Ich möchte Sie daran erinnern, meine Damen und Herren, daß der französische Staatschef General de Gaulle bis zum letzten Tage seiner Amtszeit für die Wiedervereinigung Deutschlands und gegen die Anerkennung der DDR eingetreten ist.
({1}) - Es ist eine Tatsache, daß das so ist.
({2})
-- Dies ist eine Tatsache! Seien Sie doch darüber froh, daß das so gewesen ist. Freuen Sie sich doch darüber.
({3})
- Das ist keine Legende. Es gibt zahlreiche Erklärungen.
({4})
Als de Gaulle in Moskau gefragt wurde, ob er bereit sei, die DDR anzuerkennen, hat er gesagt, das lehne er ab,
({5})
denn das sei eine künstliche Schöpfung. Meine Damen und Herren, ich sage das ja nicht, um das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Ich sage dies, um Ihnen entgegenzuhalten, daß Sie bewußte Ge8410
Dr. Carstens ({6})
schichtsklitterung betreiben, indem Sie hier den Eindruck erwecken, als wenn die Bundesrepublik Deutschland 1969 oder in den Jahren davor in Gefahr gewesen wäre, von ihren Bundesgenossen isoliert zu werden. Dies war mit absoluter Sicherheit nicht der Fall.
({7})
Die Verbindung MBFR/KSZE ist ein schwieriges Thema.
({8})
MBFR ist an und für sich schon ein schwieriges Thema. Mit den MBFR-Verhandlungen in Wien sind Gefahren verbunden - wir haben sie hier oft dargelegt -, vor allen Dingen die Gefahr, daß im Zuge dieser Verhandlungen zentraleuropäische Sicherheitszonen entstehen, an denen wohl die Bundesrepublik Deutschland, nicht aber ihre großen westeuropäischen Verbündeten, geschweige denn die Vereinigten Staaten von Amerika beteiligt sind. Diese Gefahren muß man erkennen, und ihnen muß man entgegentreten. Diejenigen, ,die das am deutlichsten und klarsten tun, sind die Franzosen. Deswegen wäre es sehr erwünscht ich sage das noch einmal an Ihre Adresse, Herr Bundeskanzler -, wenn die Bundesregierung, die Bundesrepublik Deutschland sich bemühte, in diesen MBFR-Verhandlungen näher an die französische Position heranzurücken.
({9})
- Das heißt, daß sie diesen Gefahren, die die Franzosen deutlich sehen, in ihren politischen Bemühungen ebenfalls Rechnung trägt.
({10})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pawelczyk?
Bitte schön!
Herr Kollege Carstens, interpretiere ich richtig,
({0})
wenn ich hier den Eindruck bekomme, daß Ihnen gar nicht bekannt ist, daß Frankreich nicht Teilnehmer an den MBFR-Verhandlungen ist,
({1})
und sind Sie, wenn Sie uns auffordern, der französischen Position näherzurücken, der Meinung, daß die deutsche Position mit der französischen Position deckungsgleich werden sollte?
Verehrter Herr Kollege, es ist natürlich immer sehr schwer, sich durch Worte verständlich zu machen.
({0})
Ich habe mich ganz klar ausgedrückt, und Sie haben etwas anderes gesagt als das, was ich gesagt habe. Ich bin der Auffassung, daß die französischen Einwände gegen einen Teil des MBFR-Konzepts - nämlich gegen die Bildung einer Sicherheitszone in Europa - gewichtige, ernst zu nehmende Einwendungen sind, denen wir Rechnung tragen sollten. Das ist meine Auffassung.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist außerdem ganz sicher eine schwierige Frage, wie KSZE und MBFR miteinander verbunden werden sollen. Wenn aber von mehr Sicherheit in Europa gesprochen wird - und dies ist doch Thema der KSZE in Genf -, dann erscheint es uns notwendig, daß mit den Vereinbarungen in Genf ein ausbalancierter, ausgewogener Abbau der Truppen in Europa, vor allen Dingen der Truppen der beiden Weltmächte, die sich hier gegenüberstehen, einhergeht. Dies sind die Forderungen, die man in bezug auf das Verhältnis von MBFR und KSZE stellen muß.
Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zu dem sagen, was der Bundeskanzler nicht nur soeben, sondern auch schon vor einigen Tagen über das Gutachten einer ausländischen Handelskammer zu einem Thema, welches uns hier im Bundestag beschäftigt, geäußert hat. Meine Damen und Herren, es ist für jedermann ganz klar, daß der Bundestag in den Entscheidungen souverän ist, die ihm als Gesetzgebungsorgan unseres Landes zustehen. Selbstverständlich kann und darf keinerlei Beeinflussung von irgendeiner Stelle hingenommen werden. Aber niemand sollte auch auf die Idee kommen, Inländer oder Ausländer, die in diesem Zusammenhang Interessen vertreten, daran zu hindern, ihre Interessen auszusprechen. Im umgekehrten Fall ist es genauso. Ich erinnere mich lebhaft daran, daß vor Jahr und Tag in Amerika erwogen wurde, für Automobile neue Zulassungsbeschränkungen zu erlassen. Danach sollten Automobile, die den Motor hinten im Heck hatten, nicht mehr zugelassen werden. Sie können sich denken, meine Damen und Herren, welche Art von Vorstellungen, ernste, eindringliche Vorstellungen, damals in Amerika erhoben worden sind, und zwar nach meiner Auffassung völlig legitimerweise. Mit Einmischung in die inneren Angelegenheiten hatte das überhaupt nichts zu tun.
Ich bin nicht dafür, daß man in so billiger Weise antiamerikanische Affekte abreagiert oder zu wekken versucht.
({2})
Aber ich bin dafür, daß die Bundesregierung auch dem amerikanischen Verbündeten gegenüber die vitalen Interessen unseres Landes dort vertritt, wo sie vertreten werden müssen. Das bezieht sich sowohl auf die KSZE als auch auf die MBFR-Konferenz.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst das Hohe Haus um Nachsicht dafür zu bitten, daß ich in der Debatte am Nachmittag einige Minuten nach Beginn der Rede des Kollegen Zimmermann hier erschienen bin. Das war nicht Ausdruck einer Nichtachtung des Hohen Hauses, sondern das Ergebnis der Auskunft des Präsidiums, daß mit dem Aufruf dieses Punktes etwa um 15.30 Uhr zu rechnen sei. Aufmerksame Beobachter werden festgestellt haben, daß ich 15 Minuten vor diesem Termin auf der Regierungsbank war. Im Saal war ich schon etwas früher; aber das haben nicht alle festgestellt, wie man ja soeben auch beim Kollegen Carstens sehen konnte, daß bei manchem ein gewisse Blickverengung hinsichtlich der Anwesenheit des politischen Gegners besteht.
({0})
Herr Kollege Carstens, Sie sollten - ich habe das schon einmal bei Ihnen beobachtet - nicht darüber hinweggehen, wenn Äußerungen, die nicht richtig wiedergegeben worden sind, vorher dementiert wurden. Auch das, was Sie hier über angebliche Pläne des Bundeskanzlers hinsichtlich des weiteren Schicksals der Hälfte der EG-Beamten noch einmal wiederholt haben, ist eine Äußerung, die der Bundeskanzler längst dementiert hat.
({1})
Ich denke, die Wiederholung macht falsche Behauptungen nicht richtiger.
Meine Damen und Herren, zu Anfang ist - ich habe das schon anerkannt - vom Kollegen Marx mitgeteilt worden, daß die Opposition die Absicht habe, die Verhandlungsposition der Bundesregierung in Genf zu unterstützen. Welche Bundesregierung wollte eine solche Unterstützung nicht haben? Ich denke aber, es ist bei der Betrachtung einer solchen Zielsetzung notwendig, daß Sie sich auch untereinander darüber klarwerden, welche Position Sie zu den Verhandlungen in Genf einnehmen wollen.
Ein Mitglied Ihrer Fraktion hat heute einen Zeitungsaufsatz veröffentlicht. Dort heißt es:
Unter Ausschluß der Öffentlichkeit führt die Bundesregierung nunmehr schon seit Jahr und Tag Geheimverhandlungen, erst in Helsinki, jetzt in Genf auf der sogenannten Europäischen Sicherheitskonferenz. Nach den schlimmen Erfahrungen, die das ganze deutsche Volk mit dem Mißerfolg der Geheimverhandlungen machen mußte, die zu den berüchtigten Bonner Ostverträgen führten, hat die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf, zu erfahren, was hinter den Kulissen der Genfer Konferenz gespielt wird.
Meine Damen und Herren, was ist nun eigentlich
das Motiv für diese Aussprache, diese Verdächtigung oder das Ziel, die Regierung zu unterstützen?
({2})
- Nein, Herr Strauß war es nicht, aber jemand, der ihm nicht sehr fern steht.
({3})
Meine Damen und Herren, wie frühere Kollegen aus Ihrem politischen Lager den Wert der Ostverträge z. B. für die Verhandlungen in Genf und in Wien bewerten, können Sie einem jüngst veröffentlichten Aufsatz Ihres früheren Kollegen Majonica entnehmen. Er schreibt:
Die Ostpolitik bedarf deshalb immer der Absicherung durch das Bündnis mit den USA und durch den Aufbau eines geeinten Westeuropas. Sie bedarf auch der Ergänzung durch die multilaterale West-Ost-Politik, wie sie mit der KSZE und MBFR betrieben wird.
Die Bundesrepublik hat auf diesen Konferenzen dafür Sorge zu tragen, daß das, was in dem Vertragswerk hinsichtlich des Offenhaltens der deutschen Frage erreicht wurde, nicht multilateral überspielt wird.
Dann sagt er:
Aber weiche Rolle hätte Bonn auf diesen Konferenzen spielen müssen, wäre nicht das Vertragswerk mit dem Osten vorher zustande gekommen?
({4})
Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen. Er sagt weiter:
Jene eindrucksvolle Geschlossenheit der Staaten des Gemeinsamen Marktes wäre wahrscheinlich nicht möglich gewesen.
Ich kann Ihnen sagen: Vom ersten bis zum letzten Wort möchte ich das unterschreiben, was der frühere Kollege Majonica gesagt hat. Aus manchem, was ich heute hörte, möchte ich annehmen, daß auch in Ihren Reihen von manchen das so gesehen wird.
Herr Kollege Zimmermann hat etwas über das Verhältnis zwischen KSZE und MBFR gesagt. Der Bundeskanzler hat schon aufgeklärt, daß zwischen dem, was er und der damalige Außenminister gesagt haben, und dem, was die Regierung tut, deshalb kein Widerspruch bestehen kann, weil beide Verhandlungen parallel laufen. Aber ich muß das Thema deshalb noch einmal ansprechen, weil auch Herr Kollege Carstens auf MBFR eingegangen ist und der Bundesregierung empfohlen hat, sich an der Haltung der französischen Regierung zu orientieren.
Herr Kollege Carstens, wollen Sie der Bundesregierung eigentlich wirklich anraten, daß sie, die sich in der Gemeinschaft mit allen anderen Staaten der NATO in bezug auf MBFR befindet, aus dieser Einheitlichkeit ausschert, auf die französische Seite tritt, anstatt die Franzosen zu überzeugen, daß sie in die Gesamthaltung der NATO eintreten?
({5})
Wir sollten nicht einen alten Streit, der für die
deutsche Politik beendet ist - bei Ihnen aber viel8412
leicht wieder auflebt -, den Streit zwischen Atlantikern und Gaullisten neu beleben.
Hier geht es darum, daß wir uns bemühen, unsere französischen Freunde auch in ihrer Haltung zu MBFR in die gemeinsame Haltung der NATO einbeziehen zu können, wobei wir sehr wohl mit Ihnen die Probleme, die sich auch bei dieser Verhandlung ergeben, sehen. Das gilt natürlich auch für KSZE.
Wer wollte bestreiten, daß Motive und Ziele der einzelnen an einer solchen multilateralen Konferenz teilnehmenden Staaten unterschiedlich sind? Verwundert es Sie, daß die Sowjetunion mit anderen Zielen und mit anderen Motiven zu dieser Konferenz geht als wir? Nur: Wollen wir warten, bis sich diese Ziele und Motive ändern? Wollen wir resignieren? Oder wollen wir nicht den Versuch unternehmen, in einer solchen Konferenz das Maß an Übereinstimmung, das erreichbar ist, festzustellen und dann auch festzuschreiben und damit ein Stück weiter in der Entspannungspolitik zu kommen?
({6})
Das gilt auch für das Thema Schießbefehl an Mauer und Stacheldraht. Es ist doch ganz undenkbar -- ich denke, daß sollte auch aus dieser Diskussion herausgenommen werden -, dein Kollegen Bangemann auf Grund seiner Erklärungen zu unterstellen, er wolle sich mit dem Schießbefehl abfinden. Ich habe über die schmerzlichen Folgen der deutschen Teilung für die Bundesregierung nicht nur in diesem Hause, sondern vor den Vereinten Nationen gesprochen. Es kann keine Rede davon sein, daß die Regierung darüber hinweggeht. Nur, es reicht nicht aus, daß man sagt: Ich will mich damit nicht abfinden; man muß nach Wegen suchen, das zu überwinden. Und ich denke, es gibt nur einen Weg, nämlich den Versuch zu unternehmen, ein Entspannungsklima zu schaffen, in dem auch der Schießbefehl nicht mehr bestehen kann. Das ist das Ziel dieser Regierung.
({7})
Was nun den Zusammenhang zwischen Truppenreduzierung und vertrauensbildenden Maßnahmen angeht: Es ist uns gelungen, im Bereich der westlichen Staaten ein gemeinsames Konzept zu entwickeln; das ist auch in den Verhandlungen durchgehalten worden. Hier gibt es keine Risse unter den westlichen Delegationen. In Genf hat man sich konkret über eine vertrauensbildende Maßnahme geeinigt, Herr Kollege Zimmermann. Wir sollten nicht geringschätzen, daß es sich hierbei um den Austausch von Manöverbeobachtern handelt.
({8})
Das ist kein großer Schritt, aber es ist ein Schritt. Gewisse Ansätze zeigen schon jetzt, daß auch bei der Ankündigung von größeren Truppenmanövern eine Vereinbarung möglich sein müßte. Da ist noch sehr hart zu verhandeln. Aber wir sollten auch diese Ansätze, diese Möglichkeiten nicht unterschätzen.
Ich meine:, wir müssen bei der Betrachtung des Verhältnisses von MBFR und der Konferenz über
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa feststellen, daß natürlich ein innerer Zusammenhang besteht, weil beide ein Stück einer globalen Entspannungspolitik sind. Aber ich würde es für einen Fehler halten, wenn wir sagten: Beide können nur zum selben Zeitpunkt abgeschlossen werden. Wenn Entspannung in einem bestimmten Bereich für ein Teilstück verwirklicht werden kann, dann wollen wir das nehmen und es nicht gefährden, indem wir auf anderes warten, was möglicherweise erst später erreichbar ist.
({9})
Oder könnten wir es eigentlich verantworten, z. B. Fortschritte im humanitären Bereich nur deshalb aufzuschieben, weil im Bereich der Truppenreduzierungen noch nicht das Ergebnis da ist, das wir uns wünschen?
({10})
Wir sollten uns, meine Damen und Herren, auch nicht durch eine zu enge Verknüpfung, durch die Herstellung eines Junktims, etwa dazu zwingen, daß wir bei dem einen unter Zeitdruck stehen, weil wir das andere erreichen wollen. Wir müssen es im Zusammenhang sehen. Aber ein enges Junktim zu knüpfen wäre nach meiner Überzeugung nicht im Interesse unserer Position.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es bei der Beurteilung von MBFR und KSZE wichtig ist, folgendes zu sehen: Die Sowjetunion befindet sich im militärischen Bereich in Europa in keiner Weise in prekärer Position; deshalb ist sie, gelinde gesagt, in der militärischen Entspannungspolitik sehr restriktiv. Hingegen ist sie im politischen Bereich in Osteuropa und in Deutschland eher in einer prekäreren Situation, weshalb sie auf diesem Gebiet ihre Erfolge so schnell wie möglich in Genf und in Helsinki einheimsen will? Und teilen Sie meine Auffassung, daß es zur Ausgewogenheit der Entspannungspolitik gehört, diesem Umstand im westlichen Interesse gebührend Rechnung zu tragen?
Herr Kollege, wir müssen in der gesamten Entspannungspolitik alle Interessenlagen berücksichtigen. Aber es wäre ein Irrtum, anzunehmen, es gehe bei der Konferenz in Genf nur um einen Punkt, wo die Interessenlage der Sowjetunion so ungleich günstiger sei als die unsere. Es gibt Interessenlagen in Genf, die für uns besonders attraktiv sind. Es gibt aber auch dort solche, die der Sowjetunion Schwierigkeiten machen. Ich glaube, Sie können die vereinfachende Sicht nicht durchhalten, wenn Sie nur punktuell Genf und Wien einander gegenüberstellen wollen.
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte, die wir ja nach unserem gemeinsam erklärten Willen zu Beginn an dem messen wollen, was sie für die
Verhandlungsposition hergeben kann, hat gezeigt, daß in dem Ziel Übereinstimmung besteht, der deutschen Politik die Möglichkeit offenzuhalten, auf die Einheit der Nation hinzuwirken, und der europäischen Politik die Möglichkeit offenzuhalten, auf die Einheit Europas hinzuwirken. Wir sind uns einig über die Bedeutung des Korbs 3, der humanitären Maßnahmen, und wir sind uns einig auch mit unseren Verbündeten - bei der Beurteilung der Probleme, die sich aus einem Nachfolgeorgan ergeben.
Nun, meine Damen und Herren von der Opposition, wird es für Sie notwendig sein, zu entscheiden, ob die Bedenken, die bei manchen von Ihnen vorhanden sind, so schwerwiegend sind, daß Sie glauben, es habe sich gar nicht gelohnt, in Genf an den Verhandlungstisch zu gehen; oder ob nicht diejenigen unter Ihnen recht haben, die mit uns der Meinung sind: Es war notwendig, im wohlverstandenen deutschen Interesse in Genf den Versuch zu unternehmen, das zu erreichen, was im Interesse der Menschen in Deutschland und Europa möglich ist. Die Bundesregierung wird fortfahren, dieses Ziel anzustreben.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kiep.
Frau Präsidentin! Meine sehr werehrten Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte am heutigen Nachmittag kann einem nach einem hoffnungsvollen Anfang heute morgen eigentlich jede Hoffnung darauf nehmen, daß wir in diesem Hause trotz großer Bemühungen zu einer gemeinsamen Position in den Schicksalsfragen unseres Landes und Europas kommen.
({0})
Ich wollte hier heute abend als letzter Redner der Opposition damit anfangen, daß die Große Anfrage der CDU/CSU und die Antwort der Bundesregierung auf diese Große Anfrage zu einem notwendigen und für die deutsche Politik wichtigen Klärungsprozeß geführt haben und daß wir auf Grund der Antworten der Bundesregierung auf unsere Fragen in einer Reihe von wichtigen Punkten Übereinstimmung erzielen konnten. Ich wollte hinzufügen, daß dies angesichts der Lage, in der sich Europa und die Bundesrepublik Deutschland befinden, angesichts der Probleme, vor denen wir in den Beziehungen zwischen Europa und Amerika stehen, angesichts der Stagnation des europäischen Integrationsprozesses, angesichts der Schwierigkeiten im Ost-West-Dialog, für uns alle gut sei und daß es deshalb heute hier in dieser Debatte festgeschrieben werden sollte.
Ich wollte weiter ausführen, daß die Zustimmung, die wir hier heute ausgedrückt haben, die Bundesregierung natürlich auch verpflichtet, die Sorge und die Kritik der CDU/CSU hier nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern ihr bei den kommenden Verhandlungen Rechnung zu tragen, ja, sich auf diese Kritik und diese Anregungen geradezu zu stützen, wenn es bei den weiteren Verhandlungen in Genf
und auch bei den Abstimmungen mit unseren Verbündeten und Freunden darum geht, daß es eben immer schwieriger wird, unsere Lebensinteressen hier durchzusetzen. Ich meine, nur auf diesem Wege bestände überhaupt eine Hoffnung, daß wir im weiteren Verlauf wieder zu einem Stück Gemeinsamkeit in der Außenpolitik in Deutschland kommen können. Ich meine, daß diese Gemeinsamkeit eigentlich nicht nur für die Opposition, sondern auch für die Regierung ein mehr als erstrebenswertes Ziel sein müßte. Ich muß allerdings auch sagen, daß ich im Verlauf der Debatte des heutigen Nachmittags hierüber einen neuen und wenig erfreulichen Eindruck gewinnen mußte.
({1})
Ich möchte die Regierungskoalition ganz offen fragen, ob sie eigentlich wirklich diesen Willen zur Gemeinsamkeit hat. Der Bundesaußenminister hat heute morgen eine Rede gehalten, in der er, wie ich fand, in sehr überzeugender Weise auch die Bedenken, die Sorgen, die Kritik der Opposition, wie sie auch in unserer Anfrage zum Ausdruck kamen, beantwortet und ernst genommen hat. Ich fand, das war ein guter Auftakt; aber ich muß sagen, daß einige Bemerkungen, auch von ihnen, Herr Außenminister, insbesondere in Ihrer zweiten Intervention heute gegen Abend und vor allen Dingen eine Reihe von Interventionen von Kollegen der SPD diesen Eindruck bei mir wieder, um es sehr vorsichtig zu sagen: sehr stark abgeschwächt haben.
Ich möchte gern am Beginn dieser Schlußrede zu dieser Debatte doch noch einmal folgendes mit großer Deutlichkeit darstellen.
Erstens. Die CDU/CSU hat niemals, weder während ihrer Regierungs- noch während ihrer Oppositionszeit, im Parlament die Notwendigkeit von Ost- und Deutschlandpolitik verneint. Es hat vor Willy Brandt eine Ost- und Deutschlandpolitik gegeben. Wenn Sie mir dies erlauben: es wird auch eine nach Helmut Schmidt geben.
({2})
Zweitens. Die CDU/CSU hat Methode, Verhandlungsführung, Terminierung sowie den Inhalt der Verträge zum Gegenstand ihrer Kritik gemacht. Ich habe Ihnen bereits in einem ganz anderen Zusammenhang von dieser Stelle hier im Deutschen Bundestag am 11. Mai 1973 den Vorwurf machen müssen, daß Sie es sich allzu leicht machen, wenn Sie es allein der Opposition überlassen, die kritischen Momente der Entspannungspolitik herauszuarbeiten.
({3})
Drittens. Die Union bat den völlig übertriebenen Erwartungen, die führende Politiker der SPD mit dieser Politik verbunden haben, immer wieder widersprochen und vor den Folgen einer Enttäuschung gewarnt. Diese Enttäuschung ist heute bei der Bevölkerung eingetreten. Nicht wir, die CDU/CSU, sondern Sie, die Bundesregierung, haben den Umschlag von illusionären Hoffnungen in Resignation zu verantworten und zu vertreten.
Sie nehmen immer wieder auf die unterschiedlichen Stellungnahmen der Opposition Bezug und sagen: Was gilt nun eigentlich, das was der eine, oder das, was der andere sagt? Ich möchte Sie einmal fragen, meine Damen und Herren von der SPD: Woran sollen wir uns eigentlich halten, wenn wir in einer solchen Debatte hier in dem vollen Bewußtsein der Verantwortung der Opposition unsere Bedenken vortragen? Gilt das, was der Außenminister sagt, der unsere Bedenken ernst nimmt, sie zur Kenntnis nimmt und uns zusagt, sie in die Verhandlungen einzufügen, oder gilt das, was andere Diskussionsteilnehmer hier ausführen, insbesondere das, was Sie, Herr Kollege Jahn, hier in diesem Hause gesagt haben?
({4})
Ihre Äußerungen, Herr Jahn, haben mir eines ganz deutlich gemacht: Sie persönlich haben hier über jeden Zweifel erhaben dargestellt, daß Sie an einer Gemeinsamkeit mit der Opposition in den wichtigen Fragen der Außenpolitik überhaupt kein Interesse haben.
({5})
Sie sind hier aufgetreten und haben von uns verlangt, daß wir erstens einmal rückwirkend für den heutigen Tag und für alle Zukunft Kritik an Ihrer Politik zu unterlassen haben, daß wir Ihre Ziele inhaltlich und in der Durchführung zu bejahen haben und daß wir dann vielleicht die Rolle erfüllen, die einer Opposition in außenpolitischen Fragen angemessen ist. Ich frage Sie, Herr Jahn: Würden Sie vielleicht die Güte haben - ({6})
- Ich habe Ihnen sehr genau zugehört, Herr Jahn, und ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß wir in verschiedenen Gesprächen miteinander doch wohl voneinander den Eindruck gewonnen haben, daß wir Worte ernst meinen, wenn wir sie aussprechen. Ich möchte Sie einmal fragen, Herr Jahn: Haben Sie einmal einer außenpolitischen Diskussion im britischen Unterhaus oder im amerikanischen Senat oder im Repräsentantenhaus in Amerika beigewohnt? Haben Sie einmal zugehört, wenn sich der Senator Henry Jackson zum Beispiel mit dem Außenminister Kissinger über den Charakter der Entspannungspolitik auseinandersetzt? Gibt es denn da nicht genau das, was wir hier auch versuchen: Warnung vor den möglichen Gefahren, Aufforderung an die Regierung, die Warnung einzubringen in die Politik, sich geradezu auf diese Warnung zu stützen,
({7})
um den notwendigen langen Atem zu haben, den man braucht, wenn man in diesem schwierigen Geschäft Erfolge erzielen will?
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?
Bitte schön!
Wenn Sie schon meinen, die Frage hier so umdrehen zu müssen, Herr Kollege Kiep, dann kann ich Ihnen jetzt die Frage nicht ersparen, die ich deutlich machen wollte: Was ist nun eigentlich die Außenpolitik der Opposition, das, was wir heute morgen bei Herrn Stücklen gelesen haben, oder das, was hier in verschiedenen Debattenbeiträgen mit sehr unterschiedlichen Nuancen gesagt worden ist? Was ist die Außenpolitik der Opposition? Diese Frage beantwortet zu bekommen war ein Versuch, der bisher nicht gelungen ist - das gebe ich zu -; aber das liegt ja wohl nicht an mir.
({0})
Verehrter Herr Jahn, ich bin Ihnen für Ihre Frage außerordentlich dankbar, und ich würde Sie bitten, sich in Debatten in diesem Hause heute und in Zukunft an das zu halten, was hier von diesem Platz aus vorgetragen wird, und nicht Redner der Opposition dazu zu zwingen, daß sie nun anfangen, ihrerseits das hier vorzutragen, was Ihre Parteifreunde draußen im Lande sagen.
({0})
Ich könnte Ihnen hier ohne weiteres Zitate Ihres Parteifreundes Osswald zur Deutschlandpolitik und zum Grundvertrag bringen.
({1})
Ich tue dies nicht; wir haben hier keinen Wahlkampf.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Jahn?
Bitte schön!
Ist Herr Stücklen stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ja oder nein?
Sie sagen es, Herr Jahn.
Ich glaube, daß es notwendig ist, daß wir uns doch darüber klarwerden, daß Gemeinsamkeit in der Außenpolitik als erstrebenswertes Ziel das Zuhören voraussetzt und die Bereitschaft, das, was die Opposition hier vorträgt, zur Kenntnis zu nehmen und auch in die eigenen Überlegungen mit einzubeziehen. Deshalb erscheint es mir am Schluß der Debatte doch wichtig, etwas zu sagen zum Verständnis der heutigen Lage, zum Stand der Entspannungspolitik im allgemeinen und insbesondere auch zur Definition dieses ja leider nicht nur zwischen Ost und West unterschiedlich ausgelegten Begriffs.
Entspannungspolitik muß nach meiner Überzeugung, wenn Worte überhaupt noch einen Sinn haben, den Abbau von Spannungen, von Spannungsursachen bewirken, schrittweise, Zug um Zug, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit, der Gleichwertigkeit und der Unwiderruflichkeit der ZugeKiep
ständnisse. Diese besondere Herausforderung besteht darin, die Realität des Ost-West-Gegensatzes, die wir zur Kenntnis nehmen müssen, in Einklang zu bringen mit dem Imperativ der Koexistenz. Dies heißt, daß Entspannungspolitik nicht nur eine Frage der Bereitschaft des guten Willens ist.
Das bedeutet weiter, meine Damen und Herren, daß in dieser Stunde noch völlig offen ist, ob dieser Versuch am Ende zu mehr oder weniger Spannung führt. Für uns an der Nahtstelle zwischen Ost und West, eine Nation, die in zwei Staaten voneinander getrennt leben muß, mit der offenen Flanke Berlin, heißt dies, daß Entspannungspolitik auch die Festigkeit, die Kraft und die Standfestigkeit beinhalten muß, Spannung, Rückschlag und auch Stillstand ertragen zu können.
Wir fordern deshalb eine illusionslose Darstellung der wirklichen Lage. Denn wie können wir von unserem Volk Bereitschaft und Verständnis für langen Atem, für Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft und für das Ertragen von Spannungen erwarten, wenn wir die Menschen glauben machen, Entspannung sei allein eine Sache des
guten Willens, Bereitschaft zu verhandeln, der Bereitschaft, Realitäten, die entstanden sind, anzuerkennen?
Wenn wir uns auf dieser Grundlage gemeinsamer Standfestigkeit finden könnten, wäre die Hoffnung berechtigt, daß wir in Deutschland und Europa die Entspannungspolitik tatsächlich zum Erfolg führen können.
Die Bedrohung nämlich, meine Damen und Herren,
die vor 25 Jahren zur Gründung der Nordatlantischen Allianz geführt hat, hat im Grunde genommen nicht nachgelassen. Sie hat zwar ihren Charakter geändert; sie ist subtiler geworden, sie ist von direkter militärischer Drohung in eine politische Bedrohung verwandelt. Die Sowjetunion versucht heute, ihre militärische Überlegenheit in politische Einflußnahme umzusetzen. Darin besteht die neuartige, aber nicht minder gefährliche Bedrohung, der wir uns heute hier gegenübersehen. Deshalb muß der Westen nach meiner Überzeugung eben auf beides gefaßt sein: auf Entspannung wie auch Spannung.
Eines ist auch ganz sicher, und keiner in der Opposition hat jemals hier in diesem Hause den Vorschlag gemacht: Wir Deutschen können aus diesem Zug nicht aussteigen.
({0})
Wir können nicht nationale Alleingänge unternehmen, und wir können als Deutsche sicherlich eines nicht tun, was ja von vielen gelegentlich gefordert wurde: Wir können nicht neutral werden, wir können in dieser Lage der Welt nicht Schweiz spielen.
Die Darstellung des weltpolitischen Hintergrunds, unserer Grenzen und Möglichkeiten wäre unvollständig, wenn wir uns nicht auch die Mühe machten, uns einmal illusionslos die Doppelstrategie des Ostens vor Augen zu führen. Die unverminderten
Rüstungsanstrengungen haben doch einen Grund und einen Sinn.
({1})
Diese Doppelstrategie beinhaltet den Ausbau der militärischen Überlegenheit durch unverändertes Rüstungstempo und gleichzeitig Verhandlungen über wirtschaftliche Zusammenarbeit auf allen Gebieten. Hinzu kommen die bilateralen Bemühungen mit den Vereinigten Staaten, der Versuch, das Verhältnis zu den USA sektoral zu verbessern, Übereinstimmung im militärstrategischen Bereich zu erzielen, aber gleichzeitig auch die Vereinigten Staaten militärstrategisch einzuholen und - wenn möglich - auch zu überholen.
Diese sowjetische Verhandlungsstrategie unterliegt offensichtlich gewissen Schwankungen. Ich könnte mir denken, daß auch sowjetinterne Diskussionen dabei gelegentlich eine Rolle spielen.
Vor dem Hintergrund dieser weltpolitischen Lage bietet Europa aber, wie ich meine, ein erschreckendes Bild. Ich meine auch die Lage Europas muß doch in einer Diskussion um die künftige Verhandlungsposition unseres Landes in Genf hier ein Thema sein.
Die Unfähigkeit Europas, sich angesichts wachsender Bedrohung zu einer gemeinsamen Außen-und Wirtschaftspolitik zusammenzuschließen, die nach wie vor ungeklärte Frage der notwendigen Zusammenfassung und Stärkung im Bündnis, die in vielen Punkten noch ungeklärten Beziehungen zwischen den USA und Europa, weit entfernt von der von uns allen angestrebten Partnerschaft, die Ratlosigkeit der europäischen Regierungen gegenüber der existenziellen Bedrohung durch die 01- und Währungskrise, - dieses Bild, meine Damen und Herren, scheint mir doch nicht dazu angetan zu sein, die vielleicht vorhandene sowjetische Bereitschaft zu Zugeständnissen zu aktivieren. Im Gegenteil! Es ist doch geradezu zu befürchten, daß, falls es eine Diskussion über die Westpolitik in Moskau gibt, die politische und wirtschaftliche Impotenz Europas und die Schwierigkeiten Amerikas zu einer verhärteten Haltung der Sowjetunion beitragen,
({2})
wie wir sie ja in der Tat auch heute in Wien, in Genf und in und um Berlin zur Kenntnis nehmen müssen. Wir Deutsche sind doch schließlich die Teilnehmer an der KSZE, die am unmittelbarsten in ihrer nationalen Existenz von den Ergebnissen dieser Konferenz - im Guten wie im Bösen - betroffen sind.
Die Teilung Deutschlands, die Lage Berlins, die Verpflichtung, für das Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen einzutreten, aber auch die Selbstbehauptung der Bundesrepublik Deutschland, unsere Fähigkeit, frei von Einfluß von außen, frei von Druck oder Drohung Dritter unsere Politik nach eigenem Ermessen gestalten zu können, alles dies ist, meine
Damen und Herren, mit in die Thematik von Genf eingebunden.
Die Offenhaltung der deutschen Frage - de jure und de facto - steht mit auf dem Spiel. Wir haben bei den Ostverträgen und beim Grundvertrag unsere Interpretationen hierzu abgegeben - im Bundestag am 17. Mai, durch das Verfassungsgericht am 1. August sowie durch Erklärungen der Bundesregierung, auch durch den Bundesaußenminister. Die andere Seite hat unsere Interpretationen zurückgewiesen und eigene ausgegeben. Sie spricht davon, daß die deutsche Nation untergegangen sei; so die DDR. Es gibt also hier - das haben verschiedene Redner schon klargemacht - einen Dissens, eine unterschiedliche Auslegung.
Außenminister Genscher hat vor der UNO in anerkennenswerter Weise den deutschen Standpunkt dargelegt, jetzt geht es aber in Genf um eine Vereinbarung zwischen Ost und West, von der die andere Seite nach eigener Aussage eine endgültige europäische Friedensordnung erwartet. Wir denken aber unsererseits an einen ersten Schritt, an eine Vereinbarung über das, was im Augenblick unter Wahrung und Offenhaltung aller der Standpunkte möglich ist, die für uns unverzichtbar sind.
Hier ist der reine Wortlaut der Antwort der Bundesregierung auf den ersten Blick zwar befriedigend, aber die Frage muß doch auch hier zum Schluß gestellt werden: Wie dick ist eigentlich das Eis, auf dem wir hier stehen, wie ausgewogen und wie ausgebaut ist eigentlich die politische Infrastruktur Europas zum jetzigen Zeitpunkt? Und - die Frage an uns selber Wie ausdauernd sind wir selber, wenn es um die schon erwähnte Kraft des langen Atems, der Standfestigkeit geht, unseren Standpunkt zur Geltung zu bringen und einseitigen Auslegungen der anderen Seite - während der Verhandlungen und vor allen Dingen nach Unterzeichnung der Verträge und der Erklärungen - entschlossen genug entgegenzutreten?
Die Veränderungen des Ost-West-Verhältnisses, der Abbau von Spannungen, meine Damen und Herren, sind doch nun mit Sicherheit nicht in einem Turmbau der Dissense zu erreichen. Dissense, die in einer Phase der Abschlüsse von Modusvivendi-Verträgen hingenommen wurden, dürfen doch nun nicht in einer multilateralen Phase potenziert werden.
({3})
Der Formel der peaceful change, der Möglichkeit der friedlichen und einvernehmlichen Grenzänderung, kommt deshalb für uns Deutsche besondere Bedeutung zu. Und wir fragen: Wie sieht diese Formel konkret aus, welche Elemente beinhaltet sie, bei welchem Prinzip im Katalog wird die Formel von der Möglichkeit der friedlichen Grenzänderung angehängt? Beim Unverletzlichkeitsprinzip der Grenzen, bei der Formel von der territorialen Integrität, bei der Formel von der souveränen Gleichheit oder wo sonst?
Wir fordern die Gleichwertigkeit der Prinzipien untereinander und ihren unauflöslichen sachlichen und politischen Zusammenhang. Die Sowjetunion
hat bisher immer davon gesprochen, daß sie eine unterschiedliche Wertigkeit der Prinzipien sieht, an deren Spitze die Wertskala der Unverletzlichkeit der Grenzen zu stehen hat. Daraus ergibt sich doch für uns zwangsläufig die Frage: Ist die Sowjetunion bereit, die Prinzipien lediglich entsprechend ihrer unterschiedlichen Bedeutung zu befolgen, lehnt sie damit unsere Forderungen nach Gleichwertigkeit und nach dem inneren Zusammenhang ab? Dies wäre für uns in der Tat ein ganz entscheidender Rückschlag.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage keine Auskunft gegeben, aber der Außenminister hat heute morgen in seiner Einlassung hier Ausführungen gemacht, die bei nächster Gelegenheit im Auswärtigen Ausschuß sicherlich noch vertieft werden können.
Ähnlich wie die Problematik um die friedliche Veränderung von Grenzen hat nach meiner Überzeugung die Frage der Thematik des Korbes 3, Freizügigkeit, einen unmittelbaren und direkten Bezug zur deutschen Wirklichkeit.
({4})
Was für andere Teilnehmer der Konferenz in Genf nur begrenztes, vielleicht eher akademisches Interesse erweckt, ist für uns nichts anderes als dramatische Realität.
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Deshalb bin ich der Meinung, daß Freizügigkeit, freer movement, für Menschen, Informationen und Meinungen für uns das Herzstück der Entspannungspolitik überhaupt ist. Weniger euphemistisch als der Hinweis wie er manchmal gebracht wird und wie es Herr Bangemann heute in der Debatte ebenfalls dargestellt hat , daß die Spannung in Europa auf Grund unterschiedlicher Gesellschaftssysteme entstanden sei, scheint mir doch die Wahrheit näher an der Feststellung zu liegen, daß der Grund für die Spannungen im wesentlichen in dem Gefälle zwischen Freiheit und Unfreiheit zu sehen ist, das in Europa heute noch existiert.
({6})
Deshalb erscheint es uns lebensnotwendig, auf diesem Gebiet Fortschritte zu erzielen.
({7})
Das erscheint uns von vorrangiger Bedeutung. Herr Bangemann, wir wissen doch genausogut wie Sie, daß wir nicht von heute auf morgen etwa die Regierung des anderen Staates Deutschlands zur totalen Selbstaufgabe oder zu einer Kapitulation veranlassen können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bangemann?
Herr Leisler Kiep, ich nehme gar nicht an, daß Sie mich mißverstanden haben, aber ich bitte Sie doch um die Bestätigung
dessen, daß der wesentliche Unterschied der beiden Gesellschaftssysteme eben darin liegt, daß im Westen und im Osten ein unterschiedliches Maß von Freiheit herrscht. Nichts anderes habe ich gesagt.
Herr Bangemann, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Klärung. Sie grenzen sich damit gegenüber denjenigen nicht in diesem Hause
ab, die gelegentlich so tun, als ob die Spannung zwischen Ost und West lediglich darauf zurückzuführen sei, daß die Produktionsmittel im Osten in der Hand des „Volkes" und im Westen in der Hand einzelner sind. Dies wollte ich bei der Gelegenheit nur einmal gesagt haben.
({0})
Wir können, wenn wir uns über Fortschritte in dieser Frage unterhalten, natürlich nicht verschweigen - das muß auch heute in dieser Debatte gesagt werden , daß es Anlaß zur Skepsis gibt. Denn, meine Damen und Herren, einer der Teilnehmer an der Konferenz in Genf - das muß hier zum Ausdruck kommen -, nämlich die DDR, hat ungeachtet abgeschlossener Verträge und ohne Rücksicht auf die Inhalte von Korb 3, die zur Zeit in Genf mit ihrer Teilnahme diskutiert werden, durch einen internen Verwaltungsakt, durch die Verdoppelung der Geldumtauschquote für Besucher, bereits vereinbarte Freizügigkeit rückgängig gemacht.
({1})
Dies macht es uns nach unserer Überzeugung einfach zur Pflicht, darauf hinzuweisen, daß diese Problematik mit in unsere Verhandlungsposition in Genf eingeführt werden muß. Wir müssen uns doch diese Erfahrung zu eigen machen und dafür sorgen, daß sich dieses Ereignis und Erlebnis nicht wiederholt. Die DDR hat ganz offen durch ihre Verdoppelung der Geldumtauschquote die in Genf diskutierten Prinzipien in einer Weise präjudiziert, die uns ein Recht zu großer Skepsis gibt; ganz abgesehen von der Tatsache, daß sie durch die Verdoppelung der Geldumtauschquote in der Tat bereits den Geist und den Inhalt abgeschlossener Verträge verletzt hat.
In gewisser Weise wird hierbei auch - dieser Hinweis scheint mir notwendig zu sein - die Definition des Begriffs Entspannung mit in die Debatte einbezogen. Ich glaube, es wäre nützlich, sich zu vergegenwärtigen, daß es in den Vereinigten Staaten selbst eine lebhafte Debatte über die Definition des Begriffes Entspannungspolitik gibt.
({2})
Es ist also nicht so, daß nur eine Opposition, die ständig aus allgemeiner Ablehnung einer bestimmten Politik Schwierigkeiten machen will, dieses Thema anschneidet, sondern es handelt dabei um eine große Diskussion im Westen, von deren Ausgang abhängen wird, wie sich die Entspannungspolitik in Zukunft im Westen entwickelt.
({3})
Ich meine, daß deshalb diese Debatte auch der Platz ist, dies offen auszusprechen. Was passiert denn, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wenn z. B. Bürger eines sozialistischen Landes die angekündigte Bewegungsfreiheit nutzen wollen, bei Stellung entsprechender Anträge aber mit Sanktionen der Behörden rechnen müssen und dann vielleicht aus Furcht vor Strafe diesen Antrag gar nicht erst stellen?
({4})
Entspannungspolitik, die sich in Abmachungen zwischen Regierungen erschöpft, die Mandats-, Wirtschafts-, Kultur- und Sportbeziehungen verbessert und ermöglicht, die möglicherweise auch Rüstungsbegrenzungs- und Truppenreduzierungsverhandlungen initiiert, ist allein nicht ausreichend, d i e qualitative Veränderung herbeizuführen, die imstande ist, das Schicksal der betroffenen Menschen zu verbessern.
Und mit einer Kabinettspolitik im Stile des 19. Jahrhunderts -- ich zitiere hier amerikanische Stimmen, die eine gewisse Kritik gegenüber der eigenen Regierung beinhalten - über die Köpfe der
Menschen hinweg ist das brennende Problem der Freizügigkeit nicht befriedigend lösbar. Freizügigkeit für Staatsfunktionäre allein, meine Damen und Herren, ist nicht die Freizügigkeit, die wir meinen.
({5})
Heute ist hier zu Recht darauf hingewiesen worden, daß wir uns im nordatlantischen Bündnis -- z. B. in der Griechenland-Frage -- nicht genügend um diese Aspekte, nämlich um die Menschen und ihre Stimmen, gekümmert haben. Ich bin der Ansicht, daß das auch für die Diskussion gilt, die wir hier zu führen haben, wenn es um die Frage geht: was ist der wirkliche Inhalt von Entspannungspolitik?
Henry Kissinger - heute schon öfter zitiert - hat am 19. September 1974 folgende Ausführungen gemacht, die ich hier doch gern noch einmal für das Protokoll zitieren möchte, weil sie mir bedeutungsvoll erscheinen:
Was den uralten Antagonismus zwischen Freiheit und Tyrannei angeht, so sind wir nicht neutral. Aber andere zwingende Notwendigkeiten erlegen unserer Fähigkeit Grenzen auf, innere Veränderungen in anderen Ländern zu bewirken. Das Bewußtsein unserer Grenzen entspringt der Erkenntnis der Notwendigkeit des Friedens, nicht moralischer Gefühllosigkeit. Die Erhaltung des menschlichen Lebens
und der menschlichen Gesellschaft sind auch
Werte. Wir müssen reif genug sein, um zu erkennen, daß eine Beziehung, wenn sie stabil sein soll, beiden Seiten Vorteile bieten muß und daß die konstruktiven internationalen Beziehungen jene sind, in denen beide Beteiligte ein Element des Gewinns sehen.
Meine Damen und Herren, auch wir sehen die Notwendigkeit langfristiger Betrachtung. Dies schließt aber gerade ein, daß ständig Fortschritte für die Menschen erstrebt werden müssen und daß
eben die Rücknahme gemachter Zugeständnisse wie im Falle der DDR einfach nicht hingenommen werden darf.
({6})
Der Osten hat nicht nur Rechte erhalten; er hat Pflichten übernommen, die er einhalten muß.
({7})
Und wenn ich vorhin von unseren Sorgen über die politische Infrastruktur des Westens sprach, so muß ich hier auch noch einmal auf folgendes verweisen, was auch in die Thematik der Absicherung der westlichen Position bei der KSZE in Genf zwingend hineingehört. Wenn die Handlungsunfähigkeit Europas die sowjetische Haltung in Genf, in Wien und auch bei dem bevorstehenden Besuch des Bundeskanzlers in Moskau beeinflußt, darf die Erkenntnis nicht fehlen, daß diese Handlungsunfähigkeit auch entscheidenden Einfluß auf die zukünftige Orientierung der amerikanischen Außenpolitik haben wird. Dies gilt besonders für die Aufrechterhaltung eines andauernden Engagements der USA in Europa, ohne das Europa der erweiterten politischen Einflußnahme des Ostens anheimfallen würde.
Die Bundesregierung sollte sich hier nicht, wie es einige Sprecher in den letzten Wochen immer wieder geäußert haben, damit zufriedengeben, daß in den USA alles so weitergehen werde wie bisher. Initiativen von Europa aus in Richtung auf Schaffung einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik als Grundlage für die Partnerschaft zwischen Europa und den USA sind einfach die Voraussetzung, von der es mit abhängt, ob sich in den USA die Hinwendung zu inneren Fragen, zu einem politischen, wirtschaftlichen und militärischen Autarkiedenken verstärken wird oder ob auch in Zukunft Politiker in den Vereinigten Staaten die Unterstützung ihres Parlaments und ihrer öffentlichen Meinung für eine atlantische Politik finden werden. Ich darf hinzufügen, daß die außenpolitische Komponente eines amerikanischen Autarkiestrebens - in den Bereichen der Außen-, der Wirtschafts-und der Verteidigungspolitik - zwangsläufig zu einer Verstärkung des Bilateralismus zwischen der Sowjetunion und Amerika führen muß und daß damit die Einbringung unserer Anliegen in die Ost-West-Politik der beiden Supermächte immer mehr an Boden und Möglichkeiten verliert.
Dies gilt auch für die Überwindung der riesigen Gefahr eines Zusammenbruchs unseres Währungssystems im Zusammenhang mit der Entwicklung der Rohstoffpreise. Ich wundere mich, daß heute von der Regierung zu diesem Thema nichts gesagt wurde. Denn auch das ist doch ein Teil der Infrastruktur, auf der wir stehen. Ich brauche doch nur an die Kommentare zu erinnern, die wir mit einem gewissen hoffnungsfrohen Unterton aus Moskau, aus Ost-Berlin und aus anderen Hauptstädten des Ostens zur Kenntnis nehmen dürfen. Hier sieht man doch jetzt - allerdings mit großer Verspätung - die Götterdämmerung des Kapitalismus kommen, auf die man seit 50 Jahren wartet. Deshalb darf doch auch diese sich hier bei uns zeigende Schwäche nicht nur beklagt werden, sondern muß Gegenstand
für eine aktive Politik der Behebung dieser Schwierigkeiten sein.
({8})
Die Bundesregierung muß sich hier die Kritik gefallen lassen - ich bedauere, zu dieser späten Stunde noch so ernste Fragen anschneiden zu müssen -, daß sie nach dem, was sie uns bisher erklärt hat, weder in Washington noch in Europa das Äußerste getan hat, um eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Sie hat nach meiner Überzeugung und nach meinem Eindruck auch unserem Volk die Probleme nicht zutreffend geschildert. Der nationale Alleingang der deutschen Regierung - auch mit Devisenreserven - ist nicht imstande, mit den Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, fertig zu werden. Wer dies heute vorgibt - in Paris, in London oder in Bonn -, nämlich mit nationalen Bordmitteln mit den vor uns liegenden Wirtschafts-und Währungsschwierigkeiten fertig werden zu können, ist nach meiner Überzeugung ein politischer Hochstapler.
Die bisherige Europapolitik trägt dieser Lage nach meinem Eindruck nicht ausreichend Rechnung. Ich glaube, daß die Zeit für Europa zu weit fortgeschritten, daß die Lage in Europa wirklich zu ernst ist, um es zu gestatten, daß man sich hier vor den eigenen Bürgern mit Kraftakten auf der europäischen Bühne profiliert. Ich meine viel eher, daß die Lage, in der wir uns befinden, den Einsatz aller Mittel und Möglichkeiten für Europa fordert, damit wir mit diesen drohenden politischen und wirtschaftlichen Fragen fertig werden, indem wir zu einer gemeinsamen Politik finden.
Dies gehört nach meiner Überzeugung auch zu dem Hintergrund der KSZE, über die wir hier heute diskutieren. Wir alle von der CDU/CSU - um auch dies einmal deutlich zu sagen - sehen natürlich diese KSZE als eine Etappe auf einem langen und schwierigen Weg. Wir fordern die Bundesregierung auf, über die Tagespolitik hinaus alle Möglichkeiten einzusetzen, um zu einer gemeinsamen europäischen Strategie in den lebensbedrohenden Fragen unserer Zeit zu kommen. Der gegenwärtige Zustand unseres Kontinents ist nämlich nicht auf die Schwäche des europäischen Gedankens zurückzuführen, sondern er ist einzig und allein die Addition der nationalen Schwächen der europäischen Regierungen.
({9})
Hier liegt nach unserer Überzeugung der Schlüssel zur Grundlage für eine erfolgversprechende, ich möchte sagen, für eine allein erfolgversprechende verständigungsbereite Entspannungspolitik des langen Atems. Solide Westpolitik ist und bleibt die unabdingbare Voraussetzung für diese erfolgreiche Entspannungspolitik. Dies gilt ganz besonders für die Verhandlungen der KSZE in Genf, über die wir heute eine Zwischenbilanz zu ziehen versucht haben.
Trotz des unbefriedigenden Verlaufs des zweiten Toils der Debatte möchte ich in der Hoffnung schließen, daß diejenigen, die sich hier aus dem Regierungslager für mehr Gemeinsamkeit in der AußenKiep
politik ausgesprochen haben, endlich zur Kenntnis nehmen, daß die Opposition unter voller Wahrung ihrer Sorgen, ihrer Kritik und ihrer Standpunkte zu dieser Gemeinsamkeit bereit ist, daß sie bereit ist, hier mitzuwirken, wenn die Argumente, die Bedenken, die Kritik und die Sorgen mit einbezogen werden in die Lagebeurteilung und in das Handeln der Bundesregierung. Ich sage dies mit diesem Ernst, weil hier eine Reihe von Beiträgen geliefert wurden, die diesen notwendigen Eindruck, ja, die diese notwendige Voraussetzung für eine künftige Gemeinsamkeit in Schicksalsfragen unseres Landes völlig vermissen lassen.
({10})
- Ich glaube, daß der Herr Bundeskanzler - und ich möchte mich hier, leider ist er nicht mehr da, seinem Urteil voll und ganz anschließen -- dem Beitrag des Kollegen Zimmermann, der sich hier besonders mit einer Darstellung der Kräftesituation zwischen Ost und West befaßt hat, weitgehend zugestimmt hat. Ich möchte Ihnen, Herr Corterier, nachdem Sie jetzt wieder versuchen, das alte Spiel zu treiben doch einmal eines sagen: Unterziehen Sie doch nicht die CDU/CSU, wenn sie hier aus objektiver Sorge und aus ehrlichem Bemühen Beiträge zur deutschen Politik aus der Opposition heraus leistet, dem Wechselbad dieses billigen Spiels, das Sie hier treiben. Wenn wir hier den gemeinsamen Nenner suchen sollten, Herr Corterier, zwischen dem, was einige Ihrer Redner aus der SPD und von der Regierungsbank gesagt haben, dann kann ich nur sagen, dieser gemeinsame Nenner wäre ein sehr geringer, er wäre ohne jede Substanz; denn es hat hier zu unserer Aussage in unserer Anfrage, zu der Rede des Kollegen Marx, zu der Rede des Kollegen Mertes und zu der Rede des Kollegen Zimmermann im Grunde genommen keine Einlassung der Regierungskoalition gegeben, die diese Einwände, diese Sorgen und die diese Anregungen hätte entkräften können.
({11})
Meine Damen und Herren, zum Schluß darf ich Sie bitten, der Überweisung des Entschließungsantrags der Fraktion der CDU/CSU, der hier vorliegt, an den Auswärtigen Ausschuß, den Wirtschaftsausschuß und den Innerdeutschen Ausschuß zuzustimmen.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht und Aufgabe, zu dieser späten Stunde diese Debatte fortzusetzen. Die vorgelegte Entschließung der Opposition bedarf aber einiger Marginalien; denn, Herr Kiep, wir sehen einen absoluten Gegensatz zwischen dem, was Sie in Ihren letzten Sätzen gesagt haben, und dem, was in dieser Entschließung steht.
({0})
Es ist sicher außergewöhnlich, wenn ein Parlament in einer so schwierigen Verhandlungsphase, wie sie gegenwärtig in Genf läuft, die Probleme einer Konferenz diskutiert, an der 35 Staaten teilnehmen. Dann kann eine solche Diskussion nur einer Bestandsaufnahme dienen. In dem, was der Herr Kollege Marx am Anfang gesagt hat, hat er zumindest anerkannt, daß die Bundesregierung sich von ihrer Position aus um eine umfangreiche Darlegung bemüht hat.
Nun gehen wir ja beide, Regierungsparteien und Opposition, von unterschiedlichen Ausgangspositionen her in diese Debatte. Wir als Regierungsparteien wollen wissen: Entspricht die Verhandlungsführung der Bundesregierung in Genf der Regierungserklärung der sozialliberalen Koalition? Und hier darf ich für die Fraktionen den Dank an die Bundesregierung aussprechen.
({1})
Die Bundesregierung hat dort so verhandelt, wie es dem Ziel der Entspannungspolitik entspricht. Die Opposition muß von einer ganz anderen Position an diese Diskussion herangehen. Für Sie heißt Bestandsaufnahme: Wann findet die Opposition die Stunde, um endlich einmal mit der politischen Realität der Weltpolitik übereinzustimmen? Das ist Ihr Problem.
In der Entschließung gibt es zwei Punkte, die uns heute, wenn Sie auf einer Abstimmung in der Sache bestanden hätten - es reichte bei Ihnen aber wieder einmal nicht aus - veranlassen würden, diese Entschließung abzulehnen. Die Diskussion um den Schießbefehl wir spüren dies draußen - soll ja immer den Eindruck erwecken, als ob wir gegen die Aufhebung des Schießbefehls seien,
({2})
als ob wir diesem Problem zumindest aber einen zu geringen Rang einräumten. Dies mußte ich doch Ihren Ausführungen entnehmen.
({3})
Die Wirklichkeit ist - deshalb sind Sie ja in der Deutschlandpolitik nicht weitergekommen -, daß Sie die Aufhebung des Schießbefehls als Voraussetzung für Verhandlungen angesehen haben. Dies würde in der Tat die Agonie der Nation bedeuten.
({4})
Dies ist also der Punkt, wo wir ihre Politik des kalten Krieges nicht fortsetzen können.
Ein Zweites. Unter Ziffer 3 findet sich der Satz:
Das allgemeine Völkerrecht darf nicht zugunsten eines sowjetisch geprägten regionalen Völkerrechts in Europa zurückgedrängt werden.
Wir haben heute einiges über Prinzipien amerikanischer Verhandlungen gehört. Ich staune immer nur darüber, daß man meint, alle Staaten des Westens, alle neutralen Staaten hätten ein so geringes Selbst8420
bewußtsein, daß sie bereit wären, sich die Prinzipien des sowjetischen Völkerrechts in Genf aufdrängen zu lassen. Wo ist hier eigentlich das Selbstbewußtsein demokratischer Staaten? Viel eher sehe ich hier einen anderen Zusammenhang - dies ist ein entscheidender Grund, weshalb wir mit dieser Resolution nicht übereinstimmen -: Von diesem Satz ist es nur ein ganz kleiner Schritt bis hin zu dem Satz, den wir im Augenblick alltäglich in Bayern hören, vor allem vom CSU-Vorsitzenden Strauß, daß diese Regierung der Sachwalter sowjetischer Interessen geworden sei. Dies ist Ihre Koppelung. Von dort aus ist es dann auch nur ein kleiner Schritt bis hin zur Unterstellung des kalten Staatsstreiches durch die Ostverträge.
Sie haben mit dieser Entschließung hier heute eine ganz große Chance vertan, denn es gab durchaus Ansätze einer anderen Diskussion, als wir sie in den letzten vier Jahren in diesem Hause hatten. Ich möchte Ihnen nur sagen, da Ihnen dieser Weg in Richtung Bestandsaufnahme heute nicht gelungen ist: Am kalten Krieg wird sich niemand mehr erwärmen, niemand in Europa und niemand in diesem Land, und Sie fangen schon an, mit diesem kalten Krieg in diesem Hause selber zu frieren. Ihre Stunde des 30. Juni 1960 wird mit Sicherheit kommen.
({5})
Herr Kiep, Sie sprechen immer von Enttäuschungen im Zusammenhang mit der Ostpolitik. Sicher, es gibt viele einzelne Punkte, über die man sprechen kann. Man müßte im Einzelfall jeweils sagen, warum es zu langsam vorangeht. Die Grundfrage können Sie aber nicht bejahen. Niemand in Europa, niemand in der Welt will in die Zeit der Jahre vor 1969 zurück. Dies ist es, was Sie überhaupt nicht begreifen wollen.
({6})
Wer zu den Verträgen ja sagt oder wer - wie Herr Kohl sagt, die Verträge seien heilig, darf nicht nur die Verträge akzeptieren; wenn Sie mit uns Außenpolitik betreiben wollen, müssen Sie vielmehr in die politische Realität dieser Verträge eintreten
- und dem haben Sie sich heute verweigert.
({7})
- Mit dieser Entschließung haben Sie sich ja wieder in die alten Positionen zurückbegeben.
({8})
- Ihre ganzen Probleme mit dem Kanzlerkandidaten bestehen doch darin, daß Sie keinen Politiker haben, der fähig ist, die Union auf eine Linie zu zwingen. Das ist Ihr Problem.
({9})
Dies ist auch heute wieder sichtbar geworden.
Wir werden über diese Entschließung in den Ausschüssen diskutieren.
({10})
An einer Fortschreibung des kalten Krieges werden wir uns mit Lieferung der Tinte nicht beteiligen.
({11})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache über die Große Anfrage.
Uns liegt der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2673 vor. Die an-tragstellende Fraktion hat beantragt, diesen Entschließungsantrag an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - sowie an den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen - mitberatend - zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 14. August 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Haiti über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 7/2398 Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({0})
- Drucksache 7/2618 Berichterstatter: Abgeordneter Breidbach ({1})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht begehrt.
Wir verbinden die Abstimmung in zweiter Beratung mit der Schlußabstimmung. Wer in der Schlußabstimmung dieser Vorlage zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. Oktober 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 7/1978 Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({2})
- Drucksache 7/2624 Berichterstatter: Abgeordneter Junghans ({3})
Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe in der zweiten Beratung Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht begehrt. Wir verbinden die Abstimmung in zweiter Beratung mit der Schlußabstimmung. Wer einverstanden ist, den bitte ich, sich zu erheben.
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die statistische Erfassung der in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbrachten festen Brennstoffe
- Drucksache 7/2350 Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({4})
- Drucksache 7/2625 Berichterstatter: Abgeordneter Wolfram ({5})
Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fail.
Ich rufe in der zweiten Lesung die §§ 1 bis 7 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe die
dritte Beratung
auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zum Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Erdöl, Erdölerzeugnissen oder Erdgas ({6})
- Drucksache 7/2461 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({7}) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Wird das Wort zur Einführung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wort Beratung wird ebenfalls nicht begehrt.
Der Ältestenrat hat Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung - vorgeschlagen. Jetzt wird mir mitgeteilt - ich glaube, das ist interfraktionell vereinbart -, daß auch der Rechtsausschuß mitberatend beteiligt werden soll. Ist das Haus einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 10 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964
- Drucksache 7/2580 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({8}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht begehrt.
Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Finanzausschuß - federführend - sowie an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Haushaltsausschuß - mitberatend -. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes
- Drucksache 7/2593
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({9})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Es wird vorgeschlagen, an den Innenausschuß - federführend - und an den Wirtschaftsausschuß sowie den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend - zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Abkommen vom 12. Juli 1974 zur Änderung des Abkommens vom 29. Oktober 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit
- Drucksache 7/2579 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. - Das Wort zur Beratung wird auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisung. Hier hatte der Ältestenrat vorgeschlagen, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - zu überweisen. Interfraktionell ist wohl darüber hinaus vereinbart worden, auch an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch; der Überweisung ist zugestimmt.
Ich rufe Punkt 13 auf:
Beratung der Sammelübersicht 27 des Petitionsausschusses ({10}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 7/2585 8422
Vizepräsident Frau Funcke
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Beschlußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Schröder ({11}), Leicht, Dr. Althammer, Vogel ({12}), Berger, Dr. Miltner, Lampersbach und der Fraktion der CDU/CSU betr. Auswirkungen neuer Gesetze auf den Arbeits- und Personalaufwand im öffentlichen Dienst
- Drucksache 7/2599 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Haushaltsausschuß - federführend - und an den Innenausschuß - mitberatend -. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung betr. Veräußerung des Flugplatzgeländes in Trier-Euren an die Stadt Trier;
hier: Erteilung der Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 BHO
- Drucksache 7/2583
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Haushaltsausschuß. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({13}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1974 bis 1977
- Drucksachen 7/1538, 7/2581 Berichterstatter: Abgeordneter Saxowski
Wird dazu das Wort gewünscht? Das ist nicht
der Fall. Wir kommen zur Beschlußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 17 bis 19 der Tagesordnung auf:
17. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft ({14}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten
Vorschlag einer Verordnung ({15}) des Rates
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung
eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte Aale der Tarifstelle ex 03.01 A II des Gemeinsamen Zolltarifs für 1975
Vorschlag einer Verordnung ({16}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte in der Arabischen Republik Ägypten raffinierte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen Zolltarifs
Vorschlag einer Verordnung ({17}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Arabischen Republik Ägypten
Vorschlag einer Verordnung ({18}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte Spinnfasern der Tarifnummer 56.04 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Zypern
Vorschlag einer Verordnung ({19}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Oberkleidung für Männer und Knaben der Tarifnummer 61.01 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Zypern
Vorschlag einer Verordnung ({20}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Baumwollgarne der Tarifnummer 55.05 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Malta
Vorschlag einer Verordnung ({21}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für synthetische und künstliche Spinnfasern der Tarifnummer 56.04 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Malta
Vorschlag einer Verordnung ({22}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Oberkleidung der Tarifnummer 60.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Malta
Vorschlag einer Verordnung ({23}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Oberkleidung für Männer und Knaben, der Tarifnummer 61.01 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Malta
Vorschlag einer Verordnung ({24}) des Rates zur vollständigen Aussetzung der Zollsätze für bestimmte industrielle Waren mit Ursprung in Malta
Vorschlag einer Verordnung ({25}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Portweine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Portugal
Vorschlag einer Verordnung ({26}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Madeira-Weine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Portugal
Vizepräsident Frau Funcke
Vorschlag einer Verordnung ({27}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Moscatel de Setubal-Weine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Portugal
Vorschlag einer Verordnung ({28}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Haselnüsse, frisch oder getrocknet, auch ohne äußere Schalen oder enthäutet, der Tarifstelle ex 08.05 G des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Türkei
Vorschlag einer Verordnung ({29}) des Rate r über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte in der Türkei raffinierte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen Zolltarifs ({30})
Vorschlag einer Verordnung ({31}) des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für bestimmte Textilerzeugnisse der Tarifnummer 55.05 und 55.09 sowie der Tarifstelle ex 58.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs mit Herkunft aus der Türkei ({32})
Vorschlag einer Verordnung ({33}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({34}) Nr. 350973 des Rates zur Eröffnung von Zollpräferenzen in Form von teilweisen Aussetzungen der Zollsätze für Fertigwaren aus Jute und Kokosfasern mit Ursprung in Indien und für Fertigwaren aus Jute mit Ursprung in Bangla-Desh bezüglich der Warenbezeichnung und der Laufzeit
Vorschlag einer Verordnung ({35}) des Rates zur zeitweiligen und vollständigen Aussetzung der in der Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung auf Einfuhren einiger Waren aus den neuen Mitgliedstaaten anwendbaren Zollsätze
Vorschlag einer Verordnung ({36}) des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Kolophonium, einschließlich „Brais résineux", der Tarifstelle 38.08 A des Gemeinsamen Zolltarifs für 1975
Vorschlag einer Verordnung ({37}) des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Zeitungsdruckpapier der Tarifstelle 48.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs ({38})
Vorschlag einer Verordnung ({39}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Weintrauben in unmittelbaren Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von
15 Kilogramm oder weniger, der Tarifstelle
08.04 B I des Gemeinsamen Zolltarifs ({40})
Vorschlag einer Verordnung ({41}) des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmtes Sperrholz aus Nadelholz der Tarifnummer ex 44.15 des Gemeinsamen Zolltarifs ({42})
- Drucksachen 7/2275, 7/2310, 7/2329, 7/2330, 7/2334, 7/2331, 7/2333, 7/2456, 7/2361, 7/2338, 7/2363, 7/2400, 7/2479, 7/2480, 7/2619
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Burgbacher
18. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft ({43}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission über die Gewährung allgemeiner Zollpräferenzen für die Ausfuhr von Halbfertigwaren der Kapitel 1 bis 24 des Gemeinsamen Zolltarifs und von Fertigwaren und Halbfertigwaren der Kapitel 25 bis 99 des Gemeinsamen Zolltarifs der Entwicklungsländer im Jahre 1975
- Drucksachen 7/2429, 7/2620 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Warnke
19. Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses ({44}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung ({45}) des Rates über die zolltarifliche Behandlung von Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft zurückkehren
- Drucksachen 7/2079, 7/2621 -Berichterstatter: Abgeordneter Schreiber
Es handelt sich um Anträge der Ausschüsse über Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaft. Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache? - Auch nicht. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir über alle Anträge gemeinsam abstimmen? - Kein Widerspruch.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die Ausschußanträge. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir, soweit ich das sehe, am Ende unserer für heute vorgesehenen Aufgaben.
Ich berufe das Haus auf morgen, Freitag, den 18. Oktober, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.