Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 13 der Tagesordnung - Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses - abgesetzt werden. Das Haus ist damit einverstanden? - Kein Widerspruch; so beschlossen.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vorn 24. September 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Evers, Dr. Schäuble, Tillmann, Frau Hürland, Spilker, Stücklen, Dr. Kraske, Weber ({0}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Wahrung der Belange des deutschen Sports - Drucksache 7/2437 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2567 verteilt.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend ({1})
- Drucksache 7/2305 Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Das Wort zur Begründung hat Herr Bundesminister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der Bundesregierung lege ich Ihnen den Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend vor. Der Gesetzentwurf ist ein wichtiges Teilstück unserer ständigen Bemühungen um eine humanere Arbeitswelt. Er verfolgt das Ziel, menschengerechte und menschenwürdige Arbeitsbedingungen auch für die 1,5 Millionen Jugendlichen zu schaffen, die im Berufsleben stehen. Wir wollen, daß die Jugendlichen nach modernen Erkenntnissen und Maßstäben an ihrem Arbeitsplatz geschützt sind. Zugleich soll der Gesetzentwurf dazu beitragen, den Jugendlichen die bestmögliche Ausbildung zu bieten.
Das geltende Jugendarbeitsschutzgesetz stammt noch aus dem Jahre 1960. Es ist seither nur geringfügig geändert. worden. Die Schutzvorschriften entsprechen daher nicht mehr den heutigen sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Eine Modernisierung und Weiterentwicklung hält die Bundesregierung daher für dringend geboten.
Den fortschrittlichen Ausbau des Jugendarbeitsschutzes haben wir bereits in ,den Regierungserklärungen vom 18. Januar 1973 und auch vom 17. Mai 1974 angekündigt. Mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfes erfüllt die 'Bundesregierung diese Zusage. Wir haben also auch hier Wort gehalten.
({0})
Bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes hat sich die Bundesregierung nicht damit begnügt, lediglich überholte Vorschriften zu novellieren. Vielmehr haben wir uns bemüht, ein in sich geschlossenes fortschrittliches Gesamtkonzept des Jugendarbeitsschutzes zu entwickeln. Unsere Bemühungen haben sich außerdem darauf konzentriert, ein leicht lesbares und allgemein verständliches Gesetz zu schaffen.
Der Gesetzentwurf ist sorgfältig vorbereitet worden. Schon im Jahre 1971 haben wir einen Arbeitskreis „Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes" gebildet. In diesem Kreis waren die Gewerkschaften, die Arbeitgeber, der Deutsche Bundesjugendring und die Länder vertreten. Außerdem haben wir im März vorigen Jahres eine öffentliche Anhörung der betroffenen Jugendverbände, der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und zahlreicher Verbände der Wirtschaft abgehalten. Durch diese Beteiligung der gesellschaftlichen Gruppen haben wir viele konstruktive Vorschläge gewonnen. Gestatten Sie mir, daß ich auch an dieser Stelle allen Beteiligten für diese Zusammenarbeit herzlich danke.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen jetzt die wichtigsten Neuregelungen und Verbesserungen erläutern.
7920 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Bundesminister Arendt
Erstens. Der Arbeitsschutz soll für alle Jugendlichen - auch für jugendliche Beamte - einheitlich geregelt werden. Bisherige Sonderregelungen für die Landwirtschaft und den Familienhaushalt werden bis auf geringfügige funktionsgerechte Ausnahmen abgeschafft.
Zweitens. Im Interesse der Gesundheit und Entwicklung junger Menschen wird vorgeschlagen, das Mindestalter für die Zulassung zur Arbeit von 14 auf 15 Jahre heraufzusetzen. Es wird damit an die Entwicklung der Schulpflicht und an internationale Übereinkommen angepaßt.
Drittens. Für alle Jugendlichen wollen wir die 5-Tage-Woche einführen. Dadurch wird die Freizeit am Wochenende verlängert. Soweit in einzelnen Wirtschaftsbereichen, z. B. im Gaststättengewerbe, die Beschäftigung Jugendlicher an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen aus Gründen der Ausbildung ausnahmsweise zugelassen wird, ist die 5-Tage-Woche durch die Freistellung an einem anderen Tag der Woche zu gewährleisten. Mindestens zwei Samstage und Sonntage im Monat müssen beschäftigungsfrei bleiben.
Viertens. Für alle Jugendlichen wollen wir den 8-Stunden-Tag und die 40-Stunden-Woche. In weiten Teilen der Wirtschaft sind der 8-Stunden-Tag und die 40-Stunden-Woche für Erwachsene schon längst Wirklichkeit. Es besteht kein Grund, meine Damen und Herren, Jugendliche länger arbeiten zu lassen. Im Gegenteil ist die Arbeitszeitverkürzung zum Schutze der Jugendlichen notwendig.
({2})
Jugendliche sind noch nicht so belastbar wie Erwachsene, benötigen zusätzliche Kräfte für Wachstum und Reifung und längere Erholungszeiten für ihre Regenerierung.
Fünftens. Die Beschäftigung von Kindern bleibt grundsätzlich verboten. Zwar sind - ähnlich wie bisher - Ausnahmen für Musik- und Theateraufführungen sowie für Aufnahmen in Rundfunk und Fernsehen aus kulturellen Gründen vorgesehen. Grundsätzlich wird Kinderarbeit jedoch nicht mehr zugelassen, auch nicht in der Landwirtschaft.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Kinderarbeit im Interesse der Gesundheit und der Schulausbildung der Kinder generell verboten werden sollte. Kinder sind durch die Schule und durch die Schularbeiten ihrem Alter und ihrem Entwicklungsstand entsprechend voll in Anspruch genommen. Zusätzliche Erwerbsarbeit hat in hohem Maße die Gefahr der Überbelastung, der Gesundheitsschädigung und des Versagens in der Schule zur Folge. Hinzu kommt, daß ein Kind diese Folgen ein Leben lang zu tragen hat. Schäden durch eine zu frühe Erwerbsarbeit wirken sich daher auf Lebensgefühl und Berufschancen besonders nachteilig aus.
Sechstens. An Berufsschultagen mit einer Unterrichtsdauer einschließlich der Pausen von fünf Stunden sollen Jugendliche von der Arbeit im Betrieb freigestellt werden. In Berufsschulwochen mit Blockunterricht an mindestens fünf Tagen darf der Arbeitgeber Jugendliche in dieser Woche nicht beschäftigen. Die Teilnahme an Prüfungen und überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen wird auf die Arbeitszeit angerechnet.
Siebentens. Zur Sicherstellung der Nachtruhe dürfen Jugendliche nur in der Zeit von 7.00 Uhr früh bis 20.00 Uhr abends beschäftigt werden. Ausnahmen sind nur da vorgesehen, wo sie unbedingt erforderlich sind.
Achtens. Der Jahresurlaub der Jugendlichen von jetzt mindestens 24 Werktagen soll - abgestimmt nach dem Lebensalter - verlängert werden. 15jährige sollen in Zukunft 30 Werktage Urlaub im Jahr erhalten, 16jährige 23 und 17jährige 25 Werktage. Die Staffelung des Urlaubs nach dem Lebensalter soll den Übergang von der Schule in das Berufsleben erleichtern. Jugendliche im Bergbau unter Tage erhalten wegen der besonderen Arbeitssituation dort in jeder Altersgruppe einen zusätzlichen Urlaub von drei Tagen.
Neuntens. Der Gesundheits- und Gefahrenschutz für Jugendliche soll durch Beschäftigungsverbote verstärkt werden. Jugendliche sollen vor allem nicht mit Arbeiten beschäftigt werden, die ihre Leistungsfähigkeit übersteigen oder mit besonderen Unfall- und Gesundheitsgefahren verbunden sind.
Darüber hinaus soll das bisherige Verbot der Akkord- und Fließbandarbeit auf alle Arbeiten mit Lohnanreiz und unter Zeitdruck ausgedehnt werden. Jede Beschäftigung unter Druck sollte, soweit möglich, ausgeschlossen werden, nicht zuletzt deswegen, weil sie die Unfallgefahr vergrößert. Ausnahmen können nur dann vorgesehen werden, wenn die Art der Arbeit oder das Arbeitstempo eine Beeinträchtigung der Gesundheit und Entwicklung des Jugendlichen nicht befürchten lassen. Dies muß durch eine ärztliche Untersuchung und Bescheinigung sichergestellt werden.
Zehntens. Die gesundheitliche Betreuung der Jugendlichen wird durch das Angebot jährlicher ärztlicher Untersuchungen erweitert. Über die Erstuntersuchung und die nach einjähriger Beschäftigung vorzunehmende erste Nachuntersuchung hinaus kann sich der Jugendliche in jährlichem Abstand freiwillig nachuntersuchen lassen. Für alle Untersuchungen kann der Arzt frei gewählt werden. Die Kosten der Untersuchungen trägt das Land.
Meine Damen und Herren! Die Verbesserungen, die das neue Jugendarbeitsschutzgesetz bringt, dürfen nicht nur auf dem Papier stehen. Sie müssen in der Praxis durchgesetzt werden.
({3})
Die große Zahl von Verstößen gegen das bisherige Jugendarbeitsschutzgesetz ist alarmierend. Wir hören von 35 000 bis 68 000 Verstößen im Jahr.
({4})
Besonders häufig werden die Vorschriften über die Arbeitszeit und die ärztlichen Untersuchungen mißachtet. Dieser bedauerlichen Situation wollen wir mit aller Kraft entgegenwirken. Zu diesem Zweck sollen Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Jugendverbände stärker in die Aufgaben des Jugendarbeitsschutzes einbezogen werden.
Der Aufgabenbereich der Jugendarbeitsschutzausschösse, die bei den Länderarbeitsministerien bestehen, wird erweitet. Zusätzlich werden erstmals neue beratende Ausschüsse bei den örtlichen Aufsichtsbehörden vorgesehen, die betriebsnah tätig werden können. Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz sollen nach diesem Gesetz strenger geahndet werden. Der Bußgeldrahmen wird daher von 5 000 DM auf 20 000 DM erweitert. Außerdem wird ein bundeseinheitlicher Bußgeldkatalog eingeführt, in dem für jeden Verstoß empfindliche Mindestgeldbußen festgesetzt werden. Bei wiederholten Verstößen wird einem Arbeitgeber verboten, Jugendliche auszubilden oder zu beschäftigen.
Der Bundesrat hat zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen. Die Stellungnahme des Bundesrates zeigt aber auch, daß er grundsätzlich die Reform des Jugendarbeitsschutzes bejaht. Ich weiß, daß auch in diesem Hohen Hause viele von der Notwendigkeit einer Verbesserung des Jugendarbeitsschutzes überzeugt sind.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich auf diese Einführung beschränken. Die Bundesregierung bittet Sie, durch Ihre Arbeit dafür zu sorgen, daß der Arbeits- und Gesundheitsschutz des Jugendlichen verbessert wird und damit ein weiterer Fortschritt auf dem Wege zu einer Humanisierung des Arbeitslebens ermöglicht wird.
({5})
Ich danke dem Herrn Bundesminister und eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Rollmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits im Mai des vergangenen Jahres haben 129 Abgeordnete der Opposition den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Jugendarbeitsschutzgesetzes im Bundestag eingebracht und damit das Konzept vorgelegt, wie ihrer Auffassung nach der Gesundheitsschutz der arbeitenden Jugend in diesem Lande verbessert werden soll.
({0})
- 129 Abgeordnete der Opposition, Herr Schellenberg, das war damals die Mehrheit der Fraktion, die diesen Entwurf unterzeichnet hat.
({1})
Wir haben bei der ersten Lesung unseres Gesetzentwurfs im vorigen Sommer einen Entwurf der Koalition vermißt.
Nach vielen Referentenentwürfen liegt heute endlich ein Regierungsentwurf vor, den es zu beurteilen und zu vergleichen gilt. Um es vorweg zu sagen: Dieser Regierungsentwurf bleibt - das wissen Sie ja selbst, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition weit hinter den Erwartungen zurück, die die arbeitende Jugend unseres Landes, die Gewerkschaften, die Jugendverbände und schließlich wir als Opposition an einen Entwurf zur Reform des Jugendarbeitsschutzgesetzes stellen.
({2})
Dem sozialen Pathos, mit dem Sie, Herr Bundesminister Arendt, hier soeben den Regierungsentwurf vorgetragen haben, entspricht der Inhalt dieses Entwurfs in keiner Weise. Und so ist es auch nur natürlich, daß der Entwurf der 129 Abgeordneten der Opposition bei den Gewerkschaften eine weitaus größere Zustimmung gefunden hat als der vorliegende Regierungsentwurf.
Lassen Sie mich nur einen Punkt hier herausgreifen: cien Bildungsurlaub. In keiner Frage der Reform des Jugendarbeitsschutzes besteht ein größeres Einvernehmen als in dieser Forderung nach Einführung eines Bildungsurlaubs für jugendliche Arbeitnehmer. Die jungen Menschen in den Fabriken und Büros, die keine weiterführenden allgemeinbildenden Schulen besuchen können wie viele ihrer Alterskameraden und die aus diesem Grunde einen Bildungsnachteil haben, sollten durch die Einführung eines zwölftägigen Bildungsurlaubs, wie wir ihn in unserem Gesetzentwurf vorgesehen haben, wenigstens einen kleinen Ausgleich erhalten.
Ich beklage es zutiefst, daß die so breit vorgetragene Forderung nach Einführung eines Bildungsurlaubs in diesen Regierungsentwurf keinen Eingang gefunden hat. Die Bundesregierung hat damit eine einmalige Chance vertan, gerade für die jungen Menschen etwas zu tun, die bildungsmäßig benachteiligt sind und für die zu sorgen sie sonst immer 1 vorgibt. Und ich sage es hier ganz offen: Wichtiger als die Verlängerung des allgemeinen Urlaubs, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht, ist die Einführung eines Bildungsurlaubs für alle jugendlichen Arbeitnehmer, wie ihn unser Entwurf zum Inhalt hat.
Ansonsten findet man in diesem Regierungsentwurf vieles Vertrautes, manchmal allzu Vertrautes: Vorschriften aus dem gültigen Jugendarbeitsschutzgesetz, Vorschläge der Gewerkschaften und der Jugendverbände, Vorstellungen aus unserem Gesetzesantrag. Der große Wurf für die Reform des Rechtes und der Praxis des Jugendarbeitsschutzes ist die Regierungsvorlage trotz alledem nicht geworden. Dazu fehlt zu vieles, dazu ist zu vieles unzulänglich geregelt worden; dazu weist dieser Gesetzentwurf auch zu wenig Wege, wie das neue Jugendarbeitsschutzgesetz in unserer Arbeitswelt einst besser beachtet und befolgt wird als das gültige Jugendarbeitsschutzgesetz.
Bei einer vermutlich hohen Dunkelziffer haben die Gewerbeaufsichtsämter der Länder noch 1973 -Herr Bundesminister Arendt hat darauf hingewiesen - doch immerhin 34 742 Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz, davon 682 Verstöße allein gegen das Verbot der Kinderarbeit, festgestellt. Die Länder haben 1 665 Verwarnungen erteilt und 3 568 Bußgeldbescheide erlassen. Was nützt uns ein neues Jugendarbeitsschutzgesetz, wenn es so praktiziert wird wie bisher? Hier liegen wichtige Aufgaben für Betriebe und Gewerkschaften, für Län7922
der und Gemeinden und vor allen Dingen für die jungen Menschen selbst.
Lassen Sie mich nur zu einigen Einzelfragen übergehen: Die Beschäftigung von Kindern ist verboten und soll verboten bleiben; die Beschäftigung von Jugendlichen unter 15 Jahren soll verboten werden. Aber ist es eigentlich schädlich, wenn 12-, 13-, 14jährige Kinder und Jugendliche sich durch Botengänge, Autowaschen, Rasenmähen und Zeitungsaustragen an regelmäßige Pflichten gewöhnen und sich ein Taschengeld dazuverdienen?
({3})
Ist das Beschäftigungsverbot für Jugendliche an Sonnabenden und Sonntagen, von dem es nur zweimal im Monat eine Ausnahmemöglichkeit geben soll, eigentlich mit dem Arbeits- und Ausbildungsrhythmus in vielen Bereichen unserer Wirtschaft zu vereinbaren? Der Einzelhandel tätigt am Sonnabend hohe Prozente seines Umsatzes. Kranke, Alte und Kinder müssen in den Heimen auch am Wochenende versorgt werden. In der Landwirtschaft muß oft auch an den Wochenenden die Ernte eingebracht werden. Viele Gaststätten haben an den Wochenenden Hochbetrieb. Gerade wenn wir auch den jungen Menschen ihren Arbeits- und Ausbildungsplatz erhalten wollen, dürfen wir hier durch allzu starre Regelungen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
Ich bin auch sehr für eine Verbesserung der Anrechnung der Pausen und Berufsschulstunden auf die Arbeitszeit, aber für die Arbeits- und Ausbildungszeit im Betriebe muß auch noch genügend Raum bleiben.
Und dann dieses: Wir fordern in unserem Gesetzesentwurf die Bildung eines Jugendarbeitsausschusses beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, damit dieser Ausschuß laufend Vorschläge in den Fragen des Jugendarbeitsschutzes machen kann. Warum hat die Bundesregierung diesen, wie wir meinen, guten Vorschlag nicht auch noch bei uns abgeschrieben und in ihre eigene Vorlage übernommen?
({4})
Es ist doch notwendig, daß der Jugendarbeitsschutz auch auf der Bundesebene immer wieder vorangebracht wird.
Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung wirft viele Fragen auf, beantwortet manche, läßt andere offen. Wir sind der Meinung, daß dieser Entwurf einer eingehenden und sorgfältigen Beratung in den Ausschüssen des Bundestages bedarf. Es ist auch notwendig, bei einem Hearing die Beteiligten selbst zu hören: die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, die Jugendverbände und last not least die jungen Menschen aus den Werkhallen und Büros selbst. Die jungen Arbeitnehmer müssen zu diesem Gesetz, das vor allen Dingen sie selbst angeht, ausführlich zu Wort kommen.
In diesem Sinne wird die Opposition auf der Grundlage des Entwurfes ihrer 129 Abgeordneten an der Schaffung eines neuen Jugendarbeitsschutzgesetzes mitarbeiten. Wir halten die Reform des Jugendarbeitsschutzes in unserem Lande für notwendig, und wir haben uns bereits in unserem Berliner Programm dazu bekannt. Wir werden bei der Beratung dieses Gesetzesentwurfes die Interessen der jungen Menschen an ihrer Gesundheit und an ihrer Arbeit vertreten.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rollmann, auf den Gruppenantrag der CDU/CSU-Kollegen komme ich im einzelnen noch zu sprechen. Es ist ja offensichtlich so, daß sich Ihre Fraktion auf einen einheitlichen Fraktionsentwurf nicht hat einigen können. Das stellen wir hier für uns als sozialdemokratische Fraktion einmal fest.
({0})
Mehr als 1,5 Millionen Jugendliche stehen heute im Arbeitsleben. Der Arbeitsschutz, das wissen wir, ist höchst problematisch. Das geltende Jugendarbeitsschutzgesetz ist veraltet. Es wird in großem Umfang nicht durchgeführt. Immer wieder hört man Klagen, daß vor allem die Vorschriften über die Arbeitszeit und die ärztlichen Untersuchungen nicht eingehalten werden und die Jugendlichen ausgenutzt werden. Die Erhebungen der Arbeitsminister der Länder zeigen dies sehr deutlich. Die Repräsentativuntersuchung des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Lande Nordrhein-Westfalen faßt die gegenwärtige Situation so zusammen:
Das Jugendarbeitsschutzgesetz wird weiterhin nicht akzeptiert, seine Bedeutung nicht erkannt und damit auch nicht anerkannt.
In manchen Betrieben, Kollege Rollmann, herrschen noch die alten Sprüche: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre",
({1})
- Sie sollen sich das doch nur merken ({2})
„was gut ist für den Betrieb, ist auch gut den Lehrling". Mit solchen Sprüchen,
({3})
meine ich, kann man heute Probleme nicht mehr lösen, und Probleme sind in allen Bereichen des Jugendarbeitsschutzes da. Immer öfter hören wir die arbeitende Jugend darüber klagen, daß sie ausgenutzt und gegenüber den gleichaltrigen Schülern benachteiligt würde. Deshalb begrüßen wir als Sozialdemokraten den vorliegenden Entwurf der Bundesregierung, der eine grundlegende Reform des Jugendarbeitsschutzes einleiten wird.
Die Bundesregierung hat sich durch den im vergangenen Jahr auf die Schnelle zusammengebastelten, völlig unzureichenden Gruppenantrag der 129 CDU/CSU-Abgeordneten nicht zu übereilten Schritten verleiten lassen. Sie hat, wie es einer guten und verantwortungsbewußten Regierung zukommt, allen beteiligten Kreisen reichlich Zeit gegeben, ihre Vorstellungen, ihre Vorschläge zur Reform des Jugendarbeitsschutzes zu entwickeln und die Daten mit ihnen eingehend zu erörtern. Erst danach hat sie einen Entwurf erstellt und den beteiligten Kreisen erneut Gelegenheit zur Stellungnahme und Erörterung gegeben. Die Methode war, wie der uns vorliegende Entwurf beweist, doch wohl der richtige Weg, um zu einer umfassenden, verantwortungsbewußten Reform des Jugendarbeitschutzes zu kommen. Darauf kommt es uns entscheidend an.
({4})
In dem Entwurf wird jede einzelne Vorschrift modernisiert. Alle Jugendlichen und alle Wirtschaftszweige werden gleichbehandelt. Die Vorschriften sind verständlich, übersichtlich und lesbar. Dem Ziel des Jugendarbeitsschutzes, die arbeitende Jugend vor Überforderung, Überbeanspruchung und Gesundheitsschädigung zu schützen, sind wir mit diesem Entwurf einen entscheidenden Schritt nähergekommen. Wir haben endlich eine einheitliche, umfassende Regelung. In ihr wird der Grundsatz der Gleichbehandlung verwirklicht.
Das Mindestalter für die Zulassung zur Arbeit wird von 14 auf 15 Jahre heraufgesetzt. Die Reste der Kinderarbeit werden endlich beseitigt. Den Jugendlichen wird die 40-Stunden-Woche durch Gesetz garantiert. Überlange Schichtzeiten werden abgeschafft. Die Nachtruhe wird von 20 bis 6 Uhr auf 20 bis 7 Uhr verlängert. Die 5-Tage-Woche wird eingeführt; Samstage und Sonntage werden grundsätzlich als arbeitsfrei angesehen. Die Freistellung an Berufsschultagen wird verbessert. Die Teilnahme an Prüfungen wird auf die Arbeitszeit angerechnet. Der Urlaub wird bis zu 30 Werktagen verlängert, der Gesundheits- und Gefahrenschutz erheblich ausgebaut. Arbeiten unter gesundheitsschädigendem Zeit- und Leistungsdruck werden verboten. Die gesundheitliche Betreuung der Jugendlichen wird entscheidend weiterentwickelt. Darüber hinaus wird die Durchführung dieses Gesetzes wesentlich und entscheidend verbessert. Diese Fakten beinhaltet der Regierungsentwurf, konkret abgezielt auf die betrieblichen Verhältnisse, in denen die Jugendlichen tätig sind, und konzentriert sich besonders auch auf die Fragen des Gesundheits- und des Gefahrenschutzes. Kollege Rollmann: sehr konkrete wichtige Dinge für die jungen Arbeitnehmer in den Betrieben und Büros.
Das sind Vorschläge, wie ich meine, die sich sehen lassen können. Walter Arendt hat sie hier im einzelnen ausgeführt. Sie sind geeignet, den Jugendlichen den Schutz zu geben, den sie heute brauchen. Wir sind auch davon überzeugt, daß das Bündel von Maßnahmen, das die Bundesregierung zur Durchführung des Jugendarbeitsschutzes vorschlägt, tatsächlich zu einer besseren Einhaltung des Gesetzes
und zu einer Bewußtseinsneuorientierung über den (C Wert des Jugendarbeitsschutzes führen wird.
In diesem Zusammenhang wird dem demokratischen Aufbau der Jugendarbeitsausschüsse besondere Bedeutung zukommen. Der Vorsitzende der Ausschüsse - und das begrüßen wir - soll nicht der Behördenleiter sein. Er soll in Zukunft aus der Mitte des Ausschusses nach demokratischen Grundsätzen gewählt werden. Dies entspricht voll und ganz unseren Vorstellungen, weil damit Frauen und Männer, die in den Betrieben, die in der Ausbildung tätig sind, mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen auch zur Weiterentwicklung der Humanisierung beitragen können. Hier ist ein konkreter Punkt, an dem dies gesehen und realisiert wird.
Gegenüber dem Regierungsentwurf erscheint der Gruppenantrag der CDU/CSU-Abgeordneten dürftig.
({5})
Er ist ein Änderungsentwurf, durch den einzelne Vorschriften aufgegriffen werden, und das auch nur unzureichend. In vielen Punkten ist er im Jahre 1960 stehengeblieben, denn er ändert insoweit nichts an dem Zustand von 1960. Sie müßten sich, Kollege Rollmann, eigentlich darüber klar sein, was die damalige Debatte in diesem Haus ausgelöst hat und welche Vorstellungen die Sozialdemokraten seinerzeit in zweiter und dritter Lesung schon an Anträgen eingebracht hatten. Ihr Gruppenantrag bleibt aber im Grunde im Jahre 1960 hängen, und das wissen die jungen Arbeitnehmer, die Gewerkschafter und die Betriebsräte, das haben sie bei der Debatte um einen neuen Jugendarbeitsschutz besonders kritisiert, und damit müssen Sie fertigwerden.
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Wenn Sie hier von Ihren Erwartungen in bezug auf den Entwurf der Regierung sprechen: Schauen Sie sich doch einmal Ihre eigenen dürftigen Darstellungen an! Machen Sie das doch mit Ihrer Fraktion aus! Aber Sie kommen ja in der Tat in Ihrer Fraktion nicht zu einem Fraktionsantrag, sondern höchstens, was die Weiterentwicklung des Jugendarbeitsschutzes angeht, zum einem Gruppenantrag. Ich bedauere das außerordentlich.
({7})
Nun, Ihr Entwurf läßt die unterschiedliche Regelung für die Landwirtschaft, den Familienhaushalt, die Binnenschiffahrt bestehen, obwohl die Jugendlichen in diesem Bereich gegenüber den anderen Jugendlichen durch diese Regelung erheblich benachteiligt werden. Für die jugendlichen Seeleute hat der Entwurf auch nichts übrig. Ich weiß nicht, ob das etwas mit Ihrer Heimat zu tun hat, Kollege Rollmann. Das Mindestalter für die Zulassung zur Arbeit wird bei 14 Jahren festgeschrieben, und es gibt keinen entscheidenden Vorschlag für die Abschaffung der im Jahre 1960 zugelassenen Kinderarbeit. Die Arbeitszeitausnahmen im Interesse des Betriebes bleiben bei Ihnen unverändert bestehen. Der Arbeitgeber kann auch weiterhin überlange Schichtzeiten anordnen. Die Nachtruhe und der Erholungsurlaub werden überhaupt nicht verändert.
Zum Erholungsurlaub haben Sie überhaupt keinen Vorschlag gemacht. Ich bedauere sehr, daß Ihrerseits nicht erkannt ist, daß auch aus arbeitsmedizinischen Gründen gerade der Erholungsurlaub für die jungen Arbeitnehmer von besonderer Bedeutung ist. Sie haben ihn im Entwurf überhaupt nicht verzeichnet. Die Jugendlichen sollen sich weiterhin, wie ich meine
({8})
- ich komme noch darauf -, mit dem Zustand von 1960 zufriedengeben. Für die CDU/CSU ist dieser Zustand gut genug. Diese Liste ließe sich meinerseits fortsetzen.
Ich will jedoch auch auf die Punkte des CDU/CSU-Gruppenantrages eingehen, die über den Regierungsentwurf hinausgehen. Dabei möchte ich aber nicht verhehlen, daß er bar jeder Sach- und Fachkenntnis über das Ziel hinausschießt, vor allem dann, wenn es die Arbeitgeber angeblich nichts kostet. So schlägt er statt der im Regierungsentwurf vorgeschlagenen Allgemeinuntersuchungen, die von Ärzten durchgeführt werden, zu denen der Jugendliche und die Eltern Vertrauen haben, Eignungsuntersuchungen durch ermächtigte Ärzte vor. Was soll das? Wenn sich die CDU/CSU-Abgeordneten die Zeit genommen hätten und die Ärzteverbände mit ihnen ein Gespräch, eine Debatte geführt hätten, dann hätte man ihnen sehr schnell klargemacht, daß ihr Vorschlag unrealistisch ist. So viele ermächtigte Ärzte kann niemand auf die Beine stellen. Außerdem hätte man Ihnen gesagt,
daß die Ärzte für den Eintritt in das Berufsleben nicht die Eignungs-, sondern die Allgemeinuntersuchung für das Richtige halten. Wären die Kollegen aus der Opposition, die den Antrag unterzeichnet haben, hier in eine Debatte mit den Ärzten gegangen, hätte man ihnen dieses vorgehalten. Aber die Hektik bei der Anfertigung Ihres Antrages ließ das wohl nicht zu. Sie hätten sich sicherlich auch darum bemüht, die bisher komplizierten Vorschriften auf diesem Gebiet lesbarer, übersichtlicher, leichter durchführbar und damit effektiver zu machen. Sie müssen ja wissen, daß mit dem 1. Dezember 1974 das Arbeitssicherheitsgesetz in der Weise in Kraft tritt, daß die Betriebe verpflichtet sein werden, Betriebsärzte anzustellen oder unter Vertrag zu nehmen, damit wir auf dem Felde der Arbeitsmedizin, der Bekämpfung der Unfallquellen und des Gesundheitsschutzes entscheidend vorankommen. Diese Ärzte werden auch im recht wohlverstandenen Sinne für die jugendlichen Arbeitnehmer und für ihre Betreuung zur Verfügung stehen. Insofern sind wir ein weites Stück auf dem Felde der Humanisierung vorangekommen. Die Regierung hat hier seinerzeit dieses Haus mit ihrem Antrag konfrontiert; er ist nun Gesetz. Wir kommen also auf dem Gebiete der ärztlichen Betreuung und Versorgung entscheidend voran.
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Der Antrag der CDU/CSU-Abgeordneten enthält ferner einen Vorschlag zum Bildungsurlaub. Ist jedoch der Bildungsurlaub in dieser Form das, was der Jugendliche im Bereich des Jugendarbeitsschutzes
heute wirklich braucht? Diese Fragestellung muß man vornehmen. Ich meine, er braucht in erster Linie Schutz vor Ausbeutung und Gesundheitsschädigung. Bildungsurlaub ist z. B. kein Ersatz für Erholungsurlaub, den der Gruppenantrag der CDU/ CSU-Abgeordneten überhaupt nicht erwähnt. Sicherlich werden auch wir uns eines Tages mit dieser Frage beschäftigen,
({10})
aber dann mit etwas mehr Gründlichkeit und Fachkenntnis. Im Moment halten wir den Ausbau des Gesundheitsschutzes und die Verbesserung der Ausbildung der arbeitenden Jugend für vorrangig. Das ist zur Zeit effektiver, weil das allen Jugendlichen und nicht nur denjenigen, die nach Ihrem Entwurf einen Bildungsurlaub beantragen könnten, zugute kommt.
Herr Abgeordneter, würden Sie zum Ende Ihrer Rede kommen!
Ich komme zum Ende.
Als besonderen Fortschritt stellt der Gruppenantrag der CDU/CSU-Abgeordneten einen Bundesausschuß beim Bundesarbeitsminister dar. Ich kann hier nur auf die Verfassungskompetenzen und auf die Zuständigkeiten des Landes hinweisen. Hier sei lediglich erwähnt, daß in diesen Tagen gerade die arbeitende Jugend, die Gewerkschaftsjugend im besonderen, ihre Forderungen noch einmal herausgestellt hat. Wir wollen sie ernsthaft in die Beratungen einbeziehen. Sie wünschen eine volle Anrechnung der Pausen auf die Arbeitszeit, völlige Freistellung von der Arbeit in den Fällen, an denen Berufsschultage die Regel sind, keine Ausnahmen vom Verbot der Samstags- und Sonntagsarbeit, Ausweitung des Erholungsurlaubs. Das sind wesentliche und entscheidende Dinge.
Ich darf hier sagen, wir werden den Entwurf der Bundesregierung in der von uns gewohnten Art und Weise im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sachlich und sehr intensiv beraten. Wir werden die Vorschläge der Verbände mit einbeziehen, und dann, glaube ich, wird uns ein großer Wurf, eine gute Reform gelingen. Mögen Sie alle intensiv daran mitarbeiten!
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf der Tagesordnung steht heute die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jugendarbeitsschutzgesetzes. Ich will dennoch vorab einige Worte zu Ihrem Antrag sagen, Herr Kollege Rollmann.
Zunächst einmal möchte ich Sie beglückwünschen. Sie haben heute morgen eine ganz neue Definition von Größenordnung in dieses Parlament eingeführt. Bis jetzt gab es in diesem Parlament die Mehrheit und die Minderheit, Regierungskoalition und
Opposition. Sie haben jetzt die Mehrheit und die Minderheit in der Opposition als Größenordnung neu eingeführt.
({0})
Insofern also eine Bemerkung zum Antrag der Mehrheit der Minderheit; der Kollege Urbaniak hat das Wesentliche dazu gesagt.
Eine Bemerkung aber von unserer Seite zu dem Punkt Bildungsurlaub. Wir sind grundsätzlich für den Bildungsurlaub, Herr Kollege Rollmann. Wir stellen uns nur die Frage, ob es nicht andere Schichten unterprivilegierter Arbeitnehmer gibt, für die ein Bildungsurlaub im Interesse des Chancenausgleichs im Augenblick notwendiger wäre, z. B. für ältere, ungelernte Arbeitnehmer oder auch für Frauen mit Kindern im Vorschulalter. Hierzu wird zum gegebenen Zeitpunkt noch zu reden sein. In unserer Fraktion ist hierzu eine Arbeitsgruppe gebildet worden. Nicht im Zusammenhang mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz, sondern in größerem Zusammenhang wird hier demnächst sicher auch von unserer Seite und auch von der Regierungskoalition her etwas geschehen.
Meine Damen und Herren, der heute eingebrachte Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein weiteres wichtiges Teilstück bei der Realisierung des Regierungsprogramms von FDP und SPD.
({1})
- Ich habe ja zuerst zu Ihrem Antrag gesprochen, weil mir das als das Unwesentlichere erschien. Ich würde sagen, die qualitativ gewichtigere Sache bringt man immer am Schluß. Insofern darf ich jetzt zum Gesetzentwurf der Bundesregierung sprechen.
({2})
- Das drückt unser Selbstbewußtsein aus; das soll keine Unhöflichkeit sein, Herr Kollege Franke.
({3})
Er dient, wie auch die vielen anderen bereits in dieser Legislaturperiode verabschiedeten Gesetze der Humanisierung der Arbeitswelt. Zweifellos ist das aus dem Jahre 1960 stammende geltende Jugendarbeitsschutzgesetz inzwischen durch die arbeits-und sozialpolitische Entwicklung weitgehend überholt. Arbeitszeitverkürzungen und Urlaubsverbesserungen sind zum Teil an den Jugendlichen vorbeigelaufen. Es ist daher nicht hinzunehmen, wenn z. B. bei der Arbeitszeit und der Urlaubsregelung junge Menschen schlechter gestellt sind als andere Arbeitnehmer. Gerade junge Arbeitnehmer benötigen im Interesse ihrer Gesundheit, ihrer Berufsausbildung und ihrer individuellen geistigen und körperlichen Entwicklung besonderen Schutz.
'Den Schwerpunkt der vorgesehenen Neuregelungen für immerhin 1,5 Millionen jugendliche Arbeitnehmer sehen wir Freien Demokraten in folgenden Bereichen: erstens in der Verbesserung der Freizeitregelung - generelle Einführung der Fünf-TageWoche, Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, Erhöhung des Jahresurlaubs und Verbesserung der Freizeit- und Pausenregelung -, zweitens im verbesserten Schutz vor Unfall- und Gesundheitsgefahren. In diesem Bereich ist vor allem die Erweiterung des Verbots der Akkord- und Fließbandarbeit auf alle Arbeiten mit Lohnanreiz und Tempoabhängigkeit zu erwähnen. Wenn schon Akkord- und Fließbandarbeit für erwachsene Arbeitnehmer mit Recht immer stärker als höchst problematisch angesehen werden, wie sehr müssen diese Bedenken erst für Jugendliche gelten, die durch psychische und physische Schädigungen zweifellos ganz besonderen 'hohen Gefahren ausgesetzt sind. In diesem Zusammenhang sind auch die Festlegungen der Höchstschichtzeiten zu sehen, die Verlängerung der Nachtruhe und die verbesserte gesundheitliche Betreuung durch das Angebot jährlicher kostenfreier ärztlicher Untersuchungen bei freier Arztwahl.
Einen dritten Schwerpunkt sehen wir in der Verschärfung der Sanktionen bei Verstößen gegen die Schutzvorschriften dieses Gesetzes, nämlich in den erweiterten Mitteilungs- und Unterrichtspflichten, der Präzisierung der Bußgeldvorschriften und der Erhöhung des Bußgeldrahmens. Es ist nur konsequent, so meinen wir, als letztes Mittel den Arbeitgebern die Beschäftigung Jugendlicher zu verbieten, die notorisch gegen die Schutzvorschriften verstoßen.
Dies ist die erste Lesung, und es ist weder üblich noch zweckmäßig, hierbei bereits in die Detailberatungen einzusteigen. Erlauben Sie mir aber eine persönliche grundsätzliche, etwas kritische Anmerkung zu der gesetzestechnischen Konzeption der Regierungsvorlage mit ihren extrem detaillierten Einzelregelungen. Bei aller Zustimmung zu den Zielen des Gesetzentwurfes, den Jugendarbeitsschutz zu verstärken und auszubauen, habe ich doch gewisse Bedenken, ob es Aufgabe des Gesetzgebers sein kann, den gesamten Bereich des Jugendarbeitsschutzes durch gesetzliche Vorschriften auszugestalten. Die fast - so möchte ich sagen - pedantische Ausgestaltung des Gesetzentwurfes mit seiner Vielzahl von Einzelvorschriften und vor allen Dingen Ausnahmeregelungen könnte möglicherweise den politischen Absichten, die wir mit diesem Entwurf verfolgen, in der Praxis nicht gerecht werden.
Die Regelungen des Jugendarbeitsschutzes können nicht losgelöst von den tatsächlichen Gegebenheiten in den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft getroffen werden, vor allem aber auch nicht von den Interessen der Jugendlichen losgelöst gesehen werden. Diesen unterschiedlichen Gegebenheiten kann selbstverständlich nur durch sehr differenzierte Regelungen Rechnung getragen werden. Sogar ein oberflächlicher Blick in den Gesetzentwurf macht deutlich, daß sich die Bundesregierung der Problematik, die hierin liegt, wohl bewußt war. Für meine Person möchte ich nur die Frage stellen, ob der Gesetzgeber in seiner Absicht, perfekte Lösun7926
gen zu erreichen, letztlich nicht doch überfordert ist. Wir sollten daher bei den weiteren Beratungen, so meine ich, einmal gemeinsam prüfen, ob Möglichkeiten bestehen, etwa entsprechend dem verabschiedeten Betriebsärztegesetz doch einen Rahmen abzustecken, ein Rahmengesetz zu schaffen und die Ausfüllung dieses Gesetzes den Betroffenen, zum Teil wenigstens, selbst zu überlassen. Hierzu würden sich die im Gesetz genannten Ausschüsse, in denen nun alle Beteiligten vertreten sind, anbieten. Die Ausschüsse erhielten auf diese Weise echte Kompetenzen. Das würde im übrigen den Selbstverwaltungsgedanken stärken und auch der unmittelbaren Mitwirkung der beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Jugendorganisationen und Behörden dienen. Eine solche Mitwirkung der Betroffenen dürfte den Interessen der jugendlichen Arbeitnehmer mindestens genauso dienlich sein wie die Einschaltung ,der staatlichen Aufsichtsbehörden, die, wie wir wissen, ohnehin überlastet sind und auch wohl künftig kaum in der Lage sein werden, weil sie eben nicht so schnell mit dem erforderlichen Personal ausgestattet werden können, die Anwendung des Gesetzes zu kontrollieren. Auf diese Weise dürfte auch die Gefahr einer Bevormundung der Jugendlichen, die wir Freien Demokraten so weit wie möglich ausschalten wollen, verringert werden.
Ich möchte hier nicht mißverstanden werden, und deshalb stelle ich eindeutig fest: Der gesundheitliche und arbeitsrechtliche Schutz der Kinder und Jugendlichen hat absoluten Vorrang. Ob aber bei dieser Priorität in allen Einzelregelungen des Gesetzentwurfs auch die legitimen Interessen der Jugendlichen Berücksichtigung fanden, möchte ich bezweifeln. Es wird viel - ich möchte es hier einmal ansprechen - von den Zeitungsjungen geredet. Ich will hier gar nicht die verständlichen Interessen der Verlage ansprechen, sondern Sie, meine Damen und Herren, bitten, die Dinge doch einmal aus der Interessenlage eines Schülers zu sehen. Ich habe auch als Schüler ein Kirchenblatt ausgetragen, etwa eine halbe Stunde am Tag, zwei-, dreimal in der Woche. Ich verstehe einfach nicht, warum einem Vierzehnjährigen untersagt sein soll, sein Taschengeld mit einer Stunde Zeitungsaustragen aufzubessern, während auf Antrag sogar Kinder im Bereich der Werbung, im Bereich der Rundfunk- und Fernsehanstalten bis zu vier Stunden und bis spät in die Nacht hinein auf oft sehr strapaziöse Weise beschäftigt werden können. Hierin sehe ich einen Widerspruch.
Ich sehe auch nicht ein, daß in der Landwirtschaft, in Industrie und Gewerbe nicht gelten soll, was im Bereich der Post offenbar billig ist, nämlich eine Ausnahmeregelung im Interesse wirtschaftlicher Notwendigkeiten.
Ich denke, diese Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, diesen in seiner Zielsetzung von uns vorbehaltlos begrüßten Gesetzentwurf gründlich zu beraten. Vielleicht ist es tatsächlich besser, einige Kompetenzen nach unten auf die Beteiligten zu verlagern. Hiermit haben wir ja im allgemeinen auch gute Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht.
Meine Damen und Herren, ich mache mir keine Illusionen darüber, wieweit es tatsächlich möglich ist, die Regierungsvorlage in der Richtung meiner Anregungen zu verändern. Den Versuch allerdings sollten wir machen. Für meine Fraktion kann ich jedenfalls die Versicherung abgeben, daß wir an den Lösungen konstruktiv mitarbeiten werden, wobei - um das abschließend noch einmal klar und deutlich hier festzustellen - für uns der Schutz junger Menschen vor Ausbeutung und gesundheitlichen Schäden selbstverständlich Vorrang haben muß.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates lautet: federführend Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, mitberatend Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, Innenausschuß, Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Wer dem zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Keine Gegenstimmen. Danke schön! So beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 3 der heutigen Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Jahn ({0}), Dr. Schneider, Dr. Waffenschmidt, Dr. Warnke, Sick, Dr. Gruhl, Orgaß und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Raumordnung
- Drucksachen 7/1417, 7/2044 Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn ({1}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Sorge betrachtet die CDU/CSU, daß die Lebens- und Arbeitsbedingungen unserer Bürger in vielen Großstädten und in vielen Teilen der ländlichen Gebiete bedroht sind. Sicherheit und Gesundheit der Bürger sind in einigen Verdichtungsräumen durch Wachstums- und Belastungsprobleme gefährdet, in weiten Teilen des ländlichen Raumes dagegen fehlen Einrichtungen der Infrastruktur und ausreichende Erwerbsmöglichkeiten nach Qualität und Quantität. Diesen Fehlentwicklungen ist durch eine konsequente Raumordnungspolitik entgegenzuwirken.
Kernpunkt der Diskussion um die optimale Raumordnungsstruktur ist die Frage, wo die Geldtöpfe des Staates künftig im Raum verteilt werden sollen. Es liegt auf der Hand, daß hiermit gesellschaftspolitische Weichen von tiefgreifender Bedeutung gestellt werden. Aufgabe freiheitlicher Raumordnungspolitik ist es, den Raum für den Bürger zu ordnen und nicht umgekehrt den Bürger dem Raum anzupassen. Die Initative hierfür ging von der CDU/CSU aus. Denn bereits im Jahre 1965 ist in diesem Hohen Hause das Bundesraumordnungsgesetz verabschiedet worden. Der Auftrag lautet: Das Bundesgebiet ist in seiner allgemeinen räumlichen Struktur einer Entwicklung zuzuführen, die der freien Entfaltung
Dr. Jahn ({0})
der Persönlichkeit in der Gemeinschaft am besten dient.
Mit der großen Anfrage verfolgt die CDU/CSU drei Ziele. Erstens möchte sie die wachsende Bedeutung sowie die Auswirkung der Raumordnung für Bund, Länder und Gemeinden der Öffentlichkeit darlegen. Zweitens - dies geht an die Adresse der Bundesregierung - möchten wir die Bundesregierung zwingen, uns endlich zu sagen, ob sie an ihrer auch ideologisch bestimmten Raumordnungspolitik festhalten will. Drittens möchten wir unsere eigene Konzeption in diesem Hohen Hause noch einmal verdeutlichen.
In der Großen Anfrage halten wir der Bundesregierung zunächst vor, daß sich die Vorlage des Bundesraumordnungsprogramms erheblich verzögert. Noch während des Wahlkampfes 1972 kündigte die amtierende Bundesregierung die Vorlage des Bundesraumordnungsprogramms für Herbst 1973 an. Doch Minister Vogel wich von diesem Kurs ab. Die bisherigen umfangreichen Ausarbeitungen des früher zuständigen Innenministers Genscher und der Länder hielten der Vogel-Perspektive nicht stand. Nunmehr ohne Beteiligung der Länder - das ist neu gewesen - wurde ein neuer, veränderter eigener Entwurf ausgearbeitet. Trotz mehrfachen Drängens der Länder wurde dieser erst am 10. Oktober 1973 vorgelegt. Der Verdacht liegt nahe, daß dieser späte Zeitpunkt aus wahltaktischen Erwägungen gewählt worden ist. Minister Vogel wollte als Vater des Bundesraumordnungsprogramms in den bayerischen Wahlkampf fliegen. Aus diesem Raumordnungs-Vogel-Flug in den bayerischen Wahlkampf ist nichts mehr geworden.
({1})
Anstelle dieses Raumordnungs-Vogel-Fluges getreten ist nunmehr der Fluch des Justizministers Vogel über all die, die ihm, gestützt auf einen Prüfungsbericht, vorwerfen, daß während seiner Zeit als Oberbürgermeister hohe Honorare für dürftige Gutachten gezahlt worden sind.
({2})
Wir monieren weiter, daß der Entwurf des Bundesraumordnungsprogramms, also das gemeinsame Programm von Bund und Ländern, von Minister Vogel der Presse vorgestellt worden ist, bevor es überhaupt mit den Ländern abgestimmt war. Seinem Nachfolger - Ihnen, Herr Minister Rawens - blieb deshalb nur übrig, am 29. Mai mitzuteilen, Ihre Kurskorrektur sei gleich Null, es könne kein Zweifel daran bestehen, daß sich auch die jetzige Bundesregierung mit der Beantwortung der Großen Anfrage vollinhaltlich identifiziere. Somit, Herr Minister, haben Sie alle Verantwortung auf sich genommen, - zweifellos ein Akt der Solidarität, weniger der Solidität; denn wir haben Zweifel, ob Sie richtig beraten worden sind.
Die Bundesregierung ist der gezielten Frage ausgewichen, ob der Inhalt des vorliegenden Entwurfs des Bundesraumordnungsprogramms nur gemeinsam mit den Ländern erstellt und verabschiedet werden kann. Die Beantwortung dieser für das föderative
Verständnis in der Bundesrepublik Deutschland wichtigen Frage werden wir Ihnen, Herr Minister, im Interesse der Wahrung der Länderkompetenzen nicht ersparen. Deshalb bitten wir um eine klare Position. Die Antwort, es lägen zwei Aufträge für die Erstellung des Programms vor - einer vom Bundestag, der andere von der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder -, befriedigt nicht.
Ich habe deshalb die Frage: Wie ist es miteinander zu vereinbaren, daß einerseits die Bundesregierung in der Beantwortung der Großen Anfrage auf die bisherige enge und in der Sache intensive Zusammenarbeit mit den Bundesländern hinweist, andererseits aber Ihr beamteter Staatssekretär Abreß Weisungen im Hause erteilt haben soll zur Prüfung der Frage, inwieweit der Bund für ein allein von ihm zu beschließendes Bundesraumordnungsprogramm zuständig ist? Herr Minister, was hat diese Prüfung ergeben? Was sagt Ihr Haus zum Rechtscharakter des Programms? Ist, Herr Minister, in Ihrem Hause ein Alleingang ohne die Länder erwogen worden? Hört das länderfreundliche Verhalten, so fragen wir die Bundesregierung, dann auf, wenn die Länder eine von der Bundesregierung abweichende Auffassung vertreten? Diese Fragen hätten wir gerne beantwortet.
({3})
Weiter halten wir der Bundesregierung entgegen, daß sie die zentralen Orte benachteiligt. Jeder sieht ein, daß nicht in jeder Gemeinde eine Schwimmhalle oder ein Gymnasium errichtet werden und daß nicht jede Gemeinde Siedlungs- und Industrieschwerpunkt sein kann. Solche Schwerpunkte müssen aber gesetzt werden, damit Investitionen und Förderungsmittel in angemessener Verteilung allen Gebieten zugute kommen. Deshalb ist Schwerpunktpolitik, ist Konzentration auf zentrale Orte eine entscheidende Grundlage der Raumordnung.
Es ist daher notwendig, daß die zentralen Orte im gesamten Bundesgebiet eine ihrer zentralörtlichen Versorgungsfunktion entsprechende Grundausstattung an infrastrukturellen Einrichtungen erhalten. Die Bundesregierung muß sich von uns vorhalten lassen, daß sie diesem Gesichtspunkt viel zu wenig Rechnung trägt.
({4})
Sie bekräftigt zwar verbal, daß sie zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit zentraler Orte bezüglich ihrer Grundausstattung beitragen werde. Aber, Herr Minister, unsere Frage lautet: In welchem finanziellem Umfang und zu welchem Prozentsatz, gemessen an den gesamten Bundesmitteln für raumbedeutsame Maßnahmen? Herr Minister, hier müssen Sie Flagge zeigen, und wir hoffen, nicht die weiße; denn gleichwertige Infrastruktur in Stadt und Land ist ein zentrales Gebot der Raumordnung.
Das Heil darf und kann nicht allein im Abbau großräumiger Unterschiede gesehen werden; denn der graduelle Abbau der Disparitäten allein - so wichtig er ist - gewährleistet noch nicht, daß in allen Gebietseinheiten der Mindeststandard erreicht wird, den nun einmal der moderne Staat als Sozialstaat seinen Bürgern schuldet.
Dr. Jahn ({5})
Die Mittelverteilung zur Verbesserung der Versorgungsfunktion der zentrale Orte sowie zur Verbesserung der großräumigen Siedlungsstruktur muß mithin in einem ausgewogeneren Verhältnis stehen. Völlig zu Recht hat deshalb der Beirat für Raumordnung festgestellt - an die Adresse der Bundesregierung -, daß der Abbau großräumiger Disparitäten im Bundesraumordnungsprogramm überbetont wird. Und, Herr Minister, Ihr zuständiger Referent für die Raumordnung, Herr Dr. Hübler, schreibt in der Zeitschrift „struktur", Mai 1974, die Strategie der Schwerpunktförderung nur an wenigen Standorten - ich darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren - „kann dann in der zweiten Aufbauphase dazu beitragen, auch den zentralen Orten des Verflechtungsbereichs wichtige Impulse zu vermitteln". Herr Minister, mit dieser Vertröstung der zentralen Orte auf eine sogenannte zweite Aufbauphase bereitet Ihr Haus den zentralen Orten ein partei-ideologisches Begräbnis allererster Klasse.
({6})
Wir kritisieren in unserer Anfrage weiter die „Vogel"-Perspektive der überstrapazierten Konzentration der Bundesmittel. Zur Verbesserung der großräumigen Siedlungsstruktur haben mehrere Bundesländer ein System von Entwicklungsschwerpunkten und Entwicklungsachsen geschaffen. Im Hinblick auf die Begrenztheit des Entwicklungspotentials begrüßt die CDU/CSU dieses Schwerpunktprinzip. Unterschiedliche Auffassungen - das möchte ich betonen - bestehen lediglich in der Frage des Ausmaßes der Anwendung dieses Prinzips.
Meine Damen und Herren, die Länder haben in ihren Planungsregionen etwa 100 Oberzentren und 500 Mittelzentren ausgewiesen, die sie in der Bundesrepublik Deutschland besonders gefördert wissen wollen. Dem in großstädtischen Kategorien eines früheren Oberbürgermeisters denkenden Minister Vogel reichte diese Konzentration der Standortförderung nicht; er wollte die Zahl der förderungswürdigen Standorte von 600, wie die Länder der Bundesrepublik wollten, auf weit unter 100 reduziert wissen.
So war die Frage der Entwicklungszentren lange Zeit umstritten, und erst in der Sitzung der Ministerkonferenz für Raumordnung am 30. Mai 1973 konnte ein Ergebnis erzielt werden, wobei der -darf ich das so sagen - "Konzentrationsapostel" Vogel nachgeben mußte.
Aber, meine Damen und Herren, damit ist es ja nicht getan. Auch noch nach dieser Einigung mit den Ländern sprach sich der Minister für eine bevorzugte Förderung einiger weniger großer Orte aus. Diese „Vogel"-Perspektive, bei der es darum geht, in bestimmten zurückgebliebenen Gebieten Entwicklungszentren in der Größenordnung von - man höre -100 000 Einwohnern, wie er sagte, wie Pflöcke einzuschlagen, wird dem Auftrag des Bundesraumordnungsgesetzes nicht gerecht; denn es geht in der Bundesrepublik nicht nur darum, in einigen schwach strukturierten Regionen ein oberzentrales Defizit zu beheben, sondern auch darum, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen der Bundesrepublik
herzustellen. Das ist das Gebot der Raumordnung.
Meine Damen und Herren, wir fragen die Bundesregierung in der Anfrage, ob nach ihrer Auffassung das technokratisch erstellte System der Entwicklungszentren und Entwicklungsachsen alleinige Zielkonzeption für die künftige Raumordnungspolitik sein soll. Das haben wir getan, weil wir glauben, allen Grund dazu zu haben; denn Sozialdemokraten haben nun einmal eine besondere Vorliebe für starke Konzentrationen, d. h. für Verdichtungen.
({7})
Gestatten Sie mir drei Kostproben, damit ich das auch belegen kann, Herr Kollege Schäfer.
Erstens. Auf dem Wohnungs- und Städtebaukongreß der Bundesarbeitsgemeinschaft für Städtebau und Wohnungsbaupolitik der SPD im November 1973 in Hamburg führte Minister Dr. Halstenberg aus, sozialdemokratische Politik habe sich immer zur Stadt bekannt. Dieses Bekenntnis gelte es zu bewahren.
({8})
Es wurde dort die Auffassung vertreten, das politische Potential der SPD liege in den Städten, wohingegen der ländliche Raum als Domäne der CDU/ CSU betrachtet werden müsse. Dies hat sich ja schon geändert, wie die Wahlergebnisse gezeigt haben.
({9})
Aber dann kommt es. Die Schlußfolgerung daraus zog der Delegierte Sander aus Hessen mit den Worten, Ziel sozialdemokratischer Raumordnungspolitik müsse eine - ich zitiere - „gezielte Verödungspolitik" sein.
({10})
Zweiter Punkt: Der Beirat für Umweltfragen und Raumordnung beim Parteivorstand der SPD hat am 15. Februar 1974 eine Stellungnahme zum Entwurf des Bundesraumordnungsprogramms einstimmig verabschiedet. Darin heißt es - ich darf mit Genehmigung der Präsidentin wiederum zitieren -:
Der Programmentwurf muß stärker als bisher betonen, daß eine Förderung von Verdichtungsräumen ... erforderlich ist.
Und der dritte Punkt: Auf einer Plenarsitzung der Akademie für Raumforschung und Landesplanung im Juni 1974 in Wiesbaden führte der beamtete Staatssekretär des Raumordnungsministeriums, Dr. Abreß, aus, man stehe beim Aufdecken der Probleme der Verdichtungsräume vor einem weitgehenden Neuanfang. Er fuhr dann fort - ich zitiere -:
Dieser Neuanfang wird das Prinzip der Verdichtung nicht in Zweifel ziehen können. Es wird im Gegenteil darum gehen, die städtischen Funktionen, also die Funktionen der Verdichtungsräume zu kräftigen und vor Beeinträchtigungen zu schützen. Denn bestimmte Funktionen des zwischenmenschlichen und des gesellschaftlichen Lebens werden in Zukunft mehr
Dr. Jahn ({11})
noch als früher nur auf der Grundlage einer
wesentlichen Verdichtung erfüllt werden. So
waren die Städte immer Stätten geistiger Dichte.
Nur die Städte? So muß man sich fragen.
Die Städte haben so zu geistiger Auseinandersetzung gezwungen und ein die Innovation förderndes Reizklima geschaffen.
Ideologisch motivierte Begründungen reinsten Wassers! Wir sind dankbar für diese die politischen Absichten enttarnende Sprache, aber wir möchten Ihnen zur Kenntnis geben: Dies ist nicht unsere Sprache. Die Qualität des Lebens besteht nicht in einer Quantität der Verdichtung,
({12})
vielmehr in einer Ausgewogenheit zwischen geordneter Verdichtung und den ländlichen Räumen. Neben kostensparender Schwerpunktbildung muß die freie Entfaltung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft anerkannt werden. Herr Minister, wir sind erstaunt, warum auf dieses oberste vom Gesetzgeber postulierte Ziel der Raumordnung in Ihrer Beantwortung der Großen Anfrage mit keinem Wort eingegangen wird.
Mit dem Erwachen eines geschärften Umweltbewußtseins verlor die Großstadt ihren Führungsanspruch in bezug auf die Lebensqualität. Die Umweltgefährdungen in den Ballungsgebieten sind erkannt. Gleichzeitig ist die Einsicht gewachsen, daß die Zentren der Großstädte zugunsten eines wuchernden Wachstums an den Rändern veröden und die Außenzonen keine urbanen Zentren besitzen, die städtisches Leben ermöglichen. Das Großstadtleben, früher Inbegriff des Fortschritts, wird nun viel kritischer betrachtet. Das Leben in ländlichen Gemeinden hat einen neuen Akzent erhalten: gesunde Umwelt, menschliche Kommunikation, ursprüngliche Gemeinschaft sind als Werte wieder erkannt. Praktizierte Nachbarschaft, z. B. die ehrenamtlich betätigte Feuerwehrspritze, macht das Leben mindestens ebenso lebenswert wie manche staatlich verordnete - sicherlich auch notwendige - öffentliche Hilfe.
({13})
Heute - ob Sie das wollen oder nicht - setzt sich die Anschauung von der Gleichwertigkeit und Einheit zwischen Stadt und Land durch. Das Land wird nicht mehr als bloße Ernährungs- und Erholungsbasis angesehen, sondern als eigenständige Lebensform, die den Menschen ein Mehr an direkter Kommunikation mit Mitmenschen bieten kann. Die Stadt - das wollen wir gar nicht leugnen - wird ihrerseits in ihrer Bedeutung als öffentliches Forum und als Begegnungsstätte wieder entdeckt. Die Vitalität der Stadt gewinnt Vorrang vor bloßem wirtschaftlichem Funktionalismus.
Aber eine Planungspolitik, in deren Mitte der Mensch steht, muß darauf hinarbeiten, daß jeder ohne Einbuße an den modernen Grundbedürfnissen entscheiden kann, ob er in der Stadt oder auf dem Lande leben will. Deshalb tun wir alle gut daran, wenn wir uns fragen: Wo will der Bürger von heute leben?
Ein 1972 im Auftrage des Bundesministers des Innern über die Wohnwünsche der Bundesbürger erstelltes Gutachten gibt eine eindeutige Auskunft. Nach diesem Gutachten wollen am liebsten wohnen: 24% der Bürger in einer Großstadt zur Zeit der Befragung wohnten dort 27 % -, 27% in einer Stadt mittlerer Größe zur Zeit der Befragung wohnten dort nur 19 % -, 49% in kleineren Orten - zur Zeit der Befragung wohnten dort über 54 % . Daraus folgt, daß immer mehr Bürger eine Wohnung in Mittelstädten bevorzugen. Denn einerseits möchte man gern noch im Grünen wohnen, andererseits jedoch nicht auf das Ausstattungsniveau der Städte verzichten, sie zumindest in der Nähe haben.
Aus dem Gutachten folgt aber auch weiter: Was in den letzten Jahren dem armen Wohnungssuchenden Bürger als besonders aparte Verwirklichung einer kultivierten Wohnidee gepriesen wurde - ich meine 20- und mehrstöckige Wohnsilos - ist mit den individuellen Wohnwünschen der Bürger draußen im Lande weitgehend nicht vereinbar. Das sagen wir auf dem Gebiete der Wohnungsbaupolitik an die Adresse der Bundesregierung.
({14})
Es stimmt deshalb nicht, wenn Minister Vogel vor dem Überseeklub in Hamburg im Oktober 1973 festgestellt hat:
Die städtische Lebensform ist die Lebensform der Zukunft. Das Leben in der großen Stadt war zu Beginn dieses Jahrhunderts die Ausnahme, am Ende dieses Jahrhunderts wird es die Regel sein.
({15})
Meine Damen und Herren, diese Behauptung kann nur richtig sein, wenn sie staatlich verordnet wird. Und das wollen wir nicht!
({16})
Herr Minister, wenn Sie glaubwürdig bleiben wollen, dann muß Ihre Regierung endlich mit diesem von Ihrem Vorgänger geprägten ideologischen Leitbild großer Verdichtungen aufhören.
Im Bundesraumordnungsbericht 1970 schreibt die Regierung:
In den großen Verdichtungsräumen leben heute bereits mehr als 50 % der Bevölkerung auf etwa 7 % der Fläche des Bundesgebietes. Der bisherige Verdichtungsprozeß in den Verdichtungsräumen wird sich voraussichtlich fortsetzen.
Zwei Jahre später, im Bundesraumordnungsbericht 1972, heißt es dagegen:
Heute leben in der Verdichtungsräumen auf rund 7 % der Fläche rund 45 % der Bevölkerung des Bundesgebietes. Ein Wachstum der Verdichtungsräume ist deutlich zu erkennen.
Meine Damen und Herren! 1970 = 50 %, 1972 rund 45 % der Bevölkerung in Verdichtungsgebieten. Gleichwohl die Feststellung der Regierung: „Ein Wachstum der Verdichtungsräume ist deutlich zu er7930
Dr. Jahn ({17})
kennen." Herr Minister, hier war wohl der ideologische Wunsch der Vater des Gedankens; denn Prinzipien der Logik müßten doch wohl zu einer gegenteiligen Schlußfolgerung führen. Wir wären Ihnen für eine Aufklärung dieses offensichtlichen Widerspruchs dankbar.
Damit wir nicht mißverstanden werden: Auch die CDU/CSU bejaht selbstverständlich großstädtische Lebensformen. Aber wir beten solche Städte nicht als einzige Möglichkeit der freien Entfaltung der Persönlichkeit an.
({18})
Nach Meinung der SPD muß die Stadt aufs Land; das „Stadtdefizit" wie es immer heißt muß beseitigt werden. Wir sagen: Das Land darf seines Typs nicht beraubt, es muß seinem Typ nach entwickelt werden. Denn der Auftrag des Bundesraumordnungsgesetzes lautet nicht: gleiche, sondern: gleichwertige Lebensverhältnisse überall zu schaffen. Nirgendwo steht geschrieben, daß die Deutschen allesamt ein Volk von Großstädtern werden sollen.
({19})
Die CDU/CSU will nicht die Aufhebung der unterschiedlichen Strukturen, sondern Partnerschaft zwischen Stadt und Land bei gleichwertiger Ausstattung. Wir wollen nicht anonyme austauschbare Großstädte, wie Sie sie durch Ihre Wohnungspolitik im Grunde geschaffen haben, sondern Städte, in denen der Bürger sich wohlfühlt und mit denen er sich identifiziert.
({20})
Wir haben die Bundesregierung gefragt, in welchem Verhältnis aus der Sicht der Raumordnung die Wohnbauförderungsmittel auf die Ballungsgebiete, auf Gebiete mittlerer Verdichtung und auf die ländlichen Räume verteilt werden sollen. Die Bundesregierung antwortet, dem Einsatz der öffentlichen Wohnbauförderungsmittel komme als Steuerungsinstrument der Raumordnung nur ganz geringe Bedeutung zu. Der Beirat für Raumordnung sagt in seiner Stellungnahme das Gegenteil, nämlich: der Bund müsse Zielvorstellungen für die Vergabe der Wohnungsbaumittel entwickeln. Da - wenn ich richtig sehe - der Bundesraumordnungsminister im Beirat für Raumordnung den Vorsitz führt, berät er sich nicht nur selbst, sondern er kann wie dieses Beispiel zeigt - sich auch selbst widerlegen.
Bei der zentralen Frage nach den Grenzen einer auch von der CDU/CSU bejahten notwendigen und gesunden Verdichtung beläßt es die Bundesregierung bei der nicht näher begründeten Feststellung, es gebe - ich darf wörtlich zitieren - „bei einem politisch formulierten Wertsystem Ansatzpunkte, um gesunde von den ungesunden Verdichtungen zu trennen". Herr Minister, ein politisch formuliertes Wertsystem in bezug auf stark belastete Verdichtungsräume birgt die Gefahr, daß weniger nach den Bedürfnissen der Bürger als nach partei-ideologischen Vorstellungen entschieden wird. Mit einer solchen Antwort setzt sich die Bundesregierung dem Verdacht aus, die Grenzen der Verdichtung dort
anzusetzen, wo die Wählergunst für eine bestimmte Partei ihr Maximum erreicht. Und das ist keine solide Politik.
({21})
Herr Minister, dieser Verdacht wird noch dadurch verstärkt, daß die Bundesregierung es entgegen dem gesetzlichen Auftrag ablehnt, im Bundesraumordnungsprogramm Kriterien für die Entwicklung von Gemeinden zu Entlastungsorten aufzustellen, und dies einer künftigen Fortschreibung überlassen will. Im Klartext heißt das: Die Bundesregierung hat überhaupt kein Interesse daran, dem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, ungesunde Verdichtungsprozesse aufzulösen. Das ideologische Heil liegt offensichtlich in der Verdichtung. Wie kann sonst Staatssekretär Abreß im Juni dieses Jahres in Wiesbaden folgendes ausführen - ich zitiere -:
Ich wage sogar die noch näher zu begründende Hypothese, daß auch die Schaffung und das Vorhandensein von Entlastungssiedlungen und Entlastungsorten zur Lösung der Probleme in den Verdichtungsräumen nicht mehr beitragen können.
Hier sagt es das Gegenteil von dem, was in der Beantwortung steht. In der Beantwortung steht, es werde der Fortschreibung vorbehalten, und hier wird gesagt, das sei überhaupt kein Prinzip, um die Probleme der Verdichtungsräume zu beheben, nach dem Motto, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Staatssekretär fuhr dann fort:
Vielmehr leite ich aus alldem die Feststellung ab, daß wir beim Aufdecken der Probleme der Verdichtungsräume vor einem weitgehenden Neuanfang stehen. Dieser Neuanfang wird das Prinzip der Verdichtung - wir können auch sagen, das Prinzip der Stadt - nicht in Zweifel ziehen können.
Auf die negativen Folgen der Verstädterung eingehend, sagte der Staatssekretär - ich darf zitieren und bitte um Ihre Aufmerksamkeit -, daß diese „durch eine positive Haltung des einzelnen zu seiner Stadt vermindert bzw. verhindert werden". Dies muß man zweimal hören: Negative Folgen der Verstädterung werden durch eine positive Haltung des einzelnen zu seiner Stadt verhindert! Herr Minister, Sie sollten Ihren Staatssekretär einmal fragen, ob diese Ideologie der Zauberschlüssel für seine Münchener Stadtentwicklungspolitik war.
({22})
Fast scheint es uns so, jedenfalls, wenn man den Prüfungsbericht des städtischen Revisionsamtes über die Vergabe von Studienaufträgen durch das Stadtentwicklungsreferat, das Herr Abreß geleitet hat, liest. Von insgesamt 254 Einzelvergaben des Amtes mit einem Auftragswert von 2,1 Millionen DM kritisierten die Prüfer mehr als 70% der Fälle. Die meisten der untersuchten Arbeiten - das Revisionsamt spricht übrigens von „Produkten" - hätten weit unter Niveau gelegen. Wörtlich heißt es dann im Prüfungsbericht:
Dr. Jahn ({23})
Andererseits benutzten die Autoren den städtischen Werksauftrag augenscheinlich als Gelegenheit, ihre politischen, überwiegend auf dem Gedankengut von Karl Marx fußenden Anschauungen breit ausgewalzt in zum Teil abstrakt theoretisierender Weise gegen Honorar zu Papier zu bringen.
Ende des Zitats.
({24})
Herr Minister, wenn wir dies hören und gleichzeitig wissen, daß Sie in den letzten Tagen ein Forschungsprogramm wieder aufgelegt haben, dann haben wir auch hierzu einige Anmerkungen zu machen. Sie haben dort nämlich - und das ist anzuerkennen - die Formulierung gebraucht:
Die Forschungsprojekte sollen grundsätzlich ausgeschrieben werden. Die Vorteile einer allgemein zugänglichen Ausschreibung sind vor allem in der Ansprache eines breiteren Potentials an Bearbeitern und in der Objektivierung des Vergabeverfahrens zu sehen.
Herr Minister, wir danken Ihnen ausdrücklich für diesen Satz. Dieser Satz liest sich wie eine Dienstanweisung an Ihren Staatssekretär. Aber wir möchten schon jetzt mehr wissen. Denn unsere Fragen lauten: Wer macht denn die Vorschläge für die Vergabe, wer entscheidet denn über die Vergabe? Dies möchten wir auch wissen, und wir wären für eine klärende Antwort dankbar.
Herr Minister, Ihr Etikett lautet „Vergabe". Aber die Möglichkeit des Etikettenschwindels liest sich vier Sätze weiter. Dort beginnt nämlich von dieser Vergabe die Ausnahme, die wie folgt formuliert ist: „Daneben können geeignete Auftragsbearbeiter gezielt angesprochen werden." Herr Minister, hier hat sich das Prinzip, das Sie oben ansprachen, relativiert, und wir fragen: Wie wollen Sie vor der deutschen Öffentlichkeit glaubwürdig ein objektives Vergabeverfahren darstellen, wenn Sie sich selbst diese Hintertür im eigenen Programm vier Sätze weiter offenhalten?
({25})
Meine Damen und Herren, wir haben dann die Bundesregierung gefragt, ob sie die in den SPDRaumordnungsthesen erhobene Forderung teilt, daß Entwicklungsschwerpunkte in den weniger dicht besiedelten Räumen mindestens 40 000 Einwohner im Einzugsbereich erreichen müssen und daß langfristig anzustreben ist, daß ein möglichst großer Anteil der Bevölkerung im Entwicklungsschwerpunkt selbst wohnt.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist einer Beantwortung ausgewichen. Die Thesen der SPD seien zwar als Grundlage für die Diskussion gebilligt, jedoch noch nicht als politische Richtlinien verabschiedet worden. Der Willensbildungsprozeß der SPD sei im Gange; es sei nicht Aufgabe der Bundesregierung, auf diesen Prozeß Einfluß zu nehmen.
Diese Einlassung von Minister Vogel ist nicht ohne Vorbild. Auch in der deutschen Literatur findet
sich der Satz: Ich habe hier nur ein Amt und keine Meinung.
Meine Damen und Herren, eine merkwürdige Antwort! Hier werden von der Bundesregierung SPD-Thesen in ihrem Aussagewert relativiert, obwohl in Wahlkämpfen fortwährend mit diesen Thesen Politik gemacht wird und auch in früheren Zeiten gemacht worden ist. Derselbe Minister Vogel, der diese SPD-Thesen relativiert, schreibt im Vorwort zu den SPD-Thesen - ich zitiere -:
Die Raumordnungsthesen sind eine wesentliche Orientierungshilfe für die Durchsetzung einer gesellschaftsbezogenen Raumordnungspolitik.
Herr Minister Ravens, wir erwarten wenigstens von Ihnen eine klare Beantwortung unserer Frage. Sie können sich nicht mit dem Argument aus der Verantwortung stehlen, der Willensbildungsprozeß der SPD sei noch im Gange. Wir sind sicher, Sie haben als Mitglied der Bundesregierung auch eine eigene Meinung, bevor Ihre Partei abschließend gesprochen hat.
({26})
Herr Minister, sollten Sie allerdings noch ein Kursbuch seitens Ihrer Partei benötigen, so können wir Ihnen auch ein wenig behilflich sein. Der Beirat für Raumordnung beim Parteivorstand der SPD hat im Februar 1974 übereinstimmend verlangt, daß genau dieser Satz, den wir hier kritisieren, in das Bundesraumordnungsprogramm hinein soll. Dieser Satz lautet, daß langfristig anzustreben ist, daß ein möglichst großer Anteil der Bevölkerung im Schwerpunkt selbst wohnt.
Herr Minister, wir fragen: War diese Stellungnahme der SPD Ihrem Hause bei der Bearbeitung unserer Anfrage wirklich nicht bekannt? Welche Meinung vertreten Sie? Das ist unsere Frage.
Meine Damen und Herren, diese SPD-These, wonach ein möglichst großer Anteil der Bevölkerung im Schwerpunkt selbst wohnen soll, ist Verödungspolitik für die ländlichen Räume. Wir bejahen Konzentration in der Fläche als einzige Möglichkeit, städtischen Verhältnissen gleichwertige Lebensumstände auch im ländlichen Raum zu schaffen. Das soll aber nicht heißen, daß nur in den zentralen Orten gebaut werden darf. Wir wollen angemessene Entwicklungs- und Siedlungstätigkeit auch in geeigneten kleineren Orten und Dörfern. Wir wollen keine Umsiedlung der Bürger aus ihren Gemeinden und erkennen örtlichen Baubedarf an.
({27})
Wir können jedoch nicht wollen, daß in jeder Gemeinde gezielt Wohnungsbau für weit entfernt Beschäftigte, für Pendler, stattfinden kann.
Der ländliche Raum hat auch eigenständige Aufgaben. Einer Freiraumtheorie in den ländlichen Gebieten erteilt die CDU/CSU eine klare Absage.
({28})
Wir sind gegen eine passive Sanierung durch Mobilisierung von Abwanderungstendenzen, aber für eine flächenabdeckende Raumordnungspolitik.
({29})
Dr. Jahn ({30})
Meine Damen und Herren, der sozialistischen Politik der „konzentrierten Konzentration" von Bevölkerung, Arbeitsplätzen und Infrastruktur setzt die CDU/CSU das ordnungspolitische Leitbild der „dezentralisierten Konzentration" entgegen.
({31})
- Sie kommen auf Ihre Kosten!
Mit der Betonung der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person, ohne deren Eigenart anzutasten, verbindet die CDU/CSU eine klare Absage an Kollektivismus, staatlichen Dirigismus
({32})
und Planifikation.
({33})
- Aber Sie beherzigen es wider bessere Einsicht - nicht!
Zur besseren Ordnung des Raumes fordern wir:
1. Raumwirksame Mittel sind zum Abbau der infrastrukturellen Defizite einzusetzen, damit die Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen und privaten Dienstleistungen verbessert wird.
2. Die entstandenen Ungleichgewichte zwischen den Teilräumen des Bundesgebietes sind Schritt für Schritt in der Weise abzubauen, daß künftige Bevölkerungs- und Arbeitsplatzzunahmen geeigneten Standorten in der Fläche und in der Ballungsrand-zone zugute kommen.
3. Für ein besseres Leben und Arbeiten der Bürger in den stark belasteten Verdichtungsräumen müssen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Eigenart Maßnahmen für eine qualitative Verbesserung der Struktur- und Umweltbedingungen ergriffen werden. Der Zuzug auf diese belasteten Verdichtungsräume darf nicht durch öffentliche Mittel noch weiter gefördert werden. Es muß geprüft werden, wo die optimalen Grenzen der Verdichtung in den Verdichtungskernen mit Rücksicht auf die humanitären und ökonomischen Bedingungen liegen - eine Forderung des Gesetzgebers.
4. Den Gefahren einer passiven Sanierung ländlicher Räume ist durch eine aktive Strukturpolitik zu begegnen. Der ländliche Raum hat bei aller funktionalen Verflechtung mit den anderen Raumkategorien für uns eigenständige Aufgaben.
Meine Damen und Herren, ich darf zusammenfassend sagen, daß dies heute nicht die Stunde ist, zum Entwurf des Bundesraumordnungsprogramms abschließend Stellung zu nehmen.
({34})
Im Mittelpunkt, Herr Kollege Schäfer, steht unsere Anfrage, und es entspricht durchaus parlamentarischen Gepflogenheiten, daß man eine Anfrage der Opposition in diesem Plenum gesondert zur Diskussion stellt und nicht so tut, wie es Ihre Kollegen getan haben, die den Versuch gemacht haben, unsere Debatte zu verschieben, bis sie endlich so weit sind und uns das Bundesraumordnungsprogramm vorlegen. Hier konnten Sie Farbe bekennen, und nur durch unser Drängen und unsere Hartnäckigkeit haben Sie sich endlich bereit erklärt, heute die Debatte durchzuführen.
({35})
Meine Damen und Herren, die Echternacher Springprozession, wie sie mit dem Bundesraumordnungsprogramm gemacht wird, muß endlich beendet und das Programm dem Hohen Hause vorgelegt werden.
Die Bundesregierung hat erklärt: Das Bundesraumordnungsprogramm hat kein Vorbild. Wir fügen hinzu: Es ist in der Fassung des Entwurfs selbst auch kein Vorbild. Sie sollten deshalb, Herr Minister, nicht, wie Sie es getan haben, alle Kritiker des Programms mit dem Satz vertrösten: Bei der Fortschreibung des Programms sehen wir uns wieder. Wir von der CDU/CSU erwarten, daß wir uns nicht erst bei der Fortschreibung, sondern bereits bei der Vorlage des Programms hier im Deutschen Bundestag wiedersehen; denn die Diskussion um die optimale künftige Raumordnungsstruktur darf nicht vertagt werden und muß dringend von parteiideologischen Betrachtungsweisen befreit werden. Der Verzicht hierauf ginge an den individuellen Wünschen unserer Bürger draußen im Lande vorbei. Das wären nicht nur verlorene Jahre für die Raumordnung, Herr Minister, sondern ebenso verlorene Jahre für besseres Leben und Arbeiten in unserem Lande.
({36})
Das Wort hat Herr Bundesminister Ravens.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jahn, hätten Sie sich an Ihren letzten Satz gehalten, daß die Debatte um die Raumordnung in diesem Lande von parteiideologischen Betrachtungsweisen freigehalten werden sollte, hätte Ihre Rede die Chance gehabt, ein Sachbeitrag zu werden.
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So war er es nicht, so verwechselte Ihr Beitrag zum Teil den Deutschen Bundestag mit dem Münchener Stadtrat,
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dessen Aufgaben wir hier nicht lösen können und auch nicht lösen wollen. Zum Teil war Ihr Beitrag gespickt mit Unterstellungen. Ich denke, es ist richtig und vernünftig, wenn ich für die Bundesregierung darzustellen versuche, welche Haltung sie in der Raumordnungsfrage einnimmt.
Ich halte es für bemerkenswert, meine Damen und Herren, daß der Deutsche Bundestag voraussichtlich zweimal in wenigen Monaten über Fragen der Raumordnungspolitik debattieren wird. Heute geht es um die Große Anfrage der CDU CSU, sehr bald wird es sicher um eine Debatte über das Bundesraumordnungsprogramm gehen. Ich sagte es
schon, ich will heute gerne die Gelegenheit benutzen, für die Bundesregierung zu verdeutlichen, welchen Rang Raumordnungspolitik für sie besitzt, welche Ziele sie verfolgt und was tatsächlich geschieht. Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Gebieten unseres Landes zu sichern oder herzustellen, das ist der Verfassungsauftrag. Genauso wie es soziale Unterschiede zwischen Gruppen gibt, die ungerecht sind, genauso gibt es Unterschiede zwischen Gebieten, die ungerecht sind. Soziale Ungerechtigkeiten und räumliche Ungerechtigkeiten können sich dabei addieren. So entstehen besonders dringliche gesellschaftspolitische Probleme. Hier hat die Raumordnungspolitik ihre Aufgabe.
Dabei müssen wir sehen, daß sich Raumordnungspolitik, unserem föderativem Staatsaufbau folgend, auf verschiedenen Ebenen vollzieht: im Rahmen der Planungshoheiten der Gemeinden mit ihrem hohen Anteil an öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, im Rahmen von Landes- und Regionalentwicklungsplänen in den Ländern und dann als dritte Ebene beim Bund. Auch seine Investitionen und Förderungsmaßnahmen, z. B. für die Wirtschafts- und Agrarstruktur, sind raumwirksam und beeinflussen die Lebensverhältnisse der Menschen in den Gebieten unseres Landes. Raumordnungspolitik findet auf diesen Ebenen ständig statt. Worauf es ankommt, ist, sie untereinander zu verzahnen und sie auf eine gemeinsame Wertvorstellung auszurichten.
Die Ziele ihrer Raumordnungspolitik hat die Bundesregierung in den Antworten vom 25. April 1974 zur Großen Anfrage der Opposition ausführlich dargestellt. Aber wie sieht die Lage, wie sieht die räumliche Entwicklung insgesamt aus, d. h. auf das ganze Bundesgebiet bezogen? Dieser Frage will der Entwurf des Bundesraumordnungsprogramms nachgehen. Er macht für alle Bürger deutlich, daß es in unserem Lande zum Teil erhebliche räumliche Unterschiede in den Lebensbedingungen gibt, wenn auch nicht in dem Maße wie in vielen unserer Nachbarstaaten, aber dennoch ausreichend, um von räumlichen Ungerechtigkeiten zu sprechen.
Der Bundestag, meine Damen und Herren, hat am 3. Juli 1969 einstimmig beschlossen, ein Programm für die räumliche Entwicklung des Bundesgebiets vorzulegen. Ein Jahr später haben die Länder in ihrer Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen, daß ein solches Programm gemeinsam von Bund und Ländern erarbeitet werden sollte. Die Bundesregierung hat aus Respekt vor den Ländern diesen Wunsch der Ministerpräsidentenkonferenz aufgegriffen. Sie hat - Herr Kollege Jahn, Sie haben heute so oft den Beirat für Raumordnung bei der Bundesregierung zitiert z. B. nicht die vom Beirat für Raumordnung am 4. Juli 1974 entwickelte These übernommen, daß der Bund den Ländern einheitliche Eckdaten setzen müsse. Nein, die Bundesregierung ist auf ein gemeinsames Programm zugesteuert. Wenn Sie für Ihre Ausführungen so oft den Beirat für Raumordnung zitieren zu müssen glauben, dann wäre ich sehr dankbar gewesen, wenn Sie auch diese Empfehlung des Beirates aufgenommen und ebenso deutlich wie ich hier gesagt
hätten, daß es darauf ankommt, ein gemeinsames Programm von Bund und Ländern zu erstellen, das aber nicht, wie der bayerische Ministerpräsident Goppel noch 1970 gefordert hat, aus einer reinen Addition von elf Länderprogrammen bestehen kann. Wir sind den föderativen Weg gegangen, und dadurch zeichnen sich erste Fortschritte ab, die durch eine Addition von Vorstellungen der Länder sicherlich nicht hätten erzielt werden können.
Ich möchte aus dem Entwurf zum Raumordnungsprogramm nur drei wichtige Punkte nennen: 1. die Beurteilung von Gebieten nicht nur an Hand eines Maßstabes, sondern einer ganzen Reihe von Maßstäben der Erwerbs- und der Infrastruktur, 2. die Unterteilung des Bundesgebiets in 38 Gebietseinheiten für diese Beurteilungszwecke - dem haben übrigens alle Länder zugestimmt - und 3. Entwicklungszentren und großräumige Achsen als Instrumente für die Beeinflussung des Siedlungsgefüges in der Bundesrepublik. Wenn Sie die Zielzahl von 40 000 Einwohnern so heftig kritisiert haben, dann muß ich daran erinnern, Herr Kollege, daß am 15. Juli 1972 die Ministerkonferenz für Raumordnung einstimmig, d. h. auch mit den Stimmen der CDU/CSU-Minister in dieser Konferenz, diese Zielzahl als eine anzustrebende Größe für Entwicklungsschwerpunkte herausgestellt und zur Grundlage unserer Arbeit gemacht hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Ja.
Herr Minister, ist Ihnen entgangen, daß die Betonung auf dem Satz lag, daß langfristig anzustreben ist, daß ein möglichst großer Anteil der Bevölkerung im Schwerpunkt selbst wohnen soll?
Sie hatten kritisiert, Herr Kollege, daß hier ein Einzugsbereich von 40 000 überhaupt genannt werden sollte, wobei ich denke, daß Entwicklungsschwerpunkte vernünftigerweise wohl auch nur so aufgebaut sein können, daß ein möglichst großer Anteil der Bevölkerung in diesem Schwerpunkt lebt und nicht über ein Gebiet von einigen hundert Quadratkilometern verteilt ist. Daraus würde dann sicherlich keine vernünftige Politik.
Und wenn Sie schon die Große Anfrage zitieren, so darf ich an dieser Stelle das Zitat fortsetzen. Ich denke, Zitate sind nur dann korrekt, wenn vollständig zitiert wird. In der Antwort der Bundesregierung auf die Frage nach den 40 000 Einwohnern heißt es:
Die Ministerkonferenz für Raumordnung fordert in ihrer Entschließung über „Zentralörtliche Verflechtungsbereiche mittlerer Stufe in der Bundesrepublik Deutschland" vom 15. Juni 1972 cine Einwohnerzahl von 40 000 Einwohnern für den Verflechtungsbereich eines zentralen Ortes
mittlerer Stufe. Die Bestimmung der zentralen Orte sowie die Auswahlkriterien hierfür ist Angelegenheit der Länder.
So genau lautet an dieser Stelle die Antwort. Ich denke, wir sollten sie dann auch, damit das Protokoll nachher korrekt ist, im ganzen Umfang vorlesen. Ich nehme an, daß Sie die Antworten gelesen haben. Es wäre für Sie jedenfalls ein leichtes gewesen, korrekt zu zitieren.
Dies alles, meine Damen und Herren, ist, auf das gesamte Bundesgebiet bezogen, neu. Das alles sind Anzeichen dafür, daß sich die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und dem Bund lohnen kann. Dieses gemeinsame Programm steht jetzt nach einem mehr als mühsamen Prozeß der Vorbereitung und der Abstimmung kurz vor dem Abschluß. Es ist eben nicht einfach, die Interessen von elf Ländern, von Stadtstaaten, von Flächenstaaten mit hohem Verdichtungsanteil, von Flächenstaaten mit im Durchschnitt eher dünner Besiedlung und die des Bundes unter einen Hut zu bringen. Das muß jeder wissen, wenn er über das Bundesraumordnungsprogramm und über Raumordnung redet.
Dennoch stehen wir jetzt kurz vor dem Abschluß. Es gibt jedenfalls die Chance, daß wir erfolgreich abschließen, und es sollte niemand - auch heute nicht
diese Chance beeinträchtigen! Ich werde es jedenfalls nicht tun.
Ich sagte, 1969 gab es den Auftrag des Bundestages; inzwischen sind fünf Jahre ins Land gegangen. Früher konnte Raumordnung in erster Linie da- rin bestehen, die Zuwächse an Bevölkerung und Erwerbstätigkeit in vernünftige Bahnen zu lenken. In einer Phase des Wachstums ist es relativ leicht, Strukturschwächen auch einmal zu verkleistern; in Zukunft, meine Damen und Herren ist das anders.
Wir haben zumindest mit stagnierenden, wahrscheinlich sogar mit schrumpfenden Bevölkerungsund Erwerbstätigenzahlen zu rechnen. Löcher, die dann ins Siedlungsgefüge gerissen werden, sind eben nicht mehr zu verkleistern - sie werden deutlich -, auch nicht mehr durch die Hereinnahme von Ausländern; auch das ist vorbei. Wenn nicht länger verteilt wird, was kommt, sondern wenn mit dem gerechnet werden muß, was da ist, dann heißt das Abschied nehmen von manchen Wachstumsvorstellungen. Raumordnung ist eine so wichtige Aufgabe, daß sie für Illusionen und künstlich aufgeblähte politische Gegensätze keinen Platz bietet.
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So war es und so ist es Illusion, Raumordnungspolitik am Stadt-Land-Gegensatz hochziehen zu wollen.
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Inzwischen wissen wir doch, daß die ländliche Bevölkerung mit vollem Recht die gleichen Ansprüche an Erwerbsmöglichkeiten, Infrastruktur und Gemeinschaftseinrichtungen stellt wie die städtische Bevölkerung
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und daß ein nicht geringer Teil der städtischen Bevölkerung wegen der Umweltprobleme, wegen der
Randgruppenprobleme, wegen der Überlastung bestimmter Verdichtungsgebiete aus den großen Städten fliehen und sich im Umland ansiedeln möchte. Weil das so ist und die Bundesregierung weder eine Entleerung des flachen Landes noch eine Entleerung der Verdichtungsgebiete will und wir daher alles verhindern müssen, daß aus dem Umland unserer Städte ein heterogener Siedlungsbrei wird, brauchen wir eine verzahnte Raumordnungspolitik, die gleichzeitig die Probleme der Verdichtungsgebiete und der ländlichen Räume löst. Das jedenfalls ist die Zielrichtung der Bundesregierung. Deshalb kann keine Rede davon sein, daß das eine Gebiet gegenüber dem anderen bevorzugt wird.
Die Raumordnungspolitik des Bundes ist keine einseitige Politik für oder gegen die Verdichtungsräume, für oder gegen den ländlichen Raum. Nein, alleiniger Maßstab ist, gleichwertige Lebensbedingungen in allen Gebieten zu schaffen. Das heißt für die Verdichtungsgebiete: kein Wachstum, das die Grenzen der Umweltverträglichkeit überschreitet, kein Wachstum, das die Infrastruktur überbeansprucht, aber auch keine Abwanderung, die Infrastrukturruinen hinterläßt. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Antwort der Bundesregierung zu Ihrer Frage 6 verweisen. Das heißt für die dünn besiedelten Gebiete: zentrale Orte und Achsen und Verkehrsanbindungen an diese Orte und Achsen, damit jeder die Möglichkeit hat, Bildung, Kultur, Gesundheit und Freizeit - kurz: städtische Lebensweisen, wenn wir sie so bezeichnen wollen - auch dann zu genießen, wenn er auf dem Lande wohnt. Denn kann je ein Dorf mit 200 Einwohnern einen Kindergarten, kann je ein Dorf mit 1000 Einwohnern ein Hallenschwimmbad bekommen? Doch wohl kaum. Wollen wir die Menschen in diesen Orten ohne Kindergarten und ohne Schwimmbad lassen? Doch wohl auch nicht. Daher ist das Konzept der zentralen Orte und der Achsen das einzig realistische Konzept, um auch im ländlichen Bereich eine gleichwertige Versorgung mit öffentlichen Einrichtungen für die Bevölkerung zu erreichen.
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Hinzu kommen die Entwicklungszentren als Instrumente einer regionalen Wachstumspolitik. Lassen Sie mich dazu die Antwort der Bundesregierung direkt zitieren. Es heißt hier:
Die Bundesregierung sieht in einem Netz von leistungsfähigen Entwicklungszentren die reale und auch realisierbare Möglichkeit, um bei stagnierender Bevölkerungszahl und bei knappem Entwicklungspotential weit in das Umland ausstrahlende Impulse für das gesamte Bundesgebiet zu erhalten oder dort zu schaffen. Nur so kann nach Meinung der Bundesregierung die Bevölkerung in den überwiegend ländlich geprägten Teilräumen der Bundesrepublik gehalten werden. Das Netz leistungsfähiger Entwicklungszentren an Entwicklungsachsen überlagert das von den Ländern festzulegende System der zentralen Orte unterschiedlicher Stufen und gibt ihm zusätzlichen Halt.
Soweit die Antwort. Dies ist nicht nur Inhalt einer Antwort, sondern Inhalt konkreter Politik.
Daß das so ist, wird Ihnen beispielsweise an der Novelle zum Bundesbaugesetz deutlich, die wir morgen hier in erster Lesung beraten werden. Die Bundesregierung schlägt in dieser Novelle, u. a. in dem, wenn ich ihn so nennen darf, berühmt-berüchtigten § 35 des Bundesbaugesetzes, der das Bauen im Außenbereich regelt, nunmehr eine Änderung vor, nach der auch derjenige, der inzwischen aus der Landwirtschaft ausgeschieden ist, sein Gebäude weiterhin nutzen, anders nutzen und erneuern kann.
Das heißt, wir wollen erreichen, daß die Menschen, die draußen leben, auch bleiben können. Die alte Fassung des § 35, mit Ihren Stimmen damals im Bundestag angenommen, hatte ihnen diese Möglichkeit nicht gegeben und sie damit häufig von ihren alten Hofstellen vertrieben. Dies ist nur ein kleines Beispiel; aber ich denke, Raumordnungspolitik vollzieht sich auch in solchen kleinen Maßnahmen.
Dies alles sind Konzepte und Ziele, die die Länder und Gemeinden in eigener Verantwortung umsetzen müssen. Dies ist nach unserer Verfassungslage so, und das soll auch so bleiben. Das bedeutet für die Länder und Gemeinden, daß sie innerhalb dieses Rahmens die konkrete Ausgestaltung der von ihnen benannten Schwerpunktorte vornehmen können und müssen.
An dieser Stelle möchte ich die Opposition gern fragen, was denn eigentlich die Passage in ihrem Grundsatzpapier bedeuten soll, die da lautet:
Christlich-demokratische Politik will im Gegensatz zur sozialdemokratischen Politik nicht den uniformen Menschen, sondern den freien Menschen in seiner Eigenart und seinen individuellen Bedürfnissen im friedlichen Zusammenleben mit der Gemeinschaft unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse.
Ich kann so etwas nur als schlichte Polemik zurückweisen
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und die Opposition fragen, ob sie angesichts ihres Sich-Versagens gegenüber raumordnenden und raumplanenden Vorstellungen in der Regierungspolitik in den 50er und 60er Jahren die Eigenart der Menschen nicht in erster Linie mit dem Vorhandensein ungleicher Chancen und ungerechtfertigter sozialer Deklassierungen schlichtweg gleichgesetzt und akzeptiert hat.
Die Bundesregierung ist gegen einen Zentralismus in der Raumordnung und gegen den Dirigismus eines Raumordnungsministers. Für uns gilt, was in der Verfassung steht.
In diesem Zusammenhang ein Wort zum Vorwurf der fehlenden Verklammerung von Raumordnung und Finanzplanung. Zunächst folgendes dazu: Das Bundesraumordnungsprogramm wird die Problemgebiete und die strukturschwachen Gebiete ausweisen, die eine überproportionale Förderung nötig haben. Die Finanzplanung legt fest, wie viele Mittel insgesamt für einen Aufgabenbereich in Aussicht genommen werden. Die Fachplanung legt schließlich fest, in welche Gebiete diese Mittel fließen sollen. Für dieses „in welche Gebiete" bietet das Bundesraumordnungsprogramm einen qualitativen Orientierungsrahmen. Die Länder haben dann maßgeblichen Einfluß, wo innerhalb dieses Gebietes die Mittel eingesetzt werden sollen. Durch Raumordnung sollen also bestimmte Gebiete zusätzliche Mittel erhalten. Die Bundesregierung hot in ihrer Antwort zur Frage 15 hinzugefügt, daß sie an Hand gewonnener Erfahrungen prüfen wird, ob darüber hinausgehend eine Verknüpfung zwischen Raumordnung und Finanzplanung möglich und sinnvoll ist.
Meine Damen und Herren, ich sagte eingangs, daß nunmehr seit 1969 die Vorbereitungen zum Bundesraumordnungsprogramm laufen und vor dem Abschluß stehen. Aber seit 1969 sind auch die besonders wichtigen raumwirksamen Ausgaben des Bundes stärker an raumordnerischen Grundsätzen orientiert. Ich kann hier auf die regionalen Aktionsprogramme der Bundesregierung verweisen, die dann in die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur überführt wurden. Von 1969 bis 1973 hat der Bundesminister für Wirtschaft den Ländern hierfür 1,282 Milliarden DM aus Bundesmitteln zur Verfügung gestellt. Dies ist e i n Beispiel für eine vernünftige Ausrichtung der Förderungspolitik auf Schwerpunktorte. Bund und Länder haben das im Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgaben gemeinsam gemacht, gemeinsam beschlossen. Dies ist auch ein Stück gemeinsamer Raumordnungspolitik.
Ich verweise auf die Agrarstrukturpolitik der Bundesregierung seit 1969. In diesem Bereich sind seither 6,237 Milliarden DM an Bundesmitteln geflossen. Auch dies ist ein Stück gemeinsamer Raumordnungspolitik. Denn es war doch die weitgehende Abstimmung zwischen regionaler Wirtschaftspolitik und Agrarstrukturpolitik, die dafür sorgte, daß sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft relativ erträglich vollziehen konnte. Das eine ist die Kehrseite des anderen.
Ich verweise auf die Verkehrspolitik des Bundes. Der Bundesfernstraßenplan ist auch ein Stück aktiver Raumordnungspolitik; denn er ordnet verdichtete Gebiete, erschließt ländliche Räume, sorgt mit seinem Beitrag für gleichwertige Lebensverhältnisse. So dient zum Beispiel der Ausbau der Bundesautobahnen München-Deggendorf, Ruhrgebiet-Kassel, Würzburg-Heilbronn, NürnbergAnsbach-Heilbronn, Regensburg-Passau der Anbindung des Zonenrandgebiets an die großen Wirtschaftszentren. Auch die Achse Kassel-FuldaSchweinfurt und Schweinfurt-Bayreuth wird den internen Leistungsaustausch innerhalb des Zonenrandgebietes verbessern.
Auch im Bereich der Städtebau- und Wohnungspolitik, zum Beispiel bei der Modernisierung sowie der Sanierung und Entwicklung unserer Städte und für die Regionalprogramme im öffentlich geförderten Wohnungsbau kommen die raumordnungspolitischen Zielsetzungen zum Tragen. Ich verweise hier auf die Antwort der Bundesregierung zu Punkt 11 der Großen Anfrage und füge, für Sie persönlich, Herr Kollege Jahn, hinzu: Die Durchführung des
öffentlich geförderten Wohnungsbaues liegt in der Verantwortung der Länder. Wir haben an den Punkten, wo wir mit eigenen, besonderen Programmen gearbeitet haben, so z. B. im Regionalprogramm, dafür Sorge getragen, daß diese Mittel in die Schwerpunkte hineingehen, in denen wirtschaftliche Entwicklungen gefördert werden sollen, in denen neue Schwerpunktorte gebildet werden sollen, in denen im Zusammenhang mit der Arbeit an der regionalen Wirtschaftsstruktur in den dort ausgewiesenen Orten Wohnungsbau nötig ist. Wir haben gleichzeitig im Zusammenhang mit den Städtebauförderungsgesetz bei den Entwicklungsmaßnahmen raumordnerische Gesichtspunkte in den Vordergrund der Entscheidung gestellt. Bei den Sanierungsaufgaben ist dies nicht viel anders. Dabei darf sich allerdings die Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit einer Stadt nicht allein nach Raumordnergesichtspunkten ausrichten. Denn ich wüßte sonst nicht, wie ich in die Lage versetzt werden sollte, die Vielzahl mittelalterlicher Städte Baden-Württembergs mit Hilfe des Bundes und des Landes in einen vernünftigen Sanierungsprozeß hineinzuführen. Aus raumordnerischer Sicht würde sich dies dort gar nicht mehr durchsetzen lassen. Hier gilt es also, eine vernünftige Kombination zu finden. Wir haben versucht und, ich denke, erreicht, daß hier raumordnerische Gesichtspunkte und Fragen der inneren Stadtstruktur in Übereinstimmung gebracht worden sind.
Schließlich, aber nicht zuletzt verweise ich auf das Sonderprogramm vom Februar 1974 für Gebiete mit speziellen Strukturproblemen und auf das gestern vom Kabinett verabschiedete Sonderprogramm zur lokalen und regionalen Abstützung der Beschäftigung in der Bauwirtschaft. Auch diese Programme orientieren sich an raumordnerischen und sektoralen Notwendigkeiten.
Dies alles zeigt, daß der Bund - auch ohne ein endgültig verabschiedetes gemeinsames Raumordnungsprogramm - nicht untätig war. Die Erfolge sind erkennbar. Dennoch oder gerade deshalb sieht die Bundesregierung das Erfordernis, durch das Bundesraumordnungsprogramm einen gemeinsamen Orientierungsrahmen für die Ressorts des Bundes und auch der Länder zu schaffen. Das ist heute notwendiger denn je. Nicht um Länder und Ressorts zu dirigieren, sondern um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre raumwirksamen Planungen und Maßnahmen orientierter und informierter in dieses gemeinsame Rechenwerk einzuführen. Raumordnungspolitik heißt in Wahrheit Hilfestellung, nicht Machtpolitik.
Zum Schluß noch ein Wort zu Frage 1 Ihrer Großen Anfrage. Sie sprechen da im Zusammenhang mit dem Bundesraumordnungsprogramm von Verzögerung. Ich könnte nun darauf eingehen, daß mindestens zwei der Ihnen nahestehenden Ländern die Vorbereitungen viel zu schnell gehen. Sie mögen diesen Widerspruch innerhalb Ihrer Partei selber austragen. Ich will nur so viel sagen: uns geht Qualität vor Fixigkeit. Fünf Jahre sprechen für die Sorgfalt der Arbeit. Fünf Jahre spiegeln aber auch die Schwierigkeiten wider, um zwischen elf Ländern,
die unterschiedliche Probleme haben, und dem Bund zu einem gemeinsamen Programm zu kommen.
Dabei habe ich immer betont, daß naturgemäß im ersten Anlauf ein solches Programm noch nicht alle Fragen lösen kann. Wer mit einem Programm warten will, bis er auf jede Frage auch noch die letzte Antwort hat, wird sehen, daß er nie zu einem Programm kommt, weil sich hinter jeder Antwort eine neue Frage auftut und sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in unserem Lande von Tag zu Tag ändern. Wir brauchen einen Anfang. Darauf kommt es an.
Daher kommt dem mittelfristigen Forschungsprogramm, das ich kürzlich veröffentlicht habe, flankierende Bedeutung zu. Dabei wollen wir durch öffentliche Ausschreibung der Forschungsthemen möglichst viele der Interessierten und Befähigten ansprechen. Sie haben dort so unter der Hand als eine Unterstellung etwas mit hineingeschoben, Herr Kollege Jahn. Um was geht es eigentlich, wenn es heißt: daneben können besonders sachverständige Institutionen, Gremien herangezogen bzw. aufgefordert werden? Hier geht es darum, daß der Bundesminister im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung auch besonders geeignete Institute und Institutionen auffordern kann, sich an dieser Ausschreibung zu beteiligen. Sie werden dann in vollem Umfange einbezogen. Nach sachlicher Prüfung werden diese Aufträge vergeben. So ist das und nicht anders. Hier ist kein Platz für Unterstellungen dieser oder jener Art.
Beim Bundesraumordnungsprogramm stehen wir an der Schwelle zur endgültigen Verabschiedung. Niemand sollte - auch in der heutigen Debatte -versuchen, aus dieser Schwelle ein Hindernis zu machen; im Interesse des Verfassungsauftrages. An ihm werden wir gemessen, elf Länder und der Bund, unionsregierte Länder genauso wie Länder mit sozialliberalen Koalitionen.
Ich begrüße es, daß sich die CDU/CSU nach Jahren der Abstinenz nun auch stärker der Raumordnung zuwendet. Was früher mit planungsfeindlichen Verdächtigungen abgewehrt, abgewertet wurde, beginnt jetzt auch bei Ihnen, sich langsam durchzusetzen. Und mich stört es auch gar nicht, daß die CDU in ihren vor wenigen Tagen vorgelegten Grundsätzen zur Strukturpolitik und Raumordnung das nachvollzogen hat, was für diese Bundesregie- rung längst selbstverständlich ist. Das zeigt nur, daß wir auf dem richtigen Weg sind.
Ich würde es begrüßen, wenn diese Debatte mit dazu dient, in der Opposition für eine einheitliche Sprachregelung zu sorgen. Dann kann nämlich diese Debatte ihren Wert gehabt haben. Ich frage mich, wie ich das zu verstehen habe, wenn ich auf der einen Seite in der Stellungnahme zum ersten Entwurf des Bundesraumordnungsprogramms lese: „Gänzlich unbefriedigend ist der Entwurf für die großstädtischen Verdichtungsräume" ; und an anderer Stelle: „Die Bundesregierung setzt sich dem Verdacht aus, die Grenzen der Verdichtung dort anzusetzen, wo die Wählergunst für eine bestimmte Partei ihr Maximum erreicht; in VerdichtungsgebieBundesminister Ravens
ten blüht der Weizen für sozialliberales Wählerpotential am besten." Die erste Aussage, Herr Kollege, stammt vom Kollegen Oscar Schneider
({5})
aus einer Presseerklärung aus Nürnberg vom 26. Juli 1974, in der uns also der Vorwurf gemacht wurde, dieser Entwurf sei völlig unbefriedigend für die großstädtischen Verdichtungsräume.
Die zweite Aussage finde ich bei Ihnen in einem Artikel, den Sie am 30. Mai 1974 im „DUD" veröffentlicht haben, dort, wo Sie sagen, die Raumordnungspolitik ziele nur auf großstädtische Politik.
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- Nein, das ist nicht Herr Halstenberg. Das ist original Jahn. Er wurde ja heute morgen als original Jahn noch einmal wiederholt. Wenn man sich mit fremden Federn schmückt, sollte man es sagen. Aber man sollte sich nicht hinter fremden Federn verkriechen, wenn man diese Meinung einige Male so dezidiert von sich gegeben hat.
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Das ist nicht die feine englische Art, Herr Kollege.
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Ich würde es begrüßen, wenn diese Debatte also mit dazu dienen würde, in der Opposition für eine einheitliche Sprachregelung zu sorgen. Dann nämlich kann diese Debatte auch insoweit ihren Gewinn haben.
Gemeinsame Raumordnungspolitik im föderativen System funktioniert nur, wenn der Mensch und nicht die Tagespolitik und nicht die kurzatmige Parteitaktik im Vordergrund stehen. Raumordnungspolitik braucht einen langen Atem.
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Das ist auch - jedenfalls überwiegend - die Auffassung meiner Kollegen in der Ministerkonferenz für Raumordnung. Trotz aller Differenzen, die es in dieser Ministerkonferenz über Sachfragen gegeben hat, und trotz einiger Dinge, die ich in der Schlußphase nicht mehr ganz verstanden habe, stehe ich nicht an, an dieser Stelle all denen in der Ministerkonferenz und im Hauptausschuß der Ministerkonferenz für Raumordnung Dank zu sagen, die in den vergangenen Jahren durch ihre Arbeit gezeigt haben, daß sie mit uns den Wunsch haben, zu einer einheitlichen Auffassung, zu einem gemeinsamen Programm zu kommen, und die mit uns dort eine sehr sachliche Debatte geführt haben.
Mein Wunsch ist, meine Damen und Herren, daß wir heute alle mit der gleichen Einstellung, wie sie sich bisher in der Ministerkonferenz für Raumordnung gezeigt hat, diese Debatte bis zu ihrem Ende führen.
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Das Wort hat als Vertreter des Bundesrates der schleswig-holsteinische Staatsminister des Innern, Titzck.
Staatsminister Titzck ({0}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Raumordnung und Landesplanung sind heute als Kernstücke einer zukunftsorientierten Entwicklungspolitik unentbehrlich. Daß sie längst den Bereich unverbindlicher Programmatik verlassen haben, zeigen nicht nur die Befürchtungen der Gemeinden um den Bestand ihrer Planungshoheit, sondern das zeigt auch die heutige Debatte hier in diesem Hohen Hause.
Was speziell das Bundesraumordnungsprogramm angeht, so sage ich: Das Bundesraumordnungsprogramm ist ein echter Prüfstein für die Wirksamkeit und für die Form der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Um die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit, aber auch die Wichtigkeit der Raumordnungsfragen zu unterstreichen, habe ich hier für das Bundesland Schleswig-Holstein und damit für den Bundesrat das Wort genommen.
Meine Herfahrt hat sich schon deshalb gelohnt, Herr Kollege Ravens, weil ich hier persönlich Ihren Vorwurf hören konnte, die CDU habe sich in der Vergangenheit in Raumordnungsfragen außerordentlich abstinent verhalten. Ich freue mich, daß ich das hier gehört habe, weil ich dann hier vor dem Hohen Hause erklären kann, daß Schleswig-Holstein, ein CDU-regiertes Bundesland, das erste Land war, das einen funktionsfähigen Landesraumordnungsplan aufgestellt hat.
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Wir haben damit unsere Aufgeschlossenheit für Fragen der Raumordnung vor langen, langen Jahren schon außerordentlich bekräftigt.
Meine Damen und Herren, vor allem und vorab möchte ich hier noch einmal hervorheben, daß den Bundesländern, die bereits seit Jahren an der Erarbeitung auch eines Bundesraumordnungsprogrammes konstruktiv mitwirken, daran liegt, den ersten Versuch eines Bundesraumordnungprogrammes zum Abschluß zu bringen. Aber das setzt die Vorlage eines Entwurfes voraus, der zustimmungsfähig ist. Der Entwurf, mit dem wir uns in der Raumordnungskonferenz wiederholt beschäftigt haben und, wie ich hoffe, in einer Abschlußphase nun weiter beschäftigen werden, war in wesentlichen Punkten verbesserungsbedürftig und ist das auch heute noch. Obwohl die Bundesländer einen baldigen ersten Abschluß dieser Vorarbeiten für das Bundesraumordnungsprogramm unterstützen, ist es außerordentlich ungewöhnlich gewesen, daß das Programm auf Betreihen des zuständigen Bundesministers zur Abstimmung mit den Fachressorts in Bund und Ländern und damit auch zu einer ersten Veröffentlichung trotz der Tatsache freigegeben worden ist, daß sich bisher eben nicht alle Länder - das gilt insbesondere für die Flächenländer - in der Lage sahen, dem Entwurf zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, ich will hier darauf verzichten, noch einmal die leidvolle Entstehungsgeschichte dieses Entwurfs eines Bundesraumordnungsprogramms darzustellen. Aber lassen Sie mich eingehen auf den Hauptmangel des jetzigen Entwurfs, der, wie wir es sehen, darin besteht, daß der
Staatsminister Titzck
Entwurf nachdem einige Fehler in der Bestandsaufnahme korrigiert werden konnten, zu wenige Programmaussagen enthält, die für die praktische Arbeit in Bund, Ländern und Gemeinden verwertbar wären. Während man zunächst die Absicht hatte, den Einsatz der Bundesmittel in 12 Sachbereichen für die nächsten 15 Jahre darzustellen, ist dieses Vorhaben entgegen dem einstimmig erteilten Auftrag des Deutschen Bundestages vom 3. Juli 1969 bedauerlicherweise nicht verwirklicht worden. So aber sind die Bundesländer weiterhin im ungewissen darüber, welche Mittel der Bund in den einzelnen Fachbereichen zur Verfügung stellen wird und wie diese Mittel räumlich und auch raumwirksam verteilt werden sollen. Das stellt eine erhebliche Behinderung für die weiteren Planungen der Länder dar. Als Ersatz dafür wurde der analytische Befund zum Programm erhoben. Das ist der eigentliche wunde Punkt des Programms. Für die Länder und ihre Planungsarbeit wäre es äußerst wichtig, verbindlich zu wissen, was der Bund in welchen Bereichen wann und wo plant. Eine solche Aussage würde auch dem Raumordnungsgesetz entsprechen, das klar fordert, daß der Raumordnungsminister des Bundes die langfristig und großräumig raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen zusammenfassend darstellt. Hier wäre nach unserer Meinung der eigentliche Inhalt eines Bundesraumordnungsprogramms auszuformen gewesen. Statt dessen enthält der Programmentwurf nur allgemeine und sehr verschwommene politische Absichtserklärungen, die sich, wie ich meine, auf die Formel bringen lassen: Es soll überall alles besser werden.
Nachdem bis zum Mai 1974 nur ein aus unserer Sicht völlig unbefriedigender erster Entwurf vorlag, der nicht einmal die vorhandene Infrastruktur im Bundesgebiet einigermaßen zutreffend wiedergab, konnte dieser Mangel in der weiteren Zusammenarbeit - und der Ton liegt auf Zusammenarbeit - im wesentlichen behoben werden. Damit liegt aber lediglich eine einigermaßen exakte Beschreibung der gegenwärtigen Situation vor. Dagegen nennt das sogenannte Programm keine einzige konkrete Bundesmaßnahme für bestimmte Räume. Es enthält nach wie vor keine Aussagen auch nur über eine einzige Mark der Bundesmittel, und es enthält überhaupt keine Aussage dazu, wann Maßnahmen des Bundes und in welchem Umfang solche Maßnahmen zur Behebung der Strukturschwächen zu erwarten sind. Ein solcher Versuch kann daher nur als eine problemorientierte Bestandsaufnahme bezeichnet werden. Es wird aber dem anspruchsvollen Titel „Programm" nicht gerecht, da es im Bereich hoher Abstraktion verbleibt.
Es ist zwar richtig, Herr Kollege Ravens, daß bei der Verteilung der von Ihnen angeführten Bundesmittel raumstrukturelle Gesichtpunkte eine Rolle gespielt haben. Aber das sogenannte Bundesraumordnungsprogramm hat diese Fragen nicht berücksichtigt. Ich nenne noch einmal den konkreten Entscheidungsfall des Bundeswirtschaftsministers. Noch während der Abstimmung des Bundesraumordnungsprogramms und ohne Beteiligung der Ministerkonferenz für Raumordnung hat er eine neue Abgrenzung der Fördergebiete nach der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" herbeigeführt, die teilweise andere Abgrenzungen als die im Entwurf eines Bundesraumordnungsprogramms enthaltenen Gebietseinheiten enthält.
Neben den geschilderten Vorbehalten zu den Aussagen betreffend die Verbesserung der Infrastruktur und Verwendung von Bundesmitteln möchte ich abschließend herausstellen, daß das Hauptziel des Bundesraumordnungsprogramms, nämlich der großräumige Disparitätenabbau, widersprüchlicher und unklarer behandelt wird als im Bundesraumordnungsgesetz selbst. Schon das Gesetz aus dem Jahre 1965 stellt den Grundsatz auf, daß sogenannte zurückgebliebene Gebiete und solche Gebiete, in denen ein Zurückbleiben droht, stärker gefördert werden sollen als andere. Das Bundesraumordnungsprogramm greift diesen Gedanken als Hauptziel zwar auf, indem es sich zu einem großräumigen Disparitätenabbau in den Bereichen Infrastruktur und Erwerbsstruktur bekennt. Disparitätenabbau kann aber nur dann erfolgen, wenn bei einem insgesamt begrenzten Entwicklungspotential dem Schwächeren etwas gegeben wird, das auch irgendwoher genommen werden muß. Diese Konsequenz zieht das Bundesraumordnungsprogramm nicht. Bei den räumlichen Einzelzielen geht es vielmehr davon aus, daß auch in stark belasteten Verdichtungsräumen einer Zunahme von Bevölkerung und Arbeitsplätzen nur dann entgegengewirkt werden soll, wenn andernfalls die Qualität der Lebensbedingungen nachhaltig beeinträchtigt würde. Woher dann zusätzliches Entwicklungspotential und auch Arbeitsplätze für sogenannte zurückgebliebene Gebiete kommen sollen, bleibt offen. Hier bleiben Zieldiskrepanzen bestehen, die gerade auf Bundesebene gelöst werden müssen. Das gleiche gilt für die von den vier norddeutschen Ländern gemeinsam vorgetragene NordSüd-Wanderungstendenz, der nur auf Bundesebene und nur mit koordinierter Bundespolitik entgegengewirkt werden kann. Hier bedarf es nicht des Rufs nach einer Ausweitung der Bundeskompetenz. Der Bund braucht nicht mehr Rechte, um unabhängig von den Ländern ins einzelne gehende raumordnerische Ziele setzen zu können. Der Bund verfügt über ein gefülltes Arsenal wirksamer Instrumente, und einige sind von Ihnen, Herr Bundesminister, vorhin genannt worden. Der Bund wird und sollte diese Instrumente einsetzen. Sie sind bisher, meine ich, noch nicht ausreichend genutzt worden.
Was im Gegensatz zu der nicht notwendigen Erweiterung der Bundeskompetenz nottut, ist der konsequente Wille, von dem vorhandenen Handlungsinstrumentarium Gebrauch zu machen. Darauf hat auch der Beirat für Raumordnung mit Nachdruck hingewiesen.
Abgesehen von allen rechtlichen Erwägungen und verfassungsrechtlichen Bedenken zeigt bereits die Entstehungsgeschichte dieses Bundesraumordnungsprogrammentwurfs in seiner Allgemeinheit und Unverbindlichkeit, daß eine Erweiterung der Bundeskompetenz auf dem Gebiet der Raumordnung und Landesplanung einen materiellen Rückschritt bedeuten würde.
Staatsminister Titzck
Professor Wagener hat einmal festgestellt: „Aus den gegenwärtig geltenden Plänen und Programmen der Länder läßt sich ein genügend konkretes und öffentlich verkündetes Zielsystem für Raumordnung in der Bundesrepublik Deutschland ableiten. Dabei ist die Zieldichte, im groben Durchschnitt gesehen, im ganzen Bundesgebiet etwa gleich intensiv."
Herr Bundesminister, ich begrüße aus der Sicht Schleswig-Holsteins ausdrücklich die von Ihnen hier erklärte Absicht der Bundesregierung, die Interessen der Verdichtungsräume und der ländlichen Räume gleichrangig zu berücksichtigen. Ich würde aber eine solche Erklärung geradezu enthusiastisch begrüßen können, wenn diese Absicht in dem Programmentwurf der Bundesregierung ihren erkennbaren Ausdruck fände.
Ich habe hier heute das Wort ergriffen, um aus der Sicht einiger Flächenländer zu unterstreichen, daß - erstens - Verzögerungen in der Fertigstellung dieses 1. Bundesraumordnungsprogramms keinesfalls den Ländern angelastet werden können; daß - zweitens - auf Länderseite nach wie vor die Bereitschaft besteht, an einer baldigen Fertigstellung des 1. Bundesraumordnungsprogramms konstruktiv mitzuwirken, auch wenn dieses noch nicht den Anforderungen entsprechen wird, die sowohl der Deutsche Bundestag wie die Ministerpräsidentenkonferenz an das Programm einmal gestellt haben; daß wir - drittens - deshalb eine sich unmittelbar anschließende Weiterentwicklung des Programms bereits in einem Stadium für geboten halten, in dem das Programm noch nicht einmal festgestellt ist; und daß - viertens - die Schnelligkeit der Fertigstellung des ersten noch unvollständigen Programms nicht noch weiter auf Kosten eines ausgewogenen und für alle Länder akzeptablen Inhalts gehen darf.
Ich wiederhole: Das Bundesraumordnungsprogramm ist ein echter Prüfstein für die Wirksamkeit und für die Formen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Ich bin sicher, daß die Länder zu einer engen Zusammenarbeit weiterhin bereit sind.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwencke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sozialdemokraten haben es besser als ihre Kollegen von der CDU/CSU. Sie haben in ihrer Geschichte den Planungsprozeß stets als eine Voraussetzung für vernünftige demokratische Politik begriffen, während für ihre konservativen Kollegen Planung weitgehend nicht nur ein Fremdwort blieb, sondern lange Zeit ein sozialistisches Schimpfwort war.
Nun stelle ich befriedigt fest, daß die CDU/CSU auch in diesem Bereich wie schon in anderen, verwandten Politik-Bereichen, etwa der Bodenrechtsreform nicht ohne Einsicht in gesellschaftspolitische Notwendigkeiten geblieben ist. Ich möchte diese
„Erkenntnis" keineswegs auf Vordergründiges, allein auf Taktisches reduzieren, obgleich dazu in den letzten Monaten nicht wenig Gelegenheit gegeben worden ist. Selbst die einleitend von Herrn Jahn gehaltene Rede hindert mich nicht, dies festzustellen.
Herr Jahn, trotz Ihrer - ich würde vorsichtig sagen - reichlich provinzialistischen Anklänge haben Sie doch nur bestätigt, wie wichtig Politik auf der Grundlage des Bundesraumordnungsprogramms ist und wie richtig der Raumordnungsentwurf der Bundesregierung ist. Wenn Sie den Versuch gemacht haben, auf Nebenkriegsschauplätze auszuweichen, dann vielleicht, um davon abzulenken, daß gerade Ihre Parteifreunde es waren, die verhinderten, daß wir in der Präzision des Bundesraumordnungsprogramms noch nicht ein Stückchen weiter sind.
Ihre „Grundsätze zur Raumordnung", die Sie soeben, kurz vor der Debatte, vorgelegt haben, sind ein gewisser Lichtblick. Allerdings, was hier - wieder einmal phasenverzögert: das kennen wir ja auch für andere Reformbereiche - von Ihrer Seite vorgelegt wurde, ist in sanfter, nicht gerade korrekter Anlehnung an längst Veröffentlichtes der SPD konzipiert worden.
Nun will ich nicht sagen, daß die Verfasser bloß kopiert haben. Dafür ist das Vorgelegte eigentlich ein bißchen zu dünn geraten. Es relativiert unsere Thesenaussagen sehr, und passagenweise muß man sich ernsthaft fragen, ob Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, tatsächlich Raumordnungspolitik wollen oder nur so etwas wie Raumordnungstechnologie; dieses als Kosmetik, nicht letztlich in politischer Konsequenz. Dieses haben Sie in einer nicht gerade gekonnten Polemik, würde ich sagen, Herr Jahn, vorgeführt an dem Zitat aus der Beiratsentschließung der SPD. Ich darf, weil Sie ja von Solidität und Seriosität gesprochen haben, mir erlauben, das Zitat ganz zu bringen, das Sie die Ehre hatten, uns nur in einer kleinen Passage vorzuführen.
Der Beirat der SPD, von dem Sie gesprochen haben, hat sich in seinen Punkten 5 und 6 sowohl mit der Verdichtung in den Städten als auch mit dem verdünnten ländlichen Raum befaßt. Er hat darin formuliert:
Der Beirat unterstützt die Zielsetzung des Bundesraumordnungsprogramms, in den Verdichtungsräumen Wachstum, das die Qualität der Lebensbedingungen beeinträchtigt, zu verhindern. Innerhalb dieser Verdichtungsgebiete muß jedoch die Sicherung und Entwicklung verbesserter städtischer Lebensform, die Befriedigung differenzierter Lebensbedürfnisse und die Befreiung von sozialen Zwängen weiterhin gefördert werden.
Und dann kommt das, was Sie nicht mitgelesen haben, was aber dieses Zitat sachlich ergänzt:
Ebenso unterstützt der Beirat die Forderung,
durch Bündelung der Entwicklungskräfte in
Schwerpunkten in den weniger dicht besiedel7940
ten Gebieten den dort lebenden Bürgern Anschluß an die Entwicklung auch ohne Umzug in die Ballungsräume zu gewährleisten.
Dann kommt ein Satz, den ich Sie genau zu notieren bitte, vielleicht auch Herrn Kollegen Schneider, falls er uns nachher Ähnliches anzulasten beabsichtigt:
Schwerpunkte im ländlichen Raum erhöhen die Wahlmöglichkeiten der Bürger als Voraussetzung für die Chancengleichheit und Freiheit der Bürger und tragen somit zur Verminderung ihrer Abhängigkeit bei.
Schon der Titel der CDU/CSU-Veröffentlichung - gestatten Sie, daß ich mich noch ein bißchen ausführlicher mit ihr beschäftige - ist nicht unsymptomatisch. Sie haben „Grundsätze zur Raumordnung", wir haben - zwei Jahre vorher, wie bekannt - unsere „Thesen zur Raumordnungspolitik" vorgelegt. Ich darf mir gestatten, nachher noch einiges daraus zu zitieren.
Die Große Anfrage der CDU/CSU zur Raumordnung selbst habe ich wie meine Kollege begrüßt; nicht die Debatte zu diesem Zeitpunkt, einfach deshalb nicht, weil ihre Substanz jetzt noch nicht durch ein verabschiedetes Raumordnungsprogramm konkret, sondern nur in vagen Diskussionen bleibt. Wir wären hier gern konkreter. Aber nun haben wir immerhin die Chance, zweimal über Raumordnungspolitik zu sprechen. Das kann der Sache nur dienlich sein.
({0})
Sosehr wir das Interesse an Raumordnungsfragen begrüßen, so haben wir doch mit Befremden und Erstaunen während der letzten Monate zur Kenntnis genommen, was aus Ihren Reihen zum Raumordnungsprogramm dazu erklang und hier und heute erklingen wird. Zwischen dem geographischen Norden und dem geographischen Süden der Bundesrepublik gibt es offensichtlich Vereinbarungen, unter denen Sie sicherlich auch nicht nur mit Freude Ihre eigenen Fraktions-Ausführungen machen werden.
Sicherlich haben Sie - wie wir - die Absicht, erstens den Grundgesetzauftrag auf Gleichheit der Lebenschancen in allen Regionen der Bundesrepublik zu realisieren, zweitens die Bestimmungen des Raumordnungsgesetzes von 1965, insbesondere seine Aufgaben und Ziele laut § 1, zu erfüllen und drittens den einstimmigen Parlamentsbeschluß, die Bundesregierung aufzufordern, ein Bundesraumordnungsprogramm zu erstellen, durchsetzen zu helfen.
Raumordnung hat verstärkt auch im öffentlichen Bewußtsein seinen Platz. Wir wissen alle, daß wir an die Grenze des Wachstums gestoßen sind und daß eine gezielte Raumordnungspolitik erforderlich ist, wenn wir die keineswegs mehr unbegrenzten Ressourcen quantitativ und qualitativ zum Wohle aller unserer Bürger diversifizieren wollen.
Die Bundesregierung hat den Parlamentsauftrag dankenswerterweise und immerhin ohne ein vorhandenes Vorbild materialiter bereits während der 6. Legislaturperiode ein Stück weiter präzisiert. Er
wurde dann in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 inhaltlich bestätigt und nach Monaten sehr gründlicher Beratung unter konstruktiver Mitarbeit der Länder nun in einem Entwurf fixiert, der seit dem 25. Juli dieses Jahres zur Ressortabstimmung vorliegt.
Was Bundeskanzler Willy Brandt seinerzeit in der Regierungserklärung ankündigte, ist im Bundesraumordnungsprogramm erfüllt worden. Für alle Bürger in unserem Bundesstaat wollen wir gleichwertige Lebenschancen schaffen und sichern. Ich stimme Herrn Titzck darin zu, daß der Prüfstein dafür das Bundesraumordnungsprogramm sein wird. Wir wollen, wie Willy Brandt seinerzeit ausführte, eine Konzeption für die räumliche Entwicklung des Bundesgebietes und eine bessere regionale Abstimmung aller Bundesmaßnahmen. Auf Grund von Raumordnungspolitik sollen sich städtische Verdichtungsräume und ländliche Gebiete in ihren Funktionen gegenseitig ergänzen - so steht es in der Regierungserklärung - und sich nicht entsprechend der Gesetzmäßigkeit eines ökonomischen Determinismus qualitativ und quantitativ immer weiter voneinander entfernen. Ich glaube, darin stimmen wir überein: Denn wem nützt die gute, reine Luft im Bayerischen Wald, wenn er in der näheren Umgebung keinen Arbeitsplatz findet? Wem nützt die Fabrik nearby, wenn er an ihrem Dreck zu ersticken droht?
Nie zuvor wurde in einer Regierungserklärung die Raumordnungspolitik so ausführlich behandelt wie in der Bundeskanzler Brandts vom Januar vorigen Jahres. Auch die damalige - und zum Glück noch heutige - Opposition hat, wenn ich die Feststellung des damaligen Oppositionsführes Dr. Barzel richtig lese, der Raumordnungsintention zugestimmt. Auch Barzel wollte gesichert wissen, daß „die Lebensbedingungen der Bevölkerung insbesondere in den Ballungsräumen verbessert" werden und die „Erschließung der ländlichen Gebiete voranzutreiben" sei.
Der Auftrag des gesamten Parlaments an die Bundesregierung vom Juli 1969 ist erfüllt. Die Erfüllung dieses Auftrags korrespondiert zeitlich mit der Einbringung der Novelle zum Bundesbaugesetz; das empfinden wir als gutes Omen. Mit seinen konkreten Zielvorstellungen, seinem Instrumentarium und den Methoden der Realisierung wird das Bundesraumordnungsprogramm die künftige gesellschaftspolitische Entwicklung in der Bundesrepublik stark und wahrscheinlich auch nachhaltig beeinflussen. Meine Fraktion drängt auf eine baldige endgültige Verabschiedung.
Die 38 Gebietseinheiten, die als wirkungsvolle Programmeinheiten operationalisiert wurden, müssen sich im Prozeß des Abbaus bestehender großräumiger Disparitäten bewähren. Falls das nicht gelingt, müssen Korrekturen erfolgen. Das gesamte Programm ist ja prinzipiell auf Fortschreibung hin angelegt, ja, es wird sie dringend und zwingend erfordern.
Meine Fraktion hat die lange und schwierige Arbeit am Bundesraumordnungsprogramm sorgfältig beobachtet. Sie hat vor allem die bis vor wenigen
Monaten gute Zusammenarbeit mit den elf ja sehr verschieden strukturierten Bundesländern begrüßt. Seit aber - selbstverständlich wohl nicht ganz aus heiterem Himmel - das Störfeuer aus Bayern einsetzte, dem sich dann auch einige Kieler anschlossen, werden die Bekenntnisse der CDU/CSU-Fraktion zu einem Bundesraumordnungsprogramm allerdings fragwürdiger. Dabei übersehe ich nicht, daß sich Ihre Fraktion der bayerischen Obstruktion etwas verhaltener angeschlossen hat, vorausgesetzt, daß das, was Sie, Herr Kollege Schneider, am
26. Juli erklärt haben, nicht die Meinung eines freischwebenden Künstlers, sondern Fraktionsauffassung war. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich sagen lassen müssen, welches Spiel sie treibt, wenn sie sich noch tiefer in das Netz dieser Obstrukteure aus Bayern verstrickt und damit politische Glaubwürdigkeit vor dem „freien Menschen" einbüßt. Aber vielleicht gibt es diese Fragen gar nicht mehr, wenn der
27. Oktober ins Land gegangen ist - hoffentlich.
Dann werden Sie ja wohl auch auf die Definitionsversuche zur Raumordnung zurückgreifen müssen, die Sie in Ihren „Grundsätzen" vorgelegt haben. Für einen Sozialdemokraten, der Raumordnungspolitik auf der Grundlage der zehn Thesen seiner Partei versteht, ist es immerhin interessant, wie Sie die Grundlagen definieren und wie die einzelnen Kriterien aussehen.
Gleich einleitend, wo Sie wie wir über Bedingungen für gleichwertige Lebensverhältnisse, der Forderung des Grundgesetzes, sprechen, formulieren
Sie Ihre „freiheitliche Raumordnungspolitik", wie Sie sie nennen. Auf die CDU-stereotype Feststellung, daß Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen nicht Gleichheit bedeuten kann, folgt der erstaunliche Satz, den uns ja schon Minister Ravens nicht vorenthalten wollte und der da lautet: „Christlich-demokratische Politik will im Gegensatz zur sozialdemokratischen Politik nicht den uniformen Menschen, sondern den freien Menschen in seiner Eigenart und seinen individuellen Bedürfnissen im friedlichen Zusammenleben mit der Gemeinschaft unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse." Ich gestehe, so geballte christdemokratische Ethik - oder soll ich sagen Polemik? - habe ich lange nicht mehr vor Augen gehabt.
Nun, lesen wir weiter, wie die CDU ihrem „freien Menschen" die Freiheit bewahren oder sie ihm zurückgewinnen helfen will: natürlich durch die klare Absage an „Kollektivismus, staatlichen Dirigismus und Planifikation". Frage: Wer will denn einen „Kollektivismus" usf.? Wer strebt denn den „uniformen Menschen" an? Mit solchen Platitüden, dio Sie nun auch im Zusammenhang mit Raumordnungsfragen offensichtlich hervorkramen mußten, werden Sie Ihren krampfhaften Versuch, inhaltliche Dürftigkeit durch lächerliche Verbalisierung zu kaschieren, nicht verdecken.
Sehen wir uns Ihre Grundsätze noch ein wenig genauer an. Auch Sie wollen laut Programm auf den Planungsebenen von Bund, Ländern und Gemeinden im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, wie es auch in dem von den CDU-Ländern abgelehnten Entwurf
eines Bundesraumordnungsprogramms heißt, „Disparitäten vertikal und horizontal" ausgleichen. Ich will Ihnen exakter als Ihre „Grundsätze" sagen, in welchem Rahmen die „bessere Ordnung", wie Sie sie nennen, die sozial gerechtere, möglich wird, welche Instrumente dazu erforderlich sind und welcher Planungsprozeß dafür notwendig erscheint. Die CDU-Parole von dem „uniformen Menschen", den, wie Sie möchten, wir Sozialdemokraten wollen sollen, sollten wir dafür im Gedächtnis behalten.
In unseren raumordnungspolitischen Überlegungen gehen wir von den Fakten aus, wie sie den „uniformen" oder „freien" Menschen in der gesellschaftlichen Realität begegnen. Der Raumordnungsbericht 1972 der Bundesregierung hat bestätigt, daß die räumlichen Voraussetzungen für ein Mindestmaß von Lebensqualität vor allem durch zwei Faktoren bedroht sind. Einerseits nähern sich die Lebensbedingungen in einigen Verdichtungsräumen der kritischen Belastungsgrenze, und andererseits wächst in weiten Teilen des ländlichen Raumes das siedlungs- und wirtschaftsstrukturelle Defizit. Wenn diese Entwicklung nicht systematisch, also durch raumwirksame Förderungsmaßnahmen beeinflußt wird, werden sich die Lebensbedingungen der Bürger in unserer Gesellschaft sowohl in den ländlichen als auch in den Ballungszentren weiter verschlechtern.
Hier haben alle konstruktiven Überlegungen anzusetzen. Das geschieht durch das Bundesraumordnungsprogramm, durch die verschiedenen Förderungsmaßnahmen des Bundes, durch Gemeinschaftsaufgaben etc. Wenn man die „Freiheit des Bürgers" erhalten und noch stärken will, erfordert das sehr konkrete Maßnahmen. Mit dem bloßen CDU-Hinweis auf „besseres Leben und Arbeiten der Bürger" ist diesen nicht geholfen, sicherlich aber dadurch, „1. daß alle wirtschaftlichen und sozialen Einschränkungen der persönlichen Unabhängigkeit soweit wie möglich abgebaut werden, 2. daß die notwendige sachliche Voraussetzung, die Entwicklung der Persönlichkeit, hergestellt wird und 3. daß die Mitwirkung aller Bürger an der Gestaltung der Gesellschaft gesichert wird, damit für die notwendigen institutionellen und organisatorischen Regelungen Raum genug vorhanden ist." So heißt es in den SPD-Thesen. Eine Vorstufe, Herr Jahn, zum „uniformen Menschen"?
Das ideologisch drappierte Sammelsurium von Allgemeinplätzen in dem CDU-Papier hilft durchaus nicht. Raumordnung ist nur politisch und im gesellschaftspolitischen Kontext realisierbar, und Raumordnungspolitik hat primär mit Gesellschaftspolitik zu tun, mit Reformen in unserer Gesellschaft, und die muß man wollen.
Chancengleichheit - sie kommt im CDU-Papier meines Wissens überhaupt nicht zur Geltung - darf doch kein Schlagwort sein, sondern muß realisiert werden durch ein
„vielgestaltiges Angebot an Arbeitsplätzen in jeder Region,
durch ein vermehrtes Angebot an zeitgemäßem Wohnraum,
durch ein verbessertes Angebot an Bildungsmöglichkeiten für Jugendliche und Erwachsene und für soziale Minderheiten,
durch eine bessere Versorgung mit öffentlichen Sozialeinrichtungen,
durch die vielfältige Versorgung mit öffentlichen und privaten, kulturellen und sportlichen Einrichtungen, durch unbeschränkten und schnellen Zugang zur freien Natur,
durch gute Ausstattung mit Einkaufsgelegenheiten für Alltag und Spezialbedarf,
durch den schnellen Zugang zur öffentlichen Verwaltung und
durch ausreichende Aktionsfelder zu verantwortlicher Mitwirkung auf lokaler und regionaler Ebene".
Das Instrumentarium dafür muß, sachlich und zeitlich gebündelt, so exakt wie möglich definiert sein, um realisiert werden zu können.
Dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren, erarbeiten wir Raumordnungsprogramme, Landesentwicklungspläne usf. Hier habe ich beispielsweise die Passagen zitiert, die im bayerischen Programm stehen, das unter einem Ministerpräsidenten Dr. Vogel zur Realisierung ansteht.
Auch die CDU/CSU nimmt in ihren „Grundsätzen" zu solchen Fragen Stellung. Zur „besseren Wirtschaftsstruktur" heißt es darin z. B. - ich zitiere -:
Ziel der regionalen Strukturpolitik und der Raumordnung ist es, das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Gefälle zwischen den Regionen zu verringern und entsprechend dem Verfassungsauftrag gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in sämtlichen Teilen des Bundesgebietes zu schaffen.
So weit, so gut. Man sollte denken, daß auch der regionalen Politik dafür ein gewichtiger Anteil zukommt und dem auch in dem CDU-Papier entsprochen wird. Ich darf zitieren:
Gemeinschaftsaufgaben - heißt es bei der CDU sind nicht weiter auszubauen, weil sie wegen ihrer Mischverwaltung eine klare politische Verantwortlichkeit nicht wiedergeben und einer parlamentarischen Kontrolle nicht unterliegen. Mischverwaltungen und zweckgebundene Subventionen führen über ein kompliziertes Kontrollsystem zu einer unausweichlichen Aufblähung des Apparats, dessen Kosten den Zweck der Förderung in Frage stellen.
Mit anderen Worten: eine bundesweite und gleiche Förderung auf Grund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse und statistischer Zahlen soll es nicht. geben. Das heißt: das Geld des Bundes nehmen wir, auf seine Förderungskriterien verzichten wir. Auch eine solche Haltung hat zu der gegenwärtigen Disparität geführt. Das, glaube ich, muß man deutlich sagen, gerade im Blick auf die bayerische Situation. So wird aber nicht nur von der Sachnotwendigkeit einer gemeinsamen Raumordnungspolitik abgewichen, sondern auch ganz offenbar einer alten Kirchturmspolitik gefrönt. Dann sollten Sie ehrlicherweise gleich sagen, daß Sie die Gießkanne nehmen und damit übers Land gehen wollen.
({1})
- Habe ich! Ich zitiere ja immerfort daraus, Herr Jahn. Wenn es Ihnen unangenehm ist, hätten Sie es so formulieren müssen, daß es der Sache dient und nicht einfach nur Polemik ist.
({2})
- Die Gießkanne kommt vielleicht noch, sie steht indirekt drin.
Auch die skeptische Haltung -siehe Frage 3 und 4 der Großen Anfrage - zu den ,,Entwicklungsachsen", den „Entwicklungszentren" und den „Entwicklungsschwerpunkten" zeugt nicht gerade von raumordnungspolitischer Einsicht. So fordert das CDU/CSU-Papier an einer anderen Stelle - ich darf schon wieder, Entschuldigung, Herr Jahn, - zitieren -, daß bei der
({3})
Neuabgrenzung der Fördergebiete . . . die regionalen Arbeitsmärkte so zu gestalten ({4}), daß von ihnen keine Nivellierungseffekte auf Arbeitsplatz- und Infrastrukturförderung ausgehen.
Dies gelte - Zitat
insbesondere für die 38 Gebietseinheiten des Bundesraumordnungsprogramms, die entsprechend ihrer ursprünglichen Funktion weder als statische Zähleinheiten noch als Planungsregionen und Programmregionen für die Gemeinschaftsaufgabe geeignet sind.
Wozu sollten sie dann geeignet sein?
Die Vermutung, daß die CDU/CSU prinzipiell überhaupt keine wirksame Raumordnungspolitik will, drängt sich hier doch auf. Ich würde mich freuen, wenn Ihre Sprecher hier deutlicher sagten, worum es Ihnen eigentlich - neben aller Polemik - geht.
Die CDU/CSU zeigt auch durch ihre „Grundsätze" keine wesentlichen raumordnungspolitischen Fortschritte. Begrüßenswerte Passagen sind selten - die abgeschwächten SPD-Thesen. Die CDU/CSU sollte sich, wenn sie es - hoffentlich! - nach dieser Debatte, vielleicht aber auch erst nach dem 27. Oktober ernst meint, noch einmal gründlich an die Überarbeitung ihrer „Grundsätze" machen, wozu ihr die Hilfestellung durch die bayerische Staatsregierung zur Unzeit jedenfalls nicht unbedingt anzuempfehlen wäre.
({5})
- Unsere Thesen sind bekanntlich vor zwei Jahren vorgelegt worden, „10 Thesen zur Raumordnungspolitik".
({6})
Sie haben Sie ja auch teilweise zitiert, die SPD-Thesen!
({7})
- Die Bundesregierung hat einen Raumordnungsprogramm-Entwurf vorgelegt,
({8})
der ganz wesentlich unseren Vorstellungen von Raumordnungspolitik entspricht. Das habe ich aber bereits ausgeführt. Ich hoffe sehr, daß Sie das nicht überhört haben.
({9})
Uns liegt der Entwurf der Koalitionsregierung zum Bundesraumordnungsprogramm vor. Wir stimmen ihm zu. Für die Bundesrepublik leitet dieses Raumordnungsprogramm eine positive Entwicklung ein. In enger Bürgerbezogenheit leitet es durch zielorientierte Perspektiven und auf Grund eines noch weiter entwicklungsfähigen Instrumentariums einen schwierigen Veränderungsprozeß ein: die ungeordnete Verdichtung mit ihren unerwünschten Verdichtungsfolgen in den Ballungszentren wird ebenso wie die ländliche Entleerung gestoppt. Dafür sind, auch ohne bindende Eckwerte, was die Länder gefordert haben, raumordnungspolitische Maßnahmen notwendig.
Um die Zukunft des freien, mündigen Menschen geht es uns, und Sie sagen, auch Ihnen gehe es darum. Er wird durch Raumordnungspolitik in die Lage versetzt, sich unter den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gegebenheiten in der ihm adäquaten demokratischen Gesellschaft weiter zu entwickeln.
Ich darf für meine Fraktion abschließend sieben Feststellungen treffen:
Erstens. Unsere Raumordnungspolitik hat das Ziel, den Bürgern der Bundesrepublik - Zitat aus unserer These 1 - „ein Leben in Freiheit ohne unwürdige Abhängigkeit zu ermöglichen und ihren Anspruch auf Entwicklung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft und auf gleichberechtigte Mitwirkung an der Gestaltung der Gesellschaft zu verwirklichen".
({10})
- Es gibt würdige Abhängigkeiten, wenn Sie Essen und Trinken nicht unter „unwürdig" subsumieren wollen, Herr Jahn.
Zweitens. Dieses Ziel kann nur dann verwirklicht werden, wenn Bund, Länder und Gemeinden ihre raumwirksamen Aktivitäten in wesentlich stärkerem Maße als bisher koordinieren, im Sinne einer Maßnahmen-Priorisierung schwerpunktmäßig konzentrieren und entsprechend den erarbeiteten Zielfestlegungen planvoll realisieren.
Drittens. Die SPD-Fraktion begrüßt die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur Raumordnung. Sie sieht die Einzelantworten auf die vorliegenden Fragen vor dem Hintergrund des Bundesraumordnungsprogramm-Entwurfs, der unseren gesellschaftspolitischen Vorstellungen voll entspricht.
Viertens. Die einzelnen Indikatoren, von denen das Programm ausgeht, und die raumwirksamen Maßnahmen, die das Programm vorsieht, hält die SPD-Fraktion für geeignet, die vorhandenen regionalen Disparitäten in den Wirtschafts- und Lebensbedingungen zu messen und abzubauen. Um die Wirksamkeit der einzelnen raumwirksamen Maßnahmen tatsächlich auch zu gewährleisten, fordert die SPD-Fraktion die Bundesregierung auf, sich auch mit den Fachplanungen und Maßnahmen der einzelnen Ressorts an die für die 38 Gebietseinheiten vorgesehenen Festlegungen zu halten.
Fünftens. Raumordnungspolitik ist für uns Gesellschaftspolitik; sie ist ein Teil der Reformpolitik der SPD/FDP-Koalition.
Das Raumordnungsprogramm ist auf Fortschreibung angelegt, weil neuere Daten verarbeitet, die jüngsten Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung in ihren regionalen Auswirkungen geprüft und schließlich das Programm weiterhin konkretisiert werden muß. Die SPD-Fraktion ist der Auffassung, daß eine stärkere Integration von Bundes- und Landesplanung erforderlich ist, jedoch durch die jetzige Rechtslage, wie sie etwa Art. 65 des Grundgesetzes fixiert, erschwert wird.
Sechstens. Die SPD-Fraktion regt an, daß in den Bundestagsfraktionen bald nach Inkraftreten des Bundesraumordnungsprogramms und vielleicht nach der ersten Bewährung ernsthaft die Frage geprüft wird, ob die gesetzliche Grundlage des Raumordnungsgesetzes vom 8. April 1965 noch ausreicht oder ob eine Novellierung ins Auge gefaßt werden muß, um einerseits ein schärfer bindendes Planungsinstrumentarium zu erlangen und um andererseits die Legislative am Raumordnungsentscheidungsprozeß zwingend zu beteiligen. Es erscheint uns auch zu prüfen notwendig, ob die Zielbestimmungen und Grundsätze der §§ 1 und 2 des Raumordnungsgesetzes heute noch voll den Aufgaben entsprechen können.
Siebtens und letztens. Die SPD-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, die abschließenden Arbeiten am Bundesraumordnungsprogramm zu beschleunigen, sachlich unangemessene Verzögerungen der CDU/CSU-Länder abzulehnen und das Raumordnungsprogramm in seiner endgültigen Fassung dem Bundestag alsbald vorzulegen.
In diesem Sinne werden wir auch den Entschließungsantrag der CDU/CSU behandeln, der sachlich nichts Neues bringt und der auch nach unserer Mei7944
nung an den Fachausschuß überwiesen werden sollte.
({11})
Ich unterbreche für einen Augenblick die Beratungen, um eine Maßnahme nach § 120 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu treffen. Aus dem Stenographischen Protokoll der letzten Sitzung des Deutschen Bundestages gehen eine Reihe von Zwischenrufen hervor, die infolge der allgemeinen Unruhe während eines Teils der Rede des Bundeskanzlers im Sitzungsvorstand seinerzeit nicht verstanden wurden. So haben die Abgeordneten Dr. Jenninger und Pieroth Herrn Bundeskanzler Schmidt mit dem nationalsozialistischen Propagandaminister Goebbels verglichen. Ich erteile beiden Abgeordneten einen Ordnungsruf.
Wir fahren in den Beratungen fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Probleme haben ihre Stunde, die Stunde der Raumpolitik, der Raumordnung hat schon lange geschlagen.
({0})
Der Herr Bundesminister war der Auffassung, die Unionsparteien hätten einen Nachholbedarf in Sachen Raumordnungspolitik wettzumachen. Zugegeben: der Begriff Raumordnung ist neueren Datums. Das Problem, die Sache selbst, ist ein geschichtliches Problem. Man kann bei einer Raumordnungsdebatte offensichtlich nicht an Bayern vorbeikommen - das Land ist zu schön und zu attraktiv -; ich habe Verständnis dafür. Wer durch Bayern fährt, findet beispielsweise in allen Landesteilen die Bestätigung dafür, wie weitsichtig und menschenfreundlich dort schon vor Jahrhunderten Raumordnungspolitik betrieben worden ist.
({1})
- Ich bin freilich gern bereit, Herr Professor Schäfer, mein Kompliment auch an die Schwaben, an die Hessen, an die Rheinländer weiterzugeben. Neue Begriffe lösen aber noch nicht die Probleme selbst.
({2})
- Das ist ganz richtig. Aber wir haben das Land richtig besiedelt, richtig geplant, nicht verplant.
Der Kollege Schwencke war der Auffassung, CDU und CSU wollten im Grunde genommen gar keine Raumordnungspolitik betreiben. Ich darf Ihnen sagen: Saxa loquuntur - Wenn die Menschen nicht reden, reden die Steine - die Steine - dort, wo wir regieren.
({3})
Wenn die Steine es gar nicht sagen würden, die Steine unserer herrlichen Städte, unserer Dörfer und alles, was in diesem Zusammenhang zu nennen wäre, dann sagt es die Wissenschaft. Lassen Sie mich nur einen Wissenschaftler zitieren. Herr Professor Friedo Wagener von der Universität Speyer
hat 1972 in einem Werk über Raumordnung als Gutachter folgendes festgestellt - ich darf zitieren -:
Aus den gegenwärtig geltenden Plänen und Programmen der Länder läßt sich ein genügend konkretes und öffentlich verkündetes Zielsystem für die Raumordnung in der Bundesrepublik Deutschland ableiten. Dabei ist die Zieldichte, im groben Durchschnitt gesehen, im gesamten Bundesgebiet etwa gleich intensiv.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die bereits 1970/71 erschienenen raumordnungspolitischen Publikationen der bayerischen Staatsregierung „Bayern I, II".
Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Raumordnungspolitik das Problem der Stunde ist, hat niemand eindringlicher und bedrohlicher erfahren müssen als die Menschen, die in Verdichtungsräumen leben müssen.
Herr Abgeordneter Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wernitz?
Bitte schön!
Herr Schneider, Sie sprachen eben von der jahrhundertealten oder der bewährten Raumordnungspolitik in Bayern. Ich darf Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß in Bayern seit 1952 die Landesentwicklungspolitik von der Gesetzgebung her auf der Tagesordnung steht und daß die CSU-Staatsregierung bis heute noch keinen verabschiedeten Landesentwicklungsplan oder ein entsprechendes Programm auf den Tisch gebracht hat. Würden Sie dann noch, angesichts dieser Tatsache, Ihre große Behauptung hier aufrechterhalten wollen?
({0})
Lieber Herr Kollege, Ihre Frage versetzt mich in den glücklichen Zustand, einen Aspekt besonders herauszustreichen, einen Tatbestand besonders hervorzuheben, der meinem Lande zu Ehre und Ruhm gereicht. Seit 1952 ist Bayern durch die Anstrengung der CSU - als Staatsregierung gemeint - in wachsendem Maße so attraktiv geworden, daß die Attraktivität Bayerns in einem direkt proportionalen Verhältnis zu dem Zuzugswillen außerbayerischer Menschen nach Bayern gewachsen ist.
({0})
Herr Abgeordneter Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?
Auch dem Herrn Schäfer antworte ich sehr gerne.
Herr Schneider, wenn Sie 1952 als Stichtag nehmen, - täuscht mich meine Erinnerung, daß von 1952 bis 1956 der Sozialdemokrat Hoegner Ministerpräsident war?
({0})
Verehrter Herr Professor Schäfer, ich kann Ihnen die Jahreszahlen genau sagen. Die Vierer-Koalition, die in Bayern nicht im Lichte großen Ruhmes steht, hat regiert von Anfang Dezember 1954 und endete am 16. Oktober 1957.
({0})
Das war also von 1954 bis 1957, und Sie wissen, bis man das Regieren anfängt, wird man zwei Jahre alt, bis man das Nachdenken dann realisieren möchte, war die Herrlichkeit wieder zu Ende.
({1})
- Herr Professor Schäfer, ich darf Ihnen sagen, wer über Raumordnung spricht und dabei bayerische Verhältnisse in Bezug setzt, der weiß, daß es kein Land in unserem Bundesgebiet gibt, das die raumordnungspolitischen Leistungen Bayerns überträfe.
Lassen Sie mich aber weiterkommen. - Raumordnung hat viel mit Geld zu tun, mit Förderungsmitteln, Infrastrukturhilfen in allen Bereichen des Gemeingebrauchs und Gemeinbedarfs. Aber Raumordnung verlangt auch Phantasie. Raumordnung ist eine dynamische Ordnungspolitik, und - das möchte ich besonders hervorheben - Raumordnungspolitik muß in den Städten und Gemeinden insgesamt neue Chancen eröffnen, ihre Planungsabsichten in einen sicheren Rahmen zu stellen. Raumqualität ist ein Stück Lebensqualität. Sie ist von den Tatbeständen der Landschaftspflege, des Naturschutzes, der Landschaftsarchitektur und der großräumigen Verkehrserschließung nicht zu trennen. Weil ich dieser Auffassung bin, habe ich es beispielsweise nie begriffen, weshalb die Koalitionsfraktionen es verhindert haben, daß der Fachausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau nicht einmal zum mitberatenden Ausschuß für das Gesetz für Naturschutz und Landschaftsplanung bestimmt worden ist.
Raumordnungspolitik bedarf der ökonomischen und infrastrukturellen Balance. Sie bedarf einer gesamtwirtschaftlichen Orientierung und analytischen Kontrolle. Raumordnungspolitik, Herr Minister, ist immer ein Stück eines kooperativen Föderalismus. Ich glaube, daß dieser kooperative Föderalismus nur dann funktionieren kann, wenn von beiden Seiten, sowohl vom Bund wie von den Ländern, mit gutem Willen ans Werk gegangen wird. Für die Länder, die Sie apostrophiert haben, darf ich hier und heute den guten Willen ausdrücklich unterstreichen und nochmals bekräftigen.
Ohne eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse für die Verdichtungsräume, für die Großstädte, können wir nicht die Schwellenwerte für eine gesunde Verdichtung finden. Die Raumordnungspolitik, insbesondere die Verteilung raumwirksamer Bundesmittel, muß sich ebensosehr nach strukturpolitischen Notwendigkeiten wie nach volkswirtschaftlichen Zweckmäßigkeiten richten.
Lassen Sie mich einen weiteren Gesichtspunkt besonders hervorheben. Bei allen politischen Betrachtungen und sozioökonomischen Wertungen müssen wir uns bewußt bleiben, daß Verdichtung, als soziologischer und als baulicher Begriff verstanden, in erster Linie nicht ein quantitativer, sondern ein qualitativer Begriff ist. Als Zentren der Wirtschaft, des Verkehrs, der Kultur und des sozialen Lebens, der Wissenschaft und Forschung, zumeist aber der tertiären Berufe üben die Verdichtungsräume bei einem Bevölkerungsanteil um 50 Prozent einen wenn nicht beherrschenden, so doch integralen Einfluß auf die wirtschaftliche Leistungskraft und die geistige Selbstdarstellung unseres Volkes aus. Die Verdichtungsräume sind nach dem Bundesraumordnungsgesetz selbständige Gebietskategorien. Es ist deshalb nur zu verständlich, daß sie in der Großen Anfrage angesprochen werden. Auch der Entwurf eines Bundesraumordnungsprogramms geht auf die Verdichtungsräume ein und betont, daß es in erster Linie darauf ankomme, ihre Leistungsfähigkeit durch eine Verbesserung der Infrastruktur und der Umweltbedingungen zu sichern und zu erhöhen. In stark belasteten Verdichtungsräumen ist einer weiteren Zunahme von Bevölkerungs- und Arbeitsplätzen entgegenzuwirken. Durch Ordnungsmaßnahmen sind nachteilige Verdichtungsfolgen zu beseitigen.
Die Bundesregierung sagt freilich nichts darüber, durch welche Ordnungsmaßnahmen sie nachteilige Verdichtungsfolgen beseitigen möchte. So bleibt die Frage nach den Entlastungsorten unbeantwortet. Die Bundesregierung begnügt sich mit einer unvollständigen Zustandsbeschreibung. Auf die Probleme des Nahverkehrs, der Energieversorgung, der Prioritäten im Wohnungsbau, der Städtebauförderung und weitere Punkte der Ausstattung der Gemeinden mit Einrichtungen des sozialen und kulturellen Gemeinbedarfs geht sie nicht ein. Die von der Bundesregierung zu den Fragen nach den zentralörtlichen Funktionen gegebenen Antworten lassen es leider bei allgemeinen und unverbindlichen Einlassungen bewenden. Dabei hätte gerade die Frage zu den Verdichtungsprozessen die Bundesregierung veranlassen können, darzustellen, welche Leistungen vom Bund nach Maßgabe des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, des Städtebauförderungsgesetzes, der Wohnungsbauförderung und der Krankenhausfinanzierung in den Verdichtungsräumen finanziert oder mitfinanziert werden. Die Frage hätte die Bundesregierung insbesondere anregen müssen, dem Parlament mitzuteilen, welche Prioritäten sie diesen Aufgaben nach Art. 104 a des Grundgesetzes in den Verdichtungsräumen zumißt und welche Abgrenzungen sie gegenüber den anderen Gebietskategorien vornimmt,
Indem ich, Herr Kollege Schwencke, cien Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes besonders hervorhebe, möchte ich Ihnen antworten auf die Feststellung, das Wort Chancengleichheit fände sich nicht in den Raumordnungspapieren der Unionsparteien. Ich darf Ihnen sagen: Chancengleichheit ist sicherlich ein Begriff, der der Auslegung bedarf. Aber Chancengleichheit der Raumordnung, Chancengleichheit zwischen den Verdichtungsräumen und den ländlichen Räumen wollen wir sogar als erste, wesentliche Hauptforderung an die Spitze unseres Forderungskatalogs in der Raumordnung stellen. Nur die Ausgewogenheit zwischen den Verdichtungsräumen und den ländlichen Räumen und den spezifischen Räumen mit Strukturschwächen wird das Ziel der Raumordnung, nämlich gleichwertige Lebensverhältnisse, erbringen.
Die Bundesregierung wurde um Auskunft darüber gebeten, welche Möglichkeiten sie sieht, um notwendige und gesunde Verdichtungsprozesse zu fördern. Die Frage war nicht theoretisch gestellt; sie zielt auf eine Antwort für die parlamentarische Arbeit wie für die kommunale Praxis gleichermaßen ab. Die Bundesregierung beschränkte sich aber auf eine Bestandsaufnahme und auf die Wiedergabe unbestreitbarer und unbestrittener Erkenntnisse der Stadtforschung, der großstädtischen Infrastruktur und Versorgungspolitik. Was die Bundesregierung dem Parlament antwortet, ist in einer unübersehbaren Fülle der einschlägigen Fachliteratur und der Grundsatzverlautbarungen aller Parteien und gesellschaftspolitisch bedeutsamen Gliederungen wiederzufinden.
Der CDU/CSU-Fraktion aber wäre es darauf angekommen, von der Bundesregierung konkrete Programmaussagen, politische Zielprojektionen und verbindliche Planungsstufen zu erfahren. Dabei wird keineswegs verkannt, daß die hier zu beachtenden Kompetenzen des Bundes durch das kommunale Verfassungsrecht der Länder begrenzt sind.
Die in diesem Zusammenhang kritisierten Mängel ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Antworten auf die Große Anfrage. Die Bundesregierung hat jegliche Programmaussage -- wie betont vermieden, die für die praktische Arbeit verwertbar wäre. Während bei den Beratungen des Raumordnungsprogramms ursprünglich die Absicht bestand, den Einsatz der Bundesmittel in 12 Sachbereichen für die nächsten 15 Jahre festzulegen, enthält die Antwort auf die Große Anfrage und der im Kontext zu lesende Entwurf eines Bundesraumordnungsprogramms darüber keine Aussagen.
Für die Verdichtungsräume, für die Großstädte und die in ihrem engeren Regionalbereich liegenden Gemeinden, bringt diese Entwicklung viele Nachteile und Unsicherheiten hnsichtlich ihrer mittel-und langfristigen Haushalts- und Finanzpolitik. Diese Erschwerungen treten selbstverständlich auch und zunächst bei den Ländern auf, die ihrerseits ihre Landesentwicklungspläne im Rahmen des Raumordnungsprogramms ausrichten, fortentwickeln und finanzieren müssen. Es ist ein unbestreitbarer Mangel, daß sich die Antwort der Bundesregierung mit einem analytischen Befund zufrieden gibt, auf die eigentlich - hier, Herr Kollege Schwencke, darf ich Sie
noch einmal apostrophieren - politische Programmaussage aber verzichtet.
({2})
Meine Damen und Herren, für die Länder und ihre Verdichtungsräume wäre es sehr hilfreich gewesen, vom Bund verbindlich zu erfahren, welche Bestimmungs- und Abgrenzungskriterien für den Bund hinsichtlich der Verdichtungsräume maßgeblich sind. Ohne diese grundsätzliche Vorklärung und methodische wie verfahrenstechnische Abgrenzung gegenüber den anderen Raumkategorien bleiben alle übrigen Aussagen im Zwielicht mehrdeutiger Auffassungen, Meinungen und Wertungen stecken.
Die Opposition wollte mit ihrer Frage 6 vor allem einen Beitrag zur Versachlichung und Erhellung der Diskussion über den Abbau großräumiger Disparitäten leisten. Die Bundesregierung blieb auch in diesem Falle bei einer theoretischen Analyse stehen; die eigentliche politische Aussage blieb sie auch in diesem Punkte schuldig.
Der Beirat für Raumordnung - ich darf ihn zitieren - hat am 3. Juni 1974 festgestellt, daß im Entwurf die erforderliche Klarheit und Differenzierung in den Definitionen und in der Wertung der verwendeten Grundbegriffe - z. B. Entwicklungszentren, großräumig bedeutsame Achsen, Schwerpunkte - zu vermissen ist. Unklar bleibt insbesondere, sagt der Beirat, das punktachsiale Gliederungsprinzip der großräumigen Siedlungsstrukturen und damit die Frage, die für die zentralörtlichen Systeme von Bedeutung wären.
Des Begehren der CDU/CSU gewinnt aus kommunalpolitischer Sicht eine zusätzliche und verstärkte Berechtigung.
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Unsere Bürgermeister, Stadt-, Kreis- und Bezirksräte können mit der Antwort der Bundesregierung nichts anfangen.
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Was soll eigentlich ein Stadtkämmerer, ein Oberstadtdirektor, was soll auch ein Landesfinanzminister oder -raumordnungsminister damit anfangen können, wenn die Bundesregierung sagt, daß sich Obergrenzen der Verdichtung sinnvoll nicht ein für allemal festlegen lassen - was als Aussage sicherlich nicht falsch ist -, wenn sie schon im primären Falle nicht über brauchbare Indikatoren und Schwellenwerte verfügt? Daß die Wissenschaft hier der Politik noch nicht hilfreich zur Seite gegangen ist, ist sicherlich nicht erfreulich. Ich bitte Sie aber, Herr Minister Ravens, darum, daß Sie mit Ihrem Fonds, mit Ihren Haushaltsmitteln für Forschung gerade der Frage besondere Aufmerksamkeit zuwenden, auf welche Weise die Verdichtungsräume von den ländlich strukturierten Räumen abzugrenzen sind. Wir warten alle auf ein solches Gutachten; ein solches Gutachten hätte unmittelbare Bedeutung für die Praxis.
Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen, weil das unmittelbar zum Thema „VerdichtungsDr. Schneider
räume" gehört. Das Bekenntnis, für Verdichtung zu sein, oder das Bekenntnis, für die großräumigen Strukturen zu sein, ist sehr leicht abgegeben, und ich kann es hier in der ganzen Problematik nicht näher analysieren. Aber die Bundesregierung ignoriert das alarmierende Gebot, die unübersehbaren und ständig steigenden Folgekosten der Ballung in den Griff zu bekommen. Es ist jedem hinreichend bekannt, daß sich eine U-Bahn bei weitem nicht durch den Fahrschein finanzieren läßt. Über die zukünftige Entwicklung der fortdauernden Kosten des öffentlichen Personennahverkehrs, die auf die öffentlichen Haushalte zukommen, bestehen keinerlei quantifizierte Erkenntnisse.
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Auch hier bedarf es dringend einer eingehenden Untersuchung, insbesondere weil bereits die Entwicklung der Fehlbeträge in den letzten Jahren bei den öffentlichen Haushalten einen Teil der Investitionsmittel aufgezehrt hat, die für den weiteren Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs dringend notwendig gewesen wären.
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Sicherlich werden meine Kollegen auf dieses Problem noch weiter eingehen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen, indem ich folgendes feststelle. Ich habe eingangs betont: Raumordnungspolitik verlangt Phantasie, Raumordnungspolitik ist dem Wesen nach eine dynamische Ordnungspolitik. Raumordnungspolitik verlangt Weitsicht, prognostischen Mut und schöpferische Geduld. Meine Damen und Herren von der Koalition und meine Herren von der Regierung, überfordern Sie diese Geduld nicht bei der Opposition!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Jahn hat heute morgen in der Sache eine ganze Reihe von Verdachtsmomenten geäußert. Gestatten Sie mir, daß ich zum Verfahren selbst einen Verdacht hinzufüge: daß nämlich das Drängen der Opposition auf Behandlung der Großen Anfrage hier und heute vor allem darauf zurückzuführen ist, daß man jetzt auch raumordnungspolitisch den richtigen Einstieg in den hessischen und insbesondere in den bayerischen Landtagswahlkampf finden will. Ich glaube, dabei tut es der Sache gar nicht Abbruch, daß hier zur Abwechslung einmal die Attacke durch einen Münsterländer Abgeordneten eröffnet worden ist und man Herrn Kollegen Dr. Schneider mehr den wissenschaftlich-staatsmännischen Part in seinem Beitrag überlassen hat.
Sie haben in dieser Großen Anfrage in Frageform das formuliert, was uns dann stark vergröbert im Lande als Schlachtruf entgegenhallt - das muß angesprochen werden -, die Behauptung nämlich, diese Bundesregierung bevorzuge einseitig die
Großstädte und die Verdichtungsräume, diese Bundesregierung wolle gar den ländlichen Raum austrocknen, sie enthalte den Menschen auf dem Lande das ihnen Zustehende vor, ja, manchmal auch ganz deutlich die Behauptung, daß aus rein politischen Gründen die Förderungsmaßnahmen diese oder jene Region oder diese oder jene Bundesländer bewußt benachteiligten.
Wir dürfen recht dankbar sein, daß wir hier einmal über einige Fragen offen miteinander sprechen können und uns über einige Thesen eines entwicklungspolitischen Köhlerglaubens etwas unterhalten können, daß wir uns über die bisherigen Erfolge und Mißerfolge der Förderungs- und Entwicklungspolitik in Bund und Ländern auseinandersetzen können und daß wir vielleicht auch jenseits theoretischer Deklamationen, in die letztlich alles hineinzupacken ist, ein bißchen etwas erfahren, was die Opposition dem als Alternative entgegenzusetzen gedenkt. Man kann auch gar nicht übersehen, daß der Schlachtruf, von dem ich gesprochen habe, manchmal in den Bundesländern besonders laut erschallt, die in ihrem eigenen Bereich ganz zentralistisch schalten und walten und immer noch wie zu den Zeiten des Grafen Montgelas verfahren.
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Aus der Beantwortung der Bundesregierung zur Großen Anfrage der Union ist deutlich geworden, daß das Btindesraumordnungsprogramm kein starres Korsett ist und daß es die Dinge nicht in einen Planungsschematismus pressen will und daß es kein Instrument etwa gar einer Investitionskontrolle ist. Aber es ist notwendig, über unsere Zukunft und darüber, wie sich morgen unsere Umwelt darstellen. soll, einmal nachzudenken. Das Bundesraumordnungsprogramm bemüht sich, Leitlinien für die räumliche Entwicklung von morgen aufzuzeigen und daran naturgemäß auch den Einsatz finanzieller Mittel zu orientieren.
Nun wären diese Entwicklungsziele, die dort aufgezeigt werden, besser erreichbar, wenn man sich im Verhältnis Bund-Länder in einer besseren Übereinstimmung befände. Es nützt dem Bürger nichts, wenn man sich aus höchst vordergründigen Motiven hier auseinanderdividiert, statt zu versuchen, zu einer Einigung zu kommen. Denn gerade dadurch, daß der Bund hier in Übereinstimmung mit den Ländern Leitlinien setzt, ist die Frage des Bundesraumordnungsprogramms eine Nagelprobe, ob kooperativer Föderalismus in einer leistungsfähigen Weise funktioniert oder nicht. Das ist eine sehr ernste Frage. Der Auftrag des Raumordnungsgesetzes, gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen und gleichgewichtige, ausgewogene Verhältnisse wirtschaftlich, sozial wie kulturell sicherzustellen und zu schaffen, ist eine wesentliche Frage, bei der sich in unserem System Bund und Länder zusammenfinden müssen.
Nun geht es um die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen. Lassen Sie mich sagen: Diese Bedingungen sind natürlich nur zum Teil objektiv meßbar. Gewiß, man kann feststellen, daß eine bestimmte Anzahl qualitativ guter und sicherer
Arbeitsplätze, von Krankenhausbetten, Kindergärten usw. pro 1 000 der Bevölkerung vorhanden sein muß, und wir sind uns, glaube ich, quer durch die Parteien in diesem Haus völlig einig, daß diese infrastrukturelle Grundausstattung in jedem Ort des Bundesgebietes unverzichtbar ist.
Auch ist gleichzeitig klar, daß das nicht gegenseitig austauschbar ist, daß also - auch das ist hier erwähnt worden - nicht etwa die gesunde Luft und die Arbeitsplätze irgendwie gegeneinander aufgerechnet werden können. Und doch wissen wir, daß es nicht ohne Grund „Gleichwertigkeit" heißt und nicht die Absicht besteht, hier raumordnerisch einer Gleichmacherei das Wort zu reden.
Der Gegensatz von Stadt und Land ist letztlich nicht auflösbar. Die gegenteilige Ansicht ist eine Illusion. Ich sage das in zwei Richtungen: Heute wird in den Großstädten so viel von der grünen Stadt gesprochen, daß man manchmal den Eindruck hat, als werde beides gewollt: die Vorteile der Stadt und die Vorteile des Landes zur gleichen Zeit. Das ist schlechthin nicht möglich. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Die Hühnerfarm neben der Staatsoper wird es nicht geben.
Auf der anderen Seite dürfen wir - darüber müssen wir uns klar sein - in der Bevölkerung keine Illusionen schüren, alle sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und sonstigen Einrichtungen des tertiären Bereichs könnten in ihrer ganzen Breite in jedem Dorf vorhanden sein, geschaffen werden oder am Leben erhalten werden. Das muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, um der Theorie sowohl aus den Verdichtungsräumen wie vom flachen Land her entgegenzuwirken, die auf eine Art Verwischung des natürlichen Gegensatzes zwischen Stadt und Land hinausläuft und dort, wo sie erprobt worden ist, letztlich immer zu einem Qualitätsverlust geführt hat.
Der Siedlungsbrei in manchen Verdichtungsräumen macht noch keine Urbanität; und das sogenannte Hochhaus, das die Planungsträger für manches kleine Dorf heiß herbeisehnen, schafft dort noch kein weltstädtisches Fluidum. Lassen Sie mich das mit aller Deutlichkeit sagen.
Bei der Betrachtung dieser Situation erkennen wir, daß die Raumordnung von einigen Faktoren abhängt, an denen wir nicht vorbeigehen können. Der erste ist bekanntermaßen die Knappheit der finanziellen Mittel, die es unmöglich macht, in der ganzen Breite überall alles zu schaffen. Raumordnung hätte vor 50 Jahren sicher ganz anders ausgesehen. Heute haben sich die Ansprüche erhöht. Das macht die Knappheit der Mittel besonders prekär und läßt es besonders schwierig werden, bei der Förderung überall in die Breite zu gehen.
Ein weiterer Faktor ist ein häufig übersehener Tatbestand - man kann es dem Statistiker gar nicht so übel nehmen, daß er ihn nicht so recht zur Kenntnis nehmen will -, nämlich daß die Lebenschancen im Sinn von Lebensqualität nicht bis ins letzte objektiv meßbar sind, sondern, daß hierbei ein stark subjektives Element mitspielt. Und dieses subjektive Element entzieht sich den Berechnungen des Statistikers und dessen, der wirtschaftspolitisch flankierend Raumordnung betreiben will, Dieses subjektive Element ist die Vorstellung des Bürgers von dem, was er erwartet. Das entzieht sich der Berechnung und läßt sich nur empirisch beobachten und feststellen. Anders läßt sich der Zug in die Stadt nicht erklären.
In unserer heutigen Zeit ist auch der Ruf wieder laut geworden: Stadtluft macht frei!, obwohl dieser Drang in die Verdichtungsräume oft von den objektiven Lebensbedingungen her nicht recht verständlich ist. Wir dürfen bei aller Benachteiligung von Teilen des flachen Landes nicht übersehen, daß der Wegzug gerade der jungen Generation aus Räumen ländlichen Zuschnitts mit gleichen Einkommensverhältnissen und manchen Vorteilen gegenüber der Stadt anhält. Ein typisches Merkmal, über das wir nachdenken müssen, ist, daß für Industriebetriebe im ländlichen Raum hochqualifizierte Führungskräfte oft nicht zu haben sind, obwohl diese Betriebe gezwungenermaßen häufig besseres Einkommen und bessere Konditionen in den Arbeitsverträgen anbieten. Ich glaube, Raumordnung kann über diesen ganz wesentlichen Tatbestand einfach nicht hinweggehen.
Damit kommen wir zu einem gewissen Fazit: Wenn der Zug in die Großstadt und in die Verdichtungsräume anhält - und darüber sind sich die Experten einig -, dann wird es daraus bestimmte Konsequenzen zu ziehen geben. Herr Kollege Dr. Jahn, ich glaube, Sie haben heute morgen manches gesagt, was fast als eine Verteufelung der großen Städte hätte verstanden werden können,
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so etwa im Sinne von Rainer Maria Rilke: Die großen Städte, ach, sie sind Verlorene!, oder wie es dort heißt.
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Man könnte den Verdacht haben, daß Ihnen das Anwachsen der Verdichtungsräume schon von vornherein etwas verdächtig ist, weil Sie Ihre politische Schubkraft meist so richtig aus dem ländlichen Raum bekommen. Vor einer solchen Denkungsweise sollten wir uns hüten, zumal Sie Ähnliches auch zur Sozialdemokratie gewandt umgekehrt unterstellt haben.
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Aber lassen wir das.
Ich glaube, wir müssen von allen Seiten ganz einfach von objektiven Notwendigkeiten her zu einem vernünftigen Konzept kommen. Weil Sie so beziehungsreich mehrfach die Vogelperspektive erwähnten, Herr Kollege Dr. Jahn, darf ich Ihnen sagen: Manchmal wäre es gut - und sei es nur per Hubschrauber -, sich einmal unser Land aus der Luft etwas anzusehen
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I und dann aber wieder zum Boden zurückzukehren. Es ist notwendig,
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sich manchmal in die Luft zu erheben. Dazu mögen die Schwingen des Vogels geeignet sein, es sei denn, es handelt sich um einen Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt.
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Das ist auch für die Raumordnungspolitik eine ausgesprochen schlechte Sache.
Wir sollten bei diesem weiteren Anhalten des Anwachsens der Verdichtungsräume und der Entleerung der ländlichen Räume einmal etwas nachdenklich werden. Nach so vielen Jahren der Förderungspolitik muß man jetzt einmal die Frage stellen: Was wurde bisher falsch gemacht? Ich glaube, das ist nützlicher, als draußen der Bevölkerung zu suggerieren, sie sei das unglückliche Opfer mangelnder Hilfswilligkeit. Damit ist niemandem geholfen. Wir müssen wirklich einmal fragen, was in der Vergangenheit falsch gemacht wurde, anstatt uns hier in einem sehr kleinlichen Streit zu erschöpfen und etwa wie ein Fliegenbeinzähler aufgezeigt zu bekommen, welche Mittel in welcher Höhe in Entwicklungszentren und Verdichtungsräumen und wieviel in den ländlichen Raum geflossen sind. Kollege Dr. Schneider, diese Zahlen sind ja ganz nützlich. Aber wir wissen doch, wie das draußen verhackstückt wird, wie den Leuten auf das Komma und auf 100 DM genau suggeriert wird, daß diese Bundesregierung - oder wer immer die Verantwortung trägt - bemüht sei, ganz bewußt bestimmte Bevölkerungsgruppen und bestimmte Räume zu benachteiligen.
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- Ich klage auch nicht, Herr Kollege.
Eines ist ganz offensichtlich: Auch in der Bundespolitik wurde ja bis weit in die sechziger Jahre hinein einer relativ ungezielten Förderung gehuldigt. Wir kommen nicht um die Feststellung herum, daß Förderung nach dem Gießkannenprinzip ganz einfach verfehlt ist. Wer jedem etwas zu geben bemüht ist, gibt häufig allen fast nichts. Man muß feststellen, daß die Fabrik, die irgendwo im ländlichen Raum isoliert hingesetzt wird, noch nicht die erwarteten Arbeitsbedingungen für die Bevölkerung schafft und daß das große Schwimmbad mit olympischen Ausmaßen, das drei Dörfer weiter hingesetzt wird und die Gemeinde in unabsehbare Folgekosten stürzt, kein Ausgleich für die fehlenden Arbeitsplätze ist. Was soll die Bevölkerung dort tun? Sie kann im besten Wortsinne ganz einfach badengehen.
Ich glaube, es ist im Straßenbau umgekehrt zu kritisieren, daß in Räumen, wo bereits Straßen vorhanden sind und wo eine sehr dünne Verkehrsdichte festzustellen ist, an unendlich vielen Stellen einige wenige Kilometer Straße gebaut werden,
daß aber die überörtlichen Anbindungen an die Verdichtungsräume fehlen.
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- Herr Kollege, ich empfehle Ihnen - insbesondere zur guten Jahreszeit - eine landschaftlich schöne und ansprechende Rundreise etwa in den Grenzgebieten der Oberpfalz. Sie können dort Dinge sehen, sich von der Bevölkerung, von Ortskundigen und Ortsansässigen Dinge sagen lassen und auch zeigen lassen, die Ihnen die Haare zu Berge stehen lassen. Ich spreche im Zusammenhang mit dem Gießkannenprinzip gar nicht von bestimmten Objekten, von Abschreibungsfirmen, die heute als Betonruinen mitten im Wald stehen und sich ehedem höchster und allerhöchster intensiver Förderung auch staatlicherseits und von seiten von Parlamentariern erfreut haben. Davon wollen wir an dieser Stelle gesondert gar nicht sprechen.
Wenn man allen gefällig sein will, mag das im Einzelfall die politische Klientel für eine gewisse Zeit befriedigen; es löst aber die Probleme nicht. Ich habe - diese Bemerkung kann ich mir hier nicht ersparen - manchmal den Eindruck, daß dieses Gießkannenprinzip untrennbar mit der Tatsache verbunden ist, daß man sich in bestimmten weiten Regionen, die auch eine politische Monostruktur haben, innerparteilich zwangsläufig nach allen Seiten relativ offen zeigen muß,
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um sozusagen am Drücker zu bleiben. Ich glaube, daß, wenn es hier Konsequenzen zu ziehen gilt, die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Anfrage einen sehr deutlichen und sehr richtigen Weg aufgezeigt hat. Es geht darum, überall eine infrastrukturelle Grundausstattung sicherzustellen, darüber hinaus aber gleichzeitig zu einer starken Konzentration der Förderungsmaßnahmen zu kommen. Wenn es richtig ist, daß die Abwanderung auch heute noch anhält, so kann man dem nicht punktuell begegnen. Es geht vielmehr darum, die Attraktivität größerer Verdichtungsräume, die von der Bevölkerung offensichtlich gewünscht wird, durch die Förderung und den Ausbau neuer Entwicklungszentren in die heute dünn besiedelten ländlichen Räume hineinzutragen. Wenn man so verfährt, ist natürlich das Konzept der Entwicklungszentren und der Entwicklungsachsen, wie es die Beantwortung der Bundesregierung aufzeigt, durchaus richtig. Dann sind das Ausbluten und die von Ihnen erwähnte passive Sanierung des flachen Landes auch kein Schicksal mehr, sondern dann können die gesteigerten Erwartungen der Bevölkerung regionsnah durch neue Entwicklungszentren befriedigt werden. Damit ist gleichzeitig den alten Zentren geholfen, die dadurch wesentlich entlastet werden.
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Herr Kollege Dr. Schneider, in der Beantwortung ist doch sehr deutlich angesprochen, daß nur durch regionsnahe Entwicklungsschwerpunkte gleichzeitig auch eine Abstützung des umliegenden flachen Lan7950
des erreicht werden kann; denn wir haben dort, wo wir Verdichtungsräume haben, im Umland auch nicht in jedem Ort das ganze breite Angebot all dessen, was sich die Menschen an jedem Ort wünschen. Hier ergeben sich sinnvolle Verflechtungen. Die heutige Einstellung der Bevölkerung, die wir doch gerade nicht manipulieren können oder durch irgendein Befehlssystem in die Bahnen lenken wollen, in denen wir sie vielleicht gerne hätten, gilt es zur Kenntnis zu nehmen. Hier herrscht die Freizügigkeit. Jeder in unserem Lande kann sich orientieren, auch örtlich und räumlich, wie er will. Deswegen hat die Politik diesem offensichtlich langfristigen Trend der Bevölkerung Rechnung zu tragen.
Wenn es möglich ist, an neue Entwicklungszentren, die regionsnah im ländlichen Raum liegen, diesen ländlichen Raum stärker anzubinden, so wird das um so eher möglich sein, weil durch die neuen Zentren die Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt werden können, gleichzeitig aber das natürliche Bestreben jedes Menschen gestützt wird, die Vorteile nicht zu verlieren, die er am angestammten Ort genießt, z. B. aus seinen sozialen und familiären Verflechtungen nicht herausgerissen zu werden. Wir erreichen also damit ein Doppeltes, und das macht meines Erachtens die Beantwortung seitens der Bundesregierung sehr deutlich.
Ein Letztes: Es wird notwendig sein, damit auch die Verdichtungsräume zu entlasten. Das erfordert aber auch einige Konsequenz. Ich darf das am Beispiel von München aufzeigen. Im Stadtrats- und Oberbürgermeisterwahlkampf 1972 waren wir uns noch einig, daß das ständige Wachstum dieser Stadt gestoppt werden müsse. Ob das heute noch so ist, wage ich in Frage zu stellen, und zwar ganz einfach deswegen: Kaum hat der Zuwachs von damals jährlich 30 000 Personen in München nachgelassen, wurde das als eine Art Katastrophe angesehen. Jetzt wird bereits nach Förderungsmaßnahmen gerufen. Ich glaube, daß auch in den Verdichtungsräumen einige Konsequenz Platz greifen muß: Daß wir zwar, die Verdichtungsräume wie den ländlichen Raum betreffend, flexibel bleiben müssen und uns nicht in ein Korsett einschnüren lassen dürfen, daß wir aber gleichzeitig im Grundsatz konsequent bleiben müssen und die Bevölkerung mit der Wahrheit, und sei es auch einmal mit der unbequemen Wahrheit, ganz offen bedienen müssen. Diese Bevölkerung hat ein Recht auf diese Wahrheit. Ich glaube, das wird immer noch der beste Weg sein, raumordnungspolitisch in Zusammenarbeit von Bund und Ländern zu verünftigen Ergebnissen zu kommen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man heute morgen den Herrn Kollegen Dr. Jahn gehört hat, mußte man das Gefühl haben, das Problembewußtsein eines Politikers orientiere sich an den Ergebnissen der letzten und an den Hoffnungen für die nächsten Wahlen. Ich meine, Herr Kollege, so einfach sollten wir es uns hier doch wirklich nicht machen.
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- Gut, Herr Kollege Franke, ich stelle mich gern Ihrer Kritik.
Meine Damen und Herren, wenn heute im Bundestag über die Fragen der Raumordnung debattiert wird, dann wird uns zunächst einmal - ich möchte das hier sagen - schmerzlich bewußt, daß diejenigen, die diese Probleme unmittelbar zu bewältigen haben, leider gar nicht die Möglichkeit haben, hier mitzudiskutieren. Ich meine die Städte und Gemeinden und ihre gewählten Vertreter,
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die in dieser Situation nach wie vor noch gewissermaßen durch uns und durch den Bundesrat das Wort ergreifen müssen. Um so dankbarer, Herr Minister, muß ich heute einmal an dieser Stelle sagen, daß wir alle anerkennen, daß Ihr Haus immer wieder deutlich gemacht hat, daß Sie auf die Mitsprache und auf das Wissen der Gemeinden nicht verzichten wollen, und ich bitte Sie, auch in Zukunft auf diesem Weg Ihres Hauses mit der früheren Konsequenz weiterzugehen. Ich erinnere an die Beteiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände im Deutschen Rat für Stadtentwicklung, an den Beirat für Raumordnung, an die Arbeitsgruppe „Bundesraumordnungsprogramm" des Hauptausschusses der Ministerkonferenz für Raumordnung, an den Arbeitskreis „Sozialer Wohnungsbau" bei Ihrem Ministerium, und ich hoffe und wünsche, daß gerade diese Möglichkeiten auch in Zukunft nicht nur offenstehen, sondern vervielfältigt werden und die Chance einer wirklich fairen Mitarbeit und Mitverantwortung denen gegeben wird, die für die Kommunen zu sprechen haben.
Meine Damen und Herren, wir haben heute in Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU erlebt, wie von einem Mitglied des Bundesrates, dem Herrn Innenminister von Schleswig-Holstein, die Frage der Zuständigkeiten von Bund und Ländern wieder aufgeworfen worden ist. Ich kann nur sagen: bei diesen Auseinandersetzungen um die Kompetenzen stelle ich immer wieder fest, daß gelegentlich die Dritten, die Städte und Gemeinden, auf der Strecke bleiben. Morgen werden wir bei der Novellierung zum Bundesbaugesetz eine ähnliche Entwicklung haben, wo die von dem Herrn Minister Ravens heute zitierte Planungshoheit der Gemeinden durch eine Initiative des Bundesrates plötzlich in das Schußfeld einer Kompetenzverlagerung kommen soll.
Meine Damen und Herren, ich habe, Herr Kollege Schneider, die Antwort des Herrn Ministers nicht so gesehen, wie Sie sie hier als einengend empfunden haben. Wenige Wochen vor den endgültigen Entscheidungen über das Bundesraumordnungsprogramm konnte und kann der verantwortliche Minister nicht die notwendige Koordinierung von Bund und Ländern durch Einzelvorgehen gefährden. Das ist nun einmal der Zwang, unter dem der Bund steht, mit den Ländern eine gemeinsame Grundlage zu
finden. Herr Kollege Schneider, gerade in einer solchen Situation muß man doch einmal die Zuständigkeiten - Sie haben auch selbst darauf hingewiesen - deutlich machen. Es ist doch der Bundesrat, der sonst bei allen Gesetzen keine Gelegenheit ausläßt, um die Möglichkeiten des Bundes zugunsten der Gemeinden an der Elle der Kommunalabstinenz des Grundgesetzes zu messen. Das muß doch mit aller Klarheit gesagt werden.
Vieles - darüber gibt es keinen Zweifel - von dem, was wir heute hier erörtern, meine Damen und Herren, wäre allerdings viel einfacher, wenn wir - entschuldigen Sie - Geld genug hätten, was wir nicht haben, sondern Bund, Länder und Gemeinden stehen alle, Herr Kollege Wagner, unter dem Zwang der finanziellen Möglichkeiten. Meine Damen und Herren, dazu muß man ganz klar sagen: die Raumordnung steht natürlich auch unter dem Druck, daß die Finanzkraftunterschiede unter den Ländern zwar abgebaut worden sind, aber nach wie vor insbesondere zwischen den Gemeinden in den finanzstarken und in den finanzschwachen Ländern besonders groß sind. Beispielsweise das Nord-Süd-Gefälle ist bestehengeblieben. Herausragend sind die Gemeinden in Hessen, das als finanzstärkstes Land seine Vorrangstellung in der Finanzausstattung der Gemeinden ausbauen konnte, und zwar mit rund 872 DM je Einwohner, wie ich aus einer der letzten Statistiken gesehen habe. Demgegenüber sind auf der anderen Seite die Einnahmen der Gemeinden des finanzschwachen Saarlandes im Vergleich zu den übrigen Ländern mit etwa 736 DM je Einwohner weiter zurückgeblieben. Meine Damen und Herren, hier wird deutlich, daß die entscheidenden Möglichkeiten von Lösungen nicht zuletzt auch davon abhängen, daß die Finanz- und Steuerreform weitergeführt wird, die in der ersten Phase zu einem Abbau der Unterschiede der Finanzausstattungen der einzelnen Länder geführt hat, die aber in der weiteren Fortsetzung diesen Abbau auch auf der Gemeindeebene noch weiterführen muß.
Ich meine, daß wir in einer solchen Debatte auch einmal sagen sollten, daß dieses Raumordnungsprogramm, das hier heute schon deutlich geworden ist, letztlich von allen begrüßt wird, daß aber auch klar sein muß, daß es nicht nur ein Raumordnungsprogramm für die Bundesrepublik gibt, sondern daß diese Entwicklungen auch für Europa durchgeführt werden müssen. Ich darf hier auch einmal dem Ministerium für die Unterstützung bei allen Bemühungen der grenzüberschreitenden Raumordnung - mit den Niederlanden, mit Belgien, mit Frankreich usw. - danken.
Meine Damen und Herren, viele Kollegen in diesem Hohen Hause sind an diesen Fragen aus ihrer unmittelbaren Kenntnis beteiligt. Ich hoffe und wünsche, daß es uns gelingt, auch diese Fragen immer wieder in den Blickpunkt der Erörterung in diesem Hohen Hause zu stellen. Und damit bin ich bei einem Punkt, der bei den Etatberatungen 1975 im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft noch nicht vorangekommen ist: ich meine den Europäischen Regionalfonds, dessen Auswirkungen für eine europäische Regionalpolitik von uns allen hoffnungsvoll erwartet werden, und wir sollten auch hier im Rahmen unserer Möglichkeiten auf Fortschritte drängen.
Der Herr Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat heute und in der schriftlichen Antwort auf die Große Anfrage konstruktive Aussagen für das Raumordnungsprogramm gemacht. Ich weiß natürlich, daß ein solches Programm darunter leidet, daß zwischen den Großstädten, dem ländlichen Raum, den Ballungsgebieten und den Räumen, denen geholfen werden soll, Interessengegensätze vorhanden sind und daß es notwendig ist, hier einen Interessenausgleich zu finden. Ich habe aus Ihrer heutigen Antwort, Herr Minister, das Vertrauen gewonnen, daß Sie bemüht sind, nicht nur zwischen Bund und Ländern einen einigermaßen tragbaren Kompromiß zu finden, sondern daß Sie die Grundanliegen des Raumordnungsgesetzes verstanden haben und sich hier in diesem Sinne bemühen.
Lassen Sie mich einige Forderungen aus dem ländlichen Raum in Erinnerung bringen. Es wird hier gefordert, ein wirkungsvolles System von Entlastungsorten zu entwickeln, das einen weiteren Zustrom von Menschen und Arbeitsplätzen in die ohnehin belasteten Verdichtungsräume verhindert. Hier bietet sich die Möglichkeit einer frühen und unmittelbaren Beteiligung der Gemeinden, die die Notwendigkeit von zentralen Planungen in Bund und Ländern anerkennen, die aber an den zentralen Planungsentscheidungen rechtzeitig beteiligt werden wollen.
Wenn wir, meine Damen und Herren, von dieser Plattform aus die weitere Entwicklung des Bundesraumordnungsprogramms kritisch begleiten, dann, glaube ich, werden wir mit diesem Programm eine Chance für die Lösung der großen Aufgaben, die in der Großen Anfrage und in der Diskussion deutlich geworden sind, haben. Täuschen wir uns nicht: Viele Jahre sind ohnehin schon vergangen, bis uns allen überhaupt die eigentliche Problematik in dieser Schärfe deutlich geworden ist. Und lassen Sie mich das freimütig sagen: sie wird uns immer am besten dann deutlich, wenn wir entweder eine überhitzte Konjunktur oder eine Rezession oder Stagnation haben. Um so wichtiger ist es aber, daß die wirkliche Arbeit auf Grund des Raumordnungsprogramms beginnen kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, wir werden gemeinsam dafür zu streiten haben, daß die Gemeinden, die alles das ausführen müssen, was gerade auch unter den Zielen der Raumordnung vorgenommen wird, noch besser gehört werden und auch in den parlamentarischen Gremien das vortragen können, was aus ihrer Sicht notwendig ist. Denn die Gemeinden haben die Aufgaben durchzuführen, sie haben die praktische Erfahrung. Ich glaube, auch der Deut7952
sehe Bundestag erweist sich einen großen Dienst, wenn er auf diese Praxis immer wieder zurückgreift.
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Da wir schon die Gemeinden ansprechen - das muß ich in Richtung Regierung und Koalitionsparteien sagen; die SPD hat ja gerade auch ein Kommunalprogramm bzw. einen Entwurf dazu verabschiedet, doch leider ohne einen finanziellen Teil; in diesem Entwurf sind zwar viele Absichten zu erkennen, aber wer etwa erwartet zu sehen, wie man das denn bezahlen will, der wird enttäuscht -: Herr Minister, meine Damen und Herren, hier können nicht nur große Ziele propagiert werden; wir müssen insbesondere - das sage ich, nachdem der Kollege Schmitt-Vockenhausen auch die Gemeinden ganz besonders angesprochen hat; ich will das ebenfalls tun - auch wissen: da wird nichts laufen, wenn bei den Gemeinden nicht die notwendige Finanzausstattung vorhanden ist. Das ist unsere Aufgabe, die wir hier in diesem Hause zu erfüllen haben.
Ein ganz schwieriger Teil im Bereich zwischen Raumordnung und anderen Ressorts ist sicherlich die Koordination der Ziele der Raumordnung mit den Aufgaben der Finanzplanung. Ich muß hier sagen, das Enttäuschendste an der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ist der Tatbestand, daß im Grunde eine klare Koordination zwischen den Zielen der Raumordnung, wie sie im Raumordnungsgesetz ausgewiesen sind, und der Finanzplanung fehlt. Sehen Sie, es ist enttäuschend, wenn man in der Beantwortung unserer Frage 15 liest:
Das Bundesraumordnungsprogramm wird keine Aussagen über die Bereitstellung raumwirksamer Bundesmittel in den nächsten Jahren enthalten.
Was soll denn eine Stadt oder eine Gemeinde, was soll eine Region, die auf Hilfe für ihre Entwicklung hofft, mit einer solchen Antwort anfangen? Diese Region, diese Stadt, diese Gemeinde fragt mit Recht: Was wird mir denn im Rahmen der verfügbaren Haushaltmittel vom Bund ermöglicht, um auch diese Ziele durchzuführen? Bunte Pläne, schöne Bilder sind hier nicht ausreichend. Wer in der Raumordnungspolitik etwas erreichen will, muß die klare Koordination zwischen Raumordnung und Finanzplanung hier deutlich und dazu realistische Vorschläge machen.
Dies ist leider nicht geschehen; dies vermissen wir. Wir möchten in dieser Debatte die Bundesregierung nachdrücklich auffordern, mehr zu tun, als in der Antwort auf unsere Große Anfrage dargestellt ist, daß etwa das Raumordnungsprogramm nur einen Beitrag zu den Entwicklungsfragen leisten soll. Die Bundesregierung muß - das hat sie in ihrer Antwort versäumt - für die Zukunft aufweisen, wie die Frage einer Koordination zwischen Raumordnung und Finanzplanung befriedigend beantwortet werden kann.
Der Vorwurf, den wir hier erheben müssen, weil das nicht geleistet worden ist, ist deswegen um so
schwerwiegender, weil es bereits mehrere Bundesländer gibt das ist Ihnen, Herr Minister Ravens, sicherlich bekannt , die es prächtig und geradezu vorbildlich verstanden haben, ihre Zielvorstellungen, die Zielvorstellungen der Entwicklungs- und Raumordnungspolitik, mit den verfügbaren Finanzmitteln zu verknüpfen. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich hier ein Beispiel zu nehmen. Wir haben gute Vorstellungen, die etwa in Bayern, in Baden-Württemberg und auch in Rheinland-Pfalz entwickelt worden sind; heute morgen wurde Schleswig-Holstein schon erwähnt. Leider ist das beim Bund alles offengeblieben. Obwohl die Bundesregierung das Bundesraumordnungsprogramm ständig verzögert hat, ist ihr dieser Zusammenklang, der notwendig ist, nicht gelungen. Wir sagen hier auch heute: bunte Pläne, Versprechungen, Zielvorstellungen, ohne daß man sagte, wie man sie denn konkret realisieren will, schaffen nur falsche Erwartungshorizonte, die nachher enttäuscht werden müssen. Damit kann kein Kämmerer und keine Stadt etwas anfangen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf eine Äußerung von Herrn Ravens eingehen. Er hat heute morgen gesagt: Wir wollen da Straßen bauen, hier dieses tun und dort jenes machen. Herr Minister Ravens, sicherlich werden manche Infrastrukturmaßnahmen, manche Maßnahmen der Wirtschaftsförderung, der Verkehrsplanung, der Verkehrsbaumaßnahmen sehr hilfreich sein; aber das genügt nicht. Es ist gerade das Ziel des Bundesraumordnungsgesetzes, das auf Initiative der CDU damals hier im Parlament sehr engagiert vertreten worden ist, diese Dinge zu bündeln und durchschaubar zu machen. Es muß für die kommunalen Körperschaften sichtbar werden, was sie denn tatsächlich erwarten können. Hier enttäuscht Ihre Antwort; Ihre Antwort ist in der Frage der Koordination zwischen Finanzplanung und Raumordnung geradezu ein raumordnerischer Offenbarungseid. Das ist eine ganz große Schwäche, bei der alle die enttäuscht sind, die hier auf klare Vorstellungen gewartet haben.
Wir möchten in der gegebenen Situation vor allem drei Forderungen erheben:
Erstens. Die langfristigen und großräumigen raumbedeutsamen Maßnahmen des Bundes müssen endlich zusammenfassend dargestellt werden; denn eine erfolgreiche Raumordnungspolitik braucht eine langfristige sichere Orientierung. Ich sage das auch deshalb, weil die Raumordnungspolitik ja insbesondere auch die Kräfte der kommunalen Selbstverwaltung und auch viele freie Kräfte in der Gesellschaft, Bürgerinitiative, Bürgerengagement, private Initiative, mobilisieren muß. Es wäre doch ein völliger Fehlschluß, wenn wir die Besserung der Lebensverhältnisse allein davon erwarten würden, daß die öffentliche Hand etwas tut. Öffentliche Hand und privates Engagement müssen miteinander hier zusammenwirken.
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Zweitens. Wir wünschen von der Bundesregierung ein unmißverständliches Eintreten für die Sicherung
der jeweiligen Entwicklungsmöglichkeiten in den zentralen Orten aller Stufen. Die Frage: Wie stehen die Entwicklungszentren zu den zentralen Orten?, ist ja heute morgen hier schon mehrfach erörtert worden. Ich brauche darauf nicht zurückzukommen. Aber eines ist eine Verpflichtung für dieses Parlament und auch für die Regierung: Wir haben im ganzen Lande Gebietsreformen durchgeführt. Wir haben kleine Gemeinden aufgelöst. Wir muten den Bürgern weitere Wege, größere Räume zu. Wir haben ihnen auch zugemutet, von alten Gewohnheiten Abschied zu nehmen, um sie in neuen Gemeinden auf die Zukunft vorzubereiten, ihnen neue Möglichkeiten der Leistungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung zu geben. Dies wäre aber eine Irreführung der Bürger, wenn man jetzt sagte: Diese neugeschaffenen Gemeinden haben im Grunde noch weniger Entwicklungsmöglichkeiten, weil wir alles in einem Übermaß zentralisieren wollen. Diese neuen größeren Mittelzentren und Landgemeinden haben mit Recht auch einen Anspruch darauf, nachdem sie jetzt vom Gesetzgeber geschaffen worden sind, ihre Entwicklungsaufgaben für den Bürger zu lösen, ihre Entwicklungsaufgaben durchzuführen, und wir können jetzt nicht den neuen größeren Gemeinden sagen: Ihr habt im Grunde viel weniger an Entwicklungschancen als die kleinen, die ihr früher wart.
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Lassen Sie mich ein Drittes hier deutlich sagen im Hinblick auf das, was die Bundesregierung vorhat. Sie will uns ja demnächst Bericht erstatten an Hand der 38 Gebietseinheiten, in die sie das Bundesgebiet eingeteilt hat, was man denn so alles erreicht hat. Wir sind sehr für Erfolgskontrolle. Aber wir sehen eine große Gefahr, daß in diesen 38 Gebietseinheiten statistisch nivelliert wird. Wir sagen hier ganz offen: Wir wollen keine passive Sanierung durch statistische Nivellierung, indem hier alles quergerechnet wird, die Oberzentren, die Mittelzentren, die Landgemeinden. Worauf es ankommen wird, ist, in der Erfolgskontrolle auszuweisen, was für die Verbesserung der Lebensverhältnisse einerseits in den Ballungs- und Verdichtungsräumen getan worden ist, und andererseits, was in den Räumen, die der Entwicklung bedürfen, in den strukturschwachen Gebieten, geschieht. Das ist eine offene und ehrliche Bilanz. Denn das alles querzurechnen und durcheinanderzurechnen, kann vielleicht sehr wohlklingende Zahlen ergeben, hilft aber im einzelnen nicht im Hinblick auf eine klare Durchschau und die Grundlage weiterer Entwicklungsaufgaben.
Meine Damen und Herren, ich will kurz zusammenfassen: Was wir brauchen, gerade auch in der Koordination von Raumordnungspolitik, Finanzplanung und finanziellen Möglichkeiten für die kommunale Selbstverwaltung, sind viel weniger, als das in der Beantwortung der großen Anfrage angeklungen ist, hochtrabende Begriffe. Wir können uns auch nicht zufriedengeben und wir wollen nicht Vertröstungen auf künftige Zeiten und auf alles das, was wir aus der sozialistischen Ideologie kennen.
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Man entschuldigt sich mit der Vergangenheit, man versäumt vieles in der Gegenwart, und man vertröstet die Leute auf die Zukunft. Das ist ja hier auch mehrfach in der Antwort so. Man sagt den Leuten: wir werden das demnächst fortschreiben, und dann werdet ihr das finden.
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- Ich will Ihnen sagen, Herr Immer, wir haben damals, 1965, schon das Raumordnungsgesetz hier auf den Weg gebracht.
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Wir haben auch geholfen, daß in vielen Ländern die Landesentwicklungspläne kamen. Ich komme aus einem Land, in dem die Regierung Meyers schon ganz früh Landesentwicklungspläne gemacht hat.
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Von Schleswig-Holstein haben wir es heute gehört. Wir wären z. B. froh gewesen, wenn wir das Bundesraumordnungsprogramm schon zwei Jahre früher gehabt hätten. Aber das hat der Herr Vogel ja so lange hinausgezögert. Da muß man sagen, bei dem Herrn Genscher war es ja fast schon fertig. Der Herr Vogel hat es dann sehr lange hinausgezögert. Er wollte so den Sonderstart in den bayerischen Wahlkampf haben; das ist ihm ja nun auch nicht gelungen.
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Was wir brauchen, ist nicht eine große Galerie von Versprechungen und bunter Pläne oder das Erwecken von Hoffnungen, sondern was wir brauchen, ist, daß der Auftrag des Grundgesetzes ausgeführt wird, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Bereichen unseres Bundesgebietes anzubieten. Dazu müssen wir die kommunale Selbstverwaltung, dazu müssen wir auch viele Kräfte des wirtschaftlichen und sozialen Lebens ermuntern. Es wäre doch ein Irrglaube, wenn wir annähmen, das alles könnte schon wahlgeordnet zu einem Ergebnis kommen, wenn es nur etwa bei der öffentlichen Hand angesiedelt wäre. Gerade Raumordnungspolitik zwingt uns zu dieser Zusammenarbeit, auch deshalb, weil öffentliche Mittel nur beschränkt vorhanden sind.
In dieser Zusammenfassung möchte ich sagen: nicht nur durch den Glauben an große Pläne, bunte Bilder und Versprechungen, sondern durch vielfältige intensive gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden und von vielen Bürgern werden wir die Raumordnungsaufgaben bewältigen.
Die CDU/CSU hat in dieser Debatte deutlich gemacht - und letztlich hat sie ja durch ihre Anfrage die Debatte hier heute ermöglicht und initiiert -, daß ihr sehr daran gelegen ist, daß die Raumordnungspolitik auch in den Blick der Aufgaben dieses Parlaments rückt. Es wäre gut, wenn die Regierung vor allen Dingen dies leisten würde: Koordination des Raumordnungsministers mit den Fachministern, vor allen Dingen mit den Finanzministern. Wenn
) Sie, Herr Ravens, das nicht schaffen, wäre hier auch mal eine lohnende Aufgabe für den Bundeskanzler, dafür zu sorgen, daß bei den Raumordnungsfragen nicht nur Pläne verkündet werden, sondern daß auch Taten kommen. Denn darauf warten die Leute in den Gebieten, in denen die Aufgaben anstehen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Christ.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Ich möchte diese allgemeine Diskussion zur Raumordnungspolitik aus Anlaß der Großen Anfrage wahrnehmen, um einige grundsätzliche Anmerkungen aus der Sicht meiner Fraktion zur regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik zu machen, die zweifellos im engen Zusammenhang mit dem Thema steht, das wir heute schwerpunktmäßig diskutieren.
Liberale Politik und langfristige Rahmenplanung sind für uns kein Gegensatz, weder im Bereich der regionalen Wirtschaftspolitik noch im weiteren Rahmen der Raumordnungspolitik. Insofern begrüßen wir den Entwurf dieses Raumordnungsprogramms, das als gemeinsame Konzeption von Bund und Ländern erarbeitet worden ist und als gesellschaftspolitische Zielgröße gleichwertige Lebenschancen für alle Bürger dieses Landes anstrebt. Zur Erreichung dieses Ziels ist das Bundesraumordnungsprogramm - das wurde hier schon mehrfach betont - ein langfristiger, ein überfachlicher Orientierungsrahmen. Seine planerische Substanz findet sich in den Fachplanungen wieder, in den Fachplanungen der Verkehrs-, der Sozial-, der Agrar-, der Wirtschaftspolitik, aber auch der Bildungspolitik. Daß diese Fachplanungen in Zukunft noch mehr als bisher aufeinander abgestimmt werden müssen - im Sinne eines integrierten Konzepts -, ist sicherlich allgemeine Erkenntnis und Forderung des ganzen Hauses.
Einer der tragenden Pfeiler dieser staatlichen Raumordnungspolitik mit dem Ziel, gleichwertige Lebenschancen für alle Bürger unseres Landes zu schaffen, ist die regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik. Die wichtigsten Instrumente, die wir im Rahmen dieser regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik einsetzen, sind das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", das Investitionszulagengesetz und das Zonenrandförderungsgesetz. Wenn auch die regionale Struktur- und Wirtschaftspolitik als Bestandteil der Raumordnungspolitik gesehen werden kann, so gibt es doch in den globalen Funktionen einen wesentlichen Unterschied, den man nicht übersehen darf. Während es das Hauptanliegen der Raumordnungspolitik ist, das zum Teil starke Gefälle zwischen den industriellen Ballungsräumen und den ländlichen strukturschwachen Gebieten abzumildern, läßt sich die regionale Struktur- und Wirtschaftspolitik, besonders dann, wenn sie auch unter sektoralen Gesichtspunkten eingesetzt wird, eben nicht in dieses starre Schema einzwängen. Regionale Wirtschaftspolitik ist nämlich nicht nur ein Instrument zur Herstellung gleichwertiger Lebenschancen in unserem Lande; sie ist mindestens im gleichen Ausmaß ein wichtiges Instrument zur Ergänzung und im Dienste der globalen marktwirtschaftlichen Rahmensteuerung. Insofern - das hat die Debatte um die Neuabgrenzung der Fördergebiete im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe gezeigt - kann es durchaus Interessenkonflikte geben zwischen den mehr ländlichen und strukturschwachen Räumen auf der einen Seite und den von Strukturanpassungskrisen bedrohten industriellen Ballungsräumen auf der anderen Seite.
Ein Grundprinzip ist im Rahmen unserer marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik für uns unverzichtbar, und es sollte mit aller Deutlichkeit hervorgehoben werden: Marktwirtschaftliche Strukturpolitik, die regional oder sektoral eingesetzt wird, ist grundsätzlich zukunftsorientierte Anpassungs-und Förderungspolitik, die Erhaltung produktivitätsschwacher oder wettbewerbsschwacher Strukturen muß dagegen die Ausnahme bleiben.
Wenn wir uns bewußt machen - und davor auch die Augen nicht verschließen wollen -, daß wir in unserer Volkswirtschaft in Zukunft mit Strukturwandlungen beachtlichen Ausmaßes werden rechnen müssen, die auch automatisch zu vorübergehenden Beschäftigungsrisiken in bestimmten Regionen oder Branchen führen werden, dann wird der Stellenwert einer solchen marktwirtschaftlichen Strukturpolitik recht deutlich. In diesem Kontext steht auch die künftige Arbeitsmarktpolitik, die ihre Hilfen zur beruflichen Anpassung und Qualifizierung gezielter in den Dienst der Strukturpolitik stellen muß.
Angesichts der begrenzten finanziellen Mittel, die Bund und Länder für die kontinuierliche regionale Wirtschaftspolitik einsetzen können, will ich mit diesem Blickwinkel einige kritische Anmerkungen machen, die sowohl Raumordnungspolitik als auch Strukturpolitik betreffen.
Das Bundesraumordnungsprogramm vertritt die Politik eines differenzierten und qualitativen Wachstums. Das Ziel, die Lebensqualität in allen Teilräumen des Bundesgebietes zu verbessern und zu sichern, ist auf der einen Seite in den strukturschwachen ländlichen Räumen noch nicht erreicht und auf der anderen Seite in den industriellen Ballungsräumen - das wissen wir alle - gefährdet. Eine weitere Verdichtung in diesen Ballungsräumen schafft - abgesehen von der steigenden Umweltbelastung - eine verstärkte Nachfrage nach einem weiteren Ausbau der vorhandenen, aber dann eben nicht mehr ausreichenden sozialen Infrastruktur.
Das hat zur Folge, daß ein großer Teil der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel zur Bewältigung beider Probleme vorrangig in die Ballungsräume fließen wird. Die Folgekonsequenz eines solchen nicht kontrollierten, mehr quantitativen Wachstums in den Ballungsräumen ist eben die Tatsache, daß für die ländlichen Räume nicht mehr genügend Mittel übrigbleiben. Und unsere Aufgabe ist es ja, die Disparitäten zu mildern.
Das Hauptziel der Raumordnungspolitik, die großräumigen Disparitäten abzubauen, kann nur erreicht
werden, wenn die wesentlichen Instrumente hierfür, nämlich der Ausbau von Entwicklungszentren und Entwicklungsachsen, im Hinblick auf die begrenzte Möglichkeit, finanzielle Mittel einzusetzen, sinnvoll in konzentrierter Weise eingeplant wird. Wer hier - gleich, aus welchen Gründen - mit einem verklausulierten Gießkannenprinzip operieren will, der kann von vornherein das weitgehende Scheitern seiner Raumordnungs- und Strukturpolitik einkalkulieren. Nicht kleckern, sondern klotzen ist hier die einzige Devise. Und das diese Aufforderung besonders an die Länder geht, brauche ich nicht extra zu betonen; denn der Bund muß ja mit gutem Grund, wie wir meinen, die Bestimmung der Schwerpunkte weitgehend den Ländern überlassen.
Die Strukturpolitik für den ländlichen Raum wie auch für das Zonenrandgebiet wird dann weniger erfolgreich sein, wenn sich die politischen Instanzen nicht in aller Offenheit dazu durchringen können - und das auch in der öffentlichen Diskussion mit den Betroffenen dann mutig diskutieren -, abzugrenzen zwischen eindeutigen Fördergebieten und zwischen Verzichtsgebieten.
Die unvermeidliche passive Sanierung bestimmter ländlicher Gebiete wird nur dann erträglich sein für die Betroffenen, wenn eine gezielte, schwerpunktmäßige aktive Sanierung im Großen diese Prozesse im kleinen auffangen kann. Es können eben angesichts der begrenzten finanziellen Mittel nicht die ehrgeizigen, aber unrealistischen Wachstumsvorstellungen jeder kleinen Gemeinde erfüllt werden. Was im lokalen und regionalen Bereich gilt, sollte zumindest als Fragestellung auch einmal im bundesweiten Rahmen überdacht werden; denn die Tatsache, daß 60 % des Bundesgebietes im Rahmen der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" zu Fördergebieten erklärt worden sind, darf wohl einige kleine Zweifel an der Effizienz einer solchen Form von regionaler Struktur- und Wirtschaftspolitik aufkommen lassen.
Es ist deshalb zu begrüßen, daß die Erfolgskontrolle der Raumordnungs- und Strukturpolitik intensiviert werden soll und auch die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Untersuchungen einer öffentlichen Diskussion zugänglich gemacht werden.
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Eine solche Feststellung soll - das will ich ausdrücklich betonen - in keiner Weise den beachtlichen Erfolg der bisherigen Maßnahmen im „Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" schmälern; gerade dann, wenn man sieht, daß jährlich 100 000 neue Arbeitsplätze mit staatlichen Mitteln in den strukturschwachen Gebieten gefördert worden sind.
Noch mehr als in der Vergangenheit aber sollte man jetzt neben der Schaffung neuer Arbeitsplätze den gezielten Ausbau der gemeindlichen und regionalen Infrastruktur in den benachteiligten Räumen sehen. Erst durch das Zusammenwirken von Arbeitsmarktpolitik und Infrastrukturpolitik im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Unternehmen ein
attraktives Angebot für Investitionen vorfinden. Daß es in der Hochkonjunktur bzw. in der Wachstumsphase besonders darauf ankommt, Investitionsanreize für die Unternehmen anzubieten, während in der Abschwungphase die infrastrukturellen Einrichtungen schwerpunktmäßig gefördert werden sollen, dürfte allgemeiner Konsens sein.
Das Raumordnungsprogramm der Bundesregierung, das gemeinsam mit den Ländern entwickelt worden ist, ist ein offener Orientierungsrahmen, der einer ständigen kritischen Prüfung unterliegen sollte und sicherlich auch auf Grund der ständigen Effizienzkontrolle fortgeschrieben werden muß. Vielleicht empfiehlt es sich für die endgültige Fassung, die Einbettung in die europäische Regional-und Strukturpolitik aufzuzeigen und auch auf den Zusammenhang mit der nationalen und der europäischen Landwirtschaftspolitik und ihre Konsequenzen hinzuweisen.
Soweit die regionale Struktur- und Wirtschaftspolitik einen erfolgreichen Beitrag zur Erreichung der raumordnungspolitischen Ziele leisten kann, tut sie dies unter dem Dach der marktwirtschaftlichen Globalsteuerung. Dabei soll es keine Zweifel daran geben, daß marktwirtschaftliche Strukturpolitik grundsätzlich zukunftsorientierte Anpassungs- und Förderungspolitik ist und eben nur in Ausnahmefällen eine Erhaltungsfunktion haben kann und darf. Dies gilt selbstverständlich dort nicht, wo die Strukturprobleme mehr vorübergehende konjunkturelle Ursachen haben und wo ein bestimmter Standard an Produktionskapazitäten aus längerfristig geltenden volkswirtschaftlichen Gründen erhalten werden soll. Daß eine solche konjunkturell und regional eingesetzte Strukturpolitik nicht gegen die globale Linie der Stabilitätspolitik verstoßen muß, zeigt das 950Millionen-Sonderprogramm für die Bauindustrie, das wir ja gezielt regional einsetzen wollen.
Gerade weil wir erkennen müssen, daß unsere Volkswirtschaft in Zukunft einen erheblichen Strukturwandel erleben wird, brauchen wir Frühwarnsysteme und auch Vorstellungen davon, wie wir diesen sicherlich schmerzvollen Prozeß gerade für die Arbeitnehmer abfedern können. Die vorausschauende Arbeitsmarktpolitik und die sozialpolitische Flankensicherung dieser Bundesregierung machen es überhaupt erst möglich, die notwendigen Strukturveränderungen in unserer Wirtschaft so ablaufen zu lassen, daß die unvermeidlichen sozialen Spannungen nicht zu größeren gesellschaftlichen Konflikten führen.
Die eigentliche Bewährungsprobe der marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik steht uns also noch ins Haus. Wir Liberalen sind sicher, daß das marktwirtschaftliche Prinzip diese Bewährungsprobe erfolgreich besteht. Dazu wollen wir nicht nur die Instrumentarien zur globalen Rahmensteuerung verfeinern, sondern sie auch ergänzen durch eine regionale und sektorale Wirtschaftspolitik, die den erkennbaren Strukturwandel von morgen in die wirtschaftspolitischen Orientierungsdaten von heute mit einbezieht. Die sozialpolitische Forderung, daß dieser notwendige, unvermeidliche Strukturwandel in unserer Volkswirtschaft im Interesse der Arbeitnehmer
so weit als möglich ein gestalteter Prozeß sein soll, ist nicht unvereinbar mit der gleichberechtigten Forderung nach einer wettbewerbsfähigen und produktivitätsstarken Wirtschaft, denn die Sicherung der Arbeitsplätze von morgen und übermorgen, dies ist der Strukturwandel, die Strukturpolitik von heute.
Regionale Wirtschaftspolitik, die den strukturpolitischen Auslesemechanismus des Marktprozesses nicht behindern darf, wird somit zu einem wichtigen Instrument im Dienste der globalen Rahmensteuerung. Wenn sie im Zeichen einer gespaltenen Konjunktur behutsam eingesetzt wird, ohne die große Linie der Stabilitätspolitik zu gefährden, hat sie gleichzeitig eine nicht zu unterschätzende und für dieses Land sehr wichtige gesellschaftspolitische Funktion.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Immer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, in aller Kürze ein wenig von dem zusammenzufassen, was hier vorher von einigen Kollegen gesagt worden ist, damit wir in der Zeit bis halb zwei verabredungsgemäß über die Runden kommen.
Zunächst einmal möchte ich mein Bedauern darüber aussprechen, daß der Vertreter der Länder bzw. des Landes Rheinland-Pfalz kurz nach seiner Rede den Saal verlassen hat und damit dokumentiert hat, daß ihn dieses Geschäft eigentlich nicht so sehr bewegt.
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Das bedauere ich insbesondere deshalb, weil er eine unrichtige Aussage gemacht hat, die der leider im Moment ebenfalls abwesende Dr. Schneider wiederholt hat. Das Raumordnungskabinett hat am 10. Oktober 1973 den Bundesentwurf für die Abstimmung in der Ministerkonferenz für Raumordnung verabschiedet, der Programmaussagen für zwölf Aufgabenbereiche enthielt. Das war der Vorschlag des Bundes, Es ist aber nicht so, daß der Bund diese Dinge fallengelassen hat, sondern im Gegenteil, die Länder haben diese Dinge ganz klar abgeschossen, insbesondere leider das Land Rheinland-Pfalz. Wie kann sich ein Minister hier hinstellen, dessen Regierung Anweisung gegeben hat, diese Dinge abzuschießen, und behaupten, sie seien vom Bund abgeschossen worden?
({1})
- Habe ich Rheinland-Pfalz gesagt? Das war eine echte Fehlleistung. Auf Rheinland-Pfalz komme ich noch.
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- Das brauchen Sie mir nicht zu sagen.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß die CDU-Länder, mindestens das Land Rheinland-Pfalz
darum war das in mein Gedächtnis hineingeschlichen -, wenn man einmal die Förderungsmittel genau analysiert, eben nicht nach den Richtlinien, die offenbar die CDU entwickeln will, gehandelt hat, sondern seine Mittel, auch die Bundesmittel, schwerpunktmäßig in die Ballungsräume Ludwigshafen und Mainz geleitet hat und eben nicht auf das flache Land. Darum haben wir ja den Rückstand in den Grenzgebieten zwischen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Sie können sich die Grenzsituation ja einmal ansehen.
Es ist verschiedentlich gesagt worden, daß dieses Bundesraumordnungsprogramm, um das es auch indirekt geht, verzögert worden sei. Es ist dabei verschwiegen worden - und ich bedaure, daß insbesondere Herr Dr. Schneider das nicht erwähnt hat -, daß in den ersten Beratungen des Beirats für Raumordnung, dem er angehört, die versammelten Vertreter der Wissenschaft und der Verbände sich ganz klar dafür ausgesprochen haben, der Bund möge doch die Arbeiten am Raumordnungsprogramm verlangsamen, weil sich mittlerweile aktuelle, neue Daten im Energiesektor und im Investitionssektor ergeben hätten, die es geboten und geraten erscheinen ließen, ein wenig zuzuwarten und sorgfältiger zu prüfen, ob diese Dinge nicht mit aufgenommen werden müßten, die eine Verlangsamung der Investitionsmöglichkeiten auf der Fläche nach sich ziehen könnten. Ich war bei allen Sitzungen dabei; Herr Dr. Schneider hat gegen diese Äußerung damals nicht protestiert, sondern hat den Mund gehalten. Das finde ich ebenfalls bemerkenswert.
In einem Artikel von Staatsminister Streibl aus Bayern wird bemängelt, daß dieses Raumordnungsprogramm, das zur Verabschiedung ansteht, eine unsichere Datenbasis habe, unvollständig sei. Der Beirat wird dabei zitiert. Der Beirat hat im Gegenteil erklärt, daß es gerade begrüßenswert sei, daß dieses Raumordnungsprogramm noch so viel offene Möglichkeit habe, daß im Blick auf zukünftige Entwicklungen weiter daran gearbeitet werden könne. Schließlich muß darauf hingewiesen werden, daß es sich bei dem Bundesraumordnungsprogramm zweifellos um einen Kompromiß handelt, einen Kompromiß, der zwischen Bund und Ländern notwendigerweise einzugehen war. Man kann davon ausgehen, daß etwa 100 Ministerien an diesem Programm beteiligt waren. Wenn man das Hickhack bei der Bundesratsbeteiligung zwischen den Ländern sieht, wo Schleswig-Holstein Sonderregelungen einbauen wollte, eine Indikatorenveränderung zu seinen Gunsten, dann weiß man wohl, das es sehr schwierig war, zu einer halbwegs tragfähigen Programmatik zu kommen.
Ich möchte einem Kapitel ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenken, kann das aber in der Kürze der Zeit nur andeuten: die Bewertungsmaßstäbe für die Analyse und die Instrumentarien zur Verwirklichung der Forderungen und Zielsetzungen. Reichen die Instrumente für diese Analyse aus?
Wir sehen im Raumordnungsprogramm und auch in Raumordnungsberichten im allgemeinen statische Indikatoren, Bewertungsmaßstäbe und BestimImmer
mungsgründe. Statisch sind sie insofern, als wir z. B. feststellen: Wie viele Krankenhausbetten gibt es pro 1000 Einwohner? Wie ist es mit Kindergartenplätzen? Wie ist es mit Schulen? Aber von den Indikatoren geht keine Aussage darüber aus, was denn etwa subjektive Kriterien sind, was denn etwa dynamische Indikatoren sein können, wie sich denn in einem Raum eine Entwicklung vollzieht.
Darum haben wir das auch durch Äußerungen
der Opposition nicht geklärte - Dilemma, daß man nicht sagen kann, was denn ländlicher Raum sei und wie er sich entwickle. Auch von der CDU/CSU haben wir keine Antwort erhalten, wie der ländliche Raum zu definieren sei.
Ich möchte zwei Beispiele anführen, die deutlich machen, wie dringend wir Indikatoren brauchen, die ein wenig näher an dynamische Entwicklungen heranreichen. Zunächst zwei Beispiele für die Fehleinschätzung menschlichen Verhaltens, die dazu geführt hat, daß Fehlinvestitionen bzw. Fehlentwicklungen - in einem Land sogar in großem Stil - vorgekommen sind.
Das eine - was man zwar nicht als Fehlinvestition bezeichnen kann, was aber den Zweck nicht erfüllt hat - ist der Ausbau eines Industrieparks im Raum Wittlich. Man ging statistisch davon aus, daß genügend Landwirte ihren Beruf aufgeben und das Arbeitskräftepotential für die zu erstellende Wirtschaft darstellen würden. Aber sie waren nicht zu mobilisieren. Man ging auch davon aus, daß Fernpendler sich dann aus Rhein/Main und Rhein/Ruhr zurückziehen würden. Aber sie waren nicht zurückzugewinnen. Man hatte zudem vergessen, daß durch die Bildungsanstrengungen mehr Kinder dieser einheimischen Bevölkerung einen qualifizierteren Abschluß erreichten und damit qualifiziertere Arbeitsplätze verlangten, also nicht in die Betriebe wollten, die nur für ungelernte Arbeitskräfte Arbeitsplätze anbieten. Daher hat man Tausende ausländische Arbeitskräfte anwerben und für sie Wohnungen erstellen müssen, statt dort das zu schaffen, was man wollte. Durch eine völlige Fehleinschätzung menschlichen Verhaltens erkannte man dort einfach nicht, wie die Pendelbewegung geht. Zu 90 % geht das bestimmt auf das Konto einer Landesregierung, nämlich Rheinland-Pfalz, die im Sinne der CDU-Richtlinien immer behauptet, man müsse dem Menschen selbst die Entscheidung ermöglichen und ihn den Freiraum für seine Persönlichkeit entwickeln lassen.
Das zweite Beispiel ist millionenteuer. In vielen Illustrierten wurde darüber berichtet. Es ist das berühmte Beispiel Kurzentrum Rengsdorf. Man ging davon aus, daß Freizeitler oder kursuchende Menschen aus dem Frankfurter Raum in dieses Kurzentrum strömen wollten. Die Fehlsumme beläuft sich mittlerweile auf 10 Millionen. Was aus diesem Zentrum werden soll, läßt sich nicht absehen. Man hatte zwar Gutachten angefordert, aber nicht genau geprüft, wie die „Vogelfluglinie" der Freizeitbeflissenen aussieht, nämlich daß sie nicht von dort in den Westerwald hineinkommen.
Diese Beispiele machen deutlich, daß es auch bei den Ländern Fehlplanungen geben kann, die dann ganz schwierige Folgen haben.
Ich möchte auf ein Dilemma hinweisen, das die CDU mit der Frage der Passivsanierung deutlich gemacht hat. Passivsanierung: Wir alle sind dagegen. Und dennoch wissen wir - das hat auch die CDU in ihrem Programm ganz eindeutig formuliert -, daß man auf Konzentration der Wohnzentren und der Industrieansiedlung nicht verzichten kann, weil man nicht überall gleichartige Lebensbedingungen, sondern bestenfalls in bestimmten Schwerpunkten gleichwertige Lebensbedingungen schaffen kann.
Die Lösung, die ein Naturschützer aus Bayern - Herr Weinzierl - anbietet, ist sicher auch nicht im Sinne der CDU/CSU. Er meint, die Menschen in Ostfriesland und in der Oberpfalz könnten durchaus mit niedrigeren Einkommen zufrieden sein, weil sie ja die Erholungsleistungen vor der Tür hätten; der bedauernswerte Großstädter hingegen müsse mehr verdienen, damit er einen Ausgleich habe. Das ist wohl kaum Raumordnungspolitik, wie wir sie verstehen wollen.
Ich wäre gern noch auf die Frage der Mittelzentren eingegangen, die Herr Dr. Jahn angesprochen hat. Er bezog sich auf eine Untersuchung, aus der ganz deutlich wird, daß die Menschen am liebsten in Mittelzentren wohnen. Dazu muß man dann sagen, daß diese Mittelzentren in den Größenordnungen ab 50 000 bis 100 000 Einwohner und nicht darunter rangieren. Dann muß uns die CDU klarmachen, warum sie denn plötzlich einen ideologischen Wertbegriff einführen will, wenn es in einer Studie der SPD heißt, daß man eben im Sinne der Ministerkonferenz für Raumordnung bei 40 000 im Einzugsbereich bleiben will.
Ich möchte zusammenfassen.
Erstens: Die SPD-Fraktion ist der Auffassung, daß durch das Bundesraumordnungsprogramm erstmals die Chance der Kooperation und Koordinierung zwischen den einzelnen Bundesressorts und zwischen Bund und Ländern genutzt werden kann.
Zweitens: Die SPD-Fraktion erwartet, daß das Instrumentarium für die Feststellung der Disparitäten und Defizite und ihre Tendenzen sowie für die Entwicklungsförderung, insbesondere die dynamischen Indikatoren, laufend, notfalls vermittels Forschungsaufträge, verbessert wird.
Drittens: Dabei hält die SPD-Fraktion an ihrem Grundsatz fest, daß die Raumordnung keine Einengung der Möglichkeiten für die persönliche Entfaltung des einzelnen, auch keine Uniformität zum Ziel hat. Im Gegenteil: die Chancen für Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Mitgestaltung für den einzelnen Bürger bei gleichzeitiger Absicherung seines sozialen Status müssen ständig verbessert und erweitert werden. Das Bundesraumordnungsprogramm ist nach unserer Auffassung ein erfolgversprechender Schritt auf diesem sicherlich mühsamen, aber chancenreichen Weg.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Warnke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von des Gedankens Blässe angekränkelt, haben die Diskussionen diesen Eindruck habe ich - nicht nur die Kollegen, sondern auch die Zuhörer verscheucht. Und ich muß meinen Respekt vor unserem Kollegen Dr. Vogel bezeugen, der es verstanden hat, die Probleme der Raumordnung frei von dieser Blässe zu formulieren, als er vor zwei Jahren in einem in seinem Heimatlande vielbeachteten Beitrag verkündete:
Ja, ich war ein Milliardenverbraucher für München. Wenn Sie mich aber durch Ihre Stimmen dazu in die Lage versetzen, ein Amt in Bonn zu übernehmen, dann verspreche ich Ihnen, ich werde ein Milliardenverbraucher für das Grenzland werden.
Nun, wenn ich das einmal von dem Lokalkolorit befreie, dann ist das genau das Programm der CDU/ CSU, nämlich in der Raumordnung massive Ausgabenumverteilungen zur Herbeiführung eines Gleichgewichts zwischen den Ballungsräumen und den ländlichen Gebieten vorzunehmen. Unser Kollege Vogel hat die ideale Chance gehabt, als Bundesraumordnungsminister das, was er sich vorgenommen hat, zu verwirklichen.
Was ist in diesen zwei Jahren geschehen? Lassen Sie mich - ich kann es in der mir zur Verfügung stehenden Zeit nur noch exemplarisch machen -am Beispiel der Verkehrspolitik dartun, wie die Gegenläufigkeit zwischen den einzelnen Fachressorts dazu geführt hat, daß die Bemühungen des Wirtschaftsministers, in der Regionalpolitik die ländlichen Räume zu stärken, durch die unkoordinierte Ressortpolitik des Verkehrsministers zus ch anden geworden sind.
Erstens: Der Wirtschaftsminister hat Betriebe angesiedelt, und der Verkehrsminister will jetzt die Bahnhöfe zusperren, an denen die Betriebe ihr Stückgut aufliefern, um schließlich die Strecken ganz stillzulegen, an denen diese Betriebe liegen, wie bereits geschehen. Meine Damen und Herren, 312 Schwerpunkte der Gemeinschaftsaufgabe haben wir in der Bundesrepublik, 99 davon, fast ein Drittel, sollen jetzt durch die Aktion 400 ihren Stückgutbahnhof verlieren. Es ist einfach nicht wahr, wenn die Anfrage nach der Kostenmehrbelastung für die Bewohner der betroffenen Gebiete von der Bundesregierung dahin gehend beantwortet wird, daß von einer realen Mehrbelastung nicht gesprochen werden kann. Die Kostenmehrbelastung dürfte - ähnlich, wie die Ersparnis der Bundesbahn in dreistelliger Millionengröße liegen. Wir fordern die Bundesregierung auf, vor ihrer Entscheidung über die Schließung von 600 Stückgutbahnhöfen dem Parlament eine klare und wahre Kostenberechnung vorzulegen.
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Nur auf einer solchen Grundlage können wir über die Notwendigkeit etwaiger Ausgleichsmaßnahmen entscheiden.
Zweitens. Die Frachten für die ländlichen Räume sind in den letzten Jahren überproportional gestiegen.
Drittens. Die Mineralölsteuererhöhung traf die Menschen in den Gebieten, in denen sie nach allen Gutachten auch in Zukunft auf den Individualverkehr angewiesen sind, überdurchschnittlich.
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Viertens. Die Mittel für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs wurden auf Kosten der Mittel für den Straßenbau in den ländlichen Räumen erhöht. Herr Kollege Engelhard, wenn Sie fragen, warum wir Straßen in der Oberpfalz bauen: Natürlich sind die nicht so dicht befahren wie in den anderen Gebieten. Aber um die Wirtschaftskraft dort entwickeln zu können, brauchen wir die schnelle Verkehrsanbindung. Sie ist nur über den Straßenverkehr möglich.
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Fünftens. § 4 Zonenrandförderungsgesetz, der den bevorzugten Verkehrsausbau in diesen Räumen vorsieht, ist toter Buchstabe geblieben. Den sogenannten Verkehrswegeplan für das Zonenrandgebiet, den wir alle zwei Jahre vorgelegt bekommen, hat man im Bundesverkehrsministerium in richtiger Einschätzung der Verhältnisse als eine „kolorierte Landkarte" bezeichnet, nach dem Motto: Außer Spesen, nichts gewesen!
Sechstens schließlich: 90 % der Mittel für den gemeindlichen Verkehrsausbau, meine Damen und Herren, fließen in die Ballungsräume. Dies stellte der Deutsche Landkreistag in einem Brief an den Bundeskanzler fest. 10 Milliarden sind es in den letzten acht Jahren gewesen. Das bedeutet: In diesen acht Jahren sind von den Menschen in den ländlichen Räumen, in den Fördergebieten, durch ihr Benzingeld Mittel in Milliardenhöhe aufgebracht worden, die dann zum Ausbau der Lebensqualität in den Ballungsräumen benutzt worden sind. Die Einstufung als Fördergebiet bedeutet nach Auffassung der dafür verantwortlichen SPD im Verkehrsministerium offensichtlich, daß die Menschen in diesen Gebieten das Recht haben, mit ihrem Benzingeld den Ausbau der Lebensqualität in den Ballungsräumen zu fördern.
Sechs Beispiele für die Gegenläufigkeit von Verkehrspolitik und Regionalförderung!
Herr Kollege Engelhard, wenn Sie vorhin gesagt haben, die Bevölkerung erwarte, daß ihr die Wahrheit über die Verteilung der raumwirksamen Investitionen gesagt wird, dann muß ich erwidern: Mit diesem Entwurf eines Bundesraumordnungsprogramms verhält sich die Bundesregierung wie Verlobte, die gerade in dem Monat das Licht ausknipsen, wo es interessant zu werden beginnt. Denn die Wahrheit über die Verteilung der raumwirksamen Ausgaben erfahren wir nicht in einem Bundesraumordnungsprogramm, das eine Regionalisierung des Haushaltes und der mittelfristigen Finanzplanung schlicht und einfach ablehnt. In dieser Forderung nach der Wahrheit sind wir uns einig.
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- Teilwahrheiten sind oft Unwahrheiten, Herr Kollege Engelhard.
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Deshalb warne ich vor diesen Teilwahrheiten.
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Meine Damen und Herren, das Fazit dieses für den Bereich der Raumordnung gewählten Beispiels der Verkehrspolitik - was die mangelnde Abstimmung zwischen den einzelnen Fachressorts anbelangt - ist folgendes: Der Milliardenscheck, den Herr Dr. Vogel vor zwei Jahren zugunsten der ländlichen Räume in Bayern präsentierte, ist nicht eingelöst worden. Er wird auch nicht eingelöst werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, denn -
Herr Kollege Warnke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Warnke, ist Ihnen denn nicht bekannt, daß allein in diesem Jahr ungefähr 2 Milliarden DM an Mitteln für die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur, da es alles beinhaltet, geflossen sind bzw. noch fließen werden, wenn Sie die beiden Sonderprogramme noch dazuzählen?
Lieber Herr Kollege Haase, ist Ihnen denn nicht bekannt, daß Sie gestern im Bundeskabinett die Sonderprogramme nach einem Schlüssel aufgeteilt haben, der die Mittel schwerpunktmäßig in die Ballungsräume lenkt, weil sie nun einmal Schwerpunkt der Arbeitslosigkeit sind?
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Ist Ihnen denn nicht bekannt, daß z. B. das Land Baden-Württemberg von den 250 Millionen DM, die im Teil B vorgesehen sind, keinen Pfennig bekommt, und ist Ihnen denn nicht bekannt, daß das Land Bayern, das einen Gemeinschaftsaufgabenschlüssel von 25 Prozent hat, nur die Hälfte, nämlich 13 %, aus diesen Mitteln bekommt? Wir lassen mit uns eventuell darüber reden, ob in dieser besonderen Situation ein solcher Schlüssel diskutiert werden kann. Ihn aber herzunehmen als ein Musterbeispiel für die Förderung ländlicher Gebiete heißt, die Bevölkerung an der Nase herumführen.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Frau Präsidentin, ich bedauere.
Der Milliardenscheck, meine Damen und Herren, den Minister Vogel damals präsentiert hat, wird auch in den kommenden Jahren nicht eingelöst werden, denn dieser Scheck ist beim Bankhaus Schmidt & Genscher genauso ungedeckt, wie er es in den letzten zwei Jahren beim Bankhaus Brandt & Scheel gewesen ist.
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Der Chef des Unternehmens hat nämlich im Entwurf eines Langzeitprogramms für die Sozialdemokratische Partei die „Schaffung ... ,städtischer Lebensverhältnisse" für alle Menschen in der Bundesrepublik gefordert. So die Aussage des unter Zuständigkeit von Helmut Schmidt erarbeiteten Langzeitprogramms der Sozialdemokratischen Partei.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schwencke?
Bitte sehr!
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß gerade das Langzeitprogramm, was Sie jetzt anzusprechen die Freude haben, deutlich macht, daß wir die Schwerpunktförderung selbst in Gebieten mit einem Einzug von 20 000 Einwohnern verstärken wollen, also genau das Gegenteil von dem tun, was Sie uns jetzt erzählen wollen?
Herr Kollege Schwencke, ich kann Ihnen nur die Teilziffer 115 dieses Programms zitieren. Sie spricht von der „Schaffung . . . städtischer' Lebensverhältnisse" für möglichst alle Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, und es ist doch Ihr gutes Recht, das zu fordern.
({0})
Sie müssen sich nur zu Ihrer eigenen Politik bekennen und nicht in den Städten das eine und auf dem Lande das andere verlangen. Davon haben wir nämlich in der letzten Zeit genug gehabt.
({1})
Hier liegt der Unterschied, der legitime gesellschaftspolitische Unterschied im Ansatz Ihrer Raumordnungspolitik, die auf eine Totalurbanisierung zielt
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und damit die gezielte Verödung der ländlichen Räume in Kauf nimmt. Auch dies, Herr Kollege Immer, ist ein wörtliches Zitat aus Ausführungen des Delegierten Sander auf dem sozialdemokratischen Städtebaukongreß. Diese gezielte Verödungspolitik - und ich füge das Wort von Jochen Steffen an, daß sich die SPD nicht um die ländlichen Räume kümmert, weil die Masse der Wähler in den Städten wohnt - ist ein Raumordnungskonzept, das die Union ablehnt. Für uns in der Union ist der ländliche Raum nicht nur Hinterland und hat nicht nur Ergänzungs-, Ausgleichs- und Zulieferfunktion.
({3})
Für uns lebt die Gemeinschaft in dem ländlichen Raum in der Fülle der Klein- und Mittelstädte. Sie leistet einen eigenständigen unverzichtbaren Beitrag zur bürgerschaftlichen Verantwortung im Gesamt-. staat. Deshalb bekennen wir uns gleichzeitig und gleichwertig zum Ausbau der großen urbanen Zentren und zum Lebensrecht der Menschen in den Gemeinden, in den Klein- und Mittelstädten des ländlichen Raumes auch in der Zukunft.
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Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache über die Große Anfrage.
Uns liegt ein Entschließungsantrag aus den Reihen der CDU/CSU auf Drucksache 7/2563 vor. Ich nehme an, daß er mit der Debatte begründet ist. Es wird beantragt, ihn an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Wir unterbrechen jetzt die Tagesordnung durch die Fragestunde. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksache 7/2550 Zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarischer Staatssekretär Schlei zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Wird Bundesjustizminister Dr. Hans-Jochen Vogel nach dem 27. Oktober 1974 für den Fall, daß er nach der bayerischen Landtagswahl nicht Ministerpräsident wird, in Bonn Bundesminister bleiben?
Zu Ihrer Frage, Herr Kollege Niegel - „Wird Bundesjustizminister Dr. Hans-Jochen Vogel nach dem 27. Oktober 1974 für den Fall, daß er nach der bayerischen Landtagswahl nicht Ministerpräsident wird, in Bonn Bundesminister bleiben?" -, lassen Sie mich zunächst anerkennend bemerken, daß offenbar der bayerische Landtagswahlkampf kein Gegenstand von lokaler Bedeutung im Sinne der Richtlinien der Fragestunde ist; denn sonst, lieber Herr Kollege, hätten Sie eine schriftliche Antwort erhalten müssen.
Nun zur direkten Beantwortung. Wir sind uns ja wohl als erfahrene Politiker darin einig, daß wir alle unsere Überlegungen zu gegebener Zeit anstellen und daß daraufhin auch unsere Entscheidungen zu gegebener Zeit bekannt werden sollten. Dies gilt für Bundesminister Dr. Vogel, der sicher Chancen hat, bayerischer Ministerpräsident zu werden, wie auch für Sie, sehr geehrter Herr Kollege. Auch Sie, Herr Niegel, werden Überlegungen anstellen müssen, ob Sie Ihr Abgeordnetenmandat im Deutschen Bundestag zur Verfügung stellen für den Fall, daß Sie bayerischer Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten werden sollten.
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Lassen Sie mich zum Ausgangspunkt zurückgehen: Wir sollten Fragen doch wohl zu der Zeit stellen, zu der wir sie beantworten können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Sehr verehrte, gnädige Frau Staatssekretär, ist mein Eindruck richtig, daß Herr Vogel das Amt des Bundesministers in Bonn den harten Bänken der Opposition in München vorzieht? Denn er müßte sich, wenn ich auf Ihre Antwort eingehe, zu gegebener Zeit erklären. Die gegebene Zeit scheint mir vor dem Wahltag, nämlich vor dem 27. Oktober, zu sein. Die bayerische Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, was der Ministerpräsidentenkandidat der SPD eigentlich vorhat.
Wenn Sie darauf mich ansprechen: Ich bin kein Kandidat für das Amt des Landwirtschaftsministers, wohl aber Herr Vogel ein Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten.
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Zunächst wird Herr Bundesminister Vogel seine ganze Kraft dafür einzusetzen wissen, daß er Ministerpräsident in Bayern wird. Im übrigen möchte ich sagen: Regierungsbänke sind heute in der Regel ebenso hart wie Oppositionsbänke.
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Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Hat sich, sehr verehrte, gnädige Frau, Herr Bundesminister Vogel dem Herrn Bundeskanzler gegenüber schon geäußert, was er vorhat?
Wenn er dies getan hätte, würde ich sicherlich nicht das Recht haben, dies hier heute darzustellen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Friedrich.
Halten Sie es für möglich, Frau Staatssekretär, daß sich der Fragesteller und mit ihm die CSU noch nicht im klaren ist, wen sie mehr fürchten soll: einen Ministerpräsidenten Dr. Vogel oder einen Bundesjustizminister Dr. Vogel?
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Wir gehen sicherlich gemeinsam davon aus, daß Dr. Vogel, wo immer er auch seine Aufgabe erfüllen wird, dies mit bisher gekanntem Erfolg tun wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Frau Staatssekretärin, da Sie hier im Auftrag der Regierung, also auch des Herrn Ministers Vogel, sprechen, darf ich Sie, da die Antwort mit ihm sicher abgestimmt ist, fragen: Ist Ihre Antwort so zu verstehen, daß Sie den Wählern bis zum Wahltag nicht sagen wollen, ob Herr Vogel nach dem Wahlkampf in München bleibt oder nicht? Ist das der Sinn Ihrer Antwort?
Diesen Sinn dürfen Sie meinen Worten nicht entnehmen. Den bayerischen Wählern wird Herr Dr. Vogel sicherlich die Antwort geben, die die bayerischen Wähler von ihm erwarten. Die bayerischen Wähler der Landtagswahl sind nicht die Wähler der Bundestagswahl; das wollen wir nicht vermischen.
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Keine Zusatzfrage? - Die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Frau Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich komme nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Jäger ({1}) auf:
Hält die Bundesregierung an dem Standpunkt fest, wonach ihr das Viermächteabkommen über Berlin die Errichtung weiterer Bundesbehörden in West-Berlin gestattet, und wird sie daraus in absehbarer Zeit in Übereinstimmung mit den drei westlichen Schutzmächten praktische Konsequenzen ziehen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung vertritt in Übereinstimmung mit den Drei Mächten nach wie vor den Standpunkt, daß das Viermächteabkommen die Errichtung von Bundesbehörden in Berlin grundsätzlich nicht ausschließt. Sie hat wiederholt bekräftigt, daß die Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik Deutschland von vitaler Bedeutung für die Lebensfähigkeit der Stadt sind.
Ob die Verlegung weiterer Bundesbehörden nach Berlin hierzu beitragen kann, wird die Bundesregierung von Fall zu Fall unter sachlichen Gesichtspunkten und erforderlichenfalls auch in Kontakt mit den Drei Mächten prüfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger!
Herr Staatsminister, ist es mit der Auskunft, die Sie soeben gegeben
haben, zu vereinbaren, wenn der Herr Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Errichtung weiterer Bundesbehörden in Berlin die Frage aufwirft, ob dadurch von unserer Seite neuer Ärger geschaffen werde?
Herr Abgeordneter, selbstverständlich ist das mit dem von mir soeben Ausgeführten zu vereinbaren. Denn zu den Prüfungen, die erforderlichenfalls in Kontakt mit den Westmächten notwendig sind, gehört ja auch die Abwägung politischer Gesichtspunkte. Es ist die Freiheit und die Pflicht eines Bundeskanzlers und einer Bundesregierung, alle Gesichtspunkte zu erwägen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, muß ich aus dieser Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung das Gebrauchmachen von Rechten, die ihr durch das Viermächteabkommen eingeräumt sind, für politischen Ärger hält, der tunlichst zu vermeiden ist?
Nein, Herr Abgeordneter, das können Sie daraus überhaupt nicht schließen. Aber ich empfehle Ihnen, doch einmal darüber nachzudenken, ob in der Weltpolitik die volle Ausschöpfung aller Rechte, die formal gegeben sind, zu dem politischen Zustand in der Welt führen würde, den wir alle als einen Zustand des Friedens ansehen. Es gibt in der Geschichte genügend Gegenbeispiele dafür, daß das politische Abwägen nicht völlig von dem getrennt werden kann, was rechtlich möglich ist. Vieles, was rechtlich möglich ist, kann politisch sogar falsch sein, nämlich gegen die eigenen Interessen wirken.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Professor Schweitzer.
Teilen Sie, Herr Staatsminister, meine Auffassung, daß der Berliner Bevölkerung nach der erstmals durch das Viermächteabkommen erfolgten Sicherung der Zufahrtswege mit einer - um mich einmal in abgewandelter Form einer Bismarckschen Formulierung zu bedienen - symbolischen Prestigepolitik weniger gedient ist als vielmehr in erster Linie mit weiteren Versuchen, die Wirtschaftskraft dieses besonderen Bundeslandes zu stärken?
Herr Abgeordneter, Ihre Frage enthält Wertungen, die ich mir weder positiv noch negativ zu eigen machen kann bzw. beurteilen möchte; das ist nicht die Aufgabe hier. Ich glaube, die Aufgabe von Politikern ist es, hierzu bestimmte Standpunkte zu beziehen und aus bestimmten Erfahrungen Konsequenzen zu ziehen. Die Erfahrung lehrt in jedem Falle, daß eine Politik, die sozusagen die Juristerei
als Politikersatz betreiben würde, nicht zur Ver7962
wirklichung unserer eigenen Interessen führen kann; dafür gibt es Beispiele aus der Vergangenheit.
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Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung des Berliner Senats, die Verbraucherakademie aus einer Reihe von sachlichen Gründen, z. B. auch in Verbindung mit der Stiftung Warentest, in Berlin zu errichten?
Frau Abgeordnete, da ich den Vorgang im einzelnen nicht kenne und auch nicht weiß, ob es diese Akademie bereits gibt - ich höre gerade, es gibt sie nicht -, kann ich auch nicht zu einer Akademie Stellung nehmen, die es noch nicht gibt; das können offensichtlich nur andere.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist die Bundesregierung durch die Volksrepublik Polen bereits im April 1974 davon in Kenntnis gesetzt worden, wie aus einer Rede des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Apel in Hamburg von Anfang Mai hervorgeht, daß das polnische Zentralkomitee die Zusage des polnischen Außenministers Olszowski, 50 000 Aussiedlungswillige könnten 1974 aussiedeln, widerrufen hat, und warum hat sie bejahendenfalls diesen Sachverhalt noch am 12. Juni 1974 im Deutschen Bundestag verschwiegen, und in welcher Weise ist sie inzwischen bei der polnischen Regierung vorstellig geworden, um an das gegebene und inzwischen widerrufene Wort des polnischen Außenministers zu erinnern?
Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, auf welche Äußerung des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Apel Sie sich beziehen. Jedenfalls habe ich Ihre Frage bereits durch mein Schreiben vom 13. August 1974 - Bundestagsdrucksache 7/2494 - beantwortet, auf das ich Bezug nehme. An meiner damaligen Antwort ändert sich auch dadurch nichts, daß Sie jetzt den Begriff „Widerruf" statt „Nichtigkeit" verwenden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn Sie sich darauf beziehen, so frage ich Sie: Wie können Sie in Ihrer schriftlichen Antwort vom 13. August 1974 auf meine Frage sagen, Sie gingen nicht davon aus, daß die Erklärung von Herrn Olszowski bezüglich der 50 000 Aussiedlungswilligen nichtig sei, obwohl Sie genau wissen, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie mir diese Antwort gegeben haben, die Zusage längst zurückgezogen war, die Sache also nicht mehr galt?
Herr Abgeordneter, ich kann die von Ihnen soeben in der Frage gegebene Darstellung nicht bestätigen.
Ich verweise auf das, was ich gestern im Auswärtigen Ausschuß hierzu ausgeführt habe.
Eine zweite Zusatzfrage.
Wie beurteilen Sie dann die Auslassungen des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Apel, der am 2. Mai vor der SPD in Hamburg gesagt hat: Das polnische Zentralkomitee hat einfach den Beschluß bezüglich der 50 000 Aussiedlungswilligen rückgängig gemacht?
Herr Abgeordneter, ich habe die Frage soeben beantwortet. Auch eine Rückfrage bei Herrn Dr. Apel und ein Nachsuchen in unseren Archiven haben ergeben, daß es keine Grundlage für dieses Zitat zu geben scheint. Ich weiß nicht, welches Ihre Informationsquelle ist.
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Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 82 Herrn Abgeordneteten
Josten auf.
Ist die Bundesregierung bereit, in Verbindung mit den Ländern dafür zu sorgen, daß Zeugnisse und Diplome, welche von Ausländern an deutschen Institutionen im In- und Ausland erworben werden, mit einem Text in deutscher Sprache und in der amtlichen Landessprache des Ausgebildeten angefertigt werden?
Herr Abgeordneter, deutsche Zeugnisse werden von Institutionen ausgestellt, die in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen. Die Frage, ob solche Zeugnisse in der Landessprache des Ausgebildeten angefertigt werden können, ist daher an die dafür zuständigen Stellen - das sind die Kultusministerien der Länder oder die Kultusministerkonferenz insgesamt - zu richten.
In der Regel wird eine Übersetzung von deutschsprachigen Zeugnissen in die Landessprache des Ausländers von diesem selbst veranlaßt. Er kann sich hierfür eines vereidigten Übersetzers bedienen. Das Original des Zeugnisses und die Übersetzung können dann von einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung seines Heimatlandes in der Bundesrepublik Deutschland legalisiert werden. Nach der Legalisation gelten sie auch im Heimatstaat des Ausländers als echte Urkunden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Ihrem Hause eine Kulturabteilung angehört, darf ich Sie folgendes fragen: Da ich in der vergangenen Woche bei einem Empfang in Bad Godesberg zugegen war, auf dem Ausländer Diplome erhielten, die nur in englischer Sprache abgefaßt waren - außer den Unterschriften der Direktoren -, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit wären, dafür einzutreten, daß solche
Diplome, wie Sie es angedeutet haben, wenigstens einen Übersetzungstext in Deutsch erhalten.
Gern, Herr Abgeordneter. Ich vermute aber, daß keine Stelle der Bundesregierung diese Diplome in englischer Sprache ausgefertigt hat. Oder haben Sie andere Nachrichten?
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- Dann bitte ich um genaue Nennung. Ich finde es in der Tat nicht sonderlich sinnvoll, daß wir amtliche deutsche Dokumente in einer nichtamtlichen Sprache abfassen. Wenn das geschehen ist, werden wir gerne darauf hinwirken, daß das geändert wird. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß aus Ihrer Frage der völlig gegenteilige Sinn herauszulesen war, nämlich daß Sie offensichtlich wünschten, Ausländer, die in Deutschland Examen ablegen, sollten diese Diplome in ihrer eigenen Sprache ausgefertigt bekommen, was sicherlich nicht unsere Aufgabe sein kann und auch nicht sehr sinnvoll wäre.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 83, 84 und 85 sollen auf Bitte der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Teilt die Bundesregierung die von Staatsminister Moersch im Namen der Bundesregierung aufgestellte Behauptung in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 19. September 1974, der Bundesrat habe „sinnlos" gehandelt, und erkennt die Bundesregierung hier die Gefahr, daß solche „Regierungsschelte" gegen ein Verfassungsorgan die parlamentarischen Grundrechte beschneiden könnte oder einschränken will?
Herr Kollege, nach Ansicht der Bundesregierung sollte jedes politisch handelnde Verfassungsorgan auch politische Wertungen seines Handelns ertragen können. Das gilt selbstverständlich ebenso für die Bundesregierung, die ja gleichfalls ein Verfassungsorgan ist und die im Ertragen eine große Übung hat.
Ich habe in der Fragestunde vom 19. September, wie Sie dem Protokoll entnehmen können, ausdrücklich darauf hingewiesen, daß meine Bemerkung über eine Entscheidung des Bundesrats als politische Wertung und nicht etwa als eine rechtliche Darlegung oder Auslegung zu verstehen war. Die verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrats sind unbestritten. Sie werden durch kritische Äußerungen nicht verändert, also auch nicht beschnitten oder eingeschränkt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, bleiben Sie also bei Ihrer Feststellung, der Bundesrat habe sinnlos gehandelt?
Ich bleibe bei der Feststellung, daß die Entscheidung
des Bundesrates, gegen den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag Einspruch einzulegen, sinnlos in dem Sinne gewesen ist, daß, wie ich in der Fragestunde dargelegt habe, dadurch lediglich eine Verzögerung eingetreten ist, aber nicht eine wirkliche politische Veränderung eintreten konnte. Sie können mir natürlich vorwerfen, das sei ein hartes Wort. Ich bin bereit, es zu ändern und zu sagen: Es war eine unsinnige Entscheidung.
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Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, sind Sie, da bei diesem deutsch-tschechischen Vertrag eine Verzögerung von der Bundesregierung selbst gesetzt worden ist, indem man wegen der ungenügenden Berlin-Klausel erst nicht und dann einige Monate später denselben Text ohne sachliche Änderungen doch unterschrieb, der Meinung, daß auch die Bundesregierung sinnlos oder unsinnig gehandelt hat?
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Herr Abgeordneter, ich bin der Meinung, daß Sie in Ihrer Frage zwei völlig verschiedenartige Tatbestände vergleichen. Das ist das eine. Aber selbst wenn es so wäre, bestätigen Sie ja mit Ihrer Frage meine Behauptung, daß der Bundesrat sinnlos gehandelt hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Halten Sie Ihre Behauptung, Herr Staatsminister, daß der Bundesrat unsinnig gehandelt habe, auch dann aufrecht, wenn Sie sich der Annahme hingeben könnten, daß der Bundesrat begründete Bedenken gegen den Prager Vertrag hätte?
Herr Abgeordneter, Sie schneiden hier eine Frage an, die in 25jähriger Praxis in diesen beiden Häusern des Parlaments anders entschieden worden war, als Sie es in Ihrer Frage unterstellen. Es war das erste Mal, daß der Bundesrat so entschieden hat, wie es hier zwischen uns, dem Kollegen Dr. Schulze-Vorberg und mir, in der letzten Fragestunde kontrovers war. Die Frage muß doch heißen, ob offensichtlich in 25 Jahren die Bundesratsmehrheiten diesen Punkt, den Sie eben anschnitten, falsch gesehen hätten. Ich meine, daß Sie unter Umständen die Möglichkeiten des Bundesrates falsch beurteilen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, kann man leugnen, daß der Bundesrat völlig im Sinne seiner verfassungsrechtlichen Kompetenzen vorgegangen ist, und meinen Sie, daß das sinnlos ist, um so mehr, als Sie selbst in der letzten Fragestunde bestätigen mußten, daß die Bedenken, die der Bundesrat zu den menschenrechtlichen und den Staatsangehörigkeitsfragen erhoben hat, durch die Tatsachen bisher nicht widerlegt worden sind?
Erstens, Herr Abgeordneter, unterstellen Sie in einer Frage bereits etwas, was ich hier keineswegs in dieser Form bestätigt habe. Das nur zur Einleitung.
Ich wiederhole noch einmal, um was es geht. Es geht darum, daß bisher das Verfassungsorgan Bundesrat immer davon abgesehen hat, in Fragen, in denen es keine Zustimmungspflichtigkeit für ein vorliegendes Gesetz gibt, auf einen Einspruch, der mit absoluter Mehrheit des Bundestages überstimmt werden kann, zu verzichten, wenn dadurch nichts bewirkt werden konnte. Eine Anrufung des Vermittlungsausschusses kann bei internationalen Verträgen im Gegensatz zu innerstaatlichen Gesetzen nicht zum Erfolg führen. Der Bundesrat hat in diesen Fällen auf die Anrufung und damit auch auf den Einspruch verzichtet, weil dabei nichts anderes herauskommen kann als eine zeitliche Hinauszögerung der Inkraftsetzung eines solchen Vertragswerks.
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Das war bisher die übereinstimmende Ansicht aller Mitglieder des Bundesrats. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, daß auch bei der diesmaligen Aktion ganz offensichtlich die sachgerechten Erwägungen etwa der Berater des Bundesrates zurückgedrängt wurden gegenüber der parteipolitischen Maxime: Wenn ich einmal einen Fehler gemacht habe, dann muß ich ihn gleichmäßig machen wie in der Orthographie, weil sonst in jedem Falle etwas falsch ist.
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Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Dreyer auf:
Stimmen Meldungen, wonach die neue isländische Regierung beabsichtigt, ihre Fischereigrenze auf 200 Seemeilen auszudehnen, und wie gedenkt die Bundesregierung sich in dieser Frage zu verhalten?
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist offiziell eine entsprechende Absicht der isländischen Regierung nicht mitgeteilt worden. Wir wissen aber, daß es in Island Bestrebungen zur Ausdehnung der Fischereigrenze auf 200 Seemeilen gibt. So haben die Isländer bereits am 5. April 1973 im VN-Meeresbodenausschuß, dem Vorläufer der inzwischen angelaufenen 3. VN-Seerechtskonferenz, ein Arbeitspapier vorgelegt, das ganz allgemein die Einrichtung
von 200 Seemeilen breiten Fischereizonen als Konferenzziel zum Gegenstand hat.
Die Bundesregierung ist bestrebt, vor dem weltweiten Forum der Seerechtskonferenz alles Erforderliche zur Wahrung der Interessen der deutschen Hochseefischerei zu tun. Sollte die isländische Regierung einseitig eine 200 Seemeilen breite Fischereizone proklamieren, so würde die Bundesregierung --wie schon im Jahre 1972 bei der Ausdehnung der isländischen Fischereizone von 12 auf 50 Seemeilen - alles daranzusetzen, um im Gespräch mit der isländischen Regierung und notfalls auch nach anderen völkerrechtlichen Regelungen friedlicher Streitbeilegung die Anerkennung unserer traditionellen Fischereirechte zu erreichen.
Bitte schön, Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie begründen Sie es, daß es zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Island nicht auch bereits zu einvernehmlichen Ergebnissen gekommen ist wie beispielsweise zwischen Großbritannien und Island?
Weil die dort zur Debatte stehende Frage die Engländer weniger berührt hat als uns. Wir müssen bei der Vertretung unserer Anliegen natürlich unsere Interessen berücksichtigen. Wir wollten nicht Abmachungen schließen, die unsere Interessen verletzten. Da aber in dem Punkt, um den es sich hier handelt, die Engländer so gut wie nicht betroffen sind, konnten sie einer Abmachung zustimmen, der wir nicht zustimmen können.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, der Internationale Gerichtshof hat doch in seiner Urteilsbegründung festgestellt, daß Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland versuchen müßten, eine sogenannte ausgewogene Lösung zu finden. Welche Initiativen hat die Bundesregierung eingeleitet, um zu einer solchen Lösung zu kommen?
Die bekannten Initiativen gegenüber Island, die hier ja schon sehr ausführlich behandelt worden waren. Zunächst geht es ja darum, daß wir nicht von uns aus eine Änderung verlangt haben, sondern daß die isländische Seite von sich aus Änderungen vorgenommen hat. Ich glaube, das ist in dem Urteil auch ganz klar ausgeführt.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 88 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, nachdem die isländische Regierung den vom Internationalen Gerichtshof anerkannten deutschen Standpunkt erneut abgelehnt hat?
Bitte, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung sind wohl Äußerungen einzelner Mitglieder der zur Zeit des Ergehens des Urteils amtierenden isländischen Übergangsregierung, nicht aber ein Beschluß der vor kurzem neu gebildeten isländischen Regierung bekannt, der die Ablehnung des Urteils des Internationalen Gerichtshofs vom 25. Juli 1974 zum Gegenstand hätte.
Die Bundesregierung ist nach wie vor entschlossen, einen Ausgleich der deutschen und isländischen Fischereiinteressen in den streitigen Gewässern im Verhandlungswege zu suchen. Sie wird darin durch das Urteil des Internationalen Gerichtshofs bestärkt. Der isländischen Regierung ist unsere fortdauernde Verhandlungsbereitschaft bekannt.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, vielleicht darf ich doch noch mal die Frage an Sie richten - auch im Zusammenhang mit dem gleichen Thema, das Herr Dreyer angeschnitten hat -: Welches sind denn eigentlich die abweichenden Punkte im Vergleich zu Großbritannien, die die Verhandlungen der Bundesrepublik so viel schwieriger gestalten?
Das ist die Frage der Gefrierschiffe. Wir legen Wert darauf, daß in diesem Bereich unsere Gefrierschiffe operieren können. Da die britische Seite dort solche Schiffe kaum eingesetzt hat, war das für sie kein Punkt des Streits.
Eine Zusatzfrage
Eine Zusatzfrage vielleicht noch in der Richtung: Oder gestalten sich unsere Verhandlungen auch durch die verteidigungspolitischen Aspekte so schwierig?
Davon ist mir nichts bekannt. Ich glaube, die verteidigungspolitische Komponente berührt uns ja nur sehr indirekt. Das hat ein anderes Land betroffen, das dort keine Fischereiinteressen, soweit ich das sehen kann, jedenfalls vordergründig, geltend machen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, müssen wir aus Ihrer Antwort, daß die Bundesregierung zu Verhandlungen bereit stehe, schließen, daß darüber hinaus Initiativen noch nicht ergriffen worden sind?
Nein, das können Sie nicht daraus schließen. Wir sind mit der anderen Seite in ständigem Kontakt. Aber Sie wissen auch - das habe ich ja vorhin ausgeführt, und die beiden sachkundigen Fragesteller wußten das -, daß durch die Änderungen in der Zusammensetzung der isländischen Regierung natürlich eine Unterbrechung eingetreten ist, von der wir hoffen, daß sie nicht zum Nachteil sein wird.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß der Internationale Gerichtshof der Bundesrepublik Deutschland eine Fangquote in Höhe von 119 000 t zugestanden hat, und wie stellt sich die isländische Regierung zu dieser Entscheidung?
Sie haben sicher vernommen, was die isländische Übergangsregierung hierzu gesagt hat. Ich habe Ihnen eben mitgeteilt, daß die neue isländische Regierung offiziell noch nicht Stellung genommen hat. Deswegen wäre es ganz falsch, in unserem Interesse hier irgendwelche Offenbarungen zu machen, die wir nicht verifizieren können.
Ich rufe die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Warum ist die Bundesregierung nicht verpflichtet, auch jedem einzelnen Deutschen gegen völkerrechtswidriges Unrecht anderer Staaten - z. B. einzelnen Vertriebenen gegen die entschädigungslose Konfiskation zivilen Vermögens in der Heimat ({0}) - unter Beachtung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts und zur Wahrung des völkerrechtlichen Mindeststandards wirksamen Schutz, Unterstützung und Hilfe mit allen völkerrechtskonformen Mitteln angedeihen zu lassen, nachdem sie sich selbst zu dieser Schutzpflicht bekannt und das Bundesverfassungsgericht sie mit gesetzlicher Verbindlichkeit für alle Staatsorgane festgestellt hat?
Herr Abgeordneter, die Formulierung Ihrer Frage muß auf einem Mißverständnis beruhen. Die Bundesregierung hat niemals bestritten, grundsätzlich verpflichtet zu sein, jedem einzelnen Deutschen gegen völkerrechtswidriges Unrecht seitens anderer Staaten mit allen völkerrechtsgemäßen Mitteln Schutz und Hilfe angedeihen zu lassen. Ich darf hierzu auf meine schriftliche Antwort vom 9. August 1974 auf Ihre Frage während der Sommerpause des Deutschen Bundestages vom 1. August 1974 verweisen, die in der Bundestagsdrucksache 7/2494, Seite 4, abgedruckt ist.
Darin habe ich erklärt - ich zitiere -:
Die Bundesregierung wird stets bemüht bleiben, die Rechte und Interessen aller Deutschen, die ihrem Schutz anvertraut sind, nach bestem Wissen und Gewissen im Rahmen der gegebenen rechtlichen und politischen Möglichkeiten ausländischen Staaten gegenüber zu vertreten. Sie ist insbesondere
- so heißt es weiter in dieser Antwort -auch ihrer Verpflichtung gegenüber den Landsleuten eingedenk, deren Eigentum in Polen im Widerspruch zum Völkerrecht konfisziert wurde.
Soweit die damalige Antwort.
Ich möchte Sie auch an die Schreiben vom 27. Juni und vom 5. September 1974 erinnern, in denen Ihnen der Stellvertreter des Leiters der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes die Auffassung der Bundesregierung zu diesem Thema in bezug auf einen von Ihnen vorgebrachten Einzelfall - ausführlich dargelegt hat. Im Schreiben vom 27. Juni des Auswärtigen Amtes heißt es ich zitiere -:
Ich stimme Ihnen zu, daß die Bundesrepublik Deutschland die Aufgabe hat, allen deutschen Staatsangehörigen, also auch den in Polen wohnhaften oder von dort umgesiedelten Deutschen, dem Ausland gegenüber den im Rahmen der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zulässigen diplomatischen Schutz zu gewähren.
Mit Ihrer heute vorliegenden Frage zielen Sie vielleicht auf einen Satz in meiner Antwort vom 9. August 1974, der lautet - ich zitiere -:
Die Bundesregierung hält es jedoch weder für ihre Pflicht noch für politisch opportun, sich auf einzelne konkrete Schritte zugunsten eines bestimmten Personenkreises im voraus festzulegen.
In diesem Satz wird nicht die grundsätzliche Verpflichtung zur Gewährung diplomatischen Schutzes in Abrede gestellt, sondern lediglich bestritten, daß die Bundesregierung einzelnen Staatsbürgern oder Personenkreisen gegenüber verpflichtet sei, bestimmte Handlungen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorzunehmen. Wie wohl jeder Regierung der Welt steht auch der Bundesregierung in der .Ausübung ihres diplomatischen Schutzrechtes und in der Erfüllung ihrer diplomatischen Schutzpflicht ein politisches Ermessen zu. Diese Auffassung entspricht auch der Rechtsprechung der herrschenden juristischen Lehrmeinung.
Bei ihrer Entscheidung im Einzelfall muß die Bundesregierung nicht nur die Rechte und Interessen der einzelnen, sondern auch die Belange des Staates und seiner auswärtigen Beziehungen berücksichtigen. Dieser Standpunkt steht auch nicht im Widerspruch zur jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ich darf mich hierzu auf das erwähnte Schreiben an Sie vom 5. September 1974 beziehen, worin ausgeführt wird - ich zitiere -,
daß das Bundesverfassungsgericht nicht neue Grundsätze für die Ausübung des diplomatischen Schutzes zugunsten deutscher Staatsangehöriger seitens der Bundesregierung aufgestellt, sondern lediglich den staatsangehörigkeitsrechtlichen Status aller deutschen Staatsangehörigen bekräftigt hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit festzustellen, daß die Bundesregierung auch entschlossen ist, gegen die entschädigungslose Konfiskation zivilen Vermögens Deutscher in den Ostblockstaaten unter Zurückstellung von politischen und Opportunitätsgründen die bei der
Schutzpflicht für Grundrechte ja nicht den Vorrang haben können - die Schutzpflicht für die Wiederherstellung des völkerrechtlichen Mindeststandards für diese Deutschen wahrzunehmen - und zwar auch in jedem Einzelfall - mit den der Bundesregierung geeignet erscheinenden völkerrechtskonformen wirksamen Mitteln?
Herr Abgeordneter, ich bin bereit, das zu bestätigen, was ich eben ausgeführt habe - einschließlich des Schriftwechsels, den Sie mit Dr. Dreher vom Auswärtigen Amt geführt haben.
Eine zweite Zusatzfrage.
Abgesehen davon, daß in dem Schriftwechsel nicht die grundsätzliche Bereitschaft, sondern die Ablehnung dieser Schutzpflicht aus Opportunitätsgründen festgehalten ist - ich bitte, auch diesen Satz wörtlich vorzulesen, wenn Sie das bezweifeln -, frage ich Sie: Was hat die Bundesregierung im Einzelfall auch in den Einzelfällen, die an die Bundesregierung herangetragen worden sind - bisher an wirksamen Schutzmaßnahmen unternommen?
Herr Abgeordneter, ich sehe mich nicht in der Lage, dieser sehr ausführlichen Antwort, die ich gegeben habe, weitere Antworten hinzuzufügen, da Sie ganz offensichtlich belieben, in Ihre Frage Wertungen hineinzulegen, die ich keineswegs bestätigen kann und die auch nicht aus dem Gesagten hervorgehen. Ich darf darauf verweisen, daß wir dieses Thema demnächst im Auswärtigen Ausschuß vielleicht noch einmal auf Ihren persönlichen Wunsch hin in aller Breite behandeln werden, ohne daß ich die Hoffnung haben könnte, es damit erschöpfend behandelt zu haben.
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Ich rufe die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Ist es möglich, daß das jahrelange Sammeln und Weiterleiten von Staats- und Parteigeheimnissen durch das Ehepaar Bulla - sich auf die Verhandlungspositionen in späteren Jahren auswirkend - der Bundesrepublik Deutschland beim Warschauer Vertrag Schaden zugefügt hat, und wird aus Gründen der Staatssicherheit und der verfassungskonformen Auslegung von Verträgen diese Frage geprüft, obwohl die Strafverfolgung verjährt ist?
Herr Dr. Czaja, wir müssen jedoch zunächst einmal fragen, ob in der in der Drucksache 7/2550 auf Seite 16 abgedruckten Frage möglicherweise ein Druckfehler enthalten ist; das Sitzungspräsidium kann die Frage so jedenfalls nicht verstehen.
Jawohl, ich habe auch festgestellt, daß entgegen der Durchschrift in dem Text in der Drucksache 7/2550 ein Druckfehler enthalten ist. Bei dem Wort „auswirken" ist nämlich das „d" weggelassen worden. Das Wort soll „auswirkend" heißen.
Wollen Sie so gut sein, die Frage jetzt an dieser Stelle einfach einmal vorzulesen, damit wir sie richtig verstehen?
Ist es möglich, daß das jahrelange Sammeln und Weiterleiten von Staats-und Parteigeheimnissen durch das Ehepaar Bulla - sich auf die Verhandlungspositionen in späteren Jahren auswirkend - der Bundesrepublik Deutschland beim Warschauer Vertrag Schaden zugefügt hat, und wird aus Gründen der Staatssicherheit und der verfassungskonformen Auslegung von Verträgen diese Frage geprüft, obwohl die Strafverfolgung verjährt ist?
Vielen Dank! - Bitte, Herr Staatsminister!
Frau Präsident, das Auswärtige Amt hat wie durch ein Wunder den druckfehlerfreien Text bekommen und nicht den, der offensichtlich hier ausgedruckt ist, und deswegen ist auch die Antwort, die ich vorbereitet habe, zutreffend.
Wie Staatssekretär Hartkopf vom Bundesministerium des Innern auf eine Anfrage des Abgeordneten Reddemann an dieser Stelle am 31. Juli 1974 - siehe Bundestagsdrucksache 7/2465 - ausgeführt hat, waren die strafbaren Handlungen des Ehepaares Bulla bereits 1958 beendet. Die Tätigkeit des Ehepaares kann also auf die Verhandlungspositionen der Bundesrepublik Deutschland - die eigentlichen Verhandlungsrunden erfolgten im Jahre 1970 - keinen Einfluß gehabt haben.
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Eine Zusatzfrage, bitte.
Beruht diese Antwort, die Sie eben gaben, auf einer Prüfung der Angelegenheit, oder ist das nur eine Vermutung, die Sie hier ausgesprochen haben?
Ich spreche hier keine Vermutungen aus, sondern das ist die Auskunft des Generalbundesanwalts - von wem denn sonst? -, der deswegen kein Verfahren eingeleitet hat, weil die Sache verjährt war.
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Und da der Fall 1958 abgeschlossen war, ist es keine Vermutung, daß das 15 oder 16 Jahre zurückliegt.
Zusatzfrage.
Sie haben offensichtlich nicht beachtet, daß in meiner Frage von der Verjährung der Angelegenheit und davon ausgegangen worden ist, daß der Bundesanwalt deshalb - wegen der Verjährung - nicht tätig werden konnte. Ich frage Sie aber noch einmal, ob Sie - und es handelt
sich um eine hochwichtige Frage der Auslegung von Verträgen und der Verbindlichkeit von Verträgen - geprüft haben, ob aus Gründen der Staatssicherheit festzustellen ist, ob sich die Tätigkeit des Ehepaares Bulla bis 1958 auch auf spätere Vertragsverhandlungspositionen der Bundesrepublik Deutschland ausgewirkt hat.
Herr Abgeordneter, alle von uns in dieser Frage gefragten Stellen - es ist ja nicht nur das Auswärtige Amt; das ist am wenigsten betroffen - haben überhaupt keinen Zusammenhang im Sinne der von Ihnen gestellten Frage erkennen können. Ich weiß nicht, auf was Sie anspielen, ob Sie vielleicht anspielen wollen auf bestimmte unterlassene Handlungen der damaligen Bundesregierungen im Jahre 1956 oder 1957 oder 1958.
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Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatsminister Moersch.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haehser anwesend. Die Fragen 25 und 26 sind vom Fragesteller, dem Abgeordneten Dr. Weber ({0}), zurückgezogen.
Ich rufe Frage 27 der Frau Abgeordneten Berger ({1}) auf:
Welche Gründe führt die Bundesregierung dafür an, daß es kein ungewöhnlicher Vorgang sei, wenn das Bundesministerium der Finanzen den 16 Oberfinanzdirektionen einen Betrag von je 500 DM zur Durchführung von Pressekonferenzen zur Verfügung stellt, wie es zur Vorstellung des „Grünbuchs zur Lage der Zollverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland 1974" geschehen ist?
Verehrte Frau Kollegin Berger, Sie hatten mich schon einmal nach den Gründen dafür gefragt, daß das Bundesministerium der Finanzen den Oberfinanzdirektionen für die Durchführung von Pressekonferenzen aus Anlaß der Vorstellung des Grünbuches zur Lage der Zollverwaltung je 500 DM zur Verfügung gestellt hat. Die Antwort darauf hatte ich Ihnen bereits unter dem 26. August 1974 schriftlich gegeben. Sie scheinen nicht zufrieden gewesen zu sein, was mir leid tut, denn ich habe mir mit meiner schriftlichen Beantwortung sehr viel Mühe gegeben. Nun will ich natürlich gerne noch einmal darauf eingehen.
Die Bereitstellung von Geldern für die in Rede stehenden Pressekonferenzen der Oberfinanzdirektionen war schon deshalb kein ungewöhnlicher Vorgang, weil sich das Bundesministerium auch schon in der Vergangenheit an den Kosten für Informations7968
veranstaltungen der Oberfinanzdirektionen beteiligt hat. Die Erfahrung hat gezeigt, daß Pressegespräche über die Tätigkeit der Verwaltung auf regionaler Ebene meist ein starkes Echo finden und zur Ergänzung zentraler Veranstaltungen unerläßlich sind.
In meiner erwähnten schriftlichen Antwort hatte ich Ihnen als Beispiele die Rauschgift- und die Waffenschmuggelbekämpfung sowie die Rationalisierung und Automation in der Zollverwaltung genannt. Der Vorgang war allerdings insofern ungewöhnlich, als mit dem Grünbuch zum erstenmal die Leistungen der Zollverwaltung in einem umfassenden Werk dargestellt wurden. Das Bundesfinanzministerium verfolgte damit eine doppelte Absicht. Erstens diente das Grünbuch einer Bestandsaufnahme der vielfachen Tätigkeit der Zollverwaltung mit dem Zweck, Ansätze für Rationalisierungs- und Vereinfachungsmaßnahmen zu finden und entsprechende Vorschläge zu machen. Zweitens hielt es das Bundesfinanzministerium für erforderlich, das Grünbuch auch der Öffentlichkeit vorzulegen, weil die Aufgaben der nach Bahn und Post größten Bundesverwaltung weithin unbekannt sind und die Bedeutung der Zollverwaltung vielfach zu Unrecht falsch eingeschätzt wird. Im übrigen bin ich der Meinung, daß die Information der Bevölkerung über die Tätigkeit der Zollverwaltung auch dazu beitragen kann, das Verhältnis der Bürger zu dieser Verwaltung zu verbessern. Dieses Ergebnis wird sicher auch in Ihrem Interesse liegen, gnädige Frau.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie eine Erklärung dafür, daß von der Möglichkeit, Zuschüsse für diese Zwecke in Anspruch zu nehmen, nur sechs von den 16 Oberfinanzdirektionen Gebrauch gemacht haben mit einer Inanspruchnahme von Kosten zwischen 106 und 500 DM? Läßt das vielleicht darauf schließen, daß zehn Oberfinanzdirektionen nach den Grundsätzen äußerster Sparsamkeit wirtschaften?
Gnädige Frau, alles, was zum Bundesfinanzministerium gehört, geht nach den Grundsätzen der äußersten Sparsamkeit vor. Die Erklärung für das, was Sie in Ihrer Frage erforschen wollen, dürfte darin liegen, daß wir natürlich nicht angeordnet haben, daß alle Oberfinanzdirektionen das Geld ausgeben müssen. Die zweite Erklärung darf darin zu sehen sein, daß es Standorte von Oberfinanzdirektionen gibt, zu denen viele Journalisten kommen, und einige Standorte, zu denen wenige Journalisten kommen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 28 der Abgeordneten Frau Berger ({0}) auf:
Wie verteilen sich die vom Bundesministerium der Finanzen benannten Gesamtkosten für das „Grünbuch" in Höhe von 43 387,10 DM auf journalistische Überarbeitung, graphische Gestaltung, Druck und Versand?
Gnädige Frau, dazu gebe ich Ihnen gern folgende Antwort: Die in der Beantwortung Ihrer schriftlichen Anfrage genannten Gesamtkosten für das Grünbuch in Höhe von 43 387,10 DM verteilen sich wie folgt: für journalistische Überarbeitung 15 000 DM, für graphische Gestaltung 10 085,70 DM sowie für Druck und Versand 18 301,40 DM.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, sich zu der Tatsache zu äußern, daß ich das Verhältnis von Sach- und Personalkosten zueinander als völlig unausgewogen bezeichne und daß insbesondere das Honorar für journalistische Überarbeitung in Höhe von 15 000 DM mit den Grundsätzen sparsamer Wirtschaftsführung so viel zu tun hat wie Herr Wehner mit der Aussicht auf Ehrenmitgliedschaft in der CDU?
Ich bin selbstverständlich bereit, mich dazu zu äußern. Aber ich bin nicht bereit, Ihnen zuzustimmen. Denn das Bundesfinanzministerium hat sich hinsichtlich des Honorars für die journalistische Überarbeitung an die in ähnlichen Fällen in Bonn geforderten Preise gehalten. Angesichts des Umfangs des Grünbuchs und des Arbeitsaufwands erschien deswegen unserem Ministerium das Honorar nicht zu groß.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, sich in Bonn und vielleicht außerhalb Bonns nach begabten Textern umzusehen, die für die Überarbeitung eines Textes weniger als 15 000 DM nehmen?
Wir sind gern bereit, uns umzusehen, aber wir halten - ich darf das noch einmal betonen - die Honorarforderung im Vergleich zu ähnlich gelagerten Fällen für angemessen.
({0})
Noch eine Frage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, von mir Empfehlungen von Textern anzunehmen, die für die Überarbeitung von Texten wie im vorliegenden Fall weniger als 15 000 DM fordern würden?
Ich würde mich hüten, gnädige Frau, auf diesem Gebiet Empfehlungen von Ihnen nicht anzunehmen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 29 des Abgeordneten Dr. h. c. Wagner ({0}) und die Fragen 30 und 31 des Abgeordneten Dr. Zeitel werden auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Damit sind die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Die Beantwortung übernimmt Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Carstens ({1}) auf:
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß sich bei der Neuabgrenzung der Fördergebiete für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" durch die Einteilung des Bundesgebietes in über 170 abgegrenzte regionale Arbeitsmärkte nach einem Gutachten von Herrn Prof. Klemmer im Bereich Oldenburg eklatante Ungerechtigkeiten und Fehlentscheidungen ergeben haben, die nur schwerlich durch die „Feinabstimmung" des Landes Niedersachsen abzuändern sein werden?
Ist der Herr Abgeordnete anwesend? - J a.
Funktioniert das Mikrophon nicht, Herr Parlamentarischer Staatssekretär? - Dann sollten Sie sich zum Mikrophon nebenan begeben.
Sie sehen, wie rasch diese Panne behoben ist, Herr Stücklen.
({0})
- Dazu sind Sie ja da.
Die Bundesregierung, Herr Kollege Carstens, ist der Ansicht, daß die Beschlüsse des Planungsausschusses vom 21. August 1974, die mit sehr großer Mehrheit getroffen worden sind, insgesamt eine Verbesserung der Grundlagen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" darstellen und in keinem Teilraum der Bundesrepublik zu eklatanten Ungerechtigkeiten und Fehlentscheidungen geführt haben oder führen werden. Außerdem eröffnet der Beschluß des Planungsausschusses genügend Möglichkeiten für die Länder, im Rahmen der Feinabstimmung zu auch im Einzelfall vertretbaren Ergebnissen zu kommen, die dann im Planungsausschuß noch einmal beraten und beschlossen werden können. Ich verkenne allerdings nicht, daß mit jeder Neuabgrenzung Übergangsprobleme entstehen. Dem soll durch eine entsprechende Übergangsregelung auch Rechnung getragen werden.
Eine Zusatzfrage. Bitte!
Herr Staatssekretär, es handelt sich ja um ein sehr ernstes Problem für die betroffenen Gebiete. Halten Sie eine Analyse der Pendlerbewegungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, wie sie von Professor Klemmer vorgenommen wurde, vor allem dann, wenn die Pendlerbewegungen keinen nennenswerten Umfang annehmen, als Material für ausreichend, um hierüber zu derart schwerwiegenden Entscheidungen zu kommen, wie das in diesem Fall geschehen ist?
Herr Kollege, das Klemmer-Gutachten ist ja im Planungsausschuß unter Mitwirkung aller Länder sehr eingehend überarbeitet worden. Wir haben - darauf habe ich schon verwiesen - im Rahmen der den Ländern gegebenen Möglichkeiten zur Feinabgrenzung auch ein Mittel gefunden, um hier konkret vor Ort nicht vertretbare Ergebnisse zu korrigieren. Ich glaube, mit der großen Mehrheit, die dieser Beschluß gefunden hat, machen wir schon deutlich, daß allgemein, gerade bei den Ländern, die Meinung vorgeherrscht hat, hier sei ein insgesamt vertretbares Ergebnis gefunden worden.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, würden Sie das Ziel der Neueinteilung für erreicht ansehen, wenn Gebiete wie z. B. die Kreise Cloppenburg und Oldenburg-Land, die im Winter zu den Gebieten mit den höchsten Arbeitslosenzahlen - zum Teil 10, 12, 13 % - gehören, nicht in die Fördergebiete durch die Feinabstimmung einbezogen werden könnten?
Ich möchte mich zu dieser Frage hier nicht äußern, weil die Probleme solcher soeben zitierter Teilgebiete mir nicht im Detail bekannt sind. Aber ich meine, wir sollten die Vorschläge des hier betroffenen Landes abwarten und unserer end- gültigen Kritik an der einen oder anderen Entscheidung das Ergebnis der Planungsausschußberatungen zugrunde legen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Planungsausschuß auf Antrag des Landes Niedersachsen beschlossen hat, die Kriterien, die zur Neuabgrenzung der Fördergebiete geführt haben, durch ein Gutachten nochmals überprüfen zu lassen?
Im Rahmen des Planungsausschußverfahrens haben immer wieder neue Gedanken in die Arbeit Eingang gefunden. Ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, ob das ein Antrag des Landes Niedersachsen war. Wir hatten in einer bestimmten Phase auch Anträge des Landes Baden-Württemberg. Insgesamt sind im Rahmen dieses Verfahrens mehrere Gutachten eingeholt worden.
Keine Zusatzfragen.
Vizepräsident Frau Funcke
Dann rufe ich die Frage 33 des Abgeordneten Carstens auf:
Ist die Bundesregierung bereit, besonders strukturschwache Gebiete, die nach der Feinabstimmung durch die Länder noch nicht in die Fördergebiete aufgenommen sein sollten, in ausgesprochenen Härtefällen zusätzlich in die Förderung aufzunehmen?
Sinn und Zweck der Beschlüsse des Planungsausschusses, die Ihnen in einem Schreiben vom 23. August 1974 an alle Abgeordneten dieses Hohen Hauses übersandt worden sind, ist es gerade, die besonders strukturschwachen Gebiete nach objektiven und nachprüfbaren Kriterien zu erfassen. Die Bundesregierung sieht daher keine Möglichkeit, Ihrem Wunsch nachzukommen. Ausgesprochene Härtefälle werden sicher, wie ich schon sagte, im Wege der Feinabstimmung zu beseitigen sein.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nun könnte der Fall eintreten, daß nach der Feinabstimmung ausgesprochene Härtefälle noch nicht aufgenommen sind. Ist die Bundesregierung auch dann, wenn es nachgewiesene Härtefälle sind, nicht bereit, noch einige Positionen zur Disposition zu stellen?
Es ist ein Entscheidungsverfahren, das die Bundesregierung zusammen mit elf Landesregierungen zu treffen hat. Ich bin sicher, daß nach dieser abschließenden Beratung keine solchen Härtefälle bestehen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung des niedersächsischen Wirtschaftsministers Küpker, daß das Land Niedersachsen innerhalb seines Bereichs die Möglichkeit hat, die vom Planungsausschuß am 21. August beschlossenen Arbeitsmarktregionen auszutauschen?
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis dafür, daß wir die Beschlußfassung des Landes Niedersachsen abzuwarten haben und daß es Aufgabe des Landes Niedersachsen ist, dem Planungsausschuß die Unterlagen vorzulegen, die nach Meinung des Landes Niedersachsen im Rahmen der Feinabstimmung notwendig sind. Ich kann keine Äußerung über die Absichten machen, die das Land Niedersachsen verfolgt, weil uns derartige Vorlagen noch nicht gegeben worden sind.
({0})
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Ist die Bundesregierung angesichts der sich dauernd verschlechternden konjunkturellen Lage bereit, die Unterschiede in den Förderungspräferenzen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze zwischen Schwerpunktorten und übergeordneten Schwerpunktorten bei der Verabschiedung des nächsten Rahmenplanes der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" zu beseitigen?
Die von der Bundesregierung betriebene Konjunktur- und regionale Wirtschaftspolitik sind so aufeinander abgestimmt, daß sie entsprechend ihrer Wirkungsweise - die Konjunkturpolitik mehr kurzfristig, die Regionalpolitik mehr mittel-und langfristig - zur Verbesserung und Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Das bedeutet konkret:
Erstens. Die Bundesregierung hat bereits im Frühjahr 1974 mit ihrem Sonderprogramm für Gebiete mit speziellen Strukturproblemen konjunktur- und strukturpolitisch gezielt die Investitionstätigkeit gestützt und bereitet zur Zeit ein zweites Programm vor, das ebenfalls die Möglichkeit geben soll, rasch und gezielt einzugreifen. Die entsprechenden Verhandlungen mit den Ländern über dieses zweite Programm sind bisher erfolgreich verlaufen.
Zweitens. Die Staffelung der regionalen Förderungspräferenzen für die Schwerpunktorte hat politische und ökonomische Gründe. Entsprechend dem Zonenrandförderungsgesetz sind dem Zonenrandgebiet die höchsten Förderungspräferenzen vorbehalten. An diesem Gesetzesauftrag hält die Bundesregierung fest. Außerdem sollen durch die Auswahl einiger übergeordneter Schwerpunktorte mit erhöhten Förderungspräferenzen besondere Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen gegeben werden. Die von Ihnen vorgeschlagene Nivellierung der Förderungspräferenzen würde beiden wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten nicht Rechnung tragen, sondern eine undifferenzierte Behandlung von unterschiedlichen Problemen darstellen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung überzeugend widerlegen, daß gerade die Unterschiede in den Förderungspräferenzen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze im dünn besiedelten Zonenrandgebiet sich anders, d. h. nachteiliger, auswirken als am Rande von Ballungsräumen? Und wie kann die Bundesregierung diese Schlechterstellung des Zonenrandgebiets bei der Verteilung der Mittel von 45 auf 42 % nach den inzwischen getroffenen Entscheidungen, die kürzlich im Planungsausschuß für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" gefallen sind, überzeugend begründen?
Herr Kollege, alles, was wir über Schwerpunktorte und Förderungspräferenzen festgelegt haben, ist gemeinsam mit den Ländern nach eingehender Beratung beschlossen worden.
({0})
- Gegen die Stimmen von Bayern und von Niedersachsen. Alle anderen Bundesländer haben diesem Beschluß zugestimmt. Ich überlasse es Ihrer Phantasie, welche Gründe etwa das Land Bayern veranlaßt haben könnten, in diesem Augenblick gegen einen solchen Beschluß zu stimmen. Es ist im übrigen keinerlei Benachteiligung des Zonenrandgebietes eingetreten. Ich weise noch einmal auf den gesetzlichen Auftrag hin, den wir insofern tatsächlich haben. Die erhöhte Förderungspräferenz für das Zonenrandgebiet ist in unveränderter Höhe erhalten geblieben, so daß vom Investitionsanreiz her der Unterschied zu den übrigen Fördergebieten gewahrt geblieben ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, deckt sich nicht meine Befürchtung, daß sich insbesondere im dünnbesiedelten Zonenrandgebiet der Unterschied in den Förderpräferenzen zwischen den Schwerpunktorten und den übergeordneten Schwerpunktorten nachteilig auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze auswirkt, mit der Verlautbarung des Herrn Bundesministers für Wirtschaft vom 23. August in den Erläuterungen zu den Beschlüssen des Planungsausschusses der Gemeinschaftsaufgabe, nach der die Bedeutung der Fläche bei der Gewichtung der Förderbedürftigkeit noch stärker als bisher zurücktritt, und bestätigt nicht die kürzlich erfolgte Aufteilung der 950 Millionen DM, bei der dieser Schlüssel auch mit angewandt wurde, diese meine Befürchtung?
Herr Kollege, die Frage wird sicher beantwortet werden. Es ist aber für jemanden, der eine Zusatzfrage nicht schriftlich vorliegen hat, etwas schwierig, einer so langen Frage zu folgen. Wir sollten uns vielleicht Mühe geben, uns möglichst kurz und präzis zu fassen.
Herr Kollege, ich kann Ihre Befürchtungen nicht teilen und möchte hinsichtlich des angesprochenen Sonderprogramms nur darauf hinweisen, daß gerade dieses Sonderprogramm nur in seinem kommunalen Infrastrukturbereich - nämlich in einer Größenordnung von über 360 Millionen DM
die Gesichtspunkte der Gemeinschaftsaufgabe mit berücksichtigt hat, aber auch dort die überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit ein ebenso hohes Gewicht erhalten hat, während alle anderen eingesetzten Mittel ausschließlich unter dem Gesichtspunkt überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit vergeben worden sind. Diese regionalen Strukturprobleme haben also bei der Verteilung des Gesamtprogramms aus wohlerwogenen Gründen und auch unter Zustimmung der Länder, ohne die ja ein solches Programm gar nicht in die Wege geleitet werden könnte, nur eine partielle Rolle gespielt.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 35 des Abgeordneten Röhner soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Straßmeir sind zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Nordlohne auf:
Weshalb macht sich die Bundesregierung durch ihre eingebrachten Vorschläge hei der Neuabgrenzung der Fördergebiete im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" die Auffassung von Prof. Klemmer ({0}) zu eigen, wonach durch die Zusammenlegung von mehreren strukturschwachen und bisher geförderten Kreisen mit einem Oberzentrum zu einer gemeinsamen Arbeitsmarktregion der Schwellwert von 250 erreicht werden kann und deshalb eine künftige Forderung entfallen soll?
Ich bitte darum, die beiden Fragen des Kollegen Nordlohne zusammen beantworten zu dürfen.
Einverstanden! Dann rufe ich noch die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Nordlohne auf:
Hat nicht eine Untersuchung, die für die Entscheidungsgrundlagen Raume statistisch zusammenfaßt und jeden regionalen Strukturunterschied unberücksichtigt läßt, zum Ergebnis, daß strukturstarke Gebiete weiter gefördert werden sollen, während strukturschwache Gebiete nicht mehr gefördert werden können?
Herr Kollege, Ihren Fragen liegt möglicherweise ein Mißverständnis des Gutachtens von Professor Klemmer zugrunde. Wie in dem Brief von Herrn Minister Friderichs an alle Abgeordneten dieses Hauses erläutert wurde, war es Aufgabe von Professor Klemmer, ein Gebietsraster zu entwickeln, auf dessen Grundlage festgestellt werden kann, welche Regionen wirtschafts- und strukturschwach sind. Diese Aufgabe hat Professor Klemmer durch die Analyse der Pendlerbewegungen auf den Teilarbeitsmärkten zu lösen versucht. Damit ist es jetzt möglich, die Abgrenzung der Fördergebiete nach Kreisen durch die gemeindescharfe Erfassung ökonomischer Verflechtungsbereiche abzulösen. Im nächsten Schritt wurden dann mittels der drei Abgrenzungskriterien - Einkommensrückstand, Arbeitsplatzdefizit und Ausstattung mit Infrastruktur - die künftigen Förderregionen bestimmt. Angesichts dieses methodischen Vorgehens zur systematischen Erfassung der regionalen Strukturprobleme kann keine Rede davon sein, daß regionale Strukturunterschiede unberücksichtigt geblieben sein sollten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die Auffassung von Professor Klemmer für richtig, wenn er mittels einer Dichtekennziffer und der Festlegung einer maximalen Pendlerzeit von einer halben Pkw-Stunde das Arbeitsmarktzentrum innerhalb einer Arbeitsmarktregion festlegt, dieses Arbeitsmarktzentrum mit dem Umland in dieselbe Arbeitsmarktregion bringt und durch ein solches Zusammenlegen ganze angrenzende Kreise aus der Förderungswürdigkeit herausfallen läßt? Das ist doch das eigentliche Problem.
Grüner, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, ich glaube, in meiner Antwort schon deutlich gemacht zu haben, daß eine Fülle von Kriterien zur Abgrenzung dieser Arbeitsmarkt- bzw. dieser Förderregionen herangezogen worden sind und daß dieses Grundraster von Professor Klemmer auch in den Beratungen im Planungsausschuß in vielfältiger Weise differenziert worden ist, so daß es an der Sache vorbeiführen würde, ausgehend von einer solchen Spezialfrage, dann eine Beurteilung der gefundenen Förderregionen vorzunehmen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung auf Grund der Tatsache, daß die Interessen Niedersachsens - dies ist vorhin schon angesprochen worden - auf dem Gebiete der Neuabgrenzung der Fördergebiete bei den Beratungen in den Unterausschuß- und Planungsausschußsitzungen seitens der niedersächsischen Landesregierung eventuell nicht ausreichend vertreten wurden, bereit, bei den abschließenden Beratungen zum 4. Rahmenplan eine eingehende Überprüfung dieses Sachverhaltes vorzunehmen und - nach Unterbreitung der Vorstellungen Niedersachsens - gegebenenfalls eine Änderung der jetzigen Situation herbeizuführen?
Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Interessen Niedersachsens in diesem Planungsausschuß nicht etwa ausreichend berücksichtigt worden sind. Es ist eine gemeinschaftliche Entscheidung auch über alle vorgetragenen Argumente in diesem Planungsausschuß getroffen worden.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Feinabstimmung im Planungsausschuß erneut beraten wird. Wir warten ab, welche Vorschläge das Land Niedersachsen dem Planungsausschuß bis Ende dieses Jahres vorlegen wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spies von Büllesheim.
Herr Staatssekretär, enthält das Gebietsraster von Professor Klemmer auch eine Mindestgröße nach Fläche und Einwohnerzahl? Wenn ja, wann wurde diese Mindestgröße bestimmt, und wurde sie immer eingehalten?
Herr Kollege, es ist zutreffend, daß im Willensbildungsprozeß des Planungsausschusses ein solches Raster festgelegt wurde. Es ist auch in den Grundlagen, die vom Planungsausschuß festgelegt worden sind, eingehalten worden, wobei eine breite Variationsmöglichkeit erhalten geblieben ist, um konkret vor Ort bestimmten Problemen Rechnung tragen zu können, die dann im Wege der sogenannten Feinabstimmung im Planungsausschuß
bei der endgültigen Beschlußfassung über den Rahmenplan Berücksichtigung finden können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, es gibt aber doch durchaus Arbeitsamtsbezirke, die trotz des nicht erreichten Schwellenwertes von 250, der von Professor Klemmer genannt wird, hohe Arbeitslosenzahlen aufweisen und gleichzeitig unter Strukturschwächen zu leiden haben. Dies bezieht sich dann natürlich nur auf einzelne Gemeinden und Städte. Wie wäre es nach Ihren Darstellungen und dargelegten Vorstellungen möglich, einzelnen Orten tatkräftig zu helfen, um hier Entlastung zu bekommen?
Das ist nach diesem Modell, das wir verabschiedet haben, durch den ökonomischen Verflechtungsbereich durchaus möglich. Es ist ja nicht so, daß etwa durchschnittliche Arbeitslosenzahlen von Arbeitsamtsbezirken die Grundlage des sogenannten Arbeitsplatzdefizits dargestellt haben, sondern dieses Arbeitsplatzdefizit wird aus ganz anderen Gesichtspunkten zusammengestellt, nämlich unter anderem auch im Blick auf prognostische Aussagen darüber, wie sich eine bestimmte Region oder ein bestimmtes Gebiet hinsichtlich des Arbeitsplatzangebotes in Zukunft entwickeln wird.
Keine Zusatzfrage.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Bundesminister Ertl zur Verfügung. - Herr Bundesminister, ich glaube, das Haus ist sicher damit einverstanden, wenn Sie mit Rücksicht auf Ihr Gipsbein sitzenbleiben. Das Mikrophon läßt sich herunterdrehen. Damit könnten wir Ihnen die Beantwortung der Fragen erleichtern.
({0})
Ich rufe nunmehr die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Durch welche volkswirtschaftlichen Fakten wurde die Haltung von Bundesminister Ertl hei den Agrarpreisverhandlungen in Brüssel bestimmt, als er fur die Bundesrepublik Deutschland nur einer Maximalforderung von + 4 %$ zustimmen wollte?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hält eine Agrarpreiserhöhung während des Wirtschaftsjahrs aus wirtschaftlichen und agrarBundesminister Ertl
politischen Überlegungen für bedenklich. Der Satz von 4 % geht auf die von der deutschen Landwirtschaft selbst vorgetragenen Wünsche zurück. Bis Ende August hat der Deutsche Bauernverband nämlich nur 4 % Preiserhöhung gefordert. Erst nach Bekanntwerden des Kommissionsvorschlags, der ebenfalls 4 % vorsah, haben Vertreter des COPA -- dabei gab es innerhalb der COPA unterschiedliche Voten - ihre Forderungen auf 8 °/o erhöht. Eine derartige taktische Position konnte für die Bundesregierung kein Maßstab sein.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ergänzen, Herr Abgeordneter, daß ich mit Ihrem Agrarsprecher, Herrn Dr. Ritz, in der Feststellung übereinstimme, daß eine Preiserhöhung zwischen den Jahren nach der Ernte diesbezüglich problematisch ist, da ein Teil der Ernte bereits eingebracht ist und die Landwirte möglicherweise nicht in den Genuß dieser Preiserhöhung kommen könnten, und daß es sich angesichts der derzeitigen Situation auf den Schlachtviehmärkten um eine nominale Erhöhung handelt, die das Gefälle zwischen Orientierungspreis und Interventionspreis erhöhen würde.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, können Sie mir dann erklären, warum Sie nicht während Ihrer Präsidentschaft als Ratspräsident vor der Ernte dafür gesorgt haben - bis zum 1. Juli waren Sie Ratspräsident -, daß zum richtigen Zeitpunkt
im richtigen Maß die Preise angehoben wurden?
({0})
Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage, Herr Kollege Eigen, weil der Ratspräsident bekanntermaßen einen Beschluß, dem alle neun Regierungen zustimmen müssen, herbeiführen kann, nicht muß. Er ist nämlich kein Befehlshaber und auch kein Führer, sondern er ist Primus inter pares und hat die Aufgabe, europäische Kompromisse herbeizuführen. Auf Grund der Unterlagen, die uns damals vorlagen, haben sich alle Regierungen auf diesen Kompromiß geeinigt.
({0})
Eine Zusatzfrage.
Sind Sie also der Meinung, Herr Minister, daß die Forderung, auf Grund des Auseinanderklaffens der Preis-Kosten-Schere die Agrarpreise, die Erzeugermindestpreise um 5 % anzuheben, am 1. Juli unberechtigt war und heute nach wie vor unberechtigt ist?
Ich habe Ihnen gesagt, daß ich sachliche Bedenken habe, die ich mit dem Agrarsprecher Ihrer Partei, Dr. Ritz, teile, wenn ich im VWD das richtig gelesen habe. Ich habe Alternativvorschläge gemacht. Ich habe z. B. der Kommission vorgeschlagen, zu prüfen, inwieweit man Kostenentlastungen durchführen könnte, was möglicherweise in dieser Situation für die Landwirte hilfreicher gewesen wäre. Aber das ist an dem Widerstand anderer Delegationen gescheitert. Ich war deshalb durchaus bereit, im Rahmen des mir erteilten Auftrages zu verhandeln. Wie Sie wissen, habe ich sogar, und zwar aus europäischer Gesinnung heraus, einen Kompromiß bis zu 5 0/o ausgehandelt, allerdings ad referendum.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz.
Herr Bundesminister, da Sie mich ausdrücklich zitiert haben: Würden Sie mir einräumen, daß ich in der Tat gesagt habe, daß eine Anhebung der Preise zum 1. Oktober dazu führt, daß ein Teil der Landwirte nicht mehr in den Genuß dieser Erhöhung kommt, daß aber zu einem früheren Zeitpunkt dieser Beschluß auf Grund der Preis-Kosten-Entwicklung notwendig und richtig gewesen wäre?
Ich räume Ihnen gerne ein, daß Sie das erste gesagt haben. Es ist auch das gute Recht der Opposition, höhere Preise zu fordern. Nur muß ich sagen: der Rat kann erst beschließen, wenn die Kommission Vorschläge macht. Das ist im Vertragstext und in dem Marktordnungsreglement festgelegt - übrigens ein Marktreglement, für das diese Bundesregierung nicht allein verantwortlich zeichnet.
({0})
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Bundesminister, da wir ohnehin wissen, daß der jeweils amtierende Ratspräsident in Brüssel keine Preiserhöhungen oder Verhandlungen darüber einführen muß, sondern nur kann, frage ich Sie jetzt, ob Sie wenigstens versucht haben, vor dem 1. Juli solche Verhandlungen in Gang zu bringen?
({0})
Die Verhandlungen werden, wie es die Marktordnungen bestimmen - die übrigens als im wesentlichen durch meine Amtsvorgänger be- schlossen wurden, Herr Abgeordneter Kiechle -, entsprechend den Terminen festgelegt. In der Regel kommt es dann zu einem Paket, und dieses Paket, wird Jahr für Jahr verabschiedet. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Erstmals heuer hat sich angesichts der nicht zu erwartenden Kostenexplosion, aber auch wegen des Rückgangs der Rindfleisch-und Schweinepreise die Kommission von sich aus ermächtigt gefühlt, während des Wirtschaftsjahrs neue Vorschläge zu machen.
({0})
- Ich glaube, daß ich die Frage exakt beantwortet habe.
({1})
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Bewerunge.
Herr Minister, nachdem offensichtlich wegen des Preis-Kosten-Verhältnisses der gesamten europäischen Landwirtschaft die Kommission den Vorschlag einer 4%igen Anhebung gemacht hat und Sie dann vor dem deutschen Volk im Fernsehen erklärt haben, daß Sie bei den 5% nach allgemeinem Willen - Sie hatten den niedrigsten Trend - Europa nicht in Schwierigkeiten bringen wollten, und nachdem Sie erklärt haben, daß Sie unentwegt mit dem Bundeskanzler in Verbindung gestanden haben: wie fühlen Sie sich in Ihrer Rolle als deutscher Bundesminister bei solchen Verhandlungen jetzt und in der Zukunft?
({0})
Herr Kollege Bewerunge, ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar. Ich werde sie Ihnen ausführlich in der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde beantworten; die Antwort würde sonst die Fragestunde zu weit ausdehnen. Das läßt sich nämlich nicht mit einem Satz sagen, aber Sie werden eine sehr präzise Antwort bekommen.
({0})
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Sauter.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß zwischen der gestrigen Entscheidung der Bundesregierung, Ihrer Haltung in Brüssel und dem, was Sie in diesem Heftchen vor einem halben Jahr der Landwirtschaft gesagt haben, nämlich daß die Interessen der Landwirtschaft durch diese Bundesregierung mit aller Entschiedenheit vertreten werden, ein eklatanter Widerspruch besteht?
({0})
Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß ein Vergleich der politischen Handlungen und Fakten und der daraus resultierenden wirtschaftlichen und sozialen Fakten für die Landwirtschaft während der vier/fünf Jahre, in denen ich die Verantwortung trage, mit denen in der Zeit meiner Amtsvorgänger gut ausfällt.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann.
Herr Minister, da im Zusammenhang mit der Frage, die wir hier besprechen, der Herr Bundeskanzler nach Presseagentur-Meldungen gesagt hat, die ganze europäische Agrarmarktordnung sei ein Faß ohne Boden, darf ich die Frage stellen: Hat die Bundesregierung, hat der Bundeskanzler, haben Sie ein Konzept, wer wie, wo, wann die jetzige europäische Agrarmarktordnung durch eine andere ersetzen soll?
Herr Kollege Müller-Hermann, der Herr Bundeskanzler hat hier noch nicht einmal das Ursprungsrecht; das hat Franz Josef Strauß; er hat das selber schon gesagt. Ich kann auch noch andere zitieren.
Doch ich kann Ihnen sagen, daß dies eine Frage ist, mit der wir uns sehr ernsthaft beschäftigen. Sie werden verstehen - ich weiß, daß Sie ein erfahrener Europäer sind -, daß ich hier in einer Fragestunde nicht alle Details beantworten kann. Aber die Opposition hat - für mich erfreulicherweise - eine Große Anfrage eingereicht. In der auf diese Große Anfrage folgenden Debatte werde ich darauf eingehen, soweit es meiner taktischen Position nicht schadet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder.
Herr Minister, habe ich Sie bei Ihrer ersten Antwort richtig verstanden, daß Sie sich bei Ihrer 4 %igen Forderung nach Preisanhebung an den Forderungen des Deutschen Bauernverbandes orientiert haben, und darf ich daraus die Schlußfolgerung ziehen, daß Sie sich auch in Zukunft an den Preisforderungen des Bauernverbandes orientieren und dementsprechend eine drastische Preisanhebung fordern werden?
Ich bin Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem gesamten Volk verpflichtet. Ich glaube, das sagt alles.
({0})
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Bundesminister, ist Ihnen vor dem Beschluß von gestern bekannt gewesen, daß sowohl Landhandel als auch Genossenschaften auf dem Getreidesektor bereits Überlegungen angestellt haben, wie sie allen Bauern die Erhöhung zugute kommen lassen wollten?
Ich bedanke mich für die InforBundesminister Ertl
mation. Meine Mitarbeiter haben mich allerdings nicht so informiert, wie Sie es jetzt darstellen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Alten-Nordheim.
von Alten-Nordheim ({0}) : Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Meinung, daß der Großteil der Fragen von Ihnen mehr ausweichend als ausreichend beantwortet worden ist?
({1})
Ich glaube, daß diese Frage nicht von mir zu beantworten ist. Ich habe mich bemüht, so präzis wie nur möglich zu antworten.
({0})
Jedermann kann das interpretieren wie er will; dieses Recht steht in unserem Parlament jedem frei.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Aus welchem Grunde hat die Bundesregierung im Haushaltsplan 1975 keine Stützung für den deutschen Gartenbau vorgesehen, obgleich die Wettbewerbsverzerrungen vor allein hei den Energiekosten gegenüber Holland bisher nicht abgebaut sind?
Im Haushaltsentwurf 1975 ist kein Ansatz für ein vergleichbare Maßnahme vorgesehen, weil die Bundesregierung im Rahmen ihrer EG-Politik in den laufenden Verhandlungen mit Nachdruck um die Schaffung gleicher Wettbewerbsverhältnisse auf dem Energiesektor der Gemeinschaft bemüht ist. Dies geschieht in besonderem Maße im Hinblick auf die gegenüber den Niederlanden bestehenden Wettbewerbsnachteile.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, Sie wissen doch sicher ebenso gut wie ich, daß die holländische Regierung an die holländischen Gärtner, die die entscheidenden Wettbewerber am deutschen Markt sind, für den Gartenbau unter Glas erhebliche Subventionen zahlt und daß die Differenz hinsichtlich der Subventionen im Wettbewerb für den deutschen Unterglasgartenbau zirka 150 Millionen DM ausmacht?
Vorhin ist eine Frage zu dem gestrigen Kabinettsbeschluß gestellt worden. Ich glaube doch, darauf hinweisen zu dürfen - das ist der Beschluß, der meine volle Zustimmung gefunden hat; ich habe nicht allem voll zugestimmt; das aber nur zur Information , daß unsere Zustimmung zu dem Kompromiß an den Abbau nationaler Maßnahmen gekoppelt sein muß. Diesen Beschluß kann ich, so glaube ich, in Übereinstimmung mit Ihnen in Brüssel mit Nachdruck vertreten. Dabei bitte ich um Ihre Unterstützung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, halten Sie es nicht für einen Skandal, daß die Bundesregierung im Haushaltsplan 1974 mehrere Millionen DM für den Gartenbau zur Umstellung auf andere Energieträger bereitgestellt und bisher keine Verordnung erlassen hat, damit dieses Geld abfließen kann, obwohl die Heizperiode jetzt schon wieder angefangen hat?
Herr Abgeordneter, ich werde der Sache sofort nachgehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es so ist, und werde das überprüfen lassen. Ich werde Ihnen eine schriftliche Antwort darauf zukommen lassen. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß das eine Gemeinschaftsaufgabe ist; der Bund stellt das Geld zur Verfügung, und die Durchführung liegt bei den Ländern. Der Bund beteiligt sich nach dem Schlüssel 60 zu 40. Vielleicht richtet sich diese Frage an ein anderes Parlament. Ich verspreche Ihnen eine sehr präzise Antwort.
({0})
Keine Zusatzfrage
Die Frage 43 des Abgeordneten Müller ({0}) soll auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Ist die gemeinsame Stellungnahme des Bundes und der Länder vom 28. Juni 1974 in Bremen so zu verstehen, daß der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Ansicht vertritt, die Prognos AG, Basel, sei in ihrer KostenNutzen-Untersuchung zur Molkereistrukturpolitik vor allem wegen ti
der Anwendung falscher Menethoden zu ganz überwiegend strukturpolitik, von einigen Ausnahmen abgesehen, ein voller Erfolg gewesen und müsse ({1}) bis 1980 weiterlaufen, und daß es nur auf einen Flüchtigkeitsfehler zurückzuführen ist, daß in der Stellungnahme unter dein Abschnitt „Ziele und Ausgestaltung der Maßnahmen zur Verbesserung der Molkereistruktur" ein Hinweis darauf fehlt, daß zu den Zielen auch ein preisgünstiges Angebot für den Verbraucher gehört?
Herr Kollege Gansel, hinsichtlich der Ziele und Ausgestaltung der Maßnahmen zur Verbesserung der Molkereistruktur wird in der von Ihnen angesprochenen Stellungnahme festgestellt, daß mit ihr eine rationelle und kostengünstige Verwertung der Milch erreicht werden soll. Die Verwirklichung dieser Zielsetzung dient sowohl den Erzeuger- als auch den Verbraucherinteressen, weil hiermit auch Voraussetzungen für eine preisgünstige Versorgung der Bevölkerung geschaffen werden.
Weiterhin wird festgestellt, daß, insgesamt gesehen, der Förderungszweck erreicht worden ist. Die
Abwicklung bereits anhängiger und die Durchführung von in der Planung befindlichen Vorhaben wird voraussichtlich auch den Zeitraum bis einschließlich 1980 beanspruchen. Durch die von dem Prognos-Gutachten verwendeten Methoden und Daten können die getroffenen negativen Aussagen zur Molkereistrukturpolitik nicht belegt werden. Im übrigen spiegelt die von Ihnen angesprochene Stellungnahme nicht nur die Ansicht des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wider, sondern auch die der Agrarminister der Länder. Sie ist deswegen auch als eine gemeinsame Stellungnahme bezeichnet worden.
Ich darf ergänzend mitteilen, daß in einer dänischen Molkereifachzeitschrift ein Artikel über die Molkereistrukturverbesserung in Deutschland veröffentlicht wurde - Herr Abgeordneter, ich bin gern bereit, Ihnen eine Fotokopie davon zuzusenden -, in dem die Molkereistrukturverbesserung in Deutschland im großen und ganzen als eine der vorbildlichsten Lösungen bezeichnet wurde.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, da derartige Gutachten im allgemeinen angefertigt werden, um eine Erfolgskontrolle zu haben, möchte ich Sie fragen, wieviel Gutachten die Bundesregierung noch in Auftrag geben will, bis sie ein Gutachten erhält, das bestätigt, daß die bisherige Molkereistrukturpolitik erfolgreich gewesen ist.
Herr Abgeordneter, dem ist nicht so, sondern das Gutachten sollte eine kritische neutrale Durchleuchtung ergeben; das wurde zum Gegenstand der Gespräche mit den Ländern gemacht, denen im wesentlichen mit dem Bund an Hand der Gutachten, die erstellt wurden, die Durchführung obliegt. Insoweit kann ich nicht global sagen, daß die Molkereistrukturpolitik als solche negativ war. Es gibt sicherlich einzelne Fälle, die das Prädikat „negativ" verdienen. Darüber ist genügend diskutiert worden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, weil ich möglicherweise Ihre Antwort akustisch nicht mitbekommen oder das Gefühl habe, daß Sie meine Frage her- untergespielt haben, möchte ich Sie noch einmal ausdrücklich fragen, warum in Anbetracht des hohen Ladenpreises von Milch und auch des Umstandes, daß der Bauer noch immer relativ wenig dafür bekommt und der größte Anteil des Ladenpreises vom Zwischenhandel und von den Molkereien verschlungen wird, in dieser Erklärung der Bundesregierung und der Landesregierungen ein Hinweis auf die Notwendigkeit eines preisgünstigen Angebots für den Verbraucher fehlt.
Herr Kollege Gansel, ich möchte
Ihnen zunächst raten, im Inseratenteil der Zeitungen nachzulesen. Sie werden dort Sonderangebote für Milch vorfinden. Das heißt: es gibt genug Wettbewerb auf diesem Sektor; denn sonst würden Sie diese Sonderangebote nicht überall lesen können. Das gilt nicht nur für Milch, sondern auch für Milchprodukte. Zum Teil werden sie sogar von Superläden als Preisbrecher verwandt. Das ist ein Faktum. Insoweit muß ich Sie in dieser Form korrigieren. Ich habe Ihnen gesagt, für mich ist die Molkereistrukturpolitik insgesamt nicht so, daß ich pauschal sagen könnte, sie ist negativ verlaufen. Sicherlich gab es einige negative Beispiele.
Sie fragen weiter bezüglich der Diskrepanz zwischen Ladenpreis und Erzeugerpreis. Auch hier gibt es Unterschiedlichkeiten. Denken Sie zum Beispiel an das Land Rheinland-Pfalz, wo in meinen Augen eine optimale Molkereistruktur geschaffen worden ist und wo sich daraus auch beachtlich bessere Erzeugerpreise trotz gleicher Ladenpreise abzeichnen. Insoweit ist, regional unterschiedlich, schon etwas erreicht worden. Darüber hinaus haben wir beschlossen, die Maßnahmen auf dem Gebiet der Molkereistrukturpolitik bis zum Jahre 1980 abzuschließen. Ich glaube, das war auch ein richtiger Beschluß.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Immer.
Herr Minister, da Sie Rheinland-Pfalz erwähnen, darf ich Sie fragen, ob bei der Fusion von Molkereien nicht erhebliche Investitionen dadurch verlorengegangen sind, daß ganz neue Anlagen, die ein Jahr im Betrieb waren, im Zuge dieser Fusion à fonds perdu vernichtet worden sind?
Herr Abgeordneter, eine solche Frage kann ich mit Ja oder Nein nur dann beantworten, wenn ich den konkreten Fall kenne. Bitte legen Sie mir solche Fälle vor; dann werde ich sie überprüfen lassen.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 45 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß landwirtschaftliche Alterskassen die bei ihnen eingegangenen Anträge auf Gewährung von Landabgaberente mit der Begründung, daß der Gesetzgeber noch nicht bestimmt habe, welches Amt die Bescheinigung ausstellt, daß die landaufnehmenden landwirtschaftlichen Betriebe in den Genuß der vom Rat der Europäischen Gemeinschaften zur Modernisierung beschlossenen Förderungsmaßnahme kommen, nicht bearbeiten, und welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, die abgebenden Landwirte vor Schaden, z. B. in ihrer gesetzlichen Krankenversicherung, zu bewahren?
Herr Kollege Konrad, Ihre Frage wird im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wie folgt beantwortet:
Die Landabgaberente nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte kann unter anderem gewährt werden, wenn der landaufnehmende Betrieb
durch Maßnahmen nach der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe gefördert wird. Falls die abzugebenden Flächen nicht durch einen Landwirt übernommen werden können, der Förderungsmaßnahmen im Sinne der Richtlinien erhält, ist die Landabgabe an andere Landwirte möglich. Der Nachweis hierüber kann durch Bescheinigung einer nach Landesrecht bestimmten Stelle geführt werden. Diese Stellen sind inzwischen in allen Bundesländern - mit Ausnahme Bayerns - bestimmt worden.
In Bayern hat sich die Bestimmung der Stellen verzögert, weil nach Art. 77 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Verfassung die Bestimmung der Stellen durch Landesgesetz erfolgen muß. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist inzwischen in den Ausschüssen des Bayerischen Landtags abschließend beraten worden. Das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten geht davon aus, daß der Landtag dieses Gesetz noch in dieser Woche verabschieden wird.
Die Stellen, die zur Erteilung der Bescheinigung bestimmt werden, sind bereits im Januar 1974 mit ihren neuen Aufgaben vertraut gemacht worden. Die Bundesregierung geht daher davon aus, daß ein in Bayern möglicherweise entstandener Antragsstau kurzfristig abgebaut werden kann. Ein Schaden dürfte den Antragstellern im Regelfall nicht entstehen; bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen wird die Landabgaberente nachgezahlt.
In der Krankenversicherung der Landwirte gilt folgendes: Falls der Hof noch nicht abgegeben wurde, besteht weiterhin Versicherungspflicht als Unternehmer nach den Vorschriften des Gesetzes über eine Krankenversicherung der Landwirte. Die Beitragshöhe richtet sich in Bayern nach dem Flächenwert des Betriebes. Falls der Hof abgegeben wurde, besteht Versicherungspflicht als Bewerber für Landabgaberente. Die Beitragshöhe richtet sich in diesem Falle nach der niedrigsten Beitragsstufe. Bei Bewilligung der Landabgaberente werden Beiträge erstattet, die für den Zeitraum nach dem Beginn der Landabgaberente gezahlt worden sind.
Zusatzfrage!
Herr Minister, können Sie mir beipflichten, wenn ich sage, es wäre hilfreich für die Agrarsozialpolitik der Bundesregierung gewesen, wenn der bayerische Gesetzgeber dieses verhältnismäßig einfache Gesetz früher erlassen hätte?
Ich wäre grundsätzlich dankbar, wenn Bundesgesetze, die Leistungen an betroffene Personen beinhalten, bei den Ländern so schnell wie möglich zum Tragen kämen. Insoweit kann ich Ihnen beipflichten.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, indem ich mich gern als regelmäßiger Leser der „Süddeutschen Zeitung" bekenne, frage ich: teilen Sie meine Freude darüber, daß ich dieser Zeitung gestern entnommen habe, daß der Bayerische Landtag vorgestern das Gesetz erlassen hat?
Wenn es um Verbesserung für die ländliche Bevölkerung geht, teilt der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten jede Freude.
({0})
Keine Zusatzfragen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen sind aber die der Art, Herr Staatssekretär, daß Sie gar nicht aufstehen müssen. Die Fragen 46 und 47 sollen schriftlich beantwortet werden; die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 48 und 49 sind zurückgezogen.
Die Frage 50 soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, daß Sie gekommen sind.
Ich rufe nunmehr die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan anwesend.
Ich rufe 51 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Kann die Bundesregierung die Meldung bestätigen, wonach Medikamente der Bundeswehr aus dem Beschaffungsjahr 1962 im Werte von 8,3 Millionen DM nun als inzwischen unbrauchbar vernichtet wurden, und ({0}) wie bewertet die Bundesregierung diesen Vorgang?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Reiser, es ist richtig, daß die Bundeswehr im Haushaltsjahr 1973 Arzneimittel ausgesondert und vernichtet hat, deren Beschaffungspreis vor etwa zwölf Jahren 8,3 Millionen DM betrug. Die vernichteten Arzneimittel stammen hauptsächlich aus Beschaffungen, die Anfang der 60er Jahre während der Kuba-Krise und der Berlin-Krise kurzfristig erforderlich wurden. Auf Grund der langen Lagerzeit sind sie verdorben und dürfen nach dem Arzneimittelgesetz nicht mehr in den Verkehr gebracht werden. Ich muß Sie jedoch darauf hinweisen, Herr Kollege Reiser, daß zur Wertermittlung die Beschaffungspreise eingesetzt worden sind, obwohl der Marktwert lange gelagerter Arzneimittel äußerst gering ist.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage! Der Bundesminister der Verteidigung hat angeordnet, die Bevor7978
ratung von Arznei- und Verbandmitteln des Verteidigungsvorrats in Zukunft nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten durchzuführen. Hiernach sollen die Herstellerfirmen bei der Umwälzung der Arzneimitteln mitwirken. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie hat sich bereit erklärt, uns in dieser Angelegenheit zu unterstützen. Mit einigen pharmazeutischen Firmen wird bereits darüber verhandelt, ob durch die Bundeswehr gekaufte Arzneimittel in den Firmenlägern belassen und dort umgewälzt werden können bzw. ob die Arzneimittel nach einer vereinbarten Lagerzeit in den Sanitätsdepots der Bundeswehr durch die Hersteller zurückgenommen werden und durch neue ersetzt werden können.
Auch diese Verfahren werden Kosten verursachen, möglicherweise in Höhe der Vernichtungskosten. Es wird jedoch die Vernichtung von Arzneimitteln weitgehend vermieden werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reiser.
Herr Staatssekretär, ist in den letzten Jahren eine derartige Arzneimittelvernichtung schon häufiger vorgekommen, oder ist das ein Sonderfall?
Sie ist schon vorgekommen. Ob das schon häufig vorgekommen ist, vermag ich nicht zu sagen. Wir müssen ja jedes Jahr die Arzneimittel aussondern, die überaltert sind, und sie vernichten oder dann einer anderen Verwertung zuführen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es bei dem zum Teil doch noch sehr wesentlichen Elend in der Welt - Medikamente werden ja immer gebraucht , nicht vernünftig gewesen, rechtzeitig daran zu denken, die Arzneimittel in solche Gebiete zu leiten, in denen sie gebraucht werden?
Das tun wir ja, Herr Kollege Reiser. Aber in diesem Fall handelt es sich um Arzneimittel, die für einen besonderen Fall beschafft sind, die sich also nicht für solche Elendsgebiete eignen. Ich nenne zum Beispiel Blutersatzflüssigkeiten oder Atropin-Spritzampullen. Das sind Dinge, die man bei Naturkatastrophen oder in Hungerkatastrophen nicht benötigt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Fiebig auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Vorsitzende von Prüfungsausschüssen für Kriegsdienstverweigerer behaupten, daß das in Artikel 4 Abs. 3 des Grundgesetzes garantierte Grundrecht auf Wehrdienstverweigerung lediglich ein Ausnahmerecht darstelle, und ist die Bundesregierung bereit, dafür Sorge zu
tragen, daß in Zukunft solche Äußerungen in den Prüfungsausschüssen durch Vorsitzende unterbleiben?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Fiebig, der Bundesregierung sind derartige Äußerungen nicht bekannt. In diesem Zusammenhang darf ich Sie darauf hinweisen, daß diese Frage bereits das Bundesverwaltungsgericht beschäftigte. Mit Urteil vom 11. Mai 1962 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, daß das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung kein Ausnahmerecht ist. Abschließend bemerke ich, daß die Vorsitzenden der Prüfungsgremien laufend über die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts informiert werden, also auch über die hiermit zusammenhängende Frage.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß es nicht gut ist, daß die Vorsitzenden der Prüfungsausschüsse und Kammern dienstrechtlich der Wehrbereichsverwaltung zugeordnet sind?
Das ist ein Tatbestand, den ich nicht bewerten möchte. Sie wissen, Herr Kollege Fiebig, daß sich die Parlamentsfraktionen mit dieser Frage beschäftigen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir einen Weg zeigen könnten, wo wir sie sonst anhängen könnten. Ich bin nicht darauf erpicht, dieses Recht im Verteidigungsministerium zu behalten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 43 des Abgeordneten Peter und die Fragen 44 und 45 des Abgeordneten Spranger sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Wolters zur Verfügung.
Die Frage 56 des Abgeordneten Schröder ({0}) soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Kroll-Schlüter auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die von den Herren Morath, Pabst und Willwacher mit Unterstützung der Stiftung für Bildung und Behindertenförderung herausgegebene Informationsbroschüre über die gesetzlichen Hilfen für Alleinstehende mit Kindern und Familien mit Kindern als Anregung aufzugreifen für eine bessere Information durch die zuständigen Bundesministerien?
Bitte schön!
Frau Präsidentin! Herr Abgeordndeter Kroll-Schlüter! Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit eine Reihe von Broschüren herausgegeben, die über Familienhilfen, insbesondere auch für alleinstehende Elternteile mit Kindern informieren. So gibt es seit einigen Jahren die bewährte Informationsschrift mit der Bezeichnung „Für uns", die über wirtschaftliche Familienhilfen informiert. Eine Neuauflage wird zur Zeit vorbereitet.
Eine umfassende Übersicht über die zur Verfügung stehenden öffentlichen und auch privaten Hilfen gibt die im Rahmen ergänzender Maßnahmen zur Reform des § 218 im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit herausgegebene Broschüre „Jede werdende Mutter hat ein Recht auf Hilfen". Darüber hinaus ist eine Aufklärungsaktion über das neue Kindergeld eingeleitet. Kurzinformationen durch Faltblätter und Zeitungsanzeigen werden durch eine Broschüre ergänzt, die die gesetzliche Neuregelung auch durch Beispiele veranschaulicht.
Zu anderen Hilfen, die der Familie zugute kommen, gibt es weiteres Aufklärungsmaterial, wie z. B. zum Wohngeld, zur Ausbildungsförderung und zur Sozialhilfe. Sie sehen, daß der Unterrichtung der Bevölkerung über Familienhilfen die notwendige Bedeutung beigemessen wird.
Eine Zusatzfrage.
Am finanziellen Volumen gemessen muß ich Ihnen zustimmen, was Sie im letzten Satz gesagt haben. Dennoch möchte ich präzise hinzufragen, ob die von mir genannte Broschüre nach Ihrer Meinung eine vorbildliche Initiative ist und ob Sie darin einen Maßstab Ihrer Information für diesen Bereich sehen könnten.
Aus meiner Antwort ist hervorgegangen, daß die Aufklärung, die betrieben wird, den Bedürfnissen der Aufklärung gerecht wird, und zwar von der Sache her und nicht in finanzieller Hinsicht. Es ist unbestritten
und hat damit überhaupt nichts zu tun -, daß es' andere Aufklärungsschriften geben mag, die deswegen durchaus ihre Existenzberechtigung haben können.
Eine zweite Zusatzfrage.
Worin liegt nach Ihrer Meinung der Grund dafür, daß diese Informationsschrift erstens einen hohen Resonanzgrad erreicht hat und zweitens ein großer Teil der Bevölkerung eindringlich darauf hingewiesen hat, daß eine solche Informationsschrift der Bundesregierung fehle?
Bevor ich diese Frage beantworte, hätte ich ganz gern die beiden Prämissen, die Sie gemacht haben, zunächst einmal belegt. Mir sind Ihre beiden Angaben in dieser Weise nicht bekannt. Deswegen enthalte ich mich auch eines Urteils dazu.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 58, 59, 60 und 61 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.
Die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Würtz werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Wie viele der 6 Millionen Anträge auf Kindergeld ({0}) sind derzeit bei der Arbeitsverwaltung eingegangen, und wie hoch ist dabei der Anteil an mangelhaft ausgefüllten Anträgen?
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Dr. Wernitz! Ich beantworte die Frage im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Bis zum 10. September 1974 waren bei den Arbeitsämtern 950 000 Anträge eingegangen, die auf die Zahlung des neuen Kindergeldes gerichtet sind. Etwa 30 °/o dieser Anträge waren unvollständig ausgefüllt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das bedeutet, daß bisher gerade so 10% eingegangen sind. Wenn Sie nun sagen, 30% der Anträge seien unvollständig ausgefüllt worden, können Sie dann auch noch mit angeben, was bisher die Hauptfehlerquelle bei diesen 30 % gewesen ist?
Zunächst einmal stimmt die Zahl von 10 % nicht. Wenn etwa 1 Million Anträge eingegangen sind und es sich etwa um 6 Millionen handelt, die neue Anträge stellen müssen, dann ist das wesentlich mehr, was an Anträgen eingegangen ist, nämlich ein Sechstel.
Die Hauptfehlerquelle - das war der zweite Teil Ihrer Bemerkung - liegt im Fehlen der Unterschrift des Ehepartners, und dieser Fehler ist sehr leicht zu korrigieren, wirkt sich also nicht im Sinne einer sehr relevanten Verzögerung aus.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß man, wenn, wie Sie sagen, die Hauptfehlerquelle das Fehlen der Unterschrift des Ehepartners - das war wohl in der Regel die Frau - ist, hier
doch davon ausgehen kann, daß die Gleichberechtigung in unserer Bevölkerung eben noch nicht so ganz ins Bewußtsein eingedrungen ist?
Ich weiß nicht, ob das so ist; es mag so sein. Vielleicht wirkt dann im Nebeneffekt die Notwendigkeit, solche Anträge auszufüllen, auch pädagogisch.
({0})
Vielen Dank! Noch eine Zusatzfrage hierzu? Bitte schön, Herr Kollege Stahl!
Herr Staatssekretär, wäre es denn nicht, da so wenige Bürger dieses Landes die Anträge ausgefüllt haben, zweckmäßig, das Fernsehen stärker einzuschalten, indem man Zeiten anmietet - also mehr Zeiten als bisher -, um Antragsberechtigte auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, Anträge schnell und fehlerlos zu stellen, denn das Porto, das die Behörden bei einer Rücksendung bezahlen müssen, ist doch insgesamt weit höher als der Sendepreis?
Das Fernsehen ist ja in diese Aufklärungskampagne eingeschaltet. Man wird sich immer darüber streiten können, ob nun gerade dieses Medium in ausreichendem Maße beteiligt ist. Allerdings sind dem, wie Sie wissen, auch Grenzen gesetzt. Nur sollte man, glaube ich, in eine solche Beurteilung die Tatsache einbeziehen, daß die Aufklärungskampagne auf Grund des Zeitablaufs bei der parlamentarischen Behandlung des Gesetzes erst zur Urlaubszeit anlaufen konnte, und sie konnte logischerweise infolgedessen einen Teil der angesprochenen Bürger zunächst einmal nicht erreichen. Deswegen ist auch zu verzeichnen, daß jetzt - gegenüber sehr wenigen eingegangenen Anträgen noch im August, in der Größenordnung von 100 000 - bereits 1 Million Anträge, ein Sechstel also, eingegangen sind. Wenn man diesen Trend verlängert, kann man durchaus optimistisch in die unmittelbare Zukunft schauen und damit auch die Grundlagen für die Bearbeitung der Anträge als einigermaßen sichergestellt beurteilen.
Keine Zusatzfrage. - Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde. Von den übriggebliebenen Fragen sind die Fragen 66 und 67 des Herrn Abgeordneten Immer zurückgezogen. Die anderen Fragen werden schriftlich beantwortet, und die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Um das Wort hat der Herr Abgeordnete Rawe gebeten. Bitte!
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat gestern entschieden, daß sie den Agrarpreisbeschlüssen von Brüssel nicht zustimmen will. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Meinung, daß dieser Beschluß für eine Minderheit in unserem Lande eine unvergleichliche Härte darstellt. Darüber hinaus müssen wir aber befürchten, daß - jedenfalls nach den ersten Erklärungen aus den Hauptstädten der Europäischen Gemeinschaft - durch diesen Beschluß eine sehr ernste und schwere Krise für die Europäische Gemeinschaft herbeigeführt wird.
({0})
Nun müssen wir beklagen, daß die Bundesregierung in ihren öffentlichen Erklärungen nicht hinreichend deutlich gemacht hat, welche Auswirkungen dieser Beschluß haben kann. Unser Kollege Karl Eigen und andere Mitglieder meiner Fraktion haben versucht, diese Fragen in der Fragestunde aufzuhellen. Ich glaube, Sie sind mit mir der Meinung, daß der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, wie er hier selber dargetan hat, recht ausweichend geantwortet hat. Wir sind der Meinung, daß es deswegen notwendig ist, diesen gesamten Fragenkomplex hier in einer Aktuellen Stunde noch einmal zu erörtern; dies war ja ganz offensichtlich auch schon aus den Worten des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu entnehmen.
Herr Präsident, ich beantrage deshalb namens der CDU/CSU-Fraktion eine Aktuelle Stunde.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Rawe gehört. Ich nehme an, daß der Antrag hinreichend unterstützt ist. Wir treten in die
Aktuelle Stunde
ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der gestrige Kabinettsbeschluß zur Verweigerung der Beschlüsse des Ministerrats der EG von der vergangenen Woche hat nach Überzeugung der CDU/CSU-Fraktion zwei verhängnisvolle Konsequenzen. Erstens: Dieser Beschluß ist nach unserer Auffassung ein Affront gegen die berechtigten Interessen der Landwirtschaft, der Landwirtschaft auch in unserem Lande. Wir haben in der vergangenen Woche nach dem Beschluß des Ministerrats erklärt, dieser Beschluß werde sicher nicht dazu führen, daß kurzfristig durchgreifende Einkommensverbesserungen erfolgen werden. Es kann aber überhaupt kein Zweifel bestehen, daß eine Verbesserung des Preisniveaus innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, das nach den tiefen Einbrüchen bei dem Erzeugerpreisniveau gegeben ist, wenigstens einen Teil des vorhandenen Inflations- und Kostendrucks beseitigt hätte.
Wir sind allerdings der Meinung - und dies ist schon in der Fragestunde sichtbar geworden -, daß es unter Umständen sinnvoller gewesen wäre, diese
Entscheidung - selbst auf einem etwas niedrigeren Level - zum 1. Juli herbeizuführen. Herr Minister Ertl, natürlich hätte der Ratspräsident die Chance gehabt, die Kommission dahin zu drängen, eine entsprechende Vorlage zu machen. Dies wäre in der Tat der bessere Weg gewesen.
({0})
Fehler und Versagen in der Vergangenheit sind nicht durch Nichtstun in der Gegenwart zu korrigieren.
({1})
Im Zusammenhang mit den Erhöhungen des Erzeugerpreisniveaus wird nun sehr oft - und das ist unterschwellig auch in Verbindung mit dem gestrigen Kabinettsbeschluß geschehen - der Vorwurf erhoben, dies alles verstoße gegen die Stabilitätspolitik. Wenn man den Beschluß des Kabinetts von gestern so interpretiert, dann - der Überzeugung bin ich - ist dies unredlich und auch unwahrhaftig; denn in der Ziffer 3 des gestrigen Kabinettsbeschlusses läßt man ja durchaus erkennen, daß man dem Vorschlag der Kommission, eine 4 %ige Anhebung des Erzeugerpreisniveaus vorzunehmen, nach wie vor die Zustimmung zu geben bereit ist. Es geht also um eine Differenz von 1 %, sprich um 0,06% für den Lebenshaltungsindex. Wer in dieser Situation, bei der schlechten Einkommensentwicklung der Landwirtschaft, glaubt, dies verweigern zu sollen, der muß sich allerdings fragen lassen, ob er bereit ist, die notwendige soziale Gerechtigkeit und soziale Symmetrie in diesem Lande wiederherzustellen.
({2})
Es war nicht zuletzt der Bundeslandwirtschaftsminister selber, der vor der Öffentlichkeit nach Schluß der Ratssitzung in Brüssel deutlich gemacht hat, daß er es nicht für sinnvoll gehalten hätte, um eines Prozents willen die Verhandlungen scheitern zu lassen.
Aber dieser Kabinettsbeschluß von gestern ist, wie wir meinen, darüber hinaus und vor allem auch ein Affront gegen die Interessen Europas. Die CDU/ CSU hat seit 1969 wiederholt vielfach eine Bestandsaufnahme der gemeinsamen Agrarpolitik gefordert. Wir waren uns immer darüber im klaren, daß nicht zuletzt mit den Entscheidungen des Jahres 1969 in der Währungspolitik eine Überprüfung der Instrumentarien des gemeinsamen Agrarmarkts notwendig sei. Wir haben die Bundesregierung seit Monaten in einer Fülle von Fragen bestürmt, darauf hinzuwirken, daß wettbewerbsverfälschende nationale Maßnahmen in anderen Ländern beseitigt werden müssen. Soweit also Übereinstimmung.
Die Frage ist nur, ob der Zeitpunkt und der sachliche Zusammenhang dazu geeignet waren, jetzt die Machtfrage zu konstruieren, wie dies mit dem Kabinettsbeschluß geschehen ist.
({3})
Wir müssen doch fragen, ob wir dem Ziel, das im Kabinettsbeschluß sichtbar wird, nämlich eine Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen, eine Aufnahme von Gesprächen zu einer Fortentwicklung der
Agrarpolitik in der Gemeinschaft, näherkommen oder ob wir dieses Ziel damit gefährden. Und ich sage: Wir gefährden dieses Ziel! Denn, meine Damen und Herren, was wird die Folge sein? Die Folge wird sein, daß jetzt andere Länder auf Grund des Drucks, in dem sie sich befinden, zusätzliche nationale Maßnahmen treffen.
Lassen Sie mich schließen. Der Beschluß wird in seinen negativen Auswirkungen ein, wie ich glaube, trauriges, aber klassisches Beispiel dafür sein, daß die Regierung Schmidt, und ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: die Regierung Schmidt/Apel eine feste, zielstrebige Politik vielfach mit einer Politik des Holzhammers und der Schulmeisterei verwechselt.
Wir fordern Sie zur Revision dieses Beschlusses auf. Der Herr Minister Ertl aber muß sich fragen lassen, ob er auf Grund seiner Aussagen von der vergangenen Woche und des Beschlusses von gestern sein Amt noch weiter ausüben kann.
({4})
Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß die Zeitvorschriften für die Aktuelle Stunde sehr streng sind. Ich bitte Sie, mir die Handhabung der Geschäftsordnung insoweit zu erleichtern.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt ({0}).
({1})
Meine Damen und Herren! Die Opposition dramatisiert wie üblich.
({0})
- Nun warten Sie doch mal ab! - Sie sprechen von einer Brüskierung unserer europäischen Partner. Ich habe bis zur Stunde von keiner Regierung der übrigen acht Länder eine derartige Äußerung gehört. Von einer Brüskierung kann doch überhaupt keine Rede sein.
({1})
Alle Partner haben in der Nacht zum Freitag gewußt, daß der Bundesminister Ertl nur unter Vorbehalt zustimmen kann und daß der Vorbehalt nur durch einen Beschluß der Bundesregierung ausgeräumt werden kann. Das ist doch ein normaler Vorgang. Das haben wir doch schon auch seitens anderer Länder erlebt. So neu ist das nicht.
Im übrigen: Der Bundeskanzler hat gerade in den letzten Tagen und in der letzten Woche in der Haushaltsdebatte wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß die gegenwärtige Agrarpolitik zu einer Belastung der europäischen Entwicklung geworden ist und es gelte, daraus Konsequenzen zu ziehen. Der Kollege Ritz hat heute und in seiner gestrigen Stellungnahme die Lage in Europa, wie sie der Herr
Dr. Schmidt ({2})
Bundeskanzler und wir darstellen, selber bestätigt. Ich verstehe also diese Aufregung nicht.
Nach meiner Meinung wird dieser Beschluß des Kabinetts den Partnern helfen, den aktuellen Zustand zu erkennen und sich bewußt zu machen.
({3})
Von einer Politik des leeren Stuhls kann doch überhaupt keine Rede sein. Lesen Sie doch einmal die Ziffern 4 und 5 bis zum Ende.
({4})
- Nun hören Sie mal zu! Da bietet doch die Regie rung sofortige Verhandlungen an.
Eine solche Besinnungspause scheint mir in der Tat sehr nützlich zu sein. Glauben Sie etwa, daß Sie diesen Agrarmarkt mit neuem Bettgeflüster und zusätzlichen Milliardenbeträgen in Ordnung kriegen?
({5})
Hier war ein Zeichen zu setzen!
Wir sind mit der Entscheidung der Bundesregierung voll einverstanden.
({6})
Dieser Beschluß des Kabinetts ist eine Entscheidung
für den Gemeinsamen Markt und für die Verträge.
({7})
Was hat die Bundesregierung gefordert? Ich möchte den sehen, der das nicht unterschreibt. Die Bundesregierung tritt in Ziffer 4 dafür ein, dem Beschluß des Agrarrats erst zuzustimmen, wenn befriedigende Erklärungen der Mitgliedstaaten darüber vorliegen, vertragswidrige nationale Maßnahmen abzubauen, die den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Markts verfälschen. Sehen Sie: Wer das ablehnen wollte, der versündigt sich an der Situation der deutschen Landwirtschaft.
({8})
Die Bauern leiden doch darunter, daß sie seit Jahr und Tag einem Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sind, den unsere Partner teilweise bewußt betreiben. Wir sind der Meinung, dem muß ein Ende gemacht werden.
({9})
Über die Maßnahmen, die allein die übrigen Partner - insbesondere Frankreich in den letzten drei bis vier Monaten getroffen haben, wird möglicherweise ein Kollege von mir noch etwas sagen.
Was bleibt in dieser Situation zu tun? Die Gespräche aufnehmen, Verhandlungen führen, eine Bestandsaufnahme erwirken und anschließend die Überprüfung der bisherigen Agrarpolitik. Wir jedenfalls werden die Regierung in diesen Bemühungen unterstützen, wobei es für uns alle feststeht, daß
wir nach wie vor den Gemeinsamen Markt bejahen, daß wir die Grundsätze des Gemeinsamen Marktes verwirklicht sehen wollen, die da heißen: ein gemeinsamer Außenschutz, die Präferenz innerhalb der EWG und die finanzielle Solidarität.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sprecher der Opposition, Herr Dr. Ritz, hat auf zwei Komplexe abgestellt. Ich will zu beiden Komplexen im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Redezeit Stellung nehmen.
Der erste Komplex war das Interesse der deutschen Landwirtschaft. Ich mache Herrn Dr. Ritz darauf aufmerksam, daß die Differenz von 1 0/o, die er genannt hat, natürlich auch nur für den gestrigen Beschluß des Bundeskabinetts relevant sein kann. Aber die ganz andere und entscheidende Frage und das gezielt an die Opposition gerichtet - ist doch die, wo eigentlich die größeren Interessen der deutschen Landwirtschaft liegen, ob in diesem 1 % oder in dem Abbau der nationalen Maßnahmen in den anderen Staaten.
({0})
Herr Dr. Ritz, Sie werden mir zugeben müssen, daß die Belastungen der deutschen Landwirtschaft durch die Wettbewerbsverzerrungen der nationalen Maßnahmen der anderen weit höher sind als das 1 %, von dem hier die Rede ist,
({1})
ganz abgesehen von der Frage, die Herr Ertl vorhin
schon angesprochen hat, wie sich denn im gegenwärtigen Zeitpunkt 4 oder 5 % auswirken würden.
Lassen Sie mich etwas zu dem Getreidemarkt sagen. Die Erhöhung um 4 oder 5 % würde im gegenwärtigen Zeitpunkt entgegen der Aussage von Herrn Niegel denjenigen zugute kommen, die es sich haben leisten können, ihre Ernte auf Lager zu nehmen. Sie würde nicht jenen zugute kommen, die in einer schwierigen Situation waren und bereits verkauft haben. Erkundigen Sie sich bei Handel und Genossenschaften, wie sich das auswirken würde.
({2})
- Lassen Sie mir die Gelegenheit, meine fünf Minuten hier für eine Darstellung der Situation aus meiner Sicht auszunutzen, ebenso, Herr Dr. Ritz, wie wir Ihnen diese Gelegenheit gegeben haben. Ich bin ebenso an diese Zeit gebunden wie Sie.
Nehmen Sie zusätzlich den Fleischmarkt, Herr Dr. Ritz. Wir haben mit den Beschlüssen des Frühjahrs die Erfahrung gemacht, daß gerade auf dem Fleischmarkt nicht die Erhöhung der InterventionsRonneburger
preise in Brüssel den Preis bestimmt, den der Erzeuger auf seinem Hof erhält, sondern daß der Markt hier inzwischen die entscheidende Bestimmungsposition eingenommen hat. Das ist meiner Meinung nach völlig unbestreitbar und würde auch für diese 4 oder 5 % - oder sagen wir es jetzt deutlich, für diese 1 %-Differenz - gelten. Denn die 4 % stehen ja nicht in Frage.
({3})
- Dann lesen Sie bitte den Beschluß von gestern!
({4})
- Was meinen Sie denn eigentlich, meine Damen und Herren? Glauben Sie, daß irgendeiner der Partner bereit gewesen wäre, die Preisbeschlüsse des nächsten Jahres zu fassen, ohne daß er den Verlauf des vorangegangenen Jahres mit allen seinen Beschlüssen dabei im Blick gehabt hätte?
Aber nun die andere Frage: Ist dies eigentlich eine Entscheidung gegen Europa? Ich habe soeben schon auf die Frage der Wettbewerbsverzerrungen, auf das Auseinanderlaufen, Herr Dr. Ritz, des gemeinsamen Agrarmarktes hingewiesen, eine Tatsache, die wir ja wohl gemeinsam feststellen können. Gestatten Sie mir die etwas bissige Bemerkung: Wenn Sie hier gesagt haben, Sie und Ihre Fraktion hätten seit 1969 eine Bestandsaufnahme des gemeinsamen Agrarmarktes gefordert, dann frage ich allerdings: Warum haben Sie damit eigentlich erst 1969 begonnen?
({5})
Wir sind uns doch wohl darüber einig, daß die Mißstände im gemeinsamen Agrarmarkt nicht etwa erst im Jahre 1969 eingesetzt haben.
({6})
- Dann lesen Sie doch einmal die Bauernblätter aus der Zeit vor 1969, und wiegen Sie sich nicht in einen Traum hinein, als ob vor 1969 alles in Ordnung gewesen sei.
({7})
Meine Damen und Herren, diese Bestandsaufnahme des gemeinsamen Agrarmarktes ist eine wichtige Forderung. Sie sollte uns aber nicht die Augen davor verschließen lassen, daß im Grunde genommen alle Vorwürfe gegen den Agrarmarkt den Falschen treffen, denn nicht der Agrarmarkt und seine Instrumente und seine Schwierigkeiten sollten Ziel der Kritik sein. Ziel der Kritik sollte vielmehr die Tatsache sein, daß dieser Agrarmarkt - ohne daß es eine gemeinsame und parallele Wirtschafts- und Währungspolitik der Partnerländer gibt - funktionieren soll. Meine Damen und Herren, jeder, der den gemeisamen Agrarmarkt im
Auge hat und der dieses Stück gemeinsamen Europas erhalten will, sollte sich - auch in agrarpolitisch nicht interessierten Kreisen - darüber im klaren sein, daß dieser Agrarmarkt so lange nur teilweise funktionieren wird, wie die Voraussetzung einer gemeinsamen Politik der Partnerländer nicht erfüllt ist.
({8})
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Ertl.
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie sehen - Herr Bewerunge, damit darf ich gleich eine Frage von Ihnen beantworten -, ich stehe immer no ch,
({1})
wenn es auch manchmal nur mit Gips geht. Gips ist eben ein wichtiges Produkt.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Ritz, ich will Ihnen gerne antworten. Ich glaube, Sie haben den Kabinettsbeschluß von gestern nicht ganz gelesen.
({3})
So, wie ich ihn gelesen habe und wie ihn andere gelesen haben - ({4})
- Herr Niegel, Sie waren noch in den Windeln, da habe ich schon lesen können.
({5})
- Und lauter Schreien ist kein Zeichen für lesen können, Herr Kollege Carstens. Das müssen Sie Ihrem Kollegen Niegel sagen.
Nun frage ich mich, warum sich die Opposition eigentlich so stark macht. Sie haben eine Große Anfrage eingebracht, die ich ebenso wie diese Aktuelle Stunde sehr begrüße.
({6})
- Verehrter Herr Kollege, wir arbeiten schneller, als wir früher bei unseren Großen Anfragen bedient worden sind. Die Große Anfrage wird beantwortet. Ich selbst lege großen Wert darauf - damit Sie sich nur keine Illusionen machen -, daß diese Debatte noch vor den Wahlen in Bayern und Hessen stattfindet, denn ich kann die Karten auf den Tisch legen.
({7})
Darauf können Sie sich verlassen. Das werden Sie noch sehen.
({8})
- Deswegen brauchen Sie nicht nervös zu werden, Herr Niegel. Bleiben Sie ruhig. Das ist viel besser. Schonen Sie Ihre Nerven. Sie wollen ja reden. Schreien Sie doch nicht immer von Ihrem Platz aus. Reden Sie doch einmal von hier vorn! Ich verstehe Sie gar nicht.
({9})
In der Großen Anfrage heißt es zur Wettbewerbslage:
Welche Schritte hat die Bundesregierung, insbesondere der zuständige Bundesminister Ertl nach dessen Forderung einer schonungslosen Klarlegung der gegenwärtigen Wettbewerbsunterschiede, in der EG unternommen?
Antwort: Das hat sich in dem gestrigen Kabinettsbeschluß niedergeschlagen. Der Regierungschef hat die Verantwortung übernommen und nimmt sich dieser Frage selber an. Ich bin sehr froh darüber, denn das hat vor ihm noch keiner in dieser Form praktiziert.
({10})
Herr Kollege Kiechle, Sie können doch bitte hier heraufkommen. Ich weiß nicht, warum Sie immer Ihre Stimmbänder strapazieren.
({11})
Sie brauchen sie doch für Ihren Wahlkampf, damit Sie den Leuten vieles erzählen können. Aber wenn Sie wollen, ich kann natürlich auch mehrstimmig reden. Eines muß ich Ihnen sagen: Hier geht es doch um eine Forderung von Ihnen und wenn ich alle Ihre Fragen lese, so muß ich feststellen, daß sich eine Reihe davon genau an diesem Punkt niederschlägt.
Ein letztes Wort zur Bestandsaufnahme. Ich will nicht immer mit dem Jahr 1969 anfangen, denn ich weiß, da gibt es immer wieder Ressentiments usw. Lassen Sie mich aber doch in aller Nüchternheit sagen: der französische Franc - und da brauchen wir uns noch gar nicht über die Aufwertung zu unterhalten - ist doch abgewertet worden, als es diese Regierung noch nicht gab. Da wurde doch zum erstenmal die Kluft sichtbar, daß das Instrument des Gemeinsamen Agrarmarkts nicht in der Form funktionsfähig sein kann, weil die Wirtschafts- und Währungsunion durch Währungsveränderungen gefährdet wird und, wie ich heute leider feststellen muß, auf lange Zeit auf Grund ökonomischer Ungleichgewichte in Europa, die diese Regierung nicht zu verantworten hat,
({12}) einfach nicht zu realisieren ist.
({13})
- Nein, verehrter Kollege, hier ist der Kollege Friderichs, ihn können Sie fragen, ich brauche das doch nicht zu wiederholen. Sicherlich ist es nicht so, daß sich Aufwertungen in absoluten Kostensenkungen der Landwirtschaft niederschlagen; aber daß eine Landwirtschaft in einem Aufwertungsland mit niedrigeren Preissteigerungsraten in der Wirtschaftlichkeit gegenüber einer Landwirtschaft in einem Lande mit 20 %iger Inflationsrate zumindest nicht benachteiligt werden darf, werden Sie doch als ökonomisches Faktum nicht abstreiten können.
({14})
Das ist der Grund, warum wir eine gewisse Position eingenommen haben.
Dann nannten Sie ein Weiteres: Nationale Beihilfen. Ich habe schon gesagt, das war unsere Position, wie sie auch von Ihnen gefordert worden ist, nämlich zu sagen, wenn wir jetzt in dieser Frage etwas machen, darf dies nicht noch zusätzlich zu einer Eskalation, d. h. zu einer weiteren Desintegration durch zusätzliche nationale Maßnahmen führen. Möglicherweise waren andere Länder schon dabei, neue Maßnahmen zu ergreifen. Das wäre das Ende des Gemeinsamen Agrarmarktes und dann mit Sicherheit der Anfang vom Ende eines gemeinsamen Europa. Das war auch der Grund, warum ich gesagt habe, ich stimme ad referendum zu. Ich stehe dazu, weil ich es für Europa für wesentlich gehalten habe und auch heute noch halte.
({15})
Lassen Sie mich noch zu einem letzten Punkt kommen: Stabilitätspolitik. Niemand will Stabilitätspolitik auf dem Rücken der Landwirtschaft machen.
({16})
- Das ist eine Unterstellung, die ich zurückweisen muß, verehrter Herr Kollege.
({17})
Schauen Sie sich die Entwicklung der Rinderpreise an. Wir haben sehr viele Maßnahmen eingeleitet, um sie wieder zu stabilisieren, und wir haben sogar einiges getan, damit selbst die Schweinepreise wieder aus der Talsohle herausgeführt werden. Das können Sie doch nicht abstreiten. Lesen Sie sich doch einmal die Protokolle von Reden früherer Finanzminister der CDU/CSU durch, wie diese zu den Problemen gestanden haben.
({18})
Ich kann Ihnen das an Hand eines Auszugs aus Protokollen nachweisen.
Ich bin in der Tat der Meinung, daß der Beschluß als solcher - und das möchte ich prinzipiell feststellen -, zwischen den Wirtschaftsjahren PreiserhöBundesminister Ertl
hungen durchzuführen, nur im Notfall gerechtfertigt ist. Das kann keine Dauereinrichtung sein. Insoweit muß dafür auch eine politische Absichtserklärung der Gemeinschaft vorgelegt werden. Das ist auch in den Marktordnungen nicht vorgesehen. Vielmehr ist die jährliche Feststellung der Preise geregelt. Ich vertrete nach wie vor die Auffassung, daß es sachliche Bedenken im Hinblick auf den Kompromiß gibt. Politisch ist es eine andere Frage. Deshalb ist es doch erlaubt, nochmals eine Ratssitzung einzuberufen und über diese politischen Bedenken zu reden. Die deutsche Delegation hat sich bereit erklärt, bereits am Samstag zu dieser Ratssitzung zusammenzukommen. Da kann doch kein Mensch sagen, wir seien nicht bereit, diese Frage miteinander auszudiskutieren.
({19})
Wir haben der Kommission auch Alternativvorschläge gemacht. Sie können zwar sagen, wir hätten sie nicht durchgesetzt. Bei neun Mitgliedern wird man sich immer orientieren müssen, wohin am Schluß die Mehrheitsmeinung geht. Ich habe im Rat expressis verbis vorgeschlagen und es auch zuvor in meiner Antwort gesagt: man wird doch kostensenkende Maßnahmen, beispielsweise bei Handelsdünger und ähnlichem, und zwar mit communautären Mitteln - durchführen können.
({20})
- Weil sich andere Länder festgelegt haben auf diese berühmten 4 %, die auch ursprünglich der Deutsche Bauernverband gefordert hat und wo dann der COPA gesagt hat: Nein, wenn wir jetzt schon 4 % bekommen, dann gehen wir auf 8 %! So war doch die Situation! Es gibt sogar Mitgliedstaaten des COPA, die gegen den 8 %-Beschluß gestimmt haben.
({21})
Ich weiß das. Da Bauernverbandspräsidenten unter uns sitzen, werden Sie wissen, welche Mitglieder das sind. Ich bin bereit, sie zu nennen. Aus diesem Grunde ist dann dieser Kompromiß so zustande gekommen. Ich habe ihn ad referendum angenommen, und ich habe gesagt: Die endgültige Entscheidung muß mein Kabinett fällen.
({22})
Diese Entscheidung ist gestern mit einer Auflage in Form „ja, aber" gefallen.
({23})
Ich halte das insgesamt für die Offenlegung der
Problematik der Agrarpolitik für nicht unwesentlich.
({24})
Wir werden in Kürze im Rat einen endgültigen Beschluß fassen, dessen bin ich sicher.
({25})
Aber ich bin auch sicher, daß es mit der Zeit zu
einer Bestandsaufnahme kommt, die einfach notwendig ist. Insoweit kann, glaube ich, niemand von
einer Diskriminierung unserer Landwirtschaft sprechen.
({26})
Im Gegenteil: sie muß sogar froh sein, und sie hat sogar angeboten, mitzuarbeiten - zumindest haben mir dies maßgebliche Verbandsvertreter gesagt - an einer vernünftigen Bestandsaufnahme, weil jedermann das Gefühl hat, daß eine Politik, die Verbraucher, Erzeuger, Steuerzahler gleichermaßen verärgert, auf die Dauer nicht betrieben werden kann. Das geht nicht!
({27})
Wir wissen allerdings, daß das ein Punkt ist, der für unsere europäischen Partner von ganz hohem Gewicht ist. Deshalb werde ich alles in meinen Kräften Stehende tun, daß es in dieser Frage für alle Beteiligten zu einem befriedigenden Ergebnis und Kompromiß kommt.
({28})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eigen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben soeben einmal wieder die mehr von Temperament als von Wissen getragenen Antworten unseres Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gehört.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der 25. September 1974 - ein Tag, zwei Meldungen: „IG Metall fordert 14 % höheren Lohn
({1})
und vier Tage mehr Urlaub." Das war die eine Meldung. Dazu Loderer und Vetter: „Wir lassen uns von der Regierung nicht gängeln."
({2})
Die zweite Meldung
({3})
- jetzt komme ich zur zweiten Meldung! -:
({4})
„Bundeskabinett lehnt 5% Mindestpreisanhebung für die Landwirtschaft ab", und das für einen Wirtschaftszweig, der zumindest im Teilbereich der Veredelung 365 Tage zu arbeiten gewohnt ist und zu 60% noch niemals einen Urlaub gehabt hat.
({5})
Hier wird nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Argument gearbeitet: Abbau der Wettbewerbsverzerrung in Brüssel. Die Wirklichkeit ist ganz anders: Die Bauern sollen wieder einmal
den Stabilitätsbüttel dieser Regierung darstellen. Das ist die Wirklichkeit und nichts anderes!
({6})
Nun zu den Wettbewerbsverzerrungen, Herr Bundesminister Ertl. Sie haben nach dem 23. März 1974, nach den Preisverhandlungen in Brüssel, hier an diesem Platz gesagt: Ich habe mit meinem Nachgeben gegenüber den Partnerländern Europa gerettet, ich habe Europa einen Dienst erwiesen. Noch niemals gab es so viele nationale Sondermaßnahmen, Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft wie zu der Zeit, als Sie Ratspräsident waren.
({7})
- Das ist die Tatsache. Die ist hier festzulegen.
({8})
Sie haben auf viele Anfragen, auf meine Anfragen im Deutschen Bundestag immer nur ausweichend geantwortet, wenn es um die Wettbewerbsverzerrungen ging. Hier liegen die tatsächlichen Versäumnisse. Wir lassen uns hier in diesem Bundestag, nicht in die Ecke der reinen Bauernlobby stellen, meine Damen und Herren.
({9})
Die Verbraucher, Herr Minister Ertl, die Sie angesprochen haben,
({10})
haben besser begriffen als Sie, daß nur eine leistungsfähige deutsche und europäische Landwirtschaft sie überhaupt davor bewahren kann, daß sie aus dem Drittlandsbereich ausgebeutet oder überhaupt nicht mit Nahrungsmitteln bedacht werden.
({11})
Meine Damen und Herren, der Zucker ist das deutlichste Beispiel dieser Tage. Wenn draußen auf den Feldern hier in Deutschland keine Zuckerrüben stünden, dann würden noch in diesem Winter Marken für Zucker eingeführt. Nur, damit Sie sich darüber im klaren sind: Auf dem Weltmarkt kostet Zucker dreimal soviel wie hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa. Insofern wird der Verbraucher durch eine gute, konstruktive Agrarpolitik geschützt. Und die 5 % Preisanhebung sind das Mindeste, was in dieser Situation gerechtfertigt wäre.
Lassen Sie mich ein Letztes anführen, das mir meiner Ansicht nach ganz besonders wichtig erscheint. Das ist das Problem, wie in unserer Gesellschaftsordnung die Probleme von Minderheiten durch die Mehrheiten gelöst werden. Das ist ein ganz wichtiges Problem. Die Landwirtschaft ist eine Minderheit in diesem Staat. Sie ist ein schwindender Berufsstand, was ihre Zahl anbetrifft. Was ihre Bedeutung angeht, so ist sie ein wachsender Berufsstand. Wie werden die Probleme dieses Berufszweiges gelöst, der nicht die Möglichkeit hat, seine Macht auszuüben, auch Ihnen gegenüber, Herr Bundeskanzler Schmidt, auch wenn Sie den Angehörigen dieses Berufszweiges andererseits wieder freundlich auf die Schulter klopfen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP, Sie haben auch dieses Minderheitenproblem, damit Sie Bescheid wissen.
({12})
Gestern ging es in der Bundesrepublik Deutschland den Bauern an den Kragen. Wenn es soweit ist und die „Lords of Barmbeck" die Macht haben, dann werden Sie wie eine Laus geknackt. Da können Sie sicher sein.
({13})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß; die gelbe Lampe leuchtet. Herr Minister Ertl, mit der Schaumschlägerei in Ihrer Aussage: In Brüssel ist der schwarze Mann, ich gehe nach Brüssel und kämpfe für die deutschen Bauern, ist nun ein für allemal Schluß. Mit der Aussage des Bauern- und Gartenbauverbandes: Wir erkennen an, daß sich Bundesminister Ertl bemüht hat, ist es auch vorbei. Herr Bundesminister Ertl, Sie sollten darauf achten, wann es Zeit für Sie ist, daß Sie nicht mehr dort sitzen, sondern dort sitzen, daß Sie zurücktreten.
({14})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und IIerren! Ich möchte zunächst deutlich machen, daß sich die Bundesregierung der Tatsache bewußt ist, daß - ich rede nur von unserer Gesellschaft und unserer Volkswirtschaft - eine große Zahl von Landwirten - sowie aber auch andere gesellschaftliche Gruppen in diesem Jahr - auf Grund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Real-Einkommensentwicklungen erleben - ich denke an die Arbeitslosen, ich denke an die Kurzarbeiter, ich denke an viele große Industrieunternehmungen und viele mittelständische gewerbliche Unternehmen, so auch an viele Landwirte -, die nicht ganz den Erwartungen entsprechen, die man vor Beginn dieser Situation der Weltwirtschaft gehabt hat.
({0})
Das räume ich ein. Ich füge hinzu, daß das Bundeskabinett mit seinem Beschluß hinsichtlich der Erhöhung der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft in der letzten Woche in einer vertragskonformen Weise eine wesentliche Hilfe gewährt hat.
({1})
Zweitens. Was die gemeinsame Agrarpolitik angeht, so verfolgt sie nach dem Vertrag nicht nur den Zweck, die Einkommenspolitik der Landwirte zu fördern. Sie hat auch andere Zwecke. Es war aus den Einlassungen der CDU heute nachmittag nicht zu erkennen, daß Sie auch nur einen Gedanken auf die
Konsumenten verschwendet haben, Herr Professor Carstens.
({2})
Die Bundesregierung setzt ihren Ehrgeiz da ein, die gemeinsame Landwirtschaftspolitik im Sinne von Buchstaben und Geist des Vertrages zu fördern.
Drittens. Sie war bereit - und sie hatte Anlaß anzunehmen, daß sie Partner dafür finden würde -, den Vorschlägen der Kommission, die außergewöhnliche Preis-Vorschläge außerhalb der Reihe waren, unter Zurückstellung der Bedenken wegen des Milch- und Butterberges, zuzustimmen. Der Butterberg ist ja keine Sache, von der wir unseren Konsumenten gern erzählen, wo Hunderttausende von Tonnen auf Grund einer verfehlten Agrarpolitik billig an die Sowjetunion und an andere Länder verkauft werden.
({3})
- Ich nicht.
({4})
- Ich habe nicht zugestimmt. Ich lege Wert darauf, das Ihnen gegenüber zu wiederholen. Sie mögen das prüfen.
({5})
- Herr Präsident, ich nehme an, daß meine Redezeit auf Grund der mehrfachen Unterbrechungen entsprechend verlängert wird
({6})
Viertens. Die Bundesregierung stimmt in der Tendenz mit der Verlautbarung der CDU/CSU-Fraktion vom 20. September nach der Agrarministerratssitzung überein, in der die CDU/CSU gesagt hat: Aus der Sicht einer konstruktiven Fortentwicklung der europäischen Agrarpolitik sind die Preisbeschlüsse nicht sonderlich positiv zu beurteilen,
({7})
weil sie von einer Reihe von Sonderregelungen - ich nehme an, gemeint sind nationale Sonderregelungen begleitet sind -, die einer Disintegration des Agrarmarkts Vorschub leisten. Ich halte das für eine in der Tendenz zutreffende Feststellung.
({8})
Wir müssen leider feststellen, daß seit jener Ministerratssitzung Anzeichen dafür eingetreten sind, daß weitere nationale Sondermaßnahmen, die den Agrarmarkt noch weiter disintegrieren müssen, beabsichtigt sind, und deswegen haben wir von der mit voller Überlegung eingelegten Klausel des Vorbehalts einer Kabinettsentscheidung nun auch tatsächlich Gebrauch gemacht. Ich bitte, unseren Beschluß genau zu lesen. Da heißt es: Die Bundesregierung wird erst dann zustimmen, wenn befriedigende
Erklärungen über den Abbau der nationalen Sondermaßnahmen vorliegen, soweit sie mit dem Vertrag nicht in Übereinstimmung sind,
({9})
und sie wird berücksichtigen, daß in der Zwischenzeit auch Verhandlungen über die schon in wenigen Monaten beabsichtigte erneute Anhebung der Agrarpreise geführt werden müssen, und sie wird auch das Ergebnis unserer Forderung nach einer offiziell einzuleitenden Bestandsaufnahme berücksichtigen.
Diese Wendung gegen das weitere Ausufern nationaler Sondermaßnahmen, die contra legem, gegen Buchstaben und Geist des Vertrages, in einer Reihe von Ländern vorgenommen werden, ist nicht nur ein dringendes Gebot derjenigen, die die europäische Verfassung, nämlich die Römischen Verträge, erhalten wollen, sie ist nota bene auch dringend im Interesse der deutschen Landwirte und ihrer Wettbewerbsfähigkeit gelegen.
(Beifall bei der SPD und der FDP - Eigen
[CDU/CSU]: Gab es keinen anderen Weg?l
Wer sich, wie wir das heute nachmittag erleben, als Oppositionsfraktion zur Gänze mit den Interessen der deutschen Landwirtschaft identifizieren will - ist es legitim, daß Sie das tun -, der muß in dem Punkte der Wettbewerbsverfälschung sich bitte bemühen, die wirklichen Interessen der deutschen Landwirtschaft zu verstehen.
({10})
Der fünfte Punkt. Ich kann die Worte - Herr Prof. Carstens wird sie sicherlich gleich in völkerrechtlich etwas geschliffenerer Sprache wiederholen ({11})
von einer „Machtfrage" oder von einer „schweren Krise für die Europäische Gemeinschaft" nur als eine schwere Exaltation verstehen. Es werden - ich habe darüber z. B. heute morgen mit dem französischen Staatspräsidenten ausführlich Gelegenheit zum Kontakt gehabt ({12})
die Ministerpräsidenten der übrigen Länder und auch er selbst schriftlich über unsere Absichten unterrichtet werden. Ganz zweifellos wird es in der kommenden Woche zu einer Sitzung des Rates kommen, wie es in den Römischen Verträgen vorgesehen ist. Wir werden den Außenminister und den Landwirtschaftsminister in diese Sitzung entsenden, und ich bin ziemlich sicher, daß diese deutliche Wendung zum Festhalten des Vertrages in jener Sitzung zu Erklärungen anderer führen wird, die uns dann in die Lage versetzen können - so hoffe ich - . von dem Punkt Gebrauch zu machen, der nach der gestrigen Kabinettsentscheidung da lautet: Wir sind erst dann bereit zuzustimmen,
wenn ... Ich nehme an, daß diese Wenn-Klausel ihre Beantwortung findet. Ich meine, daß derjenige, der es mit Europa ernst meint, uns helfen muß, am Vertrag festzuhalten und ihn nicht zerstören zu lassen.
({13})
Ein letztes Wort. Es ist ganz abwegig, wie eben einer der Sprecher der CDU/CSU gemeint hat, zu denken, zwischen dem Herrn Bundesminister Josef Ertl und dem Kabinett oder dem Bundeskanzler bestünden hier Meinungsverschiedenheiten. Herr Josef Ertl hat in jener Nacht, als schließlich und endlich morgens um 5 Uhr die Sitzung im Agrarministerrat ja einmal zu Ende gehen mußte, mit mehreren Regierungsmitgliedern hier in Bonn telefoniert, auch mit mir. Ich habe ihm gesagt: Stimmen Sie zu ad referendum, das heißt, machen Sie klar, daß die Zustimmung der Bundesregierung nur nach Beratung im Bundeskabinett fallen kann. Welchen Sinn hätte es wohl, solche Vorbehalte zu machen, wenn sie dann nicht auch einmal angewandt werden dürfen?
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Prof. Dr. Carstens.
({0})
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach den Ablenkungsmanövern des Bundeskanzlers, des Bundesernährungsministers und der Sprecher der Koalition scheint es mir notwendig zu sein, die Diskussion wieder auf den entscheidenden Punkt zurückzuführen, nämlich daß die Regierung in Brüssel miserabel verhandelt hat.
({0})
Dazu folgende Feststellungen:
1. Bundesminister Ertl hat am 20. September in Brüssel einer Erhöhung der Agrarpreise vorbehaltlich der Billigung durch die Bundesregierung um fünf Prozent zugestimmt.
2. Der Bundeskanzler hatte den Bundesernährungsminister zu dieser Erklärung ermächtigt, und das heißt doch wohl nach menschlichem Ermessen, daß der Bundeskanzler mit dem Ernährungsminister zusammen in dieser Frage ins Obligo gegangen war.
({1})
3. Bundesminister Ertl hat selbst öffentlich erklärt, daß angesichts der Lage der Landwirtschaft: eine fünfprozentige Preiserhöhung vertretbar sei.
({2})
4. Das Bundeskabinett hat die Brüsseler Beschlüsse gestern in der Form, in der sie gefaßt waren, nicht gebilligt. Es hat den Ernährungsminister desavouiert. Der Bundeskanzler und der Ernährungsminister haben diesem Kabinettsbeschluß selbst zugestimmt, woraus doch wohl klar hervorgeht, daß Bundeskanzler und Ernährungsminister sich selbst zugleich auch desavouiert haben.
({3})
5. Die zur Begründung herangezogene Behauptung, es sei eine kritische Inventur des Agrarmarktes nötig, ist als solche richtig. Nur ist sie keine ausreichende Begründung für das Verhalten der Bundesregierung; denn dies war schon seit Jahren bekannt. Und wenn dies ein für die Bundesregierung wichtiger Punkt war, hätte der Bundesernährungsminister sie bei den Verhandlungen in Brüssel geltend machen müssen.
({4})
6. Die weitere Begründung, man habe nationale Alleingänge in der Agrarpolitik zurückdrängen wollen, ist abwegig. Es ist im Gegenteil zu befürchten, daß die Entscheidung der Bundesregierung weitere nationale Alleingänge auslösen wird.
({5})
7. Die Entscheidung des Kabinetts ist in Abwesenheit des Außenministers getroffen worden,
({6})
obwohl außenpolitische Interessen in schwerwiegender Weise berührt waren und obwohl der Außenminister hier vor wenigen Tagen eine sehr klare Erklärung über die Priorität der Europapolitik abgegeben hatte. Da der Außenminister zur Zeit in New York ist, wäre es notwendig gewesen, diese Entscheidung bis zu seiner Rückkehr zurückzustellen.
({7})
8. Durch die Entscheidung des Kabinetts sind unsere europäischen Partner brüskiert worden. Ich habe Sie, Herr Bundeskanzler, nicht so verstanden, daß das Ergebnis Ihres Telefongesprächs mit dem französischen Staatspräsidenten von heute morgen darin bestanden hat, daß er sich nunmehr mit Ihrem Beschluß einverstanden erklärt hat.
({8})
Diese Brüskierung der europäischen Partner hat nicht nur und nicht einmal so sehr in den sachlichen Meinungsverschiedenheiten ihren Ursprung, sondern in der widersprüchlichen Behandlung dieser Frage durch die Bundesregierung.
({9})
9. Die Folge ist, daß den Bauern überhaupt keine Preiserhöhung gewährt wird - das muß doch einmal ganz klar gesagt werden -, obwohl nach Auffassung der Bundesregierung selbst eine Preiserhöhung notwendig wäre. Die Schutzbehauptung der Bundesregierung, sie habe hier für die Verbraucherinteressen zu kämpfen, geht völlig an dem Tatbestand vorbei, daß die Bauern in der jetzigen Situation, in der wir uns befinden, leer ausgehen, und kein Mensch weiß, ob die Prophezeiung des Ernährungsministers, daß in Kürze ein Beschluß nach den
Dr. Carstens ({10})
Wünschen der Bundesregierung zustande kommen würde, in Erfüllung gehen wird.
Im übrigen möchte ich Ihnen entgegenhalten, Herr Bundeskanzler: Wenn Sie gesagt haben, daß hier keiner der Redner der CDU/CSU auf die Verbraucherinteressen eingegangen sei, dann haben Sie nicht zugehört, als die Kollegen Ritz und Eigen gesprochen haben.
({11})
Die sind nämlich darauf ausführlich eingegangen.
Der Bundesernährungsminister, durch den Bundeskanzler, durch das Kabinett desavouiert und sich dann schließlich noch selbst desavouierend, hat im Inland und im Ausland sein Gesicht verloren.
({12})
In jeder normal funktionierenden Demokratie würde ein Minister in solcher Lage zurücktreten, meine Damen und Herren.
({13})
- Ich verstehe ja sehr gut, daß Sie lachen; wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, lachen Sie immer. Aber Sie können doch nicht bestreiten, daß der Ernährungsminister und der Bundeskanzler in der entscheidenden Stunde, als in Brüssel verhandelt wurde, versagt haben und daß das ganze Debakel, das jetzt entsteht, auf Kosten des Ernährungsministers und des Bundeskanzlers geht.
({14})
Herr Bundeskanzler, ich kann Ihnen persönlich den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie durch die Widersprüchlichkeit Ihres Verhaltens in dieser Frage die deutschen Interessen schlecht vertreten haben.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich Sache des Oppositionsführers, hier alle Arten von Vorwürfen und von Anklagen zusammenzubringen. Nur wenn Sie sie auseinandersortieren werden, passen viele nicht zueinander.
({0})
Damit haben wir es hier zu tun.
Nach der doch wohl - das können auch Sie nicht bestreiten - klärenden Darstellung des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des Bundeskanzlers werden Sie ja doch nicht einfach sagen können, dies seien Ablenkungsmanöver gewesen. Das ist Ihre Geschmackssache. Aber das wird Ihnen kaum einer - es sei denn auf
einer erhitzten und verschwitzten Versammlung - abnehmen.
({1})
Sie haben hier der Regierung eine Note erteilt, die Bundesregierung habe in Brüssel miserabel verhandelt. Da komme ich schon selber in die Versuchung, herauszufinden, sehr verehrter Herr Kollege, wie das eigentlich miteinander zu vereinbaren sein soll, daß man einmal bis zur Rückkehr des Herrn Bundesministers des Auswärtigen hätte warten sollen und der Landwirtschaftsminister zugleich hätte zurücktreten sollen. Na, daß Sie die Regierung dezimieren möchten, ist mir klar.
({2})
Sehen Sie mal: daß Verbände ohne Rücksicht auf Verluste, die das Ganze erleidet, operieren - COPA usw. -, das ist so. Aber daß die parlamentarische Opposition in einem der Länder der Gemeinschaft sogar unter Berufung darauf, sie greife die Regierung an, weil diese eben gegen die Interessen Europas gehandelt habe, in Wirklichkeit aber diese Gemeinschaft daran hindern will, endlich nicht mehr alles beim alten zu lassen - - Dafür danke ich dem Kabinett, daß es diesen Versuch gemacht hat,
({3})
den vorher noch keine Regierung unternommen hatte,
({4})
womit ich keiner früheren Regierung europäische Solidarität oder europäische Vernunft absprechen möchte.
({5})
Da haben wir ja schon genügend Krisen erlebt, in denen wir als damalige parlamentarische Opposition beispringen mußten. Ich denke an 1966, an die Politik des leeren Stuhls, und wie Sie damals fast ohne Hosen dastanden, Herr Carstens, noch in Ihrer Eigenschaft als Staatssekretär.
({6})
- Das ist doch noch nicht völlig vergessen. Das sah nicht sehr imponierend aus, das können Sie mir glauben.
({7})
Sehen Sie mal: die Stellungnahme der Bundesregierung ist geeignet, zu der auch doch wohl von Ihnen, wie Sie jedenfalls sagen, angestrebten Bestandsaufnahme der gemeinsamen Agrarpolitik beizutragen, statt jeweils mit stark klingenden Worten immer nur im alten Mist herumzutreten.
({8})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Eigen, Sie haben einen Sprachgebrauch angewandt, der wieder einmal deutlich gemacht hat, wie sehr Sie hin- und herschwanken zwischen der Behauptung, die Freien Demokraten wieder einmal ermahnen zu müssen, als Koalitionspartner für Sie in Frage zu kommen, und der abschätzigen Wertung der politischen Arbeit der Freien Demokraten. Wenn Sie meinen, die Freien Demokraten mit einer Laus vergleichen zu müssen, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn Sie bei dieser Ausdrucksweise für uns kein Gesprächspartner sind.
({0})
Herr Kollege Carstens hat von Ablenkungsmanöver gesprochen. In Wahrheit haben Sie doch, Herr Kollege Carstens, davon abgelenkt, daß Sie in diesem Hause nicht bereit sind, klar Farbe zu bekennen, ob Sie mit der Bundesregierung gegen die nationalen Maßnahmen anderer Länder in der Agrarpolitik vorgehen oder sie absichern sollen. Das haben Sie nicht klar gesagt.
({1})
Das zweite. Wenn Sie sagen, es habe eine Desavouierung stattgefunden:
({2})
Sie haben selbst betont, daß Kollege Ertl in Brüssel unter Vorbehalt zugestimmt hat. Ihr Hinweis, der Bundesaußenminister hätte eingeschaltet werden müssen, kann sofort geklärt werden. Seitdem das Telefon erfunden ist, ist man natürlich auch in der Lage, über Washington oder New York mit dem Außenminister zu sprechen und seine Meinung dazu einzuholen. Das ist selbstverständlich geschehen.
({3}) Deshalb ist Ihre Kritik völlig abwegig.
Daß Sie versuchen, eine Differenz zwischen Außenminister und Ernährungsminister aufzubauen, ist Ihr Recht. Daß Sie dabei aber aufgelaufen sind, ist der Tatbestand. Man sollte sich vorher genau erkundigen, ehe man einen solchen Versuch unternimmt.
({4})
- Sehr verehrter Herr Kollege Carstens, natürlich habe ich nicht gesagt, daß im Kabinett diese oder jene Abstimmung stattgefunden hat. Ich habe festgestellt, daß zwischen Außenminister, Ernährungsminister und dem Kollegen Friderichs und dem Kabinett eine Abstimmung im Sinne der Meinungsbildung stattgefunden hat. Mehr habe ich nicht gesagt. Sie sollten nicht gegen Dinge polemisieren, die gar nicht gesagt worden sind.
Dritter Punkt. Ihre Position in dieser ganzen Frage ist doch ganz schwach. Ganz schwach deshalb, weil Sie genau wissen: Das Verteidigen von 5, 6 oder 8 °/o bringt für die deutsche Landwirtschaft verhältnismäßig wenig. Der Abbau der nationalen Maßnahmen anderer Länder ist aber entscheidend für die deutsche Landwirtschaft. Hierzu sollten Sie sich bekennen.
({5})
Deshalb wird die ganze Schlacht, die Sie hier zu schlagen versuchen - auch von Ihren landwirtschaftlichen Kollegen -, an der falschen Front ausgetragen. In Wahrheit sind Sie auch heute nicht in der Lage zu sagen, welche anderen, besseren Wege hier gegangen werden könnten.
Wenn Sie nicht in Ihrer Regierungszeit für den
europäischen Agrarmarkt durch Grundsatzbeschlüsse
({6})
- wir kennen sie ja genau - die Weichen in einer Weise gestellt hätten, daß wir heute darunter noch zu leiden haben, wäre manches von diesen Mängeln gar nicht entstanden. Damals hätten Sie entsprechend handeln sollen.
({7})
Heute wäre es für die deutsche Landwirtschaft besser, nicht in Emotionen zu machen, sondern in der
Sache selbst Alternativen anzubieten. Die haben Sie nicht.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Niegel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Verlauf der heutigen Debatte und den Ausführungen der Regierungsvertreter als auch zur Agrarpolitik des Bundeskanzlers Schmidt seit seinem Amtsantritt ist erstens folgende Feststellung zu treffen. Die Agrarpolitik ist gezeichnet durch Drohung und Erpressung ({0})
Herr Abgeordneter, ich ermahne Sie, den Begriff „Erpressung" im Zusammenhang mit der Politik nicht zu gebrauchen.
({0})
- sowohl gegenüber den Bauern wie auch gegenüber den europäischen Partnern. Das geht los mit Logemann über Apel bis zum Bundeskanzler.
Zweitens. Durch den gestrigen Beschluß ist das europäische Klima verdorben worden. Es ist international eine Krise ausgelöst worden, und zwar bewußt; ein Husarensturm ist hereingebrochen; so quasi ein furor teutonicus ist aufgetreten. Ich darf einen Pressebericht zitieren, den bereits vor vier Wochen der „Economist" aus England über
Wie lange wird es noch dauern, bis Deutschlands Partner die Geduld mit einem Manne verlieren, der auf so kompromißlose Art sicher ist, daß er alles am besten weiß? Die Zustimmung der anderen hat man bei den Beschlüssen in der letzten Woche erreicht. Man hat telefoniert, wie es Herr Bundeskanzler Schmidt am letzten Freitag an dieser Stelle dargelegt hat. Und nachdem sie eingelenkt haben, torpedierte man diesen Beschluß nachträglich. Das ist bisher einmalig im internationalen europäischen Geschehen.
({0})
Im Zivilrechtlichen wäre man sagen: arglistige Täuschung.
({1})
Ein Drittes. Was ist, Herr Bundeskanzler, was ist, Herr Bundesernährungsminister, wenn nun in Brüssel die Mehrheitsbeschlüsse wirksam werden, die bisher nur durch die Luxemburger Vorbehalte Frankreichs nicht wirksam geworden sind?
Ein Viertes. Trotz aller Beschwichtigungsversuche heute und trotz der Lobeshymnen, mit denen der Kabinettsbeschluß von gestern bei seiner Bekanntgabe begleitet wurde, ist nicht darüber hinwegzutäuschen, daß das Verhältnis zwischen Ertl und Schmidt gespannt ist. Es ist in dieser Situation eine Desavouierung des Bundesernährungsministers offensichtlich. Es pfeifen doch die Spatzen von den Dächern, daß Herr Bundesminister Ertl nicht für diesen Beschluß gestimmt hat, und wie man hört, soll auch Herr Maihofer nicht dafür gestimmt haben; der Herr Friderichs soll sich der Stimme enthalten haben, aber die anderen, die SPD-Mitglieder einschließlich des Herrn Bundeskanzlers, waren anderer Meinung.
({2})
Herr Ertl darf sich nicht nur in Brüssel, er muß sich auch im Bonner Kabinett durchsetzen. Und hier, an diesem Falle, glaube ich, zeigt sich, daß er sein Gesicht verloren hat. Ein anderer mit E hat die Konsequenzen gezogen, nämlich Herr Eppler,
({3})
und Herr Ertl wäre jetzt meines Erachtens ebenfalls dran, die Konsequenzen zu ziehen. Herr Ertl sagt zwar, er will die Beschlüsse nur teilweise decken. Vielleicht will er auch nur teilweise zurücktreten.
Eine Frage in diesem Zusammenhang an den Bundeskanzler. Wie sagte die SPD immer? „Wir sind für soziale Gerechtigkeit." Sie erhebt anmaßend den Anspruch auf die soziale Gerechtigkeit, sie wolle den Schwachen helfen. Sie läßt aber hier einen sozial Schwachen im Stich, nämlich die deutsche Landwirtschaft. Kennt der Herr Bundeskanzler nicht das Landwirtschaftsgesetz, nach dem die deutsche Landwirtschaft ebenfalls an der fortschreitenden Entwicklung der Volkswirtschaft teilhaben soll? Und hier geht es nicht einmal um die fortschreitende Entwicklung, hier geht es darum, daß die Landwirtschaft zumindest Anschluß an die Inflations- und Kostenentwicklung, die er in allen seinen Ämtern mitverschuldet hat, findet.
({4})
Wenn davon gesprochen wird, daß nationale Maßnahmen abgebaut werden müssen, dann haben wir dagegen nichts. Aber mit diesem Schlag, mit dieser Methode ist es meines Erachtens nicht getan. Und die Mehrwertsteuerregelung, Herr Bundeskanzler, ist keine Einkommensverbesserung für die Landwirtschaft. Die Mehrwertsteuerregelung ist praktisch lediglich eine Art Lohnsteuerrückzahlung für die Landwirtschaft, eine Rückzahlung der Steuer, die sie bereits jetzt mehr bezahlt.
({5})
Und noch ein Wort zu den Verbrauchern: Die Verbraucher würden durch diese Beschlüsse mit 0,4 % Nahrungsmittelpreiserhöhung belastet. Ich glaube, der Verbraucher
({6})
- ich komme zum Schluß, Herr Präsident -, der selbst Anspruch erhebt, seine Kosten auszugleichen, hat auch Verständnis dafür, daß ein sozial Schwacher seine Kosten ausgleichen können muß.
Herr Abgeordneter, kommen Sie jetzt bitte zum Schluß.
In den Augen der Landwirtschaft hat diese Regierung die Glaubwürdigkeit verloren, aber auch in den Augen der europäischen Partner.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen, meine Herren! Der Abgeordnete Niegel sprach vom Furor teutonicus. Ich würde sagen, das letzte war ein Furor bavaricus, bestenfalls.
({0})
Herr Professor Carstens - ich habe den Eindruck, er stimmt gerade etwas mit Kohl ab, er ist nicht da.
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- Kann auch sein.
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Die Auswahl der Redner hier vermittelt den Eindruck, als ob Sie die Debatte und die Sache nicht sonderlich ernst nehmen.
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Ich will Ihnen keinen Nachhilfeunterricht erteilen, Herr Abgeordneter Niegel, bezüglich der Frage, wer
wie abgestimmt hat. Nur, damit Sie sich nicht total ins Abseits begeben: Der Bundesminister Professor Maihofer hat an dieser Kabinettssitzung nicht teilgenommen, daher konnte er gar nicht abstimmen, wie Sie behauptet haben.
({4})
- Er wurde durch einen Staatssekretär vertreten.
Zu der Rücktrittsforderung Eppler/Ertl: Wenn es nach dem Alphabet gehen muß, bin ich dagegen, weil F dann bald an die Reihe kommen muß. Ich glaube, es ist auch nicht ganz korrekt, so vorzugehen. Wir wollen es doch ein bißchen anders machen. Sonst wäre Herr Eigen heute auch schon an der Reihe gewesen.
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Darüber müßte man in der Tat diskutieren. ({6})
Meine Damen und Herren von der Opposition, dies war ebensowenig eine Sternstunde wie das, was seinerzeit der Bundeswirtschaftsminister Schmücker bei der Getreidepreissenkung als eine Sternstunde Europas bezeichnet hat.
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Ich sage dies so deutlich, weil die linke Seite des Hauses sich hier völlig heraushalten kann; denn ich habe damals an den Besprechungen unter Bundeskanzler Erhard im Bundeskanzleramt teilgenommen und kann meine Meinung zur damaligen Situation auch heute noch sagen, im Gegensatz zu denen, die die Getreidepreissenkung damals als eine Sternstunde Europas feierten, ohne zu erkennen, daß damit die wahren Probleme nicht gelöst werden konnten.
Lassen Sie mich zur Sache noch etwas sagen. Eigentlich wäre es die Stunde gewesen, einmal zu fragen, ob es nicht schon in der Anlage unmöglich war, auf der einen Seite eine nicht koordinierte Wirtschafts- und Währungspolitik zu haben und in einem Fachbereich eine einheitliche, mit einer Währung versehene Politik betreiben zu müssen. Da liegt doch die Ursache.
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Es ist geradezu grotesk, den Landwirtschaftsminister auf die Anklagebank zu setzen, obwohl Sie wissen müßten - es sei denn, die ökonomischen Zusammenhänge sind Ihnen nicht klar -, daß es eben auf Dauer nicht geht, daß Sie Volkswirtschaften haben, die sich in einer solchen Form auseinanderentwikkeln, wie das hier geschehen ist: bei den einen mit einer Preissteigerungsrate von nicht einmal 7 % und bei den anderen von 20 %. Meinen Sie wirklich, Sie könnten die Fiktion eines gemeinsamen Marktes aufrechterhalten, von dem der damalige Bundeskanzler Adenauer geglaubt hat, man müsse ihn deswegen eingehen - wollen wir doch die Dinge nennen, wie sie waren; ich habe in den 60er Jahren, wenn auch in anderer Funktion, hier Politik gemacht -, weil das zwar der französischen Landwirtschaft nutze, aber der Vorteil für die deutsche Industrie bei unseren Interessen überwiege.
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Das ist doch die Wahrheit, und da liegt die Ursache für das, was dieser Minister in Brüssel auszubaden hat. Und was tun Sie? Um billiger Landtagswahlkämpfe willen versuchen Sie ihm noch in den Rücken zu fallen. Das ist zur Zeit Ihre Position.
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Am 29. August hat Herr von Heereman geschrieben, er sei für 4 °/o. Am 31. August, es war ein Samstag, hat die Kommission diesen Vorschlag gemacht, und am Montag darauf, zwei Tage danach, hat Herr von Heereman 8 % gefordert.
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Ich nenne nur die Fakten. Bewerten mögen Sie dann alles selber.
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- Herr Professor Carstens, in Abwesenheit eine Antwort: Wenn „ad referendum" heißen soll, daß à tout prix anschließend zugestimmt werden muß, dann frage ich: Was soll „ad referendum" dann überhaupt noch? Dann können Sie doch gleich alles laufen lassen! „Ad referendum" heißt doch, daß der Landwirtschaftsminister unter Darstellung aller Zusammenhänge in seinem Kabinett die Probleme noch einmal zur Entscheidung stellt.
Herr Abgeordneter Eigen, ich will Ihnen meine Meinung klipp und klar sagen. Mir war bei der Kabinettsentscheidung auch bekannt, daß die französischen Bauern heute und morgen erneut weitere nationale, wettbewerbsverzerrende vertragswidrige Maßnahmen fordern würden, und es stand zu befürchten, daß neue eingeführt würden.
Und nun will ich Ihnen klar sagen: Ich bin der Auffassung, daß die Klagen des Deutschen Bauernverbands und seiner Mitglieder ich war doch lange genug in dem Metier tätig! - berechtigt sind, daß es unerträglich ist, einen gemeinsamen Markt auf der Basis internationaler Transfers aufrechtzuerhalten - in Klammern: wegen der Finanzstärke et cetera zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland -, aber ihn gleichzeitig mit einer Fülle wettbewerbsverzerrender vertragswidriger Maßnahmen zu überstülpen. Dies ist die Position des Deutschen Bauernverbands, die ich voll decke.
Und die Bundesregierung war der Meinung, sie solle sich so verhalten, um hier endlich einen Riegel vorzuschieben, weil er mit freundlichen Worten wohl kaum vorzuschieben war.
Eine letzte Bemerkung: Wenn Sie davon sprechen, das Kabinett oder der Kanzler habe den Landwirtschaftsminister desavouiert, dann mag das Ihrem Wunsch entsprechen. Denn darauf ist Ihre aktuelle Stunde angelegt: Sie wollen ihn desavouieren, weil Sie - lassen Sie mich das deutlich sagen - wissen, daß das Ansehen dieses Mannes beim Berufsstand besser ist als das Ansehen seiner sämtlichen VorBundesminister Dr. Friderichs
Bänger und insbesondere Ihrer eigenen Agrarpolitiker.
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Sie haben als Opposition in dieser Frage der deutschen Landwirtschaft und der Position des Ministers in Brüssel keinen guten Dienst erwiesen!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Herrn Kollegen Niegel vorhin hat uns gezeigt, was die Opposition draußen unter Agrarpolitik versteht und wie sie draußen Agrarpolitik macht - das braucht uns nicht zu wundern, denn in Bayern und Hessen sind ja bald Landtagswahlen - und wie sie versucht, die Landwirte draußen zu verunsichern.
So nimmt die CDU/CSU jetzt „mit Bestürzung" zur Kenntnis, daß die Bundesregierung der 5 %igen Erhöhung gegenwärtig nicht zustimmen kann. Weiter sagt die Opposition, hier solle wieder einseitig Stabilitätspolitik auf dem Rücken der Bauern betrieben werden; so haben Sie ja gesagt, Herr Kollege Eigen.
Herr Kollege, Sie wissen doch aber genausogut wie jeder andere hier im Saal, daß hohe Preissteigerungen immer auf Kosten unserer Bauern gehen, weil sie diese Kosten nicht auf die Preise abwälzen können und bei den Betriebsmitteln diese Kosten voll durchschlagen.
Stabilitätspolitik wird nicht gegen, sondern für die Bauern gemacht.
({0})
Diese Stabilitätspolitik ist einer der Gründe, daß Bauern in Frankreich und in Italien neidvoll auf unsere Landwirtschaft sehen.
Was brächten diese 5% unserer Landwirtschaft? Doch sicher nicht 5 %! Das hängt ja, wie wir wissen, von der Marktlage ab. Bei Fleisch brächten die 5 % wohl überhaupt nichts; denn die Kühlhäuser in der EG quellen über. Und bei Getreide? Das meiste ist verkauft; das wurde vorhin schon gesagt. Wer hat verkauft? Die Landwirte, die keinen Lagerraum haben, die kein Geld haben, die das Geld brauchen und nach der Ernte ihr Getreide sofort hingeben! Wer hätte einen Vorteil davon? Bestimmt nicht die ärmsten Bauern!
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Es blieben Zuckerrüben und Milch. Gerade Milch spielt im Export eine sehr große Rolle. Ich denke allein in Bayern. Bayern hat im vorigen Jahr Milch und Milchprodukte für mehr als 400 Millionen DM
nach Italien geliefert, Käse im Werte von 178 Millionen DM,
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täglich 1 Million Liter Milch nach Italien.
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Abbau der Beschränkungen wie das Bardepot und Abbau der Sondermaßnahmen anderer Staaten, die unserer Landwirtschaft Wettbewerbsnachteile bringen und Exportmärkte verlieren lassen, sind für unsere Landwirtschaft mehr wert als diese 5 %.
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Deshalb sind wir der Bundesregierung dankbar, daß sie alles versucht, um diese Wettbewerbsverzerrungen abzubauen. Und Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, loben die Staaten, die etwas für die Landwirtschaft tun, was sogar gegen die Verträge verstößt. Sie tadeln die Bundesregierung, weil sie nichts Vertragswidriges tut. Sie werfen andererseits aber der Bundesregierung gleichzeitg vor, sie tue nichts für Europa. Diesen Widerspruch müssen Sie erst einmal aufklären.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Niegel hat hier die Auffassung vertreten, Herr Bundeslandwirtschaftsminister Ertl sollte zurücktreten - zurücktreten für eine Agrarpolitik, meine Damen und Herren der Opposition, die Sie in der EWG mit konzipiert haben
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und die in all ihren Phasen so festgeschrieben wurde, daß sie heute nur noch schwer zu ändern ist. Das ist der Tatbestand. Das müssen wir uns hier einmal vergegenwärtigen.
Für mich ist die Situation in Europa, in der wir uns befinden, sehr ernst. Wir haben schon einiges hinter uns. Die Tatsache, daß wir mit Prämien Obstbäume gepflanzt haben und mit Prämien wieder ausgerissen haben, die Tatsache, daß wir heute mit Prämien Orangenbäume pflanzen und höchstwahrscheinlich demnächst wieder ausreißen, die Tatsache, daß man in Frankreich die Muttersauen mit 100 Franken prämiiert, um sie am Leben zu erhalten, und in Belgien 100 Franken gibt, um sie abzuschlachten, die Tatsache, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, daß wir demnächst wiederum vor erheblichen Überschüssen im gesamten Produktionsbereich der Milch stehen, geben doch in gar keiner Weise Veranlassung, daß wir sagen können, wir sind mit der EWG-Agrarpolitik zufrieden.
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Wir müssen uns mit der Tatsache auseinandersetzen, daß angesichts dieser Unterschiedlichkeiten der Knalleffekt in der EWG-Agrarpolitik nicht ausbleiben konnte. Den Knalleffekt haben wir heute erreicht.
Es kommt darauf an, daß wir in dieser Situation, wo der Bundeskanzler und die Bundesregierung selbst den Stier bei den Hörnern gepackt hat, ich möchte sagen, diesen Europa-Stier bei den Hörnern gepackt hat, den Versuch unternehmen, unsere Partner einmal so weit zu bringen, daß wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen und uns nicht nur über die Preise unterhalten - das gilt übrigens auch für die Bauernverbände -, sondern auch über die Frage, wie eine Mengenregulierung in der Agrarpolitik Europas überhaupt ermöglicht werden kann. Nur dann, wenn uns das gelingt, wird diese EWG-Agrarpolitik überhaupt eine Chance haben.
Für mich besteht kein Zweifel, daß die Entscheidung, die die Bundesregierung mit dem Bundeskanzler getroffen hat, eine Entscheidung ist, die ihm - auch im Blick auf die deutsche Landwirtschaft -eine große Verantwortung auferlegt.
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Ich nehme an, daß wir auf Grund dieser Entscheidung gewiß sein können, daß der Bundeskanzler durch seine Beziehungen zu den Chefs der übrigen europäischen Regierungen dafür sorgt, daß die Dinge in Bewegung kommen. Darüber sind wir uns ja alle einig: Das, was der Kabinettsbeschluß aussagt, ist eine Anforderung, die die Landwirtschaftsminister im Ministerrat wohl nicht erfüllen können, wenn zuvor nicht die Regierungschefs bereit sind, im Rahmen dieser Entscheidungen eine entsprechende Politik in Europa zu treiben.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Hoffnung, daß es gelingen wird, hier in Europa eine Agrarpolitik einzuleiten, die wenigstens dazu führt, daß wir - auf lange Sicht gesehen - nicht von einer Phase der Überproduktion in die andere taumeln und nicht eine falsch angelegte Agrarpolitik Europas auf dem Umweg über den Steuerzahler finanziert werden muß.
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Ich kann für mich in Anspruch nehmen, daß ich vor einem Jahr hier gestanden habe und die Mehrausgaben für die EWG in Höhe von 900 Millionen DM, welche auf den Bund zukamen, verteidigt habe, obwohl viele von Ihnen draußen vielleicht den Standpunkt vertreten haben: Dieses Buttergeschäft und all das, was damit in Zusammenhang stand, war nicht notwendig, sind Beispiele für harte Entscheidungen, die uns bisher nicht erspart blieben. Nehmen wir die Gelegenheit wahr, arbeiten wir mit an einer neuen gemeinsamen Konzeption für die EG-Agrarpolitik! Aber nicht nur die Regierung, nicht
nur der Bundeskanzler, sondern auch die Opposition 1 ist aufgerufen, ihren Teil dazu beizutragen.
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da die Bundesregierung mit all den Bemerkungen übereinstimmt, die die Abgeordneten der beiden Koalitionsfraktionen hier gemacht haben, bleibt für mich nur übrig, auf zwei persönliche Anzapfungen einzugehen. Ich brauche dafür nur anderthalb Minuten.
Herr Abgeordneter Niegel hat gemeint, von einem „gespannten Verhältnis zwischen dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Bundeskanzler" reden zu sollen. Ich darf Ihnen sagen, Herr Abgeordneter, daß das persönliche Verhältnis zwischen diesen beiden Personen sich im Lauf der letzten 4 V/2 Jahre ungeachtet der politischen Verschiedenheiten, die auf der Zugehörigkeit zu verschiedenen Parteien beruhen, außerordentlich freundschaftlich entwickelt hat und weiterhin so bleiben wird.
({0})
Was den Professor Carstens angeht - der sich leider nicht in der Lage gesehen hat, die Antwort auf seine sehr scharfe Polemik selber anzuhören, und den Saal verlassen hat -, so möchte ich seiner Polemik wegen feststellen, daß der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht nur das volle Vertrauen des ganzen Kabinetts und auch - ich bin gebeten worden, dies ausdrücklich hinzuzufügen - das Vertrauen der ganzen sozialdemokratischen Bundestagsfraktion besitzt,
({1})
sondern daß das Kabinett darüber hinaus Anlaß genommen hat, ihm für seine umsichtige Verhandlungsführung ausdrücklich zu danken, eine Verhandlungsführung, die - ich wiederhole das hier vor dem Deutschen Bundestag - ihren Erfolg noch zeitigen wird.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bewerunge.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als aufmerksamer Zuhörer habe ich mir zwei Fragen gestellt: Sind die Töne, die hier anklangen, dazu angetan, den Weg nach Europa zu fördern, oder ist dieses Wort, was beispielsweise Herr Gallus gebrauchte, daß der Bundeskanzler endlich den Stier bei den Hörnern gefaßt habe, nicht etwas, was uns gerade im Blick auf Europa Sorge machen sollte, nämlich Kraftmeierei am falschen Ort?
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Gestern hatte ich an einem Empfang mit vielen
europäischen Beamten und Politikern teilzunehmen.
Ich kann Ihnen sagen, Herr Bundeskanzler, dieser
gestrige Entschluß hat gesamtpolitisch europäisch zunächst wie ein Schock gewirkt. Ich frage mich aber auch, wie die Bauern mit dieser Dialektik heute fertig werden sollen, nachdem Herr Gallus als Vertreter kostendeckender Preise gesagt hat, es sei viel besser, die Preise würden nicht erhöht. Das ist eine ganz tolle Situation, die wir heute hier erleben.
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Meine Damen und Herren, wir wären auch gut beraten, daran zu denken, diesen Agrarmarkt nicht ausschließlich als Agrarmarkt anzusehen, sondern ihn auch in der Gesamtentwicklung der Wirtschaftskraft unserer Bundesrepublik zu sehen. Ersparen Sie es mir, dies aufzuwiegen, obwohl die Vorzüge unserer Gesamtwirtschaft so hoch sind, daß wir ein lautes Ja zu Europa sagen könnten.
Herr Bundeskanzler, ich muß es Ihnen leider sagen, es sind zwei Termine, die Sie grob fahrlässig versäumt haben. Am 31. Dezember 1969 endete die vorläufige Phase der Agrarfinanzierung. Sie wurde in der Gipfelkonferenz vom 1. und 2. Dezember 1969 beschlossen. Wir zahlten seinerzeit einen Beitrag von zirca 28 %. Sie haben den europäischen Beitrag auf 31,67 % angehoben. Das war die Hälfte der Gesamtbeiträge, die Belgien zu leisten hatte. Gerade bei dieser Frage der Neufinanzierung Europas war der Ausgangspunkt gegeben, um zu sagen: Nur unter diesen und jenen Vorzeichen kann man mitmachen. Das ist dann ausgelaufen in Verträge, bei denen die Chance vergeben worden ist, nicht nur über finanzielle Leistungen, sondern auch über die Höhe der Produktion zu sprechen. Das haben Sie versäumt.
Sie haben zu meinem größten Leidwesen, Herr Minister Ertl, noch am 8. Mai 1968 trotz eines einstimmigen Beschlusses dieses Hohen Hauses, die Strukturpolitik nicht nach Brüssel zu verlagern, in selbständigem Handeln ja zu einer europäischen Strukturpolitik gesagt mit Konsequenzen, die sich heute in ihrer Unmöglichkeit von Schottland bis zum Apennin auswirken. Das sind die wahren Gründe des Nichtkönnens von Politikmachen, die uns in diese heutige Situation gebracht haben.
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Wir haben diese Themen seinerzeit im Wahlkampf angesprochen, meine Damen und Herren, und Sie haben keinerlei Reaktion gezeigt. Wir haben damals bei den Entscheidungen ebenfalls darauf hingewiesen.
Ich darf Sie bitten, uns abzunehmen, daß wir bereit sind, jeden Weg mit Ihnen zu gehen, um zu besseren Ufern zu kommen. Dabei wollen wir aber dieses zarte Pflänzchen Europa nicht aufs Spiel setzen. Ich darf Herrn Mansholt als Sozialisten zitieren, meine Damen und Herren. Er sagt: Es ist für mich enttäuschend, zu sehen, daß Deutschland in Europa gar keine Rolle spielt; die Chancen für eine europäische Einigung sind z. B. unter den Christdemokraten viel größer als unter den Sozialisten; die SPD hat Europa-Angst. - Ich weise als nächstes auf die Aussagen von Dahrendorf hin, die ich wegen der Kürze der Zeit nicht zitieren möchte.
Hier wird deutlich, daß dieses Arrangement Europas gar nicht so Ihr Herzensanliegen ist, daß Sie es einfach als eine der Maßnahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung ansehen. Hier wird deutlich, meine Damen und Herren - auch das will ich Ihnen sagen; wir saßen einmal in der Großen Koalition zusammen -, daß Sie mit allen Taktiken erleben werden, daß die SPD niemals sagt: „Wir wären für höhere Preise, aber . . ." Da sitzt unser damaliger Landwirtschaftsminister Höcherl. Er hat mir oft aus Kabinettssitzungen berichtet. Auch damals wollten wir Preiserhöhungen haben. Nicht einmal hat ein Minister der SPD Ja zu Preiserhöhungen gesagt, weil das nicht in Ihr Bild paßt, meine Damen und Herren. Das muß ich genau sagen.
({3})
Ein Minister wird Ihnen das bestätigen. ({4})
Es waren dauernde Kontroversen. Ich möchte das hier nicht beschönigen. Wir haben in der Großen Koalition versucht, das Altersgeld anzuheben. Hinterher haben Sie das als soziale Leistung hochgespielt, die Sie erbracht hätten. Sie haben es damals abgelehnt, meine Damen und Herren. Das ist die geschichtliche Tatsache.
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- Ich lasse mich durch Sie nicht provozieren. Ich habe schon einige Dinge gelesen, die Sie mir zugerufen haben; Sie sind mir nicht kompetent.
Ich wollte nur Herrn Minister Ertl darauf aufmerksam machen: In dieser Partnerschaft werden Sie ein ernstes und hartes Ringen und Kämpfen nötig haben. Ich habe so manches Wort, das Sie damals sprachen, nicht vergessen. Ich wünsche Ihnen, daß Ihr Haxen wieder flott wird. Ich hoffe, daß Sie mir das nicht übelnehmen, aber damals sagte unser Freund Logemann, in unserer Politik hätten wir uns verhalten wie ein Känguruh und mit leerem Beutel große Sprünge gemacht. Sehen Sie zu, daß Sie für die Landwirtschaft noch etwas im Beutel behalten!
({6})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bewerunge, ich darf mich sehr herzlich für Ihre guten Wünsche bedanken. Ich kann für einen vollen Beutel natürlich auch die Unterstützung der Opposition gebrauchen. Das möchte ich gar nicht leugnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist Zeit, ein Fazit zu ziehen. Lassen Sie mich dabei, weil es sonst den Gesamtrahmen sprengen würde, nur ein kurzes Wort zur Strukturpolitik sagen, Herr Bewerunge. Ich will nicht immer in
der Vergangenheit kramen, aber Sie machen es mir auch nicht leicht. Schauen Sie doch einmal in den Akten nach, wann die Grundsatzbeschlüsse gefaßt worden sind! Im übrigen gibt es auf diesem Gebiet zwar eine Richtlinie, aber keine Verordnung. In der Richtlinie heißt es, daß nationales Recht bestehenbleibt und nur der gemeinsame Rahmen abgesteckt wird.
Damit komme ich - deshalb habe ich auch noch einmal darauf hingewiesen, Herr Kollege Bewerunge auf das Fazit unserer Debatte. Es war eine Utopie, zu glauben: Über einen gemeinsamen Agrarmarkt komme ich automatisch zur Wirtschafts- und Währungsunion.
({0})
- Ja, das wußten Sie, aber Sie haben dieses Phantom aufgebaut, Herr Eigen.
({1})
Es muß doch einmal gesagt werden, daß Sie hier ununterbrochen andere anklagen, obwohl Sie dieses Phantom selbst aufgebaut haben.
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Sie können meine Reden nachlesen, und ich möchte nicht auf das eingehen, was ein früherer Wirtschaftsminister - das ist heute schon zitiert worden - die stolzeste Stunde seines Lebens genannt hat. Aber das ist der Punkt: Sie können eine in dieser Form konstruierte Agrarpolitik ohne Wirtschafts- und Währungsunion auf die Dauer nicht praktizieren.
({3})
Herr Minister, Sie hatten gebeten, daß ich Sie an den Zeitablauf erinnern sollte.
Ja, danke sehr! - Daraus ergibt sich zwangsläufig: wenn Sie das wirtschaftliche und ökonomische Gefälle nicht lösen können, muß es Rückwirkungen auf die Agrarpolitik haben. Nachdem Europa eine tiefe ökonomische und soziale Strukturkrise hat, werden Sie zwangsläufig diese Strukturprobleme lösen müssen, bevor Sie überhaupt gemeinsame Wirtschafts- und Agrarpolitik in harmonisierter Form betreiben können.
({0})
Herr Abgeordneter Löffler hat noch drei Minuten.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus der Opposition wurde mir eben zugerufen: „Den letzten beißen die Hunde!" Ich hoffe, daß es mir gelingt, Sie noch ein ganz klein wenig zu beißen; denn ich glaube, daß das notwendig ist.
Mir ist die Kritik der CDU/CSU-Fraktion an der Haltung der Regierung völlig unverständlich, Herr Ritz. In den Agrardebatten der letzten Jahre hat diese Fraktion ständig darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung in Brüssel zu weich auftrete, zu kompromißbereit und zu nachgiebig sei, wenn es darum gehe, Ansprüche der anderen im nationalen Rahmen zurückzuweisen.
({0})
Das, Herr Bewerunge, was Sie damals getrieben haben, war Kraftmeierei.
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Was jetzt die Regierung getan hat, war eindeutige Bekundung der politischen Kraft, die sich auf ein besseres Europa hin bewegen soll.
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So sehen die Tatsachen aus!
({3})
Ihre Zwiespältigkeit in dieser Haltung können Sie noch in den Protokollen der letzten Woche nachlesen. Hier hat Herr Carstens gestanden und den Bundeskanzler kritisiert und ihn gescholten, weil er eine Bemerkung über die Kommission gemacht hat. Als aber Herr Höcherl auf meine Zwischenfrage die Kommission als eine schlechte Gesellschaft bezeichnete, in der sich die Bundesregierung befinde,
({4})
da haben Sie alle schön miteinander geklatscht.
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Wie gesagt, Sie sollten Ihre Fraktionssitzungen wirklich auch einmal dazu benutzen, Ihre Europapolitik abzustimmen und sich nicht nur über den künftigen Kanzlerkandidaten zu unterhalten.
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Wer eine Revision und eine Bestandsaufnahme der europäischen Agrarpolitik will, darf nicht nur reden, er muß handeln, und diese Regierung hat gehandelt. Dieser entscheidenden Handlung der Regierung setzen Sie nur eine einzige Maßnahme entgegen, nämlich die Politik des kleinen Spatzes in der Hand, wohlwissend, daß Sie mit dieser Politik auf die Dauer auch den Landwirten nicht helfen können. Hier geht es um eine Neubesinnung, und die Bundesregierung hat mit ihrem Beschluß vom gestrigen Tage die Ernsthaftigkeit unterstrichen, mit der wir eine solche Neubesinnung und Neuordnung des europäischen Agrarmarktes wollen.
Es wäre vielleicht auch an der Opposition - nicht um uns zu helfen, wir schaffen das auch ohne Sie,
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sondern um Ihre agrarpolitischen Belange draußen im Lande zu vertreten -, sich ein einziges Mal daran zu erinnern, daß sie auch als Opposition eine bedeutende staatspolitische Verantwortung mitzutragen hat.
({8})
Damit stehen wir am Ende der Aktuellen Stunde; wir fahren in der Tagesordnung fort.
Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich jetzt die Tagesordnungspunkte 11 und 17 zu einer verbundenen Aussprache auf:
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes ({0})
- Drucksache 7/2460
17. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Bericht über die fortdauernden Folgekosten des öffentlichen Personennahverkehrs
- Drucksache 7/2495 Ich frage zunächst, ob von der Bundesregierung das Wort gewünscht wird. - Das Wort zur Einbringung des Entwurfs wird nicht begehrt.
In der Aussprache, die ebenfalls verbunden wird, erteile ich dem Herrn Abgeordneten Mahne das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum vorliegenden Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes gebe ich für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion folgende Erklärung ab.
Die Fragen des Straßengüterverkehrs finden in der Öffentlichkeit allgemein nur eine geringe Beachtung. Für die Mehrheit unserer Bevölkerung sind die Probleme dieses Gewerbes nicht recht durchschaubar, da ja auch nur wenige hiervon direkt betroffen sind. Aber von den indirekten Auswirkungen bei Fehlentwicklungen in diesem Bereich ist nicht nur fast die gesamte Wirtschaft, sondern auch jeder Bürger unseres Landes betroffen.
Deshalb begrüßen wir, daß mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs einige wichtige Probleme im Straßengüterverkehr aufgegriffen worden sind und - den heutigen Bedingungen und Gegebenheiten entsprechend - Lösungen gefunden werden konnten. In den durch die kommunale Neugliederung entstandenen Großgemeinden wurde jeweils der Ortsmittelpunkt neu festgelegt. Nun können viele Güterverkehrsunternehmen ihre bisher im Güternahverkehr erreichten Zielgebiete nicht mehr anfahren, weil diese vom neuen Ortsmittelpunkt nur noch im Güterfernverkehr erreichbar sind.
Um solche unerwünschten Auswirkungen der kommunalen Neugliederung zu vermeiden oder nicht entstehen zu lassen, wird es auf Grund der vorgesehenen Gesetzesänderung möglich sein, in den neu gebildeten Gemeinden bis zu drei bezirkliche Ortsmittelpunkte zu bestimmen. Hierdurch wird sichergestellt, daß auch künftig bestehende Verkehrsverbindungen aufrechterhalten werden und sowohl Güternahverkehrsunternehmen als auch die Wirtschaft bei Großgemeindebildungen keine Nachteile hinzunehmen brauchen.
Unser gemeinsames Ziel war es bisher, für mehr Liberalität auch auf dem Verkehrssektor zu sorgen. So haben wir die Straßengüterverkehrsteuer durch ein Lizenzierungssystem für den Werkverkehr ersetzt. Der relativ leichte Zugang zu einer Lizenz hat in den letzten Jahren in verstärktem Ausmaß dazu geführt, daß ein unechter Werkverkehr betrieben wurde, und zwar vor allem im Bereich der Baustoffe und Mineralölerzeugnisse. Bei diesem auch „Fuhrmannshandel" genannten unechten Werkverkehr wird ein Güternahverkehrs- oder ein Güterfernverkehrsunternehmen als Zwischenhändler zwischen Produzent und Abnehmer eingeschaltet, ohne daß er wirklich eine echte Handelstätigkeit ausübt. Dieser Fuhrmannshändler betreibt also nur Güterbeförderung für andere. Er ist und bleibt Beförderungsunternehmer. Wenn wir dieser Übung, diesem grauen Markt nicht Eiinhalt gebieten, wird der Unterschied zwischen gewerblichem und Werkverkehr so ausgehölt, daß an einer wichtigen Stelle die Wettbewerbsordnung, wie wir sie wollen, angegriffen und praktisch außer Kraft gesetzt wird.
Der im vorliegenden Gesetzentwurf neu eingefügte § 48 a definiert den Begriff „Wiederveräußerung" so klar, daß in Zukunft diese Praktiken im Werkverkehr nicht mehr möglich sein werden.
Weiter werden die Einführung der Buchführungspflicht für Güternahverkehrsunternehmer sowie eine Verbesserung der Tarifüberwachung im Güternahverkehr durch Einschaltung der Bundesanstalt für Güterfernverkehr geregelt. Bereits in den einmütig gefaßten Entschließungen des Deutschen Bundestages zum Verkehrsbericht 1970 vom 28. Juni 1972 war die Bundesregierung ersucht worden, zu prüfen, ob die Buchführungspflicht und die Tarifüberwachung nicht gesetzlich geregelt werden sollten. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf diese beiden Fragen positiv geregelt hat.
Uns geht es darum, daß das Güternahgewerbe seine Leistungsfähigkeit nicht nur behält, sondern verbessert und sich wirtschaftlich konsolidiert. Das gilt insbesondere für die Einhaltung der staatlich verordneten Tarife. Tarife sind nur dann sinnvoll, meine Damen und Herren, wenn sie vom Verlader und Nahverkehrsunternehmer auch eingehalten werden. Nach den bisherigen Erfahrungen muß man zu dem Schluß kommen, daß Vertrauen gut, Kontrolle aber besser und leider notwendig ist.
Die Bundesregierung will diese Prüfungen von der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr durchführen lassen. Hierdurch wird am wirksamsten die notwendige Überprüfung durch Betriebsprüfungen in den Unternehmen und durch Straßenkontrollen sichergestellt. Die Bundesanstalt für den Güterfernverkehr soll die Möglichkeit erhalten, mit ihren Kontrollen schwerpunktmäßig tätig zu werden, da7998
mit nicht das lückenlose Tarifüberwachungssystem des Güterfernverkehrs auch auf den Nahverkehr übertragen werden muß. Der hiermit verbundene Aufwand ließe sich nicht rechtfertigen.
In den kommenden Beratungen im Ausschuß für Verkehr und in dem Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen werden wir den vorliegenden Gesetzentwurf ausführlich zu beraten haben. Die SPD-Fraktion wird sich bei diesen Beratungen für solche Lösungen einsetzen, die die Leistungsfähigkeit des Güternahverkehrsgewerbes nachhaltig verbessern und fördern, die die heute bestehenden Wettbewerbsverzerrungen künftig unmöglich machen und die eine effektive Überprüfung und Überwachung sicherstellen.
Unter diesen Prämissen werden wir auch zu den Anregungen des Bundesrates Stellung zu nehmen haben und nach unserer Meinung der Bundesanstalt für Güterfernverkehr doch so weitgehende Rechte, wie im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen, einräumen müssen. In die Beratungen wird von uns die Frage der künftigen Preisregelungen im Spediteursammelgutverkehr eingebracht werden. Diese Frage war bereits 1972 im Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages angesprochen worden. Unser Vorschlag sieht vor, die bestehende Preisbindung, die sogenannten Kundensätze, durch Preisempfehlungen des Gewerbes zu ersetzen, die der Anmeldepflicht bei der Kartellbehörde unterliegen.
Lassen Sie mich zum Schluß der Hoffnung Ausdruck geben, daß sich auch die Opposition unseren Vorschlägen nicht verschließen und dazu beitragen wird, wie bereits bei der Entschließung im Jahre 1972, daß es hier zu einer endgültigen Regelung kommen wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Sick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was hier gesagt wurde, ist richtig: Wir werden uns bei der Novellierung dieses Gesetzes sehr sorgfältig über verschiedene Dinge unterhalten müssen; denn mit der Novellierung wird die Absicht verfolgt, Schwächen oder vermeintliche Schwächen zu beseitigen. Ganz sicher werden wir uns im Ausschuß intensiv mit der Materie befassen müssen, um von Fall zu Fall hier oder da vielleicht eine Verbesserung herbeizuführen. Ich will bei der ersten Lesung nur ganz wenige Grundsatzdinge ansprechen. Die Einzelheiten können wir nachher im Ausschuß beraten.
Der erste, wie ich meine, wichtige Punkt, die Bestimmung von Ortsmittelpunkten, dürfte ziemlich unstreitig sein, wenngleich wir uns im Ausschuß über das Datum unterhalten müssen; denn hier besteht möglicherweise die Notwendigkeit einer Änderung, aber nur um sachliche Dinge abzudecken.
Von erheblicher Bedeutung ist § 48 a, der den sogenannten Fuhrmannshandel betrifft. Ich meine, man sollte dazu heute und hier mindestens anmerken, daß wir die Hoffnung auf eine größere Rechtssicherheit immerhin mit einiger Skepsis betrachten müssen. Es wird immer so getan, als könne das GüKG in der heutigen Fassung keine Mißbräuche erfassen. Das ist zweifellos nicht so, denn über § 5 - Scheintatbestand mit den Bußgeldvorschriften - kann man das sehr wohl. Andererseits bin ich der Meinung, daß diese Dinge von der Rechtssystematik her eigentlich mit der sechsten Änderung zum GüKG geregelt sind. Aber wir werden sehen, inwieweit wir hiermit nicht etwas anderes verschütten.
Meine Damen und Herren, wir werden sehr sorgfältig darauf achten, daß - bei aller Notwendigkeit, den Tatbestand eindeutig zu klären, und bei aller Anerkennung der Tatsache, daß auch wir keine Mißbräuche wollen, im Zusammenhang mit dem Fuhrmannshandel wird heute sehr viel davon gesprochen - die Kooperationsmöglichkeiten nach § 5 des Wettbewerbsgesetzes, insbesondere für das mittelständische Gewerbe, hierdurch auf gar keinen Fall beeinträchtigt werden. Diese Gefahr kann entstehen. Wir alle wissen, woher dann nachher die Prozesse kommen, insbesondere auf Grund unklarer Begriffe. Wenn ich bei § 48 a die Begriffe „übliche Geschäftsbeziehungen", „selbständiges Handeln", „unselbständiges Handeln" lese, dann weiß jeder, der ein bißchen von der Materie versteht, daß das ein herrlicher Prozeßstoff für lang andauernde Gerichtsverfahren ist, in denen man fragt: „Was ist denn das?".
Hier, meine Damen und Herren, werden wir bei den Ausschußberatungen darauf achten, daß wir als Ausschuß - hoffentlich einstimmig - eine deutliche Erklärung zu diesem § 48 a darüber abgeben, was wir wollen, aber auch darüber, was wir nicht wollen. Ich glaube, daß dies auch schon im Interesse des mittelständischen Gewerbes, wie ich bereits sagte, schlechthin notwendig ist.
Damit kommen wir zu dem anderen schwerwiegenden Punkt, den ich hier ansprechen möchte. Das sind die §§ 87 a und 87 b, d. h. Tarifüberwachung im Güternahverkehrsgewerbe. Dazu haben wir dankenswerterweise vom Gewerbe sehr viel Information erhalten, die man ohne weiteres als beeindrukkend bezeichnen kann. Eines möchte ich hier noch sagen. Es ist sehr leicht, nach Überwachung zu rufen und dann zu sagen: Das bezahlen wir ja alles selbst durch Umlagen bei der BAG. Nur, meine Damen und Herren, unterstellen wir einmal, die Zuständkeit der BAG sei gegeben - das ist heute ja eindeutig nicht der Fall -, dann sind die dort entstehenden Kosten ja solche, die in die Preise gehen. Ob das zu der allgemeinen Konjunkturlandschaft paßt, werden wir, insbesondere wenn ich die eindrucksvollen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zur Haushaltsdebatte werte, in unsere Überlegungen zumindest mit einbeziehen müssen.
Andererseits bin ich nicht davon überzeugt, daß ein noch so großer Überwachungsapparat die lückenlose Überwachung sicherstellt. Nun wird gesagt: So soll es gar nicht sein. Ich melde - auch im Namen meiner Freunde - Bedenken an, ohne hier definitiv zu sagen: Wir wollen die Tarifüberwachung generell nicht. Ich meine, wir müssen uns im Ausschuß sehr
sorgfältig darüber unterhalten und alle Seiten beachten. Wir können ein Gesetz sehr schnell verkomplizieren, wir können neue Einrichtungen schaffen. Vielleicht ist dann einmal der Zeitpunkt gekommen - auch wenn es um die BAG geht -, um zu fragen, ob wir nicht, um zu einer besseren Kontrolle der öffentlichen Ausgaben zu kommen, vielleicht einmal auf das Deckblatt eines Gesetzesantrages nicht nur schreiben: „Kosten: keine", sondern auch: wieviel Personal mehr.
({0})
Dann, glaube ich, wird sich mancher von uns noch einmal überlegen, ob es den Aufwand lohnt.
Übrigens kommt noch ein Argument hinzu. In der europäischen Verkehrspolitik - daran können wir als Fachleute nicht vorbeigehen - sehen wir einen entgegengesetzen Trend. Insbesondere wird in der europäischen Verkehrspolitik mit einer weiteren Freistellung, vor allem des Nahverkehrs, zu rechnen sein, sogar mit weiterer Liberalisierung beim Fernverkehr. Die Frage, die wir uns in diesem Hause alle stellen müssen, ist: Wollen und dürfen wir zu diesem Zeitpunkt hier noch komplizierte gesetzliche Mechanismen aufbauen im Wissen darum, daß das nachher in der Form gar nicht mehr durchführbar ist?
Ich will damit meine Anmerkungen zu diesem Komplex abschließen: Skepsis; aber ich meine, wir sollten noch einmal darüber sprechen. Wir werden Ihnen im Ausschuß wahrscheinlich auch vorschlagen, die Verbände, das Gewerbe noch einmal zu hören, die Argumente noch einmal anzuhören.
Ein anderes Anliegen möchten wir ganz gerne erfüllt sehen. Wenn ich aus der Presse richtig entnehme, ist das ja auch bei den Freunden in der Regierungskoalition in beiden Lagern möglicherweise so. Wir würden gern die Kfz-Steuer mit in diesem Zusammenhang geregelt haben. Denn wir wissen, daß es dieser Bundesregierung nicht mehr möglich sein wird, diese Frage in der jetzigen Legislaturperiode zu klären. Hier geht es - für die sachkundigen Kollegen kann ich es abkürzen - um die Hänger, um die Sattelauflieger. Wir meinen aber auch - ohne daß ich dies jetzt konkret festschreiben will -, wir sollten uns auch noch über die Höhe der Kfz-Steuer unterhalten. Lassen Sie uns, wie gesagt, darüber im einzelnen reden!
Ich hatte gesagt: nur einige wenige Grundsatzbemerkungen hier und heute! Das Problem der Kundensätze wurde angesprochen. Auch wir meinen, daß wir das bisherige Verfahren, alle jahrelang etwas neu zu schaffen, ändern sollten, in diesem Zuge mit; das ist auch für das Speditionsgewerbe richtig und gut, damit eine gewisse Sicherheit in die Geschäftsbeziehungen hineinkommt.
Abschließend noch eines! Es gibt noch diese Sache mit dem § 84 i. Sie wissen es: Spedition, Sammelgutspedition, Güternahverkehr. Das alles kann man beraten. Lassen Sie uns eines tun, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns uns Mühe geben und nicht darauf hinaus wollen, einen neuen Perfektionismus zu schaffen. Wir dienen damit niemandem, auch uns selbst nicht. Lassen
Sie uns im Auge behalten, daß es nicht darum geht, in erster Linie das perfekte Gesetz zu schaffen, sondern darum, praktische Dinge zu regeln. Ich meine, bei der sorgfältigen Erörterung in unserem Ausschuß und - das sei als persönliche Bemerkung angehängt - bei der Art, wie wir zu beraten pflegen, dürfte das möglich sein.
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Meine Damen und Herren, ich habe mit Interesse die Anregung des Kollegen Sick gehört, auf dem Vorblatt unter „D. Kosten" eventuell eine Unterteilung vorzunehmen: einmal die fortlaufenden und zweitens die personellen. Wir werden das im Präsidium gern einmal prüfen. Vielen Dank!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes ist nicht d i e große Novelle, die sicherlich einmal zur Regelung der Probleme im Güterfernverkehr notwendig werden wird. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält jedoch verschiedene Regelungen, denen nach Auffassung der Freien Demokraten wesentliche Bedeutung zukommt.
Zunächst soll durch den Entwurf das Güterkraftverkehrsrecht den kommunalen Neugliederungen in unserem Lande angepaßt werden. Ferner ist eine wirksamere Tarifüberwachung des Güternahverkehrs durch Einschaltung der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr und die Einführung der Buchführungspflicht für die Güternahverkehrsunternehmer vorgesehen. Wir Freie Demokraten sind mit diesen Regelungen einverstanden, da sie nach unserer Auffassung geeignet sein können, die Leistungsfähigkeit des Gewerbes und damit die Verkehrsbedienung in diesem wichtigen Teilbereich zu verbessern. Es wird Sache der Beratungen in dem zuständigen Ausschuß sein, darüber zu wachen, daß nicht die Auslegung einer Behörde erfolgt, die den angestrebten Zweck unter Umständen in Frage stellt.
Besondere Bedeutung kommt auch den im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen zur Eindämmung des sogenannten grauen Werkverkehrs zu. Der relativ starke Anstieg des Werkverkehrs macht uns allen Sorge. Trotz des nach Auslaufen der Straßengüterverkehrsteuer eingeführten Lizenzierungssystems ist der Werkfernverkehr in den Jahren 1972 und 1973 gegenüber den Vorjahren um rund 16% angestiegen. Auch in den ersten vier Monaten dieses Jahres gab es wiederum kräftige Zuwachsraten bei den Werkfernverkehrstransportleistungen, die in keinem Verhältnis mehr zu den Zuwachsraten des üblichen Güterkraftverkehrsgewerbes stehen. Auf diese Entwicklung sorgsam zu achten, sollte unsere Pflicht sein.
Aus diesen Zahlen, die sicherlich eingehender Kommentierung bedürften, um Schlußfolgerungen zu ziehen, sollte allerdings nicht der voreilige Ruf nach
dirigistischen Maßnahmen zur Eindämmung des Werkverkehrs abgeleitet werden. Ein flexibleres Angebot der gewerblichen Verkehrsunternehmer wäre nach Auffassung der Freien Demokraten in jedem Falle zweckmäßiger zur Substitution von Werkverkehren als ordnungspolitisch bedenkliche und im Ergebnis fragwürdige Eingriffe dirigistischer Art, wie sie da und dort immer wieder gefordert werden. Das nur zur Klarstellung im Zusammenhang mit der nunmehr beabsichtigten Eindämmung des unter dem Stichwort Fuhrmannshandel bekannten unechten Werkverkehrs.
Bei diesem Fuhrmannshandel wird häufig ein gewerblicher Transportunternehmer eingeschaltet, ohne daß dieser Zwischenhändler eine eigene Handelstätigkeit entfaltet. Die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene Begriffsbestimmung des zulässigen Werkverkehrs bedeutet in keiner Weise eine Einschränkung des regulären Werkverkehrs, dem ein echtes Handelsgeschäft zugrunde liegt. Durch die genauere Definition des zulässigen Werkverkehrs soll jedoch der eben genannte getarnte Werkverkehr unterbunden werden.
Wir Freien Demokraten hoffen sehr, daß diese Regelung dazu beiträgt, dieses Problem, das mit dem Lizenzverfahren nicht zu lösen war, besser in den Griff zu bekommen. Letztlich aber wird die Lösung des Problems Werkverkehr in der notwendigen Steigerung der Leistungsfähigkeit der gewerblichen Verkehrsträger liegen. Für Maßnahmen, die auf dieses Ziel ausgerichtet sind, werden die Freien Demokraten immer zu gewinnen sein.
Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen beabsichtigen, den vorliegenden Gesetzentwurf um einen wesentlichen Punkt zu erweitern. Es handelt sich bei diesem Punkt um eine Regelung zum Ersatz der Kundensatzverordnung des Spediteursammelgutverkehrs durch unverbindliche Preisempfehlungen. Die auslaufende Kundensatzverordnung sollte nach unserer Auffassung durch eine andere Regelung ersetzt werden. Das ist der Grund für diese Veränderung. Die Koalitionsfraktionen werden daher ein Lösungsmodell in Form von unverbindlichen Preisempfehlungen vorschlagen. Dieses Modell könnte, wenn die Erfahrungen im Spediteursammelgutverkehr positiv ausfallen, möglicherweise Bedeutung für eine allgemeine Reform der Verkehrstarife erlangen.
Die Freien Demokraten sind darüber hinaus der Meinung, daß bei der Beratung der Vorlage auch einige Korrekturen bei der Kfz-Steuer für Nutzfahrzeuge vorgenommen werden sollten, insbesondere die Angleichung der Besteuerung von Sattelkraftfahrzeugen und Nutzfahrzeuganhängern an ähnliche Regelungen in verschiedenen Nachbarstaaten. Herr Kollege Sick hat dieses Problem kurz gestreift. Das heißt hier: Befreiung überzähliger Sattelauflieger und Anhänger von der Steuer. Auf diese Weise soll ein Teil der Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden, die im internationalen Güterfernverkehr zu Lasten der deutschen Transportunternehmer bestehen.
Ferner wäre es wünschenswert, den Katalog der von der Kraftfahrzeugsteuer befreiten Fahrzeuge des kombinierten Verkehrs zu erweitern, zusätzliche steuerliche Anreize für den Huckepackverkehr zu schaffen und das Steuererstattungsverfahren für Nutzfahrzeuge bei vorzeitiger Beendigung der Steuerpflicht zu verbessern.
Die Ausschußberatungen werden uns Gelegenheit bieten, diese Vorschläge eingehend zu diskutieren. Dabei hoffen wir auch auf Anregungen für weitere Arbeiten, um zu sachlich fundierten Lösungen im Güterverkehrsgewerbe zu kommen.
Meine Damen und Herren, ich habe die Stellungnahme der Freien Demokraten in Form einer Erklärung vorgetragen. Erklärungen waren vereinbart. Wahrscheinlich ist es bei der Opposition etwas schwierig, die Begriffe „Erklärung", „Debattenbeitrag" und „Rede" eingehend zu definieren. Ich danke Ihnen.
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Zur Begründung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 7/2495 hat Herr Abgeordneter Dr. Waffenschmidt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte mit diesem Antrag, einen Bericht über die fortdauernden Kosten des öffentlichen Personennahverkehrs zu bekommen, erreichen, daß wir in diesem Hause realistische Grundlagen für die Nahverkehrspolitik erhalten. Es geht - es liegt uns daran, das festzustellen - nicht um die Frage: öffentlicher Nahverkehr - ja oder nein? Aber es muß uns gemeinsam um einen Nahverkehr gehen, der seinen Aufgaben mit den geringsten Gesamtkosten gerecht werden kann. Eine intensivierte Investitionspolitik für den öffentlichen Personennahverkehr ohne klare Regelung hinsichtlich der Bewältigung der Folgekosten wäre, meine Damen und Herren, auf Dauer eine Milliardeninvestition in die roten Zahlen hinein. Dies kann niemand in diesem Hause wollen.
Deshalb brauchen wir solide Grundlagen für die künftigen politischen Entscheidungen, die wir in diesem Hause für den Nahverkehr treffen. Dabei muß folgendes hinzugefügt werden, und das wollen wir gleich hier bei der Einbringung unseres Antrages sagen. Wirtschaftlichkeit darf auch beim öffentlichen Personennahverkehr niemals Nebensache werden.
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Schon heute wird aus allen Informationen, die wir bekommen, deutlich, daß die Folgekosten in diesem Bereich erhebliche finanzielle Größenordnungen erreichen. Um so wichtiger ist es, daß Bund, Länder und Gemeinden die vorgesehenen Planungen noch einmal überprüfen. Daran sollten alle Verantwortlichen arbeiten.
Erstens. Es gilt, ein realistisches Konzept für den öffentlichen Nahverkehr - für den Bau von
U-Bahnen, für die Organisation des Busverkehrs, für den Nahverkehr auf der Schiene - zu bekommen. Unsere Fraktion hat in ihrem 14-Punkte-Programm für den öffentlichen Personennahverkehr Vorschläge unterbreitet, die eine Orientierung für solche Überprüfungen geben können. Wir sprechen es auch heute hier im Zusammenhang mit der Begründung unseres Antrages noch einmal deutlich aus: Es muß nicht immer U-Bahn sein; auch einfache und sparsamere Regelungen können zu einem guten Angebot im öffentlichen Personennahverkehr führen.
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Zweitens. Heute stehen wir vor folgender Situation, und das ist ein Hauptargument für unsere Aktivität, diesen Antrag einzubringen. Während das Defizit aller im Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe zusammengeschlossenen Unternehmen im Jahre 1969 noch bei rund 500 Millionen DM lag, ist es im Jahre 1973 schon auf 1,3 Milliarden angewachsen. Bei der Deutschen Bundesbahn stieg der Fehlbetrag im öffentlichen Personennahverkehr auf der Schiene von 1,4 Milliarden DM im Jahre 1969 auf 3,1 Milliarden im Jahre 1973. Die Ertragslage bei den privaten Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs ist, meine Damen und Herren, nach wie vor beängstigend schlecht. Wir - sicherlich alle, die sich in diesem Hause mit diesen Fragen beschäftigen - haben auch Modellrechnungen vorliegen, wir haben Hochrechnungen bekommen. Und es gibt heute Hochrechnungen, die davon sprechen, daß wir uns dann, wenn wir ohne solide Grundlagen weiterbauten, wenn wir etwa Überlegungen folgten, die uns im Verkehrsausschuß des Bundestages noch vor wenigen Monaten gegeben wurden - etwa die, in diesem Lande noch 500 km U-Bahn zu bauen -, vielleicht im Jahre 1980 beim öffentlichen Nahverkehr mit Defiziten von 10 Milliarden DM und mehr beschäftigen müßten. Wir wollen gerade mit diesem Antrag erreichen, daß das nicht der Fall sein wird, sondern daß die Kosten überschaubar werden, und damit auch einen Beitrag zu stabiler Wirtschafts-und Finanzpolitik leisten.
Drittens. Viele Unsicherheiten liegen nach wie vor über den Kostenrechnungen, die uns für den Nahverkehr und im Blick auf die Folgekosten erreichen. Wir wissen, daß die Bundesregierung z. B. noch in ihrer Regierungserklärung hier Erwartungen geweckt hat, die noch heute in ihren Folgen unüberschaubar sind. Mancher hat sich darauf verlassen und weiß heute noch nicht einmal, wie er die Investitionskosten hereinbekommt. All das muß uns aber anregen, uns um diese solide Grundlage nachdrücklich zu bemühen, die wir mit unserem Antrag erreichen wollen; denn der öffentliche Nahverkehr ist sicherlich kein Experimentierfeld für unausgegorene Pläne. Er ist zu wichtig, als daß er unsolide behandelt werden dürfte.
Viertens. Wir wollen mit unserem Antrag auch einen Beitrag zur Bewältigung eines aktuellen Problems leisten, das in diesem Hause ansteht. Wir haben hier vor wenigen Wochen darüber gesprochen, daß wir Entscheidungen hinsichtlich der gemeinwirtschaftlichen Lasten beim öffentlichen Personennahverkehr treffen müssen. Wir haben im Ausschuß
die Beratungen darüber fortzuführen. Dies ist ein Problem, das die Fraktionen in diesem Hause seit langem beschäftigt hat. Wir wollen mit unserem Antrag helfen, daß wir auch für diesen Bereich, da die Frage der Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen Lasten nach wie vor eine sehr offene und umstrittene Frage ist, Hilfestellung bekommen, daß wir Orientierungsdaten bekommen. Keinesfalls geht es uns darum, mit diesem Antrag, der hier heute behandelt wird, etwa das Verfahren zu verzögern, sondern wir wollen endlich zu einer klaren Regelung bei den gemeinwirtschaftlichen Lasten kommen. Uns liegt alles daran, daß sowohl die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe als auch die Gemeinden und alle, die in diesem Bereich tätig sind und Verantwortung tragen, möglichst schnell wissen, woran sie sind. Dazu möchten wir mit unserem Antrag helfen, und das wird auch unsere Position bei der Beratung der vorliegenden Gesetzentwürfe und Anträge im Ausschuß sein.
Fünftens. Über den eigentlichen Zweck dieses Antrags hinaus, möglichst bald eine klare Aufstellung von der Bundesregierung zu bekommen, was uns die einzelnen Systeme im öffentlichen Nahverkehr kosten, wie wir uns einzustellen haben, auch bei den Investitionen, möchten wir mit diesem Antrag ein Zeichen setzen. Mehr denn je wird in unserer jetzigen politischen Situation deutlich, daß wir überall zu einer besseren Koordination politischer Sachinitiativen mit der Finanzplanung kommen müssen. Wir haben das heute morgen auch in der Raumordnungsdebatte hier diskutiert. Dabei müssen wir überall nicht nur die Investitionen, sondern auch die ständigen Folgekosten berücksichtigen. Auch bei dieser Gelegenheit möchte ich für meine Fraktion sagen: Jeder künftige Plan oder jede Gesetzesinitiative der Bundesregierung muß klar ausweisen, wie die geplanten Maßnahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden finanziert werden sollen. Andernfalls würden alle diese Initiativen nur Erwartungen wekken, die niemand erfüllen kann, und die Enttäuschung wäre letztlich um so größer.
Meine Damen und Herren, dieser Antrag und das, was wir mit ihm verfolgen, nämlich realistische Grundlagen für unsere künftige Politik zugunsten eines zukunftsorientierten öffentlichen Personennahverkehrs für unsere Bürger zu bekommen, soll ein wichtiger Beitrag für die Verkehrspolitik in diesem Hause sein. Er soll zugleich auch ein Beitrag zur Stabilitätspolitik und zu der notwendigen Koordination zwischen Sachinitiativen, Fachplanung und Finanzplanung sein, die uns dringend beschäftigen muß, wenn wir es mit einer stabilen Wirtschaftspolitik ernst nehmen wollen. In diesem Sinne bitten wir um Zustimmung, um Unterstützung für diesen Antrag auf einen Bericht für einen Überblick über die fortdauernden Kosten bei dem öffentlichen Personennahverkehr, und hoffen, daß wir mit der Vorlage dieses Berichts in die Lage versetzt werden, die Investitionspolitik für den Nahverkehr in den einzelnen Bereichen sicher und zukunftsorientiert vorzunehmen. Wir hoffen zugleich, daß wir den Nahverkehr auch in Zukunft im Interesse der Bürger so wirtschaftlich gestalten können, daß er wirklich
ein attraktives Angebot auf Dauer für unsere Bürger in Ballungsräumen, aber auch in ländlichen Gebieten bieten kann. Wir bitten um Unterstützung unseres Antrags.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wiefel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion möchte ich zu dein Antrag der CDU/CSU-Fraktion und seiner Begründung folgende Erklärung abgeben.
Es soll kein Zweifel daran bestehen, daß der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs in unseren Städten nach wie vor von vorrangiger Bedeutung ist. Wir sehen aber auch, daß mit einer gewissen Zwangsläufigkeit die Folgekosten steigen; das kann und soll hier nicht verschwiegen werden. Mein Kollege Wrede hat dies in der Verkehrsdebatte Anfang des Jahres unter Hinweis auf die Auseinandersetzungen über die Lastenverteilung zwischen dem Bund und den Ländern verdeutlicht, um die Länder etwas mehr in die Pflicht zu nehmen. Sein Argument: Der Trend dürfe sich nicht auf Kosten der Träger des öffentlichen Nahverkehrs - in der Regel also zu Lasten der Gemeinden - entwickeln. Diese Auffassung ist auch bei meinen Freunden und mir bis heute unstrittig.
Der Antrag der CDU/CSU, die Bundesregierung solle einen umfassenden Bericht über die Folgekosten des öffentlichen Personennahverkehrs erstellen, kann hei uns im Grundsatz Zustimmung finden.
Ich will mich nicht in Einzelheiten verlieren, weil es nach meiner Meinung Aufgabe des Verkehrsausschusses sein wird, wesentlich dazu beizutragen, daß der Auftrag, der hier an die Regierung ergeht, konkretisiert wird.
Dieser Bericht wird uns eine Hilfestellung für unsere künftige Arbeit und - wie ich hoffe - die Entwicklung neuer Konzeptionen bringen. Aber wir sollten uns darüber im klaren sein, daß wir hier mit Sicherheit keine Wunder erwarten dürfen. Die dahinterstehenden Probleme werden nur dann gelöst werden können, wenn wir selber einen solchen Folgekostenbericht als Anstoß zu neuen Überlegungen benutzen.
Wenn dies der Fall sein soll, dann muß der Auftrag an die Regierung noch exakter, als es in dem vorliegenden Antrag geschehen ist, formuliert werden. Wir müssen uns zum Beispiel im Ausschuß darüber unterhalten, was denn der Terminus „Folgekosten" überhaupt beinhaltet, Herr Kollege Waffenschmidt: ob wir hier nur die aus bestimmten Investitionen folgenden zusätzlichen Kosten erfassen lassen wollen oder auch die aus sonstigen verkehrspolitischen Maßnahmen - Beispiel: Gründung eines Verkehrsverbunds - entstehenden Kosten oder die in der künftigen Zeit ohnehin auf den öffentlichen Nahverkehr und damit auf die öffentlichen Hände zukommenden finanziellen Belastungen. Wir werden nach meiner Meinung auch zu klären haben,
ob wir hier nur die einzelwirtschaftlichen oder aber die gesamtwirtschaftlichen Kosten erfassen lassen wollen.
Wir müssen aber auch wissen, daß die Bundesregierung allein nur einen Teilbereich des öffentlichen Personennahverkehrs erfassen kann - als Beispiel sei hier die Deutsche Bundesbahn genannt, für die sie ja unmittelbar verantwortlich ist -, da der Bund in weiten Bereichen des öffentlichen Personennahverkehrs kein Planungs- und Initiativrecht für Investitionen hat, weil er nicht selbst investiert und auch nicht Unternehmer im öffentlichen Personennahverkehr ist.
Wir sind also darauf angewiesen, daß die Länder wie auch die Gemeinden bei der Erstellung dieses Berichts tatkräftig mitarbeiten. Ich gehe davon aus, daß das geschieht, da hier Belange von Ländern und Gemeinden erheblich berührt werden und auch sie ein Interesse daran haben müssen, daß in diesem Bereich klare Übersichten bestehen. Die steigenden Lasten im öffentlichen Personennahverkehr gerade in den letzten Jahren sollten die Opposition nicht zu der Klage veranlassen - Sie haben das allerdings hier nicht getan, Herr Kollege Waffenschmidt -, als hätten diese Regierung und die sozialliberale Koalition das zu vertreten, während doch draußen im Lande oft mehr und noch größeren Investitionen im öffentlichen Personennahverkehr, auch durch Sie, das Wort geredet wird. Sie haben, Herr Dr. Waffenschmidt, ein realistisches Konzept gefordert. Ich freue mich, daß Sie das auch in diesem Hause getan haben, da ja sehr oft auch durch Ihre Kollegen der U-Bahn-Bau kritisiert wird. Während man hier zuweilen so redet, verlangt man ab und an in den Wahlkreisen, die Verkehre nahezu vollständig zu untertunneln. Wir sind da womöglich mit Ihnen gemeinsam der Auffassung, daß wir möglichst kostensparende Lösungen suchen sollten. Wenn wir den öffentlichen Personennahverkehr attraktiver machen wollen, kommen wir zwangsläufig um Kosten-und Ausgabensteigerungen in gewissen Bereichen nicht herum. Oder besser gesagt: ohne Geld kann schließlich nichts geschehen. Die Träger des öffentlichen Personennahverkehrs sind hier überfordert. Die Bundesländer müssen daher aus ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit für die Gemeinden heraus eine gewisse Bereitschaft erklären, auch die finanziellen Konsequenzen tragen zu helfen.
Wir werden mit Interesse verfolgen, wie sich vor allem die Opposition im Ausschuß bei der Beratung der Gesetzentwürfe verhalten wird, die die Bundesländer verpflichten sollen, den Einnahmeausfall im Berufs- und Ausbildungsverkehr auszugleichen. Wir hoffen zuversichtlich mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß die bevorstehenden Ausschußberatungen zur sachlichen Klärung der hier noch anstehenden Fragen beitragen werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Frau Kollegin Dr. Timm! Meine Herren! Namens der FDP-Fraktion
darf ich zum vorliegenden Antrag der CDU/CSU folgende Erklärung abgeben. Die Forderung der Opposition, eine bundesweite Prognose der Folgekosten des öffentlichen Personennahverkehrs zu erstellen, ist zwar nicht neu, aber für die finanziellen Belange der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden von nach wie vor außerordentlicher Bedeutung.
Die Bundesregierung hat diese Bedeutung rechtzeitig erkannt. So wurde von einem beim Bundesverkehrsminister bestehenden Ausschuß des Bundes, der Länder, der kommunalen Spitzenverbände und der Verkehrsträger bereits im September 1973 ein Bericht abgeschlossen, der die Folgekosten, soweit man darunter die maßgeblichen Investitionen versteht, bis zum Jahr 1985 so erfaßt, wie es im Antrag der Opposition verlangt wird. Schon deshalb ist der im Antrag ausgesprochene Vorwurf, daß keinerlei quantifizierbare Erkenntnisse über die fortdauernden Kosten des öffentlichen Personennahverkehrs vorliegen, sicher nicht gerechtfertigt. Dennoch sollten die Entwicklung bisheriger und künftiger Infrastrukturinvestitionen und die daraus entstehenden Folgekosten für den öffentlichen Personennahverkehr auch nach Auffassung der Freien Demokraten noch eingehender untersucht und in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden.
Für die Beratungen im Verkehrsausschuß wird der vom Ministerium erarbeitete Bericht über das Ergebnis der Ermittlungen von Verkehrswegen, Fahrzeugen, Betriebshöfen und Werkstätten oder auch Ersatzinvestitionen für Omnibusse eine ebenso wertvolle Hilfe sein wie die in den Ländern Hessen und Nordrhein-Westfalen gemachten Erfahrungen durch die dort weit fortgeschrittenen Arbeiten der FDP-Länderminister zu diesem Problemkreis. Der geforderte Bericht wird ohnehin nur in enger Zusammenarbeit mit den Ländern und Gemeinden erstellt werden können, wobei die Aufbereitung der Prognosematerialien und die Erstellung der Prognose selbst ja auch erhebliche Kosten verursachen werden.
Die Zuständigkeit des Bundes bei der Ermittlung dieser Folgekosten im engeren betriebswirtschaftlichen Sinn beschränkt sich, wie der Kollege Wiefel ja schon richtig festgestellt und verdeutlicht hat, auf den Bereich von Bahn- und Postverkehr, während das Planungs- und Initiativrecht für Investitionen und auch das Auftreten als Investor sowie der Betrieb der erstellten Anlagen Sache der Länder und Gemeinden ist. Der Bund muß deshalb auch davon ausgehen können, daß bei den von Ländern und Gemeinden erarbeiteten und entschiedenen Planungen, die ja vom Bund dann nur zusammengefaßt und gefördert werden, auch die betriebswirtschaftlichen Folgekosten berücksichtigt sind, da diese Kosten bei Inbetriebnahme der Anlagen im Bereich der Länder anfallen und der Ausgleich von Fehlbeträgen, wenn wir einmal von Bahn und Post absehen, eben nicht Sache des Bundes ist.
Auf weitere Einzelheiten - etwa die Notwendigkeit einer präziseren Definition dessen, was Sie hier unter Folgekosten tatsächlich verstehen möchte ich jetzt nicht eingehen. Die Frage 4 des Oppositionsantrages ist für meine Fraktion von besonderer Bedeutung. In dieser Frage wird der Zwang zu wirtschaftlichem Handeln bei den Betrieben des öffentlichen Personennahverkehrs auch bei weiterem Anwachsen der Ausgleichsleistungen angesprochen. In diesem Zusammenhang, so meine ich, ist es geradezu grotesk, daß im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes, der dem Verkehrsausschuß zur Beratung vorliegt, das Bemühen um Wirtschaftlichkeit im öffentlichen Personennahverkehr völlig untergraben wird, weil Ausgleichszahlungen erst dann bewilligt werden sollen, wenn es den Verkehrsbetrieben „gelungen" ist, Defizite zu „erzielen". Wenn man die Verkehrsträger geradezu animiert, Verluste zu machen, wird jeglicher Zwang zu wirtschaftlichem Handeln unterlaufen. Die FDP wird sich dafür einsetzen, daß die wenigen im öffentlichen Personennahverkehr noch wirtschaftlich arbeitenden Unternehmen nicht auch noch bestraft werden.
Wegen der in Frage 5 angesprochenen Verminderung der Folgekosten durch Einsatz möglicher neuer Technologien im Personennahverkehr beantrage ich für meine Fraktion die Mitberatung im Ausschuß für Forschung und Technologie.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns von der hier geforderten Untersuchung insgesamt aber sicher nicht zuviel versprechen. Es wird nämlich auch in Zukunft so sein, daß weder der öffentliche Personennahverkehr noch der Individualverkehr allein die notwendigen Verkehrsleistungen erbringen kann. Nach Auffassung der FDP vermag nur eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen beiden Bereichen die anstehenden Probleme zu lösen. Hier wäre die Einschränkung des öffentlichen Personennahverkehrs auf Grund weitergehender Erkenntnisse über die Folgekosten tatsächlich ebenso fehl am Platze wie die Verteufelung des individuell genutzten Automobils. Investitionen des öffentlichen Nahverkehrs werden auch nach genauerer Kenntnis der Folgekosten eben nicht nur nach eigenwirtschaftlichen Maßstäben zu beurteilen sein, denn der öffentliche Personennahverkehr ist wegen seines raumsparenden und umweltfreundlichen Charakters immer noch am besten geeignet, große Verkehrsmengen zu bewältigen, eine geordnete Stadtentwicklung und den bestmöglichen Umweltschutz gleichzeitig zu ermöglichen. Insofern kann die geforderte Untersuchung nicht mehr, aber auch nicht weniger aufzeigen als die Größenordnung der auf die Verkehrsträger zukommenden finanziellen Belastungen.
Lassen Sie mich in diesem kleinen Kreis der hier verbliebenen Verkehrsexperten mit einer scherzhaften Bemerkung zu diesem finanzpolitisch ja so ernsten Problem schließen. Für den Verkehr im eigentlichen Sinne gilt das gleiche wie für den besonderen, den ehelichen: Mit den Investitionen allein - etwa bei der Hochzeit - ist es nicht getan. Die Folgekosten sind schwerer kalkulierbar und beinhalten immer ein gewisses Risiko.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes auf Drucksache 7/2460 dem Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen ferner vor, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Bericht über die fortdauernden Folgekosten des öffentlichen Personennahverkehrs auf Drucksache 7/2495 dem Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen - federführend - sowie dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Der Abgeordnete Hoffie hat jetzt beantragt, den Antrag zusätzlich zur Mitberatung dem Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen. Ich frage, ob sich dagegen Widerspruch erhebt.
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- Meine Damen und Herren, dann muß ich über den Antrag abstimmen lassen.
Wer dem Antrag des Herrn Abgeordneten Hoffie zustimmt, den Ausschuß für Forschung und Technologie mitberatend zu beteiligen, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, der Antrag ist abgelehnt. Es gilt dann der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 4 der heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Volksentscheide aufgrund der nach Artikel 29 Abs. 2 GG in den Ländern Rheinland-Pfalz und Niedersachsen zustande gekommenen Volksbegehren
- Drucksachen 7/2355, 7/2439 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/2571 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl
({2})
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses ({3})
- Drucksache 7/2549 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Miltner
({4})
Wird von den Herren Berichterstattern eine Ergänzung des Berichts gewünscht? - Die Herren Berichterstatter wünschen keine Ergänzung des Berichts.
Ich schlage vor, wenn keine Wortmeldungen vorliegen, daß wir in die zweite Beratung eintreten. Ich rufe §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, Einleitung und Überschrift in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - In der zweiten Beratung einstimmig beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Abgeordnete Spillecke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem dem Hohen Hause vorliegenden Gesetzentwurf darf ich für die SPD-Bundestagsfraktion folgende Erklärung abgeben:
Unsere Verfassung zeigt, daß die Väter des Grundgesetzes mit dem Institut des Volksbegehrens recht sparsam gewesen sind. Es ist müßig, darüber zu meditieren, ob nicht ein wenig mehr an Möglichkeiten für Initiativen der Bürger besser gewesen wäre. Nach 1945 wurden die Länder nach Besatzungsrecht gebildet. Der Parlamentarische Rat hat es auf Grund dieser Tatsache für notwendig erachtet, den Bürger zu fragen, ob er mit der von den. Besatzungsmächten verfügten Einteilung der Länder einverstanden sei. Die ersten Initiativen für Volksbegehren wären theoretisch bereits Ende Mai 1950 möglich gewesen, und zwar entsprechend Art. 29 Abs. 2 des Grundgesetzes. Die Alliierten suspendierten jedoch den Art. 29 insgesamt. Erst mit Inkrafttreten des Generalvertrages am 5. Mai 1955 kam der Art. 29 der Verfassung zum Tragen. Die Bürger wurden aktiv, und insgesamt sechs Volksbegehren erhielten die Zustimmung von mehr als 10 °/o der zu den Landtagen wahlberechtigten Bevölkerung.
({0})
Die Verfassung schreibt zwingend vor, daß nach erfolgreichen Volksbegehren ein Volksentscheid durchzuführen ist. Der Art. 29 in der alten Fasung kannte jedoch keine Frist. Die Bundesregierung hat auf Seite 5 der Drucksache 7/2355 sehr eindeutig begründet, warum von 1957 bis 1968 kein Volksentscheid herbeigeführt worden ist. In der Neufassung des Art. 29, geändert durch Gesetz vom 19. August 1969, wird in Abs. 2 sehr präzise vorgegeben, bis wann die Volksentscheide durchzuführen sind. 1970 fiel der Entscheid in Baden-Württemberg: „Die fünf anstehenden Volksentscheide müssen bis zum 31. März 1975 durchgeführt sein. Den Termin bestimmt der Bundesminister des Innern." Wir, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, gehen davon aus, daß bei der Festsetzung des Termins berücksichtigt wird, daß im März 1975 in Rheinland-Pfalz Wahlen sind und der Volksentscheid deshalb zeitlich hiervon abgegrenzt wird.
Je nach Ausgang der Volksentscheide kommt möglicherweise die Gesamtfrage der Neugliederung des Bundesgebietes auf uns zu. Dann wären die Parteien in der Tat in der Pflicht, den Generalauftrag in Art. 29 Abs. 1 des Grundgesetzes einer Lösung zuzuführen. Deshalb kommt den Volksentscheiden, meine Damen und Herren, eine beachtliche politische Bedeutung zu.
({1})
Wir überlassen den Bürgern der betreffenden Landesteile die Entscheidung. Die Fraktion stimmt dem
Gesetzentwurf mit den vom Innenausschuß angeführten Änderungen zu.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Miltner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Gesetz über die Volksentscheide in bestimmten Landesteilen von Rheinland-Pfalz und Niedersachsen zustimmen. Wir sind uns dabei im klaren, daß die bereits im Jahre 1956 in diesen Ländern zustande gekommenen Volksbegehren, die heute noch Grundlage der durchzuführenden Volksentscheide sein werden, so lange zeitlich zurückliegen, daß für viele, meist jüngere Bürger der Sachzusammenhang verlorengegangen ist. Dennoch ist der Verfassungsauftrag zu erfüllen. 1969 haben wir Art. 29 Abs. 2 geändert und dem Parlament eine Frist gesetzt für die Durchführung dieser Volksentscheide bis zum 31. März 1975. Heute ist die schnelle Verabschiedung dieses Gesetzes notwendig, damit für die tatsächliche Durchführung der Volksentscheide noch einige Monate Zeit zur Verfügung steht.
Der Grund, warum nach den Volksbegehren in den alten und in dem damaligen Umfang bestehenden Regierungsbezirken Koblenz, Trier, Montabaur, Rheinhessen, im Verwaltungsbezirk Oldenburg und im Landkreis Schaumburg-Lippe erst jetzt nach 18 Jahren die erforderlichen Volksentscheide folgen, liegt darin, daß die Frage der Neugliederung im ganzen Bundesgebiet bis heute offensteht und eine Vorwegnahme einer möglichen Änderung der Landeszugehörigkeit dieser Landesteile von Rheinland-Pfalz und Niedersachsen nicht sinnvoll erschien. In den vergangenen Jahren ist die Erkenntnis gewachsen, daß die Neugliederung des gesamten Bundesgebietes nicht in Teillösungen, sondern nur in einem Gesamtkonzept erreicht werden kann und soll. Die Vorlage von Neugliederungsgutachten hat die schwierige politische Entscheidung nicht ersetzt.
Als 1970 wiederum eine Kommission für die Erstattung eines Neugliederungsgutachtens bestellt wurde und später, am 20. Februar 1973, dieses Gutachten auch vorgelegt wurde, bestand - zumindest vereinzelt - die allzu optimistische Erwartung, die Bundesregierung könne bis 1975 mit einer Neugliederungskonzeption den noch zu erledigenden Volksentscheiden zuvorkommen oder sie wenigstens parallel vorantreiben. Daß dem nicht so ist, wissen wir heute, und wir sehen auch nicht ab, wann mit einer Neugliederung gerechnet werden kann. Das alte Lied von der Neugliederung ist zwar bis heute noch ein Evergreen geblieben, aber wir sollten uns nichts vormachen: auch dieser Evergreen hat schon an Anziehungskraft bei uns verloren. So fragt sich der Bürger, ob die Durchführung der Volksentscheide noch sinnvoll ist, wenn sie schon so lange aussteht, und er fragt sich: Hätte nicht noch weiter bis zur „großen Lösung" gewartet werden können?
Angesichts dieser Argumentation müssen wir draußen beim Bürger um Verständnis werben, daß
es bei diesem Gesetz und der nachfolgenden Durchführung der Volksentscheide um die Erfüllung eines demokratischen und rechtlich einwandfreien Volksbegehrens geht. Das Parlament kann sich diesem Verfassungsauftrag nicht entziehen, es muß ihn erfüllen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten erwartet, daß bei der Behandlung dieses Gesetzes die Bank des Bundesrates gefüllt wäre.
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- Völlig richtig. - Aber ich will noch betonen, daß der Bundesgesetzgeber im Vollzug dieses Gesetzes in absehbarer Zeit vor der Frage stehen könnte
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- z. B., warum denn nicht, selbstverständlich; gerade das Beispiel Niedersachsen will ich erwähnen -, bei einem entsprechenden Ausgang des Volksentscheides im Landkreis Schaumburg-Lippe gehalten zu sein, durch ein Gesetz zu entscheiden, ob dieser Landkreis ein Staat im Sinne unserer Nomenklatur und der Landrat dementsprechend ein Ministerpräsident werden soll. Dieser Verfassungsauftrag müßte uns in diesem Hause eigentlich dazu führen, uns einmal Rechenschaft über die Funktion des Föderalismus in unserer heutigen Gesellschaft und in unserem Staat abzulegen, zumal die Beschlüsse, die die Enquete-Kommission zur Verfassungsreform über die Funktionsabgrenzung zwischen Bund und Ländern gefaßt hat, Bedenken, schwere Bedenken provozieren müssen: ob sie uns nicht von der Einheitlichkeit, der Rechtseinheit in diesem Lande in einen Zustand zurückführen würde, der vor der Mitte des vergangenen Jahrhunderts liegt.
Diese Volksentscheide beruhen auf der Grundlage von Volksbegehren, die vor 18 Jahren abgehalten wurden als eine Korrektur der Tatsache, daß die Bundesländer - mit wenigen Ausnahmen - nicht in historischer Kontinuität entstanden sind, sondern von den Besatzungsmächten nach ihren Bedürfnissen geformt wurden.
Die Bevölkerung ist an der Neugliederungsdiskussion weitgehend desinteressiert, und zwar deswegen, weil es dem Bürger gleichgültig ist und gleichgültig sein kann, welchem Land er angehört, wenn die staatlichen Dienstleistungen seinen Erwartungen entsprechen,
({2})
wenn der Anspruch des Bürgers auf gleichwertige Lebensverhältnisse erfüllt ist. Die Neugliederungsdiskussion ist eine Diskussion der Amtsträger im Bund und in den Ländern, der Mandatsträger in den
Parlamenten und in den Parteien. Denn der Kern unserer Länder ist nicht mehr die Staatlichkeit im Sinne des vorigen Jahrhunderts, sondern ihre Funktionsfähigkeit im Rahmen der ihnen übertragenen oder überlassenen Aufgaben, und der Kern ist ihre Funktion im Rahmen der Bundesgesetzgebung.
Das Ernst-Gutachten über die Neugliederung des Bundesgebietes liegt vor. Es ist ausgezeichnet, es wird von allen Fachleuten gelobt und dementsprechend von den Betroffenen abgelehnt. Der einzige konkrete Gesetzentwurf, der in dieser Frage vorliegt, ist der unserer Fraktion über einen Zusammenschluß der Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Saar. Das ist ein Gesetzentwurf, der seinerzeit mit Zustimmung der Landtagsfraktionen erarbeitet worden war. Wir haben den Eindruck, daß sich die Diskussion über die Neugliederung in der Bundesrepublik im Kreise dreht und daß im Grunde genommen alle Argumente in dieser Frage erschöpft sind. Da wir gleichwohl in der Sache nicht weitergekommen sind, ist die Frage und der Zweifel berechtigt, ob das politische System der Bundesrepublik eine Neugliederung überhaupt möglich macht. Ich meine die Tatsache, daß die Parteien, die im Bund die Politik bestimmen, inzwischen in die verfassungsrechtlichen Stellen eingerückt sind, die ihrer ursprünglichen Funktion nach für föderale Gedankengänge geschaffen waren. Man muß sich fragen, ob die Neugliederung nicht eine gewaltige Kraftanstrengung von uns fordern würde und ob ihre Wirkung diese Kraftanstrengung rechtfertigen kann; denn im Grunde genommen bewirkt das nur eine wesentliche Erleichterung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern. Wir haben den Eindruck, daß die Frage der funktionellen Abgrenzung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern viel drängender ist; denn der jetzige Zustand ist unbefriedigend, und er führt zu zwei Konsequenzen. Er führt einmal dazu, daß immer neue Aufgabenbereiche in die schwer praktikable Kooperation der Länder hineingeraten. Diese ist deswegen schwer praktikabel, weil sie immer Einstimmigkeit der Länder voraussetzt und die Länderparlamente ausschaltet. Zweitens führt er dazu, daß immer neue Zuständigkeiten in die Bundeskompetenz übertragen werden, und drittens dazu, daß neue Zuständigkeiten in den sehr schwierigen Bereich der Gemeinschaftsaufgaben geraten.
Das zweite Symptom, das man sehen muß, ist das Hineingreifen der Bundespolitik in das Verhältnis der Länder untereinander. Das ist ein Hineingreifen in das föderale System. Das kam z. B. zum Ausdruck, als die Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktionen im vergangenen Jahr gedroht haben, Abiturienten aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen wegen der Rahmenrichtlinien in diesen Ländern nicht mehr zum Studium in diesen Ländern zuzulassen. Das ist eine Idee, die erörtert worden ist. Daran kann man erkennen, welche gewaltige Sprengkraft diese Entwicklung in unser föderales System hineinträgt. Man muß also prüfen, ob es nicht richtiger ist, statt einer Regionalreform unsere Kräfte mehr auf die Funktionalreform der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern zu konzentrieren, und zwar nicht zur Begrenzung, sondern zur Erhaltung des Föderalismus in diesem Lande, zu dem wir uns bekennen.
Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu, weil es einem Verfassungsauftrag entspricht, und wir hoffen, daß es zu der Erkenntnis beitragen möge, daß der Föderalismus in diesem Lande auf eine neue Grundlage gestellt werden muß.
({3})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe ! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ohne Gegenstimmen angenommen.
Ich komme zum zweiten Antrag des Ausschusses, die zu dem Gesetzentwurf eingegangene Petition und Eingaben für erledigt zu erklären. - Hierzu wird das Wort nicht gewünscht. Widerspruch erfolgt auch nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Sraßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals ({0})
- Drucksache 7/1641 Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({1})
- Drucksache 7/2540 Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Mahne, für seinen Bericht.
Ich rufe die Artikel 1, 2, 3 und 4, Einleitung und Überschrift auf und mache darauf aufmerksam, daß Art. 2 durch die Drucksache 7/2540 eine Neufassung erfahren hat. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich komme zu dem Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Schiffsvermessungsübereinkommen vom 23. Juni 1969
- Drucksache 7/2054 Vizepräsident Dr. Jaeger
Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({2})
- Drucksache 7/2542 Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dreyer, für seinen Bericht.
Ich rufe die Artikel 1, 2, 3, 3 a, 4, 5, 6 und 7 sowie Einleitung und Überschrift auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe den Punkt 7 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. September 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Sierra Leone über den Luftverkehr
- Drucksache 7/1973 Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({3})
- Drucksache 7/2543 Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Schmidt ({4}), für seinen Bericht.
Ich rufe die Artikel i und 2, Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird auch hier nicht begehrt. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe den Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 25. Oktober 1972 zu der am 17. Oktober 1868 in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschiffahrtsakte
- Drucksache 7/1485 Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({5})
- Drucksache 7/2545 Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dreyer, für seinen Bericht.
Ich rufe die Artikel 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Es ist so beschlossen.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe den Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 14. Januar 1974 zu dem Protokoll zu dem Europäischen Abkommen zum Schutz von Fernsehsendungen
- Drucksache 7/1976 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({6})
- Drucksache 7/2547 Ich danke den Berichterstattern, den Abgeordneten Sieglerschmidt und Alber, für ihren Bericht.
Ich rufe die Artikel 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platze zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen?
- Auch keine Enthaltungen. Ebenfalls einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Marktstrukturgesetzes
- Drucksache 7/2508 Auf Begründung wird verzichtet. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- federführend - und an den Haushaltsausschuß
- sowohl mitberatend als auch gemäß § 96 der Geschäftsordnung - vor. Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({7})
- Drucksache 7/2516
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Zur Begründung der Herr Bundesminister Maihofer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der Bundesregierung eingebrachte und Ihnen heute als Drucksache 7/2516 vorliegende Gesetzentwurf eines 28. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes befaßt sich in seinen wesentlichen Teilen mit der Hauptentschädigung für Vermögensschäden, die im Gebiet der heutigen DDR durch den Zweiten Weltkrieg und durch die dort herrschenden politischen Verhältnisse der Nachkriegszeit entstanden sind. Diese Hauptentschädigung wurde, wie Sie wissen, seither mehrfach angehoben, aber trotz mancher Ansätze und Versprechungen ist es bis 1969 nicht gelungen, die sogenannten Zonenschäden in diese Regelung einzubeziehen. Im Gegenteil: Als im Mai 1965 das Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz in Kraft trat, nach dem Vermögensschäden in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und im Sowjetsektor von Berlin erstmals festgestellt werden konnten und Beweise über solche Schäden durch ein besonderes Beweisverfahren gesichert werden sollten, wurde in § 2 dieses Gesetzes ausdrücklich festgelegt, daß das Feststellungs- und das besondere Beweisverfahren keinen Anspruch auf Entschädigung oder sonstige Leistungen begründen. Inwieweit auf Grund festgestellter Schäden Leistungen gewährt werden sollten, blieb ausdrücklich der weiteren Gesetzgebung vorbehalten. Diese Gesetzgebung ließ in den Folgejahren auf sich warten. Vielmehr führte der damalige Bundeskanzler Kiesinger in seiner Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 - die in diesem Zusammenhang durchaus wieder lesenswert ist - aus:
Die Gesetzgebung über die Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen sollte abgeschlossen werden. Die Finanzlage des Bundes beweist, daß wichtige Aufgaben der Zukunftsvorsorge sträflich vernachlässigt werden würden, wenn die kommenden Jahre durch neue Zahlungen für die Vergangenheit belastet würden. Auch die geltenden Regelungen müssen mit dem Ziel überprüft werden, die Ausgabeverpflichtungen mit der Einnahmeentwicklung des Bundes in Einklang zu bringen.
Soweit die Regierungserklärung 1966.
Gleichwohl konnte noch unter der Regierung der Großen Koalition mit der 21. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz vom 18. August 1969 erreicht werden, daß die Zonenschäden grundsätzlich in die Entschädigungsregelung der Hauptentschädigung einbezogen wurden. Wegen der begrenzten finanziellen Mittel mußten allerdings Einkommens- und Vermögensgrenzen als Voraussetzung für die Gewährung von Hauptentschädigung auf Grund von Zonenschäden sowie eine Begrenzung des Anspruchs auf einen Höchstbetrag von 50 000 DM vorgesehen werden.
Bereits ein Jahr nach Übernahme der Regierungsverantwortung durch die sozialliberale Koalition wurden dann mit der 23. Novelle vom 23. Dezember 1970 die Einkommens- und Vermögensgrenzen sowie die Begrenzung des Anspruchs auf einen Höchstbetrag aufgehoben. Die 23. Novelle beließ es jedoch wiederum aus finanziellen Erwägungen zunächst bei der negativen Regelung hinsichtlich des Entwurzelungszuschlags und bei dem späteren Zinsbeginn für die auf Zonenschäden beruhenden Grundbeträge der Hauptentschädigung.
Insgesamt konnten danach bisher rund 1,2 Milliarden DM Hauptentschädigung für Zonenschäden ausbezahlt werden.
In der Regierungserklärung von 1969 hatte die Bundesregierung versprochen, sich ihrer Verantwortung für die Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten bewußt zu bleiben, die notwendigen Maßnahmen zur Eingliederung zu vollenden und den Lastenausgleich und die Kriegsfolgengesetzgebung auch im Interesse der Flüchtlinge aus der DDR zu einem gerechten Abschluß zu bringen.
Nach zahlreichen Verbesserungen des Lastenausgleichs in der Zwischenzeit, die ich mir hier Ihnen noch einmal in Erinnerung zu rufen erspare, schlägt die Bundesregierung nunmehr in dem vorliegenden Entwurf einer 28. Novelle die notwendigen Maßnahmen zur rechtlichen Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge mit den Vertriebenen sowie zur Gleichbehandlung der in dem Gebiet der heutigen DDR entstandenen Vermögensschäden mit den Vertreibungsschäden und den Kriegssachschäden vor. Damit werden die bestehenden Unterschiede und die Benachteiligung der Zonengeschädigten nunmehr beseitigt. Die Bundesregierung sieht die von ihr vorgeschlagenen Änderungen des Lastenausgleichsgesetzes nicht unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Verbesserung der Ausgleichsleistungen, sondern als eine vom Gleichheitsgrundsatz der Verfassung her begründete zwingende Notwendigkeit, die im geltenden Recht noch bestehende unterschiedliche Behandlung einzelner Geschädigtengruppen endlich auszuräumen und damit den Lastenausgleich zu einem gerechten Abschluß zu bringen. Die aus diesem Anlaß entstehenden Mehraufwendungen müssen nach Auffassung der Bundesregierung hingenommen werden.
Die Bundesregierung hat im Bewußtsein ihrer Verantwortung für die durch den Krieg und seine Folgen besonders betroffenen Bevölkerungsteile die ihr bekanntgewordenen weiteren Forderungen und Wünsche zur Verbesserung des Lastenausgleichs ernsthaft geprüft. Soweit Kostenschätzungen überhaupt möglich waren, ist mit Sicherheit davon auszugehen, daß die Verwirklichung der zahlreichen Verbesserungswünsche insgesamt Mehraufwendungen von mehreren Milliarden DM erfordern würde. Eine Belastung der Steuerzahler mit diesen zusätzlichen Milliarden glaubt die Bundesregierung aber nicht vertreten zu können. Sie verkennt dabei nicht, daß auch im Lastenausgleich wie in allen übrigen Kriegsfolgenbereichen noch echte Härten vorliegen können.
Aber auch eine erneute Ausweitung dieser Gesetzgebung würde immer noch zahlreiche Härtefälle offenlassen müssen und in Grenzbereichen neue schaffen. Die Bundesregierung ist deshalb der Auffassung - damit schließe ich -, daß die GesetzBundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
gebung über den Lastenausgleich mit diesem Entwurf eines 28. Änderungsgesetzes zum Lastenausgleichsgesetz im Grundsatz als abgeschlossen betrachtet werden muß. Die finanzielle Leistungsfähigkeit unseres Volkes läßt keine andere Entscheidung zu.
({0})
Der Gesetzentwurf ist begründet. Wir treten in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr von Fircks.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur 28. Änderung des Lastenausgleichsgesetzes habe ich für die CDU/CSU-Fraktion eine Erklärung abzugeben. Lassen Sie mich zuvor folgendes zum Ausdruck bringen, Herr Minister. Da ich - wie seitens der Fraktionen vereinbart worden ist - hier eine Erklärung abzugeben habe, werde ich weder auf die polemischen Ausführungen, die Sie in bezug auf die Erklärung von Bundeskanzler Kiesinger machten, noch darauf, daß Sie sich damit scheinbar für die Entscheidungen innerhalb der Großen Koalition aus der Verantwortung ziehen wollen, und auch nicht auf die anderen Ausführungen, die Sie hinsichtlich des Abschlusses der Gesetzgebung machten, eingehen, sondern zu einem späteren Zeitpunkt bei der zweiten Beratung darauf zurückkommen.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es, daß sich die Bundesregierung zu der Vorlage dieses Gesetzentwurfes entschlossen hat, durch den, wie hier ausgeführt wurde, die Unterschiede beseitigt werden sollen, die bisher in der Behandlung der in Mitteldeutschland entstandenen Schäden einerseits und der Schäden in der Bundesrepublik und in den Vertreibungsgebieten andererseits bestehen. Nachdem der frühere Bundeskanzler der sozialliberalen Koalition in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 zugesagt hatte, den Lastenausgleich und die Kriegsfolgengesetzgebung auch zugunsten der Flüchtlinge aus Mitteldeutschland zu einem gerechten Abschluß zu bringen, kommt diese Vorlage freilich nicht nur mit sehr großer Verspätung - von 1969 bis 1974 -, sie beinhaltet in ihren materiellen Regelungen darüber hinaus auch nicht das, was versprochen wurde und was die Betroffenen erwarten durften. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Festlegung der verschiedenen Zeitpunkte für den Beginn der Verzinsung der Ansprüche auf Hauptentschädigung und bezüglich der Voraussetzungen für die Gewährung des 10%igen Entwurzelungszuschlages, durch den nach diesem Gesetzentwurf jetzt nicht einmal eine Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge untereinander erfolgen würde. Zu diesem Problem werden wir bei den kommenden Ausschußberatungen noch im einzelnen Stellung nehmen und die notwendigen Verbesserungen vorschlagen.
Wir können heute mit Genugtuung feststellen, daß die Bundesregierung mit ihrer jetzigen Vorlage - jedenfalls im Kern - diejenigen Vorschläge aufgreift, die von der CDU/CSU-Fraktion bereits im
Jahre 1970 im Rahmen der Beratung der 23. Lastenausgleichsnovelle gemacht worden sind. Diese Anträge waren damals von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen mit der Begründung abgelehnt worden, die Opposition fordere aus Gründen vordergründiger Wahlpolitik ohne die gebotene Rücksicht und Verantwortung für die finanzielle Solidität der Ausgaben des Ausgleichsfonds höhere Aufwendungen, als eine Regierung verantworten könne.
Jetzt - bei der Beratung des vorliegenden Regierungsentwurfs, der den Bundeshaushalt letztlich mit rund 1,3 Milliarden DM belasten wird - liegt nicht nur ein Beweis dafür vor, daß die Haltung der Bundesregierung im Vergleich von damals und heute inkonsequent ist, sondern im Grunde genommen auch ein Indiz für eine Konzeptionslosigkeit. Wir registrieren ja in diesem Hohen Hause zunehmend, daß die Bundesregierung im Vertrauen auf die Vergeßlichkeit der Bevölkerung ursprüngliche Alternativen der Opposition später übernimmt und sie als Initiativen der Regierung darstellt. Oder - so muß man sich jetzt fragen, nach dem, was uns damals vorgeworfen wurde - liegt die Logik und die Konsequenz darin, daß jetzt zwei Landtagswahlen vor der Tür stehen?
({0})
- Sie sagen „was"! In unseren damaligen Anträgen hatten wir vorgeschlagen, den Geschädigten einen Rechtsanspruch auf volle Entschädigungsleistungen zuzuerkennen, aber die Erfüllung dieser Ansprüche im Rahmen eines Stufenplans unter Berücksichtigung der Liquiditätslage des Ausgleichsfonds und nach sozialen Gesichtspunkten zu regeln. Wir glaubten im Jahre 1970, also 25 Jahre nach Kriegsende, eine Regelung treffen zu sollen, die eine Lösung des gesamten Problems beinhaltet und nicht zwangsläufig, wie es sich jetzt ja zeigt, den Keim für neue Novellen in sich trägt.
Nicht zuletzt haben wir damals darauf hingewiesen, daß es auch aus Gründen der Verwaltungsökonomie, für die Sie ja vielleicht mehr Verständnis haben werden, Herr Professor Schäfer, besser sei, eine solche umfassende Regelung schon zum Zeitpunkt des Beginns der Entschädigungszahlungen zu verabschieden. Durch die zwischenzeitliche Entwicklung sind unsere damaligen Argumente, so glaube ich, wirklich voll bestätigt worden, denn für die durchführende und, wie wir alle wissen, in zunehmendem Maße schwächer werdende Ausgleichsverwaltung entsteht jetzt in allen bereits zwischenzeitlich abgeschlossenen Fällen, also fast in einem Drittel aller Fälle, vermeidbar gewesene Doppelarbeit. 200 000 Akten müssen neu - zum zweitenmal - herausgeholt und bearbeitet werden.
Zusätzlich müssen die Anspruchsberechtigten heute einen Inflationsverlust in Höhe eines Drittels des Gesamtwerts der zusätzlichen Ansprüche auf Grund dieser Novelle in Kauf nehmen. Damit stellt aber diese von der Bundesregierung erst jetzt vorgeschlagene Neuregelung, die den Betroffenen im Durchschnitt aller Fälle einen zusätzlichen Zinsanspruch von rund 30 °/o bringt, im Ergebnis nur
eine sehr geringe Leistungsverbesserung - im wesentlichen nur einen Inflationsausgleich - dar. Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung ist, weil zu spät und unvollständig, nichts, so meine ich, worauf sie stolz sein kann, und schon gar nicht etwas, was sie als einen Meilenstein ihrer Reformpolitik darstellen könnte.
Wenn die Bundesregierung darüber hinaus jetzt - und wir haben es heute wieder gehört - den, ich kann es nicht anders sagen, Zynismus besitzt, in der Begründung dieses unvollständigen Entwurfs zu erklären, sie betrachte damit die Gesetzgebung für den Lastenausgleich als abgeschlossen, so erklärt die CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich, daß sie es nicht zulassen wird, daß das von ihr 1953 begonnene Werk der Eingliederung und Alterssicherung einer Millionenzahl von Geschädigten und des Ausgleichs der Kriegsfolgen abrupt und unter Zeitdruck beendet und damit zu einem Torso wird.
Die CDU/CSU-Fraktion verkennt nicht, daß angesichts des gewaltigen Ausmaßes der durch den Krieg und seine Folgen verursachten Schäden und Verluste sowie angesichts der Notwendigkeit, zahlreiche andere wichtige staatliche Aufgaben der Gegenwarts- und Zukunftssicherung zu erfüllen, eine absolute und das letzte Problem lösende Abschlußgesetzgebung auch im Bereich des Lastenausgleichs leider nicht zu erreichen sein wird. Sie ist jedoch der Auffassung, daß die im Lastenausgleich und in der übrigen Kriegsfolgegesetzgebung noch immer sichtbaren und für die Betroffenen spürbaren Härten und Ungerechtigkeiten in einem zeitlich angemessenen Rahmen und vielleicht auch mit unterschiedlichen Methoden beseitigt oder zumindest gemildert werden müssen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Regelungen über die Altersversorgung der ehemals Selbständigen, für die geltenden Stichtagsbestimmungen und für die Leistungen zum Ausgleich der Vermögensschäden.
Sozialpolitische Notwendigkeiten sind zwar stets auch in unmittelbarem Zusammenhang mit den wirtschaftspolitischen Gegebenheiten und finanzpolitischen Möglichkeiten zu sehen. Aber es kommt darauf an, Verantwortung, Mut und Verständnis zu haben, wenn es gilt, Prioritäten zu setzen. Eine hohe Priorität, so meine ich, muß der Gewißheit auf Gerechtigkeit gegenüber allen Bürgern in einem demokratischen Staat eingeräumt werden. Den rund 10 Millionen Vertriebenen und den über 3 Millionen Flüchtlingen ebenso wie den übrigen von der Kriegsfolgegesetzgebung Betroffenen in diesem Lande, die sowohl am wirtschaftlichen Aufbau unseres Staates als auch an seiner rechtlichen und sozialen Ordnung einen nicht unerheblichen Anteil haben, kann in der Rangordnung der zu bewältigenden Aufgaben nicht immer wieder der letzte Platz zugewiesen werden. Ihre Eingliederung muß zu einem zumutbaren und von ihnen als gerecht empfundenen Abschluß gebracht werden, damit das soziale Gefüge der Bundesrepublik und deren Glaubwürdigkeit als sozialer Rechtsstaat keinen Schaden nimmt.
Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt daher die Vorschläge des Bundesrates in dem von ihm am 19. Oktober 1973 beschlossenen Gesetzentwurf für
eine 27. Lastenausgleichsnovelle, mit der unter anderem die besonders dringenden Probleme der Stichtage und der südosteuropäischen ehemaligen deutschen Wehrmachtsangehörigen gelöst werden sollen. Die CDU/CSU fordert ihrerseits die gleichzeitige Beratung und Verabschiedung der 27. Lastenausgleichsnovelle des Bundesrates mit dieser Regierungsvorlage. Die CDU/CSU-Fraktion teilt darüber hinaus die Auffassung des Bundesrates in dessen Stellungnahme zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung, daß eingehend zu prüfen ist, welche weiteren Leistungsverbesserungen des Lastenausgleichs erforderlich sind. So ist z. B. die Mittelbereitstellung für die Aufbaudarlehen zur Fortführung der Schaffung von Voll- und Nebenerwerbsbetrieben in der Landwirtschaft eine ganz dringende Frage geworden.
Die Fraktion der CDU/CSU stimmt im übrigen den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrates zur Drucksache 7/2516 zu.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hofmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst einige Sätze dazu sagen, was Herr von Fircks als Polemik meinte auslegen zu müssen. Ich glaube nicht, daß Herr Bundesminister Maihofer hier polemisiert hat, als er die Regierungserklärung vom damaligen Kanzler Kiesinger zitierte. Ich kann Ihnen einige Zitate nicht ersparen, die in die gleiche Richtung gehen. Ich bitte Sie, das nicht als Polemik zu nehmen, sondern als Darstellung Ihrer damaligen Haltung; denn Sie waren zu dem Zeitpunkt mit uns schon ziemlich einig. Da heißt es nämlich im Bonner Almanach 1969 vom damaligen Bundesvertriebenenminister von Hassel:
Die Bundesregierung muß also vor allem anderen die Staatsfinanzen in Ordnung halten. Dabei dürfen auch die Investitionen für die Zukunft nicht vernachlässigt werden. Sie muß also das Ganze vor die Einzelinteressen setzen, und dies gerade zum Nutzen auch der Einzelinteressen. Die Bundesregierung weiß sich damit im Grundsatz auch mit den Geschädigten einig.
Das ist das eine Zitat.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein zweites Zitat verlesen. Die CDU/CSU brachte im Innenausschuß am 27. März 1974 eine Entschließung ein, in der es heißt: „daß fast 30 Jahre nach Kriegsende die Regelung in diesem Gesetzgebungsbereich grundsätzlich abgeschlossen werden sollte und daß eine erhebliche Ausweitung und Belastung der öffentlichen Haushalte durch diese Gesetzgebung nicht mehr erfolgen darf". Damit, so glaube ich, sind wir uns im großen und ganzen einig gewesen. Es wird lediglich der Begriff „erhebliche Ausweitung" noch zu diskutieren sein.
Meine Damen und Herren, ich darf im Namen meiner Fraktion folgende Erklärung abgeben: Mit der von der Bundesregierung eingebrachten 28. No-
velle zum Lastenausgleichsgesetz soll ein Kapitel beendet werden, das mit der Geschichte der Deutschen nach 1945 zusammenhängt. Die totale Umgestaltung des politischen, gesellschaftlichen und sozialen Lebens in Mitteldeutschland und Ost-Berlin sowie in der späteren DDR führte dazu, daß 3,7 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen mußten, um im Westen und bei uns den Versuch zu unternehmen, hier wieder Fuß zu fassen. Dieses Schicksal traf alle Bevölkerungsgruppen: Arbeiter, Angestellte und Beamte, selbständige Gewerbetreibende und Bauern, junge und alte Menschen.
Die Ursachen dieser Opfersituation sind die militärische Niederlage Deutschlands oder weiter noch die Fehler und Verfehlungen der Politik Hitlers. Heimatvertriebene, Mitteldeutsche und einheimische Kriegssachgeschädigte wurden in gleicher Weise Opfer dieser Ursachen. Auch daraus folgt der Auftrag des Art. 20 des Grundgesetzes für die praktische Politik, einen sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen; das heißt an Hand dieses Gesetzentwurfes: gleiches Recht für Vertriebene und Flüchtlinge zu schaffen.
Seit dem Inkrafttreten des LAG am 14. August 1952 sind 22 Jahre vergangen. Ich darf es vorwegnehmen: So lange warten die Geschädigten aus der DDR auf ihre Gleichstellung mit den übrigen Geschädigtengruppen. Ich möchte an dieser Stelle namens meiner Fraktion für die unendliche Geduld sehr herzlich danken, die die Flüchtlinge in der Bundesrepublik gezeigt haben. Ihre Haltung zeigt eine staatspolitische Einsicht in das Machbare, die kaum ihresgleichen findet und an der sich mancher in diesem Land ein Beispiel nehmen könnte.
Ich darf zurückkommen auf das Jahr 1952 und die Beratungen um das Lastenausgleichsgesetz. Anläßlich der dritten Beratung des LAG hat die Fraktion der SPD am 16. Mai 1952 einen Entschließungsantrag - Umdruck I/561 - dem Plenum vorgelegt, den ich wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung noch einmal in unser aller Gedächtnis zurückrufen möchte. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:
Da die deutschen Staatsbürger, die ihre Wohn-und Arbeitsstätten in der sowjetisch besetzten Zone und in Ost-Berlin wegen der mit den dort herrschenden Zuständen vorhandenen Gefahren für Leib und Leben oder die persönliche Freiheit verlassen mußten, im Gesetz über den allgemeinen Lastenausgleich nicht berücksichtigt werden konnten, wird die Bundesregierung ersucht, dem Bundestag baldigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Flüchtlingen aus der Sowjetzone, die in der Bundesrepublik oder in West-Berlin Aufnahme gefunden haben, Leistungen gewährt, die unter Berücksichtigung der besonderen Lage dieser Flüchtlinge den Leistungen des LAG entsprechen.
Laut Protokoll der 213. Sitzung von 16. Mai 1952 wurde diese Entschließung mit nur wenigen Gegenstimmen angenommen. Dabei blieb es. Keine der christlich-demokratischen und christlich-sozialen Parteien oder Fraktionen oder von ihr geführten Bundesregierungen hat nachher auch nur den Versuch
unternommen, diesen Auftrag des Deutschen Bundestages zu verwirklichen.
Die SPD-Fraktion hat - nach dem Bau der Mauer in Berlin - am 29. Oktober 1962 einen Entwurf für ein allumfassendes Flüchtlingsgesetz vorgelegt. Er umfaßte von einer verbesserten und vereinfachten Notaufnahme bis hin zur Leistungsgewährung für erlittene Vermögensschäden in der DDR alles, was der Entschließungsantrag vom 16. Mai 1952 wollte. Wäre dieser Entwurf vor zehn oder elf Jahren Gesetz geworden, hätten die Vermögensgeschädigten einschließlich der Sparer schon lange ihre Entschädigung. Die Ausgleichsverwaltung hätte ein großes Problem erledigt, mit dem sie sich jetzt nach Jahren erneut abplagen muß. Dieser Gesetzentwurf wurde von der damaligen Mehrheit im Bundestag abgelehnt.
Statt dessen kamen 1965 zwei unzureichende Gesetze. Eines - das Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz - ermöglicht nur die „Anmeldung von Schäden in der DDR", beinhaltet aber keine Leistungen. Das zweite Gesetz nannte sich „Flüchtlingshilfegesetz". Wer damals schon etwas davon verstand, sagte: „Flüchtlingshilfe - eine Seifenblase". Es brachte kaum Hilfe, wie die heutigen Statistiken des Bundesausgleichsamts zeigen. Zum Anlaufen des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes brauchte man geschlagene vier Jahre, um die Verwaltungs-, Auskunftsstellen usw. aufzubauen und erste Durchführungsbestimmungen herauszugeben.
Durch die Große Koalition wurde dann ein weiterer Schritt mit der 21. LAG-Novelle vollzogen. Herr Strauß war damals Bundesfinanzminister. Wenn er heute von der guten Finanzlage im Jahre 1969 spricht, dann müssen wir uns fragen, warum er in den entscheidenen Beratungen im Jahre 1969 seinen Beamten die eindeutige Anordnung gegeben hat, daß es beim „Fürsorgecharakter" in den Entschädigungsleistungen verbleiben müsse. Es durfte nach der 21. LAG-Novelle die Hauptentschädigung an die Mitteldeutschen nur gezahlt werden, wenn unter anderem gewisse Einkommensgrenzen nicht überschritten wurden.
Die sozialliberale Koalition hat bereits zwei Monate nach der Bildung der neuen Bundesregierung Beratungen aufgenommen, um endlich den Beschluß vom 16. Mai 1952 zu verwirklichen. Die 23. LAG-Novelle brachte dann für alle Vermögensgeschädigten die volle Hauptentschädigung, wie sie den Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten gewährt wurde. Wir brauchten nicht nochmals vier Jahre bis zum Anlaufen der Entschädigung. Von 1971 bis zum 30. Juni 1974 wurden bereits über 1,2 Milliarden DM an die Geschädigten ausgezahlt. Im guten Einvernehmen zwischen unserer Fraktion und dem Bund der Mitteldeutschen und dem Bundesausgleichsamt wurden Vereinfachungs- und Verbesserungsrichtlinien herausgegeben, die die Arbeiten der örtlichen Verwaltung erleichterten und damit dem Bürger direkt halfen.
Aus volkswirtschaftlichen und finanzpolitischen Erwägungen war es bei der 23. LAG-Novelle noch nicht möglich, neben der vollen Hauptentschädigung
sofort die Angleichung an die Verzinsung der übrigen Geschädigten vorzunehmen und den Entwurzelungszuschlag zu zahlen. Dieser Schritt soll jetzt mit dem Gesetzentwurf einer 28. Novelle zum LAG vollzogen werden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt diesen Gesetzentwurf aus ihrer inneren Einstellung zum sozialen Rechtsstaat und sieht hierin die Verwirklichung der Entschließung vom 16. Mai 1952.
Meine Damen und Herren, der Bundesminister des Innern ist bereits auf den Inhalt des Gesetzentwurfs eingegangen. Ich darf nur die beiden Hauptpunkte herausnehmen. Es geht um die Verzinsung der Ansprüche auf Hauptentschädigung, um die sogenannte Frühverzinsung, und es geht um den Entwurzelungszuschlag.
Meine Damen und Herren, 28 Lastenausgleichsnovellen sind im Deutschen Bundestag behandelt und verabschiedet worden, unzählige Rechtsverordnungen, Weisungen und Durchführungsbestimmungen mußten Wirklichkeit werden, um einen Ausgleich und einen Aufbau zu schaffen, die in der deutschen Geschichte nicht ihresgleichen haben. 15 Millionen Schicksale hingen und hängen an diesem Sonderwerk, für das dieses Parlament verantwortlich gezeichnet hat. All das war nur möglich, weil die Wirtschaftskraft in der Bundesrepublik dies gestattete. Der deutsche Steuerzahler hat diese 28 Lastenausgleichsnovellen ermöglicht, auch das soll und muß hier dankbar erwähnt werden, abgesehen von vielen, vielen anderen Kriegsfolgelasten, die aufzuzählen den Rahmen meiner Erklärung
) sprengen würde.
Der Bundeskanzler hat dazu in seiner Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 folgendes ausgeführt -und ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren -:
Mit der von der Bundesregierung eingebrachten 28. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz, die zur Zeit beraten wird, um eventuellen geringfügigen Korrekturen, die mit der Geschichte der Deutschen notwendigerweise zusammenhängen, betrachtet die Bundesregierung den Komplex dieser Kriegsfolgelast, d. h. insbesondere Kriegsgefangenenentschädigung, Lastenausgleich, Wiedergutmachung und Gesetz zu Artikel 131, als abgeschlossen.
Die Bundesrepublik Deutschland, d. h. die Steuerzahler der Bundesrepublik haben in den vergangenen Jahren 220 Milliarden DM aufgebracht, und sie werden nach dem geltenden Recht in der Zukunft noch einmal 174 Milliarden DM für diese Kriegsfolgelast aufbringen müssen. Darüber hinaus sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit mehr, noch weitere Belastungen auf die Steuerzahler zu wälzen.
Die Bundesregierung weiß dabei, daß eine voll befriedigende Regelung all der vielen Entschädigungen, die man sich wünschen möchte, nicht zu erreichen ist. Dazu reicht eben die steuerliche Leistungsfähigkeit dieses Volkes nicht aus. Jetzt müssen die in der Zukunft liegenden
Aufgaben den Vorrang bekommen. Auch deren Erfüllung dient den Geschädigten.
Meine Damen und Herren, auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wünscht aus den von der Bundesregierung dargelegten Gründen einen generellen Abschluß der Kriegsfolgegesetzgebung. Wir werden aber gleichzeitig in den kommenden Beratungen eingehend prüfen, wo Korrekturen unbedingt angebracht erscheinen, „die", wie der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 17. Mai 1974 ausgeführt hat, „mit der Geschichte der Deutschen notwendigerweise zusammenhängen".
Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf in die Ausschüsse zu überweisen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen ausgezeichneten Ausführungen meines verehrten Herrn Vorredners habe ich an sich nicht die Absicht, das Protokoll um eine weitere Rede zu verlängern. Ich möchte nur bestätigen, daß wir diese Meinungen, die hier vorgetragen worden sind, in vollem Umfang teilen und unterstreichen.
Wir begrüßen, daß endlich die Ungleichheit zwichen den Personen, die Vermögensschäden in der DDR erlitten haben, und den Heimatvertriebenen beseitigt wird. Diese Ungleichheit wird in dieser Novelle dadurch beseitigt, daß der Zeitpunkt des Zinszuschlages angeglichen wird und der Entwurzelungszuschlag von 10 % auch für Flüchtlinge aus der DDR gewährt wird. Dies ist aber nicht der eigentliche Streit- und Diskussionspunkt in diesem Hause.
Strittig ist vielmehr die Erklärung der Bundesregierung, daß die Kriegsfolgengesetzgebung mit dieser Novelle praktisch zu einem Abschluß gekommen ist. Die finanziellen Leistungen, die in diesem Zusammenhang bisher erbracht worden sind - sie sind eben noch einmal mit 220 Milliarden DM beziffert worden - und die auf Grund bereits bestehender Verpflichtungen noch erbracht werden müssen - 174 Milliarden DM -, sind eine ungeheure finanzielle Last - insgesamt werden 400 Milliarden DM aufgebracht -, die auch von den zukünftigen Steuerzahlern zu tragen ist.
Ich glaube, es entspricht unserer Verantwortung - wenn wir schon erkennen, daß Härten niemals voll auszugleichen sind, daß immer neue Härten entstehen, wo auch immer man eine Grenze zieht - und es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, zu sagen: Wir wollen die Leistungen der Steuerzahler dazu verwenden, um unsere gemeinsame Zukunft besser zu gestalten. Ich meine, wir sollten uns davor hüten, Illusionen zu wecken oder weiterhin zu nähren, die wir nicht erfüllen können.
({0})
- Herr von Fircks, ich bin am Ende meiner Ausführungen.
({1})
Der Herr Redner ist am Ende seiner Ausführungen. Er braucht keine Frage zuzulassen.
Herr von Fircks, vielleicht tröstet Sie der Gedanke, daß wir im Ausschuß ja noch reichlich Gelegenheit haben, Ihre Vorstellungen dazu zu hören und dann gemeinsam darüber zu beraten. Ich bin natürlich bereit dazu. Ich bin nicht dazu bereit, hier Propagandaerklärungen zu einem Gebiet abzugeben, das ernsthaft genug ist.
Wir sollten keine Illusionen nähren, die wir nicht erfüllen können. Darum ist es notwendig, zu erklären, daß die Kriegsfolgengesetzgebung angesichts unserer Leistungsfähigkeit nun tatsächlich zu einem Ende kommen muß.
Wir stimmen den Überweisungsvorschlägen des Altestenrates zu.
({0})
Wünscht jemand das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag dem Innenausschuß und gemäß § 96 der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Punkt 13 der Tagesordnung ist abgesetzt. Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Löher, Frau Dr. Wolf, Hussing, Müller ({0}), Dr. Götz und der Fraktion der CDU/ CSU
betr. Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer
- Drucksache 7/2469
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Innenausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Zur Begründung hat der Abgeordnete Löher das Wort.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Zur Begründung des zur Beratung stehenden Antrags der CDU/CSU-Fraktion darf ich folgendes ausführen: Während der Haushaltsberatung in der vergangenen Woche haben unter anderem sowohl der Bundeswirtschaftsminister als auch der Bundesarbeitsminister die Zahl von 2,5 Millionen ausländischen Arbeitnehmern genannt, um dadurch die von der CDU/CSU-Fraktion als besorgniserregend festgestellte Arbeitslosenziffer von rund 500 000 zu verharmlosen. Vermutlich sollte dem deutschen Arbeitnehmer suggeriert werden, man könne das Problem der wachsenden Arbeitslosigkeit verhältnismäßig leicht dadurch lösen, indem man seine ausländischen Kollegen, wenn erforderlich, einfach nach Hause schickt.
Wenn schon dieser Hinweis deutlich macht, wie dringend notwendig es ist, daß sich dieses Hohe Haus einmal wieder mit der Situation der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt und deren Problematik diskutiert, so meine ich, meine Damen und Herren, dürfte der Antrag der CDU/CSU dazu dienlich sein. Gleichzeitig soll unser Antrag das lassen Sie mich hier feststellen - die Anforderungen benennen, die wir an die Bundesregierung stellen, damit für diesen Personenkreis eine Lösung erarbeitet wird, die sowohl den deutschen Interessen als auch den sozialen Bedürfnissen unserer ausländischen Arbeitnehmer entspricht.
Ich kann es mir sicherlich ersparen, die zehn Punkte unseres Antrages im Rahmen einer Begründung, die ich hier zu geben habe, näher zu erläutern. Ich möchte Sie nur an das erinnern, was der Bundesarbeitsminister am 6. Juni 1973 hier an dieser Stelle festgestellt hat, als er die Leitlinien der Bundesregierung zur Ausländerbeschäftigung emphatisch verkündete. Daraus war doch zu entnehmen, daß diese Leitlinien oder, wie sie an anderer Stelle etwas anspruchsvoll genannt werden, daß dieses Aktionsprogramm den Anfang eines Gesamtkonzeptes zur Ausländerbeschäftigung und zur Ausländerpolitik sein soll.
In der Zwischenzeit sind mehr als 15 Monate vergangen, ohne daß irgendwelche Aktionen der Bundesregierung zur Lösung dieses menschlichen Problems festzustellen waren, bis auf den verfügten Anwerbestopp auf Grund der Energiekrise Ende des vergangenen Jahres, ein Anwerbestopp, der sicherlich kurzfristig richtig war, der aber langfristig flankierende Maßnahmen erforderlich macht. Wir möchten wissen, welche Zusammenhänge die Bundesregierung sieht a) zwischen einer sinkenden Geburtenrate bei deutschen Familien - jede sechste Geburt entstammt schon heute im Bundesdurchschnitt einer ausländischen Familie; in den industriellen Ballungsräumen sieht es noch ungünstiger aus - und b) zwischen einer durch Verkürzung der Arbeitszeit, durch Verlängerung der Ausbildungszeit usw. sinkenden Erwerbsquote mit der möglichen Folge einer Abnahme des wirtschaftlichen Wachstum und der Notwendigkeit einer gesicherten Finanzierung der Sozialversicherung. Die Bundesregierung muß doch sagen können, welche Alternativen bei dem Komplex Ausländerbeschäftigung überhaupt denkbar sind. Sie müßte doch z. B. darüber Auskunft geben, was es denn tatsächlich kostet, wenn rund 500 000 ausländische Arbeitnehmer in die Herkunftsländer - ich meine selbstverständlich damit die Länder außerhalb der Europäischen Gemeinschaft - zurückgeschickt werden, um ihren deutschen Kollegen wieder Arbeitsmöglichkeiten zu verschaffen.
Meine Damen und Herren, wenn das auch für den Kenner dieses Problems bloße Theorie ist, was die Austauschmöglichkeit auf dem Arbeitsmarkt angeht, so sind das aber doch Fragen, die Mitglieder
dieser Bundesregierung selbst aufgeworfen haben, wenn sie die Arbeitslosenzahl mit der Zahl der bei uns beschäftigten Ausländer in Beziehung setzen. Wenn aber die Bundesregierung schon suggeriert, daß die Zahl der deutschen Arbeitslosen mit der Zahl der ausländischen Arbeitnehmer kompensiert werden kann, dann interessiert es uns zu wissen, auf welche Weise sie das bei der fehlenden Mobilität eines großen Teils der deutschen Arbeitslosen realisieren will.
Wir möchten gern, daß uns auch mitgeteilt wird, wie sich die Bundesregierung zu der sogenannten stillen Anwerbung von Ausländern verhält. Wir meinen damit die jugendlichen Ausländer, die die Schule bei uns hinter sich gebracht haben und die nunmehr bei uns auch einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz suchen. Was geschieht denn mit den Kindern der ausländischen Arbeitnehmer, deren Verbleiben bei uns in der Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich ist? Uns interessiert auch, von der Bundesregierung zu erfahren, ob sie sich überhaupt in der Lage sieht, gegebenenfalls die am 6. Juni 1973 in Aussicht gestellte Lösung der Ausländerfrage in den industriellen Ballungsräumen zu verwirklichen. Wie hoch sind die Kosten für eine solche Entzerrung? Schließlich hat auch der deutsche Bürger das Recht zu erfahren, was die soziale Infrastruktur eines deutschen Arbeitsplatzes im Vergleich zu dem eines ausländischen Arbeitnehmers kostet.
Diese Fragen, die sich durch die Problematik der Ausländerbeschäftigung bei uns stellen und die ich hier nur exemplarisch aufgezählt habe, zeigen das Ziel unseres Antrages an, nämlich die Bundesregierung aufzufordern, statt in Einzelbereichen optische Kosmetik vorzunehmen - ich erinnere an die Erhöhung der Anwerbepauschale, ich erinnere auch an die Ankündigung, für illegale Beschäftigung von Ausländern eine Mindestfreiheitsstrafe zu erwirken -, ein Gesamtkonzept zu erstellen, das sowohl der Ausländerbeschäftigung als auch der Ausländerpolitik dient. Dieses Gesamtkonzept ist dringend erforderlich, damit auch der ausländische Arbeitnehmer in die Lage versetzt wird, seine persönliche und seine berufliche Zukunft, aber auch die seiner Familie verantwortlich planen zu können.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Sund.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die Begründung des Antrages der CDU/ CSU, die wir soeben hier gehört haben, ließ den Eindruck aufkommen, als ob hier etwas ganz Neues entdeckt worden sei, etwas, das überhaupt noch nicht zum Problem für diese Regierung und die sie tragende Koalition geworden wäre. Wir als Sozialdemokraten begrüßen alle Initiativen, die dazu geeignet sind, die Situation der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik zu verbessern. Bei aller wohlwollenden Betrachtung aber kann man dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion eine solche Eignung wirklich nicht zusprechen. Es hat in diesem Haus selten einen Antrag gegeben, der in so prägnanter Weise versucht, offene Türen einzurennen. Der Antrag verdient daher, wie wir meinen, ohne jede Einschränkung das Prädikat „überflüssig".
Wir haben den Eindruck, daß die Antragsteller von den Initiativen und den erfolgreichen Bemühungen - ich betone: den erfolgreichen Bemühungen - der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen der sozialliberalen Koalition zur Verbesserung der Situation der ausländischen Arbeitnehmer in unserem Lande nicht Kenntnis genommen haben. Wer das von Ihnen in besonderer Weise apostrophierte Aktionsprogramm für Ausländerbeschäftigung der Bundesregierung vom 6. Juni 1973, wer die Kleine Anfrage der Fraktionen der SPD und der FDP zur Ausländerbeschäftigung vom 20. Mai 1974 und die sehr umfangreiche und dankenswerte Antwort der Bundesregierung auf diese Kleine Anfrage vom 10. Juni 1974 gelesen und ausgewertet hat, der kann es wohl kaum für sinnvoll halten, eine unsystematische Auswahl von längst getroffenen Feststellungen nach wenigen Wochen zu erneuern und damit dieses Haus zu beschäftigen.
({0})
Die Opposition hätte allein dann schon auf einen Teil Ihrer Deklamationen, Herr Kollege, verzichten können, wenn sie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur Ausländerbeschäftigung zur Kenntnis genommen hätte, die eine Gruppe von Abgeordneten ihrer eigenen Fraktion am 24. April 1974 eingebracht hat.
Nun zu den im Antrag der CDU/CSU-Fraktion aufgeführten Punkten. Hier läßt sich von uns folgendes in Kürze anmerken.
Erstens. Die Notwendigkeit der Zuzugsbeschränkungen für Ballungsgebiete wurde von der Bundesregierung bereits mit dem Aktionsprogramm zur Ausländerbeschäftigung am 6. Juni 1973 festgestellt. Entsprechende Kriterien wurden inzwischen erarbeitet. Durch den Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer aus Drittländern vom 23. November 1973 hat sich die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik seither verringert und damit auch - in abgeleiteter Weise - der Druck auf dieses Problem.
Zweitens. Die Bundestagsfraktion der SPD und die Bundesregierung haben stets öffentlich bekundet, daß sie die Zwangsrotation von Arbeitnehmern als unmenschliches Mittel der Arbeitsmarktpolitik eindeutig ablehnen. Wir stellen in diesem Zusammenhang mit Befriedigung fest, daß sich die CDU/CSU-Fraktion nunmehr in diesem Punkt offenbar von den Auffassungen einiger CDU-geführter Landesregierungen distanziert.
Drittens. Die Ankündigung zur Verbesserung des aufenthaltsrechtlichen Status der ausländischen Arbeitnehmer findet sich gleichfalls im Aktionsprogramm vom 6. Juni 1973. Die erforderlichen Vorarbeiten zur Änderung der Verwaltungsvorschriften wurden inzwischen abgeschlossen.
Viertens. Soweit die Einreise ausländischer Arbeitnehmer der Genehmigung unterliegt, muß in jedem Fall das öffentliche Interesse der BundesreSund
publik Deutschland mit den Interessen des einzelnen abgezogen werden.
Fünftens. Die Zusammenführung ausländischer Arbeitnehmer mit ihren vorerst in der Heimat zurückgebliebenen Familien wird von uns aus humanitären Gründen begrüßt und gefördert.
Was die erforderlichen Wohnungen betrifft, so gibt es dafür seit mehreren Jahren ein Sonderprogramm unter Mitwirkung der Länder und der Bundesanstalt für Arbeit. Unabhängig davon gilt aber auch, daß die soziale Infrastruktur, wie z. B. die schulische Betreuung, gesundheitliche Versorgung, entsprechend aufnahmefähig sein muß.
Sechstens. Kriterien für die Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in Ballungsräume bedürfen der sorgfältigen Abwägung und der gemeinsamen Erarbeitung durch Bund, Länder und Kommunen. Darin liegen eine Reihe von verzögernden Problemen; das wissen wir, das wissen auch Sie.
Siebentens. Auch wir halten die schulische und außerschulische Betreuung der Kinder der ausländischen Arbeitnehmer für besonders wichtig. Der Schwerpunkt der Anstrengungen liegt hier eindeutig bei den Ländern und den Kommunen. Aber schon jetzt werden durch den Bund erhebliche Mittel im Rahmen der Hausaufgabenhilfe und zur Vorbereitung auf ein Ausbildungsverhältnis bereitgestellt. Das sollte man zur Kenntnis nehmen. Ein auf Initiative der Bundesregierung neu gegründeter Sprachverein wird sich in besonderer Weise der Förderung der deutschen Sprache bei den ausländischen Arbeitnehmern annehmen.
Achtens. Bereits seit 1971 werden Programme zur Förderung der freiwilligen Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer in ihre Heimatländer in der Form von Informations-, Berufs-, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen eingerichtet. Dem gleichen Ziel dienen u. a. auch die Kapitalhilfeleistungen des Bundes.
Neuntens. Wohlfahrtsverbände - Sie werden sich nicht darüber wundern, daß ich hier zehn Punkte anzusprechen habe; das sind genau die, die Ihr Antrag enthält
({1})
Gewerkschaften und andere Träger, die sich um die Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen bemühen, werden nachhaltig und in beachtlichem Umfang gefördert. Auf Vorschlag des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung wurden für das Jahr 1974 allein die Mittel für Beratungsstellen und Betreuungsmaßnahmen auf 14,8 Millionen DM angehoben.
Zehntens. Internationale Vorschriften zum Schutz der Wanderarbeitnehmer werden in der Bundesrepublik selbstverständlich angewandt. Das gesamte Problem der ausländischen Arbeitnehmer läßt sich, soweit überhaupt möglich, nur auf internationaler Ebene in Zusammenarbeit lösen. An unserer Mithilfe bei diesen Bemühungen soll es dabei nicht mangeln.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch einen weiteren Punkt ansprechen, den die Oppositionsfraktion zwar nicht in ihren Antrag aufgenommen hat, der aber gleichwohl eine Rolle spielte, als Vertreter Ihrer Fraktion ihren Antrag der Bonner Presse vorstellten. Sie, Herr Kollege Löher, haben das hier noch einmal aufgegriffen. Es wurde vorgeschlagen, die Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer in ihre Heimatländer durch die Zahlung von Prämien, von staatlichen Prämien, zu forcieren.
({2})
Herr Bundesarbeitsminister Walter Arendt hat dieses Ansinnen - wie wir meinen: zu Recht - zurückgewiesen. Dem schließt sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion an; denn eine finanziell tragbare Bemessung der Prämie würde keine zusätzliche Rückwanderung auslösen. Aber eine Prämie, die einen wirklichen Anreiz für eine Rückwanderung ausländischer Arbeitnehmer böte, würde zu einer nicht tragbaren Belastung der öffentlichen Hand führen.
Bereits aus diesen wenigen Anmerkungen mögen Sie die Richtigkeit meiner eingangs getroffenen Feststellungen und Wertungen erkennen. Trotzdem: wir vermerken es positiv, und so würdigen wir auch den heute hier gestellten Antrag, daß sich nunmehr die CDU/CSU-Fraktion künftig intensiver als bisher an unseren Anstrengungen zur Lösung der mit der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zusammenhängenden Probleme beteiligen will, läßt hoffen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Löher, ich stelle fest, ein Teil Ihrer Begründung hat neue Aspekte in die Debatte hineingebracht. Allerdings muß ich feststellen, daß die Forderungen zu dieser Begründung in Ihrem Papier nicht enthalten sind.
({0})
Ich habe auch großes Verständnis dafür, daß sich Ihre Begründung und Ihr Antrag nicht decken; denn Sie werden inzwischen sicher selbst festgestellt haben, daß Ihre zehn Forderungen Schnee vom vergangenen Jahr sind.
Ich darf namens der FDP-Fraktion folgende Erklärung abgeben. Bereits am 6. Juni 1973 hat die Bundesregierung ein Aktionsprogramm vorgelegt, welches sich in allen Einzelheiten mit den sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Problemen bei ausländischen Arbeitnehmern befaßt. Im Mai dieses Jahres richteten die Koalitionsfraktionen an die Bundesregierung eine Kleine Anfrage, in der sie um Auskunft über die Auswirkungen des Anwerbestopps und die Maßnahmen der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Aktionsprogramm vom Juni 1973 baten. Die Antwort der Bundesregierung liegt unter Drucksache 7/2215 bereits seit dem 10. Juni 1974 vor.
Der Antrag der CDU/CSU - Kollege Sund sagte es schon; ich möchte es noch einmal wiederholen -ist also absolut überflüssig,
({1})
wenn ich mich an Ihre Forderungen halte, Herr Kollege Löher, die hier schriftlich vorliegen, und nicht an das halte, was Sie hier als mündliche Begründung vorgetragen haben und was sicherlich nachlesenswert ist. Er ist überflüssig, weil die dort aufgestellten Forderungen bereits im 16 Monate alten Aktionsprogramm der Bundesregierung enthalten sind und zum großen Teil schon realisiert wurden. Die Antwort der Bundesregierung vom 10. Juni 1974 auf die Anfrage der Koalitionsfraktionen gibt hierzu auch eine erste erfolgreiche Zwischenbilanz.
Die Kollegen von der Opposition hätten sowohl das Aktionsprogramm als auch die Antwort der Bundesregierung vom 10. Juni 1974 zur Kenntnis nehmen sollen. Mir ist deshalb nicht klar, welchen Sinn der heute eingebrachte Antrag noch haben soll. Er scheint - gestatten Sie mir dir Anmerkung - die gleiche Funktion wie seinerzeit der Antrag der Opposition zu haben, im Fernsehen die Spiele der Fußballweltmeisterschaft vormittags zu wiederholen, als ein solcher Beschluß schon längst gefaßt worden war. Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Opposition, ist zum großen Teil eine Wiederholung längst beschlossener Maßnahmen. Ich entbiete Ihnen daher - gestatten Sie mir die Anmerkung vielleicht auch zur atmosphärischen Auflockerung dieses doch manchmal etwas ermüdenden Tages - heute um 18.50 Uhr ein freundliches „Guten morgen!" Sie sind in diesem Fall spät aufgewacht.
({2})
Damit Sie es mit dem Nachlesen all dessen, was schon beschlossen wurde und läuft, etwas einfacher haben, habe ich mir einmal die Mühe gemacht, auf Ihre zehn Forderungen die bereits vorliegenden Antworten der Bundesregierung zusammenzustellen. Dies ist auch, wenn Sie so wollen, ein kleiner Beitrag zur Entlastung unserer Verwaltung. Zu allen zehn Forderungen enthält das Aktionsprogramm der Bundesregierung aus dem Jahre 1973 klare Angaben. Darüber hinaus finden Sie entsprechende Antworten in der Antwort vom 10. Juni 1974 auf unsere Anfrage vom Mai 1974.
Zu Ihrer Forderung - ich mache es ganz schnell; ich will Sie nicht zusätzlich langweilen - Nr. 1 gehört die Antwort Nr. 2 der Drucksache 7/2215, zur Forderung Nr. 2 die Antwort Nr. 3, zur Forderung 3 die Antworten 2 und 8, zur Forderung 4 die Antwort 8, zur Forderung 5 die Antwort 2, zur Forderung 6 die Antwort 1, zur Forderung 7 die Antworten 2 und 12, zur Forderung 8 die entsprechenden Teile des Aktionsprogramms, zur Forderung 9 die Antwort Nr. 12 der Drucksache 7/2215 und zur Forderung Nr. 10 die Antwort Nr. 10 vom 10. Juni 1974. Vielleicht lesen Sie das im Protokoll dann einmal nach.
Wir haben nichts gegen eine Überweisung Ihres Antrags an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Wir werden uns aber für eine sehr zügige Beratung einsetzen, weil wir nicht einsehen, daß wir Ihretwegen wieder bei der Stunde Null anfangen sollen.
Eines möchte ich abschließend aber sehr positiv zu Ihrem Antrag bewerten, nämlich die Ablehnung der Zwangsrotation. Ich hoffe doch, daß hier die CDU/CSU für beide Parteien, für die Partei CDU und für die Partei CSU, spricht. Wenn es so ist, bedeutet das für Sie und auch für uns alle einen erheblichen Fortschritt. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir die Zwangsrotation immer abgelehnt. Die FDP hat in vielen Partei- und auch Fraktionsbeschlüssen eindeutig festgestellt, daß für sie ein Zwangsaustausch von Menschen niemals in Frage kommen kann. Bundesminister Arendt hat in diesem Hause ebenfalls vor gar nicht so langer Zeit klare und unmißverständliche Aussagen gemacht. Überlegungen, Menschen wie abgeschriebene Maschinen in regelmäßigen Abständen auszutauschen, kommen doch von der CDU/CSU und nicht von uns.
({3})
Nicht die Bundesregierung sollten Sie daher auffordern, die Zwangsrotation abzulehnen, sondern z. B. die CDU/CSU-geführten Landesregierungen in Baden-Württemberg und Bayern.
({4})
- Baden-Württemberg, Ministerpräsident Filbinger.
({5})
Auch wenn die Opposition mit ihrem Antrag die von den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung längst aufgestoßenen Türen einrennt, so dokumentiert sie damit doch, daß sie unsere Bemühungen zur Lösung der mit der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer entstandenen Probleme voll unterstützt, und das wiederum, so denke ich, ist sehr erfreulich.
({6})
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - sowie an den Innenausschuß und an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit - mitberatend - vor. - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Stark ({0}), Vogel ({1}), Berger, Dr. Miltner und der Fraktion der CDU/CSU betr. Sicherstellung korrekter Wahlergebnisse
- Drucksache 7/2435 Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Miltner.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Sicherstellung korrekter Wahlergebnisse ist die notwendige Reaktion auf die Häufung von Zähl-, Rechen- und ähnlichen Auswertungsfehlern, vor allem auch bei der Landtags- und Kommunalwahl in Niedersachsen, und auch die Reaktion auf die schleppende Korrektur dieser Fehler. Diese Vorgänge haben über Niedersachsen hinaus mit Recht Befremden und auch Bestürzung ausgelöst: Auch erinnern wir uns an die letzte Bundestagswahl, bei der im Zusammenhang mit angeblichen Zweitwohnsitzen ein Wahlrecht von Berlinern im Bundesgebiet geschaffen wurde.
Das elementare demokratische Bürgerrecht auf Wahl steht und fällt mit der absolut korrekten Ermittlung der Wahlergebnisse. Jeder einzelne Bürger muß bei Bundestags-, Landtags- und Gemeindewahlen die jederzeit nachprüfbare Gewißheit haben, daß seine Stimme mit vollem Gewicht mitzählt. Wie wir in Niedersachsen sehen, ist es formal möglich, aber verfassungspolitisch unerträglch, wenn monatelang an einem formell zugeteilten Falschmandat festgehalten wird. Durch die Verbindung der längst fälligen Korrektur erwiesener Zähl- und Rechenfehler mit der langwierigen Prüfung zweifelhaft ausgefüllter Stimmzettel wird zum Beispiel zur Zeit in Niedersachsen bewirkt, daß mandats- und sogar mehrheitsentscheidende Zählfehler erst nach Wochen oder Monaten im Wahlprüfungsverfahren korrigiert werden. In der Zwischenzeit werden das fälschlich zugeteilte Mandat ausgeübt und damit Mehrheitsentscheidungen getroffen. Darüber hinaus kann der Inhaber eines solchen Falschmandats sogar über die Wahlprüfung mit entscheiden.
Sollte in Niedersachsen, wie das Zählergebnis ergibt, der CDU ein weiteres Mandat zufallen, dann wäre der amtierende Ministerpräsident, bei dessen Wahl seinerzeit eine Stimme Mehrheit im Landtag entschied bei den dann veränderten Mehrheitsverhältnissen nicht gewählt worden.
Das Wahlrecht zum Bundestag, zu den Landtagen und zu den Kommunalvertretungen ist im wesentlichen nach den gleichen Grundsätzen und Verfahrensvorschriften geregelt. Die bekanntgewordenen Fehler in Niedersachsen zwingen deshalb dazu, die Wahlvorschriften nicht nur für die Landtage und Kommunalvertretungen, sondern auch für den Bundestag zu überprüfen. Im Antrag der CDU/CSU wird die Bundesregierung ersucht, bis zum 31. Dezember 1974 dem Bundestag darüber zu berichten. Dieser frühe Zeitpunkt mußte gewählt werden, weil der Bundestag auch über die Neueinteilung der Wahlkreise für die kommende Bundestagswahl in den nächsten Monaten entscheiden muß. Der Innenausschuß hat sich mit dieser Frage bereits befaßt und den Bundesinnenminister gebeten, einen Vorschlag zur Wahl am Zweitwohnsitz zu unterbreiten, der einen Mißbrauch des Wahlrechts ausschließt. So sollte also die Änderung des Bundestagswahlrechts bezüglich der Wahlkreise und bezüglich der Erfordernisse der Sicherstellung korrekter Wahlergebnisse verbunden werden. Wegen der bevorstehenden Bundestagswahl 1976 und der rechtzeitig zu verabschiedenden Änderung des Bundestagswahlrechts muß also die Uberprüfung der Wahlvorschriften zur Sicherung korrekter Wahlergebnisse beschleunigt erfolgen. Zu diesem Zweck hat die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Antrag folgende fünf Punkte einer Überprüfung genannt:
Erstens. Sicherheit muß bei der Ermittlung der Wahlergebnisse vor Schnelligkeit gehen.
Zweitens. Kontrollen und Gegenkontrollen beim Wahlvorgang und vor allem bei der Auszählung müssen so verschärft werden, daß eine Wiederholung der jetzt aufgedeckten Fehler praktisch ausgeschlossen wird.
Drittens. Künftig soll vor der Feststellung des amtlichen Endergebnisses eine zweite, von der ersten unabhängige Stimmenauszählung stattfinden. Später aufgedeckte Fehler sind sofort zu berichtigen.
Viertens. Die Gefahr doppelter Stimmabgaben bei mehrfachem Wohnsitz muß ausgeschlossen werden.
Fünftens. Der Einsatz von Computern und Wahlmaschinen bedarf einer kritischen Überprüfung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Demokraten sind es uns und anderen schuldig, daß wir beim Wähler das Vertrauen in ein korrektes Wahlergebnis sicherstellen. Ich bitte daher um Unterstützung unseres Antrages. Danke schön!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich in diesem Hause nicht umstritten, daß es zur Pflicht eines Parlaments gehört, alles zu tun - da bin ich mit Ihnen wörtlich vollkommen einig -, um zu sichern, daß jede Stimme gezählt wird und daß jede Stimme ihr sicheres Gewicht hat, und zu sichern, daß aus den Wahlen korrekte Ergebnisse hervorgehen. Wenn da und dort einmal etwas bekannt wird, ist das Anlaß zum Nachdenken und zum Nachprüfen im eigenen Bereich.
Meine Erkundigungen über das, was sich derzeit in Niedersachsen ergibt, haben, glaube ich, auch für uns etwas ganz Interessantes zutage gefördert. Ich darf anknüpfen an das, was Sie, Herr Kollege Miltner, gesagt haben. Im großen und ganzen gelten ungefähr die gleichen Rechtsvorschriften. § 65 der Bundeswahlverordnung, oder § 63 der niedersächsischen Landeswahlordnung sind so penibel, daß ich Hemmungen habe, sie vorzulesen. So ist bis ins einzelne formell ganz exakt dargestellt, daß der Vorsitzende laut vorzulesen hat, daß ein Häufchen zu machen ist und noch ein Häufchen zu machen ist und daß einer zuzusehen hat usw.
Was geschieht hier nun tatsächlich? Da die Wahlorgane in der Regel aus ehrenamtlichen Wahlhelfern bestehen - die Wahlorgane werden ja gebildet bis zu den Stimmbezirken -, haben wir eine verhältnis8018
Dr. Schäfer ({0})
mäßig große Zahl von nicht verwaltungsmäßig geschulten Helfern. Dem nicht verwaltungsmäßig Geschulten ist es nahezu zuwider, sich so mißtrauisch betrachtet zu fühlen oder dem anderen so mißtrauisch zu begegnen, wie das aus gutem Grund die Vorschrift präzise sagt. Ich meine, daß wir mindestens daraus lernen sollten, daß es nicht nur um die Vorschriften geht, Herr Kollege Miltner, sondern daß wir die zuständigen verantwortlichen Verwaltungsstellen, also den Kreiswahlleiter - um den geht es hier insgesamt -, über die Regierung anregen sollten, daß sie diese Leute, die Wahlhelfer, die den Wahlvorstand bilden, vorher einmal zusammennehmen und ihnen nicht nur die Vorschriften in die Hand drücken, sondern sie darauf aufmerksam machen, daß diese detaillierten, präzisen Vorschriften ihren guten Sinn haben und nicht einer sagen kann: Ihr zwei könnt ruhig nach Hause gehen; ich mache das allein. Nicht wahr, ich unterschreibe mal. Und die sagen: Das war schon immer ein anständiger Kerl, also kann er gehen.
Sie haben keinen parteipolitischen Schlenker hereingebracht. Ich bin Ihnen dafür dankbar, Herr Kollege Miltner; denn das ist keine parteipolitische Frage nach der einen oder nach der anderen Seite. Ich bin nur in einem Punkt ein bißchen vorsichtiger als Sie. Ich möchte nicht beurteilen das Verhalten des Wahlprüfungsausschusses des Niedersächsischen Landtages. Sie sprachen von einem schleppenden Verfahren. Das ist seine Zuständigkeit. Ich habe mich erkundigt und habe gehört, daß es auf Grund der Nachprüfungen des Wahlprüfungsausschusses des Niedersächsischen Landtages im allgemeien vier Punkte sind, die sich als Fehlerquellen ergeben:
Der erste besteht darin, daß man nur einmal gezählt hat. Und schon bei tausend Stimmen ist es ja erfahrungsgemäß oft so, daß man sich verzählt.
Der zweite liegt darin, daß man Bewertungsfehler gemacht hat, also eine Stimme für ungültig erklärt hat, eine andere Stimme für gültig erklärt hat, weil der Strich über das hinausging oder der Strich nicht exakt so ist, der Wählerwille aber, wenn man es richtig ansieht, erkennbar ist.
Der dritte Fehler liegt darin, daß offensichtlich gar keine richtige Vorstellung darüber bestand, wie Wahlbriefe behandelt werden müssen.
Die vierte Fehlerquelle schließlich besteht darin, daß man die Unterlagen, nachdem man die Ergebnisse festgehalten hatte, vernichtet hat. Man glaubte, sie dann nicht mehr zu benötigen. Sie wissen, daß nach der Bundeswahlordnung alle Unterlagen bis 60 Tage vor Abhaltung der nächsten Wahl aufgehoben werden müssen.
Wir werden uns im Innenausschuß im Zusammenhang mit der Wahlkreiseinteilung - so wie wir es schon beschlossen haben - sehr präzise berichten lassen, so daß wir auch die notwendigen Anregungen geben und das Notwendige tun können, um z. B. das zu verhindern, was das letzte Mal von einigen versucht wurde und was Sie auch erwähnt haben: die Sache mit dem zweiten Wohnsitz. Ich halte das
Ganze für eine Anregung, die wir im Ausschuß sehr korrekt und präzise behandeln wollen.
Ich möchte nur noch sagen: Ich habe erfahren, daß sich die Landeswahlleiter getroffen haben, über die ersten Erkenntnisse von Niedersachsen gesprochen haben und sich nicht - so hat man mir berichtet - veranlaßt sahen, irgendwelche Änderungen vorzuschlagen.
({1})
Das ist immerhin sehr beachtlich; denn die Landeswahlleiter haben auf diesem Gebiet Erfahrungen.
Wir stimmen selbstverständlich der Überweisung zu. Ich gehe davon aus, daß uns das Innenministerium in dem Zusammenhang einen sehr präzisen Bericht über die Bundeswahlordnung, über mögliche Änderungen, die ja unter der Verantwortung des Ministeriums zu erlassen sind, gibt, so daß wir bis Jahresende - vielleicht auch ein bißchen später; da kommt es ja auf die paar Wochen nicht an; Ihr Antrag 31. Dezember ist sicherlich nicht auf den Tag genau gemeint, darin sind wir uns wohl einig -, wenn wir die neue Wahlkreiseinteilung beschließen, zum gleichen Zeitpunkt vom Innenausschuß aus berichten können, daß wir mit den uns gegebenen Möglichkeiten geprüft und die notwendigen Anregungen gegeben haben.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates lautet: an den Innenausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Mitberatung. Wer diesem Überweisungsvorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - So beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Sprung, Höcherl, Dr. Müller-Hermann und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Einrichtung eines Fonds zum Ausgleich für soziale Härtefälle bei den Besitzern niedrig verzinslicher Rentenpapiere
- Drucksache 7/2322 -
Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Finanzausschuß ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Wird das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Kollege Sprung!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In ihrem letzten Jahresbericht hat die Bundesbank festgestellt, daß die restriktive Kreditpolitik, die sie aus stabilitätspolitischen Gründen zu treiben gezwungen war und ist, und der damit verbundene starke Zinsanstieg für die Besitzer festverzinslicher Wertpapiere empfindliche Kursverluste mit sich brachte. Hiervon werden insbesondere auch Sparer getroffen, die solche festverzinslichen Wertpapiere in früheren Jahren für ihre
Altersversorgung erworben hatten. Wer vor Jahren ein festverzinsliches Wertpapier zu 5% kaufte und heute dieses Wertpapier verkaufen muß, weil er Geld für seinen Altersunterhalt benötigt, erhält für 100 DM, die er einst dafür bezahlte, nur noch 60 DM zurück. Und dies sind D-Mark, deren Wert nur noch wenig mehr als die Hälfte dessen beträgt, was sie einst bei ihrer Einzahlung wert waren.
Die Bundesbank ist in diesem Punkte ganz deutlich. Sie schreibt ich zitiere -:
Diese Sparer werden von der inflatorischen Entwicklung doppelt benachteiligt. Zum einen ist der Realwert ihres Kapitalertrages bei den relativ hohen Geldentwertungsraten sehr gering und unter Umständen sogar negativ, zumal weiterhin der gesamte Nominalerlös steuerpflichtig bleibt, zum andern mindert sich durch die Kurseinbußen auch der bei einer Veräußerung erzielbare Wert ihres Vermögens. Besonders für die aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen älteren Personen kann hierin eine ernste soziale Härte liegen.
Die CDU/CSU-Fraktion bemüht sich seit Monaten, die Bundesregierung, die für diese Entwicklung eine entscheidende Mitverantwortung trägt, zu bewegen, etwas für diese Sparer zu tun.
Statt zu handeln, erklärte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine entsprechende Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion erstens, daß die Bundesregierung mit der Deutschen Bundesbank zwar der Ansicht sei, daß die Rentensparer infolge der unverzichtbaren Zinssteigerungen von hohen Kursverlusten betroffen würden; aber nur solche Rentensparer, die ihre Wertpapiere verkauften, erlitten tatsächlich Kapitalverluste. Bei dieser Feststellung hat man den Eindruck, die Bundesregierung wolle die Betroffenen auch noch verhöhnen. Zweitens, die Bundesregierung habe verschiedene Möglichkeiten einer Hilfeleistung geprüft. Die Überprüfung habe aber zu dem Ergebnis geführt, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen mit so großen stabilitäts-, währungs- und einkommenspolitischen Nachteilen verbunden wären, daß die Vorschläge in dieser Form nicht realisiert werden könnten. Nach dem bisherigen Ergebnis der Überprüfung dieser Vorschläge sieht die Bundesregierung daher keine Möglichkeit, entsprechende Gesetzesinitiativen vorzubereiten.
Mit dieser Antwort geben wir uns nicht zufrieden. Wenn die bisherigen Vorschläge nicht ausreichen, dann müssen eben andere Wege gegangen werden. Die Bundesregierung sollte sich selbst einmal den Kopf zerbrechen, welcher Weg eventuell gewählt werden könnte.
({0})
- Doch, es ist ein Minister anwesend.
({1})
- Ich bedaure das sehr, aber ich hoffe, daß die Möglichkeit besteht, dies doch weiterzugeben bzw. nachzulesen, was hier wieder einmal - einmal mehr der Bundesregierung gesagt werden muß. Denn es geht um Fälle, meine ich, die wirklich unsere Aufmerksamkeit verdienen.
Es sollte in diesem Hause, so glauben wir, außer Frage stehen, daß die betroffenen Sparer, die zum Teil äußerst hart betroffenen Sparer, die mit ihren einstigen Spareinlagen unseren heutigen Wohlstand mit finanziert haben, nicht einfach ihrem Schicksal überlassen werden können. Täglich gehen doch bei uns allen Briefe ein - bei allen Fraktionen dieses Hauses -, in denen vor allem von alten Menschen in manchmal erschütternder Art die Situation beschrieben wird, in der sie sich durch diese Entwicklung, durch den Kursverfall der festverzinslichen Wertpapiere, befinden.
Machen wir uns nichts vor! Hier wird eine Sache schleifen gelassen, die wahrhaft mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollte. Hier geht Vertrauen in den Staat verloren, das wir im nächsten Jahr schon bitter nötig haben, wenn der Kapitalmarkt von den öffentlichen Händen in noch nie dagewesenem Ausmaß in Anspruch genommen werden wird. Es kann doch für den Staat nicht gleichgültig sein, wie die Einstellung des Bürgers künftig zu jenen Wertpapieren ist, die der Staat ausgeben muß, um seine Schulden abdecken zu können.
Die Argumente, die von Regierungsseite vorgebracht werden, sind, so meinen wir, absolut unbrauchbar, Argumente, die etwa lauten: niemand solle in den freien Kapitalmarkt eingreifen, die Regierung könne die Risiken an Spareinlagen nicht sozialisieren, eine entsprechende Ausgeglichenheit leiste einer gefährlichen Indexbindung Vorschub, und wie die Argumente sonst noch lauten. Das sind doch ausgesprochene Ausflüchte. Es ist möglich gewesen, schnell und unbürokratisch den sozial Schwachen einen Ausgleich für die stark gestiegenen Heizölkosten im letzten Winter zu verschaffen. Warum kann nicht ähnliches für die sozial Schwachen für ihre erheblichen Verluste geschehen, die sie durch den Kursverfall der festverzinslichen Wertpapiere erlitten haben?
Meine Damen und Herren, außer Zweifel steht, daß es unrealistisch ist, das Problem der niedrig verzinslichen Wertpapiere in genereller Form zu lösen, etwa durch eine vorzeitige Tilgung, durch eine Höherkonvertierung, durch die Gewährung eines Zinsbonus, durch eine Steuerbefreiung der Zinserträge, und welche Vorschläge darüber hinaus gemacht werden. Diese Wege scheitern alle wegen der Höhe der Kosten; denn die Beträge, um die es sich handelt, sind einfach zu riesig. Dabei sollte allerdings auch nicht verkannt werden, daß es insgesamt absolut notwendig ist, dem Rentenmarkt wieder auf die Beine zu helfen, um das Vertrauen der Anleger wiederherzustellen. Aber offensichtlich haben solche Überlegungen bei uns nur einen geringen Stellenwert, auf jeden Fall einen geringeren als beispielsweise in Österreich, wo man entsprechende Lösungen gefunden hat. Heute konnten wir in den Tageszeitungen darüber lesen.
Wenn also eine generelle oder große Lösung aus finanziellen Gründen ausscheidet, sollte es aber
nicht mehr die geringsten Meinungsverschiedenheiten darüber geben, daß für soziale Härtefälle etwas getan werden kann und - so meinen wir - getan werden muß, und zwar insbesondere für solche Härtefälle, von denen Menschen betroffen sind, die sich heute schon in einer akuten sozialen Notlage befinden.
Meine Damen und Herren, vor 14 Tagen hat in Erbach eine Podiumsdiskussion stattgefunden, zu der der Gemeinschaftsdienst der Boden- und Realkreditinstitute die politischen Parteien gebeten hatte. An dieser Diskussion haben Vertreter aller drei Fraktionen dieses Hauses teilgenommen. In dieser Podiumsdiskussion war eine erfreuliche Übereinstimmung festzustellen. Vertreter aller drei Fraktionen waren der Auffassung, daß eine große Lösung von der Sache und von den Erfordernissen des Marktes her ohne Einschränkung nötig sei. Sie scheitere jedoch - das war die Meinung der dort vertretenen Parteien - an ihrer Finanzierung. Deshalb könne nur eine kleine Lösung ins Auge gefaßt werden, d. h. eine Lösung für soziale Härtefälle. Die Vertreter aller drei Fraktionen haben zum Ausdruck gebracht, daß sie eine solche kleine Lösung für soziale Härtefälle grundsätzlich befürworten und an ihrer Erarbeitung mitarbeiten würden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion hat bereits im Juni eine solche kleine Lösung vorgeschlagen, bzw. die Bundesregierung aufgefordert, zu prüfen, ob die von der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagene kleine Lösung
möglich ist. Wie sie nach unseren Vorstellungen aussehen könnte, können Sie dem vorliegenden Antrag entnehmen. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, einen Fonds zum Ausgleich von sozialen Härtefällen bei den Besitzern niedrig verzinslicher Rentenpapiere zu errichten. An seiner Speisung sollten sich die öffentlichen Kreditnehmer sowie die Hypothekenbanken beteiligen. In diesem Zusammenhang sollte die Bundesregierung angesichts der angespannten Haushaltslage prüfen, inwieweit die Deutsche Bundesbank in der Lage ist, dem Fonds als staatliche Beteiligung in der Zwischenzeit eine Liquiditätshilfe zu gewähren.
Der Fonds hat die Aufgabe, Wertpapiere mit einem Nominalzinssatz von 6 v. H. und darüber zum Kurs von 90 zurückzukaufen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Die Inhaber dieser Wertpapiere müssen natürliche Personen sein. 2. Sie dürfen nicht mehr im Erwerbsleben stehen. 3. Ihr Einkommen im jeweiligen Kalenderjahr darf 24 000 DM bei Ledigen und 32 000 DM bei Verheirateten nicht übersteigen. 4. Die Wertpapiere müssen vor dem 1. Januar 1970 erworben worden sein.
Um den Einwendungen der Bundesregierung bezüglich der stabilitäts-, währungs- und einkommenspolitischen Konsequenzen zu begegnen - die im übrigen eindeutig übertrieben dargestellt werden, meine Damen und Herren; das wollen wir hier doch einmal mit allem Nachdruck feststellen - und um konjunkturpolitisch unerwünschte Liquiditätswirkungen zu vermeiden, vor allem aber, um der sozialen Zielsetzung der Hilfsmaßnahmen gerecht zu werden, soll der Fonds pro Person Wertpapiere nur bis zu einem Nominalwert von 800 DM pro Monat bzw. 9 600 DM pro Jahr zurückkaufen.
Ein Letztes. Für die Verwaltung des Fonds könnte man sich bereits bestehender öffentlicher Einrichtungen bedienen. Ich denke hierbei hauptsächlich an die Lastenausgleichsbank.
Meine Damen und Herren, über die verschiedenen genannten Kriterien kann man selbstverständlich diskutieren und sie gegebenenfalls auch anders fassen und festsetzen. Nicht mehr diskutieren sollte man dagegen über eine Härteregelung als solche. Hier stehen inzwischen die grundsätzlich zustimmenden Aussagen und Zusagen durch Graf Lambsdorff von der FDP und Professor Schachtschabel von der SPD - öffentlich auf der erwähnten Podiumsdiskussion geäußert - im Raume. Die Lösung des Problems duldet keinen weiteren Aufschub. Wir fordern die Bundesregierung daher nachdrücklich auf, endlich zu handeln; denn es ist ihre Politik gewesen, die zu den Vermögensverlusten für die Besitzer festverzinslicher Wertpapiere mit beigetragen und die sozialen Notfälle bewirkt hat.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Rapp.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 12. Dezember 1973 bei Gelegenheit der Verabschiedung der Realkreditreformgesetze in einer einstimmig angenommenen Entschließung die Bundesregierung darauf festgelegt, die soeben von Herrn Dr. Sprung aufgezeigten und in der Tat gravierenden Probleme im Auge zu behalten, und zwar nicht nur die Probleme, sondern darüber hinaus vor allem die Einhaltung der Zusage der Verbände des Realkredits, aus Rückflüssen langlaufende niedrig verzinsliche Rentenpapiere im Gegenwert von mindestens 200 Millionen DM pro Jahr vorfristig zu tilgen. Nur auf Grund dieser Zusage konnte damals von einer Ermächtigung der Bundesregierung abgesehen werden, die vorfristige Tilgung solcher Papiere auf dem Verordnungsweg zu regeln.
Der Bundestag ging damals davon aus, daß die Realkreditinstitute im Rahmen ihrer Möglichkeiten über diese Mindestforderung hinaus die Belange jener Sparer wahren würden, die in den frühen 60er Jahren ihr Geld in aus heutiger Sicht niedrigverzinslichen und langlaufenden Schuldverschreibungen anlegten und die infolge der zwischenzeitlichen Zinsentwicklung - das ist wahr - hohe Kursverluste hinnehmen mußten - einer Zinsentwicklung, die ja einerseits Voraussetzung, andererseits unabdingbare Folge der Stabilitätspolitik gewesen ist.
Jedermann war sich damals darüber im klaren, daß jene 200 Millionen DM im Jahr nur die Funktion des berühmten Tropfens auf den heißen Stein haben könnten. Es war deshalb nur natürlich, daß alsbald nach der Verabschiedung der Realkreditreformgesetze in allen Fraktionen des Bundestags und weit
Rapp ({0})
über den Bundestag hinaus das große Pläneschmieden anhob.
Die Bundesregierung selbst hat lange vor der Einbringung des heute zur Debatte stehenden Antrags der Opposition eine Umfrage gestartet, die erkennbar auf eine Verbesserung der Selbsthilfeaktion der Institute des Realkredits, das heißt auf eine Aufstockung des Volumens jener Aktion, abzielte.
Diese Hinweise auf die Vorgeschichte sind nun nicht etwa so zu verstehen, als ob damit der Opposition gewissermaßen die Berechtigung abgesprochen würde, sich mit ihrem Antrag erneut den hier anstehenden Problemen zuzuwenden. Geht es hier doch in der Tat um eine zwar noch nicht genau bestimmbare, aber sicher sehr erhebliche Zahl von Personen, bei denen von einer sozialen Notlage gesprochen werden muß.
Klarstellen wollte ich allerdings mit dieser Vorgeschichte, daß auch in meiner Fraktion und bei der Bundesregierung das Problem nicht etwa aus dem Blickfeld geraten war, sondern daß man sich in leiseren und weniger spektakulären Aktivitäten nach Losungsmöglichkeiten umgesehen hat.
Der Antrag der Opposition zeichnet sich zu Recht - und das sage ich ohne Ironie und ohne Polemik - durch überaus vorsichtige Formulierungen aus.
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Die Bundesregierung soll prüfen, ob ein Härtefonds errichtet werde kann. Sie soll mit den Realkreditinstituten über eine Beteiligung an diesem Fonds und mit der Bundesbank über Möglichkeiten einer Liquiditätshilfe verhandeln. Relativ enge Kriterien sollen die Beschränkung auf wirkliche Härtefälle sicherstellen - Kriterien, über deren Ausgestaltung und Zweckmäßigkeit man sicher noch anderer Meinung sein könnte. Ich möchte das nur anmerken.
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Wenn in dieser Zurückhaltung die Auffassung der Opposition zum Ausdruck kommen sollte, daß bei einer Härtefallregelung, wie immer man sie gestaltet, dreierlei nicht passieren darf, so würden wir dies sehr begrüßen:
Erstens. Die Sache darf nicht in die öffentlichen Haushalte hineinlaufen.
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Zweitens. Sie darf keinesfalls zu einer breiten Mietpreissteigerung führen, wie das bei einer Hochkonventierung der Fall sein würde, was wiederum unübersehbare Folgewirkungen auf das Wohngeld hätte.
Drittens. Geld- und kreditpolitische Manipulationen mit inflationstreibender Wirkung kommen zur Lösung auch dieses Problems nicht in Frage.
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Wenn darüber Konsens bestehen könnte, wäre sehr viel erreicht.
In der Tat: Patentlösungen gibt es nicht. In seinem Kern kann das Problem nur in Selbsthilfe der
Institute des Realkredits angegangen werden. Nachzudenken bleiben über flankierende Möglichkeiten
der Hilfe zur Selbsthilfe. Mehr wird wohl nicht sein.
Dabei sollte klar sein, daß jede denkbare Maßnahme nach Lage der Dinge irgendwo und irgendwie auch kontraindiziert ist. Dies ist das besondere Problem, das hier im Auge behalten werden muß. Sorgfältig ist alles zu vermeiden, was wie eine De-factoIndexierung wirkte, und dies dann mit unabsehbaren Folgen für alle langfristigen Schuldverhältnisse. Niemand wird da Schleusen öffnen wollen. Bei staatlichen Subventionen der einen oder anderen Art - von der Opposition in dankenswerter Weise nicht ausdrücklich gefordert, allenfalls so ein bißchen zwischen den Zeilen - würden Gießkanneneffekte nur schwer zu vermeiden, würde die Begrenzung auf Härtefälle nur schwer zu gewährleisten sein. Eine Spaltung des Kapitalmarktes darf nicht eintreten. Modelle, die die von den Kreditinstituten bei der Bundesbank gehaltenen Mindestreserven mit in die Überlegungen einbeziehen, scheitern, wie immer man persönlich diese Argumente gewichten will - ich gewichte sie nicht allzu hoch -, an der Auffasung, daß bezüglich einer Diversifizierung der Mindestreserven den Anfängen zu wehren sei. Bei alledem ist auch noch die Frage nach dem Verwaltungsaufwand mit zu bedenken.
Meine Damen und Herren, sehr viel Sachverstand und Phantasie werden vonnöten sein, um das Problem einer tragbaren, zwischen alternativen Übeln - und mehr ist da nicht - balancierten Lösung näherzubringen. Immer wird dabei der Einsatz von Tilgungsrückflüssen das wichtigste Instrument der Hilfeleistung für die Pfandbriefsparer bleiben müssen. Hier werden uns die Ergebnisse der Befragung der Realkreditinstute durch die Bundesregierung weiterhelfen.
Sollte der derzeitige Zinstrend anhalten - und wir haben heute gehört, daß der Zentralbankrat entsprechende Beschlüsse gefaßt 'hat -, so würde uns das die Bemühungen um eine Härtefallregelung ungemein erleichtern. Warum sollte es dann nicht vorstellbar sein, daß sich die Bundesbank einmal in der Lage sieht, diesen Trend nicht nur am kurzen Ende des Marktes laufen zu lassen, sondern auch am langen Ende des Marktes aktiv zu fördern? Dann wäre zu prüfen, ob nicht im Rahmen des Bundesbankgesetzes eine offenmarktpolitische Unterstützung der Härtefallregelung denkbar wäre. Dies könnte man dann sorgfältig erwägen.
Meine Fraktion wird der Überweisung des Antrages an die zuständigen Ausschüsse zustimmen. Wir erhoffen uns dort Beratungen und erhoffen uns weiterhin Äußerungen zu diesem Thema, die auf sachgemäße Lösungen abzielen und die Weckung unerfüllbarer Erwartungen vermeiden. Dies - die Weckung unerfüllbarer Erwartungen - wäre der Sache nicht dienlich. Die gemeinsame Absicht und das Ziel aller Aktionen sollte sein, jenen Betroffenen zu helfen, die, wie im Antrag formuliert, durch den Kursverfall ihrer zur Altersversicherung erworbenen Rentenpapiere in eine soziale Notlage geraten sind.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Fraktion der FDP begrüßt es, daß wir zu diesem Thema, das sicherlich schwerwiegende Auswirkungen für die Betroffenen hat oder zumindest haben kann, hier eine sachliche Aussprache führen können. Wir wären allerdings dankbar, Herr Kollege Sprung, wenn Sie in dieser Aussprache Formulierungen wie „Ihre Politik hat zu diesen Kursverlusten geführt" ein wenig unterdrücken könnten.
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Denn es ist ja völlig klar, daß ohne Hochzinspolitik eine Inflationsbekämpfung nicht möglich ist und auch in Zukunft nicht möglich sein wird und daß wir uns aus diesem Grunde mit den zwangsläufigen Folgen einer nach übereinstimmender Ansicht richtigen Politik zu beschäftigen haben.
Wie ist die Problemstellung? Die Rendite der festverzinslichen Wertpapiere ist im Jahresdurchschnitt seit 1962 von damals 6 % auf 10,8 % im April 1974 gestiegen. Dies hat natürlich beachtliche Kursrückgänge zur Folge gehabt. Um zwei Zahlen zu nennen: die 5- bis 6%igen Pfandbriefe, die Anfang der sechziger Jahre ausgegeben worden sind, und ebenso die Kommunalobligationen haben heute einen Kurs von durchschnittlich 65 %. Das heißt, daß der Sparer einen Substanzverlust von 35 % zu verzeichnen hat. Dies ist - und ich glaube, das ist ein entscheidender Punkt, auf den man aufmerksam machen muß - nach aller Erfahrung und nach derzeitiger Beurteilungsmöglichkeit der Sachlage leider ein struktureller Zinsanstieg. Es ist nicht zu erwarten, daß sich ein solcher Kursverlust durch Ansteigen der Kurse auch nur halbwegs nennenswert wieder ausgleichen wird. Dies ist eine neue Entwicklung. Wir müssen uns damit abfinden, daß wir ein strukturell höheres Zinsniveau haben. Das unterscheidet diesen Vorgang von früheren vergleichbaren Vorgängen. Wir haben festzustellen und festzuhalten, daß die Käufer dieser Papiere doppelt geschädigt sind. Sie sind nämlich sowohl in der Substanz als auch im Ertrag geschädigt - und dies sind sie einzig und allein von allen inflationsgeschädigten Anlegern. Es gibt keine vergleichbare Gruppe, die in dieser Weise doppelt getroffen worden ist. Aktien und Immobilienzertifikate sind als Risikopapiere nicht vergleichbar.
Diese Enttäuschung der Anleger - meine Fraktion und mir erscheint es wesentlich, darauf hinzuweisen - bedeutet neben dem sozialen Problem, das dabei in weiten Kreisen entstanden ist, natürlich auch eine Gefahr für den Kapitalmarkt. Ich brauche hier nicht zu betonen, wie bedeutsam der Kapitalmarkt angesichts des Finanzbedarfs der öffentlichen Hand gerade im Jahre 1975 sein wird. Daraus folgt nach unserer Überlegung, daß ein Interesse an einer zufriedenstellenden Regelung sowohl bei der Bundesregierung wie bei der Bundesbank wie bei den Emissionshäusern und schlichtweg allen Emittenten, die am Kapitalmarkt tätig werden, vorhanden sein muß.
Nun steht hier natürlich eine erhebliche Größenordnung zur Diskussion. Der Umlauf der 5- bis 61/2 %igen Pfandbriefe und Kommunalobligationen belief sich Ende März dieses Jahres auf immerhin 50 Milliarden DM. Die Frage ist: Wie kann man dieses Problem lösen? Es ist - Herr Kollege Sprung hat eben darauf hingewiesen - vom Heraufkonvertieren durch Gesetz, von dem österreichischen Beispiel gesprochen worden. Es ist hier nicht die Zeit und Gelegenheit, darauf einzugehen - im Ausschuß wird das geschehen -, daß inzwischen auch die Österreicher etwas kalte Füße vor ihrer eigenen Entscheidung bekommen haben, weil natürlich klar ist, daß ein solches Heraufkonvertieren auf die Kreditnehmer und damit auf die Mieten durchschlagen muß. Dies scheint uns eine nicht vertretbare Lösung zu sein.
Die Steuerbefreiung, die ebenfalls eine sogenannte große Lösung sein könnte, würde zu dem führen, was, wie der Herr Kollege Rapp eben sagte, dringend zu vermeiden ist, nämlich zu einem gespaltenen Kapitalmarkt. Außerdem haben wir mit der Steuerbefreiung von Wertpapieren keine allzuguten Erfahrungen gemacht. All denjenigen, die diese Lösung allzu heftig propagieren, empfehle ich in Anbetracht der noch laufenden steuerfreien und steuerbegünstigten Wertpapiere, dieses Thema doch möglichst geräuschlos zu behandeln. Man könnte sonst auf für sie nicht erfreuliche Einfälle kommen.
Zinssubventionen über die öffentlichen Haushalte sind natürlich eine weitere Möglichkeit. Aber auch hier ist das Problem, Herr Kollege Sprung, daß die Zinssubventionen über die öffentlichen Haushalte eben das bewirken, was wir nicht wollen, nämlich eine weitere Ausdehnung der öffentlichen Haushalte. Herr Kollege Rapp hat Sie im Hinblick auf Ihren Antrag hier ganz außerordentlich freundlich behandelt und nur sehr zurückhaltend darauf hingewiesen, daß vielleicht die Möglichkeit angedeutet sein könnte, die öffentliche Hand und die Bundeskasse zu beteiligen. Das Wort „Beteiligung" macht natürlich deutlich, daß auch Sie keinen anderen Ausweg wissen, als in die Bundeskasse zu greifen, um wenigstens einen Teil der aufzubringenden Mittel daraus zu schöpfen.
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- Wir werden uns über die Frage zu unterhalten haben, ob die Bundeskasse davon profitiert hat. Man wird dies, glaube ich, so nicht sagen können. Aber auch dies mag diskutiert werden. Wir wissen aber, daß eine solche Vorstellung in die gegenwärtige haushaltspolitische Landschaft schlecht, wie Sie sagen, oder nicht, wie ich sage, hineinpaßt.
Herr Kollege Sprung, es sei mir erlaubt, in diesem Zusammenhang die Bemerkung zu machen, daß ich namens meiner Fraktion hier von dieser Stelle aus bereits am 7. April anläßlich der Haushaltsdebatte - Herr Kollege Rapp hat außerdem auf unsere Kommentare zur Hypothekenbanknovelle hingewiesen - auf präzise dieses Thema eingegangen bin. Insofern haben sich die Antragsteller, wie mir scheint, ein wenig auf das Trittbrett eines zumindest unter Dampf stehenden Zuges - ich will
nicht sagen, daß er schon abgefahren war - begeben. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber etwa geraten die Antragsteller natürlich auch in den Verdacht, nicht nur Trittbrettfahrer, sondern auch noch Schwarzfahrer zu sein. Meine Damen und Herren, Sie müssen natürlich - wenigstens andeutungsweise - die Antwort auf die Frage geben können, wo die benötigten Mittel herkommen sollen.
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Die Frage ist also: Wer soll zahlen? Die Realkreditinstitute haben wir im vorigen Jahr im Zusammenhang mit der Hypothekenbanknovelle Herr Rapp, Sie haben das zutreffend dargelegt - zur Bereitstellung von 200 Millionen DM pro Jahr verpflichtet. Ich bin der Überzeugung, daß die Realkreditinstitute aus Tilgungsrückflüssen mehr Mittel einsetzen können, und ich bin vor allen Dingen der Meinung, daß für neue Emissionen feste Tilgungsmodalitäten, wie das in anderen Ländern längst üblich ist, vorgesehen und vorgeschrieben werden sollten. Wenn wir es nicht vorschreiben, können sie das vielleicht ja auch einmal freiwillig praktizieren und einhalten.
Ich möchte hier allerdings die dringliche Bitte äußern, und zwar an alle Beteiligten, die sich über dieses Problem, nämlich über die Möglichkeit, aus Tilgungsrückflüssen noch zusätzliche Leistungen aufzubringen, klar werden können, hier nicht das Schwarze-Peter-Spiel zu betreiben, das bisher in
I) meinen Augen betrieben wird.
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- Auch von den Realkreditinstituten, denn niemand legt die Zahlen deutlicher auf den Tisch, ob nun eigentlich Möglichkeiten bestehen oder keine. Jeder behandelt das Thema im Grunde - und ich halte dies für der Sache nicht gerecht werdend - unter dem Stichwort: Sieh mal zu, daß du den anderen ans Zahlen kriegst; oder: Wie komme ich am besten an fremder Leute Geld, ohne mein eigenes dabei einzusetzen? Ich glaube, hier kann es nur zu einer vernünftigen Lösung kommen, wenn sich alle daran Interessierten - ich habe den Kreis vorhin aufgezählt - daran beteiligen wollen. Daß der Haushalt nicht kann, brauche ich hier nicht zu wiederholen.
Was die Bundesbank betrifft, Herr Kollege Sprung und Herr Kollege Rapp, so wissen Sie, daß ich den Vorschlag gemacht habe, einmal über die Mindestreserven nachzudenken. Ich bin der Ansicht, daß die grundsätzlichen Einwände dagegen, die der Bundesfinanzminister und die Bundesbank gemacht haben und die sich auf § 16 des Währungsgesetzes stützen, nicht aus der Welt zu schaffen sind. Diese Einwände sind richtig. Allerdings ist das natürlich, ganz wesentlich die Frage einer politischen Entscheidung.
Immerhin gibt es Präzedenzfälle - wahrscheinlich erinnert sich niemand so gerne der Präzedenzfälle, wenn sie ihm nicht ganz in den Kram passen etwa im Jahre 1960, wie ich glaube, die Geschichte
mit der sogenannten Blessing-Milliarde. Jedenfalls gibt der Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank aus dem Jahre 1960 auf Seite 40 noch einmal sehr eindeutig und sehr eindringlich diese Geschichte wieder, bei der im Grund genommen ein ähnliches Verfahren - dies ist ein Präzedenzfall für eine solche Lösung - angewandt worden ist.
Ich will nicht auf meinem Vorschlag und auf dieser Lösung bestehen, aber immerhin kann und darf man vielleicht doch einmal darauf aufmerksam machen, daß so etwas wie die Blessing-Milliarde und vielleicht auch das kürzlich zur Verfügung gestellte Rediskont-Kontingent, das über zehn Jahre laufen soll, für mittelständische Rediskontierungen, in einen ähnlichen Rahmen hineingehören.
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- Das ist natürlich Offenmarktpolitik. Nur, Herr Kollege Rapp, mit der Frage der Offenmarktpolitik ist unter den gegenwärtigen Umständen, bei den gegenwärtigen Zinshöhen, nicht allzuviel zu erreichen.
Was aber, meine Damen und Herren, kann sonst an Zahlungsquellen angezapft werden? Denn darauf kommt es im Grunde genommen an. Ich habe mit meinen Freunden in meiner Fraktion eine Diskussionsidee - mehr will ich es nicht nennen - besprochen. Ich glaube, wir könnten jedenfalls einmal die Frage diskutieren, ob die Deutsche Bundesbank aus ihren ab 1975 zu erwartenden Gewinnen, die nach Ausbuchungen der Aufwertungsverluste ab 1975 wieder anfallen, nicht einen Teil dafür einsetzen kann unser Problem hier zu lösen. Um die Größenordnung wenigstens anzudeuten: Der Betriebsüberschuß der Deutschen Bundesbank im Jahre 1973 betrug 3,5 Milliarden DM, der voll zum Ausgleich. der Aufwertungsverluste, die, wie Sie wissen, ein bilanzieller Posten sind, eingesetzt wurde. Es bestehen noch 6,8 Milliarden DM aus Aufwertungsverlusten, die natürlich auch noch in der gleichen Weise zu behandeln sind. Es muß aber wahrscheinlich nicht sein, daß das sofort mit 100% geschieht. Es könnte durchaus darüber diskutiert werden, ob man einen Teil dieses Betriebsüberschusses oder dieses Gewinnes für die hier vorgesehenen oder angedeuteten Zwecke einsetzen kann.
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Ich will nicht darüber diskutieren, daß die Bilanz der Bundesbank, wenn ich mir die Aufwertungsverluste ansehe, auf der anderen Seite natürlich gewaltige stille Reserven in den Goldbeständen enthält. Man braucht sie nur vorsichtig zu errechnen, Herr Kollege Rapp, dann kommt man schon auf eine sehr gesunde Bilanzstruktur. Es läßt sich aber letztlich vielleicht auch noch hilfsweise das Argument einführen, daß sich in der Ertragsrechnung der Bundesbank nachweisen läßt, daß sich in der Gewinn- und Verlustrechnung ein positiver Faktor aus der Hochzinspolitik, nämlich über die Einnahmen aus der Lombardbeleihung und aus den Lombardzinsen, niedergeschlagen hat. Ich meine, daß wir über dieses Thema - ich wäre dankbar, wenn das akzeptiert
würde - jedenfalls im Ausschuß einmal diskutieren könnten
Meine Damen und Herren, wir sollten - zum Verfahren nur ganz wenige Worte den Umtausch in Papiere mit einer marktgerechten Verzinsung durchführen, die Zinsdifferenz aus so zur Verfügung gestellten Mitteln bezahlen, die Abwicklung nach Möglichkeit kostengünstig über die Depotbanken vornehmen. Der Personenkreis ist sicherlich - da bestehen wenig Meinungsverschiedenheiten - zu begrenzen. Hier muß ganz deutlich und klar gesagt werden, daß nach unserer Auffassung die institutionellen Anleger für eine solche Aktion unter keinen Umständen in Frage kommen und in Frage kommen können. Einzelne Gegenargumente, die man zuletzt in der Diskussion gehört hat, überzeugen uns nicht. Mindestalter 60 Jahre, Wertpapiere seit 1970 im Besitz. Wir würden es vorziehen, an Stelle einer Klausel, die sich auf die Einkommen bezieht, zu einer Bedürfnisprüfung führt, Einkommensnachweise bedeutet und ähnliches, uns auf Einzelposten der Wertpapiere zu beschränken, um von daher den Einstieg zu bekommen, zu einer vernünftigen und auch sozial vertretbaren Lösung zu kommen, dies aber unbürokratischer und billiger ist. Außerdem, finden wir, müßte man doch einmal darüber nachdenken, ob nun eigentlich eine Einkommens- oder Bedürfnisprüfung im Zusammenhang mit der Lösung dieser Frage den Umständen und den Problemen gerecht wird.
Wir sagen noch einmal, und ich betone das für meine Fraktion: Dies ist nicht so sehr oder - noch stärker nicht nur ein Akt der sozialen Gerechtigkeit, es ist eine Maßnahme, meine Damen und Herren, der notwendigen Pflege des Kapitalmarktes, den wir, die öffentlichen Hände, und diejenigen, die die Haushalte zu finanzieren haben, in der Zukunft dringend brauchen und auf dessen Funktionsfähigkeit wir angewiesen sind.
Meine Fraktion stimmt der Überweisung des Antrages an die Ausschüsse zu.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag an den Finanzausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft - mitberatend - zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
betr. Aufhebung der Immunität der Abgeordneten
- Drucksache 7/2533 Berichterstatter: Abgeordneter Thürk
Meine Damen und Herren, wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen ({1}) zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
betr. Aufklärungsaktion über den Großversuch mit genereller Richtgeschwindigkeit 130 auf Autobahnen und Höchstgeschwindigkeit auf ausgewählten Teilabschnitten
- Drucksachen 7/1827, 7/2541
Berichterstatter: Abgeordneter Wurche
Keine Wortmeldungen. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen ({2}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Rückstrahler für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger
- Drucksachen 7/1654, 7/2544 - Berichterstatter: Abgeordneter Wende
Wer Nrn. 1 und 2 des Antrags des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Der Antrag ist angenommen.
Damit ist die Tagesordnung für heute erschöpft.
Ich berufe den Bundestag auf Freitag, den 27. September 1974, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.