Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Am 9. Juni 1974, in den frühen Morgenstunden des Sonntags, hat ein plötzliches Kreislaufversagen dem Leben eines engagierten Politikers und Wissenschaftlers, unseres Kollegen Günter Slotta, kurz vor Vollendung seines 50. Lebensjahres ein jähes Ende bereitet. Die traurige Nachricht traf uns unvermutet; denn wohl niemand von uns hat dies vorausgeahnt, als unser Kollege am letzten Donnerstag wegen eines Unwohlseins seine Arbeit hier im Hause unterbrechen mußte.
Günter Slotta wurde am 4. August 1924 in Beuthen in Oberschlesien geboren. Er besuchte die Mittelschule und danach während einer Berufslehre das Abendgymnasium, an dem er das Abitur ablegte. Nach einem Studium an der Pädagogischen Hochschule in Hannover wurde er Lehrer, studierte aber nebenher weiter an der Universität Göttingen Erziehungswissenschaften, Germanistik, Psychologie, Philosophie und Soziologie. Nach der Promotion zum Dr. phil. wurde er zunächst Assistent am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main, später Rektor der Institutsschule in Braunschweig und schließlich Dozent und Professor an der Pädagogischen Hochschule von Saarbrücken.
Günter Slotta gehörte zur Generation der Kriegsteilnehmer. Er diente als Fallschirmjäger und kehrte schwer verwundet als Beinamputierter aus dem Zweiten Weltkrieg heim. Doch diese schwere Verwundung hielt ihn nicht davon ab, sich mit großer Energie den Belastungen des Doppelberufes eines Wissenschaftlers und Politikers hinzugeben.
Er trat 1962 in die SPD ein, wurde Stadtverordneter in Saarbrücken und Fraktionsgeschäftsführer, bekleidete viele Parteiämter und war zuletzt stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Saar der SPD.
Er war seit 1969 Abgeordneter des Wahlkreises 244 ({1}). Während der 6. Wahlperiode war er ordentliches Mitglied des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft; ab 1971 gehörte er
auch dem Petitionsausschuß an. Er war stellvertretendes Mitglied des Verteidigungsausschusses.
In der 7. Wahlperiode wurde Günter Slotta zusätzlich auch stellvertretendes Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Er hat sich auch als Autor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Bildungs- und Erziehungswesens einen Namen gemacht.
Der Deutsche Bundestag verliert in ihm einen Fachmann und engagierten Politiker, dessen Tod eine spürbare Lücke hinterläßt. Wir gedenken seiner in Achtung und Dankbarkeit.
Ich spreche der Familie des verstorbenen Kollegen Slotta und der Fraktion der SPD die aufrichtige und herzliche Anteilnahme des Hauses aus. - Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Slotta tritt mit Wirkung vom 10. Juni 1974 der Abgeordnete Peter in den Bundestag ein. Ich begrüße den Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit im Bundestag.
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Die Fraktion der SPD schlägt vor, für den aus dem Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes ausscheidenden Abgeordneten Dr. de With den Abgeordneten Jahn ({3}) zum ordentlichen Mitglied und für den aus dem Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes ausscheidenden Abgeordneten Wischnewski den Abgeordneten Dr. Ehmke zum stellvertretenden Mitglied zu wählen. Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates über Beihilfen für den Schiffbau sowie eine Mitteilung der Kommission an den Rat betreffend die Modalitäten einer Aktion auf dem Gebiet des Schiffbaus - Drucksache 7/1315 -, der in der 70. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. Dezember 1973 dem Ausschuß für Verkehr ({4}) und dem Ausschuß für Wirtschaft ({5}) überwiesen wurde, ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung nunmehr dem Ausschuß für Wirtschaft zugewiesen worden.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 7. Juni 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Urbaniak, Glombig, Dr. Nölling, Buschfort, Frau Schlei, Kratz, Krockert, Sander, Schluckebier, Schmidt ({6}), Hölscher und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Ausländerbeschäftigung - Drucksache 7/2124 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2215 verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 7. Juni 1974 die Kleine Anfrage der Abge7160
Präsident Frau Renger
ordneten Burger, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Graf Stauffenberg, Braun, Rollmann, Dr. Götz, Frau Dr. Wex, Frau Dr. Neumeister, Frau Stommel, Frau Hürland, Frau Schleicher, Frau Schroeder ({7}), Frau Verhülsdonk, Müller ({8}), Dr. Blüm, Picard, Dr. von Bismarck, Dr. Hammans, Schröder ({9}) und Genossen betr. Zahlungen an contergangeschädigte Kinder - Drucksache 7/2050 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2219 verteilt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern ({10})
- Drucksache 7/2003 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/2199 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl
({12})
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses ({13})
- Drucksache 7/2117
Berichterstatter: Abgeordneter Berger Abgeordneter Becker ({14})
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Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort?
- Das ist nicht der Fall. Wird in der allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf Art. I, II, III, IV, V, VI, Einleitung und Überschrift.
- Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur dritten Beratung
und Schlußabstimmung. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke! Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir haben noch über Nr. 2 des Ausschußantrages, die eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären, abzustimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern ({16})
- Drucksache 7/1906 - Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Innenausschuß ({17})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts geht die Bundesregierung folgerichtig den mit der Einführung des Art. 74 a in das. Grundgesetz beschrittenen Weg weiter. Er wird in den entscheidenden Punkten von der Bundesregierung, dem Bundesrat und von den Verbänden mit getragen. Im Kernpunkt paßt er genau in die politische Situation, weil dieser Entwurf einen wesentlichen, vielleicht entscheidenden Schritt zur Vereinheitlichung des Besoldungsrechts in Bund, Ländern und Gemeinden bringen wird.
Nur mit Hilfe dieses Gesetzes, das einheitlich und unmittelbar für Bund, Länder und Gemeinden gelten soll, kann ein unangemessener Wettbewerb von Bund zu Land, von Land zu Land, von Gemeinde zu Gemeinde in Zukunft ausgeschlossen, jedenfalls in Grenzen gehalten werden. Ein solcher fortgesetzter Verteilungskampf der öffentlichen Hände untereinander würde sich nur in immer höheren Personalkosten in den Haushalten auswirken und würde letztlich doch auf dem Rücken der Wirtschaft und dem jedes einzelnen Bürgers ausgetragen.
Es wäre in gleicher Weise verhängnisvoll, wenn die von vielen Seiten mit bemerkenswerter Sachlichkeit geförderte Vereinheitlichung, die dieser Gesetzentwurf bringen wird, durch einen bundesweiten Kampf der einzelnen Gruppen im öffentlichen Dienst unterlaufen würde. Auch hier enthält der Entwurf einen wichtigen Lösungsvorschlag mit Langzeitwirkung. Wenn es gelungen ist, beispielsweise den Technikern einen verbesserten Einstieg in die Besoldungsgruppe A 10 zu geben, so wird dieser Einstieg je nach dem weiteren Fortgang der Reform der Bildungsabschlüsse und der Laufbahnen auch den anderen Fachhochschulabsolventen möglich sein, z. B. den Steuerbeamten, den Rechtspflegern, den Beamten der allgemeinen inneren Verwaltung.
Die weitere Entwicklung wird nach der Grundentscheidung des Gesetzentwurfes dann aber nicht mehr in pauschaler, sondern in differenzierter Form vor sich gehen. Der Grundsatz der funktionsgerechten Bewertung - und ein vereinfachtes Rechtsetzungsverfahren hierzu - ergänzt ein pauschaliertes Laufbahnbefähigungs- und Ausbildungsdenken durch besondere Betonung der jeweils wirklich ausgeübten Funktion.
Entscheidend sind natürlich auch hier die Maßstäbe. Hierzu bedarf es noch einer überlegten und gründlichen Weiterentwicklung. Wichtig aber ist, daß ein Anfang gemacht wird, um zu erklärbaren, auch den streitenden Gruppen untereinander verständlichen Differenzierungen zu gelangen; denn Alternative wäre auf lange Sicht wahrscheinlich nur
ein durchschnittliches, verflachendes und leistungshemmendes Einheitsgehalt. Dazu wollen wir es aber nicht kommen lassen.
Es gibt neben diesen nur sehr kurz umrissenen Kernpunkten des Gesetzentwurfes eine ganze Reihe von wichtigen Neuregelungen, etwa im Richterbereich, bei der Versorgung mit einem ganz neuartigen System der Anpassung der Versorgungsbezüge usw. Ich kann diese im Rahmen meiner Einbringungsrede nicht vertiefen.
Die Vielzahl der Bereiche, in denen Lösungen zwingend von uns verlangt werden, führt mich jedoch abschließend zu der folgenden grundsätzlichen Feststellung. Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur lange erwartet und nach der Verfassungsänderung von 1971 notwendig, er ist für die Bundesregierung darüber hinaus eine Weichenstellung in Richtung auf ein modernes und transparentes Bezahlungssystem. Nicht alles kann in einem Zuge verbessert und neu geordnet werden; aber dieser Gesetzentwurf gehört zusammen mit den Grundentscheidungen des Art. 74 a des Grundgesetzes und dem Ersten Bundesbesoldungsneuregelungsgesetz durchaus zu den wichtigen, ich möchte es einmal so sagen: zu den „stillen" Reformen, die sich zwar erst langfristig auswirken, denen ich aber gerade aus diesem Grunde eine zügige parlamentarische Behandlung wünsche.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zur ersten Lesung dieses Gesetzes noch zwei Vorbemerkungen.
Wir haben unter dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt das Dritte Bundesbesoldungserhöhungsgesetz verabschiedet. Dieses Dritte Bundesbesoldungserhöhungsgesetz läßt jetzt den Vorbehalt der Zahlung von 11 °/o, mindestens aber 170 DM, für den verheirateten Eckmann bei den Beamten in Bund, Ländern und Gemeinden entfallen.
Wir haben aber in diesem Dritten Bundesbesoldungserhöhungsgesetz des weiteren einige Punkte aus dem 2. Besoldungsneuregelungs- und vereinheitlichungsgesetz vorgezogen, und zwar lediglich aus Zweckmäßigkeitsgründen. Bei den Überlegungen zu diesem Gesetz sind Schwierigkeiten aufgetreten, die eine parlamentarische Beratung nicht so rechtzeitig möglich machen würden, daß wir noch vor der Sommerpause dieses Gesetz hätten verabschieden können. Insoweit ist für den Bereich der technischen Beamten, hier insbesondere für den Bereich der Ingenieure, ein Auseinanderlaufen in der Laufbahn für altgraduierte Ingenieure und für Fachhochschulabsolventen verhindert worden. Nunmehr sind alle Ingenieure ab 1. Januar 1974 in der Besoldungsgruppe A 10.
Wir haben in diesem Zusammenhang auch unterstrichen, daß die Aufstiegsbeamten aus dem technischen Bereich nicht anders behandelt werden sollen als die Laufbahnbeamten, d. h. auch sie sind ab 1. Januar 1974 in der Besoldungsgruppe A 10. Des weiteren haben wir entschieden, daß wir die Fachhochschulabsolventen - also einen neuen Bildungsabschluß - grundsätzlich so eingruppieren, daß alle Absolventen von Fachhochschulen zukünftig in der Besoldungsgruppe A 10 sind. Herr Minister Maihofer hat schon darauf hingewiesen, daß damit ein Grundproblem aufgeworfen wird, nämlich das Problem, wie wir beispielsweise bei Steuerbeamten, Rechtspflegern, Verwaltungsbeamten in Zukunft verfahren. Ich will hier nicht verhehlen, daß ich keinen anderen Weg sehe als den, je nach den finanziellen Möglichkeiten, die wir in diesem Hause haben, genauso zu verfahren, wie wir auch im Ingenieurbereich verfahren sind.
Ich möchte noch eine zweite Bemerkung machen. Viele wissen, daß wir uns im Vermittlungsausschuß Ende des letzten Jahres noch einmal mit dem Problem der Zulagen auseinanderzusetzen hatten und daß wir auch in diesem Dritten Besoldungserhöhungsgesetz in bezug auf auseinandergelaufene Zulagenregelungen eine Zusammenführung versucht haben. Sie ist noch nicht ganz vollkommen, aber die schwierigsten Bereiche sind sicherlich erfaßt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Punkte, die im Zweiten Besoldungsneuregelungsund -vereinheitlichungsgesetz zu regeln vorgesehen waren, werden ebenfalls ab 1. Januar 1974 Gesetzeskraft erlangen.
Nun lassen Sie mich an dieser Stelle noch auf ein Problem aufmerksam machen, das im Zusammenhang mit der Verabschiedung eines Besoldungserhöhungsgesetzes zu sehen ist, nämlich das der Änderung des Wehrsoldgesetzes. Wir haben einen Gesetzentwurf vorliegen und hoffen, daß nach der Mitberatung im Verteidigungsausschuß morgen auch die Änderung des Wehrsoldgesetzes noch in dieser Woche erfolgen kann, so daß auch für den Bereich der Soldaten aus den übrigen gesetzlichen Regelungen für Beamte eine Konsequenz gezogen wird. Der Wehrsold würde danach um 1 DM und die Zuwendung, das sogenannte Weihnachtsgeld, von 185 auf 215 DM erhöht. Damit wäre auch für diesen Bereich, der seit 1971 keine Änderung erfahren hat, eine Anpassung erfolgt.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Zweiten Besoldungsneuregelungs- und -vereinheitlichungsgesetz vorweg einige grundsätzliche Bemerkungen machen.
Wir haben in diesem Hause, meist mit Zustimmung der Opposition, in bezug auf das Dienstrecht und die dienstrechtlichen Entwicklungen eine Kommission eingesetzt, die im Mai vorigen Jahres ihre Ergebnisse mit Vorschlägen für die Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts vorgelegt hat. Hier sind eine Menge Hinweise gegeben, die wir auch bei der Beratung zum 2. BesVNG mit in unsere Überlegungen einbeziehen sollten.
Wir haben uns in diesem Hause ebenfalls darauf verständigt, einmal festzustellen, wie denn die Besoldung im öffentlichen Dienst einen Vergleich mit
Becker ({0})
der Wirtschaft generell aushält. Nach diesem vor zwei Jahren erstellten Besoldungsrückstandsgutachten - so wurde es genannt - war festzustellen, daß die Arbeitnehmer in der Wirtschaft im Prinzip mit ihren Durchschnittsbezügen nicht anders dastehen als die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Allerdings gab es eine Reihe von graduellen Unterschieden, hier insbesondere in dem von mir vorhin schon erwähnten Ingenieurbereich, aber auch in anderen Bereichen, vor allen Dingen in Bereichen des einfachen und mittleren Dienstes, die wir bei unseren Beratungen zum 2. BesVNG ebenfalls mit berücksichtigen sollten.
Ich meine, daß wir von diesen Untersuchungen her eine Menge Material an die Hand bekommen haben, das uns ermöglicht, einige Grundfragen in diesem Zweiten Besoldungsneuregelungs- und. -vereinheitlichungsgesetz zu erörtern, beispielsweise die Frage des generellen Wegfalls der Eingangsbesoldungsgruppen. Hier lag ein Schwerpunkt in der Feststellung des Besoldungsrückstands.
Wenn wir diese Fragen erörtern, so bietet sich an, ein wichtiges Problem gleich mit in die Überlegungen einzubeziehen, nämlich das der starken materiellen Verluste bei der Übernahme aus dem Rechtsverhältnis eines Arbeitnehmers in das Beamtenverhältnis. Wir müssen in diesem Bereich, wo Nettoverluste bis zu 300 DM auftreten, auch die Überlegungen der Dienstrechtskommission, nämlich solche unterschiedlichen materiellen Rechtsverhältnisse möglichst anzugleichen, bei den weiteren Beratungen berücksichtigen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang erwähnen, daß die Bundesregierung inzwischen auch in bezug auf die Besoldungsordnung B einen Entwurf erstellt und dem Bundesrat zugeleitet hat, so daß wir bei den Beratungen zum Zweiten Besoldungsneuregelungs- und -vereinheitlichungsgesetz auch diesen Punkt werden in unsere Überlegungen einbeziehen können.
Ich darf zu einigen Schwerpunkten, die in diesem Gesetz zu behandeln sind, nur noch einige kurze Bemerkungen machen.
Wir müssen uns einmal um die Konstruktion des Zulagensystems für die Zukunft bemühen. Hier gibt es eine Reihe von Regelungen, die der eingehenden Überprüfung bedürfen; einfach deswegen, weil die Frage gelöst werden muß, ob die Zahlung von zwei Zulagen nebeneinander für ganz unterschiedliche Zwecke in Zukunft gestattet werden kann oder nicht.
Herr Minister Maihofer hat schon auf den Grundsatz der funktionsgerechten Bezahlung im öffentlichen Dienst hingewiesen. Ich will noch eine Bemerkung anfügen: Die Bundesregierung hat bereits in der Vergangenheit durch zwei Rechtsverordnungen im Besoldungsbereich solche „Funktionsgruppenverordnungen" genannte Regelungen eingeführt, die vor allen Dingen im technischen Bereich, aber auch in anderen Bereichen, in Bereichen der Steuerverwaltung und des allgemeinen Verwaltungsdienstes einige Anpassungen und Verbesserungen gebracht haben. Ich will in diesem Zusammenhang sagen, daß wir die verschiedenen Gruppierungen im öffentlichen Dienst, so wie wir sie sehen, zukünftig nach einheitlichen Maßstäben von den Bildungsabschlüssen her in unser Besoldungssystem einführen sollten, daß wir dann aber funktionsgerecht differenzieren, d. h. vergleichbare Arbeiten in den vergleichbaren Verwaltungen auch einheitlich bewerten sollten.
Lehrer, Hochschullehrer und Richter haben in bezug auf die Besoldung ihre besonderen Vorstellungen. Sie haben diese Vorstellungen auch in einer öffentlichen Anhörung, die wir im Innenausschuß zu diesem von der Bundesregierung vorgelegten und vom Bundesrat uns mit einer Reihe von Änderungsanträgen übermittelten Gesetzentwurf durchgeführt haben, vorgetragen. Wir wollen die dort vorgetragenen Argumente so gründlich wie möglich prüfen, wie wir überhaupt in engem Zusammenwirken mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes versuchen wollen, die Problematik dieses Zweiten Besoldungsneuregelungs- und -änderungsgesetzes so zu bewerten und den Entwurf so zu bearbeiten, daß wir dieses Gesetz Anfang Herbst auch verabschieden können.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wir sind der Auffassung, daß der öffentliche Dienst Dienstleistungen für den Bürger zu erbringen hat, daß er so rationell wie möglich arbeiten soll, daß die Beschäftigten im öffentlichen Dienst aber auch nicht schlechter gestellt werden sollen als die vergleichbaren Arbeitnehmer in der Wirtschaft. Ich darf dabei noch einmal erklären, daß eine in Vorbereitung befindliche Rationalisierungsschutzverordnung - unter diesem Stichwort möchte ich sie einmal nennen - in den öffentlichen Verwaltungen uns in der Zukunft rationelles Arbeiten erleichtern wird.
In diesem Zusammenhang darf man vielleicht zu der Schlußfeststellung kommen, daß die fünf Jahre Arbeit in der sozialliberalen Koalition in bezug auf die Dienstrechtsform und auf die Besoldungsreform mit allen Nebengebieten des Besoldungsrechts - wie beispielsweise des Reisekostenrechts oder der Mehrarbeitsvergütung - in einem engen und kooperativen Zusammenwirken mit der Opposition uns beträchtliche Erfolge für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und ihre Situation gebracht haben. Wir werden uns in der Zukunft sicherlich nicht der Aufgabe verschließen, im Hinblick auf das Bewährte, das wir aus dem Berufsbeamtentum vorfinden, dort anzugleichen und Verbesserungen vorzunehmen, wo es den Umständen entsprechend - ich hatte dazu ein Beispiel genannt - erforderlich ist. Wir werden das tun, was notwendig ist, und wir werden nicht aus Angst vor Folgerungen, die sich daraus ergeben, die notwendigen Schritte unterlassen. Wir werden schrittweise vorgehen je nach dem finanziellen Rahmen, der uns zur Verfügung steht. Eine Verunsicherung im öffentlichen Dienst ist nicht am Platze. Der Ausbau der Rechte der Gewerkschaften und der Personalräte trägt zu einer kontinuierlichen Entwicklung bei. Der öffentliche Dienst kann sich auf uns verlassen. Im Dienstrecht wie im Besoldungsrecht werden wir die notwendigen ReforBecker ({1})
men durchsetzen und dabei Bewährtes erhalten. Das ist die Generallinie unserer Politik.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Berger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der neue Bundesinnenminister hat vielleicht eine neue Übung begonnen, indem er eine Einbringungsrede gehalten hat. Das ist selbstverständlich möglich, in der Vergangenheit allerdings sehr selten geschehen. Ich begrüße das. Ich stelle aber fest, daß diese Einbringungsrede, Herr Minister, doch recht kurz ausgefallen ist.
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Vor allen Dingen habe ich in den Ohren, daß Sie betonten, dieses Gesetz sei lange erwartet worden.
Tatsächlich handelt es sich bei dem Gesetzentwurf, der heute in erster Lesung beraten wird, um ein sehr umfangreiches und kompliziertes Gesetz, das eine lange Vorgeschichte hat. Aus dieser Vorgeschichte ergibt sich auch der komplizierte Name des Gesetzentwurfs, der von einem bedeutenden Vertreter der Koalition vor wenigen Tagen im Innenausschuß zu „Zweites Besoldungsneuregelungsgesetz" verkürzt wurde. Ich stelle fest, daß auch der Herr Bundesinnenminister in seiner heutigen Ansprache vom „Zweiten Besoldungsneuregelungsgesetz" sprach und daß der Kollege Becker, mein Vorredner, zweimal die Bezeichnung „Besoldungsneuregelungs- und -vereinheitlichungsgesetz" gebrauchte. Tatsächlich ergibt sich der etwas komplizierte Name aus der Vorgeschichte. Es war ja so, daß bei dem Ersten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetz seitens der Regierung das „Erste Besoldungsvereinheitlichungsgesetz" eingebracht und seitens der Opposition das „Dritte Besoldungsneuregelungsgesetz" hinzugefügt wurde. Ich halte die im allgemeinen Sprachgebrauch übliche Verkürzung zu „Zweites Besoldungsvereinheitlichungsgesetz" eigentlich für näherliegend. Denn der Entwurf verfolgt im wesentlichen - so steht es auch in der Begründung - das Ziel, das Besoldungs- und Versorgungsrecht in Bund und Ländern durch einen weiteren Schritt zu vereinheitlichen.
Als überaus enttäuschend ist der Entwurf deshalb zu bezeichnen, weil er auf dem Gebiet der Neuregelung des Besoldungsrechts nichts oder nur wenig bringt, so daß ihm die Bezeichnung „Neuregelung des Besoldungsrechts" eigentlich gar nicht zugestanden werden kann. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß die Richter- und die Hochschullehrerbesoldung einer Änderung - allerdings ohne eine nennenswerte materielle Verbesserung - zugeführt werden sollen.
Aus der Vorgeschichte ergibt sich, daß damals eine interfraktionelle Arbeitsgruppe an der Arbeit war, von der gerade mein Vorredner, Herr Kollege Becker, rühmend sprach. Ich muß hier doch einmal sehr deutlich feststellen, daß entweder die Entschließung des Bundestages vom 3. März 1971 und die damalige Arbeit je nach Lage, so würde ich sagen,
- vor Wahlen oder in Beamtenversammlungen - als eine Meisterleistung der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien und als ein gelungenes Reformvorhaben gefeiert oder, wenn über finanzielle Auswirkungen gesprochen wurde, von einer Erpressung durch die CDU/CSU, insbesondere durch die Abgeordneten Wagner und Berger als Mitglieder der interfraktionellen Besoldungsgruppe gesprochen wurde, wie es z. B. der Landesfinanzminister Wertz von der SPD im nordrhein-westfälischen Landtag in einer Debatte tat. So wird auch heute noch entweder die Weisheit und Weitsicht des am 3. März 1971 vom Bundestag einmütig beschlossenen Antrages gelobt oder es eigentlich als recht unanständig angesehen, überhaupt noch an die damaligen Beschlüsse zu erinnern. Mit Erlaubnis der Präsidentin rufe ich nur den Punkt A in die Erinnerung zurück - ich zitiere aus dem Beschluß des Bundestages vom 3. März 1971 -:
A.
Zur Fortführung der Reform erwartet der Bundestag von der Bundesregierung die rechtzeitige Vorlage der erforderlichen Gesetzentwürfe, damit folgende Maßnahmen durchgeführt werden können:
1. Zum 1. Juli 1972:
Höherstufung der Eingangsämter unter Wegfall der Regelbeförderung,
2. zum 1. Juli 1972:
Umwandlung der Unterhaltszuschüsse für Beamtenanwärter in Anwärterbezüge,
3. zum 1. Januar 1973:
Erstellung einer neuen Grundgehaltstabelle unter Einbeziehung der allgemeinen Zulagen,
4. zum 1. Januar 1973:
Neuordnung der Besoldungsordnung B ({1}).
Ich stelle auch nach Ihren heutigen Ausführungen, Herr Minister, fest, daß die Bundesregierung diese eindeutigen Aufträge des Bundestages bis heute nicht erfüllt hat,
({2})
mit Ausnahme der in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Umwandlung der Unterhaltszuschüsse in Anwärterbezüge. Allerdings ist dieser Auftrag nur rein formal erfüllt; denn so hatten wir uns damals die Umwandlung nicht vorgestellt, daß sie nun, wie auch vom Bundesinnenministerium zugegeben werden muß, grundsätzlich keine höheren Bezüge bringt, vielmehr in Einzelfällen noch zu Verschlechterungen führt. Wiederholte Mahnungen an die Bundesregierung, insbesondere hier in Fragestunden, sind mit Hinweis auf die Arbeiten an diesem großen Reformwerk, das heute nun endlich im Entwurf vor uns liegt, abgetan worden. Leider gilt auch im vorliegenden Fall das Sprichwort: „Es kreißten die Berge; geboren wurde eine lächerliche Maus."
Lassen Sie mich noch einmal kurz auf die Anfangsbemerkung von der langen Vorgeschichte die7164
ses Entwurfs zurückkommen. Natürlich begrüßt es die CDU/CSU im Sinne ihrer dem Hause vorliegenden Vorschläge zur stärkeren Beteiligung der Spitzenorganisation, daß schon frühzeitig die - so hieß es damals - „Arbeitsunterlagen für die Weiterführung für die Besoldungsvereinheitlichung" - so heißt es in einem Schreiben des Bundesinnenministers vom 25. Mai des Jahres 1973 - den gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen der Beamten übersandt wurden und im vergangenen Jahr auch wiederholt Gespräche stattgefunden haben, bis es zu dem offiziellen Beteiligungstermin nach § 94 des Bundesbeamtengesetzes am 5. November des Jahres 1973 kam. Nur ist zu beklagen, meine Damen und Herren, daß alle diese Vorgespräche und Beteiligungen nicht zu Verbesserungen des Entwurfs führten, sondern im Gegenteil - wohl auf Veranlassung des Finanzministers - im Laufe der langen Vorbereitungszeit gewisse Verschlechterungen des Entwurfs erfolgten, insbesondere ausgerechnet zu Lasten der Versorgungsempfänger.
Zur Vorgeschichte rechne ich auch die zahlreichen guten Absichtserklärungen und markigen Worte des früheren Bundesinnenministers, z. B. auf dem Gewerkschaftstag Deutscher Bundesbahnbeamter und -anwärter am 10. September 1973 in Wiesbaden, veröffentlicht im Bulletin der Bundesregierung am 12. September 1973. Neben so guten Worten wie: „Kurzfristig ist in der Beamtenbesoldung die baldige Erarbeitung eines 2. Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetzes erforderlich" - wohlgemerkt am 10. September des vergangenen Jahres - muß nach den Ausführungen des Ministers Genscher als Kernstück des Gesetzentwurfs folgender Grundsatz beachtet werden - ich zitiere auch hier aus dem Bulletin der Bundesregierung mit Erlaubnis der Frau Präsidentin -:
2. Es muß sichergestellt werden, daß die Verbesserung des Einstiegs zugunsten der Absolventen von Fachhochschulen nicht zu einer unangemessenen Zurücksetzung derjenigen Beamten führt, die ihre Ausbildung v o r der Umstellung auf Fachhochschulen abgeschlossen haben.
Das ist ein guter Grundsatz, der von der CDU/CSU nicht nur bejaht wird, sondern auch zu konkreten Anträgen führen mußte. Leider ist nämlich gerade diese „unangemessene Zurücksetzung" seit dem 1. Januar dieses Jahres geltendes Recht, bis das im vorigen Tagesordnungspunkt heute beschlossene Dritte Bundesbesoldungserhöhungsgesetz in Kraft tritt.
Lassen Sie mich aber bitte dazu einmal ein offenes Wort sagen. Ich habe als Berichterstatter bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, insbesondere bei den Beratungen im Innenausschuß und in der Berichterstattergruppe, darum gekämpft, das Dritte Bundesbesoldungserhöhungsgesetz um diesen notwendigen Punkt anzureichern, und bin bis zur entscheidenden letzten Sitzung des Innenausschusses auf den Widerstand der Kollegen von der SPD/FDP gestoßen, die in der Sache sicher ähnliche, aber in der Form andere Vorstellungen hatten. In letzter Minute gelang es im Innenausschuß, zur Unterstützung des CDU/CSU-Antrages durch den
Mitberichterstatter, Herrn Kollegen Becker, zu kommen, und schon steht in allen Mitteilungen und Flugblättern etwa der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands - und es wird an vielen anderen Stellen übernommen werden -: „Auf Antrag des Kollegen Becker ({3}) " - „SPD" wird unterstrichen ({4})
„beschloß der Innenausschuß, das Dritte Besoldungserhöhungsgesetz um einige Punkte aus dem Zweiten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetz zu ergänzen." - Ich glaube, gerade das Gebiet der Beamtenbesoldung eignet sich wenig zu parteipolitisch gefärbten Erfolgsdarstellungen. Im Interesse der Sache würde ich es begrüßen, wenn wir uns im Innenausschuß und auch hier in dieser schwierigen Frage nach Möglichkeit weiterhin um Einmütigkeit - notfalls auf dem Kompromißwege - bemühten und dann allerdings auch die Verantwortung gemeinsam trügen und darauf achteten, daß dies auch nach außen korrekt dargestellt wird.
Zu der langen Vorgeschichte dieses Entwurfs gehört auch, daß während der vergangenen Jahre die berechtigte Erwartung bestand und auch von der Regierung genährt wurde, das Gesetz könne am 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten. Gegen Jahresende wurde vom zuständigen Staatssekretär dann aber schließlich verkündet, es werde mit wesentlichen Teilen ab 1. Januar 1974 in Kraft treten. In einem Einladungsschreiben des Innenministers vom 8. Oktober 1973 an die gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen zu dem Beteiligungstermin heißt es:
Aus dem politischen Bereich bin ich nachdrücklich gebeten worden, die Erarbeitung des Gesetzentwurfes so zu beschleunigen, daß der Innenausschuß des Deutschen Bundestages mit der Beratung - eventuell auf der Grundlage einer Drucksache des Bundesrats - noch in diesem Jahr beginnen kann.
Meine Damen und Herren, das Jahr ist um. Auch von dem neuen Jahr ist die Hälfte bereits um. Als CDU/CSU bleiben wir bemüht, die Zusage der Bundesregierung zu verwirklichen. Wir werden dafür eintreten, daß nicht die Beamten und Versorgungsempfänger unter der von der Bundesregierung zu vertretenden Verzögerung zu leiden haben und der Entwurf mit wesentlichen Teilen rückwirkend ab 1. Januar dieses Jahres in Kraft tritt. Ich denke hier insbesondere an Fragen der Polizeibeamtenbesoldung und die Versorgungsempfänger.
Dabei unterstützen wir grundsätzlich das von der Bundesregierung vorgeschlagene neue System der Anpassung der Versorgungsbezüge. Wir halten allerdings eine Bereinigung der bisher ungleichen Ausgangslage für das neue versorgungsrechtliche Pauschalsystem für notwendig, da einzelne Beamtengruppen voll in die neuen höheren Besoldungsgruppen übergeleitet wurden, während die Mehrheit der Versorgungsempfänger nur ungünstigere Anpassungszuschläge erhält.
In der CDU/CSU beurteilen wir den Inhalt des vorgelegten Entwurfs nicht nur nach den BeschlüsBerger
sen des Bundestages vorn 3. März 1971 und den, gemessen an den abgegebenen Erklärungen, enttäuschten Erwartungen, auch nicht nur danach, daß günstigere Regelungen in einzelnen Ländern abgebaut werden sollen, sondern vor allem danach, ob der Entwurf des Zweiten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetzes notwendige und zweckmäßige Regelungen des Besoldungsrechts herbeiführt, um den inzwischen eingetretenen Veränderungen im öffentlichen Dienst unter Einbeziehung vielfach neu entstandener Berufsbilder und der außerhalb des öffentlichen Dienstes festzustellenden Entwicklungen gerecht zu werden. Auch insoweit muß der Entwurf als eine unzureichende Grundlage für ein zeitgerechtes Besoldungsrecht angesehen werden.
Nach Auffassung der CDU/CSU müssen die Besonderheiten einzelner Bundesländer in größerem Umfang berücksichtigt werden, als es in dem Entwurf geschieht. Ich denke dabei nicht nur an die leider immer noch bestehenden Unklarheiten bei der Vorbildung und Besoldung der Lehrer. Leider ist die Vereinheitlichung vielfach nur zu Lasten einer Anzahl von Härtefällen geschehen. Für diese Fälle sind zwar Härteregelungen vorgesehen, aber diese reichen nach Auffassung unserer Fraktion nicht aus, weil sie einen echten, d. h. nicht nur vorübergehenden Besitzstand nicht gewährleisten.
Ich denke auch nicht nur an die umstrittene und auch mit der Lehrerbesoldung im Zusammenhang stehende Frage des gerechten Einstiegs der Fachhochschulabsolventen. Sie wissen, daß die CDU/
CSU in der Vergangenheit bei verschiedenen Gelegenheiten im Innenausschuß den Antrag gestellt hat, Fachhochschulabsolventen in A 11 beginnen zu lassen. Ich denke auch an die Notwendigkeit einer neuen Laufbahnführung für Fachhochschulabsolventen, etwa von A 11 bis A 14, bei gleichzeitiger Zuweisung entsprechend höherwertiger Aufgaben, die Abgabe einfacherer Aufgaben an einen entsprechend auszubildenden mittleren Dienst und insgesamt an eine funktionale Laufbahn- und besoldungsmäßige Neuabgrenzung zwischen höherem, gehobenem und mittlerem Dienst. Dabei müssen befriedigende Regelungen für die vorhandenen Laufbahnbeamten gefunden werden, und es muß sichergestellt werden, daß keine Spaltung des gehobenen bzw. des mittleren Dienstes in Beamte neuer und alter Ordnung erfolgt. Ich verweise dabei noch einmal auf den vorhin zitierten Ausspruch des früheren Bundesinnenministers.
In diesem Zusammenhang würden wir es sehr begrüßen, wenn es nun endlich zur Beratung und möglichst baldigen Verabschiedung der Änderung des Steuerbeamtenausbildungsgesetzes käme, von dem ja auch der Herr Bundesinnenminister sprach. Hierzu liegt schon seit dem 9. November des vergangenen Jahres ein Entwurf des Bundesrates vor. Es gibt ja auch inzwischen die Bundestagsdrucksache 7/1643. Leider konnten wir beim Rechtspflegergesetz, Bundesratsdrucksache 157/74, und beim Gesetz zur Zweiten Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften für den gehobenen Dienst - ich denke an die Bundesratsdrucksache 156/74 - immer noch nicht mit
der Beratung beginnen, weil die Bundesregierung ihre Stellungnahme zu den Vorschlägen des Bundesrates vom 5. April dieses Jahres noch nicht abgegeben hat, obwohl es doch wirklich dringlich wäre, da diese Gesetze die Voraussetzungen für eine den heutigen Erfordernissen angepaßte Ausbildung beinhalten.
Natürlich wissen wir alle, daß die Hauptschwierigkeit auch bei dem vorliegenden Entwurf der finanzielle Rahmen ist, der für den Bundeshaushalt jährliche Mehrkosten von 150,2 Millionen DM vorsieht. Dazu kommen noch die Kosten für die Deutsche Bundesbahn, Deutsche Bundespost sowie für die Länder und Gemeinden. Prozentual wird der Gesetzentwurf eine Erhöhung der Personalausgaben bei den Beamten und Versorgungsempfängern um etwa 0,6 % bringen. Es heißt ja in der Drucksache: „Die Maßnahmen des Gesetzentwurfs dürften im Hinblick auf das Gesamtniveau der Personalausgaben im öffentlichen Dienst keine nennenswerte Auswirkung für das Preisniveau haben."
Ich möchte also noch einmal ausdrücklich klarstellen, daß die Kosten des Zweiten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetzes nicht auf verstärkte Besoldungserhöhungen zurückzuführen sind. Höhere Anforderungen der Allgemeinheit an den öffentlichen Dienst, die geänderte Berufsbilder und geänderte Strukturen mit sich bringen, sowie die von allen Fraktionen gewollte Anpassung der Versorgungsbezüge verursachen diese Kosten.
Auch die Neuordnung der Besoldungsordnung B, von der Herr Kollege Becker soeben sagte, das Kabinett habe endlich einen Beschluß darüber gefaßt - leider liegt uns darüber noch nichts vor -, soll ja vom Bundeskabinett vor wenigen Tagen auf kostenneutraler Basis beschlossen worden sein. Es liegt auf der Hand, daß alle Neuordnungen, die nichts kosten dürfen, eine neue Kodifizierung aller Vorschriften und eine Vereinheitlichung auf mittlerer Ebene, aber nicht viel an echtem Fortschritt bringen können.
Aber auch bei dem gegebenen finanziellen Rahmen ist nach Auffassung der CDU/CSU mehr Gerechtigkeit und Fortschritt möglich. Der Tarif- und Gehaltsstreit im öffentlichen Dienst zu Beginn dieses Jahres und die sich in letzter Zeit mehrenden Vorwürfe - „Wir geben zuviel Geld für die im öffentlichen Dienst Beschäftigten aus" oder, um es mit den Worten des früheren Bundeskanzlers zu sagen: „Die Beamten fressen den Staat auf" - bestärken die CDU/CSU in ihrer Forderung nach Versachlichung der Besoldungspolitik, nach einem objektiven Rahmen für die Besoldungspolitik.
Zum Thema „Anpassung der Besoldung" werden die Vertreter der CDU/CSU bei den Beratungen im Innenausschuß Vorschläge, insbesondere zur Konkretisierung des § 14, vorlegen, nach dem die Besoldungspolitik im öffentlichen Dienst durch objektive Orientierungsdaten durchgreifend versachlicht werden soll. Die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und die Öffentlichkeit müssen sich überzeugen können, daß die Gesamtentwicklung der Besoldung weder hinter der Lohn- und Gehaltsentwicklung außer7166 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode
halb des öffentlichen Dienstes zurückbleibt noch sie überholt. Deshalb soll am Anfang jeden Jahres durch ein unabhängiges Sachverständigengutachten die durchschnittliche Lohn- und Gehaltsentwicklung der unselbständig Beschäftigten außerhalb des öffentlichen Dienstes im abgelaufenen Jahr festgestellt werden. Die festgestellte Durchschnittszahl dient dann als Orientierung für die Regierung, die gewerkschaftliche Spitzenorganisationen und insbesondere für das Parlament hinsichtlich des Gesamtvolumens linearer und struktureller Besoldungsverbesserungen im laufenden Jahr. Die Aufteilung dieses Gesamtvolumens auf lineare Besoldungsanhebungen für alle öffentlich-rechtlich Beschäftigten und auf etwaige strukturelle Maßnahmen zugunsten einzelner Gruppen fordert im besonderen Maße die Mitverantwortung der gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen im Rahmen der nach unseren Vorschlägen zu erwartenden Beteiligungsrechte.
Die von der CDU/CSU vorgesehene Formulierung zur Konkretisierung der Anpassung der Besoldung würde viel zu einer Versachlichung der Besoldungspolitik beitragen können. Die ungerechtfertigten, polemischen und den öffentlichen Dienst als Ganzes diskreditierenden Äußerungen in den letzten Monaten sind nicht spurlos an den Beamten, Richtern und Soldaten vorbeigegangen. Ein Parlament und eine Regierung, die ein Beamtentum auf der Grundlage der bestehenden Beamtengesetze, eine Bundeswehr und eine Richterschaft entsprechend ihrer verfassungsmäßigen Stellung bejahen, müssen auch eine eigenständige, rational begründete und damit auch rational nachprüfbare Besoldungspolitik für Beamte bejahen. Ein bloßes Anhängen an Tarifauseinandersetzungen ist nicht nur schädlich, sondern höhlt das Beamtentum von der Bezahlung her aus.
({5})
Die CDU/CSU weiß um die große Bedeutung des öffentlichen Dienstes für die innere und äußere Ordnung unseres Staates. Sie wird sich in Anerkennung der auch in diesem Bereich erbrachten großen Leistungen den weiteren Ausbau des Rechts der im öffentlichen Dienst Tätigen angelegen sein lassen.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den lichtvollen Ausführungen meiner Herren Vorredner kann ich mich verhältnismäßig kurz fassen. Herr Kollege Berger hat seine Ausführungen damit begonnen, daß er an die Nomenklatur, an die Bezeichnung des Gesetzes angeknüpft hat: Besoldungsneuregelungs- oder Besoldungsvereinheitlichungsgesetz. Genau heißt es: Zweites Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern ({0}).
({1})
- Ich habe es abgelesen. - Vielleicht einigen wir
uns, daß wir sagen: Langnamengesetz. Jeden Nichtbeamten beschleicht die Vermutung und in diesem
Falle die zutreffende Vermutung, ein Gesetz, dessen Titel so kompliziert formuliert ist, muß eine teure Angelegenheit sein.
Bei aller Differenzierung, die hier in den Darlegungen deutlich geworden ist, sind es immer wieder die gleichen Probleme, die vorgetragen worden sind. Ich halte es für wenig sinnvoll, in der ersten Lesung des Gesetzes den Versuch machen zu wollen, Differenzen zwischen den einzelnen Auffassungen im einzelnen darzustellen, wo wir doch sicherlich alle darin einig sind, daß niemand von uns die Möglichkeit hat, eine grundsätzliche Reform des Besoldungsrechts auf einmal durchzuführen und sozusagen alle Probleme mit einem Schlage zu lösen. Dieses ist ein mühsamer Prozeß, der erst durch die Grundgesetzänderung, durch die Einführung des Artikels 74 a, möglich geworden ist, also mit dem März 1971. Herr Kollege Berger, wenn Sie vorhin den Zeitrahmen vorgetragen haben, den wir uns vorgestellt haben, dann muß man doch immer auch daran erinnern, daß zur Grundgesetzänderung, die dazu erforderlich war, auch Ihre Zustimmung notwendig gewesen ist und daß man dieses vielleicht auch eher hätte machen können.
Wenn ich hier -- wenn ich mich umsehe: als einer der ganz wenigen Nichtbeamten, die anwesend sind - gehalten bin, mich: mit diesem Gesetzentwurf zu befassen, dann möchte ich doch mit aller Unbefangenheit das Unbehagen artikulieren, das in der Öffentlichkeit auch dadurch entsteht, daß die Diskussion über das Besoldungsrecht und über besoldungspolitische Fragen bei allen Erörterungen der Reform des Beamtenrechts einen sehr großen Anteil ausmacht. In der öffentlichen Meinung werden immer stärker die Vermehrung der Beamtenschaft und die sich daraus ergebenden wachsenden Kosten betont. Es werden immer mehr Zweifel an der Leistungsfähigkeit, ja, vor allem an der Leistungsanforderung geäußert. Das muß man bedauern. Man muß eine erste Lesung dieses Gesetzentwurfes sicherlich dazu benutzen., um erneut und wiederholt zu betonen, daß wir an dem System des Berufsbeamtentums festhalten müssen, daß wir in immer stärkerem Maße auf die Objektivität, die Kontinuität und die Loyalität der Berufsbeamten angewiesen sind und daß wir alles tun müssen, um dieses System leistungsgerecht zu machen und den Anforderungen unserer Gesellschaft anzupassen.
Die Vermehrung der Beamtenschaft ist unstreitig. Aber sie ist, wie auch Sie es angedeutet haben, ein Spiegel des Wachstums der Staatsaufgaben, der Forderungen, die wir, die Bürger dieses Staates, in zunehmendem Maße selber an diesen Staat stellen. Wenn man das zahlenmäßig verfolgt, so stellt man fest, daß sich die dafür erforderlichen Ausgaben in den Jahren von 1961 bis 1971 verdoppelt haben. Sie machen heute 40 % des Bruttosozialprodukts aus.
Wir haben 3 Millionen Beamte in Bund, Ländern und Gemeinden. Verglichen mit der idyllischen, guten alten Zeit, also mit 1913, ist das ein Wachstum von 103 %.
({2})
- Sie haben recht, so idyllisch war die Zeit damals gar nicht.
Aber dies verändert natürlich das Selbstverständnis des Beamtentums. Wir haben einen Wandel in der sozialen Homogenität der Beamtenschaft zu verzeichnen, die früher in einem viel größeren Maße gegeben war als heute. Das zahlenmäßige Verhältnis der Beamten zu den Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes hat sich drastisch verändert.
Das Anwachsen der Personalkosten ist mit dem ungelösten und vielfältig streitigen Problem verbunden, wie die Beamtenschaft sachgerecht an den Verteilungskämpfen in dieser Gesellschaft zu beteiligen ist, ohne daß ihre Funktion als Garant staatlicher Tätigkeit beeinträchtigt wird. Hier ist schon auf § 14 hingewiesen worden, in dem die Absicht zur fortlaufenden Anpassung erklärt wird. Die gesetzliche Formulierung läßt allerdings das dazu notwendige Instrumentarium offen. Die Formulierung, die der Beamtenbund dazu vorgelegt hat, ist sicher nicht unproblematisch. Wir werden sie sehr sorgfältig prüfen müssen, um der Gefahr zu entgehen, zu einem Automatismus, einer Dynamisierung der Gehälter zu kommen mit Konsequenzen, die man nur schwer übersehen kann. Wir brauchen also eine Besoldungspolitik aus einem Guß.
Wir alle, die wir vorhin dem Dritten Besoldungserhöhungsgesetz einmütig zugestimmt haben - es war einmütig wie im Ausschuß; Herr Kollege Berger, ich halte überhaupt nichts davon, hier ein Erstzu statuieren -,
({3})
waren uns ja einig, daß wir diese Regelungen treffen wollten. Nur waren wir zeitweise verschiedener Meinung, in welchem Gesetz das geschehen sollte. Sie werden mir sicherlich darin zustimmen, daß die Regelungen, über die wir hier im einzelnen reden, viel besser in das „Langnamengesetz" hineingepaßt hätten als in das Besoldungserhöhungsgesetz. Ich meine also die Festlegung des Eingangsamts A 10 für alle Fachhochschulabsolventen, die Gleichstellung der Altgraduierten, die Gleichstellung der sozialen Aufsteiger und die Polizeizulage für den Zollgrenzdienst.
Wir haben das einstimmig beschlossen, obwohl wir alle genau wissen, daß wir damit eine Fülle weiterer Probleme provozieren. Die künftige Ausdehnung der Fachhochschulausbildung wird zu Berufungsfällen führen. Ich denke auch an die Forderung nach Gleichstellung von Betriebs- und Verwaltungsangehörigen mit dem technischen Dienst in der Bundespost. Sie werden wahrscheinlich genauso wie ich entsprechende Schreiben dazu schon auf dem Tisch liegen haben. Ich nenne die Forderung nach einem höheren Eingangsamt als A 10 oder - so gefällt es vielleicht noch besser - nach dem Wegfall der Eingangsämter überhaupt; diese Forderung ist ja schon erhoben worden.
Wenn Sie, Herr Kollege Berger, sagen, das einfache Anhängen an die Tarifabschlüsse führe zu einer Aushöhlung des Berufsbeamtentums auf dem
Wege über die Besoldung, dann zitieren Sie damit wörtlich das, was der Beamtenbund uns dazu geschrieben hat. Ich stimme dem zu; dieses ist in der Tat ein offenes Problem.
Ziel dieses Gesetzes, mit dem wir alle übereinstimmen, ist die dringend notwendige Vereinheitlichung der Besoldung in Bund, Ländern und Gemeinden. Es ist hohe Zeit, das zu tun, gerade wegen der Besoldungsänderungsgesetze in den Ländern. Wir werden - diese Erklärung kann ich für meine Fraktion abgeben - alles tun, um zu einer möglichst schnellen Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzes zu kommen.
Der zweite Kernpunkt ist die funktionsgerechte Besoldung - § 20 Abs. 2 des Entwurfs . Das Verordnungsrecht der Bundesregierung, die Funktionen den Ämtern zuzuordnen, ist ein Kernstück und sicherlich eine Aufgabe, um die man weder diese Bundesregierung noch zukünftige Bundesregierungen wird beneiden dürfen.
Zur Lehrerbesoldung ist hier bereits etwas gesagt worden, auch über das Erfordernis der Einigung der Länder untereinander. Die Besoldung der Hochschullehrer und der Richter ist ein Sonderfall, den wir im Ausschuß noch nicht beraten konnten. Ich glaube, daß der Kernpunkt dieses Gesetzes, nämlich die Möglichkeit der funktionsgerechten Besoldung, in einem engen Zusammenhang mit dem Zeitraum steht, in dem dieses Ziel nach Inkrafttreten des Gesetzes von einer Bundesregierung verwirklicht werden kann. Hier wird von einem Zeitraum in Abschnitten - bis zu acht Jahren gesprochen. Ich halte diese Frage für eine Schicksalsfrage des Berufsbeamtentums überhaupt. Man muß das in dieser Deutlichkeit sagen. Wenn es nicht möglich wäre, eine Besoldungsreform des öffentlichen Dienstes unter dem Ziel der funktionsgerechten Besoldung durchzuführen, geriete das Berufsbeamtentum in eine ernsthafte Krise. Wir alle, die wir gemeinsam an der Erhaltung des Berufsbeamtentums interessiert sind und interessiert sein müssen, sollten versuchen, in dieser Frage nicht Gräben zwischen uns aufzureißen, sondern gemeinsam daran mitzuarbeiten, dieses Ziel so schnell und so reibungslos wie möglich im Interesse unseres Staates zu verwirklichen.
Wir werden uns also bemühen, der Behandlung dieses Gesetzes im Innenausschuß einen so hohen Vorrang einzuräumen, daß wir möglichst schnell damit fertig werden und es in Kraft setzen können.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates liegen vor. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie nebst Zusatzvereinba7168
Präsident Frau Renger
rungen zu dem Übereinkommen vom 25. Mai 1962 über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen nebst Zusatzprotokoll und zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1971 über die zivilrechtliche Haftung bei der Beförderung von Kernmaterial auf See ({0})
- Drucksache 7/2182
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({1})
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
- Drucksache 7/2183
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? -Das ist nicht der Fall. Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates liegen vor. Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. November 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Auslieferung
- Drucksache 7/372 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 7/2065 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Wittmann ({4}) Abgeordneter Lambinus
({5})
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wittmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist ungewöhnlich, daß zu einem rechtstechnischen Vertrag, nämlich zu einem Auslieferungsvertrag, eine Debatte in diesem Hause stattfinden muß. Wir meinen grundsätzlich, daß es richtig ist, daß auf dem Gebiet der rechtlichen Zusammenarbeit das Zusammenwirken der Staaten durch Verträge geregelt wird; dies um so mehr, wenn es sich um einen Fall wie den uns vorliegenden handelt, um den Fall eines Landes wie Jugoslawien, in das jährlich Hunderttausende von Menschen reisen und aus dem über eine halbe Million Menschen bei uns als Mitarbeiter in unserer Volkswirtschaft tätig sind. Beide Faktoren führen naturgemäß dazu, daß insbesondere auch in Strafsachen eine enge Zusammenarbeit erfolgen muß.
Meine Damen und Herren, die Opposition hat an diesem Vertrag erhebliche Kritik anzumelden. Ich möchte aber vorweg gleich etwas klarstellen. Diese Kritik ist nicht deshalb anzumelden, weil es sich um einen kommunistischen Staat handelt - denn sonst hätten wir dem Vertrag über Rechtshilfe nicht zustimmen können -, sondern deshalb, weil der Vertrag selbst erhebliche Mängel enthält, von denen wir der Meinung sind, daß sie in Zukunft nicht nur im Verhältnis zu Jugoslawien, sondern auch und insbesondere für die Menschen zu Schwierigkeiten führen.
Der Vertrag enthält eine Verschlechterung im Auslieferungsverkehr gegenüber dem bisherigen vertragslosen Zustand. Dieser beruhte auf unserem Auslieferungsgesetz, nach dem wir die Möglichkeit hatten und haben, nach unserem Ermessen und auf der Basis der Gegenseitigkeit mit Jugoslawien die Auslieferung zu handhaben.
Nunmehr aber geht die Bundesrepublik durch diesen Vertrag Auslieferungsverpflichtungen ein, deren Tragweite im Moment noch nicht abzusehen ist. Ich bitte es nicht als unangemessene Kritik an einem Staate anzusehen, mit dem wir vielfältige Beziehunhen haben, wenn ich die Tatsache feststelle, daß es eben in diesem Staat vielfältige Probleme politischer, ethnischer und weltanschaulicher Art gibt, daß sich auf Grund dieser Probleme strafbare Handlungen ergeben, die bei uns in dieser Form aus dieser Motivation heraus nicht denkbar sind, und daß schließlich auch manche Auseinandersetzungen gerade wegen der politischen Verfassung dieses Staates dort anders beurteilt werden, als es bei uns der Fall ist.
Aus diesen Gründen wäre es angemessen gewesen, daß der Vertrag eine Klausel enthalten hätte, die eine Auslieferungspflicht dann nicht begründet, wenn eine Gefahr der Verfolgung aus rassischen, religiösen oder Gründen der politischen Anschauung zu befürchten ist.
Wir haben mit vielen Staaten - mit Staaten, die nicht ein mehr oder weniger diktatorisches System haben - Auslieferungsabkommen, in denen diesem Gesichtspunkt Rechnung getragen ist, obwohl nicht daran zu denken ist, daß dort derartige Verfolgungen stattfinden. Z. B. heißt es in Art. 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens:
({0}) Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die strafbare Handlung, derentwegen sie begehrt wird, vom ersuchten Staat als eine politische oder als eine mit einer solchen zusammenhängende strafbare Handlung angesehen wird.
Dann heißt es aber weiter:
({1}) Das gleiche gilt, wenn der ersuchte Staat ernstliche Gründe hat anzunehmen, daß das
Dr. Wittmann ({2})
Auslieferungsersuchen wegen einer nach gemeinem Recht strafbaren Handlung gestellt worden ist, um eine Person aus rassischen, religiösen, nationalen oder auf politischen Anschauungen beruhenden Erwägungen zu verfolgen oder zu bestrafen, oder daß die verfolgte Person der Gefahr einer Erschwerung ihrer Lage aus einem dieser Gründe ausgesetzt wäre.
Im Vertrag aus dem Jahre 1958 mit Österreich, dessen Strafverfahren fast genauso ist wie das unsere, dessen Verfassung der unseren in vielen Punkten gleicht, heißt es:
Die Auslieferung wird ferner nicht bewilligt, wenn der ersuchte Staat ernstlichen Grund zur Annahme hat,
1. daß um die Auslieferung ersucht wird, um die auszuliefernde Person wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder ihrer politischen Anschauungen zu verfolgen, zu verurteilen, zu strafen, in irgendeiner Weise in ihrer persönlichen Freiheit zu beschränken, oder
2. daß diese Person im Falle der Auslieferung der Gefahr einer Verschlimmerung ihrer Lage aus einem dieser Gründe ausgesetzt wäre.
Um klarzustellen: Hätte der deutsch-jugoslawische Auslieferungsvertrag eine derart umfassende Klausel, die praktisch die Möglichkeiten wiederherstellt, die wir bis jetzt auf Grund des uns im Auslieferungsgesetz eingeräumten Ermessens haben, würde meine Fraktion diesem Vertrag selbstverständlich zustimmen.
Uns macht skeptisch, daß wir im Rechtsausschuß mitgeteilt erhielten, daß die Verhandlungen an eben diesem Punkt, nämlich der Frage der Aufnahme einer Klausel betreffend die Verfolgung aus nicht strafrechtlichen Gründen - wenn ich es einmal so nennen darf -, gescheitert wären. Die Bundesregierung hat sich über diese Bedenken, die von den Beamten geäußert wurden, hinweggesetzt und die Forderung nach dieser Klausel fallengelassen. Ich halte das für ein schwerwiegendes Versäumnis, zumal der Auslieferungsverkehr mit Jugoslawien bis jetzt - das wurde uns im Ausschuß ganz deutlich bestätigt - hervorragend funktioniert hat.
Meine Damen und Herren, wir können es nicht mitverantworten, daß nunmehr für viele Menschen die Gefahr einer zusätzlichen Verfolgung besteht. Dabei denke ich - damit das gleich von vornherein ausgeräumt ist - nicht an politische Terroristen, denn diese sind auslieferungsfähig nach Art. 3 des Vertrages, wonach zwar bei politischen Straftaten keine Auslieferungspflicht besteht, jedoch die Auslieferungspflicht auch bei politischen Taten gegeben ist, wenn es sich um Verbrechen gegen das Leben oder damit zusammenhängende Straftaten handelt. Hier sagt meine Fraktion selbstverständlich ja zu einer Auslieferungspflicht. Aber der Vertrag hat eben nur zwei Einschränkungen, nämlich die politische Straftat außerhalb der Straftat gegen das Leben und eventuell verfassungsrechtliche Gründe, die vorgegeben werden können, um eine Auslieferung zu verweigern.
Hier kommt die Frage auf uns zu, ob es sich hier nicht darum handelt, daß z. B. das Asylrecht festgestellt sein muß, ehe erklärt werden kann, daß eine Auslieferung nicht erfolgt. Wir haben in Art. 16 Abs. 2 unseres Grundgesetzes die Bestimmung, daß ein Deutscher nicht ausgeliefert werden darf, und das gleiche gilt praktisch für politisch Verfolgte, die Asyl genießen. Diese Bestimmung erfaßt aber eben nicht die Fälle, wo eine Verfolgung droht aus rassischen, religiösen, ethnischen Gründen oder aber auch aus Gründen, die mit politischer Anschauung zusammenhängen, wo zunächst nicht eine wirkliche politische Verfolgung im eigentlichen Sinn anzunehmen ist.
Meine Damen und Herren, auch die Praxis des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die die Asylgewährung vorbereitet bzw. für die Asylgewährung zuständig ist, macht uns sehr skeptisch; man muß danach fürchten, daß die Fälle, wo die Möglichkeit besteht, Menschen durch Nichtauslieferung zu schützen, immer weniger werden. So hat z. B. dieses Bundesamt entschieden:
Eine dreijährige Freiheitsstrafe bei Verbleiben im Ausland nach legaler Ausreise aus einem kommunistischen Staat ist nicht als Gefahr einer politischen Verfolgung anzusehen.
Die Ausübung der Freizügigkeit mit dreijähriger Freiheitsstrafe zu bestrafen ist nach meinem Dafürhalten bereits ein Tatbestand der Verfolgung. Aber interessant ist die Begründung des Bundesamts. Es heißt dort, im Laufe der Zeit sei der Weggang aus Ungarn so groß geworden, daß sich dieser Staat wie jeder andere eine Abwanderung nicht leisten könne, wenn seine Wirtschaft nicht zugrunde gehen solle. Mit dieser Begründung hat man also eine so hohe Freiheitsstrafe nicht als Indiz für eine politische Verfolgung gewertet!
Oder ein anderer Fall, der beim Bundesamt anhängig war: Auch die tatsächlich erfolgte Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis wegen Republikflucht wird nach Ansicht des Bundesamts nicht als Indiz für eine politische Verfolgung gewertet. Oder: Eine vierjährige Freiheitsstrafe für ein Paßvergehen ist nach Ansicht dieses Bundesamtes durchaus normal.
Ich würde die Bundesregierung sehr herzlich bitten, auf die Spruchpraxis dieses Bundesamtes zu achten, damit unser Land nicht allmählich in den Ruf kommt, politisch Verfolgten kein Asyl zu gewähren und hier Maßstäbe anzuwenden, die mit einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat nicht vereinbar sind.
({3})
Betrachtet man diese Spruchpraxis, so wird man sagen können, daß auch gerade in bezug auf den deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrag die Zahl der Fälle, in denen aus politischen' Gründen Asyl gewährt wird, immer kleiner wird. Freilich hat die Bundesregierung jederzeit die Möglichkeit, zu sagen, aus politischen Gründen wird Asyl gewährt, wie der Art. 3 sagt; aber das kann eben nicht aus den Gründen geschehen, die in den Schutzklauseln enthalten sind, die ich vorher zitiert habe.
Dr. Wittmann ({4})
Der Vertrag enthält noch andere Mängel. Zum
Beispiel ist in dem Art. 1 der Resozialisierungsgedanke bei jugendlichen und heranwachsenden Straftätern dergestalt in den Vordergrund geschoben, daß beide Staaten miteinander überlegen sollen, was der Resozialisierung besser dient: das Verbleiben in einem Lebensmittelpunkt, wo Eltern, Verwandte usw. sind und wo sich der Jugendliche oder Heranwachsende eingewöhnt hat, oder aber bei einer Auslieferung. Man möchte meinen, daß bei Nichteinigung der beiden Staaten die Priorität das Verbleiben in oder das Hinführen zu dem Bereich hat, in dem eine Resozialisierung möglich ist. Das Gegenteil ist der Fall: es wird gesagt, wenn man sich nicht einigt, hat Auslieferung zu erfolgen, so daß hier praktisch der Resozialisierungsgedanke wieder hinter dem absoluten Strafanspruch zurücktreten muß. Gerade bei jugendlichen Tätern bin ich der Auffassung, daß die Wiedereingliederung in das Leben Vorrang vor der Verwirklichung eines Strafanspruchs haben muß, wie sie durch die Auslieferung vielleicht gewährleistet wird.
Aber der Vertrag hat noch einen weiteren sehr schwerwiegenden Mangel. Nach Art. 25 des Vertrages darf der Ausgelieferte wegen einer anderen strafbaren Handlung als der, wegen der er ausgeliefert wurde, nur abgeurteilt oder der Vollstrekkung einer Strafe zugeführt werden, wenn - das ist logisch - der ausliefernde Staat zustimmt oder - ich zitiere; ich bitte das jetzt genau zu hören -„wenn der .Ausgelieferte,, obwohl er dazu die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, an den er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn er nach Verlassen dieses Hoheitsgebiets dorthin zurückgekehrt ist". Dann heißt es in Abs. 2 sehr richtig:
Innerhalb der in Absatz 1 Buchstabe b) vorgesehenen Frist wird dem Ausgelieferten ohne Rücksicht auf entgegenstehende innerstaatliche Bestimmungen des ersuchenden Staates die Ausreise aus dessen Hoheitsgebiet gestattet, es sei denn, daß er nach seiner Auslieferung
- auch das ist wieder logisch eine neue strafbare Handlung begangen hat.
Wir kennen doch sehr genau die Ausreisepraktiken diktatorischer Staaten, ganz gleich welcher Couleur. Wenn wir uns gerade die Praktiken der „DDR" ansehen: wir wissen doch, wie schwer es den Menschen dort gemacht wird, eine Ausreise zu bewerkstelligen. Ich möchte wissen, wie der Nachweis geführt werden soll, daß der Betreffende nicht freiwillig 45 Tage hat verstreichen lassen, ohne diesen Staat zu verlassen. Man wird nie nachweisen können, daß hier entgegen gesetzlichen Bestimmungen oder entgegen diesem Vertrag Schikanen angewendet worden sind, um den Mann dort zu behalten und dann jede Bestrafung ihm gegenüber möglich zu machen.
Die Opposition lehnt diesen Vertrag ab, weil er die Gefahr in sich birgt, daß für viele Menschen Grundfreiheiten und Menschenrechte zumindest gefährdet werden. Wir hoffen, daß dieser Vertrag
nicht Vorbild für entsprechende Verträge mit anderen Ostblockstaaten oder vielleicht mit dem anderen Teil Deutschlands wird. Die Tragödie, die wir zur Zeit in Berlin erleben, sollte uns ein Warnsignal und Veranlassung sein, genau zu prüfen, was wir in Zukunft tun dürfen und was wir nicht tun dürfen. Menschenrechte und Grundfreiheiten stehen immer noch über einem absoluten Strafanspruch staatlicher Gewalt. Das sollten wir sehen, und hier muß immer eine Güterabwägung erfolgen.
Wir befürchten auch, daß dieser Vertrag mit Jugoslawien - gerade wegen der Vielzahl der Auslieferungsfälle, die bisher reibungslos geklappt haben, aber nun zu Schwierigkeiten führen könnten - zu Streitigkeiten im Bereich der Rechtshilfe, insbesondere auf dem Gebiet der Auslieferung, führt. Meine Damen und Herren, Verträge sollte man nicht schließen, um neue Streitigkeiten zu provozieren, sondern Verträge sind dazu da, Verhältnisse mit einem anderen Staat so zu regeln, daß in Zukunft ein reibungsloser Ablauf der Zusammenarbeit erfolgt. Das ist durch diesen Vertrag ebensowenig gewährleistet, wie durch die Bestimmungen des Vertrages gewährleistet ist, daß die Menschenrechte und Grundfreiheiten in unserem freiheitlich-demokratisch-rechtsstaatlichen Verständnis im Falle von Auslieferungeni nach Jugoslawien gewahrt werden.
Die Opposition lehnt daher den deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrag ab.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lambinus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der uns zur Ratifikation vorliegende Vertrag vom 26. November 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland' und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Auslieferung ist - ebenso wie das bereits verabschiedete Rechtshilfeabkommen - Zeichen für die Bereitschaft der Bundesregierung und der sozialliberalen Koalition, auch mit Staaten anderer Gesellschaftsordnungen als der unseren, die bestehenden Beziehungen weiterzuentwickeln und zu vertiefen.
Daß dieser Auslieferungsvertrag mit Jugoslawien zustande kam, kommt nicht von ungefähr, erfüllt doch gerade Jugoslawien einige Kriterien, die nicht überall selbstverständlich sind, z. B. relativ offene Grenzen, relative Freizügigkeit und freie Information.
({0})
Wir sind nicht darüber verwundert, daß die Opposition dem Ratifikationsgesetz nicht zustimmt. Eine Zustimmung würde ja bedeuten, daß die Opposition wenigstens teilweise bestätigen würde, daß ein geregeltes Miteinander, auch mit Staaten anderer Gesellschaftsordnungen, möglich ist.
({1})
Verwundert sind wir allerdings über die Argumentation, die das Nein der Opposition begründen soll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß der Rechtshilfevertrag zwischen der Bundesrepublik und Jugoslawien von der Opposition mitgetragen und von uns auch mit Zustimmung versehen wurde?
Nein, Herr Kollege, das ist mir nicht entgangen.
({0})
Aber ich hatte auf Grund der Beratungen im Rechtsausschuß den Eindruck, daß die Opposition diesem Rechtshilfeabkommen keine große Bedeutung beigemessen hat.
({1})
Wenn ich die Opposition richtig verstanden habe, lehnt sie das Ratifikationsgesetz deshalb ab, weil sie befürchtet, daß der Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht ausreichend gewährleistet sei.
({2})
Mir scheint, bei dem Bemühen, Ablehnungsgründe zu finden, wurde davon abgesehen, die Art. 3, 4 und 6 des Vertrages ausreichend zu würdigen. Es wurde übersehen, daß nach Art. 3 des Vertrages eine Auslieferung dann nicht stattfindet, wenn die Handlung, deretwegen sie begehrt wird, vom ersuchten Staat, also in den von Ihnen befürchteten Fällen, Herr Kollege Wittmann,
({3})
von der Bundesrepublik als eine politische oder als eine mit einer solchen zusammenhängende strafstrafbare Handlung angesehen wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wittmann?
Bitte schön!
Herr Kollege Lambinus, bitte, lesen Sie die Bestimmungen noch einmal durch. - Ist Ihnen entgangen, daß hier in diesem Vertrag nur von politischen Taten die Rede ist, nicht aber von Verfolgung aus ethnischen, religiösen und weltanschaulichen Gründen, und ist Ihnen ferner entgangen, daß die Bundesregierung erklärt hat, sie habe diese Bestimmungen in dem Vertrag sehen wollen, daß sich die jugoslawische Regierung geweigert hat und man sich daraufhin aber die Bedenken hinweggesetzt hat? Bitte, reden Sie doch dazu.
Herr Kollege Wittmann, Ihnen scheint entgangen zu sein, daß ich von Art. 3 sprach und im Augenblick ausdrücklich auf politische Straftaten Bezug nahm.
Sie haben weiter übersehen, daß nach Art. 4 des Vertrages die Auslieferung dann nicht erfolgt, wenn die strafbare Handlung in der Verletzung einer militärischen Pflicht besteht. Schließlich haben Sie übersehen, daß Art. 6 des Vertrages gewährleistet, daß eine Auslieferung dann nicht erfolgt, wenn der ersuchte Staat - also wiederum in den von Ihnen befürchteten Fällen: die Bundesrepublik - eine Auslieferung nach seiner Verfassung für nicht zulässig hält. Das ist bei allen Asylfällen der Fall. Hier gilt u. a. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 unseres Grundgesetzes. Und das ist gut so.
Sie, Herr Wittmann, haben die Befürchtung geäußert, daß die angeblich restriktive Spruchpraxis unserer deutschen Behörden in Asylfällen Nachteile für auszuliefernde Personen brächte. Aber, Herr Kollege Wittmann, das bedeutet doch, daß Sie unserer deutschen Verwaltung und Rechtsprechung kein Vertrauen schenken. Das heißt doch, daß Sie die Fähigkeit unserer deutschen Dienststellen bezweifeln, objektiv und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu handeln und zu urteilen.
Dazu ist folgendes festzustellen. Wir Sozialdemokraten haben volles Vertrauen in die Fähigkeit und in die Bereitschaft unserer Verwaltung und Rechtsprechung, objektiv nach rechtsstaatlichen Kriterien zu handeln und zu urteilen. Das heißt: Wir Sozialdemokraten machen keinen Unterschied zwischen Asylsuchenden, gleich ob sie aus Chile oder Griechenland, gleich ob sie aus Jugoslawien oder Spanien kommen. Wie die jüngste Vergangenheit zeigt, sind Sie leider bereit, hier unterschiedlich zu urteilen. Ich denke hier an die Haltung vieler Ihrer Freunde gegenüber den Chile-Flüchtlingen.
({0})
Ehrlicher wäre es, wenn Sie die wirklichen Gründe
Ihrer Ablehnung sagten. Aber das können Sie nicht.
In diesem Zusammenhang müssen Sie eine höfliche Frage beantworten. Sind Sie denn eigentlich nur dann bereit, wichtige Verträge mit Staaten anderer Gesellschaftsordnung zu schließen, wenn diese Ihrem Denken nahestehen?
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. - Sie hatten z. B. keinerlei Bedenken, im Jahre 1964 ein Auslieferungsabkommen mit dem Portugal Salazars abzuschließen!
({0})
Präsident 'Frau Renger: Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?
Nein.
({0})
Wir Sozialdemokraten sind der Überzeugung, daß die bisher anerkanntermaßen bewährte Auslieferungspraxis mit Jugoslawien durch diesen Vertrag ihre vertragliche Grundlage erhält.
({1})
Wir sind der Überzeugung, daß wir mit diesem Vertrag bei Wahrung unserer rechtsstaatlichen Prinzipien einen Schritt weitergekommen sind im Bemühen, unsere Beziehungen zu Jugoslawien weiter zu verbessern. Das ist in Anbetracht des zunehmenden Reiseverkehrs und der hohen Zahl jugoslawischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik notwendig.
Die sozialdemokratische Fraktion wird dem Ratifikationsgesetz zustimmen. Meine Fraktion dankt den Verhandlungsführern der Bundesregierung für die mit Geduld und politischem Fingerspitzengefühl geführten Verhandlungen, die einen zustimmungsfähigen Vertrag zustande gebracht haben.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Engelhard. Dann Herr Wittmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten wird dem Gesetzentwurf zum Vertrag vom 26. November 1970 zustimmen.
Bei der Beratung im Rechtsauschuß am 13. März 1974 - hier enthält der Bericht auf Drucksache 7/2065 hinsichtlich des Datums einen kleinen Druckfehler - bestand mehrheitlich die Auffassung, daß der rege Auslieferungsverkehr zwischen der Bundesrepublik einerseits und der Republik Jugoslawien andererseits auf eine vertragliche Grundlage gestellt werden sollte. Nach unserer Auffassung stellt der Auslieferungsvertrag den Schutz der Grundrechte in umfassender Weise sicher. Ich betone, daß ich dies engagiert, aber gelassen und eher unterkühlt, wie das vielleicht dem Thema angemessen ist, feststelle.
Herr Kollege Dr. Wittmann, es mag verhandlungstechnisch bedauerlich erscheinen, daß sich unser Vertragspartner während der Verhandlungen ständig geweigert hat, dem Wortlaut nach eine dem Art. 3 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens entsprechende Formulierung in den Vertrag aufzunehmen. Das ändert unserer Auffassung nach aber nichts daran, daß inhaltlich und vom Ziel der Verhinderung einer mißbräuchlichen Praxis her das Verhandlungsergebnis all den Anforderungen entspricht, die wir an ein Auslieferungsübereinkommen zu stellen haben.
Nach Art. 3 des vorliegenden Vertrages ist sichergestellt, daß im Grundsatz keine Auslieferung erfolgen kann wegen einer strafbaren Handlung, die als politische Tat oder als eine strafbare Tat, die mit einer politischen Tat zusammenhängt - immer aus
der Sicht des ersuchten Staates - angesehen wird. Außerdem kann der ersuchte Staat jede Auslieferung verweigern, die nach seiner Verfassung nicht zulässig ist. Damit sind sowohl Deutsche im Sinne des Grundgesetzes und alle Asylberechtigten als auch diejenigen Personen, für die ein Gericht die Auslieferung für unzulässig erklärt hat, sicher vor einem Auslieferungsanspruch.
Die geäußerten Bedenken, daß dieser Schutz etwa durch eine restriktive Praxis des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf bei Asylberechtigten unterlaufen werden könnte, haben sich bei den Beratungen im Rechtsausschuß als nicht stichhaltig erwiesen. Überhaupt ist es sicherlich nicht gut, wenn man - ich habe das Protokoll noch einmal sehr genau nachgelesen - in die Verhandlungen etwas hineininterpretiert, was dort überhaupt nicht zur Sprache kam. Es haben sich - um darauf zurückzukommen - bei den Beratungen im Rechtsausschuß keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, Herr Kollege Dr. Wittmann, daß sich etwa die Bundesregierung über Voten der Beamtenschaft aus politischen Gründen schließlich hinweggesetzt hätte.
({0})
Vielmehr bestand zwischen der politischen Verhandlungsführung und der beteiligten Beamtenschaft bei Abschluß des Vertrages völlige Übereinstimmung, daß der Vertrag den notwendigen Rechtsschutz sicherstellt.
Ich glaube, die Bundesregierung konnte bei den Beratungen überzeugend dartun, daß alle bisherigen Erfahrungen die Bedenken, die hier lautgeworden sind, nicht stützen. Im Auslieferungsverfahren entscheidet letztlich das zuständige Oberlandesgericht, das weder an die Tatsachenfeststellungen noch an die Entscheidung im Verwaltungsverfahren durch das Bundesamt gebunden ist. Für den Betroffenen besteht damit bis hin zur Verfassungsbeschwerde verfahrensrechtlich ein umfassender Rechtsschutz. Von der Sache her, also materiell, wird dieser Schutz unserer Überzeugung nach durch die Kombination der Art. 3 und 6 des Vertrages in umfassender Weise sichergestellt. Unter unserer Verfassung - das muß den Bedenken zum Trotz mit aller Deutlichkeit einmal klargestellt werden -, die nicht nur den eigenen Staatsbürgern umfassende Grundrechte gewährt und damit eine klare Absage an jede Rechtslosigkeit und jede politische Willkürherrschaft erteilt, würde jeder Versuch, politisch motivierte Straftaten oder auch politisch bestimmte Verfahren einem Auslieferungsersuchen zugrunde zu legen, nicht nur mit einer äußerst kritischen Beurteilung, sondern mit der Ablehnung rechnen müssen. Ich glaube, es muß einmal klargestellt werden, daß wir hier Art. 3 in Kombination mit Art. 6 sehen müssen. Damit ist sichergestellt, daß der Vertrag vom 26. November 1970 den umfassenden Rechtsschutz dadurch gewährleistet, daß er dem Begriff der politischen Straftat oder auch des politisch gesteuerten Verfahrens die Sicht und die Maßstäbe unserer verfassungsmäßigen Ordnung zugrunde legt. Mit anderen Worten: der Begriff des
Politischen ist also nicht so eng auszulegen, wie hier vorgetragen worden ist, sondern dieser Begriff ist immer auf der Grundlage unserer Verfassung zu interpretieren.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wittmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich möchte nur etwas zur Korrektur sagen. Man sollte nie mit pauschalen Argumenten arbeiten.
Ich darf Ihnen vorlesen, was in Art. 3 des Auslieferungsvertrages mit Portugal steht, den Sie zu zitieren geruhten und für den wir waren, weil darin nämlich die Schutzklausel steht. Ich zitiere:
1) Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende strafbare Handlung von der ersuchten Vertragspartei als eine politische oder als eine mit einer solchen in Zusammenhang stehende strafbare Handlung angesehen wird.
So steht es auch in dem Vertrag mit Jugoslawien. Es heißt aber dann weiter:
3) Die Auslieferung wird ferner nicht bewilligt, wenn die ersuchte Vertragspartei ernstlichen Grund zur Annahme hat,
- Herr Lambinus, bitte, hören Sie gut zu! -
a) daß um Auslieferung ersucht wird, um die auszuliefernde Person wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder ihrer politischen Anschauungen zu verfolgen, zu verurteilen, zu strafen, in irgendeiner Weise in ihrer persönlichen Freiheit zu beschränken, oder
b) daß diese Person im Falle der Auslieferung der Gefahr einer Verschlimmerung ihrer Lage aus einem dieser Gründe ausgesetzt wäre.
Wenn diese Klausel im deutsch-jugoslawischen Vertrag gestanden hätte, hätte meine Fraktion ihm zugestimmt.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Vogel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, zwischen der Opposition und der Koalition besteht volle Übereinstimmung darüber, daß im Rahmen des Auslieferungsverkehrs die Auslieferung dann zu verweigern ist, wenn zu besorgen steht, daß der Auszuliefernde nach seiner Auslieferung nicht wegen der Straftat, wegen der die Auslieferung bewilligt worden ist, sondern sonst aus politischen Gründen verfolgt wird. Das ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des internationalen Auslieferungsrechts.
Die Meinungsverschiedenheit zwischen der Opposition, der Bundesregierung und der Koalition besteht nun, wenn ich es richtig verstanden habe, darin, daß, wie Herr Kollege Wittmann befürchtet, der Vertrag in seiner jetzigen Formulierung dieses Recht für den Auszuliefernden nicht gewährleiste. Er leitet diese Befürchtung aus dem Umstand her, daß in dem Vertrag nicht die Fassung des Art. 3 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens zu finden ist, sondern daß in Art. 6 auf die verfassungsmäßige Regelung der Bundesrepublik verwiesen worden ist. Dieser Auffassung, Herr Kollege Wittmann, kann nicht beigetreten werden. Das Grundgesetz kennt in Art. 16 Abs. 2 ausdrücklich das Asylrecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - ich verweise Sie insbesondere auf die Entscheidung, die im 9. Band Seite 180 ff. abgedruckt ist - und auch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen ist der Schutzbereich des Art. 16 Abs. 2 inhaltlich nicht von dem Schutzbereich der von Ihnen zitierten Bestimmung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens unterschieden. Insbesondere kann Ihnen in der engen Auslegung, die Sie dem Begriff der politischen Verfolgung in diesem Zusammenhang geben, auf Grund der Rechtsprechung nicht zugestimmt werden. Auch Verfolgungen aus rassischen, religiösen und nationalen Gründen können unter dem Gesichtspunkt der politischen Verfolgung rubriziert werden,
({0})
wenn tatsächlich politische Elemente vorhanden sind. Es ist also zunächst festzustellen, daß die Schutzbereiche der beiden Bestimmungen - Art. 6 des Vertrages einerseits und der von mir wiederholt zitierte Art. 3 Abs. 2 des Europäischen Übereinkommens andererseits - inhaltlich nicht voneinander abweichen.
Herr Kollege Wittmann, zum zweiten geht Ihre Berufung auf die Praxis des zitierten Bundesamtes in der Sache fehl. Bei einem Auslieferungsersuchen haben wir ja folgenden Instanzenzug. Zunächst prüft das Oberlandesgericht im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ohne Bindung an das Bundesamt, ohne Bindung an asylrechtliche Entscheidungen, ob die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 vorliegen. Besteht auch nur der Verdacht einer politischen Verfolgung, wird das Oberlandesgericht die Auslieferung für unzulässig erklären. Sie wissen, Herr Kollege Wittmann, daß nach der ständigen Rechtsprechung in Auslieferungssachen bereits der Verdacht genügt und nicht ein Nachweis erforderlich ist. Diese Rechtsprechung ist unstreitig. Gegen die Entscheidung des Oberlandsgerichts gibt es dann Rechtszüge, u. a. zum Bundesverfassungsgericht. Ich glaube, daß Sie hinsichtlich der Garantie des Rechtsschutzes nicht auf die Entscheidungspraxis des Bundesamtes, sondern letzten Endes auf die Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts abstellen müssen.
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Bedenken, daß das Bundesverfassungsgericht hier etwa einen engen und formalistischen Standpunkt einnimmt, sind in keiner Weise gerechtfertigt.
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Jeder Auszuliefernde hat die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde.
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Ich erinnere daran, Herr Kollege Wittmann, daß im Ausschuß ausdrücklich vorgetragen wurde, daß die Zahl der Auszuliefernden, die von der Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde Gebrauch machen, steigt.
Damit ist die Sache aber noch nicht zu Ende. Selbst dann, Herr Kollege Wittmann, wenn das Oberlandesgericht eine positive Entscheidung getroffen hat, ist die Bundesregierung an diese Entscheidung noch nicht gebunden. Auch bei Bejahung der Zulässigkeit hat die Bundesregierung die Pflicht, bei gegebenem Anlaß weitere Erhebungen anzustellen, sich etwa der Erkenntnisquellen der Dienststelle in Zirndorf zu bedienen; sie kann auch dann noch zu einem negativen Ergebnis kommen. Herr Kollege Wittmann, das ist ein Maß an rechtsstaatlicher Sicherung, das, glaube ich, den Anforderungen unserer Verfassung in vollem Umfang entspricht.
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Noch eine dritte Bemerkung. Herr Kollege Wittmann, ich glaube, man darf auch nicht völlig außer acht lassen, daß sich der gesamte Rechtshilfeverkehr mit Jugoslawien, der ja bisher ein vertragsloser Rechtshilfeverkehr war, auf eben der von mir jetzt geschilderten Rechtsgrundlage abgewickelt hat.
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Es ist bisher nach Art. 16 Abs. 2 verfahren worden. Wenn Sie der Bundesregierung bestätigen, daß sie schon bisher in ihrem pflichtgemäßen Ermessen so gehandelt hat,
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daß es keine Beschwerden gegeben hat, erscheint es mir nicht logisch, daß Sie sagen, jetzt, nachdem dieser Verfassungsartikel Inhalt des Vertrages geworden ist, werde die Bundesregierung anders verfahren.
({7})
Ich glaube also, daß die Bedenken, soweit sie juristischer und politischer Art sind, entkräftet werden konnten.
Lassen Sie mich noch ein weiteres generelles Wort hinzufügen. Wir müssen auf Grund der Erfahrungen im bisherigen Rechtshilfeverkehr mit Jugoslawien bestätigen, daß dieses Land sich bei der Abwicklung des Auslieferungsverkehrs in striktester Weise an die Prinzipien des internationalen Rechtes gehalten hat. Insbesondere ist auch der Grundsatz der Spezialität in vollem Umfang gewahrt worden. Es hat einen einzigen Fall unbeabsichtigter Verletzung der Spezialität gegeben; die jugoslawischen Behörden haben die deutschen Behörden von sich aus auf diesen Fall aufmerksam gemacht und die Sache durch eine Gnadenentscheidung in Ordnung gebracht.
Im übrigen: für die Güte der Beziehungen und das Maß gegenseitigen Vertrauens, Herr Kollege Wittmann, darf ich mich noch auf einen völlig unverfänglichen Zeugen beziehen, der sicher insbesondere für Sie hohen Beweiswert hat. Herr Ministerpräsident Dr. h. c. Alfons Goppel hat nach seinen wiederholten Freundschaftsbesuchen in Serbien
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gerade der jugoslawischen Republik immer wieder bestätigt, in wie hohem Maße sie ein vertrauenswürdiger Partner sei. Ich bitte also unter Berufung auch auf den bayerischen Ministerpräsidenten, diesem Vertrag eine möglichst breite Zustimmung zu geben.
({9})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf unter Punkt 5 der Tagesordnung. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf; die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe jetzt Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. September 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die Befreiung öffentlicher Urkunden von der Legalisation
- Drucksache 7/1622 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 7/2150 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schöfberger
Abgeordneter Dr. Wittmann ({1}) ({2})
Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung in der zweiten Beratung ist mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Präsident Frau Renger
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Juni 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik über den Verzicht auf die Legalisation von Urkunden
- Drucksache 7/1381 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 7/2149 - Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schöfberger
Abgeordneter Dr. Wittmann ({4})
({5})
Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 6 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Danke schön. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite Beratung des von den Abgeordneten Schröder ({6}), Dr. Warnke, Dr. von Bismarck, Dr. Narjes, Baron von Wrangel, Seiters, Dr. Ritz, Frau Benedix, Hösl, Frau Tübler, Schmöle und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zonenrandförderungsgesetzes und zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur"
Drucksache 7/1168 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/1870 - Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({8})
- Drucksache 7/1869 Berichterstatter: Abgeordneter Haase ({9})
({10})
Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zu einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Haase ({11}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Änderung des Gesetzes zur Änderung des Zonenrandförderungsgesetzes möchte ich für die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei folgende Erklärung abgeben:
1. Der Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion zum Zonenrandförderungsgesetz ist eine Bestätigung dafür, daß das Gesetz gut ist und keiner Änderung bedarf. Das einzige, was der CDU/CSU zur Änderung dieses Gesetzes eingefallen ist, war die Forderung, auch regionale Luftlandeplätze in die Förderung einzubeziehen.
2. Selbst diese Forderung ist jedoch überflüssig; denn auch nach den bisherigen Regeln des Gesetzes wurden Flugplätze dieser Art gefördert, so z. B. in Kiel, in Lübeck, in Hof/Pirk, Bayreuth, Kulmbach und Coburg, alles Flugplätze im Zonenrandförderungsgebiet. Dies hätten die Antragsteller wissen können. Es ist ihnen auch in den Ausschüssen wiederholt vorgetragen worden. Zudem würde die ausdrückliche Erwähnung der Förderung von regionalen Flugplätzen im Gesetz zur Folge haben, daß andere Verkehrsträger, wie beispielsweise Busse oder Bahn, im folgerichtigen Umkehrschluß nicht mehr förderungswürdig wären. Einer solchen gesetzlichen Schwierigkeit darf man sich aber nicht aussetzen.
3. Es bleibt daher nur bei der dringenden Bitte, daß die CDU/CSU-Fraktion ihre Gesetzentwürfe in Zukunft besser vorbereiten möge, damit Ihnen, meine Damen und Herren, aber auch dem Plenum eine ganze Menge Mehrarbeit in diesem Parlament erspart bleibt.
({0})
Aus den vorgetragenen Gründen bitte ich, den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion abzulehnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Schröder ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich namens der CDU/CSU-Fraktion fünf Punkte als Anmerkungen zu diesem Nachhutgefecht der Ausschußberatungen vortragen:
Erstens. Herr Kollege Haase, es war nicht die Absicht meiner Fraktion, mit diesem Antrag etwa eine generelle Überprüfung oder generelle Novellierung des Zonenrandförderungsgesetzes herbeizuführen. Wir werden im Rahmen einer zu einem späteren Zeitpunkt stattfindenden regionalpolitischen Debatte unsere generellen Anmerkungen und Änderungswünsche zum Zonenrandförderungsgesetz vortragen. Hier geht es lediglich darum, die Gemeinschaftsaufgabe und das Zonenrandförderungsgesetz um einen konkreten Punkt zu erweitern und zu ergänzen. Ich möchte das ausdrücklich klarstellen, damit Sie nicht denken, wir stimmten im übrigen in allen anderen Punkten des Zonenrandförderungsgesetzes unverändert überein.
Zweitens. Die CDU/CSU-Fraktion bedauert, daß unser Antrag von den Koalitionsfraktionen in den Ausschußberatungen nicht angenommen worden ist, weil es sich hier unserer Auffassung nach unter dem Aspekt der Verkehrserschließung der Zonenrandgebiete und der übrigen strukturschwachen Gebiete um einen wichtigen Punkt handelt.
Schröder ({0})
Im Zusammenhang damit drittens die Anmerkung, Herr Kollege Haase: Nach meinen Recherchen ist es eben nicht so, wie hier im Bericht von Ihnen festgestellt worden ist, daß auch tatsächlich, wie es hier heißt, eine Förderung regionaler Luftlandeplätze durch die Gemeinschaftsaufgabe und durch das Zonenrandförderungsgesetz geschieht. Mir ist auf ausdrückliche Nachforschungen kein Fall genannt worden, wo seit Existenz der Gemeinschaftsaufgabe und seit Existenz des Zonenrandförderungsgesetzes mit Hilfe dieser beiden Gesetze, Herr Kollege Haase, ein Luftlandeplatz gefördert worden ist.
({1})
Viertens darf ich in diesem Zusammenhang, weil es in sachlichem Zusammenhang steht, darauf hinweisen - Sie werden das sicher kennen, Herr Kollege Haase -, daß die Kommission „Binnenländischer Luftverkehr", die der Bundesverkehrsminister eingesetzt hat, keinen Regionalflughafen und keinen regionalen Luftlandeplatz im Zonenrandgebiet ausdrücklich empfiehlt.
Ich komme deshalb fünftens zu meiner Schlußfeststellung: Wir müssen bedauern, daß die Koalition durch diese Ablehnung offensichtlich erneut nicht bereit ist, den strukturschwachen Gebieten einen zusätzlichen, aber notwendigen Beitrag zur Entwicklung ihrer Infrastruktur zu gewähren.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Lüdemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, wie ihn die CDU/CSU-Fraktion eingebracht hat, sieht vor, regionale .Luftlandeplätze in diesen Gebieten zu fördern, um verkehrsmäßige Benachteiligungen abzubauen. Das wäre eine meiner Ansicht nach sehr dankenswerte Anregung, wenn nicht die CDU/CSU-Fraktion übersehen hätte, daß ja die Förderung des Ausbaus von Verkehrsverbindungen bereits in den beiden genannten Gesetzen geregelt ist.
Der Herr Kollege hat eben gesagt, ihm seien keine Flugplätze bekannt, die seit Bestehen der Gesetze eingerichtet und gefördert worden seien. Ich muß mich Herrn Haase anschließen, der aufgezählt hat: Kiel, Lübeck, Flensburg, Hof/Pirk, Coburg, Bayreuth und Kulmbach. Allerdings, meine Damen und Herren, sind das nicht immer nur Neuausbauten von Flugplätzen, sondern eingeschlossen sind die Modernisierung sowie der Ausbau von Pisten, der Bau von Abfertigungshallen und schließlich auch der Bau von Sicherheitseinrichtungen. Das alles fällt unter diese Fördermaßnahmen. Wozu brauchen wir dann eine Gesetzesänderung?
Die FDP-Fraktion ist sogar der Meinung, daß die Gesamtkonzeption zur Verbesserung der Infrastruktur leiden würde, wenn ein Teilbereich durch ein Sondergesetz herausgenommen und bevorzugt würde. In vielen Fällen dürfte zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und zur Ansiedlung von Arbeitsplätzen der Ausbau neuer Straßen und Schienenwege weit wichtiger sein als Luftlandeplätze.
Da die Antragsteller aber selber angeben, daß die Kosten für die von ihnen vorgesehenen Luftlandeplätze im Rahmen der bereits für die Gemeinschaftsaufgabe bereitgestellten Mittel finanziert werden sollten, müßten der Straßenausbau und der Ausbau der Schienenwege unter Umständen zurückstehen, nur weil Luftlandeplätze gefordert werden.
Im Wirtschaftsausschuß sind alle diese Argumente vorgetragen und erörtert worden. So kann ich wirklich nicht verstehen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß Sie Ihren Antrag nicht schleunigst zurückgezogen haben; denn es besteht wirklich keine Veranlassung, ihn aufrechtzuerhalten.
Wir Freien Demokraten sind immer aufgeschlossen, wenn es darum geht, die Struktur in den Fördergebieten zu verbessern. Aber den hier vorliegenden Gesetzentwurf müssen wir ablehnen, weil er nicht nur überflüssig, sondern darüber hinaus das Gesamtkonzept der Fördermaßnahmen noch stören könnte.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Nach § 84 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung unterbleibt damit jede weitere Beratung und Abstimmung.
Meine Damen und Herren, die Tagesordnungspunkte 9 und 10 werden nach einer interfraktionellen Vereinbarung ab 17 Uhr aufgerufen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 und 12 auf:
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
- Drucksache 7/2017
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr ({0}) Haushaltsausschuß
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes
- Drucksache 7/2018 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Das Wort zu einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Waffenschmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Bundestagesfraktion gebe ich zu diesen Gesetzentwürfen, die die gemeinwirtschaftlichen Lasten beim öffentlichen Personennahverkehr betreffen, folgende Erklärung ab.
Das jetzt in Gang gekommene Gesetzgebungsverfahren ist zu begrüßen. Für die Verkehrspolitik der CDU/CSU ist ein attraktiver öffentlicher Personennahverkehr in Ballungszentren und Städten, aber auch in weniger dicht besiedelten Räumen von zentraler Bedeutung. Bei allen unseren Überlegungen, Forderungen und Initiativen in dieser Frage sind wir davon ausgegangen, daß attraktive Angebote im öffentlichen Nahverkehr auf Dauer nur von wirtschaftlich leistungsfähigen Unternehmen in diesem Bereich ausgehen können.
Wir als CDU/CSU haben deshalb schon Anfang der 60er Jahre eine umfassende Untersuchung der innerstädtischen Verkehrsverhältnisse in Gang gebracht und entsprechende Maßnahmen gefordert. Wenn heute den Betrieben des öffentlichen Nahverkehrs in wachsendem Umfang von der öffentlichen Hand gemeinwirtschaftliche Leistungen zu nicht kostendeckenden Preisen abverlangt werden, dann brauchen diese Betriebe notwendiger denn je einen gesetzlichen Ausgleichsanspruch, um die permanente Kostenunterdeckung Finanziell verkraften zu können.
Alle Parteien dieses Hohen Hauses haben diese Forderung seit langem erhoben. Gelingt es nicht, dieses Problem in absehbarer Zeit zu lösen oder wenigstens fühlbar zu entschärfen, dann werden dahinsiechende Verkehrsunternehmen mit sinkendem Leistungsniveau in diesem Bereich leider die zwangsläufige Folge sein. Wir müssen leider feststellen, daß die im Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe zusammengeschlossenen Nahverkehrsunternehmen in diesem Jahr schon wieder einen Fehlbetrag von rund 1,3 Milliarden DM erwarten.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang muß ein klares Wort zur Tarifpolitik gesagt werden. Der Gesetzgeber darf zu keinem Zeitpunkt die Absicht haben, die Unternehmen aus ihrer Verpflichtung zu eigenwirtschaftlichem Verhalten zu entlassen.
({0})
Konkret hat der Bundesrat gefordert, die Betriebe des öffentlichen Personennahverkehrs sollten erst den Nachweis erbringen, daß sie die Möglichkeiten der Tarifpolitik voll ausgeschöpft hätten. Die Bundesregierung hat diese Initiative des Bundesrates begrüßt. Auch wir begrüßen diese Initiative ausdrücklich. Wir hoffen, daß die Parteien, die die Bundesregierung tragen, in Bund, Ländern und Gemeinden auch entsprechend dem handeln, was die Bundesregierung hier gesagt hat. Wir wollen es doch bei dieser Beratung offen sagen: Alles andere wäre auf die Dauer eine völlig unsolide und unverantwortliche Finanzpolitik. Wenn wir in der Tarifpolitik nicht das Mögliche tun, gäbe es eines Tages ein ganz böses Erwachen, meine Damen und Herren.
({1})
Wir wollen es hier klar aussprechen: Wer irgendwo noch Forderungen nach dem sogenannten Null-Tarif oder etwas ähnlichem beim öffentlichen Personennahverkehr erhebt, der ist in der heutigen Zeit ein finanzpolitischer Träumer.
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Gerade die Krawalle in den letzten Wochen haben bewiesen, wohin es führt, wenn man völlig irrige Vorstellungen wachsen und gedeihen läßt. Ich glaube, wir sollten daraus alle die Lehren und Informationen ziehen, die uns zu einer realistischen Politik veranlassen und weiter bestärken.
Drei Bereiche sind gegenüber den Vorstellungen der Bundesregierung im Hinblick auf diese Novellen und das Verfahren, das zu diesen Novellen, die uns heute vorliegen, geführt hat, als kritisch anzusehen:
Erstens. Die SPD stellt im achten Jahr den Bundesverkehrsminister. Aber trotz vieler Ankündigungen und Anläufe ist es ihr bis heute nicht gelungen, ein klares Konzept für die Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Lasten beim öffentlichen Personennahverkehr mit den Ländern abzusprechen. Im Gegenteil, von Länderministern, die der SPD angehören, muß sich die Bundesregierung im Bundesrat im Hinblick auf ihre Vorschläge hart kritisieren lassen. Der hessische Minister Reitz z. B. brachte diese Kritik am bisherigen Verfahren sehr deutlich im Bundesrat zum Ausdruck, indem er in Richtung Bundesregierung sagte: „Es ist unerträglich, daß solche Belastungen einseitig und ohne rechtzeitige Koordinierung mit den Länderfinanzministern den Ländern kurzfristig angelastet werden sollen, ohne daß sie in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigt werden konnten." Meine Damen und Herren, dem ist an Deutlichkeit gar nichts hinzuzufügen, und es muß klar ausgesprochen werden - ich will das hier für meine Fraktion noch einmal tun -: Die Bundesregierung muß endlich aufhören, große Programme zu verkünden, ohne deren finanzielle Absicherung im Hinblick auf die Folgekosten mit den Ländern und Gemeinden offen und ehrlich abzustimmen.
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Trotz eines Mangels an Koordination - das ist das zweite, was hier noch einmal kritisch festgestellt werden muß - im Hinblick auf die finanzielle Bewältigung der Lasten beim öffentlichen Personennahverkehr verkündete die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung den Vorrang für den öffentlichen Personennahverkehr und weckte damit Erwartungen, die noch heute in ihrer Durchführbarkeit völlig unüberschaubar sind. Das ist unsolide Politik, meine Damen und Herren!
Aus all dem ergibt sich, daß die Bundesregierung endlich zu der notwendigen Koordination zwischen Sach- und Finanzplanung kommen muß; sonst wird vieles als sogenannte Reform begonnen, steht aber später als Reformruine in der politischen Landschaft umher. Daran kann keiner von uns Interesse haben. Die Fragen des öffentlichen Personennahverkehrs sind viel zu wichtig, als daß sie durch mangelnde Koordination zu Lasten des Bürgers eine schlechte Erledigung erfahren dürften. Außerdem ist eine intensivierte Investitionspolitik für den öffentlichen Personennahverkehr ohne klare Regelungen
) hinsichtlich der Bewältigung der Folgekosten auf Dauer eine Milliardeninvestition in die roten Zahlen hinein, die niemand in diesem Hause verantworten kann.
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Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hält deshalb im Zusammenhang mit der Beratung und Entscheidung über die in diesen Gesetzentwürfen angesprochenen Regelungen die Lösung einiger Aufgaben für dringend erforderlich. Lassen Sie mich drei Punkte nennen.
Erstens. Ein klare Folgekostenübersicht muß die fortlaufenden Folgekosten des öffentlichen Personennahverkehrs für die öffentliche Hand endlich sichtbarer und klarer zutage legen. Eine klare Bestandsaufnahme ist hier erforderlich: Was ist bis heute an Folgekosten für die Gebietskörperschaften entstanden?
Hinzu kommen muß zweitens der von unserer Fraktion seit langem geforderte jährliche Folgekostenbericht. Erst wenn für alle beteiligten öffentlichen Körperschaften - Bund, Länder und Gemeinden - deutlicher und klarer wird, was auf Dauer an Belastungen auf sie zukommt, wird es leichter werden, eine Regelung zur Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Lasten zu finden, die auch Dauer hat.
Schon heute wird aus allen Informationen, die wir bekommen, deutlich, daß die Folgekosten aus dem ÖPNV erhebliche finanzielle Größenordnungen erreichen. Um so wichtiger ist es, daß Bund, Länder und Gemeinden die vorgesehenen Planungen noch einmal überprüfen und daß alle Verantwortlichen daran arbeiten, ein realistisches Konzept für den Personennahverkehr zu bekommen.
Unsere Fraktion hat in ihrem 14-Punkte-Programm für den öffentlichen Personennahverkehr Vorschläge unterbreitet, die eine Orientierung für eine solche Überprüfung in der Planung geben können. Wir sprechen es auch heute noch einmal deutlich aus: Es muß nicht immer U-Bahn sein; auch einfachere und sparsamere Regelungen können zu einem guten Angebot im öffentlichen Nahverkehr führen.
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Drittens. Bei den anstehenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Neuverteilung des Gesamtsteueraufkommens muß auch dieser große Kostenfaktor „öffentlicher Personennahverkehr" die notwendige Beachtung finden. Immerhin geht es hier auf die Dauer um Milliardenbeträge. Wer auf der einen Seite den öffentlichen Personennahverkehr im ganz großen Stil ankurbeln will, der darf auf der anderen Seite die fortlaufenden, immer wiederkehrenden und sich leider ständig steigernden Folgekosten nicht übersehen. Dies gilt um so mehr, als uns die Städte, Gemeinden und Kreise mit guten Gründen nachweisen, daß sie weitere finanzielle Belastungen nicht übernehmen können und daß schon ihre heutige Finanzausstattung im Hinblick auf die übertragenen Aufgaben unzureichend ist.
Meine Damen und Herren, wir werden ganz großen Wert darauf legen, daß unser 14-Punkte-Programm für den öffentlichen Personennahverkehr bei den jetzt anlaufenden Beratungen im Ausschuß die notwendige Beachtung findet. Wir wollen in dem Sinne, wie ich es jetzt hier vorgetragen habe, uns in intensiver Weise an den Ausschußberatungen und den weiteren Verhandlungen beteiligen. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion wird alles tun, was in ihrer Kraft steht, um zu einem realistischen Konzept zur Regelung der wichtigen hier anstehenden Fragen für unsere Bürger zu kommen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wrede.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes möchte ich folgendes erklären.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die diesen Gesetzentwürfen zugrunde liegende Absicht, für die Träger des öffentlichen Personennahverkehrs einen Rechtsanspruch auf Ausgleich der Einnahmeausfälle zu schaffen, die durch die Sozialtarife im Bereich des Berufs- und des Ausbildungsverkehrs entstehen. Wir halten diese Maßnahme für dringend geboten, zumal der Bund in seinem Zuständigkeitsbereich bei der Deutschen Bundesbahn seit Jahren Einnahmeausfälle in diesem Bereich, die mittlerweile Milliardenhöhe erreicht haben, abdeckt.
Die Notwendigkeit eines leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehrs ist unbestritten. Das gilt sicher für die Fraktionen dieses Hauses, und das gilt, wie die Beratungen im Bundesrat erwiesen haben, auch für die Bundesländer. Daraus ergibt sich, Herr Kollege Waffenschmidt, wenn diese Notwendigkeit besteht, auch der Vorrang, den Sie angesprochen haben, wie er in der Regierungserklärung dieser Bundesregierung enthalten ist.
Es ist sicherlich ebenfalls unbestritten, daß die Träger des öffentlichen Personennahverkehrs auf Dauer die mit diesem Verkehr entstehenden Lasten nicht allein tragen können. Auch darüber gibt es weitestgehende Übereinstimmung. Nur müssen wir bei unseren Bemühungen in diesem Hause sicherstellen, daß die Auseinandersetzungen über die Lastenverteilung zwischen dem Bund und den Bundesländern nicht auf Kosten der Träger des öffentlichen Personennahverkehrs, in der Regel also zu Lasten der Gemeinden, geführt werden. Die Bundesländer müssen sich sagen lassen, daß unabhängig von der Tatsache, daß der Bund in seinem Bereich für die Bundesbahn diese Lasten zu tragen hat - Lasten, wie ich schon sagte, in Milliardenhöhe -, die Länder für den Bereich der Gemeinden und damit auch für den öffentlichen Personennahverkehr die verfassungsmäßige Zuständigkeit haben.
Bei allem, was wir seitens des Bundes durch den Inhalt dieser beiden Gesetzentwürfe, aber auch durch die gezielten Hilfen, wie sie im GemeindeverWrede
kehrsfinanzgesetz enthalten sind - Hilfen bei den Investitionen in Höhe von 605igen Zuschüssen wie auch bei der Erstattung der Mineralölsteuer -, leisten, gehen wir selbstverständlich davon aus, daß die Träger des öffentlichen Personennahverkehrs in ihrem Bereich alles Mögliche tun, um die Verluste so gering wie möglich zu halten. Das gilt sowohl für den Bereich der Investitionen und für die Bemühungen um einen rationellen Betrieb der Unternehmen als auch für den Bereich der Tarife. Nur ein Zusammenwirken aller Maßnahmen - sowohl derjenigen, die der öffentliche Personennahverkehr in seinem Bereich selbst gestalten und beeinflussen kann, als auch der Hilfen, die dier Bund und die Bundesländer dem öffentlichen Personenverkehr geben können - kann langfristig zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation im öffentlichen Nahverkehr führen.
Wir hoffen, daß bei den weiteren Beratungen dieser Gesetzentwürfe die Opposition dieses Hauses, insbesondere aber der Deutsche Bundesrat sich den Notwendigkeiten einer gezielten Hilfe, wie sie Gegenstand dieser Entwürfe ist, nicht entziehen. Wir stimmen der Überweisung zu.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Geldner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Fraktion der Freien Demokraten darf ich erklären, daß die vorliegenden Gesetzentwüfe zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes von uns begrüßt werden. Damit wird über den Schienenpersonennahverkehr der Deutschen Bundesbahn hinaus auch für den übrigen öffentlichen Personennahverkehr eine bundeseinheitliche Rechtsgrundlage zum Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Lasten, vor allem aus dem Verkauf verbilligter Zeitkarten für Berufstätige und Auszubildende, geschaffen.
Die betroffenen Unternehmen werden jedoch nicht aus der Verpflichtung entlassen, aus eigener Kraft zur Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs beizutragen und kostendeckend zu wirtschaften. Wir sind der Ansicht, daß sich die Länder in angemessenem Umfang an der finanziellen Verantwortung für den öffentlichen Personennahverkehr beteiligen sollten, und weisen insbesondere auf das gute Beispiel hin, das das Land Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit gegeben hat. Dabei ist zu berücksichtigen, daß finanzielle Lasten nur zwischen Ländern und Gemeinden verlagert wurden. Der Bund trägt schon heute die Verluste von Bahn und Post, vor allem im Schienenpersonennahverkehr, aber auch im Postreisedienst und Bahnbusverkehr. Er kommt dabei für den überwiegenden Teil der Kostenunterdeckung auf.
Eine gesetzliche Regelung des Ausgleichs der gemeinwirtschaftlichen Lasten wird von uns Freien Demokraten seit langem für notwendig gehalten und gefordert. Da dem öffentlichen Personennahverkehr in der Verkehrspolitik der sozialliberalen Koalition besonderes Gewicht zukommt, spricht sich die Fraktion der Freien Demokraten für eine zügige Beratung und baldige Verabschiedung der Gesetzentwürfe aus und stimmt der Überweisung federführend an den Verkehrsausschuß zu.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schließe die Aussprache und schlage Ihnen vor, die Drucksache 7/2017 dem Ausschuß für Verkehr - federführend - und dem Haushaltsausschuß - mitberatend - zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich schlage Ihnen vor, die 'Drucksache 7/2018 dem Ausschuß für Verkehr - federführend - und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir fahren in den Beratungen fort. Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Schulte ({0}), Dr. Warnke, Thürk, Sick, Dr. Waffenschmidt, Dr. Müller-Hermann, Dr. Jobst, Schmitt ({1}), Dr. Freiherr Spies von Büllesheim und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
betr. regionaler Luftverkehr
- Drucksache 7/2130
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
Ich erteile das Wort zur Begründung des Antrags dem Herrn Abgeordneten Spies von Büllesheim.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der damalige Bundesverkehrsminister Leber am 3. Februar 1970 eine Kommission zur Prüfung der Möglichkeiten des regionalen Luftverkehrs in der Bundesrepublik einberief, waren an dieser Kommission sechs Gesellschaften beteiligt, die im regionalen Luftverkehr tätig waren. Inzwischen sind fünf von diesen sechs Gesellschaften liquidiert worden, oder sie befinden sich in Liquidation. Nur eine Gesellschaft ist noch im regionalen Linienflugverkehr tätig, nämlich die General Air, und diese erhält einen Verkehr nach Saarbrücken aufrecht, der nur mit erheblicher Unterstützung des Saarlandes aufrechterhalten werden kann.
In der gleichen Zeit, in der tatsächlich der regionale Luftverkehr in der Bundesrepublik sehr stark eingeschränkt wurde, wurden in diesen vier Jahren sehr erhebliche Mittel in den Ausbau von regionalen Flughäfen an verschiedensten Punkten Deutschlands investiert. Eine 'Reihe von Städten bemühen sich weiter, Regionalflughäfen zu bekommen; sie haben bereits erhebliche Investitionen getätigt. Heute haben wir den Zustand, daß auf der einen Seite ein regionaler Flugverkehr praktisch nicht besteht, auf der anderen Seite aber laufend erhebliche Mittel in Regionalflughäfen investiert werden. Der Ihnen vor7180
liegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/2130 beschäftigt sich mit diesem Problem. Er will auf diesem Gebiet endlich einmal Klarheit schaffen.
Die Ziffer 1 unseres Antrages ist ein Zielvorgabe. Wir halten es für richtig, wenn sich eine einheitliche Gesellschaft des regionalen Flugverkehrs in der Bundesrepublik annimmt. Diese eine Gesellschaft ist notwendig; das Nebeneinander verschiedener Gesellschaften besteht ohnehin nicht mehr. Es ist unser aller Anliegen, den benachteiligten peripheren Räumen zu dienen und ihrer Infrastruktur auch durch die Schaffung der Möglichkeit eines regionalen Flugverkehrs zu helfen.
Wir sind uns, meine Damen und Herren, der Schwierigkeiten bewußt, die diesem Ziel entgegenstehen. Ein regionaler Luftverkehr ist nur dann entwicklungsfähig, wenn er zwei Momente hat: zum einen, wenn er auf Dauer regelmäßig sein wird, zum anderen, wenn er sicher sein wird. Diese beiden Ziele, diese beiden Notwendigkeiten erfordern ganz erhebliche Investitionen - nicht nur Investitionen für geeignetes Fluggerät, Investitionen in der Flugsicherung, sondern natürlich auch Investitionen in den Flughäfen.
Diese Bedingungen erfordern den Einsatz ganz erheblicher finanzieller Mittel, und wir sind uns durchaus darüber im klaren, daß heute und zu diesem Zeitpunkt noch Zweifel daran geäußert werden müssen, ob ein solcher regionaler Luftverkehr auf die Dauer wirtschaftlich ist. Er wird sicher dann nicht wirtschaftlich sein, wenn alle Wünsche der Länder erfüllt werden, die dahin gehen, auch kleine Mittelstädte zu bedienen, die heute nur einfache Landeplätze haben.
Heute stehen wir vor der Situation, daß nicht einmal die größeren regionalen Flughäfen von der Bundesanstalt für Flugsicherung dahin überprüft worden sind, ob sie überhaupt die sicherheitsmäßigen Voraussetzungen für die Aufnahme eines Flugverkehrs gewährleisten. Die Probleme des Flugplatzes Kassel-Kalden sind dafür ein negatives Beispiel.
Meine Damen und Herren, in dieser Frage werden noch viele Einzelfragen und Aspekte zu prüfen sein. Insbesondere wird zu prüfen sein, wie ein solcher regionaler Luftverkehr auf die Dauer zu finanzieren ist. Einige Länder sind daran interessiert, an dieser Aufgabe mitzuwirken; andere Länder wollen, daß bestimmte Plätze zu Bedingungen angeflogen werden, zu denen ein Luftverkehr vielleicht nicht wirtschaftlich ist. Alle diese Fragen müssen alsbald geprüft werden, sie müssen zusammengefaßt geprüft werden. Auch das ist eine Frage, über die in den letzten vier Jahren viel geredet worden ist, eine Frage, zu der eine Kommission berufen worden ist, eine Frage auch, in der viele Hoffnungen geweckt worden sind und in der dennoch gleichzeitig manches zerstört worden ist, was eine Keimzelle für eine künftige Entwicklung hätte sein können.
Unser Antrag hat das Ziel, alle diese Fragen zusammengefaßt zu prüfen, alle diese Fragen gründlich zu prüfen, um möglichst bald zu einem Konzept zu kommen, welches erweisen wird, ob die Hoffnungen, die heute bestehen, gerechtfertigt sind und ob die Investitionen, die bereits getätigt worden sind, sinnvolle Investitionen waren oder nicht. Wenn wir aber zu dem Ergebnis kommen sollten, daß das nicht oder nicht an allen Plätzen möglich sein sollte, dann werden durch die Beratung unseres Antrags wenigstens klare Verhältnisse geschaffen, und es wird verhindert, daß - wie bisher - weitere Investitionen auf einem Gebiet erfolgen, von denen wir noch nicht wissen, ob sie hier jemals zum Tragen kommen.
({0})
Der Antrag ist damit begründet. Wir treten in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wiefel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Spies von Büllesheim hat soeben gesagt, hier müsse endlich einmal Klarheit geschaffen werden. Herr Kollege Spies von Büllesheim, als ob in dieser Frage nicht schon Klarheit herrsche! Ich will nicht sagen, daß dies nun alte Hüte seien, die Sie hier verkauft haben, aber Novitäten sind es sicher nicht gewesen. Wir können uns über das Ziel Ihres Antrags im Ausschuß einmal unterhalten.
Der regionale Luftverkehr soll, wie es das Wort schon sagt, der Erschließung der Region dienen, vor allem der Anbindung peripherer und strukturschwacher Räume an die Wirtschaftszentren, worauf ja auch in Ihrem Antrag hingewiesen wird. Die Sorge allerdings für ein angemessenes Luftverkehrsangebot in den Regionen trifft auf Grund des föderalistischen Aufbaus der Bundesrepublik jedoch nicht den Bund, wie ich meine, sondern die jeweiligen Bundesländer als die hierfür zuständigen Gebietskörperschaften. Man kann doch nicht in bestimmten Bereichen einmal, wenn es einem paßt, die Macht der Länder gegen den Bund ausspielen, und dann, wenn es ums Geld geht und die Länder zuständig sind, den Bund als Melkkuh betrachten; denn so würde sich das am Ende ja auswirken.
({0})
Der Bund kann mangels Zuständigkeit und wegen des Fehlens finanzieller Mittel keinen leistungsfähigen Träger für den regionalen Luftverkehr schaffen. Die Bundesregierung ist, wie ich es sehe, in ihrer Zuständigkeit für die überregionale, länderübergreifende Planung in der Verantwortung, und sie hat sich dieser Aufgabe durch die Aufstellung eines Bundesverkehrswegeplanes ja schon in starkem Maße unterzogen. Wenn der Bund in die Verantwortung tritt, muß man sich, Herr Kollege, darüber im klaren sein, daß er zur Schaffung eines leistungsfähigen Trägers tief in das Steuersäckel zu greifen hätte mit zu erwartenden Dauersubventionen, die mit Sicherheit, wie Fachleute sagen, weit über 50 Millionen DM liegen. Das, soweit Ihre Frage 1 betroffen ist.
Zur Frage 2 ist zu sagen, daß die Bundesregierung im Rahmen der ihr obliegenden Planungszuständigkeit bereits eine Konzeption und ein Modell für den regionalen Luftverkehr hat entwickeln lassen
({1})
- das dürften Sie wissen, und was die überörtlichen Aufgaben anbelangt, sind die ja präzise umrissen -;
({2})
sie hat nämlich durch die vom Bundesministerium für Verkehr im Frühjahr 1970 einberufene Kommission für den binnenländischen Luftverkehr die langfristige zweckdienliche strukturelle, betriebliche und organisatorische Gestaltung des innerdeutschen Fluglinienverkehrs untersuchen lassen. Das Ergebnis dieser Untersuchung dient zugleich als Material für den alle Verkehrsträger umfassenden soeben von mir erwähnten Bundesverkehrswegeplan.
({3})
- Rein verkehrswissenschaftliche Untersuchungen.
In dem im September 1972 erstatteten Kommissionsbericht, an dem übrigens sämtliche Bundesländer intensiv mitgearbeitet haben, wird festgestellt erstens:
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es neben dem im Linienverkehr bereits bedienten Punkten noch einige Regionen, deren Einbeziehung in den Luftverkehr langfristig
- wie es dort heißt -
wünschenswert erscheint. Und zweitens:
In Anbetracht der guten Ausstattung des Bundesgebietes mit schnellen Bodenverkehrsmitteln sollten Flugverbindungen in diesen Regionen jedoch nur dann eingerichtet werden, wenn sie insbesondere wegen ihres Zeitvorteiles gegenüber anderen Verkehrsmitteln einen zusätzlichen volkswirtschaftlichen Nutzen erbringen.
Hier muß ich einmal auf das Intercity-System der Bundesbahn, auf die Enge unseres Raumes und die Überlastung im Luftraum hinweisen und fragen, ob solche Parallelverkehre - Luft/Boden - überhaupt volkswirtschaftlich erträglich sind, wenn man sie in dem Maße ausbaut.
({4})
Drittens ist gesagt:
Die Regionaldienste sollten zumindest nach einer Anlaufzeit ohne Finanzhilfen der öffentlichen Hand betrieben werden können.
Diese Untersuchungsergebnisse der Kommission
zeigten ein sehr, sehr nüchternes Bild von den
Möglichkeiten eines eigenständigen regionalen Flugverkehrs. Sie lieferten den Nachweis, daß ein mit vielen, teilweise extrem kurzen Strecken durchsetztes Netz zusätzlicher Inlandsflugverbindungen - noch dazu, wenn sich eine Anzahl von mehreren regional beschränkten Unternehmen in diesen Verkehr teilen - langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht kostendeckend betrieben werden kann. Hier tritt eben das ein, was ich soeben sagte: Der Bund muß dann ins Steuersäckel greifen. Sie haben ja zu dem vorherigen Tagesordnungspunkt gerade in diesen Bereichen durch Herrn Dr. Waffenschmidt noch einmal auf optimale Sparsamkeit abheben lassen.
Die Richtigkeit dieser Prognose ist inzwischen durch tatsächliche Entwicklungen bestätigt worden. Sämtliche im regionalen Luftverkehr tätigen Gesellschaften geraten trotz Subventionierung durch die Dienste der Bundesländer in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten, die bereits drei Unternehmen zur Einstellung ihres Flugbetriebs zwangen, so die Interregional-Fluggesellschaft, die Cimber-Air und den Bayerischen Flugdienst. Im Geschäft sind zur Zeit noch die von Ihnen soeben erwähnte General-Air und darüber hinaus die Ostfriesische Lufttransportgesellschaft.
Auf ein weiteres Erschwernis, das sich aus dem Ausbau des Regionalluftverkehrs ergibt, hat die Kommission hingewiesen, nämlich die Einbeziehung der Regionalflughäfen und -flugstrecken in die Flugsicherung. Das Unternehmen wird unseres Erachtens die überlasteten Großflughäfen direkt oder im Zubringerdienst nur dann anfliegen können, wenn wir im An- und Abflug keine Spitzenbewegungen haben. In Frankfurt liegen, wie Sie wissen, die Bewegungen in den Spitzenzeiten schon bei 55 und mehr. Dazu muß bemerkt werden, daß ein solcher regionaler Luftverkehr dann, wenn wir keine Spitzenverkehre haben, also in der Talsohle, für den Benutzer uninteressant ist, weil er dann keine Zeit einspart, weil er keine Anschlüsse hat, und dergleichen mehr. Sie sehen also: Probleme über Probleme auf diesem Gebiete, die so einfach nicht zu lösen sind, jedenfalls nicht - wie ich sagte - ohne viel Geld. Denkt man allein an den Ausbau dieser Flugsicherung und an die Personalfolgekosten, müßte man sich das in diesen Bereichen mit Sicherheit sehr ernsthaft überlegen.
Die Bundesregierung ist sich, wie man weiß, mit den Ländern darin einig, daß der bisher aufgebaute Regionalluftverkehr bis zur in Vorbereitung befindlichen Bildung einer überregionalen Einheitsgesellschaft nicht zum Erliegen kommen soll. Dafür ist ja wohl Sorge getragen. Die Bundesregierung hat auch bereits das ihrige dazu beigetragen. Sie sieht sich aber selber nicht in der Lage, durch Einsatz eigener finanzieller Mittel sicherzustellen, daß die vorhandenen Kapazitäten an Flugpersonal und Fluggerät in die neu zu bildende Gesellschaft eingebracht werden können.
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Meinung, daß die Bundesregierung hinsichtlich des Regionalluftverkehrs in der Bundesrepublik Deutsch7182
land eine Koordinierungsfunktion hat und im Rahmen dieser Aufgabe alle Bemühungen unternehmen sollte, gemäß -den Richtlinien des Bundesverkehrswegeplanes und der Empfehlungen der Kommission für den binnenländischen Luftverkehr auf die Schaffung einer tragfähigen Grundlage für den regionalen Luftverkehr hinzuwirken. Das kann allerdings, wie wir meinen, nicht heißen: Jeder Stadt ihren eigenen Flugplatz!
({5})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag der Opposition auf Schaffung einer leistungsfähigen Trägergesellschaft für den regionalen Luftverkehr in der Bundesrepublik muß ich für die FDP-Fraktion die Befürchtung aussprechen, daß hier der Grundstein für ein neues Unternehmen gelegt werden soll, das selbst langfristig nur mit Millionen-Defiziten und auf Kosten des Steuerzahlers betrieben werden könnte.
({0})
Wir verkennen nicht, daß der Aufbau eines innerdeutschen Regionalluftverkehrs neben dem Linienluftverkehr der Lufthansa zur Verbesserung der Infrastruktur derjenigen Räume beitragen könnte, die vom Linienluftverkehr bisher nicht erschlossen werden konnten. Aber schon die Untersuchungen der „Kommission Binnenländischer Luftverkehr" von vor zwei Jahren haben gezeigt, daß ein solcher Verkehr zumindest nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten unrentabel bleiben muß. Denn von Landeplätzen wie Bayreuth, Hof, Karlsruhe, Kassel oder Lübeck - um nur einige Beispiele zu nennen - aus wären die zur Kostendeckung notwendigen Sitzladefaktoren nicht realisierbar. Ein solcher Regionalverkehr wäre ohnehin nur dann und nur dort sinnvoll, wo Zeitvorteile gegenüber anderen Verkehrsmitteln erreicht und damit auch zusätzlicher volkswirtschaftlicher Nutzen geschaffen werden.
Neben den hohen Verlusten, die für die ersten Jahre auf über 50 Millionen DM jährlich geschätzt werden, wären weitere Milliardenaufwendungen notwendig, um die Landeplätze für einen Regionalverkehr auszubauen und die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß z. B. nicht nur bei Sichtflugbedingungen geflogen werden kann. Vor allem fehlt es an Flugsicherungseinrichtungen und Flugsicherungskapazitäten als Voraussetzung für einen dann aber auch, wenn er überhaupt sinnvoll sein soll, pünktlichen, zuverlässigen und regelmäßigen Regionalluftverkehr. Wir verfügen auch über kein Fluggerät, sei es nun die „Falcon", die „Yak 40" oder die „VFW 614", das sinnvoll und wirtschaftlich einen solchen regionalen Luftverkehr bewältigen und in den Gesamtluftverkehr integriert werden könnte.
Dennoch hat sich auch die Lufthansa grundsätzlich bereit erklärt, sich an einer solchen Gesellschaft
zu beteiligen, aber nur dann, wenn Bund und Länder bereit sind, die hohen Verluste trotz des ohnehin sehr beschränkten öffentlichen Interesses an einem solchen Verkehr zu decken. Die Kette der Bankrotte von Gesellschaften, die im Regionalluftverkehr tätig waren und trotz der erheblichen Subventionen der Bundesländer ihren Betrieb einstellen mußten wobei der Streik des Flugsicherungspersonals nur der letzte I-Punkt war -, sollte uns ein warnendes und auch abschreckendes Beispiel sein. Praktisch haben wir heute bereits mit der General Air die ja von Ihnen geforderte Einheitsgesellschaft, wenn wir einmal von der Ostfriesischen Lufttransportgesellschaft absehen. Wir sind der Meinung, dieser noch verbliebene Regionalverkehr muß fortgesetzt und auch verbessert werden. Aber für die Einbringung der vorhandenen Kapazitäten an Flugpersonal und Fluggerät in eine neuzubildende Gesellschaft, wie Sie sie fordern, haben die Länder Sorge zu tragen, die eine neue Gesellschaft bilden und dann auch im wesentlichen finanzieren müßten. Aufgabe der Bundesregierung kann es nur sein, hier ihre Koordinierungsfunktion wahrzunehmen und weiter an Konzepten wie dem Stufenplan zu arbeiten,
({1})
um den Bedarfsverkehr zu verbessern sowie das bestehende Flugnetz und den kurzen grenzüberschreitenden Verkehr optimal zu gestalten. Das, Herr Spies, ist nicht nur eine Zeitfrage, sondern, wie ich versuchte deutlich zu machen, in erster Linie eine Kostenfrage.
({2})
Ich glaube, Herr Spies, daß wir bei den Ausschußberatungen genügend Gelegenheit haben werden wir stimmen der Überweisung des Antrags an den Ausschuß zu -, die einzelnen Fragen oder Aspekte, die Sie für die Beratung dieses Gesamtproblems soeben angekündigt haben, mit Interesse zu hören und auch zu prüfen. Es wird dabei besonders interessant sein, zu erfahren, welche Rezepte Sie u. a. anzubieten haben, um einem solchen Verkehr die wirtschaftliche Grundlage zu geben, die notwendig ist, um ihn nach Ihren Vorstellungen in Gang zu setzen.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Verkehr - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft - mitberatend - zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Tübler, Dr. Wörner, Dr. Kraske, Rommerskirchen, Ernesti, Dr. Klepsch, Ziegler, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, von Hassel,
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Tillmann, Dr. Jenninger, Dr. Marx und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer
- Drucksache 7/2102 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß
Zur Begründung des Antrags hat Frau Abgeordnete Tübler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist offenkundig, daß das Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer Mängel aufweist. Diese Mängel zu beseitigen ist der Sinn des Antrags, den die Fraktion der CDU/CSU eingebracht hat. Wir wünschen, daß Verbesserungen sehr bald eintreten, weil der derzeitige Zustand für alle Beteiligten erhebliche Belastungen mit sich gebracht hat. Einige Interessenverbände im Lande fordern inzwischen die völlige Abschaffung des Prüfungsverfahrens. Wer in der politischen Verantwortung steht, kann es sich aber nicht so einfach machen. Art. 4 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes respektiert nicht jede Verweigerung des Kriegsdienstes, sondern nur die auf einer Gewissensentscheidung beruhende.
In einer uns vorliegenden Dokumentation zur Frage der Gewissensprüfung wird erklärt, das Gewissen sei nicht judiziabel. Sicherlich, wir haben keine Meßeinheiten, womit Gewissen nach Gramm oder Grad abgewogen werden kann. Wir sprechen jedoch täglich von einem am Gewissen orientierten, von gewissenhaftem oder gewissenlosem Handeln, von der Schärfung des Gewissens. Wir alle sind sicher, ermessen zu können, was damit gemeint ist. Unbestritten gehören dazu bestimmbare Wertvorstellungen, gehört dazu ein erfahrbares Wissen um das, was wir für gut und böse halten.
Es ist ein Unterschied zu machen zwischen dem, den der Dienst mit der Waffe nach reiflichem Abwägen aller damit verbundenen Probleme in unüberwindbare Gewissensnot bringt, und dem - ich nehme ein Beispiel aus dem Kölner Raum -, der den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nur gestellt hat, weil es eben sieben andere Klassenkameraden auch taten. Meine Damen und Herren, der Ernst, mit dem ein Antragsteller seine Gründe gegen den Waffendienst vor einem Prüfungsausschuß darlegt, mit dem er auch die Nachteile bedenkt, die eben gerade durch eine Verweigerung des Wehrdienstes entstehen können, kann, so meine ich wenigstens, spürbar herausgefunden werden. Nicht ohne Sorge sehe ich, wie leichtfertig sich mancher Vertreter etwa der sogenannten Deutschen Friedensgesellschaft über diese Verweigerungsvoraussetzung, nämlich die Gewissensgründe, hinwegsetzt.
({0})
Wer dies tut, schafft selbst die Voraussetzung dafür, daß dieses nur unter eindeutigen Voraussetzungen gewährte Grundrecht, wenn es nur formale Bedeutung hätte, bei veränderten politischen Verhältnissen ohne Schwierigkeit ganz annulliert werden könnte.
Während der Ausbildung der Soldaten im Frieden ist der Zwang zur Anwendung von Waffengewalt - eine Ausnahme gibt es gegebenenfalls nur im Wach-und Sicherungsdienst - völlig ausgeschlossen. Der Wesensgehalt des Grundrechts ist also - wenn man für Antragsteller vorsorglich einen anderen Tätigkeitsbereich als die genannte Ausnahme, etwa den Bereitschaftsdienst, wählt - während der Ausbildung in Friedenszeiten nicht berührt.
Die vorläufig aufrechterhaltene Dienstbeanspruchung für die Dauer des Prüfungsverfahrens wird verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Daher fordert die CDU/CSU-Fraktion in dem vorliegenden Antrag, das Verfahren selbst zu verbessern. Wir halten es für unvertretbar, daß die Prüfung nicht selten neun Monate Zeit in Anspruch nimmt.
({1})
Wir beanstanden, daß die Mitglieder der Ausschüsse und Kammern unzureichend auf ihre Aufgaben vorbereitet sind
({2})
und ihre Maßstäbe für die Urteilsfindung nicht an allgemein verbindlichen Richtlinien orientieren. Wir verurteilen und beanstanden weiter, daß unterschiedlicher Bildungsstand und bessere oder schlechtere Ausdrucksfähigkeit das Prüfungsergebnis beeinflussen können und daß antragstellenden Soldaten in Verhandlungen zu ihrem Nachteil vorgehalten wird, sie hätten ihren bisherigen Dienst widerspruchslos versehen.
Wir dürfen es nicht zulassen, daß es in einigen Einheiten der Bundeswehr zu Spannungen und Belastungen kommt, die den Dienstbetrieb in unerträglicher Weise stören. Wir wollen auch im Interesse der jungen Männer, die echte Gewissenskonflikte haben, nicht dulden, daß das Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes zum politischen Kampfmittel gegen unsere äußere Sicherheit, gegen unsere Bundeswehr und gegen unsere Lebensordnung umgewandelt und mißbraucht wird.
({3})
Wir fordern daher alle Mitglieder dieses Hauses auf, den vorliegenden Antrag zu beschließen und damit unverzüglich Maßnahmen zu veranlassen, die die festgestellten Mängel beseitigen sollen.
({4})
Nach der Begründung des Antrags treten wir in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möhring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion gebe ich zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion folgende Erklärung ab.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, daß sich nun auch die CDU/CSU um die Kriegsdienstverweigerer während des Anerkennungsverfahrens kümmern und ihre Situation verbessern will. Ob sie dies
durch einen spektakulären Antrag erreichen kann, muß allerdings schon jetzt bezweifelt werden. Bezweifelt werden muß auch, ob es der Opposition überhaupt darum geht, das Problem der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen, oder ob nicht vielmehr mit der Forderung nach strafferer Handhabung des bisherigen unzulänglichen Verfahrens gerade von den Schwierigkeiten einer dauerhaften und sauberen Lösung abgelenkt werden soll.
({0})
In dem verstärkten Oppositionsruf nach law and order für Kriegsdienstverweigerer sieht die SPD-Bundestagsfraktion diese Lösung jedenfalls nicht.
({1})
Der Oppositionsantrag scheint auch wenig hilfreich, die bisherige Verfahrenspraxis in Form und Wirksamkeit entscheidend zu verbessern, weil er zwar pauschale Absichtsforderungen, dafür aber desto weniger konkrete Einzelvorschläge enthält.
Schon jetzt kann, ohne einer Debatte in den Ausschüssen und dem Parlament vorgreifen zu wollen,
({2})
folgendes gesagt werden. Erstens: Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich keiner Überlegung entziehen, wie unter den gegenwärtigen Verhältnissen Antragsteller ohne Ansehen der Person und des Herkommens ihr korrektes Verfahren erhalten und wie sie nach ihrer Anerkennung den Anspruch auf unverzügliche Ableistung des Zivildienstes wahrnehmen können. Ob dazu Organisationsverbesserungen nötig und möglich sind, muß geprüft werden.
Zweitens: Schon jetzt muß klargestellt werden, daß dabei die Entscheidungsfreiheit der Verwaltungsgerichte, auch in Terminfragen, wegen ihrer verfassungsmäßigen Eigenständigkeit in keiner Weise in Frage gestellt werden darf.
Skeptisch muß man schon jetzt der Oppositionsforderungen gegenüberstehen, Vorsitzende und Beisitzer für ihre Aufgaben in Ausschüssen und Kammern zu „schulen". Das Ergebnis könnte nämlich nicht nur sein, versierte Befrager zu bekommen, sondern auch genormte Befragungskataloge in Form von Checklisten. Genormte Prüfkriterien darf es jedoch nicht geben. Das Gewissen entzieht sich jeder klischeehaften Überprüfung, weil es nicht nur originär und individuell, sondern auch frei von Terminierbarkeit und Manipulierbarkeit ist. Das gilt für das ganze Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 GG. Beisitzer sind also keine Inquisitoren; sie haben lediglich eine Gewissensentscheidung festzustellen. Ihre Qualifikation dafür kann allein nur ihrer eigenen Persönlichkeit und Verantwortlichkeit entspringen und nicht dem Perfektionismus, wie man fremde Gewissen erforscht.
Eine Verbesserung der Zusammensetzung von Ausschüssen und Kammern kann jedoch erreicht werden, wenn die Fraktionen der Kommunalparlamente einen besonders strengen Maßstab an die Qualifikation der von ihnen vorzuschlagenden Beisitzer anlegen. Die CDU/CSU, die ja in den ländlichen Gemeinden sehr weitgehend die Mehrheiten hat, kann hier noch sehr viel praktische Hilfe leisten. Die SPD hat dies jedenfalls immer mit besonders großer Sorgfalt getan.
Trotzdem - und ich sage es mit allem Nachdruck - würde es die SPD-Bundestagsfraktion begrüßen, wenn schon in Kürze dieses unzulängliche Verfahren, fremde Gewissen prüfen zu müssen, abgeschafft werden könnte.
({3})
Sie erinnert in diesem Zusammenhang an den Beschluß ihres Parteitages 1973 in Hannover, nach dem das Anerkennungsverfahren ersatzlos entfallen soll, wenn die Möglichkeit zur Ableistung des Zivildienstes erweitert und die Zahl der Zivildienstplätze ausreichend erhöht ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Nein, das ist eine Erklärung.
Sie würde es begrüßen, wenn die im November 1973 eingesetzte interministerielle Arbeitsgruppe als Untersuchungs- und Arbeitsergebnis diese entscheidenden Voraussetzungen bald feststellen könnte. Unter diesen Gesichtspunkten sollten sich die Ausschüsse reichlich Gelegenheit und Zeit nehmen, den Oppositionsantrag gewissenhaft zu prüfen,
({0})
auch um ihn von jedem Verdacht einer anderen Absichtsrichtung zu befreien.
Ich beantrage daher namens der SPD-Bundestagsfraktion die Überweisung dieses Antrages - federführend - an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, weil er ressortmäßig mit der Frage ausreichender Dienstplätze befaßt ist, und zur Mitberatung an den Innenausschuß und den Verteidigungsausschuß.
({1})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hätte, so meinen wir, des Antrags der CDU/CSU-Opposition nicht bedurft, um auf die Problematik des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer hinzuweisen. Abgeordnete der FDP-Fraktion - ich selbst gehöre dazu -, aber auch Kollegen der SPD-Fraktion haben in öffentlichen
) Stellungnahmen, in Anfragen an die Bundesregierung und in vielen Gesprächen immer wieder auf die Unzulänglichkeit dieses Prüfungsverfahrens hingewiesen. Die Gliederungen meiner Partei, der FDP, haben in einer ganzen Reihe von Beschlüssen die Abschaffung des Prüfungsverfahrens verlangt. Kirchenverbände, angesehene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens protestieren bis zur Stunde gegen ein Verfahren, dessen, ich möchte sagen, Unerträglichkeit inzwischen wohl unumstritten ist. Jetzt mit diesem Antrag ist auch die Opposition wachgeworden.
({0})
Sehr spät, so scheint mir, denn bis jetzt, meine Damen und Herren von der Opposition, haben Sie wenig dafür getan, die Diskriminierung von Kriegsdienstverweigerern abzubauen. Im Gegenteil, gerade diejenigen - und ich erinnere mich an manche Fragestunde in diesem Hause und Ihre Reaktion -, die sich wegen der Sicherstellung eines Grundrechts kritisch mit dem Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer auseinandergesetzt haben, haben Sie durch Ihr Auftreten in der Öffentlichkeit in diese Diskriminierung mit einbezogen.
({1})
Insofern ist diese Initiative der CDU/CSU natürlich zu begrüßen.
Wir werden den Antrag in den Ausschüssen noch
gründlich beraten. Wir werden ihn allerdings am Ergebnis der Arbeiten messen, die zur Zeit zu diesem Thema in meiner eigenen Fraktion laufen. Wir werden ihn vor allen Dingen an unserem Ziel messen, die Wahrnehmung eines Grundrechts, nämlich des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung
({2})
aus Gewissensgründen, ohne Beschränkung sichergestellt zu wissen.
({3})
Wenn unsere Arbeiten noch nicht zum Abschluß gelangt sind, liegt es daran, daß z. B. die Auswirkungen des neuen Zivildienstgesetzes abgewartet werden mußten. Inzwischen hat gerade dieses Gesetz aber entscheidend dazu beigetragen, daß wesentlich mehr Zivildienstplätze zur Verfügung gestellt werden konnten und in Zukunft zur Verfügung stehen werden, so daß von einer Dienstungerechtigkeit zu Lasten der Soldaten eigentlich nicht mehr gesprochen werden kann. Im Gegenteil, meine Damen und Herren, ein anerkannter einsatzfähiger Kriegsdienstverweigerer muß heute auf jeden Fall mit seiner Einberufung - in diesem Fall zum Zivildienst - rechnen. Für einen tauglich gemusterten Wehrpflichtigen gilt das nicht.
Nun ist also auch die Opposition zu der Einsicht gekommen, daß die Verfahren so nicht weiter beibehalten werden dürfen. Ich denke aber, meine Damen und Herren, darin sind wir uns alle einig.
Denn bei vielen Kriegsdienstverweigerern mußte der Eindruck entstehen, daß dieses Prüfungsverfahren nur zur Verhinderung der Wahrnehmung eines Grundrechts dient.
({4})
-- Herr Kollege Wörner, ich werde das sofort begründen.
Mancher glaubt eben leider haben Ihre Freunde in der öffentlichen Diskussion zu einem solchen Eindruck beigetragen, der in unserer Gesellschaft, wie wir ehrlich bekennen müssen, heute leider noch vorhanden ist -, daß Kriegsdienstverweigerer, weil sie sich nicht in übliche Verhaltensschablonen einpassen lassen, weil sie unbequeme Leute sind, eine Gefahr für unsere Gesellschaft seien und die Bundeswehr hinsichtlich der Erfüllung der verteidigungspolitischen Bedürfnisse dieses Staates in Gefahr brächten.
Die Frage für uns ist allerdings, ob der im Antrag der Opposition aufgezeigte Weg - Frau Kollegin Tübler, ich darf mir erlauben, zu sagen, daß das gerade auch Ihre mündlichen Ausführungen gezeigt haben, die doch, entschuldigen Sie bitte, ein bißchen weiße Salbe waren , nämlich die Beibehaltung des Prüfungsverfahrens in geänderter Form, richtig ist. Ich möchte hier schon jetzt erhebliche Bedenken anmelden. Denn jedes Verfahren, welches zum Ziel hat, eine echte Gewissensentscheidung festzustellen, wird höchst unzulänglich bleiben. Gewissen ist einfach nicht überprüfbar. Auch bei einem geänderten Verfahren würde z. B. nach wie vor derjenige Kriegsdienstverweigerer die größten Chancen auf Anerkennung haben, der über besondere rhetorische Fähigkeiten verfügt. Ich persönlich halte es grundsätzlich nicht für vertretbar, wenn sich überhaupt jemand einer höchst peinlichen Gewissensprüfung unterziehen muß, weil er ein Grundrecht wahrnehmen will.
({5})
- Der kommt schneller, als Sie denken, Herr Kollege Wörner. Nur machen wir eine solide Politik und liefern keine Verpackungen ohne Inhalt.
Schon im Interesse der Rechtsstaatlichkeit, meine Damen und Herren, müssen wir daher prüfen, unter welchen Voraussetzungen die Abschaffung des Prüfungsverfahrens möglich ist. Ich meine die Abschaffung, nicht die Änderung. Auch hier ist es unser Ziel, im Jahre des 25jährigen Bestehens des Grundgesetzes auch in diesem Punkt Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen. Den Antrag der CDU/CSU werden wir hierbei prüfen. Doch haben wir Bedenken gegen kosmetische Operationen, die den grundsätzlichen Makel eines Prüfungsverfahrens über eine Gewissensentscheidung nicht beseitigen, sondern den ganzen unerträglichen Zustand beibehalten.
({6})
7186 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - und an den Verteidigungs- und den Innenausschuß zur Mitberatung zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 15 auf:
Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Schröder ({1}), Dreyer, Bremer, Seiters, Eigen, Sick, Dr. Ritz, Schröder ({2}), Lagershausen, Ey, Müller ({3}), Dr. Müller-Hermann und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Sturmflutschäden an der deutschen Nordseeküste
- Drucksachen 7/1536, 7/2043 - Berichterstatter:
Abgeordneter Löffler Abgeordneter Müller ({4})
Ich frage zunächst die Herren Berichterstatter, ob sie das Wort wünschen. - Herr Kollege Müller ({5}), wollen Sie als Berichterstatter das Wort ergreifen?
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- Sie wollen also auch zur Aussprache das Wort nehmen. Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß hiergegen kein Einspruch erhoben wird, wenn der Herr Berichterstatter am Ende des Berichts deutlich absetzt und zu erkennen gibt, daß er dann für die Fraktion spricht. Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller ({7}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Berichterstatter verweise ich auf den Antrag des Haushaltsausschusses Drucksache 7/2043 vom 26. April 1974.
Für die Fraktion der SPD darf ich jetzt folgende Erklärung abgeben. Der Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Sturmflutschäden an der deutschen Nordseeküste - Drucksache 7/1536 - ist durch den Haushalt 1974 in der Sache erledigt. Für die Beseitigung der Sturmflutschäden an der deutschen Nordseeküste stehen insgesamt 70 Millionen DM zur Verfügung.
Mit der Bereitstellung dieser Mittel ist die Koalition über den Antrag der CDU/CSU hinausgegangen. Das bezieht sich nicht nur auf die Höhe der Summe, sondern auch auf die Zweckmäßigkeit des Verfahrens. Auch durch diese Maßnahme wird deutlich, wie stark die sozialliberale Koalition den Menschen und ihren Lebensbedingungen verpflichtet ist. Die SPD-Fraktion begrüßt und unterstreicht die schnelle und unbürokratische Hilfe.
Von den 70 Millionen DM entfallen 45 Millionen DM auf den Einzelplan 10 - Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - und 25 Millionen DM einschließlich einer Verpflichtungsermächtigung, fällig im Haushaltsjahr 1975, auf 'den Einzelplan 12 - Bundesminister für Verkehr -.
Innerhalb der vier Wochen vom 13. November bis 14. Dezember 1973 schlugen fünf Sturmfluten so oft und so hoch gegen die Deiche wie sonst in einem Zeitraum von 25 Jahren. Das Wasser lief teilweise höher auf als bei der Sturmflut vom Februar 1962, die bekanntlich viele Menschenopfer gefordert und großen Schaden angerichtet hat.
Bund und Küstenländer haben seitdem enorme Leistungen zum Schutz der Küste erbracht. Die Deiche wurden höher und breiter, und viele Sperrwerke wurden errichtet. Deiche und Sperrwerke haben ihre erste große Bewährungsprobe bestanden. Entstandene Schäden werden rasch und umfassend beseitigt. Der weitere Ausbau geht zügig voran. Für diese große Gemeinschaftsaufgabe des ganzen Volkes in der Bundesrepublik Deutschland wurden allein an Bundesmitteln von 1948 bis 1973 1,9 Milliarden DM bereitgestellt. 1974 überschreiten wir die Zwei-Milliarden-Grenze.
Als Abgeordneter eines an der Küste gelegenen Wahlkreises fühle ich mich persönlich verpflichtet, im Namen der Menschen an der Küste, für die der Deichbau tatsächlich lebenswichtig ist, dem Parlament herzlichen Dank zu sagen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Vorschlag des Haushaltsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 16 bis 19 der Tagesordnung auf:
16. a) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes
- Drucksache 7/1880 =
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0})
Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes ({1})
- Drucksache 7/2175
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({2}) Rechtsausschuß
17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vorn 23. August 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den VerVizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
einigten Staaten von Amerika über die gegenseitige Unterstützung ihrer Zollverwaltungen
- Drucksache 7/2114 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. Mai 1973 zum Abkommen über den Handelsverkehr und die technische Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Mitgliedstaaten einerseits und der Libanesischen Republik andererseits
- Drucksache 7/2110 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft
19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen vom 29. November 1969 über Maßnahmen auf Hoher See bei Ölverschmutzungs-Unfällen
- Drucksache 7/2109 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. - Das Wort wird nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats bitte ich der Tagesordnung zu entnehmen. -- Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das Haus ist mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung der Ubersicht 7 des Rechtsausschusses ({3}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 7/2120 Der Rechtsausschuß empfiehlt, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen. Ich frage, ob das Wort begehrt wird. - Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag des Ausschusses ist einstimmig gebilligt.
Ich rufe die Punkte 21 und 22 der Tagesordnung auf:
21. Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses ({4}) zu dem Antrag der Bundesregierung betr. bundeseigenes Gelände des ehemaligen Flugplatzes Lüneburg; hier: Veräußerung einer 78,77.43 ha großen Teilfläche an die Stadt Lüneburg
- Drucksachen 7/2002, 7/2126 -Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
22. Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses ({5}) zu dem Antrag der Bundesregierung betr. bundeseigenes Grundstück in Berlin-Lichterfelde;
hier: Veräußerung für Zwecke des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus
- Drucksachen 7/1971, 7/2127 - Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
Ich frage, ob der Herr Berichterstatter das Wort wünscht. - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache begehrt? - Auch das ist nicht der Fall.
Ich darf davon ausgehen, daß das Haus der Einfachheit halber damit einverstanden ist, daß wir gemeinsam über beide Anträge abstimmen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/2126 und 7/2127. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, auch Punkt 23 unserer Tagesordnung können wir noch erledigen. Ich rufe auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses ({6}) zu der von der Bundesregierung vorgelegten Unterrichtung über die verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken
- Drucksachen 7/1706, 7/2160 - Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Das ist nicht der Fall.
Der Haushaltsausschuß beantragt auf Drucksache ' 7/2160, der Bundestag wolle beschließen, die Unterrichtung der Bundesregierung in Drucksache 7/1706 zur Kenntnis zu nehmen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Beratungen des Deutschen Bundestages bis 13 Uhr. Wir setzen sie dann mit der Fragestunde fort, um ab 14.30 Uhr die Punkte 24 ff. aufzurufen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({7})
Vizepräsident von Hassel: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksachen 7/2197, 7/2213 Wie in den letzten Monaten wird auch für diese Woche vorgeschlagen, zwei Fragestunden von je 90 Minuten Dauer durchzuführen. Nach § 127 unserer Geschäftsordnung haben wir diese Abweichung von der Geschäftsordnung zunächst zu beschließen. - Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen, und wir treten in die Fragestunde ein.
7188 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Vizepräsident von Hassel
Zunächst liegen aus Drucksache 7/2213 zwei Dringliche Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz vor. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Vogel ({8}) auf:
Treffen jüngste Informationen zu, daß der Austausch des am 25. April 1974 unter Spionageverdacht festgenommenen Günter Guillaume kurz bevorstehe, oder steht die Bundesregierung zu der vom damaligen Bundesminister des Innern, Genscher, am 26. April 1974 vor dem Deutschen Bundestag abgegebenen Erklärung, daß im Zusammenhang mit Guillaume „das Wort Austausch sicher eine unbegründete Hoffnung wäre"?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With.
Besteht Einverständnis, daß die beiden Fragen im Zusammenhang beantwortet werden?
({0})
Vizepräsident von Hassel: Keine Bedenken. Ich rufe die Frage 2 gleichzeitig auf:
Ist die Bundesregierung bereit zuzusichern, daß sie Günter Guillaume weder vor noch nach rechtskräftigem Abschluß des gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens und des sich daran anschließenden Strafverfahrens austauschen wird?
Dr. de With, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, die von Ihnen angesprochene Äußerung des früheren Bundesministers des Innern, Herrn Hans-Dietrich Genscher, vom 26. April 1974 erneut zur Debatte zu stellen.
Wie Ihnen bekannt ist, werden die Ermittlungen im Falle Guillaume vom Generalbundesanwalt bei dem Bundesgerichtshof geführt. Diese Bundesregierung hat wie die vorige bereits mehrfach erklärt, daß sie eine umfassende und rasche Aufklärung und Verfolgung des Falles wünscht. Sie wird daher den Strafverfolgungsbehörden jede erforderliche Unterstützung gewähren.
Es ist im Interesse einer ungestörten Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane unerläßlich, daß die öffentliche Diskussion des Falles Guillaume in einer Art und Weise erfolgt, die das Verfahren nicht belastet. Dazu gehört insbesondere auch, daß durch nichts begründete Spekulationen über die Frage des Austausches unterbleiben.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Vogel.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren Äußerungen entnehmen, daß die Äußerung des damaligen Bundesministers des Innern, daß das Wort Austausch im Falle Guillaume sicher eine unbegründete Hoffnung wäre, von der Bundesregierung erneut bekräftigt wird?
Ich habe diese Frage bereits mit meinem ersten Satz beantwortet.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Vogel.
Darf ich Sie dann, damit Sie meinem Verständnis nachhelfen, fragen, ob die Antwort „Ja" heißt?
Ich habe meiner Antwort nichts hinzuzufügen,
({0})
insonderheit, da Sie bei Ihrer Frage ein Wort vergessen haben.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Eine dritte Zusatzfrage, der Abgeordnete Vogel.
Würden Sie zustimmen, Herr Staatssekretär, daß es die Ermittlungen ebenfalls belastet, wenn in der Öffentlichkeit Meldungen erscheinen,
({0})
der Herr Guillaume sage nichts, die Bundesanwaltschaft befinde sich in Beweisnot, und deshalb sei es sicherlich das beste, wenn möglichst noch vor einer Hauptverhandlung ein Austausch stattfinde?
Auch dies, meine ich, ist durch meinen zweiten Hinweis beantwortet. Jedwede Spekulation in diesem Fall schadet den Ermittlungen, die die Bundesregierung, wie ich gesagt habe, in keiner Weise behindern, sondern im Gegenteil fördern will.
Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Vogel.
Können Sie für die Bundesregierung erklären, daß aus den Reihen der Bundesregierung derartige Meldungen oder Zweckmeldungen, wie ich sie vorhin zitiert habe, nicht in die Öffentlichkeit lanciert worden sind?
Meinen vorangegangenen Äußerungen nach ist das, was Sie angesprochen haben, ausgeschlossen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Gerster.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Ihre Antwort nicht klar erkennen läßt, ob die BunGerster ({0})
desregierung noch zu dem Wort von Bundesinnenminister Genscher vom 26. April 1974 steht
({1})
- mag sein, Herr Schäfer, daß Sie es begriffen haben; ich glaube aber nicht, daß es auch die Öffentlichkeit verstanden hat -, und wären Sie weiterhin bereit, diese Unklarkeit auszuräumen, indem Sie klar erklären, daß die Bundesregierung noch zu diesem Wort steht?
Ich möchte sagen, nach meinen, wie ich denke, eindeutigen Ausführungen ist dies lediglich bezüglich der Betroffenen und der Frager eine Verständnisfrage.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Herr Staatssekretär, können Sie einen Grund dafür angeben, warum Sie auf die klare Frage des Kollegen Vogel nicht mit Ja oder mit Nein antworten wollen?
Ich meine, es ist eine Auffassungsfrage, was klar oder nicht klar ist. Ich denke, ich habe eindeutig geantwortet und gesagt, daß hier nichts hinzuzufügen ist. Ich darf vielleicht wiederholen, was ich gesagt habe, damit das noch einmal ganz klar ist: Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, die von Ihnen angesprochene Äußerung des früheren Bundesministers des Innern, Herrn Hans-Dietrich Genscher, vom 26. April 1974 erneut zur Debatte zu stellen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Herr Staatssekretär, haben Sie wenigstens Verständnis dafür, daß wir den Eindruck haben, daß die Beantwortung dieser Fragen durch den Vertreter der Bundesregierung zu neuen Spekulationen Anlaß gibt?
({0})
Ich habe dafür kein Verständnis. Ich habe versucht klarzumachen, daß es keine Änderung der Situation gibt. Damit sollte jede weitere Frage zu diesem Punkt ausgeräumt sein.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Schäfer.
Herr Staatssekretär, habe ich Ihre Antwort in dem Sinne richtig verstanden, daß Sie sagen: Seit der Äußerung des damaligen Innenministers Genscher sind keine neuen Umstände entstanden; es gibt deshalb auch keinen neuen Grund, darüber nachzudenken, und es gibt keinen neuen Grund, darüber zu debattieren?
Exakt so ist es.
Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm ({0}).
Herr Staatssekretär, wäre es nicht das einfachste gewesen, auf die klare Frage des Kollegen Vogel mit Ja oder Nein zu antworten?
({0})
Ich meine, die Frage war klar; ich habe es wiederholt und sage es noch einmal.
({0})
- Ich denke, auch die Antwort.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Herr Staatssekretär, da Sie soeben erklärten, daß keine neuen Umstände eingetreten sind, frage ich: Trifft es zu, daß auch seit der Äußerung von Minister Genscher kein neues Austauschersuchen an die Bundesregierung gestellt wurde?
Ich denke, daß die Antwort, die ich gegeben habe, auch insoweit eindeutig und klar ist, so daß ich auf die Äußerungen des früheren Innenministers rekurrieren kann.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Antwort, daß die Bundesregierung im Fall Guillaume weiterhin an keinen Austausch denkt?
So war die Äußerung von Herrn Genscher nicht. Ich rekurriere auf seine Außerung.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Zeyer.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit zu bestätigen, daß Herr Bundesminister Genscher damals erklärt hat, daß das Wort Austausch sicher eine unbegründete Hoffnung darstellt?
Ich bin bereit, das Zitat im Wortlaut wiederzugeben und zu sagen, daß sich hieran nichts geändert hat: „Ich nehme an, daß Guillaume und seine Leute das wissen werden . . daß im Zusammenhang mit ihnen das Wort Austausch sicher eine unbegründete Hoffnung wäre."
Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Frerichs.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Antwort an den Kollegen, daß Herr Genscher nicht an Austausch nicht denkt, daß Herr Genscher möglicherweise doch an Austausch denkt?
({0})
Wir wollen nicht zu rabulistisch sein. Ich denke, daß die Aussage von Herrn Genscher eindeutig und klar war, und daß ich ebenso eindeutig und klar gesagt habe, daß ich hierauf rekurriere. Das gilt für die Bundesregierung.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Frerichs.
Verehrter Herr Kollege, ich verstehe Ihre schwierige Situation. Aber bitte antworten Sie doch einmal klar: Gibt es etwas Klareres und Eindeutigeres als ja oder nein?
Die Situation der Bundesregierung ist in diesem Fall keineswegs schwierig, möglicherweise jedoch die der Frager auf dieser Seite des Hauses.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind am Ende der Beantwortung der Dringlichen Fragen. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With.
Ich komme nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung.
Ich rufe aus der Drucksache 7/2197 die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit ({1}), eine Kaserne, einen Stützpunkt oder ein Schiff der Bundeswehr nach dem einzigen Marineoffizier, Korvettenkapitän Kranzfeld zu benennen, der als Gegner des NS-Staates im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 durch des seinerzeitige Regime ermordet wurde?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Berkhan zur Verfügung.
Herr Präsident, Herr Kollege Reiser, zu Ihrer Frage teile ich Ihnen mit, daß diese Anregung bereits vor mehreren Jahren verwirklicht worden ist. Die Mitte der 60er Jahre erbaute Hafenanlage der Marineunterwasserwaffenschule in Ekkernförde trägt seit ihrer Fertigstellung den Namen „Kranzfelder Hafen".
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Reiser.
Herr Staatssekretär, in Verbindung mit Ihrer Antwort, die Sie soeben gegeben haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie vielleicht wissen, daß es sich hierbei um einen kleinen Hafen handelt, in dem meistens alte Tonnen gelagert werden und in dem zum Teil alte, abgewrackte, vergammelte Boote liegen, daß man, wenn man sich nach der Bedeutung des Namens dieses Hafens erkundigt, geantwortet bekommt: Der wird wahrscheinlich nach einer geographischen Gegebenheit bzw. nach einer Au bezeichnet worden sein, und daß man, wenn man gegebenenfalls einige Offiziere fragt, die Antwort bekommt: Das wird wohl nach dem Herrn Kranzbühler benannt worden sein, der doch den Admiral Dönitz damals verteidigt hat.
Herr Kollege Reiser, zum ersten Teil Ihrer Frage möchte ich folgendes sagen.
Wir haben in der Regel nur kleine Häfen, weil wir eine relativ kleine Marine haben.
({0})
In den kleinen Häfen werden natürlich auch von Zeit zu Zeit Tonnen gelagert und Schiffe älterer Bauart anbinden.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage darf ich Ihnen folgendes antworten.
Ich bedauere es außerordentlich, wenn es wirklich Offiziere, Beamte und ältere Soldaten geben sollte, die Herrn Kranzbühler nicht von Herrn Kranzfeld unterscheiden können. Im ganzen gesehen wird sonst dafür Sorge getragen, daß bei Eintreffen neuer Soldaten in der Regel eine Belehrung darüber erfolgt, nach wem eine Kasernenanlage oder ein Schiff benannt ist und warum diese Benennung erfolgte. In der vergangenen Fragestunde hatte ich Gelegenheit, auf die Grundsätze dieser Benennung einzugehen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Reiser.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß - um eine andere Wertung zu schaffen - die Bundesregierung gegebenenfalls an Stelle eines Namens wie „Lütjens" für ein KriegsReiser
schiff - ein für meine Begriffe, historisch gesehen, umstrittener Admiral - einmal den Namen „Kranzfeld" für ein entsprechendes größeres Schiff der Marine wählen würde?
Vorstellen kann ich mir das durchaus, Herr Kollege. Aber ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, daß die Benennung von Schiffen und Kasernen im Einvernehmen mit der Truppe erfolgt. Dieses Einvernehmen ist hinsichtlich des Hafens damals hergestellt worden.
Ihre Minderbewertung dieses Hafens im Vergleich zu einem Zerstörer oder einer Fregatte kann ich nicht teilen; Der Name Kranzfeld ist für die Benennung einer Hafenanlage gewählt worden, und ich meine, das ist ausreichend; aber wir werden noch einmal darüber nachdenken. Vielleicht ist diese Fragestunde auch ein Anlaß, daß aus der Marine heraus selbst noch einmal ein Vorschlag kommt, eine Umbenennung vorzunehmen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Hansen.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, wieviel Einrichtungen der Bundeswehr insgesamt - außer kleinen Hafenanlagen - nur Funktionsbezeichnungen tragen und damit frei für eine weitere wegweisende Namensgebung sind?
Dies kann ich leider nicht, Herr Hansen. Das müßte ich feststellen lassen, und das erfordert natürlich eine erhebliche Umfrageaktion.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wäre es nicht angängig, dafür ein Sonderreferat einzurichten, damit eine übersichtliche Darstellung sowohl all der Punkte - auch all der schwimmenden Gegenstände - als auch der möglicherweise zu benützenden Namen vorgenommen wird?
({0})
Herr Kollege Wehner, ein Sonderreferat würde ich für zu aufwendig halten.
({0})
Zuständig ist dafür der Führungsstab I bei den Streitkräften.
({1})
- Ja, Herr Kollege Wehner, eigentlich hat die Bundeswehr einen sicherheitspolitischen Auftrag, und ich möchte sie gern vor übertriebener Verwaltungsarbeit bewahren.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Berkhan, würden Sie mir in Anbetracht des Umstandes, daß Parlamentarische Staatssekretäre, Staatssekretäre und Minister - was keine Rangordnung sein soll - bei der Benennung von Schiffen, bei der Einweihung von Kasernen über die Namensgebung meist wegweisende Reden halten, darin zustimmen, daß die Namensgebung für Kasernen, Schiffe und ähnliche Einrichtungen doch ein durchaus ernst zu nehmendes Thema ist?
Herr Kollege Gansel, ich habe nicht gesagt, daß wir die Sache nicht ernst nehmen. Ich mußte selbst bei Benennung von Kasernen - bei Schiffen noch nicht - Reden halten. Ich bin gerne bereit, Ihnen einmal, bevor eine Namensgebung stattfindet, eine Akte zu zeigen, damit Sie sehen, wie so etwas vor sich geht. Dann werden Sie erstaunt sein, welche notwendigen Recherchen angestellt werden und wie sorgfältig das alles gemacht wird.
Ich wollte nur vermeiden, neben den schon auswuchernden Bürokratien noch ein Sonderreferat einzurichten. Das ist das einzige, was ich vermeiden wollte. Ich denke, das kann in den dafür zuständigen Referaten des Führungsstabs der Streitkräfte durchaus zureichend behandelt werden.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Gansel auf:
ist nach Auffassung der Bundesregierung hinsichtlich einer Rüge des Bundesrechnungshofes auch in Zukunft sichergestellt, daß die SAR-Staffel des 5. MFG Kiel-Holtenau in allen lebensbedrohenden Notfällen, die in ihrem Einsatzbereich einen Hubschraubereinsatz erfordern, ohne bürokratische Verzögerungen oder Einschränkungen helfen kann?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte
Herr Präsident! Herr Kollege Gansel! Selbstverständlich ist sichergestellt, daß die SAR-Staffel - das ist die Seeenotrettungsstaffel - des Marinefliegergeschwaders 5 in Kiel-Holtenau in akuten Notsituationen verzugslos und ohne bürokratische Einschränkungen hilft. Das war so in den vergangenen Jahren, und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Das Marinefliegergeschwader 5 hat von 1958 bis 1973 in 3034 Einsätzen 1582 Menschen aus Not und Gefahr geborgen und versorgt.
({0})
Ich darf hier aber noch einmal darauf hinweisen, daß die haushaltsrechtlichen Vorschriften die Bundeswehr dazu zwingen, die Erstattung der durch die Hilfeleistung entstandenen Selbstkosten zu verlangen. In der Abrechnungspraxis werden die Gesichtspunkte der dringenden Nothilfe und das fliegerische Ausbildungsinteresse weitgehend berücksichtigt, so daß die Personalkosten für die Hubschrauberbesatzung überhaupt nicht und die tat7192
sächliche Flugzeit nur teilweise in Rechnung gestellt werden.
Der reine Verwaltungsakt dieser Abrechnungen wird aber erst nach dem jeweiligen Rettungsflug abgewickelt, so daß der Einsatz eines Hubschraubers in lebensbedrohenden Notfällen niemals durch bürokratische Unzulänglichkeiten verzögert oder eingeschränkt werden kann. Es gibt nicht einen einzigen Fall von unterlassener Hilfeleistung der SAR-Dienste. Und es wird ihn auch - ich hoffe das behaupten zu können - in Zukunft nicht geben.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Berkhan, ist es vielleicht möglich, daß der Einsatz der Hubschrauber in einzelnen Fällen in der Vergangenheit nicht aus Gründen gescheitert ist, die bei der Bundeswehr liegen, sondern auf Grund eines Versagens des zivilen Rettungssystems, nämlich deswegen, weil die Staffel nicht rechtzeitig alarmiert worden ist?
Die Koordinierung der örtlichen Rettungsdienste ist nicht Aufgabe der Bundeswehr; das wissen Sie, Herr Kollege Gansel. Die Bundeswehr stellt vielmehr ihre Rettungsmittel der örtlich zuständigen Organisation zur Verfügung. Es entzieht sich daher der Kenntnis des Bundesministeriums der Verteidigung, ob in Einzelfällen Rettungshubschrauber nicht alarmiert worden sind. Mir ist jedoch kein Fall bekannt, bei dem gesagt werden könnte, ein nicht erfolgter Rettungseinsatz sei der Bundeswehr anzulasten.
In einem besonderen Fall - das liegt daran, daß das so nahe an meinem Wohnort passierte - habe ich allerdings Hinweise darauf, daß man die Bundeswehr nicht alarmiert hat. Wer nicht alarmiert wird, kann natürlich auch keine Hilfe leisten, und wer nicht angefordert wird, kann nicht erscheinen. Er liest dann von einer vorgekommenen Katastrophe eben erst am nächsten Tag in der Zeitung oder erfährt das im Fernsehen oder aus dem Rundfunk. Dann wird es in der Regel zu spät sein, Herr Kollege Gansel.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
In welchem Umfang wäre es überhaupt möglich, bei der Koordinierung von Bundeswehrrettungsdiensten und zivilen Rettungsdiensten den Einsatz der SAR-Staffel, die ja vor allen Dingen für die Seenothilfe gedacht ist, auch auf dem Lande zu organisieren?
Herr Kollege Gansel, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich noch einmal das Protokoll der Fragestunde vom 13./14. Februar dieses Jahres vornähmen. Ich habe da sehr ergiebig geantwortet.
Die Bundesrepublik Deutschland ist durch Gesetz vom 7. April 1956 dem Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt aus dem Jahre 1944 beigetreten. Daraus ergeben sich für uns Verpflichtungen. Wir haben im Bereich der Ost- und Nordsee Vorsorge zu treffen, daß bei einer eventuellen Katastrophe von unseren SAR-Staffeln ausreichend Rettungsgerät mit Personal zur Verfügung gestellt werden kann. Da man, Herr Kollege Gansel, in der Regel nicht weiß, ob eine Katastrophe eintritt oder nicht, bedeutet das aber, daß die Staffeln in einer gewissen Bereitschaft gehalten werden müssen. Daraus ergibt sich, daß man in dieser Bereitschaft nicht grenzenlos andere Dienste leisten kann - das werden Sie gut verstehen -, weil ja dann in der Stunde der Gefahr der Abruf der Rettungshubschrauber und des Rettungspersonals zu langwierig wäre, wenn diese irgendwo bei Verkehrskatastrophen oder dergleichen eingesetzt würden. Daher gibt es eine ganz natürliche Grenze, die sich aus der Bereitschaft erklärt.
Herr Kollege Gansel, dort wo Lebensbedrohung vorliegt, werden wir selbstverständlich in jedem Fall eingreifen und dafür sorgen, daß das Notwendige getan wird. Ob es immer gelingt, die lebensbedrohende Situation zu meistern, ist in das Schicksal gestellt.
Viperäsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Reiser.
Herr Staatssekretär, was halten Sie von dem Plan - kennen Sie diesen Plan überhaupt -, der auch aus den Reihen des Marinefliegergeschwaders 5 kommt und darauf hinausläuft, die Rettungsmöglichkeiten für den zivilen Bereich über die ganze Bundesrepublik hinweg durch die Bundeswehr noch wesentlich zu erweitern?
Herr Kollege Reiser, ich kenne diesen Plan. Solange aber der Bundeswehr nicht durch Gesetz eigene Aufgaben auf diesem Gebiet zugeteilt, also die gesetzlichen Grundlagen geschaffen sind und natürlich auch die entsprechenden Haushaltsmittel und Planstellen zugewiesen werden können, so lange kann ich nicht sagen, daß wir den SAR-Bereich - ich darf diese Abkürzung jetzt verwenden - erweitern können, weil sonst die Bereitschaft, über die ich soeben mit Herrn Kollegen Gansel gesprochen habe, nicht mehr gewährleistet ist. Und wir müssen uns darauf verlassen, daß die anderen Staaten, die diesem Vertrag beigetreten sind, ihre Rettungsleistungen zur Verfügung halten, sofern Flugzeuge - ich rede von zivilen Flugzeugen, Herr Kollege Reiser - und Schiffe aus unserem Reedereiaufkommen in Not kommen. Wir können das aber nicht erwarten, wenn wir unsere Bereitschaftsverpflichtung nur unzureichend erfüllen. Dies gilt um so mehr, als wir ja zu den technisch entwickelten Staaten dieser Welt gehören.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Coppik auf:
Vizepräsident von Hassel
Welche Maßnahmen sind von Exekutivorganen der NATO im Sinne der von der 18. Jahrestagung der Nordatlantischen Versammlung im November 1972 in Bonn verabschiedeten Empfehlung 22 bisher ergriffen worden?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Berkhan, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Herr Kollege Coppik, innerhalb der NATO bestehen keine Pläne, das NATO-Gebiet über den Wendekreis des Krebses hinaus in den südlichen Atlantik auszudehnen.
Im Zusammenhang mit den Maßnahmen gegen die sowjetische maritime Expansion außerhalb des NATO-Bereichs wurde jedoch der Oberste Alliierte Befehlshaber Atlantik ({0}) im Jahre 1972 beauftragt, entsprechende Pläne lediglich zum Schutz der Schiffahrt auf hoher See in diesem Gebiet vorzubereiten. Diese Pläne bedürfen vor ihrer Ausführung stets der politischen Zustimmung des NATO-Rats und sind nicht als Maßnahmen anzusehen, die automatisch in Kraft treten.
Außerdem billigte der Militärausschuß der NATO, also das Militärische Komitee ({1}), im Jahre 1973 die SACLANT-Empfehlung, eine maritime Koordinationsgruppe der NATO ({2}) beim Alliierten Oberbefehlshaber Ärmelkanal einzurichten. Die Aufgabe dieser Gruppe besteht im Sammeln und Auswerten von Informationen, die sich aus nationalen und NATO-Übungsplänen sowie dem Nachrichtendienst in diesen Gebieten ergeben, und dem Vorschlagen von Empfehlungen für koordinierte Maßnahmen.
Von besonderem Interesse sind dabei natürlich die Ölversorgungswege. Noch während der NahostKrise wurde in der NATO eine Untersuchung über die Auswirkungen der Ölkrise auf das Bündnis angefertigt. In ihr wird, gestützt auf Erhebungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3}), auf die ökonomischen und finanziellen Kompetenzen für die Mitgliedstaaten der NATO eingegangen. Insgesamt werden alle Tatsachen und Trends verzeichnet, die jedem aufmerksamen Leser aus den Wirtschaftsteilen der Presse bekannt sind, wie z. B. allgemeine, weltweite wirtschaftliche Unsicherheit ■durch die Verstärkung der inflationären Erscheinungen auf Grund der Ölpreissteigerungen, Wachstumsverluste der westlichen Wirtschaft mit merklichem Absinken der wirtschaftlichen Expansion, die in einzelnen Fällen sogar zur Rezession geführt hat, Gefahr der Arbeitslosigkeit. Lediglich die USA erscheinen stark genug, um ,die Krise aus eigener Kraft zu überwinden. Für alle ölimportierenden Länder bleibt aber die kritische Lage in den nächsten fünf bis zehn Jahren wahrscheinlich weiter bestehen. Deshalb ist die Erschließung neuer Energiequellen vorrangig.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Coppik.
Herr Staatssekretär, besteht nach Auffassung der Bundesregierung nicht doch die Gefahr, daß durch solche Planungen eine Art stillschweigender Ausdehnung des Geltungsbereiches
der NATO in einem Krisenfall erfolgen könnte, und besteht damit nicht zugleich auch die Möglichkeit, daß die Gefahr einer Verwicklung der Bundesrepublik Deutschland in einen militärischen Konflikt dadurch erhöht wird?
Ich sehe das nicht, Herr Kollege Coppik. Diese Gefahr kann theoretisch bestehen; aber sie wird von uns gesehen. Wir werden bei den Beratungen darauf achten, daß der Bereich nicht ausgedehnt wird.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Hansen.
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Herr Ulrich de Maizière in der „Deutschen Zeitung" am 8. Februar 1974 zur Erhöhung der maritimen Präsenz der NATO im südlichen Afrika geraten hat und daß ähnliche Vorschläge in jüngsten Veröffentlichungen der „Wehrkunde" anklangen, möchte ich Sie fragen, ob nicht doch konkrete Pläne, zur Kooperation etwa mit der Südafrikanischen Republik zu kommen, bestehen.
Wenn ich das richtig sehe, Herr Kollege Hansen, betrifft das die zweite Frage des Kollegen Coppik, die ich noch nicht beantwortet habe. Aber ich bin gerne bereit, Ihre Zusatzfrage zu beantworten. Ich kenne keine konkreten Pläne. Es steht aber jedem frei, auch Herrn de Maizière, seine Gedanken in einer freien Presse zu äußern, und ich möchte das auch nicht eingeschränkt wissen.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Coppik auf:
Ist bei diesen Maßnahmen sichergestellt, daß Exekutivorgane der NATO weder direkt noch indirekt und auf keinerlei Zuständigkeitsebene mit den weißen Minderheitsregimen im südlichen Afrika zusammenarbeiten?
Herr Präsident, Herr Kollege Coppik, die Frage der Zusammenarbeit von NATO-Exekutivorganen mit weißen Minderheitsregimen im südlichen Afrika hat sich nicht gestellt. Die Aktivitäten der NATO richten sich, wie in der Antwort auf Ihre vorige Frage erwähnt, auf ,die hohe See und nicht auf die Einrichtung von Stützpunkten südlich des Wendekreises des Krebses.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfragen. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Staatssekretär Berkhan, für die Beantwortung danken.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf, zunächst die Frage 42 des Abgeordneten Freiherr von Fircks:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Politik der „DDR" weiter darauf ausgerichtet ist, „West-Berlin auszutrocknen" bzw. „West-Berlin eines Tages doch nodi zu schlucken",
Vizepräsident von Hassel
und welche Maßnahmen, Aktionen oder politischen Erklärungen
seit Abschluß des Grundvertrags, in dem sich die „DDR" zu „gutnachbarlichen Beziehungen" verpflichtet, machen dieses deutlich?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold.
Herr Präsident, sehr verehrter Herr Kollege von Fircks, ich darf Ihre Frage 42 wie folgt beantworten:
Die von der Bundesregierung eingeleitete Entspannungspolitik konnte die fortbestehenden Unterschiede in den Auffassungen von der Rechtslage und in der politischen Zielsetzung keinesfalls beseitigen. Mit dem Abschluß des Viermächteabkommens vom 3. September 1971 ist aber eine sichere Basis geschaffen worden, die es uns zusammen mit den Schutzmächten ermöglicht, die Lebensfähigkeit der Stadt Berlin zu sichern. Dennoch müssen wir darauf achten, daß das Viermächteabkommen von allen Beteiligten, also auch von der DDR, in der Praxis seinem Buchstaben und Geist gemäß ausgelegt und angewandt wird.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für notwendig, daß dann, wenn von höchster Stelle unseres Staates so eine zusammenfassende Wertung gegeben wird, wie es in Berlin geschah, zur Information der deutschen Öffentlichkeit eine Dokumentation herausgegeben wird, die diese Wertung deutlich macht und erläutert, damit die Lage und die Situation, die Sie schilderten, von der Bevölkerung tatsächlich auch real in den Einzelheiten und nicht nur an Hand zusammenfassender Wertung beurteilt werden können?
Herr Kollege von Fircks, ich glaube, in diesem Hause wird ständig über all diese Probleme sehr umfassend diskutiert. Im übrigen war es bisher nicht üblich, daß Äußerungen des Herrn Bundespräsidenten hier zur Diskussion gestellt werden. Der Herr Bundespräsident wollte die Politiker nach meiner Einschätzung in dieser Frage zu immer neuer Aufmerksamkeit und Wachsamkeit aufrufen. Ich glaube, das war seine Absicht.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, mir ging es nicht um die Wertung der Äußerung, sondern um die Folgerungen, die hier zu ziehen sind. Deswegen meine Frage, ob nicht die Einzelvorgänge, die dazu geführt haben, daß so eine Wertung notwendig wurde, nicht nur dem Parlament, sondern überhaupt der interessierten deutschen Öffentlichkeit - bis hin zum staatspolitischen
Unterricht in den Schulen - deutlich gemacht werden könnten.
Sehr verehrter Herr Kollege, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß es für die Bundesregierung sehr schwierig ist, bis hinunter in den Schulunterricht Informationen dieses Bereiches zu geben. Das sollte aber vorab kein Hinderungsgrund sein. Ich bin der Meinung, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien und auch Sie von der Opposition dazu beigetragen haben, mögliche negative Entwicklungen hier zu registrieren und zu diskutieren. Ich glaube aber, daß die Regierung und die Koalitionsparteien auch deutlich gemacht haben, welche interessanten und positiven Entwicklungen sich seit der Unterzeichnung der Verträge abgezeichnet haben. Ich glaube, das ist ausreichend geschehen.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Durch welche besonderen konkreten Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung dem unter der Berliner Bevölkerung nach der letzten Allensbach-Umfrage rapide zunehmenden Pessimismus über die politische Entwicklung der Stadt entgegenzuwirken?
Herr Präsident, Herr Kollege von Fircks, Sie wissen, daß die öffentliche Meinung in Berlin immer stärker auf Schwierigkeiten in der Deutschlandpolitik reagiert als in der Bundesrepublik, ohne daß tatsächlich Rückschläge zu erwarten wären.
Im übrigen dürfte bekannt sein, daß auch Meinungsumfragen mit Vorsicht zu bewerten sind, denn, Herr Kollege Fircks, wir haben es ja erst in den letzten Tagen wieder erlebt: So manche Fragen, die gestellt werden, suggerieren bekanntlich bestimmte Antworten. Auch das muß man sehen.
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Dies ist keine Abqualifizierung, sondern nur eine Feststellung. So möchte ich dies verstanden wissen.
Im übrigen lassen Sie mich das wiederholen, was der Herr Bundeskanzler hier am 17. Mai 1974 in der Regierungserklärung erklärt hat: Die Bundesregierung wird weiterhin alles tun, um die Lebensfähigkeit Berlins zu sichern, um das Vertrauen der Berliner in ihre Zukunft zu stärken und um die Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Fircks.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die neuesten Zahlen der Berliner Wirtschaft - sowohl was Neugründungen, Abwanderungen oder sonstige Schwankungen in der Wirtschaft betrifft - so sind, daß die Ergebnisse der Umfrage keine Rechtfertigung finden?
Die bekannten Schwierigkeiten betreffen ja im Augenblick nicht allein Berlin. Sie betreffen ebenso andere Gebiete in der Bundesrepublik Deutschland und haben teilweise andere Ursachen als die, die im Zusammenhang mit dem Hintergrund Ihrer Frage zu sehen sind. Herr Kollege von Fircks, wir müssen doch feststellen, daß wir der Berliner Wirtschaft durch den Abschluß der Berlin-Verträge mit den Folgeverträgen - ich denke beispielsweise an das Transitabkommen und an das Verplombungsgesetz - Sicherheiten gegeben haben, die wir vorher keineswegs hatten. Ich glaube, das darf man nicht übersehen.
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Vizepräsident von Hassel: Herr von Fircks, eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist das Ergebnis dieser Umfrage für die Bundesregierung Anlaß, zu prüfen, ob Sie diese positive Situation, wie sie sich nach Ihrer Aussage für Berlin ergeben hat, der Berliner Bevölkerung dann nicht deutlicher machen müßten, um die psychologische Lage in Berlin zu verbessern?
Herr Kollege von Fircks, ich glaube, je korrekter wir gemeinsam - einschließlich der Sprecher des Berliner Senats - die Situation Berlins und seiner Bevölkerung immer wieder darstellen, desto weniger Unruhe wird es in der Berliner Bevölkerung geben. Das sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer vorletzten Antwort entnehmen, daß der wirtschaftliche Rückgang in West-Berlin nicht stärker ist als in den übrigen zehn Bundesländern?
Herr Kollege, ich habe heute die entsprechenden Zahlen nicht bei der Hand. Ich glaube, Sie gehen über den Rahmen der hier gestellten Fragen hinaus. Morgen tagt der Innerdeutsche Ausschuß in Berlin, und ich bin überzeugt, daß er dort ganz konkrete neue Zahlen durch die Vertreter des Berliner Senats bekommen wird. Ich möchte und kann also hier nicht vorgreifen.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Hösl auf:
Trifft die Meldung der „Welt" vom 5. Juni 1974 zu, Ost-Berlin verweigere Verwandten ersten Grades die vertraglich zugesicherten Ausreisegenehmigungen zu Hochzeiten mit der haltlosen Begründung, die westliche Seite habe das Transitabkommen häufig und sträflich verletzt, oder mit der Begründung, der Leiter einer Molkerei sei ein Geheimnisträger, und was hat die Bundesregierung - bejahendenfalls - unternommen, um die Abstellung derartiger Vertragsverletzungen zu erreichen?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Präsident! Herr Kollege Hösl, ich darf Ihre Frage 44 wie folgt beantworten. Der Bundesregierung liegen weder Erkenntnisse noch Anhaltspunkte für die Annahme vor, daß die DDR-Behörden dem antragsberechtigten Personenkreis, nämlich Großeltern, Eltern, Kindern, Geschwistern und Halbgeschwistern, Reisen anläßlich dringender Familienangelegenheiten, z. B. bei Hochzeiten, in das Bundesgebiet mit der Begründung verweigern, die Bundesregierung habe das Transitabkommen verletzt.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage weise ich darauf hin, daß die Bundesregierung, wie sie hier bereits mehrfach erklärt hat, aus zahlreichen Zuschriften und anderen Quellen erfahren hat, daß die Inhaber bestimmter Positionen im Partei-, Staats- und Wirtschaftsapparat der DDR keine Kontakte zu den Angehörigen im Bundesgebiet unterhalten sollen. Es ist nicht auszuschließen, daß von diesen Beschränkungen wegen anderer Funktionen auch der Leiter einer Molkerei betroffen sein kann. Sie wissen, daß die Bundesregierung mehrfach bei der Regierung der DDR wegen der administrativen Behinderungen des Reiseverkehrs vorstellig geworden ist und gefordert hat, den Kreis der sogenannten Geheimnisträger, die keine Kontakte mit Angehörigen im Bundesgebiet unterhalten sollen, zu verringern. Daß unsere beharrlichen Bemühungen trotz andauernder Schwierigkeiten nicht erfolglos geblieben sind, ergibt sich allein aus dem starken Anstieg des Reiseverkehrs zwischen den beiden deutschen Staaten in den beiden vergangenen Jahren.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Hösl.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Ihre Ermittlungen ergeben haben, daß der Bericht über die Diskriminierungskampagne unrichtig war, oder haben Ihre Ermittlungen diese Bestätigung nicht erbringen können?
Ich habe nicht erklärt, der Bericht sei unrichtig, sondern ich konnte nur das hier vor diesem Hause und Ihnen gegenüber darlegen, was uns zu recherchieren möglich war.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Hösl.
Herr Staatssekretär, würden Sie dem Vertreter der Bundesregierung in Ost-Berlin bei einem solchen Anlaß mit auf den Weg geben, bei seinen laufenden Gesprächen mit dem dortigen Verhandlungspartner, Herrn Nier, auf diese Dinge hinzuweisen? Denn ich sehe die Gefahr, daß Buchstabe und Geist des Vertrages offenbar von beiden beteuert, aber doch falsch oder unterschiedlich ausgelegt werden.
Herr Kollege Hösl, wir haben bisher schon alle Gremien und Kommissionen und die Gespräche zwischen den beiden Verhandlungsführern dazu benutzt, solche Fälle anzusprechen. Dies wird auch in Zukunft nicht anders sein.
Vizepräsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Staatssekretär Herold, für die Beantwortung danken.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf, Frage Nr. 80 der Frau Abgeordneten Dr. Neumeister:
Teilt die Bundesregierung die Sorgen zahlreicher Ökotrophologinnen, die z. Z. ausgebildet werden, ohne sich ihren späteren praktischen Berufsweg vorstellen zu können?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Dr. Glotz.
Herr Präsident, sehr verehrte Frau Kollegin! Ich darf mich für Ihre Frage ganz besonders bedanken, weil sie mir Gelegenheit gegeben hat, mich darüber zu informieren, was Ökotrophologinnen sind. Auf Ihre Frage darf ich Ihnen antworten:
Es gibt nach Kenntnis der Bundesregierung eine Untersuchung, die zu dem Ergebnis kommt, daß die Berufsaussichten für die Ökotrophologen, für die es ja zwei Zweige gibt, einen ernährungswissenschaftlichen und einen haushaltswissenschaftlichen, in der ernährungswissenschaftlichen Richtung in der Tat nicht günstig sind. Die gleiche Untersuchung gilt nicht in dieser Form für die haushaltswissenschaftliche Richtung. Die Untersuchung muß jedoch noch überprüft werden, vor allem im Hinblick auf die Frage, ob es Ausweichmöglichkeiten in verwandte Berufe gibt. Diese Überprüfung ist noch nicht abgeschlossen. Sollte sich die skeptische Aussage als richtig erweisen, so wird künftig durch die Studien-und Berufsberatung auf die Beschäftigungsrisiken einer solchen Ausbildung hinzuweisen sein.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß dies ein Beispiel für die Notwendigkeit der Studien- und Berufsberatung ist, insbesondere der studienvorbereitenden Beratung, die bereits in den letzten Schuljahren der höheren Schule, der Sekundarstufe II, einsetzen sollte. In dem Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Sicherung des Studiums vom 16. Mai 1974, auf den ich im übrigen verweisen darf, ist in dem Abschnitt „Beratung der Studenten" erneut die Notwendigkeit einer solchen Beratung betont worden.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, die Abgeordnete Frau Dr. Neumeister.
Vielen Dank, Herr Staassekretär. Könnten Sie mir vielleicht schon sagen, wo man gerade die Lebensmitteltechnologin oder -technologen einzusetzen gedenkt? Bestehen darüber schon irgendwelche Vorstellungen?
Es gibt, wie diese Untersuchung des Landwirtschaftsministeriums, von der ich gerade gesprochen habe, ergibt, in der Tat in der von Ihnen jetzt angesprochenen ernährungswissenschaftlichen Richtung offensichtlich sehr wenige Beschäftigungschancen in der freien Wirtschaft. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, dieses von sich aus zu beeinflussen.
Vizepräsident von Hassel: Ihre Zusatzfrage hat uns die Möglichkeit gegeben zu begreifen, worum es sich in dieser Frage gehandelt hat, Frau Kollegin.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Conradi.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie inzwischen wissen, was das heißt, wären Sie bereit, Ihr Herrschaftswissen mit dem Hohen Hause zu teilen?
Verehrter Herr Kollege, ich hatte zuerst gedacht, es hänge vielleicht mit dem Begriff Ökologie zusammen und damit mit dem Begriff Umwelt. In Wirklichkeit kommt es zwar vom gleichen Wortstamm „oikos", es handelt sich aber um einen Studiengang, der sich einerseits auf Haushaltswissenschaft und andererseits auf Ernährungswissenschaft bezieht.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 81 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ein Berufsbild für Ökotrophologinnen zu schaffen?
Herr Präsident, Frau Kollegin! Die Bundesregierung hat keine rechtlichen Möglichkeiten, für die an Hochschulen angebotenen Studiengänge etwa der Ökotrophologie ein Berufsbild zu schaffen. Die Bundesregierung ist aber im übrigen der Auffassung, daß die Ausrichtung von Studiengängen auf Berufsbilder für die Anforderungen der Arbeitswelt als zu eng zu betrachten ist, und hat sich deshalb im Regierungsentwurf für ein Hochschulrahmengesetz für eine Orientierung der Studiengänge an breiteren Tätigkeitsfeldern ausgesprochen. Es wird eine Aufgabe des jetzt anstehenden und hoffentlich bald zu beschließenden Hochschulrahmengesetzes sein, Studienreformkommissionen einzurichten, die Studiengänge und berufliche Tätigkeitsfelder miteinander in Beziehung setzen und dabei sicherstellen, daß die Studiengänge nicht nur auf eng umrissene Berufsbilder ausgerichtet sind, so daß die Gefahr der mangelnden Beschäftigungschancen anschließend verringert werden kann.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, die Abgeordnete Frau Dr. Neumeister.
Herr Staatssekretär, darf ich trotzdem eine spezielle Frage stellen: Wie stellt sich die Bundesregierung z. B. den
Einsatz von Ökotrophologinnen im Krankenhaus vor, wie stellt man sich ihre Stellung zu dem Pflegepersonal und auch zu der Ärzteschaft in den Krankenhäusern vor, wenn sich die Ökotrophologinnen vorwiegend mit der Ernährung befassen und dafür letztlich auch verantwortlich zeichnen müssen?
Frau Kollegin, es ist sicherlich möglich, Ökotrophologinnen beispielsweise zur Leitung von Großkantinen im öffentlichen Dienst, etwa bei Krankenhäusern, zur Aufstellung von Diätzetteln und ähnlichem einzustellen. Nur haben die Recherchen, die wir auf Grund Ihrer Frage jetzt angestellt haben, ergeben, daß besondere Beschäftigungschancen, die es uns ermöglichten, die Hoffnung zu machen, daß hier viele studieren könnten, gerade im öffentlichen Dienst nicht bestehen. Das ist die Situation. Es besteht eine begrenzte Zahl von Möglichkeiten der Beschäftigung von Bewerbern aus dieser Studienrichtung im öffentlichen Dienst. Das sollte man klar sagen, um nicht falsche Hoffnungen zu wecken.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister.
Herr Staatssekretär, haben Ihre Recherchen vielleicht ergeben, daß im Brauereiwesen, das auch ein Teil der Ökotrophologie ist, mehr Chancen bestehen?
Frau Kollegin, ich stamme zwar aus Bayern, bin aber nicht in der Lage, jetzt die Spezialfrage des Brauereiwesens ausreichend zu beantworten. Ich bin gern bereit, Ihnen diese Frage dann schriftlich zu beantworten.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gerster ({0}).
Herr Staatssekretär, würden Sie es in Anerkenntnis der guten Küche des Bundeshausrestaurants für sinnvoll halten, ebenfalls derartige Berufstätige dort anzustellen?
({0})
Da es, wie ich aus vielen Gesprächen weiß, über die Qualität der Küche in diesem Hause in allen Fraktionen verschiedene Meinungen gibt, möchte ich Sie bitten, mir diese Antwort zu erlassen, Herr Kollege.
Vizepräsident von Hassel: Im übrigen, Herr Kollege, ist die Fragestunde nur dazu da, die Bundesregierung nach dem zu fragen, wofür sie verantwortlich ist. Für diese Küche ist sie nicht verantwortlich, sondern das Haus selber. Deshalb war der Adressat falsch.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
({0})
- Ist erledigt.
Die Fragen 82 und 83 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Staatssekretär Dr. Glotz, danken.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern; Frage 14 des Abgeordneten Gerster ({1}) :
Treffen Pressemeldungen zu, daß ein Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei, das keine Gewähr bot, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten und deshalb nicht in den Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen wurde, in der Bundesgrenzschutz-Fachschule BonnDuisdorf Unterricht in Deutsch und Gemeinschaftskunde erteilen konnte, und nach welchen Kriterien erfolgte die Anstellung?
Zur Beantwortung, der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schmude.
Herr Präsident, ich möchte die beiden Fragen gern im Zusammenhang beantworten und bitte da um Ihre Zustimmung.
Vizepräsident von Hassel: Keine Bedenken. Ich rufe auf auch die Frage 15:
Trifft es weiterhin zu, daß der „bekannte DKP-Funktionär" nicht überprüft wurde, obwohl sich die Schüler der Bundesgrenzschutz-Schule über den „merkwürdigen Unterricht" beschwert hatten, daß vielmehr erst ein Schreiben der Jungen Union an den Bundesinnenminister überhaupt eine Reaktion auslöste?
Herr Kollege Gerster, den von Ihnen gemeinten Lehramtsassessor hat der Leiter der Grenzschutz-Fachschule in Bonn-Duisdorf aushilfsweise mit der Erteilung von Unterricht in den Fächern, „Deutsch" und „Staats- und Gesellschaftskunde" beauftragt. Den erforderlichen Abschluß des schriftlichen Vertrages, zu dem die Zustimmung des zuständigen Grenzschutz-Kommandos erforderlich war, hat er dabei nicht abgewartet. Dazu ist es deshalb gekommen, weil ein dringender Bedarf infolge kurzfristigen Ausfalls zweier anderer nebenberuflicher Lehrkräfte entstanden war. Infolge eines Versäumnisses ist bei der Beauftragung des Lehramtsassessors die Ausfüllung eines nach den Einstellungsrichtlinien vorgesehenen Fragebogens über die Zugehörigkeit zu radikalen politischen Organisationen unterblieben.
Infolge dieses von den Vorschriften abweichenden Verfahrens ist es in der Zeit vom 30. April bis 20. Mai 1974 zu der Beschäftigung des Lehramtsassessors gekommen, obwohl dieser als aktives Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei in Erscheinung getreten war und für eine Lehrtätigkeit beim Bundesgrenzschutz nicht in Frage kommen konnte.
Das Bundesministerium des Innern hat von der Beschäftigung des Lehramtsassessors an der Grenz7198
schutz-Fachschule in Bonn-Duisdorf erst am 21. Mai 1974 durch eine Meldung der Deutschen Presseagentur Kenntnis erhalten. Meines Wissens beruhte diese Meldung auf einer Information der Jungen Union. Ein Schreiben der Jungen Union an den Bundesinnenminister liegt nicht vor.
Der Leiter der Grenzschutz-Fachschule hat am 17. Mai 1974 den von dem Lehramtsassessor erteilten Unterricht unangemeldet überprüft. Anlaß dazu waren kritische Äußerungen von Schülern über die Art und Weise der Unterrichtserteilung, in denen besonders ein zu wissenschaftlich erteilter Unterricht beanstandet wurde. Anhaltspunkte für eine einseitig politische Gestaltung des Unterrichts ergaben sich bei der Überprüfung jedoch nicht.
Auf Anweisung des Bundesministeriums des Innern, die unverzüglich nach Feststellung des gesamten Sachverhalts erteilt wurde, hat der Leiter der Grenzschutz-Fachschule die aushilfsweise Beschäftigung des Lehramtsassessors sofort beendet. Es wurde außerdem Vorsorge getroffen, daß durch Beachtung der geltenden Bestimmungen die Wiederholung eines solchen Vorfalls vermieden wird. Die Grenzschutz-Kommandos wurden angewiesen, in allen Fällen einer aushilfsweisen Beschäftigung von nebenberuflichen Lehrkräften vor Aufnahme der Tätigkeit eine Sicherheitsüberprüfung durchzuführen. Bisher war eine solche Sicherheitsprüfung bei nebenberuflichen Lehrkräften nur erforderlich, wenn die Beschäftigung länger als drei Monate dauern sollte. Bei solchen Lehrkräften handelt es sich nämlich in der Regel um Personen, die im
Schuldienst stehen und bei denen daher auf Grund eines bestehenden Beamten- oder Angestelltenverhältnisses die politische Eignung im allgemeinen vorausgesetzt werden kann.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gerster ({0}).
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die ausführliche Antwort. Ich möchte zur Klarstellung nur noch eine Zusatzfrage stellen. Habe ich Sie richtig verstanden, daß für die Anstellung und auch für die kurzfristige Beschäftigung in der Bundesgrenzschutz-Fachschule in Zukunft neue Richtlinien oder neue Verfahren gewählt werden sollen?
Herr Kollege Gerster, ich darf dazu klarstellen, daß es sich zum Teil nicht um neue Richtlinien handelt, sondern darum, daß die bisher schon bestehenden Richtlinien eingehalten werden. Außerdem ist allerdings als neue Praxis eingeführt worden, daß auch bei kurzzeitig zu beschäftigenden nebenberuflichen Lehrkräften die Sicherheitsüberprüfung erfolgt.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Ist mit einer Rechtsverordnung zu § 62 des Bundesgrenzschutzgesetzes, die eine Übertragung von Grenzschutzaufgaben auf die Zollverwaltung regelt, noch im Jahre 1974 zu rechnen?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Wernitz, der Entwurf der Rechtsverordnung zu § 62 des Bundesgrenzschutzgesetzes ist mit dem Bundesminister der Finanzen inzwischen abgestimmt. Er wurde mit Schreiben vom 15. Mai 1974 dem Bundesminister der Justiz zur Rechtsförmlichkeitsprüfung und dem Bundesminister der Finanzen mit der Bitte um förmliche Zustimmung übersandt. Mit dem Inkrafttreten der Rechtsverordnung zu § 62 des BGS-Gesetzes ist noch im Jahre 1974 zu rechnen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz.
Herr Staatssekretär, umfaßt der Inhalt dieser Verordung auch das, was man die Öffentlichkeitsarbeit nennt? Ist auch hier die Abstimmung zwischen den Ressorts erfolgt, oder ist das von dieser Verordnung noch nicht erfaßt?
Sie dürfen davon ausgehen, Herr Kollege Dr. Wernitz, daß die Abstimmung zwischen den Ressorts über den Inhalt der Verordnung umfassend erfolgt ist. Die Verordnung selbst ist verhältnismäßig umfangreich. Ich bin gern bereit, Ihnen nach dieser Fragestunde Einzelheiten mitzuteilen; ich möchte jetzt nicht darauf zurückkommen.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Gansel auf:
Zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Voraussetzungen werden die Hubschrauber im Lande Schleswig-Holstein, die dem Bundesinnenministerium unterstehen, auch zu zivilen Rettungseinsätzen zur Verfügung stehen?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Gansel, das Bundesministerium des Innern beschafft Hubschrauber für den Katastrophenschutz, die auch bei Notfällen des täglichen Lebens eingesetzt werden. Damit wird ein wirksamer Beitrag zur Verbesserung des Rettungsdienstes geleistet. Das Ziel besteht darin, das Bundesgebiet nach den Erfordernissen von Katastrophenschutz und Rettungsdienst mit einem Netz von Hubschrauberstationen abzudecken. Bei einem Einsatzradius von 70 km sind insgesamt rund 20 Stationen erforderlich. Zur Zeit bestehen sechs Stationen mit acht Maschinen.
Im Zuge des Aufbaus eines bundesweiten Hubschrauberdienstes für Katastrophenschutz und Rettungsdienst ist im Einvernehmen mit der Landesregierung Schleswig-Holstein vorgesehen, eine der neuen Maschinen, die im Herbst dieses Jahres ausgeliefert werden, in Schleswig-Holstein zu stationieParl. Staatssekretär Dr. Schmude
ren. Der Standort muß noch mit dem Land abgestimmt werden.
Da bis zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Stationierung geschaffen werden können, ist davon auszugehen, daß die Maschine unmittelbar nach der Auslieferung in Dienst gestellt wird. Der Hubschrauber steht ständig von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang für Rettungseinsätze zur Verfügung.
Die Einsatzaufgaben bestehen insbesondere darin, Arzt und Sanitäter kurzfristig an die Notfallstelle zu befördern sowie Notfallpatienten schnell und schonend in ein Krankenhaus zu transportieren. Zu diesem Zweck ist der Hubschrauber mit einem Arzt und einem Sanitäter besetzt sowie mit dem für die Behandlung von Notfallpatienten erforderlichen medizinischen Gerät ausgerüstet. Der Einsatz des Hubschraubers wird durch die örtliche Funkleitstelle des bodengebundenen Rettungsdienstes gelenkt.
Zur Zeit sind seitens des Bundesministeriums des Innern in Schleswig-Holstein Hubschrauber der Grenzschutzfliegerstaffel Küste stationiert. Sie stehen seit ihrer Stationierung außer für die Aufgaben des Bundesgrenzschutzes auch für zivile Rettungseinsätze zur Verfügung. Der Vorrang der eigentlichen Aufgaben läßt es jedoch nicht zu, daß sie fest in den Notfallrettungsdienst eingegliedert werden. Sie sind auch weder mit einem Arzt noch mit einem Sanitäter besetzt und nicht mit der erforderlichen Sanitätsausrüstung ausgestattet.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Ist das Bundesinnenministerium bereit, mit dem Bundesministerium der Verteidigung in bezug auf den Einsatz der SAR-Staffel - Sie haben ja die Fragestunde auch am Anfang mitverfolgt, Herr Kollege - die Rettungsdienste so zu koordinieren, daß sowohl auf der Seeseite wie auf der Landseite ein optimales System zur Verfügung steht?
Im Rahmen des Möglichen, Herr Kollege Gansel, ist das Bundesministerium des Innern hierzu bereit. Auf die natürlichen Grenzen, die ein solcher Einsatz von Hubschraubern der Bundeswehr findet, hat bereits Herr Kollege Berkhan hingewiesen, woran Sie hier mit Recht erinnern.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Gansel.
Wird das Bundesinnenministerium im Rahmen seiner Zuständigkeit für den Katastrophenschutz auch beschleunigt darauf drängen, daß in Zusammenarbeit mit dem Land Schleswig-Holstein und der Bundeswehr ein einheitliches Alarmierungssystem entwickelt wird?
Ich gehe davon aus, Herr
Kollege Gansel, daß diese Arbeit in Vorbereitung ist, nehme aber Ihre Anregung gern auf.
Vizepräsident von Hassel: Die Frage 18 des Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Welche Folgerungen ergeben sich für die Bundesregierung aus dem Explosionsunglück in Flixborough im Hinblick auf die geplante Errichtung von Kernkraftwerken im Bereich gleichartiger Chemiewerke in der Bundesrepublik Deutschland?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schmude.
Herr Kollege Gruhl, die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer Rechts- und Zweckmäßigkeitsaufsicht über die atomrechtlichen Genehmigungsbehörden der Länder dafür Sorge tragen, daß die Ergebnisse der in Flixborough laufenden Untersuchungen und die daraus zu ziehenden Lehren in den Genehmigungsverfahren für Kernkraftwerke berücksichtigt werden. Dies trifft natürlich insbesondere auf Kernkraftwerke zu, die unmittelbar neben explosionsgefährdeten Industrieanlagen geplant oder an deren Standort in der Zukunft explosionsgefährdete Anlagen und Einrichtungen nicht auszuschließen sind.
Die Bundesregierung bedauert die von dem Explosionsunglück in Großbritannien betroffenen Menschen. Sie sieht jedoch in der Tatsache, daß eine derartige Explosionskatastrophe möglich war, auch eine Bestätigung ihrer eigenen Sicherheitspolitik im Kernenergiebereich. So hat die Bundesregierung in der Vergangenheit erhebliche Mittel aufgewendet, um die Möglichkeiten und Konsequenzen äußerer Einwirkungen auf kerntechnische Anlagen zu untersuchen, und gegen Widerstände durchgesetzt, daß Kernkraftwerke beispielsweise gegen äußere Explosionsdruckwellen baulich besonders geschützt werden.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gruhl.
Herr Staatssekretär, ich frage die Bundesregierung, da sie für die Sicherheit der Kernkraftwerke zuständig ist: Wird sie, da ja, wie Sie wissen, konkrete Pläne vorliegen, ein Kernkraftwerk wenige hundert Meter von einem Chemiewerk entfernt zu bauen, die Untersuchungen besonders auf die Entwicklung von Druckwellen solcher Explosionen, auf die Hitzeentwicklung und auch auf die Vergiftung der Atmosphäre in einem weiteren Bereich ausdehnen?
Herr Kollege Gruhl, gerade im Hinblick auf den von Ihnen angesprochenen Bereich möchte ich noch einmal unterstreichen, daß sich die Bundesregierung in ihren bisher geforderten und getroffenen Sicherheitsvorkehrungen durch die neuer7200
lichen Erfahrungen von Flixborough bestätigt sieht und diese Sicherheitsanforderungen nun noch intensiver und aufmerksamer stellen wird, gerade auch in dem Fall, den Sie ansprechen.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Gruhl.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von einer Bestätigung Ihrer bisherigen Auffassung. Könnte die Explosion in Flixborough nicht auch dazu führen, daß weitere Untersuchungen angestellt werden, z. B. über die Zumutbarkeit für das Bedienungspersonal eines Kernreaktors, bei einer solchen Explosion an ihren Bedienungsplätzen zu bleiben, bzw. auch den Ausfall sämtlicher elektrischer Stromversorgung einzubeziehen?
Ich stimme Ihnen darin zu, Herr Kollege Gruhl, daß die Katastrophe in Flixborough Veranlassung geben kann, auch weitergehende Vorkehrungen zu fordern und zu treffen. Freilich werden dies im einzelnen erst die Erfahrungen zeigen, die dort gesammelt werden. Sie wissen, daß das Unglück noch nicht sehr lange zurückliegt und die Auswertung noch keinesfalls abgeschlossen sein kann.
Vizepräsident von Hassel: Die Fragen 21
' und 22 des Abgeordneten Schedl werden schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 23 des Abgeordneten Graf Stauffenberg wird auf Wunsch des Fragestellers ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Sauter ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob es neben der Methode, Fische als Testobjekte einzusetzen, exakte wissenschaftliche Untersuchungsmethoden zur qualitativen und quantitativen Feststellung toxischer Schadstoffe und Krankheitserreger gibt?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Schmude!
Herr Kollege Sauter, zur qualitativen Feststellung toxischer Stoffe und von Krankheitserregern gibt es für das Trinkwasser chemische, chemisch-physikalische und mikrobiologische Untersuchungsmethoden. In neuerer Zeit haben sich auch biologische Methoden als geeignet erwiesen. Neben verschiedenen Fischarten können als Testobjekte u. a. Daphnien - das sind Kleinkrebse -, Muscheln, Protozoen - auch Einzeller genannt -, Algen und Bakterien für Toxizitätsuntersuchungen herangezogen werden. Einige dieser Methoden haben bereits Eingang in die in der Bundesrepublik üblicherweise angewandten „Deutschen Einheitsverfahren zur Wasser-, Abwasser- und Schlammuntersuchung" gefunden.
Der größere Teil dieser Testverfahren wird zur Zeit im Auftrage des Bundesministeriums des Innern in einem Ringversuch getestet, an dem neben den Bundes- und Länderanstalten sowie Hochschulinstituten auch die Industrie beteiligt ist.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Sauter.
Herr Staatssekretär, können Sie mir Angaben machen, bis wann ein verhältnismäßig einfaches Verfahren von der Wissenschaft entwickelt ist, um Gefährdungen des Trinkwassers rechtzeitig anzuzeigen?
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern. Herr Kollege Sauter, das Bundesministerium des Innern geht davon aus, daß der derzeit durchgeführte Ringversuch, von dem ich eben sprach, in dem von Ihnen angesprochenen Sinne Fortschritte bringen wird. Mit einem Ergebnis wird allerdings erst im nächsten Jahr zu rechnen sein.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Sauter.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht dringend erforderlich, einen Forschungsauftrag auch in der Richtung zu erteilen, daß ein verhältnismäßig einfaches, für alle Anlagen ]eicht anwendbares Verfahren entwickelt wird, um die enormen Gefahren, die unstrittig für Gesundheit und Leben der Bevölkerung vorhanden sind, rechtzeitig anzeigen zu können?
Herr Kollege Sauter, es ist der Zweck des derzeit unternommenen Versuchs, dies so sicher, zuverlässig und schnell wie möglich zu erreichen.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Sauter auf:
Sind die Betreiber von Wasserversorgungsunternehmen gehalten, entsprechende Wasseranalysen so vorzunehmen, daß gewährleistet ist, daß nicht plötzlich auftretende schädliche Substanzen in die Trinkwasserversorgung von Wohngebieten gelangen können und so die Bevölkerung gefährdet wird?
Herr Kollege, die Wasserversorgungsunternehmen untersuchen das Rohwasser im Rahmen der nach dem Stande der Technik gegebenen, jedoch nicht verbindlichen Möglichkeiten. Die zum Schutz der Gesundheit des Verbrauchers in Vorbereitung befindliche „Verordnung über Trinkwasser und über Brauchwasser für Lebensmittelbetriebe ({0})" sieht eine Reihe von dann verbindlichen Untersuchungsverfahren vor, die von den Unternehmern oder sonstigen Inhabern von Wasserversorgungsanlagen durchzuführen sind. Das in Vorbereitung befindliche „Wasserhygienegesetz" soll eine generelle Regelung mit einem alle Verbraucher umfassenden Geltungsbereich enthalten. Durch
die Zahl und die zeitlichen Abstände solcher Untersuchungen, die mit Inkrafttreten dieser Rechtsvorschriften verbindlich vorgesehen werden sollen, sollen Risiken durch plötzlich auftretende schädliche Substanzen weitestgehend vermindert werden.
Ein vollkommenes Ausschließen jedes Risikos wird indes nicht möglich sein, da die bisher entwickelten Untersuchungsverfahren für eine Reihe von schädlichen Substanzen nur beschränkt aussagefähig sind oder der Nachweis dieser Stoffe einen zu langen Zeitraum in Anspruch nimmt. An einer Verbesserung der Untersuchungsverfahren wird in zahlreichen Forschungsvorhaben gearbeitet. Oberstes Gebot bleibt daher, dafür Sorge zu tragen, daß schädliche Stoffe erst gar nicht in ein Gewässer gelangen können. Die dem Bundestag vorliegende 4. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz sieht hierzu entsprechende Regelungen vor.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Sauter.
Herr Staatssekretär, da ich Ihren Optimismus nicht ganz teilen kann, daß durch eine gesetzliche Regelung sichergestellt werden kann, daß schädliche und giftige Stoffe nicht in das Trinkwasser gelangen können, möchte ich Sie noch einmal fragen, ob man nicht durch gesetzliche Bestimmungen und Verordnungen erreichen kann, daß alle Betreiber von Trinkwasseranlagen gehalten sind, in absehbarer Zeit ein besonderes Augenmerk auf diese Aufgabe zu richten.
Herr Kollege Sauter, auf die in Vorbereitung befindlichen gesetzlichen Bestimmungen habe ich eingehend hingewiesen. Es ist zu erwarten, daß die lange vorbereitete und geforderte Trinkwasserverordnung, die der von Ihnen geäußerten Forderung inhaltlich nachkommen wird, bis zum Ende nächsten Jahres als Entwurf vorliegt. Dies ist angesichts der bisher noch nicht befriedigenden Untersuchungsverfahren, von denen ich ebenfalls gesprochen habe, einfach nicht kürzer zu machen.
Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauter.
Herr Staatssekretär, gibt es schon internationale Erfahrungen auf diesem Gebiet, und sind sie in die Überlegungen mit einbezogen, was die Gefährdung des Trinkwassers und ihre Erkennung anbetrifft?
Die internationalen Erfahrungen, die vorliegen, werden bei den Vorbereitungen der von mir genannten Rechtsvorschriften ebenso wie bei den laufenden Forschungsvorhaben berücksichtigt.
Vizepräsident von Hassel: Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Mahne auf:
Wann ist der Erlaß von Rechtsverordnungen zum Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte zu erwarten, in denen die für die Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen und sich ergebenden Pflichten aus dem Gesetz festgelegt werden?
Zur Beantwortung hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Mahne! Zur Vorbereitung von Unfallverhütungsvorschriften nach dem Arbeitssicherheitsgesetz sind beim Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften inzwischen Musterentwürfe für eine Unfallverhütungsvorschrift „Betriebsärzte" und eine Unfallverhütungsvorschrift „Fachkräfte für Arbeitssicherheit" erarbeitet worden. Zum Musterentwurf „Betriebsärzte" werden zur Zeit Stellungnahmen der Einzelberufsgenossenschaften und der obersten Arbeitsbehörden der Länder eingeholt. Der Musterentwurf „Fachkräfte für Arbeitssicherheit" wurde bereits Mitte Mai durch Vorbescheid gebilligt.
Es ist damit zu rechnen, daß die Vertreterversammlungen der Berufsgenossenschaften in Kürze die entsprechenden Unfallverhütungsvorschriften beschließen und dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zur Genehmigung vorlegen werden. Es ist deshalb zu erwarten, daß zum 1. Dezember 1974, dem Termin des Inkrafttretens des Arbeitssicherheitsgesetzes, ausführende Unfallverhütungsvorschriften vorliegen werden.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mahne.
Herr Staatssekretär, ich darf Ihrer Antwort entnehmen, daß auch die Bundesregierung der Auffassung ist, daß ein baldiger Erlaß von Ausführungsbestimmungen zu diesem für die Gesundheit der Arbeitnehmer so wichtigen Gesetz notwendig ist, damit sowohl die betroffenen Betriebe für die zu treffenden Vorbereitungen als auch die Gesundheitsbehörden für die Schulung von Ärzteteams ausreichend Zeit haben.
Herr Kollege, wir gehen davon aus, daß die entsprechenden Bestimmungen zum 1. Dezember vorhanden sein und damit in Kraft treten werden. Sollten wider Erwarten erhebliche Verzögerungen, etwa im Zusammenhang
mit den Neuwahlen der Vertreterversammlungen bei den Berufsgenossenschaften, eintreten, so werden wir prüfen müssen, ob entsprechende Rechtsverordnungen vorbereitet werden müssen.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Bezieht der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung seine in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 36. Band S. 119, lobend bestätigte Rechtsauffassung, daß die DDR kein Ausland und die Rechtseinheit mit ihr zu wahren ist, auch auf andere Teile Deutschlands im Sinne von Artikel 23 GG und der verbindlichen Auslegung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der anderen Teile Deutschlands im Urteil vom 31. Juli 1973 Ziffer V, 4?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte!
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Czaja! Mit Ihrer Frage beziehen Sie sich auf eine Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht in einer Angelegenheit der Rentenversicherung getroffen hat. Es ist zwar nicht zu verkennen, daß staats- und völkerrechtliche Probleme, wie sie von Ihnen angedeutet werden, einen Einfluß auf das Leistungsgefüge des deutschen Sozialversicherungssystems haben. Ich möchte Sie jedoch um Verständnis dafür bitten - insbesondere, weil Sie den Fachbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung ansprechen -, daß auch die Sozialpolitik über die Grenzen der Bundesrepublik hinweg eine Politik sein muß, die soziale Belange in den Vordergrund stellt. Das gilt auch bezüglich der Sozialleistungen in die von Ihnen genannten Gebiete.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Erklärung des Bundesministers des Auswärtigen hinweisen, die er vor Unterzeichnung des Warschauer Vertrages bezüglich der rechtlichen Konsequenzen der Grenzfeststellung des Vertrages gegenüber der polnischen Seite abgegeben hat. Er sagte, daß durch den Vertrag keiner Person Rechte verlorengehen, die ihr nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetzen zustehen.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, können Sie also bestätigen, daß sich die Sozialpolitik des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auch an jede in dem genannten Urteil aufgeführte verbindliche Begründung und Auslegung zur Rechtslage ganz Deutschlands halten wird und insbesondere auch die zentralen Vorschriften des Art. 23 des Grundgesetzes - so wie das Bundesverfassungsgericht - immer zugrunde legen wird?
Ich habe den Eindruck, daß Ihre Bemerkung nicht vollständig ist, und zwar deshalb, weil im Bundesverfassungsgerichtsurteil gesagt wurde, daß die Rechtseinheit im Hinblick auf die DDR möglichst zu wahren sei. Das Wort
„möglichst" fehlt in Ihrer Frage. Ich gehe davon aus, daß wir uns, wenn wir diesen Umstand berücksichtigen, mit Ihnen in Übereinstimmung befinden.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß sich meine Frage auf Ziffer V, 4 des Bundesverfassungsgerichtsurteils bezieht und dort von einem „möglichst" überhaupt nicht die Rede ist, sondern das Offensein der Bundesrepublik Deutschland für alle anderen Teile Deutschlands als zwingende Verfassungspflicht aufgeführt wird?
Das ist mir nicht entgangen. Nur habe ich den Eindruck, daß Sie sich auf ein in Nordrhein-Westfalen ergangenes Urteil beziehen. Da sich dieses Urteil zur Zeit noch in der Berufung befindet, dürfen wir hier, glaube ich, nicht zu einer abschließenden Feststellung kommen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Die Frage 27 des Abgeordneten Graf Stauffenberg wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Müller ({1}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Überlegungen anzustellen, ob und in welcher Weise die bisherige freiwillige „Höherversicherung" nach § 1234 RVO in eine freiwillige „Überversicherung" umgewandelt werden kann - d. h. in der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig höhere, über den Pflichtbeitrag hinausgehende Beiträge zuzulassen?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort, bitte!
Herr Kollege, die Bundesregierung ist bereits in ihrem Bericht zu Fragen der Rentenversicherung auf das von Ihnen aufgeworfene Problem eingegangen. Ich kann in diesem Zusammenhang mitteilen, daß die Aufstockung der jeweiligen Pflichtbeiträge zur Zeit Gegenstand einer eingehenden Prüfung ist.
Die bisherigen Arbeiten haben allerdings schon deutlich werden lassen, daß mit dem von Ihnen skizzierten Sachverhalt eine Reihe rechtlicher und versicherungstechnischer Fragen verbunden ist, die hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Rentenversicherung sorgfältig untersucht werden müssen. Ich darf Sie um Ihr Verständnis dafür bitten, daß ich zum gegenwärtigen Stand der Prüfung noch keine abschließende Aussage machen kann.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung nicht auch den Eindruck, daß es im Sinne der sozialen Gerechtigkeit unhaltbar ist, wenn Selbständige von der Möglichkeit des Rentenreformgesetzes 1972 in der Weise Gebrauch gemacht haben, daß sie mit einer einzigen, einmaligen Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen in Höhe von etwa 40 000 DM ab 1956 bereits einen Anspruch auf eine anpassungsfähige Rente von monatlich 450 DM erworben haben, während ein Pflichtversicherter mit einem durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen nur Beiträge entsprechend der Höhe seines Einkommens zahlen kann, es sei denn, daß er Beiträge zur freiwilligen Höherversicherung leistet, die a) je nach Lebensalter des Versicherten unterschiedlich bewertet werden und bei denen b) der darauf entfallende Rentenanteil der Rentenanpassung nicht unterliegt?
Herr Kollege Müller, weil wir das Problem sehen, überprüfen wir ja zur Zeit, ob auch für die übrigen Versicherungsteilnehmer gleiches Recht möglich ist. Nur werden Sie verstehen, daß die technischen, versicherungsrechtlichen Schwierigkeiten so groß sind, daß das nicht in Kürze zu erledigen ist.
Vizepräsident von Hassel: Verehrter Herr Kollege Müller, Sie bekommen gern noch zu einer zweiten Zusatzfrage das Wort. Ich mache vorsorglich darauf aufmerksam, daß der amtierende Präsident seinem Schriftführer durchaus nachsieht, wenn er als Kollege eine Zusatzfrage stellt, die zu lang ausfällt.
({0})
Herr Präsident, entschuldigen Sie, das gehört zusammen; das kann ich nicht anders vorbringen. - Herr Staatssekretär, sind Sie denn in der Lage, darüber Angaben zu machen, wie viele solche Selbständigen mit einem so hohen einmaligen Beitrag eine solche Rente erworben haben, wie viele Pflichtversicherte auch heute noch einen freiwilligen Höherversicherungsbeitrag leisten und wie viele laufende Renten einen solchen Anteil haben, der aber dann eben nicht mit dynamisiert wird? Oder Sind Sie bereit, mir das schriftlich mitzuteilen?
Herr Kollege Müller, ich habe in Erinnerung, daß solche Zahlen zumindestens zu einem Teil vorhanden sind. Ich werde mich bemühen, Ihnen diese Angaben schriftlich nachzureichen.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 29 der Abgeordneten Frau Stommel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei Studenten, die Waisenrente beziehen ({0}), durch einen verzögerten Studiumsbeginn, bedingt durch den Numerus clausus an den Universitäten, eine Waisenrente nur für einen entsprechend verkürzten Zeitraum gewährt wird, ohne daß sie ihr Studium beenden können?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin! Ich darf mit Ihrem Einverständnis wohl beide Fragen zusammen beantworten?
Vizepräsident von Hassel: Keine Bedenken: Dann rufe ich auch die Frage 30 der Abgeordneten Frau Stommel auf:
Hat die Bundesregierung Berechnungen darüber angestellt, was es kosten würde, wenn die Waisenrente entsprechend länger gewährt würde?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß Studierende die Waisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres erhalten, auch wenn sie das Studium auf Grund des Numerus clausus an den Hochschulen mit Verzögerung begonnen und bis zu dem angegebenen Zeitpunkt nicht abgeschlossen haben.
Zu der grundsätzlich angesprochenen Frage hat sich die Bundesregierung bereits in der Fragestunde am 16. Januar 1974 geäußert, wobei es damals um die Weiterzahlung des Kinderzuschusses ging. Auch bei der Frage der Zahlung von Waisenrenten über die genannte Altersgrenze hinaus ist darauf hinzuweisen, daß gegen eine Ausweitung der geltenden Regelung schon in der Vergangenheit stets Bedenken geltend gemacht worden sind, vor allem im Hinblick auf die finanziellen Folgen für die Rentenversicherung.
Genauere Berechnungen über die Mehraufwendungen, nach denen Sie sich in Ihrer zweiten Frage erkundigen, sind jedoch noch nicht angestellt worden.
Ziel Ihrer Fragen ist es, den Unterhalt der Kinder bis zum Abschluß ihrer Ausbildung sicherzustellen. In diesem Zusammenhang sollte bedacht werden, daß die Sicherstellung des Unterhalts dieser Kinder, soweit sie nicht durch Unterhaltsverpflichtete erfolgt, nicht so sehr Aufgabe der Rentenversicherung - deren Leistungen im wesentlichen aus den Beiträgen der Versicherten finanziert werden -, sondern in erster Linie Aufgabe der aus Steuermitteln zu bestreitenden Ausbildungsförderung ist. Der Gesetzentwurf über die Erhöhung der Förderungsbeträge liegt dem Bundestag vor.
Diesem Gesichtspunkt trägt auch die Reform des Familienlastenausgleichs durch die Änderung des Kindergeldgesetzes Rechnung. Das diesbezügliche Gesetz, das im übrigen auch eine Vereinheitlichung der Leistungen für Kinder anstrebt, nimmt hinsichtlich der Altersgrenze für die Gewährung des Kindergeldes auf den von Ihnen angesprochenen Sachverhalt ausdrücklich Rücksicht. Deshalb dürfte nach dem Inkrafttreten des neuen Kindergeldgesetzes, das auch Leistungen für die Erst- und Zweitkinder ohne Rücksicht auf das Einkommen vorsieht, Ihrem Anliegen schon zu einem beträchtlichen Teil Rechnung getragen sein.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Stommel.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß die Situation dieser Personengruppe vergleichbar ist mit den wehrpflichtigen Waisenrentenempfängern, die einen Anspruch auch über das 25. Lebensjahr hinaus für die Zeit ihres Wehrdienstes haben? Denn beide Gruppen müssen ja auf Grund staatlicher Maßnahmen ihre Berufsausbildung unterbrechen.
Frau Kollegin, ich habe den Eindruck, daß eine Vergleichbarkeit nur insofern besteht, als es sich in beiden Fällen um Waisen handelt. Ein Unterschied besteht allerdings darin, daß im einen Fall ein Versicherungsträger zuständig ist und im anderen Falle die Kosten durch den Bund übernommen werden. Deshalb sagte ich, daß es in dem von Ihnen genannten Falle doch sicherlich besser und richtiger ist zu sagen: Wenn wir solche Verbesserungen mit Bundesmitteln erreichen können, ist die Vergleichbarkeit wiederhergestellt.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Stommel.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung die Zahlen derjenigen Studenten bekannt, die auf Grund des Numerus clausus über das 25. Lebensjahr hinaus keine Waisenrente mehr erhalten, ohne daß sie das Studium abgeschlossen haben, die aber auch keine Berechtigung für die Gewährung von Ausbildungsförderung erhalten? Denn Ihre Folgerung zielte ja auf die Ausbildungsförderung ab.
Verehrte Frau Kollegin, ich weiß nicht, ob solche Zahlen vorhanden sind. Ich werde das aber nachprüfen lassen. Sollten solche Daten vorliegen, würden wir diese gern mitteilen.
Vizepräsident von Hassel: Eine dritte Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Stommel.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß wir in Zukunft vielleicht mit noch größeren Zurückstellungen durch den Numerus clausus zu rechnen haben, und beabsichtigt die Bundesregierung eine entsprechende Änderung des § 1276 RVO herbeizuführen?
Ich bitte um Ihr Verständnis, daß ich den ersten Teil Ihrer Frage hier nicht beantworten kann; sie betrifft ein anderes Ministerium. Hinsichtlich des zweiten Teiles müßte die Problematik bei den von mir genannten Gesetzesberatungen überprüft werden. Ich darf ausdrücklich darauf hinweisen, daß im allgemeinen nichts gegen
Verbesserungen einzuwenden ist, daß aber eine Menge Bedenken bestehen, an allen Ecken Verbesserungen einzuführen und damit möglicherweise Grundanliegen der Rentenversicherung zuwiderzuhandeln.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Conradi auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß der in der Dritten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz eingeführte Freibetrag für Sozialhilfeempfänger in Heimen zwar eine erfreuliche Verbesserung darstellt, jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß viele ältere Menschen durch die hohen Pflegesätze hei der Aufnahme in ein Heim ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit verlieren, und beabsichtigt die Bundesregierung, diesen sozial-und gesellschaftspolitisch unerwünschten Zustand durch Einführung einer „sozialen Heimversicherung" so zu ändern, daß die Heimbedürftigkeit in der Sozialversicherung als besonderer Versicherungsfall mit zusätzlichen Versicherungsleistungen über das Altersruhegeld hinaus anerkannt wird?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär, bitte schön!
Herr Kollege, darf ich beide Fragen mit Ihrem Einverständnis gemeinsam beantworten?
Vizepräsident von Hassel: Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe auch die Frage 32 auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den Krankheitsbegriff in § 185 RVO so auszudehnen, daß die bisherige Unterscheidung zwischen Krankenpflege und Betreuung sogenannter Pflegefälle aufgegeben und damit auch die Kosten der Pflege im Alten-und Altenpflegeheim durch die Krankenkassen übernommen werden?
Die von Ihnen angesprochene Problematik ist der Bundesregierung - auch auf Grund von Veröffentlichungen in der Fachpresse - bekannt. Sie hält Ihre Frage angesichts der steigenden Unterbringungskosten bei notwendiger Heimunterbringung für berechtigt, und sie teilt Ihr Unbehagen über die Verteuerung sozialer Dienstleistungen.
Der von Ihnen angedeutete Vorschlag, die finanziellen Probleme älterer Menschen bei einer Heimunterbringung zu bewältigen, setzt die Lösung einer Reihe schwieriger Probleme voraus. Ich möchte nur beispielhaft auf die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des berechtigten Personenkreises hinweisen. Die angedeutete Problematik ist derart vielschichtig, daß sie sich im Rahmen einer Fragestunde nur unzulänglich darstellen läßt.
Wenn allerdings eine „Heimversicherung", wie Sie sie in Ihrer Frage anregen, zu einer zusätzlichen Belastung der heutigen Beitragszahler der Sozialversicherung und zu einer Entlastung der aus Steuern finanzierten Gemeindefinanzen führen soll, kann sie zur Zeit nicht erwogen werden.
Das trifft insbesondere auch für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu, den Sie in Ihrer zweiten Frage ansprechen. § 185 der Reichsversicherungsordnung bestimmt, daß an Stelle der Krankenhauspflege in begründeten Fällen Hauspflege gewährt werden kann. Voraussetzung für die Gewährung dieser Leistung ist, daß Krankheit vorliegt. Personen, die nicht wegen Krankheit, sondern
nur wegen Pflegebedürftigkeit stationär untergebracht sind, haben deshalb keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für Pflege und Unterbringung durch die gesetzliche Krankenversicherung.
Auch bei den Beratungen des am 5. Oktober 1973 im Bundestag verabschiedeten Leistungsverbesserungsgesetzes wurde die Frage der Ausdehnung der Krankenhauspflege auf sogenannte Pflegefälle eingehend erörtert. In dem von Kollegen Geiger erstatteten Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung - Drucksache 7/1039 - ist u. a. ausgeführt, der Ausschuß habe zustimmend von der Auffassung der Rechtsprechung Kenntnis genommen, daß es für die Gewährung von Krankenhauspflege allein auf die medizinische Notwendigkeit ankomme. Die aus anderen als krankheitsbedingten Gründen notwendige Pflege gehöre nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung.
Es ist gegenwärtig nicht beabsichtigt und auch zumindest finanziell nicht vorstellbar, im Bereich der Sozialversicherung einen Anspruch auf Übernahme der Kosten von Pflege und Unterbringung in Pflegeheimen einzuräumen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht auch der Meinung, daß die Grenze zwischen Krankenpflegebedürftigkeit und Pflegebedürftigkeit in vielen Fällen nicht exakt festzustellen ist, so daß oft die Entscheidung des behandelnden Arztes dann für den Einsatz von Leistungen der Krankenversicherung den Ausschlag gibt?
Herr Kollege, das mag zutreffend sein, nur müssen wir uns in Anbetracht der Reichsversicherungsordunng auf das Urteil des Arztes verlassen.
Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß auch die allgemeine Pflegebedürftigkeit, die die Aufnahme in ein Pflegeheim erfordert, regelmäßig auf schwerer Erkrankung beruht?
Herr Kollege, sofern es sich um eine altersbedingte Erkrankung handelt und diese mit einer Erkrankung im Sinne der Reichsversicherungsordnung identisch und vom Arzt festgestellt ist, gibt es keine Schwierigkeiten. Wenn es allerdings eine Alterserscheinung ist, die nicht als eine solche Krankheit zu bezeichnen ist, kommen die Belastungen auf andere Träger zu. Ich möchte darauf hinweisen, daß auch in solchen Fällen Hilfen möglich sind.
Vizepräsident von Hassel: Eine dritte Zusatzfrage, der Abgeordnete Conradi.
Herr Staatssekretär, sieht denn die Bundesregierung wenigstens für den Fall der krankheitsbedingten Pflegebedürftigkeit die Notwendigkeit, langfristig zusätzliche Versicherungsleistungen zu ermöglichen?
Herr Kollege, wir haben gerade eine Regelung über den unbegrenzten Krankenhausaufenthalt getroffen. Sofern es sich also um eine Erkrankung im Sinne der Reichsversicherungsordnung handelt, wie ich vorhin schon ausführte, und diese von einem Arzt festgestellt wurde, gibt es derzeit keine Begrenzung.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Sauter.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß im Verlauf der 70er Jahre die Zahl derjenigen Bürger, die durch Aufsuchen eines Alters- oder Pflegeheimes ihre Unabhängigkeit verloren haben, im Vergleich zu früheren Zeiträumen in horrendem Maße zugenommen hat?
Herr Kollege, ich kenne die genauen Zahlen nicht. Das werden Sie auch verstehen, wenn Sie bedenken, daß diese Frage in den Fachbereich eines anderen Ressorts gehört und ich erst drei Wochen im neuen Amt bin. Wenn solche Zahlen vorliegen, bin ich gern bereit, sie ihnen mitzuteilen.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Hat sich die Bundesregierung über die Ursachen des Explosionsunglücks in einem Chemiewerk in Großbritannien informiert, und wird sie sich über die Ergebnisse der dort anzustellenden Untersuchungen im einzelnen unterrichten lassen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege Gruhl, die Bundesregierung hat sich bemüht, nach Bekanntwerden des Explosionsunglücks in einem Chemiewerk in Großbritannien Informationen über den Hergang des Unglücks zu erhalten. Gegenwärtig sind jedoch Einzelheiten über die Ursachen der Explosion noch nicht bekannt.
Die Bundesregierung wird die Angelegenheit verfolgen, um feststellen zu können, ob die deutschen Sicherheitsvorschriften ausreichen, um derartige Unglücksfälle zu verhindern.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Gruhl.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in ihren Untersuchungen auch die Frage mit einbeziehen, welche Auswirkungen
eine solche Explosion, die ja nie auszuschließen ist, auf die Umgebung eines entsprechenden Werkes haben kann, damit das künftig bei Vorsorgemaßnahmen berücksichtigt werden kann?
Herr Kollege Gruhl, ich glaube, es dürfte selbstverständlich sein, daß man angesichts des Ausmaßes dieses Unglücks, wenn die entsprechenden Erkenntnisse vorliegen, auch solche Weiterungen mitberücksichtigen muß.
Vizepräsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung.
Wir haben noch drei Minuten Zeit. Ich rufe noch ein paar Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf, zunächst die Frage 33 des Abgeordneten Immer:
Inwieweit gedenkt die Bundesregierung die geplante Ausgleichszulage gemäß „EG-Richtlinie für die Landwirtschaft in Berggebieten und in bestimmten benachteiligten Gebieten" in ein Gesamtkonzept für die strukturelle Entwicklung dieser schwierigen Räume einzubinden?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann.
Herr Kollege Immer, der Meinungsbildungsprozeß zwischen Bund und Ländern hinsichtlich Durchführung und Finanzierung der Ausgleichszulage ist noch nicht abgeschlossen. Die endgültige konzeptionelle Ausgestaltung der geplanten Maßnahme wird sicher stark von der erreichbaren Übereinstimmung zwischen Bund und Ländern abhängen.
Nach bisherigen Überlegungen in meinem Hause hat bei der Anwendung der Ausgleichszulage die Agrarstrukturverbesserung Priorität. Dies führt dazu, daß die Ausgleichszulage nicht konservierend, sondern unter Berücksichtigung landschaftspolitischer Elemente zur Unterstützung und Absicherung des Strukturwandels eingesetzt werden soll. Um diese Zielsetzung erreichen zu können, soll als Förderungsvoraussetzung für die Anwendung aller nach der EG-Regelung möglichen Maßnahmen die Erstellung von landwirtschaftlichen Entwicklungsprogrammen vorgesehen werden. In diesen Programmen sind jeweils regionenspezifische Ziele festzulegen, und es wird gleichzeitig aufgezeigt werden müssen, wie die Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele eingesetzt werden sollen.
Die Anwendung der Ausgleichszulage und deren Höhe wird somit in Abhängigkeit von den natürlichen Gegebenheiten, den agrarstrukturellen Verhältnissen, der funktionsgerechten Betriebsorganisation und den Zielen der Landespflege zu bestimmen sein. Darüber hinaus soll in den Programmen aufgezeigt werden, wie die in der EG-Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen mit den Maßnahmen der beiden in Frage kommenden Gemeinschaftsaufgaben und den Maßnahmen der Landespflege koordiniert werden. Die Einbindung der vorgesehenen Maßnahmen und die Abstimmung mit anderen - auch außerlandwirtschaftlichen - Maßnahmen in den Entwicklungsprogrammen dürfte eine gesamträumliche Entwicklung garantieren, die nicht zu Fehlentwicklungen in diesen schwierigen Räumen führt.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, daß die Größenordnung der jeweiligen Förderung pro Familie und Jahr noch nicht feststeht, sondern sich nach den Gegebenheiten richten muß. Wird diese Größenordnung aber wirklich so hoch sein, daß die Folgegeneration der Betriebsleiter nicht dem Sog erliegen wird, ihre bessere Bildungschance auszunutzen, um eben nach 25 Jahren dennoch abzuwandern, so daß das Problem eigentlich nur verschoben wird?
Herr Kollege, ich kann Sie da beruhigen. So stark wird der Sog gar nicht sein können; denn die Mittel, die wir einsetzen können, sind für alle Länder beschränkt. Ich bin also der Auffassung, daß dieser Sog sich nicht so entwickeln wird,, wie Sie es befürchten.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihre Antwort so verstehen, daß die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern noch so wenig weit gediehen sind, daß möglicherweise die zusätzlichen 40 Millionen DM, die aus den 400 Millionen DM Aufwertungsschadenausgleich bereitgestellt worden sind, nicht mehr benötigt werden und somit mit ausgeschüttet werden können?
Herr Kollege, ich habe gleich noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Kiechle zu beantworten, bei der ich genau auf den jetzigen Stand der Beratungen hinweisen werde. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir uns bemühen, hier schnellstens weiterzukommen. Es finden dazu noch wichtige Gespräche im Juni statt. Wir sind durchaus bemüht, diese von Ihnen genannten Mittel noch in diesem Jahr einzusetzen.
Vizepräsident von Hassel: Als letzte Frage rufe ich die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Immer auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit die bisherige einzelbetriebliche Förderung entwicklungsfähiger Betriebe nicht durch die in der „EG-Richtlinie für die Landwirtschaft in Berggebieten und in bestimmten benachteiligten Gebieten" vorgesehene Förderung nicht entwicklungsfähiger Betriebe ({0}) beeinträchtigt oder gar unterlaufen wird?
Ich bitte, sich kurz zu fassen, da die Zeit der Fragestunde bereits überschritten wurde.
Herr Kollege, diese Frage ist teilweise schon mit der Antwort auf Ihre erste Frage beantwortet. Falls nicht entwicklungsfähige Betriebe im Rahmen des sogenannten Bergbauernprogramms gefördert werden, soll dies ebenfalls auf der Grundlage landwirtschaftlicher Entwicklungsprogramme erfolgen. Die Investitionsförderung müßte der Erleichterung der arbeitswirtschaftlichen Anpassung durch arbeitssparende und arbeitserleichternde Maßnahmen dienen. Diese Betriebe müssen gleichzeitig aus landespflegerischer Sicht von Bedeutung sein. Die Förderung soll darüber hinaus nur erfolgen, wenn dadurch der weitere Ausbau von entwicklungsfähigen Haupterwerbsbetrieben nicht erschwert wird. Insofern wird die Förderung auf Teilräume zu beschränken sein, in denen keine nennenswerten Anteile entwicklungsfähiger Haupterwerbsbetriebe zu finden sind. Entsprechende Begrenzungen werden ebenfalls in d'en Entwicklungsprogrammen festzulegen sein.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, wie wird gewährleistet, daß die Förderung insbesondere der nicht entwicklungsfähigen Betriebe nicht dazu führt, daß eine gewisse gewünschte Bodenmobilität vermindert oder gar beseitigt wird und damit der Trend zur Vergrößerung der Betriebseinheiten nicht mehr erreichbar ist?
Nein, so würde ich es nicht sehen. Herr Kollege Immer, es ist ja durchaus so, daß die Landbewirtschaftung in diesen Gebieten in den letzten Jahren immer schwieriger geworden ist. Wir werden, wie gesagt, mit den Mitteln nicht so weit gehen können, daß wir die Landbewirtschaftung völlig attraktiv machen. Es ist vielmehr daran gedacht, Mittel für eine extensive Fortführung der Landwirtschaft - z. B. in Richtung auf Kuhhaltung oder Schafhaltung - zu geben. Solche Überlegungen werden hier mit angestellt.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Immer.
Um Ihre Antwort von vorhin klarzustellen: Habe ich Sie richtig verstanden, daß Ihre Vorstellungen dahin gehen, daß diese Maßnahmen von der Planung her in gesamtwirtschaftliche und infrastrukturelle Maßnahmen - etwa im Sinne des zu verabschiedenden Bundesraumordnungsprogramms - eingebettet' sein sollen?
Durchaus. Wir würden sonst doch nur zusätzliche Schwierigkeiten in unseren Bereichen schaffen.
Vizepräsident von Hassel: Die letzte Zusatzfrage stellt der Herr Abgeordnete Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, daß das sogenannte Bergbauernprogramm gerade dazu dienen soll, die Landschaftspflege ökonomisch sinnvoll zu betreiben und eine gewisse Besiedlungsdichte zu erhalten und daß daher eben' gerade auch nicht entwicklungsfähige landwirtschaftliche Betriebe gefördert werden müssen?
Ja, ich bin mit Ihnen dieser Auffassung.
Präsident von Hassel: Wir sind am Ende unserer Fragestunde angelangt; wir haben die Zeit für die Fragestunde um drei Minuten überschritten. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Heimarbeitsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften ({0})
- Drucksache 7/975 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/2037 - Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2})
- Drucksache 7/2025 Berichterstatter: Abgeordneter Lutz ({3})
Ich danke den Berichterstattern für ihre Berichte. Ich erfahre, daß einer der Berichterstatter noch eine kurze Ergänzung zu geben wünscht. Bitte schön, Herr Abgeordneter Lutz, Sie haben als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Der schriftliche Bericht muß ergänzt werden. In der Fassung des Ausschußberichts - Drucksache 7/2025 - müssen wir auf Seite 24 die folgenden Änderungen anbringen. In Artikel II ist § 3 wie folgt zu ändern - nun zitiere ich wörtlich -:
§3
Änderung des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf
und Gesellschaft
§ 46 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft vom 29. April 1974 ({0}) wird wie folgt geändert:
7208 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Lutz
„§ 46
Beschäftigung Schwerbehinderter in Heimarbeit"
Das ist die Änderung. Die Bestimmungen selbst bleiben unverändert. Als der Ausschuß am 27. März das Heimarbeitsänderungsgesetz abschließend behandelte, war das Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts noch nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Jetzt haben wir daraus die Konsequenzen gezogen. Für das Protokoll mußte das leider hier gesagt werden.
Vizepräsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die allgemeine Aussprache in zweiter Lesung. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache in zweiter Lesung.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich glaube, Sie sind damit einverstanden, daß wir gemeinsam abstimmen, also den Art. I zusammen aufrufen mit dem Art. II, dem Art. III, mit der Einleitung und mit der Überschrift. Einverstanden? - Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - In zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf die dritte Beratung.
Dazu ist das Wort erbeten. In der Aussprache zur dritten Beratung hat das Wort der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben wir wieder einmal - es tut mir leid, dies sagen zu müssen - die Erfahrung machen können, daß unsere Kollegen von der Opposition den sozialen Fortschritt eigentlich- nur im Krebsgang verwirklicht sehen wollen. Sie haben sich häufig sehr viel stärker den Interessen der Auftraggeber als den sozialen Schutznormen für die Heimarbeiter verpflichtet gefühlt. Sie haben sich zum Beispiel - damit Sie es nicht ganz vergessen, meine Damen und Herren von der Opposition - gegen eine Verschärfung der Bußgeldvorschriften ausgesprochen, und Sie haben im Ausschuß mit besonderer Vehemenz Ihre Bedenken gegen die vorgesehene Fassung des § 12 a des Tarifvertragsgesetzes vorgebracht. Meinen Kollegen und den Kollegen von der FDP im Ausschuß ist es gelungen, vorgesehene Verböserungen des Gesetzentwurfs abzuwehren. Für die von uns eingefügten Verbesserungen erbitten wir hier und heute die Zustimmung dieses Hauses, und wir erhalten sie sogar.
Wir meinen nämlich, daß sich das vorliegende Heimarbeitsänderungsgesetz würdig in die Reihe der sozialen Reformen dieser Bundesregierung einfügt. Es verbessert den Schutz für einen Personenkreis, der der besonderen Fürsorge des Staates bedarf. Ein Gesetz wird reformiert, das seit über 20 Jahren praktisch unverändert Arbeitsgrundlage der Heimarbeitsausschüsse und der staatlichen Behörden war. Die Koalitionsparteien haben im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung die Regierungsvorlage weiter verbessert.
Der Gesetzentwurf einschließlich unserer Änderungsvorschläge wird dazu beitragen, daß die Heimarbeitsentgelte näher an die vergleichbaren Tariflöhne herangebracht werden. Erstmals werden die Heimarbeitsausschüsse in die Lage versetzt, auch Vereinbarungen über vermögenswirksame Leistungen zu treffen. Wir beziehen die Büroheimarbeit in den Schutzbereich dieses Gesetzes ein und weiten die Kündigungsschutzfristen für Heimarbeiter und Gleichgestellte aus. Wir schützen die Heimarbeiter vor einer willkürlichen Kürzung der vom Auftraggeber zu verteilenden Arbeitsmenge, und, wie ich schon sagte, wir verschärfen die Straf- und Bußgeldvorschriften dieses Gesetzes. Wir verbessern die Arbeitsgrundlage der Heimarbeitsausschüsse und übertragen den besonderen Kündigungsschutz aus dem Betriebsverfassungsgesetz auch auf die in Heimarbeit tätigen Betriebsratsmitglieder und Jugendvertreter.
Im Rahmen dieses Artikelgesetzes reformieren wir das Bundesurlaubsgesetz und passen es an die Normen des Übereinkommens 132 der Internationalen Arbeitsorganisation an. Das heißt in der Praxis: der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch wird für über 700 000 Arbeitnehmer im Alter zwischen 18 und 34 Jahren um 3 Urlaubstage pro Jahr angehoben.
Wir beseitigen ferner mit einer Änderung des Seemannsgesetzes den Unfug, daß das Entweichen eines Besatzungsmitgliedes im Ausland von Bord seines Schiffes mit Freiheits- oder Geldstrafe geahndet werden kann.
Wir übertragen den Sonderschutz des Schwerbehindertengesetzes auch auf die Heimarbeit, und wir setzen eine bedeutende Reform des Tarifvertragsgesetzes durch.
Erstmals - und ich bitte Sie, da aufzumerken - werden viele tausend freie Mitarbeiter bei Funk und Fernsehen, werden Journalisten und Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler in die Lage versetzt, über ihre Verbände Tarifverträge zur Regelung der Honorar- und Arbeitsbedingungen abzuschließen. Wir verleihen diesen freien Mitarbeitern den Status der arbeitnehmerähnlichen Personen und machen sie damit tariffähig.
Voraussetzung dafür ist, daß sie im Medienbereich zu einem Drittel ihres Einkommens von einem Auftraggeber abhängig sind, daß sie überhaupt wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig sind.
Wir meinen, daß die Bundesregierung mit diesem Gesetz ein Tarifrecht für die kreativen Intellektuellen verwirklicht und damit einer ,dringenden Forderung der Künstler und Autoren entspricht, die Heinrich Böll für die Schriftsteller unter dem Stichwort „Ende der Bescheidenheit" der Öffentlichkeit deutlich gemacht hat. In diesem Gesetz wird eine zusätzliche Garantie für die geistige Freiheit geleistet.
Konkrete Freiheit nämlich durch Verbesserung der ökonomischen und rechtlichen Voraussetzungen für die individuelle schöpferische Arbeit.
Das Wichtigste, so meinen wir, ist nun, daß diejenigen, die durch die Reform des § 12 a des Tarifvertragsgesetzes eine Stärkung ihrer Position als kreative Einzelgänger erfahren, auch die neuen Chancen wahrnehmen und mit dem Gesetz zu ihrem und zum allgemeinen Vorteil umgehen.
({0})
Die Einigkeit der Einzelgänger, wie die Schriftsteller in der Bundesrepublik sie ausgerufen haben, erhält hier ein sozialrechtliches und ein bildungspolitisches Arbeitsfeld für die Organisation der Betroffenen. Ich füge hinzu: Es war schwer genug, diese Chance den Schriftstellern, den Künstlern, den Intellektuellen, den Journalisten, den freien Mitarbeitern im Ausschuß zu eröffnen.
Meine Damen und Herren, wir werden alles in allem heute ein Gesetz beschließen, das dem sozialreformerischen Anspruch dieser Bundesregierung voll und ganz entspricht, und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition sind aufgerufen, sich wenigstens jetzt anzuschließen.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Ziegler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Lutz, wenn ich Ihre einleitenden Äußerungen und den Pressedienst Ihrer Partei vom heutigen Tage richtig auswerte, dann haben wir Sie sehr enttäuscht durch unsere Haltung, die wir bei der zweiten Lesung gezeigt haben.
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Wir konnten Ihnen diesen Gefallen aber nicht tun und haben deshalb dem Gesetz zugestimmt. Ihre Erwartungen sind damit nicht erfüllt worden. Wir hoffen, daß das im Interesse der Betroffenen entsprechend gewertet wird.
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Ich möchte auch noch auf eine zweite Bemerkung eingehen, die Sie eingangs gemacht haben. Sie meinten, daß wir während der Ausschußberatungen stärker den Interessen der Auftraggeber verpflichtet gewesen seien. Ich glaube, wenn Sie diese Ausschußberatungen vor Ihrem Auge richtig passieren lassen, dann können Sie diese Behauptung nicht aufrechterhalten. Es ist unsere Art als Union, daß wir uns niemals einer einzelnen Gruppe verpflichtet fühlen. Wir haben bei den Ausschußberatungen sowohl die Interessen der Heimarbeiter als auch die Interessen der Auftraggeber in unsere Überlegungen einbezogen,
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und das hat sich während der ganzen Ausschußberatung wie ein roter Faden durch unsere Haltung hindurchgezogen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Kernstück des heute zur Verabschiedung kommenden Gesetzes ist der Ausbau und die Verbesserung der Schutzbestimmungen für die rund 300 000 im Bundesgebiet lebenden Heimarbeiter und die ihnen gleichgestellten Personen. Das neue Gesetz baut auf dem Heimarbeitsgesetz vom 14. März 1951 auf. Daß dieses Gesetz in seiner Systematik und in seinen Grundzügen erhalten bleiben konnte, ist ein Zeichen für die gute, umsichtige und vorausschauende Arbeit, die damals geleistet wurde. Ich möchte auch heute nochmals an die verdienstvolle Arbeit unseres früheren Kollegen Hugo Karpf erinnern, der als der Vater des ersten Heimarbeitsgesetzes anzusehen ist. Was 23 Jahre Bestand hatte, hat sich - das dürfen wir hier ohne Übertreibung feststellen - bewährt.
Mit der Vorlage des Gesetzentwurfs im vorigen Jahr hat die Bundesregierung dem gesellschaftlichen, sozialen und strukturellen Wandel Rechnung getragen. Wir haben dies bereits bei der Einbringung als notwendig und richtig bezeichnet, ausdrücklich anerkannt und dementsprechend bei der Ausschußberatung konstruktiv mitgewirkt. Jeder, der etwas anderes behauptet, betreibt eine böswillige Polemik. Für uns ist die Weiterentwicklung des 1951 wesentlich von uns, den Unionsparteien, gestalteten und getragenen Heimarbeitsrechts und seine Anpassung an die gewandelten Auffassungen und Verhältnisse eine selbstverständliche Verpflichtung gegenüber einem Personenkreis, der nicht gerade im Mittelpunkt des Interesses steht. Gerade deshalb aber bedarf er, so wie wir die Aufgabe des freiheitlichsozialen Rechtsstaates sehen, unseres besonderen Augenmerks.
Die Ausschußberatungen wurden - das darf ich wohl hier feststellen - durch die nach Zuleitung des Gesetzentwurfs an den Bundesrat bekanntgemachte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 1973 wesentlich erleichtert. Sie und die darauf folgende Stellungnahme des Bundesrats haben es ermöglicht, daß die ursprünglich von der Bundesregierung angestrebte Zielsetzung, die Beseitigung der durch die Praxis des Bundesarbeitsgerichts aufgetretenen verfassungsrechtlichen Zweifel wegen der bindenden Festsetzungen, aufgegeben werden konnte. Dank der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die umstrittenen Bestimmungen verfassungskonform sind, konnte der Ausschuß darauf verzichten, die bisherige Praxis der Heimarbeitsausschüsse beim Erlaß von bindenden Festsetzungen und sonstigen Entscheidungen durch ein anderes System, etwa des Erlasses von Rechtsverordnungen, zu ersetzen. Dadurch wären diese Ausschüsse, die wirklich wertvolle Arbeit geleistet haben, zu rein beratenden Organen degradiert worden. Der Weg war damit frei, sich bei der Verabschiedung des Gesetzes allein auf die Verbesserung des sozialen Schutzes der in Heimarbeit Beschäftigten zu konzentrieren.
Ich möchte, ohne allzusehr auf Details einzugehen, sagen, daß wir es insbesondere begrüßen, daß durch die anstehende Gesetzesänderung die Kriterien für die Gleichstellung klarer gefaßt werden konnten, die Einbeziehung der in Heimarbeit durchzuführenden
Büroarbeiten ermöglicht werden konnte, die Bestimmungen über den Erlaß bindender Festsetzungen den heutigen Erkenntnissen gemäß weiterentwickelt und der Kündigungsschutz sowie die Urlaubsbestimmungen wesentlich verbessert werden konnten. Einige Bestimmungen hätten wir gern präziser, konkreter gefaßt und auch besser ausgestaltet gesehen. Wir haben dies durch entsprechende Änderungsanträge im Ausschuß zum Ausdruck gebracht.
Dies gilt z. B. für die Entscheidungskriterien zur Gleichstellung und die Beurteilung der Schutzbedürftigkeit. Unsere Anträge sollten sichern, daß die Gleichstellung auf echt schutzbedürftige Personen beschränkt bleibt. Die Koalition hat unseren Vorstellungen keinen Raum gegeben und die gestellten Anträge mit Mehrheit abgelehnt. Wir verzichten angesichts der Mehrheitsverhältnisse auf ihre Wiederholung hier im Plenum. Die künftige Praxis wird zeigen, ob unsere Auffassung oder die der Koalition richtig ist. Die Koalition hat ihre ablehnende Haltung damit begründet, daß die entsprechenden Vorschriften des Regierungsentwurfs angemessen und ausreichend seien.
In Art. II bringt das Gesetz eine bedeutsame Änderung des Tarifvertragsgesetzes. Für einen Personenkreis, der bisher nicht dem Tarifrecht und bis auf wenige Ausnahmen auch nicht dem Arbeitsrecht unterliegt, wird die Möglichkeit geschaffen, im Wege der kollektiven Selbsthilfe seine Beschäftigungsbedingungen selbst zu regeln. Es handelt sich im wesentlichen um freie Mitarbeiter von Funk- und Fernsehanstalten, um freie Journalisten, um Schriftsteller und Künstler. Es ist kein Wunder, daß diese Bestimmungen in der öffentlichen Diskussion eine besondere Beachtung finden.
Mit diesen Bestimmungen wird - das haben wir im Ausschuß übereinstimmend festgestellt - Neuland betreten. Wir haben erklärt, daß wir das Anliegen bejahen und eine für die Betroffenen positive Regelung wünschen. Wegen der erheblichen grundsätzlichen Bedeutung auch für die Betroffenen und wegen der vielen aufgetretenen und noch nicht hinreichend geklärten Fragen verfassungsrechtlicher und anderer Art schien uns aber vor einer endgültigen Formulierung eine weitere Prüfung, eine weitere Beschäftigung mit dem gesamten Fragenkomplex erforderlich und notwendig.
Dazu wäre genügend Zeit gewesen, auch ohne daß dadurch die heutige Verabschiedung irgendwie verzögert und beeinträchtigt worden wäre. Wir haben die Ausschußberatung im März geführt; heute haben wir Juni. Wir hätten wirklich Zeit gehabt, uns mit diesen Fragen eingehend zu beschäftigen.
Die Koalition hat unserer Bitte nicht entsprochen und uns dadurch bei der Schlußabstimmung im Ausschuß zur Stimmenthaltung gezwungen. Ich kann heute für die Fraktion der CDU/CSU erklären, daß wir im Interesse des betroffenen Personenkreises unsere Bedenken hinsichtlich der noch offenen Fragen zurückstellen und dem Gesetz zustimmen. Von der Bundesregierung erwarten wir, daß sie alle noch offenen Fragen mindestens in dem Erfahrungsbericht, den sie nach der zu verabschiedenden Entschließung bis zum 30. September 1975 dem Hohen Hause vorzulegen hat, mitbehandelt.
Darüber hinaus erwarten wir von der Bundesregierung auch, daß sie den längst fälligen und mehrfach angekündigten Bericht über die Situation der Heimarbeiter dem Hohen Hause oder zumindest dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung so rasch wie möglich zuleitet.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in diesen abschließenden Beratungen zum Heimarbeitsänderungsgesetz namens der Fraktion der Freien Demokraten vorab etwas zu den wesentlichen Zielen dieses Gesetzentwurfes sagen.
Das Gesetz sieht eine Verbesserung des arbeits-und sozialrechtlichen Schutzes der rund 300 000 im Bundesgebiet beschäftigten Heimarbeitnehmer durch folgende Maßnahmen vor: Erstens. Für die Entgelterhöhungen in der Heimarbeit wird eine stärkere Berücksichtigung der Tariflöhne für gleiche und gleichwertige Betriebsarbeit eingeführt. Zweitens. Der Kündigungsschutz wird durch Verlängerung der Kündigungsfristen entsprechend der Beschäftigungsdauer und durch Verbesserung der Entgeltsicherung während der Kündigungsfrist ausgebaut. Ich nenne drittens die Einbeziehung der Heimarbeiter in die Förderung nach dem Dritten Vermögensbildungsgesetz, viertens die Einbeziehung der Büroheimarbeit in den Schutz des Gesetzes, fünftens die Erweiterung der Aufklärungspflichten des Arbeitgebers und der Informationsrechte des Heimarbeiters - gerade auch um möglichen Unfall- und Gesundheitsgefahren entgegenzuwirken - und sechstens die Verschärfung der Sanktionen bei Verstößen gegen die Schutzvorschriften.
Meine Damen und Herren, diese Verbesserungen des seit 1951 nicht mehr geänderten Schutzgesetzes für die Heimarbeit entsprechen einer Kernforderung des von der FDP vertretenen sozialen Liberalismus, nach der es bei der Sozialpolitik gerade darum gehen muß, den sozialen Schutz gesellschaftlicher Minderheiten und Randgruppen, deren Interessen sich keine mächtigen Organisationen anzunehmen pflegen, im Sinne des Sozialstaatsgebots zu verstärken.
Mit dem Heimarbeitsgesetz werden aber auch noch weitere arbeitsrechtliche Gesetze geändert. Ich möchte hier folgende nennen:
Erstens das Bundesurlaubsgesetz. Der gesetzliche Mindesturlaub für 18- bis 34jährige Arbeitnehmer wird um drei Tage auf 18 Werktage erhöht; eine Verbesserung, die auch heute noch zahlreichen Arbeitnehmern zugute kommen wird und die im übrigen die Voraussetzungen für eine Ratifizierung des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation über den bezahlten Jahresurlaub schafft. Diese weitere Harmonisierung des europäischen und internationalen Arbeitsrechts wird von der FDP besonders begrüßt.
Zweitens die ersatzlose Streichung des § 114 des Seemannsgesetzes, nach dem ein Seemann im Falle eines Arbeitsvertragsbruchs mit Kriminalstrafe belegt werden konnte, sicher für die heutige Zeit ein Anachronismus. Die Zustimmung der Liberalen zur Abschaffung dieses Relikts braucht, so meine ich, nicht näher erläutert zu werden.
Drittens die Öffnung des Tarifvertragsgesetzes für bestimmte arbeitnehmerähnliche Personen, die sich damit gewerkschaftlich organisieren und tarifpolitisch betätigen können. Dabei ist auch bei den Ausschußberatungen entsprechend der Regierungsvorlage und der Erklärung der FDP-Fraktion zur ersten Lesung daran festgehalten worden, daß an die Arbeitnehmerähnlichkeit im Sinne des Tarifvertragsgesetzes nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen sehr präzise Anforderungen zu stellen sind und daß die Arbeitnehmerähnlichkeit eine persönliche Tätigkeit in wirtschaftlicher Abhängigkeit, die auch im Rahmen von Arbeitsverhältnissen ausgeübt werden könnte, für einen anderen voraussetzt. Deshalb bleibt es entsprechend der FDP-Forderung dabei, daß von einer darüber hinausgehenden Einbeziehung von Erwerbspersonen in das Tarifvertragsgesetz abgesehen wird. Dies gilt insbesondere für die Gruppe der Handels- und Versicherungsvertreter, zumal zu deren sozialem und wirtschaftlichem Schutz ein besonderes handelsrechtliches Verfahren besteht.
Meine Damen und Herren, aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß die Frage nach dem Vorhandensein der für die Arbeitnehmerähnlichkeit erforderlichen Abhängigkeit grundsätzlich nur dann bejaht werden kann, wenn der Dienstleistende überwiegend für eine Person tätig ist oder von einer Person im Durchschnitt mehr als die Hälfte seiner Einkünfte aus Erwerbstätigkeit bezieht. Für die freien Mitarbeiter im Bereich der Medien und der Kunst hat die FDP jedoch eine Sonderregelung vorgeschlagen, nach der für die Arbeitnehmerähnlichkeit bereits mehr als ein Drittel statt mehr als 50 % - genügt. Dieser FDP-Vorschlag, der der besonderen Situation der freien Mitarbeiter in diesem Bereich Rechnung trägt, fand im Ausschuß eine Mehrheit. Er schafft insbesondere für Schriftsteller und Journalisten erleichterte Voraussetzungen der tarifpolitischen Betätigung.
Die mit der Ausnahmevorschrift geschaffene 331/3 %-Klausel entspricht dem Verfassungsauftrag aus Art. 5 des Grundgesetzes, die Unabhängigkeit dieser Gruppe von freien Mitarbeitern auch sozialpolitisch besser als bisher abzusichern. Aus der verfassungsrechtlichen Sonderstellung dieser Gruppe folgt zugleich, daß die erwähnten erleichterten Voraussetzungen nicht auf andere Gruppen freier Mitarbeiter übertragen werden können. Im übrigen erhalten die hier definierten arbeitnehmerähnlichen Personen auf Grund der Ergänzung des Tarifvertragsgesetzes die nach dem Tarifvertragsgesetz vorgesehenen Regelungsbefugnisse.
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten stimmen dem Entschließungsantrag, wie er vom Ausschuß vorgelegt wurde, zu. Wir möchten aber klarstellen, daß bei der Ziffer II 2 a keine Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen angestrebt werden, sondern diese Anforderungen dadurch erfüllt werden sollen, daß die Bundesregierung das Bundeskartellamt anweist, die in Rede stehenden Vereinbarungen nicht auf Grund des Kartellgesetzes zu verfolgen und diese Weisung gegebenenfalls zu veröffentlichen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Wir Freien Demokraten haben zusammen mit der SPD mit diesem Gesetz eine weitere wichtige Voraussetzung zum Ausbau der sozialen Sicherung gerade für diejenigen geschaffen, die in der Vergangenheit bei der Wahrnehmung ihrer Interessen allein auf sich gestellt waren, die weder über die Unterstützung starker Gewerkschaften noch starker Unternehmensverbände verfügen konnten. Ich denke, gerade dieses Gesetz spricht daher auch für die Qualität der Arbeits- und Sozialpolitik dieser sozialliberalen Koalition.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Arendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Bundesregierung begrüße ich es, daß wir heute die Verbesserung des Heimarbeitsgesetzes beschließen können.
Die Festigung und Stärkung der Position des Arbeitnehmers in der Wirtschaft bildet ein Schwerpunkt sozialliberaler Politik. Von diesem Leitgedanken ist auch dieses Gesetz bestimmt. Hier geht es darum, die Arbeitsbedingungen der rund 300 000 Heimarbeiter zu modernisieren.
Die Heimarbeiter stellen zwar eine verhältnismäßig kleine Gruppe dar, ihre Interessen dürfen aber deswegen nicht vernachlässigt werden. Wer seinen Lebensunterhalt durch Heimarbeit bestreiten muß, hat es manchmal schwerer als ein anderer Arbeitnehmer. Dies vor allem auch deshalb, weil die Weiterentwicklung des sozialen Schutzes für Arbeitnehmer in der Vergangenheit an den Heimarbeitern meistens vorbeigegangen ist.
Deshalb hat die Bundesregierung die Initiative ergriffen, um auch das Heimarbeitsgesetz fortschrittlich auszubauen. Ich freue mich, daß dieses Hohe Haus den Vorschlägen der Bundesregierung gefolgt ist und sie in einigen Punkten noch verbessert hat. Als bedeutende Fortschritte des Gesetzes will ich hier nur die stärkere Orientierung der Heimarbeiterlöhne an den Tariflöhnen, den erweiterten Kündigungsschutz und die Einbeziehung der Büroheimarbeit in den Schutz des Gesetzes hervorheben.
Die Bundesregierung begrüßt auch die vorgelegte Entschließung des federführenden Ausschusses zum Straf- und Bußgeld im Bereich der Heimarbeit. Die Entschließung verfolgt das Ziel, durch die neuen Sanktionsmöglichkeiten und ihre strikte Anwendung dem Schutz der in Heimarbeit Beschäftigten nachdrücklich Geltung zu verschaffen. Die Zielrich7212
tung dieser Entschließung deckt sich voll und ganz mit der Auffassung der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, neben der Modernisierung des Heimarbeitsrechts enthält der zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf noch zwei weitere wichtige Punkte: die Verbesserung des Bundesurlaubsgesetzes und die Ausdehnung der Tarifautonomie auf arbeitnehmerähnliche Personen. Durch die Verbesserung des Bundesurlaubsgesetzes wird der Mindesturlaub für 18- bis 34jährige Arbeitnehmer auf 18 Werktage verlängert; das sind drei Tage mehr als bisher. Die Verlängerung des Urlaubs kommt vor allem denjenigen Arbeitnehmern unmittelbar zugute, für die es keine Tarifverträge gibt.
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Die Ausdehnung der Tarifautonomie dient in erster Linie den freien Mitarbeitern bei den Rundfunk- und Fernsehanstalten, den freien Journalisten bei Tageszeitungen und Zeitschriften sowie Schriftstellern und Künstlern. Diesen Personengruppen wird jetzt erstmals der Abschluß von Tarifverträgen eröffnet. Sie erhalten die Möglichkeit, z. B. Honorare, Urlaub und Kündigungsfristen, aber auch Beiträge zur sozialen Sicherung tarifvertraglich zu regeln.
Mit der neuen Vorschrift können natürlich nur die Voraussetzungen für den Abschluß von Tarifverträgen geschaffen werden. Ob und mit welchem Inhalt Tarifverträge zustande kommen, liegt ganz in der Hand der künftigen Tarifvertragsparteien.
Ich möchte es, meine Damen und Herren, mit diesen wenigen Anmerkungen bewenden lassen. Ich möchte aber allen Damen und Herren, die am Zustandekommen dieses Gesetzes beteiligt waren, herzlich danken. Auch dieses Gesetz ist ein Weiterer Baustein zu mehr sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit in unserem Land.
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Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache weiterhin gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir, da eine Einzelberatung nicht mehr stattfindet, zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag II des Ausschusses, eine Entschließung anzunehmen. Wird dazu noch das Wort gewünscht? -Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 25 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes
- Drucksache 7/861 Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0})
- Drucksache 7/2024 Berichterstatter:
Abgeordneter Graf Stauffenberg ({1})
Ich danke ,dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Graf von Stauffenberg, für seinen Bericht und rufe in zweiter Beratung Art. I sowie den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 7/2238 auf. - Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit ,dem Zweiten Änderungsgesetz zum Bundesseuchengesetz vom 25. August 1971 wurde die Versorgung der Impfgeschädigten neu geregelt und den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes angepaßt. Während in diesem Gesetz die Gleichstellung der Impfgeschädigten im Rahmen des Schwerbeschädigtengesetzes durch Art. 4, nämlich durch eine Ergänzung des § 1 um einen neuen Buchst. f, vorgenommen wurde, hat man die Gleichstellung der Vereinigungen von Impfgeschädigten mit denen der Kriegsopfer in § 73 Abs. 6 und § 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes nicht deutlich ausgesprochen.
Infolgedessen haben sich in der Praxis eine Reihe von Schwierigkeiten ergeben. Während mehrere Sozialgerichte der Auffassung beipflichten, daß auch ,die Verbände der Impfgeschädigten vor den Sozialgerichten vertretungsberechtigt sind, sind andere Sozialgerichte - oft sind die Kammern an einem Sozialgericht unterschiedlicher Meinung - der Auffassung, daß sie nicht vertretungsberechtigt sind.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Februar 1974 zitieren:
Vorweg ist zu bemerken, daß der Senat keine Bedenken hatte, den Schutzverband für Impfgeschädigte e. V. zu den in §§ 73 Abs. 6, 166 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ({0}) aufgeführten Vereinigungen und Verbänden zu rechnen. Wenn der Mitgliederkreis nach der Satzung sich auch nicht aus Personen zusammensetzt, die als Kriegsopfer im Sinne der Versorgungsgesetze direkt in Betracht kommen, so handelt es sich dabei doch um Geschädigte, die auf Grund des Impfgesetzes vom 8. April 1874 einen Schaden davongetragen haben, der gemäß § 51 Abs. 1 BSeuchG in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes ({1}) entschädigt wird. Bei den Mitgliedern dieses Schutzverbandes handelt es sich damit um Personen, deren Ansprüche auf Grund des
BSeuchG nach dem BVG anzuwickeln sind, was gleichzeitig nach § 61 Abs. 2 Satz 2 BSeuchG bedeutet, daß das Sozialgerichtsgesetz, soweit es besondere Vorschriften für die Kriegsopferversorgung enthält, auch für die öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten in Angelegenheiten der §§ 51 bis 54 Abs. 1 BSeuchG gilt. Das führt dazu, daß die Vorschrift des § 73 Abs. 6 SGG auf den Schutzverband für Impfgeschädigte E. V. unmittelbar anzuwenden ist. Seine Bevollmächtigten sind demzufolge kraft der beigezogenen Satzung zur Prozeßvertretung vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit befugt.
Daraus erkennen Sie, meine Damen und Herren, daß eben einzelne Sozialgerichte diese Interpretation des 'Gesetzes so vornehmen, und es ist unsere Pflicht, hier die Rechtsungleichheit und die Rechtsunsicherheit durch die unterschiedliche Auslegung des Gesetzes zu beseitigen.
({2})
Wir sind um so mehr dazu verpflichtet, als es sich schließlich um einen Personenkreis handelt, der aus der Tatsache, daß in diesem Lande nach wie vor das Impfgesetz aus dem Jahre 1874 gilt - also Impfzwang herrscht -, unseren Schutz und besondere Fürsorge verdient.
Schließlich hat aber im Ausschuß auch eine Rolle gespielt, ob man zu diesem Zeitpunkt eine Ausdehnung der Vertretungsbefugnisse vornehmen soll. Ich meine, daß gerade aus den Gründen, die soeben Herr Hölscher in seiner Rede, aber auch der Bundesarbeitsminister genannt hat, daß es nämlich unsere Pflicht ist, die Minderheiten im besonderen Maße zu schützen und ihre Belange wahrzunehmen, hier unsere Fürsorgepflicht für diesen Personenkreis ganz besonders angesprochen ist.
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Ein anderer Einwand, daß nämlich die Kriegsopferverbände die Vertretung übernehmen könnten, kann auch von mir nicht akzeptiert werden, weil es gerade die Kriegsopferverbände sind, die der Auffassung sind, daß es sich hier um speziell gelagerte Fälle handelt. Das ist bereits bei einer Besprechung zwischen dem Reichsbund und dessen Vorsitzenden und dem Verband der Impfgeschädigten im Jahre 1972 zum Ausdruck gebracht worden. Und gerade erst nach diesem Gespräch zwischen dem Reichsbund und dem Verband der Impfgeschädigten haben die Impfgeschädigten begonnen, ein eigenes Beratungsnetz aufzubauen. Darüber hinaus sind aber auch Vertreter des VdK - so in meinem Wahlkreis - der Meinung, daß man den Impfgeschädigten hier eigene Vertretungen zubilligen müßte, weil es sich um speziell gelagerte Fälle handelt.
In diesem Sinne darf ich Sie, meine Damen und Herren, bitten, dem auf Umdruck 7/2238 gestellten Änderungsantrag Ihre Zusimmung zu geben.
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Der Änderungsantrag auf Drucksache 7/2238 ist begründet.
Dazu spricht der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir sehr leid, Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, daß wir Ihren Antrag ablehnen müssen. Ich möchte vorweg betonen, daß wir es nicht tun, um damit den Impfgeschädigten Leid anzutun, sondern wir tun es aus ganz anderen Gründen.
Es ist überhaupt gar kein Zweifel, daß die Verbände der Kriegsopfer, die nach den §§ 73 und 166 des Sozialgerichtsgesetzes vor den einzelnen Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit vertretungsberechtigt sind, Verbände der Kriegs- und Zivilbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen sind. Das wird von allen anerkannt. Auch von Ihnen selbst ist die Arbeit dieser Verbände so verstanden worden.
Eine Durchbrechung des Prinzips, das im Sozialgerichtsgesetz festgelegt worden ist, würde bedeuten, daß wir allen Verbänden der Behinderten die Vertretung vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ermöglichen müßten. Wir meinen, daß das nicht gut wäre. Wir müßten z. B. allen Verbänden, die in der Bundesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte" zusammengefaßt sind, dieses gleiche Recht einräumen. Es ist doch gar kein Zweifel, daß überall dort, wo das Bundesversorgungsgesetz für anwendbar erklärt wird, die Vertretung der Behinderten durch die großen Organisationen erfolgt. Ich meine, daß die Zersplitterung der Kräfte für die Behinderten selbst nicht gut wäre.
Wenn wir nämlich hier nachgäben, würde das bedeuten, daß wir den Verbänden der Vertriebenen, den Verfolgtenverbänden, den Rentnerverbänden, all den Verbänden, die ihre Tätigkeit mit Erfolg wahrnehmen, auch die Möglichkeit der Vertretung vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit geben müßten. Und weil Sie nun eben ein Urteil des hessischen Landessozialgerichts angeführt haben, darf ich einmal ein Urteil des Bundessozialgerichts anführen. Das Bundessozialgericht hat sich mit solchen Fragen ja des öfteren beschäftigt.
Es hat z. B. gesagt, daß ein Verband nur dann die Voraussetzungen des § 73 bzw. des § 166 des Sozialgerichtsgesetzes erfülle - um diesen Katalog zu erweitern, wollen Sie das Gesetz ja auch ändern -, wenn in ihm mindestens 1 000 Mitglieder organisiert seien. Das ist hier nicht der Fall.
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- Bitte, ich bin auch sehr froh, daß das nur ein kleiner Verband ist. Darüber sollten wir alle sehr froh sein. Ich danke für die Aufklärung. Aber ich gehe jetzt auf die Begründung des Bundessozialgerichts ein. - Das Bundessozialgericht hat nämlich gesagt, diese Mindestmitgliederzahl in einem Verband, der vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit vertretungsberechtigt sei, habe durchaus einen Sinn, weil sonst nicht in genügender Weise die materiellen und personellen Voraussetzungen vorlägen, weil in diesen Verbänden einfach nicht die Mittel zur ordnungsgemäßen Vertretung zur Verfügung ständen. Ich glaube, da ist schon etwas dran.
Herr Abgeordneter Glombig, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein?
Bitte schön.
Herr Kollege Glombig, darf ich Sie bitten, meinen Zwischenruf so zu interpretieren, daß ich es begrüße, daß die Zahl der Impfgeschädigten nicht so groß ist, daß sich daraus nun auch ein entsprechend großer Verband entwickelt?
Ich habe das so verstanden, Herr Kollege. Ich weiß das auch zu würdigen. In diesem Punkte stimme ich mit Ihnen völlig überein. Trotzdem können wir aus den von mir dargelegten Gründen diesem Antrag nicht zustimmen.
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Meine Damen und Herren, wird zu diesem Antrag noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich abstimmen. Ich glaube, ich kann über beide Ziffern des Antrages gemeinsam abstimmen lassen, weil es sich um ein und dieselbe Sache handelt.
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Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 7/2238 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über Art. I in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Art. II bis VI, Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bredl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei im Deutschen Bundestag erkläre ich anläßlich der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes folgendes:
Es ist das Ziel der Bundesregierung und der Fraktion der SPD, dem Bürger nicht nur ein gutes, sondern auch ein schnelleres Gerichtsverfahren zur Verfügung zu stellen und die Rechtspflege für den rechtsuchenden Bürger transparenter zu machen. Diesem Zweck dient auch der vorgelegte Gesetzentwurf,
dessen . Verabschiedung unsere Fraktion nur begrüßen kann.
Die lange Laufzeit der Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit ist seit vielen Jahren Gegenstand heftiger Kritik und gibt zu ernsten Besorgnissen Anlaß. Ihr Ausmaß und ihre Wirkung sind gleichsam die einer Rechtsverweigerung. Mit der Vorlage dieser Novelle hoffen wir, daß dieses Problem wenn nicht schon gänzlich, so doch wenigstens in befriedigendem Maße gelöst und eine Verfahrensordnung geschaffen wird, die die Laufdauer der schwebenden Verfahren wesentlich verkürzt.
Die kennzeichnendsten Elemente dieses Gesetzentwurfs sind:
Erstens die Einführung des Vorverfahrens in allen Bereichen, auch in den Bereichen der Renten- und Unfallversicherung, zur Entlastung der Sozialgerichte und die Verbesserung des Verhältnisses der Versicherten zum Versicherungsträger, also auch zur Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger. Die Einführung des Vorverfahrens in allen Bereichen wird aber in ihren Auswirkungen noch zu überprüfen sein.
Zweitens die unmittelbare Weiterleitung des Widerspruchs als Klage an das Gericht mit der gleichen Zielsetzung, wie ich sie soeben zu Punkt i dargestellt habe.
Drittens die Ausdehnung der Sprungrevision zur Auflösung von Blockierungen in der Rechtsprechung und in der Verwaltung durch die jetzt früher möglichen Grundsatzentscheidungen.
Viertens die Einschränkung der Verfahrensrevision, die zu einer Entlastung des Bundessozialgerichts führen wird. Damit wird neben dem Bundessozialgericht auch den nachgeordneten Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit die Möglichkeit zur Konzentration auf die materielle Rechtsprechung und deren Beschleunigung gegeben.
Fünftens schließlich die Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der ein gewisser Ausgleich für die Einschränkung der Verfahrensrevision zur Förderung einheitlicher Rechtsprechung geschaffen wird.
Abschließend möchte ich anläßlich der anstehenden Verabschiedung der Gesetzesnovelle den ehren-und hauptamtlichen Sozialrichtern Anerkennung aussprechen.
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Sie haben zwei große Prozeßwellen, resultierend zum einen aus dem Bundesversorgungsgesetz und zum anderen aus der Rentenreform 1957, bedingt durch die retardierende Sozialpolitik der damaligen Regierungsparteien, erfolgreich überwunden. Es ist zu hoffen, daß die Sozialgerichte nunmehr nach Abwicklung der Kriegsfolgen in der Sozialpolitik einer normalen Arbeitsbelastung ausgesetzt sein werden. Wir betrachten diese Gesetzesnovelle als Übergang zu einer normalen richterlichen Arbeit und zu einer Verfahrensordnung, die der Verfahrensordnung üblicher Gerichte entspricht. Wir sind schließlich der Ansicht, daß mit der Novelle eine Regelung getroffen wird, die zugleich eine Beschleunigung und VerBredl
einfachung des Verfahrens ermöglicht, was nur im Interesse der betroffenen Bürger liegen kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Graf Stauffenberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt die Bemühungen und die Grundüberlegungen, die zur Vorlage des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes geführt haben. Wie begrüßen es auch, daß der Gesetzentwurf nach recht langer Zeit - er hatte ja bereits dem 6. Deutschen Bundestag vorgelegen - nunmehr zur Verabschiedung reif ist.
Es wär sicherlich falsch, den vorliegenden Entwurf mit dem anspruchsvollen Titel „Reform" zu belegen. Sein Ziel ist, dem rechtsuchenden Bürger vor den Sozialgerichten ein schnelleres Verfahren als bisher zu gewähren. Wir hoffen, daß damit der langjährigen und, wie wir meinen, verständlichen, ja berechtigten Kritik am Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit abgeholfen werden kann.
Zwischen dem berechtigten Anspruch des Bürgers und der Allgemeinheit auf ein zügiges Verfahren vor den Gerichten auf der einen Seite und einem umfassenden, lückenlosen Rechtsschutz des einzelnen Bürgers auf der anderen Seite besteht freilich immer ein gewisses Spannungsverhältnis. Wir erwarten, daß die gefundenen Lösungsvorschläge einen sinnvollen und tragfähigen Ausgleich zwischen diesen beiden Interessen herbeiführen. Ob sich diese Erwartungen erfüllen, wird allerdings vielfach erst die Praxis erweisen können. Es wird daher nach unserer Meinung notwendig sein, die tatsächlichen Auswirkungen des neuen Gesetzes in der täglichen Gerichts- und Verfahrenspraxis auch künftig aufmerksam zu beobachten und zu verfolgen und dann an Hand der Erfahrungen gegebenenfalls erneut Korrekturen vorzunehmen. Diese Vorbehalte sollten insbesondere gegenüber der Einführung des Vorverfahrens für alle Bereiche und beispielsweise auch für die Einschränkung der bisher uneingeschränkten und zulassungsfreien Verfahrensrevision. gelten. Bei der Erweiterung des Widerspruchsverfahrens wird sich dann herausstellen müssen, ob die wahlweise Möglichkeit zum Widerspruchsverfahren oder zur Klage tatsächlich zu einer Beschleunigung und zu einer zügigen Befriedung des Rechtsschutzinteresses bei den Rechtsuchenden führt oder ob vielleicht sogar eine Verlängerung und eine Verzögerung die Folge sein werden. Das Ergebnis wird weitgehend auch von der Praxis der Widerspruchsstellen abhängen.
Bei der Revision sieht das Gesetz eine gewisse Einschränkung für den einzelnen Rechtsuchenden vor und gibt, vor allem im Interesse der Allgemeinheit, der Revision in grundsätzlichen und materiellen Fragen mehr Raum. Ob hier die Nichtzulassungsbeschwerde einen hinreichenden Ausgleich schafft, wird ebenfalls die Praxis zeigen müssen.
Meine Damen und Herren, meine Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion und ich bedauern, daß es noch nicht zu einer Vereinheitlichung der Verfahren vor den obersten Bundesgerichten kommen konnte. Eine solche Einheit in den Grundsätzen und den Detailregelungen in den Verfahren würde viel zur Rechtssicherheit und Rechtsklarheit beitragen. Denken Sie beispielsweise nur an die unterschiedlichen Vorschriften über die Protokollierung der Verhandlungen. Diese Unterschiedlichkeit hat bereits zu einigen Diskussionen und Auseinandersetzungen, etwa auch im Rechtsausschuß, geführt.
Die CDU/CSU begrüßt es, daß künftig auch den Mitgliedern und Angestellten der berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft die Befugnis zur Prozeßvertretung eingeräumt wird. Wir meinen trotz der Ablehnung unseres Antrages, daß diese Befugnis auf weitere Verbände ausgedehnt werden sollte, und wir hoffen, daß mit der Neuordnung der Prozeßvertretungsbefugnis, im Zusammenhang mit der Vereinheitlichung des gerichtlichen Verfahrensrechts überhaupt, entsprechende Regelungen gefunden werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz der Ablehnung unseres Antrages wird die CDU/- CSU-Fraktion dem Gesetz die Zustimmung geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP begrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf. Im Vordergrund dieses Entwurfs steht eine Beschleunigung des sozialgerichtlichen Verfahrens. Diese ist in der Tat besonders deshalb notwendig, weil es sich bei denjenigen, die als Kläger in der Sozialgerichtsbarkeit aufreten, in der Regel um wirtschaftlich schwache Bevölkerungskreise handelt, um Personen, die sich häufig in einer auch persönlich schwierigen Lage befinden. Für diese Personenkreise gilt in besonderer Weise der Grundsatz, daß eine gute Entscheidung nicht nur eine richtige, sondern vor allem auch immer eine schnelle Entscheidung sein muß.
Zur Beschleunigung des Verfahrens wurde eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die zunächst einmal von einer Entlastung der Sozialgerichte der verschiedenen Instanzen ausgehen. So ist es sicherlich eine richtige Idee, das Vorverfahren künftig anders, nämlich in der von den Kollegen bereits geschilderten Weise zu gestalten. Mit der Ausdehnung der Sprungrevision und - für das Bundessozialgericht - einer Einschränkung der Verfahrensrevision bei gleichzeitiger Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde sind Maßnahmen ergriffen, deren Ergebnis in der Praxis ganz sicher abgewartet werden muß, die aber doch eine wesentliche Entlastung in diesem Bereich erwarten lassen. Damit ist gleichzeitig eine gewisse Angleichung an andere öffentlichrechtliche Verfahrensordnungen erfolgt.
Vorhin ist hier bemängelt worden, daß die große Reform noch aussteht. Ich glaube aber, es wäre der7216
zeit verfrüht gewesen, mit diesem Gesetzentwurf etwas von dem vorwegzunehmen, was ohnehin in einiger Zeit eine umfassende Angleichung für den Bereich aller öffentlich-rechtlichen Verfahrensordnungen bringen muß.
Gleichzeitig konnten bei der Beratung des Entwurfs einige andere wichtige Fragen - so die der Prozeßvertretung -- mit behandelt und mit erledigt werden. Wenn unsere Fraktion vorhin den Antrag der CDU/CSU auf Einbeziehung des Verbandes der Impfgeschädigten in die Prozeßvertretung abgelehnt hat, so nicht deshalb, weil wir glaubten, daß hier nach der großen Zahl in irgendeiner Weise gewichtet werden dürfte. Wir dürfen aber andererseits nicht verkennen, daß wir einer Inflation von Verbänden, die sich zur Prozeßvertretung drängen, vorbeugen müssen und daß hier bei der Prozeßvertretung ganz sicher auch wesentlichen Gesichtspunkten der Ordnung vor den Gerichten und der Möglichkeit, Betroffene auch tatsächlich wirksam vor den Gerichten zu vertreten, eine ganz entscheidende Rolle zukommt. Insofern begrüßen wir es, daß die Landwirtschaft mit ihren berufsständischen Vertretungen nun in diesen Bereich einbezogen werden konnte. Auf Antrag der Fraktion der FDP hat der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung insoweit eine wichtige Ergänzung der Regierungsvorlage vorgenommen. Diese Ergänzung soll den berufsständischen Vereinigungen der Landwirte das Recht der Prozeßvertretung vor den Sozialgerichten geben. Man muß das im Zusammenhang gerade mit dem Bemühen von Bundeslandwirtschaftsminister Ertl sehen, ein eigenständiges System der sozialen Sicherung für die in der Landwirtschaft Beschäftigten auszubauen. Die Gewährung der Prozeßvertretung vor den Sozialgerichten für die berufsständischen Vertretungen der Landwirte ist hier eine ganz wesentliche Ergänzung. Wie der Arbeitnehmer sich von seinen Gewerkschaften und das Kriegsopfer sich von den Kriegsopferverbänden vertreten lassen kann, so wird sich künftig der Landwirt von seiner berufsständischen Vertretung in einem ihm von der Materie her fremden Bereich vertreten lassen können. Wir begrüßen dies in besonderer Weise.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein gutes, aber auch ein schnelles Gerichtsverfahren ist ein Erfordernis unserer sozial- und rechtsstaatlichen Ordnung. Diesem Ziel dient der zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes. Vor allem geht es dabei um eine Beschleunigung des Verfahrens vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit. Der rechtsuchende Bürger soll dadurch bei einem Streit über sozialrechtliche Ansprüche schneller als bisher zu einer gerichtlichen Entscheidung kommen.
Der dem Bürger im Sozialgerichtsgesetz gewährleistete umfassende Rechtsschutz wird durch das Gesetz weiter verbessert. Dies trifft besonders für
Änderungen zu, die im Bereich des Vorverfahrens und im Revisionsrecht getroffen sind. Diese Verbesserungen bilden die Schwerpunkte des Gesetzes. Sie machen deutlich, daß das gerichtliche Verfahren den Zweck verfolgt, dem Bürger in allen Fällen, in denen durch einen Akt der Verwaltung in seine Rechtssphäre eingegriffen wird, die richtige Anwendung des materiellen Sozialrechts zu sichern.
Dieses Gesetz wird insbesondere auch zu einer verstärkten und schnelleren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im materiellen Sozialrecht führen. Das Bundessozialgericht wird mithin noch mehr als bisher seinen vorrangigen Aufgaben nachkommen können, Fragen dies Sozialrechts von grundsätzlicher Bedeutung zu klären und die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung zu sichern. Dies kommt in besonderem Maße den rechtsuchenden Bürgern zugute.
Die Verabschiedung dies Gesetzes fällt in den Beginn des dritten Jahrzehnts, in dem die von den Verwaltungsbehörden getrennte, unabhängige Sozialgerichtsbarkeit besteht. Sie hat ihre Anlaufschwierigkeiten überwunden. Im Laufe der Zeit konnte die Verfahrensdauer erheblich verkürzt werden. Dafür möchte ich den Richtern dier Sozialgerichtsbarkeit bei dieser Gelegenheit im Namen der Bundesregierung herzlich danken.
({0})
Mit ihrer Hilfe, davon bin ich überzeugt, wird das neue Gesetz dazu führen, die Dauer dies Verfahrens vor den Gerichten dier Sozialgerichtsbarkeit weiter zu verkürzen.
Lassen Sie mich abschließend all denen danken, die dais Gesetz in den Ausschüssen so zügig beraten haben. Dieser Dank gilt besonders den Mitgliedern des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, aber auch den Mitgliedern des Rechtsausschusses.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, diem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes Ihre Zustimmung zu geben.
({1})
Wird in der allgemeinen Aussprache weiterhin das Wort gewünscht? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Maucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich über den Ablauf der Beratung und die schnelle Verabschiedung des Sozialgerichtsgesetzes. Ich habe mich jetzt nur zu Wort gemeldet, um nach den Worten des Herrn Bundesarbeitsministers der Bundesregierung eine Anregung zu geben.
Aus allen Reden haben Sie gehört - wie ein roter Faden zog es sich hindurch -, daß der Sinn des Gesetzes eine schnellere Behandlung sei. Dazu mein Appell. Die entscheidende Frage der oft lange dauernden Verhandlungen ist eine personelle Frage bei den Sozialgerichten und Landessozialgerichten. Mir scheint - das ist der Grund, weshalb ich mich zu Wort gemeldet habe -, daß die Zahl der BeMaucher
rufungen sehr groß ist, die von seiten des Fiskus, also der Verwaltung, eingelegt werden. Es wird gesagt, diese Frage werde vom Bundesministerium laufend beobachtet, und zum Teil lägen Fälle vor, in denen das Arbeitsministerium zu Berufungen oder gar Revisionen animiere. Natürlich sind die Betroffenen immer sehr bedrückt, wenn eine Sozialgerichtsklage gewonnen wird und das Landesversorgungsamt dann Berufung einlegt.
Darüber hinaus wäre es ein guter Zug, wenn die Bundesregierung die zuständigen Verwaltungsstellen - Versorgungsämter, Landesversorgungsämter, Versicherungsträger - animierte, in den Fällen, in denen absolut eindeutige positive Gerichtsgutachten vorliegen, zu einem schnelleren Verfahren dadurch zu kommen, daß so schnell wie möglich ein entsprechendes Angebot unterbreitet wird. Damit wäre einer schnellen Behandlung am besten gedient. Wenn Sie, Herr Arbeitsminister, in diesem Sinne Ihren Einfluß geltend machten, würden Sie der Schnelligkeit des Verfahrens einen großen Dienst erweisen. Diese Dinge sollte man bei der weiteren Entwicklung sehen.
Im übrigen möchte ich Ihnen sagen: das ganze Verfahren wird durch dieses Gesetz keineswegs wesentlich beschleunigt werden.
Als letztes möchte ich folgendes sagen. Wenn wir an die Entstehung des Sozialgerichtsgesetzes denken, erinnert man sich, daß damals große Sorgen bestanden, ob auch hier der Laienvertreter der Verbände die Vertretung übernehmen könne. Man muß in der Zwischenzeit feststellen, daß in allen diesen Verbänden durch die Vertretung hervorragende Arbeit geleistet worden ist. Dafür wollen wir ihnen ebenfalls herzlich danken.
({0})
Wünscht noch jemand in der allgemeinen Aussprache das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. -- Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Der Ausschuß schlägt Ihnen außerdem vor, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 26 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige ({0})
- Drucksache 7/180 Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({1})
- Drucksache 7/2068 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Schroeder ({2})
({3})
Ich danke der Berichterstatterin, der Frau Abgeordneten Schroeder ({4}).
Ich komme zur zweiten Beratung. Dazu habe ich Ihnen mitzuteilen, daß der Änderungsantrag in Drucksache 7/2237 zurückgezogen ist.
Es ist interfraktionell vereinbart, daß zu Beginn der zweiten Beratung alle Anträge begründet und besprochen werden sollen.
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Schroeder.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da immer mehr alte Menschen, wenn ihre Kräfte nicht mehr ausreichen, um ihren Haushalt selbst zu bestreiten, einen Heimplatz in Anspruch nehmen sollen oder müssen, haben sich kommunale Stellen, Kirchen und Wohlfahrtsverbände, freie gemeinnützige und private gewerbliche Träger seit Jahren bemüht, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Sie haben für unsere ältere Generation in ganz überwiegender Mehrheit Außerordentliches geleistet. Das muß immer wieder anerkannt werden.
({0})
Trotzdem wird seit Jahren die Frage diskutiert, inwieweit Altenheime, Wohnheime und Pflegeheime einer allgemeinen Aufsicht bedürfen. Dies trifft besonders für gewerbliche Heime zu, die weder einer Behörde bzw. einer parlamentarischen Kontrolle unterstehen, wie es bei den kommunalen Heimen der Fall ist, noch einem Spitzenverband der freien Wohlfahrtsverbände oder einem sonstigen Verband angehören.
Die vor einigen Jahren vorgenommene Novellierung der Gewerbeordnung hat sich als unzulänglich erwiesen. Der Bundesrat, gestützt auf die großen Erfahrungen der Länder im Heimwesen, hat es einmütig für zweckmäßiger gehalten, ein für alle Heime geltendes Gesetz vorzulegen, das neben der Aufsicht für verschiedene Probleme der Heime einheitliche Richtlinien enthält. Er hat deshalb den uns jetzt vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht.
Der Gesetzentwurf hat eine unterschiedliche Aufnahme gefunden. Er ist in Kreisen der Bevölkerung, besonders von den alten Menschen, zweifellos begrüßt worden. Das haben uns viele Zuschriften, die uns erreicht haben, bewiesen. Die alten Menschen erwarten mehr Sicherheit, wenn sie sich einem Altenheim anvertrauen, um so mehr, nachdem einige - allerdings oft recht hochgespielte - Fälle die Öffentlichkeit, besonders die alten Menschen, beunruhigt haben.
Auf der anderen Seite haben die Träger der Heime, besonders die freien gemeinnützigen und die privaten Träger - wie ich meine, nicht zu Unrecht - die Befürchtung ausgesprochen, daß dieses Gesetz ihren Freiheitsraum, ihre Selbständigkeit und
Frau Schroeder ({1})
die Möglichkeit, nach ihren Vorstellungen zu wirken und zu helfen, beeinträchtigen könnte.
Wir haben uns im Ausschuß sehr bemüht, zwischen diesen beiden Polen - auf der einen Seite dem Wunsch der alten Menschen nach Sicherheit und auf der anderen Seite der Sorge vor staatlicher Bevormundung und Einengung eine für alle möglichst befriedigende Lösung zu finden. Ob dies gelungen ist, wird ganz wesentlich davon abhängen, wie dieses Gesetz nachher gehandhabt und in der Praxis durchgeführt wird.
Dem Ausschuß lag zu seinen Beratungen eine Fülle von Stellungnahmen von Heimträgern vor. Er hat auch noch einmal in einer mündlichen Anhörung mit den Trägerverbänden und mit Persönlichkeiten aus der unmittelbaren Praxis alle anstehenden Fragen besprochen. Das Ergebnis war, daß das Gesetz in wesentlichen Punkten geändert wurde.
Lassen Sie mich die wichtigsten hier anführen: Erstens. Die Zielsetzung des Gesetzes hat einen neuen Schwerpunkt erfahren. Wenn es zunächst ein reines Kontrollgesetz war, so ist nunmehr schon in der Zweckbestimmung deutlich zum Ausdruck gebracht worden, daß neben die Aufsicht vorrangig die Beratung und Zusammenarbeit treten soll. Wir begreifen dies als eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, eine gegenseitige Beratung von gleich zu gleich. Es ist nicht etwa daran gedacht, daß so etwas wie eine „Hohe Behörde" hier gnädigst die Heimträger berät, die manchmal sicherlich sehr viel sachverständiger sein werden, sondern es soll der Anstoß gegeben werden, sich zusammenzusetzen, gemeinsam die Probleme zu erörtern und sich zu bemühen, Fehler und Unzulänglichkeiten auszumerzen, damit eine unliebsame Kontrolle schon von vornherein in vielen Fällen überflüssig wird. Als Zweck des Gesetzes ist deshalb bereits in § 2 angeführt, die Beratung der Bewohner und der Träger von Einrichtungen zu fördern.
Meine Fraktion legt ganz besonderen Wert auf diese partnerschaftliche Beratung. Wir haben deshalb einen Änderungsantrag vorgelegt, weil uns dies im vorliegenden Gesetzestext noch nicht ausreichend präzisiert und gewährleistet erscheint. Ich darf an dieser Stelle unseren Antrag auf Drucksache 7/2235 gleichzeitig begründen.
Wir möchten, daß in § 10 die Verpflichtung zur Zusammenarbeit und zur Mitbeteiligung der Heimträger an der Planung zur Erhaltung und Schaffung von Einrichtungen auch im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes präzise im Gesetz festgelegt wird. Der jetzige Gesetzestext stellt auf den Zufall ab, ob es Arbeitsgemeinschaften gibt - was längst nicht überall der Fall ist - oder nicht. Er entspricht nicht dem Willen, den wir an sich alle hatten, die Zusammenarbeit zu fördern und ihr zur Verwirklichung zu verhelfen. Ich bitte Sie sehr, diesem Antrag zuzustimmen. Ich meine, wem es ernst ist mit der Verwirklichung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, der könnte dieser Formulierung gut zustimmen.
Zweitens. Die eigentliche Zweckbestimmung des Gesetzes hat ebenfalls eine neue Formulierung gefunden. Im Entwurf des Bundesrates hieß es dazu, daß das Gesetz „das geistige und seelische Wohl der Bewohner gewährleisten" solle. Uns schien es, daß ein Gesetz dies sowieso nicht garantieren könne. Deshalb ist nunmehr der Text eingesetzt worden: „die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigung zu schützen". Wir halten dies so der Wirklichkeit besser entsprechend. Zu diesen Beeinträchtigungen gehört vor allem das Mißverhältnis zwischen finanziellen Leistungen der Bewohner und den Leistungen des Heimes. Davor müssen die Heimbewohner vor allem geschützt werden.
Ich darf an dieser Stelle auf einen etwas sinnentstellenden Druckfehler im Bericht hinweisen: Es muß in § 2 Abs. 1 Nr. 2 heißen: „verhindern, daß zwischen dem Entgelt und der Leistung der Einrichtung ein Mißverhältnis besteht" und nicht, wie im ausgedruckten Text, „ein Mißverständnis besteht".
Drittens. Uns allen lag daran, die Stellung der Heimbewohner zu stärken. Dies soll nach dem Gesetzestext dadurch geschehen, daß ein Heimvertrag abgeschlossen wird zwischen dem Träger und dem Bewerber um einen Heimplatz, damit es von vornherein nicht Unklarheiten über Bedingungen, Ansprüche, Heimordnung usw. geben kann. Gut wäre allerdings zur Erreichung dieses Zieles auch, wenn sich die Gemeinden und Verbände in noch verstärktem Maße der Aufgabe widmeten, alte Menschen vor ihrer Übersiedlung in ein Heim über das Leben im Heim zu orientieren. Manche Beschwerde würde dadurch hinfällig werden, und auch manche Angst vor dem Schritt, in ein Heim zu gehen, würde den alten Menschen dadurch genommen werden können.
Die Stärkung der Stellung des Heimbewohners sollte vor allem erfolgen durch die Mitwirkung der Heimbewohner bei der Gestaltung des Heimlebens. Hier betreten wir Neuland, und hier werden bei der außerordentlich großen Verschiedenheit der Heime nur flexible Vorschriften zu guten Lösungen in der Praxis beitragen können. Die vorgesehene Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit müßte, so meine ich, den Heimen einen gewissen Spielraum geben, wie sie diese Mitwirkung verwirklichen wollen. Sonst stehen nachher die Heimbeiräte nur auf dem Papier. Grundsätzlich sollten wir es aber begrüßen - dies tun wir auch - und bejahen, den Heimbewohnern noch eine Aufgabe zu geben und ihnen das Gefühl zu vermitteln, nicht nur passiv Betreuung entgegenzunehmen, sondern so weit wie möglich an der Gestaltung ihres Lebens im Heim selbst beizutragen.
Der Ausschuß hat sich mit der Frage beschäftigt, ob in solchen Heimen, bei denen ein Heimbeirat nicht möglich ist - ich denke z. B. an bestimmte Pflegeheime oder an Heime für geistig Behinderte -, ein Fürsprecher bestellt werden soll. Davon wurde zunächst abgesehen. Es erscheint zweckmäßiger, hier erst einmal Erfahrungen zu sammeln.
Der Ausschuß legt deshalb dem Hohen Hause einen Antrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, nach drei Jahren über die mit der Mitwirkung der Heimbewohner gemachten Erfahrungen zu berichten.
Frau Schroeder ({2})
Ein vierter Punkt. Durch viele Zuschriften und manche Vorkommnisse in der jüngsten Zeit veranlaßt, haben wir uns im Ausschuß sehr bemüht, die Rechte derjenigen Heimbewohner zu sichern, die Eigenmittel für den Bau eines Heimes oder die Erhaltung eines Heimplatzes einbezahlt haben. Dies erwies sich als sehr schwierig. Der Ausschuß hat deshalb einmütig diese Forderung nach Sicherstellung schon in der Zweckbestimmung aufgenommen. Er hat weiter den § 12 so erweitert, daß eine größtmögliche Sicherheit für eingezahlte Darlehen, Zuschüsse usw. für die Bewohner besteht. Er hat außerdem in § 4 diesen Heimbewohnern besondere Mitwirkungsrechte in bezug auf Geschäfts- und Wirtschaftsführung eingeräumt.
Ich möchte hier ausdrücklich betonen, daß sich alle diese Bestimmungen nur auf solche Bewohner beziehen, die, meist durch einmalige höhere Zuwendungen, Darlehen usw., wesentlich zur Finanzierung des Heimes mit beigetragen haben, nicht etwa auf Selbstzahler von Pflegekosten. Hier hat es schon Mißverständnisse in der Öffentlichkeit gegeben. Jene aber, die oft ihre gesamten Ersparnisse einbezahlt haben, haben ein Recht auf Sicherung dieser Beträge.
Fünftens. Die Bestimmungen über die Mindestanforderungen sowie über die Erlaubniserteilung für die Einrichtung privater Heime sind noch etwas präzisiert. Lassen Sie mich dazu noch einige Anmerkungen machen. Sehr viele Heime, die vielleicht nicht in allen Punkten diesen Mindestanforderungen an die Räume entsprechen, wären gern bereit, diese Mängel zu beheben, wenn man ihnen sagte, wie sie dies tun können. Hier wird alle Aufsicht und auch alle Beratung nichts nützen, wenn die materiellen Möglichkeiten nicht gegeben sind, die Unzulänglichkeiten zu beseitigen.
Besonders bei der Anhörung der Heimträger ist sehr deutlich zum Ausdruck gekommen: Dieses Heimgesetz muß unzulänglich bleiben, wenn es nicht auf die Dauer zu einem Heimförderungsgesetz oder zu einem Heimfinanzierungsgesetz ausgebaut wird, das die Möglichkeiten erleichtert und Richtlinien gibt, wie neue Heimplätze erstellt und alte modernisiert werden können. Heute wird dies aus finanziellen Gründen zu unserem Bedauern nicht möglich sein. Das Ziel darf aber nicht aus den Augen verloren werden. Nur bei einem genügenden Angebot vielfältiger Plätze werden sich manche heute noch bestehende Mißstände von selbst erledigen.
Ähnliches gilt auch für die Anforderung an die Eignung des Leiters. Ich halte es für unabdingbar, daß hier die Erfahrung genügend gewertet wird. Langjährigen Heimleitern fehlt es manchmal an einer sachgerechten Ausbildung in der Vergangenheit. Sie sind trotzdem oft vorzügliche Leiterinnen oder Leiter.
Hier dürfen nicht zu enge Vorschriften noch mehr personelle Schwierigkeiten für die Heime bringen.
Auf die Dauer sollten aber die Bemühungen verstärkt werden, den Beruf der Altenpflegerin oder des Altenpflegers, der Heimleiterin oder des Heimleiters durch ein gutes Berufsbild und eine gründliche Ausbildung attraktiver zu machen und ihr Ansehen zu heben. Nur so bekommen wir geeignete Menschen für diese wichtige Aufgabe. Von den Menschen hängt ganz wesentlich die Güte eines Heimes ab.
Sechstens. Die eigentliche Praxis der Kontrolle und Nachschau erscheint uns zu übertrieben und nicht zweckmäßig. Wir hatten deshalb schon im Ausschuß einen Abänderungsantrag gestellt. Wir werden ihn hier wiederholen; er wird gleich noch begründet.
Siebtens. Das Gesetz verbietet grundsätzlich, daß sich der Träger einer Einrichtung über das vereinbarte Entgelt hinaus Vermögensvorteile versprechen oder zuwenden läßt. Es läßt Ausnahmen nur für die Zuwendungen zu gemeinnützigen Zwecken oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht zu, und es stellt alle Ausnahmen unter die Genehmigungspflicht der zuständigen Behörde. Hier muß es aber genügen, daß der gemeinnützige Charakter festgestellt wird. Auf keinen Fall sollte das freie Entschlußrecht eines Bewohners, der ja schließlich ein mündiger Bürger ist, Zuwendungen zu geben, beeinträchtigt werden.
Achtens. Ergänzt wurden auch noch die Bestimmungen über die zuständige Behörde und die Praxis der Durchführung des Gesetzes. Die Frage, wer die vom Gesetz vorgesehenen Kontrollen durchführen soll, hat die betroffenen Heimträger mit Recht außerordentlich bewegt. Hier kann nicht genug Nachdruck auf die Bestimmungen gelegt werden, die wir im Ausschuß noch in das Gesetz aufgenommen haben, daß nur Personen mit der Kontrolle betraut werden dürfen, die eine ihren Aufgaben entsprechende Ausbildung erfahren haben oder besondere berufliche Erfahrungen besitzen. Ich möchte hier die Betonung auf „Erfahrung" legen. Im Grunde können dies nur Menschen durchführen, die das Heimwesen kennen. Dies ist ein Punkt, an dem sich erweisen wird, ob sich das ganze Gesetz wirklich zum Nutzen der Heime auswirkt oder ob es für die Heimträger zur Plage werden kann.
Zu diesem Paragraphen hat meine Fraktion mit Drucksache 7/2234 ebenfalls einen Änderungsantrag vorgelegt, den ich gleichzeitig begründen möchte.
Die von der Landesregierung zu bestimmenden zuständigen Behörden sollen Beiräte für Heimfragen einrichten, in denen die Träger der Heime vertreten sind. Die Beiräte sollen bei besonders wichtigen Entscheidungen der zuständigen Behörde mitwirken, z. B. bei Erteilung, Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis und bei Untersagung des Betriebs einer Einrichtung. Dies entspricht auch einem Wunsch der Verbände der freien Wohlfahrtspflege selbst. Eine solche Entscheidung wäre dann nicht nur einer Behörde überlassen, sondern von einem Gremium Sachverständiger getroffen. Diese Beiräte sollen außerdem die Gremien sein, die eben jene Zusammenarbeit verwirklichen und ausführen, die im Gesetz gefordert wird, die ich vorhin schon angesprochen habe und auf die meine Fraktion so großen Wert legt.
Ich möchte zum Schluß noch einmal betonen: Auf die Aus- und Durchführung kommt es an. Es darf auf
Frau Schroeder ({3})
keinen Fall passieren, daß Heimträger, Personen und Verbände, die Heimplätze unterhalten oder schaffen wollen, in ihrer Initiative zum Helfen beeinträchtigt werden durch unnötige Verärgerungen, durch bürokratisches Vorgehen oder durch eine zu enge Auslegung des Gesetzes. Sie sollten das Gesetz als Hilfe und Unterstützung empfinden, denn sie sind es ja, mit deren Hilfe unsere Gesellschaft überhaupt nur die große Aufgabe bewältigen kann, unseren alten Mitbürgern, die allein nicht mehr fertig werden können, Geborgenheit und einen sorglosen Lebensabend zu verschaffen.
Möge das Gesetz diesem Ziel dienen, den alten Menschen mehr Sicherheit zu geben, ihnen auch im Heim ihre Stellung als mündige Bürger zu gewährleisten, den Trägern zu helfen, Schwierigkeiten zu überwinden, und nicht ihre Gestaltungsfreiheit zu beschneiden. - Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Gesetz zustimmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Braun.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe einen Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion zum Entwurf des vorliegenden Heimgesetzes zu begründen, konkret den Änderungsantrag zu § 8 Abs. 2, der dem Hohen Hause auf Drucksache 7/2236 vorliegt.
Als das Heimgesetz im Februar 1973 vom Bundesrat eingebracht wurde, betrachteten sowohl die freien gemeinnützigen als auch die kommunalen Trägergruppen diesen Gesetzentwurf mit größter Skepsis. Diese Skepsis steigerte sich zuweilen bis zur völligen Ablehnung eines Heimgesetzes überhaupt.
Ein Grund für die Unzufriedenheit mit dem Gesetzentwurf, wenn nicht gar der entscheidende Grund, war und ist in der Fassung des § 8 Abs. 2 zu sehen. Nach der heute vorliegenden Formulierung, wie sie der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit Mehrheit beschlossen hat, sind die von der zuständigen Behörde mit der Überwachung der Einrichtung beauftragten Personen befugt, die für die Einrichtung benutzten Grundstücke und Räume, soweit diese nicht einem Hausrecht der Bewohner unterliegen, während der üblichen Geschäftszeit zu betreten und dort Prüfungen und Besichtigungen vorzunehmen, ohne daß Anhaltspunkte für Tatsachen vorliegen, die nach § 5 Abs. 3 die Versagung der Erlaubnis rechtfertigen könnten. Der Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion will erreichen, daß die eingehenden Prüfungen nur vorgenommen werden können, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die nach § 5 Abs. 3 die Versagung der Erlaubnis rechtfertigen.
Ich darf Sie bitten, meine Damen und Herren, unserem Antrag insbesondere aus folgenden zwei Gründen zuzustimmen:
Erstens. Das Heimgesetz soll dem Schutz der Heimbewohner dienen. Die jetzt in Aussicht genommene Formulierung des § 8 könnte das Gesetz zu
einem bloßen Heimkontrollgesetz herabstufen. Das ist sicherlich nicht gewollt. Das Überwachungsrecht greift entscheidend in den inneren Heimbetrieb und auch in die Rechte des Trägers ein.
({0})
Dieses Überwachungsrecht sollte aber nur dann ausgeübt werden, wenn es notwendig und erforderlich ist. Jahrzehntelang, meine Damen und Herren, haben meist unter schwierigsten finanziellen und personellen Bedingungen gerade die freien, gemeinnützigen Verbände und Träger Altenheimplätze erstellt und unterhalten, und sie haben in diesem Falle mehr als nur ihre Pflicht getan. Ich bin der Meinung, daß gerade hier den Verbänden auch an dieser Stelle der Dank des Hohen Hauses gebührt.
({1})
Am Beginn der Bemühungen, das Heimwesen rechtlich zu ordnen, sollte nicht ein gewisses Mißtrauen stehen, wie es jetzt aus der vorliegenden Formulierung des § 8 Abs. 2 herausgelesen werden könnte. Wir müssen deutlich machen, daß jeder Träger mit Prüfungen und weiteren staatlichen Maßnahmen zu rechnen hat, wenn die Bedingungen nach § 5 nicht erfüllt werden.
Zweitens. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden in der Bundesrepublik Deutschland 1980 9,13 Millionen Menschen älter als 65 Jahre sein. Bei einer Unterbringungsrate hinsichtlich der Unterbringung in Altenheime von durchschnittlich 3,3 % bedeutet das einige hunderttausend Altenheimplätze, wobei zu berücksichtigen ist, daß die bauliche Substanz der heute bestehenden Einrichtungen weitgehend überaltert ist und Ersatzbauten dringend notwendig sind. Durch dieses Heimgesetz aber werden keine neuen und keine zusätzlichen Heimplätze geschaffen. Gerade aus Anlaß der Verabschiedung dieses Gesetzes sollten wir die freien und gemeinnützigen Träger bitten, auch weiterhin neue Altenheimplätze zu schaffen. Diese Bitte können wir aber meines Erachtens nur äußern, wenn wir auch weiterhin Vertrauen zu der Arbeit dieser Verbände haben und das auch durch entsprechende Gesetzesformulierungen bekräftigen.
({2})
Meine Damen und Herren, der Schutz unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger in Heimen ist sicherlich unser gemeinsames Ziel und unser Anliegen. Dieser Schutz ist aber nur möglich, wenn mit den Trägern dieser Heime eine enge und partnerschaftliche Zusammenarbeit besteht. Im Sinne dieser Zusammenarbeit bitte ich Sie, dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu § 8 Abs. 2 die Zustimmung zu geben.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Fiebig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen sind an einer engen Zusammenarbeit der freien und gewerblichen Träger mit den Behörden sehr interessiert. Dies
kommt im Gesetz mehrmals zum Ausdruck. Die drei Anträge der Opposition sind jedoch darauf gerichtet, die Stellung der Träger in einer Weise zu stärken, die eine sachbezogene Arbeit der Behörden unter Umständen erschwert. Unseres Erachtens ist die Mitwirkung der Träger in der vorliegenden Gesetzesfassung befriedigend geregelt.
({0})
Bei dem Änderungsantrag der Opposition auf Drucksache 7/2236 geht es um eine Überprüfung der Heime, die erst bei Verdacht einsetzen soll. Diese Fragen sind schon sehr eingehend im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit behandelt worden. Die Mehrheit lehnte damals diesen Antrag aus folgenden Gründen ab.
Anhaltspunkte dafür, daß Tatsachen vorliegen, die die Versagung der Erlaubnis rechtfertigen können, werden ja gerade erst durch eine Einsichtnahme in die geschäftlichen Unterlagen gewonnen. Wie soll man denn z. B. feststellen, daß der Träger außerhalb des Bereichs der zuständigen Behörden durch falsche oder irreführende Annoncen wirbt, wenn die Einsichtnahmen in die geschäftlichen Unterlagen in solch einer Weise erschwert werden?
Im übrigen, Herr Kollege Braun, meinen wir auch, daß sich bei der Behandlung dieses Themas im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit die Einstellungen der freien Träger grundlegend geändert haben, daß diese jetzt unser positives Bemühen erkennen und ganz anders zu diesem Gesetzesvorhaben eingestellt sind.
({1})
Vielleicht darf ich noch einiges sagen, damit unsere Stellung dazu etwas deutlicher wird. Die Befragung von Beschäftigten im Rahmen der Heimaufsicht ist allgemein üblich. Wir meinen, daß das nichts mit Schnüffelei zu tun hat. Würde man Ihrem Antrag folgen, so wäre ein Gespräch mit Beschäftigten nur bei Verdachtsmomenten möglich, und eben das halten wir für zuwenig. Unbefangene Gespräche, die auch immer bei Heimbesuchen üblich sind, wären dann praktisch unmöglich. Das würde ohne sachlichen Grund eine unerträgliche Spannung zwischen Trägern und der zuständigen Behörde schaffen und liefe damit, so meinen wir, gerade einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zuwider. Nach der jetzigen Fassung des Entwurfs handelt es sich um eine Routinemaßnahme, von der alle Träger in der gleichen Weise betroffen werden.
Wie die überaus zahlreichen Schreiben von Heimbewohnern und Angehörigen beweisen, empfinden sie eine allgemeine und umfassende Heimaufsicht in keiner Weise als Mißtrauen gegen die Träger. Sie wünschen eine solche Heimaufsicht sogar so, wie sie im Gesetz vorgesehen ist, weil sie dadurch ein stärkeres Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit haben. Könnten die Beschäftigten nur dann befragt werden, wenn Anhaltspunkte für Tatsachen vorliegen, die eine Versagung nach § 5 Abs. 3 rechtfertigen würden, so könnten die Beschäftigten nicht befragt werden, wenn nur eine Geldbuße oder das Verbot einer weiteren Beschäftigung oder Tätigkeit von Mitarbeitern erlassen werden sollte. Dies kann
auch mit Rücksicht auf die Interessen der Beschäftigten nicht der Sinn der Vorschrift sein.
In der Drucksache 7/2235 geht es um die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Trägern. Diesem Antrag kann ebenfalls nicht zugestimmt werden. Die Fassung würde die Bestimmungen über die Subsidiarität in § 10 und § 93 des Bundessozialhilfegesetzes auf das Heimgesetz übertragen. Der Subsidiaritätsgrundsatz und das Verhältnis zur freien Wohlfahrtspflege sind in den genannten Paragraphen des BSHG geregelt. Dazu liegt auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1967 vor. Es besteht unseres Erachtens keine Veranlassung, die grundsätzlichen Bestimmungen zu ändern.
Auf Drucksache 7/2234 geht es um die Beiräte für Heimfragen. Wir meinen, daß eine ausreichende Beteiligung der Träger auch nach den jetzt getroffenen Bestimmungen möglich ist. Wenn es sich im Einzelfall als zweckmäßig erweist, auch die gewerblichen Träger in Beratung oder Planung einzubeziehen, kann das durch die zuständigen Behörden selbstverständlich geschehen. Wir meinen, daß es dazu keines besonderen Gesetzes bedarf. Wir halten es nicht für sinnvoll, einen Beirat für Heimfragen allgemein zu institutionalisieren.
({2})
- Selbstverständlich! Aber in diesem Fall, Herr Burger, nehmen mach Ihren Vorstellungen, wenn ich es überspitzt sagen darf - Sie verzeihen mir das -, die zu Kontrollierenden die Kontrolle selber in die Hand.
({3})
- Herr Kollege Müller, was Sie gesagt haben, habe
ich akustisch leider nicht genau verstanden.
({4})
Ich bitte, allenfalls Zwischenfragen zu stellen.
Herr Kollege Müller, bei diesem Gesetz geht es doch a) um die Zusammenarbeit zwischen Trägern und Behörden, b) darum, daß Erfahrungen aus den Vorkommnissen der Vergangenheit gezogen werden, die es zum größten Teil im Bereich der gewerblichen Träger gegeben hat. In Ihrem Änderungsantrag hier geht es darum, daß die Kontrollierten am Ende in der Kontrolle selber mitreden.
Wenn wir dieses Prinzip auf andere Gesetze übertrügen, bekämen wir in der Bundesrepublik ein heilloses Durcheinander. Ich meine hier: Arcete initiis! Da können wir schon an diesem Punkt nicht folgen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?
Herr Kollege Fiebig, würden Sie mir zugeben, daß § 9 des Gesetzes, dem Sie ja zustimmen, eine Beteiligung der Landesverbände der freien Wohlfahrtspflege an der Überwachung vorsieht? Also ist das, was Sie eben gesagt haben, schizophren.
Aber, Herr Kollege Burger, das vollzieht sich auf einer ganz anderen Ebene und nicht vor Ort, wo unser Gesetz gelten soll.
({0})
- Vielleicht haben Sie auch nicht bedacht - wir haben im Ausschuß darüber gesprochen -, daß es sicherlich nicht im Interesse der Träger ist, wenn in Anwesenheit anderer Träger die eigenen Probleme erörtert werden. Das war für mich persönlich ein Grund, bei der Abstimmung im Ausschuß gegen Ihren Antrag zu stimmen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schroeder ({0})?
Herr Kollege Fiebig, ist Ihnen entgangen, daß erstens gerade die freien Wohlfahrtsverbände auf diese Kommissionen selber großen Wert legen, also das Bedenken, das Sie hier vorgetragen haben, anscheinend nicht haben, daß zum anderen in unserem Antrag nichts über die einzelnen Probleme gesagt ist, sondern darüber, daß die Beiräte nur bei der Erteilung, der Rücknahme und dem Widerruf der Erlaubnis und der Untersagung des Betriebes einer Einrichtung zu hören sind? Das ist eine Sache, die dann in der Öffentlichkeit sowieso nicht geheim bleibt.
({0})
Doch, wir meinen, daß, wenn es um die von Ihnen angesprochenen Probleme geht, im Interesse aller Beteiligten eine gewisse Vertraulichkeit zu bewahren ist
({0})
und daß die Behörde von daher das Einzelgespräch mit dem betroffenen Träger sicherlich bevorzugen muß, wenn sie ihre Aufgaben erfüllen will.
({1})
Vielleicht könnten Sie weiter bedenken, daß das Anhören eines solchen Beirats den Vollzug des Heimgesetzes erheblich erschweren, verlangsamen, in vielen Fällen sogar blockieren könnte. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß dann gerade in den Beiräten Verbandsinteressen eine große Rolle spielen werden.
Um die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner zu schützen, kann es notwendig werden, die Rücknahme oder den Widerruf der Erlaubnis sehr schnell auszusprechen. Das gleiche gilt für die Untersagung. Solche Entscheidungen sind Verwaltungsakte
die der vollen richterlichen Nachprüfung unterliegen, auch mit allen Folgen einer eventuellen Amtshaftung. Die zuständigen Behörden, so meinen wir, werden solche Entscheidungen nur treffen, wenn sie unumgänglich sind.
Den berechtigten Interessen der Träger ist mit der vorliegenden Fassung des Entwurfs voll Rechnung getragen. Die Beteiligung der freien Träger an der Überwachung ist durch § 9 Abs. 1 des Heimgesetzes bereits ermöglicht.
Es ist auch noch darauf hinzuweisen, daß sich ein Vertreter des Bundesrates in den Beratungen unseres Ausschusses entschieden gegen eine solche Bestimmung ausgesprochen hat. Er wies darauf hin, daß eine solche Befugnis eines Beirates für Heimfragen den Vollzug des Heimgesetzes unmöglich machen könnte. § 10 Abs. 1 Nr. 2 sieht die Beratung der Träger bei der Planung und dem Betrieb der Einrichtung vor. Das soll durch die zuständige Behörde geschehen. Das ist auch sinnvoll und sachgerecht. Wir sehen keinen Grund dafür, die Träger an der eigenen Beratung und der Beratung anderer Träger mitwirken zu lassen.
Es ist auch zu bezweifeln, ob sich Personen und Träger, die die Schaffung einer Einrichtung im Sinne des Heimgesetzes planen, von anderen bereits bestehenden Trägern beraten lassen wollen. Ich stelle hier nur einmal die Frage nach der Haftung bei unvollständigen Auskünften, die durch eine solche Mitwirkung ausgelöst werden könnte.
Man wird auch hier nicht ausschließen können, daß bei einer solchen Mitwirkung Interessen der bereits bestehenden Träger bei der Beratung eine Rolle spielen könnten. Bei der Beratung durch die zuständigen Behörden sind die Voraussetzungen dafür, daß ausschließlich sachliche und fachliche Gründe bestimmend sind, erheblich größer. Ich mache in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß mit der Durchführung des Heimgesetzes nur solche Personen betraut werden sollen, die sich hierfür nach ihrer Persönlichkeit eignen und dafür eine entsprechende Ausbildung oder berufliche Erfahrung besitzen.
Zum Schluß möchte ich noch folgendes bemerken. Der Gesetzentwurf zum Heimgesetz, der im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sehr intensiv beraten worden ist, geht keineswegs von einem Mißtrauen gegen die Heimträger aus. Im Gegenteil, die Verdienste der meisten Träger bei der Betreuung der älteren Mitbürger sind von der Koalition mehrfach und ausdrücklich anerkannt worden. Das geschieht hiermit heute noch einmal. Das ändert jedoch nichts daran,, daß eine allgemeine und umfassende Heimaufsicht durch eine neutrale Stelle, nämlich durch die zuständige Behörde, notwendig ist. Die Tätigkeit dieser Behörde in Zweifel zu setzen, bevor sie überhaupt begonnen hat, ist für den Schutz der älteren Mitbürger in den Heimen nicht gut.
Im Namen der Koalitionsfraktionen erkläre ich daher, daß wir den Änderungsanträgen nicht zuFiebig
stimmen können, damit das Heimgesetz dadurch nicht in unzulässiger Weise verwässert wird.
({2})
Wird zu den Änderungsanträgen noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich in zweiter Beratung zur Abstimmung. Ich rufe die §§ i bis 7 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 8 und damit zum Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2236. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zu § 8 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit angenommen.
Ich komme zu § 9. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 10 und damit zum Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2235. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zu § 10 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit angenommen.
Ich rufe dann die §§ 10 a bis 16 auf. Das Wort wird nicht gewünscht. - Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich komme nunmehr zum Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2234 auf Einfügung eines § 16 a. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nunmehr §§ 17 bis 23, Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir verabschieden heute ein Gesetz
zur Sicherung und zum Schutze alter und behinderter volljähriger Menschen in Heimen.
Ein erster Schritt erfolgte bereits 1967 im Zuge einer Änderung des § 38 der Gewerbeordnung. Durch diese Änderung wurden die Landesregierungen damals ermächtigt, durch Rechtsverordnung Mindestanforderungen in baulicher und personeller Hinsicht für den Betrieb von gewerblichen Heimen festzulegen. Diese Maßnahme hat sich in den darauf folgenden Jahren als wenig wirksam herausgestellt. Die Behörden haben bis heute keine Möglichkeiten, vor der Inbetriebnahme von Heimen sicherzustellen, daß die sachlichen und personellen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Unterbringung und Betreuung von Heimbewohnern erfüllt werden.
Am 16. März 1972 wurde der Entwurf eines Gesetzes über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige durch das Land Berlin im Bundesrat eingebracht. Ich möchte diese Gelegenheit wahrnehmen, dem Land Berlin und insbesondere seinem Sozialsenator, Harry Liehr, von dieser Stelle aus für seine Initiative zu danken,
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auf die die alten und behinderten Menschen draußen im Lande warteten. Wir wissen, daß viele Heime in der Betreuung alter Menschen Hervorragendes leisten und daß wir den Trägern und Mitarbeitern zu großem Dank verpflichtet sind. Auch diesen Dank möchte ich heute von dieser Stelle aus mit großem Nachdruck und ohne Einschränkung all denen sagen, die mit einem großen Engagement seit Jahrzehnten in diesen Heimen Großartiges zum Segen der Alten und Behinderten leisten.
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Trotzdem wurden und werden immer wieder Mängel und Mißstände festgestellt. Diese festgestellten Mißstände beziehen sich vor allem auf eine unzureichende Unterbringung und Verpflegung von Heimbewohnern, auf eine mangelhafte Betreuung sowie auf ungenügende pflegerische Versorgung, auf zahlenmäßig nicht ausreichendes und fachlich unzulänglich qualifiziertes Personal sowie auf eine finanzielle Übervorteilung von Heimbewohnern. Wenngleich wir wissen, meine Damen und Herren, daß solche Mängel nur in geringem Umfang auftreten, ist ein gesetzlicher Schutz aller in Heimen lebender Mitbürger erforderlich, da die Verunsicherung durch die Massenmedien bei Bekanntwerden von Mißständen gerade in Kreisen älterer Mitbürger erheblich ist.
Erster Schwerpunkt des Gesetzentwurfs ist die Definition in § 1, der den Anwendungsbereich konkretisiert. Er sieht eine Einbeziehung aller Einrichtungen vor, die alte Menschen sowie pflegebedürftige oder behinderte Volljährige nicht nur vorübergehend aufnehmen. Das gilt für alle Heime ohne Ausnahme. In Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation gilt dieses Gesetz für die Teile, die der Unterbringung der Rehabilitanten dienen.
Zwischen dem Heimträger und demjenigen, der sich um eine Heimaufnahme bemüht, ist künftig ein Heimvertrag abzuschließen. Auch das ist neu. Dieser
Vertrag soll den alten oder pflegebedürftigen Menschen zu einer sicheren Rechtsposition verhelfen. Wichtig war uns in diesem Zusammenhang, daß die Verpflichtung des Trägers, den Bewerber schriftlich über die Leistungen und die Ausstattung der Einrichtung sowie die Rechte und Pflichten der Bewohner zu informieren, im Gesetz verankert wird.
Wir wollen durch die Verankerung der Mitwirkung verhindern, daß unsere älteren Mitbürger, wenn sie Heimbewohner sind, zu unmündigen Bürgern werden, wie es jetzt so oft der Fall ist. Sie sollen in Zukunft über einen Heimbeirat an wichtigen Entscheidungen beteiligt werden. Das gilt vor allem für die Fragen der Unterbringung, der Aufenthaltsbedingungen, der Heimordnung, der Verpflegung und der Freizeitgestaltung. Diese Mitwirkung erstreckt sich auch auf die Verwaltung und Wirtschaftsführung, wenn Heimbewohner einen Finanzierungsbeitrag im Zusammenhang mit der Unterbringung in einer Einrichtung geleistet haben.
Da die bisherigen praktischen Erfahrungen mit Mitwirkungsmodellen für ins einzelne gehende Regelungen nicht ausreichen, hat der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit am 20. März 1974 in einem einstimmig verabschiedeten Entschließungsantrag, der Ihnen heute hier vorliegt, die Bundesregierung aufgefordert, drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes dem Bundestag einen Erfahrungsbericht über die Auswirkungen der Mitwirkungsregelung vorzulegen. Insbesondere soll die Bundesregierung darüber berichten, wie z. B. in Heimen für geistig Behinderte oder psychisch Kranke, in denen die Mitwirkung nur begrenzt möglich ist - wir wissen um diese Schwierigkeiten -, die Mitwirkungsrechte geregelt wurden und ob Alternativregelungen, wie z. B. ein durch die Vertretungskörperschaft der zuständigen Behörde zu bestellender Fürsprecher, notwendig sind.
Weiterhin sieht dieses Gesetz besondere Bestimmungen über die Sicherung solcher älterer Menschen vor, die Darlehen, Vorauszahlungen oder Geldleistungen für die Unterbringung in einem Heim erbracht haben. Auch hier wissen wir aus jüngsten Beispielen, wie schlecht es solchen älteren Mitbürgern ergehen kann, wenn sie ihr Vertrauen einem Unternehmen schenken, das dieses Vertrauens nicht würdig ist. Eine absolute Sicherung für solche Geldleistungen ist nicht zu erreichen. Wir haben das immer wieder geprüft. Dieses Ziel können wir im Augenblick nicht erreichen. Leider würden optimale Sicherungen die Möglichkeiten alter Menschen verringern - das hat unsere Prüfung ergeben -, mit ihren eigenen Mitteln einen Alterssitz zu erwerben. Der Einsatz solcher Mittel ist aber durchaus wünschenswert und auch förderungswürdig. Deshalb kommt der Informationspflicht durch den Heimträger, so wie wir sie in § 3 a des Gesetzentwurfs niedergelegt haben, eine ganz besondere Bedeutung zu.
Eine wichtige Frage war für uns die Form der Überwachung von Einrichtungen nach diesem Gesetz. Sie werden nach dem von mir vorher Gesagten verstehen, daß das eine wichtige Frage für uns ist. Nach unseren Vorstellungen sollen die Landesverbände der freien Wohlfahrtspflege, die kommunalen Spitzenverbände und sonstige Vereinigungen auf Landesebene daran beteiligt werden. Das ist unser besonderer Wunsch.
Dieses Gesetz ist kein Aufsichtsgesetz, wie es vereinzelt polemisch behauptet wird. Die Behörden werden vielmehr im Interesse der Heimbewohner verpflichtet, auf Antrag in vielfältiger Weise zu informieren und zu beraten. Die Beratung gilt z. B. für Personen oder Träger, die die Schaffung von Heimen anstreben. Beratung soll auch für die Planung und den Betrieb von Heimen gewährleistet werden.
Das Gesetz enthält auch Ansätze zu einer koordinierten Planung. Fragen der bedarfsgerechten Planung zur Erhaltung und zur Schaffung der vom Gesetz erfaßten Einrichtungen sollen in Arbeitsgemeinschaften nach § 95 des Bundessozialhilfegesetzes beraten werden.
Bei den zurückliegenden Beratungen sind Probleme aufgetaucht, die im Rahmen dieses Gesetzes nicht zu lösen sind. Das sind vor allem Probleme der Finanzierung. Ich möchte Sie um Verständnis dafür bitten, ich möchte vor allem aber auch die Verbände der freien Wohlfahrtspflege um Verständnis dafür bitten, daß diese Fragen erst auf längere Sicht geklärt werden können. Wenn wir über die Grenzen hinweg, z. B. nach den Niederlanden schauen, können wir feststellen, daß man auch dort in zwei Stufen zu einem Gesetzgebungswerk gekommen ist, das dem unseren vergleichbar ist. Ich meine, daß sich dieses Gesetzgebungswerk, das wir, so hoffe ich, hier heute gemeinsam verabschieden werden, sehen lassen kann und draußen auch richtig verstanden wird. Ich habe für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion schon in der ersten Lesung am 23. Februar 1973 erklärt:
Das Heimgesetz richtet sich nicht gegen diejenigen Träger, die ihre segensreiche Tätigkeit für unsere hilfsbedürftigen Mitbürger in vorbildlicher Weise erfüllen, sondern allein gegen diejenigen, die sich gegenüber Alten und Behinderten in verantwortungsloser Weise ihrer humanitären Verpflichtung entziehen.
Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen und bitte Sie, diesem Gesetz Ihre Stimme zu geben und es einstimmig zu verabschieden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU darf ich zur dritten Lesung folgendes erklären. Dieser vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf über Altenheime fand in der vorgelegten Fassung zunächst weder die Zustimmung der gemeinnützigen noch die Zustimmung der kommunalen Trägergruppen. Es hieß, das Gesetz - dies wurde anerkannt - würde zwar Auswüchse verhindern können, doch zur Lösung der eigentlichen Probleme der Altenhilfe in unserer Gesellschaft könnte es nicht viel beitragen.
Die intensiven Beratungen des Entwurfs haben auch deutlich gemacht, daß diese Vorlage nur der Anfang eines dynamischen Gesetzgebungsprozesses sein kann. Wir sind in das Jahrzehnt eingetreten, in dem die Zahl der älteren Menschen in unserer Gesellschaft ständig zunehmen wird. Die Angebote der Hilfe müssen deshalb vermehrt und intensiviert werden.
Es geht allerdings nicht nur um eine Ausweitung bisheriger Einrichtungen und Maßnahmen. Vielmehr sollte sorgfältig geprüft werden, welche Formen der Hilfe den heutigen Erkenntnissen und vor allem den Bedürfnissen und Wünschen der Älteren selbst entsprechen. Der Vorrang der sogenannten offenen Altenhilfe wird immer deutlicher erkannt. In der gewohnten Umgebung zu bleiben, sein Leben möglichst selbständig und unabhängig zu führen, entspricht weitgehend dem Wunsch der Älteren und dient ihrem Wohlbefinden. Diese Form des Lebens im Alter ist aber auch nur dann möglich, wenn ambulante Dienste zur Verfügung stehen, von der Beratung bis zur Hauspflege, von der Versorgung mit Mahlzeiten bis zu den Angeboten der Geselligkeit.
Rund 3,6% der über 65jährigen leben in Einrichtungen der Altenhilfe. Auch hier müssen die Angebote --- insbesondere an Pflegebetten - verbessert werden. Leider ist die Zahl der in psychiatrischen Krankenhäusern untergebrachten Pflegefälle noch viel zu hoch. Es geht nicht zuletzt auch darum, die Betroffenen selbst als Partner bei der Planung und Realisierung der Hilfen einzubeziehen. Ihre Vorschläge, ja, ihre Mitarbeit sollten mehr als bisher eingebracht werden, wenn Hilfsdienste aufzubauen, Einrichtungen zu planen, Fragen des Zusammenlebens in den Heimen zu ordnen sind.
Das Recht auf Selbstbestimmung muß auch den Alteren voll zugestanden werden. Die Altenhilfe sollte im Zusammenwirken aller Beteiligten Lebenshilfe sein. Staat, freie Träger und Kommunen sollten in Partnerschaft zusammenwirken. Diese Partnerschaft muß besonders zwischen den Trägern und den staatlichen Behörden ermöglicht werden. Wir bedauern daher, daß die Koalition die Anträge der CDU/CSU abgelehnt hat. Wir haben uns gegen ein Zuviel an Dirigismus gewandt und wollten den freien Trägern eine echte Teilhabe vor allem auch an der Planung sichern.
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Meine Damen und Herren, ohne echte Partnerschaft und mit zuviel Mißtrauen können die Probleme der älteren Menschen nicht gelöst werden.
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Bei den Beratungen hat sich erneut die Spannung zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Sozialverantwortung gezeigt. Seit Bestehen der sozialliberalen Koalition ergab sich leider eine Verschärfung im Verhältnis von freier und staatlicher Wohlfahrtspflege. Nicht ohne Grund trafen sich höchste Regierungsstellen mit den Spitzen der beiden Kirchen zu Gesprächen, die vor allem dazu beitragen sollten, die Unruhe der Betroffenen und ihre lautgewordene Kritik zu dämpfen.
Wie bekannt, enthielt die Regierungserklärung Willy Brandts äußerst lobenswerte Bemerkungen zur freien Wohlfahrtspflege. Es wurde versichert, daß sich hieran nichts ändern sollte. Man sprach von Partnerschaft zugunsten einer Politik für den Menschen, und man sprach von der Eigenständigkeit kirchlichen Handelns. Die Praxis aber ist nicht so.
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Es gibt unvereinbare Widersprüche zwischen diesen Erklärungen und den konkreten Gesetzgebungsvorhaben. Ich nenne hier das bereits verabschiedete Krankenhausfinanzierungsgesetz. Ich nenne den Diskussionsentwurf zum Jugendhilferecht, die Einführung zum Sozialgesetzbuch, und ich nenne auch die abgelehnten Anträge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Dazu käme noch manches in Theorie und Praxis. Wir sehen mit größten Bedenken auf diese Entwicklung. Denn in Zukunft brauchen Kinder, ältere Menschen, Behinderte und Kranke mehr Dienste. Viele dieser öffentlichen Aufgaben werden von freien Trägern wahrgenommen.
Der Wandlungsprozeß, der sich gegenwärtig in unserer Gesellschaft vollzieht, rückt natürlich notwendigerweise auch die Frage nach dem Verhältnis der freien gesellschaftlichen Kräfte zum Staat in den Vordergrund. Sowohl die quantitative als auch die qualitative Veränderung der Aufgaben auf dem Gebiet der Vorschulerziehung, der Erwachsenenbildung, der Gesundheitspflege sowie der Sozial-und Jugendhilfe und der Altenhilfe haben eine intensive Diskussion ausgelöst. Für eine sachgerechte Beurteilung der gegenwärtigen Situation und der aufgetretenen Tendenzen ist es sicher erforderlich, die veränderten Voraussetzungen zu analysieren, unter denen die freien gesellschaftlichen Kräfte heute wirksam sind.
In erster Linie ist hier die Ausweitung bestimmter Leistungen und Dienste zu nennen. Das freiwillige Angebot der gesellschaftlichen Gruppen war und ist naturgemäß beschränkt und erreicht nur Teile der Bevölkerung. Demgegenüber verlangt heute die soziokulturelle Entwicklung, daß viele dieser Dienste für die gesamte Bevölkerung bereitzustellen sind.
Von besonderer Bedeutung ist zweitens das Finanzierungsproblem. Wegen des steigenden Kapitalbedarfs sind heute die Einrichtungen in freier Trägerschaft bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im sozialen Bereich in steigendem Maße auf Zuschüsse des Staates bzw. der Gemeinden angewiesen. Besonders deutlich tritt dies im Krankenhauswesen zutage.
Hinzu kommt, daß drittens infolge des hohen Grades an gesellschaftlicher Verflechtung und wegen der Ausweitung der gesellschaftlichen Aufgaben die Koordinationsfunktion des Staates beständig wächst. Je dichter und differenzierter das soziale Leistungsgefüge wird, um so größer werden auch die Anforderungen an den Staat, um so komplizierter werden aber auch die Abstimmungen und Zuordnungen zwischen den gesellschaftlichen Eigenkräften und dem staatlichen Zuständigkeitsbereich. Niemand wird in Zweifel ziehen können, daß un7226
ter den veränderten Verhältnissen von heute ein hohes Maß an Kooperation zwischen den freien Kräften untereinander und mit dem Staat und den Kommunen unerläßlich ist, daß dem Staat eine besondere Koordinationsfunktion zukommt und daß die Verwendung öffentlicher Zuschußmittel auch der öffentlichen Kontrolle unterliegen muß.
Im Kern aber - darauf kommt es uns an - stellt sich die Frage, ob die freien gesellschaftlichen Kräfte auch künftig einen angemessenen Platz in unserer sozialen Wirklichkeit einnehmen und die vielfältigen Aufgaben verantwortlich mittragen werden oder ob es zu einer allumfassenden und uniformen behördlichen Regelung des Gesellschaftsprozesses kommen wird.
Alle fortschrittlichen Sozialgesetze nützen wenig, wenn nicht das menschliche Potential vorhanden ist und gepflegt wird, ohne das nun einmal in der Sozial-, in der Gesundheits- und Jugendhilfe nichts läuft. Hierzu benötigt der Staat die freien Kräfte verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Sie zu aktivieren und zu ermutigen ist aber leider Gottes bis jetzt nicht die Stärke der sozialliberalen Koalition gewesen.
Schließlich, meine Damen und Herren, kann doch dem Staat wenig daran gelegen sein, einen Prozeß direkt oder indirekt zu fördern, bei dem die Menschen immer mehr passive Erwartungsstrukturen pflegen, d. h. sich mit steigenden Anforderungen an den Staat begnügen, ohne die gesellschaftlichen Aufgaben als ihre eigenen zu erkennen und in Solidarität mitzugestalten. Im eigenen Interesse muß deshalb der freiheitlich-demokratische Rechts- und Sozialstaat die Kooperation mit den gesellschaftlichen Kräften stimulieren, diese in ihrer Lebensfähigkeit unterstützen und ihnen den freien Entfaltungsraum sichern.
Dazu genügen freilich nicht gelegentliche Worte der Anerkennung. Es müssen die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Kooperation auch in der Zukunft garantiert bleiben. Dazu gehört auch die rechtzeitige Einbeziehung der freien Gruppen in die Planungen. Die Erfahrungen bei der Beratung des Heimgesetzes geben uns Veranlassung, heute mit Nachdruck auf diese grundsätzliche Einstellung und Haltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu einem partnerschaftlichen modernen Zusammenwirken der freien gesellschaftlichen Kräfte mit dem Staat hinzuweisen. Wir werden für die Verwirklichung dieser Grundsätze bei den künftigen Entscheidungen eintreten, weil sie für die betroffenen Menschen, die einer Hilfe bedürfen, allein die optimalen Auswirkungen sichern.
Meine Damen und Herren, im Heimgesetz wurden in diesem Sinne gemeinsam einige Wege zur Verbesserung des Gesetzes gefunden, doch wurde diesen Bestrebungen in entscheidenden Passagen durch die Koalition die Zustimmung versagt. Obwohl die CDU/CSU-Fraktion nicht mit allen Anträgen zum Zuge kam, bejahen wir den Zweck des Gesetzes, nämlich die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner in den Heimen vor Beeinträchtigungen zu schützen. Wir werden deshalb dem Gesetz zustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Christ.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mit dem Heimgesetz, das insbesondere die Lebenssituation der älteren Mitbürger in Altenheimen verbessern soll, legt der Ausschuß ein Gesetz vor, das in vielen Punkten wesentlich über den ursprünglichen Entwurf des Bundesrates hinausgeht. Zwei Elemente sind es, die dabei die Zielvorstellungen der Koalitionsfraktionen besonders deutlich machen.
Zum einen ist es uns gelungen, den Schutz der Heimbewohner weiter auszubauen und die Mitwirkungsrechte der Heimbewohner wesentlich zu verbessern. Auf der anderen Seite sollte das Heimgesetz so gestaltet werden, daß die Vorwürfe gegen den ursprünglichen Entwurf des Bundesrates, es handle sich fast um ein Heimaufsichtsgesetz, eben keine Berechtigungsgrundlage mehr haben.
Auch das zweite Ziel, eine partnerschaftliche Zusammenarbeit der nichtöffentlichen Heimträger bei der bedarfsgerechten Planung für solche Heime zu gewährleisten, wurde nach unserer festen Überzeugung erreicht. Wenn es auch mit diesem Gesetz nicht gelingen wird - dessen sind wir uns klar -, dem Mangel an Heimplätzen und den Mangel an Pflegepersonal sowie dem Zustand, daß nur unzureichende finanzielle Mittel für die Einrichtung und für die Modernisierung solcher Heime vorhanden sind, abzuhelfen, so werden doch die Heimträger, die sich schon bisher in überzeugender Weise darum bemüht haben, die grundsätzliche Situation im Bereich dieser Heime zu verbessern, in diesem Gesetz eine nützliche Hilfe haben.
Lassen Sie mich einige der wichtigsten Voraussetzungen und Verbesserungen gegenüber dem Entwurf des Bundesrates herausgreifen und dabei aus der Sicht meiner Fraktion die Gründe für diese Weiterentwicklung darlegen. Wichtig für den Anwendungsbereich des Heimgesetzes, und zwar aus Gründen der gleichwertigen Behandlung, ist die Entscheidung, die Erlaubnispflicht nicht nur für gewerbliche Heime, sondern eben auch für solche, die von gemeinnützigen Trägern oder kommunalen Trägern betrieben werden, einzuführen. Wenn im Zusammenhang mit diesem Gesetz häufig von Altenheimen die Rede ist und weniger von Heimen für geistig Behinderte oder gar psychisch Kranke, so liegt es eben vor allem daran, daß der größte Teil der bekanntgewordenen Mißstände in Altenheimen aufgetreten ist.
Die Neuformulierung des § 2 des Gesetzes unterstreicht deutlich unsere Absicht, abgesehen von der Verbesserung der Rechtsvorschriften zum Schutz der Heimbewohner, dem Gesichtspunkt der Beratung der Heimträger Vorrang vor der Aufsichtskontrolle einzuräumen. Die Konkretisierung dieser Absichtserklärung erfolgt in § 10 des Gesetzes mit der sehr wichtigen Bestimmung, daß dort, wo in einer Einrichtung Mängel festgestellt werden, die zuständige Behörde im Regelfall zunächst den Träger unter Beteiligung seines Verbandes über die Möglichkeiten zur Abstellung der Mängel beraten soll, bevor offizielle
Auflagen im verwaltungsrechtlichen Sinne erteilt werden oder sogar Ordnungswidrigkeitsanzeigen erfolgen. Zusammen mit der Vorschrift, wonach die Arbeitsgemeinschaften im Sinne des § 95 des Bundessozialhilfegesetzes für die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den freien Trägern genutzt werden sollen, wird für die Frage der Kontrollen ein vertrauensvolles Klima geschaffen. Das heißt, die ursprünglichen Befürchtungen, es würde hier ein wenig fruchtbares Heimaufsichtsgesetz entstehen, dürften nach unserer Überzeugung endgültig ausgeräumt sein.
Das für uns Liberale wichtigste Anliegen im Interesse der Heimbewohner war es, abgesehen von einer Verbesserung der passiven Schutzfunktionen den Bewohnern solcher Heime Mitwirkungsmöglichkeiten zur unmittelbaren Einflußnahme auf die Gestaltung ihrer Lebenssituation in den Heimen zu verschaffen und damit ihre Selbständigkeit und ihre Eigenverantwortung zu wecken. Dabei sind wir uns der Problematik dieser Mitwirkungsregelung bewußt, soweit es um Heime für pflegebedürftige ältere Mitbürger oder für geistig Behinderte oder psychisch Kranke geht. Da in diesem Bereich aber mutige experimentelle Erfahrungen nicht vorliegen, wäre es sicherlich falsch gewesen, heute schon im Gesetz den Trennungsstrich zu ziehen und einengende Regelungen für diese Heime zu schaffen.
Deshalb haben die Koalitionsfraktionen im Ausschuß den vorliegenden Entschließungsantrag eingebracht, der die Bundesregierung auffordert, einen entsprechenden Erfahrungsbericht über die Auswirkung der Mitwirkungsregelungen in Heimen für z. B. geistig Behinderte vorzulegen. Denn erst bei Vorliegen dieses Erfahrungsberichtes wird es möglich sein, über eventuell notwendige Alternativregelungen in bestimmten Bereichen nachzudenken, wobei für diesen Fall die Anregung der Opposition, einen Fürsprecher zu bestellen, durchaus ein erwägenswerter Vorschlag ist.
Angesichts der Tatsache, daß die Möglichkeiten einer Mitwirkung der Heimbewohner bei der Ausgestaltung ihrer Lebensbedingungen, wie z. B. beim Erlaß der Heimordnung, bisher viel zu wenig ausgeschöpft worden sind, wird der Erfolg dieser Bemühungen ganz entscheidend davon abhängen, in welchem Ausmaß die Pflegekräfte in den Heimen bereit und in der Lage sind, mit viel Einfühlungsvermögen bei den älteren Menschen die Bereitschaft zu einer aktiven Mitverantwortung zu wecken. Die in diesem Zusammenhang notwendigen Maßnahmen müssen darauf hinwirken, das Selbstwertgefühl und das Bewußtsein der persönlichen Würde zu erhalten oder auch - diese Fälle gibt es auch - wiederherzustellen und den Interessenkreis auszuweiten sowie neue Umweltbezüge für den alten Menschen herzustellen.
Wir wissen heute, daß die Gesellschaft jahrzehntelang die Fähigkeit und auch die Bereitschaft des alten Menschen zu selbstverantwortlicher, aktiver Lebensgestaltung viel zu sehr unterschätzt hat. Hier ist dringend ein Umdenken notwendig, wobei man nicht glauben darf, daß schon ein staatlicher
Gesetzesakt dazu genügen würde. Wir alle, die Bürger in diesem Lande, sind aufgefordert zu diesem Umdenken bzw. zu einer neuen Einstellung und einer neuen Verhaltensweise gegenüber den älteren Mitbürgern.
Wegen der bekannten Vorkommnisse in einigen Altenwohnheimen, bei denen es um Zweckentfremdung oder gar Veruntreuung von eingezahlten Geldern der Heimbewohner oder der Heimbewerber ging, war es dringend erforderlich, in dieses Gesetz wirksame Bestimmungen zum Schutze solcher Darlehen, Vorauszahlungen oder Geldleistungen einzubauen. Die Vorschriften des § 12 des Gesetzes mit der noch zu erlassenden Rechtsverordnung bringen hier ein Höchstmaß an Sicherheit für die Heimbewohner, die z. B. bei Altenwohnheimen einen Eigentumstitel erwerben wollen.
In diesem Zusammenhang sollte die Vorschrift des § 2 nicht unerwähnt bleiben, wonach es u. a. Zweck des Gesetzes ist, zu verhindern, daß zwischen dem Entgelt und der Leistung in der Einrichtung ein Mißverhältnis besteht. Dazu gehört auch die neu eingeführte Bestimmung des § 3 a, die den Heimträger verpflichtet, den Bewerber vor Abschluß des Vertrages über die Beurteilung dieses Vertrages und insbesondere über die Leistungen und Ausstattung der Einrichtung zu informieren.
Mit dem Heimgesetz, das wir heute verabschieden, wird jedoch nur ein Teil der Gesamtproblematik der Rolle der älteren Mitbürger in unserer Gesellschaft angesprochen. So notwendig einerseits Altenheime, Altenwohnheime und Altenpflegeheime für die älteren Mitbürger sind, so dürfen wir uns doch nicht zur eigenen Beruhigung einreden, daß mit dem - sicher berechtigten - Ruf nach einer Vermehrung der Heimplätze das Gesamtproblem schon gelöst sei. Wir müssen uns selbstkritisch prüfen, ob nicht der einseitige Ruf nach mehr Heimplätzen für ältere Menschen letztlich dazu führt, daß wir mit einer solchen Entscheidung den Prozeß der Ausgliederung unserer Alten aus der Gesellschaft auf bedenkliche Weise beschleunigen. Wenn wir schon zu der Feststellung kommen, daß wir die Fähigkeit und auch die Bereitschaft des alten Menschen zu selbstverantwortlicher aktiver Lebensgestaltung viel zu sehr unterschätzt haben, so sollte uns diese Erkenntnis auffordern, den alten Menschen bewußt in den pulsierenden Lebensprozeß unserer Gesellschaft einzugliedern.
Es ist deshalb dringend notwendig, unsere Anstrengungen im Bereich der offenen Altenhilfe auf der gemeindlichen Ebene wesentlich auszubauen und auch weit stärker als in der Vergangenheit altengerechte Wohnungen innerhalb des normalen Wohnungsbaus zu schaffen. Dies wird genau einer der Bereiche sein, wo es ganz entscheidend auf die Unterstützung und die Mitwirkung der freien Träger ankommt und wo wir - der Staat und die Politiker - das in die Praxis umsetzen müssen, was wir mit Partnerschaft umschreiben.
Sowohl die sozialpsychologischen als auch die soziologischen Erkenntnisse, die wir heute über das Selbstverständnis und die Rollenansprüche des alten
Menschen gewinnen können, müssen uns, die jüngere Generation, veranlassen, unser überkommenes Bild vom alten Menschen zu revidieren. Tun wir das nicht, so brauchen wir, die heute Jungen, uns nicht zu wundern, wenn wir später in unserem Alterungsprozeß selber mit diesem Problem der Ausgliederung aus der Gesellschaft konfrontiert werden.
Was die notwendige Verbesserung der Lebensverhältnisse jener alten Menschen betrifft, die derzeit in Heimen leben, so leistet das Heimgesetz, das wir, heute verabschieden, hierzu einen wichtigen Beitrag. Das darf uns aber nicht abhalten, die Integration der älteren Mitbürger als eine vielfältige Aufgabe zu betreiben, deren Bewältigung nur gelingen wird, wenn wir, die jüngere Generation, bereit sind, unsere alten Mitbürger direkt in den Lebensprozeß einzugliedern.
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Das Wort hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Dr. Focke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung freut sich darüber, daß mit dem Entwurf eines Gesetzes über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige ein weiterer Schritt zum Schutz und zur Hilfe für alte Menschen in der Bundesrepublik getan wird. Ich möchte dem Bundesrat, besonders dem Land Berlin, für seine Initiative ausdrücklich und nachdrücklich danken und in diesen Dank den federführenden Ausschuß und die mitberatenden Ausschüsse dieses Hauses einschließen, die durch -besonders intensive Arbeit und in ständigem Dialog mit den Vertretern der Länder den ursprünglichen Entwurf in sehr erheblichem Maß weiterentwickelt und vervollständigt haben.
4,6 Millionen Männer über 60 Jahre und sieben Millionen Frauen in derselben Altersklasse wohnen in der Bundesrepublik. Der Anteil der alten Menschen an unserer Bevölkerung steigt. Von diesen alten Menschen leben zur Zeit etwa vier Prozent in einem Wohnheim oder in einem Heim. Weitere Probleme der Heimunterbringung, zum Beispiel die der psychisch Kranken, die auch in diesen Gesamtzusammenhang gehören, sind schon zur Sprache gekommen; sie werden uns in diesem Hause noch in anderem Zusammenhang erheblich beschäftigen.
Sie wissen, daß es in einzelnen Heimen zu Mißständen gekommen ist, daß die Unkenntnis oder auch die Vertrauensseligkeit oder die Unbeweglichkeit alter Menschen ausgenutzt wurden und daß sie nicht immer die Pflege und die Hilfe gefunden haben, auf die sie nach einem Leben voll Arbeit und häufig auch Entbehrungen einen Anspruch haben. Wenn ich das Stichwort „Wetterstein" erwähne, so erinnere ich damit daran, daß es hier und da Fälle gegeben hat, in denen Ersparnisse alter Menschen, mit denen diese ihren Lebensabend durch einen Platz im Heim sichern wollten, aufs Spiel gesetzt wurden oder in Gefahr gerieten.
Ich sage zugleich von vornherein und mit Nachdruck, daß ich alle Träger von Heimen in der Bundesrepublik, die Wohlfahrtsverbände, die Behindertenverbände, die Gemeinden, die Landschaftsverbände und die privaten Träger, vor falschen Verallgemeinerungen in Schutz nehmen möchte. Die Träger und die vielen in der Altenhilfe mit großem Einsatz und viel Geduld Tätigen geben sich in der Regel große Mühe, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden und den ihnen anvertrauten alten Menschen zu helfen. Aber um so mehr heben sich davon die negativen Ausnahmen ab, und der große Schaden, der mit ihnen der Sache selbst zugefügt wird, erfordert ein Handeln des Gesetzgebers.
Das Schutzbedürfnis der älteren und der behinderten Menschen besteht nun unabhängig von der Rechtsform des Trägers der Einrichtung. Deshalb erstreckt sich die hier vorgesehene Heimaufsicht sowohl auf gewerbliche als auch auf gemeinnützige und öffentlich-rechtliche Träger. Für gewerbliche Träger wird darüber hinaus eine Erlaubnispflicht eingeführt.
Das Schutzbedürfnis erfüllt dieses Gesetz, indem es folgendes vorsieht:
Erstens. Heimträger und Heimbewohner oder solche, die es werden wollen, haben einen Anspruch auf Information und auf Beratung.
Zweitens. Heimbewohner erhalten Mitwirkungsrechte, z. B. bezüglich der Heimordnung oder der Verpflegung; und da, wo echte Finanzierungsbeiträge entrichtet wurden, erstrecken sich die Mitwirkungsrechte auch auf die Geschäfts- und Wirtschaftsführung.
Drittens. Die durch das Gesetz vorgeschriebenen Heimverträge schaffen für Träger und Bewohner Klarheit über ihre Rechte und Pflichten.
Viertens. Auch die ärztliche und gesundheitliche Betreuung wird verbessert.
Fünftens. Die Festlegung einer Rückzahlungspflicht für rückzahlbare Leistungen ist ein verdienstvolles Ergebnis der Ausschußberatungen. Die eigentliche Sicherung von Leistungen wird noch im einzelnen durch Rechtsverordnung zu regeln sein. Auf die Probleme, die hierbei zu lösen sind, hat mein Kollege Glombig schon hingewiesen.
Ich will mich nun, nachdem so vieles schon gesagt ist, auf zwei Probleme innerhalb der vielen ineinandergreifenden Bestimmungen konzentrieren. Das eine betrifft den Komplex der Beratung und Information. Durch sie sollen die alten und behinderten Menschen genau darüber unterrichtet werden, welche Lebensbedingungen sie bei einer Heimaufnahme vorfinden. Diese Information ist ihnen schriftlich vor Abschluß eines Heimvertrages zu erteilen, und zwar über all die Fragen, die zur Beurteilung der dann folgenden Lebenssituation, zur Beurteilung des Vertrages und der Benutzungsordnung geklärt sein müssen, insbesondere also hinsichtlich der Leistung, der Ausstattung der Einrichtung sowie der Rechte und Pflichten der Bewohner. Mir scheint, bereits dadurch ist ein sehr weitgehender Schutz für die Heimbewohner erreicht.
Der Schutz wird dann verstärkt durch die Vorschriften über die Heimerlaubnis, die Anzeigepflicht und die Heimaufsicht. Er wird weiter verstärkt durch die besonderen Sicherheitsbestimmungen für Geldleistungen. In der gleichen Vorschrift wird übrigens klargestellt, daß sich niemand zu Lasten eines Heimbewohners besondere Vermögensvorteile über den normalen Pflegesatz hinaus zusichern lassen darf; das war ja eines der Probleme, die sich in der Praxis gestellt hatten.
Bei der Beratungspflicht geht es nun um die Aufklärung und Information einmal der Heimbewohner und der Personen, die ein berechtigtes Interesse an Beratung haben, dann aber vor allen Dingen auch der Personen und der Träger, die die Schaffung von Einrichtungen anstreben oder solche Einrichtungen betreiben. Verkürzt gesagt, es besteht eine Beratungspflicht sowohl gegenüber den älteren Menschen als auch gegenüber Institutionen und Trägern.
Wesentlich ist dabei, daß sich die Beratung für die Institutionen auch auf die Planung und den Betrieb der Einrichtung bezieht und daß sie auch eine Beratung in Finanzierungsfragen mit einschließt. Beratung ist - das war die Einsicht, die sich in den Ausschußberatungen immer stärker durchgesetzt hat - der erste und wichtigste Schritt bei der Abstellung von Mängeln. Und in der Beratungspflicht durch Fachkräfte zeigt sich u. a. und nicht zuletzt, daß der Gesetzentwurf auf ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen zuständigen Behörden und Trägern angelegt ist.
Lieber Herr Kollege Burger, an dieser Stelle würde ich gern auf das eingehen, was Sie in diesem Zusammenhang und aus Anlaß der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes noch einmal grundsätzlich an Kritik über das Verhältnis der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zu freien Trägern, zu freien Kräften in der Gesellschaft, zu den Kirchen und zu dem ganzen Komplex der partnerschaftlichen Zusammenarbeit geäußert haben. Ich muß offen gestehen, daß ich mich sehr gewundert habe, daß Sie das gerade aus Anlaß dieses Gesetzes sagen, das im Ausschuß zwischen allen drei Fraktionen und der Bundesregierung, soweit sie beteiligt war, kooperativ beraten worden ist. Mich wundert Ihre Aussage, auch angesichts des Ergebnisses, das wir erreicht haben und das ja auch Sie bejahen, dem Sie zustimmen, auch wenn einige Änderungsanträge von Ihnen nicht angenommen worden sind. Die Behauptung, es mangele an einer partnerschaftlichen Einstellung der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zu den freien Kräften, zu den Kirchen, zu den Wohlfahrtsverbänden, wird durch Wiederholung nicht wahrer. Ich glaube, Sie belasten auch in einer, wie ich hoffe, von Ihnen nicht beabsichtigten Art und Weise diese Zusammenarbeit in dieser Gesellschaft. Sie säen damit immer wieder Mißtrauen, was in der Praxis siehe das Beispiel des Gesetzes, das wir heute verabschieden wollen! - gerade entkräftet wird!
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Wie ist es möglich, eine noch stärkere partnerschaftliche Absicht zum Ausdruck zu bringen als gerade
in der Form, wie das hier im Gesetz vorgesehen ist? Ich bitte, doch eine ganz bestimmte Form von Partnerschaft, wie sie nun wieder in Teilen Ihrer Anträge zum Ausdruck kommt, nicht mit partnerschaftlicher Absicht und partnerschaftlicher Praxis in toto zu verwechseln. Es kann nun einmal Varianten unterschiedlicher Form von partnerschaftlicher Zusammenarbeit geben.
({1})
- Darüber darf man streiten! ({2})
Aber wenn hier eine Behauptung aufgestellt wird, kann auch sehr wohl an dieser Stelle - ({3})
- Herr Kollege Katzer, ich glaube, es wäre wirklich besser, wir würden uns in Ruhe über diesen Komplex unterhalten, um so mehr als alle meine Gespräche mit den Kirchen und mit Verbänden in den Monaten, seitdem ich mit diesen Materien zu tun habe, immer wieder beweisen, daß der pauschale Vorwurf zusammenschrumpft auf einige wenige Details und daß auch diese sich entkräften lassen, daß sie jedenfalls die pauschale Aufrechterhaltung des Vorwurfs mangelnder partnerschaftlicher Zusammenarbeit in keiner Weise zulassen.
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Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?
Selbstverständlich!
Frau Minister Focke, würden Sie meine Auslassungen als pauschalen Vorwurf bezeichnen? Ich habe klar differenziert und modifiziert. Ich habe damit das zum Ausdruck gebracht, was ich unter partnerschaftlicher Zusammenarbeit verstehe. Sie sollten auch sachlich auf die Punkte eingehen. Darf ich Sie darum bitten, darf ich Sie fragen, ob Sie dazu bereit sind?
Herr Kollege Burger, wenn ich Sie nicht total mißverstanden habe, war aus Ihren Ausführungen die Behauptung zu entnehmen, daß Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom Januar 1973 eine von Ihnen sehr anerkannte Absichtserklärung zur Partnerschaft abgegeben habe, daß aber dann in der nachfolgenden Praxis diese so nicht befolgt worden sei. Das haben Sie dann bezogen auf den ganzen Bereich der Krankenhausgesetze, des Diskussionsentwurfs zum Jugendhilfegesetz, zum Sozialgesetzbuch. Sie haben die hier abgelehnten Anträge im Zusammenhang mit diesem Gesetz auch noch als ein weiteres Beispiel genannt. Dies ist eine so umfassende Beweisführung in ihrer Intention in bezug auf Mangel
an Partnerschaft, daß ich allerdings von einer sehr pauschalen Behauptung sprechen muß.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Burger!
Ist Ihnen nicht bekannt, Frau Minister, daß man in diesen Gesetzen, in verschiedenen Bestimmungen eine Art Salami-Taktik sieht, den Wirkungsgrad der freien Träger ständig weiter einzuengen?
Herr Kollege Burger, ich wäre dankbar, wir könnten uns darüber einigen, daß dieses eben eine Unterstellung ist. Die Probleme liegen in der Sache.
({0})
Sie haben sie selbst zum Teil mit angesprochen. Sie liegen darin, daß diese Gesellschaft immer mehr Angebote im Dienstleistungbereich, im Bereich der personalen Beratung und Unterstützung braucht. Sie beziehen sich auf Finanzierungsfragen. Sie liegen in Planungsproblemen, die nicht einmal zwischen Regierung und Parlament gelöst sind und für die sich kein Patentrezept, bei aller guten Absicht, freie Träger zu beteiligen, ohne weiteres finden läßt. Ich wäre dankbar, wenn dies gesehen wird.
({1})
Dies also zu dem gesamten Komplex, der, so glaube ich, sehr umfassend im Gesetz geregelt ist, das zu Beratung und Information, Beratung in einem konstruktiven Sinne, wobei ich noch einmal unterstreiche, daß die Selbständigkeit der Träger in Zielsetzung und individueller Durchführung ihrer Aufgaben durch das Heimgesetz unberührt bleibt.
Der andere wichtige Komplex ist die Beteiligung der Heimbewohner an der Gestaltung ihres Daseins im Heim. Diese Mitwirkung ist für einen Staat, für eine Gesellschaft, die die Rechte der Bürger achtet, im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Wer 60 oder 70 Jahre lang in seinem Leben selbst bestimmt hat, muß auch bei einem Heimaufenthalt das Recht haben, mindestens in den Angelegenheiten des Heimbetriebes, wie Unterbringung, Aufenthaltsbedingungen, Verpflegung und Freizeitgestaltung sowie der Heimordnung, aktiv mitzuwirken. Es ist notwendig, daß durch die eigenen Initiativen der Heimbewohner, durch ihre Anregungen die Heimsituation laufend gestaltet und verbessert wird. Auf die besonderen Probleme geistig Behinderter und psychisch Kranker gehe ich hier nicht noch einmal ein. Ich werde mich gern dem Auftrag unterziehen, der hier in diesem Zusammenhang vom Bundestag ausgesprochen wird.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß eine einheitliche Anwendung des Gesetzes wichtig und notwendig ist. Sie ist nur dann gesichert, wenn der Bund - natürlich mit Zustimmung des Bundesrates - die Rechtsverordnungen, mit Ausnahme derer zu § 16, zum Heimgesetz erläßt. Ich darf auch in diesem
Zusammenhang versichern, daß die Bundesregierung wie schon bisher um eine enge und kooperative Zusammenarbeit mit den Ländern bemüht ist.
Der Entwurf des Heimgesetzes schützt die Interessen und Bedürfnisse der Heimbewohner. Diese erhalten die Möglichkeit, ihren Lebensbereich auch dann noch aktiv mitzugestalten, wenn sie pflegebedürftig sind. Gerade dieses aktive Mitgestalten bei umfassender Information und Beratung ist über den Bereich des Heimgesetzes hinaus ein grundsätzliches Prinzip moderner gesellschaftlicher Hilfen für die ältere Generation.
Der Gesetzentwurf läßt für fortschrittliche Initiativen der Heimträger - ich wiederhole es noch einmal - jeden notwendigen Spielraum.
Das Heimgesetz stellt damit einen wichtigen Schritt in den gesellschaftspolitischen Maßnahmen für die ältere Generation dar, die sich natürlich darin nicht erschöpfen können und dürfen. Ich darf in diesem Zusammenhang an die neue Taschengeldregelung für Heimbewohner in § 21 Abs. 3 des Bundessozialhilfegesetzes erinnern. Nach dieser Regelung wird künftig das Taschengeld für Heimbewohner mit eigenem Einkommen um ein Viertel des eigenen Einkommens, höchstens jedoch um 20 % des Regelsatzes der Sozialhilfe - das sind zur Zeit 48 DM -, erhöht. Ich darf weiter an die völlig neue Fassung der Vorschriften über Altenhilfe im § 75 des Bundessozialhilfegesetzes erinnern. Die einzelnen Maßnahmen für Hilfen für alte Menschen sind in dieser Neufassung sehr viel detaillierter beschrieben worden, als das im früheren Gesetz der Fall war.
Für weitere Schritte brauchen wir nun weitere Daten und Kenntnisse - hierin stimme ich Ihnen voll zu. So ist eine umfassende Lückenanalyse der gerontologischen Forschung notwendig. Es müssen alle verfügbaren Statistiken aus sehr verstreuten Quellen aufbereitet werden. So ist bereits eine umfassende Auswertung der Landesaltenpläne und eine Auswahl kommunaler Altenpläne im Gange, und so wird in Kürze eine Zusammenstellung aller gesetzlichen Vorschriften, durch die alte Menschen begünstigt werden, in Auftrag gegeben. Die Bundesregierung und das Land Berlin haben mit der dankenswerten Zustimmung aller Länder das Deutsche Zentrum für Altersfragen in Berlin gegründet, um diese Arbeiten voranzubringen und um allmählich eine Dokumentations- und Beratungsstelle für die gesamte Altenhilfe in der Bundesrepublik zu entwickeln.
({2})
Heute bitte ich Sie, diesem Schutz- und Beratungsgesetz für die ältere Generation Ihre Zustimmung zu geben und bedanke mich für die Arbeit, die zu diesem Vorhaben geleistet worden ist.
({3})
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Vizepräsident Frau Funcke
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung. Wer dem Gesetz zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zu den Anträgen des Ausschusses in den Ziffern II und III auf der Drucksache 7/2068. Bei Ziffer II handelt es sich um eine Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ziffer III des Antrags des Ausschusses, die dahin lautet, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 27 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller ({0}), Franke ({1}), Dr. Götz, Frau Dr. Neumeister, Ziegler, Geisenhofer, Köster, Burger und der Fraktion der CDU/ CSU
betr. Neuordnung der Rentnerkrankenversicherung
- Drucksache 7/1873
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Müller ({2}).
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU darf ich den vorliegenden Antrag - Drucksache 7/1873 - wie folgt begründen.
Bekanntlich unterliegen seit 1968 alle Rentner der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Hierfür leisten die Träger der Rentenversicherung nach § 381 RVO zu den Aufwendungen der gesetzlichen Krankenkasse für die Rentner Beiträge nach Maßgabe des § 385 Abs. 2. Dabei wird von den durchschnittlichen Grundlöhnen des letzten Geschäftsjahres - nach entsprechenden Kürzungen - ausgegangen.
Nun sollten, meine Damen und Herren, nach § 393 a RVO im Jahre 1968 die von den Trägern der Rentenversicherung zu leistenden Beiträge im Sinne des soeben zitierten § 385 80 v. H. der Leistungsaufwendungen aller Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, mit Ausnahme der knappschaftlichen Krankenversicherung, für die versicherten Rentner decken. Dies ist auch - mit einer ganz geringen Abweichung - 1968 geschehen; aber es war auch das einzige Mal in der Vergangenheit.
Ab 1. Januar 1969 sollten die nach § 385 zu leistenden Beiträge im gleichen Verhältnis zu der Summe der von den Trägern der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten gezahlten Rentenbeträge stehen wie im Jahre 1968. Dieses bedeutet: Seit dieser Zeit beträgt der von den Trägern der Rentenversicherung an die Krankenkassen für die Krankenversicherung der Rentner zu leistende
Beitrag mehr als 10,9 v. H. der jeweiligen Rentenleistungen im Jahr.
Dieser seinerzeit festgelegte Beitrag führte zu der Entwicklung, daß der Finanzanteil der gesetzlichen Krankenversicherung an den Ausgaben für die versicherten Rentner von ursprünglich rund 20 v. H. - wie vorgesehen - bis einschließlich 1973 auf mehr als 40 v. H. gestiegen ist. Das im Jahre 1973 zu verzeichnende Defizit gemäß § 393 a RVO beträgt nach meinen Informationen - natürlich unterschiedlich nach Kassenart - je Rentner z. B. in den Allgemeinen Ortskrankenkassen 37,05 v. H., wobei zu berücksichtigen ist, daß diese einen besonders hohen Rentneranteil haben, in den Betriebskrankenkassen aber schon 47,81 v. H. und in den Angestellten-Ersatzkassen sogar 66,83 v. H. Im Durchschnitt aller Krankenkassen und Kassenarten beträgt dieses Defizit mehr als 55 v. H. der Ausgaben je Rentner.
Dies ist nur deshalb nicht für alle offensichtlich, weil Sie, Herr Bundesarbeitsminister, es bisher unterlassen haben, für die Zeit von 1971 bis 1973 die vom Gesetzgeber zwingend vorgeschriebene Rechtsverordnung nach § 393 a zu erlassen. Ich halte es - einmal ganz gelinde ausgesprochen - für einen kleinen Skandal. Daher die von den Selbstverwaltungsorganen der Krankenkassen seit geraumer Zeit immer wieder zum Ausdruck gebrachten Sorgen, daß ständig neue Kosten auf sie zukommen - wie beispielsweise demnächst wieder als Rehabilitationsträger -, sie aber immer noch nicht wüßten, ob sie nicht auch noch Rückzahlungen für die Jahre 1971 bis 1973 leisten müßten. Diese würden nach meinen Informationen bis 1973 insgesamt ungefähr 3,8 Milliarden DM betragen.
Diese Entwicklung ist mit die Hauptursache für die ständigen Beitragserhöhungen trotz steigender Beitragsaufkommen als Folge der Lohn- und Gehaltserhöhungen. Nach einem Bericht des Vorstandes vor der Vertreterversammlung des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen am 22./23. Mai 1973 war der Durchschnittsbeitrag der Ortskrankenkassen von 8,24 v. H. des Grundlohnes am 1. Januar 1972 auf 9,05 v. H. bis zum 1. April 1973 gestiegen. 47 Ortskrankenkassen mit ungefähr 10 v. H. des Versichertenbestandes hatten nach diesem Bericht zu der damaligen Zeit - also vor mehr als einem Jahr - bereits einen Beitragssatz von 10,1 bis 11,2 v. H. erhoben. Eine ähnliche Entwicklung hatten auch die Beitragssätze bei den anderen Kassenarten genommen. Und das, obwohl knapp vier Jahre zuvor - und zwar im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung - der Höchstbeitragssatz auf 8 v. H. festgesetzt worden war.
Auf diese Entwicklung aufmerksam geworden, erhielt ich auf diesbezügliche Fragen von dem Herrn Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung unter dem 6. Juli 1973 u. a. folgende Antwort - das ist sehr interessant -:
Zur Krankenversicherung der Rentner darf ich darauf hinweisen, daß Bundesarbeitsminister Walter Arendt bereits angekündigt hat, daß die Krankenversicherung der Rentner ein wichtiger Punkt der Weiterentwicklung der gesetzlichen
Müller ({0})
Krankenversicherung in dieser Legislaturperiode sein wird. Angesichts der steigenden Beitragssätze in der Krankenversicherung muß dabei auch geprüft werden, ob der Finanzierungsbeitrag der Rentenversicherungen zur Krankenversicherung der Rentner erhöht werden kann.
In der Tat hat der Herr Bundesarbeitsminister bereits am 14. November 1972 - wenn ich mich nicht irre, war das ein paar Tage vor den letzten Bundestagswahlen - anläßlich der Vertreterversammlung des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen in einer programmatischen Rede u. a. festgestellt - ich darf zitieren -:
Die Bundesregierung hat wiederholt anerkannt, daß die Krankenversicherung der Rentner einer grundsätzlichen Überprüfung bedarf.
({1})
Der Solidaritätsbeitrag, den die Versicherten bei den einzelnen Krankenkassen für die Krankenversicherung unserer älteren Mitbürger tragen, ist so ungleich geworden, daß wir dieses Problem nicht auf die lange Bank schieben dürfen.
({2}) Soweit dieses Zitat. Ich betone das.
Ungefähr ein Jahr nach dieser Zusage
({3})
) wandten sich mehrere Selbstverwaltungsorgane - ich erinnere nur an die letzte Vertreterversammlung von Württemberg-Baden und Rheinland-Pfalz - mit Entschließungen zur Neuregelung der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner auch an die Mitglieder dieses Hohen Hauses mit der Bitte, das Anliegen der Ortskrankenkassen zu unterstützen und Schritte in die Wege zu leiten, die dahin führen, daß die von der Sachverständigenkommission vorgeschlagene und vom Bundestag und der Bundesregierung ausdrücklich anerkannte notwendige Neuregelung der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner möglichst bald erfolge.
Ich möchte darauf verzichten, hier alle Antworten auf einschlägige Fragen in der Fragestunde zu erwähnen. Schließlich existiert aber auch ein Schreiben des Bundesarbeitsministers vom 14. Januar dieses Jahres über die Finanzierung der Rentnerkrankenversicherung, in dem betont wird, daß die Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner ein „wichtiger Punkt" in der „Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung" ist. Von einer Krankenversicherungsreform, Herr Kollege Katzer, ist überhaupt nicht mehr die Rede, nur noch von der Weiterentwicklung.
({4})
Aus diesem Schreiben geht allerdings sehr deutlich auch die Sorge um die längerfristige finanzielle Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung hervor. Mir drängt sich dabei der Verdacht auf, daß der „unverrückbare Eckwert" - so heißt es darin nämlich - von 18 % Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr gehalten werden könnte, wenn die Rentnerkrankenversicherung im Sinne der Empfehlung der Sachverständigenkommission für die Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung neu geregelt würde. Mit Rücksicht darauf haben wir in unserem Antrag vorsichtshalber schon gesagt: unter Beachtung der finanziellen Möglichkeiten. Wir wollen aber im Interesse der Versicherten Klarheit. Diese haben wir eben nicht. Die Selbstverwaltungsorgane der gesetzlichen Krankenversicherung müssen wissen, woran sie bei ihrer Beitragsgestaltung sind.
Als Opposition müssen wir auf die schon so oft zugesagte Neuregelung drängen. Wir wehren uns auch dagegen, daß die Regierung nach außen so viel von sozialer Gerechtigkeit und ihren großartigen sozialen Leistungsverbesserungen spricht, dann aber versucht, die Rentenversicherung über die höheren Krankenversicherungsbeiträge zu sanieren.
Da muß sich die sozialliberale Regierung - oder auch die Koalition; die hat ja auch das Recht - schon etwas anderes einfallen lassen, als zu versuchen, durch die derzeitige Verschiebung der Lasten zuungunsten der gesetzlichen Krankenversicherung den Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung stabil zu halten. Hinter den Erhöhungen der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung., meine Damen und Herren, verbergen sich nämlich Kosten der gesetzlichen Rentenversicherung. Ich möchte es mir wegen des Zeitablaufs versagen, dazu einiges aufzuzählen.
Wir wissen, daß durch die Erhöhung des derzeitigen Beitragssatzes von 10,98 % von den jährlichen Rentenleistungen, also der Rentenlasten, auf 11,6 % der derzeitige freie Finanzierungsspielraum der Rentenversicherungsträger von rund 20 Milliarden DM einfach aufgezehrt würde. Falls man die Relation von 80 : 20, wie sie vorgesehen war, wiederherstellen wollte, müßte der Beitragssatz der Rentenversicherungsträger zur Zeit sogar auf 14 % der Rentenausgaben angehoben werden. Das würde bedeuten, daß etwa nach dem vorgesehenen Vorausschätzungszeitraum, nämlich 15 Jahre, rund 115 Milliarden DM notwendig wären.
Wir bitten also, Herr Minister, die Karten endlich auf den Tisch zu legen, damit die Versicherten und auch die Selbstwaltungsorgane wissen, woran sie sind. Woran uns noch viel mehr liegt, ist, daß Sie dem Hause endlich die so oft zugesagte Vorlage über die Neuregelung der Finanzierung der Rentnerkrankenversicherung unterbreiten.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Sund.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Zum Antrag der Opposition zur Neuordnung der Rentnerkrankenversicherung möchte ich im Namen der Koalitionsfraktionen folgende Erklärung abgeben.
Die Empfehlung der Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen KrankenversiSund
cherung, zum Komplex der Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner, liegt vor. Wir gehen davon aus, daß die Regierung in der immer wieder bezeugten Weise mit Nachdruck und mit Gründlichkeit daran arbeitet, dem Parlament einen Vorschlag vorzulegen, so daß wir uns nach der Sommerpause mit einer entsprechenden Vorlage befassen können.
Es ist ja wohl nicht zufällig, daß sich der Antrag der Opposition auf die Forderung beschränkt, einen Gesetzentwurf „unter Beachtung der finanziellen Möglichkeiten" zu fordern. Eben da liegt der Hase im Pfeffer. Daß die finanziellen Möglichkeiten beachtet werden müssen, ist für die Koalitionsfraktionen jedenfalls eine Selbstverständlichkeit.
({0})
Aber vielleicht hat es sich die Opposition so sehr zur Gewohnheit gemacht, Anträge zu stellen, die außerhalb der finanziellen Möglichkeiten liegen, daß sie jetzt meint, sie müsse es ausdrücklich erwähnen, wenn sie einmal ausnahmsweise gedenkt sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen.
({1})
Wir sind jedenfalls dankbar für diesen Hinweis.
Will man herausfinden, wie sich die Opposition die Neuordnug der Rentnerkrankenversicherung vorstellen könnte, und nimmt man dann hilfsweise die Begründung ihres Antrages zur Hand, dann findet man die Feststellung, daß die Finanzierung der Rentnerkrankenversicherung nicht mehr angemessen sei. Was aber eine angemessene Finanzierung sein soll, das bleibt völlig offen. Die CDU/CSU hätte die Gestaltung des Problems sehr befruchten können, wenn sie hier Kriterien der Angemessenheit, so wie sie sie sieht, angesprochen hätte.
Der Hinweis auf § 393 a der Reichsversicherungsordnung ist unergiebig und geht womöglich von einem Mißverständnis aus. In ihm ist nämlich festgelegt, daß im Jahre 1968 die Aufteilung der Leistungsaufwendungen zwischen den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung im Verhältnis von 80 : 20 respektive 20 : 80 erfolgt und daß für die folgenden Jahre die von der Rentenversicherung zu leistenden Beiträge in dem gleichen Verhältnis zu der Summe aller Rentenauszahlungen der Rentenversicherungsträger stehen, in dem sie im Jahre 1968 gestanden hatten. Dabei handelte es sich, wenn ich das in Erinnerung rufen darf, um einen gemeinsamen Beschluß. Man beachte das Jahr.
Aber dies ist doch nur ein Teil des Problems. Mindestens so dringend und mindestens so wichtig ist der Belastungsausgleich zwischen den Krankenkassen. Jedermann weiß doch, daß die Belastung der Krankenkassen durch unterschiedlich hohe Anteile der versicherten Rentner vor allem regional außerordentlich ungleich ist. Es müssen Formen des Belastungsausgleichs gesucht und entwickelt werden. Hier liegt auch ein wichtiger Punkt für die starke Streuung in der Höhe der Beiträge für die einzelnen Krankenkassen, die mit dem Gedanken der Solidarität der Versichertengemeinschaft in Konflikt gerät,
zumal in der Praxis ohnehin schon besonders beitragsschwache Kassen durch einen überdurchschnittlich hohen Rentneranteil zusätzlich belastet werden.
Eines muß in aller Deutlichkeit gesagt werden: Eine bloße Fortschreibung der Regelung aus dem Jahre 1968 löst das Problem der Krankenkassen nur auf Kosten der Rentenversicherung. Wir aber gehen, insbesondere nach der mündlichen Begründung, nicht davon aus, daß es die Absicht der Opposition ist, die Frage einer Beitragserhöhung der Rentenversicherung hier aufzuwerfen. Es kann nur um einen plausiblen und um einen tragbaren Ausgleich zwischen den Belangen der Rentenversicherung und der Krankenversicherung gehen, einen Ausgleich, dem die Einsicht zugrunde liegt, daß die erforderlichen Beiträge so oder so vom nahezu gleichen Personenkreis aufgebracht werden müssen.
Wir gelangen also an die immer wieder zu diskutierende Problematik, daß in einem entfalteten System der sozialen Sicherung Fragen der finanziellen Konsolidierung so zu gestalten sind, daß sie dem Gedanken der Gerechtigkeit, der Praktikabilität und der Systematik gleichermaßen genügen. Daß uns in diesem Zusammenhang auch die Frage steigender Krankheitskosten beschäftigen muß, liegt auf der Hand. Sicher, sie geht über den Rahmen des hier angesprochenen Teilbereichs hinaus, ist aber eine der entscheidenden Ursachen für die Notwendigkeit einer neuen gesetzgeberischen Gestaltung der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner.
Wir erwarten alsbald die Vorlage der Regierung. Der beantragten Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung stimmen wir zu und hoffen, daß die Opposition konkrete und förderliche Hinweise in die Ausschußberatung einbringt, die sie in ihrem Antrag vermissen ließ.
({2})
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu den zurückgestellten Punkten. Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes
- Drucksache 7/904 -
Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes
- Drucksache 7/912 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/2200 -
Berichterstatter: Abgeordneter
Dr. Althammer
Vizepräsident Frau Funcke
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({1})
- Drucksache 7/2159 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Enders
Abgeordneter
Dr. Hornhues Abgeordneter Möllemann
({2})
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Enders.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Mit den Gesetzentwürfen des Bundesrates und der CDU/CSU, die darauf abzielen den Studentenwohnheimbau in die Hochschulbauförderung einzubeziehen, liegt dem Parlament ein Relikt aus der 6. Legislaturperiode vor. Die Opposition scheint in den vergangenen drei Jahren weder neue Erkenntnisse und Erfahrungen gewonnen noch Tendenzen ausgewertet zu haben; sonst wäre sie nicht auf dem Stand von 1971 stehengeblieben.
Wir alle kennen die unbefriedigenden Wohnverhältnisse der Studenten in den Universitätsstädten: mangelndes und teures Zimmerangebot, nungünstige Verkehrslage der Studentenwohnungen zu den Hörsälen und Instituten, fehlende Unterkünfte in Wohnheimen, ganz zu schweigen von der geringen Bereitwilligkeit der Vermieter, behinderte oder ausländische Studenten aufzunehmen.
Die Regierungskoalition schlägt einen anderen Weg als die Opposition vor, um Mißstände zu beheben und Verbesserungen für den studentischen Wohnraumbau herbeizuführen. Sie verfährt erfolgreich nach Richtlinien, die im Jahre 1972 zwischen Bund und Ländern vereinbart wurden, und braucht ihr Licht bislang nicht unter den Scheffel zu stellen. Das Jahr 1973 brachte mit 8 154 neuen Studentenwohnheimplätzen ein Rekordergebnis. Insgesamt verfügen wir in der Bundesrepublik gegenwärtig über 631 Studentenwohnheime mit 71 000 Plätzen. Im Bau sind weitere 39 Heime mit 12 000 Plätzen. Im Haushalt 1974 sind bis zu 140 Millionen DM für den studentischen Wohnheimbau ausgewiesen, 25 % mehr als im Jahr zuvor. Das ist eine imposante Zahl, wenn man bedenkt, daß vor vier Jahren nur 17 Millionen DM für diesen Titel bereitstanden. Freilich reichen die vorhandenen Heimplätze nur für 10% der Studenten aus, aber ihre reale Zahl liegt weit über den einst in Düsseldorf gesetzten Zielwerten. Darüber hinaus wird auf Grund eines Architektenwettbewerbs für studentisches Wohnen die Rationalisierung des Baus und der Funktion von Studentenwohnheimen untersucht, so daß bis zum Jahre 1985 entsprechend dem Bildungsgesamtplan für etwa 25 % der Studenten Plätze zur Verfügung stehen werden.
Wenn die Opposition versucht, den Studentenwohnheimbau an den großdimensionierten Hochschulbau zu koppeln, unterwirft sie ihn allen langfristigen Planungsentscheidungen, die in diesem Verfahren erforderlich sind. Der Sprecher der Opposition meinte in der ersten Lesung, er fände keinen Grund, warum dadurch eine Verzögerung in der Bereitstellung von Studentenwohnheimplätzen eintrete. Wenn Sie sich näher mit der Materie befaßt hätten, Herr Kollege Hornhues, wären Sie im Hochschulbauförderungsgesetz auf folgende zwingenden Termine gestoßen. Zum 1. März eines jeden Jahres müssen die Zielsetzungen der Länder für den Aus- oder Neubau von Hochschulen an den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft gemeldet werden. Anschließend spricht der Wissenschaftsrat Empfehlungen für den Rahmenplan aus, für die eine Frist bis zum 15. Mai in Anspruch genommen werden kann. Bis zum 1. Juli ist der Rahmenplan vom Planungsausschuß zu beschließen, damit die Mittel im Haushalt des nächsten Jahres bereitgestellt werden können. Zwischen diesen Planungsterminen sind Abstimmungen mit den Landeskultusministern, dem Bundesfinanzminister und den Kabinetten erforderlich.
Gegenüber diesem nahezu zweijährigen Planungsablauf, der wegen der Höhe der Summen und der Vermeidung von Fehlplanungen notwendig ist, hat sich die Bundesregierung für den Studentenwohnheimbau nach der flexibleren Regelung der Richtlinien. von Bund und Ländern vom 28. April 1972 entschieden. Diese weisen für beide Seiten Vorteile auf, auf die ich kurz eingehen werde.
Erstens. Die Richtlinien berücksichtigen für den Studentenwohnheimbau Bedarfskriterien wie Entwicklung der Studentenzahlen, Lage auf dem Wohnungsmarkt, Verkehrssituation, Zahl der sozial schwach gestellten Studenten, und sie können auf Grund eingehender Analysen praktikabel angewandt werden. Sie ermöglichen nicht nur den Aus-, Neu- und Umbau von Heimen, sondern auch den Erwerb geeigneter Gebäude, z. B. eines Hotels, für ein Studentenwohnheim und die Finanzierung der Erstausstattung.
Dem Argument der Opposition, daß ein Studentenwohnheim ebenso wie der Bau einer Mensa nach. dem Hochschulbauförderungsgesetz bezuschußt werden könnte, ist entgegenzuhalten, daß diese und andere universitäre Einrichtungen den Studenten kostenlos zur Verfügung stehen. Logischerweise müßte dann auch die Unterkunft im Studentenwohnheim kostenlos sein. Das würde sicherlich erhebliche Unruhe bei den Studenten verursachen, die für private Zimmermiete erhebliche Beträge aufbringen müssen.
Zweitens. Die Übernahme der in Art. 91 a des Grundgesetzes festgelegten Regelungen für die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau", die die CDU/ CSU auch für den Studentenwohnheimbau fordert, würde eine starre Kostenverteilung von 50 zu 50 zwischen Bund und Ländern bedingen. Gegenwärtig kann der Bund nach den Richtlinien bei Unterschreitung der Kostenrichtwerte - zur Zeit 21 000 DM pro Wohnheimplatz - dem Land zur Belohnung für kostengünstiges Bauen dennoch 50% des Kostenrichtwertes zuweisen, was sich natürlich positiv auf den Kassenstand auswirken wird.
Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Dr. Enders
Drittens. Ebenfalls hat sich das Pauschbetragsverfahren bewährt, wonach der Bund unbürokratisch eine Zuwendung von 12 000 DM pro Wohnheimplatz geben kann, ohne Beteiligung an den Grundstücks-und Erschließungskosten. Seit Inkrafttreten der Richtlinien wurde dieser Satz bei einem Drittel aller Förderungsvorhaben in Anspruch genommen. Auf diese Weise können auch Projekte berücksichtigt werden, deren Kosten die Richtwerte überschreiten, ohne daß dadurch der Bund belastet wird. Das ist ein positiv zu bewertendes Verfahren, das nach dem Hochschulbauförderungsgesetz nicht möglich wäre.
Viertens. Wollte man dem Gesetzentwurf der Opposition folgen, müßte das Sanierungsprogramm für ältere Wohnheime wegfallen; denn die dort entstehenden Unkosten sind keine Investitionskosten im Sinne des HBFG. Diese Folge des CDU-Vorschlages würde insbesondere die freien Träger nachteilig treffen, Städte, Kirchen, karitative Verbände, ganz abgesehen davon, daß diese das Interesse am Studentenwohnheimbau verlieren müßten, wenn er gleichsam nur staatlich nach dem HBFG betrieben werden sollte.
Fünftens. Die Übernahme der Bagatellgrenze des HBFG in den studentischen Wohnheimbau würde bedeuten, daß künftig Wohnheime nicht gefördert werden könnten, deren Gesamtkosten unter 500 000 DM liegen. Eine Hemmung aller weiteren Initiativen für kleinere Projekte wäre die Folge.
Sechstens. Der wesentlichste Vorteil der BundLänder-Richtlinien gegenüber dem Oppositionsverlangen scheint mir darin zu liegen, daß sie weitgehend den Bau von studentischem Wohnraum außerhalb der Heime ermöglichen. In der Studentenschaft wächst die Tendenz, aus den zum Teil kasernenartigen Wohnheimen und Wohnsilos in eigene Appartements und Wohnungen zu ziehen. Dieser Trend ist deutlich dem Bericht über die wirtschaftliche und soziale Sicherung des Studiums vom 16. Mai dieses Jahres zu entnehmen. Immer weniger Studenten wohnen bei den Eltern oder in Untermiete; bei den letztgenannten ist ein Rückgang seit 1963 von 48 auf 24,6% zu verzeichnen. Demgegenüber hat sich die Zahl der Studenten verdoppelt, die in einer abgeschlossenen Wohnung oder in einer Wohngemeinschaft leben. Ich sehe in dem Bestreben der Studenten zum selbständigen Wohnen einen Weg zur zunehmenden Integration in die Bürgerschaft der Universitätsstädte. Die Entwicklung zur Eigenständigkeit ist aber keineswegs abgeschlossen; denn nach einer Umfrage halten 63 % der Studenten eine vom Elternhaus unabhängige Wohnform für wünschenswert. Diesem Wunsch kann jedoch nach dem Gesetzentwurf der CDU/CSU nicht genügend entsprochen werden.
Aus diesen und anderen Gründen, wobei die Stellungnahme des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zur Verfassungsmäßigkeit des Anliegens der CDU/CSU sehr gewichtig ist, hat die Mehrheit im Bildungsausschuß die beiden Gesetzentwürfe abgelehnt. Ich darf Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, um das gleiche Votum bitten.
Wir fordern jedoch gemeinsam die Bundesregierung auf, mit den Ländern Aktivitäten zu entwickeln, den studentischen Wohnheim- und Wohnungsbau zu fördern sowie ausreichend zu finanzieren. Ende des Jahres 1975 soll sie einen Bericht vorlegen, aus dem ersichtlich ist, welche Erfahrungen mit den Richtlinien gemacht wurden oder ob eine den Bedürfnissen der Studentenwohnraumförderung gerecht werdende Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes zweckmäßig erscheint.
({0})
Das Wort hat dei Herr Abgeordnete Hornhues.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind zum zweitenmal bei einem Thema, das wahrscheinlich auch ein drittes Mal diesen Bundestag beschäftigen wird; ob noch in dieser Legislaturperiode, scheint mir allerdings nicht ganz sicher zu sein. Von daher fällt es schwer, neue Argumente zu bringen, denn man steht immer ein wenig vor dem Problem, sich zu wiederholen. Die Argumente sind bekannt, Herr Enders, wir haben sie oft ausgetauscht.
Lassen Sie mich deutlich sagen, worum es uns geht. Uns ging und geht es darum, mit dem Gesetzentwurf, den wir eingebracht haben, den Studentenwohnheimbau in die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau einzubeziehen. Wir sind unverändert der Ansicht, daß die besseren Gründe dafür sprechen, diese Einbeziehung vorzunehmen, weil wir meinen, die Koordination wird besser sein. Sie haben eben sehr viel Positives über die Richtlinien gesagt, über die wir für 1975 einen Bericht haben wollen. Ich habe mich gewundert, daß doch schon so viel Positives an den Richtlinien erkennbar ist, wo man vor kurzem noch meinte, es sei sinnvoll, einen Bericht geben zu lassen. Wir sind der Ansicht, daß die Koordination zwischen dem Ausbau und dem Neubau der Hochschulen und dem notwendigerweise zu betreibenden Ausbau und der Entwicklung von Wohnraum für Studenten besser erfolgen kann, wenn wir den Studentenwohnheimbau hier entsprechend einbeziehen.
Zum zweiten sind wir der Ansicht, daß es möglich sein wird, langfristig eine bessere finanzielle Absicherung des Studentenwohnheimbaues zu erreichen. Lassen Sie mich ganz. offen sagen: wir haben ein klein wenig die Befürchtung, daß sich trotz mancher Steigerung bei den konkreten Zahlen für die Förderung die Zeiten ein wenig ändern können. So mancher kleine Zwischenton in der Regierungserklärung hätte mich beispielsweise veranlaßt, lieber doch intensiver an eine gesetzliche Regelung zu denken, als zu sehr auf freiwillige Leistungen durch Richtlinien zu vertrauen.
({0})
Meine Damen und Herren, ein dritter Punkt ist sicher von ebensolcher Bedeutung. Sie haben eben zu Recht gesagt, Herr Enders, wie die absoluten Zahlen der Steigerungsbeträge gewesen sind. Ich glaube andererseits,, man muß deutlich danebenhalten, daß man einmal in einem Düsseldorfer Wohn7236
heimplan aus dem Jahre 1958, wie ich glaube, der Utopie ins Auge blickte und von 30 °/o Studenten sprach, für die Wohnheimplätze geschaffen werden sollten. Davon wird von uns heute wohl niemand mehr im Ernst reden.
({1})
Es ist aber noch gar nicht so lange her, da hat die Bundesregierung noch von 17% gesprochen, die erreicht werden sollten. Wir hatten einmal - ich glaube, es war im Jahre 1967 - für 14 % der Studenten Wohnheimplätze. Die letzten Zahlen, die Sie eben genannt haben, ergeben 10 %. Wenn Sie diese Entwicklung sehen, dann ist, wie ich glaube, festzustellen, daß wir an diesem Punkte nicht allzu weit vom Fleck gekommen sind. Um es deutlicher zu sagen: von Erfolg würde ich kaum sprechen, im Gegenteil.
Sie haben dann die Argumente gebracht gegen unseren Gesetzentwurf, die auch in der ersten Lesung schon ausgetauscht worden sind. Ich will nicht alle Ihre Argument aufgreifen, aber auf einige doch ganz kurz eingehen.
Sie haben gesagt, die Richtlinien seien flexibel, und dabei unterstellt, als würden wir starr und einfach nur so den Studentenheimbau ins Hochschulbauförderungsgesetz einbeziehen. Ich darf Sie darauf verweisen, daß der Entwurf des Bundesrates - vom Text her sehr kurz - u. a. eine Passage enthält, in der die Bundesregierung ermächtigt wird, Rechtsverordnungen zu erlassen, die gerade den Besonderheiten des Studentenwohnheimbaus Rechnung tragen. Alle Experten haben mir jedenfalls bisher gesagt, daß auch innerhalb des Gesetzes die gleiche Flexibilität erreichbar sei, die zweifelsohne durchaus positiv bei den Richtlinien anzumerken ist.
Zum Problem der Verfasssung in diesem Zusammenhang: Wir haben auch darüber schon einmal diskutiert. Der Rechtsausschuß des Bundestages hat die Ansicht vertreten, daß die Studentenwohnungsbauförderung nicht einbezogen werden könnte. Ich würde da eine Nuancierung hineinbringen; Studentenwohnungsbauförderung und Studentenheimbau sind doch zwei verschiedene Dinge. Offensichtlich gibt es da vielleicht doch die eine oder andere Überlegung.
Herr Kollege Dr. Hornhues, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dürr?
Bitte schön!
Herr Kollege, würden Sie die Freundlichkeit haben, dem Plenum weitere Reden zu dem eben von Ihnen angesprochenen Komplex dadurch zu ersparen, daß Sie zur Kenntnis nehmen, daß sich der Rechtsausschuß nur mit der Frage der Studentenwohnheime befaßt hat und das in dem Bericht des federführenden Ausschusses vorkommende Wort „Studentenwohnungsbau" offensichtlich auf einem Übermittlungsfehler beruht?
Danke schön. Ich kann das nur zur Kenntnis nehmen.
Ein weiterer Punkt, der von Ihnen angesprochen worden ist, ist das Problem der privaten Träger. Die privaten Träger könnten - ich will es mal ein wenig salopp formulieren - sauer reagieren, weil nach unserem Gesetzentwurf die Aufgabe des Studentenwohnheimbaus staatliche Aufgabe des Bundes und der Länder sei. Wir verstehen unseren Gesetzentwurf so, daß die Förderung des Studentenwohnheimbaus gesetzliche Aufgabe wird, nicht der Wohnheimbau selber. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was die Träger dagegen haben sollen, wenn sie langfristig wissen, daß es ein Gesetz gibt, auf dem basierend sie ihre Planungen, die auch nicht von heute auf morgen vonstatten gehen, aufbauen können. Ich kann dies als Argument letztlich nicht akzeptieren.
Zusammenfassend: Wir sind unverändert der Ansicht, daß unser Gesetzentwurf, der früher einmal auch Ihr Gesetzentwurf gewesen ist, würde daraus ein Gesetz - was es nach Ihrer Ankündigung wahrscheinlich nicht wird; ich vermute, Herr Möllemann wird Ähnliches für die FDP erklären -, eine eindeutige Verbesserung bedeuten würde, eine Absicherung und immerhin ein Schritt wäre in einer Situation des studentischen Wohnens, die auch von Ihnen nicht gerade als besonders erfreulich hingestellt worden ist.
Ich habe eben die Zahlen schon genannt. Die Entwicklung bei den Wohnheimen ist rückläufig. Wir haben weniger Wohnheimplätze in der Relation zu den gestiegenen Studentenzahlen. Das ist das eine. Das zweite ist: Sie wissen - Sie haben es auch angesprochen, und auch ich weiß es und alle Beteiligten wissen es -, in welchem Maße der Markt für die berühmten Studentenbuden aus vielerlei Gründen eingeengt worden ist. Das lag mit an der Sanierung der Altstadtgebiete, das lag mit an den steigenden Mieten, die die Studenten zunehmend belasten; auch die anstehende Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes wird wohl kaum die große Wende und Erleichterung bringen. Es gibt eine Fülle von Gründen, die gerade auf diesem Sektor die Problemsituation erheblich verschärft haben. Das Deutsche Studentenwerk hat uns im Februar des vergangenen Jahres einen umfänglichen Bericht zugeleitet, in dem es nachdrücklich und eingehend auf die Situation hingewiesen und gerade dies herausgestellt hat.
Es gibt des weiteren das Problem, das man sehen muß: daß auf Grund dieser Situation immer mehr Studenten gezwungen sind, immer weitere Anfahrtzeiten in Kauf zu nehmen. Ich habe in der ersten Lesung davon gesprochen, daß sich beinahe hier eine neue Art von Numerus clausus nähere, ein sozialer Numerus clausus, indem diejenigen die Benachteiligten sind, die so manches Entgelt nicht aufbringen können und die die langen Wege machen müssen, weil sie weit entfernt vom Studienort wohnen müssen usw. Ich will das alles nicht wiederholen. Die Sätze, die ich damals gesagt habe, stehen für mich unverändert im Raum, und die müssen wir deutlich sehen.
Ein weiteres Problem, das man sehen muß - auch Sie haben es angesprochen -, ist das der verheirateten Studenten. Gerade für diese Gruppe innerhalb der Studentenschaft, die immer größer wird, müssen neue Wohnmöglichkeiten geschaffen werden. Darauf muß beim Studentenwohnheimbau Rücksicht genommen werden; aber auch darüber hinaus müssen Aktivitäten entwickelt werden, z. B. für die Behinderten. Außerdem geht es um die Struktur des studentischen Wohnens. Sie haben uns in der ersten Lesung oder - ich bin nicht ganz sicher - im Ausschuß einmal vorgeworfen, wir hätten diesen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt in der Meinung, damit das Problem studentischen Wohnens zu lösen. Durch die Diskussion in der Vergangenheit ist, glaube ich, deutlich geworden, daß wir den Gesetzentwurf nur als einen Teilaspekt zur Lösung eines sicher umfänglicheren Problems begreifen.
Dazu gehört gewiß auch das Problem der sozialen Integration der Studentenschaft: daß sie eben nicht weit weg vom Studienort in Studentenheimen an den Rändern der Städte wohnt. Die Studentenwohnheime erinnern mich - auch Sie haben den Begriff eben gebraucht - immer mehr an Silos als an Wohnungen, an Wohnvorhaltungen, die man vielleicht mit der Qualität „menschliches Wohnen" am Ende noch apostrophieren könnte. Ich habe den Verdacht, der sich durch Informationen in manchem zu erhärten scheint, daß gerade die Richtlinien durch die Modalitäten einen erheblichen Beitrag dazu leisten, daß die Größe der Studentenheime zunimmt und dadurch Mammutgebilde von 500, 600 und mehr Studentenwohnplätzen geschaffen werden, wo wir neben den Hausmeistern die Psychotherapeuten etablieren müssen, um das, was wir da schaffen, wieder abwenden zu können.
Ich wollte das in aller Kürze nur anreißen, um deutlich zu machen, wie wichtig der Gesamtkomplex des studentischen Wohnens ist.
Der Ausschuß hat Ihnen drei Punkte zur Beschlußfassung vorgelegt. Punkt 1 ist unser Gesetzentwurf oder sind - wenn Sie so wollen - unsere Gesetzentwürfe. Wir bedauern, daß die Koalition offensichtlich auch diesen Entwurf ablehnen wird. Im Interesse auch der Betroffenen hoffen wir, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, es nicht werden bedauern müssen, daß Sie auch diesen Entwurf ablehnen.
Punkt 2: Wir haben im Ausschuß einen Katalog von Forderungen an die Bundesregierung eingebracht, der dann von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, mit getragen worden ist und, wenn ich Sie richtig verstanden habe, auch heute mit getragen wird. Er gibt, glauben wir, die Richtung an, auf die hin das Gesamtproblem deutlich nach vorn gezogen werden muß, von der Mittelbereitstellung bis zu all den Problemen, die in aller Kürze anzusprechen ich soeben versucht habe. Diesem Punkt werden wir, da wir ihn im Ausschuß selber eingebracht haben, natürlich unsere Zustimmung geben. Sie werden sicher nichts anderes erwartet haben.
Den dritten Punkt dieses Antrags haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, eingebracht. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, nachzudenken, zu prüfen und Vorschläge zu machen. Sowas finden wir prinzipiell immer gut, vor allem wenn es wie in diesem Fall bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu Ende kommen muß und wenn die Regierung zur Arbeit angehalten wird. Diesem dritten Punkt werden wir natürlich ebenfalls zustimmen, wie Sie vermutlich nicht anders erwartet haben.
Wir werden, wie ich schon am Anfang gesagt habe, vermutlich so Anfang 1976 - wenn es vor den Wahlen noch geht - wohl zu dem Thema zurückkehren und ein drittes Mal in diesem Hause über dieses Problem reden. Ich hoffe, daß bei der Behandlung dieses Kapitels für die Betroffenen dann vielleicht das eine oder andere Positivere herauskommt als nur ein Beschluß, der einiges andeutet und einen Bericht in Aussicht stellt.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Enders hat in aller Klarheit die Argumente der Koalition gegen die Gesetzentwürfe der CDU/CSU und des Bundesrats vorgetragen. Ich möchte diese Argumente hier nicht wiederholen. Der Kollege Dr. Hornhues hat seine Argumente, obwohl sie widerlegt worden waren, wiederholt. Ich brauche sie nicht nochmals zu widerlegen.
Die FDP-Fraktion empfiehlt die Ablehnung der beiden Gesetzesanträge und die Annahme der beiden Entschließungsanträge.
({0})
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Der Antrag des Ausschusses lautet: Ablehnung. Können wir über beide Entwürfe gemeinsam nach der Ausschußvorlage abstimmen? - Es erhebt sich kein Widerspruch.
Dann beschließen wir nunmehr über den Antrag des Ausschusses, die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe abzulehnen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Damit sind die beiden Gesetzentwürfe in zweiter Lesung abgelehnt, und es erübrigt sich eine weitere Beratung und Beschlußfassung über sie.
Wir stimmen nunmehr über Punkt 2 des Ausschußantrages ab; dabei handelt es sich um die eben genannten Entschließungen. Wer diesem Punkt 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Vizepräsident Frau Funcke
Ich komme zu Punkt 3 des Ausschußantrages. Wer zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr als letzten Punkt für heute Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Reform der beruflichen Bildung und Novellierung des Berufsbildungsgesetzes
- Drucksache 7/1908
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({0}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Gölter!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Parteien CDU und CSU haben sich im vergangenen Jahr auf Parteitagen ausführlich mit dem Thema „berufliche Bildung" beschäftigt. Die Fraktion der CDU/CSU hat auf der Grundlage der beiden Parteitagsbeschlüsse den vorliegenden Antrag einstimmig verabschiedet.
Bundesregierung und Regierungsfraktionen befinden sich hinsichtlich der beruflichen Bildung derzeit in einer selbstverordneten Denkpause.
({0})
Die Aussage in der Regierungserklärung, die Bundesregierung wolle bei der Gestaltung der Neufassung des Berufsbildungsgesetzes nicht an dem Rat und den Erfahrungen der Betroffenen aus der Praxis der beruflichen Bildung vorbeigehen, ist eine unüberhörbare Distanzierung von dem außerordentlich „erfolgreichen" Wirken der Koalition im zurückliegenden Jahr. Der neue Minister für Bildung und Wissenschaft, den wir für diese zweifelsfreien Fehlschläge weder verantwortlich machen können noch verantwortlich machen wollen, hat bei mehreren Gelegenheiten deutlich gemacht, daß er die Vorarbeiten des zurückliegenden Jahres ganz offensichtlich nicht ohne eine genaue Überprüfung zu übernehmen gedenkt.
Wir begrüßen, meine Damen und Herren, diese deutlich gewordene Vorsicht. Es wäre gut, wenn ein neuer Anlauf in Sachen berufliche Bildung von der Bundesregierung nach dem bewährten Motto „zuerst denken und dann handeln" und nicht, wie geschehen, umgekehrt vorgenommen würde.
({1})
Die CDU/CSU-Fraktion warnt die Bundesregierung erneut mit allem Nachdruck davor, den zurückgezogenen Referentenentwurf zur Neufassung des Berufsbildungsgesetzes lediglich mit kosmetischen Korrekturen zu versehen und in der Substanz unverändert vorzulegen. Dies würde bedeuten, daß die selbstverordnete Denkpause vertan worden ist. Mit verbaler Kosmetik allein ist es nicht getan.
Das Konzept der Koalition bedarf einer grundlegenden Revision nicht nur bezüglich der Details der technischen Durchführung, sondern auch und vor allem bezüglich des Stellenwerts, der beruflicher Bildung im gesamten Bildungssystem zugemessen wird. Die Koalition beklagt - ich zitiere als Beispiel die Markierungspunkte der Bundesregierung -, daß der für die große Mehrheit unserer Jugendlichen und für die Gesellschaft ebenso wichtige Bereich der beruflichen Bildung strukturell, personell und finanziell im Schatten der weiterführenden allgemeinbildenden Schulen steht. In der Aussprache zur Regierungserklärung haben Sie, Herr Bundesminister Rohde, zu Recht angeführt, daß die berufliche Bildung nicht mit dem Tempo der allgemeinen Bildungsreform Schritt gehalten hat.
Wir unterscheiden uns in der Beurteilung des beklagenswerten Zustandes nicht. Wir unterscheiden uns allerdings erheblich in der Antwort auf die Frage, wie diesem Zustand abgeholfen werden soll.
Wir, die CDU/CSU, wollen berufliche Bildung zu einer gleichrangigen und gleichwertigen Alternative innerhalb unseres Bildungswesens entwickeln. Die Zukunft der beruflichen Bildung und mit ihr die unseres gesamten Bildungssystems hängt davon ab, ob auf der Berufs- und Arbeitswelt aufbauenden Bildungswegen wirklich eine echte Chance gegeben wird. Die Zukunft der beruflichen Bildung wird zerstört, wenn berufliche Bildung nach wie vor abgewertet wird, wenn Bildung auch in Zukunft um so größere Anerkennung findet, je allgemeiner, je abstrakter, je esoterischer sie angelegt ist.
Genau dies ist jedoch der Fall, wenn die Forderungen nach Integration der beruflichen Bildung in die Sekundarstufe II als wichtigste Voraussetzung der beruflichen Bildung bezeichnet wird,
({2})
wie es die Koalitionsparteien erneut in den Markierungspunkten tun. Der Forderung nach Integration liegt die Vorstellung zugrunde, berufliche Bildung könne nur dann gleichwertig werden, wenn sie in der sogenannten Allgemeinbildung aufgegangen ist. Diese Forderung nach Integration der beruflichen Bildung ist eine späte Frucht der -Überbewertung der Allgemeinbildung, ein spätes Erbe des Neuhumanismus.
({3})
Mit der Integration würde berufliche Bildung vollends zu einer Kopie, zu einem Abklatsch gymnasialer Bildungsgänge werden. Mit der Forderung nach Integration wird deutlich, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, daß Sie sich nach wie vor nicht von der Vorstellung lösen können, die Qualität der Bildungspolitik und des Bildungssystems müsse an der Zahl der Absolventen der Sekundarstufe II gemessen werden.
Wir bejahen das Ziel, daß jungen Menschen in verstärktem Umfang über berufsbezogene Bildungsgänge das Hochschulstudium eröffnet wird. Dies ist zwar wichtig, es ist jedoch nicht die entscheidende Perspektive. Entscheidend ist vielmehr, ob neben
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode ~
Abitur und Studium jungen Menschen die Möglichkeit eröffnet wird, über auf die Berufs- und Arbeitswelt bezogene Bildungsgänge in allen Bereichen unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens ihre Anlagen und Fähigkeiten voll zu entfalten, ob sie Zukunftschancen erhalten, wie dies bisher fast ausschließlich über Abitur und Studium der Fall ist.
({4})
Meine Damen und Herren, wir haben beileibe nicht den Eindruck, daß die Bildungspolitiker der Koalitionsfraktionen diesen Ansatzpunkt überhaupt begriffen haben.
({5})
Es liegt ganz einfach ein unauflöslicher Widerspruch vor, wenn man berufliche Bildung einerseits aus dem Schatten herausführen will, gleichzeitig jedoch die Integration als wichtigste Voraussetzung dafür bezeichnet.
Unser Antrag Drucksache 7/1908 zielt nicht nur auf die angekündigte Novellierung des Berufsbildungsgesetzes von 1969. Er soll gleichzeitig klarmachen, welche Richtung die Bundesregierung in der Zusammenarbeit mit den Ländern nach unserer Auffassung einschlagen soll.
Bund und Länder, meine Damen und Herren, stehen derzeit vor entscheidenden Weichenstellungen. Es ist heute nicht der Platz, ausführlich auf die Probleme einzugehen, ,die im Bereich von Abitur und Hochschule auf uns zukommen. Lassen Sie mich trotzdem, da dies dazugehört, wenige Bemerkungen dazu machen.
Die Zahl der Abiturienten und damit der Studienbewerber liegt in wenigen Jahren bereits weit über dem, was die Bildungsplanung im Bildungsgesamtplan für 1985 vorgesehen hat. Auf unsere Hochschulen kommen Kapazitätsprobleme zu, gegenüber denen die bisherigen Schwierigkeiten mit dem Numerus clausus ein gelindes Vorspiel gewesen sind. Die Frage nach dem gesellschaftlichen Bedarf an Akademikern wird sich angesichts der weiter steigenden Flut von Studienbewerbern in einer Schärfe stellen, die von der Politik offenere und mutigere Antworten verlangt, als dies bislang der Fall gewesen war.
({6})
Im Hochschulbereich werden zweifelsohne einschneidende Maßnahmen notwendig sein. Eine entscheidende Antwort muß jedoch außerhalb der Hochschule durch die Reform der beruflichen Bildung gegeben werden. Dabei wäre es falsch, attraktive Alternativen nur für Abiturienten ins Auge zu fassen. Es ist unverzichtbar, in Zukunft in die Oberstufe des Gymnasiums nur diejenigen jungen Menschen aufzunehmen, bei denen am Ende des 10. Schuljahres auf Grund einer sehr sorgfältigen Beurteilung die Erwartung berechtigt ist, daß sie den Anforderungen einer im Blick auf das Studium reformierten gymnasialen Oberstufe gewachsen sind.
({7})
Eine solche bildungspolitische Weichenstellung am
Ende des 10. Schuljahres setzt jedoch eine breite
Palette attraktiver berufsbezogener Bildungsgänge voraus.
({8})
Dieselbe Aufgabe muß für die Absolventen der Sekundarstufe II geleistet werden. Wir brauchen für die 15- bis 19jährigen attraktive Alternativen zum Abitur, wir brauchen für die Abiturienten ebenso attraktive Alternativen außerhalb der Hochschulen.
Diese Ausbildungsgänge müssen auf einer engen Verzahnung von Theorie und Praxis aufbauen, wie es beispielsweise im badenwürttembergischen Konzept der Berufsakademien der Fall ist. Der Erfolg dieses Ansatzes wird jedoch davon abhängen, ob derartige Bildungsgänge außerhalb der Hochschule durch die Aufnahme in unser Berufs- und Laufbahnsystem wirklich zu einer echten Alternative werden. Berufs- und Laufbahnreform unter dem Gesichtspunkt der Chance berufsbezogener Bildungsgänge wird immer mehr zum entscheidenden Prüfstein der Bildungspolitik. Für die Zukunft der jungen Generation ist in den kommenden Jahren mehr Durchlässigkeit in den Berufsstrukturen ungleich wichtiger als eine noch weitergehende Durchlässigkeit in den Bildungsstrukturen bei gleichzeitiger Zementierung der Berufsstruktur.
Die Bundesregierung zeigt sich in dieser Frage leider nach wie vor bar jeder Vorstellung. Der Bericht zur Berufs- und Laufbahnreform vom 19. Oktober 1973 - ein Dokument seltener Hilflosigkeit ({9})
bringt in weiten Teilen nichts anderes als die gebetsmühlenhafte Wiederholung, zuerst müsse die integrierte Gesamtschule eingeführt werden, dann könnten Berufs- und Laufbahnstrukturen geändert werden.
({10})
Wir fordern die Bundesregierung erneut auf, sich dieser Aufgabe mit allem Nachdruck zu stellen. Dabei können zwar kaum Ideologien befriedigt werden, es bestünde jedoch die Chance, einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung eines weitgehenden Zusammenbruchs unseres Bildungswesens zu leisten.
Ich habe diese Ausführungen gemacht, um aufzuzeigen, in welchem Zusammenhang wir diesen unseren Antrag verstehen und wie er zu sehen ist. Lassen Sie mich nun im zweiten Teil einige Stichworte herausgreifen; wir werden dies im weiteren Ablauf der Debatte noch einmal aufgreifen.
Erstens. Unser Antrag ist ein Appell an alle, die an beruflicher Bildung wie auch immer beteiligt sind, den Lernort Betrieb nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken und damit ein ausreichendes Ausbildungsangebot zu garantieren.
({11})
Berufliche Bildung als Alternative macht den Lernort Betrieb unverzichtbar. Es ist nicht nur die unmittelbare Berührung mit der Praxis, ohne die die Mehrzahl der Ausbildungsberufe gar nicht zu denken ist, es ist auch die vielfältige Möglichkeit der Motivation junger Menschen, die durch die Berufs7240
und Arbeitswelt ganz anders geleistet werden kann als durch jede Art schulischer, Veranstaltung.
Die CDU/CSU begrüßt die klaren Aussagen der Regierungserklärung: die Absage an die Verschulung, die in der Regierungserklärung vorgenommene Anerkennung der Leistungen, die in der betrieblichen Ausbildung erbracht worden sind.
({12})
Wir hoffen jedoch auch, daß es nicht nur bei diesen Aussagen der Regierungserklärung bleibt. Wir hoffen, daß wir uns in Zukunft in der bildungspolitischen Diskussion nicht mehr mit Papieren herumschlagen müssen wie beispielsweise dem Beschluß des SPD-Parteivorstandes vor dem Parteitag von Hannover, der dem Betrieb als Lernort lediglich noch eine Ersatzfunktion beimessen wollte, bis er durch andere, außerbetriebliche Einrichtungen abgelöst werden kann.
({13})
- Sehr genau, Herr Professor Schäfer, und sicher sehr viel intensiver als Sie.
({14})
Wir hoffen ebenso, daß mit der Regierungserklärung die Diffamierung der betrieblichen Ausbildung, wie sie insbesondere aus den Reihen der Sozialdemokraten in den letzten Jahren immer wieder erfolgt ist, endgültig der Vergangenheit angehört.
Wer den Lernort Betrieb in der Form der Regierungserklärung bejaht, muß daraus jedoch auch im Blick auf eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes Konsequenzen ziehen. Dazu gehört der Verzicht auf einen Verordnungsperfektionismus, wie er in den Markierungspunkten angelegt ist und in dem zurückgezogenen Regierungsentwurf zu seltenen Blüten geführt hat. So wenig wie Schule und Hochschule bundeseinheitlich, ja in vielen Fällen noch nicht einmal landeseinheitlich, bis ins letzte Detail geregelt werden können, so wenig kann die berufliche Bildung angesichts der unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Ausbildungsgänge und der unterschiedlichen Struktur der Ausbildungsbetriebe über einen bundeseinheitlichen Leisten geschlagen werden.
({15})
Personelle und sachliche Mindestanforderungen an die Ausbildungsbetriebe sind selbstverständliche Notwendigkeit. Die berufliche Bildung darf jedoch nicht in einem immer unübersichtlicher werdenden Heer von Rechtsverordnungen und Detailregelungen ersticken.
({16})
Die Folge wären eine gefährliche Ausbildungsmüdigkeit und das zwangsläufige Ausscheiden weiter Teile der mittelständischen Wirtschaft aus der Ausbildung, da nur noch sehr wenige große Betriebe in der Lage wären, sich dem unübersichtlichen Unternehmen Ausbildung überhaupt zu stellen.
Zweitens. Die Zielsetzung, den Lernort Betrieb in seinen Möglichkeiten zu stärken, ist nicht ohne das
verantwortungsbewußte Engagement der Wirtschaft, der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Ausbilder zu verwirklichen. Der Fortgang der Diskussion über die Reform der beruflichen Bildung unter den Beteiligten, insbesondere aber das zukünftige Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft, darf nicht durch Gegnerschaft und Mißtrauen, sondern muß durch partnerschaftliche Zusammenarbeit gekennzeichnet sein. Nur so wird gesichert werden können, daß auch in Zukunft eine ausreichende Zahl von Betrieben Berufsausbildung nicht als lästige Pflichtübung oder ausschließliche Nachwuchsvorsorge, sonder als lohnende Aufgabe im Dienst der jungen Generation versteht.
Drittens. Berufliche Bildung vollzieht sich in öffentlicher Verantwortung: Öffentliche Verantwortung schließt öffentliche, d. h. staatliche Kontrolle ein. Staatliche Kontrolle darf jedoch unter keinen Umständen zu staatlichem Dirigismus und staatlicher Bürokratisierung zu Lasten des Steuerzahlers führen.
({17})
Die CDU/CSU hat mit ihrem Antrag eine ebenso
unkomplizierte wie die Kompetenzen klar abgrenzende Regelung der staatlichen Kontrolle vorgetragen. Unser Vorschlag, daß die Zulassung der Ausbildungsbetriebe und der Entzug der Ausbildungserlaubnis von den Kammern nach bundeseinheitlichen Richtlinien vorgenommen werden, daß die zuständige staatliche Behörde die Erfüllung der sachlichen und personellen Voraussetzungen für die Ausbildungsbetriebe sowie die Einhaltung der vorliegenden Ausbildungspläne überprüft und nur im Falle festgestellter Mängel aktiv werden muß, erlaubt ein Minimum an staatlichem Aufwand.
Wir fordern die Bundesregierung noch einmal auf, von den extensiven Vorstellungen der Markierungspunkte Abstand zu nehmen. Die CDU/CSU wird zum Aufbau einer gewaltigen Berufsbildungsverwaltung, die zudem, wie so oft in der Bildungspolitik, nicht vom Bund, sondern von den Ländern zu verwirklichen und zu finanzieren ist, unter keinen Umständen ja sagen.
({18})
Auch wenn die damit verbundenen personellen Probleme lösbar wären, ist eine derartige Entwicklung nicht zu verantworten. Alle Länder haben erhebliche Schwierigkeiten, den berufsbildenden Schulen die Planstellen zur Verfügung zu stellen, die wir doch alle für notwendig halten, wenn die Zielsetzung beruflicher Bildung als gleichwertige und attraktive Alternative verwirklicht werden soll. Angesichts dieser Schwierigkeiten aller Länder ist es ebenso unverantwortlich wie skurril, die Planstellen, die für die Schulen dringend benötigt werden, zu einem erheblichen Teil für den Aufbau einer gewaltigen und in der Effizienz mehr als fragwürdigen Bürokratie zu verfrühstücken.
({19})
Es bleibt nur zu hoffen, daß die Koalition Abstand nimmt von dem Plan der Markierungspunkte, in der beruflichen Bildung ein neues, schlagkräftiges Beispiel für die Ausuferung des öffentlichen Dienstes zu liefern.
Viertens, Berufliche Bildung als einheitlicher Bildungsgang in Betrieb und Schule setzt voraus, daß Bund und Länder bei der ihnen jeweils obliegenden Erarbeitung der Ausbildungsordnungen und der Rahmenrichtlinien reibungslos zusammenarbeiten. Daß dieser entscheidende Vorgang der Zusammenarbeit von Bund und Ländern aber auch noch nicht halbwegs befriedigend funktioniert, ist völlig unumstritten.
Ich möchte die interessierten Kollegen besonders auf die in diesen Tagen veröffentlichte Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion, Drucksache 7/2185, bezüglich der Abstimmung der Ausbildungsordnungen zwischen Bund und Ländern aufmerksam machen. Wenn diese Angaben der Bundesregierung zutreffen - wir nehmen dies an; wir wollen die Details im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft noch einmal sehr ausführlich ansprechen -, dann ist es zwei Jahre nach Verabschiedung einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über das Verfahren der Abstimmung der Ausbildungsordnungen noch nicht gelungen, auch nur eine einzige Ausbildungsordnung mit den Ländern entsprechend im einzelnen durchzuarbeiten.
({20})
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat uns mitgeteilt, daß nicht nur die zurückliegenden 34 Ausbildungsordnungen, sondern auch die jetzt anstehenden 27 Ausbildungsordnungen nicht nach dem vorgesehenen Verfahren vom Mai 1972 - mehr als zwei Jahre später! - abgestimmt werden können.
Meine Damen und Herren, wir haben doch in vielen Diskussionen die Erfahrung gemacht, daß junge Menschen in der beruflichen Bildung nichts so sehr bedauern wie das Auseinanderklaffen der Lern- und Erfahrungsprozesse in Betrieb und Schule. Zu oft „läuft" in der Schule etwas anderes als im Betrieb und umgekehrt.
({21})
Von der Frage, ob es uns gelingt, dieses schwierige Problem der besseren Abstimmung zwischen Bund und Ländern zu lösen, wird die Antwort über Erfolg oder Mißerfolg der beruflichen Bildung abhängen.
({22})
Unsere Fraktion schlägt in ihrem Antrag die Umstrukturierung des Bundesausschusses für berufliche Bildung vor mit der Zielsetzung, ein gleichgewichtiges Zusammenwirken von Bund und Ländern unter Einbeziehung der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Lehrer an berufsbildenden Schulen zu ermöglichen. Nur wenn eine solche gleichgewichtige Zusammenarbeit von Bund und Ländern gesichert wird, ohne jede gegenseitige Diskriminierung, werden wir in der leidigen Frage der Abstimmung der Ausbildungsordnungen und der Rahmenrichtlinien weiterkommen.
Das von der Bundesregierung vorgesehene Bundesamt für berufliche Bildung, dem erhebliche Kompetenzen gerade in diesem Bereich übertragen werden sollen, ist zum Scheitern verurteilt, weil eine gleichgewichtige Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in einer solchen Konstruktion nicht möglich sein wird. In einem solchen Bundesamt würden die Länder nie über einen Gaststatus hinauskommen. Noch so komplizierte Konstruktionen von Ausschußsystemen können dem nicht abhelfen.
Der Gedanke, den Bundesausschuß umzustrukturieren und das Berufsbildungsinstitut ihm zuzuordnen, ist jedoch nicht nur im Hinblick auf die Länder, sondern auch im Blick auf die Sozialpartner und die Lehrer an berufsbildenden Schulen entwickelt worden. Die Beschlüsse eines so gefaßten Bundesausschusses entheben weder Bund noch Länder ihrer Rechtsetzungskompetenz. Dies wäre, auch wenn man es wollte, nicht möglich. Die Möglichkeiten der Mitgestaltung in einem solchen Ausschuß sind jedoch ungleich größer, als sie in einem Bundesamt für berufliche Bildung je sein könnten. Auch die Sozialpartner und die Lehrerverbände werden dort über einen Gaststatus nicht hinauskommen.
Fünftens. Unsere Fraktion hat sich in ihrem Antrag in ausführlicher Form zu den besonderen Aufgaben im Bereich der beruflichen Bildung geäußert. Wir wollten damit deutlich machen, welche Bedeutung wir der beruflichen Bildung der Minderheiten innerhalb der jungen Generation zumessen. Wenn die berufliche Bildung insgesamt Gefahr läuft, zu sehr im Schatten zu stehen, so ist diese Gefahr für die in dem Antrag genannten Gruppen der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluß, der spätausgesiedelten Jugendlichen, der behinderten Jugendlichen, der Jugendlichen in Heimen der öffentlichen Erziehung und im Strafvollzug noch ungleich größer. Wir fordern die Bundesregierung auf, ja wir bitten sie nachdrücklich, diesem großen, aber ungeheuer wichtigen Aufgabengebiet, das eine besonders enge Zusammenarbeit mit den Ländern zur Voraussetzung hat, ihre ganze Kraft zu widmen.
Sechstens eine kurze Bemerkung zu dem Problem der Finanzierung. Der Bericht der auf Grund eines einstimmigen Votums des Bundestages eingesetzten Sachverständigenkommission liegt vor. Unsere Fraktion wird die Diskussion über diese Frage in den kommenden Monaten fortsetzen und zu den Einzelheiten des Berichts der Edding-Kommission detailliert Stellung nehmen. Unsere Zielsetzung ist in unserem Antrag klargestellt.
Ungerechtigkeiten entstehen dadurch, daß Betriebe, die von ihrer Struktur her ausbilden könnten, nicht ausbilden und diese sowohl im Interesse der jungen Generation wie im Interesse der Zukunftssicherung der Wirtschaft unverzichtbare Aufgabe einschließlich der damit verbundenen personellen und finanziellen Belastungen anderen überlassen.
Strukturverzerrungen entstehen insbesondere durch die zunehmende Konzentration des Ausbildungsangebots in den Ballungsräumen.
Wir bejahen daher den Gedanken einer sachgerechten Verteilung der Ausbildungslasten, wir bestehen jedoch darauf, daß das Verfahren dieses Lastenausgleichs im Rahmen der bestehenden Selbstverwaltung der Wirtschaft durchgeführt wird. Ein
staatlicher zentraler Fonds, der in einer Hand bestimmt, wer was bezahlt, wer wie auszubilden hat, damit er soundsoviel dafür bekommt, wird nicht die Zustimmung unserer Fraktion finden.
({23})
Wir fordern die Bundesregierung auf, in absehbarer Zeit - wir würden sagen: nach der Sommerpause -in detaillierter Form zunächst einmal gegenüber den zuständigen Bundestagsausschüssen zum Edding-Bericht Stellung zu nehmen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang jedoch auf folgendes hinweisen. Mit dem Problem der Finanzierung ist nicht nur die Frage des generellen Lastenausgleichs angesprochen. Die Überwindung struktureller Engpässe, die stärkere Förderung ergänzender überbetrieblicher Ausbildungsstätten, die gezielte Förderung kleiner, qualifizierter Ausbildungsbetriebe, für die die Ausbildung jedoch eine überdurchschnittliche Belastung bedeutet, die stärkere finanzielle Unterstützung der beruflichen Bildung der Minderheitengruppen innerhalb der jungen Generation sind Aufgaben erheblichen Umfangs, die unseres Erachtens ganz unabhängig von der Frage eines generellen Lastenausgleichs angegangen werden müssen. In diesem Zusammenhang, Herr Bundesminister, erinnern wir an den Bericht, den wir im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft von der Bundesregierung in Sachen überbetriebliche Ausbildungsstätten erbeten haben.
Meine Damen und Herren, es wäre eine bildungspolitische Katastrophe, wenn neben den sich von Jahr zu Jahr verschärfenden Numerus clausus an unseren Hochschulen ein Numerus clausus in der Berufsbildung träte. Die CDU/CSU nimmt mit Erleichterung zur Kenntnis, daß sich der Rückgang der Zahl. der Ausbildungsplätze ganz offensichtlich abgeschwächt hat. Nach den uns vorliegenden Zahlen ist in der handwerklichen Berufsausbildung 1973 sogar eine Zunahme gegenüber 1972 um 7,5 % der Ausbildungsverhältnisse eingetreten. Die Schwierigkeiten sind ganz offensichtlich in den neugeordneten Berufen aufgetreten, beim Industrie- und Bankkaufmann, dem Kaufmann im Groß- und Einzelhandel, dem Versicherungskaufmann und im Einzelhandel. Hier, ohne Einzelhandel, beträgt der Rückgang von 1973 auf 1972 fast 20 % - in Zahlen ausgedrückt: rund 11 000 Ausbildungsverhältnisse. Darüber hinaus existieren erhebliche Engpässe im Bereich der Elektroberufe. Das Ausmaß dieser Engpässe ist zudem regional außerordentlich unterschiedlich. Ich verweise auf die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage von Kollegen der Koalition, die in diesen Tagen veröffentlicht wurde. Die Tendenz der auch in dieser Antwort von der Bundesregierung zum Ausdruck gebrachten beabsichtigten Maßnahmen, die Änderung der Ausbildereignungsverordnung, die Überprüfung der Anrechnungsverordnung für das Berufsgrundschuljahr, die flexiblere Gestaltung der Ausbildungsordnung, die Intensivierung der Berufsberatung vor allen Dingen durch die Bundesanstalt für Arbeit - um nur einige Intentionen zu nennen -, wird von uns ausdrücklich begrüßt. Der Katalog, den die Bundesregierung hier genannt hat, macht deutlich - dies bestätigt unsere seit langem eingenommene Position -, daß eine Fülle von Aufgabengebieten vor uns liegen, ohne daß dazu eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes unmittelbar notwendig ist.
Wir werden die Bundesregierung in den nächsten Monaten mit kritischer Aufmerksamkeit begleiten. Wir hoffen, daß der intensive Dialog zum Thema berufliche Bildung im Laufe der nächsten 12 bis 18 Monate in diesem Parlament zu für die Zukunft der beruflichen Bildung erfreulichen Ergebnissen führt.
({24})
Das Wort hat Herr Bundesminister Rohde.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, daß ich kurze Zeit nach Amtsübernahme die Gelegenheit habe, zu einem Schwerpunkt der Bildungsreform zu sprechen. Die Regierungserklärung hat signalisert, daß die berufliche Bildung im Mittelpunkt unserer Anstrengungen in dieser Legislaturperiode stehen wird. In dieser Beziehung gibt es nicht „verbale Kosmetik", sondern ein realistisches Konzept.
Herr Kollege Gölter, wir könnten es uns einfacher machen, wenn wir darauf verzichteten, falsche Alternativen aufzureißen. Über die Frage der Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit der beruflichen Bildung braucht es keine unterschiedlichen Auffassungen zu geben, wenn dies in der Sache im Laufe der weiteren Entwicklung von allen wirklich gewollt und angestrebt wird.
({0})
Jedenfalls ist diese Gleichgewichtigkeit der beruflichen Bildung im Gesamtbildungssystem der Orientierungspunkt, von dem ich bei meiner Arbeit ausgehen werde. Die gemeinsamen Grundüberzeugungen brauche ich an dieser Stelle also nicht eingehend zu begründen.
Ich hatte schon in der Debatte über die Regierungserklärung den Tatbestand unterstrichen, daß die berufliche Bildung mit dem Tempo der Bildungsreform auf anderen Gebieten nicht Schritt gehalten hat. Außerdem setzt sich die Erkenntnis durch, daß Mängel auf diesem Gebiet nicht mit isolierten schul- und hochschulpolitischen Schritten überwunden werden können. Im Gegenteil - ich will das offen aus meiner Sicht sagen -, die Gefahr kann nicht ausgeschlossen werden, daß ein Nachhinken der beruflichen Bildung zu quantitativen und qualitativen Verzerrungen im Gesamtbildungssystem führt, die uns vor immer schwerwiegendere Fragen stellen würden. Ich will ebenso deutlich hinzufügen: wenn im öffentlichen Bewußtsein der Weg zum Abitur als „Königspfad" und die berufliche Bildung etwa als „Trampelpfad" gelten würden, wäre das in jeder Beziehung unerträglich und nicht hinzunehmen.
Nun habe ich nicht die Absicht, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, an Ihrem Antrag in kleinlicher Manier herumzukritisieren.
({1})
Mir geht es vielmehr darum, einige Grundpositionen deutlich zu machen und auszuloten, Grundpositionen, die für die Reform der beruflichen Bildung ins Visier zu nehmen wären.
({2})
- Darauf komme ich noch, Herr Kollege Stücklen, ich werde Ihnen das noch in aller Deutlichkeit sagen.
({3})
- Doch! Darauf lege ich Wert, Sachverhalte deutlich zu machen, schon um bei Ihnen die Versuchung zu mindern, die berufliche Bildung, wie es teilweise in den letzten Monaten geschehen ist, zu einem Reibeisen der innenpolitischen Auseinandersetzung zu machen. Das würde weder den jungen Menschen noch der beruflichen Bildung gerecht.
({4})
- Sie wollen alles auf einmal hören.
Der Grund dafür, daß wir heute diese Debatte führen müssen, liegt im wesentlichen darin, daß sich die von vielen mit dem Berufsausbildungsgesetz
) von 1969 verbundenen Erwartungen nicht erfüllt haben. Damit will ich nicht sagen, daß dieses Gesetz überhaupt keinen Fortschritt gebracht habe. Es wäre ungerecht, das zu behaupten. Es hat aber eine Reihe von Strukturproblemen ungelöst gelassen. Das sage ich nicht, um heute Vorwürfe zu machen. Aber es ist doch ein bemerkenswerter Sachverhalt, daß schon relativ kurze Zeit nach Verabschiedung des Gesetzes im Jahre 1969 die Debatte über die Reform der beruflichen Bildung in unserem Lande erneut aufgebrochen ist. Es kann nach den Erfahrungen seit 1969 nicht bestritten werden, daß es auf dem Felde der beruflichen Bildung noch immer weitgehende Beziehungslosigkeiten und Zufälligkeiten der Entwicklung gibt. Wir sind aber heute gemeinsam vor die Frage gestellt, wie wir ein logisches und in seinen Abhängigkeiten und Verflechtungen aufeinander bezogenes System finden, das Qualität in Betrieb und Schule sichert, das eine sinnvolle Beziehung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung herstellt, das Wirtschaft und Gewerkschaften in die Verantwortung einbezieht und das Lehrstellenangebot fördert, das staatliche Kontrolle in dem Maße ermöglicht, wie sie zur Sicherung der Qualität unabdingbar ist, und das allgemeine Planung mit schöpferischer Praxis sinnvoll verbindet. Vielleicht wäre es schon in dieser Debatte möglich, sich im Hinblick ,auf diese Anforderungen auf einige Grundpositionen zu verständigen.
Wenn es z. B. im Antrag der CDU/CSU heißt, berufliche Bildung müsse dem jungen Menschen die gleichen Aufstiegs- und Lebenschancen eröffnen,
wie dies bisher fast ausschließlich durch Abitur und Hochschulabschluß der Fall war, dann heißt das zugleich aber auch, daß wir nicht beim Status quo bleiben können. Insofern wäre ich dankbar, wenn über die Bildungspolitiker hinaus auch andere führende Kräfte in der CDU/CSU nicht bei jeder angekündigten Veränderung im Bereich der beruflichen Bildung die Debatte mit neuen polemischen Überspitzungen und mit dem Wunsch nach Beharren auf Bestehendem belasteten.
({5})
- Herr Kollege, ich komme im Zusammenhang mit einigen konkreten Punkten auf diesen Sachverhalt zurück. Sie können davon ausgehen, daß ich diese Bemerkung nicht aus Freude an Auseinandersetzungen gemacht habe.
({6})
- Wir wollen noch darüber sprechen, was in der Sache das Richtige und was das Falsche ist.
({7})
Meine Damen und Herren, nun möchte ich mich der Frage zuwenden, Welche Aufgaben im Prozeß der Reform der beruflichen Bildung zu bewältigen sind. Ich will an dieser Stelle dabei keinen umfassenden Katalog aufzählen, aber einige Schwerpunkte hervorheben, an denen wir uns bei dor Arbeit der nächsten Zeit im Sinne eines realistischen Konzeptes orientieren werden.
({8})
Erstens. Unsere Erfahrungen haben deutlich gemacht, daß ohne eine Verbesserung des beruflichen Schulwesens die Reform im ganzen nicht gelingen kann. Die Forderung nach einer besseren Verknüpfung von allgemeiner und beruflicher Bildung macht diesen Anspruch unverzichtbar.
Zweitens müssen Wege gefunden werden, um den Lehrermangel im beruflichen Schulwesen abzubauen. Ich stelle das an den Beginn, um deutlich zu machen, daß ohne Zusammenarbeit mit den Ländern und ohne ihre Unterstützung im Berufsschulbereich die Reform auf diesem Felde nicht gelingen kann.
({9})
Ich bin auf die Kooperation der Länder und ihre Mitarbeit angewiesen. Soweit es mein Ministerium angeht, werden wir ernsthaft die Frage aufnehmen, wie im Rahmen der Beteiligung des Bundes an den Modellversuchen im Bildungswesen die berufliche Bildung stärker einbezogen werden kann, um auf diese Weise auch kurzfristiger angelegte Hilfen ins Auge zu fassen.
Drittens. Die Ausbildungsordnungen, auf die Sie zu sprechen gekommen sind, d. h. die inhaltlichen
Anforderungen an die betriebliche Ausbildung, sowie die schulischen Rahmenlehrpläne müssen besser aufeinander abgestimmt werden. Da sind wir in der Sache einig. Nur will ich auch deutlich machen, Herr Kollege, daß in dieser Beziehung keine einseitige Beurteilung vorgenommen werden kann. Hinsichtlich der Ausbildungsordnungen ist in den letzten Jahren aufgearbeitet worden. Wir stehen heute vor der Frage, wie in Zukunft sachliche und institutionelle Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, ,daß sich Formen und Inhalte der beruflichen Bildung in den von mir genannten Bereichen besser zueinander entwickeln. Das heißt - um es ohne viel Herumreden hier festzustellen -, daß die zur Zeit praktizierte Abstimmung zwischen diesen beiden Bereichen von mir nicht als befriedigend angesehen wird.
({10})
Ich will ja auch nicht falsche Fronten aufreißen. Es wird noch Unterschiede in der Sache genug geben. Aber es ist vielleicht auch sinnvoll, einige Punkte festzustellen, an denen man zu gemeinsamen Überlegungen kommen kann.
({11})
Die Bundesregierung hat keinen Zweifel daran gelassen, daß Sie Betrieb und Schule gleichermaßen als wichtige Lernorte betrachtet. In den sogenannten Markierungspunkten hat sie den Betrieb aus pad-agogischen, faktischen und volkswirtschaftlichen Erwägungen zu einem unverzichtbaren Lernort erklärt. Ebenso zweifelsfrei ist aber auch, daß Betrieb und Schule in eine bessere Beziehung zueinander gebracht werden müssen.
Viertens möchte ich an dieser Stelle den Tatbestand hervorheben, daß auch der Antrag der CDU/ CSU die öffentliche Verantwortung für die berufliche Bildung und die Notwendigkeit der staatlichen Kontrolle bejaht. Das ist wörtlich in diesem Antrag enthalten. Es würde der Berufsausbildungsdebatte dienen, wenn die Politiker der CDU/CSU diese ihre eigene Forderung auch dem Vorsitzenden ihrer Fraktion, Herrn Professor Carstens, mit Nachdruck deutlich machten.
({12})
Dann könnten uns wahrscheinlich in Zukunft mancherlei Erregtheiten und Unsicherheiten auf dem Felde der beruflichen Bildung erspart bleiben. Das gleiche gilt auch für das, was Sie in Ihrem - ({13})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stark?
Herr Bundesminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Herr Bundespräsident gesagt hat, im Rahmen der Reformpläne der Berufsbildung alles auf den Kopf stellen zu wollen, das sei irre?
Herr Kollege, ich mache ungern Äußerungen des Herrn Bundespräsidenten zum Gegenstand von Bundestagsdebatten.
({0})
- Ich will noch einen Satz hinzufügen, Herr Kollege. Soweit ich von meinem Amtsvorgänger erfahren habe, hat ein Schriftwechsel zwischen ihm und dem Herrn Bundespräsidenten ergeben, daß diese Formulierung in dieser Art nicht gefallen sei. Ich will das hier weitergeben. Ich bitte um Ihr Verständnis, daß ich daran keine weiteren Kommentare knüpfe.
({1})
Fünftens möchte ich davon ausgehen, daß ich staatliche Kontrolle nicht als ein Prinzip verstehe, das die Beteiligten in der beruflichen Bildung von Mitwirkung, Mitbestimmung und Mitverantwortung ausschließt. Die Organisationen der Wirtschaft und die Gewerkschaften sind in meinen Augen keine Randfiguren des Ausbildungssystems. Von diesem Grundsatz werden wir auch unsere Arbeiten bestimmen lassen. Wir wissen realistisch einzuschätzen, was sie zusammen mit den Ausbildern in den Betrieben in die Anpassung des beruflichen Bildungssystems an gewandelte Anforderungen gerade in den letzten Jahren investiert haben. Wir denken nicht daran, sie bei der Reform draußen vor der Tür zu lassen.
Hinsichtlich der institutionellen Ordnung der Dinge stehen wir vor einer, wie ich zugeben muß, schwierigen, aber unausweichlichen Aufgabe, nämlich auf der einen Seite die betriebliche und schulische Bildung miteinander zu verbinden und auf der anderen Seite gleichzeitig die tatsächlich und unmittelbar an der Berufsbildung Beteiligten in Planung und Vollzug einzubeziehen. Das kann nur dann voll gelingen, wenn nicht enge, gruppenbezogene Interessen gegen die politische Verpflichtung zum Fortschritt in der beruflichen Bildung ins Feld geführt werden. In dieser Hinsicht erwarte ich, daß die an der Berufsbildung Beteiligten an die Aufgabe der Reform mit derselben Unvoreingenommenheit und Aufgeschlossenheit herangehen, um die sich diese Bundesregierung bemüht. Es geht also nicht
- um es deutlich zu sagen - um Verschulung oder Verstaatlichung, sondern darum, daß die beiden Lernorte Betrieb und Schule in geordneter Beziehung zueinander ihre Aufgaben wahrnehmen.
({2})
- Ja, Herr Kollege, das werden wir auch in unseren Vorlagen deutlich machen. Da können Sie sicher sein.
Sechstens sehen wir uns heute vor die Frage gestellt, wie die wechselseitigen Übergänge von schulischer in berufliche Bildung und umgekehrt flexibler gestaltet werden können. Das grundsätzliche
Problem ist dabei, wie die Entwicklung der Angebotsstruktur bei den Lehrstellen mit den Bildungsvoraussetzungen und den Bildungserwartungen der jungen Menschen in Übereinstimmung gebracht werden können. Das betrifft Hauptschüler, z. B. aber auch die Jugendlichen der zehnten Klassen aus Gymnasien und aus Realschulen, die qualifizierte berufsbezogene Bildungswege suchen, sowie auch die Abiturienten. Es wäre Schönfärberei, wollten wir heute sagen, daß dieses Problem hinreichend bewältigt worden ist, und es muß auch offen hinzugefügt werden, daß keine einfachen Lösungen gefunden werden können.
Damit komme ich auf eine Frage, die Schüler, Eltern, Wirtschaft, Gewerkschaften und die Politik in gleicher Weise bewegt, wie sich nämlich künftig das Lehrstellenangebot entwickeln wird. Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Es wäre unverantwortlich, wenn diese Frage zu einem polemischen Zankapfel der Politik gemacht würde. Ich meine, wir sollten uns alle ein Beispiel am Bundesausschuß für Berufsbildung nehmen, der trotz aller auch dort vorhandenen Interessengegensätze in einer Sondersitzung am 26. März 1974 in einer ausgewogenen Entschließung zur Frage des Angebots an Ausbildungsplätzen Stellung genommen hat. Überzogene Darstellungen helfen weder den Auszubildenden noch den Betrieben und am allerwenigsten bei der auch von der Opposition gewollten Reform.
({3})
Im übrigen hat mein Vorredner deutlich gemacht, daß Entwicklungen gerade in den letzten Monaten anders verlaufen sind er hat das zu Recht zitiert --, als es Anfang des Jahres in manchen demagogisch gemeinten Hinweisen enthalten war.
Ich will aber in dieser Beziehung auch nichts bagatellisieren. Neben den Ausbildungsproblemen von Jugendlichen in Gebieten mit schwacher und einseitiger Wirtschaftsstruktur stehen wir heute der Tatsache gegenüber, daß sich durch die Entwicklung der industriellen Verhältnisse, durch neue Berufsbilder und durch eine veränderte Bildungsstruktur andere Anforderungen an die Entwicklung der Lehrstellenangebote ergeben, als das früher der Fall war. In den von mir beabsichtigten Gesprächen mit Arbeitgebern, Kammerspitzen, Gewerkschaften und Lehrerverbänden wird das eine zentrale Frage sein.
Die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU wissen genausogut wie ich, daß jeder einzelne Betrieb allein darüber entscheiden kann, ob, wie viele und welche Ausbildungsplätze er anbietet. Insofern finde ich Ihren Antrag im Grunde genommen widersprüchlich. Sie können nicht auf der einen Seite die Selbstentscheidung der Wirtschaft auch für die Zukunft fordern und zum anderen dem Staat allein die Verantwortung für das Lehrstellenangebot aufbürden.
({4})
- Ich kann Ihnen aber durch einige Redezitate die
Art und Weise aufzeigen, in der mancherorts die
Frage des Lehrstellenangebotes in den letzten Monaten behandelt worden ist. Herr Kollege, hier sollten Sie sich nicht ahnungsloser stellen, als Sie in Wahrheit sind.
({5})
- Ich komme darauf noch zu sprechen, wie mein Konzept hinsichtlich der Ausbildereignungsverordnung ist.
({6})
In dieser Beziehung, also im Hinblick auf das Lehrstellenangebot, ist Zusammenarbeit notwendig. Durch die Versachlichung der Berufsbildungsdebatte, durch intensive Aufklärung über die Notwendigkeit der beruflichen Bildung und schließlich durch strukturelle Hilfen wollen wir aus unserer Sicht einen Beitrag dazu leisten.
Im Hinblick auf die strukturellen Hilfen komme ich zu einem Punkt, den Sie ebenfalls in Ihrem Antrag aufgegriffen haben, nämlich zur Frage der Finanzierung und der Rolle, die sie in der beruflichen Bildung in einer Phase wachsender Qualitätsanforderungen spielen soll. Zunächst hat der Antrag der CDU/CSU die Finanzierung in ein Reformkonzept einbezogen. Aber, Herr Kollege Gölter, heute haben Sie eigentlich in der Begründung dieses Antrages mehr darüber gesagt, was Sie im Hinblick auf die Finanzierung nicht wollen, als etwa darüber, was notwendig und realistisch ist, um den Betrieben auch strukturelle Hilfen in einer Periode wachsender Qualitätsanforderungen in der beruflichen Bildung zu geben. Denn allein schon im Zusammenhang mit der Entwicklung überbetrieblicher Ausbildungsstätten stellt sich uns das Finanzierungsproblem, und zwar insbesondere im Hinblick auf die Folgekosten. Die Bundesregierung hat für. den Ausbau dieser Stätten bis 1976 180 Millionen DM bereitgestellt. Aber Sie wissen auch, Herr Kollege, daß gerade in jüngster Zeit mit besonderem Nachdruck von diesen Ausbildungsstätten die Frage aufgeworfen worden ist, wie eine langfristig gesicherte Folgefinanzierung erreicht werden kann.
Damit die betrieblichen Ausbilder ihrer Verantwortung gerecht werden können - um nun auch diesen Punkt aufzugreifen, wurde die Ausbildereignungsverordnung erlassen. Es hat sich gezeigt, daß offensichtlich die Fristen zu kurz Bernessen waren, und es ist meine Absicht - das will ich an dieser Stelle einfügen -, noch vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres in dieser Beziehung Ver- änderungen vorzunehmen. Das angestrebte Ziel einer Verbesserung der Qualifikation der Ausbilder und damit auch einer Verstärkung ihrer Stellung im Betrieb soll aber nicht aufgegeben werden, sondern soll im Hinblick auf praxisbezogene Lösungen geändert werden.
({7})
- Ich weiß, daß auch einige andere Punkte hinzukommen. Hier kann ich mich stützen auf die Beratungen und auf die Entscheidungen, die im Bundesausschuß zur beruflichen Bildung gefällt worden sind.
Vielfach am Rande behandelt, aber in Wahrheit ein zentrales Problem ist die auch in Ihrem Antrag genannte Bildungs- und Berufsberatung. Noch im Bundesarbeitsministerium konnte ich in Zusammenarbeit mit dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit dafür sorgen, daß Weichenstellungen für einen quantitativen und qualitativen Ausbau der Berufsberatung eingeleitet worden sind. Wir wissen, daß es seine Zeit dauert, bis die Personal- und Sachanforderungen in befriedigendem Maße bewältigt werden können. Insofern können wir heute nicht über dieses Gebiet schon mit Zufriedenheit reden. Eine wichtige Aufgabe wird es auch sein, wie Bildungs- und Berufsberatung in Zukunft besser aufeinander abgestimmt werden können.
Ich wäre gern im Zusammenhang mit dieser Debatte noch auf die Einzelbereiche eingegangen, die in dem CDU/CSU-Antrag genannt worden sind; die Frage der Ausbildung von Kindern ausländischer Arbeitnehmer usw. Mit dem Blick auf die Uhr möchte ich nur eine Gruppe herausgreifen, die ihr besonderes Gewicht hat und die Sie auch in den Mittelpunkt Ihres Antrages gerückt haben, nämlich die Gruppe der Behinderten. Wir können davon ausgehen, daß wir in Zukunft bessere soziale und bildungspolitische Voraussetzungen vorfinden, als das bisher der Fall gewesen ist. Die breitbandig angelegte Rehabilitationsgesetzgebung der Bundesregierung, die vom Bau von Rehabilitationsstätten über das Angleichungsgesetz für die Rehabilitationsleistungen bis hin zu dem Schwerbehindertengesetz führt, hat auch der Bildungspolitik neue Voraussetzungen und Chancen eröffnet. Sie werden wir wahrnehmen. Ich gebe zu, daß noch erhebliche Anstrengungen gemacht werden müssen, um diese neuen gesetzgeberischen Angebote in unserem Lande in die Praxis umzusetzen. Insofern wird es neue Impulse geben und eine enge Kooperation zwischen Bundesarbeitsministerium und Bundesbildungsministerium auf diesem Gebiet.
Zum Schluß möchte ich auf die Frage eingehen, die Sie ja auch an mich gerichtet haben, wie die Reform der beruflichen Bildung weiterverfolgt werden soll. Sie wissen, daß die Bundesregierung Grundsätze für die Reform ausgearbeitet hat, die inzwischen auch in einer Reihe weiterer Vorarbeiten näher präzisiert worden sind. Diese Vorarbeiten werde ich in den nächsten Wochen zum Mittelpunkt des Gesprächs mit allen an der Berufsbildung Beteiligten machen, gleichsam in eine kritische Überprüfung einbeziehen. Gleichzeitig werde ich in dieses Gespräch auch die sich aus dem CDU/CSU-Antrag ergebenden Fragen sowie die von mir genannten sachlichen Grundpositionen einbeziehen.
Um es noch einmal offen zu sagen: Ich möchte die Berufsbildungsdebatte nicht auf die Frage nach administrativen Regelungen verengen, sondern zu einem Reformprozeß machen, in dem die Erfahrungen der letzten Jahre berücksichtigt und die Regelungen gefunden werden, die sich unmittelbar für die Praxis auswirken. Aus der Art meines Vorgehens mögen Sie die Absicht der Bundesregierung entnehmen, die Reform nicht über die Köpfe der Beteiligten hinweg vorzunehmen.
({8})
Auf der Grundlage der von meinem Ministerium geführten Gespräche werden wir dann dem Parlament so rechtzeitig unsere Vorschläge unterbreiten, daß gesetzgeberischer Fortschritt in dieser Legislaturperiode erreichbar wird.
Ich bin mir darüber im klaren, daß die Bundesregierung bei dieser ihrer Anstrengung auf ein breites Verständnis und auf Kooperation aller Beteiligten angewiesen ist. Wenn jeder der Beteiligten nur seine Position ausreizen und institutionelle Bedenken höher als das gemeinsame Ziel stellen würde, dann würde ein Stück Verantwortung vor den Jugendlichen und ihren Eltern in unserem Land verspielt. Für sie sind die Probleme der beruflichen Bildung existenzielle Fragen im vollen Sinn dieses Wortes. Es wäre in meinen Augen ein Kardinalfehler mit unabsehbaren sozialen und wirtschaftlichen Folgen, wenn die Reform der beruflichen Bildung im Gestrüpp weitgefächerter und oft überhaupt nicht mehr überschaubarer Zuständigkeiten hängenbleiben würde.
({9})
Die Bundesregierung bietet heute ihren Willen zu konstruktiver Zusammenarbeit an, um eine Lösung zu finden, die durch sinnvolle Planung, inhaltliche Ordnung, staatliche Verantwortung sowie flexible Durchführung eine schöpferische Weiterentwicklung mit allen an der Berufsbildung Beteiligten in unserem Land ermöglicht.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Schedl.
,Schedl ({0}) : Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister, was Sie uns eben vorgetragen haben, hört sich auch für uns wesentlich realistischer und nüchterner an als vieles von dem, was wir - zumindest spätestens beginnend am 15. November an Markierungspunkten von dieser Koalition gehört haben.
({1})
Ich weiß nicht, was der Wink mit dem Reibeisen eigentlich soll, Herr Bundesminister. Wenn, dann kann es Ihnen ja nur gedient haben, in einigen Bereichen die unerhörten ideologischen Kanten dieses Papiers abzuschleifen und diese Probleme auf den Boden zurückzuführen, auf dem wirkliche Reform für diesen Bildungssektor betrieben werden muß.
({2})
Ich weiß auch gar nicht, Herr Bundesminister, warum Sie meinen, die Opposition verfolge dieses Gebiet mit Polemik. Nach meiner Ansicht war nur unser ganz hartes Auftreten, Herr Kollege Möllemann, daDeutscher Bundestag 7. Wahlperiode Schedl
für ausschlaggebend, daß es in der Koalition zum Nachdenken gekommen ist und daß diese Koalition ihr Pferd, das ja auch in anderen Bereichen nicht das erfolgreichste war - soweit ich, der ich kein Bildungspolitiker bin, das verfolgt habe -, gegen einen „Mann der Praxis" ausgewechselt hat, wie Sie, Herr Minister, in der Deutschen Zeitung bezeichnet werden.
({3})
Hinzu kommt zweifelsfrei der deutliche und spürbare Rückgang der Ausbildungsstellen, der sich in den letzten Monaten besonders verstärkt hat. Wenn Sie sagen, daß wir der Bundesregierung die direkte Verantwortung dafür zuschieben, so ist das falsch. Was wir immer wieder und in den letzten Wochen mehr und mehr festgestellt haben, ist die Tatsache - zu der es ja eine interessante Kleine Anfrage einiger Koalitionskollegen gibt, die Sie in den letzten Tagen schriftlich beantwortet haben -, daß neben regionalen strukturellen Schwierigkeiten und dem Rückgang der Betriebszahlen auch die Diskussion um die Reform der beruflichen Bildung in weiten Bereichen der Öffentlichkeit zu einer Verunsicherung geführt hat, die gerade bei der mittelständischen Wirtschaft Schwierigkeiten verursacht hat.
Nun wäre es das Allerverkehrteste, diese Frage so zu beantworten, daß Rückgänge der Zahl der Ausbildungsplätze etwa als ein Ausbildungsboykott zu bezeichnen wären. Meine verehrten Damen und Herren, ich meine, daß dort vielmehr die echte Sorge besteht, ob man in der Zukunft überhaupt in der Lage sein kann, den Anforderungen, die aus all Ihren ersten Papieren hervorgegangen sind, zu entsprechen. Dies waren die Gründe, die sich natürlich auch im aktuellen Zahlenspiel so darstellen, daß wir im Vergleich zum Jahre 1970 mit 650 000 Ausbildungsplätzen in diesem Jahr nur 371 000 Ausbildungsplätze angeboten bekommen haben.
Herr Bundesminister, Sie haben sich darüber hinaus zum erstenmal - in einer Deutlichkeit, wie sie eben bislang nirgendwo gegeben war - zum Lernort, zum Ausbildungsort Betrieb bekannt. Sie haben hier sogar eine Reihenfolge gewählt, indem Sie gesprochen haben von der Qualität der Ausbildung „in Betrieb und Schule". - Sie haben dann vom Verhältnis zwischen Wirtschaft und Gewerkschaften gesprochen und von all den Zusammenhängen, die dort notwendig sind. Zum erstenmal in einer so klaren Form haben Sie auch expressis verbis davon gesprochen, daß Sie Verstaatlichung und Verschulung in diesem Bereich auf gar keinen Fall haben oder anstreben wollen.
Wir unsererseits warten jetzt darauf - Sie haben dazu auf einen Zwischenruf geantwortet -, was Sie uns an Papieren vorlegen werden. Unser Antrag war nie etwas anderes als ein ganz klares Abzeichnen unserer Position in dieser Frage. Wir haben ja in einer der Fragen ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß wir uns eine berufliche Bildung in der Zukunft nur mit einem klaren Bekenntnis zum Lernort Betrieb, was dann eben ein klares duales System bedeutet, vorstellen können.
Meine verehrten Damen und Herren, vielleicht mag es in diesem Zusammenhang interessant sein, auch einmal einige Zahlen hinsichtlich derjenigen einzuführen, die ja eigentlich die am wesentlichsten Betroffenen sind, nämlich hinsichtlich der Auszubildenden. Es gibt da interessante Umfragen, Umfragen, die vor allen Dingen darauf gerichtet sind, wie denn die Auszubildenden die in diesem Lande immer als Beweis dafür genommen werden, wie schlecht es um die berufliche Bildung gerade auch aus der Sicht der Betroffenen stehe, speziell in den Markierungspunkten und im Referentenentwurf und in den Unterlagen, die dazu verwendet worden sind
- zu der Sache stehen.
({4})
- Wir werden am Schluß diese Frage noch einmal stellen. - Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen hierzu einige wenige Zahlen nennen. 50 000 Auszubildende wurden in einer Umfrage angeschrieben. Knapp 7 000 haben Stellung genommen; von ihnen waren 64 % Mitglieder im DGB. Von diesen 64 % Mitgliedern haben 83 % der noch nicht 18jährigen erklärt, sie würden mit Sicherheit noch einmal denselben Beruf ergreifen und dabei auch wiederum in den gleichen Ausbildungsbetrieb gehen.
({5})
78 % der über 18jährigen haben das gleiche erklärt. Mehr als 75 %- nicht ganz 76 % bestätigten das Vorhandensein eines besonderen Ausbildungsplans und eines speziellen Ausbildungsplatzes. 93% davon kennen all diese Dinge, die mit ihrem Ausbildungsplan zusammenhängen, soweit es den jeweiligen Betrieb betrifft, bis ins letzte Detail. Nur weniger als 4 % waren der Ansicht, sie würden nicht nach Plan ausgebildet.
({6})
Ich möchte mir in diesem Zusammenhang einmal die Frage erlauben, warum vom DGB neben vielen kritischen Stellungnahmen bislang nicht z. B. auch diese Umfrage veröffentlicht worden ist.
({7})
Ich nehme an, meine verehrten Damen und Herren, weil sie ganz klar zum Ausdruck bringt, daß die Mißstände in ganz anderen Größenordnungen, als sie wirklich existieren, dargestellt werden.
({8})
Zu den Überlegungen in Richtung Verschulung und Verstaatlichung kann ich mich heute kurz fassen. Sie haben ja hier erklärt, Sie wollen keine Verschulung und Verstaatlichung.
({9})
Vielleicht hat inzwischen das Studium und die Überprüfung derartiger Modelle, die wir im Ausland in
einigen Bereichen sehen können, Sie oder auch Ihr Haus noch zusätzlich darauf gebracht, daß die Erfolge dort wesentlich schlechter sind, als sie bei uns im Bereich des Dualsystems erreicht werden konnten.
Einige wenige Bemerkungen noch zur Frage der überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Sie haben zu den überbetrieblichen Ausbildungsstätten erklärt, daß wir auch dort in der Zukunft eine bessere Zusammenarbeit finden müssen. Genau dies, meine verehrten Damen und Herren, ist die Position, die in dieser Frage aus unserem Antrag hervorgeht, weil wir mit diesen Ausbildungsstätten nicht zuletzt in den strukturschwachen und regional schwachen Räumen das Vakuum, das sich da und dort bei der betrieblichen Ausbildung ergeben wird, noch besser auffüllen wollen, als das in irgendeiner anderen Form möglich wäre. Offensichtlich hat hier das Reibeisen auch ganz gut gegriffen.
Zur Frage der staatlichen Kontrolle hat der Kollege Gölter unsere Auffassung ganz klar und deutlich ausgeführt. Wir haben uns in unserem Papier zur staatlichen Kontrolle bekannt, zu einer staatlichen Kontrolle, die Fach- und Rechtsaufsicht bei den Kammern bedeutet. Wogegen wir sind, ist eine Kontrolle, die im letzten Aufsicht in den einzelnen Betrieb hinein durch staatliche Kontrolleure bedeuten würde.
({10})
Ich möchte nur noch einmal unterstreichen, was Sie selber hier am 21. Mai schon einmal erklärt haben: 15 000 Berufsschullehrer machen Ihnen und den Ländern und uns allen in diesem Lande Sorgen. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, Herr Minister, wie sich Ihr Vorgänger dann über 3 000 und mehr Kontrolleure für eine völlig unnötige Bürokratie überhaupt Gedanken machen konnte.
({11})
Meine verehrten Damen und Herren, auch zur Finanzierung möchte ich noch ganz wenige Bernerkungen machen. Es ist interessant, wenn Sie hier anführen, daß der Bund - sicherlich unter anderem - 160 Millionen DM in den nächsten beiden Jahren für die übertriebliche Ausbildung zur Verfügung stellt. Aber vielleicht sollten wir alle ab und zu einmal etwas mehr daran denken, daß die Wirtschaft im letzten Jahr allein 11,1 Milliarden DM für die betriebliche und überbetriebliche Ausbildung in diesem Lande aufgebracht hat, meine verehrten Damen und Herren,
({12})
11,1 Milliarden DM, bei denen wir alle miteinander sicherlich davon ausgehen, daß wir auch in der Zukunft das Engagement der Wirtschaft in dieser Größenordnung brauchen. Wir sind der festen Überzeugung, daß wir auch damit rechnen können, wenn wir nicht bei derselben Wirtschaft auf dem Wege von Modellen, wie wir sie bisher mit Ihnen diskutieren mußten, damit Sie von diesen Dingen herunterkommen, unter Umständen in einen Engpaß kommen -1 und das wäre sicherlich eingetreten -, wo dann diese Bereitschaft nicht mehr aufgebracht wird.
Ich meine, wir sollten in diesem Zusammenhang auch sehen, daß wir, wie Kollege Gölter ganz klar erklärt hat, einen zentralen Fonds in einer Hand generell ablehnen. Wir gehen davon aus - unserem Papier können Sie das deutlich entnehmen -, daß wir im Hinblick auf den Ausgleich der größeren Zahl von Ausbildungsplätzen in den Ballungsräumen, der Schwierigkeiten in den ländlichen und schwach strukturierten Räumen, einen Ausgleich, der auch branchen- und gruppenspezifisch gedacht sein kann, bereit sind, über Modelle, wie sie in unserem Papier aufgezeigt sind, miteinander zu reden. Nur eins ist für uns völlig klar: Ein zentraler Fonds in einer Hand ist für uns kein Modell, über das Sie mit uns diskutieren können, meine verehrten Damen und Herren.
({13})
Wir sind - das möchte ich zusammenfassend feststellen - bereit zu einer Verbesserung der beruflichen Bildung; wir sind bereit zu jeder Mitarbeit; wir sind bereit, dort mitzuarbeiten, wo es wirklich um Verbesserung geht. Wir sind nicht bereit, Experimente mit Ihnen zu beginnen, die schließlich nur Veränderung und Abschaffung dieses bewährten Systems bedeuten, aber sicherlich keinerlei Verbesserung mit sich bringen würden. Wir möchten Ihnen nur anraten - der Kollege Stark hat es in einer Zwischenfrage schon getan -, daß Sie in diesem Zusammenhang mit dem scheidenden Bundespräsidenten denken, der davon gesprochen hat, daß es irre war, hier einen Flächenbrand zu entfachen, indem man davon ausging, alles auf den Kopf zu stellen. Zu Verbesserungen, die das System für die Auszubildenden erhalten und die für die Wirtschaft die beste Nachwuchsstruktur erbringen, sind wir bereit. Über Veränderungen können 'Sie mit uns nicht reden.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engholm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man den Antrag der CDU/CSU zur beruflichen Bildung gelesen und die Rede von Herrn Dr. Gölter und auch die von Herrn Schedl aufmerksam verfolgt hat, gewinnt man den Eindruck, endlich habe die CDU/CSU die berufliche Bildung entdeckt.
({0})
Ich kann eigentlich nur gratulierend sagen: beide Ihrer Redner hätten nicht vergessen dürfen, hier ein fröhliches „heureka" zu rufen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Probst?
Natürlich.
Herr Kollege Engholm, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sagen würde, daß das einer der besten politischen Witze ist? Ist Ihnen unbekannt, daß in dem sozialdemokratisch regierten Land Hessen die Chancengleichheit ausschließlich als Marsch zum Abitur verstanden wurde, daß man berufliche Bildung sträflich vernachlässigt und daß man andere Länder als Schlußlichter bezeichnet hat, weil die auch berufliche Bildung gemacht haben?
Mir sind einige Dinge bekannt, die Ihnen eigentlich bekannter als diese sein dürften, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Probst, zum Beispiel daß bei der praktischen Frage, die das Gebiet betrifft, über das wir hier zu reden haben, nämlich bei der Abstimmung der Rahmenlehrpläne und der Ausbildungsordnungen, ein Punkt, den Sie in Ihrem Antrag sehr weit nach vorn geschoben haben, besonders zwei Länder immer blockieren. Eines dieser beiden Länder ist Bayern, das Land, aus dem Sie kommen.
({0})
Mir scheint das viel wesentlicher zu sein als die Unterstellung, die Sie soeben gemacht haben. Wenn ich allerdings sehe, wie Sie mit der Entdeckung des Themas Berufsbildung - Sie haben immerhin über 20 Jahre Zeit gehabt, vorbildliche Lösungen, wie Sie sie heute fordern, zugrunde zu legen ({1})
mit einer erheblichen und für mich überraschenden Schnelligkeit auch gleich das ganze berufsbildungspolitische Terrain für sich reklamieren, so kann ich nur sagen: alle Achtung, das hat Züge eines bildungspolitischen Freibeutertums.
({2})
Auf der anderen Seite wird das Märchen, das der Herr Kollege Schedl hier erzählt hat - es sind genau genommen zwei Märchen gewesen -, vom Zusammenhang mit den Reformbemühungen Klaus von Dohnanyis und dem Rückgang der Ausbildungsplätze auch dadurch nicht richtiger, daß es hier ständig wiederholt wird. Sie müßten als Berufsbildungsexperte wissen, daß seit über zehn Jahren ein ständiger Trend zum Rückgang von Ausbildungsplatzangeboten zu verzeichnen ist, und Sie wissen, daß es eine komplexe Ursachenstruktur gibt, die Sie alle in zahlreichen Papieren vom Ministerium, vom Bundesausschuß für berufliche Bildung und anderen Gremien nachlesen können. Wenn Sie das nicht zur Kenntnis genommen haben und hier wider besseres Wissen die Behauptung aufstellen, die auch Herr Carstens in unrühmlicher Form bei der letzten Debatte vorgebracht hat, ist das ein bedauerlicher Auftakt zu einer möglichen sachlichen Zusammenarbeit.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schedl?
Bitte schön!
Herr Kollege Engholm, soll ich Ihren Äußerungen entnehmen, daß Sie davon ausgehen, daß die über eineinhalb Jahre, verstärkt in den letzten Monaten geführte Diskussion der Reform der beruflichen Bildung - in diesem Fall besonders die Vorstellungen, die aus der Koalition kommen - nicht einen außerordentlich verunsichernden Faktor gerade in den Bereich der mittelständischen Wirtschaft hineingetragen hat?
({0})
Herr Kollege Schedl, der Mittelstand ist verunsichert worden durch Reden und Äußerungen wie die des Herrn Professor Carstens, der wider besseres Wissen hier z. B. gesagt hat, Handwerksmeister müßten noch einmal auf die Schulbank, um zu lernen.
({0})
Jeder, der sich mit Berufsbildungspolitik und mit den Markierungspunkten beschäftigt hat, weiß, daß dies nicht der Fall ist.
({1})
Nun zu dem zweiten - ich will wieder zu etwas mehr Ruhe zurückkommen -, was Sie hier gesagt haben, zur Äußerung des Bundespräsidenten. Wer aufmerksam Zeitung liest, Herr Kollege Schedl, müßte wissen, daß der Herr Bundespräsident in der „Welt" die Äußerung eines dpa-Vertreters als irreführend korrigiert hat. Der Bundespräsident hat gesagt, es sei irre, wenn Handwerksmeister noch einmal auf die Schulbank müßten. Aber nach unseren Vorstellungen sollen sie das nicht. Dies sollten Sie doch als Schreinermeister - Verzeihung! - wissen.
Nun lassen Sie mich bitte einige Worte zum Antrag der CDU/CSU sagen. Ich meine, daß dieser Antrag in bestimmten Bereichen interessant ist, in anderen Bereichen auch so etwas wie eine fast exotische Mischung aus Möglichem und Unmöglichem, aus Ungereimtem und Gereimtem darstellt. Es gibt Punkte, über die wir wahrscheinlich sehr gut werden reden können, es gibt andere Punkte, bei denen Sie große Schwierigkeiten haben werden, diese zu konkretisieren.
Lassen Sie mich das an einigen Beispielen deutlich machen.
({2})
Es fällt an diesem Antrag z. B. auf, daß etliche Punkte vorhanden sind, die zumindest verbal - wenn auch nicht inhaltlich - einen gewissen Abklatsch der Markierungspunkte darstellen. Daß Sie z. B. endlich begriffen haben, daß eine zunehmende Theoretisierung auch der beruflichen Bildung notwendig ist, ist eine Erkenntnis, die für freie und
soziale Demokraten seit vielen Jahren zu den Selbstverständlichkeiten gehört.
({3})
- Daß Sie dies heute hineinschreiben, ist, Herr Dr. Gölter, dankenswert. Wie sich allerdings diese Theoretisierung vollziehen und wie künftig die Bezüge von Theorie und Praxis in der Berufsbildung aussehen sollen, darüber steht in Ihrem Antrag so gut wie nichts. Wir werden, hoffe ich, Gelegenheit haben, darüber im Ausschuß zu reden.
Zur Gleichwertigkeit darf ich anmerken, daß die Junge Union sich auf ihrem Berufsbildungskongreß in Gelsenkirchen deutlicher ausgedrückt hat als Sie. Sie hat gesagt: Nicht nur Gleichwertigkeit; Berufsbildung ist ein integrierter Bestandteil des Bildungswesens. Vielleicht werden wir uns darauf verständigen können. Aber wie diese Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit hergestellt werden, dazu ist in Ihrem Papier ebenfalls nichts gesagt. Es bleibt für uns insofern zunächst einmal eine bildungspolitische Leerformel.
Ein Drittes. Sie sagen: Wir wollen den Lernort Betrieb stärken. Wenn man die Markierungspunkte nimmt, deren Basis heute insgesamt bis auf einige Punkte nicht umstritten ist,
({4})
so läßt sich feststellen, daß die Stärkung des Betriebes auch dort angestrebt wird. Was Sie fordern, ist also eine Binsenweisheit; das können Sie in den Markierungspunkten besser finden. Dies ist nichts Neues und nichts originär Christdemokratisches. Nur sagen Sie uns bitte, wie Sie den Betrieb als Lernort stärken wollen. Doch nicht dadurch, wie es in Ihrem Antrag steht, daß wieder einmal die öffentlichen Hände zur Kasse gebeten und Anreize geschaffen werden, damit die Wirtschaft mehr investiert! Dies kann doch wohl unmöglich die bildungspolitische Motivation bei dem Vorhaben sein, den Lernort Betrieb zu stärken.
Ein vierter Punkt: Die überbetrieblichen Ausbildungsstätten sollen künftig stärker gefördert werden. Ihr Antrag ist ein Schnellschuß; man sieht es, wenn man ihn von der Sprache her durchsieht. Wir haben bereits im vergangenen Jahr in Richtlinien für die überbetrieblichen Lehrwerkstätten genau das zugrunde gelegt, auch finanziell geplant, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Das scheint Ihnen entgangen zu sein. Vielleicht sollten Sie die Richtlinien für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten nachlesen und zur Kenntnis nehmen, daß der Bund dafür bereits etwa 400 Millionen DM bis 1976 eingesetzt hat.
({5})
Ein letzter Punkt: Was Sie über Fortbildung und die Integration der Fortbildung in den berufsbildenden Bereich geschrieben haben, entspricht unseren Vorstellungen, ist jedoch in sehr viel konkreterer und durchdachterer Form in den Markierungspunkten niedergelegt.
Es gibt darüber hinaus in einem zweiten Bereich Ihres Antrages einige Dinge, die außerordentlich unklar geblieben sind. Ich meine z. B. das, was Sie an Aufgaben dem Bundesausschuß für berufliche Bildung künftig überantworten wollen. Man kann über eine solche Konzeption reden, nur muß man dann ganz klar wissen: Wollen Sie aus diesem Bundesausschuß für Berufsbildung einen dekorativen Appendix oder wollen Sie aus ihm eine echte und funktionstüchtige Selbstverwaltungskörperschaft machen? Ihn bei seiner heutigen Form zu belassen und ihm jene Fülle von Aufgaben zu überantworten, die in Ihrem Antrag vorhanden sind, heißt ihn sachlich überlasten und heißt zum zweiten eine Reihe von außerordentlich schwierigen verfassungsrechtlichen Problemen aufwerfen; denn in seiner heutigen juristischen Form
({6})
wird der Bundesausschuß die Aufgaben, die Sie wollen, nicht erledigen können. Hierauf sind Sie uns bisher eine Antwort schuldig geblieben.
Wenn ich sehe, wie Sie das Finanzierungsproblem behandeln, so ist es schön, daß Sie dessen Bedeutung anerkennen. Nur daß Sie um diesen Punkt wie die Katze um den heißen Brei herumlaufen, ist typisch und für mich verständlich; denn hier ist wirklich ein Punkt, wo man einmal über kurz oder lang dem einen oder dem anderen Interessenten weh tun muß.
({7})
Ein Finanzierungssystem, das sich reibungslos vollzieht und alle Interessenten zufriedenstellt, kann es nicht geben.
Sie wissen, daß erst vor etwas über zweieinhalb Monaten der Abschlußbericht der Edding-Kommission vorgelegt worden ist.
({8})
Und Sie haben die Zusicherung des Ministers erhalten, daß über diesen Punkt in absehbarer Zeit geredet wird. Nur, wer verzeihen Sie hier etwas großspurig dieses Problem in einem Antrag zugrunde legt, sollte zumindest die grundsätzlichen Strukturen einer Finanzierungsregelung dem Hause bekanntgeben.
Meine Damen und Herren, wir halten als Sozialdemokraten an jenen Punkten fest, die bisher für uns von unverzichtbarer Bedeutung gewesen sind und auch künftig bleiben werden.
({9})
Ich will Ihnen zur Wiederholung die vier wesentlichen Punkte der Berufsbildungsreform aus unserer Sicht nennen.
Der erste Punkt heißt: Verbesserung der Qualität der beruflichen Ausbildung;
({10})
und zwar nicht nur Verbesserung der betrieblichen Qualität, auch Verbesserung der schulischen Qualität. Und Qualitätsverbesserung heißt mit Sicherheit - da werden wir übereinstimmen -: Abstimmung zwischen den beiden oder den drei Lernorten, wenn man die überbetrieblichen Lernorte einbezieht. Qualitätsverbesserung setzt dichte und enge Abstimmung zwischen den Lernorten voraus.
Das zweite: Wir werden den Geltungsbereich des Gesetzes erweitern
({11})
und einheitliche Regelungen für alle Bereiche schaffen müssen, in denen berufliche Ausbildung stattfindet. Es ist nicht einzusehen, daß vier oder fünf Bereiche mit unterschiedlichen Grundlagen nebeneinander existieren. Soweit die Bedingungen zu vereinheitlichen sind, werden wir sie vereinheitlichen.
Ein dritter Punkt: Wir werden die öffentliche Verantwortung stärken. Das wird bedeuten - über das hinausgehend, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben : mehr staatliche Kontrollen, um eine Stärkung der öffentlichen Verantwortung herbeizuführen.
Und viertens werden wir dafür Sorge tragen, daß die Beteiligten an der beruflichen Bildung ein ausreichendes und wirksames Mitbestimmungsrecht in allen wesentlichen Fragen erhalten werden.
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Lassen Sie mich zusammenfassen: Diese Ziele sind für uns unverzichtbar. Die Wege, um die Ziele zu erreichen, sind offen für die Diskussion. Für uns gibt es keine Details, die festgelegt sind; denn wir haben bisher auf diesem Felde nicht dogmatisch agiert und reagiert und werden das auch künftig nicht tun.
Das heißt also, wenn ich das noch einmal anders formulieren darf: Wir sind wie in der Vergangenheit kooperationsbereit. Aber lassen Sie sich von der CDU/CSU bitte deutlich sagen: Kooperationsbereitschaft hat ihre Grenzen. Sie findet besonders da ihre Grenzen, wo durch die bewußte Verbreitung von Furcht und durch die Verbreitung von Emotionen draußen im Lande nicht mehr die Debatte angeregt, sondern partiell Haß gegen die Reformer geschürt wird.
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Das heißt auch, daß wir unsere Kooperationsbereitschaft da ihre Grenzen finden lassen werden, wo eine Opposition wie Sie vor der Vorlage eines Referentenentwurfes bereits eine Bundesratsblockade ankündigt, also bevor hier im Hause ein Entwurf auf den Tisch gelegt ist. Wer so leichtfertig mit der zweiten Kammer umgeht, wird auf die Grenzen unseres Entgegenkommens stoßen.
Schließlich werden Sie Grenzen finden bei Reden wie der Ihres Fraktionsführers in der letzten großen Debatte,
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wo bewußt Fehl- und Falschinterpretationen dazu dienten, draußen im Lande die Angst zu schüren. Das Beispiel mit den Handwerksmeistern - Sie können es nachlesen - habe ich Ihnen gebracht. Erfreulicherweise haben Ihre Experten diesen Teil der Rede von Herrn Carstens in angemessener Form richtiggestellt.
Meine Damen und Herren, wenn wir begreifen - und ich glaube, Sie werden mehr daran arbeiten müssen -, daß Berufsbildungsreform nichts mit Wirtschaftsförderung zu tun hat, sondern daß es darum geht, denen, die wirklich viele Jahre hindurch die vergessene Majorität gewesen sind,
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zu helfen, und wenn Sie dies Ihren Freunden draußen im Lande bitte auch sagen, damit wir zu mehr
Sachlichkeit bei der Debatte zurückkommen können,
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damit wir über das reden, was auf dem Tisch liegt, nicht das, was Ihre Kollegen draußen verkündet haben, werden wir - bei dieser Rückkehr zur Sachlichkeit - eine Chance haben, gemeinsam einige Schritte nach vorn zu tun.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klein ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Jahren erleben wir die Beschwörung der Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung.. Wenn wir uns allerdings das, was da beschworen wird, einmal genauer anschauen und vor allen Dingen die bildungspolitische Wirklichkeit des letzten Jahrzehnts einmal in den Blick nehmen, habe ich das Gefühl, daß es sich hierbei oftmals um ein Lippenbekenntnis gehandelt hat. Vor allem Bildungspolitiker der SPD haben, gewollt oder ungewollt, doch das Vorurteil gefördert, daß der Mensch erst mit dem Abitur beginnt. Und wenn es jemand nötig hatte, die berufliche Bildung zu entdecken, Herr Engholm, dann war es Ihre Fraktion.
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Diese bildungspolitische Fehleinschätzung hat nicht nur zur Überschwemmung und Überforderung des Gymnasiums geführt, sondern uns auch einen falschen Ansatz für die Reform der beruflichen Bildung beschert. Während auf der einen Seite von Ihnen ideologische Sandkastenspiele mit der Verschulung der Berufsbildung und der Austrocknung
Dr. Klein ({1})
des dualen Systems betrieben wurden, beließ man gleichzeitig diejenigen, denen man angeblich helfen wollte, nach wie vor in ihren Benachteiligungen.
Die Benachteiligung wird neben den geringeren Aufstiegschancen durch berufliche Bildung bisher z. B. in folgender handfester Zahl deutlich, die für Hessen übrigens noch um einige Etagen tiefer anzusetzen ist: 1970 wurden für jeden Schülerplatz in Berufsschulen 19 % weniger an Mitteln ausgegeben als für Schülerplätze an anderen Schulen.
Herrn Engholm sei hier gesagt: Der vorliegende Antrag steht in der guten Tradition von Unionsinitiativen gerade im Bereich der beruflichen Bildung. Denken Sie doch einmal zurück - Herr Engholm, in der Zeit waren wir beide noch nicht in diesem Parlament, aber die Diskussion und die Geschichte müßten auch Sie kennen - an die Zeit, in der die bildungspolitische Debatte weitgehend von Universitätsproblemen bestimmt wurde! In dieser Zeit war es doch Hans Katzer, der als Arbeitsminister der Großen Koalition im Jahre 1969 den entscheidenden großen Schritt zu einem Berufsbildungsgesetz getan hat, das nach Jahrzehnten der Bemühung in diesem Bereich dies erstmals in eine umfassende gesetzliche Ordnung faßte.
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Und 1971, in der 6. Legislaturperiode, was es dann diese Unionsfraktion, die gegen die Untätigkeit der Regierung in Sachen beruflicher Bildung ein wirksames Sofortprogramm setzte. Ich habe die Protokolle der damaligen Debatte nachgelesen, Herr Engholm, und mir ist aufgefallen, daß Sie - ich glaube, es war Ihre Jungfernrede - in relativ verlegener und zum Teil polemischer Form sich offensichtlich selber darüber geärgert haben,
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daß diese Initiative von uns kam, während auf Ihrer Seite nichts vorzuweisen war. Der heute debattierte Antrag unserer Fraktion ist ein weiterer konsequenter Schritt realistischer Reformpolitik der Union.
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Wenn wir die Berufsbildungspolitik der Koalition gegen unsere Bemühungen halten, stelle ich mir allerdings die Frage: wo ist bei Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, eigentlich eine klare Linie konsequenten politischen Handelns zu erkennen?
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Da wurde in drei Regierungserklärungen seit 1969 eine Reform der beruflichen Bildung angekündigt, jedesmal mit völlig anderem Akzent. In der 6. Legislaturperiode verzichtete man - ich habe soeben darauf hingewiesen - Ihrerseits auf jede nennenswerte Initiative. In der jetzigen Legislaturperiode stießen Sie schließlich zu den Markierungspunkten
VOL
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Bis zur Sommerpause dieses Jahres, also eigentlich
für die Zeit in dieser oder der nächsten Woche, kündigen die Markierungspunkte einen beratungsreifen
Gesetzentwurf an. Wo ist der eigentlich geblieben? Statt dessen haben wir doch mit Ihrem sogenannten Referentenentwurf alle einen mißglückten Versuchsballon erlebt, der schmählich zerplatzt ist.
In der Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers hat das Thema der Reform der beruflichen Bildung eine Rolle gespielt. Bei genauerem Lesen dieser Passagen, übrigens auch der Ausführungen, die der Herr Minister Rohde hier soeben gemacht hat, kommt man zu dem Ergebnis: Hier wurde zunächst klimatisch und im abstrakten Bereich der hehren Grundsätze versucht, von den Fehlern der Dohnanyischen Vergangenheit Abschied zu nehmen. Hoffentlich, kann ich nur sagen, folgen den Bemühungen um Klimawechsel und Wechsel in den Formulierungen bei den hehren Grundsätzen auch Veränderungen in der Substanz. Wir sind gespannt, was hier auf uns zukommen wird.
Was nun unseren hier diskutierten Antrag betrifft, birgt er die Substanz für eine klare, realistische Reformpolitik. Hauptelemente unserer Reformvorschläge zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes sind:
Erstens. Die CDU/CSU sagt ein klares Ja zum dualen System, denn das pädagogische Element der Praxis, der Lebensbezug, der in der betrieblichen Ausbildung liegt, ist unverzichtbar. Dazu kommt: Der gleitende Übergang, den das duale System zwischen die Schulzeit und die Arbeitswelt legt, schafft die Voraussetzungen dafür, daß es bisher in unserem Lande Jugendarbeitslosigkeit nicht gegeben hat und hoffentlich auch in Zukunft nicht geben wird im Unterschied zu den Ländern mit rein schulischer Berufsausbildung.
Ja zum dualen System bedeutet aber unsererseits auch Ja zur Verbesserung des dualen Systems.
Zweitens. Die beruflichen Ausbildungsgänge müssen - was bisher leider nicht der Fall war - aus einem Guß sein. Das bedeutet eine bessere Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Herr Kollege Gölter hat soeben schon darauf aufmerksam gemacht, daß entgegen allen Absichtserklärungen der Regierung insbesondere auch allen Absichtserklärungen in den Markierungspunkten, keine einzige neue Ausbildungsordnung mit den schulischen Rahmenlehrplänen der Länder abgestimmt worden ist. Das führt nicht nur zu Leerlauf, sondern auch zu Schwierigkeiten insbesondere bei der Eingliederung von Berufsgrundschülern in die betriebliche Ausbildung.
Deshalb soll zur besseren Abstimmung zwischen allen Beteiligten, insbesondere bei der Erarbeitung der Ausbildungsordnungen und der Rahmenlehrpläne, eine Umstrukturierung des Bundesausschusses erfolgen. In ihm sollen nach unseren Vorstellungen Vertreter von Bund und Ländern, Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Lehrern an berufsbildenden Schulen gleichberechtigt vertreten sein. Dies ist unser Konzept zur Mitwirkung und Mitbestimmung der unmittelbar beteiligten Kräfte auf höchster Ebene. Auch ein Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit soll hier mit am Tisch sitzen. Die KomDr. Klein ({7})
petenz des Bundesausschusses soll verstärkt werden.
Herr Engholm, Sie können beruhigt sein: Was die organisationsrechtlichen Konsequenzen dieser Forderungen angeht, so werden wir dies noch in der notwendigen Weise verdeutlichen.. Durch Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern soll sichergestellt werden, daß die vom Bundesausschuß erarbeiteten Grundlagen für die berufliche Bildung auch tatsächlich realisiert werden.
Drittens. Die wirklich Unterprivilegierten unseres Bildungssystems sind - das sage ich hier, auch wenn das manchem unbequem ist - nicht die Auszubildenden, sondern die 230 000 Jugendlichen, die weder eine Vollzeitschule besuchen noch einen Berufsausbildungsvertrag besitzen. Die CDU/CSU fordert ihre Einbeziehung in das System der beruflichen Bildung. Bisher leben sie außerhalb dieses Systems. Für die Gruppen der lernschwachen Jugendlichen, der ausländischen Jugendlichen, der spätausgesiedelten Jugendlichen, der behinderten Jugendlichen, der schwer erziehbaren und straffälligen Jugendlichen müssen jeweils spezifische Ausbildungsangebote geschaffen werden, wie dies unser Antrag verdeutlicht.
Die Tatsache, daß heute fast 30 % aller Haupt-und Sonderschulabgänger ohne Abschluß sind, ist in dem Zusammenhang als ein Skandal zu betrachten. Meine Damen und Herren, diese katastrophale Fehlentwicklung zeigt, daß das Bildungsangebot in diesem Bereich offensichtlich nicht den wirklichen Begabungen und Bedarfsbedingungen entspricht.
Gestatten Sie mir hierzu nur eine Bemerkung. Ein System, das 30 % seiner Schüler als Außenseiter ins Arbeitsleben und in die Gesellschaft entläßt, ist meiner Auffassung nach an Haupt und Gliedern krank. Wenn eine Schulreform nottut, so ist es die Reform einer Hauptschulreform, die zu sehr am Gymnasium orientiert worden ist.
Für diese Hunderttausenden von jungen Menschen gibt es heute nach Verlassen der Haupt- oder Sonderschule keinen Bildungsabschluß. Die Bundesanstalt für Arbeit, die mit ihren Förderkursen die Last dieser Fehlentwicklung heute fast allein tragen muß, darf hier, meinen wir, nicht weiter allein gelassen werden. Nachdem wir schon in unserem Sofortprogramm aus dem Jahre 1971 dieses Problem in den Vordergrund gerückt hatten, beschäftigt sich auch die Bundesregierung in den Markierungspunkten mit diesem Kreis unterprivilegierter Jugendlicher.
Die besondere Situation der Randgruppen ist in den Markierungspunkten, Herr Minister Rohde, allerdings nicht in ihrem vollen Umfang erkannt worden. In den Markierungspunkten werden Überlegungen angestellt, wie die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildungsverhältnis gesenkt werden kann. Dies ist zweifellos richtig und entspricht im wesentlichen unseren Vorstellungen. Dies ist aber doch nur die eine Seite des Problems. Was geschieht aber mit den jungen Menschen, die trotz aller Förderung nicht so weit zu bringen sind, daß sie in ein ordentliches Ausbildungsverhältnis vermittelt werden können? Hier passen die Markierungspunkte, hier bleiben sie verschwommen. Hier schlägt unser Antrag Konkreteres vor: Jugendliche, die einem normalen Ausbildungsverhältnis nicht gewachsen sind, sollen die Möglichkeit zu einer weniger anspruchsvollen Ausbildung erhalten - zumindest eine einjährige abgeschlossene Grundbildung, an die sich eine verkürzte oder normale Ausbildung anschließt.
Der vierte Schwerpunkt in der Reformsubstanz unseres Antrags liegt im Bereich der Berufsberatung. Wenn aus mehreren Umfragen, die Anfang der 70er Jahre durchgeführt wurden, deutlich wird, daß dort. wo Unzufriedenheit mit der eigenen Berufs- und Ausbildungssituation vorhanden ist, diese Unzufriedenheit in den meisten Fällen in einem direkten Zusammenhang mit der Unzufriedenheit über den ergriffenen Beruf steht, so ist es mir unverständlich, daß das Thema „Berufsberatung" in den Markierungspunkten lediglich einmal - und dort auch nur in einem Nebensatz - erwähnt wird.
Demgegenüber stellt unser Antrag die Bedeutung der Berufsberatung klar heraus und packt in diesem Zusammenhang auch das heiße Eisen der Bedarfsplanung an. Hier müssen wir, meine ich, alle gemeinsam weg von Tabus, die wir auch alle zusammen selber aufgerichtet haben. Die CDU/CSU fordert die Bundesregierung daher auf, zusammen mit den Ländern, den Berufsverbänden und gesellschaftlichen Organisationen fundierte Aussagen über künftige soziale, wirtschaftliche Entwicklungen und Berufsstrukturen zu entwickeln.
Ein Fünftes. Als entscheidenden Reformschritt, um die Kontrolle der beruflichen Bildung interessenunabhängig zu machen, um - um es mit einem Schlagwort zu sagen - die Selbstkontrolle der Wirtschaft in der beruflichen Bildung zu beenden, betrachtet die CDU/CSU die von ihr geforderte Verlagerung der Aufsicht über die betriebliche Ausbildung von den Kammern auf staatliche Aufsichtsorgane. Maßnahmen, die darüber hinaus jedoch zu Bürokratisierung führen würden, werden von uns klar und eindeutig abgelehnt.
Sechstens und letztens! Die bestehende ungerechte Lastenverteilung zwischen 20% ausbildenden und 80 % nicht ausbildenden Betrieben muß durch eine gerechte Verteilung der Ausbildungslasten ersetzt werden. Dazu hat der Kollege Schedl eingehende Ausführungen gemacht. Ich erspare mir hier Wiederholungen. Bei der organisatorischen Ausgestaltung dieser Umlagefinanzierung ist die CDU/CSU-Fraktion für vernünftige Regelungen offen, wenn wir den zentralen Fonds einmal hier außer Betracht lassen.
Ich habe eingangs die Kette von entscheidenden Initiativen der Union zur Verbesserung der beruflichen Bildung aufgezeigt und die Reformschwerpunkte des vorliegenden Antrags deutlich zu machen versucht. Wer in der beruflichen Bildung alles beim alten lassen will, wer nicht bereit ist, den Mängeln in der betrieblichen und schulischen Berufsausbildung durch gesetzliche Maßnahmen zu begegnen, der hat die CDU/CSU ebenso zu seinem Gegner wie derjenige, der „Reform" sagt, aber in Wirklichkeit Etikettenschwindel betreibt, weil er in Wahrheit
7254 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Dr. Klein ({8})
eine Politik betreibt, die einem Rückgang der Ausbildungsplätze Vorschub leistet und die Gefahr in sich birgt, das lebens- und praxisbezogene duale System, das wir auch in der Zukunft brauchen, nicht zu verbessern, sondern zum Schaden der betroffenen Jugendlichen auszuhöhlen.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schuchardt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mir scheint es am Anfang dieses Diskussionsbeitrages doch wichtig zu sein, noch einmal darauf hinzuweisen, welche Verdrehungen in den letzten Monaten bei diesem Diskussionsthema vorgenommen wurden. Es gab im wesentlichen zwei Bereiche, in denen die Bundesregierung und die Koalition ohne jeden berechtigten Hintergrund mit falschen Behauptungen angegriffen wurden: Einmal wurde gesagt, die sozialliberale Koalition wolle verschulen, verstaatlichen oder verbürokratisieren. Auch heute ist dies wieder betont worden. Angeblich soll hier in den letzten Wochen ein ungeheurer Wandel eingetreten sein.
Ich möchte aus diesem Grunde einmal aus den Markierungspunkten zitieren, was darin zu dieser Frage gesagt wird.
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Da steht - wenn ich zitieren darf, Frau Präsidentin -:
Die öffentliche Verantwortung für die berufliche Bildung bedeutet konkret, daß die Qualität der beruflichen Bildung nicht von den Zufälligkeiten der regionalen Wirtschaftsstruktur und nicht vom besonderen wirtschaftlichen Interesse eines Betriebes abhängig sein darf. Öffentliche Verantwortung bedeutet nicht, daß berufliche Bildung verschult oder verstaatlicht werden müßte.
So steht es in den Markierungspunkten. Und weiter:
Es ist zwar unbestritten, daß in einer zukunftsorientierten beruflichen Bildung der Anteil des theoretischen Unterrichts zunehmen muß. Es ist aber ebenso unbestritten - und in der Regierungserklärung am 18. Januar 1973 ist dies deutlich gemacht worden -, daß der Betrieb als Lernort erhalten bleiben muß.
Dies hätte jeder von Ihnen wortwörtlich so lesen können. Trotzdem haben Sie das Gerücht von der Verstaatlichung, der Verschulung aufgebracht.
Der zweite Punkt! Mir scheint seine Hervorhebung wichtig, auch wenn Kollege Engholm ihn heute bereits angesprochen hat, weil nämlich offenbar immer noch nicht so ganz deutlich geworden ist, daß mit falschen Behauptungen in der letzten Zeit unter wahlkampftaktischen .Gesichtspunkten Politik gemacht wurde.
({1})
Ich meine den Bereich der Ausbildereignung.
Bei den beteiligten Gruppen ist unbestritten, daß die fachliche und berufspädagogische Qualifikation von Lehrern, Werkstattlehrern und Ausbildern eine entscheidende Voraussetzung für die Qualität der Berufsausbildung ist. So ist die Ausbildereignungsverordnung - auch dies sollte jedem klar und bekannt sein - ein Ergebnis des bestehenden Berufsbildungsgesetzes. Die Ausbildereignungsverordnung ist im Jahre 1972 sogar mit Zustimmung des gesamten Bundesausschusses für berufliche Bildung - einschließlich der Vertreter der Wirtschaft - beschlossen worden. Dennoch hat man versucht, die Ausbildereignungsverordnung mit den Markierungspunkten in einem direkten Zusammenhang zu nennen, und man tat so, als ob sie ein unmittelbarer Ausfluß dieser Markierungspunkte wäre.
Es war unumstritten, daß die Qualifikation durch die Meisterausbildung die Berechtigung und Befähigung zur Ausbildung gibt und daß der Nachweis der Prüfung eines Handwerksmeisters bereits ausreicht, um auszubilden. Dieses war nie umstritten.
Nun wurde aber dieses Thema dazu benutzt - ich sagte es bereits: in Verbindung mit den hinter uns liegenden Wahlen wurde es wahlkampftaktisch in beneidenswerter Geschicklichkeit ausgeschlachtet -, um die Handwerksmeister zu verunsichern, als seien sie doch betroffen. Zweitens hat man versucht, der Öffentlichkeit einzureden, wegen der Ausbildereignungsverordnung hätten sich die Betriebe gewissermaßen schlagartig von heute auf morgen aus der Ausbildung zurückgezogen; dies sei auch so beabsichtigt, weil die sozialliberale Koalition auf diese Art und Weise die Verschulung durchsetzen wolle.
Nun muß man sich natürlich fragen: Wie kommt es zu solchen Gerüchten und solchen unrichtigen Behauptungen? Und da brauchen wir nun in der Tat nicht weit zu schauen und nur den Vorsitzenden der Oppositionsfraktion dieses Hauses zu zitieren. So sagte er z. B. am 20. Mai dieses Jahres in diesem Hause - Frau Präsidentin, ich darf zitieren -:
Als Handwerksmeister hörten, daß sie sich künftig einer Prüfung unterziehen sollten, auch wenn sie seit 20 Jahren oder länger erfolgreich Lehrlinge ausgebildet hatten, haben manche von ihnen darauf verzichtet, weitere Lehrlinge einzustellen.
So Herr Carstens. Und weiter:
Die Folge davon ist, daß die Zahl der Lehrstellen - ich bedaure dies sehr - radikal zurückgegangen ist.
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Herr Gölter hat heute dieses richtig gestellt.
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- Der Unterschied, Herr Gölter, zwischen der heutigen Debatte und der Debatte, in der Ihr Fraktionsvorsitzender sprach, ist aber erheblich. Erstens war zu der Zeit, als Ihr Fraktionsvorsitzender diese ungeheuerlichen Äußerungen tat, natürlich das Fernsehen eingeschaltet, und dieses war ja auch sehr
gezielt auf die niedersächsische Wahl eingerichtet. Gott sei Dank, kann ich nur sagen, hat dieses der Wähler nicht honoriert.
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Die Opposition hat damit auf die Uninformiertheit der Öffentlichkeit vertraut und sie, wie ich meine, in schamloser Weise ausgenutzt.
Nun könnte man natürlich annehmen, daß Herr Dr. Carstens dieses seinerseits aus Unkenntnis gesagt hat. Aber Unkenntnis kann man natürlich einem Oppositionsführer nicht unterstellen, besonders dann nicht, wenn es sich um eine vorbereitete Rede handelt. Außerdem würde ich es auch nicht wagen, der Opposition Unkenntnis zu unterstellen. Also muß dieses wohl in voller Ablsicht geschehen sein. Diese Form politischer Agitation ist wahltaktisch sicherlich geschickt; ich meine aber, unter seriösen Parteien sollte sie nicht üblich werden. Ich bin deshalb sicher, daß Sie, Herr Gölter, wohl die Gelegenheit benutzt haben, Ihren Fraktionsvorsitzenden vom Besseren zu überzeugen, damit er diese Behauptung öffentlich zurücknimmt und damit die Unsicherheit der Handwerksmeister beseitigt. Es ist nicht die Aufgabe dieser Regierung, diese Unsicherheit zu beseitigen, sondern Ihre, indem Sie Ihre falschen Behauptungen richtigstellen.
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Wie erfolgreich die Opposition mit dieser Wahltaktik war, wird jeder, der den Koalitionsparteien angehört, im Wahlkampf festgestellt haben, wenn er vor Handwerksmeistern sprach und die immer sagten: Ach was, wir sind gar nicht betroffen, warum habt Ihr das nicht von Anfang an gesagt?
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Aber es ist ja ohnehin neuerdings zur Taktik geworden, zunächst einmal falsche Behauptungen aufzustellen.
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Ein bißchen wird schon hängenbleiben.
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Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat die Grundsätze zur Neuordnung der beruflichen Bildung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, gerade um die Diskussion anzuregen. Dies ist geschehen, und ein neues Berufsbildungsgesetz wird dadurch sinnvolle Anstöße bekommen. Die besondere Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bringt es mit sich, daß ein Berufsbildungsgesetz nur den betriebliche Teil der Ausbildung gesetzlich regeln kann, da die Kompentenz für den schulischen Teil bei den Ländern liegt. Dies hat zur Folge, das in der laufenden Diskussion die Qualität allein des betrieblichen Teils der Ausbildung kritisch durchleuchtet wurde und nicht genau in der gleichen Schärfe auch die schulische Ausbildung. Dadurch hat sich manches in der öffentlichen Diskussion nicht ganz in der richtigen Optik darstellen lassen.
Es besteht kein Zweifel, daß die Länder in unverantwortlicher. Weise das berufsbildende Schulwesen im Vergleich zum allgemeinbildenden Schulwesen vernachlässigt haben, und dies mit Sicherheit nicht nur sozialdemokratisch bzw. sozialliberal regierte Länder, sondern eben gerade auch die CDU-regierten Länder. Ich finde, wir alle sollten ehrlich genug sein, das heute ruhig einmal zuzugeben. Für uns alle ist die berufliche Bildung eine leider viel zu neue Entdeckung innerhalb der Bildungspolitik.
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Ich denke z. B. bei der Vernachlässigung durch die Länder an die Anzahl der Wochenstunden. Schauen Sie einmal, wie viele Wochenstunden es in berufsbildenden Schulen der CDU/CSU-regierten Länder gibt. Dann werden Sie feststellen, daß diese leider keine Ausnahmen sind.
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- Mit Sicherheit nicht Hamburg. Das kann ich Ihnen garantieren, weil ich unmittelbar aus diesem Lande komme, zumal wir, wenn auch zugegebenermaßen viel zu spät, aber doch immerhin sehr kräftig in den letzten Jahren den Nachholbedarf, der vorhanden war, tatsächlich aufgeholt haben.
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Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, wir als Freie Demokraten wünschten uns, daß wir hier im Bund auch den schulischen Teil gesetzgeberisch beeinflussen könnten. Die Reform der beruflichen Bildung könnte dann viel geschlossener verwirklicht werden, als das bisher der Fall war und wahrscheinlich sein wird. So bleibt uns von dieser Stelle also nur, die Länder zu einer mit unseren Vorhaben abgestimmten Reform aufzufordern.
Das Bemerkenswerte in dem CDU/CSU-Antrag zur Reform der beruflichen Bildung ist in vielen Punkten die Übereinstimmung mit den Markierungspunkten. Der Unterschied liegt besonders darin, daß die CDU/ CSU einen Antrag im wesentlichen ohne Haken und Osen eingebracht hat, der ziemlich pauschal und allgemein gehalten ist, und damit ist er naturgemäß nicht so angreifbar. Das erleichtert z. B. auch das Auftreten der Oppositionssprecher bei den verschiedenen Interessengruppen. So kann man hier tendenziell etwas anders interpretieren als da. Auf diese Weise hat es natürlich eine Oppositionspartei sehr viel einfacher.
Ein solches Vorgehen konnten wir als eine der die Regierung tragenden Fraktionen keineswegs ebenso einschlagen. So mußten zwangsläufig die Markierungspunkte oder, besser gesagt, die Grundsätze zur Neuordnung der beruflichen Bildung bewußt tiefer in die Einzelheiten einsteigen. So sind sie zwar möglicherweise angreifbarer, geben uns aber auf der anderen Seite auch die Chance, genauer zu erfragen, wo Änderungen wünschenswert und angemessen sind und wo nicht.
Wenn ich den CDU/CSU-Antrag richtig interpretiere, so besteht mit uns Übereinstimmung darin, daß sich berufliche Bildung in berufliche Grundbildung und berufliche Fachbildung gliedert. Nur hierdurch kann sichergestellt werden und wird sichergestellt, daß die Ausbildung künftig auf breiter theoretischer Basis angelegt wird und damit Mobilität sowohl beruflich als auch im Hinblick auf den Besuch von weiterführenden Bildungseinrichtungen für den Auszubildenden besteht.
Einigkeit besteht, wenn ich es richtig interpretiere, auch darin, daß eine vernünftige Reform die Abstimmung von Ausbildungsordnungen für Betriebe und von Rahmenlehrplänen für die Schule sicherstellen muß, ja daß sie gemeinsam erarbeitet werden müssen. Auch hier kann man nur bedauern, daß dies bei der derzeitigen Kompetenzverteilung mit mehr Schwierigkeiten verbunden ist, als es unbedingt sein müßte.
Ich kann nur hoffen, daß die CDU in ihrer Forderung nach Abstimmung zwischen Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen diese gemeinsame Auffassung auch dann noch vertritt, wenn das neue Berufsbildungsgesetz Komponenten enthält, die in die Länderkompetenzen eingreifen, wenn dieses Ziel erreicht werden soll.
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- Natürlich könnte man mit Zustimmung der Länder auch hier die Dinge differenzierter regeln, ohne daß die Verfassung auf irgendeine Weise auch nur bemüht werden müßte, Herr Gölter.
Großes öffentliches Interesse hat auch die Frage der Anerkennung und Kontrolle der Ausbildungsbetriebe sowie der Prüfungsausschüsse erweckt. Auch hier besteht Einigkeit darüber, daß dieser Bereich in öffentliche Verantwortung gehört. Die Ausgestaltung allerdings wird unterschiedlich vorgenommen. Um hier zu einer vernünftigen Regelung zu kommen, muß sich die Diskussion freilich noch wesentlich entkrampfen.
Eines möchte ich dazu bemerken: Natürlich war es zu keiner Zeit beabsichtigt, die Kontrolle durch die Herren und Damen Oberschulräte durchführen zu lassen. Dieses Vorbild der Schulaufsicht verdient nicht unbedingt, auf diesen Bereich übertragen zu werden. Alle, die für die Aufsicht durch die für den Bildungsbereich zuständigen Behörden eingetreten sind, sind davon ausgegangen, daß die personellen und fachlichen Voraussetzungen entsprechend den besonderen Anforderungen der beruflichen Bildung geschaffen werden müssen. Es muß sichergestellt werden, daß die Behörden auch die Wertigkeit und Gewichtigkeit von Lernorten, die nicht in den Schulen angesiedelt sind, erkennen und langfristig dadurch auch sichern helfen.
Die CDU/CSU geht in ihrem Antrag davon aus, daß die Reform der beruflichen Bildung zum Ziel hat, die berufliche Bildung zu einer gleichwertigen und gleichrangigen Alternative innerhalb unseres Bildungssystems zu entwickeln. Es wird Sie nicht überraschen, Herr Dr. Gölter, wenn auch ich in diesem Zusammenhag über die Integration spreche und dabei zu anderen Ergebnissen als Sie komme. Wenn man sich nicht zu diesem Strukturwandel, nämlich zur Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung, durchringt, sollte man die Forderung nach Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit lieber unterlassen. Daß dies ohne Integration nicht möglich ist, läßt sich schon dadurch beweisen, Herr Dr. Gölter, daß Sie und wahrscheinlich auch die Kollegen aus Ihrer Fraktion die eigenen Kinder, wenn es irgendwie möglich ist, auch fürderhin in allgemeinbildende Schultypen und nicht in die berufliche Bildung schikken. Schon dies allein wird Beweis genug dafür sein, daß die Umschreibung mit „Gleichwertigkeit" und „Gleichrangigkeit" nicht der tatsächlichen Einschätzung entspricht. Von Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit kann man natürlich nur dann reden, Herr Dr. Gölter, wenn Jugendliche - und deren Eltern -mit gleicher Qualifikation sich entsprechend verhalten und freiwillig gleichermaßen den einen oder den anderen Bildungsgang wählen. Wir werden abwarten müssen, ob das bei der Gespaltenheit der bisherigen Bildungssysteme überhaupt sichergestellt werden kann.
Die Forderung nach Integration ist in der öffentlichen Diskuission immer mit dem Begriff „Verschulung" verknüpft worden. Der Lernort Betrieb wird langfristig schon deshalb erforderlich bleiben, weil ein Teil des Bildungsangebots nur dort hinreichend vermittelt werden kann, und zwar für unterschiedliche Berufsbilder natürlich in unterschiedlicher Länge. Insoweit wird auch in einer integrierten Oberstufe auf den Lernort Betrieb nicht verzichtet werden können. In diesem Zusammenhang wird meine Fraktion den Empfehlungen der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrats zur Neuordnung der Sekundarstufe II gerade im Hinblick auf dieses Problem sehr große Aufmerksamkeit zukommen lassen.
Bei der bevorstehenden Beratung im Ausschuß werden wir mit Nachdruck darauf bestehen, daß die Abschlüsse in der beruflichen Bildung auch zum Eingang in die weiterführenden Bildungseinrichtungen qualifizieren. Nur so kann überhaupt erhofft werden, daß dieser Bildungsgang zu einer Alternative wird. Die unmittelbare Erlangung der Befähigung zur Teilnahme an weiterführenden Bildungseinrichtungen wird, wie die Erfahrung zeigt, in den meisten Fällen deshalb angestrebt, weil die Aussicht, später noch Qualifikationen erreichen zu können, angesichts eines spärlich ausgestalteten Weiterbildungssystems sehr gering ist. Es wird daher auch eine wichtige Aufgabe sein, im Zusammenhang mit der beruflichen Bildung die Weiterbildung mit einem sehr viel stärkeren Gewicht zu belegen. Ich bedaure, daß darauf von seiten der CDU/CSU nicht eingegangen worden ist.
Die Diskussion über den Rückgang der Zahl der Ausbildungsplätze hat so viel Unruhe ausgelöst, daß man in dieser Debatte auch von unserer Seite aus dazu einiges sagen muß. Die tatsächlichen Zahlen der angebotenen Ausbildungsplätze und der Bewerber sind nicht bekannt, da über die Arbeitsämter nur ein Teil läuft und der Teil, der über die ArbeitsFrau Schuchardt
ämter vermittelt wird, in den letzten Jahren immer geringer geworden ist. Dennoch kann man folgende Tendenz beobachten: Seit 1970 ist die Zahl der Ausbildungsplätze jährlich um 10 bis 15 °/o zurückgegangen. Dieser Rückgang hat sich im Jahre 1974 glücklicherweise verringert - ganz im Gegensatz zu dem Eindruck, der in der Öffentlichkeit gern erweckt wurde. Die Gründe für den Rückgang sind wiederum sehr viel differenzierter, als die Opposition dies in der jüngsten Vergangenheit dargestellt hat. Ich möchte versuchen, wenigstens einige dieser Gründe aufzuzeigen:
Erstens ist lange Jahre eine allzu große Schere zwischen den angebotenen Lehrstellen und der Nachfrage gewesen, so daß die lange Jahre nicht besetzten Ausbildungsplätze schließlich nicht mehr angeboten wurden. Eine Ausnahme besteht allerdings, nämlich bei den sogenannten Modeberufen wie z. B. Rundfunk- und Fernsehmechaniker. Hier ist die Nachfrage größer als das Angebot. Aber auch heute noch kann man davon ausgehen, daß das Angebot in den meisten Bereichen größer als die Nachfrage ist.
Zweitens. Die mit dem bestehenden Berufsbildungsgesetz eingeleiteten Verbesserungen in der beruflichen Bildung haben dazu geführt, daß qualitativ nicht ausreichende Ausbildungsplätze wegfielen. Dies war so beabsichtigt, wenn ich den Gesetzgeber damals richtig verstanden habe; und er hätte eigentlich auch damals bereits die Konsequenzen, die daraus in bezug auf die Anzahl der Plätze entstehen mußten, mit einbeziehen müssen. Die Ausbildereignungsverordnung und die neuen Ausbildungsordnungen sind Folgen dieses 1969 verabschiedeten Berufsbildungsgesetzes. Ich meine, wer dem damals zugestimmt hat, sollte sich heute auch zu den Folgen bekennen.
Drittens. Arbeitszeitverkürzungen und Jugendarbeitsschutz sind weitere Maßnahmen, die zwar sozialpolitisch gewollt sind, aber - das muß man sagen - in diesem Bereich auch ihre Konsequenzen haben.
Viertens. Zweifelsohne wird auch eine Rolle spielen, daß die heutige Jugend etwas kritischer und damit unbequemer geworden ist. Ich könnte mir vorstellen, daß sich eine Reihe von Betrieben heute deshalb nicht mehr an der Ausbildung beteiligen, weil sie glauben, diesen Anforderungen nicht mehr gerecht werden zu können. Ich meine, wir habeneine kritische Jugend gewollt. Daß sie damit unbequemer werden würde, wußten wir auch. Eine Korrektur ist hier also nicht erforderlich.
Fünftens muß man an dieser Stelle sagen, daß die Schwarzweißmalerei in Fragen der beruflichen Bildung uns auch nicht weitergeholfen hat. Wenn z. B. auf der einen Seite pauschal von „Ausbeutung" gesprochen wurde
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und auf der anderen Seite Begriffe wie „Ausbildungsboykott" in die Diskussion geworfen wurden, so hat dies wohl kaum zur Versachlichung beigetragen.
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Gott sei Dank kann man heute feststellen, daß die meisten zuständigen Stellen diesem „Ausbildungsboykott" insoweit entgegengewirkt haben, als sie ihre Betriebe aufgefordert haben, verstärkt auszubilden. Dies sollte man dankbar zur Kenntnis nehmen.
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Meine Damen und Herren, meine Fraktion ist sich darüber im klaren, daß das Ziel erreicht werden muß, eine möglichst große Zahl von Ausbildungsplätzen mit hinreichender Qualität zu erhalten bzw. zusätzlich zu schaffen. Wir sind uns darüber klar, daß starke Jahrgänge auf uns zukommen, die in der Tat keinen Numerus clausus in diesem Bereich erleben sollten. Dies darf aber nicht zur Folge haben, daß wir meinen, auch qualitativ schlechte Ausbildungsplätze unbedingt erhalten zu müssen. Wir sind uns dieser Verantwortung sehr wohl bewußt, und die FDP wird dies in der jetzt auf uns zukommenden Beratung deutlich machen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen folgende Überweisungen vor: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft federführend; mitberatend Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Ausschuß für Wirtschaft und Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. - Kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung für Mittwoch, den 12. Juni 1974, 13 Uhr - beginnend mit der Fragestunde - ein.
Die Sitzung ist geschlossen.