Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 20. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Löher, Hussing, Frau Dr. Wolf, Müller ({0}), Dr. Götz, Dr. Blüm, Müller ({1}), Orgaß und Genossen betr. Ausländerbeschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 7/2028 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2128 verteilt.
Wir fahren in Punkt I der Tagesordnung fort:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung
Das Wort hat Herr Bundesminister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer den bisherigen Verlauf der Debatte über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers verfolgt hat, wird festgestellt haben, daß die Opposition bei ihrem Rezept geblieben ist. Dieses Rezept besteht in der Anwendung von zwei Maßstäben: Alles, was in der Zeit geschehen ist, als Sie, meine Damen und Herren, die Verantwortung hatten, ist gut, ist gerecht, ist für den sozialen Ausgleich; und all das, was die sozialliberale Koalition gemacht hat, ist schlecht,
({0})
paßt nicht ins Konzept und verunsichert die Menschen in unserem Land.
({1})
Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist richtig. Aber ich füge hinzu: 1969, als die sozialliberale Koalition gebildet wurde, gab es in unserem Lande und insbesondere in breiten Schichten der Arbeitnehmerschaft sicher eine gewisse Befürchtung, ob nicht der sozial- und gesellschaftspolitische Fortschritt zu kurz kommen könnte. Die Zeit, die seit der Bildung der sozialliberalen Koalition vergangen ist, hat genau das Gegenteil bewiesen.
Ich sage es anders: Es hat in der Geschichte Deutschlands noch keine Zeit gegeben, in der für die breiten Schichten unseres Volkes so viel an Verbesserungen eingetreten ist wie von 1969 bis heute.
({2})
Meine Damen und Herren, gestern rief Herr Barzel pathetisch in den Saal: Aber wie sieht es mit dem Arbeitsmarkt aus? - Das will ich Ihnen mal sagen, Herr Barzel. Ende April 1974 - die Bundesanstalt stellt das immer nur am Monatsende fest - gab es 517 000 Arbeitslose. Darunter befanden sich 64 000 ausländische Arbeitslose. Es gab 211 000 Kurzarbeiter und 361 000 offene Stellen. Wenn Sie die Dinge nicht so dramatisch, sondern richtig dargestellt hätten, dann hätten Sie auch sagen müssen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland 2,4 Millionen ausländische Arbeitnehmer beschäftigt haben. Das ist ein Höchststand, den wir in der Vergangenheit noch nie verzeichnen konnten.
Bezüglich des Arbeitsmarkts, Herr Barzel, muß ich Sie an folgendes erinnern: Es gibt eine große Zahl von Arbeitnehmern, die den Strapazen des modernen Produktionsprozesses in einem bestimmten Alter nicht mehr gewachsen sind und deshalb mit 59 Jahren das vorgezogene Altersruhegeld beziehen wollen und ein Jahr arbeitslos werden.
({3})
Diese Zahl verfälscht natürlich das Bild. Herr Leicht, daran wird deutlich, wie wichtig es war, daß die sozialliberale Koalition in der letzten Legislaturperiode durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze den Entscheidungsraum des einzelnen Arbeitnehmers erweitert hat.
({4})
Sie hätten weiter sagen sollen - um nicht so düstere Farben zu benutzen -, daß die Bundesregierung am 23. November vergangenen Jahres einen vorsorglichen Stopp für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte verfügt hat. Wenn Sie einmal die Interventionen der verschiedenen Gruppen betrachteten, würden Sie ganz sicher nicht zu dem Ergebnis kommen, daß auf diesem Feld der Sicherheit des Arbeitsplatzes Gefahren bestünden. Ich sage Ihnen etwas anderes: Andere Länder in der ganzen Welt wären genauso froh, wenn sie einen solch hohen Beschäftigungsstand erreicht hätten.
({5})
Herr Barzel, ich muß mich noch weiterhin ein wenig mit Ihnen beschäftigen. Sie sagen, die Bilanz,
die der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gezogen hat, sei einseitig. Sie müssen sich das genau ansehen. Da gibt es in der Bilanz die Position „Umlaufvermögen", und da gibt es nicht nur „Fertigprodukte", sondern auch „Halbzeug". Und wenn Sie sich jetzt einmal die Liste der „Fertigprodukte" ansehen, dann können Sie doch gar nicht zu einem solchen Ergebnis kommen.
Ich nenne als Stichwort nur die Krankenversicherungsreform, die wir durchgeführt haben. Wir leben zwar in einer schnellebigen Zeit - auch Sie vergessen das -, aber es bleibt festzuhalten, daß mehr als vier Millionen Angestellte seit dem 1. Januar 1971 Monat für Monat auf ihrem Gehaltsstreifen ablesen können, daß jetzt der Arbeitgeberzuschuß zur Krankenversicherung geleistet wird. Daß diese Reform auch eine materielle Verbesserung für diese große Personenzahl bedeutet, das vergessen Sie, das verschweigen Sie.
({6})
Oder: daß im Rahmen der Krankenversicherungsreform die oft beklagte Aussteuerung bei einem lang dauernden Krankenhausaufenthalt jetzt der Vergangenheit angehört, auch das sollten Sie ruhig einmal den Menschen in unserem Lande sagen.
({7})
Oder: daß die Schüler und Studenten und die Kinder in den Kindergärten in den Schutz der Unfallversicherung einbezogen worden sind.
Oder: daß wir eine große Reform des 312-DMGesetzes, des jetzigen 624-DM-Gesetzes durchgeführt haben. - Und was sagen Sie da? Sie sagen: Wir hatten ja das 312-DM-Gesetz schon längst verabschiedet. Wie war das denn da? Herr Barzel, wenn ich an das 312-DM-Gesetz denke, so hätten Sie auch darüberschreiben können: Das Grundgesetz, nach dem wir leben, ist alt und heißt: Wer hat, dem wird gegeben. So war das nämlich nach dem 312-DM-Gesetz.
({8})
- Ja, sicher, das ist für Sie „primitiv", weil die Zahlen - das wird jeder objektive Betrachter zugeben müssen - sehr beeindruckend sind. Ich muß Ihnen die Zahlen sagen: Von 1965 bis 1969 gab es durch Tarifvertrag rund eine Million Arbeitnehmer, die die Vorteile dieses Gesetzes nutzen konnten.
({9})
Von 1969, nach der Reform, bis zum Ende des vergangenen Jahres waren es mehr als 17 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland, die die Vorteile dieses Gesetzes für sich in Anspruch nehmen konnten.
({10})
Die jährlich angelegten Beträge beliefen sich 1969 auf 1,6 Milliarden DM und im Jahre 1972 auf 8,7 Milliarden DM.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Minister Arendt, wenn Sie schon vom 312-DM-Gesetz sprechen und die ungerechte Vermögensverteilung in der Republik hier kritisieren, darf ich Sie, der Sie eine große Propagandabroschüre in Sachen mehr Vermögensbildung verteilt haben,
({0})
Das ist eine kleine!
- es gibt noch mehr davon - fragen: Warum haben Sie dann, wenn es hier soziale Ungerechtigkeiten gegeben hat und Sie hier ankündigen, ein Gesetzentwurf liege vor, dieses Vorhaben für diese Legislaturperiode aufgegeben?
({0})
Herr Franke, Sie machen das mit Ihrer Zwischenfrage genauso, wie die Opposition das grundsätzlich macht. In der Regierungserklärung vom Januar 1973 ist kein Satz enthalten, daß wir in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorlegen wollen.
({0})
- Nein, in der Regierungserklärung heißt es, wir würden in dieser Legislaturperiode Vorschläge entwickeln; und Sie werden überrascht sein: wir werden das tun. Sie werden noch erleben, wie wir in dieser Legislaturperiode unser Versprechen wahrmachen.
({1})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Minister, darf ich Sie dann fragen, wie das, was Sie hier gerade gesagt haben, mit dem vereinbar ist, was hier steht:
Die Bundesregierung informiert
Am 22. Januar 1974, ein Jahr nach der Regierungserklärung zur 7. Legislaturperiode, hat die sozialliberale Koalition das Konzept für die Beteiligung breiterer Bevölkerungsschichten am Produktivvermögen der Wirtschaft vorgelegt.
Das ist völlig korrekt, Herr Franke.
({0})
Wir haben die Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen über die Grundsätze eines solchen Gesetzentwurfs erreicht, und wir sind jetzt dabei, die Einzelheiten in eine gesetzestechnische Form zu bringen.
({1})
Herr Kollege Arendt -
Herr Kollege, wir wollen die Aussprache doch nicht zum Zwiegespräch machen. Aber bitte, wenn der Herr Bundesminister noch eine Frage gestattet, bitte sehr!
({0})
Herr Kollege Arendt, halten Sie das dann nicht auch, wenn Sie nur eine Ankündigung gemeint haben, für eine große Täuschung der Arbeitnehmerschaft in der Bundesrepublik Deutschland?
({0})
Erstens, Herr Franke, bin ich davon überzeugt, daß die Bürger in unserem Lande das objektiver lesen als Sie, der Sie etwas hineinlesen wollen
({0})
- nein, ich werde noch darauf zu sprechen kommen -, und zweitens werden auch Sie von der Opposition im Laufe dieser Legislaturperiode erleben, daß wir wie in der Vergangenheit auch für den Rest der Legislaturperiode die Ankündigung in der Regierungserklärung mit der Präzision eines Uhrwerks wahrmachen.
({1})
Ich muß Ihnen noch ein paar andere Dinge sagen, weil ganz sicher Herr Katzer nachher auch darauf zu sprechen kommt. Wir haben die Leistungen im Kriegsopferbereich dynamisiert. Ich habe das oft gesagt; man muß es wiederholen, weil Sie nämlich, wenn Sie von Ihrer Regierungstätigkeit sprechen, immer drei Gesetze nennen - das werden wir auch gleich wieder hören -: Sie nennen das Arbeitsförderungsgesetz, das Berufsbildungsgesetz und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das sind diese drei Sachen.
({2})
- Ja, aus dem Jahre 1957 die Dynamisierung der Rentenversicherung; das sagen Sie auch noch.
({3})
- Darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Ich wollte nur sagen: Wir haben zum ersten Mal die Leistungen im Kriegsopferbereich dynamisiert,
({4})
und, so unangenehm Preissteigerungen sind, die Kriegerwitwen haben in dieser Zeit der sozialliberalen Koalition - immerhin handelt es sich um 1,1 Millionen - eine Aufbesserung von mehr als 73 % ihrer Bezüge bekommen. Das hat es in der Geschichte der Kriegsopferversorgung noch nicht gegeben.
({5})
Oder, wenn ich die allgemeine Entwicklung nehme, dann betragen die Leistungsverbesserungen mehr als 63 %. Davon, daß wir auch die Struktur des Bundesversorgungsgesetzes ganz entscheidend verändert haben, spreche ich gar nicht.
Lassen Sie mich ein anderes Beispiel nennen: Wir haben in der ersten Regierungserklärung 1969 gesagt, wir würden jenen Bereich, der für die Arbeitnehmer in unserem Lande eine große Bedeutung hat, nämlich die Betriebsverfassung, in eine moderne, fortschrittliche, den heutigen Verhältnissen gerecht werdende Form bringen und ein entsprechendes Gesetz vorlegen. Das haben wir getan, und es hat sich bei der ersten Betriebsrätewahl 1972 auf Grund des neuen Betriebsverfassungsgesetzes gezeigt, daß das eingetreten ist, was die Bundesregierung gesagt hat. Wir haben die Position des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz ganz entscheidend verbessert. Wir haben die Position des Betriebsrates in der Wahrnehmung der Interessen der arbeitenden Menschen im Betrieb entscheidend gestärkt im sozialen, im wirtschaftlichen, im personellen Bereich. Wir haben außerdem die Präsenz der Gewerkschaften verbessert, und wir haben die Position der Jugendvertretung verbessert.
Jetzt sagen Sie, daß wir aber nicht den Grundrechtskatalog, den Sie in Ihrem Entwurf hatten, verwirklicht haben.
({6})
Wissen Sie, ganz davon abgesehen, daß das, was Sie in dem Grundrechtskatalog hatten, in anderen Gesetzen viel besser steht, erinnert mich Ihr Grundrechtskatalog immer ein bißchen an das Kruppsche Generalregulativ von 1889; da steht auch alles Mögliche drin.
({7})
Lassen Sie mich auch noch einmal am Beispiel der flexiblen Altersgrenze, weil das mit dem Arbeitsmarkt etwas zusammenhängt, sagen, was denn Ihre Position war. Das muß man noch einmal sagen, Herr Barzel. 1972 haben Sie mit einer Stimme Mehrheit diesen sozialpolitischen Gedanken, den Freiheitsraum, den Entscheidungsraum des einzelnen Versicherten zu erweitern, in das Gegenteil verkehrt. Sie haben nämlich mit einer Stimme Mehrheit beschlossen, daß der 63jährige nicht nur in die Rente
gehen, sondern außerdem noch das volle Arbeitseinkommen beziehen kann.
({8})
Sie haben damit deutlich gemacht, daß es Ihnen nicht um die eigentliche Frage der flexiblen Altersgrenze gegangen ist, darum, daß die, die den Strapazen nicht mehr gewachsen sind, aus dem Arbeitsleben ausscheiden können, ohne daß ein Arzt eingeschaltet werden muß. Vielmehr haben Sie die Alternative „ein Einkommen oder zwei Einkommen" aufgebaut,
({9})
und da muß ich Ihnen ganz offen sagen: ich habe noch keinen Arbeitnehmer gesehen, der dumm genug wäre, dann, wenn er die Chance hat, zwei Einkommen zu beziehen, auf eines zu verzichten. Wir mußten das sofort nach der Wahl 1972 in Ordnung bringen,
({10})
und wir haben es in Ordnung gebracht, meine Damen und Herren. Das ist jetzt in Ordnung!
({11})
- Nein, Herr Franke, lassen Sie mich das zu Ende führen; Sie haben doch schon so viel gefragt. Wir können das ja nachher fortsetzen.
Gestatten Sie die Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
({0})
Na ja, wenn es unangenehm ist; dann bitte schön, Herr Franke!
Ich wußte: wenn ich hartnäckig bleibe, bekomme ich das Wort von der Frau Präsidentin. Vielen Dank!
Herr Minister Arendt, gehe ich recht in der Annahme, daß auch Sie es für eine Einschränkung des Freiheitsraums eines Arbeitnehmers halten, wenn Sie ihm bei Rentenbezug die Zuarbeitsmöglichkeit auf 750 DM pro Monat für 1974 beschneiden?
Sehen Sie, es geht gar nicht um die Zuarbeit oder um das Verbot.
({0})
- Nein, nein, Sie haben den Grundgedanken der flexiblen Altersgrenze immer noch nicht begriffen, Herr Kollege Franke!
({1})
Es geht im Grunde genommen darum, daß ein Arbeitnehmer, der ein erfülltes Erwerbsleben hinter sich gebracht und seine Arbeitskraft für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft, der zerbombten Betriebe und der zerstörten Städte zur Verfügung gestellt hat, in einem bestimmten Alter selbst entscheiden kann, ob er in die Rente gehen oder weiterarbeiten will. Es wird doch niemand gezwungen! Aber wenn er ausscheidet, kann es doch nicht Ihr Ziel sein, daß er ein höheres Einkommen hat als derjenige, der noch im aktiven Arbeitsleben steht. Das kann doch nicht der Sinn Ihrer Sozialpolitik sein!
({2})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
({0})
Bitte!
Eine letzte Frage dazu:
({0})
Haben Sie denn nicht trotzdem, Herr Minister Arendt, mit Ihrer Mehrheit nach 1972 die Vorschrift verabschiedet, daß er 750 DM pro Monat im Jahre 1974 hinzuverdienen kann?
Wir haben das in Ordnung gebracht, wie wir es in der Wahlauseinandersetzung
({0})
- ja, sicher - angekündigt hatten, und wir werden ja sehen, wie dieses Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ausgehen wird.
({1})
- Herr Franke, ich sage Ihnen etwas anderes. Wenn ich die Leistungsverbesserungen in diesem Bereich sehe, dann werden wir uns - das sage ich Ihnen ganz offen - in Zukunft - aber im Grunde genommen war das immer die Richtschnur unseres Handelns - sehr genau daran orientieren müssen, ob wir weitere Leistungsverbesserungen, die vielleicht dazu führen könnten, daß der versicherte Arbeitnehmer noch stärker belastet wird, durchführen können. Wir haben immer den Grundsatz der Solidität und der Stabilität vertreten,
({2})
und wir werden nur das tun, was wir auch finanziell verkraften können.
({3})
Ich füge Ihnen noch ein Wort an, Herr Franke: Ich persönlich bin der Meinung, wenn ich die Leistungen der Versicherten im Bereich der Rentenversicherung, im Bereich der Krankenversicherung und im Bereich der Arbeitslosenversicherung sehe, daß die Grenze
der Belastbarkeit der Versicherten erreicht ist, und wir müssen sehr genau und sehr sorgfältig überlegen, ob der Versicherte im Arbeitsleben noch weiter belastet werden kann.
({4})
Aber ich habe Ihnen, meine Damen und Herren, nur ein paar Beispiele aus der Rubrik „Umlaufvermögen" der Bilanz des Bundeskanzlers, soweit die „Fertigerzeugnisse" in Frage kommen, genannt. Ich muß natürlich auch noch ein paar Worte vom „Halbzeug" sagen.
({5})
Lassen Sie mich sagen, was wir in dieser Legislaturperiode noch in Ordnung bringen wollen. Wir haben ein Gesetz eingebracht - es befindet sich im zuständigen Ausschuß und wird sicherlich in Kürze verabschiedet werden -, das den großen Bereich der Betriebsrenten regelt. Für zwölf Millionen Arbeitnehmer ist das eine ganz, ganz wichtige Sache. Wir betrachten die betriebliche Altersversorgung als eine wichtige Ergänzung der gesetzlichen Altersversicherung. Die Nachteile, die die Arbeitnehmer in mehr als 100 Jahren hinnehmen mußten - nämlich die Verfallbarkeit bei einem Betriebswechsel oder bei einem Konkurs des Unternehmens oder die Auszehrung durch die Anrechnung anderer Leistungen oder jetzt die Schwierigkeit bei der Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze , wollen wir für die Arbeitnehmer beseitigen. Ich hoffe zuversichtlich, daß die Arbeiten im Ausschuß recht bald abgeschlossen werden können, damit dieses Gesetz verabschiedet werden kann.
({6})
Ich nenne ein zweites Beispiel. Sie werden gleich rufen: „Das ist das Ergebnis Ihrer Wirtschaftspolitik, weil es Konkurse gibt." Konkurse hat es schon früher gegeben, die gibt es jetzt, und die wird es auch in Zukunft geben. Die Konkursordnung stammt aus dem Jahre 1898. Da waren die Ansprüche der Arbeitnehmer ganz oben. Aber wenn es zum Konkurs kam, dann mußten viele Arbeiter und Angestellten erleben, daß sie nicht nur den Verlust ihres Arbeitsplatzes hinnehmen mußten, sondern ihre erworbenen Lohn- und Gehaltsansprüche waren meistens auch dahin, weil mangels Masse die Ansprüche der Arbeitnehmer nicht befriedigt werden konnten. Haben Sie das früher nicht gesehen? Wir, die sozialliberale Koalition, haben einen Gesetzentwurf für ein Konkursausfallgeld eingebracht, um den Arbeitnehmer nicht unnötig zu belasten.
({7})
Oder lassen Sie mich das Beispiel des Betriebsärztegesetzes nehmen. Arbeitsunfälle haben sich doch nicht erst seit Übernahme der Regierungsverantwortung durch die sozialliberale Koalition ergeben, Arbeitsunfälle gab es schon immer. 2,4 Millionen Unfälle in einem Jahr allein in der Arbeitswelt! Was haben Sie da getan? Sie haben darüber geredet. Wir haben ein Betriebsärztegesetz vorgelegt; es ist verabschiedet, und es wird am 1. Dezember voll wirksam werden. Es wird die Sicherheit in der Arbeitswelt ganz entscheidend verbessern und wird einen Beitrag zur Humanisierung des Arbeitslebens leisten.
({8})
Oder lassen Sie mich das Jugendarbeitsschutzgesetz erwähnen. Seit 1960 hat es hier keine Veränderung gegeben, obwohl sich in der Praxis viele Veränderungen vollzogen haben. Wir haben ein neues Jugendarbeitsschutzgesetz vorgelegt,
({9})
genau so wie wir ein Behindertengesetz verabschiedet haben. Ich will die Einzelheiten hier gar nicht vortragen, aber machen Sie sich das doch einmal deutlich: Durch diesen Schritt zum Finalitätsprinzip haben wir auch jene Arbeitnehmer, die allgemeine Verschleißerscheinungen hinnehmen mußten, in den Schutz- und Anwendungsbereich dieses Gesetzes einbezogen.
({10})
Ich denke - der Bundeskanzler hat das ja deutlich gemacht, auch wenn er in seiner Regierungserklärung nur eine Kurzfassung der Bilanz hier vorgetragen hat -, daß wir unseren Leitlinien der Politik, Humanisierung der Arbeitswelt, Stärkung der Position der Arbeitnehmer und Schließen von Lükken im sozialen Sicherungssystem, erheblich näher gekommen sind. Wir haben uns nicht gescheut, auch die sogenannten heißen Eisen anzupacken.
Herr Barzel, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Sie nochmals anspreche. Sie waren lange genug Vorsitzender der CDU und mußten sich mit den recht unterschiedlichen Auffassungen über die gesellschaftspolitische Frage der Mitbestimmung auseinandersetzen. Ich habe eingangs gesagt, Sie bleiben bei Ihrem bewährten Prinzip, immer zwei verschiedene Maßstäbe anzulegen: Was die CDU macht, ist gut, was die Regierung macht, ist schlecht. So machen Sie es auch bei der Mitbestimmung. Ich will hier keine vorgezogene Debatte über die Mitbestimmung.
({11})
- Wir werden uns in nächster Zeit in der ersten Lesung mit unserer Vorlage beschäftigen. - Ich war am 5. April im Bundesrat, als der erste Durchgang dieses Gesetzes anstand. Dort hat Ihr Parteifreund, der baden-württembergische Ministerpräsident, gesagt - auch pathetisch, ungefähr wie Sie -:
({12})
„Wir, die Christlichen Demokraten, sind für das freie Selbstbestimmungsrecht der Arbeitnehmer in einem Sozialverband."
({13})
- Dann müssen Sie mir mal sagen, was das ist!
({14})
Auf Grund einer solchen Aussage kann ich keinen Gesetzentwurf fertigstellen.
({15})
Sehen Sie, meine Damen und Herren, wir haben uns in der Koalition verständigt, und wir haben auch einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir in Kürze in diesem Hohen Hause behandeln werden.
Aber lassen Sie mich noch einmal auf jene zweierlei Maßstäbe zurückkommen. Wir haben in diesem Gesetzentwurf ein Wahlverfahren vorgesehen, wie es 1956 im Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz geregelt war und, wie ich hinzufüge, sich seit 1956 bis heute im Grunde genommen bewährt hat. Damals hatten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Regierungsverantwortung, und damals war dieses Wahlverfahren mit Wahlmännern das Nonplusultra, das Beste, was es überhaupt gab.
Jetzt haben wir dieses bewährte Wahlverfahren in unseren Gesetzentwurf übernommen, ({16})
und plötzlich ist dieses Wahlverfahren das Schlechteste, was es auf der ganzen Welt gibt.
({17})
Die Arbeitnehmer machen sich auch ihren Vers darauf; darauf können Sie sich verlassen.
({18})
Wir haben uns - ich sagte es bereits - nicht gescheut, auch jene gesellschaftspolitisch heißen Eisen anzupacken, die Sie vernachlässigt haben und zu deren erfolgreichem Abschluß Sie nicht die Kraft hatten. Das gilt sowohl für die Vermögensbildung als auch für das Mitbestimmungsgesetz. Wir werden das, was in der Regierungserklärung vom Januar 1973 enthalten ist und was der Bundeskanzler auch in der vorigen Woche sehr nachdrücklich unterstützt hat, konsequent fortsetzen. Wir werden - ich habe es schon gesagt - die uns selbst gestellten Aufgaben mit der Präzision eines Uhrwerks erfüllen.
({19})
- Nein, Chronometer müßte ich bei Ihnen sagen, Herr Barzel, Rolex-Chronometer.
({20})
Wir werden die gestellten Aufgaben mit der Präzision eines Rolex-Chronometers erfüllen.
Wir werden uns auch von Ihrer Kurzfassung nicht beirren lassen, Herr Barzel. Wenn Sie das so nett finden, muß ich Ihnen sagen: Sie erinnern mich ein bißchen an den Chefredakteur, der in der Redaktionsbesprechung auch immer sagte „Das ist gut, das lassen wir weg!". So ungefähr ist das hier auch.
({21})
Ich kann Ihnen sagen, meine Damen und Herren von der Opposition: Wir werden uns da nicht beirren lassen. Wir werden konsequent weitermachen. Wir werden vor allen Dingen nicht müde werden, den Menschen in unserem Lande deutlich zu machen, wieviel an mehr sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit sie der sozialliberalen Koalition verdanken.
({22})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Katzer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Arendt hat gemeint, die Opposition verunsichere den Wähler.
({0})
- Sie haben immer das Pech, bei mir zu früh zu klatschen. - Diese Verunsicherung braucht die Opposition nicht vorzunehmen; das besorgen Sie doch selbst, das machen Sie permanent selbst!
({1})
Die Regierungserklärung ist noch nicht da, und schon haben wir von der Vorsitzenden der Jungsozialisten eine Erklärung vorliegen.
({2})
- Ach, Sie nehmen das, was die Jusos bei Ihnen sagen, nicht mehr ernst?
({3})
Gut, die werden sich in der Auseinandersetzung mit Ihnen darüber sehr freuen. Aber vielleicht darf man das noch zitieren, was dort gesagt wird. Oder darf man das auch nicht mehr?
({4})
- Ja, Alternativen! Die Vorsitzende der Jungsozialisten meint, Herr Schmidt schiebe die Strukturprobleme mindestens bis 1976 vor sich her und vergrößere damit die Schwierigkeiten, vor die sich sozialdemokratische Politik nach 1976 gestellt sieht.
- Das sind doch nicht wir, die verunsichern, das sind doch Sie selber, genauso wie Sie Ihre Kanzlerstürze selber besorgen. Da brauchen wir überhaupt nichts dazuzutun.
({5})
Meine Damen und Herren, es ist ein Kennzeichen dieser Regierungserklärung, daß sie - wenn ich einmal Weltwirtschaftsfragen ausnehme - in keinem Bereich von einer Analyse der Situation ausgeht. Aber erst aus einer Bestandsaufnahme der realen Lebenssituation unserer Bürger können doch in Wahrheit die richtigen Maßnahmen getroffen werden. Diese Regierung handelt umgekehrt: Sie nimmt das Bündel vorhandener Gesetzentwürfe - wir haben das vorhin wieder gehört - und wählt daraus diejenigen aus, die sie koalitionspolitisch für machbar hält.
An vielen Stellen der Regierungserklärung hat man den Eindruck - mein Herr Vorredner hat dies noch bestätigt -: Diese Regierung weiß offenbar gar nicht, was die Menschen im Alltag eigentlich bewegt. Weiß die Regierung z. B., daß heute ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer mit mehr als zwei Kindern vielfach bereits Anspruch auf Sozialhilfe hat - trotz Kindergeld, trotz Wohngeld?
({6})
Weiß sie, daß heute Ehefrauen wieder zur Arbeit gehen, nur um den Lebensstandard der Familie erhalten zu können?
({7})
Ist ihr bekannt, daß in einem Arbeitnehmerhaushalt die nach Abzug der laufenden Ausgaben wie Miete etc. frei verfügbare Einkommenspitze immer mehr gesunken ist? Hier liegt doch in Wahrheit ein Verlust an realer Freiheit, nämlich an Wahlmöglichkeiten bei der Gestaltung der eigenen Lebensverhältnisse, für die breiten Schichten unseres Volkes vor.
({8})
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in seinem Mai-Aufruf die Sicherung des Lebensstandards verlangt. Es scheint mir doch bezeichnend und auch gut zu sein, daß sich eine Arbeitnehmerorganisation dieses Wortes erinnert, das von der vergangenen Regierung in einen fast moralisierenden Gegensatz gebracht wurde - insbesondere von Herrn Eppler - zu dem Begriff „Qualität des Lebens", als ob sich Schutz der Umweltbedingungen und eine positive Einkommenssituation der Bürger gegenseitig ausschlössen! Aber eines trifft sicherlich zu: Wo der Lebensstandard sinkt, ist von Lebensqualität überhaupt keine Rede mehr.
({9})
Die Union - das Wort „Alternative" kommt ja unentwegt; wir geben alternative Antworten - hat aus der enger werdenden Einkommenssituation der Arbeitnehmer schon im vergangenen Jahr die einzig mögliche Konsequenz gezogen und als politische Alternative das Inflationsentlastungsgesetz vorgelegt. Für die deutschen Bürger wäre es gut gewesen, wenn Sie unserem Vorschlag gefolgt wären. Denn dann hätten wir nicht Inflationsraten, wie wir sie jetzt tatsächlich haben, dann hätten die Gewerkschaften nicht Tarifabschlüsse durchsetzen müssen, die über das hinausgehen, was der vorige Bundeskanzler als tragbar bezeichnet hat, und unsere Arbeitnehmer wären heute nicht von diesen Preissteigerungen geplagt, mit denen sie sich leider, weil Sie uns nicht gefolgt sind, auseinandersetzen müssen.
({10})
Meine Damen und Herren, die Regierung kann davon ausgehen, daß wir bei unserem Ziel bleiben. Wenn die Regierung will, wird es daher rasch zu einer wirksamen Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen kommen. Die Union hat ihre Gesprächsbereitschaft in diesem für die Lebensverhältnisse der Menschen und die wirtschaftliche Entwicklung so wichtigen Punkt erklärt.
Aber dies setzt voraus, Herr Bundeskanzler, daß die Diffamierung der Union aufhört.
({11})
Wieder haben Sie in der Regierungserklärung von einer „Angstkampagne" gesprochen. Ich gebe Ihnen den guten Rat, mit diesem Stil schleunigst aufzuhören.
({12})
Wenn Sie in der Regierungserklärung meinen:
„Diese Regierung wird nicht zulassen, daß die Opposition damit genau den Zustand herbeiredet, den sie
als existent suggerieren möchte", dann kann ich nur sagen, Herr Bundeskanzler: dies ist unerhört,
({13})
dies weisen wir zurück. Denn dies ist schließlich unser aller Staat, wir alle sind davon betroffen, und wir lassen uns nicht madig machen,
({14})
um ein Wort zu gebrauchen, das hier gelegentlich auftaucht.
({15})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein klares Wort zur Tarifautonomie sagen. Herr Arendt hat vorhin den Eindruck erweckt - auch in der Regierungserklärung stand es zu lesen -, als wenn Reformen in 4 1/2 Jahren dieser Regierung eigentlich in einem Maße erfolgt wären wie nie zuvor. Ich will nicht Vergangenheitsbewältigung leisten, sondern in die Zukunft blicken. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle nur einen Satz sagen: Die entscheidenden Reformen für unser Staatswesen sind in den ersten Jahren nach 1949 durchgeführt worden; sie sind mit unserem Ja zur sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards beschlossen worden, das die Voraussetzung für das schuf, was danach folgte. Wir haben in dieser ersten Legislaturperiode das große Werk des Lastenausgleichs geschaffen, wir haben damals die Mitbestimmung bei Kohle und Stahl durchgesetzt,
({16})
wir haben das Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet, und wir haben die Tarifvertragsautonomie eingeführt. Das waren Gesetze fundamentaler Art, auf denen unsere gesellschaftliche Ordnung basiert.
({17})
Meine Damen und Herren, die Tarifautonomie als eines der vielleicht bedeutendsten Bestandteile der sozialen Marktwirtschaft haben wir 1952 verwirklicht. Versuche, die Freiheit der Tarifpartner einzuschränken, hat es, wenn ich mich recht erinnere, in diesem Hause nur einmal gegeben, nämlich in den 50er Jahren durch die FDP. Wir haben die Tarifautonomie nie in Frage gestellt. Ich stehe nicht an zu sagen, daß ich das, was in der Regierungserklärung steht, voll unterstreiche. Dort heißt es:
Die Bundesregierung wird bei ihren zukünftigen Bemühungen um mehr Stabilität die gesellschaftlichen Gruppen nicht aus deren Verantwortung entlassen. Das gilt für die Unternehmer und die Gewerkschaften in gleicher Weise.
({18})
Verantwortung für das Ganze ist eine entscheidende Voraussetzung für die Tarifautonomie, die wir verteidigen.
Aber das schließt selbstverständlich keineswegs
aus, daß wir uns über die Formen der Tarifauseinandersetzung gerade im öffentlichen Dienst Gedan6690
ken machen müssen. So sehe ich nicht ein, warum es hier nicht eine Schlichtungsvereinbarung geben sollte, die sich in anderen Bereichen durchaus bewährt hat.
Wenn man die Regierungserklärung studiert, muß man sich fragen: kennt die Bundesregierung die wirkliche Lage der älteren Menschen? Herr Kollege Arendt, Sie können doch nicht darüber hinwegtäuschen - Ihr eigener Bericht sagt es doch aus -, daß am 1. November 1972 in der Arbeiterrentenversicherung 51,3 % der Rentner eine Rente von unter 600 DM und 50,9 % der Rentnerinnen von unter 200 DM erhielten. Meine Damen und Herren, Ihre flexible Altersgrenze ist doch im Grunde das Unsozialste, was es überhaupt geben kann; sie schränkt doch in Wahrheit den Freiheitsspielraum des einzelnen ein. Denn Gebrauch davon kann nur derjenige machen, der eine höhere Rente bezieht; die Kleinen können nicht davon Gebrauch machen. Deshalb war, ist und bleibt unser Antrag auf Erhöhung des Rentenniveaus von entscheidender Bedeutung,
({19})
auch und gerade unter dem Blickwinkel einer flexiblen Altersgrenze.
({20})
Selbst ein Rentner mit einer Rente von 800 DM, der in einem Altersheim lebt und der bis jetzt mit einem Taschengeld von 40 DM auskommen mußte, weil der Pflegesatz immer höher steigt, muß Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Erst durch die Einschaltung des Vermittlungsausschusses im Zuge der Novellierung des Sozialhilfegesetzes gelang es, wenigstens einen Teil der Rente anrechnungsfrei zu halten.
Der Bundesrat war und ist eben kein Instrument einer Gegenregierung,
({21})
sondern ein selbständiges Organ, das in einer Vielzahl von Fällen zu einer Verbesserung von Gesetzen geführt hat.
({22})
Meine Damen und Herren, auch eine Anpassung an
die Erfordernisse der Praxis ist eine Verbesserung.
({23})
Diese Gesetze stehen dann nämlich nicht nur auf
dem Papier, sondern werden tatsächlich vollzogen.
({24})
Und wenn, Herr Kollege Arendt, in der Regierungserklärung auf die Rentenerhöhung von 1972 bis 1974 hingewiesen wurde, hätte es der Ehrlichkeit entsprochen, zu erwähnen, daß darin die Vorziehung der Rentenanpassung enthalten ist. Diese Maßnahme zur Erhöhung des Rentenniveaus wurde von der sozialdemokratischen Fraktion zweimal in namentlichen Abstimmungen abgelehnt
({25})
und dann im Herbst 1972 von der Union durchgesetzt.
({26})
Das ist die Wahrheit. Die Rentner wären doch längst auf der Strecke geblieben, wenn wir Sie nicht in der letzten Legislaturperiode mit letzter Kraft gezwungen hätten, das zu tun, was Sie verhindern wollten.
({27})
Freilich, meine Damen und Herren, ist in der Zwischenzeit das Rentenniveau erneut gesunken. Wir sind hellhörig geworden, Herr Bundeskanzler - ich sagte es Ihnen schon kurz, und ich bin eigentlich bestätigt durch das, was wir jetzt hören -, bei der Herausstellung der Rentenerhöhungen, die übrigens so nicht stimmen. Es fehlt hier die Zeit, das darzulegen; ich werde es Ihnen zuschicken. Wenn Sie sich von Ihren Herren Papiere geben lassen, sollten Sie im Kanzleramt vielleicht noch einmal gegenchecken lassen, ob die auch richtig sind. Ich werde Ihnen das gern nachgeben, denn Sie haben ja gestern dem Oppositionsführer einen ähnlichen Rat gegeben. Mir scheint das für die Regierung noch mehr zuzutreffen.
Ich darf Ihnen nur sagen, Herr Bundeskanzler, ich bin hellhörig geworden, ob sich hinter der Herausstellung dieser Rentenerhöhungen nicht die Absicht der Bundesregierung verbirgt, im nächsten Jahre eine Kürzung der Bundeszuschüsse vorzunehmen. Lassen Sie mich vorsorglich sagen, daß das Vermögen der Rentenversicherung zu einem guten Teil vorenthaltene Renten sind. Wir werden es, ganz allgemein gesprochen, Herr Bundeskanzler, nicht zulassen, daß Kürzungen - wo sie notwendig sind, können wir übrigens darüber reden; das haben wir gestern gesagt - zu Lasten der Gruppen gehen, die nicht durch mächtige Organisationen vertreten sind und die nicht in der Lage sind, sich selbst zu helfen.
({28})
Wir verstehen unter Solidarität nicht nur die Solidarität von Gruppen und gruppenspezifischen Interessen, wir verstehen unter Solidarität vor allem die Verpflichtung des Staates, für den Bürger einzutreten, der sich aus eigener Kraft nicht zu helfen vermag.
({29})
Das gilt für Kinderreiche, das gilt für die Älteren, das gilt für Schutzlose und Schwache, es gilt nicht zuletzt für unsere Sparer.
Wir leisten damit einen Beitrag zur Stabilität, denn die Erhaltung der Verteilungsgerechtigkeit ist unverzichtbarer Bestandteil jeder Stabilitätspolitik. Ohne Verteilungsgerechtigkeit gibt es keine Stabilität, weil dann Verteilungskämpfe vorprogrammiert sind. Umgekehrt ist ohne Stabilität Verteilungsgerechtigkeit nicht möglich. Damit wird die Sorge für die Verteilungsgerechtigkeit zugunsten derer, die sich nicht selbst helfen können, zu einer wichtigen Position der Alternativpolitik christlicher Demokraten.
Ohne Aussagewert, Herr Bundeskanzler, sind die Ausführungen zur Mitbestimmung. Im Grunde wird hier in der Regierungserklärung nur das Postulat der Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern wiederholt, was schon in der Regierungserklärung vom 18. Januar
1973 enthalten war. Kein Wort hören wir dazu, daß der inzwischen vorgelegte Gesetzentwurf fast überall auf Ablehnung gestoßen ist. Es gibt keine Auseinandersetzung mit dem zutreffenden Vorwurf der Gewerkschaften, daß dieser Entwurf eben gerade nicht die gleichberechtigte Stellung der Arbeitnehmer bewirkt. Ebensowenig hören wir eine Antwort auf den ernst zu nehmenden Vorwurf der Unternehmer, der Gesetzentwurf gefährde Praktikabilität und Funktionsfähigkeit. Das gilt vor allem für den Vorschlag eines turnusmäßig wechselnden Aufsichtsratsvorsitzenden über Losentscheid; dieser Vorschlag könnte dem Kuriositätenkabinett entnommen sein.
({30})
Ist der Regierung vielleicht entgangen, daß das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes zur Definition des leitenden Angestellten dem Entwurf der Regierung in einem wichtigen Punkt den Boden entzogen hat? Damit wir uns hier recht verstehen: Das gilt übrigens auch für die Beschlüsse des CDU-Parteitages. Wenn der Regierungsentwurf leitende Angestellte als Arbeitnehmervertreter behandelt, während das Gericht nur Personen mit Arbeitgeberfunktionen als leitende Angestellte definiert, so tut sich hier ein klaffender Widerspruch auf, an dem eine Regierungserklärung nicht einfach so vorbeigehen kann, als hätte es dieses Urteil nie gegeben.
Herr Kollege Arendt, Sie sagen, Sie hätten Herrn Kollegen Filbinger im Bundesrat gehört; er hätte von der freien Selbstbestimmung der Arbeitnehmer in einem Wahlverband gesprochen. Sie haben dann gefragt: Was ist das eigentlich? Ich will Ihnen das sagen - die Frage, was das sei, ist sehr bezeichnend -: Nach der vorgesehenen Wahl durch ein Wahlmännergremium ist es möglich, daß 51 % der Wahlmänner über die Besetzung sämtlicher Arbeitnehmersitze entscheiden. Das halte ich nicht mit der Freiheit des Arbeitnehmers und mit dem, was wir mit der Mitbestimmung wollen, für vereinbar.
({31})
Dies ist ein Verstoß gegen fundamentale Grundsätze der Demokratie. Hier können Minderheiten beiseite geschoben werden. Ich frage mich, was sich die Freien Demokraten dabei gedacht haben, als sie dies mit unterschrieben haben.
({32})
'Herr Bundeskanzler, wir sind auf diesem Felde schon in der Großen Koalition zusammengekommen. Ich möchte Sie in aller Form fragen - ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auf diese Frage eine Antwort gäben -, ob Sie bereit sind, in diesem Punkte von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen. Sie haben in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche" vom 29. Oktober 1971 auf die Frage der „Wirtschaftswoche" - ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin -:
Besteht hier ein Argument gegen die Mitbestimmung darin, daß auf diese Weise die Gewerkschaften eine zu starke Machtposition bekämen?
geantwortet - ich zitiere wieder -:
Darauf habe ich zweierlei zu antworten. Ad 1):
Ich stelle mir vor, daß jeder, der die Arbeitnehmerschaft im Aufsichtsrat vertritt, in geheimer Wahl von der Belegschaft gewählt werden muß, so daß es also nicht im Belieben eines Gewerkschaftsgremiums liegt, zu entscheiden, wer in den Aufsichtsrat geschickt wird.
({33})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich heute dazu bekennen und in diesem Sinne von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen, könnte, wie ich glaube, in dieser sehr schwierigen Frage ein großer Schritt nach vorn getan werden. Für uns als Christdemokraten ist es unverzichtbar, daß wir dafür eintreten, daß die Männer und Frauen im Betrieb Träger der Mitbestimmung sind und daß sie darüber entscheiden müssen, wer ihre Interessen zu vertreten hat.
({34})
Ich frage noch einmal an die FDP gewandt, die ja - was verständlich ist - für Fragen eines gerechten Wahlsystems immer ein besonderes Gespür gehabt hat: Das Prinzip des Verhältniswahlrechts haben die Freien Demokraten ja geradezu zu einer politischen Zentralforderung erhoben. Ich will gerne zugestehen, daß wir uns auf dem Felde des allgemeinen Wahlrechtes nach der erfolgreichen Bekämpfung extremer Parteien mit politischen Mitteln und damit der bestandenen Bewährungsprobe des Verhältniswahlrechts neue Gedanken machen können. Dabei wäre durchaus zu überlegen - ich sage das an die Adresse der Freien Demokraten -, ob ein gerechtes, die Stimmenanteile berücksichtigendes Wahlrecht dann nicht ein für allemal dem Tageskampf entzogen und in der Verfassung verankert werden kann.
Herr Bundeskanzler, eine Passage besonderer - entschuldigen Sie diesen Ausdruck - Lieblosigkeit ist die dürre Absage an künftige Verbesserungen der Entschädigung für Kriegs- und Kriegsfolgeschäden.
({35})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Ich kann und will, Herr Bundeskanzler, in der gegenwärtigen Haushaltssituation zusätzlichen kostenwirksamen Maßnahmen nicht das Wort reden.
({0})
Aber ist der Hinweis auf die bisher aufgebrachten 220 Milliarden DM wirklich eine stichhaltige Begründung, um zu sagen, für alle Zukunft werden wir hier nichts mehr tun über die vorhandenen gesetzlichen Verpflichtungen hinaus? Diese Frage muß entsprechend den jeweiligen finanziellen Möglichkeiten, so meine ich, offenbleiben. Das sind wir denen schuldig, die als Opfer der nationalsozialistischen Diktatur ihre Gesundheit oder ihre Angehörigen verloren haben und ohne eigene Schuld als Vertriebene und Kriegsgeschädigte ein Sonderopfer
gegenüber jenen, die ein glücklicheres Schicksal hatten, leisten mußten.
({1})
Hier gibt es, Herr Bundeskanzler, noch Härten, die durch geltende Gesetze nicht abgedeckt sind. Ein Volk muß seine eigene, und zwar die ganze Geschichte aufarbeiten, wenn es sicheren Grund legen will für die Zukunft.
Zur wirtschaftlichen Situation der Menschen in unserem Land sagt der Bundeskanzler: „Weitaus dem größten Teil unseres Volkes geht es wirtschaftlich gut; besser als je." Herr Bundeskanzlers, meinen Sie hiermit auch die, die zum Teil seit vielen Monaten arbeitslos sind? Herr Kollege Arendt hat vorhin Zahlen der Arbeitslosenstatistik verlesen und hat das so getan, als wäre das ein ganz normaler Vorgang. Nun, vor Tische las man das ja alles anders. Vor Tische, vor den Wahlen 1969, hörten wir ja, 5 % Preissteigerung wäre einem lieber als 5 % Arbeitslosigkeit.
({2})
- Entschuldigen Sie, das haben wir ja gehört. - Wie sind denn die Vergleichszahlen - wenn ich das nur einmal nehme - von April 1967 zu diesem Jahr? Dabei halte ich mir vor Augen, wie Sie sich damals draußen im Lande und auch in diesem Hause eingelassen haben.
({3})
Damals hatten wir im April 1967 501 000 Arbeitslose. Im April 1974 sind es 517 000 Arbeitslose. Damals hatten wir 29 000 Kurzarbeiter, heute sind es 211 000 Kurzarbeiter. Und darauf, Herr Bundeskanzler, gehen Sie in Ihrer Regierungserklärung mit keinem einzigen Wort ein.
({4})
Und wenn ich mir Nordrhein-Westfalen ansehe: In Nordrhein-Westfalen betrug die Arbeitslosenquote 2,7 % und lag damit noch deutlich über dem Bundesdurchschnitt mit 2,4 °/o.
Diese Regierungserklärung zeichnet - Kollege Barzel hat das gestern schon deutlich gemacht - kein wahres Bild der wirtschaftlichen Lage der Bundesrepublik. Wir können nicht hinnehmen, daß Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit verschwiegen werden. Hier sind sektoral wirksame Maßnahmen erforderlich.
Die Koalitionsparteien wären auch gut beraten, wenn sie dem Gesetzentwurf der Union zur Verbesserung der Leistungen der Arbeitslosenversicherung ihre Zustimmung gäben. Auch das ist ein Punkt einer sachlichen Alternative.
Nun lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur Vermögensbildung machen. Die Aufschiebung der Vermögensbildung halte ich für einen gesellschaftspolitischen Eklat erster Ordnung. Zu Recht wurden in der Regierungserklärung vom Januar 1973 noch Mitbestimmung und Vermögensbildung als gleichrangige Aufgaben postuliert. Noch bei der
Präsentation der Regierungsvorschläge zu den beiden Vorhaben durften die Minister Maihofer und Arendt nebeneinander auftreten. Ja, erst vor vier Monaten, nämlich am 19. Januar 1974, legte Herr Maihofer die Grundlinien eines Vermögensbildungsgesetzes der Öffentlichkeit vor.
Herr Kollege Rosenthal, leidenschaftlicher Kämpfer für die Vermögenspolitik, nannte das angekündigte Gesetz arbeitnehmerfreundlich, mittelstandsfreundlich, investitionsfreundlich, infrastrukturfreundlich und demokratiefreundlich. Da kann ich mich nur fragen: wenn das ein so freundliches Gesetz ist, warum haben Sie es denn eigentlich zurückgezogen und legen es diesem Hohen Hause nicht endlich vor?
({5})
Man muß dabei auch fragen, Herr Maihofer: was ist eigentlich von Ihnen und Ihrem Ministerium in anderthalb Jahren erreicht worden, wenn Sie dies Papier, nachdem Sie in ein anderes Ressort wechseln, zurückziehen, als wenn überhaupt nichts gewesen wäre?
({6})
Diese Frage wird auch den Steuerzahler durchaus interessieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rosenthal?
Bitte schön, gerne!
Herr Kollege Katzer, ich will Ihnen persönlich und auch einigen wenigen unter Ihnen
({0})
- kommt schon! - gerne glauben, daß Sie diesem Gesetz freundlich gegenüberstehen. Darf ich Ihnen aber die Frage stellen, ob Sie hier ignorieren wollen, daß diese Einigung unter den Koalitionspartnern nicht zurückgezogen worden ist. Im Gegenteil: der Bundeskanzler hat gesagt, daß dieses Gesetz noch in dieser Periode eingebracht werden muß.
({1})
Zweitens, Herr Kollege Katzer, haben Sie nicht wieder ignoriert, daß Ihre Partei auch hier an Alternativlosigkeit krankt?
({2})
Denn neben dem Evergreen Burgbacher, der keine Beteiligungswerte schafft, sind Sie auf dem Hamburger Parteitag - - Oder ich frage Sie: Sind Sie nicht auf dem Hamburger Parteitag untergegangen? Denn dort heißt es nur, daß die Unternehmer nach ihrem eigenen freien Ermessen
({3})
eine Beteiligung durchführen können.
({4})
Das sind unter den Unternehmern zwei vom Tausend. Ich frage Sie also, Herr Katzer -
({5})
Herr Kollege Rosenthal, bitte fassen Sie sich kurz in Ihrer Frage!
Gut. - Ich frage Sie, ob Sie nicht die Böcke bei den Arbeitgebern zu Vermögensbildungsgärtnern machen.
Herr Kollege Rosenthal, ich kann ja verstehen, daß Sie bewegt sind, nachdem Sie ja auch schon jahrelang als Staatssekretär an dieser Materie erfolglos gearbeitet haben.
({0})
Ich will Ihnen erstens sagen: Ich kann Ihnen keineswegs bestätigen, daß ich den Gesetzentwurf mit den Grundlagen, die Sie erarbeitet haben und die hier erarbeitet worden sind, für gut halte. Im Gegenteil, ich halte sie für ganz schlecht und werde sie ablehnen.
Der entscheidende Punkt ist doch der, in dem wir gemeinsam - und so hatte ich Sie angesprochen, Herr Kollege Rosenthal, als einen leidenschaftlichen Verfechter der Eigentumspolitik - einer Meinung sind. Und da besteht doch einfach eine Sorge. Die Bevölkerung ist doch nicht gegen Reformen. Die Bevölkerung ist doch nicht gegen Reformen gerade auf dem Gebiet der Eigentumspolitik. Sie ist dafür. Sie ist es nur leid, dauernd Reformen versprochen zu bekommen, die dann in der Praxis nicht eingehalten werden.
({1})
Das ist doch die Position, von der wir auszugehen haben.
Herr Kollege Rosenthal, da bin ich traurig, wenn Sie sagen „Alternative". Wo nehmen Sie denn das Recht her, von „Alternative" zu sprechen, die Sie unseren Beteiligungslohngesetzentwurf in diesem Hause in der letzten Legislaturperiode zu Fall gebracht haben.
({2})
Und es ist doch einfach nicht möglich -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Katzer, ist Ihnen bekannt, daß bei der Sachverständigenanhörung zu Ihrem Gesetzentwurf „Beteiligungslohn" und zum 624-DM-Gesetz der Bundesregierung Ihr Antrag von allen Sachverständigen - bis auf einen - abgelehnt worden ist und sie uns gewarnt haben, einen derartigen Weg zu gehen? Können Sie uns das bestätigen?
Nein, das kann ich so nicht bestätigen. Außerdem, entschuldigen Sie höflich-({0})
- Das ist richtig. Sie haben auch nicht an allem
teilgenommen, wenn ich das richtig sehe, was hier
in dem Hohen Hause beschlossen wird. Sind wir
uns da einig, sind wir uns da wenigstens einig? - Ich kann Ihnen das überhaupt nicht bestätigen.
Ich kann nur sagen: Herr Wehner hat sich gestern bemüßigt gefühlt, zum 312-Mark-Gesetz zu sprechen und zu fragen - so rhetorisch -: Ja, da wäre doch, wenn man das so richtig sehe - Herr Carstens könnte es vielleicht nicht so genau wissen -, ein ganz großer Unterschied zwischen dem 312- und dem 624-DM-Gesetz.
({1})
- Ich kann Ihnen sagen, was der Unterschied ist. Sie wissen es nicht. Sie können es auch nicht wissen, Sie waren ja nicht dabei.
({2})
Als wir uns 1957 bzw. 1961 in diesem Hause mit Dr. Deist unterhielten - das ist doch kein Vorwurf, sondern eine Tatsache -, war der entscheidende Punkt folgender. Wir haben damals das 312-DM-Gesetz geistig konzipiert und darauf vertraut, daß die Sozialpartner davon Gebrauch machen, und ich verschweige nicht, daß ich traurig darüber bin, daß weder Gewerkschaften noch Unternehmer von diesem Angebot Gebrauch gemacht haben. Das ist klar.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte das jetzt zu Ende führen.
Dann kam die zweite Position. Sie haben doch in der Eigentumspolitik Punkt für Punkt gegen uns votiert. Wir haben doch alle diese eigentumspolitischen Gesetze - lesen Sie bitte die Protokolle des Deutschen Bundestages nach - in hartem Widerstand gegen Sie erkämpfen müssen.
({0})
- Das ist falsch.
({1})
- Nein, das ist eben falsch, Herr Kollege.
({2})
- Entschuldigen Sie höflichst! Bleiben Sie bei der Wahrheit! Niemand hat die Gewerkschaften gehindert, dafür zu sorgen, daß in den Betrieben Betriebsabschlüsse getätigt werden. Ich bedaure, daß sie eben dies nicht getan haben. Ich bedaure das lebhaft.
({3})
Herr Vetter spricht neuerdings von „unheiligen Allianzen". Selbst ein Mann wie Herr Rosenthal erliegt schon so einem Feindbild, wie es von der SPD aufgebaut worden ist und dauernd nach draußen weht. Hier ist das ja wenig zu hören. Aber dort wird es gepflegt: Diese bösen Kapitalisten und die CDU stehen in einer Rolle. Man verweist dabei auf den
Parteitag in Hamburg. Sie werden sich wundern, was diese Christlich-Demokratische Union an reformerischem Willen mit Maß und Vernunft im Rahmen dieser sozialen Marktwirtschaft durchzusetzen bereit und in der Lage ist.
({4})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?
Nein, ich möchte jetzt im Augenblick - entschuldigen Sie, Herr Kollege - zu Ende kommen.
Wer die Eigentumspolitik seit jenen Tagen des Jahres 1951, als Sie den Investivlohn massiv ablehnten, verfolgt hat, wird mit Interesse ein Interview gelesen haben, das Graf Lambsdorff gestern oder vorgestern dem „Handelsblatt" gegeben hat. Darin heißt es zum Schluß - ich darf zitieren -, die FDP begrüße - nach Lambsdorff - die Tatsache, daß das Projekt einer Vermögensbildung in dieser Legislaturperiode nicht verwirklicht werden solle; die sich aus den Grundlinien der Bundesregierung zur Vermögensbildung ergebenden technische Probleme seien kurzfristig nicht lösbar gewesen. - Dabei hat Rainer Barzel gestern schon klar gesagt, daß es gar nicht um technische Probleme geht. Sie fügen dann hinzu - und das ist das Bemerkenswerte -:
Ich weiß nicht, ob diese Grundlinien überhaupt noch die Basis für die Fortschreibung einer Vermögensbildung bleiben werden.
Da liegt der entscheidende Punkt. Ich habe etwas Sorge, daß wir über diese Entwicklung hinaus ein Reformwerk vertagen und dieses Reformwerk eines Tages - der Bundeskanzler spricht von 1978 - einen solchen Stau hervorgerufen hat, daß es nicht mehr im Rahmen einer evolutionären Entwicklung verwirklicht werden kann. Dies ist unsere Sorge. Ich habe die Sorge, daß wir links und rechts, wenn Sie so wollen, leider miteinander spielen.
Präsident 'Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff?
Herr Kollege Katzer, darf ich Sie zunächst einmal darauf aufmerksam machen- ich habe es meinen Freunden schon gesagt -, daß in diesem Interview leider etwas passiert ist? Statt des Wortes „bedauert", wie ich es gesagt habe, steht dort ausgerechnet „begrüßt", was den Sinn vollständig entstellt.
({0})
Aber nun ein Zweites, und das ist mir das Wichtigere.
Das erste war keine Frage, sondern eine Feststellung, die ich nur mit dem Bemerken hinnehmen kann: Das ist auch mir schon passiert.
Ich bitte darum, das zu tun, und danke Ihnen für die Hinnahme.
Herr Katzer, ich darf eine zweite Frage stellen, da Sie es für wichtig gehalten haben, gerade auf den zweiten Satz einzugehen. Sehen Sie nicht auch in der Tat Bedenken, die sich daraus ergeben, daß die in den Grundlinien, die Sie vorhin zitiert haben, vorgesehene Barabfindung genau dasselbe Übel enthält wie der Beteiligungslohn Ihres Gesetzes, daß er nämlich unmittelbar durch die Preise überwälzbar ist, daß er damit von der linken in die rechte Tasche geht oder, wie ein bekannter Berliner Buchhalter einmal gesagt hat, es sich um die Buchung per Jacke an Hose handelt?
Graf Lambsdorff, ich glaube das nicht. Aber wir können darüber gern miteinander diskutieren; das will ich überhaupt nicht wegschieben. Ich möchte nur eines, und da frage ich Sie, ob wir übereinstimmen; dann wäre ich Ihnen wirklich dankbar. Dies ist ein Problem, über das man diskutieren muß. Ich tue es gern. Aber sind Sie denn nicht mit mir der Meinung, daß es nicht angeht, dies auf 1978 einfach zu vertagen, sondern daß wir vorher Lösungen finden müssen? Und ich sage Ihnen für diese Christlich-Demokratische Union: Wir werden diese Regierungskoalition an dieser Frage messen und diese Frage hier im Deutschen Bundestag stellen.
({0})
Das ist der entscheidende Punkt.
Herr Kollege Katzer, ich darf auf diese Ihre Ausführungen mit einer - ich hoffe, vorschriftsmäßig formulierten - Frage antworten und Sie bitten, doch zur Kenntnis zu nehmen, daß niemand vom Jahre 1978 gesprochen hat,
({0})
und Sie fragen, ob Sie doch bitte sehen und zugeben, daß die Arbeiten an einem vermögenspolitischen Konzept, das in seiner Auswirkung, in seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung nach meiner Überzeugung, Herr Katzer, etwa mit dem vergleichbar ist, was Sie vorhin mit dem Stichwort Lastenausgleichsgesetzgebung angesprochen haben, fortgesetzt werden. Daß das Konzept eine wirklich sorgfältige und eingehende Bearbeitung erhält, dafür wollen wir Sorge tragen.
Graf Lambsdorff, das Jahr 1978 ist nicht von mir erfunden, sondern vom Bundeskanzler in diese Regierungserklärung als Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Vorhabens hineingeschrieben worden; das müssen Sie nachlesen. Und im übrigen: Natürlich ist das ein langwieriger Prozeß. Wem sagen Sie das? Aber wir dürfen doch nicht übersehen: Am Ende dieser Legislaturperiode sind die Sozialdemokraten zehn Jahre mit in der Regierungsverantwortung. Draußen im Lande sich über die einseitige Vermögensverteilung zu beklagen und hier im Hause nichts zu tun, um dies zu verhindern,
das ist nicht miteinander in Übereinstimmung zu bringen.
({0})
- Herr Kollege, entschuldigen Sie, ich möchte doch jetzt gerne zu Ende kommen. Wir können den Dialog gern bei anderer Gelegenheit fortsetzen.
Eine der bemerkenswertesten Passagen der Regierungerklärung war das Bekenntnis zur Notwendigkeit ausreichender Investitionen in der Wirtschaft. Dem ist voll zuzustimmen. Aber, meine Damen und Herren - und das ist hier in der Tat die Frage, Graf Lambsdorff -, wir wollen, daß an diesen Investitionen alle Schichten unserer Bevölkerung, nicht zuletzt die Arbeitnehmer selbst, beteiligt werden. Wir sind dagegen, dies auf die lange Bank zu schieben. Deshalb, glaube ich, wäre es doch gut, wenn alle jene Kräfte, denen an der Erhaltung der sozialen Marktwirtschaft gelegen ist, hier zur Verwirklichung eines Reformkonzeptes beitrügen. Wir sollten auch Initiativen der Wirtschaft in dieser Richtung begrüßen und ermuntern. Mit Recht heißt es dazu in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 17. Mai:
Die Unternehmen sollten auch mehr über Gewinnbeteiligungsmodelle nachdenken,
({1})
die mit der Vermögensbildung zu verknüpfen wären.
Nachdem das, was wir 1961 gewollt haben - leider -, weder von Gewerkschaften noch von der Wirtschaft honoriert worden ist, würde ich wirklich sagen, daß hier ein Aufruf notwendig ist. Soll es denn nicht möglich sein, daß auch aus der Wirtschaft Impulse zur Lösung dieses Problems kommen, zu denen die Arbeitnehmerschaft dann ja sagen kann und die uns in der Befestigung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung in der Bundesrepublik ein großes Stück weiterbringen?
({2})
- Aber selbstverständlich, gerne, sehr gern. Sie halten das offenbar nicht für möglich. Das findet bei uns tagtäglich statt, und zwar, wie ich hoffe, zu beiderseitigem Nutzen.
({3})
Stabilitätspolitisch könnte dazu die Vermögensbildung eine einmalige Chance sein, um durch eine Kombination von Barlohn-Erhöhungen und vermögenswirksamen Leistungen das Nachfragepotential in Grenzen zu halten - Graf Lambsdorff, die Frage, auf die Sie vorhin eingingen. Die Bundesregierung hat ihre Chance 1970/71 und 1972 hier versäumt, als sie in einem konjunkturell günstigen Zeitpunkt des Aufschwungs das von uns vorgelegte Beteiligungslohngesetz abgelehnt hat. Und ich sage noch einmal: Ich will da nicht hinterhaken, sondern ich glaube, es wäre gut für alle im Hause, darüber nachzudenken, daß wir hier Probleme, die wir ja alle nicht erfunden haben, sondern die die Gesellschaft uns stellt, gemeinsam lösen sollten.
Diese Regierungserklärung enthält kein geschlossenes geistiges Konzept. Selbst die für sich nicht sehr aussagekräftige Devise „Kontinuität und Konzentration" trifft nicht zu. Sowohl auf dem Feld der inneren Reformen - ich habe an die Vermögensbildung erinnert - wie auf wirtschafts- und fiskalpolitischem Gebiet sind erklärte Vorhaben der Regierung fallengelassen oder verändert. Ob dadurch eine Konzentration der Kräfte eingetreten ist, wird die Zukunft erweisen. Eine Gesamtschau über die Vorhaben der Regierung Schmidt /Genscher weist diese Regierung aus als ein Übergangskabinett, mit dem wir zu leben haben werden. Verschiedene Einzelmaßnahmen, die man angesichts der politischen Konstellation für durchführbar hält, stehen mehr oder weniger beziehungslos nebeneinander. Es ist das Programm von Technokraten und Machern. Daß es in einer nüchternen Sprache abgefaßt ist, ist zu begrüßen, aber was dem Programm fehlt, ist jede Dimension der Menschlichkeit.
({4})
Wir werden unsere Aufgabe nicht zuletzt darin sehen, durch eine konkrete, realitätsbezogene Alternativpolitik für mehr Menschlichkeit in unserer technisierten Welt zu sorgen.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Rohde.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Aufmerksam habe ich die Beiträge von Herrn Barzel und jetzt auch von Herrn Katzer zur Debatte über die Regierungserklärung verfolgt. Ich will dazu gleich freimütig sagen: Was dabei auffällt, ist die Ignoranz in Ton und Inhalt gegenüber den Weichenstellungen, die auf gesellschaftspolitischem Gebiet in den letzten Jahren vollzogen worden sind.
({0})
Gestern hat Herr Barzel mit der ihm eigenen Gebärde gemeint, diese Regierung habe zwar einige Gesetze gemacht und mit dem Parlament verabschiedet, hat dann aber dem Sinne nach hinzugefügt, was sei denn das schon. Diese Haltung wird weder den sozialen noch den bildungspolitischen Anstrengungen gerecht, die in den letzten Jahren vollzogen worden sind.
({1})
Das verrät Arroganz gegenüber der tatsächlichen Entwicklung, die wir vollzogen haben. Ich werde mich deshalb nicht darauf beschränken, einige Anmerkungen zur Bildungspolitik zu machen, mich also nicht allein auf eine bildungspolitische Betrachtung beschränken, sondern an einigen Beispielen darstellen, was geleistet worden ist, und wie aus Dimensionen der Menschlichkeit - wonach Sie gefragt haben, Herr Kater - gehandelt wird.
({2})
Erstens: Niemals zuvor ist der Umfang und das Fundament sozialer Sicherheit so gestärkt und verbreitert worden wie in den letzten drei Jahren.
({3})
Es sind - lassen Sie mich ausreden; das wird für Sie gleich sehr unbequem werden ({4})
Hunderttausende von Angestellten in die soziale Krankenversicherung einbezogen worden.
({5})
Der Unfallversicherungsschutz für die Schüler und Studenten ist organisiert worden, und ich werde zusammen mit dem mir vertrauten Bundesarbeitsminister in diesem Jahr den Krankenversicherungsschutz für die Studenten auf den Weg bringen. Die Rentenversicherung ist geöffnet worden für weitere Personengruppen. Eine Pflichtkrankenversicherung für die Landwirte wurde eingeführt. Herr Barzel, wer Augenmaß hat, kann doch nicht sagen: „Wo bleiben Reformen?", wenn innerhalb von drei Jahren Millionen von Menschen neue Ansprüche auf soziale Sicherung erhalten haben.
({6})
Und wenn nach der Solidarität in der Gesellschaft gefragt wird, eine Frage, die Herr Katzer aufgeworfen hat: Dieser Ausbau des sozialen Sicherungssystems bedeutet Stärkung der Grundsolidarität einer modernen Industriegesellschaft. Das bedeutet, jene sozialstaatliche Festigkeit zu stärken, die für die Zukunft der Demokratie wesentlich ist. Das ist ein grundlegendes Motiv unseres Handelns.
({7})
Nun will ich Ihnen zu der Frage „Wie groß ist die soziale Solidarität?" gleich das Kontrastprogramm der CDU aus den sechziger Jahren liefern. Erstens - das weiß Herr Katzer ja ganz genau - hat die damalige Bundesregierung einen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt, der beispielsweise vorsah, daß die Versicherungspflichtgrenze für Arbeiter und Angestellte in der Krankenversicherung bei 750 DM liegen sollte. Wer mehr als 1250 DM verdiente, sollte sich in aller Regel noch nicht einmal freiwillig weiterversichern können.
({8})
Das hätte bedeutet, meine Damen und Herren, daß Sie bei steigenden Löhnen und Gehältern immer mehr Arbeitnehmer mit ihren Familien aus dem Schutzbereich der deutschen Krankenversicherung hinausexpediert hätten.
({9})
Herr Katzer, Sie fragen nach den Rentensorgen im Alter. Wem begegnen wir denn in unseren Versammlungen? Vielfach doch Selbständigen, die oft nur kleine und unzulängliche Renten vorzuweisen haben. Und warum denn eigentlich, Herr Katzer? Weil die CDU/CSU diesen Menschen jahrzehntelang den Zugang zur sozialen Sicherung versperrt hat!
({10})
Sie wollen uns heute Ihre falschen Weichenstellungen nachträglich anlasten, und das lassen wir nicht zu!
({11})
Zweiter Punkt: Sie haben nach dem Lebensstandard und seiner Sicherung gefragt. Was hat sich denn tatsächlich in den letzten drei Jahren abgespielt? Durch die Dynamisierung in vielen sozialen Bereichen haben wir einen wachsenden Teil von Sozialleistungen in die Wirtschaftsentwicklung unseres Landes einbezogen. Sie mögen das für wenig halten. Aber daß die Kriegsopfer heute eine dynamisierte Rente erhalten, ist ein ganz grundlegender Fortschritt.
({12})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Czaja?
Ja, bitte!
Herr Minister, würden Sie in einer nüchternen Weise darlegen, wie Hunderttausende Unterhaltshilfeempfänger, die 348 DM im Monat erhalten, davon leben sollen, und würden Sie darlegen, warum Sie im Gegensatz zu früheren Regierungen für diesen Personenkreis erhebliche Verbesserungen nicht durchgeführt haben?
Herr Kollege, wir haben Verbesserungen für viele Personenkreise durchgeführt! Und ich will Ihnen auch noch etwas zum Kapitel „nüchterne Darlegung" sagen: Ich erinnere mich an eine Kriegsopferversammlung in den sechziger Jahren, auf der ein CDU-Arbeitsminister anwesend war. Zu jener Zeit hatten die Kriegsopfer dem Arbeitsminister die Frage vorgelegt, warum denn eigentlich ihre Renten nicht genauso wie die Sozialversicherungsrenten jährlich angepaßt würden. Und da hat er nach meiner Erinnerung dem Sinne nach gesagt, das gehe nicht, denn sie hätten ja dafür im Gegensatz zu den Rentnern der Rentenversicherung keine Beiträge gezahlt.
({0})
Da mußten sich diejenigen, die als Schwerbehinderte in den ersten Reihen saßen, die Frage vorlegen, welche Beiträge man denn nun noch erbringen muß, um ein Anrecht auf eine dynamisierte Kriegsopferversorgung zu haben.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Dr. Czaja, ich will jetzt nicht in alle Einzelheiten gehen; ich will zu den entscheidenden Punkten vorstoßen.
({0})
Der dritte Punkt ist die Mitbestimmung. Herr Kollege Katzer, Sie haben sich die Bestimmung der Position der CDU/CSU in der deutschen Mitbestimmungsdebatte sehr leicht gemacht, einfacher, als es dem Vorsitzenden der Sozialausschüsse der CDU erlaubt sein darf.
({1})
Der Tatbestand ist - und das ist zunächst einmal die Ausgangsposition -, daß sich fast zwei Jahrzehnte unter der Amtsführung der CDU/CSU auf dem Felde der Mitbestimmung überhaupt nichts verändert hat.
({2})
Und als zur Zeit der Großen Koalition von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion Gesetzesvorschläge zur Weiterentwicklung des Betriebsverfassungsrechts und des Unternehmensrechts vorgelegt worden sind, da haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU - Herr Katzer von den Sozialausschüssen eingeschlossen -, nein gesagt, Herr Katzer, damals nein zur Fortentwicklung des Betriebsverfassungsgesetzes, und nein auch zur Fortentwicklung des Unternehmensrechts!
({3})
- Darauf komme ich noch, Herr Kollege, Sie haben nein gesagt. Nun lenken Sie nicht ab. Das ist ein für Sie offensichtlich unbequemes Thema.
({4})
Ich muß offen feststellen: in der Koalition mit den Liberalen haben wir mehr Fortschritt auf dem Felde der Mitbestimmung auf den Weg bringen können als in der Großen Koalition, selbst mit den Sozialausschüssen der CDU.
({5})
- Das ist kein Blödsinn, Herr Kollege, wie Sie das auszudrücken pflegen. Ich füge hinzu, daß wir es uns nicht bieten lassen, daß die Neinsager von gestern sich heute zu Richtern über die sozialliberale Koalition aufspielen wollen.
({6})
Nun hat Herr Barzel gestern am Schluß seiner Rede eine Frage gestellt, die ich nicht leichtnehme, nämlich die Frage nach den Motivationen, gleichsam nach dem geistig-politischen Hintergrund praktischer Politik. Dazu hat der Herr Bundeskanzler an mehreren Stellen, aber an einer, auf die ich mich besonders beziehen will, einen wesentlichen Hinweis gegeben. Der Impuls, aus dem er handelt - das ist deutlich geworden -, ist die Entwicklung zum Sozialstaat. Er trägt dabei der Tatsache Rechnung, daß in diesem unserem Staat, wie in vielen anderen Industrieländern, der größte Teil der Erwerbstätigen Arbeitnehmer sind. In unserem Land gehören nahezu 85 Prozent aller Erwerbstätigen zur Arbeitnehmerschaft. Wir befinden uns eigentlich in einem politisch-historischen Abschnitt, in dem es darum geht, die Arbeitnehmergesellschaft zum modernen Sozialstaat weiterzuentwickeln.
({7})
Das ist deutlich geworden. Meine Damen und Herren, damit komme ich zu der vom Bundeskanzler angesprochenen Identifikation von Arbeitnehmerschaft und Staat: Bedeutet das nichts als Motivation für Gesellschaftspolitik nach all den Erfahrungen, die wir in den hinter uns liegenden hundert Jahren gemacht haben?
({8})
Wir sind davon überzeugt, daß weder mit patriarchalischen Betriebsverhältnissen, noch mit dem Patronatssystem mancher anderer Länder und auch nicht mit der technisch-bürokratischen Betriebsorganisation kommunistischer Staaten Zukunft gemacht werden kann. Wir gehen davon aus, daß wir mit der Mitbestimmung nach unseren Sozialauffassungen und auf der Grundlage des wachsenden Selbstbewußtseins der Arbeitnehmerschaft einen Beitrag leisten wollen zur Bewältigung einer der schwierigsten und schwerwiegendsten Probleme der industriellen Gesellschaft, nämlich der Beziehungen im Felde der Arbeit und der Wirtschaft.
({9})
Herr Kollege Katzer, Sie haben hier schwerwiegende Vorwürfe gegenüber den Gewerkschaften hinsichtlich ihres Verhaltens auf dem Felde der Sparförderung gemacht.
({10})
- Wegen des 312-DM-Gesetzes, um die alte Terminologie zu gebrauchen. Ich halte das für ungerecht; denn der Tatbestand war, daß der Zugang der Gewerkschaften zu tarifvertraglichen Regelungen von der CDU/CSU-Regierung lange Zeit abgesperrt war.
({11})
- Nein, ich will fair bleiben, das ist nicht das „Verdienst" von Herrn Katzer, sondern es ist im wesentlichen die Haltung seines damaligen Vorgängers gewesen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?
Ja, bitte sehr!
Herr Rohde, ist Ihnen vielleicht bekannt - wenn nicht, bitte ich es zu erfragen -, daß Ihr Kollege Farthmann uns, der CDU, ausdrücklich das Lob ausgesprochen hat, daß durch den Burgbacher-Plan, durch das Beteiligungslohngesetz die Gewerkschaften ihre grundsätzliche Ablehnung des tarifvertraglichen Sparens aufgegeben haben und daß dies der Vorgang ist, der die Vermehrung von 1,7 Millionen 312-DM-Sparern auf die 17 Millionen gebracht hat? Es wäre redlich, wenn Sie es wüßten, daß Sie es sagten.
Ich kenne dieses Zitat nicht und will mich dazu nicht äußern. Nach meiner Beurteilung sieht die Sache sehr viel nüchterner aus. Tatbestand ist, daß die Gewerkschaften auf dem Feld des 312- DM-Gesetzes bzw. des heutigen 624-UM-Gesetzes sich erst mit voller Kraft engagieren konnten, als der Weg zum Tarifvertragsabschluß geöffnet und gesichert war.
({0})
- Herr von Bismarck, 'Sie winken ab. Lassen Sie bitte diese überhebliche Gebärde; das bringt nichts ein.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Burgbacher?
Ich möchte noch einige Ausführungen zum Thema machen. Ich will hier ja keine vermögenspolitische Debatte führen.
Sie gestatten keine Zwischenfrage?
Herr Kollege Burgbacher, ich möchte jetzt weiterreden und bitte Sie dafür um Verständnis.
Tatbestand ist, daß 1969 etwa 1,5 Millionen Arbeitnehmer tarifvertraglich zugesicherte Leistungen nach dem Sparförderungsgesetz erhielten. Heute sind es über 15 Millionen Arbeitnehmer. Das ist ein entscheidender Fortschritt, der hier nicht ignoriert werden kann.
({0})
Nun zu der Grundsatzfrage, Herr Katzer: Wie halten es die politischen Kräfte mit der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen? Dazu hat sich die Regierungserklärung 1969 bekannt, und dabei bleibt es.
Herr Katzer, ich will hier deutlich den Unterschied skizzieren, den es zwischen der Regierungsarbeit auf der einen und der Opposition auf der anderen Seite gibt. Während es bei der Opposition, bei der CDU/CSU - wie der Hamburger Parteitag zeigt und wie auch die unterschiedlichen Stellungnahmen zum Beteiligungslohngesetz ausgewiesen haben -, im
Grunde genommen noch um die Auseinandersetzungen um Grundsatzpositionen geht,
({1})
ist im Bereich der Regierung bereits damit begonnen worden, festgelegte Grundsätze zu einem Gesetzentwurf auszuarbeiten. Das ist die Lage, in der wir uns befinden.
({2})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burgbacher?
Bitte!
Herr Bundesminister, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß durch die Gewerkschaften ein wesentlicher positiver Beitrag zu den Stabilitätsbemühungen des Herrn Bundeskanzlers geleistet werden könnte, wenn die Gewerkschaften bei ihren Tarifverhandlungen endlich zu investiven - beachten Sie: investiven - Lohnteilen übergingen? Sind Sie der Meinung, daß die 15 Millionen Arbeitnehmer, die jetzt im Rahmen des 624-DM-Gesetzes sparen, 624 DM sparen?
Herr Kollege, wir kennen die Zusammenhänge. Aber wollen Sie von mir erwarten, daß ich in dieser Debatte alle Einwände aufnehme, die in der Sachverständigenanhörung zu Ihren persönlichen Plänen vorgebracht worden sind? Ich stelle Ihre Motive gar nicht in Frage, aber die Umsetzung ist nicht gelungen, Herr Kollege.
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Nun, Herr Kollege Katzer, will ich Ihnen zu der ernsten Frage der Menschlichkeit in der Politik und ihrer Dimension wiederum an Hand eines konkreten Bereichs der Politik ein Beispiel geben. Wir haben in den letzten Jahren eine bildungs- und zugleich sozialpolitische Aufgabe von großem Gewicht ihrer Erfüllung nähergebracht; ich meine damit die Hilfen für Millionen von behinderten Menschen. Es wurden berufliche Ausbildungsstätten geschaffen. Herr Katzer, seit 1969 stellt die Bundesregierung für diese beruflichen Ausbildungsstätten Jahr für Jahr mehr Gelder zur Verfügung, als in der ganzen Zeit ausgegeben wurde, als Sie Arbeitsminister waren.
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Es ist ferner ein Bündel von sozialen Leistungsgesetzen und Hilfen auf den Weg gebracht worden, damit sich auch die Ansprüche der vielen jungen Behinderten an den Sozialstaat verwirklichen lassen.
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- Herr Kollege Katzer, ist es nicht eine Weichenstellung von grundsätzlicher Bedeutung, daß mit
einem Netzwerk neuer sozialer Leistungen in Zukunft hinsichtlich der Behinderten endlich die Bürstenmacher- und Besenbinderphilosophie überwunden wird, unter der früher ihr Leben und ihr Schicksal gestanden hat?
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Herr Barzel, Sie haben gestern gefragt: Politik warum und wozu, Gesetze warum und wozu? - Diese und andere Sozialgesetze sollen dazu beitragen, ein wesentliches Stück Humanität in dieser Gesellschaft zu verwirklichen.
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Ich bin mir - um dazu einige Anmerkungen zu machen - bewußt, daß ich in einer schwierigen Phase deutscher Bildungspolitik zu meinem Teil Verantwortung dafür übernehme. Herr Kollege Barzel, Sie haben gestern die Aufforderung an die Regierung gerichtet, in der Darstellung von Bilanzen ausgewogen zu sein. Ich werde mich darum bemühen. Zu der heutigen Zwischenbilanz gehört nach meiner Meinung die ehrliche Feststellung, daß wir in der Bundesrepublik vor allem im Bereich der Bildungsinvestitionen und Bildungsplanung gegenüber den sechziger Jahren grundlegende und sichtbare Fortschritte gemacht haben.
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- Ich bin nicht einseitig, Herr Kollege. - Zum anderen muß aber ebenso unbefangen zugegeben werden, daß sich heute strukturelle Probleme im Bildungswesen schärfer abzeichnen als früher und daß sich gerade in jüngster Zeit die Frage nach der Harmonisierung von langfristigen Planungszielen und ihrem konkreten Vollzug in einem föderalistischen Bildungssystem in der politischen Diskussion zugespitzt hat. Ich werde darauf heute in der Haushaltsdebatte näher eingehen, als ich das jetzt aus zeitlichen Gründen kann. In dieser Debatte will ich mich darauf beschränken, einige Anmerkungen zur Berufsbildungspolitik zu machen, weil sie in Debattenbeiträgen der Opposition eine erhebliche Rolle gespielt hat.
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Nun haben Sie, Herr Barzel, gestern die Frage aufgeworfen: Welche Motive hatte denn die Bundesregierung, sich zur beruflichen Bildung so in der Regierungserklärung zu äußern, wie sie es getan hat? Dazu will ich Ihnen folgendes sagen: Der Tatbestand, von dem wir ausgehen müssen, ist zunächst, daß sich die Erwartungen, die 1969 mit dem unter Federführung von Herrn Katzer vorgelegten Berufsausbildungsgesetz verbunden waren, nicht erfüllt haben.
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- Herr Kollege Katzer, ich sage das ohne Vorwurf im Sinne einer nüchternen Feststellung. Sie waren damals bei Ihren Entscheidungen durch Zeitumstände und Erfahrungen begrenzt. Aber an dem Tatbestand selbst - ich würde mich freuen, wenn
Sie das ebenso unbefangen sagen könnten, wie ich die Bemerkung gemacht habe -, daß die Erwartungen sich nicht erfüllt haben, können wir nicht vorbeigehen.
Nun erleben wir die Tatsache, die viele bedrückt - ich gebe zu: sicherlich auch in der Opposition -, daß die Entwicklung der beruflichen Bildung mit dem Tempo der allgemeinen Bildungsreform nicht Schritt gehalten hat. Davon müssen wir ausgehen.
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Es wird auch im Bewußtsein und in der Diskussion unserer Bevölkerung im Lande deutlicher, daß sich Bildungsreform nicht in einer Reform für Gymnasiasten und Studenten erschöpfen darf,
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sondern daß sie die Bedürfnisse der vielen jungen Menschen einbeziehen muß, die ihren Weg ins Leben über die berufliche Ausbildung gehen. Um Ihnen einen Anhaltspunkt zu geben: das sind 75 % aller Jugendlichen einer Altersklasse.
Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung die berufliche Bildung zu einem Schwerpunkt erklärt. Herr Carstens, betrachten Sie es nicht als eine ungebührliche Bemerkung, wenn ich sage: Mir scheint, daß Sie es sich mit Ihrer Stellungnahme zur beruflichen Bildung gestern zu leicht gemacht haben. Wenn es nur darum ginge und wenn der Bildungsminister vor keiner anderen Aufgabe stünde, als manche Erregtheiten in der Diskussion der letzten Monate abzubauen, dann hätte er es relativ leicht.
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Seine Aufgabe besteht vielmehr darin, daß er sich strukturellen Problemen der Berufsausbildungsentwicklung gegenübersieht, die sich über eine lange Zeit hin entwickelt haben. Ich erhebe gar nicht zugespitzt den pauschalen Vorwurf der Versäumnisse von gestern; ich stelle das nüchtern fest.
In Wahrheit ist es so - darauf habe ich auch meine Bemerkung von der schwierigen Periode der Arbeit in der Bildungspolitik abgestellt -, daß die Reform der Berufsbildung zugleich den schwersten und den schwerwiegendsten Bestandteil der Bildungsreform in unserem Lande darstellt.
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Ich will Ihnen dafür einige Anhaltspunkte geben, die ich - und Sie sicherlich auch nicht - in keiner Weise als beruhigend bezeichnen kann.
Erstens haben wir zu wenig und vielfach völlig unzureichend ausgestattete Berufsschulen. Lange währende Versäumnisse haben auch durch Anstrengungen der letzten Jahre nicht in befriedigendem Maße abgebaut werden können. Bei den Schulinvestitionen muß daher nach meiner Auffassung die Berufsschule in Zukunft einen höheren Stellenwert erhalten.
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Zweiter Tatbestand: Aus den mir vorgelegten Statistiken geht hervor, daß 15 000 Berufsschullehrer fehlen. Ich weiß zu würdigen, was teilweise
in Ländern, z. B. in dem von Ihnen, Herr Carstens, in Ihrer gestrigen Rede so oft geschmähten Land Niedersachsen, durch unkonventionelle Maßnahmen unternommen worden ist, um rasch Lehrkräfte für die Berufsschulen zu gewinnen. Aufs Ganze der Bundesrepublik gesehen stehen wir aber nach wie vor vor einem ernsten Problem; denn ohne wachsende Leistungen der Länder für das berufliche Schulwesen ist eine befriedigende Reform der beruflichen Bildung nicht zu erreichen.
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Das ist der Ausgangspunkt. Hier steht nicht ein Kultusminister der Bundesrepublik Deutschland, sondern hier steht der Bildungsminister, der auf Grund der Verfassung und der Verfassungswirklichkeit begrenztere Rechte hat, als viele Bürger in unserem Lande glauben.
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Drittens kommt hinzu, daß wir es im Bereich der beruflichen Bildung mit weitgefächerten Zuständigkeiten zu tun haben. Staat, Wirtschaft, Betriebe, Handwerk, Gewerkschaften und Arbeitgeber gehören dazu. Ich will ohne Umschweife sagen: Zuständigkeit bedeutet auch Verantwortung. Das gilt für alle, auch für die autonomen Gruppen. Die Bundesregierung bedarf der Unterstützung der Träger der beruflichen Bildung.
Ich werde mit meinen Kräften zur Versachlichung der Berufsausbildungsdiskussion und zur Überwindung von Schlagworten beitragen.
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Allerdings muß ich auch sagen, daß Herr Carstens in ,dieser Beziehung keinen sinnvollen Beitrag geleistet hat.
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Was soll es, wenn er wider alle Wahrheit hier gestern erklärte, die Handwerksmeister müßten noch einmal eine Ausbilderprüfung ablegen?
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Das stimmt überhaupt nicht. Von daher muß ich doch vermuten, daß es Herrn Carstens eher darum geht, das Problem Berufsausbildung zu einem Reibeisen der innenpolitischen Auseinandersetzung zu machen,
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als für die Beruhigung des Klimas zu sorgen.
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Ich weiß, daß die Organisation der Zusammenarbeit auf diesem Felde angesichts unterschiedlicher Interessen und Auffassungen keine leichte Aufgabe ist. Die Bundesregierung hat Grundsätze zur Weiterentwicklung der Berufsbildung vorgelegt. Im Bildungsministerium sind Vorarbeiten geleistet worden. Bei der Umsetzung dieser Grundsätze bedarf es kritischer Prüfung, und in diese kritische Prüfung werde ich alle an der Berufsbildung Beteiligten einbeziehen. Es geht aber nicht, meine Damen und Herren, daß man sagt, Berufsbildung ist Schwerpunkt, und gleichzeitig von der Opposition erkennen läßt: Es darf sich aber nichts ändern.
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Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, meine Damen und Herren,
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um diese Bemerkung noch einzuflechten, daß junge Arbeitnehmer, wie Herr Carstens meint, von seiner Grundposition zur beruflichen Bildung beeinflußt sind. Deren Ansprüche gehen nach meinen Erfahrungen über die Carstenssche Position sicherlich hinaus.
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Zum Schluß will ich anmerken, daß im Gegensatz zu dem, was Herr Barzel und Herr Katzer hier zu suggerieren versuchten, auch der nächste Abschnitt der Regierungspolitik in der sozialliberalen Koalition ein Abschnitt von Reformen ist, die sich an Leitlinien orientieren und die soziale und menschliche Substanz haben.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Strauß.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine so eigenartige Aussprache über eine, wie man sagt, „Regierungserklärung" haben wir in der 25jährigen Geschichte dieses Parlaments noch nicht erlebt.
({0})
Schon allein der letzte Redner ist ein sprechendes Beispiel dafür. Zuerst mußte man der Meinung sein, daß er seine Umsetzung aus dem Arbeits- in das Bildungsministerium gar nicht richtig mitbekommen hat.
({1})
Der Bundesarbeitsminister - er ist im Augenblick offensichtlich nicht anwesend - hat ja eine eindrucksvolle Rede, wie er meinte, gehalten. Warum sein früherer Staatssekretär glaubte, ihn herauspauken zu müssen, ist vielleicht außer seiner engsten Umgebung nicht einmal dem Beglückten verständlich.
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Ja, zur Sache werde ich Ihnen heute noch einiges sagen.
Wenn aber Herr Bundesminister Rohde über Bildungsprobleme spricht, dann möchte ich bei diesem Anlaß nicht die Debatte über die Berufsausbildung fortsetzen. Darüber ist schon einiges gesagt worden
({3})
und wird in diesem Hause noch vieles gesagt werden müssen. Wir hätten aber dann von diesem Bundesminister einmal eine Klärung erwartet, eine Klarstellung der Probleme, die mit dem Stichwort RahStrauß
menrichtlinien in sozialdemokratisch regierten Ländern entstanden sind.
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Wir hätten von ihm erwartet, daß er einmal zu dem Problem Konsensus und Konflikt in unserer Gesellschaft Stellung nimmt;
({5})
denn der Zusammenhalt einer demokratischen Gesellschaft setzt den Konsensus voraus.
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Wir bejahen den sozialen Konflikt, denn der soziale Konflikt ist ein natürliches Entwicklungselement der Menschheit und ihrer Gesellschaft. Wenn der soziale Konflikt aber die demokratischen Formen nicht sprengen soll, muß er auf dem Boden einer gemeinsamen Wertordnung, auf dem Boden des Konsensus stattfinden. Hier hätte gerade die Regierung Helmut Schmidt mit diesem neuen Wissenschafts- und Bildungsminister eine Chance gehabt, eine Aktion Neubeginn zu machen und den Schutt wegzuräumen, den sozialdemokratische Bildungspolitik in einer Reihe von Ländern angerichtet hat.
({7}) Leider ist das nicht geschehen.
Zum anderen war ich gestern allmählich der Auffassung, daß der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU eigentlich eine Regierungserklärung abgegeben habe, weil sich nämlich die folgenden Redner der Regierungsparteien mit seiner „Regierungserklärung" befaßt haben, aber nicht mit der eigenen, wenn ich den Ablauf der Debatte richtig sehe.
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Die Redner der SPD der eine sicherlich aus Absicht und der andere mangels Masse - haben nichts oder wenig zu den Sachproblemen beigetragen. Die Redner der FDP haben sich redlich in dem ihnen eigenen Stile bemüht. Die Beiträge der Kollegen Wehner und Friedrich sind hier aber auf einem sonst bei der Aussprache über Regierungserklärungen nicht üblichen Niveau gestaltet worden.
({9})
Wenn ich Herrn Wehner nicht so lange kennen würde, würde ich nicht das sagen, was ich hier als meine Meinung wiedergebe, nämlich daß Wehner die Debatte absichtlich fast ins Läppische hat abgleiten lassen,
({10})
um damit dieser ganzen Aussprache über die Regierungserklärung den Charakter der Ernsthaftigkeit zu nehmen. Ich glaube, daß Sie infolge Ihrer jahrzehntelangen politischen Erfahrung auch noch genügend Briefe haben, die Sie mit Redaktionen gewechselt haben, um damit in Zukunft filibustern zu können.
({11})
Der Kollege Friedrich muß sich sagen lassen, daß er allmählich, wenn er hier in diesem Hause reden will, zumindest die Ansprüche des Bezirkstages von Mittelfranken erfüllen müßte.
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Sein Plädoyer für die sozialdemokratischen Marxisten zeugt von der Zerrissenheit der SPD und ihrer politischen Schizophrenie. Es war erst vor wenigen Tagen, als auf dem außerordentlichen Landesparteitag der SPD in München ein auch von seinen politischen Gegnern hoch anerkannter und respektierter Politiker der SPD mit einer langen Lebens- und Parlamentserfahrung sagte:
Als wir, eine Handvoll Sozialdemokraten, im Jahre 1945 die Partei wieder begründeten, wollten wir einen neuen Anfang machen. Damals haben wir nicht daran gedacht, daß im Jahre 1974 von einem Anfang vom Ende gesprochen werden könnte, wie es heute leider der Fall ist.
So Wilhelm Hoegner nach der wörtlichen Niederschrift seiner Ausführungen. Er sagt dann:
Marx ist überholt, seine Verelendungstheorie ist überholt, und seine Idee des historischen Materialismus hat vor der Wahrheit nicht standgehalten. Sie ist überholt. Ein Vermächtnis, das mir der Genosse Dr. Hilferding, der letzte große Theoretiker unserer Partei, auf die Seele gebunden hat, ist, daß der historische Materialismus nicht mehr bewiesen werden könne.
({13})
Darum hätten wir auch vom Herrn Bundeskanzler erwartet, daß er die Position der Regierung, der Regierungspolitik und die Position seiner Partei zu den Fragen, die gestern von den Rednern der Union unter dem Stichwort „Neomarxismus" angeschnitten worden sind, hier geklärt hätte. Das wäre auch eine Aktion Neubeginn gewesen, wenn es wirklich einen Neubeginn gäbe. Aber es gibt ja keinen Neubeginn, sondern Kontinuität, wie mit Recht gesagt worden ist.
({14})
Ich komme noch darauf zu sprechen. Die Wahl der Formulierungen „Kontinuität" und „Konzentration", die auch Herr Wehner gestern so unterstrichen hat, beleuchtet ja, worum es sich hier eigentlich handelt.
Wenn ich mir die Regierungserklärung vor Augen halte, weiß ich nicht, warum wir überhaupt eine Regierungserklärung brauchten und warum es überhaupt zu einer neuen Regierung gekommen ist. Als im Herbst 1966 aus den auch in dieser Debatte schon angeschnittenen Gründen der damalige Bundeskanzler Erhard zurücktrat - und zwar nicht, weil hier ein Drehbuchautor auf seiten der Unionsparteien vorhanden war, sondern weil der Koalitionspartner damals eine Rolle spielte, die er jetzt nicht mehr spielen kann, was nicht heißt, daß seine Rolle einfacher geworden ist -, hat sein Nachfolger, der von der Fraktion der CDU/CSU und dem Koalitionspartner SPD gewählte Bundeskanzler Kiesinger in seiner Regierungserklärung in einer Darstellung, in
einer Formulierung, die die Grenzen der Ehrlichkeit ausschöpfte, ja, wie manche sogar meinten, fast überschritt, von einer lange schwelenden Krise gesprochen, die eine Neubildung der Regierung erforderlich machte und die auch - das war mit etwas Wehmut gesagt- seinen Umzug von Stuttgart nach Bonn, den er nie ganz verwunden hat, erzwang. - Ich meine das jetzt humorvoll, Herr Bundeskanzler. - Die Vorgänge, die damals zu einer Umbildung der Koalition und zu der Neuwahl eines Bundeskanzlers auf dem Hintergrund eines leichten wirtschaftlichen Rückschlages und nicht tragischer finanzieller Störungen geführt haben, stehen doch in keinem Verhältnis zu dem, was jetzt die Umbildung dieser Regierung herbeigeführt und die Wahl eines neuen Kanzlers erzwungen hat.
({15})
Davon haben wir gar nichts gehört. Hier war nicht einmal im Ansatz die Spur Nüchternheit oder Ehrlichkeit zu spüren, von der man sonst immer so gerne spricht.
Deshalb darf ich auch, nachdem der Herr Kollege Friedrich gestern darauf zu sprechen gekommen ist, den berühmten Artikel des Herrn Kollegen Wehner erwähnen. Es wäre besser gewesen, Herr Kollege Friedrich hätte sich darüber ausgeschwiegen; denn wenn ausgerechnet der Kollege Wehner im Zusammenhang mit dem Rücktritt des Bundeskanzlers Willy Brandt von einem kalten Staatsstreich gesprochen hat, wenn dann noch im Lande die Rede davon war - gerade von denen, die zum Sturze Brandts sehr viel beigetragen haben , daß es sich hier um ein Komplott zwischen den Unionsparteien, den Nachrichtendiensten und - natürlich darf das nicht fehlen - dem Großkapital handele, dann bin ich damit in fataler Weise an bestimmte Zusammenhänge in früheren Jahrzehnten erinnert worden, wo so geheime, dunkle, unterirdische, hintergründige Mächte und Kräfte die holden Lichtgestalten der jeweils Regierenden bedrängt hatten, um sie zu Fall zu bringen. Da kommt das Loki-Motiv der alten germanischen Heldensaga wieder zum Vorschein.
({16})
Ich habe nicht ohne Humor z. B. in einem bekannten Wochenmagazin gelesen, daß Willy Brandt am 18. Februar 1974 gesagt hat - jedenfalls ist das gedruckt worden -:
Bin ich eigentlich der Chef einer pleite gegangenen Firma? Ich muß mich fragen, ob ich das noch verantworten kann. Ihr laßt mich alle allein.
Und er empfahl dann damals schon, nun den Mann vorzusehen, der - wahrscheinlich war er traurig darüber - als stärkster Mann im Kabinett gelte. Aber wenn er selbst die Frage stellt: „Bin ich eigentlich der Chef einer pleite gegangenen Firma?", dann ist es doch merkwürdig, daß der Hauptbuchhalter dieser Firma nunmehr die Chefposition übernommen hat.
({17})
Wenn ich mir die abschließende Wertung der Regierungspolitik vor Augen halte, wie ich sie aus dem Munde des heutigen Bundeskanzlers am Ende seiner Regierungserklärung vernommen habe - wie gut bei uns alles ist -, dann frage ich mich eigentlich, warum die Figuren überhaupt gewechselt haben. Denn wenn alles so ist, wie es in der Schlußdarstellung heißt, war dieser Rücktritt doch völlig überflüssig. Hier ist die Methode „Haltet den Dieb", die Kunst der Spurenverwischung in zu peinlicher Weise angewandt worden; denn es gibt doch nicht den leisesten Zweifel, daß der ehemalige Bundeskanzler zurückgetreten ist, weil er infolge des unerträglichen Widerspruches zwischen Anspruch und Erfüllungsmöglichkeit, zwischen Optik und Wirklichkeit, zwischen Attrappe und Inhalt, auch zwischen der Verantwortung, die ein Kanzler hat, und der Unerfüllbarkeit dieser Verantwortung angesichts der politischen Umstände in seinen eigenen Reihen, das Handtuch geworfen hat und aus keinem anderen Grunde.
({18})
Ich habe in einer der Debatten Ende letzten Jahres oder Anfang dieses Jahres die „Neue Zürcher Zeitung" zitiert, daß der Unterschied zwischen der Einschätzung und der Wirklichkeit noch niemals so groß gewesen sei. Darum sollte von seiten der SPD mit diesem brunnenvergiftenden Gerede von einem Komplott der Nachrichtendienste, der Unionsparteien und des Großkapitals aufgehört werden. Dieser Gruselstory sollte nunmehr endgültig nicht nur ein Ende gemacht werden, sondern ihr sollte hier im Interesse eines Mindestmaßes an normaler gegenseitiger demokratischer Ansprechbarkeit endgültig mit einer ganz klaren Gegenerklärung der Garaus gemacht werden.
({19})
Es hat ja fast keinen Sinn, für diejenigen, die denken können, hier noch mit logischen Argumenten zu operieren; denn alle drei Dienste haben an ihrer Spitze sozialdemokratische Manager. Ich brauche nicht über den Bundesnachrichtendienst zu reden, in dem der Präsident eine weniger bedeutende Rolle spielt als der Vizepräsident, der ehemalige SPD-Landesgeschäftsführer von Hamburg, Herr Dieter Bloetz, über dessen Tisch alle Akten gehen, der alle Vorgänge kennt, der im Auftrag des damaligen Bundesministers Ehmke auch' das ganze Haus sozusagen unionsfrei gesäubert hat - wie er glaubte.
({20})
Da sind einige Pannen passiert, aber die liegen daran,
({21})
daß auch einige Gesinnungsgänger zu Unrecht hier in den falschen Dunstkreis gekommen sind. Oder denken Sie an das Bundesamt für Verfassungsschutz, an dessen Spitze doch auch ein bewährter Mitarbeiter und jahrelanger treuer Diener und ergebener Anhänger der SPD steht, Herr Nollau, oder an das Bundeskriminalamt mit der Sicherungsgruppe, an dessen Spitze der ehemalige Polizeipräsident von Nürnberg steht, ohne Zweifel ein hochqualifizierter Fachmann, aber auch mit dem richtigen Parteibuch
in der Tasche. Das wäre merkwürdig: die haben anscheinend alle im Auftrage ihrer politischen Spitzen gegen ihren eigenen Bundeskanzler gearbeitet? Mit der Story sollten Sie Schluß machen. Der Wahrheitsgehalt ist Null.
({22})
Dadurch werden nur Mythen gezüchtet, und wir können nicht Mythen brauchen.
Damit komme ich zu dem Fall, über den so viel geredet wird und über den in Zukunft nichts anderes geredet werden soll als die volle Aufklärung der Hintergründe, der Vorgeschichte, der Zusammenhänge, überhaupt des ganzen Ausmaßes. Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern gesagt - wenn Worte natürlich als ehrliche Absicht genommen werden dürften, dann wäre das sehr erfreulich -, daß im Vertrauensmännergremium volle Auskunft erteilt wird, mit Ausnahme dessen, was die Bundesanwaltschaft zu sagen nicht bereit ist. Nun, niemand wird von der Bundesanwaltschaft verlangen, daß sie Auskünfte erteilt, deren Weiterleitung auch an die Mitglieder dieses kleinen Gremiums etwa den Gang der Ermittlungen stören oder den Erfolg der Ermittlungen beeinträchtigen könnte. Das wünscht niemand. Aber ich darf Sie als den damals noch nicht Verantwortlichen fragen: Warum hat man denn in der ersten Sitzung des Vertrauensmännergremiums den Mitgliedern dieses Gremiums in der Hoffnung, den wirklichen Umfang geheimhalten und vertuschen zu können, Auskünfte gegeben, für die der Ausdruck „läppisch" nicht sehr zutreffend ist, weil sie regelrecht mit Absicht falsch erteilt worden sind, nämlich mit der Behauptung, daß der Herr G. keinen Zutritt zu Geheimakten gehabt, Geheimsachen nicht bearbeitet habe und deshalb nur mit untergeordneten Funktionen beschäftigt gewesen sei? Ein Stück Lebensqualität; denn wenn er 4 500 Mark für untergeordnete Funktionen kriegt, ist das ungefähr der Standard, an dem in Zukunft die materielle Lebensqualität gemessen werden könnte.
({23})
Ich möchte hier aus jahrelanger eigener und nicht immer leidfreier Amtserfahrung folgendes sagen.
Erstens. Es ist das gute Recht eines Kanzlers, eines Ministers, in seiner engeren Arbeitsumgebung Personen seines politischen Vertrauens zu haben. Niemand macht daraus einem Kanzler oder einem Minister einen Vorwurf. Das heißt noch lange nicht, daß deshalb der Parteibuchprotektionismus dominierendes Prinzip der Personalpolitik werden sollte.
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Nur, angenommen, der Herr G. wäre kein Agent gewesen, angenommen, die Legende, mit der er angetreten ist, wäre richtig gewesen, dann frage ich mich eigentlich: Hatte denn die SPD in dem reichhaltigen Reservoir ihrer Mitarbeiter niemanden anderen als einen Würstchenverkäufer, Gelegenheitsfotografen, Inhaber einer Rucksack-Fotokopieranstalt und treuen Parteidiener, der in der Lage war, im Range eines Ministerialrats in der Nähe des Kanzlers, vorher in der Nähe des Kollegen Ehrenberg, sozusagen als ein Mann des inneren Kreises
mit offenen Augen und offenen Ohren alles mitzukriegen? Hatten die wirklich denn niemanden anders?
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Hätte man dafür die normalen Maßstäbe ministerieller Laufbahn angelegt - die brauchte man gar nicht kleinlich anzuwenden, gar nicht kleinlich, nur die normalen Maßstäbe -, dann wäre das Risiko schon erheblich geringer gewesen.
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Ich sage auch noch ein zweites, zur Entlastung und zur Belastung, weil alles andere Heuchelei wäre. Niemand ist sicher davor, daß er in seiner Dienststelle, in seinem Parteiapparat, in seiner Umgebung einen Mann hat, einen Mitarbeiter hat, der, auf diese oder jene Methode eingeschleust, dann im Dienste der anderen Feldpostnummer steht, wenn ich mich so ausdrücken darf. Davor ist niemand sicher. Aber warum nimmt man jemanden, der nicht die berufliche Qualifikation hat? Das heißt: er hätte die schon gehabt, aber das durfte ja nicht wahrgenommen werden. Die Qualifikation, die er hatte, reichte nicht aus für die Stelle, die er hatte. Die Qualifikation, die er hatte, hätte verhindert, daß er die Stelle jemals hätte einnehmen dürfen. Das ist es doch. Warum nimmt man für eine solche Stellung nicht jemanden, dessen Lebenslauf völlig überschaubar ist? Es geht hier nicht um die Frage, ob man jemanden aus rechtsstaatlichen Gründen nicht benachteiligen darf. Wenn man glaubt, einen verdienten alten Kämpfer der eigenen Partei unterbringen zu müssen, weil er eineinhalb Jahrzehnte treue Dienste geleistet hat, dann verfügt die Regierung mit ihren vielen Positionen im wirtschaftlichen Bereich und verfügen ihre Freunde in Riesenorganisationen unserer Wirtschaft heute über so viele Möglichkeiten, daß sie sehr wohl jemanden, auch wenn man ihm am Anfang individuell nicht alles nachweisen kann, aus dieser Umgebung hätte fernhalten können. Das ist der zweite Teil dessen, was ich Skandal nenne. Er besteht nicht in der Tatsache, daß ein Spion dort hingekommen ist, sondern in der Nichtbeachtung der Tatsache, daß die Wahrscheinlichkeit, das verhindern zu können, bei Anwendung normaler Maßstäbe hundertmal größer gewesen wäre.
Im Jahre 1955/56 sind doch die ersten Erkenntnisse aufgetaucht. Bei der geplanten Einstellung hat doch der Präsident des Bundesnachrichtendienstes gewarnt. Wer mit diesen Problemen nur ein bißchen zu tun hat, weiß, daß der Verlag „Volk und Wissen" eine getarnte Spionageeinrichtung ist, daß alle Mitarbeiter dieses Verlages grundsätzlich unter dem Verdacht gesehen werden müssen - gleichgültig, welche Fluchtlegende sie mitbringen -, daß sie im Dienste des MfS stehen.
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Es wird behauptet, hier hätten die Dienste eben versagt. Da muß ich einmal mit zwei Märchen aufräumen. Ich weiß nicht, ob ich damit Herrn Genscher jetzt Unrecht tue, ob ich ihm schade oder nütze. Aber es ist absolut verfehlt, wenn in gewissen so6704
zialdemokratischen Kreisen so getan wird, als ob Herr Genscher ein Art Fouché gewesen sei. Davon kann keine Rede sein. Man kann auch von dem Chef des Innenministeriums nicht verlangen, daß er bei allen einzelnen Vorgängen der Überprüfung die persönliche Verantwortung bis ins letzte Detail trägt. Die Frage, ob es richtig war, den Bundeskanzler selber mit der Überwachung des Lockspitzels noch weiterhin zu beauftragen, um ihn in Sicherheit zu wiegen, kann ich nicht beurteilen. Darüber wird hoffentlich einmal an anderer Stelle fachkundiger geurteilt werden können.
Aber wenn die Dienste so vorsichtig reagiert haben - der Brief von Herrn Wessel ist so eigenartig abgefaßt -, dann doch deshalb, weil man diese Dienste schon längere Zeit verunsichert hatte, weil sie vor kommenden personellen Eingriffen Angst hatten, weil sie nicht den Mut hatten, bewährte Parteifunktionäre verdächtigen zu dürfen. Deshalb haben sie sich so vorsichtig wie möglich ausgedrückt.
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Hätte man die Dienste in voller Sicherheit arbeiten lassen, hätte man die Sicherheitsüberprüfung nicht ;auf sechs Wochen beschränkt, sondern auf die Zahl der Monate ausgedehnt, auf die sie normalerweise selbst bei Bürgern der Bundesrepublik, die hier geboren sind, erstreckt wird, dann wäre die Sicherheit, diesen Fall zu verhindern, hundertmal größer gewesen als bei der Methode, die hier angewandt worden ist. Das ist das Problem.
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Ich sage es nicht, um einen Ausgeschiedenen zu belasten. Aber hier müssen zwei Dinge geklärt werden. Das eine ist die Behauptung, daß die Dienste mehr Aufmerksamkeit auf die Aufklärung von Vorgängen aus dem privaten Bereich verwendet hätten als auf die Überführung von Spionen. Das darf so nicht im Raum stehenbleiben. Hier muß der neue Bundeskanzler dazu eine unmißverständliche Erklärung abgeben. Sollte dieser Vorwurf gegen die Dienste zutreffen, dann muß diesem Treiben ein Ende gemacht werden. Es ist unerträglich, daß in Demokratien anscheinend nicht kontrollierte Machtapparate eine solche Tätigkeit ausüben.
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Jeder von uns hat einen Anspruch darauf. Den Anspruch hat der ehemalige Bundeskanzler, hat der neue Bundeskanzler, hat jeder Minister, hat jedes Mitglied dieses Hauses, ja, ich möchte sagen, jeder Bürger dieses Staates.
Nun zu dem zweiten, was geklärt werden muß. Der ausgeschiedene Bundeskanzler hat gesagt, er habe nicht hinnehmen können, daß seine persönliche und politische Integrität zerstört werde. Was bedeutet „Zerstörung der politischen Integrität"? Ist es ein im Zorn gesprochenes Wort, das man vergessen kann? Dann sollte man es vergessen. Dann sollte es aber auch als solches bezeichnet werden, nämlich als aus der Leidenschaft oder der Verbitterung heraus gesprochen; das kann jedem unterlaufen. Deshalb sollte man darüber nicht lange nachgrübeln. Steckt dahinter aber etwas, was wirklich gemeint war - was ist dann damit gemeint? Das ist die Frage. Und hier, Herr Bundeskanzler, bitte ich Sie, das, was Sie gestern gesagt haben, im Interesse Ihrer Stellung, Ihrer Person, unserer Zusammenarbeit, des Mindestmaßes, das an Vertrauen zwischen Opposition und Regierung in einer funktionierenden Demokratie erforderlich ist, rückhaltlos aufzuklären und Auskunft zu geben - und wenn es öffentlich nicht geschehen kann, im Vertrauensmännergremium -: Inwiefern bestand Gefahr der Zerstörung der politischen Integrität? Was ist damit gemeint? Ich glaube, die Frage darf die Opposition in diesem Lande wohl noch stellen.
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Ich darf hier in diesem Zusammenhang vielleicht einige Hinweise geben. Herr Bundeskanzler, stimmt es, daß amerikanische und französische Stellen während der Vier-Mächte-Verhandlungen über Berlin wiederholt vorstellig geworden sind, weil ihre Verhandlungspartner - an der Spitze Herr Abrassimow - zu viel wußten, und ist der Vorwurf berechtigt, den ich am Beginn der Angelegenheit erhoben habe - dafür bin ich von dem damaligen, in der Zwischenzeit ausgeschiedenen Sprecher der Bundesregierung der Diffamierung bezichtigt worden -, daß die aus dem Bundeskanzleramt an die andere Seite übermittelten Informationen während der Vier-Mächte-Verhandlungen wertvolle Hinweise auf die jeweils nächste Verhandlungsphase gegeben haben?
Dasselbe gilt natürlich auch für den Grundlagenvertrag. Die Tatsache, daß Herr Guillaume erst später Persönlicher Referent des Kanzlers geworden ist, ist demgegenüber irrelevant. Wer zum „inneren Kreis" gehört, erfährt dort so viel auf verschiedenen Wegen und verschiedenen Stationen, daß er hier sehr wohl wichtige Hinweise geben kann. Denn die Meldung von Radio Leipzig, man danke dem Helden an der stillen Front, weil er durch seine Tätigkeit geholfen habe, im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Grundlagenvertrag Schaden von der DDR abzuwenden, ist doch zur Beurteilung der Qualität dieser von Ihnen wieder so gelobten Verträge von entscheidender Bedeutung. Und hier haben wir doch ein Recht darauf, Auskunft darüber zu verlangen, was denn aus dieser Quelle an die andere Seite geliefert worden ist.
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Das ist doch etwas, was im Interesse aller Parteien dieses Hauses und aller politischen Gruppierungen liegen müßte. Denn militärische Spionage ist heutzutage fast uninteressant; da gibt es so viele Quellen, um sich hier alle Informationen technischer und organisatorischer Art zu verschaffen. Die politische Aufklärung ist heute viel wichtiger als die militärische Einzelaufklärung. Wir leben sowieso nicht in der militärischen Phase der Auseinandersetzung - das ist nur die Druckkulisse -, sondern wir leben in der politischen Phase der Auseinandersetzung. Und hier Bescheid zu wissen, was der andere will, was er denkt, was er plant, wie weit entgegenzukommen er bereit ist, wo die Stelle ist, wo man Verhandlungen abbrechen würde - das zu wissen ist
ein ungeheures Kapital, ist ein ungeheurer Vorsprung, den ein Verhandlungspartner hat. Und für unsere Beurteilung dieser Verträge, bei der wir ja nichts zurückzunehmen haben, ist es von entscheidender Bedeutung, weil wir immer der Meinung waren, daß sie liederlich vorbereitet, schlampig und dilletantisch ausgehandelt und übereilt - zum Teil unter selbstgesetztem Terminzwang; siehe Wahltermine, z. B. letzte Bundestagswahl - dann abgeschlossen worden sind. Auch das muß hier in diesem Hause gesagt werden.
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Ich möchte hier jetzt zwar nicht in weitere Einzelheiten gehen -- es gibt die Erklärung Neubauer 1, Neubauer 2; das ist sehr interessant. Es gibt die Erklärung Nollau 1, Nollau 2; dazwischen liegen anscheinend Interventionen -, aber ich möchte noch zwei Kennzeichnungen machen. Was sich hier abgespielt hat, ist angesichts der Bedeutung, die die andere Seite der Durchsetzung ihrer strategischen Ziele beigemessen hat, nämlich weltweite Anerkennung der DDR trotz gegenteiliger Behauptungen und juristischer Konstruktionen, d i e spionagetechnische Meisterleistung dieses Jahrhunderts. Aber damit ist die Angelegenheit noch nicht abgetan.
Die Eingeweihten werden wissen, was ich meine, wenn ich sage, daß ein Zeitungsartikel „Der Spion kontrollierte Bonn-Moskau" von Heinz Lathe, erschienen am 9. Mai 1974, besondere Hinweise gibt. Wer die jahrzehntelange Korrespondententätigkeit des Herrn Lathe in Moskau verfolgt hat, der weiß, daß er zu dem kleinen Kreise gut eingeweihter in Moskau tätiger Journalisten gehört. Wenn man damit jetzt die Meldung in Verbindung bringt, daß der Ministerpräsident der DDR, Herr Sindermann, mit einem ganzen Stab von MfS-Leuten nach Moskau gereist ist, dann gibt es natürlich darüber nicht nur veröffentlichte Texte, die nichts sagen, sondern dann gibt es hier auch zwingende Zusammenhänge. Hier galt es einiges auszuräumen, denn Herr G. hat für die DDR gearbeitet. Moskau wußte offensichtlich über seine Tätigkeit Bescheid, aber Moskau hat nicht alles erfahren, was Herr G. seinen unmittelbaren Auftraggebern mitteilte. So sind Herr Honecker und Herr Stoph in der Lage gewesen, über die Gespräche zwischen Bonn und Moskau sich jeweils ihrerseits aus erster Hand so zu informieren, daß sie von ihrer Seite aus die Steuerung dieser Vorgänge niemals verloren haben. Das ist auch bewiesen worden, weil sie sich rechtzeitig immer wieder durch Interventionen in das Gespräch Bonn-Moskau eingeschaltet haben.
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- Mir fehlt nur die Zeit, Herr 'Kollege Mattick. Ich würde an Ihrer Stelle nicht lachen. Das Thema ist viel zu ernst, und ich habe mich sehr zurückhaltend ausdrückt. Wenn ich die Zeit hätte, diesen Artikel zu verlesen, um den es geht, dann würden Sie sehen, daß dieser mindestens so interessant ist wie Ihre Korrespondenz mit dem Chefredakteur des „Spiegel", Herr Kollege Wehner. Die fortgerückte Zeit
hindert mich, diesen Artikel zu verlesen, aber ich nenne ja die Quelle. Es ist die „Allgemeine Mainzer Zeitung" vom Donnerstag, dem 9. Mai 1974. Der Artikel heißt: „Der Spion kontrollierte Bonn-Moskau. Die Rolle Guillaumes / Diskussionen und Kombinationen auf dem diplomatischen Parkett der SowjetHauptstadt." Er stammt von Heinz Lathe. Auf den Inhalt dieses Artikels wird man bei der Aufklärung dieses Falles zurückgreifen müssen. Ich wollte es nur heute gesagt haben, weil die Opposition nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, auf solche Vorgänge und ihre Bedeutung hinzuweisen. Wo wären wir denn überhaupt?!
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Der Bundeskanzler hat von einer schweren Belastung des Verhältnisses zwischen den Vertragspartnern im Zusammenhang mit diesem Fall gesprochen. Herr Kollege Carstens hat dazu schon Stellung genommen. Das „goldene Ohr" Herrn Honeckers im Kanzleramt hat ohne Zweifel größere Bedeutung gehabt als große militärische Apparate oder als große diplomatische Aktionen. Aber warum, Herr Bundeskanzler, reden Sie ich meine es nicht beleidigend, wenn ich das sage - so naiv von einer schweren Belastung des Verhältnisses zwischen den Vertragspartnern? Man weiß doch, daß Agententätigkeit und Spionage zu den Hauptinstrumenten auch kommunistischer Diplomatie und kommunistischer internationaler Umgangsmethoden gehören. Die Panne ist nicht drüben passiert, weil sie ein „goldenes Ohr" untergebracht haben und damit sozusagen gegen Treu und Glauben gehandelt haben; die Panne ist passiert, weil er aufgeflogen ist. Das war doch der Arger. Ich glaube, niemand kann mir ernsthaft widersprechen, wenn ich das wiederhole, was ich vor ein paar Tagen sagte, daß die DDR doch nicht mit dem Herrn Guillaume ihre Augen und Ohren in der Bundesrepublik verloren hat. Denn wer einen nach oben durchbringen will, der muß auf großer Breite mit zahlreichen Personen an vielen Stellen ansetzen, damit er die statistische Wahrscheinlichkeit hat, daß oben dann auch einer einmal an interessante Stellen kommt. Darum ist gerade die Aufklärung dieses Falles und die Wachsamkeit gegenüber allen anderen Fällen ein Gebot von staatspolitischer Bedeutung höchster Ordnung.
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Ich möchte jedermann davor warnen, etwa uns das Motiv der Schadenfreude hier zu unterstellen, denn Schadenfreude kann man nicht haben, wenn der Ast abgesägt wird, auf dem man selber sitzt, außer man ist ein Dummkopf, und das sind wir bestimmt nicht. Wir empfinden dabei eine tiefe Sorge, weil man allmählich in der Verharmlosung der anderen Seite und ihrer Methoden, im Glauben, man habe mit dem Übergang von der Konfrontation zur Kooperation eine gemeinsame Basis gefunden, die Öffentlichkeit irregeführt und damit dem Staate und unserer Gesellschaft einen schweren Schaden zugefügt hat.
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Herr Bundeskanzler, Sie haben von einer ernsten Belastung des Verhältnisses zwischen den Vertragspartnern gesprochen und haben den Geist der Ver6706
träge beschworen. Nun, zum Geist von Verträgen gehören immer zwei, die den gleichen Geist haben. Es gab z. B. einmal den Geist von Locarno. Der Geist von Locarno zwischen Briand und Stresemann war der Geist der Franzosen und der Deutschen jener Zeit, die in der Fortsetzung der Erbfeindschaft mit wiederkehrenden Kriegen keinen Sinn mehr sahen und die ein endgültiges Ende setzen wollten. Damit kam der Geist von Locarno; ich denke an die endgültige Festlegung der Westgrenze und an die damit eröffnete neue Ara, die zu den Vereinigten Staaten von Europa hätte führen können, wenn dann nicht die bekannten Ereignisse - die Weltwirtschaftskrise und die Massenarbeitslosigkeit, wie sie Herr Schmidt richtig dargestellt hat - der europäischen Geschichte einen anderen Verlauf aufgezwungen hätten.
Schon Golo Mann - ein vorsichtiger Bewunderer des bisherigen Bundeskanzlers, wenn auch nicht so sehr ein Bewunderer seines Sonderbotschafters Bahr - hat ja bei der Kennzeichnung dieser Verträge vom „Knabenwerk" des "Ost-Locarno" gesprochen. Was heißt denn „der Geist dieser Verträge"? Ich kann mir vorstellen, was der Geist der Bundesregierung ist. Den habe ich gekennzeichnet: Illusionsbereitschaft, Naivität, viel guter Wille und der Versuch, die Wirklichkeit den eigenen Absichten anzupassen statt umgekehrt.
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Das ist sicherlich ein rührender Zug. Aber es gibt doch keinen gemeinsamen Geist, den beide Partner beim Abschluß dieser Verträge etwa durch diese Verträge hätten dokumentieren wollen.
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Das ergibt sich doch allein schon aus der total unterschiedlichen Auslegung dieser Verträge!
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Während der Partner sagt: diese Verträge sind die völkerrechtliche Besiegelung der endgültigen Teilung der Nation Deutschland, es gibt zwei Nationen, eine kapitalistische und eine sozialistische, es gibt zwei deutsche Staaten, es gibt unverrückbare, mit keinerlei Mitteln mehr zu ändernde Grenzen, das, was hier vollzogen worden ist, ist die völkerrechtliche Anerkennung von zwei deutschen Staaten - so sagt der Partner, und so glauben es viele in der Welt -, verwahrt sich die Bundesregierung. Die Bundesregierung spricht von Brunnenvergiftung und Diffamierung, wenn man ihr das vorhält und ihr etwa unterstellen wollte, sie verbinde mit diesen Verträgen die gleiche Auslegung.
Jetzt frage ich Sie einmal, Herr Kollege Schmidt, wo Sie doch als pragmatischer, rationaler Managertyp bekannt sind, als Mann, bei dem - wie Ihnen ja Ihre Freunde sagen - das Hirn noch schneller funktioniert als der Mund - und auch umgekehrt gelegentlich -:
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Wo ist der gemeinsame Geist dieser Verträge angesichts des von mir in knappen Worten geschilderten Sachverhalts?
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Bezeichnend ist, daß die Seite 33 des Manuskripts Ihrer Rede die einzige ist, auf der das Wort „Geist" vorkommt. Und da kommt es gleich dreimal vor; dreimal wird auf dieser Seite vom „Geist der Verträge" gesprochen.
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Aber auf keiner anderen von den 79 Seiten kommt das Wort „Geist" noch einmal vor. Und auch Ihre Anschlußredner, Herr Bundeskanzler, haben es - wenn ich an den bisherigen Ablauf der Debatte denke - nicht verstanden, diesen Eindruck abzuschwächen.
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Sie haben, Herr Bundeskanzler, von dem Schüren von Angstgefühlen gesprochen. Nun, Sie hätten in Ihrer Regierungserklärung einmal etwas über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft sagen sollen.
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Das sind doch die grundlegenden geistigen Probleme: Staat und Gesellschaft in ihrem Verhältnis zueinander, in ihrer gegenseitigen Ergänzung, aber auch in ihrem gegenseitigen Spannungsverhältnis. Der ehemalige Bundeskanzler hat davon viel gesagt. Es waren Annäherungsversuche, die aber nach unserer Auffassung von einem falschen Weltbild getragen waren. Wir haben ihn ja politisch bekämpft; wir haben natürlich seinen Rücktritt gewünscht, weil wir wußten, daß seine Politik gescheitert ist. Wir lassen uns nicht das Märchen aufzwingen, das jetzt in Sowjet-Gedichten zum Ausdruck kommt, daß hier das Rechtskartell und finstere Mächte etwa diese Lichtfigur der deutschen Politik gestürzt hätten. Er hat es gar nicht verdient, so behandelt zu werden, wie er dann behandelt worden ist - aber aus den eigenen Reihen! Wir haben ja hier gesagt, was wir gegen ihn haben.
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Aber Sie hätten das doch in Ihrer Form vorführen sollen, Herr Kollege Schmidt. Wir wollen von Ihnen über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, über die Demokratie in 'Staat und Gesellschaft etwas wissen. Wo liegen die Identitäten? Wo liegen die Spannungen? Wo liegen Vergleichbarkeiten? Wo liegen Gegensätze? Sie leisten einerseits einen Beitrag zur Vergesellschaftung des Staates und jammern andererseits über den Verfall der Staatsautorität. Hier muß doch vom Bundeskanzler ein geistig richtungweisendes Wort erfolgen, nicht bloß eine Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten, Halbwahrheiten, Unwahrheiten, nichtgelösten, halbgelösten oder verschobenen Problemen, wie es in dieser Aneinanderreihung zum Ausdruck kommt.
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Sie haben sich in Leerformeln wie „Kontinuität" und „Konzentration" geflüchtet. Wenn ich das huStrauß
morvoll nehme, dann heißt „Kontinuität" : es bleibt alles so, wie es war. Dann versteht man darunter, daß bei uns nichts anders geworden ist. Und „Konzentration" heißt, daß das, was war, nichts getaugt hat;
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denn es muß dann doch geändert werden.
Der Bundeskanzler sagte: „Wir haben kein Verständnis, wenn die Opposition ...", so steht es im Text; in seinen mündlichen Ausführungen ist er vorsichtiger geworden. Da heißt es: „ ... einzelne Sprecher der Opposition diese berechtigten Sorgen zu einer Kampagne ausnutzen, die nur die Angst schüren soll." Da kommt wieder das Motiv. Auch der alte Bundeskanzler sagt: „Mit dem Schüren von Angstgefühlen hilft man niemandem. Und ich sage mit Nachdruck: Laßt euer Land nicht von der Angst regieren."
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Wenn die Opposition mit Engelszungen reden könnte - das kann sie sowieso nicht, weil sie dazu nicht in der Lage ist -, es würde ihr angesichts der wohlwollenden Unterstützung der ehemaligen Regierung Brandt /Scheel und der heutigen Regierung durch den größten Teil der veröffentlichten Meinung nie gelingen, in unserem Volke ein Angstgefühl zu erwecken, wenn nicht Regierung, Regierungsparteien und ihre vormarschierenden radikalen Flügel und die Politik dieser Regierung diese Angst im Volke erzeugt hätten.
({50})
Quelle für mich: Helmut Schmidt. Studie für die SPD- Spitze, veröffentlicht unter dem 17. Mai 1972: „Wir dürfen den Unternehmern keine unnötigen Ängste machen; denn ihre Investitionen setzen Vertrauen in ihre Zukunft voraus."
Haben Sie hier als Politiker der Opposition oder als stellvertretender Parteivorsitzender der SPD gesprochen? „Wir dürfen den Unternehmern keine Angst machen." Ich rede hier nicht im Interesse der Unternehmer oder der Bauern oder der Arbeitnehmer. Aber Sie sagen: „Wir dürfen den Unternehmern keine Angst machen." Ich frage: Wer macht denn Angst?
Es geht aber weiter: „Wir dürfen auch den Arbeitnehmern keine unnötigen Ängste machen."
({51})
Hätten Sie doch das zum Gegenstand Ihrer Regierungserklärung gemacht!
({52})
Sie wissen ja nicht, welche Chance Sie damit versäumt haben. Sie wären doch damit tief in die Reihen der Opposition eingebrochen.
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- Im Lachen erkennt man manchmal einen Geisteszustand, der nicht unbedingt eine Qualifikation für ein parlamentarisches Mandat darstellt.
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Statt dessen sagen Sie in Ihrer Leistungsbilanz: „Unsere wirtschaftliche Lage ist gut. Unser Volk lebt in sozialer Sicherheit und in Freiheit." Ich hätte lieber gehört: Bevölkerung. Denn das Volk heißt das ganze deutsche Volk, und davon lebt nur ein Teil in Sicherheit und Freiheit, und ein beträchtlicher Teil nicht.
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„Der innere und äußere Frieden sind gefestigt" und so weiter. Ja, warum gehen Sie denn einfach an der Tatsache vorbei, daß die Politik der letzten beiden Bundesregierungen ein gesellschaftliches Reizklima geschaffen hat? Und warum? Weil man zu viel versprochen, zu viel an Erwartungen erweckt, zu viel an Enttäuschungen geschaffen und mit der dadurch hervorgerufenen Inflation des Geldes den Verteilungskampf erheblich verschärft hat.
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Der Inflation des Geldes geht doch immer eine Inflation der Versprechungen voraus, Inflation der Erwartungen, Inflation der Forderungen.
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Woher kommt es denn, daß trotz hohen Beschäftigungsstandes, daß trotz einer zwar nicht immer proplemfreien, aber guten sozialen Stellung der Bevölkerung ein Gefühl der Unruhe, der Unsicherheit, des Unheimlichen in unserem Lande Platz greift? Woher kommt denn das? Das kommt doch daher, daß man das Sozialprodukt seit dem Jahr 1970 Jahr für Jahr überfordert hat. Man hat doch immer mehr zur Verteilung versprochen, als überhaupt erarbeitet werden konnte. Die Differenz zwischen dem, was man verteilen wollte und zur Verteilung versprochen hatte, und dem, was man erarbeiten konnte, hat sich in der Inflationsrate ausgedrückt. In dieser inflationären Entwicklung verschärft sich automatisch der Verteilungskampf, weil alle vorhalten müssen.
Graf Lambsdorff, wie oft soll ich es Ihnen noch sagen: Verbreiten Sie doch nicht einfach die Unwahrheit! Wir haben niemals die Forderungen Klunckers unterstützt, niemals. Ich habe bei der Besprechung im Bundeskanzleramt - einige Zeugen sind ja hier - gesagt: Herr Bundeskanzler, unter elf Prozent kommen Sie nicht weg!
Das war meine feste Überzeugung.
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- Ich kann gern mit Ihnen darüber reden; aber jetzt habe ich dazu zu wenig Zeit.
Ich habe nur eines gesagt - das wiederhole ich auch hier -: Man kann von der Gewerkschaftsführung nicht verlangen, daß sie weniger fordert als vollen Ausgleich der Geldentwertung plus Ausgleich der zusätzlichen, auf Grund der Steuerprogression eintretenden Steuermehrbelastungen.
({59})
Das habe ich in meiner Berliner Rede gesagt, und zwar vor lauter Arbeitgebern; das habe ich bei unzähligen Gelegenheiten im Lande wiederholt, und ich sage es hier wieder, weil es einfach illusionär, utopisch, irreal wäre, von einer Gewerkschaftsfüh6708
rung, die ja auch ihre Probleme in der Tiefe der Betriebe hat, zu erwarten, daß sie angesichts der ungeheuren Versprechungen von der Erhöhung der Lebensqualität und angesichts der dadurch gezüchteten Erwartungen sagt „Ihr müßt im nächsten Jahr mit weniger zufrieden sein als im letzten Jahr". Das kann man doch nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen machen, und dann ist es sehr bedauerlich und erfordert für eine Regierung oder eine Gewerkschaftsführung beinahe den Mut zum Selbstmord, so etwas der Öffentlichkeit zuzumuten. Das ist doch das Problem.
Im übrigen: Ich habe die Opposition nie heroisiert; alle, die wie sie hier sitzen, haben in viereinhalb Jahren dem Ansehen der Regierung nicht soviel Schaden zufügen können, wie es der Herr Kluncker in drei Wochen fertiggebracht hat, indem er sich durchsetzte.
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Aber das ist doch nicht unser Problem.
Ich habe jetzt das Telegramm gelesen, in dem die Solidarität zwischen der kommunistischen Jugendorganisation SDAJ und den Jungdemokraten erwähnt ist, und es heißt in diesem Telegramm, man verfolge den Kongreß mit großer Aufmerksamkeit und sei sich einig in der Abwehr reaktionärer Bestrebungen; man sehe darin die Möglichkeit zur Zusammenarbeit auf einer Reihe von Gebieten.
Lesen Sie das Telegramm! Beschimpfen Sie nicht den Boten, der es Ihnen hier gesagt hat, wenn Sie es nicht kennen. Das haben im Altertum die Tyrannen gemacht, daß sie die Boten hingerichtet haben.
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Ich denke an das, was von seiten der Jungsozialisten vertreten worden ist. Ich denke an den Tritt,
den Sie, Herr Bundeskanzler, schon von der Präsidentin oder der Vorsitzenden der Jungsozialisten
wie heißt die? -, Wieczorek-Zeul, bekommen
haben. Sie hat Ihnen in ihrem Artikel in diesem
Magazin „der da" oder „das da" viel mehr Unfreundlichkeiten gesagt, als es die Opposition in
ihren ganzen bisherigen Reden fertiggebracht hat.
Mit dieser gefährlichen Methode der Anprangerung und Verteufelung soziologischer Minderheiten, um sich damit bei den Mehrheiten bessere wahlpolitische Chancen ausrechnen zu können, muß in diesem Lande Schluß gemacht werden. Es genügt nicht, daß man ein paar gute Worte an die Adresse der Arbeitgeber oder Hausbesitzer oder Lehrlingsausbilder richtet von der Notwendigkeit der Erträge usw. Das soll an anderem Ort geschehen und gründlicher geschehen. Diese volkswirtschaftlichen Selbstverständlichkeiten sind auch für dieses Parlament beinahe schon eine Überflüssigkeit, um es noch gelinde auszudrücken.
Das gesellschaftliche Reizklima ist durch die Überforderung unseres Sozialprodukts in der Kette Versprechungen - Hoffnungen - Erwartungen - Forderungen und Unmöglichkeit der Verwirklichung
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und daher Überlastung des Sozialprodukts entstanden. Hier spielt auch die Verteufelung soziologischer Minderheiten eine Rolle. Von wem stammt denn diese Aktion „Gelber Punkt",
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mit der man damals wiederum versucht hat, die Schuldigen für die Inflation ausfindig zu machen?
Herr Bundeskanzler, eine Zeitlang haben Sie den Vietnamkrieg gebraucht, um für die Inflation eine Erklärung zu haben. Das war 1971/72. Dann sind vorübergehend die Unternehmer eingesprungen. Da kann man nur sagen: Da kann nur die Verstaatlichung helfen; man sollte endlich Bahn und Post verstaatlichen, damit auch dort einmal eine bessere Preiskontrolle stattfindet.
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Ich könnte hier auch fragen: Wenn man jetzt bei einem vom Bund und einem Land beherrschten und bestimmten Betrieb, dem Volkswagenwerk, das Kartellamt als Preiskommissar einsetzt, wobei der Bund hier gegen den Bund vorgeht - ein völlig neues Bund-Gefühl -,
({65})
dann möchte ich wissen: Warum wird denn das Kartellamt nicht tätig bei einem reinen Monopol, wie es die Bundespost darstellt,
({66})
wo der Bürger hilflos der Gebührenerhöhung ausgeliefert ist,
({67})
und auch das Parlament dabei kaum mitzureden hat? Nachdem das Unternehmen „Gelber Punkt" ein Reinfall wurde, ist es jetzt wieder das böse Ausland, das die Inflation in unserem Lande nährt. Es wäre gut, mit diesen Dingen hier aufzuräumen.
Es gibt sicherlich eine importierte Inflationskomponente. Wie weit wir aber durch unser Verhalten diese importierte Komponente selber herbeigeführt haben, darüber schweigt sich des Sängers Höflichkeit aus. Und über die hausgemachte wird sowieso der Schleier gebreitet, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Statt dessen dieses gesellschaftliche Reizklima, Verschärfung des Verteilungskampfes und die Verteufelung soziologischer Minderheiten.
Keine Demokratie kann funktionieren, wenn sie nicht auf einem gesellschaftlichen Gleichgewicht beruht. Macht braucht Gegenmacht, Gewicht braucht Gegengewicht. Und wenn man hier versucht, Minderheiten und Mehrheiten gegeneinander auszuspielen - in der sicherlich richtige Annahme, daß die Mehrheiten nun einmal durch die gegebenen technisch-wirtschaftlichen Verhältnisse so sind, wie sie sind, und sich vielleicht in der gleichen Richtung noch weiterentwickeln -, dann dient das nicht dem inneren Frieden.
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Der innere Friede setzt Partnerschaft und Bewußtsein der gegenseitigen soziologischen Notwendigkeit in einer funktionierenden Gesellschaft voraus.
({69})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute lese ich die „Süddeutsche Zeitung". Da sehe ich, daß die selbständigen Unternehmer skeptisch sind, die Sie, Herr Bundeskanzler, so gut angesprochen haben. Da heißt es:
Aus dem Blickwinkel der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer . . . erscheint das Bundeskabinett Schmidt /Genscher positiv - allerdings nur deshalb, „weil es guterdings nicht schlechter sein könne als das voraufgegangene Kabinett Brandt /Scheel".
Man nimmt ja die Komplimente, wie man sie braucht.
Hier spreche ich, weil ich gerade das Wort „Unternehmer" gesprochen habe, etwas Besonderes an: Alles, was Sie bisher der Wirtschaft an Belastungen zugemutet haben, kann von der Großwirtschaft - mit einigen Ausnahmen - relativ leicht verkraftet werden. Jedenfalls wird die Großwirtschaft damit fertig. Die Großwirtschaft kann auch ihre Steuerungsinstrumente leichter austauschen: von der Privatwirtschaft zur Gemeinwirtschaft oder zur Vergesellschaftung. Die Schichten, um die es geht, Herr Bundeskanzler, haben Sie angesprochen. In diesen Schichten herrscht eine tiefe, tiefe Zukunftsangst. Das sind die Schichten des selbständigen Mittelstandes, der kleinen und mittleren Unternehmer, Dienstleistungsgewerbe, Produktionsgewerbe. Dafür ist nicht nur die wachsende Zahl der Konkurse bezeichnend, über die ich mich schon mit Herrn Friderichs einmal unterhalten habe, was ich aber hier nicht wiederholen will. Die Zahl der Konkurse wird ja in diesem Jahr noch steigen. Herr Friderichs meinte - das fand ich sehr gut; deshalb darf ich es doch wiederholen -, daß die Zahl der Konkurse kein Maßstab sei, denn am wenigsten Konkurse habe es im „Dritten Reich" gegeben. Da möchte ich umgekehrt sagen: Wenn es lauter Konkurse gibt, müßte ja die Wirtschaftspolitik dann anscheinend am besten sein. Beide Standpunkte sind gleich dämlich; das muß ich ausdrücklich dazusagen.
({70})
Die Zahl der Konkurse nimmt auch in diesem Jahre noch zu. Noch größer als die Zahl der Konkurse ist aber die Zahl derer, die zu Resignation neigen, sich mit Aufgabegedanken tragen oder bereits aufgegeben haben. Ich fühle mich, wie ich hoffe, auch über die Reihen der Unionsparteien hinaus, mit dem einen oder anderen in diesem Hause einig, daß gerade die Schicht des selbständigen Mittelstandes eine tragende Schicht unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung immer war, heute noch ist - aber in bedrohten Verhältnissen - und es durch eine Politik der Vernunft und des Ausgleichs wieder werden muß.
({71})
Gerade diese kleine und mittlere Schicht, um die es uns mehr geht als um das „big business" - wenn ich einmal diesen Ausdruck gebrauchen darf - oder um das sogenannte und immer so anonym zitierte Großkapital, gewährleistet Partnerschaft, Fortschritt, Wachstum, Leistungsfähigkeit, Innovationsfähigkeit und funktionierenden Wettbewerb. Diese Schicht ist
sowohl aus materiellen als auch aus psychologischen Gründen durch die letzten vier Jahre Regierungspolitik in Bedrängnis geraten. Sie ist materiell und auch innerlich in ihrer Zukunftserwartung in schwerster Weise verunsichert worden.
({72}) Das muß wiedergutgemacht werden.
Es ist doch eine Anmaßung,
({73})
eine Verdrehung der Tatsachen, wenn der neue Bundeskanzler zu der Feststellung kommt, daß unsere soziale und wirtschaftliche Lage gut sei.
({74})
In seiner Studie sagt er es ganz anders. Wenn Sie die Studie, die Sie für Ihre Partei erarbeitet haben oder haben erarbeiten lassen, dem Hause in einer für eine Regierungserklärung geeigneten Form vorgelegt hätten, hätten Sie wirklich eine große Chance gehabt, Herr Bundeskanzler. Aber dieses erneute Auseinanderklaffen zwischen der Phase einer weitgehenden Ehrlichkeit zur Disziplinierung der eigenen Reihen und der Propagandaattrappe, die hier in diesem Hause aufgebaut worden ist, macht Ihre Politik nicht glaubwürdig, läßt Ihre Politik weiterhin in dem Dunstkreis, daß auch bei Ihnen zwischen Wirklichkeit auf der einen Seite und Propaganda auf der anderen Seite ein nicht deckbarer und nicht überbrückbarer Widerspruch besteht.
({75})
Ihr ehemaliger Parteifreund Wilhelm Hennis - ich hätte Sie beinahe in Schutz genommen, wenn ich es könnte -, der ebenfalls aus dem Bereich der Jungsozialisten und des SDS kommt, inzwischen aber aus Ihrer Partei ausgeschieden ist, ein bekannter Professor mit wissenschaftlichem Ruf
({76})
- bei der CDU ist er auch gut aufgehoben;
({77})
auch wir von der CSU würden ihn selbstverständlich nehmen -, hat gesagt:
Helmut Schmidt fehlt fast alles, was der Mann haben müßte, zu dem das Volk neu Vertrauen fassen könnte.
Er schreibt dann weiter:
Die bundesdeutsche Öffentlichkeit trieft in diesen Tagen nur so von Wehmut, Betroffenheit und Larmoyanz. Wenn schon Gefühle,
- so schreibt er so wäre blanker Zorn eine viel angemessenere Reaktion. Nicht wegen Guillaume. Sondern wegen der Lage, in die man das politische System der Bundesrepublik hat hineinschlittern lassen.
({78})
- Das ist Herr Hennis, ja,
({79})
und der kommt ja aus einem „Stall", der ihn befähigt, dieses Urteil zu fällen.
({80})
Ich möchte jetzt nicht über die Zusammensetzung der Bundesregierung sprechen. Wir werden ja die Leistungsfähigkeit ihrer Mitglieder im Laufe der Zeit kennenlernen. Bis jetzt haben wir nur einen Vorgeschmack von dem bekommen, was auf uns zukommt, wenn ich an die Rede des Bundeskanzlers gestern denke, wo er nunmehr Mitgliedern dieses Hauses verweigern wollte,
({81})
Äußerungen wiederzugeben, die in sämtlichen Tageszeitungen - damals ohne jeden Widerspruch - erschienen sind. Aber wir sind in diesem Punkt ja nicht verwöhnt und sind auf allerlei gefaßt.
({82})
Wenn ich noch zu drei Punkten, Herr Bundeskanzler, Stellung nehmen darf -
({83})
- Ich bedanke mich für die Genehmigung; sie erfolgt vorläufig noch auf freiwilliger Basis, Herr Wehner.
({84})
Eines habe ich in Umrissen bereits angedeutet. Auch Sie haben in Ihrer Darstellung das Problem der Inflation, ihres Zustandekommens und ihrer Auswirkungen wiederum bagatellisiert, wiederum verharmlost. Herr Bundeskanzler, Sie sollten endlich einmal einsehen und zugeben, daß alle Argumente, die von Ihrer Seite, der Seite Ihrer Freunde, gebraucht werden, am Wesentlichen vorbeigehen. Der Hauptfehler der Konjunkturpolitik und der Stabilisierungspolitik dieser Bundesregierung liegt darin, daß sie einerseits eine expansive Haushaltspolitik herbeigeführt hat und heute aus diesen Geleisen nicht mehr herauskommt und daß sie andererseits durch eine restriktive Geldpolitik, die als Folge einer expansiven Haushaltspolitik die notwendige Kompensation darstellt, im privatwirtschaftlichen Bereich bereits ernsthafte Schäden hat aufkommen lassen.
({85})
Wir sind darüber enttäuscht - ich sage das nicht, weil ich hier eine rührselige Äußerung tun müßte -, daß man das wohlüberlegte, treffend formulierte und mit der gesamten Fraktion abgestimmte Angebot des Vorsitzenden der Oppositionsfraktion einfach beiseite geschoben hat, als er gestern vorschlug, alle ausgabewirksamen Anträge, die bisher von der Opposition gestellt worden sind, zu überprüfen, und in Verbindung damit die Bereitschaft bekundete, sie zurückzustellen, wenn von seiten der Regierung ein ernst zu nehmendes Stabilitätskonzept auch auf dem Gebiet der Haushaltspolitik vorgelegt werde.
({86})
- Wenn Sie sagen: „Trick 17, Seite 69", beweist das, mit welcher bodenlosen Leichtfertigkeit Sie dieses Problem behandeln.
({87})
Ich habe eine gewisse Legitimation, das zu sagen, weil ich von 1969 bis 1972 im Bundestag mehrmals im Auftrag der Fraktion und in Übereinstimmung mit dem damaligen Fraktionsvorsitzenden für die Fraktion die gleiche Bereitschaft bekundet habe, aber nicht unter der Voraussetzung, daß wir dieses Konzept vorlegen, es dann von der Regierung in der Öffentlichkeit zerreißen lassen, und sie dann mit unserem Konzept in Wahlkämpfe zieht, um zu sagen, was wir alles dem Volke zumuten würden.
({88})
- Das haben wir doch mit der Steuersenkungszusage vom Jahre 1969 erlebt, die bis heute nicht eingehalten worden ist, wo noch in diesem Hause der Trick aufgeführt worden ist - gut, daß Sie mich daran erinnern -, daß man im Finanzausschuß in der Woche vor den Landtagswahlen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland die Steuersenkungen im Ausschuß gegen unsere Stimmen beschlossen und in der Endphase des Wahlkampfes der Öffentlichkeit die feste Absicht bekundet hat, nunmehr diese Steuersenkungen vorzunehmen. Und in der Woche nach der Wahl hat dann der damalige Wirtschaftsminister gesagt: Das kommt gar nicht in Betracht, das ist stabilitätswidrig.
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Warum haben Sie denn erzwungen, daß in der Woche vor der Niedersachsenwahl Ihre sogenannte Steuerreform mit der angeblichen Dauerentlastung der unteren und mittleren Einkommen noch durchgepeitscht werden muß? Doch nur, weil Sie dieses Werk, das kaum eine vorübergehende Entlastung, geschweige denn eine Reform darstellt, noch für Zwecke des Wahlkampfes verwenden wollen. Das ist doch wieder die gleiche Methode.
({90})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte angesichts der Zeit nur noch zu einem Problem Stellung nehmen, das gestern der Bundeskanzler angeschnitten hat. Es wird im Laufe der Haushaltsdebatte die Möglichkeit geben, eine Reihe von Sachproblemen, die im Zusammenhang mit der Regierungserklärung angeschnitten werden müßten, zu behandeln, auch die Frage der Mitbestimmung und die Frage der Vermögensbildung. Ich möchte aber dem Hause eines nicht vorenthalten. In dem Leistungsbericht für die Bundestagswahl 1972 steht unter der Überschrift „Arbeiter" : „Politik für Arbeitnehmer - unsere Leistung" u. a. „Noch bis 1973 geplant: Verbesserte Vermögensbildung, Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, durch Überläufer verzögert".
({91})
Durch welche Überläufer ist denn jetzt die Vermögensbildungspolitik verzögert worden, Herr Bundeskanzler?
({92})
Sie haben gestern etwas gesagt, Herr Bundeskanzler, worauf ich in meinen Schlußworten eingehen muß. Sie haben davon gesprochen, daß die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts der Bundesrepublik im Ausland Schaden zugefügt habe. Auch wenn ein Teil meiner Freunde damals aus gutem Grund andere Meinung war - nicht über die rechtliche Qualität des Antrages, sondern über die politische Zweckmäßigkeit in der damaligen Situation -, muß ich es aber doch - und ich glaube, von allen Mitgliedern der Fraktion getragen zu sein - mit aller Deutlichkeit zurückweisen, daß man uns, der bayerischen Staatsregierung und der sie tragenden Regierungspartei in Bayern, unterstellt, wir hätten im Ausland mit der Anrufung des Verfassungsgerichts und der Durchführung dieses Prozesses der Bundesrepublik Schaden zugefügt.
({93})
Ich brauche keine Rechtsausführungen zu machen; das können andere besser als ich. Aber wenn ein zuständiges Organ, eine Landesregierung, das zuständige Gericht in einem zulässigen Verfahren in rechtlich einwandfreien Formen anruft, um die rechtliche Klärung einer Frage herbeizuführen, in der die Bundesregierung zu dem Weiß-SchwarzSpiel, zu der Grauzone erheblich beigetragen hat, ist das nicht ein Schaden für die Bundesrepublik, sondern ein Dienst an der Demokratie, ein Dienst 'an unserem Land und ein Dienst an unserer Nation!
({94})
Durch die Begründung des Karlsruher Urteils ist der Bundesregierung bei allen Folgeverträgen eine enge Grenze sowohl für die Auslegung der bisherigen Verträge wie für den Abschluß neuer Verträge gesetzt.
({95})
Ich weiß, daß mit diesem Prozeß auch ein politisches Risiko verbunden war. Es ist nicht meine Absicht, hier zu dem Urteil Stellung zu nehmen. Aber die Begründung dieses Urteils ist ein historisches Dokument, das allen Versuchen, diese Ostpolitik in sowjetische Westpolitik umzufunktionieren, ein Ende setzt, wenn wir dieses Dokument gemeinsam ausnutzen.
({96})
Damit sind die Fragen der Einheit unseres Staates, der Einheit unserer Nation, der Zugehörigkeit Berlins zur Bundesrepublik und auch die Frage unserer unerschütterlichen, unverrückbaren Rechtsposition durch das oberste zuständige Organ ein für allemal geklärt worden. Ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, den Vorwurf, daß man der Bundesrepublik damit
im Ausland Schaden zugefügt habe, zurückzunehmen.
({97})
Wer bestimmt denn darüber, ob die Bundesrepublik im Ausland Schaden erlitten hat oder nicht?
({98})
Nicht immer, wenn deutsche Interessen, die von uns vertreten werden müssen und deren Wahrnehmung wir nicht von anderen in größerem Maße verlangen können, als wir sie selbst wahrnehmen, von uns wahrgenommen werden, fällt uns das Ausland gleich liebevoll um den Hals und lobt uns. Uns respektiert aber niemand mehr in der Welt, wenn wir unsere eigenen Interessen nicht selbst wahrnehmen.
({99})
Angesichts der Vorgeschichte dieser Verträge, angesichts ihrer merkwürdigen Begleitumstände, von denen ich heute in meinen Ausführungen gesprochen habe, angesichts des Inhalts dieser Verträge, angesichts der Doppeldeutigkeit und Gegensätzlichkeit ihrer Auslegung ist dieses Urteil nunmehr eine Urkunde, die in Zukunft einen Meilenstein darstellen wird, an dem die Deutschlandpolitik einer jeden Bundesregierung gemessen werden kann. Darum, Herr Bundeskanzler, ist es so bedauerlich, daß Sie in Ihrer Regierungserklärung auf den Auftrag, der in der Begründung steht - die Vertretung des Wiedervereinigungsanspruchs nach außen und die Wachhaltung dieses Anspruchs nach innen ist für alle Bundesorgane ein gesetzlicher Auftrag, ein Verfassungsauftrag -, nicht mit einem einzigen Wort - Gott sei es geklagt - eingegangen sind.
({100})
Ihre Regierungserklärung stellt keinen Neubeginn dar. Sie enthält weder die geistige Fundierung einer Politik noch ist sie in der Lage, den Schutt wegzuräumen, der sich in den vergangenen vier Jahren angehäuft hat. Sie sind mit dieser Mannschaft und diesem Programm nur ein Übergangskanzler, der obendrein noch vor den eigenen Reihen und in der Öffentlichkeit mit doppelter Zunge spricht.
({101})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Vorredner hat von dieser Stelle zunächst zu Beginn Zensuren über die gestrige Debatte ausgeteilt. Er hat rücksichtsvollerweise die Zensuren auf die Sprecher der Koalition beschränkt. In bezug auf seine eigenen Freunde hat er ausgeführt, Herr Carstens habe eine Regierungserklärung abgegeben. Wenn das wahr ist, dann hat Herr Kollege Barzel gestern als neuer Oppositionssprecher innerhalb der Union das Wort ergriffen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Einen Augenblick, Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen oder nach draußen zu gehen und die Gespräche dort zu führen.
Ich glaube, daß mein Vorredner hier Sorge tragen muß, daß ihm in dieser Rolle nicht der Rang abgelaufen wird.
Im übrigen, Herr Kollege Strauß, wenn Sie sagen, da und dort werde schneller gesprochen als gedacht: Es gibt auch Beispiele dafür, daß überhaupt nur gesprochen und gar nicht gedacht wird.
({0})
Außerdem: Bei einer sprachlichen Betrachtung Ihrer Ausführungen fällt auf, daß Sie kein Wort so oft gebraucht haben wie das Wort „Lichtgestalt". Jeder spricht von dem, was er gern sein möchte.
({1})
Sie haben den Altministerpräsidenten Hoegner zitiert und haben ihm recht gegeben. In der Zeit, als er Ministerpräsident des Freistaates Bayern war, haben Sie ihn in der Ihnen eigenen vornehmen und feinfühligen Weise bekämpft. Es ist ein wenig peinlich, freundliche Worte über Sozialdemokraten immer erst dann zu hören, wenn sie tot sind oder wenn sie nicht mehr in der aktiven Politik tätig sind. Ich glaube, ein Kurt Schumacher, ein. Erich Ollenhauer würden sich gar manches Mal im Grabe herumdrehen, wenn sie hören könnten, von wem sie in Anspruch genommen werden.
({2})
Es war die Rede von dem Spionagefall Guillaume. Keiner bestreitet, daß es sich hier um einen schweren Spionagefall handelt. Es ist nicht der erste schwere Spionagefall, mit dem sich diese Bundesrepublik auseinanderzusetzen hat. Ich erinnere daran, daß unter der Verantwortung der Bundesregierung Adenauer der bisher schwerste Spionagefall Felfe im Jahre 1963 aufgedeckt worden ist.
({3})
Es ist unserem Staatswesen nicht dienlich, so zu tun, als wenn es sich hier um den ersten Fall dieser Art handelt.
({4})
Ich halte es auch für wenig förderlich, wenn in dieser Art und Weise Spionagefälle gegenseitig aufgerechnet werden.
({5})
Diese Bundesregierung hat alle Schritte in die Wege geleitet, die die Interessen des Staates erfordern.
({6})
Die Bundesregierung hat dem Vertrauensmännergremium alle erforderlichen Auskünfte erteilt.
({7})
Diese Bundesregierung wiederholt, daß sie dem Vertrauensmännergremium auch in Zukunft alle für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Auskünfte erteilen wird. Sie ist selbstverständlich bereit, zu diesem Zweck auch Beamte nachgeordneter Dienststellen im Vertrauensmännerkollegium zur Erteilung von Auskünften in dem vom Kollegium gewünschten Ausmaße heranzuziehen.
({8})
Diese Bundesregierung hat darüber hinaus in ihrer Sitzung vom 10. Mai die Bildung einer aus unabhängigen Persönlichkeiten bestehenden Kommission beschlossen mit dem Auftrag,
({9})
alle im Zusammenhang mit dem Fall Guillaume aufgetretenen Fragen des vorbeugenden Geheimschutzes zu prüfen,
({10})
eine Wertung vorzunehmen sowie Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten.
Die Bundesregierung hat außerdem erklärt - ich bekräftige das an dieser Stelle -, daß die Bundesanwaltschaft jede Unterstützung dieser Bundesregierung erhalten wird, damit sie ihre Ermittlungen durchführen und die Beschuldigten der gerechten Strafe zuführen kann.
Die Bundesregierung ist entschlossen, diesen Staat nicht nur nach außen, sondern auch nach innen zu verteidigen. Sie hat volles Vertrauen in die Organe der Rechtspflege.
({11})
Ich glaube, der Beitrag der Opposition in einer solchen Situation kann nicht in hämischer Heuchelei, sondern nur in konstruktiver Mitarbeit bestehen.
({12})
Herr Kollege Strauß hat in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, wer Angst in unserem Lande erzeugt.
({13})
Ich bin von der Sorge erfüllt, daß auch dieser Fall, der von den Organen des Staates in korrekter Weise behandelt wird, mißbraucht werden soll, um Angst und Unsicherheit in die Bevölkerung zu tragen.
({14})
Herr Strauß hat dazu, wie man das macht, selbst im Jahre 1969 in einem Buch folgendes geschrieben:
Man kann einem Volk, auch wenn es ihm gut geht, die Gegenwart als schwer erträglich und durch düstere Prophezeihungen die Zukunft als gefährdet und katastrophengeladen vorgaukeln, bis sogar Anwandlungen von Hysterie auftreten und durch Angstreaktionen erst die Gefahren heraufbeschworen werden, vor denen angeblich nur gewarnt werden soll.
({15})
Dazu
- so Herr Strauß an dieser Stelle gehört auch der leichtfertige, das Gesetz der Dimension verletzende Gebrauch der Begriffe Krise, Depression und Inflation.
({16})
Ich glaube, der Verfasser dieser Textstelle sollte seine eigenen Zitate lesen und die Maßstäbe, die er an andere anlegt, selber in seinem Bereich praktizieren.
({17})
Der Bundesminister der Justiz wird sich im vollen Einvernehmen mit dem Bundeskanzler und der Bundesregierung in diesem Fall nicht in kleinkarierte parteipolitische Auseinandersetzungen und erst recht nicht in einen Zustand der Hysterie hineintreiben lassen. Der Bundesminister der Justiz wird seine Pflicht darin sehen,
({18})
den ungestörten Gang der Rechtspflege gerade auch in diesem Falle zu gewährleisten.
({19})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Friderichs.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Herr Abgeordneter Dr. Strauß hat zu geistiger Auseinandersetzung aufgerufen, allerdings in einer Tonlage, die sich eigentlich mit dieser Forderung nicht ganz vereinbaren läßt.
({0})
Herr Dr. Strauß, ich bin sehr froh, daß Sie das getan haben. Denn in der Tat wäre eine solche Debatte eine Gelegenheit, sich über die geistigen Grundlagen nicht nur dieses Landes, sondern auch der politischen Parteien auseinanderzusetzen, die in diesem Hohen Hause mitwirken.
Ich bewundere Ihren Mut, wie Sie das hier fordern; denn Sie gehören immerhin der Fraktion an, die die Auseinandersetzung mit dem geistigen Deutschland mit den Begriffen „Pinscher" und „Uhu" begonnen hat.
({1})
Wenn Sie glauben, auf diese Weise in der Vergangenheit rühren zu können, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn man dies mitmacht.
Herr Dr. Strauß, ich nehme an, daß der Präsident des Deutschen Bundestages Ihren Zwischenruf, den Sie soeben dem Bundesjustizminister entgegengeschleudert haben: „Ihr habt uns angelogen!",
({2})
nicht als den Beginn einer geistigen Auseinandersetzung in diesem Hause betrachtet.
({3})
Ich will den Gehalt Ihrer Aussage gar nicht bewerten. Aber erlauben Sie mir die Feststellung, daß ich unter geistiger Auseinandersetzung nicht diesen Stil verstehe, wenngleich ich zugestehe, daß es vielleicht Ihnen noch am ehesten zusteht, in dieser Form zu reden.
({4})
- Ich habe Zeit.
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich glaube, wir tun uns allen einen Gefallen, wenn wir wieder zu einer der Aussprache über die Regierungserklärung gemäßen Form zurückfinden. Ich darf Sie bitten, das auf allen Seiten des Hauses zu würdigen. Wenn wir hier oben in der Sitzungsleitung in den letzten Stunden jeden Zuruf und jede Bemerkung auf die Goldwaage gelegt hätten, dann würden wir damit, glaube ich, dem Ganzen keinen Dienst erwiesen haben. Ich darf bitten, daß wir uns ein bißchen daran halten.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Dr. Strauß, Sie haben sich mit der Verteufelung von
6714 Deutscher Bundestag - 7: Wahlperiode Bundesminister Dr. Friderichs
Minderheiten in unserem Volk auseinandergesetzt. Das ist nach meiner Meinung ein wichtiger Punkt. Nur weiß ich nicht, ob es nicht bereits der Beginn von Verteufelung ist, wenn man hinsichtlich gewisser Gruppierungen - die ich nicht zu verteidigen habe, weil ich, wie Sie wissen, Herr Strauß, mit den Vorstellungen dieser Gruppierungen auf meinem Gebiet weitestgehend nicht übereinstimme - gerade durch den Gebrauch kollektiver Minoritätsbegriffe selber das tut, was man anprangert.
({0}) Exakt dies haben Sie getan.
Sie können sich mit mir jederzeit über den Inhalt von Vorstellungen der Jugendorganisationen politischer Parteien auseinandersetzen, einschließlich der Vorstellungen derjenigen Jugendorganisation, die Ihrer Partei nahesteht. Aber mit einer kollektiven, bewußt abwertenden Darstellung der Gruppe als solcher sollte man jedenfalls in demselben Augenblick nicht operieren, in dem es einem darum geht, die Verteufelung von Minderheiten abzubauen.
Ich glaube, wir haben allen Anlaß, einen Beitrag zu leisten, diese Verteufelung nicht mitzumachen, weil in der Tat die Verteufelung von Minderheiten auch in der Vergangenheit ein hervorragender Nährboden dafür war, Bestandteile der demokratischen Grundordnung systematisch, Schritt für Schritt abzubauen.
({1})
Dazu einen Beitrag zu leisten habe ich nicht die Absicht.
Wenn wir die Auseinandersetzung, die wir hier führen wollen, so verstehen, dann bin ich gern dazu bereit. Auch mit Ihrem Aufruf, einen Beitrag zum inneren Frieden statt zur Verteufelung von Minderheiten zu leisten, werden Sie meine Bereitschaft immer finden. Meine Empfehlung geht daher auch dahin, den Titel des Ihnen nahestehenden Blattes in „Bayerischer Friedenskurier" umzufirmieren und die Texte entsprechend zu redigieren.
({2})
Denn es ist doch wohl keine Frage, daß dieses Blatt zum inneren Frieden weniger beiträgt als irgend jemand sonst und statt dessen eine bewußte und gezielte Kampagne der Verteufelung begonnen hat und stets fortführt.
({3})
Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß es sich lohnt, über die Situation der Mittelschichten, insbesondere der nichtabhängig tätigen Mittelschichten, nachzudenken und zu prüfen, ob unsere Politik, die bestehenden Gesetze ausreichen, um deren Fortexistenz zu garantieren. Ich bin anderer Meinung als Sie, wenn man dies mit Pauschalargumenten tut, wie beispielsweise der Erwähnung irgendwelcher Konkursquoten. Ich möchte die Auseinandersetzung nicht auf dem seinerzeitigen Niveau wieder aufnehmen, aber ich gehe davon aus, daß der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff im Laufe des Tages sicher noch Gelegenheit haben wird, hierzu einige Bemerkungen zu machen. Denn die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist eben nicht nur der Zahl, sondern auch den Ursachen nachgegangen. Und es ist wohl zwischen den sich mit Ökonomie beschäftigenden Mitgliedern des Deutschen Bundestages unbestritten, daß ein nicht unerheblicher Teil derjenigen, die in Schwierigkeiten geraten sind, vordem geglaubt haben, gewisse Finanzierungsmethoden, wie sie sich in Jahren eingeschlichen haben, seien grundsätzlich ungefährlich; auch das soll gesagt sein. Denn es ist doch wohl gar keine Frage, daß davon zunächst und in erster Linie welche betroffen worden sind, deren Finanzierungsmethoden mit denen eines ordentlichen Kaufmannes nicht vereinbar waren und die darauf spekuliert haben, bei permanent steigenden Preisen, insbesondere in einer ganz bestimmten Branche, nahezu alle Kosten, coût que coût, wieder hereinspielen zu können, und die nun plötzlich durch eine restriktive Politik der autonomen Bundesbank vor die Tatsache gestellt worden sind, daß dies einfach nicht so weitergehen kann.
Wir werden sicher in der Tatsache übereinstimmen, daß der Expansion der öffentlichen Haushalte eine besondere Bedeutung zukommt, insbesondere auch der inneren Struktur dieser Haushalte. Aber auch da wird wieder ein Eindruck erweckt, der mit den Tatsachen nicht oder nicht voll übereinstimmt. Denn wenn man, wie ein Redner des gestrigen Tages, die Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts mit den Zuwachsraten der Haushalte in Vergleich setzt, dann, Herr Professor Carstens, sollte man dies richtig tun oder tun lassen.
({4})
- Daß Sie Schiller zitieren, ist für mich völlig unproblematisch.
({5})
Das ist doch Ihr Problem, Herr Strauß, nicht meines; war es übrigens immer schon, in alten Zeiten. - Denn wenn man die Zahlen vergleicht, dann zeigt sich z. B. für das Jahr 1973, Herr Professor Carstens, daß die Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts höher war als die Zuwachsrate des Bundeshaushalts. Ich gestehe zu, daß dies für die Ausgaben der Länder nicht zutrifft, auch nicht für die der Gemeinden. Aber Sie erwecken den Eindruck, als ob der Bund über seine Verhältnisse lebe und als ob Sie dies mit Recht kritisieren könnten.
Nun will ich mich mit Ihrer Rede von gestern nicht im allgemeinen oder bewertend auseinandersetzen, weil ich finde, daß Ihr Fraktionskollege Dr. Barzel dies gestern in hervorragender Weise getan hat, so daß sich dies für mich erübrigt.
({6})
Ich möchte mich lediglich mit den Punkten auseinandersetzen, in denen Sie Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben.
Sie haben gesagt, die Bundesrepublik Deutschland habe auch in der Zeit von 1949 bis 1969 hinsichtlich
der Verbraucherpreisentwicklung im Vergleich mit den anderen Industrienationen immer an letzter Stelle gestanden. Dies ist, Herr Professor Carstens, schlicht und einfach unwahr.
({7})
Ich bin gerne bereit, Ihnen die Zahlenreihe von 1950 bis Januar 1974 auszuhändigen.
({8})
- Ich sage: von 1950 bis Januar 1974. Dieser Zahlenreihe können Sie entnehmen, daß dies nur in drei Jahren dieser Gesamtperiode der Fall war, nämlich 1967, 1969 und im April 1974. Das sind die drei Zeitpunkte seit 1950. So haben wir beispielsweise 1955 auf dem 13. - ungünstigsten Platz gelegen, 1961 auf dem 12., dem 9. und ähnliches mehr. Ich will damit nur folgendes sagen: Ich mache mir hier die These -
({9})
-- Ach, Herr Breidbach, lassen Sie mich doch das darlegen; es ist viel einfacher. Die Zuhörer und die anderen Kollegen bekommen das alles nicht mit, was Sie jetzt sagen. Wenn Sie eine Zwischenfrage haben: es gibt Mikrophone hier; ich antworte Ihnen selbstverständlich gerne. Wir sollten an dieser Auseinandersetzung alle teilhaben lassen. Deswegen: entweder laut oder gar nicht.
({10})
- Natürlich sind Zwischenrufe erlaubt, aber ich finde es fairer, wenn alle teilhaben.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?
Selbstverständlich!
Herr Minister Friderichs, nachdem Sie mich gebeten haben, eine Zwischenfrage zu stellen, will ich dies tun. Ich möchte Sie gerne fragen, wie hoch denn die Preissteigerungsraten in diesen Jahren waren, nachdem Sie hier auf der Grundlage schwammiger Indizes bezweifeln, daß die Bundesrepublik Deutschland immer am Ende der internationalen Preisskala gestanden hat.
Die Preissteigerungsraten waren unstreitig erheblich niedriger als heute, - damit Sie eine klare Antwort haben, weil ich überhaupt nichts davon halte, um die Dinge herumzureden.
({0})
Genauso offen sage ich Ihnen, daß ich den Vergleich
mit anderen Ländern nicht suche, um von Eigenverantwortlichkeiten abzulenken. Bitte, nehmen Sie auch dies zur Kenntnis! Aber so zu tun, als ob die Welt um uns herum für uns nicht exogene Daten setzte - ({1})
- Natürlich! Den Eindruck erwecken Sie doch permanent, und das ist doch gezielt! Sie wollen das doch!
({2})
Ich habe gestern einmal beobachtet, wann immer der meiste Beifall kam. Der meiste Beifall bei der Rede des Professor Carstens kam immer dann, wenn die Lage in Deutschland möglichst schlecht dargestellt wurde.
({3})
Ich habe mich gefragt, welche psychologische Verfassung eigentlich hinter Menschen stehen muß, die die Schilderung schlechter Lagen beklatschen,
({4})
von denen die Bürger gar nicht meinen, daß sie so schlecht seien; und die Bürger haben sogar recht damit.
({5})
Mir ist bekannt, daß in unserem Lande zur Zeit in der Mode, teilweise sogar in der Kunst und auch sonst ein wenig Anklänge an Nostalgie vorhanden sind.
({6})
Aber diese müssen wir doch nicht in das verantwortliche Gremium zur Gestaltung von Politik übertragen! Überlassen Sie doch das Nostalgiebewußtsein anderen draußen!
Es ist übrigens ganz putzig, wie manche, auch führende deutsche Unternehmer, die mir hier nostalgisch entgegentreten, im Ausland, wenn wir gemeinsam dort sind, nahezu euphorisch über die hervorragenden Verhältnisse in der Bundesrepublik sprechen. Das ist doch die Situation! Ihnen paßt der ganze Laden nicht, also muß er schlechtgemacht werden.
({7})
Ich sage Ihnen noch einmal: keine Ablenkung wegen der höheren Raten draußen. Ich bekenne mich auch zu dem, was ich dazu beigetragen habe und nicht beigetragen habe. Ich will noch ein Beispiel nennen. Ich bekenne offen, daß für mich in den Monaten Oktober 1973 bis März 1974 die mengenmäßige Versorgung der deutschen Volkswirtschaft mit den erforderlichen Rohstoffen und die damit zusammenhängende Sicherung der Produktion und der Arbeitsplätze Priorität Nr. 1 gehabt haben. Ich bekenne das ganz offen. Wir können darüber streiten, ob das richtig war oder nicht, aber es ist doch wohl gar keine Frage, daß wir im Gegensatz zu anderen es fertiggebracht haben, jedenfalls mengenmäßig so versorgt zu werden, daß die höchst diffizile Produk6716
tionsstruktur unseres Landes aufrechterhalten bleiben konnte.
Lassen Sie mich noch ein offenes Wort sagen: Wenn Sie ständig predigen, das habe Priorität Nr. 1, so ist es in der Praxis doch so, daß Sie permanent vor Abwägungen gestellt werden. Werden wir nicht in der Frage „Aufrechterhaltung der Minischlange" auch immer wieder vor die Frage gestellt: Ist nicht der Rest Integration Europas unter Umständen wichtiger als vielleicht die eine oder andere Stelle hinter dem Komma? Es gibt eben Abwägungstatbestände, und das Bild bietet sich nicht so schwarzweiß dar, wie man es gestern hier darzustellen versucht hat.
Nun ein Wort zu Ihrem Kooperationsangebot für eine Stabilitätspolitik: Ich gestehe offen, daß ich dieses Angebot bei Ihrer Rede, Herr Professor Carstens, gar nicht so deutlich verstanden habe - das mag an meiner Auffassungsgabe liegen -, aber nach der Rede von Herrn Dr. Barzel war es relativ klar, daß dieses Angebot auf dem Tisch liegt. Nun gut.
Auch das ist wieder einer dieser Punkte, bei denen man auf der einen Seite den Eindruck fairer Kooperationsbereitschaft erweckt und auf der anderen Seite durch die Summe selbstgesetzter Fakten eben dies in Frage stellt. Was meine ich damit? Was haben Sie denn am 9. Mai des vergangenen Jahres gesagt, als die Bundesregierung ein Stabilitätsprogramm mit Stabilitätsabgabe, mit Investitionsteuer und mit handelspolitischer Liberalisierung vorgelegt hatte? Sie haben wie immer - gesagt: ja, aber; ja im Prinzip - Radio Eriwan -, so aber nicht en detail. Das ist doch systematisch Ihr Vorgehen!
Doch was ich Ihnen bezüglich der politischen Lauterkeit eigentlich viel übler nehme: daß Sie dann gleichzeitig die ergriffenen Maßnahmen bei den Gruppen, die davon betroffen werden und für die sie daher nicht so furchtbar angenehm sind, verteufeln. Wenn ich Ihnen die Briefe aus Ihren Reihen zur Frage der Liberalisierung der Handelspolitik, zur Frage der Stabilitätsabgabe, insbesondere aber zur Frage der Investitionsteuer vorläse, zeigte das eben dieses permanente globale „Was sind wir für feine Maxen" - und im Detail: die Regierung macht aber auch schlicht und einfach alles falsch. Dann müssen Sie eben den Mut haben, auch zu sagen: Laßt das doch bitte alles laufen.
Wer hat denn die schärfste Kritik an der restriktiven Politik der autonomen Bundesbank vorgebracht? Doch niemand anders als Herr Stoltenberg und Herr Strauß, die doch permanent draußen darüber reden! Glauben Sie denn, wir wüßten nicht, daß es populärer ist, den Leuten zu sagen: ihr braucht weniger Zinsen zu zahlen? Dann müssen Sie die volle Wahrheit sagen, nämlich: Aufgabe des Restriktionskurses heißt weitere Überwälzungsspielräume eröffnen, heißt die Inflationsrate weiter hochgehen lassen. Ja, man kann fast auf den Gedanken kommen, daß Sie eigentlich auch dies noch hinnehmen würden, nur um zu beweisen, daß diese Regierung nichts taugt.
({8})
Sie stellen sich hierher und predigen seit Monaten: Steuersenkungen. Ich weiß, daß das populär ist.
({9})
- Moment! Herr Stücklen, Sie können das im Protokoll nachlesen: Ich habe bei der Diskussion über die Vorschläge der CDU/CSU für Steuersenkungen unmißverständlich gesagt, daß man in einem System progressiv wachsender Steuern, das durch hohe Wachstumsraten und durch die von mir nicht bestrittene Inflationsrate gekennzeichnet ist, in Abständen eine Korrektur des Tarifs vornehmen muß; ich habe das nie bestritten. Mein Nein zu Ihren Vorschlägen war ausschließlich terminbedingt, weil ich der Meinung war, daß Steuersenkungen in diesem Augenblick konjunkturpolitisch nicht zu verantworten wären. Wie man es macht, ist eine zweite Frage.
({10})
- Moment bitte, Herr Breidbach! - Ich fühle mich
- aus Ihrer Sicht - da auch in guter Gesellschaft. Denn Professor Biedenkopf, der meines Wissens Generalsekretär einer Ihrer beiden Parteien ist, hat zum gleichen Zeitpunkt gesagt, Steuersenkungen, die zu einer Vergrößerung der Konsummittel führten, seien nicht diskutabel.
({11})
Das also, was Sie hier beantragen, bezeichnet der Generalsekretär des größeren Teils Ihrer Fraktionsgemeinschaft draußen - übrigens in Übereinstimmung mit mir - als nicht diskutabel.
({12})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Bitte schön!
Herr Friderichs, könnten Sie vielleicht, nachdem Sie hier dargelegt haben, daß offensichtlich der 1. Juli dieses Jahres für Steuersenkungen im Interesse der Arbeitnehmer konjunkturpolitisch nicht der richtige Termin ist, auch darlegen, warum nach Ihrer Auffassung der 1. Januar 1975 dann konjunkturpolitisch richtig sein könnte?
({0})
Ja. Ich habe in den beiden Debatten, in denen wir darüber gesprochen haben - wir haben zweimal in
diesem Hause darüber diskutiert, und ich habe es beide Male begründet -,
({0})
dargelegt, warum ich dieser Meinung bin. Ersparen Sie es bitte Ihren Kollegen, daß ich es heute ein drittes Mal tue.
({1})
Aber ich bin selbstverständlich bereit, damit Ihre Wißbegierde befriedigt wird, Ihnen dies auch schriftlich zu geben; das wird morgen geschehen.
Herr Abgeordneter Katzer hat geglaubt sagen zu müssen, er bekenne sich zur Tarifautonomie, und Versuche zur Einschränkung der Tarifautonomie hätten nur ein einziges Mal stattgefunden, nämlich durch die FDP; ich glaube, das habe ich richtig verstanden. Er hat aber den Mut gehabt - und dazu gehört wirklich ein bißchen Mut -, im gleichen Augenblick eine große Eloge zu singen auf seinen Fraktionskollegen Professor Erhard und auf seine Engagements für die Marktwirtschaft. Nun, dafür hätte ich bis vor wenigen Tagen Verständnis gehabt. Seit wenigen Tagen habe ich dieses Verständnis nicht mehr. Warum?
({2})
- Sie können „na, na" sagen! Mir liegt ein Gutachten, unterschrieben von Herrn Professor Erhard vor, in dem dieser sich schlicht und einfach dafür ausspricht, die Tarifautonomie maßgeblich einzuschränken;
({3})
ein Gutachten, das die Indexierung befürwortet, ein Gutachten, das den § 3 des Währungsgesetzes außer Kraft setzen,
({4})
das die Autonomie der Bundesbank in maßgeblichen Bereichen antasten will, ein Gutachten, das uns eine Parallelwährung, nämlich eine Indexwährung bescheren soll.
({5})
Meine Damen und Herren, wenn Sie hier ausweichen und alle möglichen Länder heranziehen, um aus Ihrer Sicht der Regierung am Zeuge zu flicken, dann müssen Sie mir erlauben, daß ich mich mit diesem Problem der Indexierung, insbesondere nachdem Ihre Fraktion durch ein maßgebliches Mitglied es gezeichnet hat, auseinandersetze. Wir werden in den nächsten Monaten noch häufiger über diese Frage zu sprechen haben. Ich würde es sehr bedauern, wenn nicht alle Fraktionen dieses Hauses eine klare Meinung dazu hätten. Die Bundesregierung hat ihre Auffassung dazu in der Regierungserklärung unmißverständlich in einem einzigen Satz zusammengefaßt.
({6}) Sie haben dazu kein Wort gesagt.
({7})
Also muß ich davon ausgehen, daß Sie das wollen, was schriftlich vorliegt. Sie sind also jetzt für die Indexierung, Sie sind also jetzt für die Eingrenzung der Autonomie der Notenbank. Davon muß ich ja wohl ausgehen.
({8})
- Ich habe mir gleich gedacht, daß Sie hier lauthals widersprechen würden. Ich will jetzt das Mitglied Ihrer Fraktion ganz außer Betracht lassen.
({9})
Der Vorsitzende des CDU-Bundesausschusses für Wirtschaftspolitik, mein bisheriger - bis vor kurzem - saarländischer Kollege Schäfer, weiß Gott ein intelligenter Wirtschaftspolitiker, ist exakt derselben Meinung. Und Sie dürfen es mir doch nicht übel nehmen, daß ich zitiere, wenn zwei so hochrangige, renommierte Vertreter Ihrer Partei schlicht und einfach sagen - das ist doch nicht unanständig, dieser Meinung zu sein; man kann doch wohl mal anderer Auffassung sein -, sie seien nunmehr dieser Auffassung. Deswegen erlauben Sie dem Wirtschaftsminister dieser Regierung zu sagen, daß er anderer Auffassung ist und mit ihm die von ihm mitgetragene Regierung. Wir sind nämlich der Auffassung, daß wir den ökonomischen Problemen mit einer Indexierung nicht gerecht werden.
({10})
Ich bin der Meinung, daß die Autonomie der Notenbank mit ihrer im Prinzip kostenorientierten Politik, die natürlich dann auch in die Mengenpolitik hereingeht, besser ist als die in diesen Unterlagen vorgeschlagenen Mengensteuerungen, die sehr nahe an die auch von Ihnen seinerzeit noch abgelehnte Kreditplafondierung herangehen.
Das sind doch Fragen, über die wir hier einmal sprechen müssen. Oder wollen wir hier eigentlich nur noch über den „Fall G" und ähnliche Geschichten reden, die hinreichend breitgetreten sind? Deswegen frage ich Sie: Wofür sind Sie nun eigentlich? Denn wenn Sie Angebote machen, Herr Professor Carstens, Sie seien bereit zu einer Kooperation zur Rückgewinnung von mehr Stabilität, dann sagen Sie uns bitte, ob Sie dies auf dieser Basis sind - nämlich Indexierung, Notenbank antasten etc. - oder ob Sie das auf einer anderen Basis sind. Das müssen Sie einmal klipp und klar hier aussprechen.
({11})
Und wenn Sie das eine aussprechen, sage ich Ihnen nein. Wir sind sehr wohl zu einer solchen Zusammenarbeit bereit. Aber wir müssen dann auch wissen, was Sie in Wahrheit wollen.
Lassen Sie mich noch eine wertende Bemerkung dazu machen. Ich möchte nicht wissen, was Sie hieran - ich drücke mich vorsichtig aus - Bemerkungen gemacht hätten, um die „unsicheren
Kantonisten" in Richtung Marktwirtschaft in den Koalitionsparteien zu charakterisieren, wenn auch nur ein einziger von uns in dieser prägnanten Form an die Autonomie der Bundesbank herangegangen wäre, wie Sie dies tun.
({12})
Das ist das, was Herr Strauß als „Doppelzüngigkeit" zu bezeichnen pflegt.
({13})
So geht es doch wohl nicht. Wenn früher der eine oder andere von uns auch nur gesagt hat „Wir müssen uns mit der Frage der Indexierung auseinandersetzen, weil es eine weltweite Diskussion darüber gibt" - dies hat der leider viel zu früh verstorbene Kollege Klaus Dieter Arndt getan -, sind Sie sofort eingestiegen: Aha, doch keine richtigen Marktwirtschaftler!
Das ist doch dann die Diktion, globale Verunglimpfung,
({14})
obwohl Sie sich in den Detailpositionen viel weiter von der Konzeption entfernt haben als irgendein anderer in diesem Hause.
({15})
Nichts, überhaupt nichts haben Sie dazu gesagt, wie sich denn z. B. dieses Konzept im Jahre 1974 ausnähme. Dann legen Sie es doch mal vor, dann rechnen Sie doch gefälligst einmal!
({16})
Dann werden Sie nämlich zu dem Ergebnis kommen, daß bei Anwendung dieses Konzepts die Lohnzuwächse im Jahre 1974 nicht geringer gewesen wären. Sie hätten aber mit dieser Indexautomatik nach meiner Überzeugung - Sie mögen ja anderer Meinung sein - in unser System eine Automatik eingebaut, die explosionsartigen Charakter bekommen hätte.
Lassen Sie mich noch etwas zu einem letzten Punkt sagen. Herr Dr. Barzel hat eine Passage aus der Regierungserklärung aufgegriffen, in welcher der Bundeskanzler gesagt hatte - ich zitiere wörtlich:
Um die Zunahme der Beschäftigtenzahl bereinigt stieg die Lohnquote von 1969 bis 1973 von 61 auf gut 63 %.
Auf die Verlesung des weiteren Zitats verzichte ich.
Herr Dr. Barzel sagte gestern, das sei die automatische Folge der Marktwirtschaft. Ich gehe auf diesen Punkt nicht ein, um hier rechthaberisch aufzutreten, sondern aus einem ganz anderen Grund, nämlich weil wir hier offensichtlich aneinander vorbei gesprochen haben. Diese Frage erscheint mir aber so wichtig, daß sie hier angeschnitten werden sollte.
Es geht nicht um diese Frage, sondern es ging um die Frage, wie sich die bereinigte Lohnquote entwickelt habe. Diese bereinigte Lohnquote, Herr Dr. Barzel, hat sich eben in der Tat in den Jahren 1960 bis 1970 - ich nehme nur diesen Zeitraum - praktisch nicht verändert. Das ist übrigens zwischen den wissenschaftlichen Forschungsinstituten unbestritten; wir haben diese Zahlen in der Konzertierten Aktion vorgelegt. Diese Quote schwankte zwischen 60,6 % im Jahre 1960 und 61,7 % im Jahre 1970. Sie fiel mal ein bißchen ab, sie stieg mal ein bißchen an; sie hat sich praktisch nicht verändert. Sie stieg dann seit 1971 an über 62,9 % auf 63 % und nochmals 63 %. Dies ist deswegen wichtig, weil sich hier gezeigt hat, daß zum ersten Mal seit über zehn Jahren in dem Verteilungskampf eine reale Veränderung der bereinigten Lohnquote stattgefunden hat. Dies hat der Bundeskanzler sagen wollen.
In der gleichen Zeit sind notabene - wie könnte es anders sein? - die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen - wiederum bereinigt - zurückgegangen. Das hat eine Reihe von Ursachen, auf die ich im einzelnen nicht eingehen möchte.
Der Bundeskanzler hat zu dieser Entwicklung der bereinigten Lohnquote gesagt: Dies war gut, dies haben wir gewollt. Dies war eben nicht eine automatische Folge, Herr Dr. Barzel! Allein im Jahre 1973 lag eine der Ursachen in den Daten, die am 9. Mai gesetzt worden sind. Ohne Stabilitätsabgabe und ohne Investitionsteuer wäre dies nämlich nicht das Ergebnis gewesen. Ohne diese beiden Belastungen der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen hätte sich nämlich eine andere Kurvenentwicklung ergeben, von der wir im Mai befürchtet haben, sie habe einen hohen Nachholbedarf an der Jahreswende 1973/74 produziert, der dann allerdings schwierig zu befriedigen gewesen wäre.
Aber auch darauf will ich nicht hinaus, sondern auf folgendes - und dies scheint mir wichtig zu sein -: Der Bundeskanzler hat dazu gesagt: Dies kann nicht immer so weitergehen. Und er hat in diesen Zusammenhang das Problem der Finanzierung der Wachstumsinvestitionen gebracht.
Unter Bezugnahme auf die Bemerkungen zur Arbeitslosenquote, über die ich zahlenmäßig gar nichts zu sagen habe - die ist bekannt, und es ist völlig unsinnig, so etwas zu bestreiten; die ist so --, möchte ich folgendes hinzufügen: In der Tat bin ich der Auffassung, daß sich eine Fülle ökonomischer, struktureller Probleme anders stellt als in den Jahren 1949 bis etwa 1930/31. Die explosionsartige Zunahme der Kosten für Rohstoffe einschließlich Mineralöl und der Gesamtkostenstandard der Wirtschaft haben dazu geführt, daß wir in einem relativ kurzen Zeitraum eine Arbeitsteilung in der gewerblichen Wirtschaft der Welt bekommen, wie wir sie uns bisher nicht - oder jedenfalls nicht alle - vorgestellt haben. Das bedeutet, daß Produktionen aus dem Inland ins Ausland verlagert werden, und das bedeutet, daß hohe Kasten für Umstellungsinvestitionen zugunsten arbeitssparender Investitionen in der Bundesrepublik zusätzlich zu den Kosten für Investitionen aufgebracht werden müssen, die erforderlich sind, um energiesparende Produktionen durchzuführen.
Es ist doch kein Zufall, daß im Jahre 1973 zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik in einem Boom die Arbeitslosenziffern gestiegen sind - in einem Boom! Das zeigt - und deswegen reden wir in den zwei Tagen an den Problemen vorbei -, daß in Wahrheit das Problem hoher Beschäftigungsstand, das früher primär ein konjunkturelles Problem war und daher auch mit Konjunktursteuerung, Prozeßsteuerung im wesentlichen gelöst wurde, sich zunehmend zu einem strukturellen Beschäftigungsproblem verändert hat.
({17})
Deswegen müssen wir auch andere Mechanismen einsetzen, um diese Probleme zu lösen.
Deshalb geht natürlich auch das Gerede über Konjunktur- und Beschäftigungsprobleme an der eigentlichen Zukunftsaufgabe vorbei. Ich finde das in dieser Debatte zu Beginn einer neuen Regierung traurig. Vielleicht beschäftigen Sie sich deswegen nicht so intensiv damit, weil Sie wohl der Überzeugung sind, das sei eine Übergangsregierung. Das habe ich soeben gehört. Nun, die Osterreicher sagen: Nichts hält länger als ein Provisorium! Auch ich bin davon überzeugt, daß dieser Satz richtig ist.
({18})
Aber selbst wenn Sie recht hätten, hätten Sie doch allen Anlaß, sich auch mit Zukunftsfragen zu beschäftigen und nicht wiederum von der Hand in den Mund zu leben und die Ereignisse des Frühjahrs 1974 als die absoluten zu nehmen. Sie sollten sehen, daß in Wahrheit die Umstrukturierung unserer Volkswirtschaft, die wir ohnehin hätten vornehmen müssen, durch die veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen der letzten sechs Monate einen besonderen Akzent bekommen hat und - das gebe ich zu - dadurch unendlich schwieriger geworden ist. Das entschuldigt keine Regierung, wenn sie damit nicht fertig wind; aber sie muß wenigstens eine Konzeption dafür haben, und die hat sie.
Sie müssen bereit sein, in diesen Dialog einzusteigen, wenn Sie sagen, Sie seien kooperationsbereit, und dürfen sich nicht an vordergründigen Kurzarbeiterzahlen aufhalten. Sie wissen doch genauso gut wie wir, daß allein die Automobilindustrie den größten Teil der Kurzarbeiterzahlen stellt. Auch wissen Sie genauso gut wie wir, ,daß absehbar war, daß irgendwann einmal ein solches Maß an Marktsättigung erreicht sein werde, daß normale konjunkturelle Aufschwung- und Abschwungkurven stärker durchschlagen als in der Vergangenheit. Ich will auch hier nicht schwarzmalen. Ich bin überzeugt davon, daß die deutsche Automobilindustrie mit den Problemen fertig wird. Sie hat die Notwendigkeit der weltweiten Arbeitsteilung von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich früh erkannt. Das größte Unternehmen hat diese Notwendigkeit jetzt sicher auch erkannt.
Herr Kollege Dr. Strauß, ich darf mir nur noch eine Bemerkung zu Ihnen erlauben. Ihre polemische Bemerkung, das Bundeskartellamt dieser Regierung befasse sich zwar mit VW, aber nicht mit der Bundespost, kann ich nur mit zwei Hinweisen beantworten: Erstens. In der Sache pflege ich diesem Amt keine Weisungen zu geben, weil es eine selbständige Behörde ist. Vielleicht haben wir auch hier ein unterschiedliches Verständnis von Marktwirtschaft.
({19})
Zweitens. Die Tatsache, daß sich das Bundeskartellamt der Preispolitik der Bundespost nicht annimmt, beruht darauf, daß das Gesetz ihm das verbietet. Ich habe nicht die Absicht, gesetzeswidrige Weisungen zu geben, selbst wenn ich es könnte.
({20})
Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Wenn Sie sich nicht bereit finden, meine Damen und Herren, von der Diskussion unserer Ordnung her in die Strukturpolitik einzusteigen, und zwar in einer anderen Form, als es der Vorsitzende Ihrer Fraktion gestern hier versucht hat, nämlich in einer Form, bei der wir wissen müssen, welche Strukturen wir in diesem Lande aufrechterhalten wollen, welche wir welcher Veränderung bewußt zuführen wollen, dann, sage ich Ihnen, tragen Sie jedenfalls keine Verantwortung dafür, daß auch 1980 - denn in so langfristigen Prozessen vollziehen sich derartige Wandlungen - in diesem Lande ein qualitativ hohes Niveau an Arbeitsplätzen in Arbeitsteilung mit anderen Ländern dieser Erde vorhanden ist.
Ich empfinde es geradezu als merkwürdig, daß Sie, wenn dieser Strukturwandlungsprozeß gesehen, bewußt gesteuert und versucht wird, ihn so friktionslos wie möglich zu machen, wobei die Ereignisse in Italien die Lage nicht erleichtert haben, auf der anderen Seite jede Gelegenheit benutzen, um in den Regionen, in denen Betriebe sitzen, die von diesem Wandel besonders betroffen werden, eine so bewußt durchgeführte Strukturpolitik schlicht und einfach zu verteufeln. Meine Damen und Herren, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn immer mehr Leute auf die Idee kommen, daß Ihnen an einem bestimmten Quentchen Angst vielleicht doch gelegen sein könnte.
({21})
Denn der frühere Bundesgeschäftsführer einer politischen Partei weiß, wo mitunter die Wahlmotivationen zu suchen sind.
Nehmen Sie die Verantwortung, die Sie für 1980 tragen, etwas ernster als die Opportunitäten des Frühjahrs 1974!
({22})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich die wohltuend sachlichen, präzisen Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers den Beiträgen der Herren von der Opposition, die wir gestern und heute gehört haben,
gegenüberstelle, muß ich auf den Schlußsatz zurückkommen, den mein Kollege Graf Lambsdorff gestern abend in einer Wertung des Beitrags des Führers der Opposition formuliert hat, indem er - Winston Churchill zitierend - sagte: „A good man on the wrong place." Wenn ich das rekapituliere, was von den Oppositionssprechern vorgebracht wurde, so muß ich dieses Wort, bezogen auf die gesamte CDU/CSU, umkehren und hier feststellen: Die CDU/ CSU sitzt auf dem richtigen Platz, nämlich auf dem Platz der Opposition.
({0})
Sie hat sachliche Alternativen in den Diskussionsbeiträgen von gestern nachmittag 15 Uhr bis heute kurz vor 13 Uhr nicht gebracht. Sie ist nicht bereit, Fakten anzuhören, sondern geht an den Fakten, den Realitäten dieser Wirtschaft vorbei. Da sie auch einen Kanzlerkandidaten immer noch nicht zu bieten hat, bleibt der richtige Platz für sie der der Opposition.
({1})
Wenn ich das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister jetzt gesagt hat, richtig interpretiere, wird sie auf diesem Platz auch noch sehr lange bleiben und dort dann vielleicht auch Opposition lernen; denn so kann man mit einer Regierungserklärung, wenn man Faktenkritik treiben und sich nicht in verbalen Appellen erschöpfen will, sicherlich nicht umgehen.
Lassen Sie mich einige der Gemeinsamkeiten der verschiedenen Oppositionsredner, die ja merkwürdig groß waren - nicht groß in den Fakten, aber groß in der übereinstimmenden nicht zutreffenden Kritik -, herausholen. Herr Strauß hat hier in einer nicht näher definierten und auch nur bei einem Hauch ökonomischer Kenntnis nicht vertretbaren Weise davon gesprochen, daß die, wie er es nannte, Importkomponente der Inflationsraten letzten Endes durch uns selbst hervorgerufen würde. Genau diese unpräzise und ökonomisch nicht beweisbare Aussage findet sich auch, von Herrn Carstens gemacht, im „Deutschland-Uniondienst" vom 22. April 1974,
({2})
- die Widerlegung kommt, Herr van Delden, nur nicht so eilig - wo er behauptet,
({3})
daß die Bundesrepublik die Inflation in ihre Außenhandelspartnerländer exportiere. Verehrter Herr Carstens, ich wäre außerordentlich dankbar - und vielleicht kann Herr Strauß auch dazu beitragen, denn er hat es ja mit anderen Worten wiederholt -, wenn mir dieses Geheimnis verraten würde, wie die Volkswirtschaft mit den niedrigsten Preis- und damit auch mit den niedrigsten Kostensteigerungsraten im Vergleich zu all ihren Handelspartnern auf Grund dieses niedrigsten Niveaus Inflation in jene Länder mit höheren Preis- und Kostensteigerungsraten exportieren soll. Wie das ökonomisch vor sich gehen soll, hätte ich gern einmal von einem der Herren der Opposition erklärt bekommen.
Dieses Hinweggehen über ökonomische Fakten kennzeichnet eine Vielzahl von Beiträgen, und es ist hier allen Ernstes die Frage zu stellen, ob dieses Hinweggehen über Fakten wirklich nur ökonomischer Unkenntnis entspringt oder ob es sich hier um das handelt, was Franz Josef Strauß in Beantwortung eines Zwischenrufs meines Kollegen von Bülow als „bodenlose Leichtfertigkeit" bezeichnet hat. Ich neige dazu, diese Art der Diskussion eher mit bodenloser Leichtfertigkeit zu bezeichnen.
Man muß auch noch einmal darauf zurückkommen, was Herr Carstens gestern abschließend zur Regierungserklärung gesagt hat. Herr Carstens hat dort von der tiefen Verunsicherung und davon gesprochen, daß die Bundesregierung unser Land in eine Krise geführt hätte. Daran schließt sich der Satz an, verehrter Herr Kollege Carstens, den ich noch einmal wiederholen darf: „Wir werden darauf drängen, daß die deutsche Politik wieder zu Nüchternheit und Augenmaß, zu Solidität und Stabilität zurückkehrt."
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- Ich habe mir dann die Mühe gemacht, Herr van Delden, nicht nur vom Zuhören her, das Manuskript von Herrn Carstens durchzugehen, das hinterher verteilt wurde, und dieses auf jene Maßstäbe der Nüchternheit, des Augenmaßes und der Solidität durchzuforsten. Es blieb leider kein Abschnitt übrig, auf den man diese hohen und, wie ich glaube, richtigen Wertmaßstäbe hätten anwenden können.
Der Bundeswirtschaftsminister hat schon im Detail in einem Punkt, der weder Solidität noch Augenmaß noch Nüchternheit bewiesen hat, hier den Hinweis auf frühere Preissteigerungsraten widerlegt. Diesen Punkt kann man sicher dem Fraktionsvorsitzenden nicht übelnehmen. Aber, Herr Carstens, Sie sollten sich doch von Ihren Referenten diese Statistiken einmal vorlegen lassen, damit Sie in Zukunft nicht mehr solche Behauptungen in die Welt stellen.
Es gibt einen weiteren Punkt darin, der hier einfach um der Redlichkeit willen angesprochen werden muß, nämlich den, wo Sie mit drastischen Bezeichnungen darauf hinweisen, daß die bäuerlichen Betriebe in einem Existenzkampf stehen -- und dann kommt ein Halbsatz aus Ihrer Rede - „wie zu keiner Zeit der von der CDU/CSU getragenen Bundesregierungen". Ich richte auch hier die herzliche Bitte an den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, sich einmal die Agrarberichte 1973 und 1974 vorlegen zu lassen, wo Einkommensteigerungen für die Landwirtschaft in einer Höhe von einmal 35 % und einmal 22 % verzeichnet sind. Auch der Planungsstab der CDU hat ja wohl nie behauptet, daß in der Landwirtschaft Kostensteigerungen in dieser Größenordnung eingetreten wären.
Wäre es möglich, hier mit der Opposition tatsächlich zu etwas mehr Nüchternheit, zu etwas mehr Augenmaß und Solidität zu kommen, dann wäre es auch um die ökonomische Diskussion in diesem Lande besser bestellt.
Die Kollegen Franz Josef Strauß, Carstens und Barzel haben trotz des erdrückenden statistischen Materials über den Einfluß der WeltpreissteigeDr. Ehrenberg
rungsraten auf die deutsche Situation immer wieder das alte Stichwort von der hausgemachten Inflation gebracht, allerdings ohne den Nachweis zu führen, woher die angeblich hausgemachte Inflation kommt.
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Wie verhält es sich nun mit dem Kooperationsangebot, von seiten der Opposition tatsächlich zu konkreter Stabilitätspolitik beizutragen? Ich erinnere - darauf hat hier auch eben der Bundeswirtschaftsminister verwiesen - an das massive Stabilitätsprogramm, das die Bundesregierung eingeleitet und mit Erfolg durchgeführt hat. Herr Barzel und Herr Carstens, vor dem Hintergrund dieses Programms wird bei den Haushaltsberatungen heute nachmittag und morgen Gelegenheit gegeben sein, Ihre Kooperationsbereitschaft zu beweisen. Ich bin gespannt darauf, wieviel Ihrer haushaltsaufblähenden Anträge Sie nach diesem Angebot morgen nun nicht stellen werden. Wir werden es erleben.
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Der Uhrzeiger geht auf die Mittagszeit zu. Darum ist es nötig -
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- Herr Carstens, soll ich Ihre Nüchternheit, Ihr Augenmaß, Ihre Solidität noch länger strapazieren? Das würde ich Ihnen ungern antun. Aber ich könnte es, wenn Sie Wert darauf legen.
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- Herr Barzel, Ihnen muß ich doch auch noch ein wenig Zeit widmen können. Wir können doch nicht alles Herrn Carstens überlassen.
Ich glaube, daß es notwendig und nützlich ist, hier auf zwei Fakten hinzuweisen. Zum einen haben Sie, Herr Barzel, sich gestern doch recht intensiv damit beschäftigt, in dieser Regierungserklärung geistige Aussagen zu vermissen. Sie haben dabei auch auf den französischen Wahlkampf hingewiesen. Da Sie - wie wir alle - den französischen Wahlkampf sicher sehr aufmerksam verfolgt haben, ist es doch auch zu Ihrer Kenntnis gelangt - vielleicht hätten Sie es hier sogar sagen können -, mit welcher Intensität beide Spitzenkandidaten für das höchste Staatsamt in Frankreich auf deutsche wirtschaftspolitische Erfolge hingewiesen haben. Sie haben sich gegenseitig sogar beschuldigt, nicht genug dem Vorbild der deutschen Wirtschaftspolitik zu folgen. Sie haben versprochen, nach gewonnenem Wahlkampf in Frankreich nach dem Muster der deutschen Wirtschaftspolitik Stabilitätspolitik zu betreiben.
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Dies ist ein Faktum, das man in der Bundesrepublik allein deshalb zur Kenntnis nehmen muß, weil es zu guten Hoffnungen berechtigt, in der neuen Ara in Frankreich dann auch in Europa wieder zu mehr gemeinsamer Wirtschaftspolitik zu kommen, für die die deutsche Wirtschaftspolitik nun wirklich ein gutes Beispiel bietet.
Ich kann es Ihnen auch nicht ersparen, noch ein wenig darauf hinzuweisen - ich weiß, daß Sie das ungern hören -, um wieviel anders als hier von der Opposition die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik draußen von anderen Leuten beurteilt wird. Das „Handelsblatt", das sicher nicht im Verdacht steht, eine sozialdemokratische Zeitung zu sein, hat am 14. Mai 1974, also schon nach dem Regierungswechsel hier, eine Umfrage bei den Chefs der hundert größten amerikanischen Unternehmen und Banken durchgeführt und nach den wirtschaftlichen Aussichten der Bundesrepublik gefragt. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitiere ich die Aussage von Herrn Gerstenberg, Chairman von General Motors, wörtlich:
Das Beispiel des letzten Jahres, wo die Inflationsrate in Westdeutschland im Vergleich zu den anderen bedeutenden Exportnationen in erstaunlichem Maße niedriggehalten werden konnte, zeigt, daß wir weiterhin auf die Bundesrepublik setzen können.
Und der frühere amerikanische Finanzminister, Herr Fowler, sagt:
Auch Wallstreet bleibt von der westdeutschen Stabilitätspolitik beeindruckt.
Daß das nicht nur leere Worte sind, können Sie in einer Zeitschrift nachlesen, die wiederum nicht in Verdacht steht, den Sozialdemokraten nahezustehen, nämlich der „Wirtschaftswoche", wo in der vergangenen Woche nüchtern gemeldet wurde, daß ausgerechnet 1973 die ausländischen Direktinvestitionen in der Bundesrepublik den Rekordstand von 6,1 Milliarden DM erreicht haben. Und es heißt dann in dieser Zeitschrift weiter:
Ausländische Unternehmen investieren in der Bundesrepublik mehr als je zuvor trotz Mitbestimmung, Steuerreform und Kartellrechtsnovelle.
Allein diese Tatsache, das Vertrauen, das potente ausländische Investoren in die Entwicklung der deutschen Wirtschaft haben, sollte doch vielleicht auch auf den Oppositionsbänken zum Nachdenken darüber anregen, ob Sie sich nicht einer objektiveren, einer realistischeren Betrachtungsweise der deutschen Wirtschaftssituation zuwenden wollen.
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- Zu diesen Arbeitslosen hat der Bundeswirtschaftsminister genau das gesagt,
({11})
was notwendigerweise zu sagen war: daß es sich hier um strukturelle Erscheinungen handelt, nicht um konjunkturelle. Diese strukturellen Erscheinungen werden um so besser zu überwinden sein, je mehr wir das, was vor Weihnachten 1973 eingeleitet worden ist, nämlich das konjunkturpolitische Instrumentarium zu differenzieren und zu regionalisieren, fortsetzen.
Nicht ohne Grund steht in der Regierungserklärung ausdrücklich ein Kapitel, das die Überschrift
trägt: „Modernisierung der Wirtschaft". Diese Modernisierung der Wirtschaft, die notwendig ist, um zu einer technisch intelligenteren, kapitalintensiveren und damit mehr in die arbeitsteilige Welt passenden Produktion zu kommen, wird in den nächsten Jahren zu Recht das Hauptaugenmerk der Wirtschaftspolitik erfordern. Dazu wird es notwendig sein, die Strukturpolitik sehr viel mehr als bisher in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik zu rücken.
Aber die Regierungserklärung sagt auch sehr deutlich und meiner Meinung nach zu Recht, daß diese marktwirtschaftlich, aber sozial gebundene Wirtschaftsordnung, wie wir sie in der Bundesrepublik haben und in der wir in den letzten Jahren den Grad der Sozialbindung ständig verbessert haben, die leistungsfähigste aller Wirtschaftsordnungen ist. Es wird sehr darauf ankommen - die Regierungserklärung bietet genügend Ansätze dazu -, daß die marktwirtschaftliche, aber sozialgebundene Wirtschaftsordnung unter Verbesserung der staatlichen Datengesetzgebung, unter einem enger gezogenen Datenkranz und unter der schrittweisen Ausweitung der Sozialbindung - dazu gehört auch die paritätische Mitbestimmung, dazu gehört auch die qualifizierte Berufsausbildung, dazu gehört eine lange Reihe von mehr Komponenten, die in betonter Nüchternheit in der Regierungserklärung angesprochen sind - noch mehr gefestigt wird.
Vor der Schlußrunde der Debatte über diese Regierungserklärung, nach den Beiträgen der Opposition und dem, was von den Regierungsparteien und von der Regierungsbank her geleistet wurde, kann man abschließend nur feststellen: Diese ausbaufähige und leistungsfähige Wirtschaftsordnung wird in der Bundesrepublik zur Zeit nur von zwei Parteien vertreten. Die sozialliberale Koalition wird dazu beitragen, diese Wirtschaftsordnung weiter zu tragen. Von der Opposition wurde bisher - aber ich hoffe, Herr von Bismarck, das kommt noch; Sie haben sich ja noch zu Wort gemeldet - nichts dazu beigetragen.
({12})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die Geschäftslage zwingt uns dazu, auf die Mittagspause zu verzichten. Wir tagen durch, so daß wir in etwa um 14 Uhr mit dem nächsten Punkt der Tagesordnung beginnen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich trage keine Schuld daran, daß Sie hungern müssen. Das möchte ich ausdrücklich feststellen. Aber da heute morgen noch kein Vertreter meiner Fraktion gesprochen hat, bitte ich um Verständnis, daß ich auch noch Ihre Aufmerksamkeit für einige Zeit in Anspruch nehme.
Ich hatte mich an sich gefreut - das ist ja ein gemeinsames Schicksal aller Kollegen aus den drei Fraktionen -, nach monatelanger Verbannung in den Haushaltsausschuß für die Etatberatung, die uns zur ständigen Abwesenheit vom Plenarsaal zwingt, hier mal wieder mit dem Kollegen Strauß debattieren zu können. Nur muß ich sagen: Inhalt und Qualität seiner Ausführungen mindern leider erheblich dieses Vergnügen.
({0})
Dabei ist ja doch noch ein Unterschied, den man offen zugeben sollte, Herr Kollege Strauß, zwischen Ihnen als anerkanntem wirtschaftspolitischem Sprecher und Wirtschaftsfachmann Ihrer Fraktion und der nationalökonomischen Laienspielschar, die gestern abend hier für ihre Fraktion aufgetreten ist, was gar kein Vorwurf, sondern eine Feststellung ist. Was von den Kollegen Barzel und Carstens hier an wirtschaftlich Falschem gesagt worden ist, kann man allenfalls als fahrlässig bezeichnen. Was der Kollege Strauß, wie üblich, dazu an Falschem gesagt hat, muß dann schon bei seinen Kenntnissen der wirtschaftlichen Zusammenhänge als Vorsatz gekennzeichnet werden. Denn er muß wissen, was er Falsches sagt, wenngleich sicherlich durch die größere Durchsetzgeschwindigkeit seines Redeflusses sich davon auch manches sehr schnell wieder verliert.
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- Ich komme schon zur Sache. Ich will auch einiges weglassen, eben im Interesse eines schnelleren Ablaufs dieser etwas verzögerten Debatte.
Herr Strauß, Sie haben unter anderem, an die FDP gerichtet, hier einiges noch einmal aufgewärmt aus dem Jahre 1966. Ich war damals noch nicht in diesem Hause. Aber ich weiß mich genau zu erinnern, daß das Ihre damalige Politik, die Meinung Ihrer damaligen Führung war: Wenn nicht über dieses Problem, das dann der Anlaß wurde, die damalige Koalition gebrochen wäre, Herr Barzel, dann wäre es das nächste Problem gewesen. Das war von Ihnen doch bewußt so aufgebaut. Die Zwischenfrage meines Kollegen Lambsdorff gestern abend traf durchaus den Kern der Sache. Im übrigen ist die Situation von 1966 mit 1974 auch unter diesem Aspekt nicht zu vergleichen. Wir hatten keinen Anlaß, die Koalition zu beenden. Wir hatten keinen Anlaß, die Koalition zu wechseln. Was Sie uns an Sorge um unser Seelenheil hier vielleicht unterschwellig suggerieren wollten - dazu kann ich nur sagen: die FDP fühlt sich heute in ihrer politischen Handlungsfähigkeit freier als je zuvor in der Vergangenheit.
({2})
Herr Strauß, Sie haben sehr lange über den Rücktritt des bisherigen Bundeskanzlers gesprochen. Dabei sind Ihnen, wenn ich das richtig verfolgt habe, einige Freudsche Fehlleistungen unterlaufen. Ich denke zunächst an die Passage über einen der Nachrichtendienste. Ich habe im Moment nicht die Absicht, auf diese Themen hier weiter einzugehen. Sie haben merkwürdigerweise - das ist wohl eine zweite Freudsche Fehlleistung - zunächst die Behauptung in den Raum gestellt, dieser Rücktritt sei eine Folge des Scheiterns der Politik, und dann haben Sie 20 Minuten lang über einen bestimmten
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 102. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 21. Mai 1Q74 6723
Fall gesprochen. Dieser Zusammenhang in Ihrer Rede ist meiner Ansicht nach eine echte Freudsche Fehlleistung.
Ich will jetzt nicht auf Ihre erneute Ermunterung an die Gewerkschaften eingehen, die Sie noch dazu mit falscher Argumentation verbunden haben. Ich komme dann, wenn ich an den Kollegen Katzer einige Worte zu richten habe, noch einmal darauf zurück. Ich meine, daß man bei tarifpolitischen Auseinandersetzungen nicht immer nur wie das Kaninchen auf die Schlange ganz starr auf den Zeitraum von 12 Monaten blicken darf, sondern daß man hier auch einmal mittelfristige Betrachtungen berücksichtigen muß.
Es ist absolut nicht unsere Absicht, die Steuerreform Anfang Juni in diesem Hause in zweiter und dritter Lesung zu behandeln, weil da nun zufällig am 9. Juni Landtagswahl in Niedersachsen ist, sondern weil das der notwendige Termin ist, um ein Inkraftsetzen zum 1. Januar 1975 sicherzustellen,
({3})
zumal wir ja auch noch einiges, ich will mal sagen, an Rücklaufschwierigkeiten mit dem Bundesrat in diesem Zusammenhang wohl zu erwarten haben werden.
Es ist natürlich auch falsch, Ihr Antiinflationsgesetz oder Inflationsentlastungsgesetz, Entschuldigung, als eine Alternative zur Steuerreform zu betrachten. Das ist ja keine Steuerreform, was Sie wollten, sondern das war und ist ein Mittel zur Verhinderung der Steuerreform.
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Deshalb konnten wir diesem Weg nicht folgen. Deshalb ist auch die Argumentation falsch, das eine, was man am 1. Januar tun werde, könne man ja schon am 1. Juli tun. Das ist eben etwas Verschiedenes. Das wird sich in der Debatte über diesen Punkt noch näher herausstellen.
Herr Minister Friderichs hat hier eine der ständig falschen Behauptungen der Opposition in wirtschaftspolitischen Fragen aufgezeigt. Es ist die nicht erst heute vorgetragene, sondern ständig wiederholte Behauptung, daß die Bundesrepublik in den 20 Jahren, da die CDU/CSU die Regierung geführt habe, immer das Schlußlicht der Preisentwicklung gewesen sei. Das haben wir Ihnen auch 1972 schon gesagt. Ihre Behauptung war damals so falsch, wie sie es heute ist. Ich will es jetzt nicht vertiefen.
Gestern, glaube ich, hat in der Auseinandersetzung auch die Frage der zu späten Gegensteuerung eine Rolle gespielt. Ich glaube, Sie, Herr Barzel, sind es gewesen, der gesagt hat, daß damals bei der Aufwertung das ergänzende Programm gefehlt habe. Ich darf Sie daran erinnern, welche Stellung Sie und insbesondere auch der Kollege Strauß zur Frage der außenwirtschaftlichen Absicherung eigentlich immer eingenommen haben. Kollege Strauß hat sich eigentlich nur dahin gehend betätigt, durch unbedachte Äußerungen neue Spekulationen über eine nächste deutsche Aufwertung anzuregen. Mehr Konstruktives hat er in dieser Frage jedenfalls nicht getan. Wenn ich mir einmal das Gedankenspiel erlauben darf, Sie hätten 1969 unglücklicherweise die absolute Mehrheit erhalten und in diesem Land weiter regiert, dann muß man fast zu der Vorstellung kommen, daß die Bundesbank heute den Dollar noch immer zu 4 DM kaufen müßte.
Kein Zweifel kann daran bestehen, daß die Stabilitätspolitik im Spätsommer /Frühherbst Erfolge erzielte bis zum Aufkommen von Schwierigkeiten, die hier wiederholt besprochen worden sind. Ich denke an die Frage der Ölversorgung und die überbordenden Tarifabschlüsse zu Beginn dieses Jahres.
Wir werden heute nachmittag und insbesondere im Rahmen der dritten Lesung des Haushalts über die Rolle der Haushalte als konjunkturpolitisches Instrument des näheren zu sprechen haben. Ich habe dem, was ich hier in den letzten Jahren wiederholt zum Ausdruck gebracht habe, nichts hinzuzufügen. Aber lassen Sie mich schon in diesem Zusammenhang vielleicht eines sagen. Die Ausblicke, die in der Regierungserklärung auf die Haushaltsgestaltung des Jahres 1975 für Bund, Länder und Gemeinden enthalten sind, sind kein Widerspruch zu der bisherigen Haushaltspolitik. Denn was wir ab 1975 machen müssen, ist ja gar nicht das Ziehen einer stabilitätspolitischen Konsequenz, sondern die einnahmepolitische, finanzpolitische Konsequenz aus den Folgen der Steuerreform, über die wir, wie gesagt, Anfang Juni hier noch im einzelnen sprechen werden.
Stabilitätspolitisch ist das irrelevant. Es gibt aus viereinhalb Jahren einen einzigen Satz des Kollegen Strauß, dem ich voll zugestimmt habe. Er sagte nämlich einmal in der Debatte über die Regierungserklärung 1973 sehr deutlich: Nachfrage ist gleich Nachfrage; das ist stabilitätspolitisch das gleiche. Bei der Beratung des Haushalts 1975 wird der Ort sein - hier ist kritisiert worden, daß die Regierungserklärung da nichts Genaues enthält -, die Frage zu entscheiden, wo und in welchem Umfang Einsparungen möglich und nötig sind. Das hängt ja auch noch von dem Ausgang der Verhandlungen mit den Ländern in, wie ich hoffe, voller Ausschöpfung der Revisionsklausel ab. Wie gesagt, auf diese Dinge können wir bei den Haushaltsberatungen des näheren zurückkommen.
Graf Lambsdorff hat gestern dem Kollegen Carstens - er ist, glaube ich, nicht da - eine Reihe von wirtschaftspolitischen Fehlleistungen vorgehalten. Mir ist eine davon noch vorige Woche aufgefallen. Sie zeigt evident, wie leichtfertig hier dahingeredet wird. Kollege Carstens hat am vergangenen Freitag u. a. erklärt, daß es, als die sozialliberale Regierung 1969 ihr Amt antrat, in diesem Land keine öffentlichen Schulden gegeben habe. Ich frage mich nur, ob derjenige, der so etwas sagt, oder derjenige, der dem, der es sagt, dies aufschreibt, ein einziges Mal einen Blick in die Monatsberichte der Deutschen Bundesbank getan hat. Ich zitiere die, weil die bei den Kollegen der Opposition sicher unverdächtig sind. Aus ihnen können Sie ganz klar ersehen, wie der Schuldenstand des Bundes Ende
1969 war: rund 45 Milliarden DM. Das war in vier Jahren ein Wachstum von 12 Milliarden DM,
({5})
heute haben wir in den vergangenen vier Jahren ein Wachstum von ungefähr 11 Milliarden DM, also genau dieselben Größenordnungen. Auf die Differenzierung, die Art der Verschuldung will ich hier erst gar nicht weiter eingehen.
Nun hat der Kollege Katzer heute morgen einiges gesagt, was auch nicht unerwidert bleiben darf. Zunächst zur Einkommensentwicklung.
Auch hier würde ich ihn doch bitten, nicht immer so daherzureden, sondern sich, bevor er redet, die Zahlen - auch hier wieder Zahlen, wie sie sich in den Berichten der Deutschen Bundesbank finden - einmal anzusehen. Ich will Ihnen die ganze Reihe jetzt nicht vorlesen; lesen Sie das einmal nach, und zwar im März-Bericht 1974 der Deutschen Bundesbank, Seite 69, Herr Katzer. Da können Sie die Entwicklung der Masseneinkommen - genau unterteilt nach Nettolöhnen und -gehältern, nach Renten und Beamtenpension - verfolgen. Und dann werden Sie feststellen, daß wir in den letzten Jahren einen ständigen, erheblichen Anstieg der Masseneinkommen, der Nettoeinkommen - trotz der schleichenden Steuererhöhung - gehabt haben,
({6})
so z. B. auch noch im Jahre 1973 von 8,7 % und 1972 von 9,1 %.
({7})
Ich empfehle Ihnen, die Zahlen für die Masseneinkommen nachzulesen.
Sie sind infolge der Rentenwirkung noch viel größer.
({8})
Selbst wenn Sie davon dann die Preissteigerungsrate abziehen, haben Sie die reale Einkommensteigerung, die Sie hier leugnen.
({9})
- Nun sagen Sie: Reden Sie mit den Leuten! Einiges, was Sie hier gesagt haben, ist durchaus nicht unbekannt. Aber, Herr Katzer, wenn wir das einmal genau untersuchen, kommt da nicht eben auch zum Ausdruck, daß die Ansprüche, die der einzelne an seinen Lebensstandard stellt
({10})
- nicht nur an den Staat, sondern auch an sich selbst, so erheblich gestiegen sind,
({11})
daß zur Aufrechterhaltung dann die Folgen eintreten müssen, von denen Sie hier heute morgen gesprochen haben?
({12})
Das heißt also nicht eine Minderung des Lebensstandards, sondern trotz allem eine ständig weitersteigende Entwicklung des Lebensstandards.
Herr Katzer, ganz kurz zur Frage der Mitbestimmung. Es ist schlecht, wenn man vorher ausgearbeitete Reden so abliest, wie sie ausgearbeitet sind,
({13})
und die Debatte nicht berücksichtigt. ({14})
Kollege Mischnick hat hier gestern sehr deutlich etwas zur Mitbestimmung gesagt,
({15})
was ich hier nicht zu wiederholen brauche. Die erste Lesung kommt, dann werden wir uns darüber unterhalten. Sie haben die Frage gestellt, wo wir denn waren. Nun, wir waren dabei, sonst hätte es diesen Gesetzentwurf nicht gegeben, und es hätte ihn nicht so gegeben; das wissen Sie genau, Herr Katzer. Und es hätte ihn nicht gegeben, wenn wir nicht der Überzeugung wären, daß er, so wie er ist, absolut vertretbar und absolut systemkonform ist. Das sei Ihnen hier noch einmal gesagt.
({16})
Es wird im Zusammenhang mit der Mitbestimmung und auch der Vermögensbildung, auf die ich dann doch noch einmal ein paar Worte verwenden muß, damit hier keine Unklarheiten entstehen, draußen im Lande von Ihnen und anderen wieder eine Stimmung erzeugt, die man unter das Motto „Untergang des Abendlandes" stellen kann. Das gehört auch zur großen Angstkampagne. Das haben wir auch schon einmal erlebt, als wir 1971 das Betriebsverfassungsgesetz novellierten. Auch da ging alles unter. Und heute geht alles wunderschön weiter.
Sehr dankbar bin ich Ihnen, Herr Kollege Katzer, für das, was Sie zum Wahlrecht gesagt haben; das haben wir ganz gern gehört. Nicht daß wir irgendwelche Sorgen hätten: aber was Sie hier gesagt haben, gibt uns doch die Gewißheit, daß die Hoffnung auf Einsicht bei Ihnen nicht immer und in allen Dingen unendlich vergebens sein muß.
({17})
Was die Frage des Übergangskabinetts angeht, so ist darüber auch schon gesprochen worden. Immerhin dauert diese Legislaturperiode noch zweieinhalb Jahre. Und eines hat sich durch alle Ereignisse der letzten Wochen und Monate nicht geändert - und das unterscheidet diese LegislaturperioKirst
de in ihrer Qualität ganz entscheidend von der 6. Legislaturperiode -: die stabilen Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause, Sie werden sich auch nicht ändern. Damit haben Sie zu leben. Wir können damit leben.
({18})
Die Regierungserklärung als Bilanz, Zwischenbilanz ist hier gestern abend vom Kollegen Barzel kritisiert worden. Ich meine, das war eine saubere Bilanz, die jedes Testat - wenn ich das im Vergleich sagen darf - des Wirtschaftsprüfers, wenn es das in diesem Sinne hier gäbe, bekommen würde.
Das gilt insbesondere auch für die Frage der Reformen. Auch hierzu hat Kollege Arendt - wir haben eine ungeheuer tüchtige Regierung, die fast die ganze Debatte ohne Hilfe der Koalitionsfraktion bestreitet - heute morgen schon einiges gesagt, was ich selbst wohl auch vor zwei Jahren schon einmal gesagt habe: daß man hier unterscheiden muß zwischen den verschiedenen Fertigungsstufen der Regierungsarbeit: Fertigprodukte - das sind die in großer Zahl schon verabschiedeten Gesetze -, Halbfabrikate in parlamentarischer Beratung und Rohstoff, der noch in Vorbereitung ist.
Es gibt einen Punkt, der in diese Kategorie nicht paßt: das ist das Thema der Vermögensbildung. Ich würde es in diesem Vergleichsbild als ein Entwicklungsvorhaben bezeichnen. Wir sind uns immer darüber im klaren gewesen, daß es sich hier um ein gesetzgeberisches Neuland handelt, aber die Regierungserklärung sagt sehr deutlich - wir sind damit völlig einverstanden, und wir haben das auch so gewünscht -, daß die Arbeiten an diesem Entwicklungsprojekt, wie ich es einmal bezeichnen möchte, nicht eingestellt, sondern ganz gründlich und intensiv in der dargestellten Form fortgesetzt werden, und wir haben keinen Anlaß, davon abzurücken.
Ich will gar nichts herumdeuteln an dem, was hier zum 624- alias 312-Mark-Gesetz gesagt worden ist. Ich will die positive Bewertung nicht zurücknehmen, die hier gestern von allen Seiten erfolgt ist. Aber, meine Damen und Herren, wir dürfen nicht vergessen, daß es sich hierbei doch um eine Vermögensbildung weitgehend durch Steuerzahler und Verbraucher handelt. Wer die Zusammenhänge dieses Gesetzes kennt, wird dieser Feststellung nicht widersprechen können. Dasselbe gilt für den Burgbacher-Plan, der im übrigen noch absolut mittelstandsfeindlich ist, was vielleicht draußen im Lande manchmal von Ihnen verschwiegen wird, aber da haben Sie ja schon gute Erfahrungen mit dem ersten Kindergeldgesetz usw. gehabt, wie Sie so etwas mittelstandsfeindlich machen.
({19})
Ich meine, wir müssen auch die Grenzen sehen, die einer Vermögensbildung dieser Art, d. h. auf dem Wege über Preise und über nichtgezahlte Steuern, also indirekt auf dem Wege über die Steuerzahler, über die Haushalte, ganz abgesehen von den damit verbundenen Prämien, gesetzt sind. Was wir hier vorhaben und wovon wir, wie gesagt, keinen Grund haben abzurücken, das hat eine andere Qualität. Ich würde sagen, um es einmal in einen technischen Vergleich zu bringen: das 624-MarkGesetz und unsere Vorstellungen, die wir weiter verfolgen werden, unterscheiden sich wie ein Propellerflugzeug und ein Überschallflugzeug.
({20})
Schließlich - meine Damen und Herren, ich will es recht kurz machen - doch noch ein paar wenige Worte zu der Position der Opposition, zu ihrer hier heute auch schon angesprochenen Taktik der Angst. Das ist ja nichts Neues. Ich behaupte, daß die Wahlerfolge der Opposition seit Gründung der Bundesrepublik von Anfang an weitgehend ein Lohn der Angst gewesen sind. Sie haben immer Angstgefühle geweckt und sie dann in Stimmen umgesetzt. Damit Sie nicht meinen, daß das nun ein neuer Dreh bei der neuen FDP ist, die eine ungebrochene Identität hat: schon Reinhold Maier hat seiterzeit nach meiner Erinnerung - das könnte ich notfalls auch aus den Archiven heraussuchen
- von dem „großen Angstmacher" gesprochen. Aber der Bürger, meine Damen und Herren, sollte wissen, daß Angst ein schlechter Ratgeber ist.
Wir leugnen nicht, daß Sie mit der neuen Angstkampagne in den letzten Wochen einiges an Wahlerfolgen errungen haben,
({21})
aber nebenbei bemerkt - auch das kann man überall nachlesen -: die jeweilige Opposition im Bund
- das ist sicher auch eine Erfahrung, die die SPD nicht vergißt - hat immer in den ersten Jahren nach -
({22})
- Nein, wir waren nur dann dabei, wenn wir es verantworten konnten.
({23})
- Das will ich gar nicht sagen, das steht aber auch gar nicht zur Debatte.
({24})
Diese Wahlerfolge, wollte ich sagen, der jeweiligen Opposition bei Regionalwahlen in Ländern und Kommunen sind eine mehr oder weniger regelmäßige Erscheinung.
Nur lassen Sie mich auch in einem Vergleich sagen: Jeder weiß, daß ein Fußballspiel 90 Minuten dauert, und eine Legislaturperiode dauert normalerweise vier Jahre.
({25})
Das haben Sie 1972, als sie nur drei Jahre dauerte,
auch erfahren. Oder lassen Sie es mich noch anders
formulieren - ich glaube, ich kann das in unver6726
dächtiger Weise so tun -: Es kommt nicht darauf an, Schlachten, sondern darauf, am Ende den Krieg zu gewinnen. Das werden Sie alles noch erleben. Dabei sage ich ganz freimütig - das wissen wir, und wir richten uns danach -, daß Regierung und Koalition ihrerseits natürlich alles unterlassen müssen, womit sie selbst möglicherweise Verängstigung bewirken könnten. Dabei sollten wir auch nicht übersehen, daß es jenseits der Grenzen unseres Landes manches, vieles an Erscheinungen und Entwicklungen gibt, was sicher verängstigende Grundströmungen zu bestärken geeignet ist.
Aber, meine Damen und Herren - und damit lassen Sie mich meinen kurzen Beitrag abschließen -, die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hier im Deutschen Bundestag hat keinen Zweifel: Angst und Panikmache werden sich in diesem Lande nicht auf Dauer durchsetzen. Die Regierung und mit ihr die Koalitionsparteien werden Vertrauen erhalten, bewahren und soweit als möglich zurückgewinnen. Daran mit liberaler Politik erfolgreich mitzuwirken, ist Aufgabe und Absicht dieser Fraktion.
({26})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Bismarck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Vergebung, wenn ich jetzt, als der letzte mit der Nachlese betraut, auch ein paar Einzelheiten erwähne, die zu erwähnen ich eigentlich nicht vorhatte.
({0})
Zunächst einmal möchte ich eine grundsätzliche Bemerkung zu dem machen, was Herr Friderichs hier unternommen hat. Er hat in einer sehr scharf gefeilten Polemik dazu eingeladen, man möge doch den Versuch machen, miteinander sachlich ins Gespräch zu kommen. Aber, lieber Herr Kollege Friderichs, Herr Minister, Ihre Nachfolger haben das Märchen, die Union sei eine Unternehmung, die nichts weiter im Sinn habe als ihren Bürgern Angst zu machen, als Panik zu verbreiten und Komplotte zu schmieden, - die andere schon zum Erfolg gebracht hatten, - weitergesungen. Herr Friderichs, das Märchen von dem Angstmachen muß doch, wenn Sie das ernst meinen, als ein Teil einer besonders raffinierten Polemik betrachtet werden. In Wirklichkeit wissen Sie doch, daß die Union heute an dem Platz ist, wo sie das Wächteramt hat. Sie ist nicht dazu da, Graf Lambsdorff, der Regierung Trost zuzusprechen, sondern dazu, ihr überall auf die Finger zu schauen und zu sagen, wo es fehlt.
Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie glauben, immer an der Regierung zu bleiben. Denn nur dann, wenn Sie glauben, nie wieder dieses Amt des Wächters einnehmen zu müssen, können Sie diese These erfolgeich weiterverkaufen. Ich finde, hier ist eine besonders gefährliche, der Demokratie schädliche Brunnenvergiftung im Gange, und ich finde, das sollten wir beenden.
Auch Herr Kirst hat damit geschlossen, und das war schade. Herr Kirst, Sie haben von Angst gesprochen. Haben Sie überhört, was heute dem Herrn Bundeskanzler aus seinen Zitaten vorgelesen wurde? Er selber hat seinen eigenen Kollegen dringlich empfohlen, damit aufzuhören, gewissen Gruppen in unserem Lande Angst zu machen.
Woher kommt denn die Angst?
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Die Angst kommt doch daher, daß die Bürger in ihre Lohntüte schauen und nicht, wie Sie meinen, Statistik betreiben. Sie gucken in die Lohntüte und sehen, daß wenn sie alles betrachten, was betrachtet werden muß, den Inhalt, die Inflationsrate, den Steuerabzug, den Sozialabzug und den Verlust auf dem Sparbuch, sie dann 1974 weniger haben als 1973. Sie wissen, daß das wahr ist. Sie wissen, daß die Gewerkschaften das wissen und das vorrechnen. Ich begreife nicht, wie Sie uns nun in die Rolle bringen wollen, daß wir den Arbeitnehmern Angst machen. Die merken das ganz allein.
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Angst kriegen die Bürger, wenn sie hören, wo man Spione, die man erkannt hat, für fast drei Vierteljahr Platz nehmen läßt, was man ihnen in die Hand gibt und wie lange man wartet, bis man schließlich die Enttarnung vornimmt. Die Bürger fragen sicher: Wer hat eigentlich gewußt? Wer hat eigentlich gewollt? Und wer hat das Ende gewollt? Die Bürger fragen sich, Herr Kirst: Was für ein Spiel hat man mit der Sicherheit der Bundesrepublik neun Monate lang gespielt? Wer war dafür verantwortlich? Warum ist das jetzt gerade in diesem Augenblick zum Ende gebracht worden, als man wußte - in der Sozialdemokratischen Partei natürlich genau so gut wie bei uns -, daß man mit dem früheren Bundeskanzler Brandt keine Wahlen mehr gewinnen könnte? Die Angst, daß hier mit parteipolitischem Interesse umgegangen wird und aus parteipolitischem Interesse Sicherheiten gefährdet werden, die haben die Bürger aus allem, was sie aus den Zeitungen entnommen haben und dem nirgendwo widersprochen worden ist, weil eben nicht widersprochen werden kann.
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Herr Kirst, Sie haben davon gesprochen, daß Ihr Vermögensbildungskonzept - wenn ich das überhaupt so nennen soll - eine andere Qualität habe; sehr mit recht. Es verzichtet nämlich darauf, dem Arbeitnehmer die persönliche Verfügung über das ihm zuzuteilende zusätzliche Vermögen auch zu belassen. Durch die Fonds, durch die Art der Verwaltung, durch das Befinden von bestimmten Gruppen über die Investitionspolitik ist genau das genommen, was ein Liberaler im Herzen wollen und in der Politik durchsetzen sollte: ein Mehr an Freiheit.
Verschiedene Ihrer Vorredner haben sich bemüht, den Eindruck zu erwecken, als habe die Sozialdemokratische Partei die Vermögensbildung in unserem Lande wesentlich gefördert. Gestern und heute wurde darüber gesprochen. Herr Wehner, Sie haben mit einer etwas hämischen Miene dem KolleDr. von Bismarck
gen Carstens vorgeworfen, er wisse offenbar nicht, welche kleinen Tricks in dem 624-Mark-Gesetz zu einer Verbesserung geführt hätten. Herr Wehner, ich weiß es. Wir haben nämlich gemerkt, daß in dem 312-Mark-Gesetz der Abzug der Steuer, der Versicherungsbeiträge und der Krankenkassenbeteiligungen ein Fehler war, und wir haben das vor Ihnen im Entwurf des Beteiligungslohngesetzes bereits dringehabt, und Sie haben es bei uns abgeschrieben.
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- Sehen Sie es nach, dann werden Sie redlich feststellen, daß es so ist, wie ich Ihnen sage.
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- Er weiß es, natürlich!
Sie brüsten sich - und wir finden das gut, wie Sie; damit darüber kein Zweifel ist-, daß, beginnend mit 1,5 oder 1,7 Millionen Inanspruchnehmern des 312-Mark-Gesetzes, inzwischen 17 Millionen an diesen Vermögensbildungsmöglichkeiten teilnehmen. Wodurch ist das entstanden? Ich muß das noch einmal wiederholen, damit das Märchen vom Tisch kommt.
Herr Professor Farthmann hat uns sehr offenherzig und, ich muß sagen, anständigerweise nach einer Konferenz der dafür zuständigen Gremien des Deutschen Gewerkschaftsbundes in allem Freimut und mit einem ausdrücklichen Lob erklärt, man habe uns auf dieses Zusammentreffen sechs Wochen warten lassen, weil man neu habe nachdenken müssen, nachdem unser Entwurf, über den wir den Gewerkschaftsbund hören wollten, auf dem Tische lag.
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Deswegen habe man seine Politik geändert. Ich habe das Manuskript dieser Vorstandssitzung vor mir gehabt, ich habe es gelesen. Da stand das klipp und klar darin. Es wäre redlich, wenn Sie bei Ihrem ständigen Versuch, uns die Alternative aufzudrücken, die Sie als Regierung bringen müssen, jedesmal, wenn Sie an einen solchen Punkt kommen, das gemeinsame Bemühen um einen richtigen Gedanken auch redlich und offen auf den Tisch legen würden und nicht den Eindruck erwecken wollten, als hätten Sie das gemacht.
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Ich finde es besonders schäbig, wenn dann dem Vorsitzenden, der bei dieser Beratung natürlich nicht dabei war, eine solche Sache in dieser Form vorgehalten wird. Aber es scheint ja die Taktik zu sein, den Eindruck zu erwecken, als handele es sich bei uns ständig darum, mit falschen Zahlen zu operieren. Ich werde gleich darauf zu sprechen kommen.
Herr Minister Friderichs, Sie haben eine Reihe von Bemerkungen zur Konjunkturpolitik gemacht. Ich meine, daß diese Bemerkungen nicht vollständig und daher irreführend waren. Lassen Sie mich zunächst zur Steuerfrage kommen. Wir haben immer gesagt, daß wir die Anträge, die wir dazu gestellt haben - die Anträge haben ja ihre Wurzel im vorigen Sommer -, deswegen stellen, weil wir der
Überzeugung sind, daß die Gewerkschaftsführung gar nicht anders kann, als den ständigen Verlust, der durch die kalte Steuererhöhung infolge der falschen Progression bei einer Inflation entsteht, zu berücksichtigen. Sie haben eine Weile darüber auch positive Bemerkungen gemacht. Natürlich stimmen wir mit Ihnen darin überein, daß es eine Frage des Timing ist. Wenn Sie aber so mit unseren Angeboten umgehen, wie Sie alle umgegangen sind mit dem Angebot, das Herr Carstens Ihnen zur Kooperation gemacht hat, ist natürlich keine Rede davon, daß die nützliche, notwendige und mögliche Zusammenarbeit in einer solchen Sache zur rechten Zeit zustande kommt;
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denn die Gewerkschaftsführer können das natürlich nur glauben, sie dürfen es nur glauben, wenn es so glaubwürdig und so diskret vorgetragen wird, daß sie wissen, daß sie darauf rechnen können.
Wenn Sie mit unseren Angeboten so umgehen, wie Sie es jetzt wieder getan haben, nämlich sie zunächst überhaupt zu überhören und sie dann madig zu machen,
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dann frage ich mich: Wie soll denn eigentlich Kooperation in diesem Parlament zustande kommen?
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Sie haben Herrn Stoltenberg und Herrn Strauß angesprochen. Ich glaube, auch hier ist ein Mißverständnis entstanden. Das, was hier angesprochen ist, ist doch ein echter Konflikt allgemeiner Art zwischen einer expansiven Haushaltspolitik, die Ihnen ja von allen Sachverständigen ins Stammbuch geschrieben worden ist und die insbesondere am Jahresende durch das Ausgeben nicht verausgabter Beträge in einer Größenordnung von 4,5 Milliarden DM zustandekam, und einer durch die alleingelassene Bundesbank betriebenen Hochzinspolitik, die für sie denknotwendig ist.
Hier wird doch - das wissen die ausländischen Kritiker, die uns bewundern, natürlich nicht - auf Kosten des kleineren Unternehmens ein Zinsgefälle hervorgebracht und durchgehalten. Dies hat ganz wesentlich zu den sicher auch sonst möglichen Anstiegen der Konkurse und zu den strukturellen Schwächen beigetragen. Ich finde, wenn Sie schon den in dieser Sache nicht professionellen Vorsitzenden der Union ansprechen, sollten Sie jedenfalls so sauber sein, die Dinge vollständig zu erklären.
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Sie sollten ihm nicht Zitate von Stoltenberg und Strauß in halber und mißverständlicher Weise an den Kopf zu werfen suchen.
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Herr Friderichs, Sie haben den Versuch gemacht - ich werde Ihnen nachher sagen, wie ich das finde -, der Fraktion der Union zu unterstellen, wir
förderten den Gedanken der Indexklauseln. Dies ist in jeder Hinsicht falsch. Das hätten Sie wissen können; ich habe es gestern schon gesagt. Daß ein Professor, der Parlamentarier ist, mit darüber nachdenkt, wie man bei der schon fortgeschrittenen Inflation zu einer Besserung kommen kann, ist sein gutes Recht. Aber daraus zu konstruieren, die Fraktion betreibe das, ist unrecht. Lassen Sie mich das hier in aller Deutlichkeit sagen.
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-- Nein, das duldet sie nicht. In jeder Fraktion, in jeder Partei gibt es verschiedene Ansichten zu den Grundproblemen der Zeit. Für Sie kann es, wenn Sie die Öffentlichkeit nicht falsch unterrichten wollen, doch nur darauf ankommen, festzustellen, was die Führung der Fraktion will, was sie tut und wozu sie steht.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Bitte sehr!
Herr von Bismarck, darf ich Sie bitten, in diesem Zusammenhang das Haus darüber zu informieren, welche Diskussion wir im Wirtschaftsausschuß bei der von Ihnen beantragten Automatik des Kindergeldes geführt haben, wo sich dann einzig Herr Frerichs Ihren Anträgen widersetzt hat?
Herr Ehrenberg, auch das gehört zu den notwendigen Erscheinungen in einem Parlament, das zu Dingen, die von den Nichtökonomen schwer durchschaut werden, Anträge gestellt werden, die sehr gut gemeint sind, aber Gefahren enthalten. Ich gebe Ihnen da ohne weiteres recht. Die Versuchung haben Sie - die Regierung, die bisher dran war, und die, die jetzt dran ist, mit großen Teilen - hervorgebracht durch die Inflationsleichtfertigkeit. Jetzt kommen natürlich alle die Gruppen, die darunter besonders leiden, und fragen: Wie geht das denn zu? Müssen wir das ertragen? Die großen Gruppen, die werden sich helfen, aber wir, die besonders Betroffenen, die keiner sieht, wir sollen das tragen? - Daher kommt die Versuchung. Die Versuchung haben Sie hervorgebracht. Aber ich sage Ihnen: Wir werden dieser Versuchung widerstehen, weil andernfalls ein größeres Übel die Folge wäre, als es jetzt schon da ist.
({0})
- Herr Ehrenberg, Sie wissen genau, daß das, was ich Ihnen jetzt sage, die Ansicht der Fraktion ist. Sie sollten im Interesse unserer gemeinsamen Verantwortung für die Stabilität auch nicht den Versuch machen, uns einen Schuh anzuziehen, den Sie irgendwo gefunden haben.
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Herr Friderichs, ich muß Ihnen auch widersprechen, wenn Sie die Behauptung aufgestellt haben,
Manfred Schäfer habe dieses Gutachten gutgeheißen. Das hat er nicht getan.
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Er hat sich auch nicht positiv dazu geäußert. Wenn Sie es genau wissen wollen: Seine Überlegungen zur Tarifpolitik, Herr Dr. Friderichs, sind ganz andere. Er hat sich überlegt - andere haben das auch getan -, wie man der Gewerkschaftsführung behilflich sein kann - darum geht es -, in dieser verfahrenen Situation an der Stabilitätsrückgewinnung ohne Versäumnis ihrer ureigensten Pflicht teilnehmen zu können. Darüber nachzudenken halte ich für dringend geboten. Das madig zu machen halte ich für einen großen Fehler. Herrn Schäfer zu unterstellen, er sei hier für Indexklauseln, ist einfach falsch.
Ich kann leider wegen der Kürze der Zeit nicht auf alles eingehen, was hier besprochen wurde. Aber, Herr Friderichs, eine Bemerkung muß ich Ihnen gegenüber doch noch machen. Zu meiner großen Befriedigung hat Ihr Parteifreund Graf Lambsdorff gestern darauf hingewiesen, daß gewisse Nachrichten die Sorge hervorbringen, ob nicht das, was wir zu meiner ausgesprochenen Freude bei der Novelle zum Kartellgesetz geschaffen haben - Eingriffsmöglichkeiten im Falle von Mißbrauch -, die Gefahr mit sich bringt, daß hier eine Umfunktionierung vorgenommen wird, die später einen ganz anderen Effekt erzielen würde. Sie sagen, Sie geben dem Kartellamt keine Weisung. Aber Sie sind der ressortzuständige Minister. Sie brauchen hier nicht darüber zu reden. Aber so, wie Sie darüber geredet haben, haben Sie den Eindruck erweckt, als billigten Sie das rundum. Ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen, jedenfalls kann ich das nicht marktwirtschaftlich korrekt finden.
Ihre Position, Herr Ehrenberg, ist nicht einfach. Aber ich finde, Sie sollten, wenn Sie als einer der letzten marktwirtschaftlichen Mohikaner in Ihrer Fraktion an dieses Pult gehen
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- nein, er hat noch nicht alles eingesehen, aber er möchte gern -, sich nicht in Beschimpfungen der Art ergehen, wie Sie sie in netter Form hier vorgebracht haben - es waren aber Beschimpfungen, gewollte Beschimpfungen -, sondern Sie sollten Ihren Kollegen das erklären, was sie bisher nicht verstanden haben. Ich werde mir jetzt Mühe geben, Ihnen zu sagen, was ich damit meine.
Herr Bundeskanzler
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- er wird es vielleicht trotzdem erfahren -, Sie haben sich gewünscht, als ehemaliger Finanzminister an der Haushaltsdebatte mitzuwirken. Ich finde das in Ordnung. Sie tragen die Verantwortung nicht nur für den Haushalt, sondern für alles, was vorher geschehen ist. Sie wollen also selbst Zeuge sein. Infolgedessen darf ich mir erlauben, Sie darauf anzusprechen.
Zunächst einmal muß man doch wohl, wenn man Ihre frühere Verantwortung ins Auge faßt, die Frage stellen, ob wir jetzt einen ganz anderen Schmidt haben, als wir vorher hatten. In der Regierungserklärung findet sich ein, wie ich meine, sehr doppelbödiges Wort, nämlich „Kontinuität". Kontinuität heißt Fortsetzung, und das heißt doch wohl auch Fortsetzung von Fehlern, jedenfalls so lange, wie man sich von diesen Fehlern nicht distanziert. Ich meine hier Denkfehler. Sicher hat es auf die Bürger einen guten Eindruck gemacht, daß Sie von Sparsamkeit sprachen. Das ist sicher auch die richtige Richtung. Aber Sie hatten vorher daran mitgewirkt, und zwar in vorderster Linie, die Stabilität madig zu machen. Ich will keine weiteren Zitate bringen; Sie kennen sie alle.
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Die Bürger haben daraus geschlossen, daß Stabilität eigentlich nicht so arg wichtig sei.
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- Sie müssen sich nun fragen lassen, ob Sie die Grundirrtümer, die offenbar dahinterstehen - denn sonst würde niemand so reden; wir wollen Ihnen ja nicht unterstellen, daß Sie die Inflation wider besseres Wissen sozusagen herbeigeredet haben, indem Sie die Stabilität madig gemacht haben -, nicht erkannt haben. Ich möchte drei Grundfehler nennen.
Der erste Grundfehler ist ein Fehler, der weit verbreitet ist und dem nicht etwa nur der Herr 'Bundeskanzler und seine näheren Freunde unterliegen. Im Stabilitätsgesetz, dessen konsequente Anwendung diese Regierung bisher immer wieder zeitweise und teilweise versäumt hat, steht in § 1 die grundsätzliche Zielsetzung. Dort sind die vier bekannten Punkte aufgezählt: die Stabilität, das außenwirtschaftliche Gleichgewicht, die Vollbeschäftigung und das Wachstum. Aber schon die Formulierung, die das Wort „gleichzeitig" benutzt, führt zu einem Denkfehler. Stabilität ist eben nicht ein Ziel unter vieren, sondern die Voraussetzung für die Erreichung der beiden Hauptziele, der Vollbeschäftigung und des Wachstums bei sozialer Gerechtigkeit.
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Sie ist der Stiel am Kleeblatt und keines von den vier Blättern,
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der Stiel, der alles möglich macht. Wenn man das aber nicht begriffen hat, dann ist natürlich die läß-liche Sünde eines saloppen Wortes in den Augen der Handelnden eben nur eine läßliche Sünde und nicht ein Verstoß gegen die Interessen der Bürger. Es steht kein Wort in der Regierungserklärung, das auf eine Wandlung in dieser Einstellung hinwiese.
Aus diesem Grundirrtum ergeben sich nun andere. Der Hauptirrtum ist der zweite, wenn man Stabilität als Alternative zur Vollbeschäftigung ansieht. Manchmal hatte man in den vergangenen Jahren das Gefühl, Sie haben das nur deshalb immer wieder vorgetragen, um einen Versprecher, den Sie kannten und dauernd zitiert haben, nämlich den eines früheren Kollegen aus der Union mit dem
Dolus arbeiterfeindlicher Gesinnung in die Tasche zu stecken. Aber Sie haben diesen Grundirrtum genährt, und .Sie haben damit bei sich wahrscheinlich ein Zweites hervorgebracht: daß die Bundesregierung, an der Spitze der frühere Bundeskanzler Brandt, immer wieder die Verantwortlichkeit für die Vollbeschäftigung allein auf ihre Schultern genommen hat. Aber nachdem wir das Tarifvertragsgesetz haben und nachdem wir in der Verfassung die Basis für die Tarifautonomie geschaffen haben, wissen wir doch alle, daß das nur funktionieren kann, wenn im Tarifstreit Gleichgewichtigkeit herrscht. Sonst sind entweder die Arbeitnehmervertreter oder die Arbeitgebervertreter in der Pflicht, die sie für die Allgemeinheit haben, überfordert.
Das Stabilitätsgesetz hat hier einen neuen Ansatzpunkt in der Konzertierten Aktion gebracht. Aber sie kann nur funktionieren, wenn die Regierung mit ihren Daten, die zu setzen sie verpflichtet ist, auf eine gleichgewichtige Partnerschaft trifft. Das heißt, auch die Gewerkschaften hatten von Anfang an nach der Konzeption und der Logik der Gesetze eine Mitverpflichtung für die Vollbeschäftigung. Dadurch, daß die Regierung ohne jedes Zutun der Gewerkschaften - die sind hier völlig unschuldig - in der Öffentlichkeit immer wieder die Verantwortung für die Vollbeschäftigung allein auf ihre Schultern geladen hat, hat sie den Gewerkschaftsführern im inneren Disput, in der Diskussion vor der Großen Tarifkommission das Argument genommen, das lauten müßte: Liebe Kollegen, jawohl, wir wollen mehr, wir wollen auch mehr verteilen, aber wenn wir eine bestimmte Grenze überschreiten, gefährden wir selber unsere eigenen Arbeitsplätze. Dies konnte kein Gewerkschaftsführer mit gutem Gewissen und mit dem Erfolg, gehört zu werden, noch vortragen. Dies ist der Irrtum, der aus dem ersten folgt, und dadurch ist es dazu gekommen, daß die Konzertierte Aktion eine moralische Komponente verloren hat, ohne die das Gleichgewicht einfach nicht möglich ist. Wir haben das immer wieder erlebt. Das hat natürlich auch begründet, daß die Regierung in der Terminierung und in ihrer Diktion immer vorsichtiger wurde.
Bitte schön, Herr Ehrenberg!
Herr von Bismarck, wollen Sie diese Argumentation tatsächlich aufrechterhalten, auch wenn Sie für die Jahre 1972 und 1973 die sehr viel schneller gestiegenen Effektivlöhne und die unmittelbar nach Tarifabschlüssen gewährten übertariflichen Zuschläge mit berücksichtigen?
Ja, gerade deswegen, Herr Ehrenberg, weil ich meinen Kollegen dies selber so deutlich, wie es sonst niemand sagt, gesagt habe, daß diese Art, Nachschläge zu bewilligen, die Autorität der Gewerkschaften aufs Spiel setzt.
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Wir sind an dieser Autorität, liebe Kollegen, im ganzen Parlament, alle zusammen, ob rechts oder links, auf das äußerste interessiert,
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wenn das Wort Marktwirtschaft und das Wort Freiheit überhaupt einen Sinn für uns haben sollen.
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Ich sage noch einmal: Hier geht es um einen in die Nähe der Philosophie gehenden Komplex, daß nämlich ein Argument moralischer Verantwortung bei denen bleiben muß, die hier für alle, nicht nur für die Arbeitnehmer, wie wir jetzt sehen, für alle, insbesondere die Schwächsten, Entscheidungen treffen. Gehen Sie bitte davon aus - es wurde hier in einem Nebensatz angezweifelt -, daß die Union nicht davon ablassen wird - und sie hofft, von Ihnen in der ganzen Breite des Parlaments unterstützt zu werden -, daß die Tarifautonomie ein unverlierbarer Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft ist und bleiben muß.
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Schließlich der dritte Irrtum. Auf ihn sind mehrere Redner eingegangen. Ich kann das zwar menschlich verstehen, aber ich finde es von der sachlichen Qualität her beschämend, nämlich die Entschuldigung mit den größeren Übeln bei den anderen. Schon im alten römischen Recht hatte das „tu quoque" einen miesen Beigeschmack. Anstatt sich mit den eigenen Fehlern auseinanderzusetzen, sie einzuräumen und den Bürgern zu sagen: „Wir haben etwas dazugelernt", wiederholen Sie ständig die wirklich schon völlig abgespielte Platte: Die anderen können es noch schlechter.
Nun, Herr Friderichs, noch einmal zu Ihrer Art der polemischen Argumentation. Sie haben beckmesserisch, wie ich finde, die Zahlen des Herrn Professor Carstens madig gemacht. In der Sache wissen Sie doch aber ganz genau, daß die Aussage richtig ist. Wenn Sie uns einmal mit den zwölf großen Industrienationen vergleichen und sich die Zeit der 20 Jahre vor 1969 ansehen, so wissen Sie doch so gut wie ich, daß wir damals in der Inflationsrate der Bundesrepublik Deutschland zur Durchschnittsinflationsrate aller anderen wie 1 :2 standen. Sie wissen auch, daß wir inzwischen bei 1 : 1 1/2 angelangt sind.
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- Das stimmt, Herr Ehrenberg, das stimmt sicher. Natürlich kann man für verschiedene Länder mit ganz verschiedenen Zahlen und verschiedenen Zeiten rechnen. Aber im großen und ganzen ist Ihnen das doch voll geläufig, und Sie brauchen darüber von uns keine zusätzliche Information. Was Sie aber vielleicht tun sollten: Sie sollten sich vielleicht fragen, welchen Schaden Sie anrichten, wenn Sie den Bürgern und dabei natürlich auch den Gewerkschaftsführern immer wieder sagen - das liegt doch in dieser Aussage -: „Wir können ja gar nichts machen, es liegt an den Übeln um uns herum", und schließlich hinzufügen: „Auch an der Inflationsangstmacherei der Opposition". Damit werden Sie in Zukunft keine Konzertierte Aktion erfolgreich bestehen und auch den Kluncker-Effekt nicht beseitigen. Die Arbeitnehmer wissen das. Mir haben schon viele Arbeitnehmer, wenn dieses Thema aufkam, zugerufen: Die haben uns "verklunckert". Wir kennen
das Problem. Ich möchte das nicht leichtfertig behandeln. Auch für den Bürger Kluncker ist durch die Art, wie Sie in Ihrer Aussage mit der Inflation umgegangen sind, eine Schwierigkeit entstanden.
Auch die Institute schreiben Ihnen in dieser Hinsicht etwas ins Stammbuch. In dem letzten Gutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute steht der Satz - in diesem Abschnitt wird über das gesprochen, was Sie nach Ansicht dieser Leute falsch gemacht haben; das will ich gar nicht alles übernehmen; der Satz, der am Schluß steht, ist aber wichtig, und ich zitiere ihn -:
All das hat nicht nur zu einer Verschlechterung der Preis- und Kostensituation geführt, sondern auch zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit der konjunkturpolitischen Instanzen im Hinblick auf die Verfolgung des Stabilitätszieles.
Das ist die eigentlich kritische Position.
Wenn man erstens Ursache und Wirkung ständig verwechselt und die Stabilität nicht als das Mittel zum Zweck, sondern als ein relatives Ziel neben drei anderen Zielen begreift, wenn man zweitens in der Tarifautonomie eine moralische Eckposition herausbricht und wenn man drittens ständig die anderen verantwortlich macht, dann kann ein Glaube an die Ernsthaftigkeit Ihrer Umkehr schwer entstehen. Das ist im Grunde genommen die Hauptbegründung, warum Ihre Wähler Sie in den letzten Monaten in so erstaunlichem Maße verlassen haben.
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Herr Ehrenberg und Herr Friderichs, lassen Sie mich noch etwas zu dem Thema des Einflusses der Preise der anderen sagen. Natürlich wechselt das. Wir haben lange Zeit Stabilität exportiert. Wir haben auch Inflation exportiert. Sie wissen, wie das vor sich geht. Ich brauche das hier nicht zu erläutern. Was in Ihren Aussagen aber jetzt noch falsch ist, ist, daß Sie die Preissteigerungen auf dem Rohstoffsektor viel zu sehr hochspielen. Hierzu liegt, im Auftrage der Bundesregierung erstellt, eine gutachterliche Äußerung von Professor Dr. Bernhard Korte vor. Dort heißt es auf Seite 30:
Insgesamt können wir auch hier feststellen, daß der Preissteigerungseffekt selbst bei einer drastischen Erhöhung des Preises für importiertes Rohöl und bei der Annahme einer vollständigen Preisüberwälzung relativ klein bleibt. Das ist damit zu erklären, daß der direkte und indirekte Mineralöl-Input selbst bei den energieintensiven Sektoren, gemessen an der Summe aller sonstigen Inputs, klein ist.
Wir müssen uns auch hier miteinander dazu durchringen, daß wir nicht - in der Hoffnung, der Opposition eins auswischen zu können - Aussagen machen, die den Kampf um die Stabilität erschweren oder gar unmöglich machen.
Ich wollte dem Herrn Bundeskanzler, wenn er anwesend gewesen wäre, einen etwas ausführlicheren Schlußsatz sagen. Da er nicht hier ist, will ich es ganz einfach sagen. Ich glaube, es ist die Aufgabe
aller Berater, diese drei prinzipiellen Irrtümer aus dem Kopf des Herrn Bundeskanzlers zu entfernen und daran mitzuwirken, daß wir uns an diesen Stellen alle zusammen keine Unterstellungen leisten, die nicht gerechtfertigt sind. Wir sollten immer erst einmal nachfragen, ob es wirklich so ist, wie wir es parteipolitisch gerne hätten. Dann werden wir gemeinsam und, wie ich hoffe, auch in einer positiven Diskussion unseres ausdrücklichen Angebots dazu beitragen können, daß die Stabilität wieder eine Hoffnung wird. Zur Zeit muß man daran zweifeln. Die Regierungserklärung hat hier weder Klarheit noch Gewißheit gebracht.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zum Schluß nur einige wenige Bemerkungen. Herr Kollege von Bismarck, Stabilität ist für uns nicht nur Hoffnung, sondern Stabilität ist Ziel der Politik der Bundesregierung.
Sie haben hier noch einmal Ihr Kooperationsangebot erneuert und müssen sich zu drei Komplexen Fragen gefallen lassen.
Kollege Friderichs hat doch nicht ohne Grund und nicht zu Unrecht die Frage gestellt, ob denn die Fraktion der CDU/CSU die Indexierungsauffassung des Kollegen Professor Erhard vertritt. Sie können nicht sagen, das sei die private Meinung eines Professors, der zufällig auch Parlamentarier sei. Herr Professor Erhard ist doch nicht irgendwer, sondern er ist derjenige, der ,den wirtschaftspolitischen Ruf der Union begründet hat und von dessen Nachruf Sie im Grunde heute noch leben.
Ich finde, Sie können es sich auch in bezug auf den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses Ihrer Partei, Herrn Professor Schäfer, nicht zu leicht machen. Sie sollten ihn doch einmal fragen, ob es nicht doch richtig ist, was die Presse berichtet hat, daß er in einer innerparteilichen Diskussion der CDU für eine gewisse Art der Indexierung der Löhne eingetreten ist.
({0})
- Bitte, wenn es nicht so ist, lassen Sie uns das klarstellen. Aber für eine Kooperation ist es notwendig, in einer so wichtigen Frage - nicht nur für die Tarifautonomie, sondern für die Wirtschaftspolitik insgesamt - zu wissen, woran man bei demjenigen ist, der kooperieren und mit dem man kooperieren will.
({1})
Nun die zweite Frage. Herr Kollege Katzer hat heute zur Kriegsfolgengesetzgebung gesprochen und hat gesagt, daß der Bundeskanzler ein wenig lieblos zu dem Komplex Stellung genommen und zum Ausdruck gebracht habe, in bestimmten Bereichen könne nichts mehr geschehen.
({2}) Ich war nicht der Meinung, daß das, was der Bundeskanzler getan hat, lieblos war. Herr Kollege Czaja, was er getan hat, war ehrlich und aufrichtig gegenüber denjenigen, die lange Zeit in falschen Hoffnungen gehalten worden sind.
({3})
- Herr Kollege, die Bundesregierung hat z. B. vor einer sehr wichtigen Landtagswahl den Mut und die Kraft, das zu sagen. Wenn Sie ehrlich sind, werden Sie zugeben: Auch Sie könnten uns weder für das Haushaltsjahr 1974 noch für die zukünftigen Haushaltsjahre den Nachweis liefern, wie die enormen, von den Verbänden erhobenen Forderungen jemals finanziert werden könnten. Ich finde, die Geschädigten haben hier als Personen und als Staatsbürger einen Anspruch darauf, daß die politischen Parteien im Parlament ihnen reinen Wein einschenken über das, was noch geht, über das, was noch möglich ist, und über das, was leider, sage ich, unterbleiben muß.
({4})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie, Herr Bundesminister, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Czaja?
Bitte sehr.
Herr Minister, können Sie auch nur mit einem Beispiel widerlegen, daß beispielsweise die Forderungen der Unterhaltshilfeempfänger auf Erhöhung der Unterhaltshilfe den Bundeshaushalt nicht einen Pfennig kosten, daß aber im Gegenteil der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen dem Lastenausgleichsfonds mit einem einzigen Erlaß - also keinem Gesetz - 750 Millionen DM entzieht?
({0})
Da setzen Sie sich möglicherweise in Widerspruch zu dem, was z. B. Ihre Energiepolitiker zum Erlaß im Bereich der Ausgleichsforderungen gesagt haben.
({0})
- Herr Kollege, Sie wissen genauso gut wie ich, daß alles, was am Ende im Ausgleichsfonds nicht vorhanden ist, vom Steuerzahler aufgebracht werden muß. Das gilt für alle Bereiche.
({1})
Herr Kollege Carstens hat in der Debatte gestern die gestiegenen Personalausgaben im öffentlichen Dienst beklagt. Wer tut das nicht? Nur müssen wir ehrlicherweise sagen, daß ein erheblicher Teil der Mehrstellen im öffentlichen Dienst auf Entscheidungen in wichtigen Bereichen beruht, zu denen wir bisher alle ja gesagt haben. In meinem früheren Geschäftsbereich z. B. liegt ein Schwerpunkt der Aus6732
weitung der Stellen im Bundeshaushalt im Bereich der öffentlichen Sicherheit und des Umweltschutzes. Wollen wir das jetzt rückgängig machen? Ich meine, nein.
Was die Tarifverhandlungen des letzten Jahres angeht, muß ich aus einem Mitteilungsblatt zitieren, nämlich dem Pressedienst des Deutschen Beamtenbundes. Dort heißt es am 11. Dezember 1973 über ein Gespräch, das Vertreter der Opposition mit dem Beamtenbund geführt haben - Herr Kollege Carstens war dabei -:
Die vom Deutschen Beamtenbund für 1974 geforderte durchschnittliche Erhöhung von Besoldung und Versorgung um mindestens 12 % wurde von den Vertretern der CDU/CSU-Fraktion unter Hinweis auf den Zeitpunkt, zu dem diese Forderung beschlossen wurde, als maßvoll anerkannt. Positiv wertet die Opposition auch den Vorschlag des Deutschen Beamtenbundes, die inflationäre Überbesteuerung durch einen Zuschlag von 1 % auszugleichen, solange notwendige Steuerkorrekturen von der Bundesregierung verweigert werden.
Das heißt, daß in einer sehr wichtigen Phase der Tarifverhandlungen die Opposition einen Abschluß von insgesamt 13 % als maßvoll bezeichnet hat. Kann man hier eigentlich sagen, daß die Position derjenigen, die auf der Arbeitgeberseite der öffentlichen Hände zu verhandeln hatten, durch die Opposition gestützt wurde, oder war es nicht vielmehr so, daß durch eine solche Erklärung, 13 % seien maßvoll, bei den Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst der Eindruck erweckt wurde, es gehe, es sei möglich, und nur die Regierung wolle das nicht zubilligen?
({2})
- Ja, das macht 1 0/o.
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- Nein. Ich muß zitieren:
Positiv wertet die Opposition auch den Vorschlag des Beamtenbundes, die inflationäre Überbesteuerung durch einen Zuschlag von 1 % auszugleichen
Ich kann das nur so zitieren, wie es hier steht, Herr Kollege Carstens, und vorher hatten Sie zu 12 % ja gesagt.
Wir sind also alle, wenn wir kooperieren wollen, in der gemeinsamen Verantwortung, in der Öffentlichkeit nicht Erwartungen zu wecken, die weder Sie als Opposition noch wir als Regierung einhalten könnten. Das gehört auch zur Geschäftsgrundlage einer Zusammenarbeit, wenn man sie will, was sicher im Interesse der Stabilität notwendig ist.
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Lassen Sie mich am Schluß dieser Debatte noch eine Bemerkung zum Verhältnis der Parteien untereinander machen. Herr Kollege Carstens hat gestern sein Verhältnis zur Freien Demokratischen Partei definiert. Wir haben, wie Sie sich vorstellen können, mit ganz außerordentlichem Interesse diesen Ausführungen zugehört. Es war ein wenig Zuckerbrot, ein wenig Peitsche und ein wenig der Versuch, eine gewisse Zwietracht in die Koalition zu tragen.
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- Ja, deshalb auch nur ein wenig Peitsche. - Aber ich denke, Sie wissen, Herr Kollege Carstens: es war ein untauglicher Versuch am untauglichen Objekt. Sie haben gemeint, die FDP dürfe sich nicht wundern, wenn die CDU/CSU ihr die Verantwortung für die Koalitionsentscheidungen vorhalte. Ich kann Sie beruhigen: wir hätten uns gewundert, wenn Sie nicht rückfällig geworden wären in dieser Frage.
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Wir stehen zu unserer Koalitionsentscheidung, und jedermann, der auf Verläßlichkeit in der Politik Wert legt, wird eigentlich ein anderes Verhalten von uns auch nicht erwartet haben.
Was aber das eigentliche Problem angeht, das Sie, Herr Kollege Carstens, aufgegriffen und kritisiert haben, nämlich unsere Absicht, vor den Wahlen zu sagen, mit wem wir regieren wollen, mit wem wir eine Koalition eingehen wollen, so muß ich Ihnen ganz offen sagen: wir sehen keinen Mangel darin, wenn die Parteien vor einer Wahl dem Wähler sagen, was koalitionspolitisch geschehen soll. Wir jedenfalls werden niemandem einen Blankowechsel abverlangen. Ich halte das für einen Akt politischer Aufrichtigkeit, und ich kann mich sehr genau erinnern, Herr Kollege Carstens - möglicherweise haben Sie sich mit dieser Frage nicht befaßt, aber andere -, daß es Zeiten gegeben hat, wo Sie vorzeitige Festlegungen der FDP mit ganz außerordentlicher Sympathie beobachtet und kommentiert haben.
({7})
Ganz sicher stört 'Sie auch nicht die Festlegung, sondern was Sie stört, ist, für wen wir uns entschieden haben. Da haben mich - nur deshalb greife ich diesen Posten eigentlich auf - Ihre gestrigen Ausführungen, Herr Kollege Carstens, ein wenig an jene erinnert, die in der Vergangenheit möglicherweise die Angewohnheit hatten, zwischen guten und bösen Liberalen zu unterscheiden. Böse Liberale sind die, die mit den Sozialdemokraten koalieren, und die guten koalieren in Ihrem Verständnis immer nur mit der CDU. Ich möchte Sie herzlich bitten: nehmen Sie uns so, wie wir sind, unabhängig, eigenständig und verläßlich in unseren Zusagen;
({8})
das wird Sie unbefangener machen. - Das wird Sie
unbefangener machen in Ihrem Verhältnis zu uns.
Es wird Ihnen die Einsicht erleichtern, daß in diesem
Parlament und - weil Sie von den Landtagen gesprochen haben, will ich das hinzufügen - auch in den Landtagen natürlich, Herr Kollege Carstens, jede Partei aus ihrer eigenen politischen. Verantwortung heraus Politik macht, aus ihrer eigenen Verantwortung heraus handelt und auch Regierungen mit bildet. Sicher würde derjenige einem Mißverständnis des Verhältnisses der Parteien zueinander unterliegen, der eine andere Partei ausschließlich danach bewertet, ob sie der eigenen Machterhaltung nützt oder nicht. Das sollte unser Verhältnis bestimmen. Dann ist das ein wenig offen, und Sie werden sehr bald erkennen, daß unabhängige Parteien niemals ein Instrument sein können, um eine andere Partei an der Regierung zu halten oder sie an die Regierung zu bringen.
Nun haben Sie gemeint, Herr Kollege Carstens, die FDP wolle sich ein wenig aus der Verantwortung der Regierungskoalition herausstehlen und sich nur die Rosinen heraussuchen. Ich kann Ihnen ganz offen sagen: Wir empfinden die Mitwirkung in dieser Bundesregierung nicht als Belastung! Wir tragen die Verantwortung in dieser Bundesregierung gemeinsam.
Wir haben in einer schwierigen Situation gemeinsam unsere Handlungsfähigkeit gezeigt, und es wäre falsch und vordergründig, wenn man davon ausginge, das gelte nur für die Regierungsbildung. Natürlich liegt dieser Regierung eine gemeinsame politische Grundlage zugrunde, und deshalb können wir ganz unbefangen sagen, daß wir die Regierungserklärung, wie sie der Bundeskanzler am Freitag vorgetragen hat, als Freie Demokraten uneingeschränkt billigen.
Wir tragen natürlich auch die volle Verantwortung, Herr Kollege Carstens, für die Bereiche, in denen wir die Ressortchefs stellen.
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Zusätzlich! - So tragen wir z. B. in aller Unbefangenheit die Verantwortung dafür, daß mein Kollege Ertl als Landwirtschaftsminister unerhört viel für die deutsche Landwirtschaft getan hat, nicht nur hier, sondern auch in Brüssel.
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Wir sagen auch ganz unbefangen, daß wir uns gern daran erinnern lassen, daß der Bundeswirtschaftsminister, der eine so unverbrüchliche und grundsatztreue marktwirtschaftliche Politik vertritt, unserer Partei und Fraktion angehört und daß wir in den wirtschaftspolitischen Grundfragen zusammen mit unserem Koalitionspartner die Verantwortung tragen.
Dasselbe, Herr Kollege Carstens, gilt für den Bereich der inneren Sicherheit, wo wir gern darauf hinweisen, daß in den letzten viereinhalb Jahren - und zwar nicht im Bund allein, sondern auch im Zusammenwirken mit den Ländern - mehr geschehen ist als je zuvor. Aber darauf allein kommt es nicht an. Entscheidend ist, daß es in diesen viereinhalb Jahren gelungen ist, in diesem Kernbereich unseres Staates ein gemeinsames Handeln von
Bund und Ländern, und - wie ich auch sagen möchte - aller Fraktionen des Deutschen Bundestages zu erreichen. Wir sollten sehr vorsichtig mit diesem kostbaren Gut umgehen, z. B. in einer für unsere Demokratie entscheidenden Frage, dem gestern auch von Ihnen angeschnittenen Problem der Extremisten im öffentlichen Dienst. Herr Kollege Wehner hat zu Recht darauf hingewiesen, daß im Bundesrat - in der Erkenntnis, daß es um eine in gemeinsamer Verantwortung zu lösende Frage geht - auch die Ihrer Partei angehörenden Landesregierungen darauf verzichtet haben, den Regierungsentwurf abzulehnen. Sie haben ihn passieren lassen, um dem Deutschen Bundestag eine unvoreingenommene Prüfung dieser für den Bestand unseres Staates, aber auch für seine rechtsstaatliche Garantiefunktion wichtigen Frage zu ermöglichen und ihr eine sachliche Beratung angedeihen zu lassen. Wir wollten in dieser Debatte einen Beitrag dazu leisten, das zu erleichtern und nicht zu erschweren.
Nun gestatten Sie mir ein letztes Wort: Sie haben, Herr Kollege Carstens, auch die Politik des früheren Außenministers, meines Kollegen Scheel, und auch ihn selbst als Person angegriffen. Ich denke, wir sollten zu dem bisher geübten Stil zurückkehren, den gewählten Bundespräsidenten, auch wenn er sein Amt noch nicht angetreten hat, nicht in die Auseinandersetzungen dieses Parlaments hineinzuziehen.
({11})
Herr Kollege Scheel gehört im übrigen dieser Regierung, mit der Sie sich heute auseinandersetzen, gar nicht an, und er kann mit Rücksicht auf das Amt, in das er gewählt ist, sich hier nicht wehren. Ich darf Sie aber an das erinnern, Herr Kollege Carstens, was ich bei der Übernahme des Amts des Außenministers vor den Mitarbeitern des Auswärtigen Amts gesagt habe, daß ich nämlich die Politik Walter Scheels in all ihren Phasen mitverantwortet und mitgetragen habe. Meine herzliche Bitte lautet: Halten Sie sich in dieser Frage voll an mich! Vielleicht bietet die Debatte heute nachmittag dazu Gelegenheit.
({12})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Punkt der Tagesordnung nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache über die Regierungserklärung. Entgegen früheren Ankündigungen treten wir nun in eine Mittagspause ein. Um 15 Uhr beginnen wir mit den Beratungen über den Haushalt. Ich unterbreche die Sitzung.
({13})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Meine Damen und Herren! Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, habe ich Ihnen folgendes bekanntzugeben: Herr Abg. Dr. Nölling hat am 20. Mai 1974 sein Mandat niedergelegt. Als Nachfolger tritt mit Wirkung vom gleichen Tage Herr Abg. Dr. Arndt ({0}) ein. Er
Vizepräsident Dr. Jaeger
hat dem Hohen Hause schon einmal angehört. Ich freue mich, daß er zurückgekehrt ist, und begrüße ihn herzlich.
({1})
Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt II der Tagesordnung:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1974 ({2})
- Drucksachen 7/1100, 7/1504 Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses ({3})
Ich rufe die Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses der Reihe nach auf.
Ich rufe zuerst auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksache 7/1911 Berichterstatter: Abgeordneter Simon
Verzichtet das Haus auf einen Bericht? - Das ist offensichtlich der Fall. Wird das Wort gewünscht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Wer dem Einzelplan 01 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich sehe keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Der Einzelplan 01 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksache 7/1912 Berichterstatter: Abgeordneter Wohlrabe
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abg. Wohlrabe. - Offenbar wird auch hier auf den Bericht verzichtet. Dann treten wir in die Aussprache ein. Das Wort hat die Frau Präsidentin des Deutschen Bundestages.
Präsident 'Frau Renger: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir einige Bemerkungen zum Haushalt 02. In der Öffentlichkeit und unter den Kollegen wird seit langem über die Frage der Besteuerung der Diäten gesprochen. Ursprünglich schien es so, als ob das eine ganz einfache Sache wäre und man nur das Einkommensteuergesetz anzuwenden brauchte, um die entsprechende Regelung zu finden. Leider ist es nicht so, sondern in den Beratungen, die wir seit elf Monaten in der Unterkommission des Ältestenrates, der Diätenkommission, führen, mußten wir feststellen, daß die Besteuerung der Diäten außerordentlich komplizierte Konsequenzen hat und wir aus diesem Grunde eine grundsätzliche und gründliche Klärung all dieser Fragen herbeiführen mußten.
Im Vordergrund standen zunächst einmal die Frage der verfassungsrechtlichen Stellung, des Status des Abgeordneten überhaupt und die Frage, ob die Besteuerung der Diäten etwa negativ auf die Unabhängigkeit des Abgeordneten einwirken könnte. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 10. 1971, der davon ausgeht, daß die Diäten heutzutage eine Bezahlung für parlamentarische Tätigkeit seien, sie also ein Entgelt seien, hätte ganz bestimmte Konsequenzen, wenn wir ihm folgten. Die Diätenkommission ist, soweit ich das überblicken kann, aber davon ausgegangen, daß es sich bei der Mandatsausübung um eine auf Artikel 38 unserer Verfassung beruhende unabhängige Tätigkeit sui generis handele, wobei der Abgeordnete allein der Vertreter des Volkes und nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sei, und daß man aus diesem Grunde auch andere Regelungen treffen müsse, als sie für den normalen Bürger - wenn ich das so sagen darf - gelten würden.
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In der Diätenkommission wurde die Rechtsstellung des Abgeordneten in dem von mir soeben genannten Sinn noch einmal bestätigt. Ohne den eigenständigen Charakter des Mandats und der Mandatseinkünfte aufzugeben, meine Damen und Herren, sollten wir dennoch zu dem Schluß kommen - ich habe den Eindruck, daß hier eine Übereinstimmung auch in der Diätenkommission bestand, wenn auch mit mehr oder weniger Überlegungen hinsichtlich der Konsequenzen -, daß die Diäten, soweit sie einen Beitrag zu den Lebenshaltungskosten darstellen - das wären also die Grunddiäten -, Einkommen sind, das nach dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes zu versteuern ist.
In Anbetracht der Versteuerung ist es jedoch unvermeidlich - und das sage ich hier gleich ganz deutlich -, die Grunddiäten neu festzusetzen. Andernfalls würde die Forderung des Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes nach einer angemessenen, die Unabhängigkeit des Abgeordneten sichernden Entschädigung nicht erfüllt werden.
Meine Damen und Herren, die Beschränkung der Versteuerung auf die Grunddiäten ist deshalb gerechtfertigt, weil die sogenannten Pauschalen kein Einkommen, sondern reiner Auslagenersatz sind. Mit diesen Pauschalen - und das sollte doch einmal auch der Öffentlichkeit klargemacht werden - bestreiten die Abgeordneten die Unkosten für die politische Tätigkeit und die mandatsbedingten Ausgaben, für die es keine vergleichbaren Tätigkeitsmerkmale gibt - weder in der Wirtschaft noch beim Bürger sonst.
Wenn an der im Ältestenrat und im Haushaltsausschuß einstimmig beantragten Erhöhung dieser Kostenpauschalen in der Öffentlichkeit Kritik geübt wurde, wie überhaupt bei den Diätenfragen immer Kritik geübt wird, so, glaube ich, vielleicht auch nicht zuletzt deshalb, weil die Aufgaben und Pflichten des Abgeordneten weithin noch unbekannt sind und es noch immer nicht voll gelungen ist, zwischen den Bürgern und den Abgeordneten das Vertrauensverhältnis herzustellen, das für unser Parlament lebensnotwendig ist. Bei aller Zustimmung, meine Damen und Herren, zu stabilitätskonformem Verhalten muß aber die finanzielle Ausstattung es dem
Präsident Frau Renger
Abgeordneten gestatten, seine politischen Aufgaben uneingeschränkt wahrzunehmen. Würden wir der Legislative das verwehren, käme es nach meiner persönlichen Auffassung einer Pflichtverletzung gleich, und es würde der Exekutive ein nicht erlaubter Vorrang eingeräumt werden.
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Nach den Vorstellungen der Diätenbesteuerungskommission soll die Besteuerung der Grunddiäten zugleich mit der Steuerreform, also am 1. Januar 1975, in Kraft treten. Ich habe den Bundestagsfraktionen inzwischen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Diätengesetzes zugeleitet, der nun von den Fraktionen beraten und beschlossen werden muß, damit die Ergebnisse in das Steuerreformgesetz aufgenommen werden können.
Meine Damen und Herren, häufig wird daran Kritik geübt, daß der Bundestag über die Gestaltung und die Höhe der Diäten in eigener Sache entscheidet. Deshalb wurde von verschiedenen Seiten die Forderung erhoben, eine Kommission von unabhangigen Persönlichkeiten zu bilden, die über die Angemessenheit und die Höhe der Bezüge befindet. Ich habe diesem Gedanken in etwa Rechnung getragen, als bei der Beratung der Diätenbesteuerungskommission im vergangenen Monat einige Persönlichkeiten zur Beratung hinzugezogen wurden, unter anderem der Präsident des Bundesrechnungshofes, Herr Schäfer; Professor Hugo von Wallis, Präsident des Bundesfinanzhofes; Hans Georg Emde von der Deutschen Bundesbank, Eduard Neumaier von der Redaktion „Die Zeit" ; Professor Dr. Thomas Ellwein; der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ludwig Rosenberg; Dr. Herbert Scholtisek, Bundesverfassungsrichter im Ruhestand, und die ehemaligen Abgeordneten Borm, Krammig und Mommer. Hier haben wir in sehr ausgiebiger Weise über all diese Fragen gesprochen, die auch die Öffentlichkeit bewegen, und wir haben diesen Herren für ihre Beratung sehr zu danken.
Aber gerade bei dieser Anhörung hat sich gezeigt, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie schwer es für Außenstehende ist, den ganzen Problemkreis der Abgeordnetentätigkeit und die damit verbundenen finanziellen Aufwendungen zu beurteilen. Ich würde deshalb empfehlen, wenn wir einem Beirat nähertreten wollen, ehemalige Abgeordnete mit in diesen Beirat berufen und dazu eine Reihe von Sachverständigen. Auch dann, meine Damen und Herren, wird uns allerdings niemand unsere Verantwortung abnehmen können, da nur wir selbst über ein Gesetz beschließen können, und auch das Diätengesetz ist eben ein Gesetz. Insofern entscheiden wir mit jedem Gesetz jeweils bei den Auswirkungen auch in eigener Sache, wenn Sie so wollen.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, noch einige Bemerkungen zum allgemeinen Haushalt des Bundestages. Wir alle sind ständig aufgerufen, sparsam zu sein und, was den Deutschen Bundestag betrifft, aber auch gleichzeitig die Leistungen für die Abgeordneten im notwendigen Umfang zu erbringen. Bei der Erstellung des Haushalts stand der Grundsatz der Sparsamkeit an erster Stelle. Das betrifft besonders den Personalbedarf, und ich bin der Ansicht, daß wir, nachdem wir in den Jahren 1969 bis 1973 einen sehr angestiegenen Personalbedarf hatten, nun mit dem vorhandenen Personal auskommen sollten und dort, wo es notwendig ist, auch flexibel in der Umbesetzung von Positionen sein sollten.
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Um hier ein möglichst großes Maß von Gerechtigkeit stattfinden zu lassen, habe ich Ende des vorigen Jahres angeordnet, daß innerhalb der Verwaltung eine Organisations- und Wirtschaftlichkeitsprüfung durchgeführt wird, die neben anderen Überlegungen allerdings auch dazu führen sollte - dies liegt mir besonders am Herzen -, daß die erfahrenen Mitarbeiter des Hauses aus dem einfachen Dienst auch die Chance bekommen, in den mittleren Dienst aufzusteigen, wo es angebracht ist.
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Um die Arbeitsmöglichkeiten der Abgeordneten weiter zu verbessern, wurde das Bürohaus im Tulpenfeld angemietet, wo allerdings neue Kosten für die technische Ausstattung dieses Hauses entstehen werden, die noch nicht im Haushalt enthalten sind. Dies sei hier angemerkt, aber es war notwendig, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Zu einem guten Arbeitsklima gehört wohl auch die verbesserte soziale und finanzielle Situation der Assistenten der Abgeordneten.
Meine Damen und Herren, der Selbstdarstellung des Parlaments dient die Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages. Die Berichterstattung aus den Ausschüssen, die vielfältigen Informationen und Sachdarstellungen für Schulen, Betriebe und die sonstige Öffentlichkeit werden allgemein anerkannt und genutzt. Das 25. Jahr des Bestehens des Deutschen Bundestages sollte in besonderem Maße dazu dienen, die Bedeutung und Aufgabe des Parlaments den Bürgern nahezubringen, und die Stelle in unserem Haus, die die Öffentlichkeitsarbeit macht, hat hier hervorragende Arbeit geleistet.
In diesem Zusammenhang ist es außerordentlich zu begrüßen, daß im vergangenen Jahr mehr als 300 000 Menschen den Deutschen Bundestag und mehr als 500 000 Menschen den Reichstag in Berlin besucht haben. Diese Besucher sind die besten Multiplikatoren. Ich habe immer wieder festgestellt: Wenn eine Besuchergruppe hier in diesem Hause war, sich die Einrichtungen anschaute und mit den Abgeordneten diskutieren konnte, hatte sie ein anderes Verhältnis zur Politik und zum Parlament. Wir sollten dies weiterhin nutzen.
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Besonders möchte ich darauf hinweisen, daß der Reichstag in Berlin in unserer demokratischen Parlamentsgeschichte einen besonderen Symbolcharakter hat. Dazu gehört auch die Neugestaltung der 1971 eröffneten Ausstellung „Fragen an die deutsche Geschichte", die ab September 1974 die Entwicklung vom Jahre 1800 bis zur Gegenwart umfassen wird und die von hervorragenden Fachleuten begleitet wird.
Präsident Frau Renger
In Verbindung damit bitte ich Sie zu prüfen, ob wir nicht den Gedanken aufgreifen sollten, die angeregte Deutsche Nationalstiftung mit ihrer Leitung im Reichstag anzusiedeln und darüber hinaus eine Dependance der von Edgar Faure in Paris ins Leben gerufenen Kommission zum Studium der Geschichte des europäischen Parlamentarismus einzurichten. Ich könnte mir vorstellen, daß wir über den Symbolcharakter des Reichstagsgebäudes hinaus neben der parlamentarischen Arbeit im Reichstag etwas für den europäischen Parlamentarismus tun können.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vergangenen Jahr hatte ich als Berichterstatter für den Einzelplan 02 - Etat Deutscher Bundestag - Gelegenheit, einige Ausführungen zur Gesamtlage zu machen. Heute möchte ich für meine Fraktion zu einem Einzelproblem der Arbeit des Deutschen Bundestages Stellung nehmen; ich meine jenen Punkt, den Frau Präsidentin Renger bereits angesprochen hat, nämlich die Arbeit des Deutschen Bundestages in Berlin und dabei insbesondere die Arbeit im Reichstag.
In wenigen Tagen, meine Damen und Herren, jährt sich zum fünfundzwanzigsten Male das Inkrafttreten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Der Deutsche Bundestag hat hierzu in seinem eigenen Rahmen einen besonderen Beitrag vorbereitet, und er wird diesen Beitrag leisten.
Die Geschichte deutscher Parlamente und unserer Arbeit für den demokratischen Rechtsstaat insbesondere der jungen Generation darzustellen wird in diesem Zusammenhang als eine der wichtigsten Aufgaben anzusehen sein.
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Dafür bietet sich in ganz besonderem Maße der Reichstag in Berlin als ein Wahrzeichen der Nation -- heute ein Monument der deutschen Teilung - an. Im Reichstagsgebäude ist Geschichte gemacht worden, gute und schlechte; hier sind Reden gehalten worden, an denen demokratisches Verhalten und freiheitliches Bewußtsein der Weimarer Republik abzulesen sind.
Das Haus in Berlin ist - ich halte diesen Gedandanken für sehr wichtig, und wir sollten ihn auch nicht aus den Augen verlieren - ein Wahrzeichen für die deutsche Geschichte, für ihre großen und ihre tragischen Stunden; ihr Licht und ihr Schatten sind mit diesem Bauwerk unlösbar verbunden.
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Zuweilen ist behauptet worden, der Reichstag in Berlin stehe leer, und er sei das teuerste Museum Europas. Diese Behauptungen und diese Befürchtungen sind für den Betrachter, der aufmerksam die Arbeit beobachtet, nicht berechtigt. Im Gegenteil, der Reichstag in Berlin ist zu einem Treffpunkt parlamentarischen und politischen Geschehens geworden. Wie Sie wissen, wurde vor drei Jahren jene
Ausstellung eröffnet, von der eben schon die Sprache war, eine historische Ausstellung „Fragen an die deutsche Geschichte". Die Ausstellung steht seit dieser Zeit für Besucher offen und hat ein sehr großes Publikum angesprochen; sie ist von großem Interesse. Dies wird nicht zuletzt durch die ständig steigende Zahl der Ausstellungsbesucher bestätigt. Im vergangenen Jahr haben mehr als 230 000 Menschen die Ausstellung im Reichstag besucht; in den ersten vier Monaten dieses Jahres mehr als 80 000.
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Aus Anlaß der 25-Jahrfeier der Bundesrepublik Deutschland soll diese Ausstellung nun bis zur Gegenwart hin erweitert werden. Wir haben im Haushaltsausschuß die dafür erforderlichen Mittel in den Etat 1974 eingestellt. Die erweiterte Ausstellung wird im September dieses Jahres eröffnet, und ich hoffe, in einem etwas würdigeren Rahmen als es 1971 der Fall war. Die Ausstellung wird bekunden, daß Berlin und das Reichstagsgebäude zur Bundesrepublik Deutschland und zur Arbeit des Deutschen Bundestages gehören.
Neben der Ausstellung, meine Damen und Herren, hat sich auch das Gebäude des Reichstages selbst mit seiner wechselvollen Geschichte zu einem attraktiven Punkt für die Besucher der alten Reichshauptstadt entwickelt. 1973 kamen etwa 75 000 Bürger in das Reichstagsgebäude, in den ersten vier Monaten des Jahres 1974 waren es bereits über 30 000. Erfreulich ist die ständig steigende Zahl jugendlicher Besucher, ausländischer Besucher. Nach Schätzungen der Bundestagsverwaltung sind es bei den Besuchern des Reichstagsgebäudes zur Zeit 30 bis 35 % an jungen Menschen; unter den Besuchern der Ausstellung sind es etwa 45 %.
Der Blick aus dem Reichstag auf die Mauer - für den, der draußen zuhört, sei es gesagt: der Reichstag liegt direkt an der Mauer - ist bedrückend und erschütternd. Selten brennt das Elend der deutschen Teilung mehr als gerade hier im Angesicht von Mauer und Stacheldraht. Man braucht kein ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein zu besitzen, um bei dem Gedanken zu erschrecken, daß künftig nur mittelgroße Belange im Reichstagsgebäude erledigt werden könnten. Der Reichstag, seine Funktion und sein Symbol für die parlamentarische Geschichte darf nicht entwertet werden.
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Dazu gehört auch, daß das Gerede mancher Politiker, den Reichstag einer anderen Verwendung zuzuführen, nicht mehr stattfindet. Der Reichstag ist nicht nur Bestandteil des Deutschen Bundestages, sondern das Parlamentshaus aller Deutschen. Verehrte Frau Präsidentin, als meine Meinung und ich glaube, auch als Meinung meiner Fraktion, möchte ich den von Ihnen eben gemachten Vorschlag, eine Deutsche Nationalstiftung und ihre Geschäftsstelle gegebenenfalls dort anzusiedeln, doch einer sehr gründlichen Prüfung unterworfen wissen. Wir haben die Auffassung, daß alle Gremien, die mit der unmittelbaren parlamentarischen Arbeit nichts zu tun haben, in dieses Gebäude nicht hineinsollen. Dieses Gebäude sollte aus historischem und gegenwärtigem
Interesse wirklich voll der parlamentarischen Arbeit einzig und allein vorbehalten bleiben.
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Gedanken über eine nichtparlamentarische Verwendung scheiden also nach der Auffassung der CDU/ CSU aus. Wir müssen den Reichstag nicht nur kurzfristig - und dies gilt sicher für alle Fraktionen -, sondern vor allem langfristig mit vollem parlamentarischen Leben erfüllen. Dazu gehört - in der Diskussion draußen manchmal mit unterschiedlichen Nuancen bewertet - die eigene parlamentarische Präsenz dieses Hauses in Berlin. Parlamentarische Präsenz in Berlin soll nach dem Willen der Politiker der Koalitionsparteien nicht um der Demonstration willen geübt werden. Ich will mich nicht an dem Wort „Demonstration" als solchem stoßen. Trotzdem gebe ich zu bedenken: „Demonstration" kommt von „demonstrare" und heißt „hinweisen auf etwas".
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Wenn man auf etwas hinweisen will, dann braucht man sich dessen ja auch nicht zu schämen, dann braucht man es nicht zu verstecken. Wenn man es nicht verstecken muß, kann man es auch demonstrieren.
Insofern meine ich, daß die Demonstration der Präsenz für unsere Gremien im Reichstag in Berlin durchaus auch ihre guten Seiten hat.
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Es sollte - ich will dies gar nicht kontrovers diskutieren - für jede Fraktion und für jeden Ausschuß dieses Hauses selbstverständlich sein, einmal im Jahr, möglichst mehrmals, in Berlin zu tagen, die parlamentarischen Aufgaben im Reichstag in Berlin wahrzunehmen.
Erfreulicherweise haben im Jahre 1973 alle Fraktionen des Deutschen Bundestages in Berlin getagt. Wir hoffen - das Viermächteabkommen über Berlin läßt diese Arbeitsmöglichkeiten ja zu -, daß diese Möglichkeiten verstärkt genutzt werden und daß verstärkte parlamentarische Arbeit in Berlin weiterhin stattfindet. So tragen wir alle dazu bei, den Reichstag mit parlamentarischem Leben zu erfüllen.
Durch die Anwesenheit in Berlin - dies darf ich als Berliner sagen - bekunden wir, daß Berlin nicht abseits steht, sondern unauflösbar zum politischen und parlamentarischen Leben der Bundesrepublik Deutschland gehört.
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Diese Solidarität nicht nur durch das Wort, sondern auch durch die Tat trägt unmittelbar zur Stärkung der geteilten deutschen Hauptstadt bei. Auch der Bundesrat hat erkannt, wie vorzüglich die Räume des Reichstags für seine Beratungen geeignet sind. So tagten und tagen in diesen Wochen der Finanz- und Rechtsausschuß des Bundesrats im Reichstagsgebäude in Berlin. Es wäre wünschenswert, daß dieser gute Beginn für Tagungen des Bundesrates in Berlin zu einer gewissen Regelmäßigkeit führt, damit auch der Bundesrat daran mitwirkt, den Reichstag seiner parlamentarischen Tradition entsprechend voll zu nutzen.
Der Reichstag sollte aber auch in anderer Hinsicht einer umfassenderen parlamentarischen Arbeit zugeführt werden. Ich möchte die Gelegenheit dieses kurzen Debattenbeitrags nutzen, um die Parlamente der deutschen Länder - die Parlamente der deutschen Länder, nicht nur die Fraktionen - und die Parlamente der deutschen Großstädte zu bitten, wenigstens einmal im Jahr in den Reichstag nach Berlin zu kommen.
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Hier kann sinnvolle parlamentarische Arbeit geleistet werden. Gleichzeitig kann damit die Verbundenheit mit der Hauptstadt voll bekundet werden.
Dasselbe trifft für die europäischen Gremien zu. Sie haben bereits in ganz erheblicher Weise ihre Möglichkeiten wahrgenommen.
Meine Damen und Herren, der Reichstag ist durch Tagungen von parlamentarischen Gremien vielen interessierten Besuchern nicht nur eine ständige Erinnerungsstätte deutscher parlamentarischer Geschichte geworden, sondern auch ein Ort lebenden und aktuellen politischen parlamentarischen Geschehens. Er wird, so kann man wieder sagen, zunehmend entsprechend seiner ursprünglichen Zweckbestimmung benutzt.
Das Viermächteabkommen über Berlin sichert die Tagungen der Parlamentsausschüsse und der Fraktionen, von Kommissionen der Regierung und der internationalen Gremien; es verbietet die Tagung von Länder- und Kommunalparlamenten nicht. Dieses Recht auszuüben, es voll mit Leben zu erfüllen, sollte vornehmste Aufgabe von uns allen sein.
Ich möchte an dieser Stelle den Appell an Sie richten, noch häufiger in Berlin zu tagen, auch wenn bei einer Tagung im Reichtagsgebäude die hier in Bonn üblichen Arbeitsbedingungen noch nicht gegeben sind.
So genutzt und mit politischem parlamentarischem Leben erfüllt, kann das Reichstagsgebäude zu einem Kristallisationspunkt deutscher Geschichte und deutscher Gegenwart und damit ein Symbol für die Einheit der Nation werden. Tragen wir alle dazu auch in den kommenden Jahren mit Nachdruck bei!
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bußmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur mit wenigen Sätzen auf die Ausführungen des Kollegen Wohlrabe eingehen. Was Berlin, unsere Berlin-Präsenz und den Reichstag betrifft, so will ich nur sagen: Wir werden seitens der Koalitionsfraktionen so handeln wie der Bundespräsident: unsere Anwesenheit selbstverständlich praktizieren, das aber nicht demonstrativ
tun, es nicht an die große Glocke hängen, aber häufiger und intensiver tun
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als manche andere, die viel darüber reden. Das ist eine gute Parole, finde ich.
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Aber ich will auch zum Einzelplan 02 kommen. In einer Haushaltsdebatte sollte auch das eigene Haus mit wenigen Worten angesprochen werden. Ein Kompliment der Frau Bundestagspräsidentin, die unser gemeinsames Anliegen hier der Öffentlichkeit dargelegt hat. Ein weiteres Kompliment aber auch der Frau Bundestagspräsidentin als Organisationschefin dieses Hauses. Wir müssen hier einmal feststellen, daß sich dieses Haus vor allen Dingen in zwei Punkten vorbildlich verhalten hat.
Zunächst einmal die Personalentwicklung. Wir haben in diesem Jahr 14 neue Stellen, und laut Gesetz haben wir 14 Stellen einzusparen. Das heißt: Die Personalbilanz geht mit 0,0 auf. Das ist eine erfreuliche Sache. Hier ist der Bundestag wirklich in mancher Hinsicht beispielgebend für viele andere Verwaltungen. Das sollte man in aller Öffentlichkeit anerkennen.
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Das Zweite ist die Steigerungsrate des Volumens des Einzelplans 02. Der Haushaltsplan 02 steigt um 7,59 %. Hier hat man wirklich mit Vernunft geplant, hier hat man in einer Weise Einschränkungen vorgenommen, die uns als Abgeordnete veranlassen können, zu sagen: Wir empfehlen jeder Verwaltung dasselbe. Ich sage bewußt „Verwaltung". Herr Stücklen, Sie wissen so gut wie ich, welches Eigengewicht Bürokratien und Verwaltungen haben, wie politische Leitungen präjudiziert werden und wie sich die Verwaltung mit ihrem Eigengewicht im Wachstum oft gegen allen politischen Willen durchsetzt. Hier hat die Verwaltung des Deutschen Bundestages eine vernünftige Linie eingeschlagen.
Sie setzt in gewisser Weise auch in einem anderen Punkt Beispiele. Zum erstenmal hat die Spitze einer Bundesverwaltung Organisationsüberprüfungen angeordnet, die nach draußen, d. h. an unabhängige Institutionen, gehen. Diese Organisationsüberprüfungen werden in Zusammenarbeit mit dem Bundesrechnungshof erfolgen, und als Ergebnis davon versprechen wir uns eine Rationalisierung des Technischen Dienstes hier im Hause und eine gute, leistungsfähige Organisation auch der anderen Abteilungen, insbesondere des Wissenschaftlichen Dienstes. Hier liegt ein wirkliches Novum insofern vor, als der Sachverstand von außen hinzugezogen wird, um Rationalisierungsmaßnahmen einzuleiten, die dann eventuell auch für andere Verwaltungen beispielgebend sein können.
Allerdings ist für alle in diesem Hause Antriebsmoment dieser Maßnahmen, daß wir die parlamentarische Leistungsfähigkeit und die Kontrolle der Exekutive insgesamt verbessern wollen. Diese parlamentarische Kontrolle hängt aber nicht nur von der Leistungsfähigkeit eines beamteten Apparates hier im Hause ab, sie hängt sicherlich in ebenso starkem Maße von der Leistungsfähigkeit der einzelnen Abgeordneten ab. Diese aber ist nicht immer im guten Willen begründet, sondern beruht zum guten Teil auf den Hilfsmöglichkeiten, die man dem Abgeordneten bietet. Es muß auch in diesem Jahre wiederum gesagt werden: Auf die Dauer geht es in diesem Hause nicht an, daß ein Abgeordneter in bezug auf seine räumlichen Arbeitsbedingungen so gestellt wird wie nach - wie heißt es? - der Raumund Landgebühr der Bundesregierung ein Inspektor.
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Zehn Quadratmeter, daß ist ein bißchen knapp, wenn man vernünftige Arbeit leisten will und das eigene Zimmer mit dem Mitarbeiter geteilt werden muß. Ich will mich darüber nicht weiter verbreiten, aber die Verbesserung der materiellen Arbeitsbedingungen zusammen mit einer Erweiterung des Hilfsapparats, der einem Abgeordneten zur Verfügung steht, ist ein gemeinsames Interesse aller hier im Hause.
Mit der Leistungsfähigkeit, mit dem, was man dann zu leisten, zu geben in der Lage ist, hängt auch die gesellschaftliche Einordnung des Abgeordneten selbst und damit auch seine Bezahlung zusammen. In diesem Jahre liegen ja einige Zahlen vor der Öffentlichkeit. Deshalb sollte man das offen ansprechen.
In der gegenwärtigen Bezahlung - wenn wir diese als für unsere gesellschaftliche Einordnung gewissermaßen bestimmend ansehen wollten - liegt der Abgeordnete gerade zwischen dem Inspektor und dem Oberregierungsrat, je nachdem, was er für einen Familienstand hat.
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Ich weiß nicht, ob das der Weisheit letzter Schluß sein soll und ob dieser Status in der Öffentlichkeit in übergroßer Bescheidenheit von Abgeordneten wirklich vertreten werden sollte. Wer vernünftige Arbeit leisten soll, wer vernünftige Arbeit leistet, hat auch Anspruch auf vernünftiges Entgelt, egal, ob sich das Diäten oder ob sich das Gehalt nennt - und dann versteuert wird.
Wir haben deshalb in diesem Jahr, ausgehend von Kostenentwicklungen und die Kostenentwicklungen nicht voll zur Kenntnis nehmend, auch Pauschalen erhöht, und zwar um einen Gesamtbetrag von 950 DM. Wir haben sehr sorgfältig gerechnet, in welcher Höhe dem Kostensteigerungen zugrunde liegen. Mit dieser Erhöhung werden die Kostensteigerungen nicht voll abgefangen. Wir liegen damit durchaus unter der Marge, wir wollten nicht vorangehen. Aber wer sich - auch von seiten der Journalisten - mit diesen Problemen ernsthaft auseinandersetzt, wird sagen müssen, daß hier berechtigte Dinge in den Haushaltsplan eingestellt worden sind und daß hier berechtigte Forderungen vertreten werden.
Natürlich gibt es in diesem Parlament erhebliche Unterschiede. Natürlich gibt es hier Unternehmer,
die im Nebenberuf Abgeordnete sind. Natürlich gibt es hier Abgeordnete, die als Oberregierungsräte, als Staatsanwälte, als Staatssekretäre oder als Minister Pensionen bekommen. Natürlich sitzen hier im Parlament gestandene Männer mit beruflicher ;Karriere und großer Lebenserfahrung, die man mit dem Studenten, der gerade erst hineingekommen ist, nicht vergleichen kann. Das spricht natürlich nicht gegen den Studenten oder gegen den gerade Examinierten; es ist erfreulich, wenn sich die Alterszusammensetzung des Bundestages ändert. Nur muß man wohl die Ungleichheit der verschiedenen Situationen sehen. Man muß differenzieren, wenn man in der Öffentlichkeit darüber redet, und die Presse muß differenzieren, wenn Sie darüber schreibt.
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Meine Damen und Herren, ich bitte um mehr Aufmerksamkeit für den Redner.
Ich will damit auch schon zum Schluß kommen. Ich will keine Phrasen reden und auch niemanden beleidigen, wenn ich hier sage: Der Abgeordnete kann, gerade wenn sein Geld betroffen ist, nicht als Fußabtreter der Nation gelten.
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Wir haben vernünftige Arbeit zu leisten, wir haben unseren Standpunkt nach außen vernünftig darzustellen, und wer das tut, wird in der Regel merken, daß die Wahlbürger draußen und in den Versammlungen, wo wir ihnen begegnen, Verständnis für Anliegen haben, die vernünftig vorgetragen werden und die auch ihre Begründung in vernünftiger Arbeit finden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bezüge der Abgeordneten des Deutschen Bundestages wie der Abgeordneten der Länderparlamente unterliegen seit jeher in der Öffentlichkeit einer heftigen Kritik, und sie unterliegen, wenn man zuzuhören weiß, auch innerhalb der Parlamente zunehmender Kritik. Nun hat sich der Status des Abgeordneten ständig gewandelt. Noch nach der Reichsverfassung von 1871 wurden Entschädigungen an die Mitglieder des Deutschen Reichstages nicht gewährt. Wegen der ständig drohenden Beschlußunfähigkeit und der gewandelten soziologischen Zusammensetzung wurde erstmals im Jahre 1906 ein Jahresbetrag von 3 000 Mark als Entschädigung festgesetzt.
Heute erfordert die Mandatsausübung in der Regel die volle Arbeitskraft des Abgeordneten. Nach der heute bereits zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1971 nimmt die Aufwandsentschädigung immer mehr den Charakter eines Entgelts für geleistete Dienste an. Daraus folgt, daß die Bezüge den geleisteten Diensten angemessen sein müssen, daß sie der geforderten Arbeitsleistung entsprechen müssen, daß sie gleichzeitig die Aufwendungen abgelten müssen, die der Abgeordnete hat, und daß sie das für viele Abgeordnete mit der Mandatsausübung verbundene berufliche Risiko mit einschließen müssen. Das Ziel muß die Sicherung der Unabhängigkeit des Abgeordneten sein, die auch besonders im Interesse des Bürgers als des Vertretenen liegt. Wir müssen das in aller Klarheit nach draußen deutlich machen. Dies - und ich sage das mit großem Nachdruck - wird jedoch nur möglich sein, wenn wir ingroßer Offenheit in öffentlicher Diskussion versuchen, Vorurteile abzubauen und gleichzeitig berechtigten Einwendungen bezüglich der Art und Weise, wie die Bezüge der Abgeordneten festgesetzt und wie sie gewährt werden, Rechnung tragen.
Ich weiß nicht, ob man sich den Ernst der Situation ganz klarmacht. Es stimmt bedenklich, wenn eine Zeitung wie „Die Zeit" in ihrer Ausgabe vorn 19. April 1974 aus der Feder von Eduard Neumaier folgendes ausführt - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Oft ist es gar nicht so sehr der Inhalt der Beschlüsse, der die Kritik auslöst, sondern die Art, wie sie zustande kommen. Daß der Bundestag die öffentliche, vom Publikum gehörte und verfolgte Rede und Gegenrede in eigener Sache meidet, weckt bei den Bürgern den Verdacht, da werde gemauschelt. Die Parlamentarier ihrerseits fürchten die öffentliche Schelte. Sie drücken sich davor, mit ihren Wünschen an die Öffentlichkeit zu treten, sie publik zu machen, diskutieren zu lassen, aufklärend zu wirken, . . .
Ich glaube, das ist genau der Punkt, in dem allzu lange nicht der richtige Weg eingeschlagen worden ist.
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Es sind neben allgemeinen Strukturfragen des Parlaments, zu denen ich in besonderer Weise die Privilegierung des Beamten als Abgeordneten zähle, im wesentlichen zwei Fragen, die uns beschäftigen müssen und die heute hier in erfreulicher Offenheit von der Frau Präsidentin angesprochen worden sind.
Einmal können wir sicherlich im Rahmen des Etatrechts nicht davon entbunden werden, über eigene Bezüge zu beschließen. Andererseits sollte aber hinsichtlich Höhe und Zusammensetzung dieser Bezüge der Bundestag nicht allein beraten. Vielmehr sollte er sich, wie es in einem Gesetzentwurf meiner Fraktion vorgesehen war, der bereits im Jahre 1968 eingebracht wurde, eines Senats für Parlamentsfragen bedienen, dem unabhängige und im öffentlichen Leben erfahrene Persönlichkeiten angehören. Wenn diese dem Deutschen Bundestag gutachtlich ihre Vorschläge unterbreiten und danach die Festsetzung erfolgt, wird von vielen Verdächtigungen, denen das Parlament heute ausgesetzt ist, kaum noch etwas übrigbleiben.
Der zweite Punkt. Wenn Bezüge immer mehr den Charakter eines Entgelts für erbrachte Leistungen angenommen haben, müssen sie der Besteuerung unterliegen. Viele Kollegen aus diesem Hause, so etwa unser politischer Freund Martin Grüner bereits
im Jahre 1970, haben immer wieder die Besteuerung gefordert. Wenn sie auch nicht in jedem Falle von praktischer Bedeutung ist, so hat sie doch Symbolgehalt, ganz einfach weil sie nach draußen der Öffentlichkeit verdeutlicht, daß wir darauf bestehen, mit allen Bürgern dieses Landes gleich behandelt und in gleicher Weise zur Besteuerung herangezogen zu werden.
Heute kennen bereits Dänemark, Großbritannien, Norwegen, Schweden und die Vereinigten Staaten die volle Besteuerung der Abgeordnetenbezüge. Teilbesteuerung besteht in Belgien, Finnland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, in Osterreich und in der Schweiz. Ich denke, es dürfte an der Zeit sein, endlich mit vielen Reformvorschlägen, die seit langem diskutiert werden, ernst zu machen. Ich stehe hier nicht als irgendein Saubermann für andere Saubermänner.
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Wer die Diskussion draußen verfolgt, wer gleichzeitig verfolgt hat, wie die Parlamente allzulange zugewartet haben, allzulange beraten haben, wird sich, wie ich glaube, darüber klar sein, daß es jetzt wohl an der Zeit ist, in der Diätenfrage endgültig aus jener grauen Zone - so empfindet es zumindest die Öffentlichkeit - herauszukommen und sich aus dem undurchsichtigen Verhalten, auch einem gewissen psychologischen Fehlverhalten herauszuarbeiten.
Die Beratungen der Diätenkommission sind - ich sage das ganz offen nicht immer mit der Eile betrieben worden, wie mancher von uns das erwartet hatte. Um so mehr begrüßen wir heute das sehr klare Wort, das die Frau Präsidentin hier an uns gerichtet hat. Mein Kollege Dr. Hirsch, ich und weitere 18 unserer politischen Freunde waren der Meinung, daß bereits heute der richtige Zeitpunkt sei, in einem Entschließungsantrag zur dritten Lesung des Haushalts ein grundsätzliches Votum für die Einrichtung eines Senats für Parlamentsfragen als auch zur Frage der Besteuerung abzugeben. Der Entwurf unseres Entschließungsantrages ist in den Maschen der geschriebenen Geschäftsordnung und der ungeschriebenen Regeln dieses Hauses hängengeblieben.
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Ich halte dies dann nicht für einen Schaden,
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wenn der Deutsche Bundestag nun mit dem notwendigen Nachdruck aus dem Stadium der Erörterungen heraus in ein Stadium abschließender Beratungen und dann auch abschließender Entscheidungen eintritt. Wir erwarten allerdings, daß vor der Öffentlichkeit verdeutlicht wird, daß wir an diese uns selbst betreffenden Dinge die gleichen Maßstäbe wie an andere politische Fragen anlegen und daß mit der gebotenen Eile gehandelt wird.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht für meine Fraktion,
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sondern ich trage nur meine persönliche Meinung vor. Sicherlich spreche ich auch für viele Jüngere - Jungsozialisten, Junge Union und Jungdemokraten -,
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denn gerade unter den Jüngeren gibt es sehr viel Unbehagen über den Parlamentarismus. Dieses Unbehagen hängt auch mit der Frage zusammen, über die wir jetzt diskutieren.
Ich möchte begründen, warum ich der Erhöhung der Kostenpauschale und damit dem Einzelplan 02, über den ja die Angelegenheiten des Parlaments finanziert werden, nicht zustimmen werde. Die öffentliche Meinung hat es peinlich gemacht, für Diäten- oder Pauschalerhöhung zu sein. Die Meinung der Mehrheit der Abgeordneten macht es peinlich, gegen eine solche Erhöhung zu sprechen, und zwar deshalb, weil jedem Gegner vorgeworfen wird, er würde sich auf Kosten anderer aufwerten oder, wie man auf hochdeutsch sagt, profilieren. Diesen Vorwurf haben viele Mitglieder des Bundestages erfahren, die sich in der Vergangenheit zu diesen Fragen geäußert haben. Deshalb habe ich es als ein gutes Zeichen empfunden, daß der Haushaltsausschuß diesmal erklärt hat, er gehe davon aus, daß in der zweiten Lesung die Fragen der Pauschalenerhöhung offen diskutiert würden. Damit hat der Haushaltsausschuß sicherlich nicht eine Demonstration der Solidarität von Demokraten gemeint, die sich in Einstimmigkeit über Gehaltserhöhungen erschöpft, sondern er wollte sicher eher Gelegenheit geben, die Solidität der Demokraten zu erproben, die darin besteht, abweichende Meinungen gerade auch dann zu hören und zu akzeptieren, wenn sie uns persönlich betreffen.
Ich bin der Auffassung, daß es im Interesse der parlamentarischen Demokratie und im Interesse unserer Staatsbürger liegt, wenn die Arbeit des Abgeordneten angemessen vergütet wird und wenn auch öffentliche Mittel für Kosten der Mandatsausübung zur Verfügung gestellt werden. Das ist eine Voraussetzung dafür, daß im demokratischen Staat das Parlament allen Schichten dieses Volkes offensteht. Das ist aber auch nur eine Voraussetzung; es gibt andere Voraussetzungen, die nicht erfüllt sind. Das zeigt die Soziologie dieses Parlaments, in dem kaum Arbeiter und wenig kleine Selbständige vertreten sind.
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Ich bin also kein Gegner der Abgeordnetenbesoldung oder auch einer Amtsausstattung, auch nicht einer gewissen Pauschalierung, soweit diese Pauschalierung der Entbürokratisierung eines Abrechnungsverfahrens dient. Ich bin aber nicht bereit, der Erhöhung der Pauschalen um 900 DM zuzustimmen, und zwar aus folgenden Gründen.
Erstens. Ich bin der Auffassung, daß das System der Pauschalierung unehrlich ist, weil es bei einem großen Teil der Abgeordneten in den privaten Konsum fließt. Frau Präsidentin, es tut mir leid, daß ich widersprechen muß: In der Praxis - die Erfahrung macht jeder, der über seine eigenen Kosten Rechenschaft ablegt - sind die Pauschalen leider doch ein Teil des Einkommens.
Ich denke hier zunächst an diejenigen Abgeordneten, die nur die Diäten als Einkommen haben, die ganz für die Politik leben und deshalb auch von der Politik leben müssen, und vor allem an die, die eine größere Familie haben. Nach meinen Berechnungen ist es für diese Abgeordneten unmöglich, von den Grunddiäten zu leben. Nehmen Sie die 3 600 DM. Ziehen Sie ab 900 DM Altersversicherung, 450 DM Fraktionsbeitrag, 120 DM Parteibeitrag, Krankenversicherung, ziehen Sie ab den Verlust der Vergünstigungen, etwa Benutzung einer Wohnung im sozialen Wohnungsbau oder vielleicht auch die Förderung der Kinder nach dem Bundesausbildungsgesetz - das manche Abgeordnete nicht in Anspruch nehmen wollen -, so stellen Sie fest, daß insgesamt ein Nettoeinkommen herauskommt, das bei etwa 2 000 DM liegt. Ich glaube, wir sollten ehrlich zugeben, daß sich viele Kollegen mit größerer Familie, die in den Bundestag kommen, bei einem Einkommen von 2 000 DM verschlechtern würden im Vergleich zu dem, was sie vorher hatten. Das kann man von ihnen ehrlicherweise nicht verlangen. Deshalb, meine ich, sollte das Parlament den Mut haben, ganz offen über die angemessene Vergütung der Tätigkeit gerade dieser Kollegen zu sprechen.
Die andere Gruppe von Abgeordneten umfaßt z. B. die Fraktionsvorsitzenden, ihre Stellvertreter, die Fraktionsgeschäftsführer, die Präsidenten, die Verbands- und auch oft die Gewerkschaftsvertreter und natürlich vor allen Dingen die privaten Unternehmer. Diese Abgeordneten haben ihre Büros oder sie bekommen sie gestellt, sie haben Dienstwagen. Hier sprechen nun die praktische Lebenserfahrung und auch die Beobachtung dafür, daß ein Teil der Pauschalen - eben weil sie gar nicht für politische Zwecke ausgegeben werden können, da diese durch andere Einrichtungen finanziert werden - ebenfalls in den privaten Konsum fließt Das halte ich nicht für eine Angelegenheit, mit der wir uns zufriedengeben sollten.
Zweitens ist das System der Pauschalierung auch ungerecht. Bei der Reisekostenpauschale etwa wird der Abgeordnete, der wie ich in einer Großstadt - Kiel - lebt, bevorzugt gegenüber anderen Kollegen, die etwa einen Wahlkreis haben wie Nordfriesland, der zehn- oder zwanzigmal so groß ist. Das ist eine eindeutige Ungerechtigkeit.
({3})
Bei der Tagegeldpauschale wird z. B. der Flensburger Kollege benachteiligt gegenüber dem Bonner Kollegen. Niemand von uns kann behaupten, daß der Kollege, der in Bonn lebt, genausoviel Tagegeld verwendet wie sein Flensburger Kollege oder daß ich versuche, im Stadtgebiet Kiel die 900 DM Reisekosten zu verprassen, die dagegen ein Kollege in Nord- oder Ostfriesland bitter nötig hat.
({4})
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe.
Ich meine, auch hier gilt immer noch, was der Kollege Collet einmal gesagt hat: daß bei diesem System eigentlich der Fleiß des Abgeordneten bestraft wird. Denn je mehr er tut, je mehr er ausgibt, desto weniger behält er auch nach. Dies ist in der Tat etwas absurd in einem Haus, in dem oft die Vorteile der Leistungsgesellschaft beschworen werden. Ich meine, daß wir in diesem Falle sehr viel weiter kämen, wenn mehr Dienstleistungen durch den Bundestag erbracht würden, mehr Naturalleistungen, wenn man z. B. seine Post als Abgeordneter kostenlos verschicken könnte oder die Möglichkeit hätte, 50 oder 100 Bundestagsdrucksachen für die Arbeit im Wahlkreis zu beziehen, ohne daß man darüber Abrechnung im Hause vornehmen muß - eine Regelung, die sowieso niemand außerhalb des Parlaments verstehen kann.
Drittens. Ich bin gegen eine Erhöhung der Pauschalen um 9 0 0 D M. Sie ist absolut unangemessen. Nach meiner Auffassung wäre allenfalls eine Erhöhung entsprechend den gestiegenen Preisen seit dem 19. November 1972 in Frage gekommen.
({0})
- Nein, nein. Der Grundsatz der Diskontinuität des Parlaments, gilt, meine ich, auch für die Besoldung und die Pauschalierung der Bezüge der Abgeordneten. Ich kann doch nicht nach anderthalb Jahren die zusätzlichen Ausgaben ersetzt bekommen, die angeblich die Kollegen von 1964 bis 1972 gehabt haben sollen. Dies ist ein System, das keiner logischen Prüfung standhält.
({1})
Ich habe das Gefühl, daß diese 900 DM gewissermaßen einen tiefen Schluck aus der Flasche darstellen, um das Unbehagen zu betäuben, das viele Abgeordnete über ihren Status, über ihre wirtschaftliche Situation, über das Verfahren der Pauschalenerhöhung und ihre Arbeitsmöglichkeiten empfinden. Lassen Sie mich dieses Unbehagen in einigen Fragen artikulieren, die ich an das Parlament und auch an mich selbst richten möchte. Wie können wir vom Bürger mehr Steuerehrlichkeit verlangen, wenn wir unsere Diäten nicht besteuern und zulassen, daß Kostenpauschalen in den privaten Konsum fließen? Nun hat die Frau Präsidentin zwar angekündigt, daß jetzt endlich die Diätenbesteuerung in Gang kommen soll. Aber als ich die alten Protokolle des Bundestages noch einmal studiert habe, bin ich doch ziemlich deprimiert gewesen. Ich habe zwar jetzt schon die Hoffnung, aber noch nicht den Glauben, daß es zum 1. Januar 1975 zu der Besteuerung kommen wird, die wir doch in der großen Mehrheit für notwendig halten. Frau Präsidentin, ich möchte an Sie appellieren: verlangen Sie keine perfekte Lösung. Wenn wir überall im Steuerrecht perfekte Lö6742
sungen verlangen wollten, dann würden wir nie eine Steuerreform zustande bringen. Wir sollten uns nicht perfekter, „gerechter" behandeln, als es uns für die Mehrheit unserer Staatsbürger möglich ist.
Die zweite Frage! Wie kann in diesem Hause die Leistungsgesellschaft gepriesen werden, wenn die ca. 40 bis 70 % Beamten, die sich in den deutschen Parlamenten befinden, ein „arbeitsloses" Nebeneinkommen beziehen? Wie soll eine Reform des öffentlichen Dienstes mit dem Ziel höherer Leistungsfähigkeit erreicht werden, wenn es möglich ist, daß sich Abgeordnete, die „nebenbei" Beamte sind, zwischen den Legislaturperioden befördern lassen. Wie wollen wir guten Gewissens berechtigte, aber noch nicht finanzierbare Forderungen von Rentnern, Kriegsopfern, Studenten an den Staat ablehnen, wenn wir selbst das Parlament in den Geruch eines Selbstbedienungsladens bringen? Diesen Vorwurf können wir nicht ernst genug nehmen. Nach den Beobachtungen dieser anderthalb Jahre und nach dem Studium der Protokolle habe ich das Gefühl, daß das Parlament es selbst nicht schafft. Wir brauchen ein Gremium unabhängiger Gutachter, das uns auf den Weg bringt. Wir brauchen auch den Druck der Öffentlichkeit. Wir selbst schaffen es wahrscheinlich nicht. Deshalb halte ich es doch für sinnvoll, hier heute über diese Fragen zu diskutieren.
Ich habe schon den Zwischenruf von den Arbeiterwohlfahrtsspenden gehört. Natürlich können die ganz Schlauen sagen: „Der hat es gut! Der stellt sich dorthin, spricht gegen die Pauschalenerhöhung und kassiert nachher das Geld ein!" Da befinde ich mich in der gleichen Situation wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Sie alle die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst heftig kritisiert haben, aber nun doch stillschweigend die 11 % einstecken, die Ihnen zugute kommen. Für Sie, für uns ist doch mitgestreikt worden, ob es Ihnen gefällt oder nicht!
Ich kann Ihnen auch sagen - vielleicht interessiert es manchen -: Ich stelle jährlich für die Bürger meines Wahlkreises eine Abrechnung auf, die ich veröffentliche und aus der exakt ersichtlich ist, wofür ich die Diäten und Pauschalen ausgegeben habe. Das hat mir schon eine Mahnung der Diätenabteilung des Deutschen Bundestages eingetragen, weil dadurch sichtbar wurde, daß ich auch von Pauschalen lebe. Aber ich werde mit dieser Aufstellung den Beweis antreten, daß ich diese neue Pauschalenerhöhung nicht für private Zwecke verwenden werde.
({2})
Gestatten Sie mir ein letztes Wort über die Arroganz, mit der wir manchmal auf die öffentliche Kritik an Pauschalen und Diäten reagieren. Oft wird diese Kritik als antiparlamentarisch oder als Stammtischgerede abgetan. Manchmal ist es ganz gut, an den Stammtischen zuzuhören. Ich bin auch der Auffassung, daß wir durch die Praxis des Parlaments den wenigen antiparlamentarischen Kräften unnötigen Stoff für ihre Kritik geben. Ich bin aber der Auffassung, daß eine Reform und eine öffentliche Diskussion des Pauschalen- und Diätensystems des
Deutschen Bundestages einen Beitrag zur Glaubwürdigkeit dieses Parlaments und zur Glaubwürdigkeit des parlamentarischen Systems liefern kann, den es bitter nötig hat.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Collet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Zeitpunkt meiner Wortmeldung hatte ich andere Vorstellungen als jetzt hinsichtlich meiner beabsichtigten Ausführungen.
Der Kollege Norbert Gansel hat sich damit auseinandergesetzt, daß ihm von manchem vorgeworfen wird, er wolle sich mit einer solchen Aussage auf Kosten der anderen in diesem Hause selbst profilieren. Ich persönlich unterstelle ihm das nicht; aber ich habe ihm die Frage zu stellen: Wenn das - einiges davon, aber nicht alles, wird von mir für richtig gehalten - Ihre Ansicht war, dann hatten Sie genug Zeit, in der Sie den Kollegen dieses Hauses eine Vorstellung darüber, wie die Änderung Ihrer Meinung nach aussehen soll, als geschriebene Vorlage hätten zustellen können, anstatt sie als Kritik hier bei der Endentscheidung vorzutragen.
({0})
Dann hätte man heute und hier in den einzelnen Punkten eine Alternativabstimmungsmöglichkeit gehabt. Der das hier sagt, macht nicht in Polemik. Es ist derjenige, der im 5. Deutschen Bundestag manchmal hier stand, um Dinge des Parlaments zu verändern, da und dort auch im Widerspruch; aber damals gab es Vorlagen - abstimmungsreife Vorlagen -, die vorher jeder in diesem Hause kannte. Man hat damals monate- und jahrelang mit einzelnen Personen gesprochen und sogar eine Arbeitsgemeinschaft gegründet, um die Möglichkeit der Anstellung von Mitarbeitern zu schaffen, um das Vorblatt durchzusetzen und um die Loseblattsammlung zum Stand der Gesetzgebung, die wir alle bekommen, zwecks Arbeitsverbesserung zu erreichen.
Zwar wissen einige von uns seit einigen Tagen und auch schon Wochen, daß es eine andere Überlegung bei Ihnen gibt, aber keiner hat etwas, worüber man abschnittsweise abstimmen kann und dem der einzelne dort, wo er es für richtig hält, zustimmen bzw. das er ablehnen kann. Man kann doch nicht so einfach die Vielfalt der Situationen der einzelnen Abgeordneten - Sie haben sie selbst aufgezählt - außer acht lassen. Der eine von uns hat noch einen Handwerksbetrieb, der andere lebt nur vorn Bundestag, der eine hat 150 Orte zu betreuen, der andere einen großen Block in einer Großstadt und hat also gar keine Entfernungen zu überwinden. Jeder steht also in einer anderen Situation. Es ist tatsächlich recht schwierig gewesen, das einheitlich zu regeln. Aber wer hier den Anspruch erhebt, nicht zuzustimmen - für mich ist die Regelung, die wir jetzt haben, auch nicht befriedigend -, hätte die Verpflichtung gehabt - mit anderen zusammen -, diesem Hause eine Vorlage zuzuleiten.
Ich will diese Gelegenheit benutzen, um der Frau Präsidentin dafür zu danken, daß wir jetzt davon ausgehen - und da ich im Ältestenrat mitbeteiligt bin, weiß ich, daß wir davon ausgehen können -, daß ab 1. Januar 1975 die Besteuerung der Diäten kommen wird; dann werden wir etwas mehr Gerechtigkeit bekommen.
({1})
Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß auch dann noch nicht all das geregelt ist, was es hier im Hause zu regeln gilt. Ich habe in früheren Jahren einige Anregungen zur Verbesserung der Situation im Parlament gemacht, Anregungen die entlasten sollen, die auch dazu beitragen sollen, den Plenarsaal besser zu füllen, weil es doch immer wieder so aussieht, daß man den Plenartag in vielen Fällen als Arbeitstag am Schreibtisch benutzen muß.
Ich meine, es gibt über die von mir gegebenen Anregungen hinaus noch einiges zu verbessern, was nicht unbedingt viele Mittel des Steuerzahlers in Anspruch nehmen müßte. Es ist nicht einzusehen, daß 500 oder an einem bestimmten Tag vielleicht 50 von uns gleiche Arbeitsgänge machen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie dringend um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner bitten.
- - um herauszufinden, wie sie das Problem bezüglich einer Besuchergruppe regeln. Wir müßten auch hier einen Führer oder Wegweiser haben - ich denke da nicht an ein Telefonbuch -, in dem man nachschlagen kann und Formblätter vorfindet, einen Wegweiser also, der darüber Auskunft gibt: Was tue ich, wenn ... Das muß für diese oder jene Frage, die routinemäßig wiederkehrt, möglich sein. Ein solches Handbuch zu verwirklichen, müßte doch möglich sein.
Und dann darf ich zu dieser Loseblattsammlung, für die ich mich bedanken darf, daß sie zwischenzeitlich eingeführt wurde, sagen, daß man in Zukunft die Inhaltsangabe etwas ausführlicher machen und dazu die Rückseite des jeweiligen Blattes der Loseblattsammlung benutzen sollte.
Aber meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Wortmeldung erfolgte aus einer ganz anderen Überlegung. Da fand vor einigen Wochen in Baden-Württemberg eine Bürgermeisterwahl statt, und diese Bürgermeisterwahl hätte beinahe dazu geführt, daß ein - ersparen Sie mir den eigentlich angebrachten Ausdruck - Bürger dieses Landes, der auf alle Parteien die Dreckkübel ausgeschüttet hat, zum Bürgermeister gewählt worden wäre. Ich meine, auch wir hier in diesem Hause sollten über Ursachen nachdenken, wieso schon bei kleinen kritischen Situationen. die Wähler oder ein großer Teil der Wähler einer ganzen 'Stadt bereit sind, einen solchen Mann zu wählen, ohne zu untersuchen, wie nachher das verwirklicht werden soll, was da versprochen wird. Wir kennen ähnliche Erscheinungen. So hat z. B. das Interregnum zum Zeitpunkt der Minderheitsregierung Erhard eine andere extreme Gruppe sofort auf 8 % gebracht. Wir haben immer wieder festgestellt, daß wir hier bis
zu einem gewissen Grade auch dazu beitragen können, daß solche Entwicklungen nicht möglich sind.
Ich kann mir nicht erklären, warum es notwendig ist, daß ein hier Anwesender, ein Wissender, der z. B. dem Wirtschaftsausschuß oder dem Sozialausschuß angehört, sich hier im Plenum für die Öffentlichkeit darüber ausläßt, daß so wenige hier sind, obwohl er am Tag danach, wenn ein anderes Thema dran ist, selber abwesend ist, weil .er fleißig am Schreibtisch seine Arbeit erledigt. Warum müssen wir selber dann noch in solchen Momenten solche Aussagen hier machen? Warum müssen wir uns wechselseitig bei den verschiedensten Gelegenheiten parteipolitische Motive vorwerfen und damit denjenigen Vorschub leisten, denen Parteien schon an sich suspekt sind? Was soll diese Unterstellung bei jeder Gelegenheit? Sind nicht die Parteien nach dem Grundgesetz dazu da, die Politik mit zu erarbeiten und zur Meinungsbildung beizutragen? Wenn wir oder manche von uns dann ständig auf denjenigen spekulieren, der da sagt: „Ich bin ein feiner Mann, ich bin ja in keiner Partei", dann fördern wir doch jene Haltung mit solchen Aussagen. Wir werfen uns hier im Hause vor, bei einer Auseinandersetzung Wahlkampf zu machen oder auf Wahlen zu spekulieren. Ist denn nicht auch das legitim? Warum werfen wir uns das vor und tragen dazu bei, daß dann negative Meinungsbildungen über das Parlament und über die Parteien entstehen?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein erfreuliches Erlebnis - das wurde dieser Tage vom Herrn Bundeskanzler schon erwähnt - war für mich hier die Auseinandersetzung über den § 218. Da hatte auf einmal tatsächlich die Sachlichkeit - so habe ich es jedenfalls empfunden - den Vorrang, und jeder hat auch irgendwo den anderen respektiert. Kann es nicht möglich werden und möglich sein, es miteinander zu schaffen, dies bei allen Entscheidungen so zu halten, oder ist das Spekulieren auf das Draußen so groß, daß Sachlichkeit hier nicht mehr möglich ist?
({0})
Ich könnte natürlich einige Beispiele zitieren; aber dann käme ich in Gefahr - jeder ist schließlich selbst politisch engagiert -, daß das, was ich sagen will, nicht die Wertung bekommt, die ich dafür gerne hätte. Aber wir sollten einmal vergleichend die Debatte über den § 218 und die Verfassungsdebatte bzw. die Debatte über den Bericht des Untersuchungsausschusses durchlesen. Lesen wir einmal beides vergleichend durch und versuchen wir objektiv zu sein! Ich denke auch an die Zwischenrufe, die wir nicht gehört haben, die wir nur nachher nachlesen konnten. Dann erkennen wir, daß es zwingend notwendig ist, den Umgang miteinander anders zu handhaben, wenn wir nicht dazu beitragen wollen, daß solche Scharlatane, wie in Baden-Württemberg einer kandidiert hatte, in Zukunft größere Chancen haben und uns dann den Ärger machen, der dem ganzen Volke nicht dienen kann.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen des Kollegen Gansel haben mich veranlaßt, Ihre Aufmerksamkeit noch ein paar Minuten in Anspruch zu nehmen.
({0})
Denn ich meine, wir sollten ihm einerseits dankbar sein, daß er ein Thema angerührt hat, an dem wir uns eigentlich zu lange vorbeigedrückt haben, aber wir sollten ihm andererseits auch sagen, daß wir seine Meinung nicht in allen Punkten teilen können.
Ich stimme einem Teil der Kritik zu, was das System der Zusammensetzung der Diäten aus Aufwandsentschädigung und pauschalierter Kostenerstattung angeht. Norbert Gansel ist nicht einmal weit genug gegangen. Wenn ich als Eckmann jemand nehme, der aus einer Druckerei von einer Maschine her in den Bundestag kommt und seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, dann wird er klug daran tun, seine Sozialversicherung aufrechtzuerhalten. Das kostet noch einmal 500 DM, und dann wird er nicht die 2 000 DM haben, von denen Norbert Gansel sprach, sondern sogar nur 1 500 DM. Wenn er dem nachkommt, was aus seinem Wahlkreis gefordert wird, nämlich daß er plötzlich einer ganzen Reihe von Vereinen und karitativen Organisationen beitreten
({1})
und reichlich für Männergesangvereine, Sportvereine der verschiedensten Art spenden soll - an Diäten nimmt das Volk mehr Anteil als nur kritischen, sondern es kassiert auch -,
({2})
wenn er dies alles nach dem Steuersystem aus dem Grundaufwandsentschädigungseinkommen bezahlen soll, dann wird er im Grunde genommen nicht auskommen - auf keinen Fall dann, wenn er Kinder hat, für die er noch den Schulbesuch oder den Universitätsbesuch mit finanzieren soll.
Insofern also ist die Grundaufwandsentschädigung in der Tat, wenn wir die Systematik des Steuerrechts an sie anlegen, nicht ausreichend, und man finanziert die Ausgaben, die man als Familienvater hat - wenn ich etwa diesen Eckmann nehme -, tatsächlich zu einem Teil aus den Pauschalen, und dies ist auch nach meiner Auffassung nicht in Ordnung.
Aber man kommt andererseits nicht daran vorbei, daß auch diese Pauschalen als Kostenersatz gedacht sind und daß die Kosten für Abgeordnete in genau dem gleichen Ausmaße wie für andere steigen. Und da wir nicht alle aus Großstädten kommen - manche fahren 20 000 Kilometer, manche 40 000 Kilometer im Jahr aus Mandatsgründen mit dem Auto; manche Kollegen, die keine Wahlkreisabgeordneten in dem Sinne sind, wie es viele bei der SPD und bei der CDU/CSU gibt, etwa sämtliche Kollegen von der FDP, sind eigentlich Abgeordnete mindestens des ganzen Landes, aus dem sie stammen -,
({3}) treten zum Teil ganz andere Belastungen an Reisekosten auf. Und nicht jeder kann seinen Wahlkreis oder das Gebiet, das er zu betreuen hat, mit dem Fahrrad bereisen oder, wenn es regnet, ein Taxi nehmen, sondern hier muß man für anderes geradestehen.
Und dann gibt es ja noch weitere Reisen. Man fährt zu den Einrichtungen, die aus dem Bundeshaushalt finanziert werden, und schaut sich an, was die eigentlich machen; da gibt es keine zusätzlichen Reisespesen.
All diese Aufwendungen werden aus den Pauschalen gedeckt. Wer meint, daß diese Pauschalen nicht angehoben werden dürfen, scheint der Auffassung zu sein, daß die Abgeordneten ihrer Arbeit nicht angemessen nachgehen sollen. Wir sind im Grunde genommen nichts anderes als reisende Vertreter im Interesse des Volkes. Jedem anderen, der reisend als Vertreter nicht unbedingt fürs Volk - tätig wird, billigen wir mit dem Steuerrecht oder mit dem Reisekostenrecht Kostenerstattungen, die auch zu einem guten Teil pauschaliert werden, zu.
Nun sollten wir zwar das Recht, das wir für Bürger setzen, weitgehend auch zum Maßstab für uns machen - und ich meine, daß dabei im Diätenbereich noch manches gemacht werden kann; z. B. frage ich mich immer, warum das, was wir an gutem Sozialversicherungsrecht einschließlich Dynamisierung und flexibler Altersgrenze geschaffen haben, nicht auch auf uns Abgeordnete angewendet werden soll -, aber ich weiß auch, daß eis ein komplizierter Vorgang ist, uns selber in dieses Rechtssystem einzufügen. Das liegt, wie der Kollege vorhin gesagt hat, daran, daß das Mandat noch häufig aus einem Verständnis heraus gesehen wird, das dem des Reichstags der Kaiserzeit ähnelt, und daß das, was dort an Schwierigkeiten infolge althergebrachter Traditionen vorhanden ist, so schnell nicht zu überwinden ist.
Ich möchte mich auch im Namen einiger Kollegen gegen Überlegungen wenden, die Norbert Gansel sicherlich so pauschal nicht gemeint hat. Sicher werden immer einige Abgeordnete berühmt, wenn sie sich zwischen zwei Legislaturperioden befördern lassen. Aber es wäre sehr freundlich von den Journalisten, wenn sie einmal die größere Zahl der Abgeordneten ausfindig machten, die dies über viele Legislaturperioden hinweg nicht getan haben; die gibt's hier auch.
({4})
Von daher meine ich, daß wir zu der Erhöhung der Kostenpauschalen stehen dürfen und auch stehen sollen, daß wir sie auch vor der kritischen Bevölkerung verteidigen und daß wir deutlich machen sollten, daß wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages nicht gewillt sind, uns schlechter zu behandeln, als jeder Bürgermeister, jeder Landrat behandelt wird, der Diensträume, Dienstwagen, Diensttelephon, Dienstpost, Sekretärin usw. hat
({5})
und auch einen Verfügungsfonds, aus dem er das Volk an dem Aufwand, den seine Behörde hat, teilnehmen läßt.
({6})
Dies alles wollen wir so gar nicht für uns. Wir wollen nicht in die Karrierenform des öffentlichen Dienstes eingegliedert werden, aber Abgeordnete sollten imstande sein, mit ihrer finanziellen Amtsausstattung in der Tat ihre Unabhängigkeit zu wahren. Es ist besser, man kann sich selber ein Büro mieten, als daß man in einem Büro residiert, das einem andere zur Verfügung stellen.
({7})
Diese Erhöhung der Kostenerstattungspauschalen verhindert auch - und das ist es mir auch wert - das Einschmuggeln des imperativen Mandats über eine Hintertreppe. Ich hoffe, dazu, daß ich das gesagt habe, zollen Sie auch Beifall.
({8})
Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Änderungsanträge liegen nicht vor.
Wer dem Einzelplan 02 - Deutscher Bundestag - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Eine Gegenstimme. - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. - Mit einer Gegenstimme angenommen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich rufe auf: Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksache 7/1913 Berichterstatter: Abgeordneter Schmitz ({1})
Ich nehme an, daß das Haus auf die Berichterstattung verzichtet. Änderungsanträge liegen nicht vor. Das Wort wird nicht begehrt.
Wer dem Einzelplan 03 - Bundesrat - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich sehe keine Gegenstimme. - Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen!
Ich rufe auf: Einzelplan 04
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes
- Drucksache 7/1914 Berichterstatter: Abgeordneter Esters
Abgeordneter Baier
Ich frage die Herren Berichterstatter Esters und Baier, ob sie das Wort wünschen. - Sie haben nicht das Bedürfnis zu sprechen. Das Haus verzichtet auf den Bericht.
Ich rufe zugleich auf den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2133.
Das Wort hat der Abgeordnete Haase ({2}).
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Motive, die die CDU/CSU veranlassen, aus politischen Gründen den Einzelplan 04 abzulehnen, sind im Laufe der Aussprache über die Regierungserklärung von vielen Damen und Herren meiner Fraktion ausführlich dargelegt worden. Die Haushaltsdebatte gibt jedoch Veranlassung, sich sowohl mit dem Kanzleramt als auch mit dem Presseamt und mit den Etats der beiden Ämter kurz zu befassen.
In seinem „Bericht aus Bonn" schreibt unser verehrter Herr Kollege Conrad Ahlers am 10. Mai 1974 in der „Wirtschaftswoche" - und ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz zitieren -:
Buchstäblich in allerletzter Stunde seines Daseins als Bundeskanzler gelang es Willy Brandt, was sich zu seinem großen Ärger in den vergangenen fünf Jahren fast immer als unmöglich erwiesen hatte: Die Geheimhaltung eines wichtigen Vorganges bis zu dem Augenblick, an dem der Kanzler ihn zur Veröffentlichung freigab. Willy Brandt hatte sich ausgebeten, daß die Öffentlichkeit erst dann von seinem Rücktritt erfuhr, wenn der in Hamburg weilende Bundespräsident das Rücktrittsgesuch in den Händen und angenommen habe.
Meine Damen und Herren, daß es den Verantwortlichen im Kanzleramt gelang, man muß schon sagen, dieses Bravourstück von Verschwiegenheit zu produzieren, wird auch von der Opposition anerkannt. Aber es scheint wohl das einzig Positive, was unter Leitung des Staatssekretärs Grabert aus diesem Amt in den letzten Monaten zu vermelden ist. Wir haben im vergangenen Jahr anläßlich der Haushaltsdebatte - und der Kollege- Baier hatte darauf hingewiesen - erhebliche Zweifel an den Führungsqualitäten Graberts angemeldet. Nun, unsere Warnungen wurden in den Wind geschlagen, und heute hat die Republik für die Unfähigkeit dieses Amtsleiters zu büßen.
({0})
- Und seines Vorgängers! Aber wir wollen uns am heutigen Tage an den vorliegenden Etat halten. Und der letzte, der im Amte war, ist nun einmal Herr Grabert.
Gestatten Sie, daß ich noch einen Augenblick auf ihn zu sprechen komme. Es besteht inzwischen wohl kein Zweifel mehr an der kläglichen Rolle, die dieser als verantwortlicher Leiter des Kanzleramtes gespielt hat.
({1})
Er war nicht nur mitverantwortlich für die Deroutierung des Geschäftsbetriebs in diesem Hause, für mangelnde Koordination und Kooperation innerhalb der Bundesregierung, sondern er war auch Hauptverantwortlicher für die Kumpanei in diesem Amt, die Vetternwirtschaft und das heillose Durchein6746
Haase ({2})
ander von politischen und privaten Kontakten und Beziehungen.
Noch grotesker erscheint aber die Rolle dieses Vertrauten des zurückgetretenen Kanzlers im Zusammenhang mit der Behandlung des Falles Guillaume. Es war doch Grabert, der dem damaligen Kanzler die unwürdige Rolle andiente, die Genscher für ihn vorgesehen hatte, praktisch den Köder an der Angel der Verfassungsschützer zu spielen, um Guillaume und den angeblichen Agentenring, wie Herr Genscher hier vor diesem Hause ausführte, endgültig überführen zu können.
({3})
Herr Abgeordneter Haase, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte sehr, Graf Lambsdorff.
Herr Kollege Haase, haben Sie sich wirklich nicht in der Lage gesehen, nach dem Personenwechsel im Bundeskanzleramt Ihr vorbereitetes Manuskript noch einmal zu überarbeiten?
({0})
Verehrter Graf Lambsdorff, ich verstehe ja, daß es Ihnen außerordentlich unangenehm ist,
({0})
wenn dieses Amt und die Details, die dort zu verifizieren waren, hier noch einmal vor der deutschen Öffentlichkeit zur Erörterung gebracht werden. Es ist unsere Pflicht als Opposition, auf die schwachen Stellen hinzuweisen und den neuen Kanzler zu bitten, daß er in diesem Amt Änderungen an Haupt und Gliedern herbeiführt.
({1})
Ich glaube, daß durch dieses Spiel das Ansehen Willy Brandts außerordentlich in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Weiter trägt Herr Grabert letztlich auch die Verantwortung für die unzutreffenden Angaben, die der damalige Bundeskanzler am 26. April 1974 vor dem Bundestag vortrug. Von ihm stammen wohl auch die Formulierungen, daß Guillaume nicht die Aufgabe hatte, irgendwelche geheimen Vorgänge zu bearbeiten, und auch der Hinweis, Guillaume habe keinen Zugang zu geheimem Material gehabt.
Er ist wohl auch der Schöpfer der brillanten Aussage, die Enttarnung des Guillaume sei ein schwerer Schaden für die DDR. Da kann man nur sagen, meine Damen und Herren: Dümmer ging's nimmer!
Endlich muß Grabert auch dafür in Anspruch genommen werden, daß die einzelnen Ressorts den Fall Guillaume, was die Unterrichtung der Öffentlichkeit anbetrifft, nach ihren eigenen Interessen gegeneinander, aber nicht einheitlich, geschweige denn aufklärend behandelt haben.
Daß Herr Bundeskanzler Schmidt auf die weitere Mitarbeit Graberts verzichtet hat, wird von der Opposition sehr begrüßt. Wir hoffen, daß in diesem unter die Räder gekommenen Amt, wie ich Ihnen vorhin schon sagte, verehrter Graf Lambsdorff, eine Reform an Haupt und Gliedern herbeigeführt wird.
Im Zuge dieser Reform sollte der Herr Bundeskanzler auch kritisch die Etatansätze bei seinem eigenen Haushalt prüfen.
({2})
Er hat ja angekündigt, daß zur Wiedererlangung einer gewissen Stabilität öffentliche Hand und Bürger mit erheblichen Einschränkungen rechnen müssen. Verehrter Herr Bundeskanzler, da bekanntlich die Wohltätigkeit zu Hause beginnt, empfehle ich Ihnen, mit gutem Beispiel voranzugehen und sich in eigener Sache zu einem Stabilitätsopfer zu entschließen.
Für eine gute Tat geeignet erscheinen mir Kürzungen, deren Umfang ich allerdings in Ihr Belieben stellen möchte,
({3})
bei folgenden Ansätzen: Da gibt es bei Kap. 04 01 zur Verfügung des Bundeskanzlers für außergewöhnlichen Aufwand immerhin über 300 000 DM. Weiter gibt es zur Verfügung des Bundeskanzlers für allgemeine Zwecke über 300 000 DM; das ist auch ein dankbarer Titel. Bei Kap. 04 03 erscheinen zur Förderung des Informationswesens über fünf Millionen DM zur Verfügung des Bundeskanzlers. Hier könnten Sie auch etwas kürzen. Schließlich gibt es im Etat des Presse- und Informationsamtes einen Titel „Öffentlichkeitsarbeit Inland" in Höhe von über 12 Millionen DM. Verehrter Herr Bundeskanzler, diese Kürzungen könnten bewirkt werden, ohne daß die Republik Schaden nähme. Im Gegenteil, die Produktion von manch grobem Unfug auf dem Gebiet der Regierungswerbung würde zu unser aller Nutzen eingeschränkt werden.
Bei dieser Gelegenheit muß ich noch auf einen weiteren engen Mitstreiter Willy Brandts im Kanzleramt zu sprechen kommen, der gleichfalls an prominenter Stelle für den Fehlschlag und den Niedergang der Regierung Brandt /Scheel verantwortlich zeichnet. Es ist der Herr Sonderminister a. D. Egon Bahr, der Architekt jener für unser Land so verhängnisvollen Ostpolitik, auf dessen weitere Mitarbeit 1 der neue Bundeskanzler gleichfalls dankenswerterweise verzichtet hat. Professor Carstens machte bereits gestern deutlich, wie sehr die Opposition die Entlassung Bahrs begrüßt, zumal die CDU/CSU diese immer wieder gefordert hatte. Nun aber geistert der Herr Sonderminister Bahr noch immer durch unseren Haushaltsentwurf. Man sollte im Interesse der gebotenen Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit auch dort das Kapitel Bahr endgültig löschen.
({4})
Die Fraktion der CDU/CSU stellt, weil es seit der
Regierungsumbildung keinen Bundesminister für besondere Aufgaben beim Bundeskanzler mehr gibt,
Haase ({5})
den Antrag, seine Bezüge einzusparen und die Stelle für einen persönlichen Referenten zu streichen.
({6})
- Ich hoffe auf Ihre Unterstützung, Herr Kollege. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Drucksache 7/2133 und hoffe, daß Sie unserer wohlbegründeten Initiative Ihre Unterstützung nicht versagen werden.
Einige Worte zum Presseamt. In einem Artikel der „Frankfurter Rundschau" vom 14. März 1974 wurden heftige Attacken deutlich, die der Frankfurter SPD-Oberbürgermeister Arndt gegen die Informationspolitik der Bundesregierung gerichtet hat. In seiner mehr als kritischen Würdigung der Wirksamkeit dieser Informationsarbeit kommt er zu dem Resultat, die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung tauge nichts, sie sei miserabel. - Herr Arndt hatte einen viel kräftigeren Ausdruck gebraucht, aber ich will Ihnen diesen ersparen. - Diese Kritik am Presseamt, die in den letzten Monaten verstärkt unter dem Motto „Gute Politik wurde schlecht verkauft" auch aus anderen Lagern der Koalition vorgebracht wurde, kann man gerechterweise nur bedingt teilen. Sicher ist auch die Opposition der Ansicht, daß mit den vielen Millionen, die zur Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung stehen, sinnvoller gewirtschaftet werden könnte. Aber ich halte es für einen Irrglauben, die verfehlte Öffentlichkeitsarbeit als eine der Hauptursachen der jetzigen Koalitionsmisere anzusehen.
Der Vorsitzende der Bundespressekonferenz, Herr Kettenbach, sagte gestern in diesem Zusammenhang anläßlich des Ausscheidens des Herrn von Wechmar aus der Leitung des Presseamts sehr treffend:
Wer einen nackten Mann losschickt, kann
nicht erwarten, daß er eine Modenschau
aufs Parkett legt.
({7})
Meine Damen und Herren, zutreffender kann man doch die Situation, in der sich die Regierungswerbung und die Regierungssprecher gegenwärtig befinden, gar nicht kennzeichnen. Der arme von Wechmar wurde doch nur zu oft nackt auf die Öffentlichkeit losgelassen. Das ist doch eine Tatsache. Er mußte förmlich als „Flitzer" erscheinen.
({8})
Denn er wurde von der Regierung nicht immer mit den Informationen ausgestattet, die er gebraucht hätte, um von den Journalisten und der Öffentlichkeit akzeptiert zu werden. Und was konnte er denn wohl Gutes verkaufen von einer Regierung, die mit dem Rücken an der Wand stand,
({9})
wie es gestern so treffend unser verehrter Bundeskanzler Schmidt vermerkte, als er uns Aspekte über den Niedergang der Abstiegsmannschaft Brandt /Scheel vermittelte?
({10})
Nun, meine Damen und Herren, das Presseamt konnte doch wohl kaum der Bevölkerung das Bild eines führungsstarken Kanzlers vermitteln, wenn seine engsten Mitstreiter ihm in aller Öffentlichkeit ein Bein nach dem anderen stellten.
({11})
Und das Presseamt konnte der deutschen Öffentlichkeit kaum das Bild einer sorgenden und erfolgreichen Regierung vermitteln, wenn die Sozialliberalen ein Fiasko nach dem anderen erlitten und auf halbem Wege ihrer Regierungszeit ein Drittel ihrer gestandenen Ministermannschaft feuern mußten. Und das Presseamt konnte der Bevölkerung doch wohl auch kaum das Gefühl zukunftsträchtiger Geborgenheit vermitteln, angesichts der wirtschaftlichen Realitäten, die hier in epischer Breite ausgebreitet worden sind: Inflation, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Konkurse usw. usf.
Selbst wenn Herr von Wechmar mit Engelszungen geredet hätte, es wäre ihm nicht und keinem anderen noch so geschickten Presseamt gelungen, das Scheitern dieser Regierung und dieser Politik zu verschleiern und zu vertuschen oder zu verharmlosen.
({12})
Wie sehr die Regierungsspitze selbst - und das ist auch wieder sehr interessant - für die Deroutierung der Informationspolitik verantwortlich ist, kennzeichnet eine weitere Bemerkung unseres sehr verehrten Kollegen Conrad Ahlers vom 10. Mai 1974 in der „Wirtschaftswoche" zum Fall G. Da sagte unser Kollege - mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich vielleicht zitieren -:
Den engsten Mitarbeitern des Kanzlers im Kanzleramt war nichts eingefallen, um die sich immer weiter ausbreitende Affäre einzudämmen und unter Kontrolle zu bringen. Öffentlichkeitsarbeit fand nicht mehr statt, so daß es dahin kommen konnte, daß Pressechef von Wechmar am entscheidenden Montag bis spät in die Nacht von Bonn abwesend war.
Wie gesagt, nackt.
({13})
An dieser Stelle möchte ich dem scheidenden Herrn von Wechmar sagen, daß er trotz aller politischen Kontroversen ein fairer Gegner war. Die Zusammenarbeit mit ihm gehört für den Berichterstatter zu den angenehmsten Erfahrungen im Umgang mit der retirierten sozialliberalen Regierung. Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch der Nachfolger des Herrn von Wechmar den Pfad der Tugend, der ihm von seinen Vorgängern Ahlers und von Wechmar gebahnt worden ist, zu beschreiten geneigt wäre.
({14})
Ich würde es sehr begrüßen, und mit mir meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition.
({15})
Haase ({16})
Nun, meine Damen und Herren, noch ein Wort zu einem anderen Regierungssprecher. Da gibt es auch noch Herrn Armin ... Armin ... ach, Grünewald, ja.
({17})
Er hat in der Vergangenheit als wirtschaftspolitischer Sprecher der Regierung gegenüber der Opposition nicht immer den angemessenen Ton gefunden. Zu kritisieren sind vor allem seine Ausfälle gegenüber Ministerpräsidenten von Bundesländern, die von der CDU/CSU regiert werden. Nun, meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der die Bundesregierung zur Realisierung ihrer wichtigsten Gesetzesvorhaben - ich erinnere nur an die Steuerreform - auf die Unterstützung der Bundesratsmehrheit angewiesen ist, sollte der Regierungssprecher tunlichst auf eine Klimaverbesserung hinwirken und keine Kampfsituation produzieren. Es wäre zu begrüßen, wenn Herr Bundeskanzler Schmidt in diesem Zusammenhang Herrn Grünewald einmal die Interessenlage der Bundesregierung verdeutlichte.
({18})
Im Presseamt steht sicher nicht alles zum besten. Es scheinen auch schwerwiegende Konflikte zwischen den einzelnen Ressorts und dem BPA zu bestehen. Aus dem Wohnungsbauministerium verlautete dieser Tage - es war wohl noch unter der Verantwortung des Ministers Vogel -: „Unsere Erfahrungen mit diesem Amt, mit dem Presseamt, sind so miserabel,
({19})
daß wir es aufgegeben haben und die Finger davon lassen.
({20})
Wir haben Munition en masse gegen das Presseamt. Die Herren werden sich noch wundern." - Nun, die Opposition will sich natürlich nicht in diese Auseinandersetzung zwischen dem Ministerium Vogel und dem Presseamt des Bundeskanzlers einmischen. Auch in diesem Zusammenhang zeichnet sich aber viel Arbeit für den neuen Pressechef ab.
Abschließend ein letzter Hinweis auf laufende Insertionsaktionen des Presseamtes in einigen Zeitschriften. Ich habe sie jedenfalls im „Spiegel" gelesen. Meine Damen und Herren, es hat den Anschein, daß man durch eine härtere Gangart jetzt gegenüber der Opposition versucht, den Kritikern im eigenen Lager den Wind aus den Segeln zu nehmen. Einige Inserate der letzten Wochen zeigen doch einen starken parteipolitischen Anstrich, und sie signalisieren solche Absichten. Meine Damen und Herren, wir möchten davor warnen, in dieser Weise fortzufahren oder gar angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Niedersachsen solche Initiativen noch zu vermehren.
Da gibt es z. B. dieses Inserat, überschrieben mit „Sehr wahr", und man kommt dort auf Äußerungen des Kollegen Strauß zurück. Ich weiß nicht, was die Regierung daran auszusetzen hat; sie benutzt sie nur, um in ihrer gegenwärtigen Situation etwas abzulenken. Nur, wissen Sie, das Zitieren von vorgestern bringt nichts.
({21})
- Ja, ich will Ihnen auch gleich sagen, warum. Delektieren wir uns doch noch einmal an einem Kanzlerwort, und zwar an einem Kanzlerwort Willy Brandts.
({22})
Ich darf dieses Zitat, Herr Präsident - es ist mein
letztes -, dem Hohen Hause zur Kenntnis bringen.
({23})
- Sie werden sich freuen. Unser verehrter Kollege Willy Brandt sagte damals:
Das Volk hat die schmutzigen Appelle des Maßhaltens satt. Die Menschen haben die Folgen des Versagens der Bundesregierung deutlich zu spüren bekommen. Statt schöne Sprüche zu machen, sollte der Kanzler die Preissteigerungen und die schleichende Inflation stoppen. Der arbeitende Deutsche soll endlich mehr zu sagen haben.
({24})
Meine Damen und Herren, so urteilte unser Kollege Willy Brandt bei 3,5 % Inflation am 6. Juni 1966 gegenüber unserem Kollegen Ludwig Erhard. Ich bringe das nur in Ihre Erinnerung.
({25})
- Verehrter Herr Kollege Reddemann, bitte sehr!
({26})
Herr Kollege Haase, da Sie gerade ein Wort des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt zitieren: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß der jetzige Bundeskanzler Helmut Schmidt als Abgeordneter der Opposition ebenfalls etwas über Anzeigen dieser Art sagte und 1965 erklärte, das seien Anzeigen, die auf Kosten der Bundesfinanzen korrupt finanziert würden?
({0})
Sie sehen, ich befinde mich mit meinen Appellen in allerbester Gesellschaft
({0})
und freue mich, daß der jetzige Bundeskanzler schon damals mit mir übereingestimmt hat.
({1})
Ich freue mich tatsächlich, Herr Bundeskanzler. Ich habe ja so ein kleines Faible für Sie von Ihrer Tätigkeit als Verteidigungsminister her.
({2})
Meine Damen und Herren, der letzte Hinweis mag damit erledigt sein. Ich weise noch einmal - auch
Haase ({3})
unter Anlehnung an unseren gegenwärtigen Bundeskanzler - darauf hin: Die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit stehen Ihnen, meine Damen und Herren, zur Sachinformation zur Verfügung, nicht aber zur Finanzierung von Aktionen im Rahmen des tagespolitischen Parteienkampfes.
({4})
- Ich will nicht den Ausdruck „korrupt" gebrauchen.
({5})
Er war sicher dem damaligen Kollegen Schmidt in der Hitze des Gefechts unterlaufen.
Meine Damen und Herren, wir werden den neuen Leiter des Presseamtes nicht zuletzt an seiner Fähigkeit messen, im Umgang mit ihm anvertrauten Bürgergeldern bei der Öffentlichkeitsarbeit jenen Rahmen zu wahren, der ihm durch Recht und Gesetz gezogen ist.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Haase hat soeben die völlige Übereinstimmung in seinen Auffassungen mit dem Herrn Bundeskanzler festgestellt. Ich bin ganz sicher, man hat es seinem Mienenspiel angesehen, daß der Herr Bundeskanzler die Dinge, die Herr Haase ({0}) ihm zu tun empfohlen hat, sehr wohlwollend aufgenommen hat.
Herr Kollege Haase, nach Ihrer Rede und nach dem breiten Beifall, den Sie von allen Fraktionen dieses Hauses bekommen haben, gehe ich davon aus, daß Sie dem Einzelplan 04 insgesamt zustimmen werden. Ich bitte Sie, dem Einzelplan 04 zuzustimmen und den Änderungsantrag Drucksache 7/2133 abzulehnen. In diesem Zusammenhang verweise ich noch auf den interfraktionellen Änderungsantrag Drucksache 7/2123 betreffend Einfügung eines § 17 a, über den in dritter Lesung abgestimmt wird.
Namens der Fraktion der SPD beantrage ich namentliche Abstimmung.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme beim Einzelplan 04 auf ein paar Bemerkungen aus der bisherigen Debatte zurück. Zu den Anfangsausführungen von Herrn Kollegen Haase ({0}) möchte ich sagen, daß Bundeskanzler Willy Brandt öffentlich Verantwortung für etwas übernommen hat, was man auch ganz anders beurteilen kann, als Sie, Herr Kollege Haase, das vor 20 Minuten getan haben.
({1}) Ich denke, daß nachträgliche Schelte nach einem solchen Akt des Rücktritts eine Frage des eigenen Stils ist.
({2})
- Ja, das empfehle ich Ihnen.
({3})
Vor allen Dingen empfehle ich das Herrn Reddemann. Man hat manchmal das Gefühl, er läuft schneller, als er kann.
({4})
Ich möchte auf ein paar Bemerkungen zurückkommen, die der Herr Kollege Strauß heute früh gemacht hat. Nicht alles muß man zurechtrücken - manches kann man gerne schief stehenlassen -, aber Unwahrheiten sollten zurechtgerückt werden. Herr Kollege Strauß hat heute morgen z. B. ausgeführt, es gebe eine Studie aus meiner Feder, die in der „Zeit" abgedruckt sei - ich habe die „Zeit" noch nicht nachsehen können, aber ich unterstelle, daß dies zutrifft -, und in dieser Studie sei doch alles, was die wirtschaftliche Lage angehe, ganz anders geschildert als in der Regierungserklärung vom Freitag. Nun habe ich mir die Studie inzwischen angeschaut. Es tut mir leid, daß Herr Strauß z. B. einen Satz überlesen hat, der am Schluß steht, in unmittelbarer Nachbarschaft desjenigen Satzes, den sich Herr Barzel herausgepickt hatte. Dort steht:
Wir haben uns nicht für ein angeblich zu geringes Maß an Preisdämpfung zu entschuldigen, das doch bisher in der Weltwirtschaft einzig dasteht.
Das ist wahr. So stand es in der Studie. So stand es in der Regierungserklärung. So ist es auch in der Wirklichkeit. Erkundigen Sie sich draußen in der Welt.
({5})
Herr Kollege Strauß hat mich sodann gefragt, ob es stimme, daß amerikanische und französische Stellen während der Viermächteverhandlungen und während der Verhandlungen über den Grundvertrag bei der Bundesregierung vorstellig geworden seien, weil - so Herr Strauß - angeblich aus dem Bundeskanzleramt an die andere Seite wertvolle Hinweise gegeben worden seien. Ich muß dazu sagen: Ich bin erst seit vier Tagen in diesem Amt; ich kann die Frage nicht beantworten. Die Frage kommt mir spanisch vor. Wenn Herr Strauß aber Quellen dafür hat, möge er uns bitte informieren. Dann werden wir der Sache nachgehen.
({6})
Dies ist nur ein Beispiel für mehrere Verdächtigungen, die Herr Strauß, ohne irgendeinen Beleg an6750
führen zu können, hier in einer weitgespannten Rede ausgebreitet hat.
Kennzeichnend für die Rede des Herrn Abgeordneten Strauß war die Darlegung, daß sich die Opposition deshalb nicht in der Lage sehe, ihre alternative Politik darzulegen, weil sonst die Koalitionsparteien im Wahlkampf darauf eindreschen würden. Allerdings, das würden wir tun, falls Ihre Alternativen nichts taugen. Falls sie etwas taugen sollten, hätten wir es vielleicht schwer. Aber 'die Probe aufs Exempel können wir nicht machen. Wir werden hier unterhalten mit Döntjes über alles Mögliche. Ihre Politik möchten wir endlich hören! Ihre Politik!
({7})
Herr Kollege Katzer war auch ein bißchen großzügig. Er hat aus einem Aufsatz - ich glaube, in der „Wirtschaftswoche" ; er nannte den Jahrgang 1971 - zitiert, wo ich mich in einem Interview geäußert hatte - das stimmt wahrscheinlich alles; ich habe es nicht nachsehen können, aber ich bin sicher, daß es 'stimmt -, daß bei der Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat eines mitbestimmten Unternehmens die Wahl geheim vor sich zu gehen habe. Das ist auch heute meine Meinung, Herr Kollege Katzer - ich sehe ihn nicht; ich bitte ihm das zu sagen -, ich habe da nichts abzustreichen. Das ist im übrigen die Meinung der Koalition, der Mehrheit in diesem Hause. Da muß man nicht Dinge aufbauschen und so tun, als ob es hier etwas anzuklagen gäbe, während es in Wirklichkeit Strohpuppen sind, die man sich zurecht gemacht hat.
({8})
Herr Kollege Katzer hat uns vorgeworfen, wir würden einerseits einige Abstriche machen an dem, was bisher im Programm gestanden war, und andere Sprecher der Opposition haben uns vorgeworfen, wir hätten früher zuviel versprochen. Einer der beiden Vorwürfe kann vorgebracht werden. Beide gleichzeitig ergeben keinen Sinn.
({9})
Und so ist es mit vielen Ihrer Politiken. Herr Carstens beispielsweise wirft uns vor, wir gäben zuviel Geld aus - das war gestern -; und heute morgen kündigt Herr Katzer von diesem Pult aus an, daß er sich neue Anträge auf neue Geldausgaben vorbehalte.
({10})
Das ist der Versuch, mit jeweils wechselnden Argumenten auf jeweils verschiedene Zuhörergruppen Eindruck zu machen in der Hoffnung, das Publikum merke nicht, daß ein innerer Zusammenhang nicht nur fehlt, sondern daß statt dessen ein eklatanter Widerspruch gegeben ist.
Herr Katzer hat gemeint, von der gegenwärtigen Bundesregierung sprechen zu sollen als von einem
Übergangskabinett. Wissen Sie, dazu fällt mir ein, was man bei uns zu Hause in Hamburg sagt: „Dat ganze Leben is bloß 'n Obergang". Der dauert lange, Herr Katzer, sehr lange!
({11})
Und am Ende des Übergangs sehe ich nicht den Herrn Katzer auf der Regierungsbank Platz nehmen, da sehe ich wiederum uns auf dieser Regierungsbank Platz nehmen.
({12})
Aber das müssen wir abwarten. Wir ringen beide um das Vertrauen der Wähler im Lande, und je deutlicher jemand seine eigene Politik darlegen kann, um so mehr hat er vielleicht Hoffnung, Vertrauen zu gewinnen. Das werden wir ja sehen.
({13})
Im gleichen Zusammenhang hat Herr Katzer diese Regierung als eine -solche von Technokraten bezeichnet. Und Herr Strauß hat aus einigen Zeitungen den Ausdruck „Macher" aufgenommen. Herr Katzer ist so weit gegangen zu sagen, es fehle dieser Regierung die Dimension der Menschlichkeit.
({14})
- Wenn Sie für Herrn Katzer das einschränken wollen auf den Text der Regierungserklärung
({15})
- gut, ich akzeptiere den Zwischenruf -, dann möchte ich Ihnen, indem ich einige Zeilen aus dieser Regierungserklärung in Ihre Erinnerung rufe, sowohl eine Antwort geben wegen des angeblich fehlenden Geistes der Menschlichkeit als auch eine Antwort auf Herrn Kollegen Dr. Barzel von gestern abend wegen des angeblich fehlenden Geistes. Ich darf aus der Regierungserklärung vom Freitag zitieren:
({16})
Die Leistungen der Arbeiter und der Angestellten, die Leistungen der Gewerkschaften gehen weit über das Materielle hinaus. Wenn die Demokratie in diesem Lande gefestigt ist, so verdanken wir dies ganz wesentlich der Tatsache, daß die Arbeitnehmer zu dieser zweiten Deutschen Republik stehen. Nur solange dies so bleibt, bleibt die Demokratie stabil. Wirtschaftliche Not und Massenarbeitslosigkeit haben einst das Feuer entfacht, in dem die erste deutsche Republik verbrannt ist. Dieser Lehre haben alle Regierungen zu folgen. Ihre Pflicht ist es, jene soziale Sicherheit und jene Gerechtigkeit fortschreitend zu verwirklichen, aus der allein die Identifikation der Arbeitnehmer mit ihrem Staat kommen kann.
Dies ist der Geist, dies ist der menschliche Auftrag, von dem wir ausgehen, meine Damen und Herren!
({17})
Herr Kollege Barzel hat gewiß eine bemerkenswerte Rede gehalten gestern abend, vielleicht diejenige, die am meisten des Bemerkens wert ist von den Reden, die seitens der Opposition gehalten wurden.
({18})
Ich nehme die Rede, die Herr Barzel gehalten hat, ernst, und ich denke, seine eigene Fraktion sollte es mir erlauben, diese Rede ernst zu nehmen.
({19})
Ich denke nur, Herr Barzel, Sie können eigentlich in Ihrem Innern nicht widersprechen, wenn ich in dem Zusammenhang zwei Dinge sage.
Zum einen: Die Regierungserklärung hat deutlich zum Ausdruck gebracht - wir hatten uns das lange untereinander überlegt -, daß sie auf dem breiten Fundament aufbaut, was die Regierungserklärung des zweiten Kabinetts Brandt /Scheel vom Januar 1973 ausgeführt hatte. Es war nicht notwendig, alles und jedes zu wiederholen; einiges haben wir nur wegen der ausländischen Adressaten wiederholt.
Zum anderen denke ich - dies ist nun allerdings, wie ich zugebe, eine Frage des persönlichen Stils -, daß es nicht immer notwendig ist, bei jeder Gelegenheit in aller Breite und Ausführlichkeit die eigenen sittlichen Grundlagen darzutun, auf denen man steht. Es muß nicht immer gleich die Grundmauer mit vorgeführt werden, auf der praktische Fragen aufgebaut, entschieden, gelöst, behandelt werden müssen.
Entschuldigen Sie: Das, was die Regierungserklärung vorzutragen versucht hat, war Konkretisierung von abstrakten Werten. Sie hätten gern die abstrakten Werte außerdem auch noch gehört. Vielleicht ist es sogar notwendig, sie außerdem auch noch vorzutragen, wenn jemand wie Herr Katzer, dessen soziales Gewissen ich immer ernst genommen habe, ein bißchen geringschätzig von „Pragmatismus" redet; es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre auch noch das Wort „Praktizismus" gefallen. Herr Strauß hat von „Machertum" gesprochen; das Wort „Managertum" ist gefallen.
Mich führt das dazu, in dem Jahre, in dem vielfach Immanuel Kants gedacht worden ist, mich erneut auf ihn zu berufen. Ich habe nichts dagegen, als ein Pragmatiker bezeichnet zu werden. Nur bitte ich dann, dies im Sinne von Immanuel Kant zu tun, der pragmatisches Handeln jenes Handeln nennt, das sittlichen Zwecken dient - das ist die Kantsche Definition.
({20})
Von daher hat dieses Wort überhaupt erst Eingang
in die deutsche Sprache gefunden. Es mag sein, daß
einige inzwischen den Begriffsinhalt verändert haben, wenn sie dies Wort benutzen. Aber letztlich denke ich - darüber brauchte es keinen Streit zwischen Christlichen Demokraten, Freien und Sozialdemokraten zu geben -, letztlich sind wir uns einig darüber, daß - so verschieden unsere Meinungen sonst auch sein mögen - wir alle anerkennen können, daß Politik Handeln zu sittlichen Zwekken bedeutet, zu Zwecken, die aus dem Verantwortungsbewußtsein oder - wenn Sie es anders ausdrücken wollen - aus dem Gewissen heraus für notwendig gehalten werden. Dabei streitet man sich über die Wege; man streitet sich über die Möglichkeiten oder die Unmöglichkeiten. Es ist aber nicht notwendig, bei jeder Gelegenheit in weltanschauliche Tiefen zu steigen. Ich habe eher das Gefühl, daß die Generation, der Herr Barzel und ich angehören - und mancher andere in diesem Saal auch-, ein hohes Maß an weltanschaulichem Tiefgang hat ertragen müssen. Manchmal habe ich ein wenig Sorge, wenn ich sehe, wie sich dieser in anderer Gestalt wieder ausbreitet. Der deutsche Hang zur romantischen Ideologie ist mit der Gefahr verbunden, zu sehr unpolitischen Urteilen zu geraten.
({21})
Ein Wort lassen Sie mich zu Herrn Strauß sagen. Es gibt Irrtümer, es gibt Fälschungen, und es gibt Strauß-Reden!
({22})
Dies ist eine von den vielen leichten Fälschungen des Herrn Kollegen Strauß: Herr Strauß hat mich zitiert, als hätte ich von dem gemeinsamen Geist der Vertragspartner oder von dem gemeinsamen Geist in den Verträgen gesprochen. Das ist nicht wahr; sondern ich habe von Buchstaben und Geist eines Vertrages gesprochen, den wir abgeschlossen haben. Ich hätte mich auch anders ausdrücken und von der ratio legis oder von der ratio des Vertrages sprechen können. Er hat auch verstanden, was gemeint war; aber er hielt es für notwendig oder leicht, unter Verfälschung eines Adjektivs einen Popanz aufzubauen, um auf dieser Gemeinsamkeit herumzuschlagen.
({23})
Ich hoffe, daß es ihm gelingt, nachträglich richtigzustellen, was er, nicht ganz der Wahrheit entsprechend, vorgetragen hat.
({24})
- Nein, ich habe mitgeschrieben!
({25})
- Wenn ich mich geirrt haben sollte - das wird man im Protokoll sehen -, bin ich jetzt schon bereit, mich später zu entschuldigen, Herr Stücklen. Ich habe mich über das geärgert, was hier gesagt wurde. Es mußte angemerkt werden.
({26})
- Ich bin nicht unsicher, sondern ich bin gegenüber Herrn Stücklen konziliant. Ihnen gegenüber würde ich das niemals sein, Herr Reddemann.
({27})
Ich habe noch ein letztes Wort zu sagen, weil ich in der Debatte darauf angesprochen worden bin. Von seiten der Opposition - wenn ich mich recht erinnere, war es Herr Professor Carstens; es kann auch einer der anderen Spitzenredner gewesen sein - hat Mißfallen ausgelöst oder ist vermißt worden, daß kein ausdrückliches Wort zur Einheit der Nation und zum Selbstbestimmungsrecht gesagt worden ist. Ich will das eigentlich jetzt nicht nachholen, meine Damen und Herren; denn Selbstverständlichkeiten muß man nicht alle Tage im Munde führen.
({28})
Ich verweise Sie auf die Regierungserklärung vom vorigen Januar, ich verweise Sie auf die Rede von Bundeskanzler Brandt am 26. September vor den Vereinten Nationen,
({29})
in der es heißt: „Als Bundesrepublik Deutschland werden wir auf einen Zustand des Friedens in Europa hinwirken, in dem auch das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann." Wir haben dem nichts hinzuzufügen. Sie wissen auch, daß das selbstverständlich ist; aber Sie haben gemeint, irgendwo ein Zipfelchen für Ihre Polemik herausfischen zu können.
({30})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten von Bismarck?
Nein, Herr Abgeordneter von Bismarck mag in zwei Minuten das Wort nehmen. Ich brauche nur noch zwei Minuten.
({0})
Wir wissen auch, meine Damen und Herren, daß dieses Ziel der deutschen Einheit, der Einheit der Nation nur erreichbar sein kann, nur verwirklicht werden kann, wenn es uns gelingt, die Verhältnisse zwischen den beiden deutschen Teilen zu entkrampfen, wenn es uns gelingt, eine Friedensordnung in Europa herzustellen.
Nun nehme ich allerdings für die sozialliberale Koalition, der ich seit viereinhalb Jahren angehöre, wie die FDP und die Sozialdemokratie und wir alle auch, für diese Gesetzgebungskoalition, für diese Regierungskoalition in Anspruch, daß sie in viereinhalb Jahren ein wenig dazu beigetragen hat, daß eine solche Friedensordnung in Europa auf den Weg gebracht werde. Herzlichen Dank!
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Carstens.
Dr. Carstens ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an die letzten Bemerkungen des Bundeskanzlers anknüpfen. Wir haben beanstandet - ich glaube, zu Recht beanstandet -, daß die erste Regierungserklärung, die diese neue Bundesregierung abgab, nicht ein Wort über die deutsche Nation und die Einheit des deutschen Volkes enthielt.
({1})
Der Bundeskanzler hat das hier konzediert und hat diesen Mangel dadurch auszugleichen versucht, daß er hier eben eine entsprechende Erklärung abgegeben hat. Dann - das ist, meine Damen und Herren, ein mieser politischer Stil -
({2})
- Jawohl, meine Damen und Herren! Es ist das erste Mal, daß ich diesen Ausdruck vor diesem Parlament gebrauche. Das ist der Ausdruck, den der Vorgänger des jetzigen Bundeskanzlers mehrfach geäußert hat.
({3})
Es ist ein mieser politischer Stil, nachdem man einen Fehler eingestanden hat, den Spieß umzukehren und der Opposition in diesem Zusammenhang eine miese Polemik vorzuwerfen.
({4})
Herr Bundeskanzler, Sie sind ein gewandter Debattenredner, das hat nie jemand bestritten,
({5})
aber in den Anzug des Bundeskanzlers passen Sie noch nicht hinein!
({6})
Da müssen Sie noch etwas zulegen.
Der Bundeskanzler ist auf die Debatte über die Regierungserklärung eingegangen; ich möchte das auch mit wenigen Worten tun. Die Koalitionsparteien haben sich in dieser Debatte über die Regierungserklärung vorwiegend mit meiner Person beschäftigt. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Ich dachte, es wäre vielleicht besser gewesen, Sie hätten sich mit der Regierungserklärung und mit dem Bundeskanzler beschäftigt.
({7}) Aber das stört mich nicht.
Dann hat eigentlich jeder Redner der Koalitionsparteien und jeder Minister, der gesprochen hat, zwei meiner Ausführungen zum wirtschaftspolitischen Teil zum Anlaß genommen, um den Nachweis zu führen, daß ich etwas Falsches gesagt hätte. Meine Damen und Herren, ich habe nichts Falsches gesagt.
({8})
Dr. Carstens ({9})
Ich möchte das nur noch einmal mit zwei Sätzen in Ihre Erinnerung rufen. Ich habe gesagt, daß das Bruttosozialprodukt real in diesem Jahr um 2,5 % steigt und der Haushalt des Bundes um 13 %, und ich habe gesagt, daß dies kein Beitrag zur Stabilität ist. Ich habe nicht die Forderung aufgestellt, daß auch der Bundeshaushalt nur um 2,5 % steigen soll.
({10})
- Aber Sie müssen doch erkennen, meine Damen und Herren, daß diese Steigerung des Bundeshaushalts ein direkter Beitrag zur Inflation ist. Das können Sie doch nicht leugnen.
({11})
Dann hat sich eine große Zahl von Rednern darüber erregt, daß ich gesagt habe, in früheren Jahren sei auch schon die Bundesrepublik Deutschland das Schlußlicht - oder ich habe wohl gesagt: am Ende des Geleitzuges - der inflationsgeschädigten Länder gewesen. Damit nun ganz klar ist, was zu diesem Punkt zu sagen ist, darf ich dies noch einmal wie folgt formulieren.
({12})
In der Periode von 1949 bis 1969 lag die Steigerungsrate der Verbraucherpreise bei uns in der Bundesrepublik Deutschland bei 2,7 %, während die wichtigsten westeuropäischen Industrieländer eine doppelt so große Steigerungsrate aufwiesen: Italien 5,3 %, Niederlande 5,3 %, Großbritannien 5,8 % und Frankreich 7,6 %.
({13})
Meine Damen und Herren, daraus geht doch hervor, daß die Bundesrepublik Deutschland in der damaligen Zeit weit unter dem Durchschnitt der übrigen westlichen Staaten lag, weiter, als sie es jetzt tut.. Das ist doch der entscheidende Punkt.
({14})
Im übrigen hat eine Reihe von Rednern der Koalition den Versuch gemacht, den Herrn Kollegen Barzel und mich gewissermaßen gegeneinander auszuspielen.
({15})
Meine Damen und Herren, das ist ein durchsichtiger Versuch, den Sie unternehmen. Er ist durch keinen Satz der Rede, die ich gehalten habe, und durch keinen Satz der Rede, die Herr Kollege Barzel gehalten hat, gerechtfertigt, und es wird Ihnen trotz aller Anstrengung nicht gelingen, Herrn Kollegen Barzel und mich oder irgendeinen anderen meiner Fraktionskollegen und mich auseinanderzubringen.
({16})
Meine Damen und Herren, ich verstehe ja ganz gut, daß die Koalition und die Regierung sich nunmehr auf mich einschießen.
({17})
Das verstehe ich sehr gut, meine Damen und Herren. Ich sehe dem mit großer Fassung entgegen.
({18})
Ich verstehe auch, daß Sie es bedauern, wie Sie mehrfach gesagt haben, daß die CDU/CSU noch keinen Bundeskanzlerkandidaten aufgestellt hat, weil Sie natürlich Gefahr laufen, den Falschen zu beschießen. Das sehe ich mit großem Vergnügen, meine Damen und Herren.
({19})
Angesichts der wenigen Munition, die Ihnen zur Verfügung steht, wäre das natürlich aus Ihrer Sicht sehr bedauerlich, wenn Sie die ganze Zeit den falschen Mann beschossen haben sollten.
({20})
Ich 'bedaure es sehr, meine Damen und Herren, daß die Regierung und die Koalition auf unser ernstgemeintes Angebot, einen Beitrag zur Stabilität zu leisten, überhaupt nicht eingegangen ist und wie der Wirtschaftsminister, Herr Friderichs, von dem eigentlichen Inhalt unseres Angebots abzulenken versucht hat, indem er die Frage der Indexierung und der Indexklauseln hier aufgeworfen hat. Meine Damen und Herren, die Frage der Indexierung und der Indexklauseln ist eine schwierige theoretische Frage, an der eine ganze Reihe von Wissenschaftlern arbeiten. Ich möchte denen, die jetzt plötzlich auf einem so hohen Rosse sitzen, doch in die Erinnerung zurückrufen, wie die Debatte vor einigen Jahren verlaufen ist, als es sich um die Frage der Freigabe der Wechselkurse handelte. Ich kann mich noch sehr genau erinnern. Da gab es auch einige wenige Theoretiker, die das 'befürworteten, und alle anderen sagten: Das ist unsinnig, das geht nicht, das führt zu katastrophalen Folgen. Heute haben wir flexible Wechselkurse, meine Damen und Herren.
({21})
Ich warne davor, wenn in der Wissenschaft bestimmte Vorstellungen entwickelt werden, von vornherein so zu tun, als ob das alles Unsinn sei. Aber was die praktische Politik anlangt, so möchte ich hier ganz klar zum Ausdruck bringen, daß für die CDU/CSU irgendeine Art von Indexierung als Ersatz für eine konsequente Stabilitätspolitik überhaupt nicht in Erwägung gezogen wird.
({22})
Herr Bundesminister Genscher - wenn ich das mit einem Satz noch beiläufig erwähnen darf - hat mich deswegen kritisiert, weil ich einige kritische Worte meinerseits an den früheren Außenminister gerichtet habe. Er hat gemeint, nachdem Herr Kollege Scheel nunmehr für das Amt des Staatsoberhauptes gewählt worden sei, sei eine solche Kritik nicht mehr erlaubt. Herr Kollege Genscher, es tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht ganz zustimmen.
({23})
Herr Kollege Scheel ist nach wie vor Mitglied dieses
Hohen Hauses. Er saß auf seinem Platz, während ich
Dr. Carstens ({24})
sprach, und ich finde, es wäre geradezu eine Mißachtung des Kollegen Scheel gewesen, wenn ich ihn hier als nichtexistent angesehen hätte.
({25})
Der Herr Bundeskanzler hat gemeint, es wäre besser, wenn wir mehr in die Zukunft gewandt miteinander streiten würden als über die Vergangenheit. Ja, Herr Bundeskanzler, ich kann sehr gut verstehen, daß das Ihr Wunsch ist; man möchte immer gern, daß alles das, was gewesen ist, vergessen wird. Aber sehen Sie, so geht es nicht; Sie sind der verantwortliche Finanzminister des vorigen Kabinetts gewesen,
({26})
und wir können doch nicht so tun, als hätten Sie mit dem, was die letzte Regierung zu verantworten hatte, überhaupt nichts mehr zu tun.
({27})
Das ist doch ein unmögliches Verlangen! Sie müssen es sich gefallen lassen, und Sie werden es sich auch in Zukunft gefallen lassen müssen,
({28})
daß wir Sie an die Fehler erinnern, die Sie in den fünf Jahren, in denen Sie der Finanzminister waren, gemacht haben.
({29})
Dann, Herr Bundeskanzler, zum Fall Guillaume: Sie haben mich, wie das schon so viele andere getan haben, auf das Vertrauensmännergremium verwiesen. Nun weiß ich sehr wohl, daß alles, was im Vertrauensmännergremium gesagt wird, der Geheimhaltung unterliegt; deswegen ist es immer etwas schwierig, sich über das, was da gesagt wird, zu äußern. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, sich über das zu äußern, was dort nicht gesagt wird, verstößt wohl nicht gegen die Geheimhaltungsbestimmungen.
({30})
Und ich muß Ihnen, Herr Bundeskanzler, leider sagen: Davon, daß schon bei der Einstellung des Herrn Guillaume in das Bundeskanzleramt ein Verdacht gegen ihn vorlag, habe ich nicht etwa im Vertrauensmännergremium etwas erfahren; das habe ich durch die Presse erfahren.
({31})
Und auf meine Bitte, mir doch zu sagen, zu welchen Dokumenten denn der Herr Guillaume Zugang gehabt habe, legte uns die Regierung im Vertrauensmännergremium eine Liste von, glaube ich, zwei Dokumenten vor; sie sagte, über die anderen Dokumente dürfe nicht gesprochen werden, weil sich der Generalbundesanwalt noch mit dieser Angelegenheit befaßt. Doch zu meinem großen Erstaunen höre ich zwei Tage später, wie eine Journalistin im Fernsehen sagt, Herr Guillaume habe Zugang zu einem Cosmic-Dokument gehabt, welches Herr Nixon damals an den Bundeskanzler Brandt gerichtet hat.
Herr Bundeskanzler, diese Art von Unterrichtung der Vertrauensmänner und der Opposition ist absolut unzulänglich, und ich bitte Sie dringend, dafür zu sorgen, daß im Vertrauensmännergremium wenigstens die Karten auf den Tisch gelegt werden, denn wir können nicht wissen, was die Regierung weiß.
Und wenn Sie auf dubiose Quellen hinweisen und damit möglicherweise mich im Auge gehabt haben sollten, dann möchte ich Ihnen folgendes sagen: Mir werden in der Tat alle möglichen Gerüchte zugetragen - ich kann das ja nicht ändern -, und ich habe jedesmal, wenn das so war, im Vertrauensmännergremium die andere Seite, die Bundesregierung, davon unterrichtet, und dann stellte ich zu meinem großen Erstaunen fest, daß die Bundesregierung längst wußte, daß die Gerüchte, die mir zugetragen waren, auch stimmten. Ja, warum wird das denn nicht im Vertrauensmännergremium vorher gesagt?
({32})
Aber nun, Herr Bundeskanzler, muß ich auf eine Sache eingehen, die ich ernst nehme.
({33})
- Ich nehme diese Sache, von der ich jetzt spreche, ernst, Herr Kollege Ehrenberg!
({34})
- Natürlich nehme ich die anderen Dinge auch ernst, aber diese Sache nehme ich besonders ernst, und deshalb unterstreiche ich das. - Herr Bundeskanzler, Sie haben im Zusammenhang mit meinen Bemerkungen über den jetzigen Finanzminister, Herrn Apel, zur Wahl in Frankreich unterstellt, ich sei da wohl nicht ganz bei der Wahrheit geblieben. Bei diesem Appell, die Wahrheit zu sagen, den ich ausgesprochen hatte, müsse dann natürlich, so haben Sie gesagt, auch eine gewisse Sorgfalt in der eigenen Aussage angewendet werden. Dieser Vorfall, so haben Sie weiter gesagt, sei bereits Gegenstand einer Fragestunde des Bundestages gewesen, und wenn ich das gelesen hätte, was dort gesagt worden sei, würde ich meine Bemerkungen nicht wiederholen.
Herr Bundeskanzler, ich kann mich irren, und wenn ich mich geirrt habe, bin ich sehr gern bereit, zu erklären, daß ich mich geirrt habe. Aber Sie zwingen mich durch das, was Sie vorhin ausgeführt haben, dazu, diese Angelegenheit vor dem Hohen Hause noch einmal in voller Breite darzustellen, woran im Grunde kein Interesse besteht. Aber ehe ich mich von Ihnen der Unwahrheit oder des Versuchs einer unwahrhaftigen Darstellung bezichtigen lasse, muß ich das leider tun.
({35})
Es liegt, in der „Frankfurter Allgemeinen" vom 9. April abgedruckt, eine AFP-Meldung vor, die folgendermaßen lautet:
Volles Vertrauen in die staatsmännischen Fähigkeiten von François Mitterrand hat der Parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt Hans Apel bekundet. Er halte den französischen Sozialistenchef für einen guten PoliDr. Carstens ({36})
tiker, der wisse, was machbar ist und was nicht, erklärte Apel in einem eineinhalbstündigen Gespräch
({37})
mit deutschen und französischen Journalisten, das vom saarländischen Rundfunk ausgestrahlt wurde. Apel äußerte sich im Verlauf dieses Gespräches sehr optimistisch für den Fall, daß Mitterrand, den er persönlich sehr gut kenne, der neue französische Präsident werden solle. Er erwarte, sagte Apel, daß Mitterrand nicht nur keine Probleme bringe, sondern manches erleichtere. „Wir hatten gerade mit Frankreich genug Schwierigkeiten. Schlimmer kann es kaum noch kommen", meinte Apel
Eine nahezu Bleichlautende - aber ich lese nun doch nochmal vor - Meldung gibt es in der „Süddeutschen Zeitung" von ddp kommend, ebenfalls vom 9. April:
Keine Schwierigkeiten für die Europäische Gemeinschaft sieht der Parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt Hans Apel, falls der Sozialistenführer Mitterrand zum neuen Staatspräsidenten gewählt würde. In einer Sendung des saarländischen Rundfunks erklärte Apel, er halte Mitterrand für einen guten Politiker, der wisse, was machbar ist und was nicht. Er gehe davon aus, daß Mitterrand nicht nur keine Probleme bringe, sondern manches erleichtert. Wörtlich sagte Apel: „Wir hatten gerade mit Frankreich genug Schwierigkeiten. Schlimmer kann es kaum noch kommen."
Dann haben Sie Bezug genommen auf die Fragestunde des Bundestages und auf die Antwort, die die Regierung darauf gegeben hat, und aus dieser Antwort darf ich ebenfalls drei Sätze vorlesen:
Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Apel ist in einer konferenzgeschalteten Diskussion von Hamburg aus über eineinhalb Stunden von deutschen und französischen Journalistenschülern in Saarbrücken zu aktuellen europäischen Fragen interviewt worden. Unter anderem standen Themen wie die EG, das Verhältnis einzelner Länder, zum Beispiel Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Frankreich, USA, zu den Gemeinschaften zur Diskussion, aber auch Fragen zu Sozialismus und Sozialdemokratie. Spätere Agentur- und Pressemeldungen hierzu haben Äußerungen von Herrn Apel aus dem Zusammenhang und aus der Gewichtung der Gesamtausgabe gelöst und damit entstellt wiedergegeben.
Meine Damen und Herren, wenn dies ein Dementi sein sollte, dann ist es als solches nicht erkennbar, und ich lasse mir von Ihnen, Herr Bundeskanzler, den Vorwurf nicht gefallen, daß ich gegen die Wahrheitspflicht eines Abgeordneten dadurch verstoßen hätte, daß ich das über Herrn Apel gesagt habe, was ich hier gestern gesagt habe.
({38})
Herr Bundeskanzler, Sie haben dann geglaubt, auf die Initiative Bayerns eingehen zu sollen, die Bayern ergriffen hat, um die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Grundvertrages vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe feststellen zu lassen. Sie haben diese Initiative als schädlich bezeichnet, weil sie - ich raffe das etwas zusammen, was Sie gesagt haben - in Ost und West Anlaß gegeben habe zu der Vermutung, daß es in der Bundesrepublik Deutschland Kreise gebe, die grundsätzlich gegen Entspannung und Zusammenarbeit in Europa eingestellt seien.
Herr Bundeskanzler, Sie wissen ganz genau, daß in dem bayerischen Antrag an das Bundesverfassungsgericht nicht eine Andeutung einer derartigen politischen Einstellung enthalten war. Und wenn Sie festgestellt haben sollten, daß durch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts seitens des Freistaats Bayern solche Vermutungen in Ost oder West im Ausland aufgetreten sind, dann ist es Ihre Pflicht als Regierungschef dieses Landes, diesen Vermutungen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten.
({39})
Das ist die Haltung, die die Opposition, die CDU/ CSU-Fraktion dieses Hohen Hauses, von dem Bundeskanzler unseres gemeinsamen Landes und unseres gemeinsamen Staates erwartet, und nicht der Versuch, die legitime Ausübung eines verfassungs- mäßigen Rechts seitens eines deutschen Bundeslandes in einen Vorwurf politischer Schädigung umzumünzen.
({40})
Herr Bundeskanzler, offenbar in der Erkenntnis, daß der Vorwurf, Ihrer Regierungserklärung mangele es an der geistigen Dimension, doch wohl bis zu einem gewissen Grade berechtigt war, haben Sie dann hier eben noch eine Reihe Erklärungen abgegeben, einige Ausführungen gemacht,
({41})
die man vielleicht als den Ansatz einer Eröffnung der geistigen Dimension bezeichnen könnte.
({42})
Wenn Sie von der sittlichen Grundlage der Politik unter Berufung auf Kant gesprochen haben, wird Ihnen niemand widersprechen. Ich selbst stimme Ihnen jedenfalls da voll und ganz zu.
Dennoch bleibe ich bei dem, was ich in meiner Antwort auf Ihre Regierungserklärung gesagt habe: In der Regierungserklärung selbst und in dem, was Sie soeben ausgeführt haben, fehlt eine entscheidende geistige Perspektive, die viele Millionen Bürger in unserem Lande auf das höchste beunruhigt, nämlich die Auseinandersetzung mit denjenigen, die unser staatliches und gesellschaftliches System im neomarxistischen Sinne umfunktionieren wollen.
({43})
Dr. Carstens ({44})
- Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Herren
von der sozialdemokratischen Fraktion: Es ist für
mich erschütternd, zu sehen, daß Sie darüber lachen.
({45})
Sie sollten sich der Diskussion mit Tausenden von Lehrern, Eltern, Schülern und Studenten in diesem Lande stellen,
({46})
die durch linksradikale Gruppen terrorisiert werden und jetzt mit Mühe anfangen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen.
({47})
Hier müssen die Grenzen klar gezogen werden. Ich bleibe dabei, daß es eine der wichtigsten Aufgaben in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers gewesen wäre, hier die Linie klar zu ziehen und den Widerstand derer, die sich diesem Druck mehr und mehr zu widersetzen versuchen, zu ermutigen. Dem sind Sie, Herr Bundeskanzler, aus Gründen, die jeder leicht erkennen kann, ausgewichen.
Aber damit haben Sie die Erfüllung einer der wichtigsten Führungsfunktionen, die Sie in diesem Lande ausüben sollen und müssen, versäumt. Gewiß ist es wichtig, daß wir die wirtschaftlichen Dinge in Ordnung bringen, gewiß ist es wichtig, daß wir die wirtschaftliche Stabilität, die Preis- und Geldwertstabilität zurückgewinnen.
Aber es ist von zentraler Bedeutung, daß in unserem Lande und in unserer Bevölkerung das Bewußtsein eindeutig lebendig bleibt, daß wir diese unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung mit allen Kräften zu verteidigen entschlossen sind und daß wir dem Terror derjenigen, die auf eine Umfunktionierung dieser unserer Ordnung hinwirken, mit allen uns zu Gebote stehenden rechtsstaatlichen Mitteln entgegentreten. Dies ist eine Aussage, die hier gemacht werden mußte.
({48})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, auf diesen Nachtusch des Herrn Carstens einzugehen.
({0})
Wir werden bei einigen der Einzelpläne Gelegenheit haben und auch nehmen, das besondere Verhältnis des Herrn Carstens zur Wahrheit im Umgang mit anderen Abgeordneten dieses Hauses zu behandeln.
({1})
- Das ist ein besonderes Verhältnis. Sie werden
doch nicht mit einer Geräuschkulisse die Tatsache
des besonderen Verhältnisses des Herrn Carstens
zur Wahrheit bei der Behandlung von Kollegen dieses Hauses wegkriegen und wegdrücken!
({2})
Was gestern hier von Herrn Carstens z. B. über den Herrn Kollegen Eppler gesagt worden ist, war so hanebüchen wahrheitswidrig
({3})
- jawohl -, daß es noch seine Feststellung finden wird beim Einzelplan. Das war eine Mischung von Unwahrheit und Hetze.
({4})
Aber daß ich hier heraufgegangen bin, hatte den einfachen Grund, daß ich annehme, daß Leser der Niederschrift dieser Sitzung -
({5})
- Es ist gut, daß Sie weiter vorne sitzen, Sie komischer Herr, damit man das 'wenigstens im Stenogramm sieht;
({6})
Sie sind doch nur eine zeitweilige Pflanze, die hier ihr Dasein treibt.
({7})
- Nein, hier habe ich nicht Herrn Carstens gemeint. Der hat noch mehr Zeit. Ich habe Herrn Reddemann gemeint. Sie werden das noch erleben.
({8})
Im übrigen liegt mir nur daran, daß die Leser der Niederschrift der Ausführungen des Herrn Kollegen Carstens das, was er hier über das Vertrauensmännergremium gesagt hat, nicht völlig falsch verstehen müssen.
Das Vertrauensmännergremium hat am 25. April getagt, und es hat am 2. Mai getagt. Am 2. Mai habe ich als der zeitweilige Vorsitzende darauf bestanden, dieser Termin müsse eingehalten werden, während Herr Carstens und andere Kollegen der CDU/ CSU erklären ließen, sie hätten keine Zeit vor dem 6. Mai. Sie waren es aber, die am 25. April verlangt hatten, daß nicht später als eine Woche nach dem 25. April bestimmte Unterlagen von den zuständigen Stellen der Bundesregierung und der Ämter vorgelegt werden. 'Darauf, fand ich, ist es unmöglich, plötzlich von dieser Forderung nicht mehr Notiz zu nehmen. Und wir haben am 2. Mai getagt. Herr Kollege Stücklen ist ja auch noch gekommen, trotz seiner ursprünglichen Absage. Herr Carstens war nicht anwesend. Sicher wird er dann gelesen haben, was dort war, soweit das im Protokoll ist. Nur, Herr Carstens zog es vor, öffentlich - Sperrfrist: 2. Mai, Nordhorn - seine mehrstöckige Frage zu stellen, die dorthin gehört hätte und die er mit Absicht öffentlich gestellt hat. Das ist Ihre Sache, Herr Carstens. Nur, wenn Sie hier als ein 'besonderer
Biedermann auftreten wollen, der das Vertrauensmännergremium ernst nimmt, steht das in einem Kontrast dazu.
({9})
Herr Carstens, wenn Sie in dieser Sitzung am 2. Mai hätten anwesend sein können und wollen, hätten Sie selber festgestellt - das haben Ihnen vielleicht auch Ihre Kollegen von der CDU/CSU gesagt -,' daß alle parlamentarischen Mitglieder dieses Gremiums unzufrieden damit waren, daß der Staatssekretär im Bundeskanzleramt dort nur einige der Verschlußsachen, die Sie und wir mit Ihnen angegeben haben wollten -
({10})
- Warten Sie doch mal; Sie können ja gar nicht so schnell, wie ich das alles zusammenrechnen muß.
({11})
Sie haben dort die Erklärung bekommen, -
({12})
- Hier geht es mir um ernste Sachen, und Sie sind Schreier, wissen Sie.
({13})
Sie haben die Erklärung bekommen, daß in der festgestellten Frist nur einige Antworten gegeben werden könnten, nicht aber die Antworten über die Zeit des sogenannten Urlaubs. Alle Abgeordneten, gleichgültig zu welcher Couleur sie gehörten, waren damit unzufrieden. Ich habe mich am nächsten Tag - das war der 3. Mai - als zeitweiliger Vorsitzender bemüht, daß man das spätestens am Montag oder Dienstag dem Vertrauensmännergremium nachreiche. Es war Ihre eigene Forderung.
Dabei habe ich erst Montag früh - leider nicht durch den Kanzleramtssekretär, sondern durch einen Minister - gehört, daß dieser Teil des Verzeichnisses sich bei der Bundesanwaltschaft befinde.
({14})
- Ich bitte Sie! Da haben Sie wohl intimere Beziehungen zu dieser Frau Purwin oder zu wem. Ich habe keine.
({15})
- Entschuldigen Sie mal, das macht doch Ihre ganzen Angaben so, wie sie es eigentlich wert sind, Herr Carstens. Ich gucke nicht der Frau Purwin oder anderen in die Taschen oder ins Portefeuille.
({16})
Ich wollte Ihnen nur sagen, was im Vertrauensmännergremium zugegangen ist. Jedenfalls wurde am Dienstag - es war der 7. - eine Sitzung abgehalten.
({17})
Ich hatte darauf bestanden, obwohl Sie sagten, Sie wollten nach dem Rücktritt des Bundeskanzlers diesen Termin abgesetzt haben. Ich habe um Entschuldigung dafür gebeten - das werden Sie bestätigen -, daß ich Ihrem Wunsch nicht nachkommen konnte; denn mir lag daran, daß der Justizminister und der Vertreter der Bundesanwaltschaft dort von sich aus erklärten, was es mit den VS-Sachen: aus der Urlaubszeit auf sich hatte.
Sehen Sie, darüber gibt es nichts zu lachen. Auch Sie müssen sich mit der Zeit daran gewöhnen, wenn Sie Anspruch erheben, ernst genommen zu werden, daß Sie dann auch bei den Tatsachen bleiben, Herr Carstens.
({18})
Das Wort hat Herr Bundesminister Apel.
({0})
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu den Bemerkungen des Herrn Kollegen Carstens Stellung nehmen.
({0})
Am 7. April, Herr Kollege Carstens, habe ich 90 Minuten lang mit französischen und deutschen Journalisten über den europäischen Sozialismus und über die Probleme debattiert, die es zweifelsohne gibt.
({1})
- Augenblick! Nun lassen Sie mich doch mal ausreden; ich versuche, es Ihnen so zu erklären, wie es war. Ich verweise im übrigen auf das Datum 7. April 1974; das war weit vor der Phase des eigentlichen heißen Wahlkampfs in Frankreich.
({2})
Dabei hat man mich natürlich gefragt, wie ich denn angesichts der Tatsache, daß ich mich augenscheinlich sehr intensiv mit den Programmen der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien beschäftige, die Politik der französischen Sozialisten gegenüber Europa betrachte. Das habe ich dargestellt. Ich habe auch - das kann man auch nachhören; davon gibt es wohl noch eine Bandaufzeichnung - kritische Anmerkungen gemacht, habe dann aber auch Anmerkungen zur Person selbst gemacht, die ich für vertretbar halte.
In der Tat war ich sehr erstaunt darüber, daß das dann wenige Tage später - das hat eine Zeitlang gedauert - in eine Dreizeilen- oder Sechszeilenmeldung umgesetzt wurde, die das alles sehr verkürzt wiedergab.
({3})
- Augenblick! Sie können, wenn Sie 20 Minuten lang mit jemandem über französischen Sozialismus und seine Problematik debattieren, immer drei Sätze finden, die, wenn Sie sie zusammenstellen, so passen, wie es den Journalisten paßt. Dies ist ja wohl klar und auch in diesem Hause bekannt.
({4})
Dann hat mir der Kollege Dr. Franz von der CDU/CSU-Fraktion den Gefallen getan - den Gefallen getan, das sage ich ausdrücklich -, diese Frage in der Fragestunde des Deutschen Bundestages zu bringen,
({5})
weil mir daran lag, diese Debatte offen und ehrlich hier mit Ihnen auszutragen und Ihnen zu sagen, wie es wirklich war.
({6})
- Augenblick! Leider war der Herr Kollege Dr. Franz an diesem Tage, obwohl es seine mündliche Frage war, nicht im Plenum.
({7})
Daraufhin habe ich dann die pauschale Antwort gegeben, die Sie kennen.
Nur, Herr Kollege Dr. Carstens - das ist meine Erfahrung mit Ihnen, auch nach den Problemen, die ich in Brüssel gehabt habe -: Selbst wenn ich es fertigbekommen hätte - ich bin davon überzeugt, weil man das Band hätte abhören können -, dem Kollegen Dr. Franz und diesem Hause klarzumachen, wie es wirklich war, und damit klarzustellen, daß diese Verkürzung eben eine Fälschung war, hätten Sie mich heute dennoch so angegriffen, denn das ist Ihr Stil.
({8})
- Na, ich bitte Sie.
({9})
Ich wundere mich auch gar nicht darüber. So haben Sie es mit mir bei der Regionalfondsdebatte auch gemacht. Damals haben Sie genau das gleiche getan.
(Erneuter Beifall ({10})
Ich kann nur eines sagen.
({11})
- Lieber Herr Kollege Wohlrabe, ich habe es Ihnen soeben erklärt. Wenn Sie es nicht begriffen haben, sage ich es Ihnen nachher noch einmal privat.
({12})
- Hier ist nichts zuzugeben. So ist die Situation gewesen, und so hat Herr Kollege Schmidt hier argumentiert. Sie greifen die Dinge immer wieder auf, weil Ihnen Sachargumente fehlen. Sie tun mir leid.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wissen alle, die wir Interviews geben und Pressegespräche führen, daß nicht immer alles so exakt und wortgetreu und auch dem Sinn nach wiedergegeben wird, wie man es selbst verstanden wissen will. Sollte ein solcher Fall bei Minister Apel vorgelegen haben, würde ihm keine Perle aus der Krone fallen, wenn er hierher ginge und das in aller Ruhe darlegte,
({0})
und das rechtzeitig und nicht in einer so verschwommenen Art, wie das in der Fragestunde der Fall war.
({1})
Meine Damen und Herren, das scheint nun ein neuer Stil, eine neue Methode zu sein, daß man danach handelt: Der Briefträger beißt den Hund und nicht umgekehrt. „Haltet den Dieb!", das ist die Methode, die angewandt wird. Wenn man hier die Methode sieht, die Herr Wehner in den letzten Wochen wieder in gekonnter Weise praktiziert hat, weiß man, daß das, was auf dieser Bank sitzt und aus der sozialdemokratischen Fraktion kommt, gelehrige Schüler ihres Zuchtmeisters Wehner sind.
({2})
Ich darf ein paar Bemerkungen zum Vertrauensmännergremium und zu Behauptungen machen, die Herr Wehner hier als Halbwahrheiten des Kollegen Carstens hinzustellen versucht hat. Zuerst ein Wort an meine Freunde in der Fraktion. Herr Carstens, auf Grund dieser Debatte müssen wir eigentlich erkennen, daß dieses Vertrauensmännergremium bei dieser Handhabung im Vertrauensmännergremium und bei der Beschränkung, die uns damit auferlegt werden soll, für die Dauer so nicht zu halten ist.
({3})
Ich muß Ihnen ganz offen sagen, daß es anscheinend doch notwendig ist, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß einzurichten, um den Versuch zu machen, wirklich zur Wahrheit durchzustoßen.
({4})
Herr Kollege Wehner, ich verrate keine Geheimnisse, darauf können Sie sich verlassen. Ich darf nur sagen, als wir uns bei der ersten Sitzung des Vertrauensmännergremiums im Spionagefall Guillaume im Raum 01 P unterhielten und wir die Frage stellten, Herr Carstens und ich, und zwar wiederholt und mit Nachdruck, ob ein Sicherheitsrisiko, ob ein SiStücklen
cherheitsbedenken vorgelegen habe, hat man das rundweg abgelehnt, es habe kein Sicherheitsrisiko, es hätten auch keine Erkenntnisse vorgelegen. Das war der Auftakt zu einer großen Verschleierungsaktion, die in diesem Gremium unter Schweigepflicht der Teilnehmer gestartet werden sollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte nur mit Nachdruck feststellen, daß die Sitzung, die Sie am 2. Mai einberufen haben, ungerechtfertigt einberufen wurde; denn das, was Herr Carstens in der Sitzung am 25. April von Ihnen, von der Regierung verlangt hat, lag ja nicht vor. Es waren doch nur - ich kann nur sagen, lesen Sie das Protokoll nach - zwei mehr oder weniger völlig unwichtige Erkenntnisse in der Frage, ob Geheimakten vorlagen oder nicht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Ich darf den Satz noch zu Ende führen, Herr Wehner.
Die Liste, die uns vorgelegt werden sollte, lag ja nicht vor.
({0})
Sie mußten dann sagen, daß diese Liste beschleunigt erstellt werden sollte. Ich darf nur feststellen, Herr Kollege Wehner: an diesem Tage hatten andere Kollegen wie auch Kollege Carstens eine Reihe von Terminen. Ich konnte meine Termine noch absagen und einen Ersatz finden, während andere Kollegen nicht in der Lage waren, an der Sitzung teilzunehmen. Daraus einen Vorwurf zu machen, halte ich für absolut ungerechtfertigt.
({1})
Herr Kollege, wollten Sie damit sagen oder den Eindruck erwecken, daß ich, der ich in diesem Vierteljahr den Vorsitz führe, so wie Sie ihn ein Vierteljahr geführt haben und ein anderer ihn ein Vierteljahr geführt hat, auskunftspflichtig gewesen wäre? Ich hatte die Pflicht zur Einhaltung - ist es nicht so? - der Termine und daß die Beamten, in diesem Fall der Staatssekretär im Kanzleramt und die anderen Herren, den Ansprüchen gerecht werden. Oder sollten Sie der Meinung sein, der zeitweilige Vorsitzende sollte vorher nachsehen, was eigentlich alles vorliegt?
({0})
Herr Kollege Wehner, ich habe Ihnen persönlich in Ihrer Geschäftsführung keinen Vorwurf gemacht.
({0})
- Ich habe das nicht gehört. Ich sage nur: Wenn
Herr Grabert, der damalige Chef des Bundeskanzleramtes, Ihnen gesagt hätte, daß seine Liste noch nicht
fertig sei, daß er noch daran arbeite, wäre diese Sitzung an diesem Tag nicht notwendig gewesen.
({1})
- Sehen Sie! Das wollte ich nur feststellen, weil hier ein versteckter Vorwurf gegen Herrn Kollegen Carstens erhoben worden ist. Ob Frau Purwin mehr Verbindung zu Herrn Carstens oder zu Ihnen hat, kann ich nicht beurteilen. Ich bin in diesen Fragen nach dem, was ich in den letzten Wochen alles erfahren habe, überhaupt außerordentlich vorsichtig.
({2})
Zum Abschluß möchte ich noch eine Bemerkung an die Adresse des Herrn Bundeskanzlers machen. Wenn er mich persönlich auch noch für so respektabel hält, daß er mit mir in einem vernünftigen Verkehrston umgeht, so bin ich doch der Meinung - damit beginne ich also bei dem höchsten Repräsentanten der Exekutive in diesem Hause -, daß dieser Stil, der von Ihnen, Herr Bundeskanzler Schmidt. hier praktiziert wird, ein Stil ist, der uns allen nicht nutzt und unsere Demokratie auf das entschiedenste schädigt.
({3})
Herr Kollege Wehner, ich kenne Sie schon so lange, wie Sie mich kennen.
({4})
Fast 25 Jahre teilen wir uns in diesem Hause hier. Ich gehöre auch nicht zu denen, die das Temperament verstecken, wenn sie politische Äußerungen machen, wenn sie politische Reden halten. Bei Ihnen kenne ich aber zwei Methoden ganz genau. Da ist zum einen der säuselnde Wehner, der hier kaum ein lautes Wort bringt, dafür dann aber mindestens vier bis fünf langatmige Zitate parat hat. Ich kenne aber auch einen Wehner, der aufbraust und anklagend wird; dann weiß ich immer: Nun hat er wieder ein schlechtes Gewissen - und so war es heute auch!
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur einige wenige Bemerkungen, weil das Vertrauensmännergremium wiederholt angesprochen wurde. Ich glaube, wir sind uns darüber einig, daß es eine außerordentlich schwierige, aber auch eine sehr wichtige Aufgabe ist, im Rahmen des Möglichen - ich sage bewußt: im Rahmen des Möglichen - eine politische Kontrolle über die Geheimdienste auszuüben. Es ist für uns, die wir für diese Aufgabe benannt sind, eine ganz besonders große Schwierigkeit, wenn ein Fall wie der des Agenten Guillaume geklärt werden soll. Ich glaube, es ist notwendig, hier in aller Deutlichkeit zu sagen, daß der derzeitige Vorsitzende, der Abgeordnete Wehner, sich die große Mühe gegeben hat, für das Vertrauensmännergremium die besten Möglichkeiten der Aufklärung zu schaffen, und daß er sich die größte Mühe gegeben hat, dies möglichst schnell zu tun.
Dr. Schäfer ({0})
Wir haben am 25. April mitten in der Debatte die erste Sitzung gehabt. Damals wurden begründete Fragen gestellt, die von niemandem befriedigend beantwortet werden konnten. Sie, Herr Kollege Carstens, haben gesagt, innerhalb einer Woche wollten Sie die Antworten. Das war durchaus begründet. Ich glaube, wir müssen uns in der Tat Gedanken darüber machen, ob dieses Vertrauensmännergremium, so wie es zusammengesetzt ist, so wie es funktionieren soll, die bestmögliche Lösung ist. Das ist aber nicht auf offenem Markt zu klären. Sich hier gegenseitig Vorwürfe zu machen führt nicht weiter. Ich empfehle, daß wir uns, wenn wir die Überlegungen, die Prüfungen im Fall Guillaume abgeschlossen haben, zu einem ruhigen Gespräch darüber zusammenfinden.
({1})
Meine Damen und Herren, wird das Wort noch gewünscht? Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/2133. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, es wird ein bißchen schwierig. Seien Sie so gut und setzen sich bitte hin. Dann geht es besser.
Ich darf noch einmal diejenigen um das Handzeichen bitten, die für den Änderungsantrag der CDU/ CSU auf Drucksache 7/2133 stimmen möchten. - Gegenprobe! - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 04. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Wir haben zwei Urnen aufgestellt. Ich bitte die Schriftführer, sich dorthin zu begeben. Unabhängig von der Farbe der Stimmkarte kann jede Urne benutzt werden. Ich bitte, die nächstliegende zu nehmen.
Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Es sind insgesamt 438 Stimmen der uneingeschränkt Stimmberechtigten und 18 Stimmen der Berliner Abgeordneten abgegeben worden. Mit Ja haben 260, mit Nein 178 uneingeschränkt Stimmberechtigte gestimmt. Unter den Berliner Abgeordneten haben 12 mit Ja, 6 mit Nein gestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 438 und 18 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 260 und 12 Berliner Abgeordnete, nein: 178 und 6 Berliner Abgeordnete.
Ja
SPD
Adams
Dr. Ahrens
Amling Anbuhl Dr. Apel Arendt ({0})
Dr. Arndt ({1}) Augstein
Baack
Bäuerle Barche
Dr. Bardens
Dr. Bayerl
Becker ({2}) Dr. Beermann Behrendt
Berkhan Biermann
Dr. Böhme ({3}) Börner
Frau von Bothmer Brandt ({4}) Bredl
Brück Buchstaller
Büchler ({5}) Büchner ({6})
Dr. von Bülow Buschfort
Collet Conradi Coppik Dr. Corterier
Frau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi Dürr
Eckerland
Dr. Ehmke
Frau Eilers ({7}) Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Engholm Dr. Eppler
Esters Ewen
Dr. Farthmann Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke Franke ({8}) Frehsee
Friedrich
Gansel Geiger
Gerlach ({9}) Gerstl ({10}) Gertzen
Dr. Geßner
Glombig
Dr. Glotz
Gnädinger
Grobecker Grunenberg
Dr. Haack
Haar
Haase ({11})
Haase ({12}) Haehser
Halfmeier
Hansen Hauck Dr. Hauff
Henke Hermsdorf
Herold Höhmann
Hofmann
Horn
Frau Huber
Huonker Immer
Jahn ({13}) Jaschke Jaunich
Dr. Jens Junghans
Junker Kaffka
Kahn-Ackermann Kater
Kern
Koblitz
Konrad Kratz
Dr. Kreutzmann
Krockert
Kulawig Lambinus
Lange
Lattmann
Dr. Lauritzen Lautenschlager
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius
Liedtke Löbbert Lutz
Mahne Marquardt
Marschall
Frau Meermann
Dr. Meinecke ({14}) Meinicke ({15}) Metzger
Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({16})
Müller ({17})
Müller ({18})
Müller ({19})
Dr. Müller-Emmert
Nagel
Neumann
Dr.-Ing. Oetting
Offergeld
Frau Dr. Orth
Freiherr
Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Dr. Penner
Pensky Polkehn Porzner Rapp ({20})
Rappe ({21})
Ravens Reiser Frau Renger
Reuschenbach
Richter
Frau Dr. Riedel-Martiny Rohde
Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel
Schäfer ({22})
Dr. Schäfer ({23}) Scheffler
Scheu
Frau Schimschok
Schinzel Schirmer
Schlaga Schluckebier
Dr. Schmidt ({24}) Schmidt ({25}) Schmidt ({26}) Schmidt ({27}) Schmidt ({28})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schonhofen
Schreiber
Schulte ({29})
Schwabe
Dr. Schweitzer
Dr. Schwencke
Seefeld Seibert Simon
Vizepräsident Frau Funcke Simpfendörfer
Dr. Slotta
Dr. Sperling Spillecke
Staak ({30}) Stahl ({31})
Dr. Stienen
Suck
Sund
Frau Dr. Timm Tönjes
Urbaniak Vahlberg Vit
Dr. Vogel ({32}) Vogelsang
Walkhoff Waltemathe
Dr. Weber ({33}) Wehner
Wende Wendt
Dr. Wernitz Westphal
Dr. Wichert
Wiefel Wilhelm Wischnewski
Dr. de With Wittmann ({34}) Wolf
Wolfram Wrede Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Frau Grützmann Heyen
Löffler Mattick Dr. Schellenberg
Frau Schlei Schwedler Sieglerschmidt Wurche
FDP
Dr. Achenbach
Dr. Bangemann
Baum
Dr. Böger
Christ
Ertl
Gallus
Geldner
Graaff
Groß Grüner
Hölscher
Hoffie
Jung Kirst Kleinert
Krall
Dr. Graf Lambsdorff Logemann
Frau Lüdemann
Dr. Dr. h. C. Maihofer Mertes ({35}) Mischnick
Möllemann Moersch
Opitz
Ronneburger Scheel
von Schoeler Frau Schuchardt Spitzmüller
Dr. Vohrer Dr. Wendig Wurbs
Zywietz
Berliner Abgeordneter Hoppe
Nein CDU/CSU
Dr. Abelein
Alber
von Alten-Nordheim
Dr. Arnold
Baier
Dr. Barzel
Benz
Berger Bewerunge
Biechele
Biehle
Dr. Blüm
Böhm ({36})
Braun
Breidbach Bremer Bremm Dr. Burgbacher
Burger
Carstens ({37})
Dr. Carstens ({38})
Damm
van Delden
Dr. Dollinger
Dr. Dregger
Dreyer Eigen
Eilers ({39}) Engelsberger
Entrup
Erhard ({40}) Dr. Evers
Ey
Dr. Eyrich
Freiherr von Fircks
Franke ({41})
Dr. Franz
Dr. Früh Dr. Fuchs
Geisenhofer
Gerlach ({42})
Gerster ({43}) Gierenstein
Dr. Gölter
Dr. Götz Dr. Gruhl
Haase ({44})
Dr. Häfele
Dr. Hammans
von Hassel
Hauser ({45}) Hauser ({46})
Dr. Hauser ({47}) Dr. Heck
Hösl
Dr. Hornhues
Horstmeier
Frau Hürland
Hussing
Dr. Jahn ({48})
Dr. Jobst
Josten Katzer Dr. KempfIer
Kiechle Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Dr. Klein ({49})
Dr. Kliesing
Dr. Köhler ({50})
Dr. Köhler ({51}) Köster
Dr. Kraske
Dr. Kreile
Dr. Kunz ({52})
Leicht Lemmrich
Dr. Lenz ({53}) Lenzer
Link
Dr. Luda
Dr. Marx
Dr. Mende
Dr. Mertes ({54})
Dr. Mikat
Milz
Möller ({55})
Müller ({56})
Dr. Narjes
Niegel Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt
Orgaß Pfeffermann
Pfeifer Picard Pieroth Pohlmann
Dr. Prassler
Rainer Reddemann
Frau Dr. Riede ({57}) Dr. Riedl ({58})
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Röhner Rommerskirchen
Roser Russe Sauter ({59})
Dr. Schäuhle
Schedl
Frau Schleicher Schmidhuber
Schmitt ({60}) Schmitz ({61}) Dr. Schneider
Frau Schroeder ({62}) Dr. Schröder ({63}) Schröder ({64}) Schulte
({65}) Dr. Schulze-Vorberg Seiters
Sick
Solke
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({66}) Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen Frau Stommel
Stücklen
Susset
de Terra
Thürk
Tillmann
Frau Tübler
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk Volmer
Dr. Waffenschmidt Wagner ({67}) Dr. Wagner ({68}) Dr. Wallmann
Dr. Warnke
Wawrzik
Weber ({69})
Dr. Freiherr von Weizsäcker Werner
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Wissebach
Dr. Wittmann ({70}) Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel Dr. Wulff
Dr. Zeitel
Zeyer
Ziegler
Dr. Zimmermann Zink
Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Frau Berger ({71})
Kunz ({72})
Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe
Damit ist der Einzelplan 04 angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 05
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - Drucksache 7/1915 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmann
Dazu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/2134 vor.
Vizepräsident Frau Funcke
Das Wort dazu hat der Abgeordnete Picard. Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe für den Redner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es könnte der Eindruck entstanden sein, als ob über seitherige Außenpolitik hier in diesem Hause nicht mehr gesprochen werden könnte, da der seitherige Außenminister inzwischen eine herausgehobene Position einnimmt. Ich möchte im wesentlichen auch nicht zur Außenpolitik sprechen, weil das in hinreichendem Maße getan worden ist. Zunächst nur soviel: diese neue/ alte Bundesregierung legt auf eine ungebrochene Kontinuität so sehr Wert, daß wir uns natürlich auch aus politischen Gründen gezwungen sehen, den Etat des Außenministers, den Einzelplan 05, abzulehnen.
Lassen Sie mich aber über diese Eingangsbemerkungen hinaus ein paar wenige sachliche Bemerkungen machen. Das Auswärtige Amt genießt den Ruf - ich meine, zu Recht -, im wesentlichen eine hochqualifizierte Beamtenschaft zu haben und auch eine sparsame und effektive Verwaltung. Trotzdem meine ich, sollte man hier die Bemerkung machen, daß das nicht in allen Bereichen in der zurückliegenden Zeit der Fall war. Ich denke nur daran, daß der Besuch des Generalsekretärs der KPdSU im vergangenen Jahr weit über 1,1 Millionen DM allein an Kosten für den Bund verursacht hat. Angesichts dessen, was schließlich bei dem Bemühen der Bundesregierung, mit der Sowjetunion zu einem besseren Verhältnis zu kommen, als Ergebnis zu verzeichnen ist, sind wir der Meinung, daß diese Ausgabenhöhe nicht gerechtfertigt war. Wir haben im Haushaltsausschuß einige Anträge gestellt, z. B. die geheimen Ausgaben, deren Ist im Jahre 1972 5,8 Millionen DM betrug und die für 1974 mit 8 Millionen DM angesetzt sind, auf einen erträglichen Ansatz zurückzuführen. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Wir verzichten darauf, ihn hier zu wiederholen, weil wir wissen, daß er auch hier wieder abgelehnt würde. Ich erwähne ihn nur, weil wir meinen, daß diese geheimen Ausgaben in dieser Höhe nicht notwendig sind.
Ich möchte auch etwas sagen zu den offenbar noch nicht ad acta gelegten Überlegungen, im Auswärtigen Amt, neben dem Gästehaus der Bundesregierung, dem Schloß Gymnich, eventuell den Petersberg anzukaufen. Wir halten ein solches Unterfangen für nicht nur der augenblicklichen Finanzsituation des Bundes nicht entsprechend, sondern wir halten es auch für unnötig, weil wir nur äußerst selten überhaupt in die Lage kommen können, ein solches Großprojekt für Staatsbesuche zu benötigen. Angesichts der Summen, die im Gespräch sind - 20 Millionen DM für den Ankauf, 30 bis 60 Millionen DM für die Renovierung, ungeachtet der nicht abzusehenden Kosten, meine Damen und Herren, für die Unterhaltung eines solchen Großprojektes -, bitten wir die Bundesregierung dringend, von weiteren Überlegungen über den Ankauf des Petersberges Abstand zu nehmen.
Wir haben im vergangenen Jahr trotz Stellenstopp, den die Bundesregierung verordnet hatte und den Haushaltsausschuß und Parlament für richtig gehalten haben, auch im Auswärtigen Amt eine erhebliche Stellenvermehrung erlebt. Man kann sagen, daß bei Neuaufnahmen diplomatischer Beziehungen oder bei hinzukommenden Aufgaben auch das Personal erweitert werden muß. Wir sind aber der Auffassung, daß der Bericht der Reformkommission für das Auswärtige Amt, insbesondere jetzt nach Vorliegen des Konsulargesetzes, genügend Hinweise und Anknüpfungspunkte bietet, um im Personalkörper des Auswärtigen Amtes selbst auch Personal frei zu machen für notwendige Aufgaben. Ich denke hier z. B. auch 'an die nicht abzustreitende notwendige, wenn auch geringe Stellenvermehrung im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik. Wir werden in diesem Jahr nicht bereit sein, einer Stellenvermehrung im Auswärtigen Amt im Wege der Sondervorlage zuzustimmen, sondern wir fordern das Auswärtige Amt dringend auf, diese notwendigen Stellenumsetzungen im eigenen Personalkörper zu bewerkstelligen.
Lassen Sie mich abschließend den Antrag meiner Fraktion Drucksache 7/2134 begründen, im Einzelplan 05, dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, das Kap. 05 05 zu streichen. Dieses Kapitel betrifft den Bundesminister für besondere Aufgaben beim Stellvertreter des Bundeskanzlers, den bisherigen Sonderminister Maihofer, der uns ja nun als Minister im Innenministerium erhalten bleibt.
({0})
- Ich hätte gesagt, wir wollten auf den Kollegen
Maihofer als Kollegen im Parlament nicht verzichten.
Sie wissen selbst, Herr Außenminister, und ich glaube, auch Herr Kollege Maihofer weiß es, daß ihm das Justizministerium viel mehr auf den Leib geschnitten gewesen wäre als das Innenministerium. Wir bedauern, daß das Innenministerium von ihm besetzt worden ist, aber das hat hiermit nichts zu tun. Die Bundesregierung hat nun von sich aus diesen Sonderminister, aus welchen Gründen auch immer, abgeschafft. Wir würden sagen: wegen mangelnder Effektivität;. denn die Aufgaben, die er zu erledigen hatte, hat er ja nicht erledigt. Wir wissen aus der Regierungserklärung, daß die Vermögensbildung ad acta gelegt ist; das ist so, und da wird sich auch nichts tun in dieser Legislaturperiode.
Wir meinen nur, daß es korrekt wäre, wenn wir Kap. 05 05 streichen. Die Koalitionsfraktionen haben gemeinsam mit uns den Antrag Drucksache 7/2123 eingebracht. Wir haben uns der Bitte um gemeinsame Einbringung nicht verschlossen. Wir haben uns ihr aber nicht deshalb nicht verschlossen, weil wir mit den Koalitionsfraktionen der Auffassung wären, daß damit auch die Überführung des Personals des bisherigen Sonderministers in irgendwelche anderen Verwaltungen gedeckt wäre. Dies war uns nicht bekannt. Wir halten es für einen etwas schäbigen Trick, mit einem solchen Antrag obsolet gewordene Ministerien zu erhalten, wenn auch nur im Personalkörper.
({1})
Wir bitten also darum, meine Damen und Herren, unserem Antrag Drucksache 7/2134 stattzugeben und Kap. 05 05 ersatzlos zu streichen. Wir wollen damit der alt /neuen Bundesregierung ein kleines bißchen helfen, die von ihr versprochenen Einsparungen - auch Personaleinsparungen- durchzuführen.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bußmann.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Ich bitte, den Antrag Drucksache 7/2134 der CDU/CSU-Fraktion auf Streichung des Kap. 05 05 abzulehnen.
Warum bitte ich darum? Weil ich einfach möchte, daß hier mit der Spiegelfechterei Schluß gemacht wird. Sie kennen doch alle so gut wie ich und viele in diesem Hause die Geschäftsordnung. Nach der Geschäftsordnung ist es so, daß, wenn wir in der zweiten Lesung diesen Antrag jetzt annehmen, die dritte Lesung möglicherweise um 24 Stunden verschoben werden muß. Aber kein Mensch kann es uns zumuten, hier zu Himmelfahrt zu tagen; das will auch niemand. Wir wollen auch am Wochenende nicht tagen. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen den Antrag Drucksache 7/2123 gestellt, wonach wir nach bewährter Praxis, wie es nach dem Haushaltsgesetz in solchen Fällen üblich ist, die Vollmachten bei dieser organisatorischen Änderung dem Haushaltsausschuß übertragen, damit er Stellenumsetzungen vornimmt, soweit Kraftfahrer und andere betroffen sind und wodurch dann Stellen gestrichen werden können. Daß diese Straffung der Regierungsarbeit erfolgt, ist ja der Wille dieser Koalition. Wir wünschen das. Nur lassen Sie uns doch gemeinsam das tun, was zweckmäßig und arbeitsökonomisch ist!
Herr Kollege Bußmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder? - Bitte!
Herr Kollege Bußmann, sind Sie nicht der Meinung, daß das eine gute Gelegenheit wäre, um den so lautstark propagierten Grundsatz der Sparsamkeit einmal zum Zuge zu bringen, indem man diese Stellen entsprechend dem CDU/CSU-Antrag streicht, statt sie nur umzuschichten?
Sehen Sie, wir werden uns in der übernächsten Woche im Haushaltsausschuß wiedersehen; denn ich denke, daß unser Antrag angenommen wird. Dann werden wir die Möglichkeit haben, sorgfältig abzuwägen. Wie differenziert Ihre eigene Fraktion darüber denkt, ist schon daran zu sehen, daß Sie in diesem Fall beim Einzelplan 05 sämtliche 10 Bediensteten streichen wollen, während Sie im anderen Fall bei Einzelplan 04 sehr differenzieren und lediglich den Minister und den persönlichen Referenten gestrichen haben wollen und Kraftfahrer, Sekretärin und alles, was normalerweise zum Troß eines Ministers gehört, drinlassen. Sie haben sich doch etwas dabei gedacht. Gerade Ihr Nachdenken veranlaßt mich, an Sie zu appellieren, daß wir im Haushaltsausschuß in der gewohnten Sorgfalt beraten, wie es ja auch dem Haushaltsgesetz in vielen anderen Dingen entspricht.
Aber lassen Sie mich auch noch einige Worte zu Einzelplan 05 insgesamt sagen. Auch hier darf ich wieder feststellen, daß wir ein Haus vor uns haben, welches sich in vieler Hinsicht vorbildlich verhalten hat. Die Steigerungsrate beträgt zwar gegenüber dem Vorjahr 10,85 0/0, aber wir wissen, welche neuen Posten zwischenzeitlich nach der Regierungsvorlage nachgeschoben werden mußten. Da waren die Posten, die den Transport der UNO-Truppen in den Nahen Osten betrafen, 1,8 Millionen, da waren 14 Millionen für humanitäre Hilfe in der Sahel-Zone, und da waren erhebliche Nachforderungen für den festgelegten Beitrag bei den Vereinten Nationen. Nur dadurch diese Steigerungsrate, die dennoch im Rahmen bleibt.
Ihnen wird es auch schwerfallen, meine Damen und Herren von der Opposition, hier den Grundsatz aufzustellen: keine Stelle insgesamt mehr. Denn auch hier müssen wir feststellen: durch verschiedene Vorlagen haben wir im Laufe des Jahres zwar insgesamt 79 neue Stellen bewilligt, aber wir haben gleichzeitig die Bestimmungen des Haushaltsgesetzes, wonach insgesamt 1 400 Stellen einzusparen sind, und davon entfallen 54 auf das Auswärtige Amt, so daß im Nettozuwachs bestenfalls 25 bleiben. Auch hier sehen Sie eine vernünftige Politik, die sich nach neuen Aufgaben richtet und die nicht unbedingt nach dem Parkinsonschen Gesetz ausgelegt ist.
Die Frage der Anmietung oder des Kaufs des Hotels Petersberg zur Nutzung durch die Bundesregierung ist nicht beratungsreif. Sie haben auch nur einen Hinweis auf die Zukunft gegeben. Hier sind konkrete Verhandlungen nicht da, die als Kaufverhandlungen betrachtet werden könnten. Ich bin überzeugt: nachdem das erste Stadium der Prüfung abgeschlossen ist, wird die Regierung den Haushaltsausschuß hier einschalten und auch die KostenNutzen für die Zukunft hinein berechnen.
Was den Breschnew-Besuch anbetrifft - Herr Picard, jetzt sind Sie besonders angesprochen -, wollen wir doch wirklich mal nicht kleinlich sein. Wenn Staatsmänner aus anderen Nationen hier Staatsbesuche machen, dann sind die Kosten unterschiedlich. Sie sind vor allen Dingen deshalb unterschiedlich, weil sie sich nach dem Grad der Gefährdung des einzelnen richten und nach der Sorgfalt, die dementsprechend für seine Bewachung aufzuwenden ist. Das war doch hier der Fall. Wenn Sie diesen Etatposten vergleichen mit den vergleichbaren Kosten, die im Jahre 1963 beim Besuch des Staatspräsidenten de Gaulle entstanden, dann müssen Sie ehrlicherweise sagen, daß beide Kostenansätze auch in der Höhe gerechtfertigt sind.
So kann man zu diesem Haushalt insgesamt sagen, er ist wohlabgewogen, er ist gekennzeichnet von sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsführung,
und es gibt eigentlich keinen Grund, ihn abzulehnen. Deshalb bitte ich, diesem Haushalt zuzustimmen und den Änderungsantrag 7/2134 demgemäß abzulehnen.
({0})
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 7/2134. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letztere war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesamteinzelplan 05. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesamteinzelplan ist angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
- Drucksache 7/1916 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl ({0}) Abgeordneter Möller ({1}) Abgeordneter Haehser
Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
- Drucksache 7/1936 Berichterstatter:
Abgeordneter Möller ({2})
Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Das Wort zur Aussprache hat Herr Abgeordneter Möller ({3}).
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich für einen Oppositionssprecher nach diesen ereignisreichen Wochen eine besondere parlamentarische Delikatesse, das Nein der CDU/CSU-Opposition zu dem Etat des Innenministeriums hier zu begründen.
Wie wir der Presse der vergangenen Woche entnehmen konnten, hat die personelle Besetzung dieses Ministeriums den Regierungsmachern der SPD und der FDP einige Kopfschmerzen und Sorgen bereitet.
Nachdem der bisherige Bundesinnenminister und jetzige Bundesaußenminister Genscher besonders in der Spionageaffäre Guillaume sein Scherflein dazu beigetragen hatte, den letzten Akt des Kanzlersturzes durch den SPD-Fraktionsvorsitzenden Wehner herbeizuführen, hatte man seitens der SPD ein fast krankhaftes Verlangen, gerade dieses Ministerium personell in die Hand zu bekommen - sicherlich nicht zuletzt, um über dieses Ministerium einen stärkeren Einfluß auf den Bundesverfassungsschutz ausüben zu können. Dabei unterstelle ich ganz gewiß nicht, daß man vielleicht vorhatte, in einer wiederholten Nacht- und Nebelaktion wie seinerzeit bei Herrn Ehmke im Bundesnachrichtendienst einige Unterlagen zu entfernen, sondern eher den Informationsvorsprung der FDP innerhalb der Regierungskoalition in diesem Bereich aufholen wollte.
({0})
Deshalb konnte es im Grunde genommen auch gar nicht überraschen, daß die FDP dennoch dieses Ministerium behielt. Aber, meine Damen und Herren, die dann getroffene Personalentscheidung überraschte sicherlich nicht nur die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie wohl auch die Jungdemokraten innerhalb der FDP, sondern die gesamte deutsche Öffentlichkeit, ja man sprach in Pressemeldungen sofort am nächsten Tag von der sogenannten Bruchstelle dieser Regierungskoalition.
Man hätte eigentlich annehmen sollen, Herr Minister Maihofer, daß Sie nach Ihren verschiedenen erfolglos gebliebenen Sonderaufträgen der vergangenen Jahre - Sie waren Chefideologe der FDP, Mitbestimmungsmacher, vergeblicher Vermögensbildner; in allen diesen Aufgaben sind Sie so kläglich gescheitert wie auch diese zweite SPD /FDP-Regierungskoalition - jene politische Größe besessen hätten und gemeinsam mit den anderen Ministern vor zwei Wochen zurückgetreten wären.
({1})
Nun aber sollten Sie in einem weiteren Sonderauftrag die Innenpolitik dieses Landes gestalten und die innere Sicherheit in unserem Lande nicht nur gewährleisten, sondern in vollem Umfang wiederherstellen, was auch einem so agilen Minister wie Genscher in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist - Sie, Herr Minister Maihofer, der Sie sich in Ihren bisherigen politischen Auslassungen zum Beispiel immer deutlich über die in Ihren Augen „sogenannte" Gefahr des Linksradikalismus in der Bundesrepublik Deutschland mokiert haben, Sie, der Sie immer davon gesprochen haben, daß in der Bundesrepublik der Rechtsradikalismus die weitaus größere Gefahr sei, obwohl die Zahlen und Unterlagen Ihres Parteifreundes Genscher Ihnen stets deutlich gemacht haben, daß diese Ihre Aussagen nicht richtig und nicht haltbar sind und Sie somit schon immer die Öffentlichkeit in dieser Frage täuschten, sind nun Innenminister geworden! - Sie, Herr Minister Maihofer, der Sie immer wieder erklärt haben, daß das Problem der ständig stärker werdenden Durchdringung der öffentlichen Dienste mit Anhängern der extremen Linken für Sie kein ernstes politisches Thema sei, obwohl in der Bevölkerung und gerade in der Elternschaft dieses Staates in bezug auf die Lehrerschaft eine immer größere Beunruhigung zu vermerken ist und die Öffentlichkeit von ihren Regierenden ein klares Bekenntnis zur streitbaren Demokratie fordert.
({2})
Sie, Herr Minister Maihofer, haben das Innen- und Verfassungsressort übernommen, obwohl Sie die Führungspersönlichkeit der Linken und der Jungdemokraten in dieser heutigen FDP - das wurde
Möller ({3})
von Ihnen nie bestritten - sind, einer Organisation beispielsweise, die in vielen Bereichen sogar noch links von den Jungsozialisten anzutreffen ist und zum Beispiel ungeniert Arbeits- und Aktionsgemeinschaften mit erklärten Verfassungsfeinden durchführt, ohne daß Sie es bisher für notwendig erachtet hätten, sich von diesen Jungdemokraten öffentlich zu distanzieren!
({4})
Sie, Herr Minister Maihofer, wollen jetzt unserem Volk die Garantie und das Gefühl geben, die innere Sicherheit mit der notwendigen Durchsetzungskraft nicht nur zu gewährleisten, sondern sogar zu verbessern!
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, einige Faktenschilderungen über jene Situation, die Sie jetzt mit Ihrem neuen Ressort im Bereich der Bundesrepublik Deutschland meistern müssen!
({5})
- Vielleicht ist es aber auch einmal notwendig, mit der Schärfe eines Generalstaatsanwalts dieser Regierung Fakten vor Augen zu führen, werter Kollege.
({6})
Das sind Sie, Herr Minister Maihofer, eben als Minister des Innen-Ressorts, der Sie diese politische Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland nie für bedroht oder gefährdet hielten. Ich nenne Ihnen hier Angaben, Herr Minister, die Sie sich von den Jungdemokraten nicht sofort als Panikmache ausreden lassen sollten, sondern lieber sofort, heute oder morgen, durch Ihr Ministerium bestätigen lassen sollten.
Während im Jahre 1973 zwar die absolute Zahl der linksradikalen Organisationen sank, so stieg doch gleichzeitig die Anzahl der insgesamt organisierten Linksradikalen, d. h., der Konzentrationsprozeß des Linksradikalismus ging weiter; die Zahl der Linksradikalen in der Bundesrepublik Deutschland stieg um 10 000 auf insgesamt 87 000 Personen.
({7})
- Gerade die orthodoxen Kommunisten haben entscheidende Erfolge in den letzten Jahren bei ihren Aktionseinheiten und Volksfronteinheiten mit sogenannten demokratischen Gruppen wie Jungdemokraten und Jungsozialisten beim Kampf gegen die sogenannten Berufsverbote zu verzeichnen gehabt!
An den Universitäten und Hochschulen - Herr Minister Maihofer, aus Ihrer Vergangenheit heraus haben Sie Erfahrung in diesem Bereich! ({8})
haben gerade die Linksextremisten über 50 bis 60 %
aller Mandate in den Studentenparlamenten und in
den Allgemeinen Studentenausschüssen. Die DKP konnte im vergangenen Jahr ihre Mitgliederzahl von 36 000 auf 40 000 erhöhen, wobei die hundertprozentige Verdoppelung des MSB Spartakus besonders bemerkenswert ist.
Gleichzeitig ist in dem vergangenen Jahr die Anzahl der Mordanschläge, der Sprengstoff- und Brandanschläge nicht, wie seitens dieser Regierungskoalition immer wieder behauptet wurde, zurückgegangen, sondern sie ist konstant geblieben.
({9})
Viel schlimmer ist, daß die Zahl der sogenannten - so heißt es in den Statistiken - „politischen einfachen Gewaltakte", worunter aber immerhin sogar noch die schwere Körperverletzung zu verstehen ist, im Jahre 1973 um über 100 % gestiegen ist.
({10})
Gleichfalls stieg 1973 die Anzahl der im öffentlichen Dienst beschäftigten Radikalen um über 15 %. Das heißt also, Herr Minister Maihofer: Hier wird deutlich, wie stark der öffentliche Dienst trotz Ihrer Beschwichtigungstheorie in zunehmendem Maße von Linksradikalen durchsetzt wird.
({11})
Auch im Bereich der inneren Sicherheit drohen nach wie vor - dies sind Aussagen zuständiger Fachleute! - erhebliche Unsicherheitsrisiken durch internationale Terroristengruppen hier in der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es erübrigt sich fast - aber ich will es dennoch tun -, noch einmal darauf hinzuweisen, daß die entsprechenden Sicherheitsorgane in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Zahl von 15 000 Agenten rechnen, wobei der Anteil der Nachrichtendienste der DDR sich hier unvermindert in erheblichem Umfang auszeichnet. Ich darf es mir wohl versagen, noch einmal ausschweifend auf den Fall Guillaume einzugehen, darf allerdings in diesem Zusammenhang eine Frage anschneiden, die sicherlich für den Innerdeutschen Ausschuß von einiger Bedeutung sein wird, nämlich die Tatsache, daß sowohl die Agententätigkeit seitens der DDR hier in der Bundesrepublik Deutschland als auch die kommenden Verteidigungskosten des Prozesses im Falle Guillaume und die bisherigen Einsatzkosten für den Fall Guillaume durch unsere direkten Barzahlungen an die DDR auf westdeutsche Konten finanziert werden und wir selbst mit unseren Mitteln der DDR ein risikoleichtes Instrumentarium in die Hand geben, ihre entsprechende Politik hier zu verfolgen.
Nur diese wenigen Fakten und Zahlen, Herr Minister Maihofer, zeigen Ihnen, wie es um uns, um den Bereich der inneren Sicherheit hier in der Bundesrepublik Deutschland wirklich aussieht, und zeigen Ihnen gleichzeitig, wie oft Sie sich in der Vergangenheit zu diesem Bereich leichtfertig geäußert haben.
Herr Abgeordneter Möller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Bitte schön!
Herr Kollege Möller ({0}), könnten Sie nach den Schilderungen, die Sie soeben gegeben haben, vielleicht ein genaueres Datum für den Untergang des Vaterlandes bekanntgeben? Das wäre möglicherweise für die nächsten Haushaltspläne wichtig.
({1})
Ich bedanke mich herzlich für diese Zwischenfrage, kann Ihnen aber sehr wahrscheinlich nicht das genaue Datum des Untergangs Deutschlands geben. Ich kann Ihnen aber eines sagen, nämlich daß wir uns, wenn diese Regierungskoalition auf dem Wege der Kontinuität, wie Schmidt es hier ausgedrückt hat, so weitermacht, auf jeden Fall 1976 nicht mehr in der gleichen Situation in Deutschland befinden werden.
({0})
Herr Minister Maihofer, die Opposition befürchtet, daß Sie die schwierige Aufgabe, die ich hier geschildert habe, so wenig wie Ihre bisherigen Sonderaufgaben bewältigen werden. Das aber wäre nicht nur eine Belastung Ihrer Regierungskoalition, sondern, was viel schlimmer wäre, eine Gefährdung, die an den Nerv unseres jungen demokratischen Staates geht. Die CDU/CSU-Opposition kann zu diesem Etat nicht ja sagen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Walther.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hatte schon vor dem Regierungswechsel öffentlich in der Zeitung verkündet, daß sie diesen Einzelplan ablehnen wolle, und ich war eigentlich sehr gespannt darauf, heute nachmittag zu hören, warum sie dies tut. Der Grund, der hier angegeben worden ist, Herr Kollege Möller, kann doch wohl nicht stimmen. Denn als Sie in der Presse verkündeten, Sie wollten diesen Einzelplan ablehnen, war der von Ihnen attackierte Minister Maihofer für dieses Amt noch gar nicht im Gespräch.
({0})
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe heute nachmittag nicht Herrn Minister Maihofer zu verteidigen; das kann er selber tun. Dies wird sicherlich nicht meine Aufgabe sein müssen. Nur, lassen Sie mich eines sagen: Ich bin froh, daß ein so akzentuiert liberaler Mann Minister in diesem
Hause ist und nicht jemand, der so redet wie Herr Möller.
({1})
Der Herr Kollege Möller hat hier sein Soll an Angst- und Panikmache erfüllt. Ich denke, wir sollten dies so hinnehmen, wie er es gesagt hat, und zur Tagesordnung übergehen.
({2})
Denn, meine Damen und Herren, in diesem Einzelplan geht es um Wichtigeres als um die Propaganda des Herrn Möller.
({3})
Es gibt nämlich in diesem Einzelplan eine Reihe von Schwerpunkten, über die es sich lohnte sachlicher zu diskutieren, als Herr Möller soeben meinte diskutieren zu müssen; denn auch Bundeskanzler Schmidt hat in seiner Regierungserklärung zwei Schwerpunkte in diesem Haushalt herausgestellt, auf die ich hier kurz aus der Sicht des Haushalts eingehen darf.
Vor allem auf dem Gebiet des Umweltschutzes setzt die Regierung gerade in diesem Jahr deutliche Zeichen. Lassen Sie mich dazu einige Zahlen nennen. Die Steigerungsrate in diesem Plan gegenüber dem Vorjahr erreicht den gewiß stolzen Prozentsatz von 40 %. Im gesamten Haushalt, den ERP- Wirtschaftsplan mit eingeschlossen, stehen 1974 150 Millionen DM mehr zur Verfügung, insgesamt also 601 Millionen DM.
Meine Damen und Herren, die Umweltkrise ist, wie ich meine, ein Schlüsselerlebnis für die Generation, der ich angehöre. Viele hat das Thema Umweltschutz zum Nachdenken über die Situation unserer Wohlstandsgesellschaft angeregt. Das Umweltprogramm dieser Regierung hat längst die Phase verbaler Erklärungen und moralischer Appelle verlassen und befindet sich, wie wir wissen, mitten in der Durchführung. Viele Gesetze sind verabschiedet oder in der parlamentarischen Beratung. Und schon - lassen Sie mich dies sagen - erleben wir die Bildung einer „Gegenreformation", die die deutlicher gewordene Begrenztheit der natürlichen Hilfsquellen ausnützen will, um uns die falsche Alternative Wachstum oder Umweltschutz einzureden.
Daß jetzt mit dem Umweltschutz Ernst gemacht und nicht nur darüber geredet wird, wie häufig in der Vergangenheit, paßt manchen in diesem Lande nicht. So wird z. B. vom Bundesimmissionsschutzgesetz, das wir kürzlich gemeinsam verabschiedet haben, als dem Morgenthau-Plan für die deutsche Wirtschaft gesprochen und behauptet, an der Energiekrise seien die Umweltschützer schuld.
Meine Damen und Herren, der Sachverständigenrat, der übrigens wesentlich dazu beigetragen hat, daß sich das Umweltbewußtsein der Bürger in diesem Lande gewandelt hat, hat vor wenigen Wochen sein Umweltgutachten 1974 vorgelegt. Dieses GutWalther
achten kommt, wie ich meine, gerade zur rechten Zeit, gerade auch angesichts des wachsenden Widerstandes gegen die konsequente Verwirklichung des Umweltprogramms der Regierung.
({4})
- Entschuldigen Sie, verehrter Herr Kollege Miltner, ich denke, wenn Sie die Zeitungen aufmerksam verfolgen, desgleichen manche Veröffentlichungen in Verbandsorganen, werden Sie mir zustimmen, wenn ich sage: in diesem Lande gibt es nicht nur eitel Freude über das Programm dieser Regierung.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will aber, weil ich gesagt habe, daß wir uns über dieses Thema ausführlich unterhalten wollen, nicht verschweigen, daß es auch manche Widerstände aus Ressortsegoismus gibt. Ich habe mir z. B. sagen lassen, daß es solche Widerstände gegen den Gesetzentwurf zur Einführung einer generellen Umweltverträglichkeitsprüfung gebe, von dem ich meine, Herr Minister Maihofer, daß er möglichst bald hier vorgelegt werden sollte; denn auch hier gilt, daß die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen muß. Verkehrsbauten, die die Landschaft unnötig zerstören oder auf mögliche Lärmschäden keine Rücksicht nehmen, sollten ebenso verhindert werden wie die Standortentscheidungen für Kernkraftwerke ohne ausreichende Prüfung der klimatischen oder anderen Umweltbelastungen. Und - lassen Sie mich diese Anmerkung noch machen - ob Tiefflüge von Überschalljägern über bewohnten Gebieten immer notwendig sind, muß man ja auch gelegentlich bezweifeln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die Kritiker der Bundesregierung aus den Bundesländern in einer aktuellen Debatte vor einigen Monaten gefordert haben, daß die Regierung sagen sollte, wie sie von den geforderten neuen Zuständigkeiten auf dem Gebiete des Umweltschutzes Gebrauch machen will, muß darauf geantwortet werden, daß die Regierung mit der vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz, mit dem Wasserabgabengesetz und mit dem Waschmittelgesetz klar gezeigt hat, was sie mit den geforderten Vollkompetenzen anfangen will. Es gibt deshalb keinen sachlichen Grund mehr, die hierfür notwendigen Grundgesetzänderungen nicht zu beschließen. Die Opposition wird hier und heute erneut dringlich zur Mitarbeit aufgefordert.
({6})
Meine Damen und Herren, wir begrüßen es ausdrücklich, daß die Bundesregierung den Gesetzentwurf über das Umweltbundesamt eingebracht und den Aufbau des Amtes als Folge der Haushaltsentscheidungen 1973 auch zügig in die Wege geleitet hat. Ich sage hier auch auf Grund meiner Kenntnis der Verwaltungsabläufe auf diesem Gebiet, daß ein solches Amt als nachgeordnete schlagkräftige Behörde dringend notwendig ist, um unnötige Reibereien, Doppelarbeit und Zuständigkeitsquerelen zu vermeiden. Ich kann die Regierung nur darum bitten, daß sie gerade die Koordinationsfunktionen dieses Amtes für die verschiedenen Ressortszuständigkeiten mit Nachdruck unterstützt.
Sicher war die Verabschiedung vieler Gesetze, über die wir hier ausführlich geredet haben oder reden könnten, sehr wichtig; aber ebenso wichtig erscheint es mir, die Einhaltung dieser Gesetze zu garantieren und auf ihre Durchführung und ihre Erfolge im Hinblick auf eine Verbesserung der Umwelt zu achten. Auch von daher bitten wir die Regierung, dem Hohen Hause den angekündigten Vorschlag für eine Neufassung von Umweltstraftatbeständen schnellstens vorzulegen. Wir warten auch mit Interesse auf die Vorlage der Regierung, die dem Recht des Menschen auf eine menschenwürdige Umwelt Verfassungsrang geben soll .
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt enthält beachtliche Mittel für den Aufbau des Informationssystems zur Umweltplanung, das Regierung und Parlament über erreichte und erreichbare Fortschritte genau informieren soll. Gelegentliche Hearings oder Broschürenproduktionen sind unzureichend. Das Parlament und die ganze Öffentlichkeit müssen sich jederzeit verläßlich ein Bild über das gesamte Spektrum der Umweltpolitik machen können. Regierung und Parlament müssen von Industrieinformationen unabhängig werden. Gerade die Ölkrise hat gezeigt, wohin eine Abhängigkeit von der Informationspolitik der Industrie führt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu dem zweiten Schwerpunkt dieses Haushalts, über den Sie, Herr Kollege Möller, sich in einem sehr merkwürdigen Zusammenhang geäußert haben, etwas anderes sagen. Von der Angst- und Panikmache, von den Angstmachern habe ich schon gesprochen, die den Bürgern einzureden versuchen, die innere Sicherheit sei bei dieser Regierung nicht in guten Händen. Dabei wird, nebenbei gesagt, geflissentlich übersehen, daß innere Sicherheit im echtesten Wortsinn eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern ist. Vor wenigen Wochen erst hat, wie wir wissen, die zuständige Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder eine wesentliche Erweiterung und Fortschreibung des Programms für die innere Sicherheit einmütig, also auch mit den Stimmen der von der CDU regierten Ländern beschlossen.
Der Bund ist seinen Verpflichtungen aus den bisherigen Programmen vollauf nachgekommen. Dieser Haushalt beweist es erneut. Dies gilt für den Grenzschutz und das Bundeskriminalamt, aber auch für die Ausrüstungsbeschaffungen der Bereitschaftspolizeien der Länder. Mit der Angst- und Panikmache gegen die Regierung sollte auf diesem Gebiet endlich aufgehört werden. Die Zahlen und Fakten beweisen genau das Gegenteil.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich hier Ihnen und Herrn Minister Maihofer gegenüber ein paar Gedanken zum Bundesgrenzschutz aussprechen. Wir haben Vertrauen in die demokratische Zuverlässigkeit des Bundesgrenzschutzes. Das schließt nicht aus, daß es hier und da noch Ansätze geben mag, die auf ein nicht immer aus6768
reichend entwickeltes demokratisches Verständnis schließen lassen, wobei ich gern einräume, daß dies auch ein Generationsproblem sein mag. Gestatten Sie mir hier noch eine private Anmerkung, Herr Minister Maihofer: Wenn die Zeitschrift, die der Bundesgrenzschutz jeden Monat herausgibt, ein bißchen mehr die Pluralität der Gesellschaft widerspiegelte, wäre sie auch lesbarer.
Der Polizeicharakter des Bundesgrenzschutzes, vom Bundesgrenzschutzgesetz ausdrücklich deklariert, muß konsequent durchgesetzt werden. Ich unterstütze deshalb die Absicht der Regierung, die Amtsbezeichnungen und Dienstgrade im Bundesgrenzschutz denen der Polizei anzugleichen. Das heißt: Weg von den bisherigen militärischen Bezeichnungen. Dies sollte dann allerdings auch für alle Dienstgrade gelten. Meine Damen und Herren, auf dieser Linie liegt es auch, wenn wir zustimmen, daß auf die Heranziehung von Wehrpflichtigen im Bundesgrenzschutz ab sofort verzichtet werden soll. Auch dadurch können nach meiner Auffassung falsche Assoziationen ausgeräumt werden.
Besonderes Glanzstück der Politik der inneren Sicherheit dieser Regierung ist das Bundeskriminalamt. Als reine Briefkastenbehörde oder als schlafenden Riesen haben Sachkenner - wie z. B. mein Kollege Heinz Pensky - noch vor wenigen Jahren, als die CDU die Innenminister in diesem Lande gestellt hat, dieses Amt bezeichnet. Heute ist dieser Riese erwacht. Erst vor wenigen Tagen hat der bisherige Minister Genscher das polizeiliche Informationssystem INPOL der Öffentlichkeit vorgestellt. Das hierdurch erzielte Mehr an polizeilicher Effektivität ist bereits jetzt meßbar. Etwa 40 % - eine wichtige Zahl! - der heute erzielten Festnahmen und Aufenthaltsermittlungen gäbe es ohne INPOL nicht. Wie sich dieses Amt durch Aufbaumaßnahmen in wenigen Jahren zu einer modernen Zentrale der Verbrechensbekämpfung entwickelt hat, ist bewunderungswürdig.
({8})
An dieser Stelle sage ich dem Präsidenten dieses Amtes, Herrn Dr. Herold, ausdrücklich für die von ihm und seinen Mitarbeitern geleistete Arbeit Dank. Das ist ein etwas anderer Akzent als der, den der Herr Kollege Möller hier gesetzt hat.
({9})
Die Fortführung der Elektronisierung macht es auch möglich, die Forschungskapazitäten des Amtes zu verbessern. Deshalb kann, soll und muß nach meiner Auffassung neben die repressive Strafverfolgung jetzt als eine weitere große Aufgabe dieses Amtes die Vorbeugung treten. Hierzu ist ein forschendes Eindringen in die objektiven Gesetzmäßigkeiten der kriminellen Entwicklung unerläßlich. Die forschende Durchdringung der Kriminalität mit den Mitteln der elektronischen Datenverarbeitung eröffnet die große Chance, auch die Ursachen der Kriminalität zu erkennen, freizulegen und vorbeugend zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, die Kürze der mir hier zur Verfügung stehenden Zeit läßt es nur zu, auf diese zwei Schwerpunkte des Einzelplans einzugehen. Manche anderen Fragen, die der Erörterung wert wären, muß ich übergehen. Lassen Sie mich aber noch eine Schlußbemerkung machen. Dort, wo Reformen notwendig sind, wo die Gesellschaft sie fordert,
({10})
wird sich die Regierung auch zukünftig bei noch so großem Zwang zur Sparsamkeit nicht davon abbringen lassen, sie auch anzufangen. Wir stimmen diesem Einzelplan zu.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir hatten uns auf eine innenpolitische Sachdebatte über diesen Haushalt gefreut, auf eine Debatte über die großen Themen der Medienpolitik, des Umweltschutzes, über die großen Themen der Verfassungspolitik. Gestern ist die Rolle des Bundesrates verschiedentlich angesprochen worden.
({0})
- Keine Sorge, ich mache das nicht. Ich bin aber gerne bereit, dazu Ausführungen zu machen,
({1})
wenn Sie das interessiert. - Das sind Themen, die man in diesem Bereich behandeln sollte; auch das, was angekündigt worden war als die große geistigpolitische Auseinandersetzung, die sich dann als ein untauglicher Versuch entpuppt hat, mit der Beschwörung der neomarxistischen Linken die Verfassungsdebatte vom Februar dieses Jahres zu wiederholen, natürlich mit dem Ziel, diese Bundesregierung als unzuverlässig im rechtsstaatlichen und demokratischen Bereich zu denunzieren. Einen anderen Sinn hat doch diese ständige Geisterbeschwörung nicht, die Kollege Wehner als die Sehnsucht nach den 50er Jahren bezeichnet hat.
Nun kommen Sie daher, Herr Kollege Möller, und reden nicht einmal über die Sache selbst, sondern fangen an, persönliche Bemerkungen zu machen, denen ein konkreter Sachverhalt erkennbar nicht zugrunde liegt. Ich wehre mich dagegen, eine Debatte auf dieser Ebene zu führen, und ich wehre mich dagegen, die Regierung nur deswegen andauernd vor demselben Vorwurf der zweifelhaften Verfassungstreue verteidigen zu sollen, weil es eine sozialliberale Regierung ist und bleibt.
Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß der Kern unserer Verfassung, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die unverbrüchliche Grundlage dieses Staates bleibt und daß wir diese unverbrüchliche Grundlage verteidigen werden. Wenn Sie dazu Anstände haben, wenn Sie das große Thema der inneren Sicherheit hier im Eselsgalopp behandeln wollen, - ich schlage Ihnen vor, machen Sie
zu diesem Bereich doch einmal eine Große Anfrage. Es gäbe keine großartigere Gelegenheit, dann einmal im einzelnen und in der dafür erforderlichen Zeit darüber zu diskutieren.
({2})
- Sie sind doch diejenigen, die andauernd behaupten, hier würde etwas versäumt. Nun, es steht Ihnen frei, sich auf diesem Wege in allen Einzelheiten zu vergewissern, Herr Kollege Reddemann.
Hier ist etwas über die Kriminalität gesagt worden. Nun, über den Ausbau des Bundeskriminalamtes haben wir ja in diesem Hause geprochen; über die Notwendigkeit, auch die originären Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes zu vergrößern. Dieser Wunsch ist ja nicht an der Koalition gescheitert, sondern dieser Wunsch nach Ausdehnung der originären Zuständigkeiten ist an der sehr sorgsamen, zurückhaltenden Einstellung der Länder gescheitert.
({3})
Aber wir haben versucht, das Bundeskriminalamt auf anderem Wege auszubauen. Es ist hervorzuheben, daß es nach der Novelle des BKA-Gesetzes zur Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern geworden ist, der für den Bereich der Personenfahndung in einem ersten Teilabschnitt in Betrieb genommen worden ist.
Man muß betonen, daß die Zusammenarbeit mit den Innenressorts der Länder auf diesem Gebiet außerordentlich gut war, was u. a. die Verabschiedung des erweiterten Sicherheitsprogramms vom Februar 1974 beweist, das die gemeinsamen Bemühungen von Bund und Ländern zur Verbesserung der inneren Sicherheit unterstreicht. Wenn Sie Anstände haben, Herr Kollege Möller, dann wenden Sie sich doch bitte auch an die Adresse der Ihnen nahestehenden Innenminister. Wir sind ja bereit, darüber dann im einzelnen zu reden.
Für das Bundeskriminalamt werden sich auch in diesem Haushaltsjahr weitere Schwerpunkte für einen Ausbau aus dem Umfang der Banden- und Gewaltkriminalität, der Wirtschaftskriminalität und des Rauschgifthandels ergeben. Dabei handelt es sich um Verbrechensformen, die durch die hohe Mobilität der Täter und vielfach durch internationale Zusammenarbeit gekennzeichnet sind. Das erfordert im Bereich des Bundeskriminalamtes die weitere Verstärkung des Personals, insbesondere im Ermittlungsbereich, die weitere Verbesserung der technischen Ausstattung einschließlich des wissenschaftlichen Apparats und weitere bauliche Maßnahmen für die Unterbringung von Personal und Gerät.
Wir sind bereit, mit diesem Haushalt die dafür erforderlichen Mittel zu bewilligen. Ich weiß nicht, wie Sie ein Mehr an innerer Sicherheit fordern und gleichzeitig den Etat, der dazu erforderlich ist, hier ablehnen können. Das ist ein Geheimnis, das ich noch nicht ergründet habe.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?
Bei Herrn Kollegen Reddemann fällt es mir, schwer, aber immerhin.
({0})
Ich habe nichts gegen den Versuch Ihrer Publikumsbeschimpfung. Darf ich Sie trotzdem fragen, Herr Kollege Hirsch, ob Sie immer noch nicht wissen, daß mit der Ablehnung eines Etats eine Ablehnung der Politik und nicht unbedingt die Ablehnung bestimmter finanzieller Teile dieses Etats verbunden ist?
Herr Kollege Reddemann, hier müssen Sie sich entscheiden: Wollen Sie die Mittel bewilligen oder wollen Sie die Mittel nicht bewilligen? „Ein bißchen bewilligen", das geht nun mal nicht.
({0})
Oder um es so zu sagen: „ein bißchen Ablehnen", Herr Kollege, gibt es so wenig wie „ein bißchen Schwangerschaft", entweder - oder.
({1})
- Herr Kollege Wohlrabe, wer von uns beiden zuzulernen hat, das werden sicherlich nicht wir untereinander ausmachen, sondern das werden wir getrost dem Urteil der Zuhörer überlassen.
({2})
Es gibt genügend andere Bereiche, bei denen wir uns zu fragen haben, ob wir alles Erforderliche tun, um die Grundrechte, für die wir antreten, im gesellschaftlichen Bereich zu verwirklichen. Wegen der fortgeschrittenen Zeit will ich nur zwei Bereiche erwähnen: ein Wort zur Medienpolitik und ein Wort zum Umweltschutz.
Zur Medienpolitik ist es nach mehreren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sicherlich unstreitig, daß eine freie und nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ein Wesenselement eines freiheitlichen Staates ist. Der Staat ist verpflichtet, in seiner Rechts6770
ordnung überall, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen. In diesem Sinne muß er aktiv dazu beitragen, die Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Monopolen erwachsen. Heute scheint mir die Pressefreiheit nicht durch staatliche Zensur bedroht zu sein, sondern durch Entwicklungen im wirtschaftlichen Bereich, insbesondere in den wirtschaftlich motivierten Konzentrationsvorgängen, die in letzter Zeit ein erstaunliches Ausmaß erreicht haben.
Seit dem Bericht der Bundesregierung vom April 1970 über die Lage von Presse und Rundfunk haben sich wesentliche Veränderungen ergeben. Ich meine, daß man diese Veränderungen darstellen muß. Die Zahl der Verlagsbetriebe im Bereich der Tagespresse hat sich seit 1954 um ein Drittel verringert. Der Anteil der Bevölkerung in Kreisen mit nur einer einzigen Zeitung ist seit 1954 von 8,5 auf 27,6 % gestiegen. Das bedeutet, daß in über 38 % aller Kreise nur noch eine einzige lokale Tageszeitung zu erhalten ist. Es sind Kreise übrigens, die ganz überwiegend in Bayern, Rheinland-Pfalz und im Saargebiet liegen. Die redaktionellen Ausgaben von Tageszeitungen sind in demselben Zeitraum um über 17 % gesunken, davon die Hälfte in den letzten vier Jahren. Die Zahl der Vollredaktionen ist um 40 % gesunken.
Dies ist eine alarmierende Entwicklung, und sie wird nicht dadurch besser, daß uns verläßliche Unterlagen über die wirtschaftliche Situation der einzelnen Verlage - jedenfalls in geprüfter Form - nicht vorliegen. Es ist unverkennbar, daß diese drastische Konzentration jedenfalls potentiell eine Gefährdung der Meinungsfreiheit darstellen kann, dann nämlich, wenn in den oberen Größenklassen die Marktanteile einzelner Verlage schneller wachsen, als es dem durchschnittlichen Größenwachstum entspricht, und das ist der Fall.
Diese Entwicklung beschleunigt unser Bestreben, die notwendigen Sicherungen der inneren Pressefreiheit zu vollenden, also nicht nur eine Novelle zur Pressekonzentration vorzulegen, sondern eine Novelle zum Presserechtsrahmengesetz und zum Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten und ein Pressestatistikgesetz zu verabschieden. Diese Aufgabe muß durch eine sorgfältige Untersuchung der wirtschaftichen Lage der Journalisten, ihrer Ausbildung und ihrer Altersversorgung und der Auswirkungen der Konzentration auf ihren Arbeitsmarkt ergänzt werden. Davon werden wir uns auch durch die zum Teil überzogene Polemik einzelner Verbandsstrategen nicht abbringen lassen.
Zum aktiven Handeln der Bundesregierung bei der Verwirklichung des Art. 5 gehört aber auch ihre Verpflichtung, der Konzentration im Pressebereich nicht nur mit gesetzgeberischen, sondern auch mit wirtschaftlichen Mitteln entgegenzuwirken, wie das praktisch alle unsere Nachbarländer mit Erfolg tun. Der von der Bundesregierung in diesem Zusammenhang eingesetzte Staatssekretärausschuß muß an dieser Aufgabe weiterarbeiten, sobald repräsentative und geprüfte Zahlen vorliegen.
Lassen Sie mich nur ein paar Worte zum Umweltschutz anschließen. Wir haben schon früher gefordert, das Bestreben nach mehr Umweltschutz zum Verfassungsrang zu erheben. Ich meine in der Tat, daß es eine Frage von Verfassungsrang ist, ob die Verwirklichung und Erhaltung unserer biologischen Lebensbasis ihre Grenze an wirtschaftlichen Besitzständen findet oder umgekehrt. Es ist eine Frage von Verfassungsrang - und ich meine, daß wir verpflichtet sind, durch heute zu treffende Entscheidungen dafür zu sorgen -, daß die nächste Generation nicht Probleme vorfindet, die auf der Grundlage unseres wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systems dann eben nicht mehr zu lösen wären. Umweltschutz ist nicht etwas, was man auch lassen könnte, und es besteht Anlaß, dies gerade im Zusammenhang mit dem wachsenden Energiebedarf zu betonen.
Das Energieprogramm der Bundesregierung muß darauf ausgerichtet sein, daß ein proportionales oder überproportionales Anwachsen des Energiebedarfs mit dem erstrebten Wirtschaftswachstum nicht mehr möglich ist, und der einzelne Bürger muß wissen, daß ein wirksamer Umweltschutz in dieser Gesellschaft nicht ohne eine Veränderung auch der Lebensgewohnheiten des einzelnen und ohne die dafür aufzubringenden Mittel zu haben ist. Schon heute beträgt der Anteil der Kosten, die für den Umweltschutz aufgewendet werden, in einzelnen Industriebereichen bis zu 20 % der Investitionen, und daß dies nicht ohne Konsequenzen bleiben kann, ist klar.
Aber wenn dies alles eine Frage von Verfassungsrang ist, dann gehört dazu auch die Verpflichtung der Länder, dem Gesamtstaat Bundesrepublik die Möglichkeit zum wirksamen Umweltschutz zu geben.
In diesem Zusammenhang muß man auf ein Gesetzespaket - das zum Wasserhaushaltsgesetz - zurückkommen, das uns im Innenausschuß vorliegt und in einer Arbeitsgruppe beschäftigt. Mir will bei der Frage der Bundeskompetenz einfach nicht einleuchten, und es ist sicherlich auch nur schwer einzusehen, daß der Bund zwar die Zuständigkeit z. B. für die Lagerung und den Transport feuergefährlicher Flüssigkeiten hat, nicht aber für die Lagerung und den Transport wassergefährlicher Flüssigkeiten, und daß im letzteren Falle eine Bundeskompetenz offenbar - so sind gewisse Äußerungen zu verstehen - die Grundlagen des Föderalismus beeinträchtigen würde.
Wir haben bei der ersten Beratung der Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz im Oktober 1973 hier die Hoffnung ausgedrückt, daß die Opposition dieser unserer Meinung nach erforderlichen Kompetenzänderung zustimmen würde. Der Kollege Professor Klein - er ist nicht im Saal - hat damals in einem Leserbrief an die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" darauf hingewiesen, daß die Opposition nicht daran denke, die Verbesserung des Gewässerschutzes durch einen Kompetenzstreit zu gefährden. Sie sei bereit, einer Verfassungsänderung zuzustimmen, wenn die
Notwendigkeit dafür dargetan werde, aber der Beweis sei nicht geführt worden.
({3})
- Verehrter Herr Kollege, ich bin ja gerade dabei, Ihnen zu sagen,
({4})
daß man in dieser Frage in den Ländern, in denen es sich nämlich nicht mehr um eine abstrakte Beratung, sondern um die Wirklichkeit des Gewässerschutzes handelt, offenbar zu anderen Auffassungen gekommen ist als Sie hier.
So hat sich die CDU-Landtagsfraktion in dem Land, aus dem ich komme - Nordrhein-Westfalen -, in einer Pressemitteilung vom Oktober 1973 eindeutig, entschieden für die Bundeskompetenz in Fragen des Wasserhaushalts ausgesprochen. Ich nehme an, daß sich Ihre Kollegen in Nordrhein-Westfalen dabei etwas gedacht haben; es wäre jedenfalls wünschenswert.
({5})
In der Hamburger Bürgerschaft hat sich ein Sprecher auch der CDU-Fraktion mit Nachdruck für eine Bundeskompetenz für Gewässerschutz eingesetzt - und nun zitiere ich wörtlich -:
... , weil wir hier an Ort und Stelle eben sehen, was dabei herauskommt, wenn die Länder über diese Angelegenheit selbst entscheiden.
Ich nehme an, Ihr verehrter Herr Kollege wird sich dabei etwas gedacht haben. Meines Wissens - ich habe ein Zitat nicht parat - hat sich Herr Ministerpräsident Kohl in gleicher Weise - sehr vorsichtig, wie es seiner Funktion entspricht - für eine Bundeskompetenz auf diesem Gebiet ausgesprochen. Warum auch nicht!
Im Mittelpunkt, so sagen Sie immer, steht nicht der Föderalismus,
({6})
sondern der Mensch und alles das, was zu seiner Erhaltung notwendig ist. Ich meine, wir sollten versuchen, im Innenausschuß einen neuen Anfang zu machen. Denn wenn hier das Ziel sein soll, über die Verfassung, über die Verwirklichung der Verfassungsgebote in unserer gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit zu reden, dann kann diese Aufgabe nicht dadurch erfüllt werden, daß man Gespenster beschwört, sondern dadurch, daß man konkrete Vorschläge auf den Tisch legt, wie man welches Problem genau lösen will. Daran hat es bisher gefehlt.
Wir werden dem Haushalt des Innenministers voll und mit Begeisterung, muß ich sagen, zustimmen.
({7})
Das Wort hat Herr Bundesminister Maihofer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte zunächst nicht die Absicht, hier in der Debatte das Wort zu ergreifen. Denn es ist zu dieser Stunde einfach nicht die Zeit, eine umfassende Darstellung der künftigen Aufgaben des Innenressorts zu geben. Auch sehe ich in Ihren Äußerungen, Herr Möller ({0}), keinen Ansatzpunkt zu einer sachlichen Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Opposition.
({1})
Sie haben ein Schauergemälde des Bereichs der inneren Sicherheit entworfen, und das bedauere ich nicht nur wegen der unerträglichen Verzeichnung und Verzerrung dieses Bereichs an Hand einiger herausgegriffener Zahlen. Viel mehr noch bedaure ich - es hat mich geradezu erschreckt, wenn Sie mich das deutlich sagen lassen -, daß Sie offenbar keinen Begriff davon haben, daß dieses Feld der inneren Verteidigung unseres Staates, ebenso wie das Feld der äußeren Verteidigung unseres Staates, kein Feld für billige Parteipolitik ist, an der man sich sein Süppchen wärmen kann.
({2})
Hier geht es um etwas, was nur aus dem Konsens aller Demokraten glaubwürdig durchgesetzt werden kann. Deshalb halte ich das für unerträglich, was Sie hier offenbar als politische Methode einschlagen. Um auch das ganz deutlich zu sagen: Eine Anzweiflung der Verfassungstreue der Demokraten untereinander führt zum Verlust der Glaubwürdigkeit unserer Demokratie überhaupt, und das halte ich für eine ganz unerträgliche Sache.
({3})
Um auch ein weiteres klar zu sagen: Sie haben eine Äußerung über die Gefahr des Rechtsradikalismus zitiert. Dazu stehe ich noch heute. Es gab eine Zeit, nämlich die Hoch-Zeit der NPD, wo der Rechtsradikalismus in unserem Lande eine aktuelle Gefahr war. Wenn wir heute insoweit in einer glücklich veränderten Situation stehen, so daß im Verfassungsschutzbericht 1973 zwar noch von einer Gefahr, aber nicht mehr von einer aktuellen Gefahr des Rechtsradikalismus die Rede ist, dann sollten wir uns alle darüber freuen.
Daß Sie nun aber gleichzeitig hier den Versuch machen, mir in ganz unglaublichen Darlegungen zu unterstellen, daß mir etwa das Verständnis für das abgehe, was Sie Linksradikalismus nennen und was ich lieber Linksextremismus nenne - denn es gibt Parteien unserer Couleur, etwa in Dänemark, die sich radikale Parteien nennen und die sich doch als Liberale verstehen -, halte ich für unerhört. Schauen Sie, Ihr Verhältnis zu all dem, was Extremismus heißt, leidet an einem grundlegenden Mangel. Wir, die beiden Parteien, die diese sozialliberale Koalition tragen, haben von Anfang an die aktive, ja die offensive Auseinandersetzung - das gilt vor allem auch und gerade für unsere liberale Partei - mit all diesen linksextremen Aktivitäten in unserem Lande gesucht. Wir haben uns auch in unseren eigenen Reihen, bis hin zu den Jungdemokraten,
nicht in einer sterilen Maginot-Strategie erschöpft, sondern wir haben versucht, diese suchenden jungen Menschen in ein aktives Engagement für unsere freiheitliche Demokratie zurückzuführen.
({4})
Ich weiß deshalb, wovon ich rede, weil ich in der Hoch-Zeit der sogenannten APO 1968 zwei Jahre Rektor einer Universität war, und wer das war, der weiß, was Extremismus, auch was terroristische Aktivität ist. Sie sollten sich einmal die Mühe machen, bevor Sie schon so große Worte wagen, sich an dieser Universität des Saarlandes zu erkundigen, was in jener Zeit dort geschehen ist. Sie war die friedlichste Universität selbst in dieser kritischen Phase der außerparlamentarischen Opposition.
({5})
- Entschuldigen Sie, Herr Wohlrabe! Ihr Parteikollege hat ja nun, glaube ich, nicht in einer einzigen Hinsicht mit Argumenten, es sei denn ad personam, aufgewartet - wie soll ich mich daher hier mit Argumenten zur Sache auseinandersetzen? -, sondern Verdächtigungen und Unterstellungen in die Welt gesetzt.
({6})
Das muß ich nun wirklich, ohne daß ich mich hier
in weiteres einlasse, allerschärfstens zurückweisen.
Ich möchte Ihnen, Herr Möller,
({7})
nur noch eines sagen und damit schließen, und Sie werden noch daran zurückdenken: Wir, die sozialliberale Koalition und der Innenminister, werden uns in Verfassungstreue und Rechtstreue von keinem von Ihnen übertreffen lassen.
({8})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerster?
Aber gern, sicher!
({0})
Herr Bundesminister, sehen Sie es, wenn Sie von der Integration Linksextremer - ich sage: Linksradikaler - sprechen, als eine derartige Integration an, wenn ein Kommunist, dem vom Oberverwaltungsgericht von Rheinland-Pfalz - und das gerade von Ihnen als dem derzeitigen Innenminister zu hören würde mich sehr interessieren -- durch rechtskräftiges Urteil der Zugang zum Lehrerdienst versagt worden ist, im Lande Hessen gerade als Lehrer unserer Jugend eingestellt worden ist?
Ich kann nicht über einen solchen herausgegriffenen Einzelfall hier in der Öffentlichkeit rechten. Aber ich könnte Ihnen - ich habe die Unterlagen dabei - statistische Zahlen über den, wenn ich so sagen darf, linksextremistischen und den rechtsextremistischen Anteil an den verschiedenen Bundesländern auf den Tisch legen, dann würden Ihnen die Augen übergehen, daß es überhaupt keinen Unterschied macht, ob das betreffende Land von der CDU bzw. der CSU oder etwa von einer uns nahestehenden Koalition regiert wird.
({0})
Wir stehen hier überall vor den gleichen grundsätzlichen Auseinandersetzungen. Und das, was mich im Grunde so tief entsetzt, ist, daß Sie es sich so leicht machen. Selbst im befreundeten Amerika - Sie wissen das, wenn Sie die Zeitungen der letzten Wochen gelesen haben - gibt es dieselben Erscheinungen, dieselben terroristischen oder auch anarchistischen Aktivitäten. Dies sind weltweite Erscheinungen, und es sind Probleme, die Sie mit bloß repressiven Methoden überhaupt nicht bewältigen können.
({1})
Sie können sie einmal nur mit präventiven Methoden, der Ursachenerforschung und der Verfassungsaufklärung, wirklich wirksam bekämpfen. Zum anderen können Sie das nur dann, wenn Sie sich in die geistige Auseinandersetzung mit all diesen Irrenden - das sage ich mit Bedacht - einlassen. Darunter ist wirklich mancher, der sich vielleicht in irgendeiner Jugendentwicklung in der Tat in eine extremistische Position verläuft, der aber hinterher - einige wenige Jahre danach - der loyalste Demokrat in irgendeinem bürgerlichen Amt ist.
Auch das stört mich zutiefst: diese Tendenz der Stigmatisierung, der Abstempelung, der Verketzerung,
({2})
die mir aus Ihren Worten entgegenschlägt.
Hier liegt vielleicht der Grundunterschied, der uns trennt, der einen Liberalen etwa von einem heutigen Christdemokraten Ihrer Provenienz trennt. Ich möchte es mit dem großen Wort eines Liberalen, nämlich Gladstones, sagen: Was uns grundlegend unterscheidet, ist, daß wir als Liberale setzen auf Vertrauen in das Volk, gepaart mit Vernunft - wie es dort heißt -, Sie als Konservative auf Mißtrauen in das Volk, gepaart mit Furcht. Das ist es, was uns von Grund auf unterscheidet!
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Miltner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der neue Bundesinnenminister
hat auch hier wieder die Kontinuität mit der früheren Regierung beschworen und muß demgemäß aber auch die Verantwortung für die Versäumnisse mittragen, die auf die frühere Regierung zurückgehen. Zwar glaube ich, es ist richtig, daß man auf dem Gebiet der inneren Sicherheit den Konsens aller Demokraten erwarten muß; aber ich muß hier feststellen, der Minimalkonsens auf dem Gebiet der inneren Sicherheit und speziell hinsichtlich des politischen Extremismus scheint mir in diesem Staat hier und heute nicht mehr gegeben zu sein.
Wenn der Satz richtig sein soll, daß sich diese Regierung in der Verfassungstreue und in der Rechtstreue nicht übertreffen lassen will, dann, so kann ich nur sagen, darf sie nicht von einer Kontinuität gerade dieser Politik sprechen.
Ich möchte Ihnen begründen, warum ich das so sage. Ende vergangenen Jahres mußte die Westdeutsche Rektorenkonferenz die Bundesregierung auffordern, daß sie etwas unternimmt, daß sie staatliche Maßnahmen gegen radikale Studentenorganisationen ergreift. Keine Reaktion der Bundesregierung, meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß der neue Innenminister das als berechtigt ansieht.
Oder ein anderes Beispiel. Der nordrhein-westfälische Innenminister Weyer, ein Parteikollege der beiden Bundesinnenminister, hat vor kurzem das Verbot der KPD Dortmund gefordert. Trotz dieser Aufforderung Ihres Parteifreundes ist nichts geschehen.
Ich frage mich: Ist da ein Konsens vorhanden zwischen uns oder in Ihrer eigenen Partei?
Herr Kollege Miltner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt und würden Sie es vielleicht diesem Hause dann auch sagen, welche Stellungnahme zu dieser Frage die Innenminister der Länder eingenommen haben?
Ich weiß nur eins, Herr Kollege: daß der Herr Bundesinnenminister für ein Verbot einer Organisation zuständig wäre.
Nun die andere Frage: Was ist eigentlich mit dem Spartakus gemacht worden, als der zur Beratung des Hochschulrahmengesetzes herangezogen worden ist? Ich muß der früheren Bundesregierung den großen Vorwurf machen, daß sie sogar von Staats wegen dem kommunistischen Spartakus-Bund noch Reputation verschafft hat, indem sie ihn selbst zur Beratung des Hochschulrahmengesetzes herangezogen hat. Wenn das positiver Verfassungsschutz sein soll, dann weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll.
({0})
Ein ganz wunder Punkt, Herr Bundesminister, in der Schwächeskala Ihrer früheren Bundesregierung war die Frage: Welche Qualifikation wollen Sie der DKP geben? Ist es eine neue Partei oder ist es eine Ersatzorganisation, so wie ich das annehme? Der frühere Bundesinnenminister hat immer davon gesprochen, eine solche Rechtsfrage könne man aus Staatssicherheitsgründen hier gar nicht beantworten. Ich glaube, er ist vor einem anderen Moment zurückgeschreckt. Man muß nämlich hier die Frage stellen, ob diese Bundesregierung aus ostpolitischen Gründen nicht wagt, diese Rechtsfrage in aller Öffentlichkeit zu beantworten.
Dann gab es noch eine andere Geschichte, nämlich die Frage der Identität der DKP mit der KPD. Ich erinnere mich noch, daß wir hier gefragt haben, warum die Staatsanwaltschaft München einen Bericht über die Identität der DKP mit der KPD nicht geschickt bekommen hat. Da hat der frühere Bundesinnenminister die trickreiche Antwort gegeben, einen Bericht über die volle Identität zwischen DKP und KPD gebe es nicht. Aber jedermann wußte - und die Presse hat es dann veröffentlicht -, daß ein Bericht über die Identität besteht. Da muß man sich nur fragen: Gibt es eigentlich bei der Bundesregierung eine volle oder eine Viertel- oder eine halbe Identität in diesen Fällen?
Ein ganz schwacher Punkt ist der Radikalenerlaß. Schon über zwei Jahre warten wir auf eine Regelung des Bundes, und nichts ist erfolgt. Als der frühere Bundesinnenminister in der Innenministerkonferenz einen Gesetzesvorschlag vorlegte, da hat er Widerstand gespürt und hat diesen Gesetzesvorschlag wieder einsammeln lassen. Bis auf den heutigen Tag fehlt uns ein vernünftiger Vorschlag.
({1})
- Es fehlt ein vernünftiger Vorschlag, muß ich sagen.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten - Dr. Miltner ({0}) : Augenblick! - Ich sage Ihnen auch, warum das so ist. Sie meinen, daß die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation nicht zum Kriterium einer Entscheidung bei der Bewerbung eines Beamten gemacht werden könne. Sie steuern auf denselben Zustand zu, wie er in der Weimarer Zeit vorhanden war. Auch ein Adolf Hitler, Herr Professor Schäfer,
({1})
hat einen Legalitätseid als Braunschweiger Regierungsrat auf die Verfassung geleistet und war trotzdem ein erbitterter Gegner der demokratischen Verfassung des Weimarer Staates. Dasselbe wollen Sie uns im Grunde genommen heute bezüglich der Bewerber für den öffentlichen Dienst zumuten, die gleichzeitig Mitglied einer verfassungsfeindlichen Organisation sind: man soll so tun, als ob sie die Gewähr für die freiheitlich demokratische Grundordnung bieten.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch?
Herr Kollege, vielleicht habe ich Sie mißverstanden. Ist Ihnen wirklich nicht bekannt, daß eine Novelle zum Beamtenrechtsrahmengesetz auf dem Tisch liegt und den Bundesrat passiert hat, die voll allen rechtsstaatlichen Anforderungen entspricht, Wissen Sie das eigentlich nicht, oder was ist hier los?
Ich muß Ihnen die Gegenfrage stellen: Haben Sie denn nicht gehört, was ich eben gesagt habe, nämlich daß kein vernünftiger Vorschlag vorliegt? Das war doch ganz klar.
({0})
Ich bin ganz genau darüber unterrichtet, daß Sie im Bundesrat noch einmal eine Verschiebung beantragt haben und da wieder nicht durchgekommen sind. Ich kann Ihnen die Versicherung abgeben, daß Ihr unzulänglicher Entwurf im Bundesrat von den CDU-regierten Ländern bestimmt nicht angenommen wird.
Herr Kollege Dr. Miltner, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin?
Herr Kollege Dr. Miltner, verstehe ich Sie richtig, daß Sie als einzig vernünftigen Vorschlag den der Länder Bayern und Baden-Württemberg bezeichnen? Legen Sie Ihren Ausführungen auch die Praxis dieser beiden Länder, insbesondere bezüglich Herrn Kosiek in BadenWürttemberg, zugrunde?
Ich muß Ihnen folgendes sagen: Diese Vorschläge sind hundertprozentig in Ordnung.
({0})
Was den Fall Kosiek betrifft, muß ich Ihnen sagen: Herr Kosiek hat bereits seine Entlassung bekommen; er hat Widerspruch eingelegt. Das werden Sie als Kollegin aus Baden-Württemberg genauso wissen wie ich auch.
({1})
Ich kann nur sagen: Was an großen und bombastischen Äußerungen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit vorgebracht wurde, kann nur verbal eine wehrhafte Demokratie aufbauen. In der Praxis aber hat die Koalition, hat die vorangegangene Regierung - es scheint so, als treffe dies auch für die neue Regierung zu - das Bild einer schwachen Demokratie abgegeben.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Praxis hat diese Bundesregierung 1969 angefangen, das schlechte Erbe, welches sie übernommen hat, überhaupt zu einem funktionsfähigen Bundeskriminalamt umzuwandeln.
({0})
- Wenn Sie davon nichts verstehen, dann schweigen Sie, Herr Stark!
({1})
Darüber besteht Einigkeit.
Ist Ihnen das so unangenehm, daß wir jetzt ein funktionierendes Bundeskriminalamt haben?
({2})
- Na also! Meine Damen und Herren, Sie wissen doch ganz genau, daß Bundesinnenminister Genscher 1969 ein Bundeskriminalamt übernommen hat, das nicht auf dem neuesten Stand war. Wir haben es bis vor wenigen Tagen überhaupt erst einmal zum Funktionieren bringen müssen.
Diese Regierung hat in diesen Jahren gearbeitet, und sie hat nicht geschwätzt, wie ihr früher darüber geschwätzt habt!
({3})
Diese Regierung hat Taten vollbracht.
({4})
Die Kontinuität ist Gott sei Dank gewahrt. Wir dürfen Herrn Minister Maihofer für seine ersten Worte danken, die er hier in seiner neuen Eigenschaft als Innenminister gesagt hat.
({5})
- Das sollten Sie jetzt gar nicht irgendwie in Zweifel ziehen; denn es geht uns alle an. In einem föderalistischen Staat sind wir erfreulicherweise alle zur gleichen Zeit in der gleichen Verantwortung.
Im Innenausschuß des Bundestages, dem vorzusitzen ich die Ehre habe, haben Sie, Herr Miltner, erfreulicherweise recht ordentlich mitgearbeitet
({6})
- ich komme gleich auf Sie, Herr Miltner -, und die Länder haben auch gut mitgearbeitet.
Man fragt sich mit Erschrecken: Was steckt denn in dieser Opposition, daß ein junger Abgeordneter wie der Herr Möller mit einem Freund-Feind-Bild hierher tritt und den Minister angeht, ein älterer Abgeordneter, Herr Miltner, dann aber keinen Anlaß sieht, das zu korrigieren und die Gesamtverantwortung dieses Hauses in Verfassungsfragen festzustellen! Statt dessen glaubt er, stammelnd und
Dr. Schäfer ({7})
stotternd etwas zusammenkratzen zu müssen, wo etwas nicht in Ordnung war.
({8})
Herr Miltner, wo waren denn Ihre Anregungen und Ihre Anträge auf diesen Gebieten, zu denen Sie glaubten, etwas vortragen zu können? Mir ist nicht eine Anregung im Ausschuß, mir ist nicht ein Antrag im Plenum des Bundestages bekannt.
({9})
Meine Herren, bekennen Sie Farbe und machen Sie
hier nicht bloß in Demagogie, wie Sie es heute tun!
({10})
Die beiden Parteien der sozialliberalen Koalition - das ist bei der Verfassungsdebatte, glaube ich, sehr deutlich geworden - stehen für diesen Staat und werden den Staat gegen alle seine Feinde verteidigen. Sie werden ihn verteidigen mit rechtsstaatlichen Mitteln, nicht mit Demagogie und nicht mit dem Ausrutschen nach der einen oder anderen Seite.
({11})
Meine Damen und Herren, wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir in zweiter Lesung zur Abstimmung über den Einzelplan 06. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist angenommen.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung - ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen! - Angenommen.
Ich rufe nun den Einzelplan 07 auf:
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
- Drucksache 7/1917 -Berichterstatter: Abgeordneter Simon
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Simon.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich bitte als Berichterstatter für den Einzelplan 07 einige Bemerkungen machen.
Der Bundesjustizhaushalt ist in seiner Struktur in einem außergewöhnlich starken Maße durch Personalausgaben und entsprechende Folgekosten bestimmt. Von den veranschlagten Gesamtausgaben in Höhe von 233 Millionen DM sind nicht weniger als 171 Millionen DM - das sind fast 75 % - reine Personalausgaben für die rund 5 000 Bediensteten. Dazu kommen noch die personalbedingten Sachausgaben. Sie ersehen daraus, welche geringen Dispositionsmöglichkeiten innerhalb dieses Einzelplans bestehen.
Im Haushalt des Ressorts selbst, in Kap. 07 01, sind seit einigen Jahren Mittel veranschlagt, die speziell der Förderung von Schwerpunkten der Reformaufgaben dieses Hauses dienen. Diese Mittel sind seit dem Jahre 1971 von 590 000 DM auf nicht weniger als 1,6 Millionen DM im Jahre 1974 gestiegen. Sie werden vor allem für vorbereitende und begleitende wissenschaftliche Untersuchungen, für die Kosten von Kommissionen und Beiräten und für die Erfassung und Erforschung von Rechtstatsachen verwendet.
Der Schwerpunkt der Reformaufgaben wird im Jahre 1974, wie der Haushaltsanschlag unzweideutig erkennen läßt, bei folgenden Aufgaben liegen: Verbesserung des Verbraucherschutzes, vor allem des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen, Maßnahmen zur Verbesserung des Wirtschaftsstrafrechts, insbesondere zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, Fortführung der weiteren Arbeiten zur Strafrechtsreform mit dem wesentlichen Akzent bei den Bemühungen um eine Reform des Strafvollzugs, Intensivierung der Arbeiten zur Reform des Unternehmensrechts und schließlich Reform der Rechtspflege, der Gerichtsverfassung und des Verfahrensrechts.
Die Arbeiten zur Entwicklung eines automatisierten juristischen Informationssystems - „Juris", wie wir sagen - sind so weit gediehen, daß nun der erste Schritt zur Verwirklichung des Aufbaus eines Entwicklungssystems in Angriff genommen wird. Es erstreckt sich zuerst auf die Bereiche des Steuerrechts und des Sozialrechts und wird in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesfinanz- und dem Bundesarbeitsministerium entwickelt. In der Steuerrechtsdokumentation werden bereits Mitte dieses Jahres 5 000 und Ende des Jahres dann insgesamt 7 500 Dokumente gespeichert sein.
Mit dem Umzug des Ministeriums in den Neubau ist endlich auch die Zusammenführung des Hauses aus neun verschiedenen Dependancen in Bonn und Bad Godesberg unter einem Dach gelungen. Damit sind dem Justizministerium aber auch ganz ungewohnte und justizfremde Aufgaben zugewiesen worden, z. B. auch die Bewirtschaftung der gemeinsamen Kantine und des gemeinsamen Kindergartens, darüber hinaus vor allem der Betrieb der zentralen technischen Anlagen des Neubaubereichs, also auch für die benachbarten Ministerien für Bildung und Wissenschaft sowie für Forschung und Technologie. Die in ihren Dimensionen - man kann fast sagen überwältigende - moderne Technik der Gebäude vom Telelift über das Aufzugssystem bis hin zu den Klimaanlagen und der Heizung bringt den Mitarbeitern zwar mancherlei Annehmlichkeiten. Wie wir aber festgestellt haben und im Haushaltsausschuß erkennen mußten, sprengt diese Technik den bisher gewohnten Rahmen der Bewirtschaftungskosten ganz wesentlich und erfordert einen Personaleinsatz in den technischen Bereichen, der wohl von niemand der Betroffenen, auch nicht von der Baubehörde, in diesem Umfang exakt vorausgesehen werden konnte.
Diese Dinge sind in letzter Zeit auch in der Presse aufgegriffen worden, allerdings nicht immer sachlich genug und nicht kenntnisreich genug. Wir meinen, man sollte die Erfahrungen, die hier gemacht worden sind, sorgfältig sichten und auf diese Weise helfen, daß künftig noch bessere, und, wie wir meinen, möglichst wirtschaftlichere Lösungen gefunden werden. Hierzu muß aber auch angemerkt werden, daß für all die Dinge, die im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik stehen, keineswegs der Bundesminister der Justiz verantwortlich zu machen ist.
Erlauben Sie mir noch einige Anmerkungen zu weiteren Bereichen. Das beim Generalbundesanwalt angesiedelte und eigentlich in Berlin liegende Bundeszentralregister hat den Haushaltsausschuß vor allem in den letzten Jahren mehrfach beschäftigt. Es kam immer wieder zu Personalnachforderungen. Wie Sie wissen, soll dieses Bundeszentralregister auch mit einer elektronischen Datenverarbeitung ausgestattet werden. Der personelle Aufbau ist 1974 mit der Rechtskraft dieses Haushalts voraussichtlich insgesamt abgeschlossen. Die Bauarbeiten für den Maschinensaal können nunmehr ebenfalls beginnen, nachdem der Haushaltsausschuß in der vorigen Woche die qualifiziert gesperrten Mittel freigegeben hat, so daß nun auch die räumlichen Voraussetzungen für das neue Bundeszentralregister in Berlin geschaffen sein werden.
Bemerkenswert erscheint uns, daß das Zentralregister aus der ihm neu zugewiesenen Erteilung von Führungszeugnissen inzwischen auch schon im Jahre 1973 nicht unerhebliche Einnahmen erreicht hat, nämlich 1,5 Millionen DM. Es scheint aber sehr fraglich zu sein, ob das Datum der vollen Inbetriebnahme des Bundeszentralregisters eingehalten werden kann, welches nach dem Gesetz der 1. Januar 1977 sein soll. Wir dürfen wohl annehmen, daß eine Novellierung des Bundeszentralregistergesetzes notwendig erscheint.
Das letzte Bemerkenswerte an dem Haushalt des Bundesjustizministeriums betrifft das Deutsche Patentamt in München. Bei der Durchsicht des Kap. 0710 werden Sie merken, daß erstmals ein Ansatz für das Projekt der Führung einer Patentrolle mittels elektronischer Datenverarbeitung aufgenommen ist. Dieses Vorhaben, das wegen der schwierigen Haushaltssituation in den vergangenen Jahren immer wieder zurückgestellt werden mußte, wird nach außen eine bessere und schnellere und vor allem umfassendere Unterrichtung der interessierten Öffentlichkeit über den neuesten Stand der Technik ermöglichen und im Amt selbst, wie wir meinen, beträchtliche Rationalisierungsmöglichkeiten eröffnen. Ein solches Amt, dessen Dienste sich entscheidend auf die Entwicklung der modernen Technik gründen, muß auch selbst Gelegenheit haben, sich diese Technik nutzbar zu machen.
Zum ersten Male zeigt der Haushalt des Deutschen Patentamtes deutliche Auswirkungen der auf der diplomatischen Konferenz in München im Oktober des vergangenen Jahres beschlossenen Errichtung eines europäischen Patentamtes mit Sitz in München. Es ist bereits ein international besetzter Interimsausschuß installiert, der Anfang 1974 seine
Arbeit aufgenommen hat. Er trifft mit den von ihm eingesetzten Arbeitsgruppen die vorbereitenden Maßnahmen, die notwendig sind, damit das europäische Patentamt ungeachtet aller Schwierigkeiten, die sich bezüglich der Unterbringung noch ergeben werden, bald mit seiner Tätigkeit beginnen kann.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich hier verpflichtet, für die Interimsarbeiten, die in München geleistet werden, Räume, Sachmittel und Büropersonal zur Verfügung zu stellen. Entsprechende Ansätze haben wir ausgewiesen; die internationale Vereinbarung sieht aber die volle Rückerstattung dieser zu verausgabenden Mittel vor.
Notwendig ist auch vor allem die fremdsprachliche Ausbildung und Vorbereitung der Angehörigen unseres Deutschen Patentamtes, die künftig in sehr großer Zahl in den Dienst des europäischen Amtes eintreten werden. Dieses Programm wird ebenfalls noch in diesem Jahre anlaufen, wenn dies nicht schon geschehen ist, und zwar zunächst mit einem Kostenaufwand von einer Viertelmillion D-Mark. Das Ziel ist, den erheblichen deutschen Anteil am Personal des neuen europäischen Patentamtes mit qualitativ erstklassigen und gut vorbereiteten deutschen Mitarbeitern zu besetzen.
Betrachtet man den Bundesjustizhaushalt insgesamt, so fällt die traditionell bescheidene Ausstattung der Justiz mit Personal- und auch mit Sachmitteln deutlich auf.
Gestatten Sie mir am Schluß, unseren Dank auszusprechen: der Führung des Ressorts, bisher Herr Minister a. D. Gerhard Jahn, und den Herren des Haushaltsreferats, die unsere Arbeit immer bestens und bereitwilligst unterstützt haben.
({0})
Ich darf Sie bitten, dem Einzelplan 07 Ihre Zustimmung zu geben.
({1})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 07. Wer seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 07 ist angenommen.
Nach interfraktioneller Vereinbarung sollen der Einzelplan 08 und der Einzelplan 60 morgen früh gelesen werden.
Ich rufe auf: Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
- Drucksachen 7/1919, 7/2047 -Berichterstatter: Abgeordneter Röhner:
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Röhner, hat um das Wort gebeten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Schwerpunkte der Ausgaben im Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft sind in dem Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht des Haushaltausschusses erläutert worden. Wegen der besonderen Bedeutung, die dieser Einzelplan auf Grund der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung gewonnen hat und und die sich in der überdurchschnittlichen Steigerungsrate im Vergleich zum Vorjahr ausdrückt, halte ich jedoch einige zusätzliche Ausführungen für geboten.
Die Erhöhung der Ausgaben im Entwurf 1974 gegenüber 1973 beruht auf einer Intensivierung der Maßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung. Die Situation auf dem Welterdölmarkt hat es erforderlich gemacht, daß der Haushaltausausschuß bei der Beratung des Einzelplans 09 im Dezember 1973 wegen der mangelnden Überschaubarkeit der Lage die energiepolitischen Titel zunächst offen ließ. Erst bei einer Abschlußsitzung des Haushaltsausschusses am 21. März 1974 - einer Sitzung, die der Bereinigung des Haushalts diente - konnten die erforderlichen Anpassungen, soweit bis dahin erkennbar, vollzogen werden.
Der Schwerpunkt der Ausgaben im Energiebereich liegt nach wie vor bei den Maßnahmen zugunsten des deutschen Steinkohlenbergbaus. Für sie sind 1974 rund 1 350 Millionen DM vorgesehen gegenüber 892 Millionen DM im Jahre 1973. Gerade die Schwierigkeiten im Mineralölbereich haben die Bedeutung von Unterstützungsmaßnahmen für den Bergbau deutlich werden lassen. Die Existenz der deutschen Kohle hat die Auswirkungen der Ölsituation erheblich gemildert. Insbesondere im Bereich der Elektrizitätsversorgung haben sich die Versorgungsschwierigkeiten wegen des relativ geringen Anteils - es handelt sich hier um ungefähr 15 % -nur wenig bemerkbar gemacht.
Die Kohlemaßnahmen können im wesentlichen in drei große Komplexe eingeteilt werden, nämlich erstens Maßnahmen zur Erleichterung der Stillegung unwirtschaftlicher Anlagen, zweitens Maßnahmen zur Strukturverbesserung, insbesondere zur Kostenentlastung der Bergbauunternehmen, und drittens Maßnahmen zur Sicherung des Kohleabsatzes.
Zu der ersten Gruppe können die Zuschüsse für die Stillegung von Steinkohlenbergwerken, die Verpflichtung des Bundes aus der Übernahme der Vermögens- und Kreditgewinnabgaben, die Erstattung der Erblasten des Steinkohlenbergbaus, aber auch die sozialen Hilfen zugunsten entlassener Bergarbeiter, nämlich das Abfindungsgeld und das Anpassungsgeld, gerechnet werden. Die für diese Zweckbestimmungen im Jahre 1974 vorgesehenen Ausgaben sind weitgehend die Konsequenz von Stillegungsbeschlüssen, die in der zurückliegenden Zeit gefaßt worden sind. Inwieweit das für die Zukunft geplante Stillegungsvolumen tatsächlich realisiert werden soll, bedarf im Lichte der jüngeren und jüngsten Entwicklung einer erneuten Überprüfung. In dem Energiekonzept vom Herbst vergangenen Jahres hat die Bundesregierung eine Ermäßigung der Steinkohlenförderung bis 1978 auf etwa 83 Millionen Tonnen für wünschenswert erklärt. Sicherlich wird diese Zahl jetzt bei der Fortschreibung des Energiekonzepts bis zu einem gewissen Umfang nach oben korrigiert werden müssen.
Zu der zweiten Gruppe der Kohlemaßnahmen, den Strukturhilfen, sind unter anderem die Sondermaßnahmen zur Entlastung der Ruhrkohle-AG zu rechnen. Darüber hinaus gehören hierzu jedoch auch allgemeine Maßnahmen, etwa die Investitionshilfen, die Zuschüsse zu den Altlasten des Steinkohlenbergbaus und der neue Titel Haldenfinanzierung, der allerdings wegen des inzwischen eingetretenen Haldenabbaus und der noch laufenden Überlegungen der Bundesregierung zur Umgestaltung des bisherigen Konzepts vorerst durch den Hushaltsausschuß qualifiziert gesperrt wurde.
Bei der dritten Gruppe, den Absatzhilfen, sind die Koks-Kohlen-Beihilfen und die Verstromungshilfen zu nennen.
Abgesehen von den Kohlemaßnahmen gewinnen bei den Energietiteln des Einzelplans 09 die Ansätze für Mineralöl zunehmende Bedeutung. Die hier veranschlagten Ausgaben dienen der Abwicklung der bereits laufenden Programme zur Sicherung der deutschen Erdölversorgung, dem Deminex-Programm, und zur Anlegung einer Bundesrohölreserve. Darüber hinaus ist besonders auf die beim Deminex-Teil neu veranschlagte Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 1 Milliarde DM hinzuweisen, mit der neue Maßnahmen zur Verbesserung der deutschen Energieversorgung ermöglicht werden sollen. In erster Linie ist hierbei an eine Abschlußregelung für das laufende Deminex-Programm gedacht, mit der die deutsche Rohölbasis in den Förderungsländern weiter ausgebaut werden soll. Da die Überlegungen der Bundesregierung zur Ausgestaltung des Anschlußprogramms zur Zeit noch nicht abgeschlossen sind, ist die Verpflichtungsermächtigung noch qualifiziert gesperrt. Lediglich in Höhe eines Teilbetrages von 200 Millionen DM ist im Hinblick auf ein akutes Erdölprojekt im Iran eine Sperre nicht vorgesehen.
Neben den überdurchschnittlichen Steigerungen im Energiebereich treten die anderen Maßnahmen im Einzelplan 09 im Jahre 1974 etwas zurück.
Lassen Sie mich jedoch an dieser Stelle noch drei Bereiche kurz erwähnen, denen auch der Haushaltsausschuß seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat. Ich meine damit die Regionalförderung, die Mittelstandsförderung und )strukturpolitische Maßnahmen im Industriebereich.
Die bisherigen Maßnahmen der regionalen Wirtschaftsförderung, insbesondere die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", werden 1974 wie im Vorjahr fortgeführt. Es tritt jedoch das Sonderprogramm für Gebiete mit speziellen Strukturproblemen hinzu, das ein Gesamtvolumen von 600 Millionen DM hat und das mit seinem Teil A in Höhe von 300 Millionen DM im Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft veranschlagt wurde. Dieses Programm halte ich deshalb für sehr bedeutsam, weil sich die konjunkturelle Entwicklung Ende 1973, Anfang 1974 nicht nur in den einzelnen Sektoren unserer Wirtschaft, sondern auch regional recht unterschiedlich ausgewirkt hat.
Das Programm bedeutet auch einen Teilausgleich früherer Kürzungen bzw. unzureichender Haushaltsausstattungen in diesem Bereich.
Ein weiterer Schwerpunkt der Beratungen des Haushaltsausschusses waren die Förderungsmaßnahmen zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen. Nach den Ausschußbeschlüssen sind einige Titelansätze gegenüber dem Regierungsentwurf erhöht worden, wie sich im einzelnen aus meinem ausführlicheren schriftlichen Bericht ergibt. Ich begrüße diese Erhöhungen sehr. Auch wenn ihr Ausmaß nicht in allen Fällen den Wünschen meiner Fraktion entsprach, zeigen die Erhöhungen doch, daß die Bedeutung eines leistungs- und wettbewerbsfähigen Mittelstandes für eine funktionsfähige Marktwirtschaft wenigstens zum Teil Anerkennung gefunden hat.
Schließlich darf ich die industriepolitischen Maßnahmen kurz erwähnen. Wie in den vergangenen Jahren werden die Ausgaben für die Luftfahrt- und für die Werftindustrie 1974 wiederum erheblich ansteigen. Die deutsche Luftfahrtindustrie hat zusammen mit ihren europäischen Partnern die Entwicklungsphase der beiden größten Projekte, Airbus und VFW 614, abgeschlossen. Um den generell schwierigen Anfang bei der Vermarktung zu erleichtern, sollen, auch nach dem Willen des Haushaltsausschusses, nunmehr Produktions- und Absatzfinanzierungshilfen gewährt werden. Der Haushaltsausschuß wird dass bei den weiteren Bemühungen in dieser Richtung sorgsam beobachten und bei der Prüfung künftiger Haushaltsanforderungen berücksichtigen.
Abschließend noch eine ganz kurze Bemerkung zu den Werfthilfen. Auch die Hilfen für die Werftindustrie sind auf eine Strukturverbesserung dieses Wirtschaftszweiges angelegt. Das gilt insbesondere für das achte Programm, das die Ablieferungen der Jahre 1976 bis 1979 erfaßt und neben ERP-Mitteln in Höhe von 538,4 Millionen DM Ausgaben im Bundeshaushalt in gleicher Höhe vorsieht.
Soweit mein ergänzender Bericht zum Ihnen schriftlich vorliegenden Bericht zum Einzelplan 09.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Beitrag zu diesem Einzelplan kann sehr kurz sein.
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- Ich pflege mich immer der Kürze zu befleißigen. - Ich kann es deshalb kurz machen, weil der Ablauf der Debatte über die Regierungserklärung, wie ich meine, sehr deutlich gemacht hat, aus welch guten Gründen die Opposition den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers ablehnt.
Ich möchte gleich eine Anmerkung hinzufügen. Es wäre dringend nötig, daß wir uns im Hohen Hause über die energiepolitische Situation unterhielten. In dem Regierungsprogramm ist das relativ kurz abgehandelt worden; es ist auf die notwendige Fortschreibung des Energieprogramms hingewiesen worden. Wir meinen, daß hier mit der nötigen Eile mehr getan werden müßte, als bisher bekanntgeworden ist, und wir werden die Gelegenheit nehmen, dieses Thema so bald wie möglich im Parlament in der Tiefe zu diskutieren.
Ich habe eine Meldung, die heute mit Äußerungen des Herrn Bundesbankpräsidenten Klasen über die Agentur gegangen ist, zum Anlaß genommen, noch einmal um das Wort zu bitten. Er gibt neue Prognosedaten für die Preisentwicklung dieses Jahres heraus. Jetzt sind wir deutlich unter 9 %. Es kommt ja jeden Tag etwas Neues; vor wenigen Tagen war es Staatssekretär Schlecht. Jetzt wird also hier von 9 % gesprochen.
Am 16. Mai kam die neue Lagebeurteilung durch das der Bundesregierung nicht ganz fernstehende Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin heraus. In ihr wird wiederum gesagt, daß der Preisauftrieb im Laufe des nächsten Quartals sehr viel deutlicher in Erscheinung treten werde, einmal wegen der Rohstoffpreisentwicklung und zum anderen weil der Auftrieb der industriellen Erzeugerpreise jetzt mehr und mehr auf die Verbraucherpreise durchschlage. Es ist allmählich eine Unsitte geworden, daß jeden zweiten Tag neue 'Prognosen in die Welt gesetzt werden. Denn sie müssen zwangsläufig unsicher sein und unsicher bleiben. Aber sie vergrößern mit Sicherheit die Unsicherheit in unserer Bevölkerung, in einer Zeit, in der wir - gemeinsam mit der Regierung - gerade den Menschen mehr Vertrauen in die Zukunft geben sollen.
Herr Klasen hat dann etwas gesagt, was unsere, der Opposition Befürchtungen nur unterstreicht, nämlich: daß die restriktive Kreditpolitik mehr und mehr einzelne Branchen in Schwierigkeiten bringt. Das ist noch sehr vornehm und milde ausgedrückt. Ich glaube, es ist heute in den 'Diskussionsbeiträgen der Opposition sehr klar hervorgehoben worden, daß wir die Folgen der restriktiven Kreditpolitik vor allem in gesellschaftspolitischer Hinsicht mit Sorge sehen. Denn der Auszehrungsprozeß in der mittelständischen und kleineren Wirtschaft bei den Gewerbetreibenden macht rapide Fortschritte, und zwar sowohl in einzelnen besonders hart betroffenen Branchen als auch generell bei Unternehmen, die sehr solide finanziert sind. Diese Hochzinspolitik können auch solide finanzierte und durchaus zukunftsträchtige Betriebe auf die Dauer nicht durchstehen.
Herr Minister Friderichs, Sie haben heute gemeint, daß die Härten, die als Folge der Hochzinspolitik auftreten, im wesentlichen Unternehmen treffen, die sich in strukturellen Schwierigkeiten befinden; Sie haben dabei unter anderem auf die Automobilindustrie hingewiesen. Ichglaube, hier machen Sie sich die Probleme etwas zu leicht. Ich weiß, auch in der Automobilindustrie gibt es strukturelle Probleme, 'beispielsweise durch eine Annäherung an Sättigungsgrenzen. Aber wir sollten auch hier die Zusammenhänge mit der konjunkturpolitischen Entwicklung und die Zusammenhänge mit psychologiDr. Müller-Hermann
schen Wirkungen einer bestimmten, gegen das Auto gerichteten Politik nicht verharmlosen. Hier haben meines Erachtens die Bundesregierung und die Koalition ein gerüttelt Maß an Schuld, daß wir gerade in der Automobilindustrie seit dem Herbst des vergangenen Jahres mit den ganzen Folgen auch für die Zuliefererbetriebe und den Handel - eine sehr unerquickliche und unerfreuliche Entwicklung zu beobachten haben.
Herr Minister Friderichs, Sie haben heute vormittag in der Debatte zur Regierungserklärung uns, der Opposition, einige Belehrungen, wie das so Ihre Art ist, gegeben, wir sollten unser Augenmerk mehr den Strukturproblemen zuwenden. Ich glaube, diese Mahnung müßte sich in erster Linie einmal an die Regierung selbst richten. Es gibt eine alte These - ich habe das schon wiederholt in diesem Hause zum Ausdruck gebracht -, daß man die strukturellen Probleme einer Wirtschaft und einer Gesellschaft am besten in Phasen der Hochkonjunktur löst, wo die Anpassungsprozesse am geringsten mit sozialen Härten und sozialen Schäden verbunden sind. Entschuldigen Sie, Herr Minister Friderichs, diese Koalition ist nun seit 1969 im Amt. Man muß ihr den Vorwurf machen, daß sie ,gerade die Bedeutung der Strukturpolitik für Wirtschaft und Gesellschaft sträflich vernachlässigt hat. Das, was jetzt in Erscheinung tritt, ist doch nur die Folge der auch nicht neuen Tatsache, daß strukturelle Schwächen einer Wirtschaft immer dann augenfällig werden, wenn wir uns in einer wirtschaftlichen Beruhigungs- oder Abschwungsphase befinden.
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Das letzte, auf das ich eingehen möchte, ist die Ankündigung des Herrn Klasen, daß eine gewisse Normalisierung der Zinsstruktur jetzt zu erwarten sei; damit solle auch eine „Verkrampfung" auf dem Kapitalmarkt gelöst werden. Das ist wohl eine gewisse Andeutung dafür, daß man sich auch bei der Bundesbank in richtiger Einschätzung der Folgen der Hochzinspolitik zu einer gewissen Lockerung durchzuringen versucht.
Aber hier ist es um so nötiger, meine Damen und Herren, daß wir, vor allem an die Adresse der Regierung und der Koalition gerichtet, noch einmal auf den Zusammenhang zwischen der Fiskalpolitik und ihren Wirkungen und der Geld- und Kreditpolitik und ihren Wirkungen hinweisen. Die Bundesbank ist zu ihrer Hochzinspolitik doch gezwungen worden, weil die Haushaltspolitik eben nicht genügend stabilitätsbewußt gewesen ist. Das ist das Leiden, das wir im Grunde genommen seit 1970 mit uns herumschleppen und mit dem die Wirtschaft fertig werden muß, daß die Bundesregierung die Last der Konjunktursteuerung, was das Bremsen anbetrifft, einseitig der Bundesbank zugeschoben hat mit all den Folgen, die wir jetzt beobachten.
Ich kann es mir nicht versagen, auch ein Wort der Mahnung und der Kritik an das Präsidium der Bundesbank zu richten. Wir von seiten der CDU/CSU werden entschiedene Kämpfer für die Unabhängigkeit der Bundesbank sein und bleiben. Sie muß ein Korrekturinstrument gegenüber der Politik sein.
Aber ich hätte mir gewünscht, meine Damen und Herren, daß das Präsidium der Bundesbank öfters auch gegenüber der Regierung von seiner Unabhängigkeit Gebrauch gemacht hätte. Wir kommen leider nicht an der Tatsache vorbei, meine Damen und Herren, daß sich die Bundesbank den Schwarzen Peter der Hochzinspolitik hat zuschieben lassen und ihrerseits nicht genügend Druck auf die Regierung ausgeübt hat, um sie zu veranlassen, sich in der öffentlichen Haushaltsgebarung die stabilitätsnotwendige Zurückhaltung aufzuerlegen.
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Wir werden mit den Problemen nur fertig werden, meine Damen und Herren, wenn es wieder zu einer volkswirtschaftlich nötigen und wünschenswerten Ausgewogenheit zwischen der Politik der öffentlichen Ausgaben und der Politik der Notenbank kommt. Diese Ausgewogenheit, dieses Gleichgewicht vermissen wir, und das ist ein Anlaß, auch dem Bundeswirtschaftsminister noch einmal das Versagen der Wirtschaftspolitik vorzuhalten.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das ist natürlich fabelhaft, Herr Müller-Hermann: Anderthalb Tage diskutieren wir darüber, daß der Stabilität nicht genügend Rechnung getragen wird und daß wir alle zu lax und zu locker sind, und dann beenden Sie die Debatte damit, daß Sie der Bundesbank empfehlen, schleunigst von der Hochzinspolitik herunterzugehen.
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Es ist natürlich großartig, daß Sie der Bundesbank vorhalten, sie habe von ihrer Unabhängigkeit nicht ausreichend Gebrauch gemacht - offensichtlich, weil sie gemeinsam mit der Bundesregierung eine vernünftige Geld- und Kreditpolitik betrieben hat und nicht Ihre. Das verstehen wir natürlich nicht unter Unabhängigkeit der Bundesbank, daß sie immer nur dann geschützt und dann nicht kritisiert wird, wenn sie den eigenen Vorstellungen entspricht.
Herr Müller-Hermann, Sie haben gesagt, die Debatte habe die Ablehnungsgründe für die Wirtschaftspolitik dieser Regierung deutlich gemacht. Ich habe nach dem heutigen Vormittag, vor allem nach dem Vortrag des Bundeswirtschaftsministers, draußen im Wandelgang von den Journalisten Mitleidsbezeugungen für die Opposition gehört. Sehr viele Ablehnungsgründe habe ich dabei nicht erfahren.
Herr Müller-Hermann, hinsichtlich der Frage der Unabhängigkeit der Bundesbank und der Unabhängigkeit der wirtschaftspolitischen Diskussion überhaupt wäre ich Ihnen aber doch dankbar, wenn Sie
Formulierungen wie die eben gewählte über das der Regierung nicht ganz fernstehende Institut für Wirtschaftsforschung nach Möglichkeit unterließen. Ist das vielleicht unter dem Vorgänger des leider kürzlich verstorbenen Präsidenten ein der Opposition nahestehendes Wirtschaftsforschungsinstitut gewesen? Richtet sich das nach der Parteizugehörigkeit des Präsidenten, oder ist es Ihnen völlig unverständlich, daß jemand parteilich gebunden und dennoch in konjunkturpolitischen und Wirtschaftsforschungsfragen unabhängig sein kann? Das soll es geben, Herr Müller-Hermann, und gerade der Kollege Klaus Dieter Arndt hat das in Meisterschaft hier dargetan.
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Meine Damen und Herren! Obwohl es in der Tat interessant wäre, bin ich wie Sie, Herr MüllerHermann, der Meinung, daß wir den weiten Bereich der Energiepolitik heute abend nicht mehr miteinander diskutieren können und sollten. Hier gibt es eine ganze Menge anzumerken. Das werden wir tun, wenn die Fortschreibung des energiepolitischen Programms, die mitten in der Bearbeitung ist, auf dem Tisch liegt und wir eine feste Grundlage für eine Diskussion haben.
Es wäre aber in der Tat natürlich interessant, das eine oder andere aus der heutigen Debatte noch einmal nachzuzeichnen. Es wäre interessant, noch einmal auf das einzugehen, was der Kollege Strauß hier zu dem einen oder anderen Punkt gesagt hat, zugegebenermaßen nicht nur zur Wirtschaftspolitik, sondern Herr Strauß hat uns heute ja auch interessante Verhaltensvorschriften gegeben, wie man sich z. B. mit größer Sorgfalt seine engsten Mitarbeiter aussucht. Jedermann weiß ja, daß er für sein Fingerspitzengefühl bekannt ist, mit dem er seine Umgebung und seine Mitarbeiter immer ausgesucht hat; er soll da ja besonders erfolgreich gewesen sein.
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Es war ja auch sehr interessant, meine Damen und Herren, daß sich der Kollege Strauß, der leider nicht mehr hier ist - Rede abliefern und weg ist ja eine seiner Methoden -,
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heute mit großer Emphase und großem Getöse über die Darstellung des Bundeskanzlers zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bzw. zu der Initiative des Freistaats Bayern geäußert hat. Nur, auf die Darstellung, wie diese Initiative zustande gekommen ist, Herr Höcherl, hat er hier allerdings verzichtet.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur ganz kurz an das anknüpfen, was Herr Strauß gesagt hat - denn das führt uns ja auch in den Bereich allgemeiner Überlegungen und auch von Überlegungen, die inmitten des Aufgabenbereichs des Bundeswirtschaftsministers stehen -, nämlich an seine Bemerkung, man solle Bahn und Post verstaatlichen, was bei Ihnen bereits Heiterkeit ausgelöst hat. Insofern sind Sie leicht und schnell zufriedenzustellen.
Er hat behauptet, daß man ein völlig neues BundGefühl damit erzeuge, daß sich z. B. im Augenblick das Kartellamt mit der Frage des Volkswagenwerks und seines Preises beschäftige. Meine Damen und Herren, das wissen wir ja ganz genau, daß der Bund, dort, wo er sich als Unternehmer betätigt, selbstverständlich den Vorschriften des Kartellgesetzes genauso unterworfen ist wie jeder andere. Und mindestens seit der Entscheidung über die Fusion VEBA /GBAG ist es überhaupt kein neues BundGefühl mehr, daß wir uns mit diesen Fragen, mit den Folgen der von uns hier in diesem Hause vor gut einem Jahr verabschiedeten Kartellnovelle auseinanderzusetzen haben. Wir wollen das auch, und wir tun es ja ganz bewußt - Herr Müller-Hermann, dies ist Ihnen ja auch bekannt -; denn wir wollen uns dieser Aufsicht auch dort und vielleicht sogar gerade dort unterwerfen, wo der Staat als Unternehmer tätig wird, wir wollen hier keine Exklusivrechte für ihn in Anspruch nehmen.
Ich möchte aber hier noch einmal unterstreichen, daß das Ziel, das der Bundeswirtschaftsminister gerade auf diesem Gebiet anstrebt, nämlich die Schaffung eines nationalen deutschen Mineralölkonzerns, vorangetrieben werden muß, daß die Fusion von VEBA und GBAG zustande zu kommen hat und daß die Notwendigkeit dieser Fusion, die wir häufig begründet haben, in den letzten Wochen und Monaten eher noch deutlicher zutage getreten ist, so daß Sie auch auf diesem Gebiet, Herr Bundeswirtschaftsminister, unsere volle Unterstützung haben und wir jegliche Kritik, wir wollten hier ein Stück Staatswirtschaft exerzieren, auch von dieser Stelle mit aller Deutlichkeit zurückweisen. Wir wollen, meine Damen und Herren, daß diese Gesellschaft auch fernerhin in den Formen des Privatrechts betrieben wird. Wir legen Wert darauf, daß die Bundesbeteiligung die 50 %-Grenze nicht erreicht und schon gar nicht übersteigt. Und wir wollen selbstverständlich, daß die kartellrechtlichen Auflagen, die das Kartellamt in seinem ersten Beschluß schon angedeutet hat, von dem Unternehmen befolgt werden. Da muß ich allerdings ein deutliches Wort sagen. Ich bitte sehr, daß auch die betroffenen Gewerkschaften hier zur Zusammenarbeit bereit und nicht hinderlich dabei sind, daß die kartellrechtlichen Auflagen erfüllt und durchgeführt werden.
Aber ein letztes Wort, meine Damen und Herren. Herr Müller-Hermann, Sie haben noch einmal das aufgegriffen, was heute morgen ja auch schon Herr Strauß gesagt hat, nämlich den immer wiederholten und immer wieder neu vorgebrachten Vorwurf, daß sich die Kreditpolitik und die Hochzinspolitik, überhaupt die Form der Stabilitätspolitik, in besonderem und in besonders schwerem Maße zu Lasten der kleinen und mittleren Unternehmen auswirke und die großen Unternehmen verschone. Wir sollten von dieser Stelle aus hier noch einmal feststellen, daß im Gegensatz zur Restriktionspolitik der Jahre 1966 und 1967 z. B. durch die Möglichkeiten des BardepotGesetzes - und damit das Abschneiden der Finanzierung der Unternehmen von den ausländischen
Geldmärkten - die Wirkungen sehr viel gleichmäßiger verteilt gewesen sind, als das damals der Fall war. - Herr Müller-Hermann, Sie mögen den Kopf schütteln, und ich gebe Ihnen ja auch zu - auch das habe ich hier von dieser Stelle schon gesagt -, daß natürlich die Innenfinanzierung der Großunternehmen ihnen einen etwas längeren Anlaufzeitraum gestattet hat, bis die Bremsen auch hier gegriffen haben. Aber als das einmal erschöpft war - und es ist seit langer Zeit erschöpft gewesen -, unterlagen sie denselben Kreditkonditionen wie die anderen. Daß sie zu allen Zeiten etwas günstigere und billigere Konditionen, sozusagen einen Mengenrabatt, erhalten, ist alltägliches Geschäft und hat mit der Konjunkturpolitik und der Restriktionspolitik überhaupt nichts zu tun. Das kann man bedauern, es ist aber so.
Dann kommt immer wieder die Behauptung, daß sich diese zusätzliche Belastung ganz besonders erschwerend ausgewirkt habe. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute morgen mit Recht darauf hingewiesen, und er hat mich sozusagen schon darauf aufmerksam gemacht, daß ich hierzu ein kurzes Zitat mit Genehmigung der Frau Präsidentin aus dem Jahresgeschäftsbericht 1973 der Kreditanstalt für Wiederaufbau zitieren möchte, ein Institut, von dem Sie wissen, daß es sich insbesondere den industriellen Größenordnungen, die Sie, Herr Müller-Hermann, und heute morgen der Kollege Strauß angesprochen haben, widmet. Da heißt es in ganz kurzen Worten:
Eine weitergehende Verbilligung der Kredite erscheint auf Grund der festgestellten Bilanz- und Ertragsrelationen kleinerer und mittlerer Unternehmen, die nicht schlechter sind als die der großen, auch für die außergewöhnlichen und wettbewerbspolitisch bedeutenden Investitionen nicht notwendig.
Dies ist nur in einem Satz das Ergebnis - ich kann das hier nicht ausführlich vortragen - einer sehr sorgfältigen statistischen Untersuchung auf Grund eines Materials, das vermutlich bei keinem Kreditinstitut der Bundesrepublik größer und breiter vorliegt als gerade bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Herr Müller-Hermann, ich darf noch einmal betonen, daß diejenigen, die in ernsthafte Schwierigkeiten geraten sind - Ausnahmen gibt es immer, das gestehe ich Ihnen zu -, sich im wesentlichen aus dem Kreis solcher zusammensetzten, die nicht so solide finanziert waren, daß sie auch eine Phase der Restriktionspolitik überstehen konnten.
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Ich halte es allerdings heute für notwendige unternehmerische Planung und Vorausschau, daß ich mich darauf einstelle, daß es Restriktionsphasen in der Geld- und Kreditpolitik gibt. Dies ist doch schließlich nichts Neues; das muß man doch einmal gelernt haben. Man kann doch nicht immer annehmen, es ginge mit billigem Geld und uferlos vielem Geld unbegrenzt weiter.
Es ist schon interessant, zu sehen, Herr MüllerHermann, daß es unter dem gleichen Tage z. B. in den Wirtschaftsteilen unserer Zeitungen den Bericht über eine Dortmunder Büromöbelfirma, die Ihnen allen bekannt ist und die in Schwierigkeiten geraten ist, gibt, und in der gleichen Zeitung steht auf der nächsten Seite der Bericht des Konkurrenten über ein glänzendes Geschäftsjahr 1973, und wenn Sie da rasch hinsehen, dann sehen Sie, daß 1970/71 die Investitionen höchst riskant finanziert worden sind, und dann geht es plötzlich nicht mehr. Meine Damen und Herren, machen wir eis uns nicht so einfach, daß wir einfach sagen, jedes mittlere und kleinere Unternehmen sei das Opfer einer bösen und rücksichtslosen Politik von Bundesbank und Bundesregierung!
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Ich wehre mich aber vor allem auch deswegen dagegen, Herr Müller-Hermann, weil hier wirklich Angst und Besorgnis produziert wird, die nicht immer gerechtfertigt ist. Hier tragen Sie Ihr Gutteil im Lande dazu bei, diese Besorgnis in höherem Maße zu schüren, als sie auf Grund der objektiven Gegebenheiten wirklich gerechtfertigt ist.
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Mir ist heute noch in Erinnerung, daß bei der Debatte des Jahreswirtschaftsberichts, meine Damen und Herren, die ganze Opposition beim Stichwort „Konkurs" geradezu aufheulte wie eine Versammlung von Gemeinschuldnern.
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Soweit sind wir doch wohl noch nicht; soweit sind Sie ja noch nicht einmal.
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Ich habe doch den Eindruck, Herr Professor Carstens, daß Sie inzwischen dabei sind, sich aus dem gerichtlich bestätigten Zwangsvergleich wieder herauszuarbeiten. Sie müssen nur noch entscheiden, welcher Vergleichsverwalter einmal endgültig Geschäftsführer wird. Das wird Ihnen auch noch gelingen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höcherl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß mich noch einmal mit der Rede von Herrn Bundeswirtschaftsminister Friderichs befassen. Auf diese Rede hat zwar schon Herr von Bismarck geantwortet, aber viel zu vornehm.
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Auch der Kollege Müller-Hermann hat meines Erachtens nicht die notwendige Konfrontation angebracht, die angesichts der unglaublich arroganten Rede notwendig ist.
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Meine Damen und Herren, ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie der Herr Bundeswirtschafts6782
minister zum ersten Male in diesem Hohen Hause Mitglied war. Er war ein eleganter wirtschaftspolitischer Fechter und wurde dann in eine Koalition aufgenommen. Ich habe gedacht, Mainz würde bei ihm einen gewissen Reifeprozeß erzeugen. Als er dann hier in das Bundeskabinett aufgenommen wurde, ist mir schon bei seiner ersten Rede aufgefallen, daß eine bemerkenswerte Schärfe in seiner Diktion zu finden ist. Ich habe das als eine Pflichtübung für einen Kabinettsneuling betrachtet und ihm das eigentlich gar nicht nachgetragen. Die Schärfe hat sich dann aber von Mal zu Mal verstärkt, und der absolute Höhepunkt ist hier und heute erreicht worden. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich hoffe nicht, daß sich hier ein Wesenszug äußert.
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Ich hoffe vielmehr immer noch, daß das ein gewisses Versehen, eine gewisse Übertreibung oder ein besonderer Beitrag für die neueste Regierung, der Sie nun angehören, ist.
Nun zu einigen Ihrer Bemerkungen. Sie haben es für richtig befunden, aus einer früheren Wahlkampfzeit eine Bemerkung des damaligen Bundeskanzlers Erhard auf den Tisch zu legen. Er habe in einer sehr lebhaften Versammlung, in der ihn APOs in einer unglaublichen Weise unterbrochen haben, diese Leute als Pinscher und Uhus bezeichnet. Aber wenn ich den Maßstab des Kollegen Wehner anlege,
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wenn ich an das denke, was er Tag für Tag sagt und
in jeder Sitzung anbringt, so muß ich sagen, das war damals geradezu ein ganz bescheidener Ausdruck. Und den aus der Vergangenheit herauszugreifen und hier einzuführen, das empfinde ich nicht gerade als ein Meisterstück.
Dann haben Sie sich hier zum Verteidiger einer radikalen Minderheit aufgeworfen. Ich weiß gar nicht, wer Ihnen dieses Mandat gegeben hat; Sie haben sich dieses Mandat wohl selber erteilt. Ich meine diese radikalen Kräfte und vor allem deren Sprecher, die auch für unter Umständen maßvollen Mitglieder Ihres Bereichs sprechen, aber in einer so radikalen Form, daß staatliche Abwehrmittel notwendig sind, in einer Form, die unsere ganze Ordnung angeht. Es wird mir immer unerfindlich bleiben, wer Sie beauftragt hat oder welchen inneren Auftrag Sie empfinden, hier als Verteidiger aufzutreten und ein Plädoyer dafür zu halten, daß keine Gesamtverteufelung zustande kommt.
Daß Sie sich mit dem „Bayern-Kurier" befassen, sehe ich Ihnen nach. Aber ich würde Ihnen seine Lektüre empfehlen: ein hartes Kampfblatt mit deutlicher Wahrheit, und Wahrheit ist halt gelegentlich unangenehm.
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Und dann kommen aus Ihrem eigentlichen Fachbereich doch recht merkwürdige Dinge. Sie haben erklärt, der Kollege Strauß habe von steigenden Konkurszahlen gesprochen. Daß das der Fall ist, wissen Sie selber. Aber es geht um die Art, in der
Sie das abgehandelt haben. Sie haben das alles in I einen Sack gesteckt und erklärt: das sind Leute, die unsolide finanziert haben, die sich nicht nach den Regeln eines ordentlichen Kaufmanns verhalten haben, und deswegen geschieht ihnen das eigentlich ganz recht.
Es gehört sehr viel Gemütstiefe dazu, sich angesichts des Elends und der Schwierigkeiten, die wir in gewissen Bereichen - auch unverschuldet - haben, so auszudrücken. Natürlich mögen auch solche Typen dabei sein, und die haben auch unser Wort nicht. Aber Sie haben dazu hier - und dies, obwohl Sie selbst doch erklärt haben, globale Angriffe seien nicht zu vertreten - ein sehr globales Wort einem bestimmten Kreis gegenüber gesprochen, und wenn diese Dinge so weitergehen, kriegen wir mit Ihrer Art von Konjunkturpolitik eine Strukturverschiebung, durch die wesentliche und wertvolle Bereiche unserer Wirtschaftsstruktur diese Passagen nicht durchstehen werden.
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Meine Damen und Herren, ich glaube, der ganzen Opposition haben Sie, Herr Kollege Friderichs, den Vorwurf gemacht, wir hätten irgendwelche Absichten, die Autonomie der Bundesbank anzugreifen. Darf ich Sie vielleicht an ein Wort des heutigen Bundeskanzlers im Finanzausschuß erinnern? Er hat dort seinen französischen Kollegen beneidet, der viel mehr Einfluß auf die französische Nationalbank hat als die deutsche Regierung auf die Bundesbank. Und gibt es nicht einen Referentenentwurf, den Sie dann allerdings aus Vorsicht und Angst wieder zurückgezogen haben, nach dem bei der Bundesbank die Zwei-Schlüssel-Theorie gelten soll, nach dem also die Öffnung des Safes nur durch Ihren Schlüssel und den Schlüssel in Frankfurt möglich sein soll? Aus Überzeugung ist dieser Entwurf nicht zurückgezogen worden, sondern aus Angst, weil die breite Öffentlichkeit jeden Griff zur Bundesbank - wie. ich meine, mit Recht - verurteilt.
Und dann, wenn sich der Kollege Erhard und acht anerkannte Wissenschaftler versammeln und in einem Gutachten Überlegungen anstellen, was eigentlich zu tun wäre, ist das ein Ergebnis Ihrer Konjunkturpolitik, weil die marktwirtschaftliche Ordnung bereits solche Schäden genommen hat, daß man sich so etwas überlegen muß. Es war nicht mehr als eine Überlegung, ausgelöst durch die negativen Ergebnisse Ihrer Konjunkturpolitik; und es ist nicht eine Sache, die wir übernehmen, sondern wir - jeder einzelne von uns - erlauben uns, darüber nachzudenken, wie wir aus diesen Schwierigkeiten herauskommen. Wenn das so anerkannte Männer tun, Männer der Wissenschaft, Männer, die eine historische Leistung vollbracht haben, dann sollten Sie das nicht einfach übertragen und identifizieren. Das ist ein Beitrag wie von anderen Wissenschaftlern auch. Aber wie Sie ihn abgehandelt haben, das ist unseriös!
Dann haben Sie unserem Fraktionsvorsitzenden vorgeworfen, er sei nicht in der Lage, volkswirtschaftliche Vergleiche anzustellen. Seine Rede und seine Erwiderung darauf: Er hat Zahlen auf den
Tisch gelegt. Wir haben über 20 Jahre hindurch eine Preissteigerung von 2,7 Prozent im Schnitt gehabt und waren somit die Musterschüler im vergleichbaren Bereich.
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Nun zum 9. Mai 1973, Ihrem großen, viel zu späten Konjunkturprogramm! Was haben wir erklärt? Damals gehörten Sie noch nicht der Regierung an, aber Sie haften für die Firma Ihrer politischen Freunde. Hier wurde von Barzel im Januar 1970 ein einmaliges, auf Selbstverleugnung beruhendes Angebot gemacht, daß wir bereit sind, Ihre Konjunkturpolitik mit Einschränkungen und all dem, was für eine Opposition sehr schwer ist, mit Ihnen zu tragen. Sie haben das abgelehnt.
Die Bundesbank, die Sie heute herausstellen, deren Autonomie Sie mit Worten feiern, hat Sie vom Januar 1970 bis heute gemahnt, Sie sollen ihr die Arbeit abnehmen oder in eine Arbeitsteilung zwischen der Bundesregierung mit ihrer Haushaltspolitik und den beschränkten Möglichkeiten der Bundesbank einwilligen. Sie haben sie sitzen lassen, mit kleinen, bescheidenen, ängstlichen Mittelchen. Aus lauter Angst vor Landtagswahlen sind Sie nicht in der Lage gewesen, das zu tun, was notwendig wäre. Deswegen ist diese Last bei der Bundesbank, und sie kann ihr auf absehbare Zeit nicht abgenommen werden. Aber das haben Sie verschuldet.
Wo ist die Alternative? Ja, hätten Sie in diesen Jahren etwas getan, hätten Sie damals mit uns gezogen und das Angebot angenommen, dann wären das Wort Alternative und die konjunkturellen Schwierigkeiten wenigstens nicht in der Größenordnung bei uns aktuell geworden.
Dem Generalsekretär der CDU hängen Sie einfach die Behauptung an, daß er gegen unser Inflationsschäden-Entlastungsprogramm wäre. Er hat das in aller Öffentlichkeit vertreten, er steht zu ihm, und zwar weil wir die Tarifverträge beeinflussen wollten, was wahrscheinlich eine größere Wirkung gehabt hätte, wenn Sie mitgezogen hätten, als das, was hier an Steuerausfall entsteht. Zum anderen sind wir immer der Meinung, Geld in privater Hand, das zum Teil dem Konsum, aber zum Teil der Ersparnis zugeführt wird, ist besser als öffentliches Geld, das nur ausgegeben wird. Das ist doch ein unbestrittener Grundsatz.
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Wenn Sie es mit der Wahrheit so ernst nehmen, dann stellen Sie sich bitte hierher und nehmen das zurück, was Sie dem Herrn Biedenkopf vorgeworfen haben.
Nun, Graf Lambsdorff, einige Bemerkungen zu Ihnen. Sie waren auch schon besser.
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Über die Bundesbank haben wir bereits gesprochen.
Mitleidsbeteuerungen hätten Sie gehört, nachdem
der Herr Friderichs gesprochen hatte. Sie hätten sich ins Restaurant begeben und herumgehört.
({9})
Sind Sie denn auf solche Aussagen angewiesen? Ich meine, wir haben alle Urteilsvermögen genug. Ich habe das jetzt noch einmal durchgeblättert. Über zehn Seiten hinweg Polemik, bis eine sachliche Aussage kommt. Ich meine nicht, daß das der richtige Beitrag wäre.
Ich komme auf einen Punkt zurück, worüber Sie hätten sprechen müssen. Ich weiß nicht, was der verehrte Kollege Arndt sagen würde, wenn er noch unter uns wäre, nachdem alle Entwicklungen nichts gefruchtet haben. Herr Lambsdorff, Sie sind ein Politiker, der weite Bereiche innerhalb der FDP abdeckt. Ich verstehe sogar, daß Sie die Bayern-Klage hier anziehen. Was die Kartellamtspolitik betrifft, darf ich Sie an Ihren Aufsatz in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erinnern, in dem Sie das Kartellamt gemahnt haben, nicht schwarz und hinten herum zu einer Preisbehörde zu werden.
({10})
Gewisse Herrschaften bei Ihnen dulden das; die möchten dieses Überschreiten der Grenze, die im Gesetz gezogen ist. Das hätten Sie hier wiederholen sollen. Aber das fällt Ihnen natürlich schwer angesichts Ihres großen Koalitionspartners.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Höcherl, hätten Sie nicht die Freundlichkeit haben sollen, gestern abend zuzuhören, als ich genau dies wiederholte? Oder waren Sie zufällig auch nicht im Saal?
Das war nicht deutlich genug, Herr Lambsdorff.
({0})
Eine weitere Zwischenfrage.
Ich werde mich bemühen, in Zukunft an Ihre Adresse deutlicher zu sprechen als an die Leserschaft der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Ich meine die inhaltliche Deutlichkeit, nicht die rhetorische.
Meine Damen und Herren, das Entscheidende ist doch, daß wir zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte folgende wirtschaftspolitische Situation haben: alle vier Zielpunkte des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes sind verfehlt. Es ist verfehlt die Stabilität der Preise, es ist verfehlt ein gesundes, kräftiges Wachstum, es ist verfehlt eine Vollbe6784
schäftigung, und es ist eine vernünftige Zahlungsbilanzsituation verfehlt.
Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist Ihr Verantwortungsbereich. Nicht wir sind die Angeklagten, Sie sind der Angeklagte durch diese Ergebnisse. Sie und Ihre Freunde sind für mehr als fünf Jahre verantwortlich. Verantworten Sie diese Situation; dann kann man eine sachliche Diskussion mit Ihnen führen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte zum Einzelplan 09 hat sich völlig unerwarteterweise in später Abendstunde noch so entwickelt. Ursprünglich hatte ich gar nicht die Absicht, noch hierher zu gehen.
({0})
- Deshalb kann ich mich ja ein wenig Herrn Höcherl zuwenden, der die nüchternen, aber nicht immer den Tatsachen entsprechenden Entgegnungen von Herrn Müller-Hermann und Herrn von Bismarck vorhin für zu vornehm hielt. Herr Höcherl hat sich dann in seiner nicht vornehmen Art zwar auch nicht mit dem Einzelplan 09 beschäftigt, sondern mit einer ganzen Blütenlese dessen, was hier angeblich gesagt oder nicht gesagt wurde.
Ich glaube, zum Schluß der Diskussion über den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums sind drei Feststellungen angebracht, die diese ganze merkwürdig schiefe Schlachtordnung in der wirtschaftspolitischen Debatte, wie ich hoffe, zusammenfassen können.
Erstens. Herr Höcherl, Sie haben deutlicher als Ihre zurückhaltenderen Vorredner zum Ausdruck gebracht, was Sie unter Stabilität und Marktwirtschaft verstehen. Sie meinen, daß zwar Stabilitätspolitik betrieben werden soll, daß sie aber keinem wehtun und schon gar nicht marktwirtschaftlich durchgeführt werden darf;
({1})
denn es könnte ja jemand Schaden darunter leiden. Wir haben eine andere Auffassung von marktwirtschaftlicher Stabilitätspolitik.
({2})
Wir werden bei dieser anderen Auffassung bleiben.
Herr Müller-Hermann, ich warte immer noch darauf - wir werden die nächsten Einzelpläne ebenfalls noch behandeln -, daß Sie, wenn Sie glauben, es müsse dem Staat wehtun,
({3})
Ihre Anträge zur Erhöhung des Bundeshaushalts, die Sie stellen wollen, endgültig zurückziehen.
({4})
Nach dem, was Herr Höcherl gesagt hat, wird das geschehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte sehr!
Herr Kollege Ehrenberg, ich darf Sie darauf hinweisen, daß unsere roten Änderungsanträge zur zweiten Lesung hier alle auf dem Tisch liegen. Wenn Sie sich die Mühe machen, sie durchzusehen, finden Sie, daß sich unter ihnen kein einziger Erhöhungsantrag, wohl aber ein Kürzungsantrag über 2 Milliarden DM befindet.
({0})
Herr Dr. Althammer, und wie ist es mit Ihrem Antrag, das Kindergeld zu erhöhen? Der kommt zwar erst zur Steuerreform, aber Sie könnten ihn schon jetzt, wenn Sie wollten, zurückziehen. Es gibt noch einige Anträge mehr.
({0})
- Herr Franke, Sie sind als Zwischenrufer berühmt; ich weiß es. Aber es nützt Ihnen nichts.
Zweitens. Herr Müller-Hermann und auch Herr Höcherl haben in der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung die Strukturpolitik vermißt. Herr Müller-Hermann, Sie haben den Wirtschaftsminister kritisiert, als er sagte, daß es sich dort, wo Arbeitslosigkeit vorliegt, um eine strukturelle Arbeitslosigkeit handelt. Sie haben der Bundesregierung vorgeworfen, es sei strukturpolitisch nichts geschehen. Hier muß man Ihnen einfach sagen, wer denn nun überhaupt in diesen inzwischen 25 Jahren marktwirtschaftlicher Ordnung Strukturpolitik erfunden hat. Bis 1968 gab es in diesem Lande doch keine. Das ist nun doch wohl unbestreitbar.
({1})
Verehrter Herr Höcherl, wir haben uns ja 1968 in der Großen Koalition ein bißchen darüber gestritten. Ich ging Ihnen in meinen strukturpolitischen Vorstellungen zu weit. Dann haben wir uns geeinigt, und seit der Zeit gibt es Strukturpolitik in diesem Lande, aber nicht vorher. Daß diese Strukturpolitik gelegentlich wehtut und daß wir so große strukturelle Verwerfungen haben, das liegt in erster Linie daran, daß die Deutsche Mark zwei Jahrzehnte lang unterbewertet war; und wenn wir auf Herrn Strauß gehört hätten, hätten wir sie heute noch nicht aufgewertet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Frerichs?
Verehrter Herr Kollege Ehrenberg, haben Sie vergessen, daß wir seit 1949 mit dem ERP-Plan Strukturpolitik machen, regional, sektoral und betriebsgrößenordnungsmäßig, d. h. für den Mittelstand - seit 1949? Haben Sie das vergessen, Herr Kollege?
({0})
Das habe ich nicht vergessen, Herr Frerichs. Nur, die Kredite des ERP- Planes sind für gezielte Strukturpolitik zwar sehr hilfreich und ergänzend, können aber das, was seit 1968/69 gemacht wird, in keiner Weise ersetzen und auch nicht im entferntesten diese Effekte hervorbringen.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Aber gern.
Herr Kollege Ehrenberg, darf ich Sie daran erinnern, daß wir 1968, also vor der Großen Koalition, bereits eine Verfassungsänderung vorgenommen haben, um von Bundes wegen eine generelle Strukturpolitik durchführen zu können?
Das war in der Großen Koalition, nicht vor ihr, genau da.
({0})
- Nein. Die Große Koalition - war von 1966 bis 1969. Bitte sehr, genau das hatte ich gesagt.
Nun nur noch - um uns nicht lange aufzuhalten
- den dritten Punkt, weil Herr Höcherl meinte, Herrn Carstens noch einmal verteidigen zu müssen, und dabei sagte, Herr Carstens habe in der Frage der Preise die Dinge auf den Tisch gelegt. Verehrter Herr Carstens, das haben Sie immer noch nicht. Das, was der Bundeswirtschaftsminister Ihnen nachgewiesen hat, stimmt nach wie vor. Ihre Aussage von gestern, die Bundesrepublik sei in der internationalen Preisskala immer das Schlußlicht gewesen - so hieß es bei Ihnen -, ist schlicht und einfach falsch. Die Zahlen von 1949 bis 1969 bis
auf ganz wenige Jahre - beweisen das Gegenteil. Ich würde Sie herzlich bitten, doch wenigstens bei den Zahlen die von Ihnen so hoch gelobte Wahrheit endlich zu berücksichtigen.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! -Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 10 auf:
Geschäftsbereich des Bundesministers
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksache 7/1920 - Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Löffler.
({0})
- Wenn Sie sich so geeinigt haben, dann bitte, Herr Kollege Röhner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Keine Bundeshaushaltsdebatte ohne einen besonderen Beitrag zum Agraretat! Die Verabschiedung des Agraretats 1974 ist zweifellos ein besonderer Anlaß, sich mit ihm etwas näher zu befassen.
Auf dem Deutschen Bauerntag am 10. Juli 1973 in Stuttgart rühmte der damalige Bundesfinanzminister, der heutige Bundeskanzler, Helmut Schmidt, den Agraretat 1973 mit den Worten: Er ist ein Ausdruck unserer Verantwortung für die deutsche Landwirtschaft und für die ländlichen Räume. Messen wir den Agraretat 1974 an eben diesem Anspruch, so können wir heute nur nüchtern feststellen: Die Verantwortung der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien für die Landwirtschaft und für den ländlichen Raum hat sich radikal reduziert.
({0})
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. 1974 steigt der Gesamthaushalt um rund 12 %. Der Landwirtschaftshaushalt liegt dagegen trotz der im Haushaltsausschuß vorgenommenen Veränderungen um fast 2 % unter der Vorjahreshöhe.
({1})
Angesichts einer relativ hohen Inflationsrate auch im Jahre 1974 ergibt sich für das reale Förderungsvolumen insbesondere im intensiven Bereich eine noch viel stärkere Verringerung.
Wie ist diese Haushaltspolitik zu verstehen? Wie will die Bundesregierung diese so offensichtliche Diskriminierung in der Ausstattung des Agraretats rechtfertigen? Die Vermutung liegt nahe, daß die Antwort auf diese Fragen in der wirklichkeitsfremden Beurteilung der Lage der Landwirtschaft durch die Bundesregierung selbst zu suchen ist. Realitätsblind ist diese Lageeinschätzung deshalb, weil sie offenbar auch heute noch von den Daten des Agrarberichts 1974 ausgeht, von Daten also, die mit der heutigen, die mit der aktuellen Lage und Situation der Landwirtschaft absolut nichts mehr zu tun haben.
({2})
Natürlich weiß der Bundeslandwirtschaftsminister sehr genau, daß sich die Situation in der Landwirtschaft seit der Vorlage dieses Berichts, seit der Vorlage auch des Haushaltsentwurfs für 1974 im Herbst vergangenen Jahres total verändert hat. In der Debatte zum Agrarbericht 1974 am 14. März hat der Bundeslandwirtschaftsminister beispielsweise wörtlich ausgeführt: Die Landwirtschaft ist „durch die Situation im Energiebereich besonderen Belastungen ausgesetzt". Zutreffend fügte er hinzu:
Die Energiekrise hat sicherlich die Wettbewerbsverhältnisse zusätzlich besorgniserregend verändert.
Ich habe dem meinerseits nichts hinzuzufügen außer dem, daß an diesen Erkenntnissen des Ressortministers die Politik der Bundesregierung und der Koalition im Haushalt 1974 glatt vorbeigeht. Jetzt zeigt sich nach meiner Auffassung, daß der Ressortminister zum Gefangenen der Propaganda geworden ist, mit der der Agrarbericht 1974 in der Öffentlichkeit verkauft worden ist.
({3})
Jetzt rächt sich, daß man zu wenig herausgestellt hat, daß der Agrarbericht 1974 eine Lage beschreibt, die längst Vergangenheit isst.
({4})
Auf die Kritik an der Informationspolitik, wie sie z. B. bei der Dortmunder Kundgebung des DBV geübt worden ist, beleidigt zu reagieren, Herr Kollege Mischnick - ich sehe ihn jetzt nicht, - doch, Entschuldigung;
({5})
Herr Kollege Mischnick, Sie sind in voller Größe hier,
({6})
ich beziehe mich auf Ihre gestrige diesbezügliche Äußerung -, hilft da wenig und ändert nichts an den Folgen, die zu einem gewissen Teil gerade diese Informationspolitik angerichtet hat.
({7})
In den Massenmedien wird die Öffentlichkeit glauben gemacht, die Einkommenslage der Landwirtschaft sei überaus günstig. Der Herr Bundesfinanzminister des Februar 1974 vertrat damals in einem Fernschreiben an seine Ressortkollegen in den Ländern die Auffassung, daß - ich zitiere wörtlich - „besondere einkommenspolitische Forderungen der deutschen Landwirtschaft nicht gerechtfertigt" erscheinen.
({8})
Und der Herr Kollege Dr. Schmidt ({9}) erklärte noch am 14. März 1974 hier von dieser Stelle aus:
Ich muß Ihnen und der Landwirtschaft sagen: Von einer Krise kann in der gegenwärtigen Zeit doch überhaupt keine Rede sein.
({10}) Meine Damen und Herren, wenn die Bauern unseres Landes, wie es jüngst geschehen ist, als „Millionäre" hingestellt werden, wenn von Massenmedien die Einkommenssteigerung der Landwirtschaft in den letzten zwei Jahren mit 60% beziffert wird, wenn die aus den für 1974 und 1975 geltenden EG-Agrarpreisbeschlüssen resultierenden Mehreinkommen der Landwirtschaft mit 2,5 Milliarden DM angegeben werden und wenn sich alle diese Informationen auf die Quelle des Agrarberichts 1974 und auf das Bundeslandwirtschaftsministerium berufen, dann sind politische Rahmenbedingungen geschaffen, die es nahezu unmöglich machen, die agrarpolitischen Notwendigkeiten auch nur annähernd z. B. haushaltspolitisch durchzusetzen. Diese Feststellung möchte ich treffen.
({11})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ronneburger?
Selbstverständlich gern.
Herr Kollege, wären Sie bereit, einen Unterschied zu machen zwischen den offiziellen Äußerungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums und gewissen Tendenzen, die sich in den Massenmedien und anderen öffentlichen Kundgebungen ausgedrückt haben, und sind Sie bereit, zuzugeben, daß für die von Ihnen eben gemachten Angaben wie etwa „Millionäre" oder „Einkommenssteigerung um 60 % in den amtlichen Mitteilungen des Landwirtschaftsministeriums und im Agrarbericht keinerlei Grundlagen zu finden sind?
({0})
Herr Kollege Ronneburger, es ist heute und an dieser Stelle sicherlich nicht ganz genau auseinanderzuhalten, welche Information Anlaß zu dieser oder jener Veröffentlichung gab.
({0})
Ich darf aber doch eines sagen: Wenn man diese Veröffentlichungen auch in den zuständigen Ressorts registrierte, wo blieb denn dann die ständig notwendige Gegenreaktion? Ich betrachte es als eine Pflicht der Bundesregierung und insbesondere des Ressortministers, immer wieder gegen solche falschen Darstellungen entsprechend anzugehen.
({1})
Meine Damen und Herren, eine rationale Agrarpolitik muß nach meiner Auffassung von einer realistischen Lageanalyse ausgehen. Eine solche nüchterne Analyse zeigt:
1. Im Laufe des Wirtschaftsjahres 1973/74 hat sich die Preis-Kosten-Entwicklung in der Landwirtschaft zunehmend verschlechtert. Im März /April 1974 lagen die Erzeugerpreise um 5,5 % unter dem Vorjahresniveau. Demgegenüber waren die Betriebsmittel um 8,5 % teurer geworden. Das Verhältnis
der Erzeugerpreise zu den Betriebsmittelpreisen ist damit so schlecht wie noch nie zuvor.
({2})
Auf den Märkten - z. B. auf den Schlachtviehmärkten - spielen sich augenblicklich Vorgänge ab, die zu ruinösen Preiseinbrüchen geführt haben. Die Energiekrise hat z. B. den Gartenbau und die Hähnchenmast in eine echte Existenzkrise gebracht. Für Dieselöl müssen die Landwirte derzeit doppelt soviel zahlen wie vor einem Jahr. Nur am Rande sei vermerkt, daß allein auf Grund dieser Veränderungen schon heute feststeht, daß die Prognosen des Agrarberichts 1973/74 - wir haben sie im März dieses Jahres in diesem Hause diskutiert - ganz bestimmt nicht zutreffend sind.
2. 1974/75 wird die Kostenexplosion auf die Landwirtschaft in allen Bereichen voll durchschlagen. Einer Kostensteigerung von nahezu 10 % steht nach den Brüsseler Preisbeschlüssen ein Anstieg der Erzeugerpreise von maximal 3 % gegenüber.
({3})
Die reale Einkommenslage unserer Landwirtschaft wird sich erheblich verschlechtern, und der Einkommensabstand zur übrigen Wirtschaft wird sich erneut vergrößern.
({4})
3. Der Brüsseler Preiskompromiß kann die immer größer werdenden Risse im EG-Agrarmarkt nicht überdecken. Von gleichen Einkommens- und Wettbewerbsvoraussetzungen kann doch heute überhaupt keine Rede mehr sein. Der Trend zur Renationalisierung der Agrarpolitik, Gott sei's geklagt, wird derzeit immer stärker. Nach den wiederholten Grenzzwischenfällen gerade in der allerjüngsten Zeit ist selbst der freie Warenverkehr ernsthaft in Gefahr geraten.
({5})
Einzelne EG-Staaten treiben unterdessen regelrechte Erzeugungsschlachten. Das ist die Situation zum jetzigen Zeitpunkt, und wir haben die Frage zu stellen: Inwieweit gibt dieser Agrarhaushalt 1974 auf diese drängenden Fragen eine Antwort?
({6})
Als Folge dieser Tatsachen nimmt die Unruhe in unserer Landwirtschaft unüberhörbar zu. Die vorhin erwähnte Kundgebung in Dortmund ist sicherlich auch ein Signal in dieser Richtung. Ich glaube, in dieser Zeit hat die Landwirtschaft ein Recht, von der Bundesregierung zu erwarten, daß auch an nationale Ausgleichsmaßnahmen zur Abhilfe in ihrer Situation gedacht wird.
({7})
Das Volumen und die innere Zusammensetzung des Agraretats 1974 machen deutlich, daß die Bundesregierung und die Regierungskoalition nicht bereit sind, die sich aus der gegenwärtigen Lage aufdrängenden Konsequenzen zu ziehen. Einige Etatpositionen sind dafür besonders symptomatisch.
Da sind zunächst die für die Fortsetzung des Aufwertungsausgleichs eingestellten 400 Millionen DM zu nennen. Diese 400 Millionen DM werden fast zur Hälfte für Maßnahmen verwendet, die in keinerlei Sachzusammenhang mit den Aufwertungsfolgen stehen, So notwendig - ich will nicht falsch verstanden werden - diese Maßnahmen sind, so wenig geht es an, sie mit Geldern zu finanzieren, die die Landwirtschaft praktisch selbst aufgebracht hat.
({8})
Bei der Dieselölverbilligung nimmt die Bundesregierung die eingetretene Dieselölverteuerung haushaltsmäßig überhaupt nicht zur Kenntnis. Unsere Landwirtschaft muß für Dieselöl als Folge der Preissteigerung in diesem Jahr rund 269 Millionen DM mehr aufwenden. Diese Mehrbelastung bringt eine zusätzliche Benachteiligung im EWG-Wettbewerb. Diese Wettbewerbsverzerrungen ständig zu beklagen ist wenig hilfreich. Eine verantwortungsbewußte Regierung muß hier handeln. Wenn dies auf EWG-Ebene nicht möglich ist, dann muß es eben -- ich erwähne dies noch einmal ausdrücklich - ausgleichenderweise auf nationaler Ebene versucht werden.
Ich greife hier noch einen dritten Punkt ganz kurz heraus. Der Bundesanteil an der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" bleibt nach dem Willen der Bundesregierung etwa auf der Höhe des Vorjahres und ist damit kaum höher als 1972. Wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Kostensteigerungen - bei Gebäuden und Maschinen immerhin etwa zwischen 11 und 23 % - und wegen der allgemeinen Inflationsrate ergibt sich daraus eine spürbare Senkung des realen Förderungsvolumens. Der von den Bundesländern angemeldete Bedarf bleibt mit rund 200 Millionen DM ungedeckt. Bei einer solchen Vernachlässigung der Investitionsförderung muß unsere Landwirtschaft im EWG-Wettbewerb zwangsläufig den kürzeren ziehen.
Gegenüber diesen hier nur stichwortartig aufgezeigten Schattenseiten, die den Agraretat 1974 zeichnen, schafft die Aufstockung der Mittel für die Agrarsozialpolitik keinen vollen Ausgleich. Trotz der Mittelerhöhungen in diesem Bereich bleiben auch weiterhin nicht unwichtige Anliegen unerfüllt. Dies gilt für die angemessene Anhebung des Altersgeldes ebenso wie für die noch ausstehende gesetzliche Regelung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Schwer wiegt für mich in dieser Situation, daß die Bundesregierung die wahrhaft beängstigende Beitragserhöhung im Bereich der landwirtschaftlichen Krankenkasse überhaupt ignorieren zu können glaubt. Ich will nur ein Beispiel erwähnen. In Bayern mußten Anfang dieses Jahres in der landwirtschaftlichen Krankenkasse Beitragssteigerungen zwischen 20 und 40 % vorgenommen werden. Die Koalition macht es sich einfach zu leicht, wenn sie nach Verabschiedung dieser Gesetzesvorlage keine Gedanken mehr darauf verwendet, ob die finanziellen Konsequenzen dieses Gesetzes von der Land6788
Wirtschaft auf die Dauer überhaupt verkraftet werden können.
({9})
Meine Damen und Herren, ich will mit der Feststellung abschließen
({10})
hoffentlich applaudieren Sie auch noch bei der zweiten Hälfte des Satzes -, daß der Agraretat 1974 nicht dazu angetan ist, eine nationale Landwirtschaftsförderung zu betreiben, wie sie im Interesse der Erhaltung einer leistungsfähigen einheimischen Landwirtschaft geboten ist. Weder der Agraretat dieses Jahres noch die für ihn in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Dotierungen können der Landwirtschaft wenigstens das Gefühl geben, in ihrem Selbstbehauptungswillen und in ihrem strukturellen Anpassungsprozeß so unterstützt zu werden, daß es sich lohnt, Bauer zu sein und Bauer zu werden. Gerade dieses Bewußtsein müßten wir jetzt vor allem unserer bäuerlichen Jugend vermitteln,
({11})
wenn sichergestellt werden soll, daß auch in Zukunft eine einheimische Landwirtschaft ihre gesamtwirtschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe für das Ganze optimal erfüllt.
({12})
Für diese bäuerliche Jugend kann es nicht hoffnungsvoll und zuversichtlich klingen, wenn der neue Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vor wenigen Tagen sagte, die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen müßten „wie bisher" an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilnehmen. „Wie bisher", Herr Bundeskanzler? So muß ich da fragen. Das bedeutet dann also auch weiterhin Unsicherheit und Existenzangst. Das bedeutet letztlich auch weiterhin weniger Lebensqualität für diejenigen, die sich für den landwirtschaftlichen Beruf und den ländlichen Lebensraum entschieden haben und in Zukunft entscheiden sollen.
Insofern ist der Agraretat 1974 nicht nur ein unzureichendes Zahlenwerk. Es ist symptomatisch für eine Grundhaltung dieser Bundesregierung in ihrem Verhältnis zum Land und zur Landwirtschaft. Unsere deutsche Landwirtschaft hätte auf Grund ihrer Leistungen in der zurückliegenden Zeit wahrhaftig einen besseren Agrarhaushalt 1974 verdient.
Die Union wird deshalb diesen Etat ablehnen. ({13})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Löffler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme dem Kollegen Röhner zu
({0})
- Sie müssen erst abwarten, ehe Sie klatschen --, daß ein Teil der Massenmedien die agrarpolitische Situation unzureichend darstellt. Um so besser wäre es gewesen, Herr Kollege Röhner, wenn Sie in
Ihrem Beitrag mehr Sachlichkeit an den Tag gelegt hätten, damit wenigstens in diesem Hause einmal deutlich wird, wie die Sache aussieht.
({1})
Natürlich herrscht eine gewisse agrarpolitische Unruhe.
({2})
Sie hat verschiedene Gründe, auch - Herr Kiechle, Sie lächeln mich so mild an - einige objektive Gründe. Natürlich kennen wir die unbestreitbaren Schwierigkeiten bei einem Teil der Landwirtschaft, die dadurch entstehen, daß die Landwirte für ihre Erzeugnisse, insbesondere für ihre Rinder und Schweine, gegenwärtig weniger Geld bekommen als vor einigen Monaten, ohne daß, nebenbei gesagt, unsere Hausfrauen das beim Einkaufen spüren. Auf der anderen Seite wissen wir auch, daß die Preise für landwirtschaftliche Betriebsmittel ständig steigen. Hier machen sich die Ölpreiserhöhungen besonders schmerzlich bemerkbar. Weniger verdienen auf der einen Seite und gleichzeitig mehr ausgeben auf der anderen Seite bedeutet schon einen Zangendruck, der Sorge bereiten kann.
Aber, lieber Herr Dr. Ritz, der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung darauf hingewiesen, indem er versprochen hat: Die Bundesregierung wird der Preis-Kosten-Entwicklung ihre besondere Aufmerksamkeit widmen. Wir haben uns bisher in diesen Fragen auf die Bundesregierung verlassen können. Es besteht nicht der geringste Anlaß, anzunehmen, daß diese Verläßlichkeit der Bundesregierung in diesem Jahr nicht bestehen würde.
({3})
Wir wollen auch eines nicht vergessen: Weder die eine noch die andere Erscheinung ,sind von der Koalition oder der Bundesregierung verschuldet worden. Dennoch, Herr Kollege Röhner, haben wir uns bemüht, in Einzelplan 10 die Schwierigkeiten zu berücksichtigen. Dazu werde ich später noch einige Worte sagen.
Der zweite Grund dürfte die Entwicklung in Europa sein. Ich will darauf nicht weiter eingehen. Wir alle kennen diese Entwicklung, die keinem von uns Freude macht und die bei den Betroffenen eine gewisse Europamüdigkeit hervorruft, für die man schon Verständnis aufbringen kann. Auch Sie, Herr Kollege Röhner, haben einiges über Europa gesagt. Ich nehme an, Herr Kollege Ritz wird nachher ebenfalls dazu sprechen. Hoffentlich beziehen Sie das mit ein, was Ihr Fraktionskollege Blumenfeld über die EWG-Politik von sich gegeben hat. Er hat darauf hingewiesen, daß in erster Linie Deutschland die Fonds füttern und dafür finanziell eintreten soll und daß die Bundesregierung sich nicht an alle Empfehlungen der Kommission gehalten hat. Hier wird doch manchmal der Eindruck erweckt, als sollte die Bundesregierung sogar gegen verbindliche Beschlüsse der Kommission verstoßen. Manchmal fragt man sich, Herr Kollege Röhner, wenn man die verschiedenen Äußerungen der Mitglieder der CDU/CSU- Fraktion hört, ob Sie überhaupt mal eine FraktionsLöffler
sitzurig haben oder ob bei Ihnen jeder gerade das sagt, was ihm in den Kram hineinpaßt.
({4})
Ich darf aber, was Europa betrifft, auch noch ein anderes Wort sagen. Ich gebe dabei offen zu, es fällt mir sogar nicht ganz leicht, das zu sagen. Manchmal scheint es eine Mode zu sein, auf den gemeinsamen europäischen Agrarmarkt nur noch zu schimpfen. Gerade die letzten Monate haben auch gezeigt: so schlecht ist er nun wiederum nicht. Bei all seinen Fehlern, bei all den bürokratischen Kunststücken, die kaum ein Mensch versteht, bietet er auch bestimmte Vorteile. Die Landwirte würden es ohne den gemeinsamen europäischen Agrarmarkt und ohne die gemeinschaftlichen europäischen Regelungen sicher schwerer haben, ein sicheres, kalkulierbares Einkommen zu erzielen. Die Verbraucher übrigens wären ohne die EWG dem Druck stark schwankender Weltmarktpreise bei Nahrungsmitteln ziemlich schutzlos ausgeliefert.
({5})
Aber ich darf mich jetzt noch einem dritten Grunde zuwenden. Lieber Herr Bewerunge, Sie lächeln mich so nett an, für Sie habe ich noch etwas ganz besonders Hübsches auf der Pfanne. Damit kommen wir eigentlich zum politischen Teil dieser Debatte. Für mich ist dieser politische Grund tatsächlich der wichtigste für die Unruhe auf dem Lande, wie Sie sich auszudrücken beliebten. In diesem Jahr stehen uns noch Wahlen in drei Flächenstaaten der Bundesrepublik bevor. Angefeuert durch die Ergebnisse einiger Kommunalwahlen versucht die Opposition, alles an Emotionen, Vorurteilen und Mißstimmungen gegen die sozialliberale Koalition zu mobilisieren, was überhaupt nur zu mobilisieren ist. Hilfstruppen werden angeworben mit dem billigen Handgeld von Versprechungen, die nie eingehalten werden können.
({6})
Aber darüber will ich jetzt hier gar nicht rechten; das ist eben so. Jede Standesorganisation muß schon selber entscheiden, vor welchen Karren sie sich spannt oder sich spannen läßt.
({7})
-- Also das wissen Sie doch genau, es gibt doch nur eine Standesorganisation. Die wissen das schon, wer gemeint ist, und Sie wissen es auch.
Drei Dinge sollten in dieser Auseinandersetzung klar sein. Wir sind nach wie vor bereit, Regierung und Koalition, über jede Forderung und über jeden Wunsch sachlich zu diskutieren. Zahlen und Fakten werden sorgfältig geprüft. Das gilt auch für die demnächst anstehende Diskussion um die Erhöhung der Vorsteuerpauschale um 1 %. Auch dafür gilt es. Entscheidungen werden nicht voreilig getroffen werden, egal ob es sich um Zusage oder um Ablehnung handelt. Mit anderen Worten: wir sind für offene, sachliche Gespräche immer zu haben. Allerdings muß auch deutlich gesagt werden: man kann uns nicht offen etwas ins Gesicht sagen, wenn man
uns gleichzeitig in den entgegengesetzten Körperteil treten will, wie das in Dortmund geschehen ist.
({8})
Das muß einmal ganz klar gesagt werden.
Wir kennen die besonderen Schwierigkeiten und Probleme in den wirtschaftlichen Bereichen, die Urproduktion betreiben. Unsere Politik und gerade auch die Politik für die Landwirtschaft beweist das eindeutig. Wir haben genügend Selbstvertrauen, um einschätzen zu können, was wir in der Agrarpolitik geleistet haben und was wir aus einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung auch weiterhin leisten werden, egal ob uns von den Betroffenen der Lorbeer der Anerkennung oder die Distel der Widrigkeiten zuteil wird. Insofern lassen wir uns da gar keine Schuldkomplexe einreden. Wer glaubt, mit uns in ein agrarpolitisches Gespräch kommen zu können, wie es teilweise der Kollege Röhner gemacht hat, indem er ein bißchen scheinheilig anfängt: „Sie müssen doch zugeben, dies und jenes haben Sie falsch gemacht", der ist bei uns ganz bestimmt an der falschen Adresse.
({9})
- Das haben wir nicht gesagt.
({10})
- Das habe ich nicht gesagt, Herr Dr. Ritz. Uns kommt es darauf an, daß wir die Agrarpolitik so weit wie nur irgend möglich versachlichen. Dazu sind die Beiträge von Ihrer Seite nicht gerade bedeutungsvoll.
({11})
Natürlich: Politisch gesehen ist der Platz zwischen den Stühlen ein sehr unbequemer Platz. Aber manchmal ist es von der Sache her geboten, ihn einzunehmen. Ich selbst würde mich nicht scheuen, ihn einzunehmen, und will das jetzt auch hier tun. Es ist sachlich nicht richtig und führt nur zur Verwirrung, wenn alle Preisanhebungen bei Lebensmitteln - insofern gebe ich Ihnen Recht, Herr Röhner - zurückgeführt werden auf die Preisbeschlüsse, die die Agrarminister in Brüssel treffen. Nach einwandfreien wissenschaftlichen Methoden ist festgestellt worden, daß die Anhebungen im Preisstützungsgefüge sich nur zu einem verhältnismäßig niedrigen Bruchteil auf die Verbraucherpreise auswirken dürften. Unsere Hausfrauen sollen wissen, daß von dem Geld, das sie mitunter für Lebensmittel mehr ausgeben müssen als früher, die Bauern häufig nichts oder nur einen sehr, sehr kleinen, bescheidenen Teil bekommen.
({12})
Jede Hausfrau stellt täglich selber fest, daß ein Liter Mineralwasser etwa genausoviel kostet wie ein Liter Milch, obwohl für die Herstellung eines Liters Milch sehr viel mehr Arbeitszeit, Investitionen und Betriebsmittel eingesetzt werden müssen als für die Herstellung eines Liters Selterswasser.
({13})
Das ist alles unbestritten. Niemand kann es deshalb den Landwirten verdenken, daß sie einen möglichst gerechten Preis haben wollen. Je sachlicher sie das fordern, je mehr Aufklärung sie in dieser Frage betreiben, um so mehr werden sie für ihre Forderungen auch bei den Verbrauchern Verständnis finden. Nur kann man diesen gerechten Preis - jetzt muß ich leider die andere Seite ansprechen - nicht allein dadurch erzielen, daß man sich einerseits zum freien Unternehmertum bekennt, aber andererseits so tut, als ob für die Preise ausschließlich irgendwelche nationalen oder internationalen Behörden verantwortlich sind.
({14})
Das gibt es nicht! Freie Unternehmer holen sich ihren Preis vom Markt. Dabei ist der Staat bereit zu helfen, wenn der Markt nicht funktioniert oder wenn bestimmte Notlagen auftreten. Das tun wir! Das kann niemand in Abrede stellen. Wir tun sogar noch sehr viel mehr, noch sehr viel darüber hinaus. Aber alles hat seine Grenzen. Meine Herren, da müssen wir uns einigen! Schließlich haben wir bei uns keine Staatswirtschaft nach osteuropäischem Vorbild.
({15})
Hier müssen wir einmal eine gewisse Entscheidung fällen, wie wir es haben wollen. Da hat es keinen Wert, daß man die agrarpolitische Debatte mit Emotionen aufheizt. Das dient, nebenbei gesagt, nur den Feinden der Demokratie.
Es wird vielleicht für Herrn Professor Carstens, der die Gefahr unserer Demokratie mehrfach angesprochen hat, interessant sein, daß sich gerade an der agrarpolitischen Debatte die Feinde von links und rechts aufhängen, um hier im trüben fischen zu wollen. Nicht von ungefähr hat die DKP eine Solidaritätsadresse an den Dortmunder Bauerntag geschickt. Das war die eine 'Seite. Aber ich habe 'hier gerade - Herr Bewerunge, das ist etwas für Sie, Sie kommen aus dem westfälisch-lippischen Bauernverband - einen Aufruf der „Aktionsgemeinschaft nationaldemokratischer Bauern". Ich will Ihnen nur sagen, wohin unsachliche Debatten führen können, auch für Sie. Da heißt es zum Beispiel in diesem Blatt:
Die CDU hat uns in ihrer Regierungszeit für ein Europa, das eine Utopie ist, geopfert.
Dann heißt es nachher weiter da sollten Sie einmal sehen, wie die Feinde der Demokratie uns betrachten; die sehen uns nämlich noch solidarisch, was wir zum Teil schon vergessen haben -:
Vorleistung und Verzicht sind Volksverrat. Das beweisen die Verträge, ob von Paris oder Rom, Warschau oder Moskau.
Hier sitzen wir als verantwortliche demokratische Politiker in einem Boot. Das gebietet Sachlichkeit in der agrarpolitischen Auseinandersetzung.
({16}) So, mein lieber Herr Kollege Röhner, kann man auch Gefangener einer Propaganda werden.
({17})
Ich glaube, in der agrarpolitischen Debatte kann man wohl das Wort anbringen: Man erntet das, was man sät. Wenn wir da Wind säen, können wir möglicherweise Sturm ernten.
Ich darf noch einen dritten Punkt anfügen, auf den unsere Fraktion Wert legt. Jede Bevölkerungsschicht hat, insbesondere dann, wenn sie sich in Schwierigkeiten befindet, Anspruch auf die Solidarität aller. Diese Solidarität erhält sie um so eher, je mehr sie in ihrem eigenen Bereich solidarisch handelt. Solidarität nur dann, wenn es gegen einen Dritten geht, ist keine echte Solidarität. Das sollten sich die europäischen Bauernverbände einmal hinter die Ohren schreiben,
({18})
wenn sie zum Beispiel zulassen, daß die einen europäischen Bauern die Milch auf die Straße schütten, die ihre Kollegen unter erheblichem Kostendruck in Deutschland hergestellt haben.
({19})
Je mehr Solidarität selbst geübt wird, um so mehr Solidarität wird man auch von anderen Gruppen erhalten.
Ich darf jetzt einige wenige Bemerkungen zum Haushalt machen. In den letzten Wochen wurde immer wieder darüber gesprochen - und man hat sich darüber mokiert -, daß die Ausgaben im Einzelplan 10 in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr um den geringen Satz von zirka 1,5 % zurückgegangen sind; das haben Sie auch getan, Herr Kollege Röhner. Daraus aber zu schließen, daß die Regierung und die Koalitionsfraktionen ihre agrarpolitische Aufgabe nicht mehr ernst nehmen, ist völlig falsch. Durch diesen geringfügigen Rückgang im Gesamtvolumen beim Einzelplan 10 werden wichtige agrarpolitische Maßnahmen nicht eingeschränkt; das Gegenteil ist richtig: wichtige Aufgaben der Agrarpolitik werden nicht weniger, sondern stärker gefördert als im vorigen Jahr.
Außerdem ist diese Senkung darauf zurückzuführen, daß uns die 700 Millionen DM Flächenausgleich von Brüssel nicht mehr genehmigt worden sind - dafür sind 400 Millionen DM für besondere agrarpolitische Maßnahmen eingestellt worden - und daß einige finanzielle Verpflichtungen aus auslaufenden Programmen weniger werden.
Und dann darf man bei den finanziellen Aufwendungen für die deutsche Landwirtschaft nicht vergessen, daß auch aus dem Europäischen Ausgleichs- und Garantiefonds der deutschen Landwirtschaft ein beträchtlicher Batzen zufließt. Im vorigen Jahr waren das immerhin 2,5 Milliarden DM, auch in diesem Jahr dürfte ein Betrag von mehr als 2 Milliarden DM eine realistische Schätzung darstellen. Rechnet man die 5 Milliarden 370 Millionen DM aus diesem Etat hinzu, so sind das weit über 7 Milliarden DM. Das heißt, ein Drittel der Wertschöpfung in diesem
landwirtschaftlichen Bereich fließt den Leuten durch den Etat wieder zu.
Herr Röhner, da Sie gesagt haben, Zahlen sprechen eine klare Sprache - ich sage das hier nicht in Form eines Vorwurfs; nur, es muß einmal gesagt werden -, darf ich hier auch noch einige andere Zahlen anführen. Die Landwirtschaft zahlt nach Angaben des Agrarberichts und nach anderen Angaben insgesamt 2,3 Milliarden DM Steuern. Bei einem Anteil der Landwirtschaft am Bruttosozialprodukt von rund 25,4 Milliarden DM ergibt das eine volkswirtschaftliche Steuerquote von 8,8%. Insgesamt beträgt aber der Anteil der Steuern am Bruttosozialprodukt 24,78 %. Daraus ist zu ersehen, daß die Landwirtschaft von uns nicht als ein Stiefkind behandelt wird, sondern daß dieser Haushaltsplan geradezu ein Musterbeispiel für die soziale, volkswirtschaftliche Umverteilungsfunktion ist, und zwar hier zugunsten der Landwirtschaft; das muß einmal gesagt werden.
({20})
Ich darf einige Teilbereiche ansprechen. Ich habe vor einem Jahr gesagt, daß die 2 Milliarden-DM- Grenze bei den Ausgaben für die Agrarsozialpolitik in diesem Jahr überschritten wird. Diese Prognose hat sich mehr als erfüllt; wir liegen bei 2 Milliarden 336 Millionen DM, und hier ist es durch den großartigen Ausbau der landwirtschaftlichen Sozialpolitik in den letzten Jahren möglich gewesen, den Landwirten schnell und wirkungsvoll zu helfen.
Ein Wort noch, ein letztes, zu den 400 Millionen DM. Die waren während der Beratung des Haushalts umkämpft, und die Verteilung hat besondere Schwierigkeiten bereitet. Am leichtesten hatte es dabei, nebenbei gesagt, die Opposition. Die hat im Haushaltsausschuß nämlich erklärt, daß sie der Verteilung zwar erst einmal zustimme, aber das alles ganz anders gemacht hätte. Dafür haben Sie, Herr Kollege Ritz, draußen große Ankündigungen gemacht. Ich habe ein paar Nächte nicht schlafen können. Ich dachte, was werden die über die Umverteilung der 400 Millionen DM jetzt noch alles an Änderungsvorschlägen bringen. Bisher ist noch nichts gekommen; es ist schade. Wir hätten sehr gerne gewußt, wie Sie das gemacht hätten. Das bleibt Ihr großes Geheimnis, wie so manches andere, glaube ich, auch.
Die Berufsorganisation wollte, daß das Geld jedem Landwirt möglichst in Form von barer Münze zuteil wird. Wir konnten uns dieser Auffassung nicht anschließen und haben ein „gemischtes" Programm angeboten: ein Teil unmittelbar einkommenswirksam aber auch gezielt das Geld in diejenigen Bereiche hineinzustecken, in denen bestimmte Notlagen waren. Dabei haben wir uns davon leiten lassen, daß eine Hilfe schießlich nicht nur darin besteht, daß ich jemandem einen Geldschein in die Tasche stecke. Vielmehr kann häufig wirkungsvoller geholfen werden, indem gewisse Bedingungen verändert werden, so daß der Hilfsbedürftige aus eigener Kraft einen besseren wirtschaftlichen Nutzen erzielen kann. Das haben wir mit diesen 400 Millionen DM für besondere agrarpolitische Maßnahmen auf jeden Fall erreicht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich habe Ihr diskretes Räuspern zur Kenntnis genommen. Ich komme zum Schluß.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß dieser Plan voll und ganz den Menschen verpflichtet ist, die auf dem Lande wohnen. Ich nenne nur die Stichworte: Forstschaden in den niedersächsischen Wäldern, ich nenne nur: Schäden an der deutschen Nordseeküste, ich nenne nur: Heimvolkshochschulen im ländlichen Bereich. Das sind zum Beispiel drei Gebiete, für die die Länder eigentlich verantwortlich sind. Für diese Maßnahmen hat der Bund nicht einmal eine Verpflichtung. Ich darf ein weiteres Gebiet nennen: 7,5 Millionen DM für Naturparks - auch keine Aufgabe des Bundes, aber eine Aufgabe, die wir im Interesse der Bürger übernommen haben. Genauso ist auch die Fischerei in diesem Einzelplan gut weggekommen, um die besondere Notlage in diesem Bereich abzufangen. Überall dort, wo es notwendig gewesen ist, hat die Regierung großzügig geholfen. Großzügig und schnell, liebe Frau Kollegin Berger, hat die Regierung geholfen. Das kann man gar nicht laut genug sagen bei all dem, was sonst der Regierung agrarpolitisch unterstellt wird.
({21})
Abschließend gestatten Sie mir folgende Wertung: Der Einzelplan 10 kann sich sehen lassen, wie alle anderen Einzelpläne auch. Sachliche Notwendigkeiten und finanzielle Möglichkeiten sind auf einen guten Nenner gebracht worden. Das war möglich, weil soziales Verständnis und eine strenge Sparsamkeit bei der Beratung gleichermaßen Pate gestanden haben. Dort, wo wir gestrichen haben, haben wir es nicht aus Spaß an der Freude getan. Es ging darum, auch bei kleineren Beträgen deutlich zu machen, daß verantwortungsvolle Politik zu allererst heißt: Prioritäten setzen. Das ist uns hier auch voll gelungen und wird uns auch weiterhin voll gelingen. Wir stimmen diesem Einzelplan aus vollem Herzen zu.
({22})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ernst der Lage, in der wir uns in Europa angesichts der agrarpolitischen und wirtschaftspolitischen Situation befinden, sollte es eigentlich verbieten, daß ein Abgeordneter wie der Herr Kollege Röhner hier über die Gesamtsituation so redet, wie er das getan hat. Ich bin der Auffassung, daß er sich zudem gefallen lassen muß, daß ihm hier von diesem Platz aus gesagt wird, daß er in bezug auf das Verhalten des ehemaligen Finanzministers, unseres jetzigen Bundeskanzlers, beim Bauerntag in Stuttgart nach dem Motto gehandelt hat: Halbe Wahrheiten sind oft ganze Lügen; denn, Herr Kollege Röhner, wenn Sie ehrlich gewesen wären, dann hätten Sie nämlich nicht in der Mitte
Ihres Satzes aufhören dürfen. Sie hätten hier dem Hohen Hause sagen müssen, daß gerade im Haushalt 1973 gegenüber 1972 eine Steigerungsrate von 21% enthalten war und daß infolgedessen eine Bleichlautende Steigerung im Haushalt 1974, einfach schon von dieser Tatsache her, nicht möglich war.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Bitte sehr.
Herr Kollege Gallus, darf ich Sie um der Richtigkeit willen fragen: Ist Ihnen nicht bekannt, daß es sich nach der Aussage des bis vor kurzem amtierenden Bundesfinanzministers erstens nur um eine Steigerung von 18,6% gehandelt hat? Würden Sie zweitens zur Kenntnis nehmen, daß es sich hier um einen sozialpolitischen Nachholbedarf handelte, der zum Teil von der Landwirtschaft dadurch selbst finanziert worden ist, daß der degressive Aufwertungsausgleich etwa in gleicher Höhe abgebaut worden ist?
({0})
Herr Kollege Röhner, Sie dürfen doch diesem Hause nicht weismachen - gleichgültig, ob es nun Geld für sozialpolitische Maßnahmen oder andere Maßnahmen ist -, daß Geld im Haushalt gleich Geld ist.
({0})
Auf der anderen Seite ist hier die Tatsache festzustellen, daß das - ob es nun 1-8,6 % oder 21 % gewesen sind - eine wesentliche Steigerung eben dieses vorhergehenden Haushaltes darstellt.
Ich bin der festen Überzeugung, daß diese Bundesregierung in den vergangenen Jahren den Beweis erbracht hat, daß sie die Agrarpolitik in keiner Phase diskriminierend behandelt hat, wie Sie hier behauptet haben.
({1})
Diese Bundesregierung ist auch in bezug auf die agrarpolitische Situation weder wirklichkeitsfern noch realitätsblind; sie ist es nicht, und es kann ihr auch in bezug auf die derzeitige agrarpolitische Situation die Tatsache der europäischen Schwierigkeiten nicht in die Schuhe geschoben werden.
({2})
Die Opposition sollte sich, meine Damen und Herren, angesichts dieser Lage an die Brust schlagen
({3})
und sagen: das Konzept, das wir erfunden haben, ist vielleicht nicht geeignet, schwierige Situationen in Europa zu durchstehen.
({4})
Was die verschlechterte Lage der agrarpolitischen Situation in bezug auf die Preise anbetrifft, so sind wir in der EWG mit einem Konzept angetreten, das davon ausgegangen ist, daß das Einkommen der Landwirtschaft über die Preise erzielt wird. Und niemand kann bestreiten, daß hier der Zusammenhang mit der gesamtwirtschaftlichen Situation gesehen werden muß.
({5})
Schließlich ist diese Bundesregierung nicht schuld daran, daß der Verbrauch an hochwertigen Nahrungsmitteln in den letzten Monaten verhältnismäßig stark zurückgegangen ist
({6})
- ja, sicher -, weshalb ein verhältnismäßig großer Stau an Rindern und Schweinen in ganz Europa entstanden ist.
({7})
In diesem Zusammenhangdarf ich, meine lieben Kollegen von der Opposition, an eine Tatsache erinnern, nämlich haargenau an Dortmund,.
({8}) Wir Freien Demokraten wissen, -
({9})
- Sicher! - Es war keiner da? Hier in diesem Hause hat zu diesem Zeitpunkt in unserer Fraktion die Debatte über den § 218 stattgefunden, und da war es dringend notwendig, daß wir hier gewesen sind, dringend notwendig! Ich darf aber in diesem Zusammenhang sagen, daß wir uns auch vom Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes keine Vorschriften machen lassen, wie wir uns bei der Abstimmung über den § 218 zu verhalten haben.
({10})
Was die Situation bei der Vorsteuerpauschale anbetrifft, so rennen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bei der FDP-Fraktion offene Türen ein.
({11})
Die FDP-Fraktion weiß,
({12})
daß die Vorsteuerpauschale in § 24 des Umsatzsteuergesetzes den tatsächlichen Vorsteuerbelastungen in der Land- und Forstwirtschaft entsprechen muß. Wir wissen auch, daß die Vorsteuerpauschale dann, wenn sich die Situation ändert, angepaßt werden muß, so wie das übrigens der Kollege Dr. Schmidt ({13}) bereits vor zwei Jahren angesichts der damaligen schwierigen Situation
({14})
von sich aus politisch in den Raum gestellt hat, und
zwar, meine sehr verehrten Damen und Herren von
der Opposition, ohne auf Ihre Anregung zu warten.
({15})
Die Realitäten sehen aber folgendermaßen aus. Bis zum vergangenen Wirtschaftsjahr war eine Anhebung der Vorsteuerpauschale noch nicht gerechtfertigt, weil auch bei den optierenden Land- und Forstwirten die Vorsteuerbelastung wegen der Investitionsteuer nicht so gestiegen war, daß eine Anhebung der Vorsteuerpauschale gerechtfertigt gewesen wäre.
Auf Grund der zwischenzeitlich eingetretenen Preis- und Kostenentwicklung im Agrarbereich sowie der Tatsache, daß die Investitionsteuer im November 1973 weggefallen ist, erscheint nunmehr eine Überprüfung gerechtfertigt.
({16})
- Es erscheint nunmehr eine Überprüfung gerechtfertigt! Dazu stehen wir, und ich glaube, das ist angesichts der Situation, in der wir uns befinden, auch durchaus gerechtfertigt.
({17})
Nun darf ich in diesem Zusammenhang ein Wort zu der scharfen Kritik sagen, die Herr Röhner hier an der Verteilung der 400 Millionen DM geübt hat.
({18})
- Ich bezweifle, meine Damen und Herren von der Opposition, ob Sie die Mittel, wenn Sie sie zu verteilen gehabt hätten, gleich gut verteilt hätten. Tatsache ist aber, daß auf Grund des Gesetzes zum Aufwertungsausgleich, dem Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit zugestimmt haben, schon 1969 klar war, daß der Aufwertungsausgleich mit dem 31. Dezember 1973 ausläuft und auch die Kommission von Brüssel eine Verlängerung des Flächenausgleichs abgelehnt hat. Das sind die Fakten.
({19})
Auf diesen Tatsachen müssen wir hier Agrarpolitik treiben. Das verstehen auch unsere Bauern. Es ist eine große Leistung von unserem Bundeslandwirtschaftsminister Ertl, der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers, wenn es gelungen ist, trotzdem in den Haushalt 1974 diese 400 Millionen DM einzusetzen.
({20})
Eines wird in diesem Zusammenhang restlos verschwiegen, nämlich die Tatsache, daß es Ertl in Brüssel gelungen ist, die drei Prozent Mehrwertsteuer auch in diesem Jahr zu halten,
({21})
die Mehrwertsteuer, von der Sie am Beginn des Ausgleichs nicht geglaubt haben, daß sie sich so positiv für die Landwirtschaft auswirken würde.
Ich verzichte darauf, Herr Röhner, das, was Sie hier in polemischer Weise in bezug auf Millionäre zum besten gegeben haben, und desgleichen, was von Ihnen angesprochen wurde, als ob die Bundesregierung etwas damit zu tun hätte, noch einmal auszubreiten. Wir alle haben uns mit den Verbraucherverbänden und ähnlichen Organisationen auseinanderzusetzen. Aber auch dort ist eine sachliche Auseinandersetzung besser als eine polemische. Ich glaube, daß das dringend notwendig ist, weil die Landwirtschaft am Ende von den Verbrauchern abhängig ist; denn sie kann ihre Produkte nicht selber verzehren.
({22})
Sie sagen, daß der Agrarbericht überzogen gewesen sei, daß der politische Rahmen nicht dergestalt ausgelegt sei, daß nun auch in bezug auf diesen Etat Entsprechendes hätte geleistet werden können. Ich kann nur sagen, Sie waren anscheinend nicht in diesem Hohen Hause, als der Bundeslandwirtschaftsminister zu diesem Grünen Bericht Stellung genommen hat; sonst wäre Ihnen nämlich nicht entgangen, wie gerade auch die negativen Seiten des Agrarberichts dargelegt worden sind.
In diesem Zusammenhang müssen wir aber betrüblicherweise feststellen, daß der große Teil der Leistungen, die die Bundesregierung für die Agrarpolitik erbringt, insbesondere in bezug auf die Investitionen leider über das Gemeinschaftsaufgabengesetz erbracht werden müssen und diese Leistungen dann von den Länderagrarministern, die zum Großteil CDU-Agrarminister sind, als ihre Leistungen eingeschoben werden.
({23})
Die Dinge gehen zur Zeit soweit, daß diese Bundesregierung 45 Millionen über die 400 Millionen hinaus für die Bereinigung der Sturmflutschäden an der Nordsee zur Verfügung gestellt hat und dann der Herr Schröder vom Kreis Lüchow-Dannenberg, CDU- Kollege seines Zeichens, in seiner Heimatzeitung verkündet, er habe erreicht, daß 27 Millionen für Niedersachsen zur Verfügung gestellt worden seien.
({24}) So macht die CDU draußen im Lande Politik.
({25})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Und von der Bundesregierung verlangen Sie, daß sie das Geld dazu gibt.
({0})
Herr Röhner, in Ihren Auslassungen waren Sie ja keineswegs zimperlich. Da haben Sie den Gartenbau, die Hähnchenmäster angezogen. Sie haben aber in Ihrer Kritik an der Verteilung der 400 Millionen ganz übersehen, daß wir die Gärtner mit ihrem Unterglasanbau und die Hähnchenmäster mit 10 Mil6794
lionen, die Gärtner mit 38 Millionen berücksichtigt haben. Ich glaube, die Leistungen. dieser Bundesregierung in dieser Hinsicht können sich sehen lassen.
Was die Prognose für dieses Wirtschaftsjahr, in dem wir uns jetzt befinden, betrifft,
({1})
so wissen wir, daß die Lage ernst ist,
({2})
aber, meine Damen und Herren von der Opposition, bei weitem nicht so hoffnungslos, wie Sie es der Landwirtschaft klarzumachen versuchen.
({3})
Ich bin der Meinung: Auch hier sollte man, Herr Röhner, sehr real bleiben.
({4})
Ich warne davor, in einem Jahr, in dem wir einen guten Grünen Bericht haben, diesen zu verteufeln; wir werden dann in einem Jahr mit schlechtem Grünen Bericht unglaubwürdig. Daran hätten Sie dann einen ganz großen Teil schuld.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte!
Herr Kollege Gallus, wenn die Lage der Landwirtschaft nicht prekär ist, wie kommen 'Sie dann dazu, als Kreisbauernvorsitzer in Göppingen die Landwirtschaft aufzufordern, keine Maschinen mehr einzukaufen?
({0})
Auf diesen Zwischenruf habe ich direkt gewartet.
({0})
Jeder in diesem Hohen Hause weiß, daß ich noch im Bauernverband tätig bin. Ich darf Ihnen sagen, daß dieser Beschluß auf demokratische Weise auf Grund eines Antrags meiner Ortsobmänner zustande kam.
Ich sage Ihnen: Die haben sich marktwirtschaftlich richtig verhalten. Auch hier zitieren Sie nur halb. Der Beschluß besagt nämlich, in diesem Sommer auf Grund der schwierigen Ertragslage keine Maschinen zu kaufen, sich gegenseitig auszuhelfen und sich beim Kunstdüngerkauf zurückzuhalten. Gleichzeitig haben meine Bauern die Forderung erhoben, einmal beim Kartellamt vorstellig zu werden bezüglich einer Überprüfung der Handelsdüngerpreise.
({1})
Ich glaube, daß meine Bauern einen sehr klugen Beschluß gefaßt haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?
Ja, bitte!
Herr Kollege Gallus, haben Sie die Überprüfungsmaßnahmen bezüglich des Kartellamtes mit Ihrem Kollegen Graf Lambsdorff abgestimmt?
({0})
Entschuldigen Sie, ich muß jetzt die Gegenfrage an Sie richten, ob Sie eventuell der Kartellnovelle hier nicht zugestimmt haben. Ich habe zugestimmt. und ich brauche niemanden zu fragen, wenn andererseits in gewissen Bereichen entsprechende Mißstände sichtbar werden.
Ich muß Ihnen sagen: Die mit den gestiegenen Rohölpreisen begründeten überzogenen Preisforderungen in vielen Bereichen nehme ich vielen Kartellen einfach nicht ab. Das sage ich Ihnen hier als Bauer, damit Sie Bescheid wissen.
({0})
Ich bin nämlich der Auffassung, daß sich manche Gesellschaften in wirtschaftlich wesentlich günstigeren Positionen befinden als die Landwirtschaft selbst.
Zum Schluß darf ich feststellen: Sie können die Dinge wenden und drehen, wie Sie wollen. Sie können hier Forderungen erheben, die teils berechtigt, vielleicht auch unberechtigt sind. In einem aber werden Sie mit mir einig gehen: Die Agrarpolitik und das Einkommen der Bauern wird im wesentlichen davon abhängen, inwieweit es gelingt, die Marktpolitik entsprechend zu gestalten, damit die Märkte mit den wichtigsten Produkten wieder beweglich gemacht werden können. Ich glaube, hier können die Bauern mehr auf unseren Bundeslandwirtschaftsminister Ertl vertrauen als auf die ganze Opposition.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ritz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß Sie zunächst alle um Nachsicht dafür bitten, daß ich es für notwendig und geboten halte, auch in dieser späten Abendstunde doch noch einmal das Wort zu nehmen. Das hat mit Niedersachsen nichts zu tun;
({0}) ich glaube, daß es einfach notwendig ist.
({1})
- Herr Kollege Lemp, Sie sind ja auch Niedersachse; Sie haben ja auch die Möglichkeit, hier noch einiges zu produzieren.
({2})
Ich glaube, es ist einfach notwendig, einiges von dem, was der Kollege Löffler und der Kollege Gallus sagten, hier noch einmal aufzugreifen.
Ich darf anfangen mit dem Vorwurf des Kollegen Löffler, hier würden angeblich Emotionen geweckt. Er läßt den Ruf erschallen: Mehr Sachlichkeit! Nun,
Herr Kollege Löffler, ich kann Ihnen nur empfehlen, sich die Vielzahl der Anzeigen der Freien Demokraten in den einschlägigen Landvolkzeitschriften und Wochenzeitungen Niedersachsens einmal anzuschauen
({3})
und dann zu fragen, wo hier Sachlichkeit aufhört und Unsachlichkeit beginnt. So heißt es etwa in einer Anzeige:
1969 war die agrarpolitische Situation fast hoffnungslos.
Und dann kommt eine Aufzählung dessen, was alles so schrecklich war. Anschließend heißt es:
Josef Ertl hat aufgeräumt mit der Mißwirtschaft.
({4})
- Ich hoffe, Sie klatschen gleich auch noch. Wir kennen ja diese Tricks alle. Es heißt dann weiter:
Die Einkommen der Landwirtschaft halten mit der übrigen Wirtschaft Schritt.
({5})
- Auch dazu klatschen Sie? Das finde ich immerhin sehr bemerkenswert. Hier kann ich nur wiederholen, was der Kollege Röhner mit allem Nachdruck gesagt hat: Noch nie seit 1950/51 war die PreisKosten-Entwicklung und damit die Einkommensentwicklung für unsere Landwirte so negativ wie zur Zeit.
({6})
Darüber kann nicht wegdiskutiert werden. ({7})
- Verzeihen Sie, in der Periode von 1950/51 bis 1969/70 war die sogenannte Preis-Kosten-Schere, d. h. das Verhältnis zwischen Erzeugerpreisen für die Landwirte einerseits und Preisen der landwirtschaftlichen Betriebsmittel andererseits, fast geschlossen, ja, es hat eine Periode gegeben, in der die Betriebsmittelpreise weniger stark gestiegen sind als die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise.
({8})
Seit 1970/71 hat sich dieses Verhältnis eklatant verschlechtert. Wir haben Ende März die Tatsache zu verzeichnen gehabt, daß die Erzeugerpreise für unsere Landwirte 5,5 % unter denen des Vorjahres lagen, während im gleichen Zeitraum die Betriebsmittelpreise um 8,5 % gestiegen sind. Diese Entwicklung von 1950/51 bis heute ist doch um so besorgniserregender, als mit der Modernisierung unserer Betriebe die Abhängigkeit der Landwirtschaft vom Bezug aus der übrigen Wirtschaft immer größer geworden ist, und damit ist natürlich auch die Einkommensentwicklung in immer stärkerem Maße von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängig.
Es ist also zunächst - und da ist gar kein Zweifel - eine Folge der inflationären Entwicklung, daß wir dieses schlechte Ergebnis zu registrieren haben.
Nun hat der Kollege Gallus gesagt, es sei aber dann hinzugekommen - und dafür könne die Regierung gar nichts, niemand könne etwas dafür -, daß heute weniger hochveredelte Produkte verzehrt würden als noch vor ein paar Monaten. - Ja, meine Damen und Herren, worin liegt denn die Ursache? Liegt die Ursache nicht tatsächlich darin, daß man auf Grund einer unverhältnismäßig geringen oder stagnierenden realen Massenkaufkraft anfängt, bei Nahrungsmitteln zu sparen?
({9})
- Ja natürlich! Warum, glauben Sie, werden wohl zur Zeit hochveredelte Produkte wie Rindfleisch, Schweinefleisch, Eier weniger stark nachgefragt als vor einem Jahr?
({10})
Daran kann man nicht vorbei, daß hier die Landwirtschaft in doppelter Weise in die Zange der inflationären Entwicklung gerät.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin gespannt, was der Kollege Möllemann Wesentliches beizutragen hat.
({0})
Ich weiß zwar nicht, woher Ihre Spannung rührt, aber ich möchte Sie fragen: Haben Sie nicht vergessen, bei Ihrer Aufzählung auch die Kalipreise Ihres Kollegen von Bismarck aufzuführen?
Ich habe Ihre Frage rein akustisch nicht verstanden.
Ich hatte gefragt, ob Sie vielleicht aus Versehen vergessen haben, die Kalipreise Ihres Kollegen von Bismarck hier aufzuführen.
({0})
Keineswegs. Sie irren einfach deshalb, Herr Möllemann - und das zeigt wieder den Stil Ihrer politischen Auseinandersetzung -, weil ich hier über die Entwicklung der Betriebsmittelpreise geredet habe. Ich sage in aller Deutlichkeit: Hier stimme ich dem Kollegen Gallus zu; auch ich bin der Meinung, das Kartellamt sollte sehr wohl auch die Frage der Erhöhung der Handelsdüngerpreise untersuchen.
({0})
Wir sind der Auffassung, daß wir nur durch einen voll funktionierenden Wettbewerb unsere marktwirtschaftliche Ordnung erhalten können. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?
Gut! Aber danach möchte ich doch gerne zu Ende kommen.
Bitte schön, Herr Kollege Sperling!
Bitte, Herr Dr. Sperling!
Herr Kollege Ritz, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie uns allen, die hier im Lande leben, einen kräftigeren Appetit wünschen, damit wir noch dicker werden?
({0})
Herr Kollege Sperling, ich sehe das nun allerdings ganz anders. Ich habe den Eindruck, daß hochwertiges mageres Rindfleisch,
({0})
entsprechendes Schweinefleisch und auch Eier gerade aus gesundheitlichen Erwägungen
({1})
durchaus geeignet sind, wenn Sie so wollen, einer unnötigen Zunahme des Körpergewichts entgegenzuwirken.
({2})
Ich habe eher die Sorge, daß man bei der Einkommensentwicklung, wie sie sich zur Zeit abzeichnet, eben wieder stärker zu Nahrungsmitteln übergeht, die dann den Effekt erzielen, den auch Sie im Grunde nicht wollen.
({3})
Meine Damen und Herren, das ist die eine Seite der Medaille.
({4})
Lassen Sie mich aber etwas zum europäischen Problem sagen, weil ich sicher bin, daß dieses heute hier in diesem Hause noch nicht mit dem notwendigen Ernst behandelt worden ist. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß seit 1969 eine Fülle von Entscheidungen getroffen worden ist - angefangen bei den nationalen Paritätsänderungen bis hin zu den Zugeständnissen auf dem Markt für Rindfleisch und auf anderen Märkten - zugunsten der einen Länder und zu Lasten der anderen.
Diese Entwicklung des immer stärkeren Auseinanderstrebens der Europäischen Gemeinschaft fand ihren Höhepunkt in den Maßnahmen der italienischen Regierung. Ich glaube, wir müssen in diesem Hause heute abend klarmachen - dies ist eine tiefe Sorge, und davon ist nicht nur die Landwirtschaft im süddeutschen Raum, sondern die Landwirtschaft in der ganzen Bundesrepublik betroffen -, um welche Größenordnungen es sich hierbei handelt. Immerhin hat es die süddeutsche Landwirtschaft auf Grund der Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Gemeinschaft in den letzten Jahren verstanden, sich durch Leistung einen erheblichen Marktanteil innerhalb Italiens zu sichern. Die Maßnahme der Italiener bedeutet, daß in den letzten Tagen die Frischmilchlieferungen nach Italien, jedenfalls nach den ersten Gesprächen, die in dieser Richtung geführt worden sind, um 64 % und die Lieferungen von Lebendvieh und Nutzkälbern um 75 % zurückgegangen sind. Die Warenlieferungen an Fleisch und Käse, Herr Minister Ertl, sind fast ganz zum Erliegen gekommen.
Nun kann ich nur sagen - und ich wiederhole dies hier - : wir haben nie behauptet, daß etwa die Regierung für diese Maßnahmen Verantwortung trage.
({5})
- Das haben wir nie behauptet, Herr Kollege Wehner; auch Ihr „Hört! Hört!" kann mich da nicht aus der Ruhe bringen. Allerdings muß man eines auch heute wieder fragen: Was eigentlich hat diese Bundesregierung, was hat Ihr Haus und haben Sie, Herr Kollege Ertl, in den vergangenen Jahren, in den vergangenen Monaten und in den vergangenen Tagen an konkreten Konzeptionen erarbeitet, um damit in die Auseinandersetzung in Brüssel hineinzugehen?
({6})
Es gibt ein sehr interessantes Interview, das Herr Minister Ertl „Agrareurope" gegeben hat und das heute nachmittag auf meinen Tisch gekommen ist. Darin wurde Herr Minister Ertl gefragt - ich zitiere die Frage - :
Sehen wir einmal von diesem speziellen Fall ab: der Verlust von Marktanteilen der deutschen Landwirtschaft nicht allein in der EWG, sondern auch in der Bundesrepublik ist wohl nicht zu leugnen. Was gedenken Sie dagegen zu tun?
Antwort:
Warum fragen Sie mich und nicht die Landwirtschaft? Es gibt keinen national garantierten Markt. Hier muß sich jeder einzelne Bauer dem Wettbewerb stellen und nötigenfalls auch die gleiche Solidarität üben.
({7})
Meine Damen und Herren, das alles wäre richtig, wenn nicht in den letzten vier Jahren die Wettbewerbsbedingungen mit nationalstaatlichen Maßnahmen gröblich verfälscht worden wären, und zwar zu Lasten der deutschen Landwirtschaft.
({8})
Das ist doch. das Kernproblem. Insofern kann ich nur sagen, mich schockiert diese Antwort, die hier gegeben worden ist, weil sie im Grunde deutlich macht, daß der Herr Minister Ertl entweder nicht eingestehen will oder bisher noch nicht verstanden hat, welche gravierenden Wettbewerbsnachteile sich aus der europäischen Politik der Agrarministerräte der letzten Jahre konkret ergeben haben.
Nun wird gefragt: Wie werden wir damit fertig? Ich höre schon wieder das Wort „Alternative".
({9})
In diesem Interview, von dem ich sprach, hat Herr Ertl auch zu der Frage Stellung genommen, was nun geschehen kann. Er hat gesagt, dies sei eine nach Art. 109 sanktionierte europäische Maßnahme, und dann wörtlich:
„Die Kommission kann die italienischen Maßnahmen ändern oder befristen oder völlig aufheben."
Ich finde das wunderbar. Ich frage nur: Wenn das so ist, warum passiert eigentlich nichts, um diese tiefen Störungen in der Solidarität eines Marktes aufzuheben? Meine Damen und Herren, wir haben seit 1969 in diesem Hause sehr deutlich gemacht, daß nur durch ein voll funktionierendes Grenzausgleichssystem z. B. den ständigen Paritätsveränderungen begegnet werden kann.
Herr Kollege Mischnick, neben Ihrer Bemerkung zu Dortmund, die ich gar nicht kommentieren will, haben Sie allerdings gestern eine Aussage gemacht, über die ich mich gefreut habe und die ich gern zitieren will. Sie haben nämlich gesagt:
Meine Damen und Herren, in dieser Lage sind die Fortsetzung des Grenzausgleichs - das sage ich ganz freimütig - und die Ausweitung auf bisher ausgeschlossene Produkte kein Element der Behinderung des Warenverkehrs, sondern ein notwendiges Mittel zur Erhaltung des Gemeinsamen Marktes.
Dafür, verehrter Herr Kollege Mischnick, ein Wort des Dankes. Ich kann nur hoffen, daß Sie mit Ihrem großen Einfluß, den Sie in dieser Koalition offensichtlich haben, auch in der Lage sind, dies als eine der Grundforderungen der deutschen Agrarpolitik und der Position unseres Landes so sichtbar zu machen, daß auch in Brüssel verstanden wird, wie wir hier die alternativen Positionen für die Zukunft sehen. Von uns können Sie in dieser Frage volle Rückendeckung erwarten, denn dies entspricht ganz genau den Positionen, die wir seit Jahren in diesem Hause wiederholt und zuletzt in der Agrardebatte am 14. März vertreten haben.
({10})
Frau Präsidentin, Sie werden gestatten, daß ich in diesem Zusammenhang auch gleich den Änderungsantrag meiner Fraktion begründe. Meine Damen und Herren, wir waren uns im klaren darüber, daß es die konjunktur- und stabilitätspolitischen Erfordernisse nicht möglich machen, zusätzliche Anforderungen an den Haushalt zu stellen. Dennoch haben wir uns nach der Entscheidung über die Verteilung der 400 Millionen DM intensiv Gedanken darüber gemacht, wie wir sicherstellen können, daß der Landwirtschaft in diesem Jahr unmittelbar einkommenswirksame Kostenentlastungen zugeführt werden können.
({11})
Wir haben Ihnen zu Einzelplan 10 einen Antrag vorgelegt, der vorsieht, einen Leertitel zu schaffen, in den die Restmittel hineinfließen, um sie dann für eine zusätzliche Dieselkraftstoffverbilligung den Landwirten zuzuführen. Nun mögen manche sagen: Was ist das, ein Leertitel? Meine Damen und Herren, von 1970 bis 1973 einschließlich mit Ausnahme des Jahres 1972 sind jährlich 130 bis 170 Millionen DM aus dem Einzelplan 10 an den Finanzminister zurückgefallen. Wir sind der Meinung, daß wir in diesem Jahr sicherstellen müssen, daß dies nicht geschieht, sondern daß die Landwirte in ihrer schwierigen Situation eine konkrete Kostenentlastung erfahren. Deshalb meinen wir, daß sich dieser unser Antrag im Rahmen unseres gesamten stabilitätspolitischen Bemühens, im Rahmen der Gesamtaussage unserer Haushaltspolitik bewegt.
Wir können Sie nur bitten, diesem Antrag zuzustimmen, weil wir damit in Verbindung mit der Anhebung der Vorsteuerpauschale um 1 % wenigstens die notwendigen Signale setzen würden, um sichtbar zu machen, daß dieses Haus erkannt hat, daß die Landwirtschaft in ihrer sehr kritischen, ja oft geradezu beängstigenden Einkommensentwicklung von uns nicht im Stich gelassen wird.
({12})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Ertl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gab hier eben - und ich bin ja auch Minister für Ernährung und nicht nur für Landwirtschaft und Forsten ({0})
einen sehr interessanten Dialog zwischen zwei asketischen Typen in diesem Hohen Hause, zwischen Herrn Dr. Ritz und Herrn Sperling. Wenn ich als Ernährungsminister Stellung nehmen und mich in den Dialog einmischen darf: Beide können doch durchaus noch etwas mehr Konsum verkraften. Das wäre ein kleiner Beitrag, weil nach wie vor, Herr Kollege Sperling, konsumieren besser ist als intervenieren.
({1})
Der Ernährungsminister braucht immer ganz dringend Kosumenten.
Lassen Sie mich aber nun auf einige Fragen eingehen, die hier angeschnitten worden sind, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. Ich muß in einem Punkt dem Kollegen Röhner recht geben.
Er hat auf die Frage des Kollegen Gallus gesagt, es habe einen sozialpolitischen Nachholbedarf gegeben. Dazu sage ich: ja, durch Versagen der CDU/ CSU, als sie in der Verantwortung war.
({2})
Sie hatte dafür sehr lange Zeit. Wer hier so große Töne redet, muß sich gefallen lassen, daß man ihm sagt, daß er über zwölf Jahre lang auf diesem Sektor nur sehr mäßig tätig war.
({3})
- Da brauchen Sie nur die Protokolle nachzulesen, Herr Kollege Jenninger.
({4})
Ich kann mich da noch immer der Schulerziehung durch den von mir hochverehrten Kollegen Struve erinnern. Die war immer besonders lehrreich. Ich habe ihn sehr geschätzt, er war mein großer Lehrmeister, und vor ihm habe ich große Hochachtung. Ich habe mir aber auch immer sagen lassen müssen: Wir sind die stärkeren, und was wir wollen, wird gemacht. Das ist allerdings in dieser Koalition ein klein wenig anders. Hier gibt es etwas mehr Dialog. Das nur nebenbei.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich kann nicht auf alle Probleme eingehen, aber ich meine doch, daß ich verpflichtet bin, zu einigen besonders aktuellen Dingen etwas zu sagen. Der Herr Kollege Röhner hat hier ein sehr feuriges, temperamentvolles Referat gehalten. Die Kollegen aus Bayern und Niedersachsen waren hier sozusagen streitende Rösser in der CDU/CSU-Fraktion.
({5})
Aus meiner Sicht muß ich Ihnen folgendes sagen: Ich habe die Debatte sehr aufmerksam verfolgt. Ich bin froh, daß der Herr Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU noch da ist. Wie ein roter Faden zog sich durch seine Rede und die Reden aller Sprecher der Opposition die Aussage: Diese Regierung betreibt eine verantwortungslose Ausgabenpolitik. Der Globalansatz dieses Etats ist a priori zu hoch. So habe ich es, glaube ich, richtig verstanden; man kann das ja nachlesen.
Die Opposition, die sich für die Landwirtschaft besonders verpflichtet fühlt
({6})
- allerdings mehr verbal, nicht immer durch Taten --, könnte nun dennoch sagen - ich würde dies als eine hilfreiche Aktion ansehen -: Das Gleichgewicht innerhalb dieses Haushaltes ist nach unserer Auffassung - vielleicht sogar „nach unserer politischen Auffassung" - nicht ganz richtig. Wir möchten an dieser oder jener Stelle mehr haben. - Es ist ihr gutes Recht, das zu sagen. Es ist sogar ihre Pflicht, das zu sagen, wenn sie politisch dieser Meinung ist. Sie muß dann allerdings auch sagen, wo sie weniger haben will bzw. wo sie das Mehr wegnehmen will.
({7})
Wenn sie das nicht sagt, muß ich Ihnen, Herr Fraktionsvorsitzender, entgegenhalten: Ihr Angebot, das Sie in dieser Debatte deutlich gemacht haben, ist mit Zweifeln zu versehen. Das muß ich zu dieser Position generell sagen.
({8})
Ich fühle mich in toto natürlich primär für die Aufgabe verpflichtet, für die ich politisch die Verantwortung zu tragen habe. Aber ich fühle mich als Mitglied dieser Regierung auch für ihre gesamte Stabilitätspolitik mit verantwortlich.
({9})
Hier hätte ich wirklich mehr Solidität erwartet.
({10})
- Bezüglich Ihrer Anträge. Diese sind doch nicht solide.
({11})
- Sie haben nur Vorwürfe erhoben.
({12})
Ich kann einige Punkte auf meiner Liste abhaken, weil meine Vorredner bereits darauf eingegangen sind. Es steht fest, daß der Agraretat 1973 - diese Auskünfte haben mir meine Mitarbeiter gegeben - um 21 °/o gestiegen ist und daß das soziale Volumen in diesem Haushalt 2,4 Milliarden DM beträgt. Das sind Fakten. Sie können jederzeit Vergleiche mit früheren Zeiten anstellen.
Ich will auf Einzelheiten gar nicht eingehen. Die finanzielle Ausweitung um 475 Millionen DM im sozialen Bereich habe ich schon genannt.
Noch ein Wort zur Krankenkasse. Es gibt nur einen Teil in dieser Gesellschaft, bei dem die Lasten für die nicht im Berufsleben Stehenden hundertprozentig vom Staat übernommen werden. Es ist der Bereich der Landwirtschaft. Diese Tatsache vertrete ich voll. Hier muß aber gesagt werden: Diese Tat kann sich diese Regierung anrechnen.
({13})
Dies ist eine wichtige Kostenentlastung für die aktiven Landwirte, denn sie haben weder Arztkosten noch Krankenhauskosten für die Altenteiler zu zahlen. Das war auch eine betriebswirtschaftliche Maßnahme, die echt zur Kostenentlastung beigetragen hat.
Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß auch die Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben und für die Gasölverbilligung aufgestockt worden sind. Ich will das hier nicht in allen Einzelheiten ausführen.
Auf ein Thema muß ich hier aber noch in der gebotenen Kürze - Frau Präsidentin, haben Sie noch so viel Geduld - eingehen. Was mich persönlich - gar nicht so sehr, weil ich als Minister betroffen bin, sondern vielmehr im Blick auf den Staat und meine Mitarbeiter - sehr trifft, ist eine Unterstellung, die
geradezu kultiviert wird. Das, was der Kollege Röhner gesagt hat, wird ja im „Bayernkurier" abgedruckt und dann draußen im Lande interpretiert. Ich lese dies in den Pressediensten und merke es also immer. Das ist dann der „Friedenskurier"-Beitrag. Die Unterstellung ist, daß ein solcher Bericht, der auf Grund eines einstimmig verabschiedeten Gesetzes erstattet wird, a priori politisch manipuliert sein soll. Das ist eine ganz ungehörige Unterstellung, nämlich daß meine Beamten gar nicht unabhängig und frei ihrem Amtseid entsprechend handeln können, weil sie praktisch von einem Minister zum Manipulieren gezwungen werden. Das halte ich für eine ganz gefährliche Art. Hierin sehe ich ein Mißtrauen gegenüber diesem unserem Staat, der von uns gemeinsam getragen wird. Aus diesem Grund muß ich diese Unterstellung zutiefst bedauern und mit allein Nachdruck zurückweisen.
({14})
Wer noch einmal eine solche Behauptung aufstellt, ist verpflichtet, in aller Öffentlichkeit andere, glaubwürdigere Zahlen auf den Tisch zu legen - ganz gleich, ob es der Bauernverband oder die Opposition oder irgend jemand in der deutschen Öffentlichkeit ist -, oder er muß sich die Bezeichnung „Lügner" gefallen lassen.
({15})
Ich muß hier einmal in aller Deutlichkeit sagen: Hier wird die Glaubwürdigkeit der staatlichen Institutionen in Zweifel gezogen.
Es gibt ein einfaches anderes Mittel: Alle müssen Buch führen.
({16})
Keiner wäre glücklicher als dieser Minister, wenn er auf eine größere Zahl von Buchführungen zurückgreifen könnte. Es muß hier doch einmal gesagt werden: Ich habe die Testbetriebe nicht erfunden. Ich habe auch das System der Testbetriebe nicht erfunden. Wie gesagt, es gibt eine ganz einfache Alternative, nämlich die, daß in größerem Umfang Buchführungen geführt werden. Dann werden wir diese Zahlen verwerten. Ich sage Ihnen nur: mir liegt gar nichts daran, auch nur ein Jota oder eine Dezimalstelle zu verändern. Mir liegt daran, die reale Lage der Landwirtschaft so objektiv wie nur gerade möglich darzustellen.
({17})
So wird es immer bleiben; es wird nie etwas anderes versucht werden.
({18})
Meine verehrten Kollegen von der Opposition, Sie können das deuten, wie Sie wollen, und so viel daran rütteln, wie Sie wollen, - folgende Fakten stehen fest. Wenn Sie die Betriebseinkommen der Landwirtschaft je Arbeitskraft -- dabei möchte ich nicht sagen, daß es das Verdienst der Agrarpolitik ist, ebenso ist es das Verdienst des Fleißes und der Rationalisierung und auch der höheren Arbeitszeit; damit mir nicht schon wieder etwas Falsches in den Mund gelegt wird vergleichen, finden Sie
folgende Zahlen. Wirtschaftsjahr 1966/67: 9 902 DM, 1967/68: 10 966 DM, 1968/69: 12 458 DM, 1969/70: 13 661 DM, 1970/71: 13 046 DM, 1971/72: 17 239 DM, 1972/73: 20 504 DM. Das sind die Zahlen, so stehen Sie im Agrarbericht. Ich bin bereit, sie sofort zurückzuziehen, wenn Sie mir glaubhaft andere Zahlen auf den Tisch legen.
({19}) Aber so lange werde ich sagen, was stimmt.
({20})
Das mußte ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit feststellen.
Ich darf hinzufügen: ich bewundere wirklich den Mut mancher. Nachdem ich Herrn Röhner hier gehört habe, müßte ich eigentlich meinen, in der Zeit, in der die CDU/CSU die Verantwortung getragen hat, ist nur aktive Preispolitik, aktive Sozialpolitik usw. getrieben worden. Ich habe hier einige Gegenüberstellungen. Ich bin bereit, in die Diskussion z. B. darüber einzutreten, welche Veränderungen der Marktordnungspreise aufgrund der Verhandlungen in Brüssel in den entsprechenden Zeitabläufen -denn jetzt können wir vier Jahre vergleichen - eingetreten sind. Weichweizen 1964/65 gegen 1969/70 minus 10,7.
({21})
Von 1969/70 auf 1974/75 plus 11,3. Ich sage das gar nicht, um zu sagen: es ist für mich befriedigend. Das könnte ich für jedes Produkt genau vorführen. Ich will es bei dieser einzelnen Zahl lassen. Ich selbst bin mit diesen Dingen, also auch bei Weizen, nicht zufrieden. Nur um eines bitte ich bei der gesamten Beurteilung: Vergleichen Sie die Entwicklung der Ertragssituation der Landwirtschaft und ihrer sozialen Situation in vier Jahren sozialliberaler Koalition mit der Situation vor dieser Zeit! Mehr will ich gar nicht.
({22})
- Die Inflationsraten verehrter Freund, machen sich beim Betriebseinkommen nicht bemerkbar. Das Betriebseinkommen - ich darf Ihnen Nachhilfeunterricht geben - setzt sich aus Einkommen minus Betriebsausgaben zusammen. Und bekanntlich sind das reale Preise. Das sind nicht erdichtete Preise.
Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, das wollte ich hier sagen. Es gäbe sicherlich noch einige wesentliche andere Punkte. Ich verhehle nicht
- und in diesem Punkt stimme ich auch der Opposition zu -: die Situation hat sich in den letzten Wochen und Monaten zusehends verschlechtert.
({23})
- Ja, das habe ich auch in der Einführungsrede nicht unterschlagen.
({24})
- Verehrter Herr Kollege, Sie dürfen nicht zu früh schon wieder in Pessimismus machen. Ich habe
nämlich die neuesten Marktberichte, und die lauten anders; aber ich will auch nicht zu früh jubeln. Ich bin viel zu vorsichtig in dieser Sache, weil ich weiß, es kann heute hoch oder höher sein und morgen schon wieder heruntergehen. Auf jeden Fall: diese Regierung hat gemeinsam mit der Kommission erhebliche Maßnahmen eingeleitet, die sicherlich dazu führen, daß sich die Marktverhältnisse in diesem Jahre wieder normalisieren und stabilisieren. Den Katalog aufzuzeigen, würde allein schon ein weiteres Referat ausfüllen.
({25})
Aber wenn Sie wollen, ich kann Ihnen eines sagen; ich habe hier z. B. gerade den neuesten Bericht: Schweine C, Frankfurt am Main, plus 12,5. Aber es kann nächste Woche auch wieder heruntergehen.
({26})
- Das tue ich immer, verehrter Freund. Ich bete sogar für die Opposition. Das dürfen Sie mir glauben.
({27})
- Ich bemühe mich wenigstens.
Herr Kollege Ritz, letzter Punkt: Europa! Lassen Sie mich dazu in wenigen Sätzen folgendes feststellen. Dieser gemeinsame Agrarmarkt war von Anfang an gekennzeichnet durch erhebliche Wettbewerbsunterschiede und erhebliche Diskrepanzen von Produktion und Vermarktung. Es war eben ein politisches Geschäft, das lautete: Hier Zollunion, dafür gemeinsamer Agrarmarkt! Inwieweit ich persönlich zu der Konstruktion, die wir gewählt haben, eigene Meinungen hatte und in der Öffentlichkeit vorgetragen habe, ist nachlesbar. Nur hat es für mich heute gar keinen Sinn, mir heute selbst zu bestätigen, daß ich mit meiner Kritik richtig gelegen habe. Dafür kann ich mir heute selber gar nichts kaufen. Nur eines muß ich Ihnen sagen: Diese Verantwortung trägt die Opposition mit,
({28}) und nicht zuletzt der Herr Carstens,
({29})
denn der war damals auch in einer großen Schaltstelle tätig, weil er diesem Trauma unterlegen war:
({30})
Machen wir einen gemeinsamen Agrarmarkt, kommen wir ein klein bißchen zur Zollunion, und dann kommt die Währungs- und Wirtschaftsunion von selbst! Ich kenne inzwischen - das habe ich Ihnen schon einmal gesagt - die Aktenlage, Herr Kollege Ritz!
({31})
- Nur, verehrter Herr Kollege Ritz, Sie sind doch auch in sonstigen Dingen für den Grundsatz: Pacta sunt servanda! Das haben wir durch die Regierungen, bei denen Sie immer den Kanzler stellten, den anderen vertraglich zugesichert. Sie können solche Dinge - da müssen Sie den Völkerrechtler Professor Carstens fragen - nur gemeinsam ändern.
({32})
Bis jetzt war der Wille für diese gemeinsamen Änderungen bei unseren Partnern nicht gegeben.
({33})
Oder Sie müssen einseitig internationale Verträge brechen.
({34})
- Herr Eigen, ich habe mich jetzt nicht bei Ihnen zu rechtfertigen.
({35})
Auf jeden Fall, nachdem Sie schon „Agrareurope" so intensiv lesen, müssen Sie auch gelesen haben, daß auf meinen Antrag der Rat beschlossen hat, eine Grundsatzdiskussion über die Fortsetzung des gemeinsamen Agrarmarkts zu führen.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ritz?
Ja, immer!
Herr Minister! Glauben Sie wirklich, daß es Aussicht hat, im Ministerrat Erfolg zu haben, wenn innerhalb der eigenen Bundesregierung in einer so wichtigen Frage wie etwa der des Grenzausgleichs es unterschiedliche Meinungen gibt, etwa die, die der jetzige Bundeskanzler und damalige Finanzminister geäußert hat, und die, die z. B. heute noch der Fraktionsvorsitzende der FDP geäußert hat? Halten Sie es überhaupt für realistisch, eine Veränderung zu erreichen, wenn innerhalb der Koalition der Regierung nicht einmal eine gemeinsame Willensbildung vonstatten gehen kann?
Vielen Dank, Herr Kollege Ritz! Sie bringen mich gerade noch auf den richtigen Trichter.
({0})
Als ich Sie vorhin hörte, habe ich eigentlich gedacht: den Grenzausgleich hat die Opposition erfunden. Den haben Sie nicht erfunden! Sie hätten die Möglichkeit gehabt, denn Sie waren doch 1969 in der Regierung, als der Franc abgewertet wurde, als die D-Mark freigegeben wurde! Nein, diesen Zeitpunkt haben Sie schlichtweg versäumt. Den Grenzausgleich hat diese Regierung überhaupt erst durchgesetzt.
({1})
Hier beginnt man sich langsam mit falschen Lorbeeren zu schmücken, genauso wie Sie immer bei allen Rechnungen unterschlagen - das darf ich nur nebenbei sagen -,
({2})
daß die dreiprozentige Mehrwertsteuer inzwischen eine Milliarde DM ausmacht und nicht, wie ursprünglich geschätzt, 750 Millionen DM. So etwas wird einfach konsumiert. Da heißt es: Was wir haben, haben wir! Und im übrigen heißt es: Da wird noch lange nichts geschehen. Genau so machen Sie es mit dem Grenzausgleich. Dieser Grenzausgleich ist eine Erfindung von uns.
({3})
- Bevor Sie fragen, muß ich Ihnen noch etwas sagen.
({4})
Ich muß mich sogar korrigieren. Hier muß ich zur richtigen Beschreibung der Situation folgendes feststellen. Es ist Ihnen sicherlich bekannt, Herr Kollege Ritz, daß der damalige Bundesfinanzminister, der jetzige Bundeskanzler Helmut Schmidt, unverzüglich ein Fernschreiben an den Bundesrat gerichtet hat. Dieses Fernschreiben ist von einem Mitarbeiter unautorisiert abgesandt worden. Wenn man einen Teil zitiert, muß man auch den zweiten Teil zitieren; auch das gehört zu der in diesem Hause so oft beschworenen Wahrheit, die aber offensichtlich doch immer nur in Teilzitaten besteht.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz?
Ja, bitte!
Herr Minister, ich halte es um der Sachdarstellung des Jahres 1969 willen für notwendig, hier noch einmal zu fragen: Halten Sie es wirklich für realistisch, daß eine Regierung, am Tage nach der Bundestagswahl die Wechselkurse freigebend, in dieser Situation einen Grenzausgleich erreichen kann, und sind Ihnen die Argumente nicht bekannt, die gerade die CDU/CSU veranlaßt haben, eine Aufwertung im Alleingang zu unterlassen, weil eben diese notwendige Abstimmung im europäischen Konzept nicht gewährleistet war?
({0})
Herr Kollege Ritz, es ist ja wirklich gräßlich. Inzwischen wissen doch, weil doch auch die historische Wissenschaft Stellung genommen hat, alle Menschen, daß in puncto Aufwertung ein großes Versagen eines CSU-Finanzministers vorlag. Das ist inzwischen Allgemeingut geworden, seitdem Sie Herrn Schiller in Ihre Partei aufgenommen haben.
({0})
Seitdem haben Sie das selber ein klein wenig eingesehen.
({1})
Herr Kollege Ritz, Sie können meine Beiträge und meine Empfehlungen zu diesem Thema im Bundestagsprotokoll nachlesen. Ich habe der Bundesregierung damals rechtzeitig zu einer Aufwertung geraten, und zwar auch gerade im Hinblick darauf, daß man dann eine für die Landwirtschaft erträglichere Lösung finden kann, einschließlich der Mehrwertsteuerlösung. Jetzt brauchen Sie nur noch zu sagen, daß auch das nicht die Erfindung dieser Regierung ist! Das wollen wir hier doch einmal sehr deutlich festhalten.
Nun zur Frage des vollen Warenwerts. Voller Warenwert wird immer im Zusammenhang ein Problem mit dem Vertrag und mit den festgelegten Marktordnungen sein. Ich kann doch hier nur Bezugspunkte nehmen, wie sie die Marktordnungen und die Spielregeln dieser Marktordnungen zulassen, solange diese Marktordnungen gelten. Insoweit kann doch nur der Bezugspunkt sein, daß der Grenzausgleich dort berechnet wird, wo ich effektiv die Veränderung der Rechnungseinheit berechnen kann. Das ist doch eine ganz logische Tatsache.
Meine sehr verehrten Kolleginnen 'und Kollegen, lassen Sie mich hinzufügen: Sicherlich wird uns das Problem der Landwirtschaft zu allen Zeiten, insbesondere in einem Industriestaat, besonders beschäftigen, weil sich die Landwirtschaft im Industriestaat in einer besonderen Situation schon von der Produktion her befindet, weil - zugegebenermaßen - die ökonomischen Veränderungen eine zusätzliche Belastung beinhalten und weil die EWG, so wie wir sié nun einmal haben, eher disharmonischer als harmonischer wird.
Daraus werden sich in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich noch sehr schwierige Verhandlungen ableiten, nicht zuletzt auch wegen der italienischen Maßnahmen, die möglicherweise noch gar nicht die letzten sind. Und es wird wahrscheinlich die Frage auf uns zukommen, ob in dieser Frage der Weg, wie er bisher beschritten worden ist, überhaupt fortgesetzt werden kann. Aber daß sich der verantwortliche Bundesminister in dieser Frage sehr zurückhält und nicht lauthals Konzeption verkündet, liegt schon in der Natur der Sache, und zwar deshalb, weil er sich sonst möglicherweise auch den Vorwurf zuzieht, er wolle bewußt von sich aus eine grundsätzliche Veränderung dieser Politik herbeiführen. Wenn, dann kann es nur darum gehen, Korrekturen herbeizuführen, die ein gerechteres, ein objektiveres System ermöglichen, das möglicherweise auch den permanenten Währungsveränderungen standhält, die leider noch immer vor der Tür stehen. So, glaube ich, wird sich diese Regierung zu verhalten haben.
({2})
Aber ich verhehle nicht, daß dies eine Frage ist, die nicht nur für die deutsche Landwirtschaft, für die deutschen Verbraucher von entscheidender Bedeutung ist, sondern die auch für die Existenz und die Fortentwicklung einer europäischen Zusammenarbeit lebensnotwendig ist.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu Einzelplan 10.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte Sie, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 7/2135 zur Hand zu nehmen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 10. Wer Einzelplan 10 in der Ausschußvorlage zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. ({4})
Mit den Stimmen der Koalition, gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksache 7/1921 Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wünscht er zur Ergänzung das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Aussprache über Einzelplan 11. - Das Wort hat der Abgeordnete Krampe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu zwei Dingen möchte ich am heutigen Abend noch Stellung nehmen. Einmal möchte ich den Antrag begründen. Zum anderen möchte ich eine kürze Begründung für unsere Abstimmung zum Einzelplan 11 geben.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Meine verehrten Damen und Herren, wir haben noch 15 Einzelpläne zu beraten. Es wird schneller gehen, wenn wir uns alle etwas ruhiger verhalten; ich glaube, dann kommen wir von der Stelle. - Bitte schön!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen liegt die Drucksache 7/2136 vor. Die CDU/CSU-Fraktion beantragt darin, zu beschließen, daß der von der Mehrheit des Haushaltsausschusses beschlossene Ansatz in Kap. 1102 Tit. 531 01 - „Aufklärungsmaßnahmen und Beratung der Bevölkerung in aktuellen sozialpolitischen Fragen" - auf ein normales Maß von 1,1 Millionen DM zurückgeführt wird. Wir bitten dafür um Ihre Zustimmung.
Der von der Regierung ursprünglich beantragte Ansatz dieses Aufklärungstitels lautete auf 1 550 000 DM. Er lag damit schon um 450 000 DM über dem Ansatz von 1973. Die Regierung schlug also in ihrem Entwurf bereits eine Steigerung des Aufklärungstitels um rund 40 % vor. Vom Ist des Jahres 1973 her gesehen ist die Steigerungsrate noch höher zu veranschlagen. Selbst im Wahljahr 1972, in dem weiß Gott eine Fülle von Schriften, Publikationen, Bildern und Erfolgsmeldungen herausgegeben wurden - auch die CDU/CSU-Gesetzesinitiativen wurden von der Regierung vereinnahmt und als ihr politischer Erfolg verkauft -, lag das Ist dieses Propaganda-Aufklärungstitels bei 1 043 000 DM. Das Mehr 1974 war von der Bundesregierung mit der ständig steigenden Nachfrage nach Informationsmaterial in den einzelnen Bereichen der Sozialpolitik begründet worden. Ähnliche Begründungen finden wir auch in den Erläuterungen vorheriger Jahre,
Die Bundesregierung war also - das bleibt festzuhalten für die Entscheidung über diesen unseren Antrag - mit der Aufstockung des Ansatzes um 40 °/o gegenüber 1973 zunächst zufrieden. In den Berichterstattervorbesprechungen und im Haushaltsausschuß beantragte der Mitberichterstatter auch im Namen der FDP/SPD-Haushaltsgruppe - was sicher auch mit seinem Parteikollegen Walter Arendt abgesprochen war - eine Erhöhung des Ansatzes von 1 550 000 auf 4 550 000 DM, also eine Erhöhung um 3 Millionen DM. Das bedeutet gegenüber dem Ist von 1973 eine Erhöhung um 350 %.
Damit sollen nun sicher die Leistungen der Bundesregierung auf den Gebieten der Sozial- und Gesellschaftspolitik im Bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung publiziert werden. Dafür ist ja eigentlich das Presse- und Informationsamt zuständig; aber was soll's? Auch die Kritik aus den eigenen Reihen im Haushaltsausschuß hinderte die Mehrheit nicht daran, diesen Ansatz zu beschließen, und jetzt kann die Druckmaschine laufen.
Und wofür wird gedruckt? Auch dazu eine Aussage. Ich weiß nicht, ob es eine Falschmeldung ist, ob es eine Zeitungsente oder aber Tatsache ist.
({0})
- Ja, ich will Ihnen einen Ostfriesenwitz erzählen!
- Da soll dem Verlauten nach ein ganzer Stapel von Broschüren - es wird von 50 000 Stück gesprochen - von der Bundesregierung nach Ostfriesland
- auch dort ist ja am 9. Juni Landtagswahl - verschickt worden sein, Broschüren über die alten Vorstellungen zur Mitbestimmung.
({1})
Sicher lagerten diese 50 000 alten Stücke noch im Keller und mußten weg; ähnliches haben wir früher bei einem anderen Ministerium ja auch schon gehört, nur wurden die Exemplare damals eingestampft. Vergessen hatte man nur, so wird in diesem Bericht geschrieben, daß diese Mitbestimmungsvorstellungen durch die Verhandlungen zwischen den Koalitionspartnern längst überholt sind.
Meine Fragen an den Herrn Minister sind jetzt: Stimmt diese Meldung? Welchen Ursprung hat sie? Und ist nicht auch der Minister der Meinung, daß, wenn schon Propaganda und Aufklärung gemacht wird, auch die Ostfriesen das Recht haben, von der Bundesregierung der FDP/SPD-Koalition brauchbares Material zur Verfügung gestellt zu bekommen?
({2})
So dumm nämlich, daß sie nicht gemerkt hätten, daß man sie mit alten Ladenhütern versorgt, sind die Ostfriesen von Natur aus auch nicht. Deshalb bitte ich um die Beantwortung dieser Fragen und das Hohe Haus um die Zustimmung zu unserem Antrag.
({3})
Ein zweites: Mit den eben gemachtenn Ausführungen ist letzten Endes die Haltung der CDU zum Einzelplan 11 angesprochen. Dieser Einzelplan 11 weist eine runde Summe von 27,4 Milliarden DM aus, von der rund 99 % durch gesetzliche Ausgaben festgelegt sind. Um es vorweg zu sagen: Wir lehnen den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung für 1974 ab.
({4})
- Nun seien Sie doch ruhig; ich will doch auch etwas Gutes sagen!
Die Koalition wird jetzt natürlich erklären, daß der Haushalt dieses Einzelplans gut ist,
({5})
daß die Steigerungsrate gegenüber 1973 unverhältnismäßig hoch ist, weitaus höher als die Steigerungsrate des Gesamthaushalts - das hat aber seine Begründungen -, und daß die Verpflichtungen erfüllt werden müssen und erfüllt werden können. Und Sie werden all das wiederholen, was hier heute morgen in dieser Leistungsschau vom Herrn Minister selbst deutlich dargestellt wurde. Aber ich möchte sagen, wir als Opposition haben die Aufgabe, auch einige schwache Punkte deutlich zu machen und anzusprechen.
Wir werden den Einzelplan 11 ablehnen, weil einmal mehr die Zuschüsse zur Rentenversicherung zur Finanzierung des Bundeshaushalts herhalten mußten. Die Forderungen der Sozialversicherungsträger - und das ist dankenswerterweise auch von den Kollegen der Koalition vermerkt worden - belaufen sich allmählich auf Milliardenbeträge - es sind mehr als 7 Milliarden -, die letzten Endes die kommenden Haushalte belasten.
Wir lehnen ihn ab, weil das Stocken der Krankenversicherungsreform eine Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge für die versicherungspflichtigen Krankenversicherten bedeutet. Die Rentnerkrankenversicherung belastet, auf Dauer gesehen, mehr und mehr die allgemeine Krankenversicherung und bedeutet für alle Pflichtversicherten, die ja die Defizithaftung übernehmen müssen, letzten Endes eine Beitragserhöhung.
Wir lehnen diesen Haushalt ab, weil die Koalitionsfraktionen - d. h. die Mehrheit derselben im Haushaltsausschuß - die beantragten Hilfen für die Alterssicherung für Selbständige trotz der Vorlage von Deckungsvorschlägen aus dem Einzelplan 11 wiederum abgelehnt haben.
Wir lehnen ihn ab, weil die Kriegsopferversorgung nicht befriedigend gelöst ist. Die Stabilitätsopfer der Kriegsbeschädigten, der Witwen und Hinterbliebenen gehen in die Hunderte von Millionen und können mit noch so viel schönen Worten und Papier nicht wegdiskutiert werden.
({6})
Wir lehnen den Einzelplan 11 auch deshalb ab, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil die Personalkostenausweitung im Bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung in keinem Verhältnis zu den Leistungen steht. Seit 1970 sind 27 Prozent mehr Stellen geschaffen worden. Die Personalkosten sind 1974 um 120 Prozent auf 175 Millionen DM gestiegen.
({7})
Wir lehnen ferner deshalb ab - und das soll gleichfalls einmal gesagt werden -, weil das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung als federführendes Ministerium die Pflichtplätze nach dem Schwerbeschädigtengesetz mit 10 Prozent nicht besetzt hat. Laut „Frankfurter Rundschau" vom 24. April 1974 sind es ganze 8,3 Prozent.
Damit zunächst genug,
({8})
der Zeit wegen. Ich möchte Ihnen ja einen Gefallen tun. Das Sündenregister könnte noch ein bißchen erweitert werden.
({9})
Gewiß ist manches geschaffen und fortgeschrieben worden. Ich denke an ,den Zuschuß für die AugustSchmidt-Stiftung, ich denke an das Behindertengesetz und an die Sozialversicherungsberechtigung dieses Personenkreises, ich denke an die Rehabilitationstitel, die erhöht worden sind, auch im Einvernehmen mit dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Wir haben mit dazu beigetragen und sind selbst initiativ geworden. Dennoch ist die Bilanz des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung insgesamt, auch haushaltsmäßig, enttäuschend. Wir können deshalb dem Einzelplan nicht zustimmen und bitten um Ablehnung.
({10})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat Herr Abgeordneter Grobecker.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin sicher, daß der von mir sehr verehrte Abgeordnete Krampe mit der gleichen Verve, wie er 'das hier getan hat, den Öffentlichkeitsetat z. B. des rheinland-pfälzischen Sozialministers Geissler kürzen wird.
({0})
Denn dies ist nun wirklich kein Ostfriesenwitz und auch kein rheinland-pfälzischer Witz:
({1})
Der von mir genannte Minister hat vor einigen Wochen den offiziellen Rentenbescheiden einen Brief seines Ministeriums beigelegt, in einer Art und Weise, wie das sich niemand anders leisten kann, als gerade dieser Herr Minister Geissler, der
in einer polemischen Form einseitig den Rentenbescheid benutzt hat, um die Politik ,seines Hauses dort zu vertreten. Ich bin sicher, Herr Krampe, Sie werden dort nachfragen und versuchen, das zu erledigen, damit Sie hier in Zukunft wieder mit reinem Gewissen auftreten können.
({2})
Wir werden diesen Antrag deshalb ablehnen, weil wir glauben - das ist einer der Gründe -, daß dieses Ministerium im Vergleich mit den übrigen Häusern vernünftig ausgestattet werden muß. Sie haben eben selbst gesagt, daß das Ministerium sozusagen 27 Milliarden DM Umsatz hat. Da machen 4 Millionen DM für Öffentlichkeitsarbeit nichts aus. Aber nicht nur deshalb! Wir wollen, gerade weil dieses Ministerium am produktivsten war, was die Gesetzgebungsarbeit angeht, dafür sorgen, daß die Bürger, die von diesen Gesetzen profitieren, die dort gemacht werden, auch über die Gesetze Bescheid wissen.
Ich will Ihnen nur dieses eine Beispiel nennen - ich könnte auch mit mehreren dienen -: Wir haben mit Ihrer Zustimmung im Herbst 1973 das Krankenkassenleistungsverbesserungsgesetz beschlossen; das ist ein furchtbares Wort für ein gutes Gesetz. In diesem Gesetz sind drei wesentliche Punkte, uralte Forderungen der Sozialdemokratie, der Gewerkschaften verwirklicht worden. Erstens fällt die Aussteuerung in den Krankenhäusern weg. Man kann so lange liegen, bis man gesund ist, man wird da nicht mehr rausgeworfen. Zweitens gibt es Krankengeld für berufstätige Eltern, sofern versorgungsbedürftige Kinder im Hause sind, bei Krankheit dieser Kinder. Drittens ist die Möglichkeit geschaffen worden, eine Hausgehilfin bei Kur und Heilverfahren zu nehmen, sofern die Eltern berufstätig sind. Nun fragen Sie mal in Ihrem Wahlkreis nach, wer von den Versicherten eigentlich weiß, daß dies seit dem 1. Januar 1974 geltendes Recht ist!
({3})
Zweites Beispiel, Herr Krampe: Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krebs. Sie wissen so gut wie ich - Sie sind ja Sozialpolitiker -, daß diese Möglichkeiten überhaupt nicht ausgenutzt werden, obwohl dieses Gesetz schon zwei Jahre alt ist. Wir müssen da mehr tun, damit die Leute wissen, daß sie diese Rechte haben.
Dritter Punkt: Zur betrieblichen Altersversorgung wird es demnächst ein Gesetz geben, das, wie ich hoffe, wir bald verabschieden können. Davon sind 12 Millionen Arbeitnehmer betroffen; denen müssen wir sagen, was sie für neue Rechte bekommen. Eigentlich müßten wir 12 Millionen Flugblätter drucken - das hat mit Ostfriesenwitz nichts zu tun, das ist in der Tat 'so -, damit jeder weiß, was er für neue Rechte bekommt.
({4})
Ich halte das für notwendig. Nirgends ist Öffentlichkeitsarbeit so vernünftig angelegt wie dort, wo es darum geht, über den Inhalt von Gesetzen aufzuklären, die Leistungen für unsere Leute, für die Kollegen im Betrieb vorsehen.
Ich will noch ein weiteres Beispiel anführen - das ist nicht mehr so wesentlich, aber Sie haben das ja immerhin mitgekriegt -, nämlich das des Telefonservices. In vier Tagen haben 7 000 Bürger angerufen. Die wollen jetzt natürlich versorgt werden.
Ich bin ganz sicher, daß Sie, wenn Sie sich das richtig überlegen, anschließend Ihren Antrag zurückziehen.
({5})
Weil ich gerade hier oben stehe, möchte ich noch folgendes anfügen. Die Sozialpolitiker meiner Fraktion haben gesagt, sie wollen heute übend einen Beitrag zur Humanisierung des Arbeitslebens in diesem Hause leisten und das so kurz wie möglich machen.
({6})
Ich werde mich daran halten.
Der Haushalt des Arbeitsministers erreicht in diesem Jahr eine Höhe von über 27 Milliarden DM. Das _ist die Höhe des Verteidigungsetats. Mir liegt daran, festzustellen, daß dadurch deutlich wird, daß die sozialliberale Koalition die soziale Sicherheit ebenso wichtig nimmt wie die äußere Sicherheit.
Insgesamt sind im Bundeshaushalt mehr als 40 Milliarden DM für die soziale Sicherheit vorgesehen. Man muß natürlich die Ausgaben für Kindergeld, Mietgeldzuschuß, Bundesausbildungsförderung usw. hinzurechnen; man darf also nicht nur den Einzelplan 11 sehen.
An diesen Daten wird die ganz wesentliche und nicht zu unterschätzende Umverteilungsfunktion des Sozialhaushalts deutlich. Die Umverteilung von Einkommen und Leistungen zugunsten der alten Menschen, der Kriegsopfer, der Behinderten, der Kinderreichen ist ein wesentlicher Beitrag zur sozialen Sicherung in unserem Lande.
Hieran wird übrigens auch deutlich, was uns in der Sozialpolitik unterscheidet, Herr Krampe: Während Sie, die CDU/CSU, immer dort Pflästerchen kleben, wo eine Gruppe gerade besonders laut tönt, haben wir ein geschlossenes Konzept der sozialen Sicherung, welches sich in der Gesetzgebungsarbeit der letzten Jahre deutlich gezeigt hat. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Der Katalog der Gesetze, die der Minister für Arbeit und Sozialordnung heute morgen in seinem Debattenbeitrag aufgezählt hat - ich will das nicht noch einmal wiederholen -, zeigt das ganz deutlich. Da ist z. B. das Krankenkassenleistungsverbesserungsgesetz, das Betriebsärztegesetz, das Heimarbeitergesetz. Ich darf bei diesem Punkt einschieben: Von einem dieser Gesetze, die Walter Arendt heute morgen aufgezählt hat, hätten Sie früher ein ganzes Jahr lang oder vielleicht sogar während einer ganzen Legislaturperiode gelebt.
Es ist die Aufgabe des Bundeshaushalts, insbesondere des Einzelplans 11, diese Gesetzgebungstätigkeit auch finanziell abzusichern. Häufig hört man den Einwand - Sie haben das auch wieder gesagt -, daß 99 % des Einzelplans 11 schon gesetzliche Verpflichtungen seien. Diese Feststellung wird dann immer so mit einem mitleidigen Achselzucken begleitet.
Dazu ist zu sagen: Natürlich ist das so; das ist ganz normal. Die disponiblen Mittel in diesem Haushalt machen einen außerordentlich geringen Anteil aus. Das ist ja logisch. Wir haben selber diese Gesetze verabschiedet, die uns jetzt festlegen. Es ist unsere Aufgabe, unser Wille und unsere Zielsetzung, unsere Sozialpolitik, die Sozialgesetzgebung laufend zu verbessern und zu erweitern, damit die soziale Sicherung unserer Bürger lückenlos wird.
In diese Richtung zielen auch die Änderungsbeschlüsse gegenüber dem Regierungsentwurf, die der Haushaltsausschuß auf Antrag der Koalitionsfraktionen befaßt hat. So werden die Mittel für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bei der Arbeitslosenhilfe in diesem Jahr um 20 Millionen DM erhöht. Ebenso werden die Mittel für die Betreuungsmaßnahmen für ausländische Arbeitnehmer um zwei Millionen DM erhöht; sie betragen jetzt 25,3 Millionen DM. Das ist schon etwas. Das ist jedenfalls mehr als ein mitleidiges Gerede über unsere ausländischen Kollegen. Wir handeln hier, wir sorgen dafür, daß sie vernünftig aufgenommen werden.
({7})
Dasselbe gilt auch für die Rehabilitationsmaßnahmen. Dem Ziel der Eingliederung und Wiedereingliederung körperlich, geistig und seelisch behinderter Menschen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft dient das im Rahmen des Sozialberichts 1970 vorgelegte Aktionsprogramm zur Förderung der Rehabilitation der Behinderten.
Einer der Schwerpunkte dieses Aktionsprogramms ist der Neu- und Ausbau eines bundesweiten, bedarfsdeckenden Systems von Rehabilitationseinrichtungen. 1974 stehen 44 Millionen DM für die Rehabilitation zur Verfügung; 1973 waren es noch 30 Millionen DM. Das ist eine Steigerungsrate von 46,7 %. Dazu kommen rund 15 Millionen DM aus dem Zonenrandförderungsprogramm, so daß insgesamt 59 Millionen DM für diesen Zweck verwendet werden können, und zwar erstens für Berufsförderungszwecke für erwachsene Behinderte - hier sind 18 Einrichtungen vorgesehen; 15 davon sind inzwischen fertiggestellt -, zweitens für Berufsbildungswerke für jugendliche Behinderte - hier sind 14 Einrichtungen vorgesehen und inzwischen vier fertiggestellt oder noch im Bau - und drittens Modellzentren für spezielle Behinderungsarten -hier sind neun Einrichtungen vorgesehen und vier davon fertiggstellt.
Meine Damen und Herren, ich will mich hier an die Humanisierung des Arbeitslebens halten. Wir machen Sozialpolitik für die vielen, die wenig haben. Das stört selbstverständlich die wenigen, die viel haben. Nach meiner Ansicht ärgert unsere Politik die richtigen Leute. Wir werden den Einzelplan annehmen.
({8})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Arendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Anfrage des Kollegen Krampe möchte ich folgendes sagen. Er bezieht sich auf eine Meldung des Meißener Dienstes vom 9. Mai 1974. Ich kann Ihnen dazu sagen, Herr Krampe - Sie haben mich gefragt -: Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat eine Broschüre zur Mitbestimmung erst nach der Verabschiedung des Regierungsentwurfs herausgegeben. Diese Broschüre enthält den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Ich würde Ihnen - wenn ich das noch hinzufügen darf - sehr empfehlen, diese aufklärende und nicht propagandistische Broschüre des Bundesarbeitsministeriums zu lesen, damit wir bei der ersten Lesung des Mitbestimmungsgesetzentwurfs von gleichen Grundlagen ausgehen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zu den Abstimmungen.
Ich lasse zunächst über den Antrag der CDU/CSU- Fraktion auf der Drucksache 7/2136 abstimmen. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11. Wer dem Einzelplan 11 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Einzelplan 11 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 12 auf:
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
- Drucksache 7/1922 Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({1})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter, Herrn Müller ({2}). Wünscht er noch das Wort zur Ergänzung seines Berichts? - Ich rufe gleichzeitig die allgemeine Aussprache auf. Sie können dann auch gleich die Stellungnahme Ihrer Fraktion abgeben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Ergänzung. Auf Seite 4 des Antrags des Haushaltsausschusses zum Einzelplan 12 - Bundesminister für Verkehr - auf Drucksache 7/1922 ist bei Kap. 1202 Tit. 891 11 beim Ausdruck der Ansatz unberücksichtigt geblieben. In der rechten Spalte muß „550 Millionen DM", in der linken Spalte „500 Millionen DM" als geänderter Ansatz ergänzt werden.
Nur einige wenige Bemerkungen zum Verkehrshaushalt selbst.
Nach einer gründlichen und umfassenden Beratung im Haushaltsausschuß - davon zeugen die vielen Änderungen und Ergänzungen in der vorliegenden Drucksache - liegt der Verkehrshaushalt 1974 nunmehr zeitnah mit Gesamtausgaben in Höhe von 19 096,1 Millionen DM vor. Die Steigerungsrate
Müller ({0})
ist damit von 3,2 v. H. nach der bisherigen mittelfristigen Finanzplanung auf nunmehr 13,8 v. H. angehoben worden. Im Regierungsentwurf betrug die Steigerungsrate noch 8,3 v. H.
Die bislang im sogenannten Schattenhaushalt veranschlagte Kreditfinanzierung für Straßenbauvorhaben mit 350 Millionen DM und für Wasserbauvorhaben mit 250 Millionen DM, zusammen also 600 Millionen DM über die Offa, sind durch Haushaltsmittel in entsprechender Höhe ersetzt worden.
Der Haushaltsausschuß hat durch seine Beschlüsse im wesentlichen in zwei Bereichen einen beträchtlichen Ausgabenzuwachs bewirkt: Mehrausgaben von 150,8 Millionen DM im Rahmen des einmaligen Sonderprogramms der Bundesregierung für Gebiete mit speziellen Strukturproblemen; Teil B. Diese werden im Fernstraßenbau mit 130,8 Millionen DM und im Wasserbau mit 20 Millionen DM bereitgestellt. 800 Millionen DM erhält die Deutsche Bundesbahn zur Erhaltung ihrer Liquidität wegen der im Tarif- und Besoldungsbereich entstandenen Mehraufwendungen. Insgesamt hat die Tarif- und Besoldungsrunde bei der Deutschen Bundesbahn Mehraufwendungen von 1,6 Milliarden DM verursacht, die jedoch voraussichtlich nur in Höhe von 600 Millionen DM durch Mehrerträge infolge von Tarifanhebungen abgedeckt werden können.
Die Ausgaben zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden vermindern sich infolge der neuen Schätzung der Mineralölsteuer um 120 Millionen DM.
Wenn man dem Verkehrshaushalt auch die jetzt vollständig auf den Einzelplan 32 - Bundesschuld - verlagerten Ausgaben für den Kapitaldienst der Deutschen Bundesbahn, im Bereich Wasserbau und Straßenbau von insgesamt 983,8 Millionen DM zurechnet - es sind dieses alles echte verkehrsbezogene Aufgaben -, so ergibt sich für 1974 ein Gesamtvolumen an Verkehrsausgaben von 20 079 900 000 DM. Das ist sage und schreibe eine Steigerungsrate von 17,5 v. H. gegenüber dem Vorjahr.
Die Investitionsausgaben des Einzelplans 12 sind mit 8,9 Milliarden DM gegenüber dem Vorjahr um 6 v. H. gestiegen.
Der Verkehrshaushalt enthält die folgenden Ausgabenschwerpunkte: Leistungen an die Deutsche Bundesbahn 8 414 500 000 DM. Einschließlich der Mittel für den Nahverkehr und der Mittel aus dem Einzelplan 32 erreichen die Leistungen 9 316 000 000 DM. Für die Bundesfernstraßen sind 5 653 700 000 DM vorgesehen, für Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden einschließlich Betriebsbeihilfen für den öffentlichen Personennahverkehr: öffentlicher Personennahverkehr einschließlich Betriebsbeihilfen 1 484 000 000 DM, kommunaler Straßenbau 1 047 000 000 DM für den Wasserbau - darin sind die Mittel für den Saarausbau und für die Elbevertiefung enthalten - 1 204 500 000 DM, für die Luftfahrt 548 Millionen DM und für Maßnahmen zur Hebung der Verkehrssicherheit 20 Millionen DM.
An Investitionszuschüssen für die Deutsche Bundesbahn zur Kapitalaufstockung für Neubaustrecken ist eine Verpflichtungsermächtigung von 700 Millionen DM in den Haushalt aufgenommen worden. Diese wird im Jahre 1975 mit 200 Millionen DM und im Jahre 1976 mit 500 Millionen DM fällig. Der Haushaltsausschuß hat allerdings 250 Millionen DM qualifiziert gesperrt. Er wird sich in diesem Zusammenhang noch einmal mit der Investitionsplanung unter Hinzuziehung des Vorstandes der Bundesbahn befassen.
Ich darf nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten für meine Fraktion zum Einzelplan 12 folgendes ausführen; ich will mich bemühen, mich dabei kurzzufassen.
Die CDU/CSU-Opposition hat schon vor der zweiten Lesung hier im Parlament die Ablehnung des Einzelplans 12 verkündet. Herr Kollege Dr. Jenninger wird diese Ablehnung begründen. Sie ist von der Sache her unverständlich, haben doch beide Berichterstatter, Koalition und Opposition, wesentliche Verbesserungen gemeinsam durchgesetzt und auf einen guten Weg gebracht. Ich verweise dabei z. B. auf den vollen Abbau der Kreditfinanzierung über die „Öffa", die Erhöhung der Ansätze für die Verkehrssicherheitsarbeit um zusätzlich 14 Millionen DM auf 20 Millionen DM im Jahre 1974, 23 Millionen DM 1975, 29 Millionen DM 1976 und 34 Millionen DM 1977,
({1})
die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln für die Beseitigung der Sturmflutschäden im Bereich der Wasserstraßen an der Nordseeküste - hierbei ist es mir genauso ergangen, wie es der Herr Gallus geschildert hat: die CDU hat schon voll ins Horn gestoßen, und jetzt lehnt sie diese Maßnahmen ab -, die Sicherung von Arbeitsplätzen in mittelständischen Straßenbauunternehmen und die Existenzsicherung der betroffenen Unternehmen selbst durch die Billigung der sogenannten Stoffpreisgleitklausel vom 13. März 1974, das gesondert ausgebrachte Neubaustreckenprogramm der Deutschen Bundesbahn: Im Bau befindet sich bereits die Neubaustrecke Hannover-Gemünden; noch in diesem Jahr soll die Neubaustrecke Mannheim-Stuttgart begonnen werden.
Einschließlich der Mittel für den Nahverkehr und den Kapitaldienst im Einzelplan 32 erreichen die Gesamtleistungen für die Deutsche Bundesbahn 9,316 Milliarden DM. Ich habe das noch einmal wiederholt, weil Herr Dr. Jenninger in seinen Ausführungen auf diesen Punkt zu sprechen kommen wird, und zwar wird er hier die Deckung der Unterdeckung des fortgeschriebenen Wirtschaftsplans der Deutschen Bundesbahn fordern.
({2})
Ich darf dazu folgendes sagen: Es trifft zu, daß nach der für 1974 fortgeschriebenen Wirtschaftsplanung der Deutschen Bundesbahn zwischen dem von der Deutschen Bundesbahn eingesetzten Bedarf von 10,490 Milliarden DM und den im Bundeshaushalt 1974 eingestellten Bundesleistungen von 9,316 Milliarden DM eine Lücke von 1,174 Milliarden DM besteht. Die von der Opposition sicherlich geforderte
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode
Müller ({3})
Deckung dieser Lücke durch Einstellung entsprechender Bundesmittel, sprich: Liquiditätshilfen, geht von der irrigen Annahme aus, daß jeder Unterdeckung sogleich entsprechende Liquiditätsmittel des Bundes gegenüberstehen müßten. Die Liquiditätshilfen dienen in erster Linie der Aufrechterhaltung der Liquidität. Sie müssen demnach nicht identisch mit dem voraussichtlichen Jahresverlust oder dem Kassenbedarf sein.
Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand wird die Deutsche Bundesbahn in der Lage sein, die genannte Unterdeckung durch Aufnahme von Krediten zu finanzieren. Die Deutsche Bundesbahn hat in ihrer fortgeschriebenen Planung auch die Aufnahme entsprechender Fremdmittel vorgesehen. Sollte die Kreditaufnahme wider Erwarten nicht möglich sein, wird der Bund wie bisher die Liquidität der Deutschen Bundesbahn sicherstellen. Der Stand der Verlustvorfinanzierung Ende 1973 beträgt rund 1,467 Milliarden DM. Die Kreditaufnahmen im Jahre 1974 werden diesen Betrag wieder entsprechend ansteigen lassen.
Für den Ausbau der Bundeswasserstraßen sind für 1974 insgesamt Ausgaben in Höhe von rund 1,204 Milliarden DM veranschlagt. 1973 waren es 987 Millionen DM. Von den Ausgaben für Investitionen entfallen auf die Wasserstraßen im Binnenbereich rund 527 Millionen DM und auf die Wasserstraßen im Küstenbereich rund 157 Millionen DM. Im letzten Betrag sind 20 Millionen DM aus dem einmaligen Sonderprogramm der Bundesregierung für strukturschwache Gebiete enthalten. Hervorzuheben ist der Ausbau der Bundeswasserstraße Saar von Saarbrücken bis zur Mosel, für den Haushaltsmittel von 6 Millionen DM und eine Verpflichtungsermächtigung von 56 Millionen DM eingestellt wurden.
Zu diesem Saarausbau möchte ich weiter ausführen: Das Verwaltungsabkommen über den Ausbau der Saar ist am 28. März 1974 in Bonn von den Vertretern der Bundesregierung, des Saarlandes und des Landes Rheinland-Pfalz abgeschlossen worden. Nach diesem Abkommen übernimmt der Bund zwei Drittel, die Länder ein Drittel der Kosten des Wasserstraßenanschlusses, die nach dem Preisstand vom Oktober 1972 mit 870 Millionen DM veranschlagt worden sind. Das Bauvorhaben soll so gefördert werden, daß die Schiffahrt bis zum Ende des Jahres 1983 den Betrieb aufnehmen kann. Die Vorbereitung der ersten Baumaßnahmen ist bereits veranlaßt. Die Bauarbeiten werden 1975 aufgenommen. Mit der Unterzeichnung des Verwaltungsabkommens und mit der Annahme des Einzelplans 12 im Jahre 1974 findet die langjährige Diskussion über den Bau eines Wasserstraßenanschlusses für das Saarland ihr Ende.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, gleichzeitig werden die Zusage des Bundeskabinetts vom 11. Februar 1969 und auch die Zusage der Bundesregierung vom 30. Mai 1973, den Wasserstraßenanschluß für das Saarland durch den Ausbau der Saar zwischen Saarbrücken und der Mündung in die Mosel herzustellen, eingelöst. Weiter ist in dem Ausbauplan für die Bundeswasserstraßen der 131/2-m-Ausbau des Großschiffahrtsweges Elbe neu enthalten. Die Kosten für die Bundesstrecke sind - nach dem Preisstand von 1972 - mit 350 Millionen DM veranschlagt.
Das Jahr 1974 bringt bei den Wasserstraßeninvestitionen des Bundes - bei Einbeziehung des einmaligen Sonderprogramms - eine Steigerung der Ausgaben um fast 42 vom Hundert. Wir sind somit auf dem besten Wege, die beiden Hauptziele unserer Wasserstraßenpolitik zu erreichen, und zwar erstens die Schaffung eines gleichwertig ausgebauten Hauptnetzes an Binnenwasserstraßen, das den Schiffsgrößen und Betriebsformen gerecht wird und eine optimale Nutzung der kapitalintensiven Binnenschiffe und Wasserstraßenanlagen ermöglicht, und zweitens die Anpassung der seewärtigen Zufahrten an die steigenden Schiffsgrößen zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen.
Die verstärkte Förderung der Seeschiffahrt erfolgt nicht nur über das 8. Werfthilfeprogramm, sondern auch über steuerliche Maßnahmen und die Verpflichtungsermächtigung von 270 Millionen DM mit den im Ausschuß verbesserten Förderungssätzen.
Der vom Haushaltsausschuß veranlaßte Untersuchungsbericht „Einzel- und gesamtwirtschaftliche Entwicklungstendenzen in ,der deutschen Seeschifffahrt" liegt vor und wird demnächst beraten. Dieser Bericht hat schon jetzt zu einigen positiven Folgerungen im Verkehrshaushalt und auch zu steuerlichen Maßnahmen geführt.
Auch die mit 1 Milliarde DM veranschlagte Mindereinnahme an Mineralölsteuer wird sich auf die Ausgaben für den Bundesstraßenbau und die Verkehrsbauten in den Gemeinden nicht negativ auswirken. Die im Jahr 1974 verfügbaren Ausgabereste aus dem Vorjahr übersteigen die Kürzungen.
Allen Unkenrufen der Opposition zum Trotz sind die Verkehrsinvestitionen im Einzelplan 12 gegenüber dem Vorjahr um 6 vom Hundert auf 47 vom Hundert der Gesamtausgaben gestiegen. Sie belaufen sich auf 8,9 Milliarden DM.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
({5})
Die Länder, die Gemeinden und die Landkreise - auch die von der CDU und CSU regierten - warten doch schon auf den „warmen Regen" aus dem Verkehrshaushalt 1974.
({6})
Und diesen Haushalt wollen 'Sie ablehnen.
Meine Fraktion, die Bundestagsfraktion der SPD, wird dem Einzelplan 12 mit großer Befriedigung zustimmen.
({7})
Vizepräsident von Hassel: Meine verehrten Damen und Herren! Wir müßten uns darüber verständigen, wie wir heute abend fortfahren wollen. Die Sitzungsleitung ist zwar bis 3 Uhr früh einge6808
Vizepräsident von Hassel
teilt und kann auch noch einige Ersatzmänner finden, die hier weiter präsidieren; aber ich glaube, wir tun uns alle einen Gefallen, wenn wir den Versuch unternehmen, uns sehr kurz zu fassen.
({8})
Große Zahlenwerke werden, glaube ich, in dieser nächtlichen Stunde nicht mehr viel Eindruck machen. Ich wäre dankbar, wenn unsere Kollegen dafür Sorge trügen, daß wir einigermaßen in der Diskussion vorankommen. Wir haben noch 12 Einzelpläne zu beraten.
({9})
Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Dr. Jenninger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, dem Petitum des Präsidenten nachzukommen, wenngleich ich gerne auf die fleißige Rechenarbeit des Kollegen Müller eingegangen wäre, die, was den mathematischen Aspekt anbetrifft, sicherlich eine lobenswerte Angelegenheit war. Aber das gibt doch nicht die Wirklichkeit des Ablaufes der Verkehrspolitik jeweils im Haushaltsjahr wieder.
({0})
Denn wie Sie an das Jahr 1973 denken, sind eben von der damals hochgepriesenen großen Steigerungsrate von 12 % ganze 800 Millionen DM überhaupt nicht ausgegeben worden. So ist dann immer jeweils am Jahresende die Wirklichkeit.
({1})
- Ja, Herr Kollege, es wäre sehr interessant, einmal der Frage nachzugehen, welches die Gründe dafür sind. Heute abend ist dazu keine Zeit. Aber es wäre sehr interessant, dem einmal nachzugehen, dann würde man zu dem Ergebnis kommen, daß z. B. die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden auf diesem Gebiet leider Gottes nicht funktioniert.
Der bisherige Verkehrsminister Lauritzen hat das sinkende Schiff der Regierung Brandt /Scheel resignierend und glücklos verlassen, noch ehe die Flaggen endgültig eingezogen waren. Mit ihm ist offensichtlich - das, Herr Kollege Müller, ist eigentlich der Grund, weswegen wir zu dieser Verkehrspolitik nein sagen müssen - auch ein anspruchsvolles Verkehrsprogramm mit der noch anspruchsvolleren Überschrift „Der Mensch hat Vorfahrt", das im übrigen noch nicht einmal im Kabinett beschlossen worden ist, in der Versenkung verschwunden. Es ist, so könnte man ironisch sagen, dem verkehrspolitischen Bummelstreik der Regierung Brandt /Lauritzen zum Opfer gefallen.
Der neue Bundeskanzler hat es vorgezogen, über die Verkehrspolitk in seiner 79seitigen Regierungserklärung überhaupt kein Wort zu sagen. „Und das", so schreibt die gewiß nicht der Opposition nahestehende „Deutsche Verkehrszeitung", „obwohl gerade dieser Bereich mit über 18 Milliarden DM, der drittgrößte Verbraucher des Bundeshaushaltes, eine programmatische Konkretisierung dringend nötig gehabt hätte".
Der neue Chef des Post- und Fernmeldeministeriums ist u. a. schon dadurch in die Geschichte des Verkehrs eingegangen, daß er gleich in einem Akt der „Kraft durch Freude" von seinen sechs Abteilungsleitern vier in den einstweiligen Ruhestand gefeuert hat. Ein stolzer Abschuß, kann man sagen, der dem hehren Anspruch „Der Mensch hat Vorfahrt" alle Ehre macht. Noch menschlicher ist man mit dem bisherigen langjährigen Staatssekretär im Verkehrsministerium, Herrn Wittrock umgegangen; der hat von seiner Zwangspensionierung schlicht und zackig nur einfach durch das Autoradio erfahren. Wenn es eines Beweises des desolaten und verwirrten Zustandes der deutschen Verkehrspolitik bedürfte, dann sind schon diese Vorgänge allein dafür ausreichend.
Aber auch in der Sache - ich will es abkürzen und nur einige Punkte vorbringen - hat die Opposition erhebliche Bedenken bei einigen wichtigen Bereichen der Verkehrspolitik anzumelden. Als im Jahre 1972 der Zuschuß für die Deutsche Bundesbahn die Größenordnung von 6 Milliarden DM erreichte, entschlüpfte dem damaligen Verkehrsminister Leber die Äußerung: Der Laden sei eigentlich konkursreif. In aller Stille haben wir mittlerweile die 10-Milliarden-Grenze erreicht. Die Bundesbahn - das wissen wir alle - ist eben das am stärksten betroffene Opfer der galoppierenden Preis- und Kostenlawine in unserem Lande. Auf Grund ihrer zwangsläufigen Personalintensität ist sie in besonderem Maße davon betroffen.
Ich glaube, daß die Bereitschaft sicherlich in allen Fraktionen da ist, die Bemühungen, insbesondere auch des Bundesbahnvorstandes, und die gewiß anerkennenswerten Leistungen der Eisenbahner mit allem Nachdruck zu unterstützen. Aber - diese Frage müssen wir einmal stellen -: Besteht die Gewißheit, daß es auf die Dauer durchgehalten werden kann, die von der Deutschen Bundesbahn erwarteten Investitionszuschüsse aus dem Bundeshaushalt in der Zukunft zu erbringen?
Es ist Tatsache, daß die Bahn davon ausgeht, daß für die Bruttoinvestitionen für ein neues Unternehmenskonzept 54 Milliarden DM im Laufe der kommenden Jahre aus dem Bundeshaushalt gezahlt werden sollen. Damit möchte sie einen Überschuß von 3 Milliarden DM bei Bundeszuschüssen von 4,9 Milliarden DM erreichen. In diesem Jahr zahlen wir bereits einen Bundeszuschuß von über 10 Milliarden DM. Im Bundesfinanzministerium rechnet man bereits für das Jahr 1977 mit einem Zuschußbedarf von 18 Milliarden DM. Die Tatsache, daß zu diesen Problemen der Bundeskanzler überhaupt nichts gesagt hat und daß die Regierung sich bisher auch nicht dazu geäußert hat, wie sie das Geld für diese Investitionen aufbringen will, gibt uns Anlaß, hier kritische Bemerkungen zu machen.
Wir haben von dem letzten Verkehrsminister im Haushaltsausschuß gehört, daß noch kein Pfennig dieser Investitionen für die Bundesbahn für die Zukunft in die mittelfristige Finanzplanung einbezogen worden ist. Ich frage, wie lange Sie diese unseriöse Politik im Bereich der Bundesbahn weiter betreiben wollen.
Ich will auf das große Versagen der verflossenen Regierung im Zusammenhang mit dem Fluglotsenkonflikt jetzt nicht näher eingehen. Es wird sich ja im Laufe der Jahre wohl herausstellen -, wenn die Prozesse abgeschlossen sind -, welcher große, unermeßliche Schaden nicht nur dem deutschen Volk, der gesamten Volkswirtschaft, sondern auch dem einzelnen Bürger dieses Landes entstanden ist. Wir haben uns im Haushaltsausschuß einmütig darum bemüht, in einer Art Sofortprogramm, wenigstens den Versuch zu machen, hier das eine oder andere in diesem Bereich zu verbessern.
({2})
- Ich will es gern anerkennend sagen. Aber wenn es nicht gelingt - und wir kennen bis jetzt noch kein Konzept der Bundesregierung -, hier neue Wege zu gehen, in diesem Bereich einen neuen Personalstatus für technische Spezialisten zu finden, ein Modell zu schaffen, wie man das in einem modernen Staat in das Gesamtgefüge der Personalstruktur einordnen kann, dann fürchte ich, daß wir mit weiteren Schwierigkeiten bekannter Art zu rechnen haben. Aber auch hier ist absolute Fehlanzeige der Bundesregierung festzustellen.
Kollege Müller hat vorher zum Straßenbau gesagt, wir könnten damit rechnen, daß in diesem Jahr die Ausgabensumme angehoben werde. Es ist ja in Wahrheit so, daß nicht nur die ÖFFA-Mittel weggefallen sind, sondern auch die Mittel für den Straßenbau in diesem Jahr weiterhin zurückgehen. Die Investitionsquote des Verkehrshaushalts insgesamt geht nach wie vor auch für die kommenden Jahre zurück. Schon im Jahre 1973 waren es 600 Millionen DM weniger. Insgesamt kann man sagen: wenn man Ihre mittelfristigen Finanzplanungen von vor einigen Jahren ansieht, ist eine Kürzung des Straßenbauvolumens um rund 30 % für die nächsten Jahre zu erwarten. Dies entspricht in keiner Weise dem, was in dem berühmten „Kursbuch" für die bisherige Verkehrspolitik aufgezeichnet worden ist.
Ähnlich - das will ich zum Schluß noch sagen - sieht es auch im Bereiche der Finanzhilfe für den kommunalen Straßenbau und auch im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs aus. Hier haben der ehemalige Bundeskanzler Brandt und der Verkehrsminister große Ankündigungen gemacht, welche ungeheure Wende sich in der Verkehrspolitik in diesem Bereich in den nächsten Jahren vollziehen werde. Tatsache ist, daß im letzten Jahr nicht einmal die Mittel voll ausgegeben werden konnten, die für diese Zwecke angesetzt waren. Die Erhöhungen, die auf Grund der Mineralölsteuererhöhung aus dem Jahre 1973 zur Verfügung standen, wurden ausschließlich für die Bundesbahn verwendet. In diesem Jahr suchen Sie dieses neue Konzept dadurch zu „verbessern", daß Sie erneut wiederum die Mittel für den kommunalen Straßenbau und auch für den öffentlichen Personennahverkehr kürzen.
Von dem angekündigten Konzept, das dazu führen würde, auch beispielsweise die Folgekosten mit einzubeziehen, die ja solche Investitionen gerade im öffentlichen Personennahverkehr verursachen, ist überhaupt nicht mehr die Rede. Davon hört und sieht man nichts mehr. Hier kann der neue Bundeskanzler, der ehemalige Finanzminister, wirklich die Chance wahrnehmen, in diesem Staate zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in diesem Bereich ein gemeinsames Konzept zu erarbeiten auf der Basis einer gemeinsamen mittelfristigen Finanzplanung. Ohne dies bleibt meiner Meinung nach die ganze Verkehrspolitik, die „große Wende" nichts anderes als ein reines Pfuschwerk. Das Motto dieser Bundesregierung lautet offensichtlich: Es wird weitergewurschtelt, aber nur ein bißchen forscher! Einer solchen Politik können wir gerade auf dem Verkehrssektor unsere Zustimmung nicht geben.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist natürlich das gute Recht der Opposition, den Verkehrshaushalt abzulehnen,
({0})
weil sie mit der Politik der Bundesregierung insgesamt nicht einverstanden ist oder weil sie mit einem Minister nicht einverstanden war
({1})
oder auch in Zukunft nicht einverstanden sein wird. Aber ich habe im letzten Jahr und auch während der Haushaltsberatungen von Ihnen keinen Vorschlag gehört, wie denn die Verkehrspolitik anders gestaltet werden sollte, als sie vollzogen wird.
({2})
Keinen einzigen! Auch Ihre Änderungsanträge verändern nicht die Zielsetzung unserer Verkehrspolitik, sondern Sie wollen einen Titel streichen; Sie verlagern mit Ihrem Änderungsantrag nicht einmal Aufgaben, sondern nur Zuständigkeiten. Auch wenn die 200 Millionen DM so, wie sie im Haushalt stehen, bleiben - und wir werden in der Abstimmung dafür sorgen, daß sie bleiben -, werden sie dem gleichen Zweck zugeführt, den Sie mit der Veränderung und der Streichung des Titels auch erreichen wollen.
Herr Kollege Jenninger! Wir bedauern mit Ihnen, daß wir von Jahr zu Jahr steigende Zuschußleistungen an die Deutsche Bundesbahn zu geben haben. Aber wir haben im Verkehrsausschuß bisher noch keinen Vorschlag von Ihnen gehört
({3})
- nein, haben Sie nicht! -, der geeignet sein könnte, diese Zuschußleistung in ihrem Trend nach unten zu verkehren.
Im Gegenteil, ich habe gerade aus der Ecke der bayerischen Kollegen im Verkehrsausschuß massive Kritik beispielsweise am Stückgutprogramm 400 zur Kenntnis nehmen können, an einer notwendigen Rationalisierungsmaßnahme der Deutschen Bundesbahn, um endlich das Defizit in einem besonderen Verkehr, im Stückgutverkehr, etwas nach unten zu drücken. Da haben Sie natürlich auf Raumordnung und auf Gebietsentwicklung und Landesentwicklung hingewiesen, aber einen anderen Vorschlag, mit dem das gleiche Ziel erreicht werden könnte, haben Sie nicht gemacht. Das muß hier einmal eindeutig festgestellt werden.
Sie haben Kritik geübt an den bestehenden Wettbewerbsverzerrungen, beispielsweise auf dem europäischen Verkehrsmarkt.
({4})
Aber auch hier haben Sie bisher keinen spezifischen Antrag formuliert und vorgelegt,
({5})
der geeignet sein könnte, die Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Herr Kollege Schulte, in der Regel haben Sie es den Freien Demokraten überlassen, hier Schrittmacher zu sein beim Abbau dieser Verzerrungen.
({6})
Sie haben sich gelegentlich an unsere Anträge angehängt, Herr Kollege Schulte. Das ist doch die Wirklichkeit!
({7})
Wir sind natürlich bereit, in den Auseinandersetzungen über eine zweckmäßige Verkehrspolitik auch Ihre Beiträge entgegenzunehmen und sie zu diskutieren. Sie müssen aber sachbezogene und der Aufgabe dienliche Beiträge sein. Mit der Kritik am Verkehrsminister allein sind die Verkehrsprobleme der Bundesrepublik nicht gelöst.
({8})
Wir haben heute nicht die Zeit und es ist hier nicht der Ort, jetzt eine große Verkehrsdebatte zu führen. Aber ich glaube, wir sollten uns in Zukunft - das ist an Ihre Adresse gerichtet - nicht mehr in globaler und nur verbaler Kritik an dem Bundesverkehrsminister üben, sondern Sie sollten gemeinsam mit uns versuchen, die Verkehrsprobleme, die anstehen, die wir immer vor uns sehen werden, zu lösen zur Zufriedenheit aller am Verkehr Beteiligten.
({9})
- Herr Kollege Schulte, wenn Sie andere Anträge als diese in die Beratungen des Verkehrsausschusses und des Plenums einbringen, werden wir mit Ihnen in eine ernsthafte Diskussion über diese Anträge eintreten. Aber ich nehme an - wir haben einen neuen Verkehrsminister -, daß wir darüber sprechen können.
({10})
Sie haben Ihren Unwillen an der Regierung in überreichlichem Maße an dem alten Verkehrsminister ausgelassen. Es wäre für Sie die Gelegenheit, mit uns gemeinsam zu einem für S i e neuen Anfang zu kommen und eine sinnvolle Verkehrspolitik auch hier in diesem Hause zu betreiben.
({11})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort zur Begründung des Antrags auf Drucksache 7/2137 hat der Abgeordnete Vehar. - Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine ganz kurze Begründung unseres Antrages auf Drucksache 7/2137.
Meine Damen und Herren, der Bundestag hat bei der dritten Lesung des Haushalts 1973 einstimmig, mit den Stimmen aller Fraktionen, einem Entschließungsantrag unserer Fraktion zugestimmt, nach dem dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat über die bis dahin zugestandenen Mittel von 6 Millionen DM hinaus erheblich mehr Mittel zugestanden werden sollten, damit der Deutsche Verkehrssicherheitsrat und mit ihm die Deutsche Verkehrswacht ihre wichtige Aufgabe im Rahmen der Verkehrssicherheit, nämlich Aufklärung und Verkehrserziehung, voll erfüllen könne.
Der Haushaltsausschuß hat sich diesem Anliegen angeschlossen und die Mittel von 6 Millionen DM für diesen Zweck auf 20 Millionen DM angehoben, wie Herr Kollege Müller ({0}) bereits erwähnte. Aber, meine Damen und Herren, dann kommt das Kleingedruckte, und das Kleingedruckte enttäuscht uns, insofern nämlich, als von den 20 Millionen DM der Deutsche Verkehrssicherheitsrat nach wie vor weiterhin nur 6 Millionen DM erhält, während die Bundesregierung für sich zirka 13,5 Millionen DM beansprucht, um eigene Aufklärungsarbeit, Informationsarbeit davon zu bestreiten.
Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß es sich bei der Aufklärungsarbeit, bei der Informationsarbeit und bei der Verkehrserziehung um eine Aufgabe des Deutschen Verkehrssicherheitsrates handelt. Dafür ist der Deutsche Verkehrssicherheitsrat gegründet und mit wesentlicher Beteiligung der Bundesregierung ins Leben gerufen worden. Wir sind aber auch der Meinung, daß eine solche Verschiebung der Mittel dem ausgesprochenen Willen des Deutschen Bundestages zuwiderläuft, der ja damals bei Annahme dieses Entschließungsantrages seinen Willen ausdrücklich dahin gehend kundgetan hat, daß diese erhöhten Mittel zur Verfügung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates stehen sollten.
Lassen Sie mich hier - in Stichworten, im Telegrammstil - nur ganz wenige Aufgaben vortragen, die der Deutsche Verkehrssicherheitsrat im Rahmen der Aufklärung und Verkehrserziehung zu erfüllen hat. Ich erwähne hier die hervorragende Sendereihe „Der 7. Sinn" im Ersten Programm des Deutschen Fernsehens. Ich erwähne hier die Arbeiten bei der Jugendverkehrserziehung im Vorschulalter, die Förderung der Schülerlotsen, die Einrichtung von Verkehrsübungsplätzen durch die Deutsche Verkehrswacht, die Verkehrsaufklärung älterer Verkehrsteilnehmer, die Verkehrsaufklärung von ausländischen Verkehrsteilnehmern und von ausländischen Touristen. Und ich darf hier aus ganz aktuellem Anlaß die nach meiner Auffassung hervorragende Aufklärungsarbeit nach Einführung der 130 km /h-Richtgeschwindigkeit hervorheben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte diese kurze Begründung damit schließen, daß ich Sie herzlich bitte, entsprechend unserem damaligen Entschließungsantrag unserem heutigen Änderungsantrag zuzustimmen und damit den Deutschen Verkehrssicherheitsrat und die Deutsche Verkehrswacht in die Lage zu versetzen, ihre wichtigen Aufgaben auf dem Gebiete der Verkehrsaufklärung und der Verkehrserziehung zu erfüllen.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort zur Begründung des Antrags auf Drucksache 7/2138 hat der Abgeordnete Milz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst vorweg eine Bemerkung zu unserem Kollegen Ollesch. Derjenige, der bei wichtigen Abstimmungen die Sitzungen des Ausschusses verläßt, hat am wenigsten das Recht, die Opposition zu kritisieren.
({0})
Meine Damen und Herren, zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion darf ich wie folgt Stellung nehmen. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ist das vom Parlament geschaffene Instrument zur Bereitstellung von Finanzhilfen des Bundes für den Verkehrsausbau von Gemeinden. Dieses Gesetz mit seinen verschiedenen Finanztöpfen ist schon so kompliziert, daß sich nur der Fachmann darin auszukennen vermag.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, sind Sie in der Lage, zu sagen, wann ich bei einer wichtigen Abstimmung den Verkehrsausschuß verlassen hätte?
({0})
Herr Kollege, ich erinnere Sie daran: Als wir uns über die Mineralölsteuer unterhielten, zogen Sie es vor, vor der Abstimmung den Sitzungssaal zu verlassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun will die Bundesregierung, die uns allen mehr Transparenz versprochen hat, die Sache noch weiter verkomplizieren, indem sie im Haushalt 1974 am Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz vorbei zusätzlich 200 Millionen DM für den öffentlichen Personennahverkehr bereitstellen will. Der neugeschaffene Titel ist in seiner Konstruktion so angelegt, daß er geradezu den Verdacht provoziert, daß sich hier der Bundesverkehrsminister einen Fonds schaffen will, aus dem er in einem wahltaktisch günstigen Zeitpunkt Mittel für Projekte bereitstellen kann, die den Wähler in einer Stadt oder in einer Gemeinde besonders erfreuen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann der hier praktizierten Haushaltsgestaltung auf keinen Fall zustimmen. Wir wollen mit unserem Änderungsantrag sicherstellen, daß die 200 Millionen DM wie auch die übrigen rund 2 Milliarden DM nach dem dafür geschaffenen Instrument, dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, bereitgestellt werden. Damit wäre jeder potentielle Mißbrauch ausgeschlossen.
({0})
Welche Verwirrung mit diesem neuen Titel geschaffen werden kann, zeigt auch eine andere Tatsache. Da rühmt sich die Bundesregierung, mit diesem neuen Titel 200 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt zu haben. Aber von den Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes werden gleichzeitig, ohne daß die Öffentlichkeit davon Kenntnis nimmt, 120 Millionen DM gestrichen. Meine Damen und Herren, hier wird bereits Verschleierung praktiziert. Dem wollen wir mit unserem Antrag ein Ende bereiten.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie es wissen, wie es gewesen ist, dann verstehe ich nicht, daß dieser Kollege hier auftritt und behauptet, ich würde bei wichtigen Abstimmungen den Verkehrsausschuß verlassen.
({0})
Seine Kollegen, die länger im Verkehrsausschuß sind als er, wissen aus der Vergangenheit, daß ich immer bereit war, die Meinung der Fraktion im Ausschuß zu vertreten.
Nun zu dem speziellen Fall. Sie spielen auf die Mineralölsteuererhöhung an. Da hatten Herr Karl Geldner und ich eine andere Meinung als die Fraktion.
({1})
- Nicht „aha"! Die Meinung habe ich ja zum Ausdruck gebracht. Da haben Sie mir sogar Beifall ge6812
zollt, weil ich eine andere Meinung hatte als meine Fraktion.
({2})
- Ja, ich wollte den Beifall von der Opposition gar nicht haben, Herr Kollege Wehner. Aber man kann sich dagegen ja nicht wehren.
Nun weiß ich nicht, wie Ihre Fraktion in den Ausschüssen verfährt, ob dort jeder seine persönliche Meinung vorträgt oder die Meinung der Fraktion. Da ich nicht bereit war, die Meinung der Fraktion im Ausschuß zu vertreten, habe ich an dieser Ausschussitzung nicht teilgenommen,
({3})
habe aber meine Meinung hier - - Ach, wissen Sie, Herr Lemmrich, ich lasse es doch nicht zu, daß hier unrichtige Behauptungen aufgestellt werden, die mit meiner Person verknüpft sind. Herr Kollege Lemmrich, ich hätte Ihnen gerade eigentlich ein böses Wort gesagt, weil Sie sagten: Es war nun doch so. Herr Kollege Lemmrich, Sie wissen, daß es so eben nicht war. Ich war nicht bereit, entgegen meiner Überzeugung die Fraktionsmeinung im Ausschuß zu vertreten. Ich war anderer Auffassung als die Fraktion, und ich kann mich nicht spalten. Das können Sie besser als ich, aber ich kann es nicht.
({4})
Und wenn ich eine Meinung nicht vertreten kann, trage ich sie auch nicht in den entsprechenden Gremien vor. Ich habe es vorgezogen, an der Sitzung nicht teilzunehmen und mich vertreten zu lassen, und ich habe meine von der der Fraktion abweichende Meinung hier in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht.
({5})
Das wollte ich noch einmal betont haben. ({6})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({7}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dem Wunsch des Herrn Präsidenten nachkommen und werde mich kurz fassen. Den Antrag der Opposition auf Drucksache 7/2137 lehnen die Koalitionsfraktionen mit folgender Begründung ab. Um sicherzustellen, daß die Bundesmittel für die Bekämpfung der Verkehrsunfälle wirkungsvoll verwendet werden, erhält der Deutsche Verkehrssicherheitsrat Bundesmittel nur zur Finanzierung bestimmter, sorgfältig ausgewählter Projekte. Der Antrag der CDU/ CSU hätte zur Folge, daß an die Stelle der sinnvollen Projektförderung eine institutionelle Förderung mit all ihren Nachteilen träte. Mit der Änderung müßte das Verhältnis Bund /Deutscher Verkehrssicherheitsrat neu überdacht werden. Eine Änderung der Satzung wäre notwendig. Da die personellen Entscheidungen des Deutschen Verkehrssicherheitsrates bisher ohne Einflußnahme des Bundes getroffen werden konnten, würden in diesem
Bereich mit Sicherheit Schwierigkeiten entstehen. Damit auch künftig der sinnvollste und zweckmäßigste Einsatz der Bundesmittel gewährleistet wird, muß es bei der im Haushalt getroffenen Regelung bleiben.
({0})
Zu dem Antrag der Opposition auf Drucksache 7/2138 empfehle ich ebenfalls Ablehnung, und zwar aus folgenden Gründen. Erstens. Die sozialliberale Koalition ist nicht bereit, die von ihr gesetzte Priorität für den öffentlichen Personennahverkehr abschwächen zu lassen.
({1})
Es kommt deshalb auch nicht in Betracht, die für den öffentlichen Personennahverkehr vorgesehenen Ansätze zugunsten des Straßenbaus um 100 Millionen DM zu kürzen.
Zweitens. Die in Kap. 12 18 Tit. 882 01 und 882 02 sowie 891 01 ausgewiesenen Mittel sind im übrigen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zweckgebunden. Die Verstärkung dieser Mittel aus Kap. 12 18 Tit. 882 03 wäre nur durch eine Änderung des § 10 des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes möglich. Bei diesem Gesetz handelt es sich außerdem um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz, um ein Gesetz also, das nicht ohne die Zustimmung des Bundesrates geändert werden kann.
Drittens. Im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz wird bewußt vermieden, die Mittel für den öffentlichen Personennahverkehr nach festen Sätzen auf die Deutsche Bundesbahn und die übrigen Verkehrsträger zu verteilen. Dies geschieht im Interesse einer einheitlichen Planung. Die CDU/CSU aber möchte hier einen neuen Schlüssel einführen, der das in Frage stellen und einen effizienten Einsatz der Mittel sehr erschweren würde.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache über den Einzelplan 12. Wir kommen zu den Abstimmungen und befinden zunächst über die Änderungsanträge.
Ich rufe den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/2137 auf. Wer zustimmt, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Antrag auf Drucksache 7/2138 auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12 in der Ausschußfassung. Wer zustimmt, gebe das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 13 auf:
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
- Drucksache 7/1923 - Berichterstatter: Abgeordneter Leicht
Vizepräsident von Hassel
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wünscht er zur Ergänzung das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Bülow.
({3}) - Er zieht zurück; wir danken ihm dafür.
({4})
Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 13. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 13 ist angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 14 auf:
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
- Drucksache 7/1924 Berichterstatter:
Abgeordneter Hauser ({5}) Abgeordneter Haase ({6})
Ich danke den beiden Berichterstattern, Herrn Hauser ({7}) und Herrn Haase ({8}). - Zur mündlichen Ergänzung Herr Abgeordneter Hauser.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In meiner Eigenschaft als Berichterstatter möchte ich nur um die Berichtigung eines Druckfehlers bitten, der sich in die Vorlage eingeschlichen hat.
Auf Seite 1 beim Kapitel 14 01 - Seite 2 der Vorlage - ist unter Titel 423 01, Planstellen der Besoldungsgruppe A 12, Hauptleute, ein Vermerk durch den Haushaltsausschuß eingefügt worden, der irrtümlich falsch wiedergegeben ist. Hier steht: „10 v. H. der Planstellen dürfen auch für Offiziere des militärfachlichen Dienstes in Anspruch genommen werden." Nach unserem Beschluß - und da sind sich die Fraktionen einig - muß es heißen: „Diese Planstellen dürfen auch für Offiziere des militärfachlichen Dienstes in Anspruch genommen werden." Der gleiche Druckfehlerteufel hat sich auf Seite 5 noch einmal bei der gleichen Position eingeschlichen: Planstellen der Besoldungsgruppe A 12. Auch hier muß es anstelle von „10 v. H." „diese" heißen.
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich im Einvernehmen mit den Berichterstattern aus den anderen Fraktionen diese Korrektur anbringen ließ, bevor ich für die CDU/CSU-Fraktion Stellung nehme.
Die Fraktion der CDU/CSU stimmt dem Einzelplan 14 - Haushalt des Bundesministers der Verteidigung - in der vom Haushaltsausschuß vorgelegten Fassung zu.
({0})
Der Verteidigungshaushalt ist der einzige von der Bundesregierung zu vertretende Haushalt von größerem Volumen und politischer Bedeutung, dem die Opposition zustimmt. Das verlangt nach einer Begründung.
Die Zustimmung der Opposition zum Verteidigungshaushalt 1974 - dies vorweg - bedeutet nicht, daß wir den Einzelplan 14 für die optimale Lösung des Konfliktes zwischen Wünschenswerten und Machbarem halten.
({1})
Dies ist keineswegs der Fall. Allerdings erkennen wir an, daß im Haushalt 1974 das Verhältnis zwischen Betriebsausgaben und Investitionen zugunsten der Investitionen eine leichte Verbesserung erfahren wird. Wir erkennen auch an, daß es gelungen ist, eine Reihe von Forderungen und Anregungen der Opposition zu verwirklichen. So ist die von uns bereits für den 1. Juli 1973 geforderte Erhöhung des Wehrsolds zum 1. Januar 1974 erreicht. Die Besoldungsgruppe A 12 wird für den militärfachlichen Dienst geöffnet. Die im Einzelplan 60 veranschlagten Beträge für die Landesverteidigung werden in den Einzelplan 14 übergeführt.
Wir erkennen auch an, daß Sie, Herr Minister Leber, auf die wachsenden Rüstungsanstrengungen des Warschauer Paktes verschiedentlich hinwiesen und damit einen Beitrag geleistet haben zu einer realistischeren Betrachtungsweise der sicherheitspolitischen Situation in Westeuropa. Die militärische Lage in Mitteleuropa macht uns große Sorgen. Auf der einen Seite rüstet der Warschauer Pakt massiv auf. Auf der anderen Seite kürzen Regierungen und Parlamente der NATO-Partner einschließlich der Bundesrepublik den prozentualen Anteil der Verteidigungsausgaben an ihren Staatshaushalten, reduzieren die Stärken ihrer präsenten Streitkräfte und tun sich schwer mit der Planung und Durchführung auch der notwendigsten Umrüstungsvorhaben. Die zur Erhaltung des Friedens notwendige Ausgewogenheit der militärischen Kräfte geht dabei mehr und mehr verloren. Die Überlegenheit des Warschauer Paktes an konventionellen Waffen und Streitkräften nimmt immer mehr zu. Bei einem Andauern dieser Entwicklung steht zu besorgen, daß der Augenblick nicht mehr fern ist, an dem das militärische Übergewicht der Sowjetunion und ihrer Satelliten in Mitteleuropa zu massiver politischer Erpressung mißbraucht wird.
Solange die von uns unterstützten Bemühungen um einen allseitigen ausgewogenen Truppenabbau nicht zum Abschluß eines Abkommens geführt haben, dessen Einhaltung kontrollierbar ist und tatsächlich kontrolliert wird, müssen sich die Rüstungsanstrengungen der NATO-Partner und damit auch die der Bundesrepublik an dem orientieren, was zur Aufrechterhaltung der militärischen Abschreckung notwendig ist.
Nun hat Herr Minister Leber in der Debatte über das Weißbuch 1973/74 am 27. März dieses Jahres hier im Hohen Hause die Übereinstimmung unseres Verteidigungsbeitrags, insbesondere der neuen Wehrstrukturvorlage, mit den Planungen und Forderungen der NATO hervorgehoben. Natürlich kann die Bundesrepublik die für eine Abschreckung des potentiellen Angreifers ausreichende Verteidigungskraft nicht auf sich allein gestellt, sondern nur im Rahmen der NATO gewährleisten. Das ist zwischen
Hauser ({2})
uns unstreitig. Wir wissen aber auch, daß die Regierungen und Parlamente aller NATO-Partner mit denselben Schwierigkeiten kämpfen, bei wachsenden finanziellen Anforderungen auf allen politischen Gebieten die für die Gewährleistung unserer Sicherheit erforderlichen Mittel zu bewilligen.
Diese Schwierigkeiten werden nicht zuletzt hervorgerufen durch eine Mentalität der Verharmlosung der uns drohenden Gefahr, der Illusionen über die wahren Ziele der sowjetischen Politik trotz Budapest und Prag, eine Mentalität, die auch in der Bundesrepublik und bis weit in die Reihen der Sozialdemokratischen Partei hinein verbreitet ist.
Als der politisch und militärisch gefährdetste und zugleich - neben den USA - wirtschaftlich stärkste NATO-Partner muß die Bundesrepublik Deutschland einer solchen Mentalität energisch entgegentreten. Dies ist aber nicht möglich mit einer mittelfristigen Finanzplanung, die für den Verteidigungshaushalt Zuwachsraten vorsieht, die nicht einmal ausreichen werden, die jährlichen Steigerungen der Personalkosten aufzufangen, und die den Anteil des Verteidigungshaushalts am Gesamthaushalt weiter absinken lassen.
({3})
Gewiß, es gibt kein Dogma, das dem Verteidigungshaushalt einen bestimmten Prozentsatz am Gesamthaushalt oder am Bruttosozialprodukt zuweist, der nicht unterschritten werden darf.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?
Bitte schön!
Darf ich Sie, Herr Hauser, fragen, ob Sie bereit sind, den Herrn Präsidenten zu fragen, ob die Regel, daß in diesem Hause frei gesprochen werden muß, ein für allemal außer Kraft gesetzt ist, jedenfalls solange Sie reden?
({0})
Herr Kollege Kleinert, ich hatte Ihnen gestattet, eine Frage zu stellen. Ich hatte erwartet, daß es eine Frage zum Thema sein würde.
({0})
Ich bin im übrigen der Meinung, daß ich mich so und nicht anders verhalte wie viele Ihrer Kollegen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich sprach davon, daß es kein Dogma gebe, daß der Verteidigungshaushalt einen bestimmten Prozentsatz des Bruttosozialprodukts oder aber einen bestimmten Prozentsatz des Gesamthaushalts umfassen muß. Wir wären sicherlich glücklich, wenn es unter den politischen und militärischen Gegebenheiten und Notwendigkeiten möglich wäre, uns mit geringen Steigerungsraten oder sogar mit einem Abbau, mit einem Weniger an Verteidigungslasten, zu begnügen. Aber es ist nun einmal so, daß dann, wenn der potentielle Angreifer aufrüstet, uns nichts anderes übrig bleibt, als uns der Entwicklung in den notwendigen Umfängen anzupassen.
Diese Tatsache einer zunehmenden Aufrüstung des Warschauer Paktes ist von niemandem hier in diesem Hause bestritten und vom Herrn Bundesminister der Verteidigung in den verschiedensten Fällen hervorgehoben worden. Die wachsende Offensivkraft des Warschauer Paktes zwingt die NATO, zwingt insbesondere die Bundesrepublik, die politischen Prioritäten zu überdenken und daraus die entsprechenden haushaltsmäßigen Konsequenzen zu ziehen.
Wir werden zur dritten Lesung des Bundeshaushalts 1974 einen Entschließungsantrag einbringen, der darauf abzielt, bei der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung dem verschärften Rüstungstempo des Warschauer Paktes Rechnung zu tragen. Wir tun dies nicht etwa, weil es uns Spaß macht, mehr Geld für Rüstung zu bewilligen, Geld, das für den sozialen Fortschritt in unserem eigenen Lande und/oder für die Hilfe in dritten, in Entwicklungsländern, die unserer Hilfe bedürfen, besser ausgegeben werden könnte, wenn die politische und militärische Lage dies zuließe. Jeder Kundige weiß aber auch, wie schwer wir uns tun, die Bundeswehr mit all dem an neuen Waffensystemen zu versehen, was zur Erfüllung ihres Auftrags notwendig ist, und wie sehr wir immer wieder genötigt sind, berechtigte Anforderungen, die von dorther kommen, zu kürzen, Beschaffungsvorlagen zu strecken, und wie sehr wir auch in der Gefahr stehen, in weiten Teilbereichen der Wehrforschung und -technik sowie der Produktion den Anschluß zu verlieren oder - wie bei der Munitionsherstellung - durch Schließung von vorhandenen Werkstätten eine eigene Produktionskapazität überhaupt zu verlieren.
Die CDU/CSU begrüßt Änderungen der Wehrstruktur, wenn und soweit sie Kosten sparen, ohne damit gleichzeitig die Kampfkraft und Präsenz der Bundeswehr zu schwächen, wenn und soweit sie zu einer rationelleren Verwendung der verfügbaren Mittel führen. Unsere begründeten Zweifel, Herr Minister, ob dies mit der im Weißbuch 1973/74 angekündigten Strukturänderung der Fall ist, haben wir in der Debatte am 27. März 1974 zum Ausdruck gebracht.
Wenn wir trotz allem dem Verteidigungshaushalt 1974 zustimmen, obwohl wir viele seiner Ansätze für kaum noch ausreichend halten, so deshalb, um unseren Willen unter Beweis zu stellen, die für die Sicherheit unseres Landes und die Erhaltung der Freiheit notwendigen finanziellen Opfer zu bringen. Unser Ja zum Verteidigungshaushalt soll Ihnen, Herr Bundesminister der Verteidigung, eine Aufforderung sein, die zur Erhaltung unserer Verteidigungskraft erforderliche Korrektur an der mittelfristigen Finanzplanung durchzusetzen. Es soll Ihnen dabei den Rücken stärken.
Wir haben Vertrauen zur Bundeswehr, und wir haben Vertrauen zu unseren Soldaten, denen wir
Deutscher Bundestau - 7. Wahlperiode Hauser ({2})
für ihre ständige Einsatzbereitschaft und für ihre ständige Opferbereitschaft danken.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Würtz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hauser, Sie haben hier auf die mittelfristige Finanzplanung hingewiesen. Ich will in einer Vorbemerkung nur dies sagen: Wir werden die mittelfristige Finanzplanung fortschreiben. In Anbetracht der heutigen Beratung des Haushalts 1974, der eine respektable Steigerung aufweist, darf ich hier nur hinzufügen: Sie werden sich wundern, wie der Bundeshaushalt 1975 gerade im Bereich des Einzelplans 14 aussehen wird.
Meine Damen und Herren, die Mittel für diesen Einzelplan sind so knapp wie möglich, aber so ausreichend wie nötig. Diese meine Bewertung des Haushaltsentwurfs während der ersten Lesung des Einzelplans darf ich auch nach den intensiven Beratungen im Haushaltsausschuß für den Ihnen heute in der zweiten Lesung zur Verabschiedung vorliegenden Entwurf wiederholen.
Gegenüber dem Regierungsentwurf hat es im Laufe der Beratungen Veränderungen gegeben. Ich weise nur auf die beiden erheblichen Umsetzungen von Personalverstärkungsmitteln und den Mitteln für die Waffensysteme Lance und HIP aus dem Einzelplan 60 hin; zusammengenommen rund 1,3 Milliarden DM.
Inhaltlich ist der Haushalt durch einen deutlichen Zuwachs der Ausgaben für die militärische Beschaffung und die Infrastruktur gekennzeichnet. Die Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Erprobung steigen ebenfalls, und zwar stärker als die Betriebsausgaben. Von den mit rund 28,9 Milliarden DM veranschlagten Gesamtausgaben entfallen auf verteidigungsinvestive Ausgaben 9,2 Milliarden DM oder rund 32 %. Demgegenüber betrugen die investiven Ausgaben im vorigen Jahr nur 30,8 %. Erste Anzeichen sprechen dafür, daß wir das überproportionale Wachstum der Betriebsausgaben, vor allem auf dem Gebiet der Materialerhaltung, langsam in den Griff bekommen.
Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu den personellen Verbesserungen im Haushalt 1974 machen. Für die Laufbahn des militärfachlichen Dienstes sind im Haushalt 1974 700 neue Planstellen für Offiziere und 1400 für Offiziersanwärter ausgebracht. Zum zweiten wird den Hauptleuten des militärfachlichen Dienstes die Chance eröffnet, die Besoldungsgruppe A 12 zu erreichen
({0})
und damit ihre Besoldung den Möglichkeiten von Truppenoffizieren dieses Dienstgrades anzupassen.
Für die Hochschulen der Bundeswehr, die ihren Lehrbetrieb im Oktober 1973 aufgenommen haben, sind 195 neue Planstellen für wissenschaftliches Personal und Hilfspersonal vorgesehen.
Im Bereich der Fürsorge darf ich nur ganz kurz nennen: die Erhöhung der Bekleidungszuschüsse und die Abnutzungsentschädigung, die Erhöhung des Verpflegungsgeldes von 3,30 DM auf 3,60 DM und die Erhöhung der Aufwandsvergütungen, die bei den Einsätzen der Bundeswehr im Truppendienst gezahlt werden.
Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß wir auf Grund der Tarifverbesserungen im öffentlichen Dienst, die zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten sind, mit weiteren Personalverstärkungsmitteln in Höhe von 1,1 Milliarden DM zu rechnen haben, so daß dann der Verteidigungshaushalt um nahezu 10,5 % steigen wird.
In Erfüllung der militärischen Ziele der NATO kann die Bundesregierung auch mit dem Haushalt 1974 mit Befriedigung eine Bilanz vorweisen, die den Vergleich mit keinem anderen NATO-Staat zu scheuen braucht. Bei der Untersuchung der Streitkräfteziele im Rahmen der letzten NATO-Jahreserhebung haben unsere Verbündeten anerkannt, daß wir die gegenüber der NATO für 1973 eingegangenen Verpflichtungen erfüllt haben und daß die deutschen Pläne für 1974 und später eine beträchtliche Verbesserung des Potentials der Streitkräfte bedeuten.
In diesem Zusammenhang kann ich die Aussagen Ihres sicherheitspolitischen Sprechers Dr. Wörner nicht begreifen, der wiederholt die Behauptung aufgestellt hat der Kollege Hauser hat dies hier auch versucht -, wir täten für unsere Sicherheit weniger als andere im Bündnis. Fatal wird die Situation, wenn Herr Dr. Wörner im CDU/CSU-Pressedienst erklärt:
Auch die Finanzplanung der Bundesrepublik für die nächsten vier Jahre zeigt, daß eine eindeutige Priorität für die Bündnispolitik fehlt. Wer diese Mängel beseitigen will, der muß bereit sein, die finanziellen Anstrengungen zu erhöhen.
Im Gegensatz dazu hat der Herr Kollege Hauser soeben versucht, deutlich zu machen, warum Sie dem Haushalt zustimmen.
Ich bin sicher, daß die Öffentlichkeit diese Widersprüche in der CDU/CSU-Fraktion entsprechend werten wird. Mir wird einfach nicht klar, wie ein normaler Bürger in der Bundesrepublik Deutschland verstehen soll, daß man den wichtigen Haushalt Landwirtschaft oder den Bereich Soziales oder aber auch den Verkehrshaushalt ablehnt und dem Verteidigungshaushalt zustimmt.
({1})
Meine Damen und Herren, der gewichtige Beitrag der Bundesrepublik zu den Verteidigungsanstrengungen der NATO wird auch im neuen Devisenausgleichsabkommen deutlich. Die Leistungen nach diesem Abkommen, das kürzlich unterzeichnet wurde, haben einen Gesamtumfang von 5,92 Milliarden DM. Demgegenüber hatte das vorhergehende Devisenausgleichsabkommen für den Zeitraum von 1971 bis 1973 einen Umfang von 6,65 Milliarden DM.
Dies waren damals nahezu 700 Millionen DM mehr. Ich bitte, dies auch einmal deutlich zu sehen.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Schluß feststellen, daß der Vergleich der Verteidigungsaufwendungen in der NATO und das neue Devisenausgleichsabkommen die Bemühungen der Bundesrepublik, das Bündnis zu stärken, deutlich zeigen. Das Atlantische Bündnis bleibt Grundlage unserer Sicherheit. Dies hat Bundeskanzler Schmidt in seiner Regierungserklärung erneut betont und hinzugefügt - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Wir werden auch künftig an der politischen Stärkung der Allianz arbeiten und auch künftig mit der Bundeswehr unseren im Bündnis vereinbarten Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit leisten. Unsere Soldaten erfüllen diese Aufgabe, und sie verdienen dafür unseren Dank.
Ich glaube, ich brauche diesen Worten nichts hinzuzufügen und darf feststellen, daß die SPD-Bundestagsfraktion dem Einzelplan 14 in der vorgelegten Form zustimmen wird.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen zur Aussprache liegen nicht vor.
Zur Abstimmung hat der Abgeordnete Schulte das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 14 spielt seit jeher in diesem Hause eine besonders große Rolle. Die Koalitionsfraktionen legen besonders großen Wert darauf, hier auch dokumentarisch festzuhalten, wie sich die einzelnen Kolleginnen und Kollegen des Hauses zu diesem Einzelplan verhalten, und beantragen deshalb namentliche Abstimmung.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Darf ich die Damen und Herren Schriftführer bitten, auf ihre Posten zu gehen. - Wir beginnen mit der Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich habe das Gefühl, daß wir die Abstimmung schließen können.
({1})
Ich schließe die Abstimmung. Ich schlage vor, daß wir während des Auszählvorganges in unserer Tagesordnung fortfahren.
({2})
Wir haben noch 10 Einzelpläne zu beraten; das für die, die eben erst gekommen sind, als Darstellung der Geschäftslage. Wir warten auf das Ergebnis der Abstimmung über Einzelplan 14.
Ich rufe den Einzelplan 15 auf:
Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit
-Drucksache 7/1925 Berichterstatter:
Abgeordneter Carstens ({3}) Abgeordneter Schröder ({4})
Ich danke den beiden Berichterstattern, Herrn Carstens ({5}) und Herrn Schröder ({6}). Wünschen die Berichterstatter das Wort zur mündlichen Ergänzung? - Das ist nicht der Fall.
Wir treten in die allgemeine Aussprache ein. Dazu rufe ich den Antrag Drucksache 7/2139 der Fraktion der CDU/CSU auf. Wer wird ihn begründen? - Zur Begründung des Antrags Drucksache 7/2139 hat Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr schwierig, in dieser Stunde noch einen Antrag zu begründen. Aber ich will dennoch diesen Versuch unternehmen. Es geht um die Streichung der Mittel für den SHB, den Sozialistischen Hochschulbund.
({0})
Was wie Routine aussehen könnte, ist dennoch ein ernstgemeinter Antrag, der schon deshalb besonders wichtig ist, weil Sie
({1})
sich gerade im letzten Jahr vom SHB deutlicher distanziert haben als in den vergangenen Jahren. Es geht darum, daß wir § 9 des geltenden Jugendwohlfahrtsgesetzes nicht nur respektieren, sondern auch konsequent anwenden. Dort heißt es:
Träger der freien Jugendhilfe dürfen nur unterstützt werden, wenn sie die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit ... bieten...
Diese Gewähr bietet der SHB nicht. Dieser Sozialistische Hochschulbund, vormals Sozialdemokratischer Hochschulbund, der 1960 gegründet wurde, hat sich mehr und mehr von der demokratischen Basis entfernt. Er ist kein demokratischer Hochschulbund. Er steht im Gegensatz zu den Prinzipien unserer Verfassung, zu den Prinzipien unserer Demokratie.
Mit dem Zerfall des SDS zerfiel auch der SHB. Er verlor seine Orientierung und schloß sich konsequenterweise der DKP an. Die SPD zog daraus bestimmte Schlußfolgerungen - nicht ganz konsequent, aber immerhin erste naheliegende Schlußfolgerungen -, nämlich: die monatlichen finanziellen Zuwendungen wurden gestrichen.
Der damalige Referent und Sachbearbeiter für Hochschulfragen in der Bundesgeschäftsstelle der SPD schreibt:
Die finanzielle Situation des SHB ist mehr als prekär. Er ist daher schon aus finanziellen Gründen darauf angewiesen, daß der Bundesverband des SHB Mittel von der DKP bekommt.
Eine Aktionseinheit von SHB und DKP ist nur
unter der Führung der DKP möglich. Es ist heute so, daß dieser SHB von der DKP geführt wird. Er hat sich seiner Gesellschaftstheorie der Gesellschaftstheorie des Stamokap angeschlossen. Ich will nicht verhehlen, daß diese neue Gesellschaftstheorie eine ernst zu nehmende Gesellschaftstheorie ist, eben deshalb, weil sie seit Lenin den ersten ernst zu nehmenden Versuch darstellt, die Kapitalismustheorie von Marx und Engels mit den inzwischen veränderten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in Übereinstimmung zu bringen. Ich will im einzelnen diese Theorie jetzt nicht darlegen, das würde zu weit führen.
({2})
- Ich verstehe die Unruhe zu dieser Zeit, aber wenn ich schon darauf hingewiesen habe, daß es sich hier um eine ernst zu nehmende Theorie handelt, dann sollten wir uns, meine ich, hier auch mit dieser Theorie auseinandersetzen.
Diese Theorie legt uns nahe, daß wir den SHB aus Mitteln des Bundesjugendplans nicht mehr unterstützen. Es wäre eine konsequente Handlung der Demokraten, die in Übereinstimmung stände mit den vielen Appellen, die hier und an anderen Tagen zum Grundgesetz, zu demokratischen Prinzipien geäußert worden sind. Es wäre schizophren, wenn diese Regierung auf der einen Seite nicht in der Lage wäre, die Mittel für die Förderung aus dem Bundesjugendplan stufenweise zu erhöhen, und auf der anderen Seite nicht konsequent genug ist, die Mittel für einen Sozialistischen Hochschulbund zu streichen.
Ich darf in diesem Zusammenhang hinweisen auf den Mangel an jugendpolitischer Perspektive in der Regierungserklärung dieser Regierung Schmidt /Genscher: Nicht eine einzige Aussage zur Jugendpolitik,
({3})
keine Aussage zur Novellierung des Jugendschutzes,
({4})
keine Aussage zur Verbesserung des deutsch-französischen Jugendaustausches,
({5})
keine Aussage zu der von der vorigen Regierung noch als notwendig anerkannten Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes durch ein neues Jugendhilferecht!
({6})
Es kommt darauf an, daß wir in diesem Moment, wo gerade die junge Generation nach jugendpolitischen Perspektiven ruft, wo die Frage von der jungen Generation nach Orientierung gestellt wird, wo die Mehrheit der jungen Generation ja sagt zu diesem Staat, ja sagt zu dieser Gesellschaftsordnung, wo wir wissen, daß die Mehrheit der jungen Generation keinen sozialistischen Wohlfahrtsstaat will,
({7})
- Das weiß ich zum Beispiel aus den leider nicht
veröffentlichten Umfragen der SPD vom Mai 1973.
({8})
Die junge Generation möchte in der Mehrheit aus eigenem Antrieb solidarisch handeln können. Sie möchte nicht, daß alles und jedes von oben dirigistisch, bürokratisch verordnet wird. Genau in diesem Moment es wäre eine nach meiner Meinung wertvolle Diskussion, wenn wir uns auch darüber unterhalten würden - ist es notwendig, daß auch die Politik, aber sie nicht allein,
({9})
eine Aussage macht über die jugendpolitische Perspektive, denn die junge Generation möchte Orientierung für die Gestaltung ihres eigenen Lebens und für die Mitgestaltung in diesem Staat und in dieser Gesellschaft. Genau in diesem Punkt versagt die Regierung. Es wäre gut, wenn sie dazu eine Aussage gemacht hätte und konsequent handeln würde infolge unseres Antrages,
({10})
nämlich die Mittel für einen Sozialistischen Hochschulbund, der nachweisbar
({11})
dieses unser System überwinden will, -
Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gansel?
Gerne!
Herr Kollege! Nachdem Sie jetzt auf Ihre eigenen jugendpolitischen Vorstellungen zu sprechen kommen, möchte ich Sie doch bitten, hier noch einmal des Näheren zu erläutern, inwieweit -
Herr Kollege! Sie müssen fragen, nicht bitten!
Dann möchte ich an Sie die Frage stellen, ob Sie es mir übel nehmen, wenn ich Sie bitte, nun doch noch einmal des näheren zu erläutern, inwiefern die Theorie vom Stamokap der erste ernstzunehmende Versuch der Weiterentwicklung der Ideen von Marx und Engels ist.
({0})
Ich bin selbstverständlich gern dazu bereit, wenn Sie bereit sind, zuzuhören; bis jetzt hatte ich den Eindruck nicht.
({0})
Nach der Stamokap-Theorie ist es nicht so, daß sich die gesamte bürgerliche Klasse im Gegensatz
zur arbeitenden Bevölkerung befindet, sondern so, daß diese Entwicklung zu einem Monopolkapitalismus führt, der nicht die gesamte Bürgerschaft auf seiner Seite hat, sondern sich hier eine Zuspitzung vollzieht, die in Gegensatz zu den allgemeinen Interessen der Bevölkerung gerät - insofern eine eindeutige Weiterentwicklung der Theorie von Marx und Lenin. Ich hoffe, daß Sie das verstanden haben.
({1})
Mit diesem Versuch wollte ich mich auseinandersetzen, wenngleich ich einsehe, daß es um diese Zeit nicht mehr angebracht ist. Herr Hansen, Sie habe ich exemplarisch in Ost-Berlin erlebt;
({2})
ich habe erlebt, wie sehr Sie auf dieser Theorie nicht nur gestanden, sondern sie verbal tatkräftig ausgeführt haben, und gerade mit Ihnen möchte ich darüber diskutieren. Es ist in der Tat notwendig, daß wir uns mit den Theorien einer sozialistischen Hochschulgruppe auseinandersetzen, die heute immer noch aus dem Bundesjugendplan Mittel beansprucht.
({3})
Und im übrigen: Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben bis zum heutigen Tage mit Ihren studentischen Hochschulgruppen kein Glück gehabt, Sie haben bis heute keinen ernst zu nehmenden Partner im Bereich der Hochschule, und gerade Sie sollten sich mit diesen Theorien, mit diesen Ansichten auseinandersetzen. Ich merke, daß Sie dazu nicht bereit sind, weil es Ihnen peinlich ist.
({4})
Aber der ernst zu nehmende Versuch, hier nicht mit finanziellem Druck eine Gruppe auf Linie zu bringen, sondern als Demokraten konsequent zu handeln, sollte auch von Ihnen respektiert werden. Wenn ich vorausschicke, daß dafür eine theoretische Auseinandersetzung notwendig ist, so verstehe ich nicht, weshalb gerade Sie nicht dazu bereit sind.
Ich beantrage die Zustimmung zu unserem Antrag mit dem Ziel des konsequenten Handelns aller Demokraten und dieses Parlaments.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Sperling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war Mitternacht, das ist die Geisterstunde.
({0})
Soeben haben wir gehört, welche Gespenster in den Köpfen der CDU/CSU herumspuken.
({1})
Lieber Kollege Carstens, wenn das der Neomarxismus ist, den Sie bekämpfen, dann haben Sie eine Rosinante gesattelt.
({2})
Der Kollege Kroll-Schlüter hat gesagt, der Antrag soll ernst zu nehmen sein.
({3})
Da haben Sie Ihren Deckoffizier Schröder ({4}) aber nicht richtig um Rat gefragt. Ich habe mir nämlich angeguckt, was Sie da geschrieben haben, es bis ins Detail geprüft. Sie wollen da die Zuweisungen für laufende Zwecke der Jugendhilfe an Länder kürzen. Da habe ich mir überlegt: Wie ist das eigentlich, soll man nicht der eigenen Fraktion und dem Koalitionspartner empfehlen, diesen Antrag anzunehmen?
({5}) Und dann habe ich mir überlegt:
({6})
Was wird dann passieren? Dann wird irgendein Land 85 000 DM weniger kriegen müssen; mit dem SHB hat das ja nichts zu tun, was Sie beantragt haben, sondern das ist etwas völlig anderes. Sie haben nämlich den falschen Titel hineingeschrieben.
({7})
Ich gebe Ihnen die richtige Adresse: 6 84 11. Das hätten Sie hineinschreiben müssen. Die Zahl 6 52 11 könnte sich z. B. so auswirken -
({8})
- Schöner Druckfehler! Da wird uns sonst immer eine Drucksache mit dem Klammerwörtchen „neu" eingereicht, wenn ein paar Zahlen geändert werden müssen. Das hätte aber Herr Kroll-Schlüter sagen müssen.
Ich war also zunächst der Auffassung, daß man diesen Antrag annehmen sollte. Aber dann habe ich mir überlegt: Dies könnte vielleicht der katholischen Landjugendarbeit in Nordrhein-Westfalen schaden;
({9})
denn der Beamte, der dann 85 000 DM weniger zu verteilen hat, wird sich überlegen, was der Antragsteller wohl gemeint hat. Auf was soll er kommen? Vielleicht wäre auch die Junge Union betroffen gewesen, möglicherweise in Ihrem Wahlkreis; dann hätte man sich bei Ihnen nicht gerade freundlich bedankt. Gerade davor möchte ich Sie bewahren. Wir sollten diesen Antrag ablehnen.
Aber nun in allem Ernst. Der Grund ist nicht, daß der falsche Titel genannt ist, sondern weil dieses Parlament keine administrativen Aufgaben übernehmen soll, weil der SHB nicht so gefährlich ist, wie Sie es darstellen, weil das Mitspracherecht der jungen Generation geachtet werden soll, weil die junge Generation in dem Verfahren, mit dem überprüft wird, ob noch Geld ausgezahlt werden soll oder nicht - ungeachtet der Tatsache, daß wir sie alle nicht gern haben -, mitsprechen soll. Dafür gibt es ein geregeltes Verfahren. Dies zu entscheiden können wir in aller Ruhe der Regierung überlassen.
({10})
Im Haushaltsausschuß haben Sie die richtige Postleitzahl gehabt: 6 84 11. Sehen Sie einmal im Protokoll nach!
({11})
- Ja, im Haushaltsausschuß sind Sie damit rückdressiert worden. Jetzt haben Sie uns hier eine andere Feldpostnummer genannt. Aber die nutzt nichts. Lassen wir das beiseite!
Was mit diesem Antrag gemacht werden soll, ist eigentlich viel zu schade dafür, daß sich das Parlament um diese 85 000 DM kümmert. Es ist sinnvoll, eine Jugendpolitik unter Mitsprache der jungen Generation zu bestimmen. Darüber wird im Bundesjugendkuratorium gesprochen werden. Die haben auch kein Interesse an falschen Solidarisierungen. Wir sollten in diesem Fall die Finger von den Empfehlungen der CDU/CSU lassen und sagen: Der Antrag kommt weg.
Im übrigen empfehle ich Ihnen, dem vorzüglichen Haushalt des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit zuzustimmen.
({12})
- Ich will doch kein zweites Mal reden! In diesem Haushalt steht eine Menge über jene sozialen Randgruppen, die keine so schöne Lobby hier haben, wie sie Herr Kroll-Schlüter für die katholische Landjugend darstellt. Tun Sie etwas für Behinderte, für ältere Menschen, tun Sie auch etwas für Jugendgruppen, die keine Lobby hier haben! Stimmen Sie dem Haushalt zu!
({13})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Althammer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was Herr Kollege Sperling hier eben gesagt hat, kann man doch nicht so stehen lassen. Herr Kollege Sperling weiß ganz genau aus der Arbeit im Haushaltsausschuß, daß wir in vielen Fällen einen Ansatz gekürzt und dabei die Erklärung abgegeben haben: Das betrifft die und die Position und die und die Organisation. Es war immer Gepflogenheit, daß die Administration dann einer solchen Stellungnahme des Parlaments - auch im Haushaltsausschuß - gefolgt ist. Dieses Argument können Sie hier also nicht verwenden. Ich bin der Meinung, daß wir in der Sache entscheiden sollten. Damit ist gemeint, daß man eine linksradikale Organisation nicht mit Steuermitteln unterstützen sollte. Darüber ist abzustimmen.
({0})
Zu dem Änderungsantrag liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Wir stimmen damit über den Antrag der CDU/CSU Drucksache 7/2139 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wird das Wort zum Haushalt noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann stimmen wir über Einzelplan 15 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Haushalt ist angenommen.
Ich gebe nun das Ergebnis der Abstimmung über Einzelplan 14 bekannt. Es haben 352 uneingeschränkt Stimmberechtigte und 14 Berliner Abgeordnete abgestimmt. Mit Ja haben 347 uneingeschränkt Stimmberechtigte und 14 Berliner Abgeordnete gestimmt. Nein-Stimmen gab es nicht. Enthalten haben sich 5 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete
({0})
und keine Berliner.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 352 und 14 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 347 und 14 Berliner Abgeordnete, nein: enthalten: 5
Ja
SPD
Adams
Dr. Ahrens
Amling Anbuhl Dr. Apel
Arendt ({1}) Dr. Arndt ({2}) Augstein
Baack Barche Dr. Bardens
Becker ({3}) Dr. Beermann Behrendt
Berkhan
Biermann
Dr. Böhme ({4}) Börner
Frau von Bothmer Brandt ({5}) Bredl
Brück Buchstaller
Büchler ({6})
Büchner ({7})
Dr. von Bülow Buschfort
Collet Conradi
Dr. Corterier
Frau Däubler-Gmelin Dürr
Eckerland
Dr. Ehmke
Frau Eilers ({8}) Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Engholm
Esters Ewen
Dr. Farthmann Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Franke ({9})
Frehsee Friedrich
Gansel Geiger Gerlach ({10})
Gerstl ({11})
Glombig
Gnädinger
Grunenberg
Dr. Haack
Haar
Haase ({12})
Haase ({13})
Haehser Halfmeier
Hansen Hauck Dr. Hauff
Henke Herold Höhmann
Hofmann
Horn
Frau Huber
Huonker Immer
Jahn ({14})
Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans
Junker Kaffka Kahn-Ackermann
Kater Kern
Koblitz Konrad Kratz
Dr. Kreutzmann
Krockert
Kulawig
Lambinus
Lattmann
Dr. Lauritzen
Leber
Lemp
Frau Dr. Lepsius
Vizepräsident Frau Funcke
Liedtke
Lutz
Mahne
Marquardt Marschall Matthöfer Frau Meermann
Dr. Meinecke ({15}) Meinicke ({16}) Metzger
Möhring
Müller ({17})
Müller ({18})
Müller ({19}) Müller ({20})
Dr. Müller-Emmert
Nagel
Neumann Dr.-Ing. Oetting
Offergeld Frau Dr. Orth
Freiherr
Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Dr. Penner Pensky
Polkehn
Porzner
Rapp ({21})
Rappe ({22}) Ravens
Reiser
Frau Renger Reuschenbach
Richter
Frau Dr. Riedel-Martiny Rohde
Rosenthal Saxowski
Dr. Schachtschabel Schäfer ({23})
Dr. Schäfer ({24}) Scheffler
Scheu
Frau Schimschok Schirmer
Schlaga
Schluckebier
Dr. Schmidt ({25}) Schmidt ({26})
Dr. Schmude
Schonhofen Schreiber Schulte ({27})
Schwabe
Dr. Schweitzer
Dr. Schwencke
Seefeld
Seibert
Simpfendörfer
Dr. Slotta Dr. Sperling
Spillecke
Staak ({28})
Stahl ({29})
Sund
Frau Dr. Timm
Tönjes
Urbaniak Vahlberg Vit
Vogelsang Walther Wehner Wende
Wendt
Dr. Wernitz
Westphal Dr. Wichert
Wilhelm Wischnewski
Dr. de With
Wittmann ({30})
Wolf
Wolfram Wrede Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Frau Grützmann
Heyen Löffler Mattick Frau Schlei
Schwedler
Sieglerschmidt
CDU/CSU
Alber
von Alten-Nordheim
Baier
Berger Bewerunge
Biechele Biehle
Böhm ({31})
Bremer Bremm Burger Carstens ({32})
Dr. Carstens ({33})
Damm
van Delden
Dr. Dollinger
Dreyer Eigen
Eilers ({34}) Engelsberger
Entrup
Erhard ({35}) Ernesti
Dr. Evers
Ey
Ferrang
Freiherr von Fircks
Franke ({36})
Dr. Franz
Dr. Früh Dr. Fuchs
Geisenhofer
Gerlach ({37})
Gerster ({38})
Gierenstein
Dr. Gölter
Haase ({39})
Dr. Häfele
von Hassel
Hauser ({40}) Dr. Hauser ({41}) Höcherl
Hösl
Dr. Hornhues
Horstmeier
Dr. Jahn ({42})
Dr. Jobst
Josten Kiechle Dr. Klein ({43})
Dr. Köhler ({44}) Krampe
Dr. Kraske
Dr. Kreile
Dr. Kunz ({45})
Leicht Lemmrich
Dr. Lenz ({46})
Lenzer Link
Löher Dr. Luda
Dr. Marx
Dr. Mertes ({47}) Möller ({48})
Frau Dr. Neumeister
Niegel Nordlohne
Orgaß Pfeffermann
Pfeifer Picard Dr. Prassler
Frau Dr. Riede ({49}) Dr. Riedl ({50})
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Röhner Rommerskirchen
Roser
Sauer ({51})
Sauter ({52})
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble
Schedl
Frau Schleicher Schmidhuber
Schmitt ({53})
Dr. Schneider
Frau Schroeder ({54}) Schröder ({55}) Schulte (Schwäbisch Gmünd Sick
Solke
Dr. Sprung
Dr. Stark ({56})
Graf Stauffenberg
Strauß Stücklen
Susset
de Terra
Tillmann
Frau Tübler
Vehar Volmer Dr. Wagner ({57})
Dr. Wallmann
Wawrzik
Dr. Freiherr von Weizsäcker Frau Will-Feld
Windelen Wissebach
Dr. Wittmann ({58}) Frau Dr. Wolf
Dr. Zeitel Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({59})
Kunz ({60})
Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe
FDP
Dr. Böger Christ
Frau Funcke
Geldner Dr. Hirsch
Hölscher Hoffie
Jung
Kleinert Krall
Frau Lüdemann
Mertes ({61}) Mischnick
Moersch Ollesch Opitz
Frau Schuchardt Spitzmüller
Dr. Wendig
Wurbs Zywietz
Berliner Abgeordneter Hoppe
Enthaltungen
SPD
Coppik
Schinzel
Dr. Schöfberger Walkhoff
Waltemathe
Damit ist der Einzelplan 14 ebenfalls angenommen.
({62})
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 7/1926 Berichterstatter: Abgeordneter Picard
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wünscht er das Wort - Das ist nicht der Fall.
Vizepräsident Frau Funcke
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort zu Einzelplan 19 gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksache 7/1927 Berichterstatter: Abgeordneter Blank
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ungewöhnlich, daß der Berichterstatter des Einzelplans 20 in der Plenardebatte spricht. Es ist aber auch ungewöhnlich, daß dem Hause gemäß § 29 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung zwei Vorlagen zum Einzelplan 20 zugeleitet worden sind: der Haushaltsentwurf der Bundesregierung und der ursprünglichen Voranschlag des Bundesrechnungshofs. So etwas geschieht dann, wenn der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf zu den Einzelplänen oberster Bundesorgane - des Bundestages, des Bundesrates, des Bundesverfasungsgerichts oder, wie in diesem Jahr, des Bundesrechnungshofes - von den Voranschlägen dieser Organe abweicht.
In seinem Voranschlag für 1974 hat der Präsident des Bundesrechnungshofes u. a. darum gebeten, sechs Planstellen des Präsidialbereichs von A 15 nach A 16 anzuheben und - das ist der wichtigere Punkt; ich nehme ihn hier schon einmal vorweg - den Hof in § 14 Abs. 4 des Haushaltsgesetzes den Organen der Rechtsprechung insoweit gleichzustellen, als die Verpflichtung zur Teilnahme an der Einsparung von 1 400 Planstellen in diesem Jahr für sie entfällt.
Die Bundesregierung ist diesen Vorstellungen in ihrem Haushaltsentwurf aus grundsätzlichen Erwägungen nicht gefolgt. Hinsichtlich der geforderten Stellenanhebungen nach A 16 befürchtet sie, daß andere Bundesbehörden ermuntert würden, diesem Beispiel zu folgen und für ihren jeweiligen Präsidialbereich entsprechende Forderungen zu stellen.
Nach Auffassung des Haushaltsausschusses hat die Bundesregierung dabei den Umfang und den verfassungsmäßigen Rang des Bundesrechnungshofes übersehen, der diesen als Beispiel für andere Bundesbehörden ungeeignet erscheinen läßt. Die Bundesregierung hat vor allem die besondere Stellung des Präsidenten des Bundesrechnungshofs als des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung außer Betracht gelassen. Zur Bewältigung dieser wichtigen Aufgabe, die sich auf die gesamte Bundesverwaltung erstreckt, bedient sich der Präsident des Bundesrechnungshofs entsprechend Ziffer 6 der Richtlinien vom 10. März 1965, eben dieser Präsidialabteilung. Damit führt diese Abteilurig unter der Leitung ihres Präsidenten Arbeiten durch, deren Bedeutung nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Zugleich wird deutlich, daß Vergleiche mit Präsidialabteilungen mit ihrem üblichen Aufgabenkreis unzulässig sind. Der Haushaltsausschuß ist daher den Vorstellungen des Präsidenten im wesentlichen gefolgt und empfiehlt Ihnen, meine Damen und Herren, die Anhebung von vier Stellen nach A 16.
Er hielt es auch für richtig, den Bundesrechnungshof im Sinne des § 14 Abs. 4 des Haushaltsgesetzes den Organen der Rechtsprechung gleichzustellen. Dabei ging er von folgenden Erwägungen aus. Der Hof stellt sich als eine Behörde dar, die bei ihren Personalausgaben beispielhaft sparsam ist und alle Rationalisierungsmöglichkeiten nutzt, um mit geringstem Aufwand größten Erfolg zu erzielen. Von 1961 bis 1973 hat sich der Personalbestand von 518 auf 497 verringert. Im gleichen Zeitraum haben sich die Aufgaben des Bundesrechnungshofes nach Umfang und Schwierigkeitsgraden beträchtlich vermehrt. Der Bundeshaushalt hat sich im Volumen verdoppelt; der Etat der Bundesbahn hat sich verdreifacht und derjenige der Bundespost mehr als vervierfacht. Zugleich sind Fragen der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Organisation in den Mittelpunkt der Betrachtungen des Bundesrechnungshofs gerückt, Fragen, deren Beantwortung den im Hof Tätigen hohe Leistungen abfordert. Berücksichtigt man außerdem, daß die Bundesregierung, insbesondere aber dieses Haus, an der Steigerung des Prüfungsumfangs und der Prüfungsqualität ein vitales Interesse haben - oder haben müssen -, so erscheint es unzweckmäßig, diese Institution der Sparregelung des § 14 des Haushaltsgesetzes zu unterwerfen. Dies wäre Sparsamkeit am falschen Platz.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkung zur Stellung des Bundesrechnungshofs im Spannungsfeld von Recht, Wirtschaftlichkeit und Politik zu sagen. Wenn ich eben sagte, daß Regierung und Parlament ein vitales Interesse an der Steigerung des Umfangs und der Qualität der Überprüfung durch den Bundesrechnungshof haben und - dies sage ich mit Bedacht - haben müssen, so verkenne ich nicht, daß das Arbeitsergebnis, die Prüfungsbemerkung, nicht immer zu reiner Freude Anlaß gibt. Als Mitglied des Rechnungsprüfungsausschusses 'weiß ich, daß sich häufig der rechtlich geordnete und rationalen Prüfungen zugängliche Bereich gegenüber dem beurteilungsfreien, weil sich der Beurteilung der Sache nach entziehenden Raum der Politik kaum oder jedenfalls nicht sicher abgrenzen läßt. Wenn es gleichwohl in der Vergangenheit in politisch, auch rein parteipolitisch außerordentlich interessanten Fällen - ich denke an, die Bemerkungen zur Beschaffung der Starfighter oder an das jüngste Gutachten des Hofs zu Fragen der Entwicklungshilfe - stets zu einstimmigen Voten des Rechnungsprüfungsausschusses, des Haushaltsausschusses und den entsprechenden Beschlüssen dieses Hauses gekommen ist, so ist das eine Folge einer in aller Regel außerordentlich gründlichen und vorurteilsfreien Prüfarbeit des Hofs. Es ist aber auch das Ergebnis
einer um Objektivität bemühten Arbeit der genannten parlamentarischen Gremien.
({0})
- Diese Frage haben Sie schon einmal gestellt.
({1})
Sie sind sich gerade bei der Rechnungs- und Wirtschaftlichkeitsprüfung ihrer Rolle als Kontrollorgan der Regierung bewußt. Wenn auch in anderen Bereichen das Prinzip der Gewaltenteilung, die Polarität von Parlament und Regierung häufig überlagert ist von der Konfrontation von Parlamentsmehrheit und Opposition, so wird die klassische Aufgabe des Parlaments gerade im Bereich der Rechnungsprüfung deutlich.
Und so war es denn auch nur natürlich, daß der Haushaltsausschuß einhellig den über die Vorschläge der Bundesregierung hinausgehenden Wünschen des Rechnungshofs entsprochen hat. Um so befremdlicher wäre es, wenn die Opposition nunmehr von ihrer positiven Haltung abrücken würde.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf einen Bericht im „Handelsblatt" vom 29. April. Danach soll die Opposition beabsichtigen, dem Einzelplan 20 ihre Zustimmung zu versagen.
Ich hoffe, daß dies eine Fehlinformation ist. Ein solches Verhalten müßte die Zusammenarbeit des Parlaments mit dem Rechnungshof belasten. Daran kann meines Erachtens dem Hause nicht gelegen sein. Ich bitte Sie daher, dem Einzelplan 20 in der vom Haushaltsausschuß geänderten Fassung zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zur Aussprache hat Frau Abgeordnete Pieser.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! In Anbetracht der vorgerückten Stunde, zu Beginn eines neuen Tages,
({0})
möchte ich auf eine Reihe der vorgesehenen Ausführungen verzichten,
({1})
weil Kollege Blank über unsere grundsätzliche Meinung zur Position des Bundesrechnungshofs Ausführungen gemacht hat, die auch meine Kollegen bereit sind, zu unterschreiben. Nur müssen wir dabei berücksichtigen, daß bei Feststellung der Tatsache der besonderen Aufgaben und Positionen, die der Bundesrechnungshof auf Grund gesetzlicher Regelungen einzunehmen hat, gerade in der jüngsten Vergangenheit Anlaß gegeben ist, an Funktion und Durchführung der Aufgaben, wie sie der Bundesrechnungshof dargetan hat, Zweifel entstehen zu lassen.
({2})
Herr Kollege Blank irrt, wenn er sagt, daß im „Handelsblatt" unsere Absicht richtig wiedergegeben ist. Ich will es deshalb gleich vorab sagen: Die CDU/CSU-Fraktion hat nicht die Absicht, den Einzelplan 20 abzulehnen. Wir werden uns aber in diesem Zusammenhang der Stimme enthalten.
Wie gesagt: In der politischen Diskussion der letzten Monate sind Zweifel in der Öffentlichkeit entstanden, ob der Bundesrechnungshof immer in überzeugender Abgrenzung gegenüber den zu prüfenden Instanzen gehandelt hat oder wie sonst Voten zustande kommen konnten, wie wir sie bei der Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem vom Haushaltsausschuß geforderten Gutachten über den Einzelplan 23 zu beraten hatten.
Kollege Blank hat durchaus korrekt berichtet, daß nach mehr als zehnstündiger Beratung im Rechnungsprüfungsausschuß auf Grund der festgestellten Prüfungsbemerkungen und der Diskussion dieser Fragen der Eindruck entstehen konnte, daß der Bundesrechnungshof selber die von ihm betroffenen Feststellungen in gewissem Umfang in Frage stellte, modifizierte oder abminderte.
Meine Damen und Herren, in dieser einstimmigen Verabschiedung eines Entschließungsvorschlags war aber nicht beinhaltet - das hat mein Kollege Picard nach Abschluß der Beratungen ganz klargestellt -, daß wir damit der Meinung seien, die getroffenen Feststellungen seien insgesamt als inhaltslos zu betrachten. Wir können wohl nicht davon ausgehen, daß die Mitarbeiter des Bundesrechnungshofs, die wir über lange Jahre der Zusammenarbeit sowohl im Haushaltsausschuß als auch im Rechnungsprüfungsausschuß kennengelernt haben, in ihrem Votum von Voraussetzungen ausgegangen sein könnten, die insgesamt nicht den festgestellten Tatsachen entsprechen.
Wir können in diesem Zusammenhang nur hoffen, daß in der wohl für die erste Juniwoche anstehenden Sitzung des zuständigen Fachausschusses den Fragen in concreto noch einmal nachgegangen wird, so daß wir dann ein klareres Bild haben werden, als es sich auf Grund der Beratungen im Rechnungsprüfungsausschuß darstellte.
Ich darf mich nun noch kurz den anderen Aufgabenbereichen des Bundesrechnungshofs zuwenden. Wir sprachen eben von Feststellungen in der dem Bundesrechnungshof übertragenen Prüfungsfunktion, also etwa von der Frage der Beobachtung vergangener Verwaltungshandlungen. Es ist auch noch ein Wort zur Aufgabe des Bundesrechnungshofs als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung zu sagen. In diesem Zusammenhang glauben wir feststellen zu müssen, daß es wohl nicht in erforderlichem Umfange wahrgenommene Aufgaben sind, wenn der Bundesrechnungshof von seinem Recht der Prüfung und Beratung auch im Vollzug der Verwaltungsabläufe so hätte Gebrauch machen und die Beratung auch in der Beziehung hätte erfolgen können, daß durch Straffung und bessere Organisation an irgendeiner Stelle in dieser Verwaltung einmal Stellen hätten eingespart werden können, statt sie inflationär - entsprechend der monetären Situation - zu einer Beamtenhierarchie zu vermehren, die bald nicht mehr zu übersehen ist.
({3})
Der Bundesrechnungshof hat darüber hinaus noch eine dritte Funktion, die in diesem Zusammenhang kurz betrachtet werden soll. Gemäß § 96 des Bundesbeamtengesetzes hat der Präsident des Bundesrechnungshofs den Vorsitz im Bundespersonalausschuß. Bei der Wahrnehmung dieser Funktionen sind ebenfalls Zweifel entstanden, ob bei den Beratungen dieses wichtigen Personalgremiums im Zusammenhang mit der Eingliederung von anderen als Laufbahnbeamten in die obersten Bundesbehörden immer mit gleichen Maßstäben gemessen worden ist.
Wir wissen, daß zur Feststellung der Befähigung der Übernahme in das Beamtenverhältnis in der Regel ein Prüfungsgespräch gehören soll. In immer größerer Zahl stellen wir fest, daß auf dieses Prüfungsgespräch bei Vorliegen erstaunlicherweise immer gleicher politischer Voraussetzung verzichtet und nach Aktenlage entschieden wird.
({4})
Diese Entscheidung führt in der Regel sogar dazu, daß eine Übernahme als Beamter auf Probe nicht im Eingangsamt, sondern schon in der zweithöheren Stufe verfügt wird, wobei es Fälle gegeben hat, in denen sogar Zulagen gezahlt worden sind und nach einem Dienstablauf von einem weiteren halben Jahr dann eine erneute Beförderung in die Stufe erfolgt ist, für die man in der Zwischenzeit schon Stellenzulagen gezahlt hat.
({5})
Meine Damen und Herren, ich will es dabei belassen. Dies waren nur wenige Beispiele aus unserer Sicht. Wir wünschen für uns alle, und um der hohen Aufgabe des Bundesrechnungshofs und dem ihm gesetzlich gegebenen Auftrag in Zukunft besser gerecht zu werden, hier klarere Verhältnisse und hoffen, daß wir dann im nächsten Jahr - wie
bisher üblich dem Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof auch als Opposition zustimmen können. Für diesmal gilt: wir enthalten uns der Stimme.
({6})
Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 20 auf Drucksache 7/1927. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme und Enthaltungen angenommen.
Ich rufe nunmehr den Einzelplan 23 auf:
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
- Drucksache 7/1928 Berichterstatter: Abgeordneter Esters
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht. Wünscht er das Wort zur Ergänzung? - Das ist nicht der Fall.
Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Josten und Genossen auf Drucksache 7/2125 vor.
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Josten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dieser frühen Morgenstunde, wo wir hier zusammen sind, gibt es Millionen Menschen in dieser Welt, idie vor Hunger nicht schlafen können.
({0})
- Ich bitte, hören Sie meine Ausführungen mit dem Ernst an, den dieses Thema tatsächlich verdient. Wenn auch die Zeit vorgerückt ist, halte ich doch nichts davon, daß man jetzt nicht bereit ist zuzuhören. Das entspricht nicht einem guten parlamentarischen Stil, besonders angesichts des Themas Entwicklungshilfe und auch angesichts des Änderungsantrags, den wir hier gestellt halben. Viele in unserem Land sind sich gar nicht mehr bewußt, in welcher Welt wir wirklich leben und wie ungeheuer groß die Not ist.
Mit dem Änderungsantrag auf Drucksache 7/2125 bitten wir, den Ansatz im Tit. 686 08 - es handelt sich hier um Lieferung von Ernährungsgütern an Entwicklungsländer - um 5 Millionen DM zu erhöhen. Der Haushaltsausschuß hat angesichts der Bedeutung dieses Titels - wie aus der Drucksache 7/1928 zu ersehen - bereits eine Erhöhung um 20 Millionen DM beschlossen. Die von uns gewünschte Erhöhung um weitere 5 Millionen DM halten wir für zweckmäßig und notwendig, um eine größere Hilfe zu ermöglichen. Diese Mittel werden nämlich auch für Aufwendungen benötigt, welche der Vorbereitung der Lieferung dienen oder die
- wie es in den Erläuterungen des Ministeriums heißt - eine wirksame Verwendung der gelieferten Ernährungsgüter gewährleisten.
Der nach unserem Antrag zur Verfügung zu stellende Betrag von insgesamt 30 Millionen DM steht nicht als Katastrophenhilfe bereit. Nach unserer gemeinsamen Auffassung von Entwicklungshilfe
- ich darf wohl sagen, sicher auch nach der Auffassung aller Mitglieder in dem zuständigen Ausschuß und auch nach Auffassung des Ministeriums sollen diese Mittel in besonderen Notfällen zur Verfügung stehen. Es handelt sich hier also um Nahrungsmittelhilfe als Teil der Entlohnung z. B. beim Straßenbau, um Saatgutlieferung, um Kinderschulspeisung, um Krankenspeisung usw. Zusätzliche Mittel werden hier für den Einzelplan 23 nicht beantragt, sondern es soll lediglich eine Umstellung der vorgesehenen Mittel innerhalb des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit erfolgen.
Bei der Technischen Hilfe hat der Haushaltsausschuß eine Erhöhung um 40 Millionen DM beschlossen. So begrüßenswert dieser Beschluß ist, darf ich doch darauf hinweisen, daß mit einer Kürzung um 5 Millionen DM in diesem Bereich und damit einer Anhebung der Lieferung von Ernährungsgütern an Entwicklungsländer ein durchaus vertretbarer Vorschlag gemacht wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nur noch wenige Sätze zu der Lieferung von Ernährungs6824
gütern an Entwicklungsländer sagen. Der Deutsche Bundestag hat bisher immer jede Hilfe begrüßt, welche die Bundesregierung Entwicklungsländern leistet, wodurch der notleidenden Bevölkerung in diesen Ländern tatsächlich geholfen wird,
({1})
gleichgültig, ob diese Hilfe im Rahmen humanitärer Hilfe oder im Rahmen von Katastrophenhilfe gewährt wird oder ob wie hier im Rahmen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit Ernährungsgüter an die Bewohner von Entwicklungsländern gehen. Die Zustimmung aller Fraktionen hierzu müßte an sich selbstverständlich sein.
({2})
Nachdem die Haushaltsberatungen gelaufen sind, müssen wir natürlich befürchten, daß dieser Antrag nicht angenommen wird. Ich glaube, alle diese Maßnahmen helfen den Menschen, deren Erbe die Armut ist. Die Mehrzahl unseres Volkes und besonders unserer Jugend begrüßt - das wissen wir doch - die Entwicklungshilfe, vor allem die Unterstützung, welche wir Menschen zuteil werden lassen, die einfach keine Möglichkeit haben, sich selbst zu helfen. Darum darf ich Sie, meine Damen und Herren, urn Ihre Zustimmung zu diesem Antrag bitten, der sicherlich einem gemeinsamen Interesse entspricht.
Ich darf mir erlauben, besonders Sie, Herr Kollege Wehner, als Fraktionsvorsitzenden der SPD und ebenso den noch anwesenden zuständigen Minister Eppler anzusprechen. Falls wirklich auf Grund Ihrer fraktionellen Vereinbarung keine Zustimmung zu unserem Antrag zu erreichen ist, möchte ich die Regierung, die SPD und die FDP bitten, unserem Anliegen in einer anderen Weise innerhalb dieses Etats Rechnung zu tragen. Niemand in diesem Hause wird die Notwendigkeit und die Dringlichkeit dieses Änderungsantrags bezweifeln. Ein Kollege von der SPD, der heute mit mir bei einer Schülergruppe war, betonte, was ich durchaus unterschreiben möchte, er sei ein unabhängiger Abgeordneter. Wir sind sicher: würde unser Volk draußen darüber abstimmen, würde es dazu ja sagen. Sagen auch wir als Volksvertreter ja zu einer Sache, die nur eine Umstellung innerhalb des Etats bedeutet.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Josten, sosehr ich Ihren Appell verstehe, müssen Sie doch sehen, daß der Haushaltsausschuß einmütig den Betrag von 5 Millionen DM auf 25 Millionen DM erhöht und dabei 15 Millionen DM zweckgebunden für die Länder der Sahel-Zone ausgewiesen hat. Die Erhöhung dieses Ansatzes ist in einer eingehenden Beratung im Haushaltsausschuß erfolgt. Die besondere Notlage dieser Länder ist dabei berücksichtigt worden, wie auch anderen Gebieten Rechnung getragen wurde, die von Dürrekatastrophen bedroht sind.
Sie machen nun einen Deckungsvorschlag aus dem Bereich der Technischen Hilfe. Sie wissen andererseits aber, daß wir im Haushalt 1974 erstmalig den vollen Baransatz festgebunden haben, daß wir den Titel „landwirtschaftliche Produktionsmittel" eingebaut haben und insofern eine Erhöhung um 40 Millionen DM, wie Sie sie hier vorausgesetzt haben, nicht realistisch ist. Sollte sich allerdings bei diesem Titel erweisen, daß die vorgesehenen Hilfsmaßnahmen auf Grund der Entwicklung in den hilfebedürftigen Gebieten nicht ausreichen, könnte notfalls durch Bewilligung überplanmäßiger Mittel geholfen werden.
Ich bitte deshalb, den Antrag abzulehnen. ({0})
Meine Damen und Herren, zu dem Antrag selbst liegt keine Wortmeldung vor. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! ({0})
Meine Damen und Herren, bitte noch einmal! Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({1})
- Ich bitte, doch nur mit einer Hand abzustimmen! Was soll das? ({2})
Gegenprobe! - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Zur allgemeinen Aussprache hat Herr Abgeordneter Picard das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf in aller Kürze die Ablehnung des Einzelplans 23, also des Haushalts des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, begründen.
1. Zur Person des Ministers hat unser Fraktionsvorsitzender heute nachmittag Hinreichendes gesagt. Wir haben dem nichts hinzuzufügen. Der Zerfall des Ansehens des Ministers in seinen eigenen Reihen, in seiner eigenen Partei ist Sache der SPD und nicht unsere.
2. Inzwischen eingetretene oder auch angeordnete personelle Veränderungen in leitenden Positionen des Hauses sind für uns ein Beweis dafür, daß die Vermutungen, daß im organisatorischen Bereich Mißstände und Beanstandungen vorhanden sind, zutreffen.
3. Der Versuch des Ministers, von seinem Pressesprecher vorgetragen oder unterstützt, die Mitglieder meiner Fraktion, soweit sie dem Rechnungsprüfungsausschuß angehören, auseinanderzudividieren, ist ein weiterer Beweis dafür, daß er eine schwache Position in dieser Frage hat.
({0})
4. Wir vermissen bis heute immer noch - und das bedauern wir eigentlich ein bißchen - eine Stellungnahme des Ministers zu dem jüngst in Indien durchgeführten Atomversuch. Wir sind der Auffassung, wenn ein Entwicklungsland, das in einem solchen Ausmaße wie gerade Indien,
({1})
auf Hilfe angewiesen ist, sich den Luxus erlaubt - auch wenn gesagt wird, für friedliche Zwecke -, Atomversuche zu machen,
({2})
wäre eine Stellungnahme eines der bedeutendsten
Geberländer angebracht, wenn auch in aller Zurückhaltung und Vorsicht, aber doch eine Stellungnahme.
({3})
Wir sehen nicht ein, daß wir ausgerechnet einem Lande Entwicklungshilfe leisten, das seinerseits dem Atomwaffensperrvertrag nicht zugestimmt hat und sich diese Experimente erlaubt. Vielleicht ist hier eine Gelegenheit, wo die Opposition etwas deutlicher eine Meinung sagen kann. Deshalb habe ich das hier vorgebracht.
5. Meine Damen und Herren, wir halten den Jugoslawien gewährten Entwicklungshilfekredit in einer Gesamthöhe von einer Milliarde DM im Vergleich zu anderen Entwicklungshilfeländern gewährten Mitteln für nicht angebracht, sowohl in der Höhe wie im zeitlichen Ablauf.
6. Wir begrüßen endlich eingeleitete Änderungen der Organisation für die Durchführung der Technischen Hilfe. Nach bisheriger Erfahrung in diesem Hause ist das aber - zumal die inzwischen vorgenommenen oder vorzunehmenden Änderungen unseren Vorstellungen nicht entsprechen - noch kein Beweis dafür, daß in Zukunft im organisatorischen Bereich, insbesondere in der Durchführung der Technischen Hilfe, vorhandene Mißstände und Mängel beseitigt werden. Für uns besteht im Augenblick kein Anlaß, hier etwa Vorschußlorbeeren zu verteilen.
7. Eine dezidierte Feststellung, meine Damen und Herren, weil das in der öffentlichen Diskussion immer wieder eine Rolle spielt: Die Ablehnung des Etats des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit bedeutet in keiner Weise die Ablehnung von Entwicklungshilfe. Vielfältige Initiativen meiner Fraktion und vielfältige Stellungnahmen meiner Fraktion, verbindlich in diesem Hohen Hause abgegeben, sind ein Beweis dafür, daß wir Entwicklungshilfe als solche mit allem Nachdruck unterstützen.
({4})
Wenn wir aber den Etat des Ministeriums ablehnen, möchten wir in Zukunft, Herr Wehner, den Vorwurf nicht mehr hören, weil wir einen Etat ablehnten, seien wir gegen Entwicklungshilfe.
({5})
- Herr Wehner, wir wollen uns nach den Debatten von gestern und heute über Phrasen nicht weiter unterhalten. Die Entscheidung darüber, wer hier mehr Phrasen und leeres Stroh gedroschen hat, überlassen wir dem Zuhörer.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Holtz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mein sehr geehrter Herr Vorredner meinte, daß dem, was Herr Carstens heute nachmittag über Herrn Bundesminister Eppler sagte
({0})
- und gestern -, nichts mehr hinzuzufügen sei. Ganz im Gegenteil! Herr Kollege Wehner hat bereits die ungeheuerlichen Anschuldigungen von Herrn Carstens gegen Bundesminister Eppler auf das schärfste zurückgewiesen. Ich möchte im einzelnen noch kurz auf diese Verunglimpfungen eingehen.
({1})
Die Kapitalhilfekredite an das Entwicklungsland Jugoslawien sind von einem Teil der Opposition ohne Rücksicht auf den wirklichen Sachverhalt zum Agitationsthema Nummer eins gemacht worden.
({2})
In einigen wenigen Worten, die sich auf Seite 50 seines Manuskripts von gestern finden, hat Herr Carstens allein drei wahrheitswidrige Behauptungen aufgestellt.
({3})
Ich bedaure, daß Herr Carstens jetzt nicht da ist.
({4})
Erstens. Herr Carstens behauptet, die restlichen 700 Millionen DM sein schon gewährt worden. Dies ist falsch; denn über den zweiten Kredit gibt es bis heute noch keine verbindliche Zusage. Es gibt weder eine Unterschrift noch eine Paraphe deutscherseits. Dies soll erst in der nächsten Zeit geschehen. Das war die wahrheitswidrige Behauptung Nummer eins.
({5})
Zweitens. Es ist unrichtig - Herr Carstens müßte es eigentlich wissen -, daß Bundesminister Eppler Jugoslawien Kredite zusagte, ohne die zuständigen Ausschüsse des Bundestages zu unterrichten. Beim ersten ausgezahlten Kredit ressortierte die Zuständigkeit für Kapitalhilfe bei einem anderen Ministerium. Im Auftrag der Bundesregierung hat es seinerzeit Herr Staatssekretär Moersch aus dem Auswärtigen Amt unternommen, am 5. Mai 1971 den Vorsitzenden und die Obleute zu unterrichten.
({6})
Der Kollege Moersch ging seinerzeit, da Usus, davon aus, daß dies genüge.
({7})
Unser Ausschuß hat diesen Formfehler moniert. Das hat aber nichts mit Bundesminister Eppler zu tun. Das war die zweite wahrheitswidrige Behauptung.
({8})
Drittens. Herr Carstens hat behauptet - und dies ist ebenso unwahr -, daß Bundesminister Eppler die Öffentlichkeit darüber getäuscht hat, daß ein weiterer Kredit an Jugoslawien gewährt werden sollte. Das Haushaltsgesetz schreibt eine Unterrichtung des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit durch die Bundesregierung vor, ehe Verpflichtungen eingegangen werden, die den Betrag von 150 Millionen DM überschreiten. Diese Konsultation ist vorgesehen. Es ist aber nicht vorgeschrieben, daß sie bereits zu Beginn der Verhandlungen erfolgen müßte. Dennoch hat Bundesminister Eppler, obwohl bislang keine rechtliche Verpflichtung eingegangen wurde, am 19. September 1973 unserem Ausschuß erklärt, daß er weitere Kapitalhilfe an Jugoslawien nicht ausschließe. Eine eingehendere Unterrichtung war in diesem Stadium nicht möglich, da sich die Vorgespräche noch in einem frühen Stadium befanden und die CDU/ CSU sich weigerte, die Sitzung für vertraulich zu erklären. Am 13. Februar 1974 beschloß der Haushaltsausschuß eine Sonderverpflichtungsermächtigung über 700 Millionen DM bereitzustellen. Am 27. Februar 1974 erteilte das Bundeskabinett Bundesminister Eppler eine Verhandlungsvollmacht. Am 13. März 1974 wurden der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und am 20. März 1974 der Haushaltsausschuß offiziell von der Absicht der Bundesregierung unterrichtet, eine Verpflichtung einzugehen, wohlgemerkt, eine Verpflichtung, die bis heute noch nicht besteht. Hier liegt also keine Täuschung vor. Das wahr die wahrheitswidrige Behauptung Nummer drei.
({9})
Tatsache ist demnach, daß Bundesminister Eppler hier mehr an Unterrichtung getan hat, als er nach dem Haushaltsgesetz hätte tun müssen. Es ist peinlich, wenn ein Fraktionsvorsitzender, der leider jetzt nicht hier ist, falsche Behauptungen in die Welt setzt.
({10})
Noch peinlicher, ja, noch unerträglicher -- gerade für einen jungen Politiker wie mich - ist es, wenn er sie wiederholt, nachdem das Gegenteil längst bewiesen ist.
({11})
Ihr sehr verehrter Herr Fraktionsvorsitzender hat heute ausgeführt, daß er sich im Falle eines Irrtums nicht scheuen würde, den Irrtum einzugestehen. Das ist eine noble Haltung, die gentlemanlike ist. Ich sehe jetzt nur noch zwei Möglichkeiten für den Oppositionsführer: Entweder er hat den Mut, hier und heute oder morgen zuzugeben, daß er drei wahrheitswidrige Behauptungen aufgestellt hat, oder er tritt noch heute an das Rednerpult. Ich hoffe, er hört mit, um meine Ausführungen zu widerlegen, wenn er das kann.
({12})
Wir werden dem Einzelplan 23 zustimmen. Wir sagen, die Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik geht mit Bundesminister Eppler so weiter, wie er seine Akzente in bester Übereinstimmung mit der Mehrheit dieses Hauses und mit den betroffenen Entwicklungsländern jetzt gesetzt hat.
({13})
Meine Damen und Herren, liegen noch Wortmeldungen vor?
({0})
- Ich wäre dankbar, wenn die Wortmeldungen, wie üblich, beim Präsidium abgegeben würden. Den Schriftführern ist es nicht möglich gewesen, diese Wortmeldung zu registrieren.
({1})
Das Wort hat Herr Bundesminister Eppler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Taktik der Opposition besteht offenbar im Augenblick darin, daß ich jetzt reden soll, damit ich nachher auf Herrn Todenhöfer nicht antworten kann.
({0})
Ich möchte deshalb diesen Beitrag beschließen und Herrn Todenhöfer auffordern zu reden. Nachher kann ich dann dazu noch etwas sagen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Todenhöfer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Holtz, ich glaube, Sie haben in diesem Hause niemanden davon überzeugt, daß in dieser Frage wirklich richtig informiert worden ist. Deswegen werde ich den ganzen Vorgang nicht sehr vertiefen.
({0})
- Herr Wehner, bitte beschränken Sie doch Ihre Zwischenrufe einmal auf das sachliche Gebiet.
({1})
Frau Präsident, ich möchte einmal feststellen, daß bezüglich der ersten 300 Millionen DM dieses Milliardenkredites
({2})
- ich würde mich an Ihrer Stelle Ihrem Minister gegenüber nicht so äußern - die zuständigen Ausschüsse in gesetzeswidriger Weise übergangen worden sind.
({3})
Das ist eine Feststellung.
Nach den Bemerkungen zum Haushaltsgesetz sind die Ausschüsse von Krediten oberhalb von 150 Millionen DM zu informieren. Das hat die Regierung bei ihrem 300-Millionen-DM-Kredit nicht getan. Die Regierung hat dazu merkwürdige Begründungen abgegeben.
({4})
Eine der Begründungen war die, daß der damalige Staatssekretär Matthöfer sagte, er habe seinen Dienst leider gerade an dem Tag angetreten, an dem diese Vorlage über seinen Tisch gegangen sei.
({5})
- Herr Matthöfer, das haben Sie im Ausschuß gesagt.
Aber die entscheidende Argumentation war in der Beantwortung der Großen Anfrage und im Ausschuß zu hören, als die Bundesregierung nämlich sagte, der Ausschuß sei im Dezember des betreffenden Jahres noch nicht konstitutiert gewesen, zu dem Zeitpunkt also, als dieser Kredit vereinbart worden sei. Nun sind wir der Ansicht, daß Sie, wenn die zuständigen Ausschüsse, die nach dem Gesetz informiert werden müssen, noch nicht konstituiert worden sind, mit dem 300-Millionen-DM-Kredit und seiner Zusage eben hätten warten müssen.
Im übrigen muß ich sagen, daß auch diese Information nicht ganz richtig ist. Denn, Herr Minister Eppler, es hat schon vorher Verhandlungengegeben, nicht erst im Dezember, sondern schon in der ersten Oktoberhälfte. Das hat man uns nicht gesagt. Wir sind bisher auch noch nicht darauf eingegangen. Herr Eppler, ich werde Ihnen das einmal hier nachweisen. In der ersten Oktoberhälfte des Jahres 1972 haben Verhandlungen stattgefunden, und zwar offizielle Verhandlungen, vorbei am Haushaltsausschuß. Diese Verhandlungen haben in Bonn stattgefunden. Es handelte sich um eine offizielle Regierungsdelegation unter Leitung des Ministerialdirigenten Thieme vom Wirtschaftsministerium; es war ein ganzer Stab, der mit den Jugoslawen zusammentraf. Andere Ministerien waren beteiligt und auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau war beteiligt. Auch hier hätte man uns vorher informieren müssen. Herr Eppler, das haben Sie uns alles nicht gesagt. Verhandlungsziel war nicht etwa, nur ein Vorergebnis zu erzielen - weil Sie ja immer nur von „Vorverhandlungen" sprechen -, sondern noch in derselben Woche ein formales Regierungsabkommen über 300 Millionen DM abzuschließen.
Diese Verhandlungen sind geplatzt, weil die Jugoslawen das Geld sofort wollten und weil sie sich weigerten, den deutschen Vorschlag zu akzeptieren, 50 Millionen DM für die Finanzierung des Kernkraftwerkes Krisko einzusetzen. Dann haben die Jugoslawen für die deutsche Seite überraschend die Verhandlungen verlassen. Es ist also schon vor dem Dezember 1972 verhandelt worden, schon im Oktober. Die Herren von der Regierung, Herr Holtz, sind leider hier nicht anwesend. Vielleicht sprechen Sie in Zukunft einmal die Regierung an,
({6})
die wir von unseren Steuergeldern mit bezahlen und die hier nicht mehr anwesend ist, obwohl sie erst seit wenigen Tagen im Amt ist. Es wurde also schon vorher verhandelt,
({7})
und man hätte schon vorher die Ausschüsse informieren können. Im September 1973 hatte die Bundesregierung die Möglichkeit, die Ausschüsse zu informieren.
({8})
- Im September 1972 und im August. Sie wußten genau, daß im Oktober Verhandlungen stattfinden würden. Sie hatten sehr wohl die Möglichkeit, zu informieren.
Bezüglich der weiteren Antwort, die Sie uns hier gegeben haben, Herr Minister Eppler: In der Antwort auf die Große Anfrage - wir wollten das nicht mehr hochbringen, aber auf die Ausführungen von Herrn Holtz muß das noch einmal gesagt werden - haben Sie gesagt, Sie würden in Zukunft dem Wunsch des Ausschusses entsprechen, falls er informiert werden möchte. Ich muß Ihnen einmal ganz deutlich sagen, Herr Minister Eppler: wir wünschen nicht von Ihnen informiert zu werden - entsprechend dem Gesetz -, fordern wir das von Ihnen.
({9})
Der zweite Kernvorwurf von Herrn Professor Carstens von gestern und heute betraf die 700 Millionen DM. diese 700 Millionen DM sind den Jugoslawen in einer Form zugesagt worden, die uns nicht mehr die Möglichkeit gibt, von dieser Zusage herunterzukommen. Auch hier ist die Aussage von Herrn Professor Carstens, wenn Sie sich nicht in semantische Wortstreitigkeiten ausflüchten, richtig. Wir haben Sie, Herr Minister Eppler, im Ausschuß gefragt - seinerzeit, als die Gerüchte um die Milliarde aufkamen -: Sind über die 300 Millionen hinaus weitere Zahlungen an Jugoslawien geplant? Da haben Sie uns gesagt, es sei von niemandem eine Zusage gegeben worden. Hinterher kam dann doch die Milliarde heraus. Nun sagten Sie uns: Wir
haben nichts zugesagt, das ist Zufall, daß dann gerade am Schluß eine Milliarde herauskam.
({10})
Das glaubt Ihnen doch kein Mensch mehr, auch in diesem Hause nicht, auch nicht mehr in der SPD-Fraktion.
({11})
Dann haben wir wegen der 700 Millionen - Herr Huonker, Sie sind ja leider nicht im Ausschuß - gefragt: Wird denn verhandelt? Da sagte Herr Minister Eppler: Es wird verhandelt. Dann wurde hier in der Fragestunde gefragt: Wird verhandelt? Da hat Herr Minister Eppler gesagt: Nein, es wird nicht verhandelt, weil in einer Zeitung gestanden hatte, es würde verhandelt. So spielt man hier mit Worten. Im Ausschuß sagt man, es wird verhandelt, im Bundestag sagt man, es wird nicht verhandelt, wie man's gerade braucht. Hier müssen wir leider über die Wahrheit diskutieren, und die sollten Sie hier hören.
({12})
Das alles, das Ganze, sehr verehrter Herr Huonker - Sie werden bleich, das merkt man ganz deutlich -,
({13})
das Ganze um diese Milliarde war eine einzige Irreführung, vorbei am Parlament, vorbei an der Öffentlichkeit, weil man nicht gewagt hat, nicht den Mut gehabt hat, der Öffentlichkeit zu sagen, was man will.
Dies, Herr Minister Eppler - das sage ich Ihnen ohne Vorwurf und in aller Sachlichkeit -, war der Kernvorwurf von Herrn Professor Carstens. Zu diesem Kernvorwurf stehen wir auch heute. Hier ist die Öffentlichkeit nicht richtig informiert worden.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Änderungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion zum Haushalt des Entwicklungsministers vorgelegt wurde, mußte man zunächst annehmen, das sei ein Stück Wiedergutmachung oder Entschuldigung für den Minister und für den geradezu - nun darf ich in der Wortwahl des Herrn Oppositionsführers bleiben - aufputschenden Angriff, den Herr Carstens in seiner Rede zur Regierungserklärung gegen Herrn Eppler hier gestern völlig unberechtigt, so meine ich, gefahren ist.
({0})
Dieses Thema, das erneut aufgegriffen wurde mit dem Vorwurf einer Irreführung des Parlaments bei dem ersten Teil des 300-Millionen-Kredits an Jugoslawien, ist bei der ersten Lesung des Haushalts, so meine ich, ausdiskutiert worden. Einen solchen Vorgang kann man nur einmal aufklären und nur einmal
aufhellen. Sie sollten dann einen politisch abgenagten Knochen nicht immer wieder erneut hervorkramen.
({1})
Sie sind, meine Damen und Herren, auf einer Schale des Rechnungshofs ausgerutscht und haben, weil Sie die Beratungen im Haushaltsausschuß nicht abwarten konnten, hier zu früh einen politischen Angriff gestartet und sind ins Leere gefahren.
({2})
Dafür muß nun einmal der Rechnungshof heute zahlen. Er wird Ihre Stimmenthaltung, so nehme ich an, meine Damen und Herren, aushalten. Aber zum anderen verharren Sie in Rechthaberei und sollten doch zugeben und zugestehen können, daß der Versuch - ein verständlicher Versuch - oppositioneller Kritik hier fehlgeschlagen ist. Danach jetzt und zu dieser Stunde den Versuch zu machen, sich selbst noch zu retten und am eigenen Schopfe aus dieser Situation herauszuziehen, muß erneut zu einem Fiasko werden.
Meine Damen und Herren, wenn Sie hier über Entwicklungshilfe kritisch mit der Regierung streiten wollen, dann gibt es kein so ungeeignetes Objekt wie diesen Kredit, diese Entwicklungshilfeleistung an Jugoslawien. Wenn Sie sich ernsthaft um die Daten, die die OECD liefert, kümmern, wenn Sie sie nüchtern werten und würdigen, wissen Sie, daß es im europäischen Bereich kein Land gibt, das der Hilfe so bedürftig ist wie Jugoslawien. Sie wissen, daß es eine optimale Anwendung von Entwicklungshilfe ist, wenn dort in den Zukunftsbereichen der Wirtschaft Arbeitsplätze geschaffen werden, damit Arbeiter, die zur Zeit bei uns oder in anderen europäischen Ländern ihre Arbeitsplätze suchen müssen, in ihre Heimat zurückkehren können, damit sie dort zu Hause wieder Arbeit finden können.
({3})
In besserer Weise kann Entwicklungshilfe nicht geleistet und Entwicklungspolitik nicht begriffen und verstanden werden. Daran Zweifel zu hegen, Zweifel zu nähren, ist ein Verständnis von Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik, das ich wirklich nur als arges Mißverständnis verstehen und kennzeichnen kann.
Meine Damen und Herren, vielleicht lassen Sie sich auch noch eine politische Überlegung nahebringen. Wenn es in unserer politisch-geographischen Landschaft Europas aus übergeordneten politischen Erwägungen eine Region geben sollte, für die Hilfe sinnvoll sein könnte, auch dann würde einem keine andere einfallen als dieses Land Jugoslawien.
({4})
Auch insoweit sollten Sie eigene politische Einsichten, die Sie früher einmal besser gewinnen konnten und zu realisieren vermochten, wieder reaktivieren. Es würde nicht nur Ihnen in Ihrer oppositionellen
Haltung, es würde uns allen und an dieser Stelle wahrscheinlich auch Europa besser bekommen.
({5})
Das Wort hat Herr Bundesminister Eppler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Haltung der Opposition erst zum Einzelplan 20 und nun zum Einzelplan 23 scheint mir ein klassisches Beispiel für mangelnde Koordination zu sein.
({0})
Herr Picard hat mir hier gerade bescheinigt, ich hätte eine schwache Position gegenüber dem Rechnungshof. Ihre Stimmenthaltung beim Einzelplan 20 und auch das, was Frau Pieser gesagt hat, konnte ich doch nur so deuten, daß der Rechnungshof eine schwache Stellung mir gegenüber hat; so war das doch wohl gemeint.
({1})
Aber dies müssen Sie einmal unter sich ausmachen. Zu einer weiteren Bemerkung von Herrn Picard!
({2})
Ich habe Herrn Picard sehr genau zugehört. Er hat mich getadelt, weil ich zu dem Atomversuch in Indien nichts gesagt habe. Verehrter Herr Kollege, dies habe ich mir sehr genau überlegt. Ich bin ganz sicher: Wenn ich den Indern hier Zensuren gegeben hätte,
({3})
dann wären Sie die ersten gewesen, die gesagt hätten, dies sei nicht meine Aufgabe.
({4})
Dies ist doch das, was Herr Picard wollte.
Aber nun zum entscheidenden Punkt. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, hier sind wir doch an einer Stelle angelangt, wo es um das Verhältnis von Exekutive zur Legislative geht. Deshalb erlaube ich mir, Ihnen wörtlich vorzulesen, wie die Anmerkung zum Tit. 866 01 im Einzelplan 23 bisher lautete, auf der all das beruht, was wir hier diskutieren. Da heißt es wörtlich:
Rahmenzusagen, die im einzelnen den Betrag von 150 Millionen DM überschreiten, und Verpflichtungen für einzelne Projekte in gleicher Höhe dürfen nur nach vorheriger Unterrichtung des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit gegeben werden.
Dazu folgende Bemerkungen: Erstens. Wenn hier von Verpflichtungen die Rede ist, dann sind natürlich Rechtsverpflichtungen gemeint; das ist wohl unbestritten.
Zweitens. Es ist hier nicht gesagt, wer den Ausschuß oder die Ausschüsse zu unterrichten hat, sondern nur, daß sie zu unterrichten sind.
Drittens. Es ist auf keinen Fall gesagt, daß die Ausschüsse in jeder Phase eines Gesprächs oder einer Verhandlung unterrichtet werden müssen. Das heißt, ich hätte das Recht noch nicht verletzt, wenn ich erst in dieser Woche - weil ich nämlich möglicherweise nächste Woche eine Paraphe unter ein Protokoll setze - die Ausschüsse von der Absicht der Bundesregierung unterrichtet hätte, hier eine Zusage einzugehen. Dann hätte ich dieses Gesetz immer noch erfüllt.
Wir reden hier im Augenblick nur deshalb, weil ein Oppositionssprecher nicht irgend etwas - wir sind ja nicht wehleidig -, sondern weil er gesagt hat: Hier hat ein Minister das Recht verletzt. Wenn dies so wäre, wenn ich der Überzeugung wäre, daß ich dieses Recht verletzt hätte - bitte, nehmen Sie mir das einmal ab -, dann würde ich nicht mehr da oben sitzen.
({5})
Was ist wirklich geschehen? Bei dem ersten Kredit hat die Bundesregierung damals beschlossen - weil das BMZ noch gar nicht federführend, noch nicht zuständig war -, daß nicht das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern das Auswärtiges Amt die Unterrichtung vornimmt. Nun hat das Auswärtige Amt die Unterrichtung so vorgenommen, wie es dieses tut, seit es ein Auswärtiges Amt gibt, auch unter den Ministern, die Ihrer Partei angehört haben. Das Auswärtige Amt legte nämlich Wert auf Vertraulichkeit und unterrichtete die Ob- leute, d. h. die Sprecher und die Vorsitzenden der Ausschüsse. Das war in der Tat anders, als es im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ansonsten üblich ist. Wir haben zugegeben, daß dies ein Formfehler war.
Sie vermischen hier zwei Dinge. Erstens geht es darum, wozu der Minister rechtlich verpflichtet ist. Er hat viel mehr Unterrichtung gegeben, als er rechtlich verpflichtet gewesen wäre.
({6})
Zweitens geht es darum, was politisch in der Unterrichtung opportun gewesen wäre. Meine Damen und Herren von der Opposition, können Sie eigentlich nicht verstehen, daß ein Minister in dem Augenblick, wo er sieht, daß die Opposition etwas in jedem Fall zu einem Agitationsthema macht, in der Unterrichtung nicht sehr viel weiter geht, als er gehen muß? Ist das so unverständlich?
({7})
Nun hat Herr Todenhöfer - man mag es kaum wiederholen - auch wieder diesen Unterschied zwischen Verhandlungen und Gesprächen gemacht.
({8})
- Er wird es nie lernen, weil er es nie lernen will. Ich habe im Ausschuß - das ist richtig, Herr Todenhöfer, Sie können das alles im Wortprotokoll nachlesen; nur ist dieser Trick jetzt langsam etwas zu alt - am 19. September in der Tat gesagt: Es hat keine Zusage gegeben. Das war auch wahr; es hat keine Zusage gegeben. Aber ich habe hinzugefügt: Über die Sache wird weiter gesprochen, und ich schließe weitere Kredite nicht aus. Wenn ich in dieser Phase, wo über die Höhe überhaupt noch keine Übereinkunft in den Gesprächen erzielt war, mehr gesagt hätte, hätte ich meine Amtspflichten verletzt. Das ist doch selbstverständlich.
({9})
Wenn Sie, was ich Ihnen nicht wünschen will, einmal Regierungsverantwortung tragen, dann bin ich
ganz sicher, daß Sie dies nicht anders sehen werden.
Meine Damen und Herren, sogar wenn das, was Herr Todenhöfer gesagt hat, alles richtig wäre - was nicht der Fall ist -, dann wäre noch keine der drei Feststellungen von Herrn Holtz dadurch widerlegt worden, keine einzige.
Deshalb möchte ich noch einmal Herrn Carstens, der ja heute abend bis vor kurzem hier war,
({10})
auffordern, in dieser Sache entweder das zu tun, was er angekündigt hat, nämlich einen Irrtum einzugestehen, oder hier herzukommen und zu beweisen, daß ich das Recht wirklich verletzt habe.
({11})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Leicht.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war einer der Gesprächsteilnehmer im Jahre 1971 bei der angeblichen Unterrichtung über den Kredit von 300 Millionen DM. Nur dazu habe ich zu sprechen.
Diese Unterrichtung war keine Unterrichtung nach dem im Haushalt vorgesehenen Vermerk. Das ist eine Feststellung, die ich hier treffen muß. Die Unterrichtung hat durch Herrn Moersch stattgefunden. Eingeladen waren der Vorsitzende des Haushaltsausschusses und die drei Obleute der Fraktionen: wenn ich mich recht entsinne, damals für die SPD noch der Herr Kollege Seidel, der Herr Kollege Dr. Althammer für die CDU/CSU und, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, der Herr Kollege Kirst für die FDP.
Uns wurde gesagt - ich darf es etwa so rekapitulieren -: Hier soll das und das geschehen; das wird Ihnen vertraulich mitgeteilt. - Herr Kollege Althammer hat sofort erklärt: Das kann keine Unterrichtung im Sinne des im Haushalt vorgesehenen Vermerks sein. Er hat - ich muß es jetzt auspacken, sogar Bedenken gegen die Sache selber angemeldet.
Wir haben das Ganze zur Kenntnis genommen. Und ich würde jetzt auch feststellen: Wir haben sogar - jedenfalls was mich betrifft - bis zu diesem
Augenblick diese vertrauliche Unterrichtung selbst - denn sie war ja vertraulich - vertraulich gehalten.
({0})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Moersch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da ich hier vom Kollegen Leicht angesprochen worden bin, darf ich wenigstens aus der Erinnerung noch einmal sagen, wie sich die Sache abgespielt hat.
({0})
- Meine Herren, ich glaube, man sucht wohl keinen hinter dem Busch, wenn man nicht selbst dahinter gesessen hat; den Eindruck habe ich bei Ihnen auf Grund dieser Zwischenrufe.
({1})
Ich habe damals den Auftrag bekommen, ein Gespräch mit den Obleuten zu führen. Herr Leicht hat die Namen genannt; ich nehme an, auch Herr Kiep ist noch dabei gewesen.
({2})
Ich müßte mich sonst sehr täuschen. - Es mag sein, daß Herr Althammer in der Sache anderer Meinung war als Sie und Herr Kiep.
Zu einem solchen frühen Zeitpunkt schon zu unterrichten, daß in dieser Sache verhandelt werden soll, war zweifellos nicht die Pflicht der Bundesregierung; es war einfach die Übung, wie sie bisher, so wurde mir gesagt, von früheren Regierungen gehandhabt worden sei, damit man nicht beim Ende der Verhandlungen, wenn die Unterrichtung formal erst fällig gewesen wäre, Widerstände findet. Das war das Problem und deswegen haben wir diese Information so früh gegeben.
Was ich damals noch nicht kannte, wovon aber offensichtlich die Kollegen von der CDU schon gewußt haben - oder, Herr Leicht, waren Sie früher vielleicht überhaupt nicht unterrichtet? -, ist ein Vermerk, den ich dann später gefunden habe. Der erklärt manches, was hier an Aufregungen entsteht und auch an Scheingefechten geführt wird. Ich hatte nämlich ganz offensichtlich zusammen mit dem Kollegen Hermsdorf eine Aufgabe übernommen, die in Wirklichkeit eine Erbschaft der Großen Koalition war. Denn eine Zusage an Jugoslawien in dieser Richtung war - was ich damals nicht gewußt habe, als ich unterrichtete und sagte: wir wollen über diese Dinge verhandeln - ganz offensichtlich vorhanden, und das war ja nach der OECD-Liste völlig in Ordnung. Das war ein Vorgang aus dem Jahre 1968, über dessen Konkretisierung die Ausschüsse zu unterrichten waren.
In Wirklichkeit handelte es sich also ganz offensichtlich um die Einlösung einer politischen Zusage,
die an Jugoslawien längst, nämlich im Jahre 1968, in Aussicht gestellt worden war. Damals hatte ein Gespräch zwischen dem seinerzeitigen Bundeskanzler Kiesinger und dem damaligen Außenminister Brandt stattgefunden - es war am 9. Juni in Bad Dürkheim -, und darüber existiert eine Aufzeichnung vom damaligen Staatssekretär Duckwitz. Diese Aufzeichnung besitze ich erst seit kurzer Zeit.
({3})
- Herr Kiesinger mag das sehen, wie er will; jedenfalls habe ich die Aufzeichnung von Herrn Duckwitz, und ich vertraue auf diese Aufzeichnung.
({4})
Und ich vertraue auf die Mitteilungen Ihrer früheren Kollegen, Herr Mertes, die diese Dinge bearbeitet haben. Ich nehme an, daß Sie wissen, wer diese Kollegen sind, und daß mir diese Referenten nicht irgend etwas Falsches unter die Akten geschoben haben.
({5})
Sie haben sich vielmehr sehr sorgfältig um die Rekonstruktion des Vorgangs bemüht.
Herr Moersch, gestatten Sie eine Zwsichenfrage?
Nein, ich möchte jetzt zum Ende kommen und möchte die Sache so darstellen, wie sie für mich heute aussieht.
({0})
Das war also die Informierung der Obleute des Ausschusses über eine Sache, bei der die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt nach dem Gesetz zweifellos noch gar nicht zu einer Unterrichtung verpflichtet war. Weiter habe ich mit dem Hergang nichts zu tun gehabt, und deswegen ist es zwar großzügig gesagt, aber trotzdem nicht richtig, daß wir dabei formal einen Fehler gemacht hätten. Wir haben formal überhaupt keinen Fehler gemacht, sondern haben etwas frühzeitig aus Courtoisie getan, wozu wir noch gar nicht verpflichtet gewesen wären. Und uns das heute anzukreiden, daß wir die Kollegen von der CDU/CSU und von der SPD und der FDP rechtzeitig über ein künftiges Vorhaben der Bundesregierung ins Bild gesetzt haben,
({1})
halte ich nun für ziemlich übertrieben. Von einer Rechtsverletzung kann überhaupt keine Rede sein. Daß ich hinterher erfahren habe, als alle diese Auseinandersetzungen hier schon stattgefunden hatten, daß wir nichts anderes einzulösen hatten, als eine Zusage aus der Großen Koalition, an der auch Kollegen hier im Hause, die sich dazu melden könnten, beteiligt waren, das möchte ich in aller Offenheit feststellen.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Althammer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann das bestätigen, was Herr Staatssekretär Moersch gesagt hat: Es hat keine Unterrichtung nach den gesetzlichen Vorschriften stattgefunden. Darum fragen wir uns, wieso die Regierung dazu kommt, diese informelle vertrauliche Unterrichtung der Obleute hinterher als die gesetzliche Unterrichtung vorzusehen. Das ist doch die Frage.
({0})
Aus diesem Gespräch ergibt sich, daß eine Unterrichtung nach dem Gesetz nicht stattgefunden hat und daß unser Fraktionsvorsitzender mit diesem Vorwurf Recht hat.
({1})
Das Wort hat Herr Staatssekretär Moersch.
Herr Dr. Althammer, ich schlage Ihnen vor, daß wir den Vermerk über das damalige Gespräch - den ich jetzt nicht hier habe - austauschen; den gibt es. Es ist eine Aufzeichnung darüber gemacht worden. Es ist überhaupt keine Frage, daß wir die weitere Behandlung Ihnen überlassen haben, und zwar entsprechend einer Übung, die immer so gehandhabt worden war.
({0})
- Das ist auch mit Zustimmung der anderen Kollegen erfolgt. Soweit ich informiert bin - ich war später mit der Sache nicht mehr befaßt -, ist der Vorgang in korrekter Weise erfolgt. Es ist überhaupt keine Möglichkeit, uns hier auseinanderzudividieren. Wenn hier behauptet worden ist, der Bundestag bzw. die Ausschüsse seien erst mit einer Sache befaßt gewesen, als das nach dem Gesetz nicht mehr zulässig war, so kann davon keine Rede sein. Vielmehr haben wir Ihnen gegenüber eine Ankündigung, eine Information gegeben. Das ist eine Unterrichtung gewesen. Das kann niemand bestreiten. Ich habe Sie unterrichtet, daß dieses Vorhaben besteht. Das war ein Vorhaben, das unter „geheim" lief, weil wir nicht vorher mit den Gesprächspartnern an der Öffentlichkeit verhandeln konnten. Dies ist in einer Weise geschehen, von der ich mir sagen lassen mußte - und das bestätigten die Beamten unseres Hauses -, daß dies in der üblichen Form geschehen sei, nämlich in einer Form, die immer so gehandhabt worden war. Davon gehen wir nicht ab.
Sie sollten nicht daran vorbeigehen, daß in Wirklichkeit die politische Entscheidung, daß überhaupt ein solcher Kredit gewährt wird, in einer Zeit gefallen ist, in der diese sozialliberale Koalition keine Verantwortung dafür übernehmen konnte.
({1})
Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 23. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 23 ist angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksache 7/1929 Berichterstatter: Abgeordneter Simpfendörfer Wir danken dem Berichterstatter.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Simpfendörfer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ein erschöpfter Abgeordneter vor erschöpften Abgeordneten; dennoch hält er nicht den Mund.
({0})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Kollege, ist der Grund zu Ihrer Rede vielleicht die Tatsache, daß der Pressedienst Ihrer Partei Ihre Rede bereits verteilt hat und Sie deswegen hier noch eine Rede halten müssen?
({0})
Herr Kollege, auf dem Pressedienst steht „Sperrfrist: Beginn der Rede". Das heißt also, wenn ich nicht rede, gilt die Rede nicht.
({0})
Ich habe zwei Bemerkungen zu machen, die ich in der Tat für wichtig halte, und deswegen will ich Sie damit belästigen.
Der eine Punkt ist der, daß das Ministerium, zu dem ich hier spreche, mit der Behauptung ins Gerede gekommen ist, die Personalkostensteigerung seit 1969 habe über 400 °/o betragen. Diese Behauptung, die durch das ZDF-Magazin, durch „Die Welt" im März, neuerdings auch durch ein Flugblatt der Kessenicher CDU verbreitet wurde, sollte man einmal klarstellen.
Der Sachverhalt sieht so aus: Vom Jahre 1969 bis zum Jahre 1972 hat der Personalstand von 321 Stellen auf 327 Stellen zugenommen, also genau um 6 Stellen. Gleichzeitig stiegen die Personalkosten in dieser Zeit um 43 %, weil im Jahre 1970 das neue Besoldungsrecht in Kraft getreten ist, dem Sie, die Opposition, auch zugestimmt haben.
Im Jahre 1973 kam die Neuorganisation der Bundesregierung, und in diesem Zusammenhang wurden 158 Stellen im Verwaltungsbereich aus dem Innenministerium und aus dem Finanzministerium eingegliedert.
({1})
Dazu kamen weitere 567 Stellen, die von der Bundesbaudirektion einerseits und von der nachgeordneten Bundesanstalt für Landeskunde und Raumordnung ebenfalls mit herüberkamen.
Die echte Stellensteigerung im Jahre 1973 sind die 13 Stellen, die ich letztes Jahr hier als Berichterstatter zu vertreten hatte. Wenn man also das dazunimmt, was durch das Haushaltsgesetz eingespart werden mußte, haben wir es für die Jahre 1969 bis 1973 mit einem Zuwachs von sieben Stellen zu tun. Darauf schrumpft die angebliche Personalkostensteigerung von mehr als 430 % zusammen. Sieben ganze Stellen!
({2})
Das ist der eine Punkt, den ich klarstellen muß, um diesen Gerüchten und Anschuldigungen im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Verschwendung entgegenzutreten.
Der zweite Punkt ist: Wir haben uns im Ausschuß mit dem Hochbauprogramm des Bundes befaßt. Dieses Hochbauprogramm des Bundes wird inzwischen im Zusammenhang mit einem vom Städtebauminister entwickelten Gesamtkonzept erstellt. Das Hochbauprogramm sieht bisher vor, daß bis zum Jahre 1985 für 2,074 Milliarden DM Ministerien, Bundestags- und Bundesratsneubau sowie weitere Gebäude errichtet werden sollen.
Ich habe zu prüfen versucht, auf welcher Planungsgrundlage diese Konzeption entwickelt wurde. Ich kam dabei zu folgendem Ergebnis. Man ist bei einer Arbeitsgruppe „Zielplanung und Bauprogramm Bundeshauptstadt Bonn" - das ist eine interministerielle Arbeitsgruppe - davon ausgegangen, daß bis zum Jahre 1985 bei den obersten Bundesbehörden und Verfassungsorganen eine Personalzunahme von 33 % eingeplant wird. Gleichzeitig wird eine Raumausweitung von 45 % zugrunde gelegt. Bei den nachgeordneten Behörden geht man von einem Personalzuwachs von 40 % bis zum Jahre 1985 aus. Das bedeutet, daß allein an Personalkosten 360 Millionen DM mehr ausgegeben werden müßten. Die Folgekosten sind gar nicht geschätzt und sind auch nicht zu schätzen.
Ich meine, die Planer haben hier eine verhängnisvolle Entwicklung der Vergangenheit in die Zukunft hinein fortgeschrieben, ohne zu bedenken, daß hier eine Automatik in Gang gesetzt werden könnte, die in jedem Fall verhindert werden muß.
Ich frage mich: Wie sollen die politisch Verantwortlichen das Ausweitungsbestreben der Bürokratie mit Aussicht auf Erfolg bremsen, wenn man Personalausweitungen dieser Größenordnung als Planungsgrundlage nimmt? Eine solche Entwicklung zu erwarten bedeutet meiner Auffassung nach, von vornherein zu resignieren. Deswegen die Aufforderungen an die Parlamentarier, insbesondere an
den Haushaltsausschuß, bei allen Planungen in diesem Zusammenhang insbesondere die Raumprogramme zu prüfen und zu untersuchen, ob sie in der jeweils vorgesehenen Größenordnung auch tatsächlich notwendig sind.
({3})
Die berechtigten Wünsche für einen großzügigen Ausbau der Bundeshauptstadt und für die repräsentative Selbstdarstellung der Organe unserer parlamentarischen Demokratie müssen in Einklang gebracht werden mit dem obersten Gebot für alle Politiker: Steuermittel so wirksam und so sparsam wie möglich zu verwenden.
({4})
Das gilt auch für unser eigenes ehrgeiziges Projekt, nämlich den Neubau des Bundestages.
({5})
Deshalb möchte ich in dem Zusammenhang hier, ohne auf dieses Projekt im einzelnen einzugehen,
({6})
nur mitteilen, daß im Haushaltsausschuß insgesamt wenig Neigung besteht, einen neuen Plenarsaal zu bauen. Es wäre vielleicht notwendig und sinnvoll, dies in den Fraktionen einmal zu diskutieren.
({7})
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das letzte Wort, einen neuen Plenarsaal zu bauen, hat mich animiert, hier noch einige Worte zu sagen.
({0})
Ich finde, was wir heute hier wieder erleben, ist ein Zeichen dafür, daß wir beim Einzelplan 02 etwas vergessen haben, nämlich unsere eigene Angelegenheit betr. Neubau eines Plenarsaals.
({1})
Ich bin der Meinung, es wird wirklich allerhöchste Zeit, daß wir von der Vorleserei hier einmal wegkommen,
({2})
daß wir einmal dazu kommen, uns miteinander zu unterhalten, ganz frank und frei.
({3}) Dazu brauchen wir
({4})
etwas anderes als diesen nachgeahmten Hörsaal.
({5})
Wir brauchen dazu direktere Begegnung, wir brauchen dazu weit weniger Quadratmeter, als wir sie zur Zeit haben.
Alle Abgeordneten dieses Hauses - mit ganz wenigen Ausnahmen - haben die Möglichkeit ungenutzt gelassen, sich an den Beratungen über die Neugestaltung des Plenarsaals anläßlich der Ausstellung draußen in der Lobby zu beteiligen.
({6})
Ich möchte Ihnen heute abend - bloß weil diese Bemerkung soeben gefallen ist - sagen: Versuchen Sie doch einmal, eine ganze Fülle von Unzulänglichkeiten unseres Verfahrens zu beheben, von Ärgernissen, die wir hier zu erdulden haben von Menschen, die Abgeordnete dieses Hauses sind und meinen, sie müßten eine Woche lang zu Hause bleiben, um ein Manuskript auszuarbeiten, das sie dann hier vortragen wollen!
({7})
Versuchen Sie doch bitte einmal, sich diese Fülle von Unannehmlichkeiten auch durch organisatorische Maßnahmen zu ersparen, und denken Sie alle mehr, als das bisher geschehen ist, darüber nach, daß wir ein ganz anderes Plenum brauchen, ein viel kleineres, und daß wir da miteinander reden und uns nicht etwa gegenseitig Manuskripte vorlesen wollen!
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Niegel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt 1.30 Uhr. Ich bin der Meinung, es ist unwürdig für das deutsche Parlament, jetzt noch Haushaltsberatungen durchzuführen. Wir machen uns doch alle lächerlich.
({0})
Die Regierung drängt darauf, daß die Haushaltsberatungen vorgenommen werden. Wer von der Regierung ist noch da? Es ist kein Kanzler da, es sind nur noch ein paar Minister da.
({1})
Ich bin der Meinung, wir sollten heute Schluß machen und weiterdiskutieren, wenn der normale Arbeitstag wieder beginnt. Wir sollten uns nicht von irgendwelchen Terminen hindern lassen.
({2})
- Bitte schön, Herr Wehner!
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, ich würde Sie sonst zu so früher Stunde nicht fragen. Nur, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, weil dies hier immer wieder gesagt wird, daß der Bundeskanzler heute eine Verpflichtung hatte und darüber den Oppositionsführer informiert hat.
({0})
Wußten Sie das?
({1})
6834 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Niegel ({2}) : Herr Kollege Wehner, selbst wenn der Herr Bundeskanzler nicht da ist: ich bin der Meinung, ob Sie mit mir einig sind oder nicht, jetzt noch über die wichtigen Fragen eines Haushalts zu debattieren,
({3})
ist Vertretern des deutschen Volkes unwürdig. ({4})
Wir sollten uns dafür Zeit nehmen und eine solche Angelegenheit nicht in wenigen Stunden nach Mitternacht durchpeitschen.
({5})
Gerade beim Einzelplan 25 gibt es sehr viele Probleme, die sonst nicht im Parlament,
({6})
im Haushaltsausschuß oder sonstwo besprochen werden, die aber angesprochen werden sollten. Dazu gehören die Althaussanierung, die Modernisierung, Fragen des grauen Kreises. Darüber zu sprechen, haben wir aber keine Zeit.
Wir sollten die Sitzung auf einen Zeitpunkt vertagen, wo wir alle wieder voll bei Kräften sind und darüber debattieren können.
({7})
1
Meine Damen und Herren, wird der Antrag, der gerade gestellt worden ist, von einer Fraktion aufgenommen? Herr Leicht!
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich es richtig verstanden habe, war das ein Antrag des Herrn Kollegen Niegel.
({0})
Meine Fraktion hat, wenn ich richtig informiert worden bin, mit den anderen Fraktionen vereinbart -über die eine Ausnahme kann ich nichts sagen; ich weiß nicht, was hier heute abend passiert ist -, sämtliche Einzelpläne, ausgenommen die Einzelpläne 32 und 60, das Haushaltsgesetz
({1})
- und Einzelplan 08, heute abend zu Ende zu bringen.
({2})
Jetzt spreche ich für mich, nicht mehr für meine Fraktion. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, wenn die Kolleginnen und Kollegen dazu bereit sind, die Lesungen morgen den ganzen Tag über und, wenn wir nicht fertig werden, am Freitag fortzusetzen.
({3})
Ich wäre dankbar, wenn wir in Zukunft für Haushaltsberatungen mehr Zeit hätten.
({4})
Ich danke Herrn Kollegen Leicht für die Feststellung. Ich mußte die Frage stellen, weil ein einzelner einen solchen Antrag nur stellen kann, wenn er mit der Fraktionsstärke gestellt wird. Es liegt also kein Antrag in dieser Richtung vor.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 25. Wer dem Einzelplan 25 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? ({0})
Das erstere war die Mehrheit. Der Einzelplan 25 ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 27
Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen
- Drucksache 7/1930 - Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Dübber Abgeordneter Hoppe
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird noch das Wort gewünscht? - Herr Dr. Dübber!
({1})
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf ganz kurz auf ein paar Punkte im Bericht zu diesem Haushalt aufmerksam machen. Das ist einmal der Punkt Besuchsreiseverkehr aus der DDR, für den in Kap. 27 02 ein Titel vorgesehen ist. Die darin vorgesehenen Mittel sind im vergangenen Jahr nur zu etwa zwei Dritteln ausgegeben worden. Das hing damit zusammen, daß der Reiseverkehr aus der DDR restriktiv gehandhabt wurde.
Nun haben wir im Haushaltsausschuß beschlossen - dieser Beschluß liegt Ihnen vor -, daß Einsparungen bei diesem Titel nicht dazu führen sollen, daß diese Mittel dem Fiskus zufließen. Sie sollen vielmehr zweckbestimmt dem Titel Hilfsmaßnahmen gesamtdeutschen Charakters zugute kommen, damit der Zweck in jedem Fall gewahrt bleibt.
Ein zweiter Punkt: der kleine Grenzverkehr. Er hat sich seit dem Juli vorigen Jahres zahlenmäßig zunächst erfreulich entwickelt, ist aber dann ab November zurückgegangen, als von der anderen Seite die Verdoppelung der Zwangsumtauschquote verfügt wurde. Wir haben allerdings seit März dieses Jahres wieder einen Aufschwung, und die Zahlen im April liegen doppelt so hoch wie die vom Februar. Über die Frage des Zwangsumtausches sage ich gleich noch etwas Aktuelles.
Hier ist auch zu bemerken, daß die Genehmigung für die Benutzung von eigenen Personenkraftwagen in einer Weise erteilt wurde, wie wir sie eigentlich nicht erwartet hatten. Bis zu 82 % der Reisenden sind im kleinen Grenzverkehr mit dem eigenen Pkw gereist.
Wir hatten sodann im vorigen Jahr hier einen Antrag, die Erstattung der Visagebühren für die Westdeutschen im Grenzverkehr wieder aufzunehmen. Die Bundesregierung hat das für über 60jährige vorgesehen und hat damit dem Antrag Genüge getan.
Ein kurzes Wort zu der Verdoppelung des Zwangsumtausches. Sie ist im November vergangenen Jahres von der anderen Seite einseitig verfügt worden. Man hat das eines Morgens im „Neuen Deutschland" lesen können. Dieses war - und das ist von unserer Seite unmißverständlich festgehalten worden - eine einseitige Verletzung der Geschäftsgrundlagen im innerdeutschen Miteinander. Wir haben aber jetzt mit großem Interesse - und das ist gestern geschehen - zur Kenntnis genommen, daß unter anderem das Außenministerium der DDR seine Bereitschaft erklärt hat, über diese Angelegenheit mit sich verhandeln zu lassen.
({0})
- Ich will es im Interesse der Kollegen nun doch kurz machen. Bitte, ersparen Sie mir, daß ich Ihnen diese Dinge jetzt erkläre.
Das Außenministerium der DDR hat gestern gesagt, es sei bereit, darüber zu reden. Wir begrüßen das und sehen darin eine Rechtfertigung unserer Hartnäckigkeit, dieses Thema monatelang auf der Tagesordnung innerdeutscher Verhandlungen zu lassen, obwohl die Gegenseite gesagt hat, da gehöre es nicht hin. Hier zeigt sich, daß Hartnäckigkeit einen Sinn gehabt hat. Wir meinen, daß die Bundesregierung in diesen Bemühungen nicht nachlassen soll. Vor allem im Berufsverkehr spielt sich das ab, was wir in beschränktem Maße für die Menschen im geteilten Deutschland tun können.
Vorletzte Bemerkung. Zum Thema Ostforschung hat es einige Mißverständnisse, wie ich meine, vor allem der Beteiligten gegeben. Es hat im Verlaufe der Haushaltsberatungen einen Beschluß der Mehrheit des Haushaltsausschusses auf Grund von Beanstandungen des Bundesrechnungshofes gegeben, eine qualifizierte Sperre bei einer Reihe von Instituten, Einrichtungen und Zuwendungsempfängern, die Ostforschung betreiben, vorzusehen. Wir hoffen, daß es dem Ministerium und den Beteiligten möglich sein wird, uns baldmöglichst eine saubere Ubersicht der Forschungsbereiche und der Themen vorzulegen, an denen gearbeitet wird. Ich bin allerdings im Augenblick so frei zu sagen, daß sich bei den Betroffenen, die Zuwendungen empfangen, der Enthusiasmus, sich gegenseitig zu koordinieren, in engen Grenzen hält. Ich wünsche dem Ministerium Erfolg bei seinem Ansatz zur Durchforstung dieser Dinge, damit die Interessen des Steuerzahlers stärker zur Geltung kommen. Nicht alles, was seit Jakob Kaiser gefördert worden ist, muß nun unbedingt deswegen weiter gefördert werden. Wir müssen die Angelegenheit gelegentlich einmal überprüfen. Wir haben ohnehin vor, in diesem Haushalt von 1975 an einen größeren Teil der bisher verdeckten Titel offenzulegen.
Allerletzte Bemerkung. Die Bundesrepublik ist künftig in Ost-Berlin mit einer Ständigen Vertretung angesiedelt. Sie hat dafür 100 neue Stellen bekommen, und es gibt weitere Stellen im Bundeskanzleramt. Ich darf für die Mehrheit der Mitglieder der Koalition im Haushaltsausschuß sagen, wir würden es begrüßen, wenn wir mit dem Haushalt 1975 zusammen einmal eine Ubersicht über die Geschäftsverteilung bekämen, was das Ministerium und was die Ständige Vertretung macht.
Ich darf im übrigen bitten, den Haushalt anzunehmen.
({1})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wohlrabe.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich wäre hier nicht hinaufgegangen, wenn nicht eben der Herr Kollege Dübber ein Wort zum Zwangsumtausch in die Debatte geworfen hätte. Dazu kurz folgende Bemerkung: Zwangsumtausch als solcher ist sowieso eine anormale Sache. Das erst einmal vorweg. Wenn die Verhandlungen so gelaufen wären, wie sie hätten laufen müssen, hätte es gar keinen Zwangsumtausch mehr geben dürfen.
({0})
Zweite Bemerkung: Wenn die Verhandlungen für menschliche Erleichterungen sauber, ordnungsgemäß und vor allem zuverlässig und vertragsmäßig gut abgesichert geführt worden wären, hätte eine Erhöhung der Zwangsumtauschsätze überhaupt nicht eintreten können. Da dies nicht der Fall war, hat die DDR diesen Rechtsbruch begehen können. Der Fehler ist also auch bei der Bundesregierung zu suchen. Durch eine unsaubere Aushandlung der Verträge ist der Rechtsbruch überhaupt erst ermöglicht worden.
({1})
Gestatten Sie mir noch eine dritte Bemerkung. Ich bin der letzte, der nicht bereit ist, Fortschritte anzuerkennen und Erleichterungen für die Menschen gutzuheißen. Aber bereits im November 1972 gab es eine Situation, in der Ankündigungen vorlagen, die nachher nicht in Erfüllung gegangen sind. Diese Ankündigungen stellten damals eine eindeutige Wahlhilfe dar. Ich denke an die Freilassung der politischen Gefangenen und die Familienzusammenführung. Wer einmal nachprüft, stellt fest, daß das, was - auch durch den Minister Franke - angekündigt worden ist, sich in diesem Umfang nicht erfüllt hat. Ich habe die Sorge - der Zeitpunkt befremdet
mich -, daß auch diese Offerte der DDR wieder eine Einmischung in unsere Angelegenheiten - diesmal steht erneut ein Wahltermin vor der Tür - bedeutet. Diese Sorge besteht, und sie ist nicht von der Hand zu weisen.
({2})
Ich will es etwas polemisch ausdrücken: Hier wird der Versuch einer Wahlhilfe unternommen.
({3})
Wir haben das im November 1972 erlebt.
({4})
Ich hoffe nur, daß die Sache diesmal nicht wieder so ausgeht wie beim letztenmal. Dies nur als Anmerkung zur Sache.
({5})
Wird in der Aussprache noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 27. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf: Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
- Drucksache 7/1931 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülow
Ich danke dem Berichterstatter für den Schriftlichen Bericht. Wird der Bericht mündlich ergänzt? - Das ist nicht der Fall.
Zum Einzelplan 30 liegt der Änderungsantrag Drucksache 7/2140 der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird dieser Antrag begründet? - Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Hinblick auf künftige Haushalte haben wir Ihnen in Drucksache 7/2140 den Antrag vorgelegt, im Kapitel „Allgemeine Forschungsförderung" einen Leertitel mit der Zweckbestimmung „Förderung der geisteswissenschaftlichen Forschung" einzufügen. Ich möchte diesen Antrag kurz begründen.
Im Dezember vergangenen Jahres verschickte der Forschungsminister blaue Briefe an 34 Institute aus dem Bereich der geisteswissenschaftlichen Forschung und teilte ihnen mit, daß die Förderung Ende dieses oder nächsten Jahres eingestellt werde. Im Haushaltsausschuß wie im Fachausschuß erklärte die Regierung, sie sei in Verhandlung mit anderer Förderern. Falls aber diese Verhandlungen nicht zum Erfolg führen, sind wichtige Forschungsvorhaben im Bereich der Geisteswissenschaft in ihrer Existenz bedroht. Ich meine, daß es zu der von der Regierung immer wieder zitierten Lebensqualität auch gehört, die bunte Vielfalt einer geistig-kulturellen Landschaft zu erhalten und zu pflegen.
({0})
Deshalb kann die Bundesregierung nicht einfach die Institute, für die sich kein anderer Finanzier findet, sozusagen auf die Straße setzen. Die wichtigen Arbeiten dieser Institute - besonders auch im Bereich der historischen Forschung - müssen weitergehen. Aus diesem Grunde haben wir unseren Antrag gestellt. Wir hoffen, daß auch die Koalition diesen Antrag unterstützen wird.
({1})
Erlauben Sie mir noch einige wenige Sätze zum Einzelplan 30.
({2})
- Einige wenige Sätze. Wir sprechen hier über 3,7 Milliarden DM. Ich glaube, daß die Steuerzahler wenig Verständnis dafür haben, wenn wir das einfach so mit einem Handstrich übergehen.
({3})
Ich glaube, darüber muß man auch nachts um 2 Uhr noch sprechen dürfen.
({4})
- Ich werde es kurz machen, Herr Kollege, wenn Sie mich nicht weiter unterbrechen.
Das Volumen habe ich schon genannt. Die Steigerungsrate mit 17 % stellt sich stolz dar. Die Frage ist jedoch, ob die Qualität der Forschungspolitik dieser relativ großzügigen Dotierung gerecht wird.
Mit der Trennung des Forschungsministeriums vom Bildungsministerium war eine große Chance da, die Bedeutung der Forschungspolitik für die Zukunft unseres Landes, für die Zukunft eines Landes, das an Ressourcen arm ist, deutlich zu machen. Wir sind der Überzeugung, daß diese Chance nicht hinreichend genutzt worden ist. Uns wurden zwei Jahre lang alte Hüte in neuer Verpackung vorgestellt.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Im Rahmenprogramm Energieforschung, das schnell zusammengeschrieben wurde, als die Ölhähne zu waren, finden wir eine Fülle alter vertrauter Bekannter wieder. Und nur am Rande sei angemerkt, daß in diesem Programm immer von 1,5 Milliarden DM die Rede ist. In Wirklichkeit will die Bundesregierung nur 800 Millionen DM zur Verfügung stellen; den Rest soll das Land Nordrhein-Westfalen mit 150 Millionen DM und die Industrie bezahlen.
Ein schöner Prospekt „Mehr Lebensqualität durch kommunale Technologien" wird uns vorgelegt. In diesem Prospekt finden wir ebenfalls sehr nützliche und wichtige Dinge, z. B. Umweltschutz, Verkehrstechnologie, Müllbeseitigung, Computerdiagnose im Krankenhaus und vieles andere. Aber alles sind altvertraute Bekannte; im Grunde nichts Neues.
Wo wir allerdings Neues finden, ist im Bereich der Bürokratisierung der Forschungspolitik.
({5})
Das Ministerium betreibt Haushaltskosmetik, indem nachgeschaltete Projektmanager Verwaltungsarbeiten übernehmen. Diese Verwaltungskosten, die so nachgeschalteten Projektmanager, gehen natürlich nicht zu Lasten des Ministeriums, sondern sie gehen zu Lasten der Mittel, die für die Forschungsförderung zur Verfügung stehen sollten.
({6})
Die Folge dieser Methode und dieser Gepflogenheiten ist eine rapide Stellenvermehrung im Bereich der Forschung, des Forschungsmanagements bei den Instituten. Allein die Gesellschaft für Weltraumforschung beschäftigt 400 Mitarbeiter in diesem Bereich.
Es ist selbstverständlich, daß wir für eine sachgerechte Mittelverwaltung sind. Inzwischen versickern aber im Bereich der Verwaltung Mittel in der Größenordnung von 20 % der gesamten Mittel für die Forschungsförderung, während in wichtigen Forschungsnationen wie beispielsweise den USA dieser Prozentsatz weit unter 10 % liegt. Ich glaube, es lohnt sich, hierüber nachzudenken.
({7})
Zum Stichwort Effizienz ist noch zu vermerken, daß von den Mitteln, die an die Industrie zur Forschungsförderung gehen, für die kleineren und mittleren Unternehmen ganze 5 % abfallen, obwohl es unbestritten ist, daß gerade aus diesen kleinen und mittleren Unternehmen enorme Anreize an Innovationen, an technischem Fortschritt hervorgehen.
({8})
Ein anderes Kapitel ist die Koordinierung zwischen den Ressorts im Bereich Energieforschung und Energiepolitik. Z. B. arbeiten drei Ressorts teilweise miteinander, teilweise gegeneinander: das Innen-, das Wirtschafts- und das Forschungsministerium. Auf der einen Seite werden im Rahmen des Energieforschungsprogramms erhebliche Mittel für die Kohleveredlung bewilligt, auf der anderen Seite tritt das Wirtschaftsministerium für eine Verkürzung der Kohleförderung ein. Ähnliches läßt sich auch auf dem Gebiet der Standortvorsorge und der Standortplanung zwischen Forschungs- und Innenministerium feststellen.
In der neuen Regierungserklärung des Bundeskanzlers finden wir zur Forschungspolitik kaum noch Worte. Offensichtlich ist der reformerische Glanz von 1972 nicht mehr ganz so frisch.
Noch etwas fiel uns beim Regierungswechsel auf : Im Jahre 1972 wurde dem Forschungsminister auch die Post unterstellt mit dem damals umwerfenden Argument, daß beides mit Nachrichtentechnologie zu tun habe und deswegen zwangsläufig zusammengehöre. Inzwischen kam die Post auf ein Rekorddefizit, über dessen Ursache man sicher diskutieren kann. Wenn man der messerscharfen Logik der Koalition folgt, müßte die Post heute eigentlich nicht beim Verkehrsminister, sondern beim Gesundheitsminister sein; denn sie ist krank.
({9})
Ich habe das Gefühl, wenn die Post nicht bald ihr Postverfassungsgesetz bekommt, dann bleibt ihr das Schicksal des Fliegenden Holländers nicht erspart.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen.
({10})
Die schwammige Zielsetzung bei der Forschungspolitik, die mangelhafte Koordinierung innerhalb der Bundesregierung und die unbefriedigende Effizienz ihrer Durchführung veranlassen meine Fraktion, diesen Haushalt abzulehnen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Bülow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedauere sehr, daß die Zeit, die gestern verlorengegangen ist, nicht für die Haushaltsdebatte zur Verfügung gestanden hat.
({0})
Die Debatte wurde gestern zur Unzeit abgebrochen,
und wir hätten diese Zeit gut gebrauchen können.
Lassen Sie mich zu dem letzten Wort von Herrn Stavenhagen - Herr Stavenhagen gehört dem Haushaltsausschuß wohl, glaube ich, erst seit wenigen Tagen an -
({1}) - Moment, Moment!
({2})
- Die Post gehört zum Einzelplan 13. Dort, hatten Sie angegeben, würden Sie Widerstand leisten; der ist nicht gekommen.
({3})
Deswegen wollte ich nur darauf hinweisen; das gehört hier nicht daher.
Der Antrag, der hier vorgelegt worden ist, ist ein reiner Scheinantrag, der im übrigen eine Volte der Arbeitsgruppe Haushalt der CDU darstellt - ({4})
- Ich sage gerade etwas zu Ihrem Antrag, den Herr
Stavenhagen vorgetragen hat. Dazu sage ich etwas.
Seit 10 oder 15 Jahren ist die gemeinsame Haltung des Haushaltsausschusses, die hier in diesem Tit. 685 61 ausgebrachten 15 oder 20 kleinsten Institutionen mit Förderungsbeträgen teilweise nicht über 12 000 oder 15 000 DM aus dem Haushaltsplan herauszubringen, weil wir der Meinung waren, und zwar einstimmig über die Jahre hinweg, zusammen mit dem Rechnungshof, daß dies keine Bundesaufgaben seien.
({5})
Als dann zum erstenmal ein Minister den Auftrag
des zuständigen Haushaltsausschusses durchzufüh6838
ren begann, haben Sie diese einstimmige Haltung sofort verlassen, als irgendwelche Leute anfingen wehzuklagen. Das ist Ihre Position. Da haben Sie versucht, dann auf die Schiene zu setzen, diese Regierung hätte mit der Geisteswissenschaft nichts zu tun und vernachlässige die Geisteswissenschaften.
({6})
Genau das ist die Argumentation, obwohl eine Fülle von Einzeltiteln in diesem Einzelplan darin sind und außerdem noch im Einzelplan 31, die diese Geisteswissenschaften zum Gegenstand haben.
Das Ministerium für Forschung und Technologie ist zum erstenmal darangegangen, die Sache zu bereinigen. Es sind Briefe herausgegangen. Ob es im einzelnen sehr geschickt gewesen ist, wie sie formuliert waren, darüber läßt sich durchaus streiten. Kurzum, wir sind uns alle darüber einig, daß die Flurbereinigung versucht werden muß, daß es dabei aber wahrscheinlich einen Teil geben wird, der nicht bereinigt werden kann, weil er die Länder übergreifende Forschungsinstitutionen betrifft, und diese Institutionen müssen selbstverständlich dann letztlich über den Bundeshaushalt weiter gefördert werden. Daß man dafür einen Leertitel braucht, ist im Grunde genommen lächerlich. Der Tit. 685 61 steht für diese Institutionen zur Verfügung.
Auf die Angriffe gegen die Politik in bezug auf Forschung und Technologie kann ich hier im Detail nicht eingehen. Es ist richtig, daß 3,7 Milliarden durchdiskutiert werden müssen, darunter der große Titel der Forschung für Reaktorbau. Ich würde anregen, daß wir in Zukunft alle Jahre abwechseln in der Reihenfolge der Beratung der Haushaltspläne. Es ist im Grunde genommen ein Unding, daß nun schon zum dritten Mal die Einzelpläne 30 und 31 in die späten Nachtstunden hineinkommen, so daß es keine Möglichkeit gibt, sie sinnvoll zu erörtern. Ich gebe also zu erwägen, ob wir nicht die Reihenfolge von Jahr zu Jahr umstellen. Einmal haben dann die Freunde des Einzelplans 02, die ja sehr zahlreich sind unter uns, bei Beginn der Etatdebatte das Wort, das andere Mal wird es umgekehrt sein; dann werden die Freunde des Einzelplans 31 und des Einzelplans 30 an die Reihe kommen.
({7})
- Herr Pfeifer, irgendwie wird das offensichtlich nicht mehr ganz erträglich.
({8})
- Herr Pfeifer! Jetzt regen Sie sich doch nicht so furchtbar auf! Fahren Sie morgen nachmittag nach Hause und genießen Sie die Himmelfahrt.
({9})
Ich kann Sie nur erinnern: Das letzte Mal hatten wir eine ganz andere Situation. Da hat die Präsidentin des Bundestages auf 8 Uhr zu einem Sommerempfang eingeladen, dort draußen. Es war ein wunderschöner Abend. Wir haben um 8 Uhr einvernehmlich gesagt: Alle Reden fallen flach; es wird nicht mehr debattiert. Es gibt also nicht nur für Sie so aufregende Anlässe, hier zu intervenieren, sondern ganz andere. Lassen Sie uns doch einmal den Gedankengang verfolgen.
({10})
Meine Damen und Herren! Das Wort haben Sie jetzt nicht.
Herr Prinz zu Sayn-Wittgenstein, wer hat denn gestern voller Wut diesen Saal verlassen und praktisch die Fortführung der Debatte unmöglich gemacht?
({0})
Das lag doch in Ihren Reihen! Da können Sie uns hier nichts vormachen.
Noch zum Vorwurf der Bürokratisierung! Herr Stavenhagen, Sie kommen aus dem Fachausschuß. Sie haben, wenn ich es recht sehe, doch viele Möglichkeiten, Gutachten einzuholen und auch einmal nach Amerika zu fahren. Ich rate Ihnen nur als ein einziges Beispiel, die Atomenergiekommission der Vereinigten Staaten zu besuchen und sich dort den Personalaufwand für dieselben Aufgaben oder zwei Drittel oder das Dreifache unserer Aufgaben anzusehen. Das ist ein, wie man dort sagt, personal waste in bezug auf das, was wir einsetzen. Die Atomabteilung in diesem Ministerium umfaßt nicht mehr als 15 bis 30 Mann und hat einen Riesen-Haushalt von 1,5 oder 1,7 Milliarden DM zu behandeln und zu bearbeiten. Das ist eine enorme Leistung, die schwierig zu erbringen ist. Vergleichen Sie das bitte mit den entsprechenden amerikanischen Einrichtungen! Fahren Sie auch nach Tennessee in die entsprechenden Forschungsinstitutionen, um zu sehen, was dort an Kontrollapparatur aufgebaut ist. Dann werden Sie sehen, daß wir in Deutschland billig arbeiten und daß die Bürokratisierung weitgehend zurückgedrängt ist. Für die Projektförderung gilt im Grunde genommen genau dasselbe. Es wäre noch eine ganze Reihe weiter aufzuführen.
Noch ein Beispiel! Der Hinweis auf die kleinen und mittleren Unternehmen soll in eine Wunde hineingehen. Diese Welle reiten Sie schon seit zwei Tagen. Aus diesem Grunde, um diesen kleinen und mittleren Unternehmen zu helfen, ist ein neues Konzept bei der Fraunhofer-Gesellschaft auf die Schiene gesetzt worden, das genau in diese Marktlücke hineinstoßen soll. Wir sind dabei, das durchzuführen. Ich glaube, das ist eine hervorragende Idee. Es wäre gut, wenn Sie dieses Thema mit etwas mehr Sachverstand aufgegriffen und hier diskutiert hätten. Ich bedanke mich.
Ich bitte, den Antrag abzulehnen und den Einzelplan anzunehmen.
({1})
Meine Damen und Herren! Es ist eben ein Zwischenruf gefallen, den ich in der allgemeinen Unruhe nicht gehrt habe; er ist aber bestätigt. Herr Abgeordneter Wehner, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
({0})
Meine Damen und Herren, wir sind alle müde.
({1})
Ich habe über einige weggehört. Herr Kollege Pfeifer, ich habe über Ihren Zwischenruf weggehört. Ich glaube, es gibt einen Punkt, wo wir uns alle miteinander ein bißchen zusammennehmen sollten. Sonst kommen wir heute abend nicht mehr durch. Es macht auch für uns alle die Sache nicht einfacher.
Wir können jetzt über den Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/2140 abstimmen. Ich bitte um das Handzeichen, wer dafür stimmt. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erstere war die Minderheit, das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Jetzt hat das Wort Herr Abgeordneter Althammer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte nur einen Punkt vom Kollegen Bülow richtigstellen. Es ist richtig, daß wir uns im Haushaltsausschuß einig waren, die Kleinstpositionen vom Bundesetat wegzubringen, aber, Herr Kollege Bülow, natürlich nicht in der Weise, daß man ohne Absprache darüber, wie die Finanzierung dieser Institute fortgesetzt werden soll, einfach den Leuten mitteilt: Ab nächstes Jahr bekommt Ihr nichts mehr! Vielmehr war in der Finanzreform vorgesehen, daß durch genaue Absprachen zwischen Bund und Ländern die Weiterfinanzierung gewährleistet wird.
({0})
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 30. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe nunmehr den Einzelplan 31 auf:
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
- Drucksachen 7/1932, 7/2056 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer
Wir danken für den Bericht. - Ergänzungen werden nicht mehr gemacht. Wünscht jemand das Wort zur Aussprache? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 31. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan 31 ist angenommen.
Der Einzelplan 32 wird heute in der 103. Sitzung zusammen mit dem Einzelplan 60 beraten.
Ich rufe den Einzelplan 33 auf: Versorgung
- Drucksache 7/1934 Berichterstatter:
Abgeordneter Möller ({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 33. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Der Einzelplan 33 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 35 auf:
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit
dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
- Drucksache 7/1935 -Berichterstatter: Abgeordneter Simon
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich danke ihm. Wir haben einen Änderungsantrag auf Drucksache 7/2129. Wer möchte den Antrag begründen?
({1})
- Keine Begründung. Dann braucht auch keiner dagegen zu sprechen. Ich bitte um Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 7/2129. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Bei einer Enthaltung ist der Antrag abgelehnt.
Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 35 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 35 ist einstimmig angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
({2})
Ich darf Ihnen allen und auch den Mitarbeitern des Hauses für das lange Aushalten sehr danken.
Wir fahren fort heute, am 22. Mai, um 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.