Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beginnen mit der
Fragestunde
- Drucksache VI/ 1166 -.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Berkhan zur Verfügung. Ich rufe zuerst die Frage 53 des Abgeordneten Damm auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Flugblatt der ÖTV- Jugend Oberhausen, das am 6. Juni 1970 anläßlich der Ausstellung „Unsere Luftwaffe" in Oberhausen verteilt worden ist und in dem es zum Schluß heißt:
,Was sagte noch Major Hoffmann, der Leiter dieser Ausstellung, warum die Bundeswehr Flugzeuge und Raketen ausstellt?
Weil die Ausstellung „ . . den Zweck hat, junge Leute zu werben." Junge Leute . . . Wozu?
hätte er nicht auch sagen können: „Wir brauchen junge Leute, um Menschen zu töten, Städte und Fabriken zu zerstören, Ernten zu vernichten . . ."?
„Unsere" Luftwaffe . . .V
Der Abgeordnete ist im Hause. Herr Staatssekretär!
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Herr Kollege Damm, die Frage, die Sie mir gestellt haben, ist eigentlich gestern schon beantwortet worden. Wenn Sie den Einzelplan 14 des ablaufenden Jahres und den Entwurf des kommenden Jahres betrachten und wenn Sie die Einzelpläne 14 der Haushalte der vergangenen Jahre betrachten, werden Sie sehen, daß die Bundesregierungen verschiedener Zusammensetzung immer Mittel bereitgestellt haben, um diese werbenden Ausstellungen der Bundeswehr durch die Lande fahren lassen zu können. Daraus dürfen Sie schon schließen, daß derartige unqualifizierte Angriffe, wie sie aus dem Flugblatt einer Jugendgruppe hervorgehen, von der Bundesregierung natürlich nicht gebilligt werden. Ich weiß aber auch, daß Vertreter der Organisation, der diese jungen Menschen angehören, die ein höheres Amt haben als ein Jugendgruppenleiter in einer Stadt, über diese Art von Werbung oder Antiwerbung nicht glücklich sind. Ich bin der Auffassung, Herr Kollege Damm, daß wir darauf Rücksicht nehmen müssen, daß es sich in dieser unruhigen Zeit immer wieder zeigt, daß in allen Gruppen, sehr häufig sogar in den Parteien, die diesen Staat gemeinsam tragen, die Jugendgruppen etwas radikalere und mitunter auch etwas am Rande des Parteiprogramms stehende Ansichten äußern. Man sollte das bei der ÖTV nicht besonders kritisch unter die Lupe nehmen.
Ich weiß, daß in Kürze ein Gespräch stattfinden wird zwischen Soldaten, die sich in der ÖTV organisiert haben, und jungen Menschen, die dieses Flugblatt verfaßt und verbreitet haben. Ich hoffe, daß am Ende ein Teil dieser Jugendlichen eine andere Einstellung zu den Dingen hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte schön!
Könnten Sie sich vorstellen, Herr Staatssekretär, daß das, was Sie gestern schon und durch der Tagesordnung Geschick heute noch einmal als eine Art Jugendsünde der ÖTV in Oberhausen dargestellt haben, deshalb von Ihnen, lassen Sie mich sagen, ein bißchen verharmlost worden ist, weil die ÖTV-Jugend Oberhausen, wie ich meine, es einmal sehr leicht hatte, die Bundeswehr als eine - jetzt wähle ich meine Worte und nicht die des Flugblattes - Armee von Söldnern hinzustellen, deren höchstes Ziel es ist, Tod und Verderben über Frauen und Kinder und Dörfer und Städte zu bringen, da die ÖTV-Jugend im gewerkschaftlichen Raum der Erwachsenen eine Reihe von Vorbildern für diese Betrachtungsweise finden kann, und weil sie, Herr Staatssekretär, ebenso wie ich sicherlich der Auffassung sind, daß die Gewerkschaften im Hinblick auf ihren Zweck, ihre Größe, ihre Geldmittel und ihren politischen Einfluß heute vermutlich eine exzeptionelle Stellung in unserer Gesellschaft einnehmen, eine Stellung, die, wie ich meine, ihnen eine besondere Verantwortung auferlegt?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Damm, im Zusammenhang mit dieser Frage über die Stellung der Gewerkschaften in Staat und Gesellschaft zu reden steht mir nicht zu. Ich glaube auch, daß man dafür mehr Zeit benötigen würde. Ich erinnere jedenfalls daran, daß hier im Hause ein Kollege, der aus dem Lande kam, aus dem wir
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
beide kommen, und der damals das Amt des Finanzministers hatte, der verstorbene Kollege Dr. Dahlgrün, einmal gesagt hat: „Noch immer ist dort, wo die freien Gewerkschaften untergegangen sind, auch die Freiheit untergegangen."
Ich weiß natürlich, daß es schwer ist, in Freiheit zu leben, und ich weiß, daß es Streit gibt. Ich will Sie auch nicht kränken oder provozieren. Ich will Ihnen nur sagen: Ich könnte Ihnen aus anderen Bereichen, die gar nichts mit Gewerkschaften zu tun haben, ähnliche Äußerungen vorlegen. Wir beide würden darüber, je nach dem, wie wir an dem Tage gelaunt wären, lächeln oder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Ich will Ihnen auch sagen, daß der Verteidigungsminister - ich war dabei; daher kann ich darüber reden - mit allen Gruppen der gewerkschaftlich Organisierten und ihren Vorsitzenden zusammengekommen ist und daß wir dabei durchaus einvernehmlich miteinander haben reden können. Daß es zwischen Gewerkschaften und denjenigen, die im öffentlichen Dienst die Arbeitgeberfunktion zu vertreten haben, Differenzen gibt, ist nichts Neues. Das ist auch etwas ganz Normales.
Herr Kollege Damm, eine weitere Zusatzfrage. Ich wäre allerdings dankbar, wenn Sie die Regeln der Fragestunde hinsichtlich der Kürze und Präzision einhielten.
1 Damm ({0}): Ich werde mir viel Mühe geben, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, daß es hierbei nicht um die Frage geht, ob wir uns möglicherweise wechselseitig kränken oder uns die besondere Nähe, was die Parteien, denen wir angehören, angeht, zu den Gewerkschaften vorwerfen wollen oder nicht, sondern um die Aufhellung eines Tatbestandes, der - das habe ich soeben darzulegen versucht - wegen der besonderen Bedeutung der Gewerkschaften eben ein anderes Gewicht hat, als wenn sich irgendein Kegelverein oder die Heilsarmee derart kritisch zur Bundeswehr äußerte, zum anderen besonders deshalb, weil die ÖTV Interessen der Berufssoldaten vertritt und Ihr Haus, wie ich höre, den Bemühungen der ÖTV ziemlich aufgeschlossen gegenübersteht, sie künftig auch in den Kasernen für ihre Ideen werben zu lassen?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das ist ein Bündel von Fragen. Zum letzten Teil Ihrer Frage sage ich Ihnen nur, daß das, was das Gesetz vorschreibt, realisiert wird. Es wird kein Verband bevorzugt, und es gibt auch keine besondere Affinität der Bundesregierung.
Zum ersten sage ich Ihnen: Kegelvereine oder andere Gruppen - ich weiß nicht mehr genau, was Sie sonst noch für Vereine genannt haben -({1})
habe ich in meiner vorsichtigen Antwort nicht gemeint, Ich rede von Jugendgruppen aus dem kirchlichen Bereich. Ich bin gern bereit, Ihnen die Flugblätter oder die entsprechenden Äußerungen vorzulegen. Ich glaube, wir beide stimmen darin überein, daß man zwar Kirchen und Gewerkschaften nicht miteinander vergleichen darf - es sind zwei verschiedene Institutionen auf ganz anderen Ebenen -, daß sich das aber hinsichtlich der Gefährlichkeit unqualifizierter Äußerungen aus diesen Bereichen sehr nahekommt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Biehle.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß die Bundesregierung dieser Entwicklung, die in zunehmendem Maße eine Diskriminierung unserer Soldaten bedeutet, endlich tatkräftig entgegentreten sollte? Sie selbst haben gesagt, daß nicht nur aus Gewerkschaftskreisen - ich habe gestern einiges angesprochen -, sondern auch aus anderen Bereichen in zunehmendem Maße eine Diskriminierung der Bundeswehr erfolge. Ich denke dabei z. B. an eine Schülerzeitung, in der vor kurzem zu lesen war: „Geh' zur Armee, lerne ein Handwerk, nämlich Schlachter!" Ich glaube, daß das eine Entwicklung anzeigt, die sehr beängstigend ist. Nicht umsonst hat ein französischer Offizier gesagt, daß so etwas in Frankreich als Vergehen gegen die Sicherheit des Staates betrachtet wird. Die Bundesregierung sollte auch durch entsprechende Aufklärung solchen Dingen allmählich energisch Einhalt gebieten.
Herr Kollege, Sie dürfen hier keine Debatte führen, sondern nur knappe und präzise Fragen im Sinne der Geschäftsordnung stellen. Ich bitte dafür um Verständnis. Ich habe vorhin schon den Herrn Kollegen Damm darauf hingewiesen. In Zukunft muß ich sonst darauf bestehen, daß Sie die Zusatzfrage kurzfristig beenden.
Meine Frage kommt jetzt: Herr Staatssekretär, teilen Sie diese Auffassung?
Es war aber auch höchste Zeit dafür.
({0})
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Biehle, ich teile diese Auffassung. Wir beobachten so etwas sehr ernsthaft. Ich warne jedoch davor, zu glauben, daß Gesellschaft und Staat besser führen, wenn man solche Dinge über den Richter abwickeln wollte. Die den Staat tragenden Gruppen und Parteien müssen gemeinsam dafür sorgen, daß das Bild der Ordnungsmächte in diesem Staat Bundeswehr und Polizei - durchaus ein Bild ist, das ihrem Auftrag angemessen ist. Hierzu trägt bei, daß der Bundeskanzler dieses Jahr ein großes Manöver besucht hat, daß viele Staatssekretäre und viele Minister Truppenbesuche machen. Ich glaube, in der Bundeswehr weiß man durchaus, wie die Regierung den
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
Auftrag der Bundeswehr einschätzt. Ich empfehle Ihnen, die Regierungserklärung zu lesen. Dort gibt es ganz klare und unmißverständliche Formulierungen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dasch.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß die Veröffentlichung dieser Äußerungen von radikalen Gruppen ein völlig verzerrtes Bild von der Gesamteinstellung der deutschen Jugend zur Bundeswehr ergibt?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ja.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Möhring auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das zivile Parkplatzproblem in Garnisonstädten vergrößert wird durch Privatkraftwagen von Wehrpflichtigen, die auf Grund ihres schlechten technischen Zustandes vorn Kasernenbereich in den immer empörter reagierenden zivilen Nachbarbereich gewiesen werden?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Herr Staatssekretär!
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, Herr Kollege, wenn Sie gestatten, beantworte ich die Fragen 54 und 55.
Der Herr Fragesteller ist damit einverstanden. Ich rufe dann auch die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Möhring auf:
Hat die Bundesregierung bei ihren baulichen Modernisierungsvorhaben innerhalb von Kasernenanlagen u. a. auch in Erwägung gezogen, Parkhochhäuser zu errichten?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Mir ist nicht bekannt, daß private Kraftfahrzeuge von Wehrpflichtigen auf Grund ihres schlechten technischen Zustandes vom Kasernenbereich in den zivilen Nachbarbereich verwiesen worden sind. Soweit private Kraftfahrzeuge wegen äußerlich erkennbarer Mängel nicht für den öffentlichen Verkehr geeignet sind, werden die Fahrzeughalter, sofern sie Soldaten sind, vielmehr angehalten, die Kasernen nicht mit einem solchen Kraftfahrzeug zu verlassen. Möglich ist allerdings, daß Wehrpflichtige, die sich dieser Aufsicht nicht unterwerfen wollen, ihre Fahrzeuge außerhalb des Kasernenbereiches abstellen und damit den zivilen Nachbarbereich beeinträchtigen. Die Bundeswehr hat jedoch keine rechtliche Handhabe, hiergegen einzuschreiten.
Die Errichtung von Parkhochhäusern für die privaten Kraftfahrzeuge der Soldaten ist bisher nur in einem Fall erwogen, wegen der hohen Kosten jedoch nicht ausgeführt worden. Bei einem Kostenaufwand von durchschnittlich 20 000 DM pro Stellplatz kann angenommen werden, daß bei der Modernisierung von Kasernen andere Lösungen besser, aber auch wirtschaftlicher sind als der Bau von Parkhochhäusern.
Nach den geltenden Bestimmungen werden zur Zeit für eine Kaserne mit 1200 Mann Belegungsstärke bis zu 10 000 qm reine Abstellfläche für private Kraftfahrzeuge vorgesehen. Das ergibt einen Parkraum für etwa 700 bis 800 Fahrzeuge. Die Größe der Parkfläche ist in den letzten Jahren entsprechend dem Anwachsen der Zahl der Kraftfahrzeuge laufend erhöht worden. Die bauliche Herrichtung ist allerdings noch nicht überall abgeschlossen.
Im übrigen ist die schwierige Parkraumlage kein für die Bundeswehr spezifisches Problem. Sie besteht in gleicher Weise für alle Arbeitnehmer, die Arbeitnehmer des Deutschen Bundestages eingeschlossen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Möhring.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort nicht ausgeschlossen, daß der zivile Bereich beeinträchtigt werden kann. Meine Anschlußfrage lautet daher: wenn man von dem Gedanken ausgeht, daß die Möglichkeiten, Parkraum flächenmäßig auszudehnen, begrenzt sind, welche kurzfristig wirksamen Maßnahmen dann in Ihrem Hause geplant sind, um das Parkplatzproblem, das, wie angedeutet, kein spezifisch der Bundeswehr eigentümliches ist, möglichst bald in den Griff zu bekommen.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Möhring, ich möchte Sie bitten, einmal das Bundesministerium der Verteidigung aufzusuchen und mit den Fachleuten die generelle Frage zu diskutieren und gleichzeitig über die Kasernen zu sprechen, die Sie vielleicht im Auge haben. Natürlich ist die Situation in Lüneburg anders als in einer Kaserne, die irgendwo in der Lüneburger Heide liegt. Fläche wird man immer nur dort in Anspruch nehmen können, wo Fläche zu angemessenen Preisen zu erwerben oder anzumieten ist. Ich fühle mich daher außerstande, Ihnen hier eine generelle Antwort zu geben, wie die Lösung dieser Frage angepackt werden soll. Ganz abgesehen davon habe ich nicht die Absicht, meinem Kollegen Börner ins Geschäft zu pfuschen. Er sitzt hier rechts neben mir.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung beantwortet.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann zur Verfügung. Die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Dasch ist aufgerufen:
Welche Gründe sind der Bundesregierung bekannt, die viele Landwirte in der Bundesrepublik Deutschland veranlaßten, den Aufwertungsausgleich nicht zu beantragen?
3712 Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Der Abgeordnete ist im Saal. Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dasch, wie viele Landwirte den Aufwertungsausgleich nicht geltend gemacht haben, läßt sich zur Zeit noch nicht überblicken. Es ist aber anzunehmen, daß ihre Zahl sehr gering sein dürfte. Genaue Angaben hierüber werden, wenn überhaupt, erst am Jahresende möglich sein.
Hinsichtlich der Abwicklung des Aufwertungsausgleichs können zur Zeit jedoch folgende Aussagen gemacht werden. Von den von den landwirtschaftlichen Alterskassen im Amtsverfahren versandten 787 694 Vordrucken wurden 63 037 nicht zurückgesandt. Nach Auskunft des Gesamtverbandes der landwirtschaftlichen Alterskassen entfallen diese nicht zurückgekommenen Vordrucke größtenteils auf ehemalige, in der Zwischenzeit aus der Landwirtschaft ausgeschiedene und nur noch karteimäßig erfaßte Landwirte. Dieser Personenkreis hat jedoch keinen Ausgleichsanspruch.
Auszuschließen ist jedoch nicht, daß in der Zahl von 63 037 auch eine geringe Zahl von Landwirten enthalten ist, die an sich einen Ausgleichsanspruch gehabt hätten. Die Gründe, warum diese Landwirte keinen Antrag gestellt haben, sind der Bundesregierung nicht bekannt. Jeder Landwirt war durch entsprechende Hinweise auf den übersandten Vordrucken darüber informiert, daß er zur Geltendmachung seines Anspruchs den Vordruck an seine zuständige Alterskasse zurücksenden mußte. Auf diese Notwendigkeit ist auch in Presse und Rundfunk wiederholt hingewiesen worden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß ein kleiner Teil derer, die Ansprüche gehabt hätten, deswegen ihren Antrag nicht einsandten, weil sie vielleicht meinen, daß ihre Angaben auch zu anderen Zwecken als denen der Bezahlung des Ausgleichs genommen werden könnten?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Das glaube ich nicht, Herr Kollege Dasch. Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß diese Angaben nicht anderweitig benutzt werden dürfen. Ich bin also nicht der Meinung, daß das der Grund sein könnte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß in der Öffentlichkeit die Berichte über die Zahlen derer, die keinen Antrag gestellt haben, für die Landwirtschaft ein negatives Echo auslösen könnten und daß die echte Ursache des manchmal regional sehr gravierenden Unterschiedes zwischen buchmäßig Berechtigten und tatsächlichen Antragstellern darin liegt, daß die Statistik mit der Neufeststellung der tatsächlich noch bestehenden Betriebe gegenüber den vor zwei Jahren oder drei Jahren festgestellten nicht mehr übereinstimmt?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Sicherlich, daran könnte einiges liegen. Aber ich darf Ihnen auch sagen, daß wir bemüht sind, hier noch Ausgleiche zu schaffen. Vielleicht ist die Antragsfrist etwas kurz festgesetzt gewesen. Wir werden uns also bemühen und sind im Augenblick daran, eine Änderungsverordnung zu erlassen, die dann auch noch verspätet eingereichten Vordrucken eine Chance gibt.
Ich rufe die Frage des Abgeordneten Dröscher auf -- der Abgeordnete ist im Saal :
Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, in wie vielen der neunzehntausend Darlehnsfälle mil über 330 Millionen DM für die landwirtschaftliche Zinsverbilligung ({0}) der plötzliche Entzug der Verbilligungshilfe im Jahre 1967 zu schweren Schäden und gar zum finanziellen Ruio der betrolfenen Betriebe geführt hat, und ist die Bundesregierung bereit, in dadurch entstandenen Notfällen eine Wiedereinbeziehung in die Zinsverbilligungsaktion zu befürworten?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dröscher, der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, in wie vielen der durch die Anpassungshilfe 1965 geförderten Fällen die Nichtfortführung der in diesem Zusammenhang gewährten Zinsverbilligung in den Jahren nach 1967 zu finanziellen Schädigungen führte. Die Richtlinien für die Anpassungshilfe 1965 sahen ausdrücklich nur eine Zinsverbilligung im Haushaltsjahr 1965 vor. Dennoch wurde die Zinsverbilligung auch im Jahre 1966 fortgeführt. Die Anpassungshilfe ist bei Banken und Verwaltung in Bund und Ländern abgeschlossen. Eine Neuaufnahme der als erledigt anzusehenden Fälle ist administrativ nicht möglich.
Eine Zusatzfrage.
Ist es zutreffend, Herr Staatssekretär, daß viele dieser 19 000 Betriebe, die diese Darlehen in immerhin einer Höhe von 330 Millionen DM aufgenommen haben, des guten Glaubens sein konnten, daß die Zinsverbilligung auf eine Reihe von Jahren gewährt würde, weil sie so belehrt worden waren?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, dazu darf ich sagen, daß damals immer wieder mitgeteilt worden ist, daß es sich um eine Sondermaßnahme handelt, und zwar sollte nach der Getreidepreissenkung bis zum EWG- Anpassungsgesetz eine Überbrückung in Form einer
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann Zinsverbilligung stattfinden. Es war also von vornherein klar, daß hier nur ein gewisser Zeitabstand für die Zinsverbilligung in Frage kommen könnte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wenn man unterstellt, daß damals Betriebe solche Darlehen bis zur Höhe von 100 000 DM in der Hoffnung aufgenommen haben, daß die Zinsverbilligung eine Reihe von .Jahren und nicht nur ein oder zwei Jahre dauert, sehen Sie eine Möglichkeit, durch den Entzug besonders schwer betroffenen Betrieben auf andere Weise zu helfen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich habe vor einiger Zeit schon einmal auf eine Bleichlautende Anfrage erklärt, daß das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten immer bereit sein wird, tatsächliche Härtefälle zu prüfen und mildernd einzugreifen.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf:
Betrachtet die Bundesregierung die zahlreichen, wenn auch in ihrer Form sehr milden Proteste deutscher Bauern durch Übersendung von kleinen Weizensäckchen an das Bundeskanzleramt als eine Art gelenkter Spielerei, oder sieht sie dies als Ausdruck großer Sorge Tiber die Preis-Kosten-Entwicklung innerhalb der deutschen Landwirtschaft?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident, ich bitte, beide Fragen zusammen beantworten zu dürfen.
Ich nehme an, der Herr Fragesteller ist damit einverstanden. Ich rufe auch noch die Frage 42 des Abgeordneten Kiechle auf:
Welche Überlegungen sind die Ursache dafür, daß die Bundesregierung durch einen Sprecher des Bundeskanzleramtes diese Anliegen mit der Bemerkung abtut, man erwäge, das Getreide in Erwartung der hohen Weizenpreise zu verkaufen und „den Erlös als Subvention der deutschen Bauern an den Bund zu betrachten"?
Herr Staatssekretär!
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Kiechle, dann darf ich folgendes sagen. Die Bundesregierung sieht in dieser ohne Zweifel gelenkten Aktion den Ausdruck einer Sorge der deutschen Landwirtschaft über die Kostenentwicklung. Der angestellte Vergleich von Weizen zu Brot zeigt sich bei näherer Betrachtung aber als unvollkommen und daher nicht aussagefäbig. Vor allem ist dabei nicht berücksichtigt worden, daß sich die Marktpreise für Brot- und Futtergetreide nach der Ernte 1970 sehr gut entwickelt haben. Sie liegen zur Zeit bei Weizen bis zu 25 DM je Tonne und bei Braugerste 50 bis 100 DM je
Tonne über den Interventionspreisen. Den gestiegenen Kosten stehen also auch Mehrerlöse - das sollen wir feststellen - gegenüber.
Der Wert der Weizenproduktion je Hektar lag unter Zugrundelegung der jeweils erzielten Preise im Wirtschaftsjahr 1969'70 um 30 "/o höher als 1951 52. Das wird auch durch die Grünen Berichte bestätigt. Der Reinertrag der Getreidebaubetriebe ist von durchschnittlich 74 DM je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in den Wirtschaftsjahren 1956'57 his 1958y59 auf 209 DM je Hektar in den Jahren 1968/69 gestiegen.
Bei dem angestellten Vergleich über die Preisentwicklung zwischen Weizen und Brot ist im übrigen völlig unberücksichtigt geblieben, daß die Anforderungen der Verbraucher an Aufmachung und Service beim Anbieten von Brot inzwischen so stark gestiegen sind, daß sie sich mit denjenigen von Anfang der 50er Jahre nicht mehr vergleichen lassen. Auch sind die Betriebskosten der Bäckereien zwischenzeitlich erheblich gestiegen, so daß der Anteil der Mehlkosten am Brot nur noch rund ein Drittel beträgt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß es sich hei der Übersendung dieser Weizensäckchen nur um ein Symbol gehandelt haben kann, daß dies vielmehr bedeutet hat, daß das gesamte Preisniveau, von der Kosten-Preis-Schere her gesehen, nicht in Ordnung ist? Denn es würde sich ja wohl schlecht ermöglichen lassen, etwa Eier, Butter und Milch ins Bundeskanzleramt zu schicken?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär heim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Kiechle, ich bin mit Ihnen einig. Auch wir sind in Sorge über die Kostenentwicklung in der Landwirtschaft. Ich darf dazu sagen, daß auch der Herr Bundeskanzler bewiesen hat, daß er in der Tat bereit ist, Probleme der Landwirtschaft, die uns zur Zeit bewegen, zu diskutieren. Ich darf dabei auf die gestrige Unterhaltung zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes hinweisen. Also auch dem Bundeskanzleramt sind die Sorgen der Landwirtschaft durchaus geläufig.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnte sich die Bundesregierung vorstellen, daß ihre Reaktion auf diesen Protest der Bauern diese fast zu der Annahme zwingen muß, daß Proteste nur dann gehört und entsprechend berücksichtigt werden, wenn sie massiv und lautstark vorgetragen werden?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Nein, Herr Kollege Kiechle, die Mei3714
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
nung teile ich nicht. Im übrigen war diese Protestaktion nicht lautstark, sondern lief mehr oder weniger geräuschlos nur in Form der Versendung der Weizenpäckchen ab. Ich bin der Meinung, wenn Sie die Aussagen des Herrn Bundesministers Ertl in der letzten Zeit verfolgt haben, müßte Ihnen eigentlich durchaus deutlich geworden sein, daß auch Bundesminister Ertl die Sorgen, die Sie hier ansprechen, teilt und sich bemüht, im Rahmen des Möglichen in Verbindung mit der Bundesregierung für die Landwirtschaft eine positive Entwicklung in der Agrarpolitik einzuleiten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da es hier nicht um Äußerungen des Herrn Bundesministers Ertl geht, sondern um die eines Sprechers des Bundeskanzleramtes, möchte ich Sie folgendes fragen: Hätte nach Ihrer Meinung die Bundesregierung einen Protest etwa Tausender von Angestellten oder Arbeitern, dessen Ursache die Tatsache steigender Belastung und stagnierender Löhne und Gehälter wäre und der auch auf Aufforderung der Gewerkschaften stattgefunden hätte, eventuell auch mit einer ähnlich spöttischen Bemerkung abgetan?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Kiechle, ich glaube, Sie
sollten die Bemerkung, die aus dem Bundeskanzleramt von einem Angestellten gekommen ist, nicht so tierisch ernst nehmen. Wohin kämen wir, wenn wir keinen Spaß mehr verstehen könnten!
Sie können eine letzte Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, ich kann eine in der großstädtischen Presse veröffentlichte Bemerkung aus dem Bundeskanzleramt nun nicht gerade als die Bemerkung eines Hausmeisters abtun. Ich muß Sie daher zum Schluß nochmals zusätzlich fragen: Wird die Bundesregierung ihre Reaktion auf diesen Protest auf die bisher erteilte öffentliche Antwort beschränken, oder wie hat sie sonst noch reagiert, bzw. wie wird sie außerdem noch antworten?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Der Herr Bundeskanzler hat sehr sichtbar reagiert, und zwar mit der Festlegung eines Gesprächstermins für den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes. Mir ist bekannt, daß gestern ausführlich über die Lage der Landwirtschaft beraten worden ist. Näheres darüber werden Sie vielleicht in nächster Zeit noch hören.
Zu einer letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dasch.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin davon, daß die Getreidepreise 1970 besser sind als 1969. Sind Sie nicht der Meinung, daß die besseren Getreideerzeugerpreise des Jahres 1970 ihren Hauptgrund darin haben, daß eine um 10 °'o geringere Ernte angefallen ist und deswegen die Vermarktung wesentlich leichter ist und die Preise auch dementsprechend reagieren?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär heim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, ich möchte es doch noch ergänzen. Einmal ist es sicherlich die etwas geringere Ernte, die die Marktsituation günstig beeinflußt hat. Ich möchte vor allen Dingen darauf hinweisen, daß wir nicht vergessen dürfen, daß im Jahre 1969 infolge der Frank-Abwertung und der noch nicht erfolgten D-Mark-Aufwertung erhebliche Mengen Getreide aus Frankreich nach Deutschland strömten und so den deutschen Bauern beträchtliche Einkommensverluste entstanden.
({0})
Herr Kollege, ich lasse im Hinblick auf die Abwicklung der Fragestunde und die zahlreichen Fragen der Kollegen keine weiteren Zusatzfragen mehr zu.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Gallus auf:
Trifft es zu, daß auf Grund des neuen landwirtschaftlichen Förderungsprogramms ein regionales Nord-Süd-Gefälle derart entsteht, daß vor allem in Süddeutschland nur sehr wenige Betriebe die Zielschwelle erreichen und mithin in den Genuß der Förderungsmaßnahmen gelangen werden?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Darf ich auch die beiden Fragen des Abgeordneten Gallus im Zusammenhang beantworten?
Der Fragesteller ist damit einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 44 des Abgeordneten Gallus auf:
Hält die Bundesregierung eine solche Konsequenz, vor allem angesichts der in Süddeutschland ohnehin bestehenden Standortnachteile, für vertretbar?
Bitte schön!
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Gallus, ich darf zunächst feststellen, daß von der Betriebsgrößenstruktur her ein Nord-Süd-Gefälle besteht. Diesem Tatbestand haben wir sehr stark dadurch Rechnung getragen, daß wir die Förderungsschwelle außerordentlich flexibel gestaltet haben. Die Förderungsschwelle kann auf Grund der regional unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur und unter Berücksichtigung einzelbetrieblicher Gegebenheiten um maximal 15 % durch die obersten Landesbehörden geändert werden.
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
Zur Festlegung der Förderungsschwelle ist nicht das Betriebseinkommen herangezogen, sondern das Reineinkommen. Im Reineinkommen werden sowohl Einkünfte aus nichtgewerblichen Nebenbetrieben -z. B. bei reinen Sägewerken oder Fremdenpensionen als auch Einkünfte aus unselbständiger Arbeit berücksichtigt. Diese Nebeneinkünfte werden gerade in vielen Teilen Süddeutschlands dazu beitragen, daß eine entsprechende Anzahl von Betrieben die Förderungsschwelle erreicht.
Darüber hinaus muß darauf hingewiesen werden, daß das Programm einen Katalog alternativer Maßnahmen beinhaltet. Neben der einzelbetrieblichen Investitionsförderung stehen die Überbrückungshilfen, die Wohnhausförderung und soziale Maßnahmen. Diese Maßnahmen werden, regional differenziert, sicherlich unterschiedlich stark in Anspruch genommen und helfen, die Unterschiede, die durch die Betriebsgrößenstruktur bedingt sind, auszugleichen. Letzten Endes wird durch die Gemeinsamkeit der Maßnahmen ein Gleichgewicht ohne Gefälle geschaffen werden können.
Ich sage aber auch sehr deutlich, Herr Kollege Gallus, daß ich in Betrieben, die auf Grund bisheriger Erfahrungen keinen rationellen Einsatz der Produktionsfaktoren ermöglichen und nicht zu einer dauerhaften Existenzgrundlage werden können, Investitionen nicht für richtig halte. Sie führen nur zur Verschuldung und letzten Endes zum Eigentumsverlust. Eine solche Feststellung gilt sowohl für Norddeutschland als auch für Süddeutschland.
Keine Zusatzfragen des Fragestellers. Danke schön. - Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Susset.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit zuzugestehen, daß das in den vergangenen Grünen Berichten zum Ausdruck gekommene NordSüd-Gefälle mehr als 10 bis 15 % beträgt und daß, wenn wir nun diese Förderschwelle mit 15 % flexibel anwenden, trotzdem eine Mittelkonzentration in den heute schon strukturell begünstigten Zonen in der Zukunft möglich sein wird, im Gegensatz zu den etwas zurückgebliebenen Regionen in Süddeutschland?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, ich gebe Ihnen zu, daß seit Jahren auf Grund der Grünen Berichte bekannt ist, daß ein gewisses Nord-Süd-Gefälle besteht, das die verschiedensten Ursachen hat. Ich darf aber in diesem Zusammenhang dazu sagen, daß in der letzten Woche auch bei den Aussagen der Sachverständigen deutlich geworden ist, daß man vielleicht versuchen muß, bei der Zielsetzung der Zielschwelle regional noch flexibler zu werden, hier noch mehr in die Gebiete hineinzusteuern, die eine Benachteiligung zu befürchten haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, mit Ihrer letzten Antwort sind Sie meiner Frage zum Teil etwas entgegengekommen. Haben Sie in Ihre erste Antwort auf die Fragen des Kollegen Gallus etwa die Stellungnahme von Herrn Professor Weinschenk im Hearing des Ernährungsausschusses miteinbezogen, der eindeutig zu dem Ergebnis kommt, daß durch dieses Förderungsprogramm auch bei der Flexibilität der Förderungsschwelle eine Verstärkung des Nord-Süd-Gefälles nicht auszuschließen ist?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Dr. Ritz, wir haben durchaus alle Sachverständigenaussagen einbezogen. Aber Sie wissen auch, daß beim Hearing Herr Professor Weinschenk mit seinen Aussagen einen ganz besonderen Standpunkt einnahm. Morgen findet noch ein Gespräch mit den Agrarministern der Länder statt. Wahrscheinlich werden bei diesem Gespräch die gleichen Probleme - Beseitigung oder Verhinderung eines Nord-Süd-Gefälles - wieder auftreten. Aus allen Meinungen werden wir Vorstellungen entwickeln, die in der Tat ein solches Gefälle verhindern können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Früh.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß z. B. in Baden-Württemberg von den jetzt bestehenden 94 000 hauptberuflichen Landwirten nach der jetzigen Förderungsschwelle höchstens 6000, nach der flexibleren
minus 15 %- höchstens 10 000 noch zu einer Förderung herangezogen werden können, und - dies würde uns besonders interessieren - inwieweit wäre die Bundesregierung bereit, das Reineinkommen durch diese Nebeneinkommen zu ergänzen, welch einen Prozentsatz etwa könnte dies ausmachen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, es sind ja die verschiedensten Berechnungen zu der von Ihnen angeschnittenen Frage angestellt worden, wieviel Betriebe in den einzelnen Gebieten entwicklungsfähig sind und wie viele es nicht sein können. Ich glaube, daß für genaue Untersuchungen noch die Grundlagen fehlen. Wir können hier nach meiner Auffassung erst zu einem gerechteren Urteil kommen, wenn diese Richtlinien ein Jahr in Kraft sind; darauf ist auch verschiedentlich hingewiesen worden. Im übrigen wäre ich bereit, aus dem nichtlandwirtschaftlichen Einkommen einen erheblichen Teil mit anzurechnen. Aber auch darüber gehen, was den Prozentsatz betrifft, die Meinungen etwas auseinander.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dasch.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden: Ist die Bundesregierung also
bereit, den Katalog der Nebeneinkünfte, die anrechenbar sind, so zu erweitern, daß wir beispielsweise in Bayern nicht befürchten müssen, daß 90 % der Betriebe damit aus der großen Investitionsförderung sonst ausgeschieden werden?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Die Befürchtung, daß 90 % ausgeschlossen werden könnten, Herr Kollege Dasch, ist sicherlich zu hoch gegriffen. Aber auch hier wird sich die Bundesregierung erst dann eine endgültige Meinung bezüglich der Beteiligung, die Sie eben angesprochen haben, bilden können, wenn wirklich alle Gremien, die dafür sachverständig sind, gehört werden. Ich lege ganz besonderen Wert morgen auf die Anhörung der Agrarminister der Länder.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Struve.
Herr Staatssekretär, ist Ihr Haus nicht mit mir einer Auffassung, daß vor allen Dingen unter Hinweis auf das erfolgte Frage-und- Antwort-Spiel, das gerade hinter uns liegt, weitere Kriterien eingebaut werden müssen, um überhaupt zu einer vernünftigen Förderungsschwelle zu kommen, daß also mit anderen Worten ein einseitiger Einkommensausgangspunkt nicht allein zu einer befriedigenden Lösung führen kann?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Struve, ich glaube, Sie kennen mich als Kollegen und im Ablauf einer solchen Entwicklung, einer solchen Beratung, wie wir sie durchgeführt haben, um zu Richtlinien zu kommen, am allerlängsten. Sie gehören dem Bundestag seit der ersten Stunde an.
Sie können versichert sein, daß wir wie bisher auch jetzt alles das genau prüfen werden, was an Meinungen an uns herangetragen wird, und daß wir dann versuchen werden, eine einseitige Ausrichtung, wie Sie sie befürchten, zu verhindern.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die besondere Lage der Dauergrünlandgebiete und der Landwirte, die Milch produzieren, insofern zu berücksichtigen oder zu kompensieren, als bei der Milchproduktion kaum oder jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang zusätzliche -
Herr Kollege, ich unterbreche Ihre Frage. Sie steht nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit den Fragen des Kollegen Gallus.
({0})
- Das entscheidet der amtierende Präsident. Ich lasse die Zusatzfrage nicht zu.
Der Herr Abgeordnete Dr. Gölter hat gebeten, die von ihm gestellte Frage 45 schriftlich zu beantworten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Börner zur Verfügung. Ich rufe zunächst Frage 56 der Abgeordneten Frau Schimschok auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, auf die Fluggesellschaften dahin gehend einzuwirken, daß die dort vorhandenen Passagierlisten so geführt werden, daß sie zu jeder Zeit lückenlos und fehlerfrei Aufschluß über die Zahl der beförderten Passagiere geben, zumal solche Aufstellungen im Zuge der angeordneten Sicherheitsmaßnahmen gegen Flugzeugentführungen von großer Bedeutung wären?
Die Frau Abgeordnete ist im Saal. Das Wort hat der Herr Staatssekretär.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Frau Kollegin, alle Fluggesellschaften sind nach Art. 3 des Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, des sogenannten Warschauer Abkommens in der Fassung von Den Haag vom Jahre 1955, verpflichtet, für jeden zu befördernden Reisenden einen Flugschein auszustellen, der Angaben über Namen, Abgangs- und Bestimmungsort sowie über den Zwischenlandepunkt enthält. Die Flugscheine enthalten für jeden Streckenabschnitt Flugcoupons, die beim Zu- oder Umsteigen herausgenommen werden. Anhand dieser Flugcoupons ist jede Fluggesellschaft in der Lage, Anzahl und Namen der auf jeder Teilstrecke an Bord befindlichen Fluggäste festzustellen. Außerdem führen alle Fluggesellschaften Buchungslisten, in denen sie vor dem Einsteigen die Fluggäste vermerken. Auch diese Listen geben raschen Aufschluß über Anzahl und Namen der zugestiegenen Fluggäste.
Es ist somit sichergestellt, daß die Fluggesellschaften anhand der bei ihnen vorhandenen Unterlagen jederzeit in der Lage sind, Anzahl und Namen der auf einem bestimmten Flug beförderten Fluggäste anzugeben.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf:
Wann wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag den Gesetzentwurf über die zum 31, Dezember 1970 gesetzlich notwendige Ablösung der Straßengüterverkehrsteuer durch eine Wegekostenabgabe vorlegen?
Ist der Abgeordnete im Saal? Der Abgeordnete
ist im Saal. Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregierung wird einen Gesetzentwurf über eine Strallenbenutzungsabgabe vorlegen, wenn eine die bestehenden Probleme angemessen berücksichtigende Entscheidung getroffen werden kann. Wie die bisherigen Arbeiten gezeigt haben, wirft eine solche Abgabe
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
zahlreiche schwierige Probleme auf. Dies war auch die Ursache dafür, daß - entgegen den Planungen - bei den Beratungen über den Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine erste Richtlinie zur Anpassung der nationalen Systeme der Steuern für Nutzfahrzeuge der ursprüngliche Zeitplan nicht eingehalten werden konnte.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe nunmehr die Frage 59 des Abgeordneten Storm auf:
Wie hoch sind die Mittel, die für den Fernstraßenneubau im Bereich des Landes Schleswig-Holstein aus konjunkturellen Gründen gekürzt wurden, wann ist damit zu rechnen, daß diese Mittel wieder zur Verfügung stehen und welche Baumaßnahmen sind von dieser Mittelstreichung betroffen?
Ist der Abgeordnete im Saal? - Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, von der zur Zeit im Bundesfernstraßenhaushalt noch bestehenden Haushaltssperre in Höhe von 240 Millionen DM ist das Land Schleswig-Holstein nicht betroffen.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 58 und 60 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die rasche Verwirklichung der geplanten und bereits vorbereiteten „ARD-Autofahrwelle" durch eine provisorische Zuteilung der dazu notwendigen Frequenzen zu ermöglichen?
Ich stelle meinerseits die Frage, Herr Staatssekretär, ob Sie diese Frage zusammen mit der Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke beantworten wollen, falls der Herr Fragesteller damit einverstanden ist. Herr Fragesteller, sind Sie damit einverstanden? - Dann rufe ich auch die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Hält die Bundesregierung die Realisierung dieses Projektes „Radio 4" durch die Ausnutzung der gegenwärtigen Rundfunkkapazitäten für die ökonomisch vernünftigste Lösung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, Ihre erste Frage muß verneint werden. Auch eine provisorische Zuteilung von Sendefrequenzen für UKW-Verkehrsrundfunk-Sendeanlagen im Bereich von 100 bis 104 Megahertz setzt voraus, daß jeder einzelne Senderstandort mit den benachbarten Verwaltungen auf bilateraler Ebene koordiniert wird. Dabei ist zu befürchten, daß durch derartige bilaterale Absprachen das Ergebnis einer für 1971 geplanten internationalen Konferenz in Frage gestellt würde, in der die Verteilung von Frequenzen dieses Bereichs zwischen 16 Fernmeldeverwaltungen koordiniert werden soll. Frequenzen können daher erst nach dieser Konferenz zugeteilt werden.
Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich sagen, daß sie erst dann beantwortet werden kann, wenn von der Deutschen Bundespost und der ARD eine sogenannte Netzplanung erarbeitet und dafür eine vergleichende Kostenberechnung aufgestellt worden ist. Die Unterlagen werden zur Zeit erarbeitet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Meinecke ({0}).
Herr Staatssekretär, nach den Berechnungen der Rundfunkanstalten würde bei Ausnutzung der gegenwärtigen Kapazitäten das Projekt ungefähr 1 Million DM kosten, bei der Erstellung neuer Sender 10 Millionen DM. Sind diese Rechnungen nicht beweisbar, oder muß das noch erneut nachgeprüft werden?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Nein. Ich habe Ihnen ja angedeutet, daß eine wirklich vergleichbare Rechnung zwischen den Angaben auf der einen Seite der ARD und auf der anderen Seite der Deutschen Bundespost zur Zeit erst erstellt wird.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Meinecke ({0}).
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß der geplante Termin, diese Autofahrwelle am 1. April 1971 einzurichten und funktionsfähig zu machen, eingehalten werden kann?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe Ihnen angedeutet, daß dieses Problem nicht nur vom Willen der Deutschen Bundespost abhängig ist, sondern von sehr schwierigen internationalen Verhandlungen. Ich möchte mich deshalb auf den Zeitpunkt heute nicht festlegen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Meinecke ({0}).
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort eine provisorische Zuteilung von Wellenfrequenzen im Hinblick auf die Konferenz 1971 abgelehnt. Ist nicht international bisher immer so verfahren worden, daß provisorische Zuteilungen möglich sind, wenn sie den internationalen Verkehr nicht stören?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Über die Frage, ob sie stören, gehen unter Umständen die Meinungen sehr aus3718
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
einander, und bei der besonderen geographischen Lage der Bundesrepublik bitte ich Sie zu beachten, daß es hier eine ganze Menge eventuell sehr politischer Fragen gäbe, die beachtet werden müßten.
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Meinecke ({0}).
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß auch im Hinblick auf die Olympischen Spiele 1972 alles getan werden muß, damit im Jahre 1971 die Autofahrerwelle betrieben werden kann?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, selbstverständlich wird im Hinblick auf die Olympischen Spiele 1972 und die dann zu erwartenden zusätzlichen Besucherzahlen in unserem Lande alles getan werden müssen, um die Verkehrssicherheit auf unseren Straßen zu erhöhen. Der Verkehrsfunk ist sicher ein Beispiel dafür, daß man hier einiges tun kann. Wir bemühen uns auch, zeitgerechte, vernünftige Lösungen zu finden. Ich kann aber nicht davon abweichen, Ihnen zu sagen: Das ist nicht nur ein Problem, das man national regeln kann, sondern bei der besonderen technischen Variante, um die es hier geht, auch ein Problem, das unsere Nachbarn mitberührt, weil die Sender, von denen Sie sprechen, eventuell den
Funkverkehr in anderen Ländern stören können.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, und rufe nunmehr die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 63 der Abgeordneten Frau Dr. Walz auf:
Welche Gegenleistungen sieht die Bundesregierung auf wissenschaftlich-technischem Gebiet von seiten der Sowjetunion, und wie wird die Kenntnis des Wissenschaftsflusses nach Sowjetrußland insbesondere auch von den Wissenschaftsorganisationen, sichergestellt, nachdem dort eine Zentralstelle für wissenschaftliche Informationen vorhanden ist?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin, die Antwort der Bundesregierung muß im Augenblick wohl lauten, daß der gegenwärtige Aufenthalt des Herrn Bundesministers Leussink in der Sowjetunion gerade dem Zweck dient, das herauszufinden, was Sie fragen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Walz.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung, wenn sie das herausgefunden hat, darauf bestehen, daß der Zugang unserer Wissenschaftler zu wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Sowjetunion und zu deren technischem Know-how ebenso gesichert ist, wie das im Westen unter Wissenschaftlern selbstverständlich ist?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Bundesregierung wird selbstverständlich, Frau Kollegin Walz, dafür Sorge tragen, daß im Austausch von wissenschaftlichen Informationen eine Gegenseitigkeit besteht.
Auch eine Gegenseitigkeit der Information?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Auch eine Gegenseitigkeit der Information in den Bereichen, in denen ein solcher Austausch auf beiden Seiten möglich ist.
({0})
Frau Kollegin, Ihr Fragerecht ist erschöpft; Sie haben zwei Zusatzfragen gestellt.
Wir kommen zur nächsten Frage, zur Frage 64 der Abgeordneten Frau Dr. Walz:
Was ist aus der Projektgruppe geworden, die einen Filetjahresplan zur dauerhaften Beseitigung des Numerus clausus entwickeln sollte?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Frage einer Projektgruppe für die Beseitigung des Numerus clausus ist mehrfach Gegenstand der Beratungen im Planungsausschuß nach dem Hochschulbauförderungsgesetz gewesen. Die Mehrheit des Planungsausschusses hat die Ansicht vertreten, daß von der Einsetzung eines neuen Beratungsgremiums formal Abstand genommen werden solle und der Planungsausschuß sich ad hoc für dieses Problem selbst als Projektgruppe organisieren solle, zumal da der Planungsausschuß über die bloße Erstellung des Rahmenplans hinaus inzwischen zu einem Gremium geworden ist, das allgemein hochschulpolitische Probleme erörtert.
Eine Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung ihre im Bildungsbericht veröffentlichten Vorstellungen, nach denen zur Beseitigung des Numerus clausus bis 1975 ungefähr 180 000 neue Plätze geschaffen werden müssen, insoweit verwirklicht, daß in diesem Jahr 1970 ungefähr 35 000 Plätze erstellt worden sind?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und WisParlamentarischer Staatssekretär Dohnanyi
senschaft: Frau Kollegin, das ist im Jahre 1970, wenn man das Schnellbauprogramm einbezieht, in etwa wahrscheinlich erreicht. Auf der anderen Seite müssen Sie erkennen, Frau Kollegin, daß eine Planung, die die Bundesregierung bis 1975 projiziert hat, ihre Wirksamkeit im wesentlichen erst in den Jahren 1972, 1973 und 1974 haben wird, weil ein gewisser Planungszeitraum zur Vorbereitung notwendig ist.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es scheint also so zu sein, daß Sie die 35 000 Plätze nicht errichtet haben.
Aber welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung ins Auge gefaßt, um im Rahmen des zur Beseitigung des Numerus clausus beschlossenen Schnellbauprogramms künftig solche Fälle wie etwa den in Marburg zu verhindern, wo seit einiger Zeit 40 % der für Hessen freigegebenen Mittel für ein Mehrzweckgebäude verwendet werden, in dem auch Experimentalphysiker untergebracht werden sollen, ohne daß dadurch wesentlich mehr Studienplätze geschaffen würden, wobei die Experimentalphysiker darüber hinaus der Meinung sind, daß dieses Gebäude für sie denkbar ungeeignet sei, wozu noch kommt, daß gerade für die Experimentalphysiker an ihrem alten Platz wesentliche Aufwendungen ganz kürzlich gemacht worden sind?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, zunächst bin ich natürlich betrübt, daß Sie, nachdem Sie mich gefragt hatten, ob etwa 35 000 Plätze erstellt worden sind, und ich auf das Schnellbauprogramm hingewiesen habe, festgestellt haben, das sei also nicht der Fall. Meine ziemlich klare Antwort auf Ihre erste Frage war, daß im Rahmen des Schnellbauprogramms diese Größenordnung zwar nicht ganz, aber in etwa erreicht worden sei,
Zum zweiten Punkt Ihrer Frage. Man muß hier natürlich das Verhältnis der Kompetenzen von Bund und Ländern sehen, Die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, auf den detaillierten Inhalt einer bestimmten Bauplanung Einfluß zu nehmen. Wenn Sie mir heute sagen, daß nach der Auffassung bestimmter Experimentalphysiker ein bestimmtes Gebäude in Marburg technisch-sachlich nicht geeignet sei, so will ich für die Bundesregierung gern erklären, Frau Kollegin Walz, daß wir diese Sache mit dem hessischen Kultusminister erörtern und prüfen werden, was hier geschehen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in Verbindung mit dem Planungsausschuß und den Ländern vorrangig auf die Beseitigung des Numerus clausus hinwirken?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Das hat die Bundesregierung mehrfach gesagt, Herr Kollege.
ich rufe die Frage 65 der Frau Abgeordneten von Bothmer auf:
Glaubt die Bundesregierung, daß sich die Bevölkerung mit der Zusicherung, die Staatssekretär Dr. von Heppe in der PanoramaSendung vom 25. August 1970 das Kernkraftwerk würgassen betreftend abgegeben hat - und wie wir sie von den zuständigen Stellen hören - zutrieden geben kann, es sei von höchstqualifizierten technischen Fachleuten alles getan worden, um Gefahren beim Betrieb von Kernkraftwerken auszuschalten?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Erklärungen meines Kollegen Herrn von Heppe in der „Panorama"-Sendung, die Sie zitiert haben, betreffen das Kernkraftwerk Würgassen. Sie sind ein Teil eines in einem anderen Zusammenhang gegebenen Interviews, das bisher in seiner Gänze nicht gesendet worden ist.
Herr von Heppe hat ausgeführt - und dies kann an dieser Stelle nur wiederholt und betont werden --, daß im Genehmigungsverfahren unabhängige Gutachter, anerkannte und führende Fachleute, insbesondere die Reaktorsicherkeitskommission, das Institut für Reaktorsicherheit und der Technische Überwachungsverein, neben den behördlichen Sachverständigen mitgewirkt haben. Durch Einschaltung all dieser Spezialisten ist gewährleistet, daß nach dem Stand von Wissenschaft und Technik die nach dem Atomgesetz erforderlichen Prüfungen gewissenhaft durchgeführt wurden. Diese Prüfungen erstrecken sich auch auf die in der „Panorama"-Sendung erwähnten Bedenken.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Ist der Bundesregierung deutlich, daß das sogenannte Ein-Kreis-Dampflauf-Verfahren, das in Würgassen praktiziert werden soll, bei dem der radioaktive Dampf direkt auf die Turbine geleitet wird, veraltet und technisch überholt ist?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Ich glaube, Frau Kollegin von Bothmer, so einfach kann man das nicht sagen. Es ist selbstverständlich auch im Bereich der Kerntechnik - und vielleicht besonders dort so, daß auf Grund des schnellen technischen Fortschritts Projekte, die geplant und dann durchgeführt werden, aus einer weiter fortgeschrittenen wissenschaftlichen oder technischen Sicht bereits im Zeitpunkt ihrer Durchführung als teilweise überholt gelten können. Das ist unvermeidlich, und das gilt in einem so dynamischen Gebiet wie dem der Kerntechnik natürlich ganz besonders. Man kann das aber wohl nicht sagen für das Problem, von dem Sie hier sprechen. Hier kann in keiner Weise von einem Unsicherheitsfaktor für das Werk Würgassen gesprochen werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Darf ich dann auf Übereinstimmung mit der Bundesregierung hoffen, wenn ich darauf hinweise, daß es keine technischen Erfahrungen gibt, die über die Haltbarkeit der Druckgefäße - seien sie aus Stahl oder aus Spannbeton - etwas aussagen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Das kann die Bundesregierung nicht bestätigen. Es gibt, Frau Kollegin von Bothmer, bezüglich dieser Fragen selbstverständlich technische Erfahrungen; sonst würde man eine solche technische Entwicklung nicht ohne sorgfältige Vorprüfung einleiten können. Aber es trifft zu, daß in diesem Zusammenhang noch kein Unfall geschehen ist. Diese Erfahrung fehlt uns Gott sei Dank, und sie wird ja durch die Sicherheitsvorkehrungen auch ausgeschlossen.
Ich rufe die Frage 66 der Frau Abgeordneten von Bothmer auf:
Kann die Bundesregierung dafür garantieren, daß Kernkraftwerke mit ihrem Ausstoß erwärmten und radioaktiven Fluß- und Grundwassers erst dann in Betrieb genommen werden, wenn auch biologischer Schutz einbezogen, d. h. wirklicher Umweltschutz auf Grund gesicherter biologischer Forschungsergebnisse gewährleistet ist?
Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Bundesregierung hat durch die Bundesanstalt für Gewässerkunde, Koblenz, durch die Bundesforschungsanstalt für Fischerei, Hamburg, durch die Bayerische Biologische Versuchsanstalt, München, und durch das Bundesgesundheitsamt, Berlin, die Radioökologie der Flußsysteme untersuchen lassen. Diese Analysen wurden durch Studien von Instituten der Bundesländer ergänzt. Die Bundesregierung stützt sich bei der Beurteilung der Ergebnisse auf die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften herausgegebenen Grundsätze zur Festlegung der radiologischen Grenzkapazitäten hydrobiologischer Systeme. Errichtung und Betrieb von Kernkraftwerken werden nur zugelassen, wenn nach diesen wissenschaftlichen, spezifisch biologischen Forschungsergebnissen der Umweltschutz gesichert ist.
Grundsätzlich gilt Entsprechendes auch hinsichtlich der thermischen Belastung der Gewässer. Es liegt eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten zur Frage der thermischen Belastung vor. Die Bundesanstalt für Gewässerkunde, Koblenz, hat schon in den Jahren 1968/69 im Auftrag der Bundesregierung eine Studie über die Auswirkungen der Einleitung von Warmwasser in die Gewässer aufgestellt. Die Ergebnisse der Studie decken sich im wesentlichen mit entsprechenden Untersuchungen des Landes Baden-Württemberg, aber auch mit internationalen wissenschaftlichen Ergebnissen.
Auf der Grundlage dieser Arbeiten hat eine Arbeitsgruppe der Länder Richtwerte erarbeitet, die bei den wasserrechtlichen Verfahren von Wärmekraftwerken zugrunde gelegt werden sollen. Die Entscheidung darüber, Frau Kollegin, welche Auflagen und Bedingungen in die wasserrechtlichen Bescheide aufzunehmen sind, liegt allerdings bisher allein bei den zuständigen Landesbehörden. Es fehlt dort auch wohl eine wirklich einheitliche Praxis. Die Bundesregierung hat deswegen, wie Sie ja wissen, eine Erweiterung der Bundeskompetenz z. B. im Bereich des Gewässerschutzes angestrebt.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Darf ich nach der Radioaktivität dieses Abwassers fragen, das ja zweifellos bis zu einem gewissen Grade in die Weser zurückfließt? Denn selbst bei der Verdünnung des radioaktiven Abwassers bleiben einzelne Atome zurück, und jedes einzelne dieser Atome bleibt doch wohl jedenfalls während einer Zeit, die für uns überschaubar ist - gefährlich. Weiß man etwas über die Gesundheitsgefährdung für alle diejenigen, die im Umkreis leben?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär heim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin von Bothmer, diese Frage war vor einigen Monaten bereits einmal Gegenstand einer Frage des Kollegen Professor Bechert. Ich habe damals im einzelnen Daten nennen können zur meßbaren Verseuchung von Gewässern, zum Schutz, der dort besteht, und zu den ganz eindeutig festzustellenden Sicherheitsgrenzen, die mit einer großen Sicherheitsmarge eingehalten werden. Ich habe diese Zahlen jetzt nicht zur Hand, Frau Kollegin. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen erstens die frühere Antwort und zweitens den letzten Stand der Informationen über dieses Problem noch einmal zuzuleiten.
Keine weitere Zusatzfrage? -- Bitte, Frau von Bothmer.
Muß man nicht aus der Entscheidung von Herrn Minister Leussink, Kernkraftwerke in Ballungsgebieten, hei denen außerdem noch fünf besondere Sicherheitsmaßnahmen eingeplant sind, die für Würgassen nicht gedacht sind, vorläufig nicht in Betrieb zu nehmen, doch entnehmen, daß für die Sicherheit der Umwelt gefürchtet werden muß?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin von Bothmer, das ist ganz sicherlich nicht der Fall. Man braucht weder in Würgassen noch in all den Städten, wo bisher Kernkraftwerke errichtet oder projektiert worden sind, mit irgendwelchen Unsicherheiten zu rechnen. Das Problem des Kernkraftwerks BASF in Ludwigshafenist ein anderes. Die ganz besondere BevölkerungsParlamentarischer Staatssekretär Dohnanyi
dichte, die dort in einem Umkreis von 3 bzw. 6 km anzutreffen ist, verlangt besondere Studien, insbesondere im Bereich des Bevölkerungsschutzes.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Brand.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bei der Bildung ihrer Auffassung, die Sie soeben vorgetragen haben, berücksichtigt, daß der Wissenschaftler Bodo Manstein sich zu den angeschnittenen Punkten sehr kritisch geäußert hat?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege, nicht nur der Wissenschaftler Bodo Manstein. Sie wissen, daß es zur Frage der Entwicklung von Kernkraftwerken, ja zur Frage der Entwicklung der Kernenergie überhaupt eine ganze Reihe kritischer wissenschaftlicher Kommentare gibt. Die Mehrheit allerdings, die weit überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler, hat festgestellt und immer wieder betont, daß bei Einhaltung der entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen keine Bedenken hinsichtlich der Errichtung von Kernkraftwerken bestehen.
Im Bereich BASF bestehen die besonderen Probleme der Bevölkerungsdichte, und die Bundesregierung hat hier im Rahmen des internationalen Verhaltens für solche Zulassung von Kernkraftwerken mit Recht eine Verschiebung um zwei Jahre und ein entsprechendes Studium von Vorkehrungen des Bevölkerungsschutzes in verdichteten Ballungsräumen vorgeschlagen.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Bay auf:
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß das Genehmigungsverfahren zur Kühlwasserentnahme aus der Weser für das beinahe betriebsfertige Atomkraftwerk Würgassen erst vor kurzem angelaufen ist, was praktisch bedeutet, daß die Genehmigung auch dann nicht mehr versagt werden könnte, wenn ernsthafte Bedenken gegen sie anerkannt werden müßten?
Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Auf Grund des Landeswassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen § 22 Abs. 4 obliegt das Verfahren für die wasserrechtliche Erlaubnis in den Fällen, in denen auch eine atomrechtliche Genehmigung erforderlich ist, ein und derselben Behörde, nämlich dem Arbeitsministerium des Landes.
Das Arbeitsministerium hat bereits im Rahmen der ersten Teilerrichtungsgenehmigung für das Kernkraftwerk Würgassen mit allen zu beteiligenden Behörden die Fragen vorgeklärt, die im Zusammenhang mit der Entnahme von Kühlwasser aus der Weser aktuell wurden.
Diese Behörde hat schon in der ersten Teilerrichtungsgenehmigung vom 19. Januar 1968 auf die Auflagen hingewiesen, die im Rahmen der wasser rechtlichen Erlaubnis noch zu erteilen sind, d. h. die Auflagen wurden spezifiziert. Deshalb bestehen wegen der zeitlichen Folge von atomrechtlichem und wasserrechtlichem Verfahren keinerlei Bedenken. Bei der wasserrechtlichen Erlaubnis besteht im übrigen die Möglichkeit, durch Auflagen oder Bedingungen die Weser vor den Folgen schädlicher Erwärmung durch die Kühlwassereinleitung eindeutig zu schützen.
Keine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bay.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1971 ({0})
- Drucksache VI/ 1100 -
b) Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplans des Bundes 1970 bis 1974
- Drucksache VI/ 1101 -
c) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. notwendige haushaltspolitische Maßnahmen
- Drucksache VI /1154 Ich darf darauf hinweisen, daß nach einer Vereinbarung im Ältestenrat die Drucksache VI /1154 ({1}) die Grundlage für die Beratung ist. - Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat zunächst der Herr Bundesfinanzminister.
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Außerhalb meines Redetextes habe ich nach dem unkorrigierten Stenographischen Protokoll des Deutschen Bundestages infolge von Zwischenrufen aus der Bundestagsfraktion der CDU/CSU folgendes ausgeführt - ich zitiere:
Erinnern Sie sich an die beiden Inflationen, die wir wirklich durchgemacht haben,
- Zwischenruf des Herrn Kollege Haase ({2}) : „Und Sie machen die dritte!", Zwischenruf des Herrn Kollegen Dr. Barzel: „Passen Sie auf, was Wehner gleich sagt!" ; ich fahre im Zitat fort nämlich die beiden Inflationen nach den zwei großen Weltkriegen! Sie werden in Ihren Behauptungen sicherlich nicht so weit gehen,
- Zwischenrufe: Herr Kollege Rasner: „Wie Wehner!", Herr Kollege Dr. Stoltenberg: „Wo ist denn dieser Kerl?" hier darzustellen, daß diese beiden Weltkriege mit den darauffolgenden Inflationen von der SPD zu verantworten sind.
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Vermerk im Protokoll: „Beifall bei den Regierungsparteien. - Zurufe von der CDU/CSU." Ich fahre dann fort:
Die, die diese Weltkriege und die darauffolgenden Inflationen zu verantworten haben, stehen Ihnen geistig näher als der SPD.
Schluß des Zitats aus dem Protokoll.
Mit der letzten Feststellung habe ich selbstverständlich niemanden aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion oder aus den beiden Parteien CDU und CSU in die Nähe des Nationalsozialismus rücken wollen. Ein solcher Eindruck, der von mir nicht beabsichtigt war, kann auch aus dem Protokoll nicht hergeleitet werden.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hinblick auf diese Erklärung bitte ich für meine Fraktion, die Sitzung bis 11 Uhr zu unterbrechen, um uns Gelegenheit zur internen Beratung zu geben.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist Übung des Hauses,
daß, wenn eine Fraktion um Unterbrechung bittet, das Haus dem entspricht.
Ich unterbreche die Sitzung bis 11 Uhr.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und frage, ob das Wort gewünscht wird. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
,Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU/CSU habe ich folgende Erklärung abzugeben: Die Erklärung, die Sie, Herr Bundesfinanzminister, hier heute abgegeben haben, genügt nicht. Sie nimmt den gestrigen Vorwurf nicht zurück. Sie unterstreicht, was Sie gestern vor dem Deutschen Bundestag gesagt haben. Der gestrige Vorwurf des Bundesfinanzministers betraf zwei Kriege und zwei Inflationen. Das nimmt die heutige Erklärung des Ministers nicht zurück.
Ihre heutige Erklärung erscheint außerdem dadurch in einem besonderen Licht, daß Sie gestern abend in einem Interview des Zweiten Deutschen Fernsehens erklärt haben - ich zitiere nach dem Protokoll, wie es das Bundespresseamt heute morgen veteilt Ich habe natürlich - so Ihre Worte bei dieser Auseinandersetzung nicht im entferntesten daran gedacht, Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in die Nähe des Nationalsozialismus zu bringen. Das hat damit überhaupt nichts zu tun, sondern das war einfach eine Auseinandersetzung um die Inflation als solche, was man mit „Inflation" bezeichnen kann und welche Ursachen die Inflationen hatten, unter denen das deutsche Volk ja wohl bitter genug gelitten hat.
Soweit Ihr Zitat. Dann fragt der Interviewer:
Herr Minister, würden Sie, wenn Sie die Reaktionen jetzt kennengelernt haben, diese Formulierung noch einmal wählen?
Darauf lautet Ihre Antwort: Ja.
({0})
Somit bestätigen Sie selbst, daß Sie die Kränkung der CDU/CSU wollten und wollen. Alles, was Sie hierzu gesagt haben, widerspricht der geschichtlichen Wahrheit
({1})
und ist eine Verleumdung und eine Beleidigung der Wähler und Mitglieder der CDU und der CSU.
({2})
Wir behalten uns alle Konsequenzen vor. Zunächst aber wollen wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, nicht vorgreifen,
({3}) selbst Konsequenzen zu ziehen.
({4})
So wird deshalb die Erklärung, die wir gestern abgegeben haben, erhärtet:
Sie, Herr Bundesminister der Finanzen, haben sich als Demokrat disqualifiziert.
({5})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir bleibt zunächst nur ein Wort des Bedauerns darüber, daß nicht nur der Versuch unternommen wird, ein Parlament, sondern auch Ausschüsse und den Ältestenrat des Parlaments zu denaturieren, und zwar in der Form, daß man sich nicht mehr an Zusagen und Abreden hält.
({0})
Wir haben gestern auf Wunsch der Opposition eine Ältestenratssitzung gehabt. Wir haben in dieser Ältestenratssitzung, wie ich betonen möchte, in sehr sachlicher Form die Vorgänge erörtert, die gestern hier im Parlament eine Rolle gespielt haben.
Ich habe nach diesen Erörterungen nicht nur persönlich, nein, auch der Präsident des Deutschen Bundestages, der gestern den Ältestenrat leitete, hat in einer unmißverständlichen Zusammenfassung gegen Ende der Ältestenratssitzung noch einmal präzisiert, was das Ergebnis der Beratungen war.
({1})
Ohne hier auf die Einzelheiten einzugehen, möchte ich die Ergebnisse, weil sie vielleicht nicht allen von der Opposition bekanntgeworden sind, noch einmal ganz kurz fixieren.
Ich habe als der Sprecher meiner Fraktion im Ältestenrat zunächst aus dem Kopf, weil mir die schriftliche Erklärung des Herrn Finanzministers zu dieser Minute noch nicht vorlag, eine Erklärung abgegeben. Diese Erklärung wurde in der freien Form, in der ich sie abgab, von den Vertretern der Opposition als nicht zureichend empfunden. Ich habe daraufhin gesagt, als es gezielt auf den Punkt ging: „Die, die die Weltkriege . . ." - ich will es genauso wiedergeben, wie es war daß ich das meiner Erinnerung nach zwar vorgetragen hätte, aber einräumen würde, daß das vielleicht nicht so ins Ohr der Mitglieder der Opposition gedrungen sei. Man möge abwarten, bis mir die vom Bundesfinanzminister in Aussicht gestellte schriftliche Formulierung vorliege; ich würde diese dann im Wortlaut vortragen und zu Protokoll geben.
Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde mir dann die Erklärung, die ich mir soben von der Bundestagsverwaltung wieder habe zurückgeben lassen, überbracht. Ich habe mich dann zu Wort gemeldet, als sich gerade ein Vertreter der Opposition über einen Punkt in gewisser Weise erregte, und gesagt: Das läßt sich sehr schnell erledigen, wenn ich jetzt hier den Wortlaut vortragen kann. Und dann habe ich den Wortlaut vorgetragen. Dieser Wortlaut, verehrter Herr Kollege Dr. Barzel, entsprach dem, den der Bundesfinanzminister heute morgen hier vorgetragen hat, Und dann wurde von den Vertretern Ihrer Parteien auch nicht mehr beanstandet, daß die Worte: „Die, die die Weltkriege . . ."
({2})
Das wurde nicht mehr beanstandet, nachdem es so gebracht worden war. Im übrigen gibt es ja ein Protokoll dafür. Daraufhin habe ich die verlesene Erklärung dem Herrn Direktor des Deutschen Bundestages zu Protokoll übergeben. Es wäre leicht gewesen, sie dann auch einzusehen.
Dann bin ich zwei-, dreimal gefragt worden, ob denn auch der Herr Bundesfinanzminister bereit wäre, diese Erklärung hier vor dem Bundestag abzugeben. Ich bin dann hinausgegangen, um zu telefonieren, habe ihn aber nicht erreicht, da er beim Fernsehen war, und bin wieder hereingekommen.
({3})
- Verzeihen Sie, Sie haben vorhin gebeten, ich sollte auf diese Dinge eingehen. Wenn Sie jetzt nicht eine Darstellung von einem Beteiligten entgegennehmen wollen, hat es wenig Sinn, hier sachlich über solche Dinge zu reden. Ich versuche, das hier sachlich darzustellen.
({4})
Denn hier ist von dem Sprecher Ihrer Fraktion ein Vorwurf erhoben worden, den ich nicht so sehe, und ich will den Vorgang in aller Ruhe so darstellen, damit Sie einsehen - so wie ich -, daß der Vorwurf nicht gerechtfertigt ist. Das ist doch der Sinn, wenn wir uns hier unterhalten.
Sie, Herr Dr. Barzel, haben vorhin gesagt, daß zumindest schon die Erklärung ich sage das jetzt frei; ich habe nicht mitstenografiert, was Sie sagten --, die der Herr Finanzminister gestern im Fernsehen abgegeben habe, das erschüttere, was im Ältestenrat oder vorher abgesprochen worden sei. Das hat gestern abend in Telefongesprächen zwischen Herrn Kollegen Rasner und mir nach der Fernsehsendung eine Rolle gespielt;
({5})
ich habe die Fernsehsendung nicht gesehen. Herr Kollege Rasner rief mich gestern abend an und sagte: „Na, haben Sie gehört, was der Herr Möller in diesem Fernsehinterview gesagt hat?" Ich habe geantwortet: „Nein. Was?" Daraufhin hat er mir erklärt, was Herr Möller gesagt hat, und ich habe gesagt: „Ich kann mir das nur so erklären, daß das keine Lifesendung, sondern eine Aufnahme war, die vorgenommen wurde, bevor ich seine Erklärung für den Ältestenrat hatte."
({6})
- Lassen Sie mich die Dinge erst einmal darstellen,
man kann nicht über alles zur gleichen Zeit reden.
Daraufhin habe ich dem Kollegen Rasner gesagt: „Ich werde mit Herrn Dr. Möller reden; ich rufe gleich zurück." Dann habe ich ihn angerufen, und er hat mir bestätigt, daß meine Annahme richtig sei. Daraufhin habe ich den Kollegen Rasner gestern abend unverzüglich angerufen und habe ihm gesagt: „Herr Möller hat mir soeben bestätigt, wie das abgelaufen ist. Bleibt es bei der Vereinbarung des Ältestenrates?" Heute morgen hat noch einmal ein kurzes Gespräch stattgefunden, und da habe ich gesagt: „Es bleibt bei dieser Erklärung", weil Ihrerseits in Zweifel gestellt wurde, ob der Bundesfinanzminister diese Erklärung abgeben würde, die ich gestern für ihn im Ältestenrat abgegeben habe. Ich habe noch heute morgen erklärt: „Er wird diese Erklärung abgeben." Und er hat diese Erklärung abgegeben.
Nun zu dem, was Sie im Ältestenrat durch Ihre Vertreter übernommen hatten. Ich habe gesagt: „Wenn diese Erklärung durch den Bundesfinanzminister morgen im Plenum abgegeben wird, dann muß auch von Ihrer Fraktion der Beschluß, der gefaßt worden ist, überprüft werden, in dem von Disqualifizierung und mehr die Rede ist." Ich will nicht auf die anderen Dinge eingehen, die im Ältestenrat eine Rolle spielten. Dann wurde mir gesagt: Diese Erklärung wird gegeben. Das hat der Herr Bundestagspräsident von Hassel dann noch einmal am
Schluß der Sitzung festgehalten. Gestern abend wurde mir in einem Telefongespräch gesagt, Herr Strauß werde diese Erklärung zu Beginn seiner Rede in den ersten Sätzen nach Möller abgeben. Ich habe dann gesagt: „Das ist nicht ganz so, wie wir im Ältestenrat abgesprochen haben; denn ich möchte, wenn Ihre Erklärung nicht zufriedenstellend ist, meinerseits als Person eine Erklärung abgeben können." Da wurde mir gesagt: „Die Erklärung von Strauß wird so nobel sein wie die Erklärung von Möller."
({7})
Ich stelle jetzt noch einmal für meine Fraktion fest: Im Ältestenrat hat man die Erklärung gekannt. Sie ist einmal von mir frei vorgetragen, einmal verlesen und dann ungefähr eine halbe Stunde vor Ende der Sitzung zu Protokoll gegeben worden. Man hat daraufhin erklärt - in der Zusammenfassung nochmals der Präsident -, daß man eine entsprechende Erklärung abgeben würde. Ich stelle fest, daß man das nicht getan hat, und bitte an dieser Stelle um Verständnis dafür, wenn ich sage, daß in einer solchen Art auch von der Opposition - nachdem wir uns im Ältesttenrat um Sachlichkeit bemüht haben und ich gestern abend entsprechende Erklärungen abgegeben habe - kein Beitrag zur Versachlichung der Arbeit in diesem Parlament geleistet worden ist.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wienand, ich bedauere, zunächst feststellen zu müssen, daß eine Vereinbarung, wie Sie sie hier dem Hause vorgetragen haben, im Ältestenrat nicht getroffen worden ist.
({0})
Alle Redner meiner Fraktion im Ältestenrat - und es haben sehr viele dazu gesprochen, in besonders eindrucksvoller Weise, daran erinnere ich Sie, Herr Kollege Rawe - haben gesagt, daß die Erklärung des Finanzministers den ganzen inkriminierten Satz, insbesondere „die beiden Weltkriege", umfassen müsse. Alle Redner ohne jede Ausnahme. Von dieser Forderung ist keiner auch nur um einen einzigen Grad abgewichen. Herr Kollege Wienand, das müssen Sie wissen; ich sage: das wissen Sie!
Weiter: Am Ende dieser Ältestenratssitzung habe ich gesagt: Ich verlange, daß im Protokoll festgehalten wird, daß keine Vereinbarung über irgendwelche Erklärungen hier textlich festgelegt worden ist. Ich habe erklärt: wenn der Bundesfinanzminister eine noble Erklärung abgibt, dann wird er uns an noblem Handeln nicht übertreffen.
Drittens. Heute morgen, Herr Kollege Wienand, im Plenum sind Sie an diesen Tisch hier gekommen, wo der Fraktionsvorsitzende saß - ich bedauere, daß wir jetzt mal unsere internen Gespräche hier ins Plenum des Bundestages bringen müssen ,
und haben gesagt: Der Bundesfinanzminister wird den inkriminierten Satz in seiner Gänze zurücknehmen. Herr Kollege Wienand, ich habe mich bisher immer auf Ihr Wort nicht nur verlassen, sondern auch verlassen können. Es tut mir leid, daß ich jetzt zu einer solchen Erklärung genötigt bin.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle noch einmal fest, was ich gesagt habe: Gestern ist im Ältestenrat beanstandet worden, daß in meiner ursprünglichen Erklärung die Formulierung „die beiden Weltkriege" nicht enthalten gewesen sei. Ich habe dann vorgetragen, daß der Satz so, wie er in der Erklärung der CDU/CSU- Fraktion als Basis des Beschlusses herausgenommen worden sei, aufgeführt und dann die nachfolgenden Sätze des Bundesfinanzministers gesprochen worden seien.
Heute morgen bin ich von Ihnen gefragt worden: „Die beiden Weltkriege" ist nicht drin; es ist nur von Inflation die Rede. Dann bin ich zu Herrn Möller gegangen, habe mir den Wortlaut seiner Erklärung noch einmal angesehen, bin zurückgekommen und habe gesagt: Der volle Satz ist drin.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hoffe nicht dazu beizutragen, daß die sachliche Behandlung des Haushalts über Gebühr hinausgezögert wird.
({0})
Der Bundesfinanzminister, dem ich auch von dieser Stelle aus für den sachlichen Gehalt
({1})
und die wirkungsvolle Vertretung der Regierungspolitik ausdrücklich zu danken habe
({2})
und den das Kabinett auch in dieser Kontroverse nicht allein läßt,
({3})
hat niemandes persönliche oder politische Ehre verletzen wollen.
({4})
Es wäre in der Tat der Sache nach unrichtig und
dem gemeinsamen Interesse des demokratischenn
Staates abträglich, wenn die einen die anderen in
die Nähe des Nationalsozialismus und die anderen die einen in die Nähe des Kommunismus rücken wollten.
({5})
Ich kann als Regierungschef den Vorwurf nicht entgegennehmen, Herr Kollege Barzel, daß Herr Kollege Möller sich als Demokrat disqualifiziert habe.
({6})
Sie müssen bitte beachten, wenn Sie gerade auch die letzten Beiträge gehört haben, daß die Erklärung, die Herr Kollege Möller abgegeben hat, alles umfaßt und daß die Fernsehäußerung gestern abend auf einer Aufzeichnung beruhte, die vor Abschluß der Sitzung des Ältestenrates gemacht worden war.
({7})
Wir sollten uns doch vielleicht alle miteinander sagen, meine Damen und Herren: wer empfindlich reagiert, wenn er sich zu Unrecht angegriffen fühlt, der sollte dann auch auf die Empfindungen anderer Rücksicht nehmen.
({8})
- Ich darf noch eine Bemerkung hinzufügen, Herr Kollege Heck. Ich begrüße das Bemühen des Buntestagspräsidiums - heute morgen ist in einigen Pressemeldungen davon die Rede -, Erklärungen der Regierung, die natürlich sehr unterschiedlichen Charakter haben - das Einbringen eines Haushalts ist etwas anderes als eine förmliche Regierungserklärung -, nach Möglichkeit nicht unterbrechen zu lassen. Dieses Bemühen würde allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn Störungen oder herausfordernde Zurufe tatsächlich unterblieben. Geschieht dies nicht - das sage ich vom konkreten Zwischenfall abgesehen -, dann muß ein Mitglied der Regierung das Recht behalten, darauf zu reagieren.
Übrigens, daß der Herr Bundestagspräsident mich aufgefordert hätte, Regierungserklärungen sollten, wie es heute früh hier und da zu lesen steht, in würdiger Form abgegeben werden, das habe ich zu meiner Überraschung in der Zeitung gelesen, aber in der Besprechung gestern habe ich davon nichts gehört.
({9})
Meine Damen und Herren, ich muß auch auf folgendes hinweisen. Ob es uns Spaß macht oder nicht, das Geschehen in diesem Hause läßt sich nun einmal vom Geschehen im Lande nicht völlig trennen.
({10})
Wer draußen das Trommelfeuer der Polemik gegen die Regierung entfesselt, muß eigentlich damit rechnen, daß die Regierung auch hier darauf antwortet. Wir sind alle nur Menschen, und jeder, der schon in der Kontroverse war, oder die meisten von diesen, hat dabei erleben müssen, daß er auch schon einmal eine Wortwahl getroffen hat, die er bei reiflicherer Überlegung so nicht getroffen hätte.
({11})
Aber, meine Damen und Herren, wer die Regierung und die sie tragenden Koalition - Herr Heck, da Sie vorhin dazwischenriefen - des Verrats einerseits und der Verschleuderung des Volksvermögens andererseits draußen oder auch hier in Zurufen bezichtigt, der muß darauf vorbereitet sein, daß ihm auch hier, gerade hier, geantwortet wird. Das wird in dieser Debatte auch geschehen.
({12})
Das wird in der, wie ich hoffe, sachlichen, wenn auch notwendigerweise harten Sachauseinandersetzung zum Haushalt geschehen. Ich würde sehr froh sein und glaube, daß es aller Interesse entspricht, wenn wir so rasch wie möglich zu dieser Sachdebatte kommen.
({13})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wir wünschen, möglichst bald die sachliche Arbeit aufnehmen zu können. Nur setzt dies voraus, daß in diesem Hause eine Atmosphäre von Sachlichkeit eintritt, und zu der sollte der Bundesminister der Finanzen beitragen.
({0})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben dem Bundesminister der Finanzen gedankt und hier gesagt, das Kabinett lasse ihn nicht allein. Sie haben zugleich gesagt, der Bundesminister der Finanzen habe niemandes Ehre verletzen wollen. Dies ist wieder ein Sowohl-Als-auch. Hier gibt es aber nur ein Entweder-Oder. Wenn hier jemand die Ehre unserer Wähler, Mitglieder und Fraktion nicht verletzen wollte, soll er hierher kommen und dies sagen.
({1})
Sie haben dann gesagt, Sie könnten den Vorwurf, der Bundesfinanzminister habe sich als Demokrat disqualifiziert, nicht entgegennehmen. Herr Bundeskanzler, danach fragt dieses Haus auch gar nicht, ob die Regierung bereit ist, gütigst ein Wort der Osposition entgegenzunehmen. Wir sagen hier unsere
Meinung, ob Sie sie entgegenehmen mögen, wollen oder tun oder nicht, und werden uns darin nicht einschüchtern lassen, meine Damen und Herren.
({2})
Meine Damen und Herren, jeder in diesem Hause, der, der hier spricht, eingeschlossen, hat sich doch einmal vergaloppiert und hat es dann in Ordnung gebracht.
({3})
Ich habe gestern den Bundesminister der Finanzen zehn Minuten nach seiner Erklärung gefragt, ob er bereit sei, das zurückzunehmen. Er ist darauf nicht eingegangen, meine Damen und Herren!
({4})
- Da klatschen Sie noch. Sie machen sich also die Beleidigung der CDU/CSU zu eigen?
({5})
Meine Damen und Herren, was die Sache mit dem Fernsehen betrifft, so wissen wir doch alle, daß man eine Sendung, die nachmittags aufgenommen worden ist und abends ausgestrahlt werden soll, natürlich zurückziehen kann. Dies geschah nicht. Herr Kollege Möller, damit Sie uns ganz klar verstehen: Was uns gestern abend und heute morgen zusätzlich beschwert hat, ist, daß Sie hier in der Erwartung, wir würden das akzeptieren, einen Satz bringen, der fast identisch mit dem Satz im Fernsehen ist. Dann fragt Sie danach der Reporter, Herr Woller, den wir alle kennen: Also würden Sie den Vorwurf - gegen uns - mit „Krieg und Inflation" aufrechterhalten?
B) Darauf sagen Sie: Ja. - Das heißt, der Satz, den Sie uns hier heute anbieten, ist vor dem deutschen Volk bereits endgültig in der Richtung kommentiert, daß Sie trotz dieses Satzes Ihren schwerwiegenden Vorwurf aufrechterhalten wollen!
({6})
Herr Bundeskanzler, das letzte: Sie haben davon gesprochen, auch das, was draußen im Lande passiere, schlage hier herein. Na schön! Dann wollen wir wieder mal Ihre Worte wählen. Wir üben Kritik an der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung; einer Regierung, die in ihrer Regierungserklärung davon gesprochen hat, Kritik sei das Salz und darum bitte sie. Diese Kritik haben Sie jetzt eben an dieser Stelle mit dem Wort „Trommelfeuer" belegt.
({7})
Sehen Sie, das ist in der Linie der Worte von „Verbrecher" und „Volksverhetzung", und das sind keine Worte, mit denen Demokraten miteinander umgehen, meine Damen und Herren!
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem von uns sicherlich nicht gewünschten Teil der Aussprache zum Bundeshaushalt, der jetzt einen vorläufigen Abschluß gefunden hat, Herr Kollege Wienand, kann ich nur eines beitragen. Mich hat gestern Herr Rasner aus dem Ältestenrat heraus angerufen und mir mitgeteilt, daß der Herr Bundesminister der Finanzen heute morgen eine Erklärung abgeben werde, in der er die bewußten Sätze von gestern zurücknehmen und sich dafür entschuldigen werde, und dann sollten wir genauso nobel sein und uns in einer entsprechenden Erklärung in der Weise äußern, daß für uns damit die Angelegenheit erledigt sei und wir zur sachlichen Arbeit zurückkehren würden. Herr Rasner hat mich gefragt, ob ich bereit sei, am Beginn meiner Rede diese Erklärung abzugeben. Ich habe diese Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Ich habe gestern das Fernsehen nicht gesehen. Ich bin aber heute morgen ohne Kenntnis der gestern im Fernsehen gesprochenen Sätze hier hereingegangen, habe die Wortmeldung des Herrn Bundesministers der Finanzen begrüßt und habe erwartet, daß er das tun werde, was Kollege Rasner mir gestern aus der Ältestenratssitzung heraus sagte und was gewissermaßen dann die Voraussetzung für unsere Erklärung wäre, die Angelegenheit sei damit erledigt, nämlich eine entsprechende Erklärung abzugeben. Leider ist das Gegenteil von dem geschehen.
({0})
Ich darf zweitens, bevor ich zum Haushalt übergehe, noch folgendes sagen. Wenn jemand in diesem Hause, in dem schon manche Übertreibungen oder Entgleisungen, und zwar auch prominenten Rednern - ich schließe mich davon nicht aus ,
({1})
unterlaufen sind, sagt, daß diejenigen, die die beiden Weltkriege und die beiden Inflationen verschuldet haben, der CDU/CSU geistig näherstehen als der SPD, dann ist das doch eine Tatsachenbehauptung, von der man nicht einfach auf dem Wege der Interpretation oder des Sich-feige-Herausredens behaupten kann, man habe damit niemanden kränken wollen.
({2})
Was ich jetzt sage, ist nur das Gegenbeispiel, nicht meine Meinung. Wenn ein Redner der CDU/ CSU oder gar etwa ein Minister der CDU/CSU Ihnen gesagt hätte, diejenigen, die die Freiheit des tschechischen Volkes unterdrückt haben, indem sie am 21. August 1968 einmarschiert sind, diejenigen, die in Berlin damals im Juni 1953 den Freiheitswillen der Arbeiter und der Bevölkerung mit grausamen Mitteln blutig unterdrückt haben, stehen Ihnen geistig näher als der CDU/CSU
({3})
- je lauter Sie reden, desto mehr beweisen Sie Ihr schlechtes Gewissen -, und wenn daraufhin jemand dasselbe gesagt hätte, nämlich: „Damit habe ich Sie aber in keiner Weise kränken wollen", dann möchte ich nicht wissen, was Sie zu dieser
kasuistisch-dialektischen Verdrehung der deutschen Sprache und ihres Inhalts erwidert hätten.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich verstehe es, daß der Bundesfinanzminister mit einem immer schlechteren Gewissen offensichtlich auch immer schlechtere Nerven bekommt. Ursprünglich hatten wir die Hoffnung, daß der von ihm erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik eingeführte Stil der Einbringung von Haushalten mit dem Haushalt 1970, damals im Februar dieses Jahres, zum ersten und zum letzten Male angewandt worden sei. Die Rede des Bundesfinanzministers von gestern hat diese Hoffnung zerstört.
Keiner seiner Vorgänger hatte es nötig und hielt es für nötig, bei der Einbringung eines Haushalts bissig um sich zu schlagen, unbegründete Vorwürfe zu erheben und sich für selbstgestrickte Fehler und Versäumnisse ein Alibi durch sachlich falsche und großenteils gehässige Vorwürfe zu verschaffen.
({5})
Wenn Sie hier, Herr Bundeskanzler, als Oberzeremonienmeister Ratschläge hinsichtlich des Stils erteilen,
({6})
dann sollten Sie diese Stilratschläge zuerst den Mitgliedern Ihrer Bundesregierung erteilen.
({7})
Das gilt gerade auch für eine Reihe von Passagen der Rede des Bundesfinanzministers zur Einbringung des Haushalts 1971. Vor sieben Monaten, bei der Einbringung des Haushalts 1970, trat der Bundesfinanzminister als der bedauernswerte Nachfolger auf, der mit der üblen Erblast seines Vorgängers zurechtkommen mußte,
({8})
eine Polemik, die den Ruf des neuen Bundesfinanzministers als eines angeblichen Fachmannes bereits erheblich angekratzt hat und damals den Verdacht aufkommen ließ, daß es mit der fachlichen Qualifikation und der politischen Standfestigkeit nicht zum besten bestellt sein könne.
({9})
Inzwischen sind zahlreiche Ereignisse eingetreten, die diesen Eindruck verstärkt und bestätigt haben. Nicht auf alle, aber auf einige wenige muß ich zu sprechen kommen. Mit der gestrigen Rede hat der Bundesfinanzminister leider bewiesen, daß er entweder den Zusammenhang der Dinge nicht kennt oder ihn der Öffentlichkeit vorenthält. Nur so sind seine Angriffe gegen angebliche Fehler und Versäumnisse in der Vergangenheit zu verstehen, Der Bundesminister der Finanzen hat sich über den Vorwurf ereifert, die Bundesregierung betreibe eine „inflationistische Politik", wie er es wörtlich ausgedrückt hat.
Nun darf ich einige wenige Worte zur Klärung der Begriffe sagen. Wenn Sie gestern dieselben Worte verwandt hätten, wäre diese ganze üble Szene nicht entstanden. Meine Generation hat zwei Inflationen erlebt: die einen als Kinder, die anderen in der Zeit, als sie erwachsene Männer waren. Beide Inflationen haben sich im Gefolge eines großen Krieges und in Verbindung mit den Methoden der Finanzierung dieses Krieges und seiner Folgen als rasante Geldentwertung dargestellt. Beides waren galoppierende Inflationen, die zu einer fast völligen Vernichtung des Geldwertes der im Krieg gültigen Währung führten.
Niemand spricht heute von einer galoppierenden Inflation im Sinne einer rasanten Geldentwertung; wohl aber spricht man seit geraumer Zeit - teils zu Unrecht, teils zu Recht von einer „schleichenden Inflation" und hat Angst, daß aus der schleichenden Inflation eine trabende Inflation als Dauereinrichtung wird.
({10})
- Wenn Sie den Unterschied zwischen galoppierender und schleichender Inflation nicht verstehen, sollten Sie lieber keine Zwischenrufe bei einer Finanzdebatte machen!
({11})
Wir haben aber schon heute als Mitglieder des Hohen Hauses und besonders als Oppositionsfraktion allen Grund, der Bundesregierung bei ihrem Finanzgebaren auf die Finger zu sehen und die Bevölkerung auf eine schleichende Geldentwertung aufmerksam zu machen, die seit dem Amtsantritt dieser Bundesregierung eine unerträgliche Höhe erreicht hat.
({12})
Wir fragen uns und diese Frage ist die Sorge
des ganzen Volkes -, ob diese unerträglich hohe Geldentwertungsrate ein Dauermerkmal einer sozialistischen Regierung ist und bleiben soll.
({13})
Diese Regierung ist angetreten, sie hat große Taten versprochen, gewaltige Hoffnungen erweckt. Sie hat dabei den Spielraum des Möglichen entweder nicht erkannt oder falsch dargestellt. Das Papier, auf dem große Versprechungen und Ankündigungen gedruckt werden, ist geduldig und kann nicht rot werden. Aber hart im Raume des Wirklichen stoßen sich die Dinge.
Ich habe - das darf ich Ihnen sagen, weil Sie, jedenfalls die Mehrheit von Ihnen, mich oft gehört haben - weder als Finanzminister noch vorher und auch nicht nachher zu denen gehört, die das Ziel einer totalen Stabilität des Geldwerts mit einer maßvollen Ansprüchen ,genügenden, also ausreichenden Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts für vereinbar gehalten oder Idas erklärt haben. Ich war und bin mir, gemeinsam mit meiner gesamten Fraktion, der Tatsache wohl bewußt, daß das säkulare Problem des Industriezeitalters bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges die periodisch wiederkehrende Arbeitslosigkeit größeren Umfanges
war und daß seit Ende des zweiten Weltkrieges an seine Stelle aus Gründen, die zu erwähnen hier zu weit führen würde, das Phänomen der säkularen Preissteigerung getreten ist. So hat es Professor Haller auch in seinem Buch über Geldwertstabilität genannt. Ich habe deshalb auch nie zu jenen gehört - ich sage das, um die falschen Alternativen anzuprangern, mit denen im Volke gearbeitet
wird -,
({14})
die für eine totale Stabilität des Geldwerts auch mit den Mitteln einer deflationären Politik und um den Preis der Inkaufnahme kleinerer oder größerer Arbeitslosigkeit eingetreten sind. Ich gehöre auch nicht zu denen, die in Unkenntnis oder Verschleierungsabsicht die eigenen Fehler damit bemänteln, daß sie die falsche Alternative „Wachstum oder Stabilität" ,dem Volke predigen, um ihm vorzugaukeln, daß es sich mit dem kleineren Übel eines an Schrumpfung leidenden Geldwertes abfinden müsse, wenn es die Geißel der Arbeitslosigkeit vermeiden wolle: ein Eindruck, der von Ihnen, Herr Bundeskanzler, in einer Reihe von Äußerungen - ich denke hier an Äußerungen in Hannover, München und anderswo - hervorgerufen worden ist.
({15})
Schon bei anderen Gelegenheiten habe ich Mitgliedern der Bundesregierung auch Ihnen, Herr Bundeskanzler - vorgehalten, daß Ihre Ausrede für Untätigkeit in der Konjunkturpolitik ein klägliches und einer Bundesregierung unwürdiges Schauspiel sei, wenn sie in solchen Alternativen bestehe. Die Bundesregierung hat nämlich den Eindruck zu erwecken versucht, als ob sie Konjunktursteuerungsmaßnamen deshalb unterlasse, um Arbeitslosigkeit zu verhindern, während ihre Kritiker, die sie zu einer aktiven Konjunkturpolitik ermahnt haben, Rezession und Arbeitslosigkeit gewissenlos ansteuerten, also keine Scheu hätten, auf dem Rücken des kleinen Mannes ihren stabilitätspolitischen Fanatismus auszutragen.
Angesichts des reichhaltigen Vokabulars an wüsten und wütenden Schimpfworten, das über die CSU gerade in den letzten Tagen ausgestreut worden ist,
({16})
möchte ich zum Ausdruck bringen, daß diese Schutzbehauptungen der Bundesregierung: Alternative sei Stabilität oder Wachstum, keine aktive Konjunkturpolitik, weil sonst Arbeitslosigkeit, entweder auf Ahnungslosigkeit beruhen oder eine falsche Darstellung der wirklichen Zusammenhänge und damit auch eine demagogische Herabsetzung der oppositionellen Kritik an den konjunkturpolitischen Versäumnissen sind.
({17})
Die Bundesregierung mußte ganz genau wissen, und sie weiß es doch auch, daß es der heutigen Opposition um nichts anderes geht - und ich sage hier genau dasselbe, was ich unzählige Male als Bundesminister der Finanzen von diesem Platz aus gesagt habe - als um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wachstum und Stabilität, weil nach unserer
Überzeugung auf die Dauer ohne Stabilität kein ausreichendes Wachstum erzielt werden kann, da Wachstum ein vom Vertrauen getragenes vernunftgemäßes Verhalten der Partner des Wirtschaftslebens voraussetzt, das ohne dieses Vertrauen eben nicht vernunftgemäß ist.
Es war der heutige Bundeswirtschaftsminister Schiller - ich nehme an, Sie kennen ihn -, der mit seinem Stufenplan aus dem Jahre 1965, damals als Sprecher der Opposition, die damalige Bundesregierung, deren Chef auch heute hier in den ersten Reihen sitzt, angegriffen und eine Herabsetzung der Preissteigerungsquote bei den Lebenshaltungskosten von 3 % über 2 % auf 1 % als Forderung der damaligen Opposition vertreten hat.
({18})
Es war derselbe Bundeswirtschaftsminister Schiller, der laut Finanzbericht 1969 als Wirtschaftsminister dieser Regierung den Begriff der Preisstabilität dahin definiert hat, daß der Unterschied zwischen dem nominalen Bruttosozialprodukt und dem realen Bruttosozialprodukt nur 1 % betragen dürfe. Hier haben Sie sich um 400 % vergaloppiert.
({19})
Ich selbst halte es für erforderlich und erzielbar, bei vernunftgemäßem Verhalten aller Beteiligten eine Zunahme des realen Bruttosozialprodukts - im Durchschnitt, auf die Reihe der Jahre gesehen - von 4 % und des nominalen von 6 % zu erreichen. - Ich sage das auch ohne Scheu vor denen, die nach der anderen Seite hin übertreiben, und würde dafür eine Preissteigerungsrate von 2 % - lieber noch 1 1/2 % - als Tribut an das Gebot des Wachstums in Kauf nehmen. Was aber diese Marge, die schon doppelt so hoch liegt wie die Stabilitätsdefinition des Herrn Bundeswirtschaftsministers Karl Schiller, überschreitet, das wird in weltweiter Diktion als schleichende Inflation bezeichnet.
({20})
Die Bundesregierung verteidigt ihren 100-Milliarden-Haushalt mit seiner angeblichen Zuwachsrate von 12,1 % mit wütenden Ausfällen gegen die Opposition und mit schönklingenden Beteuerungen ihrer reformerischen Zielsetzungen. Dieser von der Bundesregierung vorgelegte Haushalt 1971 hat gegenüber dem Vorjahr nicht eine Zuwachsrate von 12,1 %, sondern eine von 12,6 %, weil die von der Bundesregierung unter dem Stichwort „Konjunktursperre" zurückgestellten 440 Millionen DM in diesem Jahre wohl nicht mehr ausgegeben werden, wie wir annehmen. Dieser Haushalt mit 12,6 % Zuwachs gegenüber dem voraussichtlichen Ist 1970 ist doch nicht konjunkturneutral, geschweige denn konjunkturgerecht. Er ist aus heutiger Sicht, die zu ändern kein Grund besteht, konjunkturschädlich.
Er ist es um so mehr, als der Haushalt 1970 gegegenüber dem Haushalt 1969 ebenfalls eine inflationär tendierende und sich so auswirkende Steigerungsrate hatte. Hier muß ich Ihnen, Herr Möller, noch einmal vorhalten, daß Ihre Behauptung, von 1969 auf 1970 sei nur ein Zuwachs von 9 % zu verzeichnen, einfach falsch ist. In den letzten Wochen
des Jahres 1969 sind noch Ausgaben getätigt worden, die einen Vorgriff auf das Jahr 1970 bedeutet haben,
({21})
und im Jahre 1970 - kalendarisch im Jahre 1970 - sind kassenmäßig noch Ausgaben getätigt worden, die bis zur Schließung der Bücher am 5. Februar dieses Jahres nachträglich auf das Jahr 1969 verrechnet worden sind.
({22})
Beides zusammen macht 1,9 Milliarden DM aus.
Damit beträgt auch bei Einhaltung der Konjunktursperre der Zuwachs des Haushalts 1970 gegenüber 1969 in Wirklichkeit und in der volkswirtschaftlichen Auswirkung 14 % und nicht 9 %.
({23})
Das heißt aber doch, daß man die Ausgaben des Jahres 1969 künstlich erhöht hat, um die alte Regierung mit der Gesamtsteigerungsrate des Jahres 1969 mit zu belasten und die Ausgangsbasis für 1970 so anzuheben, daß durch diese haushaltskosmetische Operation der Zuwachs 1970 mit 9 % vorgespiegelt werden konnte, während er in Wirklichkeit 14 % betragen hat.
Nun frage ich Sie, Herr Bundesfinanzminister: Sind nicht die von Ihnen und der gesamten Bundesregierung zu verantwortende Haushaltsgestaltung 1970 und der von Ihnen gestern vorgelegte Haushaltsplan 1971 das, was man einen starken Inflationsherd nennen müßte? Ist das nicht eine Inflationsquelle erster Ordnung - ich wiederhole es: ein starker Inflationsherd und eine Inflationsquelle erster Ordnung -, wenn hier die Ausgabensteigerung zwei- bis dreimal so hoch ist wie der echte Produktivitätsfortschritt?
({24})
Ich weiß, daß Sie diese Behauptung mit Entrüstung und vielleicht auch unter dem Beifall Ihrer Freunde zurückweisen. Ich darf Sie einmal fragen: Haben Sie nicht selber am 30. November 1965 im Zusammenhang mit der Ausgabensteigerung 1965 von 11 % bei einem Produktivitätsfortschritt von 5,2 % nicht nur von einem starken, sondern von einem stärksten Inflationsherd hier an dieser Stelle gesprochen?
({25})
Herr Schiller hat aus dem gleichen Grunde damals bei der gleichen Debatte einen Tag später, am 1. Dezember 1965, den gleichen Vorgang eine „Inflationsquelle erster Ordnung" genannt, und das an die Adresse einer Bundesregierung, die noch nicht über ein Stabilitätsgesetz verfügt hat wie die jetzige Bundesregierung, also noch nicht über die Instrumente der Globalsteuerung, mit der sich Übertreibungen der Konjunktur nach oben oder unten verhindern lassen.
Es sei hier nur am Rande vermerkt, daß dabei der Haushaltszuwachs im Jahre 1964 gegenüber dem Vorjahr nur 6,3 % und der Haushaltszuwachs im Jahre 1966 gegenüber dem Vorjahr nur 4,9 % betrug. Im Jahre 1965 ist der Ausrutscher mit 11 % passiert, der von Ihnen damals mit den stärkstmöglichen Worten als „Inflationsquelle erster Ordnung" - so Schiller -, als „stärkster Inflationsherd" - so Alex Möller hier gegeißelt worden ist. Wenn 1965 die beiden damaligen Sprecher und heute für Wirtschafts- und Finanzpolitik verantwortlichen Bundesminister die Worte „Inflationsquelle", „Inflationsherd" schon bei 11 °%, angesichts eines soliden Vorjahres und eines soliden Nachjahres, in den Mund genommen haben, woher nehmen Sie dann den traurigen Mut, das Wort „inflationär", von uns mit Ihrer Finanzpolitik in Zusammenhang gebracht, in dieser diffamierenden Weise abwerten zu wollen?!
({26})
Die Bundesregierung verrät doch nur ihr schlechtes Gewissen, wenn sie und ihre politischen Freunde mit heftigen Beschimpfungen auf unsere Kritik reagieren. Bei dem Hintergrund, bei den Archiven und der Zahl der Mitarbeiterstäbe würde ich es mir sehr gründlich überlegen, mit welchen Ausdrücken ich früher um mich geworfen habe, ehe ich mich heute gegen wesentlich mildere Ausdrücke der Opposition mit solchen Methoden verwahren würde.
({27})
Hat nicht Herr Schiller, ein heute noch amtierender Bundesminister, in Kopenhagen am 21. September zum gemeinsamen Kampf gegen die Inflation aufgerufen, die es doch nach der Meinung der Bundesregierung gar nicht gibt?
({28})
Haben nicht die mehrmaligen Äußerungen des ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt, bei dem doch nicht mit dem Ausscheiden aus der Bundesregierung ein merkwürdiger Sinnes- und Charakterwandel,
({29})
sozusagen eine Mutation vor sich gegangen ist,
({30})
eine wunderbare Verwandlung - Präsident des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin , vor einem nach Millionen zählenden Fernsehpublikum den Eindruck hervorgerufen, daß man künftig mit der Inflation leben müsse, wie die meisten Zeitungen geschrieben haben - sicherlich nicht unter dem Einfluß der CDU/CSU-Interpretation seiner Äußerungen?
Herr Arndt hat sicherlich insoweit die Wahrheit gesagt, als ein so ambitiöses Regierungsprogramm,
({31})
das so weitgehende Vorstellungen erweckt, solche Erwartungen in die Welt gesetzt hat, nicht anders als mit Inkaufnahme einer hohen Geldentwertungsrate vorübergehend finanziert werden kann.
({32})
Herr Kollege Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Arndt?
Wir verlassen uns auf die alte Regelung, daß das nicht von der Zeit abgezogen wird.
Ja, es wird hinzugerechnet.
Herr Kollege Arndt, ich freue mich, daß Sie mich fragen.
Herr Kollege Dr. Strauß, da ich es im allgemeinen zu schätzen weiß, wenn Sie mich zitieren, darf ich Sie fragen, wann und wo ich das Wort „Inflation" nicht nur mehrmals, wie Sie soeben, sondern auch nur einmal in den Mund genommen hätte.
Ich sagte: Er hat den Eindruck hervorgerufen, daß man künftig mit der Inflation leben müsse,
({0})
wie die meisten Zeitungen geschrieben haben. Ich kann Ihnen hier eine ganze Reihe von Zeitungsüberschriften - hier und auch auf meinem Platze - anführen, in denen Ihre Äußerungen: „Arndt: Mit der Inflation leben" aufgeführt sind. Und Sie selber haben von einer Geldentwertungsrate von 4 °/o gesprochen, die ich nicht als galoppierende Inflation - ich habe mich heute sehr deutlich dazu geäußert -, aber als schleichende Inflation - nach weltweiter gemeinsamer Terminologie - bezeichnen darf.
({1})
Gestatten Sie eine zweite Zusatzfrage?
Herr Kollege Dr. Strauß, darf ich Sie bitten, in aller Aufrichtigkeit zur Kenntnis zu nehmen, daß ich gesagt habe, daß bei Preissteigerungsraten von 5 1/2 bis 81/2% im mit uns verbundenen Ausland, in den mit uns verbundenen Industrieländern ersten Ranges eigene Preissteigerungen unterhalb von 3 bis 4 % bei konstanten Wechselkursen nicht erreichbar sind.
Ich freue mich sehr, daß Sie diese Zusatzfrage stellen, weil ich nun nämlich noch weniger als vorher verstehe, warum Ihr Fraktionsvorsitzender Ihre Äußerungen als „dummes Geschwätz" abgetan hat.
({0})
Und ferner -
({1})
Ich würde mich nämlich hüten, daß von Ihnen zu sagen, weil Sie unter den Voraussetzungen, unter denen Sie eine Geldentwertungsrate von 3 bis 4 % für unvermeidbar halten und über die man hier
reden müßte, aber jetzt nicht reden kann, recht haben. Wenn Sie sich aber einerseits auf diese Voraussetzungenberufen, nämlich feste Wechselkurse und deshalb angesichts der Preisentwicklung im Ausland unvermeidbare Geldentwertung in dieser von Ihnen genannten Höhe, und gleichzeitig Ihr bisheriger Mitarbeiter, Professor Schiller,
({2})
erklärt, an eine Aufwertung sei nicht zu denken, dann führt doch Ihre Behauptung, von Ihrem Fraktionsvorsitzenden als „dummes Geschwätz" abgetan, Ihre Voraussetzungen von Herrn Schiller als indiskutabel - „Keine Aufwertung mehr!" - zurückgewiesen, zu der Schlußfolgerung, daß man mit einer Geldentwertungsrate in dieser Größenordnung in Zukunft zu leben gedenkt, aber es offen nicht zuzugeben wagt.
({3})
Herr Kollege Strauß, gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage des Herrn 'Dr. Arndt?
Unser Dialog wird jetzt natürlich furchtbar lang, Kollege Arndt. Das wird schon ein Kolloquium privatissime et gratis.
Es wird die letzte sein, Herr Kollege Dr. Strauß! - Darf ich Sie fragen, Herr Dr. Strauß: Wie denken Sie, wenn Sie das Wort „Aufwertung" hören oder lesen, nicht denken? Denken Sie in Kategorien des Ja oder Nein, oder denken Sie in den Kategorien „Wenn überhaupt, dann wieviel"?
Ich glaube, daß eine Handelsnation wie 'die Bundesrepublik Deutschland nicht durch das Geschenk oder das Gift - Sie können es bezeichnen, wie Sie wollen - der Aufwertung sich eine vorübergehende Erleichterung von den internationalen monetären Verdauungsbeschwerden verschaffen soll, sondern durch eine bewußt und auch unter Inkaufnahme von Schwierigkeiten gesteuerte Stabilitätspolitik einen Beitrag zur internationalen Stabilisierung
({0})
eher leisten soll, denn als Wolf mit den anderen Wölfen zu heulen und zu sagen: Gemeinsam sündigt's sich leichter!
({1})
Im übrigen heißt es in der vom Bundespresseamt, „Nachrichtenspiegel Inland I", verteilten Informationsübersicht:
MdB-SPD Klaus Dieter Arndt erklärte in der Fraktionssitzung, er habe seine These als Wissenschaftler und nicht als Fraktionssprecher vorgetragen
- ich hoffe, daß der Dissens hier nicht allzu groß ist ({2})
und das auch bei jeder Gelegenheit hervorgehoben. Vor SPD-Mitgliedern in Wetzlar wiederholte Arndt seine Auffassung, angesichts der internationalen Entwicklung müsse man sich auch in der Bundesrepublik daran gewöhnen, mit der Inflation zu leben.
({3})
So ist es von dem Presseamt der ja von Ihnen gestellten Regierung als Ihre Äußerung verbreitet worden.
({4})
Deshalb waren wir so etwas eigenartig berührt, daß Ihre von uns - ich sage es ohne jede Ironie - ganz ernst zu nehmende Meinung einfach als „dummes Geschwätz" abgekanzelt wird, obwohl jedermann in unserem Lande weiß, was hier eigentlich gespielt wird und warum Sie jetzt das sagen, wo Sie nicht mehr innerhalb der Grenzen stehen, die Ihnen früher nicht erlaubt haben, das zu sagen, was Sie heute sagen.
Auch der Geschäftsführende Direktor des IBF, Pierre Paul Schweitzer, sprach am 20. September von der großen Enttäuschung, daß in den wichtigsten Industrieländern der Inflation nicht wirksamer begegnet worden sei.
Staatssekretär Schöllhorn vom Bundeswirtschaftsministerium bestätigte laut FAZ vom 21. September, daß die Bundesrepublik keine Insel der Stabilität mehr sei, aber kein Anlaß bestehe, vor dem Übel der schleichenden Inflation zu kapitulieren. Damit gibt er doch zu, das Übel besteht, aber wir kapitulieren noch nicht davor.
Die Deutsche Bundesbank warnt in ihrem letzten Monatsbericht vor der wirtschaftlichen Stagnation bei anhaltender Preissteigerung, genau das, was Sie uns als Verhetzung des Volkes vorwerfen. Das ist doch unsere Sorge, daß wir eine Stagnation des Wachstums bei anhaltenden Preiserhöhungen genauso wie in anderen Ländern durch diese Art der Konjunktur- und Finanzpolitik werden hinnehmen müssen.
Der Wirtschaftsexperte der Wochenzeitung „Die Zeit", Dr. Kurt Simon, der sicherlich Ihnen viel näher steht als uns, testierte in seinem Vortrag im Hessischen Rundfunk am 8. August der Bundesregierung, daß sie zwischen Stagnations- und Inflationskurs liege, und erhebt den Vorwurf, daß zusätzliche staatliche Ausgaben für „genügend" Nachfrage sorgten, und verglich diese Wirtschaftspolitik mit dem Vorgehen eines Arztes, der seinen Patienten immer unter leichtem Fieber hält, weil er meint, der Blutkreislauf vollziehe sich dann schneller und der Patient erfriere dann nicht;
({5})
die Bundesregierung scheine allmählich die leichte Inflation, so wie dieser Arzt die leicht erhöhte Temperatur, für die normale Situation des Wirtschaftsorganismus zu halten.
Das sind doch alles diese „Verbrecher" und „Hundsfotte" und „Volksverhetzer", die hier außerhalb der Reihen der CDU/CSU ihr Unwesen treiben.
({6})
In dem Wirtschaftsbericht der Bayerischen Staatsbank von Anfang September 1970 ist zu lesen:
Bei der Bundesregierung scheint die Bereitschaft zu wachsen, die in der Regierungserklärung angekündigten inneren Reformen notfalls auch unter Preisgabe einer stabilitätsgerechten Finanzpolitik durchzuführen.
Der Bericht spricht von der geradezu bestürzenden Sorglosigkeit bei der Beurteilung der Konsequenzen einer dergestalt gesteigerten starken Aktivität für Konjunktur und Währung.
Ich scheue mich nicht, zu sagen, daß man Finanzpolitik nicht unter dem alles rechtfertigenden Stichwort „innere Reformen" - das ist jetzt meine Meinung - in einem für die Geldwertstabilität verantwortungsfreien Bereich betreiben kann.
Gerade weil man aber auf Regierungsseite ein ungutes Gefühl und ein schlechtes Gewissen hat, weil man weiß, daß der Gang der Dinge unter einem schlechten Stern steht, bedient man sich eines Wortschatzes, der unsere Vermutungen und Befürchtungen bestätigt. Der Bundeskanzler beschimpft nicht nur die Kritiker seiner Ostpolitik bei seinen Vor-Oktoberfest-Veranstaltungen wie in München als Demagogen, Abenteurer, Nationalisten und wildgewordene Spießer.
({7})
Vor seiner Fraktion wirft er der Opposition Volksverhetzung vor wegen ihrer Äußerungen zur Konjunkturlage und Preisentwicklung. Ja, er bestätigt ihr, daß diese Opposition die Grenzen der Volksverhetzung bereits in mehr als einem Punkte überschritten habe. Nun, die Opposition befindet sich hier in bester Gesellschaft, einmal in Gesellschaft derer, die ich vorhin erwähnt habe, vielleicht sogar in Ihrer Gesellschaft, Herr Kollege Arndt. Dann befindet sie sich in der Gesellschaft der Bundesbank, wirtschaftswissenschaftlicher Institute, des größten Teiles der Wirtschaftspresse.
Der Bundeskanzler befindet sich aber gemeinsam mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD in schlechter Gesellschaft.
({8})
Wer hier von Volksverhetzung spricht, sich über das „Gerede von der Inflation" verächtlich lustig macht, die Warner vor der Inflation als Verbrecher bezeichnet, wie Sie, Herr Kollege Wehner, ihnen eine hundsföttische Art unterstellt, eine hinterhältige Verunsicherungstaktik bescheinigt,
({9})
der hat erstens bestimmt unrecht - sonst würde er sich solcher Ausdrücke nicht bedienen -,
({10})
der bedient sich zweitens eines Wortschatzes, der an vergangene, wenn auch unbewältigte Zeiten erinnert.
({11})
Meine Damen und Herren, Sie können heute in der „Frankfurter Allgemeinen" eine Zuschrift lesen:
Wer sich, wie der Verfasser dieser Zeilen, seit genau fünf Jahrzehnten mit Inflationstheorie befaßt und zwei große Inflationen in Deutschland miterlebt hat,
({12})
- wir drucken es gern im „Bayernkurier" ab
wird sich die Frage vorlegen dürfen, ob derjenige ein Verbrecher ist, der rechtzeitig auf Inflationsgefahren aufmerksam macht, oder derjenige, der, obwohl er inflationäre Entwicklungen erkennt, darüber aus falsch verstandenen innenpolitischen Gründen schweigt. Es scheint mir nicht unerlaubt zu sein, gegenwärtig von einer - wenn auch natürlich vorläufig nur „schleichenden" - Inflation zu sprechen, wenn eine Geldentwertung von mehr als vier Prozent zugelassen wird, obwohl in früheren Zielprojektionen der Bundesregierung eine „vernünftige Preisstabilität" bei einer jährlichen Geldentwertungsrate von einem bis eineinhalb Prozent unterstellt wurde. Gerade wer der Aktivität der gegenwärtigen Bundesregierung aus außen- und innenpolitischen Gründen Erfolg wünscht, kann nicht ohne schwerste Sorgen und Bedenken zur Kenntnis nehmen, daß die Unzulänglichkeit der stabilitätspolitischen Bemühungen die Position der Bundesregierung zu schwächen droht und daß der Fraktionsvorsitzende der größten Regierungspartei in undemokratischer Weise Meinungsäußerungen besorgter Staatsbürger dadurch zu unterbinden trachtet, daß er sie zu „Verbrechern" stempelt. Was mich selbst an-
) langt, so „schüre" ich zwar die Inflationsangst im Volke nicht, glaube aber, daß es auch für Herbert Wehner und seine Partei besser wäre, davon Kenntnis zu nehmen, daß diese Inflationsangst mit all ihren ökonomisch und sozial bedenklichen Konsequenzen bereits seit längerem eine Tatsache ist. Wer das ausspricht und ich glaube mich da in guter Gesellschaft zu befinden, wie nicht zuletzt der der Bundesbank und des Zentralbankrates sollte in einem demokratischen Land nicht als Verbrecher bezeichnet werden, sondern eher als Angehöriger einer wirtschaftspolitischen Ordnungspolizei.
Das ist unterschrieben von Professor Dr. Fritz Neumark , dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesminister der Finanzen,
({13})
ein Mann, den ich aus langjähriger Zusammenarbeit kenne und schätze, ein Mann - das darf ich ausdrücklich sagen , von dem ich immer wußte und bei dem ich auch keinen Grund hatte, das für irgendwie abträglich zu halten, daß er Ihrer Partei als Mitglied angehört oder Ihnen nahesteht, ein Mann, der allerdings auch - ich drücke mich jetzt sehr vorsichtig aus - Grund hat, auf Grund seines Schicksals und seiner Schicksalsgenossen Leid in der Vergangenheit solche Kollektivdiffamierungen mit besonderer, empfindlicher Reizbarkeit und Aufmerksamkeit zu registrieren.
({14})
Uns, die wir diese Zeiten im eigenen Lande miterleben mußten, ist ein geschärfter Sinn für die Geisteshaltung noch zu eigen, die mit dem Klang solcher Formulierungen wie „Volksverhetzung" und „Volksverbrecher" verbunden ist.
Schließlich sei noch daran erinnert, daß die SPD als Oppositionspartei in der Vergangenheit im Zusammenhang mit innen- und außenpolitischen Vorgängen ohne eine sachliche Rechtfertigung oft eine wahre Krisenhysterie entfacht hat. Meine Damen und Herren von der SPD, erinnern Sie sich noch an Ihre Illustrierte im Frühjahr 1966 in Nordrhein-Westfalen: „Die D-Mark leidet an Auszehrung! Bei uns ist die Sorge zu Hause"?
({15})
In einem SPD-Fernsehfilm sah man zur gleichen Zeit Menschen, die zur Sparkasse stürmen, um Geld abzuheben. Der Text dazu hieß: „Nur wer die D-Mark ausgibt, kann noch an ihr verdienen."
({16})
„Heute kaufen, weil es morgen teurer wird!" „Die Preissteigerungsraten sind nie so hektisch gestiegen wie in der Zeit von Erhards Kanzlerschaft." „Markige Reden können darüber nicht hinwegtäuschen." „Die schleichende Geldentwertung geht weiter." „Die Preise steigen, die Sorgen der Sparer nehmen zu." „Die CDU hat versagt. Sie hat in Nordrhein-Westfalen mit einer inflationären Haushaltspolitik die Stabilität des Geldes aufs Spiel gesetzt" - also eine Landesregierung.
({17})
„Die Bundesregierung hat die Aufgaben einer demokratischen Opposition nicht respektiert" -- so in der „Bürgerzeitung" in Köln, „Keine Bürger zweiter Klasse!" „Jeder weiß: die D-Mark ist nicht mehr hart." „Die Regierung schläft." „Am meisten betroffen ist der Kleine Mann." „Alle Zahlen nur darauf, weil der Staat über seine Verhältnisse lebt."
({18})
Das ist nur eine kleine Blütenlese aus dem, was Sie früher bei Vorgängen, die in Vorgeschichte und anschließender Periode zwar unangenehm, aber harmloser waren als das, was wir heute zu verzeichnen haben, der Öffentlichkeit geboten haben.
({19})
Der Bundeskanzler hat bei mehreren Gelegenheiten in München und anderswo - im Vorwahlkampf in Bayern - gestern auch der Bundesfinanzminister die Preisentwicklung dadurch zu verharmlosen versucht, daß er Vergleiche mit dem Ausland angestellt hat. Diese Vergleiche sind einseitig und sind in dieser Form irreführend.
({20})
Wenn man nämlich angibt, daß der Zuwachs der Verbraucherpreise bei uns im Rahmen aller inflationierenden Nationen sich noch im letzten Drittel befindet, dann kann man nicht leugnen, daß bei uns der Zuwachs der industriellen Erzeugerpreise und
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 24. September 1970 3733
vor allen Dingen der Baupreise heute den Durchschnitt der Industrieländer der Welt nicht unerheblich überschritten hat.
({21})
Darum sollte man mit solchen Vergleichen: „Ach, im Ausland ist es noch viel schlimmer; da steigen die Preise noch viel schneller", die Menschen nicht zu beruhigen versuchen. Diese Art der „Kollektivsünderei" hat keinen Sinn. Hier gilt es, sich nicht auf ausländische schlechte Beispiele zu berufen. Hier gilt es vielmehr, im Inland mit der starken Auswirkung der deutschen Wirtschaft durch ihr großes Außenhandelspotential auf die Stabilität in anderen Ländern eine vorbildliche Stabilitätspolitik zu betreiben, um damit die internationale Stabilität zu fördern, und nicht, um unter Berufung auf die internationale Unstabilität zu Hause noch mehr sündigen zu können.
({22})
Zu dieser Verharmlosung gehören auch die Äußerungen des neuen Parlamentarischen Staatssekretärs, des Herrn Philipp Rosenthal, der beschwichtigend darauf hinweist, daß das Realeinkommen gestiegen sei, weil der Mehrverdienst der Arbeitnehmer mehr ausmache als die Preissteigerung, um kurz darauf zur Rechtfertigung der unseriösen und unsoliden Finanzpolitik der Bundesregierung die von niemandem bezweifelte Binsenweisheit auszuposaunen, daß die Preisstabilität ein wichtiger Faktor für den Wohlstand sei, aber nicht der einzige - als ob das jemals einer von uns behauptet hätte. Hier wird bewiesen, daß die Bundesregierung das eigentliche Problem nicht sieht oder nicht sehen will, daß sie die weitergehenden Gefahren im gesellschaftspolitischen Bereich nicht erkennt, daß für sie nur das Einkommen des Tages gilt, auf das man dann nicht mehr bauen kann, wenn Stagnation und Preissteigerungen nebeneinander herlaufen, wie es die Bundesbank für die absehbare Zukunft als Folge überhöhter Lohnforderungen an die Wand schreibt.
Die Bundesregierung sollte auch das Problem der Vermögenssicherung und Vermögenserhaltung im Interesse des kleinen Mannes ernster nehmen, der weniger über Sachwerte als über Konten und Wertpapiere festverzinslicher Art verfügt, und sich der wirtschaftspolitischen Auswirkungen einer schleichenden Inflation bewußt sein. Auch die Zahlen aus der Rede des Herrn Bundesfinanzministers über die Verzinsung - Seite 7 - beweisen doch die Richtigkeit der Warnungen. Es ist doch ein Witz, wenn er davon spricht, es sei unglaublich, daß in einer demokratischen Partei der Oppositionsfanatismus solche traurigen, für unser ganzes Volk zu bedauernden Triumphe feiern kann. Diese Formulierung ist ein prima Eigentor der Bundesregierung; sie präsentiert sich hier als schlechte politische Fußballmannschaft. Die Opposition feiert keine Triumphe, sondern die Fehlleistungen der Regierung erwecken bei ihr leider den Eindruck, daß die Opposition Triumphe feiern kann. Das ist doch der wirkliche Sachverhalt.
({23})
Die Regierung sollte einmal der Öffentlichkeit sagen, wie hoch der Substanzverlust für die Kontensparer bei einer Größenordnung von 370 Milliarden DM ist,
({24})
wie hoch der Substanzverlust bei den Sparern in festverzinslichen Wertpapieren ist - von Investmentfonds und Aktien wollen wir in dem Zusammenhand gar nicht reden - , wie hoch der Wertverlust für diejenigen ist, die auf Grund von Lebensversicherungsverträgen feste, nicht der Dynamisierung unterliegende Renten beziehen und damit leben müssen, und wie hoch der Wertverlust für Bausparer ist,
({25})
die heute mit der vor einigen Jahren geplanten Bausparsumme nur mehr 70 % dessen finanzieren können, was sie ursprünglich an Eigenheim oder Eigentumswohnung erwerben wollten.
({26})
Man sollte das, was Professor Müller - Armack , der wissenschaftliche Vater des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft, seinerzeit Staatssekretär unter Ludwig Erhard, vor kurzem geschrieben hat, ernst nehmen: „Die Politik der Vermögensbildung breiter Schichten wird illusorisch, wenn eine Inflationierung des gegenwärtigen Grades ({27}) als Dauererscheinung hingenommen wird, zumal der Lebenshaltungsindex - der hier immer noch beschwichtigend wegen des internationalen Vergleichs herangezogen wird - für die Vermögensverwendung: Kauf von Grundstücken, Flucht in die Immobilien, Eigenheimerwerb, nicht repräsentativ ist. Er sagt, „eine permanent hingenommene Inflationsrate von 4% beeinflußt die gesellschaftliche Verhaltensweise insofern, als alle Gruppen - ob Produzenten oder Einkommensbezieher - in eine Art von gruppenbefangenem Denken hineingezogen werden und die Tendenz zum Gruppenegoismus verstärkt wird.
Es ist charakteristisch, daß parallel mit dem Fortschreiten der Inflationierung die Gruppenkonflikte anwachsen; denn nur in organisierten Gruppen vermag sich der einzelne gegen die permanente Inflationierung zu wehren und die dauernde Anpassung von Preisen und Einkommen durchzusetzen." Wenn diese permanente Inflationierung weitergeht, dann werden Sie, Herr Bundesfinanzminister, mit den in organisierten Gruppen vertretenen und hartnäckig verfochtenen Forderungen von allen Seiten ich brauche sie nicht aufzuzählen - nicht mehr zurechtkommen, weil Sie mit jedem Tag des Anhaltens dieser Geldentwertungsrate mit neuen Forderungen zu rechnen haben, die den Spielraum für Reformen und für das, was mit den Reformen finanziert werden soll, nicht erweitern, sondern trotz allem - da können Sie sogar noch die Steuern erhöhen in Zukunft vermindern werden. Das ist die Wahrheit.
({28}) Müller-Armack sagt weiter:
Man braucht nur die Erfahrungen der Länder, die sich mit einer andauernden Inflationierung bereits abgefunden haben, zu betrachten, um zu sehen, wie das Klima politischer und wirtschaft3734
licher Machtauseinandersetzungen von dieser Seite her verschärft werden kann. Wie lange ein junger demokratischer Staat wie die Bundesrepublik Deutschland einem solchen Druck in seiner Gesamtverfassung widerstehen kann, ist eine Frage, die man sich stellen muß, bevor man bereit ist, gemäßigte Inflationsraten als zwar bedauerlich, aber immerhin noch als eträglich hinzunehmen.
Er sagt in aller Deutlichkeit, daß die Inflationierung ein umfassendes wirtschaftliches, wirtschaftspolitisches und gesellschaftspolitisches Phänomen darstellt und daß dieses Phänomen, die Inflationierung, aus der Notwendigkeit permanenter Einkommensanpassungen zu einer inzwischen immer rigoroseren Konfliktsituation zwischen den einzelnen Gruppen und zum Absinken von Gruppen, die keine Marktmacht oder politische Macht mehr ausüben können, führen wird.
({29})
Sie werden einwenden: Was hat denn der öffentliche Haushalt mit diesen Ausführungen zu tun? Nun, einmal hat der Herr Bundesminister der Finanzen gestern selbst dieses Thema angeschnitten, und wir sind verpflichtet, darauf zu antworten. Ich behaupte nicht und habe nie behauptet, daß der Bundeshaushalt die einzige inflationäre Quelle ist, die es gibt, aber er ist sehr wesentlich. Der Bund bestimmt den Ton im Finanzkonzert der Länder. Darum sind die_ Steigerungsraten der Länderausgaben in gleicher Höhe nicht eine aus der Sache kommende automatische Unvermeidlichkeit, sondern sind Folgen des Einschnitts, der in der deutschen Finanznachkriegsgeschichte mit dem Amtsantritt dieser Bundesregierung entstanden ist.
({30})
Die Staatsausgaben beeinflussen die Konjunktur nicht nur wegen ihrer Größenordnung, sondern auch wegen ihrer Qualität. Steuererhöhungen, die zur rechten Zeit sinnvoll verfügt werden können, haben einen Einfluß auf die Konjunktur. Aber schneller und stärker wirkt sich die Höhe der Zuwachsrate oder die Kürzung von Staatsausgaben konjunkturell aus. Hier bestimmt schon - und das muß ich Ihnen entgegenhalten, Herr Möller - ein Mehr oder Weniger von einigen Milliarden zu einem erheblichen Teile das Wirtschaftsklima.
Es gibt hier einen Zielkonflikt natürlich, das wissen wir auch, zwischen großzügiger, besserer, schnellerer Finanzierung der Staatsausgaben einerseits, Geldwertstabilität andererseits. Aber diese Bundesregierung hätte im letzten Herbst erklären müssen: Was wir Euch im Wahlkampf versprochen haben und was wir uns vorgestellt haben, läßt sich mit dem Gebot der Geldwertstabilität nicht vereinbaren. Diese Bundesregierung hat den Anschein erweckt, als ob jetzt das moderne Deutschland gewissermaßen als Paradies auf Erden entstehen werde. Sie wollte nicht wahrhaben und zugeben, daß eine Kombination von sprunghafter Zunahme der Privatnachfrage, zuerst der Unternehmergewinn, dann der Löhne, und Steigerung der Staatsnachfrage zusammen die Wärme der Konjunktur vom Sommer in die Uberhitzung der Ara Brandt im Herbst und im Winter haben umschlagen lassen.
({31})
Diese Bundesregierung steht jetzt vor der traurigen Tatsache, daß die von ihr so bombastisch gepriesene Erhöhung der Staatsausgaben infolge der durch sie mitverschuldeten Preiserhöhungen in weiten Bereichen nicht mehr ausreicht, die normale Durchführung der Programme zu gewährleisten.
({32})
Was hat denn Herr Leber in diesem Hause hier gesagt, als er von einer Preiserhöhung im Tiefbau sprach, die zwischen 17 und 23 % reicht und damit eine Preiserhöhung ist, die weit über die Erhöhung der Haushaltsansätze für den Aufgabenbereich seines Ministeriums, den Straßenbau nämlich, hinaus reicht. Derlei Beispiele ließen sich mehr bringen; ich verzichte wegen der Kürze der Zeit darauf.
Wenn Sie mich fragen, was denn die Opposition vorschlägt, darf ich Ihnen folgendes sagen.
Erstens: Schluß zu machen mit der inflationären Mentalität, mit der Verharmlosung der Inflation,
({33})
und damit der inflationistischen Praxis in Staat und Wirtschaft eine Barriere zu setzen. Die Wirtschaft ist weder unbegrenzt belastungsfähig noch der Staat wunschgemäß finanzierungskräftig. Politik ist die Kunst des Möglichen, aber auch die Kunst, das Notwendige möglich zu machen, aber auch die Kunst, den Begriff des Notwendigen sich nicht von hektischer politischer Zielsetzung vorschreiben zu lassen.
({34})
Inflationistische Mentalität begünstigt inflationäre Praxis. In diesem Falle wäre weniger mehr gewesen, wenn man Reformen durchführen wollte.
({35})
Ich darf Ihnen heute schon sagen, daß die Umkehr vom Taumel der Ausgabenseligkeit - hat nicht Herr Schiller vom „Rausch der Inflation" gesprochen? - zur stabilitätsbewußten Haushaltspolitik Härten und Schwierigkeiten heraufführen wird, die ohne diese, auf Solidität wenig ausgerichtete Finanzpolitik nicht eingetreten wären.
Es ist ein Unding, in diesem Zusammenhang von Versäumnissen der Vergangenheit zu reden. Als ob die Bundesrepublik ein Barackenstaat oder ein Elendsland sei, das erst der Erlösung durch die SPD bedurft hätte, um das moderne Deutschland zu werden, das man anstreben will!
({36})
Zweitens. Ich muß Sie, Herr Möller, auf Ihre eigenen Ausführungen als Oppositionsredner vom 30. November 1965 aufmerksam machen. Dort haben Sie gesagt:
nun soll die Opposition aufgefordert sein, ein Programm zu entwickeln ... für die finanzielle Situation, für die nun einmal die ... Bundesregierung zuständig ist.
An diesen Zuständigkeiten ... können wir nichts ändern.
({37})
Es handelt sich hier nicht um Einzelheiten, es handelt sich um die Gesamtheit der Einstellung und um die Gesamtheit der Finanzpolitik. Ich bin ein so alter Fuhrmann hier in diesem Hause, daß ich ganz genau weiß, warum wir z. B. vor der Steuersenkung - Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages, Wegfall der Ergänzungsabgabe - aus gutem Grunde gewarnt haben. Sie werden doch dieses traurige Theater nicht noch in Schutz nehmen wollen, über das wir uns im Juni dieses Jahres unterhalten haben. Ihre Redner haben aber dann vor den betreffenden Bevölkerungskreisen gesagt - SPD die einen, FDP die anderen -: Diese böse CDU/CSU gönnt euch nicht die Steuersenkung; welches Glück habt ihr, daß wir dran sind, jetzt bekommt ihr die Steuersenkung, wann, wie, unter welchen Umständen usw. Darum machen wir keine Einzelvorschläge.
({38})
Sie sagen, daß die aus dem Konjunkturzuschlag zufließenden Einnahmen erst so langsam tröpfeln, im August 50 Millionen DM, jetzt im September 500 Millionen DM. Hätten Sie meine Pressekonferenz vom 19. September letzten Jahres, die Sie öfter zitiert haben, ganz gelesen! Da stand der Vorschlag drin, das Stabilitätsgesetz so zu ändern, daß es anwendbar wird: Lohn-, Einkommen- und Körperschafsteuer unter Ausklammerung der einkommensschwächeren Schichten rechtzeitig ab 1. Oktober bis zu 10 °/0 zu erhöhen, um damit, als es noch Zeit war, wirksam konjunkturdämpfend zu wirken. Dann wären die Einnahmen von denen Sie heute sagen, es seien im August erst 50 Millionen DM, im September 500 Millionen DM - im Oktober 1969 mit 50 Millionen und im November mit 500 Millionen DM eingetreten. Der Entzugseffekt wäre rechtzeitig und in seiner Wirksamkeit sozial gerechter und hinsichtlich der Rückzahlung glaubwürdiger eingetreten.
Aber warum haben Sie es nicht gemacht? Doch nicht, weil Sie es nicht eingesehen haben, sondern weil Sie sich der Absurdität bewußt waren: einerseits eine Regierungserklärung mit dem Versprechen der Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages und dem Wegfall der Ergänzungsabgabe, andererseits eine 10 %ige Erhöhung der Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer als Konjunkturdämpfung. Dann wäre doch der innere Unsinn und Widerspruch dieser Politik sofort und rechtzeitig zutage getreten. Darum haben Sie das eine versprochen und nicht gehalten und das andere zu spät begonnen und müssen deshalb jetzt die Folgen auch allein in Ihr eigenes Buch eintragen.
({39})
Herr Kollege Dr. Strauß, wir haben die Redezeit für Sie bereits wegen der Zwischenfragen verlängert.
Danke schön.
({0})
- Ja, ich muß sagen, es ist sehr bedauerlich, daß man bei einem solchen Anlaß und vor diesem Hintergrunde nicht die Möglichkeit hat, das zu sagen, was zu diesem Thema zu sagen ist.
({1})
- Daß-es Ihnen unangenehm ist, daß Sie mir am liebsten nur fünf Minuten Redezeit geben würden, glaube ich Ihnen gerne.
({2})
Herr Kollege Möller, Sie haben doch selbst versprochen: im ersten Halbjahr 1970 nur 4 % Ausgabensteigerung gegenüber 1969. Jetzt sind es 10,6 %, und wenn man genau rechnet, wenn man nämlich die Manipulierungen abzieht, sind es 13 bis 14 % Steigerung gegenüber dem ersten Halbjahr 1969. Zur Rede gestellt, haben Sie erklärt: Auch ich bin überrascht, aber die 4 % waren nicht einzuhalten, weil die Haushaltsführung im ersten Halbjahr 1969 mit einer Steigerung von 2,8% gegenüber 1968 zu restriktiv gewesen ist. - Ich danke Ihnen für das Kompliment, das Sie damit dem Finanzminister des Wahlkampfjahres gemacht haben.
({3}) Und so weiter!
Ihre Äußerung, Herr Bundesfinanzminister - und darum sage ich es -, die Sie in Bayern getan haben, daß Sie die Preise bald wieder in den Griff bekommen werden, haben Sie durch den Zusatz: „bei vernunftgemäßem Verhalten der Tarifpartner", von einer Bedingung abhängig gemacht, zu deren Erfüllung Sie selbst nichts beitragen. Ich habe mit Kopfschütteln - ich kann nicht einmal mehr sagen: mit einem anderen Gefühl - Ihren offenen Brief im „Heidelberger Tagblatt" gelesen, in dem Sie offen erklärt haben, daß Sie die Forderung der IG Metall nach 15%iger Lohnerhöhung für gerechtfertigt und für wünschenswert gehalten haben; aber das sei der Schluß der Tarifrunde. - Ja, wer sagt Ihnen denn das? Sie, der Sie die Finanzierung des öffentlichen Dienstes durchführen müssen, werden doch nicht glauben, daß Sie gegenüber dem Innenminister mit 8% im nächsten Jahr und 5 % in den folgenden Jahren durchkommen, wenn Sie selbst sozusagen der Pilot, der „cheerleader", der Führer im Tarifkampf sind mit einer Befürwortung von 15% Erhöhungsrate in der gewerblichen Wirtschaft. Da nützt es Ihnen auch gar nichts, wenn Sie - laut „Spiegel" - erklären, Sie hätten im Kabinett, als Sie Unterstützung gefunden hätten, Herrn Genscher scharf angeguckt.
({4})
So wie ich Herrn Genscher kenne, wird er sich nicht
gerade wegen des scharfen Anguckens davon abhalten lassen, in dem Sektor, für den er die Ver3736
antwortung tragt, andere Steigerungsraten zu verlangen, als Sie ihm dann zubilligen wollen.
({5})
Ich fasse jetzt zusammen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was zeichnet diese Finanzpolitik aus? Sie haben versprochen: 1. gute Erfüllung aller Staatsaufgaben, 2. erhebliche Verbesserung der individuellen Sozialleistungen - auch periodisch wiederkehrend -, 3. Ausdehnung der Gemeinschaftsaufgaben und stärkere Finanzierung derselben auch das haben Sie versprochen -;
4. würden Sie für Europa mehr zahlen müssen;
5. müßten Sie im Westen großzügiger sein bei der Truppenstationierung, weil Sie damit Ihre Ostpolitik abschirmen müßten; 6. sagen Sie nicht, was diese Ostpolitik auf lange Sicht kosten wird.
({6})
- Das sagen Sie nicht. Der Spaß wird Ihnen noch vergehen, wenn wir darauf zu sprechen kommen.
({7})
Schließlich haben Sie Steuersenkungen für die kleinen und unteren mittleren Einkommen versprochen und dafür stärkere Heranziehung der Großen angekündigt. Das muß die Öffentlichkeit doch wissen! Es geht also um die Erhöhung des Grundfreibetrags auf 2400 DM; das macht 4 Milliarden DM. Der Kinderfreibetrag soll einheitlich auf 1800 DM festgesetzt werden; das sind 3,2 Milliarden DM. Durch die Änderung bei der Abzugsfähigkeit der Sozialversicherungsbeiträge ergibt sich, je nachdem, welche Grenze man nimmt, ein Ausfall von 4,6 oder 2 Milliarden DM. Die Abstufung der Proportionalzone unter 19 % führt zu einem Ausfall von etwa 2 Milliarden DM. Das beläuft sich auf 12 Milliarden DM. 1% Erhöhung der Einkommensteuer bringt 45 Millionen DM, bei der Körperschaftsteuer 200 Millionen DM. Vermögensteuer und Erbschaftsteuer radikal erhöht, bringt ein paar hundert Millionen DM im Jahr.
Woher wollen Sie die zusätzlichen Mittel für Ihre Reformen aufbringen, wenn Sie gleichzeitig Steuersenkungen in der Größenordnung bis zu 12 Milliarden DM ohne Äquivalent in Aussicht stellen? Sie hätten hier sagen sollen, was Sie eigentlich wollen: Steuerlastquote gleich oder Steuerlastquote höher? In Saarbrücken sagen Sie: Steuerlastquote gleich. - Im Kreise Ihrer Funktionäre angegriffen, sagen Sie: Das ist für mich keine heilige Kuh, sondern nur ein Ochs, der den Karren aus dem Graben der festgefahrenen Reformen und infrastrukturellen Versäumnisse herausziehen soll!
Und was sagen Sie, wenn Sie in die Schweiz fahren? Haben Sie das „Handelsblatt" gelesen? Sie sind doch vor Ihrem Parteitag in Saarbrücken in die Schweiz gefahren, um zu sagen, als Sie heimkehrten: Ich verstopfe diese Quelle der Steuerflucht. - In der Schweiz hat man Ihre Demarche sehr, sehr übelgenommen und noch einige Dinge dazu, Herr Möller!
({8})
Ich würde das hier nicht gesagt haben. Ich teile in der Sache voll Ihre Auffassung. Wir haben drei Jahre hart mit der Schweiz verhandelt. Aber wenn ich von Schweizer Teilnehmern hören muß, daß Sie sich dort als Finanzminister einer neuen Regierung eingeführt haben, die nicht eine normale Nachfolgeregierung sei, sondern eine Nachfolgeregierung mit dem Einschnitt, daß sie zum erstenmal nicht durch nationalsozialistische Elemente belastet sei -
({9})
Ich hätte es nicht gesagt, wenn nicht Ihre gestrigen Ausführungen mir Grund gegeben hätten, das nicht als eine einmalige Entgleisung, sondern als Ausdruck einer bedauerlichen Geisteshaltung anzusehen,
({10})
einer Geisteshaltung, die nicht zur Versöhnung gegenüber der Vergangenheit beiträgt, sondern die dem Aufreißen neuer Gräben bei uns dient.
Sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, letztes Jahr habe ich zu Ihrer Finanzpolitik die Anmerkung gemacht, daß sie mangelhaft sei. Heute muß ich ihr aus einer Reihe von Gründen, die ich nur zum Teil darstellen konnte, die Note „ungenügend" erteilen.
({11})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Strauß hat gemeint, sich gegen Beschimpfungen wenden und wehren zu sollen, und auch schon vor dieser Debatte hat in diesem Zusammenhang der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion mein gewiß nicht schönes Wort von der „Volksverhetzung" aufgegriffen. Es ist nicht so, daß es sich, wie mir gestern früh unter anderem in einem Hamburger Blatt unterstellt wurde, auf die, wie es dort hieß, laut geäußerte Sorge um die Stabilität der Mark bezogen habe. Es hat sich und ich habe vor meiner Fraktion vor zwei Tagen ausdrücklich von dem Zusammenhang zwischen Äußerungen von Vertretern der CDU/CSU und auflagenstarken Zeitungen gesprochen - zum Beispiel auf die plakative, provozierende Darstellung dessen bezogen, was der Generalsekretär der CDU, Dr. Heck, behauptet hatte - plakativ, jawohl! -,
({0})
nämlich deutsche Sparer hätten in einem Jahr 15 Milliarden DM verloren.
({1})
Die Verlautbarung der SPD-Fraktion vom 22. September vermerkt, ich hätte solche Äußerungen als einen unglaublichen Vorgang bezeichnet, als ein Spiel mit der Angst, das nicht nur an die Grenze dessen reiche, was ich „Volksverhetzung" nannte, sondern sie an mehr als einem Punkt bereits überschreite. Genauso habe ich es empfunden. Es wäre unredlich, wenn ich zu diesem meinem Empfinden hier nicht stünde. Was muten Sie einem denn noch alles zu, ohne daß man sich wehrt!
({2})
Ich halte - das sage ich jetzt noch einmal - nichts davon, hier anders zu reden als draußen. Dabei räume ich ein, der Ausdruck, den ich jetzt nicht nochmals wiederhole, ist scheußlich. Da hätte mir auch etwas anderes einfallen müssen, um den Gedanken, an dem mir lag, zum Ausdruck zu bringen.
({3})
Aber daß es an mehr als einem Punkt etwas über eine Grenze hinausging, die ich aus meiner Sicht für richtig halte, das stimmt.
Scheußlich wie der Ausdruck, den ich so nicht wiederholen würde, ist nämlich auch das, was zu solchen Repliken führt. Herr Kollege Heck, der jetzt nicht im Saal ist, der sich aber ohne jeden Zweifel
3) im Laufe der konjunkturpolitischen und Haushaltsdebatte von dieser Stelle aus - denn darauf haben das Haus und die Öffentlichkeit einen Anspruch - noch zu seinen 15 Milliarden äußern wird, wird doch, wenn er sich eine solche Replik angesehen hat, nicht bestreiten wollen, daß er selbst und andere noch in diesen letzten Wochen wiederholt den Versuch unternommen haben, wenn auch zuweilen gekonnt verklauseliert, meine Partei in die Nähe ,des Kommunismus zu rücken und uns Anfälligkeit gegenüber östlichen Systemen zu unterstellen.
({4})
Das waren aber keine Ausrutscher, wie sie einem in einer Rede passieren können, das waren keine Improvisationen;
({5}) das war vorfabriziert.
Herr Kollege Strauß, wenn Sie ausgerechnet hier heute in Verbindung mit der Ostpolitik davon sprechen, daß ich deren Kritiker beschimpfte, wenn Sie hier also in dieser Frage gewissermaßen als Sittenrichter von Vilshofen auftreten,
({6})
dann möchte ich Sie fragen: Wie können Sie denn, Herr Kollege Strauß, gegenüber einem Versuch, den Sie für unrichtig, für falsch halten mögen - ich sage doch nicht, daß irgendeiner von uns die Wahrheit gepachtet hat -, gegenüber einem ehrlichen, mit den Westmächten abgestimmten Versuch, nämlich
diesen unseren Vertrag mit der Sowjetunion, uni den wir uns bemühen, mit dem Ribbentrop-Molotow-Pakt gleichstellen, wie Sie es getan haben!
({7})
Wie können Sie sagen, diese Politik werde dazu führen, daß sowjetische Truppen in die Bundesrepublik einmarschierten und daß Sie zu einer Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes gegen die Bundesregierung aufrufen müßten!
({8})
Hier kann doch niemand glauben, die Mitglieder der Bundesregierung, die, wenn auch - wie alle Menschen - nicht frei von Fehlern, nach bestem Wissen und Gewissen und getreu ihrem Amtseid ihre Pflicht tun, ließen sich unwidersprochen - gewiß nicht von der Union, aber immerhin - als Verräter, Volksverräter, Landesverräter, Verzichtpolitiker beschimpfen, während hier alles stinkfein, vornehm vor sich gehen soll!
({9})
Ich sage noch einmal:
({10})
In der Politik hat niemand die Wahrheit gepachtet; wir können alle irren. Wir müssen alle aufeinander hören, auch dann, wenn es einmal dem einen, einmal dem anderen schwerfällt. Sie können aber nicht ernsthaft bestreiten, Herr Kollege Strauß, daß wir versuchen, für die Bundesrepublik und für Deutschland das Beste zu erreichen, was auf diesem Gebiet zu erreichen ist,
({11})
und dem Rechnung zu tragen, was unser Volk will, nämlich die bewährte Freundschaft mit dem Westen zu bewahren und sie im Rahmen des Möglichen durch Aussöhnung und Zusammenarbeit mit dem Osten zu ergänzen.
({12})
- Nun, ich hätte das nicht vorgebracht, wenn nicht Herr Strauß dieses Thema hineingebracht hätte. Wenn Sie jetzt „Haushalt!" rufen, so sage ich: Das hätten Sie vorher rufen müssen!
({13})
Aber ich folge Ihnen jetzt sofort; es geht ja heute nicht um Außenpolitik.
({14})
Jetzt nenne ich ein innenpolitisches Beispiel, zunächst eines. Wieso kommen Ihre Parteifreunde in Bayern, Herr Strauß, zumindest einige Ihrer Par3738
teifreunde, dazu, Herrn Kollegen Ertl einen „Totengräber der Landwirtschaft" zu nennen
({15})
und zu behaupten „Ertl verrät die Landwirtschaft!"? Mit weniger als „Verrat" scheint es mancherorts schon nicht mehr zu gehen.
({16})
- Das wird Ihnen Herr Kollege Ertl dokumentieren können, wenn Sie es wünschen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie Zwischenfragen?
Herr Bundeskanzler, können Sie mir die Frage beantworten, wer gesagt hat, daß Herr Bundesminister Ertl ein „Totengräber der Landwirtschaft" sei?
Das wird Ihnen Herr Kollege Ertl, wenn Sie es wünschen, selbst sagen.
({0})
- Welche bessere Quelle wollen Sie haben als denjenigen, der das an Ort und Stelle selbst erlebt und es mir berichtet hat?
({1})
Das gegenüber einem Mann, von dem man wissen o müßte, wie zäh und energisch er sich für eine gute Zukunft der deutschen Bauern einsetzt.
({2})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Rawe ({0}) : Herr Bundeskanzler, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß wir uns den ganzen Ärger heute morgen hier hätten ersparen können, wenn Ihr Finanzminister der Aufforderung, die wir gestern im Ältestenrat erhoben haben, nachgekommen wäre und schlicht und einfach seine schreckliche Behauptung hier zurückgenommen hätte?
({1})
Ich dachte, wir wären mit dem Thema fertig.
({0})
Ich bin jetzt bei Behauptungen und Vorwürfen des Kollegen Strauß. - Ich weiß - ({1})
- Sie kommen auf Ihre Kosten.
Ich weiß, daß in der Polemik auch Sie schon Grund zur Klage gehabt haben; ich gebe das zu und bitte noch einmal um Nachsicht, sofern ich selbst betroffen bin. Aber verstehen Sie bitte auch
aus meiner Sicht, aus der Sicht dieser Regierung, ' für die ich zu sprechen habe: Wir sehen uns einer systematischen Kampagne gegenüber - und Herr Strauß hat sie hier, wenn auch etwas vorsichtiger als anderswo, weitergeführt -, die der Bundesregierung
({2})
unterstellt, sie treibe unseren Staat und unser Volk in die Inflation. Das ist die Kampagne.
({3})
Ich habe das als Schüren einer Hysterie empfunden und spreche auch das hier offen aus.
({4})
Zwischen den Buchstaben meiner Partei und dem Begriff der Inflation wurde und wird in weitgestreuten Anzeigen
({5})
- nicht sachliche Kritik, sondern propagandistisches Trommelfeuer, das Sie beanstandeten - ein Gleichheitszeichen gesetzt, und es wird, was noch das Harmloseste ist, geschrieben: „Dafür sind Sie verantwortlich, Herr Brandt." Ich könnte es mir einfach machen und auf das verweisen, was ich in meiner Fraktion gesagt habe. Statt dessen will ich lieber den Versuch machen, trotz aller Meinungsverschiedenheiten um zweierlei zu bitten.
Erstens. Wir müßten, wir sollten alle wissen, daß von unbegründetem oder auch übersteigertem Inflationsgerede zusätzlich preissteigernde Wirkungen ausgehen. Das kann niemand bestreiten.
({6})
Insofern müssen Sie sich, worüber sich frühere Regierungen auch immer geärgert haben mögen - daran ist ja erinnert worden -, oder müssen sich die Urheber solchen Geredes entgegenhalten lassen, was Herr Professor Erhard am 19. August 1965 in Braunschweig gesagt hat. Er sagte nämlich, es sei ein fluchwürdiges Beginnen, Ängste und Verwirrung zu wecken.
({7})
Zweitens. Alle Kundigen müßten und sollten auch wissen, daß man die Stellung unseres Staates in der Welt, in Ost und West, nicht stärkt, sondern schwächt, wenn man ihm Zerfallserscheinungen andichtet, die so nicht existieren. Man kann nicht einerseits sagen, daß man mit der Bundesregierung um die Sicherung der deutschen Interessen nach außen bemüht sein wolle, und andererseits gleichzeitig diesen Staat und seine Volkswirtschaft schlechter darstellen, als sie sind, und damit, wenn auch wider ursprünglichen eigenen Willen, objektiv schwächen.
({8})
Ich beanstande im übrigen - und das richtet sich nicht an eine Seite dieses Hauses - die Schludrigkeit im Umgang mit dem Begriff „Inflation". Herr Kollege Strauß hat auf diesem Gebiet sehr viel differenzierter gesprochen, als man das von anderen schon gehört hat, zumal auch mit seiner Differenzierung zwischen dem, was er „galoppierende", und dem, was er „schleichende Inflation" nennt.
({9})
Zumal die Älteren verbinden nun einmal mit dem Begriff „Inflation" das, was nach zwei schrecklichen Kriegen, für die wir alle nichts können, sondern aus denen wir miteinander gelernt haben und lernen müssen, über unser Volk an Währungszusammenbruch gekommen ist. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, daß ich - ich war noch nicht einmal 10 Jahre - im Herbst 1923 für 10 Milliarden der alten Mark ein Stück Lakritze bekommen habe, das in der neuen Währung 1 Pfennig wert war. Damit hat das, was uns heute Sorgen bereitet, ebensowenig zu tun wie die Zigarettenwährung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Insofern war ich dankbar für eine Feststellung in einem dritten Blatt des Hamburger großen Hauses - jetzt meine ich das „Hamburger Abendblatt" - vom 21. September. Das halte ich für noch richtiger als Ihre Differenzierung zwischen galoppierender und schleichender Inflation, Herr Strauß. Dort stand:
Richtig ist: die Geldwertstabilität ist in Gefahr. Eine Inflation haben wir nicht.
({10})
Man darf doch, wenn man unserem Volk bei seiner eigenen Orientierung helfen will, einen wirtschaftlichen Vorgang, der sich gegenwärtig in allen westlichen Ländern abspielt, nicht mit den beiden schrecklichen Inflationen nach den beiden großen Kriegen in Berührung bringen. Die schleichende Gefährdung der Geldwertstabilität ist doch weiß Gott schon schlimm genug.
({11})
Ich denke jedenfalls nicht daran - und der Wirtschaftsminister tut es nicht, der Finanzminister tut es nicht -, die Preisentwicklung zu bagatellisieren.
({12})
Ich wäre heilfroh, wenn wir hier, statt uns zu verzetteln, miteinander wetteiferten, wie wir unter den gegebenen weltwirtschaftlichen und europäischen Bedingungen an Geldwertstabilität erreichen können, was sich nur irgend erreichen läßt.
({13})
Aber niemand sollte doch Existenzangst erzeugen und an verdeckte Ängste appellieren wollen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Bitte sehr.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie von Wettbewerb sprechen und uns diesen edlen Wettstreit anempfehlen, glauben Sie, daß der Haushalt, den wir heute beraten und den Ihr Finanzminister, Ihre 'Regierung diesem Hause vorlegt, ein Beitrag zum Wettbewerb um die Stabilität ist?
Das ist er, zumal im Zusammenhang mit den Erklärungen, die das Kabinett schon im Juli abgegeben und hier gestern durch den Finanzminister wiederholt hat, daß selbstverständlich bei einem Etat, der Monate vor Beginn des Jahres auf das er bezogen wird, entwickelt wird, ,der gesamtwirtschaftliche Rahmen bei der Schlußberatung überprüft werden muß.
({0})
- Meine Damen und Herren! Ich beruhige mich nicht damit - das war auch ein Argument von Herrn Strauß -, daß Preissteigerungen für die Verbraucher bei uns niedriger sind als anderswo, wenn ich auch finde, daß man dies nicht übersehen und auch nicht verschweigen darf.
({1})
Übrigens, Herr Kollege Strauß und Herr Kollege Barzel, niemand darf uns ein noch rascheres Tempo bei der westeuropäischen Integration abverlangen
- ich möchte auch, daß es noch rascher ginge - und gleichzeitig so tun, als hätte er das Rezept, wie wir uns aus der Preisentwicklung in diesen anderen EWG-Ländern heraushalten können.
({2})
Die Kampagne, gegen die ich mich gewandt habe, wird meiner Überzeugung nach schon deshalb scheitern, weil natürlich den Menschen draußen nicht weiszumachen ist, es ginge ihnen schlechter, während es ihnen besser geht, gerade auch im Vergleich der Jahre 1969 und 1970. Aber ich will auch sagen, daß mit den primitiven Inflationsetiketts, mit dem Vertrauen auf das kurze Gedächtnis der Mitbürger hantiert wird. Ich könnte jetzt zurückgeben und in Übereinstimmung mit den Sachverständigen sagen, Herr Kollege Strauß: Als diese Regierung antrat - das ist keine Polemik, sondern eine statistische Feststellung -, war die Deutsche Mark, gemessen an dem Zustand 1950, noch 57 Pf wert.
({3})
Ich sage mit den „Stuttgarter Nachrichten" von gestern - wir haben beide unsere Zeitungen gelesen, Herr Kollege Strauß -:
Dabei wird
- ich zitiere recht skrupellos und demagogisch mit Halbwahrheiten gearbeitet, so als hätte es Geld3740
entwertung unter CDU-Kanzlern niemals gegeben.
({4})
Und doch würde ich nicht sagen, wir seien in jenen Jahren ärmer geworden. Es wäre ja dumm, das sagen zu wollen. Nur: Wer - wie Herr Heck - die Sparer mit den Worten alarmieren will, sie hätten in einem Jahr 15 Milliarden DM verloren, der muß aufgefordert werden, seine Rechnung vorzuweisen und sich fragen zu lassen, welche Maßstäbe er an die 20 Jahre Regierungspolitik unter der Führung seiner Partei anlegen will.
({5})
Herr Heck müßte auch wissen, daß z. B. das gestiegene Zinsniveau nicht nur - wie beabsichtigt - den weiteren Anstieg der Investitionen hemmt, sondern daß es auch die Rendite der Sparer erhöht.
({6})
Allein von dieser Seite her - es gibt viele andere Argumente - werden die dubiosen Rechnungen über den Haufen geworfen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Strauß?
Bitte sehr!
Herr Bundeskanzler, ist Ihnen aus meiner Rede von heute nicht mehr das in Erinnerung, was ich über eine leider unvermeidbare, als Tribut an ein normales Wachstum hinzunehmende Preissteigerungsquote von etwa 2 % gesagt habe und was ich ferner gesagt habe: daß frühere Bundeskanzler nicht über das Stabilitätsgesetz verfügt haben, daß in den 20 Jahren CDU/CSU- Finanzpolitik - wenn ich auch die Koalition von damals mit einschließen darf - die 2 % etwa der Durchschnitt waren - mit Ausschlägen nach oben und unten -? Und was sagen Sie, wenn das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, dessen Präsident bis vor kurzem Ihr Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium war, Ihr Fraktionskollege, der heute mit mir diskutiert hat, sagt, daß die Preise im zweiten Halbjahr 1970 4 v. H. höher liegen werden - nur die Verbraucherpreise; das ist ja nicht allein ein zuverlässiger Maßstab - und ,daß in Verbindung mit erhöhten Steuern und Sozialabgaben eine effektive Lohnerhöhung erst von 8 % an eine Erhöhung des Realeinkommens bedeutet? Geben Sie dann damit nicht zu, daß bei 370 Milliarden DM Konten, einer unbekannt großen Zahl von Milliarden von fest verzinslichen Wertpapieren, einer großen Zahl von Milliarden in Händen der Bausparer
({0})
der Zins von 4,5 bis maximal 8,5% als Einkommensquelle aufgegeben werden muß,
({1}) weil er nur zum Teil noch ausreicht wenn er zur
Substanz zugeschlagen wird ---, den Substanzwert zu erreichen?
({2})
Herr Kollege Strauß, ich möchte Ihnen zweierlei sagen! Bei den Kriterien, die Sie im Vergleich zu früheren Jahren genannt haben, haben Sie übersehen - aber Sie wissen es sicher -, daß es in der Nachkriegszeit selten eine Situation gegeben hat, in der in den westlichen Industrieländern praktisch zum gleichen Zeitpunkt eine Preis- und Kostenexplosion des gegenwärtigen Umfangs stattgefunden hat.
({0})
Das ist das eine, was jeder objektiv mit einbeziehen muß.
Und das zweite! Ich habe Ihnen sehr wohl mit Interesse und mit Respekt zugehört, zumal, was diesen Teil Ihrer Ausführungen angeht - Sie haben ja nicht nur polemisiert , und das hat mich mit zu meinem Satz ermutigt, auf den ich jetzt noch einmal zurückkomme, daß unsere eigentliche Aufgabe darin bestehen müßte, miteinander zu wetteifern, wie wir gerade auch im Interesse der Sparer und der Rentner zu der größtmöglichen Stabilität finden. Das ist die eigentliche Aufgabe.
({1})
Wir sollten um die Mittel, die Methoden und die Wege streiten, um die größtmögliche Sicherheit der Währung und der Arbeitsplätze zu erzielen. Daran, an diesem sachlichen Wettbewerb, hapert es bisher. Draußen werden vielfach Pappkameraden aufgebaut, die hier dann auch nichts anderes bewirken, als die Sicht zu verbauen.
Herr Kollege Strauß, Sie werfen der Bundesregierung Untätigkeit vor! - Das ist ungerecht! In Wirklichkeit haben wir darüber gestritten - und das sollten wir verstärkt weiter tun -, was man tut. Wenn es um Maßnahmen geht: Ihre führenden Herren, verehrte Kollegen von der Union, waren doch im vorigen Jahr gegen die damals vorgeschlagene und auch von der Bundesbank geforderte Maßnahme - noch als stärkste Regierungspartei -, und wir konnten die Aufwertung erst verspätet durchführen. Trotzdem werden Sie bei ruhiger Überlegung sagen: Wäre sie nicht zumindest verspätet durchgeführt worden, wären die Preise noch stärker gestiegen, als sie gestiegen sind.
({2})
Zweitens. Sie waren aus Ihren Gründen in diesem Sommer gegen das Konjunkturprogramm. Aber Sie können nicht sagen, daß das keine Maßnahme war - es war sogar eine unpopuläre
({3})
Maßnahme -, aber ich meine - das sage ich nicht nur hier, das sage ich auch auf Belegschaftsversammlungen, auch wenn das nicht alle gern hören -, wenn es um diese ernsten Fragen geht, dann darf es nicht auf momentane Popularität ankommen,
sondern darin muß man das tun, was man für notwendig hält.
Drittens. Sie lehnen laut Fraktionsbeschluß den Haushalt 1971 ab, noch ehe er vom Ausschuß beraten wurde. Die Regierung ist gespannt darauf, was, zumal auf dem Hintergrund der Forderungen, die aus Ihren Reihen gestellt werden - noch gestern sind mir solche Forderungen nahegebracht worden -, zur Streichung empfohlen wird.
({4})
- Ich möchte das jetzt abschließen, Herr Kollege.
({5})
Ich bin erschrocken darüber, daß nicht überall die Konsequenzen gesehen werden, die sich aus der weiteren Vernachlässigung innenpolitischer Aufgaben ergeben würden. Ich unterstreiche noch einmal den Bundesfinanzminister. Er hat gesagt: Wir werden den gesamtwirtschaftlichen Rahmen zu prüfen haben, wenn dieser Haushalt verabschiedet wird. Ich habe keinen Beweis dafür gehört, daß sich aus der Streichung von ein paar Milliarden im Haushalt für das nächste Jahr Wunderwirkungen für die gegenwärtige konjunktur- und preispolitische Entwicklung ergeben würden.
Ich bitte das ganze Haus, daß es sich bei allem, was sonst trennt, zusammenfinden möge, um die Ziele des Gesetzes zur Sicherung der Stabilität und des Wachstums im Rahmen des Möglichen zu erreichen. Ich bitte auch über Parteigrenzen hinweg um Zusammenarbeit bei der Zukunftssicherung unsere Volkes, und ich appelliere an unser Volk, an die Gruppen im Volk, Vernunft walten zu lassen, vernünftige Maßstäbe anzulegen;
({6})
denn nur so werden wir miteinander erreichen können, was in unser aller Interesse liegt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hatte damit gerechnet, daß um diese Zeit die Haushaltsdebatte für heute beendet sein würde. Sie ist aber mitten im Gange, es liegen noch eine Reihe Wortmeldungen vor. Wir werden also nicht damit rechnen können, daß wir vor 3 Uhr plus Fragestunde, d. h. 4 Uhr, fertig sind. Ich nehme an, Sie sind einverstanden, daß wir durchtagen und daß die Ausschüsse entsprechend später beginnen. Dafür bitte ich die Ausschußvorsitzenden, mir gelegentlich zur Weitergabe an das Haus mitzuteilen, wann die Ausschüsse tagen. Ich nehme an, eine halbe Stunde nach Ende des Plenums, aber ich bitte, das im einzelnen noch festzulegen.
Das Wort zu einer kurzen Erklärung hat der Herr Bundesminister Ertl.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weil ich gefragt wurde, wo das Wort „Totengräber der deutschen Landwirtschaft" gefallen ist, möchte ich zur Nachkontrolle der CSU mitteilen: es ist in einer Großveranstaltung in Pfaffenhofen gefallen, wo der bayerische Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gesprochen hat. Dort hat der Kreisobmann der CSU und das führende CSU-Mitglied Breitner bei den einleitenden Worten diese Behauptung aufgestellt. Als er in dieser Woche auf einer Versammlung bei mir war und ich ihn aufforderte, diese ehrenrührige Behauptung zurückzunehmen, hat er sie nicht zurückgenommen. Ich wollte das hier nur einmal feststellen. Im übrigen ist das in den Landkreisen Pfaffenhofen, Schrobenhausen und Ingolstadt verbreitet worden. Sie können das alles nachlesen.
({0})
- Herr Niegel, bevor ich Ihnen auf Ihre Frage antworte, darf ich Ihnen sagen: ich bin auch gerne bereit, die Pressearchive mit Ihren Bemerkungen draußen über mich zu vervollständigen. Dann werden Sie feststellen, daß das alles ganz hart an der Gürtellinie ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Herr Bundesminister, Sie können folglich feststellen, daß ein Mitglied unserer Fraktion diese Äußerungen nicht getan hat?
Das hat der Herr Bundeskanzler auch nicht behauptet.
({0})
Aber ich kann feststellen, daß ein führendes CSU-Mitglied in Bayern das zweimal vor 6000 Leuten wiederholt hat. Vielleicht kann die CSU auch darüber Auskunft geben, ob nicht Mitglieder aus ihren Reihen an der Aktion beteiligt waren, von der sich der Bayerische Bauernverband erfreulicherweise distanziert hat, als nämlich bei der Eröffnung der Zentrallandwirtschaftsmesse das Flugblatt „Verrät Ertl die Bauern?" verteilt wurde. Damit Sie es wissen: Man sollte nicht mit Steinen werfen, wenn man selber im Glashaus sitzt.
({1})
Ich bedaure das sehr. Ich habe schon vor einigen Monaten - damals war auch Wahlkampfzeit - vor einem Hineinmonövrieren in die Zustände der Weimarer Zeit gewarnt. Ich kann nur sagen: hier sollten sich alle prüfen; denn nur dann hat man das Recht, das, was ein anderer gesagt hat, kritisch zu beleuchten. Herr Niegel, gerade Sie schaue ich deshalb sehr genau an; denn Sie haben viel zur Vergiftung des Klimas in Bayern durch die Art, wie Sie draußen argumentieren, beigetragen.
({2})
Auch mir unterläuft einmal ein Lapsus linguae, ich
bin aber gern bereit, ihn wieder zurückzunehmen.
Wir sollten uns in diesem Hause - das ist meine Bitte, der ich jener Generation angehöre, die nach dem Krieg erst in die Politik eingestiegen ist - davor hüten, die persönliche Diffamierung bis zu einer Feindschaft zu treiben, die unerträglich wäre.
({3})
Hier kann sich jeder von uns nur immer wieder an die Brust klopfen,
({4})
- auch Sie, Herr Kollege Stücklen, und Herr Strauß; er hat gerade seinen Platz verlassen. Ich erinnere nur an den Bericht über die Versammlung in Gunzenhausen. Gentlemanlike war dort nicht alles!
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich entnehme den Feststellungen des Kollegen Ertl, die nun doch sehr viel weniger an Substanz enthielten, als nach den großen Worten des Kanzlers zu erwarten war,
({0})
daß kein Mitglied dieses Hauses so etwas gesagt hat. Ich verstehe Ihre Aufforderung „Weg mit den Diffamierungen!", Herr Kollege Ertl, als Aufforderung an Ihren Kabinettskollegen Möller, sich hier endlich zu entschuldigen.
({1})
Im übrigen haben wir natürlich hervorragende Zettelkästen für das, was wir draußen im Lande erleben - übrigens auch für Reden von Ihnen, Herr Kollege Möller, die nur leider im Widerspruch zu der Auffassung Ihrer Fraktion und Ihres Bundeskanzlers stehen, wenn Sie z. B. auf dem Niveau argumentieren, ich hätte mir meine Informationsreise in die westlichen Hauptstädte sparen können und das Geld besser der Caritas gegeben. Das sagen Sie draußen auf diesem Niveau.
({2})
Die Regierung, das Außenministerium und Ihre Fraktion sind da ganz anderer Auffassung. Aber lassen wir das, meine Damen und Herren.
({3})
Herr Bundeskanzler, Ihre Rede war insofern erfreulich, als Sie sich bis zu der Anrede steigerten: „Sehr verehrte Kollegen von der Union!" - Das haben wir gern gehört.
({4}) -- Herr Wehner bringt es nicht fertig, uns so anzureden, meine Damen und Herren.
({5})
--- Sie klatschten soeben gegen Ihren Kanzler. Ist Ihnen das klar?
({6})
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat das eine Wort, das ich nun auch nicht mehr wiederholen möchte, Herr Bundeskanzler, als „scheußlich" bezeichnet und gesagt, er werde es „nicht wiederholen". Auch wir werden darauf nicht zurückkommen.
({7})
Ich glaube, daß das eigentlich noch einmal eine Aufforderung des Kanzlers - jedenfalls verstehe ich ihn so - an die Kollegen Wehner und Möller war, nicht in der Ecke stehenzubleiben
({8})
und nicht hinter dem Kanzler zurückzubleiben. So habe ich das verstanden.
({9})
Herr Bundeskanzler, noch ein Wort zur Sache, die wirklich ernst ist und die nicht mit ein paar Bemerkungen und auch nicht mit polemischen Bemerkungen gegen meinen Kollegen Heck aus der Welt zu schaffen ist. Das ist doch eine Frage: 15 Milliarden DM, so wird von uns behauptet, haben die Sparer durch Ihre Politik verloren. Der Kollege Strauß hat eine Frage an den Kollegen Möller gerichtet und ihn gebeten, er möchte doch sagen, wie sich aus seiner Sicht - er hat doch die Archive, die Akten, die Sachverständigen - dieses Problem darstellt.
({10})
Auf diese Antwort warten wir, und da sollten Sie nicht mit Herrn Heck polemisieren, sondern da muß man hier Ziffern und Zahlen nenen; die gehören hier auf den Tisch. Ich möchte Sie zugleich auffordern, Herr Kollege Möller, dann hier auch zu der Frage des Kollegen Strauß über Äußerungen in der Schweiz Stellung zu nehmen.
Aber, Herr Bundeskanzler, dann ist soeben wieder so etwas passiert wie mit dem Trommelfeuer. Sie haben sich bemüht, hier auf Kritik einzugehen. Und was sagen Sie wieder? Sie nennen unsere massive Kritik - natürlich, dazu sind wir angetreten, das ist unsere Pflicht ({11})
und sprechen von „systematischer Kampagne".
({12})
Wieder so ein Wort! Was wir machen, ist, aus der Lage dieses Volkes im Interesse der Stabilität die Finger auf die Wunde zu legen, und das ist notwendig und unsere Pflicht.
({13})
Herr Bundeskanzler, Sie haben selbst gesagt, wenn 4 % Steigerung der Lebenshaltungskosten erreicht sind, wird die Lage ernst. Ja, sollen wir denn vielleicht in der Ernsthaftigkeit des Problems hinter Ihnen zurückbleiben oder Sie nicht zum Handeln auffordern, weil Sie nichts tun? Das können Sie von uns nicht verlangen.
({14})
Herr Kollege Leicht wird nachher noch im einzelnen zu den Haushaltsdingen Stellung nehmen.
({15})
- Herr Mertes, wir wären doch längst mit der Debatte weiter, wenn Herr Möller das getan hätte, was Sie doch auch für vernünftig halten. Wollen Sie mir denn erzählen, das Schweigen der FDP- Fraktion hänge nicht damit zusammen, daß Ihnen dieser Mann und diese Haltung peinlich sind? Das ist doch nicht anders zu interpretieren. ({16}) Unsere Alternative, Herr Bundeskanzler,
({17})
- natürlich kommt es, ich freue mich, wie gespannt Sie darauf sind; und dies wird Herr Leicht im einzelnen dartun - ist die Anwendung des ganzen Stabilitätsgesetzes,
({18})
das heißt nicht nur des Teiles, der die Bürger durch ) die Sommerbeschlüsse belastet hat, sondern auch des Teiles, den diese Regierung durch Fiskalpolitik beizutragen hat, wenn sie eine Stabilitätspolitik machen will.
({19})
Sie fragen uns: Wo wollt ihr streichen? Wir sind bereit, uns mit Ihnen zu verständigen. Aber dann müssen Sie zunächst nach den Vorschriften des Stabilitätsgesetzes unterscheiden zwischen Kern-und Eventualhaushalt. Das ist die Lage; anders kommen wir hier gar nicht weiter.
({20})
Meine Damen und Herren, wir sehen - und dies ist in dieser Debatte wichtig -, daß der Herr Bundeskanzler bisher, ohne Unterstützung aus seiner Fraktion zu finden, den Bundesminister der Finanzen und sich selbst verteidigt. Ich finde es etwas gespenstisch, Herr Bundeskanzler, wie einsam Sie hier stehen, was die Unterstützung durch Ihre Fraktion angeht. Auch das nehmen wir in dieser Debatte zur Kenntnis.
({21})
- Sehen Sie, jetzt sind Sie wenigstens widerspruchsvoll zu mir, das ist doch sehr gut. Aber es wäre sehr viel besser, einer von Ihnen wäre hier heraufgekommen und hätte versucht, den eigenen Kanzler zu verteidigen. Das wäre doch Herrn Wehner hervorragend bekommen, dann auch hier seine Sachen erledigen zu können.
({22})
Herr Bundeskanzler, am Schluß haben Sie an uns alle appelliert, und den Appell will ich aufnehmen. Wir waren uns in diesem Hause am 29. Oktober 1969 in unserer Aussprache über Ihre erste Regierungserklärung nicht nur darüber einig - dies fand keinen Widerspruch -, daß Sie Ihr Amt bei Vollbeschäftigung und wohlgeordneten Finanzen antreten. Das haben wir hier festgehalten und im einzelnen ausgeführt, ohne daß es Widerspruch gefunden hat. Wir waren uns einig, daß in dieser Periode zwei Reformen im Vordergrund stehen: Bildung und breite Eigentumsstreuung. Wir sehen, Herr Bundeskanzler, daß wir trotz des nominalen Anwachsens des Bundeshaushalts auf dem Bildungsgebiet durch die darüber hinausgehende Preissteigerung im Bauwesen hier nicht Fortschritt, sondern Rückschritt haben. Dafür trifft Sie die Verantwortung.
({23})
Wir sehen dasselbe in der Frage der breiten Eigentumsstreuung. Diese ,Politik - Sie wollten das andere Wort nicht hören, Sie haben das Wort „Geldentwertung" gebraucht; ich halte es mit den Worten, die Franz Josef Strauß entsprechend der internationalen Diskussion hier angewandt hat - fördert nicht die breitere Eigentumsbildung, sondern sie zerstört das, was der Staat an Förderung dazu tut. Das heißt, in den beiden wichtigsten Reformen dieses Landes ist Ihre Regierung nach elf Monaten nicht mehr nach vor, sondern mehr nach hinten gekommen. Das wollen wir heute festhalten, meine Damen und Herren.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst; 45 Minuten sind beantragt.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wir alle in Zeitnot sind, will ich den Auszug der CDU nicht erst abwarten; denn es ist ja die übliche Methode, erst hier zu schimpfen und dann herauszugehen, wenn die Entgegnung kommt.
({0})
Eigentlich hatte ich ja die Absicht, vor zweieinhalb Stunden hier zu sprechen. Es hat sich heute wieder einmal bestätigt, daß Politik so eine Art Sport ist, bei dem man sich auf Startzeiten nicht verlassen kann.
Herr Kollege Barzel, Sie haben soeben bemängelt, daß die SPD und die FDP sich nicht zu den Ausführungen des Bundeskanzlers geäußert hätten. Ich muß Ihnen nur sagen - und das wissen Sie genauso gut wie wir, und Herr Rasner, der ja sehr aktiv war in der letzten Stunde, wird Ihnen das bestätigen -: weil Sie sich dauernd wieder vordrängeln wollten, sind wir noch nicht zum Reden gekommen. So ist es doch.
({1})
Ich hatte mich an sich auf eine sachliche Debatte mit Herrn Kollegen Strauß gefreut. Aber - ich darf
daran erinnern - was er uns vor etwa zwei Stunden in fast einer Stunde geboten hat, das war viel Gerede über Konjunktur, wenige Worte über Haushalt und konkrete Vorschläge gleich Null.
({2})
Ich werde nur bei einigen Passagen meiner Ausführungen, wo es gerade so paßt, auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß zurückzukommen brauchen.
Lassen Sie mich auch mit einigen Feststellungen zum Zeitpunkt der Einbringung dieses Bundeshaushalts beginnen. Ich möchte also die Debatte in der Tat auf das zurückführen, was heute auf der Tagesordnung steht, nämlich den Bundeshaushalt 1971. Ich glaube, da sind zwei Bemerkungen zum Zeitpunkt der Einbringung angebracht. Das eine ist die positive Bemerkung, daß damit sicherlich der Haushalt früher als je zuvor eingebracht worden ist und daß dadurch das Parlament in die Lage versetzt wird, diesen Haushalt ruhig und gründlich zu beraten und ihn trotzdem rechtzeitig zu verabschieden.
Damit muß aber auch eine negative Feststellung verbunden werden; das berührt in gewissem Maße das, was hier heute vormittag stattgefunden hat. Es ist leider infolge der Terminsetzung so, daß dieses Parlament - daran trifft im Moment niemand Schuld, es ist eine Feststellung - erst nach 75 Tagen außerparlamentarischer Debatte selbst zum Zuge kommt. Ich glaube, die Formulierung „außerparlamentarisch" ist bei der Kennzeichnung dieser Debatte durchaus angemessen und vertretbar.
({3})
- Herr Kollege Leicht, ich sage das jetzt einmal ganz unabhängig. Unabhängig von allen Fronten
- Regierung, Koalition, Opposition - sollten wir vielleicht doch jetzt als Parlamentarier insgesamt neidisch sein auf Länder, in denen es möglich ist, daß das Erstgeburtsrecht des Parlaments für eine Haushaltsdebatte gewahrt bleibt und der Haushalt in der Tat erst mit der Einbringung ins Parlament das Licht der Öffentlichkeit erblickt.
({4})
Vielleicht sollten wir das einmal als eine Zielvorstellung gemeinsam aus der Debatte mitnehmen und der Regierung mitgeben. Allerdings muß ich auch folgendes sagen. Niemandem in diesem Hause - auch nicht den Parteifreunden derer, die diese außerparlamentarische Debatte bestritten haben - kann wohl sein angesichts dessen, was von der CDU/ CSU in dieser außerparlamentarischen Diskussion „ausgeheckt" worden ist.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal auf die auch zitierten 15 Milliarden DM zurückkommen. Eine solche Rechnung wäre nur vertretbar und wäre nicht demagogisch, wenn man diese Rechnung vom Zeitpunkt des 20. Juni 1948 an aufmachen würde. Dann würden Sie zu Zahlen kommen, die es sicher der CDU/CSU nicht angelegen sein lassen würden, eine solche Propaganda zu betreiben. Der Nachteil einer solchen außerparlamentarischen Debatte, wie wir sie jetzt als Vorspiel gehabt haben, ist eben der, daß jeder da, wo er gerade ist, redet, ohne daß ihm unmittelbar vom politischen Gegner oder Konkurrenten widersprochen werden kann.
Dabei müssen wir - das haben die letzten Tage bewiesen, und das möchte ich zu diesem letzten Punkt nur noch sagen - wohl feststellen, daß die Opposition, die CDU/CSU, diese Debatten außerhalb dieses Hauses und in diesem Hause doch wohl so führt, daß sie für sich einen Freibrief beansprucht, überall mit dem Dreschflegel herumzuschlagen, und daß sie selbst den Anspruch erhebt, stets und überall nur mit Glacéhandschuhen angefaßt zu werden.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun einige grundstäzliche Ausführungen zu zwei Problemkreisen machen, die in dieser Vordiskussion noch eine wesentliche Rolle gespielt haben, zum Teil, wenn auch nur sehr wenig, in den Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß. Es ist zum ersten in diesen vergangenen Wochen und Monaten nicht neu, aber besonders akzentuiert, ein Gegensatz zwischen dem armen, zum Maßhalten angehaltenen oder gezwungenen Bürger einerseits und dem verschwenderischen Staat auf der anderen Seite konstruiert worden. Dieser Gegensatz ist ganz bewußt hochgespielt und konstruiert worden, wodurch er nicht wahrer geworden ist. Dabei hat man noch falsche Beziehungen zwischen dem Konjunkturzuschlag und der Steigerungsrate von 12,1 % des Haushalts 1971 hergestellt, obwohl jeder weiß, der darüber redet, daß diese Beziehung falsch ist; denn diese Gelder aus dem Konjunkturzuschlag stehen nicht zur Verfügung des Staates, wann auch immer.
Dieser Gegensatz, der hier konstruiert wurde, zwingt doch wohl, einmal die Frage ganz klar zu stellen und ganz klar zu beantworten, wer denn dieser Staat ist, über den da immer geschimpft wird. Ich glaube, einiges hat der Finanzminister in dieser Hinsicht gestern auch schon gesagt. Wer ist dieser ominöse, anonyme Staat - früher hieß es einmal: Leviathan -, dieser Moloch, von dem immer gesprochen wird? Von allen denen, die darüber sprechen, wird vergessen, daß wir, alle Bürger, gleichzeitig, wo immer wir stehen, Gebende und Nehmende in diesem Staat sind, der sich in der modernen Gesellschaft, in der wir leben, als gigantischer Dienstleistungsbetrieb darstellt, der z. B. innere, äußere, soziale Sicherheit, Bildung, Verkehrsanlagen usw. produziert. Dabei wird die Nachfrage nach diesen Dienstleistungen, die nebenbei zum Selbstkostenpreis, wenn man es einmal vergleicht, geliefert werden, äußerst massiv vertreten, und sie wird am massivsten von denen vertreten, die das Anwachsen der Haushalte selbst am meisten beklagen. Das ist etwas, was, glaube ich, der Herr Bundeskanzler hier - im Juni ist es wohl gewesen -als eine Schizophrenie bezeichnet hat, meines Erachtens zu Recht.
Wir brauchen doch nur eine beliebige Zeitung oder eine Zeitschrift, die keine Fachzeitschrift ist,
zu nehmen, dann lesen wir im Wirtschaftsteil von allgemeiner oder regional mangelhafter Wirtschaftsförderung, im Verkehrsteil wird nach mehr Verkehrsanlagen und mehr öffentlichen Verkehrsmitteln gerufen, im Feuilleton kommt die ganze Bildungsmisere zum Tragen, im Sportteil wird für die Förderung des Spitzen- und Breitensports etwas gefordert, in der Politik etwas zur Frage der inneren und äußeren Sicherheit, und nur im Leitartikel steht dann: Der Staat muß sparen!
({6})
Ich glaube, man sollte auch bei demoskopischen Umfragen, die uns gerne präsentiert werden, mit der Fragestellung etwas vorsichtiger sein. Man müßte, wenn man in dieser Hinsicht Fragen stellt, doch wohl fragen: „Bist du, Befragter, persönlich bereit, dieses oder jenes Opfer für dieses oder jenes Ziel zu bringen?" und nicht allgemeine Phrasen in diese Fragen hineinlegen. Ich meine allerdings, daß diese Auffassungen jenseits der aktuellen politischen Konstellation gemeinsame Auffassungen aller politischen Kräfte in diesem Hause, die sich ja gern gelegentlich gemeinsam als staatstragende Parteien bezeichnen, sein müßten. Die CDU/CSU sollte es nicht versuchen - das kann sehr bald oder irgendwann auf sie zurückschlagen -, hier auf Staatsverdrossenheit zu reiten;
({7})
denn man darf sich zum Staat nicht nur bekennen, wenn man ihn regiert, um ihn als Opposition zu verleugnen.
({8})
- Herr Althammer, Sie haben, glaube ich, immer noch nicht umgelernt. Weil Sie 20 Jahre Staat und Partei miteinander identifiziert haben, machen Sie das heute fälschlicherweise weiter.
({9})
Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, zum zweiten Grundsätzlichen, etwas zum Verhältnis zwischen Reformen und Haushaltswachstum. Ich bin Herrn Minister Möller für die Klarstellung sehr dankbar, die er gestern in diesem Zusammenhang in seiner Rede gegeben hat, die sicherlich vieles an Fehlinterpretationen, wie es heute so schön heißt, zurechtgerückt hat. Denn es ist in der Tat falsch und gefährlich - ich sage es ganz klar -, Korrelationen zwischen Reformen und Haushaltswachstum aufzustellen, die auf ein absolutes Junktim hinauslaufen.
Ich habe mir unsere Regierungserklärung noch einmal angesehen. Ich würde sagen, sie ist eine Fundgrube für Reformen
({10})
- nicht Versprechen, Herr Leicht -, die wenig oder gar kein Geld kosten, die zum Teil schon verwirklicht sind, zum Teil in Arbeit und in Vorbereitung sind und von denen wir sicher sind, daß sie in dieser
Legislaturperiode, soweit es angekündigt war, so oder so, auf jeden Fall verwirklicht werden.
({11})
Wir sollten uns hier nicht in falsche Fronten und falsche Gegensätze hineinreißen lassen; denn sicherlich - das muß gesagt werden - ist nicht alles, was Geld kostet, Reform, und nicht jede Reform kostet Geld. Sosehr ich mir darüber im klaren bin, daß das nur begrenzt möglich ist, so sind die besten Reformen natürlich solche, die auch noch Geld sparen. Aber auch dazu werden wir kommen.
Ich sage das gerade deshalb, weil ich persönlich und meine Fraktion Reformpolitik wollen. Deshalb diese Warnung vor Identifikation von Reform und Geldausgaben, die zur Diskreditierung des Reformgedankens in der Öffentlichkeit beitragen könnte, was die Opposition möglicherweise - vorsichtig formuliert - aus ihrer Grundeinstellung gegenüber Reformen sogar will. Die CDU/CSU sollte allerdings nicht hoffen, aus konjunktur- und finanzpolitischen Gründen vor der Notwendigkeit bewahrt werden, sich zu Reformen zu bekennen oder sich als das, was sie ist, nämlich als konservativ zu offenbaren.
Also: Reformen ohne finanzielle Auswirkungen soviel und so schnell wie möglich, Reformen mit finanzieller Auswirkung im Rahmen des finanziell und konjunkturpolitisch Möglichen. Das ist, glaube ich, nicht nur eine von mir geäußerte Auffassung, sondern das wird auch die praktische Politik dieser Regierung und dieser Koalition sein. Wir haben gestern noch einmal in der Rede des Finanzministers - das steht auch in der Finanzplanung - das Festhalten an der Steuerlastquote als politisches Ziel dieser Regierung feststellen dürfen.
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Nun, meine Damen und Herren, es kann kein Zweifel bestehen, daß die Frage der Preise und der Konjunktur in einem engen Zusammenhang mit der Beratung des Haushalts 1971 steht. Ich möchte nicht, Herr Kollege Leicht, wie Herr Strauß die Debatte, die wir dank der Initiative der Opposition in 14 Tagen hier zu konjunkturpolitischen Fragen führen werden, im einzelnen vorwegnehmen. Aber ich möchte doch einige deutliche Worte sagen.
Herr Kollege Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Leicht?
Herr Kollege Kirst, ist Ihnen bewußt, daß eigentlich die FDP daran schuld ist, daß wir in 14 Tagen weitertagen?
Herr Leicht, das ist wieder ein Fall von Geschichtsklitterung.
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Wenn ich richtig unterrichtet bin, ist es doch so gewesen,
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daß mit Rücksicht auf einen unaufschiebbaren Termin von uns der Vorschlag gemacht wurde, den Haushalt am Mittwoch also gestern - einzubringen und die Haushaltsdebatte in 14 Tagen zu führen. Die Opposition, die angeblich unbedingt über den Haushalt reden wollte und das bis jetzt kaum getan hat, war damit nicht einverstanden. Sie hatte inzwischen ja auch ihre Große Anfrage eingebracht. Der Zusammenhang ist also völlig klar. Inwiefern die FDP daran Schuld haben soll, vermag ich nicht einzusehen.
Ich habe gesagt, ich wollte einige deutliche Worte zur Frage der Preise und der Konjunktur sprechen. Die Position der Freien Demokratischen Partei ist gleichermaßen entfernt von Verniedlichung, Bagatellisierung und Resignation gegenüber der Preis- und Konjunkturentwicklung einerseits wie von der
insbesondere seitens der Opposition - der
CDU/CSU - bewußt parteiegoistisch genährten Inflationshysterie andererseits. Schon im Frühjahr dieses Jahres habe ich bei verschiedenen Debatten darauf hingewiesen - damit berühre ich einiges, was uns in den letzten Tagen beschäftigt hat -, daß ich es für eine verantwortungslose Demagogie halte, wenn angesichts der Erinnerungen an die Jahre 1923 und 1948 für die gegenwärtige Entwicklung der Begriff Inflation gebraucht wird. Ich glaube, der Ausflug des Kollegen Strauß in den Pferdesport, den er heute vormittag unternommen hat, indem er von trabender und galoppierender Inflation gesprochen hat, ändert daran nichts. Denn er selbst und seine Freunde differenzieren so nicht außerhalb dieses Hauses, und die Offentlichkeit differenziert ihrerseits auch nicht so.
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Wir haben - das habe ich auch schon im Frühjahr gesagt - eine Inflation, aber eine Inflation an Inflationsgerede.
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Es kann kein Zweifel daran bestehen - das will ich sehr offen ansprechen -, daß wir eine Steigerung des Lebenshaltungskostenindex - der ja zum entscheidenden Indiz gemacht worden ist - von 4,1 % im August 1970 gegenüber August 1969 erreicht haben. Diese Zahlen sind unbestritten. Sie sind aber - das sollte sich die Opposition vielleicht überlegen, damit sie sich bald andere Diskussionspunkte sucht - zeitlich und politisch differenziert zu bewerten.
Diese 4,1 % setzen sich aus drei verschiedenen Zeitphasen zusammen. Wir haben den Zeitraum von September bis Dezember 1969 mit 1,5 %, dann den enormen Sprung im Januar mit 1,2 % und den Zeitraum von Februar bis August dieses Jahres - also sieben Monate - mit 1,4 %. Das sind die addierten Werte der monatlichen Veränderungen, die zur derzeitigen .Jahresrate von 4,1 % geführt haben.
Sofern überhaupt - Sie wissen, daß ich das einschränke; ich werde später sicherlich noch darauf zurückkommen - die Schuld bei einer Regierung liegt und nicht bei den autonomen, Kräften der Wirtschaft selbst, kann doch kein Zweifel bestehen, daß der entscheidende Preissprung, nämlich zwei Drittel dieser bisherigen Jahresrate in den Zeitraum von September bis Januar, mit Sicherheit nicht dieser neuen Regierung anzulasten ist; denn wir alle wissen, daß Preiserhöhungen nicht über Nacht kommen, wie ich schon einmal ausgeführt habe.
Ich will nichts beschönigen, und wir wissen alle nicht, wie es im Herbst weitergehen wird. Immerhin, Herr Leicht, ist in dem Zeitraum von Februar bis August nur eine durchschnittliche Preissteigerungsrate von 0,2 % pro Monat gegenüber 0,5 % in den ersten fünf Monaten festzustellen, für die Sie sich von der politischen Verantwortung einfach nicht freisprechen können. Ich sage mit aller Deutlichkeit: Wer 1970 fälschlicherweise von Inflation spricht, hätte das auch 1966 tun müssen. Damals haben Sie es nicht getan.
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Ich sage ein Weiteres. Auch bei einer in der 6. Legislaturperiode von der CDU geführten Bundesregierung hätten wir mindestens die gleiche Preissteigerungsrate wie heute. Ich sage „mindestens", weil Sie sich bis heute nicht zur Aufwertung bekannt haben; im Gegenteil, man kann wohl die Äußerung von Herrn Strauß von vorhin so verstehen, daß er immer noch dagegen ist.
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Er hat in der entscheidenden Phase im Herbst 1968 und später im Mai 1969 rechtzeitiges konjunkturpolitisches Handeln der alten Bundesregierung verhindert, und ihm fehlt damit meiner Meinung nach die moralische Berechtigung, sich heute als Gralshüter der Stabilität aufzuspielen.
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Entscheidend sind doch, Herr Kollege Althammer - wenn man sich an frühere Zeiten erinnert -, die völlig verkehrten Fronten, in der Frage der Möglichkeiten staatlicher Einflußnahme auf das Wirtschaftsgeschehen. Ich meine, hier sind Links und Rechts völlig vertauscht.
Wer, wie es die CDU/CSU heute tut, entgegen früheren besseren Einsichten dem Staat die Hauptverantwortung zuschiebt - es wäre eine Fleißarbeit, hierzu Dutzende von Zitaten zusammenzustellen, die der frühere Bundeskanzler und Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard in den Jahren seiner aktiven Tätigkeit zu diesem Thema gebracht hat -, leugnet bewußt oder unbewußt unser Wirtschaftssystem. Ich meine, um das noch einmal zu sagen: Die Preissteigerungen des Jahres 1970 sind nicht, wie das hier heute immer gesagt wird, einmalig. Wir haben im Jahre 1966, auf das ich eben schon zu sprechen kam, dieselbe Steigerungsrate bei den Lebenshaltungskosten gehabt.
Ich sage ganz frank und offen: So, wie es damals falsch war, der Regierung Erhard /Mende die Schuld dafür zuzuschieben, so ist es heute falsch, der Regierung Brandt /Scheel die Schuld zuzuschieben.
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Weil wir meinen, daß die entscheidenden Daten
des Wirtschaftsgeschehens in unserer Wirtschaftsordnung nicht vom Staat gesetzt werden können
oder sind Sie mit einem mal alle Staatssozialisten und Staatswissenschaftler geworden? -, sondern im Bereich der autonomen Kräfte der Wirtschaft gesetzt werden, können wir eine solche Debatte nicht ohne einen ernsten Appell an diese autonomen Kräfte in der Wirtschaft vorübergehen lassen, das Ihrige zu tun, insbesondere auch bei und während der gegenwärtigen und zukünftigen Tarifverhandlungen. Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal an die Empfehlung der FDP erinnern, durch eine vorübergehende vermögenswirksame Anlage aus der Schwierigkeit herauszukommen, einen berechtigten Anspruch auf höhere Bezüge nicht konjunkturschädigend wirken zu lassen. Der Bund hat das bei der Regelung der Besoldung für 1970 zum Teil vorexerziert.
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Das ist nach Tarifvertrag alles möglich, Herr Leicht.
Die hektische Propaganda der CDU dient nicht der Sache; denn sie wirkt erstens psychologisch weiter preistreibend. Wir wissen, wie das psychologisch wirkt. Zum zweiten zwingt sie Regierung und Koalition zu falschen Frontstellungen, indem sie immer wieder gezwungen werden, sich für Entwicklungen zu verteidigen, die sie nach Lage der Dinge in unserer Wirtschaftsordnung und in unserem Wirtschaftssystem - ich habe das eben anzudeuten versucht - nicht zu vertreten haben. Diese Propaganda schlägt eines Tages auf die Urheber zurück, denn mit Sicherheit, wann auch immer das sein wird, wird eine wieder einmal von Ihnen geführte Regierung vor demselben Problem stehen.
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Ich verspreche Ihnen allerdings, daß ich Sie dann nicht, wenn ich noch hier sein sollte, mit solcher Demagogie behelligen werde.
Meine Damen und Herren, wenn die CDU/CSU wirklich zur Preisstabilität beitragen will, dann muß sie auf den Boden der Realitäten als Basis gemeinsamer Bemühungen zurück. Es gibt genug andere Gegensätze, Gegensätze anderer Art, über die wir uns in diesem Parlament streiten können. Im übrigen - und auch das sollten wir dabei beachten - ist Stabilität umfassend; sie ist nicht allein Geldwertstabilität, so wichtig diese ist. Ich habe das deutlich genug gesagt. Ich meine nur, daß die gegenwärtig von der CDU geführte Diskussion nicht nur die Preisstabilität nicht sichert, sondern auch noch die Stabilität unserer Demokratie in Gefahr bringt.
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Lassen Sie mich nun, meine Damen und Herren, zum Haushalt 1971 zunächst unter der Frage der Steigerungsrate kommen. Herr Kollege Strauß -dem ich guten Appetit wünsche; wahrscheinlich ist er beim Essen hat hier ja deutlich gemacht, wie problematisch es ist, überhaupt über Steigerungsraten und dann noch abgestuft nicht nur nach Prozenten, sondern nach Promille zu streiten. Denn wenn das richtig wäre, was er heute gesagt hat, - eine Frage, die übrigens der Bundesrechnungshof in diesen Buchungen 1969/70 untersucht - ({11})
- Darüber können wir noch reden. Wir müssen erst einmal feststellen, ob es überhaupt so geht. Worauf es ankommt, ist jedenfalls folgendes: Wenn die Rechnung von Herrn Strauß richtig wäre, dann würde sich daraus ergeben, daß die Steigerungsrate des Haushalts 1971 nicht 12 %, sondern nur 11 % oder zwischen 10 und 11 % betragen würde. Man muß sich eben immer überlegen, was man sagt; denn man muß zum mindesten in diesem Hause einkalkulieren, daß es irgend jemand gibt, der einen darauf festlegt, was er falsch gesagt hat.
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Ich würde sogar sagen, diese Steigerungsrate von 12,1 % muß in der Betrachtung abgegrenzt werden. Sie ist einmal - ich sage das ganz deutlich -, wenn Sie so wollen, in Abwandlung eines Sprichworts ein Fluch der guten Tat. Denn hätten wir nicht im Juni 2 Milliarden DM im Haushalt 1970 gekürzt, dann hätten wir nur eine Steigerungsrate von 9 %. Und die Abgrenzung muß auch periodisch gesehen werden. Sie ist ein einmaliger Sprung, eben zum großen Teil oder entscheidend resultierend aus der konjunkturellen Gestaltung des Haushalts 1970, die Sie ja immer noch verleugnen. Wenn wir uns die in der Finanzplanung ausgewiesenen Steigerungsraten ansehen, dann finden wir 1972: 8,5%, 1973: 8,25 % und 1974: 8,0 %. Ich glaube, die niedrigeren Steigerungsraten in den späteren Jahren der Referenzperiode zeigen aber auch - und das ist ja entscheidend - die Möglichkeiten der Dehnung und der Streckung, wenn nötig.
Wer aber, meine Damen und Herren, vom Haushalt nicht nur redet, sondern ihn auch kennt, der muß ehrlich bekennen - und das sollten wir tun, wenn wir so reden, und die Erfahrungen von 1970 bestätigen das -: Eine wirkungsvolle konjunkturelle Kürzung oder Sperrung des Haushalts 1971 bedeutet vor allem weniger Straßen, weniger Bildung, weniger militärische Beschaffungen und weniger Wohnungsbau. Das sind doch die Gebiete, in denen die Schwerpunkte liegen.
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Sie können nicht mit Millionen oder mit Tausenden von Einzelpositionen Konjunkturpolitik machen, ganz abgesehen von der ja zur Wirkung erforderlichen investiven Auswirkung. Sie können das eben
nur bei diesen großen Blöcken, und da fehlt eben auch in der Rede von Herrn Strauß und fehlt in Ihrem inzwischen etwas verbesserten Antrag Drucksache VI/ 1154 alles an Konkretem. Dazu haben Sie nicht den Mut, zu sagen: wir wollen das und das und das weniger.
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Sie wollen 4 Milliarden DM weniger ausgeben; aber in der Frage, wo, schweigt die CDU/CSU-Opposition. Es wäre ja auch nicht bequem, dann so etwas im Wahlkampf vertreten zu müssen. Aber trotzdem klipp und klar - und Sie können uns ja gleich beim Wort nehmen -: Regierung und Koalition sind sich einig. Die Rede des Finanzministers hat das bestätigt. Im übrigen war das Geschrei gar nicht nötig. Herr Möller hat das schon am 9. Juni klipp und klar gesagt: Nötigenfalls wird mit der gleichen Entschlossenheit wie im Juni 1970 auch der Haushalt 1971 konjunkturell gestaltet werden, feinabgestimmt, wie es schon gesagt worden ist. Das gilt auch für die Größenordnung. Die FDP-Fraktion erwartet gegebenenfalls die rechtzeitige Vorlage eines Ergänzungshaushalts. Dazu braucht man überhaupt keinen Antrag. Das tut eine Regierung von selbst, wenn es nötig ist.
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- Sie wird es rechtzeitig tun. Wir gehen davon aus, daß sie darauf dann auch nicht unvorbereitet ist.
Nun bitte ich aber noch eines sagen zu dürfen.
Wenn wir in dieser Debatte schon einmal über die fiskalische Einwirkung auf den Konjunkturablauf sprechen - mit allen Einschränkungen, die ich hier im Februar schon sehr ausführlich gemacht habe; ich kann und will das nicht wiederholen -, dürfen wir den Bundeshaushalt auch nicht isoliert sehen. Herr Minister Möller hat gestern auf die Steigerungsraten in den Haushalten der Länder hingewiesen. Ich bin gespannt, was Herr Stoltenberg - wenn der Wahlausgang so ist - mit dem Haushalt macht, den er dann erben wird. Die Ausgaben der Länder werden im Jahre 1970 voraussichtlich um 11,3 % steigen, die des Bundes nur um 9 % und die der Gemeinden um 10,5 %. Man muß das im Zusammenhang sehen.
Dabei darf man sich auch nicht darüber täuschen, daß der Bundeshaushalt insgesamt ein Volumen von 100 Milliarden DM hat und die Haushalte der Länder und der Gemeinden zusammen weniger. Aber entscheidend ist doch, wenn man es konjunkturpolitisch sehen will, daß die Ausgaben in den Haushalten der Länder und der Gemeinden, strukturell gesehen, von den unterschiedlichen Aufgaben her gesehen, viel konjunkturwirksamer sind als die des Bundeshaushalts, in dem bei einem Volumen von 100 Milliarden DM selbst bei der jetzigen Steigerung nur 17 oder 16 Milliarden DM an Investitionen stecken.
Es muß auch erlaubt sein, meine Damen und Herren, einige Worte zum Haushalt ohne Bezug auf diese Konjunkturdebatte zu sagen. Wir stellen zunächst fest - das ist sicher eine Feststellung aller drei Fraktionen gegenüber der Regierung, würde ich sagen -, daß sich die Trennung von Verwaltungs- und Finanzhaushalt offenbar als eine Eintagsfliege erwiesen hat. Das wird bedeuten, daß wir den ehemaligen Verwaltungshaushalt, den wir für 1971 eigentlich schon beschlossen haben, besonders kritisch zu prüfen haben. Es handelt sich insofern eigentlich nur um einen Nachtragshaushalt. Genau genommen allerdings - und das ist das Risiko der Regierung - stellt die Regierung auch das, was wir ihr schon im Juni bewilligt haben, durch diese Form der Haushaltstechnik noch einmal zur Diskussion. Ich hoffe, sie ist sich dieses Risikos bewußt. In der Regel werden wir uns natürlich über die Positionen zu unterhalten haben - da ist einiges Interessante festzustellen -, bei denen es sich um Erhöhungen gegenüber den bereits beschlossenen handelt, also streng genommen um einen Nachtrag, so daß wir uns auf den Finanzhaushalt konzentrieren können.
Interessant ist meiner Ansicht nach - was man auf den ersten Blick feststellen kann - eine Analyse der Steigerung nach Ausgabearten. Ich darf nur einige wenige Punkte aufzeigen.
Der Personaletat steigt um 11,5 %, also unterdurchschnittlich bei sonst 12,1 %. Das ist, glaube ich, nicht uninteressant und, so würde ich sagen, positiv. Er steigt um 1,7 Milliarden DM. Das ist natürlich an der Gesamtsteigerung von 10 Milliarden DM ein ganz erheblicher Anteil. Auch die sächlichen Verwaltungsausgaben steigen unterdurchschnittlich, nämlich um 8%, insgesamt um 0,3 Milliarden DM. Wesentlich scheint mir in diesem Zusammenhang, daß beide Positionen gegenüber dem Verwaltungshaushalt, den wir für 1971 schon beschlossen haben, nur noch geringfügig - um 2 bzw. 4% - ansteigen. Das heißt, dieses Experiment des doppelten Verwaltungshaushalts hat doch eine positive, dämpfende Wirkung gehabt, wie diese Zahlen zeigen. Das sollten wir einmal ganz objektiv feststellen und es uns vielleicht auch gemeinsam - die Beratung dieser Vorlage in der Zeit von Februar bis Juni war gar nicht einfach - als Verdienst zurechnen.
Eine wesentliche Steigerung haben wir bei den militärischen Beschaffungen. Aber auch hier muß man natürlich den Zusammenhang mit der Konjunkturkürzung im Jahre 1970 sehen.
Insgesamt steigen die Investitionen um 3 Milliarden DM bzw. um 22 %. Ich darf einmal sagen: Unabhängig von der Konjunktur - wir sollten so souverän sein, die Dinge auch einmal so zu sehen -,
({16})
ist, glaube ich, Herr Leicht, daß eine positive Verlagerung vom konsumtiven Sektor in diesem Haushalt zum investiven Sektor erfolgt.
({17})
Ich glaube, das sollten wir festhalten und begrüßen.
Ich möchte nur einen einzigen Einzelplan hervorheben: den Einzelplan 31, Bildung und Wissenschaft. Hier fällt die hohe Steigerung ins Auge. Ich glaube,
sie kann nicht umstritten sein. Diese Steigerung wird noch viel deutlicher, wenn wir über den Haushaltsplan hinaus in die Finanzplanung sehen. Hier wird der Anteil von Bildung und Wissenschaft von 1970 auf 1974 von 2,8 auf 9 Milliarden DM und der Anteil am Haushaltsvolumen von rund 3% auf 7 % gesteigert. Ich meine, das ist eine eindeutige politische Prioritätensetzung, die voll der Politik unserer Partei entspricht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch einmal etwas Grundsätzliches sagen! Der Beginn dieser Etatberatung fällt mit dem Ende des ersten Jahres dieser 6. Legislaturperiode zusammen. Ich glaube, wir haben hier eine neue Erfahrung gemacht. Es war gang und gäbe, es war üblich, von Schonzeiten für neue Regierungen zu sprechen. Ich glaube, wir haben gelernt, daß auch neue Oppositionen eine Schonzeit brauchen.
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Unter dem Schmerz über den Verlust der Macht hat die Opposition in diesen zwölf Monaten hier und draußen unkontrolliert um sich geschlagen.
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Ich meine aber, ein Jahr Schonzeit für diese neue Opposition ist genug. Die Etatberatung ist die wichtigste Aufgabe der Volksvertretung. Wenn ich „Volksvertretung" sagte, so habe ich dieses Wort bewußt gewählt, um sagen zu können: Das von uns vertretene Volk hat einen besseren politischen Stil
verdient als den innerhalb und außerhalb dieses Hauses von der CDU in diesen zwölf Monaten eingeführten.
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Sie sind doch im Oktober 1969 mit einem einzigen Ziel angetreten: diese Regierung des Ausverkaufs und der Inflation zu verdächtigen. Das war Ihr Ziel. Aber es ist noch Zeit zur Umkehr, auch für diesen Stil.
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Ich glaube, die große Aufgabe der Etatberatung sollte endlich einmal Anlaß dazu sein, zu einem Stil, den dieses Volk, wie ich meine, verdient, zurückzufinden. Die FDP-Fraktion ist bereit, das ihrige dazu beizutragen.
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Meine Damen und Herren, bevor der Herr Abgeordnete Leicht das Wort ergreift, habe ich noch einige Mitteilungen für Sie. Der Auswärtige Ausschuß beginnt eine halbe Stunde nach Beendigung des Plenums zu tagen. Der Ernährungsausschuß tritt um 16 Uhr zusammen. Der Petitionsausschuß wird seine Sitzung erst morgen früh um 9 Uhr durchführen. Die vorgesehene Sitzung des Verteidigungsausschusses soll ausfallen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leicht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerade das, was Herr Kollege Kirst zum Schluß gesagt hat, würde eigentlich Veranlassung geben, das, was heute morgen hier die entscheidende Rolle gespielt hat, erneut aufleben zu lassen.
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Dann müßte man all das noch einmal aufzählen, was an Umsichschlagen einige führende Leute dieser Koalition sich draußen erlaubt haben.
({1})
Ich verzichte darauf, weil ich Wert darauf lege, daß wir uns in dem großen Zusammenhang der konjunkturpolitischen Situation, in den Herr Strauß heute morgen die Haushaltsberatungen gestellt hat, auch über die Schwerpunktfragen dieses Haushalts unterhalten können.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen, Herr Kollege Kirst. Diese Opposition, wir, sind angetreten - und das ist das gute Recht einer Opposition -, Sie, nämlich die Koalition, so schnell wie möglich aus dem Sattel zu heben;
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und dazu werden wir die Mittel verwenden, die uns von der Sache und von der Verantwortung her gerecht erscheinen.
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Diese Bemerkung darf ich vielleicht noch machen: Sie haben von „wildem Herumschlagen draußen" gesprochen. Ich wäre Ihnen empfehlen: Schlagen Sie sich einmal in Ihrer Partei herum, und überlegen Sie einmal, ob Sie da nicht sehr viel mehr Kummer haben als die CDU/CSU!
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Und nun, meine Damen und Herren, zum Haushalt. Herr Finanzminister, es wurde heute morgen von Herrn Strauß schon festgestellt, daß Ihre gestrige Rede eigentlich kein Beitrag zu einer sachlichen Auseinandersetzung über den Haushaltsentwurf 1971 gewesen ist.
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- Vielleicht besser als Sie, Herr Haehser. Wie auch schon bei Ihrer Haushaltsrede im Februar dieses Jahres sind Sie in die Polemik verfallen, und Sie haben sich in die Reihe derjenigen eingereiht, die jene verteufeln, die Tatbestände offenlegen, und Tatbestand ist nun einmal, Herr Kirst - darum kommt man nicht herum -, daß eine „über 4%ige Preissteigerungsrate - wenn Sie wollen, in den Worten des Herrn Bundeskanzlers, „Geldentwertungsrate" - nun gegeben ist.
Und Tatbestand ist nun einmal auch, daß diese über 4% ige Inflationsrate jedenfalls eine entscheidende Rolle spielt, wenn man sich überlegt: Was kann man auch vom Staat her, auch vom Haushalt her dagegen tun?
Herr Bundesfinanzminister, zwei positive Feststellungen kann auch ich treffen. Die eine positive
3750 Deutscher Bundestag - 6, Wahlperiode -Leicht
Feststellung ist die, daß die Zuleitung des Haushaltsentwurfs rechtzeitig erfolgt ist, und es ist ebenfalls zu begrüßen, daß der Finanzplan in seiner äußeren formellen Gestaltung wesentliche Verbesserungen enthält, insbesondere eine verbesserte Erläuterung der Ausgaben, die eine Würdigung wesentlich erleichtern.
Wenn auch hier noch einige kritische Anmerkungen anzubringen sein werden - und das wird bei den Beratungen im Haushaltsausschuß sicherlich geschehen so lassen Sie mich doch die Feststellung treffen, daß die verdienstvolle und fleißige Arbeit der Angehörigen insbesondere Ihrer Haushaltsabteilung von uns ganz besonders anerkannt wird.
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Diese positiven Gesichtspunkte sollen allerdings nicht untergehen, wenn im folgenden wenig Rühmenswertes über den Haushalt anzumerken ist. Das wird schon deutlich, wenn man sich einmal darüber Klarheit verschafft, wie die Konjunkturlage und die längerfristigen gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten wirklich sind, in die Haushaltsentwurf und Finanzplan der Regierung hineingestellt sind. Dazu hat Herr Strauß heute morgen deutlich gesprochen. Ich kann deshalb diese Voraussetzungen nur nochmals ganz kurz zusammenfassen.
Von der Regierung hören wir seit Monaten nichts anderes als beruhigende Erklärungen. Das begann bereits im Februar dieses Jahres, als der Herr Bundeskanzler deutlich werden ließ, daß man sich über die Frage der Preissteigerung nicht beunruhigen soll, daß man nicht darüber reden soll; das sei alles noch nicht gefährlich. Und als Alibi für das, was diese Regierung „Wirtschaftspolitik" nennt, hat es dann immer geheißen -- und wir hörten es gestern auch wieder vom Herrn Bundesfinanzminister daß sich das Konjunkturklima ändere, es trete eine Beruhigung ein, es sei doch alles halb so schlimm, und wie sonst die beruhigenden Formulierungen und Prophezeiungen gelautet haben.
Was ist aus all diesen Prophezeiungen geworden? Der Herr Bundeskanzler erklärte Anfang Mai, daß es bei Preissteigerungen von mehr als 4 v. H. ernst werde. Diese 4 v. H. sind bereits erreicht, ja, sogar überschritten. Das ist eine Feststellung. Auch die anderen Preisindikatoren sind überschritten. Wir können es täglich sowohl in der Fachpresse wie in der Tagespresse lesen. Es wäre interessant gewesen, sich in den letzten drei Wochen einmal täglich irgendeine Tageszeitung aufzuheben; denn es wäre festzustellen gewesen, daß eine Preissteigerung für die nächste Zukunft täglich in den Tageszeitungen angekündigt war, ein Zeichen dafür, daß die Unruhe in der breiten Öffentlichkeit vorhanden ist und daß man da nichts zu schüren braucht. Man sollte das offen erkennen und versuchen, gemeinsam dagegen anzukämpfen.
Herr Abgeordneter Leicht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Arndt?
Ja, selbstverständlich!
Herr Kollege Leicht, können Sie sich vorstellen, daß die Einschätzung der internationalen Konjunkturlage von Anfang des Jahres mit dem Vertrauen darauf zusammenhing, daß es Präsident Nixon glücken würde, den Vietnam-Krieg im Laufe dieses Jahres zu beenden?
Das ist möglich, Herr Kollege Arndt. Ich werde Sie nachher zitieren. Sie haben in den letzten Tagen etwas anderes dazu gesagt.
({0})
Der Bundesbankpräsident, meine Damen und Herren, befürchtet die zweite Preiswelle bereits für den Herbst. Herr Kollege Strauß hat heute vormittag meiner Meinung nach recht deutlich gemacht, wo wir konjunkturpolitisch stehen. In dieser Situation blieb die Stabilisierungspolitik der Regierung aus. Die ständige Wiederholung der Vollbeschäftigungsgarantie durch den Herrn Bundeskanzler vor den nordrhein-westfälischen Wahlen, obwohl diese Vollbeschäftigung nie in Gefahr war, war ein erster entscheidender Fehler. Solche Erklärungen bedeuteten doch eine Ermunterung für die Wirtschaft, in ihren Preisforderungen nicht kleinlich zu sein. Sie ermunterten darüber hinaus die Gewerkschaften zu Lohnforderungen. Dazu gehört auch, wie ich meine, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister die Lohnforderung z. B. der 1G Metall in Höhe von 15 % ebenso wie der Herr Finanzminister in seinem Heidelberger Blatt, wie heute morgen deutlich geworden ist, in aller Öffentlichkeit als berechtigt bezeichnet hat. Gleichzeitig war der Aufwertungsbeschluß der Bundesregierung ohne flankierende Maßnahmen natürlich, wie von uns vorausgesagt, ohne die erhoffte konjunkturdämpfende Wirkung. Der Außenhandelsüberschuß - auch das soll heute einmal festgestellt sein - ist praktisch ebenso hoch wie im Vorjahr. Gleichzeitig aber sind Devisenzuflüsse eingetreten, die liquidisierend wirken und die monetäre Restriktionspolitik der Bundesbank unterlaufen. Allein im Juli flossen 4,5 Milliarden DM zu.
Sie, Herr Minister Möller, versuchten gestern erneut, mit dem abgegriffenen Argument der verspäteten Aufwertung unter Hinweis auf das stärker inflationierende Ausland die Entwicklung in der Bundesrepublik wieder einmal zu verniedlichen. Seien wir uns doch im klaren darüber, daß die Inflation des Auslandes zum Teil - ich sage bewußt: zum Teil - auch durch unsere Aufwertung bedingt war.
Zu Ihrem Vergleich der internationalen Preisentwicklung sollte aber einmal grundsätzlich in aller Deutlichkeit folgendes gesagt werden. Die Bundesbank hat in der vorigen Woche eine eindrucksvolle Statistik vorgelegt, die Sie in Ihrer Rede eigentlich hätten verwerten sollen. Bei den Preisen industrieller Produkte, die für unsere Wettbewerbsfähigkeit von ausschlaggebender Bedeutung sind und die die Konjunkturentwicklung besonders schnell widerspiegeln, haben wir den internationalen Durchschnitt, gemessen an den Großhandelspreisen, nicht nur erreicht, sondern sogar leicht überschritten.
({1})
- Ich habe vom Durchschnitt gesprochen, Herr Ollesch. Sie verstehen anscheinend nicht, was das ist.
({2})
Daß aus dieser Entwicklung längerfristig auch Gefahren für unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit erwachsen können, liegt auf der Hand. Wenn wir in dieser Frage offen sein wollen, bleibt festzustellen: Nicht Verniedlichung, sondern Bekämpfung des „Rauschgifts" Inflation, wie es Herr Schiller bezeichnet hat, ist das Gebot der Stunde.
({3})
Das gilt auch für Sie, meine Damen und Herren von der Koalition: Bekämpfung mit wirklich allen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Die Eindämmung einer Übernachfrage, sei es durch Kaufkraftabschöpfung oder durch die Hochzins- und Mindestreservepolitik der Bundesbank, allein kann keine hinreichenden Wirkungen erzielen, wie wir feststellen konnten. Auch unverbindliche Appelle an die Tarifpartner zur Mäßigung nützen nichts, wenn gleichzeitig Regierungsmitglieder groß in Aussicht stellen, was alles möglch ist, oder aber zum Ausdruck bringen, so ernst sei es ja nicht gemeint. Auch dafür gibt es Zitate.
Schon längst, Herr Bundeskanzler, hätten Sie dafür sorgen müssen, daß das gesamte Arsenal der Waffen gegen den Inflationstrend eingesetzt wird. Ich meine, daß dabei an erster Stelle ein beispielhaftes Verhalten des Staates selbst in seiner Ausgabenpolitik zu stehen hat.
({4})
Von einer Stabilitätsverpflichtung der Bundesregierung ist hier nichts zu spüren. Sie legt einen Haushalt für 1971 vor, der nach ihrer Aussage eine Steigerung um 12,1 v. H. aufweist. In Wirklichkeit beträgt die Steigerung aber etwa 13,5 v. H., nämlich dann, wenn Sie die Sperren aufheben. Ich meine die 440 Millionen DM, die im Jahr 1970 nicht ausgegeben werden. Gleichzeitig sollte man auch die große Ankündigung hinzurechnen, die nicht von uns erfunden worden ist, nämlich daß noch im Herbst dieses Jahres für das Jahr 1971 im Bildungsbereich eine Anleihe in der Größenordnung von 300 bis 500 Millionen DM zur Verwendung im Jahre 1971 aufgenommen werden soll.
Herr Abgeordneter Leicht, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Funcke?
Bitte schön!
Kollege Leicht, würden Sie uns vielleicht im weiteren Verlauf Ihrer Ausführungen einmal sagen, an welcher Stelle denn nun die Streichungen erfolgen sollen,
({0})
und würden Sie uns darüber hinaus auch gleichzeitig
mitteilen, in welchen der von der CDU regierten
Ländern ein gespaltener Haushalt vorgelegt werden wird.
({1})
Gnädige Frau, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich zunächst einmal ausreden ließen und meine Gedanken verfolgten. Zum Schluß werde ich dann zu Ihrer Frage etwas sagen. Ich darf jedoch die Frage nach den Ländern gleich beantworten. Wenn der Bund mit solchen Steigerungsraten in den Finanzplanungsrat geht,
({0})
dann kann er doch nicht zu den Ländern sagen: Ihr dürft euren Haushalt nicht um mindestens 12 % steigern!
({1})
Was die Steigerungsrate betrifft, ist schon wieder die Frage aufzuwerfen, Herr Finanzminister, ob man das nicht deutlicher machen und sagen sollte: Ohne Sperren und mit der Bildungsanleihe für das nächste Jahr beträgt die Steigerung eben nicht mehr 12,1, sondern 13,5%. Dann hätten wir eine andere Basis.
({2})
Ich meine, daß dieser massive Ausgabenstoß
({3})
zwangsläufig zu einer erneuten Übernachfrage tub-ren muß. - Ich glaube, Sie nehmen die Dinge noch nicht ernst genug, Herr Haehser.
({4})
Dann beschweren Sie sich darüber, wenn wir sagen: Sie sind nicht bereit, die Inflation zu bekämpfen.
({5})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur daran, daß wir damals im Rezessionsjahr 1967 - vielleicht wäre es gut, wenn insbesondere die FDP hier ein bißchen zuhörte - im Rahmen der notwendigen Konjunkturbelebungsmaßnahmen die Bundesausgaben gezielt um 12,3 v. H. gesteigert haben, also uni weniger, als jetzt effektiv vorgesehen ist, und aas in einem Jahr, wo es notwendig war, vom Staat her etwas zu tun. Der Erfolg war klar. Nur ist es heute eben so, daß man davon nichts mehr wissen will, weil es nun umgekehrt gehen müßte: man müßte vom Staat her Zurückhaltung üben.
Ich will in diesem Zusammenhang von den Garantie- und Bürgschaftsübernahmen des Bundes, die im Jahre 1971 mit 23 Milliarden DM einen neuen Höchststand erreichen und die sicherlich konjunkturpolitisch auch eine gewisse Bedeutung haben können, erst gar nicht sprechen. Man fragt sich hierzulande, was den sich sonst so stabilitätsbetont gebenden Finanzminister bewogen haben mag, sich der Vorwärtsstrategie anzuschließen. Ist es Resignation über die eigene Haushaltsführung oder Resignation gegenüber den eigenen Genossen. Anlaß dazu hätten Sie, Herr Finanzminister, freilich genug.
Ihre Finanzpolitik, die Sie noch in Ihrer Haushaltsrede vom 18. Februar unter der großen Überschrift „Finanzpolitik der Solidität und Stabilität" verkauft haben, ist doch bei genauem Hinsehen heute nur noch ein Scherbenhaufen. Das läßt sich vielfach belegen, und das will ich jetzt versuchen.
({6})
Während im Zeitraum Januar bis Juli 1969 die Ausgaben um 2,8 v. H. gestiegen sind, haben sie im gleichen Zeitraum 1970 um 10,6 v. H. zugenommen, trotz Versprechens noch im Mai, als hier von mir noch einmal nachgebohrt worden ist, nachdem ich Sie im Februar bei der Haushaltsdebatte davor gewarnt hatte, zu sagen: 4 %. Fest versprochen waren also 4 %. Trotzdem haben diese Ausgaben um 10,6 % zugenommen, und das bei restriktiver Haushaltsführung, wie der Herr Finanzminister verkündet hat. Auf der Einnahmenseite ist die umgekehrte Entwicklungstendenz festzustellen. 1969 stiegen die Einnahmen um 17,1 v. H., von Januar bis Juli 1970 dagegen nur um 5,9 v. H. Dadurch ergibt sich für den Zeitraum Januar bis Juli 1969 ein Finanzierungsüberschuß von knapp 3 Milliarden DM und im gleichen Zeitraum 1970, Herr Finanzminister, dagegen ein Defizit von über einer halben Milliarde DM.
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Aus konjunktureller Sicht hat sich für den vergleichbaren Zeitraum die Finanzierungsseite mithin um über 2,5 Milliarden DM verschlechtert.
Noch augenfälliger ist diese Verschlechterung, wenn man die Kreditfinanzierung alleine betrachtet. Von Januar bis Juli 1969 wurden 2 Milliarden DM Kredite mehr getilgt als aufgenommen, während es im gleichen Zeitraum 1970 genau umgekehrt war. Das heißt, die expansive Wirkung betrug unter diesem Blickwinkel 4 Milliarden DM, Damit wird offenkundig, daß der Bundesfinanzminister auch nicht, wie angekündigt, nur eine Anschlußfinanzierung auf dem Kreditsektor betreibt, sondern beträchtliche Nettokreditaufnahmen vorgenommen hat. Davon kann auch nicht der ständige Vergleich der Kassenguthaben ablenken.
Herr Abgeordneter Leicht, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hermsdorf?
Herr Leicht, es mag vielleicht falsch sein, daß ich mir einbilde, etwas von der Sache zu verstehen. Aber eines verstehe ich nun wirklich nicht. Bei den Haushaltskürzungen, die wir durchgeführt haben, bei den noch verbleibenden Sperren und bei den ursprünglich vorgesehenen Aufnahmen von Krediten müssen Sie doch zugeben - und deshalb möchte ich das hier klarstellen -, daß wir in diesem Jahr eine Nettokreditaufnahme von nur 600 Millionen DM haben. Ich verstehe diesen Sprung nicht, den Sie machen, Das ist meiner Ansicht nach so ein bißchen der Versuch, hier Zahlen zu vermischen. Aber ich kann mich auch täuschen.
Nein, ich versuche doch, Ihnen klarzumachen, wie die Einwirkung schon der Haushaltsführung 1970 eher den Trend zu Preissteigerungen nach oben und nach unten beeinflußt hat. Und ich habe die Vergleichszahl von Januar.! Juli 1969 gebracht: Nettokredit 2 Milliarden DM mehr getilgt als vorgesehen, und ich habe gesagt, vom 1. Januar bis Juli 1970 eine Verschuldung von 2 Milliarden DM zunächst einmal im Ablauf. Das gibt zusammengenommen, wenn Sie wollen, als Anstoß von daher 4 Milliarden DM nach Adam Riese, und das will ich Ihnen klarmachen.
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Damit wird offenkundig, daß der Bundesfinanzminister nicht, wie angekündigt - ich habe es schon gesagt nur eine Anschlußfinanzierung auf dem Kreditsektor betreibt, sondern beträchtlich mehr Nettokreditaufnahmen vorgenommen hat. Davon kann auch nicht der ständige Vergleich der Kassenguthaben - wie es ja immer geschieht, auch in der Beantwortung von Anfragen - ablenken. Jeder weiß, daß in diesen Guthaben selbstverständlich auch Krediteinnahmen enthalten sind, die bei einem derartigen Vergleich nicht mit herangezogen werden können.
Aber jetzt kommt noch etwas! Diese Entwicklung erklärt wohl auch, wie in den Finanznachrichten vom 22. Juli zu lesen ist - ich greife die Finanznachrichten heraus -, daß die Konjunkturausgleichsrücklage - und da ist hier wieder ein Versprechen des Herrn Finanzministers gewesen - nur mit 937 Millionen DM aus laufenden Einnahmen gedeckt werden konnte. 420 Millionen DM mußten durch Nettokreditaufnahmen und - so zu lesen in den Finanznachrichten - 143 Millionen DM durch Münzeinnahmen gedeckt werden. Herr Minister, ich glaube, Sie hatten kaum eine Gelegenheit ausgelassen, diese Rücklage als einen eindeutigen Erfolg Ihrer restriktiven Haushaltspolitik hinzustellen. Wenn es aber so aussieht, wie Sie es jetzt selbst berichten, dann ist das noch nicht einmal das Wenige, was wir zuerkennen, was eine solche Rücklage hätte sein können.
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Bei allem Verständnis für ausgabensteigernde Sonderfaktoren ändert sich nichts an der Tatsache, daß konjunkturell gesehen das Ausgabegebaren des Bundes die expansive Entwicklung gefördert hat. Es war uns von vornherein klar, daß die Ausgaben-sperre im Bundeshaushalt 1970 in Höhe von 440 Millionen DM praktisch bedeutungslos war, da sie durch die Auswirkungen auf Grund der Abwicklung der Haushaltssperre in 1969, nämlich 1,8 Milliarden DM, überkompensiert werden würde. So, wie die Dinge liegen, deutet doch alles darauf hin, daß durch die Abwicklung von Ausgaberesten das Ausgabewachstum 1970 über die veranschlagten 9 % hinausgehen wird.
Eine Frage hier von mir in der Fragestunde konnte auch nicht mit hundertprozentiger Klarheit beantwortet werden. Ich habe Verständnis dafür
gehabt. Ich hätte mich auch nicht auf diese 9 %, die vorgesehen sind, festlegen lassen. Denn mit aller Wahrscheinlichkeit kann die Steigerungsrate, die sich die Regierung selber gesetzt hat, im Laufe dieses Jahres nicht eingehalten werden, selbst dann nicht, wenn jetzt die Betriebsmittelzuweisungen, wie ich gehört habe, durch Erlaß des Herrn Bundesfinanzministers streng gehandhabt werden sollen. Ich weiß auch davon, daß schon Hunderte Millionen Rechnungen draußen liegen, die, da die Betriebsmittelzuweisungen nicht erfolgt sind, heute nicht mehr bezahlt werden können. Ob das auf die Dauer gut geht, Herr Finanzminister, ist die andere Frage.
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Auch 1971 - ich komme jetzt dazu - läßt der Bund mit einer echten Steigerungsrate von 13,5 v. H. keinesfalls den Willen erkennen, entscheidend zur Stabilität der wirtschaftlichen Verhältnisse beizutragen. Sicherlich, wenn es schon im nächsten Jahr zu einer Rezession oder wirtschaftlichen Stagnation kommen sollte - ich weiß ja nicht, ob die Regierung das voraussetzt -, wäre die von der Bundesregierung angestrebte Steigerungsrate der öffentlichen Haushalte durchaus diskutabel. Das gilt aber nur und erst dann. Gegenwärtig geht es immer noch darum, eine überschäumende Konjunktur mit den höchsten Preissteigerungen seit 20 Jahren zu bändigen. In einer solchen Konjunkturlage muß die bloße Erwartung einer Zunahme der öffentlichen Nachfrage - und insofern spielt eben die Steigerungsrate des öffentlichen Haushalts eine Rolle - im nächsten Jahr von über 12 % insgesamt bei den öffentlichen Haushalten, dem ein angenommenes Wachstum des Bruttosozialprodukts von 7,5 v. H. nominal gegenübersteht, die bestehenden schon gefährlichen Preissteigerungserwartungen enorm verstärken und die Inflationsmentalität als wichtigsten Auftriebsfaktor weiter festigen.
({3})
- Kommt noch, warten Sie doch einmal ab! Das ist übrigens nicht unsere Aufgabe, Sie regieren.
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Stabilitätspolitik ist auch nicht in der mittelfristigen Finanzplanung zu erkennen. Man sollte aber die mittelfristige Finanzplanung heute einfach nicht übergehen. Dort wird das Argument des Finanzministers von der Notwendigkeit innerer Reformen noch viel deutlicher als bei seiner Begründung zum Etat 1971. Man kann eigentlich schon jetzt feststellen, daß damit ein neuer Buhmann an die Wand gemalt wird, nämlich zu erwartende Stagnation und Rezession, obwohl überhaupt keine Veranlassung dazu besteht. Ich kann das, Herr Finanzminister, auch in Ihren eigenen Worten ausdrücken: privater Reichtum und öffentliche Armut. Ich kürze es ein bißchen ab; ich könnte es wörtlich zitieren, hier liegt Ihre Rede.
Auch wir wollen die Infrastruktur weiter ausbauen, auch wir wollen im weiten Bereich der Bildung mehr tun, und vieles wäre hier noch aufzuzählen; Herr Barzel hat z. B. die zwei wichtigsten Bereiche, Bildung und Vermögensbildung, genannt.
Aber um hier wirklich erfolgreich sein zu können, meine Damen und Herren von der Koalition, ist eine stabile Grundlage notwendig, auf der dann aufgebaut werden kann. Herr Kollege Strauß hat, wie ich meine, deutlich gemacht, daß es beim Weitergehen der jetzigen Entwicklung, insbesondere auf der Preisseite - und das ist heute schon so; die Aussagen von Herrn Leber in diesem Haus stehen -, am Ende weder einen Studienplatz mehr noch einen Kilometer Straße mehr geben wird, im Gegenteil, weniger.
({5})
Im Finanzplan heißt es - ich darf einmal zitieren Die Erfüllung wichtiger, zum Teil jahrelang vernachlässigter Staatsaufgaben ist durch die restriktive Ausgabenpolitik in den Jahren 1969 und 1970 - in denen das Wachstum der Bundesausgaben mit 18,6 v. H. um gut 6 Prozentpunkte hinter dem Sozialproduktwachstum von 24,8 v. H. zurückbleibt - besonders dringlich geworden. Sie duldet keinen weiteren Aufschub.
Diese Feststellung, meine ich, bedarf einer differenzierteren Betrachtungsweise. Darüber, was in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde, gehen unsere Meinungen sicherlich auseinander. Über das, was in Zukunft in diesem Lande sein soll, gehen sie sicherlich auch auseinander. Ich kann mir aber angesichts Ihres ehrgeizigen Reformziels beim besten Willen nicht vorstellen, Herr Finanzminister, daß Ihnen das alles in einem einmaligen Kraftakt gelingen könnte; denn die Zuwachsraten der Bundesausgaben steigen mittelfristig nach Ihrer Absicht - Sie haben das hier mit Recht dargelegt, Herr Kirst - nur leicht überproportional.
Der Hinweis auf den Nachholbedarf infolge der Restriktionspolitik in den Jahren 1969 und 1970 geht ins Leere. Das Haushaltsjahr 1969 war - das bestätigen uns heute nahezu alle kompetenten Stellen in der Bundesrepublik - ein Jahr haushalts-
und finanzpolitischen Wohlverhaltens. Das kann man beileibe nicht für das Jahr 1970 behaupten. Das gilt, wie ich eingangs darlegte, für den Zuwachs der Bundesausgaben im allgemeinen und für die Investitionsausgaben im besonderen. Gerade auf dem Investitionssektor ist von einer Zurückhaltung des Bundes in diesem Jahr nicht zu sprechen. Darüber hinaus kann man sich freuen, wenn es in die Landschaft paßt. Die Sachinvestitionen liegen im ersten Halbjahr 1970 um 24 % höher als im ersten Halbjahr 1969.
Mir ist eigentlich bis heute noch nicht recht verständlich, warum die Regierung gerade das Jahr 1971 zum Jahr der inneren Reformen auserkoren hat. Ihre ursprüngliche Zielvorstellung, Herr Möller, war es nicht. Noch in einer Kabinettsvorlage vom 20. Mai heißt es dazu wörtlich:
Geht man davon aus, daß unter konjunkturellen
Gesichtspunkten der Bundeshaushalt 1971 nur
uni 9 v. II. steigen sollte, ergäbe sich ein Ausgabevolumen von rund 95 Milliarden DM.
Das strebten Sie damals an. Sieben Wochen später kamen Sie dann mit dem Haushalt von über 100 Milliarden DM. Ich weiß nicht, worauf es zurückzuführen ist, daß Sie plötzlich - so habe ich es einmal ausgedrückt ---- von einem Stabilitätspaulus zu einem Entwertungssaulus - ich darf es so einmal sagen - geworden sind.
Aufbauend auf dem nach wie vor überhitzten Wirtschaftsniveau des Jahres 1970 hat die Bundesregierung eine mittelfristige Zielprojektion entwikkelt, in der die durchschnittliche Preissteigerung ebenfalls höher liegt, als es bisher der Fall war. Das ist sehr interessant; das kann man aus dem entnehmen, was die Bundesregierung selber sagt. Bei leicht überproportionaler Ausgabensteigerung für die öffentliche Hand wurde gleichzeitig die Steuerschätzung voll ausgereizt und ein erheblicher Anstieg der öffentlichen Verschuldung eingeplant. Es ist aus heutiger Sicht kaum anzunehmen, daß es unter solch extremen Bedingungen gelingen könnte, die inflationäre Entwicklung in diesem Zeitraum wieder in den Griff zu bekommen.
Es ist sicherlich kein Zufall, daß die zu dieser Zielprojektion gehörende Geldvermögensrechnung von der Bundesregierung bisher nicht vorgelegt werden konnte. Die zunehmende Verschuldung des Bundes --- ich deutete es vorhin schon an - wird mit dem aufgestauten Bedarf an Investitionen infolge der restriktiven Ausgabenpolitik begründet. Die Regierung ist der Ansicht, daß grundsätzlich ein größerer Teil der Investitionsausgaben in den kommenden Jahren durch Kredite finanziert werden müsse, um die volkswirtschaftliche Steuerquote in tragbaren Grenzen zu halten.
Wie sieht das nun in der Finanzplanung 1970 bis 1974 aus? Der Anteil der öffentlichen Ausgaben soll von 28,1 v. H. im Jahre 1970 auf 30,2 v. H. im Jahre 1974, der Anteil des Bundes von 13,2 auf 14,3 v. H. ansteigen. Die Steuerquote von 23,7 v. H. erhöht sich im gleichen Zeitraum auf 24,1 v. H.
Ein Blick auf die Entwicklung der Investitionsausgaben zeigt, daß ihr Anteil, so wie ihn die Bundesregierung versteht, 1969 bereits 16,2 v. H. betrug, 1970 auf 15,9 v. H. zurückgeht, Herr Kirst, und sich bis 1974 auf 16,6 v. H. erhöht. Um es noch deutlicher zu sagen: Der Anteil der Investitionsausgaben steigt gegenüber 1969 in vier Jahren um genau 0,4 v. H.
So also schlagen unter mittelfristigem Aspekt Ihre inneren Reformen finanziell zu Buche.
Interessant ist nun, daß die Sachinvestitionen des Bundes 1969 4,5 v. H., 1970 5,3 v. H. und 1974 sogar nur noch 5,1 v. H. ausmachen, also eine eindeutig sinkende Tendenz aufweisen. Oder nehmen wir den absoluten Zuwachs der Investitionsausgaben in diesen Jahren: sie nehmen bis zum Jahre 1974 zunächst um 3,2 und schließlich um 1,8 Milliarden DM zu.
Demgegenüber nehmen die Schulden in diesen Jahren rasant zu: um 2,9 Milliarden DM im Jahre 1970 - ich will die Stationen schnell überfliegen - dann uni 5,5, 7,4 und im Jahre 1974 schließlich gar um 9,6 Milliarden DM zu. Das bedeutet in vier Jahren eine Neuverschuldung von 25,4 Milliarden DM. Nachdem also für 1971 vorgesehen ist, daß von 17,4 Milliarden DM Investitionsausgaben - das scheint mir eindrucksvoll zu sein - knapp 3 Milliarden DM durch Kreditaufnahme finanziert werden, werden im Jahre 1974 von 21 Milliarden DM Investitionsausgaben knapp 10 Milliarden DM aus Krediten gespeist.
Es ist denn auch nicht erstaunlich, daß der Anteil des Finanzierungsdefizits an den Gesamtausgaben beim Bund von 1971, wo er 2,9 v. H. beträgt, auf 7,6 v. H. im Jahre 1974 steigt. Diese Politik schlägt sich nicht zuletzt auch in einem zügigen Anstieg der Zinsausgaben im Bundeshaushalt nieder. So steigt der Anteil an den Gesamtausgaben von 2,8 v. H. im Jahre 1970 auf 3,6 v. H. im .Jahre 1974, absolut von 2,5 auf 4,6 Milliarden DM.
Ich kann geradezu mit Genugtuung feststellen, daß die Öffentlichkeit allergisch auf eine derartige Schuldenpolitik reagiert. Gott sei Dank, möchte ich sagen. Die Bundesbank hat bereits frühzeitig, nämlich im Geschäftsbericht 1969, vor einer übermäßigen Schuldenpolitik der öffentlichen Hand gewarnt und insbesondere klargemacht, daß hierdurch der Handlungsspielraum in konjunkturpolitischer Hinsicht in bedenklichem Maße eingeschränkt wird. Die Regierung sollte zur Kenntnis nehmen, daß immer weitere Kreise in der Bevölkerung Zweifel an der Ernsthaftigkeit Ihrer Stabilitätspolitik bekommen.
All dies, meine Damen und Herren, ist um so unverständlicher, als die Regierung erklärtermaßen vorgibt, eine Politik der Vermögensbildung - Herr Dr. Barzel ihat davon schon gesprochen - breiter Kreise zu betreiben. Die Regierung wird bald erkennen müssen, daß unsere Wirtschaft und Gesellschaft in ihrer Dynamik Ihren Zielvorstellungen nicht immer im gewünschten Maße entgegenkommen.
Schließlich sollte auch nicht untergehen, daß die starke öffentliche Nachfrage nach Krediten nicht dazu geeignet ist, der Bundesbank die Aufgabe ihrer Hochzinspolitik zu ermöglichen, was ja doch wohl so viel bedeutet, daß für uns alle die hohen Kosten der Kreditfinanzierung mit den bekannten Rückwirkungen auf den Wohnungsbau - dort insbesondere - und alles, was damit zusammenhängt, fortbestehen bleiben.
Auch die große Unsicherheit, die diese Regierung auf dem Steuersektor hervorruft, ist nicht gerade geeignet, zu einer Beruhigung in der Wirtschaft beizutragen. In der Regierungserklärung vom Oktober vergangenen Jahres war von einer Konstanz der volkswirtschaftlichen Steuerquote die Rede. Der Bundesfinanzminister hat diese Äußerung in der Vergangenheit mehrfach bekräftigt, in Saarbrücken dann abgeschwächt und gesagt - Herr Strauß hat das heute morgen schon zitiert -, daß man vielleicht doch anders verfahren könnte.
In den letzten Wochen häufen sich diese Bemerkungen und Formulierungen - nicht von dem Herrn
Bundesfinanzminister, aber anderswo -, die ein
Abrücken von der konstanten Steuerquote bedeuten. Ich möchte dazu grundsätzlich nur folgendes bemerken. Bereits die Behauptung, daß die Steuerbelastungsquote nicht über die des Jahres 1969 hinausgehen solle, ist keineswegs zufriedenstellend; denn die volkswirtschaftliche Steuerquote des Jahres 1969 von 24,2 v. H. kann in keiner Weise als Maßstab für eine konstante Steuerbelastung auf längere Sicht gelten. Sie war zum großen Teil durch Gewerbesteuerzahlungen, die die Gemeinden im Hinblick auf die Beteiligung des Bundes an der Gewerbesteuer 1970 beschleunigt vereinnahmt haben, verstärkt. Zieht man diesen Faktor ab, dann bliebe auch im Jahre 1969 eine Steuerbelastungsquote von 23,7 v. H. übrig.
({6})
Alle Erfahrung zeigt, daß ein wachsender Anteil des Staates am Sozialprodukt eine hohe Steuerbelastungsquote und ein steigender Anteil der Kreditfinanzierung - also der Verschuldung - in den öffentlichen Haushalten latente inflatorische Gefahren in sich bergen. Gerade in diesen Tagen wird sich die breite Öffentlichkeit dieser Gefahren wieder besonders bewußt. Die Entwicklung in einigen unserer europäischen Nachbarländer - ich brauche sie wohl nicht zu nennen; wir konnten es ja alle lesen - ist beunruhigend. Herr Kollege Schiller hat noch in dieser Woche in Kopenhagen zum Kampf gegen die weltweite Inflation aufgerufen. Hier und heute nehmen wir seine Regierung beim Wort.
Es ist nicht, Herr Kollege Wehner - jetzt greife ich etwas auf, allerdings in anderer Formulierung und mit anderem Vokabular, als Sie es gewohnt sind; Herr Professor Neumark hat das auch aufgegriffen, wie wir aus dem Leserbrief hören konnten, den Herr Strauß heute morgen vorgelesen hat -, kriminell, über Inflation zu reden, sondern sie in ihrem vollen Ausmaß - und ich nehme an, das tun Sie - zu erkennen und nichts gegen sie zu tun, ja mehr noch, sie zu bagatellisieren; das ist unverantwortlich, sage ich.
Ein Blick auf die gesamtwirtschaftliche Projektion, die vom Bundeswirtschaftsminister für die Jahre bis 1974 erarbeitet worden ist, zeigt, daß auch hier das Ziel der Preisstabilität fallengelassen worden ist. Obwohl dort von der - bei der gegenwärtig eingeplanten Verschuldung unwahrscheinlichen - Annahme ausgegangen wird, daß die Erhöhung des Anteils der Staatsausgaben am Sozialprodukt durch entsprechende Einschränkung des privaten Verbrauchs formell ausgeglichen wird, errechnet sich eine durchschnittliche Preissteigerungsrate des Sozialprodukts - nach den Vorstellungen der Regierung, nicht nach unseren - von jährlich 2,7 v. H. Schiller selbst hat früher - ich muß noch einmal darauf zurückkommen; Herr Strauß hat es schon getan - in seiner gesamtwirtschaftlichen Projektion für die Jahre bis 1972, als er mit uns noch an der Regierung war, Preisstabilität als den Zustand definiert, der sich bei Beschränkung der Preissteigerungsrate des Sozialprodukts auf 1 v. H. ergibt. Aus der neuen gesamtwirtschaftlichen Projektion bis 1974 ergibt sich somit, daß mit der einkalkulierten Preissteigerungsrate von im Schnitt 2,7 v. H. das Ziel der Preisstabilität offiziell von der jetzigen SPD /FDP-Koalitionsregierung aufgegeben wird.
Diese Aussage wird sicherlich auch dadurch untermauert, daß eine ganze Reihe von Risiken, die heute schon klar erkennbar in den nächsten Jahren auf den Haushalt zukommen, auch zu höheren Ausgaben führen werden. Wie wird die EWG-Finanzierung sein? Wie werden sich die Fragen der Stationierungskosten ausländischer Streitkräfte auch im finanziellen Bereich weiter entwickeln - der Herr Bundesfinanzminister selber hat darauf hingewiesen -? Was wird die Ostpolitik an finanziellen Leistungen von uns fordern? Auch hier hat der Herr Bundesfinanzminister Andeutungen gemacht.
Ich weiß, daß im Bundesfinanzministerium - das muß ein verantwortlicher Minister veranlassen - zur Zeit eine Risikoliste aufgestellt wird. Das muß sein. Herr Finanzminister, vielleicht könnten Sie uns wenigstens andeutungsweise einmal etwas Näheres darüber sagen. Wahrscheinlich würden dann unsere Befürchtungen untermauert. Wir könnten dann aber auf einer ganz anderen Ebene diskutieren.
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Wie ungeheuerlich die Finanzmisere ist - ich kann mir nicht verkneifen, das jetzt festzustellen -, in die die Regierung Brandt unseren Staat durch eine überzogene Ausgabenpolitik hineingetrieben hat, ergibt sich auch aus einem Vergleich der Finanzierungssalden - Nettokreditaufnahme - des jetzigen Finanzplans und der Finanzierungssalden - Deckungslücken - von damals, über die im Jahre 1966 - ich hoffe, die FDP hört zu - die alte Koalition von CDU/CSU und FDP zerbrochen ist.
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Die Deckungslücken beliefen sich damals nach Verwirklichung des ursprünglichen Entwurfs des Finanzplanungs- und des Steueränderungsgesetzes 1966 im Jahre 1967 auf 2,6 Milliarden DM, 1968 auf 6,3 Milliarden DM, 1969 auf 7,3 Milliarden DM und 1970 auf 9,1 Milliarden DM. Die Quelle dieser Angaben ist das Bulletin der Bundesregierung.
Die Nettokreditaufnahmen des Bundes nach dem jetzigen Finanzplan der Regierung Brandt belaufen sich 1971 auf 2,9 Milliarden DM - damals 2,6 Milliarden DM -, 1972 auf 5,5 Milliarden DM - damals 6,3 Milliarden DM -, 1973 auf 7,4 Milliarden DM - damals 7,3 Milliarden DM - und 1974 auf 9,6 Milliarden DM - damals 9,1 Milliarden DM --. Wenn auch die beiden Zahlenreihen wegen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Ausgangslage und wegen unterschiedlicher Berechnungsfaktoren sich nicht voll entsprechen, kann man doch nur staunend feststellen, wie sich die Bilder gleichen. Damals sprach Wirtschaftsminister Schiller von einer -wörtliches Zitat - „Zerrüttung der Bundesfinanzen". Heute nimmt dieselbe SPD als Regierungspartei Finanzierungslücken in dieser Größenordnung in Kauf, schließt sie durch eine überhöhte Verschuldung und bezeichnet das Ganze noch in einem
Musterbeispiel an Dialektik als „solide und stabilitätsbewußte Finanzpolitik".
Nein, Herr Minister, wir sind nicht die Partei, die den Begriff der Stabilität - wie Sie gestern in Ihrer Rede sagten - erst in der Opposition wiederentdeckt hat. Wir sind die Partei - daß nehme ich für mich und meine Freunde in Anspruch -, die die Bundesrepublik unter den schwierigsten Voraussetzungen aus der totalen Nachkriegskatastrophe mit herausgeführt hat und die Bundesrepublik zu dem gemacht hat, worauf auch diese Regierung stolz ist. Um es mit den Worten des Herrn Bundeskanzlers vom Februar dieses Jahres - das wörtliche Zitat liegt hier - grob auszudrücken: „Es ging uns noch nie so gut wie heute!". Sie können sich daran erinnern. Das war nach etwa drei Monaten Regierungszeit durch die Koalition zwischen SPD und FDP.
Herr Kollege Leicht, darf ich Sie auf den Zeitablauf aufmerksam machen.
Ich komme zum Schluß.
Unsere Alternativen können Sie unserem Änderungsantrag entnehmen. Erst diese Maßnahmen - nehmen Sie es so ernst, meine Damen und Herren, wie ich es meine - können gewährleisten, daß eine gesunde Grundlage wiederhergestellt wird, auf der wir dann langsamer, als Sie es wollen, aber um so solider den weiteren Aufbau und Ausbau unserer I Gesellschaft vorantreiben können. Ich versage es mir, jetzt im einzelnen diesen Antrag zu begründen.
Lassen Sie mich aber auch mit allem Nachdruck an dieser Stelle sagen, daß wir, die CDU/CSU, jede Maßnahme unterstützen - und hören Sie auch hier gut zu -, die uns der Wiedergewinnung der Stabilität näherbringt. Aber lassen Sie mich mit dem gleichen Nachdruck hinzufügen, daß es sich hierbei immer um echte Stabilisierungsmaßnahmen handeln muß und nicht darum, der Bevölkerung Opfer abzuverlangen, um Ihnen die Finanzierung Ihres sozialistischen Reformzieles zu ermöglichen.
({0})
Die Zukunft wird zeigen, wie weit es sich um notwendige Infrastrukturmaßnahmen und echte Reformen handelt oder ob hier ein Weg beschritten wird, der uns Ihrem Wunschbild vom sozialistischen Wohlfahrtsstaat nach schwedischem Muster näher-bringt.
Zum Abschluß ein Zitat - ich glaube, es paßt heute genau in die Landschaft - des Herrn Bundeswirtschaftsministers, der leider heute nicht hier sein kann. Wir wissen, er ist in Moskau. Wir kritisieren das nicht.
({1})
- Herr Wehner, wir sind ja nicht so wie Sie. ({2})
In der Debatte zum Stabilitätsgesetz im November
1965 hat der damalige Oppositionssprecher der SPD
für die Wirtschaftspolitik, der Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Karl Schiller, folgendes erklärt:
Die Bevölkerung muß ihr Vertrauen in eine stabile wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung zurückgewinnen. Um es deutlicher zu sagen: Die Bevölkerung braucht eine Regierung, der sie vertrauen kann. ... Die Bevölkerung braucht eine Regierung, die in ihren Worten glaubwürdig und in ihrem Handeln vertrauenswürdig ist.
({3})
Das ist die erste Vorbedingung. Ein schlechter politischer Stil,
und auch das paßt haargenau auf den heutigen Tag -meine Damen und Herren, verdirbt auch die Märkte und Preise; ... Solange die Bedingungen für einen guten politischen Stil nicht gegeben sind, helfen auch die technischen Mittel der Wirtschafts- und Finanzpolitik nur sehr begrenzt.
({4})
Ich glaube, die Situation ist heute - es wurde dargelegt - schlimmer als damals.
({5}) Erst recht müßten diese Worte heute gelten.
({6})
Meine Damen und Herren, der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beginnt seine Beratungen um 16 Uhr. Der Unterausschuß EWG-Finanzierung will um 17.30 Uhr im Sitzungsraum 2522 im Neuen Hochhaus mit seiner Arbeit beginnen. Der Wirtschaftsausschuß wird erst morgen früh um 9 Uhr seine Beratungen aufnehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den Ablauf des heutigen Tages sehe und an die Vereinbarungen des Ältestenrates denke, dann ist mir heute wieder klargeworden, daß die erste Erkenntnis - ich beziehe das jetzt nur auf den technischen Ablauf -, die ich als junger Abgeordneter in diesem Hause gewonnen habe, richtig gewesen ist: Sicher ist in diesem Hause, daß nichts sicher ist. Denn alle Vereinbarungen sind hier umgeworfen worden, und wir haben eigentlich eine Debatte, die wahrscheinlich niemand ursprünglich vorausgesehen hat.
({0})
Ich möchte, ehe ich zu den Kernproblemen des Haushalts komme, ein paar kurze Bemerkungen in der Replik insbesondere zum Kollegen Strauß machen. Herr Kollege Strauß, ich habe mit großer Aufmerksamkeit, wie ich das immer tue, falls ich als Mitglied des Haushaltsausschusses die Möglichkeit habe, in diesem Hause anwesend zu sein, Ihre Ausführungen verfolgt. Ich muß eigentlich sagen,
Hermsdorf ({1})
der Anfang Ihrer sachlichen Darlegungen und der Schluß waren für mich dabei das Interessanteste. Sie werden verstehen, daß ich niemals den Ehrgeiz hätte, Sie in der Rethorik und in der Polemik zu übertreffen. Da kann ich Sie nur bewundern. Das werde ich nie schaffen. Um so schwieriger ist es dann, herauszufinden: Was ist denn eigentlich in der Sache gesagt worden?
Da möchte ich mich in der Sache für einen Punkt eigentlich ausdrücklich bei Ihnen bedanken, nämlich dafür, daß Sie klargestellt haben, daß Inflation und Preissteigerung zwei völlig verschiedene Dinge sind, und daß Sie auch zugegeben haben, daß das, was wir in der Preisentwicklung haben und was wir alle sehr bedauern, mit Inflation nichts zu tun hat.
Dann haben Sie neue Begriffe eingeführt - ich stelle fest, daß diese Begriffe schon vom Kollegen Leicht wieder verlassen worden sind ,
({2})
nämlich den der rasanten Inflation oder der galoppierenden Inflation und den der Preissteigerungen oder etwas ähnliches.
({3})
- Gut. Er war gerade aufs Pferd gestiegen, hat aber vergessen, den Sattel festzumachen, und schon war er wieder unten. - Aber das ist eine andere Sache. Sie haben hier jedenfalls festgestellt, daß das, was wir jetzt haben und was uns allen Sorgen macht, nichts mit Inflation in dem Sinne, wie es der deutsche Bürger in den zwanziger Jahren verstanden hat,
zu tun hat.
({4})
Haben Sie das klargemacht oder nicht?
Darf ich Sie fragen: Erinnern Sie sich, daß ich diese Begriffe unter ausdrücklicher Berufung auf Professor Walter Haller, zur Zeit Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, in die Debatte eingeführt habe, weil er in seinem Buch über Geldwertstabilität, meiner Erinnerung nach im Jahre 1966 erschienen, die Vorgeschichte des Industriezeitalters bis heute erwähnt und darin die galoppierende Inflation als Folge der beiden Weltkriege und die schleichende Inflation als permanentes Problem, als säkulares Problem des Industriezeitalters im einzelnen erläutert?
Ja, ich erinnere mich durchaus. Nur hatte ich geglaubt, das sei auch Ihre Meinung. Ich hoffe, daß ich Sie da richtig verstanden habe.
({0})
- Nun, Herr Kollege Strauß, wenn das Ihre Meinung ist, dann muß ich Sie jetzt in Ihrer Eigenschaft als Vorsitzender der CSU ansprechen. Wie erklären Sie sich dann - denn dafür zeichnen Sie verantwortlich; ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Annonce der CSU im Wahlkampf gegen den Willen des Vorsitzenden der CSU erscheint -- die Annonce: SPD gleich Inflation?
({1})
Das steht eben nicht dabei, Herr Strauß, sondern es steht da: SPD gleich Inflation. Dann müssen Sie das nächstens dazusetzen. Dann wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das dazusetzten.
({2})
- Nein, damit bin ich auch nicht einverstanden. Herr Haase, Sie sind hier der Billigmacher. Aber so billig kommen Sie nicht davon. Das ist gar keine Frage.
Das ist doch der Grundtenor, und darauf wollen wir noch einmal zurück. Ich stelle fest, was Herr Strauß hier gesagt hat, daß man nämlich die Inflationen, wie sie im deutschen Volk in der Vergangenheit erlebt und begriffen worden sind, mit den Preissteigerungen, die wir jetzt haben, überhaupt nicht zu vergleichen hat. Das war der Ausgangspunkt. Wenn wir uns darauf einigen könnten, würde die Diskussion viel sachlicher, als sie bisher geführt worden ist. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt, Herr Kollege Strauß, der mich auch interessiert hat, war der Schluß. Nachdem das Feuerwerk abgeblendet war, hieß die Folgerung: Ihr müßt mit diesem Haushalt kürzer fahren; die Steigerungsraten, die Ihr da drin habt, sind viel zu hoch. Das war die erste Folgerung. Dann kam zweitens - und ich habe mir lange überlegt: Was hat er nun gesagt?; ich habe mir deshalb mit Ihrer Genehmigung noch einmal das Protokoll kommen lassen -: Das ist Sache der Regierung. Wenn man dann weiterliest, kommt man zu dem Resultat, man müsse das Stabilitätsgesetz ändern. Das ist dann der zweite Vorschlag, den Sie bringen.
({3})
Da aber muß ich sagen: Bei dem Aufwand, der in dieser Sache gemacht worden ist, sind diese beiden Punkte natürlich ein bißchen dünn. Jetzt gebe ich aber zu, Kollege Strauß, daß noch einiges ergänzt worden ist, aber auch nur in einem Punkt, sonst nicht. - Bitte schön!
Darf ich darauf hinweisen, daß ich - allerdings unter Zeitdruck stehend, was zum Teil an der Länge meines Vorhabens lag, nicht an der Unfreundlichkeit des amtierenden Präsidenten; genau umgekehrt - diese Punkte nur noch in Stichworten erwähnen konnte. Aber erinnern Sie sich, daß ich sehr deutlich darauf hingewiesen habe, daß die Bundesregierung das gesamte Klima der Finanzpolitik, aber auch das Klima im Bereich der Lohnpolitik weitgehend bestimmt und daß insofern das Verhalten der Bundesregierung mit ihren Zuwachsraten im Haushalt, mit dem Ja des Herrn Bundesfinanzministers zu 15 % Lohnerhöhung im Bereich der IG Metall eine Signalwirkung hat, die weit über den Bereich des öffentlichen Haushalts hinausgeht?
Herr Kollege Strauß, ich darf das in zwei Punkte aufsplittern.
Das erste ist ein Punkt, den Sie eigentlich immer ein bißchen beklagen und der mich etwas amüsiert:
Hermsdorf ({0})
Sie sagen immer, Sie haben nicht genug Zeit. Herr Kollege Strauß, ich kenne niemanden in diesem Hause, der seine 45 Minuten so regelmäßig überzieht wie Sie. Und dann jammern Sie immer noch, daß Sie zuwenig Zeit haben.
({1})
- Ich bin Ihnen ja nicht böse. Ich bewundere nur
die Hartnäckigkeit, mit der Sie das immer machen.
({2})
Der zweite Punkt ist viel ernster. Hier wird doch einiges verschoben. Hier ist sowohl vom Bundeskanzler - nicht heute, sondern zu einem früheren Zeitpunkt -- als auch vom Bundesfinanzminister, wie Sie sagen - ich kenne die Erklärung des Bundesfinanzministers nicht so genau, wie Sie sie hier zitiert haben; ich kenne sie wirklich nicht so genau - gesagt worden, daß diese 15 % der IG Metall sozusagen der Abschluß in dieser Runde seien. Da war ja schon eine ganze Reihe anderer vorausgegangen.
Aber damit Sie auch mich gleich persönlich haben, Herr Strauß: Ich habe in einem Fernsehinterview in der Wessel-Runde gerade zu diesem Punkt der 15% und überhaupt zu der Frage der Lohnpolitik gesagt: Dies halte ich für eine zu hohe Steigerung. Ich bin auch bereit, das hier zu wiederholen; das ist meine persönliche Auffassung in dieser Sache.
Ich wollte diese beiden Punkte nur klarstellen.
Ich würde noch einmal bitten, Herr Kollege Strauß, die Plattform, die Sie jetzt als Ihre eigene erklärt haben, nicht wieder zu verlassen und nicht wieder von Inflation in dem Ausmaß zu reden, wie Sie es in Ihrer Anzeige und auch ansonsten getan haben. Das gilt für alle Kollegen des Hauses, daß man mit diesem Wort außerordentlich vorsichtig umgehen sollte.
Nun lassen Sie mich zu meinen eigentlichen Ausführungen kommen! Das Interessante ist ja: Gestern hat die Bundesregierung diesen Haushalt hier offiziell vorgelegt, und eigentlich ist erst seit heute die Debatte in diesem Haus offiziell eröffnet. Das ist aber gar nicht der wirkliche Tatbestand. Wir haben vielmehr bereits während der Debatte über die Konjunkturgesetze den Versuch gemacht, schon ein bißchen die Haushaltsdebatte zu führen. Und wir haben seit dem Beschluß des Kabinetts vom 9. Juli am laufenden Band alle in diesem Hause und in der Öffentlichkeit diese Diskussion geführt. Das bedeutet, daß man sich heute in diesem Hause natürlich auf ein paar Kernpunkte beschränken kann.
Der Bundesfinanzminister hat in seiner Darlegung die Schwerpunkte und die Prioritäten im Haushaltsentwurf 1971 genannt. Er hat die Notwendigkeiten zu diesen Schwerpunkten begründet. Und hier muß ich sagen: Es gibt in diesem Hause wahrscheinlich gar keinen Streit darüber, wo die Schwerpunkte sein sollen. Da sind wir uns ziemlich einig. Die Frage ist nur, ob diese von der Bundesregierung gesetzten Schwerpunkte und der prozentuale Zuwachs des ganzen Haushaltsvolumen konjunkturgerecht sind oder nicht. Dies ist der Streitpunkt, den wir zumindest seit Sommer vorigen Jahres, wenn nicht schon länger, haben.
Damit die Positionen eindeutig klar sind, erkläre ich für meine Fraktion folgendes.
1. Wir billigen die durch den Haushalt dargelegten Zielvorstellungen der Bundesregierung in vollem Umfang und werden alles tun, um sie zu unterstützen.
2. Wir halten das Volumen des Haushalts und damit die Zuwachsrate nicht nur für realistisch, sondern auch für notwendig.
3. Die restriktive Etatgestaltung in den Jahren 1969 und 1970 und unsere Stabilisierungsmaßnahmen vom Sommer dieses Jahres haben die Voraussetzung für den Etat des Jahres 1971 geschaffen.
4. Wir stehen am Anfang der parlamentarischen Beratung des vor der Regierung im Juli beschlossenen Etats. Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern klargemacht, daß am Ende der Beratung wie üblich die nochmalige Überprüfung aller Daten stattfinden wird. Die Opposition hat daher keinen Anlaß, bereits in diesem Stadium ohne eingehende Ausschußberatungen den Regierungsentwurf zurückzuweisen.
Niemand in diesem Hause kann bestreiten, daß für den gesamten öffentlichen Bereich ein sehr hoher Nachholbedarf besteht, der durch die Versäumnisse der letzten 20 Jahre entstanden ist. Wenn wir es nicht schaffen, diesen Nachholbedarf aufzuholen, wird nicht nur jeder einzelne, sondern die Bundesrepublik als Nation dort getroffen, wo sie am verwundbarsten ist, in der Sicherung unserer wirtschaftlichen Stellung in der Welt. In den Jahren 1950 bis 1960 zählte die Bundesrepublik zu den Wachstumsgiganten, und durch die gewaltige Arbeitsleistung der Bevölkerung entstanden hier Zuwachsraten, die enorm waren und die unseren Wohlstand begründet haben.
Diese Zuwachsraten sind in den letzten Jahren zurückgegangen; in den letzten Jahren, meine Damen und Herren, nicht in den letzten zwei Jahren, sondern bereits ab 1960 beginnt der Rückgang. Wir sind also bei der Zuwachsrate des Bruttosozialproduktes innerhalb der OECD an die hintere Stelle gerückt. Dies signalisiert Gefahr, und wir müssen dieses verlorengegangene Gelände zurückgewinnen, wenn wir die Aufgaben unserer Zeit meistern wollen.
Sie können der jetzigen Regierung alles mögliche unterstellen; das allerdings, daß die Zuwachsraten in diesen Jahren zurückgegangen sind, ist nicht schuld dieser Regierung, sondern der vorausgegangenen. Das erklärte Ziel der Bundesregierung ist es und
sie hat das wiederholt deutlich gemacht , diesen Trend abzustoppen. Um das aber erreichen zu können, müssen dringend die ökonomischen und sozialen Infrastrukturen stärker ausgebaut und erweitert werden. Deshalb kann man nicht dem Staat und damit der Bundesregierung ein maßloses Verhalten vorwerfen, wenn sie ihre Verpflichtung ernst nimmt und den Weg in die Zukunft öffnen will.
Hermsdorf ({3})
Auf Grund des freien Spiels der Kräfte hat man
früher eigentlich nur beim Wiederaufbau die Dinge geleistet, wo Angebot und Nachfrage sozusagen nach privatem Gewinn ausgerichtet waren; das heißt, der Staat mußte dort eintreten, wo es keine kommerziellen Gewinnchancen gab; er baute Schulen, Krankenhäuser, Hochschulen, Straßen usw.
Und nun, meine Damen Herren, etwas sehr Ernstes! Das Schlagwort der kollektiven Armut und des individuellen Reichtums ist durch die letzten 20 Jahre zur bitteren Wirklichkeit geworden. Die Schere zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum ist immer weiter auseinandergegangen. Das allerdings bringt uns zu der Erkenntnis, daß in den letzten 20 Jahren Aufgaben nicht erkannt und ihre Lösung versäumt wurden. Jetzt, wo die Aufgaben allgemein anerkannt und von dieser Regierung in Angriff genommen werden, sagen Sie, die Verantwortung dafür, daß die Erledigung dieser Aufgaben versäumt wurde - Sie hatten ja wirklich diese Verantwortung -, trage nun diese Regierung. Die jetzige Regierung hat mit diesen Versäumnissen ja überhaupt nichts zu tun.
Sie sagen jetzt: Wir können das nicht nachholen, weil wir eine Hochkonjunktur haben. Meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Gedankengang - weil wir eine Hochkonjunktur haben, könnten wir diese Versäumnisse nicht nachholen und die Aufgaben nicht in Angriff nehmen - logisch zu Ende führen, landen Sie in einer ausgesprochenen Sackgasse: daß dann, wenn Geld vorhanden ist, nichts getan werden
kann, und wenn keines vorhanden ist, können wir nichts machen, weil nichts vorhanden ist.
({4})
Das ist völlig unmöglich. Ein Staatswesen, das sich diesen Verpflichtungen der Infrastruktur entziehen würde, wäre sozusagen eine Absage an sich. Hier Abhilfen zu schaffen ist eine der vordringlichsten Aufgaben dieser Bundesregierung. Sie muß sich also mehr um die Infrastruktur kümmern; denn bei einem Vergleich der Infrastruktur in der Bundesrepublik mit den Entwicklungen in befreundeten Ländern zeigt sich eine erhebliche Differenz zuungunsten der Bundesrepublik. Ohne diese Maßnahmen würden wir also - ich wiederhole das - die Stellung, die wir als Industrienation bisher in der Welt haben, gefährden. Darum müssen wir den Versuch machen, hier aufzuholen.
({5})
Ich komme auf den Punkt noch. Nun hören Sie doch endlich mit dem Klaus Dieter Arndt auf! Was soll denn das? Im Grunde genommen hat Herr Strauß heute hier dasselbe erklärt, nur mit anderen Zahlen. Das ist doch der Kernpunkt der Sache. Hier wollen wir folgendes festhalten. Herr Klaus Dieter Arndt hat hier heute in einer Zwischenfrage erstens ganz deutlich gemacht, daß er das Wort „Inflation" nicht in den Mund genommen habe,
({6}) zweitens, daß er als Wissenschaftler gesprochen habe, drittens, daß die Berichte, so wie sie in den Zeitungen stehen, falsch ausgelegt sind. Herr Windelen, wenn ich die Aussage Ihrer führenden Mitglieder zusammennehme - ob das Herr Schröder ist, ob das Herr Marx ist, ob das Herr Heck ist - und all die Unterschiede sehe, dann müssen Sie mir einmal erklären, was die verbindliche Politik Ihrer Partei ist. Das ist gar keine Frage.
({7})
Herr Abgeordneter Hermsdorf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Windelen?
Bitte schön!
Herr Kollege Hermsdorf, ist Ihnen das Zitat aus dem Interview von Klaus Dieter Arndt im „Spiegel" bekannt, das folgendes sagt:
Sehen Sie, der Etat von rund 100 Milliarden Mark, eine fast magische Zahl, bleibt in seinen Realwerten unter dem, was sich schon 1969 die Große Koalition für 1971 vorgenommen hatte.
Genau darum geht es.
Die Sache wird auch nicht besser, wenn Sie das wiederholen. In der dritten Lesung hat mich Herr Leicht schon zu diesem Punkt gefragt: Billigen Sie das, was Herr Arndt im Haushaltsausschuß gesagt hat? Meine Antwort darauf war: in der Tendenz ja, im Volumen und in der Größenaussage nein. Zu diesem Wort stehe ich auch heute noch.
Hier ist der Kernpunkt. Wenn wissenschaftlich gesagt wird, daß man das alles gar nicht mehr bei Null halten kann, wenn Herr Strauß sagt, bei 2 %, und Herr Arndt wieder eine andere Zahl nennt, dann können wir uns vielleicht auf einen Punkt einigen, den diese Regierung für ihre Marschroute ins Auge gefaßt hat. Sie hat nämlich gesagt, ,daß diese internationalen Entwicklungen sie nach wie vor verpflichten, das höchste Maß der Stabilität zu erreichen, das bei diesen internationalen und volkswirtschaftlichen Voraussetzungen zu erwarten ist. Das ist der Kernpunkt. Mehr können Sie von einer 'Regierung nicht erwarten.
({0})
Herr Abgeordneter Hermsdorf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Bitte!
Herr Kollege Hermsdorf, ist der Kernpunkt nicht der, daß - ich muß jetzt ein Beispiel bringen, weil man es sonst nicht versteht - z. B. bei einer Steigerungsrate von rund 12 % bei den Ausgaben für den Bundesfernstraßenbau und bei einer Steigerung der Tiefbaukosten im Straßen3760
bau von 14,4 % am Ende weniger Straßen gebaut werden trotz großer Zuwachsraten, wenn diese Preissteigerungen anhalten?
({0})
Wenn man diesen Punkt akzeptieren wollte, würde er natürlich genau zur gegenteiligen Schlußfolgerung führen.
({0})
- Augenblick, Herr Leicht! Ich habe Ihre Frage angehört. Es muß Ihnen doch möglich sein, wenigstens eine Antwort anzuhören, wenn Sie auch die ganzen Ausführungen nicht ertragen wollen. Eine Antwort auf Ihre Frage können Sie doch wenigstens noch anhören. Hier sind Sie, ich würde sagen, konsequent in der Inkonsequenz. Sie sagen, diese Preissteigerungsraten, die wir im Haushalt haben, seien unmöglich. Aber gleichzeitig sagen Sie, sie werden von der Preissteigerung aufgefressen. Dann könnte doch nur die Konsequenz sein, daß die Steigerungsraten noch höher sein müssen. Das ist doch der Kernpunkt.
({1})
Herr Kollege Leicht, wenn Sie Herrn Kollegen Hermsdorf noch eine weitere Frage stellen wollen,
o wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ein anderes Mikrophon benutzten. Es hat sich herausgestellt, daß dieses Mikrophon ausgefallen ist.
Herr Kollege Hermsdorf, würden Sie sich bitte noch einmal in Erinnerung rufen, was ich für meine Fraktion gesagt habe, nämlich daß es uns darauf ankommt, bevor wir in die Aktion -darf ich mich einmal in Ihrem Jargon ausdrücken der großen Reformen eintreten, eine sichere und stabile Grundlage zu schaffen, auf der wir dann gemeinsam aufbauen wollen.
({0})
Aber Herr Leicht, jetzt hat es keinen Sinn mehr; denn diese Diskussion wird seit Sommer vorigen Jahres geführt. Hier muß einfach einmal folgendes klargestellt werden. Ich hoffe, Sie sind mit uns einer Meinung und versuchen nicht, irgend etwas zu unterstellen.
Erstens. Diese Regierung ist bemüht, Stabilität zu erreichen und die Preissteigerungen in dem Maße in den Griff zu bekommen, wie es angesichts der Konsequenzen der internationalen Verflechtung, der Vollbeschäftigung usw. überhaupt möglich ist. Wird das von Ihnen bestritten?
({0})
Das wird von Ihnen bestritten? - Wenn das allerdings der Fall ist, hat es keinen Sinn mehr, in diesem Hause den Streit fortzusetzen; denn dann
unterstellen Sie uns nämlich, daß wir die Inflation wollen.
({1})
Das ist der Streitpunkt, um den es geht. Darüber lasse ich nicht mit mir reden.
({2}) Das ist eine ganz üble Unterstellung,
({3}) und darüber lasse ich mit mir nicht reden.
({4})
-- Nein, jetzt ist Schluß! Es tut mir außerordentlich leid. Nach dieser abermaligen Unterstellung bin ich nicht bereit, zu diesem Punkt eine weitere Zwischenfrage zuzulassen.
({5})
Das ist - auch das ist ganz klar - inzwischen Methode geworden. Sie sind überhaupt nicht mehr bereit zuzuhören. Sie wollen nur noch provozieren, Zwischenfragen stellen und sachliche Darlegungen verhindern. Das mache ich jetzt nicht mehr mit.
({6})
- Nein, so geht es nicht! Sie haben hier alle eindeutig nein gebrüllt. Ich denke darüber nicht anders.
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zur Zuwachsrate. Sie sagen: die Zuwachsrate ist nicht in Ordnung; wir sagen: die Zuwachsrate ist notwendig. Wir begründen unsere Vorhaben. Wir begründen weiter, warum wir alle Haushalte vorher, für die wir verantwortlich sind, nämlich die Haushalte 1969 und 1970, restriktiv geführt haben.
({7})
- Augenblick! Ich komme noch darauf. - Da diese Haushalte restriktiv geführt worden sind und zweimal Vorhaben der Regierung wegen der Konjunkturlage nicht durchgeführt werden konnten, müssen Sie der Regierung zugestehen, daß sie für das Jahr 1971 einen Haushalt vorlegt, in dem sie ihre Zielvorstellungen klar verkündet. Die Zielvorstellungen der Regierung finden sich in diesem Haushalt. Sie wissen genausogut wie ich und wie wir alle in diesem Hohen Hause, daß die Vorlage eines Haushalts eine Zielvorstellung ist. Wenn die Regierung eine solche Zielvorstellung nicht gehabt hätte, hätten Sie uns wieder zugerufen: Wo beibt die Regierung mit ihren Reformen? Nachdem wir sie vorgelegt haben, sagen Sie wiederum: Das ist zuviel.
Der Streit geht jetzt darum: Gibt es einen Eventualhaushalt oder gibt es keinen, kann gestrichen oder kann nicht gestrichen werden? Das alles halte ich für einen Streit um des Kaisers Bart. Ich möchte Ihnen jetzt einmal klar sagen, was die Regierung -insofern halte ich das, was Sie soeben gesagt haben,
Hermsdorf ({8})
für eine Unterstellung - alles für die Stabilität getan hat:
Ich fange mit dem Hinweis darauf an, daß wir, als wir noch zusammen in einer Regierung saßen, der Auffassung waren, daß es zu einem Preisauftrieb kommen würde. Sie haben das bestritten.
({9})
Wir waren der Auffassung, daß aufgewertet werden müsse. Sie haben das abgelehnt, Sie haben das verhindert.
({10})
- Moment! Ich lasse mich jetzt von Ihnen nicht mehr stören. Ich darf auch einmal Ausführungen machen.
Zweitens. Nachdem Sie die Aufwertung verhindert hatten, hat der damalige sozialdemokratische Wirtschaftsminister der gemeinsam mit Ihnen getragenen Koalition eine binnenwirtschaftliche Absicherung vorgeschlagen. Sie haben die binnenwirtschaftliche Absicherung abgelehnt. Das war der Tatbestand, als der erste Streit um die Preise begann. Dann kam die Wahl. Dann hat die neue Regierung als erstes diese Kardinalfrage des Streites in Angriff genommen und hat die Aufwertung durchgeführt. Da gab es plötzlich schon Stimmen - und hier darf ich wieder den Kollegen Strauß zitieren , die gesagt haben: Das geht entschieden zu weit. Das war der Kollege Strauß; ich kann ihn wörtlich zitieren, wenn er das wünscht. Herr Kollege Müller-Hermann - das war in diesem Fall wirklich der Kollege Müller-Hermann und nicht ich; ich beziehe mich auf diese Replik von damals - hat gesagt: Diese Regierung soll nun einmal sehen, wie sie mit dem Klotz am Bein der Aufwertung fertig werden wird.
({11})
Moment, Herr Kollege Strauß, Sie müssen zugeben, Herr Kollege Pohle hat dann im Januar anläßlich der konzertierten Aktion gesagt, Investitionssteuer-Änderung sei völlig unmöglich, weil man bereits in einem Umschlagen von einem Konjunkturboom in die Baisse sei.
Die ersten Maßnahmen, die damals zur Stabilität geführt haben, sind von Ihnen alle als zu stark angegriffen worden. Nachdem sich dann aber zeigte, daß sie nicht zu stark waren, sondern - das gebe ich Ihnen offen zu - daß sie nicht ausreichten, haben Sie gesagt: Und jetzt und jetzt und jetzt muß die Regierung handeln. Als dann die Regierung handelte, haben Sie wieder gesagt, das sei zu spät. Nun frage ich Sie: Was haben Sie uns denn heute eigentlich zur Stabilität geboten außer dem einzigen Satz, wir sollten den Haushalt abermals kürzen. Sie haben nicht eine einzige zusätzliche Maßnahme außer Haushaltskürzung vorgeschlagen,
({12})
und Sie haben auch nicht einmal gesagt, wo Sie kürzen wollen.
({13})
Ich wiederhole, diese Bundesregierung, und zwar
diese ganz allein im Gegensatz zu allen anderen,
hat zur Frage der Stabilität der Währung folgendes
unternommen: 1. Die Aufwertung, 2. die Kürzung und Sperren der Haushalte 1969 und 1970, 3. die Konjunkturausgleichsrücklage, 4. die Förderung der Vermögensbildung, 5. die Zurückstellung von Steuersenkungen, 6. die vorübergehende Aussetzung der degressiven Abschreibung, 7. den rückzahlbaren Konjunkturzuschlag. Und nun sagen Sie immer noch, da sei nichts geschehen, wir wollten die Stabilität nicht. Das sagen Sie wider besseres Wissen, meine Damen und Herren.
({14})
- Es ist noch lange nicht Schluß. Sie haben dann
gesagt, wir wollten keine Stabilität und das seien nun doch inflationäre Tendenzen. Dazu muß ich Ihnen noch einmal sagen, was ist denn das eigentlich für ein Gerede von Inflation, wenn wir in Wirklichkeit einen Zuwachs hinsichtlich unseres allgemeinen Wohlstandes haben?
({15})
- Augenblick, Herr Windelen. - Es ist gar keine Frage, daß der Reallohn im Jahre 1970 um 7,3 % steigt. Es ist gar keine Frage, daß wir eine Rentensteigerung um 42 % von 1967 bis 1971 haben.
({16})
--- Was heißt „ohne Sie" ? Was soll denn das? Hier wird doch nur gesagt, was ist, Herr Strauß, und gar nicht, wer das gemacht hat.
Das war der Kollege Ott.
Kollege Ott? Er scheint auch aus Bayern zu sein. Deshalb habe ich sie durch die Sprache verwechselt.
({0})
Dann sage ich Ihnen noch etwas. Es gibt einen Punkt, den Sie mit den Maßnahmen, die wir ergriffen haben und deren Richtigkeit Sie nicht bestreiten können, mit marktkonformen Maßnahmen nicht in den Griff kriegen, das ist die Frage der Steigerung der Mieten. Sie haben hier von der Bundesregierung und vorn Finanzminister gehört, was diese Regierung alles getan hat und vorhat, um die Frage der Mieten in den Griff zu bringen. Nur eines wissen Sie genauso gut wie wir, nämlich daß alle diese Maßnahmen erst zu einem späteren Zeitpunkt eingreifen können, wenn Angebot und Nachfrage einigermaßen ausgeglichen sind. Das heißt, Sie können auf diesem Sektor mit marktkonformen Maßnahmen überhaupt nicht weiterkommen, sondern Sie könnten nur eine dirigistische Maßnahme wollen, die dann sofort eingriffe. Aber jetzt frage ich Sie: Wer in diesem Hause, gleich in welcher Fraktion, will auf diesem Sektor eine dirigistische Maßnahme? Da gibt es ein paar, ich gehöre z. B. dazu. Ich würde sagen: gut, man soll hier einen Mietstopp oder etwas Ähnliches machen. Aber das wird sofort von allen drei Fraktionen abgelehnt. Jeder weiß jedoch, daß nichts anderes hilft. Trotzdem sagt man, man
Hermsdorf ({1})
könne noch einmal mehr Geld für das Wohnungsgeld geben, mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau. Wir werden aus diesem Trouble nicht herauskommen. Das können Sie aber doch dieser Regierung nicht vorwerfen. Wer hat denn die Wohnungsmieten freigegeben, wir oder Sie? Das ist doch der Kern.
({2})
Wenn man all diese Dinge sieht und sieht, was diese Regierung in puncto Stabilität getan hat -
({3})
- Entschuldigung, hier ist als einziger anderer Vorschlag außer Haushaltskürzungen - von dem
Kollegen Strauß die Frage der Änderung des Stabilitätsgesetzes vorgebracht worden. Darüber zu reden, sind wir absolut bereit.
({4})
- Aber entschuldigen Sie, Herr Kollege Strauß: ist dieser Katalog von Ihnen, „Anwendung des Stabilitätsgesetzes", ja oder nein? Und dann frage ich Sie: was haben Sie denn früher getan? Sie haben ja nicht mal diesen Maßnahmen zugestimmt. Da waren Sie zu feige, ja oder nein zu sagen, bloß um sich am Schluß frei zu halten. Das ist doch der Kernpunkt.
({5})
Eines geht natürlich auch nicht. Sie können hier nicht immer wiederholen und sagen: Das einzige Mittel, das noch bleibt, ist, der Staat muß sparen. Herr Kollege Kirst hat hier eine phantastische Ausführung gebracht, die Sie natürlich genau kennen, aber nur nicht einsehen wollen. Für Sie ist tatsächlich der Staat nur diese Regierung. Alles andere existiert für Sie nicht. Was der Staat für Aufgaben hat, das sehen Sie überhaupt nicht ein.
({6})
- Aber lieber Herr Stücklen, Sie kenne ich nun viel besser.
Aber ich komme auf den Punkt zurück. Sie sagen: Es muß gekürzt werden. Gleichzeitig aber bringen Sie eine Flut von eigenen Gesetzentwürfen ein, die weit über das hinausgehen, was diese Regierung vorhat.
({7})
Ich zähle hier auf - da ist jetzt das abgezogen, was die Regierung tut; hier ist nur das von Ihren Anträgen enthalten, was über die Maßnahmen der Regierung hinausgeht -: da haben Sie für 1970 nach dem Stand von Mai - fortgeschrieben bis September - eine Mehranforderung für dieses Jahr von 480 Millionen DM und - jetzt runde ich sogar ab - für 1971 von 1,5 Milliarden, 1972 von 2,3 Milliarden, 1973 von 2,6 Milliarden und 1974 von 4,1 Milliarden DM.
({8})
- Herr Stücklen, hören Sie sehr genau zu! Dabei
habe ich nämlich Ihre Vorschläge, die Sie noch mit
unterschrieben haben - hinsichtlich der Mittelstandsfrage -, die uns im Jahr 1970 bereits eine
Einnahmeminderung von 3,8 Milliarden und bis 1974 eine Einnahmeminderung von 10 Milliarden bescheren würden, noch gar nicht mitgerechnet. Nun muß ich sagen: was ist das eigentlich für ein Schauspiel? Da wird gesagt „Haushalt streichen", und hier wird gesagt: Mehr als 10 Milliarden müssen wir noch zusätzlich ausgeben oder an anderer Stelle einsparen.
({9})
- Die verbale Erklärung von Herrn Windelen kenne ich sehr genau. Die reicht nicht aus, sondern Sie müssen konkret sagen, wo Sie sparen wollen. Sie sagen - und Sie haben es auch vor uns zugegeben -, das stehe sogar in Ihrem neuen Programmentwurf, daß Sie die Investitionsvorhaben fördern wollen. Aber gleichzeitig sagen Sie: Das ist die einzige Möglichkeit, wo gespart werden kann und muß.
Jetzt frage ich einmal den Volkswirtschaftler Kollegen Strauß: was glauben Sie denn, was für eine konjunkturelle Bremswirkung einträte, wenn wir Ihren Vorschlägen folgten - dann müßten Sie alle Ihre Anträge zurückziehen - und von 12 auf 8% heruntergingen? Was glauben Sie denn, was für eine konjunkturelle Bremswirkung davon ausgehen würde und wann sie greifen würde? Herr Strauß, das wissen Sie genauso gut wie ich. Aber Sie sind nun mal in der Sache festgehalten, und der Kernpunkt, warum Sie in dieser Sache der Haushaltskürzung festgehalten sind, ist nur der: Sie müssen diese Regierung hindern, ihre notwendigen Vorhaben für die Interessen des Fortschritts dieses Volkes durchzuführen. Das ist der Kernpunkt.
({10})
Wenn Sie das nicht wollen, wenn Sie kürzen wollen, müssen Sie sagen, wo Sie kürzen wollen. Ich frage Sie einfach: Wollen Sie nicht die Fortschreibung, das Weiterschreiben bei Bildung, Wissenschaft und Forschung, wollen Sie nicht den Schutz der Gesundheit, den Ausbau moderner Krankenhäuser, wollen Sie nicht die Weiterführung des Wohnungsbaus, wollen Sie nicht neue Straßen, .
({11})
wollen Sie nicht eine neue Agrarstruktur, wollen Sie nicht die Konsequenzen aus dem Weißbuch ziehen? Ich sage Ihnen, wir wollen das, und weil wir das wollen, werden wir die Schwerpunkte, die Prioritäten und die Ziele dieser Bundesregierung unterstützen und durchsetzen. Wir werden hier über weiteres reden, dann, wenn wir die Konjunktur von 1971 genau übersehen können.
({12})
Wenn Sie nur Maßnahmen vorschlagen, um der Regierung in den Arm zu fallen, können Sie nicht verlangen, daß wir das mitmachen.
({13})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen zu Punkt 3 der heutigen Tagesordnung liegen nicht mehr vor.
({0})
- Ich habe keine Wortmeldungen mehr.
Ich vertage die Beratung dieses Punktes nach den Vereinbarungen im Ältestenrat auf Mittwoch, den 7. Oktober 1970, nach Behandlung der Großen Anfrage der CDU/CSU zur Konjunkturpolitik.
Meine Damen und Herren, der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit tritt 15 Minuten nach Beendigung des Plenums zusammen.
Wir treten jetzt ein in die dritte Fragestunde
- Drucksache VI/ 1166 - dieser Woche.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Bundesminister Ehmke zur Verfügung. Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf. Ist der Abgeordnete im Saal? - Das ist nicht der Fall, die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Leicht auf:
Kann der Herr Bundeskanzler die von ihm im Zweiten Deutschen Fernsehen am 13 September 1970 abgegebene Erklärung, daß durch Finanzminister Möller „zum ersten Mal" ein Haushalt fristgerecht eingebracht worden sei und daß noch kein Finanzminister einen Haushalt für das kommende Jahr so früh eingebracht habe, durch einen Vergleich mit den Einbringungsdaten der früheren Bundeshaushalte belegen?
Das Wort hat Herr Bundesminister Ehmke.
Herr Kollege Leicht, seit 1961, dem ersten Jahr nach der Umstellung des Haushaltsjahres auf das Kalenderjahr, ist noch in keinem anderen Jahr der Haushaltsentwurf so frühzeitig im Deutschen Bundestag eingebracht worden wie der jetzt vorliegende. Damit hat der Deutsche Bundestag zum erstenmal die Möglichkeit, die Haushaltsberatungen so rechtzeitig abzuschließen, daß der Bundeshaushalt 1971 schon vor Beginn des Haushaltsjahres verkündet werden könnte.
In der Vergangenheit hat der Deutsche Bundestag dagegen seine Beratungen in der Regel erst im Oktober oder November aufnehmen können, zu Beginn einer neuen Legislaturperiode oder noch wesentlich später. Auch die nach der alten Reichshaushaltsordnung geltenden Termine - Bundesrat 1. Juli, Bundestag 5. Oktober - konnten in früheren Jahren nicht voll eingehalten werden. Demgegenüber entspricht die Zuleitung und Einbringung des Haushalts 1971 dem Gebot des § 30 der Bundeshaushaltsordnung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Leicht? - Keine.
Ich rufe dann die Frage 70 des Abgeordneten Leicht auf:
Bedeutet die weitere Erklärung des Herrn Bundeskanzlers im Zweiten Deutschen Fernsehen am 13. September 1970, die Steigerung des Haushaltsentwurfs 1971 gegenüber dem Haushaltssoll 1970 passe in die „zu vermutende" konjunkturpolitische Situation des Jahres 1971, daß der Bundeskanzler für das kommende Jahr 1971 die Gefahr einer wirtschaftlichen Stagnation oder Rezession sieht?
Herr Abgeordneter, mit keinem Wort hat der Herr Bundeskanzler in seinem Interview von einer Stagnation oder gar Rezessionsgefahr gesprochen, er hat lediglich festgestellt, daß nach Ansicht der Bundesregierung die für das kommende Jahr vorgesehene Ausweitung des Bundeshaushalts in die zu vermutende konjunkturpolitische Situation des Jahres 1971 hineinpassen werde.
In Anbetracht der bevorstehenden Haushalts- und Konjunkturdebatte möchte ich es bei dieser kutzgehaltenen Antwort belassen.
Könnte man vielleicht fragen, Herr Minister, ob nicht aus der heutigen Debatte neue Erkenntnisse gekommen sind?
Nein, da sich die Opposition zu der Frage der Prognose und der zukünftigen Entwicklung in keinem Punkt geäußert hat, sind mir keine zusätzlichen Erkenntnisse zu denen gekommen, die die Regierung schon selbst in die Debatte eingebracht hatte.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Leicht.
Herr Minister, glauben Sie nicht, daß nicht nur zur Prognose, sondern auch zur Diagnose, die ja Voraussetzung für die Prognose ist, heute sehr viel gesagt worden ist, zumindest so klar, wie es die Regierung selbst gesagt hat?
Das ist richtig, aber man müßte natürlich, um Ihre Frage zu beantworten, eine Prognose stellen, und das haben Sie heute genauso wenig getan, wie Sie heute Streichungen vorgeschlagen haben.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Frau Abgeordnete Schimschok hat gebeten, ihre Frage schriftlich zu beantworten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Moersch zur Verfügung.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Die Fragesteller Dr. Giulini und Strauß haben gebeten, daß ihre Fragen - Fragen 72 und 73 - schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß sich das Stärkeverhältnis bei interkontinentalen Raketen während der laufenden Verhandlungen um eine Begrenzung dieser größten und schrecklichsten Atomwaffen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion deutlich verändert hat?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident, ich beantworte die Frage wie folgt:
Der amerikanische Verteidigungsminister Laird hat im Mai dieses Jahres selber auf die in der Frage angesprochene Entwicklung hingewiesen, Danach hat die UdSSR durch eine verstärkte Aufrüstung auf dem Gebiet der strategischen Raketenwaffen, die sie auch während der SALT-Gespräche mit den USA fortsetzte, die numerische Parität mit den USA erreicht.
Für die landgestützten Interkontinentalraketen beträgt das Zahlenverhältnis etwa 1300 zu 1054 zugunsten der UdSSR. Dagegen ist für die von den U-Booten zu startenden Interkontinentalraketen das Zahlenverhältnis etwa 280 zu 656 zuungunsten der UdSSR. Damit ist jedoch das darf ich hier hinzufügen - nur ein Teilaspekt der allgemeinen Kräftebilanz angesprochen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung grundsätzlich auch die Zahlen bestätigt, die z. B. von dem Institut für strategische Studien in London herausgegeben worden sind, nach denen sich seit August 1969 bis 1970, also im letzten Jahr während der laufenden Abrüstungsverhandlungen, die Zahl der Interkontinentalraketen bei der Sowjetunion um 250 gesteigert hat, während die Amerikaner bei ihrem alten Bestand geblieben sind, so daß wir derzeit von einem deutlichen Plus von etwa 250 Interkontinentalraketen bei der Sowjetunion ausgehen müssen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe genau diese Frage .soeben beantwortet und genau die Zahlen genannt, bei denen Sie zu der Differenz von 250 bei landgestützten Interkontinentalraketen kommen. Ich habe aber auch auf die von U-Booten abzufeuernden Interkontinentalraketen hingewiesen, bei denen sich das Verhältnis nicht zugunsten der UdSSR entwickelt hat. Für die Zahlen, die mir vorliegen, habe ich als Quelle den amerikanischen Verteidigungsminister zitiert. Wir haben keine Möglichkeit, eigene Erhebungen anzustellen. Ich kann lediglich bestätigen, daß das Institut, das Sie genannt haben, ähnliche Zahlen veröffentlich hat. Mehr kann ich dazu nicht sagen; sonst würde ich möglicherweise meine Sorgfaltspflicht verletzen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Trifft es zu, Herr Staatssekretär, daß die für die Bundesrepublik Deutschland und für ganz Westeuropa besonders wichtigen Kontinentalraketen - wenn ich sie einmal so nennen darf -, die Raketen mit einer Reichweite, mit der sie ganz Westeuropa bestreichen können, die in der Sowjetunion zahlenmäßig immer besonders stark vorhanden waren und für die wir im Westen nur relativ wenig Gegenmittel haben, in die internationalen SALT-Gespräche von der Sowjetunion nicht einbezogen werden sollen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege, ich kann Ihnen diese Frage hier im Detail nicht beantworten. Das ist Gegenstand von Gesprächen zwischen Regierungen. Sie sind Mitglied des Verteidigungsausschusses und haben dort Gelegenheit, in vertraulichen Sitzungen Auskünfte zu erlangen. Hier wäre nicht der richtige Ort, die Information der Bundesregierung darüber preiszugeben.
Aber ich darf Ihnen ganz allgemein sagen, daß zweifellos trotz dieser vorhin genannten Verschiebungen die USA eindeutig in der Lage bleiben, daß Prinzip der gegenseitigen Abschreckung, das auch die Sicherheit der Bündnispartner garantiert - darum geht es uns hier in erster Linie -, aufrechtzuerhalten. Sie besitzen eine überlegene Fernbomberrüstung, und sie sind dabei, die vorhandenen Raketen zum Teil mit Mehrfachsprengköpfen auszustatten und ein Raketenabwehrsystem - ABM - aufzubauen. Man muß diese Dinge in einem Zusammenhang sehen. Ich glaube, der Verteidigungsausschuß ist der richtige Ort, wo Ihre Informationswünsche besser erfüllt werden können.
Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Zu welchen Ergebnissen hat die vom Bundeskanzler nach der Unterzeichnung des Vertrages von Moskau an die westlichen Regierungschefs ausgesprochene Einladung zu einem Gipfeltreffen bis jetzt geführt?
Herr Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Der Herr Bundeskanzler hat in den Botschaften, die er im August 1970 im Zusammenhang mit der Paraphierung und der Unterzeichnung des Vertrags mit der Sowjetunion an die Staats- bzw. Regierungschefs der drei für Deutschland und Berlin besonders verantwortlichen Mächte gerichtet hat, ein Treffen der Staats-
bzw. Regierungschefs oder der Außenminister angeregt. Dieser Gedanke ist in den drei Hauptstädten grundsätzlich positiv aufgenommen worden. Der
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
genaue Termin und die Frage, ob die Konferenz auf der Ebene der Regierungschefs oder der Außenminister abgehalten werden soll, werden auf diplomatischem Wege im Lichte der weiteren die Deutschland- und Berlin-Frage berührenden Entwicklung geklärt werden.
Ich rufe die Fragen 76 und 77 des Abgeordneten Reddemann auf. - Der Abgeordnete ist nicht im
Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. Oktober 1970, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.