Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in dieser Woche ein konjunkturpolitisches Programm erarbeitet, das nun in diesem Hohen Hause zur Diskussion und in seinen Kernpunkten zur Abstimmung steht.
Sie, meine Damen und Herren, sind hierzu auf Antrag der Koalitionsfraktionen und des Herrn Bundeskanzlers zu einer Sondersitzung in den Parlamentsferien zusammengetreten. Die Bundesregierung dankt Ihnen allen dafür, daß Sie nach dem anstrengenden und arbeitsreichen ersten Jahr des 6. Deutschen Bundestages auch diese Mühe auf sich genommen haben, um wichtige Beschlüsse für die Sicherung der Stabilität unserer Wirtschaft zu fassen.
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Mit dieser Parlamentssitzung wird dokumentiert, daß wir alle in diesem Hause die Grundsätze des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes sehr ernst nehmen. Das war auch die Quintessenz des Nachtrages zum Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vom 26. Mai 1970. Es heißt dort unter Ziffer 23:
Die Bundesregierung betont - ich darf zitieren --,
daß sie Geldwertstabilität und hohen Beschäftigungsstand nach wie vor für gleichrangige Ziele hält. Das bedeutet einerseits, daß sie nicht bereit ist, angemessenes Wachstum und hohen Beschäftigungsstand aufs Spiel zu setzen. Das heißt andererseits ebenso eindeutig, daß sie nicht zögern würde, ihre Stabilitätspolitik zu verschärfen, wenn sich der Preisauftrieb erneut beschleunigen sollte oder die Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank wegen der Entwicklung auf den internationalen Geld- und Kapitalmärkten entlastet werden müßte.
Die Bundesregierung ist der Meinung, daß diese Bedingungen sich jetzt erfüllen, daß also zusätzliche stabilitätspolitische Maßnahmen erforderlich sind. Die Bundesregierung hat im Zusammenwirken mit den Fraktionen der SPD und der FDP eine stabilitätspolitische Strategie entwickelt,
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die auf folgenden vier Überlegungen beruht. - Warten Sie nur ab!
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Erstens. Die Maßnahmen sollen der konjunkturellen Übersteigerung entgegenwirken und zugleich die sich an einigen Stellen zeigenden Entspannungstendenzen fördern. Die Lage ist immer noch durch eine extrem hohe Anspannung aller Kräfte der
Wirtschaft gekennzeichnet. Das gilt für den Produktionsbereich ebenso wie für den Arbeitsmarkt.
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Die Arbeitslosenquote sank im Juni - das ist die letzte Zahl - auf 0,4 °/o. Die Zahl der offenen Stellen von fast 900 000 übersteigt die Zahl der Arbeitssuchenden gegenwärtig um mehr als das Neunfache. Die hohen Auftragspolster der Industrie, insbesondere der Investitionsgüterindustrie, sind in den letzten Monaten nicht abgebaut worden. Die Elastizität der Produktion wird nach der nun zweijährigen Periode der Höchstleistung schwächer. Das Arbeitskräfteangebot kann praktisch nur noch vom Ausland her ausgeweitet werden; die Zahl der Gastarbeiter ist im Juni auf 1,84 Millionen angestiegen.
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Die Produktivitätssteigerung zeigt nach den Rekordzunahmen der jüngsten Vergangenheit Ermüdungserscheinungen.
Meine Damen und Herren, der Preisindex für die Lebenshaltung lag auch im Juni, wie schon in den beiden Vormonaten, um 3,8 % über dem Vorjahresstand. Der Anstieg gegenüber dem Vormonat hat sich dabei wieder etwas beschleunigt, von 0,2 % im Mai auf 0,3 % im Juni. Der Index für industrielle Erzeugerpreise liegt mit 6,2 % gegenüber dem Vorjahr noch auf einem zu hohen Niveau. Die Preise der Investitionsgüter sind in den letzten Monaten sogar um 10 % angestiegen.
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Der Index der Großhandelsverkaufspreise ist im .Juni dieses Jahres - und das ist eine ganz neue Zahl - allein um 1,6% gegenüber dem Vormonat gestiegen und steht damit um 7,1 % über dem Vorjahresstand. Gleichzeitig gibt der in die Zukunft gerichtete Konjunkturtest des Ifo-Instituts neue Warnzeichen: nach einer Phase, in der die Preissteigerungserwartungen bei Industrie und Handel zurückgingen, nimmt die Erwartung steigender Verkaufspreise wieder zu. Ich glaube sagen zu können: alle diese Indikatoren rufen uns zum zusätzlichen Handeln auf.
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Die neuen Maßnahmen sollen zugleich, wie erwähnt, die Tendenzen zum Gleichgewicht fördern, die als Anfangserfolge der bisherigen Stabilisierungsmaßnahmen von Bundesregierung und Bundesbank sichtbar geworden sind. Die Entspannungstendenzen zeigen sich bisher in einer Beruhigung des Nachfrageanstiegs bei der Industrie, d. h. die Auftragseingänge gehen - wenn auch auf hohem Niveau -- leicht zurück. Von hier betrachtet, dürfte der Boom seinen Höhepunkt überschritten haben. Aber gerade in einer solchen Situation muß die „nachhinkende" Preisentwicklung schnell an die ruhigere Nachfrageentwicklung herangeführt werden.
Was die im Nachtrag zum Jahreswirtschaftsbericht angesprochene Geldpolitik angeht, so machen es die internationalen Vorgänge der Bundesbank schwerer, Liquiditätszuflüssen vom Ausland her entgegenzuwirken. So war auch die jüngste Erhöhung der Mindestreservesätze vom 1. Juli um 15% ausschließlich als teilweise Kompensation auslandsbedingter Liquiditätsvermehrung gedacht. Diese Entwicklung zeigt deutlich genug, daß die Bundesbank durch die staatliche Konjunkturpolitik jetzt entlastet werden muß. Es muß alles getan werden, damit es nicht zu einer zweiten Preiswelle im Herbst dieses Jahres kommt. Sonst droht die Gefahr einer Stagnation mit weiterwirkenden Inflationstendenzen. Ausländische Beispiele sollten uns warnen. Sie sollten es überflüssig machen, daß wir eigene Erfahrungen sammeln. Wer diese Lehre versteht, muß heute handeln.
Zweitens. Die zweite Überlegung ist die, daß eine Akzentverschiebung im Ansatz unserer Dämpfungsmaßnahmen von der Ausgabenpolitik der öffentlichen Haushalte zur Steuerpolitik notwendig ist. Im Nachtrag zum Jahreswirtschaftsbericht hat es hierzu in Ziffer 24 geheißen, daß bei Anhalten der Auftriebstendenzen eine ausgewogene Stabilitätspolitik auch eine Eindämmung der nichtöffentlichen Nachfrage erforderlich machen würde. Natürlich heißt das nicht, daß nun nach Verabschiedung des Haushalts 1970 bisher aufgeschobene Ausgaben ohne konjunkturpolitische Rücksichten massiert getätig werden könnten. Das bringt Punkt 1 der sechs Regierungsbeschlüsse vom 7. Juli zum Ausdruck. Wir können aber eine auf möglichst stetiges Wachstum angelegte Politik nicht so betreiben, meine Damen und Herren, daß im Bedarfsfall immer die öffentliche Investition hinter der privaten Investition zurücktreten muß.
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Wir können auf die Dauer die öffentlichen Investitionsausgaben nicht zum alleinigen Mittel staatlicher Konjunkturpolitik machen. Die so entstehenden Engpässe im Bereich der Infrastruktur behindern dann auch die Entfaltung der privaten Investitionstätigkeit, denn beide private und öffentliche Investition - sind in der Nutzung weitgehend komplementär.
Und noch ein Weiteres ist zu bedenken. Mit steigendem Einkommen der privaten Haushalte wachsen nicht nur die Bedürfnisse nach privatem Konsum, sondern auch, und zwar überproportional, die Bedürfnisse nach mehr und nach besserer öffentlicher Leistung. Auch das, meine Damen und Herren, ist individueller Bedarf, Nachfrage der Bürger dieses Landes und nicht etwa Ehrgeiz eines anonymen Leviathans. Das ist unser Staat, der ein größeres und besseres Angebot an Leistungen darbieten muß.
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Eindämmung der nichtöffentlichen Nachfrage in der mehr kurzfristig orientierten konjunkturpolitischen Sicht bedeutet Investitionsaufschub und Abschöpfung von Kaufkraft im privaten Bereich. Diese Zielsetzung hat zu den Punkten 2 bis 4 des Konjunkturprogramms der Regierung geführt.
Befristete Aussetzung der degressiven Abschreibung, Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes zu einem konjunkturpolitisch geeigneten Zeitpunkt im Lauf der Legislaturperiode und Erhebung eines zehnprozentigen befristeten Konjunkturzuschlages zur Einkommen- und Körperschaftsteuer mit Sozialklausel und mit individueller Rückerstattung spätestens bis zum 31. März 1973, diese Maßnahmen deuten die Verlagerung von der Ausgabenpolitik zur Steuerpolitik an. In dieser Verlagerung, meine Damen und Herren, liegt der „harte Kern" des Programms. Hier zeigt sich auch, daß Stabilität weh tun kann. Aber jeder wird den Schmerz, den der Eingriff verursacht, schließlich dem Schmerz einer unkontrolliert ablaufenden Krankheit eben dem Preisauftrieb - vorziehen.
Drittens. Es findet aber nicht nur ein fiskalpolitisches „Umrüsten" von der Ausgabenpolitik zur Steuerpolitik statt. Die Beschlüsse der Bundesregierung sind nach Beratungen zwischen Regierung und Vertretern der Bundesbank erfolgt. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Bundesbank ihre Kreditpolitik auf diese Maßnahmen der Bundesregierung abstimmt. Wir sind mit der Bundesbank im Gespräch, wie im Verlauf der staatlichen Stabilisierungsmaßnahmen ein Abbau des Zinsniveaus zu erreichen ist. Dabei werden die Effizienz der staatlichen Maßnahmen und die internationale Entwicklung auf dem Gebiet von Geld und Zins ausschlaggebend sein. Jedenfalls ist die Voraussetzung dafür geschaffen, daß in der Zinspolitik die Bundesbank die internationalen Aspekte wieder stärker beachten kann.
Viertens. Die zusätzlichen konjunkturpolitischen Stabilisierungsmaßnahmen der Bundesregierung sollen auch die Erwartungen und Verhaltensweisen der Menschen in der Wirtschaft beeinflussen. Die lange Dauer der konjunkturellen Überhitzung hat vielfach die Preissteigerungserwartungen in der Bevölkerung weiter angefacht. Dem muß eine staatliche Aktion entgegengesetzt werden. Der Wille der Regierung zur Stabilität, den diese Regierung bereits mit der Aufwertung der D-Mark, mit den Ausgabensperren und mit den Konjunkturausgleichsrücklagen unter Beweis gestellt hat, muß erneut allen in Erinnerung gerufen werden. Dieses Programm, das vorgeschlagene Paket und Bündel von Maßnahmen, läßt für Inflationspsychose und für lnflationsmentalität keinen Raum.
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Das Paket von Maßnahmen ist ein deutliches Signal an alle, auch an die autonomen Gruppen der Gesellschaft, damit sie ihre Rolle in einer abgestimmten Stabilisierungsaktion durch entsprechendes preispolitisches und lohnpolitisches Verhalten spielen können. Die Gespräche im Rahmen der Konzertierten Aktion am 17. Juli werden dies verdeutlichen müssen. Sie werden gleichzeitig ein Test darauf sein, ob dieses Programm vom gesellschaftlichen Bewußtsein verstanden wird.
Das vorgelegte Programm ist ein Ganzes. Sie, meine Damen und Herren, werden auch den konjunkturpolitischen Fortschritt, der sich darin verkörpert, erkennen. In Brüssel ist dieser Fortschritt bereits vom Konjunkturausschuß der Europäischen Gemeinschaften anerkannt worden, auch weil durch diese deutschen Maßnahmen die Stabilisierungsbemühungen der anderen Länder unterstützt werden. Zugleich hat der Währungsausschuß der OECD die neuen deutschen Maßnahmen begrüßt.
Die Bundesregierung ist aber auch nicht überrascht, daß die Maßnahmen in der deutschen Öffentlichkeit nicht nur auf Zustimmung gestoßen sind, sondern auch auf Kritik, eine Kritik mit wechselnden Fronten und verteilten Rollen. Dieses Gegeneinander von Zustimmung und Ablehnung in unserer Gesellschaft zeigt aber auch: Dieses Programm verteilt die Belastungen und Risiken auf alle; dieses Programm ist ausgewogen und in seiner sozialen Gestaltung so gerecht wie möglich.
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Das Programm widersteht zugleich gewissen Einwendungen und Vorwürfen:
Erstens. Wir werden die Konjunktur in dieser Spätphase des Booms auf keinen Fall übersteuern. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind jederzeit variabel und reversibel, sie können jederzeit gemildert und rückgängig gemacht werden. Das gilt für eine vorzeitige Beendigung der Aussetzung der degressiven Abschreibung ebenso wie für den rückzahlbaren Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, den die Regierung vorzeitig senken oder aufheben kann. Es gilt auch für die Vertagung des Steueränderungsgesetzes auf einen konjunkturpolitisch richtigen Zeitpunkt in dieser Legislaturperiode. Durch die Flexibilität werden die Maßnahmen, die jetzt gegen Überhitzung und Preisauftrieb eingesetzt werden, im Bedarfsfall Waffen gegen mögliche Anzeichen der konjunkturellen Abschwächung oder gar gegen eine Rezession. Es sind hier Instrumente gegeben, die über die Möglichkeiten des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes hinausreichen.
Zweitens. Das Programm widersteht auch dem Vorwurf, es mache den Arbeitnehmer zum Prügelknaben der Konjunktur. Meine Damen und Herren, die zeitlich begrenzte Vorauszahlung zur Einkommen- und Körperschaftsteuer ist einmal keine Steuererhöhung; es besteht vielmehr ein individueller, gesetzlich fixierter Anspruch auf Anrechnung oder Rückzahlung. Die Bundesbank wird in der ganzen Zeit die vorausgezahlten Steuerbeträge treuhänderisch verwalten. Zum anderen trifft die Steuervorauszahlung auch die Selbständigen und die Unternehmen. Und sie trifft nicht die lohnsteuerpflichtigen kleinen Einkommen. Rund 14 Millionen Lohnsteuerpflichtige werden wegen der Freigrenze von Steuervorauszahlungszuschlag überhaupt nicht berührt. Die Vorauszahlung beginnt z. B. bei einem verheirateten Arbeitnehmer mit zwei Kindern bei einem steuerpflichtigen Monatslohn von 1195 DM mit einer Belastung von 0,84 % dieses Monatslohns. Bei einem Monatslohn von 1500 DM beträgt die vorübergehende Last 1,05%, und erst hei einem Monatslohn von 4000 DM beläuft sie sich auf 2,10 %.
Drittens. Die vorgelegten Maßnahmen trifft ebensowenig der Vorwurf, sie würden einseitig die Investitionen belasten. Zwar sind die Unternehmen
dem rückzahlbaren Einkommen- und Körperschaftsteuerzuschlag und dem befristeten Wegfall der degressiven Abschreibung ausgesetzt. Jedoch verzeichnen die Konjunkturdaten gerade hier noch immer den größten Nachfrageüberhang und die höchsten Zuwachsraten bei den Preisen. Der Sinn der befristeten Aussetzung der degressiven Abschreibung ist überdies nicht die Erzielung von mehr Staatseinnahmen, sondern eine gewisse Verschiebung von Investitionsaufträgen. Wer hier unter dem Einfluß der Aussetzung der degressiven Abschreibung Aufträge hinausschiebt und damit der Steuer ausweicht, handelt also durchaus im Sinne dieses Programms. Das sollte um so leichter fallen, als dem Investor im nächsten Jahr auch die weitere Senkung der Investitionssteuer um zwei Prozentpunkte zugute kommt.
Meine Damen und Herren, Initiative und Fleiß werden durch dieses Programm nicht bestraft, sondern es werden neue Rahmenbedingungen für eine stabile gesamtwirtschaftliche Entwicklung geschaffen, eine Entwicklung, die die Früchte privater Initiative und individuellen Fleißes erst nachhaltig sichert. Das sollte auch der bedenken, der durch Weniger-Sparen oder gar durch Entsparen den Auswirkungen der Konjunkturzuschläge auf seine Konsumausgaben zu entgehen sucht. Er verzichtet dann freiwillig darauf, bei hohen Zinsen die Ausgabensteigerung etwas zu drosseln, um später bei niedrigem Zinssatz mehr für sein Geld zu kaufen. Das hochentwickelte Stahi]itätsbewußtsein der deutschen Sparer gibt der Bundesregierung die Zuversicht, daß gerade sie dieses Programm unterstützen werden.
Die Bundesregierung ist überzeugt, daß es der Wirtschaft der Bundesrepublik mit diesem Programm erleichtert wird, auf den Pfad zu gelangen, auf dem sie 1971 ihr Wachstum bei voller Ausnutzung aller Ressourcen, aber ohne schädliche Überhitzungen, fortsetzen kann. Das wird sich schon im weiteren Ablauf dieses Jahres 1970 zeigen. Ein besserer Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage wird den Unternehmern mehr Vorsicht bei ihrer Kosten- und Preisgestaltung ratsam erscheinen lassen. Eine weitere Dämpfung des Preisauftriebs wird es erlauben, die jetzt erreichte Lohnquote beizubehalten, ohne daß bei den zukünftigen Lohnsteigerungen weitere Preissteigerungserwartungen die Nominallöhne aufblähen, dem Lohnempfänger aber keinen entsprechenden Gegenwert an realer Kaufkraft bringen.
Ich fasse zusammen. Die Maßnahmen von heute sind mit umgekehrten Vorzeichen - auch die stabilisierenden Maßnahmen von morgen. Das setzt allerdings voraus, daß diese Aktion der Regierung von diesem Parlament gebilligt wird. In diesem Sinne bittet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag um Zustimmung zur vorgelegten Zweiten Verordnung über steuerliche Konjunkturmaßnahmen. Und in diesem Sinne begrüßt die Bundesregierung den Gesetzentwurf von SPD und FDP über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer.
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Meine Damen und Herren, die Fraktionen, die diese Regierung tragen, haben das von der Regierung vorgelegte Programm in ihren Vorverhandlungen ausführlich diskutiert und in den Grundzügen gebilligt. Auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben sich in den letzten Wochen immer wieder für zusätzliche Stabilisierungsmaßnahmen ausgesprochen. Es wäre deshalb logisch, wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen auch Ihre Billigung fänden.
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Ein deutliches und klares Wort von diesem Parlament in diesen Tagen gesprochen, das wäre ein besonders wichtiges und unüberhörbares Zeichen für die deutsche Bevölkerung und für die deutsche Wirtschaft. Es wäre ein Zeichen dafür, daß die Signale eindeutig auf Stabilität und Wachstum gestellt sind.
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Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, das Haus ist wohl damit einverstanden, daß ich nunmehr gleichzeitig die Tagesordnungspunkte 2, 3 und 4 aufrufe und daß die Aussprache zu den vier Punkten der Tagesordnung miteinander verbunden wird:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer
Drucksache VI/ 1017 Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Zweiten Verordnung über steuerliche Konjunkturmaßnahmen
- Drucksache VI/1013 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. konjunkturpolitische Dämpfungsmaßnahmen
- Drucksache VI/1025 ({14}) Dabei werde ich wie folgt verfahren: Zunächst wird die Vorlage zu 2, also das Initiativgesetz der Fraktionen der SPD und der FDP, begründet, und zwar durch den Abgeordneten Mertes. Danach wird die Aussprache eröffnet, und zwar durch den Abgeordneten Dr. Stoltenberg, der in seinem Debattenbeitrag gleichzeitig den Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit begründen wird. Ich verweise darauf, daß die Drucksache, die ursprünglich verteilt wurde - VI/1025 -, die diesen Antrag enthält, durch die Drucksache VI/1025 ({15}) ersetzt worden ist, die entweder schon verteilt wird oder in einigen Minuten verteilt werden wird.
Das Wort hat nunmehr zur Begründung des unter Tagesordnungspunkt 2 eingebrachten Gesetzentwurfs der Abgeordnete Mertes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den wichtigsten Pflichten aller Mitglieder dieses Hauses gehört es, über die gesunde Entwicklung der materiellen Basis unseres Volkes zu wachen und sie zu fördern. Die3448
ser schweren Pflicht kann weder durch hektische Betriebsamkeit noch durch Untätigkeit genügt werden.
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Sie erfordert vielmehr - und das vor allem in der Konjunkturpolitik - eine gründliche und nüchterne Analyse, die Bildung eines wohlabgewogenen Urteils und entschlossenes Handeln, wenn es die zugegebenermaßen häufig nicht leicht zu interpretierenden Indikatoren der wirtschaftlichen Entwicklung angezeigt erscheinen lassen. Die dem Wirtschaftsprozeß innewohnende Dynamik duldet keinen Aufschub, und diese Dynamik orientiert sich auch nicht an dem saisonalen Rhythmus der Parlamente. Das mag bedauerlich sein, ist aber leider nicht zu ändern.
Lassen sie mich zunächst mit einigen großen Pinselstrichen ein Bild der heutigen wirtschaftlichen Lage zeichnen. Die Überhitzung in der Wirtschaft der Bundesrepublik hält an. Ich glaube, daran besteht wohl kein Zweifel.
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Beschäftigungspotential und Produkktionskapazitäten sind bis zum äußersten gefordert. Bisher kam es noch nicht zu einem Abbau der sehr hohen Auftragsbestände und mithin auch nicht zu der wünschenswerten Verringerung des Nachfragedrucks. Die Auftragsbestände der Industrie sichern eine Produktionsdauer von über vier Monaten. Die Bestellungen der Industrie liegen weiterhin über den gleichzeitigen Lieferungen. Im April und Mai waren es 5 %, in der Verbrauchsgüterindustrie sogar 10 %. Ein solches, noch nie gekanntes Auftragspolster hat natürlich seine Rückwirkungen auf das Denken und Handeln der am Wirtschaftsprozeß Beteiligten. Maßstäbe drohen verlorenzugehen, deren Verlust die Solidität der deutschen Wirtschaft erschüttern könnte.
lm Bereich der Bauwirtschaft hat die Nachfrage im öffentlichen Tiefbau im bisherigen Jahresverlauf konjunkturell abgenommen, doch zeigten die Hochbaugenehmigungen nach einem Rückgang im ersten Jahresviertel im April wieder einen sehr kräftigen Anstieg. Der private Verbrauch entwickelte sich, begünstigt durch die kräftigen Einkommenssteigerungen, sehr lebhaft. Selbstverständlich soll wohlverdientes Einkommen der Erfüllung der Verbraucherwünsche dienen; aber wir müssen uns ernsthaft die Frage vorlegen, oh der Produktionsapparat nicht überfordert wird, wenn alle Wünsche gleichzeitig befriedigt werden sollen.
Die Industrieproduktion erweist sich zwar weiterhin als bemerkenswert elastisch, jedoch sind bei deutlicher Verlangsamung der Produktivitätsfortschritte gewisse Grenzen deutlich geworden. Die Bautätigkeit kam nach dem strengen Winter erst im späten Frühjahr wieder richtig in Gang. Die starke Anspannung des heimischen Produktionsapparates wird, mindestens teilweise, durch die kräftige Einfuhr insbesondere von Fertigwaren gemildert. Es gilt jedoch zu bedenken, meine Damen und Herren, daß per Saldo den deutschen Märkten durch den Exportüberschuß Güter entzogen werden.
Besonders deutlich signalisiert der Arbeitsmarkt die Überbeanspruchung. Bei einer Arbeitslosenquote von 0,4 % kann das Angebot an Arbeitskräften praktisch nur noch durch zusätzliche Gastarbeiter erhöht werden. Aber auch diese Entlastungsmöglichkeit ist begrenzt, da die Anwerbung von Gastarbeitern, deren Zahl, wie Sie wissen, bereits 1,8 Millionen beträgt, allmählich schwierig wird.
Wie hat sich nun dieser Arbeitskräftemangel auf die Lohnentwicklung ausgewirkt? Die tariflichen Verdienstaufbesserungen fielen im ersten .Jahresdrittel 1970 mit rund 11 °'o gegenüber dem Vorjahr größer aus als im letzten Drittel von 1969, obwohl damals unter dem Eindruck der Arbeitsniederlegungen vom September eine fällige Anpassung an den fortgeschrittenen konjunkturellen Aufschwung vollzogen wurde. Das volle Ausmaß der Lohn- und Gehaltsexpansion wird jedoch erst deutlich an der Entwicklung der Effektivverdienste je Beschäftigten, die im ersten Drittel 1970 um knapp 16 % über dem entsprechenden Vorjahresniveau lagen. Da die Produktivitätszunahme mit der Lohn- und Gehaltssteigerung des gegenwärtigen Ausmaßes nicht Schritt halten kann, wird die Diskrepanz zwischen Lohnkosten und Produktivität zunehmend größer.
Um nun, meine Damen und Herren, das aktuelle Konjunkturbild zu komplettieren, möchte ich mich der Preissituation auf den Gütermärkten, die zwar nicht letzte Ursache, aber doch wichtiger Anlaß dieser Sitzung ist, zuwenden.
Der Anstieg der industriellen Erzeugerpreise, der am Jahresanfang sehr steil war, hat sich abgeflacht. Der Abstand zum entsprechenden Vorjahresniveau liegt jedoch noch immer über 6 %, bei den Baupreisen sogar bei 14,8 %. Die private Lebenshaltung hat sich von Januar bis Mai weiter verteuert. Der Anstieg war im Mai und .Juni aber nicht mehr stärker als im Vorjahr, so daß der Preisabstand gegenüber der entsprechenden Vorjahreszeit, der im April 3,8 % erreicht hatte, zuletzt unverändert geblieben ist.
Die Abflachung der ansteigenden Preiskurve gibt allerdings weder bei den industriellen. Erzeugerpreisen noch beim Preisindex für die Lebenshaltung Gewähr für eine künftige ruhigere Preisentwicklung.
Nach den jüngsten Ergebnissen des Ifo-Konjunkturtestes - es wurde bereits darauf hingewiesen - hat die Zahl der Unternehmer, die in der Zukunft mit Preissteigerungen rechnen, sowohl in der verarbeitenden Industrie als auch im Einzelhandel wieder zugenommen. Solange die Spannungen auf den Märkten und der Kostendruck auf die Preise anhalten, ist die Gefahr nicht beseitigt, meine Damen und Herren, daß die Preise stärker ansteigen, als politisch toleriert werden kann.
Angesichts der jüngsten Konjunkturdaten dürfen wir uns nicht dem Gedanken hingeben, daß die Erschwerung der Finanzierung, die seit der Aufwertung bewirkt wurde, sowie die zurückhaltende Haushaltsgebarung des Bundes allein schon die
Garantie für eine Besserung bieten. Es ist nämlich deutlich geworden, (d die restriktive Kreditpolitik, ein Hauptpteiler im Gebäude der bisherigen Stabilitätspolitik, in zunehmender Gefahr schwebt, vom Ausland her unterspült zu werden. Deutliche Hinweise auf das Ausmaß dieser Gefahr haben die Devisenzuflüsse von 3,4 Milliarden DM im Juni und 2,8 Milliarden DM in den ersten acht Juli-Tagen ergeben. Wenn die weitere Entwicklung dem gegenwärtig noch wirksamen Bündel restriktiver Maßnahmen überlassen bleibt, das sich hinsichtlich der Kreditpolitik zudem bald auflösen kann, wird das Dilemma einer Stagnation der Nachfrage bei fortgesetztem Preis- und Kostenanstieg akut.
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Präsident von Hassel: Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Ich bitte diejenigen, die Gespräche längerer Art zu führen haben, sich etwas in den Hintergrund zu begeben. Es ist sonst sehr schwer für die gesamte Verhandlungsführung. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Meine Damen und Herren, der Preisanstieg ergibt sich dabei nicht zuletzt daraus, daß bei noch angespanntem Arbeitsmarkt die Effektivlöhne weiterhin in einem Ausmaß steigen, daß bei abnehmender Produktivitätssteigerung nicht stabilitätskonform ist. Je tiefer die Konjunkturpolitik in dieses Dilemma gerät, desto stärker sind ihr die Hände für eine dann möglicherweise notwendige expansive Politik gebunden. Wohin das führen kann, zeigen z. B. die Vorgänge in den USA. Angesichts dieser Situation eröffnet, wie ich schon sagte, nur schnelles und in der Wahl der Instrumente abgewogenes Handeln die Aussicht, diesem Dilemma zu entgehen.
Ich komme damit auf den vorliegenden Gesetzentwurf zu sprechen, der von den Koalitionsfraktionen eingebracht wurde und der die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlages zur Einkommen- und Körperschaftsteuer vorsieht. Dieser Gesetzentwurf stellt einen bedeutenden Fortschritt in der Entwicklung des konjunkturpolitischen Instrumentariums der Steuerpolitik dar. Die erheblichen budgetpolitischen Anstrengungen der Bundesregierung
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und die kreditpolitischen Maßnahmen der Bundesbank haben nicht ausgereicht - das muß offen zugegeben werden ,
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die Übernachfrage in der deutschen Volkswirtschaft und die daraus resultierenden Preiserhöhungstendenzen zu dämpfen. Deshalb sind steuerpolitische Mittel erforderlich, um ein Überschlagen der Konjunktur zu verhindern. Da der Boom mittlerweile die ganze Wirtschaft einschließlich der Verbrauchernachfrage erreicht hat,
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erscheint es unumgänglich, die Bremsen auf breiter Front, auch von der Einnahmenseite her, anzuziehen, um Kaufkraft. sowohl im gewerblichen als auch im privaten Bereich abzuschöpfen und, was das Entscheidende ist, stillzulegen.
An und für sich hätte man dazu auf die Bestimmung des § 26 Nr. 3 Buchstabe b des Stabilitätsgesetzes zurückgreifen können, nach der die Bundesregierung ermächtigt ist, die Einkommen- und Körperschaftsteuer auf dem Verordnungswege zeitweilig um 10 % zu erhöhen. Dieser Weg - das muß ebenfalls sehr deutlich gesagt werden - hätte allerdings zu einer definitiven Steuererhöhung geführt, weil diese Gesetzesbestimmung eine Rückzahlung des zusätzlichen Steuerbetrages nicht vorsieht.
(Abg. Dr. Schmidt ({3})
Der Entzugseffekt bei den Steuerpflichtigen hätte also einen endgültigen Charakter gehabt. Wir alle wissen, auf welchen Widerstand Steuererhöhungen in der Bevölkerung stoßen, und zwar mit Recht angesichts einer gesamtwirtschaftlichen Steuerquote von derzeit bereits rund 24 %. Es wäre daher wesentlich schwieriger gewesen, bei einem endgültigen Entzugseffekt die Zustimmung breiter Bevölkerungskreise für die steuerpolitischen Maßnahmen des Dämpfungsprogramms zu gewinnen. Mir scheint, daß der Weg, den wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einschlagen, besser ist als die Anwendung der entsprechenden Bestimmungen des Stabilitätsgesetzes. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch anregen, bei einer künftigen Novellierung des Stabilitätsgesetzes diese Erfahrungen zu berücksichtigen und u. a. einen rückzahlbaren Konjunkturzuschlag in das Instrumentarium dieses Gesetzes aufzunehmen.
Überdies scheint mir der Weg über den rückzahlbaren Zuschlag zur Lohn- und Einkommensteuer auch konjunkturpolitisch besser zu sein. Bei einer zeitweiligen Kaufkraftabschöpfung läßt sich nämlich niemals mit völliger Sicherheit ausschließen, daß Unternehmen und Haushalte entsparen, d. h. daß sie den zeitlich begrenzten Kaufkraftverlust durch Auflösung von Sparguthaben kompensieren, um dadurch ihr Konsumniveau unverändert zu lassen. Ein solches Verhalten, das die Wirksamkeit des Dämpfungsprogrammes beeinträchtigen könnte, ist meines Erachtens bei einem rückzahlbaren Steuerzuschlag aber weniger zu erwarten als bei einer wenn auch zeitlich begrenzten definitiven Steuererhöhung. Auch von dieser Seite her ist also dem rückzahlbaren Konjunkturzuschlag der Vorzug zu geben.
Wir können heute, meine Damen und Herren, noch nicht sagen, welche Erfahrungen administrativer Art diese Konjunkturdämpfungsmaßnahme bringen wird.
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Sicher ist, daß insbesondere die Unternehmen eine gewisse Mehrarbeit auf sich zukommen sehen. Meine Bitte an die Verwaltung geht deshalb dahin, alles, aber wirklich auch alles zu unternehmen, um die verwaltungstechnischen Schwierigkeiten bei der
Durchführung des Gesetzes auf ein Minimum zu reduzieren.
Der Konjunkturzuschlag als Kaufkraft abschöpfende Maßnahme wird bei vielen von ihm Betroffenen sicherlich zuerst auf wenig Verständnis stoßen, weil in der Regel die eigenen Konsumausgaben als keineswegs überhöht oder auch nur einschränkungsfähig angesehen werden. Tatsächliche Schonung verdienen aber nur die Einkommen, für die der Konjunkturzuschlag zu Einschränkungen bei lebensnotwendigem Bedarf führen könnte. Aus diesem Grunde sieht der Gesetzentwurf eine Sozialklausel vor, nach der nur Steuerpflichtige mit einer monatlichen Steuerschuld von über 100 DM von dem Zuschlag betroffen werden. Mir scheint, daß diese Regelung die minderbemittelten Einkommensgruppen in hinreichender Weise schont, so daß sozialpolitische Einwendungen kaum erhoben werden dürften.
Betrachtet man den vom Konjunkturzuschlag ausgenommenen Personenkreis einmal näher, so erkennt man, daß nur weniger als die Hälfte aller mit Lohn- und Einkommensteuer Belasteten den Zuschlag überhaupt zahlen müssen. Angesichts der Schonung breiter Kreise durch die Sozialklausel ist es nicht recht verständlich, wenn vereinzelt von der mangelnden Ausgewogenheit des Konjunkturprogramms und von einer Benachteiligung der lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer im Vergleich zu den einkommensteuerpflichtigen Selbständigen gesprochen wird. Dieser Vorwurf geht auf § 1 des vorliegenden Gesetzentwurfes zurück, nach dem der Zuschlag bei Einkommensteuerpflichtigen nur auf die Vorauszahlung und nicht auch auf die Abschlußzahlungen erhoben wird. Abgesehen davon, daß die Einbeziehung auch der Abschlußzahlungen in die Bemessungsgrundlage des Konjunkturzuschlages u. a. eine nur schwer zu rechtfertigende Komplizierung des Gesetzes mit sich gebracht hätte, muß vor allem auch die Gesamtbelastung gesehen werden. Sie besteht bei den Selbständigen ja nicht nur aus dem 10%igen Konjunkturzuschlag, sondern auch aus der zeitweiligen Aussetzung der degressiven Abschreibung. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Vorauszahlungen der Einkommensteuerpflichtigen schon seit einiger Zeit in recht großem Umfang an die wirtschaftliche Entwicklung angepaßt werden und damit die früheren erheblichen Abschlußzahlungen seit längerem der Vergangenheit angehören.
Zusammenfassend möchte ich sagen, daß der uns vorliegende Gesetzentwurf ein gutes Mittel darstellt, um zusammen mit den anderen Maßnahmen die gegenwärtige konjunkturelle Übernachfrage zu drosseln und die Wirtschaft wieder auf die Gangart zurückzuführen, die es erlaubt, die Ziele des Stabilitätsgesetzes - insbesondere aber Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung gleichermaßen - zu verfolgen. Ich bitte Sie daher, dem vorliegenden Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben.
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Präsident von Hassel: Sie haben die Begründung zur Einbringung dieses Gesetzentwurfes gehört.
Ich eröffne nunmehr die Aussprache über alle vier Tagesordnungspunkte. Das Wort hat dazu der Abgeordnete Dr. Stoltenberg. Für ihn sind 45 Minuten Redezeit beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben diese Sondersitzung des Bundestages in der Ferienzeit beantragt, um jetzt konjunkturpolitische Entscheidungen zu beraten und zu treffen. Seit über sechs Monaten forderten maßgebende Stimmen der deutschen Öffentlichkeit die Regierung mit wachsender Eindringlichkeit auf, zu handeln und ein wirkungsvolles Gesamtprogramm für die Sicherung des gefährdeten wirtschaftlichen Gleichgewichts und der Stabilisierung der Preise vorzulegen. Fünfzehn Sitzungswochen des Parlaments und fünf konjunkturpolitische Debatten sind seit Anfang dieses Jahres verstrichen, ohne daß der Bundeskanzler zu bewegen war, aus seiner Haltung staatsmännischer Tatenlosigkeit herauszutreten
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und die Zügel in die Hand zu nehmen. Immer wieder sind wir in diesen Diskussionen der vergangenen Monate von der Regierungsbank aus und von der sozialdemokratischen Fraktion der Schwarzmalerei, der Panikmache und der Beunruhigung friedlicher und zufriedener Bürger geziehen worden,
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als wir mit anderen warnend auf die wachsenden Spannungen und die Gefahren verwiesen haben, der geeignete Zeitpunkt könne verpaßt werden.
Wir verzichten darauf, diese Zitate unserer Kritiker im einzelnen nochmals vorzutragen, obwohl dies verlockend wäre. Sie würden angesichts der heutigen Vorlage und ihrer Begründung durch die Kollegen Schiller und Mertes manchem in diesem Hause nicht sehr angenehm im Ohr klingen.
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In seiner dritten Ferienwoche soll nun der Bundestag nach dem Willen der Koalition das lang Versäumte im Eiltempo nachholen. Am Montagnachmittag dieser Woche erfuhren wir von dem Plan, bereits am Sonnabend den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf in dritter Lesung zu verabschieden. Am Dienstagnachmittag hat uns die Bundesregierung von ihrem Sechs-Punkte-Programm unterrichtet, das heute und morgen zur Entscheidung ansteht. Denn, meine Damen und Herren - ich möchte das ganz deutlich zu Beginn unserer Aussprache sagen -, wir stimmen hier nicht nur über den vorliegenden Gesetzentwurf ab, wir treffen damit ein politisches Votum über alle sechs Punkte des Kabinetts, und wir müssen dabei zugleich auch jene von der Regierung nicht einbezogenen Elemente staatlichen Handelns mitbewerten,
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von denen der weitere Konjunkturverlauf, Erfolg oder Mißerfolg der jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen maßgeblich mitbeeinflußt werden.
Wir haben, soweit dies bei dem doch recht eigentümlichen Verfahren und in der Kürze der genannten Fristen überhaupt möglich war, versucht, in einer kritischen Analyse diese Faktoren richtig zu bewerten. Die sachliche Beurteilung, die ich im einzelnen kurz begründen werde, ist für unser Votum bestimmend, aber wir können doch nicht umhin, zunächst einiges Nähere zu der Vorgeschichte dieser Vorlage und unserer jetzigen Beratungen zu sagen.
Wenn die unzulängliche, die peinliche Art, mit der die Vorschläge des Sachverständigenrates, der Bundesbank, auch des Wirtschaftsministers, der CDU/CSU und vieler anderer zur Stabilitätspolitik so lange nicht ernsthaft behandelt, sondern verschleppt und abqualifiziert wurden, so ist das nicht nur eine Frage des politischen Stils;
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sondern es ist heute, im Juli, in einer relativ späten Phase des Konjunkturzyklus auch in der Sache schwieriger, die Wirkungen einzuschätzen, als dies im Januar, Februar oder noch im April der Fall gewesen wäre.
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Diese Einsicht hat ja auch, wie wir hören, die Beratungen im Lager der Koalitionsfraktionen offensichtlich nicht ganz leicht gemacht und jedenfalls Manchem die Entscheidungen erschwert.
Die Bedenkenlosigkeit, mit der der sozialdemokratische Parteivorsitzende, Herr Brandt, noch unmittelbar vor den Landtagswahlen am 14. Juni gegen den dringenden Rat vieler Fachleute innerhalb und außerhalb seiner Regierung den Bürgern Steuersenkungen versprochen hat, mußte den Widerstand gegen befristete Steuererhöhungen bei den Betroffenen in vielen Organisationen und Verbänden verstärken.
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Sie hat, wie wir in den ersten Reaktionen dieser Tage spüren, ihre Bereitschaft, den neuen, ganz anderen Argumenten dieser in ihrer politischen und moralischen Glaubwürdigkeit schwer erschütterten Regierung zu folgen, vermindert. Das haben manche Reaktionen der letzten Tage klargemacht, nicht zuletzt auch Stimmen aus dem Lager der Gewerkschaften. Die Regierung hat ihre wichtigste Aufgabe, in einer zweifellos schwierigen politischen Situation zu einer kontinuierlichen, intellektuell überzeugenden und redlichen Orientierung für die öffentliche Meinungsbildung zu kommen, nicht gemeistert.
({7})
Herr Kollege Schiller hat heute versucht, an Hand alter Zitate aus Berichten der Regierung in den ersten Monaten dieses Jahres darzustellen, daß es schon damals Hinweise für eine aktive Stabilitätspolitik gegeben habe. Nun, eine Regierung, die sich in ihren Berichten und auch in ihren führenden Exponenten so häufig widerspricht wie diese, wird auch bei der unerwartetsten Wendung irgendwo in den alten Archiven noch ein Zitat finden, das diese neue Linie abdeckt.
({8})
Es bleibt dem Bundeskanzler vorbehalten, hier seinen Sinneswandel überzeugender zu begründen, als er es in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit tat. Mittwoch hat er dem deutschen Volke erklärt, die steuerlichen Belastungen sollten der Sicherung der Stabilität und der Arbeitsplätze dienen. Am 1. Mai klang es in Dortmund wie auch bei vielen folgenden Gelegenheiten vor den Landtagswahlen ganz anders. Damals, vor zehn Wochen, sagte Herr Brandt, daß härtere Dämpfungsmaßnahmen von manchen Leuten gefordert würden, um uns eine zweite Talfahrt zu bescheren.
({9})
Das ist die nun schon hinreichend bekannte Methode dieser neuen Regierung, Vorschläge der CDU/CSU zu verketzern und wenige Wochen später ähnliche Initiativen der Regierung, die dem gleichen Ziel dienen sollen, dann als verantwortungsbewußte Aktion zu feiern.
({10})
Wir möchten es gern deutlicher und überzeugender hören: Welche neuen Einsichten haben nun zu dieser Umwertung der Ziele und diesem Kurswechsel wirklich geführt?
({11})
Wir nehmen mit sehr vielen Kommentatoren dieser Tage bis zum Beweis des Gegenteils an, daß es eine seit dem 14. Juni erheblich veränderte Einschätzung des Wählerverhaltens war
({12})
und nicht die sehr geringfügigen letzten Schattierungen in den Konjunkturdaten, die nun doch, Herr Kollege Schiller und Herr Kollege Mertes, als ein reichlich dürftiges Alibi dienen sollen. Für was muß der gute, alte Ifo-Konjunkturtest eigentlich in den kommenden Jahren noch herhalten?, kann man nach manchen Äußerungen und Bezugnahmen auf ihn für völlig verschiedene und entgegengesetzte Absichten heute nur fragen.
({13})
Die Antwort des Bundeskanzlers auf genau diese Frage in seiner Pressekonferenz vom 8. Juli möchte ich dem Hohen Hause doch nicht vorenthalten. Die Frage lautete: „Herr Bundeskanzler, worauf ist eigentlich der Wandel in der Konjunkturpolitik zurückzuführen?" Der Bundeskanzler hat den Journalisten dann geantwortet: „Wollen Sie das nicht Herrn Schiller überlassen?"
({14})
Vielleicht hätte er diesen Grundsatz schon etwas eher befolgen sollen.
({15})
Ich zitiere weiter:
Wir haben es
- so sagte der Bundeskanzler -- das gilt nicht nur auf diesem Gebiet - mit
zwei Faktoren zu tun. Wir haben es mit der
Lage zu tun und mit den Kräften, die sich auf die Lage einzustellen haben.
({16})
Da geht manches rascher, manches weniger rasch; manches geht in einer bestimmten Situation, was in einer anderen nicht geht. So einfach ist das.
({17})
Klar, meine Damen und Herren, so einfach ist es für den Bundeskanzler.
({18})
Aber man muß doch wohl fragen, ob er sich bei der Schicksalhaftigkeit dieser Frage der Stabilität für die soziale, wirtschaftliche und politische Zukunft unseres Volkes nicht etwas zu einfach macht.
({19})
Herr Schiller hätte die heutige Begründung für die Vorschläge der Regierung lieber im Februar gegeben. Sie wäre dann vielleicht etwas überzeugender ausgefallen. Es hätte dazu für ihn - wie für viele andere - nicht angeblich neuer Trends und Daten bedurft.
Die Merheit des Kabinetts hat jedoch bis zum 14. Juni nicht nur die ökonomischen Faktoren, sondern auch das Stabilitätsbewußtsein der meisten deutschen Bürger völlig falsch eingeschätzt, nämlich ihre berechtigte Erwartung, daß alle Ziele des vielgepriesenen Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes ernstgenommen werden, und das Handeln der Regierung bestimmen. Die ebenso unzutreffende wie gefährliche Behauptung, langfristige Sicherheit der Arbeitsplätze und Preisstabilität seien Gegensätze, ist nun hoffentlich mit dem heutigen Tage für alle Zukunft aus dem Arsenal der Regierungsargumente verschwunden.
({20})
Sie ist übrigens mit der soeben in Deutschland veröffentlichten Studie von Professor Henry C. Wallich „Geldwertstabilität und Wirtschaftswachstum" erneut in einer eindrucksvollen empirischen wissenschaftlichen Untersuchung widerlegt worden.
Meine Damen und Herren, drei der sechs Punkte der Bundesregierung entsprechen dabei ganz oder zumindest teilweise Forderungen, die wir seit Anfang dieses Jahres mit anderen vertreten. Die Regierung hat jetzt ausdrücklich beschlossen, daß der Bundeswirtschaftsminister am 17. Juli in der Konzertierten Aktion den Sozialpartnern die Entscheidung der Regierung darlegen und versuchen soll, sie für ein abgestimmteres Verhalten in ihren autonomen Dispositionen zu gewinnen. Wir meinen in der Tat, daß dies ein Kernpunkt für ein erfolgreiches Bemühen um Stabilität ist. Es kann sich nicht auf den Bund beschränken. Aber sein Handeln wird die Regierung nach so langer Untätigkeit und so vielen unschönen Winkelzügen erst wieder zu einem glaubwürdigen Gesprächspartner mit sachlicher Autorität werden lassen.
Es gibt eben seit dem vergangenen Herbst keine Konzertierte Aktion, die diesen Namen verdient, weil der Wirtschaftsminister bisher immer mit leeren Händen kommen mußte. Es bleibt abzuwarten, ob die neuen Planungen der Regierung geeignet sind, das schwer erschütterte Vertrauen schrittweise wiederherzustellen und so auch in der Einkommens- und Preispolitik zu einem stabilitätsgerechteren Verhalten beizutragen.
Wir müssen allerdings sagen, Herr Kollege Schiller, daß uns Ihre Interpretation dieser Bemühungen in der eben erwähnten Pressekonferenz vom 6. Juli auch nicht zufriedenstellt. Ich möchte hier Ihre Antwort auf eine ebenfalls sehr entscheidende Frage gern kurz zitieren. Vielleicht ist es möglich, die Dinge dann noch zu präzisieren. Sie sind gefragt worden: Was spricht dagegen, solche Orientierungsdaten für die Konzertierte Aktion zu beschließen und vorzulegen?
Sie haben dann geantwortet - ich zitiere -:
Die Psychologie! Wir haben jetzt ein Paket beschlossen, das sicher von vielen in der gegenwärtigen Konjunkturphase als hart angesehen wird. Wir sollten erst einmal die immanente Kraft dieses Pakets in der Konzertierten Aktion sich auswirken lassen.
Meine Damen und Herren, das bleibt doch weit hinter dem zurück, was Sie selbst auf Aufgabe der Konzertierten Aktion in den Jahren 1967/68 vertreten und praktiziert haben und was auch der Wortlaut des Stabilitätsgesetzes nach unserer Überzeugung in einer solchen Situation vorschreibt.
({21})
Damals hat es ganz andere Verhaltensweisen und Ziele gegeben. Ich zitiere noch einmal zum Vergleich aus dem Kommuniqué der ersten Konzertierten Aktion vom 2. März 1967. Da heißt es:
Für das Jahr 1967 erkennen die Beteiligten die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung an und sind bereit, diese Zielsetzungen durch ihre eigenen autonomen Entscheidungen zu unterstützen. Die Beteiligten sind sich darin einig, daß der Staat bei seinen Maßnahmen und die autonomen Gruppen bei ihren preis- und lohnpolitischen Entscheidungen diese Orientierungsdaten berücksichtigen sollen.
Damals haben manche - auch aus unseren Reihen - gefragt, ob dies nicht etwas zu weit gehe in dem Eingriff in den legitimen Spielraum autonomer Gruppen. Aber heute müssen wir alle feststellen, daß das, was Sie auf dieser Pressekonferenz verkündet haben, hinter dem zurückbleibt, was die Lage erfordert.
({22})
Die Bundesregierung hat die Beratung des Steueränderungsgesetzes 1970 nicht nur bis zum Herbst, sondern in eine ungewisse Zukunft verschoben. Das Schicksal dieser Vorlage, meine Damen und Herren, bietet nun allmählich genügend Stoff für eine abendfüllende Komödie.
({23})
Bei aller Komik, die hier Konzeptionslosigkeit und Führungsschwäche bewirkten, ist freilich auch nicht der schon erwähnte ernstere Hintergrund eines zunehmenden Mißtrauens gegen neue Aussagen und Versprechungen dieses Kabinetts schlechthin zu verkennen, der durch solche Aktionen verursacht wird. So war es sicherlich richtig, daß jetzt von der Regierung keine neuen Fristen für das Inkrafttreten und die Behandlung dieser Vorlage gesetzt wurden. Noch besser wäre es allerdings gewesen, sie ganz zurückzuziehen und die Fragen des Arbeitnehmerfreibetrags und der Ergänzungsabgabe völlig in den Zusammenhang der Steuerreform zu stellen, wo sich für die Arbeiter, die Angestellten, den Mittelstand und auch für die wichtigen Aufgaben der Bildungsfinanzierung auf Grund der noch ausstehenden Sachverständigengutachten für alle Beteiligten neue Gesichtspunkte ergeben dürften.
({24})
Was jetzt vom Kabinett ohne ein Konzept zur Steuerreform zu Einzelfragen, z. B. auch in der Verbindung von Ergänzungsabgabe und Bildungsfinanzierung beschlossen wurde, erweckt wieder einmal den Eindruck der wenig durchdachten Improvisation, die wir vor der großen Steuerreform jetzt alle vermeiden sollten.
({25})
Aber dieser fünfte Akt des Dramas einer erneuten Revision von Steuerbeschlüssen ist mit der jetzt vorgesehenen Behandlung keineswegs ausgeschlossen, vielleicht sogar erleichtert worden.
Das Kabinett hat sich ferner für das von uns seit langem vertretene Ziel einer Umrüstung der Konjunkturpolitik ausgesprochen. Seit Februar haben wir immer wieder auf das gefährliche Mißverhältnis der Politik von Bundesbank und Bundesregierung hingewiesen: die zu starke einseitige Belastung durch den Diskont, zunehmende Strukturschäden und wachsende außenwirtschaftliche Probleme als Folgen der unzulänglichen Fiskalpolitik des Staates. Wir hören deshalb mit Interesse, daß die Koalition jetzt die sehr ernsten Gefahren dieser Disharmonie offenbar nicht mehr bagatellisiert, sondern sie zugibt und in Konsultationen mit dem Zentralbankrat durch staatliche Maßnahmen in absehbarer Zeit zu einer Senkung der Zinsbelastung gelangen möchte. Neben den Folgewirkungen für die Entscheidungen der Sozialpartner, die eben noch nicht übersehbar sind, ist dies fraglos ein ganz zentraler Punkt für die Bewertung der vorgesehenen steuerlichen Maßnahmen.
Die Regierung kann jedoch bei dem jetzt nach zu
langer Passivität plötzlich eingeschlagenem Tempo
offenbar nicht davon ausgehen, daß sich die Bundesbank in der Lage sieht, sehr bald zu einer Senkung
des Diskontsatzes zu kommen. Pressemeldungen aus
Frankfurt und die Berichte über die Ausführungen
von Herrn Emminger vor der OECD lassen es als
sehr ungewiß erscheinen, ob diese erhoffte Wirkung
eintritt. Dabei dürfte auch die von der Bundesbank
mehrfach geäußerte harte Kritik am Haushaltsgebaren der öffentlichen Hände eine Rolle spielen,
das durch die gestrigen Beschlüsse der Bundesregierung leider nicht erfreulicher und konjunkturgerechter wird.
({26})
Sie können also, Herr Kollege Schiller - ich möchte das im Anschluß an unsere letzte Debatte hier sagen -, heute die sehr wesentliche Frage nicht beantworten, ob die vorgesehenen steuerlichen Maßnahmen der Bundesregierung in den kommenden Wochen und Monaten additiv zu der Hochzinspolitik der Bundesbank treten - das eine der vier von Ihnen genannten Modelle - oder ob sie die Bundesbank jetzt in den Stand setzen, den Diskontsatz unverzüglich herabzusetzen. Damit bleibt aber eine ganz wesentliche Unbekannte in der Abstimmung dieses Hauses heute und morgen.
Wir verstehen es, daß sich die Meinungsbildung im Zentralbankrat nicht in den gleichen asymmetrischen Zyklen von Passivität und Hektik vollzieht, wie dies bei der Koalition der Fall ist und wie man es dem Parlament jetzt zumutet.
({27})
Aber es wäre gut, wenn die Regierung - jedenfalls
etwas mehr, als es bisher geschah - präzisieren könnte, ob dieses Ziel der Umrüstung in den nächsten Wochen ein reales ist, oder ob damit gerechnet werden muß, daß die deutsche Wirtschaft und die deutschen Bürger in den kommenden Monaten die doppelte Belastung trifft.
Das Kernstück der sechs Punkte sind die beiden steuerlichen Maßnahmen. Wir haben in den vergangenen Monaten wiederholt deutlich gemacht, daß wir dieses Instrument als Teil einer umfassenden, wirkungsvollen Stabilitätspolitik nicht ausschließen und entsprechende Vorschläge der Regierung sachlich prüfen werden. Freilich ist durch die Verschleppung der Entscheidung auf den Sommer 1970 gerade hier die Einschätzung der Wirkungen schwieriger geworden. Wir erkennen dies auch an den recht unterschiedlichen Reaktionen auf die Regierung, die nicht nur, Herr Kollege Schiller, unterschiedliche Interessenstandpunkte wiederspiegeln, sondern eben auch dieses Dilemma der außenordentlichen Schwierigkeit, in diesem Zeitpunkt die Folgen zu bewerten.
Es stellt sich u. a. die Sachfrage, ob die Kombination von Vorauszahlungen bei der Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer mit der Aussetzung der degressiven Abschreibung nicht in erster Linie ein Ergebnis der völlig entgegengesetzten politischen Ausgangspositionen der beiden Koalitionsfraktionen ist, von denen die SPD noch bis vor kurzem jede steuerliche Belastung der Arbeitnehmer empört ablehnte, während die FDP hier immer wieder durch ihre Sprecher eine Erschwerung von Rationalisierungs- und Ausrüstungsinvestitionen als unannehmbar bezeichnete. Rein statistisch soll sich nach den Vorstellungen der Regierung in den kommenden elf Monaten eine Verminderung der Nachfrage um etwa 7 Mrd. DM ergeben. Wir alle wissen, wie schwer kalkulierbar dabei vor allem die Wirkungen einer Aussetzung der degressiven Abschreibung sind. Zunächst einmal, Herr Kollege Schiller, hat es in den beiden Wochen vor dem 6. Juli durch eine Art Vor3454
ankündigungseffekt sicher einen neuen Höhepunkt an Bestellungen und Anzahlungen gegeben.
({28})
Wie sich die Firmen in den kommenden Monaten in dieser Frage bei einer solchen Entscheidung, einer solchen Gesetzgebung verhalten, kann heute in der Tat niemand sagen.
({29})
Bei der Einkommensteuer bleibt abzuwarten, ob und inwieweit es unter dem Vorzeichen erneut steigender Preise zu einer Reaktion der Entsparung kommt. Es ist nun in der Tat - auch was diesen Zeitpunkt anbetrifft - ganz besonders unglücklich, daß die Steuerentscheidungen jetzt offensichtlich doch mit dem Anfang einer neuen Preiswelle zusammenfallen,
({30})
die von vielen Sachverständigen erst für den Herbst erwartet wurde und die von der Regierung in den letzten Wochen überhaupt bestritten wurde, für die es in den statistischen Veröffentlichungen der letzten Tage jedoch einige deutliche Anhaltspunkte gibt.
Diese hier angedeuteten Sachfragen werden nach unserer Auffassung heute in den Ausschüssen noch gründlich zu erörtern und zu prüfen sein. Eines möchte ich jedoch ganz klar sagen. Wir können die Vorlagen der Regierung vor allem nur unter der Fragestellung bewerten, ob die Koalition sich hier
und heute endlich zu einer stabilitätsgerechten Haushaltspolitik für die Jahre 1970 und 1971 entscheidet.
({31})
Die Regierung ist mit ihren Vorschlägen aus der völligen Passivität herausgetreten. Aber sie bleibt zugleich durch die fehlende Integration der Haushaltspolitik in das Stabilitätskonzept bis jetzt auf halbem Wege stehen.
({32})
Die Bemühungen des Wirtschafts- und des Finanzministers, mit § 6 des Stabilitätsgesetzes nunmehr auch eine restriktivere Ausgabenpolitik für 1970 sicherzustellen, wurden von der Kabinettsmehrheit verworfen.
({33})
Herr Kollege Möller hat diesen § 6 zwar gestern im deutschen Fernsehen zitiert, aber das Kabinett hat ihm nicht die Ermächtigung gegeben, ihn anzuwenden. Das ist der wunde Punkt, meine Damen und Herren.
({34})
Damit kann nach Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes 1970 in den kommenden Monaten ein neuer Nachfragestoß an Verpflichtungsermächtigungen und Zahlungen ausgelöst werden, der die Wirkung der vorgesehenen steuerlichen Belastungen zunichte macht.
Noch bestürzender ist für uns freilich das Ergebnis der gestrigen Kabinettsberatungen über den Etat 1971. Wir wissen, daß innerhalb der Regierung ernsthaft ein Vorschlag zur Diskussion stand, für das kommende Jahr einen Kernhaushalt und einen Eventualhaushalt vorzulegen, wie es das Stabilitätsgesetz in einer, jetzt gegebenen Situation des Ungleichgewichts klar verlangt, um eine flexible, konjunkturgerechte Ausgabenpolitik sicherzustellen. Auch hier hat die Mehrheit des Kabinetts die klaren Vorschriften des Stabilitätsgesetzes mißachtet und die richtige Entscheidung verhindert, die einen neuen konjunkturpolitischen Kurs überhaupt erst glaubwürdig gemacht hätte.
({35})
Die gestrige Ankündigung des Bundesfinanzministers, der Etat 1971 werde eine Steigerung von 12 % gegenüber den bereits überhöhten Ausgaben des Jahres 1970 bewirken, bringt einen schrillen Mißton in die neue Stabilitätsmelodie der Koalition.
({36})
Hier sollte man die Verantwortlichkeiten klar erkennen. Die Verantwortung liegt beim Bundeskanzler und beim Bundesfinanzminister, die in diesem Zusammenhang nach dem Gesetz besondere Rechte haben. Es wäre sicher ein Fehler, wenn wieder einmal der unglückliche Herr Ahlers für die schlechte Kommentierung in der heutigen Morgenpresse verantwortlich gemacht würde, meine Damen und Herren.
({37})
Der Herr Kollege Möller hat gestern in seiner Pressekonferenz eine neue, sehr gefährliche und falsche Alternative aufgebaut, diesmal nicht mehr Sicherheit der Arbeitsplätze und Stabilitätspolitik, sondern etwas anderes: die angebliche Entscheidung zwischen stabilitätsgerechter restriktiver Ausgabenpolitik einerseits und der Förderung der großen inneren Reformen andererseits. Meine Damen und Herren, was bewirkt denn die starke Ausweitung der Infrastrukturmaßnahmen für Bildung und Wissenschaft, für Gesundheit, Wohnungsbau und Verkehr, wenn wir weiterhin Preissteigerungen in der Bauwirtschaft von jährlich 20 bis 30 % haben sollten,
({38})
die den numerischen Zuwachs der Einzeletats, mit denen die Herren Ressortminister sich schmücken, doch faktisch zunichte machen und so 1970, und wenn es so weitergeht, auch 1971 in Wahrheit keine echte Steigerung der Investitionen ermöglichen?
({39})
Was ist das für eine neue Finanzplanung, die unter dem aktuellen Vorzeichen der Überhitzung, des Ungleichgewichts die Ausgaben für 1971 um 12 % erhöhen will bei gleichzeitigen Steuerbelastungen für die Bürger in diesem Jahr 1971 und die in den folgenden Jahren, für die wir doch wohl alle eine ausgeglichenere Situation erwarten, dann Steigerungsraten von rund 8 % veranschlagt? Hier sind doch die elementarsten Erfordernisse einer dem Stabilitätsgesetz gerechten Finanzplanung gröblich mißachtet worden.
({40})
In der Art, wie hier gehandelt und vom Finanzminister gestern gesprochen wurde, wird nun auch
die schicksalhafte Frage erneut bagatellisiert, ob wir durch einen neuen Stabilitätskurs wirklich den drohenden verhängnisvollen inflatorischen Prozeß aufhalten, eindämmen wollen und können oder ob mit der Regierung auch die autonomen Partner sich schließlich doch auf seine schreckliche Gesetzmäßigkeit der Eskalation, der Steigerung einstellen. Die wirtschaftlichen und psychologischen Wirkungen einer halbherzigen Stabilitätspolitik, die bei der Steuerpolitik jetzt in die Vollen geht, aber haushaltspolitisch nicht mitgeht, ja, teilweise gegensteuert, können nur negativ sein.
({41})
Wir wünschen nicht, meine Damen und Herren, daß die neue Steuerbelastung der Bürger im wesentlichen dazu dient, dem Staat für seine Ausgabenpläne einen größeren konjunkturpolitischen Spielraum zu verschaffen.
({42})
Steuer- und Haushaltspolitik müssen sich jetzt dem entscheidenden Ziel der Wiedergewinnung der Stabilität, der Bekämpfung der Inflation unterordnen. Beide müssen dies tun.
({43})
Ich stimme Herrn Kollegen Schiller zu, der gesagt hat: Stabilität kann weh tun. Das ist richtig; aber offenbar haben die Ressortminister gestern dafür gesorgt, daß sie nicht zu denen gehören, denen bei Ihren Plänen wehgetan wird, und das wird die Bürger noch etwas mehr schmerzen, als es diese vorgesehenen steuerlichen Entscheidungen ohnehin tun.
({44})
Weshalb mißachtet die Regierung weiterhin die eindeutigen Bestimmungen der §§ 5, 6, 7 und damit auch 19 des Stabilisierungsgesetzes, die der Kollege Möller doch noch im Jahre 1969 in seinem Kommentar, zweite Auflage, so eindrucksvoll erläutert hat?
({45})
Weshalb kommt es auch jetzt nicht zu der dringend gebotenen, vom Finanz- und Wirtschaftsminister vor Monaten geforderten stärkeren Bildung einer Konjunkturausgleichsrücklage im Jahre 1970 und zu der von der Bundesbank verlangten Stillegung von Finanzierungsüberschüssen der Sozialversicherung, zu der auch der Verband deutscher Rentenversicherungsträger offensichtlich grundsätzlich bereit ist?
Zu diesen Kernpunkten der Haushaltspolitik haben wir in unserem vorliegenden Antrag konkrete Einzelvorschläge gemacht, die in den Ausschüssen und bei der abschließenden Plenarberatung im einzelnen noch näher erläutert werden. Ich möchte aber hier schon ganz deutlich sagen, daß die schwere Entscheidung für befristete Steuererhöhungen uns nur dann vertretbar erscheint, wenn auch eine grundlegende Neuorientierung der Haushaltspolitik erfolgt, die den Bürgern dann auch den Preis der Stabilität bringt und nicht den Erfolg der neuen Maßnahmen aufs Spiel setzt.
({46})
Deshalb wird die Behandlung unseres Antrages zu
den genannten Punkten für die abschließende Stellungnahme meiner Fraktion zu den Vorschlägen der Regierung, der Koalition, von ausschlaggebender Bedeutung sein.
Wir halten darüber hinaus bestimmte Verbesserungen und Präzisierungen der Steuervorlagen für notwendig. Wir beantragen, daß die Rückzahlung des Konjunkturzuschlages spätestens bis zum 30. Juni 1972 erfolgt.
({47})
Durch die Verkürzung dieses Termins könnten die weitverbreiteten Befürchtungen vermindert werden, die versprochene Rückerstattung sei nicht gesichert. Außerdem wird der unangenehme, von der Koalition sicher nicht gewünschte Eindruck vermieden, der Zeitpunkt in ihrer Vorlage sei bewußt wenige Monate vor die nächste Bundestagswahl gelegt, um vielleicht durch eine größere Geldzahlung bei den Bürgern die vielen Enttäuschungen dieser Wahlperiode zu lindern.
({48})
Um den ganz besonderen Charakter dieser Steuervorauszahlung deutlicher zu machen und die eindeutige Verpflichtung zur fristgerechten Rückzahlung noch klarer festzulegen, beantragen wir ferner eine Jahresverzinsung des Konjunkturzuschlags von 6%.
({49})
Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten haben vor der letzten Landtagswahl im Juni die Parole ausgegeben: „Keine halben Sachen!"
({50})
Dieses Motto möchten wir Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, jetzt für die Konjunkturpolitik, für die Entscheidungen von heute und morgen als Richtschnur nachdrücklich empfehlen.
({51})
Sie sollten sich dazu entschließen, die nicht ausreichenden Vorschläge der Bundesregierung durch eine Neuorientierung der Haushaltspolitik, durch ihre Integration in die Stabilitätspolitik zu einem geschlossenen Konzept weiterzuentwickeln. Nur dann besteht nach meiner Überzeugung die Chance, den Verlust an Vertrauen, der durch das unrühmliche Hin und Her der letzten Monate, die miserable Taktik eintrat, wieder zu überwinden.
({52})
Machen wir in der Tat hier keine halben Sachen. Dann werden Sie mit einer konstruktiven Mitwirkung der starksten Fraktion dieses Hauses für Ihr erweitertes Stabilitätsprogramm rechnen können und auch das heute noch fehlende Vertrauen der Bürger für einen neuen Kurs wiedergewinnen und damit zugleich die Chancen für den sachlichen Erfolg dieser Politik vergrößern.
({53})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist völlig in Ordnung, daß hier kritisch unter die Lupe genommen wird, was die Regierung beschlossen und was sie vorgeschlagen hat. Aber es erscheint mir wichtig, daß dabei das eigentliche Thema nicht verlorengeht. Das Thema ist, und davon sollten wir uns nicht abbringen lassen: Was war jetzt notwendig und möglich, um die Arbeitsplätze auch in der Zukunft zu sichern?
({0})
- Ich würde darüber nicht lachen.
({1})
Ich würde nicht lachen, meine Herren von der CDU, wenn von der Sicherheit der Arbeitsplätze die Rede ist.
({2})
Ich sage noch einmal: Es ging darum, was jetzt notwendig und möglich war,
({3})
um die Arbeitsplätze auch in der Zukunft zu sichern, um zu mehr Preisstabilität zurückzufinden und um die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
({4})
- Sie sollten lernen, sich dem Bundeskanzler gegenüber so zu benehmen,
({5})
wie die Fraktionen der Mehrheit sich Ihren Sprechern gegenüber benommen haben.
({6})
Ich habe im Protokoll nachgelesen - ({7})
- Mich bringen Sie nicht vom Rednerpult weg; damit wir uns klar verstehen.
({8})
Ich habe im Protokoll nachgelesen, daß Herren aus Ihrer Fraktion den Bundeskanzler neulich 48 mal in einer Rede unterbrochen haben. Das ist nicht in Ordnung, meine Damen und Herren.
({9})
Das wird Ihnen draußen auch nicht abgenommen. Das trägt nicht zur sachlichen Auseinandersetzung in diesem Hause bei.
({10})
Es geht darum, neben der Sicherheit der Arbeitsplätze auch für die Zukunft, neben dem Zurückfinden zu mehr Preisstabilität, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir uns stärker als bisher der inneren Reformen annehmen können.
Nun kann man sagen: Die Regierung hätte entsprechende Maßnahmen schon früher treffen müssen.
({11})
Darüber kann man reden. Warum nicht? Nur werden mir alle seriösen Kritiker zugeben müssen: Es gibt auf diesem Gebiet keine Gesetze, die mit denen der exakten Naturwissenschaften vergleichbar sind. Das weiß doch jeder von Ihnen. Wann ist es zu früh, wann ist es zu spät? Jeder Kundige bei Ihnen weiß, daß es sehr gewichtige Stimmen gab, die uns - Sie wissen es doch so gut wie ich! - auch jetzt gesagt haben: „Wartet lieber noch ab, verschiebt eure Entscheidung zumindest bis in den Herbst."
({12})
Das haben wir nicht getan. Wir haben den Zeitpunkt jetzt für richtig gehalten - Herr Schiller hat das begründet -, und keiner wird sagen wollen, keiner wird verantworten wollen zu sagen, auch wenn er dieser Regierung noch so kritisch gegenübersteht, es sei zu spät.
({13})
- Na, ich würde bei dem bleiben, was ich sage.
Ich bin froh, daß unsere Entscheidung in enger Fühlungnahme mit der Deutschen Bundesbank erfolgen konnte.
Herr Kollege Stoltenberg, ich kann mich noch aus dem vergangenen Jahr an viele Monate quälender Passivität und eines lähmenden Gegeneinanders erinnern. Die heutige Konstellation ist mir lieber. Denn es ist ein Vorteil, wenn Bundesregierung und Bundesbank an einem Strang ziehen.
({14})
Ich hoffe, daß sich dies auch auf dem Gebiet auswirken wird, für das die Bundesbank ihre besondere Verantwortung zu tragen hat, d. h., daß wir
zu einem niedrigeren Zinsniveau kommen werden.
Nun wird gesagt, wir hätten nicht nur früher entscheiden sollen, sondern wir hätten jetzt zuwenig, über zuwenig entschieden. Wer so argumentiert, der muß, bitte, deutlicher werden als bisher.
({15})
- Auf den Haushalt komme ich gleich zurück, Herr Kollege Stoltenberg. Jetzt geht es um die Frage - wenn man keine „halben Sachen" will, um Sie zu zitieren -, welche Leistungen der Steuerzahler und welche Opfer der Arbeitnehmer, des Mittelstandes und anderer diejenigen vorgesehen haben, die sagen, wir hätten zuwenig entschieden. Ich meine,
daß diese Debatte gewinnen würde, wenn hierauf eine klare Antwort gegeben würde.
({16})
- Haushalt kommt, warten Sie doch bitte! ({17})
- Herr Kollege Stoltenberg muß zu einem Punkt - nicht nur zu einem, sondern auch zu dem, zu dem ich jetzt spreche - einem Irrtum erlegen sein; denn ich kann nicht annehmen, daß er etwas Falsches hat sagen wollen. Er hat in Verbindung mit der Auseinandersetzung um die letzten Landtagswahlen behauptet, ich hätte in diesem Landtagswahlkampf Steuersenkungen versprochen
({18})
und statt dessen habe die Regierung durch dieses Paket oder einen Teil dieses Paketes nun das Steueränderungsgesetz unbefristet hinausgeschoben. Das ist ein Irrtum, Herr Kollege Stoltenberg, dieses Thema war nicht ein Thema der letzten Landtagswahlen, sondern, wie jeder weiß, Bestandteil des Regierungsprogramms,
({19})
abgeleitet aus den Programmen, mit denen die Parteien nicht in die Landtagswahlen des Jahres 1970, sondern in die Bundestagswahlen des Jahres 1969 gegangen waren.
({20}) Das ist ein großer Unterschied.
({21})
Hier ist etwas Falsches behauptet worden. Ich muß mich dagegen wehren.
({22})
Ich muß dieses als eine plumpe Ablenkung von der wirklichen Situation bezeichnen.
({23})
Die im Steueränderungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen - betreffend Arbeitnehmerfreibetrag, betreffend Ergänzungsabgabe -,
({24})
ich sage es noch einmal, sind nicht im Landtagswahlkampf versprochen worden.
({25})
- nein! - ({26})
- nein! ({27})
- nein, ich möchte jetzt meine Auffassung ebenso in Ruhe darlegen, wie es Herr Stoltenberg getan hat -,
({28})
sondern sie stellen, ich sage es noch einmal, einen Programmpunkt der Regierungserklärung dar, und zu diesem Programm gehören die erwähnten Maßnahmen weiterhin. Die Bundesregierung hat keinerlei Zweifel darüber gelassen, daß an diesen Maßnahmen, auch wenn sie zunächst unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten zeitlich hinausgeschoben werden müssen, festgehalten wird.
Nun, meine Damen und Herren, wird leichthin von Steuererhöhungen gesprochen, wo es sich in Wirklichkeit um rückzahlbare Konjunkturzuschläge handelt.
({29})
Die damit beabsichtigte Stillegung von Kaufkraft trifft sich durchaus mit Vorstellungen der CDU/ CSU-Fraktion, so daß die Kritik daran eigentlich schwer verständlich erscheint.
({30})
Es ist richtig, daß ein früherer Vorschlag des CDU-Präsidiums vom Mai dieses Jahres etwas andere Modifikationen vorsah, nämlich marktgerechte Verzinsung von freiwilligen Steuervorauszahlungen.
({31})
Die Bundesregierung hält es im Gegensatz dazu nicht für erforderlich, ihre Stabilitätspolitik in dieser Weise am freien Markt zu handeln. Dafür ist die Einsicht unserer Mitbürger in die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen und ihr Interesse an einer wirksamen Stabilisierungspolitik groß genug.
Die Bundesregierung hat ihre Beschlüsse zur Ausgabenpolitik in den kommenden Jahren auf der Grundlage des von ihr vorgelegten umfassenden Stabilisierungsprogramms gefaßt, und die Bundesregierung ist der Meinung, meine Damen und Herren, daß unseren Mitbürgern mit einer Stabilisierungspolitik, die den ungeschmälerten Fortgang im Ausbau der öffentlichen Infrastruktur unberührt läßt, besser gedient ist, als mit einer Politik, die Inflationsängste anheizt und die inneren Reformen wieder liegen läßt.
({32})
Ich habe im Entwurf des neuen Programms der Christlich-Sozialen Union folgenden Abschnitt gelesen:
({33})
Soweit die wachsenden Einnahmen des Staates nicht für die Finanzierung unserer vorrangigen Reformvorhaben ausreichen, ist ein steigender Anteil der öffentlichen Hand am Bruttosozialprodukt in einem sozial und gesamtwirtschaftlich vertretbaren Ausmaß notwendig.
({34})
Wenn das heute noch nicht konkretisiert werden kann, so wird das gewiß zu einem späteren Zeitpunkt von den Kollegen der Union geschehen.
({35})
Wir haben uns bekanntlich in dem Stabilitätsprogramm, das die Regierung am Montag verabschiedet hat, darauf beschränkt, die zweite Stufe der Ergänzungsabgabe vorweg vorzusehen, um dem Haushalt auf diese Weise Mittel für die Bildungsfinanzierung zufließen zu lassen. Und das ist kein Mangel an Konzeption, Herr Kollege Stoltenberg; denn es wäre falsch gewesen, diese Quelle zunächst einmal zu verschütten oder versiegen zu lassen.
({36})
Ich würde es begrüßen, wenn auch über dieses Haus hinaus Schluß gemacht würde mit der Irreführung,
({37})
die darin besteht, daß man unser Volk die europäischen und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht hinreichend erkennen läßt.
({38})
Wir leben nicht für uns allein. Wir sind keine - und können es nicht sein - Insel der Stabilität.
({39})
Wir sind nicht unabhängig von dem, was andere ) tun oder was sie unterlassen zu tun. Die Preise - ob Sie etwas anderes behaupten oder nicht - sind anderswo leider noch stärker gestiegen als bei uns.
({40})
- Da haben Sie völlig recht, Herr Stücklen, das ist kein Trost, und es darf uns nicht zum Nichtstun verleiten. Darin sind wir uns einig.
({41})
Ein Blick in die westliche Welt zeigt, daß es die Gefahr einer kombinierten Stagnation und Geldentwertung abzuwenden gilt. Das ist nicht die Aufgabe einer Partei, das ist eine nationale Aufgabe.
({42})
Man kann dieser Regierung viel vorwerfen,
({43})
aber nicht, daß sie vor unpopulären Maßnahmen und Fragestellungen zurückschrecke.
({44})
In diesem Augenblick sind nicht nur linksradikale
Agitatoren am Werk, um in den Betrieben und
anderswo Unruhe zu stiften. Sie werden keinen
Erfolg haben. Davon bin ich überzeugt. Aber zugleich gibt es die ernst zu nehmenden Fragen - ({45})
- Ich würde auch hier, verehrte Frau Kollegin, nicht den Eindruck aufkommen lassen, als ob das Thema, über das ich eben jenseits aller parteipolitischen Polemik sprach, in der Mitte des Hauses nicht ernst genommen würde.
({46})
Es gilt zugleich, all das ernst zu nehmen, was an Fragen von soliden Belegschaften und ihren Betriebsräten in diesen Tagen auf uns zugekommen ist. Es gibt die ernsten Einwände und die kritischen Hinweise der Gewerkschaften. Dazu möchte ich in diesem Augenblick dreierlei sagen.
Erstens. Es ist meiner Überzeugung nach nicht zutreffend, daß die vorgesehenen Maßnahmen unzumutbar und unausgewogen seien. Sie sind so angelegt, daß der sozialen Ausgeglichenheit Rechnung getragen wird: durch die Sozialgrenze ab 100 DM Steuerschuld im Monat, dadurch, daß die Ergänzungsabgabe für die höheren Einkommen weitere vier Jahre gilt und auch durch die Koppelung mit der degressiven Abschreibung.
Zweitens. Die Steuervorauszahlungen von 10 % der Steuerschuld - nicht des Einkommens, wie Demagogen im Lande behaupten - werden zurückerstattet. Darauf kann sich jeder verlassen. Wenn wir echte Steuererhöhungen für notwendig hielten, würden wir dies sagen, begründen und dafür einstehen. Daß man sich auf das verlassen kann, was wir sagen, haben alle im Falle des Krankenkassenbeitrages der Rentner feststellen können.
({47})
In der Großen Koalition haben die Sozialdemokraten als Teil eines Programms zur Ordnung der Staatsfinanzen sogar eine Belastung der Rentner mitgemacht. In der veränderten Lage hat die jetzige Koalition diese Belastung aufgehoben, und zwar durch die Beschlüsse dieses Hauses rückwirkend ab 1. Januar.
({48})
Drittens. In den Vorschlägen, die jetzt von den Gewerkschaften und aus den Betrieben aus verschiedenen Zweigen der Wirtschaft kommen, steckt viel Wichtiges und Beachtenswertes. Ich denke dabei nicht nur an die besorgniserregende Entwicklung der Mieten. Es steckt in dem, was uns in diesen Tagen durch Gespräche und durch Briefe auf den Tisch kommt, viel, worauf man wird zurückkommen müssen. Nur müssen sich bitte alle draußen im Lande darüber im klaren sein, was jetzt zu entscheiden ist und was in der Folge zu bedenken bleibt. Aber alle Anregungen, die aus den Erörterungen dieser Tage erwachsen, werden sorgfältig geprüft und im Rahmen des Möglichen berücksichtigt.
Inzwischen werden alle Beteiligten gut daran tun, den Rat zu befolgen, der dahin geht, daß wir alle miteinander dafür sorgen sollten, daß wir ohne Gefährdung des Wachstums zu mehr Stabilität und damit auch zu einer Beruhigung der Preise gelangen.
Nun wird gesagt - und der Kollege Stoltenberg hat darauf einen wesentlichen Teil seiner Redezeit verwendet -, wir hätten gestern im Kabinett keinen Haushaltsplan für 1971 verabschieden dürfen, der eine Steigerung der Ausgaben vorsieht.
({49})
Ich meine, über den Haushalt 1971 und über die mittelfristige Finanzplanung 1972/73/74 wird sehr eingehend und ernsthaft zu reden sein, wenn der Bundesfinanzminister den Haushalt hier im September einbringt.
({50})
Dann geht es um den Haushalt; heute geht es um das stabilitätspolitische Programm.
({51})
Und dann wird man sehen
({52})
- ich habe Zeit ({53})
ich sage, dann wird man sehen,
({54})
daß es gute Gründe für steigende Ausgaben gibt, und man wird sehen, daß sie gedeckt werden können.
({55})
Übrigens, Herr Stoltenberg: Wir sind alle nicht ganz sicher, daß wir nicht manchmal Informationen erhalten, die sich als nicht voll richtig erweisen.
({56})
Ihre Informationen darüber, daß im Kabinett über die Verabschiedung des Haushalts mit Mehrheit entschieden worden sei, ist falsch.
({57})
Das Kabinett hat einstimmig über diesen Haushalt entschieden.
({58})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Bitte sehr!
({0})
Herr Bundeskanzler, darf ich Sie auf folgendes hinweisen. Ich habe nicht von der Schlußabstimmung über den Haushalt gesprochen, sondern davon, daß bestimmte Vorschläge, die innerhalb der Regierung zur Diskussion standen - Anwendung des § 6 des Stabilitätsgesetzes für 1970 und die Unterteilung des Etats 1971 in einen Kernhaushalt und einen Eventualhaushalt -, nicht die Zustimmung des Kabinetts gefunden haben.
Sie wissen aus Ihrer eigenen Zugehörigkeit zum Bundeskabinett, daß im Rahmen der Beratung so wichtiger Themen sehr viele Anregungen und Vorschläge gemacht werden, nicht nur diese. Entscheidend ist, was das Kabinett beschließt.
({0})
Meine Damen und Herren, für mich ist dies nicht der unwichtigste Aspekt der stabilitätspolitischen Maßnahmen, über die in diesen Tagen zu entscheiden ist. Für mich ging es nicht zuletzt darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Gemeinschaftsaufgaben besser und stärker als bisher finanziert werden können.
({1})
Wir dürfen nicht glauben, daß man über einen längeren Zeitraum hinweg den öffentlichen Haushalt als alleiniges oder entscheidendes Instrument der Konjunkturpolitik einsetzen könnte. Wenn Sie das anders sehen, sind wir hier eben sehr unterschiedlicher Meinung.
({2})
Es ist klar, daß auch die Haushalte des kommenden Jahres und der kommenden Jahre im Zusammenhang mit der dann gegebenen konjunkturellen Lage gesehen werden müssen.
({3})
Es versteht sich auch von selbst, daß das Stabilitätsgesetz auch insoweit in Kraft bleibt. Es ist Gesetz, egal, ob die Regierung oder irgend jemand sonst es jeden Morgen oder jeden Abend noch einmal zitiert.
Ich kann mich nur wundern über solche, die schreiben und sagen - auch in Zeitungen mit sehr hoher Auflage -: Streicht einmal die Staatsaufgaben kräftig zusammen! Sie sind dann zuweilen identisch mit denen, die bei anderer Gelegenheit schreiben und sagen: Baut mehr Straßen und Wohnungen,
({4})
tut mehr für Bildung und Ausbildung, schafft mehr Sicherheit! Ich bin nicht bereit - wir alle sollten nicht bereit sein -, vor solcher Schizophrenie zu kapitulieren.
({5})
Es geht nicht um eine Verschwendungssucht des Staates, sondern es geht um die Investitionen in die Zukunft unseres Volkes.
({6})
Ich kann nur nachdrücklich das unterstreichen, was der Kollege Schiller dazu gesagt hat: Nicht um den Ehrgeiz eines staatlichen Ungeheuers handelt es sich, sondern um die legitime Nachfrage der Bürger dieses Landes und um den unbestreitbaren Zusammenhang zwischen öffentlichen und privaten Investitionen. Wir müssen mehr Forschungszentren, Universitäten und Schulen bauen, wir müssen den Leber-Plan durchführen, damit der Verkehr besser fließt auf der Schiene und auf der Straße, wir müssen den sozialen Wohnungsbau wieder stärker fördern.
({7})
Wir müssen den Umweltschutz verbessern, und wir dürfen nicht zuletzt unsere Verteidigung nicht vernachlässigen.
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Wir müssen also die Signale so setzen, daß Gefahren für die Wirtschaft gestoppt werden und daß die notwendigen Reformen voran- und durchkommen.
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Die Politik der Reformen kostet Geld. Es ist eine Politik aller für alle.
({10})
Der private Wohlstand kann auf die Dauer nur erhalten bleiben und sich nur dann voll auswirken, wenn sich auch unsere allgemeinen Lebensbedingungen entsprechend entwickeln. Dafür Sorge zu tragen, ist die Aufgabe des Staates. Man muß bereit sein, sich diesen Aufgaben und den damit verbundenen Kosten zu stellen. Man muß ebenso bereit sein, von den Bürgern dann bescheidene Opfer zu verlangen, wenn dies für die Allgemeinheit notwendig ist.
({11})
Präsident von Hassel: Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Junghans. Es sind 30 Minuten Redezeit begehrt worden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dieser Sondersitzung hat ,der Kollege Dr. Stoltenberg von sechs Monaten und fünfzehn Sitzungswochen gesprochen und davon, was in dieser Zeit alles hätte geschehen sollen zu dem Thema, zu dem der Deutsche Bundestag heute hier in einer Sondersitzung zusammengetreten ist. Lassen Sie mich einmal anmerken: Ich kann mich sehr genau erinnern, daß der Deutsche Bundestag zu einem anderen Thema, nämlich zu den Telefongebühren, aus den Ferien geholt worden ist.
({0})
Dieses Thema hier ist doch viel, viel ernster. Ich meine, es ist zu verantworten, den Deutschen Bundestag in der dritten Ferienwoche zu einem so ernsten Thema aus den Ferien zu holen.
Zum anderen möchte ich der Opposition vorhalten: sie hat in diesen sechs Monaten und fünfzehn Sitzungswochen ihre Beiträge - und das waren wesentlich mehr als heute - zum Heraufreden des Preisklimas geleistet, und das ist der Grund, warum wir heute zusammentreten müssen.
Dabei kann ich mir eine Bemerkung nicht verkneifen. In den sechs Monaten, in den fünfzehn Sitzungswochen hat es bisher keine konkreten Anträge - hier zählen nur solche Anträge, die dem Hohen Hause als Drucksache vorliegen - der Opposition gegeben. Anscheinend geht es der Opposition heute nur darum, zu belegen, wie recht sie gehabt hat und wie unrecht andere gehabt haben. Ich glaube, jedermann in diesem Saal wäre imstande, in dieser konjunkturpolitischen Lage jede Meinung mit sogenannten wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten zu belegen, vom Nichtstun bis zu allen harten Maßnahmen. Insofern hat es wenig Sinn, auf das hinzuweisen, was gewesen ist, und gegenseitig mit Zitaten aufzuwarten. Auch ich könnte x Zitate bringen, beispielsweise vom Abwürgen der Konjunktur durch die Überdosierung der Aufwertung usw. Das sollte uns heute nicht beschäftigen.
Auf einen Irrtum möchte ich aber noch einmal nachdrücklich hinweisen, Herr Kollege Stoltenberg. Die Sozialdemokraten haben nie einen Gegensatz von Vollbeschäftigung und Stabilität in irgendeiner Form konstruiert oder konstruieren wollen. Da gibt es keine Gegensätze. Eine Stabilitätspolitik ist voll vereinbar mit einer Vollbeschäftigungspolitik. Aber wir haben uns immer gegen Methoden und Maßnahmen gewandt, mit denen man unter Aufgabe der Vollbeschäftigung und mit der Drohung von Arbeitslosigkeit eine, wie wir meinten, nur scheinbare Stabilität erreichen wollte.
Über die Fragen einer stabilitätsgerechten Haushaltspolitik wird der Kollege Hermsdorf noch einiges sagen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat ebenso wie die Bundesregierung in der Vergangenheit immer wieder erklärt, daß sie die konjunkturelle Entwicklung mit Aufmerksamkeit verfolge und, falls es die Entwicklung notwendig machen sollte, nicht zögern werde, auch härtere Maßnahmen, die nicht überall Anklang finden- wir wissen das -, zu ergreifen.
Ich möchte hier die Analyse über die konjunkturelle Lage nicht wiederholen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat die Lage vorhin in aller Deutlichkeit geschildert. Aber eins möchte ich festgehalten wissen: was uns jetzt zum Handeln veranlaßt, ist, daß sich die Preisentwicklung, - die Preiserwartungen der Unternehmer und die AuftragseinJunghans
gänge - nicht so abzeichnet, wie wir uns das wohl alle erhofft haben. Wir sind der Meinung, daß jetzt die Stunde gekommen ist, das konjunkturpolitische Steuer fest in die Hand zu nehmen, um eine drohende neue Preiswelle von vornherein zu brechen. Ich kann hier für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erklären, daß wir nicht bereit sind, eine Eskalation der Preise in Kauf zu nehmen. Wir sehen nämlich die Gefahr, die entsteht, wenn sich ein Preisklima entwickelt, bei dem, wie das heute zum Teil üblich ist, die Unternehmer glauben, jeden Preis verlangen und jeden Gewinn realisieren zu können. Das hält die Volkswirtschaft nicht aus. Auf der anderen Seite können wir es uns aber auch nicht leisten, daß die Verbraucher in zunehmendem Maße bereit sind - breite Schichten unseres Volkes können das allerdings nicht -, Waren zu kaufen, ohne nach dem Preis zu fragen.
Dieser Entwicklung muß man im Interesse breitester Schichten unserer Bevölkerung entgegentreten. Der von der Bundesregierung und initiativ von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Antrag erfüllt diesen Zweck auf eine ausgewogene Art und Weise.
ich darf einmal, weil das hier etwas untergetaucht ist, die wichtigsten Bestandteile des Programms an dieser Stelle noch einmal kurz skizzieren und ein wenig kommentieren.
Erstens Herr Kollege Stoltenberg, das Bundeskabinett hat beschlossen, 'bei dem Vollzug des Bundeshaushalts 1970 konjunkturpolitische Zurückhaltung zu üben, um dadurch massive Nachfragestöße zu vermeiden.
Zweitens sollen bis zum 31. Januar nächsten Jahre die degressiven Abschreibungen ausgesetzt werden. Das wird zu einem vorübergehenden Rückgang der Nachfrage nach Investitionsgütern etwa in der Größenordnung von 3 bis 4 Milliarden DM und damit zu einer dämpfenden Wirkung gerade auf dem Investitionsgütersektor führen.
Drittens sollen die Einkommen-, die Lohn- und die Körperschaftsteuerpflichtigen vom 1. August dieses Jahres an bis zum 30. Juni nächsten Jahres einen Konjunkturzuschlag von 10 °/o auf ihre Steuerschuld bzw. ihre Vorauszahlungen leisten. Meine Damen und Herren, diese Zuschläge werden nicht vom Staat vereinnahmt, sondern bei .der Deutschen Bundesbank auf Eis gelegt. Sobald es die Konjunkturlage erlaubt - und das Gesetz schreibt vor: bis spätestens 31. März 1973 -, bekommt jeder, der Steuervorauszahlungen geleistet hat, seine Zuschläge auf Mark und Pfennig zurück. Dazu ist die Bundesregierung durch Gesetz verpflichtet. Jeder wird mir zugeben, daß es sich hier also nicht um eine Art der Besteuerung handelt, sondern eher um eine Art des Sparens von Staats wegen. Wir sind leider dazu gezwungen, unsere Mitbürger zu verpflichten, einen kleinen Teil ihres Einkommens für gewisse Zeit bei der Bundesbank in Verwahrung zu geben.
Ich möchte aber bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, darauf hinzuweisen, um welch kleinen Teil des Einkommens es sich hierbei handelt, um auch falsche Vorstellungen und Befürchtungen auszuräumen. Zunächst: Arbeitnehmer, die - der Herr Bundeskanzler hat es auch noch einmal gesagt, und man kann es nicht oft genug sagen - im Monat 100 DM oder weniger Lohnsteuer zahlen, werden von dieser Maßnahme überhaupt nicht betroffen. Zum anderen: Die Zuschläge betragen 10 °/o der Lohnsteuer und nicht, wie häufig angenommen, des Einkommens. Dies ist ein großer Unterschied.
Viertens soll das Steueränderungsgesetz, das die Verdoppelung der Arbeitnehmerfreibeträge und eine Erhöhung der Einkommensgrenze für die Ergänzungsabgabe vorsieht, noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden, sobald es die Konjunkturlage erlaubt.
Das ganze Stabilitätspaket ist nach unserer Auffassung angemessen und zweckentsprechend. Trotzdem möchte ich betonen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diesen Beschluß nicht leichten Herzens gefaßt hat. Das gilt insbesondere für die Steuervorauszahlung. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß sich meine Fraktion erst nach langen und intensiven Diskussionen dazu hat durchringen können, die Konjunkturzuschläge zu akzeptieren. Wir konnten schließlich nur zustimmen, weil wir das Stabilitätspaket in seiner Gesamtheit für ausgewogen halten, und zwar in zweifacher Hinsicht: erstens, weil die Nachfrage nach Investitionsgütern ebenso gedämpft wird wie die Nachfrage nach Konsumgütern, und zweitens, weil es die Lasten sozial gerecht verteilt.
Lassen Sie auch mich wie der Herr Bundeskanzler einige Worte zur Frage der sozialen Ausgewogenheit des Programms sagen. Die Konjunkturzuschläge, die aufkommen werden - rund 5,2 Milliarden DM -, werden je zur Hälfte von den Lohnsteuerpflichtigen, nämlich von 8 Millionen Arbeitnehmern, und von rund 1 Million Einkommen- und Körperschaftsteuerpflichtigen aufgebracht. Schon allein diese Zahlen machen deutlich, daß die Belastung der Einkommensteuerpflichtigen und der Lohnsteuerpflichtigen ausgewogen ist. Lassen Sie mich noch folgendes Beispiel geben: Ein Lediger mit einem Monatseinkommen von rund 1000 DM muß zirka 1 % seines Bruttoeinkommens als Konjunktfurzuschlag abführen. Dagegen muß ein Lediger mit rund 10 000 DM Monatseinkommen 411/4 seines Einkommens zusätzlich abführen. Darüber hinaus trifft den Unternehmer noch die zusätzliche Belastung durch die Aussetzung der degressiven Abschreibung und durch die Zuschläge zur Körperschaftsteuer.
Die soziale Ausgewogenheit dieses Programms wird aber noch in weiterer Hinsicht deutlich, und hier unterscheiden wir uns auch von der Opposition. Es müßte jedem klar sein, daß das weitere Kürzen an den Ausgaben der öffentlichen Hand - und das heißt, in erster Linie an den öffentlichen Investitionen - unverantwortlich wäre, weil es den Erfordernissen einer modernen Industriegesellschaft zuwiderliefe. Wir werden - um das hier mit aller Deutlichkeit zu sagen, meine Damen und Herren von der Opposition - keinem Rezept folgen, das im Endeffekt darauf hinausläuft, daß der Bau von Straßen, von Schulen, von Universitäten, von Kranken3462
häusern, von Kindergärten bald ganz zum Erliegen kommt.
({1})
Eine solche Politik wäre mit den Bedürfnissen der deutschen Volkswirtschaft nicht zu vereinbaren.
({2})
Wir sollten auch daran denken, daß wir mit den Infrastrukturinvestitionen, mit dem Bau von Schulen und Universitäten, die wir heute durchführen oder unterlassen, über die Zukunft unserer Kinder entscheiden. Meine Damen und Herren, es wäre unverantwortlich, wenn über Jahre hinaus solche Maßnahmen unterbleiben müßten. Dann könnte man sich fragen, zu welchem Zeitpunkt wir uns auf be--stimmten Gebieten dem Stand eines Entwicklungslandes nähern.
({3})
Hier liegt der grundsätzliche Unterschied zwischen uns, Herr Stoltenberg. Diese Koalition hat sich die inneren Reformen zum Ziel gesetzt, und daran halten wir fest. Das bedeutet aber auch, daß wir die öffentlichen Investitionen nicht in die Rolle von konjunkturpolitischen Lückenbüßern drängen lassen können, sondern daß ihnen die Priorität eingeräumt werden muß, die ihnen zukommt.
Ich möchte hier eines hinzufügen. Es ist nicht unsere Absicht, den Haushalt von den konjunkturpolitischen Aufgaben zu entlasten. Wir hoffen, daß wir
auch mit diesen Stabilitätsmaßnahmen für die Bundesbank neuen Spielraum schaffen. Wir würden es begrüßen, wenn sich die Bundesbank jetzt in der Lage sähe, die Zügel der Zinspolitik zu lockern.
Ich darf zusammenfassend abschließend folgendes feststellen.
Erstens. Wir halten dieses Maßnahmebündel für angemessen und für sozial ausgewogen.
Zweitens. Wir sind der Meinung, daß damit der Handlungsspielraum der Bundesbank erweitert wird, und erwarten in absehbarer Zeit eine merkliche Senkung des Zinsniveaus.
Drittens. Die Maßnahmen sind zugleich so flexibel, daß sie, falls sich eine deutliche Tendenzwende in der Konjunkturentwicklung abzeichnet, sofort rückgängig gemacht werden können.
Viertens. Wir wissen, daß die Bevölkerung, auch wenn sie die Last zu tragen hat, diese Maßnahmen in weitesten Teilen unterstützt.
Der Antrag der CDU/CSU zeigt einen Weg, der für uns nicht gangbar ist. Wir bitten die Opposition, auch einmal über ihren eigenen Schatten zu springen und unserem in sich geschlossenen Programm zur Stabilität und zur Konjunkturstabilisierung ohne Wenn und Aber zuzustimmen.
({4})
Präsident von Hassel: Das Wort hat für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Kienbaum. Er wird 15 Minuten sprechen.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Die FDP stimmt den zur Debatte stehenden Vorhaben zu, wie nach Bekanntgabe des einstimmigen Fraktionsbeschlusses nicht anders zu erwarten war.
({0})
Die FDP hat dabei, so vermutete ein Presseorgan, eine Kröte geschluckt, die Kröte zeitweiliger Aussetzung der degressiven Abschreibung. Meine Damen und Herren, die FDP tat es - um im Bild zu bleiben -, um eine Kaufkraftabschöpfung an Stelle einer Steuererhöhung zu ermöglichen. Die FDP verbindet wahrlich keine überhöhten Erwartungen mit der Durchführung der anstehenden Maßnahmen.
({1})
Wir wissen nämlich zu gut, daß die gewünschte Wirkung auf der einen Seite vom gleichgerichteten Verhalten der Nachfrager - einem unseren Vorstellungen entsprechenden Verhalten der Nachfrager -, vor allem aber vom vernünftigeren Verhalten der Tarifpartner abhängt. Vorschußlorbeeren können daher von uns ebensowenig erwartet werden wie prophetische Voraussagen, was nun eintreten wird, da sich diese schon oft nach kurzer Zeit leider als völlig falsch erweisen.
Der FDP erscheint es deshalb dringend erforderlich, in diesem Hohen Hause auch einmal diejenigen sehr ernst anzusprechen, die nach unseren Beschlüssen über die zukünftige Kostenentwicklung durch die autonomen Entscheidungen befinden. Ich kann es einfach nicht anerkennen, daß dieses Thema im Parlament tabu bleibt. Das Parlament muß auch hierzu Stellung nehmen. Hier gilt es, zunächst eines festzustellen. Trotz lautstarker und in immer kürzeren Abständen wiederholter gegenteiliger Behauptungen führen nun einmal Verbesserungen der Vergütungen, die über die Steigerung der Produktivität hinausgehen, unabdingbar zu Kostensteigerungen. Ich wiederhole: sie führen unabdingbar zu Kostensteigerungen, und damit treiben sie die Preise, die sich nun einmal nicht nach Wünschen, und seien sie noch so edel, sondern nach den Gesetzen des Marktes und der Fakten richten und - ich füge es hinzu - auch in Zukunft richten werden. Deshalb erwarten wir, mag es auch sehr schwer sein, eine Rückkehr zur Vernunft, und zwar von beiden Gruppen der Tarifpartner. Eindeutig unvernünftig sind Vergütungssteigerungen von 15% und mehr binnen Jahresfrist, wie sie bereits hinter uns liegen.
({2})
Sie können einfach nicht durch Produktivitätssteigerungen abgefangen werden, und sie gefährden daher unsere erreichte Position, ganz besonders aber die Position von Mitbürgern mit bescheidenen Einkommen.
In unsere Erwartungen schließen wir den öffentlichen Arbeitgeber insonderheit ein, den Bund, die Länder und die Kommunen. Sie müssen das Ihre dazu beitragen, zunächst einmal die zahlenmäßige Übernachfrage nach Arbeitskräften abzubauen. AusKienbaum
drücklich stellt die FDP fest: Der Ansatzpunkt für die Wiederherstellung der Stabilität nach den Beschlüssen dieses Wochenendes ist der Arbeitsmarkt, ist die Wiederherstellung einer ruhigen Entwicklung der Arbeitsvergütung. Deshalb fordern wir alle verantwortlichen Verhandelnden, aber auch - und das mit Nachdruck - die Entscheidenden auf, unverantwortlichen Vorstellungen zu widerstehen.
({3})
Wir fügen hinzu, daß in unserer Lage alles unverantwortlich ist, was den Produktivitätszuwachs aus Arbeits- plus Kapitalproduktivität übersteigt.
Meine Damen und Herren, bei dieser Problematik muß ich mich mit dem bisherigen und dem heutigen Beitrag der Opposition beschäftigen. Sie hat seit Monaten schon, meist durch ihren Sprecher Herrn Dr. Stoltenberg, allgemeine Forderungen erhoben, z. B. Stabilitätspolitik aus einem Guß. Sie beantragt heute eine globale Erhöhung der Konjunkturausgleichsrücklage, allerdings wiederum ohne Angaben, wo gekürzt werden soll.
({4})
- Allgemein, sehr allgemein, Herr Dr. Luda!
({5})
- Herr Dr. Luda, Sie brauchen sich gar nicht zu erregen. Ich bin über diesen Vorgang sehr genau unterrichtet, und ich wiederhole: allgemeine Forderungen ohne detaillierte Substanz.
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- Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir bescheinigen, daß ich keine Ahnung habe. Es gibt andere, die darüber anders urteilen.
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Die Opposition übersieht geflissentlich, daß es dieser speziellen Maßnahme der Erhöhung der Konjunkturausgleichsrücklage gar nicht bedarf, weil durch Beschluß in Verbindung mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 1970 bereits verpflichtend festgelegt ist, daß alle Steuermehreinnahmen
- offenbar erwarten Sie sehr viel höhere Eingänge - stillgelegt werden.
Die Opposition beantragt ferner, allgemeine Grundsätze zur Verschuldung im soeben vom Kabinett verabschiedeten Haushalt 1971 festzulegen. Sie werden mir sicher die Frage erlauben, welche Wirkungen zum heutigen Thema Sie von dieser allgemeinen Forderung erwarten, es sei unterstellt, ihr wird entsprochen.
Ich füge eine Frage hinzu: wann wird sich die Opposition zu dem von mir soeben angeschnittenen Problemkreis der Tarifpolitik äußern?
({8})
Wann dürfen wir ihre Vorstellungen zu diesem, dem dritten Bereich des Einflusses auf die Stabilität erfahren?
({9})
Oder müssen wir davon ausgehen, daß die Opposition nun ausschließlich Fiskalpolitik zu treiben gedenkt? Ich habe heute morgen aus den Ausführungen von Herrn Stoltenberg den Eindruck gewonnen - kann mich aber täuschen -, daß das bisherige Handeln der Bundesbank in der Monetärpolitik, dem zweiten wirksamen Bereich, gar nicht gern gesehen wird und daß an die Stelle dieser Politik Fiskalmaßnahmen hätten gesetzt werden sollen.
({10})
Deshalb stelle ich wiederholt fest: wir sind sehr gespannt, nun detaillierte Wünsche, Anregungen oder Forderungen zu bekommen.
Auf einen Punkt möchte ich insonderheit eingehen. Der Sprecher der Opposition, mit dem ich ja nicht nur im Parlament mehrfach Gelegenheit hatte zu diskutieren, hat mit ernstem Unterton - das habe ich durchaus vermerkt - die Feststellung wiederholt, daß es immer schwieriger wird, aus den verfügbaren Daten ein sicheres Urteil über die Situation, aber auch über den Trend der zurückliegenden Entwicklung und erst recht über die zukünftigen Erwartungen zu gewinnen. Ich unterstreiche das. Gerade deshalb aber mißt die FPD denjenigen Bestimmungen, die wir heute erneut zu verabschieden haben, das größte Gewicht zu, die eine sofort wirkende Beendigung der Dämpfung ermöglichen und die zudem einen unmittelbar greifenden Wiedereinsatz der stillgelegten Mittel erlauben. Wir wollen nur hoffen - hier spreche ich aus detailliertem Einblick aus meiner beruflichen Tätigkeit -, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem solche Entscheidungen notwendig werden, das Klima und die Bereitschaft zum Risiko des Investierens auch genügend gegeben sind.
Deshalb, meine Herren von der Opposition, kritisiert die FDP nachdrücklich die seit Monaten anhaltende Kampagne,
({11})
die unübersehbar zur Unsicherheit in der Bürgerschaft wie in der Wirtschaft beiträgt.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich an die Spitze meiner Ausführungen eine ganz kurze Bilanz der Regierungsarbeit in diesen acht Monaten stelle, so kann ich sagen, daß es eine Regierung der hektischen Außenpolitik und der unentschlossenen ängstlichen Wirtschaftspolitik ist. Genau umgekehrt müßte es sein: eine behutsame vorsichtige Außen3464
politik und eine entschlossene und klare Wirtschaftspolitik.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben hier etwas sehr Seltsames erlebt, nämlich das gestörte Verhältnis des Herrn Bundeskanzlers zur Wirtschaftspolitik. Was er hier als wirtschaftspolitische Leistung vorgetragen hat - ich muß mich sehr vorsichtig ausdrücken, denn er gehört zu den Empfindsamen in diesem Lande und hat sich schon einmal beschwert, daß er achtundvierzigmal unterbrochen worden sei -, war dürftig. Herr Bundeskanzler, Sie wissen ganz genau, daß Sie allein es waren und niemand anders, der in Ausübung seines Richtlinienrechtes im Februar dieses Jahres die Durchführung des Vorschlages von Bundeswirtschaftsminister Schiller verhindert hat, angesichts der sich auftürmenden Preiswelle Maßnahmen zu ergreifen.
({1})
Sie allein trifft diese Verantwortung.
Aber auch die Fraktion der SPD ist verantwortlich, die damals dem Bundeswirtschaftsminister bei seinen durchaus zutreffenden Überlegungen in den Arm gefallen ist. Es war nicht die frühere Mehrheit der CDU/CSU, die ihn an den richtigen Entscheidungen gehindert hat, sondern Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, und insbesondere Sie, Herr Bundeskanzler, haben ihn daran gehindert, obwohl Sie seit Jahren bis heute im Lande umherziehen und die Behauptung wiederholen, wir hätten in der Frage der Aufwertung gezögert und einen Verspätungsschaden angerichtet. Wenn man schon so denkt und einen solchen Vorwurf erhebt - dabei war der Vorschlag einer Aufwertung von 6,25 % ein Wellenpeitschen und gar nicht ernst zu nehmen - und wenn man im ganzen Wahlkampf und bis heute diese Frage hochzieht und von Verschleppen spricht, dann muß man aber gerade dafür sorgen, daß einem nicht selber der Vorwurf der Verschleppung gemacht werden kann.
Es wird hier von einer Kampagne, von einem Heraufreden der Preise gesprochen. Ich darf die Frage erheben: Kann man auch bei den Monatsberichten der Bundesbank, bei den Berichten der OECD, der BIZ, den Berichten der wissenschaftlichen Institute von Kampagnen reden,
({2})
oder handelt es sich hier nicht um ernst zu nehmende Beobachter der wirtschaftspolitischen und der konjunkturpolitischen Situation? Aber Sie haben Ihre eigenen Einsichten, Ihre wahltaktischen Überlegungen über diese mahnenden Stimmen gesetzt. Das war das Entscheidende. Am 14. Juni haben Sie nun ein erstes Warnzeichen durch den Wähler bekommen. Sie haben das Wahlergebnis ausgewertet und erklärt, nicht die Ostpolitik sei es gewesen - die war es auch -, sondern die Wirtschaftspolitik. Deswegen ist Ihnen auf einmal die große Einsicht gekommen.
({3})
Sie sagen, die Arbeitsplätze müßten gesichert werden. Das nehmen wir sehr ernst. Das ist ein ernstes Problem, und das ist das Wichtigste. Aber Sie müssen wissen, daß die Sicherung der Arbeitsplätze - das hat die Vergangenheit bewiesen, und das beweisen Beispiele in anderen Volkswirtschaften - auf die Dauer nur durch Stabilität möglich ist.
({4})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich an der Sicherheit der Arbeitsplätze versündigt, weil Sie gegen den Rat der wissenschaftlichen Institute und der Beobachter und Ihres eigenen Bundeswirtschaftsministers acht Monate gebraucht haben, um leichte Ansätze zu einer Stabilitätspolitik zu ergreifen. Das ist eine Gefährdung der Arbeitsplätze, die wir nicht mitmachen, und deswegen drängen wir fortgesetzt auf Stabilität.
Wo gibt es denn eine Opposition - vielleicht erinnern Sie sich an Ihre eigenen Oppositionszeiten! -, die so viel Lebenshilfe im Interesse geordneter Verhältnisse geleistet hätte? Das war damals der Fall bei dem Vorschlag des Kollegen Barzel, den Herr Möller sofort aufgegriffen hat, weil Sie Ihren großen Geschenk-Katalog vom 28. Oktober ja nicht einhalten konnten. Obwohl damals schon ganz gefährliche konjunkturelle Anzeichen sichtbar waren, haben Sie es über sich gebracht - auch der Bundeswirtschaftsminister -, einen Milliardensegen zu versprechen. Meine Damen und Herren, das war intellektuell und konjunkturpolitisch von der Verantwortung einer Regierungspolitik her nicht zu rechtfertigen.
Sie sagen, in der Konjunkturpolitik gibt es nicht die Sicherheit der Daten wie in der Naturwissenschaft. Zweifellos ist es so. Aber wenn die Preise und der Arbeitsmarkt derartige Erhitzungen und Anspannungen aufweisen, dann genügt das für einen Blinden, daran zu sehen, daß etwas nicht in Ordnung ist; und das sind Daten, die mehr aussagen als all die anderen Hilfsmittel, die hier verwendet werden.
Meine Damen und Herren, Sie sagen, Sie seien eine Regierung der inneren Reformen. Sie kommen zu diesen inneren Reformen nicht! Warum? Weil Sie die Stabilität gefährden; die Stabilität aber ist die Voraussetzung dafür, daß das alles in geordneter Weise finanziert werden kann. Sie legen heute einen Haushalt mit einer 12 %igen Steigerung vor. Ich glaube, Herr Stoltenberg hat mit Recht darauf hingewiesen. Sie schlagen ja allen psychologischen Gesetzen ins Gesicht, wenn sich die Leute heute schon wieder darauf einrichten können, daß es im nächsten Jahr munter weitergeht, daß der Haushalt da um 12 % höher sein wird.
({5})
Sie müssen doch daran denken, daß ein ganz erheblicher Teil der Konjunkturpolitik auf dem psychologischen Felde liegt. Da dürfen Sie nicht Ankündigungen machen, die bis in das Jahr 1974 mit 108, 110 und 112 Milliarden reichen. Sie beeinträchtigen damit jede Möglichkeit einer Konjunkturpolitik.
Sie sagen, Herr Bundeskanzler, Sie hätten kein Wahlversprechen auf Steuersenkung abgegeben. Erinnern Sie sich denn nicht mehr an jene peinliche Situation vom 19. Juni hier,
({6})
als Ihre beiden Fraktionen nicht eine einzige Hand bewegen konnten angesichts des peinlichen Vorgangs, daß Sie das zurücknehmen mußten, was Sie in der Regierungserklärung gesagt hatten? Und bis zum 5. Juni, dem letzten Sitzungstag vor den Wahlen, haben Sie im Ausschuß mit 17 : 16 Stimmen, mit dieser einen kümmerlichen Stimme Mehrheit, dieses Steueränderungsgesetz durchgesetzt. Der Herr Finanzminister hat drei Briefe geschrieben; es konnte ihm gar nicht eilig genug sein; und kürzlich hat er noch erklärt: „Im September muß es wieder auf die Tagesordnung."
({7})
- Vor der Wahl! - Stabilität und Wachstum haben Sie im großen Wahlkampf und im kleinen Wahlkampf versprochen, Steuersenkungen! Nichts haben Sie gehalten! Sie konnten es nicht halten. Und heute kommen Sie daher und sagen, die Ergänzungsabgabe solle für Bildungsausgaben aufrechterhalten werden. Vor wenigen Tagen haben Sie gesagt, sie werde in Stufen abgebaut werden, und Sie wollten eine Bildungsanleihe von einer Milliarde DM auflegen. Meine Damen und Herren, die Echternacher Springprozession ist ein Parademarsch im Vergleich zu dem, was Sie hier vortragen!
({8})
Sie berufen sich, genau wie Ihr Wirtschaftsminister, darauf, daß Sie mit der Bundesbank Arm in Arm gehen. Sie haben die Bundesbank allein draußen stehen lassen wie eine unansehnliche Geliebte!
({9})
Meine Damen und Herren, der neue Präsident der Bundesbank steht Ihnen sehr nahe. Es ist ein Bündnis zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und diesem neuen Präsidenten der Bundesbank, dem man wirklich bescheinigen muß, daß er den Mut besitzt, gegen die Untätigkeit dieser Regierung anzugehen. Nur diesem Bündnis und dem Ultimatum sind Sie jetzt gewichen. Das ist doch die Lage!
({10})
In sechs Berichten hat die Bundesbank immer wieder darauf hingewiesen, daß die bisherigen Maßnahmen der Regierung allenfalls konjunkturneutral, aber keineswegs antizyklisch sind. Das hat Sie alles nicht gekümmert. Bis das Ultimatum kam. Das Ultimatum trat am 1. Juli in Kraft. Es hat Sie ebenfalls nicht gestört. Woher, darf ich fragen, kommt auf einmal die große Erkenntnis? Die Auswertungsergebnisse des 14. Juni sind es! Wenn es hier Mode werden soll, daß wir nach Wahlterminen Wirtschaftsoder Außenpolitik machen, dann gehen wir in eine düstere und unsichere Zukunft.
({11})
Sie haben darauf hingewiesen, Herr Bundeskanzler, daß Sie vor allem die Zukunftsinvestitionen zum
Gegenstand Ihrer Regierungspolitik gemacht haben. Sie haben durchaus unseren Beifall und unsere Unterstützung. Aber das geht nur auf dem Weg der Stabilität.
Die heutige Sondersitzung wäre gar nicht notwendig gewesen. Sie haben im Stabilitätsgesetz, das wir in der Großen Koalition auch für Sie gemacht. haben - „der Welt Bestes", wie es einmal Schiller in einer gewissen Euphorie bezeichnet hat die erforderlichen Möglichkeiten. Dieses Stabilitätsgesetz hätte Sie meines Erachtens sogar auch zu den Steuervorauszahlungen berechtigt, und zwar deswegen: wenn Steuererhöhungen erlaubt sind - auf dem Verordnungsweg mit Kassationsrecht -, dann ist eine mindere Maßnahme meines Erachtens darin enthalten. Auch die weitere Maßnahme bezüglich der Investitionen - Fortfall der degressiven .Abschreibung - hätten Sie ebenfalls per Verordnung regeln können.
Der Vergleich drängt sich auf mit der Telefongebühren-Sondersitzung, die von der Opposition damals wegen eines ganz kümmerlichen Anlasses verlangt wurde. Die jetzigen Maßnahmen hätten Sie vor wenigen Wochen am 19. Juni beraten können. Da gab es das blamable Ereignis, daß Professor Schiller einen falschen Antrag stellte, Strauß ihm über die Hürden helfen mußte und Sie, die Regierungskoalition, stumm wie ein Fisch da saßen.
({12})
Da hätten Sie diese bescheidene Maßnahme, die allein nicht ausreicht, ebenfalls auf den Tisch legen können; dann hätten wir einen Tag oder zwei Tage länger getagt. Jetzt wollen Sie spektakulär nachweisen und die Öffentlichkeit täuschen: „wir wollen doch handeln". Eine spektakuläre Sondersitzung: auf einmal kommen die Kraft und der Mut, die acht Monate lang gefehlt haben. Das Fehlen hat einen Schaden eingebracht, der wahrscheinlich so hoch ist, daß diese Maßnahmen gar nicht ausreichen.
Herr Junghans, es ist intellektuell nicht erlaubt, hier die Behauptung aufzustellen, daß jemand mit partieller Arbeitslosigkeit gedroht hätte. Dieses Gespenst, diese Legende wird offen und versteckt fortgesetzt herumgetragen. Die 20 Jahre CDU/CSU-Regierung haben einen Aufbau und eine Sicherung von Arbeitsplätzen wie in keinem anderen Land der Welt gebracht.
({13})
Wir brauchen uns einen solchen Vorwurf nicht machen zu lassen.
Herr Kienbaum hat gesagt, er habe eine Kröte geschluckt. Ja, über den Hergang und die Entstehungsgeschichte dieser bescheidenen, zu spät gekommenen Maßnahmen sind wir uns alle im klaren. Die FDP wollte aus ganz klaren Überlegungen heraus natürlich verhindern, in die degressive Abschreibung einzugreifen. Die andere Seite wollte wiederum diese Maßnahme zunächst als einzige haben. Dann hat man sich auf einen faulen Kompromiß geeinigt und beide vorgeschlagen.
Wir entziehen uns unserer Pflicht nicht, obwohl es vielleicht gegen taktische Interessen ist. Wir haben
in diesen acht Monaten durch unsere Repräsentanten und Sprecher zum Ausdruck gebracht, daß wir bereit sind, eine Stabilitätspolitik auch mit harten Maßnahmen mitzumachen. Aber diese Maßnahmen reichen nicht aus.
Herr Kienbaum hat uns vorgeworfen, wir hätten zur Tarifpolitik nichts gesagt. Wir haben eine Tariefautonomie und eine Konzertierte Aktion, die allerdings vollständig verstummt ist, und die ganzen Instrumente sind verstimmt, funktionieren nicht mehr. Hoffentlich wird ihr nächster Zusammentritt überzeugend sein. Es kann keinen Zweifel geben, daß dabei auch das Lohnproblem eine ganz erhebliche Rolle spielt. Es ist eine große Frage, ob mit diesen Maßnahmen der Zweck noch erreicht werden kann. Wir sind der Meinung, daß eine Ergänzung auf dem Sektor der Fiskalpolitik unter allen Umständen notwendig ist. Ich wundere mich, daß Sie zu unseren Vorschlägen keine Stellung nehmen. Wir haben Ihnen Vorschläge gemacht, die in Ihre Richtung zielen, die das Ergebnis verbessern und eine wirkliche Wirkung hervorrufen sollen. Wir machen unsere Zustimmung davon abhängig, ob Sie auch den weiteren Weg mit uns gehen, so wie ihn Stoltenberg vorgetragen hat.
Ich zweifle an Ihrer Schätzung, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß durch den Eingriff in die degressive Abschreibung die Bestellungen um 4 Milliarden DM reduziert werden. Ich verstehe einfach nicht, was Sie eigentlich reitet, daß Sie es immer wieder versuchen, Dinge, die man nicht quantifizieren kann, mit Zahlen vorzulegen, bloß um eine Schau aufzuziehen. Ihre Erkenntnisse waren doch alles rachitische Eintagsfliegen, die keinen einzigen Tag überleben.
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Keine einzige Voraussage, keine Schätzung, nichts hat gestimmt.
Herr Bundeskanzler, Sie hätten sich heute hinstellen und sagen müssen: „Ich bedauere, meine Vermutungen, meine Überlegungen, meine Einschätzungen und Beurteilungen waren falsch. Ich bitte das Hohe Haus, mir jetzt zu helfen, damit ich den Fehler von acht Monaten wiedergutmachen kann, wenn das überhaupt noch möglich ist." Das wäre die Sprache gewesen, die Ihnen gut angestanden hätte.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Höcherl hat auf den CDU/CSU-Antrag verwiesen. Nach Ziffer IV dieses Antrags sollen Mittel der Rentenversicherung in einer Größenordnung - wie es dort heißt - von mindestens einer Milliarde DM stillgelegt werden. Das beweist, wenn man nur wenige Monate zurückschaut, daß die CDU kein gesellschaftspolitisches Konzept hat. Ich habe hier eine Schrift: Dokumentation der Arbeit der CDU/CSU-Fraktion als Opposition „Die ersten hundert Tage" ; da heißt es:
Der Vorschlag, den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag wieder zu streichen, zwinge dazu, entweder die Beiträge oder die Staatszuschüsse zu erhöhen. Es wird weiter erklärt: Die langfristige Konsolidierung der Rentenversicherung sei in Frage gestellt. So die CDU in ihrer Dokumentation „Die ersten hundert Tage". Sie hat damit Unruhe in bezug auf die gesetzliche 'Rentenversicherung geschaffen.
Jetzt beantragt die CDU/CSU, eine Milliarde stillzulegen. Sie ist also der Auffassung, daß die Finanzlage der Rentenversicherung hervorragend sei. Dies obwohl inzwischen durch Initiative der Bundesregierung, mit Unterstützung der Regierungsfraktionen, der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag rückwirkend ab 1. Januar abgeschafft und damit 700 Millionen DM liquider Mittel der Rentenversicherung in Anspruch genommen wurden.
Herr Dr. Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Bitte, Herr Kollege Stoltenberg.
Herr Kollege Schellenberg, ist Ihnen bei diesen Ausführungen gegenwärtig, daß die Bundesregierung in der Beantwortung einer Anfrage am 26. Mai den Finanzierungsüberschuß der Rentenversicherung in der Größenordnung von 7 bis 8 Milliarden für die gegenwärtige Konjunkturlage angegeben hat, daß innerhalb der Bundesregierung auf dringende Empfehlung der Bundesbank selbst die Frage einer teilweisen Stillegung dieser Mittel geprüft wurde und daß es deshalb unzulässig ist, diese kurzfristige konjunkturpolitische Frage zu vermischen mit den langfristigen Finanzierungsproblemen, die in unserer Dokumentation angesprochen sind?
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Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben die Antwort auf die Große Anfrage nicht genau gelesen. Darin ist nicht nur von Mitteln der Rentenversicherung die Rede, sondern beispielsweise auch von Mitteln der Zusatzversorgungsanstalt des Bundes und der Länder, von laufenden Mitteln der Krankenversicherung, der Unfallversicherung usw.
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ich komme auf Ihre Frage noch weiter zu sprechen. Jetzt stelle ich jedenfalls fest, daß sich in der CDU! CSU innerhalb eines halben Jahres ein erstaunlicher Wandel, was die Betrachtung der Finanzlage der Rentenversicherung angeht, vollzogen hat.
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Wir haben, und zwar insbesondere auf Initiative des Ausschusses für Sozialpolitik, im dritten Rentenversicherungsänderungsgesetz sehr eingehende Vorschriften über das Finanzierungsverfahren der Rentenversicherung geschaffen. Diese Vorschriften
beinhalten, wie die Liquidität zwischen den einzelnen Trägern der Rentenversicherung zu sichern ist, wie sie sich gegenseitig finanziell zu helfen haben und wie ein Ausgleichsverfahren durchzuführen ist.
Die Bundesregierung wurde im Rahmen dieser vielschichtigen Finanzierungsvorschriften u. a. ermächtigt - darauf zielt auch Ihre Zwischenfrage ab -, zusammen mit der Bundesbank, falls dies aus konjunktur- und währungspolitischen Gründen erforderlich ist, Teile der Liquiditätsreserven der Rentenversicherungen stillzulegen. Herr Kollege Stoltenberg, ich will Ihnen das Verfahren kurz darlegen und bitte um Ihre freundliche Aufmerksamkeit. Auf Grund dieser gesetzlichen Vorschriften hat die Bundesregierung pflichtgemäß geprüft, ob es ratsam ist, die harte Maßnahme der Stillegung von Mitteln der Rentenversicherung zu ergreifen. Nur dies steht in der Antwort auf die Große Anfrage: Prüfung, ob die Maßnahme der Stillegung ratsam ist. Was hat die Prüfung durch die Bundesregierung ergeben? Sie hat ergeben, daß es sozialpolitisch und finanzpolitisch nicht ratsam ist, diesen Eingriff durchzuführen, und zwar aus zwei Gründen.
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Erstens. Die Stillegung von Mitteln der Rentenversicherung bei der Bundesbank kommt praktisch einer weiteren Erhöhung der Mindestreserven gleich. Das wirkt praktisch in Richtung auf eine weitere Erhöhung des ohnehin schon überhöhten Zinssatzes. Das können Sie doch nicht bestreiten. Deshalb wäre eine Stillegung in einer Größenordnung von mindestens 1 Milliarde DM, wie Sie sie fordern, ein Schritt in die völlig falsche Richtung. Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung sich nach sorgfältiger Prüfung der Sachlage nicht zu diesem Eingriff entschlossen hat.
Es kommt ein Zweites hinzu. Seit der Rezession ist die Finanzlage der Rentenversicherung in außerordentlicher Weise beansprucht worden. Die Rentenversicherungsträger haben das soll an dieser Stelle anerkannt werden - alles getan, um durch gegenseitige Liquiditätshilfen die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung unbedingt zu gewährleisten. Nach ,der nun schon seit langem anhaltenden Strapazierurig der Mittel der Rentenversicherung ist es dringend geboten, daß die Rentenversicherung finanziell endlich zur Ruhe kommt.
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Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben bei dem CDU/CSU-Antrag im übrigen völlig übersehen, daß die Liquiditätslage der einzelnen Träger der Rentenversicherung ganz unterschiedlich ist. Eine Stilllegung von Mitteln in einer Größenordnung von mindestens 1 Milliarde DM, wie Sie es beantragen, würde, wenn sie überhaupt realisierbar wäre, sehr komplizierte Finanztransaktionen zwischen den einzelnen Trägern der Rentenversicherung erforderlich machen. Das schafft Unruhe. Das Gegenteil davon ist für die Solidität und für das Vertrauen zur gesetzlichen Rentenversicherung notwendig.
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Im übrigen hat die Spitzenorganisation der Rentenversicherungsträger auf Grund der Anregungen der Bundesregierung am 2. Juli folgendes erklärt:
Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger wird sich unverzüglich dafür einsetzen, daß die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung aus konjunktur- und währungspolitischen Gründen liquide Mittel im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten freiwillig in Schatzanweisungen anlegen.
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Diese freiwillige Bereitschaft der sozialen Selbstverwaltung begrüßen wir. Das ist der richtige Weg. Wir halten jetzt die Anwendung der Vorschriften des § 1383 b RVO für nicht erforderlich und werden deshalb eine zwangsweise Stillegung von Mitteln der Rentenversicherung nach Ziffer IV des CDU/ CSU-Antrags ablehnen.
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Meine Damen und Herren, liegen weitere Wortmeldungen vor? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Es ist vorgeschlagen, den Gesetzentwurf über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer dem Finanzausschuß - federführend -, dem Ausschuß für Wirtschaft zur Mitberatung, dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Wird ein anderer Vorschlag gemacht? Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da nach dem Antrag der CDU/ CSU Mittel der Sozialversicherung stillgelegt werden sollen, rege ich an, daß auch der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - nur zu diesem Teil des Antrages - gehört wird.
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Sie haben jetzt zu Ziffer IV des Antrags der CDU/CSU gesprochen. Ich war erst bei Punkt 1 der Tagesordnung.
Wer dem Überweisungsvorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Es ist vorgeschlagen, die Zweite Verordnung über steuerliche Konjunkturmaßnahmen dem Finanzausschuß - federführend -, dem Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen dann zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. konjunkturpolitische Dämpfungsmaßnahmen. Es ist vorgeschlagen, den Antrag dem Haushaltsausschuß - federführend -, dem
Vizepräsident Dr. Jaeger
Finanzausschuß zur Mitberatung, dem Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung und Ziffer IV des Antrags dem Arbeitsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Damit sind alle Punkte der Tagesordnung erledigt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft bittet, hier mitzuteilen, daß der Wirtschaftsausschuß 30 Minuten nach Beendigung des Plenums im Sitzungssaal 2503 zusammentritt.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Plenarsitzung auf morgen, Samstag, den 11. Juli 1970, ein. Es wurde interfraktionell vereinbart, daß die Sitzung morgen in Abänderung der ursprünglichen Planung um 9.30 Uhr beginnt.
Die Sitzung ist geschlossen.